Hüter der Menschheit von HANS KNEIFEL 1.
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Hüter der Menschheit von HANS KNEIFEL 1.
scher Effekt kugelförmig aufblies. Das mathematische Zentrum der Der Weltraum hatte sich verändert. Er Raumkugel. war drohend geworden, kalt und bösarDie letzte Landung für die ORION tig. Die Sterne sandten ihr stechendes und das Sternenschiff, wenn alle InLicht aus; es schien binnen kurzer Zeit formationen annähernd richtig ausein fremder Kosmos geworden zu sein. gewertet worden waren. Selbst die Crew der ORION VIII spürte „Die besten Gedanken vergißt man. diese Umpolung des Ausdrucks, obwohl Ich behalte und benütze nur meine die Mädchen und zweitbesten. Daraus Die Hauptpersonen des Romans: Männer scheinbar erklärt sich die nicht den geringLage unserer Cliff McLane - Der Oberst auf seiner letzten sten Grund zum Mission." Mission. Pessimismus Cliff sagte diesen Mario, Atan, Hasso und Vlare McCIouhatten. Sie fühlten klugen und ausdeen — Mitglieder von Cliffs bewährtem Team. sich ausgeruht, nahmsweise auch nachdem sie einige ehrlichen Satz zu Helga Legrelle - Die Funkerin wird durch Raum und Zeit geschleudert. Tage in der verseiner Mannschaft. schwenderischen Er meinte es auch Prac'h Glanskis — Der Raguer erweist sich erneut als wertvoller Helfer. maurischehrlich. Oder fast spanischen Stadt ehrlich. Mario de vom Glawkan und seinen Helfern Monti, der Chefkybernetiker, lachte verwöhnt worden waren, und hatten alle sarkastisch und erwiderte: ihre Erfahrungen ausgetauscht. Die „Ich glaube dir alles, nur deine SelbstORION befand sich in exzellentem kritik glaube ich nicht, Cliff." Zustand, und sie alle wußten ungefähr, Cliff deutete vorwurfsvoll auf die was sie erwartete. zentrale Bildplatte, also auf die AbDort vorn, einige Dutzend Lichtjahre bildung des Kosmos vor dem Raumentfernt. schiff. Sie schwebten hier, fast ohne Wie vor Wochen in großem, kosmiFahrt, mit allen aktivierten Suchgeräten, schem Rahmen, so jetzt und hier in und warteten auf das Erscheinen des stellarem Ausmaß, verdeckte eine große, Sternenschiffs. kugelförmige Masse die Sterne. Eine „Wir haben alles getan, was wir konnnoch dunklere Kugel im Schwarz des ten. Wir sind von Stern zu Stern, von Weltraums. Auch sie schien aus Gasen Planet zu Planet, von Abenteuer zu und Staubmassen zu bestehen, die der Abenteuer gehetzt. Und was haben wir Partikeldruck oder ein anderer kosmidavon? Total Desorientierung!" sagte
Cliff ärgerlich. „Und späteren Ruhm!" meinte Arlene. Auch sie fürchtete sich vor dem, was vor ihnen lag. „Meinetwegen auch dies!" knurrte Cliff. „Die im Sternenschiff könnten sich auch ein wenig beeilen!" „Denke daran, daß sie nach unseren Angaben navigieren müssen", erinnerte ihn Atan. „Wir hatten es einfacher, weil wir über die Daten Toys verfügten. Und zusätzlich haben wir ihnen noch einen neuen Kurs bis zu diesem Treffpunkt hier hinterlassen." Sie hatten nach dem Verlassen des Gebiets um die graue Sonne einen letzten Funksatelliten ausgebracht und ihn auf Dauersendung geschaltet. Jetzt hingen sie hier, die Instrumente suchten den Raum ringsum ab, und sie warteten auf den nächsten Anruf aus der Funkkabine des großen Schiffes, mit dem sie einst - wann eigentlich war dies gewesen, vor Ewigkeiten? - von der Erde aus zum Projekt Perseiden gestartet waren. „Du hast recht", erklärte Cliff. „Trotzdem fühle ich mich wieder einmal wie ein Nichtschwimmer. „Deine Ansichten sind ein Triumph der Hoffnung über die Erfahrung, Commander!" erklärte Hasso sarkastisch. „Zähle zusammen, was wir in unserem Leben alles erlebt haben - und du wirst erkennen müssen, daß ein Spaziergang durch einen Paradiesgarten auf uns wartet. Das gilt nicht nur für dich, sondern für. uns alle." „Ich wünschte, ich könnte dir voll zustimmen!" flüsterte Helga. Ihre Abenteuer waren nicht vergessen, aber sie schmerzten nicht mehr. Besonders die drei kurzen und in Wirklichkeit langen Bilder der auf vielfältige Weise zerstörten Erde hatten eine bestimmte Bedeutung, die ihnen nicht klar wurde.
Sicher, es gab eine Menge Theorien und Überlegungen, aber jede davon konnte ebenso richtig wie falsch sein. Cliff ließ einen langen, prüfenden Blick über sämtliche Ortungsschirme, Fernradarund Materiedichtebildschirme gleiten, betrachtete genau die Wiedergabe auf der großen Bildplatte vor ihm, dann drehte er seinen Sessel herum und sagte mürrisch: „Noch können wir zurück! Ich habe das fatale Gefühl, daß wir, wenn wir erst einmal dort drinnen sind, nicht mehr umkehren können !" „Und außerdem müssen wir unser Vorgehen mit der anderen Crew abstimmen!" „Richtig." Für den Kurs ins Innere der zweiten Dunkelwolke besaßen sie eine Serie perfekter Daten und Angaben. Die Informationen sagten klar aus, daß sie einen bestimmten Pfad verfolgen mußten und auf keinen Fall davon abweichen durften. „Wenn sie nur schon da wäre, unsere zweite Crew! Dann hätten wir wenigstens Gesellschaft in unseren schweren Stunden!" maulte Atan Shubashi. Hier vor der Kugel aus tiefer Dunkelheit, die kreisförmig die Sterne verdeckte, befanden sich in angemessenen Abständen drei Sonnen. Drei gelbe Sonnen vom Typ G-0 und angeordnet an den Ecken eines ungleichmäßigen Dreiecks. Sie waren kaum zu übersehen. „Sie sind in spätestens vierundzwanzig Stunden hier am Treffpunkt!" erklärte Atan. „Nach ihrem letzten Funkspruch können wir fest damit rechnen!" „Steht unser Peilstrahl?" erkundigte sich Cliff. „Natürlich!" Da sie alle davon überzeugt waren, daß innerhalb des versteckten Zentrums
oder auch auf der Strecke zwischen ihrer jetzigen Position und dem Zentrum besondere kosmische Verhältnisse bestanden, hatten Atan, Mario und Helga die Maximalleistungen aller ihrer Instrumente dazu benützt, um zu suchen und zu forschen. Aber sie bekamen nur Werte, die seit einem Jahrhundert gesicherte und keineswegs geheimnisvolle Bestandteile der Astronomie waren. Eine völlig normale Schicht kosmischen Staubes, etwas dichter als sonst und völlig undurchlässig. Sie würde sich beim Näherkommen und beim Durchfliegen auflösen in ein FastVakuum und wirkte nur durch ihre Ausdehnung wie ein Nebel. Aber von hier aus machte die Wandung der inneren Kugel alles das, was sich in ihr verbarg, unsicntbar und geheimnisvoll. Ruhig betrachtete Shubashi die Anzeigen, die seit Tagen unveränderte Werte zeigten, dann sagte er: „Raumfahrer zu sein, ist tatsächlich kein Schicksal, sondern eine Kunst. Ich bin sicher, daß wir ohne Schäden das Ziel erreichen werden." Wächter der Menschheit, Hüter der Erde! Und noch immer wußten sie nicht, wie diese Begriffe zu verstehen wären. Ohne Zweifel hing es damit zusammen, daß sie wie Helga und Vlare in die Lage versetzt wurden, durch Dimensionen und Zeiten und durch bestimmte Räume zu reisen. Ob kurzfristig, nur für Minuten, oder ob in anderer, nicht vorstellbarer Weise, das ahnte niemand. * Helga Legrelle lag in der Koje ihrer Kabine. Ein Leselicht brannte am Kopfende, das künstliche Fenster zeigte den Blick der Mittschiffslinsen auf den
Kosmos der vielfarbigen Sonnen. Aus dem Speicher der Unterhaltungselektronik hatte die Funkerin ein Programm ausgesucht, das nach ihrer Meinung dazu geeignet war, ihre Mißstimmung zu beseitigen. Eine selbstheizende Kanne voller Glühwein stand auf dem Serviertisch, auf einem schwenkbaren Bildschirm lief ein Text eines unterhaltenden literarischen Werkes ab. Ich glaube, ich werde krank, dachte die Funkerin bekümmert. Aber die Diagnose unseres Bordrechners hat nichts ergeben. Sie war gesund. Dies hatten die Geräte festgestellt. Aber trotzdem fühlte sie sich matt, und das Krankheitsbild glich einer exotisch verlaufenden Grippe. Hatte sie sich diese Krankheit während ihrer Abenteuer im Observatorium geholt? Aber Vlare, von ihr eben befragt, stellte fest, daß er nach wie vor voller Spannkraft und Tatendrang sei. Helga griff zum Becher und trank einen langen Schluck des heißen, gewürzten Rotweins. Sie begann zu schwitzen. Die Haut fing an, unkontrolliert zu jucken. Hinter der Stirn und den Schläfen gab es einen feinen, nadelscharfen Schmerz. Ich muß schlafen. Morgen wird es besser sein, dachte Helga, las weiter, hörte abwesend die Musik und trank hin und wieder einen Schluck dieses teuflisch belebenden Getränks. Ein Mittel gegen den Schmerz hatte sie sich bereits injiziert. Einen Augenblick lang sprang sie die Angst an. Hatte sie ein verderbliches Virus im Körper? Tobte eine unbekannte Krankheit in ihr, die sie vernichten würde? Dann siegte ihr Optimismus, und sie griff wieder nach dem Becher. Sie blickte nicht mehr auf den flachen,
viereckigen Bildschirm. Es entging ihr dadurch, daß sich zwischen den Sternen ein Lichtpunkt näherte, der von Zeit zu Zeit aufleuchtete, in die Nähe einer der Sonnen geriet und sich in eine lange, strahlende Form verwandelte, die lautlos heranglitt und der ORION zustrebte. Das Sternenschiff hatte den Leitstrahl aufgefangen und sich an ihm entlang exakt auf die Position des anderen Raumschiffs herangetastet, das in Wirklichkeit sein Beiboot war. Helga schlief ein, während Cliff und Mario die ORION einschleusten und dann ein stürmisches Wiedersehen mit den anderen feierten. Die Teilnehmer an Projekt Perseiden waren wieder vereint. Die letzte Stufe des Abenteuers konnte beginnen. * Wie ein riesiger, stählerner Vogel mit zurückgespreizten Schwingen schoß das Sternenschiff vorwärts. Noch während Cliff und sein Team in der großen Messe alles berichteten, was in der Zwischenzeit geschehen war, dies mit den Aufzeichnungen unterlegten und die Filme vorführten, arbeite unter Atan Shubashis Leitung das Team in der Steuerkanzel und übergab sämtliche Daten den Speichern des anderen Bordrechners. Der Kurs wurde entwickelt. Dave Sligo, der Zweite Pilot, deutete auf die riesige Kugel unsichtbarer Dunkelheit und sagte: „Wir können uns noch nach den drei Sonnen im Hintergrund und einigen Bezugssternen richten. Aber in dem Augenblick, an dem wir sie nicht mehr erkennen, müssen wir den Nebel blind durchfliegen."
Das Sternenschiff flog knapp unterlichtschnell. Die spitze Schnauze bohrte sich angriffslustig dem verborgenen Geheimnis entgegen. Atan sah Sligo etwas verwundert von der Seite an und fragte: „Du entwickelst den Kurs und weißt noch nicht, wie sich die Mannschaft entscheidet?" Sligo grinste kurz. „Ich bin sicher, daß alle mitmachen. Was mich betrifft - ich schließe mich euch an. Was für das McLane-Team recht ist, ist für mich billig." „Welch hoher Mut spricht aus deinen dürren Worten, Kamerad!" murmelte Atan. „Hoffentlich bereust du es nicht." „Ich habe genau mitgehört, was ihr dort in der Messe zu sagen hattet", war die nächste Antwort. „Nach allem, was ich weiß, ist der Endzustand uneingeschränkt positiv. Und das beruhigt mich." Ich wünschte, ich hätte deine Ruhe, Freund, dachte Atan verbissen und führte aus: „Ich denke, es gibt einen Korridor durch den Nebel. Ich zweifle auch nicht an der Richtigkeit unserer Daten. Also nehmen wir diesen Korridor, der genau vor einer grünen Sonne endet. Hier, tippe das in deinen klugen Kasten." Ununterbrochen wurden Checks durchgeführt, Bestimmungsvorgänge nachkontrolliert, mit den Rechnern der Kurs durchgespielt und schließlich für richtig befunden. Sie konnten das Sternenschiff im Überlichtflug durch den Autopiloten steuern lassen. Atan und Sligo wurden abgelenkt, als aus dem Lautsprecher das Geschrei aus der Messe tönte. Atan zog den Lautstärkeregler an und hörte noch den Rest von Cliffs abschließenden Sätzen.
„... danke euch. Ich stelle also auch für die Aufzeichnung aufs Bordbuch fest, daß wir eine einstimmige Mehrheit haben. Die gesamte Mannschaft des Sternenschiffs stürzt sich also ins Abenteuer." „Was habe ich gesagt?" fragte Sligo laut. „Ich habe nichts anderes erwartet!" bekannte Atan und grinste. „So, das ist geklärt. Warten wir auf den Meister, der uns das Kommando gibt." Es war nur noch der Zeitpunkt zu entscheiden, an dem sich das Schiff in einem langen Satz von schätzungsweise achtundvierzig Stunden Dauer durch die Barriere aus Staub und Energie schieben würde, um zwischen den Sonnen des innersten Kerns herauszukommen. Es war wie eine Szene während oder kurz nach dem Abflug von der Erde. Das Team stand und saß in der hypermodernen, vollintegrierten Steuerkanzel und sah zu, wie die Geräte arbeiteten. Das Sternenschiff wurde schneller und bereitete sich auf den Sprung vor. „Alles klar. Achtundvierzig Stunden lang geradeaus, dann sind wir, laut unseren Informationen, durch." Cliff schaltete die Automatik ein und lehnte sich zurück. Innerlich zitterte er, aber er nahm sich zusammen. Die anderen fühlten sich ebenso. Atemlos und gespannt warteten sie auf den entscheidenden Augenblick. Dann würden die Bildschirme stumpf werden und ein neutrales Grau zeigen. Sekunden und Minuten vergingen, dann ertönte der Summer - und das Sternenschiff brach aus dem normalen Weltraumgefüge aus und sprang in eine höhere Dimension. „Geschafft!" murmelte der Commander. „Wir sind auf dem Weg!" Sie sahen sich an. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Was immer jene alten
Raumfahrer von ihren jungen Nachkommen wünschten... sie würden es erfahren. Cliff rechnete sich aus, daß auch diese Erfahrung leidvoll sein würde. Eine flüchtige Idee schoß durch seine Überlegungen. Er wandte sich an Mario und fragte: „Wir sollten kontrollieren, ob der Hyperraum lebt. Vielleicht Funksignale oder ähnliche Effekte. Schließlich haben wir einen bestimmten Korridor zugewiesen bekommen. Wo ... wo ist übrigens Helga?" „Keine Ahnung. Sicher in ihrer Kabine!" sagte Mario. „Ich hole sie. Vielleicht braucht sie Hilfe." Er verließ die Steuerkanzel, und genau in der Sekunde, als das Schott sich hinter ihm schloß, begann der elektronische Alptraum. Die Bildschirme, die schlagartig stumpfgrau geworden waren, flammten auf. Sie begannen seltsame, gefährliche Muster zu zeigen, und wenn es das war, was die Linsen draußen auffingen, dann bewegte sich das Schiff durch eine Dimension des Schreckens. Summer begannen laut zu röhren. Alarmglocken klingelten in unrhythmischen Abständen auf. Die Nerven der Besatzungsmitglieder begannen in diesem Takt zu vibrieren. Sirenen heulten durch die Räume des Schiffes. „Helga Legrelle! Bitte melden! Ich nehme an, sie irrt durchs Schiff!" „Unregelmäßige Energieabgabe der Maschinen!" „Brennende Gasmassen im Sektor Blau! Achtung! Ausweichmanöver einleiten. Planet auf Kollisionskurs!"' „Materialveränderungen im Bereich der Zentralschleuse. Ich wiederhole ..." Cliff sprang auf, kämpfte innerhalb
von vier Sekunden seine Panik nieder und schrie: „Hasso! In den Maschinenraum! Mache dort Ordnung! Du kannst es!" Dann drückte er eine Taste und brüllte ins Mikrophon der Kommunikationsanlage : „MCLANE AN ALLE! HIER SPRICHT DER KOMMANDANT! SOFORT SCHWERE RAUMANZÜGE ANLEGEN! ICH WIEDERHOLE: SOFORT SCHWERE RAUMANZÜGE ANLEGEN UND DAS SCHIFF ABSCHOTTEN! BEFEHLE KOMMEN NUR AUS DER ZENTRALE!" Er kippte mehrere Schalter. Das Wimmern der Sirenen hörte auf, dafür kam aus sämtlichen Lautsprechern aufgeregtes Geschrei. „Vlare! Hinaus mit dir! Bringe Ruhe in die Mannschaft! Hilf ihnen, wo du kannst. Prac'h - hilf ihm, bitte!" „Verstanden!" schrieen sie und rannten aus dem Raum hinaus. Der hintere Bezirk der Steuerkanzel wurde durch ein automatisch arbeitendes Druckschott abgeriegelt. Das Lärmen wurde leiser. Der Zweite Pilot schaltete Warnsummer und Glockensignale aus und beobachtete die Schirme. Sie zeigten einen verwirrenden, alptraumhaften Kosmos. Cliff kontrollierte die wichtigsten Instrumente. Arlene stand hinter ihm. Ihre Hände lagen beruhigend auf seinen Schultern. Die Instrumente spielten nicht verrückt; sie zeigten deutlich an, daß das schlanke, langgestreckte Schiff seinen Kurs exakt flog. Der Torpedo mit den vier Schwanzflossen raste durch einen langgezogenen Korridor, der wie ein leicht spiralig gekrümmter Schlauch aussah. Die Innenwände wechselten ununterbrochen die Farben. Keine dieser Farben war normal. Sie stachen In die
Augen und verursachten Übelkeit, produzierten Disharmonien. Das Schiff, das eigentlich eine mathematisch gerade Linie entlangfliegen sollte, folgte den sachten Windungen des Korridors. „Ein fremder Kosmos!" murmelte der Commander und faßte einen anderen Block von Fernanzeigen ins Auge. Er stellte an allen möglichen Stellen des Schiffes kleine Unstimmigkeiten fest, legte seine Finger auf die Rufknöpfe und sprach fünf Minuten lang über die Kommunikationssysteme Warnungen, Anordnungen und Hinweise aus. Inzwischen zerrten die Frauen und Männer des Schiffes die Raumanzüge aus den Fächern und legten sie an. „Und ein gefährlicher Kosmos! Was ist echt, was ist falsch?"' schrie Sligo auf, der auf dem Vorausschirm einen Boliden von doppelter Schiffsgröße mitten im Korridor schweben sah. Der Asteroid drehte sich und tauchte seine narbige Oberfläche ununterbrochen in andere Farben. Um ihn herum schwebten seltsame Dinge, die wie bis zur Unkenntlichkeit zerfetzte Schrotteile wirkten. Unwillkürlich duckten sich Cliff, Arlene und Sligo. Das Schiff stürmte genau auf den Boliden zu. Es war so oder so verloren, denn keine Schaltung und kein Bremsmanöver konnten mehr helfen. Immer näher heran, dann füllte die rissige und blauschwarze Kugel das Bild aus. Einen Sekundenbruchteil später existierte sie nicht mehr. Das Schiff hatte sie durchstoßen. Die Konstruktion gab ein grauenhaftes, langgezogenes Ächzen von sich, und augenblicklich drehten sich Cliff und Arlene um. Sie sahen auf den Heckschirmen, daß ein Loch durch den Boliden gestanzt worden war. Die Schrottfetzen rund um die Kugel begannen zu wirbeln und sich
begannen zu wirbeln und sich zu drehen. Energetischer Sog, hier in diesem Tunnel, den es nicht geben durfte? „Hier ruft Sigbjörnson!" meldete sich Hassos vertraute Stimme. „Ich habe zwar Helga nicht gefunden, aber meine Maschinen sind unter Kontrolle." „Danke. Bitte sorge dafür, daß in deinem Bereich jeder den Anzug trägt und daß nach menschlichem Ermessen keine Pannen passieren können!" „Gilt das mit dem Raumanzug auch für das Team in der Kanzel?" fragte Hasso mit beruhigendem Lächeln. „Ja." Je tiefer das Schiff in den fremden Weltraum eindrang, desto mehr nahmen die gespenstischen Vorgänge zu. „Wir sind noch im Hyperraum, den wir aus den Fachbüchern und den Universitätsvorträgen kennen!" gab der Pilot zurück und verkrampfte seine Muskeln. Das Schiff fegte geräuschlos auf ein ausgeglühtes, uraltes Wrack zu, das, mit Eis und Reif bedeckt, sich langsam in diesem energetischen Schlauch drehte. Hindurch! Wieder knarrten und ächzten die Verbände auf. Die Wand des Zentrumsnebels war eine teuflische Falle. Das Schiff hatte sich durch die zertrümmerte und verbogene Masse Stahl und Kunststoff gebohrt wie ein ultraschnelles Geschoß, und hinter dem Sternenschiff begann sich ein Nebel aus Eistrümmern und Reifkristallen zu drehen. „Was passiert, wenn wir in den Normalraum zurückgehen?" fragte der Pilot. Er war unnatürlich bleich; seine Finger zitterten, und er kämpfte um den letzten Rest seiner Beherrschung. „Ich kann es nicht sagen. Aber ich glaube", versicherte McLane leise, „das würde unser Tod sein. Sie haben uns
nicht umsonst solch genaue Koordinaten suchen und finden lassen. Wir müssen es durchstehen!" „Noch vierundzwanzig Stunden lang!" schrie der Pilot laut, beugte sich nach vorn und deutete auf eine Anzeige. „Fünfundvierzig Minuten weniger!" widersprach Cliff und stand auf. „Fechten Sie es eine Stunde lang allein durch. Ich mache einen schnellen Inspektionsgang!" Jeder Bildschirm des Schiffes konnte auf die Sichtschirme der Steuerkanzel geschaltet werden. Cliff rechnete sich zweierlei Erfolg aus: er konnte die Mannschaft vielleicht ein wenig beruhigen und ihnen erklären, was hier vorging, und er konnte sich selbst einen Überblick verschaffen über die wahre Natur der gemeldeten Schäden. „Gut. Ich rufe Sie, Cliff, wenn ich nicht mehr fertig werde." „Natürlich." Cliff zog sich den Raumanzug an, aber er ließ den Helm geöffnet. Er blieb vor dem Schott stehen und blickte noch einmal auf die Schirme, die ein totales Rundumbild wiedergaben. Seit fünfzig Minuten ging der Kurs des Schiffes durch diesen strahlenden Schlauch, dessen Farben unverkennbar psychedelisch wirkten. Wenn man ihnen eine Zeitlang zusah, wurde man schläfrig, wahnsinnig oder trübsinnig, je nach Veranlagung. Ein Problem, dem er sich in Kürze würde widmen müssen. „Du bleibst hier, Arlene!" sagte er. „Ja." Sie lächelte ihm aufmunternd zu. Cliff sah, daß wieder ein Sortiment von mehrdimensionalem Schrott, Weltraumabfall und seltsamen tierähnlichen Gestalten durch den Korridor driftete. Das Schiff, das ununterbrochen an Steinbrocken, Metallteilen und toten Lebewesen vorbeiraste, spaltete diese
dichteren Ansammlungen wie ein Rennboot das Wasser. Je länger der Schrecken dauert, sagte sich der Commander, desto mehr verliert er von seiner Wirkung. Aber er wollte diese Erkenntnis nicht unbedingt durchtesten. „Ich komme gleich wieder!" sagte er, drehte sich um und griff nach dem wuchtigen Sicherheitsverschluß des Schotts. Seine Finger berührten die Konstruktion aus Glas, Metall und Kunststoff nicht. Er fiel durch das massive Schott, als sei es aus hauchdünnem Papier, als wäre es nur eine Projektion. Er schoß, vom Schwung seines Körpers getragen, durch die Fläche, hinaus in den Vorraum und krachte dort zu Boden. Der Boden gab unter ihm nach und beulte sich wie ein Gummituch tief ein, schnellte zurück und stabilisierte sich wieder. Cliff richtete sich ganz langsam auf. Niemand sah das kalte Entsetzen in seinem Gesicht; niemand war in der Nähe. Er brauchte lange Zeit, um sich zu beruhigen, und er wagte es nicht einmal, sich gegen eine Wand zu lehnen, weil seine Knie zitterten. Das Schiff! Das Sternenschiff begann sich ebenso zu verhalten wie dieser irrsinnige Kosmos dort draußen. „Noch dreiundzwanzig Stunden!" stöhnte er auf, dann ging er auf das nächste Schott zu.
2. Als Helga Legrelle aufwachte, fürchtete sie sich. Sie hatte einen schlimmen, seltsam eindringlichen Traum gehabt, und sie befand sich noch innerhalb der Traumbilder. Bereits der Entschluß, die Augen zu öffnen, bereitete ihr echte
Schwierigkeiten. Sie quälte sich ab und hob den Kopf. „Nein! Nicht schon wieder!" stöhnte sie auf. Sie wußte nicht, wo sie war, aber sie erkannte auf den ersten Blick, daß sie sich nicht in ihrer Kabine aufhielt. Ganz langsam richtete sie sich auf und drehte den Kopf. Zunächst merkte sie, daß ihr rätselhafter Anfall einer exotischen Grippe verflogen war. Sie fühlte sich subjektiv wohl, spürte allerdings starken Durst. Der zweite wichtige Eindruck war, daß sie vollständig angezogen war, und zwar steckte sie in dem Expeditionszeug, einer Art Kombination zwischen Raumanzug und Überlebensausrüstung. „Ich weiß genau", murmelte sie im Selbstgespräch und versuchte, ihre Gedanken zu beherrschen, um nicht in Panik zu geraten, „daß ich gestern nackt zwischen dem Bettzeug gelegen habe." Wo bin ich? Sie konnte es nicht einmal ahnen. Gehe analytisch vor, Helga, sagte sie sich eindringlich. Versuche, festzustellen, was passiert ist. Du hast dich aus dem Raumschiff entfernt. Sie hob die Hand und erschrak abermals. Ihre Hand war schwarz. Pechschwarz, vollkommen glatt; ähnlich der Haut des Raguers. Selbst die Nägel hatten diese Farbe. Helga riß den Ärmel hoch und mußte erkennen, daß sich die Färbung den Arm aufwärts fortsetzte. Mit Sicherheit galt dies auch für den Rest des Körpers und für das Gesicht. Helga stand auf und atmete langsam und tief durch. Ihre Gedanken klärten sich. Sie befand sich nicht mehr im Raumschiff, sondern auf der weichen Erde eines Planeten. Ich bin abermals durch die Zeit oder
durch die Dimensionen geschleudert worden! Sie stand auf einer Wiesenfläche. Das Gras war gepflegt und roch frisch und feucht. Blauer Himmel, weiße Wolken, eine helle Sonne wie die der Erde. Die Erde? Bin ich auf der Erde? Unmöglich! Die weitere Umgebung bestand aus Mauern, aus Bäumen und einer Menge Geräusche, die keineswegs typisch waren. Grillen, Vogelstimmen, knakkende Äste, das Säuseln eines leichten Windes, ihr eigener Atem, irgendwo eine ferne Maschine, die unregelmäßig summte. Helga wagte einige Schritte und ging über den geschorenen Rasen auf die weiße, schulterhohe Mauer zu, die über und über mit großen Blättern bedeckt war. Auf merkwürdige Weise fühlte sich die junge Frau davon berührt. Alles hier schien ihr vertraut zu sein. Und dann, fast wie ein Schlag, kam die Erinnerung über sie. „Jetzt weiß ich, wo ich bin!" sagte sie laut. Niemand antwortete. Sie hatte die Mauer erreicht und blickte darüber. Die Oberkante der Mauer war mit ineinander gemauerten Ziegeln bedeckt, auf denen grünbraunes Moos wucherte. Das Bild aus ihrer Erinnerung wurde deutlicher. Gleichzeitig begann Helga sich vor der Konsequenz der Erinnerungen zu fürchten, als ihre Augen die Szene hinter der Mauer erfaßten. Dort gab es genau die Möbel, die Tische und Sessel, in denen sie in ihrer Jugend gespielt hatte. Sie befand sich auf dem Landsitz ihrer Eltern. Dieses Haus hatte es noch gegeben, als sie mit dem Sternenschiff gestartet war; kurz zuvor hatte sie sich noch dort erholt. Aber es hatte anders ausgesehen. Also doch! Die erste Gedankenfolge war richtig gewesen.
Der Schock traf sie nur mit halber Wucht, denn sie war durch die Ereignisse im Observatorium des sechsten Planeten irgendwie vorbereitet. Sie befand sich erstens auf der wirklichen Erde, zweitens in einer Zeit, die um zwanzig Jahre zurücklag, und drittens griff sie soeben ins Leere, durch den weißen Verputz und die Ziegel hindurch, in die Luft. Sie mußte, um das Gleichgewicht zu halten, drei Schritte vorwärts machen, und der Schwung trug sie vollends durch die Mauer und in den Garten hinein. Sie stand mitten in einem Busch. Die Ranken und Dornen schlangen sich um ihre Knie und rissen am Stoff. Als das Mädchen hinter einem Vorhang eine Bewegung sah, flüsterte sie entsetzt: „Ich muß zurück! Ich möchte zurück ins Schiff!" Das Bild vor ihren Augen löste sich auf. Ein starkes Schwindelgefühl packte sie und wirbelte sie herum. Sie sah undeutlich durch den Nebel des verschwimmenden Hauses und Gartens das Gesicht ihres Vaters, der hinter dem Glas auftauchte, dann verschwand der Eindruck, und innerhalb einiger Sekunden schoben sich andere Dinge ins Blickfeld. Helga kämpfte gegen das Schwindelgefühl an, blinzelte und erkannte plötzlich, daß sie sich in der leeren Schleusenkammer des Sternenschiffs befand. Sie stöhnte auf und hielt sich an der Wand fest. Dann sah sie den leuchtenden Schalter, drückte ihn und wartete darauf, daß die innere Schleuse sich öffnete. Die Platten glitten auf. Helga ging zögernd geradeaus und wußte plötzlich, daß das Schiff leer war. Die Besatzung schien zu schlafen, jedenfalls konnte die Funkerin, als sie
die verschiedenen Schalter der Kommunikationsanlagen im Korridor betätigte und in einzelne Abteilungen rief, niemanden finden. Keines der Gegengeräte antwortete. Helga ging weiter, durch verlassene Korridore, durch leere Messen, hinauf über ausgestorbene Rampen und Treppen und in eine leere Steuerkanzel hinein. Sie warf einen langen Blick auf die automatische Uhr. „Ich verstehe!" Sie starrte die Zahlen an, die in den einzelnen Feldern standen und sich bewegten. Das Datum lag um einige Wochen in der Zukunft. Wenn sie jetzt noch feststellte, wo sich das Schiff befand, dann wüßte sie endgültig Bescheid. Einen Augenblick lang erschrak sie vor dem Spiegelbild ihres pechschwarzen Kopfes, dann drückte sie die Kontakte, von denen die Linsen aktiviert wurden. Das Schiff war, bis auf wenige Hilfsanlagen, tot. Es stand auf einem Planeten; flog jedenfalls nicht mehr durch diesen wahnsinnigen Korridor. Helga rechnete genauer und sah, daß sie sich um fünfzehn Tage in der Zukunft befand, das letzte bekannte Datum verwendend. Die Schirme flammten auf und zeigten die Umgebung des Sternenschiffs. Zögernd mußte Helga erkennen, daß es sich wieder um eine Landschaft der Erde handelte, die sehr starke Ähnlichkeit mit der riesigen, neu gepflanzten und angelegten Fläche hatte, die dort entstanden war, wo man einst das Sternenschiff gebaut hatte, damals ... Der Hotelbau, die Hügel, die unterirdisch bewässerten Bezirke - alles hatte fatale Ähnlichkeit. Helga setzte sich in Cliffs Kommandantensessel und murmelte:
„Die Mannschaft hat das Schiff verlassen. Ich befand mich auf der Erde, ich bin durch Raum und Zeit gereist. Der letzte Impuls ging von mir selbst aus und schleuderte mich hierher. Ich habe ziemlich genau begriffen, was geschehen ist. Jetzt muß ich lernen, diese Techniken zu beherrschen und sie richtig anzuwenden." Sie brauchte Zeit. Und Ruhe, um überlegen zu können. Es hing zuviel von ihrer neuen Fähigkeit ab, und sie durfte sich keinen Fehler leisten. Es schien, als habe sie die Endstation erreicht. * Cliff beruhigte sich mühsam. Seine Gedanken kreisten, wirbelten und kamen schließlich zum Stillstand. Er hob den Arm, drückte vorsichtig einen Schalter und sah, wie der Bildschirm aufleuchtete. Vlare blickte den Commander überrascht an. „Cliff? Was ist los? Du solltest dein Gesicht sehen!" Cliff winkte ab und sagte kurz: „Bleibe, wo du bist. Und rufe Mario zu dir. Ich habe euch etwas zu erklären!" „Wa...?" „Später. Denkt daran! Mario de Monti ist stellvertretender Kommandant dieser Mission!" „Aber..." Cliff ließ den Knopf los und setzte mit den Bewegungen eines Betrunkenen seinen Weg fort. Der stählerne, dick beschichtete Boden unter den Sohlen seiner Stiefel blieb stabil. Aber schon der nächste Handgriff, den Cliff berührte, verwandelte sich sozusagen in gefärbte Luft, in eine dreidimensionale Projektion. Cliffs Finger gingen hindurch, aber sie schlugen gegen einen
harten Rahmen. Cliff verstand die Regeln nicht, nach denen diese Effekte sich zeigten. Er streckte wie ein Schlafwandler beide Arme aus und durchdrang mühelos die Fläche des Schotts. Er glitt wie durch Nebel hindurch in den nächsten Raum, einen der Deckskorridore, ging einige Schritte, und als er seine Hände anblickte, blieb er stehen, als sei er gegen die Wand geprallt. „Meine Hände!" röchelte er. Er winkelte den Arm an und betrachtete die Finger der rechten Hand. Sie begannen sich zu verändern, zu verformen. Sie wurden an den Spitzen braun und rund. Ihre Dicke nahm zu. Der Commander glaubte, diesen Vorgang mitansehen zu können. Er schaute die andere Hand an - dasselbe. Automatisch setzte er Fuß vor Fuß und wanderte schweigend durch den Korridor auf dessen Ende zu. Dort, in der Kabine der Ortung, warteten Vlare und Mario. Das Chaos nahm immer mehr zu. Es ging Cliff nicht so sehr um sich selbst, denn er ahnte, daß soeben ein Prozeß eingeleitet worden war, der vorübergehend bleiben würde. Es ging ihm um das Schiff und die Mannschaft. Und um die Mission, die sie in diesen Teil des Weltalls gerissen hatte. Cliff trat durch das geschlossene Schott wie ein Gespenst. Mario und Vlare sprangen auf, und Arlene schrie. Cliff sah seine Finger an; sie waren kürzer und dicker geworden, nur noch runde Stummel an einer Hand, die mehr einem Boxhandschuh ähnelte. Ein Blick in einen abgeschalteten Bildschirm zeigte ihm, daß sein Gesicht zu einer breiten, konturlosen, breiigen Masse auseinander floß. „Cliff! Was ist los? Wie kommst du durch das Schott?" brüllte Vlare. Mario lehnte sich schweigend gegen die Wand
und flüsterte: „Die verdammte Wand des Zentrums. Sie verwandelt alles!" Sie starrten Cliff an und schwiegen entsetzt. Sie mußten zusehen, wie er seine Persönlichkeit verlor. Hinter diesem Vorgang aber stand mehr. Eine tödliche Krise bahnte sich an. Sie wußten, daß sie sich in Gefahr befanden, seit dem Augenblick, in dem sie den Nebel zu durchstoßen begonnen hatten. „Hör zu, Mario!" sagte Cliff drängend, „ich habe dir etwas zu sagen. Du mußt sofort in die Zentrale und dort das Kommando übernehmen. Falls dir auch etwas passiert, löst dich Vlare ab oder Sligo. Klar?" „Natürlich!" murmelte Mario. „Was denkst du?" „Ich denke, daß es zunehmend schlimmer wird", krächzte Cliff und krümmte sich zusammen. Als Vlare und Mario von zwei Seiten auf ihn zusprangen, richtete er sich auf und lächelte sie entschuldigend an. Das Lächeln stand in Wirklichkeit als eine böse, widerliche Grimasse in einem Gesicht, das keines mehr war. „Das Schiff?" „Das Schiff", stöhnte der Kommandant, „ist vermutlich in Sicherheit. Bleibt um Himmels willen", seine Stimme wurde undeutlicher, und vor den Augen der vier Menschen veränderte sich Cliff mehr und mehr, floß auseinander wie eines der sechs narkoleptischen Glawkan, „genau auf dem angegebenen Kurs. Und improvisiert nur dann, wenn es unumgänglich ist! Die Trümmer stammen von Schiffen, die nicht unsere Koordinaten hatte." „Ich verspreche es!" „Ich denke, wir müssen noch mehr als zwanzig Stunden durchstehen. Wir schaffen es. Und... paßt etwas auf mich
auf, ja?" Die letzten Worte waren bereits unverständlich. Seine Gestalt veränderte sich immer schneller. Die Kombination, bis zum äußersten aufgebläht, zerriß mit einem häßlichen Geräusch. Cliff kippte langsam nach vorn und war nichts anderes als eine weiche Hülle mit Inhalt. Die Haut war braun und fleckig. Die Gestalt dieses neuen Wesens war ungleichmäßig, etwa birnenförmig. Als das Wesen den Boden berührte, floß es auseinander und wurde zu einer Raupe. Ein langgestrecktes neues Wesen, eine beinlose Raupe, eine dicke Schlange ohne sichtbaren Kopf, kroch langsam über den Boden, auf das Schott zu und durch das Metall hindurch. Gebannt starrten die anderen auf das runde Ende des Körpers, das lautlos und langsam durch das dicke Metall, die Dichtungen und die Isolierschicht ging, dann kleiner wurde und schließlich verschwand. Mario flüsterte halb besinnungslos vor Schrecken: „Das war der Commander. Freunde, wir gehen aufgeregten Zeiten entgegen.“ Vlare rammte ihm mit einer kurzen, trockenen Bewegung den Ellbogen in die Rippen. „Los, in die Kanzel, Mario. Es hängt von dir ab. Ich versuche, mit Prac'h zusammen Cliff zu helfen. Wir tun alles, was möglich ist. Schnell, Mann! Es kommt auf dich an!" Jetzt schrie er wütend und hilflos. „In Ordnung. Ich gehe!" Mario schwang sich herum und rannte los. Sekunden später schmetterte er das Schott hinter sich zu und rannte in die Richtung der Kanzel. Er mußte handeln und sich bewegen, um diesen Druck loszuwerden, der sein Inneres gefangen hielt. Cliff, sein Freund und der Kommandant - er war zu einer Bestie
geworden, deren Lebensäußerung im Dunkel lagen. Und Helga war verschwunden! Sie hatte das Schiff auf keinen Fall verlassen, also schien sie sich in einen Winkel verkrochen zu haben. Mario, den Verschlußhebel des Schotts zur Steuerkanzel in beiden Händen, hielt an, stutzte und stieß hervor: „Oder haben wir uns dort auf den Planeten irgendwie angesteckt?" Er tauchte in der Kanzel auf, setzte sich in Cliffs Sessel und unterrichtete, während er die Schaltung und Anzeigen kontrollierte, den Piloten von der neuen Hiobsbotschaft. Im Schiff herrschte inzwischen das perfekte, elektronische Chaos. Noch immer schleuderten die Maschinen den Raumflugkörper durch den farbensprühenden Tunnel. Die Augen der Mannschaft hingen an den Schirmen, hauptsächlich an denen, die das Bild zeigten, das vor dem dahinströmenden Schiff lag. Weltraumschrott in allen nur denkbaren Formen und Bezeichnungen trieb heran, raste am Schiff vorbei, wurde vom Sternenschiff lautlos zerfetzt und begann sich im Kielwirbel zu drehen. Trümmer von Planeten und Monden wurden perforiert. Wracks und Dinge, die wie tote Raumfahrer anderer Planetenvölker aussahen, drehten sich vorbei. Noch immer stöhnte und ächzte das Schiff. Es ähnelte einem Seelenverkäufer der alten Seefahrer der Erde, der mit letzter Kraft einen Sturm abritt. Trotz der ausgebrachten Schutzfelder sahen die suchenden Linsen der Kontrolleinheiten die langen Spuren an den Tragflächen und der torpedoförmigen Außenhülle. „Sie haben ihn also abgelöst, Verzeihung - du bist jetzt der Chef hier?"
erkundigte sich Sligo. Immer wieder setzten Teile der internen Mechanismen aus. Einmal war es die Luftumwälzanlage, dann die Beleuchtung, dann wieder waren es die Hypermaschinen. „Ja. Cliff ist unbrauchbar. Es gibt für uns nur noch die Hoffnung, Partner!" sagte Mario und starrte in die Farbfluten hinein. Konnten diese Wirbel verändernd wirken? Mario hob den Kopf und blickte Arlene Mayogah hoffnungslos an. „Aus?" fragte sie resignierend. „Nein", sagte er und bäumte sich innerlich auf. „Die ORION-Crew hat noch keine einzige Schlacht verloren." Arlene gab ihm ein kühles, sarkastisches Lächeln zurück. „Noch keine einzige?" fragte sie tonlos. „Nicht einmal eine - auf die Dauer gesehen. Letzten Endes haben wir immer gewonnen. So wird es auch hier sein. Schließlich sind wir Botschafter der Dara, und diejenigen, die diesen Kosmos schufen oder modellierten, veränderten, was auch immer, sind kaum größer als die Dara. Und wir haben die psychologischen Torturen der Dara auch überstanden." „Eine Frage der Zeit also?" erkundigte sich Arlene mit unüberhörbarer Skepsis. „Wo ist Cliff ?" Mario beschloß, im Sinne der guten Sache kaltblütig zu lügen. Er erklärte ruhig, als habe er die gräßliche Verwandlung nicht vor wenigen Minuten miterlebt: „Im Lazarett. Nein, du kannst ihn nicht sehen, du brauchst gar nicht zu fragen - er kuriert einen akuten Anfall von stellarer Supergrippe aus." Es gelang ihm sogar sein altes, optimistisches Grinsen.
„Und Legrelle, die Funktante?" fragte Sligo. Mario hob die Schultern und erwiderte: „Sie flirtet mit Glanskis in einem leeren Laderäumchen." Mario log bewußt. „Los, Freunde, stemmen wir uns gegen diese makabren Würmer des Kosmos." Wieder jagte das Schiff durch einen Schauer von Dingen, die wie abgerissene menschliche Gliedmaßen aussahen. Schwarze Mondbruchstücke trieben vorbei. Aus dem Schiffsinnern kreischten die Vibrationen, die von einschlagenden Teilen herrührten. Wieder fiel das Licht aus, aber die Schirme leuchteten weiter. Sligo zog ruhig, als hätten ihn Marios Worte seelisch aufgerichtet, eine teure Sonnenbrille aus der Brusttasche und setzte sie auf. Die Farbflut war jetzt weniger beunruhigend. „Wo sind die anderen?" „Helga ist verschwunden. Hasso bei den Maschinen, Atan hat die Funkbude übernommen und startet einige Experimente, und Prac'h mit Vlare versuchen, einen besonders guten Gedanken zu finden." „Wozu?" erkundigte sich Arlene, die inzwischen auf dem Sessel des Navigators saß und den offenen Raumanzug trug. „Um die Mission zu retten!" Das Sternenschiff raste weiter. Aus Sekunden wurden Minuten, aus diesen wiederum Stundenbruchteile, und schließlich verging eine Stunde nach der anderen. Noch immer befand das Schiff sich in dem leicht gekrümmten Korridor. Nur mathematisch phantasiereiche Besatzungsmitglieder - was eigentlich ein Widerspruch in sich war - konnten sich vorstellen, daß der Tunnel erstens nicht
gerade verlief, daß er zweitens nicht aus diesen grellen Farben bestand und daß drittens alles das möglich war, woran niemand in diesem Reigen zwischen den Dimensionen dachte. Aber die Menschen konnten nicht sehen, was wirklich geschah. Nur diejenigen, die keine „Menschen" in der klassischen Definition mehr waren, erkannten einige Zusammenhänge ... * Der verwandelte Commander fürchtete, daß er wahnsinnig werden würde: Er befand sich in einer unmenschlichen Gestalt, dachte aber menschlich. In sein Denken schob sich immer wieder das eine oder andere Fragment einer fremden Logik, die aus dem Nirgendwo kam. Cliff kroch mit beträchtlicher Geschwindigkeit durch das Schiff. Keine Wand, kein Schott, keiner der vielen Träger bildete für ihn ein Hindernis. Die Atome seines Körpers glitten an den Atomen der scheinbar festen Flächen vorbei wie Wassertropfen, die sich miteinander mischten. Ich habe keine Augen, dachte Cliff. Aber ich sehe trotzdem! Das Innere des Schiffes lag, in einen fahlen, bläulichen Glanz getaucht, offen und klar vor ihm. Er blickte durch die Wände, die sich für ihn in Glas verwandelten. Er sah die Leitungen, die Schalter und den Wirrwarr von elektronischen Moduln, die überall in den Schaltkästen und Verteilern saßen. Ich muß in den Steuerraum! dachte er und kroch weiter. Er wußte, daß er drei Meter lang und braunfleckig war, etwa vierzig Zentimeter Durchmesser. Er wußte auch, daß er sich in der Zeit bewegt hatte, denn
mehrmals waren Besatzungsmitglieder direkt durch ihn hindurchgelaufen oder hatten ihre Stiefel durch ihn hindurchgebohrt. Zuerst Helga und Vlare! Dann er. Die anderen würden folgen. Deshalb brauchten sie alle einen Kommandanten, der versuchen konnte, das Schiff zu steuern und zu beeinflussen. Cliff schoß wie ein Torpedo durch eine kleine Nebenschleuse und hielt an. Jetzt sah er es zum drittenmal. Er konnte durch die Wandung des Schiffes hinaussehen, und wiedererkannte er, daß er den Kosmos auf eine andere Art und Weise sah und verstand. Er war in eine höhere Dimension hineinverwandelt worden. Also stimmen die Vorhersagen der Glawkan und der gesammelten Informationen, dachte er und versuchte zu erfassen, was er dort draußen sah. Es gab keinen strahlenden Tunnel mehr! Der Schlauch, der angeblich in Windungen durch die Kugelschale führte, war verschwunden. Er hatte einem hell ausgeleuchteten Weltraum Platz gemacht. Vielleicht waren es sogar das interstellare Gas und der Staub, die zu glühen begannen und den Raum erleuchteten. Durch die ungeheuer geringe Konzentration wirkte das leuchtende Gas nicht wie ein Nebel, sondern ließ Einzelheiten erkennen. Ein rasendes Kaleidoskop rollte dort draußen ab. Die Kursbahn, die wir als absolut gerade programmierten, dachte Cliff und verstand die neuen Gesetzmäßigkeiten, verläuft irgendwie. Nur nicht gerade. Auf alle Fälle in zahllosen Kurven, Parabeln, Tangenten und kurzen, relativ geraden Abschnitten. Schräg voraus lag das Trümmer-
system. Die Trümmer, Fragmente und Teile von Schiffen und planetoider Materie, die sich im Tunnel gezeigt hatten, stammten aus diesem System. Ein Anblick, der Cliff an die übelsten Alpträume erinnerte, die er jemals gehabt hatte. Cliff sah eine düstere, goldgelbe Sonne. Und er sah auch die Trümmer, die anstelle eines Planetensystems um die Sonne kreisten. Ein breites Band, an beiden Kanten leicht einwärts gekrümmt, voller kosmischem Abfall. Dieses Band raste das Sternenschiff entlang, wich ab und zu vom Rundkurs ab und flog eine Spirale um den Trümmergürtel. Warum rasen wir ausgerechnet hier entlang? fragte sich der Commander. Plötzlich spürte er etwas neben sich, und dann hörte er eine bekannte Stimme. „Ein überzeugendes Bild, nicht wahr, Cliff?" Cliff sah den anderen an. Auch eine Raupe ohne Augen und Konturen. Vlare MacCloudeen! „Ich bin gekommen", erklärte Vlare, „um dir zu helfen. Weitere Besatzungsangehörige werden, denke ich noch Folgen." Cliff schwieg und überlegte.
3. Das Wesen war eine Million irdischer Jahre alt. Es gab in diesem Teil des Kosmos nicht seinesgleichen; weder männliche Freunde noch Freundinnen. Seine Freunde waren seit dem Zeitpunkt der Errettung aus dem Eisgefängnis die Erdenmenschen, und hier vorzugsweise Helga und Arlene, Cliff und Mario, Atan
und Hasso. Die unvergleichliche Crew der ORION, die bisher in einem schwierigen Siegeszug durch den Kosmos gerast war, rund vier Dutzend haarsträubender Abenteuer bestanden hatte und jedesmal leicht angeschlagen, aber mit mehr Wissen und Kenntnissen hervorgegangen war. Prac'h Glanskis, der Überlebende des Volkes der Raguer, wußte, daß er allein war. „Sie alle haben sich verwandelt!" grollte er, während er wie ein pirschendes Raubtier, inzwischen voll ausgerüstet und auf jede Überraschung vorbereitet, durch das tobende, knirschende und ächzende Sternenschiff in die Nähe der Steuerkanzel rannte. Helga war verschwunden. Cliff und Vlare hatten sich vor seinen Augen verwandelt und schienen einen Zeitsprung gemacht zu haben, denn niemand fand sie im Schiff. Etwa zwei Dutzend Besatzungsmitglieder, wahllos in allen Abteilungen, verwandelten sich ebenso und krochen in die schweigende Schutzzone ihrer Kabinen, um dort zu sterben . . . wie sie meinten. Mario verwandelte sich gerade in einen langen, flachen Wurm, der wie eine langgezogene Nudel aussah, wie ein Band seltsam pulsierender, spinatgrüner Substanz. Der Chefkybernetiker verließ, das sah der Raguer auf den Schirmen, die er unausgesetzt beobachtete, die Steuerkanzel und ließ einen vollkommen verstörten Dave Sligo zurück. „Ich muß ihnen helfen, den Armen!" röchelte Glanskis, riß das vorletzte Schott auf und spurtete mit acht langen Sätzen durch den Zentralkorridor. Vor ihm war nur noch ein einziges Schott. Plötzlich stemmte Prac'h seine Pranken in den Bodenbelag und riß eine Reihe
tiefer Spuren durch das Teppichmaterial. Direkt vor ihm war Mario, der verwandelte Chefkybernetiker, der sich durch den kaum meßbar feinen Spalt unterhalb des Schotts zwängte. Fassungslos betrachtete Glanskis, der zur Seite tänzelte, wie Marios Vorderteil sich ein wenig anhob, irgendwie zu suchen schien, dann kam mit einem leisen Plop! der letzte Teil unter dem Schott hervor und schnellte in die Höhe. Das grüne Band bewegte sich langsam an Glanskis vorbei, wie eine Raupe, in flachen, wellenförmigen Bewegungen. Zwei Meter weiter entfernt verschwand das Vorderteil. Schnell und geräuschlos, als ob dort eine unsichtbare Schnittlinie wäre. Fasziniert sah der Raguer zu, wie sich das grüne Band in die Unsichtbarkeit fortringelte und endlich ganz verschwunden war. „Soviel zu Mario!'" brummte Prac'h, warf sich herum und stürmte in die Kanzel des Schiffes. Sligo drehte sich um, erkannte ihn und deutete auf den Platz neben sich. „Wie steht's?" fragte Glanskis ruhig. Vielleicht schaffte er es, auch den Piloten zu beruhigen. „Ich verstehe nichts mehr!" murmelte Sligo. Seine Augen waren gerötet und lagen in tiefen Höhlen. Noch waren seine Bewegungen schnell, aber die Finger begannen unsicher zu werden. „Wir haben noch neunzehn Stunden laut Komputer!" sagte Prac'h. „Das sind zwanzig Stunden zuviel!" brummte Sligo. „Wie sieht es im Schiff aus? Mario hat sich eben verwandelt, und Arlene ist in einem Lichtblitz verschwunden. Wie gesagt, ich verstehe überhaupt nichts mehr." „Es geht dir wie mir!" grollte Prac'h. „Wird es das Schiff überleben?" „Vermutlich. Aber es ist nicht mehr
ganz neu, wenn die neunzehn Stunden vorbei sind." Noch immer jagten sie durch den Schlauch. Hier im Vorderteil des Sternenschiffs schienen sich die Dimensionen und die einzelnen Zeitebenen noch nicht zu überschneiden, aber dennoch geschahen die unwahrscheinlichsten Dinge in völlig unregelmäßigen Abständen. „Sie sind... du bist doch wesentlich älter als ich, nicht?" fragte Sligo und zog einen Regler, um das ausgefallene Klimagerät zu kompensieren. „Ja. Ein paar Tage!" sagte Prac'h. ironisch. „Warum?" „Was hältst du von diesem Wahnsinn?" „Nichts!" brummte Glanskis und sah zu, wie das Schiff sich durch eine driftende Wolke von hausgroßen Eisfragmenten hindurchrammte. „Das ist keine Antwort!" schrie Sligo durch das Stöhnen und Knirschen, das aus dem hinteren Teil des geschundenen Sternenschiffs kam. „Werden wir es überleben?" „Ja", sagte Prac'h entschlossen. „Unser Problem ist, daß alles fremd und unheimlich ist. Wir können nicht verstehen, was hier geschieht, und für uns ist das, was geschieht, dadurch so unendlich verwirrend, daß sich Panik ausbreitet. Aber wir überstellen es." „Du bist sicher, Glanskis?" „Ich bin sicher. Vermutlich ist inzwischen ohnehin die Hälfte der Besatzung verschwunden." „Wie?" brüllte der übermüdete und überforderte Pilot. „Du hast dich nicht verhört!'" Glanskis fühlte plötzlich ein anhaltendes, scharfes Stechen. Es floß wie langsam vordringender elektrischer Strom durch seinen Körper. Er erstarrte,
als der wütende Schmerz ihn ergriff. Dann war es. als ob jede Zelle seines Körpers zerriß, ein kurzer, blendender Schmerz erfaßte ihn, hüllte ihn ein und ließ ihn verschwinden. Sligo bemerkte neben sich nur einen kurzen, schmetternden Blitz und hörte, wie die Luft ins Vakuum zurückströmte. Auch Arlene war vor einigen Stunden auf diese Art verschwunden. Der Pilot schrie auf, aber er hatte keine Zeit, sich um diese Erscheinung zu kümmern. Das Schiff raste weiter durch den trümmergefüllten Korridor des Zentrumsnebels. Glanskis erkannte einen Sekundenbruchteil später, daß er das Schiff verlassen hatte und sich auf einem Planeten befand. Unter seinen Pranken knirschte trockener, rötlicher Sand. Das Raubtier drehte den Kopf hin und her und entdeckte, daß es sich in einem heißen Tal zwischen rötlichen Sanddünen befand. Einige Meter von seinem Standort entfernt begannen Fußspuren. Glanskis brauchte nicht lange zu überlegen, um den kleinen, schmalen Abdruck von Arlenes Stiefel zu identifizieren. Eine kleine, gelbe Sonne stand über dem Kamm der nächsten Düne. Prac'h rannte los. Die Luft war atembar, etwas trocken und steril zwar, aber durchaus in der richtigen Zusammensetzung. Dreißig Sprünge weiter, er rannte neben der Fußspur entlang, merkte er, daß sein massiger Körper keinen Schatten warf. Nicht einmal eine minimale Verfärbung des Sandes neben ihm. Nichts. Absolut nichts. „Ein merkwürdiger Planet!" brummte er, rannte einen Hang hinauf, dessen Sand unter seinen Pranken nach unten rutschte. Dann stand er auf der Krone der Düne und überblickte einen großen
Teil der rötlichen Wüste. Wo bin ich jetzt? Weit voraus sah er zweierlei. Eine flache, durchscheinende Kuppel, und auf halbem Weg zwischen der Kuppel und ihm eine Gestalt. Mit Sicherheit handelte es sich um Arlene Mayogah. Glanskis versuchte, nicht an die anderen Veränderungen innerhalb des Raumschiffs zu denken und rannte los. Zwischen den Dünen hindurch, über kleinere und größere Kämme, geradeaus und im Zickzack. Schließlich stand er oben auf einer der letzten Dünen, sah die schräg hinunterführende Spur und an deren Ende Arlene. „Arlene!" schrie er, so laut er konnte. Sie blieb stehen, drehte sich um und erstarrte. Dann begann sie breit zu lachen und streckte die Arme aus. „Prac'h! Ich dachte schon, ich wäre verloren!" Er rannte den Hang hinunter und sah sich einer ebenen, mit Geröll übersäten Sandfläche gegenüber. Etwa dreitausend Meter geradeaus ragte die Kuppel in die Höhe. Der Boden der Kuppel war grün, voller Pflanzen und großer Bäume. Eine flüchtige Erinnerung; irgendwo kannte Glanskis dieses Bild. „Niemand ist verloren", gab er zurück und blieb neben ihr stehen. Auch das Mädchen warf keinen Schatten. „Wir sind aus dem Schiff geschleudert worden. Vermutlich sind wir in der Nähe des Zieles." „Meinst du, Prac'h?" „Ich bin geneigt, es zu glauben. Die Frage ist nur, was wir hier zu tun haben, und wo wir eigentlich sind." Nach einigen Sekunden Pause sagte Arlene stockend: „Ich glaube, wir sind auf dem Mars. Natürlich auf dem Planeten, der sich hier im Zentrum der Raumkugel befindet,
nicht der wirkliche Mars des Sonnensystems." „Eine Parallelwelt?" „Schon möglich! Gehen wir dorthin. Vielleicht ist die Kuppel bewohnt und wir treffen jemanden, der uns Auskunft gibt." „Das wird das beste sein!" Ruhig, um ihre Kräfte zu schonen, gingen sie weiter. Sie bewegten sich zwischen den verschieden großen Gerölltrümmern hindurch. Diese Steine warfen klare, schwarze Schatten. Die Brocken wurden, je mehr sie sich der durchsichtigen Kuppel näherten immer größer. Schließlich, nach rund einer Stunde, betraten sie einen kreisförmigen Fels aus dünnem Moos und staubenden Gräsern. Jeder Schritt rief eine kleine Wolke Sand hervor. „Was werden sie im Schiff tun? Werden sie überleben?" fragte Arlene leise. Sie akzeptierten diese merkwürdigen Sprünge durch Zeit und Raum, und auch der Umstand, daß ihre Körper keinen Schatten warfen, überforderte sie nicht. „Das Schiff ist vermutlich in einer anderen Dimension, hierher unterwegs, Mädchen. Angst um Cliff, ja?" Sie nickte, schließlich meinte sie: „Wer immer dafür verantwortlich war, er muß eine krankhafte Phantasie gehabt haben!" „Das ist nicht gesagt", erwiderte Glanskis bedrückt. „Die Dinge sind ebenfalls so sinnlos oder sinnvoll wie unsere Reise von Planet zu Planet. Wir müssen vernichtet und zerstört werden, um wie ein Phönix aus der Asche wieder emporzusteigen. Nur in unserem neuen Zustand werden wir zu Hütern der Menschheit. Das wurde uns jedenfalls so oft gesagt, daß ich anfange, es zu glauben." „Ich bin verwirrt", gestand Arlene und
hustete, weil der feine Staub sich auf die Schleimhäute legte. „Und nur noch ein kleiner Rest von Beherrschung hält mich zurück, ganz durchzudrehen und kreischend davonzurennen." Prac'h stieß ein grollendes Lachen aus. „Wenn ich deine Diktion höre, teuerste Freundin, dann glaube ich nicht recht daran, daß dich das Außergewöhnliche überwältigt. Los, klopfen wir an und sehen, ob wir einen Wegweiser oder Pfadfinder entdecken." Vor ihnen erhob sich jetzt die Wandung der Kuppel. Sie war klar wie Glas, besaß einen Durchmesser von kaum weniger als tausend Metern, und rund hundert Meter von Arlene und Glanskis entfernt befand sich eine Schleuse aus demselben gläsernen Material. „Trotzdem! Ich halte es nicht länger aus, von einem Schrecken in den anderen gestoßen zu werden!" schloß Arlene, griff in das breite Geschirr, an dem die Ausrüstung des Raguer befestigt war, und ließ sich mitziehen. Sie stapften durch das dürre Gras, ihre Füße hinterließen Spuren, aber sie warfen noch immer keinen Schatten. Die Schleuse entpuppte sich als röhrenförmige Konstruktion, in die hintereinander drei Tore eingelassen waren. Als Arlene und Prac'h die Schleuse betraten, sahen sie dahinter Bewegungen. Es waren Menschen, unzweifelhaft. Leise sagte der Raguer: „Hier! Wir haben in den Fernen des Universums Menschen getroffen. Es sieht so aus, als wären wir daheim." Glanskis glaubte selbst nicht recht an das, was er sagte. Schweigend öffneten sie ein Schott nach dem anderen. Je tiefer sie in die Kuppel hineinkamen, desto besser roch die Luft und desto feuchter war sie. Schließlich standen sie auf einer gepflegten Rasenfläche, die
sich neben einer schmalen, gekrümmten Straße erstreckte. Die Straße führt ins Innere der Kuppel. Sie war von Gebäuden gesäumt, deren höchstes sieben Stockwerke umfaßte. Überall waren Menschen, die in leichter, weißer Kleidung herumliefen und allen denkbaren Beschäftigungen nachgingen. Arlene und Prac'h sahen eine Weile lang zu, dann merkten sie, daß sich niemand um sie kümmerte. Keiner schien sie zu sehen. „Hm. Merkwürdig!" erklärte der Raguer leise. „Gehen wir! Fragen wir einen von ihnen!" drängte Arlene. „In Ordnung." Zögernd gingen sie weiter. Ein unheimliches Gefühl packte sie. Gleichgültig bewegten sich die Menschen, liefen umher, verschwanden in Häusern, sprachen miteinander, aber nicht ein einziger schneller Blick traf die Ankömmlinge. „Sie sehen uns nicht, Arlene!" grollte Prac'h verblüfft. Sie hörten die Gespräche, verstanden die Worte, aber jetzt standen sie etwa drei Meter vor einer Gruppe von zwei Mädchen und zwei jungen Männern, die sich über irgendein Erschließungsprojekt unterhielten. „Hallo, Partner", sagte Arlene laut. „Würden Sie uns vielleicht eine Auskunft geben?" Die vier Menschen schienen nichts zu hören. Sie sprachen weiter, drehten sich nicht einmal um, nahmen von Arlene und der ungewöhnlichen Gestalt des Raguer keinerlei Notiz. Sie verhielten sich, als ob das Mädchen und das Raubtier nicht da wären. „He! Hört einmal zu! Seid ihr taubstumm, oder was ist mit euch los?" brüllte Prac'h auf. Es klang wie der Schrei eines wütenden Tigers. Die
Menschen verhielten sich wie zuvor - sie sprachen weiter, drehten nicht einmal die Köpfe. Arlene und Glanskis waren nicht vorhanden. „Sie sehen uns nicht. Sie hören uns auch nicht!" sagte Arlene fassungslos. „Sie .. . Was ist eigentlich los?" „Wir befinden uns in einer anderen Dimension, das ist es. Denke an den Begriff der Parallelwelten!" „Ich glaube, ich kann nicht mehr denken!" Sie warteten. Die einzelnen Menschen beendeten ihre Unterhaltung, verabschiedeten sich voneinander und gingen nach verschiedenen Richtungen auseinander. Einer der Männer kam direkt auf Prac'h zu, stockte nicht einmal und ging durch den Körper hindurch. Arlene zuckte zusammen, riß die Augen auf und flüsterte fassungslos: „Das ist nicht möglich!" „Wie du gesehen hast", murmelte Prac'h sarkastisch, „ist es durchaus möglich. Diese Menschen und wir befinden uns in zwei verschiedenen Dimensionen. Wir sehen sie, wir können uns der festen Dinge hier bedienen, aber für sie sind wir nicht vorhanden. Nimm's leicht, Schwester!" „Du hast gut reden!" murmelte sie. Prac'h blickte sich um und rief entschlossen: „Dem Handelnden gehört die Welt. Los, Freundin, sehen wir uns in der Stadt einmal um. Wir sind hier in Sicherheit, und wenn wir Hunger haben, finden wir auch etwas." Sie gingen weiter, wanderten die Straße entlang und betrachteten die Gebäude. Schließlich blieben sie stehen. Arlene deutete auf eine Schrift über dem Portal eines flachen, administrativ aussehenden Gebäudes. Marsbasis Drei. Gegründet 2098.
Zentrale. „Ich kenne diese Kuppel nicht selbst, sondern aus dem Geschichtsunterricht", erklärte Arlene. „Wir befinden uns tatsächlich im irdischen System, Glanskis!" „In einer besonderen Art des irdischen Systems", korrigierte er und ging weiter. Sie bewegten sich ohne sonderliche Eile durch die halbe Siedlung, kreuzten die Wege von mindestens hundert Menschen aller Altersgruppen und kamen schließlich auf einen kleinen, runden Platz. Er schien der Mittelpunkt dieser Kuppelsiedlung zu sein. Ruckartig blieben die unfreiwilligen Gäste stehen. Prac'h knurrte: „Erinnere dich an die Erzählung von Mario, Cliff und Helga. Dort auf dem Platz steht eine Art Tor. Wie auf den phantastischen Planeten." Vor ihnen lag, umgeben von einigen Bauwerken, Treppen und umlaufenden Terrassen, ein runder Rasenplatz. Einige Dutzend mittelgroßer, dichtbelaubter Bäume umstanden den Platz. Im Zentrum der grünen Fläche befanden sich drei kantige Steinblöcke, die ein Tor bildeten, einen Torbogen, dessen oberer Stein rechts und links über die Senkrechten hinausragte. „Das Tor hat zweifellos eine Bedeutung. Wir können hindurchgehen, Arlene, aber wir wissen nicht, wohin wir kommen!" „Sollen wir hindurch?" fragte das dunkelhäutige Mädchen leise und zögernd. „Ich weiß es auch nicht. Niemand kann ahnen, wohin uns das Tor bringt falls es sich wirklich um eine solche Schnittlinie zwischen zwei Welten handelt!" erklärte der Raguer. „Denke daran, was Vlare und Helga uns erzählt haben."
Unruhig warteten sie, dann betraten sie diesen winzigen Park und gingen auf die weißen, geäderten Steine zu. Arlene wurde schneller, umrundete einen Baumstamm und berührte den Stein. Ihre Hand versank in der Materie; Arlene riß die Hand zurück, als habe sie sich verbrannt. „Ich habe es gesehen!" brummte Prac'h. Er überlegte und kam zu dem Entschluß, daß die Wunder noch nicht beendet waren. Es gab immer noch eine Steigerung, beziehungsweise addierten sich viele kleine Besonderheiten, verblüffende Ereignisse und Überraschungen. Der Umstand, daß es Arlene und ihm nicht anders erging wie den Menschen hier in der Pseudomarsbasis, erschien Prac'h völlig logisch. Er, wie gesagt, akzeptierte die Unwahrscheinlichkeit. „Was hat das zu bedeuten?" „Daß man mit uns - oder anderen rechnete", erklärte Glanskis. „Sonst gäbe es kein Tor, das nur für uns sichtbar und für die Bewohner hier unsichtbar ist. Ich glaube, wir sollten es riskieren." „Dort hindurch?" „Ja. Unser Ziel ist die Erde. Welche Erde auch immer. Jetzt ist nicht Zeit für Konzepte und lange Überlegungen. Wir müssen handeln. Ich rechne damit, Arlene, daß wir auf der Parallelerde erscheinen, wenn wir durch dieses Tor gehen. Wagen wir es?" Sie hob die Schultern, sah sich um und erwiderte schließlich unsicher: „Wenn ich es tue, dann deswegen, weil ich dir vertraue und weiß, daß du mir helfen wirst - nicht deswegen, weil ich so begierig bin, hier oder an anderen Stellen zu forschen oder besonders wagemutig zu sein." „Das akzeptiere ich!" sagte Prac'h.
„Und ich weiß ebensowenig wie du, was uns jenseits des Tores erwartet." Sie sahen sich an, nickten sich zu und gingen durch das Tor. Sie fühlten weder einen Schock noch einen deutlichen Hinweis darauf, daß sie eine Schnittlinie übertraten. Aber sie wechselten hinüber in eine Zone größerer Helligkeit. Nach wie vor befanden sie sich auf weichem, dunkel-grünem Grasboden, aber die Sonne am Himmel war größer und heller. „Sind wir etwa auf der Erde?" fragte Prac'h laut. „Keine Ahnung", antwortete Arlene. „Es kann ebensogut die Erde sein, die Parallelerde, wie auch irgendein anderer Planet." Sie drehten sich um und sahen wieder das steinerne Tor, diesmal natürlich von der anderen Seite. Arlene und Prac'h standen in einem flachen Tal inmitten einer alten Kulturlandschaft. Es gab riesige Felder, Wege und Brücken, Bäume und Äkker. Alles sah so aus, als könne es die Erde sein, der Heimatplanet. Aber sie blieben mißtrauisch. „Wollen wir zurück?" erkundigte sich Prac'h relativ ruhig. „Nein!" erwiderte Arlene deutlich. „Auf keinen Fall. Sehen wir uns um! Vielleicht treffen wir jemanden aus der Crew." „Das ist sogar wahrscheinlich!" Alles um sie herum war absolut erdähnlich. Sie gingen langsamer weiter und folgten einem schmalen Pfad, der aus unzähligen einzelnen Steinen bestand, zwischen denen Pflanzen wuchsen und durch deren Spalten Regenwasser in den Boden einsickern konnte. Der Weg führte in einem sanften Bogen über die Brücke, traversierte dann einen kleinen Hügel und geriet außer-
halb der Hügelkuppe außer Sicht. „Wie die Erde! Ich kann keinen Unterschied sehen!" Arlene stellte fest, daß der Boden unter ihren Füßen solide war. Die Halme und Zweige, die sie mit den Fingern berührte, Waren real. Das weiße Steintor verschwand hinter der Biegung. Die Vogelstimmen und das Zirpen von Insekten waren ebenfalls lebensecht. Auch die Brücke, über die sie jetzt gingen, entpuppte sich nicht als Scheinkonstruktion, sondern blieb, was sie war: eine Betonplatte mit einfachem Geländer. „Ich auch nicht. Wir müssen warten, bis wir Menschen treffen!" Sie blieben in der Mitte des Hügels stehen und drehten sich um. Die stille, ruhige Landschaft breitete sich unter ihnen aus. Bewegungen waren nur zu erkennen, wenn der Wind die Halme und die Blätter streifte. Es gab keinen einzigen Menschen, aber bei der Größe der meisten Anbaufläche würden sie hier mit Sicherheit nur riesige Erntemaschinen sehen können. Arlene und Prac'h schwiegen, bis sie auf der Kuppe des Hügels standen. Sie sahen hinunter auf die Fläche und das gekrümmte Ufer eines Sees. „Segelboote!" flüsterte Arlene. „Und Häuser. Und ein Steg! Und ... Menschen, Glanskis!" Er nickte ernst und sagte schließlich widerstrebend: „Warte es ab. Es kann sich abermals als grausige Illusion erweisen. Gehen wir erst einmal dort hinunter und sehen nach, ob es für uns etwas zu holen gibt!" Noch immer wußten sie nicht, welche Eigenschaft sie als Hüter der Menschheit qualifizierte. Auch nicht, wie sie Wächter der Erde sein sollten.
4. Alles um sie herum atmete Ruhe und Stille aus. Es schien keine schnellen, unerwarteten Bewegungen zu geben. Sogar der Wind und der See verhielten sich, als wären sie Bestandteile dieses ruhigen, bewegungsarmen Bildes. Prac'h und Arlene, die sich der halbmondähnlichen Siedlung näherten, fühlten genau, wie sich dieser falsche Friede ausbreitete und auch sie zu verschlingen drohte. Ihre Sinne waren durch Jahre des Trainings geschärft, aber hier würden sie es auch ohne jegliche Erfahrung spüren müssen. „Du merkst, was ich merke?" murmelte das Raubtier aggressiv und hielt kurz an. Sie befanden sich im Schatten alter, würdiger Bäume, in dem auch Häuser und kleine Werftanlagen standen. „Ich denke schon - Lethargie!" erwiderte Arlene. „Richtig. Sehen wir weiter." Langsam wanderten sie im Zickzack durch die Stadt. Es wurde nur einmal spannend, als sie den ersten Menschen aus nächster Nähe sahen. Er bemerkte sie nicht! Die beiden Raumfahrer waren nicht einmal besonders überrascht. „Und zwar jede Menge Lethargie!" brummte Glanskis. „Das ist nicht die Erde, Glanskis, die wir kennen!" rief Arlene. Sie setzte etwas leiser hinzu: „Außerdem habe ich Hunger!" „Ich nicht weniger. Es ist die Erde, zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt, die gleiche Erde, aber nicht dieselbe. Wir brauchen übrigens noch einige Tonnen Informationen. Bis hierher erkenne ich die Erde wieder. Aber ein Ausschnitt ist nicht das Ganze."
„Wollen wir etwa eine gewaltige Rundreise anfangen?" erkundigte sich das Mädchen entsetzt. „Keineswegs. Wir machen erst einmal Station. Hier finden wir alles, was wir brauchen!" „Einverstanden." Je länger sie sich hier aufhielten, desto tiefer und stärker wurde der Eindruck, den sie schon zwischen den ersten Häusern gehabt hatten. Wenigstens diese Gruppe von Menschen, vielleicht zweieinhalbtausend, benahm sich gelangweilt und entspannt, träge und desinteressiert. Arlene und der Raguer suchten nicht sehr lange, bis sie ein kleines, leerstehendes Haus entdeckten. Im sicheren Schutz ihrer Unsichtbarkeit drangen sie ein, öffneten eine Gartentür und hatten innerhalb einer halben Stunde alles, was sie brauchten, um sich besser zu fühlen. Die Robotküche arbeitete; die Gerüche, die durch den Raum schwebten, ließen auf ein reichhaltiges, gutes Essen schließen. Arlene hatte sich geduscht und saß nun, ein riesiges Badetuch um sich geschlungen, in einem der schweren Sessel. An der Wand - sie hatten den Wohnraum verdunkelt gelassen - glühte der Schirm des planetenweiten Fernsehens. Glanskis lag ausgestreckt auf dem Teppich und betrachtete schweigend und konzentriert die Bilder. Selbst der Sprecher und die Kommentare schienen von der allgemeinen Lethargie befallen oder zumindest angesteckt worden zusein. Arlene hielt das Armbandfunkgerät in der Hand und suchte die einzelnen Kanäle ab, aber auf diesem Planeten gab es keinen Raumfunkverkehr, keine Funksignale, die auf altbekannten Raumfahrtkanälen gewechselt wurden.
Enttäuscht legte Arlene das Funkgerät weg. Im gleichen Augenblick sagte der Sprecher, als lese er langweilige Börsenkurse vor: „Meine Damen und Herren. Die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten. Wie Meldungen aus unseren Observatorien besagen, nähert sich der Planet der Sonne und wir in ziemlich genau sechzig Tagen in die Sonne stürzen. Wir wissen nichts über die Natur dieses Planeten, nur, daß er eine bemerkenswerte Größe besitzt und zweifellos die Sonne beeinflussen wird. Einige Wissenschaftler vertreten allerdings die Ansicht, daß dieser Zusammenprall eine gewisse Vergrößerung der Sonne zur Folge haben kann, aber darüber herrscht heute noch größte Unklarheit. Wir werden Sie zu gegebener Zeit weiter unterrichten..." Fassungslos sagte Prac'h: „Ich muß mich verhört haben. Ein Planet rast in die Sonne, und sie tun nichts dagegen?" „Denke an Vlares und Helgas Erzählungen! Sie betraten eine Erde, die von einer Nova verbrannt worden war!" rief Arlene. „Prac'h - wir müssen etwas tun!" Er sprang auf die Beine und schüttelte sich. „Ja. Richtig. Zuerst etwas essen, dann überlegen. Ein leerer Bauch studiert nicht gern." Arlene lachte sarkastisch auf. „Ein leerer Kopf auch nicht. Mein Kopf ist leer. Ich bin schon seit langem nicht mehr in der Lage, jene Strategie des Unbekannten zu begreifen." „Du bist ungeduldig, schönste Freundin!" murmelte Glanskis. „Könntest du dich inzwischen um das Essen kümmern?" „Ja, gern."
Sie hatten ungefähr eine Stunde lang ununterbrochen Nachrichten gehört und die entsprechenden Bilder gesehen. Arlene hatte von einer Station zur anderen umgeschaltet. Sie befanden sich zweifellos auf einem Planeten, der ihrer Erde entsprach. Wie Prac'h es ausgedrückt hatte: Es war die Erde in einer Parallelwelt, zu einem anderen Zeitpunkt. Natürlich konnte es sich nicht um jenen Planeten handeln, den sie vor Monaten mit dem Sternenschiff verlassen hatten. Das Zentrum dieser Raumkugel und die wirkliche Lage des Planeten am Rand der Milchstraße waren durch Zehntausende Lichtjahre voneinander getrennt. Trotzdem glichen sich die beiden Planeten, die wirkliche Erde und diese Welt hier, bis ins letzte Detail - soweit Arlene und Prac'h dies hatten feststellen können. Die Vermutung, daß dieser Planet eine Parallelwelt oder gar eine Modellwelt für die Erde darstellte, lag sicher nicht sehr weit von der Wahrheit entfernt. Prac'h hatte erkennen müssen, daß man hier zwar den Begriff der Raumfahrt kannte, ihn aber etwa so verwendete, wie man auf der wirklichen Erde vom Dinosaurier redete: Eine nicht uninteressante, aber ausgestorbene und nicht wiederherstellbare Sache. Arlene deckte für sich den Tisch und ordnete das schwach angebratene Fleisch für Glanskis auf dem Boden des Zimmers. Ununterbrochen liefen die Programme auf dem Bildschirm weiter. Jede Sekunde bedeutete eine weitere Information. „Was unternehmen wir, wenn wir hier fertig sind?" fragte Arlene schließlich, als sie satt war und eine Zigarette aus einer gefundenen Schachtel rauchte. „Cliff wird versuchen, das Schiff
durch diese Zone des Schreckens zu bringen, richtig?" „Ganz bestimmt. Außerdem haben wir die Komputer im Sternenschiff." „Und da unsere Mission vorbestimmt ist", erklärte Prac'h, „wird der Commander unter Garantie diesen Planeten finden." „Auch das erscheint mir wahrscheinlicher als alles andere." „Und wo würde Cliff landen, wenn er die Wahl hat?" „An zwei Plätzen", erwiderte das dunkelhäutige Mädchen. „Auf dem Bauplatz des Sternenschiffs in Australien oder auf einem der wenigen Oberflächenraumhäfen in der Nähe des Carpentaria-Golfes." „Vorausgesetzt, der australische Kontinent sieht hier ebenso aus wie auf der guten alten Erde. Ich meine, Cliff würde in der Nähe des Golfes landen, weil dort sämtliche Kommunikationseinrichtungen vorhanden sind." „Ich glaube", sagte sie, „du hast recht." „Das meine ich auch", verkündete er ruhig und zerbiß einen wuchtigen Knochen, daß es mörderisch krachte. „Und aus diesem Grund schlage ich vor, wir reisen in aller Ruhe dorthin, wo Cliff landen wird. In unsere alte Heimatregion. Einverstanden, Tochter der Gefahr?" „Ich mache mit, Vater der Einsicht!" Sie grinsten sich an. Merkwürdig, dachten sie fast gleichzeitig, daß die kleinen Ruhepunkte des Lebens eine Lage, die sich keineswegs geändert hatte, in einem anderen Licht erscheinen ließen. Sie waren dem Inferno des Schiffes entronnen, hatten gegessen und sich erfrischt, saßen jetzt in der ruhigen Kühle eines dunklen Zimmers und fühlten sich ziemlich wohl. Diese Pause hatte ihnen gutgetan.
„Wo sind wir eigentlich, Glanskis?" fragte Arlene nach einer Weile. Es roch nach starkem Kaffee. „Du weißt es ebensogut - oder ebensowenig - wie ich!" brummte er. „Nein, ich meine, auf welchem Kontinent, in welcher Stadt der Erde halten wir uns augenblicklich auf?" „Auch das weiß ich nicht. Aber es läßt sich durch einen kurzen Rundgang durchs Haus unschwer feststellen." Obwohl sie danach gesucht hatten, konnten sie beim Betreten der Siedlung keinerlei Hinweisschilder entdecken; wohl ein Zufall und sicher keine Falle für die beiden Raumfahrer. Arlene und Glanskis wanderten durch die Räume, fanden Briefe und Rechnungen und erkannten schließlich, daß sie sich in einem kleinen Ort befanden, der seinerseits an einem künstlichen See lag. Dieser See war Teil des SüdseeRekultivierungsprogramms und lag auf einer der zentralen Inseln. Also keine besonderes große, aber schwierig zu überwindende Entfernung. „Es muß Verbindungen nach Australien geben!" sagte Arlene leise. „Und zwar genügend." „Ich sehe keine sonderlich großen Schwierigkeiten", erklärte Prac'h. „Fühlst du dich stark genug, um zu reisen?" „Vorausgesetzt, du findest so etwas wie einen Fahrplan." Prac'h schob sich in die Richtung der fachmännisch geöffneten Tür zum Garten und erklärte: „Ich suche eine Verkehrsmöglichkeit und, falls es so etwas gibt, eine Anlegestelle oder einen Startplatz. Ich bin in zwei Stunden spätestens zurück. Sollten die Besitzer kommen, so lasse dich nicht stören - sie sehen dich nicht." Arlene lachte kurz auf.
„Ich werde es mir merken, Prac'h." Er drängte sich durch die angelehnte Tür, sprang durch den Garten und rannte hinaus auf die Straße. Er verschwand zwischen den nächsten Häusern. Arlene war allein und atmete erst einmal tief durch. Dann zündete sie sich die nächste Zigarette an, holte aus einem Barfach ein Glas und eine Flasche und füllte das Glas. „Verdammt!" sagte sie leise. „Verdammt! Wie wird das alles enden?" Sie lehnte am Türrahmen, starrte auf den Bildschirm und hörte nicht, was dort gesprochen wurde. Es war ihr im Augenblick auch völlig gleichgültig. Sie überlegte, ob die Nachrichten aus dem Netz dieses Planeten etwas mit den Informationen zu tun hatten, die von der ORION-Crew gesammelt worden waren, und mit dem Auftrag der Unbekannten. Helga und Vlare hatten eine Erde betreten, deren Oberfläche in einer Nova verglüht war. Allerdings vor sehr langer Zeit, jedenfalls was den Zeitpunkt betraf, an dem die zwei Menschen auf dieser Öde gewesen waren. Vor wenigen Minuten sagte eine äußerst müde vorgetragene Meldung, daß auf die Sonne dieses Planeten ein offensichtlich riesiger Planet zustürzte. Es bestünde die Möglichkeit, daß die Sonne explodierte. Explodieren wie eine Bombe. Wie eine Nova! „Und wir sind womöglich hier", sagte sich Arlene leise und erschüttert, „um den Tod des Planetensystems zu verhindern!" Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie dies unter den herrschenden und sehr verworrenen Umständen möglich sein konnte. Nachdem sie die Zigarette zu Ende geraucht und das Glas leergetrunken
hatte, zog sich Arlene langsam an, schaltete den Bildschirm aus und wartete auf Glanskis. * Der Raguer merkte sich die Zahlen und Angaben, warf sich herum und knurrte im Selbstgespräch: „Eine Pointe ist das, was mir nicht einfällt, wenn ich es am nötigsten brauche! Und wenn ich je eine Pointe gesucht habe, dann hier und heute." Auch Prac'h war irgendwie demoralisiert und müde. Er verstand von den tausend Mosaiksteinchen höchstens dreihundert. Und von weiteren dreihundert sah er nur die verwirrenden Farben. Hinter all dem war noch lange kein Bild zu erkennen, nicht im entferntesten. Glanskis überlegte einen Weg, der zu einem wenigstens flachen Erkennen führte, aber er fand keinen. Je länger er nachdachte, desto zahlreicher wurden die offenen Fragen. Er rannte durch die leere Stadt zurück. Die meisten Menschen befanden sich auf ihren Booten auf dem See oder in den Häusern. Ein Blick auf die Uhr; drei Uhr am Nachmittag. Mit einem eleganten Satz sprang Prac'h über den Zaun und drängte sich ins Wohnzimmer. „Arlene!" „Hier bin ich. Hast du eine Verbindung nach Australien gefunden?" „Ja", rief er. „In einer Stunde geht ein Klipper nach Carpentaria ab. Ich nehme an, wir bekommen auf alle Fälle genügend Platz. Zwei Stunden und ein paar Minuten Flug." „In Ordnung!" sagte Arlene. „Gehen wir. Vielleicht ist Cliff schon gelandet, wenn wir in Australien ankommen!" Der Raguer schüttelte grinsend seinen kantigen Schädel und röhrte:
„Du bist der letzte Optimist, Arlene." Siebzig Minuten später befanden sie sich in einem vollbesetzten Klipper, der eine Kreuzung zwischen Raumschiff, Flugzeug und Rakete darstellte und wieder ein Beweis dafür war, daß immer mehr Einzelheiten absolut identisch waren. Am späten Nachmittag erreichten sie den Landehafen von Basis 104, und hier sahen sie zum erstenmal richtig und bewußt, daß die Tradtion der Raumfahrt erloschen war. Was diesen Planeten betraf. Diesen Planeten, der trotzdem die Erde war. „Das, was mir jetzt einfällt, ist eine kleine Pointe", meinte der Raguer, als er einen Turbinenwagen aufgebrochen und Arlene auf den Fahrersitz hatte klettern lassen. „Ja?" „Wir machen die sicherlich leerstehende Wohnung unseres noch verschollenen Chefs zu unserem Hauptquartier." „Das ist tatsächlich eine gute Idee." Das Sternenschiff, gleichgültig ob es auf den Heckflossen oder wie eines der antiken Flugzeuge gelandet wäre, befand sich nicht hier. Sie sahen es nicht. Also befand sich Cliff noch im Inferno der grauenhaften Schale aus Nebel und Staub. Für diesen Tag hatten sie genügend Aufregungen hinter sich. Arlene steuerte den Wagen. Sie fanden Cliffs Wohnung mustergültig versorgt, entfernten mit sehr viel Einfühlungsvermögen die Blockierungen und Siegel und machten es sich bequem. Ab jetzt konnten sie nicht viel mehr tun als warten. Dieses Warten wurde am nächsten Morgen jäh unterbrochen. Der Summer des Kommunikationssystems riß Arlene aus dem Schlaf. Sie zog sich einen Morgenmantel über, den sie in einem der gefüllten
Schränke gefunden hatte. Dann tappte sie auf bloßen Sohlen hinüber zum Bildschirm und schaltete den Antwortknopf. „Ja? Hier bei McLane!" sagte sie. Sie war unausgeschlafen und begriff noch nicht, daß der Anrufende sie weder sehen noch hören konnte, obwohl er registrieren mußte, daß der Apparat eingeschaltet worden war. Zuerst huschten einige Störungslinien über die Fläche, dann entstand das Bild, aber es blieb unscharf. Arlene zuckte zusammen, starrte dann den Schirm an und flüsterte laut: „Das ist unmöglich! Helga!" Unzweifelhaft war der Teilnehmer am anderen Ende der Verbindung Helga Legrelle, die verschwundene Funkerin der ORION. „Ich bin's wirklich! Arlene... ich sehe, ihr seid auch irgendwo eingetroffen! Wo ist Cliff?" „Ich weiß es nicht. He, Prac'h! Komm sofort her!" Sie hatten sich schnell gefaßt; seit Wochen wurden sie immer wieder gezwungen, das Unfaßbare zu akzeptieren. Sie durften nicht durchdrehen. Mißmutig kam Glanskis aus dem anderen Raum herübergetrottet und blieb ruckartig stehen, als er das Bild auf dem Schirm erkannte. „Wo bist du, Arlene?" fragte Helga. Arlene zögerte mit der Antwort, dann erklärte sie: „Wir sind aus dem Schiff katapultiert worden und fanden uns auf einem marsidentischen Planeten wieder. Dort betraten wir ein Tor und kamen hierher. Es ist die Erde, aber irgendwie erscheint die uns fremd. Raumfahrt ist offensichtlich nicht mehr in Mode, die Menschen, die wir trafen und die uns nicht wahrnehmen können, scheinen lethargisch
und uninteressiert. In den Nachrichten wurde gemeldet, daß ein Riesenplanet in Kürze mit der Sonne kollidieren wird. Wir sind seit gestern mittag auf dem Planeten, der die Erde ist und doch nicht ist." Helga lächelte. Sie schien in ihrer Erkenntnis ein paar Schritte weiter zu sein. „Ich bin ebenfalls auf einer Erde, In meinem Fall handelt es sich erstens um einen identischen Planeten, der in absehbarer Zeit von einer furchtbaren Seuche heimgesucht werden wird, zweitens habe ich hier, als ich ankam, das leere Sternenschiff gefunden. Offensichtlich stehen die Welten miteinander in Verbindung. Jetzt brauchen wir nur noch auf einen Anruf zu warten, der von dem vereisten Planeten kommt." „Was sagst du da? Das Sternenschiff ist gelandet?" fragte brüllend der Raguer. Helga nickte ihm zu. „Ja. Ich bin in der Zeit vorausgeeilt, zweifellos. Bei mir schreibt man den fünfzehnten Juli, ich weiß nicht, welchen Jahres." „Hier, in Cliffs Wohnung, haben wir den dreizehnten Juli", sagte Arlene schnell. „Ich werde doch noch verrückt! Was bedeutet das? Müssen wir nun schneller leben, oder wie kommt das Schiff hierher, wenn es jetzt schon in der Zukunft ist...?" „Macht euch darüber keine Sorgen. Ich habe gemerkt, daß sich hier vieles sehr schnell verändert. Ich wurde vermutlich von diesem Virus schon infiziert, bekam daraufhin eine pechschwarze Haut, die inzwischen wieder weiß geworden ist. Es ist am besten, wir warten." „Für uns ist das Sternenschiff noch unterwegs - ich meine, in unserem Be-
zugssystem hier!" sagte der Raguer düster. „Wir sind offensichtlich nur über eine gewaltige Strecke ohne Zeitverlust transportiert worden." „Und ich bin in der Zeit gereist. Ich denke, es gibt Berührungspunkte zwischen den Planeten. Jedenfalls warte ich, bis die Mannschaft des Sternenschiffs wieder hier eintrifft. Sie sind ausgeschwärmt und haben sämtliche Beiboote mitgenommen." „Wo bist du eigentlich?" fragte Arlene hastig. „In meiner Wohnung. Sie war leer, wie Cliffs Wohnung. Ich denke, auf allen Planeten des Erde-Typs gibt es solche leerstehenden Behausungen der ORION-Crew." Arlene sagte bitter: „Inzwischen sind die bemerkenswerten Vorräte an ausgezeichneten Alkoholika in dieser Wohnung noch länger abgelagert. Ich denke, ich werde mir für die nächsten Monate einen Dauerrausch antrinken, um meinen Verstand nicht zu verlieren!" Helga lachte kurz und versicherte: „Auch das wird dir nichts nützen. Ganz bestimmt lauert die nächste Überraschung bereits auf uns!" „Gibt es eine Möglichkeit, irgendwie zusammenzukommen, Helga?" erkundigte sich Prac'h zweifelnd. „Ich sehe im Augenblick keine!" gab die Funkerin zu. „Ich rate zur Geduld!" „Es wird uns nichts anderes übrigbleiben!" meinte Arlene. „Wie erreichen wir dich?" „Versucht einfach meine Nummer zu wählen. Sie muß noch irgendwo vor dem Apparat zu finden sein; Cliff hatte dort ein Verzeichnis. Ich habe euch auf die gleiche Art erreicht." „Geht in Ordnung!" Helga winkte und schaltete ab. Arlene
und Glanskis sahen sich betroffen an und schwiegen. Sie begriffen nichts mehr. Raum, Zeit und parallele Welten, völlige Desorientierung, das Abgeschnittensein von Freunden, die scheinbare Ziellosigkeit aller Vorgänge... das alles drehte sich in ihren Gedanken wie das rasende Feuerrad einer Galxis. Ruhig und langsam sagte der Raguer: „Helga hat recht. Wir sollten hierbleiben und uns ausruhen. Viele unserer Probleme werden sich dadurch erledigen, daß die Zeit vergeht. Und nach und nach werden die anderen eintreffen. Wir sind nur zusammen stark." „Das ist leichter gesagt als getan, Prac'h", erklärte Arlene. „Am meisten vermisse ich Cliff und seinen analytischen Verstand." „Es ist dein gutes Recht!" brummte er. „Wir haben eine Menge Hinweise, aus denen wir uns ein neues Weltbild konstruieren können, falls es dieser Mangel ist, der dir zusetzt." „Zuerst brauche ich ein ausgedehntes Frühstück!" schloß sie resolut. „Mit einem riesigen Glas Sekt in der Tradition der McLane-Freundinnen." „Die erste und vermutlich beste Idee dieses neuen Tages." Während sie einander halfen, einen entsprechenden Tagesanfang auszurichten, dachten sie über die vergangenen Tage nach. Es war richtig. Sie konnten ein unvollkommenes neues Weltbild konstruieren, das für diesen Teil des Universums galt. Aber... galt es auch für die wirkliche Erde? Vlare und Helga hatten jeweils das Endstadium einer zerstörten Erde gesehen, dort, im Observatorium. Jetzt und heute, trotz des Zeitunterschieds, kannten sie bereits zwei reale Welten,
die vor jenen angesprochenen Problemen standen. Ein Parallelplanet wurde von der Nova bedroht, der andere von einem eingeschleppten Virus, und mit tödlicher Sicherheit würden andere Team-Mitglieder auch noch die dritte Welt finden und aufsuchen, also jene, die von der Vereisungskatastrophe bedroht war. Nach allem, was sie wußten und dem, was sie ahnen mußten, drohten der realen Erde diese Gefahren. Wann? Wodurch? Und was war ihre Rolle in diesem gewaltigen Spiel kosmischer Kräfte? Es würde vermutlich darauf hinauslaufen, daß sie diese drei Gefahren beseitigen mußten. Denn schließlich hatte man sie hierhergebracht, um sie zu Hütern der Menschheit zu machen. Zwar würden sie sich aller Einrichtungen der Parallelplaneten bedienen können, aber sie blieben unsichtbar. Trotzdem gab es Möglichkeiten, mit den Menschen in Kontakt zu treten. Mehrere Fragen, die kaum zu beantworten waren, blieben offen. Sie sollten auf die echte Erde aufpassen, nicht auf Parallelwelten, die von der Erde Tausende Lichtjahre entfernt waren. Und überhaupt schien es unmöglich zu sein, das Konzept der Unbekannten zu erkennen und zu entwirren.
5. In den Korridoren und den größeren Räumen des Schiffes ertönte unausgesetzt ein hohes, eisiges Knistern. Es klang wie eine Serie kleiner, elektrischer Entladungen oder wie der Beginn der Auflösung dieses Mechanismus. Hin
und wieder mischte sich in das drohende Knistern das Aufheulen der Maschinen. Das Sternenschiff raste noch immer durch dieses merkwürdige Medium, das allerdings nur noch drei Personen als Korridor oder Tunnel sahen: Sligo, der Pilot, Hasso Sigbjörnson, der sich allein im Maschinenraum befand und dort ununterbrochen schaltete, und ein anderer Mann der Besatzung. Für sie fegte das Schiff weiter durch den Schlauch, bohrte sich durch Weltraumschrott und hielt den Kurs, den die Komputer steuerten. Für alle anderen Insassen des Schiffes aber galten andere Realitäten. Hasso drückte einen Schalter, sah ein Bild auf dem Schirm und wunderte sich schweigend, daß noch jemand in der Steuerkanzel war, der menschlich aussah. „Sligo, bist du es, oder spreche ich mit deinem besseren Ich?" Sligo krächzte nur noch. In den vergangenen Stunden war er mehrere Male über der Steuerung zusammengebrochen, hatte eine halbe Stunde wie ein Toter geschlafen und war wieder von einem Signal aufgeschreckt worden. „Ich bin es nicht. Ich weiß nicht, mit wem du sprichst!" erwiderte der Pilot und sah zu seinem eigenen Entsetzen, daß der Schlauch vor dem Schiff sich langsam zu vergrößern begann und zu einem Trichter wurde. „Ich erkenne dich an der Stimme!" erklärte Hasso. Er war ebenso ausgelaugt wie der Pilot. „Wie schön. Was ist los?" „Das wollte ich dich gerade fragen. Der Koch ist zusammengebrochen, aber wohl noch menschlich." „Und sonst?" „Sonst scheint die Hälfte der Mannschaft nicht mehr im Schiff und die
andere nicht mehr menschlich zu sein." „Begreiflich. Ich versuche nicht mehr, es zu verstehen... halt! Hasso! Der verdammte Schlauch scheint zu Ende zu gehen!" „Die Zeit", erwiderte Hasso mit mühsam erzwungener Ruhe, „die wir für den ersten Teil der Reise zur Verfügung hatten, ist schätzungsweise auch zu Ende. Ich komme hinauf in die Kanzel." „In Ordnung." Noch immer zwischen Zusammenbruch und einem letzten Rest von Beherrschung lehnte sich der Pilot zurück, wartete auf ein Wunder, das er als positiv einstufen konnte, und sah zu, wie sich der Durchmesser des farbenglühenden Schlauches zu vergrößern begann. Die Öffnung des Trichters, die in einen anderen Bezirk dieses verrückten Universums hineinführte, wurde größer und größer. Die Farben ließen nach. Im gleichen Augenblick, in dem Hasso die Kanzel betrat, verschwand der letzte Rest von Helligkeit von den Bildschirmen. Der Rand des Trichters raste nach hinten und löste sich auf. Vor dem Schiff breitete sich eine unendliche, stumpfe und ereignislose Schwärze aus. Es war nicht die Schwärze des Weltraums mit seinen Sternen, sondern eine andere Dunkelheit. Einige Sekunden später sprang das Sternenschiff aus dem Hyperraum und kehrte in das dreidimensionale Universum zurück. Aber das brachte weder die verlorenen Teammitglieder wieder, noch veränderte es die anderen, die als Raupen oder bandförmige Wesen das Schiff bevölkerten. *
Hasso reagierte als erster. „Sligo! Schalte den verdammten Antrieb aus, nimm den Autopiloten herein und gib uns allen ein Pause!" sagte er, als die Sterne wieder auf den Schirmen erschienen. Schnell hintereinander erfolgte das Klicken einiger Schalter. „Schon geschehen!" „Ich bin in meiner Kabine. Soll ich dich abschleppen?" Sligo desaktivierte die Sicherheitsschaltungen, wodurch die kleine Ruhezone für den Kopiloten wieder zugänglich wurde. Überall im Schiff schoben sich die Stahlplatten wieder zurück. „Ich schaffe es schon selbst, danke, Hasso." Sie brachten es irgendwie fertig, die Kanzel zu verlassen. Der Komputer des Sternenschiffs arbeitete wieder normal und stellte die gewohnten Verhältnisse innerhalb des Rumpfes her. Der Autopilot bremste die fast lichtschnelle Fahrt des Schiffes ab, sicherte sämtliche Anlagen und wartete dann auf weitere Befehle. Im Augenblick war niemand da, der diese erteilen konnte. Die beiden Männer fielen in ihre Kojen und schliefen, als habe man sie betäubt. Etwa zwanzig Stunden vergingen. * In demselben Sekundenbruchteil aber, in dem das Sternenschiff den Hyperraum verließ, wurden sämtliche Insassen des Schiffes, die sich „verwandelt" hatten, zum Teil in das normale Bezugssystem zurückgeschleudert. Ihre merkwürdigen Gestalten änderten sich nicht. „Das darf nicht wahr sein!" bemerkte Vlare MacCloudeen, oder das, was Vlare war, „Cliff! Wir sind aus dem Trümmersystem hinausgeschossen!"
system hinausgeschossen!" „Wenn ich nur wüßte", gab der verwandelte Kommandant zurück, „warum wir überhaupt durch dieses System hindurchgerast sind. Wir hatten keine anderen Kurskoordinaten, nein, aber diese Tortur?" Vlare und Cliff erreichten die leere Steuerkanzel. Das Schiff trieb mit mäßiger Geschwindigkeit dahin. Der Tunnel war verschwunden, die angsterzeugenden Geräusche hatten aufgehört. Für die Insassen des Schiffs schien auch die Zeit wieder normal geworden zu sein. „Ich bin sicher, daß die Flugkoordinaten von lebensnotwendiger Wichtigkeit waren", meinte Vlare. „Jeder andere Kurs wäre tödlich gewesen. Wir wissen nicht, nach welchen Gesichtspunkten wir manövriert haben." Cliff brummte verärgert: „Wir werden es auch nicht erfahren." Sie waren in der Lage, völlig wortlos miteinander zu kommunizieren. Im Augenblick interessierten sie sich weniger für das Schiff und den Rest der Mannschaft, sondern für den Stand der Dinge. Sie befanden sich innerhalb des Chaos und sahen nur winzige Ausschnitte der Wirklichkeit. „Wir können sicher sein, daß wir bei dem Versuch, einen anderen Kurs zu fliegen, umgekommen wären!" erklärte Vlare. „Noch leben wir - aber wie!" antwortete Cliff. Er bewegte seinen unförmigen Körper, bildete ein paar Pseudoglieder und kletterte in den Pilotensitz. Fünfundzwanzig Stunden waren seit dem Start hierher vergangen. Die erstaunlichsten Vorgänge hatten einander abgelöst. Nichts von allem war zu erklären. Cliff betrachtete die Anzeigen, die
Uhren, dann drückte ein kurzer Pseudoarm einen Schalter. Auf einem Bildschirm begann der Bordrechner die bisherigen Schaltungen zu erläutern. Cliff kontrollierte die Zahlen, die er kannte, verfolgte anhand der Formeln und Kolonnen den Kurs und sah, daß sie tatsächlich in einer absoluten Geraden gesteuert hatten. Aber sie waren in einem ganz anderen, kurvenreichen Kurs geflogen. Die eigenartige Natur dieses Teiles des Universums hatte den Kurs geändert. Vermutlich war keine andere Spur möglich als entlang des im Hyperraum verborgenen Trümmersystems. Jetzt lagen noch zwei weitere Abschnitte vor der Besatzung des Sternenschiffs. „Wie geht es weiter, Commander?" fragte Vlare nach einer Weile. Er würde in kurzer Zeit durchs Schiff kriechen und feststellen, wer noch lebte und verwandelt war. „Warte noch ein wenig. Ich sehe noch nicht klar." Cliff erkannte, daß sie sich jetzt innerhalb der kleineren Weltraumkugel befanden. Vor ihnen leuchteten viele Sonnen, deren Anzahl sicher nicht höher als eineinhalbtausend war. „Dort irgendwo ist unser Ziel. Die Erde“ „Du bist sicher, Cliff?" „Ziemlich sicher. Wir sind hierher dirigiert worden, um eine Mission zu erfüllen. Die Mission hat als Hauptgegenstand die Erde, und zweifellos bestehen zwischen der Erde, die wir irgendwo in der Galaxis verlassen haben, und einem Planeten dieser Sonnen hier, eindeutige Beziehungen." Vlare entgegnete sarkastisch: „Und zweifellos wirst du für die vielen merkwürdigen Vorkommnisse viele Erklärungen suchen müssen. Wie sieht
der zweite Teil unserer Kursinformation aus?" Cliff rief die Zahlenangaben aus den Speichern ab. Nacheinander erschienen sie auf dem Analogschirm. „Wir haben einen kurzen Hyperraumsprung vor uns, der uns in die Nähe einer G-0-Sonne bringen soll. Dauer höchstens eine Stunde!'' „Wer hindert uns daran, loszufliegen?" „Niemand", sagte das Wesen, das Cliff war. „Ich programmiere soeben den Autopiloten." Während sein Körper zwei neue Pseudopodien bildete, mit denen Cliff das Programm schrieb, betrachtete Vlare ohne sichtbare Augenöffnung den Weltraum. Er konnte nichts Besonderes entdecken, abgesehen davon, daß sie sich abermals in einem abgeschlossenen Stück Weltraum befanden. „Die Unbekannten, die uns hierhergebracht haben", sagte Vlare nachdenklich, „werden doch nicht etwa von uns verlangen wollen, daß wir in dieser höchst unschönen, wenn auch ungewöhnlichen Gestalt unser hohes Amt antreten?" „Wie soll ich das wissen?" Langsam und genau schrieb Cliff für den Bordrechner das Programm ein und überlegte. Er rechnete noch nicht damit, daß sie ihr Ziel mit diesem Sprung erreichen würden. Es würde abermals eine besondere Barriere geben. Er fühlte es; er konnte nicht anders als skeptisch sein. „Start?" fragte Vlare. „Wohin?" „Ja!" sagte Cliff. „Geradeaus. In die Nähe einer Sonne. Vielleicht zur Sonne der Erde." „Wie hoch ist diese verrückte Wahrscheinlichkeit ? " „Ich habe auf alle derartigen Fragen nur eine einzige Antwort, die ich
vermutlich ständig wiederholen werde: keine Ahnung." Cliff drückte den Startknopf. Die Maschinen liefen an. Die vielen Felder des Pultes begannen ihr Farbenspiel. Das Sternenschiff nahm langsam Fahrt auf. Tausende Schaltungen und Kontrollen wurden vom Autopiloten überwacht, die Geschwindigkeit nahm zu, das Schiff drehte die nadelspitze. Nase in die Richtung des Zielsterns, Bis zu dem Augenblick, an dem das Schiff wieder aus dem Hyperraum hinaussprang, lief alles automatisch ab. „Nun denn", meinte Cliff. „Die Dinge sind in Bewegung. Warten wir auf die nächsten Überraschungen." „Ich merke es deutlich", kommentierte Vlare. „Du bist schlechter Laune, unausgeschlafen und häßlich zu dir selbst. Ich vermisse die positive Note an dir!" „Ich vermisse meine alte Gestalt. Sie war mir recht lieb." „Du wirst sie noch lange genug mit dir herumschleppen müssen", schloß Vlare. „Ich wrerde jetzt meine karitativen Unternehmungen starten." „Tue dies!" Cliff fühlte sich an einem absoluten Endpunkt angelangt. Das Schiff war schwer mitgenommen, das hatte er eben bei seiner Kontrolle merken müssen. Die Hälfte der Mannschaft befand sich irgendwo - es gab nicht einmal eine Ahnung, an welcher Stelle des Kosmos sich die Unglücklichen aufhielten. Falls sie überhaupt noch lebten. Sie selbst, diejenigen also, die sich über die Räume des Schiffes verstreut hatten und hier von ihren vielfältigen Ängsten heimgesucht wurden, fürchteten sich vor ihrem jetzigen Zustand ebenso wie vor der Zukunft. Die meisten waren
handlungsunfähig. Sie hatten keine Möglichkeit, etwas an den herrschenden, zwingenden Umständen zu ändern. Blind mußten sie den einmal gesetzten Daten der unsichtbaren, mit Sicherheit ausgestorbenen Frühen Raumfahrer gehorchen und Ziele ansteuern, die sich jedesmal als Horrorwelten entpuppten. Selbst Cliff, der große Widerstandskräfte und die Fähigkeit sein eigen nannte, die ungewohntesten und unerwarteten Dinge mit steinernem Gesicht und kalter Überlegung zu meistern, fühlte sich unruhig und krank, müde und vergiftet. Sein Körper widerte ihn an und versetzte ihn in jene leise Art von Panik, die jede Aktivität von vornherein unterband. Das Schiff wurde schneller, die Sprunguhr lief an. Die Sekunden tickten herunter. Die Maschinen arbeiten zuverlässig. Das Schiff war noch immer still und wie ausgestorben. Überall sah Cliff, der nacheinander sämtliche Rufknöpfe drückte und sich die Bilder aus den vielen Räumen des Sternenschiffs betrachtete, die Spuren der letzten Stunden. Er begriff, je tiefer sie in den Kern der Dunkelwolke hineinstießen, immer weniger. Das war nicht das Ziel, das ich einst hatte, dachte er trübsinnig und sah das Chaos im Maschinenraum, in dem Hasso bis zur Verzweiflung energetische Verbindungen hergestellt und verschmorte Leitungen neu gelegt und geschaltet hatte. Es sah überall im Schiff aus wie in einem Schlachthaus; nur Blutspuren gab es keine. Arlene! Prac'h! Helga! „Verschwunden!" stöhnte er lautlos. Tiefe Hoffnungslosigkeit erfüllte die raupenartige Kreatur, die Cliffs Identität trug. Vlare kroch, nicht wesentlich heiterer, irgendwo im Schiff umher und
versuchte, mit den verunstalteten Wesen ins Gespräch zu kommen und ihnen durch die Nebel von Furcht und Verzweiflung Trost und Mut zuzusprechen. Der Punkt, der nur einen Millimeter vor dem absoluten, tödlichen Tiefpunkt der Verzweiflung lag, war jetzt erreicht worden. Die Maschinen und Rechner des Schiffes spürten nichts davon. Sie schleuderten den langen, stählernen Pfeil mit mächtiger Kraft weiterhin geradeaus, korrigierten mit winzigen Energiestößen in die verschiedenen Richtungen den Kurs, machten den Keil des Sternenschiffs schneller und schneller, bis er mit knapp Lichtgeschwindigkeit dahinraste, schnell wie ein Gedanke. Dann sprang das Sternenschiff in den Hyperraum, verweilte dort eine genau abgemessene Zeitspanne. Als die relativ wenigen Sonnen von den Bildschirmen verschwanden, zuckte Cliff zusammen. Es war ihm, als habe er einen lautlosen Schrei gehört. Eine Stimme, die ihm etwas sagen wollte. Nichts geschah. Er fühlte sich nicht anders, er dachte noch immer an den Untergang des Schiffes und der Mannschaft, an die Auflösung des großen Teams, das einst durch die Erlebnisse auf den verschiedenen Testwelten zusammengeschmiedet worden war. Seine Gedanken waren reine, schwärzeste Melancholie. Das Schiff sprang zurück in den Normalraum. Von den Schirmen blendeten weiße, grelle Blitze. Gleichzeitig mit den Lichterscheinungen faßte eine unbekannte, starke Kraft nach den übriggebliebenen Besatzungsmitgliedern, traf sie wie ein Starkstromstoß und betäubte sie innerhalb eines Sekundenbruchteils. Führerlos und ausgestorben raste das
Schiff weiter in die Richtung der großen gelben Sonne. * Es dauerte Minuten, bis Cliff wieder zu sich kam. Er horchte und fühlte in sich hinein. Er spürte, daß sich vieles verändert hatte; langsam öffnete er die Augen und fand sich ausgestreckt im Kommandantensessel, dessen Automatik merkwürdigerweise nach hinten ausgeklappt war. Das erste Bild war ein Spiegelbild in einem der halbdunklen Schirme. „Endlich! Ich verstehe!" sagte er leise. In seiner Stimme lag unverkennbar der Klang tiefer Zufriedenheit. Cliff sah sich in menschlicher Gestalt in dem Sessel liegen. Sekundenlang betrachtete er mit einer Mischung aus Wiedersehensfreude und Verwunderung seinen alten Körper, dann schwang er sich zur Seite, stellte die Sohlen auf den Boden und realisierte, daß er nackt war bis auf die dünne Halskette. „Das war es also!" bestätigte er sich. „Wir sind verwandelt und rückverwandelt worden. Ich verstehe dies, aber ich verstehe nicht, warum." Er hatte das dringende Bedürfnis, mit sich selbst zu reden, um wieder den Klang einer unvollkommenen menschlichen Stimme zu hören. „Früher oder später werde ich auch verstehen, was dieses ganze dramatische Theater sollte." Er durfte darauf schließen, daß auch alle anderen Mannschaftsmitglieder zurückverwandelt waren und ihre menschliche Gestalt wieder hatten. Ehe er handelte, ging er in den rückwärtigen Teil der Kanzel, öffnete einen Schrank und fand eine Hose, die ihm paßte. Er schloß den Gürtel, kümmerte sich um
die Steuerung und schaltete dann auf Rundspruch um. Cliff bog das Mikrophon zu sich heran, holte tief Luft und sagte laut: „Hier spricht der Kommandant. Das Sternenschiff ist soeben in der Nähe einer gelben Sonne aus dem Hyperraum herausgekommen. Es besteht die Möglichkeit, daß diese Sonne unser endgültiges Zielgebiet ist. Wir sind zurückverwandelt worden und haben dadurch, glaube ich, bestimmte Eigenschaften angenommen. Wozu das alles gut war, werden wir irgendwie erfahren. Es ergeht folgende Anordnung: Ich bitte alle Besatzungsmitglieder, zunächst einige ruhige Gedanken zu fassen, sich anzuziehen beziehungsweise umzuziehen und in genau einer Stunde in der Messe Eins anwesend zu sein. Bis dahin steuert der Autopilot das Schiff in einen ungefährlichen Sonnenorbit, und wir sind in Sicherheit. In vierundzwanzig Stunden wissen wir alles!" Er schaltete ab und begann sich wie neugeboren zu fühlen, was einigermaßen ja auch den Tatsachen entsprach. Dann räumte er flüchtig die Kanzel auf, aktivierte die selbständigen Programme der Ortungs- und Funkgeräte und verließ den Raum. Er ging in seine Doppelkabine und sah überall, als Reste einer unerträglichen Zeit, die zerrissenen Kleidungsstücke der Verwandelten liegen. Aus allen Richtungen kam aufgeregtes Stimmengewirr, das schlagartig erlosch, als der Commander das Schott zu seiner Kabine schloß. Cliff ging systematisch und fast gedankenlos vor; es gab für ihn ein bestimmtes Programm, das ihm half, sich total zu entspannen und dadurch zu erholen. Er suchte aus den Bordspeichern laute, stark ryhthmische Musik, verschloß das
Schott und stellte die Lautsprecher auf höchste Lautstärke. Dann goß er ein gewaltiges Glas voll Sekt, suchte neue Kleidung aus den Schrankfächern und warf sich in einen Sessel. Er trank in Ruhe, ließ sich von der Musik ablenken und kam langsam zur Ruhe. Er leerte das Glas, stellte sich eine Stunde lang unter die abwechselnd kalt und heiß strahlende Dusche und ließ dann die automatische Massage über sich ergehen. Jetzt ist meine Ruhe wichtiger als alles andere. Es kommt auf meinen Verstand und meine Überlegungen an. Das Schicksal unserer womöglich letzten Mission hängt von den richtigen Einsichten und Entscheidungen ab. Der Rest kommt später - und ich kann an etwaigen Pannen ohnehin nichts mehr ändern. Er grinste, goß nochmals Sekt ins Glas und ließ sich abtrocknen. Dann zog er sich an und war bereit. Und hungrig. Eine Stunde war vorüber. Er fühlte sich weitaus stärker als vor vierundzwanzig Stunden. „Zurück in den Kampf, McLane!" sagte er zu sich und machte sich auf den Weg zur Messe. Während er die rund hundert Meter dorthin zurücklegte, öffneten sich nahezu gleichzeitig überall Türen und Stahlplatten, und die übriggebliebenen Besatzungsmitglieder des Sternenschiffs kamen heraus, um sich zu versammeln. Viele von ihnen standen deutlich unter der Wirkung aufputschender Mittel. Cliff sah es ihnen auf den ersten Blick an. Immerhin herrschte eine gewisse Hochstimmung - sie alle besaßen wieder ihre eigenen Köper. Schließlich, als Mario, Hasso und Atan sich neben ihm befanden und Vlare schräg vor ihnen saß, stand Cliff auf und sagte: „Hauptsächlich deshalb habe ich zu
diesem Treffen gerufen, weil ich euch das Gefühl geben wollte, daß sich die Umstände und Verhältnisse wieder normalisieren. Wir sind wieder Menschen. Wir werden uns erst einmal ausschlafen, erholen und sattessen und dann erst Schritt um Schritt die einzelnen Versuche starten. Wir sind am Leben und haben alles unbeschadet überstanden - abgesehen von einer schnell zu beseitigenden Unordnung im Schiff." Von hinten rief jemand: „Was werden wir zuerst unternehmen, Commander?" Cliff zeigte sein bekanntes, verwegenes Grinsen. „Zunächst lauter feine, praktische und billige Dinge. Essen, schlafen, diskutieren." „Und dann?" „Anschließend suchen wir mit allen Mitteln, über die dieses Schiff verfügt, die verschwundenen Freunde." „Wo sind wir?" „In der Nähe einer erdähnlichen Sonne", erklärte Cliff. „Einer Sonne vom gleichen Typ wie der, um den die Erde kreist, meine ich. Mehr weiß ich nicht, die automatischen Geräte untersuchen gerade, was wir gefunden haben. Laßt euch Zeit! Eine demoralisierte Mannschaft ist schlimmer als eine, die aus lauter vielfarbigen Regenwürmern besteht." „Warum", schaltete sich Hasso ein, „glaubst du, daß diese Verwandlung vorgenommen wurde?" „Weil die Schale aus undurchsichtigem Staub unter Garantie teuflische Auswirkung auf jeden Organismus zeigt. Erinnert ihr euch der anderen suchenden Schiffe in den verschiedenen Systemen?" „Natürlich!"
Cliff nickte. Auch er wurde langsam wieder müde, trotz der Massage und der kalten Dusche. „Ich bin sicher, daß die Besatzungen dieser Schiffe, falls sie diesen Bereich entdecken und sich an ihre Kurskoordinaten halten, ebenfalls eine Reihe böser Überraschungen erleben. Noch etwas: Die ORION-Crew weiß es am besten, daß Zwischenfälle dieser Art letzten Endes doch einen positiven Effekt haben. Ich bin sicher, daß wir diesen absolut traurigen Stunden noch einige Vorteile abgewinnen können. Noch Fragen?" „Wo sind die anderen?" Cliff schüttelte ernst den Kopf. „Ich habe weder eine Ahnung, noch gibt es einen Hinweis dafür. Ich bin aber sicher, daß wir sie finden und einsammeln werden." „Okay! Wer hilft mir in der Kombüse?" rief Vlare. „Mein Hunger ist kosmisch." Es meldeten sich genügend Freiwillige. Der Zwang, an scheinbar unwichtige Dinge denken zu müssen, zog die Gedanken der Mannschaft von den wirklichen, tiefgreifenden Fragen und Problemen ab. Binnen Minuten löste sich die Versammlung auf. Cliff und Hasso blieben übrig, aber auch sie brauchten nichts anderes als Essen und Schlaf. Hasso stellte nur eine einzige Frage. „Du scheinst optimistisch, Cliff. Ich kenne dich länger und besser. Du denkst an das Schlimmste?" Cliff deutete in die Richtung des leuchtenden Bildschirms, der den Sternenhimmel und die Sonne zeigte. „Ja. Ich denke, daß wir an der letzten Grenze angekommen sind. Aber ich denke auch, daß wir überleben." Sie hatten sich nichts mehr zu sagen.
Sie aßen schweigend, dann fielen sie in einen langen, erholsamen Schlaf.
6. Es war eine Prüfung für Menschen und Material gewesen, eine Belastungsprobe. Wer bei diesem Rennen durch Raum und Zeit, durch Wahnsinn und Realität nicht den Verstand verlor, der hatte entweder keinen mehr zu verlieren, oder er war stärker als die Prüfung, als die Bedingungen dieses schwersten aller Tests. „Was mir an den Tests und Schwierigkeiten unserer unbekannten Freunde so drastisch auffällt, ist ihr völliger Mangel an Humor!" murmelte Cliff. Die Klimaanlage summte und blies parfümierte Luft in die Steuerkanzel. Der Raum hatte sich wieder in das technische Herz des Schiffes zurückverwandelt und war in vollem Betrieb. „Sie meinten wohl, wir sollten nicht lachen, sondern uns bemühen", erklärte Hasso, der seitlich des Commanders saß und soeben seine Checks beendet hatte. Die Maschinen und die Energieversorgung des Sternenschiffs waren in denkbar bestem Zustand. „Der springende Punkt ist, daß sie uns nicht kannten. Sie hatten niemals die Chance, eine Crew wie die der ORION VIII kennenzulernen. Dann wüßten sie, daß der beste Test schlecht ist, wenn er humorlos ist. Und ich habe seit langer Zeit kaum mehr richtig lachen können!" sagte Cliff und deutete auf den Bildschirm. „Ich auch nicht. Mir fehlten deine guten Bonmots!" murmelte Vlare. Auf der dunklen Platte erschienen Punkte und dann ein System farbiger Linien. Cliff sagte langsam:
„Ich sehe hier ein Planetensystem. Die Maschinen haben ununterbrochen gearbeitet und gerechnet. Das System ist dem heimatlichen Sonnensystem mehr als ähnlich - mit einigen Besonderheiten." In den vergangenen Stunden hatten die Menschen und die Maschinen in einem langen, harten Einsatz das Sternenschiff von hinten nach vorn aufgeräumt und alle kleineren Schäden schnell und gründlich ausgebessert. Jetzt waren alle technischen Stationen besetzt; es galt, vor dem letzten Schritt Atem zu holen und sich richtig und zuverlässig vorzubereiten. Eine dreidimensionale, sich bewegende Darstellung erschien auf dem größten Schirm. Die Rechenmaschinen hatten neun Planetenbahnen festgestellt und die Bewegungen der vielen einzelnen Planeten und Monde. Aus allen Impulsen und der errechneten Geschwindigkeit der Satelliten machten sie ein Modell, vergrößerten die Bewegungsgeschwindigkeit um einige Faktoren. Jetzt schaltete Cliff die Totalwiedergabe ein. „Hier habt ihr unser Ziel!" sagte er. Neun Planetenbahnen. Achtzehn Planeten. Mehr als hundert Monde und Asteroiden. Zweimal der Saturn mit seinem Ring. Jeder der neun klassischen Planeten der Erde hatte einen Zwillingsbruder auf der gegenüberliegenden Seite der Sonne. Langsam bewegten sich die verschiedenfarbigen Punkte auf dem stereoskopischen Schirm. Schweigen... „Und noch etwas!" erklärte der Commander. „Achtet genau auf die Darstellung des Ortungsschirms." Dort tauchte jetzt die Erde auf. Unverkennbar in Farben und Umrissen, den Wolkenstrukturen und der Ausleuchtung
durch die Sonne. Aber über diesem Bild, das sie in dieser oder in ähnlicher Größe schon tausendmal gesehen hatten, lag eine deutliche Unschärfe. Als ob die Linsen sich nicht optimal eingestellt hätten. „Unschärfe!" sagte Hasso. „Es geht nicht schärfer!" erklärte Cliff. „Seht genau hin!" Mario de Monti übernahm die Tastatur, legte Gradnetze über das Bild, schwächte einzelne Farbwerte ab und verstärkte andere. Nachdem das Bild mehrmals Größe und Farben, aber nicht seine Unschärfe verändert hatte, erklärte de Monti kapitulierend: .„Das sind drei übereinanderliegende Bilder. Drei völlig identische, denn der Planet dreht sich, die Wolken verändern sich." Obwohl überall im Schiff Untersuchungsgeräte liefen und die Mannschaften an ihren wissenschaftlichen Arbeitsplätzen zu tun hatten, gab es in keinem Raum ein wichtigeres Bild als dieses. Über die Bordkommunikation hörten alle mit. „Dies, liebe Mannschaft", sagte Cliff, „ist nach meiner Meinung nicht die Erde. Das sind genau drei Erden. Dreimal der Planet Erde. Drei Parallelplaneten, die am gleichen Ort, aber nicht zur gleichen Zeit existieren. Oder umgekehrt. Es gibt kein normales, scharfes Bild." Mario brummte: „Und der andere Planet? Diese ,Gegenerde' auf der anderen Seite der Sonne?" „Ich nehme an", erklärte Cliff, „daß dieser Planet ein erdähnlicher Planet ist, nicht für uns bestimmt, sondern für eine ähnlich geschundene Gruppe wichtig. Aber das finden wir noch heraus. Ich schlage vor, wir fliegen die Erde an.
Vielmehr die Parallelplaneten. Klar?" „Einverstanden!" Es war für Dave Sligo keine Schwierigkeit, Navigation im sonnennahen Bereich zu betreiben. Binnen Sekunden war der Kurs zu dem erdähnlichen Planeten programmiert. Cliff wandte sich an die Mitglieder der kleinen Crew. „Ich glaube, ich weiß jetzt mehr. Hier, in dem Versteck der Sonnen, gibt es eine Menge verschiedener Planeten. Selbst wenn wir von hier nicht mehr wegkommen, haben wir Jahrhunderte vor uns, in denen wir alle unsere Konkurrenten besuchen können. Parallelsonnen vieler raumfahrender Völker! Parallelplaneten dieser Gruppen! Wir werden Retter der Menschheit und bleiben trotzdem Raumfahrer." Er wandte sich in die Richtung des Schirmes, der sie mit der Funkabteilung verband. „Während des Anflugs und auch nachher - schaltet alle Sender ein. Ruft nach unseren verschwundenen Kameraden. Wir müssen sie wiederfinden." „Verstanden. Wir setzen alle Sendeenergie ein." Das Schiff startete. Schräg vor dem Sternenschiff lag die Ekliptikebene der neun beziehungsweise achtzehn Planeten. Es war ein herrliches Bild, obwohl es so, wie der Schirm es zeigte, nicht gesehen werden konnte. Dann schaltete sich der Komputer aus der Projektion, und drei Punkte blieben auf den Schirmen übrig. In der Mitte die Sonne, und jeweils genau hundertachtzig Grad voneinander entfernt, die beiden Erdplaneten auf der dritten Bahn um die Sonne. Nach einigen Minuten Flug sagte plötzlich Atan Shubashi aus der Ortungsabteilung: „Achtung, Freunde! Ich habe ein Signal, einen starken Impuls. Etwa auf
der Bahn des Uranus." Cliff nickte und erwiderte: „Schalte das Bild zu uns." Atan tat es und lieferte gleich einige Zahlenreihen dazu. Sie sahen, von der fernen Sonne schwach beleuchtet und von den Maschinen unerträglich weit vergrößert, einen riesigen hellgrauen Planeten. Die eingespiegelten Zahlen bewiesen, daß er sich bewegte. Als die Männer die Zahlen nachgerechnet und entschlüsselt hatten, murmelte Mario: „Es geht schon wieder los! Wenn sich Atan nicht geirrt hat..." „Ich irre mich niemals, Elektronenbändiger!" rief Shubashi angriffslustig zurück. „Schon gut. Wenn die Zahlen stimmen, dann rast dieser Planet in beträchtlichem Tempo auf die Sonne zu." „Die Nova!'" stöhnte Cliff. „Die erste Bewährungsprobe!" „Das kann sein, Cliff!" murmelte Vlare. „Aber zunächst ist alles andere wichtiger." Sie befanden sich also doch an ihrem Ziel. Während sich das Schiff dem Punkt näherte, an dem sich diese merkwürdigen Planeten befanden, konzentrierten sich die Gedanken der Besatzungsmitglieder darauf, ihre Kameraden zu finden. Wo befanden sie sich? Lebten sie noch? Warum waren sie aus dem Schiff gerissen worden? Alles schien so unsinnig zu sein. Cliff kauerte in seinem Sessel. Seine Augen huschten von einem Bildschirm zum anderen. Inzwischen beschäftigte ihn ein Problem mehr. Der Planet, der sich auf Sonnenkurs befand, stellte eine zusätzliche Bedrohung dar, aber es schien ein weiterer Testfall zu sein. Es gab einfach zu viele Fragen zu klären, und Cliff sagte sich unwillig, daß jeder Weg einer Anzahl einzelner Schritte
bestand. „Was auch immer passieren sollte", sagte er laut. „Zuerst suchen wir unsere Freunde." Sie konnten sicher sein, daß jedes der drei gestellten Themen für sie wichtig werden würde. Die Nova, die Vereisung und die Seuche. Aber Cliff schob alle Gedanken zur Seite und sah, wie auf dem Zielschirm der Planet größer wurde. Sie hatten sich entschlossen, jene „Erde" anzufliegen, die sich auf dem Schirm als undeutlicher Planet abgezeichnet hatte. Je näher sie kamen, desto deutlicher wurde das Bild. Merkwürdig. „Ein höchst zwiespältiger Anblick!" „Du sagst es. Das Sonnensystem und die Erde - hier, an diesem Platz!" Der Planet wurde größer und deutlicher. Sie flogen ihn mit der Sonne im Rücken an und sahen schweigend und mit ständig wachsender Beklemmung, daß jede Einzelheit identisch war. Von den gleißenden, eisbedeckten Polen über die bekannten und gewohnten Strukturen der Wolken, bis hinunter zu der Farbe der Ozeane und der Landmassen. „Es ist die Erde. Niemand von uns kann den Unterschied feststellen." „Du hast recht, Vlare. Sligo?" „Commander? Einen Orbit?" „Ja", sagte Cliff. „Bringe das Schiff über Australien in eine stabile Position. Uns allen dürfte aufgefallen sein, daß es hier so gut wie keine Raumfahrt gibt." „Verstanden." „Atan? Wie steht es mit Echos? Hat jemand geantwortet?" „Nein. Bis jetzt noch nicht." Das Sternenschiff umkreiste die Erde einmal. Der gespenstische Eindruck änderte sich nicht. Jede weitere Einzelheit rief vielfältige Erinnerungen hervor. Und jede weitere Sekunde vergrößerte das unheimliche Gefühl, das die Mann-
schaft ergriff. MacCloudeen murmelte, ohne die Augen vom Schirm zu nehmen: „Parallelerde, schön und gut. Aber es gibt keinen Raumfunk, niemand meldet sich auf den gebräuchlichen Wellen, und nicht einmal ein einziges lumpiges Raumschiff ist dort gestartet. Was ist nur los?" Cliff grinste, rief ein Kommando zusammen und bat, die ORION VIII startfertig zu machen. „Was hast du vor?" erkundigte sich der Chefkybernetiker. „Mit euch zusammen den Planeten ansehen. Vielleicht finden wir interessante Gesichtspunkte." „Mit Sicherheit." Cliff stand auf, als er sah, daß der Pilot das Schiff sicher an den Platz im Erdorbit bringen würde. Im gleichen Augenblick meldete sich Atan und sagte halb lachend, halb erschrocken: „Cliff, Mario! Wir haben Kontakt. Sehr schwach und etwas verworren, aber ich glaube ... Hört selbst. Hier, das Band." Lautsprecher knackten, dann kam ein zischendes Geräusch, schließlich hörten sie die letzten Worte des Rufes, der pausenlos auf allen Wellen wiederholt wurde. Und schließlich eine schwache, verzerrte Antwort. „... hören euch... Prac'h und Arlene. Wir sind in Cliffs Wohnung ... wissen nicht, ob ihr uns hören könnt. Bitte, kommt sofort..." Dann übertönten verschiedene Störungen die Worte und machten den Rest unverständlich. Langsam drehte sich der Commander um. Sein Gesicht drückte auf einmal nicht mehr soviel Ratlosigkeit aus. „Verstanden", sagte er. „Dann haben wir ja bereits unser Ziel auf diesem
Planeten. Freunde, wir treffen uns im Diskus. In zehn Minuten starten wir nach Carpentaria!" „Mit Vergnügen." Das Sternenschiff schwebte langsam an seinen Platz. Unter dem torpedoförmigen Schiff breiteten sich die vertrauten und bekannten Formen des Inselkontinents aus, von langgezogenen Wolken und deren Schatten undeutlich gemacht. Jeder von ihnen kannte diese Bilder bis tief hinein in die winzigsten und scheinbar unbedeutenden Einzelheiten, denn Australien und die Gegend um den Golf waren teilweise Heimat, und jeder der Raumfahrer hatte so viele Anflüge und Starts hinter sich, daß diese Farben und Bilder sich ihm unlöschbar eingeprägt hatten. Kein einziges Schiff raste ihnen entgegen. Nicht einmal ein Sender rief sie und bat um Identifikation oder forderte zur Landung auf. Der Rest der Crew sammelte sich in der ORION. * Die ist eine ganz besondere Form von Erinnerungsbewältigung, dachte Cliff. Er stand wie in alten Zeiten vor der Zentralen Bildplatte. Mario hatte Helgas Platz übernommen, Vlare stand hinter Cliff, und Hasso hielt sich im Maschinenraum auf. Atan Shubashi hielt sämtliche Nachrichtenkanäle offen und wartete. „Arlene und Prac'h befinden sich in deiner Wohnung, Cliff!" sagte Mario kopfschüttelnd. „Du weißt, daß dieser Umstand eine neue Serie von Fragen nach sich schleppt?" „Ja. Vielleicht haben wir dort unten Doppel- oder Mehrfachgänger." „Das wäre die Steigerung des Wahnsinns."
Die ORION raste schräg durch die Atmosphäre, schnitt durch dünne Wolken und kam von Norden über den Golf herein. Shubashi sah jetzt etwas klarer, brachte die Sendeantenne in Position und begann Arlene und Prac'h zu rufen. Sekunden später war die Verständigung perfekt. „Arlene!" schrie Cliff. „Wir sind unterwegs. Seid ihr tatsächlich in der Turmwohnung?" Sie lachte, und dieses Lachen zerstreute eine ganze Menge Sorgen, Der Diskus raste weiter und nahm direkten Kurs auf das Wohngebiet über dem offenen Meer. Sie alle kannten hier sozusagen jeden Grashalm. „Ja. Wir wußten, daß ihr kommen würdet. Wir haben auch Verbindung mit Helga. Kommt erst einmal her, und wir können alles klären." „Das bezweifle ich, Geliebte", sagte Cliff laut. „Aber wir sind in wenigen Minuten da." „Niemand wird euch sehen und mit euch sprechen. Wir sind außerhalb dieser Welt", mischte sich Glanskis ein. „Du kannst schon Kaffee kochen!" schloß Hasso. Sie konnten nicht in der Basis 104 landen, denn sie wußten nicht einmal, wie sich die wahre Erde und dieser Planet unterhalb des sichtbaren Erdbodens unterschieden. Aber sie fanden einen Landeplatz, über dem die ORION schwebte, und mit der LANCET erreichte Cliff binnen weniger Minuten seine Wohnung. Auch in diesem Teil der Welt war es mehr als Ähnlichkeit. Cliffs Wohnung war nicht dieselbe, aber die gleiche. *
Es fehlte nur noch Helga Legrelle. Die Crew saß im Kreis um die runde Tischplatte. Sie tranken Kaffee und Alkohol aus Cliffs Vorrat. Arlene und Prac'h hatten berichtet, was sie erlebt hatten und wie sie hierhergekommen waren. „Ja", sagte Cliff schließlich und betrachtete den Boden seiner leeren Tasse, als könne er dort eine Erklärung finden. „Damit werden wir uns wohl abfinden müssen. Es wird zwischen den Menschen dieser Welt und uns keinen direkten Kontakt geben. Wenigstens nicht in absehbarer Zeit." Arlene nickte und füllte die Tasse wieder. „Wir alle sind in der Lage, uns zwischen den drei verschiedenen Welten zu bewegen. Wir können auch in der Zeit reisen. Aber ich bin sicher, daß sich noch mehr ändern wird." Mario murmelte: „Zuerst sollten wir diesen Planeten eliminieren, der auf die Sonne zurast." „Das wißt ihr auch schon?" erkundigte sich Glanskis. „Ja. Wir haben ihn geortet. Am besten, wir holen irgendwoher einen passablen Mond und bringen ihn auf Kollisionskurs und auf möglichst hohe Geschwindigkeit. Wir werden den Planeten nicht aus seinem Weg schieben können." „Wir haben noch einige Tage Zeit, uns das zu überlegen." Hasso fragte: „Und wie lösen wir das Problem Legrelle?" „Es löst sich von selbst!" „Wir sind hier, um zu beweisen, daß wir die Erde retten könnten, wenn es sein müßte", sagte Cliff schließlich. „Ich verstehe das meiste auch nicht mehr. Vermutlich gibt es in der unmittelbar nächsten Zeit einige Wunder, und wir
können die neue Welt wieder akzeptieren. Ich nehme an, daß wir diese Prüfungen noch hinter uns bringen müssen. Allerdings sollten wir gar nicht darauf hoffen, von geheimnisvollen Stimmen auf Erfolg oder Mißerfolg hingewiesen zu werden. Wir sind auf uns allein gestellt. Wir sollten die Dinge so abwickeln, als hätten wir keine Zuschauer, als würden wir kein Geld dafür bekommen, als hätten wir lediglich den Ehrgeiz, einen Vorgang so gut wie möglich zu Ende zu führen." „Ich sehe oder besser, ich höre, daß die konstruktive Vernunft wieder in der Crew Einzug hält." Hasso stand auf und lehnte sich an die Wand. „Atan - los! Wir rechnen das ganze Problem noch einmal richtig durch. Ohne Mario werden wir nicht damit fertig; das heißt ohne ihn schon, aber nicht ohne sein Rechenbrett." „Es drängt euch nach Taten!" sagte Mario leise. „Dieser Planet ist geradezu kinderleicht, aber wie stellt ihr euch den Kampf gegen die Vereisung und die Seuche vor?" „Kommt später an die Reihe", erklärte Cliff. „Ich habe den Eindruck, wir sollten streng schematisch vorgehen." „Tun wir das!" Cliff nickte langsam und sah seine Freunde nacheinander an. Er wußte, daß sie alle ebenso verstört und unsicher waren wie auch er. Der Zwang aber, etwas zu planen und es schnell und effizient auszuführen, würde die Unsicherheit sehr schnell vertreiben. Abgesehen davon war es eine hervorragende Beschäftigung für den Rest der Mannschaft. „Kraft meines Amtes bestimme ich also", erklärte Cliff nachdrücklich, „daß
wir alle zurück ins Sternenschiff fliegen und uns sofort an die Arbeit machen. Vermutlich finden wir unsere Leute auch noch in den nächsten Tagen." „Oder sie finden uns!" schloß Atan. Er begann bereits zu rechnen, welche Kräfte und Geschwindigkeit nötig waren, um den drohenden Planeten aus der Bahn zu stoßen. Mit zwei Flügen der LANCET Eins kam die Crew zurück in die ORION, und dann startete der Diskus hinauf zum Sternenschiff. Dort begann sofort der Versuch, die Nova zu verhindern, noch ehe der Planet in kritische Distanz kam. Mario de Monti breitete die Karte aus und sagte scharf: „Hoffentlich fragt mich niemand, ob die Karte auch stimmt. Wir haben einen halben Tag lang gearbeitet, alles immer wieder überprüft und die Karte schließlich maschinenzeichnen lassen!" „Wir glauben dir und deinem Komputer!" versicherte Atan und sah die Karte an. Das Sternenschiff schwebte noch immer über demselben Punkt der irdischen Landschaft. Die Karte, ein großes schwarzes Blatt, trug die maßstäblich verkleinerten Ellipsen der neun Doppelplanetenbahnen, eine Unzahl von anderen Bahnkurven und deren Ausschnitte und sämtliche anderen Markierungspunkte. Quer durch eine Hälfte der Ekliptik zog sich ein dicker Streifen. „Der Weg des Planeten!" erklärte Cliff und fuhr ihn mit dem Dorn des Stellarzirkels nach. „Und hier ist die Bahn des Asteroiden Grünschildt 1897 B. Der Asteroid ist ein Metallmöndchen, und die Bahn ist für unsere Zwecke hervorragend. Wir können keine allzu großen Lasten bewegen." Sie sahen die zweite Bahn an.
Der Kleinstplanet, ein unregelmäßiger Irrläufer auf einer Kometenbahn um die Sonne, schwang auf seinem Aphel weit über die Bahn des letzten Planeten hinaus. Im Augenblick befand sich der kosmische Körper innerhalb des Sonnensystems, in der Höhe der Uranusbahn. Er strebte auf die Sonne zu. „Wir müssen ihn hier fassen", sagte Cliff und machte bei einer der vielen eingedruckten Komputerzahlen einen Kreis. „Dann müssen wir die Druckstrahlen der beiden ORIONs einsetzen und den Grünschildt so sehr beschleunigen, wie wir können. Er wird dann entlang seiner Bahn in Sonnenrichtung rasen, von der Sonne herumgerissen und abermals beschleunigt werden." Er fuhr mit dem Zirkel die normale und die veränderte Bahn nach. Es war wie ein Verkehr auf Schienen. Aber hinter der Sonne mußte eine Weiche gestellt werden. Die größere Geschwindigkeit würde eine andere Bahn ergeben. Es gab drei zur Auswahl stehende Geschwindigkeiten, drei verschiedene Punkte, an denen der Kleinstplanet schräg auf den größeren Körper aufprallen, ihn ablenken und vielleicht auch in Stücke schlagen konnte. Mehrere Bruchteile eines solchen Planeten konnte die Sonne absorbieren, ohne ihren Zyklus zu verändern. Aber nicht den ganzen riesigen Tellur-Planeten, der exakt auf Sonnenkurs lief. „Du bist sicher, Atan, daß dieser Planet die Nova auslösen würde?" Atan Shubashi blickte Cliff fest an und deutete auf das externe Element des Komputers. „Wir haben alle nur denkbaren Wege gesucht und nachgerechnet. Die Antwort ist ja. Natürlich würde die Nova nicht
ausbrechen, wenn der Planet in der Sonne verschwunden ist, sondern erst Jahre später." „Ich verstehe", erklärte Cliff. Eine bestimmte Ahnung ergriff ihn, aber er schwieg. Es kam darauf an, die Anforderungen und Wünsche derjenigen richtig zu interpretieren, denen sie ihren Zustand verdankten. „Wir haben die Entscheidungsfreiheit bis zum letzten Punkt bei uns!" sagte der Commander. „Los. Wir fangen an! Und denkt daran, daß wir den besten Overkill-Schützen der Raumpatrouille bei uns haben." „Mich!" bestätigte Mario ungefragt. Die beiden Beiboote des Sternenschiffs und das Schiff als dritter Raumflugkörper waren die einzigen Werkzeuge, die sie besaßen. Als Hüter der Erde und Wächter der Menschheit waren sie verdammt schlecht ausgerüstet. Aber die Schiffe waren zu dritt fast dreimal so stark, als wenn die zwei ORIONS nicht ausgeschleust worden wären. „Dich, jawohl. Sligo, fliegen Sie in die Richtung von Grünschild" sagte Cliff und stellte zwei Kommandos zusammen, von denen die Beiboote bemannt werden sollten. „Wir sind schon unterwegs." Es würde Wochen dauern, bis der Kleinstplanet trotz mehrfacher Geschwindigkeit den Kollisionskurs um die Sonne und die Bahn des Planeten eingeschlagen und sie vollendet haben würde. In der Zeit, in der das Projektil ohne ihr Zutun der Sonne entgegenraste, würden sie sich um die beiden anderen Prüfungspunkte kümmern. „Wir haben", sagte Cliff leise, „ein ganz schönes Stück Arbeit vor uns." Ihn irritierte, daß die Menschheit von ihren Wächtern überhaupt nichts wußte oder ahnte. Und noch mehr, daß dieselbe
Menschheit, die sie schützen sollten, niemals wissen würde, daß es Wächter gab. Und außerdem ärgerte es ihn, auf eine Menschheit aufpassen zu müssen, die von der Raumfahrt so wenig hielt, daß sie sie aufgegeben hatte...
7. Jetzt, dreihundert Kilometer entfernt, füllte Grünschildt den gesamten Raum vor den Schiffen aus. Ein riesiger Keil aus Materie, angereichert mit Nickel und Eisenmetallen, ein unregelmäßig geformter Klotz, ein Bruchstück aus einer kosmischen Vergangenheit, die ihre Geheimnisse niemals preisgeben würde. Der Kleinstplanet bewegte sich nur minimal; er überschlug sich entlang seines Kurses zur Sonne. Normalerweise brauchte er zwei volle Jahre, um von dieser Stelle bis in Sonnenähe zu kommen. Aber schon jetzt wurde er schneller. Es waren Beträge, die bei wenigen Metern pro Monat lagen, aber sie steigerten sich. Drei Schiffe, deren Autopiloten nichts anderes taten als den exakten Kurs zu überwachen, setzten ihre gesamten Kräfte ein und vereinigten sie auf einen Punkt, der der Massenachse entsprach. Gewaltige Energien wurden frei und beschleunigten den gewaltigen Brocken. „Wir müssen ihm eine Energie verleihen", sagte Cliff einmal in den tagelangen Bemühungen, „die ihn in ein tödliches Geschoß verwandelt. Seine Energie muß in einer Sekunde abgegeben werden und den Planeten ohne Namen aus dem Kurs werfen." Selbst wenn sie diesen Keil beschleunigten und er die Geschwindigkeit
einer Rakete erhielt - mit einer Pistolenkugel konnte man keinen Turbinenzug aufhalten. Bestimmte Relationen mußten gewahrt bleiben, bestimmte Möglichkeiten konnten nicht überschritten werden. Die Maschinen hatten eine optimale Geschwindigkeit errechnet. Sie lag um einige Sekundenkilometer höher als die eines normalen Meteoriten. Diese Geschwindigkeit konnte mit den Maschinen der Beiboote und denen des Sternenschiffs erreicht werden. Sechs Tage lang arbeiteten die Maschinen der drei Einheiten ununterbrochen, dann hatten sie den riesigen Felsenkeil so weit schneller werden lassen, wie es nötig war. „Und jetzt zu unserem namenlosen Planeten!" ordnete Cliff an. Die Schiffe hatten sich der Sonne nicht wesentlich genähert. Während sie davonrasten, schräg über die Ebene der Ekliptik, rechneten die Komputer noch einmal den neuen ballistischen Kurs des Kleinstplaneten nach. Er würde sein Ziel treffen, nachdem er um die Sonne herumgeschwungen und dort noch schneller gemacht worden war. Cliff zeigte dozierend auf das Modell dieses erstaunlichen Sonnensystems und brummte: „Wir sollten unser Talent entwickeln, aus allem das Beste zu machen. Wir sind zwar zu Hütern gemacht worden, aber diese Tätigkeit geht offensichtlich nur mit gewaltigen Mengen Arbeit vor sich." Noch immer hatten sie nichts von Helga und den anderen gehört, obwohl sie immer wieder Tests durchgeführt hatten. Sie konnten nicht ahnen, was geschehen war. „Raumfahrt, Cliff", erklärte Arlene und setzte sich auf seine Knie, „ist unbewältigte Sklavenarbeit."
„Letzten Endes läuft es wohl darauf hinaus", schaltete sich Vlare mürrisch ein, „daß Raumfahrer lauter lachen können." „Ja. Und über schlechtere Witze!" versicherte Atan. Bisher hatte die Fernortung nichts anderes als Kurs, Geschwindigkeit und Masse des Namenlosen festgestellt. Jetzt waren sie unterlichtschnell unterwegs, um festzustellen, ob sie diesen Planeten so vorbereiten konnten, daß er den Zusammenstoß mit dem anderen Raumkörper nicht überstehen würde. Schließlich brauchten sie ihn nur so weit abzulenken, daß er die Ebene seiner Bahn verließ, um ein Grad hochkletterte und dann die Sonne um einen Betrag verfehlte, der etwa der Merkur-Bahn entsprach. Die Sonne war zu weit entfernt, ihr Licht war also nicht mehr und nicht stärker als das eines Sterns. Es war zu schwach, um den namenlosen Planeten zu beleuchten. Seine Form zeichnete sich nur auf dem Schirm des Schiffes ab, das vor den beiden anderen Einheiten im interplanetaren Raum schwebte. „Wie ein riesiger Ball aus schmutzigem Eis", sagte Cliff. „Ich kann nicht glauben, daß wir ihn aus der Bahn werfen können." „Wir können. Denke an unsere Geschütze! Sie sind das Furchtbarste, was unsere Technik seit Jahrhunderten hervorgebracht hat!" warf Mario ein. „Dieser Haufen Geröll ohne Lufthülle aus demselben Material wie Luna und die Erde. Wir brauchen nur zu versuchen, die Kruste aufzubrechen." „Einverstanden. Versuchen wir es." Die Schiffe folgen in Kreisbahnen um den Planeten. Noch einmal wurde sein Kurs nachgerechnet, aber nichts änderte sich an der Tatsache, daß dieser kosmi-
sche Irrläufer genau auf die Sonne zuraste. Nicht auf die Sonne, sondern auf den Punkt, an dem sich die Sonne in den Tagen der Kollision befinden würde. „Wieviel Zeit haben wir noch?" fragte Arlene. Cliff brauchte auf keinen Kalender zu sehen, um die richtige Antwort geben zu können. „Noch siebzig Tage!" In dieser Zeit würde der rasende Namenlose seinen Weg beendet haben und in die Chromosphäre der Sonne stürzen. „Wir können also einige Stunden verschwenden, selbst wenn die Versuche sich als nutzlos herausstellen!" erklärte Vlare. „Ich bin dafür, einen Testbeschuß durchzuführen. Ich wette, der Planet ist noch nicht zu alt." „Zu alt wozu?" fragte ein Mann aus der zweiten Besatzung der ORION. „Wäre er zu alt, würde er keinen glühenden Kern mehr besitzen. So glauben wir, daß die Planetenkruste zwar dicker als die der Erde, trotzdem aber dünn genug ist." „Verstehe." „Ich bin im Werferstand zu finden." Mario verließ die Kanzel, und Cliff brachte die ORION VIII in die richtige Entfernung zum Planeten. Sie sahen nichts; alle Bilder waren nur Linien und Schraffuren auf den Ortungsschirmen. Der Planet schien nicht sehr lange ohne Lufthülle zu sein, denn die Oberfläche zeigte wenige Spuren großer Meteore und kaum Felder erkalteter Lava. Die Crew einigte sich auf eine Stelle, die wie ein Tiefseegraben in einem Meer ohne Wasser aussah. Dann begann Mario mit dem Overkill-Projektor zu arbeiten. Cliff hielt das Schiff, dessen Hülle nach dem ersten Schuß zu vibrieren begann wie eine riesige Glocke, unverrückbar über dem Planeten fest.
Der Overkill-Strahl zuckte hinunter und verwandelte eine Scheibe von einem Kilometer Durchmesser und hundert Metern Dicke in Asche und pulverige Gase. Auf den Schirmen glühte ein Kreis energiereicher Strahlung auf und markierte im Infrarotbereich die Stelle. „Weiter, Mario!" sagte Cliff. „Immer genau auf dieselbe Stelle." Drei Stunden lang. Ein Abschuß nach dem anderen dröhnte auf. Der Strahl, jedesmal um wenige Meter enger gefächert, schmolz eine zylindrische Höhle in die Materie des Planeten. Zehn Schüsse, ein Loch von rund tausend Metern Tiefe, zwei Kilometer, schließlich waren es zehn. „Was sagt die Beobachtung?" fragte Mario ungeduldig und drehte an der Fokussierung des vernichtenden Strahles. „Nichts. Bisher nur eine leichte Erwärmung im Bodenbereich!" erklärte Atan. „Du mußt weiterarbeiten." „In Ordnung." Mario feuerte jetzt eine Serie ununterbrochener Strahlen nach unten. Der Strahl war weitaus stärker gebündelt und durchschnitt die Kruste in kleinerem Durchmesser. Wieder wallten Staub und Gase aus der Grube, die mit jedem Schuß tiefer wurde. Die Zieleinrichtung zeigte de Monti, daß er sich noch immer innerhalb des Zielgebiets befand. Geduldig warteten die anderen Schiffe. Die Mannschaften waren bereit, jederzeit einzugreifen, aber sie kannten McLanes Ungeduld, wenn es um solche schnellen Erfolge ging. Fünf Stunden, nachdem Mario das erstemal das Ziel anvisiert hatte, rief Atan alarmiert: ..... „Aufhören, Mario! Ich habe deutliche Reaktionen!" „Ich habe verstanden,"
Der schwarze Staub der Zerstörung begann aus dem Loch hervorgedrückt zu werden. Die Temperatur am Boden des enger gewordenen Loches stieg rasend schnell an. Und jetzt zeigte sich nicht nur in den Infrarotanlagen ein schneller Temperaturwechsel, sondern im normalen optischen Bereich bildete sich inmitten der gewaltigen Schwärze ein kleiner, dunkelroter Kreis. Cliff brachte das Raumschiff etwas weiter in den Raum zurück und sagte: „Mario! Einen letzten Schuß größter Intensität mit verringertem Durchmesser in die Mitte der roten Fläche." Mario knurrte: „Dreißig Sekunden, Boß!" Er drosselte den Durchmesser auf vierhundert Meter, stellte die Stärke neu ein und drückte dann den Feuerknopf. Wieder dröhnte der Schlag auf, wieder wurde die Schiffszelle erschüttert, und der Strahl zuckte nach unten und brannte in die hellrote Materie ein gewaltiges Loch von vierhundert Metern Durchmesser. Schlagartig wurde die Energie frei. Mit einem gewaltigen Satz wich die ORION seitlich aus und raste dann rückwärts bis zu den beiden wartenden Schiffen zurück. Wieder starrten sämtliche Augen in allen Schiffen auf die Bildschirme. Eine gewaltige Stichflamme leckte aus dem Loch. Zuerst war sie blau und bronzefarben, dann wurde sie blendend weiß, und schließlich erfolgte ein gewaltiger Ausbruch von Gasen, Magma und Lava, Energien und den losgerissenen Brocken aus der Wand des spitzkegligen Loches von mehr als fünfundzwanzigtausend Metern Tiefe. Die Kruste des Planeten brach in einem breiten Spalt auf. „Wächter der Erde!" murmelte Cliff
sarkastisch. „Welch eine Aufgabe! Ich finde, wir sind Hausmeister der Planeten." Schweigend sahen sie zu, wie sich der Ausbruch der Lavamassen vergrößerte. Je mehr der Planet abkühlte, desto dicker wurde die Kruste und desto mehr zog sie sich zusammen. Der Druck im Innern wurde höher, und bisher hatte ein labiles Gleichgewicht geherrscht. Dieses Gleichgewicht wurde jetzt vernichtet, und wenn die rasende Masse des Kleinstplaneten in der Nähe dieser Stelle auftraf, würde die Katastrophe weitaus größer werden als angenommen. „Außerdem können wir noch ein paarmal wiederkommen!" sagte Mario laut, als er in die Kanzel zurückkam. Cliff biß auf seine Unterlippe und murmelte: „Warten wir ab. Wir kennen beide Bahnen, können jede Sekunde abfragen, an welcher Stelle seiner Bahn einer der beiden Körper ist, und falls sich dieser Namenlose nicht vorher auflöst, werden wir ihn an der Sonne vorbeisprengen, ohne daß mehr Schaden angerichtet wird als ein paar unbedeutende planetare Beben auf den inneren Welten." „Das leuchtet ein!" erwiderte Arlene. „Fliegen wir zurück zu unserer guten, alten, unechten Erde." „Oder ähnlich!" Ohne Eile starteten die Schiffe zurück zu einem der Planeten auf der dritten Bahn. Der namenlosen Planet aus fremden Tiefen des Alls verhielt sich wie eine Art brennender Ballon. Aus dem Loch, das immer größer wurde und sich in Rissen und Sprüngen nach allen Richtungen erweiterte, drangen Flammen, Glut und Rauch. Sie verteilten sich im Vakuum des Alls, und der Rauch wurde mitgeschleppt wie eine lange Trauerfahne.
Irgendwann würde vielleicht eine Art Ausgleich stattfinden, oder die Raumkälte würde das Magma erstarren lassen und einen Pfropfen bilden helfen. Und das ist alles, was wir als Hüter der Erde tun sollen? fragte sich Cliff verzweifelt. * Helga Legrelle war zum Schiff zurückgekehrt, als ihr das eingeschaltete und programmierte Funkgerät sagte, daß Menschen das Schiff betraten. Menschen in Raumanzügen. Vermutlich ihre Kollegen. Als ihre Unterhaltungen übertragen wurden, nahm Helga den schweren Wagen und fuhr von ihrer Wohnung zum Sternenschiff. Sie ging hinein und fand ihre Freunde und Kollegen in der Messe versammelt. „Helga! Woher kommst du? Wir..." Sie hob grüßend die Arme und sagte laut: „Ich habe euch gesucht. Ich bin hierher versetzt worden, und ihr seid offensichtlich später als ich gekommen. Erzählt!" Überall lagen die Raumanzüge, in denen die Menschen aus dem Schiff gerissen und hier abgesetzt worden waren. Aus rund vierzig verschiedenen Berichten - einige Erzählungen waren so gut wie identisch - ließen sich einige wichtige Schlußfolgerungen ziehen. Zwischen dem Zeitpunkt, an dem Helga das Schiff verlassen hatte, und dem Beginn der schrecklichen Verwandlungen, riß jene unheimliche Kraft ein Besatzungsmitglied nach dem anderen aus der vertrauten Umgebung. Sie landeten an den verschiedensten Punkten, aber diese befanden sich alle rund um den Carpentaria-Golf. Helga entschied, daß sie alle sich in
der Zukunft befanden, verglichen mit den anderen Freunden. „Hört zu", sagte sie drängend. „Ihr seid seit ein paar Tagen hier und habt alles gesehen und verstanden. Rund um die Basis breitet sich die Seuche aus. Sie kam mit einem Raumschiff von den Sternen." Sie konnten sich ebenso souverän bewegen, ohne daß sie gesehen oder gehört wurden. Aus Nachrichtensendungen hatten sie erfahren, was geschehen war. Dieser Planet, auf dem die Raumfahrt nicht vergessen war, befand sich in heller Aufregung. „Richtig. Ein Fernraumschiff kam. Nicht unser Sternenschiff, eines vom Typ der ORION." „Wann kam es?" erkundigte sich ein Mediziner. „Vor neun Tagen. Einer der Männer ist Virusträger." Helga stand auf und ging aufgeregt hin und her. Schließlich sagte sie: „Wir sind hier, um über die Menschheit zu wachen. Ihr wißt, welche Visionen Vlare und ich hatten. Jetzt besitzen wir die einzige Waffe, mit der wir die Seuche verschwinden lassen können." „Richtig!" schrie jemand aus dem technischen Team. „Wir können uns angeblich durch die Zeit bewegen." „Nicht nur angeblich!" Helga Legrelle war aufgeregt und unsicher. Sie wußte nicht, ob ihr vager Plan funktionieren würde. In großen Umrissen zeichnete sich die einzig mögliche Lösung dieses Problems ab. „Wir müssen das Schiff abfangen, ehe es landet", sagte sie. „Habt ihr die Nachrichten verfolgt? Kennt ihr den gesamten Komplex?" „Ja. Alles ist bekannt." Die Mannschaften hatten zumindest
genügend Zeit gehabt, über alles nachzudenken, was ihnen zugestoßen war. Die Stunden und Tage des Aufenthalts in einer vertrauten, aber bezugslosen Umgebung waren ausgefüllt gewesen mit Überlegungen, wie es weitergehen sollte. Sie hatten die Erde zu retten, und sie besaßen die technische Ausrüstung und das Können dazu. Ob diese Welt ihre Erde war, ob sie sich wohl fühlten und in der Lage waren, sich selbst mit dem Endziel zu identifizieren - das war zunächst zweitrangig. Jedenfalls würde ihnen dieser Einsatz helfen, zu sich selbst zu finden. „In Ordnung", sagte Helga. „Dann sollten wir am besten starten und das Schiff abfangen." Es befanden sich Mitglieder einer jeden wichtigen Abteilung an Bord, selbst ein Pilot. Das Sternenschiff wurde verschlossen, sämtliche Checks durchgeführt, und Stunden später startete es von dem kleinen Raumhafen. Schnell, ungesehen und als Teil eines anderen Bezugssystems. * Die MICHELANGELO sprang aus dem Hyperraum, und selbst der kurze, von einem gesunden Mann kaum wahrnehmbare Übertrittsschock brachte Hamilton fast um. Er hatte sich im Kommandantensessel festgeschnallt, und vor Tagen, als er sich noch richtig bewegen konnte, hatte er alles für diesen Augenblick vorbereitet. Er bewegte einen Kontakt. Ein Bandgerät im Funkpult lief an und stählte seinen Text hinunter in die Richtung der Basis. „ .. .hier Fernschiff MICHELANGELO. Achtung lebenswichtige Warnung. Das Schiff wird automatisch gelandet.
Wir kommen vom Planeten ROGUE Zwei, und die Besatzung ist tot... Wir haben ein tödliches Virus aufgenommen. Niemand konnte sich helfen. Wir starben langsam und mit gewaltigen Schmerzen. Nichts, kein einziges Medikament aus unseren Vorräten konnte eine Wirkung erbringen. Der Text wurde von Commander Pionier Hamilton gesprochen. Es besteht die Chance, daß er noch lebt, wenn das Schiff geöffnet wird. Alles ist für eine leichte Öffnung vorbereitet, nichts ist abgeschlossen. Ich bitte, größte Vorsicht anzuwenden. Mir ist nicht mehr zu helfen, ich werde vermutlich schon tot sein, wenn das Schiff in Basis 104 steht. ... nochmalige Warnung. Das Schiff sollte desinfiziert und mit Hitze behandelt werden. Wir kennen kein Mittel gegen.. .Ende." Der Autopilot der MICHELANGELO war von dem Ersten Offizier programmiert worden, als Mylldon noch lebte und erst die frühen Phasen der Seuche durchmachte. Das Schiff raste auf einer der häufigst benutzten Raumstraßen durch das System, bremste in einer Erdumkreisung die Geschwindigkeit ab und wurde dann in eine Warteposition geschaltet, weil der Trichter im Augenblick nicht frei war. Dieses Schaltsignal kam vom Sternenschiff. Helga ordnete an: „Los! Wir entern den Diskus. Jeder weiß, was zu tun ist." Durch gedankliche Konzentration auf einen präzise definierten Zeitpunkt hatte sich das halbe Hundert der Besatzungsmitglieder ohne jede Mühe durch die Zeit bewegt. Das Schiff mit seinen Insassen verschwand aus der Zeit, in der die Seuche bereits Tausende Opfer gefunden hatte, raste in Gedanken-
schnelle die Zeitlinie entlang und tauchte wieder auf, als das Fernraumschiff zurückkehrte - mit seiner tödlichen Fracht. „Wir sind bereit!" Das Sternenschiff schwebte ruhig in die Richtung des silberschimmernden Diskus, glich die Geschwindigkeit an und zog dann das Schiff, dessen Funkruf noch immer automatisch lief, in die Richtung der Schleuse. Ein Kommando aus sieben Leuten verließ das Schiff. „Hier Legrelle. Wir müssen schnell handeln!" sagte sie. „Ehe die Schiffe von Terra starten." „Verstanden." Die Mitglieder des Teams waren durch dünne Sicherungsseile miteinander verbunden. Magnetische Trossen spannten sich jetzt zwischen den Schiffen, als Helga und ihre Leute sich abstießen und hoch über der strahlenden Erde zur Notschleuse schwebten und die Platte öffneten. „An die einzelnen Plätze!" sagte Helga über Funk. „Ich rufe Sternenschiff." „Hier!" „Bereitet den Laderaum und die Spezialschleusen vor. Alles ganz nach Plan!" „Alles klar, Chefin." Nacheinander verschwanden die Raumfahrer in dem kleineren Schiff. Jeder von ihnen hatte einen präzise beschriebenen Auftrag. Der Maschinenraum wurde besetzt, die Schaltungen durchgeführt. Ein zweiter Mann dokumentierte den Zustand des Schiffes, filmte die schwärzlichen Leichen in den Kammern und den eingeschweißten Leichnam in dem Kühlraum. Ein anderer Mann programmierte einen speziellen Kurs - er war es, der die Erde rettete. Der nächste präparierte den Auto-
piloten. Helga selbst drang in die Steuerkanzel ein und fand dort den Mann, der über der Zentralen Bildplatte, an den Sessel gegurtet, zusammengebrochen war. Im schweren, strahlengeschützten Raumanzug untersuchte ihn Helga, und als sie sich wieder aufrichtete, murmelte sie leise: „Er ist tot. Das erleichtert unser Vorgehen." Sie wandte sich zum Funkpult, schaltete die laufende Sendung aus und schob das vorbereitete Band in die Abspielschlitze. Dann stellte sie sorgfältig die Uhr ein und löste den Kontakt. „Ich bin fertig!" sagte sie. „Ist die Steuerkanzel dokumentiert?" Aus den Lautsprechern drang das Murmeln von Fragen, die von der Erdbasis gestellt wurden. Niemand antwortete. Noch nicht. „Ich komme." Das Team untersuchte das Schiff, überspielte den Speicherinhalt auf die Bänder des Sternenschiff-Komputers, registrierte die mitgebrachten Proben und hütete sich, selbst den kleinsten Gegenstand einzustecken und mitzunehmen. Dieses Schiff war verseucht und eine tödliche Gefahr für sie alle. Und darüber hinaus für diese Erde und die anderen Kolonialwelten. Zwei Männer mit einer tragbaren Kamera kamen herein und begannen, den Zustand der Kanzel im Bild festzuhalten. Wieder knackte es in Helgas Helmempfänger. „Wir verlassen das Schiff. Zwei Mann. Wir haben die Maschinen durchgesehen und den Autopiloten eingestellt." „In Ordnung", erwiderte Helga. „Wartet in der Sicherheitsschleuse auf die anderen." Sie wünschte sich, daß Cliff und die Freunde hier wären. Vermutlich würden
sie dieses Problem besser und schneller lösen. Aber es mußte auch so gehen. Sie sagte ins Mikrophon: „Achtung, an alle. Wir sollten das Schiff, die MICHELANGELO, verlassen. Es wird mir unheimlich." „Nicht nur dir!" Sie zogen sich langsam zurück, schwebten mit ihrer Ausrüstung aus der Notschleuse hinaus und hinüber zum Sternenschiff. Die Uhren tickten, und schließlich rastete ein Kontakt ein. Der Autopilot übernahm die Steuerung des Diskusschiffes, schaltete die Maschinen ein und ließ das Schiff in dem Augenblick zur Seite driften, als sich die Magnettrossen lösten. Helga hakte ihre Sicherheitsleine als letzte an den Haltegriff der Spezialschleuse ein und sah hinüber. Der Diskus, auf dessen Wandung die schwarzen Ziffern und Buchstaben glänzten, entfernte sich immer mehr vom Sternenschiff, dann wurde das Schiff schneller und flog eine Kurve. Eine Sekunde lang blitzte es auf, als sich das Sonnenlicht spiegelte. Dann erfolgte ein starker Energieausstoß, und die MICHELANGELO raste davon, vom Autopiloten gesteuert. Sie befand sich binnen weniger Sekunden auf einem exakten Sonnenkurs; sie würde in zwanzig Minuten in voller Fahrt in der Sonne verschwinden. Dort würde nicht nur das Schiff vernichtet werden, das ein Grab für sieben Männer geworden war, sondern auch die Sporen der tödlichen Seuche, die sich überall im Diskus ausgebreitet Dreißig Sekunden später schaltete sich hatte. das Funkgerät ein. Die Bandschleife lief ab. Der Text, den die Menschen auf der zeitversetzten Erde empfangen würden, stammte von den Raumfahrern.
Sie hörten ihn, als sie in der Schleuse standen und von Strahlenschauern gebadet wurden. „... Hier spricht die Besatzung des Sternenschiffs. Wir haben soeben das Schiff MICHELANGELO geentert und auf Sonnenkurs gebracht. Sämtliche Raumfahrer sind der Seuche erlegen. Wir kamen aus der Zukunft und mußten in die Vergangenheit zurückgehen, um das Schiff abzufangen. Die Seuche wird also nicht auftreten, und das Fernschiff wird vermißt bleiben. Wir wiederholen: Dies war eine Rettungsaktion, die durchgeführt wurde, um die Erde und die Planeten zu retten. In der Zukunft, aus der wir kamen, hatte dieses Virus die Erde entvölkert und in eine Welt verwandelt, in der nur noch die Flora existierte. Hier sprach die Besatzung des Sternenschiffs und die ORION-Crew." Die schweren Raumanzüge wurden mit Giftgasen, mit Kälte und Hitze behandelt, aus Düsen nebelten giftige Flüssigkeiten und vernichteten jedes biologisch aktive Molekül, das sich an der Außenseite befunden haben mochte. Ununterbrochen wiederholte sich der Text des Funkspruchs. Schließlich, als die Besatzung ins Schiffsinnere zurückkehrte und die Reste der Flüssigkeit verdampft und ins All abgeblasen wurden, riß der Funkspruch ab. Das Schiff ist verglüht, dachte Helga. Und was können wir jetzt tun? Sie flogen zurück zur Erde und landeten auf dem Platz, den sie verlassen hatten. Niemand bemerkte sie, aber sie erkannten, daß beträchtliche Aufregung herrschte. Die Seuche, deren Wirkung sie kennengelernt hatten, war erst gar nicht aufgetreten. Sie würden es merken, wenn sie sich wieder entlang der
Zeitlinie bewegten. * Mitten in der Nacht erwachte Helga. Sie wußte nicht, was sie geweckt hatte. Augenblicklich war dieses Gefühl wieder da, das sie seit dem Start ins Zentrum der fremden Galaxis nicht losgelassen hatte. Helga Legrelle stand auf, rieb sich mit den Fäusten den Schlaf aus den Augen und ging an die offene Panoramatür ihrer Wohnung. Sie stellte sich die drei verschiedenen Planeten vor, die an derselben Stelle dreimal existierten, wie drei riesige Ballons, die ineinander aufgeblasen wurden. Ein fernes, donnerndes Geräusch lag in der Luft. Helga erschauerte. „Etwas ist anders!" sagte sie leise. Es war etwas ganz anders geworden. Die Wirklichkeit war für Helga deutlicher geworden. Alle Teile dieser Nacht schienen plötzlich näher gekommen zu sein. Der wispernde Wind ebenso wie die Sterne. Die Lichter und alle anderen Geräusche, die von ringsum kamen. Das Donnern und Rauschen wurde lauter und schärfer. Ein landendes Schiff! Helga begriff nichts mehr. Konnte es sein, daß sich tatsächlich etwas verändert hatte? Oder existierte dies alles nur in ihrer Phantasie? In der gleichen Sekunde ertönte ein scharfer Pfiff. Helga wirbelte herum und griff nach dem Armbandgerät. Sie alle ließen vierundzwanzig Stunden am Tag dieses Gerät eingeschaltet; was auch immer sie unternahmen. Helga hob das Band hoch und flüsterte scharf: „Legrelle hier. Wer ruft?" „Hier ist Dick, der Pilot. Ich bin eben
aufgeweckt worden. Sieh einmal auf den Kalender!" Helga tat es. Ohne daß sie etwas dazugetan hatten, waren Dick und sie wieder in der Zeit versetzt worden. „Ich sehe. Was ist mit den anderen?" Dick murmelte unglücklich: „Sie sind sicher, daß wir uns nicht mehr auf der Welt befinden, auf der wir gelandet sind." „Ich würde sagen, das ist unmöglich", gab Helga zurück, „Aber es ist wohl alles möglich." Eine zweite Stimme mischte sich in die Unterhaltung. „He, Freunde! Unser Schiff! Ich sehe gerade hinüber zum Hafen - es ist weg!" Das laute Geräusch änderte sich jetzt. Es wurde ein donnerndes, jaulendes Toben. Helga rief laut: „Aber eben landet ein Schiff. Dem Geräusch nach ist es kein Diskus!" Vollständige Verwirrung herrschte. Dann lehnte sich Helga über die Brüstung und blickte in den Himmel. Die Sterne! Es waren andere Sterne. Die Konstellationen waren ihr bekannt. Es waren die Sterne der Erde. Und zwischen diesen Sternen sah sie ein gewaltiges, flammendes Feuerwerk. „Jetzt bin ich verrückt!" murmelte sie laut und schloß die Augen.
8. Cliff drehte sich unruhig herum und wandte sich an Commander Prac'h Glanskis. Der Raguer lag zwischen den Sesseln und warf hin und wieder einen Blick auf die Bildschirme. „Es war eine gute Idee, sich zu vergewissern", sagte er grollend. „Und ich sage dir, Cliff, wir sind noch immer nicht vor erschütternden Über-
raschungen sicher." Die Beiboote waren eingeschleust. Der Augenblick, an dem sich beweisen sollte, ob die ORION-Leute die Erde gerettet hatten, kam näher. Dreimal hatten die Raumfahrer noch eingegriffen. Zweimal hatten sie, nachdem der Kleinstplanet die Sonne umrundet hatte, seine Geschwindigkeit gesteigert. Außerdem war seine Drehung beseitigt worden, so daß jetzt die Spitze des Keils nach vorn wies und zuerst in den Planeten ohne Namen einschlagen würde. Der Planet raste heran. Noch immer tobte ein Fünftel seiner Oberfläche und hatte sich in eine rotglühende, schwarzgeäderte Fläche verwandelt, „Du meinst, es wird etwas geschehen, wenn wir unsere Pflicht getan haben?" fragte Mario gespannt. „Genau das meine ich!" erklärte Prac'h. „Nun, unsere Pläne stehen fest. Warten wir auf die Entscheidung, der ja doch nicht mehr auszuweichen ist," Sei warteten. Noch immer hatten sie keinerlei Nachricht von Helga. Alle Versuche, sie auf dem Funkweg zu erreichen - schließlich hatten Arlene und Prac'h sie gesprochen -, waren fehlgeschlagen. Und noch immer gab es keine Klarheit über die drei Planeten, die sich als Erde präsentierten. „Sind wir nicht zu nahe heran?" flüsterte Arlene. „Nein. Es kann nichts geschehen!" versicherte Atan. „Außerdem laufen die Maschinen. Wir sind sofort in Sicherheit." Den Hintergrund bildete der schwarze, sternenarme Hintergrund. Der namenlose Planet und der Kleinstplanet Grünschildt würden sich etwa auf der Marsbahn treffen, aber die beiden
beiden Planeten, die diesen Namen beanspruchten, befanden sich an anderen Punkten ihrer Umlaufbahn. Sowohl Grünschildt als auch der eindringende Planet waren deutlich zu sehen, auch die lange Wolke aus Ruß und Gasen, die hinter ihm herzog. Im Schiff wurde gewettet - brach der Namenlose auseinander oder nicht? „Achtung!" sagte Cliff in die Rundspruchanlage. Die gesamte Schiffsbesatzung stand oder saß vor den Schirmen. Bisher hatte die Erdbevölkerung nicht eingegriffen. Nur die Kommentare waren von Tag zu Tag aufgeregter geworden. Nicht ein einziges Raumschiff hatte sich, abgesehen von den drei Schiffen der Raumfahrer, in der Nähe dieses kosmischen Treffpunkts gezeigt. „Ich glaube, unsere Schützlinge haben nicht einmal ein Teleskop auf diesen Punkt gerichtet!" beschwerte sich Shubashi. „Das ist nicht unsere Erde, Freunde!" tröstete Cliff. Sie schwiegen und betrachteten die Bilder auf den Schirmen. Es gab keine bessere Beobachtungsmöglichkeit. Schnell und lautlos, halb ausgeleuchtet und in einen Keil aus angestrahlten Felsspalten und tiefen Schatten verwandelt, mit drohend nach vorn gerichteter Spitze, raste der kleine Planet von links nach rechts heran. Langsamer, aber überzeugend durch seine riesige Masse und drohend in Rauch und Flammen gehüllt, schob sich der Namenlose von rechts nach links. Die Entfernung zwischen beiden Körpern schrumpfte zunächst scheinbar nur langsam, dann immer schneller zusammen. „Kameras einschalten!" rief Cliff. Auf den Schirmen waren die beiden
kosmischen Geschosse nur noch wenige Handbreit voneinander entfernt. Die Zuschauer verkrampften sich; jetzt konnten sie nichts mehr tun, nichts mehr unternehmen oder korrigieren, sondern nur zusehen und hoffen. Unaufhaltsam näherte sich die Spitze des Keils der gewaltigen Rundung. Der riesige Felsen passierte zunächst einmal einen Teil des Bildes, eine dramatische Pause entstand, und dann schlug die Spitze ein. Sie bohrte sich tief in die aufbrechende Kruste des Planeten, riß sie wie eine gewaltige Pflugschar auf, dann loderten Flammen aus den Schnittstellen. Der Planet begann zu beben. „Schaffen wir es?" flüsterte Mario und starrte den Planeten an. „Mit Sicherheit!" sagte Cliff. „Seht das Gradnetz an!" Der Felsenkeil blieb mit der Spitze stecken, das dickere hintere Ende hob sich, der Keil überschlug sich entlang der Längsachse und riß die Spitze wieder aus dem Planeten heraus. Wieder bebte der Planet, riesige Fetzen Magma wurden weggeschleudert, und gewaltige Blitze zuckten nach allen Seiten. „Der Planet ist tatsächlich abgelenkt worden!" sagte Vlare. „Das lassen wir die Maschinen ausrechnen!" ermahnte ihn Mario. „Sie haben schärfere Instrumente als wir." Ein zweites Mal schlug der Felsen ein, spaltete sich in mehrere Teile und riß ein kleines Gebirge der Länge nach auf. Flammen, Rauch und Glut kennzeichneten den neuen Einschlag. Die Spalten verbreiterten sich und wurden länger. Dann verwandelten sich die Reste von Grünschildt in einen riesigen Hagel aus Gestein, hämmerten in die wasserleere Fläche eines Meeres und kamen nach einem rasenden, lawinenartigen Lauf zur
Ruhe. „Vorbei!" sagte Hasso knapp. Der Planet bebte unausgesetzt. Aus den zahllosen Spalten sickerten breite Bänder Lava. Das Bild wurde getrübt, als schwere, fette Rauchschwaden ausbrachen und dicht über der verwüsteten, brennenden Oberfläche dahinkrochen. „Mario?" sagte Cliff, als der Planet nach links aus den Schirmen zu verschwinden begann. „Ja?" „Wie lautet die Aussage des Komputers?" Mario riß das Blatt ab, hob es hoch und las vor, was die Analysen von Ortungen, Messungen und Rechnungen ergeben hatten. „Der Planet ist also um mehr als ein Grad abgelenkt worden!" stellte Atan fest, „und zwar nachweislich." „Wir haben also unsere Aufgabe erfüllt." Langsam flog das Sternenschiff los. Einige Minuten lang bewegte es sich auf einem parallelen Kurs zum Planeten, dessen Beben noch immer anhielten, und der sich langsam aufzulösen begann. Die Messungen der Instrumente, von den Rechenmaschinen überwacht und ausgewertet, hatten den Erfolg bestätigt. Vielleicht hatte sogar jemand von den bewohnten Planeten in der Nacht in den Sternenhimmel geblickt und dieses astronomische Feuerwerk gesehen. „Freunde", sagte Cliff nach einer Weile, „wir haben unsere Aufgabe erledigt. Für eine Erkaltung der Sonne oder der Erde erkennen wir keinerlei Zeichen." „Was geschieht nun?" fragte Arlene. Die Aktionen waren vorbei; jetzt,, begann wieder das Warten, jetzt fingen wieder die Tage des Nachdenkens und
der Unsicherheit an. „Wir fliegen zur Erde und landen. Wir kümmern uns am besten um Helga und den Rest der Mannschaft." „Das ist", erklärte Hasso mit einem kurzen, hoffnungsvollen Lachen, „eine ebenso schwierige Arbeit, wie diese es war." „Wir haben Zeit", beruhigte ihn Mario. „Unsere Bezüge laufen auf der Erde natürlich weiter." „Auf welcher Erde?" wollte Vlare wissen. Niemand antwortete ihm. Das Sternenschiff wurde schneller und änderte seinen Kurs. Der auseinanderplatzende Planet ohne Namen, der die Sonne in eine ausbrechende Nova hätte verwandeln können, wich um ein Grad aus seinem geraden Kurs ab. Auf eine Entfernung von mehreren Astronomischen Einheiten ergab dies eine Entfernung von der Sonne, die groß genug war, die Gefahr restlos zu beseitigen. Die Erde war gerettet. Welche Erde? * Das Sternenschiff tauchte in langsamem Flug in die Erdatmosphäre ein. Cliff hatte das dringende Bedürfnis, in seiner eigenen Wohnung zu schlafen. Vielleicht fand er auf der Erde mehr heraus. Plötzlich schlug Atan Shubashi mit der flachen Hand auf das Pult und rief: „Cliff. Sieh auf den Schirm! Der Himmel!" Cliff blickte hoch und sah zunächst, daß sich die Anzahl der Sterne vergrößert hatte. Dann kniff er die Augen zusammen und erkannte langsam, daß es nicht nur mehr Sterne gab, sondern daß er einzelne Konstellationen kannte. Er
sah das Gewimmel der fernen Sonnen an und schwieg. „Ich habe begriffen!" sagte er schließlich. Wieder veränderte sich die Welt um sie herum. Die Sterne waren jetzt diejenigen, die sie von der Erde aus kannten. Cliff begann noch unruhiger zu werden. Wie ließen sich diese Vorkommnisse mit all dem vereinbaren, was sie bisher erlebt hatten? Das Schiff glitt tiefer und tiefer und schlug einen Kurs ein, der es nach Carpentaria bringen würde. Arlene setzte sich neben den Commander auf die Sessellehne und erkundigte sich nachdenklich: „Wenn es nicht zu optimistisch wäre", schlug Shubashi vor, „dann könnten wir hiermit annehmen, daß wir auf die eigentliche Erde zurückgekehrt sind. Aber das ist ausgeschlossen." „Das denke ich auch. Wir werden uns jedenfalls jetzt der Einrichtung von Basis 104 bedienen. Falls es dort eine solche Basis gibt." Australien kam in Sicht. Das Mondlicht spiegelte sich auf den endlosen Wasserflächen rund um die riesige Insel. Das Sternenschiff wurde von Cliff auf dem kleinen Raumhafen gelandet, den er als Reservehafen kannte. Dann schaltete er nacheinander sämtliche Aggregate aus und sagte: „Es ist Nacht. Versuchen wir, unsere Wohnung zu erreichen und auszuschlafen. Und morgen erledigen wir, was wir noch tun müssen." Er verließ als erster das Schiff. Er wußte, daß sie neben den Menschen der Erde leben und existieren konnten, ohne daß jemand sie sehen würde. Aber als er den Fuß auf den warmen Beton des Platzes stellte, sah er die Scheinwerfer der Turbinenwagen, die von allen
Seiten kamen, aufblendeten und schließlich in einem Halbkreis um das Schiff bremsten. „Vlare! Prac'h!" murmelte Cliff. „Wir werden empfangen!" Aus einem der bremsenden Fahrzeuge sprang eine schlanke Gestalt und schrie laut: „Mario! Cliff! Hier ist Helga. Die anderen sind auch hier." Mit hohler Stimme rief Atan Shubashi: „Das ist die Mannschaft! Das ist unser Team! Sie sind alle da!" Von allen Seiten stürzten die Raumfahrer aufeinander zu. Eine gewaltige Begrüßung begann. Als sich das Geschrei und die Freudenausbrüche gelegt hatten, sagte Helga: „Es sind erstaunliche Effekte aufgetreten, Cliff. Als wir die Seuche durch den Zeittrick besiegt hatten, hat sich die Parallelerde geändert. Die Sterne. Alle Eindrücke. Alles ist dichter geworden." „Dasselbe ist passiert", berichtete Hasso Sigbjörnson, „als wir die Nova verhinderten." Zweimal war die Illusion verändert worden. Zweimal war aus der Parallelwelt so etwas wie die Wirklichkeit geworden. Es schien unmöglich zu sein, aber aus drei Illusionen kondensierte sich die Erde. Oder ein Modell der Erde, das sie akzeptieren konnten. „Wir konnten.“ „Wir sind hier, um auf diese Erde aufzupassen", erklärte Cliff. „Ich habe die Gewißheit, daß dieser Planet, der sehr weit von unserer Heimat entfernt ist, an einem anderen Zeitpunkt sich in die wirkliche Erde verwandelt. Das kann, nach allem was wir erlebt haben, nicht unmöglich sein." Jedenfalls hatten sie alle, jede einzelne Frau und jeder Mann der ganzen Besatzung, das undeutliche Gefühl,
wieder in die Heimat zurückgekehrt zu sein. Dies war die Heimat. Vor zwei Gefahren, die existenzbedrohend waren, hatten die Raumfahrer den Planeten und das System gerettet. „Ich habe nachgesehen, Cliff - und ihr alle. Es gibt auf jeder Planetenbahn seit der Kollision nur noch einen Planeten." „Auch das überrascht mich nicht mehr!" gab der Commander zu. Ob es nun die Erde war oder ihr Parallelplanet - es war im Augenblick gleichgültig. Sie hatten diese Welt als Heimat anerkannt und würden sie auch verteidigen, wie es die früheren Raumfahrer gewollt hatten. Alles begann mit Projekt Perseiden, schlug einen gigantischen Kreis durch Raum und Zeit und endete wieder hier. Die Mannschaft schwieg einige Sekunden lang und ließ dieses neue Gefühl in sich einströmen. „Wir sind müde und erschöpft. Treffen wir uns morgen am frühen Nachmittag wieder hier!" erklärte Cliff. „Einverstanden." Das Schiff würde niemand betreten. Es gab noch viele Fragen, aber sie würden sich so aufklären, Schritt um Schritt, wie bisher. Die Menschen, die Planeten und die Raumkugel mit ihren Kolonien, schließlich die wenigen Entdeckungen von Projekt Perseiden ... das war das Gebiet, das die Raumfahrer als Wächter der Menschheit und Hüter der Erde beschützen und sichern würden. Dafür besaßen sie die Fähigkeit, sich von Dimension zu Dimension zu schwingen und, sicher nur innerhalb be-
stimmter Grenzen, entlang der Zeitlinie zu bewegen. Cliff legte seinen Arm um Arlenes Schultern und sehnte sich plötzlich nach der intimen Ruhe seiner Wohnung. „Los!" sagte er. „Gehen wir. Alles andere morgen." Er verabschiedete sich von der Crew, sah zu, wie Prac'h zu Helga in den Wagen sprang, dann ließ sich Cliff von Sligo zu dem Wohnturm bringen, in dem die leere Wohnung auf ihn wartete. „Wir sind zu Hause!" erklärte er leise. „Der erste Blick morgen wird auf die See hinaus sein." „Wir sind an den Ursprung zurückgekehrt, Aber jetzt beginnt erst unser wirkliches Leben!" meinte Arlene. Ihr größtes Abenteuer ging zu Ende. Sie wußten nicht, wie lange sie die Wächter der bedrohten Erde sein würden, aber zweifellos lange Zeit. Unsterblichkeit - sie war ihnen nicht beschieden. Neue Abenteuer würden für sie beginnen, aber sie waren am Anfang und am Ende ihrer kosmischen Laufbahn angekommen. Ihr Weg hatte sie über viele Stationen zurück zur Erde geführt, und hier würden sie bleiben. Und vielleicht würde sich eine Chronik schreiben lassen von den Hütern des Planeten und ihren Versuchen, ihre Heimat zu schützen und die Keimzelle des kosmischen Menschen zu sichern. Die Geschichte der Abenteuer, der vielen Abenteuer der ORION-Crew aber, diese Geschichte ist beendet.
ENDE