Jeany Steiger
Hexensabbat Irrlicht Band 401
Die drei Satansjünger blieben dicht vor dem Altar stehen. Caroline und B...
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Jeany Steiger
Hexensabbat Irrlicht Band 401
Die drei Satansjünger blieben dicht vor dem Altar stehen. Caroline und Bill sahen, daß ihre Gesichter von dunklen Masken bedeckt waren, die nur Schlitze für die Augen hatten. Bill Cromwell filmte erneut und hoffte, daß es bei den Aufnahmen keine Panne geben würde. Der dritte Vermummte trat plötzlich einen Schritt auf die Versammelten zu und blieb stehen. Er streifte die Kapuze vom Kopf. Caroline Darlton hatte große Mühe, um nicht aufzuschreien. Blonde, lange Haare waren unter der Kapuze zum Vorschein gekommen. Die Frau streifte nun auch noch die Kutte ab und reckte den wohlgeformten Körper, der nur von einem durchsichtigen Gewand bekleidet war. Caroline Darlton starrte fassungslos zu der Frau hinüber, die ihr so sehr ähnelte wie ein Ei dem anderen!
Dr. Caroline Darlton strich eine Strähne ihrer dunkelblonden Haarpracht aus der Stirn, seufzte leise und drückte dann den Knopf der Sprechanlage, die sie mit ihrer Sprechstundenhilfe verband. »Sie können den nächsten Patienten hereinbitten, Monica.« »Mister Peterson ist der letzte Patient gewesen. Das Wartezimmer ist leer, Miß Darlton«, erklang Monica Hamiltons sanfte Stimme. »Sie haben es für heute wieder einmal geschafft. Darf ich einen Sprung zu Ihnen hineinkommen?« »Dann bringen Sie bitte gleich die Unterlagen für die Hausbesuche mit«, antwortete die dreißigjährige Ärztin. Caroline Darlton erhob sich hinter dem Schreibtisch und dehnte und reckte den schlanken und sehr fraulich wirkenden Körper. Sie trat ans Fenster und warf einen Blick ins Freie. Es regnete seit Tagen, und so war es auch kein Wunder, daß viele Menschen sich eine Grippe oder schwere Erkältungen geholt hatten. Es klopfte, und dann trat Monica Hamilton ein. Die Sprechstundenhilfe war über vierzig, schon ein wenig rundlich und strahlte Ruhe und Mütterlichkeit aus. Sie verstand es meisterhaft, den Patienten ihre Angst zu nehmen und war auch sonst eine erstklassige Mitarbeiterin. »Es sind nur drei Hausbesuche, Miß Darlton«, sagte sie. »Nichts Schwerwiegendes. Mit ein wenig Glück können Sie heute einmal früher Feierabend machen. Die Karten für das Konzert heute abend habe ich Ihnen ebenfalls mitgebracht.« Caroline Darlton setzte sich lächelnd. »Mister Cromwell hat mich vor einer Stunde angerufen und mich gebeten, Sie nochmals an das Konzert zu erinnern«, fuhr Mrs. Hamilton fort. Carolines Lächeln verstärkte sich.
»Ich habe die Verabredung nicht vergessen und freue mich sehr darauf«, sagte sie leise. »Ich hoffe nur, daß mir kein Patient einen Strich durch die Rechnung macht. Der Zulauf ist in den vergangenen Wochen immer größer geworden. Allem Anschein nach habe ich mich hier in der Stadt durchgesetzt.« »Sie sind eine ausgezeichnete und tüchtige Ärztin«, meinte die Sprechstundengehilfin. »Das spricht sich natürlich herum. Das ist es auch, warum die Praxis immer stärker frequentiert wird. Sie haben sich sehr schnell das Vertrauen der Bewohner dieser Kleinstadt erworben.« Caroline Darlton nickte mehrmals. »Hoffentlich bin ich inzwischen nicht Doktor Michael Gray ein Dorn im Auge. Er hat sehr viele Patienten an mich verloren.« »Ach was«, sagte Monica Hamilton und winkte ab. »Der alte Krauter setzt sich doch schon bald zur Ruhe. Außerdem ist er, fachlich gesehen, längst nicht auf dem neuesten Stand. Er wird Ihnen den Erfolg nicht übelnehmen.« »Das hoffe ich auch«, erwiderte die Ärztin. »Übrigens, sein Sohn James hat mich schon wieder zum Essen eingeladen. Dieses Mal werde ich wohl nicht schon wieder absagen können.« »Dann bringen Sie es hinter sich«, meinte die Sprechstundengehilfin. »Allem Anschein nach hat er sich in Sie verliebt – was ich gut verstehen kann. Sie sind nun einmal eine sehr schöne und begehrenswerte Frau.« »James Gray hat mir schon in London den Hof gemacht, als ich noch in einem Krankenhaus arbeitete«, entgegnete Caroline Darlton. »Er läßt einfach nicht locker, obwohl ich ihm schon mehrmals sehr deutlich erklärt habe, daß zwischen uns nichts läuft. Er ist aber sehr stur und von seinem unwiderstehlichen Charme überzeugt. Bill ist schon eifersüchtig geworden.«
»Das ist kein schlechtes Zeichen. Leider ist unser Apotheker sehr schüchtern, wie Sie mir sagten.« »Er ist nun einmal ein Mann, der nichts überstürzen will«, erwiderte Caroline. »Mir geht es ebenso. Auch ich habe Angst, mich zu binden. Wir beide streichen wie Katzen um den heißen Brei herum.« Caroline Darlton erhob sich lachend und nahm die Karteikarten für die Hausbesuche aus Monicas Hand. »Dann bis morgen. Und erinnern Sie mich bitte daran, daß ich diesen James Gray anrufe. Mir bleibt wohl keine andere Wahl, als seine Einladung anzunehmen, um ihn nicht zu sehr vor den Kopf zu stoßen.« »Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Abend«, sagte Mrs. Hamilton. »Bis morgen in aller Frische.« Sie verließ das Zimmer, und Caroline Darlton streifte den weißen Mantel ab. Sie sah sich die Krankenberichte an, überprüfte ihre Arzttasche und verließ die Praxis. Eine Stunde später hatte sie die drei Krankenbesuche hinter sich gebracht und betrat das kleine Haus am Rande der Stadt, das sie vor zwei Jahren gemietet hatte, als sie die Praxis eröffnete. Die Ärztin stellte aufatmend die Tasche ab und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Ich muß mich sputen, dachte sie. Dieses Mal darf ich Bill nicht versetzen. Er würde es mir sehr übel nehmen. Wie ich ihn kenne, hat er bestimmt schon mehrmals bei mir angerufen. In diesem Moment läutete das Telefon. Caroline Darlton nahm lächelnd den Hörer ab und meldete sich. »Na endlich«, vernahm sie Bill Cromwells angenehme Stimme. »Wenn es dir recht ist, hole ich dich in einer guten halben Stunde ab.« »Ich dusche nur noch schnell, ziehe ein schickes Kleid an und esse einen Happen«, antwortete Caroline. »Ich freue mich auf
das Konzert und auf dich. Wollen wir anschließend noch essen gehen?« »Das hatte ich vor. Ein Tisch ist bereits reserviert. Ich finde es schön, daß wir endlich wieder einmal einen Abend gemeinsam verbringen können. Ich bin bald bei dir. Bis später.« Eine halbe Stunde später klingelte es. Dr. Caroline Darlton zupfte ihr enganliegendes Kleid zurecht, warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und schnitt sich eine Grimasse. Die junge Frau öffnete und lag Sekundenbruchteile später in den Armen des schlanken und dunkelhaarigen Mannes, der sie zärtlich küßte und liebevoll an sich drückte. Ein zufriedenes Lächeln ließ Bill Cromwells Gesicht noch markanter erscheinen. Er rückte die Brille zurecht, trat einen Schritt zurück und sah sein reizendes Gegenüber prüfend an. »Du siehst fabelhaft aus«, sagte er. »Wenn ich mich nicht schon längst in dich bis über beide Ohren verliebt hätte, würde ich es jetzt auf der Stelle tun. Wir sollten uns viel öfter sehen.« »Ich nehme es mir auch immer wieder vor«, antwortete Caroline Darlton. »Du weißt aber ganz genau, daß meine Patienten vorgehen. Das ist vorerst nicht zu ändern. Die Praxis wächst mir inzwischen fast über den Kopf.« »Ich weiß«, entgegnete Bill Cromwell schulterzuckend. »Ich gönne dir ja den Erfolg und freue mich für dich. Das wird sich schon einpendeln. Wie ich gehört habe, ist Doktor Michael Gray ziemlich sauer auf dich. Er hat kaum noch zu tun und hat sehr viele Patienten an dich verloren.« »Ich kann’s nicht ändern«, sagte Caroline Darlton und schlüpfte in den Ledermantel, den Bill Cromwell vom Garderobenhaken genommen hatte und ihr entgegenhielt. »Außerdem will er ja seine Praxis aufgeben und seinen Lebensabend genießen. Geld hat er ja genügend«, fuhr die
Ärztin fort und griff nach ihrer Handtasche. »Ich hätte nichts dagegen, wenn sich ein anderer Kollege hier ansiedeln würde, sonst wird es wirklich zuviel für mich.« Caroline Darlton und Bill Cromwell fuhren zur Stadthalle und genossen das Konzert. Danach suchten sie ein gutes Restaurant auf, in dem eine internationale Küche geboten wurde. Sie ließen es sich schmecken, unterhielten sich angeregt und merkten gar nicht wie schnell die Zeit verging. »Du wirst andauernd von einem Mann beobachtet«, sagte Bill plötzlich. »Er läßt kaum ein Auge von dir und sitzt schräg hinter dir an einem Ecktisch. Er kommt mir bekannt vor, doch ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern.« »Ich schaue gleich mal unauffällig hinüber«, meinte Caroline Darlton lächelnd. »Vielleicht handelt es sich um einen alten Verehrer, der mich nicht vergessen konnte und eifersüchtig auf dich ist.« Bill Cromwell verzog das Gesicht. Caroline griff über den lisch und legte ihre Hand auf die des geliebten Mannes, um dessen Mundwinkel sich nun die Andeutung eines Lächelns legte. »Keine Sorge, Liebling«, sagte die Ärztin. »Du weißt genau, daß es keinen anderen Mann in meinem Leben gibt.« »Ich weiß, Liebes«, antwortete der dunkelhaarige Mann und drückte Carolines Hand zärtlich. »Wir sollten gehen. Ich rufe den Kellner.« Caroline Darlton drehte kurz den Kopf und blickte genau in die leicht stechenden Augen eines Mannes, der kurz den Kopf neigte und dann wegsah. »Das ist James Gray, der Sohn von Doktor Michael Gray«, erklärte Caroline, als sie Bill Cromwells fragenden Blick sah. »Ich kenne ihn von meiner Tätigkeit an einem Londoner Krankenhaus. Er ist ein arroganter und eiskalter Mensch, der
mir noch niemals gefallen hat. Keine Krankenschwester war vor ihm sicher. Auch mich hielt er für eine leichte Beute, bis ich ihn eines Besseren belehrte. Er hat aber niemals aufgegeben und ruft hin und wieder an.« Bill Cromwells nickte mehrmals. »Soll ich mit ihm reden und ihm klarmachen, daß wir beide ein Paar geworden sind?« Die blonde Ärztin schüttelte den Kopf. »Ich spreche selbst mit ihm und zwar in den nächsten Tagen. Dann werde ich die Situation ein für allemal klären. Und jetzt sollten wir gehen, nachdem du bezahlt hast.« Caroline Darlton fühlte James Grays Blicke in ihrem Rücken, als sie mit Bill das Lokal verließ. Und sie verspürte plötzlich eine Gänsehaut. Einige Minuten später hielt Bill Cromwell seinen Wagen vor Carolines Haus an und stellte den Motor ab. »Kommst du noch mit auf eine Tasse Kaffee herein?« fragte Caroline mit lockendem Lächeln. »Kaffee?« scherzte Bill. »Und ich hatte gedacht, daß du mir endlich deine Briefmarkensammlung zeigen möchtest.« Caroline Darltons Lächeln verstärkte sich. »Du solltest dich überraschen lassen, Liebling«, antwortete sie. »Vielleicht habe ich dir einiges mehr, als nur Kaffee zu bieten!«
*
»Wenn Sie nichts mehr zu tun haben, dann könnte ich gehen, Miß Darlton«, sagte Mrs. Hamilton, die Sprechstundengehilfin. »Das Wartezimmer ist leer, und Krankenbesuche fallen für Sie heute auch nicht an.«
»In Ordnung, Monica«, sagte die Ärztin und blickte von einem Krankenbericht auf. »Ich bin auch gleich fertig und werde den freien Abend einmal richtig genießen. Bis morgen dann.« »Good bye«, sagte Mrs. Hamilton herzlich und verließ das Sprechzimmer. Kurze Zeit später vernahm Caroline das Zuschlagen der Außentür. Einige Minuten später ordnete die Ärztin ihren Schreibtisch und wollte gerade aufstehen, als es an der Tür klingelte. »Anscheinend beehrt mich doch noch ein Patient«, sagte Caroline zu sich selbst und stand auf. Sie eilte zur Tür, öffnete und blickte überrascht in James Grays rundliches Gesicht. Ein breites Lächeln lag auf den Lippen des Arztes. »Je später der Abend, um so überraschender die Gäste«, sagte er. »Darf ich eintreten? Ich war in der Nähe und wollte es mir nicht nehmen lassen, dich auf einen Sprung aufzusuchen.« »Ich wollte gerade gehen«, sagte Caroline und überlegte fieberhaft, wie sie den ungebetenen Besucher schnell wieder loswerden konnte. Dann trat sie aber zur Seite, um Dr. James Gray einzulassen. Er nahm im Sprechzimmer vor dem Schreibtisch Platz. »Sehr erfreut scheinst du ja über meinen Besuch nicht zu sein«, sagte er mit düsterem Gesichtsausdruck. »Außerdem habe ich vergebens auf deinen Anruf gehofft. Ich scheine für dich überhaupt nicht mehr zu existieren.« Caroline Darlton lehnte sich leicht zurück und schloß für einen Herzschlag lang die Augen. »Ich verstehe nicht, was das soll, James?« entgegnete sie dann leise. »Gut, wir haben vor über einem Jahr ein wenig miteinander geflirtet, doch mehr ist nicht gewesen. Mehr wird auch nicht sein. Das habe ich dir schon mehrmals erklärt. Gib’s endlich auf und lasse mich in Frieden.«
James Gray schluckte mehrmals. Seine Miene verdüsterte sich noch mehr. Er biß sich auf die Unterlippe und starrte Caroline Darlton wütend an. »Ich bin ganz vernarrt in dich«, stieß er dann hervor. »Warum gibst du mir einen Korb nach dem anderen? Wenn du wüßtest, wie sehr ich dich begehre, dann würdest du nicht so daherreden.« Die junge Medizinerin hob abwehrend beide Hände. »Du redest Unsinn, James«, erklärte sie schärfer, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. »Zwischen uns ist nichts gewesen und wird auch niemals was sein. Ich liebe einen anderen Mann. Und wir werden schon bald heiraten. Mehr brauche ich dir doch wohl nicht mehr zu erklären. Und jetzt solltest du gehen. Vergiß mich – es wird dir nichts anderes übrigbleiben!« Dr. James Grays Hände krampften sich so fest um die Stuhllehne, daß die Knöchel hell zu schimmern begannen. Sein Gesicht färbte sich erst rot, ehe es eine fast leichenhafte Blässe annahm. »Das nehme ich dir nicht ab«, ächzte er dann. »Du hast mir große Hoffnung gemacht und bist sogar in meine Heimatstadt gezogen, um hier deine Praxis zu eröffnen. Glaubst du denn im Ernst, daß ich dich meinem Vater vor die Nase gesetzt hätte, wenn ich mir deiner Liebe nicht sicher gewesen wäre?« »Du lebst anscheinend in einer Fantasiewelt«, antwortete Caroline Darlton, der das Gespräch immer weniger gefiel. »Wir sind ein paarmal ausgegangen, wie es unter Kollegen üblich ist. Außer einigen harmlosen Küssen ist nie etwas zwischen uns gewesen. Du hast dich da in etwas verrannt, was nicht ist und auch niemals sein wird. Du mußt meine Entscheidung akzeptieren, James. Dir bleibt keine andere Wahl. Und nun solltest du wirklich gehen.« Dr. Caroline Darlton erhob sich hinter dem Schreibtisch, ging zur Tür und öffnete sie demonstrativ.
James Gray starrte die blonde Kollegin ungläubig an. Eine fieberhafte Röte kroch seinen Hals empor und überflutete das rundliche Gesicht des Mannes. Die Lippen bebten, und der kurzgestutzte Schnurrbart schien sich zu sträuben. James Gray erhob sich wie in Zeitlupe. Er blieb zusammengekauert stehen und ähnelte irgendwie einem Tiger vor dem Sprung. Caroline Darltons Herzschlag beschleunigte sich. Sie wich erschrocken zur Seite und gab die Tür frei. Der Londoner Arzt schritt langsam auf sie zu. Seine Augen waren geweitet, und die Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Dr. James Gray blieb dicht vor Caroline stehen. Sein Atem, der nach Alkohol roch, wehte der jungen Frau entgegen. Sie wich zurück und zuckte zusammen, als sie gegen die Zimmerwand prallte. »Geh doch endlich«, flüsterte Caroline Darlton. »Wir haben uns nichts mehr zu sagen.« James lächelte kalt. »Wir sind noch lange nicht fertig miteinander!« stieß er dann zornig hervor. »Das schwöre ich dir. So lasse ich mich nicht abservieren. Ich werde dir das Leben zur Hölle machen!« Er hob theatralisch die rechte Hand zum Schwur, und ein eisiges Funkeln lag in seinem Blick. »Du willst es nicht anders«, fuhr James Gray fort. »Ich übernehme die Praxis meines Vaters, und dann wird sich schnell herausstellen, wer von uns der bessere Arzt ist. Du wirst dich noch wundern.« James Gray schwieg und preßte die Lippen so fest aufeinander, daß sie an eine schlecht verheilte Narbe erinnerten. »Ich gebe dir vierundzwanzig Stunden Zeit, deine Meinung zu ändern. Du weißt ja, wo du mich erreichen kannst!«
Er trat plötzlich einen Schritt auf Caroline Darlton zu, und ehe sich die junge Frau versah, hatte er zugepackt und den schlanken Körper gegen den seinen gepreßt. Seine Lippen suchten ihren Mund, doch Caroline drehte blitzschnell den Kopf zur Seite und befreite sich aus den Armen des Mannes. Ihr schmales Gesicht drückte Ekel und Abneigung aus. »Du bist ja nicht ganz bei Sinnen«, ächzte die blonde Ärztin. »Verschwinde auf der Stelle, oder ich verständige die Polizei. Und deine Drohungen kannst du dir schenken. Ich habe nichts dagegen, wenn du die Praxis deines Vaters übernimmst. Die Arbeit wächst mir nämlich langsam, aber sicher über den Kopf. Und nun solltest du verschwinden!« James Gray stand mit schnellgehendem Atem vor Caroline. Im ersten Moment sah es aus, als wollte er sich auf sie stürzen, doch dann wich der dunkelhaarige Mann einen Schritt zurück. »Das wirst du büßen!« stieß er zornbebend hervor. »Ich werde dich vernichten. Du wirst diese Stunde noch verfluchen!« James Gray wandte sich nach diesen Worten ab und verließ mit schnellen Schritten den Behandlungsraum. Dumpf fiel die Außentür hinter ihm ins Schloß. Dr. Caroline Darlton lehnte sich aufseufzend gegen die Zimmerwand. Nur langsam beruhigte sich ihr heftig klopfendes Herz. Sie wischte mit dem Handrücken über den Mund, wo sie von James Grays Lippen gestreift worden war. Er ist verrückt, dachte sie. Was habe ich ihm getan, daß er sich so aufführt? Er hat überhaupt kein Recht, den eifersüchtigen und enttäuschten Liebhaber zu spielen. Caroline Darlton setzte sich hinter ihren Schreibtisch und beruhigte sich nur langsam. Dann wählte sie Bill Cromwells Telefonnummer und atmete auf, als der geliebte Mann den Hörer abnahm.
»Mit dir hatte ich heute gar nicht mehr gerechnet«, sagte Bill frohgelaunt. »Ich freue mich aber sehr, daß du dich meldest.« Caroline Darlton schilderte mit wenigen Worten, was sich vor einigen Minuten in ihrer Praxis zugetragen hatte. Bill Cromwell schwieg mehrere Sekunden, nachdem Caroline ihm das Herz ausgeschüttet hatte. »Der Kerl gehört in eine Klapsmühle«, stieß er dann zornig hervor. »Der hat ja nicht mehr alle Tassen in der Kommode. Ich komme gleich zu dir und hole dich ab. Es könnte ja sein, daß der Verrückte irgendwo draußen in der Dunkelheit lauert, um nochmals über dich herzufallen.« »Ich warte auf dich«, antwortete Caroline Darlton voller Dankbarkeit. »Bitte, beeile dich.« Bill Cromwell betrat zehn Minuten später die Praxis und schloß Caroline in die Arme. Ihre Lippen fanden sich zu einem zärtlichen Kuß, und Caroline fühlte sich plötzlich sicher und geborgen. »Ich habe den Spinner nirgends entdecken können«, sagte Bill Cromwell, nachdem er Caroline sanft zurückgeschoben hatte. »Das ist ja ein Ding. Ich werde morgen nach London fahren und mit James Gray reden. Ich bin zwar ein friedlicher Zeitgenosse, doch was zuviel ist, das ist zuviel. Wenn er in Zukunft die Finger nicht von dir läßt, wird er mich kennenlernen.« »Ich glaube nicht, daß du den Kerl mit Worten überzeugen kannst«, meinte die blonde Ärztin. »Er hat sich da in eine Idee verrannt, die bestimmt sein gesamtes Denken und Fühlen bestimmt. Da kann wohl nur ein Psychologe helfen. James Gray hat so getan, als wäre ich seine Geliebte und hätte ihn betrogen. Und dabei ist niemals etwas zwischen uns gewesen.« Bill Cromwell lächelte zärtlich. »Ich glaube dir«, erwiderte er. »Außerdem wäre es vor meiner Zeit gewesen. Jetzt müssen wir den Burschen in die
Schranken weisen, ehe er noch mehr Unheil anrichtet. Du solltest seine Drohung für bare Münze nehmen.« Caroline Darlton winkte ab. »Das tue ich auch, Bill. Natürlich kann ich nicht verhindern, daß er die Praxis seines Vaters übernimmt. Sonst wäre auf jeden Fall ein anderer Arzt in die Stadt gekommen. Ich weiß, daß ich eine gute Ärztin bin und fürchte mich nicht vor Konkurrenz.« Bill Cromwell nickte mehrmals. »Ich werde dir helfen, wo immer ich nur kann«, versprach er. »Und jetzt lade ich dich zum Abendessen ein, damit du auf andere Gedanken kommst. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen?« »Im Moment habe ich zwar das Gefühl, keinen Bissen runterzukriegen, doch das wird sich bestimmt ändern. Ich bin so froh, daß es dich gibt, Bill!«
*
»Ich habe mit James Gray gesprochen, Liebes«, sagte Bill Cromwell einige Tage später in Carolines Praxis. »Er hat einen ganz vernünftigen Eindruck gemacht und ist mir weder an die Kehle gesprungen noch hat er mich hinausgeworfen.« Caroline Darlton atmete auf. Den ganzen Tag über hatte sie einen dumpfen Druck im Magen verspürt, der nichts Gutes verhieß. Irgendwie hatte sie um Bill Angst gehabt, nachdem er ihr gesagt hatte, daß er James Gray in London aufsuchen würde. »Ich gehe jetzt, Miß Darlton«, rief Monica Hamilton, die Sprechstundengehilfin. »Ich wünsche Ihnen beiden einen schönen Abend. Auf Wiedersehen.«
Caroline Darlton und Bill Cromwell erwiderten den Gruß. »Nun erzähle mal der Reihe nach«, sagte Caroline Darlton neugierig. »Los, spanne mich nicht zu sehr auf die Folter.« Bill Cromwell lächelte verhalten. »Ich habe Gray klargemacht, daß du und ich ein Paar sind und es auch bleiben werden. Das ist eigentlich schon alles. Er sagte nur, daß es ihm inzwischen völlig egal wäre.« »Diesen Eindruck hat James aber vor einigen Tagen nicht gemacht«, wunderte sich die Ärztin. »Irgendwie, habe ich das Gefühl, daß er lügt. James war wie besessen davon, sich an mir zu rächen. Diesen Meinungsumschwung kann ich mir nicht so recht erklären.« »Ich habe mich auch gewundert«, gab Bill Cromwell zu. »Wir müssen abwarten, ob dein ehemaliger Kollege gelogen oder die Wahrheit gesagt hat. Auf jeden Fall sollten wir auf der Hut sein.« Caroline Darlton zuckte hilflos mit den Schultern. »Wird James die Praxis seines Vaters übernehmen?« fragte sie. »Gray wird sie übernehmen und bestimmt alles tun, um dir und der Bevölkerung zu beweisen, daß er der bessere Arzt ist. Du mußt dich auf einen harten Kampf gefaßt machen.« Caroline winkte ab. »Davor ist mir nicht bange«, antwortete sie. »Ich weiß, was ich kann, und ich genieße außerdem das Vertrauen vieler Patienten, denen ich in den vergangenen zwei Jahren geholfen habe.« »Das denke ich auch«, stimmte Bill lächelnd zu. »Du bist eine tüchtige Ärztin. Wenn du wüßtest, wie oft dich deine Patienten bei mir in der Apotheke gelobt haben, wenn sie die verschriebenen Medikamente abholten.« Bill Cromwell erhob sich aus dem Stuhl und trat zu Caroline Darlton, die ebenfalls aufgestanden war.
»Was fangen wir mit dem angebrochenen Abend an?« fragte die blonde Ärztin und schmiegte sich gegen den schlanken und großgewachsenen Mann, der ihr beide Hände auf die Schultern legte und ihr einen zärtlichen Kuß auf die zierliche Nase hauchte. »Ich habe heute abend eine wichtige Sitzung im Stadtrat«, sagte er bedauernd. »Es geht um wichtige Entscheidungen, an denen ich unbedingt teilnehmen muß. Wir könnten uns ja nach dem Treffen sehen.« Dr. Caroline Darlton strich dem geliebten Mann zärtlich über die Wange und schüttelte dann den Kopf. »Diese Sitzungen kenne ich inzwischen«, meinte sie. »Die arten meistens in ein Trinkgelage aus. Und bei diesem Umtrunk darfst du auch nicht fehlen, sonst denken alle, daß du bereits unter dem Pantoffel stehst.« Bill Cromwell schmunzelte. »Was die Leute denken, interessiert mich zwar nicht, doch einige meiner Freunde würden mich vermissen. Viele wichtige Angelegenheiten kann man nun einmal bei einem Drink besser besprechen als auf der Sitzung, die meist steif und förmlich über die Bühne geht. Du bist mir also nicht böse, wenn ich dich heute abend versetze?« »Wir sehen uns morgen, Liebling. Ich mache es mir gemütlich und sehe mir einen Film im Fernsehen an, der mich interessiert. Und jetzt solltest du losfahren, damit du nicht zu spät kommst.« Bill Cromwell verabschiedete sich mit einem langen Kuß. Kurz darauf verließ er die Praxis und fuhr davon. Caroline Darlton ordnete noch einige Papiere und Akten, ehe auch sie das Haus verließ. Die Nacht war hereingebrochen. Nebelschwaden hingen wie Leichentücher über den Büschen, als Caroline zu ihrem Auto
ging. Das Firmament war bewölkt, und ein leichter Wind spielte mit Carolines Haaren. Die junge Ärztin fröstelte leicht und war froh, als sie am Steuer ihres kleinen Ford saß. Sie fuhr los, und bald lagen die letzten Häuser der Stadt hinter dem Gefährt. Die Nebelschwaden wurden dichter, und die Scheinwerfer des Wagens stachen wie Geisterfinger in das wattige Gebräu. Endlich erreichte Caroline das kleine Haus, das sie gemietet hatte und das abseits der Straße stand. Dr. Caroline Darlton fuhr das Auto in die Garage und ging zur Haustür. Der milchige Nebel waberte im weiten Rund, und Caroline war froh, als sie vor der Haustür stand und aufschloß. Die blonde Frau zuckte plötzlich zusammen und drehte dann entschlossen den Kopf. Sie glaubte, Schritte vernommen zu haben, die sich dem Haus näherten. Die Ärztin lauschte in die Dunkelheit, doch die Geräusche waren verstummt. Carolines Herzschlag beschleunigte sich, und sie verspürte plötzlich Angst in sich aufsteigen. Sie öffnete die Tür und wandte sich dann noch einmal schnell um. Die Medizinerin erkannte einen dunklen Schatten hinter einem Busch, der gespenstisch von wogenden Nebelfetzen umhüllt wurde. Carolines Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch kein Ton kam aus ihrer Kehle. Dann war die unheimliche Gestalt von einer Sekunde zur anderen geräuschlos verschwunden. Caroline zwinkerte mehrmals, doch sie konnte den dunklen Schatten nicht mehr sehen. Sie atmete tief durch, begab sich ins Haus und schloß die Tür hinter sich ab. Nachdem sie noch einen Riegel vorgeschoben hatte, fühlte sie sich in Sicherheit. Langsam ließ ihre Angst
nach, und auch der pochende Herzschlag beruhigte sich, nachdem sie einige Lampen angeknipst hatte. Caroline überzeugte sich, daß die Fenster geschlossen waren und zog die Vorhänge zu. Ich muß mich getäuscht haben, dachte sie immer wieder. Bestimmt haben mir meine überreizten Nerven einen Streich gespielt. Wer soll sich auch dort draußen in der Dunkelheit aufhalten? Caroline Darlton bereitete sich ein Abendessen, nachdem sie geduscht und sich bequeme Kleidung angezogen hatte. Dann schaltete sie den Fernsehapparat ein, doch der Film entsprach nicht ihren Erwartungen. Sie las noch ein wenig in einem medizinischen Fachbuch, ehe sie zu Bett ging. Sie dachte an Bill und lächelte dabei glücklich. Er war der Mann, auf den sie in all den vergangenen Jahren gewartet hatte. Und sie war sich sicher, daß auch er sie von ganzem Herzen liebte. Hin und wieder lauschte Caroline in die Dunkelheit. Der Wind war stärker geworden und fing sich in den Blättern von Büschen und Bäumen. Irgendwo klapperte ein loses Brett, und der Stamm eines Baumes ächzte immer wieder. Obwohl Caroline müde war, konnte sie keinen Schlaf finden. Sie wälzte sich unruhig im Bett hin und her, während ihr viele Gedanken durch den Sinn gingen. Sie dachte auch an James Gray und hoffte, daß er endlich seinen sinnlosen Haß begraben würde. Irgendwann schlief Caroline Darlton endlich ein. Sie schreckte durch ein Geräusch in die Höhe und brauchte einige Sekunden, um herauszufinden, wo sie sich befand. Caroline richtete den Oberkörper in die Höhe und zog das Laken hoch bis zum Kinn. So saß sie lange Sekunden wie erstarrt und lauschte.
Das Rauschen des Windes hatte nachgelassen und war kaum noch zu hören. Auch sonst waren keine verdächtigen Geräusche zu vernehmen. Ich muß mich getäuscht haben, dachte Caroline Darlton. Vielleicht habe ich nur schlecht geträumt. Die junge Frau zuckte plötzlich zusammen. Sie vernahm knirschende Schritte vor dem Fenster, die sich langsam näherten. Dann sah sie die schattenhaften Umrisse eines menschlichen Körpers, der sich dunkel gegen das geschlossene Fenster abzeichnete. Caroline stieß einen gellenden Aufschrei aus, und der Fremde verschwand sofort. Hastende Schritte entfernten sich. Irgendwo brach ein dürrer Ast unter einer Schuhsohle. Dann herrschte eine beinahe gespenstisch anmutende Stille, die sehr an Carolines Nerven zehrte. Sie überwand ihre Angst, sprang aus dem Bett und eilte zum Fenster. Die Nebelschwaden hatten sich verzogen. Silbernes Mondlicht legte einen milchigen Schleier über das Gelände vor dem Haus. Die Sterne funkelten in majestätischer Pracht am Firmament und ähnelten Diamanten auf schwarzem Samt. Von dem Fremden war weit und breit nichts zu sehen. Caroline Darlton öffnete das Fenster und blickte hinaus. Unterhalb des Fensters sah sie Fußabdrücke, die sich tief in den weichen Boden eines Beetes eingegraben hatten. Ich habe mich also nicht getäuscht, dachte Caroline voller Entsetzen. Jemand ist hiergewesen. Und allem Anschein nach war er schon vor meiner Ankunft auf dem Grundstück. Caroline ging zum Bett zurück und warf einen Blick auf den Radiowecker. Die Leuchtziffern zeigten kurz vor Mitternacht an. Einem ersten Impuls folgend, wollte Caroline ihren Freund anrufen, doch dann verwarf sie diesen Gedanken.
Bill ist bestimmt noch nicht zu Hause, dachte sie. Es genügt auch, daß ich ihm morgen von dem Vorfall erzähle. Ich glaube kaum, daß der Unbekannte nochmals zurückkehren wird. »Vielleicht handelt es sich um einen Dummenjungenscherz«, sagte Caroline zu sich selbst, doch so recht konnte sie das nicht glauben. Sie ging in den Flur und wollte sich davon überzeugen, daß die Außentür auch wirklich abgeschlossen war. Caroline vernahm ein dumpfes Pochen, als sie dicht vor der verschlossenen Tür stand. Etwas schien gegen die Tür zu schlagen. Die Angst nahm erneut von Caroline Darlton Besitz. Es pochte und klopfte erneut, und bald war Caroline klar, daß jemand einen Gegenstand an der Tür befestigt haben mußte. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und öffnete einen Spalt, um hinauszusehen. Wieder brach ein gellender Schrei von Carolines Lippen, als sie sah, was der unbekannte Fremde an dem Außengriff der Tür gebunden hatte. Es handelte sich um ein totes Huhn, das dort mit dem Kopf nach unten hing. Und die ganze Tür war über und über mit Blut verschmiert.
*
Seit jener Nacht waren vier Wochen vergangen… »Das Wartezimmer ist leer«, sagte Mrs. Hamilton, die Sprechstundengehilfin, und zuckte enttäuscht mit den Schultern. »Es tut mir leid, Miß Darlton. Anscheinend gibt es im Moment weniger Kranke in der Stadt.« Caroline Darlton nagte an der Unterlippe.
Sie fühlte sich seit Tagen nicht mehr ausgelastet. Zuviel Leerlauf gab es zwischen den einzelnen Patienten. Auch die abendlichen Hausbesuche hatten merklich nachgelassen. »Glauben Sie, daß viele meiner ehemaligen Patienten zu James Gray gewechselt sind, seitdem er die Praxis seines Vaters übernommen hat?« fragte Caroline und sah, wie Monica Hamiltons Lächeln erstarrte. »Neue Besen kehren bekanntlich gut«, sagte sie ausweichend. »Natürlich macht es sich bemerkbar, daß ein zweiter Arzt in der Stadt ist, der sich voll einsetzt. Sie sollten aber den Kopf nicht hängenlassen, Miß Darlton. Noch haben Sie genug zu tun. Das wird sich schon wieder einpendeln. Mister Gray kocht auch nur mit Wasser.« »Er hat mir den Kampf angesagt und geschworen, mich finanziell zu ruinieren. Können Sie mir nicht einen Rat geben? Sie leben schon eine halbe Ewigkeit in dieser Ortschaft und kennen die Menschen sehr genau.« Monica Hamiltons so mütterlich wirkendes Gesicht nahm einen leicht abwesenden Ausdruck an. »Ich werde mich einmal umhören«, sagte sie dann. »Wir haben viele Patientinnen verloren. Sie können natürlich dem Charme des neuen Arztes unterlegen sei. Viele Frauen schwärmen von Doktor James Gray.« »Das kann es nicht alleine sein«, zweifelte die Medizinerin. »Wir haben auch sehr viele männliche Patienten verloren, die bei mir in Behandlung standen und ärztliche Betreuung benötigen.« Caroline Darlton blickte auf ihre Armbanduhr. »Sie können in einer halben Stunde Schluß machen, falls sich bis dahin nichts mehr tut, Monica. Sind Hausbesuche zu erledigen?« Die Sprechstundengehilfin nickte. »Sie müssen zu Sam Webber fahren, um nach dem alten Knaben zu sehen. Er wird es wohl nicht mehr lange machen.«
»Das geht in Ordnung«, antwortete die Ärztin, erhob sich und trat ans Fenster, während Mrs. Hamilton das Sprechzimmer verließ. Wenn ich nur wüßte, was da vor sich geht? dachte Caroline Darlton. Es kann nicht allein daran liegen, daß James Gray die Praxis übernommen hat. Ich fühle mich in den vergangenen Wochen immer wieder beobachtet und verfolgt. Auch Bill weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Caroline Darlton dachte an das tote Huhn, das ihr der Unbekannte an die Tür gehängt hatte. Die Ärztin hatte diesen Zwischenfall für einen dummen Scherz gehalten und außer Bill Cromwell niemandem davon erzählt. Caroline seufzte tief, setzte sich wieder an den Schreibtisch und widmete sich der Post, die sie noch nicht durchgesehen hatte. Einige Minuten später steckte Monica Hamilton den Kopf zur Tür herein. »Garry Holding, der Bürgermeister, hatte einen Termin für heute nachmittag. Er ist nicht gekommen. Soll ich ihn anrufen und fragen, warum er uns versetzt hat, Miß Darlton?« »Das erledige ich«, erklärte die Ärztin. »Bitte, verbinden Sie mich, Monica. Ich fürchte aber, daß wir auch Mister Holding an James Gray verloren haben.« »Sie sehen zu schwarz«, meinte die Sprechstundengehilfin. »Der Bürgermeister ist immer sehr mit Ihrer ärztlichen Kunst zufrieden gewesen und hat Sie in den höchsten Tönen gelobt. Außerdem haben Sie ihm sehr geholfen. Bestimmt ist ihm ein wichtiger Termin dazwischengekommen.« »Ich werde es gleich wissen«, sagte Dr. Caroline Darlton. »Es tut mir leid, doch ich konnte den Termin leider nicht wahrnehmen«, sagte Garry Holding kurze Zeit später. »Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich etwas mehr Zeit habe.«
»Es geht um Ihre Gesundheit, Sir«, antwortete Caroline Darlton, die das Gefühl nicht los wurde, daß der Bürgermeister log. »Sie wissen genau, daß Sie die Behandlung nicht abbrechen können, ohne Schaden zu nehmen. Sollten Sie Doktor Gray aber den Vorzug geben, dann wäre es schön, mich das wissen zu lassen.« In Caroline Darltons Stimme schwang leichter Ärger mit. Der Bürgermeister antwortete nicht sofort. Und die Ärztin ahnte, daß sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. »Wie schon gesagt, Miß Darlton, ich melde mich wieder bei Ihnen«, wich Garry Holding aus. »Goodbye.« Caroline legte kopfschüttelnd den Hörer auf und lehnte sich im Sessel zurück. Sie blickte ihrer Sprechstundengehilfin entgegen, die kurz geklopft hatte und dann eingetreten war. »Was ist mit Mister Holding?« fragte sie neugierig. »Er will sich demnächst melden. Ich bin aber davon überzeugt, daß er gelogen hat. Allem Anschein nach gehört auch er nun zu Doktor Grays neuem Patientenkreis. Ich kann es nicht ändern.« »Sie sollten den Kopf nicht hängenlassen«, tröstete Mrs. Hamilton. »Bestimmt geht es bald schon wieder aufwärts. Freuen Sie sich lieber darüber, daß Sie im Moment weniger Streß und mehr Freizeit haben.« »Die Kosten bleiben«, sagte Caroline Darlton. »Die Praxiseinrichtung hat Unsummen verschlungen, und ich habe einen größeren Kredit aufnehmen müssen. Na ja, das bekomme ich schon wieder in den Griff. Sie können gehen, Monica. Und es wäre schön, wenn Sie sich mal umhören würden. Ich habe zwar schon einige Menschen angesprochen, doch sie sind mir alle nur ausgewichen, oder haben erst gar nicht auf meine Frage reagiert.« Nachdem Mrs. Hamilton gegangen war, rief Caroline in der Apotheke an und ließ sich mit Bill Cromwell verbinden.
»Kummer?« fragte Bill. »Deine Stimme klingt nicht besonders fröhlich. Natürlich sehen wir uns heute abend. Ich komme zu dir, so wie wir es vereinbart haben. Auf das Abendessen, und ganz besonders auf dich, freue ich mich schon jetzt. Bis später, Liebling.« Eine Stunde später öffnete Caroline Darlton dem geliebten Mann die Tür und schmiegte sich in seine Arme. »Nun solltest du mir einmal von deinen Problemen ausführlich erzählen«, sagte Bill Cromwell nach dem Abendessen, das er sichtlich genossen hatte. »Ich merke schon seit längerer Zeit, daß da einiges nicht stimmt. Leider hast du dich mir bis jetzt nicht anvertraut, und ich wollte dich nicht bedrängen.« Caroline Darlton erzählte von dem Patientenschwund, der in den letzten vierzehn Tagen katastrophale Formen angenommen hatte. Auf Bills Stirn zeichneten sich einige tiefe Falten ab, je länger seine Freundin berichtete. »Da wirst du vorerst wenig ändern können«, sagte er dann. »Dieser James Gray hat auf irgendeine Art und Weise dir einen Großteil deiner Patienten abspenstig gemacht. Du mußt etwas Geduld haben. Bestimmt kehrt ein Großteil von ihnen wieder zu dir zurück, nachdem sie herausgefunden haben, daß auch der neue Arzt nur mit Wasser kocht.« Bill nahm einen Schluck aus dem Glas mit blutrot funkelndem Wein und nickte Caroline beruhigend zu. »Auch ich habe in den vergangenen Woche größere Einbußen in der Apotheke zu verzeichnen. James Gray schickt alle seine Patienten zu einer anderen Apotheke. Er will uns beiden schaden.« Caroline sah Bill erschrocken an. »Jetzt ziehe ich dich mit in diese unangenehme Sache hinein«, sagte sie. »Das wollte ich nicht. Warum haßt mich dieser Mann nur so sehr? Ich habe ihm doch nichts getan.«
»James Gray reagiert aus verschmähter Liebe«, antwortete Bill Cromwell. »Er fühlt sich in seiner Ehre und in seinem Stolz gekränkt. Bestimmt ist er noch niemals zuvor von einer Frau abgewiesen worden. Und nun haßt er uns beide und will alles tun, um uns zu schaden.« Caroline Darlton dachte einige Sekunden nach. »Soll ich nochmals mit ihm sprechen?« fragte sie dann und schien von ihren eigenen Worten nicht sehr überzeugt zu sein. »Auf keinen Fall«, erwiderte Bill. »Du darfst vor ihm nicht in die Knie gehen. Es würde nichts nützen, außer du würdest ihn erhören.« »Niemals!« stieß Caroline Darlton entsetzt hervor. »Lieber gebe ich auf und versuche mein Glück in einer anderen Stadt.« Bill Cromwell schüttelte verweisend den Kopf. »So schnell darfst du die Flinte nicht ins Korn werfen«, tadelte er. »Noch kommst du finanziell über die Runden. Sollte das nicht mehr der Fall sein, dann helfe ich dir. Wir schaffen das schon und müssen nur fest daran glauben. Deine Sprechstundengehilfin hat recht, Liebes. Auch James Gray kocht nur mit Wasser. In kurzer Zeit renkt sich alles wieder ein. Davon bin ich völlig überzeugt. Und nun sollten wir es uns gemütlich machen, um auf andere Gedanken zu kommen. Du mußt abschalten.« Caroline Darlton nickte, griff nach ihrem Glas und prostete Bill Cromwell lächelnd zu. In diesem Moment gab es einen dumpfen Schlag. Glas splitterte, und die Wohnzimmerscheibe ging zu Bruch. Dicht vor Caroline Darlton polterte ein kopfgroßer Stein auf den Teppich und prallte gegen ein Tischbein. Caroline Darlton und Bill Cromwell waren erschrocken aufgesprungen. Sie starrten zum Fenster hinüber. Die Gardinen bewegten sich im leichten Wind. Sie vernahmen Schritte, die sich rasch entfernten.
»Das darf doch nicht wahr sein!« stieß Bill Cromwell zornig hervor und lief zum Fenster. Glasscherben barsten unter seinen Schuhen. Der dunkelhaarige Mann öffnete die Fensterflügel und schwang sich geschickt ins Freie. »Sei vorsichtig«, rief Caroline. »Ich möchte nicht, daß dir etwas geschieht. Vielleicht ist der Kerl nicht allein.« Bill Cromwell achtete nicht auf Carolines Worte, sondern rannte auf eine Hecke zu, die sich neben der Garage befand. Dahinter hatte er einen dunklen Schatten verschwinden sehen. Caroline Darlton starrte dem Geliebten ängstlich hinterher und atmete auf, als sie Bill kurze Zeit später zwischen zwei Büschen hervortreten sah. »Der Kerl ist mir entkommen«, meinte er. »Leider ist es zu dunkel, um nach Fußspuren zu suchen.« »Komm wieder ins Haus«, bat die blonde Ärztin, deren Gesicht noch immer von einer geisterhaften Blässe gezeichnet war. »Das ist wieder nichts anderes als ein Streich, den uns jemand gespielt hat.« Bill Cromwell sah sich nochmals um, ehe er das Haus durch die Tür betrat. Caroline holte Schaufel und Besen und fegte die Glasscherben zusammen. Dann ließ sie den Rolladen herunter. »Jemand versucht mit allen Mitteln, mich mürbe zu machen«, sagte sie dann. »Erst die Sache mit dem Huhn, und nun wirft jemand einen Stein durch die Scheibe. Der Unbekannte will, daß ich die Nerven verliere und fortziehe.« Bill Cromwell bückte sich und hob den Steinbrocken auf. »An dem Stein ist ein Zettel befestigt«, sagte er dann. »Der Unbekannte hat dir auf diese merkwürdige Weise eine Botschaft geschickt.« Er riß den Zettel ab und reichte ihn Caroline. Ihre Augen wurden groß, und die Lippen begannen zu zittern. Nur ein Wort stand auf dem schmutzigen Zettel geschrieben. »HEXE!«
*
»Sie sehen heute morgen aber sehr blaß aus, Miß Darlton«, meinte die Sprechstundengehilfin am nächsten Tag. »Geht es Ihnen nicht gut? Soll ich Ihnen einen Tee oder einen Kaffee zubereiten?« »Ich habe schlecht geschlafen«, antwortete Caroline Darlton und ließ sich müde auf den Schreibtischstuhl sinken. »Wie sieht es im Wartezimmer aus?« Monica Hamilton zog ein betrübtes Gesicht. »Es sind nur zwei Patienten gekommen. Jack Salter und Mary Baker. Tut mir leid, daß ich Sie mit einer solch schlechten Nachricht konfrontieren muß.« »Nur zwei Patienten«, ächzte Caroline Darlton erschrocken. »Früher sind es bereits um diese Zeit mehr als zwanzig gewesen. Das wird ja immer schlimmer. Langsam beginne ich an meinen Fähigkeiten zu zweifeln.« »Unsinn«, antwortete Mrs. Hamilton. »Sie sind nach wie vor eine hervorragende Ärztin. Die beste, für die ich jemals gearbeitet habe. Und ich habe fast dreißig Jahre Berufserfahrung hinter mir. Das geht nicht mit rechten Dingen zu.« »Das fürchte ich auch«, entgegnete Caroline Darlton und dachte an die Nachricht, die an dem Steinbrocken befestigt gewesen war. Hexe! Was hatte das zu bedeuten? Wollte sie der Unbekannte auf den Arm nehmen und sich über sie lustig machen? War es wirklich nur ein übler Scherz?
»Tee oder Kaffee?« fragte Mrs. Hamilton streng. »Sonst verordne ich Ihnen eine Schlafkur.« Ihr mütterliches Lächeln tat Caroline gut. »Bringen Sie mir einen starken Kaffee«, sagte sie. »Er wird bestimmt meine Lebensgeister anregen. Und danach sollten sie mir den ersten Patienten hereinschicken.« »In Ordnung, Miß Darlton. Übrigens muß ich Sie danach kurz sprechen.« Caroline sah ihre Sprechstundengehilfin forschend an. »Wollen Sie vielleicht kündigen?« Monica Hamilton winkte lächelnd ab. »Natürlich nicht. Solange Sie mich brauchen, halte ich hier die Stellung. Das verspreche ich Ihnen.« »Danke, Monica«, antwortete Caroline Darlton sehr ernst. »Was haben Sie auf dem Herzen? Wir können es doch sofort besprechen. Es macht den beiden Patienten bestimmt nichts aus, wenn sie noch einige Minuten warten.« Mrs. Hamilton zögerte, und senkte dann schuldbewußt den Blick. »Es ist nichts Erfreuliches«, sagte sie leise. »Manchmal kommt’s eben knüppeldick«, erwiderte Caroline. »Keiner von uns kommt hin und wieder ungeschoren davon. Also, reden Sie schon. Bestimmt haben Sie etwas gehört, das mich und meine Praxis betrifft. Ich hatte Sie gebeten, sich einmal umzuhorchen. Ist es das?« Monica Hamilton nickte und setzte sich, nachdem die Ärztin auf den Stuhl vor dem Schreibtisch gedeutet hatte. »Es gehen Gerüchte in der Stadt und auch in der Umgebung um, die Sie betreffen, Miß Darlton. Ich halte sie zwar für völlig abwegig und reine Verleumdungen, doch Sie müssen diesem üblen Spiel Einhalt gebieten, sonst wird kaum noch ein Patient die Praxis aufsuchen.«
Das sagte die Sprechstundengehilfin sehr ernst und hatte dabei den Kopf gesenkt, als wage sie nicht, ihrer Chefin dabei in die Augen zu sehen. Dr. Caroline Darltons sonst so makellose Stirn hatte sich in tiefe Falten gelegt. Die Fingerkuppen der rechten Hand trommelten nervös auf der Schreibtischplatte. »Gerüchte? Verleumdungen? Sie sollten deutlicher werden, Monica. Das Gespräch bleibt natürlich unter uns.« »Das ist nicht nötig«, erwiderte die Sprechstundengehilfin. »Sie müssen sich wehren und zwar mit allen Mitteln, ehe es zu spät ist.« Mrs. Hamilton hob den Kopf und blickte ihr Gegenüber fest an. »Überall in der Stadt und in den angrenzenden Dörfern wird erzählt, Sie seien eine Hexe und stehen mit dem Teufel im Bund.« Nun war es heraus! Caroline Darlton starrte die ältere Frau aus geweiteten Augen an, und es dauerte einige Sekunden bis ihr so richtig klar wurde, was Mrs. Hamilton da von sich gegeben hatte. »Ich – eine Hexe…?« ächzte Caroline und preßte eine Hand vor den Mund. »Das darf doch nicht wahr sein! Ich würde gerne laut loslachen, wenn die ganze Angelegenheit nicht so ernst wäre.« »Sie wissen, daß der Hexenglaube in der Bevölkerung sehr verbreitet ist«, fuhr Mrs. Hamilton fort. »Besonders hier auf dem Land. Hier glauben viele Menschen noch an Schwarze Magie, Hexenkult und Teufelszauber.« Caroline Darlton nickte. »Davon habe ich gehört und auch hin und wieder Bekanntschaft bei Patienten mit derartig abwegigen Dingen gemacht.« Es hielt Caroline nicht mehr länger auf dem Schreibtischsessel. Sie stand auf und ging nervös einige
Schritte auf und ab. Dann blieb sie vor Monica Hamilton stehen. »Sind Sie sich völlig sicher, daß diese Gerüchte über mich im Umlauf sind?« fragte sie mit eindringlicher Stimme. »Ich habe gestern abend über ein Dutzend Männer und Frauen gesprochen«, erklärte die Sprechstundengehilfin. »Einige wichen mir aus, doch andere erzählten mir von diesem Gerücht.« Caroline schüttelte den Kopf. »Ich kann’s einfach nicht glauben«, sagte sie. »Das klingt zu verrückt, um wahr zu sein. Um Himmels willen, wer steckt hinter diesen Verleumdungen? Wer will mich auf diese Art und Weise bei den Bewohnern der Stadt und den Dörfern unmöglich machen?« Monica Hamilton zuckte mit den Schultern. »Das konnte ich nicht herausfinden«, antwortete sie. »Ich denke aber, daß wir beide nur zu gut wissen, wer dahinterstecken könnte, um Sie zu ruinieren und zu vernichten.« Dr. Caroline Darlton setzte sich wieder und stützte den Kopf schwer in beide Hände. Ihr Gesicht glich einer Grimasse, während sich ihre Gedanken zu überschlagen schienen. »Doktor James Gray!« stieß Caroline dann hervor. »Nur er kann diese infamen Lügen über mich in Umlauf gebracht haben. Er oder ein Helfershelfer, der ihm treu ergeben ist.« Mrs. Hamilton nickte. »Das denke ich auch«, sagte sie. »Und Sie sollten ganz schnell überlegen, wie Sie sich zur Wehr setzen wollen.« Die Sprechstundengehilfin stand auf und strich den weißen Kittel glatt. »Gibt es Einzelheiten über die Dinge, deren man mich beschuldigt?« fragte Caroline aufgeregt. »Was soll ich
verbrochen haben, damit man mich der Hexerei bezichtigen kann?« »Das erzähle ich Ihnen später, Miß Darlton«, sagte Mrs. Hamilton. »Jetzt sollten Sie sich erst einmal um die beiden Patienten kümmern. Ich schicke Ihnen zuerst Jack Salter herein.« »Na gut«, sagte Caroline Darlton und fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirn, auf der sich kleine Schweißperlen angesammelt hatten. »Wir unterhalten uns aber später weiter.« Jack Salter war schnell verarztet. Es mußte nur ein Verband erneuert und ein Rezept geschrieben werden. Mrs. Baker bekam eine Injektion und nickte der jungen Ärztin dankbar zu. »Sie haben mir sehr geholfen, Frau Doktor«, sagte sie. »Dafür danke ich Ihnen. Muß ich nochmals kommen?« »Die Behandlung ist noch lange nicht beendet«, antwortete Caroline Darlton und sah die Patientin forschend an. »Das wissen Sie genau. Wollen Sie einen anderen Arzt aufsuchen?« Mrs. Baker senkte den Kopf und konnte Carolines Blick nicht standhalten. Sie biß sich auf die Unterlippe und wirkte verlegen. Caroline Darlton spürte Ärger in sich aufsteigen, und ihre Hilflosigkeit wurde ihr immer mehr bewußt. Die Patientin antwortete nicht und griff nach ihrer Handtasche. »Halten auch Sie mich für eine Hexe?« fragte Caroline plötzlich und sah Mrs. Baker zusammenzucken. Sie blieb dann wie erstarrt stehen und wagte es nicht, den Kopf zu heben. »Bitte, beantworten Sie meine Frage«, stieß die Ärztin hervor. »Ich kenne inzwischen die Verleumdungen und schlimmen Gerüchte, die über mich im Umlauf sind.«
»Natürlich nicht, Miß Darlton«, antwortete Mrs. Baker. »Ich glaube nicht an solch einen Unsinn. Sie sind eine ausgezeichnete Ärztin, der ich sehr vieles zu verdanken habe.« Die füllige Frau setzte sich auf den Stuhl und sah Caroline Darlton mit festem Blick an. »Sie müssen wissen, daß ich nicht an Hexerei und Schwarze Magie glaube. Es gibt aber sehr viele Menschen hier in dieser Stadt und im Umland, die fest davon überzeugt sind, daß es derartige Dinge gibt. Ich bleibe nach wie vor Ihre Patientin, da ich Ihnen vertraue. Ich wollte nur einige Tage zu meiner Schwester in Birmingham verreisen. Aus diesem Grund habe ich Sie nach der Behandlungsdauer gefragt.« Caroline Darlton atmete tief durch. »Ich danke Ihnen für Ihre Worte«, sagte sie dann. »Von wem stammen diese Gerüchte und Verleumdungen?« »Das weiß ich nicht«, erwiderte Mrs. Baker. »Das Gerücht ist wie ein Lauffeuer umgegangen. Und bestimmt dichtete jeder noch etwas dazu, um sich wichtig zu machen. Sie müssen einen Gegner haben, der Sie furchtbar haßt. Und Sie sollten das alles nicht auf die leichte Schulter nehmen.« Die schon ältere Frau erhob sich. »Viel Glück«, wünschte sie. »Sie haben mächtige Feinde, die Sie vernichten wollen, Miß Darlton.« Die junge Medizinerin nickte ernst. »Sie können ruhig Ihre Schwester besuchen«, sagte sie. »Es genügt, wenn Sie in zehn Tagen wieder vorbeischauen. Und vielen Dank, daß Sie so offen zu mir gewesen sind.« »Dann sehen wir uns Ende nächster Woche«, sagte Mrs. Baker und reichte Caroline Darlton die Hand. »Lassen Sie sich nur nicht unterkriegen. Ich drücke Ihnen die Daumen, daß Sie Ihre Gegner in die Schranken verweisen können. Good bye.«
*
»Ich habe ähnliche Gerüchte gehört«, sagte Bill Cromwell am Abend, nachdem er zu Caroline in deren Haus gekommen war. »Alles scheint sich gegen dich verschworen zu haben.« Caroline Darlton wirkte sehr niedergeschlagen und traurig. Den ganzen Tag über hatte sie vergeblich auf Patienten gewartet. Niemand schien sich mehr in ihre Praxis zu trauen. »Du sollst an Schwarzen Messen beteiligt gewesen sein«, fuhr Bill fort. »Außerdem hättest du einige deiner Patienten durch Hexerei geheilt.« Caroline Darlton lachte laut auf, doch sie war mehr den Tränen nahe, als sie den geliebten Mann ansah. »Hexerei?« ächzte sie. »Das hat man mir auf der Universität nicht beigebracht, obwohl ich mir manchmal wünsche, mehr für meine Patienten tun zu können. Besonders in aussichtslosen Fällen wünsche ich mir, zaubern zu können, um ein Menschenleben zu retten.« Bill Cromwell, der neben Caroline saß, legte beruhigend einen Arm um ihre Schultern und zog die geliebte Frau fest gegen sich. »Mich hast du verhext und verzaubert«, erklärte er lächelnd. »Ich bin dir restlos verfallen. In diesem Punkt stimmen die Gerüchte.« Dr. Caroline Darlton lehnte den Kopf gegen Bills Brust und wirkte sehr hilflos in diesen Sekunden. »Wir müssen überlegen, wie wir diesen Verleumdungen entgegentreten können«, fuhr Bill ernst fort. »Auch ich habe schon über die Hälfte meiner Kundschaft verloren. Allem Anschein nach hält man auch mich für einen Hexenmeister, nur weil wir beide ein Paar sind.«
»Können wir nicht Anzeige bei der Polizei erstatten?« fragte Caroline. »Ich könnte auch einen Rechtsanwalt damit beauftragen, meine Interessen wahrzunehmen. Was meinst du, was ich tun soll?« »Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, antwortete Bill Cromwell. »Es wird jedoch nichts einbringen. Du kannst nur Anzeige gegen Unbekannt erstatten und hast keinerlei Beweise, daß James Gray und vielleicht auch sein Vater die Drahtzieher sind, die hinter all diesen Gemeinheiten stecken. Die Polizei würde keinen Schritt weiterkommen.« Caroline Darlton nickte mutlos. »Das sind auch meine Überlegungen gewesen«, gestand sie. »Ich muß aber etwas tun und kann nicht sang- und klanglos aufgeben. Dann bleibt mir keine andere Wahl, als die Stadt zu verlassen und woanders nochmals von vorn zu beginnen.« Bill Cromwell schüttelte den Kopf. »Dieser James Gray haßt dich so sehr, daß er dir auch in jeder anderen Stadt große Schwierigkeiten bereiten würde. Vielleicht sollten wir in Ruhe abwarten, bis etwas Gras über die ganze Sache gewachsen ist.« Bill strich der Freundin zärtlich übers Haar. »Wenn du Geld brauchst, um deinen Verpflichtungen nachzukommen, dann sage es mir. Ich bin zwar kein reicher Mann, doch ich habe eine größere Summe gespart. Wegen des Geldes solltest du dir keine Sorgen machen. Das bekommen wir schon in den Griff.« »Noch bin ich einigermaßen flüssig«, antwortete Caroline Darlton. »Außerdem habe ich einen größeren Kreditrahmen auf der Bank.« Caroline Darlton seufzte tief. »Die andauernden Drohanrufe und auch die vielen anonymen Briefe nerven mich besonders stark«, bekannte sie. »Ich wage es kaum noch, den Hörer abzunehmen oder die Post durchzusehen. Die Hetzjagd auf
mich ist im vollen Gange, und ich weiß nicht, wie lange das meine Nerven durchhalten.« »Ich habe mich schon im Stadtrat umgehört, doch dort ist angeblich nichts bekannt, was gegen dich spricht. Ich merke aber immer mehr, daß mich meine Freunde, Geschäftspartner und auch Parteikollegen zu schneiden beginnen. Die wissen alle Bescheid, und keiner denkt daran, auch nur einen Finger für mich und dich zu rühren.« »Ich spreche mit James Gray«, sagte Caroline entschlossen. »Morgen in aller Frühe fahre ich zu ihm. Vielleicht läßt er mit sich reden.« »Das würde ich nicht…« Bill Cromwell schwieg, da das Telefon zu schrillen begann. Caroline Darlton zuckte zusammen, und ihr Gesicht wurde um einige Nuancen bleicher. Sie sah den geliebten Mann ängstlich an, der ihr aber beruhigend zunickte. »Soll ich für dich abnehmen?« fragte er, doch die Ärztin schüttelte den Kopf und stand auf. Caroline meldete sich, nachdem sie den Hörer abgenommen hatte. »Hier spricht Harold McFerguson«, vernahm Caroline eine ihr fremde Stimme. »Ich benötige Ihre ärztliche Hilfe, Miß Darlton. Wäre es möglich, wenn Sie mich sofort aufsuchen könnten?« Caroline Darlton räusperte sich mehrmals. »Worum geht es, Mister McFerguson?« fragte sie. »Ich hätte Sie wirklich nicht angerufen, wenn es nicht dringend wäre«, sagte der Anrufer. »Meine Frau ist auf der Kellertreppe ausgerutscht und böse gestürzt. Sie blutet am Kopf und ist allem Anschein nach bewußtlos. Ich kann aber auch das Krankenhaus anrufen und einen Notarzt anfordern, wenn Sie…«
»Schon gut«, unterbrach Caroline Darlton den Gesprächspartner, dessen Stimme aufgeregt klang. »Bitte, geben Sie mir Ihre genaue Adresse. Ich fahre dann sofort los. Bitte, lassen Sie Ihre Frau so liegen, wie Sie sie gefunden haben. Sie können sie mit einer Decke zudecken. Ich beeile mich.« Der Anrufer atmete sichtlich auf und nannte die Adresse, die Caroline auf einen Zettel notierte. »Ich komme mit«, sagte Bill Cromwell entschlossen. »Es könnte eine Falle sein, Liebes. Ich traue niemandem mehr. Schließlich gehört dieser McFerguson nicht zu deinen Patienten. Wir dürfen kein Risiko eingehen.« Caroline Darlton nickte, während sie ihre modische Lederjacke überstreifte und ihre schwarze Arzttasche aus dem Schrank holte. »In Ordnung, Liebling«, sagte sie. »Dieser McFerguson wohnt nicht weit von hier entfernt auf einem kleinen Bauernhof. Ich fühle mich bestimmt viel sicherer, wenn du dabei bist.« Kurze Zeit später fuhr Caroline Darlton mit ihrem Begleiter los. Nebelschleier ließen das Gelände rechts und links der Straße in einem milchigen Gebräu verschwinden. Caroline fuhr vorsichtig und war sehr froh, daß Bill Cromwell neben ihr saß und sie begleitete. Die Fahrt verlief schweigend, und Caroline atmete auf, als sie den Bauernhof aus den Nebelschwaden auftauchen sah. Vor dem Wohngebäude brannte eine Laterne, die im leichten Wind schaukelte und bizarre Schatten warf. Irgendwo war das Kläffen eines Hundes zu vernehmen, nachdem Caroline und Bill das Auto verlassen hatten. Bill Cromwell sah sich unbehaglich um, und auch Caroline fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Das Haus machte einen unbewohnten Eindruck, nur die Laterne deutete auf Leben hin.
Bill griff nach Carolines Hand, und die Berührung nahm ein wenig von der Angst der jungen Frau. Die beiden Menschen setzten sich entschlossen in Bewegung und näherten sich rasch dem Hauseingang. Eine Tür knarrte, und dann war eine großgewachsene Gestalt zu sehen, die sich dunkel abzeichnete. »Es ist schön, daß Sie sich so beeilt haben, Miß Darlton. Mein Name ist McFerguson. Wir haben miteinander telefoniert. Bitte, kommen Sie rasch. Meine Frau ist inzwischen aus der Bewußtlosigkeit erwacht und klagt über Schmerzen im rechten Bein.« Caroline Darlton und Bill Cromwell folgten dem großgewachsenen Mann. Er hatte Carolines Begleiter nur einen kurzen Blick zugeworfen und grüßend genickt. »Die Kellertreppe ist leider sehr steil. Außerdem sind einige Stufen ausgetreten. Ich werde mich in den nächsten Tagen darum kümmern müssen, damit nicht noch mehr passiert. Bitte, passen Sie beide gut auf.« Eine trüb brennende Lampe erhellte die steil in die Tiefe führende Treppe. Unterhalb der letzten Treppenstufe lag eine Frau zusammengekrümmt am Boden. Ihr Gesicht war von Schmerzen gezeichnet. Caroline holte eine starke Taschenlampe aus ihrer Tasche und gab sie Bill, der den Lichtkegel auf die gestürzte Frau richtete. Caroline untersuchte die Frau, die hin und wieder stöhnte. »Außer einigen schweren Prellungen kann ich nichts feststellen«, sagte die Ärztin nach einer Weile. »Der rechte Fuß ist verstaucht. Ich werde ihn bandagieren. Sie sollten doch einen Krankenwagen bestellen. Ihre Frau muß geröntgt werden. Das ist besser, um jedes Risiko zu vermeiden. Es könnte innere Verletzungen gegeben haben, was ich aber nicht glaube.«
Mr. McFerguson eilte davon, während Caroline den rechten Fuß der Verletzten mit einer elastischen Binde versorgte. »Danke, daß Sie so schnell gekommen sind«, flüsterte die Frau. »Es geht mir schon besser. Warum habe ich auch nur nicht aufgepaßt, dann wäre ich nicht über meine eigenen Füße gestolpert.« »Der Krankenwagen ist in zehn Minuten an Ort und Stelle«, sagte der vierschrötige Mann nach seiner Rückkehr. »Bitte, kommen Sie mit, wenn Sie sich die Hände waschen wollen.« »Warum haben Sie eigentlich mich und nicht Doktor James Gray angerufen?« fragte Caroline Darlton, nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, und sah McFerguson forschend an. »Ich weiß, daß ich Ihnen vertrauen kann«, sagte der Mann lächelnd. »Sie gehören zu uns.« »Zu uns?« fragte Caroline Darlton verblüfft. »Würden Sie mir das näher erklären?« Harold McFerguson legte den Kopf leicht schief und sah sein Gegenüber erstaunt an, ehe er zu grinsen begann. »Vor mir brauchen Sie sich nicht zu verstellen, Miß Darlton«, sagte er. »Sie werden bald wieder viele Patienten haben und zwar alle, die unserem Kreis angehören. Das verspreche ich Ihnen.« Caroline Darlton sah erst McFerguson und dann Bill Cromwell ratlos an. »Ich verstehe wirklich nicht, was Sie meinen, Sir«, sagte sie dann. »Von welchem ›Kreis‹ sprechen Sie?« »Vom ›Kreis des Schwarzen Feuers‹«, antwortete der großgewachsene und bullige Mann. »Vor zwei Tagen sind Sie bei unserer Zusammenkunft ganz in meiner Nähe gestanden. Das kann ich beschwören. Sie brauchen also vor mir kein Geheimnis daraus zu machen.«
»›Kreis des Schwarzen Feuers‹?« sagte Caroline Darlton leise. »Wollen Sie damit sagen, daß es einen magischen Zirkel oder so etwas Ähnliches gibt, bei dem Sie mich gesehen haben?« Harold McFerguson nickte strahlend. »Gewiß, Miß Darlton«, sagte er. »Ich und viele meiner Freunde werden dafür sorgen, daß Sie schon bald unsere oberste Priesterin sein werden!« »Ich kann’s noch immer nicht fassen«, sagte Caroline Darlton eine Stunde später, nachdem sie und Bill Cromwell zu Hause angelangt waren. »Dieser Mann behauptet doch allen Ernstes, ich habe an einer schwarzen Messe teilgenommen.« »Er ist völlig davon überzeugt«, antwortete Bill und schenkte sich einen Drink ein. »Ich bin nur froh, daß du die Ruhe behalten hast. Dieser McFerguson wird nicht der einzige Bewohner dieser Gegend sein, der dich am Versammlungsort dieser Hexengemeinschaft gesehen hat.« Caroline Darlton warf dem Freund einen entrüsteten Blick zu. »Ich bin dort niemals gewesen!« stieß die Ärztin erbost hervor. »Glaubst du mir etwa nicht?« »Natürlich glaube ich dir«, antwortete Bill Cromwell besänftigend. »Ich denke aber, daß wir einen guten Schritt vorangekommen sind.« »Da bin ich gar nicht so sicher«, meinte Caroline Darlton niedergeschlagen. »Die Gerüchte erhalten nur neue Nahrung. Und sie werden bestimmt von James Gray gezielt gelenkt.« Bill Cromwell nahm neben der Medizinerin Platz. »Wir wissen jetzt zwei wichtige und entscheidende Dinge«, sagte er eindringlich. »Einmal gibt es hier in der Gegend eine Sekte, die sich ›Kreis des Schwarzen Feuers‹ nennt. Viele Menschen nehmen an diesen Zusammenkünften teil. Und zweitens muß es jemanden geben, der dir sehr ähnlich sieht und an diesen Treffen teilgenommen hat.«
Caroline Darlton blickte den geliebten Mann ernst an. »Du glaubst also an eine Doppelgängerin, die dort in Erscheinung tritt, um die Verleumdungen zu untermauern. Unser Gegner hat also Beweise ins Spiel gebracht, die mich völlig ruinieren sollen.« Bill Cromwell nickte mehrmals. »Richtig, Liebes. Das ist aber für uns die Chance, endlich etwas unternehmen zu können.« Dr. Caroline Darlton lächelte verzerrt. »Wir müssen nur diese Doppelgängerin ausfindig machen und sie dazu bringen, vor aller Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen. Dann wäre meine Unschuld bewiesen.« »So ist es«, meinte Bill Cromwell lächelnd und nippte an dem Drink. »Das ist zwar leichter gesagt als getan, doch es ist eine gute Chance, um dich aus diesem Teufelskreis herauszuholen.« Carolines schöne Augen begannen zu funkeln. »Das ist endlich ein Lichtblick«, sagte sie aufatmend. »Sollten wir nicht besser die Polizei benachrichtigen?« »Jetzt noch nicht, solange wir keine Beweise haben«, erwiderte Bill Cromwell. »Kein Polizist würde uns glauben. Außerdem besteht die Möglichkeit, daß einer der Beamten zu dem ›Satanskult‹ gehört und unsere Gegner warnen könnte. Wir müssen herausfinden, wo und wann das nächste Treffen dieser Teufelsanbeter stattfindet. Vielleicht gelingt es uns, unbemerkt aus nächster Nähe an dem Treffen teilzunehmen und zu fotografieren. So könnten wir deine Unschuld beweisen und alles wieder ins rechte Lot rücken.« »Dein Plan ist ausgezeichnet«, sagte Caroline Darlton voller Begeisterung und hauchte Bill einen Kuß auf die Wange. »Ich hatte keine Ahnung davon, daß es hier in der Gegend eine solche Sekte gibt.«
»Ich hatte schon früher mal davon gehört, doch das alles nicht ernst genommen«, gab Bill Cromwell zu. »Diese verblendeten Menschen halten eisern zusammen, und kaum ein Außenstehender erfährt von ihrem gottlosen Treiben. Niemand weiß, wer zu diesen Teufelsanbetern gehört. Ich habe mich nie darum gekümmert und leider auch nicht daran gedacht, als man dich mit in die Sache hineingezogen hat. Das tut mir leid.« Caroline Darlton winkte lächelnd ab. Bill sah ihr an, daß die blonde Ärztin neuen Mut und neue Hoffnung geschöpft hatte. »Bestimmt sind viele der Menschen, die dem ›Kreis des Schwarzen Feuers‹ angehören, bei den Versammlungen vermummt oder verkleidet. Ich glaube auch nicht, daß jemand den Anführer, oder wie immer sich dieser Mensch nennen mag, genau kennt.« »Wir werden es herausfinden«, sagte Caroline Darlton entschlossen. »Und ich wette jeden Betrag, daß Doktor Michael Gray und sein Sohn James Verbindung zu dieser Sekte haben und sie nutzen, um mir zu schaden.« Bill Cromwell nickte erneut. »Davon bin ich auch überzeugt. Wir werden deinen guten Ruf wiederherstellen. Das verspreche ich dir.« Caroline Darlton und Bill Cromwell lächelten sich zu. »Wie willst du herausfinden, wann und wo sich diese Satansjünger wieder treffen?« fragte Caroline nach einer Weile mit bangem Blick. »Das gelingt mir schon irgendwie«, antwortete Bill sehr zuversichtlich. »Ich lasse mal meine Verbindungen spielen, und sollten alle Stricke reißen, dann nehme ich mir diesen McFerguson vor. Er scheint zwar ein begeisterter Anhänger dieser Sekte zu sein, doch vielleicht kann ich ihn austricksen.« Bill Cromwell warf einen Blick auf die Armbanduhr.
»Es ist spät geworden«, sagte er. »Soll ich heute nacht bei dir bleiben, oder in die Stadt zurückfahren?« Caroline Darlton lächelte verführerisch. »Ich hätte nichts dagegen, wenn du bleiben würdest, Liebling«, antwortete sie mit gespielt lockendem Augenaufschlag und schmiegte sich gegen den Mann, den sie von Herzen liebte. »Du hast mich überredet«, antwortete Bill Cromwell und lachte leise. Dann nahm er die schöne Frau in die Arme, und ihre Lippen fanden sich zu einem langen und leidenschaftlichen Kuß.
*
»Na, wie ist der heutige Tag verlaufen?« fragte Bill Cromwell zwei Tage später, als er kurz vor Praxisschluß das Sprechzimmer betrat. »Es sind einige Patienten mehr hiergewesen«, erwiderte Dr. Caroline Darlton und griff nach Bills Hand, ehe sie ihm einen Kuß auf die Nasenspitze gab. »Es handelt sich bei fast allen Kranken um neue Gesichter. Ich vermute fest, daß einige zum ›Kreis des Schwarzen Feuers‹ gehören und mich unterstützen wollen.« »Sie sind der festen Meinung, daß du zu ihnen gehörst«, meinte Bill Cromwell und nickte. »Das wird dein Ansehen bei deinen übrigen Patienten nicht gerade fördern, Liebes.« Caroline Darlton nahm wieder hinter dem Schreibtisch Platz, während sich Bill in den Sessel setzte. Er sah den fragenden Blick der Ärztin und spürte ihre drängende Ungeduld, die sie kaum verbergen konnte.
»Ich habe mit einigen guten Freunden und Bekannten gesprochen«, sagte Bill Cromwell. »Alle wichen mir aus, oder ließen mich ins Leere laufen. Keiner will etwas von diesem Satanskult wissen oder gar mit ihm zu tun haben.« Carolines schönes Gesicht überzog sich mit einem Hauch von Resignation. Sie schlug die Augen nieder und wirkte sehr traurig. »Natürlich habe ich nicht aufgegeben«, fuhr Bill fort. »Schließlich habe ich Mister McFerguson aufgesucht. Übrigens, seiner Frau geht es einigermaßen gut. Im Krankenhaus konnten keine inneren Verletzungen festgestellt werden. Er ist davon überzeugt, daß du seine Frau vor schlimmerem Schaden bewahrt hast.« Caroline Darlton verzog das Gesicht in stummer Abwehr. »Hattest du Erfolg?« wollte sie wissen. Bill Cromwell nickte lächelnd. »Ich habe McFerguson klargemacht, daß ich bisher von dir noch nicht ins Vertrauen gezogen wurde. Ich gab mich sehr interessiert und habe ihm vorgeschwindelt, daß ich sehr gern an der nächsten Zusammenkunft teilnehmen möchte, ohne dich groß zu fragen.« »Und hat er dir Zeit und Ort verraten?« fragte Caroline Darlton mit vibrierender Stimme. »Heute um Mitternacht ist die nächste Zusammenkunft. Der Ort liegt einige Kilometer außerhalb der Stadt in einem abgelegenen Waldgebiet.« »Das Treffen findet wohl im Teufelsmoor statt?« fragte Caroline und sah den geliebten Mann erstaunt nicken. »Den Namen habe ich mal auf einer Landkarte gelesen«, fuhr die Medizinerin fort. »Ich bin aber noch niemals in dieser Gegend gewesen. Und irgendwie paßt ja der Name wohl auch, nicht wahr?« Bill Cromwell erhob sich.
»Ich hole dich so gegen zehn Uhr ab«, sagte er. »Bis dahin wirst du wohl auch fertig sein. Hast du noch Krankenbesuche zu machen?« »Nein, nur Mister Garry Holding, der Bürgermeister, hat sich noch angekündigt. Er ist schon seit längerer Zeit Patient bei mir. Danach fahre ich nach Hause und warte auf dich.« »Garry Holding?« fragte Bill. »Hattest du mir nicht erzählt, daß er den letzten Termin einfach platzen ließ?« »Vielleicht ist er mit Doktor James Grays Behandlungsmethoden nicht zufrieden«, vermutete die Ärztin. »Ich bin selbst gespannt, warum er meine Praxis wieder aufsucht.« »Soll ich nicht lieber bleiben, bis er wieder gegangen ist?« »Das ist nicht nötig«, erwiderte die Ärztin. »Meine Sprechstundengehilfin ist ja auch noch da. Bis später, Darling.« Einige Minuten später, nachdem Bill Cromwell die Praxis verlassen hatte, ertönte Mrs. Hamiltons Stimme aus der Sprechanlage. »Mister Garry Holding ist eingetroffen. Soll ich ihn ins Sprechzimmer schicken, Miß Darlton?« »Das geht in Ordnung, Monica.« Der Bürgermeister der kleinen Stadt betrat kurze Zeit später den Behandlungsraum. Garry Holding war fünfzig Jahre alt, mittelgroß und schob einen mächtigen Bauch vor sich her. Eine schweißig glänzende Halbglatze und listig funkelnde Augen rundeten das Bild des Mannes ab. »Es ist wunderbar, daß Sie mich gleich drangenommen haben«, sagte er strahlend. »Tut mir leid, daß einige Termine ausgefallen sind. Nun stehe ich Ihnen wieder ganz und gar zur Verfügung.«
Garry Holding lächelte gewinnend und tat so, als wäre überhaupt nichts geschehen. »Sind Sie bei Doktor James Gray in Behandlung gewesen?« fragte die Ärztin und warf einen Blick auf das Karteiblatt des Patienten. Garry Holding antwortete nicht sofort, sondern strich sich verlegen über den buschigen Oberlippenbart. »Einmal habe ich ihn aufgesucht«, gab er dann zu. »Mir ist jedoch schnell klargeworden, daß Sie nun einmal die bessere Ärztin sind. Es tut mir leid. Können wir jetzt mit der Behandlung fortfahren?« Eine halbe Stunde später nickte Caroline Darlton dem Bürgermeister der kleinen Stadt zu. »Sie können Ihr Hemd wieder anziehen, Mister Holding. Ihr Leiden hat sich verschlechtert. Es war allerhöchste Zeit, daß Sie mich wieder aufgesucht haben. Ich muß Ihnen eine stärkere Arznei verschreiben.« Garry Holding sah sein Gegenüber erschrocken an, während er umständlich das Hemd in die Hose stopfte. »Ich werde ein sehr folgsamer Patient sein«, ächzte er dann. »Außerdem will ich alles tun, damit wieder mehr Patienten zu Ihnen kommen. Was wollen Sie eigentlich gegen die Gerüchte und Verleumdungen unternehmen, die gegen Sie im Umlauf sind, Miß Darlton?« Daher weht also der Wind, dachte Caroline. Er ist nur gekommen, um mich auszuhorchen. Und er wird garantiert James Gray alles brühwarm erzählen. Caroline Darltons resigniertes Lächeln wirkte echt, als sie den Bürgermeister ansah. »Nach Lage der Dinge bleibt mir keine andere Möglichkeit, als aufzugeben«, sagte sie leise. »Von den wenigen Patienten, die mir verblieben sind, kann ich die Praxis nicht unterhalten und auch die Schulden nicht zurückzahlen. Es tut mir leid, daß
es so gekommen ist, obwohl mich keine Schuld trifft. Ich bin einer gemeinen Intrige zum Opfer gefallen.« Garry Holding streifte die Jacke über und nickte der blonden Frau aufmunternd zu. »Bestimmt wird sich einiges ändern, da ich nun wieder Ihr Patient geworden bin«, sagte er. »Ich drücke Ihnen auf jeden Fall die Daumen, daß dieser böse Spuk bald vorbei sein wird.« Nach diesen Worten verabschiedete sich Garry Holding und verließ die Praxis. Dr. Caroline Darlton blickte ihm nachdenklich hinterher. Bill Cromwell ließ den Geländewagen ausrollen und zog die Handbremse. Dann hielt er nach allen Seiten Ausschau. Ein zufriedenes Lächeln spielte in seinen Mundwinkeln. »Hier wird das Fahrzeug niemand finden«, sagte er zuversichtlich. »Wir sind abseits des Weges, und außerdem ist der Wagen von Büschen und Bäumen gut geschützt.« »Es war eine gute Idee, den Jeep zu nehmen«, sagte Caroline Darlton. »Unsere beiden Autos sind in der Gegend zu sehr bekannt. Hoffentlich findet das Treffen dieses Hexenkults auch wirklich heute statt.« »Davon bin ich überzeugt«, antwortete Bill, öffnete die Tür und sprang ins Freie. Er schimpfte leise, als seine Schuhe leicht einsanken und sich mit einem trüben Schmutzfilm überzogen. Auch Caroline Darlton verließ den Geländewagen und trat neben den Freund. Die beiden lauschten in die Nacht. Frösche quakten, und irgendwo zirpten Grillen. Das Zwitschern einiger aufgescheuchter Vögel klang an ihre Ohren. Sonst herrschte eine unheimliche und bedrohliche Stille. Die Scheibe des Mondes stand am Firmament und überzog das unwegsame Moorgelände mit sanftem Lichtschein. »Die übrigen Sektenmitglieder parken ihre Fahrzeuge einige hundert Meter von hier entfernt«, sagte Bill Cromwell und
griff nach Carolines Hand. »Der Treffpunkt befindet sich ungefähr einen Kilometer vor uns. Wir sollten uns beeilen, um nicht zu spät zu kommen.« Caroline Darlton warf einen Blick auf die Armbanduhr. »Wir liegen gut in der Zeit«, meinte sie zufrieden. »Die schwarze Messe, oder um was es sich immer auch handeln mag, beginnt in zwei Stunden. Ich schätze, daß wir vorerst noch keinen der Leute des ›Kreises des Schwarzen Feuers‹ antreffen werden.« Bill öffnete die Wagentür und holte eine Videokamera hervor, die er sich umhängte. »Das ist die beste und neueste Kamera, die es zur Zeit auf dem Markt gibt«, sagte er zu seiner Gefährtin. »Ich müßte den ganzen Teufelsspuk auch in der Dunkelheit damit filmen können. Ein Freund, der profimäßig damit arbeitet, hat sie mir ausgeliehen. Eigentlich dürfte jetzt nichts mehr schieflaufen, um deine Unschuld zu beweisen.« »Das hoffe ich sehr«, antwortete Caroline Darlton und folgte Bill Cromwell, der langsam und vorsichtig losschritt. Der Boden war sehr morastig, und oft sanken die Stiefel bis über die Knöchel ein. Es wurde erst besser, als die beiden einen schmalen Pfad erreichten, der sich durch das sumpfige Gelände schlängelte. Bill orientierte sich, um später den Geländewagen wieder zu finden, ehe er entschlossen weiterlief. Er hielt Carolines Hand in der seinen und merkte, wie aufgeregt seine Begleiterin war. »Es wird schon alles klappen«, machte er Caroline Mut. »Und irgendwie finden wir auch diese Doppelgängerin, falls sie es wirklich geben sollte. Ich hoffe nur, daß uns dieser McFerguson nicht angeschwindelt hat. Es ist doch auch gut möglich, daß wir in eine gut vorbereitete Falle gelockt werden sollen.« Caroline Darlton blieb abrupt stehen.
»Du meinst…?« ächzte sie und rang nach Worten. »Möglich ist alles«, antwortete Bill Cromwell. »Vergiß nicht, daß wir es mit einem ernstzunehmenden Gegner zu tun haben. Er hat bisher alles genau geplant und große Erfolge erzielen können. Wir müssen sehr auf der Hut sein.« Caroline Darlton fühlte, wie es ihr eiskalt über den Rücken lief. Ihre Hand krampfte sich fest um die des Freundes. »Es wäre nicht auszudenken, wenn wir von diesen verblendeten Menschen entdeckt würden«, sagte sie. »Dann hätten sie endlich den Beweis, auf den sie so lange gewartet haben.« »Wir sollten die Nerven behalten«, riet Bill Cromwell. »Es ist nur ein Verdacht von mir, der durch nichts bekräftigt wird. Komm, laß uns weitergehen. In einer guten Stunde wissen wir mehr.« Caroline Darlton und Bill Cromwell bewegten sich vorsichtig durch das unübersichtliche Gelände und hielten sich abseits des Hauptweges, der sich einen Steinwurf entfernt befand. Sie verhielten immer wieder und lauschten in die nächtliche Stille. Einmal vernahmen sie in der Ferne das Brummen eines Automotors. Das Geräusch verstummte dann aber schnell wieder. »Dort drüben ist unser Ziel«, sagte Bill eine halbe Stunde später und deutete zu einem Hügel hinüber, der sich dunkel gegen das sternenübersäte Firmament abhob. »Am Fuße des kleinen Berges soll das Treffen stattfinden.« Caroline Darlton lächelte verzerrt. Nach wie vor fühlte sie sich nicht besonders wohl in dieser düsteren Umgebung. Nach zwanzig Minuten wurde der Boden fester, und die Bäume und Büsche lichteten sich. Vor Caroline und Bill öffnete sich eine große Lichtung. Einige spitze Felsnadeln ragten in einem Halbkreis aus dem Boden.
»Das muß der Versammlungsort sein«, flüsterte Caroline Darlton, und die eigene Stimme kam ihr fremd vor. »Es ist noch keiner dieser unseligen Menschen zu sehen. Hoffentlich kommen sie noch.« Bill Cromwell zuckte mit den Schultern und schlich weiter. Bald lagen die beiden hinter einem Felsbrocken, der ihnen gute Deckung bot. Bill hantierte mit der Videokamera, um sie einsatzbereit zu machen. Minuten vergingen. Caroline Darlton und Bill Cromwell zuckten zusammen, als sie Stimmen vernahmen, die rasch lauter wurden. Schritte vieler Menschen ertönten, und dann sahen sie eine Art Prozession, die auf die Lichtung zuhielt. Caroline Darlton preßte eine Hand vor den Mund, als sie fassungslos auf die Näherkommenden starrte. Es waren mehr als fünfzig Menschen, die alle mönchsähnliche Kutten trugen. Einige von ihnen hielten Fackeln in den Händen, deren Lichtschein gespenstische Schatten gaukelte. Ein monotoner Gesang wehte zu Caroline Darlton und Bill Cromwell herüber, die sich hinter dem schützenden Felsen duckten, um nicht gesehen zu werden. Der monotone Singsang wurde lauter und ließ Caroline frösteln. Sie versuchte die Gesichter der Menschen zu erkennen, doch einmal war es zu dunkel, und zweitens hatten alle Kapuzen über die Köpfe gestülpt. Die Videokamera surrte leise, als Bill Cromwell die ersten Aufnahmen des gespenstischen Treibens machte. Die Mitglieder des »Kreises des Schwarzen Feuers« erreichten bald den Fuß des Hügels und versammelten sich im Halbkreis vor den Felsnadeln. Einer der Vermummten trat einige Schritte nach vorn und hielt seine Fackel an einen
aufgeschichteten Steinhaufen, der unwillkürlich an einen Altar erinnerte. Grell lodernde Flammen schlugen empor, die aber kurze Zeit später nur noch düster den Opfertisch umrahmten. Dunkler Rauch stieg auf, der nur träge vom leichten Wind verweht wurde. Ein sonderbarer Geruch breitete sich aus. Caroline Darlton rümpfte die Nase, als einige Schwaden das Versteck erreichten. Der unheimliche Gesang wurde lauter. Die Satansjünger reckten die Hände über die Köpfe und verneigten sich tief. Sie blieben in gebückter Haltung stehen. Das Feuer brannte noch düsterer, und manchmal schien es wirklich, als schlugen schwarze Flammen zwischen den Steinen hervor. Bill Cromwell nickte zufrieden und schaltete die Kamera ab. »Leider kann ich deine Doppelgängerin nirgends entdecken«, flüsterte er. »Vielleicht verbirgt sie sich unter einer Kutte. Uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten.« Caroline Darltons Herz schlug in wildem Stakkato, und sie fühlte kleine Schweißperlen auf der Stirn, die ihr schon bald über die bleichen Wangen rannen. Hin und wieder glaubte sie, eine eisige Hand auf ihrem Rücken zu spüren. »Ganz ruhig bleiben«, wisperte ihr Begleiter. »Hier wird uns niemand entdecken. Du darfst die Nerven nicht verlieren.« Caroline Darlton nickte leicht und nahm keinen Blick von dem unheimlichen Geschehen, das sich höchstens fünfzig Meter entfernt abspielte. Die Vermummten standen noch immer in dieser demütigen Haltung da. Und es schien, als warteten sie auf etwas. Plötzlich flammten zwischen den Felsnadeln weitere Feuer auf. Sie erhellten die Umgebung taghell, ehe sie spärlicher brannten.
Hinter einem Felsen traten drei Menschen hervor. Alle trugen diese Kutten, die Kopf und Körper verhüllten. Die drei Satansjünger blieben dicht vor dem Altar stehen. Die übrigen Mitglieder der Sekte richteten die Oberkörper wieder in die Höhe, während zwei der Neuankömmlinge die Arme ausbreiteten und die Köpfe hoch zum Firmament reckten. Caroline und Bill sahen, daß ihre Gesichter von dunklen Masken bedeckt waren, die nur Schlitze für die Augen hatten. Bill Cromwell filmte erneut und hoffte, daß es bei den Aufnahmen keine Panne geben würde. Der dritte Vermummte trat plötzlich einen Schritt auf die Versammelten zu und blieb stehen. Er streifte die Kapuze vom Kopf. Caroline Darlton hatte große Mühe, um nicht aufzuschreien. Blonde, lange Haare waren unter der Kapuze zum Vorschein gekommen. Die Frau streifte nun auch noch die Kutte ab und reckte den wohlgeformten Körper, der nur von einem durchsichtigen Gewand bekleidet war. Caroline Darlton starrte fassungslos zu der Frau hinüber, die ihr so sehr ähnelte wie ein Ei dem anderen.
*
»Die Doppelgängerin«, ächzte Bill Cromwell erschrocken. »Und sie sieht dir sehr ähnlich. Wenn ich dich nicht an meiner Stelle wüßte, würde ich ebenfalls auf diesen Schwindel hereinfallen.« Caroline Darltons Atem ging schneller. Sie hatte das Gefühl, als würde sich eine eisige Hand um ihr Herz klammern und es ihr aus der Brust reißen. Fassungslos starrte sie zu der Frau hinüber, die ihr so sehr ähnelte.
Die Frau wich nun zurück, blieb dicht vor dem Altar stehen und breitete erneut beide Arme aus, als wollte sie die düsteren und irgendwie kalt wirkenden Flammen umarmen. Die Angehörigen der Sekte stimmten wieder diesen monotonen Gesang an, der Caroline Darlton durch Mark und Bein ging. Sie blickte Bill Cromwell hilfesuchend an, der die Videokamera sinken ließ, nachdem er sie abgestellt hatte. »Wir verschwinden ganz schnell«, flüsterte er. »Wir haben jetzt genügend Beweise, um dich zu rehabilitieren.« Bill Cromwell lächelte plötzlich und nahm die Kamera nochmals hoch. »Ein Beweis fehlt noch«, wisperte er und filmte nochmals das unheimliche Geschehen an den Felsnadeln. Dann schwenkte er langsam auf Caroline zu, um auch sie aufzunehmen. »Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr, daß du hier und nicht dort drüben bist«, erklärte er. »Hoffentlich hat die Kamera auch alles trotz der Dunkelheit aufgenommen«, sagte Caroline Darlton bange. »Das werden wir bald wissen«, meinte Bill Cromwell gut gelaunt und griff nach Carolines Hand. Die beiden schlichen davon, während der Gesang der Vermummten hinter ihnen zurückblieb und immer leiser wurde. »Wir haben es fast geschafft«, sagte Bill Cromwell nach einigen Minuten. »Der Jeep befindet sich dort drüben hinter den Büschen. Was hältst du davon, wenn wir rüber zum Parkplatz der Sektenmitglieder schleichen und dort die Autos ebenfalls filmen? So bekommen wir vielleicht einige Anhaltspunkte, wer zum ›Kreis des Schwarzen Feuers‹ gehört.« Caroline Darlton zögerte mit einer Antwort.
»Glaubst du wirklich, daß sie mit den eigenen Fahrzeugen gekommen sind?« fragte sie. »Das denke ich schon«, erwiderte Bill Cromwell. »Die Sektenmitglieder kennen sich bestimmt untereinander. Aus diesem Grund werden sie wohl auch kaum zu Fuß den weiten Weg von der Stadt zurückgelegt haben.« Bill lächelte. »Und ich glaube nicht, daß es eine Zug- oder Busverbindung hierher gibt«, fügte er hinzu. »Na ja, wir werden ja sehen, wer recht hat«, meinte Caroline Darlton und lächelte ebenfalls. »Ich nehme an, daß diese Leute mit neutralen Fahrzeugen an diesen Ort gekommen sind.« Caroline Darlton und Bill Cromwell gingen weiter und näherten sich rasch dem Parkplatz, auf dem mehr als zwanzig Autos standen. Caroline blieb hinter einem dicken Baumstamm stehen. »Ich glaube zwar nicht, daß diese Kerle einen Wächter zurückgelassen haben, doch wir müssen vorsichtig sein.« Die beiden hielten Ausschau, doch sie konnten nichts Verdächtiges im weiten Rund entdecken. Bill nahm die Videokamera aus der Umhängetasche und machte sie aufnahmebereit. Dann wandte er sich Caroline zu, die mit gemischten Gefühlen zu den Autos hinüberblickte. »Willst du hier auf mich warten?« fragte er, doch die blonde Ärztin schüttelte den Kopf. »Dann bleibe dicht hinter mir«, riet Bill und lief mit surrender Kamera los. Und beiden wurde schnell klar, daß viele angesehene Bürger der Stadt, deren Autos sie erkannten, zum »Kreis des Schwarzen Feuers« gehörten. Dann aber blieben Bill Cromwell und Caroline Darlton so erschrocken stehen, als wäre in ihrer Nähe ein Blitz eingeschlagen. Staunend starrten sie zu einem kleinen Ford hinüber, der mitten zwischen den anderen Autos stand.
»Das darf nicht wahr sein«, ächzte Caroline, zwinkerte mehrmals und wischte sich dann über die Augen. »Das ist ohne Zweifel dein Auto«, sagte Bill Cromwell staunend. »Sieh dir nur die Autonummer an. Unsere Gegner haben alles bis ins letzte Detail genau geplant. Jetzt verstehe ich auch, warum die Gerüchte um deine Person kein Ende nehmen wollen.« Caroline Darlton schluckte mehrmals. Langsam legte sich die erste Überraschung, die sie sehr mitgenommen hatte. »Mein Auto steht bei mir in der Garage«, sagte sie voller Überzeugung. »Und bestimmt hat es niemand gewagt, den Wagen dort zu stehlen. Du vergißt, daß einige Lampen brennen und jeder annehmen muß, daß ich zu Hause bin.« Caroline Darlton lief auf den Ford zu, umrundete ihn und blickte dann ins Innere hinein, ehe sie wieder zu Bill Cromwell zurückkehrte. »Fahrzeugtyp, die Farbe und auch die Nummernschilder stimmen«, sagte Caroline. »Es ist aber trotzdem nicht mein Auto. Die Polsterung hat ein anderes Muster, und auch sonst fehlen einige Kleinigkeiten. Natürlich fällt das nur mir auf. Jeder Außenstehende wird das Fahrzeug für mein Eigentum halten.« »Unsere Gegner sind noch raffinierter, als ich gedacht habe«, antwortete Bill. »Bestimmt wurde das Auto auch von Menschen gesehen, die nicht zu dieser Teufelssekte gehören. So haben die Gerüchte immer wieder neue Nahrung erhalten. Na gut, auf jeden Fall sind wir einen guten Schritt weitergekommen. Wir haben genügend Beweise, um die Polizei einzuschalten. Es ist ihre Aufgabe, die Hintermänner des Komplotts aufzuspüren und deine Unschuld zu beweisen. Bald wird die Welt für uns wieder in Ordnung sein.« Bill Cromwell verstaute die Videokamera und legte Caroline einen Arm um die Schulter. Die beiden verließen den Parkplatz
und gingen auf die Stelle zu, an der sie den Geländewagen zurückgelassen hatten. Sie blieben hin und wieder stehen, doch alles blieb ruhig. Vom Versammlungsplatz der Sekte war manchmal der Singsang zu vernehmen, wenn der Wind günstig stand und auffrischte. »Vielleicht hätten wir doch noch länger bleiben sollen«, meinte Caroline. »Wer mögen nur diese beiden Männer an der Seite meiner Doppelgängerin gewesen sein? Das möchte ich nur zu gerne wissen.« »Vermutlich die Anführer oder Oberpriester, oder wie immer man diese Scharlatane bezeichnen will«, antwortete Bill Cromwell. »Mich würde es nicht wundern, wenn es sich bei einem der beiden um James Gray handeln würde. Er muß Verbindung zu diesen Leuten haben, sonst wäre sein Plan nicht aufgegangen, dich so sehr in Mißkredit zu bringen.« Bill Cromwell und Caroline Darlton näherten sich langsam der Stelle, an der sie den Jeep zurückgelassen hatten. »Gleich haben wir es geschafft«, sagte Bill zufrieden und zog die blonde Medizinerin fester gegen sich. »Wir fahren sofort zu meinem Freund, um uns den Videofilm anzusehen. Er erwartet mich, obwohl er weiß, daß es spät werden wird.« Bald sahen Caroline und Bill den Geländewagen hinter den Büschen auftauchen. Bill Cromwell wollte gerade den Autoschlüssel aus der Jackentasche ziehen, als er hinter sich ein Geräusch vernahm. Er zuckte zusammen, ließ Caroline los und drehte den Kopf. Zwei vermummte Männer waren hinter einem Baumstamm hervorgesprungen und eilten auf ihn und seine Begleiterin zu. Sie schwangen Holzknüppel und stießen dabei fauchende Laute aus. Bill drückte Caroline den Autoschlüssel in die Hand.
»Du läufst zum Auto«, sagte er. »Vielleicht gelingt es mir, diese beiden Kerle aufzuhalten.« Caroline zögerte, doch Bill schubste sie in Richtung des Geländewagens davon, ehe er sich den beiden Angreifern zuwandte, die inzwischen bis auf wenige Meter herangekommen waren. Bill Cromwells sportlicher Körper duckte sich leicht, während er die Hände zu Fäusten ballte und die Arme anwinkelte. Hinter sich hörte er Carolines Schritte, die auf den Geländewagen zueilte, um ihn startklar zu machen. Bills Abwehrhaltung konnte die beiden vermummten Männer nicht beeindrucken. Sie ließen es zwar langsamer angehen, doch sie hielten nach wie vor auf den großgewachsenen Mann zu und schwangen dabei die Holzprügel. Dann waren sie heran. Bill Cromwell konnte einem Hieb ausweichen, doch der zweite traf ihn an der Schulter. Der aufzuckende Schmerz lähmte Bill für einige Sekundenbruchteile. Er rang nach Atem und versuchte einem dritten Schlag auszuweichen, doch er schaffte es wieder nicht. Der Prügel traf Bill Cromwell über den Rücken. Er stolperte einige Schritte nach vorn und stürzte. Die beiden Männer lachten schallend, ehe sie sich umwandten und davonliefen. Bill Cromwell quälte sich stöhnend auf die Beine. Schulter und Rücken schmerzten sehr, doch es schien nichts gebrochen zu sein. Caroline Darlton fuhr mit dem Geländewagen heran und hielt neben dem angeschlagenen Freund. »Bist du in Ordnung?« Angst klang aus Carolines Stimme. »Es hätte schlimmer kommen können«, ächzte Bill Cromwell. »Ich habe mich wohl kaum wie ein Held
benommen. In den Filmen sieht das immer ganz einfach aus, sich seiner Haut zu wehren.« »Wir müssen fort«, sagte Caroline. »Es könnte doch gut sein, daß diese Schläger nochmals zurückkehren.« Ihre Augen weiteten sich plötzlich. »Wo ist die Kamera?« stieß Caroline Darlton hervor. »Hast du sie beim Kampf verloren?« Bill Cromwell merkte erst jetzt, daß er die Videokamera nicht mehr bei sich trug. Er sah sich suchend um, doch sie war nicht zu sehen. »Einer der Kerle hat sich gebückt, kurz bevor er abgehauen ist«, sagte die Ärztin leise. »Die Kerle müssen uns beim Filmen beobachtet haben. Sie wollten dich nicht töten, sondern nur die Kamera in ihren Besitz bringen.« »Und das ist ihnen auch gelungen«, sagte Bill Cromwell zähneknirschend. »Alles ist umsonst gewesen. Jetzt stehen wir wieder mächtig im Regen.«
*
»Ich habe mit Inspektor Jackson gesprochen«, sagte Bill Cromwell am Abend des nächsten Tages. »Er ist ein alter Freund von mir. Wir kennen uns von der Universität her. Irgendwie hatte ich aber den Eindruck, daß er mir kein Wort geglaubt hat.« Caroline Darlton senkte resigniert den Kopf. »Gut, wir wissen jetzt eine Menge über diese Sekte, doch uns fehlen die Beweise«, sagte sie. »Wir haben auch keine Ahnung, wann die nächste Zusammenkunft stattfinden wird. Jetzt sind diese Satansdiener
gewarnt. Nochmals werden wir uns kaum unbemerkt heranschleichen können.« »Das weiß ich auch. Tom Hanson, von dem ich die Kamera geliehen hatte, ist ganz schön sauer. Natürlich werde ich ihm den Schaden ersetzen. Wir waren so dicht vor dem Ziel und haben in letzter Minute versagt.« »Wir hatten eine Menge Pech«, milderte Caroline Darlton die Worte des Freundes. »Die beiden Vermummten hatten den Geländewagen entdeckt und wollten bestimmt nur feststellen, wem er gehört. Bestimmt haben sie uns beim Filmen gesehen und geahnt, daß wir nicht nur am Parkplatz gefilmt haben. Wir können froh sein, daß du nicht mehr abbekommen hast.« Bill Cromwell lächelte kläglich und tastete hoch zur Schulter. »Mir reicht’s«, meinte er. »Trotzdem geben wir nicht auf. Ich muß unbedingt herausfinden, wo deine Doppelgängerin wohnt. Das kann nur irgendwo auf dem Lande sein.« »Hast du eine Ahnung, wo das sein könnte?« fragte die Ärztin. Bill sah ihr an, daß sie kaum Hoffnung hatte, die blonde Frau zu finden. »Ich habe mir einen Plan zurechtgelegt«, sagte er. »Nach unserer Meinung hat James Gray mit der ganzen Sache zu tun. Es liegt also nahe, daß er diese Frau hergebracht hat. Irgendwie muß er sich um sie kümmern. Wir müssen den jungen Gray beschatten. Vielleicht fährt er zu deiner Doppelgängerin. Dann wären wir unserem Ziel schon wieder ziemlich nahe gekommen.« Dr. Caroline Darlton lächelte strahlend und blickte auf ihre Armbanduhr. »Ich mache für heute Schluß«, sagte sie. »Wir fahren in die Nähe von James’ Praxis und folgen ihm, sobald er das Gebäude verläßt. Einverstanden…?«
»Genau das wollte ich vorschlagen«, antwortete Bill Cromwell. »Außerdem wollte ich schon immer mal Privatdetektiv spielen. Nun habe ich die größte Chance dazu. Komm schon, Liebes.« Caroline verständigte Mrs. Hamilton, die ihre Chefin neugierig anblickte, jedoch keine Fragen stellte. Eine halbe Stunde später parkte Bill in der Nähe des mehrgeschossigen Hauses, in dem Dr. James Gray die Praxis seines Vaters übernommen hatte. Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, und auf der Straße herrschte kaum noch Betrieb. Da noch mehrere Autos am Straßenrand parkten, fiel Bills Wagen nicht auf. »Der grüne Mercedes ist James’ Wagen«, sagte Caroline. »Er hat also das Haus noch nicht verlassen. Er wohnt in einem anderen Stadtteil und nicht bei seinem Vater. Das hat mir meine Sprechstundengehilfin erzählt.« »Wenn wir Pech haben, fährt er nach Hause«, unkte Bill Cromwell, der sich plötzlich seiner Sache gar nicht mehr so sicher war. »Dann versuchen wir es morgen noch einmal«, tröstete Caroline Darlton. »Es ist unsere einzige Chance, um an diese fremde Frau heranzukommen, die sich für mich ausgibt.« Es verging eine halbe Stunde. Hin und wieder verließen Menschen das Haus, stiegen in ihre Autos und fuhren davon. Caroline erkannte einige ihrer ehemaligen Patienten, die zu Dr. James Gray übergewechselt waren. »Nicht traurig sein«, sagte Bill und griff nach Carolines Hand. »Du mußt diese Menschen auch verstehen. Sie halten dich nun einmal für eine Hexe und vertrauen dir nicht mehr. Das wird sich jedoch sehr schnell ändern, wenn du erst voll rehabilitiert sein wirst.« Caroline nickte nur.
»In der Praxis sind die Lichter ausgegangen«, sagte sie plötzlich. »Nun wird James wohl gleich auftauchen, außer er setzt sich noch mit seinem Vater zusammen. Na, wir werden’s wohl gleich wissen.« Es dauerte ungefähr fünf Minuten, dann verließ Dr. James Gray das Gebäude. Caroline und Bill duckten sich, obwohl die Entfernung zu nächtlicher Stunde viel zu groß war, um etwas erkennen zu können. James Gray stieg in den Wagen, fuhr aus der Parkbucht heraus und dann zügig davon. »Dann zeig mir mal, daß du ein guter Detektiv bist«, sagte Caroline lächelnd, als Bill die Verfolgung aufnahm. Er hielt ausreichenden Abstand, um nicht aufzufallen, doch der Verfolgte schien nicht zu merken, daß ihm ein Auto hinterherfuhr. »Er fährt nicht nach Hause«, stellte Caroline Darlton einige Minuten später fest. »James verläßt die Stadt. Das hat zwar noch immer nicht viel zu sagen, doch ich hoffe sehr, daß er uns zu meiner Doppelgängerin bringen wird.« Bald lagen die letzten Häuser der kleinen Stadt hinter den beiden Autos. Bill ließ den Abstand noch größer werden, um keinen Verdacht zu erregen. »Er biegt in eine Seitenstraße ein«, sagte Caroline aufgeregt. »Wenn mich nicht alles täuscht, führt der Weg zu einem Bauernhof.« »Es ist gut möglich, daß James Gray auch nur einen Krankenbesuch macht«, sagte Bill. »Wir sollten nicht zu optimistisch sein.« »Daran habe ich auch schon gedacht«, gab Caroline Darlton zu, und Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. »Auf jeden Fall solltest du James folgen. Vielleicht haben wir das Glück, das uns gestern versagt blieb.«
Einige Minuten später parkte Bill Cromwell seinen Wagen hinter einigen Büschen. Bis zum Bauernhof betrug die Entfernung ungefähr hundert Meter. In einigen Zimmern brannte Licht. James Gray hatte sein Fahrzeug auf dem Hof abgestellt und mußte das Haus betreten haben. »Wollen wir hier warten?« fragte Caroline. »Wir sollten uns anschleichen und einen Blick riskieren. Die Gardinen sind nicht zugezogen. Wenn meine Doppelgängerin dort drüben wohnt, müßten wir sie sehen.« »Gut, dann gehen wir«, sagte Bill Cromwell. »Hoffentlich läuft dort drüben kein Hund frei herum, sonst kann das übel enden.« »Das glaube ich nicht«, erwiderte die Ärztin. »Sollte es einen Wachhund geben, dann befindet er sich bestimmt in seinem Zwinger, schon aus dem Grund, damit er James Gray nicht an die Hose geht.« Caroline Darlton und Bill Cromwell verließen das Auto und schlichen sich vorsichtig an das Bauernhaus heran, das von Ställen und Scheunen umrahmt wurde. Aus dem Stall erklang das Grunzen von Schweinen, und aus einem anderen muhte eine Kuh. Die beiden spähten in ein erleuchtetes Zimmer hinein, doch dort hielt sich niemand auf. Sie huschten weiter und verhielten vor einem anderen Fenster, aus dem ebenfalls Lichtschein ins Freie fiel. Sie sahen ein schon älteres Ehepaar, das auf einem Sofa saß und wie gebannt auf einen Fernseher blickte. Von Dr. James Gray war nichts zu sehen. Caroline biß sich auf die Unterlippe, um sich ihre Enttäuschung nicht zu sehr anmerken zu lassen. Bill lächelte ihr beruhigend zu.
Er und seine Begleiterin schlichen zur Rückseite des Hauses. Auch dort war ein Fenster erleuchtet. Caroline Darlton und Bill Cromwell spähten Sekunden später in das Innere des Hauses hinein. Was sie sahen, ließ ihre Herzen höher schlagen. Sie erkannten James Gray und die blonde Frau, die Caroline so ähnlich sah und die sich als ihre Doppelgängerin ausgegeben hatte. Ganz aus der Nähe gesehen, ähnelte sie der Ärztin zwar nicht mehr so sehr, doch die Ähnlichkeit war nach wie vor verblüffend. »Na endlich«, seufzte Caroline Darlton und folgte Bill Cromwell, der hinter einen Traktor getreten war. »Was machen wir jetzt?« fragte Caroline aufgeregt. »Sollen wir die beiden zur Rede stellen?« Bill Cromwell strich sich übers Kinn und wirkte sehr unschlüssig. Dann schüttelte er den Kopf. »Die beiden würden es nur abstreiten und wären gewarnt. Und wir können diese Lady ja nicht mit Gewalt zur Polizei schleppen. Nein, wir kehren morgen hierher zurück und sprechen mit ihr, wenn James Gray nicht anwesend ist. Was hältst du von diesem Vorschlag?« Nun zögerte auch Caroline Darlton mit einer Antwort. Sie blickten zum Fenster hinüber und sahen, daß sich James Gray und die Frau küßten. Caroline verzog das Gesicht. »Sie wird James kaum verraten. Anscheinend ist er sogar ihr Liebhaber, um sie völlig gefügig zu machen. Wenn wir jetzt hineinplatzen, sorgt James bestimmt dafür, daß die Lady morgen abgereist ist. Wir verschwinden. Vielleicht solltest du mit deinem Freund, dem Inspektor, sprechen, was wir unternehmen sollen.«
Bill Cromwell griff nach Carolines Hand, die leicht zitterte und irgendwie an einen jungen Vogel erinnerte, der aus dem Nest gefallen war und nun voller Angst und Panik war. »Wir gehen«, sagte Bill leise. »Und wir haben anschließend genügend Zeit, um uns einen Plan zurechtzulegen. Komm schon, bevor wir überrascht werden. Wenn mich nicht alles täuscht, hat vor wenigen Augenblicken ein Hund geknurrt.« Bill Cromwell und Caroline Darlton schlichen davon und atmeten auf, als sie im Auto saßen. »Morgen in aller Frühe sprechen wir mit der Lady«, sagte Bill Cromwell. »Vorher rede ich mit dem Inspektor. Vielleicht kann er mir einige Ratschläge geben, obwohl ich kaum glaube, daß die Polizei etwas unternehmen wird.« »Wir werden sehen«, antwortete Caroline Darlton und fühlte sich plötzlich müde und erschöpft. Die vergangenen Tage und Wochen hatten sie doch mehr mitgenommen, als ihr so richtig klargeworden war. Und Caroline hoffte, daß der Alptraum bald ein Ende nehmen würde.
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»Hast du mit Inspektor Jackson gesprochen?« fragte Dr. Caroline Darlton am anderen Tag, als sie in aller Frühe mit Bill Cromwell in Richtung des Bauernhofes fuhr. »Wird er uns helfen?« »Er will sich mal inoffiziell umsehen«, meinte Bill. »Ich habe den Eindruck, daß er mir nicht so recht glaubt. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich es ihm nicht einmal verdenken.« »Dann sind wir nach wie vor auf uns alleine gestellt«, sagte Caroline Darlton mit leichter Verbitterung in der Stimme.
»Auch dein ehemaliger Studienkollege hält mich für eine Hexe.« Bill Cromwell zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hilft er uns doch«, hoffte er. »Jetzt sprechen wir erst einmal mit deiner Doppelgängerin. Ich glaube zwar nicht, daß sie ein Geständnis vor uns und später bei der Polizei ablegen wird. Es könnte aber sein, daß wir ihr genügend Angst einjagen, damit sie aus dieser Gegend verschwindet.« Bill Cromwell bog in den Seitenweg ein, der zu dem kleinen Bauernhof führte. Kurze Zeit später hielt er auf dem Hof. Die beiden verließen das Gefährt und blickten einem schon älteren Mann entgegen, der aus einem Stall getreten war und nun auf sie zuhielt. »Hallo«, sagte der bullig wirkende Mann. »Sie haben sich wohl verfahren, was? Hier geht’s nicht mehr weiter.« Sein Blick ruhte forschend auf Caroline Darlton, während sich auf dem breitflächigen Gesicht stumme Abwehr abzeichnete. Er weiß genau, wer ich bin, dachte die blonde Ärztin. Und bestimmt ahnt er auch den Grund unseres Besuches. »Wir möchten die Frau sprechen, die bei Ihnen wohnt«, sagte Bill Cromwell. »Wie Sie wissen, sieht sie meiner Begleiterin sehr ähnlich.« Der Bauer stemmte beide Hände in die Hüften und schüttelte dann bedächtig den Kopf. »Sie sollten in Ihr Auto steigen und ganz schnell von meinem Grundstück verschwinden!« stieß er dann wütend hervor. »Vorwärts, oder ich lasse meinen Hund frei. Und der wird Ihnen ganz schön Beine machen.« »Nur zu«, sagte Bill und lächelte kalt, während er in die Tasche seines Mantels griff. »Ich fürchte nur, daß Sie sich dann einen anderen Wachhund anschaffen müssen, Mister.«
Caroline wußte nur zu gut, daß Bill Cromwell bluffte. Natürlich hatte er keine Pistole in der Manteltasche. »Wenn Sie Ärger wollen, den können Sie ganz schnell haben«, fuhr Bill selbstbewußt fort. »Die Polizei wird in einer Stunde hier sein, wenn ich nicht mit der Lady sprechen kann.« Der vierschrötige Mann preßte die Lippen hart aufeinander. Dabei schielte er auf die ausgebeulte Manteltasche und schien zu glauben, daß der Fremde wirklich eine Waffe dort in der Hand hielt. »Na gut«, lenkte er plötzlich ein. »Das alles geht mich eigentlich nichts an. Ich habe der Lady nur ein Zimmer vermietet. Ich verständige die Frau, daß Sie sie sprechen wollen. Mehr kann ich nicht tun.« »Das genügt«, antwortete Caroline Darlton. »Und sagen Sie der Lady, daß wir auf eine Unterredung bestehen und keine Ausflüchte akzeptieren. Sie sollte besser mit uns, als mit der Polizei reden.« Der Bauer nickte und ging auf das Haus zu, in dem er kurze Zeit später verschwand. »Hoffentlich ruft er nicht die Polizei«, sagte Bill Cromwell. »Unser Vorgehen ist nicht gerade sehr legal.« »Der Zweck heiligt die Mittel«, antwortete Caroline. »Nicht immer, doch wir haben keine andere Möglichkeit.« Die Geduld der beiden wurde auf eine harte Probe gestellt. Es sah ganz so aus, als würde sich niemand mehr blicken lassen. Nach ungefähr zehn Minuten wich die Tür des Bauernhauses knarrend und ächzend zurück. Caroline Darltons Doppelgängerin trat ins Freie und begab sich zu Caroline und Bill. Sie blieb zwei Meter vor ihnen stehen und blickte die beiden Besucher fragend an. Bei Tageslicht und aus der Nähe sieht sie mir aber gar nicht mehr so sehr ähnlich, dachte Caroline Darlton. Sie trägt auch
die Haare ganz anders. Ohne Make-up sieht sie ganz anders aus. »Sie wünschen?« fragte die Frau unfreundlich. »Wir möchten Sie bitten, uns zur Polizei zu begleiten«, sagte Bill Cromwell. »Wir wissen ganz genau, daß Sie sich auf geheimen Treffen einer Sekte als meine Begleiterin ausgeben und ihr dadurch großen Schaden zugefügt haben.« Carolines Doppelgängerin hatte sich gut in der Gewalt. Ihr spöttisches Lächeln sagte mehr als tausend Worte. »Sie sind wohl nicht ganz bei Trost!« antwortete sie kopfschüttelnd. »Ich verbitte mir derartige Unterstellungen. Und nun sollten Sie ganz schnell verschwinden, sonst rufe ich die Polizei. Ich mache hier nur einige Tage Urlaub. Das ist schon alles, und ich sage es nur, um ihren dummen Verdacht auszuräumen. Ich denke nicht daran, mir Ihre Schuhe anzuziehen, Miß!« Caroline Darlton hatte mit einer anderen Antwort gerechnet. Sie verbarg geschickt ihre Enttäuschung und zwang sich zu einem Lächeln. »Wir wissen, daß Sie mit James Gray in Verbindung stehen«, sagte sie. »Und daß Sie meine Doppelgängerin sind, dafür haben wir Beweise. Es wäre wirklich auch in Ihrem Interesse, wenn Sie mit zur Polizei kommen würden.« Die blonde Frau zeigte sich unbeeindruckt. »Ich habe Ihnen nicht mehr zu sagen«, erklärte sie, machte auf den Absätzen kehrt und verschwand im Haus. »Nichts zu machen«, ächzte Bill Cromwell. »Irgendwie hatte ich damit gerechnet, daß sie uns helfen würde. Nun ist auch diese Chance vertan. Wir müssen darauf bestehen, daß die Lady von der Polizei vernommen wird.« »Auch dort würde sie alles abstreiten und nichts zugeben«, antwortete Caroline. »Bestimmt wird sie von James Gray hervorragend bezahlt. Das ist ein Schlag ins Leere gewesen.«
Caroline Darlton und Bill Cromwell stiegen enttäuscht in das Auto. Bill wendete und fuhr los. Einige hundert Meter vom Bauernhof entfernt fuhr er in einen Seitenweg hinein und parkte das Gefährt hinter einigen Büschen. »Was hast du vor?« fragte die Ärztin. »Vielleicht ist unser Besuch doch nicht ganz umsonst gewesen«, sagte Bill Cromwell. »Ich rechne damit, daß der Lady der Boden unter den Füßen zu heiß wird. Vielleicht reist sie ab. Dann könnte sie wenigstens nicht mehr an den Treffen teilnehmen, um sich für dich auszugeben.« Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis ein Taxi am Versteck der beiden in Richtung des Bauernhofs vorbeifuhr. Und eine Viertelstunde danach kam es wieder zurück. Im Fond saß die blonde Frau. »Es sieht so aus, als würde ich recht behalten«, sagte Bill. »Auf jeden Fall fahre ich dem Taxi hinterher.« Das tat Bill Cromwell dann auch. Und er hielt ausreichend Abstand, um nicht aufzufallen. Das Taxi fuhr in die Stadt und hielt vor einem kleinen Hotel, in dem die Frau verschwand. Der Taxifahrer schleppte schwer an zwei Koffern, die er ins Hotel trug, ehe er wieder davonfuhr. »Wir wissen jetzt wenigstens, wo die Lady untergekrochen ist«, sagte Bill Cromwell. »Natürlich besteht die Gefahr, daß sie am nächsten Treffen erneut teilnimmt. Es könnte aber auch nur sein, daß sie auf neue Anweisungen von James Gray wartet. Und wenn er schlau ist, dann schickt er sie fort. Diese Trumpfkarte sticht nun einmal nicht mehr, nachdem wir ihm auf die Schliche gekommen sind.« »Du solltest mich zur Praxis fahren«, antwortete Caroline Darlton. »Ich bin schon sehr spät dran. Vielleicht brauchen doch einige Patienten meine Hilfe. Wir sehen uns heute abend. Ich weiß auch, daß du heute viel Arbeit hast.« Bill Cromwell nickte.
»Ich habe Männer vom Finanzamt im Haus, die meine Bücher prüfen wollen. Das scheint auch so eine Schikane zu sein, die ich unserem Gegner zu verdanken habe. Normalerweise wäre die nächste Prüfung erst in einem Jahr. Da ich aber nichts zu verbergen habe, stehe ich dem allen gelassen gegenüber. Ich muß nur anwesend sein.« »Ich drücke dir die Daumen, daß alles glatt über die Bühne geht«, sagte die Medizinerin und griff nach Bills Hand. »Du meldest dich aber auf jeden Fall bei mir, solltest du die Praxis verlassen. Ich möchte wenigstens wissen, wohin du fährst und wo du dich aufhältst.« »Versprochen«, erwiderte Caroline Darlton. »Wenn ich nur wüßte, wie das alles weitergehen soll. Im Moment haben wir wieder sehr schlechte Karten in diesem teuflischen Spiel.«
*
»Die Steuerprüfung verläuft bestens«, sagte Bill Cromwell einige Stunden später, als er mit Caroline Darlton telefonierte. »Der Prüfer geht zwar mächtig scharf ran, doch da meine Bücher in Ordnung sind, konnte er bisher nichts finden. Ich kann aber vor heute abend nicht fort.« »Das macht nichts«, entgegnete Caroline Darlton. »Bei mir ist nicht viel los, obwohl wieder einige meiner alten Patienten zu mir zurückgefunden haben. Ich habe noch eine Überraschung für dich.« »Da bin ich aber gespannt«, sagte Bill. »Hoffentlich ist es eine angenehme Überraschung, Liebling.« »Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Eine Miß Candice Rowland hat bei mir angerufen und um eine Unterredung
gebeten. Das ist die Lady, die sich als meine Doppelgängerin ausgegeben hat.« »Was?« fragte Bill Cromwell erstaunt. »Was will Sie von dir?« »Mit mir sprechen, um einiges zu klären. Danach will sie der Stadt für immer den Rücken kehren.« Bill antwortete nicht gleich. »Es könnte eine Falle sein«, sagte er dann. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Miß… äh… Rowland plötzlich ihre Meinung geändert haben sollte.« »Wir treffen uns heute nachmittag um fünf Uhr in einem kleinen Ausflugslokal außerhalb der Stadt«, sagte Caroline. »Du kannst ja nachkommen, sobald du dich freimachen kannst. Einmal ist es noch hell, und zweitens ist es ein öffentliches Lokal, das immer gut besucht wird. Ich sehe kein Risiko. Auf jeden Fall warte ich dort auf dich, sollte die Unterredung auch längst vorbei sein.« »Ich werde mich auf jeden Fall beeilen, obwohl ich befürchte, daß ich kaum vor sechs Uhr die Apotheke verlassen kann. Paß gut auf dich auf, Liebes.« »Keine Sorge«, antwortete Caroline Darlton. Sie wechselte mit dem geliebten Mann noch einige Worte, ehe sie sich verabschiedete und auflegte. Mrs. Hamilton steckte den Kopf zur Tür herein und lächelte ihrer Chefin freundlich zu. »Es sind zwei neue Patienten eingetroffen«, sagte sie. »Langsam geht’s wieder aufwärts, Miß Darlton.« »Dann schicken Sie einen der Patienten herein«, sagte Caroline und lächelte ebenfalls. »Die schlimmste Pechsträhne geht irgendwann zu Ende. Hoffentlich täuschen wir uns nicht!« Die beiden Patienten wurden von der Ärztin behandelt. Auch dieses Mal handelte es sich um Menschen, die schon vorher bei Caroline in Behandlung gewesen waren. Sie tat so, als wäre
nichts geschehen, obwohl sie merkte, daß ihr von den Patienten eine gehörige Portion Mißtrauen entgegengebracht wurde. Das wird sich irgendwann auch legen, dachte Caroline Darlton. Es sind zum Teil sehr einfache Menschen, die ganz einfach Angst haben. Ich schaffe es schon wieder, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Kurz vor halb fünf Uhr rief Bill Cromwell nochmals an. »Ich kann wirklich nicht vor sechs Uhr hier weg«, sagte er. »Da gibt es eine Ungereimtheit in meinen Büchern, auf die der Prüfer herumhackt. Mein Steuerberater kommt gleich dazu, um das zu klären. Meiner Meinung nach handelt es sich nur um eine Falschbuchung, doch ich muß bleiben. Versuche mit dieser Miß Rowland vernünftig und ruhig zu reden. Vielleicht hat sie von James Gray die Nase voll und will reinen Tisch machen, ehe sie wegfährt.« »Das ist gut möglich«, sagte Caroline Darlton. »Es könnte aber auch sein, daß sie Geld von mir will, ehe sie zu reden beginnt. Na ja, ich werde es wohl bald erfahren. Wir sehen uns dann später, Liebling.« Pünktlich um fünf Uhr fuhr Caroline Darlton auf den Parkplatz des Ausflugslokals und verließ den Wagen. Über ein Dutzend anderer Fahrzeuge waren geparkt, und aus der Gaststätte wehte Stimmenlärm zu ihr herüber. Caroline sah sich auf dem Parkplatz um, doch sie konnte James Grays Mercedes nicht entdecken. Nachdem sie das Lokal betreten hatte, hielt sie Ausschau nach Candice Rowland, doch sie konnte die Frau nicht finden. Sie begab sich an die Theke, doch ehe sie den dicken Wirt nach ihrer Doppelgängerin fragen konnte, trat diese aus einem Nebenraum und winkte ihr mit freundlichem Lächeln zu. »Hier ist es ruhiger, Miß Darlton«, sagte sie. »Und ich denke, daß niemand hören braucht, was wir uns zu sagen haben.«
Caroline nickte Candice Rowland zu, die ihre blonden Haare unter einer schwarzen Perücke verborgen hatte. Jetzt hatte die ehemalige Doppelgängerin kaum noch Ähnlichkeit mit der Ärztin. In dem kleinen Nebenzimmer hielt sich sonst niemand auf. Zwei Gläser und eine Flasche mit Wein standen auf einem Tisch. »Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Miß Rowland. »Hoffentlich mögen Sie den Wein. Wenn nicht, bestelle ich etwas anderes für Sie.« »Das geht schon in Ordnung«, antwortete Caroline Darlton und setzte sich. Ihr Gegenüber schenkte die Gläser voll. »Wollen Sie gleich zum Thema kommen? Ehrlich gesagt, ich habe mich über Ihren Anruf sehr gewundert. Heute morgen waren Sie noch sehr abweisend.« Candice Rowland blickte aus halbgeschlossenen Augen auf das Glas mit bernsteinfarbenen Wein. »Ich will mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben«, sagte sie. »Aus diesem Grund reise ich noch heute ab. Ich bin von Beruf Schauspielerin und wurde für diese… äh… Rolle engagiert. Natürlich hatte ich keine Ahnung, daß ich Ihnen schaden würde. Das wurde mir verschwiegen. Ich bin jedoch ein unbescholtener Bürger und möchte nicht mit der Polizei und schon gar nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten.« Das klang sehr ehrlich, wie Caroline Darlton fand, doch sie verspürte noch immer ein gesundes Mißtrauen, das einfach nicht weichen wollte. »Mir wäre natürlich sehr geholfen, wenn Sie auch der Polizei das alles erzählen würden«, sagte die Ärztin. »Sie trifft keine Schuld, da Sie getäuscht wurden. Ich würde mich für Sie verwenden. Ich wäre auch bereit, Ihnen eine Gage, oder wie immer ich das nennen soll, zu zahlen.« Candice Rowland schwieg lange, ehe sie antwortete:
»Das muß ich mir in Ruhe überlegen«, sagte sie dann und griff nach dem Weinglas. »Jetzt sollten wir einen Schluck von dem edlen Tropfen nehmen. Es ist wirklich ein ausgezeichnetes Tröpfchen.« Sie prostete Caroline Darlton zu, die nach ihrem Glas griff und einen Schluck trank. Sekunden später fühlte Caroline erst einen stechenden Schmerz im Magen und dann im Kopf. Schweiß brach ihr am ganzen Körper aus. Ihr Gegenüber schien immer mehr vor ihren Augen zu verschwimmen. Im Wein muß Gift oder so etwas Ähnliches sein, dachte Caroline und merkte, daß sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich bin in eine Falle gegangen. Diese Frau hat mich hereingelegt. Caroline Darlton wollte aufstehen, doch die Beine versagten ihr den Dienst. Sie hatte immer mehr das Gefühl, als greife eine dunkle Hand nach ihr. Sekunden später sackte die Ärztin in sich zusammen, und ihr Kopf schlug schwer auf der Tischplatte auf. Sie sah nicht, wie zwei Männer das Nebenzimmer betraten. Die beiden hievten die Bewußtlose in die Höhe und nahmen sie in die Mitte. Dann verließen sie das Lokal durch den Hinterausgang. Candice Rowlands Hand zitterte, als sie erneut nach ihrem Glas griff, um zu trinken. Draußen heulte der Motor eines Autos auf, das kurze Zeit später abfuhr. In ihm saß die bewußtlose Caroline, auf die ein ungewisses Schicksal wartete.
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»Bitte, versuchen Sie, sich zu erinnern, Mister!« bat Bill Cromwell mit eindringlicher Stimme. »Miß Darlton muß pünktlich um fünf Uhr hiergewesen sein. Und sie war mit einer Frau verabredet, die ihr sehr ähnlich sah.« Der dicke Wirt zuckte hilflos mit den Schultern. »Es tut mir leid, Mister Cromwell«, sagte er. »Ich kann mich beim besten Willen an keine der beiden Ladys erinnern. Wir hatten um diese Zeit sehr viel Betrieb und alle Hände voll zu tun. Es ist gut möglich, daß die Ladies hier gewesen sind, doch ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen.« Er deutete zu einer drallen Rothaarigen hinüber, die gerade einen Gast abkassierte. »Bitte, sprechen Sie mit Rosy. Vielleicht kann sie Ihnen weiterhelfen und sich an Miß Darlton und die andere Lady erinnern.« Die Bedienung schüttelte kurze Zeit später den Kopf, nachdem Bill seine Frage gestellt hatte. »Sorry, Sir. Ich kann Ihnen nicht helfen. Bedient habe ich Miß Darlton auf keinen Fall, denn das wüßte ich. Und eine Frau, die Ihrer Freundin sehr ähnelte, ist auch nicht hiergewesen.« Die Kellnerin stutzte plötzlich. »Im Nebenzimmer saß eine Frau. Sie war aber schwarzhaarig. Sie bestellte eine Flasche Wein und zwei Gläser und wollte nicht gestört werden. Sie bezahlte sofort, und ich weiß nicht, wann sie gegangen ist. Vielleicht hat sie Miß Darlton abgefangen und in diesen Nebenraum gebracht. Das wäre eine Möglichkeit, warum wir Miß Darlton nicht zu Gesicht bekommen haben.« »Danke, Miß Rosy«, sagte Bill Cromwell mit schwachem Lächeln. »Ich werde Miß Darlton schon finden. Vielleicht ist sie schon nach Hause gefahren.« Bill verließ das Lokal. Schon beim Eintreffen hatte er sich gewundert, daß Carolines Auto nicht auf dem Parkplatz stand.
Seine Sorge um das Leben der geliebten Frau nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Vielleicht mache ich mir ganz unnötige Sorgen, tröstete er sich. Es ist doch gut möglich, daß es überhaupt keine Unterredung gegeben hat. Ich fahre jetzt zu Carolines Wohnung. »Fehlanzeige«, murmelte Bill Cromwell eine halbe Stunde später, als er Caroline nicht antraf. Er fuhr zur Praxis, die aber längst geschlossen war. Der junge Mann wurde immer nervöser, und die Angst um Caroline nahm noch mehr zu. Auch bei ihm zu Hause hielt sich die Ärztin nicht auf. Bill fuhr kurz entschlossen zu dem kleinen Hotel, in dem sich heute morgen die blonde Doppelgängerin einquartiert hatte. »Miß Rowland ist um die Mittagszeit abgereist«, sagte der Portier. »Sie mußte nach London wegen einer ziemlich dringenden Familienangelegenheit. Tut mir leid, Sir, daß ich Ihnen nicht helfen kann.« Nichts, einfach nichts, dachte Bill Cromwell. Caroline kann doch nicht vom Erdboden verschwunden sein. Da stimmt was nicht. Ich fahre jetzt zu Inspektor Jackson und rede mit ihm. Caroline mußte einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein.
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Dr. Caroline Darlton hatte das Gefühl, aus großer Hefe an die Wasseroberfläche aufzutauchen. Nur langsam nahm der riesige Druck ab, der wie ein eherner Ring um ihrer Brust lag. Die Medizinerin spürte einen dumpfen Druck im Magen, der ihr Übelkeit bereitete. Ihr ganzer Körper war wie in Schweiß gebadet, und ihr Herz schlug noch bis zu den Ohren.
Sie öffnete die Augen, doch es dauerte einige Sekunden, bis ihr Blick klar wurde und die Nebelschleier verwehten. Caroline sah, daß sie sich in einem fensterlosen Raum befand, der ohne jegliches Mobiliar war. Eine fast niedergebrannte Kerze stand in einer Ecke auf dem steinernen Fußboden, und ihr Schein reichte kaum aus, um das kleine Zimmer zu erhellen. Sie selbst lag auf einer harten Pritsche, und ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Die Ärztin richtete stöhnend den Oberkörper in die Höhe, und dabei begann sich alles vor ihren Augen zu drehen. Die Übelkeit in ihr wurde immer größer, und es fehlte nicht viel, dann hätte sie sich übergeben müssen. Eine panische Angst breitete sich immer mehr in der jungen Frau aus. Sie erinnerte sich an das Zusammentreffen mit ihrer Doppelgängerin und wußte, daß sie in eine Falle gegangen war. Es dauerte einige Minuten, bis sich Dr. Caroline Darlton besser fühlte. Sie stand auf und wankte auf eine Tür zu, die geschlossen war. Die Ärztin drückte die Klinke mit dem Ellenbogen nach unten, doch sie sprang nicht auf. Caroline schwankte zur Pritsche zurück und setzte sich. In ihrem Kopf war noch immer alles durcheinander. Das müssen sogenannte K.o.-Tropfen gewesen sein, dachte die Verschleppte. Was bezwecken meine Entführer? Wollen sie mich umbringen? Caroline sah sich erneut um und entdeckte erst jetzt, daß das Zimmer einen schäbigen Eindruck machte. Spinnweben hingen von der Decke, und Staub bedeckte den Boden. Der Putz war an vielen Stellen von Wänden und Decke abgebröckelt, und auch der Holzfußboden wies zahlreiche Risse und zersplitterte Bretter auf.
Wohin hat man mich gebracht? fragte sich Caroline Darlton. Was hat das alles zu bedeuten? Die Kerze brannte immer mehr ab, und die gaukelnden Schatten an den Wänden konnten Carolines Nerven auch nicht beruhigen. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Die auf den Rücken gefesselten Hände verhinderten einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es ging der Ärztin langsam besser. Die Wirkung des Betäubungsmittels nahm immer mehr ab. Caroline Darlton zuckte zusammen, als sie Schritte vernahm, die sich dem Kerker näherten. Sie verstummten vor der Tür, und dann wurde ein Schlüssel knirschend umgedreht. Sekunden später wich die Tür zurück, auf die Caroline aus geweiteten und angsterfüllten Augen starrte. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch kein Laut entwich ihrer Kehle. Sie blickte fassungslos auf die beiden Menschen, die ihr wie Wesen aus einer anderen Welt vorkamen. Sie trugen nachtschwarze Kutten, die bis zum Boden reichten. Kapuzen bedeckten die Köpfe, und schwarze Masken verbargen die Gesichter. Die düster aussehenden Männer traten in das Verlies und blieben zwei Schritte vor der Pritsche stehen, auf der Caroline Darlton saß. Die junge Engländerin wich bis zur Wand zurück, und eine panische Angst pulsierte durch ihren Körper. Die beiden Vermummten verneigten sich und blieben in dieser demütigen Haltung einige Sekunden lang stehen. Das alles muß ein Alptraum sein, dachte Caroline immer wieder. Bestimmt wache ich gleich auf und liege zu Hause in meinem Bett. Trotz dieser Gedanken war ihr aber klar, daß es erschreckende Realität war, was sich ihren Augen bot.
»Sei gegrüßt, Priesterin des Schwarzen Feuers!« sagte einer der Männer mit monoton klingender Stimme. »Wir werden dich heute zur Oberpriesterin erküren. Du wirst dich mit dem Satan vermählen und uns alle unsere geheimsten Wünsche erfüllen, so wie du es uns versprochen hast.« Caroline Darlton schloß für einen Herzschlag lang die Augen. Ihr Herz schlug zum Zerspringen, und ihr keuchender Atem erfüllte die Grabesstille des Kerkers. Die Gefangene suchte nach Worten, doch ihre Zunge schien gelähmt zu sein. Die Männer in den Kutten richteten sich wieder auf. Ihre Augen funkelten hinter den Maskenschlitzen. Sie gingen auf Caroline Darlton zu, packten sie rechts und links und stellten die aufschreiende Frau auf die Beine. »Ich bin nicht die, für die ihr mich haltet!« ächzte Caroline, doch die Vermummten reagierten nicht auf ihre Worte. »Laßt mich gehen«, flehte die Ärztin. »Ich bin nicht eure Priesterin und möchte auch keine Oberpriesterin oder was auch immer werden.« »Dein Geist ist verwirrt«, stieß der andere Verkleidete hervor. »Schon bald wirst du deinen großen Triumph erleben.« Caroline Darlton versuchte mit aller Macht, sich loszureißen, doch gegen die Kraft der beiden Männer kam sie nicht an. Sie blieb resignierend stehen und zuckte zusammen, als ein dritter Vermummter das Verlies betrat. Er trug eine blutrote Kutte und blieb dicht vor der Gefangenen stehen. In der Hand hielt er einen goldenen Pokal, aus dem weißer Rauch aufwallte. Ein süßlicher Duft erfüllte den Kerker. Der Verkleidete reckte den Kelch nach vorn. »Trinke, Priesterin des Schwarzen Feuers. Der Trank wird dir die Kraft geben, deine schwere Aufgabe zu bewältigen. Trink!«
Caroline Darlton wollte zurückweichen, doch die beiden Männer an ihrer Seite packten erneut mit eisernem Griff zu. »Trink!« Der Pokal befand sich dicht vor Carolines Lippen, und der weißliche Rauch umhüllte ihr blasses Gesicht, in dem es zuckte. Aus weit aufgerissenen Augen starrte die junge Frau auf den Becher mit dem dampfenden Gebräu. »Nein!« stieß Caroline Darlton mit erstickender Stimme hervor und drehte den Kopf zur Seite. »Nein!« Einer der Vermummten an ihrer Seite packte zu, und Caroline hatte das Gefühl, als stecke ihr Kopf in einer Zwinge. Der andere Verkleidete umschlang ihren Körper von hinten, und sie konnte sich nicht mehr bewegen. »Trink!« forderte sie der rotgekleidete Maskierte erneut auf. In seiner Stimme lag ein bösartiger Unterton, der Caroline kalte Schauer über den Rücken rieseln ließ. Der Satansdiener in der blutroten Kutte griff nach vorn, packte Carolines Nase und hielt sie zu. Es dauerte nicht lange, dann begannen die zusammengepreßten Lippen der blonden Frau zu zucken. Die Angst in Caroline Darlton wurde immer größer, je knapper die Luft in ihren Lungen wurde. Dann blieb ihr keine andere Wahl, als den Mund zu öffnen. Die Ärztin schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sekundenbruchteile später fühlte sie den Rand des Kelches an ihren Lippen. Gleich darauf fühlte sie einen süßlichen und widerwärtigen Geschmack in ihrer Kehle, der von dem Gebräu stammte, den ihr der Rotgekleidete in den Mund schüttete. Sie mußte schlucken, ob sie wollte oder nicht. Es sah so aus, als wollten der blonden Frau die Augen aus dem Kopf quellen. Sie verschluckte sich an der ekelhaften Brühe, hustete krächzend und rang erneut nach Atem.
Ein Teil des Trankes sickerte über das Kinn und rann in den Kragen der Bluse. Dann endlich trat der Mann in der roten Robe zurück, und auch die beiden anderen Vermummten ließen die Gefangene los. Caroline Darlton taumelte zurück und stürzte auf die Pritsche. Einer der Verkleideten löste die Handfesseln. Caroline griff sich an die Kehle und erbrach sich keuchend. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie hatte das Gefühl, sterben zu müssen. Sie sah nicht, wie die drei Sektenmitglieder den Kerkerraum verließen und die Tür hinter sich abschlossen. Ein sonderbares Gefühl ergriff von der gepeinigten Frau Besitz. Sie kam sich plötzlich wie losgelöst von ihrem Körper vor. Die Schmerzen und der ekelhafte Geschmack in ihrem Mund verschwanden. Eine unmenschliche Ruhe überkam Caroline Darlton. Alle Furcht verschwand, als habe es sie nie gegeben. Sie hatte das Gefühl, fliegen zu können, so leicht fühlte sie sich. Sie erhob sich von der Pritsche und tänzelte durch das Zimmer. Und es kam ihr vor, als berührten ihre Füße nicht die rissigen und staubigen Dielenbretter. Ihr Bewußtsein war wie gelähmt, und nur manchmal fühlte sie eine heiße Angst in sich, die jedoch rasch wieder verflog. Sie setzte sich auf die Pritsche, schloß die Augen und senkte den Kopf. Leise Musik schien an ihre Ohren zu dringen, und Wohlgerüche hüllten den schlanken Körper der schönen Frau ein. Ein zartes Lächeln verschönte Carolines Gesicht. Und sie fühlte sich in diesen Minuten unsagbar glücklich. Alles Leid dieser Welt schien von ihr abgefallen. Caroline Darlton ahnte nicht, daß sie in eine tödliche Falle geraten war.
*
»Wir grüßen dich, Priesterin des Schwarzen Feuers!« sagten die drei Männer im Chor und verneigten sich vor Caroline Darlton, die von ihrer Pritsche aufgestanden war. Die Willenlose trug ein weißes, fast durchsichtiges Kleid, das den formvollendeten Körper umspielte. Es war ihr vor einer halben Stunde von zwei Frauen angezogen worden, die ebenfalls vermummt gewesen waren. Der Anführer des »Kreises des Schwarzen Feuers« trat einen Schritt nach vorn. Die blutrote Robe leuchtete grell im Kerzenschein. In den Augen des Mannes lag ein gnadenloses Funkeln. Er hob beide Hände in Schulterhöhe und verneigte sich erneut vor der schönen Frau, die sanft lächelte. Noch immer war Caroline Darltons Bewußtsein von einer Droge ausgeschaltet. Nach wie vor fühlte sie sich wohl und erkannte nicht, in welch einer gefährlichen Situation sie sich befand. »Die große Feier findet in einer Stunde statt, Priesterin«, sagte der Mann in der roten Kutte und richtete den Oberkörper in die Höhe. »Du wirst unsere Oberpriesterin werden, so wie du es dir schon lange gewünscht hast. Wir alle werden dir zu Füßen liegen, wenn du Hochzeit mit den Mächten der Finsternis und des Bösen machst.« Caroline Darlton lächelte strahlend, als sie in die haßerfüllt funkelnden Augen des vor ihr stehenden Mannes blickte, dessen sonstiges Gesicht hinter einer schwarzen Maske versteckt war. »Du wirst den ›Dolch der Erkenntnis‹ von mir erhalten, wie ich es dir versprochen habe. Beim Höhepunkt der Zeremonie
wirst du mit den finsteren Mächten eins werden. Du wirst dir selbst den Dolch ins Herz stoßen und so den höchsten Triumph erleben, der dich mit der Macht der Dunkelheit für immer vereinen wird. Bist du bereit, diese große Aufgabe zu bewältigen?« »Ich werde es tun«, antwortete Caroline mit klarer Stimme. »Die Macht wird mit mir sein.« Der Mann in der blutroten Kutte nickte mehrmals, ehe er zurückwich, sich umdrehte und den beiden anderen Verkleideten ein Zeichen gab, ihm zu folgen. Kurze Zeit später war die blonde Frau wieder allein in ihrem Verlies. Carolines Lächeln erlosch. Sie griff sich an den Kopf. Ein greller Schmerz blitzte in ihrem Gehirn auf und zerriß für einen Herzschlag lang das trügerische Glücksgefühl, das sie seit einigen Stunden beherrscht hatte. Panische Angst und grauenvolle Furcht ließ das Gesicht der. Ärztin zu einer Grimasse erstarren. Sie sah sich verwirrt um, erkannte die kahlen Kerkerwände und spürte das namenlose Entsetzen, das sie umgab. Dann aber verklärte sich Carolines Gesicht wieder. Die Angst verflog. Sie dachte an die große Aufgabe, die sie erwartete und von der dieser Mann in der roten Kutte erzählt hatte. Sie würde eins werden mit den Mächten der Finsternis und den Pakt mit dem Bösen schließen. Sie war auserwählt. Caroline Darlton breitete beide Arme aus, als wolle sie die ganze Welt umarmen. Dann begann sie plötzlich am ganzen Körper zu zittern. Die Beine gaben nach, und die schöne Frau fiel hart auf die Pritsche zurück. Wieder zerriß der Vorhang in ihrem Gehirn, der ihr von der Droge einsuggeriert wurde.
Erneut blitzten Angst und Entsetzen in Caroline Darlton auf. Ihre Lippen öffneten sich weit, und ein gellender Schrei brach aus ihrem Mund, der dumpf von den Wänden des Kerkers widerhallte. Caroline sprang auf, doch die Füße knickten ihr weg. Sie stürzte und schlug hart auf den Dielenbrettern auf. Ein heftiger Schmerz pulsierte durch ihren Körper, der ihr Tränen in die Augen trieb. Die Gefangene quälte sich keuchend in die Höhe und blieb dann wie erstarrt stehen, ehe sie sich tänzelnd im Kreis zu bewegen begann. Wieder hatte die verabreichte Droge die Oberhand über Geist und Seele gewonnen. Caroline schritt leichtfüßig durch das Zimmer, und es sah so aus, als bewege sie sich auf kostbaren Teppichen. Wieder waren Angst und Entsetzen aus ihrem Gesicht gewichen. Einige Minuten später wurde die Gefangene erneut mit Furcht und Grauen konfrontiert. Sich anbahnender Irrsinn verunstaltete das sonst so makellose Gesicht der schönen Frau. Sie schrie gellend um Hilfe und versuchte, die Tür zu öffnen, die sich jedoch ihren Bemühungen widersetzte. Schließlich setzte die immer schwächer werdende Wirkung der Droge erneut ein, die Caroline den eigenen Willen nahm und sie gefügig machte. Die Gefangene blickte zur Tür, als sie Schritte vernahm, die sich rasch näherten und schließlich verhielten. Carolines schlanker Körper straffte sich unter dem dünnen Gewand. Sie blickte erwartungsvoll zur Tür, die geöffnet wurde. Drei vermummte Männer traten ein. Zwei trugen schwarze Kutten, der dritte war in einer blutroten Robe gehüllt. Die drei
Sektenanhänger verneigten sich tief, ehe sie sich wieder aufrichteten und ihr Opfer forschend musterten. »Die Stunde deiner Vermählung mit dem Bösen ist gekommen«, sagte der Rotgekleidete. »Bist du bereit, uns zu folgen und an der Zeremonie teilzunehmen, Priesterin des Schwarzen Feuers?« »Ich bin bereit«, sagte Caroline Darlton lächelnd, und große Freude schwang in ihrer Stimme mit. »Dann laß uns gehen«, fuhr der Mann in der roten Kutte fort. »Die Mächte des Bösen mögen mit dir sein!« Er machte kehrt, während die beiden anderen Verkleideten zur Seite wichen. Der rote Kuttenträger übernahm die Führung. Caroline folgte ihm. Den Abschluß bildeten die beiden anderen Vermummten. Hinter der Tür befand sich ein enger Gang, der von lodernden Fackeln erhellt wurde. Einer der Männer nahm einen langen schwarzen Mantel von einem Haken und hängte ihn der Frau über. Caroline ließ es widerspruchslos geschehen und folgte dem Rotgekleideten. Schon nach mehreren Metern endete der Gang vor einer anderen Tür. Der Anführer der Sekte öffnete sie und trat ins Freie. Caroline folgte ihm und achtete nicht auf ihre Umgebung. Sie setzte mechanisch Fuß vor Fuß und achtete auch nicht darauf, daß ihr die beiden schwarzgekleideten Kuttenmänner folgten und sie nicht aus den Augen ließen. Die Gefangene vernahm fernes Stimmengemurmel, das lauter wurde, je mehr sie sich mit ihren Begleitern einem Hügel näherte. Caroline Darlton stockte mitten im Schritt. Wieder einmal riß der »Vorhang« in ihrem Kopf, doch nur für Sekundenbruchteile, ehe die Droge erneut siegte.
Die vier Menschen erreichten den Fuß des Hügels, vor dem sich über fünfzig Vermummte versammelt hatten. Viele hielten rußende Fackeln in den Händen, die den verkleideten Menschen ein sehr gespenstisches Aussehen verliehen. Steil ragten die Felsnadeln in die Höhe. Zwischen ihnen brannten Feuer, die knisterten und Funken sprühten. Der monotone Singsang der versammelten Kuttenträger schwoll lautstark an. Die Sektenanhänger des »Kreises des Schwarzen Feuers« hatten sich bei Caroline Darltons Anblick alle verneigt und verharrten so in dieser demütigen Haltung. Die Gefangene blickte ohne jede Angst auf die aufgeschichteten Steine, die von fast schwarz brennenden Flammen umhüllt wurden. Der Rotgekleidete blieb vor dem Altar stehen und breitete beide Arme aus. Der monotone Gesang erstarb von einer Sekunde zur anderen, und die verkleideten Menschen richteten sich auf. Es herrschte eine unheimliche Stille, die nur vom Knistern des Feuers und dem Prasseln der Fackeln unterbrochen wurde. Alle Augen richteten sich auf die blonde Frau, die regungslos neben dem Mann in der roten Kutte stand. Einer der beiden Begleiter trat hinter Caroline Darlton und nahm ihr den schwarzen Umhang von den Schultern. »Die Stunde der Freude für uns alle ist endlich gekommen«, rief der Anführer salbungsvoll. »Lange haben wir darauf warten müssen.« Er schwieg und verneigte sich in Carolines Richtung. Alle Anwesenden folgten seinem Beispiel. »Diese Frau, die wir schon vor Wochen zur Priesterin des Schwarzen Feuers erwählt haben, wird noch in dieser Stunde den Pakt mit dem Mächtigen der Finsternis schließen und so uns alle unserem Ziel näher bringen. Auch wir sind auserwählt und werden Geld und Macht erlangen.«
Der Mann in der blutroten Kutte ließ beide Arme sinken, während die Menschenmenge erneut zu singen begann. Dumpf wehte der Gesang zu Caroline Darlton herüber, die noch immer regungslos verharrte. Hin und wieder verzerrte sich ihr Gesicht. Ihr Bewußtsein lag in einem fast aussichtslosen Kampf gegen die Droge, die ihren Geist und ihre Seele fast vollkommen beherrschte. »Bist du bereit, den ›Dolch der Erkenntnis‹ gegen dich selbst zu führen und so den Pakt zu erschließen?« fragte der Sektenführer. »Ich bin bereit!« flüsterte Caroline Darlton, während sie am ganzen Körper zu zittern begann. Doch dann wurde sie wieder völlig ruhig. Der Verkleidete nickte zufrieden, während sich sein Körper entspannte. Dieses Mal war ihm die kurze Reaktion der Gefangenen nicht entgangen. »Dann trete zum Altar und lege dich darauf!« befahl er. »Deine Zeit ist gekommen! Du wirst uns Auserwählte die Tür zur Finsternis öffnen!« Caroline Darlton gehorchte wortlos und legte sich auf den Altar. Die schwarzen Flammen wurden größer, und weißer, süßlich duftender Rauch stieg auf, der für einige Sekunden die aufgeschichteten Opfersteine einhüllte, ehe sich die Rauchschwaden wieder verzogen. Der Mann in der roten Kutte trat näher. In der Hand hielt er einen großen Dolch, dessen Klinge im Schein des Feuers funkelte. Es war soweit. Caroline Darltons Leben hing an einem seidenen Faden.
*
Dr. Caroline Darlton lag auf dem Altar und blickte hoch zum Firmament. Sie sah die in kalter Pracht funkelnden Sterne und den Mond, dessen silberner Schein das Gelände in milchiges Licht tauchte. Die dunklen Flammen rechts und links des Altars schlugen höher, doch Caroline spürte keine Hitze. Erneut wallte weißer Rauch auf, der die Liegende sanft umhüllte, ehe er träge zerfaserte. Der Gesang der versammelten Sektenmitglieder wurde lauter und schwoll zu einem Brausen an. Die beiden Männer in den schwarzen Kutten traten rechts und links des Opfertisches, während sich der Rotgekleidete an das Kopfende des Altars begab. In seiner rechten Hand funkelte der große Dolch, den er hoch über den Kopf hielt. »Nimm den ›Dolch der Erkenntnis‹«, befahl der Mann in der blutroten Kutte. »Tue deine Pflicht, um die Mächte der Dunkelheit versöhnlich zu stimmen. Opfere dich, damit wir den Pakt mit den Kräften der Finsternis schließen, der uns allen helfen wird!« Der Vermummte in der roten Robe beugte sich nach vorn und reckte Caroline Darlton den Dolch entgegen. Ihre Blicke begegneten sich, und die Gefangene erkannte nicht den gnadenlosen Haß in den Augen des Mannes. Sie lag nach wie vor entspannt auf dem Altar, und es sah so aus, als verstände sie überhaupt nicht, was um sie herum vor sich ging. Caroline hob langsam beide Hände, die sich wie in Zeitlupe dem Dolch näherten. Dann umfaßte sie den Griff des Messers mit beiden Händen.
Die spitze Klinge war gegen die Brust der Frau gerichtet. Der Mann in der roten Kutte wich zurück. Dann straffte sich sein Körper, und er erhob erneut beide Hände gegen den Himmel. Der Gesang der übrigen Menschen wurde noch lauter. Viele reckten ebenfalls die Hände empor. Einige Körper zuckten wie in Ekstase; andere wiegten sich wie in Trance. Caroline Darlton starrte auf den Dolch, den sie fest mit beiden Händen hielt. Der Griff fühlte sich heiß an und schien zu beben, als wäre er mit einem geheimnisvollen Eigenleben erfüllt. Das entspannte Gesicht der Ärztin verzerrte sich plötzlich. Angst loderte in ihren Augen auf, und ihre Brust hob und senkte sich schwer. Das Messer in ihren Händen begann zu zittern. Die drei Männer in den Kutten zuckten zusammen, als sie sahen, was mit ihrem Opfer vor sich ging. Caroline Darlton aber fühlte nur Angst, Grauen und Entsetzen in sich. Sie vernahm den Gesang, sah den Dolch und die lodernden Flammen und wußte nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Sie wollte den Oberkörper aufrichten, doch die beiden schwarzen Kuttenträger packten von rechts und links zu und preßten den zuckenden Körper der Frau auf den Altar zurück. »Du mußt deine Pflicht erfüllen, Oberpriesterin des Schwarzen Feuers!« vernahm sie die suggestiv klingende Stimme eines Mannes hinter sich. »Es gibt kein Zurück für dich!« Caroline wollte schreien, doch das Grauen verschloß ihre Kehle. Erneut versuchte sie, sich aufzubäumen, doch sie kam gegen die Kräfte der beiden Männer nicht an, die ihren Körper auf den Opfertisch zurückdrückten.
Gurgelnde Laute verließen Carolines Mund. Sie starrte auf den Dolch und wollte ihn von sich schleudern, doch es gelang ihr nicht. Es schien, als wäre das Messer fest mit ihren Händen verwachsen. »Zögere nicht länger!« rief der Rotgekleidete und trat neben den Altar. Seine Augen richteten sich zwingend auf die hilflose Frau, die längst ahnte, daß sie sich in der Gewalt der Sekte des Schwarzen Feuers befand. »Nein«, würgte Caroline Darlton hervor. »Nein…!« »Dann werde ich dir helfen, Oberpriesterin!« stieß der Mann in der roten Kutte hervor. Er griff nach Carolines Händen, die den Dolch noch immer umklammert hielten. Ein höhnisches Gelächter drang an Carolines Ohren. Sie stemmte sich verzweifelt gegen den Druck, den der Mann in der roten Kutte auf ihre Hände ausübte. Trotzdem senkte sich die Dolchklinge immer mehr und näherte sich unaufhaltsam der linken Brustseite der hilflosen Frau. »Nein«, ächzte Caroline Darlton. »Nein, ich will nicht sterben. Warum hilft mir denn niemand?« Ihre gestammelten Worte gingen in ein Schluchzen unter. Tränen rannen ihr über die bleichen Wangen, während ihr Körper zuckte und sich mit aller Kraft gegen den drohenden Tod stemmte. Der Vermummte drückte noch fester zu, und der Dolch näherte sich noch mehr dem Körper des hilflosen Opfers. Die versammelte Menge schwieg. Wie gebannt starrten die verkleideten Menschen zum Altar hinüber. Die Stille wirkte gespenstisch. Fackeln loderten, und der klagende Ruf eines Nachtvogels durchschnitt diese unheimliche Ruhe. Caroline Darlton schrie gellend auf, als die Dolchspitze das dünne Gewand erreichte und ihre Haut ritzte. Noch einmal
nahm sie alle Kräfte zusammen, und es gelang ihr, die tödliche Waffe einige Zentimeter hochzustemmen. Der Mann in der roten Kutte lachte höhnisch. »Du wirst sterben!« stieß er hervor. »Nichts wird dich retten können. Du hast verspielt. Meine Rache wird vollkommen sein!« Caroline Darlton schrie erneut wie von Sinnen auf. Die Angst in ihr wurde übermächtig. Sie wußte nur zu gut, daß sie der Kraft des Gegners nicht mehr lange standhalten konnte. Caroline schloß in diesen Sekunden mit dem Leben ab. War sie wirklich verloren…?
*
Hastende Schritte ertönten, und mehr als ein Dutzend Männer sprangen hinter den Felsnadeln hervor. Trillerpfeifen gellten durch die Stille und ließen die Menschen zusammenzucken. Bill Cromwell und zwei Polizisten eilten heran. Der Inspektor packte den Verbrecher in der roten Kutte und riß ihn zurück, während die beiden anderen Männer sich auf die schwarzen Kuttenträger stürzten. Caroline Darlton richtete den Oberkörper in die Höhe und schloß für den Bruchteil einer Sekunde lang die Augen. Dann blickte sie auf den geliebten Mann, der den Gegner mit zwei Hieben niederschlug. Auch die beiden anderen Sektenanführer wurden von den Polizisten überwältigt. Die übrigen Männer und Frauen des »Kreises des Schwarzen Feuers« flüchteten in wilder Panik, nicht wissend, daß sie am Parkplatz von zahlreichen Polizisten bereits erwartet wurden.
Caroline kletterte vom Altar hinunter. Eine unsagbare Erleichterung breitete sich in ihr aus. Sie taumelte auf Bill Cromwell zu, der ihr entgegenlief und die geliebte Frau in seine Arme nahm, ehe sie stürzen konnte. »Es wird alles wieder gut«, tröstete Bill Cromwell. »Wir konnten leider nicht früher eingreifen, weil wir uns vorsichtig heranschleichen mußten. Bitte, beruhige dich. Diese Verbrecher werden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen.« »Die Hauptsache ist, daß du gekommen bist«, flüsterte Caroline Darlton. »Ohne dein Eingreifen wäre ich verloren gewesen.« Bill Cromwell lächelte und strich Caroline zärtlich über den Blondschopf. Dann zog er seinen Mantel aus und hängte ihn ihr über die Schultern. »Nach deinem Verschwinden setzte ich mich mit der Polizei in Verbindung. Inspektor Jackson und ich, wir fanden schnell heraus, daß heute nacht eine weitere Zusammenkunft der Sekte stattfinden sollte. Und wir nahmen an, daß du von Mitgliedern dieses Hexerbundes verschleppt wurdest. Natürlich rechneten wir nicht damit, daß du umgebracht werden solltest.« Ein schlanker Mann, in Bills Alter, trat auf die beiden zu. »Das ist Inspektor Jackson, Liebling«, sagte Bill Cromwell. »Wir haben ihm eine Menge zu verdanken. Inzwischen haben seine Leute bestimmt ganze Arbeit geleistet. Bestimmt genügt es, wenn du erst morgen deine Aussage zu Protokoll gibst.« Caroline Darlton schüttelte dem Polizisten die Hand. »Wir sehen uns morgen auf der Wache, Miß Darlton«, sagte er lächelnd. »Ich bin sehr froh, daß wir noch rechtzeitig eingreifen konnten. Und Sie sollten am meisten Bill danken. Ohne sein beharrliches Drängen hätte das ins Auge gehen können.«
Drei Polizisten brachten die drei Männer in den Kutten heran. Handschellen klirrten an den Gelenken. Noch immer trugen sie die Gesichtsmasken. Bill Cromwell trat auf den Vermummten in der roten Kutte zu und riß ihm die Maske herunter. Das Gesicht von James Gray wurde sichtbar. »Du Satan«, flüsterte Caroline Darlton, obwohl sie längst geahnt hatte, daß nur Dr. James Gray der Anführer des »Kreises des Schwarzen Feuers« sein konnte. Sekunden später fielen die Masken der beiden Verkleideten. Es handelte sich um Dr. Michael Gray und Garry Holding, dem Bürgermeister der kleinen Stadt. »Sie werden für alles bitter büßen müssen«, sagte Inspektor Jackson. »Diesem Teufelsspuk bereiten wir ein für allemal ein Ende.« Bill Cromwell legte seinen Arm um Carolines Schultern. »Laß uns gehen, Liebling«, sagte er liebevoll. »Dein guter Name ist in wenigen Tagen wiederhergestellt. Du mußt diesen Alptraum schnell vergessen.« Caroline Darlton lächelte und schmiegte sich fest gegen den Mann, den sie von ganzem Herzen liebte. »Gemeinsam werden wir es schaffen«, antwortete sie leise.