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Impressum TIFFANY SEXY erscheint in der CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20.350 Hamburg, Axel-
Springer-Platz l
Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20.350 Hamburg Geschäftsführung: Redaktionsleitung: Lektorat/Textredaktion: Produktion: Grafik: Vertrieb:
Thomas Beckmann Claus Weckelmann (verantwortlich für den Inhalt), Ilse Bröhl (Stellvertretung) Ilse Bröhl (Leitung), Christine Boness Christel Borges, Bettina Reimann, Marina Poppe (Foto) Bianca Burow, Tommaso Del Duca, Birgit Tonn Verlag Koralle Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Hamburg
© 1998 by Elda Minger Originaltitel: »NightFire« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Rossi Schreiber © 1999 by Jamie Arm Denton Originaltitel: »The Seduction Of Sydney« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Silke Schuff © 1999 by Cathy Gillen Thacker Originaltitel: »A Cowboy’s Woman« erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. Toronto in der Reihe: AMERICAN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Übersetzung: Kristina Krüger-Barhoumi Fotos: The Image Bank/WEPEGE © CORA Verlag GmbH & Co. KG © Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXY Band 3 (1) 2001 bei CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdruckes in jeglicher Form, sind vorbehalten. TIFFANY SEXY-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Satz: PrePrint Gruppe, Druck: Ebner Ulm Printed in Germany; Aus Liebe zur Umwelt: Für CORA-Romanhefte wird ausschließlich 100% umweltfreundlich abbaubares Papier mit einem hohen Anteil Altpapier verwendet. Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer. COKA Leser-Service Möchten Sie bereits erschienene Romane nachbestellen, oder haben Sie Fragen zum Abonne ment? Dann wählen Sie bitte Ihre Service-Nummer: CORA Nachbestell-Service: Telefon (040) 85 31 35 15 CORA Abonnenten-Service: Telefon (07.132) 95 92 14 Fax (07.132) 95 92 16 CORA online Magazin: www.cora.de Sie erreichen die CORA Service-Nummern montags bis freitags von 9.00 bis 16.00 Uhr. Redaktion und Verlag: Telefon (040) 347-2 27 94
JAMIE DENTON
HERZFLIMMERN
Jamie Denton
Herzflimmern
Jede Beziehung endet schmerzlich, kein Typ ist der Traummann, auf den sie gehofft hat die schöne Sydney ist es so leid! Zwar wird sie immer wieder von ihrem besten Freund Derek getröstet, in dessen Nähe sie neuerdings ein undefinierbares Herzflimmern verspürt. Aber mit Derek ins große Glück durchzustarten, fällt Sydney nicht ein. Denn wenn das schief geht, kann sie ihre Freundschaft gleich verges sen. Aber weil sie sich sehnlichst ein Baby wünscht, entschließt sie sich zu einer künstli chen Befruchtung. Und wieder ist es Derek, der sie hinterher, als sie sich deprimiert fühlt, in die Arme nimmt. Allerdings ist es diesmal anders als sonst: Aus einem zärtlichen Kuss wird heiße Leidenschaft, und schließlich lan den sie im Bett. Großes Problem: Wer ist jetzt Babys leiblicher Daddy?
1. KAPITEL Die Frau seiner Träume war über und über mit Schlamm bespritzt. Derek biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken. Obwohl sie von Kopf bis Fuß mit getrockne tem Matsch bedeckt war, blieb Sydney für ihn die aufregendste Frau, die er kannte. Aber sie hatte keine Ahnung davon, wie er für sie emp fand. »Was ist denn diesmal passiert?« fragte er, während er die Eingangstür weit öffnete. Im Schein der Verandalampe konnte er sehen, dass sogar ihr langes dunkles Haar Schlammspritzer abbekommen hatte. Auch ihr helles Seidenkleid starrte vor Schmutz. Die schwarzen Strümpfe, die ihre schlanken Beine bedeckten, waren völlig zerrissen. Ihre schmutzverkrusteten Schuhe trug Sydney in der Hand. Trotz allem war sie wunderschön. Kopfschüttelnd betrat sie das Haus und blieb in dem gefliesten Flur stehen. Ihre grünen Augen funkelten vor Zorn. »Du würdest es doch nicht glauben.« Wieder unterdrückte er ein Lächeln. In den letzten Mona ten war Sydney auf der Suche nach ihrem Prinzen, hatte aber zu Dereks großer Freude bisher nur Frösche gefun den. Sie war erst achtundzwanzig Jahre alt. Er konnte ihre Eile nicht verstehen. »Also wieder ein heruntergekommener Ritter in schim mernder Rüstung?« fragte er und schloss die Tür. Sie verdrehte die Augen. »Kann ich bei dir duschen?« Sie reichte ihm ihre schwarzen Pumps, deren einer Absatz abgebrochen war, und wies auf ihr ruiniertes Kleid. »Ich brauche eine Dusche und einen heißen Kakao, bevor ich dir von dieser Katastrophe erzähle.« Derek hätte eigentlich nicht darüber glücklich sein dürfen, dass auch diese Verabredung offenbar ein Misserfolg auf ganzer Linie gewesen war, aber er konnte sich nicht helfen.
Jede mögliche Beziehung, die in ihren Anfängen scheiter te, war für ihn ein Stück Gewissheit, er könnte Sydney davon überzeugen, dass sie beide zusammengehörten. Natürlich würde es kein leichter Weg sein, bis auch sie daran glaubte, dass sie füreinander geschaffen waren. Er begleitete sie ins Badezimmer, das im hinteren Teil des Hauses lag. »Du findest dich zurecht, nicht wahr?« Da hatte er keine Zweifel. Sie verbrachte in seinem Haus fast ebenso viel Zeit wie in ihrem eigenen kleinen Cottage hinter der Tierarztpraxis, die sie bei ihrer Rückkehr nach Seattle vor einem Jahr gekauft hatte. »Ich brauche etwas zum Anziehen.« »Ich hole dir einen Jogginganzug«, sagte er und ging ins Schlafzimmer. Sie war so schmal und zierlich, dass ihr der Anzug viel zu groß sein würde, aber sie musste nach der Dusche schließlich saubere Sachen haben. Für einen Moment dachte er kurz daran, ihr seinen Lieblingsbade mantel zu leihen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Er würde Höllenqualen ausstehen bei der Vorstellung, dass sie unter dem dünnen, seidigen Stoff völlig nackt war. Als er ins Bad zurückkehrte, erschien sie ihm sehr zart und verletzlich, wie sie da im grellen Licht stand. Der Wunsch, sie in die Arme zu nehmen, überwältigte ihn fast. Derek musste unbedingt etwas unternehmen, sonst würde er sie vielleicht für immer verlieren. Nicht, dass zwischen ihnen etwas anderes war als Freundschaft. Aber es war durchaus möglich, dass sie einen anderen Mann heiraten würde, wenn er ihr nicht bald seine Gefühle gestand. »Hier, bitte schön«, sagte er und legte den Jogginganzug auf den Wäschekorb. Sie lächelte, und sein Herz tat einen Satz. Er konnte sich ein Leben ohne Sydney gar nicht mehr vorstellen. »Falls du noch etwas brauchst, sag mir Bescheid.« »Vielen Dank, Derek.« In der Badezimmertür blieb er stehen und sah sie an. In
ihrem Blick lag Dankbarkeit. Aber es war nicht ihre Dankbarkeit, die er wollte. Er wollte ihre Liebe, und zwar für immer. Er schloss die Tür hinter sich und ging in die Küche, um Kakao zu kochen. Während er Wasser aufsetzte, überlegte er hin und her, wie er ihr seine Gefühle am Besten zeigen konnte. Das Problem war, dass sie ihn nicht als möglichen Partner für eine Liebesbeziehung betrachtete. Sie liebte ihn zwar, das wusste er, aber ihre Gefühle für ihn waren nicht romantischer Natur. Seit Jahren waren sie enge Freunde, und sie beide hatten während ihrer gemeinsa men Jugend in dem anderen immer nur einen vertrauten Spielkameraden gesehen. Als er mit einem Stipendium an das Massachusetts Institute of Technology gegangen war, hatten sie sich nur in den Semesterferien oder an Feiertagen gesehen, sofern er es schaffte, nach Hause zu fahren. Zwei Jahre, nachdem er das Studium der Astrophysik begonnen hatte, ging sie nach Texas auf ein College und später auf ein veterinärmedizinisches Institut in Kentucky. Zu dem Zeitpunkt, als Derek nach Seattle zurückkehrte, um an der Universität von Washington Astrophysik zu lehren und in der Forschung zu arbeiten, bekam Sydney eine Stelle als Tierärztin in Kentucky. Ihr Kontakt hatte damals aus gelegentlichen Briefen und Telefonaten bestanden. Da seine Mutter mit ihrem zweiten Mann nach Arizona gezogen war, hatte Derek ihr das Elternhaus abgekauft. Er war zufrieden mit seinem Leben. Hin und wieder hatte er Verabredungen mit verschiedenen Frauen, aber es war keine dabei, in die er sich hätte verlieben können. Er war der Meinung gewesen, er hätte die meisten seiner Ziele erreicht, bis Sydney zurückkehrte, um eine Tierarztpraxis am Stadtrand zu übernehmen. Das brachte sein ganzes Leben völlig durcheinander. Nachdenklich nahm er einen Becher aus dem Küchen
bord und gab Kakaopulver hinein. Er wusste noch immer nicht, was eigentlich passiert war. Als Sydney ihm im vergangenen Frühling am Telefon mitgeteilt hatte, dass sie wieder nach Seattle ziehen würde, freute er sich zuerst nur darüber, seine alte Freundin wieder in der Nähe zu haben. Aber zwei Wochen später besuchte sie ihn, und seine heftige emotionale Reaktion auf sie hatte ihn völlig überrascht. Er strich sich nachdenklich durch die Haare. Der Grund für seine veränderte Gefühlslage konnte nur in der Tatsache liegen, dass Sydney sich in eine wunderschöne, charmante und äußerst anziehende Frau verwandelt hatte. Er hatte sie seit Jahren nicht gesehen und bemerkte auf einmal einen sinnlichen Ausdruck in ihren grünen Augen, der früher bestimmt nicht da gewesen war. Auch an ihre seidige, glatte Haut und ihre atemberaubende Figur konnte er sich nicht erinnern. Derek ging zum Küchentisch und verstaute den Stapel Prüfungstests, die er bewertet hatte, in seiner Aktentasche. Die alten Wasserleitungen des Hauses ratterten und quietschten. Sydney stand jetzt also unter der Dusche. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie das heiße Wasser über ihren perfekt geformten Körper strömte. Dann holte er tief Luft und verscheuchte dieses Bild aus seinen Gedanken. Was war nur mit ihm los? Er kam sich wie ein pubertierender Teenager vor, der nichts als Sex im Kopf hatte. Ein Blick auf die Digitaluhr an der Mikrowelle zeigte ihm, dass es erst kurz nach neun war. Aus Sydneys Plänen für ein Abendessen war vermutlich nichts geworden. Derek öffnete eine Dose Nudelsuppe und schüttete sie in einen Topf, um sie zu erwärmen. Dann machte er sich daran, überbackene Schinken-Käse-Toasts zuzubereiten. »Hier duftet es himmlisch«, erklärte Sydney, als sie in die Küche kam. Wie er vermutet hatte, war ihr der Jogging
anzug viel zu groß. Sie hatte die Hosenbeine hochge krempelt, so dass ihre schlanken Fesseln zu sehen waren. Sie war barfuss, und auf ihren Fußnägeln schimmerte roter Nagellack. Das Sweatshirt reichte ihr bis zu den Ober schenkeln. Sie sah bezaubernd aus. »Setz dich«, sagte er lächelnd. »Ich habe mir schon gedacht, dass du hungrig bist.« »Du kennst mich fast zu gut«, sagte sie, während sie auf einen Stuhl glitt. Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass er sie seiner Ansicht nach längst nicht gut genug kannte? Um sich von diesem Gedanken abzulenken, rührte er die Suppe um und wandte sich dann zu Sydney. Sie beugte sie vor und löste das Handtuch, das sie um den Kopf geschlungen hatte. Das Haar fiel in einer dichten, dunklen Kaskade herab. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die feuchte Mähne. »Das tut gut«, murmelte sie. »Aus dem Schlamm, der in meinen Haaren war, hätte man ein paar Ziegelsteine machen können.« Er stellte sich ihr Haar auf einem Kissen ausgebreitet vor. Vor seinem geistigen Auge ließ er die Hände durch die seidige Fülle gleiten, während er ihre nackte Haut mit Küssen bedeckte. Sein Pulsschlag beschleunigte sich. Immerhin war er Wissenschaftler. Wie kam er nur zu solchen Fantasien? Gebannt beobachtete er, wie sie sich das Haar hinter die Ohren strich. Unter dem Stoff des Sweat shirts zeichneten sich ihre vollen Brüste ab. Er spürte, wie ihm der Mund trocken wurde. Sydney hob die fein geschwungenen Augenbrauen und blickte ihn fragend an. »Derek? Ist alles in Ordnung?« Er konnte nur stumm nicken. Er begehrte sie so sehr. Irgendwie musste er eine Möglichkeit finden, sie wissen zu lassen, wie viel sie ihm bedeutete. Der Teekessel begann zu pfeifen. Erleichtert wandte Derek seine Aufmerksamkeit dem Kakao zu. Er füllte den
Becher mit heißem Wasser, fügte etwas Zucker und Milch hinzu und rührte die braune Flüssigkeit um. Dann holte er die überbackenen Toasts aus der Mikrowelle, legte sie auf einen Teller und zerteilte sie mit einem Messer. Schließlich nahm er die Suppe vom Herd, platzierte das improvisierte Abendessen auf dem Küchentisch und setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl. Eigentlich konnte er nicht kochen. Seine Fähigkeiten beschränkten sich die Zubereitung der notwendigsten Nahrungsmittel. Wenn er keine Konservendosen oder Fertiggerichte zur Verfügung hatte, war er in der Küche auf verlorenem Posten. Steaks zu braten oder Käsetoasts zu machen waren auf diesem Gebiet seine einzigen Talente. Sydney schloss die Augen und atmete den Duft des geschmolzenen Käses ein. »Du bist viel zu gut zu mir.« Wenn sie ihn nur ließe, würde er alles für sie tun. »So, jetzt erzähl mir endlich, was passiert ist.« Die Berich te über ihre Verabredungen waren für Derek gleichzeitig Tortur und Erleichterung, aber er musste wissen, was geschehen war. »Es war schrecklich, von der ersten Minute an«, erklärte sie und biss in einen Toast. Das war immerhin tröstlich. »Wer war es denn dies mal?« »Der Chirurg«, antwortete sie und legte sich gleich noch einen Toast auf den Teller. Sydney hatte die amüsante Angewohnheit, die Männer, mit denen sie sich verabredete, mit ihren jeweiligen Berufen zu bezeichnen. Derek hatte ihn den vergangenen drei Monaten Berichte über den Steuerberater, den Elektrotechniker, den Werbetexter, den Röntgenarzt und den Kinderarzt zu hören bekommen. Der Kinderarzt war zunächst sehr viel versprechend gewesen und hatte es immerhin bis zum vierten Rendez
vous geschafft. Die anderen Kandidaten hatten sich glücklich schätzen können, wenn sie für ein zweites Date in Betracht kamen, bevor Sydney irgendwelche ernsthaften charakterlichen Mängel feststellte. Die Chancen des Kinderarztes waren schließlich jedoch auch auf den Nullpunkt gesunken, als er ihr erzählte, der beste Teil seiner Arbeit bestände darin, die plärrenden Gören mit ihren neurotischen Müttern endlich wieder nach Hause schicken zu können. »Ich finde, du siehst das Ganze nicht entspannt ge nug«, sagte er. »Vielleicht ist der richtige Mann für dich ganz in der Nähe, und du hast ihn nur noch nicht be merkt.« Sie tauchte ihren Löffel in die Suppe. »Ich wünschte, ich bekäme ihn endlich zu Gesicht. Mein Bedarf an frustrierenden Verabredungen ist nämlich gedeckt. Aber wahrschein lich gibt es hier in der Gegend keine annehmbaren Kandidaten mehr.« »Das hört sich an, als hättest du einen Job zu vergeben.« Sie zuckte die Schultern und machte sich daran, die Suppe zu löffeln. Derek stand auf, nahm eine Packung von ihren Lieblings schokoladenkeksen aus dem Küchenschrank und setzte sich wieder. »Was war nun mit dem Chirurgen?« fragte er, während er die Packung öffnete und ihr reichte. Sydney lächelte ihn dankbar an, biss in einen Keks und schloss genießerisch die Augen. »Der Chirurg«, begann sie schließlich und wischte sich einen Krümel aus dem Mund winkel, »ist ein Tölpel. Kannst du dir vorstellen, dass er noch nicht einmal in der Lage war, einen Reifen zu wech seln? Völlig hilflos, der Kerl. Nicht gerade eine Zierde für sein Geschlecht.« Derek musste über ihren empörten Gesichtsausdruck lachen, musste aber im Stillen zugeben, dass er selbst sich beim Reifenwechseln auch nicht gerade geschickt
anstellte. Sie nahm sich noch einen Keks. »Er hat mich früher als besprochen abgeholt. Ich war natürlich noch nicht fertig. Wir hatten am Nachmittag in der Praxis einen Notfall. Na ja, er hatte jedenfalls einen Tisch im La Petite reserviert, und du weißt, wie schwierig das ist. Wenn man zu spät kommt, vergibt der unerbittliche Oberkellner den Tisch garantiert anderweitig. Also hat der Chirurg auf dem Weg die ganze Zeit herumgejammert, dass wir die Reservierung verlieren werden. Und als wir die Reifenpanne hatten, tat er so, als wäre das alles nur meine Schuld.« »Hört sich an, als ob er ein ziemlicher Widerling wäre.« Derek konnte seinen Triumph nur schwer verbergen. »Das kannst du laut sagen«, erwiderte sie und langte nach einem weiteren Keks. »Ich habe ihm eins mit dem Wagenheber verpasst.« Ungläubig starrte Derek sie an. Sydney hatte doch nun wirklich nichts Gewalttätiges an sich. Sie war lebhaft, energisch und resolut. Aber gewalttätig? Niemals! Jeden falls äußerst selten, korrigierte er sich selbst, als ihm einfiel, wie sie einmal mit einem Jungen umgesprungen war, der einen streunenden Hund gequält hatte. »Du hast was?« fragte er vorsichtig. Der Schalk blitzte in ihren grünen Augen. »Ich habe ihn mit dem Wagenheber geschlagen. Es war eigentlich ein Unfall«, fügte sie hinzu und griff nach ihrem Becher. »Aber du hast ja noch nicht alles gehört. Wie ich schon gesagt habe, der Mann hatte keine Ahnung, wie man einen Reifen wechselt. Und er hatte auch nicht daran gedacht, sein Handy aufzuladen. Für jemanden mit seinem Beruf ist das unerhört. Also saßen wir auf der Standspur der Autobahn fest. Ich sagte ihm, ich wüsste, wie man Reifen wechselt und könnte es ihm zeigen. Aber er weigerte sich, es auch nur zu versuchen.« Sie trank einen Schluck Kakao. »Er ist nämlich Chirurg
und muss auf seine Hände achten. Da habe ich ihn daran erinnert, dass ich ebenfalls täglich Operationen durchführe. Und weißt du, was der Kerl darauf gesagt hat?« Derek lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann es mir ungefähr vorstellen.« »Er sagte, dass meine Hände nicht annähernd so kostbar wären wie seine. Und dass man meine Arbeit überhaupt nicht damit vergleichen könne, Menschenleben zu retten. Als ob Tiere keinen Wert hätten!« Derek grinste. Oh ja, der Chirurg war definitiv aus dem Rennen. »Und da hast du ihm eins übergebraten.« Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Aber wenn ich den Wagenheber in der Hand gehabt hätte, wäre er bestimmt auf seinem Schädel gelandet.« »Und wann hast du ihm nun eins übergezogen?« »Dazu komme ich gleich. Ich habe also den Reifen ge wechselt, während er nur herumstand und sich darüber beklagte, dass wir unsere Reservierung trotz des platten Reifens behalten hätten, wenn ich nur rechtzeitig fertig gewesen wäre.« »Und da hast du ihn geschlagen.« »Das hätte ich tun sollen. Ich bat ihn, mir den Ersatzrei fen aus dem Kofferraum zu holen, aber er schüttelte nur den Kopf.« »Wieder seine kostbaren Hände?« Sie nickte. »Ich habe nichts gesagt und den Reifen selbst geholt. Dabei habe ich mir die Strümpfe zerrissen und einen Schmierölfleck auf mein Kleid bekommen. Da sagte er, wir müssten noch einmal zu mir fahren, damit ich mir etwas Anständiges anziehen könnte.« »Und da hast du ihn endlich geschlagen.« »Nein, immer noch nicht. Ich sagte ihm, dass er mich tatsächlich nach Hause fahren solle. Und ob er wirklich glaube, dass ich nach all dem Theater noch den Abend mit ihm verbringen wollte? Der arrogante Schnösel machte
dann doch tatsächlich den Vorschlag, wir könnten gleich zu mir fahren und miteinander ins Bett gehen. Und da habe ich ihn geschlagen!« »Hoffentlich auf den Kopf?« »Nein, auf den Fuß. Ich war so verblüfft, dass ich den Wagenheber auf seinen Fuß fallen ließ.« »Na, das ist ja nicht so schlimm.« Sydney biss sich auf die Unterlippe, um ein Lachen zu unterdrücken. »Oh doch. Ich glaube, ich habe ihm einen Zeh gebrochen.« Derek grinste. »Der Kerl kann froh sein, dass du ihm nicht mehr getan hast. Aber das alles erklärt noch nicht, wie der Schlamm auf deine Kleider gekommen ist.« Sie leerte ihren Becher. »Während er auf einem Fuß herumhüpfte, bin ich abgehauen. Ich hatte es gerade bis zur nächsten Ausfahrt geschafft, als ein schwerer Sattelschlep per um die Ecke bog. Leider fuhr er durch eine riesige Pfütze.« »Warum hast du nicht versucht, ein Telefon zu finden, um mich anzurufen? Ich hätte dich doch abgeholt.« Sydney stand auf und begann das Geschirr abzuräumen. »Ich war zu wütend, um klar zu denken. Außerdem war es nicht so weit.« »Nicht weit? Von hier aus sind es ungefähr sechs Kilometer bis zur Autobahn. Das ist ein strammer Fußmarsch. Ganz zu schweigen davon, dass es nicht gerade ungefährlich ist, so allein am Abend durch die Gegend zu wandern.« Energisch hob sie das Kinn. »Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen.« Derek schüttelte missbilligend den Kopf. Sydney war impul siv und liebte ihre Freiheit. Diese Frau zu bändigen war schlechterdings unmöglich. Und da lag das Problem für den Steuerberater, den Chirurgen und all die anderen Männer. Sie hatten versucht, sie zu kontrollieren und zu beherrschen.
Dummköpfe, dachte er verächtlich. Er wollte Sydney weder kontrollieren noch beherrschen. Alles was er wollte, war, sie zu lieben. »Komm«, sagte er und stand auf. »Ich fahre dich nach Hause.« Er nahm die Autoschlüssel vom Schlüsselbord im Flur, öffnete die Eingangstür und wartete, bis sie ihm gefolgt war. Bronson, sein neun Monate alter Dobermann, erhob sich von seinem Lieblingsplatz, der unglücklicherweise auch Dereks bevorzugter Schaukelstuhl auf der Veranda war, und trottete zutraulich auf Sydney zu. »Hallo, Bronson«, begrüßte sie den schwanzwedelnden Hund. Sie ging in die Knie, um ihm den Rücken zu kraulen. Derek hatte das kranke, offenbar ausgesetzte Tier vor sechs Monaten auf dem Universitätsgelände gefunden. Es war Sydneys Fähigkeiten zu verdanken, dass sich der Welpe mittlerweile prächtig entwickelte. Eigentlich hatte er nie die Absicht gehabt, sich einen Hund anzuschaffen. Aber als Sydney ihm mitteilte, sein Hund wäre gesund und könnte nach Hause zurückkehren, hatte er es nicht übers Herz gebracht abzulehnen. Nun hatte er also einen Hund. Sie strich Bronson über den Kopf und sprach leise auf ihn ein. »Kümmert sich Derek auch gut um dich?« Bronson setzte sich auf die Hinterbeine und blickte Derek anbetungsvoll aus großen braunen Augen an. »Also gut.« Sobald der Hund das Klimpern von Schlüs seln gehört hatte, war es unmöglich, ohne ihn das Haus zu verlassen. »Aber heute musst du hinten sitzen.« Als hätte er jedes Wort verstanden, rannte Bronson auf Dereks Wagen zu. »Na, das beantwortet wohl meine Frage«, sagte Sydney lächelnd und erhob sich. »Du hast ihn nach Strich und Faden verzogen.« Derek grinste. Wusste sie eigentlich, wie bezaubernd sie
aussah, wenn sie lächelte? Wusste sie, dass sie ihm fast die Sinne raubte? »Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage.« Sydney trat zu ihm und legte die Hand auf seinen Arm. Sein Puls beschleunigte sich augenblicklich. »Oh Derek, du bist wunderbar. Du bist mein bester Freund, und ich liebe dich.« Er legte eine Hand auf ihre und sah ihr in die Augen. »Ich liebe dich auch, Syd.« Wie ernst es ihm damit war, konnte sie nicht ahnen. »Wir sollten uns jetzt auf den Weg machen.« Derek konnte nur hoffen, dass seine Gefühle für sie ihrer langjährigen Freundschaft keinen Schaden zufügen würden. Aber er musste das Risiko eingehen, ihr seine Liebe zu erklären, und zwar bald. Sydney hasste Blind Dates. Aber noch schlimmer als ein Blind Date war die Tatsache, dass sie verzweifelt genug war, eine solche Verabredung zu treffen. Als ihre Assisten tin Rachel ihr erzählt hatte, dass sie möglicherweise einige Dinge mit dem Cousin ihrer Schwägerin gemeinsam hätte, war Sydney zögernd auf das von Rachel vorge schlagene Treffen eingegangen. Immerhin konnte es mit dem Anwalt nicht viel schlimmer werden als mit dem Chirurgen vor einer Woche. Während sie sorgfältig die Wimperntusche auftrug, dachte sie darüber nach, warum sie sich selbst immer wieder in so unangenehme Situationen brachte. Als sie den Entschluss gefasst hatte, ein Baby zu bekommen, war ihr nicht klar gewesen, wie kompliziert die ganze Angele genheit werden würde. Es schien mittlerweile fast unmöglich, einen intelligenten Mann zu finden, der bereit war, ein Kind zu zeugen, ohne dass daran irgendwelche Bedingungen geknüpft waren. Dabei war sie sich anfangs so sicher gewesen, dass an
möglichen Erzeugern kein Mangel herrschen würde. Sie hatte keinesfalls damit gerechnet, dass es von Seiten der in Betracht kommenden Väter Bedenken wegen ihres Vorhabens geben könnte. Seit sie die Highschool verlassen hatte, schienen sich die Dinge gewaltig geändert zu haben. Bis jetzt hatte sie auch erst zwei annehmbare Kandidaten getroffen. Der Kinderarzt war ihr Favorit gewesen, bis sie ihm von ihrem Plan erzählt hatte. Er hatte ihr daraufhin mitgeteilt, dass er Kinder eigentlich nicht leiden könne und mit einem medizinischen Eingriff für alle Zeiten verhindert hätte, eigene Kinder in die Welt zu setzen. Sydney konnte sich nur fragen, warum er ausgerechnet diesen Beruf gewählt hatte. Sie seufzte und legte einen Hauch Rouge auf. Der Kin derarzt war ein äußerst attraktiver und intelligenter Mann, aber was nützte das gute Aussehen, wenn es ihm an inneren Werten fehlte. Sydney legte etwas Lippenstift auf und blickte kritisch in den Spiegel. Der Vater ihres Kindes sollte nicht nur intelligent, sondern auch warmherzig und gütig sein. Der Steuerberater wäre auch eine Möglichkeit gewesen, aber dessen Reaktion auf ihren Plan hatte in der endlosen Aufzählung von Kosten bestanden, die die Erziehung eines Kindes verursachte. Und schließlich hatte er mit dem Hinweis auf seine festen Prinzipien dankend abgelehnt. Es musste doch irgendwo einen Mann geben, der wil lens war, ein Kind zu zeugen, wenn ihm daraus keine weiteren Verpflichtungen entständen. Es war ja nicht so, dass sie eine lebenslange Bindung wollte. Das lag ihr völlig fern. Eine Ehe stand nicht auf ihrer Wunschliste. Sie wollte einzig und allein ein Baby. »Du brauchst nur einen Samenspender«, sagte sie ihrem Spiegelbild, während sie ihre schmalen Goldreifen an den Ohrläppchen befestigte. Abrupt ließ sie die Hände sinken. Vielleicht war das die
Lösung ihrer Probleme. Warum hatte sie nicht schon vorher daran gedacht? Es war ja nicht so, dass sie unan sehnlich war und keinen Mann hätte finden können. Aber sie wollte nun einmal keinen Mann in ihrem Leben. Die Türglocke schrillte. Sie würde später darüber nach denken. Nun musste sie sich erst einmal der Verabredung mit dem Rechtsanwalt stellen. Sie verließ das Bad, griff auf dem Weg durch das Schlafzimmer nach ihrer Handtasche, die auf dem Bett lag, ‘und eilte in den Flur. Nachdem sie die Hand auf den Türgriff gelegt hatte, hielt sie kurz inne und versuchte ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Oh ja, sie hasste Blind Dates! Als sie die Tür öffnete, konnte sie nur hoffen, dass ihr das Lächeln nicht entglitt. Vor ihr stand ein riesenhafter Mann. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um in sein Gesicht blicken zu können. »Sie müssen Sydney sein«, erklärte der Riese mit dump fer Stimme. »Rachel hat mir gesagt, dass Sie ein hübsches kleines Ding sind. Na, sie hat jedenfalls nicht gelogen.« Sydney war sicher, dass ihr Lächeln zu einer Gri masse gefror, als sie seinen abschätzenden Blick bemerkte. »Möchten Sie nicht hereinkommen, Hubert?« fragte sie und hoffte inständig, er würde sich seinen völlig kahlen Schädel nicht am Türrahmen stoßen. »Sehr freundlich von Ihnen. Aber das Barbecue wird kalt, wenn wir uns nicht beeilen.« »Barbecue?« echote sie fragend und musterte das rot karierte Hemd, das über der schmächtigen Brust ihres Gegenübers schlotterte. Seine verwaschenen Jeans waren so kurz, dass sie den Blick auf ein paar grell gemusterte Socken freigaben. Rachel hatte ihr gesagt, Hubert würde sie zum Essen ausführen. Sie hatte natürlich angenom men, sie würden den Abend in einem Restaurant verbrin gen, und sich dementsprechend angezogen. Aber im Vergleich zu Hubert hatte sie mit ihrem engen schwarzen
Rock und der roten Seidenbluse eindeutig die falsche Garderobe gewählt. »Am Stadtrand gibt es eine tolle Kneipe. Dort machen sie das beste Barbecue im ganzen Staat.« Er runzelte die Stirn und warf ihr einen misstrauischen Blick zu. »Sie gehören doch wohl hoffentlich nicht zu den Leuten, die nur Tofu und Sojasprossen essen? Ich mag nämlich Frauen mit Appetit!« Sydney schloss für einen Moment die Augen und holte tief Luft. »Nein, ich bin keine Vegetarierin. Barbecue ist eine gute Idee.« Als sie die Tür abschloss und die Verandatreppe hinun terging, hatte sie das Gefühl, als würde dies ein sehr, sehr langer Abend werden.
2. KAPITEL Derek wollte sich ausschütten vor Lachen. »Er hat was?« »Hör auf zu lachen«, sagte Sydney und schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein. »Es war nicht besonders komisch. Er hätte sich ernsthaft verletzen können.« Streng blickte sie ihren besten Freund an, der sich auf die Lippen biss. Sie stellte die Glaskanne auf die Wärmplatte der Kaffeemaschine und setzte sich ihm gegenüber an den Küchentisch. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, wann sie mit dieser Tradition begonnen hatten, aber der Sonntagmorgen war seit langem für ihr gemeinsames Frühstück reserviert. Pünktlich wie ein Uhrwerk traf Derek jeden Sonntag bei ihr ein. Er brachte immer frische Muff ins und die Sonntagszeitung mit und kam mit Bronson. Sie nahm ein Blaubeermuffin aus dem Pappkarton und teilte es in zwei Hälften. »Alles in allem war der Anwalt gar nicht so übel. Nur ein bisschen… unbeholfen vielleicht.« Derek brach erneut in Gelächter aus. »Wenn du deine Verabredungen in Zukunft nicht sorgfältiger auswählst,
wirst du deine gesamte Garderobe erneuern müssen. In diesem Monat haben dir die edlen Ritter bereits drei Kleider ruiniert.« »Nun hör schon auf«, befahl sie, musste aber ebenfalls lachen. »Er hat seinen Teller doch nicht absichtlich über mich geschüttet. Und er hätte sich verletzen können, als er stolperte.« Dereks blaue Augen funkelten sie amüsiert an. »Ich wette, er hat dich auch nicht absichtlich mit Butter beschmiert.« Sydney legte das Muffin zu Seite und stützte nachdenk lich das Kinn auf die Hand. »Weißt du, ich werde es wohl aufgeben, nach dem richtigen Mann zu suchen.« Derek wurde ernst. Er ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. Sie blickte auf seine langen, sensiblen Finger, und plötzlich fühlte sie eine schmerzhafte Leere in sich. Das lag vermutlich daran, dass sie sich so dringend ein Kind wünschte und die Suche nach einem geeigneten Vater so aussichtslos war. »Syd, warum hast du es denn so eilig?« Sie erwiderte den Druck seiner Hand. »Meine biologi sche Uhr tickt.« Er musste lächeln. »Mit achtundzwanzig?« Sie entzog ihm ihre Hand und sagte sich, dass die Wär me, die sie bei seiner Berührung durchflutet hatte, gar nichts bedeutete. »Du würdest es doch nicht verstehen.« Sie dachte nur kurz daran, ihm den wahren Grund für ihre enttäuschenden Verabredungen in den letzten Monaten zu nennen. Derek war zwar ihr bester Freund, aber er war vor allem zuerst ein Mann. Sie konnte nicht erwarten, dass er ihre Gefühle wirklich verstehen würde. Außerdem wusste er nichts von Nicholas und davon, wie sie auf seinen Charme und seine Lügen hereingefallen war. Nein, Derek hatte keine Ahnung, wie sehr sie sich zum Narren gemacht hatte. Er würde wohl kaum Verständnis dafür aufbringen, dass sie die vergangene Nacht wach gelegen und die
Argumente für und gegen eine künstliche Befruchtung abgewägt hatte. In seinem Blick lag nichts als Mitgefühl. »Versuch es mir doch wenigstens zu erklären.« Sydney lächelte ihn tapfer an. »Ich fürchte, das ist eine reine Frauensache.« Hastig stand sie auf, um das Frühstücksgeschirr abzu räumen. Darüber konnte sie nicht mit ihm sprechen. Sie stellte das Geschirr in die Spüle und blickte aus dem Küchenfenster auf ihren kleinen Garten. Am Zaun blühten Tulpen in allen Regenbogenfarben. Sie hatte die Zwiebeln im letzten Herbst gesetzt. Die Rosensträucher, die sie bei ihrem Einzug vor einem Jahr gepflanzt hatte, ließen bereits ihre künftige Pracht erahnen. Zu beiden Seiten des schmalen Weges, der zum Patio hinter der Garage führte, blühten Stiefmütterchen und Fleißige Lieschen. Ihr kleines Haus bedeutete ihr ebenso viel wie ihre Tierarztpraxis. Das Einzige, das in ihrem Leben fehlte, war ein Kind. Sie hatte Derek die Wahrheit gesagt. Ihre biologische Uhr tickte jeden Tag lauter. Sie wollte ein Baby, bevor sie dreißig wurde. Ihre Eltern hatten sie selbst erst spät bekommen. Sie wusste, was es bedeutete, wenn die eigene Mutter sich zu alt fühlte für all die Unternehmungen, die heranwachsende Töchter für gewöhnlich mit ihren Müttern teilten. Sie hatte gespürt, wie schwer es ihren eigenen Eltern gefallen war, einen Teenager zu erziehen, als sie selbst bereits Ende fünfzig und Anfang sechzig waren. Außerdem wollte sie eine unproblematische Schwanger schaft, die nicht, wie bei ihrer Mutter, durch Sorgen um den Gesundheitszustand von Mutter und Kind getrübt war. Sie war jung, gesund und finanziell abgesichert. Der Zeitpunkt war genau richtig. »… ins Kino gehen?« Sie fuhr herum und sah Derek an. Er stand mit dem Rücken zu ihr und überflog die Sonntagszeitung. Seine
verwaschenen Jeans schmiegten sich um den aufregends ten Po, den sie seit Wochen gesehen hatte. Seit wann hat er diesen Po? überlegte sie und runzelte die Stirn. Er wandte sich zu ihr um. »Syd, ist alles in Ordnung?« Sie betrachtete ihn aufmerksam. Er hat auch einen schönen Mund, dachte sie und fragte sich, wie es wohl wäre, ihn zu küssen. »Syd?« »Hast du was gesagt?« Derek grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah wirklich gut aus. Das war eigentlich schon immer so gewesen, nur hatte sie es nie bemerkt. Er war attraktiv, klug und sehr sexy. Ihr war, als sähe sie ihn zum ersten Mal. »Ich habe dich gefragt, ob wir diese Woche ins Kino gehen wollen«, erklärte er, drehte sich um und studierte erneut die Filmankündigungen in der Zeitung. Das dichte schwarze Haar fiel ihm in Stirn, als er sich nach vorn beugte. Er murmelte etwas, aber sie schenkte seinen Worten keine Beachtung. Nun fiel ihr auch auf, wie breit seine Schultern waren. Ihr Blick glitt über seinen Rücken, die schmalen Hüften und die langen, muskulösen Beine. Was war nur mit ihr los? War dies ein endgültiger Anflug von Verzweiflung? »Das ist eine gute Idee«, sagte sie mit belegter Stimme. Sie konnte auf einmal den Blick nicht von ihm wenden. Wie von ungefähr kam ihr der Gedanke, dass Derek vielleicht die Lösung ihres Problems sein könnte. Die Idee, dass er der Vater ihres Kindes sein würde, hatte ihre Vorzüge. Dennoch verwarf Sydney diesen Einfall sofort wieder. Derek Buchanan war ihr bester Freund. Sie wollte diese Freundschaft auf keinen Fall dadurch aufs Spiel setzen, dass sie ihn bat, mit ihr zu schlafen. Die Vorstellung, mit ihm zu schlafen, übte plötzlich einen
großen Reiz auf sie aus. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Diese Angelegenheit mit dem Baby machte sie allmählich mürbe. Eine andere Erklärung konnte es für das Aussetzen ihres gesunden Menschenverstandes nicht geben. Das hoffte sie jedenfalls. »Diese Akten enthalten biografische Einzelheiten über unsere Spender.« Die Angestellte der Klinik legte einen dicken Aktenordner auf den massiven Eichentisch vor Sydney. »Am Besten wählen Sie eine Reihe von Spendern aus, die Ihnen geeignet erscheinen. Eine begrenzte Auswahl wird Ihnen die Suche erleichtern.« Sydney öffnete den Aktendeckel und ließ den Blick über das erste Blatt der Liste gleiten. Der Computerausdruck enthielt neben Angaben über Gewicht, Größe, Haar- und Augenfarbe der Spender auch Informationen über Hobbys, Interessen, Vorlieben, Abneigungen und den familiären Hintergrund sowie medizinische Einzelheiten. »Kann ich den Ordner mit nach Hause nehmen?« erkundigte sie sich zaghaft. Die Beraterin schüttelte ihren bereits ergrauten Kopf. »Es tut mir Leid, Miss Travers, das ist leider unmöglich. Diese Unterlagen sind streng vertraulich. Wenn Sie heute keinen geeigneten Spender finden, können Sie morgen gern wiederkommen.« Sydney spürte, wie sie errötete, und schlug die Augen nieder. »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, lasse ich Sie jetzt allein. Ich komme dann später noch einmal zu Ihnen.« Sydney nickte zustimmend. Sie wartete, bis sie allein war, und wandte dann ihre Aufmerksamkeit dem Akten ordner zu. Nach langem Nachdenken war sie zu dem Schluss gekommen, dass eine künstliche Befruchtung die beste Lösung für sie war. Sie wollte ein Kind, keinen Mann.
Was also lag näher, als es auf diesem Weg zu versuchen? Am Vormittag hatte sie ihren Frauenarzt aufgesucht und lange mit ihm über ihr Vorhaben gesprochen. Nachdem er von der Ernsthaftigkeit ihrer Absichten überzeugt gewesen war, hatte er ihr die Adresse der Klinik gegeben, die auf künstliche Befruchtungen spezialisiert war. Wenn sie einen geeigneten Spender fand, konnte der Eingriff noch am kommenden Freitag vorgenommen werden. Seufzend vertiefte sie sich in die umfangreiche Liste. Nach dreißig Minuten hatte sie Auswahl auf zwölf Kandidaten begrenzt. Wenn das Aussehen auch keine große Rolle für sie spielte, bevorzugte sie doch blaue Augen und dunkles Haar. Mit dieser Vorgabe blieben noch sechs übrig. Nachdem sie die Familiengeschichten erneut studiert hatte, fielen drei weitere Kandidaten aus dem Rennen. Ein vierter folgte, da sein Vater vorzeitig eine Glatze bekom men hatte. Falls ihr Kind ein Junge werden würde, wollte sie ihm immerhin möglichst lange Zeit volles Haar garantieren. Die Tür öffnete sich, und die grauhaarige Angestellte betrat den Raum. »Haben Sie sich schon entschieden, Miss Travers?« Sydney holte tief Atem und betrachtete die verbliebe nen zwei Blätter, die vor ihr lagen. Einer der beiden Kandidaten war Linienrichter für Football an der Universi tät von Washington. Er brachte stolze 110 Kilo auf die Waage. Sie schüttelte den Kopf und heftete das Papier wieder in den Ordner. Das letzte Blatt enthielt Angaben über einen Journalistik studenten, der den Informationen zufolge sowohl gut aussehend als auch ambitioniert war. Auch der familiäre Hintergrund enthielt nichts, das sie abgeschreckt hätte. Sie stand auf und händigte der Grauhaarigen das Papier aus. »Ich nehme diesen hier.«
Sydney zog die Knie an die Brust und kämpfte vergeb lich gegen ihre Tränen an. Seit sie nach dem Eingriff die Praxis ihres Gynäkologen verlassen hatte, brannten heiße Tränen in ihren Augen, die sich nun unaufhörlich von ihren Wimpern lösten. Sie hatte eigentlich keinen Grund zu weinen. Weder bereute sie ihre Entscheidung, noch war sie leichtfertig gefällt worden. In ein paar Tagen würde Sydney wissen, ob der Eingriff erfolgreich verlaufen war. Dann hätte sie alles, was sie sich wünschte. Warum fühlte sie sich dann nur so erbärmlich? Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Sie war völlig allein, das war ihr klar geworden, als sie sich nach dem Eingriff wieder angezo gen hatte. Vor zwei Jahren hatte sie ihre Eltern verloren. Erst war ihre Mutter gestorben, kurz danach war der Vater ihr gefolgt. Sie war Einzelkind gewesen und hatte keine weiteren Verwandten als eine kinderlose, verwitwete Tante, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte. Ihr Kind würde außer ihr niemanden haben. Keine Großeltern, keine Onkel, Tanten, Cousins oder Cousinen. Und wenn sie sich nicht für eine weitere künstliche Befruchtung entschied, waren die Chancen auf ein Geschwisterkind gleich null. Das Baby und sie würden also völlig auf sich allein gestellt sein. Es gab niemanden, außer Derek natürlich. Soweit sie zurückdenken konnte, war Derek immer ein Teil ihres Lebens gewesen. Der Gedanke an Derek tröstete sie ein wenig. Sie spähte durch das Halbdunkel des Wohnzimmers auf die Zeitanzei ge des Videorecorders. Er würde sie in einer halben Stunde zum gemeinsamen Kinobesuch abholen. Entschlossen wischte sie sich die letzten Tränen vom Gesicht und entschied, dass sie mit dem Selbstmitleid jetzt aufhören musste. Sie war nicht allein, und das Kind würde es auch nicht sein. Es gab ja Derek.
Sie machte das Licht an, damit er sehen konnte, dass sie zu Hause war, und eilte ins Badezimmer. Während sie sich das Gesicht mit kalten Wasser wusch, fragte sie sich, was Derek wohl zu ihrer Entscheidung sagen würde. Er war sehr tolerant und unvoreingenommen, daher erwartete sie nichts anderes als Verständnis und Unterstützung von ihm. Derek parkte den Wagen in einer freien Lücke einen Block vom Kino entfernt. Wie es für den Juni in Seattle typisch war, fiel ein leichter Regen. Aber nicht einmal das konnte Derek die Laune verderben, denn heute war die Nacht der Nächte. Kein Zaudern und keine taktischen Überlegungen mehr, heute Abend würde er Sydney sein Herz zu Füßen legen. Er würde ihr endlich sagen, dass sie füreinander geschaffen waren. Es war höchste Zeit, dass auch sie das erkannte. Den ganzen Tag über hatte er an nichts anderes denken können. Es war ihm unmöglich gewesen, sich auf die Messrei hen in seinem Labor zu konzentrieren. Immer wieder war ihr wunderschönes Gesicht vor seinem geistigen Auge aufgetaucht. Auch seine Versuche, an der Rede zu feilen, die er in der nächsten Woche in Berkeley auf einem Symposi um über Messtechniken von optischen Atmosphärenturbu lenzen halten sollte, waren vergeblich gewesen. Derek hatte viel Zeit damit verbracht, über die angemes sene Art und Weise nachzudenken, wie er sich Sydney nähern sollte. In den vergangenen Monaten hatte er immer wieder versucht, ihr zu zeigen, was er für sie fühlte. Aber seine zurückhaltende, vorsichtige Art war nicht durch die Mauer gedrungen, die Sydney um sich errichtet hatte. Nun blieb nur noch der direkte Weg. Nach dem Film würden sie noch essen gehen. Und dann würde er ihr alles sagen. Derek stellte den Motor ab und wandte sich Sydney zu. Sie blickte mit einem verträumten Gesichtsausdruck aus dem Fenster. Ihr Haar wurde durch eine goldene Spange zurückgehalten, und er widerstand dem Impuls, ihr Haar zu
lösen und seine Hände darin zu vergraben. Sie seufzte und sah ihn lächelnd an. Der zarte Duft ihres Parfüms wehte ihm verführerisch in die Nase. Doch statt sie an sich zu ziehen und zu küssen, stieg er aus dem Wagen und atmete die kühle Luft ein. Dann ging er zur Beifahrertür, um ihr aus dem Wagen zu helfen, aber sie stand bereits auf dem Bürgersteig und lauschte aufmerksam in die beginnende Dämmerung. »Hast du das gehört?« fragte sie. Er hörte nichts als die Geräusche des Straßenverkehrs. »Was denn?« »Das«, erklärte sie und wandte sich um. »Ich höre nichts«, erwiderte er und steckte seine Autoschlüs sel in die Hosentasche. Sie ging auf eine Einfahrt zwischen zwei Backsteingebäuden zu, und ehe er ihr Vorhaben erahnen konnte, war sie darin verschwunden. Besorgt lief er ihr hinterher und fand sie neben einer Mülltonne auf dem Boden kauernd. Als er hinter ihr stand, erblickte er einen Wurf neugeborener Welpen. Nun hörte auch er ein schwaches Wimmern. Wie sie das auf der befahrenen Straße hatte hören können, war ihm ein Rätsel. »Gib mir bitte deine Jacke«, bat sie, ohne ihn anzuse hen. »Wir müssen sie in die Praxis bringen. Wenn wir sie hier lassen, werden sie die Nacht nicht überleben.« Derek wusste, dass es keinen Zweck hatte, mit ihr zu diskutieren, und zog seine Jacke aus. Er reichte sie ihr, als ein tiefes, drohendes Knurren ihn erstarren ließ. »Oh.« Derek blickte über die Schulter auf einen großen, verwahrlosten Hund, der die Zähne fletschte. »Ich glaube, die Mutter ist gerade nach Hause gekommen.« Sie stand auf und legte ihm die Hand auf den Arm. »Pack die Welpen in deine Jacke«, sagte sie mit ruhiger Stimme. Dann ging sie langsam auf den knurrenden Hund
zu. Sydney war aus einem einzigen Grund Tierärztin gewor den. Sie hegte eine tiefe Liebe zu allen Tieren. Derek war schon oft Zeuge geworden, wie sie aggressive Tiere beruhigt hatte, und es überraschte ihn nicht, dass sie es jetzt auch vorhatte. Aber hier ging es um die Babys dieser Hündin. Wenn er etwas im Laufe der Jahre von Sydney gelernt hatte, dann das, sich niemals mit einer Mutter um ihre Kinder zu streiten, egal, um welche Lebewesen es sich handelte. »Was hast du vor?« flüsterte er zornig. »Sie ist verletzt«, antwortete sie, ohne die Augen von dem Tier abzuwenden. »Das ist zu viel Blut.« »Sie hat gerade Junge zur Welt gebracht. Natürlich ist da Blut.« »Nein, das ist nicht alles«, sagte sie und machte einige vorsichtige Schritte auf die Hündin zu. »Sie ist verletzt. Schau dir nur ihr Hinterbein an.« Jetzt sah auch er die merkwürdige Verdrehung am rechten Hinterbein des Tieres. Humpelnd wich die Hündin einige Meter zurück. Ihr Knurren verstärkte sich. Sie war verletzt und voller Angst und wollte ihren Nachwuchs beschützen. Die Situation war mehr als bedenklich, aber Derek hatte keine Ahnung, wie er Sydney von ihrem Vorhaben abhalten sollte. Wenn es um Tiere ging, kannte diese Frau keine Furcht. »Sie wird dich beißen«, warnte er. Sie warf ihm nur einen kurzen Blick zu und ging dann weiter auf die Hündin zu. Dabei redete sie mit leiser Stimme beruhigend auf das Tier ein. Dereks Herzschlag setzte für einen Moment aus, als die Hündin Anstalten machte, auf Sydney loszugehen. Er riss sie beiseite und drückte ihr die Wagenschlüssel in die Hand. »Bring die Welpen in den Wagen«, befahl er, und sein Herz raste. Bevor er noch recht wusste, was er tat, ging er mit raschen Schritten auf das verletzte Tier zu. Die Hündin
knurrte, klemmte aber den Schwanz ein. Er bemerkte eine zaghafte Bewegung, die man als Schwanzwedeln interpre tieren konnte. Vorsichtig, um das verletzte Bein nicht zu berühren, nahm er das Tier in die Arme und hob es hoch. »Lass uns gehen«, sagte er. Sydney legte die Welpen auf die Jacke und nahm das Bündel behutsam auf den Arm. Dann folgte sie ihm zum Wagen.
3. KAPITEL Sydney streifte sich die chirurgischen Handschuhe von den Händen und warf sie in den Mülleimer. Die Hündin war offenbar von einem Auto angefahren worden. Ihr Hinter bein war an zwei Stellen gebrochen, aber das war nicht das größte Problem gewesen. Das Bein wäre geheilt, aber die inneren Verletzungen, die Anstrengungen einer zu frühen Geburt und das Trauma durch den Verkehrsunfall waren zu viel für das verwahrloste Tier gewesen. Sydney hatte alles getan, was in ihrer Macht stand, aber sie hatte es nicht retten können. Derek blickte sie über den Operationstisch hinweg mitfühlend an. »Du hast alles versucht.« Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Er ging um den Tisch herum und nahm sie in die Arme. Mit einem Schluchzer schmiegte sie sich an ihn und legte den Kopf an seine Schulter. »Du hast dein Bestes gegeben«, sagte er und küsste sie auf die Schläfe. Zärtlich strich er ihr über den Rücken. Dereks Nähe war ein großer Trost. Ihr Schmerz ging tiefer als der, den sie normalerweise bei dem Tod eines Patienten empfand. Sie konnte an nichts anderes als an die sieben Welpen im Wärmebett gegenüber dem Operations raum denken, die gerade ihre Mutter verloren hatten. Sie waren jetzt vollkommen allein und hilflos. Genau, wie ihr Kind es sein würde, falls ihr selbst etwas zustieß. Ihr war
klar, dass dieser Vergleich ziemlich übertrieben war. Aber der Tod der Hündin hatte ihr mit erschreckender Deutlich keit vor Augen geführt, wie vergänglich das Leben war. Innerhalb von Sekunden konnte alles zu Ende sein. Sydney drehte den Kopf und blickte in Dereks Gesicht. Sie betrachtete sein markantes Kinn und den entschlossenen Mund. Er war wie ein Fels in der Brandung. Und gerade jetzt brauchte sie seine Kraft und Stärke. Und die Gewissheit, dass er immer für sie da sein würde. Derek umfasste ihr Gesicht mit den Händen und wischte ihr behutsam die Tränen von den Wangen. Im Gegensatz zu dieser zärtlichen Geste lag in seinem Blick nichts anderes als Leidenschaft. Noch ehe sie recht wusste, wie ihr geschah, drückte er ihr die Lippen auf ihren Mund. Das war ein anderer Kuss, als sie es von ihm gewohnt war. Das war ein Kuss, der eine Frau alles vergessen ließ – bis auf den Mann, der sie in den Armen hielt. Vielleicht lag es an dem Gefühl der grenzenlosen Einsam keit, das sie den ganzen Tag über bedrückt hatte. Oder an dem Versprechen unendlicher Leidenschaft, das in seinem Kuss lag. Jedenfalls konnte sie nicht anders, als die Arme um ihn zu legen und in Erwiderung seines Kusses die Lippen zu öffnen. Sie dachte keinen Moment daran aufzuhören, als der Kuss zum Auftakt einer ungezügelten Begegnung ihrer Körper wurde. Sie küsste ihn mit einem Verlangen, das sie erschreckte. Sie schlang die Arme um seinen Hals, als er sie hoch hob und in ihr Büro trug. Dann küsste sie seinen Hals, als er sie behutsam auf das große Ledersofa in ihrem Büroraum gleiten ließ. »Nein«, flüsterte sie, als er die Hand ausstreckte, um die Stehlampe anzuknipsen. Mit der Zunge erforschte sie die Windungen seines Ohrs. Derek seufzte leise und beugte sich über sie, um sie erneut zu küssen.
Sie wollte seine Nähe, wollte ihn spüren. Von irgendwoher war eine Begierde in ihr erwacht, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte. Sie wollte ihn. In seiner Nähe fühlte sie sich nicht mehr einsam, sondern überaus lebendig. Zärtlich strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. »Das wird alles ändern«, flüsterte er heiser. »Ich weiß«, erwiderte sie leise, während sie sein Hemd aufknöpfte. Begierig streichelte sie seine muskulöse Brust. »Ich will mit dir schlafen, Derek.« Durch ihren Körper liefen wohlige Schauer, als er sich zu ihr legte und ihre Erregung mit Händen und Lippen auf ein fast unerträgliches Maß steigerte. Sie zogen sich gegensei tig zwischen Küssen und Berührungen hastig aus. Es war, als wäre jede weitere Sekunde des Zögerns für sie beide nicht mehr auszuhalten. Ihre Vereinigung war wie eine Explosion aus Hitze und Verlangen. Sydney bäumte sich ihm entgegen, als er endlich in sie eindrang. Er hörte sie stöhnen und seinen Namen flüstern. Ihm war, als hätte er gerade das Paradies betreten. Er hatte sie dort im Operationsraum gar nicht küssen wollen. Aber der verlorene Ausdruck in ihren Augen hatte ihm wehgetan. Er hatte sie mit seiner Nähe trösten wollen. Ihr Körper, ihr Duft hatten ihn alles um sich herum vergessen lassen. Und nun, da er sie in den Armen hielt, würde der Zauber verflogen sein, noch ehe er recht begonnen hatte, wenn er sich nicht zurückhielt. Ihm war, als hätte er eine Ewigkeit auf diesen Augenblick gewartet. Er versuchte sich auf mathematische Funktionen zu konzentrieren. Er wollte nicht, dass diese heiß ersehnte Begegnung mit der Frau, die er liebte, zu früh endete. Aber seine Bemühungen waren vergebens, als sie ihre Hüften anhob und auf dem Gipfel der Ekstase seinen Namen rief. Als er ihr Zucken spürte, war es um seine Selbstkon trolle geschehen. Eine gewaltige Welle der Lust trug auch
ihn zum Höhepunkt und dann in ein nie gekanntes Gefühl der Erlösung. Schlaftrunken rollte Sydney sich auf die Seite. Sie war noch nicht bereit für diesen Tag. Für heute waren viele Patienten angemeldet. Obwohl sie ihre Praxis Samstags nur für drei Stunden geöffnet hatte, versprach dies ein langer Tag zu werden. Ihre Hand berührte einen warmen Körper neben sich. Mit einem Schlag öffnete sie die Augen. Lieber Himmel, was hatte sie nur getan? Sie setzte sich auf und blinzelte ein paar Mal. Das konnte sie doch unmöglich getan haben! Sie starrte auf den friedlich schlafenden Mann neben sich. Ja, sie hatte es getan. Sie hatten es getan, und zwar nicht nur einmal, sondern gleich dreimal. Es war die schönste Nacht in ihrem ganzen Leben gewesen. Ein Teil von ihr hoffte noch, dass sie das alles nur ge träumt hatte. Zugegebenermaßen ein aufregender, bezau bernder und höchst erotischer Traum. Bilder der vergangenen Nacht zuckten durch ihr Bewusstsein. Nein, es war kein Traum, es war Wirklichkeit gewesen. Sydney warf einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nacht tisch stand. In einer Stunde musste sie in der Praxis sein. Sie musste sich um die Welpen kümmern, die sie letzte Nacht gerettet hatten. Zum Glück wohnte sie gleich hinter der Praxis. Trotzdem hatte sie jetzt keine Zeit für Gewissensbisse. Später würde sie sich die Zeit nehmen, um sich selbst Vorwürfe zu machen. Sie hatte etwas Dummes und Unbedachtes getan. Im Augenblick hatte sie ein ganz anderes Problem. Sie musste aus dem Bett steigen, ohne Derek zu wecken. Sie schaute ihn an. Sein schwarzes Haar fiel ihm in die Stirn, und seine markanten Zuge wirkten im Schlaf gelöst und entspannt. Er schlief, als hätte er keine Sorgen auf der Welt. Einen Arm hatte er neben dem Kopf ausgestreckt, der
andere lag auf seinem flachen, muskulösen Bauch. Die Bettdecke schmiegte sich um seine schmalen Hüften. Bis zur letzten Nacht hatte sie geglaubt, alles über ihn zu wissen. Nun wusste sie mehr, als sie je für möglich gehalten hätte. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, kletterte sie aus dem Bett. Wenn es ihr gelang, zu duschen, sich anzuziehen und aus dem Haus zu schleichen, bevor er erwachte, würde sie ihm erst einmal nicht begegnen müssen. Sie wusste, dass er morgen zu einem Kongress nach San Francisco fliegen sollte. Wenn sie Glück hatte, würde sie Derek ein paar Tage lang nicht sehen. In der Zwischenzeit konnte sie dann über eine plausible Erklärung für die seltsame Liebesnacht nachdenken. Aber eigentlich wusste sie die Antwort schon. Sie hatte jemanden gebraucht, und Derek war für sie da gewesen. Der Tod der Hündin hatte in ihr Zweifel über ihre Entschei dung geweckt, ein Kind zu haben. Auf Zehenspitzen schlich sie ins Badezimmer. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, dass Derek noch immer schlief. Als sie mit dem Duschen fertig war und ins Schlafzim mer kam, war das Bett leer. Vielleicht war Derek gegangen, während sie unter der Dusche gestanden hatte. Möglicherweise hatte auch er erkannt, was für einen schrecklichen Fehler sie begangen hatten, und war aus dem Haus geschlichen. Sie ging zum Fenster und sah hinaus. Sein Wagen stand immer noch hinter ihrem Jeep. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie wollte ihm heute Morgen auf keinen Fall ins Gesicht sehen müssen. Jetzt brauchte sie einfach Zeit, um ihre Haltung zurückzugewinnen. Hastig schlüpfte sie in ein Paar Jeans und ein Sweatshirt. Als sie sich ihre Turnschuhe anzog, die sie immer in der Praxis trug, kam Derek ins Schlafzimmer. In jeder Hand hielt er einen dampfenden Kaffeebecher. Der Blick aus seinen strahlend blauen Augen traf sie bis ins Mark.
Er trug nur seine Jeans. Was für ein Body! Noch vor wenigen Stunden hatten ihre Lippen sich den Weg von seiner muskelbepackten Brust bis hin zu seinem harten, flachen Bauch gebahnt. Sie hatte jeden Zentimeter seines athletischen Körpers erkundet. »Guten Morgen«, sagte er mit vom Schlaf noch rauer Stimme. Er reichte ihr einen Becher und küsste sie auf den Mund. »Seit wann trinkst du koffeinfreien Kaffee?« Er setzte sich neben Sydney auf das Bett. Seine Nähe löste in ihr den Wunsch aus, ihre Praxis für heute zu schließen und den Rest des Tages mit ihm in diesem Bett zu bleiben, gleichgültig, welche Konsequenzen das hätte. »Seit ein paar Tagen«, antwortete sie und stellte den Becher auf den Nachttisch. Sie schnürte ihre Schuhe zu, verließ das Bett und widerstand der überwältigenden Versuchung. Das war alles sehr bedenklich. Es durfte keine Fortsetzung geben, auch wenn ihr Körper noch so sehr auf Derek reagierte. Sie griff nach einer Haarbürste und fuhr sich in eiligen Strichen durch die Haare. »Ich muss mich beeilen«, erklärte sie, ohne ihn anzusehen. »Wollen wir es mit dem Kino heute Abend noch einmal versuchen?« fragte er. Sie hielt inne. Es schien, als ob sich für Derek gar nichts zwischen ihnen geändert hätte. Aber dem war nicht so. Es würde keine gemeinsamen Kinobesuche mehr geben. Keine unbeschwerten Sonntagnachmittage, an denen er ihr half, die Praxis aufzuräumen, und dabei von aufregenden Entdeckungen aus dem Forschungslabor erzählte. Ihre Beziehung hatte sich völlig geändert. Und das erfüllte sie mit tiefer Traurigkeit. Ihre Liebesnacht hatte das zerstört, was ihr immer so viel bedeutet hatte, nämlich ihre Freund schaft. Sie sah ihn an und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich kann nicht. Ich darf die Welpen nicht zu lange allein lassen.
Schließ ab, wenn du gehst, okay? Du kannst den Schlüssel unter die Fußmatte legen.« Hastig nahm sie ihre Handta sche von einem Stuhl und eilte aus dem Schlafzimmer. Sie hatte es fast bis zur Eingangstür geschafft, als sie hinter sich seine Stimme hörte. »Syd?« Sie stand da, die Hand auf dem Türgriff, und wagte nicht, ihn anzusehen. Er trat hinter sie, fasste sie bei den Schultern und drehte sie herum. »Sieh mal, Derek, ich…« »Pst«, machte er und hob zärtlich ihr Kinn an. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm in die Augen zu blicken. Er neigte den Kopf und küsste sie mit unerwarteter Lei denschaft. Und sie konnte nicht anders, als seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft zu erwidern. Auf einmal spürte sie ihren ganzen Körper und ein Verlangen, das genauso heftig war wie am Abend zuvor. Sie schmiegte sich an ihn und genoss die Berührung seiner streichelnden Hände auf ihrem Rücken. Behutsam löste er sich von ihr und sah sie lächelnd an. »Ich rufe dich nachher an.« Sie machte keinen Versuch zu sprechen, denn es hatte ihr die Stimme verschlagen. Sie fasste nur hinter sich, öffnete die Tür und schlüpfte hinaus in den strahlenden Sonnenschein. Während sie über den Rasen zur Praxis ging, kam ihr plötzlich in den Sinn, dass Derek und sie in der vergangenen Nacht keine Verhütungsmittel benutzt hatten. Wenn der Schwangerschaftstest nächste Woche positiv ausfallen sollte, wer war dann der Vater ihres Kindes? Der Spender, für den sie bezahlt hatte, oder der Mann, dessen Kuss ihr gerade eben beinahe die Sinne geraubt hatte? »Vielen Dank, Dr. Travers.« Mrs. Cushing nahm ihren geliebten, mehrfach preisgekrönten Terrier auf den Arm. »Fergus’ Samen einzufrieren war eine brillante Idee. Ich
kann Ihnen gar nicht genug danken. Die Welpen werden ein Vermögen wert sein!« Sydney unterdrückte ein Lächeln. Die Hündin von Mrs. Cushing war nicht die einzige, die hier schwanger war. Sie hatte heute Morgen von ihrem Frauenarzt das Testergebnis erhalten. Sie erwartete ein Baby. Trotz ihrer überschäu menden Freude über diese Nachricht grübelte sie darüber nach, wie sie Derek von seiner möglichen Vaterschaft unterrichten sollte. »Jetzt wissen wir also, dass Maggie trächtig ist. Sie sollten mit ihr in fünf Wochen wiederkommen.« Sydney machte noch einige Notizen auf Maggies Karteikarte und sah dann Mrs. Cushing an. »Ich würde gern eine Ultra schall-Untersuchung machen, damit wir wissen, wie viele Welpen es sind.« »Na, ich hoffe auf einen möglichst großen Wurf«, erwiderte Mrs. Cushing. »Ich habe jetzt schon einige Vorbestellungen.« Sydney lächelte die geschäftstüchtige Hundezüchterin an und strich Maggie zum Abschied über den Kopf. »Wir sehen uns also in fünf Wochen.« Sie beendete ihre Notizen und reichte die Karteikarte an ihre Assistentin Rachel weiter. »Wen haben wir als nächsten Patienten?« fragte sie mit einem Blick auf ihre Armband uhr. Sie hatte sich zum Abendessen mit Derek in ihrem gemeinsam bevorzugten mexikanischen Restaurant verabredet. Bis dahin blieb ihr nur noch eine Stunde. »Derek Buchanan ist in Behandlungszimmer Nummer zwei«, antwortete Rachel und rückte ihre Brille zurecht. »Bronson hatte wieder eine Auseinandersetzung mit dem Siamkater des Nachbarn. Es steht drei zu null für Chester.« Sydney seufzte leise. Sie war noch nicht bereit, Derek zu sehen. Die Woche, die er in San Francisco gewesen war, schien ihr auf einmal viel zu kurz, um sich gebührend auf ihre kleine Ansprache vorzubereiten. Hatte sie nicht eben
noch eine ganze Stunde Zeit gehabt, um sich zu überlegen, wie sie ihm sagen sollte, dass die wundervollste Nacht ihres Lebens vielleicht oder vielleicht auch nicht zu dem Baby geführt hatte, das sie erwartete? »Bronson hat diesmal eine ziemlich hässliche Wunde«, sagte Rachel und schaltete den Anrufbeantworter an. Kein Geschöpf im Umkreis von drei Wohnblocks, das nicht klug genug war, sich von dem bösartigen Chester fern zu halten, kam ungeschoren davon. Dereks übergroßer Schoßhund machte da keine Ausnahme. »Ist das dann alles für heute?« fragte Sydney in der Hoffnung, es würden wenigstens noch zwei oder drei Patienten warten. So hätte sie immerhin eine Ausrede, um das Treffen mit Derek zu verschieben. »Ja, aber ich finde, es reicht jetzt auch«, antwortete Rachel und ergriff ihre Handtasche. »Ich muss zu einer Sitzung vom Lehrer-Eltern Ausschuss. Ich kann also nicht bleiben.« »Kein Problem. Derek weiß, was zu tun ist.« Sydney überflog Bronsons Karteikarte, um sich zu vergewissern, ob er alle nötigen Impfungen bekommen hatte. »Bis morgen, Rachel.« Rachel winkte ihr zum Abschied zu, und Sydney hatte nun keine andere Wahl, als Derek gegenüberzutreten und sich anzuschauen, was Chester dem armen Bronson angetan hatte. »Hallo, Frau Doktor.« In Dereks Augen blitzte es auf, als er sie von oben bis unten betrachtete. Sydney empfand seinen Blick wie eine körperliche Berührung. »Selber hallo. Haben Sie Ihren Hund wieder einmal misshandelt, Herr Professor?« »Das geht auf das Konto von Millies Katze«, antwortete Derek gutmütig. Ohne die geringste Anstrengung hob er Bronson auf den Behandlungstisch. Die Ärmel seines Polohemdes spannten sich dabei über zwei Bizepse, um
die ihn sogar ein Bodybuilder beneidet hätte. Er war zwar Wissenschaftler, aber er hatte einen Körper, von dem Frauen träumten. Und sie selbst war da keine Ausnahme. Sydney versuchte, sich auf ihren Patienten zu konzentrie ren. »Na, mein Bester«, sagte sie freundlich und tätschelte Bronson den Rücken. Der riesige Dobermann winselte und leckte ihr die Hand. Der Siamkater hatte es geschafft, Bronson eine fünf Zentimeter lange Wunde auf der Schnauze zu verpassen. »Das muss genäht werden«, erklärte Sydney und streichelte Bronson den Hals. Derek seufzte. »Das habe ich befürchtet.« Mitleidig kraulte er Bronson hinter den Ohren. »Das wird schon werden, alter Junge. Du bist in guten Händen.« Bronson wedelte zaghaft mit dem Schwanz. »Soll ich dir helfen?« fragte Derek. »Das wäre gut«, antwortete sie und suchte zusammen, was sie für die Operation brauchte. Derek hob den Hund hoch und trug ihn in den Operati onsraum. »Halt seinen Kopf fest«, sagte sie, als er den Hund auf den Operationstisch gelegt hatte. Derek umfasste Bronsons Kopf mit beiden Händen, während Sydney dem Hund ein Betäubungsmittel injizierte. Derek sprach mit beruhigender Stimme auf das Tier ein. Als er den verlausten, unter er nährten Welpen vor einigen Monaten zu Sydney gebracht hatte, war es dem Tier sehr schlecht gegangen. Sydney war sich nicht sicher gewesen, ob er es schaffen würde. Aber zu ihrer Überraschung hatte er überlebt und sich prächtig entwickelt. Derek hatte ihn adoptiert, und seit dem waren Herr und Hund ein unzer trennliches Paar. Wo immer Derek sich aufhielt, fand man Bronson dösend in der Nähe vor. Nachdem der Hund narkotisiert war, machte Sydney sich daran, die Wunde zu reinigen. Zwölf Stiche später war
Bronsons Schnauze wieder fast wie neu. Sie trat zurück, um ihr Werk zu begutachten, und strich dann eine Salbe über die Wunde. »In zehn Tagen müssen die Fäden gezogen werden.« Derek trat hinter sie und zog sie an sich. Er neigte den Kopf und bedeckte ihren Nacken mit zärtlichen Küssen. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. »Danach habe ich mich eine Woche lang gesehnt«, flüsterte er und drehte sie herum, um sie heftig zu küssen. Obwohl sie sich die ganze Woche über eingeredet hatte, dass mehr als eine freundschaftliche Beziehung zwischen ihnen indiskutabel war, legte Sydney die Arme um ihn, presste sich an seinen harten Körper und erwiderte seinen Kuss. »Ich habe dich vermisst, Syd«, flüsterte er heiser, als ihre Lippen sich voneinander lösten. Sie nickte nur. Sie konnte jetzt nicht sprechen. Was sie ihm sagen musste, lastete zentnerschwer auf ihr. Sie machte sich aus seiner Umarmung los und ging zum Operationstisch, um ihn aufzuräumen. »Syd?« Er trat neben sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Was ist lös?« Sie zuckte die Schultern. »Nichts.« Derek lachte leise. »Ich kenne dich. Versuch also nicht, mir etwas vorzumachen.« Sydney richtete sich auf und blickte ihrem langjährigen Freund und dem möglichen Vater ihres Kindes in die Augen. Sie lehnte sich gegen den Metalltisch, auf dem Bronson noch immer schlief. »Was würdest du sagen, wenn ich ein Kind haben wollte?« Er verschränkte die Arme über der Brust. »Ich würde fragen, wann wir anfangen wollen, dafür zu üben.« Sie seufzte und stieß sich vom Tisch ab. »Schon gut«, sagte sie und verließ den Raum, um ein Antibiotikum für Bronson zu holen. Sie konnte es ihm einfach nicht sagen.
Jedenfalls jetzt noch nicht. Aber Derek folgte ihr, hielt sie im Flur am Arm fest und zwang sie, ihn anzusehen. »Bist du schwanger?« fragte er langsam. Sie schluckte. Warum war es so schwer, ihm die Wahrheit zu sagen? Sie waren so gute Freunde, und er hatte sie noch niemals für etwas verurteilt. »Syd, was ist los?« fragte er eindringlich. Sie blickte ihm in die Augen. »Ja«, flüsterte sie schließ lich und beobachtete mit Erstaunen, wie ein breites, zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht erschien. Ja, er lächelte, aber wenn sie ihm erst einmal die ganze Wahrheit gesagt hatte, würde er vielleicht wünschen, sie wären sich nie begegnet.
4. KAPITEL Auf Derek stürmten die unterschiedlichsten Gefühle ein, aber das intensivste von allen war reine, unverfälschte Freude. Ein Baby! Sydney und er würden ein gemeinsames Kind bekom men. Für ihn konnte das Leben nicht schöner sein. Er wollte sie in die Arme nehmen, sie küssen und ihr sagen, wie wundervoll er es fand, dass ihre gemeinsame Nacht ein solches Wunder hervorgebracht hatte. Ein Wunder, das sie für den Rest ihres Lebens lieben und behüten würden. Er wollte ihr sagen, wie sehr er sie liebte. Aber die Unruhe in ihren Augen hielt ihn davon ab. »Bist du ganz sicher?« fragte er vorsichtig. Nervös strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Vollkommen sicher.« »Aber wie kannst du das jetzt schon so genau wissen?« Sydney steckte die Hände in die Taschen ihres weißen
Kittels, bevor er merkte, dass sie zitterten. »Du wärst überrascht, wenn du wüsstest, welche Fortschritte die Medizin in den letzten hundert Jahren gemacht hat.« Trotz dieses Anflugs von Humor spürte er, wie ange spannt sie war. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Er hoffte nur, dass Sydney nicht wütend auf ihn war, weil er nicht an Verhütungsmittel gedacht hatte. Aber wie konnte man anders, als sich über etwas so Wunderbares wie ein Kind zu freuen? Noch dazu war dieses Kind in Liebe gezeugt worden – zumindest, was ihn betraf. »Syd, freust du dich denn darüber?« fragte er hoffnungs voll. Sie zuckte resigniert die Schultern. »Nun ja, die Sache ist ein wenig verzwickt.« In seinem Kopf schrillte eine Alarmglocke. »Was meinst du damit?« Sie holte tief Atem. »Ich meine… also… Derek…« Er trat auf sie zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Sag schon, ist etwas nicht in Ordnung?« »Ich bin nicht sicher, ob du der Vater bist«, sagte sie schnell und wich ein paar Schritte zurück. »Nicht der Vater?« echote er fassungslos. »Aber wie ist das möglich?« »Es tut mir Leid«, murmelte sie und verschwand in ihrem Büro. Derek stand da wie gelähmt und war plötzlich rasend eifersüchtig. Sydney gehörte ihm. Er hatte ihr zwar noch nicht gesagt, dass er sie liebte, aber das änderte nichts daran. Und nach der Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten, war er sich ganz sicher gewesen, dass sie um seine Gefühle für sie wusste. Hatte er nicht versucht, ihr das eine ganze Nacht lang zu zeigen? Er ging durch den spärlich beleuchteten Korridor zu ihrem Büro. Die Tür stand offen, und er trat ein. Sydney saß hinter ihrem Schreibtisch und las seelenruhig in einer
Karteikarte, als hätte sie ihm nicht gerade den Schock seines Lebens verpasst. Er baute sich vor dem Schreibtisch auf und kreuzte die Arme vor der Brust. »Wer ist er?« fragte er in barschem Ton. Sie schüttelte nur den Kopf. »Niemand. Ich meine, du bist der einzige Mann, mit dem ich geschlafen habe.« »Soweit ich gehört habe, braucht es immer zwei, um ein Baby zu zeugen.« Sie wagte ein zaghaftes Lächeln. »Nicht unbedingt.« Nun war er vollends verwirrt. »Was willst du damit sagen?« Sie blickte ihm fest in die Augen. »Ich bin künstlich befruchtet worden.« Derek hielt die Luft an. Hätte sie gesagt, sie wäre mit dem gesamten Footballteam von Seattle ins Bett gegangen, würde ihn das nicht mehr überrascht haben. »Du lieber Himmel, warum denn das?« Sie schob trotzig das Kinn vor. »Weil ich ein Kind haben will.« »Und wann war die… äh…« Er brachte die Worte nicht über Lippen. »Künstliche Befruchtung?« vollendete sie die Frage für ihn. »An dem Tag, an dem wir miteinander geschlafen haben.« Derek ließ sich auf das Sofa fallen. »Das kann ich einfach nicht glauben.« Sydney ordnete die Karteikarte in den Kasten ein und suchte dann erneut seinen Blick. »Es besteht nur eine Chance von fünfzig zu fünfzig, dass das Baby von dir ist.« In ihrer Stimme schwang so etwas wie Bedauern mit. Das gab ihm immerhin die Hoffnung, dass sie sich wünschte, das Kind wäre von ihm. »Ich erwarte nichts von dir«, fuhr sie langsam fort. »Das ist mein Kind, und ich werde es allein großziehen. Wenn wir nicht miteinander geschlafen hätten, würde dieses Gespräch gar nicht stattfinden.«
Derek blieben zwei Möglichkeiten. Er konnte die Tatsache ignorieren, dass das Baby vielleicht nicht von ihm war. Oder er konnte die Chance für sich nutzen, dass er der Erzeuger war. Er entschied, dass die zweite Möglichkeit ihn seinem Ziel näher bringen würde, Sydney für sich zu gewinnen. Entschlossen stand er auf und durchquerte den Raum. Er trat hinter den Schreibtischstuhl, auf dem sie saß, und legte die Arme um sie. »Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind von mir ist, beträgt immerhin fünfzig Prozent. Das reicht mir«, sagte er leise. Sie versuchte, sich aus seinen Armen zu lösen, aber er drehte sie mitsamt dem Stuhl um und küsste sie auf die Lippen. Mit einem Gefühl der Befriedigung spürte er, wie sie seinen Kuss erwiderte. »Heirate mich«, flüsterte er heiser. Das war nicht gerade ein romantischer Antrag, aber er hatte auch nicht mit einem solchen Verlauf ihres Gesprächs gerechnet. Sydney versteifte sich in seinen Armen. »Das ist doch lächerlich!« sagte sie empört. Er richtete .sich auf und funkelte sie zornig an. »Lächer lich? Syd, dieses ganze Gespräch ist lächerlich. Erst sagst du mir, du wärst schwanger. Dann lässt du eine Bombe hochgehen und teilst mir mit, ich wäre möglicherweise nicht der Vater, weil es da einen anonymen Spender gibt. Sag du mir, was hier lächerlicher ist.« Sie erhob sich und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich will dich nicht heiraten«, erklärte sie stur. »Dich nicht und auch niemanden sonst.« »Verdammt noch mal, warum denn nicht?« »Ich muss nicht heiraten, um ein Kind zu haben. Das ist ja gerade der Witz an einer künstlichen Befruchtung.« »Ich werde es nicht zulassen, dass mein Kind ohne Vater aufwächst.« »Wir sind nicht in den fünfziger Jahren. Heutzutage sind
allein erziehende Eltern nichts Besonderes mehr.« Plötzlich kamen in Derek längst vergessene Gefühle hoch. Er selbst war nur von seiner Mutter erzogen worden. Seinen Vater hatte er nicht einmal gekannt. Er wusste also aus erster Hand, wie schmerzvoll es für ein Kind sein konnte, ohne Vater auf zuwachsen. »Auch wenn es nicht mehr so problematisch ist, eine allein stehende Mutter zu sein wie vor dreißig Jahren, Kinder sind nun einmal grausam, Syd. Ich bin so oft ausgelacht und verspottet worden. Ich will nicht, dass mein Kind das auch erleben muss.« »Aber du weißt doch gar nicht, ob es überhaupt dein Kind ist.« »Das steht hier doch nicht zur Debatte«, sagte er und merkte, wie er allmählich die Geduld verlor. »Oh doch, genau darum geht es hier«, widersprach sie und wandte sich ab, um das Gespräch zu beenden. Derek legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schul ter. »Du irrst dich. Es ist sehr gut möglich, dass du von mir schwanger bist. Du weißt, dass ich einen guten Ehemann und Vater abgeben würde. Heirate mich, Syd.« Sie trat einige Schritte zurück. In ihren grünen Augen standen Tränen. Aber ihr trotzig vorgerecktes Kinn hielt ihn davon ab, sie in seine Arme zu ziehen. »Ich werde dich nicht heiraten, Derek«, wiederholte sie mit fester Stimme. Wäre da nicht eine große Unsicherheit in ihrem Blick gewesen, hätte er ihr geglaubt. Aber diese Unsicherheit gab ihm Hoffnung. Für den Moment musste er sich damit zufrieden geben. Derek zwang sich zu einem Grinsen. Er wollte nicht, dass sie merkte, wie sehr ihn ihre Zurückweisung traf. »Wollen Sie darauf wetten, Frau Doktor?« Sie zog erstaunt die Brauen hoch. »Das hört sich an wie eine Drohung, Herr Professor.«
»Das ist ein Versprechen, Syd«, erwiderte er leise. Nachdem Derek den immer noch sehr benommenen Bronson zu Hause auf eine Decke gebettet hatte, nahm er seine Jacke vom Haken und machte sich auf den Weg in seine nahe gelegene Lieblingskneipe. Eigentlich trank er sehr selten Alkohol, aber an diesem Abend war ihm nach einem Drink und männlicher Gesellschaft zu Mute. Vielleicht würde er Bekannte treffen und durch zwanglose Unterhaltungen an der Bar von seinen Sorgen abgelenkt. Es war ihm danach, ein wenig in ein Bierglas zu weinen und sich von anderen Menschen trösten zu lassen. Und wenn sich die Gelegenheit ergäbe, mit einer hübschen Frau zu flirten, würde das seinem verletzten Ego auch gut tun. Er öffnete die schwere Holztür der Kneipe und nickte Leonard, dem muskelbepackten Rausschmeißer, einen Gruß zu. Auch wenn man es dem Mann im Lederlook nicht ansah, so war er doch auf dem besten Wege, seinen Doktor in Philosophie zu machen. Im letzten Semester hatte er in Dereks Astronomieseminar gesessen. Derek konnte ihn sich kaum über Werke von Sophokles oder Descartes gebeugt vorstellen, geschweige denn, dass er eifrige Erstsemesterstudenten in die Grundlagen der Philosophie einführte. Aber nach dem, was er heute mit Sydney erlebt hatte, schien ihm alles möglich zu sein. Derek bestellte bei der jungen Frau hinter dem Tresen einen Whiskey. Mit dem Glas in der Hand drehte er sich um und suchte den überfüllten Raum nach bekannten Gesichtern ab. Sein Blick blieb an zwei Studenten und einem Professor der Ökonomie hängen. Als sie ihn heranwinkten, zögerte er nicht, sich zu ihnen zu gesellen. Brad, der Professor, zog einen Stuhl für Derek an den Tisch. »Es sieht ganz danach aus, als wollten Sie sich ernsthaft betrinken, Buchanan.« »Ja, das habe ich vor«, erwiderte Derek, bevor er den Whiskey in einer Geschwindigkeit hinunterstürzte, die John
Wayne zur Ehre gereicht hätte. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit brannte ihm wie Feuer in Kehle und Magen. Erst jetzt fiel ihm ein, dass das Abendessen mit Sydney ausgefal len war. Seit seiner letzten, kärglichen Mahlzeit waren zwölf Stunden vergangen. Whiskey auf leeren Magen war eine Garantie für einen schlimmen Kater. Aber er trank ja, um zu vergessen, und auf die Art würde er sein Ziel schneller erreichen. Er bestellte bei der Bedienung noch einmal dasselbe. »Es geht wohl um eine Frau«, vermutete Phil Butler, ein einundzwanzigjähriger Mathematikstudent. »Tut es das nicht immer?« fragte Hank Robinson, eben falls Mathematikstudent, bevor er einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas nahm. »Das ist allerdings wahr«, sagte Derek und bestellte bei der herannahenden Bedienung eine Runde für seine Leidensgefährten. Für den zweiten Whiskey ließ sich Derek mehr Zeit. »Warum sind die Frauen nur so kompliziert?« fragte er lakonisch und erntete dafür nur trockenes Gelächter. Derek hatte nicht wirklich eine Antwort erwartet. Aber ein kurzer Erfahrungsaustausch über die weibliche Psyche könnte ihm durchaus nützlich sein. »Lassen Sie mich raten«, begann Brad und lehnte sich zurück. »Sie möchte mehr Romantik in ihrem Leben.« Nun war es an Derek zu lachen. Romantik? Sydney? »Kaum«, antwortete er und griff nach seinem Glas. Blumen und Komplimente waren nicht Sydneys Sache. Obwohl er mit Vergnügen romantisch wäre, wenn es ihm helfen würde, ihr näher zu kommen. Genau das war das Problem. Sie ließ weder ihn noch sonst jemanden zu nahe an sich heran. Natürlich waren sie sich nahe gekommen in jener Nacht, aber sobald Sydney das Bett verlassen hatte, war die Mauer um sie herum wieder da gewesen.
Die Kellnerin brachte eine neue Runde Bier. Derek gab ihr ein großzügiges Trinkgeld. Das Lächeln, mit dem sie sich bedankte, war warm und ein wenig frivol. Norma lerweise hätte es ihm geschmeichelt, aber zu seinem Erstaunen bewirkte es diesmal gar nichts bei ihm. Hank griff nach seinem Bier. »Ich wette, sie wirft Ihnen vor, ihre Persönlichkeit und ihre Ziele nicht genug zu würdigen«, sagte er, während er der Kellnerin nachblickte. Durch den Whiskeynebel hindurch versuchte Derek darüber nachzudenken. Vielleicht hatte Hank Recht. Auf die Art und Weise, wie Sydney beabsichtigte, ein Kind zu bekommen und zu erziehen, hatte er nicht gerade aufmun ternd reagiert. »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. »Oder sie findet, dass Sie ihre Bedürfnisse nicht verste hen«, schlug Phil vor. Derek lehnte sich zurück. »Ich dachte bisher immer, ich würde sie verstehen«, erwiderte er vorsichtig. Bei genaue rem Nachdenken könnte sich diese Annahme auch als falsch herausstellen. Brad sah ihn über sein Bierglas hinweg an. »Vielleicht hören Sie ihr nicht richtig zu. Hat sie das Gefühl, dass die Kommunikation zwischen Ihnen nicht funktioniert?« »Nein, das ist es nicht«, erklärte Derek mit einer wegwer fenden Handbewegung. »Die Kommunikation funktioniert tadellos. Sie weiß genau, was ich fühle.« Hank schüttelte resigniert den Kopf. »Kaufen Sie ihr Rosen. Frauen lieben Blumen.« Phil nickte zustimmend. »Und dann gehen Sie mit ihr in einen Liebesfilm und halten ihre Hand. Die Mädels mögen das, glauben Sie mir.« »Und ein romantisches Abendessen bei Kerzenlicht«, fügte Brad hinzu. »Und danach nur ein Abschiedskuss an der Haustür. Das sollte wirken, meine ich.« »Jungs, ihr seid mir eine große Hilfe«, sagte Derek mit
einem ironischen Grinsen. »Wo genau liegt eigentlich das Problem? Hat sie Ihnen den Laufpass gegeben?« fragte Brad mitfühlend. Genau dieses Mitgefühl brauchte er. Er wollte mit Be kannten zusammen sitzen und sich ein wenig bemitleiden lassen. Allerdings durfte es auch nicht zu weit gehen. Dass er Sydney einen Heiratsantrag gemacht hatte, ging die Männer nichts an. »Nein«, beantwortete er Brads Frage. »Man kann nicht den Laufpass bekommen, wenn man zuvor keine ernsthafte Beziehung hatte.« »Aha, da ist also der Haken«, sagte Phil. »Sie will eine richtige Beziehung, aber Sie wollen Ihre Freiheit nicht aufgeben. Bindungsangst, das kennen wir doch alle. Frauen kommen in ein bestimmtes Alter und denken nur noch an Brautkleider und Verlobungsringe.« Hank gab Phil einen Klaps auf die Schulter. »Na, du musst es ja wissen. Wann hattest du jemals eine ernsthafte Beziehung? Du hast doch gerade seit zwei Jahren die Pubertät hinter dir.« »Sie ist schwanger«, platzte Derek heraus. Der Whis key hatte ihm die Zunge gelöst. Diese Feststellung hatte ein allgemeines Aufstöhnen zur Folge. »Das war es dann wohl mit dem herrlichen freien Leben«, sagte Phil mitleidig. »Sie will mich nicht heiraten«, erklärte Derek. Er musste seine Zunge im Zaum halten, um nicht auch noch die künstliche Befruchtung preiszugeben. »Eine unabhängige Frau«, sagte Brad. »Das kann aller dings ein Problem werden.« »Ein Problem? Sie treibt mich in den Wahnsinn!« gestand Derek. »Sie besteht darauf, alles allein zu machen.« Sogar ein Baby, fügte er in Gedanken hinzu. »Also braucht sie Sie nicht«, sagte Phil und machte ein
schlaues Gesicht. »Natürlich braucht sie mich. Sie ist nur zu stur, um es zuzugeben.« »Sie denkt nur, dass sie Sie nicht braucht«, brachte Brad es auf den Punkt. »Und was kann man dagegen unternehmen?« wollte Derek wissen. »Sie müssen ihr zeigen, wie sehr sie Sie braucht«, erklärte Brad. Derek blickte in die Runde. »Irgendwelche Vorschläge?« Der Ökonomieprofessor zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht recht. Tun Sie etwas für sie, das sie normalerweise selbst erledigt. Wenn sie zu den unabhängigen Frauen gehört, müssen Sie ihr zeigen, dass sie ihre Identität nicht verliert, nur weil sie in einigen Dingen von einem Mann abhängig ist.« »Kommen Sie, Prof, wovon reden wir hier eigentlich?« unterbrach Hank und wandte sich an Derek. »Wollen Sie das wirklich? Ihre Unabhängigkeit aufgeben für irgendeine Mieze?« »Sie ist nicht irgendeine Mieze«, gab Derek hitzig zurück. »Sie ist die Mutter meines Kindes.« Jedenfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit, setzte er im Stillen hinzu. Als die Kellnerin mit frischem Bier für alle erschien, hatte Derek bereits einen Plan im Kopf, wie er das Problem lösen könnte. »Ich werde die ganze Sache wissenschaftlich angehen«, verkündete er. »Aber das wird nicht funktionieren. In der Liebe hält man sich nicht an logische Grundprinzipien«, wandte Hank ein. »Oh doch, es wird«, sagte Derek zuversichtlich. »Ich habe ein bestimmtes Problem und muss nur die richtigen Fragen stellen, die mich zur Lösung führen.« »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Derek. Sie wollen eine Frau erobern und nicht ein wissenschaftliches Experiment
durchführen«, sagte Brad zweifelnd. »Aber es ist ganz einfach«, widersprach Derek. »Ich muss ihr nur den richtigen Lösungsweg vor Augen führen.« »Und der wäre?« fragte Brad kopfschüttelnd. Derek lachte. Die ganze Unterhaltung hatte ihn irgendwie entspannt. »Ich bringe sie dazu zu akzeptieren, dass sie ohne mich nicht leben kann.« Für eine Weile saßen die Männer schweigend da. Jeder schien in seine eigenen Gedanken vertieft. »Da gibt es nur eine unbekannte Größe in Ihrem Plan«, sagte Phil abschließend. »Wie schon gesagt, die Liebe folgt keinen logischen Grundprinzipien.«
5. KAPITEL Es klingelte. Sydney schlug die Augen auf und blickte sich schlaftrunken um. Sie hatte einen äußerst beängstigenden Traum gehabt, in dem man sie in Ketten vor den Traualtar geschleppt hatte. Es klingelte wieder. Langsam wurde ihr klar, dass es sich dabei um die Türglocke handeln musste. Seufzend stand sie auf und griff nach ihrem Morgenmantel. Sie blickte aus dem Fenster und sah, dass Dereks Wa gen neben ihrem Jeep parkte. Nach der Art und Weise, wie sie vor zwei Tagen auseinander gegangen waren, hätte sie nicht damit gerechnet, dass Derek zu ihrem sonntägli chen Frühstück erscheinen würde. Für einen kurzen Moment dachte sie daran, sich wieder ins Bett zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen. Aber früher oder später musste sie ihm ins Gesicht sehen. Das erneute, beharrliche Klingeln führte dazu, dass sie hastig zur Haustür lief. Sie hielt kürz inne, um Luft zu holen, und öffnete die Tür. Dereks Blick traf sie bis ins Mark. So viel Zärtlichkeit stand darin, schlimmer noch, es war Liebe. Sei nicht so dumm, schalt sie sich. Du glaubst nicht an
die Liebe. Aber vielleicht können wir trotz allem noch Freunde bleiben. Derek war jedenfalls gewillt, das freundschaftliche gemeinsame Frühstück aufrechtzuerhal ten. »Guten Morgen«, sagte Derek und reichte ihr die Sonn tagszeitung. »Guten Morgen«, erwiderte sie befangen. Sein Lächeln war warm und aufrichtig. Von verletztem Stolz, den sie befürchtet hatte, war nichts zu spüren. Er trat ein, küsste sie zärtlich auf den Mund und ging in die Küche. Bronson folgte ihm schwanzwedelnd. »Ist der Kaffee noch nicht fertig?« fragte Derek, als er die Brötchentüte auf den Tisch legte. »Ich habe bis eben geschlafen«, antwortete sie mit belegter Stimme. Sie spürte immer noch seinen flüchtigen Kuss auf den Lippen. »Ehrlich gesagt habe ich nicht mit dir gerechnet.« Er drehte sich zu ihr um und legte die Hand auf ihre Wange. »Ich möchte unter keinen Umständen das Frühs tück mit meiner Lieblingstierärztin verpassen.« Anstatt sie wieder zu küssen, wie sie es fast schon erwartete, ließ er die Hand sinken und wandte seine Aufmerksamkeit der Kaffeemaschine zu. Fast ärgerlich über die Enttäuschung, dass er sie nicht geküsst hatte, lehnte Sydney sich an den Türrahmen und sah ihm beim Kaffeekochen zu. Wenn er doch nicht so verdammt gut aussehen würde, dachte sie, während sie seine durchtrainierten Arme betrachtete. Jetzt wusste sie, wie es sich anfühlte, in diesen Armen zu liegen. Wie um sich davon abzuhalten, ihre Finger durch sein dunkles Haar gleiten zu lassen, steckte sie die Hände in die Taschen ihres Morgenmantels. »Ich werde mich rasch anziehen«, erklärte sie unvermit telt. Etwas mehr Kleidung als ein Morgenmantel und ein T-Shirt würden ihr helfen, ihre frivolen Gedanken zu
verscheuchen. Derek stellte zwei Kaffeebecher auf den Tisch und musterte Sydney von Kopf bis Fuß. »Ich finde, du siehst wundervoll aus.« Darauf wusste sie nichts zu erwidern. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie nur und verschwand ins Badezim mer. Nach einer kurzen Dusche zog sie sich ein paar verwaschene Jeans und ein altes Flanellhemd über. Sie hatte sich für heute vorgenommen, eine Schrankwand im Empfangsbereich der Praxis neu zu streichen. Außerdem wollte sie sich selbst und vor allem Derek nicht durch aufreizende Kleidung in Versuchung führen. Nach einem zufriedenen Blick in den Spiegel kehrte sie in die Küche zurück. Er saß am Küchentisch und las in der Zeitung. Bronson lag zu seinen Füßen und wartete offensichtlich auf herunterfallende Krümel. Sydney beugte sich zu dem Hund hinunter und begutachtete die Narbe auf seiner Schnauze, während sie ihn kraulte. Sie verheilte sehr gut. Dann schenkte sie sich Kaffee ein und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Es lag ihr auf der Zunge, Derek zu fragen, warum er so tat, als ob dies ein ganz normaler Sonntagmorgen wäre. Was war das für ein Spiel, das er da spielte? Wie konnte er vorgeben, dass sich in ihrer Beziehung nichts geändert hätte? Dabei ließ sich diese leidenschaftliche Nacht, in der sie sich geliebt hatten, nicht wegleugnen. Derek hatte ihr gezeigt, wie tief Leidenschaft gehen konnte. Er hatte von Liebe und einer gemeinsamen Zukunft gesprochen und ihr einen Heiratsantrag gemacht. Und sie selbst hatte ihm von ihrer Schwangerschaft berichtet und seinen Antrag abgelehnt. Zwischen ihnen hatte sich eigentlich alles geändert. Dennoch saß er an ihrem Küchentisch und vertiefte sich
in den Sportteil der Zeitung. Sie widerstand dem Impuls, Derek die Zeitung aus der Hand zu reißen und ihn kräftig zu schütteln. Er hob den Kopf, als würde er ihre Gedanken erraten. »Was hast du heute vor, Doc?« Sydney nahm sich ein Brötchen. »Ich will die Schrank wand in der Praxis streichen. Am letzten Wochenende habe ich sie grundiert.« »Das ist keine gute Idee«, sagte er missbilligend. »Die Ausdünstungen der Farbe sind bestimmt nicht gut für das Baby.« »Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, aber sie ist unnö tig.« »Unnötig oder unwillkommen?« »Beides«, gab sie zu. »Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, aber…« »Natürlich mache ich mir Sorgen«, unterbrach er sie. »Es ist schließlich auch mein Kind.« »Das weißt du doch gar nicht mit Sicherheit«, sagte sie ungeduldig und ließ das Brötchen auf den Tisch fallen. »Genauso wenig wie du«, erwiderte er und sah sie herausfordernd an. Sie seufzte. »Derek, ich will mich nicht mit dir strei ten.« »Wie lange willst du eigentlich noch der Wahrheit aus dem Weg gehen? Früher oder später musst du die Tatsache akzeptieren, dass wir ein gemeinsames Kind haben werden.« Sie stand auf und blickte ihn zornig an. »Ich werde ein Kind haben. Ob es von dir ist, steht nicht fest.« »Das spielt keine Rolle. Für mich ist es auch mein Kind.« Einen Moment zweifelte Sydney an ihrem Verstand. Jede andere Frau würde einen Freudensprung machen, wenn ein so wundervoller Mann wie Derek ein Baby, das
sie erwartete, ohne jede Vorbehalte für sein eigenes erklärte. Jede andere Frau, aber nicht sie. »Es spielt eine Rolle«, sagte sie beharrlich. Sydney verließ die Küche durch die Hintertür und trat in den Garten. Sie hatte ihn verletzt und konnte den Schmerz in seinen Augen nicht ertragen. Aber sie würde es wieder und wieder tun, bis er ihre Entscheidung endlich akzeptierte. Sie hörte, wie sich seine Schritte näherten, und wand te ihm den Rücken zu. Hoffentlich würde er diesen Wink richtig deuten und sie allein lassen. Sie schloss die Augen, als er sie mit beiden Armen von hinten umfasste. Er küsste sie auf den Hals, und ein Schauer durchlief sie. »Syd, du musst mir einfach glauben«, sagte er leise. »Es spielt wirklich keine Rolle für mich. Es ist ohne jede Bedeutung.« Sie drehte sich zu ihm um. »Für mich ist es aber von Bedeutung.« Er umfasste ihr Gesicht und lächelte. »Wann geht es endlich in deinen Dickkopf hinein, dass ich dich liebe? Nur das zählt für uns.« Er neigte den Kopf, um sie mit unendlicher Zärtlichkeit zu küssen. »Ich liebe dich«, wiederholte er flüsternd. Sie konnte Derek nicht lieben, und sie würde ihn nicht lieben. Jedenfalls nicht so, wie er es verdiente. Sie war diesen Weg schon einmal gegangen, und er war mit Lügen, Verrat und Schmerz gepflastert. »Derek, du bist verrückt«, sagte sie hart. »Ja, verrückt nach dir.« »Derek…« »Ich habe lange nachgedacht«, unterbrach er sie. Sie ließ sich auf dem Rasen nieder und umfasste ihre Knie. »Oh, oh, jetzt kriegen wir ernsthafte Schwierigkei ten«, murmelte sie. Er setzte sich neben sie. »Würdest du mir bitte zuhö
ren?« »Muss ich?« »Allerdings«, antwortete er und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Dass wir heiraten, ist eine sinnvolle Lösung für viele Probleme.« Sydney ließ resigniert die Schultern sinken. Wann würde er endlich diese verrückte Idee aufgeben? »Warum willst du unbedingt eine schwangere Frau heiraten, deren Kind vermutlich nicht einmal von dir ist?« »Du sollst mir zuhören«, sagte er streng. »Also gut, ich höre.« »Da ist zum Beispiel die Krankenversicherung.« »Krankenversicherung?« echote sie verständnislos. »Ja, genau. Hast du dir schon einmal vor Augen ge führt, was es für Kosten verursacht, ein Baby zu bekom men? Voruntersuchungen, Hebamme, Gynäkologe und der Krankenhausaufenthalt. Nicht zu vergessen der Kinderarzt, wenn das Baby erst einmal da ist.« Sie starrte ihn ungläubig an. »Ich bin privat versichert, vielen Dank.« »Ich wette, das kostet dich ein Vermögen. Wenn wir verheiratet sind, haben wir Anspruch auf eine Familienversi cherung, die von der Universität gezahlt wird.« »Das ist kaum ein ausreichender Grund für eine Ehe.« »Und was ist mit der Betreuung für das Baby? Gute Kindermädchen sind teuer.« »Du hast also vor, deinen Job zu kündigen und zu Hause zu bleiben, um auf das Baby aufzupassen?« Sydney schnippte mit den Fingern. »Da geht sie hin, die Familienver sicherung von der Universität.« Er funkelte sie böse an. »Nein, aber ich kann ein gutes Kindermädchen bezahlen.« »Das kann ich auch, Derek. Ich bin nicht gerade mittellos.« Die Praxis lief gut und warf mehr als genug ab, um ihre laufenden Kosten zu bestreiten. Es blieb am Monatsende
immer eine ansehnliche Summe übrig, die sie beiseite legen konnte. Darüber hinaus gab es noch das Erbteil ihrer Eltern und das Gold aus deren Lebensversicherungen, beides hatte Sydney Gewinn bringend angelegt. Finanziell stand sie also alles andere als schlecht da. Derek überlegte einige Augenblicke. »Steuern«, sagte er schließlich. »Steuern?« »Du bist selbstständig. Da musst du enorme Steuern zahlen.« »Was hat das mit der ganzen Sache zu tun?« »Denk doch an die Steuerersparnisse für verheiratete Paare.« Sie brach in lautes Gelächter aus. »Du willst keine Ehefrau, du willst in Wirklichkeit Steuern sparen!« »Natürlich will ich vor allem eine Frau. Aber stell dir nur vor, wie viel Geld wir sparen würden, wenn wir nur einen Haushalt hätten. Du könntest dein Haus verkaufen und den Erlös anlegen, damit wir dem Kind später ein Studium finanzieren können.« »Ich mag mein Haus«, sagte sie ernst. Es gehörte ihr, und sie würde es niemals verkaufen. »Aber mein Haus ist für eine Familie viel besser geeignet. Und wenn du zu mir ziehst, sparen wir einmal Rasenmähen und die Unterhaltskosten für ein Haus.« Skeptisch blickte sie ihn an. »Du mähst doch niemals den Rasen. Du hast einen Gärtner. Außerdem weißt du nicht einmal, wie ein Hammer aussieht.« »Und dann die Wartung der Autos«, sagte er hartnäckig. »Ach, soll ich etwa deinen Ölwechsel machen?« »Nein«, sagte er und lachte. »Das würde ich schon erledi gen.« Derek war unbestritten ein brillanter Wissenschaftler und ein ausgezeichneter Lehrer, aber wenn es um handwerkliche Probleme ging, war er der Letzte, den sie rufen würde.
»Außerdem«, fuhr er unbeirrt fort, »müsstest du dir niemals den Kopf darüber zerbrechen, mit wem du den Silvester abend verbringen sollst. Oder deinen Geburtstag. Oder Weihnachten.« »Männer!« sagte sie kopfschüttelnd und stand zornig auf. Auch er erhob sich und blickte sie mit ernster Miene an. »Also, was denkst du?« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ich denke, du solltest dich einmal auf deinen Geisteszustand hin untersu chen lassen.« »Warum bist du denn so wütend?« fragte er verwirrt. »Schon gut. Kümmere dich einfach nicht um mich«, zischte sie und ging auf das Haus zu. »Syd, Kleines, was ist denn los?« Sie fuhr herum und funkelte ihn an. »Wage es nicht noch einmal, mich Kleines zu nennen, du… du… Mann!« »Ich habe doch nur dargelegt, wie praktisch…« »Das Letzte, was eine Frau hören will, ist eine Liste der praktischen Vorzüge, die eine Ehe mit sich bringt!« »Aber ich dachte, du wolltest…« »Hör auf zu denken, ich bitte dich. Denk nie wieder. Ich könnte es nicht ertragen.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und eilte ins Haus. Verwundert blickte Derek ihr nach. Er hatte doch nur versucht, Sydney vernünftige Argumente für eine Heirat zu nennen. Er hatte jeden praktischen Grund aufgezählt, der ihm seit jenem Abend in der Kneipe eingefallen war. Und die Vorteile überwogen doch die Nachteile bei weitem. Was also war schief gegangen? Darüber würde er noch nachdenken müssen. Es sah so aus, als hätte er gerade eine Schlacht verloren, aber der Krieg war noch lange nicht zu Ende. Er ging ein wenig im Garten umher, damit Sydneys Zorn verraucht wäre, wenn er ins Haus zurückkehrte. Sein kritischer Blick fiel auf den Rasen, der dringend gemäht
werden musste. Und da besaß Sydney die Frechheit, ihm seinen Gärtner vorzuhalten! Warum konnte sie nicht einsehen, dass eine Ehe die beste Lösung für sie und das Kind sein würde? Es war hart für ihn gewesen, ohne Vater auf zuwachsen, besonders nachdem er eingeschult worden war. Seine Mutter war eine großartige Frau, die alles getan hatte, damit ihm nichts fehlte. Aber trotzdem hatte er immer wieder einen schmerzhaften Stich verspürt, wenn er beispielsweise die anderen Jungen beim Fußballspielen mit ihren Vätern beobachtet hatte. Er liebte Sydney und war davon überzeugt, dass sie seine Liebe erwiderte, auch wenn sie es noch nicht begriffen hatte. Irgendetwas hielt sie davon ab, eine ernsthafte Bindung einzugehen. Wenn er nur den Grund dafür wüsste, dann hätte er die Chance, etwas dagegen zu unternehmen. Es war an der Zeit, sich einen neuen Plan auszudenken. Sydney saß mit überkreuzten Beinen auf einer Plastikpla ne. Bronson hatte den Kopf auf ihren Oberschenkel gelegt und döste vor sich hin. »Männer haben doch überhaupt keine Ahnung«, beklagte sie sich bei dem großen Hund. Sie tauchte den Pinsel in den Farbtopf und streifte ihn sorgfältig ab. Bronson ächzte ein wenig und streckte sich. Sie beugte sich nach vorn und strich die Innenseite des Schrankes. »Krankenversicherung«, murmelte sie verächt lich. »Lächerlich!« Nicht, dass ihr die Vorstellung einer Ehe auf einmal gefiel, aber Derek hätte wenigstens die besondere Bezie hung erwähnen können, die sie zueinander hatten. Wenn er ihr gesagt hätte, er wollte den Rest seines Lebens mit ihr verbringen, dann wäre sie zumindest jetzt nicht so gekränkt. Warum hatte er nicht von ihrer berauschenden gemeinsa men Nacht gesprochen? »Steuern«, zischte sie wütend.
»Kann ich dir helfen?« Sie richtete sich auf und blickte Derek über die Schulter hinweg an. »Du hast schon genug getan.« Als sie sein schiefes Grinsen sah, begann ihr Zorn langsam zu verrauchen. Sie lächelte und drückte ihm einen Pinsel in die Hand. »Du kannst die Türen streichen.« Dann wandte sie sich wieder ihrer Aufgabe zu. Wegen der Farbdämpfe hatte sie die Fenster weit geöffnet, und eine warme Brise durchwehte den Raum. Bronson streckte sich gähnend, richtete sich auf und legte ihr seine feuchte Nase an die Wange. Dann trottete er zu Derek, der vor einer ausgehängten Schranktür hockte. »Hallo, alter Kumpel«, begrüßte er den Hund. »Hast du Syd ein bisschen geholfen?« Sydney musste lächeln. Wie konnte man diesem Mann lange böse sein? Merklich gelöster vertiefte sie sich wieder in ihre Arbeit. Einige Minuten später brach Derek das Schweigen zwischen ihnen. »Syd?« Sie zog die Nase kraus. »Was ist?« »Hast du etwas gegessen?« Wie zur Antwort knurrte ihr der Magen. Sie dachte an das Brötchen, das sie vor lauter. Zorn nicht angerührt hatte. »Nein.« Er stand auf und legte den Pinsel auf ein Stück Zeitungs papier. »Wie wäre es mit einem Salat aus dem Restaurant an der Ecke? Ich lade dich ein.« Aha, dachte sie. Er schwenkt die weiße Fahne und lockt mich mit Essen. Sie blickte ihm ins Gesicht, und ihre Wut verrauchte. Sie stand auf und rieb sich den Rücken. »Und eines von diesen knusprigen Broten?« fragte sie hoffnungsvoll. Seine Antwort war ein warmherziges Lächeln. Plötzlich fühlte sie sich so sehr zu Derek hingezogen, dass sie nur mit Mühe dem Impuls widerstand, zu ihm zu gehen und
ihn zu küssen. Sie stellte sich vor, ihre Lippen auf seinem Mund zu spüren. Ihre Fantasien wurden von einem lauten Scheppern unterbrochen, gefolgt von einem Jaulen. Derek fuhr herum. »Bronson, sitz!« Aber der Hund raste bereits den Korridor entlang und hinterließ eine Spur von großen weißen Pfotenabdrücken auf dem dunklen Linoleum. Sydney spähte hinter den Empfangstresen und hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund. Ein großer Farbtopf war umgefallen, und die zähe Flüssigkeit hatte sich über den Boden verteilt. Derek nahm einen Lappen und versuch te, den Farbfluss zu stoppen, aber es war einfach zu viel. Voller Bestürzung blickte er sie an. Sydney biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken. »Du siehst nach, ob mit Bronson alles in Ordnung ist. Ich mache hier sauber.« Sie stellte den Farbtopf wieder hin und machte sich daran, die weiße Pfütze mit Zeitungspapier aufzuwischen. »Und zieh deine Schuhe aus«, sagte sie, mühsam gegen ihr Lachen ankämpfend. »Oder soll ich errötend deinen Spuren folgen?« Die ganze Sache war Derek offenbar furchtbar peinlich. Folgsam zog er seine Schuhe aus und ging Bronson nach. Sydney hoffte nur, dass er ihr Lachen nicht hören würde, das sie nun nicht länger zurückhalten konnte.
6. KAPITEL Eine ungewöhnlich früh einsetzende Hitzewelle sorgte für rekordverdächtige Temperaturen. Trotz der für den Juni unüblichen Wärme hatte Sydney keine andere Wahl, als die Fenster der Praxis geöffnet zu halten. Die Dämpfe des Terpentins, mit dem Derek den Boden gereinigt hatte, machten eine Benutzung der Klimaanlage unmöglich.
Während der Mittagszeit war es in der Praxis immer ziemlich ruhig. Es gab keine Patiententermine, und der Anrufbeantworter war eingeschaltet. Sydney genoss die Mittagspause sehr. Sie hatte während dieser Zeit die Möglichkeit, die anstehende Büroarbeit zu erledigen oder sich um ihren Haushalt und Garten zu kümmern. An diesem Tag war sie jedoch so erschöpft, dass sie nur an einen kurzen Mittagsschlaf in ihrem Haus denken konnte. Der letzte Patient vor der Mittagspause, eine depressive Katze, die sich selbst das Fell herausrupfte, war zwar anstrengend gewesen, aber kaum eine Erklärung für Sydneys Müdigkeit. Sie hatte kürzlich gelesen, dass Frauen während der Schwangerschaft mehr Schlaf brauchten. Aber wenn man eine eigene Tierarztpraxis führt, kann man sich solchen Luxus wie einen Mittagsschlaf wohl nicht leisten, dachte Sydney seufzend. Sie ordnete die Karteikarten ein und ging zum Empfangs tresen, um sich die Termine für den Nachmittag anzusehen. Rachel war gerade dabei, ein Dutzend rote Rosen in einer Kristallvase auf ihrem Schreibtisch zu arrangieren. Der Strauß war ein Geschenk von Rachels Ehemann zu ihrem Hochzeitstag. Ein Bote hatte ihr den Blumengruß am Vormittag überbracht. »Vielleicht wäre es eine gute Idee, die Rosen in den Kühlschrank zu stellen. Sonst welken sie bei der Hitze zu schnell«, schlug Sydney vor. »Daran habe ich auch schon gedacht. Aber dann kann ich sie nicht sehen«, erwiderte Rachel. Sydney verspürte einen Anflug von Neid. Auch nach elf Jahren Ehe überraschte Rachels Mann seine Frau noch mit romantischen Gesten und Geschenken. Was Derek mir zu einem solchen Anlass wohl schenken würde, überlegte Sydney. Ein paar Aktien vielleicht oder ein besonderes Sparkonto? Aber wir sind ja nicht verheiratet, erinnerte sie sich. Und
wir werden es auch niemals sein. »Na ja«, sagte Rachel und zupfte an einem Rosenblatt. »Steve will Pluspunkte bei mir sammeln, weil er das ganze Wochenende Dienst hat.« Steve war bei der Navy und hatte bis jetzt eine steile Karriere hinter sich. Rachel schien es nichts auszumachen, dass er sehr wenig Zeit für sie hatte. Sie war offenbar sehr glücklich. Das versetzte Sydney immer wieder in Erstau nen, weil die beiden sehr früh geheiratet hatten. Soweit Sydney wusste, waren sie immer noch verrückt nacheinan der. Rachels rote Rosen zeigten deutlich, wie sehr sie sich nach über einem Jahrzehnt noch liebten. »Ich habe die Welpen gefüttert. Die kleine dicke Gefleckte hat schon die Augen aufgemacht«, berichtete Rachel. Sydney lächelte. Das gefleckte Hundebaby hatte es ihrer Assistentin sehr angetan. Obwohl die Welpen ohne Mutter aufwuchsen, gediehen sie prächtig. Vor ein paar Tagen hatte sie die Wärmelampe wegnehmen und die Tiere in eine geräumige Kiste setzen können. Sie hatte noch nicht entschieden, was aus ihnen werden sollte, wenn sie selbstständig sein würden. Weiter als bis zu der Idee, dass ihre zukünftigen Besitzer alle für die Hunde notwendigen Impfungen nicht bezahlen müssten, war sie noch nicht gekommen. »Danke, Rachel, dass du dich um die Welpen geküm mert hast. Aber das musst du wirklich nicht auch noch machen«, sagte Sydney, während sie ihre Post durchsah. Sie fragte sich, warum Derek sich noch nicht gemeldet hatte. Nachdem sie gestern die Farbe vom Fußboden entfernt hatten, hatte Derek ihnen wie versprochen etwas zu essen besorgt. Nach dem gemeinsamen Imbiss war er mit Bronson nach Haus gefahren. Sie hatte eigentlich erwartet, dass er zurückkehren und ihr weiter eine Heirat schmackhaft machen würde, aber er hatte nichts mehr von
sich hören lassen. Sie war nicht enttäuscht, nein, überhaupt nicht. »Oh, das tue ich doch gern«, sagte Rachel. »Es gibt kaum etwas Niedlicheres als Hundebabys.« Die Eingangstür zur Praxis wurde geöffnet, und Sydneys Pulsschlag beschleunigte sich. Als sie Derek eintreten sah, fing ihr Herz an zu rasen. Er sah unverschämt gut aus, und sein Lächeln war viel zu sexy. Er nickte Rachel zu und baute sich dann vor Sydney auf. Aus seinem Blick sprachen Begehren und Leidenschaft. Sydney spürte, wie sie rot wurde. »Was tust du denn hier?« fragte sie mit belegter Stimme. »Hattest du nicht einen Termin im Forschungslabor?« »Abgesagt«, meinte er nur und sah sie unverwandt an. Rachels viel sagender Blick glitt zwischen den beiden hin und her. Sie nahm ihre Handtasche aus ihrem Fach im Empfangstresen. »Ich muss einige Besorgungen machen. Ich schließe ab«, verabschiedete sie sich mit einem wissenden Lächeln. Sydney fasste sich an die geröteten Wangen. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, was ihre Assistentin jetzt dachte. »Wie wäre es mit einem gemeinsamen Mittagessen?« fragte Derek. »Wenn du dich mit der Hälfte meines Sandwiches und dem Rest Tomatensalat von gestern zufrieden gibst, lade ich dich ein«, erwiderte sie. »Das sind berauschende Aussichten«, sagte er gut gelaunt und folgte ihr ins Büro. Zwanzig Minuten später hatte Sydney sich wieder beru higt. Nachdem er sie bei der Begrüßung fast mit Blicken ausgezogen hatte, war sie überzeugt gewesen, sich einer erneuten Diskussion zum Thema Ehe stellen zu müssen, wenn sie erst allein wären. Aber Derek erzählte ihr nur sachlich und wortgewandt von der neuesten Entscheidung der Universität hinsichtlich eines für ihn sehr bedeutsamen
Forschungsprojektes. Wenn Sydney nicht andauernd den Wunsch verspürt hätte, ihn zu küssen, wäre es ein ganz normales Mittagessen gewesen. Als sie die Spuren ihres Picknicks beseitigte, überkam sie wieder diese abgrundtiefe Müdigkeit, die sie schon zu Beginn der Mittagspause gequält hatte. Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück und musste gähnen. »Entschuldige, ich bin nur so furchtbar müde.« »Streck dich ein paar Minuten aus«, schlug Derek vor und drückte sie sanft nach unten, so dass ihr Kopf auf seinem Oberschenkel zu liegen kam. Sydney warf ihm einen skeptischen Blick zu, rollte sich dann aber auf die Seite und entspannte sich. Dass sie sich auf einmal sehr wohl und geborgen fühlte, hatte mögli cherweise mit Dereks Hand zu tun, die behutsam ihren Rücken massierte. »Wirst du das Projekt leiten?« fragte sie, ein Gähnen unterdrückend. »Es ist noch nicht klar, wer die Leitung übernehmen wird. Aber ich denke, dass ich auf jeden Fall im Team sein werde.« »Sie wären ganz schön dumm, wenn sie dir nicht die Leitung übertragen würden«, erklärte sie im Brustton der Überzeugung. »Vielen Dank.« Sydney lächelte und schloss für einen Moment die schwe ren Lider. »Ich sollte hier nicht herumliegen. Es gibt viel zu tun.« »Pst«, machte er. »Ruh dich einfach ein bisschen aus.« »Auf mich wartet wirklich noch viel Arbeit«, murmelte sie und schlief ein. Derek küsste sie wach. Als Sydney seine Lippen spürte, schlang sie die Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss voller Verlangen. Er glitt neben sie und zog sie an sich. Anstatt zu protestieren, schmiegte sie sich mit einem
Seufzer an seine harte Brust. Eine Welle der Erregung überflutete Derek. Was hatte diese Frau nur an sich, dass er in ihrer Nähe sämtliche guten Vorsätze vergaß? Er hatte sie doch gar nicht verführen wollen. Vielmehr wollte er ihr beweisen, dass eine Ehe die logische Konsequenz ihrer gemeinsamen Situation war. Seine Absichten und Argumente verschwanden im Nichts, als er die Hände auf ihre vollen Brüste legte. Sydney zerzauste sein Haar, und Derek konnte sich kaum noch an seinen Namen erinnern. Diese Frau trieb ihn allmählich in den Wahnsinn. Er spürte ihr Verlangen und ihre Sehnsucht. Nichts wäre ihm lieber gewesen, als ihrem – und seinem – Verlangen nachzugeben. Aber Rachel würde jeden Moment zurückkehren. Er hatte Sydney doch nur wachküssen wollen. Doch nun hatte er eine Leidenschaft entfacht, für die keine Zeit blieb. Widerstrebend löste er sich von ihr und blickte in ihre von Sehnsucht verschleierten grünen Augen. Wir könnten die Bürotür abschließen, schoss es ihm durch den Kopf. »Was machst du nur mit mir?« flüsterte Sydney. »Ich würde gern noch so einiges mit dir machen«, sagte er heiser. Sie stöhnte leise und presste sich noch enger an ihn. »Du bringst mich dazu, Dinge zu wollen, für die ich keine Zeit habe.« Damit hatte sie zweifellos Recht. Er stand auf und verließ das Sofa. »Sieh mich nicht so verführerisch an, sonst schließe ich die Tür ab und falle über dich her.« Ein verhaltenes, herausforderndes Lachen war ihre Antwort. Nach einem sündigen Augenaufschlag sah sie ihm direkt ins Gesicht. Dereks Herzschlag beschleunigte sich. »Du solltest nicht etwas anfangen, das wir nicht zu Ende bringen können«,
warnte er. Geschmeidig glitt sie vom Sofa, ging zur Tür und schloss sie ab. »Du hast damit angefangen. Jetzt bring es auch zu Ende.« »Warte einen Moment, was ist mit…« Sydney verschloss ihm die Lippen mit einem Kuss. Sie ließ die Hände über seine Brust bis hin zum Reißverschluss seiner Jeans wandern. »Du wirst mich nicht so zurücklas sen«, wisperte sie. Derek schloss die Augen, als sie seinen Hals küsste. »Du kannst mich unmöglich so zurücklassen«, flüsterte sie und öffnete den Reißverschluss seiner Hose. »So heiß«, sagte sie und küsste ihn wieder. »Und so begierig.« Für Derek war jetzt alles zu spät. Er umschlang Sydney, drehte sie um und hob sie auf den Schreibtisch. Dann schob er ihr Sommerkleid hoch und streifte ihr mit hastigen Bewegungen den Slip ab. Sie schlang die Beine um seine Hüften und stöhnte auf, als er mit zärtlichen Händen den intimsten Punkt ihres Körpers erforschte. Lustvoll bog sie den Kopf zurück und gab sich seinen aufregenden, quälend sanften Berührungen hin. Sie verlangte nach ihm wie noch nie zuvor. In seiner Nähe vergaß sie völlig, dass sie mit dem Feuer spielte. Und es war ihr auch völlig egal. In diesem Moment gab es für sie nur diesen Mann, der sie auf eine sinnliche Reise mitnahm, deren Ziel absolute Glückseligkeit war. Sie flüsterte seinen Namen und öffnete sich ihm rückhalt los, als er kraftvoll in sie eindrang. Mit der Zunge fuhr er über ihr Ohr, ihren Hals, und sie hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen. Sein heißer Atem fachte das Feuer ihrer Leidenschaft noch mehr an. Hilflos ihrem Verlangen ausgeliefert, klammerte sie sich an ihn, bis ihr Körper sich in einem lustvollen Aufschrei aufbäumte und sie hörte, wie Derek ihren Namen rief. Schwer atmend zog er sie an sich und strich ihr sacht
durch das Haar. Er wartete, bis sich ihr Pulsschlag beruhigt hatte. »Es tut mir Leid, ich muss jetzt gehen«, flüsterte er nach einem langen, zärtlichen Kuss. »Aber ich komme bald zurück.« Er küsste sie noch einmal und löste sich wider strebend von ihr. Hastig brachte er seine Kleidung in Ordnung, lächelte und verließ den Raum. Sydney blickte ihm nach und ließ sich dann langsam vom Schreibtisch gleiten. Sie brachte es nicht über sich, das leidenschaftliche Schäferstündchen zu bedauern. Im Gegenteil. Unwillkürlich glitt ein sinnliches Lächeln über ihr Gesicht. Derek hatte gesagt, er würde wiederkommen. Sie konnte es kaum erwarten. Was hatte er denn jetzt schon wieder getan? Sydney stand vor ihrem Cottage und blickte ungläubig auf den Rasen. Im schwindenden Licht der Abenddämme rung sah es ganz so aus, als ob er vor kurzem gemäht worden wäre. Zwischen dem satten Grün entdeckte sie bei näherem Hinsehen fast kahle Stellen, die nur noch von spärlichen Grashalmen bedeckt waren. Es erinnerte sie an den Haarwuchs eines Mannes mittleren Alters, der seine Glatze nicht länger verbergen konnte. Sie beugte sich hinunter und strich mit den Fingern über die frisch gestutzte Grasnarbe. Tatsächlich, Derek hatte den Rasen gemäht! Sie seufzte und wünschte sich, sie hätte die Zeit gefunden, einen Ersatz für ihren verflixten alten Rasenmäher zu besorgen. Das vertrackte Ding hatte die unangenehme Angewohnheit, sich von Zeit zu Zeit in den Boden zu fressen und die Grasnarbe an diesen Stellen fast gänzlich zu vernichten. Aber sie konnte Derek nicht böse sein. Er hatte es schließlich nur gut gemeint. Ihr selbst war dieses Missgeschick auch schon öfter passiert. Sie würde also nicht nur einen neuen Rasenmäher,
sondern auch Rasensaat besorgen müssen. Wenn man bedachte, wie wenig handwerkliche Begabung Derek hatte, war sein Einsatz doppelt lobenswert. Sydney hegte durchaus dankbare Gefühle für ihn, bis sie mit dem Fuß schmerzhaft gegen einen falsch platzierten Stein stieß. Sie stieß scharf die Luft aus, und Tränen traten ihr in die Augen. Jemand machte das Verandalicht an, das seit ihrem Einzug nicht mehr funktioniert hatte. Geblendet blinzelte sie in die unvermutete Helligkeit. »Syd, was ist los? Ist alles in Ordnung mit dir?« Sie hielt sich eine Hand vor die Augen, mit der anderen rieb sie ihren schmerzenden Fuß. Der Himmel bewahre mich vor Männern mit guten Absichten, dachte sie seufzend. »Alles okay«, antwortete sie mit zusammengebissenen Zähnen. Er wollte mir nur helfen, sagte sie sich und kämpfte gegen einen Wutausbruch an. Sie sah auf den mit Steinen gepflasterten Weg hinunter. Die hässlichen Grashalme und Unkräuter, die zwischen den Steinen gewuchert hatten, waren verschwunden. Seit ihrem Einzug hatte sie vergeblich dagegen angekämpft. Als sie vorsichtig ihren noch immer schmerzenden Fuß bewegte, wackelte der Stein, auf dem sie stand. »Hast du etwa die Steine herausgenommen?« fragte sie ungläubig. Stolz lächelte er sie an. »Ich wollte keine Chemikalien benutzen. Du weißt schon, wegen des Babys. Also habe ich alle Steine weggenommen und eine Gartenplane auf den Boden gelegt. Der Verkäufer im Gartencenter hat gesagt, auf diese Weise hätte man nie mehr Probleme mit dem Unkraut.« Fassungslos sah sie abwechselnd zu Derek und dem Weg. »Du hast alle Steine weggenommen und wieder hinge legt? Ganz allein?« Er nickte freudestrahlend. Herkules hätte nach der Bewäl
tigung seiner gesamten Aufgaben nicht stolzer sein können. Was war schon ein verstauchter Zeh gegen die offensicht liche Freude, die Derek nach getaner Gartenarbeit verspürte? »Vielen Dank, Derek«, sagte sie und humpelte ihm langsam entgegen. Mühsam unterdrückte sie die Schmerzensschreie, die jeder Schritt ihr entlockte. »Das war wirklich sehr lieb von dir.« Er ergriff ihre Hand. »Warte nur, bis du erst drinnen bist«, sagte er verheißungsvoll. Sydney schaffte ein schwaches Lächeln und folgte ihm ins Haus. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung blitzte das Cottage praktisch vor Sauberkeit. Der Küchenboden glänzte, die Beistelltischchen aus Kirschholz im Wohn zimmer schimmerten unter ihrer frischen Politur. Sogar ihre sorgsam gehütete Sammlung Kristallgläser funkelte in neuem Glanz. Eine Wolke verschiedener Düfte umfing sie, als sie weiter ins Wohnzimmer humpelte. Pinie, Zitrone und – sie schnupperte hoffnungsvoll. Ente Szechuan? »Chan’s?« fragte sie und blickte Derek an. Sie liebte das Essen aus dem kleinen chinesischen Lieferrestaurant. Dereks Aufmerksamkeit rührte sie zutiefst. Er nickte eifrig. »Ich weiß doch, wie gern du die Ente Szechuan isst. Du warst heute Mittag so erschöpft. Ich dachte, du bist bestimmt zu müde zum Kochen.« Sie legte ihre Tasche auf eine Kommode. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.« Seit sie ihr Elternhaus verlassen hatte, hatte sie immer für sich selbst gesorgt. Es hatte nie jemanden gegeben, der ihr etwas abgenommen hätte. Er legte die Arme um ihre schmale Taille. »Du kannst mir später danken.« »Später?« fragte sie mit einem herausfordernden Lä cheln.
Sanft streifte er mit den Lippen ihren Mund. »Später«, flüsterte er und küsste sie. »Hungrig?« fragte er, nachdem sich ihre Lippen vonein ander gelöst hatten. Nicht nur nach Essen, dachte sie bei sich und nickte. »Gut, der Tisch ist schon gedeckt. Ich habe noch in der Küche zu tun.« Er verschwand in Richtung Küche, und Sydney schlüpfte aus ihren Sandalen. Sie war restlos verwirrt. Derek, der sie verwöhnte und umsorgte, verunsicherte sie genauso wie ihre heftigen Reaktionen auf ihn und seine Nähe. Gerieten ihre Hormone zu Beginn ihrer Schwangerschaft durchein ander? Oder gab es eine andere logische Erklärung dafür, dass sie diesem Mann auf einmal kaum widerstehen konnte? Sie war doch nicht etwa in ihn verliebt? »Nein, bin ich nicht«, murmelte sie trotzig. Dann stellte sie ihre Sandalen in den Flur und ging zur Küche. Sie setzte ihren nackten Fuß auf die glänzenden Fliesen und stockte. Ihr Fuß klebte an der Fliese fest. Sie runzelte die Stirn und wagte einen weiteren Schritt. Das Ergebnis war dasselbe. Die Fliesen waren total klebrig. »Was hast du hier drinnen angestellt?« Derek nahm gerade eine Schüssel mit Reis aus dem Backofen. »Ich habe den Boden für dich gewischt.« Sydney verdrehte die Augen. »Was hast du dafür be nutzt?« Er sah sie verständnislos an. »Die Flasche Bodenreiniger, die du unter der Spüle hattest.« Sie sank ermattet auf einen Stuhl. »Hattest? Soll das heißen, dass du für den Fußboden dieser kleinen Küche die ganze Flasche genommen hast?« »Zuerst habe ich so viel genommen, wie auf der Flasche stand. Aber es hat überhaupt nicht geschäumt.« Sydney bewegte vorsichtig die Füße auf dem klebrigen
Boden. »Also hast du das Zeug ins Wasser geschüttet, bis du Blasen gesehen hast?« Er nahm die Platte mit der gerösteten Ente aus dem Backofen. »Ich hätte vielleicht nicht alles nehmen sollen, oder?« »Nein, Derek, du hättest nicht alles nehmen sollen.« Immerhin musste sie dankbar sein, dass er nur den Küchenboden gewischt hatte und nicht etwa den Holzfuß boden, an dessen Restaurierung sie so hart gearbeitet hatte. Sie stellte die Vase mit den frischen Stiefmütterchen beiseite, damit Derek die Ente auf den Tisch stellen konnte. Sie ließ die Hände sinken und warf einen zweiten Blick auf die Stiefmütterchen. »Sind die aus meinem Garten?« fragte sie in ängstlicher Erwartung. »Es tut mir sehr Leid, Syd«, antwortete Derek und setzte sich ihr gegenüber. »Irgendwie hat sich der Rasenmäher selbstständig gemacht.« Mühsam zwang sie sich zur Ruhe. Bei ihrem Einzug war alles verwahrlost gewesen. Das Cottage war als Lagerraum benutzt worden, und den Garten hatte seit Jahren niemand mehr gepflegt. Sydney hatte anfangs fast genauso viel Zeit bei der Gartenarbeit wie in der Praxis verbracht. »Der Rasenmäher hat sich selbstständig gemacht? Wie?« Derek reichte ihr die Schüssel mit Gemüse und blickte sie schuldbewusst an. »Ich habe ihn einen Moment lang allein gelassen, weil ich den Gartenschlauch aus dem Weg räumen wollte. Ich dachte, er würde stehen bleiben.« »Und das ist er nicht.« »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Er hat sich bewegt.« »Bewegt? Wie weit?« »Ziemlich weit.« »Bis zu meinen Blumenbeeten?« Er wich ihrem Blick aus und schüttelte wieder den Kopf.
»Durch meine Blumenbeete hindurch?« Er nickte nur stumm. »Wie schlimm ist es?« »Ziemlich schlimm.« Unfälle passieren eben, sagte sie sich. Sie passieren nur öfter, wenn Derek versucht, den Ehemann zu spielen. Ehemann? Geht es darum? Sie fragte sich, ob das nicht der tiefere Sinn seiner ganzen Arbeit war. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er diesen ganzen Aufwand nur betrieben hatte, um ihr zu beweisen, was für einen guten Ehemann er abgab. Sie holte tief Atem. »Derek, was hast du heute sonst noch gemacht?« Er lächelte. »Ich habe die Wäsche gewaschen.« Ihr sank das Herz. »Oh, gütiger Himmel!« »Also weißt du, mit Wäsche kenne ich mich bestens aus.« »Und du hast meine Praxiskittel nicht rosa verfärbt?« fragte sie argwöhnisch. »Nein«, antwortete er beleidigt. »Und du hast die bunte von der weißen Wäsche getrennt?« »Ja, natürlich. Und die hellen Farben von den dunklen.« Die nackte Angst und der Wunsch, ihn nicht weiter zu verletzen, hielten sie davon ab zu fragen, ob er für die bunte Wäsche etwa den Kochwaschgang eingelegt hatte. Ergeben nahm sie sich von der gerösteten Ente und begann schweigend zu essen. Sie wollte es gar nicht wissen. Manchmal war Unwissenheit ein Segen.
7. KAPITEL Der Mond hing wie eine silberne Scheibe am nächtlichen Himmel. Das Zirpen der Grillen und die vom Pazifik kommende Brise waren die perfekte Untermalung für einen romantischen Abend. Zu schade, dass Sydney für Romantik nicht besonders empfänglich ist, stellte Derek bedauernd fest, während er nach einem bestimmten Stern Ausschau hielt. »Ah, da ist er.« Er rückte näher an sie heran und deutete
mit dem Finger auf das Sternenbild, das er meinte. Es war ihm schließlich gelungen, sie dazu zu überreden, ihm beim Betrachten der Sterne Gesellschaft zu leisten. Er wollte bei dieser Gelegenheit aus ihr herauslocken, wieso sie sich dagegen sträubte zu heiraten. »Das Sternbild heißt großer Bär.« Sie legte den Kopf in den Nacken, um die Sternengrup pe zu betrachten. Er hingegen betrachtete die feinen Linien ihres Halses und hielt sich nur mit Mühe davon ab, ihre zarte Haut mit den Lippen zu berühren. Wenn er dann noch die empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr küsste, bestünde eine gute Chance, dass sie die Arme um ihn schlingen und sich an ihn schmiegen würde. Aber obwohl es ihm sehr schwer gefallen war, hatte Derek die Ent scheidung getroffen, dass es zwischen ihnen keinen Sex mehr geben würde. Jedenfalls so lange nicht, bis sie seinem Heiratsantrag zugestimmt hatte. »Das ist wunderschön«, sagte Sydney versonnen. »Man nennt es auch Ursa Major. Es ist das drittgrößte Sternbild, das wir kennen.« »Sehr interessant, Derek.« Aber Sydney hörte sich nicht sehr interessiert an, sondern eher gelangweilt. Fanden Frauen normalerweise Sternen nächte nicht romantisch? »Es existiert auch der Glaube, dass es sich bei diesem Sternbild um die griechische Nymphe Callisto handelt.« Sie zog die Brauen hoch. »Wer?« »Callisto.« Derek legte den Arm auf die Rückenlehne der Verandaschaukel, auf der sie saßen. Dabei streifte er mit den Fingern ihren Hals, und er bemerkte, wie sie erschauerte. »In der griechischen Mythologie war sie die Tochter von König Lykaon und dazu ausersehen, eine der Begleiterinnen der Göttin Artemis zu sein.« »War Artemis nicht Apollos Schwester?« Derek nickte und ließ wie zufällig die Finger durch ihr Haar
gleiten. »Artemis war die Schutzpatronin der Geburt und Hüterin von Kindern und Tieren. Aber am wichtigsten war für sie ihre Keuschheit. Sie bat Zeus sogar um ewige Jungfräulichkeit.« Auf Sydneys Gesicht legte sich ein frivoles Lächeln. Herausfordernd sah sie ihn an. »Wie traurig. Sie wusste bestimmt nicht, was sie versäumt hat.« Derek richtete sich auf und versuchte, sich weiter auf die griechische Sagenwelt zu konzentrieren. »Alle Nymphen, mit denen Artemis sich umgab, hatten Keuschheitsgelübde abgelegt. Außerdem verlangte sie absolute Treue von ihren Begleiterinnen.« Sydney betrachtete seinen Mund. Sie befeuchtete mit der Zunge ihre Unterlippe, und Derek unterdrückte ein Stöhnen. Der Wunsch, sie zu küssen, wurde fast übermächtig. »Aber Zeus hatte seine eigenen Vorstellungen«, fuhr er mit gepresster Stimme fort. »Und er hatte die schlechte Angewohnheit, junge Mädchen zu verführen, die hübsche kleine Callisto eingeschlossen. Sie wurde schwanger, und als Artemis davon erfuhr, hatte sie einen Wutanfall und schwor Rache. Da sie gern jagte, verwandelte sie Callisto in einen Bären, den sie zur Strecke bringen wollte.« Nun schien Sydney wirklich interessiert zu sein. »Wie schrecklich!« sagte sie atemlos. Derek strich ihr Haar beiseite und begann ihr beiläufig den Nacken zu massieren. »Aber Zeus hatte Erbarmen und schickte die kleine Callisto in den Himmel.« »Der Bär«, flüsterte sie, schloss genießerisch die Augen und seufzte leise. »Das fühlt sich gut an.« Ihm fielen innerhalb von Sekunden ein Dutzend anderer Dinge ein, die sich auch gut anfühlten und bei ihr mehr auslösen würden als nur einen leisen Seufzer. Sydney legte die Füße auf die Schaukel, drehte sich auf die Seite und lehnte sich mit dem Rücken an ihn. Als er die Arme um sie legte, schmiegte sie sich eng an ihn.
Diese Frau war Derek ein Rätsel. Sie war so voller Widersprüche und änderte ihre Stimmungen schneller, als er denken konnte. Sie baute undurchdringliche Mauern um sich auf, um sie im nächsten Moment niederzureißen und sich an ihn zu lehnen, als wären sie ein Liebespaar. Er hatte allmählich das Gefühl, als würde er auf der Stelle treten. Sie legte den Kopf an seine Schulter und betrachtete nach denklich den Sternenhimmel. »Zeus war ein ziemlicher Ladykiller, was?« Er musste lachen. »Im Gegensatz zu Zeus bin ich ein Ausbund an Treue.« Sydney erstarrte. Instinktiv wusste Derek, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Er beschloss, dieses Thema weiter zu verfolgen. »Was ist los, Sydney? Deine Eltern haben eine wunder bare Ehe geführt, also verstehe ich deine Einstellung nicht. Hat jemand vergessen, dir als Kind Märchen zu erzählen? Du weißt schon – sie lebten glücklich bis an ihr Ende und so weiter.« Abrupt schwang sie die Füße auf den Boden und stand auf. »Glücklich bis an ihr Ende? Das ist ein Märchen«, sagte sie hart. »Es ist schon spät. Du gehst jetzt besser.« Sie ging ins Haus und ließ ihn verwirrt und enttäuscht zurück. Er hatte etwas dagegen, auf diese Weise abgefertigt zu werden. Er hatte einen Nerv getroffen und war nicht bereit, sie so einfach davonkommen zu lassen. Nein, heute Nacht noch würde er herausfinden, warum sie auf dieses Thema so empfindlich reagierte, koste es, was es wolle. Er fand Sydney im Wohnzimmer. Sie saß mit hochgezo genen Füßen auf dem Sofa und wirkte sehr zerbrechlich und sehr einsam. Aber er wusste, dass ihr Kampfgeist zurückkehren würde, sobald er sie dazu zwang, über Dinge zu sprechen, die sie offenbar vergessen wollte. »Du irrst dich, Syd.«, begann er. »Wenn zwei Menschen sich lieben…«
»Liebe?« unterbrach sie ihn und lachte bitter. »Liebe existiert nicht.« Er ging vor ihr in die Hocke und legte eine Hand auf ihr Knie. »Woher weißt du das so genau, wenn du es noch nicht versucht hast?« Sie starrte ihn schweigend an. Zärtlichkeit und dieses andere Gefühl, dessen Existenz sie leugnete, standen in seinen Augen. »Du machst dir nur selbst etwas vor«, sagte sie und stand auf. Sie brauchte Platz zum Atmen. Warum gab er nicht endlich diese lächerliche Idee auf und war einfach nur ihr Freund? »Nein, das tue ich nicht«, widersprach er und richtete sich auf. »Nicht in unserem Fall. Du liebst mich, aber du hast Angst.« Sydney schüttelte den Kopf. Sie liebte ihn nicht. Das konnte sie gar nicht. Sie mochte und schätzte ihn, aber lieben? Niemals wieder würde sie sich selbst zur Figur in einem Spiel machen, dessen Regeln sie nicht verstand. Die Narben, die sie aus der letzten Runde davongetragen hatte, waren eine schmerzliche Warnung, was passieren konnte, wenn sie jemandem vertraute. »Liebe ist eine Erfindung von Grußkartenherstellern und Floristen, um den Umsatz zu steigern«, sagte sie. »Du bist doch Wissenschaftler. Du solltest es besser wissen, als an die Existenz von etwas zu glauben, das nicht bewiesen werden kann.« »Liebe kann nicht empirisch nachgewiesen werden, da gebe ich dir Recht. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht existiert.« »Es geht hier doch gar nicht um Liebe«, sagte sie böse. »Du hast dir nur eingeredet, du wärst der Vater meines Kindes. Und aus mir unerfindlichen Gründen willst du daraus die Konsequenzen ziehen. Aber selbst wenn es dir um Liebe ginge, dann kann ich nur sagen, dass ich klüger bin als die Dummköpfe, für die Liebe die Erklärung
für…« Er trat zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Die Erklärung für was, Syd?« Sie spürte die Wärme seiner Hände durch den dünnen Stoff ihres Kleides und erschauerte. »Für die Wärme, die du empfindest, wenn du mich siehst?« fuhr er fort. »Für das Prickeln, das du spürst, wenn ich dich berühre?« Er streichelte ihr sanft über die Wange. »Dafür, dass du in der Nacht wach liegst und dir vorstellst, mit mir zu schlafen?« »Das ist nur Lust«, erwiderte sie unsicher. »Oh nein, es ist viel mehr, und das weißt du genau. Aber du bist so sehr damit beschäftigt davonzulaufen, dass du die Wahrheit nicht erkennen kannst.« »Nein«, sagte sie trotzig und wich ein paar Schritte von ihm weg. Weg von der Wärme und der Verwirrung. »Wir sind Freunde. Das ist alles, was wir sein können.« »Wir sind sehr viel mehr als Freunde, das kannst selbst du nicht leugnen.« Derek hatte Recht. Sie hatten die Grenze der Freund schaft bereits überschritten, und es gab kein Zurück mehr. Aber sie konnte diesen Weg auch nicht weitergehen. Nicht, wenn auch nur die leiseste Möglichkeit bestand, dass er nicht der Vater des Babys war. Sie würde ihr Kind nicht der schmerzvollen Erfahrung aussetzen, von jemandem zurückgewiesen zu werden, den es liebte und dem es vertraute. »Derek, bitte, ich will nicht…« »Nein, Syd«, unterbrach er sie. »Diesmal lasse ich nicht zu, dass du vor der Wahrheit davonläufst. Ich weiß, dass du mich liebst.« »Nein!« Sie schrie es fast. »Wovor hast du Angst?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe keine Angst, weder vor dir noch vor sonst jemandem.«
»Das klingt nicht sehr überzeugend«, sagte er hart. »Was ist in Kentucky mit dir passiert?« Er konnte es nicht wissen. Sydney hatte es niemandem erzählt. Niemand wusste, wie sie in die Falle gegangen war und was Nicholas ihr angetan hatte. Niemand wusste, wie sehr sie selbst und, schlimmer noch, ein unschuldiges Kind unter dem Verhalten dieses Mannes gelitten hatten. Nicht einmal Rachel, und die war immer hin ihre engste Freundin. »Ich… Nichts ist passiert. Es geht dich nichts an.« Derek ging zu ihr und umfasste ihr Gesicht mit den Händen. »Was hat er dir angetan?« »Er ist Vergangenheit. Es ist vorbei«, antwortete sie mit erstickter Stimme. »Gar nichts ist vorbei. Er steht hier zwischen uns, weil du ihn nicht gehen lässt.« Sie entzog sich ihm und ging in die andere Ecke des Raumes. »Seit wann versuchst du dich in Psychoanalyse?« »Man muss kein Psychoanalytiker sein, um zu erken nen, dass dieser Mann dich immer noch davon abhält, glücklich zu sein.« »Da irrst du dich gewaltig, Sigmund Freud. Ich bin sehr glücklich. Ich habe eine gut gehende Praxis und ein schönes Zuhause. Ich habe alles, was man zum Glück braucht.« »Materielle Besitztümer können die Zuneigung eines Menschen nicht ersetzen.« Streitlustig hob sie das Kinn. »Ich brauche niemanden. Ich brauche nur mich selbst.« »Da irrst du dich gewaltig. Jeder braucht an einem be stimmten Punkt seines Leben einen anderen Menschen. Du bist da keine Ausnahme. Wenn du nicht so furchtbar störrisch und dickköpfig wärst, würdest du das auch einsehen.« Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Raum.
Sydney zuckte zusammen, als sie die Eingangstür ins Schloss fallen hörte. Sie hatte das Gefühl, Derek zum letzten Mal gesehen zu haben, und sie kämpfte gegen einen Anflug von Panik an. »Du bist es, der sich irrt«, flüsterte sie in die Stille hinein. Sie war dankbar, dass Derek den Zweifel in ihrer Stimme nicht mehr hören konnte. Sydney schlug die Bettdecke zurück. Seit der Mitter nachtsfütterung der Welpen hatte sie jede Hoffnung auf Schlaf aufgegeben. Zwei Stunden lang hatte sie sich bereits unruhig hin und her geworfen. Nun konnte sie es nicht länger ertragen, im Bett zu liegen, zur Decke zu starren und an Derek zu denken. Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und ging durch das dunkle Haus in die Küche. Vielleicht würde eine Tasse Tee ihre Nerven beruhigen. Sie schaltete das Küchenlicht ein und tapste über den klebrigen Boden zum Herd, um Wasser aufzusetzen. Dann öffnete sie die Hintertür und trat hinaus in die laue Nachtluft. Während sie den Großen Bären suchte, überlegte sie, was an diesem Abend zwischen Derek und ihr falsch gelaufen war. Natürlich konnte sie nicht leugnen, dass die Anzie hungskraft, die sie beide aufeinander ausübten, jenseits einer Freundschaft lag. Sie hatte keine Ahnung, was sie gegen diesen Strudel von Gefühlen tun sollte, in den sie hineingezogen wurde. Sie wusste nur, dass sie entsetzli che Angst davor hatte. Dass sie Sex miteinander gehabt hatten, machte ihr keine Schwierigkeiten. Die körperliche Nähe ihrer Beziehung war leicht zu akzeptieren. Es waren seine Forderungen nach einer tiefer gehenden Verbindung, die sie erschreckten. Das schrille Pfeifen des Teekessels riss sie aus ihren
Gedanken. Sydney ging in die Küche zurück und brühte sich einen Tee auf. Da fürs Erste an Schlaf nicht zu denken war, beschloss sie, ihren Tee im Wohnzimmer zu trinken und dabei die Wäsche zu falten, die Derek so fürsorglich für sie gewaschen hatte. Sie nahm die Wäsche aus dem Trockner in einen Korb und ließ sich dann auf dem Sofa nieder. Nachdem sie den Fernseher eingeschaltet und sich durch einige Programme gezappt hatte, blieb sie bei einem alten Film mit Clark Gable und Claudette Colbert, den sie schon oft gesehen hatte und immer noch sehr mochte. Sie war entschlossen, keinen Gedanken mehr an ihren Streit mit Derek zu verschwenden. Dieser Entschluss dauerte an, bis sie in den Wäsche korb griff und etwas herauszog, das einst eine teure, für die chemische Reinigung bestimmte Seidenbluse gewesen war. Entsetzt starrte sie auf ihre geliebte hellgrüne Bluse, die jetzt aussah, als würde sie Rachels achtjähriger Tochter passen. »Oh nein«, wimmerte sie, als ihr klar wurde, dass Derek die Kleidungsstücke gewaschen hatte, die sie extra für die Reinigung beiseite gelegt hatte. Traurig blickte sie auf ihren Lieblingspullover aus weißer Schurwolle, der nun einer Puppe gepasst hätte: Obwohl sie den Pullover im Ausverkauf erstanden hatte, war er immer noch sehr teuer gewesen. Sydney gab selten viel Geld für Kleider aus, und dieser Pullover war eine Ausnahme gewesen. Sie hatte die enorme Summe schweren Herzens nur deshalb ausgegeben, weil sie sich in das wunderschöne Stück verliebt hatte. »Dieses Scheusal!« entfuhr es ihr. Aber er hat es doch nur gut gemeint, sagte sie sich und versuchte, ruhig zu bleiben. Was sollte sie auch tun? Der Schaden war bereits angerichtet. Angewidert warf sie den Puppenpullover wieder in den Wäschekorb, trank einen
Schluck Tee und wandte ihre Aufmerksamkeit Clark Gable zu. Aber es fiel ihr schwer, sich auf den Film zu konzentrie ren. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Derek, der ihre kostbarsten Kleidungsstücke ruiniert und ihren Garten verwüstet hatte. Derek, in dessen Nähe sich ihr Puls be schleunigte. Derek, dessen Bild sie immer wieder vor Augen hatte und dem sie einfach nicht böse sein konnte. Irgendetwas hatte sich in ihr verändert, und das beunruhigte sie zutiefst. In Dereks Lieblingskneipe war es für einen Donnerstag abend ungewöhnlich ruhig. Das Semester neigte sich dem Ende zu, und viele Studenten und Professoren hatten Seattle bereits verlassen, um nach Hause zu fahren oder Ferien zu machen. Seit ihrem Streit am Montagabend hatte Derek nichts von Sydney gehört. Bei seiner Stimmung war das auch ganz gut so. Sie war mit Abstand die dickköpfigste Frau, die er je getroffen hatte. Im Moment war er noch so verwirrt und ratlos, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. »Zweimal in einer Woche? Da muss es um eine Frau gehen.« Derek sah von seinem Bierglas auf und blickte in Leo nards gutmütiges Gesicht. »Wie kommen Sie darauf?« Leonard stütze die Ellenbogen auf die Theke. »Sie sehen so aus, Professor.« Derek war nicht nach einem Gespräch unter Männern zu. Mute, aber Leonard machte keine Anstalten, ihn allein zu lassen. Ganz im Gegenteil, er signalisierte der Kellnerin, ihnen zwei Bier zu bringen. Derek zuckte resigniert die Schultern und fügte sich in sein Schicksal. »Wie sehe ich denn aus?« Leonard grinste. »Sie sehen nach einem gebrochenen Herzen aus. Wenn man so viel Zeit hier verbringt wie ich, lernt man die Zeichen zu deuten.«
»Sie hat mir nicht das Herz gebrochen«, knurrte Derek unwirsch und starrte wieder in sein Bierglas. Leonard nickte der Kellnerin dankend zu und stellte ein volles Glas vor Derek. »Dann war es wohl ein kleiner Streit unter Liebenden. So etwas kommt in den besten Familien vor.« »Netter Versuch, aber leider falsch geraten.« »Sie hatten einen ernsthaften Streit, und sie hat Sie hinausgeworfen«, meinte Leonard und kramte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche seiner Lederjacke. »Das ist es auch nicht«, sagte Derek und nahm einen Schluck Bier. Er hatte eigentlich gehofft, Sydney käme zur Besinnung und gäbe zu, dass er Recht hatte. Aber es waren drei Tage verstrichen, ohne dass etwas in dieser Richtung geschehen wäre. Nun musste er vor sich selbst zugeben, dass er am Ende seiner Weisheit angelangt war. Er wusste sich keinen Rat mehr. »Sie ist ein furchtbarer Dickkopf und sieht nicht, was vor ihren Augen geschieht.« Leonard nickte verständnisvoll. »Beziehungen bedeuten immer harte Arbeit.« »Da genau liegt mein Problem. Ich möchte eine Bezie hung. Sie sagt, dass sie keine will.« »Aber Sie sind der Überzeugung, dass sie eigentlich doch eine Beziehung will.« »Ich weiß es«, erklärte Derek scharf. »Und Sie wissen auch, dass für eine gut funktionierende Beziehung gegenseitiges Vertrauen nötig sind.« »Ja, natürlich. Aber es gelingt mir nicht, sie davon zu überzeugen.« Leonard zog nachdenklich an seiner Zigarette. »Sie müssen herausfinden, warum sie die Verpflichtung scheut.« »Das habe ich schon versucht.« »Haben Sie sie direkt danach gefragt?« Derek dachte an ihren Streit und nickte.
»Tja, wenn Sie diese Frau wirklich lieben, zeigt sich das in Ihrem Verhalten. Und möglicherweise wird sie das auch erkennen.« »Ich habe alles ausprobiert, aber nichts hatte die gewünschte Wirkung.« Dann berichtete Derek ausführlich von seinem Heiratsantrag, seiner Aufzählung der plausiblen Argumente für eine Ehe und den Arbeiten, die er in Sydneys Haus und Garten erledigt hatte. Als er geendet hatte, schüttelte Leonard bedenklich den Kopf und lachte laut. Damit erweckte er die Aufmerksam keit der Kellnerin, die neugierig näher kam. »Professor«, sagte Leonard. »Sie müssen noch viel über Frauen lernen. Sie wollen Romantik.« »Wer will Romantik?« erkundigte sich die Kellnerin. »Die Freundin des Professors«, antwortete Leonard und ignorierte Dereks warnenden Blick. »Sie meinen Blumen, Geschenke und Komplimente?« fragte die Kellnerin, während sie ein Glas polierte. Leonard nickte zur Antwort. »Nein«, widersprach Derek. »Keine Chance. Nicht bei ihr.« Die Kellnerin bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »Warum denn nicht? Sie ist doch eine Frau. Sie möchte spüren, dass sie für Sie etwas Besonderes ist.« »Ich habe doch versucht, ihr immer wieder zu zeigen, was ich für sie empfinde«, sagte Derek ungeduldig. Sein Rücken tat ihm von der Gartenarbeit immer noch weh. Außerdem hatte er seine Lieblingsschuhe dabei ruiniert. »Haben Sie es ihr gesagt?« wollte die Kellnerin wissen. »Ja, natürlich. Und es hat nicht den geringsten Eindruck gemacht.« Leonard legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Dann haben Sie es falsch angefangen. Sie müssen es auf eine andere Art probieren. Jede Frau hat einen schwachen Punkt, wenn es um Romantik und Liebe geht.« »Versuchen Sie es mit Romantik«, riet die Kellnerin und
verließ die Theke, um Tische abzuwischen. »Da hören Sie es«, bekräftigte Leonard. »Außerdem, was haben Sie schon zu verlieren?« Nichts, dachte Derek. Und doch alles.
8. KAPITEL Nach einem hektischen Tag nahm Sydney sich die Zeit, die quirligen Welpen bei ihren Eskapaden zu beobachten. Die verwaisten Hundebabys waren nun vier Wochen alt, nahmen feste Nahrung zu sich und wuchsen so schnell, dass man beinahe dabei zusehen konnte. Sie begannen bereits Persönlichkeit zu entwickeln. Ein lebhafter schwarzer Rüde hatte sich selbst zum Anführer gemacht, bis die kleine gefleckte Hündin, die es Rachel so sehr angetan hatte, seinem Dominanzgehabe nachdrücklich ein Ende bereitet hatte. »Das ist ein Mädchen nach meinem Geschmack«, sagte Rachel anerkennend und lachte, als die Gefleckte ihren schwarzen Konkurrenten mit gezielten Pfotenschlägen zur Ordnung rief. »Du solltest deine Töchter mal mitbringen, damit sie mit den Welpen spielen können«, sagte Sydney und hob den schwarzen Rüden vorsichtig hoch. Sie musste lächeln, als der kleine Hund versuchte, in ihre Armbanduhr zu beißen. »Sie sind jetzt alt genug und könnten etwas mehr menschli che Gesellschaft gebrauchen.« Rachel blickte sie argwöhnisch an. »Du willst mir doch nicht etwa einen Welpen aufhalsen? Die Kinder mitzubrin gen wäre der sicherste Weg, dass ich mindestens einen nehme.« Sydney lächelte ihre Assistentin augenzwinkernd an. »So etwas Heimtückisches würde ich nie machen. Aber vielleicht solltest du Steve auch mitbringen.« Rachel griff in die Welpenbox und nahm die Gefleckte
auf den Arm. »Er hat bei der Entscheidung nicht mitzure den, weil ich diejenige bin, die sich um die Kleine kümmern müsste.« »Hast du schon einen Namen für sie ausgesucht?« fragte Sydney mit einem verschmitzten Grinsen. Rachel hob den Hund hoch. »Sie sieht aus wie eine Alana, findest du nicht auch?« Die beiden Frauen lachten. Rachel nahm den Welpen wieder in die Arme und streichelte ihn. »Was ist eigentlich mit dir und Dr. Buchanan?« fragte sie beiläufig. »Ich habe ihn in der letzten Zeit gar nicht mehr gesehen.« Sydney betrachtete nachdenklich den Hund in Rachels Armen und seufzte. Sie wusste keine rechte Antwort. Seit dem Streit vor zwei Wochen hatte sie kein Wort von Derek gehört. Sie vermisste ihn sehr, darüber konnte sie sich nicht hinweg täuschen. Sie sehnte sich nach seinem Lachen, seiner Nähe und sogar nach den gut gemeinten, aber katastrophalen Versuchen, sie von einer Ehe zu überzeugen. Und sie sehnte sich nach seinen Küssen und Berührungen. »Wir hatten eine Auseinandersetzung«, sagte sie schließ lich. Sie war froh, mit jemandem über die bedrückende Angelegenheit sprechen zu können. »Oh«, machte Rachel. »Eine schlimme Auseinanderset zung?« Sydney nickte. »Ich fürchte, ja. Er hat mir vorgeworfen, ich wäre störrisch und dickköpfig.« »Störrisch? Du? Wie kommt er nur auf so etwas?« fragte Rachel mit gespielter Überraschung. »Ich habe meine Gründe«, murmelte Sydney unwillig. Sie wollte diese Gründe mit niemandem diskutieren. Nicholas war ein Kapitel in ihrem Leben, über das sie nicht sprechen konnte. Es war nicht so, dass sie die Erinne rung an ihn bewahrte. Sie wollte nur die Lektion nicht vergessen, die sie durch ihn gelernt hatte. Selbst wenn es
dazu führte, dass Derek sie für störrisch und uneinsichtig hielt. Rachel setzte das gefleckte Hundebaby wieder zu seinen Geschwistern. »Sind diese Gründe ausreichend dafür, dich von dem Mann zu trennen, in den du verliebt bist?« »Ich bin nicht in ihn verliebt!« erwiderte Sydney heftig. »Natürlich nicht.« »Ich bin es nicht, Rachel. Ich glaube nicht an die Liebe.« Rachel musterte sie mit einem nachdenklichen Blick. »Ich glaube, dass du nur Angst davor hast, verletzt zu werden. Das kann ich gut verstehen. Aber denk auch daran, was du verlierst, wenn du ihn gehen lässt. Willst du den Rest deines Lebens damit verbringen, dich zu fragen, was geschehen wäre, wenn du den Mut zu einer Beziehung gehabt hättest?« Sydney zog die Brauen zusammen. Was würde gesche hen, wenn sie Dereks Heiratsantrag annahm? Immerhin bestand die Möglichkeit, dass er diesen Schritt irgendwann bereuen und sie zurückweisen würde. Oder das Kind, wenn er entdeckte, dass er doch nicht der Vater war. Aber wenn sie bei ihrer Ablehnung blieb und er tatsäch lich der Vater war, würde sie ihrem Kind dann nicht einen liebevollen, fürsorglichen Vater vorenthalten? Rachel spürte, dass Sydney nicht weiter über dieses Thema sprechen wollte, und verabschiedete sich. Sydney sah noch nach dem Golden Retriever, den sie in Pension hatte, und dann schloss sie die Praxis ab. Schweren Herzens ging sie zu ihrem Cottage. Die Aus sicht darauf, eine weitere Nacht grübelnd und allein verbringen zu müssen, bedrückte sie. Als sie den mit Steinen gepflasterten Weg überquerte und sich einige der Steine unter ihren Füßen bewegten, musste sie unwillkürlich lächeln. Vielleicht sollte sie Derek ganz einfach anrufen. Er könnte sie wohl kaum noch störrisch nennen, wenn sie den ersten Schritt zu einer
Versöhnung unternahm. Sie trat auf die Veranda und erblickte vor der Eingangs tür eine Vase mit roten Rosen. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Eilig ging sie die Stufen hinauf, nahm die Vase hoch und schnupperte an ihrem duftenden Inhalt. Sie musste nicht erst auf die zwischen den Blüten steckende Karte blicken, um sie wissen, dass der Strauß von Derek war. Dennoch las sie die sorgfältig geschriebenen Worte, denen zu entnehmen war, dass Derek sie um acht Uhr zu einem gemeinsamen Abendessen abholen würde. Wie raffiniert, dachte sie. Es blieb ihr wohl kaum etwas anderes übrig, als diese romantische Einladung anzuneh men. Sie hatte nur eine Stunde Zeit, bis Derek eintreffen würde. Also brachte sie schnell die Vase ins Wohnzimmer und ging dann unter die Dusche. Gegen ihre Aufregung und die erwartungsvolle Vorfreude konnte sie nichts tun. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass Derek und sie sich vielleicht auf eine lockere Liebesbeziehung einigen könnten. Sie konnte es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen. Derek hatte lange überlegt; wie er es anstellen sollte, Sydney wieder näher zu kommen. Er war zu dem Schluss gelangt, dass er es, nachdem alle anderen Versuche gescheitert waren, ebenso gut mit Romantik probieren könnte. Auch wenn seine wissenschaftlichen Grundprinzi pien damit nicht in Einklang zu bringen waren, war eine solche Vorgehensweise einen Versuch wert. Außerdem wusste er keinen anderen Rat mehr. Er liebte Sydney, und er musste sie um jeden Preis endlich davon überzeugen, dass sie füreinander geschaffen waren. Pünktlich um acht Uhr parkte er seinen Wagen neben ihrem Jeep und stellte den Motor ab. Er hatte ihr zwölf rote Rosen bringen lassen und einen Tisch in einem hervorragenden Fischrestaurant mit Aussicht auf die
genden Fischrestaurant mit Aussicht auf die Bucht reserviert. Nun stieg er aus dem Wagen und überprüfte mit einem kurzen Griff in seine Jackentasche, dass er die weiße Schachtel aus einem renommierten Juweliergeschäft nicht vergessen hatte. Er hatte sogar kurz daran gedacht, Sydney ein Gedicht zu schreiben. Aber dazu fehlte ihm ganz einfach das Talent, wie er nach einigen Versuchen resigniert festgestellt hatte. Er versteckte die einzelne Rose, die er ihr noch schenken wollte, hinter seinem. Rücken und klingelte. Mit jeder Sekunde, die er wartete, wurde er nervöser. Aber als Sydney schließlich die Tür öffnete, verschwand die Nervosi tät, und ein anderes Gefühl gewann die Oberhand. Sie war einfach wunderschön. Ihr dunkles Haar wurde von silbernen Spangen zurückgehalten, und an ihren Ohrläppchen funkelten zwei kleine Smaragdstecker. Sie trug ein enges schwarzes Kleid, das ihre wundervollen Schultern frei ließ. Schwarze Seidenstrümpfe betonten ihre langen, schlanken Beine. »Du siehst atemberaubend aus«, sagte er mit vor Begierde heiserer Stimme. Sie lächelte. »Vielen Dank, Derek. Komm herein.« War es Einbildung, oder hatte ihre Stimme einen verfüh rerischen Unterton gehabt? Derek schluckte hart und rief sich seinen wichtigsten Grundsatz ins Gedächtnis: Er würde so lange nicht mit ihr schlafen, bis sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Er verscheuchte alle erotischen Fantasien aus seinen Gedanken und räusperte sich. »Lass uns gehen. Wir haben eine Reservierung.« Sydney nickte und nahm ihre Jacke vom Haken. Dereks Blick fiel auf den Saum ihres Kleides, das provozierend viel Bein zeigte. Er schloss für einen Moment die Augen. Wenn das so weiterging, lief er Gefahr, an diesem Abend mehr als einen eisernen Grundsatz fallen zu lassen.
Sie schloss die Tür ab, blickte ihn an und fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Vielen Dank für die wunder schönen Rosen.« »Es war mir ein Vergnügen.« Rosen! Das hätte er fast vergessen. Er reichte ihr die Rose, die er hinter dem Rücken gehalten hatte. Anmutig nahm sie die langstielige Blume entgegen und schnupperte mit geschlossenen Augen daran. Als sie ihn dann ansah, traf ihn ihr Blick bis ins Mark. Wenn er gewusst hätte, dass Rosen so viel Leidenschaft bei ihr auslösten, hätte er einen ganzen Garten für sie angelegt. Derek legte ihr die Hand auf den Rücken und geleitete sie zu seinem Wagen. Er hielt ihr die Tür auf, während sie einstieg. Der Saum ihres Kleides rutschte dabei nach oben und erlaubte ihm einen Blick auf den spitzenbesetzten Rand der Seidenstrümpfe. Er war sich nicht sicher, wie viel davon er noch ertragen konnte, ohne alle guten Vorsätze zu vergessen. Reiß dich zusammen, schalt er sich. Du hast eine lange Nacht vor dir. Eine sehr lange Nacht. Sydney saß vor ihrem gemischten Salat und blickte Derek von der Seite her an. Sein Gesicht wirkte im Schein der Kerzen unergründlich. Er berichtete ihr von seinem neuen Forschungsprojekt und dem Karriereschub, denn man hatte ihm die Leitung dafür übertragen. Natürlich freute Sydney sich sehr für ihn, aber sie überlegte fortwährend, was er an diesem Abend im Sinn hatte. Er tat, als ob nie etwas zwischen ihnen passiert wäre, als ob sie nicht gestritten und sich zwei Wochen lang nicht gesehen hätten. Aber das war nicht ihre einzige Sorge. Sie hatte genau gespürt, dass ihre Aufmachung und ihr Verhalten den gewünschten Eindruck auf Derek gemacht hatten. Dass er nun zur gewohnten Routine zurückgekehrt
war, verletzte ihren weiblichen Stolz. Seit sie das elegante Restaurant betreten hatten, schien sein erotisches Interesse an ihr erloschen zu sein. Sydney legte ihre Gabel beiseite und nahm einen Schluck Mineralwasser. Derek war damit beschäftigt, Pfeffer über seinen Salat zu streuen. »Jedenfalls«, sagte er und vertauschte den Pfeffer- mit dem Salzstreuer, »gibt es noch keine zufriedenstellende Erklärung für dieses Phänomen in unserem Planetensys tem.« »Derek?« »Da die Betastrahlung sehr…« »Derek!« Verwirrt blickte er von seinem Salat auf. »Oh, Entschul digung. Ich habe wieder eine Vorlesung gehalten.« »Stimmt«, erklärte sie trocken und setzte ihr Glas ab. An ihrem Handgelenk glänzte der schmale Goldreif, den er ihr geschenkt hatte. »Noch einmal vielen Dank«, sagte sie und strich mit dem Finger über das Schmuckstück. »Das war ein unerwartetes Geschenk, und ich freue mich sehr darüber.« »Und ich freue mich, dass er dir gefällt«, sagte er und nahm ihre Hand. »Zu schade, dass er nicht auf deinen Ringfinger passt.« Heftig zog Sydney die Hand weg. Warum konnten sie nicht einmal einen Abend miteinander verbringen, ohne dass er auf das leidige Thema Ehe zu sprechen käme? Wann würde er ihre Einstellung dazu endlich akzeptieren? »Derek, ich werde nicht…« »Wir müssen miteinander reden«, unterbrach er sie. »Worüber?« fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits wusste. »Über dich und mich. Und darüber, was mit dir in Kentu cky passiert ist.« Sydney seufzte. Also gut, sie würde es ihm erzählen.
Sonst würde er nie damit aufhören, sie zur Ehe überreden zu wollen. Aber sie fürchtete sich davor, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie hatte Angst vor seinem Urteil. »Vertrau mir, Syd.« Sie schloss kurz die Augen. Er hatte ja keine Ahnung, was er da von ihr verlangte. Vertrauen. Sie blickte ihn an. »Das ist nicht so einfach.« Derek legte die Hand auf ihre. »Du wärst überrascht, wie einfach es ist. Du musst es nur versuchen.« Mit der freien Hand griff sie nach dem Wasserglas und nahm einen Schluck. »Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll.« »Wie wäre es mit dem Anfang?« fragte er und streichelte sanft ihre Hand. »Wie hast du ihn kennen gelernt?« Sie wartete auf den Schmerz, der sie bei dem Gedanken an Nicholas immer überkam, und war überrascht, als sie nur ein quälendes Schuldgefühl verspürte. Vielleicht hatte sie diesen Mann doch nicht so sehr geliebt, wie sie damals geglaubt hatte. Und vielleicht hatte Derek Recht. Sie musste sich von diesem Albdruck befreien, damit er ihr Leben nicht weiter vergiftete. Sie holte tief Atem. »Nicholas Adams war Pferdetrainer«, begann sie langsam. »Er war einer der besten Renntrainer in Kentucky und arbeitete mit den erfolgreichsten Züchtern zusammen. Bei allen großen Rennen liefen Pferde mit, die von ihm trainiert worden waren. Und viele von ihnen gewannen. Ich lernte ihn kennen, als ich wegen einer Behandlung zu einem großen Rennstall gerufen wurde. Er war charmant und witzig, und es dauerte nicht lange, da begann ich eine Affäre mit ihm.« »Warum auch nicht?« Sie schlug die Augen nieder. »Na ja, es wurde mehr daraus. Er bat mich, ihn zu heiraten.« »Und du hast eingewilligt.« Sie nickte. »Ja, ich habe eingewilligt.«
»Was ist schief gegangen? Du hast ihn doch offenbar nicht geheiratet.« »Nein. Ich hätte ihn auch gar nicht heiraten können. Aber das habe ich damals nicht gewusst. Ich war in ihn verliebt. Jedenfalls bildete ich es mir ein.« Mit ihm habe ich nie dasselbe empfunden wie mit dir, dachte Sydney und erschrak. Derek blickte sie erwartungs voll an. »In den sechs Monaten unserer Verlobung war ich wie blind«, fuhr sie fort. »Es gab gewisse Anzeichen, aber ich war nicht in der Lage, sie zu erkennen.« »Welche Anzeichen?« »Kleinigkeiten, die ich ignorierte, weil der große Nicholas Adams vorgab, mich zu lieben. Er fuhr manchmal für eine oder zwei Wochen weg, ohne mir oder sonst jemandem mitzuteilen, wo er war. Bei seiner Rückkehr war er zuerst immer sehr distanziert. Aber dann war alles plötzlich wie vorher, und ich schwebte vor Glück auf Wolken.« Sie hielt kurz inne, um noch etwas Wasser zu trinken. »Er überzeugte mich davon, unsere Verlobung geheim zu halten. Angeblich fürchtete er, es könnte seiner Karriere schaden, wenn jemand davon wüsste. Ich habe vergessen, wie er es begründete, aber ich glaubte und vertraute ihm. Es hat sechs Monate gedauert, bis ich die Wahrheit erfuhr.« Derek drückte zärtlich ihre Hand. »Hatte er eine andere?« fragte er vorsichtig. Sie schüttelte den Kopf. »Schlimmer. Er war bereits verheiratet. Und er hatte ein Kind.« Der Zorn, der sich auf Dereks Gesicht abzeichnete, tröstete sie. »Wie hast du das herausgefunden?« »Mrs. Adams machte eines Tages einen Überraschungs besuch.« Sie schwieg, während der Kellner die Salate, die sie
kaum angerührt hatten, wegräumte und den Hauptgang auftrug. Sie zog die Hand zurück, ergriff ihre Gabel und stocherte in den Shrimps herum. »Sie reiste extra aus Ohio an, um ihren fünften Hochzeitstag mit ihrem Mann zu verbrin gen.« »Es tut mir so Leid, Syd«, sagte Derek leise. »Das muss es nicht«, sagte sie und legte die Gabel weg. »Es war meine eigene Dummheit. Ich wurde zu einem Rennstall gerufen, um nach einer Stute zu sehen. Als ich ankam, sah ich Nicholas von weitem mit dieser Frau. Er hatte den Arm um sie gelegt. Ich fragte Harold, den Besitzer des Rennstalls, wer die Frau sei. Er sagte es mir.« Derek schob seinen Teller beiseite und stützte die Arme auf den Tisch. Er hatte sich gedacht, dass Sydney auf irgendeine Weise von einem Mann verletzt worden war, aber damit hatte er nicht gerechnet. Langsam wurde ihm klar, warum sie sich geweigert hatte, über dieses Thema zu sprechen, und vor allem, seinen Antrag anzunehmen. Er verstand ihre Ängste. Aber er selbst gehörte nicht zu den Männern, die die eigene Frau betrügen und eine andere schamlos anlügen. »Und es war seine Frau?« Sie nickte. »Plötzlich war mir alles klar. Seine Reisen, seine Distanziertheit, die Geheimhaltung unserer Verlo bung.« Sie, schlug die Augen nieder. »Im ersten Moment dachte ich, dass sie vielleicht geschieden wären und er seine gescheiterte Ehe nicht eingestehen wollte. Aber dann sah ich seine Tochter und wusste Bescheid. Seine Frau sagte etwas, und er beugte sich vor und küsste sie. Ich beobachtete, wie er sie ansah. Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, ob er verheiratet oder geschieden war. Er sah sie genauso an, wie er mich oft angesehen hatte. Mit einem Schlag wurde mir klar, dass alles zwischen ihm und mir eine Lüge gewesen war.«
»Hast du mit ihm gesprochen?« fragte Derek mitfühlend. »Nicht sofort. Ich war zu sehr verletzt. Außerdem wollte ich seiner Frau und seiner Tochter nicht wehtun. Ich wollte nur noch in meinen Wagen steigen und wegfahren. Aber ich musste mich um die Stute kümmern. Ich war gezwun gen, zu bleiben und mich der Situation zu stellen.« »Was hat er getan?« »Oh, er war einer von den coolen, beherrschten Typen. Er tat so, als wäre ich nichts weiter als die Tierärztin, mit der er gelegentlich zu tun hatte. Es war widerlich.« »Dieser Mistkerl! Ich könnte ihn dafür umbringen, dass er dich verletzt hat!« »Ich war mehr als verletzt. Und ich habe mich ge schämt.« »Geschämt? Aber du hast nichts getan, dessen du dich hättest schämen müssen!« Sie lachte freudlos. »Nein, ich war nur die klassische Geliebte.« »Aber wenn du es gewusst hättest, dann hättest du die Affäre doch beendet.« »Ja, sicher. Trotzdem, ich hätte es wissen müssen. Ich hätte aufmerksamer sein müssen. Wie gesagt, Anzeichen gab es genug. Ich hatte nur beschlossen, sie zu ignorieren. Weil ich mit eingebildet habe, dass ich ihn lieben würde. Und er mich. Es war ein ziemlicher Reinfall.« Derek blickte sie liebevoll an. »Aber du hast mit ihm gesprochen?« »Oh ja. Ich habe mir seine Ausflüchte angehört, ihm die Leviten gelesen, meine Sachen gepackt und mich auf den Weg zurück nach Seattle gemacht.« »Es darf nicht sein, dass eine schlechte Erfahrung dein Leben bestimmt, Syd. Du musst das hinter dir lassen.« Denn vorher würde Sydney ihm niemals ihre Liebe und ihr Vertrauen schenken können, das wusste Derek. »Oh, ich habe es hinter mir gelassen und meine Lektion
gelernt. Liebe ist nur eine Illusion.« Er lächelte. »Da machst du einen großen Fehler.« »Wirklich?« Sie blickte ihn skeptisch an. »Hast du gehört, was ich dir erzählt habe?« »Jedes Wort«, erwiderte er mit erzwungener Geduld. Wenn er jetzt heftig reagierte, würden sie nur wieder streiten. »Du hast kein Problem mit der Liebe, du kannst nur niemandem vertrauen.« Sydney lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der Brust. »Aha. Da sind wir also wieder bei deinem Lieblingsthema. Und wie sieht die Analyse diesmal aus, Doktor Freud?« Derek ignorierte ihren Sarkasmus. »Ob du in diesen Mann verliebt warst oder nicht, spielt keine Rolle. Du hast ihm vertraut, und er hat dieses Vertrauen missbraucht.« »Und zu welchem Schluss kommst du?« »Du hast Angst davor, jemandem zu vertrauen.« Sie blickte ihn ernst an. »Das ist nicht wahr. Ich kann sehr wohl vertrauen. Ich vertraue dir.« »Tust du das wirklich?« Sie verzog missbilligend das Gesicht. »Sei nicht dumm. Natürlich vertraue ich dir.« Er beugte sich vor. »Dann beweise es mir.« Sie senkte den Blick und machte sich an ihrer Serviette zu schaffen. Als diese ordentlich gefaltet war, widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem Wasserglas. »Vertrau mir«, sagte er eindringlich, nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerspitzen. Sie wollte ihm ihre Hand entziehen, aber er ließ sie nicht los. Stattdessen beugte er sich noch weiter vor, umfasste ihr Kinn und küsste sie, noch ehe sie einen Protest murmeln konnte. »Vertrau mir«, wiederholte er beharrlich, als ihre Lippen sich voneinander gelöst hatten. »Ich würde dir niemals wehtun. Ich würde dich nie belügen. Aber du
musst mir vertrauen.« »Ich…« Er legte ihr einen Finger über die Lippen. »Du musst etwas für mich tun.« »Was?« fragte sie verwirrt. Derek hatte die dunkle Ahnung, dass er den nächsten Schritt bereuen würde. Aber ihm war, als sei er in einem rasenden Zug und könnte die Notbremse nicht finden. Er musste ihr beweisen, dass sie ihm vertrauen konnte. »Zieh deinen Slip aus«, sagte er leise. Er hatte das Gefühl, dass der Zug gerade entgleiste.
9. KAPITEL Sydney war wie erstarrt. »Was soll ich tun?« Sie blickte sich um und vergewisserte sich, dass niemand Dereks skandalöses Anliegen gehört hatte. Die anderen Gäste aßen ungerührt weiter und schenkten ihnen keine besondere Beachtung. Sydney atmete erleichtert auf. Sie wandte sich wieder Derek zu. Hatte sie sich vielleicht verhört? Sie sah ihn fragend an. »Zieh deinen, Slip aus und gib ihn mir«, wiederholte Derek ernst. Sie schluckte. »Warum?« fragte sie gepresst. Er strich sanft über ihre Wange. »Du hast gesagt, dass du mir vertraust.« »Ich… ich dachte… ich weiß nicht«, stammelte sie. Vertraute sie ihm? Konnte sie ihm vertrauen? Er streichelte über ihre Wange, ihren Hals bis hinunter zum Ansatz ihrer Brüste. »Tu es einfach. Beweis mir, dass du mir vertraust.« In seinen Augen stand die reine Begierde. Sydney spürte, wie sich seine Erregung auf sie übertrug. Eine Welle der Sinnlichkeit überschwemmte sie. Sie kam sich leichtsinnig und sehr unanständig vor und stellte plötzlich
fest, dass ihr diese Situation großes Vergnügen bereitete. Lässig zuckte sie mit den Schultern, als ob sie ihre Unterwäsche immer in einem öffentlichen Restaurant auszuziehen pflegte, wenn sie in der Stimmung dazu war. Sie blickte Derek unverwandt an, während sie unter dem Tisch langsam ihr Kleid hochschob und sich den schwar zen Spitzenslip von den Hüften streifte. Derek beobachtete fasziniert, wie sie mit geschmeidigen Bewegungen seine unmoralische Bitte erfüllte. Sie blickte kurz um sich und reichte Derek unter dem Tisch den Slip. Sie fühlte die Seide ihres Kleides auf der nackten Haut, und eine neue Welle der Erregung ließ sie aufseufzen. Derek nahm ihr den Slip ab. Die schwarzen Spitzen fühlten sich zwischen seinen Fingern unerhört sexy an. Die ganze Situation war ungeheuer erotisch. Er musste sich sehr beherrschen, um nicht in aller Öffentlichkeit über Sydney herzufallen. »Und was jetzt?« fragte Sydney leise. »Jetzt essen wir unser Abendessen weiter«, antwortete er und steckte den Slip in die Innentasche seine Jacketts. Er glaubte doch nicht etwa, dass sie auch nur einen Bissen hinunterbrachte? Sie schürzte die Lippen. »Was für ein Spiel treibst du da mit mir, Derek?« Sorgfältig löste er ein Stück Hummer aus der Schale. »Das ist kein Spiel. Ich will dir nur zeigen, dass du mir vertrauen kannst.« »Indem du mich bittest, in aller Öffentlichkeit meine Unterwäsche auszuziehen?« Er lächelte, tauchte den Hummer in die Soße und hielt ihr die Gabel hin. »Probier mal.« Sie beugte sich vor, öffnete den Mund und nahm den Bissen. Was hatte er nur vor? »Wie fühlt sich das an?« fragte er leise. »Weich. Cremig. Lecker.« »Nicht der Hummer. Der Stoff.«
Also gut, dachte sie. Ich spiele mit. »Warm und… pri ckelnd. Und ziemlich feucht«, antwortete sie mit einem unverfrorenen Lächeln. »Du spielst nicht fair«, flüsterte Derek mit vor Erregung heiserer Stimme. Sie spießte einen Shrimp auf die Gabel und hielt sie ihm vor den Mund. »Du hast angefangen.« Er lachte und nahm den Shrimp. »Jetzt bist du dran. Was für ein Gefühl ist das für dich?« fragte sie herausfordernd. »Heiß. Pulsierend. Aufregend.« »Und hart?« fragte sie mit halb geschlossenen Lidern. »Sag du es mir.« Er nahm ihre Hand und legte sie auf seinen Oberschenkel. Bevor sie wusste, was sie tat, tastete sie mit spitzen Fingern langsam sein Bein hinauf, bis sie die Antwort wusste. Derek hielt die Luft an. »Sehr hart«, flüsterte sie, und ihr Herz klopfte wild. »Wir müssen gehen, und zwar sofort. Wenn nicht, werfen sie uns hinaus. Oder sie lassen uns verhaften.« »Und was ist mit dem Dessert?« fragte er und nahm ihre Hand, um sie behutsam von der heiklen Stelle zwischen seinen Beinen zu entfernen. »Was das Dessert anbelangt«, begann sie und pustete sacht in sein Ohr, »musst du mir vertrauen.« Wie hatte sie das nur angestellt? Irgendwie und irgendwann hatte Derek die Kontrolle verloren, ohne dass er sagen konnte, was genau Sydney getan hatte. Er blickte sie von der Seite an und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. Sie sah aus dem Fenster auf die Lichter der Stadt und wirkte gelassen und ruhig, als ob sie einen ganz normalen Abend in einem schicken Restaurant verbracht hätten. Dabei war Derek so aufgewühlt, dass er an nichts anderes als an ihren Slip in seiner Tasche
denken konnte. Sydney schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß zum Rhythmus der Rockmusik, die aus dem Autoradio erklang. Wieder warf er ihr einen kurzen Blick zu. Diese Frau war unglaublich verführerisch. Derek hatte jetzt ernsthaf te Schwierigkeiten. Sein Vorsatz, nicht mehr mit ihr zu schlafen, war schon fast vergessen. Es schien nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, einfach wegzufahren, nachdem er Sydney nach Hause gebracht hatte. Er wollte nichts anderes mehr, als sie aufs Bett zu werfen und bis zur Erschöpfung zu lieben. Als er vor ihrem Haus anhielt, hatte er immer noch keinen Entschluss gefasst. Er legte die Hände auf das Steuer und sah sie an. Ihr Blick sagte ihm, dass sie auch nichts anderes im Sinn hatte, als mit ihm ins Bett zu gehen. Dieser Blick verfehlte seine Wirkung nicht. Derek wurde es abwechselnd heiß und kalt. Mühsam widerstand er dem Impuls, sie auf den Rücksitz zu zerren und ihr das Kleid vom Körper zu reißen. Er kam sich wie ein liebestoller Teenager vor. Was er brauchte, waren frische Luft und eine kalte Dusche. Hastig stieg er aus dem Wagen und atmete tief durch. Er ging zur Beifahrertür und half Sydney beim Aussteigen. Wie zufällig streifte sie ihn dabei mit der Hüfte. Sein Pulsschlag beschleunigte sich. Mit einem provozierenden Hüftschwung ging sie an ihm. vorbei auf das Cottage zu. Er folgte ihr und konnte den Blick nicht von ihren schwingenden Hüften abwenden. Er dachte nur daran, dass sie unter ihrem schwarzen Kleid fast nackt war. »Junge, du hast ein ernstes Problem«, murmelte er, während er die Verandatreppe hinaufging. Sydney lehnte mit dem Rücken am Verandageländer und
blickte ihn herausfordernd an. Die Hände hatte sie auf das Geländer hinter sich gelegt. Unter dem dünnen schwar zen Stoff des Kleides zeichneten sich deutlich ihre Brüste ab. Derek fiel das Atmen schwer. Er stellte sich vor sie und legte die Arme um sie. Die Wärme ihres Körpers überwäl tigte ihn fast. Sie öffnete die Lippen und wartete auf seinen Kuss. Und er küsste sie. Lange, fordernd und begierig. Sydney erwiderte seinen Kuss so heftig und leidenschaft lich, dass es an ihren Absichten keinen Zweifel mehr geben konnte. Sie wollte ihn auf die intimste und sinnlichs te Weise, die vorstellbar war. Nein, an ihren Absichten bestand kein Zweifel mehr, aber Derek bezweifelte, dass er genug innere Stärke besaß, um jetzt zu gehen. Denn auch er wollte sie. Er begehrte sie so sehr, dass es wehtat. Sie seufzte und presste sich an ihn. Sein Widerstand kam zum Erliegen. Er war drauf und dran, alles um sich herum zu vergessen. Das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens schreckte ihn kurz hoch. Sydney löste sich von ihm. »Nicht hier«, flüsterte sie und zog ihn in eine verborgene Ecke der Veranda, wo sie nicht vom Scheinwerferlicht vorbeikommender Autos erfasst werden konnten. Derek musste unbedingt aufhören, bevor er die Situation nicht mehr unter Kontrolle hatte. Aber er konnte es nicht. Sydney schlang die Arme um ihn. »Ich will dich, Derek. Jetzt sofort«, flüsterte sie. »Langsam«, sagte er leise und küsste ihren Hals. Sie stöhnte auf, als er ihre Oberschenkel aufreizend streichelte. Heftig drängte sie sich ihm entgegen, und er begann die empfindsame Zone zwischen ihren Beinen zu liebkosen.
Sie stöhnte vor Lust und Erregung. Sie wollte ihn so sehr, dass sie fast geschrieen hätte. Ungeduldig schlang sie die Arme um ihn und flüsterte heiser seinen Namen. Dann warf sie den Kopf zurück, als er mit den Fingern in sie eindrang. Derek küsste sie wieder auf den Mund, hart und fordernd. »Feucht«, flüsterte er atemlos. »Du bist feucht und süß.« Dann begann er mit den Fingern ein virtuoses Spiel, das sie an den Rand der Ekstase führte. Ungeniert folgte sie seinen Bewegungen, bis er sie zum Höhepunkt brachte. Sie stieß einen heiseren Schrei aus und ließ den Kopf an seine Schulter fallen. Zärtlich strich er ihr das Kleid glatt und hielt sie in seinen Armen, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte. Er küsste sie auf die Schläfe. »Bleib heute Nacht hier«, bat sie leise. »Nein, Darling«, sagte er bestimmt. »Heute Nacht wirst du über uns nachdenken.« »Über uns?« fragte sie verständnislos. Er umfasste ihr Gesicht und küsste sie zärtlich. »Ich liebe dich, Sydney. Aber solange du mir nicht sagen kannst, dass du mich auch liebst, werden wir nicht weiter als bis an diesen Punkt gehen.« Sydney konnte nicht glauben, was sie da eben gehört hatte. »Das ist… das ist Erpressung!« Er zuckte mit den Schultern und ließ die Hände fallen. »Du kannst mich nur ganz haben. Ich will mehr von dir, als nur deine sexuellen Bedürfnisse befriedigen.« »Wie kannst du unser Verhältnis darauf reduzieren?« fragte sie empört. Er trat einen Schritt zurück. »Ich weiß nicht, ob es viele Männer gibt, die eine Affäre mit einer so schönen und aufregenden Frau wie dir ablehnen würden. Aber ich will keine Affäre, Syd. Ich will dich, und zwar ganz und gar.« Er forderte das Unmögliche. Hatte er denn nicht zuge
hört, als sie ihm von Nicholas erzählte? Natürlich war Derek nicht Nicholas. Um die Wahrheit zu sagen, konnte Nicholas ihm nicht das Wasser reichen. Aber sie durfte keine Risiken eingehen. Derek bedeutete ihr viel, aber nicht so viel, wie er es von ihr verlangte. Er wollte ihre Liebe, und die konnte sie ihm nicht geben. »Ich kann nicht«, flüsterte sie. Er wandte sich zum Gehen. Auf den Stufen der Treppe hielt er inne und drehte sich um. »Du kannst. Aber du musst mir vertrauen.« Mit brennenden Augen beobachtete sie, wie er in der Dunkelheit verschwand. Samstagmorgens war es in der Praxis für gewöhnlich sehr ruhig. Aber aus irgendeinem Grund schien jeder Hund, jede Katze, jeder Hamster oder Goldfisch in der Gegend an diesem Vormittag ein Leiden zu haben. Zu allem Über fluss hatte Rachel sich auch noch telefonisch abgemeldet, weil ihre Tochter Lori sich den Arm beim Softballspielen verletzt hatte. Rachel fürchtete, der Arm könnte gebro chen sein, und war mit Lori zur Notaufnahme ins Kran kenhaus gefahren. Sydney hatte Rachel beruhigt und gesagt, sie würde es auch allein schaffen. Aber das war vor dem unerwarteten Ansturm gewesen. Für gewöhnlich kam Sydney mit Stress gut zurecht. Aber sie hatte in der Nacht nur zwei Stunden geschlafen und sehnte sich nach der üblichen, ruhigen Routine an diesem Wochentag. Um zehn Uhr war sie drauf und dran, die zwölf Patienten im Wartezimmer nach Hause zu schicken und die Praxis abzuschließen. Ein Rottweiler, dessen Hüfte sie röntgen musste, knurrte sie an. Normalerweise machte es ihr nichts aus, wenn ein Hund sie anknurrte. Aber ihr Gefühlsleben war an diesem Tag so durcheinander, dass sie den Vorfall persönlich nahm und fast in Tränen ausbrach. Mrs. Cushings trächti ger und offenbar mürrischer Scotchterrier hatte nach ihr
geschnappt, und dafür, dass sie eine widerspenstige Siamkatze von einem im Schlund festsitzenden Fellbündel befreit hatte, erhielt sie als Dankeschön einen tiefen Kratzer auf dem Handrücken. Sie spuckte gerade eine Feder von einem temperament vollen Graupapagei aus, der in der Mauser war und einen verletzten Flügel hatte, als sie ein Prickeln im Nacken spürte. Sie blickte über die Schulter zurück und war nicht erstaunt, Derek zu sehen, der in der Tür des Untersu chungszimmers lehnte. »Dem Himmel sei Dank, dass du hier bist«, sagte sie. In Anbetracht des Ansturms an diesem Morgen wäre sie über jeden Helfer froh gewesen. Der Papagei fing wieder an, mit den Flügeln zu schlagen, und eine Wolke von Federn schwebte durch den Raum. »Ich könnte wirklich etwas Hilfe gebrauchen.« Dass er sie am Abend zuvor so schmählich allein gelassen hatte, konnte sie ihm auch später vorwerfen. Jetzt brauchte sie jemanden, der diesen Papagei festhielt. Er kam ins Behandlungszimmer und grinste breit. »Du bist ziemlich glücklich, mich zu sehen, nicht wahr?« »Oh ja«, murmelte sie. Im Gegensatz zu den Patienten, die sie heute Morgen behandelt hatte, war sie nicht so rücksichtslos, die Hand zu beißen, die helfen wollte. Sie verdrehte kurz die Augen und zeigte Derek dann, wie er den Vogel festhalten sollte, damit sie die Wunde versorgen und sich um den nächsten Patienten kümmern konnte. Als der Papagei wieder wohlbehalten in seinem Trans portkäfig saß, gab sie Derek eine Kurzanweisung in die Aufgaben am Empfang. Sie erwartete ein Chaos, aber zu ihrer Überraschung hatte Derek in den verbleibenden zwei Praxisstunden alles unter Kontrolle. Er nahm die Anmel dungen korrekt auf und sorgte bei einem nicht versiegen wollenden Patientenstrom für eine geordnete Reihenfolge der Behandlung.
Sydney konnte sich also unbesorgt ihren Pflichten wid men. Dazu gehörten unspektakuläre Impfungen ebenso wie die zu Herzen gehende Aufgabe, der betagten Mrs. Farmer mitzuteilen, dass der Pudel, der seit nahezu zwanzig Jahren ihr ständiger Begleiter war, blind werden würde. Als der letzte Patient die Praxis eine Stunde nach dem Ende der offiziellen Sprechzeit verlassen hatte, war Sydney zu Tode erschöpft. Sie sank auf einen Stuhl im Untersu chungszimmer, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Lider. »Das war ein anstrengender Vormittag.« Sydney schlug die Augen auf und sah Derek an. »Das kann man wohl sagen.« Er lachte und setzte sich auf den Behandlungstisch. Wenn sie die Kraft hätte aufbringen können, hätte sie gern etwas nach ihm geworfen. Während sie sich selbst behandlungsbedürftig fühlte, besaß er die Frechheit, unverschämt frisch und ausgeruht auszusehen. Vermutlich hatte er die ganze Nacht lang tief und fest geschlafen. »Janet DeYoung hat vom Flughafen aus angerufen und erwähnt, dass du ihr versprochen hast, Rocky heute abzuliefern«, sagte er und wedelte mit einem Notizzettel. Sydney stöhnte. »Der Golden Retriever. Er war die Woche über bei mir in Pflege. Ich habe ganz vergessen, dass ich ihn heute nach Hause bringen soll.« »Du siehst furchtbar müde aus. Ich bringe ihn hin.« So sehr sie sich auch nach einer Dusche und ihrem Bett sehnte, sie musste ihre Verpflichtungen einhalten. »Derek, ich glaube nicht…« »Du bist übermüdet und solltest dich nicht hinters Lenkrad setzen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht weiß, wie man mit Hunden umgeht.« »Willst du das wirklich tun?« fragte sie, schon halb überzeugt. Die Aussicht auf eine Dusche und etwas Schlaf war zu verlockend.
»Aber sicher«, antwortete er, trat zu ihr hin und zog sie auf die Füße. »Du schreibst mir auf, wie ich dahin komme, und ich liefere den Hund ab.« Zehn Minuten später saß Rocky auf dem Beifahrersitz von Dereks Wagen. »Bronson wäre ziemlich eifersüchtig«, sagte Derek und kraulte den Hund hinter den Ohren. »Er muss nämlich immer auf der Rückbank sitzen.« »Da fällt mir etwas ein. Hast du Bronsons Fäden gezo gen?« »Ja, natürlich. Ich sagte doch, ich kann mit Hunden umgehen.« Er trat auf sie zu und nahm sie in die Arme. Es musste an der Müdigkeit liegen, dass sie sich außer Stande sah, sich aus seiner Umarmung zu lösen. »Wie sieht es heute mit einem Abendessen aus?« fragte er sanft. Sie legte den Kopf zurück und blickte ihn misstrauisch an. »Noch so ein Essen wie gestern Abend könnte ich nicht ertragen. Das machen meine Nerven nicht mit.« Derek lachte. »Ich dachte eher daran, ein paar Steaks auf den Grill zu legen.« »Das wäre schön. Aber du kannst doch nicht kochen«, erwiderte sie und löste sich aus seinen Armen. »Männer kochen nicht. Männer grillen.« Sydney überlegte kurz, ob sie seine Einladung annehmen sollte. Während ihrer schlaflosen Nacht hatte sie einige Entschlüsse gefasst. Im Morgengrauen hatte sie entschie den, Derek gegenüber absolut fair und ehrlich zu sein. Sie würde ihm sagen, dass sein Heiratsantrag sehr schmei chelhaft war, sie ihn aber nicht annehmen würde. Sie würde niemals heiraten. Sie würde von ihm verlangen, dass er seine Versuche, sie zu einer Ehe zu überreden, endlich aufgab. Und sie würde ihm sagen, dass er ihr viel bedeutete und dass sie ihn als Freund und Liebhaber wollte. »Ich bin um sieben Uhr bei dir«, sagte sie schließlich. Derek fuhr seit anderthalb Stunden langsam eine Seiten
straße nach der anderen entlang, ohne eine Spur des Golden Retriever zu entdecken. Er wusste immer noch nicht, wie es genau passiert war. Der Hund hatte den Kopf aus dem Fenster gesteckt und sich den Fahrtwind um die Nase wehen lassen. Dann war er urplötzlich ver schwunden. Sydney würde ihm die Hölle heiß machen. Sie hatte ihm vertraut, und er hatte schmählich versagt. Warum musste das ausgerechnet jetzt passieren? Er hatte das Gefühl gehabt, dass sie sich bald für ein Leben mit ihm entschieden hätte. Und nun hatte er den Hund verloren, den sie ihm anvertraut hatte. Er fuhr ein letztes Mal um die Wohnblocks und beschloss dann, zu Sydney zu fahren, um ihr die schlechte Nachricht zu überbringen. Ihm graute davor, aber er hatte keine andere Wahl. Ihre Haustür war nicht verschlossen. Sie lag zusammen gerollt auf dem Sofa und schlief. Die eine Hand lag neben ihrer Wange, die andere hatte sie schützend über ihren Bauch gelegt. Das Baby, dachte Derek fast ehrfürchtig, unser Baby. Wieder einmal wurde ihm fast schmerzhaft deutlich, wie sehr er diese Frau liebte. Aber wenn er ihr erst gebeichtet hatte, dass er Rocky verloren hatte, würde sie vermutlich nie wieder ein Wort mit ihm reden. Er hockte sich vor die Couch und berührte sacht ihre Schulter. »Syd?« Schlaftrunken schlug sie die Augen auf. »Darling, ich habe schlechte Neuigkeiten.« Fragend zog sie die Brauen zusammen, »Ich habe Rocky verloren.« Sie fuhr hoch. »Du hast was?« »Ich weiß auch nicht, wie es passiert ist. Er muss aus dem Fenster gesprungen sein, als ich gerade mal nicht hinsah.« »Oh nein, Derek. Bitte sag mir, dass das nur ein schlech
ter Scherz ist.« Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Es tut mir Leid.« Sie stand auf und begann im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Dann blieb sie stehen und starrte ihn böse an, aber das Klingeln des Telefons kam den zornigen Worten zuvor, die ihr ganz offensichtlich auf der Zunge langen. Sie durchquerte den Raum, ergriff das schnurlose Tele fon und drückte den Knopf, um das Gespräch anzunehmen. »Ja?« meldete sie sich. Nach einigen Sekunden ließ ihre Anspannung nach, und sie lehnte sich an das Rückenteil der Couch. »Nein, Sie stören ganz und gar nicht«, sagte sie in den Hörer. »Er hat überhaupt keine Probleme gemacht.« Sie blickte Derek an und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist gut, Mrs. DeYoung. Ich bin froh, dass alles geklappt hat.« Nachdem sie die Unterbrechungstaste gedrückt hatte, wandte sie sich Derek zu. »Frag mich nicht, wie das vor sich gegangen ist, aber du hast unverschämtes Glück gehabt.« »Was soll das heißen?« fragte er gespannt. »Das war Janet DeYoung. Sie wollte sich für ihre Verspä tung entschuldigen. Und sie hat sich bei mir bedankt, dass ich Rocky in ihrem Garten gelassen habe.« »Das verstehe ich nicht.« Er war bestimmt noch drei Kilo meter von Janet DeYoungs Haus entfernt gewesen. Wie war das nur möglich? »Rocky hat auf sie gewartet, als sie nach Hause kam.« »Also das nenne ich wirklich Glück«, sagte Derek und grinste breit. Glück musste der Mensch haben, das war das Wichtigste im Leben. In diesem Moment hatte Derek keinen Zweifel daran, dass er auch bei Sydney Glück haben würde. Sie würde seine Frau werden.
10. KAPITEL Sydney steckte den Saum ihres roten T-Shirts in den Bund der Shorts. In nicht allzu ferner Zukunft würden Hosen bünde für sie ein Ding der Unmöglichkeit sein. Kritisch beäugte sie ihre Figur im Spiegel von der Seite und strich mit den Händen über ihren noch flachen Bauch. Nach den Büchern über das Thema Schwangerschaft, die sie gelesen hatte, begann sich der Bauch einer Schwangeren zwischen dem dritten und dem fünften Monat zu runden. Sie hoffte, dass ihr Zustand möglichst schon ab dem dritten Monat zu sehen wäre. Dann bürstete sie sich die dunklen Locken zurück und bändigte ihr Haar mit einer goldenen Spange. Nachdem sie noch etwas Make-up aufgelegt hatte, war sie fertig, um zu Derek zu fahren. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass sie so viel Glück gehabt hatten. Es kam ihr wie ein Wunder vor, dass Rocky den Weg nach Hause allein gefunden hatte. Es hätte Janet DeYoung das Herz gebro chen, wenn ihr geliebter Hund nicht mehr aufgetaucht wäre. Und sie selbst hätte sich auch mehr als elend gefühlt. Wenn es ihr nicht bald gelang, Dereks Hilfsbereitschaft zu bremsen, würde sie noch wahnsinnig werden. Sie schlüpfte in ein Paar Sandalen, nahm ihre Handta sche und verließ das Haus. Er wohnte nur einige Blocks entfernt. Das Haus, in dem sie auf gewachsen war, lag direkt gegenüber. Sie parkte den Wagen vor seinem Vorgarten. Der Rasen war ordentlich gemäht, und der Weg zum Haus war gesäumt von den wundervollen Rosen, die seine Mutter noch angepflanzt hatte. Mit gemischten Gefühlen stieg sie aus ihrem Wagen. Sie hatte keine Ahnung, was sie an diesem Abend von Derek zu erwarten hatte. Ihre eigene Einstellung zu ihm hatte sich nicht geändert. Er bedeutete ihr viel, aber sie würde sich auf
keinen Fall in ihn verlieben. Eine Liebesbeziehung würde unweigerlich irgendwann zum Ende ihrer wundervollen Freundschaft führen. Das konnte sie nicht riskieren. Bronson begrüßte sie mit lautem Gebell. Während sie zum rückwärtigen Teil des Gartens ging, sprang er vor Freude um sie herum. Sie lachte und strich dem Hund über den Kopf, als er endlich aufhörte, sie zu umkreisen. Als sie an der Garage ankam, erblickte sie Derek und blieb stehen. Sein Anblick genügte schon, um ihren Herzschlag zu beschleunigen. Er hatte ihr den Rücken zugedreht, stand am Gartentisch und studierte die Gebrauchsanweisung auf einer Packung Holzkohle. Wieder einmal musste Sydney feststellen, dass er unverschämt gut aussah. Ärgerlich verscheuchte sie diesen Gedanken. Sie hatte seine Einladung nur angenommen, um seinen Heiratsab sichten ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. »Um die Brandgefahr für deine Nachbarn zu verringern, sollte ich dir vielleicht eines von diesen neumodischen elektrischen Grillgeräten zum Geburtstag schenken«, sagte sie, während sie auf ihn zuging. Er sah auf und grinste sie an. »Ich bin ziemlich spät dran, weil ich Bronson noch gebadet habe. Leider hat er sich nicht sehr kooperativ gezeigt.« Das erklärte die Wasserlachen auf dem Boden des beto nierten Innenhofs. Sydney legte ihre Tasche auf die Gartenbank. »Gibt es noch etwas, das ich tun kann?« fragte sie. Um das Abendessen zu retten, fügte sie im Stillen hinzu. »Nein, es ist alles fertig«, antwortete er und riss die Packung Holzkohle auf. Sie konnte die Augen nicht von seinen muskulösen Armen abwenden. Für einen Moment wünschte sie sich, er würde diese Arme um sie legen und sie in sein Bett tragen.
»Setz dich hin und entspann dich«, sagte er, während er die Holzkohle auf den Grill schüttete. Entspannen? Als ob das möglich wäre, wenn sie nur daran denken konnte, ihn zu berühren. Sydney versuchte, sich nichts von ihrer Nervosität anmerken zu lassen. Sie setzte sich auf einen Gartenstuhl. Derek war damit beschäftigt, die Kohle im Grill gleichmä ßig zu verteilen und anzuzünden. Bronson trottete zu Sydney und schmiegte sich an sie. Sie nutzte die Situation, dass Derek nicht auf sie achtete, und untersuchte gründlich die Narbe auf der Schnauze des Hundes. Sie wollte sich vergewissern, dass Derek die Fäden richtig gezogen hatte. Derek verschwand im Haus und kehrte kurz darauf mit zwei großen Gläsern Limonade zurück. Er reichte ihr eins davon, sah noch einmal nach dem Grill und setzte sich dann ihr gegenüber. »Syd, es tut mir wirklich Leid, was heute Nachmittag mit Rocky passiert ist. Mir ist immer noch nicht klar, wie er es geschafft hat, sich aus dem Staub zu machen.« »Reden wir nicht mehr davon«, sagte Sydney. Sie war froh, dass diese Angelegenheit ein gutes Ende genommen hatte. Dann setzte sie das Glas an die Lippen und nahm einen vorsichtigen Schluck. »Schmeckt wirklich lecker«, sagte sie überrascht. »Was hast du denn erwartet? Kerne und zu wenig Zu cker?« fragte er mit einem schiefen Grinsen. Sie lachte und stellte das Glas auf den Tisch. »Weder noch.« Derek stimmte in ihr Lachen ein. »Lügnerin.« Dann wurde er unvermittelt ernst. »Ich wollte dich noch fragen, wann dein nächster Termin beim Arzt ist.« Sie runzelte die Stirn. »Erst in zwei Wochen. Warum?« »Ich würde dich gern begleiten.« Sie schluckte und hob abwehrend die Hand. »Derek,
ich…« »Warum kannst du nicht akzeptieren, dass mir das Kind genauso viel bedeutet wie dir?« unterbrach er sie barsch. Sydney hätte ihm gern erklärt, dass es ihrer Meinung nach keinen Sinn hatte, wenn er so große Anteilnahme zeigte. Früher oder später würde er möglicherweise erfahren, dass es nicht sein Kind war. Und spätestens dann würde sein Interesse erlahmen. Andererseits durfte sie ihn nicht verärgern. Schließlich wollte sie ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Die Angst, ihn zu verlieren, bedrückte sie nach wie vor. »Es ist vielleicht nicht dein Kind«, sagte sie geduldig. »Warum kannst du das nicht einfach akzeptieren?« Unwillig schüttelte er den Kopf und sprang auf. »Was spielt das schon für eine Rolle, wer der Vater ist? Ich liebe dich, und das Kind ist ein Teil von dir. Das genügt mir. Und das musst du akzeptieren.« »Das sagst du jetzt«, erwiderte sie. Sie wich seinem wütenden Blick aus und zwang sich zur Ruhe. Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt und kämpfte gegen einen Anflug von Panik an. »Aber was wird in fünf Jahren sein?« Nein, sie wollte nicht weiter darüber nachdenken. Sie konnte die Diskussionen über dieses leidige Thema nicht mehr ertragen. Hastig sprang sie hoch und baute sich vor Derek auf. »Weißt du was? Ich habe einfach keine Lust mehr, darüber zu streiten. Ich habe dir meinen Standpunkt deutlich genug klar gemacht.« Sie drehte sich um und ging ins Haus. Er folgte ihr aufgebracht. »Das habe ich auch! Und irgendwann wirst du einsehen müssen, dass ich Recht habe.« An der Hintertür hielt Sydney abrupt inne und drehte sich zu ihm um. »Können wir nicht über etwas anderes spre chen? Ich will mir den Abend nicht mit Streiten verder ben.«
Die Zornesfalten in seinem Gesicht glätteten sich. »Ein verstanden«, stimmte er zu. »Wir wollen heute Abend nicht streiten.« Sydney atmete erleichtert auf und betrat die gemütliche Küche, in der sie schon so viele Stunden verbracht hatte. Die schönsten Erinnerungen kamen in ihr hoch. Sie sah sich selbst, wie sie Mrs. Buchanan beim Backen der Weihnachtskekse half. Oder wie Derek sie für einen Physiktest abfragte. Oder wie sie ihm bei einem Aufsatz über ein Theaterstück von Shakespeare half. Wie oft hatten sie im Verlauf der Jahre zusammen in dieser Küche gesessen. Sie musste daran denken, dass er immer ihre geliebten Schokoladenkekse im Küchen schrank hatte. Er wusste genau, wie sie ihren Kakao mochte und dass sie gebackene Kartoffeln am liebsten mit Saurer Sahne aß. Er kannte und erfüllte ihre Wünsche, ohne dass sie je darum hätte bitten müssen. Es waren Kleinigkeiten, aber Sydney musste zugeben, dass sie all diese Dinge immer für selbstverständlich gehalten hatte. Bis jetzt. Jetzt erfüllte sie das alles auf einmal mit Furcht. Ihr Herz hämmerte heftig. Sie ging zur Spüle und stützte die Hände auf den Rand. Hatte sie sich irgendwann in Derek verliebt, ohne es zu merken? Sie erinnerte sich daran, wie ihre Mutter einmal auf drei verschiedene Märkte in Seattle gefahren war, um eine spezielle Zutat für ein Essen zu kaufen, das ihr Vater besonders gern mochte. Sie hatte ihre Mutter gefragt, warum sie einen solchen Aufwand betrieb. Ihre Mutter hatte geantwortet, dass sie das täte, weil es ihren Mann glücklich machen würde. Damals dachte Sydney, ihre Mutter wäre verrückt und verschwendete ihre Zeit. Aber heute wusste sie, dass es in der Liebe nicht um Rosen, Pralinen oder Gedichte ging. Nein, dachte sie, die Liebe äußert sich in kleinen, alltäg lichen Dingen. In einem Vorrat an Lieblingskeksen, im
Entfernen von Unkraut auf einem Steinweg oder auch darin, dass jemand sich daran erinnerte, wie man seine gebackene Kartoffel am liebsten aß. Sie kannte Derek auch sehr gut und tat viele Dinge, um ihm eine Freude zu machen. Sie wusste genau, in welcher Reihenfolge er die Sonntagszeitung las. Erst den Sportteil, dann die Comics und zum Schluss den Wirtschaftsteil. Sie wusste, dass er Popcorn ohne Butter mochte, und das Frühstücksei durfte höchstens vier Minuten gekocht haben. Er aß lieber Speck als Würstchen zum Frühstück und bevorzugte Waffeln mit Puderzucker statt mit Ahornsirup. Sydney machte sich nicht viel aus Tomaten, aber sie kaufte immer welche, weil sie wusste, dass Derek sie besonders gern mochte. Sie hatte auch immer Dillgur ken für ihn im Haus, obwohl sie selbst lieber Senfgurken aß. »Syd? Ist alles in Ordnung?« Sie zuckte zusammen und wandte sich zu ihm um. »Ja, alles bestens«, antwortete sie und zwang sich zu einem Lächeln. Ihre Hände zitterten, als sie den Küchenschrank öffnete, um Teller herauszunehmen. Noch vor einer halben Stunde hatte sie ihm sagen wollen, dass sie beide nichts weiter als Freunde sein könnten. Nun war sie sich da gar nicht mehr so sicher. Derek schlug wieder nach einer Mücke. Er hatte eine von diesen Kerzen gekauft, deren Geruch angeblich diese Blutsauger vertreiben sollte. Aber die Kerze war machtlos gegen die Schwärme, die sich um ihn versammelt hatten. Sydney war bislang nicht von ihnen belästigt worden, während Derek das Gefühl hatte, eine ganz besondere Delikatesse für diese Quälgeister zu sein. Er hörte, wie die Hintertür geöffnet wurde, und warf einen Blick über seine Schulter. Sydney balancierte ein Tablett mit Tellern, Besteck und gebackenen Kartoffeln, die noch in der Folie waren. Ich könnte mich daran gewöhnen, dachte er bei sich.
Sie stellte das Tablett auf dem Gartentisch ab und be gann, Teller und Besteck zu verteilen. Als sie sich nach vorn beugte, erhaschte er einen Blick auf den Ansatz ihrer Brüste, die sich deutlich unter ihrem tief ausgeschnittenen T-Shirt abzeichneten. Dieser Anblick hatte die übliche verheerende Wirkung auf ihn. Derek wurde urplötzlich ziemlich heiß. Er räusperte sich und dachte über ein unverfängliches Thema nach. »Hast du dir schon Namen überlegt?« Sie setzte sich und sah ihn an. »Eigentlich habe ich mich darum noch kaum gekümmert.« Erstaunt schüttelte er den Kopf. Er war immer davon ausgegangen, dass Frauen sich Namen für ihre zukünftigen Kinder ausdachten, sobald sie in das Alter kamen, in dem sie Babys bekommen konnten. Sydney interpretierte sein Schweigen richtig und lachte. »Na gut«, gab sie zu. »Ich habe mir schon Namen ausgesucht. Sabrina oder Simon.« »Simon?« wiederholte er skeptisch. »So hieß mein Großvater«, erklärte sie, während er zwei Steaks auf ihren Tellern verteilte. »Mit diesen Namen wird der arme kleine Kerl mindestens einmal in der Woche auf dem Spielplatz verhauen.« Sie öffnete die Folie ihrer Kartoffel und tat eine ordentli che Portion Saure Sahne darüber. »Was würdest du vorschlagen? Etwas Männlicheres wie Bück zum Beispiel?« »Bloß nicht. Das reimt sich auf…« Sie unterbrach ihn mit einer heftigen Handbewegung und sah ihn tadelnd an. »Ist schon gut. Wie wäre es mit Theodore?« War sie verrückt geworden? Beide Namen waren doch völlig indiskutabel. »Willst du unbedingt, dass das arme Kind einen Komplex bekommt?« fragte er und wischte sich eine Mücke vom Arm, die ihn gerade hatte stechen wollen.
»Was hast du gegen Theodore einzuwenden? Dieser Name hat unserem bedeutenden, früheren Präsidenten Roosevelt schließlich auch nicht geschadet.« Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, dieser Name ist nicht mehr ganz zeitgemäß.« Sie dachte kurz nach. »Wie findest du Sloan oder Ste ven?« Steven Buchanan. Er mochte den Klang dieses Na mens. Natürlich würde es wieder Kampf und endlose Diskussio nen bedeuten, Sydney davon zu überzeugen, seinen Nachnamen anzunehmen. Aber er würde auch diesen Kampf gewinnen. Derek verzog das Gesicht, als er einen weiteren Mü ckenstich verspürte. »Stechen sie dich eigentlich gar nicht?« fragte er, während er mit der flachen Hand nach dem Insekt schlug. Er legte die Gabel beiseite und lauschte dem Summen des nächsten Angriffs. »Nein, überhaupt nicht«, antwortete Sydney und schnitt sich ein Stück Fleisch ab. Er wartete, bis das Summen näher gekommen war, und knallte dann die Handfläche auf den Tisch in der Hoff nung, die Mücke erwischt zu haben. Sydney sprang auf und griff nach ihrem Glas, um es vor dem Umfallen zu retten. Aber es war zu spät. Das Glas kippte um, und der Inhalt ergoss sich über den Gartentisch. Limonade tropfte auf Bronsons Rücken, der dicht neben dem Tisch vor sich hin gedöst hatte. Erschrocken sprang der Hund auf und rannte dabei den Grill um. Die heißen Kohlen fielen auf den Boden und auf einen Gartenstuhl aus Kunststoff. Bronson bellte noch einmal und sprang durch das geöffnete Fenster in Dereks Wagen, wo er auf dem Rücksitz aufgeregt hechelnd den weiteren Verlauf der Dinge abwartete. »Du lieber Himmel!« rief Sydney und rannte zu Dereks
Wagen, um nach dem Hund zu sehen. »Derek, hol den Gartenschlauch!« Es dauerte nur Sekunden, bis der Gartenstuhl und das darauf liegende Kissen Feuer fingen. Derek raste zum Gartenschlauch und drehte ihn auf. Er hielt den Wasserstrahl auf den Stuhl, um die Flammen zu löschen, bevor sie sich ausbreiten konnten. Dann richtete er den Schlauch auf die rauchenden Kohlen im Gras. »Mit dem Hund ist alles in Ordnung«, rief Sydney vom Auto herüber. »Er hat nur einen ziemlichen Schrecken bekommen.« Sie ging auf Derek zu und schrie auf, als er sich umdreh te und sie versehentlich bespritzte. Das kalte Wasser lief ihr über Gesicht und Oberkörper. Derek ließ den Schlauch fallen und wollte ins Haus laufen, um ein Handtuch für Sydney zu holen. Aber der Schlauch entwickelte ein Eigenleben, tanzte auf dem Rasen hin und her und spritzte sie beide nass. Sydney fühlte sich an ein übermütiges Kinderspiel erinnert. Sie brach in lautes Lachen aus. Prustend schaffte sie es, den Gartenschlauch zu bändigen, bevor sie beide vollkom men durchnässt waren. Sie ging zu den Kohlen und überprüfte, ob sie auch wirklich erloschen waren. Dann drehte sie den Wasserhahn zu. »Hier«, sagte sie und reichte Derek den Schlauch. »Ich glaube, jetzt kann nichts mehr passieren.« Er wusste nicht, ob sie über den Schlauch oder die Kohlen sprach. Eigentlich war ihm das auch egal. Er war ziemlich nass und kam sich wie ein Trottel vor. Sydney hatte ihre Haarspange verloren. Die tropf nassen, dunklen Strähnen hingen ihr wirr um die Schultern. Ihr T-Shirt war ebenfalls ziemlich nass und klebte ihr am Körper. Unter dem fast nassen Stoff zeichneten sich ihre vollen Brüste deutlich ab. Derek fühlte, wie ihn trotz allem eine ungeheure Erregung überkam.
»Ich fürchte, unser Abendessen ist ruiniert«, meinte Sydney und unterdrückte ein Lachen. Als sie dann jedoch die Begierde in seinem Blick bemerkte, verstumm te sie und erschauerte. Das riss Derek aus seinen Gedanken. »Ein heiße Du sche wird dich wieder aufwärmen. Und danach lassen wir uns Pizza kommen, was meinst du?« Verwirrt nickte sie und folgte ihm ins Haus. Er wartete, bis er das Wasser im Badezimmer laufen hörte, dann rief einen Lieferservice an und bestellte eine große Pizza. Er ging noch einmal in den Garten, um selbst nachzusehen, ob mit Bronson alles in Ordnung war. Der Hund lag schlafend auf der Rückbank des Wagens. Derek fiel kein Grund ein, warum er ihn stören sollte, also ließ er Bronson dort liegen. In der Absicht, seine nassen Sachen auszuziehen, kehrte er ins Haus zurück. Er durchquerte den Flur und ließ dabei Wasserpfützen auf dem Teppich zurück. Im Wirtschaftsraum neben der Waschmaschine zog er sich aus. Nur noch mit Boxershorts bekleidet, eilte er ins Badezimmer, um sich ein Handtuch zu holen. Als er horchend an der Tür stehen blieb, hörte er Syd ney unter der Dusche summen. Eigentlich hatte er vorgehabt, rasch ins Bad zu schlüpfen, sich ein Handtuch zu nehmen und wieder zu verschwinden, bevor sie ihn bemerkte. Er öffnete die Tür und erblickte die Silhouette ihres vollkommenen Körpers hinter dem Dusch Vorhang. Von dem Anblick war Derek so fasziniert, dass er das Handtuch völlig vergaß. Und er vergaß seine guten Vorsätze. Er streifte sich die Boxershorts von den Hüften und kickte sie mit dem Fuß beiseite. Dann schob er den Duschvorhang ein Stück zurück und glitt mit einer geschmeidigen Bewegung unter die Dusche. Er konnte nur noch an eines denken: Er wollte Sydney, hier und jetzt. Zum Teufel mit den Prinzipien!
Sydney fuhr herum und blickte ihn überrascht an. Dann breitete sie lächelnd die Arme aus. Derek zog sie stürmisch an sich und küsste sie. Nachdem sie wieder zu Atem gekommen waren, griff er hinter sie und nahm ein Stück Seife aus der Halterung. »Dreh dich um«, bat er mit vor Verlangen heiserer Stimme. Sie erfüllte seine Bitte, ohne den engen Kontakt ihrer Körper auch nur für einen Moment zu unterbrechen. Ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen, als er ihre Arme, ihren Bauch und ihre Brüste mit zärtlichen Bewegungen einseifte. Sie legte die Arme nach hinten und umschlang seinen Hals. Dann presste sie sich an ihn, um ihn zu spüren. Eine heiße Welle der Erregung ließ ihren Atem heftiger werden. Er ließ von ihren Brüsten ab und widmete sich hingebungsvoll der Innenseite ihrer Schenkel. Ihr Körper schrie nach seiner Berührung. Sie war mehr als bereit für ihn, dass wusste sie. Derek drehte Sydney um und küsste sie erneut. Sie fühlte seinen muskulösen Oberkörper auf ihren Brüsten. Das heiße, prasselnde Wasser und sein leidenschaftlicher Kuss waren fast zu viel auf einmal. Sie glaubte vor Lust vergehen zu müssen. Er löste sich von ihrem Mund und küsste ihren Hals und ihre Brüste. Dann ging er in Knie, um ihren Bauch zu liebkosen. Sie spürte seine Zunge in ihrem Nabel und dachte, nie etwas Aufregenderes erlebt zu haben, bis er sich noch weiter nach unten gleiten ließ und zum Zentrum ihrer Erregung gelangte. Sydney lehnte sich gegen die Wand und konnte kaum noch atmen, während er mit zärtlichen Fingern und Lippen den intimsten Punkt ihrer Weiblichkeit erforschte. »Derek«, flüsterte sie tonlos und vergrub die Hände in seinem Haar. Es dauerte nicht lange, da brach sie mit einem Aufschrei zusammen, und er spürte nur noch ihr wildes Zucken.
Aber Derek ließ ihr keine Zeit, wieder zu Atem zu kom men. Er stand auf, legte die Arme um ihre Taille und hob Sydney hoch. Instinktiv schlang sie die Beine um seine Hüften. Sie fanden ohne jedes Zögern den Weg zueinan der. Und genauso leicht fanden sie ihren eigenen, ganz besonderen Rhythmus. Sie stöhnte heftig auf, als sie zum zweiten Mal an diesem Abend den Gipfel der Lust erreichte. Das Erste, was sie bemerkte, als sie wieder in die Wirk lichkeit zurückkehrte, war die Tatsache, dass das Wasser inzwischen nur noch lauwarm war. Das zweite war das beharrliche Klingeln der Türglocke. »Derek?« Sein Kopf lehnte an ihrer Schulter, und er atmete schwer. »Hmrh?« Sie streichelte seinen Rücken. »Es klingelt an der Tür.« Das muss der Pizzaservice sein, dachte sie. Derek stieß einen leisen Fluch aus, löste sich von ihr und küsste sie auf den Mund. »Diese Liefergarantie von dreißig Minuten kann manchmal auch ein Fluch sein.« »Einerseits könnten wir das Klingeln einfach ignorieren«, sagte sie, während ihre Hand langsam an seinem Bauch abwärts glitt. »Aber andererseits habe ich das Gefühl, dass du dich unbedingt stärken musst. Für später«, fügte sie mit einem koketten Lächeln hinzu.
11. KAPITEL Das erste Licht des erwachenden Morgens fiel ins Schlaf zimmer. Draußen im Garten begannen die Vögel zu singen. Hinter der geschlossenen Tür waren die tiefen Atemzüge des schlafenden Hundes zu hören. Durch die geöffneten Fenster wehte eine kühle Brise in den Raum, doch am Tag würde es wieder heiß werden. Derek spürte so etwas wie Bedauern über den Anbruch
des neuen Morgens. Denn bei Tageslicht würde die Frau, die jetzt eng an ihn geschmiegt friedlich schlief, sich wieder gegen ihn wenden und behaupten, sie liebte ihn nicht. Selbst während der Nacht, in den wenigen Stunden der Dunkelheit, war ihre Wachsamkeit nicht ganz verschwun den gewesen. Aber es war nicht nötig, dass er die bedeu tungsvollen Worte aus ihrem Mund hörte. Er wusste, dass sie ihn liebte. Die vergangene Nacht war das Ergebnis einer Explosion aus Hitze, Leidenschaft, Verlangen und auch Liebe gewesen. Das war ihm Liebesbeweis genug. Obwohl er nicht gerade viel geschlafen hatte, fühlte er sich ausgeruht und erfrischt. Er drehte sich auf die Seite, stützte sich auf den Ellenbogen und betrachtete Sydneys Gesicht. Diese wunderschöne Frau war ein guter Grund für Schlaflosigkeit. Beim ersten Anzeichen seiner Erregung musste er lä cheln. Sein Körper bestätigte ihm nur, was er schon längst wusste: Er konnte einfach nicht genug von Sydney bekommen. Trotz ihrer hartnäckigen Weigerung, ihn zu heiraten, waren sie in ihrem Verlangen nacheinander ein perfektes Paar. Sydney ließ ihn alles, um sich herum vergessen, einschließlich seiner eisernen Prinzipien und selbst auferlegten Verhaltensmaßregeln. Im Schlaf drehte sie sich auf den Rücken und streckte die Arme über den Kopf. Derek beugte sich vor, um sie mit zärtlichen Küssen auf Lippen und Hals zu wecken. Sie seufzte und legte die Arme um ihn. »Guten Morgen«, flüsterte sie schlaftrunken. »Das wird bestimmt ein ganz wundervoller Morgen«, sagte er leise und ließ die Hand über ihren Schenkel gleiten. Er küsste sie wieder und umfasste ihre vollen Brüste. Das Verlangen nach ihr durchzuckte ihn wie ein Schlag. Fast ungeduldig streifte er die Bettdecke von ihren Hüften. Seine Lippen begannen ein aufregendes Spiel mit den
Spitzen ihrer Brüste, die sich sofort aufrichteten und hart wurden. Sydney stöhnte auf und streichelte seinen Rücken. Er suchte ihren Mund, um sie wieder zu küssen. Schließlich spürte er, dass auch ihr Verlangen von neuem entfacht war. Mit sanften Bewegungen kam sie ihm entgegen und flüsterte leise seinen Namen. Er konnte an nichts anderes denken als daran, wie sehr er sie liebte. Und dass er alles tun würde, um sie glücklich zu machen. Derek löste sich von ihrem Mund und küsste ihren verfüh rerischen Körper überall. Er wollte sie so sehr, dass es ihm fast den Atem nahm. Er liebkoste jeden Zentimeter ihrer zarten Haut, bis er schließlich an dem empfindsamen Punkt zwischen ihren Beinen angelangt war. Sydneys Atem ging heftig. Sie wusste, dass er sie lang sam und behutsam fast an den Höhepunkt treiben würde, um dann wieder innezuhalten und das Spiel von neuem zu beginnen, bis sie glaubte, vor Lust zu zerspringen. Und dann endlich, wenn sie es fast nicht mehr aushalten konnte, würde er sie zum Höhepunkt bringen. Während der Nacht hatte er das so oft getan, dass sie bei dem bloßen Gedanken daran ein Schauer der Erregung durchlief. Als sie sich ihm mit einem erlösten Aufschrei entgegen warf, gab er ihr keine Zeit, sich wieder zu beruhigen. Er glitt zwischen ihre geöffneten Schenkel, umfasste ihren Po und hob ihr Becken an. Dann drang er in sie ein. Sydney bäumte sich ihm entgegen und wusste, dass es diesmal keine behutsame, zärtliche Begegnung werden würde. Sie passte sich seinen ungestümen, wilden Bewegungen an, bis sie an den Rand der Ekstase geriet. Schließlich öffnete sie sich ihm ganz und überließ sich seiner Leidenschaft, bis sie beide mit einem Aufschrei Erfüllung fanden.
Danach lagen sie ineinander verschlungen mit heftig klopfenden Herzen da und streichelten sich zärtlich. Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar und küsste sie auf die Schläfe. Dann richtete er sich auf und blickte sie an. Sie konnte in seinen Augen lesen, was er für sie empfand. Es standen so viel Zärtlichkeit und Zuneigung darin, dass ihr das Herz wehtat. Als er sie liebevoll auf den Mund küsste, erwiderte sie diesen Kuss zögernd. Sie wusste plötzlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie musste von Derek Abschied nehmen. Wann genau sie zu dieser Entscheidung gekommen war, konnte sie nicht mehr sagen. Irgendwann in der Nacht, kurz bevor sie eingeschlafen war, hatte sie auf einmal das Gefühl gehabt, Derek gegenüber nicht fair zu sein. Sie hatte wieder mit ihm geschlafen und alles genommen, was er zu geben hatte. Dabei kam sie sich selbstsüchtig und gemein vor. Nein, so konnte es nicht weitergehen. Sie konnte ihn nicht jeden Tag sehen und darauf warten, dass er sich irgendwann enttäuscht von ihr abwandte. Jetzt würde der Schmerz noch eher zu ertragen sein als später, wenn Derek womöglich ein allzu fester Bestandteil ihres Lebens geworden war. Er drehte sich auf die Seite und zog sie mit sich. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Wärme seiner Umarmung und wünschte sich, dass dieser Moment niemals zu Ende gehen würde. Die Standuhr im Wohnzimmer schlug die volle Stunde und erinnerte sie daran, dass es an der Zeit war, ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Weder für ihn noch für sie wäre es gut, wenn sie so wie bisher lebten. Sie musste es ihm sagen, obwohl sie schon der Gedanke daran mit Schmerz erfüllte. Die Vorstellung, ihn nicht mehr zu sehen, tat ihr sehr weh. Aber schließlich war es das Beste für sie beide. Und doch, der Schmerz, den sie empfand, verunsicherte
sie. Wieder tauchte dieselbe quälende Frage in ihr auf. Hatte sie sich schon in ihn verliebt? Verspürte sie deshalb solchen Schmerz bei dem Gedanken an eine Trennung? Sie hatte einmal in ihrem Leben einen großen Fehler ge macht, aber sie sah nun ein, dass sie Nicholas nicht wirklich geliebt hatte. Zumindest hatte sie nicht dasselbe für ihn empfunden wie für Derek. Er war ein Teil von ihr. Ja, sie hatte sich tatsächlich in Derek verliebt! »Was ist mit dir?« fragte er und zog sie näher an sich heran. So sehr sie sich auch wünschte, für immer in seinen Armen zu liegen, sie konnte es nicht tun. Sie musste gehen, und zwar auf der Stelle. Das war die einzige Rettung. Statt ihm zu antworten, löste sie sich sanft aus seiner Umarmung und verließ das warme Bett und den Mann, der darin lag. Sie durchquerte den Raum und nahm seinen Bademantel vom Haken an der Tür. Nachdem sie gestern Abend die Pizza gegessen hatten, hatte Derek ihre nasse Kleidung in den Trockner getan. Sie würde also nicht in dem Bademantel nach Hause fahren müssen. Langsam knotete sie den Gürtel zu und drehte sich dann zu Derek um. Er richtete sich auf und warf ihr einen fragenden Blick zu. »Syd? Was ist los?« »Wir müssen unbedingt miteinander reden«, erwiderte sie mit unbewegter Miene. Was sie zu sagen hatte, war zu wichtig, als dass sie es noch länger aufschieben konnte. Er strich sich das Haar aus der Stirn. »Das hört sich aber ernst an«, sagte er vorsichtig und stellte die Beine auf den Boden. Glücklicherweise blieb das Laken, das er um die Hüften hatte, an seinem Platz. Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war, seinen schönen Körper nackt vor sich zu sehen. Sie steckte ihre zitternden Hände in die Bademantelta schen und holte tief Atem. Derek saß regungslos auf dem Bett, die Hände auf den Knien, und wirkte sehr gelassen.
Aber sein Blick verriet eine große innere Anspannung. »Ich warte«, sagte er mit erzwungener Geduld. »Wir können so nicht weitermachen.« Sydneys Stimme war brüchig und gehorchte ihr kaum. Er beugte sich vor und faltete die Hände zwischen den Knien. »Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass du jetzt doch endlich meinen Heiratsantrag annehmen wirst.« »Nein, Derek«, sagte sie leise. »Ich kann dich nicht heiraten.« »Ich verstehe«, sagte er ruhig. Vielleicht würde es doch nicht so schwer werden, wie sie geglaubt hatte. »Und du hattest auch niemals die Absicht, es zu tun«, fuhr er fort. Sydney konnte kaum glauben, was sie da hörte. »Das weißt du doch längst.« Wie kam er nur darauf, dass sie inzwischen ihre Meinung geändert haben könnte? Sein Gesicht wirkte so starr, als wäre es aus Stein gemei ßelt. »Du liebst mich, Syd. Wo ist also das Problem? Wovor läufst du diesmal davon?« Sie konnte seinen Zorn förmlich spüren. »Ich laufe vor gar nichts davon.« »Das ist Quatsch«, sagte er und stand auf. Er ging zum Kleiderschrank und nahm sich eine Jogginghose aus einem Fach. Nachdem er sie angezogen hatte, sah er Sydney wieder an. »Du läufst davon, seit du aus Kentucky zurückgekommen bist.« »Ich habe dir doch erklärt, was passiert ist.« »Nein«, stieß er hervor. »Du hast mir das gesagt, was ich deiner Meinung nach wissen soll. Was ist noch passiert? Was ist es, dass dich davon abhält, mir zu vertrauen?« »Aber ich vertraue dir doch.« »Den Teufel tust du. Was hat dir dieser Kerl noch ange tan?« fragte er unerbittlich. Sie hatte gelitten, als ihr klar wurde, dass Nicholas sie nur benutzt hatte. Aber mittlerweile wusste sie, dass vor allem ihr Stolz verletzt gewesen war und nicht ihr Herz, als sie
von seiner Ehefrau erfahren hatte. Doch das war nichts gewesen im Vergleich zu dem Kummer, den sie jetzt empfand. Sie spürte Dereks Zorn und wusste, dass er von dem Schmerz herrührte, den sie ihm gerade zufügte. Mit ihm zu schlafen war ein Fehler gewesen. Aber sie hatte nicht erwartet, dass ihr Leben dadurch so kompliziert werden würde. »Es ist nicht so, dass…« »Bin ich nicht gut genug für dich?« fragte er herausfor dernd. Ihr war klar, dass ihn seine Enttäuschung und sein Schmerz so heftig werden ließen. Aber das verminderte ihren eigenen Schmerz überhaupt nicht. »Nein, das ist es nicht. Ich weiß, dass es alles nach der vergangenen Nacht ziemlich…« »Hier geht es nicht um Sex. Es geht um Vertrauen. Ich will endlich wissen, wovor du solche Angst hast.« Sydney wollte nur noch weg. Weg von seinem Zorn und dem Schmerz in seinen Augen. Aber sie hatte das Gefühl, als wären ihre Füße am Teppich festgeklebt. »Es wird niemals funktionieren.« »Weil du es nicht zulässt.« »Ich kann nicht.« Seine Augen funkelten vor Zorn. »Warum nicht?« Sie wandte sich von ihm ab und ging zum Fenster. Dann starrte sie in den Garten. Sie würde alles für Derek tun. Aber sie konnte ihn nicht heiraten. »Aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehe, hast du dir in den Kopf gesetzt, der Vater meines Kindes zu sein. Aber die Chance beträgt höchstens fünfzig Prozent.« »Ich weiß nicht, wie oft ich dir schon gesagt habe, dass es für mich keine Rolle spielt. Wann wirst du mir das endlich glauben?« »Ich kann es nicht glauben, weil es sehr wohl eine Rolle spielt«, sagte sie und drehte sich um. »Jetzt hat es vielleicht
wirklich keine Bedeutung für dich, aber was ist in einem Jahr? Oder in zwei Jahren? Wie wird es in zehn Jahren sein? Was wird passieren, wenn du anfängst, dir darüber Gedanken zu machen? Was, wenn es dich plötzlich stört, ein Kind großzuziehen, das vielleicht nicht dein eigenes ist? Was wird mit dem Kind geschehen, das dich liebt und Daddy zu dir sagt, wenn du dich auf einmal von ihm abwendest?« »Das werde ich niemals tun, Syd«, erwiderte er mit fester Stimme. Sydney widerstand dem Impuls zu schreien. Doch, er würde es tun. Und sie hatte den Schmerz und die Verwir rung in dem Gesicht eines kleinen Mädchens gesehen, das nicht verstand, warum der Mann, den sie Daddy nannte, sie so kalt behandelte. Niemals würde sie ihr eigenes Kind einem solchen Schicksal aussetzen. »Das weißt du doch gar nicht. Und dieses Risiko werde ich nicht eingehen«, stieß sie hervor. »Aber du irrst dich. Du irrst dich gewaltig. Ich liebe dich, Syd. Du spielst eine Rolle für mich. Dein Glück und das des Kindes, das du erwartest.« Sie schloss kurz die Augen und kämpfte gegen ihre Tränen an. »Das ist nicht genug«, flüsterte sie tonlos. »Warum nicht, zum Teufel?« »Weil ich selbst gesehen habe, was passieren wird. Als Nicholas’ Frau nach Kentucky kam, habe ich gesehen, wie er seine Tochter behandelte. Sie betete ihn an, aber er ließ sie links liegen. Und weißt du, warum? Weil er nicht ihr Vater war. Er hat es mir später gesagt, als er kam, um mir zu erklären, warum er nichts von seiner Ehe erwähnt hatte. Da habe ich also die ganze, schreckliche Wahrheit erfahren.« »Oh, ich wette, das war eine wirklich aufrichtige Beich te«, sagte Derek sarkastisch. »Er sagte, dass das kleine Mädchen, das praktisch den
ganzen Nachmittag lang hinter ihm hergelaufen war und geradezu um seine Aufmerksamkeit gebettelt hatte, nicht seine Tochter wäre. Er sagte auch, er hätte es von Anfang an gewusst und das Kind könne nichts dafür, aber er könnte nichts gegen seine Ablehnung tun. Das süße, unschuldige Kind musste leiden, weil er nicht über die Tatsache hinwegkam, dass ein anderer Mann der Vater war. Ich werde nicht zulassen, dass du oder irgendjemand anders meinem Kind so etwas antut.« Derek ging zum Bett zurück und setzte sich auf den Rand. Er stützte den Kopf auf seine Hände und sah Sydney nachdenklich an. »Liebst du mich?« »Was ich für dich empfinde, ist nicht wichtig«, rief sie wütend. »Hast du nicht gehört, was ich eben gerade gesagt habe? Ich bin nicht bereit, mein Kind dem gleichen Schicksal auszusetzen, das dieses kleine Mädchen erlitten hat. In einigen Jahren wirst du dasselbe empfinden wie Nicholas. Und du wirst nicht nur das Kind, sondern auch mich zurückweisen.« »Antworte mir«, forderte er mit gefährlicher Ruhe. »Ja!« schrie sie. »Bist du jetzt glücklich? Ja, Derek, ich liebe dich. Und genau deshalb werde ich dich nicht heiraten.« »Was ist das nun wieder für eine verquere Logik?« fragte er und grinste schief. »In Sachen Logik bin ich inzwischen einiges von dir gewöhnt. Du wirst mich nicht heiraten, weil du mich liebst. Das ist wirklich gut, Syd. Würde es dir etwas ausmachen, mir das näher zu erklären?« Sie wandte sich ab und starrte wieder aus dem Fenster. Ein paar Spatzen hüpften im Gras herum und flogen davon, als Bronson durch die Hundeklappe in den Garten gelaufen kam. Der Hund trottete am Zaun entlang und beschnüffelte den Boden, bis er die richtige Stelle fand, um seine Markierung zu setzen. Als sie sich umdrehte, saß Derek noch immer abwartend
auf dem Bettrand. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mich am Ende hassen würdest«, sagte sie aufrichtig. »Und du bist davon überzeugt, dass ich dich hassen werde, wenn das Baby nicht von mir ist. Genau wie dieser Mistkerl, der dich zum Narren gehalten hat, richtig?« Sie nickte und wischte sich eine Träne aus dem Augen winkel. »Du musst mir einfach vertrauen.« Er stand vom Bett auf und ging zu ihr. Sie hob den Kopf und blickte ihm in die Augen. »Du forderst blindes Vertrauen. Dazu bin ich nicht in der Lage. Es tut mir Leid.« »Ich bin nicht wie er.« Nein, er war nicht wie Nicholas. Aber er konnte auch nicht verhindern, dass sie fürchtete, auch er würde sie am Ende hassen und ablehnen, genauso wie Nicholas es mit seiner Frau und dem Kind getan hatte. Und auch er hatte geschworen, seine Familie zu lieben und zu beschützen. Sie wünschte sich, es wäre anders. Aber sie konnte ihr Kind einfach nicht diesem Risiko aussetzen. Eltern waren dazu bestimmt, stets das Beste für ihre Kinder zu wollen und zu tun. Derek jetzt zu verlassen war das Beste, was sie für ihr Kind tun konnte. Traurig schüttelte sie den Kopf. »Das ändert nichts, Derek. Es tut mir Leid.« Sein Blick war voller Zorn und Schmerz und tat ihr in der Seele weh. Wie sehr musste sie ihn verletzt haben! Aber sie sah keine andere Möglichkeit. Sie hatte gewusst, dass es furchtbar schwer sein würde, den besten Freund, den sie je hatte, zu verlieren. Aber dass es so wehtun würde, hatte sie nicht erwartet. Doch besser jetzt als später, redete sie sich ein. Sydney verließ das Zimmer und ging zum Wirtschafts raum, um ihre Sachen aus dem Trockner zu holen. Je eher sie ging, desto besser. In Anbetracht seines Zorns liefen sie Gefahr, Dinge zu sagen, die sie später bereuen würden.
Und es gab schon jetzt mehr als genug zu bereuen. Mühsam hielt sie die Tränen zurück. Sie konzentrierte sich darauf, den Trockner zu öffnen und ihre Kleidung herauszusuchen. Dann verließ sie den Raum in der Erwartung, dass Derek draußen stehen und eine neue Salve von Argumenten auf sie loslassen würde. Zu ihrer Überraschung war der Flur jedoch leer. Sie hastete ins Badezimmer und zog sich eilig an. Als sie fünf Minuten später das Bad verließ, lehnte er an der Wand gegenüber. Sie sah ihm an, wie wütend er war. Bevor sie seine Absicht erahnen konnte, trat er auf sie zu und ergriff ihr Handgelenk. Dann drehte er sie herum und drückte sie an die Wand. Er war so nahe bei ihr, dass sie die Wärme seines Körpers fühlen konnte. Ihr Atem stockte. Sie wollte diesem Zorn nicht länger ausgesetzt sein. Sie wollte diesen Schmerz nicht, der zwischen ihnen stand. Aber es gab kein Zurück mehr. Sie hatten die Grenze der Freundschaft überschritten, und nun war es vorbei. Es gab keinen anderen Weg. Es musste aufhören. Aber das hinderte sie nicht daran, sich zu wünschen, dass er sie ein letztes Mal küssen würde. Und es hinderte sie nicht daran, sich danach zu sehen, in seinen Armen zu liegen, sich an ihn zu schmiegen und seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft zu erwidern. Obwohl in seinen Augen nichts als Kälte stand, durchlief bittersüßes Verlangen ihren Körper. »Wie kannst du es wagen, mich mit diesem Schuft zu vergleichen, der seine Frau betrügt?« Seine Stimme war eisig und abweisend. »Du weißt doch genau, dass ich dich noch niemals verletzt habe.« Bei seinen Worten wurde Sydney blass. Derek war sehr, sehr wütend auf sie. Er würde ihr niemals vergeben, dass sie ihn wegen ihrer Furcht so sehr verletzt hatte. »Es tut mir so Leid«, flüsterte sie. »Das habe ich nie gewollt.«
Er trat einen Schritt zurück, als könnte er ihre Nähe nicht länger ertragen. »Mach keinen Fehler«, sagte er kalt. »Ich werde nicht zulassen, dass mein Kind ohne Vater auf wächst. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie das ist.« »Derek, bitte.« »Bitte was?« gab er zurück. »Soll ich dich gehen lassen? Damit du dich weiter hinter der Ausrede von ungeklärter Vaterschaft verstecken kannst? Diesmal nicht, Sydney.« »Aber du…« »Weißt nicht, ob es dein Kind ist«, vollendete er den Satz für sie. »Da du deswegen so besorgt bist, sollten wir diese Angelegenheit ein für alle Mal klären.« Sydney spürte, wie sehr er seinen Zorn unterdrückte. Er würde ihr niemals verzeihen, dass sie ihm nicht genügend vertraute. Und sie konnte ihn sogar verstehen. »Ein Bluttest wird jeden Zweifel ausräumen. Wenn es mein Kind ist, dann werden wir heiraten. Darauf kannst du dich verlassen.« Er drehte sich auf dem Absatz um und ging den Flur hinunter. Vor der Schlafzimmertür bedachte er sie noch mit einem letzten kalten Blick. Dann verschwand er in dem Raum und warf die Tür hinter sich zu. Die Endgültigkeit dieses Geräusches brachte Sydneys so lange zurückgehaltene Tränen schließlich doch zum Strömen.
12. KAPITEL Sydney ließ sich auf das Sofa fallen und drückte den Wiedergabeknopf ihres blinkenden Anrufbeantworters. Ungeduldig wartete sie, bis das Band zurückgespult war. Insgeheim hoffte sie, dass Derek angerufen hatte. Sie wünschte, er würde ihr gestehen, dass er einen Fehler gemacht hätte und ihre Freundschaft es wert wäre, gerettet zu werden. Aber ihr Verstand sagte ihr, dass das eben nur ein frommer Wunsch war. Derek hatte seinen Standpunkt
unmissverständlich deutlich gemacht. Es war zu Ende, und sie musste sich damit abfinden. Sie hatte zudem gehofft, dass er diese dumme Idee mit dem Bluttest vergessen würde. Aber auch in dieser Sache war er unerbittlich geblieben. Er wollte unbedingt feststel len lassen, wer der Vater ihres Kindes war. In den vergangenen dreieinhalb Wochen hatte sie nur ein einziges Mal mit Derek gesprochen. Er hatte auf dem Anrufbeantworter um die Adresse ihres Gynäkologen gebeten, um einen Termin für die Blutabnahme zu machen, und sie hatte ihn deshalb zurückgerufen. Der Test war nicht absolut zuverlässig, aber sie würden mit neunzig prozentiger Sicherheit wissen, ob das Kind von ihm war oder nicht. Derek war am Telefon sehr sachlich und direkt gewesen, und nachdem er die gewünschte Information erhalten hatte, beendete er das Gespräch ziemlich abrupt. Seine kühle Stimme hatte ihr am meisten wehgetan. Es hatte sich angehört, als ob ihre zwanzigjährige Freund schaft nie existiert hätte. Sydney hatte das Gefühl, dass die beiden letzten Monate, in denen er ihre Welt auf den Kopf gestellt hatte, für ihn ungefähr so erfreulich gewesen waren wie eine Wurmkur. Ihr war elend zu Mute, und sie vermisste Derek schreck lich. Sie hatte zumindest mit Rachels ungeteiltem Mitgefühl gerechnet, aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Nachdem sie ihrer Assistentin die ganze Geschichte erzählt hatte, war deren Reaktion nur eine einzige Strafpredigt gewesen. Wenn Sydney noch einmal zu hören bekäme, dass sie unvernünftig und egoistisch sei, würde sie bestimmt einen Schreikrampf bekommen. Und sie wollte auch nie wieder hören, wie idiotisch es war, einen so großartigen Mann wie Derek gehen zu lassen. Als sie Rachel ihren Standpunkt erklären wollte, hatte die nur die Augen verdreht und behauptet, Sydney wäre sich selbst der schlimmste Feind.
Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass Rachel völlig Recht hatte. Das Band war zurückgespult, und der Anrufbeantworter klickte. »Die Testergebnisse sind da«, erklang Dereks tiefe Stimme. Der Schauer, der ihr beim Hören seiner Stimme über den Rücken lief, verebbte bei seinem brüsken Tonfall. »Wir haben einen Termin bei deinem Arzt. Morgen Mittag um eins. Bis dann.« Tränen verschleierten ihr die Sicht, und ein Schluchzen kam aus ihrer Kehle. Sie hatte ihren besten Freund verloren. Den einen Menschen, der sie am Besten kannte, der sie immer unterstützt hatte und der sie liebte, auch wenn sie trotzig, unvernünftig und dickköpfig war. Sydney wischte sich die Tränen von den Wangen und fragte sich, ob er jemals über die Kränkung hinwegkommen würde, die sie ihm zugefügt hatte. Sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen, und ihre Freundschaft würde nie wieder so sein, wie sie gewesen war, bevor sie diese dummen Fehler begangen hatte. Aber vielleicht würde sich irgendwann ein Weg aufzeigen, wie sie ihre Beziehung trotz allem weiterführen konnten. Nicht, solange du ihm nicht vertraust, sagte eine innere Stimme. Konnte sie ihm denn vertrauen? Konnte sie sich darauf verlassen, dass er sich nicht von ihr und dem Kind abwandte, wenn er nicht der Vater war? Das Leben war voller Risiken, und es gab keine Garantien. Sie konnte nur alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, dass ihr Kind niemals Leid und Missachtung erfuhr. Aber sie enthielt ihrem Kind auch die Liebe eines fürsorg lichen Vaters vor. Und sie verhinderte, dass Derek den Platz im Leben seines Sohnes oder seiner Tochter einnahm, der ihm zukam. Sydney war vollkommen
verwirrt und wusste auf einmal nicht mehr, was richtig und was falsch war. Sie wusste nur noch, wie stark und geborgen sie sich mit Derek gefühlt hatte und wie sehr er ihr jetzt fehlte. Ratlos legte sie die Hand auf die Augen. Deswegen hatte sie sich nicht in ihn verlieben wollen. Weil es so verdammt wehtat. Sydney hätte alles darum gegeben, ihn lachen zu hören. Sie vermisste die Art, wie er ihr aufgeregt von irgendwel chen neuen Forschungsergebnissen berichtete, von deren Bedeutung sie herzlich wenig verstand. Für einen liebevol len Blick von ihm hätte sie ihre Seele verkauft. Was für ein dummer Gedanke, sagte sie sich kopfschüt telnd. »Lächerlich«, murmelte sie und schniefte. »Du hast gar keine Seele mehr, die du verkaufen könntest.« Die gehörte schon längst Derek. So, wie Derek die Sache sah, hatte er nur noch einen einzigen Versuch. Jetzt heißt es alles oder nichts, dachte er, als er im Fahrstuhl den. Knopf für den zehnten Stock drückte. Er war nicht bereit, seine Zukunft dem Zufall oder den Launen einer Frau zu überlassen. Einer Frau, die zu störrisch war, um die Wahrheit zu akzeptieren. Sydney würde es auch dann nicht glauben, wenn ein Komet in ihrem Wohnzimmer landete, auf dessen Schweif in neonfarbenen Buchstaben geschrieben stand, dass sie beide dazu bestimmt waren, ihr Leben gemeinsam zu verbringen. Der Aufzug hielt an, und er wartete ungeduldig, bis die Metalltüren sich öffneten. Dann eilte er durch den langen, von Designern entworfenen Korridor zu der Flügeltür aus Walnussholz am anderen Ende, die zu Dr. Hutchinsons Praxis führte. Bevor er die Tür aufdrückte, holte er noch einmal tief Atem und ging im Geiste die kleine Rede durch, die er sich zurechtgelegt hatte. Er war absichtlich eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit gekommen, weil er hoffte, mit Sydneys Arzt ein
ernsthaftes Gespräch von Mann zu Mann führen zu können. Dieser Mann hatte immerhin Sydneys und seine Zukunft im braunen Umschlag des Untersuchungslabors. Das Warte zimmer war leer bis auf eine junge Frau, die kaum älter als neunzehn sein konnte und behutsam einen Kinderwagen auf und ab schaukelte. Er nickte ihr zu und ging dann zur Anmeldung. Eine Frau in mittleren Jahren, die er bei seinem Besuch vor drei Wochen nicht gesehen hatte, blickte ihn lächelnd an. »Kann ich Ihnen helfen?« »Ich möchte gern den Doktor sprechen.« Die Frau sah ihn verständnisvoll an. »Ich fürchte, Sie sind in der falschen Praxis gelandet. Sie wollen bestimmt zu Dr. Rosen, dem Urologen. Seine Praxis ist am anderen Ende des Korridors. Es kommt häufiger vor, dass sich seine Patienten hierher verirren. Dies ist eine gynäkologische Praxis.« Die junge Frau hinter ihm kicherte und hustete dann, um ihre Belustigung zu verbergen. Wenn es nicht um so etwas Wichtiges wie Sydneys und seine Zukunft gegangen wäre, hätte Derek die Situation auch amüsant gefunden. »Nein, ich bin hier, um mit Dr. Hutchin son zu sprechen.« Die Sprechstundenhilfe zog fragend die Brauen hoch. »Sind Sie da sicher? In der Regel hat Dr. Hutchinson keine männlichen Patienten.« »Ja, ich bin ganz sicher«, antwortete Derek. Sie sah ihn ebenso skeptisch wie neugierig an. Er wollte gar nicht wissen, was sie jetzt dachte. »Mein Name ist Derek Buchanan. Warum sehen Sie nicht einfach im Terminplan nach?« schlug er vor und bemühte sich, nicht zu ungeduldig zu wirken. Sie zuckte mit den Schultern und fuhr dann mit dem Finger über die säuberlich getippte Liste, die vor ihr auf dem Tisch lag. Erstaunt ließ sie den Finger an einer bestimmten Stelle liegen. »Tatsächlich, hier steht es.
Buchanan und Travers, ein Uhr. Entschuldigen Sie, bitte. Das war mein Fehler. Dr. Hutchinson hat gerade eine Patientin. Aber es wird nicht mehr lange dauern.« Derek nickte und ging in den Wartebereich. Die junge Frau, die immer noch ihr Kind schaukelte, lächelte ihn an. Dann beugte sie sich über den Kinderwagen und zog die Decke zurecht. Er spähte in den Wagen auf die winzige Gestalt, die friedlich unter der rosa Decke schlief. Unwill kürlich musste er lächeln. »Wie alt ist sie?« erkundigte er sich und betrachtete fasziniert die winzigen Hände, die neben den dunklen Locken des Babys lagen. Würde sein Kind Sydneys Locken haben? Oder hätte es glattes schwarzes Haar wie er selbst? Und welche Augenfarbe würde das Kind haben? Grün, wie Sydney, oder blau? »Sechs Wochen«, antwortete die junge Mutter stolz. Zärtlich strich sie dem Baby über das Haar und lehnte sich dann in ihrem Stuhl zurück. Derek trat näher an den Kinderwagen heran und beugte sich vor. Der saubere, frische Geruch des schlafen den Babys stieg ihm in die Nase. »Sie ist furchtbar klein.« »Das sind die meisten Babys«, sagte die Mutter lä chelnd. »Mr. Buchanan?« ließ sich die Sprechstundenhilfe vernehmen. »Dr. Hutchinson bittet Sie, in seinem Büro zu warten, bis Miss Travers eintrifft.« Derek richtete sich auf und nickte der Sprechstundenhil fe zu. »Sie ist wunderschön«, sagte er zu der jungen Mutter, bevor er der Arzthelferin ins Sprechzimmer folgte. Er wartete, bis er allein war, und setzte sich dann in einen der Ledersessel, die vor dem großen Schreibtisch standen. Es dauerte aber nur drei Sekunden, bis er wieder aufstand, um nervös im Zimmer auf und ab zu gehen. Er musste unbedingt mit dem Arzt sprechen, bevor Sydney kam. Ungeduldig blickte er auf seine Armbanduhr. Es
war zwanzig vor eins. Ihm blieben also noch zwanzig Minuten, um Dr. Hutchinson davon zu überzeugen, einen Verstoß gegen die ethischen Grundprinzipien der Ärzte schaft zu begehen und damit Sydneys und seine Zukunft zu retten. Sydney stieg zehn Minuten zu früh aus dem Aufzug. Während sie geduscht und sich angezogen hatte für den Termin, der ihr Leben verändern würde, wäre sie beinahe zu einem Entschluss gekommen. Sie hatte ernsthaft daran gedacht, Dr. Hutchinson zu bitten, das Testergebnis zu vernichten, weil ihr das Resultat nichts bedeutete. Aber sie wusste, dass sie damit sich selbst und auch Derek anlügen würde. Oder doch nicht? Sie war vollkommen verstört und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Nur eines war sicher: Sie musste irgendwie die immer tiefer werdende Kluft zwischen Derek und sich schließen. Während sie langsam durch den Flur zur Praxis ging, fragte sie sich, was wohl mit ihnen passieren würde, wenn sich herausstellte, dass Derek der Vater des Babys war. War der Schaden, den sie in ihrer ohnehin schon proble matischen Beziehung angerichtet hatte, so groß, dass es zu mehr als verkrampften, lange im Voraus geplanten Wochenendbesuchen nicht reichte? Oder waren sie in der Lage, für das Kind ihre Freundschaft aufrechtzuerhalten? Und wenn es nicht Dereks Kind ist? Bei diesem Gedan ken wurde ihr plötzlich ganz heiß. Sie blieb stehen. Die unvermittelte Einsicht, dass sie sich wünschte, es wäre Dereks Kind, überwältigte sie fast. Wenn der Test ergeben hatte, dass Derek nicht der Vater war, würde sie ihn vielleicht nie mehr Wiedersehen. Sie biss sich auf die Lippen und drängte die Tränen zurück. Der Gedanke an ein Leben ohne Derek war unerträglich. Sie musste alles tun, um zu verhindern, dass
er für immer verschwand. Es fiel Sydney schwer, das zuzugeben, aber sie liebte ihn. Allein die Vorstellung, sie könnte ihn nicht mehr sehen, erfüllte sie mit einem schrecklichen Gefühl der Leere. Sie brauchte keinen Mann in ihrem Leben, aber sie brauchte Derek. Diese plötzliche Gewissheit bestürzte sie zutiefst. Derek war ihr Freund, mehr noch, er war ihr ein Seelen verwandter. Sie wusste, dass Derek sie liebte. In den vergangenen Monaten hatte er ihr das mit allen Mitteln zu zeigen versucht. Angefangen bei der Aufzählung von vernünfti gen, aber kränkenden Argumenten für eine Ehe bis hin zu den misslungenen Bemühungen, ihr zu beweisen, wie viel angenehmer ihr Leben sein würde mit einem Ehemann, der sich im Haushalt nützlich machte und ihr viele der alltäglichen Pflichten abnahm. Er war so sehr zum festen Bestandteil ihres Lebens geworden, dass es ihr ohne ihn gar nicht mehr möglich erschien. Die letzten zwei Wochen hatten ihr in aller Deutlichkeit gezeigt, dass ein Leben ohne Derek leer und sinnlos sein würde. Sie wusste jetzt, wo sein Platz war. Bei sich und ihrem Kind. Ihrem gemeinsamen Kind. Fast rennend legte sie die letzten Meter zur Praxis zurück und hoffte dabei inständig, Derek im Wartezimmer anzutreffen. Dann könnte sie ihm sagen, dass die Tester gebnisse für sie ohne jede Bedeutung waren. Sie brauchte sie nicht mehr. Alles, was sie brauchte, war er. An der Tür hielt sie kurze inne, um sich für das bevorste hende Treffen zu wappnen. Angesichts ihrer letzten Irrtümer und Fehler, die sie auf seine Kosten begangen hatte, konnte sie nur beten, dass er sie noch nicht aufgege ben hatte. Daran, wie sehr sie ihn verletzt haben musste, mochte sie gar nicht denken. Sie holte noch einmal tief
Luft und betrat dann das volle Wartezimmer. Sie nannte der Sprechstundenhilfe am Empfang ihren Namen. Dass sie gleich ins Büro gebeten wurde, über raschte sie sehr. Als sie sich dem Raum näherte, drangen zwei männliche Stimmen durch die angelehnte Holztür zu ihr. Die eine Stimme war die ihres Arztes, die andere gehörte zweifellos Derek. Neugierig trat sie näher. Die Tür stand nur einen kleinen Spalt offen, aber das reichte aus, um das Gespräch klar und deutlich zu verstehen. »Was Sie da verlangen, bedeutet einen Verstoß gegen jegliche Moral und Ethik, Dr. Buchanan. Und es wäre ein unerhörter Missbrauch des Vertrauens, das mir meine Patientin entgegenbringt.« »Was kümmert mich Ihre Ethik!« Derek schrie fast. »Es geht um die Zukunft eines Kindes!« »Meinen Sie die Zukunft des Kindes oder Ihre eigene?« fragte der Arzt in ruhigem Ton. Dieser Ton hatte Sydney immer ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Bei Dereks scharfer Erwiderung zuckte sie zusammen. »Was macht das schon für einen Unterschied? Ich bitte Sie doch nur darum, ihr zu sagen, dass ich der Vater bin. Ich sehe nicht ein, dass das ein so furchtbares Verbrechen sein soll.« Sydney hörte den Arzt seufzen. Sie fragte sich, ob die unerschöpfliche Geduld, die er immer an den Tag legte, nun ihre Grenze erreicht hatte. »Ich habe es Ihnen bereits erklärt. Miss Travers etwas anderes als die tatsächlichen Testergebnisse mitzuteilen wäre nicht nur ein Verstoß gegen die ethischen Prinzipien meines Berufsstandes, sondern auch ein Vertrauensbruch. Meine Patientinnen erwarten von mir mit Recht, dass ich ihr Vertrauen nicht missbrauche. Ich lehne es entschieden ab, gegen meine ethischen und beruflichen Prinzipien zu verstoßen, mag Ihnen der Grund für Ihre Bitte auch noch
so wichtig erscheinen. Ich verstehe…« »Nein, Sie verstehen es eben nicht!« Vorsichtig spähte Sydney durch den Türspalt. Derek lief vor dem Schreibtisch des Arztes hektisch auf und ab. Sein Haar war zerzaust, und in seinem Blick standen Zorn und Enttäuschung. Er sah aus, als kämpfte er gerade um sein Leben. In einem gewissen Sinne tat er das auch. Er kämpfte für ihre Zukunft. »Sehen Sie, Dr. Hutchinson«, begann er und blieb stehen. »Sie ist eine furchtbar dickköpfige Frau, und sie liebt mich. Aber wenn sie nicht absolut sicher sein kann, dass das Baby von mir ist, wird sie sich weiter weigern, mich zu heiraten. Ich habe ihr gesagt, dass die Frage der Vaterschaft für mich überhaupt keine Rolle spielt. Aber sie glaubt es mir einfach nicht.« »Sind Sie sich da ganz sicher? Spielt es für Sie wirklich keine Rolle?« fragte der Arzt. Nach einem kurzen Moment, der ihr wie eine Ewigkeit vorkam, hörte sie Dereks Antwort. »Ich liebe sie. Und nur das zählt für mich.« »Derek«, sagte sie und stieß die Tür auf. »Tu das nicht.« Er sah sie nicht an, sondern stand nur da und ließ hilflos die Hände fallen. Derek Buchanan sah aus wie ein Mann, der gerade die Niederlage seines Lebens erlitten hatte. »Derek, für mich zählt auch nur das.« Langsam hob er den Kopf und sah Sydney an. Aber sie wandte sich an den Arzt. Wenn sie Derek jetzt in die Augen blickte, würde sie die Fassung verlieren. »Ich dachte, es wäre wichtig für das Glück meines Kindes, ob Derek der Vater ist. Aber ich habe mich geirrt. Nur eines ist wichtig: ein Vater, der das Kind bedingungslos liebt.« »Syd…« Mit einer Handbewegung brachte sie Derek zum Schweigen. Sie starrte den Arzt unverwandt an, denn wenn sie jetzt in Dereks Richtung blicken würde, könnte
sie nicht anders, als sich in seine Arme zu werfen und ihn für ihre Dummheit um Verzeihung zu bitten. »Sehen Sie, Dr. Hutchinson, Derek hat Recht. Ich war tatsächlich ziemlich störrisch.« Sie machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. »Störrisch, egoistisch und entschlossen, alles allein zu machen. Ich dachte, ich könnte meinem Kind alles geben, was es braucht. Ich könnte es lieben, mich um alles kümmern und sicherstellen, dass es alles bekommt, was ich geben kann. Aber das war ein großer Irrtum.« Sydney drehte jetzt den Kopf zu Derek. Sie bemerkte kaum, dass ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Dann ging sie auf ihn zu und berührte zärtlich seine Wange. »Ich kann meinem Kind nicht die Liebe seines Vaters ersetzen. Die kannst nur du ihm geben.« »Ihm oder ihr«, sagte er und zog sie in seine Arme, um sie . festzuhalten. Dagegen hatte sie keine Einwände. Sie hatte nicht die Absicht, ihn jemals wieder gehen zu lassen. Nicht mehr. »Es könnte ja auch ein Mädchen werden.« Ein Räuspern erinnerte Sydney daran, dass sie nicht allein waren. »Dr. Hutchinson, es tut mir sehr Leid, dass Sie diesen ganzen Ärger hatten. Könnten Sie so nett sein und die Testergebnisse vernichten?« Derek blickte sie stirnrunzelnd an. »Syd, bist du sicher? Ich weiß doch, wie wichtig dir die Wahrheit ist. Wenn du wirklich Klarheit haben willst, dann kann ich das verste hen.« Sie sah den Mann an, den sie liebte. Noch immer hatte sie Ängste und Bedenken, aber mit der Zeit und vor allem mit Dereks grenzenloser Geduld würden sie ver schwinden. »Es ist nur ein dummer Test, der obendrein noch eine Fehlerquote von zehn Prozent hat. Es ist nicht wichtig. Nur du bist wichtig.« »Es hat wohl wirklich keinen Sinn, etwas so tragisch zu nehmen, das noch nicht einmal eindeutig ist«, sagte Dr.
Hutchinson und klemmte sich die Akten mit den Tester gebnissen unter den Arm. »Ich habe Patientinnen, die auf mich warten. Miss Travers, ich sehe Sie in zwei Wochen wieder«, fügte er hinzu und ging zur Tür. Mit der Hand auf der Klinke drehte er sich noch einmal zu ihnen um. »Würden Sie gern das Geschlecht des Kindes erfahren?« Sydney blickte Derek fragend an. »Ich glaube nicht.« Derek hob die Brauen. »Es könnte sehr nützlich sein, es zu wissen«, wandte er ein. »Weißt du, dann können wir das Kinderzimmer besser einrichten. Und wir wüssten, welche Kleidung und Spielsachen wir kaufen müssen.« Dr. Hutchinson schüttelte ungläubig den Kopf. In seinem Beruf war ihm schon viel Seltsames widerfahren. Aber was er heute erlebt hatte, war wirklich mehr als merkwürdig. »Sie sollten vielleicht jetzt schon einmal damit anfangen, sich Namen zu überlegen«, sagte er mit einem ironischen Lächeln und öffnete die Tür. »Denn in ungefähr sieben Monaten müssen Sie beide zu irgendeiner Form der Einigung gekommen sein.« Er trat auf den Flur hinaus und schloss die Tür hinter sich, um seiner Patientin und ihrem zukünftigen Ehemann ein paar Minuten der Zweisamkeit zu schenken. »Hier«, sagte er und überreichte einer Sprechstundenhil fe die Akte. »Nehmen Sie die Testergebnisse heraus und stecken Sie sie bitte in einen separaten Umschlag. Markieren Sie ihn, damit er nicht versehentlich der Patientin übergeben wird.« Die Sprechstundenhilfe nahm die Akte und schlug sie auf. »Aber das verstehe ich nicht«, sagte sie irritiert. »Wollen die beiden denn nicht die Bestätigung, dass Dr. Buchanan der Vater des Kindes ist?« Der Arzt lächelte sie verschwörerisch an. »Sie brauchen die Testergebnisse nicht. Ich habe das Gefühl, Sie
wissen es schon längst.«
EPILOG Vier Jahre später. Sydney öffnete die hintere Tür ihres neuen Minivans, um ihren Sohn aus dem Kindersitz zu nehmen. »David, was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?« fragte sie den Dreijährigen, der seinen gerade neu gekauften Spielzeuglaster in die Höhe hielt. Oder besser das, was von dem Laster noch übrig war. Sie nahm ihm das Spielzeug ab und steckte es in die Windeltasche. Dann hob sie den kleinen Jungen aus dem Wagen. »Mommy kauft dir keine neuen Spielsachen, damit du sie kaputtmachst.« »Mich kaputt, Mommy«, erklärte der Kleine und blickte sie aus seinen blauen Augen ernst an. »Heil gemacht.« »Na gut, du hast es also heil gemacht«, sagte sie und zerzauste ihm die dunklen Locken. Es ist eigentlich nicht fair, dachte sie, als sie sich der schlafenden Danielle zuwandte. Ihr Sohn hatte seit dem Tag seiner Geburt dicke, kräftige Locken auf dem Kopf, während sich bei ihrer kleinen Tochter bis jetzt nur ein zarter Flaum zeigte. Sie drehte sich um, als sie David vor Freude quietschen hörte, und musste unwillkürlich lächeln. Derek hob den Kleinen hoch in die Luft und klemmte ihn sich dann wie ein Paket unter den Arm. »David hat schon wieder ein Spielzeug kaputtge macht«, sagte sie, während sie sich die Wickeltasche um die Schulter hängte. Dann holte sie behutsam Danielle aus ihrem Transportbettchen und nahm sie in die Arme. »Diesmal hat er nur zehn Minuten gebraucht.« »Ich werde es reparieren«, sagte Derek. Er stellte David vorsichtig auf die Veranda und ging über den Rasen auf sie zu.
Sie blickte ihm stirnrunzelnd entgegen. Bereits einige Zeit vor Davids Geburt waren sie zu einer Entscheidung gekommen. Wenn Sydney durch die in Haus oder Garten notwendigen Reparaturen über fordert wäre, würden sie einen Fachmann engagieren. Das würde ihnen auf lange Sicht viel Geld einsparen. Denn Derek war trotz ihrer wiederholten Versuche, es ihm beizubringen, noch immer nicht in der Lage, einen Schraubenschlüssel von einem Schraubenzieher zu unterscheiden. »Na gut, du wirst es reparieren«, sagte er lächelnd. Er nahm ihr das schlafende Baby ab und küsste sie liebevoll auf die Lippen. Unser Leben hat sich in den vergangenen vier Jahren grundlegend geändert, dachte Sydney glücklich, während sie die allabendliche Routine durchlief. Als sie Danielle gebadet, gefüttert und in die Wiege gelegt und es außerdem endlich geschafft hatte, ihren quicklebendigen Sohn ohne allzu lange Diskussionen ins Bett zu stecken, war sie mehr als bereit für den sehnlichst erwarteten ruhigen Abend mit ihrem Ehemann. Sie fand ihn im Innenhof, wo er durch ein Teleskop in den Himmel spähte. Er hatte das Teleskop aufgestellt, um David die Sterne und Planeten zu zeigen. Der Kleine zeigte bereits großes Interesse an dieser Materie. »Ich glaube immer noch, dass sie schöner sind, wenn man sie mit bloßen Augen betrachtet«, sagte sie, stellte sich hinter Derek und schlang die Arme um ihn. »Die Sterne verlieren irgendwie ihren Zauber, wenn man sie durch das Ding hier anschaut.« Als Derek sich umdrehte und Sydney umarmte, schmiegte sie sich zärtlich an ihn. »Der einzige Zauber, der mich interessiert, ist der, mit dem du mich in deinem Bann hältst.« Der verheißungsvolle Unterton in seiner Stimme verur sachte ihr eine Gänsehaut.
Er trat näher an sie heran und musterte sie eindringlich. Ein Schauer des Begehren durchfuhr sie, als sie die Leidenschaft in seinen Augen bemerkte. Es war eine Leidenschaft, die auch nach vier Jahren Ehe nicht im Geringsten nachgelassen hatte. Derek senkte die Lippen auf ihren Mund. Eine Woge der lustvollen Erwartung durchströmte ihren Körper, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie spürte die Wärme seines Körpers und atmete seinen männlichen Duft ein. Sie wünschte, sie könnte auf der Stelle mit ihm ver schmelzen. Er streichelte ihren Rücken und presste sie an sich. Sydney seufzte auf und drängte sich ihm entgegen. Es schien ihr ein Ding der Unmöglichkeit, dass sie einmal geglaubt hatte, diesen Mann zu lieben, wäre ein untragba res Risiko. Derek hob den Kopf und blickte ihr in die Augen. Er sah darin die ganze Liebe, zu der sie fähig war. Sie lächelte ihn an und wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, ihm ihr Vertrauen zu schenken. Er hatte ihr mehr als Liebe zurückgegeben und auch mehr als zwei wunderschö ne Kinder zum Beweis dieser Liebe. Er hatte ihr das Glück zurückgegeben und das Verspre chen, dass dieses Glück ein ganzes Leben lang dauern würde.
-ENDE-