Birgit Knister Hexe Lilli
Hexe Lilli macht Zauberquatsch
Lilli hext für ihr Leben gern, seit sie eines Tages plötzlich...
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Birgit Knister Hexe Lilli
Hexe Lilli macht Zauberquatsch
Lilli hext für ihr Leben gern, seit sie eines Tages plötzlich ein Zauberbuch neben ihrem Bett fand. Aber die Hexerei hat meist ungeahnte Folgen... So etwa, als Lilli einmal zum Spaß heimlich ein paar Märchenfiguren lebendig hexen will. Wer hätte gedacht, was sie damit bei Omas ahnungslosem Nachbarn anstellt! ISBN: 3401044923 Arena Erscheinungsdatum: 1994
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Das ist Lilli, die Hauptperson unserer Geschichte. Sie ist ungefähr so alt wie du und sieht aus wie ein gewöhnliches Kind. Das ist sie eigentlich auch...aber doch nicht ganz. Lilli besitzt nämlich etwas, was überhaupt nicht gewöhnlich ist: ein Hexenbuch! Eines Morgens fand Lilli es neben ihrem Bett. Wie ist es da wohl hingekommen? Keine Ahnung. Lilli weiß nur, dass die schusselige Hexe Surulunda Knorx das Buch aus Versehen liegen gelassen hat. Und sie weiß, dass echte Zaubereien und wilde Hexentricks in dem Buch stehen. Einige davon hat Lilli schon ausprobiert. Aber aufgepasst: Versuche lieber nicht, Lillis Hexereien nachzumachen! Hast du nur ein Wort falsch gelesen, wird Zahnbürste zum Hexenbesen. Aus Lehrerin wird böser Schurke, aus Eis am Stiel wird saure Gurke. Vorsichtshalber hat Hexe Lilli niemandem von ihrem tollen Buch erzählt. Sie ist sozusagen eine echte Geheimhexe.
Auch vor ihrem kleinen Bruder Leon hält sie das Hexenbuch geheim. Das ist gar nicht so einfach, denn Leon ist sehr neugierig und kann manchmal ziemlich nervig sein. Lilli hat ihn aber trotzdem sehr lieb. So... und jetzt kann der Lesespaß losgehen!
Inhalt 1. Kapitel............................................................................. 5 2. Kapitel........................................................................... 12 3. Kapitel........................................................................... 23 4. Kapitel........................................................................... 33 Zaubertrick „Feuerschlucken“ .......................................... 40 Zaubertrick „Mein Hexenwille geschehe!“....................... 42
1. Kapitel
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Lilli darf am Wochenende bei Oma schlafen. Ohne Mama und ohne Leon! Darauf freut sie sich riesig. Schon seit Tagen bereitet sie sich vor. Und das muss sie allein tun, denn die Vorbereitungen sind geheim. Wie aber soll man etwas geheim halten, wenn man einen kleinen Bruder hat, der ständig ins Zimmer kommt und irgendetwas will? „Du, Lilli, kannst du mal eben... „ „Nein, ich habe keine Zeit“, unterbricht Lilli ihren Bmder grob und zupft die Bettdecke auf ihrem Bett zurecht. „Außerdem habe ich dir vorhin schon gesagt, dass du mich nicht stören sollst.“ „Was hast du denn unter der Bettdecke versteckt?“, will Leon wissen. „Ich? Wieso?“, fragt Lilli und klopft die Decke glatt. „Als ich reinkam, hast du etwas damnter versteckt“, sagt Leon siegessicher. „Ach so - das war nur mein Stofftier“, sagt Lilli, greift unter die Decke und zieht ihren Hasen hervor.
„Jetzt aber raus“, erklärt sie dann ihrem Bruder sehr deutlich, noch ehe der sich überlegen kann, weshalb er eigentlich zu Lilli gekommen ist. „Und das nächste Mal klopfst du an, bevor du mein Zimmer betrittst, klar?!“, ruft sie ihm noch nach. -6-
Kaum ist Lilli wieder allein, schlägt sie die Bettdecke zurück. Und was liegt dort? Natürlich das Hexenbuch! Lilli sucht nämlich nach Zaubersprüchen. Zaubersprüchen, die sie für ihre Märchenspiele mit Oma gebrauchen kann.
Aber halt, der Reihe nach. Dazu musst du wissen: Wenn Lilli bei ihrer Oma ist, erzählen sie sich immer gegenseitig Märchen. Nicht so, wie andere Leute das tun. Nein, sie verändern sie. Dichten hier und da etwas hinzu. Richtige Quatschmärchen kommen dabei heraus. Das macht einen Riesenspaß! Tja, und für das kommende Oma- Wochenende will Lilli ein paar Zaubersprüche heraussuchen, mit denen sie die Märchen lebendig machen kann. Wenn Oma zum Beispiel ein Drachenmärchen erzählt, könnte Lilli doch einen echten kleinen Drachen herbeizaubem, oder? Oder beim Märchen von Frau Holle könnte sie es wirklich schneien lassen... Fieberhaft blättert Lilli im Hexenbuch. Da! Könnte ihr das vielleicht weiterhelfen?
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SACKZAUBER steht da als Überschrift geschrieben.
Lilli überfliegt den Text. Sie erfährt, wie man alles Mögliche aus Säcken hervorzaubern kann: kleine Hasen, große Hasen, schwarze, weiße und gefleckte Hasen. Kröten, Frösche, Tauben, Bälle, Öllampen, Taschentücher und Tannenzapfen. Alles Mögliche - nur leider keine Knüppel. Dabei hätte Lilli ihre Oma doch so gern mit einem echten -8-
Knüppel aus dem Sack überrascht... Es klopft, Lilli schreckt hoch. Sie schafft es gerade noch, ihr geheimes Buch wieder unter der Decke zu verstecken, da steht Leon schon im Zimmer. „Hast du meinen Gameboy gesehen?“, fragt er Lilli. „Nee“, sagt Lilli. „Wirst ihn wohl wieder irgendwo liegen lassen haben. Vielleicht in deinem Bett?“ „Da hab ich schon nachgeschaut, da ist er nicht!“ „Dann vielleicht in der Spielzeugkiste“, schlägt Lilli vor. „Da ist er auch nicht.“ „Und im Badezimmer?“ „Da ist er auch nicht!“ Lilli ist leicht genervt. Na warte, denkt sie. „Hast du eigentlich auch im Badezimmer im Spiegelschrank nachgeschaut? Ganz tief drinnen, hinter Mamas Nagellackfläschchen? Oder vielleicht hinter der kleinen Klappe unter der Badewanne, die man öffnet, wenn der Abfluss verstopft ist? Dein Gameboy könnte sogar auf dem Lampenschirm in der Küche liegen. Du musst wissen, Gameboys machen sich manchmal selbstständig.“ „Echt?“, fragt Leon ungläubig. „Ja, natürlich.“ Lilli verulkt ihren jüngeren Bruder weiter. „Wenn Gameboys unbeobachtet sind, fliegen sie einfach so herum. Küchenlampenschirme sind ein großartiger Landeplatz für Gameboys. Es könnte natürlich auch sein, dass Supermario persönlich aus dem Gameboy gestiegen ist, um ihn für dich zu verstecken. Dann will er dich auf die Probe stellen. Das hat er mit mir auch schon einmal versucht.“ Leon schaut Lilli mit immer größeren Augen an und rennt aus dem Zimmer. Lilli schmunzelt. Jetzt, so glaubt sie, wird sie in -9-
Ruhe in ihrem Hexenbuch stöbern können. Aber da hat sie sich getäuscht: PARDAUZ!, macht es und Lilli wird von einem krachenden Geräusch aus ihren Hexenträumen gerissen.
Lilli eilt in die Küche. Dort liegt ihr Bruder neben zwei umgestürzten Stühlen und reibt sich den rechten Ellbogen. Die Küchenlampe baumelt hin und her. Oje... Lilli kann sich leicht ausmalen, was hier vorgefallen ist.
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„Hast du dir wehgetan?“, fragt sie kleinlaut und lässt sich von Leon die schmerzende Stelle zeigen, um ihn zu trösten. Zum Glück ist Leon nicht ernsthaft verletzt. Trotzdem hat Lilli ein furchtbar schlechtes Gewissen. Sie streichelt ihn und pustet auf seinen Ellbogen, genau wie Mama es immer tut, wenn er sich irgendwo gestoßen hat. Lillis Bemühungen scheinen Leon gut zu gefallen, denn er lässt sich eine ganze Weile von ihr trösten. Schließlich fragt er: „Kannst du mir nicht ein Liedchen vorsingen?“ Lilli singt bereitwillig. „Jetzt könnte ich ein Taschentuch gebrauchen“, sagt Leon, nachdem Lilli ihm das Lied „Heile, heile Gänschen“ dreiundzwanzigeinhalbmal vorgesungen hat. Lilli beeilt sich ihm das Taschentuch zu bringen. „Hauptsache, er erzählt Mama nicht, warum er versucht hat zum Lampenschirm hochzuklettern“, denkt sie. Anschließend lässt Leon sich von seiner Schwester ein Glas Milch holen, danach Plätzchen. Doch als er Lilli wieder losschicken will, um Kaugummis zu holen, hat Lilli genug von dem Spielchen. Sie hockt sich zu Leon auf den Boden. „Kaugummis sind ganz schlecht bei Ellbogenschmerzen“, sagt sie und wackelt mit dem Zeigefinger. Dann muss sie lachen: Leon hat sie wieder einmal ausgetrickst, er hat es geschafft, dass Lilli sich mit ihm beschäftigt! Komischerweise passiert das immer gerade, wenn Lilli allein sein will, um ihr Hexenbuch zu lesen...
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2. Kapitel
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Lilli hat plötzlich eine Idee. „Sag mal“, wendet sie sich an Leon, „wenn du dir eine Figur aus einem Märchen wünschen könntest, wen würdest du dir herwünschen?“ „Wie meinst du das?“ „Du kennst doch viele Märchen. Stell dir vor, ich könnte jemanden aus einem Märchen hierher zaubern. Wen würdest du sehen wollen?“ „Den Froschkönig!“, antwortet Leon wie aus der Pistole geschossen. „Der findet doch immer die verloren gegangenen Sachen. Im Märchen findet er die Goldkugel von der Prinzessin. Für mich soll er den Gameboy suchen.“
Lilli lacht leise in sich hinein. Sie holt sich einen Zettel, um Leons Vorschlag aufzuschreiben. Wer weiß... am Wochenende könnte sie ja das mit dem Froschkönig bei Oma ausprobieren, oder? „Wen sonst?“, fragt sie ihren Bruder. Sie ist gespannt, was sich Leon noch ausdenkt. Der überlegt auch nicht lange. „Den Geist aus der Flasche. Aus dem Märchen Aladin und die Wunderlampe“, schlägt er vor. „Der könnte mir in einer einzigen Nacht ein ganzes Schloss bauen. Das wäre nämlich besser als unsere kleine Wohnung. Wir hätten endlich genug Platz zum Spielen!“ „Super“, sagt Lilli zufrieden, und während sie notiert, hat -13-
Leon schon die nächste Idee. „Die sieben Zwerge wären auch gut. Dann hätte ich sieben Freunde zum Spielen - und bestimmt machen sie mich sogar zu ihrem Anführer, weil ich der Größte von ihnen bin.“
„Wie wäre es mit dem Wolf? Für den baust du dann eine Falle - vielleicht elektronisch gesteuert“, fällt jetzt Lilli ein. Leon versteht nicht. Er fragt: „Wie meinst du das, eine Wolfsfalle?“ „Na, für den bösen Wolf!“, erklärt Lilli. Aber Leon weiß offensichtlich immer noch nicht, wovon Lilli redet. Da hilft sie ihm auf die Sprünge, indem sie ihm das Märchen mit dem Wolf kurzerhand erzählt. „Es war einmal ein Mädchen, das lebte in einem grünen Haus, auf einer grünen Wiese, an einem grünen Wald. Das Mädchen trug am liebsten grüne Socken, ein grünes Röckchen und eine grüne Bluse und ein grünes Jäckchen.“ „Es hatte bestimmt auch ein grünes Lieblingsarmband!“, ruft Leon dazwischen. „Richtig!“, sagt Lilli lachend. „Und außerdem hatte es grüne Haare. Und das war das Problem. Eben wegen dieser Haare wurde das arme Mädchen tagein, tagaus von allen Kindern des Dorfes gehänselt. Darum war das Mädchen oft sehr traurig. Eines Tages hatte seine Großmutter eine Idee: Sie schenkte dem Mädchen eine Kappe, um die grünen Haare darunter zu verstecken. Das war eine sehr gute Idee. Die Sache hatte nur einen Haken: Die Großmutter war schon sehr, sehr alt und sie -14-
konnte nicht mehr gut sehen und vor allen Dingen keine Farben auseinanderhalten. Sonst hätte sie ja gewusst, dass das Mädchen normalerweise alles liebte, was grün war. So aber schenkte sie ihrem Enkelkind eine rote Kappe. Das war nicht gerade ein Unglück, aber doch ein kleines bisschen Pech für das Mädchen - ja, so ist das nun mal im Leben. Immerhin ließen sich die grünen Haare ganz und gar unter der roten Kappe verbergen und das wiederum war ein Glück, und darauf kommt es schließlich an in einem Märchen. Von Stund an trug das Mädchen diese Kappe Tag und Nacht und darum wurde es von allen nur noch Rotkäppchen gerufen.“ „Ach, Rotkäppchen!“, ruft Leon begeistert. „Das Märchen kenne ich doch. Aber ich wusste gar nicht, dass es mit Grün anfängt.“ „Ich auch nicht!“, lacht Lilli. „Oma hat es mir erzählt. Sie denkt sich immer aus, wie die Märchen wohl weitergehen oder was vorher passiert sein könnte.“ „Also“, überlegt Leon laut, „jetzt kapier ich auch, was für einen Wolf du vorhin gemeint hast. - Aber warum soll ich ihm eine Falle bauen?“
„Wenn zum Beispiel Rotkäppchen eine Falle für den Wolf mit in den Wald nehmen würde, könnte der die Großmutter nicht fressen und es würde eine ganz andere Geschichte dabei herauskommen“, erläutert Lilli. „Toll!“, ruft Leon. „Und wie würde sie ausgehen, wenn Rotkäppchen den Wolf eingefangen hätte?“ -15-
„So ganz genau weiß ich das auch nicht“, antwortet Lilli nachdenklich. „Los, erzähl!“, beginnt Leon zu quengeln. Schließlich gibt Lilli nach. „Ich will es versuchen“, sagt sie. „Pass auf: Das liebe Rotkäppchen wird von seiner genauso lieben Mutter zu seiner noch lieberen Großmutter in den Wald geschickt, um ihr etwas Gutes zu bringen.“ „Bestimmt eine Pizza!“, unterbricht Leon. „Quatsch! Einen Kuchen. Rotkäppchen packt ihn in den Korb. Dazu noch eine Flasche Wein und einen Videorecorder.“ „Und eine Wolfsfalle“, fügt Leon hinzu. „Dafür hat sie doch den Videorecorder!“, sagt Lilli. „Also: Rotkäppchen hat die Sachen im Korb und will zu seiner alten, kranken Großmutter, die bekanntlich tief tief im Wald wohnt.“ „Und bevor sie sich auf den Weg macht, sagt die Mutter, dass sie nicht vom Weg abkommen soll und sich vorm bösen Wolf hüten muss.“ „Nein, sagt sie nicht“, widerspricht Lilli. „Unterbrich mich doch nicht immer! Sie sagt, Rotkäppchen solle mit keinen fremden Leuten mitgehen und nicht in Autos einsteigen, auch dann nicht, wenn man ihr Schokolade, lebendige Hasenbabys oder Computerspiele verspricht. Dann ist Rotkäppchen im Wald. „Und jetzt kommt der böse Wolf!“ „Richtig.“ „Und der Wolf fragt sie, wohin sie will, und sie sagt, zur kranken Großmutter, um ihr Kuchen zu bringen.“ „Nein, sagt sie nicht. Sie sagt, sie geht zur Großmutter, um ihr Karate beizubringen, weil Rotkäppchen nämlich gerade einen Karatekurs gemacht hat.“ „Sie kann echt Karate?“, fragt Leon erstaunt. -16-
„Klaro. Sie hat sogar die Karateprüfung für den schwarzen Meistergürtel bestanden, aber sie trägt natürlich lieber den grünen Gürtel, weil ihr der besser gefällt.“ „Und gleich haut sie mit einem Karatetrick den Wolf um“, platzt Leon heraus und fuchtelt dabei wild mit seinen Armen und Beinen herum. „Nein, nein, der Reihe nach! Der Wolf fragt Rotkäppchen, ob sie für ihre Großmutter nicht Blumen im Wald pflücken will, und Rotkäppchen erklärt ihm, dass es für die Natur nicht gut ist, Waldblumen zu pflücken. Und sie erklärt ihm, dass manche wild wachsenden Blumen vom Aussterben bedroht sind.“
„Und was sagt der böse Wolf dazu?“, will Leon wissen. „Der sagt gar nichts. Der guckt bloß dumm aus der Wäsche, oder genauer gesagt, aus seinem Wolfspelz. Böse Märchenwölfe haben natürlich noch nichts vom Naturschutz gehört.“ Wieder beginnt Leon wild in die Luft zu treten und ruft: „Aber jetzt macht sie ihn mit dem Karatetrick fertig!“
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„Quatsch! Dann kramt Rotkäppchen bedächtig den Videorecorder aus ihrem Korb. Im Recorder steckt der Märchenfilm vom Rotkäppchen und den sieht sie sich scheinbar gelangweilt an. Der Wolf, der noch nie einen Videofilm gesehen hat, schaut ebenfalls neugierig zu. Als aber im Film schließlich die Stelle kommt, an welcher der Jäger dem bösen Wolf den -18-
Bauch aufschneidet, um Rotkäppchen und die Großmutter wieder herauszulassen, da nimmt der echte Wolf heulend Reißaus und verschwindet auf Nimmerwiedersehen im Wald.“ „Und Rotkäppchen?“ „Die bringt ihrer Großmutter den Kuchen und den Wein und sie verputzen alles gemeinsam. Zuletzt wird die Großmutter müde, schläft ein und Rotkäppchen geht ungestört nach Hause.“ „Und das Märchen ist aus.“ „Nein, nein. Dann kommt der Jäger und hört die Großmutter schnarchen. Er geht ins Haus und fragt: „Wer liegt denn da am hellichten Tag im Bett?“ Die Großmutter, so plötzlich aus dem Schlaf geholt, reißt ihre Augen auf und blickt den Jäger verdutzt an. „Aber Großmutter, warum schaust du mich denn mit so großen Augen an?“, will der Jäger wissen. Die Großmutter ist zwar alt, aber nicht auf den Mund gefallen. Nachdem sie sich vom ersten Schrecken erholt hat, grinst sie und gibt zur Antwort: „Die großen Augen habe ich, damit ich besser sehen kann, was für ein hübscher Kerl da einfach, ohne anzuklopfen, in mein Haus spaziert!“ Der Jäger bekommt einen roten Kopf, weil er sich ein bisschen schämt. Doch ihm gefällt Großmutters lustige Art, darum geht er auf ihr Spiel ein und fragt: „Und warum hast du einen so großen Mund?“ „Damit ich besser küssen kann!“, ruft die Großmutter, springt aus dem Bett, schnappt sich den Jäger und küsst ihn, dass ihm die Luft wegbleibt. Und schon sind die beiden verliebt. - Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, beendet Lilli ihre Erzählung. „Ein tolles Märchen“, sagt Leon entzückt. „Erzähl mir noch so eines!“
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„Nein!“ Lilli winkt lachend ab. „Keine Zeit jetzt. Ich will mich endlich richtig vorbereiten für das nächste Märchenwochenende bei Oma. „ „Was musst du denn dafür machen?“, will Leon wissen. „Ich muss lesen, und zwar allein“, sagt Lilli und gibt Leon damit eindeutig zu verstehen, dass er jetzt verschwinden soll. „Märchenbücher?“ „Allein!“ „Nur noch ein Märchen...“, bettelt Leon. „Ich will allein sein, Leon!!!“ „Nur noch ein... „.„Also hör zu.“ Lilli verdreht die Augen. „Wenn du mich jetzt in Ruhe in meinem Zimmer lesen lässt, erzähle ich dir heute Abend noch ein Märchen - und zwar ein spannendes. Das verspreche ich dir.“ Aber Leon gibt einfach keine Ruhe. „Dann musst du mir jetzt schon verraten, welches“, verlangt er. Lilli überlegt kurz. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. „Ich erzähle dir das Märchen vom Wolf und den acht Geißlein.“ „Ich denke, es waren sieben Geißlein“, wendet Leon ein. „Nein, es waren acht. Es ist im Märchen immer nur von sieben Geißlein die Rede, weil das achte Geißlein ein Geheimagent war, und wenn es jeder kennen würde, könnte es -20-
ja nicht länger Geheimagent bleiben. Geheimagenten machen alles streng geheim. Auch im Märchen. Halt, Schluss jetzt - sonst bin ich ja schon mittendrin im Märchenerzählen.“ „Schade“, murmelt Leon. Aber er geht bereitwillig in sein Zimmer. Schließlich muss er sonst fürchten heute Abend etwas zu verpassen. Lilli horcht an Leons Zimmertür, bis sie den kleinen Bruder drinnen wieder mit seinen Spielsachen beschäftigt glaubt. Dann geht sie schnell in ihr eigenes Zimmer. Sie schiebt die Stuhllehne so unter die Türklinke, dass diese nicht mehr herunterzudrücken ist. So, nun sind alle anderen ausgesperrt! Endlich kann Lilli unbeobachtet ihr geheimes Hexenbuch studieren.
Bedächtig klappt sie das dicke Buch auf. Halt - zuerst noch einen Zettel herbeischaffen, damit sie sich Notizen machen kann. Die schwierigen Zaubersprüche kann ein normaler Mensch nur mit Mühe behalten. Selbst eine Geheimhexe hat es da schwer. Zu guter Letzt ein Stift, dann kann es losgehen! Lilli bekommt beim Lesen richtig rote Wangen. Ist es wegen der Vorfreude oder sind die Hexereien, die im Buch beschrieben stehen, so aufregend? Wer weiß. Hin und wieder schreibt Lilli sich etwas auf. Plötzlich aber hält sie im Lesen inne, schaut -21-
grübelnd an die Decke und kaut dabei auf ihrem Bleistift herum. Dann scheint sie eine Idee zu haben, denn sie legt das Hexenbuch zur Seite und geht an ihr Bücherregal. Mit sicherem Griff angelt sie ein Buch - ein gewöhnliches Buch - heraus. „Grimms Märchen“ steht auf dem Umschlag. Lilli sucht im Inhaltsverzeichnis nach einem ganz bestimmten Märchen. Schon hat sie es gefunden und vertieft sich im selben Augenblick in eine Geschichte. „Dachte ich's mir doch“, murmelt sie hin und wieder, oder: „Ach, so ist das... „ Nachdem sie das Märchen ausgelesen hat, blättert sie erneut im geheimen Hexenbuch und schreibt das eine und andere auf. „Das hätten wir“, sagt sie endlich zufrieden und faltet ihren kleinen Zettel mit den Zaubernotizen sorgsam zusammen. Anschließend versteckt sie ihr schweres Hexenbuch wieder unter dem Bett. Jetzt nur noch den Stuhl unter der Türklinke weggezogen und niemand kann darauf kommen, dass Lilli etwas Geheimnisvolles vorbereitet hat!
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3. Kapitel
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In den nächsten Tagen scheint die Zeit stillzustehen. Jedenfalls kommt es Lilli so vor, als verbringe sie ihre Zeit im Dornröschenschlaf. Es dauert eine Ewigkeit, bis es endlich Wochenende ist. Aber endlich ist es doch soweit: Am Samstagmittag bringen Mama und Leon Lilli gemeinsam mit dem Auto zu Oma. Unterwegs im Auto quengelt Leon wieder einmal herum. Natürlich möchte er auch bei Oma bleiben. Aber Mama sagt, dass Oma in ihrer Wohnung keinen Platz für zwei Kinder hat. Das nächste Mal wird Leon wieder bei Oma schlafen dürfen... Mit diesem Versprechen kommen sie bei Oma an, und als Leon wieder zu jammern beginnt, macht Mama sich schnell mit ihm auf den Heimweg. Lilli und Oma winken ihnen noch nach. Dann gehen sie zurück ins Haus. Oma wohnt im dritten Stock. Dort angekommen, sagt Lilli: „Schau mal, was ich dir mitgebracht habe.“
Sie packt einen großen Topfkuchen und eine Flasche Wein aus ihrem Rucksack. „Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor“, sagt Oma und sie fügt lachend hinzu: „Den bösen Wolf laden wir aber besser nicht zum Kaffee ein. Da fällt mir ein: Bevor wir es uns gemütlich machen, muss ich noch eben bei meiner Nachbarin nach dem Rechten sehen. Seit ihr Mann gestorben ist, kümmere ich mich ein bisschen um -24-
sie. Es wird nicht lange dauern, ich bin gleich zurück. Du kannst in der Zwischenzeit den Tisch decken, ja?“ „Kein Problem!“, sagt Lilli und macht sich schon an die Arbeit. „Ach, noch was“, sagt Oma, „mach bitte hinter mir die Tür zu und lass niemanden herein, bis ich zurück bin. Man weiß ja nie, wer sich hier so alles herumtreibt. Womöglich Hexen, die dir vergiftete Äpfel andrehen, oder Prinzen, die unbedingt geküsst werden wollen. Und kaum hast du sie geküsst, verwandeln sie sich in einen Frosch und du stinkst nach Fisch dein Leben lang!“ „Klar, Oma! Niemand kommt rein, auch nicht der böse Wolf, und wenn er noch so viel Kreide gefressen hat, um seine Stimme zu verstellen!“ „Wir verstehen uns“, sagt Oma und verschwindet im Hausflur. Kaum aber ist Lilli in der Küche, um den Tisch zu decken, da schellt es laut und deutlich. Lilli stutzt. Ob Oma etwas vergessen hat? Nein, die hat ja einen Schlüssel.
Merkwürdig, wer mag das sein? Ein komischer Zufall, dass dies passiert, als Oma gerade eben aus dem Haus ist, denkt Lilli. Sie zögert. Soll sie zur Tür gehen? Damit hat sie nun wirklich nicht gerechnet. Es klingelt erneut. Lilli fasst sich ein Herz und geht tatsächlich zur Wohnungstür. Sie öffnet allerdings nicht, sondern ruft: „Hallo? Wer ist da?“ „Ich bin's, Herr Glück! Ich komme wegen dem Tausch!“, schallt es aus dem Hausflur. -25-
Fast hätte Lilli laut losgelacht. Sie ist richtig erleichtert. So etwas kann sich nur Oma ausdenken. Ausgerechnet Herr Glück steht vor der Haustür! Und natürlich will er etwas tauschen was sonst? „Heißen Sie vielleicht Hans mit Vornamen?“, ruft Lilli durch die immer noch geschlossene Tür. „Nein, Peter. Wieso?“ „Och, schade. Nur wegen dem Märchen von Hans im Glück und so.“ „Wie bitte? Ich verstehe nicht. Aber nun öffnen Sie doch bitte die Tür. Sagen Sie, sind Sie überhaupt Frau Winkelhaus? Der Stimme nach würde ich eher vermuten, dass ich mit einem Kind rede. Was...“ „Moment!“, unterbricht Lilli. Ob sie doch die Tür öffnen soll? Nein, Oma hat es ausdrücklich verboten. Vielleicht will sie Lilli ja auch nur testen. Genau! Es wird ein Test sein. Es passt gut zu Oma, dass sie sich dafür ausgerechnet eine Märchenfigur ausgesucht hat. „Typisch Oma“, murmelt Lilli. „Sie hat irgendeinen Bekannten geschickt, der mich hereinlegen soll.“ „Frau Winkelhaus!“, ruft der Mann jetzt ungeduldig. Na warte, denkt Lilli, der spielt seine Rolle gut, aber so leicht kommt er mir nicht davon. Der soll Oma Winkelhaus allerhand zu erzählen haben! „Meine Oma ist nicht da. Aber vielleicht kann ich Ihnen helfen. Einen kleinen Moment noch!“, ruft Lilli und kramt hastig ihre Hexennotizen aus dem Rucksack. Sie überfliegt den Zettel. Ihre Augen leuchten in freudiger Erwartung. Sie scheint einen passenden Zauberspruch gefunden zu haben. „Ach nein, ich komme dann morgen wieder“, ruft es jetzt von draußen. „Sag bitte deiner Oma, dass ich hier war und dass ich wegen dem Tausch morgen... „ „Nein, nein! Bitte warten!“, drängt Lilli. -26-
Während sie den Zauberspruch murmelt, legt sie flink die Sicherungskette vor die Tür. Sicher ist sicher, denkt sie. Endlich hat sie die Kette in den kleinen Schieber gefummelt. So, nun lässt sich die Tür nur einen ordentlichen Spaltbreit öffnen.
Weit genug, dass man von draußen in die Wohnung schauen kann, bloß hineingehen kann man eben nicht. Lilli mustert den Mann, der sich als Herr Glück ausgibt. Er sieht eigentlich ganz normal aus. „Sie möchten also etwas tauschen“, sagt sie und stellt sich mit etwas Abstand vor den Türspalt. „Ich denke, das bespreche ich besser mit deiner Oma“, erwidert der Fremde. „Ich komme, wie gesagt, morgen wieder.“ „Ah... wenn Sie etwas tauschen möchten, hätte ich Ihnen aber etwas ganz Besonderes zu bieten“, bietet Lilli an. Der Mann lächelt und winkt ab. „So eilig ist es nun auch wieder nicht. Das Kind ist noch nicht in den Brunnen gefallen. Weißt du, morgen ist auch noch ein Tag.“ „Ich denke, der Schleifstein fällt in den Brunnen“, sagt Lilli. „Wie meinst du das?“, fragt der Mann irritiert. „Sie haben gerade gesagt, das Kind fällt in den Brunnen“, erklärt Lilli. „Aber im Märchen... “ Inzwischen hat sich das Gesicht des Mannes aufgehellt. „Ach so!“, lacht er. „So war das doch nicht gemeint. Es ist nur so eine Redensart. Wenn man sagt, das Kind ist noch nicht in den Brunnen -27-
gefallen, will man sagen, dass es noch nicht zu spät ist, verstehst du?“ Nein, Lilli versteht nicht oder sie will nicht verstehen. Stattdessen will sie den Mann bitten sich ihr Tauschobjekt doch wenigstens einmal anzusehen... da wird sie auch schon von hinten regelrecht zur Seite geschubst.
Es ist schwer zu sagen, wer ein verdutzteres Gesicht macht, Lilli oder der Fremde.
Immerhin müsste Lilli eigentlich gar nicht überrascht sein, schließlich hat sie selbst den Zauber ausgelöst! Trotzdem ist es auch für sie ein überwältigender Anblick: In Omas kleiner, -28-
enger Wohnung steht ein prächtiges, rassiges Pferd. Nachdem es Lilli zur Seite gedrängt hat, schnaubt es und macht Anstalten, den Kopf mit der Pferdemähne durch den Türspalt hinauszustrecken. Der Mann draußen reißt mit einem Ruck Omas Wohnungstür zu und springt in den Flur zurück. Fast wäre er vor Schreck die Treppe heruntergepurzelt. Es dauert eine ganze Weile, bis er sich von seinem ersten Schock erholt hat. Um so entschlossener geht er schließlich zur Tür und klingelt erneut. Auch Lilli ist der Anblick des riesigen Pferdes richtig in die Glieder gefahren. Geistesgegenwärtig hat sie den Zauberspruch schnell wiederholt und auf diese Weise dem Pferdespuk ein Ende bereitet. Da klingelt es auch schon. „Wer da?“, ruft Lilli scheinheilig, gerade so, als ob sie absolut keine Ahnung hätte, wer da vor der Tür stehen könnte. „Ich bin's, Herr Glück, wer sonst. Mach bitte sofort auf!“ Lilli öffnet die Tür, so weit die Sicherungskette es zulässt. „Ja bitte? Kann ich Ihnen helfen?“, stellt sie sich ganz dumm. „Wo ist das Pferd?“ „Ach, Sie möchten ein Pferd. Hab ich mir's doch gedacht. Sie möchten es tauschen gegen einen Goldklumpen, stimmt's?“ „Papperlapapp!“ Jetzt platzt Herr Glück fast vor Wut. „Lass das Pferd heraus! Sofort!“ „Das ist nicht so einfach“, sagt Lilli freundlich und macht gute Miene zu ihrem bösen Spiel. „Für gewöhnlich tauschen wir die Pferde nämlich gegen Goldklumpen. Eben genau wie im Märchen von Hans im Glück, wissen Sie, wo... „ “So eine Dreistigkeit - das geht ja wohl auf keine Kuhhaut“, fällt Herr Glück Lilli ins Wort und ereifert sich weiter: „Du machst jetzt sofort auf und lässt das Pferd aus der Wohnung. Sonst... „ Weiter kommt er nicht, denn was der arme Mann jetzt -29-
zu sehen bekommt, verschlägt ihm vollends die Sprache. Aus Omas Wohnung glotzt ihm eine hübsche, schwarzweiß gefleckte Kuh entgegen.
„Möchten Sie vielleicht etwas gegen eine märchenhafte Kuh tauschen, Herr Glück?“, fragt Lilli ihn, als ob es das Normalste von der Welt wäre, eine Kuh in der Wohnung zu haben. Herr Glück bringt kaum einen Ton heraus.
„Eine Kuh“, stammelt er mit krächzender Stimme. „Eine Kuh, im dritten Stock.“ „Was ist denn daran Besonderes?“, fragt Lilli schnippisch. „Sie ist nicht einmal lila.“ „Eine... eine Kuh“, stottert Herr Glück, immer noch völlig verdattert, und diesmal ist er so durcheinander, dass er den Arm durch den Türspalt schiebt und der Kuh über den Kopf zu streicheln beginnt. „Eine Kuh, na, wo ist denn die Kuh? Eine richtige Muhkuh haben wir hier. Brav. Kannst du auch muh -30-
machen? Na, wo ist denn das Pferd........ die Kuh? Puß, puß, puß, du Stinkemops... „Möchten Sie vielleicht noch etwas anderes tauschen?“, unterbricht ihn Lilli. Aber der Ärmste ist von Lillis Hexereien so durcheinander gebracht, dass er gar nicht mehr richtig zuhören kann. „Wie wär's, wenn ich Ihnen noch etwas anderes zum Tauschen anbiete?“, versucht es Lilli noch einmal. Und weil Herr Glück nicht reagiert, schreitet sie kurzerhand zur Tat. Nach einem kurzen Blick auf ihre Hexennotizen murmelt sie einige unverständliche Silben - und schon löst sich die glotzende Zauberkuh direkt vor Herrn Glück in Luft auf. Der schaut dabei genauso dumm drein wie die Kuh selber. Und dann setzt Lilli noch eins drauf: Sie lässt ein quieklebendiges Schweinchen durch die Wohnung flitzen!
Es grunzt und schnüffelt an Lillis Füßen herum, als ob es auf der Suche nach etwas Fressbarem wäre. Gerade will Lilli das Schweinchen streicheln, da geschieht etwas, womit auch sie nicht gerechnet hat. Das Ferkel springt zur Seite, saust direkt auf Herrn Glück zu und flutscht ihm mitten zwischen den Beinen hindurch geradewegs in den Hausflur. Das wiederum wirkt bei Herrn Glück wie ein Alarmsignal. Schlagartig hat er seine sieben Sinne wieder beisammen. Mit großen Sprüngen jagt er dem Schwein hinterher, immer drei Stufen auf einmal springt er treppab. -31-
„Die Sau ist los! Die Sau ist los!“, brüllt er dabei. Lilli steht vor Schreck wie angewurzelt in der Tür. Endlich hat sie sich aufgerappelt und nimmt die Verfolgung auf. Weg mit der Sicherungskette, und in Windeseile stürmt sie nach unten. Dummerweise rutscht ihr bei der wilden Hetzerei der Hexennotizzettel aus der Hand und segelt im Treppenhaus langsam in Richtung Keller. Auch das noch! Und was muss Lilli da hören? Unten fällt die Haustür ins Schloss. Sollte es dem Schweinchen etwa gelungen sein, ins Freie zu entwischen? Herrje! Nur schnell hinaus auf die Straße! Dort versucht Herr Glück inzwischen sein Jagdglück. Er fuchtelt wild mit den Armen und macht großes Geschrei. Lilli will hinterhersprinten, verliert ihn aber gleich aus den Augen, weil er um die nächste Straßenecke biegt. Sie hört bloß noch seinen Jagdruf: „Haltet das Schwein!“ Dann sind beide, das Schweinchen und sein Jäger, verschwunden. „Saublöd! „, murmelt Lilli vor sich hin und kehrt zum Haus zurück. Erst jetzt wird ihr klar, dass sie keinen Haustürschlüssel hat. Zum Glück steht die Eingangstür aber offen und Lilli geht schleunigst ihren geheimen Zettel aus dem Keller angeln. Nun heißt es erst einmal das Schweinchen zurückverwandeln. Hoffentlich klappt der Zaubertrick auch auf Entfernung, denkt Lilli und geht treppauf zu Omas Wohnung. Dort erwartet sie eine unliebsame Überraschung: Die Wohnungstür ist, im Gegensatz zur Haustür, leider nicht offen stehen geblieben, sondern zugeschlagen. Lilli hat sich selbst ausgesperrt... Ihr bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die Treppenstufen zu hocken und zu warten, bis Oma zurück ist. Mist! Mist! Dreimal Mist! Wie soll sie das alles Oma erklären?
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4. Kapitel
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Lilli muss nicht lange warten. „Nanu, Lilli, was suchst du denn hier im Hausflur?“, fragt Oma. Lilli seufzt tief auf. „Kennst du nicht das Märchen von Lilli im Pech?“, fragt sie zurück. „Nein, das kenne ich nicht. Aber du musst es mir unbedingt erzählen. Komm rein!“, sagt Oma aufmunternd. In der Wohnung macht sie sich gleich daran, den Tisch weiter zu decken. Lilli hilft ihr. „Also, wie geht das Märchen von Lilli im Pech?“, fragt Oma schließlich freundlich und zieht Lilli zu sich auf den Schoß.
Lilli ist richtig erleichtert, dass Oma überhaupt nicht böse ist. „Du solltest das Märchen eigentlich kennen“, antwortet sie. „Es ist genau umgekehrt wie das Märchen von Hans im Glück. Oder soll ich vielleicht sagen, Peter im Glück?“ „Peter im Glück? Das Märchen kenne ich auch nicht.“ „Jetzt tu nicht so!“, protestiert Lilli. „Schließlich hast du ihn selbst geschickt. Mir kannst du nichts vormachen.“ „Wen habe ich geschickt?“, fragt Oma ratlos. „Na, den mit dem Glück, den aus dem Märchen! Kaum warst du aus dem Haus, da klingelte er und sagte, er wollte etwas tauschen.“ -34-
„Moment, der Reihe nach“, sagt Oma. „Wer war hier?“ „Komm schon! Herr Glück war hier, um zu tauschen, nur hat er gesagt, dass er nicht Hans heißt, sondern Peter, und dann...“ Während Lilli erzählt und Omas verblüfftes Gesicht sieht, kommen ihr plötzlich Zweifel. „Hast du ihn denn nicht geschickt?“ fragt sie leise. „Wen?“ „Hans im Glück eben, oder besser gesagt, den Mann, der ihn spielen sollte.“ Oma sieht plötzlich nicht mehr ganz so ratlos aus. Langsam dämmert ihr wohl, wer in ihrer Abwesenheit hier gewesen sein könnte. „Ein Herr Glück war also hier?“, fragt sie.
„Ja, er stand an der Tür und wollte tauschen“, wiederholt Lilli. „Und bei dem Namen und dem Tauschen und so, da hab ich natürlich gleich gedacht, du willst mich auf die Probe stellen. Weil du doch so gern Quatsch mit Märchen machst. Ich habe gedacht, du wolltest mich hereinlegen und hast ihn deswegen geschickt! Und dann...“ „Ich habe wirklich niemanden geschickt. Aber das macht nichts“, lacht Oma. „Es muss Herr Glück gewesen sein, unser Hausverwalter. Er war bestimmt hier, um mir zu sagen, was aus meinem Wohnungstausch werden soll. Ich will nämlich die Wohnung tauschen mit dem jungen Mann aus dem Erdgeschoss. Das Treppensteigen fällt mir doch immer schwerer, weißt du.“ „Dann war er also ganz und gar echt?“, fragt Lilli. -35-
„Natürlich war er echt!“ „Auweia!“, platzt es aus Lilli heraus. Was hat sie da bloß angerichtet! Oma sieht Lilli an, dass sie sich gar nicht wohl in ihrer Haut fühlt. „Aber Kind, das macht doch nichts“, sagt sie. „Herr Glück ist nett. Es ist nicht schlimm, dass du ihm die Tür geöffnet hast.“ „Nein, nein“, stammelt Lilli. „Es ist nur... weil...“ Wie soll sie Oma die ganze Geschichte klarmachen, ohne sich zu verraten? Sie ist schließlich eine Geheimhexe - und will es auch bleiben. Noch während sie nach Worten sucht, klingelt es. Der Hausverwalter steht in der Tür und bei ihm zwei Polizisten. „Wo ist die Kuh?“, fragt Herr Glück schroff, ohne auch nur guten Tag zu sagen. „Wie meinen Sie, bitte?“, fragt Oma. „Die Kuh! Sie wissen schon, wovon ich rede. Außerdem wissen Sie genau, dass Tierhaltung ohne die Einwilligung des Hausverwalters nicht erlaubt ist. Sie haben ja den reinsten Bauernhof im dritten Stock!“ Nun, Oma ist zwar geduldig, aber eine energische Frau. Diese Vorwürfe gehen ihr entschieden zu weit, zumal sie in so unverschämtem Ton vorgetragen werden. „Jetzt mal langsam mit den jungen Pferden“, sagt sie bestimmt. „Pferde. Ja, genau, ein Pferd hat sie auch hier drin versteckt, Herr Wachtmeister!“, ereifert sich Herr Glück weiter. „Ich habe es genau gesehen! Und das Kind wollte mich nicht in die Wohnung lassen.“ „Aber kommen Sie doch herein, meine Herren“, sagt Oma beschwichtigend. „Überzeugen Sie sich, wo soll ich hier Pferde und Kühe versteckt halten?“ -36-
Sie tritt zur Seite und Herr Glück stürmt an ihr vorbei in die Wohnung. Er durchsucht die Zimmer. Den beiden Polizeibeamten scheint das Ganze eher peinlich zu sein, sie halten sich auffällig zurück. Schließlich baut sich Herr Glück vor Lilli auf. „Wo ist das Pferd?“, will er wissen.
Lilli kaut aufgeregt an ihren Fingernägeln. „Beruhigen Sie sich erst einmal, ich bitte Sie“, kommt Oma Lilli zu Hilfe. „Setzen wir uns, der Tisch ist schon gedeckt. Bei einer guten Tasse Kaffee wird sich alles klären lassen.“ Dieser Einladung kommen tatsächlich alle nach. -37-
Alle? Lilli steht immer noch in der Ecke und grübelt, wie sie sich aus der brenzligen Situation herausreden soll. Mit solchen Folgen hat sie natürlich nicht gerechnet, als sie ein bisschen Zauberquatsch gemacht hat... Es war wirklich eine Reihe von unglücklichen Zufällen, die hier zusammentrafen! „Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass ich in meiner kleinen Wohnung ein Pferd versteckt halte?“, fragt Oma. Sie bemüht sich deutlich, möglichst sanft und freundlich zu sein. „Fragen Sie die Kleine!“, antwortet Herr Glück und deutet auf Lilli. „Die muss es auch gesehen haben. Das Tier hat sie sogar richtig zur Seite geschubst.“ „Ja... es wollte doch zu Ihnen, weil es dachte, Sie wären Hans im Glück“, antwortet da Lilli zur Verwunderung aller. „Ach, hast du Herrn Glück etwa das Märchen von Hans im Glück erzählt?“, will Oma jetzt von Lilli wissen. „Von Märchen hat sie auch gesprochen“, fällt Herr Glück Oma ins Wort. „Das erklärt ja bereits alles“, sagt Oma, und an die Polizisten gewandt, erklärt sie: „Wissen Sie, das Mädchen kann so mitreißend Märchen erzählen, dass man glaubt die Märchenfiguren leibhaftig vor sich zu sehen.“
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Lilli staunt, dann nickt sie begeistert. Auch die Polizisten nicken zustimmend. „Wir haben uns schon gedacht, dass an der wilden Geschichte eigentlich nichts dran sein kann“, sagt einer von ihnen und der andere fügt schmunzelnd hinzu: „Das war's dann, Herr Glück. Wir werden wohl hier nicht mehr gebraucht.“ „Dann soll ich mir alles bloß eingebildet haben?“, fragt Herr Glück kopfschüttelnd und macht Anstalten, mit den Polizisten die Wohnung zu verlassen. „So wird's wohl sein“, sagt Oma. „Lilli ist wirklich eine meisterhafte Märchenerzählerin.“ „Alles nur eingebildet“, wiederholt Herr Glück und reibt sich die Stirn. „Ach, Herr Glück!“, ruft Oma ihm nach. „Was wird denn nun aus meinem Wohnungstausch?“ „Wenn der andere Mieter einverstanden ist, habe ich nichts dagegen. Nur lassen Sie ihm bloß keine Märchen von ihrer Enkelin erzählen.“ „Das kann Oma viel besser als ich!“, ruft Lilli.
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Zaubertrick „Feuerschlucken“
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Das Feuerspucken gehört mittlerweile zu fast jeder Zirkusvorstellung. Der Trick des Feuerschluckens wird dagegen nur von wenigen Hexen und Zauberern beherrscht. Er soll zwar hier verraten werden, du solltest ihn aber (wie alle anderen Hexereien auch) streng geheim halten. Schließlich ist nicht nur Hexe Lilli eine Geheimhexe!
Pass auf: Du nimmst einen Kerzenstummel aus einer Dose mit Kerzenresten, zündest ihn mit einem Streichholz an... und verspeist ihn mit sichtlichem Genuss. Nur wer die Vorbereitung kennt, weiß, wie einfach das ist! Teile einen knackigen Apfel und schnitze dir ein Apfelstück so zurecht, dass es einem Kerzenstummel gleicht. Beträufle es mit Zitronensaft, dann wird es nicht braun. Als Docht steckst du ein Walnussstückchen ein, das wegen des darin enthaltenen Öls kurz brennt. Keine Angst vor dem Flämmchen, es ist garantiert ungefährlich! Es erlischt, sobald du es in den offenen Mund schiebst.
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Zaubertrick „Mein Hexenwille geschehe!“
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Gleich, ob Hexe, Zauberer oder Magier sie alle können durch Zauberei anderen ihren Willen aufzwingen. Auch dir kann das gelingen! In geheimer Vorbereitung legst du genau siebzehn Streichhölzer in eine Streichholzschachtel und schreibst „Du nimmst 3“ auf die Unterseite der Schachtel.
Wenn du deinen Zuschauern sagst, dass du ihnen deinen Willen aufzwingen kannst, veranstaltest du ein möglichst geheimnisvolles Schauspiel. (Zaubersprüche murmeln, Kerzenlicht usw.) Das wirkt überzeugender. Nun zählst du zehn Streichhölzer aus deiner Schachtel und bildest ein Häufchen mit sieben und ein Häufchen mit drei Hölzern. (Achtung: Dabei darf niemand die Unterseite der Schachtel sehen!) Dann bittest du jemanden sich für ein Häufchen zu entscheiden - und du beweist ihm, dass er nur deinem Zauberwillen gefolgt ist: Hat er das Dreierhäufchen gewählt, zeigst du ihm die Unterseite der -43-
Streichholzschachtel. Und was ist, wenn er sich für das andere Häufchen entschied? Nun, du schüttelst ihm die sieben Hölzchen aus der Schachtel und sagst: „Mit meinem Zauberwillen habe ich dich dazu gezwungen, den magischen Siebenerhaufen zu wählen.“
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