RALPH »SONNY« BARGER UNTER M I T A R B E I T V O N KEITH UND KEN T Z I M M E R M A N
HELL'S ANGE L MEIN LEBEN
Europa ...
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RALPH »SONNY« BARGER UNTER M I T A R B E I T V O N KEITH UND KEN T Z I M M E R M A N
HELL'S ANGE L MEIN LEBEN
Europa Verlag Hamburg • Wien
Für Sarrah
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titelsatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. Originalausgabe: Hells Angel. The life and times of Sonny Barger and the Hell's Angels Motorcycle Club © Sonny Barger Productions, 2000 Deutsche Erstausgabe © Europa Verla g GmbH Hamburg/Wien, 2. Auflage, Februar 2001 Lektorat: Imke Sörensen Umschlaggestaltung: Kathrin Steigerwald, Hamburg Foto: Ralph Nelson Innengestaltung: H 8c G Herstellung, Hamburg Druck und Bindung: Wiener Verlag, Himberg bei Wien ISBN 3-203-75536-X Informationen über unser Programm erhalten Sie beim Europa Verlag, Neuer Wall 10,20354 Hamburg oder unter www.europaverlag.de
Inhalt Danksagungen 7 1 Treffpunkt Custer 9 2 Im Arbeiterviertel, Jungle Jim's und Ralph Sr. 19
Snake Pit 35 4
Harleys, Chopper, Full Dressers und geklaute Bikes 61 5
Die Hell's AngelsS 83 6
Old Ladies und andere Chicks 115 LSD-Getränkte Sechziger 139
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Porterville 161 Let it bleed die Stones und wir 183 10
Mord, Chaos, gesetzloses Leben 797 11 Im Knast -Angels auf Eis 217 12 RICO
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Ratten und Verräter 263 14
Mein härtester Kampf 275 15
Neuanfang in Arizona 285 Die Knast-Tabelle 295 Glossar 299
DANKSAGUNGEN Dank an alle, die mitgeholfen haben, den Club und mich zu dem zu machen, was wir heute sind. Sonny
Dank an Fritz Clapp, Jim Fitzgerald, Cisco Valderrama, Sharon Barger, Bud and Shirley Rogers, Kent Russell, Mouldy Marvin Gilbert, Bobby Durt, Big AI Perryman, Guinea Colucci, an den Oakland Hell's Angels MC, Paul Slavit, Diane Austin, Bob Blasier, Ben Schafer, Paul Bresnick, Ben Myron, Tony Scott und ganz besonders an Deborah Zimmerman und Gladys Zimmerman und Sonny, Noel und Sarrah. Die Zimmermans
Der Europa Verlag bedankt sich ganz besonders bei Michael Ahlsdorf, Bikers News, für seine fachliche Unterstützung und die Erstellung des Glossars.
»Chief« auf der Maschine - Oakland, Herbst 1965. V.Ln.r,: Clifford »Skip« Workman, Michael »Tiny« Walters, ich auf der Maschine und, hinter mir, LittleRon. GeneAnthony
l TREFFPUNKT CUSTER nsere Runs sind ein Treffen, eine mobile Party. Wenn man ein Hell's Angel ist, wird daraus eine Show von Kraft und Solidarität Das bedeutet, frei zu sein und von all dem Quatsch davonzukommen. Angels machen keine Runs, weil sie auf der Suche nach Krawall sind; wir wollen nur unsere Bikes fahren und gemeinsam Spaß haben. Wir sind ein Club. Die meisten Hell's Angels sind großartige Fahrer. Das ist schon ein toller Anblick, eine Gruppe von Hell's Angels nebeneinander und mit 130 Sachen über einen Highway donnern zu sehen. Im Konvoi zu fahren ist etwas ganz anderes, als allein unterwegs zu sein. Das ist schnell und gefahrlich, und man muß dabei verdammt aufpassen. Was immer dem Guy vor dir passiert, passiert dir auch, man muß ständig auf der Hut sein. So wie Fuzzy, ein Oakland Angel, einst sagte: »Gottverflucht, wir fahren manchmal mit 140 oder 150 Sachen im Regen. So schnell fahr ich noch nicht mal mit meinem Auto!« In den späten 60ern, als die Hell's Angels Charter auch außerhalb des Staates Kalifornien gegründet wurden, fingen wir damit an, auch Runs durch die ganzen USA und schließlich durch die Welt zu unternehmen. Auf diesen Runs trafen wir uns mit den neuen Clubs, und deren Mitglieder begleiteten uns dann. Mann, wir fuhren von Oakland nach New York auf diesen frühen, ungefederten Bikes, und die holperten so heftig, daß es schon eine große Leistung war, wenn man die Dinger mit 90 Sachen noch in der Gewalt behielt Die Vibration spürte man noch mindestens eine Stunde, nachdem man abgestiegen war, als ein bebendes, taubes Gefühl. Wenn man an einem Tag 500 oder 600 Kilometer schaffte,
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Leg dich besser nicht mit diesen Kerlen an! VI n. r.: Cisco, Zorro, Terry The Tramp und Deacon 1968. Cisco Valderrama personal collection
dann hatte man einen Affenzahn draufgehabt. Ein anderes, großes Problem war, daß man so etwa alle 50 bis 60 Kilometer eine Tankstelle finden mußte, denn auf den alten Maschinen mit ihren kleinen Tanks kam man nur knapp 100 Kilometer weit. Heute fährt eine Harley FXRT mit ihren in Gummi gelagerten Motoren und ihren großen Benzintanks nicht nur viel weicher und bequemer, sie schafft auch bis zu 1000 Kilometer an einem Tag mit ein paar Tankfüllungen. Wir von den Hell's Angels unterscheiden uns von all den anderen Motorradfahrern durch unsere Maschinen und die Art und Weise, wie wir sie fahren. Das ist für uns eine sehr wichtige Sache. Unsere Bikes - das sind wir. Das wissen wir. Das wissen die Bullen, und alle anderen sollten das auch wissen. Die Polizei und der Highway, die beiden gehören zusammen. Selbst heute noch taucht die Polizei sofort in Massen auf, wenn eine große Gruppe von Hell's Angels irgendwohin fährt, und alarmiert sofort die Reviere sämtlicher Gegenden, durch die wir kommen. So ging die Ralph »Sonny« Barger 10
Polizei von Anfang an gegen uns vor. Das ist heute nicht anders als vor 30 Jahren. Wir fahren, und die Bullen folgen uns mit ihren Überwachungsmethoden und ihren Funksprechgeräten überallhin, um uns ständig zu kontrollieren. Dabei sind wir überhaupt nicht auf Ärger und Krawall aus und haben keinerlei böse Absichten, aber sie sind stets in greifbarer Nähe. Die Polizei reagiert ganz unterschiedlich auf uns, je nachdem, wohin wir kommen. Einmal fuhren wir durch Texas nach Oklahoma. Als wir in die Nähe von Oklahoma City kamen, bogen zehn oder zwölf Oklahoma State Troopers auf den Highway ein und eskortierten uns durch die ganze Stadt Sie ließen uns nicht einmal zum Tanken anhalten. In Texas fragte mich ein Bulle: »Entschuldige, Partner, aber ... warum tragen du und deine Freunde diese großen Messer?« Ich antwortete ihm: »Weil wir alle vorbestraft sind und keine solch großen Ballermänner tragen dürfen wie ihr.« In Missouri saßen wir einmal am Straßenrand und machten Rast, als ein State Trooper seinen Wagen bei uns stoppte, zu uns kam und fragte: »Darf ich mal eine blöde Frage stellen?« »Klar, wenn's dir nichts ausmacht, eine blöde Antwort zu kriegen.« »Warum sitzen 15 Hell's Angels aus Kalifornien am Straßenrand in Missouri herum?« »Wir haben vier oder fünf Leute unterwegs verloren und zerbrechen uns nun den Kopf darüber, wo sie wohl geblieben sind.« Der Polizist dachte ein paar Sekunden nach. »Vielleicht kann ich euch dabei helfen. Ich könnte ja über Funk mal herumfragen und die Leute für euch ausfindig machen.« Dann sprach er tatsächlich mit einigen Revieren und anderen Polizisten, fand die anderen und gab uns die genaue Runroute an, um unsere verlorengegangenen Brüder wiederzufinden. Auf der anderen Seite gab es auch einmal einen Bullen in Texas, der uns auf der Landstraße nahe Amarillo entdeckte und Muffensausen bekam oder einfach nur meinte, er tue seine Pflicht. Er forderte Verstärkung an und ließ auf unserem Weg eine Straßensperre mit Maschinengewehren errichten. Auf einem Run nach South Carolina wurden wir von Cops angehalten und mußten alle unsere Ms Angel
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Ausweispapiere vorweisen. Das Ganze dauerte über zwei Stunden und war doch total für die Katz. Polizisten können sich wie richtige Arschlöcher aufführen, wenn sie wollen. Hell's Angels Motorcycle Club gibt es pro Jahr vier oder Beim fünf Pflichtfahrten und so etwa 15 oder 20 Partys oder kleinere Runs. Wenn man das mit den 40 Jahren multipliziert, seitdem es den Oakland-Club gibt, dann ergibt das schon eine erhebliche Menge Motorradfahrten. Von allen Runs aber gibt es eine, die mir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist: unser alljährlicher Trip zu den Black Hills nach Sturgis, South Dakota, im Jahr 1982. Ich will versuchen, diesen Run, so gut ich mich an sie erinnern kann, zu beschreiben, denn meiner Meinung nach wurde damals die Spreu ganz deutlich vom Weizen getrennt. Wir gaben diesem Run den Code-Namen »Muster to Custer« - Treffen in Custer. Es gab nämlich einen anderen Motorcycle Club - dessen Namen ich nicht nenne, denn es ist ein großer Club, mit dem wir seit Jahren zerstritten waren -, der Anfang 1982 öffentlich erklärt hatte, der einzige Grund, warum die Hell's Angels nicht nach Sturgis kämen, sei der, daß sie nach Sturgis fahren. Davon erfuhr ich von den Kumpels eines Clubs in New York City, und meine erste Reaktion darauf war: »Scheiß drauf! Ich fahre nach Sturgis.« Nachdem ich das gesagt hatte, wurde natürlich im ganzen Oakland-Club darüber debattiert, und der gesamte Club stellte sich hinter mich. Alle wollten nun auch nach Sturgis fahren. Diese Neuigkeit verbreitete sich schnell in allen anderen Gruppen der Hell's Angels. Die Reaktion war überall dieselbe. Sie wollten alle nach Sturgis fahren. Die Aktion »Muster to Custer« war beschlossen. Wir hatten schon einen Run sämtlicher Westküsten-Clubs nach Frisco, Colorado, geplant. Nun beschlossen wir, daß wir nach ein paar Tagen Party in Frisco unsere Bikes besteigen und nach Sturgis donnern würden. Sämtliche Hell's Angels - von der Ostküste bis zur Westküste - sollten sich an einem bestimmten Platz treffen, damit wir dann eine Massenfahrt nach Sturgis ohne Störung durch die Polizei oder den feindlichen Club inszenieren konnten. 12
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Aber wie sollten wir uns alle treffen, ohne daß irgendwelche Außenseiter davon erfuhren? Mouldy Marvin und einige seiner Clubfreunde an der Ostküste dachten sich die Parole aus: HAMCOE - Hell' Angels Muster to Custer or Else! (»Hell's Angels Treffen in Custer, sonst nirgendwo!«) Da er wußte, daß viele Telefone von Hell's Angels abgehört wurden, rief er die Ostküsten-Angels an und sagte nur: »H-A-MC-O-E. Kapiert? Am Freitag mittag.« Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Die Ostküsten-Leute würden sich in Custer, South Dakota, treffen und sich dort mit den West-küsten-Angels vereinigen. Danach sollte die ganze Gruppe Hell's Angels zusammen nach Sturgis brausen. Der Run von Oakland nach Frisco, Colorado, und von da weiter nach Custer begann wie üblich. Am letzten Sonntag des Juli 1982 fanden wir uns alle bei unserem Clubhaus in Oakland ein. Die Abfahrt war für neun Uhr früh angesetzt, und etwa 30 von uns sollten losfahren. Jedes Clubmitglied ist dabei für seine Maschine verantwortlich. Jeder muß dafür sorgen, daß sein Bike in ausreichend gutem Zustand für den Hin- und Rückweg dieses langen Runs ist. Vor dem Trip nach Colorado trafen sich einige von uns am Freitag abend in meinem Haus zu einem Garagenfest. Jedes Mitglied hilft den anderen, wenn die Bikes startklar gemacht werden, die Auspuffrohre geprüft, neue Zündkerzen eingesetzt, Ölwechsel gemacht und neue Reifen aufgezogen werden müssen. Wenn jemand eine neue Antriebskette braucht und man eine Ersatzkette hat, hilft man dem Bruder damit aus, bis er nach der Rückkehr eine neue Kette kaufen kann. Für mich sind diese Vorbereitungen ein absolutes Muß, also mache ich die Runde und checke die Bikes der anderen, bevor wir losfahren. Das ist wie damals beim Appell während meiner Militärzeit. Etliche Kumpels werden dann immer richtig sauer auf mich, aber scheiß drauf, so bin ich nun mal. Es gibt keine Lässigkeiten bei dem Run mit der Gang. Allein wenn alle ihre Kickstarter treten, die Motoren donnern und wir abfahrbereit sind, ist schon ein unbeschreibliches Gefühl. An der Spitze der Gruppe herrschen genaue Formationsvorschriften. Ich Hell's Angel
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fuhr immer vorne links, und die anderen Officers führten die gesamte Truppe an. Gewöhnlich fährt der Vizepräsident vorne rechts, denn er ist die »legalste« Person unserer Gruppe. Und er hat das Geld für eventuelle Kautionszahlungen bei sich . Dahinter ist es dann für die anderen eine Art Straßenrennen, bei dem jeder sehen muß, wie er zurecht kommt und sich seinen Platz sichert. Typen wie Deacon und Frizzy fahren Lenkstange an Lenkstange, wobei keiner auch nur einen Zentimeter nachgibt. Wenn die ersten zehn Plätze erobert sind, folgt der Rest in freier Ordnung. Mouldy Marvin ist ein bulliger, breitschultriger Typ (mit einem IQ von 180, hat man mir erzählt), hinter dem viele andere Biker gern fahren. Warum? Wenn er irgendein Hindernis oder sonst was auf der Straße sieht, warnt er die nachfolgenden Fahrer mit Handsignalen, ohne sich dabei umzudrehen. Nachts leuchtet er mit seiner Stablampe auf die Straßenschilder. Deshalb fährt Marvin auch ziemlich weit vorn. Aber es gab auch andere, wie Fu Griffin, die nicht gern hinten fuhren. Griffin hatte immer ein Paar Tennisschuhe mit den Schnürsenkeln hinten an seinem Bike festgebunden. Man wußte nie, ob sich nicht einer der Schuhe lösen, auf die Straße fallen oder dem Hintermann ins Gesicht fliegen würde. Bei 130 Sachen würde so etwas selbst einem HelPs Angel ganz schön weh tun. Es ist eine regelrechte Kunst, eine Biker-Gruppe anzuführen, denn die Fahrer an der Spitze müssen Dinge wie Fahrbahnwechsel, idiotische andere Fahrer, Tankstellen und Staus auf der Landstraße voraussehen. Der Oakland Club ist bei Runs bis zu einem dreiviertel Kilometer lang. Da kann ich nicht einfach die Fahrbahn wechseln, wie ich es möchte; schließlich bin ich für die Sicherheit der übrigen Fahrer verantwortlich. Wichtig sind auch die Geschwindigkeitsregeln. Wir wissen, daß wir auf freier Landstraße bis zu 140 oder 150 fahren können, in einigen Gegenden aber wird man schnell geschnappt, wenn man sich nicht halbwegs an die Temporegeln hält. Schließlich muß die Spitze auch daran denken, wie weit es in etwa bis zur nächsten Tankstelle ist und wie groß die Tanks der anderen Fahrer sind. Nach etwa 150 Kilometern muß der Frontmann entscheiden, ob es Zeit zum Tanken ist. Ehe wir dann wieder eine Tankstelle verlassen, muß einer von
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uns genau abzählen, ob alle Bikes beieinander sind. Niemand soll zurückbleiben und auf sich allein angewiesen sein. brauchten ein paar Tage, um von Oakland nach Frisco, WirColorado, zu kommen, das kurz vor Denver liegt. Wir schliefen im Freien, weil das Wetter gut war. Nachts gab es die üblichen Partys und ein großes Lagerfeuer. Und wie immer kamen Neugierige, die uns anglotzten und wissen wollten, wer wir sind. Dieser Teil des Trips verlief ohne Zwischenfälle. Als die Westküsten-Leute nach Custer, South Dakota, kamen, waren ein paar hundert bereits eingetroffen, so daß nun an die 400 einsatzwillige Hell's Angels beisammen waren. Mann, das war eine richtige Armee! Zusammen wollten wir als gigantische Hell's Angels Truppe nach Sturgis einfahren. Wir werden zusammen auf der Straße sein, Brüder, bis der Wind aufhört zu wehen, das Gras aufhört zu wachsen und der Fluß aufhört zu fließen! Nach einer weiteren Partynacht fuhren wir am nächsten Morgen von Custer hinauf nach Rapid City und dann auf den Interstate Highway 90. Von dort waren es nur noch 40 Kilometer bis Sturgis auf einer herrlich glatten Straße durch kleine Ortschaften wie Black Hawk und Tilford. Man konnte unendliche Kilometer weit über die hügelige Landschaft hinweg gucken, aber der Highway war in seiner ganzen Breite knallvoll mit Hell's Angels, deren donnernde Motoren alles in der Gegend übertönten. Cisco, der Präsident des Oakland Clubs, erinnert sich an ihre Anzahl. »Wir waren wie die Kreuzritter, Dschingis Khan und die Gang von Jesse James zusammen. Und es war dieselbe Gegend, in der Crazy Horse 1876 seine Sioux-Krieger gegen General George Armstrong Custer zum Kampf anführte.« Ich fuhr an der Spitze der Riesengruppe und hatte das Gefühl, daß uns keine Macht der Erde stoppen konnte. Mir war, als hätte ich mich selbst in Häuptling Crazy Horse verwandelt, der nun die Attacke von hunderten und aberhunderten Motorrädern anführte, die alle mit 130 Sachen voranstürmten. Die Bewohner der Ortschaften hörten uns, bevor sie uns sehen konnten. Die örtliche Polizei drehte einfach die Köpfe weg. Die Ladeninhaber hängten ihre »Closed«-Schilder in die Fenster und verschlossen die Türen. MütHell's Angel
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ter schnappten sich ihre Kleinkinder und rannten mit ihnen in ihre Häuser. Autofahrer wichen an den Straßenrand aus. Andere aber, wie die Farmer, zogen ihre Mützen vor uns und hielten sie sich vor Brust und Herz, und die örtlichen Feuerwehren salutierten vor uns. Die Clubmitglieder, die nicht vorbestraft waren, hatten sich schwer bewaffnet. Die Gesetze von South Dakota erlaubten das Tragen von Waffen, also trugen wir welche. Cisco trug seine Weste so, daß man die beiden Smith & Wesson-Pistolen, Modell 59, aus seinen Taschen ragen sehen konnte. Und obwohl Sturzhelme nicht vorgeschrieben waren, trug Deacon seinen mittelalterlichen Kampfhelm aus Eisen, der gut zu dem Breitschwert paßte, das er über seinen Rücken gehängt hatte. Wir fuhren in Sturgis ein, stiegen von unseren Bikes und marschierten durch die Stadt - aufrecht und bis an die Zähne bewaffnet. Mehr als 50 000 Biker waren an diesem Tag in der Stadt, und die Stimmung war düster und bedrohlich. Die Einwohner spürten wohl, daß die Hell's Angels zu einem bestimmten Zweck gekommen waren. Die Menschen waren still und wichen nach allen Seiten aus, als wir durch die Straßen gingen. Es war, als öffne sich das Rote Meer vor uns wie zu Moses Zeiten. Etliche andere Motorradfahrer, die glaubten, wir seien hinter ihnen her, rissen sich ihre Clubabzeichen und Aufnäher ab, warfen sie zu Boden und rannten in die Bars, um sich vor uns zu verstecken. Andere blieben stocksteif auf ihren Plätzen stehen und rührten sich nicht. Aber alle hielten großen Abstand zu den Hell's Angels. Eine Gruppe State Troopers fotografierte uns, daraufhin holten wir unsere Kameras hervor und fotografierten sie. Und die Zeitungsreporter fotografierten die Polizisten, die uns fotografierten, und uns, die wir die Polizisten knipsten. Es war der reinste Zirkus. Wir blieben ungefähr vier Stunden, einfach um zu demonstrieren, daß wir zweifellos in der Stadt waren. Unsere Parole hieß: »Mal sehen, wer sich traut!« Aber niemand trat uns entgegen. Bevor wir wieder abfuhren, machten wir noch mal eine Runde durch die ganze Stadt und guckten in die Bars und die Seitenstraßen. Niemand - außer vielleicht die US-Army - hätte uns aufhalten können. Selbst 50000 Biker hatten keine Lust, sich mit 400 Hell's Angels anzulegen. 16
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Als wir wieder aus der Stadt fuhren, standen Tausende von Menschen an den Straßen. Aber alles war absolut still und ruhig. Andere Biker salutierten uns mit geballten Fäusten, um uns ihre Unterstützung zu zeigen. Die harten Kerle von dem anderen Club, dessen Name hier nicht genannt wird, waren an diesem Tage nirgendwo in Sturgis aufgekreuzt. Wenn sie da gewesen sein sollten, dann hatten sie sich weder als einzelne noch als Gruppe zu erkennen gegeben. Nachdem es zu keinerlei Zusammenstößen oder Krawallen gekommen war, waren wir alle derselben Meinung: »Na und? Nix passiert! Dann laßt uns Spaß haben, heute ist ein guter Tag dafür!« Wir verließen Sturgis und feierten eine Riesenparty. Wir hatten an diesem Nachmittag draufgehen können, wenn es zum Krawall gekommen wäre, aber wir hätten es mit Stil und Würde getan, denn wir glaubten nun einmal fest an unsere Bruderschaft und an die Insignien auf dem Rücken unserer Jacken. Das wichtige und entscheidende an diesem Run nach Sturgis 1982, diesem »Muster to Custer«, war für mich, daß sich hier einmal mehr gezeigt hatte, daß ich wirklich dorthin gehörte, wo ich war: in meinem Club! Ich besaß keine Millionen, und ich war auch nicht auf dem Titelblatt von Time abgebildet, aber eines hatte ich bekommen, Respekt. Respekt von all denen, die auf mich gezählt hatten. Ich war schließlich, so sagte ich mir, Sonny Barger. Ich war ein Hell's Angel.
Die Fäuste hoch! Weil mich die Highschool langweilte, ließ ich mich zur USArmy rekrutieren - obwohl ich noch viel zu jung dafür war.
IM ARBEITERVIERTEL, JUNGLE JIM'S UND RALPH SR. er »Clan« der Bargers verbrachte sein Leben zur Hafte in Modesto, Central California, und in Oakland, etwa hundert Kilometer nördlich davon. Als ich zur Welt kam, arbeitete mein Vater Ralph Hubert Barger Sr. im Central Valley als Straßenbauarbeiter auf dem damals neu zu asphaltierenden alten Highway 99 - lange bevor es so was wie einen Freeway gab, der einmal durch den gesamten Staat fuhren sollte. Mein Vater schlief in Bauwagen in der Nähe der Baustellen am Highway 99. Weil seine Arbeit ihn oft wochenlang von der Familie fernhielt, zogen meine Mutter Kathryn Carmella Barger, meine ältere Schwester Shirley Mary und ich immer zwischen Oakland und Modesto hin und her, von Norden nach Süden und von Süden nach Norden. In Oakland wohnten wir drei bei meiner Großmutter väterlicherseits. Während mein Vater sich in Staubstürmen und Asphaltdämpfen abrackerte, pendelte Kathryn Carmella mit uns Kindern immer und ewig zwischen einer schäbigen, winzigen Mietwohnung in Modesto und Großmutter Bargers bescheidenem Appartement in Oakland im Continental Trail-way Bus hoch und runter. Dann spielte meine Mutter verrückt. Als ich gerade mal vier Monate alt war, brannte sie mit dem Fahrer des Trailway-Busses durch. Sie hatte mich einfach in Modesto bei einem Babysitter zurückgelassen, als sie verschwand, um nie wieder zurück-
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zukommen. Als sie nicht mehr auftauchte, rief der Babysitter die Polizei an, damit die sich um mich kümmerte. Hier war ich, ein Baby, das ins Polizeirevier gebracht werden mußte. Allerdings nicht wegen eines Vergehens, sondern »nur«, um dem Sozialamt übergeben zu werden. Als mein Vater und Shirley nach Hause kamen und ich nicht mehr da war, fanden sie nach ein paar Telefonanrufen heraus, wo ich steckte, und holten mich beim Bezirksamt ab. So wurde es zur ersten Kindheitserinnerung meiner Schwester Shirley, zusehen zu müssen, wie ein Sozialarbeiter mich kleines Bündel über den Tresen des Amtszimmers meinem Dad zurückreichte. Kathryn Barger, die an chronischer Bronchitis und Asthma litt, war mit ihrem Busfahrer nach Süden in ein trockeneres, heißeres Gebiet, in die kleine Ortschaft Twentynine Palms gezogen und hatte uns einfach unserem Schicksal überlassen. Als kleines Kind hatte ich keine Ahnung, ob sie überhaupt noch lebte. Für meinen Vater war sie tot und begraben. Ralph Sr., mein Vater, war schon eine Type: ein ebenso hart arbeitender wie hartgesottener Säufer, ein noch arbeitsfähiger Alkoholiker. Er arbeitete gern, aber noch lieber trank er. Er war ein einfacher Mensch. Allerdings ein sehr widersprüchlicher. Ein Lkw-Fahrer, der fast nie ein Auto fuhr und noch nicht einmal einen gültigen Führerschein besaß. Mein Vater konnte zwar fahren, aber er haßte es und nahm deswegen stets den Bus, wenn er irgendwohin mußte, falls ihn nicht jemand anders im Wagen mitnahm. Wenn alle Stricke rissen, ging er einfach zu Fuß. Mein Vater war etwa ebenso groß wie ich - 1,75 m -, aber viel kräftiger und robuster. Nach seiner Zeit auf den Baustellen des Highway 99 arbeitete er bei einer Fleischwarenfabrik, dann bei einer Spedition. Den größten Teil seines Lebens war er jedoch bei der Gewerkschaft als Packer registriert. Jeden Morgen ging er zum Gewerkschaftsbüro - Ortsgruppe 70 -, um Arbeit zugeteilt zu bekommen. Von da wurde er dann zu einer Arbeitsstelle gebracht, wo er entweder Lastwagen oder im Hafen von Oakland Schiffe beladen und entladen mußte. Weil er an den Wochenenden immer fürchterlich viel trank, arbeitete mein Vater montags nie. Deshalb verlor er auch einen Job nach dem anderen, denn bei den 20
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meisten Jobs wurde man die ganze Woche lang gebraucht. Das war nichts für Ralph Sr. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete mein Vater als Hafenarbeiter, wo er in den Werften in Oakland neben dem Laden und Löschen auch noch beim Schiffbau beschäftigt war. Nach Kriegsende kehrte er zurück zu seinem alten Lebensstil als Packer und Säufer. Nachdem meine Mutter abgehauen war, nahm meine Großmutter Nora Barger, eine Witwe von Mitte 60, uns Kinder in Oakland auf. Mein Vater hatte für uns ein Mietshäuschen an der East 17th Street aufgetrieben. Unsere Türen schlössen wir nie ab. Die Haustür zur Straße war immer offen, aber das machte uns damals keine Angst. Amerika war in den 40er Jahren ein völlig anderes Land als heute. Die Zeitungen berichteten zwar über die Verbrechen zur Zeit der Depression Kriminelle wie John Dillinger, die Geschäfte und Banken ausraubten - aber es gab fast niemals Einbrüche in die Häuser von weißen oder schwarzen Arbeiterfamilien, zumindest nicht im Arbeiterviertel von Oakland. In East Oakland gab es nur wenige Schwarze; die meisten schwarzen Familien wohnten im Westend der Stadt. Jeden Sonntag nahm Großmutter Barger Shirley und mich mit in die Kirche der Pfmgstgemeinde, die wir unheimlich fanden und wo die Holy Rollers ihre Schreie und Halleluja-Rufe ausstießen. Auf der anderen Straßenseite lag die katholische St. Anthony Kirche. Weihnachten fanden wir Kinder immer Pakete mit den Aufschriften »Boy« und »Girl« vor unserer Haustür - Geschenke der St Anthony Gemeinde. Und unser Thanksgiving-Dinner bestand immer aus einem Truthahngerippe, das mein Vater in einem Restaurant oder einer Bar abgestaubt hatte. Am nächsten Tag wurde daraus eine Suppe gekocht. Frohe Feiertage im Barger-Stil. Aber wir mußten nie hungern. Es gab immer etwas zu essen, auch wenn es meist nur eine Mahlzeit am Tag war. Manchmal kochte Grandma Spaghetti, aber wir aßen dazu nie einen Salat oder etwa Gemüse. Das wäre dann schon wieder eine weitere Mahlzeit gewesen. Wir besaßen nicht einmal einen Kühlschrank, nur einen Eisschrank ohne Eis drin. Ralph Sr. hielt die Familie mit der Hilfe von Großmutter Barger Hells Angel
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über Wasser. Wir Bargers entstammen einer typischen Mischung von Einwanderern. Meine Mutter hatte italienische Vorfahren, Vater war eine Mischung aus Deutschen und Holländern. Einer unserer Vettern hatte es sogar zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Dean Davenport gehörte zur Truppe von General Jimmy Doolittles Bomberbesatzungen im Zweiten Weltkrieg. Er war Navigator auf der Ruptured Duck und brach sich das Schlüsselbein, als er während des Kriegs über China mit dem Fallschirm absprang. Im Film wurde er von Tim Murdock in dem 1944er Streifen Thirty Seconds over Tokyo dargestellt. Mein Vater nahm mich gern mit in die Bars am Jack London Square, in der Nähe des Hafens, wo er Schiffe entlud. Wir gingen in Kneipen wie den First and Last Chance Saloon. Es war nichts Ungewöhnliches, daß Kinder mit ihren Familien in Bars und Kneipen herumsaßen. Ich saß meist auf einem Barhocker neben meinem Vater und stibitzte Salzbrezeln und hartgekochte Eier. Im Umkreis unseres Hauses gab es sieben Bars und Kneipen, und an jeder Ecke war etwas los. Dad brauchte nie allzu weit zu schwanken und zu stolpern, um nach Hause zu kommen. Unsere Lieblingskneipe in der Nachbarschaft war eine Kaschemme namens Jungle Jim's. Jungle Jim's war düster und mit Piratenmotiven dekoriert. Der Barkeeper hielt sich eine Menge bunter Papageien, die in ihren Käfigen auf Stangen saßen und kreischten. Einer der Stammgäste hatte einem der Viecher Flüche beigebracht, und so lernte ich meine allerersten Flüche aus dem Schnabel eines Papageis statt aus den Mündern der Seeleute, die während ihres Landgangs von der Alameda Werft in die Kneipe kamen. Papa war ein Biertrinker, erst in seinen späteren Jahren trank er auch härtere Sachen. Für ihn gehörte es zum normalen Tagesablauf, wenn er nach der Arbeit von der Werft kam, vor dem Abendessen erst mal zehn bis zwölf Biere zu trinken und dann noch ein Sixpack Budweiser mitzunehmen, das er vor dem Schlafengehen killte. Meine Familie nannte mich von Anfang an Sonny. Wenn es überhaupt etwas gibt, wofür ich meiner Mutter dankbar bin, dann ist es dieses kleine bißchen italienischer Tradition. Ich war Ralph 22
Ralph »Sonny« Barger
Hubert Barger Jr, aber es war typisch italienisch, den erstgeborenen Sohn Sonny zu nennen. Ich hatte nichts dagegen, es war immer noch besser, als »Junior« gerufen zu werden, gar nicht zu reden von Ralph oder Hubert. Großmutter Barger starb 1946. Damals war ich acht Jahre alt, und mit ihrem Tod begann eine schwierige Zeit für meine Schwester Shirley und mich, weil Vater jemanden brauchte, der sich um ihn kümmerte, ihm das Essen vorsetzte und seine Wäsche wusch. Die ganze Nachbarschaft wußte, daß Shirley und ich einen Alkoholiker versorgten. Die Tankwarte von der Standard-Tankstelle gegenüber kümmerten sich ein wenig um uns Kinder. Sie zahlten uns beiden pro Kreditbuch 25 Cents, wenn wir die Bücher mit dem Firmenstempel abstempelten. Wenn Vater sich bei Jungle Jim s betrunken hatte, kam er auf dem Heimweg bei der Tankstelle vorbei, wo Shirley und ich ihn in Empfang nahmen und nach Hause brachten. Wir schleppten ihn nach Hause und ließen ihn in sein Bett fallen. Dad war zwar ein ziemlich harter Typ, aber er war alles andere als ein Schläger. Während des Kriegs war er Luftschutzwart für unseren Block. Er mied Auseinandersetzungen um jeden Preis und wurde deshalb einige Male schwer verprügelt. Einmal ließ er sich einen Schnurrbart wachsen. Ein paar Männer fanden, er sehe damit aus wie Hitler, sie verdroschen ihn jämmerlich und stahlen sein Geld. Wir hatten fast immer Freunde zu Besuch. Sonntags kam Erland zu uns und fuhr Shirley und mich in seinem Wagen spazieren. Ich konnte das Autofahren zwar nicht gut vertragen, aber wir fuhren oft zum Angeln an den Carquinez River, zu SchlachtschiffTaufen oder Airshows. Erland war Berufspilot und nahm uns manchmal im einem Sportflugzeug mit. Er half Shirley und mir, die schlimmsten Zeiten zu überstehen, obwohl wir beide gar nicht fanden, daß es uns so mies ging. Wir hatten schließlich immer was zu essen im Magen, Klamotten auf dem Leib - und ein Radio. Ich verbrachte eine recht mühselige Schulzeit an den Schulen von Oakland, zuerst Bella Vista Grammar School, dann Roosevelt Junior Highschool und schließlich in der Oakland High. Überall galt ich als mißratener Junge. Ich ließ mir einfach nichts sagen. So Hill's Angel
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lange ich zurückdenken kann, habe ich es gehaßt, mir etwas vorschreiben zu lassen. Vielleicht weil mein Vater mich eher als Kumpel behandelte und nicht als Sohn. Immer wenn ich was ausgefressen hatte, mußte Shirley mich in der Schule abholen. Obwohl ich recht schüchtern war, hatte ich fürchterliche Wutanfälle. Einmal wurde ich aus der fünften Klasse geworfen, nachdem ich wegen eines Lehrers in Wut geraten war. Ich war von einem Pult auf seinen Rücken gesprungen, hatte mich wie ein durchgedrehter Affe an ihm festgeklammert und wollte ihn nicht gehen lassen. Ein anderes Mal wurde ich wegen eines Softballspiels für eine Weile vom Unterricht ausgeschlossen. Ich gehörte zu einem Team, das nie verlor, und wir sollten gegen ein Team spielen, das noch kein einziges Spiel gewonnen hatte. Der Lehrer schlug vor, diese Underdogs auch einmal gewinnen zu lassen und ihnen schon zu Beginn einen Vorsprung von fünf Runs einzuräumen. Wir schafften vier Runs, die anderen null. Als der Lehrer das andere Team trotzdem zum Sieger erklärte, wurde ich so wütend, daß ich ihm mit einem Baseballschläger auf die Beine haute. Dad mußte zur Schule kommen und mich abholen. Danach durfte ich zwei Wochen lang nicht mehr am Unterricht teilnehmen. Selbst heute noch packt mich bei dem Gedanken an dieses Spiel die Wut. Mein Vater heiratete wieder. Eine Frau namens Sylvia. Unsere Großmutter und die Mutter von Sylvia waren befreundet gewesen, und als Sylvia aus Council Bluffs, lowa, zu Besuch kam, blieb sie in Oakland und fing ein Verhältnis mit Vater an. Sylvia war nicht gerade die Frau, die wir uns als neue Mutter wünschten, aber Ralph Sr. schien wieder eine Frau im Haus haben zu wollen. Ich konnte das Weibsstück nicht ausstehen, und ich fand auch ihre Eltern unerträglich. Sie waren richtige Bauerntrampel. Als Sylvia meinen Vater heiratete, zogen ihre Eltern von lowa nach Oakland und kauften sich einen Obst- und Gemüseladen in Hayward. Sylvias Eltern haßten meinen Vater, weil er ein Trinker war und in Kneipen ging. Syliva wurde schnell schwanger und bekam eine Tochter, Virginia Lee Barger. Die Jahre mit Sylvia waren richtig beschissen. Hier nur ein kleines Beispiel: Eines Tages gingen wir alle zur Kirche, als ihr plötz24
Ralph »Sonny« Barger
lich einfiel, daß sie vergessen hatte, sich die Lippen anzumalen, und so mußte die ganze Familie umkehren und den ganzen Weg nach Hause zurücklaufen. Sylvia war als Ersatzmutter wirklich völlig untauglich, besonders wenn wir mal maulten oder uns danebenbenahmen. Das wurde uns nur allzuschnell klar. In den 40er Jahren gab es eigentlich nur eine einzige FahrradMarke, das »Schwinn«, ein Rad mit Felgenbremsen und ohne Gangschaltung. Ich hatte ein rotlackiertes »Schwinn« und bekam mit den Eltern meiner Stiefmutter deswegen einen Riesenkrach. Sie meinten, es stünde mir nicht zu, ein Fahrrad zu besitzen. Ihre Sätze wiederholten sich ständig: »Da kann man nicht hingehen, das kannst du nicht machen, und jenes kann man nicht tun.« Ich dachte, Mann, mein Leben geht euch doch wohl einen Dreck an. Aber sie fanden, ich sei noch zu jung, um unbeaufsichtigt herumzufahren. Mein Vater war anderer Meinung und erlaubte mir, das Rad zu behalten. Während des Sommers und an den Wochenenden radelte ich zum Fährhaus in Oakland und fuhr mit der Fähre über die Oakland Bay nach San Francisco. San Francisco war für mich die große Stadt. Wenn man nach San Francisco fuhr, dann ging man »in die Stadt«. Im Vergleich zu San Francisco war Oakland tiefste Provinz. San Francisco war wie Krabbencocktail und Austern; Oakland dagegen nur wie Bier und Erdnüsse. Bei diesen Ausflügen - den frühesten Frisco-Besuchen - kamen meine Freunde Billy und Dale aus der Nachbarschaft mit. Dann gondelten wir nur so zum Vergnügen durch die Stadt, einfach um zu sehen, wie die reichen Leute lebten. Es war ja so einfach, man brauchte nur 25 Cents, einen Quarter, für die Fähre. Aber wenn man jung ist, ist ein Quarter manchmal das ganze Geld, das man in einer Woche ausgeben kann. Man bemerkte den Unterschied zwischen Oakland und Frisco schon in dem Moment, wenn man von der Fähre losradelte, vorbei an den Piers und auf die Straßen der City. Wir blieben meist im Hafengebiet und fuhren die Market Street hinauf. Damals gab es noch keine Radfahrwege. Also fuhren wir auf den Fußwegen oder auf der Straße, kurvten und flitzten zwischen all den Leuten herHell's Angel
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um, zwischen Geschäftsleuten in eleganten Anzügen oder Touristen-Paaren. Ich bewunderte die Wolkenkratzer zu beiden Seiten der Market Street. Die Luxushotels wie das Sheraton Palace und das St. Francis Hotel, vor denen gutgekleidete Familien auf glänzende Taxis warteten. Die Frauen trugen Pelzmäntel, ganz egal ob es draußen warm oder kalt war. In Oakland gab es nicht viele hohe Gebäude, nur den alten Tribune-Glockenturm. Ich fragte meinen Vater nie um Erlaubnis, wenn ich nach Frisco fuhr. Ich tat es einfach. Wir verbrachten einige Stunden in der City und nahmen vor Sonnenuntergang die Fähre zurück nach Oakland. Wenn ich mit meiner Familie nach San Fancisco fuhr, dann ging es immer nur nach Dale City, um meine Kusine Karen zu besuchen. Mir wurde erst später klar, daß San Francisco für mich eine Ostküstenstadt an der Westküste ist, während Oakland eine Stadt aus dem Mittleren Westen an der Westküste ist. mein Vater und Sylvia geheiratet hatten, stellte sich Nachdem heraus, daß ich eine Blutkrankheit hatte. Ich mußte jede Woche zwei Spritzen bekommen. Sylvia brachte mich zum Arzt, wo ich die Spritzen in den Hintern bekam, da wo ich am meisten Fleisch hatte. Dabei tat meine Stiefmutter immer so, als wolle sie mit mir in die Stadt, um mir etwas zu kaufen, und dann stellte sich heraus, daß es doch nur wegen dieser verdammten Injektionen war. Daher stammt vermutlich meine tiefe Abneigung gegen Spritzen. Eines Nachmittags kam ich aus der Bella Vista Grammar School nach Hause und stellte fest, daß Sylvia meinen Vater verlassen und meine Halbschwester Virginia Lee mitgenommen hatte. Sie nahm alles mit, was wir hatten, sogar das Lexikon und das Radio. Nur unsere Betten und das Geschirr ließ sie uns da. Außerdem hatte sie noch unser Bankkonto - jene armseligen Schulkonten - geplündert. Sylvia zog nicht sehr weit weg, nur bis nach San Leandro, ein paar Kilometer südlich von uns. Als meinem Vater klar wurde, daß er Sylvia und seine Tochter Virginia Lee wohl nie wiedersehen würde, unternahm er einen halbherzigen, trunkenen Selbstmordversuch. Die beiden waren vier Jahre zusammengewesen. Ich habe weder Sylvia noch meine Halbschwester jemals wiedergesehen. 26
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Meine Schwester Shirley übernahm daraufhin mit ihren 15 Jahren den Haushalt. Sie kochte, machte sauber und arbeitete als Babysitter, während ich mit allen möglichen kleinen Jobs etwas dazuverdiente und das Geld zu Mrs. Long, einer Nachbarin, brachte. Sie bewahrte die Knete für uns auf, denn wenn Dad es in die Hand bekommen hätte, wäre klar gewesen, wofür er es auf den Kopf gehauen hätte. Shirley und ich gaben das Geld für Schulkleidung und andere wichtige Sachen aus. Die Miete kostete nur 16 Dollar im Monat. Trotzdem waren wir damit ein ganzes Jahr im Rückstand, aber wir hatten noch nie das Sozialamt in Anspruch genommen. Die Schule erlaubte Shirley, erst am Nachmittag zu kommen, deshalb hatte sie Zeit genug, meinen Vater zu versorgen und mich mit einem Lunchpaket zur Schule zu schicken. Als ich ins Teenageralter kam, fand ich die Schule total langweilig. Darum fing ich an, in dem Lebensmittelladen an der Ecke zu arbeiten. Der Inhaber, Archie, und seine Frau heuerten mich für zwei Dollar jeden Samstag an, was für einen Dreizehnjährigen damals viel Geld war. Da ich noch zusätzlich jeden Tag nach der Schule dort arbeitete, verdiente ich bald ungefähr sieben Dollar pro Woche. Fast 30 Dollar im Monat war ein gewaltiger Haufen Kies für ein Kid. Als Shirley sechzehn wurde, haute sie mit einem älteren Typ aus der Nachbarschaft ab. Ich fühlte mich böse hintergangen, auch wenn sie und ihr Loverboy es nur bis nach San Diego schafften, wobei sie überall faule Schecks hinterließen, die Shirley unterschrieben hatte, ohne wirklich zu wissen, was sie da anrichtete. Sie wurde geschnappt und nach Oakland zurückgebracht. Mein Vater ließ sie im Jugendgefängnis schmoren, bis sich das schmutzige Geschirr bei uns so angesammelt hatte, daß einfach irgendwer kommen mußte, um das Haus wieder in Ordnung zu bringen. In der Schule war ich nie ein Einzelgänger, ich war immer gern mit anderen zusammen. Sport interessierte mich überhaupt nicht. Lieber spielte ich den Unbrauchbaren. Schon damals gehörte ich zu einer ziemlich wilden Clique, je rebellischer, desto besser. Einmal, mit 14, als mein Vater sich im Vollrausch ums Bewußtsein gesoffen hatte und auf der Couch pennte, stahl ich mich aus dem Haus und traf vier meiner Kumpels. Wir trampten nach El Cerri-to, um einen Freund nach Hause zu bringen. Der Typ, der uns Hell's Angel
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Mein Vater, Ralph Barger Sr., Freundin Sharon Hewitt und ich mit Anfang zwanzig.
mitnahm, schien mindestens 21 Jahre alt, deshalb beschwatzten wir ihn, einen Kasten Bier für uns alle zu kaufen. Dann kurvten wir die ganze Nacht herum und soffen das Bier, bis der beduselte Fahrer über eine rote Ampel fuhr und mit einem anderen Wagen zusammenknallte. Wir waren alle schwer verletzt. Ich kroch mit einem gebrochenen Arm aus dem Autowrack. Die Polizei rief meinen Vater an, der halbtrunken zum Krankenhaus taumelte, um mich abzuholen. Am nächsten Tag brachte die Zeitung von Oakland die Nachricht von unserem Unfall auf der ersten Seite. in unserer Nähe war der Haupttreffpunkt für alle DasKids.Fix EsTheater war kein Ort, an dem sich Sporttypen, reicher Leute Kinder und Fatzkes einfanden, sondern der Treff ganz normaler Schulkinder nach der Penne. Gegenüber vom Pix gab es einen Park. Dahin gingen wir immer mit den »willigen« Girls nach dem Kino. Gleich um die Ecke war das Circle Drive-In, wo man sich einen Hamburger und Pommes bestellen und der Doo-Wop-Musik aus der Jukebox zuhören konnte. 28
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r, t. m m.
Mein erstes Polizeifoto am 16. April 1957 nach einer Festnahme wegen Fahrens unter Alkoholeinfluß.
Meine Freunde und ich fuhren immer auf der Straße hin und her, obwohl noch keiner von uns einen Führerschein hatte, aber die Bullen prüften das fast nie nach. Manchmal fuhr uns ein älterer Freund im Wagen seiner Eltern herum, dann legten wir alle zusammen und ließen jemanden, der alt genug war, für uns alle Bier kaufen. Anschließend saßen wir im Wagen und teilten uns ein Sixpack. Ich mache mir nicht viel aus Alkohol, deshalb trank ich nur selten eine ganze Flasche. Aber wenn die Bullen uns wegen unerlaubten Alkoholgenusses schnappten, mußte ich trotzdem mit aufs Revier. Das schönste an meiner Schulzeit waren die Boxkämpfe. Mindestens einmal pro Woche hatte ich in der Junior Highschool einen Boxkampf. Boxen war für mich immer eine Art Prüfung. Es gab immer Schüler, deren Stärke ich testen wollte, und eine Begegnung war ein richtiger Kampf. Ich kämpfte gegen alle - Jüngere, Altere, Zähere, einfach gegen jeden. Wenn ein neues Kid in die Schule kam, mußte ich erst einmal gegen es boxen, um herauszufinden, wer der Stärkere war. Das gehörte einfach dazu, wenn man in East Oakland aufwuchs. Selbst unter Freunden wurde geHill's Angel 29
boxt. Meist fand sich dazu ein ganzer Haufen Kids ein, die Tag für Tag nach Schulschluß zugucken wollten. Wenn ich einen Kampf verlor, konnte ich nicht weinend nach Hause gehen. Nach einem verlorenen Kampf zu weinen war einfach nicht drin. Einmal wurde ich für zwei Wochen vom Unterricht ausgeschlossen, weil mich der Rektor nach der Schule beim Boxen erwischte. Zur Strafe wollte er mir mit einem Lederriemen eine Tracht Prügel verpassen. Als ich mich wehrte und auf den Lehrer einschlug, flog ich raus. Ein anderes Mal erzählte ein Lehrer meiner Freundin, ich sei ein Vagabund, und sie sollte sich nicht länger mit mir abgeben, daraufhin knallte ich ihm eine ins Gesicht und -wurde abermals vom Unterricht ausgeschlossen. Als ich in die Highschool kam, hatte ich nicht mehr die geringste Lust, Hausaufgaben zu machen. Ich las statt dessen alle Bücher von Zane Grey und andere Wildwest-Storys von Autoren wie Louis L'Amour. Also blieb ich fast in jeder Klasse sitzen, wenn ich überhaupt noch zum Unterricht erschien. Aber wenigstens beging ich keinen Raub oder Diebstahl. Ich arbeitete wieder in einem Lebensmittelladen und verdiente 30 Dollar im Monat. Während ich noch in der Oakland Highschool war, organisierte ich 1954 einen kleinen Straßenecken-Club. Wir nannten uns die Earth Angels nach dem Song von den Penguins. Es war ein kleiner Club, er hatte nur acht Mitglieder. Wir trugen unsere Jacken mit aufgestelltem Kragen und hatten auf ihren Rücken das Emblem »Earth Angels« eingestickt. Irgendwas Besonderes machten die Earth Angels eigentlich nicht, und wir hatten auch keine erklärten Ziele; man wollte einfach nur irgendwo dazugehören. In der Highschool war es üblich, zu einem Club wie den Earth Angels zu gehören. Später gehörte man dann zur Army. Es kam nur darauf an, zu einer Gruppe von Leuten zu gehören, die genauso waren wie man selbst. Mit 14 hatte ich bereits meinen ersten Joint geraucht, was damals so richtig zum Underground paßte. Eine Streichholzschachtel voll Hasch für fünf Dollar! Da hatte man schon richtig was, eine Menge Marihuana! Wir rollten das Zeug in braunes Papier und reichten den Joint zwischen dreien oder vieren von uns herum, während wir die Straßen langliefen. 30
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In dieser Zeit dachte ich immer, es müsse noch etwas Besseres als all das geben, ich wußte bloß nicht, was. Mir war klar, daß ich m einer Sackgasse steckte und schnell irgendwas unternehmen mußte. Das Schlaueste und Schnellste schien mir die Army zu sein. Shirley hatte inzwischen geheiratet, also löste mein Vater unseren Haushalt auf und zog in ein Hotel in Oakland. Wenn ich nicht bei Shirley einzog, hätte ich kein Zuhause mehr gehabt. Ich mußte handeln und beschloß, zur Army zu gehen. Es gab nur einen Haken: Ich war noch zu jung. Na ja, das würde ich schon hinkriegen. Ich fälschte einfach meine Geburtsurkunde. Der Sergeant vom Einberufungskommando rief mich an, nachdem er in meinen Papieren auf das Problem gestoßen war. »Da muß ein Irrtum passiert sein«, erklärte ich ihm. Er nickte nur und änderte mein Geburtsdatum mit einem Federstrich. So trat ich am 14. Juli 1955 in die Army ein. Mit 16 Jahren. Der Koreakrieg war vorbei, und die 25. Division war wieder nach Hause zurückgekehrt. Viele der Veteranen betrachteten es als ihre Aufgabe, jüngeren Kerlen wie mir beizubringen, wie man sich am besten amüsiert. Sie waren Happy-go-lucky-Kämpfer -froh, wieder zu Hause zu sein, glücklich, mit dem Leben davongekommen zu sein. Und sie waren ein unruhiger Haufen, ewig auf der Suche nach einem Kick. Einige fuhren Motorräder und hatten Tätowierungen. Der Krieg war aus, es gab keine Frontkämpfe mehr, aber irgendwie steckte ihnen das alles noch m den Knochen. Diese Typen machten einen tiefen Eindruck auf mich. Endlich einmal hatte Disziplin einen Sinn für mich, und ich schloß mich ihrem Lebensstil an. Hier herrschte eine ganz andere Art von Gehorsam; die Army lehrte mich das Überleben. Sogar die Grundausbildung gefiel mir. Die ewig herumbrüllenden Ausbilder konnten erwachsene Männer zum Weinen bringen, mich brachten sie nur zum Lachen. Manche Rekruten - eingezogene wie freiwillige - stiegen über den Zaun und entfernten sich unerlaubt von der Truppe. Sie fragten sich, warum sie überhaupt zur Army gegangen waren. Während der Grundausbildung wurden wir stundenlang nur geschliffen. Das körperliche Training wechselte mit stundenlangen Unterrichtseinheiten in Klassen, wo wir meistens an unseren Schreibpulten einschliefen. Aber mir geHell's Angel
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fielen die 40 Dollar Sold pro Monat, und außerdem hatte man in der Army Klamotten und Essen frei und sogar noch ein Bett. Gar nicht so übel. Ich war in Honolulu stationiert, für einen jungen Freiwilligen schon ein seltsamer Ort. Die Hawaiianer sahen auf uns militärisches Personal herab. Mit den älteren GIs schlich ich mich in Bars, und manchmal feierten wir dort richtige Partys mit den Zivilisten. Ich machte alles, was die anderen von mir verlangten, und zum Ausgleich brachten sie mir Sachen bei, die mich interessierten. Ich lernte, wie man Waffen auseinandernimmt, wie man reibungslos mit den Kameraden auskommt und wie man sowohl in der Gruppe als auch auf sich selbst gestellt überlebt. Das beste war, daß ich als Maschinengewehrschütze eingesetzt wurde. Das sollte mir im späteren Leben von Nutzen sein. Als die Army herausfand, daß ich unter 18 war, wurde ich zur Entlassung ins Batallions-Hauptquartier zitiert. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon 14 Monate gedient. Früher hätte man jemanden wie mich unehrenhaft entlassen. Aber diese Bestimmung war gerade geändert worden, und so erhielt ich meine ehrenhafte Entlassung. Die Army schickte mich zurück nach Oakland, und auf diese Weise entging ich den zwei Jahren Wehrdienst, die ich abzuleisten gehabt hätte. Ich war 17 Jahre alt, ehrenhaft entlassen und für alle Zukunft vom Militär befreit. Zu Hause sorgte ich weiter wie bei der Army für sauber gewaschene Klamotten und auf Hochglanz polierte Stiefel. Nach dem Militärdienst konnte ich mich nicht mehr mit irgendeinem langweiligen, beschissenen Job anfreunden. Ich versuchte sogar, wieder freiwillig zur Army zu gehen, aber dort wollten sie mich nicht mehr. Im Gegenteil: Die zuständige Abteilung schickte mich zum Psychiater, der mich für zu aggressiv und unangepaßt befand, nachdem er die Tätowierungen sah, die ich mir in Hawaii hatte machen lassen. Ich bekam einen Job als Nachtwächter, aber ich haßte es, nachts zu arbeiten. Ich wollte lieber mit meinen Freunden nächtelang unterwegs sein. Deshalb nahm ich einen Job in einer Chevro-letFabrik an, wo ich die Kühler- und Kofferhauben der Wagen, die vom Fließband der Lackierwerkstatt liefen, polieren mußte. 32
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Im Mai 1959: Ich sitze auf einer Harley 80-Inch Stroker mit hohem Lenker und extralangen Auspuffrohren. Für damalige Zeiten war dieses Motorrad schon sehr ungewöhnlich.
Wir brachten sie mit Politurflüssigkeit und Bürsten auf Hochglanz. Doch nach einer Weile gab ich auch diesen Job wieder auf. Als nächstes arbeitete ich für Granny Goose Potato Chips am Fließband. Wir aßen die Chips direkt aus den Gnllpfannen. Sie schmeckten herrlich. Ich mußte sie in 55-Gallonen-Pappzylinder packen und die Trommeln hoch aufschichten. Danach jobbte ich in einer Firma, in der ich Rohre für eine Sprinkleranlage zuschnitt und installierte. Ich konnte mich wohl nicht damit abfinden, wie andere Leute acht Stunden am Tag zu arbeiten. Eines war mir jedoch inzwischen sonnenklar: Ich kam mit den blöden Vorgesetzten einfach nicht zurecht, aber das war nun einmal bei den allermeisten Jobs nicht anders zu machen. Nach meiner Zeit bei der Army war ich genauso unruhig, unstet und abenteuerlustig wie vorher. Es mußte einfach etwas passieren, und das tat es dann ja auch.
An der El Adobe Bar kurz vor den Kriegen zwischen Oakland und Frisco 1961. V.l. n. r.: Tiny (halb versteckt), Lovely Larry, Terry the Tramp, Charlie Magoos Rücken, ich, ein Unbekannter und Pete Knell, der Präsident des Frisco-Clubs.
3 SNAKE PIT
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c h war neun Jahre alt, als 1947 in Hollister der erste große Motorradkrawall über die Bühne ging. Was als ganz normale sportliche Veranstaltung der American Motorcyclist Association (AMA) begonnen hatte, artete völlig aus, als sich Biker aus frühen Outlaw-Clubs wie die Pissed Off Bastards und die BoozeFighters betranken und sich wie Rowdys aufführten, in Wettrennen durch die Straßen des Städtchens rasten und sich dabei einen Dreck um Verkehrsampeln scherten. Das Ganze hatte eigentlich eines jener typischen AMA-Treffen werden sollen, wie es sie vorher schon zu Dutzenden gegeben hatte. Aber diesmal ging es grausam schief. Ruppige Biker wurden wegen aufrührerischen Benehmens, Trunkenheit in der Öffentlichkeit und Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet. Nach den Erzählungen meiner älteren Freunde klang es so, als sei der Hollister-Krawall Amerikas erste Kostprobe der Hölle auf Rädern gewesen. Im Rückblick ist es wohl auch so gewesen. Der Kinofilm The Wild One mit Marlon Brando und Lee Marvin in den Hauptrollen kam 1954 heraus, als ich noch zur Highschool ging. Der Film war ein großer Erfolg und beruhte auf den Ereignissen in Hollister, Kalifornien, am Wochenende des 4. Juli 1947. Ein Artikel von Frank Rooney in Harper's Magazine von 1951 lieferte die Idee zu dem Streifen. Der Eindruck, den der Film in der Öffentlichkeit machte, war offenbar so intensiv, daß die BoozeFighters sich daraufhin auflösten und erklärten, daß Biker durch den Film einen unwiderruflich schlechten Ruf bekommen hätten. Als ich The Wild One sah, wurde Lee Marvin sofort mein Held und Ideal. Chino, den Marvin verkörperte, war ein Mann nach Hell's Angel 35
meinem Herzen. Marion Brando, der den Johnny spielte, war der Bully. Seine Jungs fuhren Triumphs und BSAs und trugen Uniformen. Lees Einstellung war: »Wer sich mit mir anlegt, kriegt was von mir zurück.« Lee und seine Gang fuhren abgefuckte Harleys und Indians. Ich sah mich selbst viel eher als Chino, nicht als Johnny. Und das tue ich immer noch. Als Junge war ich zur Army gekommen und als Mann wieder gegangen. Um ein richtiger Mann zu werden, muß man in der Army gewesen sein und eine Zeitlang im Knast gesessen haben. Wer in der Kaserne und im Knast gewesen ist, der lernt Disziplin und Überleben. Der Knast bringt einem bei, pünktlich zu sein: Wenn Tag für Tag die Türen aufgehen und sich wieder schließen, muß man bereit sein. Nach Army und Knast ist man auf alles vorbereitet. Als ich damals als Rekrut ins Ausbildungslager einzog, wurden viele meiner Kumpels zu Hause drogensüchtig. Ich habe Schwein gehabt, daß ich nicht mehr dabei war. Ein richtiger Junkie wäre ich allerdings kaum geworden, denn ich hasse Spritzen. Die Drogenszene von Oakland in den 50er Jahren nahm zum Teil Marihuana und zum Teil Heroin, wobei zwischendurch auch noch die Pep-Pillen kamen. Außerdem gab es eine Menge Dexedrin und Benzedrin. Ich machte mir nichts aus Speed, denn selbst die kleinste Dosis von dem Zeug drehte mich tagelang auf. Ich hatte immer genug Energie in mir, um auf natürliche Weise auf Draht zu sein. Weil mein Vater zu der Zeit, als ich aus der Army entlassen wurde, in einem Hotelzimmer wohnte, beschloß ich, zu meiner Schwester Shirley zu ziehen. Ich paßte auf ihre Kinder auf - ich sei ein prima Babysitter gewesen, sagt sie -, aber der ständige Krach von den Motorrädern meiner Freunde führte zur Kündigung ihrer Wohnung. Ich sah inzwischen wie ein hartgesottener Straßentyp aus. Meine Levis-Jeans hatten einen zentimeterbreiten Aufschlag, ich rauchte Camels (im Gegensatz zu Lucky Strikes, der Marke meines Vaters), besaß das dazugehörige Auftreten und fuhr ein Motorrad. Meine Freunde und ich trugen T-Shirts mit V-Ausschnitt, und wir hatten immer ein Päckchen Zigaretten im Ärmel eingerollt. Wir kauften uns schwarze Ingenieur-Stiefel mit Silberschnalle im Red Wing Schuhladen, dem Geschäft, wo auch die Hilfs36
Ralph »Sonny« Barger
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arbeiter von Oakland ihre Arbeitsstiefel kauften. Wer genügend Geld hatte, trug eine schwarze Lederjacke, das machte allerdings nur dann Sinn, wenn man auch ein Motorrad fuhr. 1956 trat ich den Oakland Panthers, meinem ersten Motorradclub, bei. Wir waren eine Gruppe von Motorradfahrern aus Oakland und lungerten gern zusammen herum. Damals entstanden die echten wilden Clubs. Nach ein paar Wochen wurde mir klar, daß wir nicht dazugehörten. Unser Club kam mir ziemlich sinnlos vor; wir waren ja noch nicht mal ein richtiger Club. Wir waren nur ein Haufen Kids. Einige von uns kannten noch nicht einmal die Namen der anderen. Ich wollte einen Club mit engem Zusammenhalt und echten Männern, die auf ihre Maschinen stiegen, kreuz und quer durchs Land donnerten und sich nicht von irgendwelchen Vorschriften oder Verpflichtungen einengen ließen. Einen Club, der kurzentschlossen mal nach Massachusetts oder New York losfuhr, einfach mal an einem Abend ein paar Runden Bier schmiß und sich am nächsten Tag kräftig prügelte. Was ich brauchte, war eine zweite Familie. Ich wollte zu einer Gruppe von Männern gehören, denen nichts daran liegt, eine Ehefrau und zweieinhalb Kinder zu haben und in einem schäbigen Haus in Daly City oder San Jose zu wohnen, Männern, die lieber Motorrad fuhren, Wettrennen veranstalteten und auf den Putz hauten. Ich hatte gehofft, die Oakland Panthers könnten zu so einem Club werden, aber daraus wurde nichts. Genauso spontan, wie ich dem Club beigetreten war, verließ ich ihn deshalb wieder. Klar, die Panthers ließen auch Partys steigen, aber wenn es Ärger gab, hielten sie nie zusammen. Das war für mich keine Brüderschaft. Wenn die Bullen einen von uns hops nahmen, dann war er auf sich selbst angewiesen. Nach dem Motto: »Scheiß drauf, ich hau ab!« Was ich brauchte, war eiserne Solidarität, und keine Leute, die zuerst an sich selbst dachten. Es gab etliche Motorradclubs in der Stadt, wie etwa den Oakland Motorcycle Club - Familienclubs, mit denen man mit Frau und Kindern zum Picknick hinausfahren konnte. Das paßte überhaupt nicht zu mir. Ein anderer Club von Bikern in Oakland hieß Piano Boys. Viele der Mitglieder waren Ex-GIs, die im Koreakrieg oder im Zweiten Weltkrieg gedient hatten. Hell's Angel
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Eine Gruppe Testpiloten aus den 40er Jahren nannte sich »Hell's Angels«.
Während dieser beiden Kriege hatten sich Bombergeschwader und Divisionsangehörige zu eigenen festen Gruppen zusammengeschlossen. Gruppen junger Freiwilliger und Dienstpflichtiger dachten sich Namen für ihre Clubs aus und entwarfen gefährlich aussehende Embleme und Logos, um zu zeigen, was für zähe und tödliche Kämpfer sie waren. Patches wurden auf die ledernen Bomber Jacken des Militärs aufgenäht. Die Berufsmilitärs nahmen keinen Anstoß daran. Auf den Schnauzen der Flugzeuge prangten wohlgerundete Mädchen und finster aussehende Maskottchen. Eine Bombereinheit aus dem Zweiten Weltkrieg, die auf den Philippinen stationiert war, nannte sich Bomber Barons und hatte ein scharfes Logo, ein Skelett in einer Air-Force-Pilotenjacke mit einercoolen Flieger-Sonnenbrille. Ralph »Sonny« Barger 38
Der Name »Hell's Angels« existierte beim Militär schon seit dem Ersten Weltkrieg, damals nannte sich ein Jagdgeschwader so. In den 20er Jahren taufte sich ein Motorradclub in Detroit, der zur American Motorcyclist Association gehörte, ebenfalls Hell's Angels. Im gleichnamigen Schwarzweißfilm aus dem Jahre 1930 von Howard Hughes wurde Jean Harlow zum großen Star. Eine Gruppe Söldner, die als Kampfflieger bei den Chinesen im Einsatz waren, hieß Flying Tigers, und eines ihrer Schwadrone nannte sich Hell's Angels. Im Zweiten Weltkrieg gab es ein paar Einheiten, die Hell's Angels hießen, darunter ein amerikanisches Bomberkommando, das in England stationiert war, die 358th Bomber Squadron, sowie ein Torpedo-Geschwader der Navy, ich glaube, es war die 109th und die 188th Airborne, eine Fallschirmspringer-Einheit aus dem Koreakrieg. Motorräder spielten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Rolle. Ebenso wie die Polizeikommandos und HighwayPatrouillen Verbrecher in Autos lieber mit Motorrädern verfolgten, hatte ja auch General John J. Pershing den berüchtigten Banditen Pancho Villa und seine Reiter an der mexikanisch-amerikanischen Grenze mit einer Schwadron Harleys gejagt. Die Motorräder waren ihm per Eisenbahn auf einem Tieflader geliefert worden. Schon 1917, während des Ersten Weltkriegs, nutzten die Infanterien der Deutschen und der Amerikaner Motorräder erfolgreich für ihre Meldegänger, Aufklärer und Kuriere. Deshalb bekam die Harley-Davidson Motorcycle Company umfangreiche Regierungsaufträge für den amerikanischen Kriegseinsatz in Europa und lieferte an die 20 000 Motorräder an die Army. In den 30er und 40er Jahren bildete die Nazi-Wehrmacht Hitlers Motorradfahrer zu aktiven Frontkämpfern aus, die auf technisch hochwertigen BMW-Rädern fuhren. Hitlers Panzerdivisionen in Polen und Generalfeldmarschall Erwin Rommels Afrikakorps stützten sich weitgehend auf gut ausgebildete Kradkämpfer. Statt lediglich als Aufklärer und Melder eingesetzt zu werden, hatten die Kradschützen Maschinengewehre auf ihre Motorräder montiert, sie führten Aufklärungsmissionen durch, spähten Hinterhalte aus, besetzten Brücken und andere wichtige Punkte, Hell's Angel
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durchführen verminte Felder und eskortierten Panzer zu ihrem Einsatz. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß es am Ende des Zweiten Weltkriegs bereits viele aggressive, waghalsige und furchtlose Biker gab, die sich begeistert und mit Vollgas in Gefahren stürzten. Schon damals, zwischen 1948 bis in die frühen 50er Jahre, wurden die aus dem Krieg heimkehrenden Motorradfahrer als »Outlaw-Motorradtypen« bezeichnet. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Motorradclubs so etwas wie Gentlemen-Clubs - die Fahrer trugen tatsächlich Sakkos und Krawatten. Nach dem Krieg hielten Clubs wie die BoozeFighters an der Aggressivität von Krieg und Kampf und an ihrem Aussehen fest - lederne Bomberjacken, Piloten-Sonnenbrillen und lange Schals. Einer ihrer Glaubenssätze lautete: »Jesus starb, damit wir fahren können.« Gelangweilt und ohne Club fuhr ich mit einer neuen Bande durch die Straßen von Oakland. Wir wollten wieder einen Club gründen. Einer der Biker, Boots, mit richtigem Namen Don Reeves, hatte ein umgemodeltes Patch, ähnlich den Air-Force-Insignien, die er in Sacramento gefunden hatte: einen kleinen Totenkopf, der eine Pilotenkappe zwischen zwei Schwingen trug. Ich fand das unheimlich cool. Auf dem Bottom Rocker stand »Sacto«. (Diese Zeile ist ein eingestickter Rundstreifen unter dem Patch mit dem Namen der Stadt, in der es den Club gibt.) Später fanden wir heraus, daß Boots' Patch von einem inzwischen aufgelösten Club aus Nord-Sacramento stammte. Es war Boots' Idee, unseren neuen Club nach dem Patch »Hell's Angels« zu taufen. Der Name gefiel uns allen, und so gingen wir zu einem Trophäen-Laden in Hayward und entwarfen eine Reihe von Patches, die Boots' Fundstück ähnelten. Das war im April 1957, und wir hatten keine Ahnung, ob es nicht etwa andere Motorradclubs in Kalifornien gab, die sich ebenfalls Hell's Angels nannten. Fast das ganze erste Jahr lang stand »Oakland« nicht einmal auf dem Bottom Rocker. Statt dessen nannten wir uns Nomad Hell's Angels.
Während des Spätsommers 1957 fuhren Ernie Brown und ich mit unseren neuen Patches auf dem Rücken nach Gardena in Südkalifornien. Als wir nach SoCal kamen, ging mein Getriebe in den Arsch. Ernie und ich hatten jeder ein Mädchen (»Doppelpak40
Ralph »Sonny« Barger
kung«) dabei, und nun war ich mit einem kaputten Bike rund 1000 Kilometer von zu Hause gestrandet. Was für eine Scheiße! Wenigstens hatten wir Mädchen dabei. Aber Scheiße, das passiert nun mal. Wie aus dem Nichts brauste plötzlich ein Motorrad herbei, stoppte neben meiner Mühle, um zu sehen, was ihr fehlte. Zu meiner Überraschung trug der Fahrer er ein Hell's Angels Patch! Sein Name war Vic Bettencourt. Und in Gardena gab es einen südkalifornischen Hell's Angels Club. Vic nahm Ernie und mich mit in sein Clubhaus, gab uns die Ersatzteile, die wir brauchten - Bettencourts Bruder hatte eine Harley-Werkstatt in Massachusetts - und half mir, mein Getriebe zu reparieren. Die anderen aus dem Club versorgten uns zwei Tage lang mit Essen und einem Schlafplatz. Vic erzählte mir, daß die anderen Hell's Angels aus dem San Gabriel Valley, aus Fresno, Berdoo (San Bernardino) und Frisco seien und daß der allererste Hell's Angels Club schon 1948 in Berdoo gegründet worden sei. Dieser Club war eine Abspaltung von einer Rebellengruppe aus Fontana, California, genannt Pissed Off Bastards. Er war unmittelbar nach dem Hollister-Krawall entstanden. Aus Berdoo stammende Weltkriegsveteranen - die zu den Pissed Off Bastards gehörten - seien immer mit ihren Bikes vorbeigedonnert. Die Leute hätten ihnen nachgeschaut und gesagt: »Da fährt wieder einer von diesen Höllenengeln!« Die Hell's Angels in San Francisco - nur eben auf der anderen Seite der Bay Bridge - müssen eine ziemlich kleine Gruppe gewesen sein. Wir haben sie nie auf den Straßen von Oakland gesehen. Sie gehörten zu einem Club, der sich Market Street Commandos nannte und sich später mit den Fontana Hell's Angels vereinte, um der zweitgrößte Hell's Angels Club zu werden. Frank Sadilek war damals Club-Präsident in Frisco, er fuhr zuerst eine Triumph und wechselte in den späten 50er Jahren über zu einer Harley Sportster. Vic machte mir klar, wie ein Motorradclub zu funktionieren hatte. Er war ein Organisationstalent und wußte genau, wie ein Club geführt werden mußte. Wir sprachen über Meetings, Clubbeiträge, Regeln und Vorschriften, und all das erinnerte mich sehr an meine Zeit in der Army. Während Ernie und ich zurück nach Hause fuhren, dachte ich darüber nach, was wir tun müßten, um Hell's Angel
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unseren ersten Oakland-Club aufzubauen. Ein paar der SoCal Hell's Angels besuchten uns bald darauf in Oakland. Ein paar Jahre nach unserem ersten Treffen geriet Vic auf einem Interstate Highway unter ein Auto und starb. Die Hell's Angels in SoCal, San Francisco und - bevor sie sich auflösten - in North Sacramento waren nur locker miteinander verbunden. Rein technisch gesehen müßte - nach den heutigen Regeln - der Oakland-Club als illegal betrachtet werden. Es gab nie eine Abstimmung unter den anderen existierenden Charters über unsere Zulassung. Als wir wieder nach Süden fuhren, um die anderen HAMC-Charters in SoCal zu besuchen, beschlossen wir, unser Charter in Form zu bringen, die Aufnäher zu besorgen und unser Charter-Einzugsgebiet zu bestimmen. Damit wurden wir das einzige Hell's Angels Charter in der East Bay, und niemand konnte uns nun mehr an den Karren fahren. Im Vergleich zu anderen Angels-Charters waren wir eine sehr junge Gruppe. Die meisten von uns in Oakland waren zwischen 18 und 21 Jahre alt, während das Durchschnittsalter in den SoCalCharters eher bei 26 lag. Nur einer von uns, Barf, war 29. Er war in unseren Augen steinalt. Was uns am meisten interessierte und Spaß machte war, die Sau rauszulassen. Dann kannten wir uns aus, und das taten wir auch. Die meisten von uns waren vorzeitig aus der Highschool abgehauen oder rausgeflogen, Anfang zwanzig und hatten kaum mehr als ein paar Cents in der Hosentasche. Wir wohnten in den Garagen von Freunden, und das einzige, was wir besaßen, waren die Klamotten auf unserem Leib und das Motorrad unter unserem Hintern. Wer zwei Paar Hosen besaß, trug sie im Winter übereinander. Einer von uns ging einmal in ein Schuhgeschäft und stahl einen ganzen Haufen Stiefel für den Club. Als wir sie anprobierten, merkten wir, daß es lauter rechte Stiefel waren! Entscheidend war, daß wir alles riskierten und alles gemeinsam durchstanden. Unsere ersten Chartermeetings hielten wir genau nach dem parlamentarischen Verfahren ab, das Vic uns beigebracht hatte. Boots wurde zum Präsidenten gewählt. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben mir Boots, Cody, Junior Gonsalves, Er-nie Brown, AI Jayne, der eine BSA fuhr, und ein Tattoo-Künstler 42
Ralph »Sonny« Barger
namens Big Red, der mir meine erste Charter-Tätowierung machte. Cody und AI traten nach einer Weile aus dem Charter aus, um in Oakland und Alameda Polizisten zu werden. Einige Monate nach seiner Wahl zum Präsidenten verließ uns Boots, um eine Karriere als Western- und Country-Sänger im Mittleren Westen zu beginnen. Im Jahr 1958 übernahm ich dann die Präsidentschaft des Charters, mit großen Ideen und Plänen für die Zukunft. Die Regeln und Vorschriften des Charters erschienen mir gut und sinnvoll. Damals war es verboten, bei Meetings zu fluchen oder Prügeleien anzufangen. Wer fluchte, mußte Strafgeld in einen Topf werfen. Wir beschlossen schon früh, daß alle dieselben Patches tragen sollten und für alle dieselben Vorschriften galten. Um unser Gebiet klar abzugrenzen, legten wir taktische Regeln fest. Beispielsweise durfte es innerhalb eines Umkreises von 80 Kilometern immer nur ein Charter geben. Oakland und Frisco bildeten Ausnahmen, da sie nur etwa zehn Kilometer voneinander entfernt lagen. Als kurze Zeit später Charter in San Jose, Sonoma, Daly City und Vallejo auftauchten, hoben wir diese Vorschrift für Nordkalifornien auf. Nur die Charter in SoCal hielten noch länger an der Regel fest, was allerdings von Nachteil war, denn es gibt dort viele kleine Städte, die weniger als 80 Kilometer voneinander entfernt sind. Durch den Einfluß der Mitglieder in Oakland konzentrierten sich alle Heils Angels in Kalifornien bald auf ihre Gemeinsamkeiten, statt nur ein Haufen Charter zu sein, die zufällig dieselben Patches trugen. Die einzelnen Charter bewahren zwar ihre eigenen Identitäten, sie bekennen sich aber alle zu den wichtigsten Wertvorstellungen der Hell's Angels. Manche Hell's Angels hatten feste Arbeitsplätze, andere nicht. Viel Geld haben wir nie gebraucht. In den Anfangsjahren galt man schon als reich, wenn man fünf Dollar in der Tasche hatte. Wir fuhren gemeinsam zum Haus der Freundin, Ehefrau oder Mutter eines unserer Kumpel, jeder gab 50 Cents, und sie kaufte dafür Hamburger und Nudeln oder kochte Spaghetti für uns, und davon wurden alle satt. Nach ungefähr einem Jahr konnten wir es uns leisten, ein Clubhaus zu mieten. Dort zogen wir dann ein. Wir nannten unser Clubhaus »Snake Pit« - Schlangengrube. Das Haus war groß, alt, im viktorianischen Stil und lag um die Hell's Angel
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Ecke von einer Bar namens 400 Club, wo wir oft becherten. Mitglieder, die in der Schlangengrube wohnten, mußten sich an der Miete beteiligen. In manchen Nächten lagen überall schlafende Kumpel herum, sogar auf dem Garagenboden. Die Schlangengrube war zeitweise das Zuhause für Angels wie Skip Workman, Johnny Dum Dum, Ray Flint und eine Menge anderer. Wir hatten dort viel Spaß miteinander; Partys rund um die Uhr, Tanzfeten und Treffen aller Art. Auch unsere Führungsmeetings - die OMs (Officers Meetings) - wurden dort abgehalten. In der ersten Zeit unseres Oakland-Charters waren die Death Head Patches, die alle auf dem Rücken ihrer Kutten trugen, viel kleiner als die heutigen. Die größeren Patches führten wir 1959 bei einer Halloween-Party in San Francisco ein. Als die Jungs aus Oakland in Frisco mit den neuen Death Head Patches eintrafen, waren die anderen Hell's Angels aus Sacramento und Richmond total begeistert. Die älteren Gruppen - Berdoo, SoCal und San Francisco wollten aber nichts davon wissen und blieben lieber bei den ursprünglichen kleineren Emblemen. Als aber die Mitgliederzahlen in Nordkalifornien immer weiter anstiegen, entschieden sich mehr und mehr Angels in NoCal für die größeren Patches. Bald wurde die »Barger Larger« eher die Regel als die Ausnahme. Mit dem Zuwachs an Gruppen in Kalifornien änderten wir auch die Bottom Rocker auf den Patches der Jacken, so daß nicht mehr die Stadt des Charters dort stand, sondern einfach nur Kalifornien. Alle außer Berdoo übernahmen diese neue Bezeichnung, und mit den Berdoo-Leuten hatten wir sowieso immer mal kleine Scherereien, weil sie nun einmal selbstherrlicher waren. Es kam zwischen den Oakland-Mitgliedern und den Berdoo-Leuten sogar zu Rangeleien auf den Straßen wegen der Patches. Ich selbst bekam Krach mit SoCal-Leuten, weil sie meinten, unsere größeren Patches lächerlich machen zu müssen. Wir hatten wahrlich eine Menge Krach zwischen den verschiedenen Gruppen, besonders mit der aus Frisco. Es gab ziemlich oft Ärger mit anderen Clubs. Besonders mit einem, den Gypsy Jokers. In den 60er Jahren kamen die Jokers meist aus San Francisco, Oakland und San Jose. Dummerweise waren die Frisco Angels und die Gypsy Jokers miteinander be44
Ralph »Sonny« Barger
Bei einem Meeting der Charter (der zweite von links bin ich}. Die FriscoPatches sind deutlich kleiner als das Patch (rechts) eines Angels aus Nordkalifornien.
freundet. Wenn Oakland Ärger mit den Jokers hatte, stellte sich Frisco sofort auf deren Seite. Für die Oakland-Brüder bedeutete das aber einen absoluten Regelverstoß gegen die Philosophie der Angels. Als es in Oakland zu einer Auseinandersetzung kam, weil die Freundin eines Mitglieds verprügelt worden war, machten wir ein Chapter der Gypsy Jokers richtig zur Sau. Aus Rache griffen sich die Jokers zwei Daly City Angels im Golden Gate Park und schlugen sie mit Baseballschlägern wüst zusammen. Wir warnten Frisco davor, weiter Ärger zu machen, und vertrieben die Jokers aus Kalifornien. Bis vor kurzem durften sie in Kalifornien nicht einmal mit unseren Patches fahren. Inzwischen halten sie sich nicht mehr in Kalifornien auf. Im Jahr 1966 waren die Hell's Angels bereits über den Staat Kalifornien hinausgewachsen. Wir nahmen Clubs in unsere Dachorganisation auf, die unseren Ruf bewunderten und gern dazugeHell's Angel
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hören wollten. Omaha, Nebraska, war das erste Charter außerhalb Kaliforniens, das wir akzeptierten. 1967 fuhr ich nach Massachusetts, um mir in Lowell ein weiteres Prospect-Charter anzusehen. Wir hatten sogar ein Charter in Australien, das wir »das vergessene Charter« nannten. Der Frisco-Club hatte denen in früheren Jahren eine Lizenz erteilt und danach nie mehr etwas von ihnen gehört. Die erste Lizenz an einen europäischen Club ging in meinen Präsidentenjahren an die Schweiz. Von da an breiteten wir uns aus wie ein Lauffeuer. Wenn wir Charter in neuen Staaten aufmachen, geschieht das jedesmal durch eine landesweite Abstimmung. Wenn ein Club uns mitteilt, daß er gern zu den Hell's Angels gehören möchte, dann prüfen wir deren Mitglieder erst einmal genau, um herauszubekommen, ob das auch verläßliche Leute sind. Wir schicken unsere Vorstandsmitglieder dorthin, und die Clubs wiederum schicken Leute zu uns. Manchmal laden wir sie auch zu ein paar Runs ein, und umgekehrt nehmen Kumpel von uns an deren Partys teil. Irgendwann stimmen wir dann darüber ab, ob wir den anderen Club als Prospect bei uns zulassen wollen. Dann wird auch über ihre Vollmitgliedschaft entschieden. Dieses Verfahren gilt sowohl für Einzelmitglieder als auch für ganze Clubs. Bis in die Mitte der 60er Jahre, als wir in Kalifornien noch die einzigen waren, leiteten die Berdoo Hell's Angels die Charter in Südkalifornien, während die nordkalifornischen Charter vom Oakland Club geleitet wurden. Berdoo und Oakland standen in engem Kontakt miteinander bezüglich der Zulassung neuer Charter in unserer Organisation. Als sich die Hell's Angels über das ganze Land ausbreiteten, unterteilten wir sie in Ost- und WestküstenAbteilungen. Wenn ein neues Charter, sagen wir in Colorado, beitreten wollte, mußte es sich mit der kalifornischen Kontaktstelle in Verbindung setzen, weil Colorado näher an der Westküste liegt. Wenn es aber noch überhaupt keine Gruppe in ganz Colorado gab, dann mußte die gesamte Mitgliedschaft in den USA über die Zulassung abstimmen. Mitte der 60er Jahre begannen wir, kräftig zu wachsen. Wenn wir erst einmal ein offizielles Hell's Angels Charter zugelassen hatten, dann lag es von da an in dessen Verantwortung, dafür zu 46
Ralph »Sonny« Barger
sorgen, daß sich in seinem Teil des Landes keine illegalen Gruppen gründeten. Einige Biker in Lowell, Massachusetts, formierten ein illegales Charter und fragten uns, was sie tun müßten, um ihren Club legal zu machen. Bevor wir nach Lowell fahren konnten, um deren alte Patches einzusammeln, meldete sich bei uns ein anderer Club namens Disciples, der auch zu den Hell's Angels gehören wollte. Okay, sagten wir, fahrt nach Lowell und sammelt deren Patches ein, wenn ihr durchaus Hell's Angels sein wollt. Das versuchten die Disciples auch, allerdings ohne Erfolg. So wurde also aus dem ursprünglichen Renegaten-Club in Lowell ein Hell's Angels Charter und die Disciples wurden Outlaws. Eine Zeitlang herrschten noch ziemlich laxe Regeln, da konnte man bei einem Charter erscheinen, zu dem man von seinem bisherigen Charter übertreten wollte, und ein Schreiben mitbringen, in dem stand, man sei cool und ein angesehenes Mitglied. Daraufhin wurde über die Aufnahme abgestimmt. Aber weil es damals eine Menge Verräter und Informanten gab, mußten wir die Vorschriften des Wechsels von einem Charter in ein anderes verschärfen. Heute muß jedes Mitglied mindestens ein Jahr lang seinem Charter angehört haben, wenn es von einem zum anderen wechseln will. Wir verschärften die Regeln, als sich herausstellte, daß Red Bryant ein Denunziant war. Red hatte in Frisco angefangen, ließ sich dann nach Santa Rosa und danach zu den Nomads überweisen, und das alles in kürzester Zeit. Als er sich dann als Informant entpuppte, steckte auf einmal eine ganze Anzahl Kumpel tief in der Scheiße. Die Bullen behaupteten, wir gäben Clubs unser o.k. nur, wenn deren Mitglieder über Fähigkeiten und Erfahrungen bei Drogengeschäften, Einbrüchen, Straßenraub und Sprengstoffen verfügen würden. Das war natürlich nur Polizei-Bullshit, um den Verkauf von den Büchern der Informanten zu fördern. Folgende Clubs nannten die Behörden die Großen Vier: Hell's Angels, Bandidos, Outlaws und Pagan's. Die Hell's Angels sind die größte Gruppe und die ersten, die sich weltweit ausbreiteten. Die anderen drei großen Clubs entstanden in den 50er und 60er Jahren und standen unter dem Einfluß der Hell's Angels. Die US-Bundesregierung nennt die Hell's Angels den größten Outlaw-Motorradclub. Von uns gibt es Tausende in der ganzen Hell's Angel
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Welt und Hunderte aktiver Charter, von denen etwa ein Drittel in den USA beheimatet sind. Die Hell's Angels Motorcycle Corporation ist Eigentümerin der berühmten Embleme und erteilt Lizenzen für sie an die einzelnen Charter. Das Apostroph wird nur im Namen des Charters und der Corporation benutzt, nicht aber auf den Patches. HAMC-Charter gibt es in Dänemark, Australien, Deutschland, Kanada, Großbritannien, der Schweiz, Brasilien, Südafrika und einigen anderen Ländern. Der Outlaws Motorcycle Club ist der zweitgrößte Club. Er startete 1959 in Joliet, Illinois, und breitete sich in der Mitte und im Südwesten der USA und in Ontario, Kanada, aus. Die Outlaws haben mindestens 43 Chapter - dreißig in den USA, acht in Kanada, vier in Australien und eins in Frankreich. In Kalifornien gibt es keine Outlaws Clubs, aber 1994 gründeten sie ein Chapter in Brockton, Massachusetts, in der Nähe unseres Lowell Clubs. Um das auszugleichen, formierten wir Hell's Angels Charter in Chicago, South Bend und Rockford. Wir wollten die Outlaws ebensowenig in Massachusetts haben wie sie uns im Mittleren Westen. Texas ist das Gebiet der Bandidos. Der drittgrößte Club hat außerdem Chapter in Mississippi, New Mexico, North Dakota, South Dakota, Wyoming und im Staat Washington. Die Bandidos gründeten ihren Club 1966 in Galveston Cdunty, Texas, und sie haben inzwischen weltweit etwa 28 Chapter - in Australien, Dänemark und in Frankreich. Sie versuchen nun, sich auch in Osteuropa auszubreiten. Der Pagan's Motorcycle Club hat sein Territorium hauptsächlich an der US-Ostküste, er hat Chapter in New York, New Jersey, Pennsylvania, Maryland, Virginia, Ohio und West Virginia. Es gibt aber auch Chapter im Süden, in North und South Carolina und in Florida. Die Pagan's entstanden in Prince Georges County, Maryland, im Jahr 1959. Neben den Großen Vier gibt es noch Hunderte weitere Motor radclubs in den ganzen USA. Die Hessians beispielsweise sind ei ner von vielen Clubs im Süden und in Südkalifornien. Ehemalige Mitglieder eines anderen Clubs der Großen Vier werden bei den Hell's Angels nicht aufgenommen. Nur selten wechseln Mitglie der von einem Club der Großen Vier zu einem anderen Haupt48 Ralph »Sonny« Barger
club, speziell ein Hell's Angel nicht, denn das bedeutet Krawall. Ein Mitglied eines anderen Clubs der Großen Vier bei uns aufzunehmen ist gefährlich und schwierig. Das haben wir bitter erfahren müssen. Mit zunehmender Mitgliederzahl sahen wir allmählich einer Armee immer ähnlicher. Weil wir keine eigenen Clubanstecker oder Gürtelschnallen hatten, schuf ich völlig unbeabsichtigt die Verbindung zwischen Nazi-Emblemen und unserem Club. Dabei fing alles ganz harmlos an. Ende der 50er Jahre holte unser Vizepräsident Ernie Brown einen seiner jüngeren Brüder zu den Hell's Angels, damals arbeiteten seine drei Brüder zusammen mit mir in den NACO-Werken. Als wir eines Tages zusammensaßen, sagte ich, daß ich mir gern einen Gürtel mit einem tollen Koppelschloß kaufen wollte. Darauf erwiderte einer von Ernies jüngeren Brüdern: »Wart mal, Sonny, ich hab so was, das mein Vater aus dem Zweiten Weltkrieg mitgebracht hat. Das geb ich dir!« Es war ein prima Koppelschloß der deutschen Wehrmacht, ein Adler mit einem Hakenkreuz zwischen den Krallen und einer deutschen Inschrift »Gott Mit Uns«. Ich trug das Schloß an meinem Gürtel, und die Leute fragten mich ständig nach seiner Bedeutung. Ich wollte damit keineswegs eine politische Ansicht äußern, sondern trug es nur, weil ich es geschenkt bekommen hatte. Ich habe damit eine Lunte an einem Pulverfaß angezündet. Die Oakland Tribüne veröffentlichte Fotos von der Schlangengrube, als J. J. Thomas und seine Bande Oakland Bullen eine Razzia bei uns machten. Ein Foto zeigt die Bullen beim Hochhalten einer großen Hakenkreuzfahne, die wir ins Clubhaus gehängt hatten, um die Leute zu erschrecken und zu ärgern. Bis zum heutigen Tage führt die Bundespolizei immer wieder Razzien in unserem Haus durch, und jedesmal bringen die Bullen Pressefotografen und Fernseh Kamerateams mit, um die Abendnachrichten ,ein bißchen aufregender zu machen. Razzien sind inzwischen beinah ein alltägliches Ereignis für uns. Heute beschlagnahmen die Bullen statt Waffen und Drogen allerdings eher die Festplatten unserer Computer und unsere Akten und Papiere. Dieser Nazi-Krempel nahm bald Überhand. Andere Mitglieder, Heils Angel
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die mein Koppelschloß sahen, besorgten sich auch etwas mit einem Hakenkreuz oder einem Eisernen Kreuz. Damals war es leicht, Nazi-Kriegsmaterial auf Flohmärkten oder in Schußwaffenläden zu finden. All das erschreckte und verärgerte die Leute gewaltig, aber genau das war ja eine unserer Grundabsichten, also: Warum nicht? Bald trugen wir Helme, Orden, Tätowierungen und Lederarmbänder im Nazi-Stil. Es gibt ein berühmt gewordenes Foto, das in einem großen Magazin erschien und Skip aus Richmond zeigt, der einen verchromten Wehrmachtshelm trägt. George Lincoln Rockwell von der American Nazi Party setzte sich mit mir in Verbindung. Auch er war einem völlig falschen Eindruck erlegen, als er mich bat, für ihn und seine Partei ein Nazi-Motorradcorps aufzubauen. Mann, das Zeug, das wir trugen, waren Biker-Klamotten, aber sie drückten doch nicht unsere politischen Ansichten aus! Ich sagte Rockwell ab und erklärte ihm, daß ich an seiner Idee überhaupt nicht interessiert sei, aber er kam trotzdem von Virginia bis nach Oakland angereist. Bei unserer Zusammenkunft versicherte er mir, daß er von uns ganz begeistert sei und sich ein Motorradkorps für seine Partei wünschte. Rockwell wurde schließlich von jemandem aus seiner eigenen Organisation ermordet. Der Mörder war ein Mann, den sie ausgestoßen und wieder aufgenommen hatten. Er stieg danach sogar bis zur zweithöchsten Position in der Partei auf - ein Riesenpatzer von Rockwell. Leute wie Malcolm X begingen später denselben Fehler. Wegen unserer deutschen Charter haben wir aufgehört, Hakenkreuze oder SS-Runen zu tragen, denn das ist in der Bundesrepublik Deutschland streng verboten. Aufgrund einer Abstimmung im Jahr 1997 haben wir auch die SS-Blitze von unseren Filthy Few Patches entfernt. Ich hab sie aber immer noch als Tattoos auf meinem Rücken und denke gar nicht daran, sie entfernen zu lassen. Die Filthy Few Patches bedeuten, »bei Partys die ersten und die letzten« zu sein. Einmal hatte jemand gesagt: »Mann, bis der allerletzte von euch gegangen ist, seid ihr aber verdammt dreckig« - so kamen wir auf den Namen: die »Filthy Few« - die paar Dreckigen. Eine Zeitlang gab es die Filthy Few nur in Oakland, und angeblich hatte jedes Mitglied ein Mordverfahren am Hals. Die Bullen be50
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haupteten nämlich damals, wenn man ein Hell's Angel sei und ein Filthy Few Patch trage, gehöre man zur Elitetruppe der Killer und habe für den Club schon mal jemanden kaltgemacht. Bis heute kann man den Filthy Few nur auf ausdrückliche Einladung beitreten. Zu Beginn der 70er Jahre schlössen sich die Filthy Few auch anderen Clubs an. Es gab aber noch einen Neben-Club, der sich Wrecking Crew nannte. Manche Kumpel tragen auch Dequelo-Patches, was auf Spanisch so etwa »No Mercy« -»Die Gnadenlosen« - heißt. Nach den Protokollen der Polizei sind es die Wrecking Crew und die Dequelo, die Bullen verprügelt haben - auch nur eine Scheißerfmdung der Polizei. »One on all, all on one« - Einer für alle, alle für einen - das bedeutet, wenn man sich mit einem Hell's Angel anlegt, dann hat man uns alle am Hals. Wir wissen aber auch alle, was wir zu tun haben, wenn einer von uns auf die Nase bekommt, was immer wieder geschieht. Arschlöcher besaufen sich und meinen dann, sie wären die Größten, und es gibt eine Menge Leute draußen in der normalen Welt, die sich zu gern mit einem Hell's Angel anlegen würden. Wenn wir stets Mann gegen Mann kämpfen würden, dann müßten wir uns rund um die Uhr prügeln. Statt dessen ist es besser, nur einen derartig zur Sau zu machen, daß die nächsten zehn Typen sich gar nicht erst an uns herantrauen. Wenn wir uns einen schnappen und er Gruppenkeile kriegt, finden die Leute das nicht fair. Aber wir stehen unseren Leuten bei, ob sie recht haben oder nicht. Das sollte man bedenken. Wenn dein eigener Bruder den Arsch versohlt bekommt, denkst du dann darüber nach, ob er im Recht oder im Unrecht war? Scheißegal, ob er was falsch gemacht hat; scheißegal, ob er recht hatte; du stehst ihm bei. Wenn er es den anderen besorgt - cool. Wenn er es von den anderen besorgt kriegt, zum Teufel mit dem fairen Kampf. So ist es am leichtesten, die Einstellung der Hell's Angels zu begreifen. Wenn dein Bruder erwischt wird, weil er ein Auto geklaut hat, würdest du dein Haus verpfänden und die Kaution für ihn zahlen, damit er aus dem Knast rauskommt? Wir machen das. Die American Motorcycle Association rümpfte über die kämpfenden Hell's Angels die Nase, um sich zu schützen und den Ruf von Motorradfahrern sauber zu halten. 1948, nachdem der HolHell's Angel
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Die Hölle auf Rädern: mein langjähriger Freund und Partner Johnny Angel.
lister-Krawall dunkle Schatten über alle Motorradfahrer geworfen hatte, nannte die AMA die wilden »Outlaw«-Biker die Einprozenter. Nach den Vorstellungen der AMA beschmutzt also nur ein Prozent der Motorradfahrer den Ruf der ganzen Zunft, während die restlichen 99 Prozent gute, altmodische, arschkriechende, gesetzestreue Bürger sind. Ich war noch kein Jahr lang Chef des Oakland-Clubs, als folgende Geschichte passierte: Wir waren in die kleine Stadt Angels Camp, Kalifornien, gefahren, um an dem von der AMA veranstalteten Gypsy-Run teilzunehmen. Während mehr als 3700 Fahrer an diesem Run teilnahmen, betrachtete man uns als störende Außenseiter. Im Verlauf des Gypsy-Run rasten zwei Hell's Angels aus Sacramento mit mehr als 160 Sachen aus der Stadt hinaus auf eine Anhöhe. Als sie oben ankamen, hoben ihre Bikes ab, flogen hoch durch die Luft und krachten in eine Gruppe von MotorradfahRalph »Sonny« Barger 52
rern, die von der anderen Seite den Berg hinauffuhr. Beide SactoAngels kamen dabei ums Leben, und der ganze Unfall war ein ziemlich grausiger Anblick. Die AMA sah relativ schlecht aus, als die Zeitungen über diesen Zwischenfall berichteten. Daraufhin beschlossen sie, auf ähnliche Events in Zukunft zu verzichten. Obwohl danach der Ruf der AMA ziemlich beschädigt war, wurden auch die Hell's Angels anschließend von der Öffentlichkeit noch mehr geächtet. Von da an betrachteten wir es als eine unserer Aufgaben, der AMA immer wieder ans Bein zu pinkeln. Einmal hatten wir ein riesiges Meeting in San Francisco, bei dem alle Charter aus Südkalifornien mit den Charters aus der Bay Area zusammenkamen, und das waren keineswegs alles nur Hell's Angels. Dorthin kamen auch Vertreter anderer kalifornischer Clubs wie die Executioners und die Galloping Gooses. Damals übernahmen wir voller Stolz den Namen, den uns die AMA verpaßt hatte: die Einprozenter! Wir entwarfen sogar ein Einprozenter-Emblem, ein Dreieck mit einem »l%«-Symbol. Anschließend zogen George Wethern und ich los und ließen uns noch am selben Abend solche Tattoos machen. Wir orderten sogar solche Patches. Aber die Harmonie war nur von kurzer Dauer. Als die anderen Clubs verlangten, gleichberechtigt behandelt zu werden, verließen die Hell's Angels die übrigen Einprozenter schleunigst. Wir hielten sie nicht für gleichberechtigt, und außerdem wollten wir zu ihnen nicht dasselbe Verhältnis haben wie untereinander. Unsere Regeln besagten zwar, daß man das Bike eines Einprozenters nicht stehlen und ihn auch nicht angreifen durfte, aber ansonsten waren wir nicht der Meinung, daß sie es verdienten, von uns so behandelt zu werden wie Hell's Angels einander behandelten. Zu den Einprozentern gehörte einfach jeder Biker, der nicht zur AMA gehörte. Der Haken war eben, daß wir keine Einprozenter waren - wir waren vor allem Hell's Angels und sonst nichts. Ich werde zu vielen Neuaufnahmen eingeladen, zur Einführung neuer Mitglieder. Und da schwirren eine Masse wilder Spekulationen über uns in der Öffentlichkeit herum. Um nur eine von ihnen zu nennen: Angeblich kann man nur ein Hell's Angel werden, wenn man jemanden umgebracht hat! Um bei den Hell's AnHell's Angel
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gels aufgenommen zu werden, hat es noch nie besondere Riten gegeben, außer, daß jeder Neue erst einmal eine Zeitlang als Prospect dienen muß, ehe er Vollmitglied wird. Ein Prospect ist erst einmal eine Art Laufbursche oder dienstbarer Geist für den Club; er muß vor einem Meeting dafür sorgen, daß Tische und Stühle bereitgestellt und Kaffee und Essen für den Vorstand vorhanden sind. Nach den Veranstaltungen muß er das Clubhaus in Ordnung bringen. Diese Pflichten müssen so lange erfüllt werden, bis ein neuer Prospect kommt und man nicht länger das neueste Mitglied ist. Prospects können aber auch die schlimmsten Rowdys von allen sein, so wie in Altamont: Als erste vor Ort, als letzte abgehauen, nachdem sie bewiesen hatten, was sie können. Mitunter haben Prospects auch den meisten Spaß. Die Hell's Angels sind ein Club, der versucht, mit so wenig Regeln und Vorschriften wie möglich auszukommen. Die Sonderbestimmungen in Kalifornien waren eine Liste von Regeln, die in den späten 60ern gedruckt wurden. Nach einem Meeting in Kalifornien wurden sie an die Mitglieder verteilt. Ich weiß nicht genau, wie es passiert ist, aber jemand muß diese gedruckten Regeln auf dem Heimweg verloren haben, jedenfalls waren sie am nächsten Tag im San Francisco Chronicle abgedruckt! Hier sind einige dieser abgedruckten Bestimmungen. Es gibt auch noch andere Regeln, die aber nicht öffentlich und nur für unsere Augen bestimmt sind.
»Jede Woche finden Meetings an einem bestimmten Ort und zu einer festen Zeit statt.« Unsere ersten Meetings fanden im Keller von Junior Gonsalves' Haus statt.
»Eine Geldstrafe von zwei Dollar wird erhoben, wenn jemand ohne Angabe gewichtiger Gründe einem Meeting fernbleibt.« Es überrascht mich, daß die Strafe so hoch war, damals war das eine Menge Geld. Heute sind es höchstwahrscheinlich eher fünfzig oder hundert Dollar.
»Mädchen sind bei Meetings nicht zugelassen, es sei denn, daß dazu eine spezielle Veranlassung besteht.« Ganz selbstverständlich. »Die Aufnahmegebühr beträgt 15 Dollar für jedes neue Mit54
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glied. Der Club stellt das Patch, das aber Eigentum des Clubs bleibt« Die Patches gehören nicht den Mitgliedern; sie gehören dem Club (jetzt eingetragene Gesellschaft). Wir hatten viele Probleme mit dieser Bestimmung, weil Denunzianten und Verräter ihre Patches oft der Polizei aushändigten. Wenn Informanten das tun, erheben wir Klage, um die Patches zurückzubekommen. Nach unseren Vorschriften bleibt ein Patch Eigentum des Clubs, doch im allgemeinen bekommen wir sie von den Abtrünnigen nie zurück. Unsere Patches sind unser Symbol, deshalb kämpfen unsere Mitglieder auch auf Leben und Tod um sie. Wenn jemand sein Patch verliert, ist das ein schlimmer Ehrverlust, deswegen versuchen die Bullen auch, uns die Patches wegzuschnappen. Die Polizei versucht außerdem ständig, Beschlagnahmungen zu erwirken, um andere Insignien und Gegenstände des Clubs zu requirieren. Manchmal wurden sogar unsere Bikes beschlagnahmt, nur weil unsere Symbole daraufgemalt waren. Als Rudolph Giuliano Generalstaatsanwalt in New York City war, trug er einmal bei einem PR-Auftritt eines unserer Patches, das er aus den Beweisstücken des Gerichts entwendet hatte, die einem Hell's Angel namens Bill abgenommen worden waren. Giuliano in weißem Hemd und Slacks trug unser Patch, während eine KameraCrew ihn und den früheren Senator Alfonse D'Amato filmte, wie sie versuchten, auf der Straße Drogen zu kaufen. Bis heute sagt Giuliano, dies sei eine der Handlungen gewesen, die er am meisten bedauern würde. Meiner Meinung nach hätte er aus seinem Amt entlassen werden müssen, weil er sich widerrechtlich ein Beweisstück aneignete. Ich habe Giuliano auch mal im Kleid gesehen, und wenn man mich fragt, finde ich, daß er als Drag Queen viel überzeugender wirkt.
»Zwischen Clubmitgliedern sind Schlägereien verboten. Zuwiderhandlungen werden mit fünf Dollar je Schläger bestraft.« Bis heute kostet eine Prügelei zwischen Mitgliedern fünf Dollar Strafe, was kaum eine abschreckende Wirkung hat.
»Neue Mitglieder werden durch Abstimmung aufgenommen. Zwei Neinstimmen gelten als Ablehnung. Eine Neinstimme muß erläutert werden.« Hell's Angel
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Wenn etliche Mitglieder Jastimmen abgeben und nur einer mit Nein stimmt, dann kann dieses eine Nein die Aufnahme eines neuen Mitglieds verhindern. Der Grund für diese eine Neinstimme muß angegeben werden, falls es irgend etwas gibt, wovon die anderen Stimmberechtigten nichts wissen. Oder vielleicht wissen wir etwas, was der Neinstimmer nicht weiß. Wenn es den anderen nicht gelingt, den Ablehnenden umzustimmen, ist die Aufnahme abgelehnt. Bei zwei Neinstimmen wird keine Erläuterung verlangt.
»A lle neuen Mitglieder müssen ihr eigenes Motorrad besitzen.« Es gibt aber keine Vorschrift, daß es eine Harley sein muß.
»Mitglieder, die Ersatzteile haben, sollen diese an andere Mitglieder ausleihen. Die Teile müssen entweder zurückgegeben oder bezahlt werden.« Das ist der Grundsatz, daß die Brüder füreinander Sorge tragen.
»Mitglieder dürfen einander nicht bestehlen. Wer es dennoch tut und erwischt wird, fliegt aus dem Club.« Diebstahl ist wie Lügen - unehrlich, und er steht ganz oben auf der Liste der Verfehlungen - er wird nicht geduldet.
»Mitglieder können nicht gleichzeitig auch zu anderen Clubs gehören.« Natürlich gehört niemand von uns noch einem anderen Motorradclub an, aber es gab schon sehr früh die Regel bei uns, daß keiner AMA-Mitglied sein durfte.
»Neue Mitglieder müssen bei drei Meetings mit ihren Motorrädern erscheinen. Über ihren Beitritt wird dann beim vierten Meeting entschieden. Die Abstimmung erfolgt schriftlich.« Heute dauert es mindestens ein Jahr, und es kann bis zu vier Jahren dauern, bis die Aufnahme durch Abstimmung erfolgt. Wir warten mit der Entscheidung, bis wir der Ansicht sind, daß der Prospect wirklich reif genug für den Club ist. Statt für seine Aufnahme zu stimmen und dann feststellen zu müssen, daß er es noch nicht schafft, zu uns zu gehören, geben wir dem Prospect eben etwas mehr Zeit. Denn jeder, der abgelehnt wird, muß sechs Monate warten, bis er erneut die Aufnahme beantragen kann.
»Jeder, über dessen Aufnahme noch abzustimmen ist, unterliegt den Clubvorschriften.« Diese Vorschrift bezieht sich auf Prospects; selbst wenn man 56
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noch nicht in den Club aufgenommen ist, muß man sich an seine Regeln halten. »Zur Abstimmung über die Aufnahme in den Club muß der Prospect von einem Mitglied bei einem Meeting vorgeschlagen werden.« Nur Mitglieder mit hohem Ansehen können jemanden zur Wahl vorschlagen. Zunächst wird man als Prospect gewählt. Derjenige, der einen Prospect zur Wahl vorschlägt, wird auch der Sponsor des Prospects während des ganzen Aufnahmeverfahrens, bis der Prospect als Vollmitglied aufgenommen ist. Ich für meinen Teil habe in all den Jahren noch nie als Sponsor für jemanden füngiert, ausgenommen für Joby beim Cave Creek Club in Arizona, nachdem ich dorthin gezogen bin. »Mitglieder, die ausgeschlossen worden sind, können nicht erneutaufgenommen werden.« Diese Regel ist inzwischen geändert worden. Man kann wieder aufgenommen werden; das geschieht allerdings nur sehr selten. »Bei >Doppelpackungen< darf ein Mitglied das Mädchen das Patch tragen lassen.« Zu Anfang legten wir Wert darauf, daß die Patches gesehen wurden, also ließen wir unsere Freundinnen die Patches tragen. Das ist mittlerweile nicht mehr der Fall. Nur Mitglieder dürfen Hell's Angel Patches tragen. Wer das Patch eines Mitglieds unrechtmäßig trägt, riskiert eine Tracht Prügel. »Jeder, der sein Patch verliert oder dessen Patch von einem Vorstandsmitgliedgefunden wird, zahlt eine Strafe von 15 Dollar, um das Patch zurückzubekommen.« Wenn wir in der Öffentlichkeit wären und ich würde mein Patch irgendwo hinlegen und ein Hell's Angel Vorstandsmitglied findet es, ohne daß ich es bemerke, könnte es schließlich auch jemand anders aufheben. Also muß ich Strafe zahlen. »Bei Runs in Kalifornien dürfen Schußwaffen nur zwischen 6.00 und 16.00 Uhr abgefeuert werden.« Dies bezieht sich auf unsere Schieß-Runs - wie nach Squaw Rock - ins Land hinaus, wo man innerhalb festgelegter Bereiche Schußwaffen abfeuern darf. Bei Squaw Rock lag dieses Gebiet in den Bergen oberhalb eines Strandabschnitts. Wenn viele MenHells Angel
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sehen am Strand waren und man seine Waffe zur verkehrten Zeit abfeuerte, mußte man eine hohe Geldstrafe zahlen. »Die Spirituosen des Clubs dürfen nicht mit Rauschmitteln gemischtwerden.« Terry the Tramp machte das einmal. Immer wenn eine Regel oder Vorschrift erlassen wurde, hatte es vorher einen bestimmten Anlaß dazu gegeben. Manche Leute mögen nicht beschwipst sein oder einen in der Krone haben, wenn sie es nicht selbst darauf anlegen, das gilt besonders für Mitglieder, die auf Bewährung draußen sind und damit rechnen müssen, auf Drogen untersucht zu werden. »Munition darf bei Runs nicht in Lagerfeuer geworfen werden. « Einige Typen warfen gern Patronen ins Feuer. Heute gehört alles dazu, was explodieren kann, auch ungeöffnete Cola- und Bierdosen. »Keine Techtelmechtel mit den Frauen anderer Mitglieder.« Diese Regel ist sehr wichtig. Ehefrau, Freundin oder Lebensgefährtin, wer immer das weibliche Wesen sein mag - sie ist für die anderen unantastbar. Wer mit der Frau eines anderen etwas anfängt, fliegt aus dem Club. Es gibt Abermillionen Frauen auf der Welt, die paar tausend Frauen von Hell's. Angels sind nun einmal tabu. »Es ist verboten, dem Mitglied eines anderen Clubs sein Patch abzureißen.« Jemand anderem sein Patch abzunehmen ist eine gefährliche symbolische Handlung, die einer Niederlage oder einer Kapitulation gleichkommt. Angenommen, jemand in San Jose kriegt Krach mit einem Nomad, prügelt sich mit ihm und gewinnt. Dann darf er dem anderen keinesfalls das Patch abnehmen. Jede schwere Übertretung dieser Regel wird vor den Clubvorstand gebracht. Nur weil mich einer zusammenschlagen kann, heißt das noch lange nicht, daß er mir mein Patch nehmen darf. Wenn mich jemand verprügelt und mir dann noch mein Patch abnimmt, dürfte ich ihn umbringen, selbst wenn er Mitglied ist. »Keine Drogen während der Clubmeetings.« Bei den Meetings in Oakland darf noch nicht einmal geraucht werden. 58
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»Mindestens zwei Fübrungsmitglieder müssen alle zwei Monate an einem Kalifornien-Meeting teilnehmen.« Weil es inzwischen so viele Führungsmitglieder gibt, haben wir die Zahl inzwischen auf einen verringert. Treffen der Clubchefs finden alle sechs Monate statt. Und hier nun - last, not least - kommt die schlimmste Vorschrift, die wir je aufgestellt haben: »KeineDiebstähle von Drogen.« Diese Bestimmung haben die Bullen oft gegen uns verwendet. Das Verbot haben wir erlassen, nachdem zwei Mitglieder bei den Nomads in Kalifornien eingetreten sind. Sie waren feine Kerle, aber auch kleine Ganoven. Sie hatten bei einem Dealer Hasch bestellt, ungefähr ein Kilo. Als der Typ ihnen das Zeug übergab, rückten sie nicht mit der Knete raus, und als der Dealer daraufhin wütend wurde, prügelten sie ihn windelweich. Anfangs war uns das egal, es hatte ja nichts mit dem Club zu tun. Aber für die Leute waren es nicht nur diese beiden. Weil sie das Patch trugen, hieß es plötzlich, daß alle Hell's Angels solche Dinger drehen und die Leute betrügen würden. So könnte es passieren, daß irgendein anderer Hell's Angel den Highway entlangfuhr und einfach von seinem Bike abgeknallt würde. Dann müßten wir untersuchen, wer das getan hatte, und hinter den Scheißkerlen her sein, um es ihnen heimzuzahlen. Ein Haufen Arger. Wir stellten diese Regel nicht auf, um Drogengeschäfte unserer Mitglieder zu verhindern oder zu verdammen. Eigentlich erklärten wir damit ja nur: Wenn ihr einen Deal machen wollt, dann macht ihn, aber so wie vereinbart. Aber die Bullen und Staatsanwälte benutzten diese Regel vor Gericht, und wir bekamen einen gewaltigen Haufen Ärger. Wenn wir heute verhaftet werden, halten uns die Bullen immer noch diese alte Vorschrift vor. Sie klingt inzwischen wie ein schlechter Witz, und es gibt sie längst nicht mehr. Wir hätten diese Regel damals auch auf Motorräder erweitern sollen, denn einige Clubmitglieder klauten viel mehr Bikes als Drogen. Und die Bikes sind schließlich das Herz und die Seele des Clubs.
Im November 1959. Ich mit Spitzbart, langen Koteletten und Tätowierungen auf einer 1946er Harley Stroker, die mir kurz nach der Aufnahme des Fotos um die Ohren geflogen ist.
HARLEYS, CHOPPER, FULL DRESSERS UND GEKLAUTE BIKES Wenn irgendwer in der gesamten bikefahrenden Welt einen Orden verdient hat, dann ist das Sonny. Er hat Zeichen gesetzt. Heute sieht man Leute mit diesen verdammten Patches »Fahren um zu leben, Leben um zu fahren«. Yeah, das stimmt schon. Aber wenn's mal hart wird, dann ist ihr Bike das erste, was sie verkloppen. Sonny ist derjenige, der den Lifestyle der Biker eingeführt hat. Es gab keinen Outlaw-Typ mit dem Lifestyle, wie er heute existiert, ehe er ihn nicht eingeführt hat. Cisco Valderrama, Präsident der Oakland Hell's Angels
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ch war schon immer verrückt nach Motorrädern. Als ich noch ein kleiner Junge war, parkten die Motorradbullen von Oakland ihre Bikes immer vor unserem Haus und paßten auf, ob nicht jemand das Stoppschild an der Ecke überfuhr. Die Polizei von Oakland fuhr Harleys und Indians, die Letzteren als V-Twin Flathead. Mann, war ich beeindruckt von diesen Maschinen! Obwohl ich Bullen nicht leiden konnte, quatschte ich sie oft an, nur um ihre Bikes aus der Nähe betrachten zu können. Einmal, als einer der Motorrad-Cops seine Maschine antrat, bekam mein Hell's Angel 61
Hund King einen Schrecken und biß dem Bullen ins Bein. Aus Angst, der Bulle würde sich nun meinen Hund schnappen und ihn in einen Zwinger stecken, packte ich King und rannte mit ihm davon. Abends klingelte die Polizei an unserer Haustür. Glücklicherweise konnte mein Vater die Geschichte einvernehmlich regeln, und wir durften den Hund behalten. Allerdings mußten wir versprechen, ihn nicht aus dem Haus zu lassen, bis seine TollwutQuarantäne abgelaufen war. Motorräder wurden nach dem Zweiten Weltkrieg das beliebteste Fahrzeug in Kalifornien. Viele GIs, die aus dem Krieg im Pazifik zurückkehrten, hatten keine Lust, ihr langweiliges Leben in Indiana oder Kentucky wieder aufzunehmen; sie blieben einfach in Kalifornien. Ein Motorrad war ein verhältnismäßig billiges Transportmittel, ein bißchen gefährlich und einfach ideal für Rennen und zum Herumfahren. Außerdem konnte man auf den »heißen Ofen« auch gemeinsam losfahren, was für die GIs in ihrer Militärzeit zur Gewohnheit geworden war. Das sonnige Kalifornien wurde zum Zentrum der Motorradkultur, und jahrelang waren in Kalifornien mehr Bikes zugelassen als in allen anderen US-Staaten zusammen. Ich bekam meinen ersten Motorscooter, eine Cushman, als ich 13 Jahre alt war. Die Cushmans hatten kleine Räder, und ihre Motoren waren wie bei Rollern in Profilrahmen montiert. Eine ovale Box oben auf dem Rahmen diente als Sitz. Sie hatten einen Kickstarter und nur zwei Gänge. Mit diesen Babys konnte man bis zu 60 km/h fahren, wenn man ordentlich auf die Tube drückte. Die Mustangs sahen wie Miniatur-Motorräder aus, hatten einen Biggs&-Stratton-Motor und einen ziemlich kleinen Benzintank. In den frühen 50er Jahren waren Cushmans und Mustangs sehr beliebt. Eine fabrikneue Mustang kostete ein paar hundert Dollar, eine gebrauchte Cushman bekam man schon für 20 Dollar. Kein Wunder, daß wir Cushmans fuhren. Die Schule langweilte mich zu Tode. Ich wollte nur noch fahren. Ein Typ namens Joe Maceo fuhr bei Demolition-Rennen Hardtops für eine Signal-Tankstelle in meiner Nähe. Joe war 21 und hatte Verständnis für Vierzehnjährige wie mich. Damals nannten sie ihre Wagen Hardtops. Das waren die schicken kleinen 62
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'32er Fords. Wir schweißten einen Überrollbügel über das Dach eines dieser Fords, und es war völlig wurscht, ob die Wagen hinterher Wracks waren oder nicht. Joe und sein Freund Marty ließen mich Nummern auf die Hardtops malen, und an Samstagabenden gingen wir alle zum Cow Palace nach San Francisco und sahen zu, wie Joe die Karren zu Schrott fuhr. Mein Schwager Bud, der Mann von Shirley, kaufte gebrauchte Autos und brachte sie wieder in Schuß, um mit ihnen Profit zu machen. Bud und Shirley hatten hinter dem Haus einen großen Hof, m dem lauter ausrangierte, alte Wagen herumstanden, die sie billig aufkauften. Wir arbeiteten an den Vehikeln, um sie wieder fahrtuchtig zu machen. Ich hatte viel Spaß an dieser Arbeit, aber noch lieber fummelte ich an Motorrädern herum. Im Vergleich zu einem Auto ist ein Motorrad etwras viel Persönlicheres. Man kann den Motor ausbauen und in all seinen Einzelteilen auf dem Montiertisch ausbreiten, ohne ständig seinen Kopf unter die Motorhaube eines großen Blechkastens stecken zu müssen. Direkt neben unserem Haus machte ein Anhänger-Verleih auf, und der Typ, dem der Laden gehörte, hatte auch ein Motorrad. Ich durfte für ihn arbeiten, und er nahm mich oft auf seiner Norton mit. Wenn ich bei ihm mitfuhr, spurte ich, wieviel mehr Kraft dahinter steckte als auf einer Cushman oder Mustang. Von meinem Sold kaufte ich mir mein erstes Motorrad, als ich achtzehn und gerade aus dem Militärdienst entlassen worden war. Damals war der durchschnittliche Motorradfahrer ein bißchen alter als ich. Ich war immer der Jüngste und fuhr an der Spitze meiner Freunde, die alle schon Mitte 20 waren. Die großen Motorrad-Hnnen waren damals B S A, Triumph, Norton, Harlcy-Davidson und In d i an . Ich fand Harleys geil und kaufte mir bald ein 36er Modell, Für das ich inklusive Steuer und Zulassung 125 Dollar abdrucken mußte. Benzin kostete 19 Cents die Gallone (etwa 20 P f en n i g pro Liter). So war es ein billiges Vergnügen, durch die Straßen von Oakland zu fahren. Endlich hatte ich die ersehnte Freiheit. Motorrader wurden damals noch mit starrem Rahmen gebaut. Deshalb vibrierten die Maschinen auch stark beim Fahren. Auf holprigen Straßen oder bei Schlaglochern gaben diese Rahmen so Hell's Angel
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gut wie gar nicht nach. Die ständige Vibration führte dazu, daß sich immer wieder Teile lösten und abfielen, manchmal sogar während der Fahrt. Laufend mußte man an der Maschine nachschrauben und alles festdrehen, um die Kiste in Schuß zu halten. An Motorrädern zu basteln, herumzuschrauben und sie zu reparieren gehört zu den Dingen, die ich am allerbesten kann. Als hätte ich mein ganzes Leben lang an Motorrädern gearbeitet, sie getunt, frisiert und nach meinen Wünschen umgemodelt. Oft fiel mir dabei plötzlich wieder etwas Neues ein, dann nahm ich das Bike wieder auseinander und fing das Ganze von vorne an. Die ursprünglichen Harleys hatten Seitenventil-Motoren Flatheads. Das bedeutet, daß die Zylinderköpfe oben flach sind und die Ventile sich wie bei einem alten Fordmotor an deren Seiten befinden. Meine 1936er Harley hatte einen obengesteuerten Motor, bei dem die Ventile sich oben und nicht an den Seiten bewegten. Solche Motoren hießen Knuckleheads, denn sie hatten seitlich Zylinderköpfe, in denen die Ventile untergebracht sind und die wie Knöchel aussehen. 1948 wechselte Harley zu Blechabdeckungen der Zylinder - Panheads genannt - 1966 zu Aluminium-Abdeckungen, den sogenannten Shovelheads. Verschiedene Motorenkonstruktionen überlappten einander niemals bei Harleys; wenn Änderungen vorgenommen wurden, dann durch die gesamte Modellreihe. Ab 1984 benutzte Harley eine neuartige Motorenform, den Evolution-Engine. Auf dem großen Motorradmarkt erfreute sich Harley eines bedeutenden Marktanteils. Bei Tourenrädern kontrollierte Harley etwa 50 Prozent der Verkäufe, die andere Hälfte wurde von den japanischen Marken beherrscht. In Folge dieser Vormachtstellung benahmen sich die Harley-Leute oft ihren Kunden gegenüber sehr hochnäsig. Einer der Chefs bei Harley erklärte einmal: »Genug Bikes sind zu viele, und wenn wir reichlich davon herstellen, verliert die Marke ihre Mystik.« Diese Leute betonen zwar, daß ihre Produktion von Jahr zu Jahr steigt, aber bis vor ein paar Jahren hat Harley die Produktion nach meiner Einschätzung absichtlich gedrosselt, um die Nachfrage zu steigern. Jetzt gibt es schon Firmen wie Titan, American Eagle und American Illusion, die das Softail-Mo64
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dell von Harley imitieren. Dabei handelt es sich um das im 50erJahre-Stil gebaute Bike, das alle neuen Fahrer kaufen möchten. Softail-Bikes sehen wie alte Räder mit dem starren Rahmen aus, sind dabei natürlich viel moderner, aber »soft« ist das Fahren auf ihnen auch nicht gerade. Sie haben zwar Stoßdämpfer, doch wenn man mit ihnen auf dem Highway mehr als 90 km/h fährt, fühlt sich das nicht besonders weich an. Der Motor ist nicht in Gummi gelagert, im Grunde sind diese Maschinen nicht viel anders als die 1936er Modelle in ihren Fahreigenschaften. Sie neigen zu Motorschäden und vibrieren stark, wenn man sie zu schnell fährt. Für Fahrer, die nur jeden Samstagabend mal eben zu ihrer Kneipe fahren wollen, sind sie genau das richtige. Das Softail-Bike ist Harleys meistgekauftes Rad in jüngster Zeit, und vom Design her hat es auch den coolen Look des Choppers. Im Jahr 2000 kam Harley mit dem 88B-Motor heraus, der gut ausbalanciert ist und nicht vibriert. Titan, American Eagle und American Illusion stellen, wie sie selbst sagen, »Clone Bikes« her, von denen die meisten in den USA gebaut werden und die oft nicht einmal mit eigenen Motoren ausgestattet sind. Die Hell's Angels aber entschieden sich für Harley-Davidsons, weil sie damals - im Gegensatz zu heute - kaum eine andere Wahl hatten. Man konnte sich 1957 entweder eine Harley kaufen oder mußte sich mit einer Triumph oder einer BSA zufriedengeben. Indians wurden zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr gebaut. Wichtig war für die Hell's Angels, daß sie in Amerika hergestellte Maschinen fuhren. Was die technische Perfektion angeht, mag ich persönlich gar keine Harleys. Ich fahre sie, weil ich im Club bin und sie zum Image des Clubs gehören, aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich eher für eine Honda ST 1100 oder eine BMW entscheiden. Irgendwie haben wir etwas verpaßt, indem wir nicht auf japanische Bikes umstiegen, als die Japaner anfingen, größere Maschinen zu bauen. Ich sage meistens: »Zum Teufel mit Harley-Davidson. Kauf dir eine ST 1100, dieser Ofen fährt schon vom Hersteller aus den ganzen Tag lang seine 180 Sachen auf dem Highway.« Die neuesten »Reis-Raketen« bringen 140 PS aufs Hinterrad und können ohne weiteres Hell's Angel
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bis zu 270 Sachen Höchstgeschwindigkeit fahren. Jetzt ist es wahrscheinlich zu spät, aber es wäre toll gewesen, wenn wir japanische Bikes genommen hätten, denn die sind viel billiger und auch technisch besser. Dafür haben die japanischen Motorräder lange nicht so viel Persönlichkeit. Ich fahre jetzt eine Harley FXRT, das beste Modell für Leute, die sehr viele Kilometer abreißen. Harley baut diesen Typ nicht mehr, doch er ist das Beste, was es gibt - ein gutes Rad für lange Strecken, das sich aber auch auf kurzen Strecken gut handhaben läßt. Die FXRT ist nicht so schwer wie andere Parademodelle, dafür ist sie schneller und hat geräumige Satteltaschen für lange Runs. Meine FXRT schafft gerade mal 150 Sachen, wenn ich sie richtig aufmotze. Dann wird sie aber auch ein wenig unzuverlässig. Je schneller eine Harley ist, um so weniger kann man sich auf sie verlassen. Neue Triumphs schaffen 400 Meter in zehn Sekunden. Wenn man ein Tourenrad von Harley dazu kriegt, so schnell zu fahren, hat man eine Bombe unter dem Hintern. Das schlimmste ist, daß man eine Harley, die so schnell fährt, schlecht stoppen kann. Momentan sind die Hell's Angels nun mal auf Harleys festgelegt, aber eines Tages werden wir hoffentlich gescheit genug sein, um uns anders zu entscheiden. Die Harley FXR ist heute die meistgefahrene Maschine der Hell's Angels. FXRs haben einen in Gummi gelagerten Motor in einem Rahmen mit Doppelschwingen. Das bedeutet, daß der Rahmen hinten auf beiden Seiten Stoßdämpfer zur besseren Straßenanpassung besitzt. Harley entwickelte dieses Modell als Reaktion auf Fahrer wie die Hell's Angels, die ein vereinfachtes - »strippeddown« - Bike bevorzugen. Die FXR und die FXRT sind praktisch derselbe Typ. Die FXR ist die einfachere Version, während die FXRT als Tourenrad mit Satteltaschen und einem Fairing ausgestattet ist. Ein Fairing ist ein Plastikstück, an dem die Windschutzscheibe befestigt ist. Die FXR ist ein zuverlässiges Rad, was Schnelligkeit und Reichweite angeht. Jahrelang fuhren die meisten Hell's Angels Bikes mit Starr-Rahmen. Inzwischen sind sie fast alle zu FXRs übergegangen, weil sie weite Runs durchs ganze Land machen und dabei ein höheres Tempo haben wollen. 66
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Was die Hersteller bei Harley angeht, so produzierten sie lange Zeit in erster Linie FXRs, weil die am besten zu handhaben waren und am meisten gekauft wurden. Nach 1993 aber stoppte Harley die Herstellung der FXRs. Als 1999 deren limitierte Serie herauskam, kosteten die FXRs laut Listenpreis 17 000 Dollar, aber wegen der großen Nachfrage verkauften die Händler sie für bis zu 25 000 Dollar. Seitdem hat das Dyna Glide die FXR weitgehend ersetzt. Meiner Ansicht nach ist das Dyna Glide nicht so gut wie die FXR, weil sie sich nicht so gut führen läßt. Worum es aber bei den Harley-Davidsons vor allem geht, ist der geile Donnerklang der Bikes - jeder liebt dieses dumpfe Rumpeln. Eine weitere Sache, die Harley-Besitzer an ihren Maschinen lieben, ist das hohe Drehmoment, jene rohe Kraft gleich in den niedrigen Drehzahlen. Das verliert sich natürlich, wenn man schneller als 150 km/h fährt. Den meisten Harley-Fahrern liegt nicht viel an Höchstgeschwindigkeiten, wichtiger ist ihnen dieses hohe Drehmoment, diese Kraft, die dir im Bauch brummt und dir das Gefühl von Macht gibt. Die japanischen Maschinen haben zwar auch Kraft, aber aus irgendeinem Grund geben sie einem nicht dasselbe Gefühl von Macht. Eine Harley kann ohne weiteres einen Mack-Truck abschleppen. Mit einem japanischen Modell funktioniert das nicht. Selbst wenn sie stark genug ist ihre Kupplung würde glatt kaputtreißen. In den frühen 60er Jahren warb Honda mit dem Spruch »Die nettesten Leute trifft man auf einer Honda«. Das war natürlich nichts für Hell's Angels, brachte aber Harley in Absatzschwierigkeiten bei den durchschnittlichen Motorradkäufern. Honda hatte anfangs winzige Maschinen wie die 50 ccm und die 100 ccm, die größte von ihnen hatte gerade mal 450 ccm. Später produzierte Honda 900, 1100, 1200 und sogar diese riesigen 1500 ccm Kisten, Mann, das waren wirklich Maschinen, mit denen Harley nicht mehr mitkam. Kawasaki und viele japanische Sportmaschinen haben bessere Bremsen, mehr PS und sind leichter zu fahren. Was eine Harley auszeichnet, ist ihre brutale Kraft. Eine nagelneue Harley bringt zwischen 49 und 52 PS aufs Hinterrad. Wenn Hell's Angel
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ich an meiner Harley ein bißchen herumtune, kann ich das bis auf 81 PS hochpowern. Bis 1984 waren Harley-Davidsons bekannt dafür, daß Öl aus ihnen herausleckte. Selbst nagelneue Maschinen tropften schon, und die Händler mußten im Showroom Pappstücke unter sie legen. Die frühen Harleys hatten Öl-Leckstellen, weil die Metallgehäuse nur schlecht mit Kork abgedichtet waren. Manchmal lag es auch einfach an der Motorenkonstruktion. Wenn man sein Motorrad eine Woche lang nicht gefahren war, sammelte sich das Öl in der Ölpumpe so an, daß es in das Kurbelgehäuse überlief. Beim Starten spritzte das Öl dann nur so heraus. Nach genaueren Qualitätskontrollen, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten beseitigte Harley-Davidson das Problem endgültig mit der Entwicklung des Evolution-Motors. Wenn man an einer älteren Harley geschickt genug arbeitet und herumschraubt, kann man diese Lecks beseitigen. Unter meiner Harley würde niemand auch nur einen einzigen Tropfen Öl finden, denn ich weigere mich zu glauben, daß Motorräder lecken müssen. Ich bringe nur absolut sichere Dichtungen an und sorge dafür, daß alles fest abgedichtet ist. Wenn trotzdem noch irgendwo Öl herauskommt, wasche ich alle Teile gründlich und ersetze die Dichtungen. In dem Punkt bin ich wohl ein Fanatiker. Man sieht nur dann Öl unter meiner Maschine, wenn ich längere Zeit hohes Tempo gefahren bin. Ein Tropfen leckt mitunter aus dem Luftansaugstutzen, wenn es da drin nach dem Anhalten zur Kondensation kommt. Wahrscheinlich könnte ich auch das verhindern, wenn ich dort ein Ventil einsetzen würde, das nur den Lufteintritt in den Motor erlaubt und auslaufendes Öl stoppt. Aber ich lasse lieber dieses bißchen Öl weiter herauslecken als meinen Motor am »Ausatmen« zu hindern. Nachdem jetzt in den gesamten USA Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt sind, habe ich ein RevTech-SechsgangGetriebe in mein Motorrad eingebaut, das Custom Chrome, Inc., anbietet. Statt eines normalen Fünfgang-Getriebes sechs Gänge zu haben, ist wie ein Overdrive und macht richtig Freude. Man kann 150 km/h fahren, ohne die Maschine hochzupuschen. Das schont den Motor ganz erheblich. Wenn man auf dem 68
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Highway mit 150 km/h fährt und dabei 5000 Umdrehungen pro Minute braucht, kann man mit dem Sechsgang-Getriebe das selbe Tempo mit nur 3500 Umdrehungen schaffen. Mein 88 cubic-inchCCI-RevTech-Motor hat sich schon bestens an die sechs Gänge gewöhnt. Harley-Davidson hat sich bisher noch nicht auf Sechsgang-Getriebe umgestellt, während einige japanische Maschinen schon Siebengang-Getriebe eingeführt haben. Ich glaube, die meisten Harley-Fahrer hätten gerne sechs Gänge. Als es drei Gänge gab, wollten sie vier. Als Harley den Viergang baute, träumten die Fahrer von fünf Gängen. Daher sind Sechsgang-Harleys wohl nur noch eine Frage der Zeit. Auch wenn die durchschnittlichen Harley-Enthusiasten das Softail-Bike lieben und vor allem kurze Runs machen, wollen sie meistens dasselbe, was die Hell's Angels sich wünschen schnellere Bikes und bessere Overdrive-Getriebe. Motorräder bekamen immer stärkere Motoren (von 80 Kubikinch = ca. 1300 ccm auf 88 Kubikinch = ca. 1450 ccm - bis zu 90 Kubikinch = ca. 1475 ccm), denn Fahrer wie die Hell's Angels drängten auf mehr und mehr. Und wenn wir richtig Stoff geben, wollen das die Yuppies und die RUBbers (rich urban bikers = reiche Großstadtbiker) natürlich auch. »Chopper« der Hell's Angels kamen auf, als wir anfingen, die Dievorderen Schutzbleche von unseren Maschinen zu ent-fernen, die hinteren Schutzbleche abzuschneiden und die Lenkstangen zu verändern. Man muß sich nur mal die Karren in dem Film The Wild One ansehen. Lee Marvin und seine Crew fuhren Harleys und Indians mit abgeschnittenen Vorderschutzblechen. Damals hatten sie noch nicht die kleineren Tanks und die anderen Räder eingeführt. Als dann die Hell's Angels kamen, fingen wir an, unsere Motorräder auseinanderzunehmen, sie zu verbessern und an den Formel-Designs von Harley herumzubasteln. Jedes fabrikneue Motorrad ist mit allen Standards ausgerüstet. Wir nahmen als erstes die Windschutzscheiben ab, dann die Satteltaschen und ersetzten die riesigen, alten, häßlichen Sättel (mit Sprungfedern) durch einen kleineren, dünneren Sattel. Auch die Hell's Angel
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ganzen Lampen und Scheinwerfer brauchten wir nicht. Wir tauschten den übergroßen Hauptscheinwerfer gegen einen kleineren aus, ersetzten den Normlenker durch hochgezogene Lenkstangen und die vergrößerten Benzintanks durch kleinere tropfenförmige Tanks. Bis in die Mitte der 50er Jahre benutzten wir die alten Tanks der Mustang Bikes, danach wechselten wir zu den schmalen Sportster Tanks. Die Tanks veränderten wir wegen des Looks, denn die breiten, dicken Tanks verdecken an einer Harley den oberen Teil des Motors. Unsere Maschinen wurden so viel stromlinienförmiger, sie wurden schlanker und schmaler. Vorn sahen sie cooler aus, weil sie durch das dünnere Vorderrad noch länger wurden. Außerdem konnte man so den ganzen Motor sehen, was für ein Tourenrad außergewöhnlich war. Als nächstes bauten wir das vordere Schutzblech komplett ab, dann verkleinerten wir das hintere Schutzblech oder ersetzten es durch das noch schmalere Blech der Radabdeckung eines 1936er Ford. Bei einer Harley mit 16-Zoll-Reifen sah das großartig aus und war auch noch praktischer. Die Standardfarbe der Harley-Rahmen war damals immer schwarz. Nur die Benzintanks und die Schutzbleche hatten eine andere Farbe. Als wir unsere eigenen Maschinen zusammenbauten, bekamen die Rahmen dieselbe Farbe wie die Benzintanks, und wir verschweißten alles so, daß keine Schweißnähte zu sehen waren. Wir verchromten jedes Teil, das sich verchromen ließ, und bauten Doppelvergaser ein. Durch die ganzen Sonderausstattungen bekamen wir eine Menge Trophäen bei Wettrennen. Ich malte mich selbst orange wie einen Kürbis an, um in der Halloween-Nacht 1968 im Fillmore zur Farbe meiner Harley zu passen. Jemand, der an der Bay Bridge arbeitete, brachte mir ein paar Dosen orangefarbene Sprühfarbe, so daß ich mein Motorrad in dieser Farbe lackieren konnte, die bald allgemein als »Oakland Orange« bekannt wurde. Es war ein richtig grelles RennbikeOrange. Während der Oakland Hell's Angels Tage in den 60er Jahren wurde orange eine sehr populäre Farbe, und eine ganze Menge Mitglieder der Oakland-Gruppe bemalten ihre Bikes anschließend mit dieser Farbe. Mit Symbolik hatte das nichts zu tun, es war einfach eine kostenlose Farbe. 70
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Wir malten unsere Totenköpfe und Embleme auf die Benzintanks. Tommy the Greek, ein alter Autolackierer aus Oakland, war dafür genau der richtige Mann. Man erkannte seine Entwürfe sofort, weil er immer diese lodernden Flammen malte. Auch Big Daddy Roth übernahm diesen Stil. Von Dutch war ein weiterer Künstler, dessen Arbeiten besonders in SoCal sehr bewundert wurden. Es gab aber auch noch andere Künstler wie Len Barton in der Bay Area, Gil Avery in Fresno, Art Hemsel und Red Leo, die für ihre coolen Designs an den Benzintanks bekannt und beliebt waren. Arien Ness, heute einer der führenden MotorradErsatzteilhändler, fing auch einmal als Bike-Maler an. Wenn die Harley frisch aus der Fabrik kam, nahm Arien sie total auseinander und bemalte jedes Teil in zueinander passenden Farben, wobei er so verrückte Farben wie Liebesapfelrot benutzte. Im Gegensatz zu den Choppern sind die »Full Dressers« - Paradebikes - Motorräder, an denen sämtliche Originalteile des Herstellers erhalten bleiben und an die noch besonders schicke Windschutzscheiben aus Plexiglas, Schmutzfänger, lederne Satteltaschen, Antennen für die Radios mit Waschbärschwänzen, verbreiterte Schutzbleche mit viel Chrom und jede Menge Scheinwerfer angebracht 'wurden. Verdammt viel sinnloses Zeug, Mann! In der Straßensprache heißen die Full Dressers auch »Müllwagen«, und in früheren Tagen hätte man nie einen Hell's Angel auf so einem Monstrum gesehen. Der Wochenend-Fahrer, der seine Schwiegermutter besuchen fährt, saß meistens auf einem Full Dresser. Manchmal fuhren auch Bullen in ihrer Freizeit solche Paradebikes. Wenn ich heute ein reiner Langstrecken-Biker wäre, würde ich mir eine Harley-Davidson Road King zulegen. Auf Langstrecken ist die Road King besser als die Harley Dyna Glide. Die Road King hat einen in Gummi gelagerten Motor und ist eigentlich eine sparsamere Version des Full Dressers. Sie hat zwar noch Satteltaschen und Seitenverkleidungen, aber kein Radio und auch keinen extragroßen Beifahrersattel. Die Hell's Angels schufen einen völlig neuen Typ Motorrad. Ebenso wie Corvette und Thunderbird den Sportwagen-Look für Ford und Chevrolet kreierten, erfanden wir den Chopper-Look Hell's Angel
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Cisco Valderrama, der Präsident des Oakland Clubs, auf einer 1965er gechoppten Harley Panhead. Cisco Valderrama personal Collection
mit unseren Harley-Davidsons. Hell's Angels kauften selten Ersatzteile. Wir machten sie uns selbst. Ich baute mir meinen ersten Hochlenker aus den Stühlen, die zu den alten Resopal-Chromtischen der 50er Jahre gehörten. Ich besorgte mir solche Stühle, deren Rahmen ja schon gebogen und einen Zoll dick waren, schnitt die Rahmen auf die passende Länge zurecht, und schon hatte ich einen Hochlenker. Wir bauten uns auch verlängerte Frontgabeln, indem wir die Vorderradgabel einer Maschine nahmen, sie mit einem Stück der Gabel einer anderen Harley zusammenschweißten, und schon hatte man vorne 15 Zentimeter mehr Gabellänge. Durch die Strek-kung des Lenkkopfs lag der ganze Rahmen des Bikes niedriger. Dann montierten wir noch schmalere Schutzbleche, Haltegriffe und »Sissy Bars« - Rücksitze mit extrahoher Lehne für Beifahrerinnen, auch »Heulsusen-Halter« genannt. Wir bauten unsere eigenen Sissy Bars und Fußrasten, formten sie aus Metall und bogen und schweißten sie nach unseren Vorstellungen an die Maschinen. In den späten 60er und frühen 70er Jahren »choppten« wir unsere 72
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Bikes so zusammen, daß sie eine tiefere Lage hatten. Aber wir veränderten fast nie etwas am Rahmen, auch wenn es oft so aussah, weil wir die Sättel so weit nach hinten und direkt über das hintere Schutzblech verlegten. Die einzigen Teile, die wir kaufen mußten, waren welche für die Motoren und die Getriebe. Ich habe wahrscheinlich mein halbes Leben in einer Garage verbracht und habe eine ganze Garage voll mit Ersatzteilen. Auch die Schwungräder an der linken Seite verkleinerten wir, um das Motorrad leichter zu machen und es schneller starten zu lassen. Für lange Strecken waren schwerere Schwungräder besser, aber uns kam es darauf an, beim Start mehr Tempo zu gewinnen. Natürlich war es eine Macho-Masche, Sachen einzubauen, die wir Selbstmord-Kupplungen und Jockey-Schaltungen nannten und bei denen man mit der linken Hand die Gänge schalten und mit dem linken Fuß kuppeln mußte. Bevor die Motorräder elektronische Zündungen hatten, bauten wir Magnetzündungen ein, um auf Batterien und Zündspulen verzichten zu können. Ein Magnet liefert beim Antreten Elektrizität für die Zündkerzen. Das alles gehörte dazu, damit die Chopper noch leichter wurden. Für den schnelleren Start bauten wir außerdem noch neue Nocken und stärkere Nockenwellen ein, größere Ventile und neue Kolben, wir vergrößerten die Vergaser und verkürzten die Schaltwege in den Getrieben mit größeren Zahnrädern, um die Beschleunigung unserer Motorräder zu vergrößern. Und das alles nur, um den Start schneller zu machen. Wir wechselten die Hinterräder in 18-Zoll-Räder, vorn verwendeten wir 21-Zoll-Räder. Von der Achse abwärts sind es bei einer 18-Zoll-Felge mit einem 450 x 18-Reifen viereinhalb Zoll von der Felge bis zum Boden. Bei einem 21-Zoll-Rad verbleiben da nur zweieinhalb Zoll Reifen bis zum Boden. Dadurch wird das Motorrad zwar kaum höher oder niedriger, aber der 18-Zöller macht das Rad erheblich schlanker und schneller, weil weniger Gummireifen den Boden berührt. Am günstigsten waren die gebrauchten Harley-Davidsons, die von der Polizei abgestoßen wurden. Solche Maschinen werden übrigens noch bis zum heutigen Tag versteigert. In den 60er JahHell's Angel
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ren bekam man für 200 Dollar im Gegenwert etwa dasselbe, wofür man heute 6000 bis 7000 Dollar für Motorräder oder Ersatzteile zahlen müßte. Die Highway-Patrouille - damals noch mit Shovelhead-Maschinen ausgerüstet - fuhr ihre Harleys bis zu 32000 Kilometer, bevor sie generalüberholt wurden. Hatten sie 64 000 Kilometer auf dem Tacho, kamen sie zu den Polizeiakademien. Man war der Ansicht, daß die Motorräder dann schon Materialermüdung aufwiesen. Wenn sie auch an der Akademie nicht mehr benutzt wurden, gingen sie zur Versteigerung. Und da kauften wir sie. Einer der Gründe, weshalb die Hell's Angels den Harley-Davidsons treu geblieben sind, ist die Tatsache, daß man eine Harley immer wieder generalüberholen oder neu zusammenbauen kann, ganz egal, was mit ihr los ist - es sei denn, sie ist in Flammen aufgegangen. Deshalb sieht man auch heute noch immer 1936er Harleys auf der Straße. Sie sind einfach unverwüstlich, wenn man sie richtig wartet. In den frühen 60er Jahren hatten die Seriennummern an einem Motorrad keine Bedeutung. Sie standen auf der linken Seite des Motorblocks, und wenn die Nummer mit der auf deiner Zulassung übereinstimmte, war alles in Ordnung, ob es nun eine Fabriknummer war oder eine später eingravierte Nummer. Die Bullen achteten damals auch nicht auf korrekte Beleuchtung oder Nummernschilder. Aber als dann die Motorraddiebstähle anfingen, wurde die Polizei genauer. Die Zulassungsvorschriften wurden strenger, und lauter neue Regeln wurden eingeführt. Jetzt haben sogar die Rahmen Registriernummern. Viele in unserem Club experimentierten mit den verschiedensten Sachen. Einige verlegten die Bremsen in die Mitte ihrer Maschinen und ersetzten die alten durch hydraulische Bremsen. Har-leyDavidson übernahm das später und stattete alle Motorräder serienmäßig damit aus. Wir verlegten auch den Kickstart-Fußhebel von vorn weiter zur Mitte. Daraufhin machte Harley das auch bei ihren Sportsters und später auch bei den Big Twins. Beim KickstartMechanismus nahm ich immer das Pedal ganz ab und ersetzte es durch einen vier Zentimeter längeren Fußhebel, um so das Starten leichter zu machen. Um ein Motorrad zu starten, muß man den Motor in ausreichende Umdrehungen bringen, und je 74
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schneller man den Motor dabei dreht, um so leichter springt die Maschine an. Wenn man wie ich nur 160 Pfund wiegt und das Pedal niedertritt, bringen vier Zentimeter mehr an Pedallänge schon einen Unterschied. Wer allerdings mehr als 280 Pfund wiegt wie Junkie George oder Big AI, bei dem springt der Motor auch so mühelos an. Wir bauten uns Motorräder zusammen, die verdammt mühelos und glatt liefen, wenig Ersatzteile brauchten und enorm unbequem waren. Wenn wir unsere Kisten erst mal so überarbeitet hatten, dann waren sie sicherlich nicht besonders leicht zu fahren, aber was soll's? Wir sahen einfach cool auf ihnen aus. Es gehörte auch immer eine »Bitch Bar« (»Sissy Bar«) zum Stil und zum Look, damit sich dein Mädchen bequem darauf zurücklehnen kann. Wenn wir die Straßen entlangfuhren, starrten uns die Leute nach - und daraufkam es uns ja hauptsächlich an. Die Behörden wurden langsam nervös wegen der wachsenden Zahl von Motorradclubs, die ihre Maschinen zu Choppern umbauten. Gesetze und Verordnungen wurden erlassen, und als die Clubmitglieder anfingen, ihre Räder zu tunen und lange Vordergabeln anzubauen, setzte sich die Highway-Patrouille dafür ein, Vorschriften für die Lenkerhöhe durchzusetzen. Eine Zeitlang fuhren wir unsere Motorräder ohne Vorderradbremsen. Wir brauchten keine. Eine kleine Radnabe mit extra langen Speichen und ohne Bremstrommel - das sah richtig toll aus. Dann wurde ein Gesetz erlassen, das Vorderbremsen vorschrieb. Etliche unserer Lenker reichten weit über Schulterhöhe. Und wieder gab es eine neue blödsinnige Vorschrift, daß die Lenker höchstens Schulterhöhe haben dürften. Die Polizei behauptete, man könne ein Motorrad nicht sicher fahren, wenn der Lenker zu hoch sei, was völliger Unsinn ist. Wir versuchten, den Gerichten klarzumachen, daß hohe Lenker bei langen Runs bequemer sind. Aber die blöden Politiker dachten noch nicht einmal darüber nach, daß schließlich auch Autos so gefahren wurden. Man brauchte sich doch nur die Leute am Steuer in den Autos anzusehen und zu beobachten, wo sie ihre Hände am Steuerrad haben: oben auf dem Lenkrad! Weit über Schulterhöhe! Das ist ganz natürlich. Ich glaube, sie mußten etwas Hell's Angel
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finden, was sie uns anhängen konnten, nur weil wir Hell's Angels waren. In den frühen Tagen des Motorradfahrens dachte kein Mensch daran, einen Helm zu tragen. Inzwischen gibt es natürlich in vielen Staaten der USA Helmvorschriften. Als ich 1991 im Knast saß, verabschiedete endlich auch Kalifornien das Helmgesetz. In den 60er Jahren hatte ich mich sehr darum bemüht, ein Gesetz über das Helmtragen zu verhindern. Es gab einen Abgeordneten aus San Francisco, John Foran, der sich unablässig für eine Helmvorschrift einsetzte. Ich kämpfte genauso energisch gegen ihn an, und drei oder vier Jahre lang gelang es mir, seine Absichten zu durchkreuzen. Beim letzten Mal kam er zu mir und sagte: »Weißt du was, Sonny, nächstes Jahr werde ich einen Gesetzentwurf einbringen, in dem es heißt, daß nur du einen Helm tragen mußt.« Für uns Clubmitglieder war die Helmfrage ein persönliches Anliegen, und deshalb fuhren wir auch nach Sacramento, um gegen die geplanten Gesetze auf den Stufen des Capitols, dem Gebäude des Staatsparlaments, zu demonstrieren. Es kamen immer viele Pressefotografen, wenn die Hell's Angels gegen das Gesetz zum Tragen von Helmen kämpften, denn die Motorradindustrie war zu feige, um einen offenen Kampf gegen das Repräsentantenhaus von Kalifornien zu führen. Sie befand sich damals in einem schwierigen Public-Relations-Dilemma. Einerseits hatte auch sie kein Interesse an dem Helmgesetz, andererseits wollte sie nicht den Anschein erwecken, als sei ihr die Sicherheit der Fahrer gleichgültig. Die Motorradhersteller lehnten das Gesetz ab, weil das Tragen von Helmen den Eindruck erweckte, daß Motorräder gefährlich und unsichere Fahrzeuge seien. Den Hell's Angels war es völlig egal, ob die Öffentlichkeit sie als schlimme Typen brandmarkte, falls das Gesetz in Kraft trat. Daran waren wir gewöhnt.
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ist schon irgendwie witzig, wenn man heute darüber nachEsdenkt - um cool auszusehen und unseren eigenen Look zu haben, motzten wir die Harleys dermaßen auf, daß die HarleyHändler uns nicht einmal mehr in ihrer Nähe sehen wollten. Wir zerstörten das ursprüngliche Harley-Design und ihr typisches Image, indem wir Einzelteile »ihrer« Maschinen entfernten und durch unsere eigenen Teile ersetzten. Es gab sogar Harley-Shops, die sich weigerten, uns irgend etwas zu verkaufen. Unsere Clubmitglieder mußten ihre Frauen oder Freundinnen schicken, wenn sie Ersatzteile brauchten. In den Augen der Firma Harley-Davidson machten wir aus dem Fahren von Motorrädern etwas Schlimmes oder Böses. Selbst wenn da etwas dran sein sollte, haben wir der Firma dennoch Unsummen eingebracht, weil wir ihre Marke so bekannt machten. In den 50er Jahren waren viele Leute von unseren Harleys so eingeschüchtert, daß wir mitunter in Restaurants nicht bedient wurden oder in Motels keine Zimmer bekamen. Ich bin davon überzeugt, daß viele Designs und Einzelheiten bei der Herstellung heutiger Motorräder den Hell's Angels zu verdanken sind. Wenn man sich die modernen Softail-Bikes (nicht die Full Dressers) ansieht, entdeckt man an ihnen viele Neuerungen, die die Hersteller von uns übernommen haben. Unsere Chopper haben sogar die Hersteller von Kinderfahrrädern beeinflußt, wie zum Beispiel das Schwinn Sting Ray mit seinem Bananensattel und dem Gooseneck-Lenker. Es war schließlich nur eine Frage der Zeit, bis alle Hersteller auf den Trichter kamen, mit Spe-zialteilen für Motorräder eine Menge Geld zu verdienen. Sonderanfertigungen für Motorräder und Motorradzubehör sind zu einem Riesengeschäft geworden. Das ist ein Verdienst der Hell's Angels. Motorräder waren von Anfang an ein großes ProGestohlene blem für Clubs wie den unseren. Die Hell's Angels haben eine feste Regel, die für alle Fahrer gilt, die zu uns kommen und mit uns Partys feiern: Es ist absolut verboten, ein Motorrad zu stehlen, das vor unserem Clubhaus oder vor dem Haus eines Clubmitglieds geparkt ist. Das ist doch nur fair, oder? Im Jahr Hell's Angel
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1967 stahlen drei Angels, Big AI Perryman, Fu Griffin und Cisco Valderrama, an einem einzigen Tag 27 Motorräder. Das muß eine Art Weltrekord sein. So wie die Geschichte erzählt wird, waren 27 Biker eines namenlosen Clubs aus Kalifornien an einem Wochenende zu einer Party mit den Richmond Hell's Angels gekommen. Die Polizei machte im Clubhaus eine Razzia und steckte alle Anwesenden in Untersuchungshaft. Cisco brauchte ein 21-Zoll-Vorderrad der extraschmalen Sorte, aber er wußte, daß die Regel lautete, keine Motorräder oder Teile zu stehlen, die vor dem Clubhaus geparkt waren. Cisco wußte auch von der Party und den Verhaftungen und dachte sich: Wer wird schon ein Vorderrad vermissen? Aber Satzung ist Satzung. Da kamen Big AI und Cisco auf die Idee, einfach sämtliche 27 Motorräder zu klauen. Zum Teufel mit dem Vorderrad, jetzt wollten sie den ganzen Fuhrpark. Sie schoben sämtliche Motorräder einen Häuserblock weit weg und parkten sie dort über Nacht. Am nächsten Morgen betrachteten sie die Maschinen als »vogelfrei« — sie standen ja nicht mehr vor einem Clubhaus der Angels und niemand anders hatte sie über Nacht gestohlen. Fu lud die Bikes Stück für Stück auf Ciscos 65er Impala Kabriolett, der brachte immer jeweils zwei davon nach Oakland hinüber und versteckte sie im Haus von Fu. Nachdem sie alle dorthin gebracht hatten, besaßen sie auf einmal einen Motorradladen mit 27 Motorrädern, und alles wegen eines einzigen Vorderrades. Sie nahmen die Bikes komplett auseinander und hatten mit einem Schlag ein riesiges Ersatzteillager. Dann kam ich dahinter. Cisco und Big AI kriegten einen Mordsärger. Sie hatten Scheiße gebaut. Ich sagte ihnen, sie hätten die dünne Grenzlinie zwischen Recht und Unrecht überschritten, und brachte sie dazu, die Räder an die Besitzer zurückzugeben. Weil alle Bikes aber schon auseinandermontiert waren, mußte jeder der bestohlenen Besitzer kommen und sich sein geklautes Motorrad in einem Karton abholen. Aber wie es so geht - ein Jahr später, 1968, war ich selbst das Opfer. Mein Bike, meine Geliebte, mein Stolz und meine Freude wurde mir geklaut und, Mann, verdammt war ich sauer! Sweet Cocaine. Ich konnte es einfach nicht fassen, daß jemand 78
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meine bildschöne, handgefertigte Maschine gestohlen hatte. Sweet Cocaine war auf dem Cover des Soundtracks zum Film Hell's Angels '69. Ich hatte die Maschine komplett selbst zusammengebaut, und an ihr war keine Schraube ohne den süßen Duft von Kokain festgedreht worden. Als mein Bike fertig war, baute ich davon eine MiniaturSportster-Version für meine Freundin Sharon und nannte ihr Bike Little Cocaine. An dem Tag war ich in Hayward im Laden eines Juweliers, um für meine Schwester einen Ring zu kaufen, als ich plötzlich die beiden Frauen, die dort bedienten, miteinander reden hörte. »Er muß mit seinem Wagen gekommen sein, denn ich habe sein Motorrad nicht gesehen.« »Sprechen Sie von mir?« fragte ich die beiden. »Meine Maschine steht doch draußen vor der Tür.« Ich ging raus, und - tatsächlich - Sweet Cocaine war weg! Die beiden Frauen hatten schon die Polizei angerufen, aber als die Bullen kamen, behauptete ich, sei zu Fuß in den Laden gekommen zu sein, da müsse ein dummer Irrtum vorliegen. Ich raste innerlich vor Wut, ließ mir aber äußerlich nichts anmerken, denn ich wollte nicht, daß sich die Bullen in den Diebstahl einmischten. Ich blieb ganz ruhig und gelassen. Aber dann schnappte ich mir das Telefon und beraumte eine Notsitzung unseres Clubs an. »Jeder hält die Augen offen und versucht, meine Maschine zu finden«, ordnete ich wutentbrannt an. »Niemand - und ich meine das ganz wörtlich - niemand wird in dieser Stadt ein Motorrad fahren, bis ich meine Sweet Cocaine wiederhabe.« Sharon paßte zu Hause auf die Anrufe auf, während alle anderen ausschwärmten und suchten. Dann kamen die ersten Anrufe, und jemand berichtete, ein rosafarbener Cadillac sei in der Nähe des Juweliers gesehen worden. Ich ging von Bar zu Bar und fragte die Leute aus - nach meinem Motorrad, nach dem Cadillac, nach jedem Hinweis. Ich wollte mein gottverdammtes Bike zurück haben - und das sofort! In der Zwischenzeit riefen alle bekannten Motorraddiebe an. Rick Motley, einer der bekannteren Motorradhehler - mittlerweile tot - rief bei Sharon an und versicherte ihr, er hätte lieber die Army, die Navy, die Marines und die Green Berets in seinem Nacken als ausgerechHell's Angel
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net Sonny Barger von den Hell's Angels, der nach seiner Sweet Cocaine sucht. Endlich bekamen wir den richtigen Tip. Der Cadillac-Hinweis war nur dünne Luft gewesen, aber irgendein Bote hatte gesehen, wie vor dem Juweliergeschäft ein Typ auf einem Bike davongefahren war, der eine Weste mit einem Emblem auf dem Rücken trug. Anhand der Beschreibung des Westen-Patches führte uns diese Spur bald zu einem Club, der sich »The Unknowns«, die Unbekannten, nannte. Wir kannten die Bar, in der sich die Mitglieder oft aufhielten, also rasten wir dorthin, schnappten uns zwei Typen aus dem Club und fragten sie, was ihre Mitglieds-Prospects so planten. Diese Prospects sind Biker, die einfach alles, auch das Verrückteste, tun würden, um im Club aufgenommen zu werden. Ich fragte aus gutem Grund nach solchen Leuten, denn das waren meistens hirnlose Ganoven ohne einen Funken Verstand, völlig verkommene Gestalten. Einer der beiden meinte, ein paar Prospects nähmen gerade ein Bike auseinander, das sie gestohlen hatten. Ich sagte nur: »Das ist mein Bike, du Drecksack, und ihr werdet mir jetzt helfen, es wiederzubekommen!« Die Prospects, die das Bike gestohlen hatten, wußten nicht, wem es gehörte. Die Kerle, die ihnen befohlen hatten, es zu stehlen, wußten wahrscheinlich sehr wohl, daß es mein Bike war. Die Zulassung für das Rad hatte ich in einem Glasröhrchen neben dem Nummernschild hinten am Bike stecken. Die Burschen, die in der Nacht nach dem Diebstahl meine Maschine auseinanderschraubten, fanden dabei das Glasröhrchen mit meiner Zulassung. Da wußten sie auf einmal, daß sie sich tief in die Scheiße hineingeritten hatten. Statt mir schleunigst das Bike zurückzugeben, schmissen sie es einfach in die Flußmündung bei Oakland. Wir stöberten alle Typen auf, die mit dem Diebstahl zu tun hat ten, fesselten sie und brachten sie in mein Haus an der Golf Links Road. Sharon sollte auf sie aufpassen, und es war gut, daß wir sie gefesselt hatten, denn es wurde so spät, daß sie mit der Pistole in der Hand einschlief. Alle halbe Stunde warfen wir einen weiteren Verdächtigen durch die Tür ins Haus. Als wir den letzten auf getrieben hatten, fing die Bestrafung an. Wir verprügelten einen nach dem anderen mit der Lederpeitsche, droschen mit Stachel80 Ralph »Sonny« Barger
Hundehalsbändern auf sie ein und brachen ihnen mit Hämmern die Finger. Einer von ihnen schrie zwischendurch: »Warum hört ihr nicht endlich damit auf und bringt uns einfach um?« Anschließend nahmen wir ihnen ihre Motorräder weg, verkauften sie und lösten ihren Club auf. Und die Moral von der Geschichte? Klaut niemals einem Hell's Angel sein Motorrad, schon gar nicht, wenn es ihrem Präsidenten gehört!
Ein offizielles Gruppenfoto des Oakland Hell's Angels Clubs aus den frühen 80er Jahren.
5 DIE HELL'S ANGELS ie Geschichte des Hell's Angels Motorcycle Clubs ist die Geschichte einer sorgsam ausgesuchten Bruderschaft von Männern, die bereit sind, füreinander zu kämpfen und zu sterben, ganz gleich, worum es geht. Bei den Oakland Hell's Angels dreht sich - genau wie in allen anderen solcher Clubs - alles um die Individualität seiner Mitglieder. Kumpel sind gekommen und gegangen, haben gelebt und sind gestorben - und viele dieser Männer sind heute noch immer da und lassen es zusammen mit den jüngeren Angels knallen und krachen und hauen auf den Tisch. Es stimmt schon, daß einige dieser Männer so seltsam sind, daß sie die kühnsten Phantasien übertreffen. Aber sie sind alle aus demselben Holz geschnitzt. Man braucht sie neben sich, wenn man in der Scheiße steckt, die Fäuste fliegen oder die Kugeln pfeifen. Unsere Spitznamen haben wir wegen der Presse, die uns Hell's Angels zu Straßenberühmtheiten machte. Als sich die Reporter einmal um uns drängten, hielt einer von ihnen sein Mikrofon John Terence Tracy vor den Mund. »Und, Sir, wie heißen Sie?« Ohne Zögern mischte sich Marvin Gilbert ein: »Das ist Terry the Tramp!« Da drehte sich der Reporter um und fragte Marvin: »Und, Sir, wie lautet Ihr Name?« Diesmal fuhr Terry dazwischen: »Das ist Marvin, Mouldy Marvin!« Diese Namen - ganz spontan ausgedacht - blieben für immer haften. Was mich betrifft, so werde ich wohl immer »Sonny« genannt werden, nur einige der ganz alten Mitglieder nennen mich »Chief«. Eines der allerersten Oakland-Clubmitglieder war Skip Work man. Als Skip - mit bürgerlichem Namen Clifford Park Workman
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Skip Workman zu der Zeit, als er Vizepräsident des Oakland Hell's Angels Clubs war. Czsco Valderrama personal collection
- seine Zeit bei der US-Navy abdiente, kam er zu uns in die Bay Area. Er stammte aus New Harbor, Maine. Seine Mutter stammte aus einer reichen Familie. Während seiner Highschool-Zeit war Skip ein Wrestling Champion. Er kannte mehr Würgegriffe und Tricks als Hulk Hogan und konnte sich in Bars wie ein betrunke84
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ner Seemann herumprügeln. Aber eine Sache liebte Skip wirklich: ein Hell's Angel in Oakland zu sein. Während der ganzen 60er und bis in die 70er Jahre war Skip bei uns, einige Jahre lang war er sogar mein Stellvertreter als Vizepräsident. Als ich Skip kennenlernte, fuhr er eine »Full Dresser«, eine 1956er Harley mit dem klassischen Look. Er hatte sie nagelneu gekauft, frisch aus der Fabrikation: mit 16-Zoll-Rädern, ausladenden Schutzblechen, Satteltaschen, Windschutzscheibe, riesigem Sattel und einem gerade gezogenen Rahmen (statt eines gebogenen). Als er eines Tages tollkühn durch die Schlammfelder bei Oakland raste, überschlug sich seine Maschine, und Skip blieb bewußtlos und verletzt liegen. Im Oak Knoll Naval Hospital konnten die Ärzte und Krankenschwestern kaum glauben, daß Skip ein aktiver NavyAngehöriger war. Denn vor ihnen auf der Trage lag ein Mann, der am ganzen Körper tätowiert war, einen schmuddeligen Bart und lange Haare hatte und dann noch ein Hell's Angels Patch trug. Während Skip im Krankenhaus lag, machte ich aus seinem Paradebike einen Chopper. Skip arbeitete in der General Motors Fabrik in Fremont und wohnte am Ende der 79th Avenue, dort wo sie in den Foothill Boulevard einmündet. Da gab es eine kleine Nebenstraße, in der Skips Haus das letzte Gebäude war. Damals hieß es bei der Polizei von Oakland, wenn man zum Sergeanten befördert werden wolle, brauche man nur an Skips Tür zu klopfen und ihm sagen, daß er wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit verhaftet und ins Gefängnis gebracht werden soll. Damals galt es nur als Ordnungswidrigkeit, wenn man Polizisten tätlich angriff. Deshalb konnte Skip auch jede Menge Polizisten von seiner Haustür wegprügeln. Später wurden Angriffe gegen Bullen strafrechtlich streng verfolgt, aber davor machte es Skip einen Heidenspaß, auf Bullen einzuschlagen. Skip hatte noch eine ganz besondere Verrücktheit an sich: seinen Vorgarten. Skips Haus war seine »Burg«. Er hatte zahllose bunte Steinchen sorgfältig in seinem Garten zu Mustern angeordnet. Ich habe ihn nie dabei gesehen, aber er muß tage-, wochen-oder monatelang daran gearbeitet haben, all diese kleinen bunten Steinchen zu legen. Manchmal, wenn ich ihn besuchte, nahm er Hell's Angel
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eine Handvoll dieser Steinchen, mixte sie in allen Farben durcheinander und warf sie in seinen Garten. In einer Sache war Skip sehr streng: Seine Kumpels durften in seinem Garten kein Hasch rauchen. Wer damals mit Marihuana erwischt wurde, dem drohten nach den Betäubungsmittelgesetzen sehr harte Strafen, und Skip hatte vor nichts mehr Angst als davor, daß man ihm sein Haus wegnehmen könnte. Einmal rief Skip unser Oakland-Clubhaus an und tat, als sei er völlig durchgedreht. Er behauptete, eine Gruppe von Frauen habe ih n entfuhrt. »Ich bin gekidnappt worden«, schrie er ins Telefon, «und die ficken mich halb zu Tode. Sie verlangen Lösegeld für mich, Mensch!« Sicher... Während ich in den frühen 70er Jahren im Gefängnis saß, kehrte Skip zurück an die Ostküste. Er wurde für eine Weile in unsere Ortsgruppe in Massachusetts überwiesen, aber wregen eines Rükkenleidens und aus Eamilicngründen verließ er die Hell's Angels kurze Zeit später für immer. n e r der frühen Präsidenten der Berdoo Hell's Angels war EiBobby Zimmerman. Auf unserer Heimfahrt vom 1964er Bass Eake Run fuhr Bobby wie immer ganz vorn links an der Spitze unserer Kolonne, als ihm der Auspuff vom Motorrad abfiel. Bob-by wollte einfach umdrehen und den Auspuff aufheben, also machte er eine Kehrtwendung. Im selben Moment kam ein Hell's Angel aus Richmond, Jack Egan, herangeprescht, um sich an die Spit/e unserer Gruppe zu setzen. Er erwischte Bobby voll. Bobby war sofort tot. Wir zogen den leblosen Mann an den Straßenrand. Es gab nichts, was wir hatten tun können, außer jemanden in den nächsten Ort zu schicken, um Hilfe zu holen. Als der Krankenwagen mit Bobbys Leiche davonfuhr, kam ein Hell's Angel aus dem San-Gabriel-Valley-Charter zu uns. Er war o f f e n k u n d i g über Bobbys Tod entsetzt, nannte Jack Egan einen »fuckmg Punk« und gab ihm die Schuld. Daraufhin mischte sich "Hi Ho« Steve, der gerade zu uns nach Oakland überwiesen worden war, ein. "Einen Moment mal! Er ist kein Punk! Er ist ein Hell's Angel, genau wie ihr alle. Genau wie Bobby. Genau wie ich. Kapiert?« S6
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Einer der San Gabriel Angels wollte es damit nicht bewenden lassen. Er beschimpfte Egan weiter als Punk. Da holte Hi Ho aus und knallte ihm die Faust ein paarmal ins Gesicht. Der Typ stand wieder auf und griff sich eine Kette. In böser Vorahnung packte ich ein Reifen-Montiereisen, haute ihm aufs Handgelenk, brach es und riß ihm die Kette weg. Ein weiterer San Gabriel Angel griff ein, um mich zusammenzuschlagen. Skip Workman trat dazwischen und schlug ihn mit einem einzigen Hieb zu Boden. Skip hatte mich dadurch vor Schlimmem bewahrt und einen gefährlichen Zwischenfall auf dem Highway zu Ende gebracht. Die Angels des San-Gabriel-Charters waren zwar zu Recht wütend darüber, daß ein SoCal-Präsident tödlich verunglückt war, aber sie hätten niemals einen von uns einen »fucking Punk« nennen dürfen, ohne damit zu rechnen, daß es gewaltige Prügel setzt. Wenn man einen Hell's Angel beschimpft und der Betreffende sich nicht wehrt, dann ist dies ein Grund, ihn aus dem Club auszuschließen. Da gibt es bei uns keine Ausrede. Clubmitglieder werden - durch Abstimmung - ausgeschlossen und zusammengeschlagen, wenn sie sich gegen solche Angriffe nicht energisch wehren. Unser Standpunkt ist in dieser Hinsicht sehr hart und unerbittlich. Wir erwarten von einem Hell's Angel, daß er für sich (und für den Ruf des Clubs) seinen Mann steht und sich nicht einfach umdreht und fortgeht, wenn er allein in der Öffentlichkeit beleidigt oder angegriffen wird. Wenn einer verdroschen wird, okay. Wenn einer angegriffen wird, nun gut, das passiert. Aber niemals darf ein Hell's Angel ungestraft eine Beleidigung einstecken. Und wenn er dann Prügel bezieht, weil er sich verteidigt, kann er sich immer darauf verlassen, daß seine Clubfreunde an denen Rache nehmen werden, die ihm das angetan haben. Diese Regeln gelten zu jeder Zeit, ob man mit anderen Hell's Angels zusammen oder allein ist. Denn wenn einer seinen Mann nicht vor den Augen der anderen Mitglieder stehen kann, wie soll man dann wissen, daß er sich wehrt, wenn er allein ist? Angels sind keine Freunde von allzu vielen Vorschriften und Regeln, aber ein paar grundsätzliche Bestimmungen haben den Club seit über 50 Jahren am Leben erhalten. Hell's Angel
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Zusammenkünfte der Oakland Hell's Angels Beihauteeineresdermirerstensämtliche Vorderzähne raus, als ich von irgendeinem Arschloch auf seinem Motorrad überfahren wurde. Unser Club feierte an dem Abend eine wilde Party im Haus von AI Jayne, und zwei besoffene Typen donnerten mit ihren Motorrädern immer wieder vor dem Haus auf der Straße hin und her. Die Idioten gingen mir nicht nur auf die Nerven, ich befürchtete außerdem, daß sie mit ihrem Krach die Polizei auf unsere Party aufmerksam machen könnten. Also gingen Joe Maceo und ich hinaus und versuchten, sie aufzuhalten und von ihren Maschinen runterzuzerren, als die beiden das nächste Mal vorbeirasten. Ich erwischte den ersten, aber dabei zog er mich voll in den anderen Fahrer hinein, und ich kriegte dessen Lenkstange mit voller Wucht ins Gesicht. Dabei verlor ich das Bewußtsein. Joe bekam den anderen Biker zu fassen und haute ihn von seinem Rad. Dann kamen auch schon die Bullen und verhafteten die beiden wegen Trunkenheit am Steuer. Als ich im Krankenhaus wieder zu mir kam, hatte ich eine gebrochene Nase und einen zerschmetterten Kieferknochen. Mein Gesicht war auf doppelten Umfang angeschwollen, die halbe Nase hing runter, und alle meine Vorderzähne waren weg. Shirley meinte, ich sähe aus wie jemand aus einem Monsterfilm. the Tramp war für viele von uns der ultimative Hell's Terry Angel. Er war laut, machte tierisch viel Krach und war immer für jeden Spaß zu haben. Terry war eigentlich ein rechter Herumtreiber, obwohl er in einer bürgerlichen Mittelklasse-Familie in Sacramento aufgewachsen war. Tramp gehörte zunächst einem Motorradclub in Sacto an, der sich »Hell Bent for Glory« (Um's Verrecken berühmt sein) nannte und sich 1961 in den North Sacramento Hell's Angels Club umtaufte. Danach wechselte er zu Berdoo und landete schließlich wieder bei NoCal, wo er als Oakland Hell's Angel erst richtig berühmt - oder berüchtigt - wurde. Terry the Tramp bekam sogar eine Sprechrolle in dem Film Hell's Angels '69, und er kam auch in Hunter S. Thompsons Buch über den Club groß heraus. Es war nicht schwer, in Tramp das »ausgeflippteste« Mitglied 88
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des Oakland Hell's Angels Clubs zu sehen. Er war damals derjenige, den man wohl unseren »Trendsetter« nennen konnte, er verkörperte einen Typ zwischen Beatniks und Hippies. Tramp trug seine Haare besonders lang, er hatte einen Vollbart, und Brust und Schultern waren voller Tattoos. Außerdem hatte er immer eine lange Lederpeitsche dabei, wenn man die knallen hörte, war klar, daß er in der Nähe war. Tramp und ich verbrachten viel Zeit miteinander in unseren Lieblingskneipen, vor allem im Sinner's Club in West Oakland, der der Sinner-Familie gehörte. Terry war es auch zu verdanken, daß aus dem etwas schmierigen Image unseres Clubs der angesagte Langhaar-Look der späten 60er Jahre wurde. Er trug fast nur schwarze Lederklamotten, gemischt mit grellen, psychedelischen Farben, und hatte beim Gehen dieses typische Schlurfen der Häftlinge im Gefängnis von San Quentin. Tramp gab sich sehr selbstsicher. »Paßt auf mich auf, Brüder, ich bin zu fucking cool für die Schule!« war einer seiner Sprüche. An Terry the Tramp erinnere ich mich besonders im Zusammenhang mit unseren Bass Lake Runs. Es galt als uncool, auf diesem Run eine warme Jacke oder gar einen Schlafsack mitzunehmen. Wir pennten einfach da, wo wir hingefallen waren. Vorher schluckten wir meistens »Reds«, eine Barbiturat-Pille, nach den allnächtlichen Partys waren wir dann schnell weggetreten und schliefen auf dem Boden ein. Diese Schlaftechnik hatte sich Tramp ausgedacht. Und sie funktionierte! Tramp schlenderte meistens nur mit seinem Hell's Angels Patch und seinen silberbeschlagenen Stiefeln bekleidet in unseren Camps herum. Eines Morgens, als wir neben einem ländlichen Highway campierten, stellte Tramp sich völlig nackt und nur mit seinem Patch am Leibe an den Straßenrand. Total unbekümmert hielt er wie ein Anhalter seinen Daumen hoch. Familien und Truck-Fahrer fuhren vorüber und sahen diesen splitternackten Hell's Angel mit baumelndem Gemächt, der mitgenommen werden wollte. So war Tramp. Immer wenn wir unterwegs waren und irgendwo am Rande des Highways oder in der Nähe einer Ortschaft übernachteten, wurden wir von den Bewohnern und Vorbeifahrenden beglotzt und Hell's Angel
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Stinkfinger-Parade: Bass Lake Run 1965. V.l. n. r.: Zorro, Sweezy, Bob Delgato, unbekannt, Jimmy Hewitt (mit erhobenem Finger), Clean Cut Bob, NorCal Animal (mit Stirnband), Mother Miles, NorCal Bob, ich, Magoo und Terry the Tramp in Unterhosen.
angestarrt. Die Mädchen aus der Stadt schlichen sich nachts zu uns, um zu sehen, was für Typen wir wohl sein mochten. Tramp beschwatzte die Mädchen oft, von zu Hause Decken, Bettzeug und Handtücher zu holen und uns am Lagerfeuer Gesellschaft zu leisten. Er brachte sie sogar oft dazu, sich mit uns gemeinsam nackt auszuziehen. Nachdem wir in Nordkalifornien unseren Mitgliedern strikt verboten hatten, sich Drogen zu spritzen, ging Tramp zusammen mit einigen anderen nordkalifornischen Angels, denen dieses Verbot nicht paßte, zurück nach Berdoo. Zu der Zeit hatte SoCal noch kein derartiges Verbot erlassen. Tramps Drogenabhängigkeit wurde immer schlimmer, und eines Tages wurde er mit einer 90
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Überdosis Seconal tot aufgefunden. Das war unmittelbar nach der Premiere des Films Hell's Angels '69. Bis heute weiß niemand, ob jemand anders ihm die Dosis verpaßt hat oder ob er wieder einmal völlig außer Rand und Band geraten war. Wir begruben ihn in der Bay Area, aber später ließen seine Eltern ihn exhumieren, ohne uns davon zu informieren, und begruben ihn in Sacramento. John Terence Tracy, alias Terry the Tramp - RIP (»Rest in Peace«), Ruhe in Frieden, Bruder. AI Perryman ist seit über 30 Jahren Hell's Angel. Er ist auBigßerdem einer meiner engsten Freunde. Mit 18 trat er in seinem Heimatstaat Missouri in die Army ein. Während seines ersten Urlaubs überfiel er eine Tankstelle und wurde gefaßt. Er landete mit einer Strafe von zehn Jahren in einem Gefängnis von New Mexico. Nach sieben verbüßten Jahren wurde er entlassen, zog nach Sacramento, lernte ein Mädchen kennen und heiratete sie. Albert kaufte sich eine 750 ccm Harley-Davidson, fuhr damit eines Abends zu seinem ersten Hell's Angels Clubmeeting und ging nie wieder nach Hause. Er fand es bei den Hell's Angels von Sacramento schöner und wurde Clubmitglied. Irgend jemand im Sacramento Club war Heroindealer. Nach einem Meeting ging er zu Albert und bat ihn um einen Gefallen. »Hey, Albert«, bat er, »würdest du dieses Päckchen bei einem meiner Freunde vorbeibringen?« Albert hatte keine Ahnung, was in dem Päckchen war, und sagte zu. Auf seinem Heimweg klopfte er an der angegebenen Adresse und lieferte das Päckchen ab. Der Empfänger war aber ein Informant, der für die Bullen arbeitete. So kam es, daß Big AI wegen Drogenbesitzes verurteilt wurde, obwohl er völlig clean war. Später wurde Albert tatsächlich drogenabhängig. Er spritzte Heroin und alle möglichen anderen Drogen. Als wir in Nordkalifornien das Spritzverbot einführten, ging Albert sofort mit Terry the Tramp nach Berdoo, damit er weiter Drogen spritzen konnte. Albert landete schließlich in einem Rauschgift-Reha-Knast in Kalifornien. Während er dort einsaß, begannen er und ich einen lebhaften Briefwechsel. Hell's Angel
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»Wenn du rauskommst, Albert«, schrieb ich ihm, »mußt du zu allererst nach Oakland kommen und mit mir sprechen. Wir müssen miteinander reden. Es ist sehr wichtig.« Ich hatte bereits alles für Alberts Überweisung vom SoCal-Club nach Oakland eingeleitet. AI hatte keine Ahnung davon, aber ich wußte einfach genau, daß er durch und durch ein Hell's Angel war, und ich wollte ihn nun auf die Probe stellen. »Albert, wir haben hier in Oakland gerade ein Meeting gehabt. Wenn du auch nur ein einziges Mal wieder Heroin spritzt, dann fliegst du sofort aus dem Club.« Wir nahmen ihn im Oakland-Club auf, um ihn auf diese Weise von den Drogen fernzuhalten. Seitdem ist er bis heute clean geblieben. So sehr liebt Big AI den Club. Während manchen Mitgliedern als Bewährungsauflage vorgeschrieben wird, während ihrer Bewährungszeit jeglichen Kontakt zum Club zu meiden, ist es bei Alberts Bewährungsauflage genau umgekehrt - er soll mit unserem Club in Kontakt bleiben. der 1960er Jahre testeten illegale Drogenmixer ihr Zeug Während an uns, denn wir waren ja Typen, die alles ausprobierten. Charlie Magoo war immer das erste Versuchskaninchen dieser Leute. Ich lernte Charlie Magoo - der in Wirklichkeit Charles Tinsley hieß - kennen, als er von den Richmond Angels zu uns überwiesen wurde. Wir nannten ihn Magoo, weil er besonders dicke Brillengläser trug. Dieser Bursche war unfaßbar großzügig. Er hätte mir sein letztes Hemd geschenkt, wenn ich ihn darum gebeten hätte aber niemals sein Patch! Als Charlie in Pennsylvania aus der Navy entlassen wurde, kaufte ihm seine Mutter einen Eiswagen, damit er sich eine Existenz aufbauen konnte. Aber Charlie war einfach zu gutherzig. Wenn die Kids kein Geld hatten, schenkte er ihnen einfach das Eis. Natürlich ging sein Eiskrem-Geschäft pleite, und der Wagen wurde versteigert. Magoo kaufte sich von seinem letzten Geld ein Motorrad, fuhr nach Kalifornien und wurde ein Hell's Angel. Eines Nachts gab ihm ein Mädchen in einer Biker-Bar eine seltsame Pille, und Magoo wachte zwei Tage später total verwirrt auf dem Boden irgendeiner Garage auf. Er hatte seine falschen Zähne 92
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Charlie Magoo ohne seine dicken Brillengläser.
verloren und wußte weder, wo er war, noch, wie er dorthin gekommen war und was er da geschluckt hatte. Nach diesem Zwischenfall kaufte er sich das Buch Pysicians' Desk Reference (Ärztliches Handbuch) und nahm von da an nie mehr irgend etwas ein, von dem er nicht ganz genau wußte, was es war. Er las das PDR von vorn bis hinten und hatte es immer bei sich. Seit dieser Zeit trug Magoo einen weißen Laborantenkittel unter seiner Jacke und seinem Patch und hatte außerdem ständig eine Arzttasche bei Hell's Angel
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sich. Ganz gleich, was für eine Pille man ihm zeigte, er konnte uns immer genau sagen, wofür oder wogegen sie war, welche Nebenwirkungen sie hatte, was ihre legalen pharmazeutischen Indikationen waren und was man tun mußte, wenn man zuviel davon geschluckt hatte. Einmal geriet ich in einen handgreiflichen Streit mit Magoo. Wir waren im Norden auf der Nut Farm, einem Nußbaumgarten, und feierten Silvester. Alle amüsierten sich großartig, und Magoo hatte ein Mädchen mit zu der Party gebracht, mit dem er sich aus irgendeinem Grund die ganze Zeit zankte. Ständig drohte er ihr und nervte auch uns alle schwer. Nach zwei Tagen hatte ich sein Benehmen satt und stellte ihn zur Rede. »Hey, Magoo«, fing ich an, »warum gehst du nicht einfach woandershin? Niemand will dein ewiges Geschimpfe hören. Wenn du das verfluchte Weib umbringen willst, dann hau mit ihr ab und mach sie woanders kalt. Aber hör auf, sie hier vor uns herumzuschubsen, denn wir haben die Schnauze voll.« Daraufhin schrie er mich an: »Verpiß dich! Ich mache, worauf ich Lust habe!« Magoo war ein ziemlich kräftiger Typ, und ich war viel kleiner als er. Als wir uns am Boden wälzten, lag ich auf einmal flach auf dem Rücken und Magoo auf mir drauf. Ich sah, wie er mit seiner Faust ausholte. Whoops! Ehe er wußte, wie ihm geschah, war ich unter ihm weggerutscht und schlug ihn nun meinerseits zu Boden. Jetzt saß ich auf ihm, was er überhaupt nicht begreifen konnte. »Laß mich los!« schrie er, während ich ihn zu Boden drückte. »Ich laß dich nicht los, du Schweinehund! Du wirst mich nicht mehr schlagen, Idiot!« Ich habe noch eine Narbe an meiner Nase von dieser Schlägerei. Einmal hatte Magoo eine Pille, auf die er besonders stolz war, und er zeigte sie einem anderen Typ. Der riß ihm die Pille aus der Hand und verschluckte sie. »Hey, du Motherfucker«, brüllte Magoo, »ich habe fünf Dollar dafür bezahlt!« Der Typ lachte nur: »Na gut, dann hättest du sie mir nicht an94
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bieten sollen.« Es war irgendeine Art synthetisches Heroin oder Dilaudid, aber dem Typen war das völlig egal. Wenn man ihm irgendwas anbot, nahm er es, egal, was es war. Er war einer von denen, die der Welt ständig beweisen mußten, daß Drogen ihnen nichts anhaben können. Wegen seiner Drogen flog er schließlich auch aus dem Club. Soviel Glück hatte Magoo nicht. Tagsüber arbeitete Magoo als Hilfsarbeiter, er belud und entlud Trucks, genau wie mein Vater. Eines Tages um die Mittagszeit ging er zum Lunch, legte sich danach in einen Truck, schlief ein und starb. Magoo hatte einen Herzanfall erlitten. Die Gerichtsmedizin stellte fest, daß sein Herz aussah wie das eines Siebzigjährigen -kaputt von zu vielen Speed-Pillen. Als wir einmal zu einer Party nach Richmond in der Nähe von Oakland fuhren, bretterte Big AI auf seinem Motorrad voraus und stieß mit einem Auto zusammen, er fiel von seinem Rad und stürzte in den Straßengraben. Weil er so unglaublich dick und rund war, rollte er buchstäblich quer über den Highway bis in den Graben. Magoo eilte zu der Stelle, wo Big AI liegengeblieben war, machte seine schwarze Arzttasche auf und fand darin sofort einige Medikamente, mit denen er Big Als Schmerzen lindern konnte. Er kriegte ihn mit seiner »medizinischen Hilfe« wieder soweit auf die Beine, daß er mit uns zu der Party kommen konnte. Die Polizei traf bald danach am Unfallort ein und fand nur Big Als demoliertes Bike im Graben. Die Vorderradgabel war total verbogen und kaputt. »Wo ist die Leiche?« fragten die Polizisten die Umstehenden. Winston McConnelly, ebenfalls ein Mitglied des Oakland-Clubs, stieg aus seinem Cadillac aus, mit dem er uns begleitete. »Das ist meine Maschine«, erklärte er den Bullen. Winston war toll angezogen, er trug lilafarbene Lederhosen und ein T-Shirt aus goldener Seide. Todernst versuchte er, die Polizisten davon zu überzeugen, daß er gerade sein Bike zu Schrott gefahren hatte. Die Bullen guckten einander nur schweigend an und schüttelten die Köpfe. Sie glaubten nicht, daß der elegant gekleidete Winston tatsächlich der Fahrer des verunglückten Motorrads gewesen sein konnte. Wir nahmen das Rad von Big AI mit zurück nach Oakland, wo ich es reparierte. Hell's Angel
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Winston war ein sehr »schillernder« Hell's Angel. Tramp war auch »schillernd«, aber auf seine Weise, er war ein Rebell und ein echtes Tier und schockierte ständig die Leute. Winston hingegen glänzte durch seine Eleganz, seine teuren Klamotten und seinen Reichtum. Er trug immer viel Goldschmuck und hatte etliche Goldzähne. Winston war ein richtiger Frauentyp. Ich schickte oft Mädchen hinunter zu Winstons Haus, wenn ich keine Lust mehr hatte, mit ihnen auszugehen. Dann wurden sie für eine Weile Winstons »Old Ladies«, und davon hatte er immer mehrere gleichzeitig. Winston hatte eine Löwin namens Kitty Kitty, die er mit lebenden Hühnern fütterte. Oft lud er mich zu sich ein, um Kitty Kitty zu besuchen, aber die Raubkatze wurde mit der Zeit so groß, daß ich mich bald nicht mehr in ihre Nähe traute. Die Löwin brüllte dermaßen laut in seinem Hinterhof, daß man dachte, er hätte einen ganzen Zoo. Winston lachte immer darüber und sagte manchmal: »Kennt ihr den Unterschied zwischen einer großen und einer kleinen Katze? Eine große Katze kratzt euch die Augen aus, aber ein bißchen Muschi kann keinem was schaden.« Das sind Weisheiten aus Winstons Leben. wir Charlie Magoo, Michael »Mother« Miles aus Nachdem Sacramento und Chocolate George aus Frisco verloren hatten, wurden die Hell's Angels durch ihre Riesenbeerdigungen berühmt. Wenn ein Mitglied stirbt, geht jeder von uns zur Beisetzung. Damit erweisen wir ihm und seiner Gruppe unseren Respekt. Zum Teil ist es allerdings auch eine Demonstration unserer Stärke. Ich bin bei Beerdigungen von Mitgliedern gewesen, die ich überhaupt nicht kannte, aber sie waren eben Hell's Angels. Für mich war das eine Pflicht. Die Polizeibehörden machten sich oft über die Beerdigungen von Hell's Angels lustig, bei denen wir in kilometerlangen Konvois neben und hinter dem Sarg herfuhren. Die Bullen nannten uns einen Haufen Clowns. Aber es dauerte gar nicht lange, da machten sie genau dasselbe, wenn einer von ihnen beerdigt wurde. Inzwischen ist es total üblich, ja fast eine Vorschrift für Polizisten.
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den frühen Tagen des Oakland-Clubs, lange bevor wir unser InClubhaus kauften, hielten die Oakland Hell's Angels ihre Meetings und Partys im Keller von Junior Gonsalves ab. Damals kamen Johnny Angel, Clmt George, Jerry Pruchky, Junior, Dale Malen, GUS Pimental und sein Vetter Waldo - und ganz besonders Jerry Jordan - zusammen. Jerry war Schichtarbeiter in der Peter Paul Mounds Schokoladenfabrik. Jerry war ein rechter Schlauberger und Fuchs. Manchmal umhüllte er kleine Blöcke Balsaholz mit SchokoladenKuvertüre und verzierte sie mit Mandeln. Dann wickelte er sie in echtes Mounds-Schokoladenpapier und ließ sie irgendwo herumliegen. Jerry starb bei einem Motorradunfall Ende 1959 und war damit der erste Oakland Hell's Angel, der als Oakland Hell's Angel starb. Er hatte an diesem Tag sein Baby besucht, das gerade geboren worden war, und auf dem Rückweg stieß er mit einem Zug zusammen, als er von der 29th Avenue Brücke kam. Jerry hatte in rasendem Tempo versucht, den Zug noch vor der Kreuzung zu überholen. Er schaffte es nicht und hinterließ nur eine acht Meter lange Rutschspur. war eines der allerersten Mitglieder des Oakland-Clubs Waldo und einer der riesigsten Männer, denen ich je im Leben begegnet bin. Er war auch derjenige, der vorschlug, keine Heroinsüchtigen im Club zu dulden. Als Waldo Clubmitglied wurde, war er selbst auf Heroin, das war, bevor wir unser Verbot aussprachen. Eines Tages erklärte er uns, er trete aus dem Club aus, weil er heroinsüchtig war und nicht gleichzeitig ein Hell's Angel und drogenabhängig sein dürfte. Sein Bike ließ er drei Wochen lang mit einem platten Reifen stehen, weil er lieber sich selbst zupumpte, statt seine Reifen aufzupumpen. Vor unserem Drogenverbot hatte Waldo mich dazu überredet, mit Heroin zu dealen. Von den späten 60ern bis in die frühen 70er Jahre verkaufte ich Heroin an Junkies. Manchmal ließ ich auch andere Junkies das Zeug für mich verkaufen. Eines Tages fragte mich Waldo: »Hey, wieviel Geld hast du im Moment?« »Ich weiß nicht genau, so um die 400 Dollar.« Hell's Angel
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»Gib sie mir, und ich zeig dir, wie man daraus noch mehr Geld machen kann.« »Kommt nicht in Frage. Du hast mir doch selbst geraten, niemals einem Junkie zu trauen.« »Nee, da meinte ich andere Junkies, nicht mich.« Ich gab ihm die 400 Dollar, und Waldo fuhr damit nach Mexiko und kam mit einer Unze Heroin wieder zurück. Als wir das Zeug verkauft hatten, hatten sich die 400 Dollar in eine ganze Zigarrenkiste voll Geld verwandelt - mindestens 2000 Dollar. Waldo hatte ein Geschäft gemacht und besaß nun reichlich Knete. Da gab ich ihm die Zigarrenkiste mit dem Geld. »Fahr noch mal runter«, sagte ich zu ihm. Scraggs gehörte auch zu den ersten Mitgliedern unseres Jimmy Clubs. Scraggs, mit richtigem Namen Jim Stephenson, war ein großer Hillbilly-Sänger. Außerdem war er Sparring-Partner eines kalifornischen Boxers namens Bo Bo Olsen. Scraggs hatte eine Country-Band, »Jim Long and His Tennessee Playboys«, mit der er in Oakie John's Bar in Alvarado auftrat. Die Hell's Angels besuchten Oakie John's, wenn Scraggs mit seiner Band dort spielte. Die Bar war rechteckig und hatte einen langen Gang, auf dem man immer mit irgendwem zusammenstieß und dessen Drink verschüttete. Deshalb kam es oft zu Schlägereien. Die Bühne mit der Band \var mit Maschendraht umgeben, so daß keiner von der Band getroffen werden konnte, wenn Flaschen flogen. Scraggs brachte immer drei Gitarren zu einem Gig mit, denn ein bis zwei gingen meistens auf irgendeinem Schädel zu Bruch. Scraggs reinigte 1973 seine 25er Automatik-Pistole, in der noch eine Patrone steckte, als er den Clip einschob und abdrückte. Der Schuß ging ihm glatt durch den Kopf. Eine seiner Töchter, sie war damals sieben Jahre alt, fand ihren toten Daddy. Das kluge Kind wußte, daß ihr Vater vorbestraft war und keine Schußwaffe besitzen durfte, also schaffte die Kleine die Pistole beiseite, bevor die Polizei eintraf. Die Bullen glaubten lange, daß Scraggs ermordet worden war, bis das kleine Mädchen dann endlich mit der Wahrheit - und der Pistole - herauskam. 98
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Hi Ho Steve Vaughan war ein totaler Irrer, ohne jeden Respekt vor der »Obrigkeit« oder den Behörden. Als er einmal vor Gericht erscheinen sollte, malte er sich vorher eine Gesichtshälfte grasgrün an. Der Richter war stocksauer und warnte Steve: »Mr. Vaughan, Sie werden hier in meinem Gericht um ein Uhr nochmals erscheinen, und hüten Sie sich, wieder in diesem Aufzug zu kommen.« Hi Ho Steve ging aus dem Saal und kam nach einer Weile zurück: Diesmal war die andere Gesichtshälfte grellgelb bemalt! Als Hi Ho einmal Zahnschmerzen hatte, versuchte er, sich den Zahn mit einer Flachzange zu ziehen. Das machte er so gründlich, daß er gleich ein Stück seines Kieferknochens mit herausriß. Wenn wir mit ihm eine unserer Hell's Angels Runs machten, kochte Hi Ho Steve gern ein Stew aus dem Fleisch irgendeines Coyoten, den er mit seiner Maschine überfahren hatte. Die armen Kerle, die das Zeug aßen, wurden davon sterbenskrank und fühlten sich vermutlich wie der Coyote kurz vor seinem Ende. Norton Bob fuhr eine Harley und eine BSA, aber ursprünglich hatte er eine Norton, daher bekam er auch seinen Namen. Er wurde zu uns nach Oakland als hochangesehenes Mitglied der Gruppe in San Diego überwiesen. Während heftiger Kämpfe mit einer rivalisierenden anderen Hell's Angels Gruppe richtete er einen Gegner so zu, daß er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Bei seiner Entlassung bekam er - eine Seltenheit - vom Gouverneur eine Resozialisierungs-Bescheinigung übergeben. Danach machte er mit Erfolg eine Pilotenausbildung und wurde ein anerkannter und gefragter Testpilot. Norton entwickelte später einen besonderen aerodynamischen Fallschirm und gründete dann seine eigene Fluggesellschaft. Als er einem Kunden seiner Firma in Neuseeland eine Spezialanfertigung eines zweimotorigen Flugzeugs abliefern wollte, kam er ums Leben. Die Maschine besaß zusätzliche Treibstofftanks, um die lange Strecke über den Pazifik zu bewältigen, aber als einer der beiden Motoren ausfiel, war das Gewicht der Maschine zu groß. Das Flugzeug stürzte ins Meer und zerschellte in der Brandung. Wir erhielten noch den letzten Funkspruch zwischen NorHell's Angel
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Norton Bob war einer der angesehensten Hell's Angels von Oakland.
ton und der Küstenwache. Norton hatte offenbar schnell an Höhe verloren und war abgestürzt. ist seit über 30 Jahren ein Hell's Angel. Sein richtiger Cisco Name ist Elliot Valderrama. Er ist zum Teil philippinischer Abstammung und wuchs in Los Angeles mit knallharten LatinoStraßengangs auf. Cisco kam Anfang 1960 mit einem Bauunternehmer nach Oakland, der seine Leute hierher brachte, wo sie Kamine und Schornsteine bauten. Cisco arbeitete damals als Maurer. Während er arbeitete, sah er eine Gruppe Hell's Angels auf ihren Motorrädern vorbeifahren und an einer Tankstelle anhalten. In diesem Moment wußte er genau, was er für den Rest seines Lebens sein wollte. Er War zwar bis dahin noch nie Motorrad gefahren, aber wenn das nun mal dazu gehörte, um ein Hell's Angel zu werden, wollte er es lernen. Cisco verließ East L. A. und zog nach Nordkalifornien. Als ich Cisco zum ersten Mal begegnete, kam er in die Star Bar und erklärte mir, er wolle ein Hell's Angel werden. Zu dem Zeit100
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Cisco auf einer seiner umgebauten Maschinen. Hinter ihm an der Wand steht »Befreit Sonny!«. Damals saß ich im Knast.
Cisco Valderrama personal collection
punkt gehörte er noch zu einem Club im Sonoma County, der sich »Misfits« nannte. Pete Knell und Chocolate George hatten Cisco zu mir nach Oakland gebracht. Gleichzeitig wollten die beiden mit mir besprechen, ob die Misfits nicht eine Ortsgruppe der Hell's Angels in Nordkalifornien werden könnten. Cisco war ein sehr extrovertierter Typ. Als er mich zum zweiten Mal in Oakland besuchte, kam er in einem Batman-T-Shirt und hatte seine Freundin dabei. Während wir in der Bar miteinander redeten, wandte er sich an seine Freundin und sagte ihr, sie solle draußen im Wagen auf ihn warten. »Ich komme nach, sobald ich verprügelt worden bin.« Als es dann doch länger dauerte, wurde seine Freundin ungeduldig, kam zurück in die Bar und sagte zu Cisco: »Beeil dich bitte und laß dich endlich verprügeln, damit wir zurückfahren können.« Hell's Angel
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Cisco war fest entschlossen, unserem Club beizutreten. Er fragte mich, was er tun müsse, um ein Hell's Angel zu werden. Damals gab es etliche Biker, die wir schon lange zu fassen kriegen wollten, weil sie mit gefälschten Hell's Angel Patches in der Gegend von San Rafael im Marin County herumgurkten. Im Gegensatz zu dem, was Cisco über uns gehört hatte, waren diese Typen nur ein Haufen Arschlöcher. Wenn er mit ihnen auf dem Schulhof gewesen wäre, dann hätte er sie verprügelt und ihnen ihr LunchGeld abgenommen, erklärte Cisco. Diese Mistkerle sagten zu Cisco: »Wenn du ein San Rafael Hell's Angel sein willst, dann laß dir doch einfach das Patch machen und trage es.« Ein bißchen hochnäsig machte ich Cisco folgenden Vorschlag: »Geh und schnapp dir eins von den San Rafael Patches und bring es mir her. Dann können wir drüber reden. Aber weck mich nicht vor Mittag.« Nach unserem Treffen fuhren Cisco und ein paar von seinen Misfits nach San Rafael und hämmerten an die Tür des sogenannten Präsidenten. Als der die Tür aufmachte, schlug Cisco ihn windelweich. Seine Freundin schrie wie am Spieß, aber einer von den Misfits ohrfeigte sie und zwang sie, sich auf den Fußboden zu legen. Danach nahm Cisco dem Pseudo-Präsidenten sein Patch ab. »Du bist kein Hell's Angel, du mieses Dreckschwein, und wenn du für deine Scheiße mit dem Ballermann kämpfen willst, nur zu damit haben wir kein Problem!« Cisco zwang ihn, die sieben anderen Mitglieder des Betrügerclubs herbeizurufen. Als einer nach dem anderen ankam, wurden sie alle zusammengeschlagen und in einer Ecke des Hauses festgehalten. Alle gefälschten Patches wurden ihnen abgenommen und verbrannt — ausgenommen das Patch des Präsidenten. An diesem Abend wurden die San Rafael Hell's Angels offiziell aufgelöst. Am nächsten Morgen fuhr Cisco zurück nach Oakland. Als er an meinem Haus eintraf, war es acht Uhr morgens, deshalb blieb Cisco in seinem Truck sitzen und wartete bis Viertel vor zwölf. In dem Moment kam Fu, der damals zu den Hell's Angels von Fres-no gehörte, an meinem Haus an. Als Fu zu meiner Haustür ging, 102
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brüllte Cisco ihn an: »Hey! Es ist noch nicht zwölf Uhr! Weck ihn ja nicht auf!« Fu lachte. »Mann, Sonny steht jeden Tag sehr früh auf. Er ist wahrscheinlich seit Stunden auf den Beinen.« Ich ließ Cisco hereinkommen. Er gab mir das gefälschte Patch. In der Woche daraufschlug ich vor, daß Cisco und 14 weitere Mis-fits ein Hell's Angels Charter in Santa Rosa gründeten. Der Club stimmte ohne Einwände dafür. Und deswegen ist Cisco einer der ganz wenigen Hell's Angels, die nie eine Zeit als Prospect zu verbringen hatten. Cisco, der damals noch keine 30 war, geriet einmal in eine Auseinandersetzung mit einem Club in einem Nachbarstaat von Kalifornien. Die Kerle nahmen ihm zwar nicht sein Patch weg, aber sie hielten ihm Pistolen an den Kopf und drohten, ihn abzuknallen. »So machen wir es hier in unserem Staat, nur damit du Bescheid weißt«, protzten sie. Als Cisco mir davon erzählte, riet ich ihm aus damals wichtigen politischen Gründen, sich lieber zurückzuhalten und nicht mit anderen Clubs in Streit zu geraten. Kurz danach informierte Bobby »Durt« England, ein Oakland Hell's Angel, Cisco darüber, daß ein Biker aus jenem anderen Club des Nachbarstaates im Hause seiner Mutter zu Gast sei. Bobby meinte, er müßte Cisco davon unterrichten. Cisco knallte den Telefonhörer auf, raste zum Haus von Bobbys Mutter und zog seine Pistole. »Hey, motherfucker«, schrie er den Typ an, »jetzt zeig ich dir mal, wie wir es hier in Kalifornien machen, damit auch du Bescheid weißt!« Er spannte den Hahn seiner Kanone und richtete die Waffe auf den Kopf des Mannes. Bobbys Mutter, die genauso aussah wie Tante Bea aus derAndy Griffith Show im Fernsehen, beugte sich wortlos hinab und rollte den kostbaren Orientteppich zusammen, damit er keine Blutspritzer abbekam. Aber bevor Cisco abdrückte, fiel ihm meine Warnung wieder ein, also ließ er den Typ in Ruhe. Irgendwann hatte ein Freund die Idee, daß der Partyraum in Ciscos Haus in West Oakland mit einem Sarg als Kaffeetisch verdammt cool aussehen würde. Am nächsten Tag kam er mit einem nagelneuen, auf Hochglanz polierten Mahagonisarg an. Seltsam Hell's Angel
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war nur, daß das Ding so verdammt schwer war. Als er den Sarg aufmachte, lag darin noch die einbalsamierte Leiche, die er zusammem mit dem Sarg aus dem Beerdigungsinstitut gestohlen hatte. Cisco brüllte seinen Kumpel wutentbrannt an: »Schaff mir diesen Leichnam vom Hals, sonst pack ich dich in den Sarg!« Cisco wurde Präsident des Oakland-Clubs, während ich im Gefängnis saß. Jetzt arbeitet er im Filmgeschäft und ist ein enger Freund von Mickey Rourke. Seine große Leidenschaft sind Doowop-Musik und Oldtimer-Autos. Er fährt zwar Motorrad, damit er zum Club gehört, und er besitzt auch eine ganze Menge Bikes, die tollsten Maschinen, die man sich nur denken kann. Cisco schraubt auch gerne an seinen Maschinen herum, nur macht er sich nicht viel daraus, die Dinger zu fahren. Er fährt sie nur bei Clubtreffen. Bei mir ist es genau umgekehrt. Ich fahre jeden Tag Motorrad. Angels lieben Faustkämpfe über alles. Und es gibt auch Hell's mehr als genug Besoffene und größenwahnsinnige Spinner, die es darauf anlegen. Sogar zwischen uns Clubmitgliedern kommt es immer wieder zu Kämpfen. Armand Bletcher war über zwei Meter groß und wog mehr als 300 Pfund. Er war so stark, daß er zwei Motorräder gleichzeitig hochheben und auf einen Pickup laden konnte. In den frühen 70er Jahren konnte Armand über 300 Kilo stemmen. An Wettkämpfen hat er nie teilgenommen, aber er nahm Steroide und war einfach ein unglaublich gewaltiger Mann. Nur Johnny Angel traute sich, Armand Bletcher zu einem Kampf herauszufordern. Eines Tages kam Armand zu mir und bat mich beinahe flehentlich: »Sonny, bitte, bitte, laß mich doch gegen ihn boxen!« Wir hätten Armand vermutlich erstechen müssen, denn niemand hätte ihn in einem fairen Boxkampf besiegen können. Er hätte uns wahrscheinlich alle umgehauen. Einmal geriet Armand bei einem Telefongespräch mit einem Freund in Wut und warnte ihn: »Ich komme gleich rüber und trete dir in den Arsch!« Als Armand bei seinem Freund ankam, um seine Drohung wahrzumachen, haute dieser Armand mit einem 104
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Baseballschläger über den Schädel, was ihn nur noch wütender machte. »Jetzt werde ich dir diesen verdammten Schläger in den Hintern stopfen!« schrie er. Sein Freund ließ den Schläger fallen, zog seine Pistole und erschoß Armand, der gerade über ihn herfallen wollte. Hell's Angel in Sonoma County mit Namen Fuck Es'EmgabUpeinenChuck, einen Biker, mit dem nicht zu spaßen war. Wenn Chuck jemanden nicht leiden konnte oder sich über etwas ärgerte, dann - Bumm! - schlug er sofort zu, was ihm den Namen Fuck 'Em Up Chuck eintrug. Er lernte in Marin County ein kleines Hippie-Mädchen kennen und fragte sie, ob sie ihm einen Fingerring mit einem Death Head machen könnte. Sie einigten sich auf ein Design, und als der Ring fertig war, brachte sie ihn Chuck. Er wurde stinkwütend, als er den Ring sah. »Warum hast du >Oakland< auf den Ring geprägt? Ich bin aus Sonoma!« »Das tut mir wirklich leid«, antwortete sie. »Ich dachte, alle Hell's Angels kämen aus Oakland.« Chuck wollte den Ring nicht haben und gab ihn einem Mitglied der Oakland-Gruppe. »Fu« Griffin war ein Oakland Hell's Angel, der vom James Fresno-Club an uns überwiesen worden war. Nach einer Durchsuchung seines Hauses wurde Fu ins Gefängnis gesteckt. Die FBI-Leute waren mit gezogenen Pistolen schießend ms Haus eingedrungen, und Fu hatte sofort mit seiner Kanone zurückgeschossen. Die Bullen trieben Fu mit ihren Maschinenpistolen aus dem Haus, und eine Kugel traf ihn am Arm. Als Cisco ihn im Knast von San Quentin besuchte, trug Fu seine Armverletzung wie eine Trophäe durch die Gegend. Solange wir sein Haus für ihn versorgten, ließen wir als Erinnerung an Fu die Einschüsse der Maschinenpistolen in den Wänden, Vorhängen und Türen.
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s gab einen Typen aus Hawaii in unserem Oakland-Club, den wir Pi nannten. Sein richtiger Name war Alan White, und Pi war einer der gewalttätigsten Typen, die man sich denken konnte. Einer, dem man lieber aus dem Weg ging. Pi war unglaublich stark
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und hatte keine Hemmungen, andere Leute zu verletzen. Er gehörte zu der Sorte Hell's Angels, von denen man sich fernhielt, wenn man als Outsider zu Gast im Club war. Als wir einmal auf einem Run ins Gold County waren, brach ein Rad an meinem Bike. Glücklicherweise gab es in der nächsten kleinen Stadt eine Motorradwerkstatt. Wir beschlossen, daß ich zusammen mit Pi dorthin fahren und wir uns erst mal von der weiterfahrenden Gruppe trennen sollten, während mein Bike repariert wurde. Einer der anderen Fahrer - kein Mitglied unseres Clubs - t ragte, ob er mit uns kommen könne. Kein Problem. Dann sah der »Neue«, wie Pi aus dem Truck eines Prospects eine Uzi holte, lud, in ein Handtuch wickelte und sie neben den Sattel seiner Maschine schnallte. »Was willst du denn damit, Mann?« »Ich begleite Sonny«, erwiderte Pi ganz nüchtern und trocken, während er die Maschinenpistole anschnallte. Da überlegte es sich der Neue noch einmal. »Fahrt ruhig ohne mich. Ich bleibe lieber bei der Gruppe.« Wo ich auch war, ich fühlte mich immer geschützt, wenn Pi in meiner Nähe war. Doug »the Thug« Orr war ein schwieriges Mitglied des Auch Clubs. Zuerst war er bei den Daly City Hell's Angels, dann ging er zu den Nomads und schließlich kam er zu den Hell's Angels nach Oakland. Doug war in der Gegend von Daly City in der Nähe von San Francisco aufgewachsen. Von Natur aus war er ein außerordentlich gewalttatiger Bursche, ein richtiger Gangstertyp. Die längste Zeit, die er nicht im Knast saß, war er Mitglied bei uns in Oakland. Danach wanderte er erneut hinter Gitter, nach San Quentin wegen bewaffneten Straßenraubs und weil er seine Freundin in den Kopf geschossen hatte. Doug the Thug war so stark, daß er mit bloßen Händen Handschellen aufbrechen konnte. Seine Mitgefangenen in den Zellen von San Quentin mieden ih n beim Freigang. Während seines Aufenthalts in »Q« befand man ihn als dermaßen gefährlich und unberechenbar, daß man ihn ins Irrenhaus von Napa Valley steckte. Man wrollte dort mit einer Lobotomie Dougs Neigung zur Gewalt wegoperieren. Jemand, der im Napa State Hospital mit Doug zusammengewesen und in106
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Doug »the Thug« Orr (links) konnte Handschellen aufbrechen.
zwischen entlassen worden war, erzählte seinen Freunden von der geplanten Operation. Diese Freunde halfen Doug, aus dem Irrenhaus zu entkommen. Als er draußen war, stand er so stark unter Drogen, daß es fast fünf Tage dauerte, bis er wieder richtig zu sich kam. Doug the Thug hatte fast sein ganzes Leben in Anstalten verbracht. Irgendwann sperrte man ihn dann doch wieder ins Gefängnis, wo er in seiner Zelle an einer Überdosis Heroin starb.
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des Höhepunkts des LSD-Rausches in den 60ern Während waren Terry the Tramp und George Wethern die besten Bezugsquellen für LSD und andere psychedelische Drogen in Haight-Ashbury während des »Summer of Love«. Wenn es sich um »Acid« aus dem Labor des berühmten LSD-Pioniers Owsley Stanley handelte, dann konnte man es mit Sicherheit über Tramp und George bekommen. Georges Spitzname war Baby Huey, und wenn er nicht gerade mit LSD dealte, arbeitete er als Tischler oder Maurer. Wethern war einer der ersten Hell's Angels, die sich gegen den Club wandten und zu Verrätern und Spitzeln der Justiz wurden. Alles, was er getan hatte, schrieb er in einem Buch auf, das 1978 erschien. Wayward Angel war das erste von vielen gefährlichen »Enthüllungsbüchern« über die Hell's Angels, die auf den Markt kamen. George war auch der allererste Hell's Angel, den die Justiz in das Schutzprogramm für Kronzeugen aufnahm. Aber George war alles andere als ein verdammter Heiliger. Er war ein gewalttätiges, brutales Biest. Wenn er genug PCP - Angel Dust - intus hatte, verlor er jeglichen Sinn für die Wirklichkeit. Georges bester Freund in unserem Club war Billy Mitten. Billy wrar ein schlanker, gutaussehender Mann, dessen Eltern Brasilianer waren. Er trug seine Haare pomadisiert und nach hinten gekämmt und sah so ähnlich aus wie der spanische Schauspieler An-tonio Banderas. Egal, wie heiß es draußen war, Billy trug stets schwarze Lederhosen und ein schwarzes, vorne geschnürtes Lederhemd. Er fuhr ein grell »Oakland Orange« lackiertes, gechopptes Bike. Jeder im Club nannte ihn Zorro. Zorro war ein schlimmer Gauner und Betrüger. Da konnten fünf Typen im Clubhaus um ihn herumsitzen, von denen jeder glaubte, Zorro habe ihm gerade eine Sportster verkauft und er habe dabei die anderen überboten. Am Ende haute Zorro mit all dem ergaunerten Geld ab, und die anderen guckten in die Röhre. Zorro war ein solcher Lügner, daß er am Ende sogar seine eigenen Schwindeleien glaubte. Einmal verhafteten ihn die Bullen für irgendeinen Scheiß, den er gar nicht begangen hatte. Aber Zorro überzeugte sogar den Lügendetektor vom Gegenteil. George Wethern und Zorro waren sowohl Freunde als auch Ge108
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Zorro mit zwei Gewehren in den Händen, womit er sich naturlich nicht an seine Bewährungsauflagen hielt.
schäftspartner. Eines Abends hatten die beiden einen bösen Streit. Zorro hatte eine freche 'Andeutung gemacht, daß George Steuergelder unterschlagen hätte, die für ein Unternehmen bezahlt werden sollten, an dem beide beteiligt waren. Wethern geriet darüber in rasende Wut, und weil er mit Angel Dust vollgepumpt war, griff er sich seine 45er Pistole und pumpte sieben Schüsse in Zorro. Zorros Körper war von den Einschüssen und den Austritten der Kugeln so durchlöchert, daß er fast wie ein Sieb aussah. Völlig durchgedreht und verwirrt packte George Zorros Körper und fuhr mit ihm zum Fairmont Hospital, wo er den Ärzten erzählte: »Ich habe meinen Freund ins Bein geschossen!« Georges Frau rief mich voller Panik an, und ich raste mit meinem Motorrad zum Spital, wo George in einem der Korridore stand, und 15 Ärzte versuchten, Zorro wieder zusammenzuflicken. George, der ein ziemlich großer, bulliger Mann war, benahm sich auf diesem Gang, wo ihn die Polizei in Schach hielt, wie ein Irrer. Sie wollten nicht auf ihn schießen, aber George wollte sich auch nicht festnehHell's Angel
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Deacon mit seinem eisernen Pferd, einer Harley.
men lassen. Also mußte ich ihn beruhigen.' Die Bullen erklärten mir, sie würden ihn abknallen, wenn er sich nicht verhaften ließe. Endlich gelang es mir, George dazu zu bringen, runterzukommen und sich Handschellen anlegen zu lassen. Als man ihn ins Gefängnis abführte, war er immer noch total high von dem ganzen PCP. Erstaunlicherweise überlebte 'Zorro die vielen Einschüsse und Operationen. Als die Geschichte zur Verhandlung kam, weigerte sich Zorro, gegen seinen Freund George auszusagen, und stellte die Schießerei als einen Unfall dar. Zorro ließ sich später um jede Einschußnarbe in seinem Körper Ringe tätowieren. Auf einem dieser Tattoos stand: »45er Kugeln sind kein Scheiß«. Ein paar Jahre später starb Zorro jedoch an den Nachwirkungen der Schüsse.
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Ralph »Sonny« Barger
Hell's Angels 'waren meine Familie, sie bestand aus Dieall Oakland diesen Typen wie Skip, Magoo, Tramp, Big AI, Cisco, Scraggs, Winston, Johnny Angel, Jerry Jordan, Norton Bob, Amand, Pi, Fu, Hi Ho Steve, Bert Stefanson, Doug the Thug, Michael Malve, Gary »GP« Popkin, Fuzzy, Stork, Deacon, Marvin, Guinea, Flash, Fook und Zorro. Sie wurden noch mehr, als mein Vater im Januar 1971 starb. Er starb nur ein paar Tage nach Magoo. Seine Trunksucht war immer stärker geworden, und als er dann ernsthaft krank wurde, weigerte er sich, mit einem Krankenwagen ins Spital gebracht zu werden. Er wollte einfach niemandem zur Last fallen. Meine Schwester ließ ihn trotzdem ins Krankenhaus bringen, sie blieb dort drei Tage und Nächte in seiner Nähe und schlief in der Eingangshalle des Hospitals. Am vierten Morgen schloß er für immer die Augen. Ralph Barger Sr. starb an Leberzirrhose und anderen alkoholbedingten Krankheiten. Am Tag nach der Beisetzung von Magoo begrub ich meinen Vater in einem Kirschbaumsarg, den ich eigentlich für mich selbst gekauft hatte. Ich hatte ernsthaft geglaubt, noch vor meinem Vater auf dem Friedhof zu landen. Die ganzen neuen Klamotten, die wir meinem Vater zu Weihnachten geschenkt hatten, gaben wir nun an ein neues Clubmitglied weiter, Pop Linderman, der gerade vom Militär entlassen worden war. Meine Tante holte Dads Bibel von seiner Gewerkschaft ab, wo er sie aufbewahrt hatte. Meine Schwester Shirley bekam von der Versicherung gerade genug Geld, um die Beerdigungskosten und die Grabstätte zu bezahlen. Ich erbte Vaters Schußwaffen. Nach der Beerdigung ging ich allein an Vaters Grab, verbrachte dort drei Tage und Nächte und holte mir in dem strömenden Winterregen eine schwere Lungenentzündung. Ich litt am meisten unter dem Tod meines Vaters und war zutiefst betroffen. Ich hatte versucht, für ihn zu sorgen, aber als er älter wurde und nicht mehr arbeiten konnte, hatte er von dem wenigen Geld, das er besaß, immer wieder anderen Familienangehörigen, die in Not waren, ausgeholfen. Abgesehen von ein paar Monaten, die er wegen Haschbesitzes in Santa Rita im Knast saß, hatte mein Vater niemals den Ärger, Hell's Angel
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Mouldy Marvin stand im Mittelpunkt bei der Vergewaltigungsaffäre von Monterey und bei den Kämpfen zwischen den Clubs von Oakland und Frisco. Jetzt gehört er zu einem Nomad-Charter im Staat Washington. Steve Bonge
den ich mit der Justiz hatte. Aber er war stolz auf mich und den Club. Die Mitglieder behandelten ihn höflich und mit Respekt. Er war einfach stolz darauf, mein Vater zu sein, ganz gleich, in welche Scheiße ich hineingeriet und was die Zeitungen und Magazine wie Time und Newsweek über mich schrieben. Für ihn war das alles nur prima Gesprächsstoff m seinen Kneipen. egal, wie kriminell und verrückt sich manche Typen im Ganz Club aufführten, ich meinte immer, ich könnte ein wenig auf sie aufpassen und sie vor dem Schlimmsten bewahren. Wenn es die Bullen oder meine Bewährungshelfer ärgerte, daß ich mich um sogenannte unverbesserliche Verbrecher kümmerte - das war mir scheißegal. Ralph »Sonny« Barger 112
Ich habe nun einmal ein Herz für diese Männer und ihre Motorräder und glaube, sie zu verstehen. Aber Frauen ... na ja, das ist etwas ganz anderes. Was Beziehungskisten angeht, so brachte mich nichts mehr aus dem Gleichgewicht als die Old Ladies in meinem Leben.
Der inzwischen verstorbene Jim »Mother« Miles, ein HAMC Nomad aus der Gegend von Sacramento, zusammen mit seiner Old Lady, seiner Ehefrau Ann. Wayne Miller/Magnum
6 OLD LADIES UND ANDERE CHICKS
F
rauen, Old Ladies, Babes, Mädchen. Ohne sie kann man nicht leben, aus ihren Knochen kann man keine Suppe kochen. Wo immer Hell's Angels sind, da sind ganz todsicher auch Mädchen, Old Ladies und Bräute auf Zeit. Je mehr die Old Lady hermacht, um so besser ist der Ruf des Hell's Angels. Eine Old Lady zu haben, der es nichts ausmacht, zuzusehen, wie ihr Mann Spaß hat, kann den Unterschied zwischen einem guten und einem exzellenten Hell's Angel bedeuten. Wir tun alles Erdenkliche, damit sich unsere Frauen absolut sicher fühlen, ob sie nun mit uns ausfahren, zu Partys ins Clubhaus kommen oder einfach nur mit uns zusammenleben. Wenn jemand der Old Lady eines Hell's Angels zu nahe tritt oder sie anmacht, muß er damit rechnen, daß er sich nicht nur den Zorn des einen, sondern den aller anderen Hell's Angels aus dem Club zuzieht. Ich habe in meinem Leben nichts anbrennen lassen, aber im Grunde bin ich ein Mann, der sich immer nur für eine Frau zur Zeit interessiert. Ihr könnt mir glauben, ich bin alles andere als ein Experte, was Frauen angeht. Frauen sind für mich seit meiner Kindheit eine Art Fragezeichen gewesen, das fing schon mit meiner Mutter an. Nachdem sie mich als Baby verlassen hatte, schrieb mir meine Mutter immer wieder Briefe und versuchte, mit mir in Verbindung zu kommen. Ich warf die Briefe ungeöffnet weg. Daß ich nicht antwortete, beunruhigte sie so, daß sie auf dem Polizeirevier anrief und den Sheriff bat, nachzusehen, ob wir noch lebten. Die Heils Angel 115
Bullen fragten mich, ob ich die Briefe meiner Mutter denn nicht bekommen hätte. »Yeah, aber ich habe sie weggeschmissen, na und?« Die Bullen rieten mir, die Briefe lieber zu beantworten, ansonsten könnte meine Mutter dafür sorgen, daß ich ins Jugendheim gesteckt werde. »Von mir aus!« erwiderte ich, »steckt mich ins Heim!« Ich wußte, daß mein Vater das niemals zulassen würde. Als meine Schwester Shirley sich mit 16 Jahren dann doch mit meiner Mutter traf, hielt ich mich bewußt von ihnen fern. Als Vierzehnjähriger fand ich: Wenn eine Mutter ihr Baby aufgibt, hat man hinterher nicht mehr das Geringste mit ihr zu tun. Ich dachte einfach nicht mehr ernsthaft über sie nach. Ich hatte ja meine Schwester, die auf mich aufpaßte. Und bald, da war ich sicher, würde ich mich sowieso völlig frei auf den Straßen von Oakland herumtreiben können. In dem Jahr hatte ich auch zum allerersten Mal ein sexuelles Erlebnis. Als ich eines Morgens noch im Bett lag, schlich sich ein Mädchen aus unserer Nachbarschaft zu uns herüber und klopfte an mein Fenster. Wir waren gleichaltrig, und sie sah gar nicht übel aus. Ich ließ sie in mein Zimmer, sie stieg zu mir ins Bett. des Hell's Angels Motorradclubs war ein Mitglied InvonderunserstenallesZeitandere als ein wünschenswerter Partner für eine schicke Lady oder ein intelligentes Karriere-Girl der 50er Jahre. Abgesehen von Tommy Thomas, der verheiratet war, und mir, der eigentlich immer eine feste Beziehung zu einem Mädchen hatte, konnte man bei den anderen Angels, wenn einer von ihnen bei einem Girl landete, davon ausgehen daß sie die Stadtnutte war und sich von jedem vögeln ließ, der sie anmachte. Wenn einer von uns in den 50er Jahren behauptete, ein Mädchen gefunden zu haben, war das entweder gelogen, oder er hatte einen Abstecher nach Tijuana gemacht. Mit Beginn der 60er Jahre änderte sich das radikal. Es lag wohl am Zeitgeist, daß auf einmal alle Drogen und Sex kennenlernen und ausprobieren wollten. Nicht etwa, daß die Hell's Angels alle Töchter Amerikas vernascht hätten, aber wir standen auf einmal im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses in den Medien und im Kino. Das brachte uns auch das Interesse der Mädchen und Frauen ein. Viele Typen in den 116
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Clubs hatten eine Freundin nach der anderen, mit denen sie zeitweise zusammenlebten. Eine ganze Menge »respektabler« Frauen gierte heimlich nach den wüsten und wilden Macho-Typen, während die sogenannten kultivierteren und empfindsameren »Normalo«-Männer nicht mehr »in« waren und mit ihrem Schwengel in der Hand ins Abseits gerieten. Bei einer Menge Weiber liegt das wohl in ihrer erotischen Natur, die rauheren Typen machen sie scharf. Rudelbumsen und Gruppenvögeln waren an der Tagesordnung. Ich wollte, ich hätte einen Dollar für jede Frau bekommen, die bei unseren Partys zu mir kam und fragte, ob es im Clubhaus nicht ein Extraschlafzimmer gebe, wo sie mit einem Haufen geiler Typen mal für 'ne Weile verschwinden könnte. Für eine bestimmte Sorte Mädchen galt es als eine besondere Ehre, sich von einem Rudel Hell's Angels ficken zu lassen. Viele Frauen, die uns auf den Straßen vorbeidonnern sahen, waren keineswegs erschreckt oder abgestoßen. Im Gegenteil, sie wollten nur zu gern dabei sein, selbst wenn das hieß, daß sie sich hinter einem wildfremden Hell's Angel aufs Bike schwingen mußten. Bobby Durt stand oft in vollem bunten Hell's Angels Outfit vor einer Bar und hielt als Anhalter den Daumen hoch. Wenn dann ein »Chick« vorbeifuhr und ihn mitnahm, weil er unverkennbar ein Hell's Angel war, fragte sie ihn kaum danach, wohin er eigentlich wollte. Dann wollte sie meist nur wissen, wo sie sich von ihm vernaschen lassen könnte. Er war ja ein Angel, und das hieß: Für sie war alles drin! rote und schwarze Schwingen zu verdienen, war für uns Sich Angels ein Ritual, das in den 50er und 60er Jahren aufkam. Man bekam seine roten Schwingen dafür, wenn man mit einem Mädchen während ihrer Periode Oralverkehr hatte, und schwarze Schwingen gab es, wenn man dasselbe mit einem schwarzen Girl machte. Manche Kumpel aus unserem Club verdienten sich beide Schwingen auf einmal. Als Bobby Durt einmal im Sinner's Club soff, schnappte er sich ein schwarzes Girl und verschwand mit ihr auf dem Klo. Wir gingen hinterher, rissen die Tür auf, guckten zu und bestätigten seine Leistung. So bekam er seine schwarzen Schwingen. Hell's Angel
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Manchmal geriet das Verhältnis zwischen der Öffentlichkeit und den Angels so außer Rand und Band, daß aus einer unserer Verrücktheiten eine völlig übertriebene Kontroverse entstand. Das beste Beispiel dafür ist die Vergewaltigungsgeschichte von Monterey, eine Riesenstory in der gesamten Presse des Landes über die Hell's Angels. Zu der Zeit saß ich gerade wegen dieser beschissenen Haschgeschichte im Gefängnis von Santa Rita. Sonst wäre ich bestimmt auch dabei gewesen. Die Hell's Angels waren in einer riesigen Gruppe am Labor-DayWochenende 1964 nach Monterey gefahren, wo sie eine Party feiern wollten. Die Einwohner waren völlig aus dem Häuschen, weil wir in ihrer Stadt herumgurkten, und die Handelskammer von Monterey war auch nicht gerade begeistert, weil klar war, daß wir nicht viel Geld zum Ausgeben hatten. Deshalb wurden die Angels aus der Stadt gedrangt, nach Marina Beach am Pazifik in der Nähe der Militärgarnison Fort Ord. Sie kampierten dort draußen und feierten Partys mit reichlich Drogen. Aber auch andere Biker aus Monterey versammelten sich in Marina Beach, und rund 30 Girls waren dabei, um mitzufeiern. Es wurde eine sehr ausgelassene gemeinsame Party. Gegen Abend hatten Terry the Tramp und Mouldy Marvin Gilbert Riesenspaß und vögelten wild herum. Alle gingen im Meer schwimmen, und die Mädchen trugen ihre winzigen Bikinis oder gar nichts. Es waren auch zwei sehr junge Mädchen dabei -eine schwarz, die andere weiß -, die am Strand entlangspazierten. Eine trug nur ein Hemdchen, und die andere war völlig nackt. Mouldy Marvin pinkelte gerade hinter einem geparkten Auto, als er einen Polizeiwagen neben den beiden Girls halten sah. Die Bullen drehten ihr Fenster herunter, redeten mit den Girls, setzten sie dann auf den Rücksitz und fuhren mit ihnen davon. Am nächsten Tag kam eine ganze Flotte von Polizeiwagen zu unserer Party. Etwa 60 Personen waren zu dem Zeitpunkt am Strand, etwa doppelt so viele Männer wie Frauen. Die Bullen reihten die Männer an einer Seite auf und die Mädchen und Frauen auf der anderen. Dann fuhr ein Polizeiwagen langsam durch die beiden Reihen. Auf dem Rücksitz des Wagens saßen die beiden Mädchen vom Vortag. Sie deuteten mit ihren Fingern auf einige von uns, um sie zu identifizieren. 118
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Ein Angel aus Richmond stand am Ende der Reihe, und eines der beiden Mädchen zeigte auf ihn. Die Bullen befahlen ihm, zu ihnen hinüber zu kommen, und ehe der Typ zu ihnen ging, drückte er sein Bier Jim »Mother« Miles, dem Chef des Sacramento Clubs, in die Hand. Die Bullen gaben auch Miles ein Zeichen: »Sie auch!« Marvin fing an zu lachen, da schnappten sich die Bullen auch ihn. Dann brüllte Terry the Tramp, Marvins Freund, den Bullen etwas zu, woraufhin auch er festgenommen wurde. Die beiden Mädchen im Polizeiwagen hatten auf die letzten vier Männer in der Reihe gezeigt. Die Bullen von Monterey brachten die vier in eine Zelle des Bezirksgefängnisses. Die Anklage lautete auf Vergewaltigung. Am nächsten Morgen erschienen die Zeitungen im ganzen Land mit den Schlagzeilen VERGEWALTIGUNGEN IN MONTEREY! HELL'S ANGELS VERHAFTET! Die sogenannte Hell's Angels Vergewaltigungsaffäre von Monterey war überall auf Seite eins, von der Westbis zur Ostküste der USA. Jetzt waren wir landesweit berüchtigt. Ein naher Verwandter von Terry the Tramp war ehemaliger Bezirksstaatsanwalt aus Monterey (er wurde später katholischer Priester). Er übernahm die Verteidigung. Marvin, Tramp, Mother Miles und der Typ aus Richmond wurden gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt, und als sie zur Anklageerhebung vor Gericht erschienen, wurde die Anklage fallengelassen. Die Staatsanwaltschaft und die Bullen wußten, daß ihre Argumente auf schwachen Füßen standen. Die ganze Affäre um die sogenannte Vergewaltigung von Monterey kam nie mehr vor den Kadi. Auch daß sich der ganze Skandal in Luft aufgelöst hatte, wurde auf den Titelseiten der Presse landesweit berichtet. Wir waren gefährlich. Wir waren im ganzen Land berüchtigt. Und wir waren unschuldig. Im Jahr darauf händigte der Justizminister von Kalifornien, Thomas C. Lynch, der Presse und dem Parlament ein umfangreiches Dossier über die angeblichen kriminellen Delikte der Hell's Angels aus. Daraufhin spritzte die Scheiße voll über uns. Es war das erste Mal, daß die höchsten Staatsbehörden uns als zersetzenden Einfluß und eine Gefahr für die Gesellschaft bezeichneten. Jetzt konnten die Nachrichtenjäger loslegen! Nachdem die Regierung uns den Krieg erklärt hatte, überhäuften uns die Reporter Hell's Angel
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der Zeitungen und Zeitschriften mit Bitten um Interviews. Jeder, einfach jeder wollte mit uns reden. erste Frau, Elsie, und ich lernten uns 1962 kennen. Sie war Meine ein fabelhaftes Mädchen. Ich hatte eine Schwäche für besonders hübsche Mädchen und kannte sie schon lange, bevor sie meine Freundin wurde. Ursprünglich war sie mit einem Hell's Angel namens Rick Risner befreundet. Rick gehörte ein paar Jahre zu unserem Club, den er aber nach einer Weile verließ, um nach Kentucky zu ziehen. Damals machte er auch mit Elsie Schluß, und dann kamen Elsie und ich zusammen. Sie war ein wirklich prima Girl, die für jeden Spaß zu haben war und gern mit mir auf der Maschine fuhr. Sie hatte lange, braune Haare und wunderhübsche Augen, und alle im Club mochten sie gern. Elsie hatte zwei Kinder - einen Jungen und ein Mädchen -, die ihr ein und alles waren. Eines Abends bekam meine Schwester Shirley in SoCal einen Telefonanruf von der kichernden Elsie. »Hallo, hier spricht deine neue Schwägerin. Dein Bruder und ich haben gerade geheiratet.« Wir wurden 1965 in Reno getraut, nachdem wir zusammen mit einem anderen Paar auf unseren Motorrädern nach Nevada gefahren waren. Unsere Ehe war von Anfang an ziemlich problematisch. Wir trennten uns 1966 für eine Zeitlang, kamen aber doch wieder zusammen und planten, uns ein Haus zu kaufen. Ich fand ein kleines einstöckiges Brownstone-Häuschen auf der Golf Links Road in Oakland, ganz in der Nähe des Zoos. Eine ganze Menge Clubmitglieder folgte uns in diese Gegend, um dort zu wohnen - Winston, Fat Freddy und später auch Jim Jim Brandes, Sergey Walton und Kenny Owen. Elsie wurde kurz nach Neujahr 1967 schwanger. Weil sie schon zwei Kinder hatte, sprachen wir eingehend darüber und entschieden, daß wir keine weiteren Kinder haben wollten. So oder so paßten Kinder nicht in meine Pläne. Im Februar, als ich in Boston war, um dort bei der Gründung eines neuen Charters zu helfen, versuchte Elsie auf eigene Faust eine Abtreibung, indem sie Luft in ihre Vagina pumpte. Eine Luftblase geriet dabei in den Blutkreislauf, und Elsie starb fast sofort an einer Embolie. 120
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Meine erste Frau Elsie.
Obwohl meine Ehe mit Elsie mitunter auf sehr wackeligen Füßen stand und oft schwierig war, hatten wir doch zusammen wunderbare Zeiten auf meiner Maschine verbracht. Elsies Tod haute mich völlig um. Ich war verzweifelt über den Verlust. Ich ließ mir das Abbild ihres Grabsteins - ein Kreuz - auf meinen rechten Arm tätowieren. Der Tod meiner Elsie fiel in eine seltsame Zeit meines Lebens, gerade als die Hell's Angels Clubs begannen, sich über die ganzen USA auszubreiten. Ich hatte das Haus an der Golf Links Road gekauft. Es stand für unseren Einzug bereit. Nach ihHell's Angel
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rem Tod stürzte ich mich noch tiefer als zuvor in die Angelegenheiten und Verantwortungen des Clubs. 1s die Hell's Angels sich in Kalifornien formierten, gab es Charter, in denen sogar Frauen Mitglieder waren, besonders in San Francisco und in San Bernadino. Ich habe ein paar alte Fotos von Girls gesehen, die Hell's Angels Patches trugen. Frank Sadilek war in den späten 50er Jahren Präsident des Hell's Angels Charters in San Francisco. Seine Frau Leila war Mitglied der Frisco-Gruppe und Clubsekretärin. Als Bobby Zimmerman Präsident von Berdoo war, hatte er stets seine Old Lady, Keata, hinter sich auf dem Bike sitzen. Eine Weile nachdem Bobby gestorben war, kam auch Keata ums Leben. Als sie auf einem Highway mit ihrem Bike dahinflitzte, löste sich der Lenker ihres Motorrads. Ich bin mir nicht sicher, ob Keata je durch Abstimmung zum Hell's Angel gewählt worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon alle Frauen aus unserem Club ausgeschlossen. Als ich Präsident des Oakland-Clubs wurde, wurden Frauen bei uns nicht mehr zugelassen. Meiner Meinung nach brauchten wir keine Girls im Club. Die Hell's Angels sind ein Eliteclub für Männer. Vielleicht sind wir sexistisch oder Chauvinisten, aber da wir von den Behörden keinerlei finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen, kann man uns auch nicht zwingen, Frauen aufzunehmen oder unsere Satzung entsprechend zu ändern. Die Tatsache, daß sie keine Clubmitglieder werden dürfen, bedeutet aber nicht, daß sie bei unseren Runs fehlen. Eine ganze Menge Frauen nehmen an unseren Aktivitäten teil, aber keine von ihnen wird je in den Club hineingewählt werden. In der ersten Zeit der Gründung unserer Clubs war das Patch etwas, das man verteidigen mußte. Wir hatten eine Menge Kämpfe mit anderen Clubs auszustehen. Wir verprügelten andere und nahmen ihnen ihre Patches weg. Die anderen versuchten, sich an uns zu rächen und uns die Patches wegzunehmen. Frauen könnten keine Patches verteidigen. Es ist eine Sache der Standhaftig-keit, sowohl als Faustkämpfer als auch als Biker durchzuhalten. Wir haben Frauen, die genauso gut Motorrad fahren können wie die Mitglieder des Clubs. Manche fahren sogar besser als ich. Aber Ralph »Sonny« Barger 122
wenn es darum geht, an einem einzigen Tag Hunderte von Kilometern zu fahren, dann kann man nicht mit ihnen rechnen. In den späten 50er Jahren hatten wir eine Regel, nach der ein Mädchen dein Patch tragen durfte, wenn sie hinter dir auf deinem Bike saß, damit die Leute beim Vorbeifahren das Patch sehen konnten. Aber wenn sie vom Bike abstieg, mußte sie dir das Patch sofort zurückgeben. Diese Zurschaustellung war wichtig als Werbung für den Club. Eine solche Regel gibt es heute nicht mehr. Jeder, der ein Hell's Angel Patch trägt und kein Mitglied ist -Mann oder Frau -, riskiert, halbtot geschlagen zu werden. Mit Sharon, meiner zweiten Frau, war ich mehr als 20 Jahre lang zusammen. Wir wurden - zumindest nach Ansicht der Polizei -auch Partner bei angeblichen Verbrechen. Ich lernte Sharon Marie Gruhlke im Sommer 1969 nach Elsies Tod kennen. Damals war sie ein bezauberndes 19jähriges Teenie-Girl, das Maid of Livermore gewesen war. Als sie 15 war, wollte sie Model werden und durfte den Unterricht in der Highschool abbrechen, um die Modelling School zu besuchen. In dem Sommer, als sie sechzehn wurde, nahm ihre Lehrerin in der Modelling School sie beiseite und warnte sie, daß sie nicht mehr als 113 Pfund wiegen dürfe. Da Sharon aber 119 Pfund wog, drehte sie beinahe durch und ging zu einem Arzt, der ihr einmal in der Woche eine Spezialmischung injizierte, die auch Speed enthielt. Das war Sharons erste Bekanntschaft mit Drogen. Sie hatte noch nicht einmal gewußt, was in den Spritzen war, die sie bekam und zu denen ihr noch allwöchentlich kleine blaue Pillen gegeben wurden, um sie mit Kraft und Energie zu versorgen. Mit 17 verließ Sharon das Haus ihrer Mutter und ihres Stiefvaters in Livermore, um 1968 nach San Francisco zu ziehen. Ihr Körpergewicht hielt sie auf »professionellem Level«, sie aß eine Menge halbfetten Quark und machte jeden Morgen Gymnastik nach den Fernsehanweisungen des »Jack LaLanne«-Übungsprogramms. Sharons Umzug in »die City« war ebenso aufregend wie erfolgreich. Anfangs bekam sie 25 Dollar pro Stunde, aber als ihre Verpflichtungen zahlreicher wurden und Fotosessions, ModeschauAuftritte und Fernsehjobs dazukamen, erhöhte die Agentur ihr Honorar um weitere zehn Dollar. Obwohl sie nun als Berufsmodel arbeitete, fühlte sie sich immer als Außenseiterin unter den anderen Hell's Angel
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Sharon Gruhlke wurde 1960 als Highschool-Schülerin zur Maid of Livcrmorc eekront.
Girls der Agentur. Sharon entstammte einer Familie der Mittelklasse aus der Fast Bay und war von ihrer Mutter erzogen worden. Die meisten anderen Girls jedoch kamen aus reicheren Familien und wohlhabenderen Gegenden jenseits der Golden Gate Bridge wie Sausalito, Marin County oder den feineren Vierteln von San Francisco. Sie hatte die gleichen Probleme, die ich früher hatte, als ich mit acht Jahren auf dem Fahrrad durch San Francisco fuhr. Die anderen gegen uns, es war eine Art Kampf: Oakland gegen Frisco. Ralph »Sonny« Barger 124
Nachdem Sharon nach San Francisco gezogen war, gewöhnte sie sich schnell an das Donnern der Motorräder in ihrer Nachbarschaft. Ihre Zimmergenossin fing an, mit einem Prospect der Daly City Hell's Angels auszugehen, worüber Sharon zunächst entsetzt war. Sie warnte ihre Freundin: »Gail, paß lieber auf dich auf! Du weißt doch, daß du Ärger kriegen kannst, wenn du mit einem von diesen Motorradtypen ausgehst!« Der Prospect brachte einen Freund aus seinem Club mit in die Wohnung von Gail und Sharon. Alle im Club nannten ihn Nigger Rick, weil er als Portugiese olivfarbene, dunkle Haut hatte. Sharon verabredete sich ein paarmal mit Rick zum Ausgehen. Dann war Schluß damit, aber Rick kam trotzdem öfter bei den Girls vorbei, und die beiden blieben Freunde. Manchmal nahm Rick Sharon auf seinen Motorradfahrten mit. Vom Daly-City-Charter wollte sich ein Teil der Mitglieder abspalten und sich dann als San-Jose-Charter neu gründen, und Rick hoffte, von einem der neuentstehenden Charter als Präsident gewählt zu werden. Rick kam zu uns nach Oakland herüber, um mit mir über den Plan der San-Jose-Neugründung zu sprechen, und er brachte Sharon mit. Als Rick und Sharon an meinem Haus ankamen und klingelten, öffnete jemand das Gartentor und sagte ihnen, sie sollten ganz schnell zur Haustür rennen. Mein großer Dobermann war nämlich aus seiner Hundehütte geschossen, um »seinen« Vorgarten zu beschützen. Rick und Sharon schafften es gerade bis ins Haus. Wie üblich war mein Haus an der Golf Links Road auch an diesem Tage die Partyzentrale. Das Haus war proppenvoll mit Leuten. Tiny lungerte an der Haustür herum, und Johnny Angel leistete ihm Gesellschaft. Alle redeten von nichts anderem als von der bevorstehenden Gründung des San-Jose-Charters. Die meisten Jungs und deren Old Ladies machten es sich in einem der Schlafzimmer bequem und plauderten. Ich war noch im Bett, zusammen mit einem wohlgerundeten, kleinen blonden Bargirl aus meiner Straße. Wir fuhren beide Corvettes und verbrachten für gewöhnlich die Nacht von Freitag auf Samstag miteinander. An diesem Samstag versteckte sie sich unter der Bettdecke, als sich das Zimmer mit Clubmitgliedern und deren Freunden füllte, denen es scheißegal war, ob sie da war oder nicht. Hell's Angel
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Bevor sie als Neunzehnjährige bei mir einzog, war Sharon ein erfolgreiches Model in der Bay Area von San Francisco.
Als Rick mich mit Sharon bekannt machte, wirkte sie nervös und verlegen auf mich. Sicherlich kam sie sich ein wenig seltsam vor, wie sie da mit Rick und den anderen Old Ladies an der Schlafzimmertür stand und versuchte, die kleine Blonde in meinem Bett zu überRalph »Sonny« Barger 126
sehen. Sharon war jünger und wesentlich hübscher als das blonde Corvette-Girl. Ich war sofort neugierig und gespannt: Wer mochte diese junge, blonde Schönheit sein, die Rick mitgebracht hatte? An dem Abend fand ein großes Wohltätigkeitskonzert in der Longshoreman's Hall in San Francisco statt, der Eintritt kostete einen Dollar. Ich fragte Sharon, ob sie auch zu dem Konzert ginge. Als sie nein sagte, wandte ich mich an Rick: »Du - ich laß 'nen Dollar für sie springen, wenn du keine Lust hast!« »Danke für das Angebot«, schnaubte Sharon, drehte sich um und verließ mein Haus. Danach hielt ich eine Weile Kontakt mit Rick, weil ich hoffte, auf diese Weise Sharons Telefonnummer herauszubekommen. Ich bat ihn auch, bei ihr ein gutes Wort für mich einzulegen, weil sie an dem Tag in meinem Haus so verlegen gewesen war. Als Rick sie deswegen in dem Fitneßstudio anrief, wo sie arbeitete, schien sie nicht sehr interessiert an mir. »Warum ruft er mich denn nicht selbst an?« fragte sie Rick. Sharon zögerte davor, mit mir auszugehen, deswegen plante Rick eine Party in seinem Haus in Daly City, um ihr auf diese Weise seinen Schutz und seine Begleitung anzubieten. Ich rief Sharon an und machte ein Doppel-Date mit ihr und ihrer Mitbewohnerin und einem Freund aus meinem Club, Fat Freddie, aus. Als ich sie an dem Abend abholte, hatte sie sich richtig aufgedonnert - mit falschen Wimpern und einem falschen Lockenhaarteil, das zu ihren blondgebleichten Haaren paßte. Sharon schien auch auf der Party nicht gerade relaxt zu sein, darum rauchten wir (zum ersten Mal) ein paar Joints zusammen, während das Telefon fast unablässig klingelte. Die meisten Anrufe waren für mich, und die meisten von ihnen waren von anderen Mädchen. Einer der Anrufer war ein Freund, der mich bat, so schnell wie möglich zum Haus von Fat Freddie zu kommen. Eines von Fat Freddies Girls war gerade aus dem Frauengefängnis von Fontera entlassen worden und wollte ein paar Pistolen verkaufen, die sie versteckt hatte, bevor sie in den Knast gewandert war. Da ich Ricks Party sowieso verlassen wollte, bat ich Sharon, mit mir zusammen nach Oakland zu fahren. Ich war mir nicht klar darüber, ob sie von den Joints ein bißchen high war, aber sie hatte offenHell's Angel
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sichtlich immer noch Angst vor mir. Rick beruhigte sie und versicherte ihr, es sei cool, mich zu begleiten, und so verließen wir seine Party zusammen. Auf der Fahrt rauchten wir noch einen Joint, und Sharon klammerte sich hinter mir auf dem Motorrad an mich. Gleichzeitig versuchte sie verzweifelt, ihr Lockenhaarteil festzuhalten, das der Fahrtwind wegzupusten drohte. Wir rasten über die Bay Bridge nach Oakland und hielten zwischendurch ein paarmal an. Ich hatte gerade einige der angebotenen Pistolen gekauft, als eines unserer Mitglieder völlig verstört und verängstigt bei Freddie auftauchte. »Hey, Sonny, wa-wa-was macht man nur, wenn 'ne Old Lady versucht, sich mit Seconal auszuknocken?« Ich dachte einen Moment lang nach. »Kommt drauf an, wer sie ist.« »Sie ist die Mutter meiner Kinder.« »Hau ihr Speed rein, das wird sie aufwecken.« Damals wußte ich nicht, daß man auf diese Weise auch jemanden töten kann. Unser Freund drehte völlig durch. Er brauchte Hilfe, das war klar. »Okay«, sagte ich und griff mir meine Jacke. »Schluß mit der Party. Laß uns versuchen, sie wieder auf die Füße zu bringen.« Wir mußten zuerst einen Drogensüchtigen finden, der uns seine Spritze samt Zubehör lieh. Kein Problem. Wir verließen Fred-dys Party und rasten zum Haus des Mannes an der 82nd Avenue. Sharon war völlig überfordert. An mein Tempo war sie noch nicht gewöhnt, und sie hatte keine Ahnung, was für Überraschungen ihr sonst noch bevorstanden. Sie war schließlich noch so jung und wußte nicht, was es hieß, wenn sich jemand »ausknocken« will. Leise betraten wir das Haus durch die Hintertür und sahen uns nach einer Leiche um. Alles war ruhig, aber voll Spannung. Dann entdeckten wir den Körper einer Frau. Sie sah verdammt tot aus! Ich bat Sharon, mir einen Waschlappen zu holen. Anschließend versuchte Sharon, den Puls der Frau zu fühlen, während ich prüfte, ob sie noch atmete. Sie konnte keinen Puls spüren. Wir dachten beide, die Frau sei tot. Wir gaben ihr trotzdem eine Spritze mit Speed, und wundersamerweise kam sie daraufhin zu sich. Keiner von uns beiden hat128
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te auch nur die leiseste Ahnung, was wir da eigentlich taten. Später an diesem Abend sagte mir Sharon, sie fühle sich nun sicher mit mir, egal, ob Leute um uns starben oder nicht. Als Hell's Angels lebten wir in unserer eigenen Untergrundwelt, die kaum etwas mit der normalen Welt gemeinsam hatte. Mit bürgerlichen Leuten wollten wir so wenig wie möglich zu tun haben. Ob es um Leben oder Sterben ging, wir handhabten unsere Probleme auf unsere Weise. Bei Überdosen kam es niemals in Frage, einen Arzt zu rufen. Die Bullen hatten uns ohnehin ständig auf dem Kieker, also sorgten wir in allen Notfällen ohne Polizei oder Sanitäter für unsere Leute. Die Frau überlebte jene Nacht, und höchstwahrscheinlich hatte ich ihr mit der riskanten Spritze das Leben gerettet. Das war mein erster Abend mit Sharon. Ein seltsames Date mit Pistolenkauf und einem Selbstmordversuch. All diesen Aufregungen zum Trotz bestand Sharon darauf, noch in der Nacht nach Hause zu fahren, weil sie am nächsten Tag wieder zur Arbeit mußte. Ich versuchte alles, um sie zu bewegen, in meinem Haus zu übernachten, aber sie ließ sich nicht umstimmen. Einer meiner Freunde fuhr sie zurück nach Frisco. Sharon hielt mich für leicht bekloppt, weil ich so hartnäckig auf ihrem Bleiben bestand, aber das war nun mal meine Art, ihr zu sagen, daß ich sie vermissen würde. Sharon und ich verloren uns in diesem Sommer dann für eine Weile aus den Augen. Ich war gerade mit den Dreharbeiten zu Hell's Angels '69 fertig, und die Hell's Angels planten einen großen gemeinsamen Run. Ich wußte nicht, daß Sharon ihren Job im Fitneßstudio aufgegeben hatte und nur darauf wartete, daß ich sie anrufen würde, um sie zu dem Run mitzunehmen. Sie hatte sich in Erwartung meiner Einladung weiße Plastik-Schaftstiefel ä la Nancy Sinatra und einen Webpelzmantel gekauft. Aber ich fuhr ohne sie los. Das nächste, was ich von ihr hörte, war eine Glückwunschkarte zum Geburtstag, die sie mir per Eilboten schickte. In der Karte lag auch ein Brief von ihr. Sie schrieb, daß sie sehr ärgerlich auf mich sei, weil ich überhaupt nichts von mir hören ließ, sie sei sich nun völlig im unklaren über meine Gefühle ihr gegenüber, aber sie räumte ein, mich immer noch gern zu mögen. Ich hätte wohl andere Vorstellungen vom Leben als sie. Dann Hell's Angel
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wünschte sie mir »ein schönes Weiterleben«. Schon ein bißchen seltsam, so etwas einem Hell's Angel zu wünschen. Als ich die Karte in der Hand hielt, rief ich sie sofort an. Terry the Tramp hatte an diesem Abend eine große Geburtstagsparty für mich in seinem Haus vorbereitet. Es war schon spät, als ich sie anrief, die Party hatte bereits begonnen, aber ich sagte ihr, ich würde in meinem Haus auf sie warten. Sie solle sich ein Taxi nehmen und zur Golf Links Road kommen. Als sie dem alten italienischen Taxifahrer, der sie im Missionviertel abholte, die Adresse in Oakland nannte, die fast jeder aus den Zeitungen kannte, warnte der Alte sie: »Warum sollte ich so ein hübsches junges Mädchen wie Sie zu diesem verrufenen Haus fahren?« Sharon kam an diesem Abend in mein Haus in der Golf Links Road und - fuhr nie wieder weg. Johnny Angels Freundin kam ganz durcheinander wegen der vielen Mädchen, die ich zur Party von Terry the Tramp mitbrachte. Als ich einige Zeit zuvor in Buffalo war, um dort ein neues Hell's Angels Charter zu gründen, hatte ich Sally kennengelernt, und als ich nach Oakland zurückfuhr, nahm ich sie einfach mit. Eigentlich hatte ich sie gar nicht für mich mitgebracht. Aber gute Club-Girls waren damals schwer zu finden, und ich dachte, Sally würde vielleicht eine gute Old Lady für jemand anderen im Club sein. Sally packte dann auch bald ihre Sachen, zog aus meinem Haus aus und bei einem anderen Clubmitglied ein. Als Sharon in mein Haus an der Golf Links Road einzog, half ihr Bruder beim Umzug, und er lud gerade Sharons Sachen ab, als Sally auszog. Sharon saß am liebsten bei mir in der Garage und sah zu, wie ich an meinem Bike herumschraubte und es reparierte. Statt im Haus sauberzumachen und für uns zu kochen, sammelte sie lieber Schrauben und Muttern vom Garagenfußboden auf. Weil Sharon noch unter 21 Jahre alt war, nahm ich sie nie mit zu unseren »Hangouts« in die Biker-Bars. Ich wollte kein schlechtes Beispiel für die anderen Mitglieder abgeben. Als der Film Hell's Angels '69 herauskam, nahm ich Sharon mit auf die Werbetour. Wir machten in den verschiedensten Städten im ganzen Land halt, von Texas bis nach New York und Kalifor130
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nien. Es war wirklich ein Run mit Klasse; überall wurden wir in fetten Limousinen abgeholt. Manchmal stellte man mir auch ein Motorrad, auf dem ich dann zur Filmpremiere fuhr, um dort Autogramme zu geben. Als wir in Dallas waren, ging ich mit Sharon zum Department Store Neiman Marcus, drückte ihr fünf Hundertdollarscheine in die Hand und gab ihr eine Viertelstunde Zeit, um sie auszugeben. Kein Problem für sie: Sie kaufte sich coole Lederhosen, die sie als Beifahrerin auf meinem Bike tragen wollte. Meine neue Old Lady Sharon bat mich oft, ich möchte doch öfter einmal lächeln. Elsie war erst vor zwei Jahren gestorben, und ich behielt meine Trauer und meinen Kummer um sie lieber für mich. Wir sprachen fast nie über Elsie. Zwischen Elsie und Sharon hatte ich eine Menge Freundinnen, eine endlose Parade von Old Ladies. Ich kann mich nicht einmal mehr an ihre Namen erinnern oder daran, wie sie aussahen. Unser Haus war ein einziges Chaos, es war voll von Geschenken aus allen neuen Gruppen im Lande - Fotos und Plaketten, die wir an die Wände lehnten, anstatt sie aufzuhängen. Mein Haus war ein Zoo - ganz in der Nähe des Oakland Zoos - mit orangefarbenen Wänden, der Farbe unseres Clubs. Statt den Tod meiner ersten Frau zu betrauern, hatte ich mich in einen Strudel von zahllosen Partys gestürzt. Bei einem meiner Runs besuchten Sharon und ich das BuffaloCharter der Hell's Angels, das gerade gegründet worden war. Den-ny McKnight war zum Präsidenten des Charters gewählt worden, und während wir ihn in seinem Haus besuchten, nahmen Sharon und ich LSD. Anschließend ging Sharon ins Badezimmer und wusch ihr Gesicht wieder und wieder mit Noxzema. Als sie schon eine Ewigkeit im Bad war, klopfte ich an die Tür: »Komm doch raus, Mädchen, und mach uns mal Kaffee!« Noch mit der Noxzema im Gesicht kam sie heraus und verbrachte dann eine weitere Ewigkeit in der Küche. Es stellte sich heraus, daß sie noch nie in ihrem Leben Kaffee gekocht hatte, darum ging Thief, ein anderer Biker, zu ihr und brachte ihr das Kaffeekochen bei, während sie auf einem LSDTrip war. Unsere Old Ladies sind ohnehin nicht gerade für ihre hausfraulichen Fähigkeiten berühmt. Als wir aus Buffalo zurückkamen, stellte ich mein Bike so ungeHells Angel
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schickt ab, daß es umfiel - genau auf meinen Fuß. Mein Fuß schwoll sofort stark an, zumal er sowieso schon verletzt war. Ich war bei einem Run nach Bass Lake in eine Prügelei mit Hi Ho Steve geraten, und er hatte mich dabei in den Fuß gebissen. Die Bißwunde war noch immer nicht richtig verheilt. Es ist ja allgemein bekannt, daß Menschenbisse ebenso gefährlich sein können wie die von Tieren, und ein Biß von Hi Ho Steve war noch viel gefährlicher. Also mußte ich in den nächsten Wochen mit einer Krücke herumhumpeln. Sharon hatte sich eine schlimme Bronchitis eingefangen, deshalb schlug ich ihr vor, für ein paar Tage zu ihrer Mutter zu ziehen, um wieder ganz gesund zu werden. In der Zwischenzeit bekam ich einen schlimmen Anruf aus Buffalo. Denny McKnight war mit seinem Motorrad gegen eine Mauer gerast und auf der Fahrt ins Krankenhaus gestorben. Danach war mir mein schlimmer Fuß egal. Ich fuhr quer durch das ganze Land zu seiner Beerdigung. Sharon war stocksauer, weil ich sie wegen ihrer Bronchitis nicht mitnahm. Nachdem sie zu mir nach Golf Links gezogen war, klopfte es eines Tages an meine Haustür. Ich öffnete, und vor mir stand eine kleine, ältere Dame: Sharons Mutter Barbara. Wir waren uns noch nie begegnet. »Was kann ich für Sie tun?« »Ich wollte nur mal sehen, mit wem meine Tochter zusammenlebt und ob sie vielleicht in einer Garage wohnen muß.« Ich sagte ihr, Sharon brauche natürlich nicht in der Garage zu wohnen. Darauf drehte sich die Dame einfach um und ging davon. Später wurden wir beide doch noch gute Freunde. Sharon hatte sich sehr verändert, seit ich sie mit 19 kennengelernt hatte - die ehemalige »Maid of Livermore«. Einmal stand ich wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor Gericht. Die Pistole gehörte aber in Wirklichkeit Sharon. Im Gerichtssaal hielt mir der Staatsanwalt beim Kreuzverhör die Pistole vor die Nase. »Mr. Barger, ist dies Ihre Pistole?« »Nein, sie gehört Sharon.« Sharon war im Saal, und der Ankläger ließ sie prompt in den 132
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Zeugenstand kommen. Er hielt ihr die Waffe vor und fragte sie: »Was haben Sie über diese Pistole zu sagen?« »Nun«, antwortete sie, »zunächst, daß das Magazin noch drinsteckt. Seien Sie vorsichtig, die Waffe könnte geladen sein.« Der dämliche Staatsanwalt ließ daraufhin beinahe die Kanone fallen, als er sie ihr überreichte. Sharon fing sie geschickt auf, zog den Lauf zurück, nahm das Magazin heraus, steckte es wieder hinein und gab das Schießeisen zurück an den Ankläger. »Keine Sorge«, sagte sie, »sie ist nicht geladen.« Da knurrte der Richter unwillig und sah zum Staatsanwalt: »Die Waffe gehört ganz offenkundig ihr. Entlassen Sie sie aus dem Zeugenstand!« Sharon und ich mochten es gern, zu Hause mit Acid high zu werden. Wir verbrauchten eine ziemliche Menge LSD in den frühen 70er Jahren. In dieser Zeit wurde ich oft verhaftet und leistete mir haufenweise gefährliche Verstöße gegen die Gesetze. Meine schwankenden Stimmungen unter Kokain brachten mir eine Menge kriminelle Scheiße und schließlich eine Freiheitsstrafe im Gefängnis von Folsom ein. Sharon nahm in jener Zeit viel Speed, aber ich hatte nie größeres Interesse an Metamphetamin. Ich hing vor allem an Kokain, viel stärker als Sharon. Sharons Drogenkonsum war ganz anders als meiner. Sie hatte schon während ihrer Zeit als Model »Up-pers« Glückspillen - genommen. Um die Zeit zu überstehen, die ich im Knast saß, gab Sharon das Koksen fast vollständig auf und nahm statt dessen immer mehr Speed. Damit konnte sie ihre Depressionen wegen meines Einsitzens vorübergehend überwinden. Was Sharon aber vor allem über die schweren und einsamen Zeiten hinweghalf, war ihr Spaß am Motorradfahren. Dabei bekam sie immer einen klaren Kopf. Ich hatte ihr beigebracht, mit solchen Bike-Experten wie »Flash« Gordon Grow und Fu Griffin auszufahren. Ich hatte ihr auch ihr erstes Motorrad, eine BSA 650, gekauft. Diese Maschine suchte ich für sie aus, weil sie sich auf derselben Seite schalten ließ wie eine Sportster. Danach baute ich ihr das kleine Spezialbike, das wir Little Cocaine nannten. Sharon machte liebend gern Runs mit dem Club. Also gab ihr Deacon jedesmal, wenn die Oakland-Angels einen Trip planten, rechtzeitig Bescheid, damit sie mit den anderen mitfahren konnte. Hell's Angel
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Eine meiner verrücktesten Auseinandersetzungen mit den Gerichten hatte ich, als Sharon und ich beschlossen zu heiraten. Damals saß ich meine Zeit im Gefängnis von Folsom ab. Ehe ich ins Gefängnis mußte, hatten wir noch nie über eine Heirat gesprochen. Als ich auf meine Überstellung aus dem Bezirksgefängnis von Alameda in den Staatsknast von Folsom wartete, rief ich eines Abends bei Sharon an und fragte sie, ob sie mich heiraten wollte. Sie war sofort Feuer und Flamme, ließ sich am nächsten Tag die vorgeschriebenen Blutproben abnehmen und sich ein Tattoo auf den Rücken stechen: »Sonny« stand da in einer kleinen Sonne. Ich hatte ihr nie erlaubt, sich Tätowierungen machen zu lassen, aber ich saß ja hinter Gittern und hatte nicht den geringsten Einfluß darauf, was sie tat oder nicht. Die Knast-Ärzte machten auch bei mir die Blutuntersuchungen, und als wir alle Formalitäten erledigt hatten, mußten wir feststellen, daß nicht ein einziger Friedensrichter im Bezirk von Alameda bereit war, uns zu trauen. Alle hatten Angst, in unsere Angelegenheiten verwickelt zu werden. Jeder von ihnen erklärte uns: »Unter gar keinen Umständen!« Als man mich aus dem Bezirksknast nach Vacaville schickte, um mich für die Überweisung nach Folsom durchzuchecken, konnte sich Sharon, wenn sie mich besuchte, ohne weiteres als meine Ehefrau eintragen. Sie wurde dann sofort eingelassen. Als ich dann in Folsom saß, beantragte Sharon wiederum Besuchserlaubnis. Aber dort wußte man, daß wir nicht rechtskräftig verheiratet waren, und als man prüfte, ob sie vorbestraft war, stellte sich heraus, daß sie noch ein Verfahren wegen Besitz von Metamphetamin laufen hatte. Sharon war nämlich einmal auf dem Freeway in einen Unfall geraten, und dabei fanden die Bullen in ihrer Tasche Speedpillen. Als ich im Sommer 1973 nach Folsom kam, durfte ich keinen Besuch von einer »Komplizin« bekommen. Schließlich fanden wir aber doch noch eine Gesetzeslücke, die es uns ermöglichte, zu heiraten, und danach konnte Sharon mich als meine Ehefrau besuchen. Wir hatten einen Gesetzesartikel gefunden, in dem es hieß, man müßte nicht unbedingt »zur selben Zeit am selben Ort« sein, um rechtskräftig getraut zu werden. Wenn man eine bestimmte Zeit lang in einer eheähnlichen Verbin134
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dung als Mann und Frau zusammengelebt hatte - was wir ja schließlich vor meinem Knastaufenthalt getan hatten, dann konnte man einen Trauschein bekommen, selbst ohne die vorgeschriebenen Bluttests vorweisen zu können. Mein Rechtsanwalt wurde so zum Geistlichen oder Friedensrichter einer Ferntrauung. Die Gefängnisleitung erlaubte zwar nicht, daß ein Friedensrichter persönlich im Knast eine Trauung vornahm, aber sie konnte es nicht verhindern, daß mich mein Anwalt besuchte und diese Trauung separat vollzog. Sharon hatte diese Prozedur eingeleitet, also traute der Anwalt sie zunächst mit mir. Zehn Tage später kam er nach Folsom, traute mich mit Sharon und machte damit das Ganze rechtskräftig. Nach den Gesetzen des Staates Kalifornien waren wir beide seit dem 16. Dezember 1973 verheiratet, aber die Leitung von Folsom erlaubte Sharon trotzdem keinen Besuch bei mir. Sie war der Meinung, wir hätten sie übertölpelt, was in gewisser Weise ja auch stimmte. Die Old Lady eines Hell's Angels Officers zu sein war alles andere als einfach. Sharon und ich mußten weitaus mehr Schwierigkeiten überwinden als jedes andere Paar aus unseren Reihen, aber wir waren auch viel länger voneinander getrennt. Ich war insgesamt 13 Jahre lang nicht mit ihr zusammen: Entweder mußte ich mich um Club-Angelegenheiten kümmern, oder ich saß im Knast oder in Untersuchungshaft, lebenslängliche Strafen vor Augen. Jedesmal, wenn ich verhaftet wurde, holte mich Sharon gegen Kaution wieder raus und plante meine Verteidigung mit meinem Pflichtanwalt. Sie ließ sogar T-Shirts mit der Aufschrift »Free Sonny« bedrucken und verteilte sie, während ich »brummte«. Sharon und ich waren zusammen ein starkes Paar, aber bald zeigten sich erste Risse in unserer Beziehung. Als ich aus dem Knast von Folsom entlassen wurde, nahm ich kein Kokain mehr. Sharons Speedkonsum hingegen war im Laufe der Jahre immer stärker geworden. Ich bin, weiß Gott, alles andere als perfekt und mache genug eigenen Mist. Mein Leben lang bin ich leichtfertig gewesen, und daran kann ich nichts mehr ändern. Aber es ist verdammt schwer zu erklären, was es bedeutet, Tag für Tag mit jemandem zusammenzuleben, der ewig voll auf Speed ist. Es wurde Hell's Angel
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San Francisco im August 1980: Sonny und Sharon werden von einem Bundesgericht von der Anklage wegen Betrugs freigesprochen. AP/Wide World Photos
immer unerträglicher, und eines Tages hatte ich plötzlich die Nase voll. Ich sagte Sharon, daß sie verschwinden müsse. 1996 trafen wir Vorkehrungen, um Sharon zum Entzug in ein Krankenhaus in SoCal zu bringen, das von den Adventisten geleitet wurde. Ich besuchte sie dort und sagte ihr: »Wenn du clean bist und zurück nach Hause kommen willst, ist alles wieder in Ordnung!« Ich persönlich bin durchaus für ein normales Leben mit einer Frau auf Dauer. Als unsere Ehe kaputtzugehen drohte, habe ich alles versucht, um sie zu kitten und mit Sharon zusammenzubleiben. Aber Sharon mußte über ein Jahr in der Klinik bleiben, um clean zu werden. So eine lange Unterbrechung unserer Beziehung konnte ich nur schwer ertragen. Ralph »Sonny« Barger 136
Bevor Sharon in die Klinik ging, hatte sie eine Freundin gebeten, während ihrer Abwesenheit für unseren Haushalt zu sorgen. Noel Black war vorher schon einige Male bei uns im Club gewesen. Ich weiß nicht, woher Sharon und Noel sich kannten, obwohl ich Noel gelegentlich im Club gesehen hatte. So richtig hatte ich Noel noch gar nicht wahrgenommen, bis sie nach Sharons Einzug in die Klinik zu mir ins Haus kam. Eines Tages war sie da und hatte saubergemacht und aufgeräumt. An dem Abend fragte sie mich, wo sie denn Wolldecken finden könne. »Was für Decken?« fragte ich sie. »Ich will auf der Couch übernachten«, erwiderte Noel, »denn ich habe keine Lust, heute nacht noch den ganzen Weg nach Sonoma County zurückzufahren.« »Du brauchst nicht auf der Couch zu schlafen«, entgegnete ich und deutete auf mein Bett. »Schlaf doch hier!« Sharon und ich hatten noch immer unsere Vereinbarung, daß sie wieder nach Hause zurückkommen könnte, wenn sie clean wäre. Als sie aus der Klinik entlassen werden sollte, fragte ich sie: »Wie geht's nun weiter?« Sharon erwiderte mir, sie sei zwar jetzt clean, aber sie könne nicht zu mir zurückkommen. »Ich kann nicht mit dir zusammenleben, ohne Drogen zu nehmen.« Weihnachten 1996 schrieb ich Sharon einen Brief. Ich schlug ihr vor, daß wir uns trennen und unser beider Wege allein weitergehen sollten, wenn wir beide glücklich und gesund bleiben wollten. Wir reichten die Scheidung ein, und unsere lange Beziehung war zu Ende. Aber selbst heute noch sind wir in Verbindung. Sharon und ich sind immer noch Freunde. Sie hält sich weiterhin von Drogen und Alkohol fern und wohnt glücklich und zufrieden in Südkalifornien. Noel und ich haben am 8. Oktober 1999 in Las Vegas geheiratet und wohnen jetzt zusammen mit unserer kleinen Tochter Sarrah in einem Haus in der Wüste des Sonnenstaates Arizona. Noel züchtet Pferde. Früher besaß sie einen Deckhengst, der Welt-Champion wurde. Jetzt besitzt sie mich. Zu meinem Leben gehören heute ein Kid und eine wunderhübsche Old Lady sowie drei Stuten draußen auf dem Gestüt. Noel besitzt außerdem ein Motorrad und ist eine ausgezeichnete Bikerin. Was könnte ich mehr vom Leben erwarten?
Hell's Angels Officers 1965 bei einer Pressekonferenz, auf der sie sich gegen die Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen aussprachen. V. L n. r:: Treasury (Schatzmeister) Skip Workman, Sergeant of arms (Exekutive, auch für die Einhaltung der Disziplin im eigenen Club) Tiny Walters, ich als Präsident, Secretary Ron Jackson und Vizepräsident Tommy Thomas.
Gene Anthony
LSD-GETRÄNKTE SECHZIGER Die Angels änderten sich niemals«, schrieb der FolkloreProfessor der Universität von Kalifornien in Los Angeles, UCLA, Donald Cosentino in einer Dokumentation von 1999 über die Hell's Angels. »Alle anderen in ihrem Umkreis änderten sich. Jedesmal, wenn wir sie zu bestimmten Dingen überreden wollten, jedesmal, wenn die Linken sie als Helfer der Arbeiterklasse haben wollten, jedesmal, wenn die Hipster wollten, daß sie sich wie Hippies benehmen, jedesmal, wenn die Drogenkultur sie zu ihren Verbündeten zu machen versuchte, ging es schief!« Die Hell's Angels sind eine unpolitische Organisation. Aber als in den 60er Jahren die Friedensmärsche begannen, gab es Clubmitglieder, denen die Einstellung der Antikriegs-Radikalen aus der Oberklasse uns Veteranen gegenüber nicht paßte. Eines Nachmittags beschlossen wir, unserer Meinung Ausdruck zu geben und gegen diese Friedensschwätzer des linken Flügels aufzutreten. »Laßt uns dahin fahren und denen mal zeigen, mit wem sie es zu tun haben.« Am 16. Oktober 1965 fand eine Anti-Wehrpflicht-Demo des Vietnam Day Committee (VDC) an der Stadtgrenze zwischen Oakland und Berkeley in der Adeline Street statt. Am Abend zuvor hatten die Organisatoren des VDC in letzter Minute eine Demonstration abgesagt, weil sie Zusammenstöße mit der Polizei von Oakland befürchteten. Am nächsten Tag aber waren die Demonstranten da. Die Antikriegs-Maschine wurde kräftig angeHell's Angel
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heizt. 8000 VDC-Marschierer aus Berkeley knallten mit einer Schwadron von Bullen aus Oakland zusammen, die die Straße blockierten, um eine Fortsetzung des Marsches Richtung Stadt zu verhindern. Als ich beschloß, zu der Demo zu fahren, kamen sieben weitere Hell's Angels vom Oakland-Club mit mir, um den Rummel noch zu steigern. An diesem Tag waren insgesamt über 100 verschiedene Anti-Vietnam-Protestmärsche in den ganzen USA geplant. Die Antikriegs-Snobs vom Berkeley Campus der University of California sahen auf viele von uns aus Oakland hinab, als seien wir ein Haufen Verrückter aus Alabama. Es gab auch keineswegs einen großen Auftritt der Hell's Angels mit ihren Choppern und donnernden Motoren. Wir waren statt dessen in einige Autos gestiegen und parkten ein paar Straßenzüge entfernt. Als die Bullen und die Demonstranten einander gegenüber standen und keiner wußte, wie es weitergehen sollte, schoben wir uns von hinten durch die Polizeireihen. Die Zeitungen berichteten hinterher, die Polizei von Berkeley hätte die Demonstranten geschützt, während die Polizei von Oakland uns durchgelassen hätte. Ich glaube nicht, daß überhaupt irgendwer Hell's Angels bei der Demo erwartet hatte. Die Bullen .waren genauso überrascht wie alle anderen, als wir auftauchten und durch die Menschenmenge gingen. Wir waren ja nur gekommen, um zu sehen, was die Demonstranten eigentlich forderten. Allerdings waren wir nicht zu übersehen. Michael »Tiny« Walters war immerhin 1,98 Meter groß und wog mehr als zweieinhalb Zentner. Er sah unheimlich gefährlich aus. Zorro und Freddie waren auch mit von der Partie. Wir trugen unsere Colors. Diese Demo fand lange nach den Krawallen von 1963 in Porter-ville und 1964 in Monterey statt, also waren wir inzwischen wohlbekannt. Wir acht Hell's Angels verteilten uns in der Menschenmenge und drängten zu den Demonstranten, die Schilder und Transparente trugen und Slogans brüllten. Zu Beginn jubelten die Menschen uns zu, weil sie annahmen, wir stünden auf ihrer Seite. Aber mich überkam langsam eine fürchterliche Wut. Ich war ein Veteran, und ich liebte mein Vaterland. Außerdem war ich sauer, daß 140
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unsere Regierung es nicht schaffte, diesen blöden Krieg zu gewinnen. All dies Geschrei und Gebrüll hier und all die Reden nützten unseren Soldaten in Übersee einen Scheißdreck. Was sollte diese Versammlung überhaupt? Irgend etwas in mir knallte durch, und ich reagierte auf die einzige Art und Weise, die mir vertraut war: Ich schlug zu! Ich griff mir blindlings ein paar von diesen CollegeKids und drosch auf sie ein. »Haut ab und geht nach Hause, ihr Arschlöcher! Was wollt ihr hier?« brüllte ich und kämpfte mich durch die VDC-Demonstranten. Frauen und Kinder rührten wir nicht an, aber es gab ja reichlich von diesen Typen mit ihren Blumenkinder-Kettchen und buntbedruckten Hemden, auf die wir einschlagen konnten. Etliche von ihnen hauten ab, aber einige wehrten sich. Zu Diskussionen oder politischen Debatten kam es erst gar nicht. Wir ließen nur unsere Fäuste und Stiefelspitzen sprechen. »Diese Leute haben schließlich auch ihre verfassungsmäßigen Rechte«, ermahnte ein Polizeioffizier aus Oakland die Demonstranten, als sie sich über die Hell's Angels beschwerten. Nachdem wir uns durch die Polizeikette gedrängt hatten, gelangten wir ganz nach vorne, wo Jerry Rubin, radikaler Kriegsgegner, Schriftsteller und Organisator der Demo, seine Ansprache hielt. Rubin trug einen Ring, über den ich in der Zeitung gelesen hatte. Rubin behauptete, der Ring sei aus den Trümmern eines unserer Jagdflugzeuge geschmiedet, das über Nordvietnam abgeschossen worden war. Als er auf einem Lautsprecherwagen stand und seine Rede hielt, dachte ich: »Scheiß auf diesen Idioten! Ich werde mir seinen Ring holen!« Also ging ich auf ihn los. Ich kam ziemlich nah an ihn ran, sprang auf den Truck und hatte ihn schon fast im Griff. Aber während ich auf Rubin zurannte, holte mich eine Gruppe Bullen ein, die sich durch die Menge gedrängt hatte. Jetzt gerieten die Demonstranten total außer sich. In den Zeitungen prangte am nächsten Tag ein Foto von mir, auf dem rund 20 Bullen zu sehen waren, die mit Schlagstöcken auf mich einprügelten. Die Polizisten aus Berkeley schlugen in dem Gedränge sogar aufeinander ein. Als erfahrener Randalierer wußte Hell's Angel
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ich, wenn mehr als drei Kerle gleichzeitig auf jemandem herumhauen, kommen sie sich höchstwahrscheinlich gegenseitig in die Quere und verletzen sich selbst. Und derjenige, den sie zu fassen kriegen wollen, kann meistens entwischen. Jeder Hell's Angel kann es bestätigen: Es ist eine Kunst, als Gruppe auf einen einzelnen loszugehen, und die Bullen beherrschten diese Kunst an jenem Tag nicht. Während ich mich meiner Haut wehrte, bekam Tiny mit den Bullen Probleme. Als ein Sergeant der Polizei von Alameda Tiny mit seinem Schlagstock auf den Kopf drosch, gingen bei dem bulligen Tiny alle Lichter aus, und er fiel wie ein gefällter Baum zu Boden. Bei seinem Sturz brach er dem Sergeanten ein Bein. Inzwischen stürmten die übrigen Hell's Angels gegen die Bullen an, um mich zu befreien. Am Ende schafften wir es davonzukommen. Nur Tiny wurde von der Polizei aus Berkeley verhaftet, weil er dem Sergeant das Bein gebrochen hatte. Er war der einzige Hell's Angel, den sie schnappten. Wir hatten den Friedenskämpfern, den Bullen und allen anderen im Land klargemacht, auf welcher Seite wir beim Vietnam-krieg standen. Wir waren für den Krieg. Als wir zum Gefängnis kamen, um Tiny gegen Kaution frei zu bekommen, hatten die Bullen das Polizeirevier von Berkeley umzingelt. Der gesamte Bereich war abgesichert. Blöde Bullen. Wir kamen ungehindert durch. Als die Polizisten sich umsahen, waren wir schon da. In Panik verhafteten sie uns alle. Die Nachricht von der Demonstration hatte sich schon über alle Medien verbreitet. Die öffentliche Meinung stand auf unserer Seite. Shirley hatte in ihrer Wohnung in Los Angeles im Fernsehen gesehen, wie mir auf den Kopf gehauen wurde. Viele Leute riefen das Polizeirevier in Berkeley an, um unsere Kautionen zu stellen, so daß die Bullen uns gehen lassen mußten. Anschließend stellten wir die Kaution für Tiny, der sich später in einer weitaus geringeren Anklage für schuldig erklärte und keine Haftstrafe bekam. Wir hatten unseren Standpunkt klargemacht und erreicht, was wir wollten. Allerdings wäre es mir noch lieber gewesen, wenn wir auch diesen beschissenen Weichling Jerry Rubin erwischt hätten. Ich hätte diesem Bastard sogar den Finger abgehackt, um seinen verfluchten Ring zu bekommen. 142
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Als Militärveteran fand ich, daß wir unbedingt zu Amerika halten mußten. Solange es mindestens zwei Menschen auf dieser Welt gibt, wird es auch immer Krieg geben. Wenn man etwas nicht friedlich beilegen kann, muß man eben kämpfen. Wenn man nicht an einem Krieg teilnehmen will, ist das auch okay, aber man sollte die Männer, die in einen Krieg ziehen müssen, nicht auch noch beschimpfen und in den Dreck ziehen. Die Kämpfe zwischen den Hell's Angels und den Friedens-Demonstranten endeten an diesem Oktobertag 1965. Danach erhielt ich vor jedem Protestmarsch eine gerichtliche Verfügung mit der Aufforderung, der Demonstration fernzubleiben. Diese Anordnung an mich gehörte bald zu jedem Verfahren, mit dem die VDC ihre Versammlungen genehmigen ließ. Als einen Monat später wieder eine größere Kundgebung angekündigt wurde, gaben wir eine Erklärung an die Presse, in der wir unsere Abwesenheit erläuterten. Erklärung der Hell's Angels zur sofortigen Freigabe: Wir haben diese Pressekonferenz einberufen, um unsere Haltung gegenüber den Straßenaufmärschen des VDC durch Oakland am morgigen Tag darzulegen. Obwohl wir unsere Absicht deutlich gemacht haben, gegen diese verabscheuenswürdigen, amerikafeindlichen Aktivitäten zu demonstrieren, sind wir im Interesse der öffentlichen Sicherheit und der Wahrung des guten Namens von Oakland der Ansicht, daß wir das VDC nicht auch noch durch unsere Gegenwart legitimieren sollten. Wir beabsichtigen, uns vom Veranstaltungsbereich fernzuhalten, und fordern alle anderen auf, ebenso zu verfahren. Wir sind aus folgenden Gründen zu diesem Schluß gekommen: 1. Wegen unserer patriotischen Sorge darüber, daß diese Leute uns mit dem, was sie unserer großen Nation antun, zu Gewalttätigkeiten provozieren könnten. 2. Obwohl die Mehrheit der US-Bürger mit unserer Meinung übereinstimmt, glauben wir, daß eine gewalttätige AuseinHells Angel
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andersetzung nur dazu dienen könnte, Sympathie für diese Bande von Verrätern hervorzurufen. 3. Wenn es zu Krawallen kommt, wollen wir klarstellen, daß die Hell's Angels nicht das Geringste damit zu tun haben. Jedwede Rechtsübertretung muß dem VDC angelastet werden. Diese Leute sind die veranwortungslose Gruppe in unserem Gemeinwesen. Wir haben diese Angelegenheit mit einigen verantwortlichen, leitenden Persönlichkeiten der Stadt besprochen, und sie stimmen alle mit unserer Haltung überein.
Für die meisten Amerikaner wurden wir plötzlich zu Helden. Kleine Kinder kamen auf uns zu und wollten uns anfassen, Rentner wollten unsere Hände schütteln, und noch viel, viel mehr Frauen wollten auf einmal von uns gevögelt werden. Nach dieser VDCDemo und der landesweiten Fernsehberichterstattung bekam ich säckeweise Post von Leuten, die mir rieten, wie ich mich kleiden und wie ich mich benehmen sollte. Man stellte sich zwar hinter uns und unsere Haltung, wollte uns aber gute Ratschläge erteilen, wie wir uns in der Öffentlichkeit zu verhalten hätten, nachdem wir nun im Scheinwerferlicht des öffentlichen Interesses standen. In Briefen von Amerikanern aller Schattierungen wurde ich, weil ich ihren Standpunkt vertrat, gefragt, ob ich mich nicht rasieren und mir die Haare schneiden lassen wolle. Scheiß drauf. So weit wollte ich nicht gehen. Ich hatte als Freiwilliger in der Army gedient, und obwohl ich an keinem Krieg teilgenommen hatte, gab es während meiner Militärzeit durchaus Krieg. Ich hätte mich gern an die Front schicken lassen oder meinetwegen auch direkt dahinter. Nach einigen Überlegungen schickte ich ein Telegramm an Präsident L. B. Johnson im Weißen Haus und bot ihm die Dienste der Hell's Angels im Vietnamkrieg an. Sehr geehrter Herr Präsident! In meinem und im Namen meiner Freunde biete ich Ihnen eine Gruppe vaterlandstreuer Amerikaner zu Diensten hinter den Linien in Vietnam an. Wir glauben, daß eine schlagfähige 144
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Gruppe gutausgebildeter Guerillas den Vietcong wirksam demoralisieren und der Sache der Freiheit dienen könnte. Wir stehen zur Ausbildung und zum Dienst unverzüglich bereit. Hochachtungsvoll, Ralph Barger Oakland, California Präsident der Hell's Angels Ich bekam einen Antwortbrief von einem Offizier, in dem stand, wir müßten uns freiwillig zur Army melden, wenn wir kämpfen wollten. Das war natürlich unmöglich, weil die meisten von uns vorbestraft waren. Nach dieser ersten Demo in Berkeley baten die Linken uns um ein »Sit-down«, ein Gespräch. Ken Kesey, der Subkultur-Schriftsteller, der auch Einer flog übers Kuckucksnest geschrieben hatte, rief mich an. Wir verabredeten ein Treffen in meinem Haus an der 12th Avenue zwischen den Organisatoren des VDC und den Hell's Angels. Ich kannte Kesey schon, ich hatte Sachen von ihm gelesen und war von den Frisco Hell's Angels mit ihm bekannt gemacht worden. Kesey vereinbarte das Treffen zwischen Alan Ginsberg, Neal Cassady und mir gleich nach unserem ersten Eingreifen in eine Antikriegsdemonstration. Als die Gruppe vor dem »Sit-down« in meinem Haus eintraf, holte Ginsberg seine silbernen tibetanischen Gebetsglöckchen hervor und fing an, in fernöstlicher LotusSitzposition ein buddhistisches Gebet zu singen. Über Ginsberg wußte ich schon Bescheid, aber es kam mir doch reichlich seltsam vor, einen bärtigen Juden im Talar in meinem Wohnzimmer meditieren und singen zu hören. Der erste Punkt der Gesprächsagenda war: Warum hatten wir ihre Leute verprügelt? Wir dagegen wollten wissen, warum sie unsere amerikanischen Militärs nicht in diesem Krieg kämpfen und sich verteidigen lassen wollten. Ein Resultat brachte dieses Meeting allerdings: Ihre Leute wurden bei den weiteren Demos nicht mehr verhauen. Auf alle Fälle kannten sie jetzt unseren Standpunkt. Am Ende kamen Bier und Drogen auf den Tisch, und wir hörten alle die Songs von Bob Dylan »Gates of Eden« und »It's All Over Now, Baby Blue«, was in Ordnung war, obwohl der Typ gar nicht Hell's Angel
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singen kann. Dafür mochte ich diese kleine, dürre Joan Baez und ihre Musik ganz gern. Die Hell's Angels hatten 1965 nicht nur die Linken bei ihren VDC-Demos durcheinander gebracht, auch den Rechten hatten wir ganz schön Angst gemacht. Der kalifornische Justizminister Thomas C. Lynch veröffentlichte, wie schon erwähnt, auf den Druck anderer Politiker hin einen Report, in dem die Hell's Angels als eine Bedrohung der Gesellschaft gebrandmarkt wurden. Der 16seitige Bericht bezeichnete uns als »verrufen« und erklärte, man könne Hell's Angels zwar an ihren Patches, vor allem aber an ihrem Gestank erkennen. »Ihr größter gemeinsamer Nenner«, hieß es, »ist höchstwahrscheinlich ihr ungepflegtes, dreckiges Aussehen.« S. Thompson schrieb in The Nation, in der Ausgabe vom Hunter 17. Mai 1965, einen Artikel über die Hell's Angels, in dem er uns als eine »Motorrad-Gang von Verlierern und Außenseitern« bezeichnete. Mir gefiel dieser Artikel sogar, auch wenn einige Fakten darin übertrieben waren. Die Reaktionen auf den Artikel waren positiv. Dann kam Thompson nach Oakland und war häufiger in den Lieblingsbars unseres Clubs. Schließlich begegneten wir uns zum ersten Mal persönlich. Er erzählte mir, daß er gern mit mir zusammen an unseren Runs teilnehmen und ein Buch über uns schreiben wolle. Weil mir der Stil seiner Schreibe gefiel, ließen ihn die Clubs von Oakland und Frisco mit dabeisein - für einen »Preis« allerdings: zwei Fässer Bier. Mit der Zeit zeigte sich, daß Hunter ein echtes Weichei und ein elender Feigling war. Man las über ihn, daß er in seinem Haus mit geladenen Pistolen herumlief und aus den Fenstern schoß, um die Reporter zu beeindrucken, die ihn interviewen wollten. Thompson ist nur ein ShowMann und sonst nichts. Wenn er bei uns den wilden Mann spielen wollte, endete das jedesmal damit, daß er es mit der Angst bekam. Schließlich konnte ich ihn nicht mehr ausstehen. Für mich war er am Ende nur noch ein großer, dürrer und typischer Hinterwäldler aus Kentucky. Eine einzige Attrappe. Mit einigen Clubmitgliedern kam er jedoch besser aus als mit mir. Tramp, Tiny, Magoo, Buzzard von Berdoo, Zorro, Gut, Skip 146
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und ich fuhren 1966 wieder einmal nach Bass Lake. Thompson folgte uns in seinem Wagen. Wie bei den meisten Treffen der Hell's Angels braute sich auch hier wieder ein Zusammenstoß mit den Bullen zusammen. Da hüpfte Hunter schnell in den Kofferraum seines Wagens, zog von innen die Klappe zu und versteckte sich vor der Polizei. Danach sprach ich kaum mehr ein Wort mit dieser Memme. Als Thompsons Zeit gekommen war, bekam er sein Fett ab. Er wurde von den Hell's Angels so verdroschen, daß er zu Recht schreiben konnte: »Ich traf sie, ich fuhr mit ihnen, und ich wurde von den Hell's Angels fast umgebracht.« Es war eine richtig lächerliche Scheiße, wegen der er seine Tracht Prügel bekam. Thompson war eine ganze Weile nicht mehr mit uns zusammen gewesen, während er sein Buch zu Ende schrieb. Als es fertig war, fragte er uns, ob er mit auf einen Run nach Squaw Rock kommen dürfe. Als wir dort waren, geriet Junkie George mit seiner Old Lady in Streit und gab ihr eine Ohrfeige. Na ja, so was passiert schon mal. Anschließend biß ihn sein eigener Hund ins Bein, und Junkie George wurde darüber so wütend, daß er den Hund trat. Daraufhin ging Hunter zu George und meinte: »Nur Punks schlagen ihre Frauen und treten ihre Hunde!« Da rastete George völlig aus und schlug Hunter nieder, anschließend traten wir anderen auf Thompson ein. Er blutete, war völlig fertig und heulte. Wir sagten ihm, er solle in seinen Wagen einsteigen und abhauen. Hunter fuhr zum nächsten Polizeirevier, aber auch da schmiß man ihn raus. Die Bullen hatten keine Lust, sich von Hunter die Bude vollbluten zu lassen. Ich las das Buch Hell's Angels: A Strange and Terrible Saga (Hell's Angels: Ein seltsames und schreckliches Epos), als es 1967 herauskam. Reiner Schrott. Das schlimmste daran war, daß es zu einer Art Leitfaden über den Club für die Polizei wurde. In dem Buch standen blödsinnige Übertreibungen und unter Drogen und Suff zusammengeträumte Kommentare. Thompson behauptete, Angels würden auf ihre Patches pissen oder müßten ihre Hosen vor dem Anziehen mit Öl und Pisse tränken. Und angeblich sei unser Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Den Scheiß glaubten die Bullen noch jahrelang. Dieser blöde Mythos stammt allein aus Hell's Angel
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Junkie George, der Hell's Angel, der Hunter S. Thompson in den Hintern trat, nachdem Tompson seinen Bestseller über den Club geschrieben hatte.
Hunters Buch. Außerdem hatte Thompson, dieser schäbige Geizhals, nie die beiden vereinbarten Fässer Bier abgeliefert. Alle Hell's Angels hielten das Buch für genau das, was es war: weitgehend erstunken und erlogen und billige Effekthascherei.
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ir veranstalteten 1966 unseren Memorial Day Kalifornien-Run nach La Honda, um uns mit Kesey und seinen Merry Pranksters zu treffen. Sie lebten da in einer richtigen Kommune. Irgendwie waren die Merry Pranksters uns ähnlich - im Unter-
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grund lebende Freigeister -, nur fuhren sie keine Motorbikes, und sie waren auch nicht so gewalttätig. Kesey war ein guter Typ, und er war in Ordnung, also brachte ich ihm ein halbes Pfund Hasch mit nach La Honda. Auf dem Run stoppte ich bei El Adobe, wo sich acht oder zehn andere Hell's Angels unserem Run anschlössen. El Adobe liegt rund 80 Kilometer südlich von Oakland und westlich von San Jose in Richtung Küste. Kesey erwartete uns zwar, aber er hatte vermutlich keine Ahnung, wie sich unsere Ankunft bei ihm gestalten würde. Auf halbem Weg, unweit von La Honda, fingen die Bullen an, uns zu verfolgen. Das Röhren der Auspuffe donnerte durch den Canyon, und die Pranksters konnten uns schon von weither hören. Aber wir hielten nicht, sondern rasten weiter und flitzten schließlich um die Kurve vor der Einfahrt zu Keseys Kommune. Das Tor stand weit offen, wir rauschten hinein, und die Pranksters knallten das Tor sofort hinter uns zu. Die Bullen kamen nach, konnten aber nicht herein. Wir pöbelten sie noch eine Weile an, bis sie schließlich aufgaben und davonfuhren. Kesey verwahrte das Hasch, das ich ihm mitgebracht hatte, an einem sicheren Platz, und wir feierten mit ihm und seinen Pranksters vier Tage lang Partys. Die Pranksters hatten eine Taube als Haustier, die meinetwegen umkam. Die arme, halbverrückte Taube lebte in einem Käfig, sie ernährte sich von Marihuanasamen. Als Tierliebhaber, der ich nun einmal bin, holte ich die Taube aus ihrem Käfig. Da sie aber nicht richtig fliegen konnte, schnappte sich der Hund der Pranksters, Lion Dog, die Taube und fraß sie einfach auf. Damals lernte ich auch Neal Cassady kennen, der mir sehr gefiel. Cassady war der einzige Mensch, der mir je begegnete, der mit fünf Leuten gleichzeitig eine Unterhaltung führen konnte, ohne auch nur ein Wort zu verpassen. Er war einfach beeindruk-kend. Ich glaube immer noch, daß er unten in Mexiko Selbstmord begangen hat. Kesey hatte seine Pranksters später einem Typen namens Babs übergeben und diesen zu ihrem neuen Häuptling gemacht. Neal war darüber wohl enttäuscht, weil er erwartet hatte, daß man ihn zum Boss machen würde. Er fuhr nach Mexiko und nahm sich dort in einem Anfall von Depression das Leben. Hell's Angel
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Nach einer Weile bei den Pranksters brachten wir eine richtig tolle Party in Gang. Wir verstanden einander wunderbar. Auch die Hippie-Mädchen, mit denen wir viel Spaß hatten, waren in Ordnung. Mit Babs wurde ich sofort vertraut, und uns verband später eine lange Freundschaft. Ein paar Hell's Angels kamen mit mir zu Keseys berühmtem Electric Kool Acid Test Schließlich war LSD etwas, das wir alle liebten. Ich weiß nicht, wie ich meine große Vorliebe für LSD richtig beschreiben soll. Ich hatte mit dem Zeug niemals einen schlechten Trip. Zum ersten Mal nahm ich es 1965 - legal! - zusammen mit meiner ersten Frau Elsie. Ich hatte zwei Würfel zu je fünf Dollar gekauft und zu Hause in den Kühlschrank gelegt. Eines Morgens beschlossen wir, weil sonst nichts Besonderes los war, das Zeug einmal zu probieren, um zu sehen, was passieren würde. Etwa eine Stunde später merkten wir immer noch nichts, deswegen sagte ich zu Elsie: »Ich fahr mal rüber zu dem Typ, der mir das verkauft hat. Ich glaube, er hat uns beschissen.« Elsie fand das in Ordnung, und ich ging noch kurz ins Badezimmer. Als ich vor der Toilette stand und pinkelte, sah ich nach oben und entdeckte auf dem Regal eine Schachtel mit »Yogi Bär«Schaumbad. Und ich sah, wie Yogi Bär eine Katze um die Schachtel herumjagte. Ich kriegte einen tierischen Schreck, so daß ich beinahe auf den Fußboden pinkelte. Ich rief nach Elsie, damit sie ins Bad kam. »Mach dir keine Sorgen«, erklärte ich ihr, »wir sind nicht betrogen worden. Das wirst du in ein paar Minuten selbst sehen.« Mir war so verrückt komisch zumute, das mußte ich unbedingt Skip erzählen. Es war noch früh am Morgen, also stieg ich auf mein Motorrad und fuhr auf dem Highway in die Richtung von Skips Haus. Ich fuhr so schnell, daß die Straße senkrecht vor mir zu stehen schien, während das Vorderrad meines Bikes immer wieder versuchte, den Asphalt herunterzudrücken. Als ich zu Skip kam, war ich froh, vom Highway runter zu sein, denn ich war überzeugt, daß ich gerade lebensgefährlich schnell gefahren war. Aber als ich während der Fahrt auf den Tacho geguckt hatte, standen dort nur 50 km/h. Ich versuchte, Skip zu erzählen, was 150
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mir gerade passiert war, aber ich fürchte, alles was ich sagte, machte keinen rechten Sinn. Dann kam Waldo vorbei, und wir drei mußten irgendwohin fahren. Ich saß mit Skip und Waldo im Wagen, und wir fuhren in die Nähe von Oakland zum Lake Merritt. Wir hielten an einem Stopschild, da hörte ich plötzlich einen überlauten, rauschenden Wasserfall aus dem See kommen. Es gab aber gar keinen Wasserfall; nur ein Rinnsal Wasser, das in den Abflußkanal tropfte. Das war mein erster LSD-Trip, und ich fand ihn herrlich! Mir war klar, daß ich nicht jeden Tag solchen Scheiß machen konnte und nicht allen erzählen durfte, wie klasse ich das fand. Denn sonst wäre bald der ganze Club permanent auf LSD gewesen, was eine ziemlich gruselige Vorstellung war. Im November 1965 steckten Tramp und George »Baby Huey« schon tief im Drogenbusineß auf der Haight-Ashbury-Szene, und die Blumenkinder schufen einen ansehnlichen Marktplatz für den Drogenhandel. George schreibt in seinem Buch, daß er und Owsley Stanley das meiste LSD für Haight-Ashbury herbeischafften. Es gab immer reichlich Vorrat an Acid, und ich kaufte eine Menge davon. Das beste LSD, das wir damals bekamen, stammte aus der Schweiz und war reines Sandoz. Das Zeug gab es in 25-MilligrammTabletten. Davon konnte man bis zu vier Stück nehmen, je nachdem, wie »aufgeladen« man sein wollte. 60er Jahre waren die besten Zeiten, die die Hell's Angels je Dieerlebten. Jeder Hippie war nur allzugern bereit, dir seine Old Lady zum Ficken zu überlassen, manchmal wollte er als Gegenleistung ein bißchen Motorradfahren. Es gab einen Riesenunterschied zwischen den Hippies in San Francisco und den Anti-kriegsRadikalen in Berkeley. Die Hippies in San Francisco waren liebe, nette Typen, die einfach nur keine Lust hatten, zu arbeiten oder zur Schule zu gehen. Sie wollten lieber high sein, vögeln und Partys feiern. Die Leute in Berkeley waren idealistische Studenten, die klare linksgerichtete politische Ansichten hatten und dementsprechend handelten. Einige von ihnen waren auch gewalttätig, aber keine echten Schlägertypen. Sie schlichen eher herum, jagten Gebäude in die Luft und verursachten Chaos. Hell's Angel
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Wir hatten tatsächlich viel mit den Hippies gemeinsam, aber ob es der kalifornische Justizminister Thomas C. Lynch nun glauben mag oder nicht: Wir wuschen uns öfter. Wir hingen auch gern auf der Haight Street herum, und viele Hell's Angels hatten schon lange Haare, bevor die Hippies ihre wachsen ließen. Als er 1962 ums Leben kam, hatte Bobby Zimmerman, der Präsident der Hell's Angels von Berdoo, seine Haare bis zur Taille hängen. Terry the Tramp hatte in der ersten Zeit ganz lange Haare, und sein Kleidungsstil war eine Mischung aus den Lederklamotten der Motorradfahrer von 1950 und den psychedelischen Harley-Bikern von 1960. Das war ein Look, den sehr viele Hippies und auch die meisten Rock'n'Roll-Bands übernahmen. Es war der Look, der Amerika im Magazin Life vorgeführt wurde. Ich ließ mir nie die Haare wachsen, denn meine Haare sind kraus, und das wäre mir zu unpraktisch gewesen. Außerdem fuhr ich die meiste Zeit Motorrad, und dabei hätten sich meine Haare unentwirrbar verzottelt. Statt dessen trug ich lieber einen langen Kinnbart, einen »Goatee«, also einen Ziegenoder Spitzbart. Das jagte einigen Leuten mehr Angst ein. Etliche Hell's Angels trieben sich gern in der Hippieszene herum. Es gab zum Beispiel einen Angel namens Gut, der nach Oakland kam und dort die Band Blue Cheer gründete, eines der lautesten Power-Rock-Trios, die es je gab. Als Chocolate George Hendricks, ein Mitglied der Hell's Angels von San Francisco, starb, feierten wir zu seinem Gedächtnis eine Riesenparty im Golden Gate Park. Die Hippies liebten und verehrten Chocolate George. Er sah aus wie einer von ihnen, war aber durch und durch ein Hell's Angel. Während der »Flower Power«-Zeit wurde er gerade aus dem Knast entlassen. Er traute seinen Augen kaum, als er zum ersten Mal die Szene auf der Haight Street sah. Es gibt ein berühmtes Poster von Chocolate George auf seinem Motorrad an der Spitze einer Parade, bei dem hinter ihm ein Hippie-Mädchen auf seinem Bike steht. Wegen dieses Posters wurde er sogar einmal verhaftet. Die Bullen sahen darin eine Übertretung seiner Bewährungsauflagen und schickten ihn zurück in den Knast. Wir verstanden uns auch gut mit den Jungs von Grateful Dead, die wir bei den Frisco Hell's Angels kennenlernten. Mir war, als 152
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Die Hippies hebten Chocolate George Hendricks, einen Hell's Angel aus San Francisco, hier in Haight-Ashbury fotografiert. Gene Anthony
hätte ich Jerry Garcia schon mein ganzes Leben lang gekannt. Er war ein Mann nach meinem Geschmack. Ich vermisse ihn. Er mochte und respektierte die Hell's Angels. Wenn man als Hell's Angel zu einem Konzert der Grateful Dead kam, brauchte man niemals Eintritt zu bezahlen. Während des sogenannten »Summer of Love« 1967 kamen viele Hell's Angels zu dem großen »Be-In« im Golden Gate Park, weil die Frisco-Gruppe der Angels und Tramp und Fu mit den Musikern befreundet waren. Bill Graham Hell's Angel 153
schenkte uns immer Freikarten für seine Gigs im Fillmore und in der Longshoreman's Hall. Einmal stand irgendein Arschloch als Türsteher vor so einem Konzert und wollte mich nicht hineinlassen. Erst als ich drohte, das ganze Haus abzufackeln, ließ er mich durch. Die Hell's Angels veranstalteten auch eigene Wohltätigkeitskonzerte und Jahrespartys in der Longshoreman's Hall, bei denen Grateful Dead, Janis Joplin, Big Brother and the Holding Company sowie Blue Cheer und Gold Blood auftraten. den späten 60er und frühen 70er Jahre begann ich, mit FilmInleuten zusammenzuarbeiten. Für ein Honorar von 5000 Dollar durften sie meinen Namen in ihren Drehbüchern benutzen. Das war damals ein Jahreslohn. Nachdem wir Hell's Angels on Wbeels gedreht hatten, brachte der Produzent Joe Solomon eine ganze Reihe Biker-Filme heraus. Wir wurden gute Freunde. Er bezahlte mich als technischen Berater bei jedem Biker-Film, den er drehte, und er schickte mir immer das Drehbuch; ich las es durch und empfahl ihm einige Änderungen. Dann setzte er meinen Namen in die Credits und zahlte mir ein Honorar als Fachexperten. Damals zahlte die Filmgesellschaft allen HAMC-Charters - San Bernardino, San Diego, Frisco, Richmond, Oakland und den Nomads von Sacramento - je 25000 Dollar. Das war ein Haufen Geld. In den 60er Jahren drehten plötzlich alle möglichen Studios Biker-Filme. Peter Fonda drehte mit Nancy Sinatra The Wild Angels, und in der Werbung hieß es, der Film basiere auf echten Hells-AngelsErlebnissen. Peter Fonda war mit Hunter Thompson in dieselbe Schule gegangen - »Chickenshit High«. Wir verklagten den Produzenten Roger Corman auf fünf Millionen Dollar Schadenersatz und drohten ihm, ihn zum Krüppel zu schlagen. In einem Vergleich einigten wir uns auf 10 000 Dollar und nahmen unsere Drohung mit Bedauern zurück. Bis heute haben wir die Vorschrift in unserer Satzung, daß keine Filmgesellschaft ein Hell's Angels Patch benutzen darf, wenn sie dafür nicht die Erlaubnis der Mitglieder bekommen hat. Easy Rider, angeblich der beste Biker-Film, der je gedreht wurde, war eigentlich gar kein Biker-Film, sondern ein Film über zwei Drogendealer, die zufällig auf Motorrädern durch das Land fuh154
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ren. Und wieder war »pretty boy« Peter Fonda mit von der Partie. Joe Solomons Film Hell's Angels on Wheels kam 1967 - noch vor Easy Rider - heraus. Solomon war der erste Produzent, der an uns herantrat, um unsere Genehmigung für den Film zu bekommen. Er bezahlte uns dafür, und obwohl weder das Honorar noch der Film besonders gut waren, hatten wir etwas zu tun, etwas, das wir machen konnten, ohne uns besonders anzustrengen. Biker-Filme waren billig produzierte Streifen für Drive-in-Kinos. Hell's Angels on Wheels war der erste Film mit einer ernsthaften Rolle für Jack Nicholson. Nicholson spielte einen gelangweilten jungen Tankwart namens Poet, der mit dem Club in Kontakt kommt und sich Hals über Kopf entschließt, bei den Hell's Angels mitzumachen: Poet kämpft mit den Angels gegen einen rivalisierenden Club und wird als Mitglied aufgenommen. Während der Dreharbeiten paßte sich Nicholson den Angels wunderbar an, was dem Hauptdarsteller Adam Roarke wesentlich schwerer fiel. Am Drehort glaubten einige aus der Filmcrew, Nicholson sei Mitglied einer Hell's Angels Gruppe, weil er seine Rolle so überzeugend spielte. Selbst einige unserer Mitglieder hielten Jack für einen echten Angel. Nachdem Hell's Angels on Wheels in Oakland abgedreht war, trafen wir uns alle im Hangover Club, um zu feiern. Die Bar lag direkt um die Ecke von Skip Workmans Haus. Wir waren zu zwölft in der Bar und betranken uns, als ein Sergeant der Polizei von Oakland mit einigen Rekruten hereinkam. Sie sahen uns und hauten sofort wieder ab. Wir ahnten nichts Gutes bei ihrem Verschwinden. Nach einer Weile kam der Sergeant mit noch mehr Bullen zurück. Der Sergeant zog seine Handschuhe an und spielte den wilden Mann. Mit zehn anderen jungen Bullen hinter sich ging er auf Skip zu und brüllte ihn an: »Du bist besoffen!« Skip sah langsam von seinem Bier zum Sergeanten und sagte nur: »Fuck you!« Es wurde ein fairer Kampf. Keine Pistolen. Keine Schlagstöcke. Nur Stühle, Hocker, Gläser und Fensterscheiben gingen zu Bruch. Dann forderten die Polizisten Verstärkung an, und kurze Zeit später waren rund 40 Bullen im Hangover Club. 29 von ihnen landeten im Krankenhaus. Neun von uns wurden verhaftet. Zum ersten Hell's Angel
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Mal in meinem Leben entwischte ich ihnen - völlig ungewöhnlich für mich, weil ich normalerweise immer bleibe, bis der letzte Fausthieb ausgeteilt ist. Mitten in dem Aufruhr ging ich einfach in den Hinterhof, schwang mich auf mein Bike und fuhr davon. Niemand hielt mich auf. Am nächsten Tag rief mich Joe Solomon an und las mir die Schlagzeile in der Zeitung vor: ANGELS FÜHREN KRIEG GEGEN DIE POLIZEI VON OAKLAND. Er nannte das den »Traum eines Produzenten«. Wir hatten das wirklich nicht geplant. Aber so was passiert nun mal zwischen den Bullen und den Hell's Angels. Als Hell's Angels on Wheels in den USA in die Kinos kam, reiste ich auf Werbetour durch das ganze Land. Damals hatten Filme nicht in vielen Städten gleichzeitig Premiere wie heute, sondern sie hatten nur in wenigen Orten Premiere und erst danach wieder in anderen. Ich flog in alle Städte, um für den Streifen Werbung zu machen. Da lieh ich mir dann ein Motorrad und fuhr mit meinem Hell's Angels Patch zur Premiere. Manchmal hielt ich auch eine kleine Ansprache. Auch in Drive-in-Kinos tauchte ich auf einem Motorrad auf. Einer unserer Biker-Filme eröffnete in Texas in derselben Woche wie Paint Your Wagon mit Lee Marvin aus The Wild One in der Hauptrolle. Wir schlugen mit unseren Einnahmen seinen Film. Tut mir leid, Chino! Nachdem Hell's Angels on Wheels gelaufen war, setzte sich das Produktionsbüro von Dick Clark wegen eines weiteren Films mit uns in Verbindung. Clark, ein netter Kerl, kam nach Oakland, um mit uns über den Film zu sprechen. Damals fuhr ich eine umgestylte schwarz-blaue Corvette, die in einer Auto-Show einmal den zweiten Preis geschafft hatte. Clark fuhr einen »frisierten« Ford. Er wollte unbedingt mit mir den Wagen tauschen, weil ihm meine Corvette so gut gefiel. (Nebenbei gesagt: Diese Corvette brachte mich mal in Schwierigkeiten mit dem Finanzamt. Ich hatte den Wagen bei einer Sportwagen-Ausstellung angemeldet, und der Designer des Flitzers sagte mir, es habe 12000 Dollar gekostet, ihn umzubauen. Der Finanzamt-Arsch, der gerade meine Einkommenserklärung geprüft hatte, sah den Wagen, erfuhr von den 12 000 Dollar und fragte mich daraufhin, wieso ich nur 6 000 Dollar Einkommen für das ganze Jahr deklariert hatte.) 156
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Nachdem Clark wieder abgereist war, fuhren wir mit seiner Filmcrew nach Half Moon Bay in eine Gegend, die wir Stumble Creek nannten, weil die Hell's Angels dort gern »Reds« - Roten Afghanen - rauchten und dann im Rausch durch die Gegend stolperten. Ich rauchte auch an diesem Tag eine ganze Menge »Reds«, und als ich aus meinem Rausch erwachte, war die Filmcrew schon wieder abgereist. Sie hatten etliche Szenen gedreht und wollten noch weiter drehen, aber im Drehbuch stand, daß am Ende ein Hell's Angel erhängt werden sollte. Die Angels, die noch bei Bewußtsein waren, erlaubten das nicht. Die Filmcrew bestand aber darauf. Am Ende hauten die Filmleute einfach ab, und der Film wurde nie fertig gedreht. 1968 machten wir einen weiteren Film. Die Clubhaus-Szenen für Hell's Angel '69 wurden im Clubhaus der Angels in Daly City gedreht Diesmal hatten einige prominente Mitglieder der Angels aus unserer Gruppe sogar Sprechrollen, darunter Tramp, Skip und ich. Die Wüstenszenen wurden in der Mojave-Wüste in der Nähe von Red Rock Mountain gefilmt. Für das Dirtbike-Rennen besorgten wir uns ein paar Geländemaschinen, die wir normalerweise nicht anrühren würden. Aber sie gehörten nun mal zum Drehbuch, und das Ganze machte uns außerdem einen Riesenspaß. Ich muß sagen, daß dieser Film ziemlich stimmig ist in der Weise, wie wir gezeigt wurden und uns benahmen und welche Harleys wir zu jener Zeit fuhren. Die Szenen in Hell's Angel '69, in denen wir bei einem Casino in Las Vegas vorfahren, wurden in Wirklichkeit in Kalifornien gedreht, und zwar vor der Teamsters Union Hall, einem Gewerkschaftshaus in Mountain View. Es bekam für die Dreharbeiten eine neue Fassade verpaßt und sah aus wie eine Miniatur von Caesar's Palace. Wir wollten nicht nach Las Vegas gehen, um dort zu filmen. Wenn man bei der Szene, in der die Hell's Angels ins Casino hineinfahren, genau hinguckt, erkennt man, daß mein Double eine Sportster fährt. Bei den Nahaufnahmen aber sitze ich auf Sweet Cocaine, meiner Harley 74, die ich extra für diesen Film gebaut hatte. Tramp sorgte am Set für Rummel und Bewegung. Er kennt nun mal keine Zurückhaltung und stellte mitunter die verrücktesten Hell's Angel
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Hell's Angels '69 zeigte das rauhe und wilde Leben des Clubs besser als jedes andere Biker-Movie aus der Zeit.
Sachen an. Einem Mädchen, das in dem Film eine Nebenrolle spielte, gab er ohne ihr Wissen LSD. Als er sie dann anbaggerte, rastete sie völlig aus. Er versuchte trotzdem, sie in ihrem Wohnwagen zu Ficken, und als sie nein sagte, konnte Tramp einfach nicht begreifen, warum. Ich wurde für die Sprechrollen in diesen Filmen ausgesucht, weil ich nun einmal der Präsident des Oakland-Charters war. Wäre ich nicht Officer gewesen, hätten die Filmleute wahrscheinlich jemand anders genommen, jemanden, der mehr aus sich herausging und ein besserer Schauspieler war als ich, vielleicht Johnny Angel, Hi Ho Steve, Winston oder Magoo. Hell's Angels '69 ist der einzige Film, der wirklich und authentisch das wilde, rauhe 158
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Leben des Clubs zeigte. Während der 60er Jahre machten wir tatsächlich nur, was wir wollten und was uns paßte. Wir kombinierten die damalige »Peace and Love«-Stimmung mit unserer eigenen, privaten Gegenkultur, und das klappte wunderbar. Infolge all der Bücher, Filme, Wochenschauen und Zeitungsberichte über uns entwickelten wir eine regelrechte Haßliebe zu den Medien und der Öffentlichkeit. Wir waren eben weit mehr als nur Outlaws jedenfalls gefährlicher als liebenswert -, aber wie ich schon gesagt habe: Gar keine Publicity ist schlechte Publicity. Die Bücher, Filme, Magazine und Zeitungen beschrieben uns als Wilde, die nicht nur Polizisten durch die Gegend prügelten, sondern auch Normalbürger und sogar unsere Mütter - oder jedenfalls beinahe ... Als die Hollywood-Western an Attraktivität verloren, übernahmen die Biker-Movies, diese B-Pictures, ihre Rolle und wurden überall im Lande gezeigt - auch in den Kleinstädten und den Driveins, wo die Kids einmal richtig wilde Action bestaunen konnten. Nachdem Roger Cormans 1967er FilmWild Angels zur Eröffnung der Biennale in Venedig gezeigt worden war, setzte in Amerika eine richtige Flut von billigen Motorradfilmen ein, von denen fürchterlich viele das Wort »Angels« im Titel hatten: Naked Angels, Angels Unchaineä, Angels Die Hard, Angels from Hell und Black Angels. In den Drive-ins wurden Triple-Feature-Filme gezeigt, zu denen solche Streifen wie The Glory Stompers, The Mini-skirt Mob, The Losers und Werewolves on Wheels gehörten. Es war total überdreht und übertrieben. Wir wurden dargestellt wie Wikinger unter LSD, die quer durch Kalifornien reihenweise Mädchen und Frauen vergewaltigten und auf Motorrädern herumrasten, die in der Hölle geschmiedet waren. Dieses Bild wurde den Menschen verkauft und eingetrichtert, und das war kostenlose Publicity für uns. Und es gibt schließlich nichts an Publicity auszusetzen, besonders wenn Geld, Girls und Bikes dazugehören.
Titelblatt eines im Februar 1966 erschienenen Magazins, das wahrheitsgetreu viele haarsträubende und schlimme Begebenheiten aus dem Leben des Hell's Angels Clubs enthüllte.
8 PORTERVILLE
I
n der ersten Zeit der Hell's Angels machten wir mit unseren Maschinen keine großen Runs. Wir fuhren kaum einmal über die Staatsgrenzen von Kalifornien hinaus. Meist blieben wir in der Gegend um Oakland. Ein Trip nach San Jose - das sind etwa 80 Kilometer - und zurück galt schon als großer Run. 800-Kilo-meterRuns wie nach San Bernardino in den späten 50er Jahren -Mann, das war ein richtiges Abenteuer! Damals war man auf den Highways ein ganz besonderer Anblick und traf nur selten einen anderen Motorradfahrer. Wenn mal einer auftauchte, dann winkte man einander zu. So wenig Biker gab es zu der Zeit, als ich den Club gründete. Heute ist der USA-Run eines der alljährlichen Ereignisse bei den Hell's Angels. Jedes Mitglied, das sich für zwei Wochen freimachen kann, versucht, dabei zu sein. Es dauert für gewöhnlich eine Woche, quer durch das ganze Land zu fahren, und eine weitere Woche, um wieder zurückzukommen, plus ein paar Tage am Zielort. Bei den USA-Runs treffen sich die Clubs immer in der Mitte des Landes. Die Clubs an der Ostküste wechseln sich alljährlich mit den Clubs an der Westküste als Sponsoren ab. Es gibt aber auch Weltfahrten, die abwechselnd in Europa und in den USA abgehalten werden. Manchmal finden sie auch in Australien, Kanada oder Brasilien statt. Wenn der Run in den USA gesponsert wird, versuchen wir, den USA-Run mit der Weltfahrt zu verbinden. Bass Lake war einer unserer Lieblings-Zielorte. 20 Kilometer von der Einfahrt des Yosemite Parks liegt Bass Lake nur zehn Kilometer vom geographischen Mittelpunkt Kaliforniens entfernt. Hell's Angel 161
Dadurch ist die Strecke von San Francisco fast genauso weit wie von Los Angeles und damit der ideale Ziel- und Treffpunkt in der Wildnis für alle örtlichen Gruppen der Hell's Angels. Während unserem ersten Run nach Bass Lake fuhren wir mit leichtem Gepäck. Keine Schlafsäcke - ein Sack hinten auf dem Bike sah einfach nicht cool aus. Und wenn man eine Old Lady hinter sich sitzen hatte - wo wäre da noch Platz für einen Schlafsack gewesen? Es gab auch keine Zelte oder gar Proviant, und in einem Motel zu übernachten - das konnte man vergessen. Selbst wenn wir das Geld dafür gehabt hätten, wer würde schon einem Haufen Hell's Angels Unterkunft gewähren? Also hielten wir abends einfach am Straßenrand, feierten eine Party und schliefen einfach dort ein, wo wir hinfielen. Nachts zündeten wir große Lagerfeuer an und wachten dann morgens von Asche berieselt und nach Holzfeuer stinkend wieder auf. Wir klärten bei den Runs nach Bass Lake auch viel böses Blut zwischen unseren Mitgliedern. Wenn mit irgendeinem anderen Mitglied ein Konflikt gärte, der noch nicht beigelegt war, dann wußte man, daß es am Bass Lake Gelegenheit gab, das auszufechten. Eine bessere Möglichkeit dafür gab es gar nicht. Keine Bullen weit und breit, nur Angels auf allen Seiten, allzeit bereit, die Waffen zu kreuzen. weitere Lieblingsbeschäftigung der Oakland Hell's Angels Eine waren die Bakersfield-Treffen. Andere Clubs hatten auch ihre Patches, und es gab eine Menge Motorradclubs in Kalifornien - ganz besonders in der Umgebung von Los Angeles -, die auch zu solchen Treffen fuhren, aber wir waren vollkommen anders. 40 oder 50 unserer Mitglieder trafen sich mit ihren Motorrädern beim Clubhaus und fuhren los. Wenn wir in Bakersfield ankamen, drehten die Normalo-Einwohner durch. Sie konnten unser Auftreten und unser Aussehen einfach nicht fassen. Etliche von uns trugen ihre Haare bis zu den Hüften und hatten wallende Barte. Wir fuhren »abgespeckte« Harleys und keine Full Dressers und waren auch nicht wie die anderen Motorradfahrer von Kopf bis Fuß schick in Leder gekleidet. Unser Erkennungszeichen waren unsere Tätowierungen. Wo immer Hell's Angels auftauchten, sof162
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fen sie alle anderen unter den Tisch, vögelten rum und schlugen bei Prügeleien alle anderen krankenhausreif. Wenn sie uns nur von weitem sahen, drehten sich die Leute um und gingen in die andere Richtung. Sie hatten ganz einfach Angst vor uns. Wir machten die Show. Meistens waren wir viel zu pleite, um irgendwo Eintritt zu zahlen, also kampierten wir immer am Straßenrand. Die Bullen wurden jedes Mal fast irre und benahmen sich wie ängstliche Schulmädchen. Das war noch vor der Zeit, als die Rechtshilfevorschriften erlassen wurden, deshalb konnten die Bullen nicht im Nachbarbezirk Verstärkung anfordern. In den Bars von Bakersfield gab es für gewöhnlich Streit zwischen Hell's Angels und den Okies. Cowboys und Biker sind einander seit eh und je spinnefeind. Wenn man sie in einen Raum zusammensteckt, gibt es immer Randale. Viele dieser Cowboytypen arbeiteten auf den Ölfeldern oder bei den Farmern, und eine Menge von ihnen war in den 30er Jahren aus der Oklahoma Dust Bowl hierhergekommen. Mann, die liebten Schlägereien geradezu, und sie waren beinharte Kerle. Wir waren ihnen in vielerlei Hinsicht wohl ähnlich, nur daß die Bakersfield Okies Trucks fuhren oder auf Pferden kamen. Wir Angels fuhren unsere Motorräder. Am liebsten prügelten wir uns in den Bars. Und genau wie die Hell's Angels riefen auch die Okies nie nach der Polizei, wenn es richtig heftig zur Sache ging. Wenn Scraggs dort unten in den Bars musizierte, dann stellten wir immer die ganze Bude auf den Kopf. Wir mochten Countrymusik gern, und wenn die Randale vorüber war, dann setzten wir uns alle gemütlich zusammen und soffen, bis wir total behämmert waren. Die Okies waren nicht die einzigen, die uns Angels herausforderten. Auch die Bullen glaubten immer, sie könnten uns fertigmachen. Von Anfang an sahen es die Oakland-Bullen als ihre Aufgabe an, den Hell's Angels das Leben schwer zu machen. Das ging mit Strafzetteln oder anderen lächerlichen Anschuldigungen los. Wenn Polizisten in Pension gingen oder versetzt wurden, versuchten ihre Nachfolger - meist Polizeirekruten - erst einmal ihr Mütchen an uns zu kühlen. In mittlerweile 40 Jahren habe ich drei Hell's Angel
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oder vier Generationen Bullen erlebt, die uns allesamt ums Verrecken zur Strecke bringen wollten. Das ist bis jetzt nicht geschehen, und es wird auch niemals passieren. In den 50er und 60er Jahren war Oakland ein ziemlich rauhes Pflaster, eine Arbeiterstadt, die kaum von der Glitzeratmosphäre von Frisco-by-the-Bay beeinflußt wurde. Damals gab es Bullen in Oakland wie zum Beispiel Tommy. Wenn er in Zivil erschien und man nicht gerade besoffen war, dann prügelte man ihn windelweich. Wenn er einen zusammenschlug, dann war man volltrunken und richtete groben Unfug an und wanderte deshalb für ein paar Stunden in den Knast. Für 15 oder 20 Dollar Kaution war man kurze Zeit später wieder auf freiem Fuß. Es gab einen Bullen der Sittenpolizei namens Bob, der war so ein typischer Oakland Cop alten Stils. Bei Randale nahm der sein Polizeiabzeichen ab und kämpfte Mann gegen Mann, natürlich »außerdienstlich«. Die Oakland-Bullen verloren auch nicht viele solcher Kämpfe; das waren ziemlich kräftige Burschen. In den frühen Tagen der Hell's Angels gab es eine ganze Menge Oakland-Bullen wie Tommy und Bob. Das waren Männer, die ihre Patrouillengänge machten und sich in Form hielten. Sie fuhren nicht in klimatisierten Polizeiwagen herum, aßen Doughnuts und telefonierten mit ihren Freunden oder Freundinnen wie heute. Einmal kam eine Gruppe Oakland-Bullen an der Biker-Bar »Frank's Place« vorbei, griff sich einen Trupp unserer Mitglieder, verprügelte sie erbärmlich und steckte sie dann in Arrestzellen. Hinterher sagten diese Bullen zu mir: »So - nun sind wir quitt für vorigen Monat.« Wir hatten jede Menge Bars und Kneipen als Treffpunkte in der gesamten Fast Bay. Der Sinner's Club lag ganz in der Nähe des Hauses, in dem ich in East Oakland aufgewachsen war. Damals gab es auch noch das El Cribbe, das inzwischen abgebrannt ist. Ein weiterer Hell's-Angel-Hangout war das Tail's End, und wir gingen auch immer noch ins Circle Drive-In, wo wir zu unserer Highschool-Zeit rumgehangen hatten. Ein Durchschnittstyp hätte sehr wahrscheinlich ein paar an die Backen bekommen, wenn er zufällig in eine unserer damaligen Kneipen gestolpert wäre. Gelegentlich schlugen wir uns auch mit »Normalbürgern« herum; meistens mit den Säufern unter ihnen. Ich bin vermutlich viel häufiger 164
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wegen meines Nicht-Trinkens mit Leuten aneinandergeraten als andere Krach kriegen, weil sie besoffen sind. Das lief meist so ab: Jemand lud mich zu einem Drink ein; dann sagte ich, okay, ich nehme eine Cola. »Ach, Du willst nicht mit mir trinken?« »Ich trinke keinen Alkohol.« »Na gut - fuck you!« Dann ging die Keilerei los, und der Barkeeper trat ein paar Schritte zurück und sah zu, wie Scheiße und Fäuste flogen. Wir hatten mal eine Riesenschlägerei in der El Adobe-Bar. Sowas gab es da zwar häufiger, aber diese Prügelei war ganz besonders. Das El Adobe war zu der Zeit praktisch unser Clubhaus. Es lag ein wenig abseits und hatte einen dreieckigen Parkplatz. Ein riesenhafter Schwarzer - mehr als zwei Meter lang und einfach gigantisch mit seinen gewaltigen Armen und Fäusten so groß wie Schreibmaschinen - kam ins El Adobe, wohl wissend, daß es die Stammkneipe der Hell's Angels war. Er kippte auf die Schnelle sieben oder acht Drinks und fing dann an zu prahlen, wie er jeden Hell's Angel durchprügeln würde, der sich an ihn herantraute. Er war schon ein knallharter Motherfucker und schwer zu schlagen, aber er bekam trotzdem seine Ladung ab. Wir brauchten sechs Leute von uns, um ihn fertigzumachen. Bei so einem Klotz von Kerl muß man schon verdammt hart zuschlagen, wenn man ihn umhauen will. Jedenfalls verließ er das El Adobe auf allen vieren und schwor dabei, noch am selben Abend zurückzukommen und Rache zu nehmen. Vorsichtshalber postierten wir zwei Leute auf dem gegenüberliegenden Dach mit AR-15-Gewehren. Aber der schwarze Riese kam nie wieder. 1962 waren acht oder zehn von uns in La Val's Pizza Parlor, der genau am Nordende des Campus der Berkeley-Universität liegt. Da kam eine Gruppe Football-Spieler der University of California nach dem Training dort herein und spielte sich auf wie sonst was. Sie waren etwa in unserem Alter, aber es waren College-Boys, die sich einbildeten, besonders tough zu sein. Die Bubis führten sich auf wie verwöhnte Kinder aus reichem Haus, die dringend eine Lektion brauchten. Einer von ihnen wurde frech zu LittleJoe. Hell's Angel
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20. November 1968 : Eine typische Beisetzungsparade der Heil s Angels m Napa, Kalifornia, für ein verstorbenes Mitglied, Tex Hill, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Rund 250 Clubmitglieder erwiesen ihm die letzte Ehre. Photograph Courtesy of Oakland Tribüne
»Laß dir das nicht gefallen«, sagte ich zu Joe. »Knall ihm doch einfach eine!« Little Joe schlug hart und heftig zu, und auf einmal hatten wir die schönste Massenschlägerei mit dem Cal-Footballteam. Foot166
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ballspieler sind zwar kräftige Jungs, aber sie bekamen ihre Pakkung von uns. Wir boxten einander quer durch das Lokal, die Treppen rauf und hinaus ins Freie. Als die Bullen angefahren kamen und sahen, daß wir Hell's Angels waren, verhafteten sie uns nicht. Sie schickten vielmehr die Footballkids zurück in ihre Schlafsäle. Nachdem wir die College-Boys geschlagen hatten, waren wir damit einverstanden, ebenfalls davongeschickt zu werden. Als wir aufbrechen wollten, konnte einer von uns sein Bike nicht starten. Johnny Angel trat immer wieder auf seinen Kickstarter, aber sein Motor wollte ums Verrecken nicht anspringen. Da wurden die Bullen ärgerlich und frech. Jeder von uns, dessen Motor lief, habe sich sofort zu verpissen, hieß es. Ich erwiderte einem Polizisten, wir würden erst dann wegfahren, wenn der letzte von uns sein Bike in Gang gebracht hat -nicht eine Sekunde eher. Der Berkeley-Bulle wollte nichts davon hören. Wir sollten unverzüglich die Stadt verlassen. Ein Bulle wies auf meine Maschine: »Deine läuft doch, also hau ab!« Da stellte ich meinen Motor ab und sagte ihm, der Motor würde nun wahrscheinlich nicht wieder anspringen. Wir tauschten harte Worte und böse Blicke. Dann sagte ich zu den Bullen: »Paßt auf, ihr Arschlöcher, wir fahren weg, wenn mein Kumpel seinen fucking Motor gestartet hat - und nicht vorher!« Daraufhin verhafteten sie mich. Die Anschuldigung: Widerstand gegen die Staatsgewalt und schmutziges Fluchen vor Frauen und Kindern. Man brachte mich in das Untersuchungsgefängnis von Berkeley, aus dem mich meine Freunde gleich wieder gegen Kaution herausholten. Keine größere Sache. Am nächsten Tag war ein Bericht in den Zeitungen über die Schlägerei zwischen den Hell's Angels bei La Val's. Wenn ich mich schuldig erklärte, hieß es, würde ich wohl mit einer Geldstrafe davonkommen. Ich bestand jedoch auf einer Gerichtsverhandlung und nahm mir einen Anwalt, der damals noch ein blutiger Anfänger war. Und ich war ein ziemlich grüner, rebellischer Junge und Angeklagter. Bei der Verhandlung sagte der Staatsanwalt den Geschworenen, daß ich trotz der Aufforderung zu verschwinden den Polizisten folgendes geantHell's Angel
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wortet hätte: »Ich werde erst dann verschwinden, wenn mein fukking Bike anspringt.« Damals war es per Gesetz verboten, solche Flüche vor Frauen und Kindern zu benutzen. Das Gericht hatte die Anklage wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt bereits fallenlassen, aber die Anklage wegen Fluchens stand noch zur Verhandlung, und ich hätte dafür einige Monate Gefängnis bekommen können. Die Polizei und der Ankläger hatten ihre Beschuldigungen vorgetragen, verzichteten auf die Anhörung von Zeugen und verließen sich auf die Aussagen der Polizei. Die Geschworenen berieten und kamen dann mit einer Frage an den Richter zurück in den Gerichtssaal. Eine ältere Dame von etwa 70 war die Sprecherin der Jury. »Wir haben eine Frage, Euer Ehren.« »Und welche ist das?« »Wo sind die Frau und das Kind, vor deren Ohren der Angeklagte angeblich geflucht hat?« Mein Anwalt begann zu lächeln und flüsterte mir zu: »Jetzt haben wir's geschafft!« Eine halbe Stunde später verkündete die Jury ihren Spruch: Nicht schuldig! Ich war selig; es war mein erster Prozeß und der erste Konflikt mit dem Gesetz, den ich erfolgreich bestanden hatte. Die Verhandlung war eine wertvolle Erfahrung und mein erster juristischer Sieg; ich hatte vor Gericht gewonnen! Was diese College-Boys des Footballteams von La Val's und die Staatsanwaltschaft nicht begriffen, war, wie verbissen Hell's Angels kämpfen. Wir kämpfen um unser Leben, und das haben all die Okies, Muskelmänner, besoffenen Cowboys, Ölfeldarbeiter, andere Einprozenter und die Polizei niemals geschnallt. Wenn wir neue Mitglieder in unseren Club aufnehmen, wollen wir ganz genau wissen, mit wem wir es zu tun haben. Viele andere Clubs mögen vielleicht jeden aufnehmen, der will, aber wenn es hart auf hart kommt und man in der Minderheit ist, werden die Typen abhauen, die in einem Club sind, nur um drin zu sein. Bei der Auswahl neuer Hell's Angels suchen wir nur Kerle aus, die das bringen, woran wir glauben: Wir verteidigen uns bis zum letzten, und ein Hell's Angel darf niemals aufgeben und davonrennen. Dazu gehören auch Kämpfe unter den eigenen Leuten. Am 168
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Bass Lake hörten wir, daß einige SoCal-Mitglieder eine nagelneue Fahne der California Hell's Angels (mit dem neuen Design) aufgehängt und mit einer Pistole darauf geschossen hätten. Ich glaube, es paßte ihnen nicht, daß wir das alte Design durch ein neues, größeres ersetzt hatten. Wir fragten ein paar SoCal-Mitglieder, ob das der Grund war. Sie gaben das zu, meinten aber, es ginge mich einen Scheißdreck an. Also fragte ich bei Grubby Glen nach, der eigentlich nichts damit zu tun hatte. Er gab mir keine Antwort. Nach einer Sekunde flogen die Fäuste, und wir wälzten uns auf dem Boden. Einmal gab es einen Kampf zwischen Cisco und Wayne. Da griff ich ein. Wayne zog ein Messer, als ich ihn schlug, also zog ich auch meines. Dann packte ich ihn am Genick und warf ihn in den See. Ich wollte nicht auf ihn einstechen, darum schlug ich ihn mit dem Messergriff auf den Kopf. Wir fielen beide ins Wasser. Wayne war bewußtlos. Als ich ihn losließ, wußte ich, daß ich einen schweren Fehler machte. Ich konnte nämlich nicht schwimmen und wäre beinahe ertrunken, wenn nicht ein paar Kumpels ins Wasser gesprungen wären, um mich zu retten. Andy Holley aus der SanFrancisco-Gruppe, der damals ein gebrochenes Bein hatte, holte mich raus. Darüber machen wir heute noch unsere Witze. Die Frisco Angels, die immer noch wegen des Streits um das Patch wütend auf mich waren, wollten Andy rausschmeißen, weil er mich gerettet hatte. Andy ist zwar nicht mehr im Club, aber er ist immer noch einer meiner guten Freunde. Neben den Streitigkeiten um unser Patch hatten die Oakland Hell's Angels 1961 einen größeren, lang andauernden Krach mit San Francisco, der zu einem regelrechten, blutigen Krieg wurde. Die Oakland/Frisco-Kriege sind ein bedeutender Meilenstein in der Geschichte der Hell's Angels, ein Teil der Entwicklung unseres Clubs. Es fing alles mit einer Tanzparty der Frisco-Gruppe in einer Getriebewerkstatt an, die wir Box Shop nannten. French, ein Frisco-Mitglied, der bei Runs ein Trike fuhr, leitete die Werkstatt und benutzte sie nachts für Partys und Tanzabende der Hell's Angels. Ein anderer Motorradclub, The Presidents, war an jenem Abend auch mit dabei. Kemp, ein Typ vom Berdoo-Club, war gekommen. Er saß mit Hell's Angel
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In dieses Lagerfeuer bei einer Fahrt nach Bass Lake wurde keine Pistolenmunition geworfen.
ein paar Oakland-Leuten zusammen, darunter auch Mouldy Marvin Gilbert, und sie tranken gemeinsam ihr Bier. Da kam Kemps Old Lady, die neues Bier geholt hatte, und sagte ihm, ein FriscoMitglied, Howdy Doody, hätte sie an den Hintern gegrabscht. Kemp ging wütend zu Howdy Doody und fragte ihn, ob er seiner Old Lady an den Arsch gegangen wäre. »Yeah«, sagte der zu Kemp. »Und was zum fuck ist dabei?« Kemp holte aus und schlug Howdy Doody nieder. Daraufhin schoß jemand auf Kemp. Mouldy Marvin drehte sich um und feuerte auf Howdy Doody. So fing alles an. Der Präsident von Frisco, Pete Knell, war an diesem Abend nicht im Box Shop, aber ich war da und stellte fest, daß die Lage zwischen Frisco und Oakland immer gespannter wurde. Papa Ralph aus Frisco ging zu Charlie Magoo und sagte: »Ich 170
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würde gern wissen, wie stark du eigentlich bist, du Arschloch, laß uns mal nach draußen gehen.« Sie prügelten sich draußen, und Charlie Magoo schlug den Motherfucker nach allen Regeln der Kunst zusammen. Mouldy Marvin legte sich mit einem der Presidents an, und die beiden wurden ebenfalls handgreiflich. Wenn einer von uns aus Oakland kämpft, greifen natürlich alle anderen aus unserem Club ein. Also gingen die Oaklands auf die Presidents los. Danach griffen auch die Frisco Hell's Angels ein, weil sie damals gut Freund mit den Presidents waren. Kämpften die nun für die Presidents und gegen die Oakland Angels? What the fuck? Mann, das ist doch die goldene Regel: Wenn ein Hell's Angel gegen einen Normalobürger oder gegen ein Mitglied eines rivalisierenden Clubs kämpft, eilen alle anderen an seine Seite. Das geschah hier aber nicht, und damit begann der Krieg zwischen Oakland und Frisco. Wir kämpften ein ganzes Jahr lang anhaltend und verbissen, und das war alles andere als schön. Die Hell's Angels aus Oakland und Frisco machten sich gegenseitig bei jeder Gelegenheit zur Sau. Manchmal fuhren wir nach San Francisco, zu ihren Lieblingsplätzen, fanden sie dort, verprügelten alle nur greifbaren Frisco Angels und räumten ihre Bars leer. Wer dabei niedergeschlagen wurde, hatte Pech, er bekam die Stiefelspitzen der anderen zu spüren, und sein Gesicht wurde zu Brei getreten. Wir machten es mit denen genauso. Bald ging es nicht mehr nur Oakland gegen Frisco, bald hieß es: alle nordkalifornischen Gruppen kontra Frisco. Alle waren stinksauer, daß Frisco für einen von außerhalb des Clubs eintrat, und statt den Schuldigen herauszufinden, stellte sich der gesamte Frisco-Club hinter ihn. Ich garantierte Pete Knell Schutz und Sicherheit, damit er nach Oakland kam und wir über diesen »Krieg« sprechen konnten. Pete kam, und er war gewaltig nervös. Er befand sich schließlich im Feindesland. Wir trafen uns in einem Coffee Shop, um über die Regeln dieses Krieges zu debattieren. Über eines wurden wir uns einig: Keine Pistolen und keine Messer! Ketten, Flaschen, Bretter, Rohre und Stiefel - der ganze Scheiß war cool. Nicht drin war, daß man zum Haus eines Typen ging und ihn dort vor den Augen der Familie - Frau, Kinder, Mutter und Vater - zur Sau machte. Auch Hell's Angel
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auf der Arbeitsstelle sollte nichts laufen; ein Mann mußte schließlich für sich und seine Familie Geld verdienen. Bei allem anderen hieß es: Paßt auf euch auf! Ob man in einer Bar oder sonstwo Party feierte, irgendwo in einer Werkstatt war oder im Park spazierenging und an den Blumen roch ... paßt auf die Kacke ist am Dampfen! Es gab einen Hamburger-Imbiß, Doggie Diner, wo Zorro, ein anderes Mitglied und ich aßen, als die Frisco-Jungs vorbeikamen. Zwei Autos voll, und sie waren auf Krach aus. Als sie uns entdeckten, fuhren sie um die Ecke, parkten dort und gingen zum Diner zurück. Ich war gerade gegangen, Zorro und der andere Angel hatten Pech. Sie wurden übel zugerichtet. Nach etwa einem Jahr klärten wir den Streit. Bei mir zu Hause in der 12th Avenue klingelte eines Tages das Telefon. Zwei Frisco Angels seien in unserer Bar, wurde mir mitgeteilt, in der Star Bar and Cafe, einem Restaurant mit Taverne, das Skip Workman gehörte. Ich sprang auf meine Maschine und raste zum Star. Richtig: Da saßen zwei Frisco Angels, die gerade aus dem Knast entlassen waren, und tranken. Ich ging zu ihnen. »Was zur Hölle macht ihr hier in unserer Bar?« »Wir trinken da, wo es uns paßt!« »Aber nicht in unserer Bar!« Wir mischten die beiden kräftig auf, aber nach diesem Zwischenfall war der Krieg mit Frisco auf einmal vorbei. Pete Knell, Junkie George, Puff und Norm Greene - alles Frisco Angels kamen nach Oakland. Zunächst legten wir die Einzelheiten eines Friedensvertrages fest, dann besoffen wir uns und lachten herzlich über das Ende des Krieges. Etwa zur selben Zeit gab es Zoff zwischen Oakland und einem anderen Motorradclub. Wir schössen oder stachen niemanden nieder, aber jedesmal, wenn wir ein Mitglied aus dem Club sahen, verprügelten wir ihn und schnitten ihm seine Patches mit unseren Jagdmessern ab. Jemand anderem das Patch abzunehmen gilt als sehr ernsthafter Vorteil im Kampf. Manchmal gab einer vor lauter Angst sein Patch freiwillig her, in dem Fall schmissen wir es hinterher einfach weg. Damals aber behielten wir meistens die Patches als Siegestrophäe, doch das führte dann nur dazu, daß Riva172
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lenclubs unser Clubhaus überfielen, um sich ihre Patches zurückzuholen. Wenn ein anderer Club einen Hell's Angel allein traf, machte er mit ihm genau dasselbe. Ein Hell's Angel, der sich zwingen läßt, sein Patch kampflos aufzugeben, wird automatisch aus dem Club ausgeschlossen. erster Run nach Porterville war eines der ersten großen, Unser halborganisierten Outlaw-Motorradtreffen in Kalifornien. Damals war ich 25 Jahre alt. Wir entschieden uns für Porterville, weil die Stadt in der Mitte zwischen den nordkalifornischen und südkalifornischen Clubs lag. Dort wollten wir uns am Labor-DayWochenende 1963 treffen. Dieser Run festigte den Ruf Oaklands als starker Arm und laute Stimme für den gesamten Hell's Angels Motorcycle Club. Das Treffen wurde auch zu einer der ersten großen Schlachten zwischen HAMC und den LEOs (Law Enforce-ment Officers - Polizeioffizieren). Porterville kam auch der Presse sehr gelegen, so konnte sie Sensationsberichte über die »außer Rand und Band geratenen« Motorradclubs schreiben, die »über eine hilflose Stadt herfallen«, ähnlich wie seinerzeit 1947 in Hollister. Newsweek schrieb über Porterville am 29. März 1965: Ein donnernder Schwärm von 200 schwarzgekleideten Motorradfahrern fiel in der kleinen, verschlafenen südkalifornischen Stadt Porterville ein. Sie randalierten durch die örtlichen Bars, wozu sie die obszönsten Flüche ausstießen. Sie stoppten Automobile, rissen deren Türen auf und versuchten, weibliche Insassen zu belästigen. Einige ihrer gestiefelten Freundinnen legten sich mitten auf die Straßen und machten eindeutige Beckenbewegungen. Nun waren aber keineswegs nur Hell's Angels an diesem Wochenende in Porterville. Auch andere Clubs waren erschienen, darunter die Satan's Slaves, Gallopin' Gooses, Comancheros, Stray Satans und die Cavaliers. Jeder, der in der Motorradwelt einen Namen hatte, kam nach Porterville. Richtig verrückt wurde es, als Charlie Magoo in einer der Bars Hell's Angel
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von Porterville ein Bier trank und irgendein beschissener Arsch in der Bar etwas Blödes zu ihm sagte. Magoo knallte ihm eine und brach ihm dabei das Nasenbein. Wütend über die Blamage ging der Typ nach Hause, griff sich seine Pistole, ging zurück in die Bar und zielte auf Magoo. Kin noch schlimmerer Fehler. Magoo und die Angels nahmen dem Typen die Kanone weg und drohten, ihm die Pistole in seinen Arsch zu rammen. Nach einigem Hin und Her bekam er eine solche Tracht Prügel, daß er ins nächste Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Zufällig kamen aber auch ein paar Hell's Angels, die auf dem Highway einen Unfall gehabt hatten, in die Notaufnahme der Klinik. Der verprügelte Typ sah sie und schrie sofort nach der Polizei, weil er glaubte, die Angels seien hinter ihm her. Die Bullen kamen, und dann wurde aus dem Ganzen eine sehr häßliche Szene. Nichts ist ausgeflippter als eine Massenschlägerei in einem Krankenhaus. Mit tortschreitender Stunde feierten wrir alle in Porterville Partys und hatten Riesenspaß. Motorräder rasten die Straßen der Stadt rauf und runter. In den Saloons gab es Wet-T-Shirt-Wettbewerbe auf den Bartresen, und Schnaps (und Drogen) gab es so reichlich wie Saft und Schokolade auf einem Kindergeburtstag. Es war der verdammte Himmel auf Erden. Die Hell's Angels veranstalteten gemeinsam mit den Leuten aus der Stadt und den anderen Bikern ein wildes, rauschendes Gelage. Der Polizeichef von Porterville geriet in Panik. Ihm war klar, daß er und seine Manner in der Unterzahl waren, deshalb alarmierte er die Polizei in drei benachbarten Landkreisen und forderte Unterstützung an. Es dauerte keine Stunde und mehr als 250 Bullen, Feuerwehrleute und Straßenpolizisten (wahrscheinlich kamen auch noch etliche neugierige Forstbeamte hinzu) fielen m Porterville ein. Feuerwehrwagen bespritzten die Hauptstraßen mit Seifenschaum, so daß es unmöglich wurde, sie mit Motorrädern zu befahren. Biker, die es trotzdem versuchten, wurden mit Wasserwerfern von ihren Maschinen heruntergeholt. Als die Feuerwehrwagen auftauchten, stiegen die Kids auf die Dacher der Häuser und schmissen Backsteine herunter. Wir blieben da, wo wirklich was los war. 174
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Die Bullen bauten ihre Fahrzeuge und Feuerwehrwagen in einer Reihe auf und befahlen allen Motorradfahrern, die Stadt in einund diesselbe Richtung zu verlassen. Wir hatten die Wahl: die Stadt zu verlassen oder vom Motorrad geholt zu werden. Hunderte verließen Porterville. Und es war erst ein Tag des Labor-DayWochenendes vorüber. Die Hell's Angels trafen sich ein paar Kilometer außerhalb der Stadt vor einer Rollschuhbahn. Verärgert fuhren wir an den Straßenrand, um die Lage zu besprechen. Einer unserer Männer fehlte. Ein Biker behauptete, er habe gesehen, wie der fehlende Mann von einem Wasserstrahl getroffen und von seinem Bike heruntergeschossen wurde. Den Galloping. Gooses fehlte ebenfalls ein Mann. Ein Berdoo-Mitglied und ein Slave-Angehöriger waren verhaftet worden. Das machte zusammen vier Kumpel, die uns fehlten und die in der Stadt festsaßen. Ich hielt es für meine Aufgabe, etwas zu tun. Zum Henker, alles, was wir gemacht hatten, war doch nur, ein bißchen Spaß zu haben. Einige der anderen Clubs fanden, sie hätten genug davon. Für sie war die Party vorbei. Ihnen fehlten keine Leute, also war es für sie an der Zeit, Porterville zu verlassen. Ich aber war entschlossen, erst abzufahren, wenn wir alle wieder beieinander waren. Wir mußten zurück in die Stadt - die Oakland Hell's Angels zusammen mit ein paar Mitgliedern der Berdoos und der Slaves. Also drehten wir unsere Bikes um und fuhren gen Süden in Richtung auf Porterville - mit Rachegedanken im Kopf! Die Bullen hatten die Hauptbrücke blockiert, und an ihrer Sperre kamen wir nicht vorbei. Also blockierten wir die andere Seite der Brücke - wenn die Bullen niemanden in die Stadt hineinlassen wollten, dann würden wir auch niemanden aus der Stadt herauslassen. Die Bullen drohten, uns zu verhaften, und wir waren bereit, es auf einen Kampf mit ihnen ankommen zu lassen. Dann ging es hin und her mit Flüchen und Beschimpfungen, Pöbeleien und gegenseitigem Auslachen - wie bei einer Auseinandersetzung in Mexiko. Dann kam ein Officer von der Highway-Straßenwacht zu uns herüber. Er hatte so viele Sterne an seinem Uniformkragen, wie ich noch nie an einem Bullen gesehen hatte. Er wollte mit mir, Hell's Angel
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Sonny Barger, sprechen. Wieso ausgerechnet mit mir? Ich war wütend, aber beherrscht und sagte dem Officer, daß die Polizei von Porterville noch immer vier von unseren Leuten festhalten würde. Wir wollten sie zurückhaben, sonst nichts. Mein Vorschlag lautete: Ich würde 25 Dollar Kaution für unsere Kumpel stellen, das Geld natürlich verlieren, aber dafür so schnell wie möglich verschwinden. »Komm in den Wagen, Sonny«, erwiderte er, »wir müssen das miteinander besprechen.« Nach dem Gespräch fuhren ein Berdoo Angel, einer von den Slaves und ich mit dem Polizeiwagen nach Porterville, um mit dem Polizeichef der Stadt zu verhandeln. Wir erklärten ihm unseren Standpunkt, und ich bot ihm 25 Dollar Kaution für alle vier Kumpel an. Der Polizeiboss sagte, er hätte eher mit 50 000 Dollar Kaution gerechnet. Da wurde ich sauwütend. »Bringt mich in Teufels Namen hier raus!« brüllte ich und rannte aus der Tür. Der Highway-Polizeichef mit den vielen Sternen wollte aber unbedingt eine friedliche Lösung des Problems. Ich erinnerte ihn an mein Angebot von 25 Dollar. Er zog sich für eine Weile zurück und sprach mit den anderen Bullen. Dann kam er wieder und fragte mich: »Wie war's mit 50 Dollar?« Okay, einverstanden. Wir ließen einen Hut die Runde machen, bezahlten die Kaution für die vier Kumpel und fuhren aus der Stadt heraus zu der Rollschuhbahn, wo die anderen auf uns warteten. Wir waren ganz zufrieden mit dem, was wir erreicht hatten. Inzwischen war die Sonne schon aufgegangen, und alle machten sich für die Rückfahrt bereit. Wie üblich warteten überall schon wieder die Bullen auf uns, sie winkten uns an den Straßenrand und verpaßten uns Strafzettel - für zu hohe Lenker, Auspuffmanipulationen und lauter solch kleinen Scheiß. Wenn sie damit fertig waren und wir weiterfuhren, wiederholte sich dieser Quatsch ein paar Kilometer weiter. Immer mehr Bullen tauchten auf und stoppten uns. Inzwischen waren an die 250 Bullen in der Gegend, und sie alle spielten ihre dämlichen Spielchen mit uns. Die Lage spitzte sich 176
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erneut zu. Ich stoppte mein Bike in der Nähe einer Stelle, an der diese Polizei-Idioten schon wieder Strafzettel an unsere Leute verteilten. Ich stellte mich auf den Sattel meiner Maschine und verkündete allen in Hörweite: »Die Oakland Hell's Angels fahren nach Norden. Jeder, der mit uns kommen will, kann sich uns anschließen, aber wenn wir hier losfahren, werden wir nicht noch einmal wegen eines fucking Tikkets anhalten. Wenn man uns stoppen will, werden wir kämpfen! Jeder, der nicht kämpfen will, kann ja hierbleiben.« Wir fuhren langsam in Gruppenformation los, aber wir ließen unsere Motoren den ganzen Weg nach Norden donnern. Es war ohrenbetäubend. Wenn die Bullen uns jetzt noch einmal anhalten wollten, müßten sie massive Straßensperren errichten oder uns von unseren Motorrädern schmeißen. In der Rückschau auf diesen Moment glaube ich, daß die Oakland Hell's Angels von dem Augenblick an, als ich auf meinem Bike stand, eine Macht wurden, mit der gerechnet werden mußte. Wir ließen uns nichts mehr gefallen. Die Oakland-Gruppe hatte eine Führungsposition innerhalb aller Hell's Angels Clubs übernommen. Und ich verstand in dem Moment: Wenn man sich gegen die Bullen auflehnt, dann wird denen auch klar, daß es sich nicht lohnt, sich mit uns herumzuschlagen. 1965 saßen Elsie und ich eines Abends zu Hause, als ImichDezember einen Telefonanruf von der Freundin eines Clubmitglieds bekam. Sie klang ein wenig angetrunken und durcheinander und rief aus einer Bar in Oakland an. Ein Hell's Angel sei in der Bar, flüsterte sie, und allem Anschein nach sei er kurz davor, in einen Krawall verwickelt zu werden. Ich ließ mir den Namen der Bar geben, schnappte mir meine 25er Automatik-Pistole und fuhr dorthin. Es war Freitag abend und es sah danach aus, daß ganz Oakland im Begriff war, sich vollaufen zu lassen und Randale zu machen. In der Bar saß ein Mann, dem die Chrom-Werkstatt gegenüber gehörte und der fünf oder sechs seiner Angestellten bei sich hatte. Der Kerl kloppte unverschämt freche Sprüche, und der Angel gab ihm kräftig Kontra. Die Atmosphäre war gespannt, gleich würde es zum Krawall kommen. Hell's Angel
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Als ich den 400 Club betrat, konnte ich es sofort riechen, wer hier das Arschloch war. Der Typ machte sich vor seinen Leuten wichtig und spielte den wilden Mann. Ich zog den Angel beiseite und sagte nur: »Komm, laß uns hier schnell die Fliege machen!« Aber dann wurde der Chrom-Shop-Mann frech zu mir. Ich drehte mich um, schnappte ihn mir und schob ihm den Lauf meiner Pistole in den Mund, »Hör zu, du Motherfucker, setz dich lieber wieder hin und halt die Fresse, bevor du richtig was abkriegst.« Das tat er dann auch. Zusammen mit meinem Kumpel und seiner Freundin, die mich angerufen hatte, marschierte ich aus dem 400 Club. Draußen fiel ihr ein, daß sie ihre Handtasche drinnen vergessen hatte, und sie ging zurück. Wir warteten eine Weile bei unseren Maschinen, und als sie nicht zurückkam, ging ich in die Bar. Jetzt hatte der Chrom-Shop-Typ sie am Wickel. Da riß mir der Geduldsfaden. Ich schlug ihn mit dem Pistolengriff auf den Kopf, wobei sich ein Schuß löste und ihn in den Kopf traf. Dieser Schuß war wirklich nicht eingeplant, aber wo er nun schon mal angeschossen war, warf ich ihn auf den Billardtisch und schoß noch einmal auf ihn. Dann drehte ich mich um und verließ die Kneipe. Später erfuhr ich, daß der Barkeeper mich kannte und bei der Polizei angeschwärzt hatte. Ich dachte, der Typ sei tot, aber am nächsten Tag las ich in der Zeitung, daß er die Schüsse überlebt hatte. Die Kugeln aus der 25er Pistole sind recht klein; der Mann hatte nur vorübergehend das Augenlicht verloren. Die Bullen wußten zwar, wo ich wohnte, aber sie kamen nicht, daher dachte ich, alles sei cool. Nach einer Woche war ich noch immer nicht verhaftet worden. Kurz darauf bekam ich wieder einen Notruf. Terry the Tramp war im Sinner's Club in einen Streit geraten und tobte dort wie ein Besessener. Die Leute, mit denen er sich anlegte, wohnten neben der Bar. Die Barkeeperin aus dem Sinner's Club rief bei mir an, weil Terry draußen auf der Straße stand und versuchte, die Leute aus ihrem Haus zu holen. Ich fuhr zu der Bar und sah Terry vor dem Haus stehen. 178
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»Hey, laß uns einfach die Tür eintreten und reingehen!« Und genau das taten wir dann auch. Nachdem wir die Haustür eingetreten hatten und überall Glassplitter lagen, gingen wir in das Haus und verdroschen die Leute, auf die Terry es abgesehen hatte. Blut, Tränen und Schweiß flössen in Strömen. Natürlich kam die Polizei angerast und verhaftete uns beide. Ein Kriminalbeamter drohte, mir den Arm zu brechen, und warnte mich davor, seine Zeugen einzuschüchtern. Als ich am nächsten Tag gegen Kaution entlassen wurde, fuhr ich anschließend mit meiner Maschine allein auf dem MacArthur Freeway. Ich nahm die Ausfahrt High Street, sah mich dabei um und stellte fest, daß eine ganze Gruppe von Bullen mir folgte. Außerdem war die High-Street-Ausfahrt von Bullen blockiert, die mit gezückten Pistolen auf mich warteten. Sie wollten mich dort schnappen und hatten einen Haftbefehl wegen versuchten Mordes gegen mich. »Fuck you, ihr Arschlöcher!« rief ich in der Annahme, es gehe um die Sache mit Tramp. »Ich bin gestern gegen Kaution auf freien Fuß gekommen!« Ich zog meine Kautionsbescheinigung hervor, aber plötzlich wurde mir klar, daß es gar nicht um die Sache mit Tramp ging, sondern um die Schießerei am Billardtisch. Die Polizei hatte den Zeugen mein Foto gezeigt, und sie hatten mich wiedererkannt. Nun hatte ich eine Anklage wegen Mordversuchs und unerlaubten Waffenbesitzes als Vorbestrafter am Hals. Die Geschichte mit der Vorstrafe rührte noch von einem Urteil wegen Marihuanabesitzes aus dem Jahr 1963 her. Bei dem Gerichtsverfahren gegen mich wurde die Klage wegen Waffenbesitzes fallengelassen, aber die wegen des Überfalls mit einer tödlichen Waffe aufrechterhalten. Der Staatsanwalt und ich handelten einen Vergleich aus, nachdem die Geschworenen zu keinem Schuldspruch gekommen waren.
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ei wahrscheinlich mehr als einer Million Meilen auf den Straßen war ich bis 1993 verhältnismäßig unfallfrei gefahren. Eines Tages kamen wir von einem USA-Run zurück nach Mis-
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souri und fuhren in Richtung Sturgis, South Dakota, wo eine »Big Show« geplant war. Wir hielten in einer kleinen Stadt, um dort zu übernachten und am anderen Morgen weiter nach Sturgis zu fahren. Aber an der Maschine von Johnny Angel ging die Lichtmaschine kaputt, deshalb wollten Johnny, Michael Antho-ny und ich frühmorgens zu einer Harley-Werkstatt nach Pierce, South Dakota, fahren, um Ersatzteile zu kaufen und Johnnys Motorrad zu reparieren. Wir reparieren unsere Maschinen immer selbst. Um acht Uhr am nächsten Morgen fuhren wir drei zu einer Highway-Kreuzung, von der aus man nach Pierce weiterkommt. Wir unterbrachen an Johnnys Maschine den Kontakt zum Scheinwerfer, so daß er mit dem Strom aus der Batterie und ohne die Lichtmaschine fahren konnte. Mit der Reparatur von Johnnys Bike hatten wir bis zum Sonnenuntergang Zeit. Ich fuhr bis zur Kreuzung vor und hielt an einem Stopschild an. Alles frei. Als ich nach links abbog, kam eine Frau in einem Pickup-Truck mit einem Affentempo über eine Anhöhe auf mich zu. Sie fuhr gegen die blendende Sonne etwa 110 km/h. Ich sah sie heranrasen und dachte: Ooh, Scheiße! Schnell versuchte ich, ihr noch auszuweichen, da trat sie auf die Bremse und rutschte voll auf mich und meine Maschine. Meine Satteltasche war proppenvoll gepackt und fing den Aufprall etwas ab. Ihre Stoßstange verfehlte zwar mein Bein, aber der Zusammenstoß wirbelte mich herum. Der Truck traf mein Motorrad unten, und deshalb knallte es mich nicht auf die Straße, sondern schleuderte mich hoch in die Luft. Als ich auf das Straßenpflaster fiel, rutschte der Truck von der Straße und knallte gegen einen Pfosten. Totalschaden. Der Chef ist tot, dachten Johnny und Michael, als sie zu mir gerannt kamen. Aber nachdem ich auf die Straße geflogen war, hatte ich mich wieder aufgerappelt und meine Maschine von der Straße geschoben. Die beiden trauten ihren Augen nicht: Ich hatte nur eine Hautabschürfung am Arm. Auf den Foto im Polizeibericht konnte man die Rutschspur meiner Maschine sehen - fast 50 Meter! Die Fahrerin war zu Tode erschrocken, als Michael Anthony 180
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ihr sagte: »Lady, Sie haben soeben beinahe einen Führer der Hell's Angels getötet!« Nach dem Unfall schafften wir es noch bis Pierce. Ich verpflasterte alle betroffenen Plastikteile an meiner Maschine mit Tape und fuhr mit ihr sogar noch zurück bis nach Kalifornien. Nach einer Weile bat mich die Truckfahrerin in einem Schreiben, ob ich ihr ein Hell's-Angel-T-Shirt aus meiner Werkstatt schicken könnte, das sie gern ihrem Bruder schenken würde, der auch eine Harley fuhr. Natürlich schickte ich ihr eines. Es gibt nicht viele Leute, die einen Hell's Angel überfahren und lange genug leben, um davon zu erzählen. Nun hatte sie das T-Shirt, um zu beweisen, daß sie eine der wenigen war, die das lebendig überstanden haben. mit der Polizei und der Medienkrieg gegen DieunsZusammenstöße - die Vergewaltigungen in Monterey, die Demonstration gegen das Vietnam Day Committee und der schlimme Run nach Porterville — führten zu einer Haßliebe zwischen uns und der »normalen« Welt. Wir hatten uns mit der Zeit an die Tatsache gewöhnt, daß überall, wo wir hinkamen, Krawall drohte. Doch ich war in keiner Weise auf das Chaos und den Wahnsinn vorbereitet, die sich bei dem Gratiskonzert der Rolling Stones am Altamont Raceway abspielten.
Macht's Spaß? Hell's Angels Prospects mit Billardstöcken bewaffnet beim Konzert der Rolling Stones am Altamont Raceway.
Michael Ochs Achives, California
LET IT BLEED DIE STONES UND WIR
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egen Ende November 1969 setzten sich die Rolling Stones in den Kopf, in der Nähe von San Francisco ein Konzert zu geben. Damals hieß es, sie wollten ihr eigenes Woodstock haben, aber im Mick-Jagger-Stil. Aus diesem Grund planten sie ein gigantisches eintrittsfreies Konzert zum Abschluß ihrer amerikanischen Let it Bleed-Tour. Der Rolling-Stones-Vertreter Sam Cutler, ein San-FranciscoHippie namens Emmett Grogan und Rock Scully von den Grateful Dead traten an die Parkverwaltung von San Francisco heran, um die Erlaubnis für ein Konzert im Golden Gate Park zu bekommen. Als Reporter der Los Angeles Free Press und des San Francisco Chronicle davon erfuhren und das Vorhaben pu-blik machten, drehte die Bevölkerung der Stadt durch. Eine Alternative wäre das Fillmore gewesen, aber diese Idee wurde fallengelassen, weil das Fillmore zu klein war und der Plan mit dem Golden Gate Park inzwischen an Zustimmung gewonnen hatte. Das Problem am Golden Gate Park war die Sicherheit. Da kam Grogan auf den Gedanken, die Hell's Angels als Ordner zu verpflichten. »Wir werden die Rolling Stones von 100 Hell's Angels auf ihren Maschinen in den Golden Gate Park eskortieren lassen«, schlug Grogan vor. »Niemand wird den Hell's Angels zu nahe kommen. Das traut sich einfach niemand.« So kam offenbar eine Vereinbarung zwischen den Leuten von den Stones und den Angels von San Francisco zustande. Für Bier Hell's Angel 183
im Gegenwert von 500 Dollar versprach Pete Knell, der Vorsitzende der Frisco Angels, mit seinem Ehrenwort absolute Sicherheit für die Stones. Pete war ein Frisco Angel von hohem Ansehen. Wir respektierten einander sogar während des Krieges zwischen Oakland und San Francisco. In den späten 60er Jahren hatten die beiden Gruppen ihren Zwist längst beigelegt und alles zwischen ihnen war cool. monatlichen Hell's Angels OM (Officers Meeting = VorBeim standstreffen) platzte Knell mit der Nachricht heraus: Ein großes, eintrittsfreies Rolling-Stones-Konzert würde stattfinden statt, und alle Hell's-Angels-Gruppen aus der Nachbarschaft waren dazu eingeladen. Die Vereinbarung war ganz einfach: Wir sollten zusammen mit den Frisco Angels auf der Bühne sitzen, auf die Massen der Fans aufpassen und dazu Freibier trinken. Die Stones merkten bald, daß die kalifornischen Hell's Angels sich ziemlich von ihren damaligen Clubgenossen in England unterschieden. Der Stones-Gitarrist Mick Taylor meinte: »Die Typen hier in Kalifornien sind die echten Angels. Die sind sehr gewalttätig.« Der Plan, die Stones im Golden Gate Park spielen zu lassen, wurde bald wieder fallengelassen. Der Park war nicht groß genug für die erwarteten Menschenmassen. Daher verweigerte die Parkverwaltung von San Francisco schließlich die Erlaubnis. Als nächstes wurde der Sears Point Raceway, nördlich von San Francisco in Sonoma County, ausgesucht. Dort war genug Platz für die Fan-Massen. Aber als die Verwaltungsbeamten des Landkreises auch hier ihre Zustimmung verweigerten, wurde der bereits begonnene Bühnenaufbau gestoppt und die Verhandlungen zwischen den Rolling Stones und »Filmways«, den Eigentümern des Sears Point Raceway, abgebrochen. Filmways waren auch die Eigentümer von Concert Associates, die die Stones Konzerte in Los Angeles promoteten, und als die Stones sich weigerten, dort noch ein Extra-Konzert zu geben, flog auch der Plan mit dem Sears Point Raceway auf. Filmways hatte angeblich eine Haftpflichtversicherung, 100000 Dollar Miete für den Platz plus einen Anteil an den Einkünften, die bei der Verfilmung des Konzerts herauskämen, gefordert. Diese Forderun184
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gen gefielen niemandem. Die örtlichen Rundfunksender, die TVNachrichten und die Lokalpresse, die das Konzert schon lauthals angekündigt hatten, standen plötzlich mit leeren Händen da. Dick Carter hatte Drag-Rennen auf seinem AltaEinmontgewisser Raceway im Livermore Valley veranstaltet; genau zwischen den beiden Kleinstädten Tracy und Livermore und etwa 50 Kilometer von Oakland entfernt. Carter bekam von einem Studenten der Stanford University den Tip, auf seinem Gelände auch Rockkonzerte zu veranstalten. Und er griff zu. Durch den Anwalt Melvin Belli aus San Francisco setzte Carter sich mit Sam Cutler und den Stones in Verbindung und bot sein Gelände für das Konzert an, nachdem die Verhandlungen mit Sears Point schiefgegangen waren. Innerhalb von zwei Tagen stand die Sache. Das Gratiskonzert der Stones fand in Altamont statt. Die Frisco-Mitglieder und einige Angels aus Clubs der Bay Area fuhren am Samstag morgen, den 5. Dezember, in einem gelben Schulbus der Frisco-Gruppe nach Altamont. Andere kamen noch früher auf ihren Bikes dorthin. Der Schulbus hielt etwa 100 Meter vor der Bühne, die von den Roadies der Stones in der Nacht aufgebaut worden war. Zusätzlich zu den Hell's Angels schickte die Stones-Organisation noch sechs New Yorker Security-Ordner, die Golfjacken und sehr kurze Haare trugen. Als Mick Jagger nachts herauskam, um zu sehen, wie Chip Monk (der auch die Woodstock-Bühnen im Sommer aufgebaut hatte) die Bühne fertigstellte, war hinterher auf einmal der Benzintank seiner Limousine leer. sammelten sich schon auf den Kuhweiden DievonMenschenmengen Altamont, als wir noch bei unserem Vorstandstreffen in Oakland miteinander verhandelten. Ich fuhr nach Hause, um Sharon abzuholen und dann am Nachmittag auf dem Speed-way nach Altamont zu kommen. Als wir an Hayward und Livermore vorbeikamen, waren bereits Zehntausende auf dem Weg zu dem Konzert. Es gab nirgendwo Parkplätze, und der Freeway war weitgehend noch eine Baustelle. Viele Fans stellen ihre Wagen einHell's Angel
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fach auf den Landstraßen in der Nähe der Speedway-Ausfahrten ab. Von dort kamen sie entweder als Anhalter oder zu Fuß nach Altamont. Volkswagen-Busse voller Kids nahmen immer wieder Gestrandete vom Rand des Freeways mit. Um Verkehrsstaus zu umgehen, nahmen wir eine Abkürzung, die wir schon lange kannten. Ich signalisierte den übrigen von unseren Motorradfahrern, durch die Berge zu fahren, an der Hauptstraße vorbei zum Raceway und am besten von den Hügeln über Altamont runter auf das Gelände zu fahren. An dem Abend war ich verhältnismäßig »clean«, sprich, ich hatte keine stärkeren Drogen genommen. Sharon und ich genossen den Run nach Altamont. Als wir dort eintrafen, war das Konzert schon seit einigen Stunden in Gange, und als wir in das Tal hineinfuhren, sahen wir zahllose Kids an zwei oder drei Berghängen auf Wolldecken und Schlafsäcken sitzen. Sofort mußte ich darüber nachdenken, wie man in das überfüllte Gelände hinein- und wieder herauskommen könnte. Irgend jemand bot Sharon und mir einen Krug Wein an. \Vir hatten Glück, daß der Wein nicht mit Drogen gemischt wrar. wir ankamen, hatte es auf der Bühne schon eine handBevor greifliche Auseinandersetzung zwischen Marty Baiin von Jefterson Airplane und einem Hell's Angel namens Animal gegeben. E.ine Gruppe Hell's Angels hatte sich einen schwarzen Jungen geschnappt. Als Baiin dazwischenging und zu Animal sagte »Fuck you!«, schlug Animal ihn einfach nieder - und das mitten während des Konzerts von Jefferson Airplane. Als der Airplane-Manager Bill Thompson Animal zur Seite nahm und ihn fragte, warum er den Sänger seiner Band ausgeknockt habe, erhielt er die Anwort: »Weil er respektlos mit einem Angel gesprochen hat.« Paul Kantner, ein anderes Bandmitglied von Airplane, gab den Zuhörern bekannt, daß ein Hell's Angel gerade seinen Sänger zu Boden geschlagen habe. Darauf gab es keine Reaktionen im Publikum. Als Sharon und ich zusammen mit einigen anderen Bikern an die Stelle auf der Talsenke kamen, wo die Buhne stand, parkten wir unsere Motorräder einen Meter vor dem Bühnenrand. DaRalph »Sonny« Barger
durch entstand da eine Art Pufferzone. Mir fiel sofort auf, wie niedrig die Bühne war - kaum einen Meter hoch! Als wir parkten, spielten gerade Gram Parsons and the Flying Burrito Brothers, danach kamen Crosby, Stills, Nash & Young. Als einige Leute aus der Menge anfingen, uns anzupöbeln, trat Crosby für uns ein. Wir hätten die Aufgabe, bei all dem organisierten Chaos einigermaßen für Ordnung zu sorgen. der Nacht vor dem Konzert hatte Keith Richards einen Zaun Inbegutachtet, der von übereifrigen, zu früh gekommenen Fans niedergerissen worden war, und hatte dabei die ominösen Worte gesprochen: »Aha - die erste Gewalttat!« Als später am Nachmittag ein Hubschrauber die Rolling Stones einflog, war jemand auf Jagger losgegangen, hatte geschrien »Ich bring dich um, ich hasse dich!« und auf ihn eingeschlagen. Jagger, an Kinn und Ego verletzt, war davongerannt und hatte sich in einem Trailer neben der Bühne versteckt. Terry the Tramp, einer der leitenden Hell's Angels, und ich wurden zum Backstage-Bereich eskortiert und mit den Rolling Stones bekannt gemacht. Sie kamen in ihren affigen Klamotten und mit Make-up in den Gesichtern aus ihrem Trailer, wir schüttelten einander die Hände, und dann verschwanden sie wieder im Wohnwagen. Sie wirkten auf mich wie kleine Kinder, die zurück ins Haus rennen, um sich zu verstecken oder was auch immer. Keiner von ihnen sagte ein einziges Wort zu uns. Nachdem alle Bands ihr Vorprogramm absolviert hatten, war es Zeit für den Auftritt der Stones. Die Sonne schien noch, und es war noch hell genug. Die Massen von Fans hatten den ganzen Tag daraufgewartet, die Stones auf der Bühne zu sehen, aber die Herrschaften saßen noch immer in ihrem Trailer und benahmen sich wie die Primadonnen. Die Menge wurde langsam ärgerlich; im übrigen becherten sie während des Wartens heftig und warfen Drogen ein. Langsam wurde es dunkel. Selbst nach Sonnenuntergang kamen die Stones noch nicht auf die Bühne. Mick Jagger und seine Band schienen es darauf anzulegen, daß die Menge immer erregter und durchgedrehter wurde. Ich glaube, sie wollten um ihr Herauskommen angebettelt werHell's Angel
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den. Dann wurden endlich ihre Instrumente aufgestellt. Aber selbst danach dauerte es noch eine volle Stunde, bevor sich die Stones herabließen aufzutreten. Inzwischen blies ein kalter Wind durch das Tal. Niemand von der Stones-Organisation gab mir irgendwelche Instruktionen. Also saßen wir nur herum, tranken Bier und sahen zu, wie die Masse immer verrückter spielte. Nun war es völlig dunkel. Die Stones forderten mich und die Hell's Angels auf, sie auf die Bühne zu eskortieren. Ich weigerte mich, weil es mich ärgerte, daß sie nicht schon früher herausgekommen waren. Mir war die Vorstellung zuwider, daß die Hell's Angels die Leibwächter für einen Haufen eingebildeter, hochmütiger Primadonnen spielen sollten. Als sie dann endlich auf der Bühne erschienen, mißfiel mir auch, wie sie sich aufführten. Sie hatten tatsächlich erreicht, was sie gewollt hatten: Die Fans waren stocksauer, und der Wahnsinn begann auszuarten. Egotrip der Stones war zu unserem Problem geworden. Die Derallerschlimmsten, mit Drogen vollgepumpten Typen in der Menge waren die, die als allererste nach Altamont gekommen waren - die sogenannten Freitagnacht-Kampierer -, einen Tag vor dem Konzert, um die besten Plätze zu ergattern. Sie hatten stundenlang in der Sonne vor der Bühne herumgesessen. Als wir auf unseren Maschinen ankamen, wollten sie nicht von den Plätzen rücken, die sie sich reserviert hatten. Aber... es blieb ihnen nichts anderes übrig. Dafür sorgten wir schon. Wir schoben diese Leute etwa zwölf Meter zurück. Als die Stones dann auf der Bühne erschienen, schoben und drückten sich diese Leute wieder in den Bereich vor, wo hinter Absperrungen jetzt unsere Bikes standen. Viele von ihnen versuchten, auf die Bühne zu springen. Wir reagierten, indem wir sie von der Bühne zurückstießen. Außerdem fingen sie an, an unseren Motorrädern herumzufummeln. Julio, ein Frisco Hell's Angel, hatte sein Bike neben meinem abgestellt. Die Batterie an Julios Bike war neben dem Öltank, so daß die Metallfedern seines Sattels genau über dem Tank zu beiden Seiten der Batterie befestigt waren. Irgendein Fan hatte sich 188
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auf den Sattel der Maschine gekniet. Sein Gewicht drückte die Stahlfedern gegen die Batteriekontakte und verursachte einen Kurzschluß. Ich sah, daß Qualm aus der Batterie kam, und schrie ihn an, er solle sich von Julios Bike wegscheren. Doch er kümmerte sich einen Dreck um das, was ich ihm zurief, deshalb sprang ich von der Bühne und stieß ihn von dem Motorrad. Einige Hell's Angels waren mit mir zusammen von der Bühne gesprungen und drängten sich nun in die Menge. Sie wußten zwar nicht, was ich vorhatte, aber sie wollten die Fans wegschieben, um Platz für mich zu schaffen, damit ich das brennende Motorrad löschen konnte. Dieser Zwischenfall führte zu einer noch größeren Spannung zwischen den Hell's Angels und dem Publikum. Während wir die Bühne absicherten, fingen einige Fans, die von uns gestoßen und weggeschoben worden waren, damit an, voller Wut mit Flaschen nach uns zu werfen. Außerdem machten sie sich nun wirklich in böser Absicht an unseren Motorrädern zu schaffen. Das hätten sie nicht tun sollen. Denn jetzt langten wir voll in die Menge, griffen uns die Arschlöcher, die unsere Bikes kaputtmachen wollten, und prügelten sie windelweich. die Situation nun völlig außer Kontrolle geraten war, Nachdem quatschten die Stones diese Hippie-Scheiße von »Brüdern und Schwestern«. Jeder, der die Bühne zu stürmen versuchte, wurde von uns heruntergeschmissen. Ein großes, fettes Mädchen versuchte auf die Bühne zu kommen. Sie war barbusig und wahrscheinlich vollgepumpt mit Drogen. Ein paar Angels wollten sie stoppen und von der Bühne drängen, ohne ihr wehzutun. Da beugte sich Keith Richards zu mir und meinte: »Mann, es braucht doch sicher keine drei oder vier großen, starken Angels, um diesen schrägen Vogel von der Bühne zu kriegen!« Da ging ich einfach zum Bühnenrand und trat ihr gegen den Kopf. »Na, wie gefällt dir das?« fragte ich ihn danach. Nachdem die Band »Love in Vain« gespielt hatte, kam Richards zu mir und erklärte, die Band würde nicht weiterspielen, wenn wir diese Gewalttätigkeiten nicht sofort beendeten. »Entweder diese Katzen werden cool, Mann, oder wir hören auf!« rief er der Hell's Angel
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Mick Jagger (links) und Keith Richards spürten die Hitze der Atmosphäre auf der überfüllten Altamont-Bühne im Dezember 1969. Robert Altman/Michael Ochs Archives, Venice, California
Menge durchs Mikro zu. Ich stand neben ihm, drückte ihm den Lauf meiner Pistole zwischen die Rippen und zischte, er solle seine Gitarre spielen, ansonsten würde ich abdrücken. Danach spielte er wie ein Motherfucker. Ich habe nicht gesehen, wie Meredith Hunter erstochen wurde, aber ich erinnere mich genau an ihn. Hunter trug einen grellgrünen Anzug und fiel richtig auf in der Menge. Als er auf die Bühne stürmte und dabei einen großen schwarzen Revolver zückte, ging alles rasend schnell. Jagger sang gerade »Under My Thumb«, als sich die Hell's Angels unerschrocken auf den Revolverhelden stürzten. Während wir von der Bühne sprangen, hörte ich, wie sich ein Schuß aus dem Revolver löste. Alles, woran ich mich erin190
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nern kann, ist, daß Hunter auf der Bühne stand und niedergeschlagen wurde; dann blitzte ein Revolver auf und ein Schuß ging los. Danach wurde auf Hunter eingestochen. Er war in der Nähe der Bühne, als wir ihn stoppten. Als ich bei Hunter ankam, war er bereits erstochen. Wir trugen ihn zu den Sanitätern hinüber. Meredith Hunter hatte auf einen Hell's Angel geschossen. Weil dieser Angel damals von der Polizei gesucht wurde, konnten wir ihn nicht zu einem Arzt oder in die Notaufnahme einer Klinik bringen. Außerdem war es sowieso nur eine Fleischwunde. Hinterher war ich völlig durcheinander wegen all der Sachen, die sich bei dem Konzert abgespielt hatten. Ein weiterer Tag im Leben eines Hell's Angels. Es war ein Glück, daß nicht noch mehr Menschen oder gar die Rolling Stones von Hunter angeschossen oder getötet worden waren. Aber ich fand, die Hell's Angels hatten ihre Aufgabe erfüllt. Die Presse schrieb, Hunter hätte einen »Schock und zahlreiche blutende Wunden im Rücken, an der linken Seite seiner Stirn und an der rechten Seite seines Nackens« gehabt. Selbst wenn er auf der Türschwelle einer Klinik oder eines Arztes gelegen hätte, wäre er an seinen Verletzungen gestorben. Die Hell's Angels blieben in Altamont, bis alles vorbei war. Eine Zeitlang mischten wir uns unter die Fans, tranken Wein und rauchten Marihuana wie die meisten. Die Stones-Tour Let it Bleed war wahrhaftig blutig zu Ende gegangen. Egal, was die Leute erzählen: Meiner Meinung nach waren die Stones selbst schuld an dieser Scheiß-Szene. Sie hatten die Fans in Rage gebracht, die Bühne war viel zu niedrig, und dann hatten sie auch noch uns benutzt, um die Volksseele am Kochen zu halten. Sie hatten bekommen, Was sie schon immer gewollt hatten - ein düsteres, gefährliches Umfeld, um »Sympathy for the Devil« zu spielen. Schwer zu sagen, was wir hätten tun können, um die Lage zu beruhigen, falls wir darum gebeten worden wären, aber wir waren von vornherein in einer Scheiß-Position. Wenn ich gewußt hätte, wie jämmerlich die Sicherheitsvorkehrungen waren und wozu die Hell's Angel
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Hell's Angels dann auch noch herhalten mußten, hätte ich der ganzen Sache niemals zugestimmt. Wir hätten das Ganze völlig anders aufgezogen und eine viel professionellere Rolle als Sicherheitskräfte übernommen. Wir sprachen noch jahrelang über das Altamont-Abenteuer. Ich finde, daß die Stones eine gute Band sind, und ich weiß, wie beliebt sie sind. Aber nur, weil jemand gut singen kann, heißt das noch lange nicht, daß er sich vor all seinen Fans wie ein Riesenarschloch benehmen darf - aber das war genau das, was die Stones in jener Nacht in Altamont getan hatten. Kurz vor Mitternacht schwangen wir uns auf unsere Maschinen und fuhren querfeldein bis zum Highway 5, in der Nähe der Kreuzung mit der Route 680, und dann weiter nach Oakland. Es ist seltsam: Ich bin seitdem noch viele Male in dieser Gegend gewesen, aber ich weiß einfach nicht mehr, wie wir damals gefahren sind. dem Highway waren, stellte Terry the Tramp fest, AlsdaßwirseinaufTank leer war. Wir beschlossen, Terry nach Hause zu »schleppen«, das bedeutete, daß ich mein Bein ausstreckte und meinen Fuß auf seine Fußraste stellte und so seine Maschine schob, während er sein Bike gegen meins lehnte, so daß die beiden Motorräder irgendwie zusammensteckten. Marcy saß hinter Terry und Sharon saß hinter mir auf dem Sattel. Keiner von uns bedachte, wie gefährlich dieses Manöver bei dem Terrain war, dem starken Verkehr und der hohen Geschwindigkeit, die wir vorlegten. Ich »schob« Terry etwa 40 Kilometer bis zu unserem Haus, und wir hielten nicht einmal zum Tanken an. Als wir angekommen waren, gestanden die beiden Mädchen, welche Angst sie auf dem Run gehabt hätten. Wir machten ein Feuer in unserem Kamin, und das Telefon klingelte immer wieder, weil Freunde gehört hatten, was in Altamont passiert war. Am nächsten Tag gab es jede Menge Kommentare zu den Geschehnissen, und es hieß, Rassismus hätte bei dem Tod von Meredith eine entscheidende Rolle gespielt. Der schwarze Hunter war mit einem weißen Mädchen zum Konzert gekommen, und anscheinend hatte es deshalb den ganzen Tag Probleme gegeben. 192
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Man kann das auch auf den Fotos im Look oder Life-Magazin erkennen. Er war offensichtlich gekommen, um Arger zu machen. Der Untergrund-Rock-'n'-Roll-Radiosender KSAN veranstaltete am nächsten Abend eine Show mit Höreranrufen, um herauszukriegen, was tatsächlich passiert war. Viele Leute riefen nach dem Altamont-Desaster bei KSAN an. Sam Cutler von den Stones erklärte in der Sendung, wie die Stones die Vorgänge beurteilten. Bill Graham gab Mick Jagger die Hauptschuld. Wir hatten uns nie besonders gut mit Graham verstanden, aber dieses Mal vertrat er dieselbe Meinung wie wir. Mick Jagger war verantwortlich dafür, daß aus dem Konzert eine Tragödie wurde. Das war ganz allein sein Ding. rief mich an und forderte mich auf, ebenfalls bei KSAN Jemand anzurufen. Also rief ich bei dem Sender an und verlangte, daß KSAN für die Hell's Angels eintreten sollte. Ich nahm das gesamte Kokain, das wir im Wohnzimmer hatten, mit nach hinten ins Schlafzimmer und rief beim Sender an. Dessen Leute wollten mir anfangs nicht glauben, bis ich sie von meiner Identität überzeugen konnte. Dann ließen sie mich »live« sprechen vollgedröhnt mit Koks. »Die Blumenkinder sind keinen Deut besser als die Schlimmsten von uns«, erklärte ich. »Es wird langsam Zeit, daß die Leute das in ihre Köpfe kriegen. Man hatte uns gesagt, wir könnten auf der Bühne sitzen und Bier trinken, das der Stones-Manager uns spendieren würde. Ich finde es total beschissen, was da passiert ist. Wir sollten schließlich auf der Bühne sein, um die Fans auf Abstand zu halten. Deshalb haben wir unsere Motorräder auf den uns angewiesenen Plätzen geparkt ... Ich bin nicht dorthin gekommen, um mich zu prügeln. Ich kam, um mich an dem Konzert zu freuen und auf der verfluchten Bühne zu sitzen.« Ich wußte nichts davon, daß in Altamont Leute mit Billardstöcken zusammengeschlagen wurden. Was mich betrifft, ich benutze einen Axtstiel oder einen Baseballschläger, wenn ich jemanden niederknüppeln will. Ein Billardstock ist eine sehr miese Waffe, denn er bricht fürchterlich leicht entzwei. Hell's Angel
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Ich sprach auch davon, daß einige Leute unsere Motorräder umgeworfen hatten. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihr glaubt, wir zahlen nur 50 Dollar für unsere Bikes oder klauen sie. Die meisten von uns fahren klasse Harley-Chopper, die ein paar 1000 Dollar kosten. Niemand darf an meiner Maschine herumfummeln. Vielleicht hatten sich diese Leute ja eingebildet, nur weil sie zu einer Menschenmenge von 300 000 Leuten gehören, könnten sie sich das ungestraft leisten. Aber wenn man dasteht und zusieht, wie etwas, das dein ganzes Leben bedeutet, etwas, das dir mehr wert ist als alles andere im Leben, wo du dein ganzes Geld reingesteckt hast, von irgendwem zusammengetreten wird... dann schlägt man sich auch durch 50 Leute durch, um den Idioten zu fassen zu kriegen. Den schnappt man sich.« »Das alles macht die Geschichte zu einer sehr persönlichen Sache für mich. Wißt ihr was? Ich kann ein ziemlich gewalttätiger Typ sein, wenn es sein muß. Niemand darf etwas, das mir gehört, einfach nehmen und zerstören. Und dieser Mick Jagger gab die ganze Schuld den Angels. Der hat uns doch nur wie nützliche Idioten behandelt. Nach meiner Meinung haben wir uns alle von diesem Idioten verarschen lassen.« daß Altamont das Ende einer Ära markiert, ist AlldochdiesernurStuß, intellektuelle Scheiße. Das Ende von Aquarius. Bullshit! Es war das Ende von gar nichts. In einem Artikel hieß es, die Polizei komme mit ihren Ermittlungen wegen des Todesfalls in Altamont nicht weiter, weil die Hell's Angels ein stillschweigendes Übereinkommen mit der Polizei getroffen hätten, nachdem sie bei der Friedenskundgebung des VDC 1965 auf deren Seite standen. Es gab in der Presse sogar ein Gerücht, daß nach dem Zwischenfall von Altamont die Mitgliederzahl der Hell's Angels rapide gesunken sei. Das ist beides absoluter Quatsch. Für die Hippies mag Altamont eine Katastrophe gewesen sein; für die Hell's Angels war es ein Tag wie jeder andere. Eine Menge Leute wandte sich danach gegen uns, aber die Hippies, die Journalisten und die Liberalen konnten uns sowieso nicht leiden. Wenn es darauf ankommt, den richtigen Leuten zur richtigen Zeit gefäl194
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lig zu sein, haben die Hell's Angels das noch nie geschafft. Was mich betrifft, standen mir zu Beginn der 70er Jahre wahrhaft noch wildere Zeiten bevor, im Vergleich zu denen Altamont der reinste Kindergeburtstag war.
Ein Blatt aus dem Fahndungsbuch der Polizei über Ralph Hubert Barger, alias »Sonny« und »Chief«. »Barger ist wohl der mächtigste und bekannteste OutlawMotorradfahrer des ganzen Landes«, erklärte die Bundespolizei. »Er hat Einfluß auf alle Motorradclubs der gesamten Nation.«
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10 MORD, CHAOS, GESETZLOSES LEBEN
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enn man mit dem Gesetz in Konflikt gerät, muß man sehr gewitzt sein. Das ist wie ein Wettkampf. Die Gesetzeshüter, also die Polizei und die Staatsanwaltschaften, wenden ihre verrückten Vorschriften und vertrackten Strategien an, um dich einzusperren, und du mußt all dein Können gebrauchen, damit du einen Ausweg findest. Diejenigen von uns, die lange nach ihren eigenen Gesetzen gelebt haben, wissen sehr wohl, wie schwierig und problematisch es werden kann, wenn das Vorstrafenregister immer weiter anwächst. Im Knast zu sitzen ist eine Sache, aber sich gegen Anschuldigungen schwerer Verbrechen zu wehren, die man nicht begangen hat, oder ansehen zu müssen, wie sich die Verleumdungen gegen einen häufen, verlangt einen ruhigen, klaren Verstand. Der ultimative Preis im Leben ist deine persönliche Freiheit. Als ich noch ein kleiner Junge war, kamen einmal zwei Bullen zu unserem Haus und ballerten gegen die Tür. Sie sagten, sie kämen meinetwegen. Ich zögerte einen Moment. Dann ließ ich sie rein. Sie wollten wissen, ob ich Ralph hieße, und ich nickte. Kein Mensch in der Schule oder in der Nachbarschaft nannte mich jemals Ralph, aber offensichtlich hatte jemand den Bullen erzählt, ein Kid namens Ralph hätte ein Haus in der Nachbarschaft angezündet. Es war ein anderer Ralph. Ich wußte zwar genau, nach wem die Bullen suchten, aber ich zuckte nur mit den Schultern und schwieg mich aus. Schon damals wollte ich niemanden verraten, schon gar nicht an die Polizei. Hell's Angel 197
Wenn man sich am Rande der Gesetze bewegt, häuft sich die Scheiße manchmal so hoch auf, daß man Flügel braucht, um hoch genug darüber bleiben zu können. Als Hell's Angel bin ich oft in kriminelle Geschichten verwickelt gewesen; Clint Eastwoods Phantasie würde nicht ausreichen, sich auch nur die Hälfte der Scheiße auszudenken, die ich auszustehen hatte. Selbst eine Routine-Verhaftung kann dich in deinem späteren Leben wieder übel einholen. Da war zum Beispiel meine erste Marihuana-Verhaftung. 1963 wohnte ich in einem kleinen Haus an der Arthur Street in Oakland. Meine Freundin war gerade aus Vallejo bei mir eingezogen, und ein Freund namens GUS Pimental (inzwischen verstorben) wohnte als Untermieter bei uns. Eines Tages hatte GUS einem Zivilfahnder in Oakland ein Päckchen Marihuana verkauft, und der Bulle war ihm bis zu unserem Haus gefolgt. Die Bullen kamen mit einem Haftbefehl bei unserem Haus an und brachen die Tür auf, hatten aber keine Ahnung, daß es mein Haus war. Sie waren ziemlich überrascht, mich dort zu sehen. Weil ich vorher schon ein paar Zusammenstöße mit der Polizei von Oakland hatte, kannte ich einige der Bullen. »Hey, Sonny!« rief einer, nachdem sie die Tür aufgebrochen hatten, »was machst du denn hier?« »Ich wohne hier, Mann! Und was, zur Hölle, wollt ihr hier?« Die Bullen waren relativ cool. Sie schnappten sich GUS in seinem Zimmer, wo sie auch ein paar Pfund Gras fanden. Ich hatte, ehrlich gesagt, keine Ahnung, daß GUS das Zeug vertickte. Wenn ich gewußt hätte, daß er Dealer war, hätte ich ihm niemals erlaubt, das Zeug ins Haus zu bringen. Es war total dämlich von ihm, denn in jenen Tagen war die Polizei wie verrückt hinter Marihuana-Dealern her. In Anbetracht der Umstände haben sich die Bullen mir und meiner Freundin gegenüber ganz o.k. verhalten. Wenn sie sonst nichts im Haus finden würden, sagten sie, dann würden sie uns nichts anhängen, denn das Gras hatten sie ja im Zimmer von GUS gefunden. Na ja, fast. Als die Bullen den Koffer meiner Freundin untersuchten, fanden sie darin 15 Gramm Marihuana. Sie erklärten mir, entweder würden wir beide verhaftet, oder ich könnte die Sache allein auf 198
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mich nehmen. Ich entschloß mich, für uns beide geradezustehen, ging mit aufs Revier und legte dort ein Geständnis ab. 1963 waren solche Verhaftungen wegen Narkotika keine Kleinigkeit; der Besitz von Marihuana brachte einem damals zwischen fünf Jahren und lebenslänglich Gefängnis ein. Als ich mich vor Gericht für schuldig bekannte, hätte ich nach dem Gesetz also zwischen fünf Jahren und lebenslänglich verurteilt werden können. Ich rechnete damit, offiziell verurteilt zu werden, aber nach einer Zeitlang auf Bewährung aus dem Knast zu kommen. Seltsamerweise bekam ich keine rechtsgültige Gefängnisstrafe. Statt dessen klopfte der Richter mit seinem Hammer aufs Pult und erklärte: »Ich verurteile Sie hiermit zu sechs Monaten in der KreisHaftanstalt und zu sechs Monaten Bewährung.« Die sechs Monate Bewährungszeit sollten gleichzeitig mit der Zeit im Knast laufen. Mit anderen Worten: Wenn ich mich gut führte und in vier Monaten und zwanzig Tagen (eine Sechsmonatsstrafe mit vorzeitiger Entlassung wegen guter Führung) aus dem Knast gelassen würde, wäre auch meine Bewährungsfrist erledigt gewesen. Nach geltendem Verfahrensrecht hätte mir diese Anordnung im Gericht laut vorgelesen werden und in meine Strafakte geschrieben werden müssen, um mir damit zu verstehen zu geben, daß diese Verurteilung wegen Marihuanabesitzes trotz Bewährungsfrist zu meinen Vorstrafen zählte. Diese blöde Marihuana-Geschichte war 1963 zwar scheußlich lästig, erwies sich aber neun Jahre später als Vorteil. Im Jahr 1968 trieb ich mich viel mit Tiny Walters herum. Damals war Kokain meine Lieblingsdroge, ich nahm so viel davon, daß ich einen Haufen Ärger bekam. Wenn ich nachts nicht nach Hause kam, war ich meist mit Tiny unterwegs und baute irgendwo Mist. Manchmal waren wir tagelang verschwunden, und wenn Sharon sich Sorgen um mich machte, schaltete sie den Polizeifunk an, um zu hören, ob die Bullen mich und Tiny irgendwo gekrallt hatten. Sie konnte nichts anderes tun, als den Kurzwellenfunk abzuhören. Mit all dem Kokain, den schnellen Autos und Motorrädern war ich immer in Gefahr, etwas anzurichten, und ich hatte auch einen Zusammenstoß nach dem anderen mit den Bullen. Mit dem Kokain kamen auch die Schußwaffen. Den Hell's AnHells Angel
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gels ist stets vorgeworfen worden, Schußwaffen zu horten. Sehr viele Amerikaner - besonders die Hell's Angels - sind regelrecht vernarrt m Schußwaffen. Als ich in der Army war, brachte man mir die Liebe zu Schießeisen förmlich bei. Ich besaß eine kleine Kollektion von Waffen, bevor ein Bundesgesetz erlassen wurde, das Vorbestraften den Besitz von Waffen im Haus verbot. Somit war ich in eine Grauzone geraten, als das Gesetz 1968 in Kraft trat. Da gab es meine blöde Verhaftung wegen der Marihuana-Geschichte, und wenn man - nach Gesetzestext -eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bekommen könnte — ganz gleich ob man sie tatsächlich bekam oder nicht - und für schuldig befunden wurde, war das Recht des Betreffenden, Waffen zu tragen, eingeschränkt. Der Besitz von Waffen war für einen Vorbestraften im Staat Kaliforien ein absolutes »No-No«. Im Juni 1968 veranstaltete die Polizei in meinem Haus eine Hausdurchsuchung. Die FBI-Bullen beschlagnahmten ein Theodore-Roosevelt-Erinnerungs-Gewehr und mein Lieblingsstück, eine AR-15, das tollste Scharfschützengewehr auf dem Markt, ein richtiges Sammlerstück. Die Polizei von Oakland legte sich 25 Stück davon zu, nachdem sie mein Gewehr gesehen hatte. Danach duchsuchte auch noch die Staatspolizei mein Haus und nahm mir meine Mossberg-Schrotflinte weg, eine Waffe, die jeder normale Amerikaner zu seinem Schutz im Haus haben sollte. Aufgrund der Gesetzeslage zu jener Zeit war mir ganz einfach nicht klar, ob ich eine Waffe besitzen durfte oder nicht. Wenn ich mir eine Waffe für meine Sammlung kaufte, bekam ich nie irgendwelche Schwierigkeiten in dem Laden bei mir um die Ecke. Ich unterschrieb alle erforderlichen Formulare und hatte keine Ahnung, daß ich legal keine Waffen mehr besitzen durfte. Das FBI hängte mir deswegen schließlich drei Klagen an. Die Bullen hatten gerade erst angefangen, mich wegen meiner Waffen auf dem Kieker zu haben. In den folgenden Jahren stand meine gesamte Nachbarschaft unter ständiger Beobachtung, und die Bullen waren scharf darauf, bei vorbestraften Hell's Angels Waffen zu finden. Sie hofften, uns auf diese Weise fertigmachen zu können. Kriminalbeamte der Regierung schafften es, eines unserer Mitglieder von der San-Jose-Gruppe umzudrehen und als De200
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nunzianten zu gewinnen. Und er »sang« den Bullen ins Ohr, daß ich eine Riesenmenge Marihuana zu Hause hätte. Als sie daraufhin nach Golf Links kamen, fanden sie keine Grastüten zum Verkauf, sondern nur zwei lausige fertiggedrehte Joints Dann nahmen die Dinge eine bizarre Wendung. Als ich wegen der beiden Joints verhaftet wurde, kam ein Bodybuilder, den ich kannte und der Don hieß, mit einer Aktentasche durch das Gartentor in meinen Hof. Die Bullen filzten zu dem Zeitpunkt auch gerade das Haus von Fat Freddie gegenüber. Mann, die Golf Links Road wimmelte nur so von Bullen, und als Don an meine Tür kam, sah er sofort, was los war, drehte sich um und rannte weg. Don sah in seinen feinen Klamotten absolut unverdächtig aus, und die Bullen dachten zuerst, er sei ein Zivilfahnder. Aber als er flüchtete, kam ein Polizist von gegenüber, um zu sehen, was los war. Während Don um die Ecke hinters Haus flitzte, schmiß er seine Aktentasche in meine Garage. Die Bullen packten ihn und verhafteten ihn sofort. Dann brachten sie Don in Handschellen und mit der beschlagnahmten Aktentasche ins Haus. In der Tasche waren ein halbes Pfund Heroin und mehr als ein Viertelpfund Kokain. »Guck mal, was wir gefunden haben!« sagten die Bullen zu mir und legten mir auch noch Dons Drogen zur Last. Allmählich geriet ich ernsthaft in die Klemme. Alle möglichen Anklagen schwebten über meinem Kopf. Kurz vor Beginn meiner Verhandlung wegen Waffenbesitzes vorm Bundesgericht nahm mich mein Anwalt beiseite und erklärte mir, daß es ein Problem damit gebe, mich gegen die Bundesklagen (im Gegensatz zu den Staats- und örtlichen Klagen) zu verteidigen. Er fürchtete, mich in dem Fall nicht gut verteidigen zu können, und meinte, ich müsse mit einer erheblichen Freiheitssstrafe rechnen. Scheiße! Hier saß ich nun ohne Anwalt und mit einem Prozeß vor Augen, also tat ich das einzig Mögliche: Ich ließ die Kaution sausen und haute ab, um mir einen Anwalt für Bundesgerichtsprozesse zu suchen und die nächsten Schritte zu planen ... Als Flüchtling vor dem Gesetz. Während ich mich vor den Bullen versteckte, beraubten zwei Schlauberger zwei Männer von der Drug Enforcement Agency Hell's Angel
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(DEA) - Drogenfahndung -, von denen die DEA Leute hinterher behaupteten, es seien Hell's Angels gewesen. Sie hatten zwar keine Death Head Patches getragen, aber einer von ihnen hätte irgendeine Art von Totenkopf-Tätowierung auf seinem Arm gehabt. Als die DEA Männer bei den beiden Typen einen Scheinkauf von Drogen einfädeln wollten, hatten die beiden angeblichen Hell's Angels den Spieß umgedreht und den Agenten ihre Waffen, Ausweise und ein Bündel markierter Geldscheine geraubt. Die DEA war stocksauer und mit Recht in einer peinlichen Situation, weil ihre Agenten angeschmiert und beraubt worden waren. Die Leute von der DEA waren überzeugt, daß ich in die Sache verwickelt war. Deswegen wurde ab sofort mein Haus überwacht, in der Hoffnung, daß die beiden Clowns irgendwann bei mir auftauchen würden und man sie verhaften könnte, wenn sie beladen mit Marihuana, Drogen und Geld aus meinem Haus kämen. Natürlich passierte das nicht, denn diese beiden Knallköpfe gehörten ja nicht zu den Hell's Angels. Als Flüchtiger vor dem Bundesgesetz wegen Waffenbesitzes war ich schon daran gewöhnt, daß Bullen vor meinem Hause herumlungerten. Ich hatte schon genug Ärger mit dem Gesetz, als diese beiden Arschlöcher mir noch zusätzlich die Polente auf den Hals hetzten. Die DEA wollte in dieser Geschichte unbedingt zu Ergebnissen kommen, also fuhren sie zu Deacons Haus, brachen seine Tür auf, schmissen sein Motorrad um und machten sein Schlagzeug kaputt. Während sie Deacons Haus auf den Kopf stellten, entwischte ich den beiden Agenten, die vor meinem Haus parkten, und schlich mich zu Deacons Haus. Ich nahm an, daß ich dort sicher sein würde, schließlich waren die DEA Agenten schon "wieder weg. Dicker Fehler, Sonny! Als Oakland-Bullen an Deacons Tür ballerten, machte ich die Fliege durch die Hintertür, sprang über den Zaun, blieb bei dem Sprung irgendwie hängen und stürzte. Ein Oakland-Bulle raste mir hinterher, zog seine Kanone und drückte sie mir auf die Stirn. Ich lag flach auf dem Rücken, hatte meine Pistole gezogen und zielte auf ihn. Wir bepöbelten und beschimpften uns gegenseitig, und bevor die Lage noch gefährlicher werden konnte, wurden wir vernünftig und steckten beide unsere Waffen wieder ein. Es zeigte sich, daß die Bullen sowieso nicht 202
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hinter mir her waren. Sie suchten die beiden Irren, die den DEAAgenten so böse mitgespielt hatten. Nachdem wir unsere Schießeisen eingesteckt hatten, setzten wir uns alle zusammen und redeten miteinander. Das heißt, eigentlich redeten die Bullen, und ich hörte zu. Nach allem, was ich von ihnen über die Geschichte mit den DEA-Agenten zu hören bekam, und nach den Beschreibungen der beiden Typen kam ich ziemlich schnell dahinter, wer die beiden falschen Hell's Angels waren. Nachdem die Bullen weg waren, fuhr ich los und fand tatsächlich die beiden Typen. Wir nahmen sie erst einmal in die Mangel und verprügelten sie gründlich. Dazu klemmten wir ihre Hände in Schraubstöcke und schlugen sie mit Lederpeitschen und Holzknüppeln bis zur Besinnungslosigkeit. Nachdem sie uns das Geld, die Ausweise und Polizeimarken ausgehändigt hatten, ließen wir sie laufen. Einer der Blödmänner war so übel zugerichtet, daß die Bullen ihn noch nicht einmal verhafteten, als sie ihn erwischten. Ich gab die Ausweise und das Geld einem Oakland-Bullen, den ich kannte und der dann die »Beute« an die DEA-Agenten zurückgab. Technisch gesehen arbeiteten wir nicht mit der Polizei zusammen. Aber die beiden Trottel hatten sich als Hell's Angels ausgegeben und dafür Prügel bezogen. Außerdem gaben uns die Oakland-Polizisten, denen wir die DEA-Sachen aushändigten, als Gegenleistung den Führerschein eines Clubmitglieds wieder, den sie eingezogen hatten. Altamont war das Leben eine einzige kriminelle KataNach strophe nach der anderen. Sharon schimpfte mit mir herum, weil ich zuviel Clubangelegenheiten am Hals hatte. Ich täte viel zuviel für die Hell's Angels. Die anderen Mitglieder sähen in mir schon fast so etwas wie einen Gott. In deren Augen könne ich einfach nichts falsch machen. Ich war zwar ständig gut mit Kokain gepudert, aber wegen meines hohen Ansehens im Club rückte mir niemand von den anderen Angels den Kopf zurecht, so wie wir es damals taten, als wir die Vorschrift erließen, daß Drogenspritzen im Club verboten war. Ich schnupfte so viel Koks, daß ich gar nicht mehr mitbekam, was ich eigentlich tat. An einem Wochenende im Clubhaus von Brookdale, an dem ich Hell's Angel
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T ununterbrochen Koks schnupfte, wollte ich einmal ausprobieren, wie lange ich wachbleiben konnte. Ich schaffte es neun Tage lang und war am Schluß fast wahnsinnig. Danach war mir klar, daß ich die Kontrolle über das Zeug total verloren hatte. Kokain galt zwar allgemein als gesellschaftsfähige Droge, aber ich hatte inzwischen doch arge Zweifel, was mich und meine Gesundheit anging. Danach zog ich mich an ein paar Wochenenden allein zurück, um auf eigene Faust einen Entzug zu versuchen, aber daraus wurde nichts. Ich hatte ein schweres Problem mit meiner Nase und dem Koks. Abends fuhr ich mit zwei Angels in einem uralten Cadillac Eines auf dem Skyline Boulevard über die bewaldeten Hügel am Stadtrand von Oakland. Wir folgten einigen anderen Hell's Angels, die in einem aufgemotzten Pontiac vor uns fuhren. Plötzlich setzten sich zwei Park Rangers mit ihrem Polizeiwagen zwischen uns. Nach ein paar Kilometern merkten die Ranger, daß das Heck des Pontiac sehr tief hing, und sie vermuteten, daß die Leute in dem Wagen im Park gewildert hatten. Die Ranger signalisierten dem Pontiac zu stoppen, aber statt dessen gaben die Kumpel Vollgas, und die Ranger rasten hinterher. Der Pontiac und die Ranger wirbelten bei ihrer Fahrt so viel Staub auf, daß wir in unserem Cadillac kaum noch etwas sehen konnten und die beiden Wagen aus den Augen verloren. Auf der Suche sahen wir den Pontiac als Wrack im Straßengraben liegen. Die Ranger hatten einen Reifen des Wagens durchschossen, und der Pontiac Fahrer mußte die Gewalt über das Auto verloren haben. Inzwischen hatten die Ranger Verstärkung angefordert. Die Angels aus dem Pontiac waren auf und davon gerannt. Als die Ranger den Kofferraum des Pontiac öffneten, lagen darin zwei gefesselte Männer. Einer hatte eine Schnittwunde an der Kehle, wo ihn die Stiefelspitze des anderen verletzt hatte. Wir kannten die beiden. Es waren Prospects auf Clubmitgliedschaft. Außerdem entdeckten die Ranger auch ein kleines Arsenal Waffen im Kofferraum. Da wir in unserem Cadillac auch alle bewaffnet waren, fuhren wir so schnell wie möglich an dem Pontiac vorbei. Mit Blaulicht und heulender Sirene nahm ein anderer Bulle unsere Verfolgung auf. In Panik warfen wir unsere Waffen aus den Fenstern. Ich hatte 204
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ein Patronenmagazin an meinem Gürtel. Ich riß das Magazin vom Gürtel und warf es raus, schnallte den Gürtel ab und legte ihn auf den Boden. Bevor wir an den Straßenrand fuhren, griff sich mein Beifahrer den Gürtel und warf ihn ebenfalls ins Freie. Es war mein Hell's Angel Gürtel, auf dem mein Name stand. Noch ein dummer Fehler. Als die Bullen sahen, wie Gürtel und Waffen aus den Fenstern flogen, hielten sie und sammelten die Sachen auf. Die Polizisten vermuteten naturlich sofort einen Zusammenhang: Da waren die Hell's Angels mit den beiden gefesselten Männern im Kofferraum des Pontiac und ein paar andere Hell's Angels, die ihnen in ihrem verbeulten, alten Cadillac folgten. Daran mußte etwas faul sein. Wir wurden sofort verhaftet. Die Bullen brachten die Typen aus dem Kofferraum zum Highland Hospital. Derjenige mit der Wunde am Hals war ein gesuchter Delinquent auf der Flucht vor der Polizei, also gab er im Krankenhaus einen falschen Namen an, die Leute fielen darauf herein und nahmen ihn in die Klinik auf. Er entwischte durch einen Hinterausgang und schlich sich zum Haus eines Freundes ganz in der Nähe. Blutend klopfte er an die Tür und sank dann ohnmächtig zu Boden. Völlig verwirrt rief der Freund einen Krankenwagen, der ihn wieder ins Highland Hospital brachte. Inzwischen hatten die Bullen festgestellt, daß ihr Verletzter auf der Flucht vor der Polizei war. Ich wurde wegen Kidnapping, Körperverletzung und Waffenbesitzes verhaftet. Kidnapping war ein Kapitalverbrechen (mit eventueller Todesstrafe), deshalb flogen wir alle ins Gefängnis ohne die Möglichkeit, gegen Kaution freizukommen. Während wir einsaßen, wurde durch Beschluß des Obersten Gerichtshofes der USA die Todesstrafe in Kalifornien abgeschafft. Richter Lio-nel Wilson (der später lange Zeit Bürgermeister von Oakland war) erlaubte unsere Freilassung gegen Kaution. Bis zum Februar 1972 hatten sich mehr und mehr Anklagen gegen die Oakland Hell's Angels angesammelt. Einige Tage nachdem wir gegen Kaution entlassen worden waren, gerieten zwei OaklandMitglieder in eine Mordaffäre um einen Schwarzen namens Bradley Parkhurst, dessen Milz durch einen Fußtritt schwer verletzt worden war. Parkhurst hatte sich, wie ich erfuhr, bei einer Begegnung mit den Angels wie ein Verrückter aufgeführt und wie Hell's Angel
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ein Voodoo-Anhänger mit den Händen herumgestikuliert. Ein Angel hatte zu ihm gesagt: »Schüttel' uns die Hände wie ein weißer Mann!« Daraufhin hatte Parkhurst die Angels angeschnauzt: »Fuck you!« Er wurde zu Boden geworfen und getreten, wobei seine geschwollene Milz platzte. Nachdem unsere Kumpel gegangen waren, fanden ihn seine Freunde bewußtlos am Boden liegen. In der Annahme, er sei mit Drogen abgefüllt, versuchten sie, ihn mit irgendwelchem Hokuspokus wieder auf die Beine zu bringen, was allerdings mißlang. Parkhurst starb im Krankenhaus. Im Herbst 1972 stand fast jeden Tag etwas über die Hell's Angels in den Zeitungen. Für uns war das Chaos ausgebrochen. Sharon hatte sich bei einem Motorradunfall auf dem Oakland-Freeway im Sommer ein Bein gebrochen und bekam noch eine Anklage wegen illegalen Besitzes von Methamphetamin angehängt. Im September erhielten zwei Angels wegen des Todes von Bradley Parkhurst Gefängnisstrafen von fünf Jahren bis lebenslänglich aufgebrummt. Ende September meldete die Frau von Tiny, einem unserer Stars bei der 1965er VDC-Antikriegs-Demo, ihn als vermißt, nachdem er urplötzlich verschwunden war. Sie geriet in Panik und rief die Bullen an. Von Tiny haben wir nie wieder etwas gehört oder gesehen. Vorher hatten wir schon Terry the Tramp verloren. Aber nichts von alldem ließ sich mit dem Ärger vergleichen, den uns der sogenannte »Agero-Badewannenmord« einbrachte -ein Dreifach-Mordprozeß. Dieser Prozeß wurde eines der langwierigsten Strafverfahren in der Rechtsgeschichte von Oakland. Natürlich wurde ich in das ganze Debakel hineingezogen. Am Sonntag morgen des 21. Mai 1972 wurden drei Männer in einem Haus an der Sol Street in San Leandro erschossen. Die drei Opfer, alle Mitte zwanzig, wurden als Kelly Patrick Smith, Willard Thomas und Gary Kemp identifiziert. Kemp hatte gegenüber gewohnt und war mit Thomas und Smith befreundet. FBI-Agenten fanden in Kemps Wohnung drei Pistolen, die in einem anderen Staat als gestohlen gemeldet worden waren. Die Leichen wurden um 18:35 Uhr gefunden; Nachbarn sagten aus, sie hätten einen etwa 35 Jahre alten langhaarigen Mann und eine dunkelhaarige Frau von etwa 25 Jahren an dem Sonntag gegen 9:30 Uhr aus dem Haus kommen gesehen - nach Schätzung der Pathologen etwa 206
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eine halbe Stunde vor der Todeszeit der drei Männer. Neben dem geheimnisvollen Mann und der Frau suchte die Polizei auch noch nach einem Richard Rounder (geänderter Name), der mit Smith und Thomas zusammengewohnt hatte. Am selben Sonntag wurde, nur ein paar Kilometer entfernt, auch der Kubaner Severo Agero in einem Haus in den Oakland Hills erschossen aufgefunden. Er war regelrecht hingerichtet worden. Man fand ihn barfuß, aber ansonsten voll angezogen in der Badewanne. Sein letzter Wohnort war in McAllen m Texas eingetragen. Der oder die Täter hatten das Haus in den Oakland Hills mit Benzin bespritzt und anschließend die Küche angezündet. Die Polizei stufte es als Mord und Brandstiftung ein. Die Todeszeit wurde auf 11:30 Uhr geschätzt, etwa zwei Stunden nach dem dreifachen Mord im benachbarten San Leandro. Die kleinkalibrigen Tatwaffen aus San Leandro waren auch bei dem Mord in Oakland benutzt worden. Die Polizei fand heraus, daß Agero mit Kemp in Drogengeschäfte verwickelt war. Ich bin weder Willard Thomas, Kelly Smith noch Severo Agero jemals begegnet, aber ich kannte Richard Rounder und seinen Freund Gary Kemp. Damals dealte ich mit kleinen Mengen Heroin. Meistens kaufte ich etwa sechs bis sieben Gramm Heroin von Kemp und verschnitt den Stoff anschließend, um etwa 25 Gramm straßenverkäufliches Zeug daraus zu bekommen. Außerdem druckte ich gefälschte Führerscheine für meine Freunde, denen man ihre Scheine abgenommen hatte. Im Zusammenhang mit unseren Drogengeschäften hatte ich gefälschte Ausweise und Fuhrerscheine für Kemp und die beiden anderen, Kelly Smith und Willard Thomas gedruckt. Ein paar Abende vorher hatte ein Freund von Kemp mir einige Polaroid-Portraitfotos und die entsprechenden Informationen für die Personalien gebracht. Da ich ja außerdem ein kleines Waffengeschäft mit den Bullen hatte, gab er mir auch noch ein paar Fotos von Waffen, die Kemps Freund verkaufen wollte. Ich hatte zum Drucken von falschen Ausweisen eine geheime Dunkelkammer in meinem Haus. Sie war in die Wand einer Schrankkammer eingebaut. Dort bewahrte ich auch die Fotos auf, die mir Kemps Freund gebracht hatte. Auch Rounder wußte von meiner Dunkelkammer. Hell's Angel
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Am Abend des Mordes schlief ich in meinem Haus in der Golf Links Road. Irgend jemand brachte Rounder zu meinem Haus. Drei Oakland-Clubmitglieder - Gary Popkin, Sergey (ausgesprochen wie Sir-Gay) Walton und Whitey Smith - waren bei mir, als Rounder kam. Es wurde spät, und wir wollten ihn nach Hause bringen. Wir stiegen alle in Garys Wagen, um Rounder zu seiner Wohnung in der Sol Street zu fahren. Als wir dorthin kamen, waren alle Straßen in der Nachbarschaft abgesperrt und überall standen Bullen herum. Ich wurde nervös und sagte Gary, er solle schnell weiterfahren. Wir fuhren zu Kenny Owens Haus in der Bartlett Avenue in Oakland. Ich sprang aus dem Wagen und ging hinein zu Kenny, der sofort fragte: »Chief, hast du gehört, was mit Rounder passiert ist?« Kenny wußte, daß wir befreundet waren. »Erzähl mir's!« erwiderte ich. »Er ist gerade ermordet worden.« Da lachte ich. »Bullshit. Er sitzt draußen im Wagen!« Kenny widersprach: »Nein! Rounders Mutter hat gerade angerufen und uns gesagt, daß er ermordet worden ist.« »Kenny, wie zum Teufel kann er ermordet worden sein, wenn er draußen in meinem verdammten Wagen sitzt?« Ich ging raus und holte Rounder. »Bei dir zu Hause wimmelt es von Bullen, und deine Mutter ist überzeugt, daß du ermordet worden bist.« Auf diese Weise erfuhren wir, daß in der Sol Street Leute erschossen worden waren, aber nicht genau, wer und - noch wichtiger - warum. Ich befahl Rounder, er solle seine Mutter anrufen, wählte die Nummer und übergab Rounder den Hörer. Es kam mir schon komisch vor, daß er dabei zögerte. »Sag deiner Mutter, du bist am Leben und daß alles in Ordnung ist, du Blödmann!« Da lagen also drei Tote in seinem Haus, und wir wußten alle, daß die Polizei ihn dazu vernehmen mußte. »Noch eins, Mann. Erzähl den Bullen nicht, daß du mit mir zusammen warst!« Ich nahm an, daß die Bullen mich auch vernehmen würden, wenn Rounder mich erwähnte. Da ich schon die Kidnapping- und die illegale Waffenscheiße am Hals hatte, spürte 208
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ich kein Verlangen danach, mich mit irgendwelchen Bullen zu unterhalten. Rounder war ziemlich durcheinander und wußte nicht, was er tun sollte. Zwei Tage danach schnappten sich die Bullen Rounder, um ihn wegen des Mords an Severo Agero zu verhören. Die Polizei ging davon aus, daß Agero mit derselben Waffe erschossen worden war wie die Männer in dem Haus in der Sol Street. Ich lag zu Hause in meinem Bett, als der Mord passierte, und ich ging davon aus, daß Rounder nichts mit dem Badewannenmord an Agero zu tun hatte. Wenn Agero am selben Tag mit derselben Pistole wie das Trio in der Sol Street erschossen worden war und wenn Rounder in der Zeit bei mir war, dann konnte er es nicht gewesen sein ... Jemand hatte ihn zu mir nach Hause gebracht, und ich weiß bis heute nicht, wer das gewesen ist. Die Bullen wurden immer neugieriger. Jetzt wollten sie wissen, was Rounder über Agero wußte. Rounder behauptete, er wisse von nichts, er sei noch nie in dem Haus am Mountain Boulevard gewesen und er habe keine Ahnung, wer Agero erschossen und das Haus angesteckt haben könnte. Der Brand hatte alle Fingerabdruckspuren im Haus zerstört, aber die Polizei fand vor der Tür einen Müllbeutel mit Bierdosen, auf denen Fingerabdrücke waren. Rounder hatte uns offenbar angeschwärzt. Er bestand darauf, Agero nicht erschossen zu haben. Statt dessen wies er die Bullen auf Whitey, Sergey, Gary und mich und erzählte ihnen, wir seien bei ihm im Haus gewesen. Er behauptete, ich hätte Agero mit einer Pistole mit Schalldämpfer erschossen, die ich in einer Perücke versteckt hatte. Er behauptete sogar, er habe Rauch aus der Mündung meiner Pistole kommen sehen. Ich hatte nicht nur keinen umgebracht, es gab zu der Zeit auch nur rauchlose Patronen. Also konnte es keinen Fall der sprichwörtlichen »rauchenden Pistole« geben! Die Polizei schleppte Rounder vor den Untersuchungsrichter zu einer Aussage ohne eidesstattliche Erklärung und sagte dem Richter nicht, daß Rounder sich schon in mehrere widersprüchliche Aussagen verwickelt hatte. Danach wurde Haftbefehl gegen Gary, Whitey, Sergey und mich erlassen. Rounder wurde zum Informanten und zu ihrem möglichen Starzeugen gegen uns. Hell's Angel
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An dem Tag, an dem Rounder uns anschwärzte, war ich bei meiner Schwester zur Hochzeitsfeier ihrer Tochter. Als ich wieder zu Hause war, kamen Sergey, Anita Walton und Gary Popkin bei uns vorbei. Sharon war gerade damit fertig geworden, ein Patch für eines unserer Mitglieder zu nähen. Ich wollte nur noch ins Bett. Wer auch immer als letzter aus dem Haus gegangen war, er hatte die Hoftür nicht ordentlich geschlossen. Wir sahen uns gerade eine Wiederholung von Annie Oakley im Fernsehen an, als es an die Tür klopfte - viel lauter als sonst. Es lag etwas Unheimliches in der Luft. 39 Polizisten hatten das Haus umstellt. Aus ihren Megaphonen dröhnten die Stimmen der Bullen. »Kommen Sie raus! Wir haben einen Haftbefehl!« Ich hatte keine Ahnung, wie ernst die Lage war. Ich forderte die Bullen auf, mir den Haftbefehl unter der Tür hereinzuschieben. Das machte sie noch wütender. Als ich sah, daß es sich bei dem Haftbefehl um Mord handelte, dachte ich zuerst, es ginge vielleicht um jemanden, den wir verprügelt hatten. Man kann ja nie wissen. Ich hatte keinen blassen Schimmer, um was es hier eigentlich ging, also öffnete ich schließlich die Tür. Die Bullen richteten ihre Pistolen auf uns, und wir mußten uns auf die Wohnzimmercouch setzen, dann begannen sie das Haus zu durchsuchen. Rounder hatte ihnen von meiner Dunkelkammer erzählt, wo angeblich nicht nur Drogen, Waffen und Fotos von Waffen, sondern auch die Fotos von den Mordopfern versteckt seien. Die Bullen brauchten eine ganze Weile, bis sie die Dunkelkammer fanden, weil ich sie sehr gut getarnt hatte. Wenn Rounder die Kammer nicht gekannt hätte, wären die Bullen nie darauf gekommen. Sie war hinter einer Wandverkleidung sauber und unsichtbar versteckt. In der Dunkelkammer waren Fotos von Rounder, Kemp und diesem erschossenen Typ Kelly Patrick Smith, außerdem Namen und Personalien, und jede Menge Fotos von Gary, Sergey, Whitey, mir und anderen - ein ganzes Sortiment von den ermordeten Leuten aus der Sol Street und von einer Menge Hell's Angels. Die Bullen verließen das Haus durch die Hintertür mit allem, was sie im Haus und in der Dunkelkammer gefunden hatten. Wir saßen auf der Couch und hatten keine genaue Vorstellung davon, welches Beweismaterial nun in den Händen der Polizei war. 210
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Ich steckte wirklich tief in der Scheiße, zumindest nach Ansicht der Bullen. Sergey, Anita, Gary und ich wurden von der Polizei mitgenommen, während Sharon zurückblieb, um das Chaos im Haus wieder in Ordnung zu bringen. Ich hatte ungefähr 2000 Dollar in bar im Haus rumliegen. Nach dem Gesetz muß die Polizei vorgefundenes Geld vor deinen Augen zählen, bevor sie es beschlagnahmt und mitnimmt. Während der Bulle das Geld vor Sharon abzählte, nickte sie immer wieder vor Müdigkeit ein. Um das Maß voll zu machen, rissen die Bullen auch noch die ganze Couch auseinander und fanden darin noch mehr Drogen und Waffen. Daraufhin wurde auch Sharon verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Die Kaution für sie wurde auf 16 000 Dollar festgesetzt sehr viel Geld im Jahre 1972. Unser Plan war, Sharon als erste gegen Kaution frei zu bekommen. Dann könnte sie mit einem Ermittler zusammenarbeiten und die ganze Sache für das bevorstehende Verfahren vorbereiten. Wir anderen waren die Angeschissenen. Die Kaution für uns wurde auf 150000 Dollar festgesetzt - viel zuviel, als daß einer von uns diese Summe hätte aufbringen können, um auf freien Fuß gesetzt zu werden. Wir waren vorerst im Bezirksgefängnis Alameda eingelocht. Sharon war nur wegen Drogenbesitz verhaftet worden, und die Bullen wollten ihren Fall streng getrennt von unserer Anklage wegen Mordes halten. Anfangs wollte ich das unbedingt verhindern. Sharon würde zwar eine Verurteilung riskieren, aber ich fand, es sähe besser für uns vier aus, wenn sie gemeinsam mit uns vor Gericht erschiene. Die Geschworenen könnten dadurch verunsichert werden. Sharon war einverstanden. Aber am Ende entschied ich mich doch dagegen. Das Risiko war einfach zu groß. Dann wurden die Verfahren gegen Sharon und mich wegen der Drogen doch noch völlig von dem Mordprozeß getrennt. Erst wenn die Mordanklage abgeurteilt war, sollten Sharon und ich zusammen wegen Besitz und Verkauf von Drogen angeklagt werden. Die Staatsanwaltschaft behauptete, wir hätten das Haus in Oakland mit Benzin vollgesprüht, nachdem ein Kokaingeschäft mit Agaro schiefgelaufen war. Eine Zündflamme in der Küche habe dann die Explosion und den Brand ausgelöst. Keiner von Hell's Angel
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uns hatte jedoch irgendwelche Verbrennungsmale. Nach Rounders Aussage bewahrte Agaro sein Kokain in einer blauen Aktentasche auf. Genau so eine blaue Aktentasche fand sich praktischerweise in meinem Haus, als wir verhaftet wurden. Das Ganze wurde noch verrückter, als ein fünfter Mord entdeckt wurde! Dieser Mord lieferte dem Ankläger auch das Motiv. Eine Frau wurde im Kofferraum eines Schrottautos tot aufgefunden. Die Presse berichtete kurz darauf, daß es sich bei der Ermordeten um die Kusine von Sergey Walton handeln würde! Bei der Anklage gegen Sergey, Whitey, Gary und mich behauptete die Staatsanwaltschaft nun, ein Motiv für den Mord an Agaro zu haben. Es gebe einen Zusammenhang zu einem Kokainhandel im Wert von 90 000 Dollar, und der dreifache Mord sei eine Racheaktion der Hell's Angels für den Mord an dieser Frau. All diese Geschichten erzählte Rounder der Polizei drei, vier Tage nach den ersten Morden. Wir waren längst inhaftiert, als wir von dem fünften Mord erfuhren. Während auch die Presse behauptete, wir hätten die drei Männer in der Sol Street aus Rache ermordet, weiß ich bis heute nicht, ob die ermordete Frau wirklich Sergeys Kusine war. Vor Prozeßbeginn dachte ich eingehend über meine Verteidigung nach. Was hatte ich eigentlich getan? Klar — ich war sehr stark involviert, ich war ein Hell's Angel, und das Gericht würde mich bestimmt wegen irgend etwas drankriegen. Ich beschloß, auszusagen, daß ich zwar mit Heroin gehandelt, aber niemanden ermordet hatte. Der Prozeß war von Anfang an der reinste Zirkus. Die Staatsanwaltschaft hatte wohl gehofft, als sie uns alle zusammen vor Gericht stellte, wir würden auf die Geschworenen einen besonders gefährlichen Eindruck machen - eine bedrohliche Mörderbande, Ein Informant im Bezirksknast behauptete, ich hätte Sergey eine Anzahl von Notizzetteln zukommen lassen, die für uns sehr belastend seien. Mein Verteidiger beugte sich zu mir und fragte, warum ich ihm kein Wort von diesen Zetteln gesagt hatte. In Wirklichkeit hatte ich nur einen einzigen Zettel an Sergey geschrieben. Der Ankläger aber hatte einen ganzen Stapel solcher Zettel vor sich. Als wir die Zettel prüften, stellten wir fest, daß sie noch nicht einmal in meiner Handschrift geschrieben waren. 212
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Der einzige Zettel, den ich tatsächlich geschrieben hatte, bezog sich auf die Waffen, die wir der Oakland-Polizei hatten zukommen lassen. Ich sagte dazu aus, wir hätten den Bullen diese Waffen in der Hoffnung gegeben, damit Gefängnisstrafen anderer Angels zu verringern. Obwohl ein Zeuge der Oakland-Polizei bestritt, daß es eine derartige Vereinbarung gegeben habe, war der Richter stocksauer, daß die Bullen überhaupt solche Waffengeschäfte mit uns gemacht hatten. Kein Gericht, so verkündete er, dürfe unter solchen Umständen die Zahlung von Kautionen gutheißen, und er wünsche zu erfahren, wer aus der Gerichtsbarkeit in diese Sache verwickelt gewesen war. Ein weiterer Zeuge der Anklage war so verängstigt, daß er im Zeugenstand buchstäblich zitterte. Der Richter sah auf ihn hinab und fragte: »Mein Sohn, haben Sie Angst?« »Euer Ehren, ich habe Todesangst.« »Sind Sie von irgend jemandem in diesem Gerichtssaal bedroht worden?« fragte der Richter und blickte auf uns vier Angels. »Ja, Sir, ich bin bedroht worden.« »Von wem?« »Von einem Sergeanten im Revier des Sheriffs, Euer Ehren. Er hat gesagt, wenn ich nicht ganz genau das aussage, was er mir gesagt hat, dann würde ich den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen.« Der Richter wies den Zeugen daraufhin aus der Verhandlung. Der Prozeß dauerte vier Monate, und es schien wirklich alles dabei schief zu gehen. Die Mordwaffe wurde zwar niemals gefunden, aber sie wurde als eine in England für die CIA angefertigte Pistole mit einem Linksgewinde identifiziert, ein sehr seltenes Stück. Bei dieser Pistole bekommt die Kugel einen Drall gegen den Uhrzeigersinn, statt rechtsherum wie normalerweise. Statt die Mordwaffe beim Prozeß als Beweisstück vorzulegen, hatte die Anklage das Smithsonian Institut in Washington um ein Exemplar ersucht, das sie den Geschworenen zeigte. Ich habe nie in meinem Leben eine solche Pistole besessen. Zu den Indiz-Beweisen gehörte auch die blaue Aktentasche, in der Kemps Freund mir die Drogen geliefert hatte. Man behaupteHells Angel
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te, ich hätte einen Schlüssel, der mit dem Schlüssel identisch war, der bei Ageros Leiche gefunden worden war und mit dem man die Aktentasche aufschließen konnte. Mein Verteidiger legte dem Gericht Dutzende von Schlüsseln vor, mit denen sich die blaue Aktentasche ebenfalls öffnen ließ. Er sagte, im Gerichtssaal säßen bestimmt noch andere Leute mit Schlüsseln, mit denen sich die Tasche genausogut öffnen lasse. Die Jury schien das zu glauben. Als sich die Geschworenen schließlich zur Beratung zurückzogen, machten sie eine vorläufige Abstimmung und kamen dabei zu dem Votum: Nicht schuldig im Sinne der Anklage. Danach hockten sie aber noch tagelang zusammen in Klausur und prüften die Beweislage, um dann endgültig abzustimmen. Wahrscheinlich dachten sie, daß ein neuer Prozeß anberaumt würde, wenn sie uns zu schnell für nicht schuldig befanden. Gary, Whitey, Sergey und ich wurden im Anklagepunkt Mord für nicht schuldig befunden. Als ich das »nicht schuldig« hörte, wischte ich mir Tränen der Erleichterung ab und dankte den Geschworenen persönlich. Der Richter war sichtbar verärgert. Die Staatsanwaltschaft war so sauer über den Freispruch wegen Mords, daß sie mich nun unter allen Umständen kleinkriegen wollte. Weil ein erheblicher Teil meiner Verteidigung auf meinem ehrlichen Eingeständnis beruhte, daß ich mir in meinen KokainJahren viel Ungesetzliches erlaubt hatte, verfolgte der Ankläger mich nach meinem Mord-Freispruch wegen meiner drogenbezogenen Eingeständnisse im Zeugenstand. Der Richter beraumte auch sofort ein neues Verfahren deswegen an. Mir war klar, daß ich ganz schön in der Scheiße steckte. Mann, da lag eine ellenlange Liste von Beschuldigungen gegen mich vor. Man hätte eine Rechenmaschine gebraucht, um das alles zusammenzuzählen. Jetzt stand ich nicht nur wegen der Drogen, sondern auch wegen dieser Kidnapping-Geschichte mit dem Pontiac vor dem Kadi. Außerdem legte mir das FBI auch noch drei Fälle von illegalem Waffenbesitz zur Last. Ich saß verdammt fest. Jetzt war es wirklich Zeit für Let's Make a Deal im Sonny-Barger-Stil. Am Ende kam folgendes dabei heraus: Ich wurde für schuldig befunden wegen des Besitzes von 37 Gramm Heroin, wofür es in Kalifornien fünf bis fünfzehn Jahre gibt. Aufgrund meiner Mari214
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huana-Vorstrafe von 1963 (Besitz von 19 Joints) würde sich das auf zehn Jahre bis lebenslänglich erhöhen. Das bedeutete, daß ich mindestens zehn Jahre absitzen müßte, ehe ich Entlassung auf Bewährung beantragen könnte. Der Besitz von nur einem Gramm Kokain bedeutete eine Strafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, aber wegen der Marihuanavorstrafe würde sich das ebenfalls auf fünf bis 15 Jahre erhöhen, wobei ich in jedem Fall fünf Jahre vor einer Begnadigung auf Bewährung absitzen müßte. Nachdem ich wegen der Drogenanklage für schuldig befunden worden war, zog der Richter alle einzelnen Heroin-, Marihuana-, Seconal- und Kokainverbrechen zu einer Gesamtstrafe von 15 Jahren bis lebenslänglich zusammen. Die Anklage wegen Kidnapping wurde zu Freiheitsberaubung verringert, die Anklagen des FBI und des Staates Kalifornien wegen illegalen Waffenbesitzes auf zwei Zweijahresstrafen verringert, die gleichzeitig abzusitzen waren - mit anderen Worten: Alle Freiheitsstrafen wurden als »gleichzeitig« anerkannt, so daß ich sie nicht alle nacheinander absitzen mußte. Das FBI war mit dieser Lösung einverstanden, vermutlich gingen sie davon aus, daß sie mich nie mehr auf einem Motorrad auf einem Highway sehen würden. Nach der Ansicht des FBI würde ich zunächst einmal mindestens 15 Jahre absitzen müssen, bevor ich ein Gnadengesuch einreichen durfte. Der früheste Zeitpunkt, zu dem ich mit einer Entlassung auf Bewährung rechnen durfte, wäre wohl in 30 Jahren - also im Jahre 2002. Nun glaubten alle tatsächlich, sie hätten mich total abserviert. Das Gericht und die Bullen klopften sich damals, 1973, gegenseitig vor Genugtuung auf die Schultern. Sie feierten die Nachricht, daß der Gründer des Hell's Angels Motorcycle Clubs von Oakland hinter Gitter ging und wahrscheinlich den Rest seines schäbigen Lebens in einer Hochsicherheitszelle verbringen mußte. Die Nachricht, daß ich nun für immer hinter Schloß und Riegel steckte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Vermutlich würde ich den Rest des Jahrhunderts eingesperrt bleiben. Zum ersten Mal in meinem Leben landete ich nicht im Bezirksknast, sondern war auf dem Weg in ein Staatsgefängnis.
Oben: Voller Muskeln und eingesperrt. Ganz links bin ich beimGewichtheben im Folsom Gefängnis Unten: Mein Highschool-Abschluß hinter Gittern wird gefeiert (vordere Reihe, dritter von links).
11 IM KNAST -ANGELS AUF EIS
I
m Jahr 1957 landete ich zum ersten Mal im Gefängnis. Ich fuhr auf einem Motorrad von einer Party in Alameda zurück nach Oakland und war ziemlich angetrunken. Dabei knallte ich auf einen geparkten Wagen. Der Besitzer, war ein gutmütiger Mensch. Er kam aus seinem Haus, um mir zu helfen, aber dummerweise war ich so besoffen, daß ich ihm die Schuld dafür gab, seinen Wagen genau da geparkt zu haben, wo ich langfahren wollte! Am nächsten Morgen wachte ich in einer Zelle auf. So betrunken wie nach der besagten Party war ich in meinem ganzen Leben nur drei- oder viermal, und jedes Mal endete es schlimm für mich. Da saß ich nun morgens in der Zelle, bis ein Bulle reinkam und mich fragte: »Hey, bist du Sonny und hast eine Schwester, die Shirley heißt?« »Ja.« Er schubste mich in einen kotzgrünen Raum mit einem Telefon. »Hier - ruf deine Schwester an!« Am Abend vorher hatte Shirley ein paar Mal im Gefängnis angerufen und nach mir gefragt. Die diensthabenden Bullen hatten ihr gesagt, sie könnten mich nicht ans Telefon bringen, ich sei zu betrunken und redete sowieso nur wirres Zeug. Bei meiner Verhaftung hatten die Bullen sofort mein Motorrad beschlagnahmt. Mit den paar Dollar, die Shirley besaß, konnte sie erst einmal nur mein Bike gegen Kaution frei kriegen. Ich mußte im Knast bleiben. Sie wußte aber, daß ich, sobald ich wieder nüchtern war, schon rauskommen würde. Hell's Angel 217
Nach zwei Tagen entließ man mich aus der Haft, anschließend mußte ich mich vor dem Kadi wegen Trunkenheit am Steuer verantworten, und ich erfuhr zum ersten Mal, wie bekloppt Gerichte manchmal sein können. Der Typ, der vor mir wegen einer ähnlichen Anschuldigung verurteilt wurde, war in der Navy. Er erklärte sich schuldig. Daraufhin erhielt er vom Richter eine Haftstrafe auf Bewährung und konnte gehen. Also rechnete ich mit demselben Urteil und bekannte mich ebenfalls schuldig. Ich kam aber nicht so leicht davon wie der Navy-Typ. Mir brummte der Richter 90 Tage und eine Geldstrafe von 250 Dollar auf. 60 Tage davon setzte der Richter zur Bewährung aus, und so mußte ich immer noch 30 Tage absitzen. Ich sollte nach Santa Rita überstellt werden. Santa Rita ist nicht weit von Oakland entfernt, dort, wo inzwischen die Vororte liegen und in der Nähe vom Highway 50, der jetzt Interstate 580 heißt. Der Knast gehört zur Justizvollzugsanstalt des Kreises Alameda und ist eine offene Strafvollzugs-Einrichtung für männliche und weibliche Straftäter. Bekannt wurde das Haus, weil einige Studenten der UC Berkeley University während der Krawalle auf ihrem Campus um die Free-Speech-Bewe-gung dort landeten. Etliche Hell's Angels haben diese Mauern schon von innen gesehen. Auf dem Run nach Santa Rita stoppten wir am Gerichtsgebäude des Landkreises Alameda, wo ich zwei Tage lang in einem Sondergefängnis untergebracht wurde, weil die Bullen irgendwie Scheiße gebaut hatten. Normalerweise steckte man jemanden wie mich - einen Ersttäter - niemals in einen solchen Knast. Aber da saß ich nun als 18jähriger in einer Vier-Mann-Zelle zusammen mit zwei anderen Typen, denen jeweils ein Doppelmord zur Last gelegt wurde. Einer von ihnen war ein Schwarzer auf dem Weg zur Gaskammer. Er hatte seine Freundin und deren neuen Freund kaltgemacht. Die beiden fragten mich, wofür ich sitzen mußte. Als ich ihnen sagte, daß ich wegen Trunkenheit auf dem Motorrad eingebuchtet war, trauten sie ihren Ohren nicht. Das meine ich damit, wenn ich den Justizapparat bekloppt nenne. 15 Jahre später landete ich in genau demselben Knast. Diesmal saß ich dort wegen des Agero-Mordes in U-Haft, und in meiner Zelle saßen wieder zwei Typen wegen Mordverdacht. 218
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Und wieder steckte man einen 18jährigen zu uns in die Zelle. Ich fragte ihn, warum er im Knast war. Er hatte die Kreditkarte der Mutter seiner Freundin gestohlen und war damit nach Hawaii geflogen. Anschließend fragte er mich, wofür ich saß. »Mord«, antwortete ich ihm. »Mord?« Genau wie ich damals versuchte dieser Junge zu verbergen, daß er große Angst hatte. Er war total verängstigt. Wenn man ihn am nächsten Tag entlassen hätte, wäre er nach meiner Überzeugung für den Rest seines Lebens nie mehr mit dem Gesetz in Konflikt geraten. So aber schickte ihn der Richter für 90 Tage zur Beobachtung nach Vacaville. Ich saß noch immer im selben Knast, als er nach drei Monaten als knallharter Gangster zurückkam. Hätten sie ihn laufenlassen, wäre er in diesen 90 Tagen nicht zum Verbrecher geworden. Aber wenn man erst einmal im Knast war, seine Zeit abgesessen und sich an das System gewöhnt hat, dann macht einem keine Haftstrafe mehr Angst. Als ich bei meiner ersten Strafe schließlich nach Santa Rita kam, zitierte mich der Captain der Wachmannschaft zu sich, um mir zu sagen, daß ich nicht anders als alle anderen Gefangenen behandelt würde, nur weil ich ein Hell's Angel war. Daraufhin fragte ich ihn: »Bestellen Sie jeden Gefangenen zu sich, um ihm so etwas zu sagen?« Er antwortete: »Nein.« Also erwiderte ich: »Dann behandeln Sie mich doch anders als alle anderen Gefangenen!« Da wurde er stocksauer. Meine erste Knastzeit in Santa Rita war nicht besonders schlimm. Ich arbeitete in den Garagen und wartete und reparierte die motorisierten Rasenmäher, weil ich mit Bikes Bescheid wußte. Das System machte mich nicht zum Gangster, ich hatte die Entscheidungen für mein weiteres Leben bereits getroffen: Ich wollte nur Motorrad fahren und Spaß haben. Trotz allem war ich wegen dieser Haftstrafe schon für die normale Welt gebrandmarkt. Dabei fuhr ich ja nur Motorrad mit den »Freewheelers«, den Kumpels, die nur wenig arbeiten und gerade genug verdienen, um Spaß zu haben. Ich war gut befreundet mit Typen, denen es absolut scheißegal war, was andere von ihnen dachten, und die sich einen Dreck darum scherten, ob ich im Knast gewesen war oder nicht. Hell's Angel
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h war wegen aller möglichen Delikte im Gefängnis, aber HaftIcstrafen konnten mich anfangs nicht erschüttern. Erst als ich zu vielen Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, nachdem ich im Agero-Prozeß gestanden hatte, Drogen verkauft zu haben, begann das Gefängnissystem, auch mich zu verschlucken. Die Aussicht, den Rest meines Lebens hinter Gittern verbringen zu müssen, empfand ich als bittere - aber nicht unmögliche - Pille. Nach dem Urteil und der Verkündung des Strafmaßes wurde ich zunächst in die Vacaville Correctional Facility überstellt, einer Zwischenstation der California Medical Facility. Wenn man in Nordkalifornien lebt, wird man erst einmal dorthin verfrachtet und klassifiziert und danach wird entschieden, in welchem Knast man endgültig landet. Aus irgendeinem Grund gab es in Vacaville mehr »Mädchen« als in jedem anderen Knast Kaliforniens. Ich war zwar inzwischen 32 Jahre alt, aber es haute mich beinahe vom Stuhl, als ich zum ersten Mal so einen Haufen Transvestiten hinter Gittern sah. Mann, ich hatte schon einiges im Leben gesehen, aber diese Männer sahen wirklich haargenau so aus wie Frauen. Es war einfach zu verrückt ... Ich war auf alles vorbereitet, was man dort mit mir anstellen würde und hielt mich für einen zähen Burschen. Im Gefängnis zu sitzen ist nicht das Allerschlimmste auf der Welt. Sie können dich einschließen, aber sie können dir nicht deine Gedanken nehmen. Meine Gedanken konnten sich allem anpassen. Jedenfalls konnte ich nicht herumsitzen und weinen, weil ich kein Motorrad mehr hatte. Außerdem wußte man schließlich nie, was noch alles im Busch war. Heute mochte man vielleicht noch lebenslang einsitzen, aber morgen konnte man schon wieder frei sein. Ich kämpfte vor Gericht genauso wie in den Biker-Bars. Man steckte mich ins Folsom Gefängnis. Folsom wird auch »das Lagerhaus« genannt. Wenn man erst einmal im Gefängnis von Folsom landet, dann sitzt man meistens tief in der Scheiße. Praktisch alle Insassen von Folsom sind Lebenslange mit verschärften Strafen, und die Sträflinge werden nur sehr selten wenn überhaupt - auf Bewährung entlassen. Wenn einer dort nur fünf bis zehn Jahre abzusitzen hat, ist er vorher oft schon 220
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durch das gesamte Vollzugssystem geschleust worden, und kein anderes Gefängnis war mehr bereit, ihn aufzunehmen. Weil die Justizbehörden den berüchtigten Ruf von Folsom fördern wollten, gaben sie dem Gefängnis den Beinamen »the Last Stop«. Folsom ist die Zweitälteste Strafanstalt von Kalifornien und wurde ursprünglich auf einem Terrain gebaut, das der Eisenbahn gehörte. Die Originalmauern aus Granit, die fünf Zellblöcke umgeben, sind weltbekannt. Der Bauplatz wurde gewählt, weil es in der Umgebung viele natürliche Felsen gibt, die die allerersten Insassen für den Bau der Mauern kleinklopfen mußten. Der American River dient nicht nur zur Wasserversorgung, er bildet auch eine natürliche Abgrenzung der Anstalt. Dieses Gefängnis war ursprünglich für »Langzeit-Verurteilte, Gewohnheitsverbrecher und Unverbesserliche« gedacht. Das bekannteste Produkt aus den Werkstätten der Anstalt sind die Nummernschilder für Autos. Nun war ich ein bestätigter Fünfzehn-Jahre-bis-Lebenslanger im kalifornischen Strafvollzugssystem. In Vacaville hatte ich 90 Tage abgesessen, inklusive eines Siebzehn-Stunden-Einschlusses. Ich war Präsident der Hell's Angels; also mußte ich in den Hochsicherheitsknast von Folsom. Während meiner ersten Woche in Folsom prasselten noch weitere Klagen und Verfahren auf mein Strafkonto. Das FBI beschuldigte mich der Steuerhinterziehung sowie drei weiterer WaffenbesitzFälle. Ich bekannte mich schuldig und machte einen »Deal«: Der Richter erlaubte mir, die zuzüglichen Strafen gleichzeitig mit den anderen abzusitzen, und die Bundesstaatsanwälte waren damit einverstanden. Wenn ich also eine bestimmte Zeit meiner Staatsurteile abgesessen hätte, würden diese auf meine Bundesstrafen angerechnet werden. Auf Dauer gesehen erwies sich diese Regelung als echter Vorteil für mich. Normalerweise stimmen die Bundesbehörden solchen Vereinbarungen nicht zu, aber sie gingen davon aus, daß ich so oder so für immer im Knast sitzen müßte. Und daß ich mich in allen Fällen für schuldig erklärt hatte, ersparte ihnen viele langwierige Strafverfahren. Bis ich nach Folsom kam, war ich noch nie in meinem Leben in einer Strafanstalt gewesen, sondern nur in den Knasts der Bezirksverwaltungen. In Bezirkshaft saß ich immer 24 Stunden in der ZelHell's Angel
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le, sieben Tage die Woche. In der Strafanstalt mußte es nach meinem Ermessen besser sein. Ich war schließlich in der Army gewesen, also rechnete ich auch in Folsom mit einer ganzen Reihe von Vorschriften, Regeln und Anordnungen. Daß ich ein Hell's Angel war, machte meine Zeit in der Anstalt nicht gerade leichter. Der Staat Kalifornien ging besonders hart gegen die Motorradclubs vor. Ich lernte an die 100 Insassen von Folsom kennen, und davon waren 50 bis 75 eingeschworene Biker. Wir hielten fest zusammen. Der Sicherheitsgrad einer Strafanstalt bestimmt die Bewegungsfreiheit ihrer Insassen. Die Sträflinge in San Quentin dürfen zu verschiedenen Intervallen aus ihren Zellen heraus. Nächtliche Freigänge gab es in Folsom nicht. Aufschluß war um acht Uhr morgens, da konnte man in den Hof, und um 15:00 Uhr war Einschluß, was das Ende des Tages bedeutete. Folsom war damals der einzige Hochsicherheitsknast im Staat. San Quentin war zwar auch eine Strafanstalt, aber kein Hochsicherheitsgefängnis, dort gab es andere Methoden, um mit schwierigen Sträflingen umzugehen. Wenn man in Q Unruhe stiftete, wurde man in seine Zelle gesperrt, und die Zellentür wurde zugeschweißt. Erst Monate später frästen sie die Tür wieder auf. Ich hing meistens mit den anderen Motorradfahrern im Knast herum. Unter all den Bikern in Folsom waren immer fünf oder sechs Hell's Angels. Es half enorm, mit anderen Hell's Angels im Knast zu sein. Natürlich ist es schlimm, seine Brüder hinter Gittern zu sehen, und man freut sich, wenn sie wieder entlassen werden, aber daß sie mit einem zusammen sind, freut einen selbstverständlich auch. Wir sahen uns jeden Tag, ausgenommen natürlich während des Einschlusses. Fu, Marvin, Grubby Glen und Whitey saßen ebenfalls in Folsom. Doug the Thug kam und ging; man schickte ihn zwischen San Quentin und Folsom hin und her. Andere Biker wie Billy Maggot und Brutus kamen ebenfalls aus San Quentin. Man nannte das »Bus-Therapie«. Wenn es in San Quentin Probleme gab Rassenkämpfe, Drogen, Gewalttätigkeiten oder anderen Ärger -, dann wurden die Schuldigen einfach zu uns geschickt und ihr Aufenthaltsort vorläufig in bürokratischer Schwebe gelassen. »BusTherapie« war der Name für ein Problem, das man nicht löste, sondern vor sich herschob. 222
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Die Motorradfahrer setzten sich aus Clubmitgliedern und individuellen Bikern zusammen. Es gab in Folsom Angehörige aus etlichen Clubs: Satan Slaves, Gipsy Jokers - aus jedem Club saß irgendwer in Folsom. Im Gefängnis miteinander auszukommen ist für jeden wichtig. Rivalisierende Clubmitglieder gibt es nicht hinter Gittern. Nach drei Uhr nachmittags wurde man nur aus der Zelle herausgelassen, wenn man irgendwo gebraucht wurde. Und selbst dann wurde man eskortiert, denn keiner von uns durfte nach 15:00 Uhr allein im Hof sein. Zu Beginn meiner Zeit in Folsom kam es im Hof zu heftigen Zusammenstößen zwischen Weißen und Schwarzen. Dabei flogen die Kugeln nur so durch die Gegend. Ich hatte keine Ahnung, auf wen oder was die Wachen schössen, deshalb nahm ich volle Deckung, weil ich nicht angeschossen werden wollte. Ich lernte meine Lektion schnell. Wenn zwei feindliche Gruppen im Hof aufeinandertreffen, tut man gut daran, sich entweder schnell einer Gruppe anzuschließen oder sich hinzuwerfen und Deckung zu suchen. Wer immer sich nachts allein im Hof aufhielt, wurde niedergeschossen. Wenn man in den Hof hinausrannte, pfiffen einem sofort die Kugeln um den Kopf. Wenn man sich im Hof mit jemandem prügelte, wurde ohne Vorwarnung auf beide Schläger geschossen. Wenn in Folsom irgendein Krawall ausbrach, wurden die Streithähne sofort erschossen. Gründe und nähere Umstände des Zoffs wurden erst hinterher überprüft. Das war nun einmal Teil des grausamen Rufs der Anstalt. 1973 durfte man dort noch keine Playboy-Magazine haben, und es gab auch kein Fernsehen. Kleine Radioapparate mit Kopfhörern waren gestattet, wenn sie batteriebetrieben waren. Im Gebäude l, wo ich saß, gab es kein heißes Wasser. Jeden Morgen bekam man heißes Wasser in einem Eimer zum Waschen und Rasieren. Im Sommer 1975 wurden die Bestimmungen ein wenig gelokkert. Die Kleidungs- und Zeitschriftenvorschriften wurden gelokkert und sogar Fernseher waren erlaubt. »Du wirst es nicht glauben: Lange Haare und Schnauzbärte sind jetzt in Folsom gestattet. Wenn meine Haare doch nur Hell's Angel
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schneller wachsen würden; aber eines weiß ich ganz sicher: kein Haarschnitt mehr, so lange ich hier drin bin! 8.Juli 1975, Brief an Sharon Weil ich Präsident der Hell's Angels war, behandelten die Wächter mich anders als die anderen. Sie redeten ein bißchen freundlicher mit mir. Es gab die Vorschrift, daß niemals mehr als fünf Leute in einer Gruppe beisammen sein durften. Einmal w^aren wir im Hof, und acht oder zehn von uns lagen auf dem Boden und quatschten miteinander. Der Wächter kam zu uns und nahm alle Ausweiskarten an sich. Ich pöbelte ihn deshalb an, und nach einer Weile kam er schließlich wieder und gab uns die Karten zurück. Einer meiner Freunde arbeitete im Gefängnisbüro, wo sowohl Insassen als auch das Knastpersonal beschäftigt waren. Er fragte mich, ob ich wisse, warum wir unsere Ausweiskarten so schnell zurückbekommen hatten. Ich erfuhr, daß die Bullen Anweisung hatten, niemals im Hof und in Gegenwart anderer Sträflinge Auseinandersetzungen mit mir zu haben. Wahrscheinlich fürchtete man meinen »Einfluß« auf andere Insassen und glaubte, ich könnte einen Aufstand inszenieren. Ich bemühte mich, so cool wie möglich zu sein, aber trotzdem wurde ich auch in Folsom als eine Art Führer angesehen. Als ich einmal in der Werkstatt arbeitete, schmiedete ich einen silbernen Club-Ring, und ich trug ihn auch im Hof am Finger, als einer der Wächter auf den Wachtürmen etwas Metallisches an meiner Hand aufblitzen sah. Er alarmierte sofort die Wächter auf dem Hof. Statt mich nun auf dem Hof zu untersuchen, brachten sie mich ins Haus und durchsuchten mich nach einem Messer. Sie wollten mir den Ring wegnehmen, aber ich wollte ihn nicht ohne Quittung hergeben. Der einzige, der mir eine Quittung hätte geben können, war der Leiter des Wachpersonals, also wurde ich ins Meldebuch eingetragen, weil ich einen Club-Ring trug. Später beklagte ich mich darüber bei einer Beschwerdeanhörung, weil mir das Rohmaterial verkauft worden war, ich den Ring in der Werkstatt schmieden durfte und in den Vorschriften nichts darüber zu finden war, was das Tragen des Rings verbot. Statt den Ring zu vernichten, legte man ihn bis zu meiner Entlassung zu meiner per224
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sönlichen Habe. Zumindest in dieser Auseinandersetzung hatte ich gewonnen. Bevor ich nach Folsom kam, hatte ich noch nie in eine Flasche pinkeln müssen, nicht einmal, als ich wegen Drogenmißbrauchs im Bezirksknast saß. Aber hier wurde behauptet, man mache stichprobenartige Urinuntersuchungen, aber mein Name tauchte mindestens zwei- bis viermal im Monat auf. Na ja, mir war es egal, ich war clean und hatte mich schon im Bezirksknast von einem Tag auf den anderen vom Kokain verabschiedet. Wenn man mich trotzdem weiter testen wollte, okay, das bedeutete nur, daß ein anderer in Folsom, der nicht sauber war, ungeschoren blieb. Rassenprobleme waren in Folsom nicht so groß wie in San Quentin oder Soledad. Gelegentlich mag es auch hier ein bißchen Stunk gegeben haben, aber hier saßen eben nur Lebenslange oder Langzeitsträflinge ein, die versuchten, miteinander auszukommen. Wir saßen unsere Strafen ab und kümmerten uns dabei nur um unseren eigenen Kram. Natürlich gab es Gruppenbildungen: weiße Gangs, mexikanische Gangs, schwarze Gangs und Bikefah-rer, Gruppen wie Aryan Brotherhood, La Familia und die Black Guerrilla Family (BGF). Ich hatte Freunde in jeder Gruppe, aber unseligerweise kommt es im Gefängnis immer auf die Rassenzugehörigkeit an, so daß man unter seinesgleichen bleiben muß. Das ist das Problem: Im Bau kann man nicht neutral sein! Mit der Langeweile im Knast wurde ich ganz gut fertig, weil ich viel las. Außerdem lernte ich Schreibmaschineschreiben und Gitarrespielen. Während meiner gesamten Haftzeit hatte ich immer eine Einzelzelle. Meine Einstellung lautete: Wenn ihr mich schon einsperrt, dann sorgt gefälligst auch für mich. Als die Vorschriften den Familien der Männer erlaubten, ihnen Schuhe und Kleidung von zu Hause mitzubringen, bestand ich darauf, die miesen Klamotten zu tragen, die einem im Knast zugeteilt wurden. Die schwarzen Schuhe der meisten anderen Gefangenen waren blitzblank poliert; ich hingegen trug immer die schäbigen, braunen, roßledernen Schuhe der Anstalt. Um sechs Uhr morgens gab es Frühstück, danach ging es zurück in die Zelle. Um acht Uhr wurden die Zellen- und Werkstattüren geöffnet. Da mußten sich die Männer, die in der NummernschildHells Angel
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Werkstatt arbeiteten, melden. Man brauchte die Einstufung als »Minimum-Sicherheits«-Gefangener, um im Hof oder draußen vor den Toren von Folsom arbeiten zu dürfen. Es gab nicht gerade viele Arbeitsmöglichkeiten, und um einen bezahlten Job zu kriegen, mußte man eine Lohnnummer haben, die ich während meiner ganzen Zeit in Folsom nie bekam. Ich brauchte aber auch gar keine. Denn zum Glück kannte ich einen langjährigen Sträfling namens Zeke. Ich hatte Zeke im Bezirksknast von Alameda kennengelernt, und wir verstanden uns gut. Zeke war ein besonders hartgesottener Gewohnheitsverbrecher. Das letzte Mal hatte ich ihn vor Folsom bei der TV-Show America's Most Wanted gesehen. Damals war er gerade einmal wieder auf der Flucht. Zeke war ein »Drehtür-Gefangener, immer wieder rein und wieder raus. Als ich nach Folsom kam, war er gerade mal wieder drin. Zeke gab mir eine Kurzanleitung, wie ich mich in diesem Riesenknast verhalten mußte, um zu überleben. Anschließend ging er in die Schreibstube und verschaffte mir den besten Job von allen. Statt in der Werkstatt eingesperrt zu sein und Nummern- und Stopschilder zu stanzen, in der Färberei oder der Schlosserei zu schuften, konnte ich die meiste Zeit draußen verbringen, ein prima Job, wenn man die scharfen Sicherheitsbeschränkungen von Folsom bedenkt. Es war der coolste Gig der ganzen Anstalt, und irgend jemand mußte ihn schließlich machen. Warum also nicht Zeke und ich? Tag für Tag warf jeder Häftling seinen Müll aus seiner Zelle. Dann kamen die Etagenreiniger, schafften den Müll aus den Gängen und häuften ihn auf. Eine andere Gruppe warf den Abfall anschließend in große Wannen - einen Meter breit und zweieinhalb Meter lang - und rollte sie hinaus zum Müllwagen. Dort standen 250-Liter-Tonnen, in die man die Wannen ausleeren mußte. Wenn der Müllwagen in den Hof fuhr, mußten Zeke und ich die Tonnen auf den Truck heben. Die Müllmänner auf den Wagen leerten sie aus und reichten sie uns zurück. Das war alles. Unser Job war in Minuten getan. Die Sache mit dem Müllauto hatte gewisse kleine Vorteile. An regenreichen Tagen oder wenn Nebel herrschte, wurden alle ein226
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geschlossen, ausgenommen diejenigen, die eine spezielle »NebelErlaubnis« hatten wie wir. Wegen dieser »Nebel-Erlaubnis« konnte ich nach meiner Arbeit am Müllwagen in den Hof zum Gewichtheben gehen und etwas für meine Fitneß tun. Sondergenehmigungen bedeuteten viel in Folsom. Während der Dürrezeiten im Sommer wurde beispielsweise das Duschen stark eingeschränkt. Weil ich aber mit Müll arbeitete, durfte ich nach meinem Zehn-Minuten-Job in aller Ruhe duschen. Mit der Zeit gewährte man mir alle möglichen Privilegien. Einer meiner Biker-Freunde, Scottie der Baumhüpfer, landete auch in Folsom. Er war ein berüchtigter, bewaffneter Straßenräuber, der im »Summer of Love« im Golden Gate Park Leute überfiel und ausraubte. Scottie saß auf dem Ast eines Baums und wenn Leute darunter entlangspazierten, sprang er vom Baum auf sie runter und raubte ihnen ihr Geld. Ich besorgte Scottie die Erlaubnis, mit mir zusammen den Müll-Truck zu beladen. Als die Todesstrafe in Kalifornien abgeschafft wurde, kamen 90 Prozent der Kandidaten aus der »Death Row« zu uns nach Folsom in die Gemeinschaftszellen. Unter den Mördern gab es tatsächlich ein paar nette Leute. Wie zum Beispiel die beiden Schwarzen Death Row Slim und Motormouth. Sie waren ziemlich feine Burschen, obwohl sie in Folsom einen Mitgefangenen gekillt hatten, einen der übelsten und gefährlichsten Insassen des Knasts - ebenfalls einen Schwarzen. Er war ein notorischer Denunziant und ein Homosexueller, der Leuten ins Gesicht spuckte und anschließend fragte, was sie denn gegen ihn unternehmen wollten. Als er einmal ein Messer in den Bauch bekam, zog er es heraus, schlug auf den Messerstecher ein, schleppte ihn ins Wachzimmer und zeigte ihn an. Der Typ war schon ein ganz schlimmer Motherfucker. Er war so bescheuert, daß er den Rasen rennend mit der Mähmaschine mähte. Dieser Kerl beleidigte Slim und Motormouth. Also lauerten sie ihm eines Tages mit Baseballschlägern hinter einer Tür auf. Sie brachen ihm seine beiden dreckigen Beine und schlugen ihn tot. Dafür landeten sie in der Death Row, und nachdem die Todesstrafe abgeschafft worden war, kamen sie zurück nach Folsom. Beide arbeiteten mit mir am Müll-Truck, und wir wurden gute Freunde. Weil ich als Militärveteran galt, besaß ich noch immer einen Hell's Angel
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Anspruch auf Bildungsbeihilfen durch die VA - Veteranen-Administration. Freiwillige Lehrer aus dem Cordoba Adult School Distnct kamen nach Folsom, um Gefangene zu unterrichten. Rein technisch gesehen hatte ich nach meiner Ansicht das Recht auf staatliche Leistungen nach den Bestimmungen für ehemalige Army-Angehörige. Ich beantragte sie auch, und der Staat Kalifornien versuchte sie mir mit allen Mitteln zu verwehren. Aber ich behielt in diesem Streit die Oberhand. Also bekam ich 350 Dollar im Monat, um im Gefängnis Schulunterricht zu nehmen. Ich schickte das Geld an Sharon, der es draußen ziemlich mies ging. Als es an der Zeit war, sich für den Unterricht anzumelden, war die Klasse, die der Highschool entsprach, schon voll, und es gab nur noch in der Grundschulklasse Platz. Ich schaffte in zwei Jahren die vierte Klasse und die College-Unterstufe, errang den AA-Grad des Sacramento City College Systems - und bekam außerdem noch meine Veteranenzahlungen! Das Leben hätte wesentlich schlimmer sein können. In der nächsten Woche werde ich meine Klassen in US-Geschichte, US-Regierung und Englisch l-A abgeschlossen haben. Ich glaube nicht, daß ich in all diesen Fächern weniger als eine B-Note bekommen werde, aber genau werde ich es erst Ende der Woche wissen. Ich teile Dir dann sofort meine Noten mit. Bei den nächsten Kursen werde ich Geschichte Kaliforniens, Kalifornische Regierungslehre und Englisch 1-B belegen. Ich glaube, ich komme gut klar in der Klasse. Die Gitarrenbücher, die Du mir geschickt hast, sind eine große Hilfe. Das Dylan-Buch ist für mich beim gegenwärtigen Stand meines Spiels noch ein bißchen zu schwer, aber ich werde es später gut gebrauchen können. Die beiden anderen sind genau richtig. Ich habe eine Menge der Songs gelernt und spiele jetzt auch mit Hilfe der Bücher.
2. Januar 1975, Brief an Sharon Sharon hatte, wie gesagt, draußen schwer zu kämpfen, um durchzukommen. Da sie als meine Komplizin galt, wurden alle Besuchsanträge von ihr abgelehnt. Ich hatte zwar ein paar Dollar bei228
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seite geschafft, aber das Geld ging schnell zur Neige, also nahm Sharon alle möglichen Jobs an und arbeitete auch als Zimmermädchen in einem Motel, das einem Freund von mir gehörte, einfach nur um durchzukommen. Als die Telefongesellschaft ihr Telefon sperrte, sorgten Freunde aus dem Club dafür, daß sie ein Münztelefon ins Haus bekam. Weißt Du was? Ich habe mir neulich abends den Miss America Contest im Fernsehen angeguckt, das mache ich jedes Jahr, seit ich hier bin. Es ist wahrhaft ein Jammer, daß ich Deine Karriere unterbrochen habe, denn ich habe in all den Wettbewerben noch kein einziges Mädchen gesehen, das Du nicht mühelos hättest schlagen können!!! Die Postkarte, auf der Du als Werbung für Santa Cruz zu sehen bist, würde diese Mädchen vor Neid erblassen lassen. 19. Mai 1975, Brief an Sharon Gefängnisse sind sehr, sehr laute Behausungen. Der Geräuschpegel ist immer sehr hoch. Nur wenn es still wird, weiß man, daß gleich irgend etwas geschieht oder gerade etwas geschehen ist. Bezirksgefängnisse, City-Knasts, Strafanstalten - jedes Gefängnis, in dem ich gewesen bin, klingt gleich: eine Kombination aus laufenden Maschinen, sprechenden Leuten, aus Geräuschen, die durch die Luftschächte dringen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Wenn das aufhört oder wenn sich die Lautstärke ändert, die Stimmen schweigen, aber die Maschinen weiterlaufen - dann heißt es aufpassen! Dann weiß jeder, daß jeden Augenblick etwas passieren kann. 1977 schaffte es jemand, eine Pistole in die Anstalt zu schmuggeln. Es war fast wie im Kino. Man hatte einen sechsjährigen kleinen Jungen dazu benutzt, um die Waffe unbemerkt ins Haus zu holen. Ein Büro-Bulle hatte am Haupttor ausgeholfen, als Trucks mit Lebensmitteln für die Kantine durchkamen, um in der Nähe des Besucherbereichs abzuladen. Sträflinge durften niemals in die Nähe der Lieferfahrzeuge kommen, aber ein Besucher mit einer Pistole schickte das Kind mit der Waffe zu dem wartenden Truck. Da niemand auf das kleine Kind achtete, konnte der Sechsjährige unter Hell's Angel
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den Truck kriechen und die Waffe unter dem Chassis verstecken. Als der Truck das innere Tor durchfahren hatte, schlüpfte der Kleine wieder unter den Wagen und holte die Pistole aus dem Versteck. Das heiße Schießeisen ging im Knast von einer Hand zur anderen, bis es bei demjenigen landete, für den es bestimmt war: ein Insasse, der zwei Highway-Bullen erschossen hatte. Der Mann wußte, daß er in seinem ganzen Leben nie mehr aus Folsom herauskommen würde. Nach einigen Tagen sagte er zu einem Wachmann: »Ich habe hier drin eine Pistole und möchte mich ergeben.« Der Wachmann blies in seine Trillerpfeife, und schon stürmten die Wärter mit ihren 30/30-Gewehren heran. Der Typ war ein mieses Schwein, aber er war für den Abtransport aus Kalifornien in einen anderen Staat bestimmt und im kalifornischen Justizsystem nicht mehr sicher. Was er mit der Geschichte angerichtet hatte, war Einschluß für uns alle und absolutes Chaos. Der Einschluß war noch nicht alles; die Bullen durchwühlten jedes Bett und jeden Winkel, jedes Stück Papier und jede Ecke in jeder Zelle. Sie warfen tonnenweise Papier und Müll aus den Zellen, und natürlich mußte anschließend wieder jemand die Müllautos beladen. Ich bin während des Einschlusses jeden Morgen zwei bis drei Stunden ins Freie gekommen. Sie lassen mich und Scottie jeden Morgen um acht raus, damit wir den Müllwagen beladen, aber der kommt meist nicht vor 10:00 oder 11:00 Uhr, und so haben wir Zeit, uns ins Gras und in die Sonne zu legen, bis der Truck endlich kommt. Es ist so schön, mal für eine Weile aus der Zelle rauszukommen, wenn auch nur ein paar Stunden. Die geben uns sogar Lunch, weil wir im Freien arbeiten. Während des Einschlusses bekommt sonst niemand etwas zu essen. Während des Einschlusses übe ich auch viel Gitarre. 20. Juli 1977, Brief an Sharon Es war ein warmer Sommer, und das Gefängnis war komplett in Aufruhr. Der Verkaufsladen machte dicht. Zwei Wochen lang waren sämtliche Sonderrechte aufgehoben. Nachdem wir den Müll geladen hatten, lagen Scottie und ich draußen auf der Wiese. Ich 230
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sah den Knastdirektor mit einer Gruppe von Beamten aus Sacramento auf uns zukommen. Der Zwischenfall mit der Pistole hatte eingeschlagen wie eine Bombe, die Wachmannschaften waren stinksauer und guckten sich die Augen aus dem Kopf, ob auch ja niemand aus der Reihe tanzte. Und nun inspizierten die Justizbeamten das Gelände, und da lagen Scottie und ich in der Sonne und aßen Beefsandwiches. Ich tat so, als sähe ich den Direktor nicht, und sagte extra laut zu Scottie: »Wenn ich erst mein Buch über den 1977er Einschluß schreibe, dann erzähle ich auch, wie sie uns in Einzelhaft steckten, wie wir uns auf die Pritschen legen mußten und sie die Scheiße aus uns herausprügelten, um zu erfahren, ob es noch mehr Pistolen gab ...« Der Direktor blieb stehen und sah zu mir herüber. »Und weißt du was, Barger, die Leute werden dir das wahrscheinlich auch noch glauben.« Monate hatte ich schon m Folsom gesessen, als Einundzwanzig Sharon endlich die Erlaubnis bekam, mich zu besuchen. Sie bekam sofort Probleme mit den Wachen, weil sie einen Schlüssel zum Öffnen von Handschellen an ihrem Schlüsselbund hatte. Sharon benutzte nämlich Handschellen, um ihr Bike abzuschließen. Außerdem fanden die Wachen einen Schlüssel, der zu Sharons Koffer gehörte und von dem sie glaubten, daß Sharon damit die Fußfesseln aufschließen wollte. Ihre Besuchserlaubnis wurde daraufhin wieder aufgehoben. Im Gefängnis von Folsom hatte 1976 ein Besuchsprogramm für Ehepaare begonnen, dessen Warteliste sehr, sehr lang war. Endlich kamen wir an die Reihe. Sharon wohnte damals bei ihrem Bruder in Santa Cruz, dort bekam sie eines Morgens den aufgeregten Anruf von meinem Rechtsanwalt. Sharon fuhr einen weißen Econo-line Combi, der auch als fahrbares Anwaltsbüro für meine Berufungsanträge diente, zu diesem Zweck war hinten im Wagen ein kleiner Schreibtisch verankert. Auf ihrer Fahrt nach Folsom zerstampfte Sharon ihre Benze-drinTabletten, schüttete sie in ihre Coca-Cola und trank das Zeug, bevor sie sich am Gefängnistor anmeldete. Am Rückspiegel ihres Wagens hing ein sexy Wäschestück. Die Gefängnisleitung Hell's Angel
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hatte einen kleinen Wohnanhänger für die Ehebesuche eingerichtet, der nicht gerade wie eine Behausung für Flitterwöchner aussah. Während wir zusammen in dem Anhänger waren, fing plötzlich eine Schulglocke an zu läuten, was bedeutete, daß wir heraustreten mußten, um von den Wachen inspiziert zu werden. Die ganze Sache war schon ziemlich erniedrigend, aber Sharon und ich ließen das über uns ergehen und verbrachten dort ein ganzes Wochenende miteinander. Danach gelang es mir, häufigere Besuche Sharons bei mir durchzusetzen. Als Sharon regelmäßig zu Besuch kommen durfte, brachte sie immer Zettel mit Anfragen mit, wie Dinge, die den Club betrafen, geregelt werden sollten. Ich antwortete: »Keine Ahnung. Ich sitze hier drin. Und ihr seid draußen. Überlegt es euch selbst.« Folsom erwies sich als die schwerste Prüfung für Sharon und für die Mitglieder des Oakland-Clubs. Mehr als die Hälfte der 70er Jahre saß ich im Knast und konnte mich um nichts kümmern. Natürlich dachte ich auch über Flucht nach. Ich war schließlich lebenslänglich im Knast. Meiner Meinung nach mußte ich für meine Taten nicht länger als fünf Jahre bekommen. Wenn ich erst einmal fünf Jahre hinter mir hatte, würde ich freikommen, das wußte ich merkwürdigerweise. Ich wußte nicht genau, wie und wann, aber ich wußte, daß ich am Ende gewinnen würde. Indem ich mich tadellos benahm, konnte ich den Grad meiner Sicherungsverwahrung niedriger machen. Als ich in den Knast kam, gehörte ich zur höchsten Sicherungsstufe. Als ich wieder rauskam, war es die niedrigste. So hatte ich die Chance, in ein Gefängnis mit mehr Freiheiten verlegt zu werden. Bald könnte ich in eine Freigänger-Anstalt überwiesen werden und vielleicht einfach davonlaufen. Wie Timothy Leary. Ich hatte nie einen Ausbruch geplant. Alles, was ich tun mußte, war doch nur, die Möglichkeiten des Justizapparats zu nutzen.
Auto-Aufkleber »Befreit Sonny Barger«.
Shirley und Sharon kontaktierten inzwischen den berühmtesten Anwalt von San Francisco, Melvin Belli. Er sollte versuchen, mich frei zu bekommen. Die Frauen besorgten sich seine Telefonnummer und riefen in seiner Kanzlei an. Damals arbeitete in Bellis Kanzlei ein Anwalt namens Kent Russell, dessen Job es war, schwierige Bürgerrechtsprobleme zu lösen und die Chancen von kriminellen Sträflingen auszuloten. Belli warf nur einen Blick auf die Informationen, die ihm die Hell's Angels lieferten, und entschied, daß dies eine Aufgabe für Kent Russell war. Die Tatsache, daß ich erneut angeklagt wurde, nachdem ich gerade erst wegen des Agaro-Mordes freigesprochen worden war, erschien ihm suspekt. Ich durfte zwar nach 15 Jahren einen Begnadigungsantrag stellen, aber das hieß noch lange nicht, daß man mich entlassen würde, bevor ich nicht mindestens 30 Jahre abgesessen hatte. Man hätte mich bis ins nächste Jahrhundert festhalten können. Während meiner gesamten Zeit in Folsom kämpften wir gegen die Marihuanavorstrafe an. Denn meine Verurteilung in der Marihuanasache bildete schließlich die Grundlage für die Höhe der Strafen bei den anderen Anklagen. Aber Russell gab die bisherige Taktik auf, die Urteile anzufechten, die mir aufeinander folgende Strafen aufgebrummt hatten. Wir benötigten eine andere Strategie, um die Vorstrafe wegen Marihuanabesitzes aufheben zu lassen. Russell recherchierte und fand keine Beweise für die Anwendung des sogenannten »Boykin-Tahl Waiver«, nach dem der Angeklagte die genauen Konsequenzen seines Schuldeingeständnisses kennen muß, bevor er auf schuldig plädiert. Als das Gericht mein Schuldeingeständnis damals annahm, hätte es mir die Bestimmungen dieses »Waivers« vorlesen müssen. Damit hatte Russell eine Chance gefunden, die Marihuanavorstrafe anzufechten. Als man mich wegen des Marihuanas verknackt hatte, galt das Urteil als kriminelle Vorstrafe. Inzwischen - seit den frühen 70er Jahren erfüllte Marihuanabesitz nicht einmal mehr den Tatbestand einer Übertretung. Somit lieferte die Marihuanaverurteilung uns jetzt die Grundlage für eine Urteilsanfechtung wegen fehlerhafter Voraussetzungen, wodurch die Urteile mit den hohen Strafen auch bald zusammenbrechen müßten. Hell's Angel
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Nach der Verabschiedung der Gesetzesvorlage SB 42 war es in Kalifornien unrechtmäßig, Freiheitsstrafen von unbestimmter Dauer auszusprechen. Den Forderungen der Öffentlichkeit nach härteren Strafen folgend, verlangte die Gesetzesnovelle »Senate Bill 42«, inzwischen »genau bestimmte« Strafmaße auszusprechen, das heißt, daß die Richter keine Strafen von fünf, zehn oder 15 Jahren bis zu lebenslänglich mehr verhängen durften. Jetzt waren die Staatsanwälte in großer Bedrängnis. Der Besitz von 19 Joints war 1977 kein schweres Verbrechen mehr, wie es 1963 der Fall gewesen war. Also hob der Bundesgerichtshof die Marihuanaverurteilung als kriminelle Vorstrafe auf, womit auch die Waffenverurteilung entkräftet wurde, denn nun war ich ja kein Vorbestrafter mehr, als die Waffen bei mir entdeckt wurden. Statt vor dem Begnadigungsausschuß zu erscheinen, mußte ich vor den Entlassungsausschuß treten, um neu verurteilt werden zu können. Das war, als bekäme ich ein ganz neues Gerichtsverfahren. Jetzt bedeuteten alle meine Urteile ein Strafmaß von weniger als die fünf-plus Jahre, die ich ja schon abgesessen hatte. Die Staatsanwaltschaft wußte genau, daß wir zwingende juristische Argumente besaßen und daß wir die Revision gewinnen würden, mit der wir das 1964er Urteil in der Marihuanasache umstoßen konnten. Ohne weiteres Aufheben zog sich die Anklagebehörde aus der Sache zurück. Auf Beschluß des Entlassungsausschusses konnte ich nun innerhalb von 120 Tagen entlassen werden, weil ich mein neues Strafmaß bereits praktisch erfüllt hatte. Ich kehrte in meine Zelle zurück. Eine Stunde später teilte mir Lieutenant Buchanan mit, ich müsse mich unverzüglich im Büro des Sträflingsbetreuers melden. Dort bat ich darum, meine Frau anrufen zu dürfen, damit sie mir Zivilklamotten schickte, falls ich entlassen werden würde. Der Sträflingsbetreuer erklärte mir, dafür sei nicht mehr genug Zeit. Ich solle Sharon anrufen und ihr sagen, sie möchte am nächsten Morgen um acht Uhr - allein - in Folsom erscheinen, dann würde ich entlassen. Ich schluckte nur einmal hart. Innerhalb eines einzigen Tages war ich vom Lebenslänglichen zum Entlassungskandidaten am nächsten Morgen geworden. 234
Ralph »Sonny« Barger
Normalerweise werden in Folsom alle ein- und ausgehenden Telefonate gesperrt, wenn etwas Aufregendes - in diesem Fall meine Entlassung - ansteht. Als ich völlig perplex aus dem Büro des Sträflingsbetreuers kam, sprach mich ein Insasse und Freund, John, wütend an: »Ich weiß nicht, was hier los ist, aber irgendein Arschloch wird morgen früh entlassen, und jetzt darf ich nicht telefonieren.« Ich war das Arschloch. Ich war damit einverstanden, in aller Stille am Morgen entlassen zu werden - am 3. November 1977 -, und auch damit, daß Sharon mich allein abholen würde, also ohne die donnernden Motoren von 100 Hell's Angels auf ihren Maschinen. Nach meinen fünf Jahren in Folsom war es mir mehr als recht, ohne großes Aufheben in die Freiheit zurückzukehren. Unverzüglich entlassen zu werden war in jedem Fall besser, als die letzten 120 Tage noch abzusitzen, zumal die letzten Tage sicherlich die schwersten geworden wären. Sharon holte mich m einer nagelneuen Corvette ab, und sie sah wirklich blendend aus. Wir verließen Folsom auf Nimmerwiedersehen. Es gilt als schlechtes Omen unter Ex-Insassen, den Knast zu besuchen, in dem man einmal gebrummt hat. Wenn ich einmal zu alt bin, ein Motorrad zu fahren oder mit einem hübschen Mädchen ins Bett zu steigen, dann würde ich eher ins Gefängnis zurückgehen, als in einem Altersheim für Veteranen zu leben. Im Knast behandelt man alte Sträflinge mit Respekt. Da kauft man Zigaretten und Eiskrem für dich und hört deinen Erinnerungen zu. Das klingt in meinen Ohren viel besser, als mit klapprigen alten Männern Scrabble zu spielen. Als ich Folsom als freier Mann verließ, konnte ich mir gut vorstellen, wie stocksauer und frustriert die FBI-Leute sein mußten, daß ich nun wieder auf meinem Motorrad und mit meinen Clubabzeichen auf den Highways fahren konnte. Innerhalb eines Jahres bereitete sich das FBI aber heimlich schon auf die zweite Runde vor. Sie hatten sich eine nagelneue Waffe besorgt, mit der sie den Hell's Angels Motorclub in einem einzigen Streich zu Fall bringen wollten. Die Wunderwaffe hieß RICO.
Wir gegen das FBI: Fu Griffin zeigt dem System den Stinkefinger.
12 RICO
I
m Büro des Sheriffs vom Landkreis Solano arbeitete eine Zeitlang ein Bulle namens William Zerbe. Wegen seiner engen Zusammenarbeit mit der Drogenpolizei DEA und dem FBI benahm er sich manchmal, als sei er selbst ein FBI-Agent, der den Mitgliedern des Oakland-Clubs auf den Fersen war. Zerbe und ich sind uns niemals über den Weg gelaufen, aber während er im Februar 1978 für seine FBI-Freunde arbeitete, hatte er einen Hell's Angel namens James »Jim Jim« Brandes im Visier. Aus Angst vor den Gefahren bei seiner Arbeit ging Zerbe morgens nicht gleich zu seinem Wagen, sondern stellte sich an einen bestimmten Platz vor seinem Haus und -startete sein Auto mit einer Fernbedienung. Zerbe war schon ein sehr umsichtiger Bulle, bis auf einen Morgen, als er zum Gericht von Solano fahren wollte, um in einer Drogenund Waffengeschichte gegen Jim Jim auszusagen. Er stand wieder mit der Fernbedienung an seiner üblichen Stelle, und als er auf den Knopf drückte, explodierte zwar nicht sein Wagen, aber genau da, wo er stand, ging eine Bombe hoch. Schwer verletzt, entging Zerbe nur knapp dem Tod. Zur selben Zeit wurde auch ein Polizeisergeant namens Kroc auf einer Straße in San Jose durch eine Bombe verletzt. Kroc hatte unmittelbar vorher Jim Jim verhaftet. Im Frühjahr 1978 gab es eine Grand-Jury-Ermittlung wegen des Bombenanschlags gegen Zerbe. Damals saß ich gerade für vier Monate im Bezirksgefängnis wegen Übertretung meiner Bewährungsauflagen. Man brachte mich zum Bezirksgericht von Solano, wo ich vor der Grand Jury aussagen sollte. Ich hatte keine AhHells Angel
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nung, daß es bei der Verhandlung um den Bombenanschlag auf Zerbe ging. Aber ich ärgerte mich, daß ich wieder einmal gegen meinen Willen irgendwohin geschickt wurde, und als ich meinen Namen nennen sollte, sagte ich nur: »Fuck you!« Der Staatsanwalt wurde daraufhin ziemlich wütend. Wenn ich noch einmal so etwas sagen würde, dann müßte ich mit einer noch längeren Haftstrafe rechnen. Ich trug Beinfesseln mit einer Kette um die Hüften, Handschellen und war zusätzlich noch an meinen Stuhl gekettet. Da ich ein erfahrener Folsom-Insasse war, fragte ich zurück: »Was hüben Sie denn vor - wollen Sie mir noch mehr Ketten anlegen lassen?« Sogar der blöde Staatsanwalt mußte lachen. Man schleppte mich vor den Richter, der mir befahl auszusagen, ansonsten würde er mich wegen Mißachtung des Gerichts einsperren. Ich erklärte ihm, mein zweiter Vorname sei Contempt »Mißachtung« - und er habe keinerlei Grund, mich einzusperren. Ich sei aus dem Bezirksgefängnis gekidnappt worden, mein Anwalt wisse nicht, wo ich mich aufhalte, und ich würde kein Wort aussagen, weil ich das Gericht nicht anerkannte. »Stecken Sie sich das ganze fucking System in den Arsch!« schloß ich meine Rede. Der Richter erkannte auf Mißachtung und ließ mich in den nächsten Knast bringen. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, daß ich im Grand-Jury-Saal gewesen war, denn dorthin waren auch andere Clubmitglieder und Freunde geladen worden. Jemand hatte gesehen, wie ich in Ketten vor Gericht geführt wurde. Die Bullen weigerten sich noch immer, meinem Anwalt Kent Russell zu sagen, wo ich war. Daraufhin gab Russell eine Vermißtenmeldung bei einem anderen Richter auf. Am nächsten Tag war ich wieder im Knast von Alameda - ohne Mißachtungsklage. Offiziell war ich überhaupt nicht aus dem Knast geholt worden. In der Bombenanschlagsgeschichte kam es nie zu einer Anklage gegen irgend jemand, aber die Anklagebehörde und die Bullen waren von der Sache so aufgeschreckt, daß sie nicht einfach darüber hinweggehen konnten. Die örtlichen Bullen und die Staatspolizei hatten die Hell's Angels danach regelmäßig wegen angeblicher Drogen- und Waffenbeschuldigungen auf dem Kieker, aber 238
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meistens kamen wir mit Hilfe unserer Anwälte ungeschoren davon. Die Gesetzeshüter reagierten langsam ziemlich frustriert auf unsere Katz-und-Maus-Spiele. Außerdem war die Justiz verärgert darüber, daß ich nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis meine Mitgliedschaft zu den Hell's Angels nicht beendet hatte, doch ich weigerte mich, ihr Spiel mitzuspielen. Viele auf Bewährung Entlassene hätten sich dem Willen der Regierung gebeugt und aus Vorsichtsgründen Abstand von einer derartig im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehenden Gruppe wie die Hell's Angels gehalten. Aber obwohl ich nun kein Vorstandsmitglied des Oakland-Clubs mehr war, sahen mich immer noch viele Leute als Galionsfigur der Organisation an. Wenn ein Mitglied des Clubs ms Gefängnis mußte, versuchten wir, für seine Kinder und seine Familie zu sorgen. Im Clubhaus wurde auch jedes Jahr unser Thanksgiving-Dinner gefeiert. Solche Routine-Aspekte des Clubs paßten der Justiz und der Polizei ganz und gar nicht. Da die Polizei den Club mit Verhaftungen und Prozessen nicht zu Fall bringen konnte, brauchte die Regierung eine neue Methode, um die gesamte Vereinigung der Hell's Angels als kriminelle Organisation anzugreifen. Auf diese Weise konnte sie auch Mitglieder anklagen, die selbst gar keine krummen Dinger gedreht hatten, sondern nur Gesellschaft mit Leuten pflegten, die etwas verbrochen hatten. Die Regierung war zum Beispiel davon überzeugt, daß die Hell's Angels Methamphetamin-Labors betrieben und direkt am Ertrag allen Rauschgifthandels beteiligt waren. Deshalb brauchte sie eine Möglichkeit, uns auch ohne die Beweisführung traditioneller Verschwörung allein wegen der Zugehörigkeit zum Club vor Gericht zu bringen. Und dann kam RICO. RICO, »Racketeer Influenced and Corrupt Organisations« verbrechergesteuerte und korrupte Organisationen - ist ein Bundesgesetz, das auf einer Gesetzesvorlage gegen das organisierte Verbrechen beruht, die der US-Kongreß 1970 verabschiedet hatte. RICO war eine Variante der traditionellen Verschwörungsgesetze und der Anti-Verbrechen-Gesetzgebung, die aus den Verbrechensbekämpfungsgesetzen der 50er Jahre hervorgegangen waHells Angel
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ren. All diese Gesetze folgten Beschwerden, daß organisierte Verbrecherbanden oder -gruppen zu große Profite machten und insgesamt zu mächtig geworden waren. RICO zielte nicht auf einzelne Kriminelle, sondern diente der Verfolgung von Verbrechergruppen durch den Bundesjustizapparat. Im juristischen Jargon nennt man eine solche Gruppe »das Unternehmen«. Jede Gruppe - selbst legale Organisationen wie Gewerkschafts-Ortsgruppen, eine politische Gruppe oder ein Motorradclub - könnte von der Regierung als »Unternehmen« der Zielgruppe untersucht werden. Die frühesten RICO-Fälle richteten sich gegen mafiaartige Organisationen, und die Bundespolizei arbeitete aufgrund dieser neuen Befugnisse eng mit der Staatenpolizei zusammen. Eine völlig neue Art der Strafverfolgung war geboren. Bundesstaatsanwälte kamen mit der Hilfe des FBI, der DEA und der kalifornischen Behörden zu dem Schluß, daß es ein kriminelles »Unternehmen« mit der Bezeichnung Hell's Angels Motorrad »Gang« gab und daß die Aktivitäten sämtlicher Mitglieder eine kriminelle Verschwörung darstellten. Nach den Bestimmungen von RICO konnten individuelle Übertretungen von Bundes- und Staatsgesetzen nun zusammen mit anderen Verbrechen als »typisch für eine Gang« eingestuft werden. Die Bundesbehörden durften sich dabei sogar auf frühere und längst abgeurteilte Taten stützen, um eine Anklage wegen Verschwörung vor Gericht zu bringen. Diese Strafverfolgungen begaben sich auf den gefährlichen Boden von Doppelverurteilungen und der Verletzung von Verjährungsbestimmungen. Alle kriminellen Taten, für die wir nach RICO-Regeln verurteilt würden, konnten jetzt für jeden einzelnen Fall mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft werden. Die Reporter eines lokalen Fernsehsenders nannten RICO »das Gesetz mit dem komischen Namen«. In jedem Fall war es die neue Trumpfkarte in der Hand der Regierung gegen die »Big Red Machine«, die Hell's Angels.
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ie sorgfältig geplante Großrazzia der Bundespolizei war ursprünglich für die Morgendämmerung des 14. Juni 1979 vorgesehen. Weil die Polizei aber befürchtete, wir könnten durch Ge-
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währsleute vorher von der Sache erfahren, verlegte sie die Razzia auf den Vorabend. An diesem Abend fing das Feuerwerk an. Alle Mitglieder unseres Clubs sollten sich am 13.Juni um 20:00 Uhr beim Clubhaus von Oakland treffen. Wir wollten gemeinsam zu einem Dinner in ein Restaurant in Alameda fahren, um dort das zehnjährige Jubiläum von Michael Malve bei den Hell's Angels von Oakland zu feiern. Um gegen acht Uhr beim Clubhaus zu sein, mußten wir alle zwischen 19:00 und 19:30 Uhr unsere Wohnungen verlassen. Als wir beim Clubhaus eintrafen, hatten die Bullen sich bereits unsere Häuser vorgenommen. Zuerst traten sie die Glastür von Jim Jims Haus ein. Sie hatten beobachtet, daß er weggefahren war, und wußten also, daß niemand im Haus sein konnte. Die Razzien wurden von Fernsehteams begleitet, damit sie in den 23:00Uhr-Nachrichten im Fernsehen gezeigt werden konnten. Daher veranstalteten die Bullen eine gigantische Show, sie brüllten in das leere Haus hinein, als einer von ihnen seinen Stiefel durch die eingetretene Glastür steckte. Das Ganze wurde wie eine Art Räuber-und-Gendarm-Spiel vorgeführt. Bis heute würde ich darauf wetten, daß die Bundesbullen davon überzeugt waren, die Polizei von Oakland hätte uns vor der geplanten Razzia gewarnt. Dabei nahmen gar keine Bullen aus Oakland daran teil. Denn die Bundespolizei hatte der Polizei von Oakland bewußt nichts von ihren Absichten mitgeteilt, weil sie glaubten, wir hätten dort einen »Maulwurf«. Wir bekamen den ersten Telefonanruf, während wir beim Clubhaus auf die anderen warteten. Die Bullen waren über Sergey Waltons Haus hergefallen. Er war weder zu Hause noch war er bei uns. Dann bekamen wir einen zweiten Anruf: Vor laufenden Fernsehkameras durchsuchten die Bundesbullen das Haus von Mouldy Marvin. Auch Mouldy war nicht zu Hause. Daraufhin riefen wir alle zu Hause an. Wenn ein Bulle den Hörer abnahm, fuhr der Betreffende sofort nach Hause. Als ich zu Hause anrief, antwortete niemand, also fuhr ich nicht zurück. Wir Übriggebliebenen machten uns auf den Weg zum Dinner für Malve. Ich hatte die Zehn-Jahres-Gürtelschnalle und die 700 Dollar für das Dinner in meinen Jackentaschen. Wir waren erst drei Straßen vom Clubhaus entfernt, als uns die Hell's Angel
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Bullen einholten. Ein Schwärm von Polizeiwagen und Zivilfahrzeugen umringte uns. Die Männer sprangen aus ihren Wagen. Einige trugen blaue Jacken mit den großen gelben Lettern - FBI -auf dem Rücken. Ich konnte kaum glauben, was für ein Theater diese Bullen aus der Sache machten. Sie steckten in Kampfuniformen und kugelsicheren Westen und zielten mit ihren Pistolen auf uns. Wir mußten uns mit gespreizten Armen und Beinen an einen Drahtzaun stellen. Zwischen jedem von uns postierten sich Polizisten und zielten mit ihren Schrotflinten auf unsere Rücken. »Hände hoch in die Luft und keine Bewegung!« »Was, the fuck, soll ich denn nun tun?« antwortete ich. »Mich nicht bewegen oder meine Hände hochstrecken?« Die Bullen fanden das überhaupt nicht komisch. Sharon und ich wurden in Handschellen auf die Rücksitze eines weißen Impala ohne Polizeimarkierung geschubst. Statt uns direkt zum Bundesgebäude in San Francisco zu bringen, fuhr der Wagen ziellos in Oakland herum. Ich begann, ernsthaft zu befürchten, daß diese Motherfucker den Nerv hatten, uns einfach irgendwo niederzuballern. Meine Hände waren hinter meinem Rücken gefesselt, und ich überlegte, wie ich mich an den Fahrer heranmachen müßte, um ihn in die Halsschlagader zu beißen. Ich wollte Sharon gerade meinen Plan zuflüstern, da drehte sich der Fahrer um und fragte: »Hey, Sonny, wie kommt man denn nach Government Island?« Die blöden Bundesbullen hatten sich tatsächlich verfahren! Schließlich fuhren sie uns zu einem Platz auf Alameda Island, wo sie eine Art behelfsmäßiges Polizeirevier eingerichtet hatten, um uns zu verhören. Sharon und ich wurden aus dem Wagen gezogen und zu einer Stelle gebracht, die wie eine Militärkaserne aussah. Die anderen Verhafteten kamen gruppenweise hinterher. Wir wurden im Kreis auf Stühle gesetzt. Die Polizeioffiziere, die zum Teil bunte Hawaiihemden trugen, fotografierten etliche Leute im Raum - von denen ich einige seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, sie kamen nur gelegentlich zum Club und waren nun mit uns zusammen verhaftet worden. Alle fragten, was los sei und was man uns eigentlich vorwerfe. Aber abgesehen von verschiedenen Anschuldigungen bei meiner 242
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Lächeln für die Gefängniskamera. Sharons RICO-Schnappschuß.
Verhaftung konnte ich mir keinen Reim darauf machen, wieso wir alle hierher geholt worden waren. Nachdem man uns allen die Fingerabdrücke abgenommen und uns noch ausgiebiger fotografiert hatte, wurden wir alle gemeinsam über die Bay Bridge in eine Untersuchunghaftzelle im obersten Stockwerk des San-Francisco-Bundesgerichts gebracht. Die Männer mußten auf der einen und die Frauen auf der anderen Seite sitzen. Wir saßen herum und fragten uns, was in Henkers Namen eigentlich los war. Am nächsten Tag brachten die Abendnachrichten - die wir im Tagesraum sehen konnten - als Aufmacher unsere Geschichte. Wir sahen, wie die Bundesbullen am Abend vorher unsere Häuser überfallen hatten. Ich hatte bis dahin nicht gewußt, wie umfangreich diese Razzien gewesen waren, in wie vielen Häusern Durchsuchungen gemacht wurden und daß man auch in mein Haus eingebrochen war. Auf dem Bildschirm konnte man wunderbar sehen, wie die Beamten ganze Kisten voller Beweismaterial aus meinem Haus herausschleppten. Alle meine Sachen - Flaggen, Hell's Angel
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Poster, Plakate und sogar Benzintanks, auf die Death Heads gemalt waren, wurden konfisziert. Die Kommentatoren beschuldigten die Hell's Angels, eine kriminelle Organisation zu sein, der ich als Chef vorstand. (In Wirklichkeit war ich seit meiner Entlassung aus Folsom 1977 kein Amtsträger des Clubs mehr.) Weiter hieß es, die Hell's Angels steckten tief im Methamphetamin-Geschäft - sie stellten Speed her und verkauften es. Wir seien Drogenhändler und darüber hinaus in Prostitutionsgeschäfte verwickelt. US-Bundesanwalt G. William Hunter (wir sagten immer aus Jux, er sei mit jenem Meredith Hunter verwandt, der in Altamont ums Leben kam) verkündete in einem Interview: »Dieser Club ist eine Dachorganisation zur Verbreitung krimineller Tätigkeiten.« Hunter behauptete außerdem, daß wir an Morden und Erpressungen beteiligt seien. Der Leiter der regionalen Drogen-Ermittlungs-Agentur (DEA) erklärte: »Dieser Schlag (gemeint waren die Razzien und Verhaftungen vom Vorabend) ist von außerordentlicher Bedeutung, weil es dabei nicht nur um Anklagen gegen Einzelpersonen, sondern um eine Klage gegen die ganze Organisation geht. Die Organisation der Hell's Angels bricht bewußt die Gesetze der Vereinigten Staaten von Amerika.« Die Anklagen und Bezichtigungen gegen uns nahmen kein Ende. Man warf uns vor, Richter, Staatsanwälte und Polizisten zu bestechen und so ein ganzes Netzwerk von Rechtsanwälten und Kautionsstellern geschaffen zu haben. Wir hätten Handbücher mit den Funkfrequenzen von Polizeioffizieren, ihren Privatanschlüssen, den Telefonummern ihrer Freundinnen (oder Freunde) und sogar viele Geheimnummern. Ein News-Moderator behauptete sogar, wir beherrschten den Handel mit Methamphetamin in so einem Ausmaß, daß wir - ebenso wie die großen Ölgesellschaften - die Preise nach unseren Wünschen diktieren könnten. Als die Nachrichtensendung vorüber war, wußte ich, daß wir in großen Schwierigkeiten steckten. Ich hatte keine Ahnung von den gesetzlichen Bestimmungen der RICO. Anfangs dachte ich, wir seien wegen Drogenhandels und wegen Prügeleien mit Bullen verhaftet worden. Die Anklage aber, so mußte ich nun erfahren, lautete gänzlich anders - und war viel ernster. Die Behörden hatten 244
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einen totalen Krieg angefangen, um unseren Club ein für alle Mal zu zerschlagen. Ein Fernsehreporter interviewte mich, und ich mußte im Knast in einem orangefarbenen Drillichanzug vor den Kameras erscheinen. »Die Hell's Angels sind eine Organisation von Menschen, die gern Motorrad fahren, Spaß haben, auf Partys gehen und alles mögliche gemeinsam tun«, erklärte ich. »Die Tatsache, daß einige Leute aus Hells's Angels Clubs Verbrechen begangen haben, macht doch die Organisation noch nicht zu einer kriminellen Vereinigung.« Der gefährliche Aspekt von RICO liegt darin, wie die Anklagebehörde die Beweiserhebung als »Verschwörung eines Unternehmens« führen kann - wie sämtliche Mitglieder zu Komplizen eines Verbrechens gemacht werden können. Selbst Personen, die nur indirekt mit uns zu tun haben, können festgenommen und in Zusammenhang mit der Verschwörung gebracht werden. Wenn ich zum Beispiel jemandem Drogen verkauft hatte und ein anderer Hell's Angel derselben Person ebenfalls etwas verkauft hatte, wovon ich keine Ahnung hatte, dann würde man uns als Komplizen einer Verschwörung ansehen. Die Anklage versuchte zu beweisen, daß, wenn ein Hell's Angel wegen Mordes verurteilt wurde oder wegen dieser Beschuldigung vor Gericht stand, wir alle davon gewußt hätten und mit ihm in dem Mordfall konspiriert hätten. Man wollte auf Teufel komm raus beweisen, daß wir eine »Gang« waren, die in Verbrechen verwickelt ist, und daß gerade das der Grund für unsere Gemeinschaft sei. Das war natürlich ein Haufen Bullshit, aber es würde schwierig werden, sich dagegen zu verteidigen. Eine Menge unserer Mitglieder hatten im Laufe der Jahre viele mehr oder minder zufällige Gewalttaten begangen. Jetzt war die Zeit gekommen, uns wirklich wie ein Club zu verhalten und zusammenzustehen. Jetzt ging es um unser im »First Amendment« der US-Verfassung verbrieftes Recht der freien Versammlung. Als die Hell's Angels im Oktober 1979 zum Prozeß vor Gericht erscheinen mußten, hatte sich noch niemand mit Erfolg gegen RICO wehren können. Niemand. Wenn man verhaftet wurde, konnte man gleich in Panik geraten, denn dann war man bereits »schuldig«; dagegen gab es keine Verteidigung. Die Macht, die Hells Angel
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RICO ausübte, führte im allgemeinen dazu, sich sofort für schuldig zu erklären und so schnell wie möglich einen Deal zu machen. Die Hell's Angels waren die ersten, die sich zur Wehr setzten und es auf einen Prozeß ankommen ließen. Unsere ersten RICO-Verhaftungen gründeten sich auf eine Anzahl von Ereignissen - die als Mordversuch angesehenen Bombenattentate auf Zerbe und Kroc plus jede Tötung im Umkreis des Clubs, jeden Drogenhandel und sogar die Anklagen, derentwegen ich in Folsom gesessen hatte. Wenn der Staat einen aufgrund der RICO-Bestimmungen anklagt, dann kann man wegen allem, wofür man je verhaftet wurde, erneut vor Gericht gezogen werden - egal ob man verurteilt oder freigesprochen wurde. Unser RICO-Fall nannte sich Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Ralph Barger Jr. und andere (es folgten die Namen von etlichen anderen Mitangeklagten). Bis zu den letzten Wochen vor der ersten Razzia stand ich an der Spitze ihrer Liste, entweder aus rein alphabetischen Gründen oder als Hauptanführer. Von den 28 ursprünglich Beschuldigten bekamen zehn die Chance, sich bei relativ geringfügigen Anklagen für schuldig zu erklären. Ein Mitglied wurde im Besitz einer Pistole festgenommen. Die Staatsanwaltschaft bot ihm an, die RICO-Anklagen gegen ihn fallenzulassen, wenn er sich des illegalen Waffenbesitzes für schuldig erklärte. Wir erlaubten ihm den Deal, denn es wäre sinnlos gewesen, ihn wegen des Besitzes einer Waffe 40 Jahre brummen zu lassen. Einige der Angeklagten waren keine Hell's Angels, darunter Sharon, Anita Musick und Burt Stefansons Frau Charlene. Johnny Angel, Burt, Bobby England, Michael Musick, AI Perryman, Manuel Rubio und ich gehörten zum Oakland-Club und standen mit den anderen Angels vor Gericht. Meine Kaution wurde auf eine Million Dollar festgesetzt und dann auf zwei Millionen Dollar erhöht. Sharon versuchte noch aus dem Gefängnis, die Summe aufzubringen; viele meiner Freunde stellten ihre Immobilien als Sicherheit. Ich sagte Sharon schließlich, sie müßte sich nicht mehr bemühen, denn ich wußte, daß ich sowieso nicht freikommen würde. Nach etlichen Monaten Untersuchungshaft wurde ich endlich dem Untersuchungsrichter 246
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vorgeführt, der meine Kaution auf 100 000 Dollar herabsetzte, unter der Bedingung, daß ich mich, während ich auf freiem Fuß war, nicht mit dem Club in Verbindung setze. Ich erklärte dem Richter, er könne sich die Kaution in den Arsch schieben. Angesichts all der Hell's Angels, die im Knast sitzen, wäre es mir lieber, mit ihnen zusammenzusitzen als draußen frei herumzulaufen. Nach diesem Ausbruch sagte der Richter zu meinem Anwalt: »Ich wußte doch, daß ich ihm dieses Angebot nicht hätte machen dürfen.« Während ich im Knast saß, plazierten die Freunde des Clubs eine ganzseitige Anzeige im San Francisco Chronicle, in der sie die Öffentlichkeit vor den Gefahren warnten, die durch die RICOVerfolgung der Hell's Angels heraufbeschworen wurden. Die Anzeige kostete zehn Riesen (10 000 Dollar) und wurde aus Spenden bezahlt. Die Regierung, so hieß es darin, trete unsere (und damit auch die aller anderen Bürger) verfassungsmäßigen Rechte mit Füßen. Sie lasse unsere Türen und Fenster eintreten und uns in Handschellen davonschaffen. Auf welcher Seite der politischen Landschaft man auch immer stehe, es müsse jedem klar sein, daß die Regierung unsere Rechte unter dem Vorwand beschneide, uns vor sogenannten subversiven Gruppen schützen zu wollen. Wir beauftragten alle unsere Rechtsanwälte und konzentrierten unsere Strategien. Viele Anwälte hatten panische Angst vor RICO und versuchten, Deals mit dem Staat zu machen. Die Regierung bot jedem von uns fünf Jahre Knast an, damit hätte der Prozeß vermieden werden können. Aber als wir uns alle zu Rechtsberatungen zusammensetzten, beschlossen wir: Niemand plädiert auf schuldig, und jeder geht vor Gericht. Wir machten allen Anwälten, die uns in dieser Sache vertraten, klar, daß keiner seinen Mandanten dazu ermuntern solle, einen Deal mit der Bundesanwaltschaft zu machen oder gar gegen einen anderen Hell's Angel unter den Angeklagten auszusagen. Keiner unserer Anwälte solle behaupten, sein Mandant gehöre der Gruppe gar nicht an, oder versuchen, einen anderen Angeklagten zu belasten. Wir waren eisern entschlossen, die Sache als Hell's Angels bis zum Ende durchzufechten. Entweder würden wir alle gewinnen oder allesamt ins Gefängnis gehen.
Wir arbeiteten verbissen an unserer Sache und hielten uns stänHell's Angel
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dig in jeder Phase des Kampfs auf dem laufenden. Ich las jeden Fetzen Papier, der aus dem Gerichtssaal kam. An jedem Sitzungstag ging es ins Gericht. Gelegentlich hatte ich in dem Verfahren sogar mit anderen Hell's Angels Probleme. Wenn der Richter und die Bundesbeamten nicht alle »einsitzenden« Angeklagten bei Abwesenheit der Jury ins Gericht kommen lassen wollten, bestand ich trotzdem darauf, anwesend zu sein. Damit machte ich gelegentlich andere Angeklagte wütend, die es albern fanden, daß alle Mann vor Gericht erscheinen sollten. Aber wir hatten einen Beschluß gefaßt, und ich gab nicht nach. Der Prozeß wurde bald zu einem Fiasko, und inmitten des ganzen Trubels versuchten wir, so viel Spaß wie möglich zu haben. Bei 18 Anwälten mit 18 Angeklagten mußten mehrere Sitzreihen im Saal für uns aufgebaut werden. Tischkarten mit Namen standen auf den verschiedenen Plätzen. Jeder Anwalt und jeder Angeklagte mußte jeden Tag auf demselben Platz sitzen, weil der Richter sonst niemals all die Namen hätte auseinanderhalten können. Es gab so viele Angeklagte, daß mancher Anwalt den Namen seines Mandanten mitunter tagelang nicht hörte. So saßen die armen Kerle also wochenlang im Gericht und verfolgten die Prozedur, als seien sie in einem Jura-Seminar und nicht in einem Strafprozeß. Endlich kamen sie an die Reihe, um vor die Geschworenen zu treten oder einen Informanten oder Agenten der Justizbehörden ins Kreuzverhör zu nehmen. Für den Prozeß war ein riesiger Saal im Gerichtsgebäude ausgewählt worden, ein Raum, der normalerweise für große Versammlungen oder für Einbürgerungsfeierlichkeiten benutzt wurde. Wenn ein Anwalt ein Kreuzverhör durchführte, mußte er oder sie einen langen Weg bis vor die Jury laufen; es war beinahe wie im USSenatssaal im Capitol. Unter den Anwälten, die in erster Linie unsere Belange vertraten, waren Kent Russell, Frank Mangan, Richard Mazer, Alan Kaplan und Judd Iverson. Ein Team aus vier stellvertretenden US-Bundesstaatsanwälten unter Roberte Dondero war unser juristischer Gegner. Vor dem Saal wurden große Metalldetektoren - Sicherheitsschleusen - aufgebaut, Sitze wurden aus dem Saal entfernt, und die 248
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Gerichtsordner bauten kugelsichere Trennscheiben auf. Zwischen den Angeklagten und der Richterbank waren allerdings keine solcher Trennscheiben. Die Fenster wurden verhängt, damit niemand von draußen hereinsehen konnte. Der Sicherheits-»Overkill« der Regierung ging sogar noch weiter. Jeden Morgen vor der Verhandlung wurden wir durch Sicherheitsschleusen vor den Türen des Saals geführt, und die Ordner tasteten uns mit metallempfindlichen Suchstäben ab. Metalldetektoren waren 1979 ein seltener Anblick in Gerichtssälen. Die Mitglieder der Jury kamen aus verschiedenen Gegenden, von San Francisco bis an die Grenzen von Oregon. Die meisten Prospects wurden wegen der zu erwartenden Länge des Verfahrens aus ihrer Pflicht zur Mitwirkung bei den Geschworenen entlassen. Die Prospects hatten im übrigen auch Angst vor unserem gefährlichen Aussehen. Normalerweise trugen wir im Saal unsere Zivilklamotten, aber manchmal, wenn wir auffallen und den Richter ärgern wollten, kamen wir in unseren grell orangefarbenen Sträflingsklamotten. Tagsüber brachte man uns zwischendurch in Haftzellen im 16. Stock, drei oder vier Etagen oberhalb des Gerichtssaals. Man brachte immer acht oder zehn von uns vor Prozeßbeginn herunter, und wir hüpften in den Aufzügen immer so wild, daß einer der Wärter deswegen kotzen mußte. Einmal löste sich eine Aufzugskabine vom Kabel und stürzte eine Etage tief hinab, ehe die Sicherheitsbremsen faßten. Wir saßen stundenlang in dem Aufzug fest, und einer der Wärter aus Fresno sagte zu uns: »Würden Sie das bitte in Zukunft unterlassen? Bei mir zu Hause gibt es nämlich keine Gebäude, die höher sind als eine Hutschachtel.« Einige der Biker-Girls dachten sich die verrücktesten Sachen aus, um ihren Männern im Knast eine Freude zu machen. Als wir im Alameda-Bezirksknast von Oakland saßen, konnte man durch die kleinen Fenster der Zellen ein Stück weit sehen. Von meiner Zelle aus konnte ich bis zum Eingang von Laney College schauen. Sharon kam mit meinem Hund zu einer bestimmten Stelle und winkte mir von dort zu. Einmal kam sie sogar auf die Idee, dem Hund einen Trenchcoat anzuziehen und ihm eine Mütze aufzusetzen. Dann versuchte sie, den Hund in dieser Verkleidung in Hell's Angel
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den Besucherbereich zu schmuggeln. Die Freundin von Gary Popkins mietete ein Ruderboot, und die Mädchen ruderten bis zur Mitte vom Lake Merritt und entblößten alle ihren Busen für ihre Freunde, die aus den Knastfenstern zuguckten. Heute wäre so etwas nicht mehr möglich, aber eines Tages schmuggelte Bobby Durt eine Videokamera in den Besucherbereich und filmte uns, wie wir in der Durchgangszelle herumtappten. Nicht daß er die Kamera in den Knast schmuggeln wollte. Dieser Jux sollte nur unsere Stimmung während ernster und schwieriger Zeiten ein wenig aufhellen. Die Medien nannten unser Gerichtsverfahren SCHWIERIGSTER UND TEUERSTER PROZESS IN DER GESCHICHTE VON SAN FRANCISCO. Es sollte ein sehr langwieriges Verfahren werden, das war klar, und unsere frechen Tricks und Spaße brachten die Pläne des Gerichts immer wieder durcheinander. So wurden Wochen zu Monaten. Wenn man lange Zeit in Untersuchungshaft sitzt, hat man eigentlich Anspruch auf drei warme Mahlzeiten am Tag. Zu Beginn des Prozesses bekamen wir morgens einen Napf mit kalten Frühstücksflocken. Wenn die Verhandlung den ganzen Tag über dauerte, gab es mittags Sandwiches. Als wir nach Tagungsschluß in die Zellen zurückgebracht wurden, bekamen wir wiederum nur Sandwiches auf eiskalten Blechtellern. Nach einigen Wochen hatte ich die Schnauze voll. »Ich will eine fucking heiße Mahlzeit zum Abendessen, und wenn ihr mir nur ein lausiges fucking Sandwich gebt, dann will ich wenigstens eine heiße Suppe dazu haben.« Als man mir meine Wünsche verweigerte, schmiß ich mein Essen in der Zelle herum und beschmierte alle Wände damit. Das Knastpersonal machte Videoaufnahmen von der Sauerei und zeigte sie dem Richter, der uns dann sagte, wir hätten Glück, daß wir überhaupt etwas zu essen bekämen. Wenn das Verfahren drei Tage gedauert hätte und man uns nur Sandwiches gegeben hätte, dann wäre das in Ordnung gewesen. Aber nach drei Monaten brauchten wir einfach wieder warme Mahlzeiten. Schließlich kriegten wir Suppe zum Abendessen - ein bescheidener Sieg, aber im Knast sind solche Dinge wichtig. 250
Ralph »Sonny« Barger
Nach einem besonders hitzigen Tag im Gerichtssaal warnte mich der Richter, ich solle mich endlich wie ein Angeklagter benehmen. Ich erwiderte ihm, das würde ich tun, wenn er anfinge, sich wie ein Richter zu benehmen, und wenn der Ankläger anfinge, sich wie ein Staatsanwalt zu verhalten. »Bis dahin - fuck you!« Mein Anwalt zuckte zusammen. Irgend jemand im Saal klatschte, was den Richter so richtig in Fahrt brachte. Er knallte mit seinem Hammer. »Wer war das? Ich wünsche zu wissen, wer da geklatscht hat.« Ein einarmiger schwarzer Motorradfahrer von den Dragons hob seine eine Hand. von den RICO-Zeugenaussagen der Regierung grenzten ans Einige Bizarre. Einer der Ankläger las einen Brief vor, den Big AI einmal an ein Mädchen in einem anderen Gefängnis geschrieben hatte, während er in Folsom einsaß. Big AI ist ein recht verrückter Vogel. Dieses Mädchen war die Freundin seines Blutbruders, aber das hielt Big AI nicht davon ab, sie auf die Schippe zu nehmen. In seinen Briefen erzählte er irgendeine Bullshit-Geschichte über ein Versteck, in dem er eine Million Dollar aufbewahre. »Baby«, schrieb er, »wir könnten es uns richtig schön machen.« Er schrieb von all den tollen Dingen, die sie sich kaufen könnten, und den Gegenden, in die sie fahren könnten, und den eleganten Klamotten, die sie sich dann leisten könnte. Am Schluß des Briefs hieß es dann so ungefähr: »Und für euch blöden Arschlöcher, die ihr das hier lest: Ich mach nur Spaß! Gezeichnet, Big AI.« Aber das hielt einen dämlichen Ankläger nicht davon ab, diesen Brief allen Ernstes den Geschworenen vorzulesen, die ihn verwirrt anguckten und vermutlich dachten: Na ja, eigentlich ist er der Blödmann, weil er uns das vorliest. Nicht genug damit - am Ende des Briefs angekommen, las der Staatsanwalt auch noch »Gezeichnet, Mr. Biggle«.
Hell's Angel
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Nachts im Knast brüllte Albert urplötzlich: »Chef, Chef, sie Eines bringen mich um! Hilfe! Hilfe!« Die Bullen rasten zu meiner Zelle. »Barger, du mußt da runter gehen und das stoppen!« Es stellte sich heraus, daß ein paar Angels in einer Gemeinschaftszelle Albert kitzelten, der sich schreiend auf dem Zellenfußboden krümmte. Die Bullen begriffen nicht, was da vor sich ging. Ich sagte ihnen, daß sie mich gefälligst in Frieden lassen sollten. Das sei ihr gottverdammter Job. Eines Morgens gegen fünf Uhr herrschte im Knast auf einmal tödliche Stille, also richtig absolute R-u-h-e. Normalerweise hört man immer Gerede und Schreie, die natürlichen Knastgeräusche. Diesmal aber war nicht der leiseste Ton zu hören - Grabesstille! Dann kam dieser Typ - kein Hell's Angel - an mein Zellengitter. »Wir haben gerade den Knast in unsere Gewalt gebracht. Soll ich dich rauslassen?« »Keinesfalls!« antwortete ich ihm. »Und schließt ja nicht die Hell's-Angels-Gemeinschaftszelle auf! Ganz egal, was die Kerle da drin euch sagen! » So sicher war ich, daß wir diesen fucking RICOProzeß gewinnen würden. Knastaufstand oder nicht - mir war es völlig gleichgültig, ob die Insassen die Gewalt übernommen hatten oder ob es zu einem Massenausbruch gekommen war. Wir waren bereits auf der Gewinnerstraße und würden uns das doch jetzt nicht alles kaputtmachen lassen. Als nächstes schleppten die Knastmeuterer einen Wächter zu meiner Zelle und traten und beschimpften ihn. »Hier, du knallharter Motherfucker. Du liebst es doch, Leute zu verprügeln und ihnen in den Arsch zu treten - nimm dir diesen mal vor!« Dabei bekam der Wachbulle schon wieder einen Tritt in die Rippen. Er heulte und bettelte: »Bitte, tötet mich nicht! Ich habe Frau und Kind zu Haus!« Die ausgebrochenen Sträflinge hatten offenbar ein paar Pistolen hereingeschmuggelt, einen Bullen als Geisel genommen, ihm die Schlüssel entrissen und eine Gruppe von Häftlingen freigelassen. Ich rührte mich nicht, nicht einmal, als das Chaos begann. Ich 252
Ralph »Sonny« Barger
lag auf der Pritsche in meiner Zelle, hörte mir alles an und war ganz entspannt. Dann rasten auf einmal etliche Wachen die Korridore entlang und luden ihre Pumpguns durch. Die Lage schien völlig irre zu werden. Als sie an meiner Zelle vorbeikamen und mich friedlich auf der Pritsche liegen sahen, sagte ich still und freundlich: »Guten Morgen! Was ist denn los?« Einer der Bullen sah mich an und lächelte: »Barger, du bist sogar noch schlauer, als ich dich eingeschätzt hatte!« Gericht weiterverhandelt wurde, ging es immer wieder AlsumvorWaffen und Drogen, Waffen und Drogen, Waffen und Drogen. Die Anklage rollte tonnenweise beschlagnahmte Waffen und illegale Drogen in den Saal. FBI-Agenten nannten als Zeugen der Anklage Einzelheiten über die Razzien und die Beschlagnahmungen, die unsere einschlägigen Vorstrafen belegen sollten. Für uns waren das alles Neuigkeiten von gestern, Fälle, die schon vor zehn Jahren abgeurteilt worden waren. Unsere Verteidiger fragten jedesmal: »Ja, und? Wo ist der Zusammenhang mit den Hell's Angels als kriminelle Organisation?« Es gab keinen Beweis dafür, so sehr sich die Anklage auch bemühte, diese Dinge als geplante Teile der Clubtätigkeit darzustellen, und die Regierung konnte auch keine belastenden Einzelheiten aus unseren Club-Sitzungsprotokollen vortragen, bei denen es um Drogen und Waffen gegangen wäre. Das einzige, was die Anklage vorbrachte, waren unsere Bestimmungen gegen Drogenbetrügereien von damals, als wir unsere Satzung ausdruckten und die Regeln der Presse zugespielt wurden. Diese Regel gegen Betrug bei Drogengeschäften hatten wir damals beschlossen, um unsere Mitglieder ehrlich und »bei der Stange« zu halten. Die US-Bundesanwälte versuchten, diese alten, gedruckten Clubsatzungen als Beweis dafür anzuführen, daß wir folglich auch mit Drogen handelten, was äußerst fadenscheinig war. Ein weiterer Zeuge der Anklage, ein Chemiker der DEA, sagte aus, einer von uns habe Drogen hergestellt, die »109prozentig rein« seien. Als ein Zeuge nach dem anderen und eine Aussage nach der anderen sich als dünne Luft erwiesen, warnte der Richter Hell's Angel 253
die Regierung, er werde den gesamten Fall verwerfen, falls die Anklage keine glaubwürdigeren Zeugen aufrufen könne. Nach meinem Eindruck wollte der Richter vermeiden, daß ein Berufungsgericht die Videoaufnahmen sah, die vom Prozeß gemacht wurden, denn auf ihnen war klar zu erkennen, wie wenig glaubwürdig einige Zeugen der Anklage waren. Auf dem halben Wege unserer Verteidigungsbemühungen merkte ich, wie die Presse langsam auf unsere Seite herüberschwenkte. kann man voraussagen, was die Regierung plant, Manchmal wenn man die Zeitungen liest oder die Fernsehnachrichten sieht. Vor den Razzien in unseren Häusern gab es jede Menge Geschichten über die Hell's Angels und ihre »Untaten und Possen« zu lesen, wobei die Fakten nie eindeutige Tatsachen waren, sondern immer nur Informationen aus »zuverlässigen Quellen«. Nach einem Monat solcher Pressekampagnen kam dann die große Razzia. Als Resultat denkt die Öffentlichkeit dann natürlich: »Na ja, jetzt geht's diesen Schweinehunden endlich an den Kragen.« Es ist sicher kein Zufall, wenn die Bundespolizei Ereignisse vorbereitet und die Presse auf Razzien mitnimmt. Denn es macht sich nun mal gut auf dem Bildschirm, wenn die Bullen und die Staatsanwälte ihre Arbeit tun und den Abschaum der Menschheit verhaften, so etwas gefällt der ahnungslosen Öffentlichkeit. Oft druckt die Presse dramatische Zeugenaussagen ab, veröffentlicht aber nur selten Fakten, die diese Zeugenaussagen widerlegen. Daher ist es kein Wunder, daß wir im Fernsehen und in der Presse schuldig erscheinen. Die Zeitungen drucken regelmäßig alles, was die Denunzianten behaupten, aber sie berichten fast nie mit demselben Aufwand über die Kreuzverhöre, bei denen die Ungereimtheiten und Falschaussagen von Informanten aufgedeckt werden. Nachdem die Anklage in unserem Prozeß so viele unglaubwürdige Zeugen aufgerufen hatte, begann die Presse zu bemerken, daß irgend etwas faul war. Ein Fernsehreporter namens Mike O'Connor drehte für den Sender KTVU in Oakland einen zweiteiligen Bericht, in dem er zeigte, wie verwundbar jede Organisation ist, wenn die Regierung ihr etwas anhängen will und sie nach den Bestimmungen von RICO anklagt. 254
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die Anklagebehörde mit ihrer Beweisführung fertig war, und Alsnachdem sie Dutzende von Zeugen aufgerufen hatte, war ich bereit, als Zeuge in eigener Sache auszusagen. Zunächst wollten unsere Anwälte das nicht. Verteidiger in Strafprozessen schicken ihre Mandanten nur sehr selten in den Zeugenstand. Im Gegensatz zu den Zeugen der Anklage wollte ich in aller Ehrlichkeit und Klarheit zu den Geschworenen sprechen. Also erklärte ich meinem Verteidiger: »Aber selbstverständlich sage ich aus!« Unsere Anwälte (von denen einige ehemalige Staatsanwälte waren) »impften« mich vor meiner Aussage in einem Konferenzraum und bereiteten mich auf alle Fragen vor, die der Richter und die Ankläger mir stellen könnten. In unserem Verteidigungsteam wuchs die Spannung, aber nichts hätte mich davon abhalten können, in den Zeugenstand zu treten und die Wahrheit zu sagen. Unsere Verteidiger waren ziemlich beunruhigt; sie wußten zwar, daß die Sache der Regierung auf wackeligen Füßen stand, aber sie fürchteten, daß ich mit meiner Aussage Unheil anrichten könnte. Im Zeugenstand wurde ich von meinem Verteidiger, den Anwälten meiner Mitangeklagten und natürlich von den Anklägern der Staatsanwaltschaft befragt. Ein Großteil meiner Aussagen drehte sich um meinen persönlichen Hintergrund seit meinem 18. Lebensjahr und darum, daß ich es war, der den Hell's Angels Club von Oakland gegründet hatte. Ich bestritt, daß es zu den Zielen der Hell's Angels gehöre, sich kriminell zu betätigen. Und ich betonte, daß wir eher ein Club als eine »Gang« waren. Es machte uns einfach Spaß, zusammen Motorrad zu fahren, diesen Punkt betonte ich immer wieder. Nach fünf Tagen verließ ich den Zeugenstand, und danach war unseren Anwälten klar, daß die Show nun vorüber war. Nach meiner Aussage ließen wir unsere Verteidigung ruhen. Nun kamen nur noch die Schlußplädoyers. Alles weitere hing von den Geschworenen ab. Vieles in den Schlußplädoyers war recht vertrackt und weit hergeholt, weil die gesetzlichen Einzelheiten von RICO so verwirrend waren. Alle 18 Verteidiger brachten ihre Schlußargumente vor, was die Jury mit der Zeit langweilte. Als Kent Russell an die Reihe kam, hatte er eine große Schautafel aufstellen lassen, die Halls Angel
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sich mit den angeblichen Drogengeschäften zwischen Sharon und mir und einigen Informanten befaßte. Außerdem brachte er eine hübsche Angestellte seiner Kanzlei mit, die die Grafiken auf der Tafel wie bei einer Gameshow im Fernsehen umklappte. Auf diese Weise konnte Russell sieben einander widersprechende Drogendeals mit sieben völlig verschiedenen Zeugenaussagen vorführen, von denen kein Mensch annehmen oder glauben konnte, daß sie sich jemals so abgespielt haben könnten. Nach der Anhörung aller Schlußplädoyers wurden die Geschworenen hinausgeschickt, um über einen gemeinsamen Urteilsspruch zu beraten. Diese Jury stand beileibe nicht klar erkennbar hinter der Anklage. Die Geschworenen schienen zu keinem Zeitpunkt gegen uns eingenommen zu sein. Tatsache war, daß wir nach diesem langen Prozeß fast alle zu einer Familie geworden waren. Als Hell's Angels benahmen wir uns verhältnismäßig gut, ganz im Gegensatz zu dem, was man der Jury in diesem kugelsicheren Gerichtssaal einreden wollte. Allein die Körpersprache der Geschworenen zeigte uns Tag für Tag, daß sie in uns keineswegs jene Monster sahen, zu denen die Anklage uns gern gemacht hätte. Ende Juni 1980 teilte die Jury dem Richter mit, daß sie bei ihren Bemühungen, eine einstimmige Entscheidung zu treffen, in eine Sackgasse geraten war. Der Richter besprach sich daraufhin mit den Verteidigern, bevor die anderen Angeklagten und ich in den Saal gerufen wurden. Der Richter wollte die Jury entlassen. Russell und unser Anwaltsteam waren in einer schwierigen Situation. Niemand wollte den einjährigen, mühevollen Prozeß noch einmal von vorne aufrollen, und normalerweise versicherten die Verteidiger in einem Strafverfahren ihren Mandanten immer, daß eine unentschiedene Jury etwas Positives sei. Weil ich bei diesen Besprechungen nicht anwesend war, konnten sich Russell und Mangan nicht entscheiden. Darum baten sie den Richter, die Geschworenen zu weiteren Beratungen aufzufordern - zum Schrecken der anderen Verteidiger. Der Richter wies die Jury an, weiter zu versuchen, zu einer Entscheidung zu gelangen. Er erklärte den Geschworenen, daß sie mich nicht für »nicht schuldig« hinsichtlich der nicht RICO-bezo256
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genen Straftaten befinden konnten, wenn sie nicht auch alle anderen für »nicht schuldig« befanden. Nach den weiteren Beratungen befand die Jury Sharon, Ron Elledge und mich für »nicht schuldig« im Sinne der RICO-Anklagen; was die anderen Anklagen gegen uns betraf, waren sie noch immer zu keiner Entscheidung gelangt. Daraufhin wies der Richter die Jury an, die »Nicht schuldig«-Klausel von den BeschlußFormularen für Sharon und mich zu streichen. Die Geschworenen hatten keine wesentlichen Verschwörungsklagen gegen uns bestätigt. Die Justizbehörden wollten mich nicht sofort entlassen. Wegen der Beschlußunfähigkeit der Geschworenen wollte man mich und eine Gruppe von Angeklagten während der zweiten Prozeßrunde erneut vor Gericht stellen. Man erklärte mir, daß man mich auf freien Fuß setzen würde, wenn ich mich schriftlich vom Club distanzierte. Und wieder einmal ging ich nicht auf ihren Handel ein. Am 2. Juli, während ich noch auf meine Entlassung wartete, sprach Russell mit der Presse. »Kein Angel ist wegen verbrecherischer Tätigkeit für schuldig befunden worden. Der Hell's Angels Motorcycle Club ist rehabilitiert worden. Die Regierung konnte keinen Beweis erbringen, daß der Club ein illegales Unternehmen ist.« »Eine Verschwörung ist leicht nachweisbar«, fuhr Russell fort, »und trotzdem ist dies der Regierung mißlungen - sogar nach zweijährigen Ermittlungen, Millionen von Dollar und gekauften Zeugen, denen wir nachweisen konnten, daß sie im Zeugenstand gelogen haben.« Kosten des Verfahrens waren auf beiden Seiten erheblich. DieAllein unsere Verteidigung kostete uns zwischen einer und zwei Millionen Dollar, die Regierung mußte eher drei bis fünf Millionen Dollar für unsere Strafverfolgung aufwenden. Bei einer Gelegenheit erklärte ich den Justizbehörden, daß die Hell's Angels so gut wie eine Gruppe christlicher Pfadfinder geworden wären, wenn sie diese fünf Millionen Dollar uns gegeben hätten, und sie nie wieder etwas von uns gehört hätten. Damals - 1979 - waren Hell's Angel
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l wir die größte Angeklagtengruppe in der Geschichte der US-Regierung, und unser RICO-Strafprozeß war der längste seiner Art. Die ganze Quälerei dauerte länger als ein Jahr. Wir waren im Juni 1979 verhaftet worden, die Geschworenen traten im Oktober zusammen, und ihr Urteilspruch kam im Juli 1980. Die Anklagen wurden im Laufe der Zeit dreimal geändert, und der eigentliche Prozeß dauerte neuneinhalb Monate. Die Anklagebehörde war enttäuscht und verärgert und wollte noch einen zweiten Prozeß anstrengen. Wir beriefen eine Pressekonferenz ein, auf der wir gegen die Kosten und die Dauer dieses RICO-Fiaskos protestierten. Acht Angels saßen wegen des zweiten Prozesses noch immer im Knast, und anstatt mich zum zweiten Mal vor Gericht zu zerren, ließ man die Klagen wegen meiner früheren Taten fallen. Aber die Hell's Angels Burt Stefanson, Alan Passaro, Manuel Rubino und Ron Elledge erhielten in einem zweiten, kleineren Verfahren Geld- und Freiheitsstrafen, vor allem wegen Waffenbesitzes. Auch wenn man mich im August 1980 entließ, war die zweite Prozeßrunde nur eine weitere Zeit- und Geldverschwendung. Wahrscheinlich hätte ich im ersten großen Prozeß gar nicht zu den Angeklagten gehören sollen. Wie sich herausstellte, wollte die Regierung mich nur als Frontmann dabei haben, den man mit etwas Glück vielleicht verurteilen konnte. Es war eine Art Glücksspiel. Die Staatsanwaltschaft hatte gehofft, wir würden auseinanderbrechen und uns gegenseitig bezichtigen, was in vielen früheren RICO-Fällen vor Gericht passiert war. Daß man Sharon und mich in die Sache hineinzog - besonders, weil wir für »nicht schuldig« befunden wurden - war eine große Hilfe für den Rest der Angeklagten. Nach dem Freispruch ging ich zur Führerscheinstelle und ließ mir einen provisorischen Führerschein geben. Ich wollte einfach kein Risiko mehr eingehen und für irgendeinen Quatsch festgenommen werden. Ich war dem ganzen Land als der obercoolste Motorradfahrer vorgeführt worden und hatte noch nicht einmal einen Führerschein. Das Fernsehen filmte mich, wie ich als freier Mann auf meinem Bike davonfuhr ... ein freier Mann mit einem Führerschein. 258
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Ich nach dem RICO-Freispruch und den 13 Monaten im Gefängnis von San Francisco.
An meinem ersten Abend in Freiheit trat Willie Nelson mit einer großen Show im Oakland Coliseum auf. Deacon und Fu machten mit ihrer Firma Magoo Productions Promotion für das Konzert. Der gesamte Club war gekommen. Ich trug einen großen Cowboyhut und trank aus einer kleinen Whiskeyflasche, als Willie seinen Song »Whiskey River« Sharon und mir widmete. Willie machte den Reportern gegenüber keinen Hehl aus seiner Freundschaft mit mir und erklärte der Presse, er sei glücklich, daß ich endlich aus dem Knast heraus war. Ein paar Monate später hatten die Medien wieder Gelegenheit, über die Hell's Angels zu berichten. Ich war eingeladen worden, in einem Restaurant von San Francisco vor einer Versammlung von Strafprozeßanwälten zu sprechen. Normalerweise wurden bei den Zusammenkünften dieser Anwälte stets prominente Richter oder Anwälte als Gastredner eingeladen. Ich nahm Cisco, Deacon, Fu, Mike und Sharon mit zu dem Lunch. Als wir ankamen, war das Lokal knallvoll, und die Presse war en masse vertreten. Einer der Hell's Angel
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Anwälte erklärte: »So viele Leute haben wir seit dem Auftreten von F. Lee Bailey nicht mehr hier gehabt.« Ein Anwalt fragte mich, wie wir neue Hell's Angels für unseren Club rekrutierten. »Wir rekrutieren nicht«, antwortete ich. »Wir anerkennen. Wenn wir feststellen, daß jemand so ist wie wir, dann wird der Betreffende einer von uns.« Vor dieser Gruppe von Rechtsanwälten in ihren Anzügen und Krawatten sprach ich nun über RICO. Die Regierung sei niemals darüber erhaben, zweckdienliche Lügen über ihre Zielscheiben zu verbreiten. »Die Regierung hat uns mit ihrer Anklage neues Leben und eine neue Existenzberechtigung verschafft. Sie hat uns als feste Einheit erlebt und sich mit ihren Bemühungen, uns alle möglichen Arten von Verschwörung anzudichten, lächerlich gemacht. Ihre Lügen haben es einfach nicht geschafft.« wir uns erfolgreich gewehrt hatten, schadete RICO dem Obwohl Hell's Angels MC erheblich. Während des Prozesses verloren wir allein in Kalifornien mehr als 50 Mitglieder. Mitglieder, die die Bundesgesetze nicht verstanden, ließen sich einschüchtern und fürchteten, als nächste vor Gericht zu kommen, wenn sie im Club blieben. Wer auch immer während des Verfahrens den Club verließ, war nach meiner Ansicht ein treuloser Feigling und kein echter Bruder. Ich weigerte mich, mit solchen Leuten etwas zu tun zu haben. Es gibt zwei Möglichkeiten; man kann ehrenhaft austreten oder man kann unehrenhaft ausgeschlossen werden. Der Club ließ Mitglieder austreten, aber in meinen Augen hätte jeder von denen, die austraten, während treue Freunde wie Johnny Angel und Big AI Perryman mit den Besten von uns im Knast saßen, unehrenhaft ausgeschlossen werden müssen. Und was ist letztlich bei dem RICO-Prozeß herausgekommen? Ich bin sicher, daß unser Sieg die verfassungsfeindlichen RICOBestimmungen daran gehindert hat, die Bürgerrechte aus dem First Amendment unserer Verfassung außer Kraft zu setzen. Dabei hatten sich das die Staatsanwälte so schön in den Kopf gesetzt. Bei diesem Prozeß hatte die Regierung geplant, eine Anzahl unpopulärer Gruppen hinter Gitter zu bringen und den Bürgern zu 260
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verwehren, sich mit gleichgesinnten Leuten zusammenzuschließen. Die verfassungswidrige Seite von RICO wäre mit Sicherheit ausgeufert, wenn wir uns nicht dagegen aufgelehnt und gekämpft hätten.
»Es gibt nichts Geringeres auf dieser Welt als ein Mitglied, das zum Verräter am Club wird ... und zu diesen Ratten gehört auch Anthony Tait.«
13 RATTEN UND VERRÄTER
I
rgendwann einmal haben wir uns zusammengesetzt und das Bild eines typischen Hells-Angels-Denunzianten skizziert -das Profil einer »Ratte«, wie wir solche Typen nennen. Die meisten »Ratten« sind großmäulige Rabauken, die andere herumstoßen und sich gern lauthals vor den anderen Clubmitgliedern wichtig machen. Die schlagen sich auf die Brust und tönen herum, wie toll sie den Club finden und daß sie für den Rest ihres Lebens zu uns gehören wollen. Aber wenn sie Dummheiten machen und von den Bullen erwischt werden, dann setzen sie sich nicht zur Wehr, sondern verraten lieber ihre Brüder, um die eigene Haut zu retten. Bei einer Organisation wie den Hell's Angels, die sich auf Bruderschaft, Freiheit und das Wort der einzelnen Mitglieder stützt, ist eine »Ratte« der schlimmste Feind. Informanten haben immer den Drang, auf der Gewinnerseite zu sein. Wenn man bedenkt, wie lange es die Hell's Angels schon gibt und wie viele Mitglieder wir haben und weltweit hatten, dann ist die Anzahl der Abtrünnigen nicht sehr groß. Aber ein Verräter ist schon einer zuviel. Arschlöcher wie Anthony Tait und George »Baby Huey« Wethern haben den Club verlassen und Bücher über uns geschrieben, was mich maßlos ärgert. Jim Jim Brandes, das Oakland-Mitglied, das den ganzen Ärger mit RICO auslöste, war eine »Ratte«. Jahrelang hatte er der Polizei Informationen über den Club zukommen lassen. Als er schließlich aufflog, erhängte sich Jim Jim in seiner Zelle in der Nacht, bevor sein Urteil gefällt wurde, um nicht als Informant zurück ins Gefängnis zu müssen. Wethern und Tait wurden ins Zeugenschutzprogramm aufHell's Angel
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genommen. Mafia-Informanten haben mir erzählt, daß man sich in diesem Programm so lange sicher fühlen kann, bis die Bullen keinen Bock mehr auf ihren Job als Babysitter haben. Danach heißt es nur noch: Verdrück dich, wenn du Glück hast, und sieh zu, wie du dich wehrst. er seinen Kumpel Zorro Anfang der 70er Jahre anNachdem geschossen hatte, verließ George Wethern den Hell's Angels Club von Oakland und zog mit Frau und Kindern in das 150 Kilometer entfernte nordkalifornische Städtchen Ukiah. Selbst nach seinem Austritt war ich noch lange stocksauer auf Wethern. Ich hatte selbst so viele kriminelle Verdächtigungen auszustehen und steckte oft bis zum Hals in Schwierigkeiten. Warum hatte ich nur meine Zeit damit verschwendet, George vor dem Knast zu retten? Und was würde noch alles auf mich zukommen? Ungefähr zu diesem Zeitpunkt kam Whispering (der Flüsterer) Bill ins Spiel. Als Wethern 1972 Oakland verließ, gab es bei uns ein Mitglied namens Bill Pieffer, der im Club Whispering Bill genannt wurde. Bill hatte zum Club von Richmond gehört, bevor er zu uns nach Oakland überwiesen wurde. Er hatte Kehlkopfkrebs in fortgeschrittenem Stadium und wußte, daß er bald sterben würde. Whispering Bill verkaufte einem Typen Drogen, der einen großen Diesel-Truck besaß und - laut Polizeiermittlungen - Bill einen Haufen Geld schuldete. Deshalb hatten die beiden einen Plan ausgeheckt, sie wollten den Truck in die Luft jagen, und die Versicherungssumme sollte Bill bekommen. Doch nachdem der Truck explodiert war, wurde die Versicherungsgesellschaft mißtrauisch. Ihre Schnüffler setzten den TruckInhaber so unter Druck, daß er schließlich gestand, Pieffer Geld zu schulden. Als die Polizei Pieffer verhaftete, wußte er genau, daß er höchstens noch ein Jahr zu leben hatte. Whispering Bill wollte nicht in einem elenden Knast sterben, also bestritt er seine Teilnahme an der Explosion und schob die Tat einfach auf mich! Die Bullen hätten ihm nur zu gern geglaubt, aber Bills Story erwies sich bei näherem Hinsehen als reine Erfindung. Das war eine der sehr wenigen Ausnahmen, in der die Bullen meine Unschuld 264
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bewiesen, ohne mich vorher in den Knast zu stecken und dort schmoren zu lassen. Whispering Bill gab seine Tat schließlich zu, aber in einem verzweifelten Versuch, dem Gefängnis zu entgehen, bot er der Polizei einen Leckerbissen als »Deal« an. »Ich kann euch etwas über zwei Leichen erzählen«, erklärte er den Bullen, »die oben auf dem Gelände von George Wethern m Ukiah verbuddelt sind!« Und dann erzählte Whispering Bill der Polizei, daß zwei Biker aus Georgia angeblich in Ukiah vergraben seien. Laut Zeitungsberichten, die ich später las - aus erster Hand hatte ich nämlich nichts von der Sache gehört -, hatten die zwei Biker eine Party in Richmond besucht, auf der einer von ihnen getötet wurde. Um die Tat geheimzuhalten und Zeugen zu beseitigen, brachte jemand anschließend auch noch den zweiten Biker um. Auf Bills Tip hin durchsuchten die Bullen Georges Ranch in Ukiah mit Bluthunden und Schaufeln. Als sie sich sein Haus vornahmen, fanden sie Marihuana. Jetzt steckte George m der Klemme. Die Polizisten drohten ihm, daß eine Anklage gegen ihn und seine Frau zur Folge hätte, daß seine Kinder zu Pflegeeltern geschickt werden müßten. »Du wirst deine Frau nie wiedersehen. Sie wird genau wie du im Knast verrotten, und keiner von euch beiden wird je die Kinder wiedersehen.« George geriet in Panik und machte mit den Bullen einen geheimen Deal aus. Wenn er ihnen zeigte, wo die Leichen vergraben waren, würde er mit einer leichteren Strafe davonkommen. Die Zeitungen in ganz Kalifornien verkündeten mit riesigen Schlagzeilen: DIE GRÄBER DER HELL'S ANGELS und LEICHEN AUF RANCH IN UKIAH GEFUNDEN. Nachdem George und seine Frau festgenommen worden waren, schickte ich Sharon zur Ranch, damit sie sich um die Kinder kümmern sollte, aber sie benahmen sich ihr gegenüber mißtrauisch und feindlich. Ich hatte anfangs gedacht, wir stünden alle auf derselben Seite, aber jetzt wurde ich langsam mißtrauisch. Dann bekam ich heraus, daß Wethern und seine Frau ins Zeugenschutz programm gegangen waren und daß sowohl Whispering Bill als auch George mich beschuldigt hatten, für die Gräber auf der Ranch verantwortlich zu sein. Hell's Angel
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Nach einer Weile kam der Fall vor Gericht, und mit den Aussagen von Wethern als Beweis wurden zwei Hell's Angels aus Richmond verurteilt. Einem der beiden, Rotten Richard, hatte man eine leichtere Strafe angeboten, falls er mich in die Geschichte verwickelte. Er weigerte sich jedoch, und deshalb sitzt er heute noch im Knast. Verzweifelt über seinen Gefängnisaufenthalt und wahrscheinlich auch aus Schuldgefühlen, weil er zur Ratte und zum Verräter geworden war, hielt sich George zwei angespitzte Bleistifte vor die Augen und rammte seinen Kopf damit gegen den Tisch. Er durchstach so zwar seine beiden Augäpfel, doch der Selbstmordversuch mißlang. Danach war George vorübergehend blind. die schlimmste Ratte von allen bei den Hell's Angels war Aber Anthony Tait. Manche Ratten machen sogar Vortragsreisen für die Strafverfolgungsbehörden, auf denen sie der Polizei von den Gefahren der »Outlaw Motorcycle Gangs« erzählen. Anthony Tait versuchte, sich der Regierung als ganz »heiße Nummer« darzustellen, als jemand, der besser als jeder andere Mensch auf dieser Welt die tiefsten Geheimnisse der Hell's Angels kennt und genau weiß, was wir vorhaben. Tait kam 1982 in Alaska zu den Hell's Angels. Später wurde er zum Westküsten-Vertreter aller Clubs gewählt. Er wollte unbedingt für diesen Job kandidieren und schien immer genug Geld zu haben, um zu uns nach Kalifornien und an die Ostküste zu fliegen und dort an den Vorstandsmeetings teilzunehmen. Als er WestküstenBeauftragter wurde, kaufte er sich ein nagelneues Bike in Indiana, ließ es an die Westküste schicken und stationierte es bei uns für seine Besuche. Nach der Art und Weise, wie er mit dem Geld um sich schmiß, nahm ich an, daß er im Drogenhandel war. Ich wußte damals nicht, daß es das Geld der Regierung war, das er so freizügig ausgab. Als Westküsten-Beauftragter besuchte Tait mich oft zu Hause. Er war immer wie ein großkotziger Drogendealer angezogen und trug jede Menge goldener Ketten und Ringe. Tait fuhr oft auf einer cremefarbenen Harley Full Dresser und trug dabei hellbeigefarbene Cowboystiefel, so daß er auf Überwachungsfotos der Bullen 266
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leicht zu identifizieren war. Sein Bike stellte er für gewöhnlich im Harley-Shop von Oakland ab. Wenn er von Anchorage zu uns geflogen kam, mußte er nur die kurze Strecke vom Flughafen nach Oakland zum Clubhaus fahren. Tait konnte auf dem Motorrad keine längeren Strecken bewältigen. Ihm wurde regelmäßig so übel dabei, daß er kotzen mußte. Ich weiß noch, wie er einmal auf einem gemeinsamen US-Run einen anderen sein Bike fahren ließ. Wir glaubten damals, daß er krank war. In der Rückschau halte ich es für wahrscheinlicher, daß er einfach eine Höllenangst davor hatte, im Rudel so schnell fahren zu müssen. Vielleicht hatte er auch nur Angst vor Motorrädern, punktum. Wir hatten keine Ahnung, daß Tait eine Ratte war, für das FBI arbeitete und nur auf eine Chance lauerte, den Club kaputt zu machen. Tait bekam seine Chance, als ein Hell's Angel aus Alaska namens J. C. Webb bei einer Schlägerei in einer Bar ums Leben kam. Bevor Webb in den Club von Anchorage eintrat, war er Mitglied beim Outlaws Motorcycle Club in Kentucky. Wenn wir gewußt hätten, daß Webb ein Ex-Outlaw war, hätten wir ihn von vornherein nicht bei den Hell's Angels aufgenommen. Wenn man ein Mitglied von einem rivalisierenden Club aufnimmt, geht immer irgend etwas schief. Im Falle von J. C. Webb war es fürwahr eine größere Sache. Nachdem wir unser USA-Treffen im August 1986 in Colorado abgehalten hatten, fuhren die meisten von uns gleich zurück nach Oakland, um an der Trauerfeier und Beisetzung von Doug »the Thug« Orr teilzunehmen. J. C. Webb und seine Old Lady Lori hatten jedoch beschlossen, allein nach Kentucky zu fahren, um seine Eltern zu besuchen, bevor sie wieder nach Alaska zurückfahren wollten. Webb verschwieg in Kentucky seine Zugehörigkeit zu den Hell's Angels, weil die Gegend Territorium der Outlaws war. In der Bar »Frank's Broken Spur« traf er zwei Outlaws, die er von früher kannte. Offenbar fingen die drei Biker einen heftigen Streit an. Als Webbs Frau in die Bar kam, merkte sie sofort, daß zwischen den Männern eine explosive Stimmung herrschte. Vor den Türen der Kneipe eskalierte der Streit, nachdem J. C. einen von den Outlaws, Hells Angel
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Little Ray Müllen - auch Cool Ray genannt - mit einer Pistole bedrohte. Die Outlaws befahlen J. C, sein Angels Patch auf den Boden zu werfen und schleunigst abzuhauen. »Fuck you!« erwiderte J.C. Daraufhin fielen drei Schüsse. Einer davon traf Webb. Die Verletzung war tödlich. J. C. fiel über sein Bike, als er blutend versuchte, die Maschine zu starten, er sank auf dem Parkplatz zu Boden und starb. Die Outlaws flüchteten, und Webbs Frau griff sich die Waffe ihres Mannes, um sie zu verstecken. Als ich einen Telefonanruf mit der Nachricht bekam, daß ein Outlaw gerade einen Hell's Angel abgeknallt habe, flogen ein paar unserer Leute nach Kentucky, um vor Ort Näheres zu erfahren. Wir konnten uns aus den verwirrenden Einzelheiten keinen rechten Reim auf die Situation machen. Inzwischen hatten die FBI-Bullen ihre Chance gewittert und ihren Mann Tait angesetzt. Zu diesem Zeitpunkt wußten wir noch nicht, daß Webb seine Waffe zuerst gezogen hatte. Fast ein Jahr verging, wir kümmerten uns um Webbs Beisetzung, und die Polizei ermittelte. Schließlich kam Tait mit der Frage auf mich zu, was der Club nun tun solle. Offen gestanden war mir nicht nach Rache zumute, obwohl andere Clubmitglieder stinkwütend waren. Aber natürlich stand ich als Ratgeber den anderen Angels zur Seite. Ich ging davon aus, daß Tait bereits eigene Pläne gemacht hatte. Also lautete meine Antwort einfach: »Wenn zwei Outlaws in diese Sache verwickelt waren, dann erschießt ihr eben zwei von ihnen. Damit ist die Sache dann erledigt. Es kümmert mich einen Scheiß, wer sie sind, denn die Typen, die es getan haben, werdet ihr ja doch nie zu fassen kriegen.« Aus diesen Sätzen zu Tait schnitzte das FBI die Behauptung, die Outlaws und die Hell's Angels hätten sich den Krieg erklärt. Das war keineswegs der Fall. Natürlich hatten wir einen Streit mit ihnen, aber von Krieg konnte keine Rede sein. Der Outlaw, der auf Webb geschossen hatte, legte schließlich ein Geständnis ab, erklärte aber, es sei ein fairer Kampf gewesen. Nachdem sich der Rauch über der ganzen Sache verzogen hatte und wir wußten, daß Webb als erster seine Waffe gezogen hatte, fiel bei mir der Groschen, worauf Tait hinausgewollt hatte, als er mich ansprach. 268
Ralph »Sonny« Barger
Inzwischen reiste Tait im ganzen Land von einem Club zum nächsten. Bei einem Club fragte er nach Sprengstoff, den er dringend brauchte. Einen anderen Club bat er um Schußwaffen. Von einigen Oakland-Mitgliedern kaufte er Speed. Jedesmal, wenn Tait und ich eine Besprechung hatten, legte er seinen Beeper zwischen uns auf den Tisch, als ob er ständig mit einer Message rechnete. Heute denke ich, daß es ein Mikro für die FBI-Leute gewesen ist. Wenn tatsächlich ein großer Verschwörungskrieg zwischen den Angels und den Outlaws geherrscht hätte, warum tigerte Tait dann von einem Angel zum anderen, anstatt gleich die ganze Organisation anzusprechen? Er war schließlich unser WestküstenVertreter. Ich nehme an, daß er wohl kaum von uns als Gruppe unterstützt worden wäre, wenn er den gesamten Club angesprochen hätte. Da Webb Mitglied unseres Clubs in Alaska war, hätte schlimmstenfalls nur ein Alaska-Mitglied einen Outlaw abknallen müssen, und die Sache wäre erledigt gewesen. Etliche Mitglieder aus verschiedenen Clubs im Land (Alaska, Kalifornien, Nord- und Süd-Carolina und Kentucky) tappten in die Falle der Regierung. Im Juni 1987 gab das FBI seinem Denunzianten zu verstehen, daß sein geliefertes Beweismaterial nicht ausreiche, um mich zu verhaften, zumal ich persönlich mit niemandem Pläne geschmiedet hatte. Ich hatte Tait nur gesagt, er solle tun, was er ohnehin beabsichtigte. Allmählich wurde dem FBI die Zeit knapp; die Regierung brauchte mehr Beweise, um mich einzubuchten. Sharon und ich waren gerade vom Drag-Rennen in Fremont nach Hause zurückgekehrt, als Tait bei uns aufkreuzte. Er erzählte mir, daß er auf dem Wege nach Chicago sei, um dort das Clubhaus der Outlaws in die Luft zu sprengen. Er zeigte mir auch einige Fotos von dem Haus der Outlaws. Als er ging, erinnerte ich ihn - instinktiv oder glücklicherweise - daran, die Fotos mitzunehmen. Sie hätten später problemlos als Indiz gegen mich verwendet werden können. Er bat mich inständig um Rat wegen seines Plans in Chicago. Ich sollte ihm irgendwie helfen - mit Ideen, Tips oder Hinweisen. »Wenn du das machen willst, dann mach es«, sagte ich ihm. Hell's Angel
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»Aber es könnten unschuldige Unbeteiligte im Haus sein«, gab er zu bedenken. »Dann kriegen sie das eben dafür ab, daß sie mit solchen Typen herumhängen.« Taits heckte schließlich folgende Taktik aus. Er erzählte mir, er hätte in einem Hotel in der Stadt Oakland ein Zimmer gebucht, und bat mich nun, in das Zimmer zu gehen und es durcheinander zu bringen, nachdem er abgereist war, damit es so aussah, als ob er wirklich dort übernachtet hätte. So könnte ich ihm ein Alibi verschaffen. Das Zimmermädchen könnte dann nämlich aussagen, sie habe am Morgen sein Bett gemacht. »Okay, das mach ich«, versprach ich. Tait reiste ab. Das FBI aber hatte in dem Hotelzimmer Wanzen und Kameras versteckt und außerdem noch das Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Korridors gemietet. Das Problem war nur, daß ich nicht selbst dorthin ging. Ich schickte unser Oakland-Mitglied Irish O'Farrell ins Hotel, damit er das Zimmer benutzte und die Handtücher feucht machte. »Paß auf«, erklärte ich meinem guten Freund Irish. »Ich geb dir Geld. Du nimmst deine Old Lady mit in das Hotel. Bring ein paar Flaschen Wein mit, bestell was vorn Zimmerservice und amüsier dich da ein bißchen. Nach einer Weile kannst du wieder abhauen.« Irish versprach, es zu tun. Tait hatte dafür bezahlt. Das Clubhaus der Outlaws wurde zwar nicht in die Luft gesprengt, aber ich wurde dafür verhaftet - wegen einer »zwischenstaatlichen« Bombenverschwörung. Weil ich Irish in das Hotel in Oakland geschickt hatte, wurde er als Mitverschwörer ebenfalls festgenommen. Bei diesem neuerlichen Versuch, mich einzusperren und den Club aufzulösen, beschloß das FBI, um ganz sicher zu sein, unseren Verschwörungsfall in Louisville, Kentucky, vor Gericht zu bringen - im festen Vertrauen darauf, dort ein Urteil gegen uns zu erwirken. Rund 35 Personen, darunter 28 Hell's Angels, wurden unter Anklage gestellt. Sie lautete auf Verschwörung - ausgelöst durch die Ermordung von J. C. Webb und gestützt auf das Beweismaterial, das Anthony Tait dem FBI über die geplante Sprengung des Hauses in Chicago geliefert hatte. Irish und ich wurden im November 1987 verhaftet und nach San Francisco gebracht. 270
Ralph »Sonny« Barger
Michael »Irish« O'Farrell, Mitglied der Hell's Angels in Oakland.
Die schwerste Anklage gegen uns war die der Verschwörung mit dem Ziel, Sprengstoff über die Staatsgrenze hinweg zu transportieren, in der festen Absicht, Menschen zu töten, zu verstümmeln und zu verletzen. Normalerweise kann man wegen eines Verbrechens nur dann nach Bundesgesetzen verurteilt werden, wenn es sich dabei um ein zwischenstaatliches Unternehmen handelt. Nach Auffassung des FBI handelte es sich hier um solch ein Verbrechen, weil sich im Clubhaus der Outlaws in Chicago auch Mitglieder aus anderen Bundesstaaten versammelten und dort übernachteten, so daß das Clubhaus praktisch als zwischenstaatliches Unternehmen angesehen werden müsse. Ein wenig weit hergeholt. Das Ganze war ein blöder Witz. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, gegen meine Auslieferung anzukämpfen, sondern erzählte der Untersuchungsrichterin, sie könne sich die Sache in den Arsch schieben und mich nach Kentucky schicken. Nach einer Prozeßdauer von fünf Monaten wurden von den 20 angeklagten Hell's Angels 18 freigesprochen. Nur Irish und ich Hell's Angel
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wurden der Verschwörung für schuldig befunden, unter Verletzung von Bundesgesetzen einen Mord geplant zu haben. Nachdem wir gegen Kaution wieder auf freiem Fuß waren, fuhr ich zurück nach Kalifornien, um unsere Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Irish sollte in ein Hochsicherheits-Bundesgefängnis in Atlanta; und ich sollte mich in der Bundesstrafanstalt in Englewood, Colorado, melden. Zwei Wochen vor unserem Strafantritt wollten Irish und ich für eine Gruppe von uns ein Abschiedsessen veranstalten. Wir hatten einen Tisch in einem Restaurant reserviert und warteten dort auf Irish. Da rief seine Freundin an. Sie hatte eine schlechte Nachricht für uns. Irish hatte sich an diesem Tag in einer Bar betrunken und war in einen Streit mit einem Ex-Knacki geraten, den er von früher kannte. Irish hatte ihn zum Kampf herausgefordert. Offenbar hatten die beiden früher schon einmal eine handgreifliche Auseinandersetzung gehabt, und der andere wollte dieses Mal nicht wieder der Unterlegene sein. Er erstach Irish auf dem Parkplatz mit etlichen Messerstichen in den Rücken, die Brust und in den Hals. Als Irish sterbend am Boden lag, jagte der Gangster ihm noch vier Schüsse aus einer 25-Kaliber-Pistole in den Rücken. Kurz bevor ich in den Knast ging, begruben wir Irish. Ich hatte ein komisches Gefühl dabei. Ein weiterer treuer Hell's Angel war tot. Bis heute bekomme ich auf meiner Website - sonnybarger.com immer wieder Messages wie »Fuck Tait« wegen dieses Arschlochs von Verräter. Ich werde nie begreifen, warum sich die Bullen mit so miesen Opportunisten einlassen. Wir haben erlebt, wie eiskalte Mörder aus dem Knast entlassen wurden, weil sie als Zeugen gegen Hell's Angels auftraten, die möglicherweise in Drogendeals verwickelt waren. Wo liegen eigentlich die Prioritäten der Regierung? Ein Typ wurde als Gegenleistung für seine Aussage in einem Prozeß gegen uns freigelassen. Er hatte wegen mehrerer Morde gesessen, darunter ein Mord an einem 70jährigen während eines Freigangs aus dem Gefängnis. Anschließend händigte man ihm nicht nur alle seine Waffen wieder aus, er bekam am Abend nach seiner Zeugen272
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aussage auch noch 100000 Dollar in Ein-Dollar-Scheinen in einem Motelzimmer ausgezahlt. Wer ist eigentlich schlimmer? Die Ratten selbst - oder die Typen von den Justizbehörden, die solche Rechnungen bezahlen? Knaststrafen, Motorradunfälle oder brutale Faustkämpfe Harte immer bin ich wie eine Katze mit neun Leben wieder auf die Füße gefallen, bin auf mein Bike gestiegen und weitergefahren. Ich konnte mit harten Richtern, Denunzianten und rivalisierenden Bi-kern umgehen und ihnen offen in die Augen sehen. Dann aber kam eines Tages der schwerste Kampf meines Lebens ... gegen einen unsichtbaren Feind in meinem eigenen Körper.
Wieder auf dem Bike - einen Monat nach meiner Krebsoperation im Jahr1982'
Keith Allende
14 MEIN HÄRTESTER KAMPF
I
ch habe wahrhaftig ein ausreichendes Maß von Kämpfen hinter mir: Bullen, Old Ladies, die Regierung, feindliche Clubs, Verräter. Aber kein Kampf war schwerer als der, dem ich 1982 ins Auge sehen mußte. Als mein 44. Geburtstag heranrückte, kam das Allerschlimmste noch auf mich zu. Ich reiste in jenem Jahr nach Cleveland, weil Jack, ein Clubmitglied, dort wegen des Mordes an einem der Outlaws vor Gericht stand. Während des gesamten Prozesses hatte ich starke Halsschmerzen, aber da es schneite, schob ich es einfach auf das miese Winterwetter. Nachdem Jacks Prozeß mit seinem Freispruch ausging, blieb ich wegen eines weiteren Gerichtsverfahrens in Akron noch für eine Weile in der Gegend. Jimmy, ein Hell's Angel, hatte eine kleine Haftstrafe wegen einer unrechtmäßigen Bike-Zulassung abzusitzen, keine große Sache. Das Dumme daran war, daß er im Knast steckte, während sein Anwalt sich um die Berufung kümmerte. Ich fuhr nach Akron, um zu sehen, ob ich etwas für Jimmy tun konnte. Akron gehörte zum Einflußgebiet der Outlaws. Während Jimmys Berufungsverfahren wohnte ich in einem »sicheren Haus« der Hell's Angels und bat Sharon, zu mir nach Ohio zu fliegen. Sie fuhr vom Flughafen Cleveland zu dem »sicheren Haus«. Aber als sie zu dem Haus ging, zielten plötzlich aus jedem Fenster Pistolenmündungen auf sie. Ihre erste (und kluge) Reaktion darauf war, ins Haus hineinzurennen, um aus der Schußlinie zu kommen. Sie flitzte durch die Haustür herein. Und da saß ich elend und krank auf der untersten Treppenstufe und hielt mir das Ohr. Sharon war zu Recht stinksauer. Hell's Angel 275
»Auf welche Tussi soll ich nun sauer sein, daß sie nicht für dich gesorgt hat und dich so krank werden ließ?« fragte sie. Bei unserem Rückflug nach Kalifornien eine Woche später wurden meine Hals- und Ohrenschmerzen noch schlimmer. Fünf volle Monate litt ich unter den immer stärker werdenden Schmerzen und fühlte mich hundeelend. Vielleicht sollte ich kein Motorrad mehr fahren oder weniger reisen, dachte ich. Irgendein großes Geschwulst blockierte meine Kehle, aber ich weigerte mich, zum Arzt zu gehen. Nur um überhaupt sprechen zu können, trank ich jeden Tag zwei Flaschen Chloraseptic. Nach Besprechungen im Club oder Vorstandsmeetings konnte ich gar nicht mehr sprechen. Sharon ging mir aus dem Weg und beschäftigte sich mit Hausarbeit. Den kleinen Welpen, den ich von meiner Reise mitgebracht hatte, hielt sie von mir fern. Denn die Stimmungsumschwünge, die ich wegen meiner Krankheit hatte, wurden langsam gefährlich. Ich hatte beispielsweise einen neuen Badezimmerschrank anfertigen lassen, den zwei Clubmitglieder auf Sharons Bitten installieren sollten. Als sie damit fertig waren, sah ich mir ihre Arbeit an und fand, daß der Schrank zu dicht bei den Rohrleitungen hing. In blinder Wut holte ich ein Beil aus der Garage, hackte den ganzen Schrank in Stücke und schmiß die Trümmer auf die Veranda. Ein anderes Mal fand Sharon, als sie nach Hause kam, sämtliche Küchenschubladen aus den Schränken gerissen und ausgeleert auf dem Fußboden. Ich hatte in einer Schublade nach etwas gesucht und mich über die Unordnung geärgert. Im typischen Hell's-Angels-Stil hatte ich daraufhin alle ausgeleert. Sharon hatte hübsche Keramikdeckel auf den Kochplatten des Herdes liegen. Bei meinem Wutausbruch zertrümmerte ich sie mit einem Vorschlaghammer. Und um alles in einem Aufwasch zu machen, haute ich auch gleich noch den ganzen Herd in Stücke. Irgend etwas Furchtbares nagte an mir. Ich benahm mich tatsächlich wie ein »Engel aus der Hölle«, der eigentlich gefesselt werden müßte und mit dem keine Menschenseele zusammenleben konnte. Aber ich weigerte mich immer noch, zum Arzt zu gehen, denn ich war sicher, daß die Schmerzen von allein weggehen würden. In Wahrheit aber wurde es immer schlimmer mit mir. 276
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Ein mit Sharon befreundeter Apotheker lieh ihr seine medizinischen Fachbücher. Die beiden hatten den Verdacht, daß ich Kehlkopfkrebs hatte. Schließlich hatte ich 30 Jahre lang CamelZigaretten ohne Filter geraucht - drei Päckchen am Tag. Sharon rief verschiedene Ärzte an. »Er will sich einfach nicht untersuchen lassen«, erklärte sie ihnen. »Könnten Sie nicht wenigstens am Telefon mit ihm sprechen und sich seine Stimme anhören?« Die Ärzte dachten, sie sei verrückt. »Bringen Sie ihn doch einfach hierher!« erwiderten sie. Sharon versuchte alles, um mich zu einem Arztbesuch zu überreden. Sie holte sogar Clubmitglieder wie Jim Jim und Tom ins Haus, die mir gut zureden sollten. Natürlich meinten sie es gut, aber sie redeten nur albernes Zeug mit mir. »Also, Sonny, wir wären dir wirklich böse, wenn du tatsächlich Krebs hättest.« Dann gingen sie wieder, und es ging mir noch schlechter. Sharon und ihre Freundin Linda suchten schließlich im Telefonbuch einen Hals-, Nasen- und Ohrenarzt heraus, der seine Praxis ganz in unserer Nähe hatte, und machten einen Termin mit ihm aus. Sie brachten mich mit einem Trick dorthin. Am Tag des Arzttermins hübschte Sharon sich richtig sexy auf und erzählte mir, Linda komme gleich mit ihrem Cadillac vorbei, um uns abzuholen. Ich solle mich auch ordentlich anziehen. Linda sah blendend aus, und auch Sharon hatte sich elegant zurechtgemacht, also zog ich mich ganz schnell an. Ich hatte gedacht, wir führen zu Lindas Haus, um dort ein bißchen zu feiern, aber wir hielten auf dem Parkplatz des Arztes. Weil wir nun schon einmal da waren, gab ich nach und kam mit in die Praxis. Als ich das Gesicht des Doktors sah, während er mir in den Hals guckte, wußte ich sofort, daß es etwas Ernstes war. Die ganze Zeit über hatte ich es stur abgestritten. Wer zum Teufel will denn schon krank sein? Am nächsten Tag schickte man mich zu einer Ambulanz-Klinik, wo mir eine Gewebeprobe entnommen wurde. Zwei Wochen mußte ich auf das Untersuchungsergebnis warten. Zwei verdammt lange Wochen ... Meine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Hell's Angel
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Der Arzt erklärte, ich hätte Kehlkopfkrebs in fortgeschrittenem Stadium. Deswegen hatte ich auch so starke Schmerzen im Ohr. Die Krebsgeschwulst hatte sich schon so stark vergrößert, daß sie sich im oberen und unteren Bereich meiner Kehle ausgebreitet hatte. »Warum sind Sie nicht schon früher zum Arzt gegangen?« fragte er mich. »Ich habe etwas Schlimmes geahnt«, gab ich zu. »Aber meine Vorstellung von Krebs war, daß er sich überallhin ausbreitet, wenn man erst einmal eine Operation hatte. Und daß ich dann mit Sicherheit sterben würde.« Der Arzt überwies mich an das Medical Center der Universität von Kalifornien in San Francisco, wo es eine Abteilung mit zehn Tumorspezialisten gab. Der behandelnde Arzt faßte einen schnellen Entschluß. Mein Zustand war so ernst, daß er sofort eine Operation ansetzte. Ich könne die Operation in Raten bezahlen, erklärte er, je nach meinen finanziellen Möglichkeiten. Sharon sagte ihm, daß ich ehemaliger Army-Angehöriger sei und dadurch Zahlungserleichterungen in Anspruch nehmen dürfe. Daraufhin informierte man sie, daß ich meinen Anspruch mit der Veteran Administration zu regeln habe und nicht mit der Universitätsklinik. Die Operation würde rund 100 000 Dollar kosten. Man schickte meine Krankenunterlagen an das Fort Miley Hospital im Presidio District von San Francisco. Als Sharon mir erzählte, daß ich in eine VA-Klinik überwiesen werden sollte, war ich sofort dagegen. Ich stellte mir eine VeteranenKlinik wie ein düsteres Gebäude vor, in dem lauter Amputierte in Rollstühlen herumsitzen, ein Ort, an den alte Soldaten nur zum Sterben kamen. Sharon besprach alles mit den Ärzten in Fort Miley und warnte das Personal der Klinik vor meinen Wutausbrüchen. Ich verließ die Uni-Klinik und meldete mich in dem Veteranen-Hospital. Nach einer weiteren Gewebeuntersuchung riet man mir, erst einmal für ein paar Tage nach Hause zurückzukehren und mich dort zu entspannen. »Soll ich mit dem Rauchen aufhören?« »Das ist jetzt auch egal.« So wie die Dinge lagen, rechnete man offenbar innerhalb weni278
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ger Wochen mit meinem Tod. Jetzt war ich richtig stinksauer. Nun sollte ich also bald sterben und hatte praktisch keine Zeit mehr, loszugehen und all diejenigen in der Welt abzuknallen, die ich nicht ausstehen konnte. Als ich in Fort Miley aufgenommen wurde, hatte sich die Nachricht bereits in den Medien herumgesprochen. HELL'S ANGEL SONNY BARGER HAT KREBS, lauteten die Schlagzeilen. FBIAgenten schnüffelten in der Klinik herum und versuchten, aus der Verwaltung so viele Informationen wie möglich herauszuquetschen. Fernsehreporter kamen mit ihren Kamerateams. Der Klinikdirektor hatte schnell die Nase voll von dem ganzen Rummel und erteilte den FBI- und Presseleuten Hausverbot. Die VA respektierte meine Privatsphäre und verweigerte Außenstehenden jede Einsicht in meine Krankenpapiere. Mein Arzt erklärte mir die Prozedur der bevorstehenden Operation und versprach mir, alles Erdenkliche zu versuchen, um meine Halsmuskulatur intakt zu halten. Wenn ich die Operation überstanden hätte - falls ich sie überstehen würde -, könnte ich meine Arme wahrscheinlich nicht mehr über den Kopf heben und schon gar nicht mehr Motorrad fahren, weil die Muskeln in meiner Kehle und meinen Schultern in Mitleidenschaft gezogen würden. Bei meinem durch den fortgeschrittenen Krebs stark betroffenen Halsbereich sei vermutlich auch meine Lunge schwer beschädigt. Bei Kehlkopfkrebs-Operationen werde zunächst einmal das betroffene Gewebe auf der einen Seite entfernt und die Schnittstelle vernäht. Nach einer Woche komme dann die andere Seite dran. Ich sprach vor der Operation mit der Diätassistentin. »Sie sollten bedenken«, erklärte ich ihr, »daß ich ein ziemlich starker Mann bin, ein Gewichtheber, und daß ich deshalb mehr essen muß.« Daraufhin setzte sie mich auf Doppelportionen. Als ich in den Tagesraum der Patienten ging, um Sharon von einem Münztelefon aus anzurufen, brüllte gerade ein anderer Patient wutentbrannt ins Telefon. Er war außer sich vor Zorn. »Der Fraß ist ungenießbar, die Ärzte unerträglich, und wenn ich den Hörer auflege, haue ich von hier ab. Komm gefälligst sofort zum Klinikportal und hol mich ab!« Er hatte jede Beherrschung verloren - genau wie ich in den vergangenen Monaten. Hell's Angel
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Als ich diesen Mann beobachtete, wie er beinahe das Telefon von der Wand riß, dachte ich, Mann, es kommt doch nur darauf an, wie man zu seinem Leben steht. Plötzlich hatte ich Vertrauen zu meinen Ärzten. Sie gaben mir doppelte Portionen zu essen, sie behandelten mich mit Respekt und taten ihr Bestes, um mir zu helfen. In diesem Augenblick beschloß ich, auch den bevorstehenden Kampf zu meistern, den Kampf gegen den Krebs - gegen das »große K«. Die Narkose machte mir einige Sorgen. Könnte es nicht sein, daß sich ein FBI-Agent in mein Zimmer einschleichen und mich ausfragen würde, wahrend ich vollkommen weggetreten war? Deshalb ließ ich mein Zimmer von jeweils zwei Hell's Angels bewachen, rund um die Uhr in drei Schichten. Die Angels kamen mit dem Sicherheitspersonal der Klinik gut zurecht und hielten Polizei, Reporter und staatliche Schnüffler von mir fern. Selbst meine Krankenpapiere wurden nie auf normalem Weg durch die Klinik transportiert. Wenn jemand Einsicht in sie nehmen mußte, wurden sie von einem Beauftragten zur jeweiligen Untersuchung gebracht. Ich rauchte eine Camel, als man mich in den üperationssaal rollte. Achteinhalb Stunden lag ich unter dem Messer. Die Schnitte wurden mit aller Vorsicht geführt, damit so wenig Muskeln wie möglich beschädigt wurden, wie man mir versprochen hatte. Nur meine Stimmbänder und Lymphknoten wurden entfernt. Die Lymphknoten retteten mir das Leben; sie hatten ihren Zweck erlullt und die Krebszellen abgefangen und zerstört. Was die Arzte ursprünglich tur einen Tumor gehalten hatten, war m Wirklichkeit ein stark angeschwollener Lymphknoten. Der Krebs hatte sich nicht über den Rest meines Korpers ausgebreitet. Meine Lunge war noch immer in Ordnung. Nach der Operation lag ich in meinem Klinikbett, unfähig zu sprechen. Lurch schob vor meiner Zimmertur den Wachdienst. Ich schrieb auf einen Schreibblock: »Hi, Lurch, wie geht's dir?« Lurch guckte auf den Block, nahm seinen Bleistift, schrieb etwas daneben und gab m i r den Block zurück. »Danke, Chef.« Selbst beim Schreiben war Lurch ein recht wortkarger Mann. Ralph »Sonny« Barger
Ich schrieb ihm zurück: »Ich kann hören. Nur sprechen kann ich nicht.« der Krebs herausoperiert war, schickte man mich zurück Nachdem in die Uni-Klinik von San Francisco zur Bestrahlung. Die waren auch nicht gerade ein Spaziergang. Im Wartezimmer saßen kleine Kinder, die durch die Bestrahlungen völlig kahlköpfig geworden waren und auf deren Glatzen Punkte tätowiert waren, auf die die Strahlen gerichtet werden mußten. Ich, der sowieso schon überall Tattoos besaß, bekam nur zwei kleine Punkte an den Hals gemalt, dort wo die Bestrahlung fortgesetzt werden sollte. Ich bekam 37 Bestrahlungen. Manchmal streikten die Apparate und verzögerten die Therapie. Dann saß ich im Wartezimmer und hörte zu, wie die älteren Leute schimpften und sich beklagten, während die Kinder, die vielleicht nicht mehr lange zu leben hatten, in der Lobby herumtobten und lachten. Auch diese Erfahrungen beeinflußten meine Lebensanschauung. Ich wollte einfach wieder leben. Weiterleben. Ein Leben ohne Stimmbänder bedeutete, daß ich vieles von Grund auf neu lernen mußte: essen, atmen und sprechen. Wenn man Nahrung aufnimmt oder Luft holt, entscheiden die Stimmbänder, wohin Essen oder Atem gelenkt werden müssen, in den Magen oder in die Lunge. Bei einem Bissen Nahrung signalisiert das Gehirn automatisch den Stimmbändern, die Luftröhre zu schließen. Wenn man einen Schluck Wasser trinkt und sich daran verschluckt, bedeutet das, daß das Gehirn sein Signal nicht schnell genug weitergegeben hat und das Wasser in die falsche Röhre geraten ist. Wenn man einatmet, verschließen die Stimmbänder automatisch die Speiseröhre. Nachdem die Chirurgen meine Stimmbänder entfernt hatten, war der Weg zu meiner Speiseröhre ebenso offen wie der Eingang zu meiner Luftröhre. Ich mußte das Essen wieder lernen. Außerdem mußte ich auch eine völlig neue Methode der Kommunikation lernen. Man hatte vorn in meinen Hals ein Loch geschnitten und meine Luftröhre mit dieser Öffnung vernäht. Als die Operationswunden verheilt waren, schnitten die Ärzte hinten in meine Luftröhre eine Öffnung und verbanden mit einem EinHell's Angel
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wegventil aus Plastik die Nahtstelle mit der Speiseröhre. Wenn ich nun mit einer Fingerkuppe das Loch in meinem Hals zuhalte, kann die Luft dort nicht herauskommen, sondern fließt durch das Einwegventil. Dann bewege ich einen Muskel in meiner Kehle und erzeuge so die Laute, die man hört, wenn ich »spreche«. Das Ventil muß alle drei Monate ausgetauscht werden, denn es nutzt sich schnell ab. Die Leute sagen, ich klänge jetzt wie Marlon Brando in The Godfather (»Der Pate«). Meine Stimme ist zwar hart und schrill, aber ich kann wenigstens frei und ohne Schmerzen sprechen. Der einzige Laut, den ich nicht aussprechen kann, ist das »h«. Jede Unterhaltung ist für mich zu einer Art physischer Reaktion geworden. Inzwischen fährt meine Hand automatisch an mein Kehlpflaster, wenn ich darüber nachdenke, was ich sagen will. Einige Leute meinen, ich hätte eine gewisse Sparsamkeit beim Sprechen entwickelt. "Würde das nicht jedem so gehen? Niemand hätte auch nur einen Pfifferling darauf gewettet, daß ich das alles überleben - geschweige denn gesund und stärker werden würde. An dem Tag, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, stieg ich auf mein Motorrad und strotzte vor Energie. Ich hatte das »große K« besiegt. Vor meiner Operation konnte ich zehnmal nacheinander 150 Pfund stemmen. Als ich aus der Klinik kam, trainierte ich sofort wieder und stemmte schon bald mehr als 250 Pfund - und das noch bis heute! Wegen meiner Kehle fing ich an, einen Sturzhelm mit vollem Gesichtsschutz zu tragen, und ließ mir eine Windschutzscheibe an mein Bike montieren. Ein Aufkleber an der Scheibe informiert die Leute, daß mein Kehlkopf wegoperiert ist und ich durch eine Halsöffnung atme. Auf der Windschutzscheibe meiner Harley FXRT klebt auch noch der Sticker eines Cartoons des Tasmanian Devil. Ein paar von den Angels aus meinem Club haben mir einen neuen Spitznamen gegeben: Taz - wegen der Reibeisenstimme. Hin und wieder sehe ich alte Aufnahmen im Fernsehen von mir und höre meine Originalstimme mit dem nasalen, typisch kalifornischen Klang. Aber ob die Leute es nun glauben oder nicht: Die Qualität meiner Stimme ist heute besser als kurz vor meiner Operation. Sharon und die Tatsache, daß ich zu Verstand gekommen 282
Ralph »Sonny« Barger
bin und gekämpft habe, haben mein Leben gerettet. Das viele Motorradfahren und der ständige Aufenthalt im Freien haben meine Lungentätigkeit enorm verbessert. Und die Camel, die ich auf dem Weg in den Operationssaal geraucht habe, war meine allerletzte Zigarette. Punktum. Ende der Durchsage. Finito.
Die Oakland Hell's Angels mit ihren Freunden 1995.
Tina Hager
15 NEUANFANG IN ARIZONA
N
ach der Verurteilung wegen der Bombenverschwörung 1987 wurde ich in das Bundesgefängnis von Englewood, Colorado, geschickt. Der Bundes Staatsanwalt von Louis-ville schrieb einen Brief an die Strafvollzugsbehörde und warnte sie davor, daß ich »der Anführer der Hell's Angels« sei. Als ich nach Englewood kam, wollten sie mich dort nicht haben. Nach dem Wortlaut des Briefes sollte mir keine »Country-Club-Atmo-sphäre« geboten werden, womit man den Knast von Englewood nun wirklich nicht beschreiben kann. Wer will schon im tiefsten Winter mitten in Colorado bis zum Arsch im Schnee stecken? Colorado verlegte mich nach Phoenix, Arizona, in eine andere Bundesstrafanstalt. Ich hatte nicht gewußt, wie sich das trockene und heiße Klima in Arizona auf meine Kehle auswirken würde. Ich bekam eine Zelle mit einem Fenster, das ich offen lassen durfte. Außerdem durfte ich die Klimaanlage abschalten und statt dessen einen Luftbefeuchter aufstellen. Ich hatte kaum Probleme mit der Klimaumstellung und habe inzwischen festgestellt, daß ich ein heißes und trockenes Klima am besten vertrage. Während meines ersten Winters in Arizona stieg die Temperatur auf über 30 Grad an. Gleichzeitig schneite es wie verrückt in Kentucky, wo ich verurteilt worden war. In Arizona dagegen lag ich in Shorts und tiefgebräunt auf einem bunten Badetuch, sonnte mich und trank eine Coca-Cola. Ein Freund fotografierte mich. Ich ließ das Bild vergrößern und schickte es an Cleveland Gamble, den die Anklage vertretenden Oberstaatsanwalt in meinem Verschwörungsprozeß, im verschneiten Kentucky. Dazu schrieb ich: Hell's Angel 285
1987, der »Sonny« Schnappschuß, den ich ins verschneite Kentucky schickte.
»Lieber Cleve: Winter in Phoenix. Danke, Sonny Barger.« Meine Zeit in der Bundesstrafanstalt von Phoenix saß ich ohne Zwischenfälle ab, und ich war Ende 1992 draußen. Alles in allem hatte ich 59 Monate abgesessen. Danach wurde ich auf Bewährung entlassen. stoppte 1992 den Bau meines Lieblings-Bi-kes, Harley-Davidson der FXRT. Wer nach '92 so eine Maschine haben wollte, mußte lange danach suchen - diese Bikes waren elend schwer zu finden. Ein Freund, der einen Harley-Shop in Zentralkalifornien besitzt, entdeckte eine der allerletzten FXRTs in Los Angeles und brachte sie mir nach Oakland. Er hatte noch ein paar Extras eingebaut, wie zum Beispiel einen Screaming-Eagle-Vergaser, aber die Maschine war nicht richtig getunt und verbrauchte zuviel Sprit. Also fuhr ich zu Deacon und stellte den Vergaser ein. Vorher rief ich Cisco im Clubhaus in Oakland an, um ihm zu sagen, daß ich mich verspäten würde. Wenn der Club irgendwelche besonderen Pläne hätte, dann sollte er schon mal ohne mich damit anfangen. 286
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»Zur Hölle, nein!« erwiderte Cisco. »Wir warten auf dich, Chef.« Bei meiner Ankunft im Clubhaus warteten 100 Kumpels auf mich - mit meiner neuen FXRT. Sie hatten eine große »Willkommen zu Hause, Sonny«-Party geplant, die Sharon und mein Oakland Bruder Guinea Colucci organisiert hatten. Die Feier sollte an diesem Nachmittag in der Umgebung von Hayward stattfinden. Ich wollte, ich könnte sagen, daß es eine Überraschung für mich war, aber ich hatte schon in zwei Bike-Magazinen Ankündigungen für die Party gesehen. Also stieg ich auf meine neue Maschine, und wir fuhren wie in alten Tagen alle gemeinsam nach Hayward. Zu der Party kamen an die 5 000 Leute. Theoretisch gesehen verletzte ich ja meine Bewährungsauflagen, indem ich mich mit Leuten traf, von denen viele vorbestraft waren. Aber »Fuck it!« Ich hatte geschworen, nie wieder auch nur einen einzigen Tag im Knast zu verbringen. Sogar einer der Wachleute aus dem Knast in Phoenix rief mich an und bat mich, ihm zwei T-Shirts von der Party mit dem Aufdruck »Welcome Home Sonny« zu schicken. Es wurde eine gigantische Party, die größte, die ich je erlebt habe. Die Presse und die Bullen waren natürlich auch da. Sie kampierten auf einem Feld in der Nähe, machten Fotos und Videoaufnahmen und notierten die Nummernschilder unserer Fahrzeuge. Ich erzählte den Leuten vom Oakland-Club, daß ich nach Arizona ziehen würde, falls dort jemals ein Hell's Angels Charter gegründet werde. Der Dirty Dozen Motorcycle Club stellte 1994 den Antrag, sich Hell's Angels Club nennen zu dürfen. Die Mitglieder des Dirty Dozen Clubs waren lauter Freunde und Mitstreiter von uns, die seit über 25 Jahren auf ihren Bikes durch Arizona kurvten. Ihr Club besaß keine Charter außerhalb von Arizona, deshalb unternahmen sie nur selten gemeinsame große Runs. Sie wollten sich gern auf nationaler Ebene etablieren, daher war es das einfachste, Teil einer Cluborganisation zu werden, die bereits weltweit existierte. Und das konnten schließlich nur die Hell's Angels sein. Nachdem die Dirty Dozen HAMC-Prospects geworden waren, hielt ich mich aus der Clubpolitik heraus. Als sie dann offiziell Hell's Angels wurden, beantragte ich meine Überweisung nach Arizona. Der Oakland-Club war völlig perplex, als ich bei einem Hell's Angel
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Meeting im August 1997 aufstand und ein Überweisungsschreiben verlangte. Cisco glaubte, ich mache einen Witz, und fragte spaßeshalber, wer denn sonst noch alles überwiesen werden wolle. Johnny Angel hob die Hand. Weil ich ein Mitglied von tadellosem Ansehen war, bekam ich das Überweisungsschreiben. Zehn Tage nach meinem sechzigsten Geburtstag, am 18. Oktober 1998, wurde ich offiziell ein Arizona Hell's Angel und Angehöriger des Cave Creek Charters. Oakland war jetzt Vergangenheit für mich. Mit einem 15 Meter langen Trailer, der bis zum Dach knallvoll war, schleppte ich meine gesamte Habe aus der Golf Links Road. Das Golf-Links-Haus, in dem ich 30 Jahre lang gewohnt hatte, verkaufte ich einem Mitglied des Oakland-Clubs. So blieb es eine Art »Denkmal« innerhalb der Hell's-Angels-Familie. Ich mag die Wüstenlandschaft von Arizona; sie ist für mich wie ein neues Kalifornien, ein weites und freies Land. Das Clubhaus von Cave Creek ist nicht weit von meinem neuen Haus entfernt. In Phoenix und in Mesa gibt es noch andere Charter der Hell's Angels; in Flagstaff sind es die Nomads. Sie waren früher alle Chapter der Dirty Dozen. Und eine Menge Biker sind für mich gleichbedeutend mit einer Menge Spaß. Der Südwesten ist für die Hell's Angels Entwicklungsgebiet, aber wir planen bereits, uns auch nach New Mexico und Colorado auszubreiten. Diese Gegend ist für uns ein neuer Aktionsbereich, denn wir gehören weder zur Ost- noch zur Westküste. Wir sind »der Südwesten«, und unsere Anwesenheit hier stellt - wie beim Four Corners Run während des Labor-Day-Wochenendes - ein neues Grenzgebiet dar. Um auch nach Colorado und New Mexico vorzudringen, müssen wir bei Anlässen wie den Four Corners dabei sein, um den Club größer zu machen. Wir benutzen unsere Runs und Veranstaltungen, um die Gründung von Regionalclubs anzuregen. Ich versuche dabei mitzuhelfen.
W
enn ich auf meinem Motorrad in der Gegend herumfahre, in der ich jetzt wohne, komme ich oft an der Bundesstrafanstalt vorbei, in der ich fast fünf Jahre eingesperrt war. Ich brauche nur nach rechts zu sehen, wenn ich den Carefree Highway
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Ralph »Sonny« Barger
entlangfahre, dann sehe ich den Knast. Es ist ein großartiges Gefühl, draußen zu sein. Eines Morgens, als ich diese Strecke fuhr, sah ein Sheriff mein Angels-Patch und startete sein Motorrad. Er schaltete sein Blaulicht ein und winkte mich an den Straßenrand. Ich gab ihm meinen Führerschein. Er starrte auf den Ausweis, schüttelte seinen Kopf und starrte dann wieder mich an. Dabei murmelte er etwas vor sich hin und ging dann zu seinem Funksprechgerät. Kurze Zeit später kam ein Motorradbulle aus Phoenix angerauscht. »Zeigen Sie mir mal Ihren kalifornischen Führerschein«, verlangte er. »Offizier, ich besitze keinen kalifornischen Führerschein, ich habe einen aus Arizona.« Der Phoenix-Bulle nahm seine Sonnenbrille ab. »Wollen Sie mir weismachen, Sonny Barger, daß Sie jetzt Einwohner des Staates Arizona sind?« »Ich habe ein Haus in Arizona, mein Motorrad ist hier angemeldet, und ich habe einen Führerschein aus Arizona. Wenn das für Sie bedeutet, daß ich hier wohne, dann lautet die Antwort ja!« Der Bulle ging zu dem Sheriff und besprach sich mit ihm. Dann kam er zu mir zurück. »Diesmal lasse ich Sie mit einer Verwarnung weiterfahren.« Im Weggehen drehte er sich noch einmal zu mir um und sagte: »Und willkommen in Arizona, Mr. Barger!« Die Presse brachte ein paar Berichte über meine Ankunft in Arizona. Kurz darauf kamen Polizisten vom Büro des Sheriffs und fuhren die Auffahrt zu meinem Haus hoch. Ein Bulle lehnte sich aus dem Fenster des Polizeiwagens und fotografierte mein Haus, die Garage und den Hof. Als ich daraufhin beim Sheriff anrief und fragte, was zum Teufel los sei, behauptete man dort, es sei gelogen, was ich ihnen erzählte. Also rief ich einen Reporter vom Phoenix Republic an. Nach ein paar Telefonanrufen bekam er dieselbe Antwort wie ich: Es sei nicht fotografiert worden, es gebe keine Überwachung, und es sei überhaupt nichts geschehen.
Hell's Angel
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über 40 Jahre HAMC läßt sich seine Entwicklung für ImmichRückblick nach Jahrzehnten einteilen. Wir gründeten den Club in den 50er Jahren, um Partys zu feiern und Motorrad zu fahren. Während der »psychedelischen« 60er Jahre wurden die Hell's Angels zu einem roten Tuch für die Öffentlichkeit. Normalbürger, Bullen und Zeitungsfritzen fragten sich, was unsere Patches bedeuteten. Mit ihren verrückten Phantasien und Vorstellungen dachten sie sich ihre eigenen Geschichten über uns aus. Im Kino wurden wir als die wildesten Motherfucker dargestellt, die seit Dschingis Khan und seinen Horden jemals durch die Welt getobt waren. Die 70er Jahre waren unsere Gangster-Ära. Ich dealte mit Drogen und geriet in einen Haufen Scheiße hinein. Andere Clubs versuchten, uns ans Bein zu pissen. Die Schwarzen und die Latinos konnten uns nicht leiden; die Weißen hatten Angst vor uns; die Hippies mochten uns nicht mehr, und die Rednecks konnten uns sowieso nicht ausstehen. Alle haßten uns. Wir waren isoliert. In den 80er Jahren bezahlten wir bitter für jedes beschissene Verbrechen, das wir je begangen hatten, und auch für ein paar, mit denen wir nichts zu tun hatten. Mit all diesen Verschwörungsanklagen wurden die 80er Jahre zu einem einzigen wüsten Gewirr von Gerichtsverfahren. Etliche Informanten, die massiv vom Staat unterstützt wurden, waren eisern entschlossen, uns mit allen Mitteln auszurotten. Sie zählten für uns zu den stinkendsten Ratten. Das fünfzigste Jubiläum des Hell's Angels Clubs feierten wir im Jahr 1998. Am Geburtsort in San Bernardino fand eine riesige Feier statt. Hell's Angels von nah und fern kamen zum Clubhaus von Berdoo. Zwei Dutzend Hell's Angels aus Oakland bretterten den Highway Nr. 5 hinunter. Sogar Charter aus dem fernsten Nordosten und Kanada kamen in Massen auf die Party. Internationale Charter flogen ein und fuhren auf geliehenen Bikes quer durchs Land. Die Bar des Clubhauses von Berdoo wurde zum Museum, in dem Plaketten und Geschenke ausgestellt waren. Mitglieder aus aller Welt tranken gemeinsam ihr Bier. Sogar ein paar Biker-Clubs aus Griechenland und Italien, die auf eine Mitgliedschaft bei den Angels hofften, erwiesen uns ihren Respekt. Ich mußte gemeinsam mit jungen und alten Mitgliedern für unzählige Fotos posie290
Ralph »Sonny« Barger
Ich halte meine Frau Noel in meinen Armen.
Justice Howard
ren. Hunderte von Hell's Angels waren gekommen, und viele weitere wurden an den Grenzen angehalten oder vom Zoll gestoppt, der ihnen die Einreise verwehrte. Hinter dem Clubhaus parkten unzählige Motorräder mit herrlichen Tankbemalungen und blitzendem Chrom. Hell's Angel
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Natürlich waren auch die Bullen nicht weit. Die kanadische Bundespolizei hatte ein Haus gegenüber vom Clubhaus gemietet, von wo aus sie uns beobachtete und überwachte. Selbst nach 50 Jahren wollten die Bullen noch immer alles über uns in Erfahrung bringen. Zu Anfang des Jahres hatten die Staats- und Bundesbehörden eine Razzia in unserem Clubhaus in Oakland durchgeführt. Und dieses Mal nahmen sie unsere Computer-Festplatten und Aktenschränke mit. Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts hatten wir, weiß der Teufel, eine volle Runde hinter uns. Motorrad zu fahren und Partys zu feiern ist nach wie vor der Hauptgrund, ein Hell's Angel zu sein. Dazu kommt die Bruderschaft. Wir haben eine Menge junger Mitglieder, die schwer in Ordnung sind und die unsere Tradition der MotorradRuns und des knallharten Party-Feierns fortführen wollen. Das sind schließlich auch die Grundsätze, auf denen unser Club in erster Linie beruht: Man fühlt sich super, weil man weiß, daß man ein Zuhause hat und auf der richtigen Spur ist. 1999 schaffte ich es endlich, einen Europa-Run zu machen. Mit Johnny Angel und Joe Richardson, die beide zum Cave Creek Club gehören, landete ich in Zürich. Johnny ist unser US-Vertreter für Europa. Man kann wohl sagen, daß ich als Ehrengast dabei war. Nach einer großen Party beim Charter in Zürich fuhren wir mit Harley Full Dressers über die gewundenen europäischen Highways. Wir fuhren auf Landstraßen und Autobahnen nach Österreich, Liechtenstein und durch die Schweiz. Als wir an die Schweizer Grenze nach Italien kamen, versuchte ein italienischer Grenzer, uns aufzuhalten - wir waren zweihundert Mann! Die ganze Horde mußte stoppen, und der Verkehr staute sich kilometerlang. Der Vorgesetzte des Grenzbeamten bekam Panik und befahl dem Mann, uns sofort durchzulassen. Wir fuhren nach Mailand und feierten dort eine weitere Party. An dem Europa-Run nahmen Hell's Angels aus aller Welt teil. Dabei zeigte sich auch, wie gering der Unterschied zwischen den amerikanischen und den internationalen Mitgliedern ist. Ob man in Kalifornien, Skandinavien, Australien, Kanada, Südafrika, Europa oder in den Regenwäldern von Brasilien fährt, Biker sind Bi292
Ralph »Sonny« Barger
ker, ihre Motorräder sind die besten, und die Hell's Angels werden bis ans Ende der Welt weiterfahren. Selbst die Justizbehörden haben es inzwischen in ihren Direktiven und Staatsanwaltschafts-Berichten geschnallt: Über dem Hell's Angels Patch geht die Sonne niemals unter! Wir fuhren zurück in die Schweiz und hinauf in die Alpen, die höchsten Bergpässe, auf denen ich je gefahren bin, so steil, daß wir bis in die Wolken hineindonnerten. So ein Run ist der höchste Rausch von allen und die weiteste Entfernung - für Körper und Seele - von Plätzen wie dem Knast von Folsom oder einer trostlosen Zelle in der Provinz. Als ich durch die Alpen fuhr, ging mir folgender Gedanke durch den Kopf: Wenn ich etwas in meinen mehr als 40 Jahren im Club gelernt habe, dann ist es die Tatsache, daß Freiheit nicht billig zu haben ist. Ich dachte darüber nach, wie sehr ich die Freiheit der Straße brauchte, einen festen Lenker, einen harten Sattel und eine Old Lady, die bereit ist, eine lange und holprige Reise durchzustehen. Meine Gedanken übertönten dabei den Donner der 200 Harleys bei ihrem Run durch die Alpen. Ich weiß, daß ich einen schrecklichen Preis für meine Freiheit zahlen mußte. Aber wenn ich mein Herz verstehen will, dann muß ich auch das Böse verstehen, das darin lauert. Diese Erkenntnis habe ich auf bittere Weise lernen müssen. Ich kann mich nicht hinter religiösen Traditionen und fadenscheinigen Helden verstecken. Es ist unmöglich, von der ständigen Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber anderen Menschen erlöst zu werden. Als Kämpfer muß man Schmerz und Trauer ebenso kennenlernen wie Freude und Einsamkeit. Für all diejenigen, die Sehnsucht nach der ewig freien Fahrt haben, schreibe ich diese Worte ... und die Angels werden Könige sein!
Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten: Bei der Arbeit an meiner Maschine kurz vor meinem Umzug nach Arizona und meiner Überweisung zum Hell's Angels Charter von Cave Creek. Tina Hager
Die Knast-Tabelle Im folgenden habe ich meine »Verbrecherkarriere« aufgelistet, die ich unlängst aus den Unterlagen der Behörden zusammengestellt habe. Sie scheint mir ziemlich vollständig, es könnte allerdings sein, daß ein paar kleinere Übertretungen fehlen.
Datum der Verhaftung
Verhaftende Behörde und Urteil
Vorwurf
14/04/57
Polizei von Alameda
Trunkenheit am
Verurteilung 3 Jahre Bewährung
Steuer
Polizei von Oakland
Trunkenheit am
Verurteilung
Steuer
18/03/61
Polizei von Berkeley Freispruch
Weigerung, eine Demo zu verlassen
13/11/63
Polizei von Oakland
Drogenbesitz
17/02/58
6 Monate Bewährung 30/04/64
Polizei von Oakland
Besitz von
6 Monate Haft
Marihuana
13/02/65
Polizei von Oakland Verurteilung wegen Mordversuchs
Angriff mit eine r tödlichen Waffe
16/10/65
Polizei von Berkeley Haftentlassung, keine Anklageerhebung
Angriff mit einer tödlichen Waffe
Hell's Angel
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10/03/66
Sheriff von Alameda 6 Monate Angriff mit einer Haft tödlichen Waffe
30/08/68
Polizei von Oakland Entlassung
Drogenbesitz
26/02/69
Polizei von Norwalk Entscheidung unbekannt
Illegaler Besitz, Herstellung oder Verkauf von Waffen, Drogenbesitz
06/06/70
Bundespolizei Entscheidung unbekannt
Illegaler Kauf von Feuerwaffen
11/06/70
Polizei von Oakland Anklage abgewiesen
Drogenbesitz und handel
07/10/70
Sheriff von Alameda Entscheidung unbekannt
Drogenbesitz eines bewaffneten Vorbestraften
30/10/70
Bundespolizei Entscheidung unbekannt
Illegaler-Waffenbesitz
22/03/71
Sheriff von Alameda
Vorbestrafter im
Entscheidung unbekannt
Besitz von Waffen, Tragen einer verborgenen Waffe und Besitz eines Klappmessers
Polizei von Oakland Anklage abgewiesen
Entfuhrung, Mordversuch, Angriff mit tödl. Waffe, Besitz
21/01/72
einer Feuerwaffe
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Ra lph »Sonny« Barger
14/02/72
Sheriff von Alameda Verurteilung wegen Freiheitsberaubung Unbegrenzte Haft in Vacaville, gleichzeitig mit anderen Haftstrafen zu verbüßen
Gefährliche Körperverletzung, Entführung, Waffenbesitz
16/03/73
Justizministerium von
Drogen- und Mari-
Kalifornien, Ermittlungsdienst Entscheidung unbekannt In der Akte heißt es: »Außerstande, die Absicht mit einer Anklage zu verbinden«, aber es wird verwiesen auf Urteile von 5 bis zu 20 Jahren, 2 bis zu 20 Jahren und 6 bis zu 10 Monaten, alle gleichzeitig laufend, und 10 Jahren bis zu lebenslänglich, nacheinander zu verbüßen
huanabesitz und Absicht des Handels mit gefährlichen Betäubungsmitteln
02/05/73
Justizministerium von
Freiheits-
Kalifornien, Ermittlungsdienst Verurteilung wegen Freiheitsberaubung zu 6 Monaten bis zu 10 Jahren und zu 6 Monaten bis zu 15 Jahren Haft, gleichlaufend. Entlassung auf Bewährung in den Landkreis Alameda
beraubung, Besitz einer Feuerwaffe
Bundespolizei
Organisierte
Freispruch
Bandenkriminalität
13/06/79
Hell's Angel
von
297
20/06/87
Verhaftende Behörde Verschwörung unbekannt zu Verbrechen Verurteilung zu 59 Monaten Gefängnisstrafe abgesessen
Glossar
Charter: (wörtlich: Lizenz) Ableger eines Clubs in weiteren Städten oder Gegenden. Fährt unter dem Namen und Logo des Mutterclubs, führt aber eine lokale Selbstverwaltung. Bei allen anderen Clubs heißt es übrigens »Chapter« (Ortsgruppe). Bei den amerikanischen Hell's Angels werden die Begriffe nicht sorgfältig geschieden, wohl aber in Deutschland. COLOR: Das Wappen eines Clubs. Es besteht bei den Hell's Angels aus vier Teilen: oberer Schriftzug (Top Rocker) »Heils Angels«, unterer Schriftzug (Bottom Rocker) mit dem Land des Charters, in der Mitte das eigentliche Clublogo des Totenkopfs mit Flügelhelm (Death Head) und rechts daneben die Buchstaben »MC«. DEATH HEAD: Der Totenkopf mit Flügelhelm ist das Clublogo des Hell's Angels MC. Der Death Head darf nur von Mitgliedern des Hell's Angels MC getragen werden. EINPROZENTER: Nach den von Bikern verursachten Unruhen im kleinen amerikanischen Städtchen Hollister versuchte die American Motorcyclists Association (AMA) die Öffentlichkeit zu beschwichtigen: Nur ein Prozent der Motorradfahrer sei gewalttätig. Seitdem nennen sich viele MCs in ironischer Verkehrung »Einprozenter«. MC: Abkürzung für »Motorcycle Club«. Die Buchstaben werden in Namen und Clublogo getragen und stellen eine selbstverliehene Auszeichnung dar, die nicht jedem Club zugestanden wird. M EM B ER: Vollwertiges Mitglied eines Clubs. Auch in Deutschland gebräuchlicher Begriff, den wir der Verständlichkeit halber mit »Mitglied« übersetzt haben. Hell's Angel
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OFFICER:
Mit Führungsaufgaben belehnte Mitglieder eines Clubs. Bei den Hell's Angels gibt es: President, bei uns mit Präsident übersetzt, Vice-President, bei uns mit Vizepräsident übersetzt, Road Captain (zuständig für Planung und Ausführung von Runs), Treasury (Schatzmeister, Kassenwart), Secretary (Sekretär), Sergeant at Arms (Exekutive, auch zuständig für die Einhaltung der Disziplin im eigenen Club). PATCH: Aufnäher. In den meisten Fällen gebräuchlich für den Rückenaufnäher mit dem »Color« des Clubs. PROSPECT: Anwärter für die Mitgliedschaft in einem Club. Er trägt in der Regel keinen vollständigen Rückenaufnäher, sondern nur Teile davon. Auch ganze Clubs können als »Prospect-Charter« Anwärter auf die Mitgliedschaft im Hell's Angels MC sein. RUN : Stehender Begriff für das gemeinsame Anfahren und Feiern eines Motorradtreffens. Technische Begriffe FLATHEAD:
Motorenbaureihe von Harley-Davidson mit flachem Zylinderkopf, produziert ab 1929. KNUCKLEHEAD: Motorenbaureihe von Harley-Davidson mit knöchelförmigem Zylinderkopf, produziert von 1936 bis 1947. PANHEAD: Motorenbaureihe von Harley-Davidson mit pfannenförmigem Zylinderkopf, produziert von 1948 bis 1965. SHOVELHEAD: Motorenbaureihe von Harley-Davidson mit schaufeiförmigem Zylinderkopf, produziert von 1966 bis 1984. Evo: Motorenbaureihe von Harley-Davidson, benannt nach der Modelreihe »Evolution«, produziert von 1984 bis 2000. SPORTSTER: Wendige und leichtgewichtige Baureihe von HarleyDavidson. STROKER: Motor mit Vergrößerung des Hubraums durch Hubverlängerung.
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Ralph »Sonny« Barger