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Neuer Roman
G.F. UNGER
Der erfolgreichste Western-Autor deutscher Sprache
Hope City
Bastei Lübbe
G.F. UNGER Ei...
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1
Neuer Roman
G.F. UNGER
Der erfolgreichste Western-Autor deutscher Sprache
Hope City
Bastei Lübbe
G.F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G.F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller Deutschlands. BASTEI-LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine neuesten Romane.
Hope City In einem einsamen Tal fanden wir den Rest einer ehemaligen Pilgrimsherde: zweihundert wilde Longhornrinder. Ohne Ziel und chancenlos nach einem verlorenen Krieg, ließen wir uns von einem alten Armeescout dazu überreden, die Herde nach Hope City ins Goldland zu treiben, um dort das ganz große Geld dafür zu kassieren. Dass Hope City keine Stadt der Hoffnung war, sondern ein verdammt blutiges Teufelsnest, ahnten wir nicht Die Townwölfe raubten uns aus, nachdem wir die Herde mit Gewinn verkauft hatten. Aber inzwischen besaßen wir Übung darin, dem Teufel ins Maul zu spucken, und als wir zu kämpfen begannen, erwachte auch die Stadt aus ihrer todesähnlichen Starre ...
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH
Band 45 231
1. Auflage: Dezember 2000
Vollständige Taschenbuchausgabe
Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der
Verlagsgruppe Lübbe
Originalausgabe
All rights reserved
© 2000 by
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,
Bergisch Gladbach
Lektorat: Will Platten
Titelillustration: Salvador Faba /Norma Agency, Barcelona
Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg
Satz: Fotosatz Steckstor, Rösrath
Druck und Verarbeitung:
AIT Trondheim AS, Norwegen
Printed in Norway
ISBN 3-404-45231-3
Sie finden uns im Internet unter
http://www.bastei.de
oder
http://www.luebbe.de
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
1
Es war ein wunderschöner Morgen. Durch die offenen Fenster des einst so noblen Herrenhauses der einstigen Baumwollplantage kam die frische Morgenluft herein. Und ich lag in einem wunderschönen Bett und hielt die wunderschöne Patricia im Arm. Ja, alles war wunderschön. Ich konnte keinen anderen Ausdruck für mein Glück finden. Als Satteltramp in meiner zerschlissenen Uniform war ich hergekommen, hatte eigentlich nur mein Pferd tränken und einen Happen zu essen bekommen wollen. Und dann ... Nun, ich war jetzt eine Woche hier. Und alles war wunderschön. Ich konnte dies nur immer wieder in meinen Gedanken wiederholen. Es gab kein besseres Wort für meine Situation. Patricia schnurrte in meinem Arm wie eine Katze. Doch dann war sie plötzlich wach und rollte sich aus dem Bett. Sie ging zu einem der Fenster – und ich konnte sie wieder einmal mehr in ihrer ganzen Schönheit bewundern. So wie mir musste es dem sagenhaften Paris, dem Prinzen von Troja, ergangen sein, als er Venus sah.
Nackt wie sie war, beugte sich Patricia weit aus dem Fenster und blickte nach Osten, wo die Sonne hochgekommen war. Ich wusste, sie hatte einen meilenweiten Blick über das weite Land mit den Baumwollfeldern, die nicht mehr geerntet wurden, obwohl die Pima-Baumwolle, die hier wuchs, die beste war auf dieser Erde. Aber die Sklaven waren ja keine Sklaven mehr, sondern frei. Und so liefen sie weg in die Freiheit, von der sie noch nicht ahnen konnten, wie hart und gnadenlos sie sein würde. Vielleicht würden einige von ihnen eines Tages zurückkommen. Nun, ich sah also auf Patricia und genoss den Anblick ihres herrlichen Körpers, wenn es auch nur dessen Rückseite war. Doch dann fragte ich mich endlich, was sie so plötzlich aus dem Bett, aus meinem Arm und zum Fenster getrieben hatte. Das war ungewöhnlich. Denn sonst war ich es, der zuerst aufstand. Sie verharrte fast eine volle Minute am Fenster, sich dabei weit hinauslehnend. Und so begriff ich, dass sie in der Ferne etwas sah und beobachtete, sich noch nicht sicher war und deshalb noch wartete, bis es keinen Zweifel mehr geben konnte. Doch dann wandte sie sich mir zu. Nun sah ich sie von vorn und wünschte mir, dass sie wieder zu mir ins Bett kommen würde.
Doch sie sprach mit spröder Stimme: »Mein Mann kommt endlich heim. Er ist noch etwa eine knappe Meile entfernt. Aber ich konnte ihn gut genug erkennen. Ich weiß ja, wie er im Sattel sitzt. Und er reitet immer noch seinen grauen Wallach. Er kommt heim. John Hays, jetzt musst du deinen Skalp retten. Denn er hat zwei seiner besten Männer bei sich, die wie er den verdammten Krieg überstanden haben. Ich werde ihm sagen müssen, dass ich mich gegen meinen Willen in deiner Gewalt befand. Denn sonst tötet er mich.« Als sie spröde verstummte, da jagten sich meine Gedanken. Sie hatte mir gesagt, dass ihr Mann, Colonel Jack Howell, in einer Schlacht gefallen und sie Witwe sei. Doch sie hatte mich angelogen. Ich hatte ihr gefallen, und sie war gewiss schon zu lange ohne Mann gewesen. Nur so konnte es gewesen sein. Sie hatte sich auf der verlassenen Plantage im großen Herrenhaus verlassen und allein gefühlt. Und sie war eine Frau, die nur dem Augenblick lebte, nicht zurück und auch nicht nach vorn schaute. Dies wurde mir nun klar. Ich sprang aus dem Bett und trat neben der schönen Patricia ans Fenster.
Ja, in der Ferne kamen drei Reiter. In der klaren Morgenluft waren sie gut zu erkennen. Sie trugen noch die Uniformen der Konföderiertenarmee. Einer ritt eine Pferdelänge voraus auf einem großen, grauen Pferd. Und er saß wie ein Mann im Sattel, der andere Männer anführte und Befehle gab. In der Wohnhalle des Hauses hing sein Bild. Es stellte ihn als Colonel dar. Es war damals in der Konföderiertenarmee leicht, den Rang eines Colonels zu erwerben. Man musste nur mit eigenen Mitteln ein Freiwilligenregiment aufstellen und sich an die Spitze dieses Regiments setzen. Das taten damals viele der reichen Plantagenbesitzer und Sklavenhalter. Sie mussten mit allem, was sie hatten und besaßen gegen die Union kämpfen. Ich stand also neben Patricia und sah nach Osten auf die drei Reiter. Deren Pferde waren erschöpft. Sie kamen im Schritt angeritten, konnten ihre Tiere nicht mehr traben lassen. Ich hatte also etwas Zeit. So schnell waren sie nicht hier. Und so wandte ich mich Patricia zu, die nackt vor mir stand. Aber das war mir nun nicht mehr bewusst. Sie sagte: »John, es ist alles einmal zu Ende. Finde dich damit ab und rette deinen Skalp.
Jack Howell wird es schnell erfahren. Auch ich muss meinen Skalp retten. Hau ab!« Sie sprach die beiden letzten Worte hart und scharf. Ich sagte nichts mehr, nickte nur. Dann begann ich mich anzukleiden. Doch es war nicht meine alte Uniform mit den Rangabzeichen eines Lieutenants der Konföderiertenarmee, die ich anzog. Patricia hatte mir schon vor einigen Tagen Kleidung ihres Mannes angeboten. Ich hatte eine große Auswahl gehabt. Indes ich mich ankleidete, dachte ich darüber nach, wie schnell Colonel Jack Howell alles erfahren würde. Das konnte sehr schnell der Fall sein. Denn in den verlassenen Hütten der vielen Sklaven lebten noch einige alte Frauen und Männer, die nicht fortgegangen waren und auf die Rückkehr ihres Herrn warteten. Sie waren ihrem Herrn gewiss immer noch treu ergeben, und einer von ihnen, der eine Art Unteraufseher gewesen war, würde seine Treue beweisen wollen. Ja, ich musste verdammt schnell weg von hier. Zum Glück hatte sich mein Pferd prächtig erholt und konnte einen harten und langen Ritt wieder durchhalten. Ich war also sicher, dass ich entkommen konnte. Auch Patricia hatte sich inzwischen angekleidet. Nun sah sie wieder wie eine seriöse Lady des Südens aus, deren Kaste der
Plantagenbesitzer und Sklavenhalter sich so aristokratisch gab wie im alten Europa die Fürsten und Grafen. Ich staunte wieder einmal mehr über diese Frau. Gleichzeitig war in mir Bitterkeit. Warum hatte sie mir nicht gesagt, dass ihr Mann vielleicht eines Tages zurück kommen würde? Und so sagte ich: »Pat, wenn er dich davonjagen sollte, dann komm nach Westen. Denn irgendwo im Westen – mag es Texas, New Mexiko oder Arizona sein, da könntest du mich finden und wieder mit mir im Bett liegen.« Ja, ich sagte es bissig, wütend und ziemlich böse. Aber sie lächelte nur und erwiderte: »Rette lieber deinen Skalp, John Hays. Denn ich muss Jack Howell sagen, dass ich gegen meinen Willen in deiner Gewalt war. Und er wird mir glauben.« Ich hörte nicht mehr länger zu, sprach auch kein Wort mehr, sondern machte, dass ich hinunter und in die Stallungen kam, wo mein Rotfuchs stand. Ich ritt dann in Deckung der Gebäude und des Herrenhauses davon, indes die drei Reiter die Hütten der einstigen Sklaven erreichten. O ja, ich war mehr als nur wütend.
Denn wenn die drei Reiter in einer Nacht gekommen wären und mich mit Patricia im Bett überrascht hätten ... Aber dann erinnerte ich mich wieder daran, wie Patricia plötzlich erwachte, aus dem Bett stieg und zum Fenster trat. Sie hatte sich offenbar auf ihren Instinkt verlassen. Was für eine Frau. Sie war eine zweibeinige Katze. Und Katzen taten stets was sie wollten.
Nun, ich ritt also nach Westen und war ein armer Hund, wie man so sagt, wenn man abgebrannt ist. Ich besaß nur mein Pferd, meinen Revolver und zum Glück recht gute Kleidung. Ich musste nicht in meiner alten, abgenutzten grauen Uniform reiten, um nach einer Chance zu suchen. Denn eine Chance brauchte ich. In meinen Taschen war kein einziger Yankeedollar. Das ehemalige Südstaatengeld galt nichts mehr. Und so gehörte ich trotz meiner guten Kleidung zum Strandgut des Krieges wie so viele Tausende. Ich blieb den ganzen Tag im Sattel und blickte immer wieder auf meiner Fährte zurück, folgte einem Wagenweg nach Westen. Es waren außer mir auch noch andere Reiter unterwegs, auch Wagen und sogar Fußgänger, die
als Infanteristen durch den ganzen Krieg marschiert waren und jetzt nach Hause oder irgendwohin sonst marschierten. Wir von der Kavallerie hatten es besser. Denn wir waren einst auf unseren eigenen Pferden zur Konföderiertenarmee geritten, und so konnte General Lee bei der Kapitulation aushandeln, dass wir auf unseren Pferden heimreiten durften, die ja von Anfang an unser Eigentum gewesen waren wie unsere Stiefel oder Hüte oder andere Dinge. Als es Abend wurde, erreichte ich eine kleine Stadt, vor der einige Dutzend abgerissene Gestalten lagerten. Es waren Kriegsveteranen der Konföderation, Heimkehrer oder Burschen wie ich, die nach einer Chance suchten. Doch die Bürger der Stadt bewachten alle Zugänge, ließen niemanden herein. Und so lagerten vor der Stadt an die drei Dutzend von unserer Sorte. Sie hatten ein Longhornkalb abgehäutet und ausgenommen, drehten es an einem Pfahl über der Glut eines Feuers und warteten mit knurrenden Mägen darauf, dass sie sich bald Stücke davon abschneiden konnten. Als ich bei ihnen hielt, da starrten sie mich böse und abweisend an. Einer sagte knurrig: »He, was willst du? Du siehst so nobel aus, kannst keiner von unserer
Sorte sein. Dich lassen sie gewiss in ihre verdammte Stadt. Also reite weiter.« Doch ich schüttelte den Kopf. »Muss ich euch erst meinen Entlassungsschein zeigen?« So fragte ich grimmig. Aber einer der am Boden hockenden Burschen sagte in die drohende Stille: »He, den kenne ich, Jungs! Den sah ich schon mal als Lieutenant vor einem Haufen, bei Appomattox, als wir unsere Waffen abgeben mussten. Der ritt an der Spitze eines Haufens von siebzehn Mann, die fast alle verwundet waren.« Nun, ich wurde also aufgenommen in den wartenden Kreis um den großen Braten über dem Feuer. Wenig später aßen wir uns satt wie ein ganzer Indianerstamm nach einer Büffeljagd im Frühling. Wir fraßen. Und dann ritt ich weiter. Man ließ mich in die Stadt. Ich sah ja nicht wie ein Satteltramp aus, sondern wie jemand, der ein paar Dollars in der Tasche hat. Doch ich ritt nur durch die Stadt. Die Sonne sank vor mir im Westen. Ich konnte mir nichts leisten, nicht mal einen Drink im Saloon, an dem ich vorbeimusste. Ich würde irgendwo im Freien unter dem Sternenhimmel übernachten müssen.
Aber wenigstens hatte ich jetzt keinen Hunger.
Hunger hatte ich gegen Ende des nächsten Tages. Und diesmal gab es keinen Haufen von Kriegsveteranen, die über einem Feuer ein Kalb brieten. Ich sah in der Ferne einige Lichter. Es musste eine kleine Siedlung sein. Ich hielt an und überlegte, ob ich den Wagenweg verlassen und auf der Abzweigung hinüber reiten sollte. Dann hörte ich Hufschlag hinter mir. Es war noch hell genug, dass ich die beiden Reiter erkennen konnte. Denn ich hatte mir ihr Aussehen gut gemerkt. Es waren jene beiden Reiter, die ich mit Colonel Jack Howell hatte heimkommen sehen, als ich neben der wunderschönen Patricia Howell am Fenster stand. Sie hatten mich verdammt schnell eingeholt. Jack Howell musste alles sehr schnell erfahren haben, was geschehen war. Und seine beiden Begleiter, die ihm offenbar treu ergeben waren, hatten sich frische Pferde besorgen können. Ich konnte mir leicht denken, was Patricia ihrem heimgekehrten Gatten erzählt hatte. Und nun sollten ihm die beiden Getreuen meinen Skalp bringen. Einen Moment überlegte ich, ob ich die Flucht ergreifen sollte.
Doch dann begriff ich, dass sie meiner Fährte folgen würden und es nur eine Frage der Zeit war, dass sie mich abermals einholen würden. Also war es wohl besser, mich ihnen hier zu stellen. Dass sie zu zweit waren, dies jagte mir keine Furcht ein. Ich hatte schon mehr als einmal gegen eine Übermacht kämpfen müssen. Und überdies hoffte ich, vernünftig mit ihnen reden und sie zur Vernunft bringen zu können. Als sie sahen, dass ich auf sie wartete, ritten sie langsamer und näherten sich mir zuletzt im Schritt. Dann hielten wir voreinander und betrachteten uns. Ich sah, dass sie an den Ärmeln ihrer zerschlissenen Uniformen noch die Sergeantenstreifen trugen. Sie waren also zwei Exsergeanten, die für ihren Colonel durch alle Feuer gingen, und vielleicht waren sie seine Aufseher gewesen, als Jack Howell noch über viele Sklaven geherrscht hatte. Ich ahnte, dass es wohl so war. Einer sagte: »He, du trägst die Lederjacke des Colonels. Wir kennen die Jacke gut genug. Und auch den Hut kennen wir. Du bist also der Hundesohn, der die Frau des Colonels vergewaltigen konnte, weil es keine Hilfe für sie
gab. Eigentlich sollten wir dich aufhängen. Denn Mistkerle wie du haben kein Recht zu leben. Aber wir werden dich nur erschießen. Doch zuerst musst du die Lederjacke ausziehen. Sie soll nicht beschädigt sein, wenn wir sie dem Colonel als Beweis bringen, dass wir dich erwischt und bestraft haben. Los, herunter vom Gaul! Und dann ziehst du die Jacke aus. Vorwärts!« Seine Stimme klirrte. Der andere Mann nickte. Sie waren unversöhnlich und gewiss mit Worten nicht umzustimmen. Dennoch versuchte ich es und sagte: »Ich gebe euch die Jacke. Dann reite ich meines Weges. Denn wenn wir kämpfen, werde ich euch töten müssen, weil ich überleben will. Wenn die Jacke der Beweis ist für den Colonel, dann gebt euch damit zufrieden.« Aber sie schüttelten heftig die Köpfe. Und so wusste ich, daß es gleich wieder diese schwarze Sekunde geben würde, in der unsere Revolver krachten, unser Blut floss und das Sterben begann. Ich hasste diesen Moment, denn ich hatte ihn im Krieg schon zu oft erlebt. Aber was konnte ich tun? Ich war der weiteren Entwicklung der Dinge machtlos ausgeliefert. Sie hätten mich längst schon vom Pferd zu schießen versucht, wenn sie nicht in großer Sorge um die schöne Lederjacke ihres Colonels gewesen wären.
Denn die schöne, rehbraune und befranste Jacke wollten sie ihm ohne Kugellöcher und Blutflecken zurückbringen als Beweis oder eine Art Skalp dafür, dass sie mich erwischt hatten. Wir saßen also ab und traten von unseren Pferden weg. Ich versuchte es nun nochmals und sagte: »Sie hatte mir gesagt, dass ihr Mann – der Colonel – im Krieg gefallen und sie eine Witwe wäre. Ich habe ihr keine Gewalt angetan. Was geschah, hat sie gewollt. Doch das glaubt ihr mir gewiss nicht – oder?« Sie grinsten verächtlich. Einer sprach dann hart: »Er ist immer noch unser Colonel und gab uns den Befehl, dich umzubringen. Vielleicht glaubt er ihr nicht und wird er sie bestrafen. Aber das ändert nichts daran, dass wir dich töten sollen.« Ich seufzte. Denn ich begriff, dass die beiden sturen Exsergeanten jeden Befehl ausführten, den der Colonel ihnen gab. Und so zog ich die Lederjacke aus und ließ sie zu Boden fallen. In diesem Augenblick zogen sie. Die schwarze Sekunde war plötzlich da wie eine Explosion. Ich kämpfte um mein Leben. Und ich schlug sie glatt. Ja, ich zog und schoss schneller als sie.
Und dann war es vorbei. Und ich lebte noch. Ich spürte nur den Streifschuss einer Kugel wie einen Peitschenhieb an meiner linken Seite über einer Rippe. Aber ich stand mit dem rauchenden Revolver in der Faust noch fest auf den Beinen und wartete darauf, dass sie weiterkämpfen oder aufgeben würden. Sie gaben auf, denn ich hatte sie böse getroffen. Sie konnten ihre Revolver nicht mehr halten, mussten die Waffen fallen lassen. Sie sanken vor mir auf die Knie und starrten zu mir hoch, indes ich zu ihnen trat. Einer knirschte stöhnend: »Du bist ein verdammter Revolvermann. Gewiss hast du irgendwo einen berüchtigten Namen. Wir hatten keine Chance gegen dich. Fahr zur Hölle!« Ich schüttelte den Kopf, nahm die Lederjacke auf und zog sie wieder an. Es war inzwischen ziemlich dunkel geworden. Die Dämmerung ging nun in die Nacht über. Und deshalb leuchteten die Lichter der kleinen Siedlung stärker herüber. Ich sagte: »Ihr schafft es gewiss bis zu dem Ort dort drüben, dessen Lichter ihr nun deutlich sehen könnt. Oder muss ich euch helfen?« Sie fluchten böse und schmerzvoll. Dann wiederholte der Mann seine Worte und sprach mit Inbrunst: »Fahr zur Hölle!«
Es gab nichts mehr zu sagen. Ich saß auf und ritt weiter.
2
Die Nacht wurde sternenhell mit einem blanken Mond. Ich blieb im Sattel, denn ich wollte einige Meilen zwischen mir und der Siedlung zurücklegen, zu der die beiden angeschossenen Exsergeanten es gewiss geschafft hatten. Und so ritt ich die ganze Nacht und erreichte bei Sonnenaufgang einige Hütten und Corrals. Es handelte sich um die mexikanische Niederlassung eines Wildpferdjägers. Denn in den Corrals sah ich nur Wildpferde. Als ich vor die größte Adobehütte ritt, empfingen mich eine Mexikanerin und drei Kinder, die mich mit großen, schwarzen Augen anstaunten. Die Frau war mehr als hübsch. Ich griff vor ihr an den Hut und sagte: »Señora, ich wurde verwundet und befürchte, dass sich die Streifwunde entzünden könnte. Haben Sie etwas, womit ich die Wunde behandeln könnte – und wenn es nur eine gute Pferdesalbe gegen Entzündungen ist?« Sie lächelte. Dann sagte sie: »Für einen Dollar, Señor. Ich bin eine arme Frau mit drei Kindern. Ich habe nichts zu verschenken. Für einen Dollar bekommen Sie eine gute Salbe, die gegen alles hilft.«
Ich schüttelte den Kopf und griff wieder an den Hut. Dabei sagte ich: »Señora, ich habe keinen Dollar – nicht mal einen Cent oder einen Silberpeso.« Dann zog ich mein Pferd herum und wollte weiter. Aber sie sagte schnell: »Steigen Sie ab, Señor. Ich glaube Ihnen.« Und so stieg ich ab und folgte ihr in die Hütte, machte meinen Oberkörper frei und ließ mir von ihr eine graugrüne Salbe auf die Streifwunde streichen. Die drei Kinder umgaben uns und sahen zu, wie ich mich wieder ankleidete. Die Frau fragte: »Haben Sie auch Hunger, Señor?« »Großen«, erwiderte ich. »Doch ich möchte Ihre Güte nicht zu sehr ausnutzen. Ich kann mich nur bedanken.« Nach diesen Worten wollte ich gehen. Doch sie sagte: »Setzen Sie sich an den Tisch. Ich wollte soeben Frühstück für mich und die Kinder machen. Es mangelt uns nicht an Nahrung. Wir haben Hühner und Schweine, auch zwei Milchkühe. Sie essen uns nichts weg.« Sie wandte sich zum Herd in der Ecke. Und die drei Kinder umgaben mich, so als wollten sie mich nicht fortlassen. Sie sahen mich
fortwährend an, blickten also zu mir auf mit zurückgelegten Köpfen. Ich ging zu einem Stuhl und setzte mich. Die Müdigkeit war in meinen Gliedern. Ich war ja einen ganzen Tag und dann die ganze Nacht geritten. Auch mein Rotfuchs war gewiss nicht weniger müde als ich. Doch der Hunger hielt mich wach. Der größere Junge fragte: »Señor, woher kommen Sie, und wohin wollen Sie?« »Ach, Chico«, erwiderte ich, »woher kann ich schon kommen? Aus dem Krieg natürlich. Fast alle kommen jetzt aus dem Krieg und wollen irgendwohin. Ich reite nur nach Westen und habe kein bestimmtes Ziel.« Der Junge nickte verständnisvoll, so als hätte er alles genau begriffen. Aber er war gewiss nicht älter als sieben oder acht Jahre. »Vielleicht kommt unser Vater bald heim«, sagte der Junge und wandte sich zur Tür. »Ich werde Ihr Pferd versorgen, Señor«, sprach er über seine schmale Schulter zurück und verschwand. Die beiden anderen Kinder – es waren zwei Mädchen – begannen den Tisch zu decken. Ich sah ihnen zu und freute mich über ihre Bewegungen.
Sie waren geschickt. Ich hatte schon lange keine Kinder mehr spielen gesehen. Und für diese beiden kleinen Mädchen war das Tischdecken eine Spielerei, obwohl sie es mit nur einfachem Geschirr taten. Die Müdigkeit kroch wie Blei durch meine Glieder. Fast wäre ich auf dem Stuhl eingeschlafen. Doch dann brachte die Frau das Frühstück auf den Tisch. »Essen Sie soviel Sie wollen, Señor«, lächelte sie. Es gab Eier mit gebratenem Speck, dazu Tortillas und Tee. »Ich habe leider keinen Kaffee mehr«, sprach sie. »Mein Name ist Juanita. Und wie ist Ihrer, Señor?« »John. John Hays«, erwiderte ich kauend. Sie nickte und sprach dann: »Ich sehe, dass Sie lange und weit geritten sind und sich ausruhen müssen. Sie können sich dann drüben in der Scheune hinlegen.« Sie hatte kaum ausgesprochen, da erklang draußen Hufschlag. Und der Junge kam herein und rief: »Da kommt Juan Rodriges! Und er hat es eilig auf einem stolpernden Pferd!« »Ay, das wird böse«, flüsterte die Frau. Sie sah mich an und stieß hervor: »Rodriges ist ein Bandit. Und wenn er es so eilig hat, dass sein Pferd stolpert, dann wird er verfolgt. Er kommt
immer hier vorbei, wenn er ein frisches Pferd nötig hat.« Ich begriff sofort, was sie mir sagen wollte. Denn mein prächtiger Rotfuchs stand ja draußen gesattelt am Tränketrog beim Brunnen und hatte sich inzwischen etwas erholt. Der Junge hatte ihn abgerieben und ihm auch Mais gegeben. Ich erhob mich und trat aus der Hütte. Der Reiter auf dem stolpernden Pferd war ein großer Mexikaner. Und er schwang sich von seinem staub- und schweißbedeckten Pferd, nahm dabei einen großen Beutel vom Sattelhorn. Er sah dann zu mir her und deutete auf meinen Rotfuchs beim Brunnen. »Ay, Señor, ist das Ihr Caballo?« So fragte er. Ich nickte nur, und da sprach er weiter: »Dann tauschen wir jetzt unsere Caballos. Denn ich muss sehr schnell weiter! Sie haben doch nichts dagegen, Señor?« »Doch, Hombre«, erwiderte ich. »Aus dem Pferdetausch wird nichts.« Da lachte er wild und zeigte unter seinem schwarzen Schnurrbart blinkende Zahnreihen. Und dabei schnappte er nach seinem rechten Revolver. Er trug zwei Revolver im Kreuzgurt, aber er zauberte den rechten heraus. Und da schoss ich ihn von den Beinen. Denn ich wollte mein Pferd nicht hergeben.
Und da lag er nun und stöhnte. Mühsam kam er wieder auf die Beine und verharrte schwankend. Dann knirschte er: »Amigo, wenn ich ihnen nicht entkommen kann, dann werden sie mich hängen.« Ich zuckte nur wortlos mit den Achseln. Ihm war der rechte Revolver entfallen, ebenso der Beutel, den er vom Sattelhorn seines erschöpften Pferdes genommen hatte. Ich hatte ihm die Kugel in die rechte Schulter geschossen. Doch er war ein eisenharter Bursche. Und er hatte auch noch einen zweiten Revolver im Kreuzgurt. Ich wusste, er würde ihn ziehen, also sein Glück noch einmal versuchen. Denn er hatte ja gesagt, dass man ihn hängen würde, wenn er nicht entkam. Er musste es also nochmals versuchen. Als er zog und den Lauf hochschwang, da schoss ich, bevor ich in seine Revolvermündung sehen würde. Und nun fiel er endgültig in den Staub und regte sich nicht mehr. Die Frau und die drei Kinder standen vor dem Eingang der Hütte. Die beiden kleinen Mädchen drückten ihre Gesichter in die Rockfalten der Frau. Nur der Junge sah mich mit großen Augen an.
Ich ging zu dem Banditen. Er war tot. Da hob ich den Beutel hoch und blickte hinein. Er war voller Geld. Es waren nagelneue Yankeedollars, frisch gedruckt jetzt nach dem Krieg. Die Frau hinter mir fragte schrill: »Dollars?« Ich wandte mich ihr zu und nickte. Dann aber hörten wir den Hufschlag einer hart reitenden Mannschaft. Über eine Bodenwelle im Osten kamen sie geritten. Es waren etwa ein Dutzend. Und es war zu spät und wäre auch zu dumm gewesen, den Beutel mit dem vielen Geld verschwinden zu lassen. Der Mann an der Spitze der Reiter trug einen Stern. Da kam ein Aufgebot herangejagt. Als sie vor den Hütten ihre Pferde zügelten, wirbelten sie eine Menge Staub auf. Der Mann mit dem Stern auf der Weste sah auf mich und fragte: »Warum haben Sie ihn erschossen, Mister?« »Er wollte mein Pferd, Sheriff«, erwiderte ich. Er nickte und saß ab. Dann trat er zu mir und nahm mir den Beutel ab. »Der Geldtransport war für unsere Bank in Brownsville bestimmt«, sagte er dabei. »Die ganze Stadt und ihr Umland wartet schon lange auf das neue Yankeegeld. Auf Ihrem Pferd wäre
er uns gewiss entkommen. Ich danke Ihnen, Mister, im Namen der Stadt Brownsville.« Ich grinste ihn fast böse an. »Dafür kann ich mir nichts kaufen, Sheriff. Denn ich bin blank. Die Frau hier gab mir umsonst etwas zu essen. Wenn Sie mir danken wollen, dann zahlen Sie mir eine Belohnung. Ich bin nicht zu stolz, Sie darum zu bitten. Ich musste einen Mann töten.« »Der wäre am Hals aufgehängt worden«, knirschte er. »Denn er schoss den Fahrer der Postkutsche vom Bock. Aber ich sehe ein, dass Sie einen Anspruch auf eine Belohnung haben. Ich kann es verantworten, Ihnen drei Prozent von Fünftausend zu geben. Denn es müssen fünftausend Dollar im Beutel sein. Wir werden nachzählen.«
Nun, lieber Leser meiner Geschichte, so kam es, dass ich am nächsten Tage mit hundert Dollar weiter nach Westen ritt. Denn fünfzig Dollar hatte ich Juanita und deren drei Kindern überlassen. Und das war für sie ein Vermögen zu dieser Zeit. Auch für mich waren die hundert Dollar gewaltig viel Geld.
Doch ich hatte dafür töten müssen, wenn auch einen Mörder und Banditen, den sie aufgeknüpft hätten. Es war also eine redlich verdiente Belohnung. Drei Prozent waren üblich. Aber würde mir das Geld Glück bringen? Nun, das würde sich gewiss herausstellen. Ich ritt also weiter nach Westen. Vor mir lag Texas. Ich würde bald den Red River erreichen. Und dann? Würde ich in Texas bleiben? Ich war ja Texaner. Aber der Krieg hatte mich verändert. Was war weiter im Westen?
3
Ich ließ mich in den nächsten Tagen treiben und ging sparsam mit meinem Geld um. Eigentlich war ich ja immer noch ein Satteltramp, ein einsamer Reiter mit einem Colt und einem Pferd, der nach einer Chance suchte. Würde ich eine bekommen? Und was für eine Chance würde es sein? Es zogen damals viele Reiter nach Westen. Fast allen ging es schlechter wie mir. Sie waren abgerissen, manche sogar schon zerlumpt, und die Ortschaften ließen sie nicht herein. Denn sie waren ja eine Plage. Es gab schon Banden im Land, die von Bürgermilizen gejagt wurden. Mir ging es besser. Ich besaß ein paar Dollar und war nicht abgerissen. Und so gelangte ich eines Tages in die kleine Stadt Amity, was ja so viel wie Freundschaft bedeutet. Ich wollte mal wieder in einem richtigen Bett schlafen und in einem Restaurant ein gutes Essen genießen. Und vielleicht gab es auch einen Saloon, wo man ein Spiel machen konnte. Ich war kein Kartenhai, aber ich hatte mich bisher in fast jeder Pokerrunde behaupten können. Vielleicht konnte ich ein paar Dollar gewinnen. Es mussten ja nicht viele sein, ein Dutzend wären schon genug.
Amity war eine hübsche, saubere Stadt inmitten eines Rinderlandes. Es war eine Cattle Town. Die Bürger der Stadt beobachteten mich zuerst misstrauisch, doch als ich mein Pferd im Mietstall abgegeben und mir im Hotel ein Zimmer gemietet hatte, da betrachteten sie mich als willkommenen Gast, der in ihrer Stadt ein paar Dollar lassen würde. So einfach war das in dieser Zeit kurz nach dem Krieg im armen Texas. Nun, ich nahm bald ein Bad in der Badestube des Barbiers und ließ mir auch die Haare schneiden. Aus dem Store brachte man mir Unterzeug und ein neues Hemd herüber. Meine Hose und die Jacke wurden ausgebürstet, die Stiefel geputzt. Und das alles kostete mich nur fünf Dollar. Denn Yankeedollars waren jetzt in Texas und anderswo im Südwesten an Wert so groß wie Wagenräder. Und so fragte ich mich mit einiger Sorge, ob es in dieser Stadt überhaupt jemanden gab, der mit mir um die nagelneuen Dollars spielen konnte oder wollte. Als ich später – es war inzwischen Abend geworden – im Hotel-Restaurant beim Abendessen saß, kam ein Mann zu mir an den Tisch und setzte sich. Weil er einen Stern an der Weste trug, sah ich ihn nur fragend an. Er war gewiss ein harter
Bursche mit kieselharten Augen. Und er fragte: »Auf der Durchreise?« Ich nickte nur und genoss den Hammelbraten. Und dann kam die nächste Frage: »Und wohin wollen Sie?« »Nach Westen, Marshal«, erwiderte ich und grinste, zeigte meine blinkenden Zahnreihen unter meinem sichelförmigen Texanerbart und fügte hinzu: »Ich suche das gelobte Land, das El Dorado oder wie man es sonst noch nennen mag. Sie haben hier gewiss einen guten Job. Ich muss mir erst noch einen suchen.« Seine Augen wurden schmal. »Texasbrigade?« So fragte er, denn er hatte ja an meinem Tonfall erkannt, dass ich Texaner war wie er. Und er hielt mich auch für einen Kriegsheimkehrer, der es verstanden hatte, nicht als abgerissener Tramp heimkehren zu müssen, weil er irgendwo und irgendwie zu den begehrten Yankeedollars gekommen war, die nur sehr langsam nach Süden krochen, etwa so langsam wie Schnecken. Ich nickte. »Ja, ich war schon am Bull Run dabei. Sonst noch Fragen, Marshal?« Er nickte. »Offizier gewesen?« Nun nickte ich. Er erhob sich und verharrte an meinem Tisch. »Wir haben einige Meilen weiter eine Garnison der Besatzungstruppe«, murmelte er. »Und unter deren Schutz treiben einige
Exguerillas ihr Unwesen, die für den Norden kämpften. Die riechen jeden Yankeedollar zehn Meilen gegen den Wind. Sie arbeiten jetzt hier für die Steuereintreiber der Union. Und diese wieder sorgen dafür, dass es zu Versteigerungen kommt. Die Yankees bekommen halb Texas für einen Apfel und ein Ei.« Er ging nach diesen Worten hinaus. Ich aber war ihm dankbar. Er hatte mich gewarnt. Wenn ich weiter nach Westen ritt, dann würde ich vielleicht auf eine üble Bande stoßen, die nach Texas gekommen war, um es unter dem Schutz der Besatzungstruppe auszuplündern. Ich musste ihm also dankbar sein. Nun, ich genoss mein Abendessen und verließ dann das Hotel, um den Saloon aufzusuchen. Doch ich hatte wenig Hoffnung auf ein Pokerspiel um Yankeedollars. Wer hier sollte schon welche haben? Ich ging dennoch zum Saloon, denn ich wollte wieder einmal an einem Schanktisch stehen und einen Drink genießen, eine Zigarre rauchen und andere Menschen sehen. Ich war zu lange allein geritten. Aus den Fenstern des Saloons fielen Lichtbarrieren über die staubige Straße. Sie wiesen mir den Weg. Wenig später trat ich ein und sah eine schöne Frau hinter der Bar.
Heiliger Rauch, was war das? Ich hatte noch jene Patricia Howell in meiner Erinnerung und hätte nie geglaubt, dass ich so bald noch eine andere Schöne sehen würde. Denn solch schöne Frauen waren so selten wie vierblättrige Kleeblätter. Doch da stand sie hinter dem Schanktisch und würfelte mit zwei Cowboys. Im Lampenschein glänzte ihr rabenschwarzes Haar. Und ihre grünen Augen leuchteten. Sie trug ein rotes, schulterfreies Kleid. Ich trat langsam näher und sah dabei in ihre Augen. Sie hatte den Lederbecher mit den Würfeln darinnen in ihren Händen und war dabei, ihn zu schütteln – doch nun hielt sie inne. Ich aber stand vor ihr auf der Vorderseite der Bar und lächelte sie an. »Hey, Lady«, sagte ich, »wenn ich gewusst hatte, dass es Sie hier gibt, wäre ich früher hergekommen.« Sie lächelte und erwiderte: »Aaah, ein Süßholzraspler.« Die beiden Cowboys aber, mit denen sie würfelte, die lachten. Dann sprach einer: »Oooh, Mrs. Sue Turnbull, da hören Sie es wieder. Man weiß auf tausend Meilen in der Runde zu wenig über Sie. Sonst kämen sie alle her, um Sie zu
bestaunen. Dann wäre der Saloon stets so voll, dass er aus den Nähten platzen würde.« Sie lachten wieder – und die Schöne und ich, wir lachten mit. Es war von Anfang an eine Freundlichkeit zwischen uns, ein Einverständnis. Aber dann wurde schlagartig alles anders. Draußen klang Hufschlag. Dann tanzten wiehernde und schnaubende Pferde vor dem Saloon. Wahrscheinlich waren die Reiter wild in die Stadt hereingejagt und hatten dann ihre Pferde auf der Hinterhand tanzen lassen. Nun kamen sie herein, und sie waren sofort erkennbar, denn sie trugen die Hüte der Unionsarmee, wenn auch sonst Zivilkleidung. Ich wusste beim ersten Blick, es waren einstige Guerillas der Union, die sich nun hier im besetzten Texas breitmachten. Sie waren fünf und kamen an den Schanktisch. Die beiden Cowboys machten ihnen Platz, kamen also dichter zu mir heran. Einer der Exguerillas rief herausfordernd, wobei er in die Runde sah – denn es waren noch einige andere Gäste im Raum verteilt: »Hooo, heute feiern wir ein Fest. Und die schöne Sue wird für uns singen und tanzen! Aber erst wollen wir einen Drink vom besten Bourbon! Denn wir zahlen mit guten Dollars!«
Indes er dies rief, warf er ein Zwanzig-DollarStück auf den Schanktisch. Ja, es war ein Zwanzig-Dollar-Goldstück, ein Doppeladler. Ich wusste, dass es Ärger geben würde. Denn die fünf Kerle waren hergekommen, um die Sau rauszulassen, wie man so treffend sagt, wenn sich eine primitive Horde ein Erfolgserlebnis verschaffen will, um sich großartig fühlen zu können. Denn das ist für alle Primitiven immer noch schöner als ein Rausch. Und so wollte ich mich heraushalten und einfach still und bescheiden verkrümeln. Aber ich kam nur drei Schritte weit. Dann holte mich die harte Stimme des Sprechers der fünf Kerle ein. Er rief: »He, warum willst du dich davonschleichen, Langer?« Ich hielt inne und blickte über meine Schulter zurück. Sie grinsten mich an. Und ihr Sprecher sagte: »Gefallen wir dir nicht? Willst du deshalb weg, weil wir dir nicht zusagen? Aber dann ist das eine Beleidigung für uns. Warum beleidigst du uns, he?« Ich saß in der Falle. So schnell ging es manchmal, wenn das Schicksal es wollte. Sie waren auf Ärger und Krawall aus. Und nun hatten sie mich sozusagen aufs Korn genommen, vielleicht allein deshalb, weil ich nach was
aussah, also nicht abgerissen war und gewiss auch kein einfacher Cowboy von einer der Ranches, die ihren Reitern schon lange keinen Lohn mehr zahlen konnten, weil es keine Absatzmärkte für Rinder gab. Sie hatten ganz plötzlich Maß genommen an mir. Verdammt, wäre ich nur nicht in den Saloon gegangen. So dachte ich, obwohl mir dann der Anblick der schönen Wirtin entgangen wäre. Was sollte ich tun? Ich versuchte es mit Freundlichkeit und erwiderte: »Warum sollte ich euch beleidigen? Ich kenne euch nicht, bin nur auf der Durchreise und ein friedlicher Mensch.« Nach diesen Worten wollte ich meinen Weg zum Ausgang fortsetzen. Doch der Mann war ein Narr, denn er rief drohend: »Komm her! Ich höre an deiner Sprache, dass du ein Texaner bist. Und Texas hat mit dem ganzen verdammten Süden den Krieg verloren. Aber wir wollen jetzt mit dir Frieden schließen. Du vertrittst jetzt uns gegenüber ganz Texas. Deshalb wirst du mit jedem von uns ein volles Glas leeren. Wir nehmen Pulque. Komm her!« Es war ein barscher Befehl. Und Pulque war ein höllisches Zeug, ein Agavenschnaps, der einem den Magen umdrehte.
Sie wollten einen höllischen Spaß mit mir. Vielleicht sollte ich später als Betrunkener für sie tanzen. Ja, ich saß in der Falle. Entweder ergab ich mich ihnen und verlor für mein ganzes Leben meinen Stolz und meine Ehre – oder ich musste kämpfen und – sterben. Es gab nur diese zwei Möglichkeiten. Und sie alle im Saloon – auch die schöne Wirtin – wussten es. Was also sollte ich tun? Sie waren fünf und ich war allein. Noch drehte ich ihnen den Rücken zu, blickte nur über die Schulter zu ihnen zurück. Ich versuchte es nochmals mit den Worten: »Legt euch nicht mit mir an. Einige von euch würden es nicht überleben.« Aber sie lachten. Und ihr großmäuliger Sprecher höhnte: »He, du Texas-Arsch, wenn jemand stirbt, dann bist du das.« Ich konnte nun nicht mehr anders. Ich musste kämpfen, wollte ich meine Selbstachtung und meinen Stolz nicht für immer verlieren. Und so zog ich und schoss unter meinem linken Arm hindurch. Doch ich schoss nicht allein. Es krachten mehr als ein halbes Dutzend Revolver – auch die beiden Cowboys, welche vorhin noch friedlich mit der schönen Wirtin gewürfelt hatten,
schossen. Es war ein höllischer Ausbruch von Gewalttat. Dann war es plötzlich still, indes der Pulverdampf sich ausbreitete. Jemand musste explosionsartig niesen. Dann sprach eine heisere Stimme in die wieder entstehende Stille: »O Vater im Himmel, das musste wohl so kommen. Diesmal sind sie an den Falschen geraten. Und wir sind immer noch Texaner, keine besiegten Kröten.« Ich trat zu den fünf Gestalten am Boden vor dem Schanktisch. Ja, sie waren regelrecht mit Blei gefüllt worden. Es hatte sich hier etwas entladen, was sich gewiss schon lange anstaute und zum Pulverfass wurde, in das nur ein kleiner Funke zu fallen brauchte. Dieser Funke war ich gewesen, als ich zu schießen begann. Der Marshal kam herein, verhielt inmitten des Saloons und starrte auf die leblosen Gestalten. Die schöne Wirtin sagte über den Schanktisch hinweg: »Diesmal gingen sie zu weit, Jeff. Das musste eines Tages so kommen.« Ich hörte die Worte und begriff, dass diese Bande nicht zum ersten Mal hier ganz Texas demütigen wollte. Sie mussten es schon öfter mit irgendwelchen Opfern getan haben. Und alle Gäste sahen zu und taten nichts. Aber vorhin war plötzlich alles anders.
Der Marshal, den die Wirtin mit Jeff angeredet hatte, sah mich an, dann die beiden Cowboys und blickte schließlich in die Runde. Dann sprach er langsam: »Alle, die hier beteiligt waren, sollten verdammt schnell tausend Meilen weit von hier fortreiten.« Ich sah auf die beiden Cowboys, nickte ihnen nur zu und ging. Ja, es war wohl ein guter Rat, den uns der Marshal gab. Ich war eine halbe Stunde später wieder unterwegs, ritt durch die Nacht weiter nach Westen. Ich hatte zwar jetzt einen vollen Magen, war gebadet, besaß frisches Unterzeug und hatte auch die Haare geschnitten. Doch sonst fühlte ich mich nicht wohl, war voller Bitterkeit. Wieder einmal mehr hatte ich kämpfen und töten müssen. Den ganzen Krieg lang hatte ich kämpfen und töten müssen. Und jetzt war es immer noch so. Oh, verdammt, nahm das kein Ende? Mit den beiden Cowboys wechselte ich nur wenige Worte vor dem Saloon, als sie zu ihren dort angebundenen Pferden traten. Sie sagten mir, dass sie auf ihrer Ranch nur noch ihre wenigen Siebensachen holen und dann aus dem Land reiten würden. Und das taten gewiss auch noch andere Männer in dieser Nacht, welche ebenfalls
geschossen hatten, so daß die fünf Exguerillas regelrecht mit heißem Blei hingerichtet und gewiss für viele Übeltaten bestraft worden waren. Ich ritt die ganze Nacht, verbarg mich während des Tages und ritt auch die nächste Nacht weiter nach Westen, ließ mich nicht sehen und hielt mich vor allem dem Wagenweg fern. Manchmal dachte ich an die schöne Wirtin des Cattlemen Saloon zu Amity. Ich hätte sie gerne näher kennengelernt, und in ihrem Blick hatte ich vom ersten Moment an erkennen können, dass ich ihr Interesse weckte. Aber es sollte nicht sein. Ich schlich aus dem Land wie ein verfolgter Wolf, auf den die Jäger lauerten. Denn diese fünf Exguerillas gehörten gewiss zu einer starken Bande, die im Schutz der Besatzungstruppe half, Texas noch ärmer zu machen.
4
Nach fünf Tagen ständigen Reitens begann ich daran zu glauben, dass ich entkommen war. Und dies wünschte ich auch den anderen Beteiligten, also den beiden Cowboys und einigen anderen Gästen, die mir beistanden, als die Schießerei begann und ich allein gegen fünf gefährliche Schießer stand und keine Chance zu haben glaubte. Es entlud sich etwas, was sich im Saloon zu Amity gewiss schon lange angestaut hatte. Ich wusste, dass solche Gewaltausbrüche häufiger in Texas stattfanden, überall dort, wo die Besatzungstruppe die ehemaligen Guerillabanden schützte und die Steuereintreiber es zu Versteigerungen kommen ließen, sodass Yankees für wenige Dollars Ranches aufkaufen konnten. Denn es gab ja zu dieser Zeit nur wenige neue Yankeedollars in Texas. Deshalb entlud sich der Hass auf die Sieger da und dort. Es war in Amity reiner Zufall gewesen, dass ich zum Auslöser solch eines Ausbruchs geworden war. Nun, ich ritt also wieder sorgloser bei Tag, nicht bei Nacht, und mied auch nicht mehr die Wagenwege, kehrte auch da und dort ein. Ich glaubte auch nicht, dass mich die Besatzungstruppe steckbrieflich suchen ließ.
Denn sie hatte gewiss keine genaue Beschreibung von mir, kannte auch meinen Namen nicht. Ich fühlte mich also immer sicherer, je weiter ich nach Westen kam. In diesen Tagen erreichte ich den Brazos, durchfurtete ihn und gelangte nach weiteren Tagen ins Colorado Valley und ritt nun in diesem stromauf in nordwestlicher Richtung. Und eigentlich wusste ich immer noch nicht, wohin ich wollte. Manchmal überholte ich in diesen Tagen Wagenzüge, traf auf Reiter, die wie ich nach Westen oder Südwesten wollten. Ich ritt dann nach Westen zum Pecos. Auch die Post- und Frachtlinie war wieder in Gang gekommen. Sie teilte sich an der Pecosmündung in den Rio Grande. Hier gab es eine große Pferdewechselstation mit einem Store. Ich kannte dieses Land, denn vor dem Krieg war ich hier ein junger Cowboy gewesen, hatte hier Wildpferde gejagt und Rinder getrieben. Dann war ich zur Texasbrigade gegangen, also in den Krieg gezogen. Und in diesen fünf Jahren war ich ständig in Gesellschaft von Männern gewesen, von denen ich lernen konnte und die mich veränderten, mir eine Menge mitgaben wie Lehrer talentierten Schülern. Aus einem jungen Cowboy wurde so ein Mann mit einigem Wissen und
Lebenserfahrung, den man im vierten Kriegsjahr zum Offizier beförderte, weil er nicht nur tapfer kämpfen, sondern auch führen konnte. Aber jetzt war ich ein Satteltramp mit einem schnellen Revolver. Und ich suchte immer noch nach einer Chance und wusste nicht, wo ich sie finden konnte. Ich folgte jedoch einem Instinkt, der mich nach Westen reiten ließ. Aber wie weit musste ich reiten? War das Territorium von New Mexiko weit genug – oder musste ich noch weiter nach Arizona? Doch dann musste ich von den Ebenen von Westtexas, auf denen sich die Longhorns wie Kaninchen vermehrt hatten, hinauf zu den Bergen der südlichen Ausläufer der Rocky Mountains. Ich musste sie überqueren, hinter mich bringen. Und das waren Berge mit fünftausend Yard hohen Gipfeln, die von den Sonnenuntergängen blutrot gefärbt wurden und deshalb Sangre de Christos genannt wurden, was soviel wie ›Blut Christi‹ bedeutete. Nun, ich erreichte also die Station an der Pecosmündung in den Rio Grande und verhandelte mit dem Stationsmann. Denn ich musste meinen Rotfuchs neu beschlagen. Weil ich das selbst tun wollte, musste ich die Schmiede des Wagenhofes mieten und vier Rohlinge und Hufnägel kaufen.
Das alles kostete mich zwei Dollar. Im Hof vor der Station, vor dem Store und im Schatten der Gebäude lungerten Satteltramps herum. Fast alle sahen zu, wie ich meine Arbeit begann. Meine Hammerschläge klangen in die Runde. Ein junger Bursche kam herbei, um den Blasebalg zu bedienen. Gewiss hoffte er auf ein paar Cents. Nun, er würde sie bekommen. Einmal sagte er: »Mister, sind Sie ein richtiger Schmied?« »Nein«, erwiderte ich, »kein richtiger. Aber ich habe mir als Junge bei einem Schmied manchmal nach der Schule ein paar Cents als Zuschläger verdient. Und als Zuschläger sieht man stets aus der Nähe, wie ein Schmied das warme Eisen mit Hammerschlägen beherrscht, wir er ihm die gewünschte Form gibt, wie er es auszieht, staucht, locht, spaltet. Und irgendwann versucht man es dann selbst einmal.« Der junge Bursche schwieg, aber ich sah ihm an, wie er nachdachte. Der Stationsmann kam dann herüber. Auch er hatte mich beobachtet. Er sagte: »Einen guten Schmied könnte ich hier gebrauchen. Sind Sie interessiert? Ich zahle einen Dollar. Es gibt gutes Essen und eine gute Schlafkammer.« Es war ein faires Angebot zu dieser Zeit. Einen Tageslohn von einem Dollar bei freier
Unterkunft und Verpflegung, das ergab dreißig Dollar im Monat. Soviel verdiente ein Lieutenant der Armee oder ein Deputy Sheriff oder Marshal. Es war ein nobles Angebot. Aber ich schüttelte den Kopf, gab ihm die zwei Dollar, die wir ausgemacht hatten, saß auf und ritt weiter. Nein, ich wollte nicht bleiben. Denn es lungerten hier zu viele Burschen herum, die gesehen hatten, dass ich Yankeedollars besaß. Sie sahen auch, dass ich dem jungen Burschen für seine Hilfe am Blasebalg einen halben Dollar gegeben hatte. Ich ritt also weiter und blieb im Pecos Valley, welches mich nach El Paso führen würde. Am späten Nachmittag merkte ich, daß mir zwei Reiter folgten. Ich wartete dann hinter einem roten Felsen auf sie, um den der Wagenweg einen Bogen machte. Als ich den Hufschlag ihrer Pferde nahe genug hörte, ritt ich hervor und versperrte, ihnen den Weg. Es waren zwei abgerissene Burschen. Eigentlich konnten sie einem leid tun. Sie hielten an und grinsten. Ich fragte: »Wollt ihr was von mir?« Sie kamen sofort zur Sache. Einer sagte: »Dir geht es gut – uns nicht. Also solltest du ein barmherziger Bruder sein. Gib uns ein paar
Dollars. Bei der Station wollten wir dich nicht darum bitten. Denn dann wären sie alle gekommen. Aber jetzt ist es anders.« Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: »Ich bin kein barmherziger Bruder. Wäre ich das, so ginge es mir so dreckig wie euch. Es ist eine schlechte Zeit.« Sie nickten. Dann sagte einer: »Wir könnten dich völlig ausrauben. Denn wir sind zu zweit. Du bist verdammt allein.« Als er es gesagt hatte, zauberte ich meinen Revolver heraus und ließ sie durch mein schnelles Ziehen erkennen und begreifen, auf was sie sich eingelassen hätten. Sie hielten einen Moment die Luft an, denn sie begriffen, dass sie verdammt schnell tot gewesen wären. Dann sprach einer, wobei er die Hände hob: »Schon gut, Mister, schon gut! Wir hätten fast einen Tiger am Schwanz gezogen, schon gut! Komm, Mike!« Er drehte sein Pferd mit Schenkeldruck in die andere Richtung und ritt davon. Sein Partner folgte ihm schweigend. Sie zeigten mir also den Rücken und vertrauten darauf, dass ich nicht schießen würde. Sie waren zwei arme Hunde, die bereit waren, Banditen zu werden. Aber ich war nicht ihr barmherziger Bruder.
Ich ritt weiter und verspürte einen Widerstreit meiner Gefühle. Verdammt, was war das für eine Zeit jetzt im armen Texas! Was hatten uns die Sieger allein damit angetan, dass Südstaatengeld nichts mehr wert war und nur noch die Yankeedollars zählten! Aber ich konnte die Welt nicht ändern.
Nun, lieber Leser meiner Geschichte, ich war auch nach zwei Wochen immer noch unterwegs und erlebte da und dort ähnliche Abenteuer. Es war nicht ungefährlich, allein zu reiten, wenn man danach aussah, ein paar Dollars in den Taschen zu haben. In El Paso blieb ich nicht lange. Ich ritt wieder im Rio Grande Valley nach Norden und kam schließlich nach Socorro, was ja wohl Hilfe bedeutet. Nun, ich fand so etwas wie Hilfe nach meinem langem Reiten in Socorro. Denn ich lernte im Store, wo ich mir Tabak kaufte, eine Frau kennen, die in einer großen Knopfschachtel suchte. Und als die Schachtel vom Ladentisch fiel, da half ich ihr beim Aufsammeln der vielen verschiedenen Knöpfe. Wir kamen uns am Boden hockend mit den Gesichtern sehr nahe. Und sie roch gut.
Offenbar gefiel ich ihr als Mann. Als wir den Store verließen, da war so etwas wie ein Einverständnis zwischen uns. »Wohnen Sie hier in einem Hotel?« fragte sie. Aber ich deutete auf meinen Rotfuchs, der staubig am Haltebalken stand. »Nein, Lady«, erwiderte ich. »Da steht mein Pferd. Ich muss mir erst noch eine Unterkunft suchen.« Ihr Blick wurde nun forschender. Sie ließ auch ihren Instinkt gegen mich strömen. Irgendwie spürte ich etwas Tastendes an mir, was in mich einzudringen versuchte. Sie war eine mehr als nur hübsche Frau, blond und schwarzäugig, und sie strömte etwas aus. Und sie war eine erfahrene Frau, das spürte ich. Sie sagte: »Ich wohne etwas außerhalb der Stadt. Bei mir können Sie unterkommen. Ich sehe, dass Sie Ihren Colt ziemlich tief tragen. Gehören Sie zu jener Sorte?« Sie betonte das ›Jener‹ etwas mehr als die anderen Worte. Dann ging sie zu einem leichten Buggy mit einem Lederdach und Ledersitzen. Vor dem Zweiräder war ein prächtiges Gespann angeschirrt. Sie kletterte hinein. Es lagen einige Pakete und Päckchen im Wagen neben ihr. Sie hatte Einkäufe gemacht.
Als sie die Zügel von der Bremse wickelte, lächelte sie mir zu. Es war ein lockendes Lächeln, welches viel versprach. Und ihre schwarzen Augen funkelten. Verdammt, dachte ich, die ist hungrig nach einem Mann. Und ich hatte schon lange keine Frau. Aber sie hält mich für einen Revolvermann, weil ich meinen Revolver so tief trage. Sie kennt sich aus. Als sie davonfuhr, saß ich auf und folgte ihr. Als wir die Stadt eine halbe Meile hinter uns hatten, da bog sie auf einen schmalen Weg ein, an dessen Ende ein schönes Haus stand. Es sah aus wie ein alter Palacio, den sich mal einer der spanischen Dons errichtet hatte. Er war gut erhalten und leuchtete weiß in der Sonne. Plötzlich wusste ich, wohin sie mich lockte. Dieses Haus dort war ein nobles Hurenhaus, eine Puta Casa. Und sie war wahrscheinlich die Patrona, die Chefin oder Prinzipalin oder wie man es sonst nennen mochte. Als sie vor dem kleinen Palacio anhielt, ritt ich neben den Wagen. Sie sah zu mir auf, lächelte und sprach: »Wir haben vor einigen Tagen unseren Beschützer verloren. Die Stelle ist frei. Wenn dein Revolver schnell genug ist, wirst du ein gutes Leben haben bei mir.«
Ich staunte nicht lange. In ihren Augen erkannte ich, dass ich es wirklich gut haben würde. Doch wenn mein Revolver nicht schnell genug war, dann ... Nun, ich dachte nicht weiter darüber nach. Ich stellte mir eine ganz andere Frage, nämlich die, ob ich der Beschützer eines noblen Freudenhauses sein wollte. Passte das zu meinem Stolz und meiner Selbstachtung? Das war die Frage. Und dennoch. Ich hatte nicht mehr viele Yankeedollars in der Tasche. Und diese Frau, deren Namen ich noch nicht mal kannte, war etwas, was ich erleben wollte. Und so beschloss ich zu bleiben.
Ihr Name war Esther Miles, und ihr Freudenhaus hieß El Dorado Casa. Ihre sieben Mädchen waren wunderschön und gehörten zu allen Hautfarben. Ein riesiger Neger, der einst Preiskämpfer gewesen war, bewachte den Eingang zum Innenhof. Er ließ nur Gäste ein, die dem Niveau und dem Ambiente des Hauses entsprachen und angemessen waren.
Ja, es war ein nobles Freudenhaus mit Edelhuren. Und ich war der Beschützer. Was Herkules, der schwarze Riese, nicht schaffte, weil er nur seine Fäuste einsetzen konnte, musste ich mit meinem Revolver erledigen. Und so hatte ich schon während der ersten Tage oder Nächte Gelegenheit, mich als Beschützer zu bewähren. Und nachdem dies geklärt war, gehörte mir auch Esther Miles. Mir ging es gut, so richtig prächtig. Ich trug gute Kleidung, bekam gutes Essen, konnte in der Badestube baden – und ich lag mit Esther immer wieder im Bett. Sie schenkte sich mir nicht nur aus Dankbarkeit und weil sie mich als Beschützer halten wollte. Nein, sie wollte mich auch als Mann. Wir passten gut zusammen mit unseren Wünschen, die in uns Menschen sind seit Adam und Eva. Vielleicht hatte sie mich irgendwie verzaubert und verhext. Denn mir machte es nichts aus, der Beschützer eines Freudenhauses zu sein. Und das sogenannte ›Geschäft‹ lief hervorragend, so richtig prächtig. Doch man zahlte hier nicht mit den neuen Yankeedollars. Die gab es auch hier nur spärlich. Hier zahlte man mit Silberpesos oder Gold.
Denn im Westen gab es Gold- und Silberminen. Von dort kamen die Gäste zur El Dorado Casa, zu den wunderschönen Mädchen darin. Und der Weg von den Minen bis zu uns war weiter als hundert Meilen. Esther Miles' Casa war eine Goldmine. Und mir ging es gut. Was wollte ich mehr? Vielleicht ging es mir wie einem leicht Berauschten, der diesen Zustand nicht mehr missen wollte. Doch dann kam der Tag, an dem Francisco Alvarez uns besuchte. Und der war jener Mann, der meinen Vorgänger ausgelöscht hatte. Er war ein sogenannter Zweirevolvermann.
5
Esther sah ihn vom Balkon aus kommen. Er kam mit einigen Reitern mexikanischer Abstammung, und ich wusste, er war ein Bandit, der nirgendwo lange bleiben konnte, weil Aufgebote ihn jagten. Esther sagte: »Da kommt er. Ich erzählte dir von ihm. Er hat deinen Vorgänger erschossen und mir gesagt, dass er alle Narren erschießen wird, die ich mir als Beschützer in meine Casa hole. John, du wirst ihn töten müssen – oder er wird dich töten. Du kannst dich aber auch auf dein schnelles Pferd setzen und die Flucht ergreifen. Was wirst du also tun?« Es war eine klare Frage, und ich wusste jetzt endgültig, dass sie mich in ihre Casa geholt hatte und es mir bei ihr so gut ergangen war, weil sie genau wusste, dass dieser Tag kommen würde. Und sie hatte mich richtig eingeschätzt und beurteilt in jenen kurzen Minuten, da wir im Store Knöpfe einsammelten. Ich war kein Mann, der fortlaufen konnte. Jetzt musste ich zurückzahlen, was ich bekommen hatte. Denn nun war es wieder soweit. Man musste irgendwann für alles zahlen, was man erhielt. Das gehörte zum Nehmen und Geben. Und ich hatte hier nach meinem wochenlangen Reiten eine Menge bekommen. Was also sollte ich tun?
Ich verspürte einen starken Widerwillen in mir aufsteigen. Musste ich, wohin mein Weg auch führte – kämpfen und töten? War das mein Schicksal? Esther Miles hatte mir von Anfang an gesagt, dass ich ihr Beschützer sein sollte. Nein, sie hatte mich nicht getäuscht. Ich hatte stets gewusst, warum ich sie besitzen durfte, sie sich mir schenkte und ich alle anderen Annehmlichkeiten in diesem Palacio der Freuden und Sünden genießen durfte. Nun musste ich meinen Preis zahlen. Aber ich zögerte. Denn dieser Francisco Alvarez kam ja nicht allein. Er hatte eine verwegene Mannschaft hinter sich. Seine Männer würden mich gewiss mit Blei füllen, wenn ich ihn im Duell besiegen konnte. Sie waren gewiss keine Ritter mit Revolverehre. Ich zögerte. Denn wieder einmal saß ich in der Falle. Eine schöne Frau hatte mir den Verstand betäubt. Am liebsten wäre ich jetzt geflüchtet. Ich konnte hinunter in die große Halle laufen, durch den Hinterausgang zu den Stallungen und Corrals gelangen und auf meinem schnellen Rotfuchs die Flucht ergreifen. Fast war ich dazu entschlossen. Doch dann vermochte ich es doch nicht zu tun.
Und so verharrte ich auf dem Balkon neben Esther und wartete. Die Bande erreichte den Palacio. Es waren sieben Reiter, zumeist mexikanischer Abstammung. Es gab ja in diesem Land fast soviel Mexikaner wie Angloamerikaner. Francisco Alvarez sah gut aus. Er ließ an einen schwarzen Panther denken. Und er wirkte eher wie ein spanischer Don als wie ein Mexikaner. Ihre Pferde waren erschöpft, am Ende. Sie mussten hart geritten sein. Und das sagte mir, dass sie auf der Flucht waren. Und so blickte ich mit einer schwachen Hoffnung in die Ferne. Aber noch war auf ihrer Fährte nichts zu sehen. Da war keine Staubwolke – nichts. Francisco Alvarez blickte zu uns empor. Er zeigte zwei weiße Zahnreihen unter seinem Bart. Und er schwang den Sombrero und rief zu uns herauf: »Ay, schöne Esther, du herrliche Hombra! Heute wird es nichts mit uns beiden. Ich bin heute in Eile und kam hier nur vorbei, weil wir frische Pferde brauchen. Aber wir sehen uns bald!« Er deutete auf mich und lachte blinkend, zeigte seine weißen Zähne wie ein Raubtier. »Ay, Hombre, bist du jetzt ihr Beschützer und Liebhaber? Ich werde bald kommen und dich töten!«
Er zog sein Pferd herum und ritt um den Palacio herum, dorthin, wo die Corrals waren, in denen sich Pferde befanden. Auch mein Rotfuchs befand sich in einem der Corrals. Sie würden ihn mir stehlen. Und so stieg ein böser Zorn in mir hoch. Denn ich liebte dieses Tier, so wie ein Mensch ein Pferd nur lieben konnte. Ich blickte nach Osten, von wo die Bande gekommen war. Und da sah ich eine Staubwolke, die sich schnell näherte. Nun wusste ich, warum es die Bande so eilig hatte und frische Pferde haben wollte. Denn dort kam ein starkes Aufgebot. Es konnte gar nicht anders sein. Esther Miles flüsterte fast wie betend neben mir: »Diesmal entkommt er nicht, nein, heute nicht, auch nicht auf frischen Pferden. Denn die Stadt, wo sich das Aufgebot ebenfalls frische Pferde beschaffen kann, ist ja nicht weit. Und der Tag hat ja erst angefangen. Diesmal entkommt er nicht. Dieser verrückte Pirat wird bald hängen oder erschossen.« Ich sagte nichts. Doch ich wartete lauernd. Die Bande wollte nach Westen und musste von den Corrals her um den Palacio reiten. Sie mussten unter dem Balkon, auf dem wir standen, vorbeigeritten kommen. Wer würde auf meinem Rotfuchs sitzen?
Das war die Frage in mir. Wahrscheinlich war der Rotfuchs das beste Tier unter den Pferden im Corral. Es waren ja nicht viele. Auch das wunderschöne Gespann, welches den Buggy von Esther stolz gezogen hatte, gehörte zu diesen paar Tieren. Die Bande kam bald um den Palacio gejagt. Sie hatten nicht viel Zeit benötigt, ihre erschöpften Tiere gegen frische einzutauschen. Sicherlich waren sie ganz besonders geübt in dieser Fertigkeit. Ich sah nun bestätigt, was ich befürchtet hatte. Der vorderste Reiter saß auf meinem Rotfuchs. Er hatte meinen Wallach schnell unter Kontrolle bekommen. Es war Francisco Alvarez selbst. Als er unter dem Balkon vorbeijagte, dabei meinem Wallach die Sporen in die Weichen stieß, lachte er zu uns empor. Dann hob er seinen Revolver und schoss. Ja, er wollte mich im Vorbeijagen töten. Das alles gehörte zu seiner wilden Verwegenheit. Aber seine Kugel traf mich nicht. Er saß ja auf einem galoppierenden Pferd. Ich schoss ihn aus dem Sattel. Plötzlich war alles so einfach, und ich hatte gar keine andere Wahl mehr. Er fiel krachend in den Staub und rührte sich nicht mehr. Neben mir sagte Esther wie betend: »Du Vater im Himmel, ich danke dir.«
Ich sagte nichts, denn ich musste hinunter, um mich um meinen Rotfuchs zu kümmern. Dieser war nicht weit weg galoppiert. Er verharrte in einiger Entfernung. Die sechs Banditen aber hatten nicht angehalten, als ihr Anführer aus dem Sattel fiel. Sie umritten ihn rechts und links und verschwanden in der Ferne. Ich stand wenig später mit meinem Rotfuchs neben dem toten Francisco Alvarez, als das Aufgebot herangedonnert kam. Der Mann an der Spitze trug einen Stern. Und er hatte zwei Dutzend Reiter hinter sich, die ihre Pferde zügelten und um mich und den toten Bandolero tanzen ließen. Der Sheriff sah auf mich nieder. »Wer hat ihn erschossen?« So fragte er. »Er hatte sich mein Pferd ausgesucht«, erwiderte ich nur. Der Sheriff nickte. »Sie können die Belohnung beanspruchen«, sagte er gönnerhaft. Dann rief er seinen Reitern zu: »Weiter in die Stadt! Dort bekommen auch wir frische Pferde!« Sie hinterließen eine Staubwolke. Ich stand dann immer noch neben dem toten Francisco Alvarez und sah zu Esther Miles empor. Sie lehnte über der Brüstung und fragte: »Ist er wirklich tot, dieser Wilde?«
Ich stieß den leblosen Körper sachte mit der Stiefelspitze an. Francisco Alvarez rührte sich nicht. »Ja, er ist tot«, sprach ich zu ihr empor. Und indes ich diese Worte sprach, da wusste ich, dass an diesem Ort für mich alles zu Ende war.
Es wurde ein kurzer Abschied. Esther stand im Zimmer, als ich meine wenigen Siebensachen in die Satteltaschen packte und dann auch die Sattelrolle schnürte. Sie sah mir schweigend zu. Als ich fertig war und mich ihr zuwandte, da fragte sie: »Warum gehst du? Was ist der Grund? Du hättest hier ein wunderschönes Leben gehabt, John Hays. Was hat sich verändert?« »Es wäre nicht mein Leben gewesen«, erwiderte ich. »Ich wäre ständig dein Beschützer gewesen und hätte vielleicht bald wieder töten müssen. Aber ich will nicht mehr kämpfen und töten, selbst nicht für den Lohn, mit dir im Bett liegen zu dürfen. Du wirst einen anderen Mann finden. Dafür hast du einen untrüglichen Instinkt. Du konntest mich binnen weniger Sekunden als geeignet erkennen.« »Dann geh doch«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang kalt und wütend.
Nun wusste ich, dass sie nicht mit dem Herzen lieben konnte. Sie war in diesem Palacio die Chefin, die Patrona oder Prinzipalin, aber sie hatte das Herz einer Hure. Was sie mir im Bett schenkte, konnte mich nicht für immer an sie binden. Denn ich würde immer nur ihr Beschützer sein, eine Art Höllenhund. Als ich dann auf meinem Rotfuchs davonritt, stand sie auf dem Balkon und rief zu mir herunter: »He, willst du nicht die Belohnung kassieren? Das sind tausend Dollar. Willst du auf tausend Dollar verzichten? Du würdest nur warten und mit dem Sheriff nach Silver reiten müssen. Denn von Silver her kam das Aufgebot.« Ich winkte nur ab und ritt meines Weges. Unten vor dem Eingang zum Innenhof hatten der riesige Schwarze und die Mädchen gestanden. Eine hatte mir nachgerufen: »Viel Glück, Revolvermann!« Über dieses letzte Wort dachte ich nach, indes ich nach Westen ritt. Revolvermann ... War ich ein Revolvermann? War das mein Schicksal, wohin ich auch kam? Doch wohin würde ich dort im Westen kommen? Und was erwartete mich dort? Nun, irgendwo und irgendwann würde ich eine Antwort bekommen.
Denn ich glaubte, dass ein unabwendbares Schicksal meine Wege bestimmte. Doch ich verspürte keine Furcht, nur Sorge.
Wieder ließ ich mich treiben und ritt am südlichen Bogen der Zuni Mountains weiter nach Westen. Ich blieb da und dort ein oder zwei Tage in kleinen Ortschaften oder Poststationen und ritt dann weiter auf dem Wagenweg nach Fort Apache. Als endlich das Fort vor mir auftauchte, da staunten sie im Saloon, dass mich die Apachen nicht erwischt hatten. Sie nannten mich einen Glückskerl. Und am Abend saß ich inmitten einer Pokerrunde und vermehrte meine paar Dollars, die ich noch besaß, um genau siebenundfünfzig. Ja, in der kleinen Stadt bei Fort Apache, die nur aus Hütten, Zelten und einigen Wagenburgen im Schutz des Forts entstanden war, gab es Yankeedollars. Denn die Garnison – es war ja ein ganzes Regiment – hatte Löhnung für einige Monate bekommen. Einer der Wagenzüge, die hier rasteten, war ein fahrendes Bordell. Und dorthin brachten die Soldaten ihren Sold zuerst.
Und von dort aus verbreitete sich der Dollarsegen in der werdenden Stadt. Ich stand später an der Bar neben einem alten Scout aus dem Fort und kam mit ihm ins Gespräch. Und die Rede kam auch auf das fahrende Bordell. Ich fragte so nebenbei: »Wohin in diesem verdammten Land wollen sie denn, diese Mädchen?« Er grinste mich mit seinen braunen Zahnstummeln an und sprach dann, nachdem er sich umblickte und vergewisserte, dass niemand zuhörte: »Die wollten eigentlich nach Hope City.« Ich hörte diesen Namen zum ersten Mal. »Hope City?« So fragte ich. Er grinste mich wieder an. »Das ist ein Geheimtipp«, sprach er schließlich. »Dort suchen und finden sie Gold. Und so wächst das Camp in den wilden Catalinas wie eine Eiterbeule, welche irgendwann platzt. Aber es ist ein Ort, wo man auf verschiedene Weise sein Glück machen kann, wenn man hart und schlau genug ist.« Ich bestellte für uns nochmals einen Drink und fragte ihn dann: »Und wie würden Sie es angehen, Lederstrumpf?« »Wenn ich jünger wäre«, erwiderte er, »dann wüsste ich, wie ich zehntausend Dollar verdienen könnte, ohne nach Gold kratzen zu müssen.«
»Ich bin jünger«, sagte ich und grinste. »Und ich suche nach einer Chance. Nur Bandit würde ich nicht werden wollen, wenn Sie das mit den zehntausend Dollar meinen.« »Nein, es wäre ganz legal, ja sogar ehrenwert, ein gutes Werk sozusagen. Aber es ist noch niemand darauf gekommen. Und das liegt wohl daran, dass niemand das kleine Tal in den Catalinas kennt, in dem sich damals einige Pilgrimrinder verirrten und inzwischen wie Kaninchen vermehrten. Nur ich fand dieses Tal, als ich einmal eine Armeepatrouille durch die Catalinas führte. Es sind dort fast zweihundert Rinder.« »Die sind nichts wert«, erwiderte ich. »Ganz Texas ist voller Rinder. Und niemand will sie haben. Und selbst die Häute bringen nicht soviel ein, wie das Abhäuten und der Transport kosten würden. Vergessen Sie die paar Rinder, Lederstrumpf.« »Man nennt mich Alamo Joe«, kicherte er. Dann leerten wir erst mal die Gläser. Ich wollte mich abwenden und gehen, als er sagte: »Wenn Sie mir noch einen Drink spendieren, dann sage ich Ihnen, was man mit den Rindern machen kann und warum sie mehr als zehntausend Dollars wert sind.«
Ich staunte, wollte es nicht glauben. Doch in seinen alten Falkenaugen erkannte ich ein listiges Glitzern. Ich wusste plötzlich, dass er ein As im Ärmel hatte und nicht nur auf plumpe Art einen weiteren Drink wollte. Und so ließ ich unsere Gläser nochmals füllen. »Mein Junge«, sprach er, »wenn Sie das sind, wofür ich Sie halte, dann werden Sie mir dankbar sein.« Er beugte sich näher zu mir herüber. Und da er kleiner war als ich, musste ich mich niederbeugen, damit er in mein Ohr sprechen konnte. Er sagte: »In Hope City ist bald der Teufel los. Sie werden bald gewaltig hungern. Denn sie werden immer mehr und suchen nur nach Gold, denken an nichts anderes. Es gibt keinen Wagenweg nach Hope City. Man kann nur auf Maultieren, Pferden oder zu Fuß dorthin. Sie werden dort bald hungern, von Rindersteaks nur noch träumen. Und auch Wild gibt es nicht mehr in weiter Runde. Deshalb werden sie für ein Rind gewiß hundert Dollar und mehr zahlen. Aber man muss die Rinder durch die Schluchten und über die Berge schaffen. Und dazu braucht man erstklassige Cowboys. Hast du nun alles begriffen, mein Junge? Du warst früher mal
Cowboy, ich sehe das an den alten Lassonarben auf deinen Handrücken. Oder irre ich mich da?« Abermals sah ich das listige Funkeln in seinen Augen. Und dann jagten sich meine Gedanken. Hundert Dollar für ein Rind, das würden zehntausend Dollar für hundert ergeben. So einfach war das. Denn wenn die Goldsucher erst einmal einen gewaltigen Hunger auf frisches Fleisch bekamen ... Ich musste gar nicht weiter denken. Der alte Apachenjäger hatte mich beobachtet. Nun sagte er: »Aber du brauchst mich, mein Junge, denn nur ich kenne den Weg zum kleinen Rindertal. Ohne mich geht es nicht! Ich kenne auch den Weg durch die Schluchten und über die Berge nach Hope City. Hihohohi, sie haben das Nest Stadt der Hoffnung getauft.« Ich bestellte nochmals zwei Drinks. Dann aber sagte ich: »Ja, das wäre was für uns, Alamo Joe. Aber um mehr als hundert Rinder zu treiben durch rauhes Land, da brauche ich wenigstens drei erstklassige Cowboys. Und woher soll ich hier solche Experten bekommen?« »Das ist dein Problem, mein Junge.« Er grinste. »Ich heiße John, John Hays«, erwiderte ich.
6
Es vergingen zwei Tage – und die ganze Zeit wusste ich, dass mir das Schicksal einen Weg gezeigt hatte, als es mich neben den alten Scout an den Schanktisch führte. Und warum hatte er ausgerechnet mit mir über die Möglichkeit geredet, eine Menge Geld zu machen, wie man so sagte? Dafür gab es eigentlich nur eine Erklärung. Er hatte mich für besondere Leistungen fähig gehalten. Und er sah auf meinen Handrücken die alten Lassonarben. Für ihn war ich ein texanischer Rindermann, der nun nach dem Krieg eine Chance suchte und deshalb ins Arizona-Territorium gekommen war. Denn in Texas gab es vorerst keine Chancen. Nun, das mussten seine Beweggründe wohl gewesen sein. Doch nun hatte ich sozusagen den ›Schwarzen Peter‹ in der Hand. Was konnte ich damit machen? Es war ein verdammtes Spiel, bei dem man sich höllisch überreizen konnte. Ich suchte also nach Cowboys, und es mussten verdammt gute sein, welche von der ganz besonderen Sorte. Denn wir mussten halbwilde Longhorns durch raues Land treiben, durch enge Schluchten und über Berge. Und die Strecke betrug mehr als hundert Meilen. Das konnte mehr als zwanzig Tage dauern, wenn das Land zu rau
und unwegsam war. Denn dann kam man gewiss nicht mehr als fünf Meilen am Tag vorwärts. Ich würde also ganz besondere Männer finden müssen. Und so suchte ich schon zwei Tage und Nächte rings um Fort Apache in den Camps und in den Nächten dort, wo sich Männer sammelten, im Saloon, vor den Bratständen und an den Feuern der Wagencamps nach geeigneten Leuten. Und als ich am späten Nachmittag des zweiten Tages am Gefängnis vorbeikam, da rief mir durch eines der kleinen Gitterfenster eine heisere Stimme zu: »He, Texas!« Ich hielt inne und sah hinüber. Doch ich konnte das Gesicht hinter den Gittern nicht gut genug erkennen. Deshalb trat ich näher und fragte: »Meinst du mich?« »Und wie ich dich meine«, rief die Stimme. »Dich schickt der Himmel, so als hätte ich gebetet!« Ich stand nun nahe genug am Gitterfenster. Und da erkannte ich das Gesicht. Ja, ich kannte diesen Mann. Nun erschien auch noch ein zweites Gesicht zwischen den Gitterstäben und grinste mich an. »So sieht man sich wieder«, erklang eine zweite Stimme. Und ich erinnerte mich an meinen Kampf in der kleinen Stadt Amity. Da brach im Saloon die Holle los und bekam ich Hilfe.
Und zwei Cowboys, die neben mir an der Theke standen, die schossen mit mir auf die großspurigen Ex-Guerillas, so wie auch noch einige andere Gäste. Ich erinnerte mich wieder an den wilden Ausbruch von Gewalt. Und dort hinter den Gittern sah ich die Gesichter jener zwei Cowboys. Heiliger Rauch, dachte ich, was ist das! Doch dann fragte ich: »Was macht ihr denn hier in einem Arresthaus der glorreichen Unionsarmee?« Sie grinsten bitter und böse. Dann sagte einer: »Hol uns hier heraus, dann erzählen wir es dir.« Ich schob meinen Hut in den Nacken und kratzte mich hinter dem Ohr. Dann fragte ich: »Und wie könnte ich das tun?« Ein Sergeant kam heran und blieb bei mir stehen. Er hatte meine Frage gehört und sagte grimmig: »Ein-hundertsiebenundfünfzig Dollar kostet das. Dann lassen wir sie wieder in die Freiheit. Die haben in unserer Kantine eine Menge Schaden angerichtet. Aber ihre Pferde mit den Sätteln sind nicht mal zusammen die Hälfte wert, wenn wir sie verkaufen könnten. Ich bin der Kantinensergeant. Wenn ich den Schaden ersetzt bekomme, dann sage ich dem Profoss, dass er sie wieder aus dem Loch lassen kann.« Er ging weiter.
Einer der beiden Cowboys sagte aus dem Gitterfenster: »Jetzt weißt du es. Wir haben uns mit den Blaubäuchen in ihrer Kantine ein wenig geprügelt, weil sie uns texanische Rinderzecken nannten. Holst du uns nun raus, Langer? Du bist uns was schuldig – oder?« Ich nickte. »Ja, ich bin euch was schuldig. Aber so schnell geht das nicht. Ich muss erst einhundertsiebenundfünfzig Dollar beisammen haben. Da fehlen mir noch gut die Hälfte.« Nun grinsten sie nicht mehr. »Die sind hier nicht gerade freundlich oder nobel zu uns, diese Blaubäuche«, sagte einer. Und der andere knurrte: »Die mögen keine Texaner.« »Wer mag die schon«, erwiderte ich und ging davon. Sie riefen mir nichts nach, aber ich wusste, dass sie nun auf mich zählten. Ich aber dachte wieder über das Spiel des Schicksals mit uns Menschen nach. Warum waren die beiden Texas-Cowboys hier gelandet? Warum war ich hier so dicht am Arresthaus vorbeigegangen? Und überhaupt, warum lief das alles so, angefangen in Amity? War alles nur Zufall? Wie konnte ich hier in oder bei Fort Apache so schnell genügend Geld beschaffen?
Musste ich nun doch ein Bandit werden, jemanden mit einer dicken Brieftasche ausfindig machen und ausrauben? Oder konnte ich mich weiter auf das Spiel des Schicksals verlassen? Denn wenn alles Bestimmung war, dann würde ich gewinnen, weil dies einfach so sein musste.
Als es Nacht wurde, saß ich nach dem Abendessen im Saloon am Spieltisch beim Poker. Der Saloon war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die meisten Gäste waren Soldaten aus dem Fort, das nur eine knappe Viertelmeile von der Stadt entfernt war. Einige der Soldaten – es waren zumeist Sergeanten – hatten ihren Sold noch nicht ganz ausgegeben. Und ich gewann. Als es Mitternacht wurde und die Soldaten ins Fort zurück mussten, wurden sie abgelöst von einigen Zivilisten. Und ich gewann immer noch. Gewiss, ich hatte mich immer schon in einem Pokerspiel behaupten können. Doch in dieser Nacht bekam ich zumeist gute Karten. Ich spielte ehrlich, doch ich hatte einen guten Instinkt, der mich spüren und erkennen ließ, ob meine Gegenspieler nur
blufften oder wirklich ein gutes Blatt in der Hand hatten. Ich schlief bis Mittag, ging dann ins Fort und trat wieder an die Gitterfenster des Arresthauses. Die beiden Gesichter erschienen zwischen den Stäben. Eine heisere Stimme fragte: »Wenn uns niemand auslöst, dann müssen wir ab morgen die Abortfässer aus den Gruben holen und außerhalb des Forts entleeren, die ganze Scheiße der Garnison dort draußen in der Wüste entsorgen. Wie gefällt dir das, Texas?« Er betonte das letzte Wort besonders und machte mir damit klar, dass Texaner zusammenhalten mussten. »Jungs«, erwiderte ich, »ihr könnt darauf vertrauen, dass ich mir verdammt Mühe gebe. Ich habe die ganze Nacht Poker gespielt. Doch es ging immer nur um kleine Einsätze. Vielleicht bekomme ich diese Nacht genug Geld zusammen.« Sie fluchten grimmig. Einer sagte: »Dann denk immer daran, was wir morgen tun müssen. Und wenn wir uns weigern würden, dann bekämen wir nichts zu essen. Das drohten sie uns an.« »Dann betet diese Nacht«, erwiderte ich, »dass ich genug gewinne und nicht verliere, Jungs. Wie sind denn überhaupt eure Namen? Ich bin John Hays.«
»Wir heißen Pug Hackett und Pete Fisher«, knirschte einer. »Ich bin Pug, und das ist Pete. Du musst das Geld zum Kantinensergeanten bringen.« Ich nickte stumm und ging wieder. Und ich fragte mich, ob ich in der kommenden Nacht nochmals gewinnen würde. Denn wenn nicht …
Es war am nächsten Morgen, als ich zum Kantinensergeanten ging und ihm das Geld auf den Tisch zählte. Er war ziemlich knurrig und sagte: »Ich habe schon von Ihnen gehört, Mann. Sie haben den Soldaten drüben im Saloon beim Poker die Dollars abgenommen. Sie sind also ein Kartenhai. Vielleicht sollte ich die beiden Texas Wild Bills doch erst noch die Fäkalien der Garnison entsorgen lassen – damit sie ihre Lektion auch wirklich lernen. Aber ich will mal nicht so sein.« Und so gingen wir zum Profoss. Wenig später verließen wir das Fort. Ich war übernächtigt, denn ich hatte ja die ganze Nacht gepokert. Wir gingen hinüber in die kleine Siedlung und dort in den Saloon zum Frühstück. Und als Pete Fisher und Pug Hackett so richtig behaglich und mit vollen Backen das Frühstück mampften – es gab Speckpfannkuchen und
Kaffee –, da trat der alte Scout Alamo Joe zu uns an den Tisch, betrachtete die beiden Cowboys und fragte mich: »Sind sie das?« Ich nickte und erwiderte: »Das sind sie. Doch sie wissen es noch nicht.« Pug und Pete hielten beim Kauen inne und wirkten mit einem Mal sehr wachsam. »Was wissen wir nicht?« Pug fragte es. »Dass ihr binnen zwanzig Tagen jeder tausend Dollar verdienen könnt«, erklärte ich ihnen. »Und ihr müsst dafür niemanden überfallen und ausrauben. Ihr müsst nur einige Rinder treiben, also nichts anderes als in eurem alten Job arbeiten. Oder seid ihr an tausend Dollar nicht interessiert?« Nun wirkten sie noch wachsamer. »Vielleicht könnten wir mehr erfahren«, sprach der rothaarige Pete vorsichtig. »Rinder treiben ...«, murmelte der dunkelhaarige Pug. »Etwa durch die Hölle?« Da kicherte Alamo Joe und sprach dann hart: »Für tausend Dollar muss man eine Menge tun – oder nicht?« Sie nickten. Dann sahen sie mich an. Pug murmelte: »Da hat uns wohl das Schicksal zusammengeführt, nicht wahr? Wir sind nicht in der Lage, tausend Dollar abzulehnen.«
Am nächsten Tag brachen wir auf. Ich hatte in der vergangenen Nacht erneut eine Menge Geld gewonnen, zumeist von einem Frachtzugbesitzer, der verrückt genug war, seine Verluste zurückgewinnen zu wollen. Wir waren gut ausgerüstet mit Proviant und Lagergerät, besaßen sogar ein Maultier, welches unsere Schätze trug. Und so zogen wir los. Alamo Joe führte uns nach Südwesten ins Apachenland hinein. Es war ein trockenes Land, voller Kakteen und roten Felsen, gewaltiger Mesas, tiefer Schluchten und mächtiger Canyons. Irgendwo über uns erhoben sich die Catalinas gen Himmel. Und dort sollte es ein verborgenes Tal geben, in welches sich die davongelaufenen Rinder eines Siedlertrecks – sogenannte Pilgrimrinder – verirrt und dann vermehrt hatten. Wir waren von Anfang an eine gute Gemeinschaft, mochten uns schon bald. Und der alte Alamo Joe erzählte uns immer wieder, wenn wir rasteten oder unser Camp aufgeschlagen hatten, amüsante Geschichten. Er kannte das Land und all seine verborgenen Wege wie die Linien seiner Handflächen. Einmal sahen wir ein Apachenrudel, welches uns beobachtete. Pete fragte: »Wollen die unsere Skalpe?«
Alamo Joe lachte meckernd wie ein Ziegenbock. Dann sagte er: »Macht euch keine Sorgen. Die haben längst erkannt, dass ich bei euch bin. Und mir tun sie nichts. Also werden sie auch euch nichts tun. Ich glaube, ihr wisst noch gar nicht, was ihr an mir habt.« Wir staunten ihn an. Dann fragte Pug: »Und warum tun sie dir nichts, Großvater?« »Du sollst mich nicht immer Großvater nennen, mein Junge. Ich bin noch rüstig genug, um in einer Woche die Squaws eines ganzen Indianerdorfes zu schwängern. Das habe ich schon einmal getan und könnte es wieder tun.« Wir grinsten ihn zweifelnd an, so als hielten wir ihn für einen Prahler, würden ihm aber seine Prahlerei nicht übelnehmen, weil wir ihn mochten. Da wurde er wütend, als wäre er tief in seiner Ehre als Mann verletzt. Schließlich deutete er zu den Apachen hin, die eine Viertelmeile von uns entfernt auf einem Hügel hielten. »Vielleicht sind da einige meiner Kinder. Wisst ihr, Jungs, ich kam mal im EskimenzinCanyon in ein kleines Dorf, in dem die Krieger fortgeritten waren, um drüben in Mexiko Pferde zu stehlen. Ich war damals noch ein prächtig aussehendes Mannsbild, so richtig voller Saft und
Kraft. Die Frauen des Dorfes verwöhnten mich so richtig, und ich machte jede Nacht eine andere glücklich. Später hörte ich, dass ich sieben von ihnen geschwängert hatte. Sieben in einer Woche. Wer schafft das schon?« Alamo Joe verstummte stolz. Wir starrten ihn staunend und ungläubig an. Dann fragte Pug: »Und die Krieger des Dorfes im Eskimenzin-Canyon haben dir das nicht übelgenommen?« Joe lachte wieder meckernd. »Warum denn? Apachen wollen viele Kinder, ganz gleich von wem. Sie stehlen ja sogar welche. Denn sie wollen nicht aussterben. Und ich hatte ihre Kopfzahl vergrößert. Sie sind mir dankbar, denn es sprach sich unter allen Horden herum.« Wir staunten immer noch und vermochten es nicht zu glauben. Doch er winkte dann mit beiden Armen zu der kleinen Apachenhorde auf dem gegenüberliegenden Hügel hinüber und stieß einen seltsamen Schrei aus, welcher weit hallte und als Echo zurück kam. Die Apachen winkten zurück und ließen den gleichen Schrei hören. Dann verschwanden sie. Joe aber strahlte uns an. »Jetzt wisst ihr wohl erst richtig, was ihr an mir habt?«
»O weia«, stöhnte Pete Fisher, »was ist das für eine Welt. Aber ich glaube nicht, dass du dies alles nochmal wiederholen könntest in einem Apachendorf voller verlassener Frauen – nein, jetzt nicht mehr.« Da blies Joe verächtlich die Backen auf. »Ihr habt ja keine Ahnung«, knurrte er und ritt wieder voraus. Wir sahen uns an, bevor wir ihm folgten. Pug sagte: »Vielleicht haben wir wirklich keine Ahnung von ihm. Gibt es eigentlich hübsche Apachenfrauen?« »Das kommt wohl darauf an, wie man sie sieht«, erwiderte ich. Dann ritten wir Alamo Joe nach. Pete knurrte: »Könnt ihr euch vorstellen, dass er mal jung und ansehnlich war?« »So wie du?« Pug grinste. »Eines Tages siehst du aus wie Joe. Du musst nur so alt werden wie er und in Erinnerungen schwelgen.« Wir lachten. Da drehte sich Joe vor uns im Sattel um und rief: »Ihr werdet schon noch herausfinden, was ich auf dem Kasten habe!« Wir lachten nicht mehr, denn wir wollten ihn nicht verärgern. Wir mochten ihn ja.
7
Es war ein böser Weg in die Catalinas hinein, und ich fragte mich, warum ein paar dämliche Rinder ihn damals gingen. Aber vielleicht waren sie gar nicht so dämlich, sondern wollten einfach nur frei sein und weg von uns Menschen. Wir brauchten drei Tage, dann ritten wir durch eine enge Schlucht in ein wunderschönes Tal, welches von hohen Bergen und steilen Wänden umgeben wurde. Es gab hier Quellen. Aus einer Felswand kam ein Wasserfall. Und mitten in diesem grünen Tal gab es sogar einen See. Auch Bäume waren reichlich vorhanden. Wir staunten sprachlos. Denn was wir sahen, dies war ein Wunder. Aber gibt es nicht immer wieder Wunder auf unserer Erde? Doch dieses Tal hier war für uns eines der grössten. Und dumme Rinder, die einem Siedler- und Landsuchertreck fortgelaufen waren, hatten dieses Paradies gefunden. Auch das war ein Wunder. Und nun waren wir gekommen, um sie aus ihrem Paradies und zu den hungrigen Goldgräbern bei Hope City zu treiben.
Das war kein Wunder, sondern eine der vielen Gemeinheiten, zu denen wir Menschen fähig sind. Aber wir waren keine Heiligen. Wir wollten Dollars. Wir staunten eine Weile, ließen unsere Blicke durch das Tal schweifen. Und zuletzt richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Rinder. Wir sahen sie überall, vor allen Dingen rings um den See, aber auch an dessen Abläufen und unter den Bäumen. Es waren gutgenährte Tiere, denen es hier an nichts mangelte, weil sie noch nicht so zahlreich geworden waren, dass ihre Weide nicht mehr alle ernähren konnte. Noch reichte das prächtige Blaugras für alle. Es mochten an die zweihundert sein, und sie waren gut verteilt. Lange waren wir sprachlos geblieben. Dann ließ Alamo Joe sein meckerndes Lachen hören. Und schließlich sagte er stolz: »Nun, ihr Cowpuncher, da staunt ihr wie eine Jungfrau über ihr Kind. Oder nicht?« Wir schwiegen immer noch. Dann murmelte ich: »Ja, Joe, wir staunen mächtig über das alles hier. Wir sind in ein Paradies eingedrungen, um es zu verändern.« Er schüttelte den Kopf. »In zwei oder drei Jahren hätten sich die gehörnten Biester so vermehrt, dass sie sich
gegenseitig die letzten Grashalme weggefressen hätten. Wir können ja ein paar von ihnen zurücklassen, sodass es hier wieder so ist wie am Anfang und alles wieder von vorn anfängt.« Wir nickten. Seine Worte nahmen uns etwas unser Schuldgefühl. Er hatte nämlich den Punkt getroffen. Wenn sich die Rinder noch mehr vermehrten, reichte die Weide in dem kleinen Tal bald nicht mehr für alle. Vielleicht würde das eines Tages auch mit der Menschheit auf unserer Erde so kommen. Ich erschrak bei dem Gedanken, der mir plötzlich durch den Kopf schoss. Alamo Joe aber rief nun fast wild: »Jetzt seid ihr an der Reihe! Ich habe euch hergeführt! Und ich werde euch nach Hope City führen, wenn ihr gut genug seid, diese Rinder zu treiben. Oder habt ihr das verlernt während des Krieges?« »Das verlernt ein Cowboy nie«, knurrte Pug. Und Pete fügte hinzu: »So wie man niemals verlernt, was man mit einer Frau im Bett anfangen kann.« »Na gut, Jungs, dann zeigt es mir!« Joe rief es herausfordernd. Und wir wussten, dass es schwierig sein würde. Denn die Rinder in diesem Tal waren keine zahmen Pilgrimrinder mehr. Sie waren in den vergangenen Jahren richtige wilde Biester geworden. Gewiss hatten sie sich auch gegen
Raubwild – zum Beispiel Pumas – wehren müssen, um ihre Kälber zu schützen. Solche Biester nannte man auch Cimarrones, was soviel wie entlaufene Sklaven bedeutet. Wenn wir sie in ihrem Paradies zu stören begannen, würden sie uns angreifen und unseren Pferden die Bäuche aufschlitzen. Und wir saßen ja nicht auf sogenannten Rinderpferden, sondern auf ganz normalen Tieren. Rinderpferde waren für die Herdenarbeit besonders abgerichtet. Die kannten jeden Trick der Longhorns und wichen den Hörnern aus. Sie halfen ihren Reitern auch bei der Lassoarbeit, hielten zum Beispiel das Wurfseil gespannt, wenn der gefällte Stier am Boden lag. Es wartete eine höllisch schwere Arbeit auf uns. Pug und Pete sahen mich grimmig an. Pug knirschte: »He, das wird schwerer, als sieben Apachensquaws zu schwängern. Dieser Lederstrumpf konnte sich gar keine Vorstellung davon machen. Nun gut, dann wollen wir mal sehen, wie wild sie wirklich sind.« Er nahm das Wurfseil vom Sattelhorn und ritt vorwärts, schnurgerade auf einen Stier zu, der keine hundert Yards von uns entfernt wie ein Talwächter wirkte und zu uns Eindringlingen herüberwitterte. Wir hörten sein Schnauben. Er scharrte mit dem linken Vorderhuf wie ein Toro, also ein Kampfstier.
Als Pug auf ihn zuritt, da schnaubte er lauter. Und dann kam er Pug entgegen. Wir sahen aufmerksam zu. Und wir bekamen wahrhaftig etwas zu sehen. Denn als sie sich beide nahe genug waren, senkte der Stier den Kopf und griff an wie ein Toro. Es war gewiss seine Absicht, Pugs Pferd zu rammen und ihm mit einer Hornspitze den Bauch aufzureißen. Aber Pug, der vor dem Krieg als Cowboy im Buschland des Brazos gearbeitet hatte, verstand es auch, auf einem normalen Pferd, welches den Krieg als Kavalleriepferd überlebte, seinen Job als Cowboy zu machen. Er schwang das Wurfseil und ließ die Schlinge dicht über dem Boden dem Stier entgegenfliegen wie einen Reifen, den ein Kind über den Boden schleudert. Der Stier trat in die Schlinge, bevor er bei Pug und dessen Pferd angelangt war. Pug riss sein Tier zur Seite und dadurch auch die Schlinge zu. Und so krachte der Stier, weil seine Vorderbeine plötzlich gefesselt waren, buchstäblich auf seine so böse schnaubende Nase. Und immer wenn er hoch wollte, da zog Pug die Schlinge mit Hilfe seines Pferdes wieder an. Der Stier kam einfach nicht hoch. Und irgendwann begriff er es endlich und blieb schnaubend liegen.
Denn so dumm war er doch nicht, dass er immer wieder auf die Nase fallen wollte. Wir ritten näher. Pug grinste uns entgegen. »Na«, fragte er, »habe ich etwas verlernt?« Alamo Joe zog seinen alten Hut und sagte: »Respekt! Ich ziehe meinen Hut vor dir, mein Sohn. Und nun bin ich ganz beruhigt und fest davon überzeugt, dass wir die Rinder nach Hope City bringen werden. Und so wird Hope City auch für uns zu einer großen Hoffnung.«
Nun, wir arbeiteten die nächsten drei Tage hart und brachten den halbwilden Biestern bei, dass sie gegen uns keine Chance hatten. Und auch unsere Pferde lernten in diesen Tagen mächtig viel und wurden echte Rinderpferde – jedenfalls fast. Alamo Joe kochte für uns, und wenn wir nach Anbruch der Nacht am Feuer saßen, da erzählte er uns Geschichten aus seinem Leben. Es waren gewiss eine Menge Lügengeschichten darunter. Doch sie erheiterten uns, und darauf kam es ihm wohl an. Er hielt uns bei Stimmung. Nach einer Woche waren wir dann der Meinung, dass wir es wagen konnten, aufzubrechen und das Treiben nach Hope City zu beginnen.
Es gab auch einen wirklichen Glücksumstand, der uns das Treiben erleichtern würde. Denn unter den alten Stieren befand sich einer, der noch den Ring durch die Nase trug, an dem sein früherer Besitzer ihn unter Kontrolle gehalten hatte. Wir mussten diesen Stier natürlich erst fällen, um ein Stück Seil durch seinen Nasenring ziehen zu können. Und da erinnerte er sich wohl wieder an jene Zeit, da er ein Sklave war. Ich sagte zu Alamo Joe: »Ihr beiden alten Bullen passt gut zusammen. Doch du bist nun der Oberbulle und wirst diesen da am Seil nach Hope City führen. Er wird dir gehorchen, so lange er mit seinem Nasenring am Seil hängt. Die Herde wird euch beiden Bullen folgen. Wir müssen sie nur antreiben und in Bewegung halten. Du wirst also stets vorne an der Spitze sein. Und wenn die Herde hinter dir unruhig wird aus irgendwelchen Gründen, dann hilft manchmal ein schöner Gesang. Kannst du singen, Joe?« »Und wie.« Er grinste. »Ich werde dann stets das Lied von Doc Bonescale singen, der einmal zwölf tote Männer fand und sie mit Pikes Whiskey wieder zum Leben erweckte, Dieses Lied hat viele Strophen. Und die erste geht so:« Er machte eine kleine Pause, lachte dann meckernd und holte tief Luft.
Nun begann er zu singen mit seiner meckernd klingenden Stimme: »Doc Bonescale in einer Stadt zwölf tote Männer gefunden hat! Doch er gab ihnen Pikes Whiskey zu trinken! Da standen sie auf und zogen die Hüte, denn Pikes Whiskey ist von bester Güte!« Als er verstummte, da sahen wir uns an. Pete sagte: »Ich glaube, er sollte besser nicht vor der Herde singen. Sonst nehmen ihn die vorderen Stiere auf die Hörner.« »Es ist ein schönes Lied«, sagte Alamo Joe beleidigt. »Was habt ihr dagegen?« »Wir nicht«, grinste Pug. »Aber die Herde mag keinen Pikes Whiskey.«
Am ersten Tag kamen wir kaum drei Meilen vorwärts. Die Rinder wollten nicht in einer Marschformation bleiben. Immer wieder versuchten sie auszubrechen, und so befanden wir uns in einem ständigen Kampf. Auch die beiden nächsten Tage kamen wir kaum mehr als drei oder vier Meilen vorwärts, obwohl das Gelände nicht sehr schwierig war. Unsere Pferde waren erschöpft. Wir hätten eine kleine Remuda zum Wechseln haben müssen. Doch wir hatten kein Geld zum
Pferdekauf gehabt. Und es wäre noch ein weiterer Reiter nötig gewesen, der die Remuda getrieben hätte. Als wir am dritten Tag bei Nachtanbruch in einer schmalen Schlucht am Feuer saßen, in der sich unsere Herde wie in einem Corral befand, da sagte Pug nachdenklich: »Und so richtig schwierig wird es noch, nicht wahr, Joe?« Dieser nickte. »Sicher«, sprach er ernst. »Doch ihr schafft es. Ihr seid wirklich erstklassige Cowboys oder Cattlemen. Ihr schafft es. Doch ich werde euch verdammte Wege führen müssen. Morgen biegen wir nach Nordwesten ab und müssen zu den Bradshaw Mountains hinüber, also raus aus den Catalinas nach Norden. Und der Weg nach Hope City ist auch etwas länger, als ich sagte. Ich wollte euch nicht mutlos machen. Doch nun sind wir ja unterwegs. Ihr werdet jetzt nicht aufgeben. Hope City liegt nicht irgendwo in den Catalinas, sondern in den Bradshaws.« Wir sahen uns an. Pete knurrte: »Ich glaube, Joe ist ein verdammter Sauhund. Der hat uns angelogen, weil er uns nicht traute. Und deshalb sagte er uns nicht, wo Hope City wirklich zu finden ist. He, gibt es diese Stadt tatsächlich? Und bekommen wir dort tatsächlich hundert Dollar für ein Rind?« »Vielleicht noch etwas mehr, Jungs«, sprach da Joe ernst. »Ich konnte euch am Anfang nicht
sagen, wo Hope City liegt. Denn wenn ihr aufgegeben hättet, hätte ich mir andere Viehtreiber suchen müssen.« Pug nickte Pete zu. »Er ist wirklich ein Sauhund.« Ich sagte nichts, saß nur stumm mit ihnen am Feuer. Doch nach einer Weile murmelte ich: »Ihr werdet mehr als tausend Dollar bekommen, obwohl das unsere Abmachung war. Wenn wir am Ziel sind, wird der Gewinn durch vier geteilt. Wir haben fast zweihundert Rinder. Rechnet euch aus, was jeder von uns bekommen würde.« Sie nickten, aber sie waren immer noch böse auf Alamo Joe. Dieser spürte es und hob beide Hände, zeigte ihnen die Handflächen und sprach ganz feierlich: »Jungs, ich entschuldige mich. Aber ich konnte am Anfang nicht wissen, ob ihr was taugt. Jetzt erst weiß ich es. Ich gebe euch mein Wort, dass ich euch nie wieder anlügen werde.« Wir nickten nur stumm. Dann fragte Pug: »Und wie weit ist es wirklich? Wieviel weiter als hundert Meilen?« »Doppelt so weit«, erwiderte Joe zerknirscht.
Wir kamen in den nächsten Tagen besser vorwärts, denn die Herde hatte sich an das Wandern gewöhnt, ließ sich leichter treiben. Wir mussten aber wegen unserer erschöpften Pferde einen Ruhetrag einlegen. Dann ging es wieder weiter. Zuletzt schafften wir etwa sieben Meilen pro Tag. Doch dann wurde das Gelände wieder schwieriger. Wir hatten den San Pedro durchfurtet, ließen den Gila hinter uns und sahen die Bradshaws immer gewaltiger vor uns aufsteigen. Joe führte uns durch riesige Canyons, dann durch enge Schluchten. Wir mussten mehrmals unsere Richtung ändern. Weiter im Norden lagen die Black Hills, und dahinter stieg das Land steil an zum Mogollon Rim. Bisher hatten wir keine Menschen getroffen. Doch das änderte sich jäh, als wir eine der wenigen Wasserstellen in dem trockenen Land erreichten. An dieser Wasserstelle sahen wir einige Gestalten hocken, deren Pferde im Schatten einer roten Mesa standen. Zwei dieser Männer badeten in der Wasserstelle. Drei andere hockten am Feuer. Sie waren nackt, weil sie ihre Kleidung gewaschen hatten und auf den heißen Felsen trockneten.
Aber als sie uns hörten und kommen sehen, da erhoben sie sich. Auch die Bader kamen aus dem kleinen See. Sie alle kleideten sich schnell an, was nicht so einfach war mit der noch nicht ganz trockenen Kleidung. Doch als ich mit Pug bei ihnen war, da trugen sie schon wieder ihre Revolvergurte. Sie grinsten uns an. Einer sagte: »Ja, wer seid ihr denn? Und wohin wollt ihr mit euren Kühen? Wollt ihr sie hier gar tränken?« »Was sonst«, erwiderte ich, »he, was glaubt ihr denn, was wir sonst wollen?« Ja, ich redete ziemlich barsch zu ihnen, denn sie gefielen mir nicht. Sie waren abgerissen – und nicht mal das Bad hatte sie ansehnlicher gemacht. Sie waren eine heruntergekommene Bande, die sich wahrscheinlich in diesem Land verbergen musste. Ihr Sprecher, der wahrscheinlich ihr Anführer war, sah zu Alamo Joe hin, der an der Spitze der Herde mit dem Leitstier herangeritten kam. Und die müden und staubigen Rinder witterten längst schon das Wasser und mussten gar nicht mehr angetrieben werden. Sie standen nun zu fünft vor Pug und mir. Wir saßen noch in den Sätteln.
»Es ist unser Wasser«, grinste der bärtige Anführer. »Und ihr müsst für jedes Rind einen Dollar Wassergeld zahlen. Sonst müsst ihr weiter ohne Wasser.« Ich wusste, dass nun jedes Wort sinnlos war. Es hatte keinen Zweck. Denn Nachgeben wäre als Schwäche ausgelegt worden. Dennoch wollte ich es genau wissen. Und so fragte ich höflich: »Und wenn wir nicht darauf eingehen?« »Dann verliert ihr die Herde, weil wir in der Überzahl sind.« Es war eine klare Antwort. Und so gab es nichts mehr zu reden. Ich zauberte meinen Revolver heraus und schoss ihn von den Beinen. Auch Pug schoss. Als drei Mann am Boden lagen, ließen die beiden anderen ihre Waffen fallen und hoben die Hände. Einer kreischte: »Wir haben nur ungeladene Revolver! Wir sind ohne Munition!« »Ihr seid Narren und hättet nicht bluffen und euch so aufspielen sollen«, erwiderte ich bitter. »Jetzt kümmert euch um eure Partner. Sie verlieren sonst unnötig Blut. Wir hätten sie auch töten können. Oh, was seid ihr doch für eine armselige Bande!« Ja, ich war voller Bitterkeit.
Pete kam herangejagt.
»Was hatten die gegen uns?« So fragte er.
8
Wir zogen noch am gleichen Tag weiter, denn der Tag war noch lang. Die Rinder waren getränkt, und auch unsere Pferde fühlten sich wieder frischer. Wir ließen die armselige Bande zurück. Einer rief uns nach: »Ihr sitzt auf dem hohen Ross! Aber vielleicht ergeht es auch euch mal so schlecht wie uns!« Aber wir riefen nichts zurück. In mir war ein tiefes Bedauern, weil ich so schnell geschossen und zwei von ihnen verwundet hatte. Auch Pug fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er kam dann zu mir geritten und rief mir zu: »Verdammt, was hätten wir denn anderes tun sollen? Wir wussten ja nicht, dass sie nicht mal schießen konnten.« Ich zuckte mit den Achseln. Dann wurde das Land wieder schwieriger. Wir hatten nun eine Menge Arbeit mit den Rindern. Aber ganz vorne sang Joe tatsächlich das Lied von Doc Bonescale. Verdammt, wie weit war es noch bis Hope City? Hundert Meilen oder weniger? Oder mehr? Und konnte es nicht sein, dass wir mit unserer kleinen Herde irgendwo gar nicht mehr vorwärtskommen würden? Denn Longhorn
Rinder waren verdammt noch mal keine Bergziegen! Der Tag ging jedoch ohne weitere Zwischenfälle zu Ende. Wir hielten in einer engen Schlucht an, in der uns die Rinder auch ohne Bewachung nicht weglaufen konnten. Zuerst versorgten wir unsere erschöpften Pferde, auf denen wir ja an den Flanken der Herde hin- und hersausen mussten, um ausbrechende Rinder wieder in die Formation zu treiben. Wir mussten immer wieder Kämpfe mit Stieren austragen, die nicht mehr getrieben werden wollten. Wir waren ständig eingehüllt in Staub. Und die Rinder brüllten fast fortwährend böse, so als spürten sie, dass vor ihnen alles noch schlimmer werden würde und der ganze Treibweg für sie bisher nur ein Spaziergang war. Als wir an diesem Abend am Feuer saßen, da sagte Alamo Joe zu uns: »Also, Jungs, ab morgen müsst ihr zeigen, was ihr wirklich auf dem Kasten habt. Es geht morgen auf engen Pfaden über die Berge, auf schmalen Felsbändern an den oberen Rändern von tiefen Schlucht entlang. Ich muss euch warnen. Passt auf, dass euch die gehörnten Biester mitsamt euren Pferden nicht in den Abgrund stoßen. Aber ihr werdet mich ständig vorne an der Spitze singen hören. Habt ihr schon gemerkt, dass die Rinder meinen Gesang lieben? Und besonders unser Mossyhorn,
den ich am Nasenring hinter mir herziehe, mag all die Strophen von Doc Bonescale. Manchmal glaube ich fast, dass er mitsingen möchte. Und ich würde mich nicht wundern, wenn wir in Hope City als Duett auftreten könnten.« Wir starrten den grinsenden Joe über das Feuer hinweg an, so richtig bitter und böse, verbiestert und grollend. Dann sagte Pug mit trügerischer Sanftheit: »Großvater, du solltest uns besser nicht verarschen. Wir sind nicht mehr in Stimmung, denn wir glauben, du hast uns was vorgemacht oder warst so naiv zu glauben, dass man eine Herde halbwilder Longhorns wie Bergziegen über die Berge treiben könnte. Doch jetzt müssen wir wohl weitermachen. Wir können nicht mehr aufgeben, denn wir haben schon zu viel von uns hergegeben an Mühe, Schweiß und Zuversicht. Wir müssen die Sache jetzt durchziehen, selbst wenn wir dabei zur Holle fahren.« Er verstummte bitter. Pete und ich, wir nickten zustimmend. Alamo Joe war nun sehr ernst. Jetzt versuchte er es nicht mit spaßigen Worten. Vielmehr sprach er ernst: »Jungs, so ist das Leben, so ist diese Welt. Man bekommt immer wieder etwas vorgemacht, und die Dinge sind fast nie so, wie sie sich später herausstellen. Vor jedem Ziel muss man Schwierigkeiten
überwinden. Das war schon bei unseren Urvätern so, als sie mit Keulen auf Bärenjagd gingen. Und auch so manche Hure verspricht euch etwas, das sie nicht halten kann, sodass ihr ernüchtert wieder von ihr geht.« Als er verstummte, da grollte Pete: »Ja, du hast uns etwas vorgemacht wie eine Hure. Aber wir waren gierig nach Dollars. Und Hope City verdient den Namen vielleicht gar nicht und ist zu vergleichen mit einer Flamme, welche als Licht die Motten anzieht, sie dann aber verbrennt. Nun, wir werden sehen, Joe. Und weil du auf engen Pfaden mit Old Mossyhorn weit vor uns sein wirst, werden wir deinen dämlichen Gesang zum Glück gar nicht mehr hören. Verdammt!« Er verstummte grimmig. Und Alamo Joe schwieg, starrte nur ins Feuer. Aber wir sahen ihm an, dass es in ihm arbeitete. Er musste immer wieder mühsam und würgend schlucken. Doch dann sah er uns der Reihe nach an. »Tut mir leid, Jungens«, murmelte er. »Ich mag euch, als wäret ihr meine Söhne. Es tut mir wirklich leid. Aber ich glaube, wir können es schaffen. Denn ihr seid gut, sehr gut, mag da kommen und auf uns warten, was es auch sein mag. Ihr seid die Besten.« Nach diesen Worten erhob er sich, ging weg von uns, um sich irgendwo zur Ruhe zu legen.
Wir sahen uns im Feuerschein schweigend an. Ich sagte ruhig: »Ja, wir schaffen es. Wir müssen es schaffen. Und eigentlich war ich es ja, der euch zu diesem Treiben verführte. Gebt mir die Schuld, nicht ihm.« »Wie eine Hure, die viel verspricht und wenig hält.« Pete grinste. »Also habt ihr uns beide reingelegt. Aber eigentlich sind wir eine erstklassige Crew, oder?« Es gab nun nichts mehr zu sagen. Wir alle hatten uns Luft gemacht. Und am nächsten Tag würden wir unsere Rinder auf höllisch gefährlichen Pfaden am Rand von Abgründen entlang über die Berge nach Hope City treiben.
In den nächsten drei Tagen wurde das Treiben für uns und unsere Rinder ein Weg durch die Hölle. Denn die Pfade entlang der Abgründe waren manchmal kaum breiter als ein Yard. Und von oben kamen Steine und kleine Lawinen von losem Geröll. Aber alles sprang über uns hinweg, fiel nicht senkrecht auf unsere Köpfe nieder. Die Rinder jedoch wollten die erste Zeit immer wieder in Panik geraten.
Am ersten Tage stürzten etwa ein Dutzend Tiere ab, zerschmetterten weit unter uns in der Tiefe. Die Rinder brüllten, wollten nicht vorwärts, sondern einfach nur verharren, so als würden sie auf ein Wunder warten wollen. Alamo Joes Stimme war nun heiser, krächzend. Aber er sang immer noch das Lied von Doc Bonescale und dem guten Pikes Whiskey, mit dem dieser Doc immer wieder und überall Wunderheilungen vollbrachte. Das Lied hatte einige Dutzend Strophen. Joe kannte sie alle. Wahrscheinlich dichtete er auch noch neue hinzu. Wir hörten ihn also ständig. Und vielleicht war es wirklich so, dass seine Stimme mit der ständig gleichen Melodie unsere Herde irgendwie beeinflusste. Sie hatte sich daran gewöhnt. Und der Stier, den Joe mit Hilfe des Seiles am Nasenring führte, der brüllte immer wieder gebieterisch in Joes Lied hinein. Und so kam die Herde immer wieder in Bewegung. Wir hatten uns aufgeteilt. Hinter Joe ritt nach etwa fünfzig Rindern Pete. Dann kamen abermals fünfzig Tiere bis Pug. Und ich machte den Schluss. Unsere lange Reihe war von Anfang bis Ende länger als eine Viertelmeile.
Drei Tage und drei Nächte krochen wir so über die Berge, konnten nur an wenigen geeigneten Stellen rasten. Zweimal kamen uns Maultierkarawanen entgegen, einige Male Reiter. Dann wurde es besonders schlimm, aneinander vorbeizukommen. Jeden Tag verloren wir einige Rinder. Doch dann – am vierten Tag nach einer kalten Nacht auf einer breiten Terrasse –, da sahen wir auf ein wunderschönes, grünes Tal nieder. Dort unten gab es Weide und Wasser für unsere Tiere. Wir mussten nur noch hinunter. Alamo Joe konnte nicht mehr singen. Seine Stimme brachte nur noch ein heiseres und misstöniges Krächzen hervor. Es war gegen Mittag, als wir endlich die Talsohle erreicht hatten. Die Herde verhielt an einem See, begann zu grasen und Wasser aufzunehmen. Joe kam zu uns geritten. Wir sahen uns schweigend an. Dann sprach Joe mit zwar heiserer, aber dennoch ergriffen klingender Stimme: »Ich habe es ja gewusst, ihr seid die Besten. Jetzt haben wir es geschafft. Das Treiben bis nach Hope City ist nun nur noch ein Kinderspiel. Aber wir sollten unsere Rinder hier erstmal einige Tage und Nächte ausruhen und fressen lassen. Sie haben an Gewicht verloren.
Und die Goldgräber wollen Fleisch und nicht nur Haut und Knochen.« Er grinste listig. Seine Augen funkelten. Pug fragte: »Wie weit ist Hope City noch entfernt?« »Etwa zwanzig Meilen«, erwiderte Joe. Wir nickten stumm. Und weil nun alles hinter uns lag – so glaubten wir wenigstens –, waren wir ihm plötzlich nicht mehr böse. Nur Pete grollte nach einigen tiefen Atemzügen: »Wir haben eine Menge Rinder verloren. Unsere Gier nach Dollars hat fast vierzig Tieren das unschuldige Leben gekostet. Was tun wir Menschen nicht immer wieder dieser Welt und ihren Geschöpfen an auf der Jagd nach Dollars, Gold oder Macht. Es ist immer wieder in der Weltgeschichte das gleiche Spiel. Ich werde mich in Hope City so richtig besaufen, um das alles zu vergessen. Und dich will ich dann nicht mehr sehen, Joe. Denn du hast uns wie ein Teufel gelockt, der unsere Seelen bekommen wollte.« Als er verstummte, da griff Joe in eine seiner beiden Satteltaschen und brachte eine Flasche Tequila zum Vorschein. Er warf sie Pete zu, der sie geschickt auffing. »Du kannst dich jetzt schon besaufen, Pete«, sagte Joe dann und deutete auf ein kleines Wäldchen in der Nähe.
»Dort schlagen wir unser Camp auf«, sprach er und ritt mit unserem Packtier hinüber. Wir sahen auf Pete, der die Flasche noch in der Hand hielt. Pug sagte: »Ein Schluck wäre wirklich nicht schlecht.«
Am zweiten Tag kamen einige Reiter aus der Richtung von Hope City zu unserem Camp. Diesmal handelte es sich nicht um abgerissene Satteltramps. Nein, sie gehörten zu einer anderen Sorte. Sie waren gut gekleidet, saßen auf guten Pferden und waren auch gut bewaffnet. Einer, der um die Krone seines schwarzen Hutes ein goldenes Band trug, übernahm das Reden. Er sagte trocken: »Die sind noch etwas mager. Aber sie fressen sich nun wieder Gewicht an. Das war eine gute Leistung von euch, sie über die Berge zu bringen. Ihr habt unseren ganzen Respekt. Ich zahle euch zehn Dollar für jedes Rind.« Er hatte nun alles gesagt und wartete auf unsere Antwort. Wir schwiegen noch, und gewiss hatte jeder von uns die gleichen Gedanken. Denn das war es also wieder; man konnte hinkommen, wohin man wollte, es lief stets und überall nach dem gleichen Schema ab.
Es gab die eine und die andere Sorte. Die eine wollte ständig ernten, ohne etwas gesät zu haben. Und diese Kerle gehörten dazu. In uns war nun eine zornige Bitterkeit. Verdammt, was hatten wir nicht alles hinter uns gebracht! Wir waren zwar müde und ausgebrannt, aber dennoch stolz auf unsere Leistung. Und da kamen diese großspurigen Revolverschwinger und wollten ernten. Ja, sie waren eine Bande von Revolverschwingern. Es konnte gar nicht anders sein. Ich sah ihren Anführer an und erwiderte: »Mein lieber Freund, du solltest dich nun wieder davonschleichen mit deinen Wild Bills. Hier ist nichts zu holen für euch. Es könnte höchstens verdammt rauchig werden.« Sie staunten. Denn sie waren in der Überzahl. Und sie hielten uns für ganz normale und harmlose Cowboys. Denn eine Sorte wie sie, die hätte sich niemals die Mühe gemacht, eine Herde Rinder über die Berge zu treiben. Ihre Sorte lebte vom schnellen Colt, nicht von harter Arbeit. Wir sahen ja auch nicht besonders imposant aus, waren abgerissen, stoppelbärtig und wirkten wie Hungerleider, die erst durch den Verkauf der Herde wieder zu etwas kommen konnten.
»Oh, ihr dämlichen Cowpuncher«, sprach ihr Anführer und griff nach der Waffe. Wahrscheinlich wollte er uns nur zeigen, wie schnell er ziehen konnte, uns also seinen Colt unter die Nase halten. Er war ein Narr. Denn Alamo Joe zeigte ihnen den alten Trick eines Scouts und Apachenkämpfers. Er stieß das wilde Fauchen eines angreifenden Pumaweibchens aus. Ihre Pferde stiegen hoch, bäumten sich auf und wirbelten herum, um in Richtung des wilden Fauchens auskeilen zu können. Ich schoss ihren Anführer aus dem Sattel. Auch Pete und Pug schossen. Zum Schluss krachte Alamo Joes Buffalo Sharps. Das Krachen der Schüsse hallte durch das Tal und kam dann als Echo von den Wänden zurück. Sie waren sieben Mann. Vier lagen im Gras, drei jagten flüchtend davon. Nein, es hatte keine Toten gegeben. Wir traten zu den stöhnenden und böse fluchenden Kerlen. Ich sah auf ihren Anführer nieder, der sich am Boden aufgesetzt hatte und seine Schulterwunde mit der flachen Hand bedeckte, so als könnte er auf diese Weise die Blutung stoppen. Ich sagte zu ihm: »Das Ausschussloch ist größer. Ich werde es dir zustopfen. Sonst läufst du aus. Dann kannst du zu einem Doc reiten. Oder gibt es in Hope City keinen Doc?«
Er grinste verzerrt. »Verdammt«, knirschte er, »warum habt ihr uns nicht gesagt, dass ihr keine richtigen Cowboys, sondern Revolvermänner seid? Ihr habt uns hinterlistig reingelegt.« Er fluchte immer noch, als wir ihm und den drei anderen Kerlen die Wunden versorgten, so gut wir konnten. Wir fingen auch ihre Pferde wieder ein und halfen ihnen in die Sättel ihrer Tiere. Und als sie oben saßen, da sagte ihr Anführer: »In Hope City warten die ganz großen Geier auf euch. – Kommt nur nach Hope City.« Dann ritten sie davon. Wir sahen ihnen nach. Dann blickten wir auf Joe. Pete sprach voller Bitterkeit: »Nimmt das immer noch kein Ende, Joe? Haben wir die Rinder für eine Bande hergetrieben, die in Hope City herrscht? Hast du davon nichts gewusst?« »Wirklich nicht«, beteuerte Joe. »Wenn das jetzt so sein sollte, dann muss sich das verändert haben, seit ich von Hope City weg bin. Ich habe in den Bergen für die Goldgräber und Minenleute gejagt und ging erst fort, als weit und breit in den Bergen kein Wild mehr zu jagen war. Es gab ja außer mir noch andere Fleischjäger. Ich wusste wirklich nicht, dass jetzt in Hope City ein anderer Wind weht.« Er wirkte zerknirscht.
Ich sagte: »Wir werden sehen ...« »Ja, wir werden sehen, was sein wird«, murmelte Pete. Pug nickte nur. Joe aber sprach hoffnungsvoll: »Vielleicht hat dieses Großmaul nur übertrieben und wollte uns erschrecken. Vielleicht ist es gar nicht so, dass in Hope City die Bösen herrschen über die Guten, die Sündigen über die Reinen. Verdammt, wir müssen mit der Herde ja nicht in die Stadt. Wir können die Rinder auch vor der Stadt verkaufen. Denn sie alle, die sich nach frischen Steaks sehnen, werden kommen. Es wird sich schnell herumsprechen, wo die Steaks zu kaufen sind, frisch noch auf vier Hufen.« Wir sahen ihn an und wollten ihm glauben.
9
Wir blieben vier Tage in dem schönen Tal und unserem Camp unter den Bäumen. Das Wetter blieb gut. Wir badeten in einem kleinen See, wuschen unser Unterzeug und rasierten uns endlich auch unser Bartgestrüpp. Nun sahen wir nicht mehr ganz so abgerissen und verwahrlost aus, nur noch wie Cowboys, die ein langes und hartes Treiben hinter sich hatten. Unsere Rinder hatten wieder Fleisch angesetzt. Sie machten Dank der guten Weide und des vielen Wassers wieder einen prächtigen Eindruck und würden sich gut verkaufen lassen. Eigentlich konnten sie einem leid tun. Denn sie würden bald in den Pfannen und Töpfen der Goldgräber und Restaurants enden. Zum Glück wussten sie es nicht, und eigentlich war es ja ihr Los, dass wir Menschen sie verspeisten. Wir sind nun mal keine Pflanzenfresser. Aber man konnte sich schon seine Gedanken machen. Wir hatten sie über die Berge getrieben, ihnen eine Menge abverlangt, sie rücksichtslos vorwärtsgeprügelt und getrieben. Und sie hatten sich Alamo Joes schrecklichen Gesang anhören müssen und waren nicht in Stampede geraten.
Eigentlich hatten sie ein Paradies verdient, so wie jenes, aus dem wir sie weggetrieben hatten. In der vergangenen Nacht hatten wir einige Viehdiebe verjagt, die uns einige Rinder wegtreiben wollten. Doch wir waren darauf vorbereitet gewesen. Wir hatten uns ausrechnen können, dass man in Hope City inzwischen von unserer Fleischherde wusste. Wir waren an diesem Morgen erst drei Stunden unterwegs, als sich aus einem Canyonmaul drei Reiter näherten. Wir sahen ihnen sofort an, dass sie Goldgräber oder Minenleute waren. Sie saßen auf Maultieren. Einer sagte dann, als wir voreinander verhielten: »Wir kommen von der Aurora-Mine. Was kostet ein Rind, wenn wir es uns aussuchen können? Und wir möchten drei oder vier kaufen und zahlen mit Nuggets.« »Jedes Tier kostet einhundertundfünfzig Dollar«, erwiderte ich und erwartete, dass sie nun handeln wollten, um den Preis zu drücken. Doch ihr Sprecher nickte, griff in die Tasche seiner Jacke und warf mir vier goldene Kiesel zu. Aber es waren keine Kiesel, sondern Nuggets. Ich merkte es am Gewicht. Kiesel dieser Größe wogen nicht so viel. Und da nickte ich nur und sagte: »Ihr habt die freie Auswahl.«
Wir machten also unser erstes Geschäft. Dann sahen wir den Minenleuten nach, wie sie mit vier von unseren Rindern verschwanden. Ich warf Pete, Pug und Joe je einen der Nuggets zu, die sie geschickt auffingen. »Gut«, rief Pug, »gut!« Pete betrachtete den Goldkiesel und sprach dann mit einem Klang von Ehrfurcht in der Stimme, so als betete er etwas an, was irgendwie heilig und unirdisch war: »Gooold! Heiliger Rauch, das ist ein Goldklumpen! Wenn ich ein nobler Bursche mit einer Uhrkette quer über dem Bauch wäre, würde ich mir dieses Ding an die Uhrkette hängen. Das würde Eindruck machen bei den Frauen – oder?« Wir betrachteten ihn mitleidig. Dann sprach Pug: »Du wirst nie ein nobler Bursche sein, Pete.« Er wandte sich an mich und Joe. »He, was sind diese Dinger wert? Habt ihr Ahnung davon?« Ich zuckte unschlüssig mit den Achseln und wog das kleine Ding in meiner Hand. Es war schwerer als das Bleigeschoss einer schweren Buffalo Sharps. Doch bevor ich den Wert des Goldklumpens schätzen konnte, sagte Joe: »Das ist reines Adergold. Es sind losgebrochene Dinger, keine Nuggets. Denn Nuggets sind glattgeschliffen. Diese Burschen haben da irgendwo in den
Schluchten eine Goldader gefunden. Wenn wir Banditen wären – die man hier Goldwölfe nennt – , dann würden wir ihnen folgen, um die Lage der Goldader zu erkunden. Und die Dinger, mit denen sie die Kühe bezahlten, sind Stück für Stück etwa zweihundert Dollar wert. Sie waren großzügig zu uns, wollten unbedingt frisches Rindfleisch. Jungs, wir werden ein Riesengeschäft machen mit den Hungerleidern rings um Hope City. Ja, sie sind Hungerleider, weil sie kein Frischfleisch mehr haben, wahrscheinlich schon lange nicht mehr. Die wiegen uns jedes Steak mit Gold auf – oder mit den Yankeedollars. Auf was warten wir hier noch?« Er ritt wieder an und zog den alten Mossyhorn am Seil hinter sich her. Die Herde hatte angehalten und wollte sich schon zerstreuen. Wir hatten eine Weile zu tun, bis wir die Rinder wieder in der Formation wie zuvor trieben. Ich war neugierig auf Hope City. Was war das für ein Ort? War es wirklich schon eine Stadt oder nur ein verborgenes Camp, schwer erreichbar und schwierig zu versorgen mit all den vielen Dingen, die das Leben erst ermöglichten – also mit Proviant und Ausrüstung jeder Art.
Als wir am Abend dieses Tages anhielten und unser Camp aufschlugen, da war uns klar, dass wir in dieser Nacht besonders wachsam sein mussten. Sonst würde man uns Rinder stehlen. Denn das Kommen unserer Herde musste sich inzwischen im ganzen Gebiet um Hope City herumgesprochen haben. Wir hatten unsere Rinder gezählt, jeder für sich. Und jeder war auf einhundertsiebenundfünfzig Tiere gekommen, Old Mossyhorn mit eingerechnet, obwohl der wahrscheinlich nicht zu verkaufen war. Er war zu alt, sein Fleisch zu zäh. Und wir hatten auch längst schon beschlossen, dass wir ihn laufen lassen wollten, weil wir ihm dankbar waren. Denn mit Alamo Joe an der Spitze folgte ihm die Herde. Doch vielleicht hatten sich auch die Tiere an Joes schrecklichen Gesang gewöhnt. Nun, wir bekamen in dieser Nacht nur wenig Schlaf. Zwei von uns umritten ständig unsere kleine, ruhende Herde. Zweimal mussten wir Reiter aus der Nähe unserer Rinder verjagen. Zum Glück war es eine helle Nacht, sodass sich niemand im Schutz der Dunkelheit anschleichen konnte. Zu Fuß durfte man das nicht wagen. Diese halbwilden Longhorns respektierten nur Reiter,
griffen jeden Menschen, der sich ihnen zu Fuß näherte, sofort an. Nun, wir brachten also auch diese Nacht ohne Verluste hinter uns. Das Treiben war nun leicht, denn wir befanden uns in einem meilenbreiten Canyon, der sich nach Westen zu wie eine breite Kerbe durch die Berge zog und in den von Süden und von Norden Schluchten ihre dunklen Mäuler öffneten. In diesen Schluchten schienen dunkle Geheimnisse auf der Lauer zu liegen. Je weiter wir in diesem breiten Canyon nach Westen kamen, umso mehr waren all die Zerstörungen zu sehen, die von Menschen verübt wurden. Es hatte hier mal Waldinseln gegeben. Jetzt waren alle Bäume gefällt. Da und dort hatte man neben dem Creek den Erdboden aufgerissen. Überall gab es Löcher, Furchen. Und die Ufer des Creek waren da und dort zerstört. Man hatte auch Waschanlagen errichtet, in denen die goldhaltige Erde durchgewaschen wurde. Doch das alles war nun verlassen. Die Goldsucher waren weiter nach Norden vorgedrungen und hatten nur Verwüstungen zurückgelassen. Die Natur in diesem sonst so schönen und gewaltigen Canyon war geschändet worden.
Es war dann am späten Mittag, als wir Hope City zu sehen bekamen. Es war schon auf den ersten Blick ein schrecklicher Ort. All die Hütten, Zelte und einige größere Gebäude standen auf einer schrägen Fläche am Ende des Canyons. Nach Norden zu ging es nicht weiter. Dort sperrte eine steile Felswand von Süd nach Nord alle Wege nach Westen. Hope City lag am Ende eines Sackcanyons. Und es sah schmutzig und hässlich aus, umgeben von Claims, auf denen gearbeitet wurde. Wie auf einem Ameisenhaufen bewegte sich alles auf der weiten, schrägen Fläche. Sie rissen die Erde auf. Und am Creek – zu dem sie das Erdreich schleppen mussten –, da wuschen sie es aus. Aber es gab in den Schluchten gewiss auch Minen. Man konnte die Mäuler der Stolleneingänge sehen. Wir trieben unsere Rinder auf einem Weg, der nur aus Hufspuren bestand. Denn es gab keine Wagen hier und deshalb auch keine Radfurchen. Der Creek kam als Wasserfall die Feldwand im Westen herunter. Er hatte ein ziemlich starkes Gefälle. Und das war gewiss ein Glück für Hope City. Denn all der Mist und der Dreck der Menschen wurden so vom Creek fortgebracht.
Vielleicht wurde Hope City allein schon dadurch vor Seuchen bewahrt. Wir hielten unsere Herde eine halbe Meile vor der Stadt an. Es gab hier eine flache, natürliche Senke, die zum Creek abfiel. Man hatte auch hier bis zum Creek den Boden aufgerissen, nach goldhaltigem Kies und goldhaltiger Erde gesucht, doch wahrscheinlich waren die Vorkommen hier nicht gut genug gewesen. Nun, wir hatten hier für unsere Rinder einen natürlichen Behelfscorral. Und wir mussten nicht lange warten. Dann kamen sie von allen Seiten. Man hatte wohl darauf gewartet, dass wir bis zum Ortsrand treiben würden. Nun aber sah man, dass wir hier unser Treiben beendeten. Es kamen viele Reiter. Von den Seiten aber – dort, wo überall die Claims waren – und auch von den Minen in den Hängen des Canyons, da kamen sie zu Fuß herbeigelaufen. Und so waren wir bald von einem Gewimmel umgeben. Eine Stimme rief gellend über den Lärm: »Hoiii, was kostet ein gehörntes Karnickel aus eurer Herde?« Der Mann brüllte es drohend, so als wollte er uns erkennen und begreifen lassen, dass wir unsere Preise besser nicht zu hoch ansetzen sollten.
Wir umgaben unsere Herde auf unseren Pferden. Die Rinder hatten sich zusammengedrängt, so als spürten sie eine Gefahr. Vielleicht sagte ihnen ihr Instinkt, dass ihnen ein Unheil bevorstand. Ich aber war nun einen Moment abgelenkt. Denn ich sah unter unseren Besuchern, die uns umgaben am Rande der Senke, eine Frau. Sie saß wie ein Cowgirl im Sattel und hatte ein Gewehr im Sattelschuh. Heiliger Rauch, was war das für eine Frau! Ihr Anblick lenkte mich tatsächlich etwas ab. Und sie sah mich über eine Entfernung von etwa zwanzig Schritten hinweg fest an. Es schien etwas von ihr auszugehen, was mich deutlich berührte. Doch dann musste ich meinen Blick von ihr nehmen. Denn die wilde und drohende Stimme eines der Reiter brüllte wieder: »He, wir wollen wissen, was die mageren Biester kosten!« Es war nun still. Denn jeder wollte unseren Preis hören. Und so rief ich: »Einhundertundfünfzig Dollar kostet jedes Rind. Und Dollarzahler können zuerst kaufen. Doch zu allererst ist die Lady an der Reihe!« Ich rief es laut genug. Dann griff ich an den Hut und verbeugte mich leicht im Sattel.
»Wie viele Rinder wollen Sie zu unserem Preis, Lady?« Sie schenkte mir ein verständnisvolles und zugleich auch dankbar wirkendes Lächeln. Dann rief sie laut genug durch das Gemurmel: »Drei Rinder, Mister! Ich kaufe für den Hope Palace, dessen Besitzerin ich bin. Holen Sie sich den Kaufpreis heute Abend. Sie sind mein Gast!« Neben ihr hielten zwei Reiter zu Pferd, denen sie nun ein Zeichen gab. Und sie kamen herbeigeritten und sonderten drei von unseren Tieren aus. Man sah, dass sie mal Cowboys gewesen waren, denn sie verstanden ihre Arbeit. Die Versammlung ließ sie durchreiten. Und dann hatten wir Mühe, alles unter Kontrolle zu halten und den Verkauf einigermaßen diszipliniert abzuwickeln. Doch jene Käufer, die mit Gold zahlen wollten, weil sie nicht genug Yankeedollars besaßen, die begannen immer stärker zu murren. Doch wie sollten wir den Wert des Goldes – mochten es Nuggets oder Goldstaub sein – auch nur einigermaßen abschätzen? Wir hatten als Anhaltspunkt nur unsere Goldkiesel aus dem allerersten Verkauf.
Es war Abend, fast schon Nacht, als wir unsere müden Pferde an die Haltestange vor dem Hope Palace banden und hineingingen. Der Hope Palace war das größte Gebäude in Hope. Aber es war aus Brettern zusammengenagelt, rasch hochgezogen und von außen sehr primitiv wirkend. Der Hope Palace bestand aus drei Abteilungen – einem Hotel, einem Saloon mit einer großen Amüsierhalle und einem Spielraum. Zum Hotel gehörte auch ein Restaurant. Wir gingen zuerst ins Restaurant, denn wir hatten gewaltigen Hunger. Jeder von uns trug eine Satteltasche voller Geld oder Gold. Oha, du heiliger Rauch und Halleluja, was hatten wir für ein Geschäft gemacht! Vor wenigen Stunden noch waren wir arme Hunde gewesen, die sich mit störrischen Longhornbiestern abquälen mussten und einen höllischen Treibweg hinter sich hatten. Und jetzt ... Wir setzten uns an einen Tisch in der Ecke. Die Bedienung kam und sagte: »Es gibt frische Steaks, Bohnen und zum Nachtisch Apfelkuchen und Kaffee.« Sie war eine dicke Mexikanerin mit funkelnden Augen. Wir gaben unsere Bestellungen auf. Als sie ging, sagt Pete: »Mit der gehe ich diese Nacht ins Bett. Die kaufe ich mir. Ich sah in ihren Augen,
dass ich ihr gefalle. Wollt ihr mit mir wetten, dass ich sie bekomme?« Wir staunten ihn mitleidig an. »Oh, du stinkst, Pete«, knurrte Pug. »Die lässt keinen Stinker an sich ran. Du stinkst nach Pferd, nach Rindern und nach dir, Pete. Du hast keine Chance.« Vielleicht hätten wir uns mit Pete gestritten, doch dann trat Besuch an unseren Tisch. Es war jene schöne Lady, die uns noch den Kaufpreis für drei Rinder schuldig war. »Gentlemen, Sie sind meine Gäste. Ich bin Julia Williams.« Sie sah mich an. Aus nächster Nähe konnte ich nun in ihre schwarzen Augen sehen, die zu ihrem goldblonden Haar einen herrlichen Kontrast bildeten. Und auch sonst war alles schön und richtig an ihr. Sie trug nun nicht mehr die Kleidung einer Reiterin oder eines Cowgirls, sondern ein rotes Kleid. Sie sah darin wie eine Lady aus, denn es war ein seriöses Kleid. Ich sagte: »Lady, ich bin John Hays. Dies sind Pug Hackett, Pete Fisher und Alamo Joe. Vergeben Sie uns, dass wir so schmutzig in Ihrem Restaurant sitzen.« Sie lächelte mich an, und in ihren Augen war ein seltsamer Ausdruck, so als forschte sie, versuchte etwas zu erkennen. Ich spürte auch,
dass ihr Instinkt an mir tastete und in mich eindringen wollte. Dann sagte sie: »Mister Hays, ich bin Ihnen noch den Kaufpreis für die drei Rinder schuldig. Kommen Sie nach dem Essen in mein Office. Und Sie können in der Badestube meines Hotels auch baden. Ich lasse den Wasserkessel schon anheizen und aus dem Store eine Auswahl von Kleidung herüberbringen.« Sie ging nach diesen Worten, wandte sich mit einem leichten Schwung, schritt sehr leichtfüßig davon. »Oh, was für eine Frau ...«, stöhnte Pete. »Das ist eine von jener Sorte, die unsereiner nie bekommen kann.« Doch Alamo Joe knurrte: »Jede Sorte ist zu bekommen, verdammt! Ich sage euch, jede Sorte!« Wir bekamen unsere Steaks, und wir wussten, dass wir das Fleisch eines unserer Rinder aßen. So war das nun mal.
10
Nach dem Essen ließen wir uns zum Kaffee Zigarren bringen. Dann sagte Alamo Joe: »Jetzt sollten wir unseren Gewinn teilen. Es wird hier im Hotel auch eine Goldwaage geben. Und wenn wir geteilt haben, dann kann wohl jeder von uns seinen eigenen Weg gehen. Ich habe genug von euch, mag eure Gesichter nicht mehr sehen.« Er sprach die letzten Worte nicht böse, eher scherzend, nahm ihnen so die Schärfe. Doch er fügte hinzu: »Ich bin ein alter Bursche, so einer wie unser Mossyhorn, aber ohne Nasenring. Ich werde schnell aus diesem Land verschwinden, bevor mir Banditen alles abnehmen können. Dies hier ist kein guter Ort. Es sollte nicht Hope City sondern Hell City heißen. Ich kann wittern, dass hier die Hölle ist.« Wir saßen nicht allein im Restaurant. Alle Tische waren besetzt. Doch jetzt leerte sich der Raum. Bald würden wir allein sein an unserem Tisch in der Ecke. Joe bat die Bedienung um eine Goldwaage. Sie sagte: »Gewiss, Señor, ich hole sie vom Anmeldepult des Hotels.«
Sie verschwand wieder. Wir aber leerten unsere Satteltaschen und starrten auf unseren Gewinn wie Jäger auf die erlegte Beute. Vielleicht war es ja tatsächlich so etwas wie eine Beute. Denn wir hatten um sie gekämpft. Ja, da war nagelneues Yankeegeld, das für Gold nach Hope City gelangte. Und da war auch Gold. Ich hatte längst schon gerechnet, wie hoch unser Gewinn in etwa war. Wenn wir das Gold richtig bewertet hatten, also etwa so hoch wie die Dollars, dann lagen da um die vierundzwanzigtausend Dollar auf dem Tisch, vielleicht sogar fünfundzwanzigtausend. Und das machte für jeden mehr als sechstausend Dollar. Dafür konnte man sich zur Zeit in Texas eine große Ranch mit zehntausend Rindern kaufen. Denn die Rinder bekam man umsonst. Sie waren vorerst nichts wert. Das war hier anders. Wir begannen zu teilen und abzuwiegen. Und wir waren nun allein im Speiseraum. Selbst Pete hatte die dicke Bedienung vergessen und starrte nur noch auf sein Geld und sein Gold. Alamo Joe lachte meckernd. »Vielleicht sollten wir zum Abschied noch das Lied von Doc Bonescale singen«, schlug er vor. Doch dann wurde alles anders. Es wurde gar nicht mehr lustig.
Denn es traten fünf Männer mit schußbereiten Schrotgewehren ein. Sie kamen zu dritt von der Hotelhalle herüber und zu zweit durch die Tür von der Straße. Und ein sechster Mann mit einer Brokatweste und zwei Revolvern im Kreuzgurt, deren hellen Beingriffe herausfordernd wirkten und der einen Stern auf der Brokatweste trug, der sagte: »Gentlemen, wir sind das Bürgerkomitee von Hope City. Wir sorgen für Sicherheit und Ordnung, schützen diese Stadt vor den Bösen. Und natürlich heißen wir Sie, Gentlemen, herzlich willkommen, Aber was ich Ihnen jetzt sagen muss, das wird Ihnen nicht gefallen. Diese Stadt erhebt Steuern auf alle Gewinne durch Geschäfte. Denn gute Geschäfte sind hier nur möglich, weil es durch uns Schutz und Sicherheit gibt. Gentlemen, Sie werden die Hälfte Ihrer Einnahmen als Gewinnsteuer abgeben müssen. Oder wollen Sie nicht?« Wir saßen bewegungslos auf unseren Stühlen. Und im Lampenschein glänzten die Golddollars zwischen den nagelneuen Scheinen und den Nuggets. Wir begriffen jäh, dass wir in der Falle saßen. Dieses Bürgerkomitee war eine Banditenbande. Und wahrscheinlich beherrschten sie diese lausige Stadt. Es war still. In diese Stille flüsterte
Alamo Joe fast tonlos. »Ich konnte es wittern wie ein stinkendes Aas in der Sonne.« »Was hat er gesagt?«, fragte der Anführer, der den Stern auf der protzigen Brokatweste trug. Alamo Joe ließ sein meckerndes Lachen hören. Nein, er war kein Narr und beherrschte sich. Und lachend erwiderte er: »Oooh, Mister Marshal, Sir, ich sagte nur, dass wir verdammtes Glück haben, hier in eine Stadt gekommen zu sein, in der ein Bürgerkomitee für Sicherheit und Ordnung sorgt. Und dafür geben wir gerne die Hälfte unseres Geschäftsgewinns her. Denn wenn hier in dieser Stadt richtige Banditen herrschen würden, dann würden die uns alles nehmen.« Der Mann grinste blinkend. Er war dunkel, groß und prächtig proportioniert. Er wirkte auf mich wie ein schwarzer Panther, wie ich mal einen im Osten in einem Zirkus sah. Die anderen Kerle waren Hartgesottene, die er gewiss sorgfältig ausgesucht hatte. Das waren Revolverschwinger, Schläger, Exbanditen oder Exguerillas. Und sie strömten gnadenlose Entschlossenheit aus. Wir hätten keine Chance gehabt. Ihre doppelläufigen Schrotflinten waren auf uns gerichtet. Und sie grinsten uns an. Ich deutete auf unsere Schätze auf dem Tisch.
»Wir sind gesetzestreue Bürger«, sprach ich ruhig. »Also zahlen wir. Wie soll abgerechnet werden?« Ein kleines Männchen, schwarz gekleidet wie ein Prediger und mit einem Zwicker auf der Nase, kam herein. Der Marshal sagte: »Dies ist der Rechnungsführer unserer Stadt. Er wird das mit Ihnen abwickeln.« Nach diesen Worten gingen sie. Nur das kleine Männchen blieb zurück, sah uns listig an. Dann sprach es mit Fistelstimme: »Gentlemen, lassen Sie es nicht an mir aus, was Sie jetzt auch spüren mögen. Ich bin nur ein kleiner Buchhalter und mache meinen Job.« »Und wir gerieten in eine böse Falle«, erwiderte ich.
Ich ging dann später in das Office der schönen Besitzerin des Hope Palace. Sie saß hinter einem Schreibtisch, der gewiss auf abenteuerlichen Wegen hierher gelangt war. Wahrscheinlich hatte man ihn auseinandergenommen und wieder zusammengezimmert. Es war ein schönes Möbelstück, jedoch mit einigen Spuren des Transportes versehen. Auf dem Tisch lag das Geld für die drei Rinder.
Als ich es nahm, da fragte sie: »Lieutenant, Sie haben mich wohl nicht erkannt?« Ich staunte sie an, indes ich das Geld einsteckte, ohne es zu zählen. Dann schüttelte ich den Kopf. »Eine so schöne Frau hätte ich niemals vergessen. Wo sollten wir uns schon einmal begegnet sein?« Sie lächelte ernst, dann sprach sie: »Es war damals in Georgia. Plünderer überfielen unsere Plantage und steckten unser Haus an, weil sie keine Wertsachen mehr finden konnten. Und sie nahmen mich und einige andere Frauen mit. Aber da kam eine kleine Abteilung der Konföderierten. Sie war selbst auf der Flucht vor den Unionstruppen. Sie wurde angeführt von einem Lieutenant. Die Plünderer flüchteten vor dieser kleinen Abteilung und ließen uns Frauen zurück. Sie, Lieutenant, ritten mit Ihren Soldaten an uns vorbei, verfolgten die Plünderer. Und Sie konnten nicht zurückkehren, weil Ihnen die Unionstruppen zu dicht auf den Fersen waren. Sie warfen nur einen kurzen Blick auf mich. Ich sah gewiss ziemlich zerzaust und schmutzig aus, so wie die anderen Frauen. Doch ich habe Sie mir gemerkt, Lieutenant.« »Ich bin keiner mehr«, erwiderte ich und erinnerte mich zugleich wieder an den Vorfall. Doch der war für mich nicht außergewöhnlich gewesen. Ich erlebte viele solcher
Vorkommnisse. Überdies war ich mit meinen Reitern damals mächtig in Eile. Wir hatten den Rückzug unserer Truppe decken und die Verfolger möglichst lange aufhalten sollen. Doch es waren zu viele geworden, und so befanden wir uns nicht als Nachhut auf einem Rückzug, sondern auf der Flucht. Sie bot mir einen Platz in einem Armsessel an. Dann kam sie hinter dem Schreibtisch hervor, schenkte Whiskey in zwei Gläser ein und setzte sich zu mir in den zweiten Armsessel am runden Tisch. »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet.« Sie lächelte ernst. »Trinken wir auf unser Wiedersehen. Ich habe Sie nie vergessen, Lieutenant.« »Nennen Sie mich John«, verlangte ich. »Und Ihr Name ist Julia, nicht wahr? So nannten Sie sich, Julia Williams. Tut mir leid, dass ich Sie damals nicht gut genug ansehen konnte, um mich jetzt an Sie erinnern zu können. Vielleicht hätte ich von Ihnen geträumt.« Ich sagte es zuletzt lächelnd, scherzend, aber sie erkannte wohl in meinen Augen den Ernst meiner Worte. Wir leerten die Gläser, sahen uns dabei fest an. Ich spürte, dass sie etwas von mir wollte und sie mich nicht nur aus Dankbarkeit für etwas, was ich schon vergessen hatte, bewirtete.
Was also wollte sie? Gewiss suchte sie keinen Mann, um mit ihm ins Bett zu gehen. Ganz bestimmt nicht hatte sie sich auf den ersten Blick in mich verliebt, abgerissen und verdreckt wie ich war vom langen Treiben. Und wie kam sie überhaupt hierher und in den Besitz des Hope Palace? Es waren plötzlich viele Fragen in mir. Nur eines wusste ich: Sie war schön, hinreißend schön. »Wie kamen Sie nach Hope City?« So fragte ich. Sie lächelte ernst. »Mit meinem Mann«, erwiderte sie. »Er kam als Colonel aus dem Krieg zurück. Unsere Baumwollplantage war zerstört, alle Häuser und Hütten abgebrannt. Unsere Sklaven waren frei und machten Jagd auf uns. Ja, wir mussten flüchten, denn die Sklaven waren aufgehetzt worden. Yankees wollten das Land übernehmen. Das war einfach, wenn der Besitzer keine Steuer zahlen konnte und alles zur Versteigerung kam. Sie kennen das ja wohl auch, John. Sie sind Texaner. Ich höre das an ihrer Aussprache. Warum kamen Sie hierher? Weil Sie eine Chance suchten und eine bekamen. Auch wir suchten eine Chance, zogen wochenlang nach Westen. Mein Mann wurde ein Spieler. Und dann hörten wir von den Goldfunden hier. Als wir nach Hope City kamen vor einem halben Jahr, da gehörte dieses
Haus Gordon Levings. Sie haben ihn ja vorhin kennengelernt. Er trägt jetzt hier den Stern. Er verlor den Hope Palace an meinen Mann beim Pokerspiel, welches drei Nächte und zwei Tage dauerte. Doch er lachte nur und sagte, dass er den Palace eines Tages zurückgewinnen würde. Mein Mann wurde zwei Nächte später bei einem Rundgang durch die Räume von einem Revolverschwinger erschossen. Doch sein Mörder wurde wenige Sekunden später von Gordon Levings getötet. Und dann sagte Levings wenig später zu mir, dass ich von nun an unter seinem Schutz stünde und ich mir keine Sorgen zu machen brauchte in dieser wilden Stadt. Und da begriff ich, dass er mich haben wollte, mich und den Hope Palace, aber vor allen Dingen mich. Und nun glaubt er, dass er lange genug gewartet hat. Denn ich bin ja schon fast ein halbes Jahr Witwe.« Sie machte eine kleine Pause und sprach dann: »John, ich brauche Hilfe, und bei Ihnen kann ich sicher sein, dass Sie keiner von Gordon Levings' Männern sind. Überdies hat er Sie und Ihre Partner ausgeraubt und um die Hälfte eures Gewinns gebracht. Sie haben mir schon mal als Offizier der Konföderierten geholfen. Ich will Sie als Partner haben.« Sie hatte nun alles gesagt.
Ihre schwarzen Augen sahen mich funkelnd und herausfordernd an. Sie hätte auch sagen können: »Bist du der Mann, für den ich dich halte, oder wirst du kneifen?« Sie hatte mich vor mehr als zwei Jahren an der Spitze meiner Schwadron reiten und kämpfen gesehen und mich nie vergessen. Nur fiel sie mir damals in der Eile nicht auf, zerzaust und schmutzig wie sie war. Jetzt hatte uns das Schicksal zusammengeführt. Denn an Zufälle glaubte ich nicht. Ich hob die Hand und wischte mir über das Gesicht. Dann erinnerte ich mich wieder an das Geschehen vorhin im Speiseraum, an diesen sich selbstherrlich gebenden Mann mit der Brokatweste und dem Stern. Er hatte uns mit seiner Bande mehr als zwölftausend Dollar gestohlen. Und wir mussten kneifen, weil wir keine Chance gehabt hätten gegen die Schrotgewehre seiner Bande. Ja, sie waren eine Bande in einer Stadt, in der nur ihr Gesetz galt. Sie nannten sich Bürgerkomitee. Oh, verdammt, es juckte mich mächtig. Aber wie groß würden meine Chancen sein als Julia Williams' Partner? Ich sah wieder in ihre schwarzen Augen. Versprach sie mir etwas, was mehr war als nur eine Partnerschaft?
Das fragte ich mich. Aber ich konnte nicht erkennen oder spüren, dass sie sich auch selbst als Belohnung anbot. Sie sah mir gewiss an, wie sehr ich alles noch überdachte und meine Chancen einzuschätzen versuchte. Aber sie unternahm keinen Versuch, mich mit weiteren Bitten und Worten zu überreden. Sie hatte mir ihr Angebot gemacht. Ich sah sie eine Weile schweigend an. Dann fragte ich: »Und was würde sein, wenn auch ich Sie haben möchte? Sie sind eine schöne, begehrenswerte Frau. Ich könnte mich zuerst unentbehrlich machen und dann eine besondere Belohnung fordern. Ich könnte ein verdammter Hundesohn sein wie so viele andere.« Sie lächelte ernst und erwiderte: »Sie sind ein stolzer Texaner. Warten wir ab, was sich zwischen uns entwickelt. Lernen wir uns kennen und lassen wir uns Zeit dabei! Ich verspreche nichts – nur einen gerechten Anteil am Hope Palace als Partner.« Ich nickte und erhob mich. »Gut, wir sind Partner«, sprach ich ruhig. »Ich mochte diesen Gordon Levings von Anfang an nicht.«
11
Ich kam wenig später in die Badestube des Hotels. Hier standen einige Holzbottiche. In dreien hockten Pug, Pete und Joe. Ein Neger hantierte am großen Wasserkessel, unter dem ein Feuer brannte und aus dem es mächtig dampfte. »Willkommen im Paradies, John!« Pete rief es. Und Pug sagte zufrieden: »Ich bade mit duftender Fliederseife. Oho, man könnte das so richtig genießen und echte Freude spüren, wenn uns diese Bande nicht so ausgeraubt hatte.« Ja, er sah es wohl richtig. Ich sagte vorerst nichts, sondern hockte mich in das noch freie Badefass, welches der Schwarze mit heißem Wasser füllte. Meine Kleidung ließ ich einfach zu Boden fallen. Nur den Colt legte ich griffbereit neben dem Badezuber auf einen Schemel. Ich sah, dass dies auch meine drei Trailpartner getan hatten. Der Neger, der bisher schweigend hantiert hatte, sagte: »Mister, ich habe Ihre Größe gewiss richtig geschätzt. Soll ich neues Zeug zur Auswahl aus dem Store kommen lassen?« »Nein, Mister Sam«, erwiderte ich. »Die Chefin schickt Kleidung ihres Mannes herunter, auch Unterzeug. Sie sagte, dass wir die gleiche Größe haben müssten.«
Der Schwarze staunte. »Sie kennen meinen Namen, Mister?« »Gewiss, Mister Sam.« »Sie sollten mich nicht Mister nennen«, erwiderte er unwillig. »Wenn Sie mir erlauben, dass ich Sie einfach nur Sam nenne, dann werde ich das Mister weglassen.« Er sah mich im Lampenschein misstrauisch an. Und da sagte ich: »Sam, ich bin von nun an dein Boss. Mrs. Williams hat mich als Partner aufgenommen.« Er stand da und staunte, sah mich prüfend an. Seine Nasenflügel vibrierten, so als würde er Witterung aufnehmen. »O ja, Boss«, sprach er dann, »das ist was. Die Chefin ist eine kluge Frau.« Die Tür ging auf. Es erschien die dicke Bedienung aus dem Restaurant mit einer Menge Kleidungsstücke auf den Armen. Pete rief: »Ay, Rosita, wir sind nackt! Haben Sie keine Angst, dass wir Ihnen was zeigen könnten?« Sie lachte kehlig. »Was könnten Sie mir schon zeigen, Cowboy, das ich nicht schon gesehen habe? Ich wuchs unter fünf Brüdern auf.« Sie ging lachend wieder hinaus, nachdem sie alles auf einem Tisch in der Ecke abgelegt hatte.
Pete aber sagte, nachdem sie verschwunden war: »Die lege ich noch flach.« Da sagte Sam mit seiner tiefen Stimme: »Vorsicht, Mister. Die gehört dem Schmied von Hope City. Und der hämmert Ihnen den Schädel ein, wenn Sie Rosita zu nahe treten.« Wir lachten. Aber Pete blieb stur. Er knurrte: »Ich versuche es dennoch bei ihr. Vielleicht findet sie mich schöner als den Schmied.« Sie sahen dann schweigend zu mir herüber. Pug fragte vorsichtig: »Ist das wahr, John? Bist du der Partner der schönen Wirtin geworden?« »Das ist ein Wunder«, sagte Pete mit neidvollem Klang in der Stimme. Alamo Joe aber lachte meckernd in seiner Wanne und rief dann: »Das erinnert mich wieder an die Geschichte von Jack und Jessica. Die waren sich auch vom ersten Moment an einig. Und dann fand Jack heraus, dass sie schon fünf Kinder von fünf verschiedenen Vätern hatte, hihihihi!« Als sein meckerndes Lachen verstummte, da sprach Sam mit seiner tiefen Stimme: »He, alter Mann, wenn Sie meine Chefin beleidigen durch solch einen Vergleich, dann ertränke ich Sie in diesem Badefass wie eine Ratte.«
»Waaas?« So fauchte Alamo Joe. Und er holte dann Luft, um etwas Gewaltiges loszulassen. Doch dann holte ihn sein Verstand wieder ein. »Schon gut, Sam«, knurrte er. »Es ehrt dich, wenn du ein Ritter deiner Patrona sein willst. Ich entschuldige mich. Denn ich habe nichts gegen einen getreuen Nigger.« Da ließ Sam ein tiefes Lachen hören. Aber es klang irgendwie stolz. »Richtig«, sagte er, »ich bin ein verdammter Nigger.«
Es war eine gute Stunde später, als ich mich auf den Weg machte, Hope City zu erkunden. Denn das war wichtig. Ich glich ja gewissermaßen einem fremden Wolf, der in ein ihm noch völlig unbekanntes Revier gekommen war, in dem schon andere Wölfe herrschten und es längst eine Rangordnung gab. Hope City tobte jetzt wie ein wildes Tier und beging viele Sünden. Denn es war Nacht geworden. Die Goldgräber und Minenleute waren aus der weiteren Umgebung hereingekommen in der Hoffnung auf etwas, was man sich hier kaufen konnte und musste. Denn all die Sünden hier waren nur käuflich zu bekommen – mochte es sich um Feuerwasser, Glücksspiel oder Mädchen handeln.
Es gab noch andere Saloons in der Stadt, aber die waren nichts gegen den Hope Palace. Ich sah die Digger an Bratständen stehen oder unter den primitiven Dächern der Bratküchen auf den langen Bänken und an langen Tischen hocken. Es gab überall Fleischgerichte. Und für ein Steak musste man zwei Dollar zahlen. Einige der Rinder, die wir so mühsam hergetrieben hatten, wurden in dieser Nacht verzehrt. Und dann sah ich Gordon Levings bei der Arbeit. Er machte mit zweien seiner Gehilfen eine ganze Minenmannschaft klein. Sie waren nur drei gegen acht, aber die Überzahl hatte keine Chance. Gordon Levings und dessen zwei Gehilfen verstanden ihr Handwerk. Ja, man musste es wohl Handwerk nennen. Sie schlugen mit den Läufen ihrer Waffen zu, seine beiden Gehilfen mit den Läufen ihrer Schrotflinten, Levings mit dem Revolverlauf. Und weil sie stets nur einmal zuschlugen, blitzschnell und ohne Gnade, blieben die Getroffenen im Staub liegen und konnten sich vorerst nicht mehr erheben. Die Überzahl der Minenleute verringerte sich schnell.
Und zuletzt waren nur noch zwei auf den Beinen. Sie hoben die Hände und verharrten bewegungslos. Es war vorbei. Natürlich hatten sich viele Zuschauer angesammelt. Wir bildeten zwischen den Häuserfronten einen Kreis auf der staubigen Hauptstraße von Hope City. Neben mir standen zwei Goldgräber, wahrscheinlich Claimbesitzer. Ich horte den einen zu seinem Nachbarn sagen: »Das ist es wieder. Es ist stets das gleiche böse Spiel.« »Verdammt ja«, fluchte der andere Mann. Ich wandte mich zu ihnen und sagte: »Vielleicht könnt ihr mich aufklären. Ich bin heute erst hier angekommen. Was für ein Spiel findet hier statt?« Sie betrachteten mich misstrauisch. Dann sagte einer: »He, sind Sie nicht einer der Rindertreiber, die mit der Fleischherde kamen und das große Geschäft machten? Wir haben vorhin Steaks von Ihren Kühen gegessen.« »Es waren nicht mehr meine Rinder«, erwiderte ich. »Aber was für ein Spiel findet hier statt?« Sie zögerten noch einige Sekunden lang. Dann sprach einer: »Aaaah, das ist die Mannschaft der Lucky-Charly-Mine. Lucky Charly Collins soll eine Frau vergewaltigt haben. Zwar war es nur
eine der vielen Edelhuren, die sich als seriöse Ladies ausgeben, aber das spielt für das Bürgerkomitee keine Rolle. Er soll sie vergewaltigt haben. Nun sitzt er im Gefängnis. Es wird eine Gerichtsverhandlung vor einem Bürgergericht geben. Man wird ihn hängen. Denn die Frauen hier in dieser Stadt stehen unter ganz besonderem Schutz. Seine Mannschaft wollte den Marshal dazu bringen, Lucky Charly freizulassen. Aber Gordon Levings wies sie ab. Vorhin hatten sie ihn und die beiden Gehilfen hier gestellt. Ja, sie wollten sie kleinmachen. Aber es erging ihnen wie acht Hunden, die sich mit drei Wölfen anlegten. Sie konnten ihrem Boss nicht helfen.« Er verstummte bitter. Und ich fragte: »Und wie geht es jetzt weiter? Sie sprachen von einem bösen Spiel. Was also kommt jetzt?« Die beiden Goldgräber lachten grimmig. Dann sprach einer: »Lucky Charly wird seine Mine der Frau übereignen müssen, die er angeblich vergewaltigt hat. Dann lassen sie Lucky Charly laufen. Und alles ist rechtlich einwandfrei. Nur Lucky Charly ist dann kein glücklicher Charly mehr.« Er verstummte grimmig. Sein Nachbar aber sagte: »Hope City – was für ein Name für eine Stadt. Eigentlich ist es ein schöner Name, voller
Hoffnung für alle, die herkommen und hier leben, nicht wahr?« Ich wusste nun Bescheid und erinnerte mich wieder daran, dass wir zwölftausend Dollar an dieses sogenannte Bürgerkomitee als Verkaufssteuer abgeben mussten. Sie waren eine primitiv arbeitende Banditenbande. Doch sie besaßen die Macht in Hope City. Ich sah auf die Minenleute. Sie erhoben sich nun aus dem Staub, verharrten schwankend, stöhnend und hielten sich die Köpfe, wo die Schläge sie trafen. Einige krümmten sich und mussten sich erbrechen, weil ihnen die Gewehrläufe in die Magenpartien gestoßen worden waren. Und dann tönte Gordon Levings' Stimme hart und gnadenlos: »Schleicht euch! Kommt nie wieder in meine Stadt! Wenn ich euch noch mal zu sehen bekomme, dann sperre ich euch wegen Stadtfriedensbruch und Mordversuchs ein! Haut ab für immer!« Sie standen da als geschlagener Haufen, geschlagen und zurechtgestutzt von drei harten Gnadenlosen, denen sie trotz ihrer Überzahl und obwohl sie selbst als Minenarbeiter gewiss harte Burschen waren, nicht gewachsen waren. Sie mussten sich als jämmerliche Verlierer vorkommen.
Der dichte Kreis der Zuschauer öffnete sich, um sie davonziehen zu lassen. Ja, sie zogen als geschlagener Haufen ab. Die vielen Zuschauer zerstreuten sich. Einer meiner beiden Nachbarn sagte zu mir: »He, Cowboy, Sie hatten Glück, dass man Ihnen die Herde nicht abgenommen hat, bevor ihr sie verkaufen konntet. Levings hätte gewiss einen Grund gefunden.« Sie gingen. Ich aber trat einige Schritte zurück und lehnte mich an den Pfosten eines vorgezogenen Hausdaches. Ich holte mein Rauchzeug hervor und drehte mir eine Zigarette. Dabei beobachtete ich Gordon Levings und dessen zwei Gehilfen. Diese verharrten noch und beobachteten, wie sich der Zuschauerkreis auflöste. Sie waren bereit für alles, was sich vielleicht gegen sie richten wollte. Es war zwar Nacht, doch es fielen überall Lichtbahnen aus den Häusern und Läden. Sie lagen wie goldene Schranken über der staubigen Mainstreet, in denen der aufgewirbelte Staub wie Goldpuder wirkte. Aber es war nur Dreck. Wahrscheinlich war in Hope City fast alles nur Dreck. Und dafür war dieser Gordon Levings verantwortlich. Er war der Herrscher, der Mächtige, weil es keine Gemeinschaft gab.
Es gab keinen Gegenpol zu ihm. Und sollte sich zeigen, dass ein Mann einen solchen Gegenpol zu schaffen versuchte, dann würde er nicht mehr lange leben. Ja, es war ein böses Spiel auf vielen Ebenen. Ich verharrte noch und rauchte meine Zigarette. Und da traf mich Levings' Blick, so als hätte ich ihn angerufen. Aber ich wusste, sein Instinkt hatte ihm ein Zeichen gegeben. Er hatte etwas gespürt und mich dann dort am Pfosten lehnend erkannt. Ich begriff in diesen Sekunden, dass er den Instinkt eines Raubtiers besaß und jede feindliche Strömung wie einen kalten Hauch spürte. Ja, er war ein zweibeiniges und sehr gefährliches Raubtier. Er kam zu mir herüber. Seine beiden Gehilfen begleiteten ihn. Als sie vor mir verhielten, wippte er auf den Stiefelsohlen im Staub der Straße. Es war ein Lachen in seiner Kehle, als er fragte: »Genug gesehen, Rindermann?« Ich nickte und erwiderte: »O ja, jetzt weiß ich Bescheid. Sie sind hier der Bulle im Corral, und mich hat das schon dreitausend Dollar gekostet.« Er lachte wieder kehlig, wippte wieder auf den Sohlen und hakte die Daumen in seine Westentaschen.
»Kommen Sie mir nur nicht in die Quere«, sprach er dann. Dann wandte er sich ab und ging davon. Seine beiden Gehilfen folgten ihm rechts und links in einem Abstand von einem Schritt. So gingen sie gewiss immer durch die Stadt. Ich verharrte noch, rauchte meine Zigarette zu Ende und überlegte. Was würde sein? Doch die Frage war für mich leicht zu beantworten. Wenn ich hier in Hope City blieb als Julia Williams' Partner, dann waren Levings und ich füreinander bestimmt. Dann hatte uns das Schicksal hier zusammengeführt, damit wir es miteinander austrugen. Dann würde nur einer von uns beiden überleben. Ich wusste es mit instinktiver Sicherheit. Und so überlegte ich, immer noch am Pfosten lehnend, ob ich bleiben sollte oder es besser und klüger wäre, schleunigst von hier zu verschwinden. Ich war hier wie ein Wolf in das Revier eines anderen Wolfes eingedrungen. Sollte ich kämpfen oder mich davonschleichen? Doch diese Julia hatte mich zu ihrem Partner gemacht. Sie wollte Hilfe haben, und sie gefiel mir mächtig. Sie war begehrenswert.
Zwar hatte sie mir nichts versprochen, was über unsere Partnerschaft hinaus ging, aber ich glaubte, dass sich dies ändern würde. Doch das war ja noch nicht alles. Dieser Gordon Levings mit seinem sogenannten Bürgerkomitee hatte uns zwölftausend Dollar gestohlen. Das wurmte mich mächtig Ich steckte also mächtig in der Klemme zwischen meinem Stolz und meiner Klugheit. Denn ein einigermaßen kluger Bursche wäre abgehauen. Ich stieß mich mit der Schulter vom Pfosten ab und ging weiter durch die Stadt. Dabei fiel mir ein, dass ich wohl doch mal nach unseren Pferden sehen sollte. Sam, der Schwarze, der unsere Badezuber immer wieder mit heißem Wasser nachgefüllt hatte, ließ unsere Pferde von einem jungen Burschen zum Mietstall bringen, wo sie versorgt werden sollten. Er hatte uns versichert, dass dies zuverlässig geschehen würde. Doch jetzt wollte ich das lieber doch mal überprüfen. Und so machte ich mich zum anderen Ende der Stadt auf den Weg, kam an vielen Läden, Saloons und auch am City House mit dem Gefängnis vorbei.
Mir fiel ein, dass dort drinnen ein gewisser Lucky Charly Collins in einer Zelle saß. Wahrscheinlich nannte man ihn Lucky Charly, weil er eine ertragreiche Mine besaß irgendwo im Umkreis von Hope City. Doch nun war er kein Glücklicher Charly mehr. Die Mine hatte ihm Unglück gebracht. Ich hielt inne, denn der Mann tat mir leid. Doch ich konnte ihm nicht helfen. Wie hätte ich das tun können? Also ging ich weiter und fragte mich, was Pete, Pug und Alamo Joe jetzt wohl taten. Sie hatten gebadet, trugen neues Zeug – und jeder hatte dreitausend Dollar in der Tasche. Ich machte mir plötzlich Sorgen um sie. Doch es war gewiss nicht möglich, sie zu finden. Pete und Pug würden wahrscheinlich mit käuflichen Frauen in den Betten liegen. Sie hatten unterwegs immer wieder darüber gesprochen, was sie sich alles leisten würden. Und Alamo Joe ... Was tat wohl der jetzt? Aber was ging mich das noch an? Wir waren eine Treibmannschaft gewesen. Dann hatten wir den Gewinn geteilt, und jeder war seiner Wege gegangen. Wir waren keine Mannschaft mehr, die aufeinander angewiesen war und
zusammenhalten musste, um überleben und die Herde ans Ziel bringen zu können. Also verdrängte ich meine Gedanken an die drei Gefährten. Jeder war in dieser Stadt sein eigener Hüter. Ich ging weiter in Richtung Mietstall und dessen Corrals. Wenigstens nach unseren Pferden wollte ich sehen. Am Ende der Stadt wurde es dunkler. Hier fielen keine Lichtbahnen mehr über die Straße, denn es gab hier nur noch Hütten, keine Geschäfte oder Lokale. Hier waren nur noch primitive Unterkünfte. Im Hof des Mietstalles leuchtete nur eine einsame Laterne, die an einem Mast hochgezogen worden war. Doch die beiden Stalltore standen offen. Aus dem Stall fiel ebenfalls Lichtschein. Als ich näher trat, sah ich zwei Männer. Einer lag auf der Futterkiste. Der andere kümmerte sich um ihn wie um einen Kranken. Ich trat nun noch näher. Und da sah ich es. Der Mann auf der Futterkiste war Alamo Joe, und der andere Mann musste der Stallmann sein. Er blickte über die Schulter zu mir hinauf und knirschte grimmig: »Dem haben sie fast den Schädel eingeschlagen. Ich fand ihn drüben beim
Corral und schleppte ihn hierher. Er wiegt ja nicht viel.« Ich sah auf Alamo Joe nieder. Das Blut lief ihm aus dem grauen Haar. Aber das war eigentlich ein gutes Zeichen. Sein Herz schlug also noch. Der Stallmann holte ein nassen Tuch aus dem Wassereimer und wusch ihm das Blut ab. Dabei knurrte er: »Diese verdammten Hurensöhne ... Er war zuvor bei mir im Stall und fragte nach den Pferden, die vom Hope Palace hergebracht wurden. Er war schon ziemlich betrunken und deshalb eigensinnig. Er fragte auch nach dem Maultier, welches er Miss Lizzy nannte.« Ich sagte nichts, sah nur auf Joe und wusste, dass ich dessen Taschen nicht durchsuchen musste. Auch sein Brustbeutel würde leer sein. Sie hätten ihn ausgeraubt, diesmal auf andere Art. Es dauerte ziemlich lange – und wir kühlten und wuschen ihm auch immer wieder den Kopf –, bis er endlich die Augen aufschlug und zu begreifen begann, was mit ihm geschehen war. Da begann er stöhnend zu fluchen und stieß dann hervor: »Das muss mir passieren, ausgerechnet mir.« Ich wusste, wie er das meinte. Draußen im Apachenland hatten ihn die Apachen niemals überrumpeln können. Er hatte gewiss stets jede
Gefahr gewittert als guter und erfahrener Scout und Wagenzugführer. Doch hier war er angetrunken und nicht wachsam genug gewesen. »Es ist alles weg, nicht wahr?« So fragte er stöhnend, setzte sich mit unserer Hilfe langsam auf und hielt sich den Kopf. Der Stallmann legte ihm wieder das nasse und gewiss kühlende Tuch auf die blutende Schlagwunde. Dann fragte er mich: »Kennen Sie ihn?« Ich nickte nur. Dann aber sagte ich: »Den konnte kein Apache überrumpeln. Er musste erst hierher in diese Stadt kommen, die sich Stadt der Hoffnung nennt. Er hatte an die dreitausend Dollar in seinen Taschen und im Brustbeutel. Und jemand wusste davon.« Der Stallmann – ich hielt ihn für einen Excowboy, der nicht mehr reiten konnte, weil er zu alt und zu steif geworden war – sah mich forschend an. »Ja, die Banditen in dieser Stadt haben ein gutes Nachrichtensystem. Die erfahren alles. Doch irgendwann wird die Eiterbeule platzen.« Er verstummte grimmig. Joe sah mich nun an und sagte heiser: »Aaah, du bist das, John. Ich hätte besser nicht auf den Gedanken kommen sollen, nach unseren Pferden zu sehen. Als der große Bursche beim Corral zu
mir trat, da sah ich den Stern auf seiner Weste. Doch dann schlug er mir den Gewehrlauf auf den Hut. Dieser Hurensohn war einer vom Bürgerkomitee. Vielleicht glaubte er, dass er mich totgeschlagen hätte. Doch mein Kopf ist hart. Der hält was aus.« Er sah nun auf den Stallmann. »Ich danke dir, mein Freund«, sprach er mühsam. Seine Zunge gehorchte ihm nur schwer. Und dann fiel er plötzlich auf die Seite. Er war tot. Ja, er war plötzlich tot. Wir wollten es zuerst nicht glauben und untersuchten ihn gründlich, fühlten also nach seinem Puls, griffen ihm auch an den Hals. Aber es schlug in seinen Adern kein Puls mehr. Er war tot. Ich erhob mich langsam und sah auf ihn nieder. Der Stallmann stand neben mir. Er war fast zwei Kopfe kleiner als ich und sah zu mir hoch. Dabei sagte er langsam und schwer: »Wenn der Bandit einen Stern trug, dann war es einer von Gordon Levings' Männern, die sich Bürgerkomitee nennen. Aber das zu wissen, nützt hier nichts, gar nichts. Die machen hier, was sie wollen.« Ich nickte stumm. Dann aber fragte ich: »Wo ist der Laden des Leichenbestatters?« Der Stallmann wischte sich über sein Gesicht und beschrieb mir den Weg.
Als ich ging, war ich wachsam wie ein Wolf. Und ich dachte an Pete und Pug. Sie waren in Gefahr. Diese Townwölfe wussten, dass Pete und Pug eine Menge Geld bei sich hatten, so wie sie es ja auch von Alamo Joe gewusst hatten. Sie würden es sich holen. Mit zwölftausend Dollar waren sie nicht zufrieden. Die hatten sie sich als Verkaufssteuer scheinbar berechtigt laut Stadtgesetz geholt. Doch sie wollten alles. Und so waren Pete und Pug in großer Gefahr. Wo mochten sie sein? Wo konnte ich sie finden? Doch zuerst musste ich den Leichenbestatter in den Stall schicken. Alamo Joe sollte nicht länger als notwendig tot auf der Futterkiste liegen. In mir war ein böser Zorn. Was war das nur für ein böses Nest! Und die Bösen, welche in der Minderzahl, doch entschlossen waren, hatten die Macht. Die Redlichen ließen sich immer noch beherrschen.
12
Ich konnte mir einigermaßen ausrechnen, wo ich Pete und Pug suchen musste. Und so ging ich vom Leichenbestatter auf dem geradesten Weg zum nobelsten Freudenhaus. Dem Türwächter gab ich zwanzig Dollar und beschrieb ihm die beiden Cowboys. Sie waren leicht zu beschreiben, denn Pete hatte feuerrote Haare, und Pug war dunkel wie ein Apache, auch so gedrungen. »Ja, die sind hier bei unseren Honeybees.« Er grinste. »Und so schnell wollen die gewiss nicht weg von den schönen Evas unseres Etablissements.« Ich nickte und ging hinein. Drinnen begrüßte mich eine gewaltige Walküre, ein Dreizentnerweib. Sie sprach dann bedauernd: »Leider ist zur Zeit keines meiner Mädchen frei. Wollen Sie warten oder ...« »Ich will und muss meine beiden Freunde hier herausholen«, unterbrach ich sie. »Das muss sein, Ma'am, auf welche Art auch immer.« Sie sah mich zuerst böse und drohend an. Doch dann erkannte sie etwas in meinem Blick. Sie war eine erfahrene Frau. Sie leckte über ihre vollen Lippen. Dann aber wurden diese Lippen hart. »Handelt es sich um die beiden Cowboys?«
Ich nickte nur. »Die werden sich nicht über die Störung freuen, mein Freund.« »In welchen Zimmern finde ich sie?« Ich fragte es mit einem harten Klang in der Stimme. Sie lächelte und erwiderte: »Die sind mit Nancy und Susy in einem Zimmer und in einem Bett, mein Freund. Es ist das erste Zimmer links im Gang.« Ich ging hinauf. Die Tür war nicht abgeschlossen oder verriegelt. Als ich eintrat, da sah ich, dass sie tatsächlich zu viert im breiten Bett lagen. Jeder von ihnen hatte ein Mädchen im Arm. Offenbar machten sie soeben eine Ruhepause, sammelten neue Kräfte und neue Lust zur Wiederholung der Freuden von vorhin. Pete und Pug rauchten Zigarren. Neben ihnen auf kleinen Tischchen standen Flaschen. Was Pete und Pug hier taten und erlebten, das waren erfüllte Cowboyträume, geträumt und erwünscht während eines langen Treibens. In dieser Hinsicht glichen sie Seeleuten – zum Beispiel Walfängern –, die nach langen Monaten auf See wieder in einem Hafen an Land gehen. Sie sahen mich über ihre Füße hinweg an. Pete bellte: »Was willst du hier, John? Du bist sicher im falschen Zimmer gelandet.« Ich drückte die Tür hinter mir mit einer Schulter zu.
Dann sagte ich: »Sie haben Alamo Joe den Kopf eingeschlagen, um ihn ausrauben zu können. Und sie wissen, dass auch wir noch unsere Taschen voller Geld haben. Ich bin nur hier, um euch zu warnen. Ihr solltet noch in dieser Nacht abhauen. Aber vielleicht kommt ihr gar nicht mehr zu euren Pferden im Mietstallcorral. Vielleicht lässt euch die Bande gar nicht mehr mit vollen Taschen aus der Stadt. Nun, ihr wisst jetzt Bescheid.« Ich wandte mich zum Gehen. Da kreischten beide Mädchen los, fauchten wie Katzen. Und eine rief: »Raus hier, Jungs, raus hier! Wir wollen damit nichts zu tun haben! Ja, ihr habt die Taschen voller Geld und Gold. Das haben wir längst gemerkt. Und wir hätten euch das Paradies bereitet, so lange ihr das bezahlen konntet. Doch jetzt müsst ihr hier verschwinden. Raus hier!« Ich hatte innegehalten. Pete und Pug begannen zu fluchen. Aber ich ging nun. Ich hatte sie gewarnt, und sie waren mir nicht mal dankbar. Wir waren auf dem Trail eine gute Mannschaft gewesen. Doch hier in Hope trennten sich unsere Wege. Jeder wurde sein eigener Hüter. Ich ging wieder hinunter. Die dicke Patrona des Etablissements stand unten hinter der Bar und starrte mich an. »Die
wollen wohl nicht mit Ihnen kommen?« So fragte sie mit Spott in der Stimme. Ich verhielt vor ihr auf der anderen Seite der Bar und fragte hart: »Wieviel müssen Sie an Gordon Levings und dessen Bande von Ihrem Gewinn abführen?« Sie schloss einen Moment die Augen, aber dann öffnete sie diese wieder zu schmalen Schlitzen. Ihre Stimme klang resigniert, als sie leise sprach: »Wir sitzen hier alle in der Falle. Doch eines Tages wird sich ein Sturm erheben. Dann wird der Zorn der Menschen losbrechen wie ein Höllenfeuer.« Sie verstummte erschrocken über ihre Worte. Ich ging hinaus. Es war Zeit, zu Julia Williams und zum Hope Palace zu gehen. Sie hatte gewiss schon Stunden auf mich gewartet und sich gefragt, ob wir überhaupt Partner waren. Aber ich musste mir erst einen Überblick und ein Bild von dieser Stadt machen. Nun wusste ich besser Bescheid. Eine gierige und rücksichtslose Bande herrschte hier über eine wehrlose Hammelherde. Ja, so musste man das wohl sehen. Ich bewegte mich vorsichtig, hielt mich zumeist außerhalb der Lichtbahnen, verhielt immer wieder in dunklen Nischen oder Häuserlücken und beobachtete das Leben und Treiben. Denn Hope City war weiter mächtig in
Betrieb, voll Goldsucher, Claimbesitzer und Minenarbeiter. Doch sie waren keine Bürger von Hope City. Sie kamen nur her, um sich all die Sünden zu kaufen, die der Menschheit schon seit Babylon und noch länger Freude bereiten. Sie waren nur Gäste, die ihr Geld oder ihr Gold hier ließen und wieder verschwanden. Sie saßen nicht in der Falle wie die Bürger von Hope City. Doch nun fiel mir wieder dieser Lucky Charly Collins ein, der im Gefängnis saß, weil er eine Frau vergewaltigt haben sollte. Und wenn er dieser Frau nicht seine Mine überschrieb, dann würden sie ihn wahrscheinlich hängen – jedenfalls drohten sie ihm das an. Ich hielt in der dunklen Mündung einer Gasse an und überlegte. Und da begriff ich, dass Gordon Levings und dessen Bande nun dabei waren, auch im Umland alles an sich zu bringen. Wahrscheinlich war die Mine von Lucky Charly Collins erst der Anfang. Ich ging weiter, bis ich mich gegenüber des City House befand. Hier stellte ich mich wieder in eine dunkle Gasse und wartete. Es war nun schon nach Mittemacht. Hope City leerte sich langsam. Einige Wagen mit betrunkenen Minenarbeitern fuhren hinaus. Die Männer in den Wagen – diese mussten hier erst
hergestellt worden sein, denn kein Wagen kam über die Berge hierher – brüllten und johlten. Auch Reiter ritten hinaus. Fußgänger machten sich auf den Weg. Manche torkelten und schwankten. Und sie sangen schmutzige Lieder. Ich hörte auch das Lied von Doc Bonescale und erinnerte mich wieder an Alamo Joe, der uns mit diesem Lied genervt hatte. In mir kam der Zorn hoch. Doch ich wusste, was ich tun musste. Mein Plan war plötzlich einfach und klar. Julia Williams musste noch auf mich warten und an mir zweifeln. Ja, ich wusste, dass sie inzwischen an mir zweifelte. Die Zeit verging. Ich sah dann Gordon Levings mit zwei seiner Männer die letzte Runde machen. Drüben im City House war eines der Fenster beleuchtet. Dort musste also zumindest einer von Gordon Levings' Gehilfen – besser gesagt Kumpanen – im Office sitzen. Die drei anderen hatten wahrscheinlich frei. Denn sie konnten ja nicht ständig auf den Beinen sein. Als Gordon Levings mit seinen beiden Begleitern vorbei war, überquerte ich die Fahrbahn und verschwand in der Gasse neben dem City House. Von ihr gelangte ich in den Hof hinter dem City House und zu drei vergitterten Fenstern. Es waren die Fenster des Zellenraumes.
Ich rief leise Lucky Charlys Namen durch das mittelste Fenster. Er antwortete sofort und kam an die Gitterstäbe. »Bist du allein im Zellenraum?« So fragte ich. »Nein«, erwiderte er. »Aber die Burschen in den anderen Zellen sind betrunken und schnarchen um die Wette. Wer bist du?« Ich hörte nun ebenfalls die Schnarcher. Dann sagte ich: »Charly, ich hole dich gleich hier heraus. Und vielleicht machst du dann den anderen Minenbesitzern klar, dass du nur der Anfang bist und auch sie ihre Minen verlieren werden.« Ich ging nach diesen Worten wieder fort und machte mich auf die Suche nach einer Stange, welche stark genug war, um die Gitterstäbe herauszubrechen. Und ich wusste, dass Lucky Charly jetzt auf ein Wunder wartete und bereit sein würde. Ich fand einen Balken, welcher hoffentlich nicht brechen würde, wenn ich sein Ende zwischen die Gitterstäbe steckte. Der Hebelarm war dann immer noch länger als zwei Yards. Nach dem Hebelgesetz war das der Kraftarm, der meine Kraft verstärkte. Und das war dann Kraft mal Kraftarm gegen Last mal Lastarm. Was würde stärker sein, die Gitterstäbe in der Verankerung – oder ich mit dem Balken? Aber eigentlich machte ich mir da keine Sorgen.
Und so war es auch. Als ich das Ende des Balkens zwischen die Gitterstäbe schob, stand Lucky Charly auf der anderen Seite. Er zischte mir zu: »Der Deputy schnarcht ebenfalls vorn im Office.« Nun, das war mir nur recht, und so setzte ich mit dem langen Hebel meine ganze Kraft ein, brach die erste Stange heraus, dann die zweite. Und dann kam Lucky Charly heraus in die Freiheit. Wir verhielten voreinander. Er fragte: »Kennen wir uns? Warum hilfst du mir heraus? Soll ich auf der Flucht abgeschossen werden?« Er war ein misstrauischer Bursche. Ich sagte: »Du kannst ja wieder in deine Zelle zurückklettern. Aber eigentlich hoffe ich, dass ihr Minenbesitzer und Goldschürfer euch verbündet, bevor ihr einzeln erledigt werdet. Die Bande hier in der Stadt greift jetzt das Umland an. Ihr solltet ein Vigilantenkomitee gegen das Bürgerkomitee gründen.« Nach diesen Worten ging ich davon. Denn die Nacht ging nun in die Morgendämmerung über. Es war Zeit, endlich zu Julia zu gehen. Was würde sie in diesem Moment von mir denken? Ich wusste, sie dachte an mich. Das konnte gar nicht anders sein. Sie musste sich von mir enttäuscht fühlen.
Als ich mich gegenüber dem Hope Palace befand, mich anschickte, die Straße zu überqueren, da hörte ich die wilden Schreie von galoppierenden Reitern, die ihre Pferde antrieben. War es nur ein Wettreiten von Betrunken? Oder war es eine Flucht? Doch ich kannte diese Schreie. Ich erinnerte mich daran. Das war die Art von Pete und Pug. So trieben sie ihre Pferde an, wenn es durch irgendwelche Umstände nötig war. Wenig später sah ich sie an mir in den Morgennebeln vorbeijagen. Sie hinterließen eine Staubwolke, durch welche ich zum Hope Palace hinüberging. Ich verspürte eine Erleichterung, was Pete und Pug betraf. Sie hatten offenbar die Flucht aus Hope City ergriffen. Und dies hatte ich ihnen ja geraten. Aber ich wollte nicht die Flucht ergreifen. Die Tür zur Amüsierhalle des Hope Palace war offen. Ich trat ein. Der Neger Sam kam mir mit einem sinnlos Betrunkenen in den Armen entgegen. Ich hielt ihm die Tür auf, und ich wusste, er würde den Betrunkenen irgendwo draussen an die Hauswand setzen. Sam sagte: »Die Chefin hat immer wieder nach Ihnen gefragt. Jetzt ist sie im Office.« Ich durchquerte den Raum und trat wenig später ins Office.
Julia saß hinter dem Schreibtisch und hatte offenbar schon mit ihren Angestellten abgerechnet. Die Einnahmen der Nacht aus allen Abteilungen des Hope Palace lagen gestapelt oder gebündelt auf dem Tisch. Und sie selbst machte Eintragungen in ein großes Buch, eine Art Kladde. Im Lampenschein sah sie mich an. Ich lehnte mich neben der Tür an die Wand und überließ ihr die ersten Worte. »Sie sind also nicht abgehauen«, sagte sie. Es war keine Frage, sondern eine ruhige Feststellung. Doch dann sprach sie schärfer und mit einem Klang von Verachtung: »So können wir keine Partner sein, John Hays, so nicht. Sie waren weg – und ich war allein. Dieser Pickborne war schon hier und hat das Schutzgeld kassiert. Aber ich will nicht länger zahlen.« Sie verstummte hart und verbittert. Doch dann setzte sie noch angriffslustig hinzu: »Oder trauen Sie sich nicht, es mit Gordon Levings aufzunehmen, Lieutenant?« Sie erinnerte mich mit dem letzten Wort daran, was ich einmal war. Und sie war immer noch nicht fertig, denn sie sprach weiter: »Wenn ich mich Gordon Levings ergebe – ich meine ganz und gar, wenn er mich haben kann –, dann müsste ich keine Schutzgelder zahlen. Doch ich denke, dass dieser
Hurensohn von tausend Vätern meinen Mann umbringen ließ.« Sie verstummte fast tonlos. Ich trat zu dem kleinen Tisch an der Wand und schenkte mir einen Drink ein. Dann setzte ich mich ihr gegenüber an den Schreibtisch und erzählte ihr, was ich gemacht hatte und was alles geschehen war. Ich schloss dann mit den Worten: »Sie haben den alten Mann erschlagen, um ihn ausrauben zu können. Ich mochte diesen Alamo Joe. Er hat uns mit der Herde hergebracht. Er hatte etwas anderes verdient. Julia, ich will Gordon Levings' Skalp. Und zweifle niemals mehr an mir.« Sie sah mich lange an. Ihre schwarzen Augen funkelten im Lampenschein. Ich aber hatte rauchgraue Augen und ließ sie darin lesen. Und nach einer Weile sprach sie: »Gut, John, gut, ich werde nicht mehr an dir zweifeln.«
13
Ich schlief lange. Es war fast Mittag, als ich im Restaurant ein spätes Frühstück einnahm. Die dicke Rosita bediente mich, und sie fragte: »Wo sind denn Ihre Treiber, Mister Hays? Dieser Rotkopf, der mir so unverschämt den Hof machte – noch gestern Abend –, wo ist der und wie ist sein Name?« »Pete«, erwiderte ich, »er heißt Pete Fisher. Aber ihm sagte jemand, dass Sie zum Schmied von Hope City gehörten und dass ihm der Schmied mit seinem Hammer den Schädel einschlagen würde, wenn er sich an seine Braut heranmachen würde.« »Er hat es gestern dennoch versucht«, erwiderte sie. »Und weil ich auf seine Wünsche nicht einging, sagte er, dass er notgedrungen zu einer Puta gehen müsste und ich dafür verantwortlich sei. Was ist das für ein verrückter Hombre?« Ich zuckte mit den Achseln und erwiderte: »Er hätte Ihnen eine Menge gegeben, Rosita. Er war voller Sehnsucht nach einer Frau, voller Feuer und Verlangen nach Liebe. Vielleicht hätte er Sie glücklicher gemacht als der Schmied.« Da lachte sie und ging lachend in die Küche zurück. Ich hörte sie drinnen laut und irgendwie zornig rufen: »Das fehlte mir noch – mich mit einem
Vaquero einzulassen, mit einem Cowpuncher, wie ihr Gringos sagt, ay, das fehlte mir noch!« Ich machte mich wenig später auf den Weg zum Friedhof. Denn mit dem Leichenbestatter hatte ich ausgemacht, wann Alamo Joe beerdigt werden sollte. Er wartete mit seinem Gehilfen schon am offenen Grab. Ich war der einzige Trauernde. Wir ließen den einfachen Sarg in die Grube nieder. Ich verharrte dann eine Weile am offenen Grab, dachte an unseren gemeinsamen Treibweg und sah Alamo Joe noch einmal vor meinen Augen, erinnerte mich an seinen schrecklichen Gesang. In mir war ein bitterer Zorn. Der Leichenbestatter sagte hinter mir: »Sollen wir das Grab nun schließen?« Ich wandte mich um und nickte. Dann aber sah ich auf den Mann, der gekommen war. Es war einer von Gordon Levings' Männern. Ich hatte sie mir alle genau gemerkt. Er trat mir in den Weg, denn ich wollte ja zurück in die Stadt. Einige Atemzüge lang standen wir uns gegenüber. Er starrte mich an.
Dann sprach er: »Ich soll Sie zum Marshal bringen. Kommen Sie freiwillig mit oder muss ich Sie ...« »Halt, mein Freund! Sprich nicht weiter – und schon gar keine Drohung!«, unterbrach ich ihn. Er trat drei Schritte zurück, und es sah dann einen Moment so aus, als würde er das ParkerSchrotgewehr hochreißen, um es auf mich abzufeuern. Ja, er war mit dem Schrotgewehr gekommen, trug aber auch einen Revolver im Holster. Ich war bereit zum schnellen Ziehen. Doch er atmete tief ein und wandte sich um, drehte mir den breiten Rücken zu und ging vor mir in die Stadt zurück. Ich folgte ihm und dachte an Pete und Pug, fragte mich, wo sie jetzt wohl sein mochten. Dass Alamo Joe erschlagen und ausgeraubt wurde, musste sie mächtig geschockt haben. Nun, ich folgte also dem Mann in einigem Abstand, und er führte mich nicht zum Hope House, sondern zu einem anderen Haus, wo ein Mann mit einer Schrotflinte über den Oberschenkeln auf der Bank neben dem Eingang saß, ganz offensichtlich als Wächter. Neben der Tür an der Wand war ein Schild angenagelt, auf dem zu lesen stand: BODENVERWERTUNGS-GESELLSCHAFT
HOPE CITY
Es war eigentlich ein harmloses Schild. Solche Makler gab es in jeder Stadt. Doch dies hier war Gordon Levings' Stadt. Der Mann, dem ich gefolgt war, öffnete die Tür und rief hinein: »Hier ist er, Chef!« Ich trat ein. Im Vorraum hockte jener Pickborne, der kleine Buchhalter mit dem Kneifer. Er deutete mit dem Daumen auf eine offene Tür. Ich trat ein. Und da saß Gordon Levings hinter einem Schreibtisch. Er rauchte eine Zigarre. Aber eine Hand mitsamt des Unterarms war unter dem Schreibtisch meinen Blicken verborgen. Ich wusste, dass er einen Revolver auf seinen Oberschenkeln oder in einer halb aufgezogenen Schublade liegen hatte. Er deutete mit der Zigarre auf einen Stuhl, aber ich lehnte mich mit einer Schulter neben der Tür an die Wand und kehrte ihm meine Seite mit dem tiefhängenden Colt zu. Er grinste unter seinem Schnurrbart, zeigte weiße Zahnreihen und sprach dann langsam Wort für Wort: »Holen Sie Ihre Siebensachen aus dem Hope Palace, gehen Sie zum Mietstall und nehmen Sie Ihr Pferd. Und dann reiten Sie weg, so wie es Ihre Partner, die beiden Cowpuncher,
schon taten. Ich dulde Sie nicht als Mrs. Williams' Partner. Das war eine dumme Idee von ihr. Sie gehört mir wie die ganze Stadt. Und jetzt raus hier! Wenn Sie bei Nacht noch in Hope City sind, dann wird die Jagd auf Sie eröffnet. Das ist alles.« Er winkte wieder mit der Zigarre. Und er war ein arroganter Despot, dem seine Macht über die Hammelherde zu Kopf stieg. Denn die Leute in der Stadt und draußen im weiten Umland, die waren nichts anderes als eine Hammelherde. Ich nickte wortlos und ging, scheinbar wehrlos und feige. Und ich wusste nun: Nach Anbruch der Nacht begann die Jagd auf mich und der Kampf um Hope City. Und ich war allein Wieder dachte ich daran, einfach abzuhauen. Pete und Pug hatte ich das geraten, und sie taten es auch, schlichen sich zum Corral des Mietstalls, verbargen sich dort lange Zeit und holten sich schließlich ihre Pferde heraus. Sie waren fort. Und das war klug. Denn das hier war nicht ihre Stadt. Warum sollten sie für die Bürger hier kämpfen? Sie hatten sich und ihr Geld in Sicherheit gebracht, das sie sich schwer genug verdienten. Und wie war es mit mir?
Nun, ich hatte zwei Gründe. Sie hatten Alamo Joe erschlagen, um ihn ausrauben zu können. Und erst als er tot auf der Futterkiste im Stall lag, da wurde mir klar, wie sehr ich ihn mochte, obwohl er uns mit dem Lied von Doc Bonescale gewaltig auf die Nerven gegangen war. Aber ich mochte ihn wie einen väterlichen Freund oder Onkel. Sie hatten ihn raubgierig erschlagen. Und dann war ja auch noch Julia Williams da, die schöne Witwe, die mich zu ihrem Partner am Hope Palace machte. Und wenn man das alles zusammennahm, dann musste ich bleiben. Ich wanderte an diesem Mittag durch die Stadt, ging durch alle Gassen und prägte mir alles ein, sodass ich mich auch in einer schwarzen Nacht würde zurechtfinden können. Und so wurde es Nachmittag, als ich mich wieder im Hope Palace einfand. Und auch hier wanderte ich durch alle Räume. Dabei überlegte ich, wie ich mich verhalten sollte. Aber eigentlich war das vorerst sehr einfach. Denn sie konnten mich in der Öffentlichkeit und vor vielen Augenzeugen nicht einfach abknallen. Sie mussten dazu einen Grund finden, um den Schein zu wahren, dass sie als Bürgerkomitee von
Hope City für Recht und Ordnung sorgten, obwohl die Bürger längst schon wussten, dass sie eine Bande waren, die über Leichen ging. Julia kam aus ihren Office und fragte: »Willst du mit mir Kaffee trinken, John Hays? Es gibt frische Bisquits dazu.« Ich nickte. Wir gingen ins Restaurant hinüber und setzten uns an den Tisch in der Ecke neben der Tür zur Küche. Die dicke Rosita bediente uns. Dann waren wir allein. Julia betrachtete mich mit ernstem Forschen. Schließlich fragte sie: »Und du weißt, auf was du dich eingelassen hast?« Ich nickte und erwiderte: »Die Bisquits sind wirklich gut.« Aber sie fragte härter: »Weißt du es?« Ich nickte abermals. Sie dachte dann nach. Ich spürte irgendwie, dass sie in sich hineinlauschte, sich Fragen stellte. Dann sah sie mich wieder an, fragte kehlig: »Und du hoffst, dass du mich bekommen wirst, wenn du es lebend überstehen solltest?« »Was ist falsch daran?« Ich grinste. »He, Julia, was ist falsch daran, dass ich dein Ritter sein möchte?« Sie schüttelte den Kopf und fauchte: »Rede nicht so geschwollen. Das alles ist zu ernst. Und ich bin nicht der Preis, den du erringen könntest.«
Ich nickte und war nun ebenfalls ernst. Und so erwiderte ich: »Die Bande hat meinen Freund Alamo Joe erschlagen, dessen richtigen Namen ich nicht mal kenne. Aber er war mein Freund. Das ist der Grund. Und ich mochte diesen Gordon Levings vom ersten Augenblick an nicht. Seine Sorte mochte ich noch nie. Und überdies hat er mich beraubt, und mir gehört als dein Partner die Hälfte vom Hope Palace. Du hast mich und meinen schnellen Revolver gekauft, schöne Julia.« Sie schwieg zu meinen Worten, doch ich sah ihr an, dass sie die frischen Bisquits mit dem Ahornsirup nun nicht mehr genoss. Ich sagte nach einer Weile zu ihr: »Ich werde diese Nacht an einem Spieltisch sitzen und wie ein Berufsspieler auf Kundschaft warten.« Sie sah mich mit großen Augen an. »Und was wird dann geschehen?« So fragte sie. Ich grinste hart und erwiderte: »Sie werden jemand schicken, der einen Grund finden wird, mich zu erschießen. Gordon Levings hat mir ein Ultimatum gesetzt. Er will mich sozusagen wegbeißen wie ein Leitwolf einen anderen Wolf von der Leitwölfin, mit der er sich paaren will.« Ich hatte nun alles gesagt. Sie senkte ihre langen Wimpern. Doch dann fragte sie: »Und wie kann ich dir helfen, Partner?«
»Wieviele Gewehre sind hier im Haus?« So fragte ich. Sie zuckte mit ihren geraden Schultern, dachte nach und erwiderte: »Ein halbes Dutzend gewiss. Mein Mann verwahrte eines in unserem Schlafzimmer, eine Schrotflinte unter der Bar im Saloon – und die anderen stehen im Schrank, der sich im Office befindet. Warum fragst du?« »Stelle alle Gewehre geladen neben der Küchentür zum Hof an die Hauswand, sobald es dunkel genug ist, sodass man sie nicht sehen kann. Oder lege sie besser neben der Hauswand auf den Boden.« Sie sah mich mit großen Augen an und nickte schließlich. »Wo sind die beiden Cowboys, mit denen du die Herde hergetrieben hast?« »Weg«, erwiderte ich nur. »Und das ist gut so.«
Ich saß dann bis zum Abendessen auf der Veranda des Hope Palace und beobachtete das Leben und Treiben auf der Mainstreet. Einmal gingen zwei von Gordon Levings' Gehilfen vorbei und starrten zu mir her. Ja, sie hatten sozusagen schon ›Maß‹ genommen an mir, wie man im Volksmund sagt. Die Stadt füllte sich. Aus dem Umland kamen sie
von den Minen und Claims herein, angefüllt mit dem Verlangen nach all den Sünden, die man hier begehen konnte. Nach harter Arbeit wollten sie Spaß, Freude, Erfüllung von Lüsten. Das war nun mal so. Es würden wieder Trubel und wilde Ausgelassenheit herrschen. Aber das ging mich nichts an. Sollten sie sich doch amüsieren, wie sie wollten. Es ging hier darum, dass eine verdammte Bande eine Stadt beherrschte und ihre brutale Macht nun auch auf das Umland ausdehnen wollte. Und es ging darum, dass sie Alamo Joe erschlagen hatten. Ich dachte immer wieder an jenen Minenbesitzer Lucky Charly Collins, dem ich aus der Gefängniszelle herausgeholfen hatte. Was würde er tun? Und was würden sie mit ihm tun? Sie konnten ihn nun nicht mehr mit Hilfe einer Frau, die wahrscheinlich eine Hure war, erpressen, ihr seine Mine zu überschreiben. Das ging nicht mehr. Dieser Coup war ihnen nicht gelungen. Es wurde Abend. Ich ging zum Abendessen und verließ dann das Restaurant durch die Küche und die Tür zum Hof. Im Hof war es dunkel. Ich fand die Gewehre an der Hauswand und nahm sie in meine Arme
wie ein Wickelkind. Aber es waren sechs Gewehre, also sehr viel schwerer. Mit ihnen machte ich mich auf den Weg und drang bald in einige Gassen von der Hinterseite ein, ging in ihnen bis nach vorn und deponierte dort stets eines der Gewehre. Denn es würde einen Kampf geben. Ja, ich wollte kämpfen mit ihnen. Dann ging ich zurück zum Hope Palace, betrat den Spielsaloon durch die Hintertür und setzte mich an den Tisch in der Ecke, den Julia Williams für mich reservieren ließ. Der Betrieb war schon voll im Gange. Sie spielten Roulette, Black-Jack, Faro und umlagerten die Würfeltische. Ich begann die Karten zu mischen und eine Patience auszulegen. Doch sie wollte nicht aufgehen. War das ein ungutes Zeichen? Zwei Männer, die ich für Minenbesitzer hielt, traten nacheinander heran und fragten, ob sie mir recht wären, denn sie würden ohne Limit spielen wollen. Nun, sie waren mir recht, denn ich wusste, sie gehörten nicht zu Gordon Levings' Männern. Wir spielten etwa eine Stunde. Es war inzwischen nach Mitternacht. Einmal sah ich Julia Williams. Sie ging durch alle Räume.
Ihr Blick, mit dem sie zu mir her sah, war ernst und forschend. Doch ich schüttelte nur leicht den Kopf. Vielleicht hatte ich falsch gerechnet. Doch ich wusste, dass Gordon Levings längst darüber informiert war, was ich zur Zeit tat, also im Spielsaloon des Hope Palace beim Poker saß. Würde er nicht so reagieren, wie ich glaubte? Es war dann fast zwei Stunden nach Mitternacht, da kam er. Ich wusste sofort, dass er ein Killer war, obwohl er auf den ersten Blick so farblos wirkte wie ein Wolf der Apachenwüste, welcher sich manchmal von Klapperschlangen ernähren musste. Ich erkannte seine Gefährlichkeit, als ich in seine gelben Augen sah. Und es ging auch etwas von ihm aus, was nicht so genau zu beschreiben war. Aber man spürte es zum Beispiel, wenn man sich einem Raubtier gegenüber sah. Er fragte: »Haben die Gentlemen etwas dagegen, wenn ich mitspiele?« Die beiden Minenbesitzer – ich wusste inzwischen, dass sie es wirklich waren – sahen zu ihm auf. Dann sagte einer: »Es ist spät geworden. Ich höre auf. Es war ein faires Spiel, Mister.« Er meinte mich. Dann erhob er sich und ging.
Auch der andere Mann beendete das Spiel, erhob sich und sagte: »Ja, es war ein faires Spiel. Ich glaube, keiner von uns hat etwas gewonnen, so ausgeglichen waren wir in dieser Runde. Es hat Spaß gemacht.« Als er ging, nahm der Mann, den ich für einen eiskalten Killer hielt, mir gegenüber Platz und verzog die schmalen Lippen. Es war ein hartes und eiskaltes Lächeln. In seinen gelben Augen glitzerte es. So etwa glitzern die Augen eines Wolfes, wenn er sein Wild gestellt hat. Die letzten Zweifel schwanden in mir. Ja, ich war überzeugt, dass dieser Bursche von Gordon Levings geschickt worden war. Wie hoch mochte der ausgesetzte Kopfpreis sein? Meine beiden Mitspieler von vorhin, die kannten ihn wahrscheinlich, wussten von seinem Ruf. Ich mischte die Karten und teilte aus. Als er seine fünf Karten aufnahm, betrachtete ich seine Hände. Sie waren schmal und geschmeidig. Seine Handgelenke waren fast so breit wie die Handrücken. Man sah diesen Händen an, dass sie blitzschnell und mit stählerner Kraft zupacken konnten. Auch die Degenfechter der früheren Zeit hatten solche Hände.
Wir spielten einige Runden mit wechselnden Gewinnen. Und ich wartete lauernd darauf, wann endlich er zur Sache kommen würde. Doch er studierte mich erst noch, ließ seinen Instinkt gegen mich strömen und lauschte auf dessen Zeichen. Ich hatte die ganze Zeit meinen Revolver auf den Oberschenkeln liegen, unsichtbar für ihn, und ich wusste, ich würde so schnell wie noch niemals zuvor sein müssen. Es kam dann so, wie ich es vorausgesehen hatte. Er warf mir plötzlich die ihm zugeteilten Karten ins Gesicht, sprang dabei auf und rief: »Verdammter Kartenhai!« Dabei zauberte er seinen Revolver heraus und schoss auch schon. Aber ich schoss unter dem Tisch hinweg jenen Sekundenbruchteil früher und traf ihn in den Bauch. Er fiel nach hinten, so als wäre er von einem Maultier getreten worden. Dann lag er stöhnend still. Er hatte keine Chance mehr, würde sterben. Es war still geworden im Spielsaloon. Seine Kugel hatte mich nicht getroffen, mir nur den Ärmel aufgerissen. Wir alle hörten ihn mühsam und knirschend sagen: »Gut gemacht, Kuhtreiber!«
Er wusste also, dass ich Rinder hergetrieben hatte und kein Spieler war. Sie mussten es ihm gesagt haben. Und so war er wohl etwas sorgloser gewesen. Ich fragte laut genug, sodass es alle im Raum hören konnten: »Wir hoch war der Kopfpreis, den Levings dir zahlen wollte?« Er war ein Sterbender, der verloren hatte. Und so hörten wir ihn mit letztem Atem flüstern: »Levings wollte tausend Dollar zahlen.« Dann starb er. Und ich glitt zur Seitentür hinaus in die Gasse. Denn die Jagd auf mich würde jetzt beginnen. Sie alle im Raum hatten gehört, dass Gordon Levings eine Prämie auf mich ausgesetzt hatte. Der Killer sollte mich als überführter Falschspieler erschießen. Es hatte nicht geklappt. Nun würden sie mich jagen. Ich glitt also hinaus in die dunkle Gasse. Es war lange nach Mitternacht. Die Stadt würde sich jetzt leeren. Und die Jagd auf mich begann. Gordon Levings hatte eine Niederlage erlitten. Er musste jetzt seine Macht und rücksichtslose Stärke demonstrieren. Dann würde sich die Stadt weiterhin vor ihm fürchten. Aber was würden die Minenleute und Goldsucher tun?
Hatte jener Lucky Charly inzwischen etwas in Gang gebracht?
14
Ich stand wenig später in der dunklen Gassenmündung zwischen dem Store und dem Barbiersalon. Es war noch Nacht, doch die Sterne am Himmel würden bald verblassen. Dann stiegen die Morgennebel. Die Stadt hatte sich geleert wie immer um diese Zeit. Bald waren wir unter uns – Gordon Levings, seine Männer und ich. Denn die Bürger von Hope City würden sich verkriechen. Die würden nicht teilnehmen an der Jagd auf mich. Ihre Furcht war größer als ihr Mut. Ich sah sie dann kommen. Es waren zwei. Sie kamen rechts und links an den Häusern entlang und hielten bei jeder Hauslücke und in den Gassenmündungen inne. Ich wusste, dass auch auf der Hinterseite welche nach mir suchten. Und wenn sie mich in einer der Gassen wahrnehmen würden, dann hatten sie mich eingekeilt. Als der Bursche auf meiner Seite bei der Gassenmündung verhielt und vorsichtig hineinzublicken versuchte, da rief ich leise: »Suchst du mich?« Er schoss sofort, feuerte seinen Colt in die Gasse hinein ab. Ich wartete, bis er zum vierten Male schoss. Dann zeigte ich mich kurz neben
der Hausecke und schoss zurück. Ich traf ihn voll. Seine dunkle Gestalt ging zu Boden. Der andere Mann schoss von der anderen Straßenseite über die Straße hinweg in die Gasse. Er hatte ja das Mündungsfeuer gesehen. Doch für einen sicheren Revolverschuss auf ein undeutliches Ziel war die Entfernung über die Straße hinweg sehr weit. Ich griff das Gewehr, welches ich ja hier deponiert hatte. Und als ich wieder sein Mündungsfeuer sah, schoss ich zurück. Ich leerte fast die ganze Winchester. Dann lief ich hinüber und fand ihn stöhnend im Staub liegend. Er verfluchte mich. Ich hatte noch einige Kugeln im Gewehr und schoss in die Gasse hinein. Wenn jemand durch die Gasse nach vorn wollte, dann würde er erst mal in Deckung gehen, so kalkulierte ich. Ich lief dann weiter. Die Jagd auf mich war voll im Gange. Aber mit Gordon Levings hatte ich noch fünf Mann gegen mich – fünf Feinde, die mein Leben beenden wollten. Und vielleicht schafften sie das auch. Ich lief zum nördlichen Stadtausgang, wo sich auch die Schmiede befand, ebenso der Mietstall mit den Corrals.
Auf der rechten Seite war die Schreinerei mit dem Sarggeschäft. Der Schreiner war zugleich auch Leichenbestatter. Ich bog kurz vor der Schmiede in die letzte Gasse auf dieser Straßenseite ein, denn ich wollte hinten um die Westhälfte der Stadt wieder zu deren Südausgang. Es war mein Plan, dass sie mich überall suchen mussten. Und dazu musste ich ständig in Bewegung sein. Die Gasse war etwa einhundert Schritte lang und mündete auf freiem Feld, welches längst schon nach Goldvorkommen durchwühlt worden war. Das war auf dem ganzen Gelände der Stadt so gewesen. Und erst später waren darauf die ersten Hütten entstanden. Man hatte sie auf wertlosem Boden errichtet. Ich war ziemlich sicher, dass mir in dieser Gasse niemand entgegentreten würde. Sie konnten ja nicht in jeder dunklen Gasse auf mich lauern. Dazu waren sie nicht mehr zahlreich genug. Doch ich hatte mich getäuscht. Vor mir tauchte ein dunkler Schatten auf. Dann sah ich in die Mündungsfeuer einer Schrotflinte. Einige Kugeln trafen mich, hielten mich auf. Aber ich schoss mit den Gewehr zurück und taumelte vorwärts. Als ich den Mann erreichte, lag er am Boden. Er lebte noch und stöhnte zu mir empor: »Oh, du
lebst ja noch. Wie viele Leben hast du eigentlich?« Ich stieg über ihn hinweg. Ich wusste, er konnte mir nicht folgen. Und seine Schrotflinte war leergeschossen. In mir war für einen Moment ein Gefühl aufsteigender Panik. Denn ich war angeschossen. Ich spürte, wie mir das Blut aus einigen Wunden lief. Es waren Schrotkugelwunden. Die Kugeln hatten nicht die Durchschlagskraft von Gewehroder Revolverkugeln gehabt. Sie steckten in meinem Körper und mussten raus. Wohin konnte ich mich wenden? Zu Julia Williams durfte ich auf keinen Fall. Bei ihr würden sie mich zuerst suchen. Wohin also? Wer würde den Mut haben, mir die Kugeln herauszuholen und die Wunden mit Pflastern zu schließen? Ich wandte mich nach rechts. Da stand das Wohnhaus des Schmieds, zu dem Rosita gehörte, wie der Neger Sam mir gesagt hatte. Ich wusste, man hatte die Schüsse in der ganzen Stadt gehört. Und man wusste gewiss auch, was für eine Menschenjagd im Augenblick stattfand. Und so würde auch der Schmied in seinem kleinen Haus Bescheid wissen. Es war nicht weit bis zu einem der Fenster. Ich hatte nur Sorge, dass ich eine Blutspur hinterließ,
wenn meine Kleidung zu stark durchtränkt wurde von meinem Lebenssaft. Aber als ich an das Fenster klopfte, musste ich nicht lange warten. Es öffnete sich. Der Schmied fragte mit einer Bassstimme: »Was ist?« Ich erwiderte: »Sind Sie mutig genug, mir ein paar Schrotkugeln herauszuholen und die Löcher mit Pflastern zu schließen?« Er fluchte, denn meine Frage war ja eine Herausforderung. Doch er brauchte dann nur wenige Sekunden zu seinem Entschluss. Er sagte ruhig: »Kommen Sie zur Haustür.« Er ließ mich dann ein, doch bevor er hinter mir die Tür schloss, trat er erst noch einmal hinaus und lauschte in die Stadt. Als er dann hinter mir eintrat und die Tür schloss, da sagte er: »Ich weiß schon, wer Sie sind. Rosy oder Rosita, wie die Mexikaner sie nennen, hat mir heute alles erzählt, als sie mich wieder mal besuchte. Mann, Sie haben mich soeben herausgefordert, als Sie fragten, ob ich mutig genug wäre. Ich bin ein Schmied. Es gibt keine feigen Schmiede auf dieser Welt. Wer mit glühendem Eisen umgehen kann, der gehört zu einer besonderen Sorte.« Er ging nun vor mir her und zündete dann im Wohnraum eine Lampe an, zog die Vorhänge zu.
Dann betrachteten wir uns einige Atemzüge lang. Schließlich nickte er. »Na gut«, sagte er. »Ich werde Ihnen helfen. Ziehen Sie sich aus, und legen Sie sich auf die Bank. Wahrscheinlich werde ich die Schrotkugeln heraushebeln müssen. Das wird verdammt weh tun.« »Sicher«, erwiderte ich. »Und wenn es Sie interessiert, ich bin auch ein ziemlich guter Schmied. Ich kann eine Feuerschweiße machen, ohne das Eisen zu verbrennen.« Er betrachtete mich hart und sprach dann: »Ich werde Ihnen mal glauben.« Dann wandte er sich ab und knurrte: »Ich hole den Verbandskasten.« Ich verharrte noch zwei Atemzüge lang. Dann tat ich, was er verlangt hatte. Und als ich nackt mit meinen blutenden Wunden auf der Bank lag, da trat er zu mir und knurrte: »Da wollen wir mal.« Er war ein großer, knochiger Mann, zäh und hart von seiner Arbeit am Feuer und am Amboss. Sein Gesicht sah für mich gut aus. Ich vertraute ihm.
Er ließ mir etwa eine Stunde Zeit zum Verschnaufen. Auch er schnaufte, denn es war für ihn keine einfache Sache, mir ein halbes Dutzend
Schrotkugeln aus den blutenden Wunden zu schneiden oder herauszuhebeln. Er war ja ein Schmied und kein Chirurg. Er konnte mit einem Handhammer besser umgehen als mit einem Messer. Und mehr als ein spitzes Messer hatte er nicht zur Verfügung. In seinem Verbandskasten waren eigentlich nur Binden, Pflaster und irgendwelche Salben. Ja, da war noch etwas. Es war eine Flasche Alkohol. Er war sehr hochprozentig, aber wir nahmen beide einen langen Schluck aus der Rasche. Er goss mir das brennende Zeug auch auf die Wunden, bevor er die Pflaster darauf klebte. »Mann«, knurrte er, »da beschlage ich lieber einen wilden Mustang mit den ersten Eisen.« Nach diesen Worten verhielt er einige lange Atemzüge und blickte auf mich nieder. Dann trat er langsam zurück und sprach: »Mann, du bist jetzt ein verdammt armes Schwein in dieser lausigen Stadt. Denn sie suchen dich gewiss in jedem Haus und in jedem Loch, wo ein angeschossener Mann sich verkriechen könnte. Sie werden auch zu mir kommen. Und ich kann dich nicht verstecken. Es gibt hier kein Versteck für dich.« Ich glaubte es ihm. Er war gewiss kein Feigling, doch ich konnte nicht von ihm verlangen, mit mir zu sterben. Denn darauf würde es hinauslaufen, wenn er mir gegen die Bande
beistand. Wenn er die Bande nicht in sein Haus ließ, damit sie nach mir suchen konnten, dann würden sie das Haus anzünden. Ja, das traute ich ihnen zu. Ich galt ja als Falschspieler, der einen Mitspieler erschossen hatte, weil dieser ihn bei einem Kartentrick erwischte. Und als sie mich festnehmen wollten, also Jagd auf mich machten, da hatte ich welche von ihnen von den Beinen geschossen. Ich galt für das ›ehrenwerte‹ Bürgerkomitee als besonders schlimmer Verbrecher. Dies alles würde ihr Vorwand sein, mich zu jagen, zu töten und alle, die zu mir hielten, zu bestrafen. Und solange sie die Macht in Hope City besaßen, die Bürger sich vor ihnen fürchteten, konnten sie machen, was sie wollten. Hope City war eine Stadt in einem gesetzlosen Land. Es galten nur die Gesetze der Mächtigen, und das waren nicht die Gesetze von Recht und Ordnung der menschlichen Gemeinschaft. Ich erhob mich von der Bank. Mein nackter Körper war mit Blut bedeckt. Der Schmied sagte: »Ich hole einen Eimer Wasser und wasche dir das Blut ab.« Er ließ mich eine Weile allein, und so stand ich nackt und blutverschmiert da und überlegte, was zu tun war.
Doch mir fiel nichts ein. Eigentlich blieb mir nichts anderes übrig als hinauszugehen und weiter gegen sie zu kämpfen – allein in einer furchtsamen Stadt. Der Schmied kam mit einem Eimer voll Wasser und einem großen Lappen, der wahrscheinlich mal ein Hemd war. Er wusch mich ab. Aber dann deutete er auf meine Sachen, die am Boden lagen und die ich wieder anziehen musste. Sie waren mit meinem Blut getränkt. »Ich könnte dir wenigstens ein Hemd geben«, murmelte er. »Doch dann ...« »Werde ich gehen«, sprach ich für ihn weiter. Und so war es wenig später auch. Draußen war es längst Tag geworden. Die Sonne stand schon eine Handbreit über den Bergen im Osten. Ich trat durch die Hintertür hinaus, verhielt einen kurzen Moment und blickte über die Schulter auf den Schmied zurück. »Wie heißt du eigentlich?« Er grinste bei meiner Frage. »Mein Name ist Hiob Kane«, erwiderte er. »Ich danke dir, Hiob Kane«, sprach ich. »Mein Name ist John Hays.« »Ich weiß«, erwiderte er. »Rosita nannte mir deinen Namen. Und ich weiß auch, dass einer
deiner beiden Cowboys – der mit den roten Haaren – sich an sie heranmachen wollte.« Ich nickte und ging. Er schloss die Tür hinter mir. Und ich wusste, er fühlte sich jetzt gar nicht gut. Dass er mich gewissermaßen hinausschickte, das fraß an seinem Stolz und damit an seiner Selbstachtung. Nun, ich stand also draußen hinter dem kleinen Haus des Schmieds. Doch so allein war ich nicht. Ich trug noch meinen Revolver und hielt mein Gewehr in der Linken. Meine Wunden brannten erträglich. Kämpfen würde ich noch können. Wohin sollte ich, um etwas ausruhen zu können? Mein Blick schweifte umher. Es war niemand zu sehen – auch beim Mietstall nicht. Dort stand auch mein Pferd im Corral. Wenn ich zu ihm gelangen und es satteln konnte, würde ich die Flucht ergreifen können. Es war für einen Moment ein verlockender Gedanke. Ich würde vielleicht entkommen und alles hinter mir zurücklassen – einfach alles. Pete und Pug waren schlau gewesen. Warum hatte ich es nicht so wie sie gemacht? Ja, warum? Ich setzte mich in Bewegung und ging hinüber zur Scheune des Mietstalls, schlich mich durch die Hintertür hinein. Sie war ziemlich leer, und es gab hier kein Versteck.
Ich ging in die Ecke neben dem vorderen Scheunentor und legte mich auf einen kleinen Rest von Heu. Wenn jemand den linken Torflügel aufmachte – er ging nur nach außen zu öffnen –, würde er mich mit dem ersten Blick sehen. Aber das war mir gleich. Ich würde schießen. Es tat mir gut, so zu liegen, auszuruhen und Kraft zu schöpfen. Das Brennen der Wunden ließ langsam nach. Die Müdigkeit kroch wie Blei durch meinen Körper. Und so verließ ich mich darauf, dass ich vom Knarren des Tors geweckt werden würde, wenn man es aufmachte. Ja, ich schlief ein. Und irgendwann erwachte ich und wusste sofort, dass jemand bei mir stand. Und so hob ich den Revolver, den ich griffbereit neben mir liegen hatte. Doch dann erkannte ich den Mann, der bei mir stand. Es war der Stallmann, ein kleiner, krummbeiniger Bursche, ein Excowboy, der nicht mehr reiten konnte. Zumeist wurden solche Excowboys Stallmänner. Es war oft der letzte Job in ihrem Leben. Das war nun mal so. Denn das Leben konnte zu alten Cowboys grausam sein, wenn es ihnen zu ihren besten Zeiten nicht gelang, irgendwie für ihr Alter zu sorgen.
Er sah also auf mich nieder und sagte: »Nicht schießen. Ich bin nur der Stallmann. Und ich tue Ihnen gewiss nichts. Doch Sie sollten hier verschwinden. Denn sie suchen immer noch nach Ihnen. Sie kämmen die ganze Stadt durch. Bald sind sie hier.« »Wie viele sind es?«, fragte ich, indes ich mich erhob und an die Scheunenwand lehnte. Der kleine Excowboy war fast zwei Köpfe kleiner als ich. Im Halbdunkel der Scheune blinzelte er zu mir hoch. »Mehr als ein Dutzend«, erwiderte er. »Gordon Levings hat einige neue Deputies in das sogenannte Bürgerkomitee aufgenommen. Er kann diese Revolverschwinger ja auch gut bezahlen.« Ich dachte einen Moment nach. Dann fragte ich: »Was ist sonst noch los in der Stadt? Verharrt sie immer noch feige?« »Sie gelten als Falschspieler, der einen Mitspieler erschossen hat und sich dann gegen seine Festnahme so sehr wehrte, dass es Verwundete gab.« Als er verstummte, grinste ich grimmig. Dann sprach ich mit Verachtung: »Oha, wann endlich begreift man in Hope City, dass ein einziger Mann gegen eine Bande für die Freiheit der Bürgerschaft kämpft? Gibt es irgendwelche Nachrichten vom Umland? Was hat dieser Lucky
Charly Collins inzwischen in Gang gebracht? Ich habe ihn aus dem Gefängnis befreit. Kämpft er nicht um seine Mine? Hat er den Minenbesitzern nicht klar gemacht, dass man mit ihm und seiner Mine den Anfang machen wollte?« Der kleine Mann zuckte hilflos mit seinen schmalen Schultern. »Ich bin ja nur ein alter Cowpuncher«, murmelte er. »Ich verstehe nicht viel von diesem Spiel. Aber sie werden gleich hier sein. Sie könnten die Leiter hinauf auf den Heuboden und von diesem aufs Dach. Wenn Sie sich auf dem Dach ganz flach langlegen ...« Er sprach nicht weiter, sondern trat wieder zu der kleinen Tür im großen Torflügel und verschwand. Ich aber überlegte, ob ich ihm vertrauen konnte. Doch was blieb mir anderes übrig? Und so kletterte ich hinauf. Das Dach war mit Holzschindeln gedeckt, die sich leicht entfernen ließen. Und so lag ich bald oben und deckte das Loch wieder mit den Schindeln zu. Es würde verdammt hart werden für mich. Die Sonne brannte jetzt schon gnadenlos. Wir waren ja hier im tiefsten Südwesten. Ich hatte kein Wasser. Mein Magen begann zu knurren vor Hunger.
Ja, ich würde hier oben ein armer Hund sein unter der erbarmungslosen Sonne. Unten im Hof hörte ich bald schon Stimmen. Und die krächzende Stimme des Stallmannes rief einmal beleidigt: »Wenn ich euch doch sage, dass ich ihn nicht gesehen habe ... Und dort drüben im Corral steht noch sein Pferd! – Wenn er es sich geholt hatte, erst dann würde ich ihn gesehen haben.« Sie lachten verächtlich. Dann hörte ich das Stalltor knarren. Sie drangen in den Stall ein, kamen wieder heraus und durchsuchten dann die Scheune, auf deren Dach ich lag. Ich hörte ihre Stimmen und schwitzte in der sengenden Sonne. Nach einer Weile kamen sie wieder heraus. Ich sah sie dann, als sie weit genug weg waren und auf der Straße zur anderen Seite hinübergingen. Es waren drei. Hätte ich mit ihnen den Kampf aufnehmen sollen? Doch wenn Gordon Levings einige Revolverschwinger angeworben hatte, dann gab es noch weitere Gruppen wie diese. Ich hatte nur eine Chance, nämlich die, dass ich Gordon Levings vor meinen Colt bekam und töten konnte. Er war es ja, von dem alles Böse ausging. Er war der Despot, der hier herrschte.
Ich kletterte vom Dach wieder auf den Heuboden zurück und legte mich wieder ins Heu. Nach einer Weile dachte ich an Julia Williams. Doch sie und der Hope Palace waren für mich jetzt in unerreichbarer Ferne. Ich schlief nochmals ein. Als ich irgendwann erwachte, da stand neben mir ein Krug mit Wasser. Und auf einem Blechteller sah ich Bohnen mit Speck. Der Excowboy und Stallmann hatte mir gewiss sein eigenes Mittagessen gebracht, und ich hatte so tief und fest geschlafen, dass ich ihn nicht hörte. Ich dachte dankbar: Es ist wie so oft im Leben. Die ärmsten Hunde helfen einem in der Not, während die anderen, die was zu verlieren haben, nur zusehen. Dann begann ich, meinen Durst und danach den Hunger zu stillen. Ich musste auf die Nacht warten.
15
Irgendwann kam die Nacht endlich. Ich hatte mich gut ausgeruht und erholt. Die Wunden schmerzten kaum noch. Offenbar hatten sie sich nicht entzündet. Daran war wohl der starkprozentige Alkohol schuld, den mir Hiob Kane auf die Wunden goss. Und zuvor hatten sie ja auch heftig geblutet. Nein, ich würde keine Entzündungen bekommen, da war ich mir sicher. Es war dunkel in der Scheune. Ich musste mich zur Leiter tasten, doch irgendwie gelangte ich hinunter und dann auch endlich ins Freie. Es war eine dunkle Nacht. Das war mir nur recht. Aus dem offenen Stalltor fiel Lichtschein. Mitten im Hof hing die Laterne an einer Stange und verbreitete ihr schwaches Licht. Ich hielt mich in der schwarzen Dunkelheit und suchte mir meinen Weg. Nun zahlte sich aus, dass ich immer wieder durch die Stadt geschlendert war und mir alles genau einprägte. Ich fand mich gut zurecht, hielt immer wieder an und lauschte. Endlich wurde mir klar, dass sich etwas verändert hatte. Hope City war still. Um diese Zeit lärmte die Stadt sonst schon und bot sich den Besuchern feil.
Aber es war still. Es lärmten keine Goldgräber und Minenleute. Es gab offenbar keine Betrunkenen. Niemand brüllte und johlte. Hope City war still. Es leuchteten auch weniger Lichter. Nur vereinzelte Lichtbahnen lagen über der staubigen Mainstreet. Ich aber wusste ziemlich genau, was das zu bedeuten hatte. Es hatte sich im weiten Umland überall herumgesprochen, dass in Hope City eine Menschenjagd stattfand und dass es schon Gewalttat und Blutvergießen gegeben hatte. Und so hielten sich all die Goldgräber, Claimbesitzer und Minenarbeiter fern, so gern sie sich auch all die Sünden gekauft hätten, die zu begehen es nicht umsonst gab. Ich wusste, sie lauerten mir auf. Die ganze Stadt wusste es. Und so bewegte sich niemand auf der Straße und in den Gassen. Hope City stellte sich tot. Ich bewegte mich fast nur Zoll für Zoll vorwärts, hielt immer wieder inne, um zu lauschen und zu wittern. Da ich glaubte, dass sie die Gassen besetzt hielten, blieb ich auf der Mainstreet, hielt mich jedoch dicht an den Hauswänden. Ich wollte und musste zu Julia Williams in den Hope Palace. Denn ich konnte mir vorstellen, war
mir fast völlig sicher, dass Gordon Levings mich dort erwartete. Er würde bei Julia sein. Und er würde hoffen, dass mich seine Männer unterwegs zu ihm erwischten. Als ich wieder einmal eine Gassenmündung erreichte, da roch ich Tabakrauch. Ich hielt inne und dachte: Dieser Narr raucht tatsächlich und glaubt, dass er nur den Glühpunkt seiner Zigarette in der hohlen Hand verborgen halten muss, um unentdeckt zu bleiben. Ich hörte den Mann im Gassenmaul dann sogar unterdrückt husten. Es war ein typischer Raucherhusten. Ich legte mich auf den Boden und kroch um die Hausecke in die Gasse hinein. Nun roch ich den Tabakrauch noch stärker. Es war stockdunkel in der Gasse. Abermals hustete er leise. Er musste einfach husten, konnte es nicht unterdrücken. Dann warf er die Zigarettenkippe zu Boden und trat den sprühenden Glühpunkt mit dem Fuß aus. Ich wusste nun, wo er stand und an der Hauswand lehnte. Und so erhob ich mich und schlug mit dem Gewehrlauf wie mit einer Eisenstange zu. Ja, es bereitete mir eine grimmige Genugtuung. Sie lauerten hier, um mich zu erledigen. Wer konnte
mir verdenken, dass ich es ihnen möglichst schwer machte! Ich ging weiter, schob mich wieder nur Zoll für Zoll weiter. Wo würde der nächste Hurensohn auf mich lauern?, fragte ich mich grimmig. Konnte ich den Hope Palace und Julia überhaupt ungeschoren erreichen? Und wenn, würde ich Gordon Levings tatsächlich bei ihr finden? Handelte er wirklich so wie ich es vermutete? Ich nahm mir Zeit, und so brauchte ich für die ganze Strecke, die sonst binnen weniger Minuten zurückzulegen war, länger als eine Stunde. Manchmal kroch ich durch den Staub. Doch die Nacht war auf meiner Seite. Sie war schwarz. Die dichten Wolken am Himmel ließen kein Licht der Gestirne zur Erde niederfallen. Und noch etwas war auf meiner Seite. Überall in den Lokalen und Häusern waren die Lichter ausgegangen. Nur im City House und im Haus der Bodenverwertungsgesellschaft brannte Licht und fielen aus den Fenstern Lichtbarrieren über die Straße. Manchmal spürte ich die Nähe lauernder Gestalten. Und einmal – als ich eine Gassenmündung auf Händen und Knien kriechend passierte –, da
krachte eine Schrotflinte. Aber die Bleisaat ging über mich hinweg. Rufe tönten nun von überall her. Eine Stimme brüllte: »Hoiii, hast du ihn, Mike?!« Ich lag immer noch quer vor der Gassenmündung im Staub. Der Mann kam nun durch die schmale Gasse herangelaufen, wollte sehen, ob er mich getroffen hatte und ich am Boden lag. Ich stieß ihm die Mündung meines Gewehrs in die Magenpartie. Er rannte ja dagegen. Die Wirkung war so stark wie ein Huftritt. Er stolperte über mich hinweg, fiel dann zu Boden, und ich schlug nochmals zu, traf ihn wohl auch voll, trotz der Dunkelheit. Ich ging in der Gasse weiter bis zu deren Ende und wandte mich nach links in Richtung des Hope Palace. Auf der Mainstreet und vor der vorderen Gassenmündung war nun Lärm. Stimmen brüllten durcheinander. Sie hatten ihren Mann gefunden, den ich mit viel Glück kleinmachen konnte. Denn in der stockdunklen Nacht hätte ich auch ins Leere schlagen können. Ich eilte weiter. Denn jetzt wollte ich so schnell wie möglich in den Hope Palace. Sie
waren mir nun dicht auf den Fersen und kannten mein Ziel. Und so gab es für mich nur eine Chance: Ich musste vor ihnen bei Gordon Levings sein. Denn wenn sie keinen Boss mehr hatten, der ihnen die Kopfprämie zahlte, hatten sie keinen Grund mehr, ihr Leben zu riskieren. Sie wussten längst, wie gefährlich ich war und dass sie wie Hunde einen Wolf jagten. Ich erreichte die Rückseite des Hope Palace und kletterte zu einem der Fenster hinauf. Es gab hier einen breiten Sims, der um das ganze Gebäude lief. Das Fenster gehörte zu einem der Zimmer, in denen die Animier- und Tanzmädchen untergebracht waren. Und nun beging ich meinen ersten Fehler. Denn als ich das Fenster hochschob, da wunderte ich mich nicht, dass dies so leicht ging, es also von innen nicht verriegelt war, sodass ich es hätte einschlagen müssen. Ich kletterte hinein, aber ich war erst mit dem Oberkörper drinnen, als ich was auf den Kopf bekam. Es war ein harter Schlag, der mir die Besinnung nahm. Sie hatten mich.
Irgendwann kam ich wieder zu Bewusstsein.
Ich lag am Boden, Gordon Levings zu Füßen. Er hatte mich hart in die Seite getreten. Der Schmerz holte mich früher aus der Bewusstlosigkeit in die gnadenlose Wirklichkeit zurück. Ich setzte mich auf und kam auch auf die Füße. Mein Kopf wollte zerspringen. Ich taumelte wie ein Betrunkener. Es wurde mir für einen Moment schwarz vor Augen. Und dann sah ich Julia Williams. Sie stand neben Gordon Levings. Er hielt sie mit dem linken Arm umklammert und fest an sich gedrückt. Mit ihrer linken Hand drückte sie gegen seine Brust, wollte sich von ihm abstoßen und aus der Umklammerung befreien. Doch er hielt sie fest. In seiner Rechten hielt er mein Gewehr. Ja, ich erkannte es. Es war meine Winchester. Sie hatten sie mit mir bei ihm abgeliefert. Er sagte: »Ich könnte dich jetzt erschießen, du Narr. Aber ich werde mit dir ein Exempel statuieren. Sie alle in der Stadt und im ganzen Land sollen begreifen, dass niemand eine Chance gegen mich hat. Das Bürgerkomitee von Hope City wird dich wegen Mordes an einem Mitspieler, der dich beim Falschspiel ertappte, vor dem City House hängen. Morgen bei Sonnenaufgang. Wir bauen dafür einen schönen
Galgen auf einer Plattform, sodass alles gut zu sehen ist. Schafft ihn fort!« Er fauchte die letzten drei Worte. Und nun erst sah ich die Kerle, die ihm dienten. Sie hatten hinter mir gestanden. Nun packten sie mich. Ich konnte nur noch einen schnellen Blick auf Julia werfen und erkennen, wie sehr sie litt. Aber sie konnte mir nicht helfen.
Und so lag ich nun mit meinem hämmernden und schmerzenden Kopf in einer der drei Zellen. Es war wohl die gleiche Zelle, aus der ich Lucky Charly Collins befreit hatte. Man hatte die Gitterstäbe wieder eingesetzt. Sie wollten mich also hängen. Dadurch sollte die Stadt gedemütigt werden und begreifen, dass es gegen die Macht dieser Bande nichts auszurichten gab. Ich dachte darüber nach, welchen Morgen er gemeint hatte. Denn die Nacht war nun fast vorbei. Er konnte nicht diesen Morgen gemeint haben. Also hatte ich in dieser Zelle hier keine dreißig Stunden mehr zu leben. Sie mussten ja auch für das makabre Schauspiel erst noch die Bühne mit dem Galgen errichten.
Ich war sicher, dass die ganze Stadt wusste und begriff, wie sehr sie gedemütigt werden sollte. Eigentlich sollte ich am Spieltisch von jenem Killer erschossen werden. Doch ich war schneller gewesen. Doch das war Gordon Levings schließlich recht. Nun konnte er vor aller Welt seine ganze Macht demonstrieren. Ich schlief trotz meines hämmernden Schädels ein. Es war wohl eine zweite Bewusstlosigkeit. Warum war ich nicht wie Pete und Pug davongeritten? Es war gegen Mittag, als ich erwachte. Ich hörte lautes Hämmern. Vor dem City House wurde die Plattform mit dem Galgen errichtet, dies begriff ich sofort. Und die ganze Stadt konnte zusehen. Die Stunden vergingen. Man brachte mir dann etwas zu essen, schob den großen Blechteller unter den Gitterstäben durch. Die beiden Kerle grinsten mich an. Einer sagte: »Es war dämlich von dir, sich allein gegen Gordon Levings zu stellen, nur weil dir eine schöne Frau versprach, mit dir ins Bett zu gehen. Sie wird bald mit Levings im Bett liegen.« Sie gingen.
Ich aber stillte meinen Hunger. Es gab keinen Grund, mich am nächsten Morgen mit knurrendem Magen hängen zu lassen. Ich dachte auch über Julia Williams nach. Ja, sie würde sich Levings ergeben müssen. Denn sie war ja seine Gefangene. Er konnte mit ihr machen, was er wollte. Niemand in dieser feigen Stadt würde ihr helfen. Hope City – was für ein verlogener Name! Wer konnte denn hier Hoffnung haben?
Nun, lieber Leser meiner Geschichte, die Stunden vergingen, dann auch die Nacht. Ich dachte über meinen Lebensweg nach. Viele Geschehnisse in meiner Kindheit fielen mir wieder ein. Dann zog mein weiterer Lebensweg bildhaft vor meinem geistigen Auge vorbei. Und bald würde alles vorbei sein. Ich verspürte eine tiefe Verachtung gegenüber der Stadt. Nur dem Schmied und den kleinen Stallmann nahm ich davon aus. Und auch von Lucky Charly war ich enttäuscht. Ich hatte ihn aus dem Gefängnis geholt in der Hoffnung und sogar Erwartung, nun einen Verbündeten zu haben. Es wurde heller Tag. Da mein Zellenfenster nach Westen lag, konnte ich den Sonnenaufgang
im Osten nicht sehen. Doch der Tag war hell geworden. Die Sonne war aufgegangen. Bald würde ich sie unter dem Galgen zum letzten Mal sehen. Was erwartete mich im Jenseits? Kam ich in den Himmel oder in die Hölle? Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, denn sie holten mich nun aus der Zelle und brachten mich zur Plattform, auf der sich der Galgen erhob. Gordon Levings und dessen Bande waren rings um den Galgen versammelt. Einige dieser Kerle trugen sogar Deputy-Sterne. Sie waren mit Gewehren bewaffnet, zumeist mit Schrotflinten. Und jene, die keine Sterne trugen, denen sah man an, dass sie Revolverschwinger waren. Sie brachten mich hinauf auf die Plattform. Ich konnte nun die Sonne sehen. Aber ich sah auch, dass nun die Bürger von Hope City aus den Häusern kamen. Ich sah zugleich noch etwas und wollte es nicht glauben. Aber es war tatsächlich so. Die Bürger von Hope City waren bewaffnet. Und sie wurden angeführt von Hiob Kane, dem Schmied. Auch der kleine Stallmann Shorty war dabei, der Neger Sam und andere, die ich kannte, zum Beispiel der Schreiner und Leichenbestatter mit seinem Gehilfen, die Barkeeper vom Hope Palace und andere.
Aber sie alle zusammen waren kaum mehr als vier Dutzend. Was wollten sie gegen Levings und dessen Revolverschwinger erreichen? Gordon Levings hatte mich mit zwei seiner Männer oben auf der Plattform unter dem Galgen erwartet. Einer der beiden Männer würde mir die Schlinge um den Hals legen. Er starrte mich an, fragte sich wohl, wie groß meine Furcht vor dem Sterben war. Doch ich blickte an ihm vorbei die Mainstreet hinauf zum südlichen Ortseingang. Denn auch dort sah ich etwas. Man hörte es auch kommen. Alle hörten es. Und von der erhöhten Plattform aus konnte man es auch schon recht gut sehen. Da kamen sie auf Pferden und in Wagen. Sie kamen mit drohendem Gebrüll. Einige schossen schon jetzt in die Luft, so als wollten sie warnen. Ich begriff, dass da die Goldgräber und Minenleute aus dem Umland kamen. Sie hatten ihre Minen und Claims verlassen. Ein Mann führte sie an, den ich für Lucky Charly Collins hielt. Ich hatte ihn damals in der Nacht nicht so deutlich gesehen. Er mochte es jedoch sein. Und so kamen sie wie eine Sturmflut in die Stadt mit Gebrüll und Schüssen. Es mochten zweihundert und noch mehr sein.
Gordon Levings' Männern gingen jetzt gewiss die Ärsche auf Grundeis. Mir fiel diese Redewendung wieder ein, die wir während des Krieges oft genug sprachen oder dachten, wenn die Situation hoffnungslos war. Ich sah, dass sich Levings' Männer zur Flucht wandten. Sie wollten durch die Gassen rechts und links entkommen. Gordon Levings brüllte ihnen Befehle nach, doch sie gingen im Brüllen der Menge unter. Denn auch die Bürger von Hope City brüllten. Man hatte mir die Handgelenke hinter dem Rücken zusammengebunden. Doch meine Füße und Beine waren frei. Und so trat ich Gordon Levings kräftig in den Hintern. Er fiel die Plattform herunter und zwischen die brüllende Menge – und das überlebte er nicht, denn der Zorn der bisher so Furchtsamen kannte keine Gnade.
Julia Williams saß in ihrem kleinen Office hinter dem Schreibtisch und hatte ihren Kopf auf die Arme gebettet. Als ich eintrat, hob sie den Kopf, erkannte mich und sprang mit einem befreiten Ruf auf. Sie kam mir entgegen und warf sich in meine Arme.
Sie brauchte mir nichts zu sagen, denn ich sah, dass sie geweint hatte. In ihren Augen konnte ich alles erkennen, als ihr Mund mir entgegenkam. Und so wusste ich, dass wir zusammen bleiben würden – ob hier oder anderswo. Auch in Hope City würde sich alles ändern. Vielleicht würde es jetzt eine stolze und selbstbewusste Stadt, die ihrem Namen Ehre machte. Es gab Hoffnung für alle, die hier und im Umland lebten.
ENDE