Everett Jones
Himmelfahrtskommando Ronco Band Nr. 245/30
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre...
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Everett Jones
Himmelfahrtskommando Ronco Band Nr. 245/30
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Führt einen Transport in die Hände der Konföderierten und landet vor dem Kriegsgericht. Major Gibson – Auch er ist von Schuld nicht frei und erleidet das gleiche Schicksal. Tex Reynolds – Ein Spion der Südstaaten, der sich bis in die Höhle des Löwen wagt, um die Verurteilten für seine Sache zu gewinnen. Hank Capson – Ein Mann der Pinkerton-Agentur, der alles genau berechnet hat, jedoch vergaß, den Verrat in den eigenen Reihen einzukalkulieren.
Himmelfahrtskommando 20. Juli 1880 Als ich die letzte Eintragung in meinem Tagebuch vorgenommen hatte, war ich sicher gewesen, schon alles verloren zu haben. Das glaubte ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, noch mehr zu verlieren. Ich hatte mein Zuhause verlassen müssen, die kleine Farm, die ich aufgebaut hatte, um hier mit meiner Familie glücklich zu werden. Meine alten Feinde von der Andrew-Hilton-Company hatten wieder zugeschlagen. Hilton hatte seine Tochter Linda, mit der ich glücklich werden wollte, und seinen Enkel Jellico, meinen Sohn, entführen lassen. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen. Jetzt weiß ich, was schlimmer ist: Linda ist tot. Nie habe ich eine Frau mehr geliebt. Nie hat es einen Menschen gegeben, der mich mehr geliebt hat. Es ist vorbei. Sie ist von dem Mann, der sie im Auftrag ihres Vaters entführt hatte, erschossen worden. Ich selbst habe sie begraben. Jetzt habe ich nur noch meinen Sohn. Jellico … Ihn konnte ich retten. Aber er wird aufwachsen wie ich – ein Kind ohne Mutter, mit einem Vater, der keine Zukunft für sich sieht. Ich bin voller Hoffnungslosigkeit. Und voll von dem Wunsch nach Rache. Ich reite auf der Spur des Mörders, ich halte Jellico im Arm. Er ist noch zu klein, er kann noch nicht begreifen, was geschehen ist. Vielleicht ist das gut so. Lobo ist bei mir. Er ist mir geblieben. Ein Freund. Ein wirklicher Freund. Gestern haben wir die Grenze nach Mexiko überschritten. Wir rasten in einem Wüstenstück. Die Spur des Mörders liegt vor uns. Sein Vorsprung ist nicht groß. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich ihn habe, ihn und seinen Hintermann, den Drahtzieher, den eigentlichen Mörder – Andrew Hilton. Lobo hat mir geraten, weiterzuschreiben. Ich muß ruhiger werden. Er hat recht. Nur mit ruhiger Überlegung habe ich eine Chance. Es
ist gut, daß ich mich ablenke, daß ich nicht ständig über das Geschehene nachgrüble. Auch als ich noch gejagt wurde, hat es mir geholfen, mich zu erinnern und aufzuschreiben, was hinter mir liegt. Ich merke, daß es mir auch jetzt hilft. Ich werde wirklich ruhiger. Was ich tue, ist wichtig, ist nützlich. Für mich selbst, vor allem aber für Jellico, der eines Tages mehr über mich, seinen Vater, wissen soll. Ich bin voller Trauer, voller Bitterkeit. Ich werde nie aufhören, Linda zu lieben. Auch das soll Jellico erfahren, wenn er eines Tages diese Aufzeichnungen liest, das Tagebuch seines Vaters …
1. Ich war dem Transport nach Ripley ein Stück voraus, zügelte meinen häßlichen, braunen Hengst und schaute Shita, dem graubraunen Bastardhund nach, der hundert Yards vor mir stehengeblieben war und ein Bein an den Körper gezogen hatte. Shitas spitze Ohren standen steil in den Himmel, der sich blau vom Horizont wölbte. Hinter mir hörte ich das Knarren der drei Armeewagen auf der Piste, den Hufschlag der Pferde, das Knallen der Peitschen und Major Hugh Gibsons rauhe Stimme, die immerzu Befehle gab. Der Major war unser Transportführer, und er hatte außer mir, dem jungen Zivilscout der Unionsarmee, noch fünf Soldaten, die bei einem Überfall durch Guerillas der Konföderierten die drei Wagendriver unterstützen sollten. Aber es war keine sehr attraktive Ladung, die wir von Corinth in Mississippi abgeholt hatten, um sie nach Ripley zu schaffen. Es handelte sich um Stiefel, Decken und Lederzeug. »Was ist los, Ronco?« rief die barsche Stimme des Majors. Shita hatte den Kopf gedreht und blickte aus seinen funkelnden Augen zurück. »Was soll schon los sein? Ich warte, Sir!« rief ich zurück. »Halt!« befahl der Major. »Scout hierher!« »Los, Shita, der Boß ruft.« Ich wendete den braunen Hengst und ritt zu den Soldaten und Wagen zurück, die in einer aufsteigenden Staubwolke hielten. »Ziemlich unübersichtliches Gelände, Sir«, maulte einer der
Fahrer, der sich ein Stück Kautabak zwischen die Zähne schob. Ich blickte zurück. Buschlandschaft, horstartige Baumgruppen und Hügel rahmten die Piste ein. »Hier können überall Guerillas der verdammten Südstaatler sein«, sagte der tabakkauende Fahrer. Shita stand neben meinem Pferd. Ich spürte, daß Major Gibson mich anschaute, obwohl ich bemüht war, ihn nicht anzublicken. »Was wir transportieren, interessiert keinen Südstaatler«, sagte der Offizier in seiner barschen Art. Er war als ziemlicher Schleifer verrufen. »Woher sollen die Guerillas wissen, was wir geladen haben, Sir?« mischte sich ein anderer Fahrer ein. »Wenn sie nicht wissen, was wir transportieren, dann wissen sie auch nicht, daß wir hier sind«, wandte ich ein. »So ist es«, stimmte der Major sofort zu. »Sehen Sie die Vögel da hinten?« Der tabakkauende Fahrer zeigte mit der Peitsche nach Südwesten. »Na und?« sagte ich. »Aufgeschreckte Vögel, zur Hölle!« sagte der Kutscher wütend. »Da sind Menschen, die sie in die Luft gescheucht haben!« »Dummes Zeug!« Major Gibson schüttelte den Kopf. »Ich schlage vor, einen Umweg zu fahren, Sir.« Der Kutscher spuckte den Kautabak aus, als würde er ihm nicht schmecken. »Und zwar mit allem Nachdruck.« »Blödsinn«, sagte Major Gibson. »Scout, was sagen Sie?« »Ich bin genau Ihrer Meinung, Sir«, gab ich zur Antwort. »Ein Umweg ist pure Zeitverschwendung.« »Sage ich doch. Also los, es geht weiter.« Ich zog meinen braunen Hengst herum und ritt wieder nach Südwesten. Shita lief neben meinem Pferd her und war bald wieder ein Stück voraus. Das Buschwerk an den Rändern des Weges wurde immer höher und unübersichtlicher. Ich ließ das Pferd langsamer gehen und nahm meine Sharps 52 zur Hand. Hinter mir entstand erneut ein Disput, und die Wagen und Soldaten hielten wieder an. Da zügelte auch ich den Hengst und
wartete. »Sir, ich weigere mich«, sagte der Kutscher auf dem ersten Wagenbock. »Ich verlange, daß wir den Büschen aus dem Wege gehen. Sehen Sie da hinunter nach Süden. Dort ist das Gelände offener, und wir sind vor einem Überraschungsangriff sicher.« Gibson schaute mich mit seinen glitzernden Augen an. Er war ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, immer bemüht, den Eindruck größter Kühlheit zu verbreiten. »Alles Quatsch«, erwiderte ich. »Die Straße ist sicher genug. Da drüben ist vielleicht Moor, oder weicher Grasboden, in dem wir mehr Pferde für die Wagen haben müßten. Es wäre ein Umweg von bestimmt einem Tag.« »Haben Sie es gehört, Melsung? Wir folgen weiter der Piste.« »Und wenn ich mich weigere, Sir?« Mir fiel auf, daß der Kutscher ziemlich bleich geworden war. Ich wollte mich aus verschiedenen Gründen zurückhalten, vor allem, weil ich mit meinen knapp siebzehn Jahren so viel jünger als die anderen war, daß sie mitunter dazu neigten, mich nicht ganz für voll zu nehmen. Dabei hatte ich bereits viele Beweise meiner Befähigung abgegeben und stand ihnen auch körperlich nicht nach. Ich war groß und kräftig für mein Alter und hatte langes, blondes Haar. In der Halfter trug ich einen Navy-Colt, eine schon reichlich alte Waffe, die im Kolben einen Stempel trug: »El Moro Prison Guard«. Sie hatte einmal einem Wärter in einem Straflager Colorados gehört, diese alte Waffe. Aber ich konnte hervorragend mit ihr umgehen und wollte sie nicht missen. »Sie wollen allen Ernstes den Befehl verweigern?« fragte Major Gibson gefährlich leise. Melsung, der Kutscher, fluchte und blickte sich um. Aber die anderen beiden Fahrer schienen ihm trotz der eigenen Befürchtungen nicht beispringen zu wollen. »Also?« fragte der Major schroff. »Wenn Sie sich weigern, werden Sie auf der Stelle in Ketten gelegt und auf dem Wagen transportiert wie das Lederzeug. Aber noch haben Sie die Wahl.« Ich war so gespannt wie Gibson selbst, wie der Mann sich
entscheiden würde, denn es hing sehr viel davon ab. »Das könnte Ihnen so passen, mich vor das Kriegsgericht zu schleifen«, sagte der Mann. Gibson grinste teuflisch und blickte zum nächsten Wagen weiter. »Und Sie, Flipp?« »Der Teufel soll mich holen, wenn ich verrückt genug bin, einen Befehl zu verweigern, Sir!« »Ist ja wunderbar, Herrschaften. Was ist mit Ihnen, Hiller?« »Ich warte darauf, daß es weitergeht, zur Hölle!« murrte der dritte Fahrer. »Transport marsch!« Gibson winkte mit der Hand in Richtung Südwesten und trieb sein Pferd an. Ich mußte mich beeilen, meinen Hengst zu wenden, um nicht unter die Pferde des ersten Wagens zu geraten. Weit waren wir nicht gekommen, als links der Piste plötzlich Schüsse fielen. Das Pfeifen der Kugeln erschreckte meinen Hengst und ließ ihn wiehernd auf die Hinterhand steigen. Shita kläffte und wollte die Piste verlassen, um die plötzlichen Angreifer anzufallen. »Shita, zurück!« schrie ich aus Leibeskräften, warf mich aus dem Sattel und schrammte auf den Boden. Der Hengst stob ins Buschwerk. Unter den hämmernden Salven brachen die Pferde des ersten Wagens zusammen. Melsung hingegen konnte sich vom Bock retten. Auch die anderen Wagen standen, und die Kutscher sprangen auf den Boden. Die Soldaten verließen die Sättel und feuerten in das Gestrüpp hinein, über dem sich der Schwarzpulverrauch verdichtete. Ich feuerte die Sharps 52 ab, riß den Navy-Colt aus der Halfter, rannte über die Piste und feuerte in das Dickicht. Ein gellender Schrei schallte in das Schießen. »Vorwärts, diese Halunken kaufen wir uns!« brüllte der Offizier. Mit mir drangen die Soldaten schießend in das knackende Gestrüpp ein. Wir feuerten auf jeden Busch, der sich bewegte. Aber die so plötzlich aufgetauchten Guerillas zogen sich zurück. Sie schossen nicht mehr, und so konnten wir sie weder sehen noch hören. Mit uns rannten Flipp und Melsung, die beiden Kutscher mit ihren
Gewehren durch das Dickicht. Nur den dritten Fahrer konnte ich nicht sehen. Wir waren ungefähr vierhundert Yards weit in das immer unübersichtlicher werdende Gebiet vorgedrungen, als wir das Schnauben von Pferden und Schüsse hinter uns hörten. Peitschen knallten, und barsche Befehle erschallten. »Halt!« rief der Major. Wir bleiben alle stehen und wandten uns mit fragenden Gesichtern um. »Die Wagen!« schrie Melsung. »Die Guerillas haben uns ins Leere laufen lassen, Sir! Wir sind an denen vorbei, und sie hauen mit unseren Wagen ab!« »Verdammter Mist!« stieß der Major hervor. »Los, steht nicht herum wie Ölgötzen! Zurück!« Wir hasteten durch das Gebüsch zurück und liefen durch den beißenden Staub, der von uns selbst aufgewirbelt worden war. Das Peitschenknallen und der Hufschlag entfernten sich bereits, vermischt mit dem Rasseln und Mahlen der Räder. Als wir aus den Büschen kamen, waren die Wagen schon ein ganzes Stück südlich. Sie hatten die Piste verlassen und fuhren quer durch das Dickicht, in das sie eine Schneise rissen. Unsere Pferde waren vor dem Knallen geflohen und irrten irgendwo umher. Bis wir sie eingefangen haben konnten, würden die Guerillas mit der Beute über alle Berge sein, vielleicht schon in Columbus, dem Versorgungsdepot der Konföderierten. Auf der Piste lag eine Gestalt mit dem Gesicht nach unten im Sand. Ich spürte, wie sich in meinem Inneren etwas verkrampfte. Schweiß brach mir aus. Shita, der mir ständig auf den Fersen geblieben war näherte sich der Gestalt auf der Straße und beschnupperte sie. »Es ist Rip Hiller«, sagte Melsung heiser. »Mit dem zusammen habe ich die Transporte gefahren, solange ich denken kann, Sir.« Der Vorwurf in der Stimme des Fahrers war unüberhörbar. Major Gibson fluchte nur. Melsung ging weiter, bückte sich, schob Shita zurück und wälzte die steife Gestalt herum.
Hiller fiel auf den Rücken, und wir alle konnten den gebrochenen Blick seiner Totenaugen sehen. »Das ist Ihr Werk, Ronco!« schimpfte der Major. Ich zog den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern. »Sie sind wohl verrückt geworden!« rief ich. »Habe ich hier die Befehlsgewalt, oder machen Sie das, Mann?« Gibsons Gesicht lief krebsrot an. »Ich habe Sie als Scout mitgenommen und nicht als Hanswurst, der aus lauter Tollerei vor uns herreitet und eine Gefahr nicht richtig einschätzen kann!« Während wir stritten, entfernten sich die gestohlenen Wagen mit den Guerillas immer weiter. Hugh Melsung und sein Kollege John Flipp trugen den Toten von der Piste und hoben mit ihren breiten Kampfmessern ein Grab aus. »Das werden Sie noch zu bereuen haben, Ronco«, sagte der Major. »Schuld seid ihr beide!« rief Flipp herüber. »Und das wird man euch in Riplex schon sagen!« »Habe ich Sie um Ihre Meinung gefragt?« brüllte Gibson. »Ihr werdet die Quittung schon kriegen, davon bin ich überzeugt. Ich werde jedenfalls in allen Einzelheiten aussagen, wie sehr Melsung euch beschworen hat, den gefährdeten Weg zu verlassen. Und daß er auf die Vögel aufmerksam machte, die jemand aufgeschreckt haben muß. Und dieser junge Dachs will ein Scout sein! Einer, der Wagen führen kann. Das ist ja zum Lachen!« »Niemand hat gesagt, daß Sie nicht über mich lachen dürften«, entgegnete ich. Der Tod des Fahrers hatte mich so nachhaltig geschockt, daß mir das Blut immer noch heftig in den Schläfen klopfte. »Schluß jetzt«, befahl der Major barsch. »Wir fangen die Pferde ein. Los, alle beteiligen sich. Ihr zwei laßt das Grab offen.« »Ich glaube nicht, daß Hiller sich für Ihre Ansprache interessiert«, sagte Melsung grob. »Sie sind sich hoffentlich im klaren darüber, daß er noch leben könnte.« Fluchend wandte der Major sich ab und drang erneut in die Büsche ein, in denen irgendwo unsere Pferde sein mußten. Ich folgte ihm und rief nach Shita.
2. Als wir mit den Pferden das Grab erreichten, hatten die beiden Fahrer es schon geschlossen. Die Sonne neigte sich bereits ganz langsam nach Westen, so daß die ersten Schatten der Büsche auf die durchglühte Straße fielen. Major Gibson blickte die Fahrer nur einen Moment scharf an, dann wandte er sich um und schaute nach Süden. Die Guerillas waren mit ihrer Beute bereits verschwunden, und der Staub hatte sich wieder gelegt. »Wir reiten«, entschied der Offizier. »Verfolgung ist sinnlos.« »Der Überfall hätte verhindert werden können«, erklärte Melsung. »Das wird das Wichtigste sein, was ich zur Sache auszusagen haben werde. Sie verstehen doch, Sir?« »Wenn sie noch lange so weiterreden, schmieden wir Sie doch noch in Ketten.« »Die Ketten liegen in meinem Wagen, Sir. Und dieser Wagen ist weit weg. Woher wollen Sie jetzt Ketten nehmen?« Major Gibson schwang sich in den Sattel. »Aufsitzen! Maller und Cranach, ihr nehmt die beiden Kutscher mit auf eure Pferde.« Ich war schon aufgestiegen und folgte der Piste. Shita trottete neben dem braunen Hengst her. Die anderen folgten. Major Gibson erreichte mich als erster und sagte zischend: »Verdammt, daß es den Fahrer erwischt hat!« Ich gab keine Antwort. Die anderen kamen auf und ritten rechts und links von uns. Da wir insgesamt nur sieben Pferde hatten, war die Piste breit genug. Obwohl keiner von uns mit einem weiteren Überfall durch Konföderierte rechnete, behielten wir alle die Gewehre in den Händen. Melsung fluchte noch nach Stunden und wiederholte andauernd, daß er Major Gibson und mich zur Anzeige bringen würde und daß wir beide Versager wären. Als es zu dämmern begann und der ganze Horizont um die tief gesunkene Sonne herum in Flammen zu stehen schien, ritten wir zur
flachen Kuppe eines langen Höhenzuges hinauf, der das Land westlich von uns wie ein Wall abschnitt. Soldaten mit Gewehren in den Händen hielten da oben. Wir erkannten nur ihre Silhouetten vor der riesenhaften Sonne, verschmolzen mit den Umrissen der Pferde und der Gewehre, die sie mit den Kolben auf die Oberschenkel stützten. »So, haben wir es gleich«, sagte Melsung scharf. Wir ritten der Höhe entgegen und zwischen den wartenden Posten. Westlich der Hügel sahen wir das Lager, eine riesige Ansammlung von Zelten mit ein paar Hütten dazwischen, Korrals, hohen Depots aus Kistenbrettern, Lagerfeuern, Küchen und allem, was eine vierzehntausend Mann starke Einheit benötigt, die zum größten Teil aus Kavallerie besteht. Von den Posten hatte keiner ein Wort gesagt. Einer salutierte vor dem Major und gab den Weg zum Lager frei, über dem eine große, braune Staubwolke stand, die immerzu in den Himmel stieg und ständig vom Boden aus erneuert wurde. Wir ritten vorbei und ins Lager hinein. Die beiden Fahrer, die mit Soldaten jeweils auf einem Tier saßen, drängten zur Eile und traten den Tieren in die Hungergruben, was die Soldaten ärgerlich schimpfend quittierten, der Major und ich aber nicht zur Kenntnis nahmen. Die beiden Fahrer brüllten der Menge zu, was geschehen war, und wurden ihre massiven Anschuldigungen gegen Gibson und mich erneut los, und diesmal an überraschte Zuhörer. Immer mehr Soldaten liefen zusammen. Wir standen wie vor einer Wand. Shita kläffte ärgerlich, weil ihn das lautstarke Gebrüll in den Ohren schmerzte. »Auseinander da!« kommandierte ein Offizier, der sich Platz verschaffte. Hinter dem Lieutenant tauchte General Arthur J. Smith auf, der Kommandant unseres großen Militärlagers der Unionstruppen, dem auch Gibson und ich zugeteilt waren. »Was ist hier los?« fragte der Lieutenant. Ich schwieg, und Gibson sagte auch nichts. Die beiden Fahrer aber berichteten. General Smith zog die Augen zusammen, bis seine
Brauen wie ein dunkel drohender Strich quer in seinem Gesicht standen. »Major, was haben Sie darauf zu erwidern?« fragte Arthur J. Smith schließlich. »Nichts, Sir. Wir wurden von Guerillas überfallen und getäuscht. Das kann einmal vorkommen, wenn man so schwache Bedeckung für einen Transport und einen so schlechten Scout hat.« »Der Major hatte die Befehlsgewalt und wollte die Piste nicht verlassen«, sagte ich. »Er fürchtete, die Nacht könnte uns überraschen, Sir!« »Das ist nicht wahr!« brüllte Gibson umso lauter. »Und überhaupt, Sir, wozu hat man einen Scout, wenn man sich nicht auf ihn verlassen kann? Das sollten Sie mir wirklich einmal erklären.« »Beide stehen unter Arrest«, entschied der General. »Mister Gibson, Mister Ronco, steigen Sie von den Pferden, Sie sind vorläufig arrestiert. Und Sie beide halten sich als Zeugen zur Verfügung.« Smith schaute die Fahrer der verlorengegangenen Wagen an. »Nichts tue ich lieber als das, Sir«, sagte Melsung und stieg sofort vom Pferd des Soldaten. General Smith wandte sich ab und ging mit steifen Schritten davon. Hinter der Menge verschwand er und steuerte sein großes Zelt an, vor dem die Fahne der Union und eine Standarte müde von zwei kurzen Masten hingen, die das Zelt nur wenig überragten. »Los, herunter von den Gäulen!« befahl ein Second Lieutenant, der von dem anderen Offizier vorgeschickt wurde. Soldaten drängten mit heran. Shita kläffte und knurrte und wollte den jungen Offizier anspringen. »Laß ihn«, sagte ich schnell. Da wurde ich schon links gepackt und vom Pferd gerissen. Eine Faust knallte mir in den Nacken, und ich stürzte zu Boden. Staub quoll mir in den Mund. Ich hörte Gibson scheinbar weit entfernt grimmig fluchen. »Ich knalle den verdammten Köter ab, wenn er nicht Ruhe gibt«, stieß jemand hervor. Schwerfällig wälzte ich mich herum und sah Shita durch den
Staub. »Verschwinde, Shita!« rief ich. »Schnell, verschwinde!« Der Hund wandte sich ab und verschwand. Ich wurde auf die Beine gestellt und mit Tritten und Schlägen durch die Gasse zwischen den vielen Soldaten getrieben. Feuer, Zelte, Feldküchen, Korrals, Zelte und Hütten wanderten vorbei. Hinter dem Lager erkannte ich die Häuser der Stadt Ripley, die gar nicht weit entfernt war. Wir befanden uns mit diesem relativ großen Lager an einem sehr wichtigen Punkt, an der Hauptverbindungsstraße hinüber nach Tennessee, wo unsere Armee einen erheblichen Teil der konföderierten Streitkräfte in einem Kessel eingeschlossen hatte. Am ehesten über die Straße bei Ripley würde den Eingeschlossenen von den Südstaatlern Ersatz gebracht werden können. Das sollte unser großes Lager verhindern. Die Frage war nur, wann der Entlastungsangriff und der Versuch zum Durchbruch erfolgen würden und in welcher Stärke der Gegner antrat. Material hatte er nicht wie wir zur Verfügung. Uns gehörten die großen Fabriken des Nordens, in denen wir Stahl kochen, Kanonen und Granaten bauen konnten und wo die gepanzerten Schiffe entstanden, die wie neue Wunderwaffen die Küste im Süden bis Florida hinunterfuhren. Sie trieben mich mit brutalen Hieben durch das Lager bis zur Arrestbaracke, einem ziemlich großen, aus Baumstämmen zusammengefügten Gebäude. Die Tür wurde geöffnet, ich erhielt einen Tritt und flog hinein. Die Wucht trieb mich bis an die gegenüberliegende Wand, gegen die ich knallte.
3. Das Militärgericht, das über Major Gibsons und meine Verfehlungen im Dienst zu befinden hatte, trat bereits zwei Tage später zusammen. General Arthur J. Smith führte als kommandierender Oberbefehlshaber selbst den Vorsitz und thronte so inmitten von einem halben Dutzend ranghoher Offiziere. Wir wurden in Handschellen und an Wachen gekettet wie Schwerverbrecher vorgeführt und auf einer Bank ohne Lehne vor der
Menge plaziert. Das Gericht saß vor uns hinter einem langen Tisch, auf dem Wasserkaraffen standen und ein Glas vor jedem Offizier. Von der Kohlsuppe, die sie uns verabreicht hatten, war ich eher hungriger als satt geworden, woran ich andauernd denken mußte. Die Gelegenheit, uns zu waschen, war in der Arrestbaracke auch nicht vorgesehen, und kein Posten hatte daran gedacht, uns eine Schüssel Wasser zu bringen. Wir sahen entsprechend verdreckt, stoppelbärtig, finster und abgerissen aus. Zum Schlafen hatte es nur einen Haufen Stroh gegeben. Shita hatte ich nicht mehr gesehen. Zwischen Major Gibson und mir saßen zwei Posten, steif gekleidete Elitesoldaten, die es als Auszeichnung ansahen, was ihnen mehr oder weniger zufällig als Amt zugefallen war. Der Ankläger, ein dunkler Typ von einem Captain, verlas, was er uns zum Vorwurf machte, und beschuldigte uns, wenn auch aus verschiedenen Gründen gleichermaßen, den Verlust des Transportes herbeigeführt zu haben. Vom Tod des Fahrers Hiller war keine Rede. Ich atmete auf. Dann wurde Melsung als Zeuge aufgerufen. Der Fahrer kam mit polternden Schritten durch den langen, saalartigen Raum und setzte sich in den Zeugenstuhl vor der großen Unionsfahne an der Wand. Das Gericht hatte darauf verzichtet, für uns Verteidiger zu bestellen, und weder Gibson noch ich stellten entsprechende Anträge. Melsung schilderte den Verlauf des Überfalls so, wie er sich abgespielt hatte, und ich dämmerte wegen des schlechten Schlafes auf der Strohschütte vor mich hin, bis Melsung sagte: »Der Scout hätte wissen müssen, daß die Vögel aufgeschreckt waren, Sir. Ich habe ihn selbst extra darauf aufmerksam gemacht.« Ich hatte den Kopf gehoben und blickte auf den Captain, der sich vor dem Zeugenstuhl stehend umwandte. »Aber der Major wollte keinen Umweg machen«, redete der Zeuge weiter. »John Flipp wird Ihnen das auch bestätigen, Sir. Die hatten es eilig, wollten unbedingt hierher. Wer weiß, ob sie in der Stadt mit den Weibern verabredet waren.« Tumult brach aus. General Smith schlug mit einem Holzhammer auf den Tisch, daß seine Akten zu flattern begannen.
»Ruhe!« befahl er herrisch. »Mister Talbot, haben Sie noch etwas Wesentliches zu fragen?« Der Ankläger schüttelte den Kopf. »Nein, Euer Ehren.« »Der Zeuge bleibt vorläufig unvereidigt.« General Smith schaute Major Gibson an. »Da wir darauf verzichten müssen, einen Verteidiger für Sie zu bestellen, können Sie selbst Fragen an den Zeugen richten, Mister Gibson.« »Ich habe keine Fragen an den Zeugen, Euer Ehren«, antwortete Gibson. »Ronco, dieser Schwachkopf, ist an allem schuld.« »Das ist nicht wahr!« rief ich. »Major Gibson wollte nur keinen Umweg in Kauf nehmen, weil das zuerst von Melsung vorgeschlagen wurde, und er nicht selbst darauf kam.« »Du verdammte Ratte!« Gibson sprang auf. Die Ketten klirrten. Die Wachen standen aber schon und stießen ihn auf die Bank zurück. »Er ist schuld, Euer Ehren!« stieß Gibson hervor. »Er ist viel zu dumm, als daß er einen Transport ungefährdet durch wildes Gebiet führen könnte. Aber woher sollte ich das wissen? Er war mir als Zivilscout zugeteilt worden, und ich mußte annehmen, daß er über entsprechende Fähigkeiten verfügt. Sie haben doch gehört, daß er das Kreisen der Vögel am Himmel offenbar nicht zu deuten vermochte.« »Der Major hatte die Befehlsgewalt«, sagte ich. »Und wissen Sie, was ich mir denke, Euer Ehren? Er wollte den Transport den Guerillas in die Hände spielen!« Plötzlich war es still in dem riesigen Raum. Das ferne Pfeifen einer Lokomotive hallte bis herein und das Rattern eiserner Räder auf Schienen war zu hören. »Das ist ungeheuerlich«, murmelte Gibson, dessen Augen im Haß funkelten und der vergebens versuchte, seine Arme zu befreien. Die Ketten klirrten lauter, weil es so still war. »Jawohl«, sagte ich. »Er wird wohl mit den Guerillas gemeinsame Sache gemacht haben. Sonst hätte er sicher auch nicht befohlen, den Kerlen in das dichte Buschwerk zu folgen und die Wagen ohne Bewachung stehen zu lassen.« Tumult brach aus. General Smith schmetterte den Holzhammer auf den Tisch, als wollte er die Platte zertrümmern.
Eine herrische Bewegung des Anklägers scheuchte Melsung vom Zeugenstuhl. Er verschwand in der Menge, die endlich zur Ruhe gelangte. »Auf die Aussage des zweiten Zeugen kann die Anklage verzichten«, erklärte der Captain steif. Der General nickte und faßte mich ins Auge. »Wollen Sie zu Ihrer Verfolgung noch etwas sagen, Angeklagter Ronco?« Ich stand auf und schüttelte den Kopf. »Dich Hund bringe ich um!« schrie Gibson, der abermals aufspringen wollte und von den Wächtern auf die Bank zurückgerissen wurde. General Smith donnerte mit dem Holzhammer auf den Tisch, bis sich abermals Ruhe einstellte. »Setzen!« befahl Smith. Ich ließ mich auf die Bank zwischen meinen Wächtern sinken. »Und Sie, Angeklagter Gibson?« fragte General Smith mit strenger Miene. »Euer Ehren, diesen Halunken bringe ich um!« schrie Gibson wie außer sich in der Wut, die sein Gesicht verfärbte. General Smith donnerte den großen Hammer auf den Tisch, bevor das Geschrei wieder anbrach, und tatsächlich unterblieb es. »Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück«, verkündete der Richter. »Die Angeklagten bleiben im Saal.« Das Gericht erhob sich und verließ durch eine Tür neben der Unionsfahne den Gerichtssaal. Posten mit Gewehren in den Händen traten herein und zogen vor dem langen Tisch auf, um neue Tumulte zu unterbinden. Nur wenige Soldaten verließen den Saal, weil sie in ihm nicht rauchen durften. Die Zivilisten, die man aus der Stadt hereingelassen hatte, blieben ausnahmslos sitzen. Gibson und ich, wir taten, als wäre der jeweils andere für uns gestorben. Aber es hätte sicher nur eines Funkens bedurft, dann wären wir wie randvolle Pulverfässer aufeinander losgegangen. *
Als eine halbe Stunde vergangen war, hatte das hohe Gericht seine Beratung beendet und trat wieder ein. General Smith blieb gleich stehen und klappte seine Akte auf. »Los, aufstehen!« herrschte der Posten links von mir mich scharf an und drehte die Kette herum, daß sie sich um mein Handgelenk schmerzhaft spannte. Ich stand auf und sah auch Gibson hinter den Wächtern in der Mitte in die Höhe steigen. »Im Namen der Armee der Unionsstaaten ergeht folgendes Urteil«, verlas General Smith. »Ronco wird mit sofortiger Wirkung aus der Armee ausgeschlossen. Sold wird ihm nicht mehr bezahlt. Er hat sich als Scout als unfähig erwiesen und infolge dieser Unwissenheit den Transport in eine Falle des Gegners geführt, wodurch letztlich auch der Tod des Fahrers Rip Hiller herbeigeführt wurde.« Ich zuckte wieder zusammen. Das war es. Rip Hiller war von den Guerillas vom Bock geschossen worden. Das war das eigentlich Tragische, denn der Transport war nicht viel mehr als die Pferde und Wagen wert gewesen. General Smith sprach immer noch, aber ich hatte Mühe, mich zu konzentrieren und ihn zu verstehen. »… es wird wegen seiner Jugend von einer weiteren Bestrafung abgesehen«, hörte ich den Richter sagen. »Er hat das Camp noch heute zu verlassen.« Ich ließ den Kopf sinken und blickte die Dielen an. »Gegen Major Gibson ergeht im Namen der Armee der Union folgendes Urteil«, fuhr der General fort. »Er wird wegen erwiesener Unfähigkeit aus der Armee ausgestoßen, denn er hätte als erfahrener Offizier …« Gibson schrie, daß ich den Richter nicht mehr verstand. Ich setzte mich auf die Bank, und die beiden Wachen hinderten mich nicht daran. General Smith sprach mit erhobener Stimme. Mich interessierte nicht, was noch zu sagen war. Die Atmosphäre war geladen. Gibson brüllte etwas. Der Richter hieb mit dem Holzhammer auf den Tisch. »Die Ausstoßung aus der Armee wird morgen früh vor
angetretenen Mannschaften vollzogen«, sagte der General mit erhobener Stimme. »Die Öffentlichkeit von Ripley ist zugelassen. Der Angeklagte bleibt bis dahin in Haft. Abführen. Die Sitzung des Militärgerichts ist damit beendet. * Ich lief durch eine Gasse in der Menge und sah den Haß in den Blicken. Sie sahen in mir einen Verräter und nicht den unfähigen jungen Burschen, von dem General Arthur J. Smith gesprochen hatte. Und sie waren enttäuscht über das Urteil. Sie hatten mehr erwartet. Das war ihnen zu wenig. Kaum war ich an den ersten vorbei, schloß sich die Gasse hinter mir. Pfuirufe erschallten in meinen Rücken. Ich ging schneller. Aber die Gasse schob sich auch vor mir zusammen. Fäuste bedrohten mich. »Hört auf«, sagte jemand. »Ihr setzt euch ins Unrecht. Laßt ihn laufen, den grünen Jungen. Vielleicht ist er wirklich so dumm, wie der General annimmt.« Vor mir lichtete sich der drohende Kreis, und ich sah den Zaun und das Tor mit den Wachen am Ende des Lagers. Von hinten bekam ich einen Tritt, stolperte vorwärts und landete auf dem Bauch und dem Gesicht. Rohe Fäuste zerrten mich wieder auf die Beine und stießen mich dem Tor entgegen. »Hau ab!« brüllte jemand. Ich rannte, um das Weite zu gewinnen, stürzte durch das Tor und an den Wachen vorbei. Ich lief die Straße hinunter bis zum Bahndamm und ließ mich auf den Schotter fallen. Die Geleise vibrierten und gaben ein zunehmend lauter werdendes Klirren und Rattern von sich. Eine Lok pfiff. Ich hob den Kopf und sah das schwarze, fauchende, Feuer und Rauch versprühende Ungetüm heranstampfen und mit seiner Wagenschlange vorbeirasen.
Es ging auch um diese Eisenbahnlinie, mit deren Hilfe die Konföderierten die Güter befördern wollten, die die Eingeschlossenen in Tennessee dringend benötigten, um überleben zu können, ohne sich den Unionstruppen zu ergeben. Irgendwie mußte dieser gnadenlose Bruderkrieg beendet werden, der immer mehr in eine Materialschlacht ausartete, die Menschenopfer in Höhen kostete, die frühere Kriege nicht gekannt hatten. Das Land würde ausbluten, und am Ende würde weder der sklavenhaltende Süden noch der Norden etwas vom Siege haben. Die sich gerade etablierende Großmacht USA würde der Vergangenheit angehören, bevor sie richtig geworden war, was wir alle anstrebten. Eine Demokratie, die wegweisend werden sollte für die Menschheit schlechthin. Auf der anderen Seite der noch singenden und vibrierenden Geleise stand wie hingezaubert ein Mann, und als ich ihn sah, wußte ich, daß er schon der Verhandlung beigewohnt hatte. Ich erinnerte mich an sein dünnes Grinsen, das den dunklen Schnurrbart zittern ließ, an das Funkeln seiner Augen und an die rote Saint-LouisSchleife, die er unter der derben Jacke trug. »Hallo«, sagte der Mann jovial. »Ich bin Tex Reynolds.« »Wer ich bin, wissen Sie sicher«, erwiderte ich. Das Grinsen in Reynolds Gesicht verstärkte sich. »Ja, das weiß ich, mein Junge.« Ich stand auf, kletterte über den Damm und rief Shita zu mir, der am Tor aufgetaucht war. Der Hund schoß wie eine Granate auf mich zu und über den Bahndamm hinweg. Er richtete sich an mir auf, reichte mit den Vorderpfoten bis an meinen Hals und wollte mein Gesicht lecken. »Wo kommst du den her?« rief ich, während meine Hände sein Fell kraulten. »Der ist sehr anhänglich, was?« fragte Reynolds. Ich drängte Shita zurück, bis er aufgab und zwischen uns stand und in seiner anhaltenden Aufregung laut hechelte. »Alle Hunde sind anhänglich.« »Sie reden sehr verbittert, junger Mann. Und das ist schließlich zu verstehen. Aber noch ist ja nichts weiter geschehen, als daß man Sie
um einen Job gebracht hat. Um einen Job, wie Sie sicher mit Leichtigkeit wieder einen finden können.« Ich blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen wie zweifelnd an. Er war wirklich ein verdammt finsterer Kerl. Seine schwarzen Brauen waren über der Nasenwurzel zusammengewachsen und teilten das Gesicht in eine große untere und eine kleine obere Hälfte. Er war sicher um die dreißig Jahre alt, obwohl ihn der dunkle Schnurrbart älter wirken ließ. Seine Gestalt war groß und kräftig. Er trug eine Cordhose, die in kniehohen Schnürstiefeln steckte, einen dunklen Gürtel und einen schweren Revolver in der Lederhalfter. »He, da ist dein Gaul, Ronco!« rief ein Posten, der aus dem Tor des Militärlagers trat und meinen braunen Hengst bei sich hatte. Der Hengst war gesattelt und trug das Gewehr im Scabbard. Der Soldat schlang den Zügel um das Sattelhorn und schlug dem Tier auf die Hinterhand. Das Pferd näherte sich schnaubend. »Nun hast du alles und läßt dich hoffentlich nicht mehr sehen!« rief der Soldat. Als ich neben mich schaute, lag Tex Reynolds auf dem Schotter, so daß der Soldat auf der anderen Seite des Dammes ihn nicht sehen konnte. Der braune Hengst trabte schnaubend näher. Ich ging über die Schienen und holte das Tier. Reynolds lag immer noch am Damm. »Was ist denn mit Ihnen los?« fragte ich. »Ist der Soldat weg?« Zurückschauend nickte ich. »Ja.« Reynolds stand auf und schlug über seine derbe Stoffjacke. »Der muß uns ja nicht ungedingt zusammen sehen.« »Warum?« fragte ich naiv. »Das erkläre ich Ihnen später. Wollen Sie gleich aus dieser Gegend verschwinden?« »Nein.« »Noch was zu erledigen?« »Ich will dabei sein, wenn Gibson degradiert wird!« stieß ich mit haßerfüllter Stimme hervor. »Ja, das kann ich schon verstehen. Na, dann sehen wir uns
bestimmt noch, Ronco.« Reynolds nickte mir freundlich grinsend zu, wandte sich ab und lief hinunter zum Ende des Dammes und in dessen Schutz nach Norden. Ich wartete, bis der seltsame Mann verschwunden war, dann schwang ich mich in den Sattel und ritt zum Saum eines Waldes, an dem ich zu lagern gedachte. Obwohl ich während des ganzen Tages wachsam Ausschau hielt, geriet Tex Reynolds nicht mehr in mein Blickfeld. Auch sonst sah ich keinen Menschen. Nur der Staub über dem Lager und der darunterliegenden Stadt stieg bis zum Abend ununterbrochen hinter dem Bahndamm in die Höhe.
4. Als ich am folgenden Morgen erwachte, war es schon heller Tag. Vögel zwitscherten über mir im Geäst der Bäume und das Murmeln eines Baches schallte leise durch den Wald. Shita lag noch langausgestreckt in meiner Nähe, hob aber den Kopf, als ich mich setzte. »Es wird Zeit, wenn wir es sehen wollen«, sagte ich, stand auf, lief durch das Unterholz zum Bach, zog Jacke und Hemd aus und wusch mich in dem klaren, kalten Wasser. Shita und der braune Hengst waren mir gefolgt. Shita gähnte andauernd und streckte sich. Ich bespritzte ihn mit Wasser, was ihn in die Flucht schlug. An meinem Hemd trocknete ich mich ab, und zehn Minuten später war ich bereits unterwegs. Ich ritt auf dem Hengst am Saum des Waldes entlang und dem Damm der Eisenbahn entgegen, den ich aber eine halbe Meile südlich des Armeelagers erreichte. So konnte ich das Militärcamp umgehen und die Stadt erreichen. Zwischen dem Lager und Ripley wurden schon Vorbereitungen für Gibsons Degradierung getroffen. Drei Kompanien Soldaten zogen feldmarschmäßig ausgerüstet auf und traten in einem großen U auf dem freien Platz an. Die Menschen strömten aus der Stadt hinaus, um dem gewiß nicht sehr häufig ablaufenden Schauspiel beizuwohnen. Ich ritt hinter den Häusern vorbei und durch ein kleines Tor in den Hof des Mietstalles.
Der Stallmann war ein kleiner, mürrisch dreinblickender Mann, dessen Gesicht sich zusammenzog, als hätte er eine Zitrone gegessen. »Was willst du denn hier?« fragte er barsch und abweisend. Shita knurrte drohend. Der unfreundliche Mensch trat sofort zurück. »Laß ihn, er ist doch nur Haut und Knochen«, sagte ich, stieg ab und führte den Hengst an dem Mann vorbei in den Stall. Der mürrische Mensch zog sich bis in eine halbdunkle Stallecke zurück und griff nach einer Heugabel, weil Shita ihn noch immer drohend anknurrte und ihm die kräftigen Reißzähne zeigte. »So was kann ich vielleicht leiden!« sagte der Mann. »Es ist mein Stall, verstehst du!« »Ich will ja nur das Pferd einstellen.« »Wer hier Pferde einstellt, bestimme ich!« »Wenn man den einzigen Mietstall in einer Stadt hat, kann man sich seine Kunden nicht aussuchen.« Ich wandte mich um. »Shita, leg dich in die Box. Na los.« Der Hund gehorchte nur widerstrebend und knurrte immer noch, aber er legte sich zu dem braunen Hengst ins Stroh. »Was denn, der soll hierbleiben, der Köter?« »Nennen Sie ihn nicht Köter«, sagte ich. »Das kann er nicht ausstehen.« Ich sattelte das Pferd ab und verließ die Box. »So was Unverfrorenes ist mir noch nicht begegnet«, maulte der Stallmann. »Aber das kann ich dir sagen: Wenn der Köter frech wird, spieße ich ihn mit der Gabel auf.« »Er wird still liegenbleiben, wenn Sie ihn nicht reizen«, gab ich zur Antwort. »Ich kann ihn wirklich nicht mitnehmen. Aber es wird nicht lange dauern, dann hole ich ihn.« »Verflucht, was habe ich nur verbrochen, daß ich so bestraft werde, Herr?« Ich warf dem mürrischen Mann einen Dollar zu und verließ den Stall. Noch immer strömten Menschen durch die Stadt. Ich verließ das Stallgelände wieder durch das kleine Tor und ging in der Deckung der Rückfronten und der unter der Sonne stinkenden Müllgruben zurück zu dem Platz unter der Staubglocke, auf dem die Soldaten
angetreten waren. Man hatte Gibson bereits gebracht und dort zwischen seinen Bewachern aufgestellt, wo das U der Angetretenen offen war. Trommeln wirbelten, und ein Sergeant mit drei Winkeln an den Ärmeln der blauen Uniformjacke verlas das Urteil. Aber die Menge raunte so laut, daß ich kaum ein Wort verstehen konnte. Hugh Gibson war in voller Uniform und hatte auch seine Auszeichnungen an der Jacke. Das Gold des Uniformrockes leuchtete und glitzerte. Wieder wirbelten die Trommeln. Der Master Sergeant faltete sein Papier zusammen und steckte es ein. Gibson stand wie zu Stein erstarrt. Das Raunen in der Menge wurde lauter und gellte wie ein Aufschrei in den Himmel. Der Sergeant war vor Hugh Gibson getreten, riß ihm die Auszeichnungen und die goldenen Rangabzeichen von der Jacke und schleuderte sie in den Sand, als wären sie nichts. Die Menge applaudierte. Der Sergeant rief wieder etwas, aber nur die Bewegungen seines Mundes waren zu sehen. Zu hören war nichts. Hugh Gibson wurde von den Bewachern auf die Menge zugeführt, während der Sergeant den Säbel des ehemaligen Majors über dem Knie zerbrach und zu den Auszeichnungen schleuderte. »Halunke!« brüllte die Menge. »Verräter!« Ich zog den Kopf ein und trat hastig zurück. Der Zorn der Menge nahm zu und entlud sich in immer neuen Verwünschungen, und alles drängte dorthin, wo ich Gibson zuletzt noch gesehen hatte. Ich schob mich weiter zurück, erreichte einen Schuppen und blieb an seiner Wand im Schatten stehen. Vor mir stand der Staub wie ein dichter werdender Vorhang in der Luft und verschleierte die Menge. Und aus der braunen Wand trat auf einmal der schnurrbärtige Reynolds, jener finster ausschauende Kerl, der mir tags zuvor am Bahndamm begegnet war, als hätte er auf mich gewartet. Tex Reynolds kam grinsend näher, lehnte sich neben mir an die Wand und zog eine dünne Zigarre aus der Jackentasche. Er biß die Spitze ab, spuckte sie aus, klemmte die dünne Zigarre zwischen die
Lippen und rieb an der Schuppenwand ein Schwefelholz an, das er an die Zigarre hielt. Reynolds paffte. »Ist 'ne schlimme Geschichte für einen Offizier, was?« »Ich könnte ihn umbringen!« stieß ich hervor. »Aber er hat doch eine Menge mehr gekriegt als du, mein Junge.« »Na und?« fragte ich aggressiv. »Hatte er die Befehlsgewalt über den Transport oder ich?« »Offenbar er. Aber du mußt auch Fehler gemacht haben.« »Dummes Zeug. Der wollte es doch nur auf mich abwälzen. Aber ich kann dir sagen, wie das ist. Sie können es nicht ganz auf einem Offizier sitzen lassen. Da muß eben noch ein anderer mit herhalten.« Reynolds nahm die Zigarre aus dem Mund und nickte ernsthaft. »Ja, das kann schon sein. Die Yankees sind eben so.« Ich blickte ihn schärfer als vorher an. »Aber die Welt besteht nicht nur aus Yankees«, fuhr er fort. »Was soll den das heißen, Reynolds, verdammt?« »Na, nun erschrecke nicht gleich. Es ist doch so. Die Welt ist viel größer als der Osten und Norden der Vereinigten Staaten. Da gehört noch eine ganze Menge mehr dazu, bis es eine runde Kugel wird. Allein auf unserem Kontinent …« Reynolds brach ab, lachte leise und klemmte die Zigarre zwischen die Lippen. Die Kompanie marschierte ins Camp zurück. Die Menge wälzte sich in die Stadt. Auf dem Platz lagen noch die Auszeichnungen, die Schulterstücke und der zerbrochene Säbel, der Gibson gehört hatte. Und kaum waren die Soldaten verschwunden, rannten ein paar Halbwüchsige auf den Platz und balgten sich um die golden und silbern schimmernden Gegenstände. »Wir sehen uns sicher noch.« Reynolds wandte sich ab und verschwand ohne ein weiteres Wort. * Als ich den Stall betrat, stand der Besitzer mit der Heugabel in den Händen bei der Futterkiste und beobachtete den Hund, der im Stroh neben dem braunen Hengst saß und anhaltend knurrte. »Shita, hör auf«, befahl ich. Der Hund leckte sich die Schnauze, legte sich ins raschelnde
Stroh, vermochte aber das Knurren noch immer nicht ganz zu unterdrücken. »Shita!« sagte ich mahnend. Da gab der Hund auf, blinzelte immer noch zu dem Mann hinüber, der die Gabel in die Ecke stellte. »Sie hätten ihn nicht mit diesem Zinken bedrohen sollen«, sagte ich. »Kein Tier und kein Mensch läßt sich gern bedrohen.« »Ich will, daß diese verdammte Bestie aus meinem Stahl verschwindet«, sagte der Mann keifend. »Inzwischen ist auch der Marshal wieder da. Wenn du den Köter jetzt nicht mitnimmst, werde ich den Marshal rufen. Ist das klar?« »Ich bin ja gekommen, um den Hund zu holen«, sagte ich in einem Ton, der nachgebend klingen sollte. Fluchend setzte der Stallmann sich auf die Futterkiste. »Im übrigen hat General Smith Ihnen befohlen, aus der Gegend zu verschwinden.« »Waren Sie denn bei der Verhandlung auch dabei?« »Ja.« »Dann haben Sie heute etwas verpaßt. Gibson ist aus der Armee in einer feierlichen Zeremonie ausgestoßen worden.« »Das verdankt er dir.« »Mir?« »Du warst sein Scout. Wenn sich ein Transportführer nicht auf seinen Scout verlassen kann, auf wen dann?« Ich funkelte den Stallmann mit bösen Blicken an. Der Stallmann winkte ab. »Macht das unter euch aus. Er steht übrigens drüben im Saloon. Geh hinüber und mach es mit ihm aus, wenn dir das Fell juckt.« »Im Saloon über die Straße?« fragte ich gepreßt. »Ja, sage ich doch.« »Los, Shita, den kaufen wir uns«, sagte ich zu dem Hund und verließ hastig den Stall. Shita war aufgesprungen und jagte hinter mehr her. Ich ging bis zur vorderen Ecke des Mietstalles und blieb dort stehen. Der Schatten deckte mich etwas, aber die Menschen schenkten mir auch keine Beachtung. Die meisten Leute gingen
wieder ihren normalen Beschäftigungen nach, und das Ereignis begann rasch zu verblassen. Ein paar Frachtwagen waren angekommen, andere wurden vor einem Lager beladen. Nur vor dem Saloon gegenüber hatte sich eine Menschentraube angesammelt. Spöttische Rufe und hämisches Gelächter waren zu hören. An die warme Bretterwand gelehnt blieb ich stehen, bis sich der größte Teil der Männer verlaufen hatte. Ein paar Jungen zwischen zwölf und vierzehn Jahren kamen die Straße heruntergerannt. Einer schwang den abgebrochenen Säbel, die anderen hatten sich mit Gibsons Orden und Rangabzeichen die schäbige Kleidung geschmückt. Sie stießen die Schwingtür des Saloons auf und riefen im Chor: »Gibson-Verräter! GibsonVerräter!« Dann sprangen sie von der Veranda und hasteten unter dröhnendem Gelächter weiter. Ich überquerte die Straße und betrat die Veranda, deren dürre Bretter sich ächzend unter meinen Stiefeln bogen. Shita lief leise knurrend neben mir her. * Gibson stand am Tresen und hatte ein leeres Whiskyglas in der Hand. Ungefähr ein Dutzend Männer war außer ihm im Saloon und stand verteilt und wie abwartend in dem Raum. »Na los, schenken Sie ein!« stieß Gibson an den Keeper hinter dem Tresen gewandt hervor. »Mir wäre es lieber, Sie verschwinden«, erwiderte der Wirt. »Ich habe Ihnen nichts getan, verdammt!« Gibson hieb ein Geldstück auf die Theke. »Und da ist Zaster. Zum Teufel, was wollen Sie denn noch haben?« Fluchend schenkte der Keeper Gibson das Glas voll. Der trank es aus und hielt es dem Mann abermals hin. »Na los, schenk schon ein!« Der Wirt nahm die Münze und schob dem ehemaligen Major die Flasche zu. »Da, das ist für den Dollar. Mehr gibt es dafür nicht. Und hoffentlich sehen Sie dann zu, daß Sie Land gewinnen. Ich kann
Verräter nicht ausstehen.« Gibson nahm die Flasche und trank aus ihr. Er war bereits ziemlich angetrunken, schwankte einmal und verlor die Flasche aus der Hand. Da seine Hand aber nur wenig über dem Tresen war, schlug die Flasche auf die Platte auf und Gibson konnte sie wieder ergreifen, bevor sie umstürzte. Ich schob die Schwingflügel auf und betrat den Saloon. Das Knarren der Angeln ließ Gibson den Kopf heben. Seine Hand mit der Flasche sank herab. Die Menge schob sich zurück, um mehr Raum zu lassen, aber niemand ging aus dem Saloon. »Ronco«, flüsterte der ehemalige Major, der in der entehrten Uniform mit den dunklen Stellen und den Rissen an eine Vogelscheuche erinnerte. »Du dummer Kerl kreuzt mir gerade richtig auf!« rief Gibson und stellte die Flasche hart aus der Hand. »Ich werde dich zurechtstutzen, wie du es verdient hast.« Shita knurrte drohend. »Shita, hör auf!« befahl ich. Der Hund wurde sofort still. »Ich könnte dir Idioten den Hals umdrehen«, sagte der ehemalige Major. »Versuche es doch«, gab ich kampflustig zurück und ging weiter auf den Mann zu. Da ließ Gibson ein neuerliches Fluchen hören, hob die halbvolle Flasche wieder und schleuderte sie nach meinem Kopf. Ich duckte mich. Die Flasche ging über mich hinweg und knallte neben der Schwingtür an die Wand. Whisky ergoß sich über die Dielen, die Flasche zerbarst mit einem Knall, und die Scherben flogen durch den Saloon. »Nun reicht es aber!« rief der Keeper. Keiner von uns hörte darauf. Ich fiel den ehemaligen Major an, blockte dessen Faustschlag ab und schlug ihm meinerseits die Rechte gegen das Kinn. Ich war schon kräftig genug, es auch mit einem ausgewachsenen Mann aufnehmen zu können, und das hatte Gibson offenbar nicht gewußt. Er strauchelte und stürzte an der Theke zu
Boden. Ein Raunen ging durch die Menge, die sich bis an die Wände zurückgezogen hatte. Aus dem Obergeschoß, das eine Galerie hatte, rief ein aufgetakeltes Barmädchen: »Richtig so, Junge! Gib es ihm, diesem Leuteschinder und Verräter!« Gibson war bereits wieder aufgesprungen und fiel mich erneut an. Diesmal durchbrach seine Faust meine Deckung und traf mich gegen den Hals, daß mir der Atem stockte. Gibson schlug noch einmal zu, und ich mußte nach der Kante der Theke greifen, um nicht zu stürzen. Shitas wütendes Fauchen traf meine Ohren. Der Hund war neben mir und schnellte in dem Augenblick in die Höhe, in dem Hugh Gibson mir den nächsten Hieb verpassen wollte. Die scharfen Zähne des Hundes schnappten Gibsons Arm und klappten wie eine Zange zusammen. Der Mann brüllte und schüttelte den Arm, an dem der Hund hing. Der Stoff knirschte, das Barmädchen auf der Galerie schrie vor Begeisterung. Der Keeper hatte indessen den Saloon verlassen, schoß draußen aus einem Revolver in die Luft und schrie nach der Militärpolizei. Ich ging auf Hugh Gibson los, ohne das andere zu beachten und schmetterte ihm die Faust gegen die Brust. Er taumelte zurück, der Hund ließ seinen Arm los und stürzte auf den Boden. Gibson prallte gegen einen Pfosten. Hufschlag und das Wiehern von Pferden war zu hören. Der Keeper stürzte herein. »Jetzt kommt gleich der ProvostMarshal!« rief er. Vor der Kneipe verklang der Hufschlag. Staub wehte unter das Vordach. Die Dielen knarrten unter Stiefeln, Sporen rasselten, und die Schwingflügel flogen auf und knallten gegen die Wand. Der Chef der Militärpolizei war ein Riese von Gestalt, der allein durch seine Erscheinung das Blut seiner Widersacher zur Erstarrung bringen konnte. »Gibson und Ronco«, sagte er gedehnt. »Natürlich. Hätte ich mir ja gleich denken können.«
Shita kläffte den Provost-Marshal respektlos an. »Hör auf!« befahl ich zischend. »Du willst uns wohl in Teufels Küche bringen, was?« Shita gehorchte. Ich wurde von dem riesenhaften Mann geschnappt und zur Seite gestoßen. Der Provost-Marshal hatte zunächst nur Blicke für den ehemaligen Major, und das waren Blicke, die durch Mark und Bein gingen. »Was hat man Ihnen mit auf den Weg gegeben, Gibson, wissen Sie es nicht mehr?« Gibson gab keine Antwort, aber die Wut stand noch deutlich in sein Gesicht geschrieben. »Ich sperre Sie ein, wenn noch das geringste vorfällt«, redete der Marshal der Militärpolizei weiter. »Haben Sie verstanden, Gibson?« »Ja, Sir«, stieß der ehemalige Major gepreßt hervor. »Dann versuchen Sie, es in Ihren verdammten Schädel zu behalten, bis die Stadt hinter Ihnen liegt.« Der Provost-Marshal fuhr herum und funkelte mich an. Ich zog den Kopf ein. Shita knurrte wieder und machte Miene, den riesigen Mann anzufallen. »Das gilt auch für dich«, sagte der Provost-Marshal. »Am besten, ihr zeigt die Eisen und laßt euch hier nie mehr sehen. Verstanden?« »Verstanden, Sir«, sagte ich kleinlaut. Ich blickte zufällig auf ein Fenster und sah das schnurrbärtige Gesicht Reynolds draußen, aber er verschwand in der nächsten Sekunde schon wieder. Der Provost-Marshal ging rückwärts aus dem Saloon und stieg auf sein Pferd. Die Männer an den Wänden richteten sich auf. »Los, Ronco, gib es ihm, dem Verräter!« rief das Mädchen auf der Galerie drängend. Der Keeper zog ein abgesägtes Schrotgewehr unter dem Tresen hervor und richtete die kurzen Läufe auf mich. »Du verschwindest mit dem Köter zuerst, mein Junge. Und ein bißchen plötzlich, wenn ich bitten darf! Schlagt euch außerhalb der Stadt die Schädel ein, wenn es euch Spaß macht.«
»Gehen wir, Shita, hier sind alle sehr unfreundlich zu uns«, sagte ich und wandte mich der Tür zu. Shita lief so dicht neben mir her, daß er andauernd mein Bein berührte. »Und du hinterher«, sagte der Wirt und winkte meinem Widersacher mit der mörderischen Flinte, deren Läufe gerade noch so lang wie eine ausgestreckte Hand waren. Gibson wollte am Tresen vorbei, aber der Keeper sagte: »Halt, noch etwas hätte ich beinahe vergessen.« Ich war schon auf der Veranda und blickte über die noch pendelnden Türflügel zurück. »Was willst du denn noch?« maulte Gibson. »Leg noch einen Dollar auf den Tresen.« »Was?« »Noch einen Dollar.« »Wofür denn?« »Für die Scherben, Gibson. Die muß schließlich jemand wegschaffen. Für nichts gibt es bei mir nichts. Nun mach schon.« »Und wenn ich nicht will?« protestierte Gibson. »Dann rufe ich den Provost-Marshal gleich noch mal, und dann sperrt er dich ein.« »Wie es sich gehört!« rief das Mädchen auf der Galerie und lachte fast herzlich. Fluchend warf Gibson noch einen Dollar auf die Theke. Ich wandte mich ab und verließ die Veranda. Es hatten sich nun doch wieder Menschen versammelt, deren feindselige Blicke mich wie Nadeln trafen und zu durchbohren versuchten. Hastig lief ich durch die Menge, gefolgt von Shita, rannte am Mietstall vorbei und auf ein paar Schuppen am Ende der Stadt zu, wo niemand war. * Ich hatte mich hinter den Schuppen im Schatten niedergelassen und wollte das Ende des Tages abwarten. Aber es gab doch noch jemanden, der sich selbst hier für mich interessierte.
Tex Reynolds war auf einmal da. Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir, grinste und zwirbelte den Schnurrbart. Ich setzte mich an der Wand auf den Boden und winkte Shita. Der Hund legte sich neben mich und bettete den Kopf auf meinen linken Oberschenkel. Auch Reynolds ließ sich nieder, zog eine Zigarre aus der Tasche und biß in bekannter Manier die Spitze ab, um sie auszuspucken. »Willst du eine?« »Nein.« Tex Reynolds brannte die Zigarre an und rieb die Flamme am Schwefelholz zwischen den Fingern aus. »Hast du das eigentlich nötig, Junge?« »Was?« »Dich so behandeln zu lassen.« Ich blickte den Schnurrbärtigen fragend an. »Was meinst du, Tex, ich verstehe nicht?« »Na, hör mal. Die behandeln dich doch wie den letzten Dreck. Blinder Kadavergehorsam ist das, was hier im Norden exerziert wird. Wenn du nicht gehorchst, sperren sie dich ein.« »Ja, sie sind verdammte Schinder!« stieß ich hervor. »So wie dieser Gibson auch einer war.« »Na ja, aber den haben sie ja auch gefeuert«, schwächte Reynolds ab. »Da siehst du mal, daß sich selbst so ein Schleifer nicht darauf verlassen kann, von denen gestützt zu werden.« »Da hast du recht, Tex«, gab ich nickend zu. »Das System im Süden ist viel besser. Individueller, wenn du weißt, was ich meine.« »Individueller?« fragte ich naiv. »Ich meine, da bist du ein Mensch, kannst deine Meinung sagen und wirst angehört. Logik zählt da! Hier zählt doch nur, was dieser verkalkte General Smith quatscht. Und wenn es der größte Mist ist, etwas anderes lassen sie nicht zu.« »Ja, ja! das kann schon sein, Tex.« »Das ist so, kannst du mir glauben. Und so wird das überall in Amerika, wenn die mit ihrer Kriegsmaschine siegen und den Süden
überrennen.« »Meinst du?« fragte ich mit schiefgeneigtem Kopf und einem deutlichen Fragezeichen im Gesicht. »Das ist sicher. Dann gibt es keine individuellen Freiheiten mehr. Du wirst eine Nummer, nicht mehr.« »Warum erzählst du mir das eigentlich?« »Damit du darüber nachdenken sollst, Ronco.« »Ach so.« Reynolds paffte. »Ich würde dir mehr über den Süden erzählen, wenn es dich interessiert.« »Weißt du denn soviel davon?« »Eine ganze Menge, Ronco. Interessiert es dich?« »Ja, vielleicht.« »Dich hätte man mit einem Orden ausgezeichnet und nicht wie hier mit Schimpf und Schande davongejagt.« »Aber wieso?« »Für deine Tapferkeit, Ronco.« »Tapferkeit?« »Aber tu doch nicht so. Das war tapfer von dir, daß du dich mit dem Treck überhaupt durch dieses Gebiet gewagt hast. Es war ja gar nichts von Bedeutung in den Wagen. Alles alter, wertloser Plunder. Da siehst du wieder, wie sie hier sind. Die schleppen alte Decken und Stiefel hin und her. Das sind Verordnungen, die kommen von oben. Aus Wasserköpfen. Die Transporte sind teurer als der Kram selbst, der in den Wagen liegt. Typisch Yankee.« »Ja, das stimmt.« Ich nickte seufzend. »Da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen, Tex.« »Und ob ich das habe.« Tex Reynolds lachte und paffte wieder. »Also ich würde es schon verstehen, wenn du die Kurve kratzt.« »Wenn ich …« Ich brach ab und blickte den Schnurrbärtigen neben mir erwartungsvoll an. »Was denn für eine Kurve, Tex?« »So viele Kurven gibt es doch gar nicht.« »Ich verstehe dich nicht.« »Um die richtige Kurve, mein Junge. Bei der Gelegenheit könntest du dich bei diesen Schindern und Kriechern gleich mit für alles bedanken. Für die Behandlung, für den gestrichenen Sold, na und
was sonst noch alles hier im argen liegt.« Meine Augen strahlten Reynolds an. »Jetzt verstehe ich ein bißchen, wie du das meinst, Tex. Ja, diesen aufgeblasenen Narren würde ich es schon gern mal geben.« »So eine richtige auf den Deckel!« Reynolds schlug mit der rechten Faust in die offene linke Hand. »Ja, so!« Der Schnurrbärtige lachte. Er hatte den Mund offen. Die dünne Zigarre hing zwischen seinen kräftigen Zähnen. »Bei den Konföderierten, was, Tex?« Jähe Blitze des Mißtrauens schossen aus Reynolds' Augen, und er nahm die dünne Zigarre aus dem Mund. Mein Grinsen erstarrte, und ich ließ die Hände sinken und kraulte Shita. »Oder hast du das gar nicht gemeint?« »Doch, das meinte ich, mein Junge. Dort wird ein Mann nach seinen Fähigkeiten beurteilt und muß nicht blindlings Befehle ausführen. Und außerdem ist die Sache des Südens natürlich viel ehrenhafter.« »Dann müßte ich da drüben Soldat werden, was, Tex?« »Ach, Unsinn. Die nehmen als Zivilscout, genau wie dich die Yankees nahmen. Nur mußt du da drüben nicht einfach Befehle ausführen. Wenn du als Scout was besseres weißt, kannst du es auch so durchführen.« »Das klingt gut, Tex.« »Ist es auch.« »Und du denkst, ich hätte dann die gleiche Arbeit wie hier?« fragte ich. »So ziemlich.« Ich zeigte mich mißtrauisch. »Was heißt das?« »Also du verfügst über besondere Kenntnisse, Ronco. Du kennst die Wege, die die Transporte nehmen. Ich meine, hier bei der Union. Und über die Stärken der Begleitmannschaften und so, da weißt du doch auch eine ganze Menge, nicht wahr?« »Das stimmt schon«, gab ich zu. »Das könnte natürlich bei den Konföderierten auch eine Rolle spielen. Das interessiert sie, ist doch ganz klar. Aber auf jeden Fall
geht es da drüben viel gerechter zu. Das ist wichtig. Daran mußt du denken, Ronco.« Ich kraulte Shita das Fell und nickte, ohne Tex Reynolds anzusehen. »Könntest du mir denn behilflich sein, Tex?« »Auf die andere Seite zu gelangen und dort Anschluß zu finden?« antwortete Reynolds mit einer Gegenfrage. »Ja, das meine ich.« »Ich denke schon, daß ich dir helfen kann. Aber ob du willst, mußt du schon selbst wissen.« »Ich müßte es mir noch überlegen«, wich ich aus. »Nicht sehr lange.« »Also gut.« Reynolds stand auf, ließ die dünne Zigarre fallen und zertrat sie. »Ich bin noch bis Mitternacht in der Stadt. Wenn du bis dahin zu einem Entschluß gelangt sein solltest, dann triffst du mich am südlichen Ende der Stadt.« Reynolds zeigte zu einem hohen Lagerschuppen, der ungefähr zweihundert Yard entfernt war. »Dort.« »In Ordnung, Tex.« »Keine Ursache, mein Junge. Und denke daran, im Süden ist der Mensch noch Individualist. Im Norden soll er eine bloße Nummer werden, nicht mehr als ein Neger oder eine stinkende Rothaut. So sieht das nämlich in Wahrheit aus.« »Daran hatte ich auch denken müssen.« Ich schob Shita zur Seite und erhob mich. Der Hund sprang sofort auf. Tex Reynolds gab mir die Hand. Er hatte eine harte, fest zugreifende Hand, die ganz zu dem rauhen Burschen paßte. Dann wandte er sich ab und ging ohne ein weiteres Wort um den Schuppen herum. Ich blieb noch stehen, bis das Knirschen des Sandes verklungen war. Danach schlenderte ich zum nächsten Schuppen, gefolgt von Shita wie von einem Schatten. Ich hatte nach meinem Hengst sehen wollen, weil ich ein wenig befürchtete, daß der rigorose Stallmann ihn einfach ausquartieren könnte. Als ich jedoch in den Hof des Stallgeländes blicken konnte, standen dort ein paar Offiziere aus dem Camp, und eine Eskadron hielt auf den Pferden sitzend am Tor, ein Mann mit Trompete und ein
anderer mit einer Fahne. General Smith war unter den Offizieren. Der General reichte gerade einem Captain die Hand und sagte so laut, daß ich es verstand: »Ich hoffe, Sie haben auf Ihrem neuen Posten keine Schwierigkeiten, Mister Gatsby.« »Das hoffe ich auch, Sir«, erwiderte der Captain. Ich war in der Deckung des Schuppens stehengeblieben und hatte Shita durch ein Zischen veranlaßt, seine Neugierde zu bändigen, so daß er nur den Kopf neben meinem Bein sehen ließ. Der hochgewachsene, steif wirkende Captain schwang sich in den Sattel eines großen Rapphengstes und ritt zu der wartenden Eskadron hinaus. Er winkte dem Sergeanten und ritt vorbei. »Eskadron marsch!« befahl der Sergeant. Der Reitertrupp setzte sich in Bewegung und verschwand. »Tut mir leid, daß ich Captain Gatsby auf diesen neuen Posten abkommandieren mußte«, erklärte General Smith. »Er ist ein fähiger Offizier, und wir werden ihn in unserem Stab vermissen.« »Ganz gewiß, Sir.« Ein junger Lieutenant deutete eine Verbeugung an. Die übrigen Offiziere nickten. General Smith winkte ihnen, und sie verließen gemeinsam den Hof. Ich schaute ihnen nach, bis sie weg waren. Dann blickte ich in den Stall und sah den braunen Hengst noch in seiner Box stehen. Meine Sorge war überflüssig gewesen. Der Stallmann hatte es nicht gewagt, mein Pferd aus dem Stall zu schaffen. Ich wandte mich um und lief mit Shita zu dem anderen Schuppen zurück, an dem ich Tex Reynolds noch einmal getroffen hatte. Bei dem Gedanken an ihn mußte ich lächeln. Alles lief bestens. Viel besser, als ich jemals gewagt hätte, anzunehmen. So setzte ich mich auf den Boden, lehnte den Rücken gegen die warme Schuppenwand und streckte die Beine aus. Ich hatte noch viel Zeit, bis ich die anderen treffen und danach Tex Reynolds die Entscheidung mitteilen mußte, die schon lange feststand. Er durfte nur so schnell nicht wissen, was ich wollte, damit er nicht mißtrauisch wurde.
5.
Es war dunkel geworden. Die aus dem Militärcamp in die Stadt herüberschallenden Geräusche wurden allmählich schwächer. Auf den Straßen bewegten sich weniger Menschen als am Tage. Ich schlich mit Shita hinter den Häusern vorbei zur Nordseite von Ripley und geriet an einen mit Gerümpel bedeckten Platzt. Zerschlagene Kisten, faulende, nasse Kartons, Fässer, alte Säcke und Körbe lagen zwischen Müll, Blechtrommeln und weggeworfenen, zerfetzten Kleidungsstücken. Hinter dem langen, wüsten Haufen war das Dach einer Scheune zu sehen, die krumm stand und dem Verfall nahe schien. Zuerst warf ich noch einen Blick hinter mich. Als ich jedoch keinen Verfolger bemerkte, ging ich weiter und stieg durch den Unrat der Scheune entgegen. Shita sprang mir leichtfüßig nach. An der Tür der Scheune stehend blickte ich zurück. Die Dunkelheit war noch nicht so intensiv, daß ich die Häuser hinter dem Abfall nicht mehr gesehen hätte. Es schien nicht, als wäre mir jemand gefolgt. Ich schlug in kurzen Abständen viermal hart gegen die Tür und wartete ein paar Sekunden. Dann schlug ich noch zweimal ans Holz. Da war in der Scheune ein Geräusch zu hören. Shita knurrte. »Still!« stieß ich hervor. Hinter der Tür waren sich nähernde Schritte zu hören, die jäh verklangen. »Ich bin es, Ronco«, sagte ich gegen das Holz. Da scharrte etwas über das Holz, und die Tür öffnete sich mit einem lauten Knarren. Ein großer, muskulöser Neger stand im Dunkel und grinste mich aus großen, runden Augen an. »Tritt ein, es sind alle da, Ronco.« Ich trat über die Schwelle, und Shita folgte mir lautlos. Der Neger schob die windschiefe Scheunentür zu und verriegelte sie. »Es ist alles in Ordnung«, sagte der schwarze Mann, der Noah Helmers hieß und mir kein Fremder war. Daraufhin öffnete sich weiter oben, scheinbar schon an der Decke, eine andere Tür, und Lichtschein fiel eine wurmstichige Stiege
herunter. Oben stand ein zweiter Neger an der Tür, kaum kleiner als Helmers hinter mir. »Er ist es«, sagte Noah Helmers. »Komm herauf, Ronco!« rief der andere Neger, der Moos Olden hieß. Ich stieg die knarrende und schwankende Treppe hinauf und zwängte mich an dem stämmigen Schwarzen vorbei. In dem kleinen Dachraum, der rundherum mit Decken behängte Wände hatte, durch die kein Lichtschimmer nach draußen drang, saßen noch zwei Männer hinter der auf dem Tisch stehenden Lampe. Es waren Hank Capson, ein städtisch gekleideter Pinkerton-Agent und Hugh Gibson, der ehemalige Major, der mich angrinste, als wäre zwischen uns niemals auch nur ein einziges böses Wort gewechselt worden. Noah Helmers kam herauf und schloß den Raum der Kammer auf dem Heuboden, in der man das Schwanken der ganzen Scheune bei jeder Bewegung bemerkte. Es knarrte im Holz und der Boden bewegte sich, und außerdem hing Staub in der Luft. Rund um den kleinen Tisch standen rohe Holzbänke. Ich setzte mich und rief Shita zu mir, der Gibson anknurrte. »Das hat er sich beinahe zu gut gemerkt, was?« Gibson grinste breiter. »Und richtig zugebissen hat er auch, zur Hölle!« »Ach, Unsinn«, schwächte ich ab. »Er hatte ja noch nicht mal den Ärmel ganz in der Schnauze.« Ich lächelte Gibson nun ebenfalls an. »Das ist den Spitzeln eingegangen wie guter Whisky, was?« »Und ob!« Hugh Gibson lachte schallend. »Nicht so laut!« mahnte der Pinkerton-Agent. »Hast du diesen Reynolds getroffen?« fragte Gibson. »Ja.« »Ich auch.« »Du auch?« Ich war überrascht. »Mann, ist der tüchtig und schnell!« »Kann man wohl sagen. Der will uns beide zu den Konföderierten schaffen, Ronco.« »Dann hatten wir ja schnell Glück. Trotzdem wundert es mich ein wenig, Hugh.« »Wieso?« Gibson kniff die Augen zusammen.
»Im Nachhinein ist mir aufgefallen, daß wir zwar gegen die Interessen der Union gearbeitet haben, aber alles andere als logisch. Reynolds wußte auch schon, daß mit den drei Wagen nichts Besonderes in die Hände der Südstaaten gefallen ist.« »Der hat nichts gemerkt. So furchtbar logisch denkt der nun auch wieder nicht.« »Genug nun«, sagte der Pinkerton-Agent barsch. »Wir sind nicht hier zusammengetroffen, um uns in Lobhudeleien zu ergehen. Wir haben den Auftrag, der Union hinter den feindlichen Linien zu dienen und damit den Krieg abzukürzen und Menschenleben zu schonen.« »Wenn es das nicht wäre, hätte ich das schändliche Spiel sowieso nicht mitgemacht«, sagte ich. »Ruhe!« sagte der Pinkerton-Agent so scharf, daß Shita in die Höhe fuhr und ihn anknurrte. »Platz, Shita!« Der Hund gehorchte. »Setzt euch.« Hank Capson, der Agent, winkte den beiden großen Negern. Sie nahmen auf der Bank neben der Tür Platz und grinsten mich so wie Gibson an. Es war ein großangelegtes, abgekartertes Spiel, in das sogar die wenig wertvolle Ladung auf den drei Wagen gehörte, die wir den Konföderierten scheinbar aus reiner Dummheit hatten in die Hände fallen lassen. Nur der Tod des Fahrers Rip Hiller hatte nicht in den Plan gehört. Aber es starben jeden Tag ein paar tausend Mann unserer Armee, und so war der Generalstabsplan bewußt mit Risiken verbunden gewesen. Allerdings verhielt es sich so, daß nur eine Handvoll Offiziere um General Smith wußte, was wirklich gespielt wurde. Für alle anderen waren wir Feinde der Union, und sie würden uns abknallen, wenn sie uns in Einheiten der Konföderierten antrafen. Auch die beiden Neger waren ehemalige Soldaten. Hank Capson, der Mann der Pinkerton-Agentur, drehte den Docht der auf dem Tisch stehenden Lampe höher, und es wurde etwas heller in der Dachkammer. Die Pinkerton-Agentur hatte für unsere Unionsarmee den Geheimdienst übernommen und darauf gedrungen,
auf diese Art in Erfahrung zu bringen, was der Gegner unternehmen wollte, um seine in Tennessee eingeschlossenen und von der Vernichtung bedrohten Einheiten zu retten. Wir sollten das herausfinden und melden, damit die Pläne der Südstaaten vereitelt und der Krieg vielleicht in ganz kurzer Zeit zu unseren Gunsten entschieden werden konnte. »Unser Plan hat alles in allem vorzüglich geklappt«, erklärte der Agent. »Mit einer so schnellen Reaktion des Gegners hatte ich nicht gerechnet. Wichtigster Punkt ist nun, daß ihr beide ohne jedes Aufsehen in die Streitkräfte des Südens aufgenommen werdet und bei den Truppen des General Bragg landet, dem auch General Jubal Early untersteht. Von diesem Kommando aus wird der Einbruch nach Tennessee vorbereitet. Es kann sich um einen Versuch des Durchbruchs, vielleicht aber auch um eine Offensive handeln, die unsere hiesige Front überhaupt zerschlagen soll. Das müssen wir schnell herausfinden, Gibson.« Der ehemalige Major nickte. Capson schaute mich an. »Dich werden sie vermutlich an den Straßen zum Einsatz bringen. Bei Überfällen auf Militärtransporte, die wir durchführen.« »Ja, das hat Reynolds schon angedeutet«, erwiderte ich. »Da haben wir es. Auch über diese Guerillas brauchen wir Angaben. Versteckte Lager, Stärke, Operationsgebiete und so weiter. Ich und meine beiden Helfer werden die Informationen abholen. Außerdem sprengen wir noch ein Depot in die Luft. Sollte einer von uns auffliegen, hat der andere sich nicht darum zu kümmern. Jeder muß im Falle eines Auffliegens versuchen, über die Grenze zu gelangen und selbst seine Informationen zu General Smith zu bringen. Ist das klar?« Wir nickten alle, ohne etwas zu antworten. »Das Militärlager des Südens liegt bei Starkville«, fuhr der Agent fort. »Sollte einer von euch an einem anderen Ort landen, ist er falsch und kann gleich versuchen, wieder zu entwischen. Er könnte unserer Sache dann doch nicht nützlich werden.« Gibson und ich nickten wieder. »Helmers, Olden und ich sprengen das Versorgungsdepot in
Columbus in die Luft«, redete Capson weiter. »Dann holen wir die Informationen. Wir werden dann sehen, ob es für euch zweckmäßig ist, länger zu bleiben. Gibson, das Wichtigste für uns sind Aufmarschpläne, Truppenstärke und Bewaffnung. Anzahl der Pferde und Kanonen. Na, Sie wissen ja, auf was es ankommt.« »Ich denke schon«, erwiderte Gibson grinsend. Agent Capson schaute mich wieder an. »Du triffst dich also mit diesem Spitzel und machst noch ein paar Schlenker, bevor du einwilligst. Du weißt, was ich meine?« Ich nickte. »In Ordnung, dann ist alles geritzt, und ihr könnt verschwinden.« Ich stand auf und ging mit Shita neben mir zur Tür, die Noah Helmers öffnete. »Hals- und Beinbruch, Ronco«, sagte der Neger und spuckte mir über die Schulter. »Das hilft. Meine Ma hat es immer gesagt.« Ich kletterte die Stiege hinunter, lauschte einen Moment an der Tür der Scheune, schob den Riegel zurück, öffnete und trat hinaus. Es war inzwischen völlig finster und auch kühler geworden. Von der Stadt herüber hallte ein anhaltendes Raunen, und Lichtschein beleuchtete die Häuser. Hugh Gibson kam hinter mir aus der baufälligen, schiefstehenden Scheune. Er wollte Shita über den Kopf streichen, aber das Tier knurrte drohend. »Was hat er denn nur auf einmal gegen mich, der Köter?« sagte der ehemalige Major, von dem nur ein paar Männer wußten, daß er kein Strolch war und den Konföderierten auch keine Wagen mit Absicht hatte in die Hände spielen wollen, von dem aber alle dachten, er wäre mein ärgster Feind. »Ich habe ihn auf dich verrückt gemacht«, entgegnete ich. »Das ist aber doch nun vorbei.« »Er ist weder ein Mensch, der denken kann, noch eine Maschine, die jede Minute etwas anderes tut, wenn du sie nur umschaltest. Das würde ich mir mal merken.« »Dann eben nicht, dummer Köter«, maulte Gibson. »Bist du dir darüber klar, daß wir uns bei Reynolds treffen werden?« »Ja.«
»Dann ist es ja gut. Wir müssen dann noch Feinde sein. Weil unsere Feindschaft ja über den Krieg weit hinausreicht.« Ich deutete ein Gähnen an und sagte: »Für wie blöd hältst du mich eigentlich?« »Ist ja gut, wenn du es weißt.« Gibson lief durch die Unrathaufen und verschwand aus meinem Blickfeld. * Vom hölzernen Kirchturm hallte das Schlagen der Glocke durch die Stadt. Es war Mitternacht. Ich ging durch die dunklen, menschenleeren Gassen dem südlichen Ende der Stadt entgegen und sah im silbernen Mondlicht die Büsche hinter den letzten Lagerschuppen. Eine Wand schien in die Breite zu wachsen. Shita knurrte, wurde aber auf ein leises Zischen von mir sofort wieder still. Ich blieb stehen. »Ronco?« fragte die Gestalt am Schuppen. »Ja.« »Alles klar. Tritt näher.« Langsam ging ich weiter, sah erst einen hellen Fleck und erkannte dann, daß es Reynolds war, dessen Augen erfreut schimmerten. »Und?« »Was?« fragte ich zurück, obwohl ich wußte, was er hören wollte. »Hast du es dir überlegt?« »Ich habe lange überlegt. Aber …« Ich brach ab und hoffte, daß es in der Wirkung richtig War. »Mit Wenn und Aber geht es nicht.« »Ich weiß.« »Du mußt dich entscheiden. Was hast du hier schon noch zu erwarten, mein Junge?« »Nichts.« »Na also. Dann gibt es für dich auch nichts zu überlegen. Aber ich weiß schon, was du meinst. Wenn man jung ist und an etwas geglaubt hat, kann man sich nicht einfach umkrempeln. Da sind die Neger, die der Norden scheinbar befreien will.«
»Was heißt scheinbar?« empörte ich mich. »Na hör mal, das sieht ein Blinder, was da gespielt werden soll. Die neuen Industrieherren brauchen Arbeitskräfte. Am besten billige und willige, die es den Weißen unmöglich machen, berechtigte Forderungen durchzusetzen. Wollen die Weißen nicht, treten Schwarze an ihre Arbeitsplätze. So wollen es die Bosse. Und damit das geht, müssen die Neger sozusagen frei sein. Man könnte sie dann nicht mehr einfach kaufen, verkaufen, oder auch totschlagen, wenn's einem so in den Kopf kommt. Dabei hat das nie ein Grundbesitzer getan. Jeder ist doch froh, wenn er seine Leute hat. Aber was wird aus den Schwarzen in den großen Städten der Weißen werden? Denkst du, die Weißen werden sie wie Brüder behandeln?« »Kaum.« »Na siehst du. Und die weißen Arbeiter werden nur das Nachsehen haben. Deshalb ist die Sache des Südens eine gute Sache.« »Vielleicht hast du recht«, räumte ich noch immer scheinbar zögernd ein. »Ich habe nicht vielleicht, sondern überhaupt recht. Also, sind wir uns einig?« »Ja.« »Gut, mein Junge. Sehr gut. Das wirst du bestimmt nie bereuen.« Reynolds hielt mir die Hand hin. Ich schlug ein und wurde von dem Spitzel aus dem Süden um die Ecke des Schuppens gezogen. Auf einmal stand Gibson vor mir. Obwohl ich damit gerechnet hatte, schlug mir das Herz schneller. Ich spürte deutlich die Angst, mich zu verraten. »Verdammt, den habe ich doch schon an der Stimme erkannt!« rief Gibson. Er wollte auf mich los, aber Shita kläffte laut und sprang ihn an. Ich wurde von der Situation selbst überrascht und konnte Shita nicht zurückrufen, wenn die Empörung und der Haß echt aussehen sollten. Shita wollte Gibson an die Kehle, aber sein Sprung war zu kurz, und er rutschte ab. »Verflucht, halte die Bestie zurück!« sagte Reynolds aufgebracht.
»Shita!« rief ich, ohne meine Drohhaltung Gibson gegenüber zu verändern. Der Hund gehorchte. Gibson trat zurück und fummelte an seiner Ziviljacke herum, die er inzwischen trug. »Das ist eine Gemeinheit, daß der auf einmal hier ist«, sagte ich gepreßt. »Das müßt ihr beide versuchen, zu begreifen, zum Teufel!« ereiferte Reynolds sich. »Es geht doch um eine größere Sache und nicht um eure kleinkarierten Streitigkeiten.« »Kleinkariert?« fragte ich schroff. »Du hast vielleicht Nerven, Tex! Der Hund hat mich auf den Tod beleidigt. Denn bringe ich um!« Ich warf mich nun meinerseits an Reynolds vorbei auf Gibson, aber der versetzte mir einen Hieb, daß ich gegen die Bretter der Wand knallte. Shita sprang Gibson mit einem wütenden Knurren an, aber der Mann konnte ihn rechts und links des Halses am struppigen Fell packen und festhalten. »Schluß jetzt!« befahl Tex Reynolds aufgebracht. »Das ist mir wirklich zu verrückt! Wir leben mitten im Krieg, und jeden Tag sterben ein Haufen Männer. Und ihr prügelt euch wegen der blöden drei Wagen herum, die zu holen kaum den Einsatz gelohnt hat.« Ich stemmte mich noch grimmig fluchend von der Wand ab und befahl dem Hund, zu mir zu treten. Gibson ließ Shita los, und das Tier gehorchte mit gesträubtem Nackenhaar. »Ihr müßt schon miteinander auskommen«, sagte Tex Reynolds. »Wenigstens bis wir im Militärlager der Konföderierten sind. Dann seht ihr euch sowieso kaum.« »Das hättest du aber ruhig vorher sagen können«, sagte ich in einem Ton, der schon halbwegs beruhigt klingen sollte. »Das finde ich auch«, stimmte Gibson zu, der mich noch immer mit haßglühenden Blicken bedachte. »Wo hast du dein Pferd?« fragte Reynolds mich. »Im Mietstall.« Ich blickte umher und sah die beiden Pferde der anderen an einem Busch, der am Ende des Schuppenschattens im silbernen Mondlichtstand.
»Konntest du es nicht mitbringen?« »Wollen wir denn gleich reiten?« fragte ich verblüfft. »Was dachtest du denn?« fauchte Reynolds mich an. »Ich dachte, du wolltest erst mal wissen, ob ich überhaupt mitmachen will.« »Na ja, das auch«, gab Reynolds zu. »Aber wenn du schon mitmachen willst, dann gleich. Ich habe dir doch gesagt, daß ich die Stadt um Mitternacht verlasse.« »Also dann hole ich das Pferd jetzt.« Ich blickte auf Gibson und fluchte gerade noch so laut, daß Reynolds es nicht überhören konnte. »Muß er wirklich mit uns reiten?« »Ja, er muß.« Ich schüttelte den Kopf. »Wenn du dich noch lange zierst, muß ich mit ihm allein verschwinden, Ronco.« »Also gut. Aber nur, weil es um eine größere Sache geht. Und es ist deswegen nichts vergessen, Gibson!« »Du kannst dich darauf verlassen, daß ich immer daran denken werde, du Hundesohn«, erwiderte Gibson wutschnaubend. »Solange ich lebe, mein Junge. Und irgendwann treffen wir uns, und ich mache dir den Garaus. Das schwöre ich dir.« »Schluß jetzt, verdammt!« stieß Tex Reynolds hervor. Er sah auf einmal aus, als würde er selbst bezweifeln, Gibson und mich gemeinsam ins Lager des Feindes bringen zu können. Da wir das Spiel nicht soweit treiben durften, ging ich an der Wand des Schuppens entlang zurück. »Also ich hole das Pferd jetzt.« »Beeil dich, wir wollen uns nicht die Beine in den Bauch stehen und noch von einer Militärstreife erwischt werden.« »Es dauert nur einen Moment. Los, Shita.« Der Hund sprang auf, und ich verschwand mit ihm hinter der Ecke und lief rasch zum Mietstall. Es war dunkel in dem Holzgebäude, aber die Tür war nur angelehnt. Ich zog sie auf, roch die Pferde und spürte die Wärme, die von den Tieren kam. Ein Gewehr wurde gespannt und die keifende Stimme des Stallmanns fragte: »Wer ist da, mitten in der Nacht?«
»Ich bin's, Ronco.« »Schon wieder dieser Verräter. Was willst du mitten in der Nacht, du Halunke?« »Nur mein Pferd holen.« »Tritt herein und brenn die Lampe an. Aber Vorsicht, Höllenhund, mein Gewehr geht los, wenn mir was nicht gefällt.« »Ich will doch wirklich nur mein Pferd holen.« Vorsichtig trat ich in den Stall und suchte in meinen Taschen nach Schwefelhölzern. Zum Glück besaß ich wirklich noch welche und konnte eins an der Wand anreißen. Im aufzuckenden Licht sah ich den Mann an der Futterkiste, der das Gewehr auf mich richtete und den Zeigefinger am Abzug hatte. Die Pferde schnaubten und schauten mich mit großen, ängstlichen Augen an. Ich hielt die Flamme an den Lampendocht. Die Schatten wurden schwächer und das Licht heller. Der Stallmann senkte das Gewehr. »Sattle deinen Gaul und verschwinde. Und laß dich hier nicht mehr sehen! Hast du verstanden?« »Es war ja laut genug.« Ich ging zu meinem braunen Hengst, tätschelte ihm die Hinterhand und legte ihm den Sattel auf. »Mitten in der Nacht. So was kann ich leiden!« Fluchend stellte der Stallmann sein Gewehr in die Ecke. Ein kleines bißchen bereute ich es, mich auf dieses teuflische Spiel eingelassen zu haben. Für alle waren wir Schweinehunde, Gibson und ich. Und wenn wir großes Pech hatten, würden uns eines Tages vielleicht die eigenen Leute abknallen. Ich löste die Kette vom Kopfgeschirr und führte das Pferd aus der Box und hinaus in den dunklen Hof. Der Stallmann folgte mir, hängte die Lampe ab und hielt sie über den Kopf, um nicht selbst geblendet zu werden. »Schon gut, ich kann sehen, wohin ich reite«, sagte ich unfreundlich und trieb das Pferd an. Shita lief neben dem Braunen her, und wir verließen den Lichtkreis der Lampe. Hinter uns hieb der Stallmann die Tür zu. Ich ritt hinter den Häusern, Unrathaufen und Lagerschuppen vorbei und sah die Wartenden bald vor mir.
»Das hat ja ewig gedauert«, sagte Reynolds, der genau wie Gibson bereits im Sattel saß. »Wenn ich dir zu langsam bin, kann ich ja nach Norden reiten«, gab ich heftig zurück. »Nun hör schon auf. Los, vorwärts!« Tex Reynolds winkte mir und trieb sein Pferd an. Ich blieb auf seiner rechten Seite, weil Hugh Gibson links von ihm ritt. Wir vermieden es, uns Blicke zuzuwerfen. »Nicht zu schnell!« mahnte Reynolds, weil ich etwas voraus war. »Und die Augen offenhalten, damit wir den Yankees nicht in die Arme reiten. Die haben doch ihre Nase überall.« Gibson und ich zogen die Gewehre aus den Sattelschuhen und spähten vor uns wie Reynolds in die Nacht. Aber im Gegensatz zu dem Spitzel wußten wir, daß in dieser Nacht keine Wachen im Süden der Stadt und des Lagers zu sehen sein würden.
6. Jäh zügelte ich mein Pferd, als vor uns in der Nacht Gestalten schemenhaft auftauchten. Shita schlug an. »Nicht schießen!« rief Reynolds gepreßt. »Der Köter soll das Maul halten!« »Shita, still!« befahl ich, den Blick noch auf die Reiter gerichtet, die so überraschend vor uns aufgetaucht waren. Es mochten ein halbes Dutzend Männer sein. »Was hat das zu bedeuten, Tex?« fragte Gibson. »Was sind denn das für Kerle?« »Freunde von mir.« »Was?« Gibson starrte den Spitzel an. Reynolds grinste. »Die habe ich hierher bestellt.« Ich mußte mich nach der Seite beugen, um das Gesicht des Schnurrbärtigen genauer zu erkennen. »Und warum, wenn man danach fragen darf?« »Wir haben noch etwas Besonderes vor. Das heißt, wir werden auf unserem Ritt nach Süden etwas mitnehmen.«
»Was?« Gibson drängte sein Pferd näher an Reynolds heran. »Pferde. Eine ganze Herde, die nicht sehr weit entfernt in einem Korral steht und die der Nordarmee gehört.« »Wie interessant«, sagte ich. »Du weißt, welche Pferde ich meine?« »Ja. Es sind nur ein rundes Dutzend Stück und vier Wächter am Korral. Das lohnt sich doch kaum.« »Es ist vielleicht eine Probe für uns, wie?« fragte Hugh Gibson gedehnt. »Ob wir auch wirklich echt sind?« »Erraten«, erwiderte der Spitzel. »He, Zane, reitet näher!« Die Gestalten in der Nacht näherten sich. Shita knurrte wieder und mußte von mir ermahnt werden, Ruhe zu geben. »Also, das sind die beiden«, erklärte Reynolds. Er nannte die Namen der sechs Männer, aber ich gab mir keine Mühe, sie zu behalten. Gibson schaute zurück. »Wollen wir nicht noch etwas wegreiten? Wir haben uns erst eine Meile von der Stadt entfernt.« »In Ordnung. Los, Leute, noch ein Stück nach Süden, damit wir alles ungestört besprechen können.« Die sechs Agenten wendeten ihre Pferde und wir ritten alle gemeinsam weiter. Shita strich hinter meinem Hengst her. Gibson blieb weit von mir entfernt. Das Gelände senkte sich, und wir ritten durch Buschwerk und einen Creek. Unter ein paar hohen Buchen befahl Reynolds anzuhalten und abzusitzen. »Wenn wir die Pferde schon mitnehmen müssen, warum dann nicht gleich?« fragte Gibson. »Wir warten noch eine Stunde oder zwei.« Reynolds stieg ab. »Los, herunter von den Gäulen.« Wir gehorchten alle und bildeten zwischen den Tieren einen Kreis. Shita drängte sich neben mich. »In zwei Stunden werden die Wachen müder sein als jetzt«, erklärte Reynolds. »Dann haben wir es viel leichter. Wir werden versuchen, sie ohne Lärm zu überwinden.« »Das ist richtig«, stimmte Gibson sofort zu. »Der Scout zeigt den Weg«, sprach Reynolds weiter. »Nur, wenn
die ganze Geschichte ohne Lärm abgeht, haben wir eine Chance, mit den Pferden zu entwischen. Setzen wir uns. Zane, Ol, ihr übernehmt die Wache. Haltet die Augen offen.« Zwei Mann waren bei den Pferden geblieben. Ich schlich am Zaun entlang, den Revolver in der Hand. Hinter mir war Gibson, und an der hinteren Ecke des Korrals war Reynolds zurückgeblieben. Als ich den Wächter undeutlich erkannte, hielt ich an. Gibson prallte gegen mich. »Sauerei«, flüsterte Hugh Gibson mir zu. »Ja.« »Aber nicht zu ändern, zum Teufel. Hoffentlich wird keiner der Wächter umgebracht. Es ist eine ziemlich spektakuläre Sache.« »Wegen der Handvoll Pferde?« fragte ich. »Es ist doch nicht wichtig, wie viele es sind, sondern wie nahe wir uns am Militärcamp befinden. Siehst du da drüben das Licht? Das ist das Camp.« »Weiß ich auch.« Ich schlich weiter. Der Posten kehrte mir den Rücken zu und schien absolut arglos zu sein. Sie fühlten sich sicher in diesem Lager, so wie auch ich mich sicher hier gefühlt hatte. Dabei waren viel mehr Spitzel in der Nähe, als wir uns in unseren kühnsten Träumen je vorgestellt hätten. Ich war schon dicht an den Posten herangekommen, als meine Jacke an einem Brett des Zaunes entlangstrich, ein Faden hängenblieb und ein Geräusch zu hören war. Der Wächter fuhr herum und wollte das Gewehr anschlagen, noch bevor er mich gesehen hatte. Aber ich war schneller, sprang ihn an und schlug mit dem Revolver zu. Der Soldat taumelte zurück und brach zusammen, ohne einen Ton Von sich gegeben zu haben. »Bravo, du eignest dich bestens zum Rebellen«, sagte Gibson. Ich hastete um die Ecke und sah von der anderen Seite die neuen Kumpanen heranlaufen. »Alles klar?« rief Zane. »Ja, alles gelaufen.« »In Ordnung. Da, ein Lasso!« Zane warf mir das Lasso zu. Gibson bekam von einem anderen der Kerle eine Fangleine. Wir
hängten die Fenz aus und warfen sie um. Die Pferde im Korral schnaubten und drängten rückwärts. Wir lockten und warfen die Lassos, sobald wir nahe genug herangelangt waren. Ein Pferd wieherte, stieg auf die Hinterhand und warf sich herum. Es sprengte von den Flüchen der Rebellen verfolgt durch die Umzäunung. Am offenen Tor langten Reynolds und der Rest seines Haufens mit unseren Pferden an. »Beeilung!« zischte der Schnurrbärtige. »Das Pferd hat man bis zum Camp hören können.« Ich hatte ein Pferd am Lasso, lief damit zum Tor, gab Reynolds die Schnur und ließ mir eine andere geben. Noch während ich sie zurechtlegte und die anderen zum Tor drängten, folgte ich dem Pferd ins Dunkel. Es war ein Rappe, der jäh vor mir auftauchte, stoppte und in die Höhe stieg. Das schrille Wiehern hallte in die Nacht. Über mir wirbelten die Hufe und stießen klirrend zusammen. »Scout, schneller!« befahl Reynolds. Draußen sprang zu allem Überfluß der Wächter auf, der wieder zu sich gekommen war. Er rannte in das Dunkel und feuerte aus seinem Revolver. Eine Kugel pfiff über den Korral. »Überfall!« brüllte der Posten. Die Guerillas schossen auf ihn, aber die Nacht hatte ihn schon verschluckt. Ich war zurückgesprungen und warf die Schlinge des Lassos, weil das Pferd gerade mit den Vorderhufen auf den Boden fiel. Ich hatte Glück und traf richtig, und bevor der Rappe wieder aufsteigen konnte, riß ich ihm den Kopf herunter und zog ihn mit Gewalt aus dem Korral. Der entflohene Wächter rannte noch immer schießend auf das Camp zu und brüllte immer wieder, daß das Camp überfallen würde. Da fielen auch am Camp die ersten Schüsse, und das Pfeifen der Kugeln erfüllte die Luft. Wir hatten alle Pferde außerhalb des Korrals, schwangen uns auf unsere Tiere und nahmen die erbeuteten mit. Reynolds lachte aufgekratzt und rief: »Diesen idiotischen Yankees haben wir es gezeigt, was, Ronco?«
»Und wie!« schrie ich zurück, um lauter zu sein als das Dröhnen der Hufe, das den Boden beben ließ. Hinter uns schossen die inzwischen verstärkten Wachen her, als hätten sie zuviel Munition. Und ich begriff langsam, was es hieß, sich zu einem Himmelfahrtskommando geschlagen zu haben. Denn etwas anderes war unser Haufen nicht, und für etwas anderes wollte mich Tex Reynolds nach seinem eigenen Bekunden auch nicht haben. Wir waren schon fast aus dem Bereich heraus, den die Unionssoldaten mit ihren Kugeln erreichen konnten, da wurde der Rappe getroffen, den ich am Lasso hatte. Das Pferd wieherte und machte einen bockenden Satz. Es prallte gegen meinen Braunen und brach zusammen. Ich ließ das Lasso fahren. Shita war zurückgeblieben und setzte im Sprung über das verendende Tier hinweg. Hinter uns brach das Knattern der Schüsse ab. Nach einer knappen Viertelstunde ließ Reynolds anhalten. Ferner Hufschlag hallte durch die Dunkelheit. »Die verfolgen uns«, flüsterte Zane. Reynolds grinste scharf und triumphierend. »Wir halten uns etwas nach Osten und verschwinden in einem Wald, den wir bald erreichen werden. Die kriegen uns nicht, diese Schlafmützen.« Wir sprengten mit den erbeuteten Pferden weiter durch die Nacht, dem Lager der Konföderierten bei Starkville entgegen, das wir in einigen Tagen erreichen mußten. * General Arthur J. Smith stand unter seinen Stabsoffizieren vor seinem Quartier und schaute hinüber zu den müden und verstaubten Reitern, die eben zurückgekehrt waren. Ein junger Captain meldete, daß die Suche nach den entflohenen Guerillas erfolglos verlaufen wäre. General Smith nickte. »So etwas darf einfach nicht passieren!« ereiferte sich ein Lieutenant. »Wohin wollen wir denn mit der Moral unserer Truppe
kommen, wenn uns diese Sklavenhalter unter den Augen die Pferde stehlen können!« »Aber es waren ja nur ein paar Tiere«, schwächte der General ab. »Es geht bei uns nicht um die Menge, Sir«, erwiderte der Lieutenant. »Es geht um die spektakuläre Tat selbst. Unsere Truppe wird von solchen tolldreisten Zwischenfällen demoralisiert.« »Das muß ich zugeben, Mister Harris«, erwiderte der General. »Lassen Sie die Wachen verstärken und schärfen Sie den Soldaten ein, daß sie mehr tun müssen, als nur die Augen offenhalten, wenn wir den Feind besiegen wollen.« »Zum Befehl, Sir!« Der Lieutenant knallte die Hacken zusammen, blieb aber stehen. »Ist noch etwas?« fragte General Smith. »Dieser Ronco ist unter den Halunken zweifelsfrei erkannt worden, Sir.« »So?« General Smith hob die Brauen an. »Zweifelsfrei, Sir. Und Gibson auch. Wie konnte es nur geschehen, daß zwei so fanatisch an die Freiheit glaubende Nordstaatler ihre Hand den Slaventreibern leihen?« »Das verstehe ich auch nicht, Mister Harris.« Betrübt schüttelte der General den Kopf und wandte sich ab. An der Tür seines Quartiers stand Lieutenant-General O'Hara, der mit Mühe ein Lächeln unterdrückte. General Smith kniff ein Auge zu, stieg zur Veranda hinauf und ging an dem Adjutanten vorbei ins Haus.
7. Wir waren drei Tage geritten, bis wir endlich das Lager der Konföderierten nahe der Stadt Starkville erreichten. Es unterschied sich von unserem Camp nur dadurch, daß es mehr Bretterbuden als Zelte gab und daß die Soldaten helle Uniformen und Hüte mit Kokarden trugen, auf denen keine gekreuzten Schwerter, sondern die Aufschrift: »CSA« zu lesen stand. Wir ritten durch ein Spalier zu einem großen Blockhaus, vor dem ein Ein-Stern-General, auf den Zehen wippend und eine Hand wie Napoleon in die Jacke geklemmt,
auf uns wartete. Als wir angehalten hatten, machte Reynolds Meldung. Er war der Chef aller Guerillas-Einheiten in diesem Militärabschnitt, was wir bereits unterwegs erfahren hatten. Ich war ein wenig verwundert über seine Dreistigkeit, sich selbst nach Ripley zu wagen und quasi vor dem Zaun unseres Unionscamps Pferde zu stehlen, was ja nicht ohne Risiko gewesen war. Der General blickte auf uns, und Reynolds erklärte, daß er uns bewogen habe, überzulaufen, nachdem wir von den Yankees verurteilt worden waren. »Das will ich genauer wissen«, sagte der finster wirkende General, der unangenehm stechende Fischaugen hatte. »Sergeant Roberts, kümmern Sie sich um diese beide Männer«, befahl Reynolds einem Mann aus seinem Haufen, der sich in nichts von den anderen oder uns unterschied. Wir waren alle Zivilisten, aber bis an die Zähne bewaffnet. »Zu Befehl, Sir!« Der Sergeant nickte Reynolds zu und winkte uns. Er lenkte sein Pferd weiter. Wir ritten hinter ihm her zu einer großen Halle, die offenstand und in der wir viele Pferde sahen. Reynolds war abgestiegen und folgte dem General in das Blockhaus. Wir brachten die erbeuteten und unsere eigenen Pferde in den Stall und wurden dann in ein Zelt geführt. Zwei der Guerillas blieben wie Wachen bei uns. Inzwischen saß Reynolds dem General an dessen riesenhaften Schreibtisch gegenüber und rauchte eine dicke Brasil seines Gönners, und er erzählte, was sich in Ripley zugetragen hatte. Aber erst seine Schilderung des Pferderaubes zerstreute die Zweifel des Generals. Reynolds lobte meine Fähigkeiten als Scout und Kenner von Wegen auch von geheimen Pisten, von Bewaffnungen der Transportbegleiter, der Mannschaftsstärken und was ich sonst von der Union in Mississippi und Tennessee wußte. Sodann kam er auf Gibson zu sprechen, den er ebenfalls sehr lobte und von dem er zu berichten wußte, daß er Smiths ganzen Generalstab kannte, Aufmarschpläne der Union, geheime Vorhaben,
Nachschubmöglichkeiten in den nächsten Wochen und Monaten und alles, was sonst noch von Interesse sein konnte, wenn man nach Tennessee eindringen und den Eingeschlossenen Entsatz bringen wollte. Der General hatte sich zurückgelegt und paffte, bis sein Körper in einer Wolke zu schweben schien. »Sehr gut, Reynolds, sehr gut!« lobte er. Tex Reynolds grinste geschmeichelt und klemmte die Brasil zwischen die Lippen. Er zwirbelte seinen Schnurrbart und streckte die Beine aus. »Allerdings gibt es noch ein Problem, Sir.« »Was für ein Problem?« Erstaunt hob der General die Brauen. »Nur ein ganz winziges. Als Folge der Ereignisse sind sich die beiden spinnefeind geworden, Sir. Man müßte sie trennen, damit nicht ein Unglück geschieht. Ich würde Sie deshalb bitten, den ehemaligen Scout mir für meine Einheit zu überlassen. Er ist ein guter Wegsucher und hat einen Hund, der Spuren finden kann. Den ehemaligen Major zieht es sicher eher in den direkten Militärdienst. Ich nehme an, er würde gern wieder Major sein.« »Das sind doch keine Probleme«, sagte der General zufrieden. »Den ehemaligen Major schicken Sie dann zu mir, Reynolds. Und den anderen können Sie gleich mitnehmen. Ich habe schon einen neuen Auftrag für Sie.« »Ich dachte …« Der General wischte ärgerlich durch die Hand. »Überlassen Sie das Denken mir, Reynolds.!« »Zu Befehl, Sir.« Reynolds stand auf, nahm Haltung an und die Zigarre aus dem Mund. »Ein Verpflegungstransport der Union ist auf dem Wege nach Ripley. Und zwar mit Planwagen von Osten anfahrend.« »Wieso benutzen die Yankees nicht die Eisenbahn?« fragte Reynolds. »Was weiß ich. Der Transport, den Sie abfingen, hat auch einen anderen Weg als die Eisenbahn genommen und wurde mit Planwagen durchgeführt. Die Yankees haben auf der Schiene nur die Verbindung nach Norden, und die schneiden wir ihnen auch noch ab. Unsere Offiziere bereiten schon die Mannschaften auf die Offensive
vor. Schicken Sie diesen Hugh Gibson dann zu mir.« »Zu Befehl, Sir.« * »Der General heißt Jubal Early«, erklärte der Sergeant. »Aha.« Ich nickte und blickte Gibson an, der so weit wie nur möglich von mir entfernt im Zelt saß. Shita lag neben mir auf dem Boden, und ich kraulte ihm das struppige Fell. Draußen waren Schritte zu hören. Die Plane wurde zurückgeschlagen, und Tex Reynolds kam mit der dicken Brasil zwischen den Zähnen herein. Er ließ sich nieder und nahm eine Flasche mit Whisky und Sodawasser entgegen, so wie jeder andere von uns eine erhalten hatte. »Das Essen gibt es in einer halben Stunde«, erklärte der Sergeant. Reynolds nickte und trank. »Sie sollen General Early aufsuchen, Gibson. Ich glaube, er ist bereit, Ihnen Ihren Lieblingswunsch zu erfüllen.« »Kennen Sie meinen Lieblingswunsch?« fragte Hugh Gibson mit einer steilen Falte auf der Stirn. Reynolds grinste, paffte und nickte. »Ich denke schon«, erklärte er, ohne die wippende Zigarre aus dem Mund zu nehmen. »Sie möchten wieder Offizier werden.« »Donnerwetter, Sie sind Hellseher!« »Es wird wahrscheinlich nicht von einem Tag auf den anderen gehen, aber lange dauert es bestimmt nicht.« Hugh Gibson stand auf, ging zum Eingang des Zeltes und schlug die Plane zurück. »Und noch etwas!« Gibson blieb stehen und blickte über die Schulter. »Ihr werdet in dieser Minute vom Anblick des anderen befreit«, fuhr Reynolds fort. Der Blick des Guerillaführers war plötzlich wieder scharf und forschend geworden. »Was heißt das?« fragte ich. »Gibson kommt nicht hierher zurück. Er bleibt drüben bei den
Offizieren. Wir siedeln nach dem Essen in mein Camp über.« »Wo ist denn dein Camp?« fragte ich verwundert. »Gleich neben an. Aber jedenfalls außerhalb des regulären Armeelagers. Na, nun habt ihr Frieden voreinander.« Ich warf Gibson einen letzten Blick zu und tat, als wäre ich froh, ihn in Zukunft nicht mehr sehen zu müssen. Zugleich wußte ich, daß nun jeder von uns auf sich ganz allein gestellt inmitten Tausender von gnadenlosen Gegnern leben mußte. »Wir treffen uns schon«, murmelte Gibson gehässig. »Und dann Gnade dir Gott, Halunke.« Er trat hinaus und ließ die Zeltbahn fallen. Reynolds schüttelte grinsend den Kopf. * »Ja, Sir, vielleicht sind wir beide ungerecht behandelt worden, der Scout und ich«, sagte Gibson, der vor dem großen Schreibtisch in dem gleichen Sessel saß, den Reynolds innehatte. Nur eine dicke Zigarre hatte der Ein-Stern-General Early dem ehemaligen Major nicht gegeben. »Wie meinen Sie das, Mister Gibson?« »Ich meine, Sir, daß Ihre Leute sich ausgezeichnet versteckt und getarnt hatten, so daß wir sie gar nicht früher entdecken konnten, als sie es wollten und uns beschossen.« Der General lächelte geschmeichelt, klappte das Kästchen mit den schwarzen Zigarren nun doch auf, drehte es herum und schob es Hugh Gibson hinüber. Der ehemalige Major bediente sich. »Das ist im Norden so. Vielleicht hatte man ganz andere Gründe, Sie über die Klinge springen zu lassen, Major. Man weiß das ja nie bei dieser Vetternwirtschaft, die die Yankees betreiben.« »Ja, Sir, daran mußte ich auch schon denken. Vielleicht hat man uns extra in dieses Gebiet geschickt, in dem Ihre Leute operierten. Ich hatte ein paar Pläne entwickelt …« »Pläne?« Der General beugte sich vor. »Ja, Sir.« »Wofür?«
»Ich wollte in einem Keil durch ganz Mississippi vorstoßen« log Gibson. »Dann wollte ich dieses Camp hier von Westen her umgehen und von Süden angreifen.« »Das müssen Sie mir noch näher erläutern, Mister Gibson.« »Aber mit dem größten Vergnügen, Sir. Jedenfalls fand mein Plan keine Gnade. Dabei wäre er relativ leicht durchführbar gewesen, denn wir hatten ermittelt, daß westlich des Stroms so gut wie keine Truppen von Ihnen stehen.« »Das stimmt in der Tat!« Gibson paffte an seiner Zigarre und lächelte über den Eifer, mit dem der General Dinge aufnahm, die beinahe jedes Kind in Ripley gewußt hatte und die absolut niemand als ein Geheimnis einstufte. »Sie erhalten ein Zelt im Offiziersbereich zugewiesen, Mister Gibson. Und natürlich wohnen Sie darin allein. Über alles weitere unterhalten wir uns morgen, wenn Sie etwas ausgeruht sind. Mister Reynolds sagte, Sie hätten sich mit Ihrem ehemaligen Scout sehr überwerfen?« »In der ersten Aufregung hätte ich ihn umbringen können, Sir, um ganz ehrlich zu sein. Aber er wurde natürlich genauso überrascht wie ich. Ich sagte es schon.« »Ja, Sie sagten es, Mister Gibson.« Hugh Gibson paffte. »Natürlich werde ich immer noch fuchsteufelswild, wenn ich ihn sehe. Aber es ist eher er, der mich haßt, als umgekehrt, Sir. Wir hatten nie Gelegenheit, uns darüber auszusprechen. Über die Intrigen, meine ich, die ganz offensichtlich unbemerkt von uns gespielt wurden.« »So ist es. Sie wollen also sagen, daß er zuverlässig ist?« »Ich hatte nie Probleme mit ihm, Sir.« »Gut, Mister Scout. Das hatte ich nur noch wissen wollen. Sie bleiben zu meiner persönlichen Verfügung.« Hugh Gibson war aufgestanden und salutierte. »Zu Befehl, Sir.« »Sie können gehen.« Der ehemalige Major verließ das Blockhaus. Er wußte aus den Berichten des Pinkerton-Agenten Capson, daß Jubal Early nur der Abschnittskommandant war. Der kommandierende General der Konföderierten in Mississippi hieß Bragg und war offenbar zur Zeit
nicht hier. Sein Hauptquartier mußte es sein, denn seine Standarte hatte Gibson in dem großen Dienstraum gesehen. Der Adjutant führte ihn zu einem ziemlich großen Zelt, in dem eine Pritsche stand, auf der Decken lagen. Ein paar Kisten dienten zum Verstauen von Kleidung und anderen persönlichen Dingen. »Sie können natürlich auch über einen Burschen verfügen, Mister Gibson. Ich muß nur erst einen passenden Mann für Sie finden. Sie verstehen, es ist nicht so einfach.« »Ja, Sir, ich verstehe schon.« Gibson gab sich mit äußerster Freundlichkeit gegenüber dem hohen Offizier, der General Earlys direkter Berater war. »Es ist mir nicht wichtig. Ich kann mir auch allein helfen.« »Dann bin ich ja beruhigt«, sagte der Offizier und verließ das Zelt. Hugh Gibson schaute sich um, setzte sich auf die Pritsche und rieb über sein Gesicht. Er war müde von den Strapazen des Rittes. Reynolds, dieser hartgesottene Halunke, hatte ihnen kaum ein paar Stunden Schlaf gegönnt. Gibson ging es ähnlich wie Ronco. Auch er fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut und meinte, auf einem Pulverfaß zu sitzen, an dem die Lunte bereits brannte. Aber es mußte durchgestanden werden. Sie hatten es freiwillig auf sich genommen, und nun ging es nur noch darum, auch Erfolg zu haben und das mörderische Gemetzel zwischen Nord und Süd auch wirklich abkürzen zu können. Das Camp der Guerillas war um vieles schäbiger als das Militärlager der Konföderierten. Ich war entsetzt über den Unrat in den Zeltgassen und über die stoppelbärtigen, verdreckten Rebellen, die durchweg Gesichter wie Galgenvögel hatten, nach Fusel stanken und förmlich bis an die Zähne bewaffnet waren. Unser Haufen wurde mit lautem Hallo begrüßt, als wir Einzug ins Lager hielten. Sie warfen uns Whiskyflaschen entgegen, diesmal unverdünnte Ware und erbeutet, wie ich gleich am Etikett sah. Und die Kerle um mich herum schlugen ihren Flaschen mit Gebrüll am erstbesten Gegenstand, der hart genug war, die Hälse ab und gossen sich den Schnaps in die Kehlen. Es war eine Art Triumphzug, wie wir durch das Camp der Guerillas zogen. Die Kerle hieben uns auf
die Schultern und droschen im Übermut mit Fäusten gegen unsere Arme. Einer wollte Shita kraulen, aber der Hund fuhr ihn wütend an und biß ihm in die Hand. Der Kerl fluchte und trat nach dem Hund, der getroffen wurde und sich überschlug. »Shita, hierher!« befahl ich, als der Hund sich auf den Mann stürzen wollte. Endlich erreichten wir einen. Platz zwischen den stinkenden Unrathaufen und Zelten. Ich blieb stehen, als ich an einen Pfahl gebunden einen Neger sah, den ein paar Kerle mit Messern in den Händen umstanden. »Fein, daß du endlich aufkreuzt, Tex«, sagte einer der Männer. »Wir haben extra gewartet. Dachten uns, du wärst gern dabei.« Sie bleiben alle stehen und bildeten einen großen Halbkreis vor dem Pfahl und dem Opfer daran. »Ha, Blacky«, sagte Reynolds erfreut. »Das ist aber eine Überraschung für mich. Wo habt ihr ihn denn gefunden?« »Er war schon beinahe an den Linien der Yankees, als wir ihn vom Maulesel schossen. Er ist kein guter Reiter, Tex. Er sitzt im Sattel wir ein Affe auf dem Schleifstein.« Reynolds grinste den Sprecher freundlich an, schaute dann auf mich und sagte: »Ich habe den undankbaren Schwarzen für zweihundert Dollar vor zwei Jahren gekauft. Er ist mein Eigentum und läuft mir einfach so fort. Ist das nicht verdammt undankbar?« Ich erkannte das begierige Funkeln in Reynolds Augen, das auf eine Antwort lauerte, und mir war auch klar, daß eine Menge von dieser Antwort abhing. Denn wie ich zu den Negern stand, das wußte Reynolds noch nicht. Und daß ich gegen die Sklaverei war, die ich für zutiefst unmenschlich hielt, das durfte er auch nicht erfahren. »Das ist eine Schweinerei«, sagte ich. »Hast du das gehört, Blacky? Du bist ein elender Strolch. Zweihundert Dollar habe ich für dich gegeben. Alles, was aus dir geworden ist, verdankst du uns weißen Männern. Deinen Vater haben wir noch mit der Brotrinde aus dem Urwald gelockt und gelehrt, eine Sprache zu sprechen. Du kannst schon schreiben und hattest richtige Kleider und nicht nur einen Bambusgürtel. Du durftest für uns Weiße arbeiten und einen wirklich guten Gott
anbeten. Und wie dankst du es uns?« »Wollen wir ihn erst mal ein wenig strangulieren, Tex?« fragte der Sprecher der sadistischen Messerhelden, die den Pfahl umstanden. »Hast du es gehört, Blacky? Du bist doch auch der Meinung, daß du eine ordentliche Strafe erhalten mußt, bevor wir dich zum Teufel schicken können?« Der Neger spuckte plötzlich Reynolds ins Gesicht, und das machte den so wütend, daß er den Revolver aus der Halfter riß und alle sechs Kugeln auf den Neger abfeuerte. Mir war es, als wollte sich mein Magen umkrempeln. Der angebundene Neger war mehrmals zusammengezuckt und dann blutüberströmt in den Stricken zusammengesunken. Als das Krachen verhallt war, hatte er sein Leben ausgehaucht, und die Kerle mit ihren breiten Kampfmessern blickten enttäuscht auf Reynolds, der selbst wie ernüchtert die Waffe sinken ließ. Ich begriff, daß der Neger Tex Reynolds genau gekannt haben mußte. Es war kein plötzlicher Haß gewesen, der ihn veranlaßt hatte, nach Reynolds zu spucken. Er mußte die Reaktion vorausgesehen haben und hatte so die Leiden abgekürzt. »Das war aber nicht nett von dir, Tex«, sagte der Anführer der Halunken, die den Neger eingefangen hatten. »Wir waren schließlich drei Tage lang hinter ihm her und insgesamt sieben Tage auf den Beinen. Wir wollten auch was davon haben.« »Entschuldige«, murmelte Reynolds. »Ich habe auch keine Ahnung, wie das passieren konnte.« Er blickte auf seinen Revolver und schüttelte den Kopf. Ich schob mich rückwärts aus dem Halbkreis. Niemand schien mich zu beachten. Ich setzte mich auf eine Kiste, wischte mir den Schweiß vom Gesicht und bemühte mich krampfhaft, an etwas anderes zu denken. Reynolds kam nach einer Weile. Er lud seinen Revolver, drehte die Trommel mehrmals auf der ausgestreckten Hand herum und schob die Waffe in die Halfter. »Du hast keine guten Nerven, was?« »Ich habe noch nie auf einen Mann geschossen, der angebunden ist«, sagte ich, obwohl ich dachte, daß es besser wäre, ihm in allen
Punkten recht zu geben. »Hast du gesagt, auf einen Mann?« »Ja.« Reynolds lachte komisch auf. »Was das angeht, mußt du noch was lernen, mein Freund.« »Was?« »Daß ein Neger kein Mensch ist. Menschen, daß sind wir. Du und ich. Aber Neger, Indianer, Chinesen und Mexikaner sind doch nicht einfach Menschen wie wir!« »Das habe ich noch nie gehört«, entgegnete ich. »Wenn die Schwarzen machen könnten, was sie wollten, wie man es im Norden erzählt, dann werden sie versuchen, weiße Mädchen zu finden. Hast du eigentlich schon mal daran gedacht?« Ich fand, daß es höchste Zeit wurde, einzulenken, blickte Reynolds wieder an und sagte: »Verdammt, daran habe ich nicht gedacht.« »Dann tu es gefälligst!« Er stand auf. »Und noch was: Leg dich ein paar Stunden aufs Ohr. Wenn die Nacht anbricht, reiten wir nach Norden. Wir holen uns den Lebensmitteltransport der Yankees.« »In Ordnung, Tex.« Ich bemühte mich, ihn anzulächeln. Er wandte sich ab und lief zu den anderen zurück, die den toten Neger vom Pfahl geschnitten hatten. »Verscharrt ihn irgendwo«, befahl Reynolds. »Und denkt in eurer Enttäuschung auch mal daran, daß er mich zweihundert Bucks gekostet hat, die mir keine Sau ersetzt.«
8. Das Heulen eines Wolfes schallte gespenstisch durch die Nacht und über den leise rauschenden Tombiabee River. Ein lauter Windstoß fuhr durch das Buschwerk am Ufer und ließ es rascheln. Im Mondlicht schimmerte das träge dahinziehende Wasser silbern. Der Wolf tauchte plötzlich am Ufer auf und jagte nach Westen. Das Dunkel verschluckte ihn. Ein paar Sekunden geschah nichts, dann war leiser Hufschlag zu hören. Drei Reiter brachen aus den Büschen und hielten am Ufer an. Die
Schlösser ihrer Gewehre schimmerten im Mondschein. Sie blickten nach rechts und links, um sicher vor Überraschungen zu sein. Es waren Hank Capson, der Pinkerton-Agent und die beiden Negersoldaten Helmers und Olden, die wie Capson Zivilkleidung trugen. »Nichts zu sehen«, raunte Olden dem Weißen zu. »Ist hier die Grenze?« »Eine Grenze in dem Sinne gibt es im Kriege nie«, erwiderte Capson ebenso leise. »Aber auf der anderen Seite müssen die Konföderierten stehen.« Die Reiter warteten noch eine Weile, dann ritten sie in der Furt zur anderen Seite. Ihre Pferde waren mit großen Packen beladen, die Preßpulver und Lunten enthielten. Capson, dessen Wachsamkeit keine Sekunde nachließ, hörte plötzlich Geräusche auf der linken Seite und zügelte sein Pferd. »Was ist?« fragte Olden aufgeregt. »Still! Das war eben etwas!« »Hat man uns erwartet?« Da hörte Capson die Äste der Büsche brechen und Pferde wiehern. »Dort sind sie!« schrie eine bellende Stimme. Capson schlug das Gewehr an und schoß in dem Augenblick, in dem der erste Reiter auftauchte. Das Krachen zerriß die übrigen Geräusche, der Mann schrie, warf die Arme in die Luft und stürzte aus dem Sattel. Das herrenlose Pferd preschte ins aufspritzende Wasser. Auch die beiden Schwarzen schossen. »Fort!« brüllte Capson, riß sein Pferd herum und sprengte ein Stück durch das Wasser und dann zum Ufer hinauf und ins Gestrüpp. Hinter ihnen wurde geschossen, aber es klang, als würden nur wenige Verfolger unterwegs sein. Capson lud sein Gewehr, zügelte das Pferd und lenkte es nach der Seite. Er sah die Verfolger. Es schienen nur drei zu sein. Er legte an, zielte und schoß. Ein Pferd brach wiehernd zusammen. Ein Mann flog fluchend ins Dickicht. Die beiden Neger hatten indessen ebenfalls wieder angehalten und
schossen zurück. Und die beiden Reiter, die noch hinter ihnen her waren, sprangen von den Pferden und feuerten aus Revolvern zurück. »Weiter!« rief Capson den beiden Schwarzen zu. Sie jagten durch das Gestrüpp und luden ihre Gewehre. Immer wieder schauten sie sich um, doch es waren keine Verfolger mehr zu sehen. Endlich hielten sie an und lauschten. »Nichts«, erklärte Olden. »Aber wieso haben sie aufgegeben?« »Ich habe wahrscheinlich den Offizier erschossen, der sie anführte«, vermutete Capson. »Das hat sie ein bißchen aus dem Konzept gebracht. Aber die haben auf uns gewartet.« Olden rückte die verrutschten Packen an seinem Sattel zurecht. »Die haben auf uns gewartet, nicht wahr?« Capson spürte die Blicke der beiden Neger, obwohl er noch dahin schaute, woher sie geritten kamen. Es roch nach Staub in der Luft. »Es scheint ganz so.« »Das würde aber heißen, daß unsere Aktion verraten wurde«, sagte Olden. Capson blickte ihn an. »Von einem Spitzel in unseren Reihen!« »Ja, Moss, so scheint es fast.« »Und was machen wir?« »Wenn es geht, wenigstens unseren ersten Auftrag ausführen. Die Waffen und die Munition in die Luft sprengen, die in dem einen Depot bei Columbus lagern.« »Wenn die Sklavenhalter etwas von uns wußten, was wird dann mit Ronco und Gibson sein?« fragte Helmers zweifelnd. »Was weiß ich, Noah. Vielleicht …« »Was?« »Vielleicht ist nicht alles verraten. Vielleicht können wir sie noch rechtzeitig finden und warnen.« »Heißt das, du willst die ganze Aktion abblasen? Alles, was wir mühsam genug aufgebaut haben?« »Wenn wir verraten sind, müssen wir schleunigst zurück. Aber zuerst versuchen wir, das Depot mit den Waffen und der Munition in die Luft zu jagen.«
Die drei Reiter verließen das Buschwerk und strebten weiter nach Süden. Die Angst saß ihnen im Nacken. Wurden sie geschnappt, war ihnen der Tod sicher. Trotzdem wollten sie unter allen Umständen versuchen, ihren Auftrag auszuführen und dann noch die Freunde mitten in der Höhle des Löwen zu warnen. Daß Ronco indessen schon mit den Guerillas unterwegs war, davon konnten die Männer nichts wissen. Sie hatten gerade eine Gruppe Cottonwoods erreicht, als sie Hufschlag hörten. Capson sprang aus dem Sattel und stieß ein Zischen aus. Er hielt seinem Pferd die Nüstern zu, damit es ihn nicht verraten konnte. Auch die beiden Neger waren hastig abgestiegen. Der Hufschlag wurde lauter. Im Osten sahen sie Reiter undeutlich im Mondlicht. »Das sind sie!« flüsterte Olden. »Ich glaube, es sind zehn. Himmel, denen wären wir nie entwischt, hättest du nicht den Offizier erschossen, Hank!« »Das nehme ich doch nur an«, schränkte der Pinkerton-Agent ein. »Es wird schon stimmen, Hank.« Die Reiter waren ein ganzes Stück entfernt und ritten dreihundert Yards von den Cottonwoods entfernt vorbei, ohne die Agenten des Nordens zu bemerken. »Wir müssen uns unbedingt beeilen«, sagte Capson. »Vielleicht wissen die Sklavenhalter doch noch nicht alles, und wir können Ronco und Gibson rechtzeitig warnen.« »Es sitzt ein Verräter neben General Smith«, stieß Helmers hervor. »Wer hätte das gedacht.«
9. Gibson saß mit Early und acht weiteren hohen Offizieren der Armee der Konföderierten um einen großen, ovalen Tisch. Das Licht der vielen Lampen blendete ihn etwas, und er wußte, daß dies Absicht war. Sie wollten sich keine Zuckung in seinem Gesicht entgehen lassen, kein jähes, unkontrolliertes Blitzen in den Augen und keine Falte auf der Stirn, die auftauchte und verschwand.
Hugh Gibson war ziemlich ins Schwitzen geraten, denn die Befragung hielt seit zwei Stunden an. Nachschubverbindungen hatten sie wissen wollen, Hersteller von Waffen, Neuentwicklungen, vor allem von den Eisenbahngeschützen, die entwickelt worden waren und einen speziellen Schutzschild hatten, der so berechnet war, daß noch waagerecht anfliegende Granaten abprallten. Gibson hatte alles so gut er konnte erklärt, aber immer um ein paar Nuancen anders, als es den Tatsachen entsprach. Das würden sie so schnell nicht herausfinden, vielleicht auch gar nicht. »Wir haben selbst ein Schiff mit schrägstehenden Panzerplatten entwickelt«, erklärte Early. »Allerdings ist die Neigung größer als Sie sie angeben.« Gibson spürte die Falle, lächelte und schüttelte den Kopf. »Je größer die Neigung, um so größer die Sicherheit, Sir. Ein Schiff ist wesentlich breiter als ein Eisenbahnwaggon, und es liegt tief im Wasser. Selbst wenn die Neigung der Panzerplatten stark ist, bringt man im Schiff noch eine Menge unter. Ein Waggon ist schmal. Es ist wie mit einem Zelt. Je schmaler es ist, um so spitzer müssen die Wände sein, will man zwischen ihnen noch etwas unterbringen.« Early lächelte zufrieden. »Das leuchtet ein, Mister Gibson. Jedenfalls haben Ihre Berechnungen ergeben, daß der Abprallwinkel noch den Erfordernissen entspricht.« »Soweit ich informiert bin, waren alle Versuche zufriedenstellend, Sir. Die Waggons werden in Serie gebaut.« »Wo?« »In Pittsburg«, antwortete Gibson ohne Umschweife. »In der Eisenbahn- und Waggonfabrik Marcus.« Ein Offizier machte eifrig Notizen. »Damit wollen wir zunächst einmal schließen«, sagte General Early freundlich. »Wenn Sie es wünschen, nehmen wir Sie gern in unsere Armee auf, Mister Gibson. Und Sie würden auch wieder den Rang eines Majors erhalten. Es wäre eine Schande, würde man ein Talent wie Sie verkümmern lassen. Ist es nicht so, Gentleman?« Die anwesenden Offiziere nickten. »Entscheiden Sie sich nicht jetzt. Denken Sie in Ruhe darüber nach, Mister Gibson.«
Hugh Gibson war aufgestanden. »Ja, Sir.« Eine Faust donnerte plötzlich gegen die Tür. »Was ist los?« fragte der General. Alle blickten auf die Tür, die sich öffnete. Ein Posten blickte herein und sagte: »Sir, ein Bote von General Bragg!« »Her mit ihm.« Der Posten trat zur Seite und winkte seinerseits herrisch an sich vorbei. Ein völlig verstaubter Soldat in Lederjacke, Armeehose und Armeehut auf dem Kopf trat ein und knallte die Hacken zusammen. Aus einer großen Satteltasche zog er einen dicken Umschlag, den er dem General reichte. »Was ist das?« »Der Offensivplan von General Bragg, Sir.« »Gut. Lassen Sie sich etwas zu essen und Whisky geben und warten Sie. Vielleicht muß ich Ihnen eine Nachricht an General Bragg mitgeben.« »Zu Befehl, Sir!« Abermals knallte der Militärbote die Hacken zusammen, machte eine Kehrtwendung und verließ das große Beratungszimmer. Der Posten schloß die Tür. »Mister Gibson, Sie können gehen«, sagte Early freundlich. »Es tut mir leid, daß wir Sie mitten in der Nacht bemühen mußten.« »Aber ich bitte Sie, das macht doch nichts, Sir.« Gibson deutete eine Verbeugung an und verließ den Raum, geplagt von der Frage, was in dem dicken Kuvert alles stehen könnte. Der Posten schloß die Tür hinter ihm. Er ging durch den nur spärlich erleuchteten Flur und erreichte die Tür. Die Nachtluft war angenehm kühl und tat ihm gut. Das Beantworten der vielen Fragen hatte ihn doch ziemlich durcheinandergebracht. Aber er war sicher, bestens reagiert und keine Zweifel hinterlassen zu haben. Sie hielten ihn nun für einen glühenden Hasser der Nordstaaten, genau, wie er es bezweckt hatte.
10.
Die ersten grauen Schimmer zogen im Osten über den Horizont und schickten sich an, die Schwärze der Nacht zu verdrängen. Wir näherten uns dem Weg, der von Tuscaloosa nach Nordwesten führte, waren aber auf der Westseite des Tombiabee River geblieben. Trotzdem waren wir schon in jenes Gebiet vorgedrungen, das von den Unionstruppen kontrolliert wurde. Dichtes Buschwerk und anschließender Wald standen zu beiden Seiten der Straße. »Warum habt ihr mich eigentlich mitgenommen?« fragte ich Reynolds, als der neben mir war. »Ich weiß, daß der Transport kommt und daß er nach einem Nest namens Calhoun City gehen soll. Aber ich weiß nicht, ob es diese Straße ist. Ich vermute es nur. Was meinst du?« Ich spürte den prüfenden Blick und wußte, daß Reynolds sich sehr wohl im klaren war, an der richtigen Straße zu sein. Vielleicht würden sie mich hier einfach abknallen, wenn ich versuchte, sie an eine falsche Straße zu führen, damit ihnen der Transport durch die Lappen gehen sollte. Das konnte und durfte ich um der Sache willen nicht riskieren. »Oder weißt du es auch nicht?« forschte Reynolds. Der Haufen schob sich um mich zusammen. Shita knurrte schon ungemütlich, weil es ihm zu eng wurde zwischen den vielen Pferdebeinen. »Ich habe solche Transporte geführt und muß es doch wissen«, erwiderte ich. »Natürlich ist es diese Straße.« Reynolds Gesicht hellte sich augenblicklich auf. »Siehst du, deshalb warst du für uns und diesen Ritt unentbehrlich. Ich schlage vor, wir reiten bis zu dem Wäldchen weiter. Dort müssen sie ja durch.« »Wenn sie nicht Angst vor einer Falle haben«, schränkte ich ein. »Wieso? Hier waren nie welche von uns.« »Ein Wald ist trotzdem immer so eine heikle Sache. Ich würde sagen, die Büsche sind auch hoch genug, um uns und die Pferde zu decken.« Reynolds schaute sich in der zunehmenden Dämmerung um. Er schüttelte aber den Kopf. »Wir bleiben am Anfang des Waldes.
Wenn sie ihn umgehen wollen, entwischen sie uns schon nicht. Wir sind schneller als die Wagen.«. »Wie du meinst.« Ich lenkte meinen Hengst aus dem Pulk und ritt auf das Wäldchen zu. »Der ist schon echt, Tex«, flüsterte hinter mir einer der Kerle. Bald hatten wir den Wald erreicht und ritten hinein. Das Unterholz zerbarst unter den Hufen unserer Pferde. Shita lief immer noch neben meinem braunen Hengst her. Im Wald stiegen wir ab und gingen zum Rande der Straße, wo wir uns die besten Deckungen aussuchten. Wir waren genau zwanzig Mann. Ein so starker Haufen, daß die Wagen, wenn sie wirklich auftauchen sollten, uns gehörten. Daß sie auftauchen würden, wagte ich schon nicht mehr zu bezweifeln. Es gab eine undichte Stelle in General Arthur J. Smiths Stab im Unionslager bei Ripley. Das war gefährlich, auch für mich und Gibson. Das war mir längst klar geworden. Aber Tex Reynolds hatte nichts mehr verlauten lassen, und ich hatte keine Fragen gestellt, um nicht verdächtig zu erscheinen. Mißtrauen ist schneller gesät als abgebaut. Und die Wahrheit hätte Tex Reynolds mir doch nicht gesagt. Der Anführer unserer wüsten Bande schickte zwei Späher zum Saum des Waldes zurück. Shita lief auf die Straße, schnupperte herum und kam zurück. »Was hat der Hund?« fragte Reynolds, der in meiner Nähe an einem Baum lehnte. »Wer weiß.« »Er ist sehr ausdauernd.« »Ja, Tex. Ein guter Hund.« Ich nickte. Shita lehnte sich gegen mein Bein. Es wurde rasch heller, und das Tageslicht drang nun schon bis in den Wald, ohne ihn völlig durchleuchten zu können. Nach ungefähr einer halben Stunde kam einer der Wächter zurück und rief: »Verdammt, Tex, die Wagen sind wirklich zu sehen!« »Hast du an der Information gezweifelt?« fragte Reynolds. »Ein bißchen.« »Wenn Zweifel am Platze gewesen wären, hätten wir uns den
weiten Weg nicht gemacht. Ist es nicht so, Ronco?« »Sicher nicht«, entgegnete ich und kraulte den Hund. »Habt ihr die Wagen zählen können?« »Es sind drei. In zwanzig Minuten müßten sie hier sein.« »Dann soll Pat zurückkommen.« »Gut. He, Pat, hierher!« Auch der zweite Wächter tauchte bald auf. Die Kerle lockerten die Revolver in den Halftern und versteckten sich beiderseits der Straße, die einer natürlichen Schneise durch den Wald folgte. Ich fühlte mich in meiner Haut mit jeder neuen Minute weniger wohl und fragte mich wieder, ob der Entschluß richtig gewesen war, den Gibson und ich gefaßt hatten. Aber zum Nachdenken blieb so wenig Zeit wie zu einer Änderung. Unaufhaltsam näherten sich die Wagen, erreichten den Saum des Waldes und rollten zwischen die Bäume. Die Zurufe der Kutscher schallten wie Gelächter aus dem Halbdunkel zurück. Ein Schuß übertönte alles und entfesselte ein langanhaltendes Wummern. Wir sprangen aus den Deckungen auf die Straße und richteten drohend die Mündungen auf die Männer, die auf den Böcken saßen und auf den Begleiter, der neben dem zweiten Wagen ritt. Sofort hielten die Wagen und alle Männer hoben die Hände. »He, Ronco?« fragte der erste Fahrer entsetzt. Sie kannten mich natürlich, wie kaum anders zu erwarten gewesen war. »Absteigen!« befahl ich barsch. »Na los, wird's bald!« »Der ist zu den Südstaatlern übergelaufen!« rief der Reiter, der aus dem Sattel sprang. Einer der Guerillas rannte dem Mann nach und erwischte ihn mit dem Gewehrkolben. Der Scout strauchelte, stürzte, sprang wieder auf und rannte mit erhobenen Händen vor die Wagen. Auch die Kutscher waren abgestiegen und hoben die Hände. »Los, los, etwas schneller!« schrie einer der Rebellen und ging mit dem Gewehrlauf auf den letzten Kutscher los. Aber der Mann rannte schnell vor den ersten Wagen und entging so dem Hieb.
»Das verstehe ich nicht«, sagte einer der Männer kopfschüttelnd, den Blick immer noch auf mich gerichtet. »Bist du denn so ein verdammtes Schwein, daß du zu diesen Hunden überlaufen konntest?« »Jetzt reicht es mir aber!« stieß Reynolds hervor und feuerte aus seinem Gewehr aus nächster Nähe auf den Mann. Der Fahrer brüllte und krümmte sich zusammen, die Hände auf den Leib gepreßt. Die anderen Guerillas fühlten sich animiert, gleiches zu tun, und alle schossen nun auf die wehrlosen Männer mit den erhobenen Händen. Die Wehrlosen schrien, taumelten, prallten zusammen und stürzten. Pulverrauch hüllte die Straße ein. Die Pferde stampften mit den Hufen und wollten mit den Wagen zurück. Doch als das wummernde Echo verklang, beruhigten sie sich wieder. Ich stand entsetzt zwischen den Kerlen und starrte auf die Leichen auf der Straße. Die Kerle fielen nun über die Leichen her und krempelten ihnen die Taschen um, und jeder steckte ein, was ihm in die schmutzigen Hände fiel. Langsam hob ich den Kopf und blickte auf Tex Reynolds, der grinsend herüberschaute und seinen Schnurrbart zwirbelte. Ich öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Nein, es war sinnlos. Die Männer waren tot. Jedes Wort kam zu spät. »Ich habe Hunger«, erklärte Reynolds. »Nun holt mal ein ordentliches Stück Speck und ein paar Brote aus dem Lebensmitteltransport.« Vier Kerle rannten gleichzeitig um den ersten Wagen herum. Zwei kletterten über die hintere Bordwand. »Los, werft das Zeug heraus!« »Meat, das glaubst du nicht«, sagte ein Kerl in dem vorderen Wagen. »Was ist denn?« rief Reynolds. »Das ist gar kein Lebensmitteltransport, Tex! Hier liegt alles voll mit Gewehren und Munition. Und Granaten sind dabei! Richtige Granaten, Tex!« »Gewehre? Munition? Granaten?« Reynolds lief an dem ersten
Wagen vorbei. Ich blieb stehen, blickte auf die ausgeplünderten Leichen und kraulte Shita das Nackenhaar, ohne richtig aufzunehmen, was ich tat. »Tatsächlich«, sagte Reynolds hinter dem Wagen, der mir am nächsten stand. »Dann war der Informant nicht ganz im Bilde, was?« Einer der Kerle lachte. »Nun müssen wir Kohldampf schieben.« »Jedenfalls ist die Ladung noch viel wertvoller, als wir alle dachten. Seltsam, daß keine Bedeckung durch Militär dabei ist.« »Sie haben die Fuhre offiziell als Lebensmittelsendung getarnt«, erklärte Reynolds. »Und deshalb konnte unser Informant es auch nicht besser wissen. Und sie haben keine Soldaten mitgeschickt, damit die Wagen recht harmlos aussehen sollten. Ich denke, wir verschwinden auf dem schnellsten Wege, falls noch Soldaten nachkommen.« * Es war heiß geworden, und wir kamen mit den schwerbeladenen Wagen nur langsam voran. Ich ritt ein Stück seitlich, um nicht den ganzen Staub schlucken zu müssen, der immer erneut von den vielen Rädern in die trockene Luft geschleudert wurde. Shita lief neben meinem Hengst. Reynolds war meistens auf der anderen Seite. Wenn ich ihn sah, mußte ich mich jedesmal bemühen, ein zufriedenes Gesicht zu zeigen. Es war eine verteufelte Sache, in die ich da hineingeschlittert war. Ich hätte mich ohrfeigen können, das mitzuspielen. Da mußte ich zusehen, wie einer ermordet wurde, der mein Kamerad war, auch wenn er das nicht wußte. Und ich durfte nichts sagen, nichts tun und ihm nicht helfen. Tex Reynolds hatte zwei Männer zurückgelassen. Sie blieben immer so weit hinter uns, daß sie die Wagen gerade noch sehen konnten. So konnten sie uns rechtzeitig warnen, falls doch noch Verfolger auftauchen sollten. Aber die Stunden verrannen, und die Verfolger blieben aus. Der
Transport schien in der Tat ohne jede Bedeckung auf den gefährlichen Weg geschickt worden zu sein. Man hatte offenbar darauf vertraut, daß der Gegner an einem Lebensmitteltransport uninteressiert war oder gar nicht erst von ihm erfuhr und daß eventuelle Späher einen unbewachten Wagenzug passieren lassen würden, weil sie ihn und seine Fracht für wertlos halten sollten. Tex Reynolds ritt hinter den Wagen herum und parierte sein Pferd an meiner rechten Seite, so daß es neben meinem braunen Hengst herlief. »Na, wie gefällt es dir bei uns?« »Ganz gut.« »Mehr nicht?« »Ein wenig sehr rauhe Sitten«, sagte ich und blickte über den Kopf meines Pferdes hinweg. »Du meinst, wegen der Fahrer und dem Scout, die wir erschossen haben, Ronco?« »Ihr habt sie abgeknallt wie tolle Hunde«, sagte ich so ruhig es mir möglich war, so daß es nur noch wie eine Feststellung klang. »Daran muß ich mich eben erst gewöhnen. Es paßt so schlecht zu dem Anspruch von der individuellen Freiheit, den ihr andauernd im Munde führt. Es ist ziemlich barbarisch.« Reynolds Gesicht verfinsterte sich, und sein Mund wirkte wie ein schmaler Strich. »Tut mir leid«, fuhr ich fort und zuckte die Schultern, als würde ich es wirklich bedauern. »Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Und die Fahrer übrigens auch nicht.« »Du wirst dich daran gewöhnen, Ronco, davon bin ich felsenfest überzeugt.« Ich blickte den Anführer dieses tollwütigen Haufens nun doch direkt an. »Meinst du?« »Es ist dringend erforderlich. Wir machen es nämlich immer so. Wer uns in die Hände fällt, ist tot.« »Und warum?« »Es ist eine Frage unserer eigenen Sicherheit, mein Junge. Wir führen unsere Aufträge im Niemandsland oder ganz und gar hinter den feindlichen Linien aus. Niemand kommt uns zu Hilfe, wenn wir in eine Falle laufen. Der Gegner hängt uns auf, wird er unserer
habhaft. Lassen wir unsere Feinde also lebend zurück, werden sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit wir schnellstens verfolgt werden. Vielleicht wissen sie hier und da ganz in der Nähe Einheiten,, die nur mobilisiert werden müssen und die sie schneller erreichen, als wir spurlos verschwinden können. Das ist der Punkt.« »Ach so.« Ich stellte mich nachdenklich und nickte ein paarmal wie versonnen. »Na, jetzt kapierst du es, was?« »Es hat eine gewisse Logik, was du sagst.« »Und was für eine Logik, Ronco. Sieh dir doch nur mal das Gelände an, durch das wir fahren. Wir kennen es streckenweise nicht, wissen nie, wie weit wir es schaffen, da wir mit den Wagen keiner Straße folgen können.« Ich schaute zu den Wagen hinüber, die noch immer unheimliche Mengen des feinen Staubes in die Luft warfen. Wir fuhren quer durch die Wildnis und kamen deshalb viel langsamer voran als auf einem festgefahrenen Weg, und keiner von uns wußte, wann wir eine der Straßen erreichen würden, die man in diesem Gebiet an den Fingern abzählen könnte. »Siehst du, das muß man alles im Zusammenhang sehen«, erklärte mir Reynolds. »Und dann sieht eben manches ganz anders aus als an einer normalen Front.« »Ja, das stimmt schon, Tex«, gab ich zu. Reynolds grinste und schlug mir auf die Schulter, wozu er sich zu mir herüberbeugen mußte. Shita nahm das anders auf, schoß von hinten kläffend zwischen die Pferde und sprang in die Höhe, um nach Reynolds zu schnappen. Aber der Sprung des Hundes war zu kurz, und Reynolds saß auch schon wieder gerade im Sattel und hielt sein Pferd zurück. Er verschwand im treibenden Staub auf der anderen Seite des Wagens. Shita knurrte ihm nach, blieb aber an der Seite des braunen Hengstes. »Verdammtes Halunkenpack«, sagte ich leise.
11. Hank Capson richtete sich hinter den Büschen auf und schaute zu
dem hohen Lagerhaus hinüber, das sich wie ein schwarzer Klotz in der Mondnacht erhob. Neben ihm tauchten die beiden Neger auf, die das Geäst der Büsche vorsichtig nach den Seiten schoben, um besser sehen zu können. Sie waren erst kurz vor Aufgang des Mondes angelangt und hatten von der Umgebung nichts weiter als das Lager erkannt. Nun sahen sie auch die Bäume und Büsche im Silberlicht, ein paar Hütten in der Nähe, in denen es offenbar dunkel war, einen Korral mit Pferden und ein paar Wächter am Zaun, bei den Hütten und einen an der Ecke des Lagers. »Also los«, sagte Hank Capson. Er hob einen dicken Packen und eine aufgerollte Lunte auf und zog den Revolver aus der Halfter. »Und laß die Gewehre hier. Sie behindern uns nur.« Der Pinkerton-Agent brach durch das Gestrüpp, und die beiden Neger folgten ihm. Sie waren wie er mit Preßpulver und Lunten beladen und hatten die schußbereiten Colts in den Händen. Ihre Pferde blieben hinter den Büschen zurück. Capson lief geduckt und lautlos und nutzte den geringsten Schatten, der sich bot. Der Posten war um die Ecke gegangen und konnte schon auf der anderen Seite des Lagers sein. Capson rannte bis zur Wand und blieb im schwarzen Schatten stehen. Die beiden Neger erreichten ihn und legten das Pulver ab. »Kauft euch den Kerl!« flüsterte Capson. »Ich schaffe das Pulver ins Lager und schließe die Lunten an.« Olden und Helmers liefen nach rechts und links. Capson wartete, bis sie um die Ecken waren, dann wandte er sich dem Tor zu. Ein schwerer Balken war in gebogene Eisenhaken gehängt. Er hob ihn aus und legte ihn auf den Boden. Zwei Riegel sicherten das Tor noch, dann ließ es sich öffnen. Auf der anderen Seite des Lagerdepots war ein dumpfes Krachen zu hören, dem ein Laut folgte, der wie ein Seufzen klang. Capson öffnete das Tor einen Spalt und schleppte das ganze Pulver hinein. Er stieß gegen Kisten und Fässer und fand einen Haufen Pakete, die dem Preßpulver ähnelten, welches er selbst hereintrug.
»Hank, alles in Ordnung!« rief Helmers an der Tür. »Sollen wir uns um die anderen kümmern!« »Nein, schaff die Lunten her!« »Aber der nächste Posten ist nur hundert Yards entfernt. Vielleicht sieht er etwas.« »An ihn kommt ihr nicht heran. Los, die Lunten!« Die Neger schafften die Lunten in das Depot, und Hank Capson verband sie mit dem Preßpulver. »Hier liegt noch mehr von dem Zeug«, erklärte der PinkertonAgent. »Wenn wir uns nicht beeilen, fliegt uns der ganze Kram um die Ohren. Das gibt einen mordsmäßigen Knall. Hast du das andere Ende, Noah?« »Es ist hier«, flüsterte Helmers. »Aber wo ist das andere?« »Such danach.« Capson richtete sich auf und schaute hinaus. Er konnte nichts erkennen als die undeutlichen schwarzen Flecke der Hütten. »Da ist auch das andere«, sagte Helmers. Capson ging an den Negern vorbei zur Tür. Plötzlich fiel ein Schuß seitlich des Depots. »Überfall!« schrie eine Stimme. »Noah, habt ihr den Wächter nicht gefesselt und geknebelt?« fragte Capson entsetzt. »Wir dachten, er schläft ein paar Stunden«, erwiderte Olden. »Ihr Idioten!« Der Wächter rannte durch die Nacht und feuerte in die Luft, und auf einmal war die ganze Wachmannschaft munter. Die Hüttentüren flogen auf und donnerten gegen die Wände. Pferde wieherten im Korral. Gewehre entluden sich, und Mündungsflammen leckten durch die Nacht. Eine Kugel schlug neben Capson in die Wand. »Verschwindet, ich brenne es direkt an!« schrie Helmers. Olden hastete aus dem Depot und schoß mit Hank Capson auf die anrückenden Wachen. Hinter ihnen flammte ein Schwefelholz auf, verlosch aber wieder. »Wir schaffen es zu den Pferden!« rief Olden und begann zu rennen. »Hank, hau ab!« brüllte Helmers im Depot. »Ich schieße jetzt ins Pulver!«
Hank Capson hatte ihnen eingeschärft, daß in einer solchen Situation jeder versuchen sollte, zu entwischen. Und nun behagte es ihm doch nicht. Aber sie hatten auch keine andere Wahl. Er schoß auf die anrückenden Konföderierten und rannte hinter Olden her, den die Dunkelheit verschluckt hatte. Capson stolperte dabei in ein Loch und stürzte zu Boden. Er feuerte den Revolver leer und traf einen Südstaatler, der sein Gewehr verlor und schreiend die Arme in die Luft warf. Der Mann machte noch ein paar Schritte, dann fiel er. Im Depot schoß Noah Helmers aus seinem Revolver in das Preßpulver, das von der Kugel und von der Stichflamme getroffen wurde. Zuerst erschallte außerhalb des Lagerhauses nur eine gedämpfte Explosion, dann aber flog alles in die Luft, was an Pulver in der Nähe war. Helmers war von der ersten Druckwelle nicht gleich umgeworfen worden und rannte weiter auf den hinteren Teil des Depots zu. Aber die zweite Explosion hob ihn förmlich aus. Doch wie durch ein Wunder zerplatzte unter dem gewaltigen Druck vor ihm die Wand, und er wurde hinaus ins Freie getragen. Er schrammte auf den Boden, rollte ein paar Yards weit und hörte das entnervende Krachen, mit dem alles auseinanderbarst. Wie durch ein Wunder blieb er fast unverletzt, konnte aufspringen und davonrennen. Weniger Glück hatte Capson auf der anderen Seite des explodierenden Lagers. Er lag noch, als ihn der erste Soldat fast erreicht hatte. Aber ein herabstürzendes Brett erschlug den Soldaten. Capson bekam etwas in den Rücken und stöhnte. Dicht neben ihm schlug ein Faß auf und rollte über den Boden. Bretter und Balken taumelten durch die Luft und schlugen überall wie Granaten ein. Feuer lohte auf und fiel wieder zusammen. Staub quoll nach, vermischt mit Pulverrauch und so dicht wie eine Nebelwand, in der alles verschwand. Capsons Wirbelsäule war nicht gebrochen. Sie schmerzte nur. Er kam auf die Beine, taumelte vorwärts und lief einem Posten genau in die Arme. Der Posten schwang das Gewehr hoch, das er am Lauf gepackt hatte. Hank Capson sah den Kolben auf sein Gesicht zurasen. Er wollte sich ducken, aber auch das gelang ihm nicht mehr. Der
Gewehrkolben traf ihn wie eine Keule und warf ihn um.
12. Um die gleiche Zeit stand Hugh Gibson im Lager der Konföderierten an der Ecke von Earlys Blockhaus und beobachtete die Offiziere, die sich zur Messe in einem langen, großen Zelt versammelten, in dem Talglichter brannten und eine Heiligenfigur aufgestellt worden war. Gibson fand, daß es in diesem Camp wesentlich legerer zuging, als er das von den Unionslagern kannte, und so stieg seine Zuversicht, daß der Augenblick günstig war. Nur ein einziger Posten patrouillierte in der Nähe des Blockhauses auf und ab, bewegte sich aber dabei weiter zu dem großen, offenen Zelt hinüber, aus dem eine lauter werdende Stimme tönte. Gibson schob sich in den Schatten der Wand und gelangte unbemerkt unter das Vordach. Er schob sich bis zur Tür, verharrte dort und beobachtete das Zelt und den Platz davor. Alle Offiziere schienen sich inzwischen in der Messe versammelt zu haben. Die Mannschaften schliefen zum größten Teil. Der Posten blieb im Lichtschein vor dem großen Zelt stehen und lauschte anscheinend andächtig der erhobenen, monoton klingenden Stimme des Pfarrers, der sich einen schwarzen Talar über die Uniform gezogen hatte. Gibson blickte zur Tür. Sie war nicht verschlossen, das wußte er. Und er hielt es auch für unwahrscheinlich, daß noch jemand drin war, dem er in die Arme laufen konnte. Er griff entschlossen zur Klinke, drückte sie nach unten, öffnete die Tür, huschte ins Haus und schloß die Tür wieder. Dunkelheit umgab ihn. Es roch nach kalten Rauch von jenen dicken, schwarzen Zigarren, die im Kästchen auf dem großen Schreibtisch standen. Dorthin fiel eine Lichtbahn, die durch das Fenster kam. Und neben dem Kästchen sah Hugh Gibson den dicken Brief, den der Kurier von General Bragg gebracht hatte. Sein Herz schlug schneller. Er ging auf den Tisch zu, zog den dicken Brief herunter und griff hinein. Das erste Blatt war eng beschrieben, aber es war zu dunkel. Gibson konnte keinen einzigen Buchstaben
entziffern. Er schob das Blatt zurück, tastete sich durch den Raum und erreichte eine Tür, hinter der er einen zweiten Raum fand. Ein Fenster führte offenbar hinten hinaus. Draußen war es auf dieser Seite dunkel. Hugh Gibson rieb ein Schwefelholz an der Wand an, sah die Lampe über einem Tisch und ein paar Stühle. Es schien ein kleiner Beratungsraum für nur wenige Leute zu sein. Er ging zur Lampe und zündete den Docht an. Neben dem Fenster hing eine Decke an der Wand, und es waren auch auf der anderen Seite Haken vorhanden. Gibson verhängte das Fenster, setzte sich an den Tisch und räumte den ganzen Umschlag auf. Hastig las er alles durch, raffte Papier vom Tisch heran, öffnete das Tintenfaß und nahm den Federhalter. In Stichpunkten machte er Notizen, weil er fürchtete, manches zu vergessen. Das Herz schlug immer schneller, und es wurde ihm heiß unter der Haut. Er hatte in der Tat den Plan für die Offensive in der Hand, bei welcher das Lager bei Ripley von den Konföderierten überrannt werden sollte. Mit einer Truppenstärke von neuntausendfünfhundert Mann sollte der Angriff erfolgen. Gibson erschauerte, als er dies las. Das waren viel mehr Gegner, als General Smith in Ripley jemals annehmen würde. Gibson schrieb die Anzahl der vorgesehenen Kanonen, Pferde und die Aufteilung der Mannschaften in Fußtruppen, Kavallerie und Geschützmannschaften auf und erschrak noch einmal, als ihm klar wurde, daß dieser Angriff auf die Stellungen des Nordens und der Durchbruch nach Tennessee offenbar schon dicht bevorstand, womit sein General Smith auch noch nicht rechnete. Schnell schob er alle Papiere in den Umschlag zurück, faltete seinen Zettel zusammen und steckte ihn ein. Er klappte das Tintenfaß zu, legte den Federhalter an seinen Platz, schaute sich noch einmal um und löschte die Lampe. Hugh Gibson hängte die Decke auf der einen Seite vom Fenster los und verließ das Zimmer. Er spähte durch die einen Spalt geöffnete Tür nach draußen und erkannte den Wächter noch im Lichtschein vor dem Zelt, in dem die Feldmesse andauerte. Er wollte das Blockhaus schon verlassen, als ihm auffiel, daß er das Kuvert noch unter den Arm geklemmt hielt. Rasch lief er zurück und legte es
auf den Schreibtisch neben das Kästchen mit den Zigarren. Da fiel sein Blick auf einen zerknitterten Zettel, der wie achtlos hingeworfen hinter der Zigarrenkiste lag. Er nahm ihn, blickte darauf und sah, daß er beschrieben war. Gibson steckte den Zettel ein und verließ das Haus. Er schloß die Tür, schob sich unbemerkt von dem lauschenden Posten an der Wand entlang und lief zu seinem Zelt. Nachdem Hugh Gibson sich auf seine Pritsche gesetzt und ein Licht angezündet hatte, zog er den zerknitterten Zettel aus der Tasche und hielt ihn ans Licht. Das scheinbar wertlose Stück Papier enthielt ein paar Angaben, die Gibsons Blut neuerlich in Wallung versetzen. Die wenigen Angaben enthielten Daten über den Stand der Unionsstärken in Tennessee und im Camp bei Ripley. »Ein Verräter«, murmelte Gibson und knüllte den Zettel in der Faust zusammen. Aber er entfaltete ihn gleich darauf noch einmal. Diese steile Handschrift kannte er. Bei General Smith auf dem Schreibtisch hatte er schon längere Schriftstücke mit dieser Schrift bemerkt. Sie gehörte einem Offizier des Stabes. Hugh Gibson dachte angestrengt nach, rieb sich über die Stirn, die sich in Falten gelegt hatte, schüttelte aber den Kopf. Er kam nicht darauf, wer der Schreiber war. Und doch kannte er ihn, das wußte er genau. »Es wird mir noch einfallen«, murmelte er und machte sich dann rasch daran, seine Notizen zu vervollständigen, damit er einen griffbereiten Bericht hatte, wenn Capson auftauchte. * Am Spätnachmittag erreichten die Guerillas mit den erbeuteten Wagen das Camp. Reynolds rief der begeisterten Menge entgegen, daß sie anstatt Lebensmittel Waffen und Munition erbeutet hätten. Ich hatte meinen Hengst am Zugang des Militärlagers gezügelt und hielt nach Gibson Ausschau, sah ihn aber nicht. Reynolds ritt neben den drei Wagen mit seinen Männern in einem wahren Triumphzug zum Blockhaus des Generals. Ich überlegte noch, ob ich ihnen nicht doch folgen sollte, um Hugh
Gibson zu treffen, als ich einen offenen Ranchwagen bemerkte, der aus dem Schutz des großen Pferdekorrals vor dem Zaun rollte. Soldaten mit Gewehren in den Händen ritten rechts und links des Wagens und dahinter. Auf der Ladefläche saß ein gefesselter Mann auf einer Kiste. Mir war es, als würde mich eiskaltes Wasser treffen. Mit einem Satz war ich vom Pferd herunter und rief Shita neben mich. Es war Hank Capson, den ich auf der Kiste auf dem Wagen sah. Er war fürchterlich verprügelt worden, hatte blaue, blutunterlaufene Stellen im Gesicht und verkrustetes Blut auf den Wangen, und an seiner Stirn war eine riesige Beule angeschwollen. Die Reiter und der Wagen wurden im Camp bemerkt. Soldaten strömten dem Tor entgegen. Ein Reiter sprengte voraus und rief: »Ein paar Guerillas aus dem Norden haben das Depot bei Columbus in die Luft gesprengt. Einen haben wir lebend gefangen, die anderen konnten fliehen.« Die Menge blieb wie eine Wand stehen, und auch der Wagen hielt an. Die Soldaten wollten weiter und schrien, daß man den Kerl vom Wagen holen sollte. Da wurde die Menge geteilt, und eskortiert von Offizieren tauchte der General auf. »Schluß hier!« befahl eine barsche Stimme. Ein Offizier schoß in die Luft, damit sie sich Gehör verschaffen konnten. Tatsächlich trat Ruhe ein. Der Reiter vor der Menge berichtete, was geschehen war. »Schafft ihn in die Arrestzelle!« befahl General Early. »Platz da!« »Warum soviel Umstände mit dem Stinktier, Sir?« fragte ein älterer Sergeant. »Ich muß ihn noch verhören«, erwiderte der General. »Der weiß eine Menge mehr, als ihr denkt.« Eine Gasse bildete sich. Der Wagen rollte begleitet von den Soldaten weiter. Mir war es, als würde ich mitten in einem kochenden Brei stehen und allmählich versinken, ohne irgendwo nach einem Halt greifen zu können. Vielleicht waren wir alle verraten worden, auch Capson und die beiden Neger, die hatten fliehen können.
Als ich mich umschaute, war Shita verschwunden. Ich blickte überall umher, konnte den Hund aber nirgends entdecken. Also lief ich mit meinem Pferd auf das Lager der Guerillas zu, das schon halbwegs in der Dämmerung zu versinken drohte. Es war nicht mehr lange hin, dann würde es Nacht sein. Auch in der Nähe des Guerillalagers konnte ich Gibson nicht entdecken. Ich war unschlüssig. Irgend etwas mußte sofort geschehen. »Shita?« rief ich und drehte mich im Kreise herum. Der Hund war weg. Ich lief um den Korral herum. Dahinter war er auch nicht. Also ging ich wieder nach vorn und wartete. Die Zeit verrann. Im Lager des Militärs wurden inzwischen die erbeuteten Wagen ausgeräumt, und die Rebellen erhielten reichlich Whisky. Es wurde dunkel. Shita war immer noch nicht aufgetaucht. Ich begriff das nicht und lief wieder zum Korral, weil ich dachte, daß ihn der Lärm vielleicht weiter weg vom Camp getrieben haben könnte. Plötzlich ein Zischen. Ich fuhr herum und griff zur Tasche. Die Büsche teilten sich, und Helmers und Olden traten heraus. Helmers hatte Brandwunden im Gesicht und einen Riß auf der Wange. Auch seine Kleidung war bei der Explosion angesengt worden und eine Augenbraue verbrannt. »Wo kommt ihr denn her?« fragte ich verblüfft. »Es ist wahrscheinlich alles verraten worden«, flüsterte Olden. »Im Nachhinein kommt es mir vor, als hätten die Soldaten beim Munitionsdepot auf uns gewartet.« Ich blickte die beiden zweifelnd an. »Dann hätten sie euch das Lager kaum in die Luft jagen lassen, oder?« »Noah hat ins Pulver geschossen«, erklärte Olden. »Mit der Lunte hätte es wirklich nicht geklappt. Hätte zu lange gedauert. Ich weiß es nicht, Ronco. Aber mir ist es, als hätte man doch auf etwas gewartet. Vielleicht nicht gerade in der letzten Nacht, als wir kamen.« »Was machen wir denn nun?« fragte ich, selbst im Zweifel über das, was zu geschehen hatte. Plötzlich berührte etwas mein Bein und ich hörte ein Hecheln. Shita war wieder da.
»Wo bist du nur gewesen?« fragte ich, kraulte ihm das Fell und spürte Papier unter den Fingern. Ich beugte mich nieder und sah einen zusammengefalteten Zettel, der ans struppige Fell geklebt war. Als ich ihn gelöst hatte und mich aufrichtete, starrten die beiden Neger auf meine Hände. Ich entfaltete das Papier und wir lasen im Dunkel Zahlen und Angaben, die im ersten Augenblick verwirrend anmuteten. »Der Aufmarschplan der Konföderierten«, sagte Helmers. »Von Gibson.« »Ja.« Ich nickte. »Er scheint es geschafft zu haben, an die Sachen heranzugelangen. Aber warum läßt er sich nicht sehen?« »Vielleicht hat er im Augenblick keine Zeit und konnte nur Shita zu sich locken. Oder es ist zu gefährlich, selbst Kontakt aufzunehmen.« Helmers hob die Schultern an. »Es bedeutet auf jeden Fall, das größte Eile geboten ist. Du sollst das nach Norden bringen, Ronco.« »Das glaube ich auch«, erwiderte ich. »Und was macht ihr?« »Wir versuchen, Gibson zu warnen und außerdem Capson zu befreien. Das ist unser Job. Du verschwindest am besten sofort, damit General Smith die Aufzeichnungen verwerten kann. Ich finde, wir haben bei allem Pech doch allerhand erreicht.« Helmers grinste, was ihm bestimmt große Schmerzen bereitete. Ich lief zurück zu meinem Pferd, das noch gesattelt war. Hufschlag hallte durch die Nacht. »Halt!« rief eine Stimme beim Militärlager bellend. »Kurierpost für General Early!« rief der Reiter, der sein Pferd an der Lichtgrenze gezügelt hatte. »Reiten Sie näher!« befahl der Posten. Der Reiter setzte sein Pferd wieder in Bewegung. Ich löste den Zügel meines Pferdes vom Zaun. Die Ereignisse begannen sich zu überschlagen. Vielleicht erhielt Early jetzt bereits den Einsatzbefehl und würde seine Truppen schon anderentags abrücken lassen. Mit meinem Pferd lief ich am Zaun entlang zurück. Die beiden Neger waren verschwunden. Was zwischen uns besprochen sein mußte, war gesagt. Ich konnte hier nichts mehr tun, steckte das Papier in die Tasche und kraulte dem Hund das Fell,
während ich ihn lobte. Als ich die Ecke des Korrals erreichte, die am weitesten vom Lager entfernt war, stand ein Mann mit einem Revolver in der Hand vor mir. Es war Tex Reynolds. Ich wußte sofort, daß er mich beobachtet hatte und vielleicht sogar wußte, was zwischen mir und den Negern gesprochen worden war. »Das ist ja wirklich umwerfend interessant«, sagte Reynolds. Ich schaute nach rechts und links. »Bist du allein ?« fragte ich. »Ja. Ich liefere dich dem General persönlich und allein ab. So was machen richtige Männer immer allein. Der fällt aus allen Wolken.« Ich nickte und blickte mich unauffällig weiter um. Reynolds Eitelkeit hatte verhindert, daß hier zehn oder zwanzig Soldaten auf mich warteten, aus deren Zange es keine Flucht mehr gegeben hätte. So aber hatte ich es nur mit dem Guerilla-Anführer zu tun. »Wie bist du denn darauf verfallen, mich zu beobachten?« fragte ich, um Zeit zu gewinnen. »Ich habe dir nicht getraut.« »Nein?« Ich war verblüfft. »Keine Sekunde. Die ganze Geschichte mit den Wagen voller nutzlosem Kram und der Gerichtsverhandlung mit zwei Schuldigen war doch nicht zwingend logisch, mein Junge. Da waren große Löcher drin. Auch bist du schlau genug zu wissen, daß es Gefahr bedeutet, wenn Vögel aufsteigen oder sich nicht auf den Boden wagen. Das konnte also nur abgekartet gewesen sein.« »Dann hast du aber eine Menge riskiert, um das zu beweisen, was?« Tex Reynolds schüttelte noch immer grinsend den Kopf. »Noch nicht einmal.« »Man hätte dich in Ripley festnehmen können.« »Ausgeschlossen. Ich war doch der Mann, der von euch gebraucht wurde. Wir gehen jetzt zu General Early. Nimm die Hände über den Kopf.« Ich hob die Hände, tat, als wollte ich mich umdrehen, stieß den Hund neben mir an und ließ ein Zischen hören. Shita sprang und biß Reynolds ins Handgelenk. Er schrie auf und
ließ den Colt fallen. Da hatte ich schon das Messer aus dem Hosenbund gerissen, und bevor der Halunke eine andere Waffe ziehen und auf mich losgehen konnte, traf ihn mein Messer. Shita hatte losgelassen. Reynolds taumelte zurück und stürzte in die Büsche. Ich beugte mich über ihn. Tex Reynolds' Augen sogen sich an mir fest, aber dann sah ich, wie sie brachen. Er war tot. Ich nahm mein Messer auf, wischte es im Gras sauber, schob es hinter den Hosenbund und schwang mich in den Sattel. »Vorwärts, Shita!« Ich trieb den braunen Hengst an und sprengte in das Dunkel hinaus. * Der Bote stand dem General auf der anderen Schreibtischseite gegenüber und berichtete nicht von einem geplanten Soforteinsatz, sondern davon, daß sich zwei Spione in seinem Camp befinden müßten, die erst vor Tagen angelangt sein können. General Early war aufgestanden. Die Zigarre fiel ihm aus dem Munde und rollte über den schönen, großen Schreibtisch. »Ist Ihnen nicht gut, Sir?« fragte der Bote. »Rufen Sie meinen Adjutanten«, sagte Early und griff nach dem Schreiben, das der Bote mitgebracht hatte. Als der Adjutant eintrat, legte Early ihm das Schreiben vor und ließ den Boten wiederholen. »Gibson und Ronco«, sagte der hohe Offizier. »Andere Leute sind in den letzten Tagen nicht angekommen, Sir.« »Rufen Sie die Stabsoffiziere zusammen.« Early hatte sich gefangen und den Schock überwunden. Minuten später war er mit seinen Offizieren unterwegs. Posten mit angeschlagenen Gewehren umstellten Gibsons Zelt. General Early trat ein. Hugh Gibson erhob sich, blickte auf den General und die nachfolgenden Offiziere und wußte, daß er einen Augenblick zu lange gehofft hatte, es könnte glimpflich abgehen und er würde Gelegenheit finden, Genaueres über den Aufbruch nach Norden
erfahren. Aber immerhin, Ronco mußte längst unterwegs sein. General Early schleuderte ihm entgegen, was er wußte, und Gibson nahm Haltung an, wie es sich für einen Offizier gehörte. Er zuckte mit keiner Wimper und bestritt nichts. Das Spiel war verloren, aber nicht nutzlos gewesen, immer vorausgesetzt, Ronco kam durch. »Sie sind verhaftet, Gibson«, erklärte der General. Hugh Gibson ging durch das Spalier der Offiziere und wurde draußen von den Wachen in Empfang genommen. »Sperrt ihn vorläufig zu dem anderen«, befahl General Early. »Und untersucht ihn gründlich!« Hugh Gibson wurde durch die Reihen der Soldaten geführt, und wahrscheinlich hatte er es den vielen Wächtern zu verdanken, noch lebend bei dem Arrestbau anzugelangen. Die Tür wurde geöffnet, und er sah im Dunkel Hank Capson auf dem Boden sitzen. Ein Schlag in den Rücken traf ihn mit solcher Wucht, daß er in den Raum flog und zu Boden stürzte. Die Tür knallte zu. Schritte entfernten sich. Die Rufe der Soldaten, die Blut sehen wollten, verklangen nur allmählich. »Wir haben uns zuviel vorgenommen, was?« fragte Capson. »Im Generalstab unserer Armee sitzt ein Verräter«, erwiderte Gibson, der sich ächzend setzte. »Hab ich mir schon gedacht.« »Das konnten wir nicht wissen.« Gibson rutschte rückwärts, bis er mit dem Rücken an der Wand saß. »Wir werden morgen verhört und dann gehängt.« »Gehängt?« Gibson lauschte dem Wort nach. »Ja. Kugeln sind für Spione zu schade. Es ist gut, wenn du dich mit dem Gedanken vertraut machst. Morgen ist unser letzter Tag, und es wird kein ganzer Tag mehr sein.«
13. Ich war so schnell gewesen, wie mein brauner Hengst nur laufen konnte. Als ich unser am weitesten vorgeschobenes Camp in der Nähe von Tupelo erreichte, schwankte mein Pferd schon, und Shita war zurückgeblieben.
Soldaten standen vor dem Lager und hatten Gewehre auf mich gerichtet. Ich winkte und brüllte: »Nicht schießen, Leute! Nicht schießen, ich bringe eine wichtige Nachricht.« Sie schossen wirklich nicht. Ich sprengte an ihnen vorbei und in das Lager und sah vor einem großen Zelt Captain Dred Gatsby, der die Hände in die Hüften gestemmt hatte. Ich erinnerte mich, daß Gatsby Ripley am Tage verlassen hatte, als ich meinen Hengst beinahe nicht hätte in den Mietstall stellen dürfen. General Smith war dabei gewesen, als er im Mittelpunkt der Stadt verabschiedet worden war. Mir fiel erst jetzt wieder ein, daß der General versprochen hatte, einen eingeweihten Offizier hierher in das Vorlager zu entsenden, mit dem wir Kontakt aufnehmen konnten und der unsere Nachrichten empfangen sollte. Gatsby war dieser Offizier, der unser gefährliches Spiel kannte und somit der Verbindungsmann war. »Ich bin froh, Sie zu treffen!« rief ich und sprang aus dem Sattel. »Eine wichtige Nachricht, Sir!« »Das ist der Verräter!« rief Gatsby zu meiner Überraschung. »Na los, auf was wartet ihr!« Da fielen die Soldaten mit Gebrüll über mich her und schlugen mich zusammen. An den Beinen wurde ich gepackt und über den Boden geschleift. »Ich habe eine wichtige Nachricht für General Smith!« schrie ich. Keinen Menschen schien das zu interessieren. Sie zerrten mich zu einem Blockhaus aus Stämmen, die halbiert worden waren, stellten mich auf die Beine und warfen mich in das fensterlose Verließ. Die Tür knallte zu. Ich rannte an die Wand und trommelte dagegen, bis mir die Hände schmerzten, und ich schrie immer wieder, daß ich eine sehr wichtige Nachricht für den General hätte, bis ich heiser war. Dann taumelte ich zurück und setzte mich erschöpft auf den Boden. Vor meinem geistigen Auge tanzte die Revue der Bilder vorüber, die während der letzten Tage auf mich eingestürzt waren. Ich verstand die Welt nicht mehr. Gatsby konnte doch nicht an Gedächtnisschwund leiden. Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet. Ein paar Posten mit Revolvern in den Fäusten traten heran, blieben aber in der Nähe der
Tür. Gatsby rollte ein Papier auf und verlas, daß ich als Spion der Konföderierten in die Armee der Union eingedrungen und wieder entwischt wäre und gegen Belohnung gesucht würde, tot oder lebendig. Captain Dred Gatsby rollte das Papier zusammen. »Aber Sie wissen doch …« Er schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab. »Du wirst morgen gehängt«, sagte er, drehte sich schroff um und ging hinaus. Ich wollte hinter ihm her, aber die Wachen versperrten mir den Weg und schleuderten mich gegen die Wand zurück. Ich schlug so hart gegen die halbierten Stämme, daß mir der Rücken schmerzte. Die Posten gingen hinaus und die Tür schlug zu. Ich ließ mich auf den Boden sinken. Draußen kläffte Shita. Schüsse fielen. Weiter entfernt bellte der Hund abermals. »Laßt den verdammten Köter«, sagte jemand. »Der haut schon ab, wenn er die Nase voll hat.« * Als am folgenden Morgen die Sonne aufging und ein paar dünne Strahlen durch die Ritzen in mein Gefängnis stachen, hörte ich die Soldaten schon anmarschieren. Ich wußte, daß es meine letzte Stunde sein sollte. So langsam war mir während der Nacht auch die ganze Bedeutung gedämmert, die einzige Erklärung, die es für alles gab. Gatsby war vielleicht der Mann, durch den der General der Konföderierten Nachrichten erhalten hatte. Ich dachte an Gibson und fürchtete Schreckliches für ihn, was vielleicht schon längst geschehen war. Da hatten sie die Tür erreicht und öffneten. Mit finster verschlossenen Gesichtern standen sie draußen. »Es ist soweit«, sagte der dicke Corporal. »Mach keine Umstände, mein Junge, es würde dir doch nicht helfen.« Ich stand auf und trat hinaus. Die Helligkeit blendete mich. Shita
war auf einmal wieder da. Ein Soldat wollte dem Hund einen Tritt versetzen, aber der dicke Corporal sagte: »Laß das, du verdammter Narr!« »Es ist alles falsch«, sagte ich. Der dicke Mann verzog das Gesicht. »Der Captain lügt!« »Hör doch auf«, sagte der Mann unfreundlich. »Ich hab doch wirklich schon genug um die Ohren. Und es ändert auch nichts. Warum willst du nun unseren stockkorrekten Offizier noch beschimpfen.« Sie stießen mich vorwärts, und ich sah schon den Raum am Ende der Menschengasse, vor dem das Lasso baumelte. Eine schmale Kiste stand hochkant unter der Schlinge. Alles in mir bäumte sich gegen dieses Schicksal auf. Gatsby war ein, Verräter. Aber keiner der Soldaten würde es glauben. Ich warf mich nach links und wollte durch die Mauer aus Soldaten brechen, aber ich federte wie von einer Gummiwand zurück und stürzte. Der Corporal stand groß wie ein Riese über mir und schüttelte den Kopf. »Muß denn das wirklich sein? Ich dachte, du bist endlich mal einer, der es mit Fassung tragen kann.« Sie hoben mich auf und stellten mich auf die Beine. Ein Gewehrkolben traf meinen Rücken und trieb mich auf die Schlinge zu. Gatsby stand dort, wo die Gasse aus Menschen größer wurde und wie eine Mauer um den Baum reichte; ein Kreis verstaubter, blauer Uniformen und erwartungsvoller Gesichter. Ich erhielt immer neue Schläge, bis ich endlich in dem großen Kreis stand, noch zwei Yards von der hochkant gestellten Kiste entfernt. Gatsbys hämisches Grinsen, war kaum zu erkennen. Ich war sicher der letzte, von dem er Enttarnung hatte befürchten müssen. Das dachte ich jedenfalls. »Helft ihm, wenn er nicht allein kann!« befahl der Captain. Die Männer griffen nach meinen Armen und zwangen mich, die letzten Schritte auch noch zu gehen. Ein Reiter tauchte neben uns auf. Er lenkte sein Pferd am Lasso herum und griff nach der
Schlinge, die er mir sicher über den Kopf streifen würde, sobald ich auf der Kiste stehen würde. Noch einmal bäumte sich der Lebenswille in mir auf, und ich versuchte, die Fäuste meiner Bändiger abzuschütteln. Es gelang mir nicht. Da war die Kiste erreicht. »Los, sonst heben wir dich in die Schlinge, mein Junge«, sagte der Corporal. »Es ist alles nicht wahr!« schrie ich. »Die Konföderierten werden nach Tennessee durchbrechen!« »Schluß nun!« befahl der Captain. »Sir, Reiter!« schrie in diesem Augenblick eine Stimme. In der nächsten Sekunde war Hufschlag zu hören, der wie ein lauter werdendes Brausen die Luft erfüllte. Captain Dred Gatsby blickte fragend über die Menge hinweg. »Ein Offizier mit einer Eskadron, Sir!« schallte es durch das Camp. Unruhe zeichnete das Gesicht des Offiziers. Der dicke Corporal trat zurück. Der Hufschlag verstärkte sich noch, und als sich die Mauer der Soldaten öffnete, sah ich Hugh Gibson in voller Uniform, neben ihm Moss Olden und dahinter weitere Soldaten. Mir wurden die Knie weich, und fragte mich, wie sie diesen Augenblick so genau hatten berechnen können. Dabei wußte ich natürlich, daß es Zufall war. Zwei Minuten später hätten sie mich nur noch tot am Strick baumelnd angetroffen. Captain Gatsby war bleich geworden. Die Eskadron hinter dem Major schwärmte nach den Seiten aus und richtete die Gewehre auf Gatsby. Der dicke Sergeant trat mit fragenden Blicken zur Seite. »Captain, Sie sind verhaftet«, erklärte Major Gibson schroff. »Corporal, nehmen Sie dem Captain die Waffen ab!« Der dicke Sergeant blickte Captain Gatsby an. »Sir, ich verstehe das nicht, aber Befehl ist Befehl. Sie gestatten!« Er entwaffnete den Mann und trat zur Seite. »Vielleicht wollen Sie endlich erklären, was das alles zu heißen
hat, Major!« rief Gatsby. »Aber mit dem größten Vergnügen, Mister Gatsby. Sie werden beschuldigt, unserem Gegner geheime Pläne des Generalstabs zugespielt und eine von uns gestartete Aktion, über die Sie unterrichtet waren, verraten zu haben. Wollten Sie Ronco eben hängen lassen?« »Er ist als Feind unserer Armee entlarvt!« Major Gibson lächelte scharf. »Als scheinbarer Feind, Mister Gatsby. Sie aber wissen, daß er mit mir zu den Konföderierten geritten ist, um deren Absichten zu erkunden. General Smith hat Sie eingeweiht, und das war wahrscheinlich der einzige Fehler, der ihm unterlief. Nehmen Sie den Captain fest!« Ich saß in einem bequemen Sessel im Zelt des verhafteten Captains und trank einen guten Whisky, der kein bißchen auf der Zunge brannte. Mir war noch ziemlich flau im Magen, obwohl alles erledigt schien. Ein Kurier war mit zwei Pferden nach Ripley unterwegs. Ich trank das Glas leer und stellte es auf den Tisch. »Und was ist mit Helmers und Capson?« fragte ich Gibson und den Neger, die im Zelt standen. »Die hatten leider nicht soviel Glück wie wir«, erwiderte der Major. »Als Olden und Helmers uns befreien wollten, wurden sie beide erschossen.« Ich nickte. Etwas anderes zu hören hatte ich nicht erwartet. »Wir haben eine Menge erreicht«, sagte der Major weiter. »Ich glaube, es hat sich mehr als gelohnt. Wir kennen nun genau die Pläne des Gegners und werden ihn sicher schlagen können. Seine Einheiten in Tennessee werden sich dann über Kurz oder lang ergeben.« »Sicher«, sagte ich und stand auf. »Trotzdem könnten mich keine zehn Pferde mehr bewegen, so etwas noch mal anzufassen.«
14. Bereits zwei Tage später zogen die Truppen der Südstaaten vor den Schanzen der Unionstruppen auf. Man hatte die Offensive noch einmal vorverlegt, nachdem General Early und General Bragg klar
geworden sein mußte, daß ihre Pläne dem Gegner im Norden nicht mehr unbekannt sein konnten. Das war am 13. Juli 1864, genau an dem Tage, da wir wieder in Ripley eintrafen und unsere alten Posten einnahmen; Gibson beim Generalstab und ich als Scout. Am 14. Juli 1864 kam es in Tupelo und Harrisburg gleichzeitig zur Schlacht, aber in beiden Fällen versuchten die Verbände der Konföderierten vergeblich, unsere Stellungen zu knacken und damit den Weg zu den Eingeschlossenen von Tennessee freizuschießen. Und während wir selbst nur 77 Todesopfer in dieser erbitterten Schlacht zu betrauern hatten, verlor General Early 1400 Mann. Am 15. Juli war die Schlacht bereits vorbei, und der Pulverdampf verzog sich von den Gebeinen der Toten. Der Süden war in diesem Abschnitt gescheitert. An diesem Tage wußte ich endlich ganz genau, daß es wirklich alles Sinn gehabt hatte, auch wenn Opfer gebracht worden waren.
ENDE
Vorschau Ronco sah den Mörder seiner Frau, als er über die Hauptstraße ritt. Bruce Luman hatte mit Pablo Dorezo gerade die Cantina verlassen. Der Colt flog in Roncos Hand, er trieb Wildcat an und eröffnete das Feuer. Bruce Luman und der Mexikaner duckten sich und zogen ihre Waffen. Luman schrie auf, als ihm eine Kugel Roncos wie ein glühendheißer Schwerthieb über die Seite fuhr. Pablo Dorezo feuerte zurück. Ronco ließ sich aus dem Sattel fallen, rollte durch den Staub und fand hinter einem Wassertrog Deckung. Wildcat galoppierte wiehernd in eine Seitengasse. Bruce Luman und der Mexikaner warfen sich herum und verschwanden um die Ecke der Cantina. Roncos Kugeln stanzten Splitter aus dem Eckholz des Gebäudes. Er federte hoch und hetzte mit langen Sprüngen über die Straße, die wie leergefegt war. Niemand wagte sich aus den Häusern. Mochten sich doch diese verrückten Pistoleros gegenseitig umbringen – je mehr krepierten, um so besser … Die Jagd auf Ronco geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 246 dieser großen deutschen Western-Serie:
Der Tyrann