Heirate sie doch, Daddy Alison York
Julia 1060 – 25-1/93
gescannt von Geisha0816 korrigiert von almutK
1. KAPITEL Di...
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Heirate sie doch, Daddy Alison York
Julia 1060 – 25-1/93
gescannt von Geisha0816 korrigiert von almutK
1. KAPITEL Die beiden Fahrzeuge, die vor der eleganten, im georgianischen Stil errichteten Ladenfront der Granville Row nebeneinander geparkt waren, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Das eine war die poppige Variante eines Lieferwagens, klein, eckig und frech. Auf jeder Seite prangte der Firmenname "Collections" in lateinischer Schrift, umrandet von bunten Sternen. Der Nachbar dieses Gefährts war ein luxuriöser silbergrauer Rolls-Royce mit glänzendem Chrom und blinkenden Fenstern. Die traditionelle Damenfigur auf dem Kühler schien sich lieber verkriechen zu wollen, als in so unmöglicher Gesellschaft zu bleiben. Die junge Frau, die aus dem Lieferwagen stieg, stand ihrem Fahrzeug in nichts nach. Sie schien Anfang Zwanzig zu sein, hatte dunkles gelocktes Haar und strahlendblaue Augen. Ihr knöchellanger, mit mexikanischen Motiven bedruckter Rock ließ einen interessanten Blick auf schwarze Knopfstiefelchen mit geschwungenen Absätzen frei. Als sie um den Wagen ging, um die Hintertüren zu öffnen, zauste der Oktoberwind die Fransen ihres schwarzen Umschlagtuchs. Die junge Frau belud sich mit einem kunterbunten Sammelsurium und setzte zur Krönung noch einen geöffneten Karton darauf. Als sie gerade mit kessem Hüftschwung die Türen des Lieferwagens zuschlug, verließ ein ziemlich förmlich wirkendes Trio das vornehme Antiquitätengeschäft in der Mitte der Häuserreihe. Der erste von den Dreien war offensichtlich der Chauffeur des Rolls, denn seine Uniform war genauso diskret und silbergrau wie der Wagen. Vorsichtig hielt er einen runden Chippendale-Mahagoni-Tisch in die Höhe und zwinkerte der jungen Frau im Vorbeigehen zu. Sie fühlte sich keineswegs beleidigt und lächelte ihn an. Sehr viel langsamer folgte eine alte Dame am Arm eines großen, dunkelgekleideten Mannes, dessen Aussehen und Statur einen zweiten Blick verdienten. Interessant, doch unnahbar, urteilte das Mädchen nach einer kurzen Einschätzung. Das Paar hatte den Kantstein erreicht, als sich der Karton auf den Armen des Mädchens zur Seite neigte, abrutschte und es in allen Richtungen Murmeln auf das Pflaster hagelte. "Oh, sch ,.. schrecklich'', entfuhr es ihr mit, wie sie dachte, bemerkenswerter Selbstkontrolle, Sie ließ ihre Last auf den Bürgersteig fallen und versuchte, die davonkullernden Murmeln zu erhaschen. "Halten Sie den Chinesen auf, bitte!" rief sie den Umstehenden zu. Innerhalb einer Zehntelsekunde erfasste der Unnahbare, dass es sich bei dem Chinesen um eine schwarz-weiße Murmel handelte, die auf den Abfluss zurollte. Mit dem Fuss stoppte er sie und sagte dann ruhig: "Würden Sie hier bitte einen Moment warten, Mrs. Willoughby. Ich möchte nicht, dass Sie hinfallen.' Er bückte sich und half, die Flüchtlinge einzusammeln. Auch der Chauffeur, der inzwischen den Tisch im Kofferraum des Rolls verstaut hatte, machte freudig mit. "Wie war's mit einer Partie, wo wir schon hier unten sind?" fragte er das Mädchen leise. "Wird wohl kein Dreier werden", erwiderte sie mit einem amüsierten Blick auf den dritten Sammler. In diesem Augenblick stand er auf und ging auf sie zu. "Soweit ich sehen kann, haben wir alle", sagte er kühl und ließ die gesammelten Murmeln in den Karton rollen. Das Mädchen schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. "Wie intelligent, dass Sie den Chinesen gleich erkannt haben. Es ist mein einziger, und ich hätte ihn ungern verloren. Achate, Katzenaugen und Glasmurmeln habe ich viele, aber nur einen Chinesen.'" "Dann sollten Sie besser auf ihn aufpassen", sagte der Mann kurz angebunden, nickte knapp und bot der geduldig wartenden alten Dame seinen Arm. "Tut mir leid, Sie aufgehalten zu haben", wandte sich das Mädchen entschuldigend an sie. Die Dame lächelte. "Das war mal eine echte Abwechslung und hat mich um Jahre zurückversetzt. Ich habe früher mal Murmeln mit meinem Bruder gespielt, und er hat immer
gewonnen. Solche Stiefeletten wie Sie trug ich auch! Wer hätte gedacht, dass diese Mode wiederkommt. " Das Mädchen zeigte einen schmalen Knöchel und drehte den Fuß. "Es sind Originale und kaum getragen. Ein echtes Schnäppchen. Ich liebe diese vielen Knöpfe - Sie auch? Man darf es nur nicht eilig haben." "Damals hatte man es auch nicht eilig", sagte die alte Dame lächelnd und schaute auf in das ernste Gesicht ihres Begleiters. "Ein Besuch bei Granville-Antiquitäten vergeht nie ohne Überraschung, Kent." "Mag sein." Als der Mann sie anblickte, erschien plötzlich ein Ausdruck echter Wärme in seinen graugrünen Augen und der strenge Zug um seinen Mund verlor etwas von seiner Härte. "Normalerweisc versuchen wir aber, den Verkauf von Chippendale-Tischen nicht mit derartigen Scherzen zu verbinden. Darf ich Sie zu Ihrem Wagen begleiten?" Also dieser Rolls gehört ihm jedenfalls nicht, dachte das Mädchen. Er ist für das Antiquitätengeschäft zuständig. Während er die alte Dame zum Auto begleitete, streifte sein Blick das Mädchen, und das warme Leuchten verschwand aus seinen Augen. Okay, Mister Unnahbar, dachte sie. Deutlicher konntest du es nicht zeigen. Ich bin nicht deine Kragenweite, Nicht alt genug, nicht selten genug und keine Spur echten Stils. Mir kann's egal sein. Auf der Granville Row ist Platz für uns beide. Sie wollte gerade ihre Sachen wieder einsammeln, besann sich dann aber eines Besseren und schloss erst die Tür zu dem Laden neben Granville-Antiquitäten auf. Ganz gleich, was der Typ denken mochte, eine zweite Vorstellung wollte sie ihm nicht geben. Schnell ging sie zurück und raffte ihre Sachen zusammen. Wieder im Laden schaute sie auf den Parkplatz. Majestätisch fuhr der Rolls davon und setzte den kleinen Lieferwagen ganz den Blicken des Mannes von Granville-Antiquitäten aus. Dieser fixierte das Vehikel mit einer Art ungläubigen Erstaunens. Das Mädchen unterdrückte ein Lächeln und ging vom Fenster weg, bevor er sieh umdrehen und sie sehen konnte. Der Blick ihrer blauen Augen schweifte über die Inneneinrichtung des Ladens, und sie strahlte vor Freude. "Ein Dach über dem Kopf! Wer hätte das gedacht?" flüsterte sie glücklich. Sie ging herum, öffnete die hintere Tür und fand eine kleine Küche. Genau daneben war eine andere Tür, hinter der sich eine Treppe verbarg. Aufgeregt rannte sie nach oben. Soviel Platz! An guten Tagen verkaufte sie ihre Waren auf einem Stand, an schlechten aus dem Kofferraum. Dies hier war wirklich Luxus. Zwar würde sie ihn nicht lange genießen, denn sie hatte den Laden nur bis Ende Januar, doch sie wollte sich daran freuen. Sie ging wieder nach unten. Der Laden war mit rotem Teppichboden ausgelegt. Die Regale an den Wänden würden nützlich sein. Dies war wohl vorher eine Mode-Boutique gewesen, denn überall gab es kleine, mit Samt ausgelegte Nischen, in denen sie Miniausstellungen veranstalten könnte. Die Vorhänge würden zum Anbringen kleinerer Objekte dienen. Gedankenverloren blieb sie mitten im Laden stehen und plante die Inneneinrichtung. Das Schaufenster reichte fast bis zum Boden, und über der Ausstellungsfläche waren Spots angebracht. Damit konnte sie viel anfangen. Durch das Schaufenster sah sie, dass eine der Hintertüren des Lieferwagens leicht geöffnet war. Das erinnerte sie daran, dass sie mit dem Entladen fortfahren musste. Sie legte das Umschlagtuch ab, krempelte die Ärmel ihres Pullovers hoch und machte sich ans Werk. Endlich war alles drinnen, lag irgendwie herum, und sie begann, über die Schaufensterdekoration nachzudenken. Plötzlich merkte sie. dass von außen jemand in den Laden blickte. Es war der Mann vom Antiquitätengeschäft und das grelle Licht der Spots ließ sein Gesicht noch männlich-attraktiver wirken. Er sah hinab auf das bunte Durcheinander: eine Kiste mit eisernen Schlüsseln, eine andere mit kupfernen Geleeformen, eine chinesische Vase, eine Gießkanne aus Bronze und Kupfer und ein Schirmständer. Über den dunklen Brauen des Mannes bildeten sich tiefe Falten. Offensichtlich schien ihm nicht zu gefallen, was
er sah, und die ungefähr zehn Jahre Altersunterschied zwischen ihnen gaben ihm wohl seiner Ansicht nach das Recht, seiner Meinung Ausdruck zu verleihen. Sein autoritärer Blick begegnete ihrem, und mit einem Zeichen in Richtung Tür gab er ihr zu verstehen, dass er hereinkommen wollte. Das Mädchen nickte freundlich und streckte einladend die Hand aus. "Es ist offen", rief sie. Als er durch die Tür kam, stieß er mit dem Fuß gegen einen ziemlich vulgären viktorianischen Nachttopf mit roten Rosen auf der Außenseite und einem riesigen zwinkernden Auge im Inneren. Als Fuß und Porzellan zusammenstießen, gab es einen lauten, melodischen Klang. "Nichts kaputt", sagte das Mädchen unbefangen und schob den Topf mit dem Fuss beiseite. Hallo, ich heiße Petra Collins." Ihre ausgestreckte kleine Hand mit den langen schlanken Fingern sah trotz der Sonnenbräune zart aus, aber zugleich so, als könnte sie zupacken. Er ergriff sie. "Granville-Antiquitäten, wie Sie wohl schon wissen." Unnahbar und auch noch namenlos. Na, vielleicht wollte er es so. Sei's drum. Petra lächelte weiterhin freundlich. "Tut mir leid, die Sache mit den Murmeln", sagte sie. "Zum Glück scheint es die alte Dame nicht gestört zu haben." Offensichtlich wollte er nicht auf den Vorfall zurückkommen "Ist das Ihr Wagen da draußen." fragte er kurz angebunden. "Ja. Ich kann ihn doch dort lassen, oder? Ich habe keine Verbotsschilder gesehen", erwiderte Petra. "Es gibt auch keine. Aber wir lassen normalerweise den Lieferverkehr von der Rückseite kommen, um den Kunden die Parkplätze freizuhalten. Und Ihres ist ein Lieferfahrzeug ..." "Zeigen Sie mir das dunkle Versteck", sagte Petra vergnügt. Der Antiquitätenhändler ging einige Schritte im Laden umher, und wieder zeichnete sich Unzufriedenheit auf seinen Zügen ab, "Darauf bezieht sich also ,Collections'?" fragte er unvermittelt. Zugegeben, diese Anhäufung von Objekten, in alten Kartons oder einfach auf dem Boden liegend, sah nicht sehr eindrucksvoll aus. Aber Petra liebte jedes Stück und war bereit, ihre Waren zu verteidigen. Entschlossen hob sie das Kinn. So ist es. Einfach Dinge, die man gern um sich hat oder sammelt." "Also verkaufen Sie ... Dinge aus zweiter Hand?" Er hatte "Trödel" sagen wollen, dessen war sie sich sicher. Genau wie Sie." Ein Aufblitzen seiner graugrünen Augen zeigte, dass ihre schlagfertige Antwort ihn getroffen hatte. "Ich halte dies für keinen guten Vergleich", sagte er. "Warum denn nicht? Genau wie die Ihren, haben meine Waren schon jemandem gehört." Wieder sah er zum Lieferwagen hinüber, "ich hatte den Eindruck ´Collections´ würde sich auf Mode beziehen. Designermode." "Kleidung verkaufe ich auch." Petra fischte ein Kleid mit Perlenfransen im Stil der zwanziger Jahre aus einer Kiste, hielt es sich an und machte ein paar Charleston-Schritte. "Hübsch, nicht wahr? Schauen Sie, wie sich das Licht in den Fransen fängt." Unterdrückte Wut schien ihm den Atem zu rauben. "Irgendwo muss da ein Irrtum geschehen sein Dies ist normalerweise eine Damen-Boutique für den gehobenen Kundenkreis. Sie können es leicht an der Inneneinrichtung erkennen." "Das macht doch nichts. Ich bin sehr anpassungsfähig." Der Besucher schien plötzlich zu wachsen. Mir geht es eigentlich nicht darum, ob das Geschäft Ihnen passt, sondern vielmehr darum, ob Ihre Waren in das Geschäft passen. Schließlich befindet sich der Laden fast in der Mitte der Zeile."
"Sie meinen, dass ich das Niveau drücken werde?" fragte Petra, und ihre Augen funkelten gefährlich. "So ausgedrückt, klingt es ziemlich beleidigend", sagte er. "Und so war es ja auch gemeint", antwortete sie ruhig. Plötzlich interessiert, nahm er die Gießkanne aus dem Schaufenster zur Hand. "So eine habe ich auch zu Hause. Gehörte meinem Großvater. Sie halten ewig." "Das ist ja wohl ein Zeichen von Qualität", bemerkte Petra spitz. Er stellte die Kanne zurück. "Wenn Sie einen Moment Zeit haben, kommen Sie doch bitte mit hinaus. Ich möchte Ihnen etwas zeigen." Sie versuchte, seine Absichten zu erraten, und entschied, dass es vielleicht amüsant wäre, sie herauszufinden. "Solange es nur einen Moment dauert..." "Wir werden nicht lange brauchen", antwortete er kurz angebunden. Petra wollte ihr Umschlagtuch nehmen, doch er kam ihr zuvor und hob es auf. Jedenfalls hat er gute Manieren - selbst dem niederen Volk gegenüber, dachte sie. Er drehte das Tuch in den Händen und schien sich zu fragen, wie man damit umging. Petra nahm es ihm ab. "So macht man das", erklärte sie, schwang es sich über den Rücken und warf dann den rechten Zipfel über ihre linke Schulter. "Es ist leicht, wenn man es weiss. Also, wohin gehen wir?" Er gab ihr den Schlüssel, der von der Innenseite gesteckt hatte, und hielt ihr die Tür auf. "Ich werde Ihnen die Row zeigen." "Wie freundlich von Ihnen", sagte Petra ironisch, ging an ihm vorbei und schloss ab. Gleich neben Petras vorläufigem Laden war ein Geschäft mit seltenen Büchern. Flankiert von zwei prächtigen ledergebundenen Ausgaben, lag im Schaufenster ein wunderschönes handkoloriertes Manuskript auf schwarzer Seide. Danach kam eine Apotheke, die hier aber .. `Pharmacie´ hieß. Auch dort fanden sich in der Auslage keine bunten, billigen Kosmetika und diskreten Heilmittel, sondern reichverzierte Apothekengläser. Der nächste war StnytheWilliams, Schneider. Umrahmt von Mahagoni und rotem Samt, war ein hochwertiger und zweifelsohne kostspieliger Anzug ausgestellt. Das undurchsichtige, mit Gold geränderte Fenster daneben gehörte Roberts, Hunt und Deacon, Anwälten. "Wie hübsch", sagte Petra fröhlich und strahlte ihren Begleiter an. In der entgegengesetzten Richtung befand sich neben Granville- Antiquitäten ein Schönheitssalon, ganz in Weiß und Gold gehalten. Danach kam ein Delikatessengeschäft, wo vor einem Dekor von echt aussehenden Gräsern und Trockenblumen seltene Käse und exotische Pasteten auf Strohmatten thronten. Die beiden Schaufenster glichen eher künstlerischangeordneten Stilleben als einer kommerziellen Dekoration. Zuletzt kam ein Frisiersalon, nur nannte sich die Inhaberin "Simone" und "Coiffeuse", und gewiss entsprachen ihre Preise auch ihrer Anmaßung. Und hier inmitten dieses üppig zur Schau gestellten Reichtums -, bin ich, die Trödlerin parexcellence. dachte Petra und hätte am liebsten laut losgelacht. Bei Granville-Antiquitäten angekommen, führte ihr Begleiter sie in den mit dicken Teppichen ausgelegten, gediegenen Ausstellungsraum. "Der Tee ist in meinem Büro serviert", sagte Mr. Unnahbar. "Dort können wir uns unterhalten." "Besteht dazu eine Notwendigkeit?" fragte Petra, keine Antwort erwartend und keine erhaltend. Der Geschäftsraum glich mit seinem geschmackvoll arrangierten Mobiliar eher einem Wohnzimmer. Im Vorbeigehen drehte Petra das Schild an einem kleinen, exquisiten Sekretär um. Der Preis war verschlüsselt. "So vornehm, dass Geld nicht erwähnt wird", sagte sie frech. "Es handelt sich um ein bewährtes System. Milch oder Zucker?" fragte er. Petra betrachtete das Tablett auf seinem Schreibtisch. Sagte man das heute noch? In seinen Kreisen offensichtlich ja. Auf dem Tablett lag eine
Decke aus echten Spitzen, und auf einem Silberteller waren Langue-de-Chat-Biskuits arrangiert. Sie bat um Zitrone und knabberte betont elegant an einem Biskuit. "So - jetzt haben Sie die Row gesehen", sagte er und tat Zucker in seinen Tee. "Die Botschaft ist wohl rübergekommen - lässt mich aber kalt." Flüchtig zeigte sich wieder sein berühmtes Stirnrunzeln. "Erzählen Sie mir, wie Sie zu diesem Geschäft nebenan gekommen sind", bat er. "Ich weiß nur, dass Mrs. Baron daran beteiligt war." Wieder ein leichtes Stirnrunzeln. Augenscheinlich bereitete ihm der Gedanke an die großzügige, aber wenig klassenbewusste Mrs Baron kein Vergnügen. Petra begann, ihre Ansprüche auf die Nachbarschaft zu belegen. "Mrs. Baron war wirklich meine gute Fee. Sie kam zu einem Flohmarkt, auf dem ich einen Stand hatte. Es war in einem Pub auf der anderen Seite von Cheltenham. Mein Stand war im Hmterzimmer, am Fuß einer kleinen Treppe. Kurz vor Schluss fiel dann diese elegante grauhaarige Dame kopfüber die Stiege herunter und tat sich am Knöchel weh. Als sie über den Schock hinweg war, sagte sie mir, sie hätte einen versilberten Babyschuh auf meinem Stand betrachtet, anstatt aufzupassen." "Wie unvernünftig!" unterbrach er sie. "Wenn sie alt genug für graue Haare war, dann hätte sie wohl auch ihre Gedanken beisammen halten können." Petra ließ sich nicht stören. "Sie sagte mir dann, einen solchen Babyschuh hätte sie von ihrem Sohn gehabt. Leider wurde dieses Erinnerungsstück zusammen mit anderen Dingen gestohlen. Wann immer sie auf einem Flohmarkt ist, hält sie danach Ausschau. Sehen Sie, darum geht es bei meinen Waren. Sie erscheinen Ihnen vielleicht nicht wertvoll, haben aber einen enormen Erinnerungswert." Er rührte gedankenverloren in seinem Tee und fragte dann plötzlich: "Und war er es? Der Schuh, der ihr gestohlen wurde?" "Leider nicht. In dem von ihrem kleinen Jungen war ein Loch, wo der große Zeh ist. Also leicht erkennbar. Er war wohl ein ziemlich ungeduldiges Kind und stieß immer mit dem Fuß gegen den Boden, wenn er auf etwas warten musste. ,Besser der Boden als die Menschen, sagte Mrs. Baron." "O nein, was für ein Unsinn!" Heftig setzte er die Tasse ab und vergoss dabei etwas Tee in die Untertasse. Petra lächelte ihn an, "Mich hat es sehr berührt. Sie sagte, sie wurde auf jeden Fall versuchen, den Schuh wiederzufinden." "Und warum in aller Welt? Sie ist eine alte Dame und ihr Sohn wohl jetzt logischerweise ein erwachsener Mann." "Für sie ist er jetzt so etwas wie eine Gedächtnisstütze. Wie sie mir sagte, scheint sich ihr Sohn zu einem feinen Pinkel zu entwickeln, und sie möchte sich daran erinnern, dass er einmal doch recht niedlich war." "Und aus diesem lächerlichen Grund fällt sie Treppen hinunter und verletzt sich. Dann höchst wahrscheinlich unter Schock stehend - fängt sie an, Mietverträge für Läden zu verteilen wie eine Verrückte." "Nicht ganz", sagte Petra ruhig. "Ich habe dann meinen Kram zusammengepackt, sie nach Hause gefahren und Tee gemacht. Nach dem ersten Schmerz ging es ihr mit ihrem Knöchel viel besser, aber sie freute sich über die Gesellschaft. Mit einem Sohn wie dem ihren braucht sie wohl hin und wieder jemanden zum Reden - die arme alte Dame. Einige Tage später schrieb sie mir und bot mir an, in den laufenden Mietvertrag von nebenan einzusteigen. Ich konnte es kaum glauben, aber auf keinen Fall war es eine unüberlegte Reaktion von ihr. Der Vertrag ist legal und unanfechtbar, das hat ein Freund für mich festgestellt." Wieder zog er die Brauen drohend über den graugrünen Augen zusammen. "Und Sie haben nicht gezögert, aus dieser Geste der Dankbarkeit Ihren Nutzen zu ziehen, wie?"
Petra sah ihn gespielt erstaunt an. "Warum hätte ich zögern sollen? Mein Motto ist ,Ergreif die Gelegenheit beim Schöpf." Aber der Antiquitätenhändler gab nicht auf. "Glauben Sie nicht, dass ein unparteiischer Beobachter den Eindruck gewinnen könnte, Sie hätten sich für eine ganz alltägliche Geste von einer alten Dame überbezahlen lassen?" Das reichte. Petra streckte ihren schlanken Körper und sah ihr Gegenüber angriffslustig an. "Meiner Ansicht nach sind Sie kein unparteiischer Beobachter. Sollten Sie ausserdem denken, dass ich eine senile alte Dame übervorteilt habe, dann kennen Sie Mrs. Baron nicht." Sie stand auf und schaute auf die Uhr. "Ich habe weder Zeit noch Lust, diese Unterhaltung fortzusetzen. Außerdem erwarte ich Freunde mit anderen Waren für den Laden." Auf dem Weg zur Tür blieb sie vor seinem Schreibtisch stehen und sprach ruhig weiter: "Und damit nicht nur einer hier unfreundlich ist, teile ich Ihnen mit, dass mein Geschäft Sie absolut nichts angeht. Vielen Dank für den Tee und die Besichtigung. Ich mache jetzt weiter. Und Sie, Mr. Granville-Antiquitäten, der Sie nicht die Höflichkeit hatten, Ihren Namen zu verraten, Sie werden wohl in den sauren Apfel beißen müssen. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend." Würdevoll, wenn auch leicht gerötet, verließ sie das Büro. Im Vorbeigehen bemerkte sie ein flüchtiges amüsiertes Lächeln auf dem Gericht der Sekretärin, die vor der Tür gewartet hatte. Draußen sah Petra, dass Joe und Manda angekommen waren und in Joes Lieferwagen auf sie warteten. "Entschuldigt die Verspätung", sagte sie. als die Freunde ausstiegen. "Nachbarschaftliche Beziehungen angeknüpft?" fragte Manda. "Dass ich nicht lache! Der da weiß noch nicht mal, wie man das schreibt. Er war kurz davor, die Hunde auf mich zu hetzen." Interessiert sah Joe zu Granville-Antiquitäten hinüber. "Was stört ihn denn? Jedenfalls hat er keine Zeit verloren." "Offensichtlich ist er der Ansicht, dass meine Anwesenheit das Niveau der Ladenzeile nicht erhöhen wird. Ich komme wohl nicht aus den richtigen Kreisen, denn Mr. und Mrs. Mittelklasse können sich meine Waren leisten. Das passt nicht hierher." "Ist er das?" fragte Manda neugierig. Der Besitzer von Granville-Antiquitäten war herausgekommen, um eines seiner Schaufenster zu überprüfen, und gab dabei jemandem Zeichen, der auf seine Anweisung hin die Möbel im Inneren verrückte. Eilig öffnete Petra die Tür ihres Ladens und schob die Freunde hinein. "Starrt ihn nicht so an. Für heute habe ich ihn lange genug gesehen." "Privatschulerziehung. Das sieht man ganz deutlich", sagte Manda, die durch das Fenster linste. "Und für seine Anzüge scheint er auch nicht deine Quellen zu bemühen", bemerkte Joe, "Was den zusammenhält, kann ich an drei Fingern abzählen", spottete Petra. "Die Grundmasse wurde in Eton oder einer gleichwertigen Atmosphäre geformt. Die Verpackung kommt aus der Savile Row, und dann ist da bestimmt noch ein transplantiertes Kühlaggregat." Manda grinste. "Das sieht ja ganz nach einer Herausforderung für dich aus." "Für ihn bin ich auch eine", sagte Petra. "Aber jetzt genug davon. Wie gefällt es euch hier?" Mit einer weitaus holenden Geste umfing sie den Raum. "Nicht schlecht, was? Das ist doch ein Fortschritt, nicht wahr?" "Unglaublich!" Sie entdeckten und bewunderten die oberen Räume, die Küche und kamen dann wieder in den Verkaufsraum. "Nun haben wir die Besichtigung hinter uns und sind gebührend beeindruckt", sagte Joe. "Aber jetzt sollten wir lieber mit dem Abladen weitermachen."
Nach kurzem Zögern wandte sich Petra entschuldigend an ihn. "Es gibt da ein Problem. Die Tapeziertische, die ihr mitgebracht habt, können wir hier nicht benutzen, Ich hätte es vorher wissen sollen." "Ha! Er hat dich doch beeindruckt", spöttelte Man da. "Unsinn. Aber der Standort allein verlangt etwas Besonderes. Ich habe mir überlegt, dass es besser wäre, die kleinen Tische von Tante Jess zu nehmen und themenbezogene Auslagen zu machen. Würdet ihr zurückfahren und umladen?" "Nur weil du es bist. Aber was willst du ohne Tische zu Hause anfangen. Du hast doch so viel Zeug unterzubringen." Manda klang nicht ganz überzeugt. "Ich brauche nur den Boden aufzuräumen und finde sicher andere. Doch die müssen bestimmt erst saubergemacht werden, und ich will hier alles schnell in Ordnung haben." "Du willst wohl deinem Nachbarn etwas beweisen?" "Kann sein. Würdest du anders handeln?" "Okay, wir fahren dann. Bist du sicher, dass du alle Tische willst?" "Ja, bitte. Und wenn ihr noch Kaffee, Milch und Zucker aus meiner Küche mitbringen würdet, könnten wir uns etwas Heißes machen. Hier ist ein Kessel, und irgendwo in den Kisten sind auch Tassen", sagte Petra. "Da hab ich eine bessere Idee", sagte Joe. "Ich bringe eine Flasche Sekt mit, dann kannst du den bitteren Nachgeschmack, den dem Nachbar hinterlassen hat, runterspulen." "Joe, du bist ein Schatz! Warum habe ich ihn eigentlich nicht geheiratet?" wandte sich Petra an die Freundin. "Weil ich ihn zuerst gesehen habe", lachte Manda. "Komm, Göttergatte. Bis dann, Petra." Als die Tische dann angekommen und ausgeladen waren, senkte sich bereits der Abend über die Granville Row. In der Küche öffneten Joe und Manda eine Sektflasche und füllten drei Tassen, denn die einzigen Gläser im Haus waren winzige viktorianische Kostbarkeiten. Petra versuchte gerade, die Tische ansprechend zu arrangieren, als sich die Tür öffnete und der Mann vom Antiquitätengeschäft eintrat. "Ich war noch nicht am Ende meiner Ausführungen, als Sie plötzlich verschwanden", sagte er. Über die Ecke eines Couchtisches warf Petra ihm einen Blick zu. Ich wüsste nicht, was es noch zu sagen gäbe. Es sei denn, Sie möchten sich zu einer Entschuldigung aufraffen " "Müssen Sie so streitsüchtig sein?" fragte er kalt. Petra stand langsam auf. "Nach ihrer Begrüßung erscheint es mir logisch." Als sie einander so gegenüberstanden, erklang plötzlich Lachen aus der Küche. Dann folgte der laute und unverkennbare Knall eines Sektkorkens und ein Schrei von Manda. Mein Kleid! Schnell, eine Tasse!" Die Miene des Antiquitätenhändlers wurde noch eisiger. "Ich wusste nicht, dass Sie Besuch haben." Diesen Moment wählten Joe und Manda, um mit den gefüllten Tassen in den Händen aus der Küche zu kommen. ...Oh. Verzeihung! Ich habe niemanden hereinkommen hören", sagte Joe und blickte den Fremden interessiert an. "Gerade rechtzeitig für den Sekt", bemerkte Manda lachend, die genau wusste, wer der Besucher war. Ihr Kleid schien einiges von dem Sekt abbekommen zu haben. Petra sah ihre Freunde plötzlich durch die graugrünen Augen ihres Nachbarn: Joe hatte Sweatshirt, Jeans und hohe Gartenstiefel an. Mit der Klappe über einem Auge machte er einen verwegenen, Piratenhaften Eindruck. Er war gegen ein Querholz für Kletterbohnen gelaufen, das längst hätte abgebaut sein sollen. Manda trug ihren üblichen Farbenmix und ein silberfarbenes Netztuch, in dessen Fransen sich ihre naturroten Locken verheddert hatten. Der Mann von nebenan würde sie als Hippies einstufen, und als alkoholabhängige obendrein.
Er ignorierte Mandas Einladung und wandte sich an Petra. "Ich hätte gern allein mit Ihnen gesprochen." "Reden Sie nur." Petras Stimme klang gefährlich ruhig. "Ich habe keine Geheimnisse vor Joe und Manda. Wir leben in einem Haus zusammen." Und jetzt kannst du dir auch noch eine Hippiekommune ausmalen, fügte sie im stillen dazu. Nach einigen Sekunden Denkpause setzte er von neuem an. "Ich möchte Ihre Freunde nicht verletzen, aber . .." Petra unterbrach ihn. "Für jemanden, der nicht verletzen will, verstehen Sie sich darauf aber ganz gut." "Nun, mal sehen, ob etwas Essbares in der Küche ist", sagte Joe freundlich und zog Manda mit sich zur Tür hinaus. Im Laden herrschte gespanntes Schweigen, während Blicke aus blauen und graugrünen Augen sich maßen. Der Granville-Mann sprach als erster. "Ich möchte Ihnen nur vorschlagen, die Angelegenheit im Büro von Baron-Immobilien durchzusprechen. Könnten Sie morgen vormittag dorthin kommen?" Er überflog das Chaos im Laden. "Oder meinen Sie, bis dahin hier nicht fertig zu werden?" "Warum die Barons da mit hineinziehen?" fragte Petra kurz angebunden. "Mrs. Baron wird Ihnen nur bestätigen, was ich Ihnen bereits erzählt habe. Sie bot mir einen befristeten Mietvertrag für dieses Geschäft bis Ende Januar an, und ich habe akzeptiert." "Mrs. Baron hat das vielleicht arrangiert, aber Mr. Baron ist auch betroffen." "Ihr Mann?" "Nein, ihr Sohn." "Der feine Pinkel?" "Wenn Sie ihn so nennen wollen ..." Petra ging kurz mit sich zu Rate. Es wäre vielleicht amüsant, den berühmten stampfenden Sohn kennen zulernen, und auf jeden Fall müsste jemand ihrem feindseligen Nachbarn einmal klarmachen, dass sie jedes Recht hatte, hier zu sein, und dass sie auch zu bleiben gedachte. Und je mehr sie seine Feindseligkeit spürte, desto fester wurde ihr Entschluss. "Wie können Sie wissen, dass Mr. Baron so kurzfristig zu sprechen sein wird?" fragte sie. "Das wird er", antwortete ihr Gegenüber grimmig. "Sagen wir um elf Uhr?" "Und die Zeit können Sie auch noch bestimmen?" bemerkte Petra ironisch. "Passt Ihnen elf?" Er konnte seine Ungeduld nur noch mühsam verbergen. "Es ist mir recht," "Dann werden wir uns dort treffen." "Wenn Mr. Baron einverstanden ist." Kommentarlos verließ er das Geschäft. Joe und Manda kamen aus ihrem Versteck. "Junge, Junge", rief Manda aus. "Das kannst du sagen." Nervös fuhr sich Petra durch die dunkle Mähne. "Warum muss eigentlich immer ein Haar in der Suppe sein?" Sie bemerkte plötzlich Joes breites Grinsen und fragte irritiert: "Und was ist daran so komisch?" "Ich dachte mir gerade, wie schön es ist, sich auf etwas freuen zu können. Wird bestimmt nett morgen." Petra griff nach dem Kissen, auf dem sie sonst Spitzen ausstellte, und warf es nach Joe. "Weißt du was?" sagte sie zu Manda. "Dein Mann kann ganz schön gehässig sein. Ich bin doch froh, dass du ihn gekriegt hast." Durch ihr Lachen wurde die Spannung ein wenig gelöst, die durch den Besuch des Antiquitätenhändlers entstanden war. Dann machten sie sich für den Rest des Abends an die Arbeit. Doch trotz aller Aktivität fand Petra es nicht so leicht, die Gedanken an den Nachbarn zu verdrängen. Die ganze Zeit über schien er ihr mit den kritisch blickenden graugrünen Augen
über die Schulter zu schauen. Als sie dann das vollbrachte Werk zufrieden betrachtete, überraschte sie sich bei dem Gedanken "Wenn er nur eine Spur Anständigkeit hat, kann er hieran nichts auszusetzen haben". Gleich darauf beschimpfte sie sich als Idiotin. Ihr gefiel der Laden, und nur das war wichtig. Was gingen die Nachbarn sie an? "Alles fertig für Montag?" fragte Manda. Petra hatte sich entschieden, "Bis Montag werde ich nicht warten. Wenn du Viertel vor elf kommen und hier bleiben kannst, während ich bei Baron-Immobilien bin, dann mache ich schon morgen auf.'' Sie war sich Mandas Hilfe sicher, denn Manda fertigte ihre seidenen und wollenen Kreationen zu Hause an und freute sich über jede Abwechslung. Manda lächelte zufrieden. "Klar kann ich morgen kommen. Die Eröffnung vor dem ursprünglich geplanten Termin wird es dem Antiquitäten-Heini schon zeigen, nicht?" Petra erwiderte ihr Lächeln. "Das war auch mein Gedanke. Man muss Flagge zeigen." Der arme Mann! Er weiß nicht, was auf ihn zukommt", stöhnte Joe mitleidsvoll. Sie löschten die Lichter und überließen die Granville Row ihrem georgianischen Frieden. Petra fragte sich nur, wie lange er wohl noch dauern würde.
2. KAPITEL Das Schaufenster von "Collections" war mit kobaltblauen, grünen und dunkelroten Glaskugeln dekoriert, die unter den Spots unheimliches Licht verbreiteten. Von Manda angefertigte künstliche Spinnweben verbanden sie mit zerbrechlicher Schönheit. Ein glänzend polierter bronzener Einkochtopf in der Mitte des Fensters diente als Ersatz für einen Hexenkessel. Daraus rankten sich farbige Bänder in die Richtung kleiner Gruppen von Objekten. Dazwischen lagen Herbstblätter in warmen Tonen. Das Ladenschild aus geschnitztem Holz lehnte an der Scheibe. Es enthielt den Hinweis, dass bei "Collections" Erinnerungsstücke ge- und verkauft wurden, sowie eine Aufforderung zum Eintreten. Als Petra zu Baron-Immobilien aufbrach, schenkte sie ihrer Halloween-Dekoration einen letzten stolzen Blick und prüfte gleichzeitig ihr Aussehen im Fensterglas. Mit ihrem langen marineblauen Umhang und dem gleichfarbigen Hut sah sie recht geschäftsmäßig aus und war sich sicher, ihren Standpunkt verteidigen zu können. Manda winkte ihr zum Abschied zu. Als Petra in ihren Wagen stieg, den sie nur dort geparkt hatte, um Manda den hinteren Stellplatz zu überlassen, sah sie zwei Frauen "Collections" betreten. In den eineinhalb Stunden, die das Geschäft geöffnet war, waren erstaunlich viele Schnupperkunden gekommen, von denen zwei sogar etwas gekauft hatten. Ein vielversprechender Anfang. Das Büro von Baron-Immobilien war in einem Gebäude im Zentrum von Cheltenham untergebracht. Petra wurde in das Zimmer gebeten, in dem sie schon den Vertrag mit Mrs. Baron unterzeichnet hatte. Sie setzte sich auf einen Stuhl gegenüber dem Schreibtisch und spielte mit dem Gedanken, ihren Umhang abzulegen, da der Raum überheizt war, entschied sich aber dagegen. Es würde den Eindruck erwecken, dass sie sich auf eine längere Diskussion eingestellt hätte, was keineswegs der Fall war. Sie war etwas zu früh gekommen und ging hinüber zum Fenster, um zu sehen, in welchem Wagen der Granville-Mann vorfahren würde. Doch kaum war sie dort angekommen, trat er bereits ein. "Guten Morgen", sagte Petra. "Guten Morgen." Auf seinem Gesicht war noch die Andeutung des Lächelns zu sehen, das er der Sekretärin geschenkt hatte, doch sowie er Petra entdeckte, verfinsterte sich sein Blick. Ich war überrascht, Ihr Geschäft bereits heute morgen geöffnet zu sehen", sagte er ohne weitere Einleitung. "Eigentlich hatte ich angenommen, Sie würden wenigstens den Ausgang des heutigen Gesprächs abwarten." "Auch mir ist diese Idee gekommen", antwortete Petra ironisch. Es wäre logischer gewesen. Wenn es nun zu einer anderen Abmachung kommt, haben Sie Ihre Waren umsonst ausgestellt." "Ich rechne aber nicht mit einer Veränderung, denn man wird Sie hier überzeugen, dass alles Rechtens ist. Gefällt Ihnen die Dekoration?" fragte Petra mutig. "Ich habe sie nicht näher betrachtet, sie schien mir aber eher nach Weihnachten auszusehen - vielleicht etwas verfrüht. Und dann diese Spinnweben. Eigenartig. Die meisten Menschen versuchen, sich ihrer zu entledigen." "Aber die Idee dahinter ist doch Halloween, deshalb auch die Kugeln." "Soll ich dem entnehmen, dass Sie sich auch mit Hexerei beschäftigen?" "In bestimmten Situationen habe ich schon Lust, eine Wachspuppe von jemandem herzustellen und sie mit Nadeln zu spicken", antwortete sie schlagfertig. Einen Moment sah es aus, als wollte er lächeln. "Wenn Sie sich dabei wiederfinden, all das, was Sie trotz meiner Warnung in der Granville Row ausgebreitet haben, wieder zusammenpacken zu müssen, so wird die einzige Puppe, die eine solche Behandlung verdient, eine die Sie darstellt sein. Ich habe gestern einen großen Teil meiner Zeit damit verbracht, Sie davon zu überzeugen, dass dort nicht der richtige Rahmen für Sie ist."
"Der einzige Mensch, der dies von Rechts wegen tun könnte, wäre Mr. Baron, und von ihm erwarte ich keine derartige Entscheidung." Er warf Petra einen eigenartigen Blick zu und nahm ihr mit seiner Antwort allen Wind aus den Segeln. "Ich denke, es wird Zeit, mich vorzustellen. Kent Baron, Mitbesitzer der Geschäfte in der Granville Row." Er ging um den Schreibtisch und setzte sich in den mächtigen lederbezogenen Eichensessel. In seinen Augen lag eine gewisse selbstgefällige Freude über den Schock, den er ihr versetzt hatte. "Sie sind Kent Baron?" wiederholte Petra ungläubig. "Der bin ich. Hinter Ihnen steht übrigens ein Sessel. Benutzen Sie ihn lieber, bevor Sie umfallen." "Dazu besteht keine Gefahr." Trotzdem war sie, milde ausgedrückt, ziemlich überrascht und ging sogar soweit, sich auf die Kante des angebotenen Sessels zu setzen. "Dann sind Sie . . ." Mrs. Barons Sohn, wollte sie sagen, doch er unterbrach sie. "Der feine Pinkel - das war's doch, stimmt's?" fragte er, Petra fühlte, wie sie errötete, aber gab sich nicht geschlagen. "Nicht ich habe Sie so genannt, sondern Ihre Mutter." "Aber es war Ihnen nicht unbedingt unangenehm, es zu wiederholen." "Sie fragten mich, wie ich zu dem Vertrag gekommen sei, und ich habe Ihnen geantwortet. Außerdem muss ich sagen, dass ich Ihre hinterlistige Art auch nicht sehr angenehm finde. Hätten Sie mir gleich gesagt, wer Sie sind, wäre Ihnen diese Bemerkung Ihrer Mutter erspart geblieben." "Sie brauchen sich darüber keine Gedanken zu machen", erwiderte er grimmig. "Ich bin an die offene Art meiner Mutter gewöhnt." Jetzt begann Petra, die komische Seite der Situation zu begreifen. "Nun verstehe ich natürlich, warum Sie wegen des Babyschuhs so wütend geworden sind." Sie versuchte, sich diesen großen, streitsüchtigen Mann als süßen kleinen Jungen vorzustellen. Hatten diese Augen, die jetzt überall Schwierigkeiten zu sehen schienen, wirklich einmal unschuldig lächelnd in die Welt geblickt? Es kam ihr unmöglich vor. "Sie hätten mich nicht zum Erzählen auffordern sollen", sagte sie. "Ich wollte aber genau herausfinden, warum meine Mutter diesen plötzlichen Entschluss gefasst hatte. Damals war ich verreist, und alles, was sie mir hinterließ, bevor sie selbst abreiste, war eine Kopie des Mietvertrags. Dazu ein Brief, in dem stand, Sie hätten ihr einen Gefallen getan, und sie wolle Ihnen helfen. " Petra schaute ihn direkt an. "Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie herausgefunden haben?" Jetzt sah er nicht mehr ganz so feindseilig aus. "Zufrieden damit, dass es wirklich eine zufällige Begegnung war und keine von Ihnen sorgsam eingefädelte. Ich kann Leute gut einschätzen." Während einer Gesprächspause verarbeitete Petra erst einmal, was er gesagt und in welchem Ton er es geäußert hatte. "Sie sind unglaublich", sagte sie schließlich, "Offensichtlich denken Sie, dass dies eine nette Bemerkung war, über die ich auch noch froh sein sollte." "Und sind Sie das nicht?" fragend hob er die dunklen Augenbrauen. "Ich bin erstaunt, wie negativ Sie Menschen sehen und Ihre schlechte Meinung über die Urteilsfähigkeit Ihrer Mutter überrascht mich." "Wenn sich jemand anders verhält, als es sonst seine Art ist, sollte man nach dem Grund suchen. Meine Mutter hat bisher nie geschäftliche Entscheidungen gefällt, ohne mich zu Rate zu ziehen. Dieses Mal hat sie es getan und das hat Misstrauen in mir ausgelöst." "Bevor Sie auch nur mit mir gesprochen hatten? Wie mir scheint, haben Sie mich von Anfang an abgelehnt. "
Als ich erkannte, was Sie verkaufen wollen, war mir klar, dass die Granville Row nicht die richtige Umgebung für Sie ist." "Aber das ist doch lächerlich! Sie sind doch in der gleichen Branche ob es Ihnen nun gefällt oder nicht." "Und wenn man `Malen nach Zahlen` praktiziert, dann ist man gleich ein Renoir." "Nicht im mindesten." Petras Augen sprühten vor Arger. "Meine Waren gehören vielleicht nicht in die gleiche Preisklasse wie Ihre, aber das ist letztlich eine Frage der Größe und des Geschmacks. Sie können sich meine Artikel ruhig ansehen, und Sie werden genausoviel gute Handarbeit finden wie bei Ihnen." "Aber Miss Collins, eine Gießkanne kann man doch nicht mit einem Stück von Hepplewhite, Sheraton oder Chippendale vergleichen." "Gute Handarbeit ist und bleibt immer gute Handarbeit - ganz gleich welchen Niveaus. Ihre Ansicht ist purer Snobismus." "Ich spreche als Mensch, für den es gewisse Qualitätsstandards gibt, die er bewahren möchte. Granville Row gehört dazu. Ihre Art von Geschäft passt nicht in die Vorstellungen, die ich für die Läden dort habe. Wie wickeln Sie denn sonst Ihre Geschäfte ab? Auf irgendwelchen Flugfeldern von der Ladefläche des Lieferwagens aus? Von Tapeziertischen in zugigen Turnhallen. Mit Ihrer Art Waren verbinden sich diese Eindrücke - und ich möchte dies nicht in der Granville Row sehen." "Für drei kurze Monate?" rief sie aus. "Werden in dieser Zeit die Grundmauern der Granville Row zu bröckeln beginnen?" "Nein. Aber unmerklich würde man die Granville Row mit anderen Augen betrachten, und das möchte ich nicht." Petra lehnte sich zurück und blickte ihn fast mitleidsvoll an. "Was haben Sie doch nur für ein sorgenvolles Leben mit all diesen unverständlichen Wertvorstellungen, die Sie beunruhigen." Er antwortete nicht, sondern saß nur ruhig da und wartete auf ihre Kapitulation. Dessen bewusst, stand sie auf, ging zum Fenster hinüber und schaute hinaus. Bei Widerstand gab sie nie auf - im Gegenteil. Sie drehte sich um und schaute ihn über den Raum hinweg an. "Was meine üblichen Verkaufsplätze betrifft, so haben Sie recht. Ich verkaufe auf Märkten, in Schulen, Gaststätten - wo immer man mich haben will. Ich hatte noch nie einen eigenen Laden, habe immer nur aus Kisten gelebt. Nun habe ich diese unwahrscheinliche Gelegenheit bekommen, drei Monate lang einen festen Platz zu haben. Natürlich möchte ich sie wahrnehmen. Außerdem habe ich mich erkundigt und bin sicher, dass der von Ihrer Mutter aufgesetzte Vertrag legal ist. Und Sie glauben, ich werde diese einmalige Chance ungenutzt vorübergehen lassen, nur weil Sie mich oder meine Waren nicht mögen?" "Es soll ja nicht ohne Gegenleistung sein. Ich besitze noch andere Häuser und kann Ihnen für die gleiche Zeitspanne einen geeigneteren Laden anbieten." "Gibt es in dieser Stadt wirklich einen passenden Ort für jemanden wie mich?" fragte Petra spöttisch. Er stand auf. "Darauf erwarten Sie wohl keine Antwort. Warum kommen Sie nicht mit und schauen es sich an? Deshalb habe ich Sie hergebeten." Aus der Schreibtischschublade nahm er ein Schlüsselbund. Petra überlegte schnell. Ihrer rechtlichen Position war sie sich relativ sicher, denn er hatte ihr nicht widersprochen, als sie den Vertrag mit seiner Mutter als legal bezeichnet hatte. Da er sie so gern aus der Granville Row weg haben wollte, hätte er diese Chance bestimmt genutzt. Es schien also, dass Mrs. Baron die Aktienmehrheit in dem Geschäft hatte. Wenn das aber stimmte, konnte sie, Petra, logisch erweise bis Ende Januar bleiben. Nur, wollte sie wirklich drei Monate in eisiger Atmosphäre verbringen, mit einem Nachbarn, der gleichzeitig ihr feindseliger Vermieter war? Darüber musste sie nachdenken. Das andere Geschäft anzusehen, würde ihr Zeit geben und auch eine zusätzliche Gelegenheit.
"Gut. Ich werde es mir ansehen. Mehr sage ich jetzt jedoch nicht", erklärte sie. "Angenommen." "Und wenn es kein Umweg ist, möchte ich meiner Vertretung im Laden Bescheid geben, dass es später wird, als vorgesehen." "Wir werden an der Granville Row vorbeikommen. Sie können Ihren Lieferwagen hierlassen " Er dachte also, sie würden hierher zurückkommen, um einen neuen Vertrag zu unterzeichnen. Sie können Ihren Kuchen gern backen, lieber Mr. Baron, dachte Petra, die Rosinen aber zähle ich. Zurück in ihrem Laden, wurde Petra gleich von Manda überfallen, die sich mit ihren Verkäufen brüstete. "Zwei Rollen mit Spitzen, ein Tintenfass und einen dieser Briefständer aus Pappmache'", berichtete sie stolz. "Und eine Dame will wegen der chinesischen Vase wiederkommen, wenn sie die Nische ausgemessen hat." "Wunderbar!" Petra war begeistert. "Hör zu, ich bin mit unserem Freund von nebenan noch nicht fertig. Kannst du noch bleiben?" "Den ganzen Tag, wenn du willst. Beeil dich nicht, ich habe viel zu tun. Was ist denn passiert? Ich dachte, deine Freunde, die Barons, würden dem Kaktus die Stacheln schon ziehen." "Das ist der Knackpunkt. Nicht alle Barons sind Freunde. Aber die Geschichte ist zu lang. Ich erzähl dir alles später. Er wartet draußen auf mich. Wenn dir flau wird ... Sandwiches sind in der Küche. Ich hol mir nachher was. Du kannst ruhig alle essen." Der Herbstwind plusterte Petras Umhang auf, und sie presste ihren Hut auf die ungebärdige Mähne, während sie zu Kent Barons Auto zurücklief. Es war kein Rolls, sondern ein Alfa Romeo Cloverleaf. Jedoch schien auch dieser Wagen, genau wie der Rolls, den sie ihm fälschlicherweise angedichtet hatte, jeden Widerstand zu durchbrechen. Aber deshalb braucht er sich über mich keine Illusionen zu machen, dachte Petra, als sie sich auf den Beifahrersitz gleiten ließ und den Sicherheitsgurt zu befestigen versuchte, was sich durch ihren weiten Umhang als äußerst schwierig erwies. Haben Sie eigentlich etwas gegen einen ganz gewöhnlichen Mantel?" fragte er. "Sollte man sich überhaupt `Gewöhnliches` anziehen?" entgegnete sie "Es gibt so viele ungewöhnliche Dinge, die unsere Aufmerksamkeit wert sind. Zum Beispiel haben Sie ja auch kein `gewöhnliches` Auto. Ihres hat eine handgearbeitete Lederausstattung und funktioniert voll elektronisch." "Sie sind zäh, wenn es um die Verteidigung Ihres Standpunkts geht, stimmt's ?" fragte er, den Blick auf die Strasse gerichtet. "Das ist ja auch wohl gerechtfertigt, wenn ich bedenke, wohin wir fahren und was Sie erreichen wollen." Während sie das sagte, schaute sie ihn aus den Augenwinkeln an und bemerkte zum erstenmal so etwas wie Humor in seinen Gesichtszügen. Eine erstaunliche Veränderung! "Der Punkt geht an Sie, denke ich", sagte er und wandte sich wieder der Strasse zu. Sie bogen in eine Gasse zwischen zwei Hauptstrassen ein, kamen an einem Maklerbüro, einigen Baufirmen und einer Bankfiliale vorbei und hielten dann vor einem leerstehenden Geschäft. Gegenüber befanden sich eine Druckerei und ein Möbellager. Schweigend ließ sich Petra durch die Räume führen und überließ Kent Baron das Reden. Hätte sie das Geschäft in der Granville Row nicht zuerst gesehen, wäre sie glücklich gewesen, diesen Laden angeboten zu bekommen. Aber die Granville Row war so leicht nicht zu schlagen.
"Ich weiß, dass Sie für den Laden in der Granville Row nur eine geringe Miete zahlen müssen", meinte ihr Begleiter endlich. "Deshalb bin ich bereit, auf jedwede Miete zu verzichten, wenn Sie hierher ziehen." Petra warf ihm einen herausfordernden Blick zu. "Wollen Sie mich bestechen. Mr. Baron? So etwas hat bei mir noch nie gewirkt, das kann ich Ihnen versichern " "Die Summe, um die es geht, kann man bestimmt nicht als Bestechungsgeld bezeichnen. Ich biete Ihnen nur eine kleine Entschädigung an für das Einpacken und den erneuten Umzug. Natürlich werde ich Ihnen auch praktische Hilfe zukommen lassen." "Sie haben es wirklich eilig, mich loszuwerden, nicht?" fragte Petra und blickte durch das Ladenfenster auf die Druckerei. "Ich will mich nicht jetzt entscheiden. Ich brauche etwas Zeit zum Nachdenken. Sie glauben, mir ein faires Angebot gemacht zu haben, und ich will es überdenken. " Er schaute auf die Uhr, "Vielleicht gestatten Sie mir, Sie zum Lunch einzuladen, während sich Ihr Unterbewusstsein an die Arbeit macht." Petra lächelte mitfühlend. "Sie ziehen alle Register, nicht wahr?" "Ich halte es für höflicher, einen Kunden einzuladen, wenn sich die Verhandlungen über die Mittagszeit hinausziehen", erwiderte er kurz angebunden. "Wenn Bestechung bei Ihnen schon nicht zieht, dann wird wohl ein Essen kaum den Ausschlag geben. Auf jeden Fall steht das Angebot, und Sie haben die Wahl." "Nun ja. Hungrig bin ich schon, also nehme ich an. Vielen Dank," "Müssen Sie erst telefonieren?" "Nein. Manda hat es nicht eilig." "Und was ist mit dem Mittagessen Ihrer Freundin?" "Im Laden ist etwas." "Gut, dann können wir ja gehen." Also hat er Gefühle, der Mann mit der eisernen Maske, dachte Petra, als sie wieder zum Wagen gingen. Er war nett zu alten Damen - zugegebenermaßen zu solchen, durch die er etwas verdient hatte. Aber selbst wenn er seine eigenen Pläne verfolgte, dachte er an das Wohlergehen anderer. Vielleicht hatte seine Mutter recht, und dieser feine Pinkel war doch netter, als sie, Petra, gedacht hatte. Aber sie rief sich gleich zur Ordnung, Mach nur weiter so, und du wirst dem Mann nichts mehr abschlagen können. Während sie den Laden besichtigten, hatte Petra scharf nachgedacht. Wenn Mrs. Baron über die Immobiliengeschäfte so gut informiert war, wie es den Eindruck gemacht hatte, und wenn auch ihre Urteilsfähigkeit so gesund war, wie ihr Sohn es behauptete: Warum hatte sie Petra den Laden in der Granville Row angeboten und nicht den anderen? Sie musste geahnt haben, dass es ihrem Sohn nicht gefallen würde, Petras Geschäft neben seinen wertvollen Antiquitäten zu sehen. Und doch hatte Mrs. Baron den Mietvertrag aufgesetzt, bevor sie sich diplomatisch zurückgezogen und den beiden Streithähnen das Feld überlassen hatte. Jetzt erinnerte sich Petra an etwas, das Mrs. Baron am Tag des Unfalls in der Wohnung zu ihr gesagt hatte. Eine Zeitlang hatten sie lachend und schwatzend zusammengesessen. Obwohl die ältere Dame mit ironischer Kritik über ihren Sohn nicht gespart hatte, war es doch offensichtlich gewesen, dass sie ihn von Herzen liebte. In dieser fröhlichen Stimmung hatte Mrs. Baron dann gesagt: "Warum findet nur mein Sohn nicht jemanden, mit dem er so richtig lachen kann? In den letzten Monaten ist die Fröhlichkeit ganz aus seinem Leben verschwunden." Kent Baron führte Petra in ein elegantes Restaurant im besten Viertel der Stadt, Parkplatz und Tisch standen sogleich zur Verfügung, und an der Begrüßung des Kellners war zu erkennen, dass Kent Baron kein neuer Gast war. Als Petra ihren Umhang abnahm, sah sie Kent Barons kritischen Blick auf ihrer Batistbluse mit den Keulenärmeln ruhen,
"Ja, Sie haben recht", kam sie seinem Kommentar zuvor, "auch ein echtes Stück, und ich liebe es." "Ich möchte ihm eine gewisse Attraktivität nicht absprechen, aber haben Sie nie Lust gehabt, sich etwas zeitgemäßer zu kleiden?" "Der Rock ist doch modern, obwohl Laura Ashley, wenn Ihnen der Name etwas sagt, eher Stillmode macht. Die Abnäher sind die gleichen wie bei der Bluse, sehen Sie? Aber wenn Sie mich fragen, ob ich mich für die Wiederauferstehung des Minis einsetzen würde, dann ist die Antwort: eigentlich nicht. Ich weiß, was mir gefällt, und das ist eben oft alt und manchmal auch altmodisch." In diesem Augenblick brachte der Kellner die Speisekarten, und sie beschäftigten sich mit der Auswahl des Menüs, Beide entschieden sich für eine Vorspeise vom Büffet. Danach wählte Kent Baron Rindermedaillons mit Zwiebel- und Kastanien creme und Petra Engelbarsch mit Muscheln und Schalotten in Weißwein. Nachdem sie sich mit Vorspeisen eingedeckt hatten und wieder an ihrem Tisch saßen, begann Kent Baron Petra nach ihren Beziehungen zum Antiquitätenmarkt zu befragen. "Ich bin da eigentlich durch Zufall hineingeraten", erzählte sie ihm, "Von einer Tante habe ich das Inventar eines Hauses, in dem so schien es, seit Generationen niemand etwas weggeworfen hatte, geerbt. Auf einem Flohmarkt machte ich meinen ersten Versuch und verkaufte überraschend viel. Dazu kam, dass es mir Spaß machte. Und so führte eins zum anderen." Er runzelte die Stirn. "Aber das kann man ja wohl nicht als Beruf bezeichnen, oder? Wie alt sind Sie?" "Nicht alt genug, um darauf nicht zu antworten, und nicht jung genug, um die Frage übel zu nehmen. Ich bin dreiundzwanzig." "Und wie lange spielen Sie schon mit Antiquitäten herum?" "Ungefähr eineinhalb Jahre," "Also müssen Sie vorher etwas anderes gemacht haben." "Ich habe keinen richtigen Beruf ausgeübt, wenn Sie das meinen." "College oder Universität?" "Sehr schmeichelhaft, aber die Antwort ist nein." Kent Baron verdaute diese Informationen, weiterhin die Stirn runzelnd. "In den drei Jahren zwischen dem Schulabschluss und dem Beginn Ihrer jetzigen Tätigkeit müssen Sie doch etwas getan haben?" Petra machte es Spaß, seine Neugier anzustacheln. "Ich habe so dies und das gemacht." "Dies und das? Bei dem Arbeitsmarkt, in der schwierigen Situation, in der er schon lange ist?" Sie beschloss, ihn noch weiter zu provozieren. "Ich habe in einem Laden ausgeholfen, gelegentlich auch als Kurier gearbeitet. Und dann habe ich mich auch als Putz- und Haushaltshilfe nützlich gemacht." Dass all diese Tätigkeiten mit ihrer Familie zu tun hatten, verriet sie aber nicht. Wahrend all dieser Jahre hatte sie ein klar umrissenes Lebensziel gehabt, doch das betraf nur sie allein. "Dies alles sieht kaum nach einem vernünftigen Beruf aus." "Zu dieser Zeit hatte ich mit einem Beruf auch nicht viel im Sinn", entgegnete sie. "Aber Sie mussten doch von etwas leben. Dazu braucht man Geld, und normalerweise verdient man es mit einem Beruf." "Ich bin zurechtgekommen." Gerade als Petra das Verhör auf die Nerven zu gehen begann, wurde der Hauptgang serviert. Sie versuchte, die Unterhaltung auf andere Themen zu lenken, aber Kent Baron war ein sehr hartnäckiger Mann und kehrte wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück: ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,
"Ich kann nur schwer verstehen, dass jemand so ziellos durchs Leben treibt, wie Sie es offensichtlich getan haben. Machen Sie sich nie Sorgen um Ihr Auskommen? Ihr Geschäft ist nicht sehr gewinn trächtig, und bis jetzt hatten Sie noch nicht einmal einen Laden." Petra entschied sich, ihm nun doch etwas mehr zu sagen, "Ich habe nicht so ein Spatzenhirn, wie Sie zu denken glauben. Die Tante, von der ich die Einrichtung erbte, vermachte mir auch das dazugehörige Haus. Das habe ich in drei Wohnungen aufteilen lassen. Ich bewohne das Erdgeschoss, Manda und Joe - die Sie ja kurz gesehen haben - wohnen im ersten Stock, und eine Lehrerin lebt im Obergeschoss, Dadurch habe ich regelmäßige Einnahmen und kann ein bisschen tun und lassen, was ich will," Selbst das schien ihn nicht zufrieden zustellen. Sein Ausdruck war leicht gereizt, als er sich zu ihr hinüber lehnte. "Aber wo ist der umfassende Lebensplan?" Petra lächelte freundlich. "Ich habe keinen. Das Leben ist zu kurz, um es generalstabsmäßig ablaufen zu lassen. Betrachten Sie mich doch einfach wie eine Art Miss World, die nur ,ihr Dasein genießen, reisen und Leute treffen' will." Er lehnte sich zurück. "Sie haben etwas mehr in Ihrem Köpfchen als ' Durchschnittliche Miss An Wärterin." Mit seinen graugrünen Augen sah er sie prüfend an. "Hübsch genug sind Sie jedenfalls, das muss man schon zugeben." Sie zog es vor, ihm darauf nicht zu antworten. Es war vielleicht ein Kompliment, klang, von ihm kommend, aber eher gönnerhaft. Es hatte Spaß gemacht, den feinen Pinkel mit ihrer unkonventionellen Lebensauffassung in die Irre zu führen, aber nun war es Zeit, das Spiel zu beenden. "Wenn man von unseren verschiedenen Einstellungen absieht, was das Leben betrifft", sagte sie, "so war es doch ein ausgezeichnetes Essen." "Möchten Sie einen Nachtisch?" "Nur Kaffee bitte." Ein wenig später nippte Petra an ihrer Tasse und sagte dann: "Es wäre mir lieb, wenn Sie sich ,Collections' einmal ansehen würden, bevor wir die Diskussion beenden." Er blickte sie an. "Dazu sehe ich wirklich keine Notwendigkeit." "Sie haben mein Geschäft kritisiert, ohne zu wissen, wie ich es zu führen gedenke. Ist das fair?" "Ein hübsches Arrangement wird die Grundsituation nicht ändern." So leicht ließ sie sich nicht abweisen. "Ich jedenfalls bin Ihrem Vorschlag gefolgt und habe mir die anderen Räume angesehen. Nun bitte ich Sie, meinem Vorschlag zu folgen." Er zuckte mit den Schultern. "Wie Sie wollen. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es mich beeinflussen wird." Wieder zurück in der Granville Row, betrat Petra vor Kent Baron den Laden. Er folgte ihr, und zwar in so großem Abstand, dass Manda es nicht bemerkte, wiederum aber schnell genug, um deren Ausruf noch zu hören. "Na endlich! Ich hab schon gedacht, er hätte dich aufgefressen." "Ich wollte aber kein Dessert", erwiderte Kent Baron, ohne eine Miene zu verziehen. "O Himmel, das ist wohl mein Stichwort für einen prompten Abgang", rief Manda aus und flüchtete in die Küche. Es waren keine Kunden da, und deshalb konnte er sich in Ruhe alles ansehen. Geduldig erwartete Petra das Ende der Prüfung. "Nun?" fragte sie, als er endlich zu ihr an die Tür kam. "Wissen Sie, dass der Trommeltisch, auf dem Sie die Zangen ausgestellt haben, genauso viel Wert ist wie alle Ihre Waren zusammengenommen und sogar mehr?" fragte er. Petra fühlte Ärger in sich aufsteigen. "Er ist aber unverkäuflich." Kent Baron blickte auf sie herab und ließ sie noch etwas schmoren. "Mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln haben Sie das sehr nett gemacht", sagte er schließlich in gönnerhaftem Ton, der Petra in Rage brachte,
O Junge, du musst wirklich ein bisschen von deinem hohen Ross heruntersteigen, dachte sie wütend. Aber gespielt schüchtern senkte sie den Blick und sagte: "Danke, Mr. Baron." Im Büro von Baron-Immobilien verlor Petra keine Zeit, ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. "Ich habe eine Frage", begann sie, "gehe ich recht in der Annahme, dass mein Mietvertrag legal ist, wenn ich daran festhalte?" "So ist es." Sein Mund hatte plötzlich einen Ausdruck von Missbilligung, aber wenigstens versuchte Kent Baron nicht, etwas anderes zu behaupten. "Dann möchte ich Ihnen jetzt meine Überlegungen mitteilen, nachdem ich den Laden in der Mortimer Street gesehen habe. Das Geschäft ist schön, und wenn ich es nicht mit der Granville Row vergleichen könnte, würde ich mich sicher darauf stürzen. Jedoch kann, was die Lage anbetrifft, der Vergleich nur zu ungunsten der Mortimer Street ausfallen. Dort gibt es sicher wenig Laufkundschaft und sonst nur Arbeiter und Angestellte, die zur Arbeit gehen und wieder nach Hause. In der Granville Row aber kommen Leute vorbei, die zu den anderen Geschäften wollen. Außerdem kommt noch unser eigener Parkplatz dazu. Und wer weiss, Mr. Baron, vielleicht lassen sich auch einige Ihrer Kunden verführen, sich zu ` Collections' herabzulassen." Während sie sprach, blickte sie ihm fest in die Augen. "Diese Gelegenheit kam für mich völlig unerwartet. Ich habe sie nicht gesucht und nicht herausgefordert. Doch sie wurde mir geboten, und ich habe gelernt, alles zu akzeptieren, was das Leben anbietet, und das Beste draus zu machen. Also tut es mir leid, Sie zu enttäuschen, aber ich ziehe es vor, in der Granville Row zu bleiben. Es wird ja nicht für lange Zeit sein, und ich glaube, wir können beide zivilisiert miteinander umgehen." Ihr Herz schlug schneller, während sie auf Kent Barons Antwort wartete. Als sie dann endlich kam, entsprach sie keinesfalls Petras Erwartung. "Sie sagten, Sie hätten kein Spatzenhirn", meinte er nachdenklich, "und das haben Sie soeben bewiesen. Sie haben die Ihnen angebotenen Möglichkeiten sehr gut analysiert, Miss Collins." Er drückte auf den Summer auf seinem Schreibtisch, und seine Sekretärin trat ein. "Bitte, Laura, geben Sie Miss Collins ein Exemplar der Mietbedingungen für die Granville Row, wenn sie geht", sagte er. Petra war wirklich enttäuscht. Sie hatte sich auf einen harten Kampf vorbereitet, und nun war es kaum zu einem Geplänkel gekommen. Sie stand auf, "Danke, dass Sie es so nehmen." Auch Kent Baron erhob sich und sah auf sie hinab. Seine Augen wirkten plötzlich grau und nicht mehr grün, und das gab ihr zu denken. "Ich bin ein zivilisierter Mann, Miss Collins. Ich habe meine Position dargestellt und Sie Ihre. Die Situation ist gegeben, und ohne Zweifel werden wir damit leben können. Ich werde keine schweren Geschütze auffahren, um Sie loszuwerden. Aber seien Sie gewarnt: ich werde jede Ihrer Bewegungen überwachen. Sie werden in der Granville Row bleiben, aber zu meinen Bedingungen, Und ich werde Ihnen nichts durchgehen lassen, glauben Sie mir. Bitte nehmen Sie beim Herausgehen die Papiere mit von denen ich gesprochen habe." Petra zögerte. "Unter diesen Umständen sollte ich vielleicht besser mein Essen bezahlen?" Ein wütender Blick traf sie, "Um Himmels willen! Das hat doch nun wirklich keine Bedeutung." Den Rest ihrer Würde zusammenraffend, verließ Petra das Büro und fuhr zum Geschäft zurück, wo Manda schon ungeduldig auf Neuigkeiten wartete. Am Montag morgen, kurz nach neun Uhr, hatte Petra die nächste Begegnung mit Kent Baron. Es war ein wunderschöner Spätherbsttag. Petra trug ein hübsches New-Look-Kleid mit weitem Rock und hatte die Tür des Geschäfts einladend geöffnet. An jeder Seite vor dem Eingang stand ein Schirmständer mit Wanderstöcken mit feingeschnitzten Griffen. Kent Baron betrat als erster den Laden. Petra liebte an diesem Montag die ganze Welt und empfing auch ihn herzlich lächelnd.
"Guten Morgen. Ein himmlischer Tag, nicht wahr?" Er zeigte auf die Schirmständer. "Es dürfen keine Waren vor dem Geschäft ausgestellt werden. In Paragraph 3a wird dies deutlich ausgeführt." Petras Lächeln schwand augenblicklich. "Tut mir leid, das wusste ich nicht, Sie stehen doch aber nicht im Weg und behindern auch niemand. Ich räume sie gleich weg." "Hätten Sie sich die Mühe gemacht, die Papiere zu lesen, die ich Ihnen am Sonnabend gegeben habe, hätten Sie es gewusst." "Ich hatte am Wochenende viel zu tun. "Tatsache war, dass sie die Papiere völlig vergessen hatte. Sie versuchte, sich an ihm vorbeizuschlängeln, um die schweren Schirmständer in den Laden zu transportieren. "Gestatten Sie?" Er nahm einen in jede Hand, als wären sie leicht wie Milchflaschen, "Wo soll ich sie hinstellen?" "Irgendwo. Dankeschön", sagte Petra steif. Er hielt sich also tatsächlich an sein Wort. Beim Herausgehen drehte er sich noch einmal um. "Wie Sie bereits bemerkten, ein herrlicher Tag. Guten Morgen." War da ein selbstzufriedenes kleines Funkeln in seinen Augen gewesen? Auf seinen Zügen zeigte sich nichts davon. Für Petra hatte der Tag jedoch etwas von seiner Herrlichkeit eingebüsst. Sie nahm ihre Handtasche und holte den Mietvertrag heraus, den sie am Sonnabend einfach hineingestopft hatte. Es war offensichtlich wirklich besser zu wissen, was man in der Granville Row tun durfte und was nicht. Was die Bekehrung des feinen Pinkels anging, so konnte sie diese verrückte Idee allerdings vergessen. Sie zweifelte, ob es ihr jemals gelingen würde.
3. KAPITEL Es war einer dieser grauen, verregneten Tage gewesen, an denen nur eingefleischte ShoppingFans vor die Tür gehen. Erst jetzt, zwanzig Minuten vor Ladenschluss, hatte der Regen aufgehört, und die Bürgersteige fingen zu trocknen an. Doch für die Ladeninhaber war es zu spät. Bereits seit einer Viertelstunde beobachtete Petra einen kleinen Jungen, der sich von der Ausstellung mechanischer Spielzeuge im Schaufenster von "Collections" nicht losreißen konnte. Es war ein hübscher kleiner Junge in der graugrünen Uniform der nahegelegenen Grundschule. Er schien acht oder neun Jahre alt zu sein und besaß die mitleiderregenden übergroßen Vorderzähne seiner Altersklasse. Die Schulmütze hatte er abgenommen, so dass sein dunkles glänzendes Haar, das in der Mitte einen Wirbel hatte, zu sehen war. Er hatte ernstblickende Augen und ein auf Entschlossenheit hinweisendes, jedoch noch kindlich rundes Kinn. Wie bei vielen Jungen seiner Altersklasse war ihm das Hemd aus der kurzen Hose gerutscht und schaute unter dem Blazer hervor. Petra hatte nichts zu tun und wartete eigentlich nur auf den Ladenschluss. Also ging sie zum Schaufenster, zog den Affen mit der Trommel auf und ließ ihn spielen. Durch das Glas lächelte sie den Jungen an. Er grinste zurück und betrachtete den Affen, bis er sich nicht mehr bewegte. Petra ging zur Tür "Wartest du auf jemanden?" fragte sie und dachte, dass seine Mutter vielleicht beim Friseur war. "Ich muss jeden Tag warten", antwortete er ergeben. Also konnte sie nicht beim Friseur sein, es sei denn, er hätte die eitelste Mutter der Welt. Vielleicht arbeitete sie auch in einem der Geschäfte der Granville Row? Was bedeutete, dass das arme Kind von Montag bis Freitag von sechzehn bis siebzehn Uhr dreißig hier herumhängen musste. "Ich habe dich noch nie hier gesehen", sagte Petra. "Das war wegen der Ferien. Ich war bei meiner Großmutter." "Ich wette, sie verwöhnt dich." Wieder erschien das breite Grinsen. "Ich darf jeden Tag Süßigkeiten essen," "Das scheint mir eine echte Großmutter zu sein. Möchtest du das andere Spielzeug sehen? Wenn du willst, kannst du hereinkommen. Darfst du?" "Ich darf bis zum Ende der Geschäfte gehen." "Dann ist es ja in Ordnung." Er folgte Petra in den Laden und schaute ihr zu, wie sie die zwei Hunde auf der Wippe aufzog. Danach sah er sich um. "Aber hier waren vorher Kleider und so was." "Und nun bin ich es mit meinem Kleinkram." "Viel besser als die ollen Kleider." Petra lächelte ihm zu. "Wie heißt du denn?" "Alexander." "Und ich heiße Petra. So, jetzt kennen wir uns." Sie probierten die mechanischen Spielsachen durch, und dann wandte sich Alexanders Aufmerksamkeit dem Glasgefäß mit den Murmeln zu. "Kannst du spielen?" fragte Petra und holte eine Handvoll heraus. "Ja. Aber diese sind anders als meine." "Es sind ja auch alte." "Ich wusste nicht, dass es alte Murmeln gibt. Die hier ist komisch," Er nahm den Chinesen und drehte ihn in seinen tintenbefleckten Fingern,
"Sie ist viel schwerer als die anderen. Versuch's mal. Ziel auf die da." Sie rollte ein Katzenauge durch den Laden. Alexander schickte den Chinesen hinterher. Aber auf dem dicken Teppichboden rollten beide nicht gut. "Hier bringt es nicht viel", sagte Petra. "Komm, lass es uns draußen versuchen. Aber nicht in der Nähe des Abflusses. Ich hab sie da schon einmal fast verloren." Auf der Strasse war es ruhig, und der Parkplatz war leer, Beide hockten sich auf dem regennassen Asphalt nieder und begannen das Spiel mit fünf Murmeln für jeden. Bei einem Stand von acht für Alexander und zwei für Petra, ließ eine Stimme sie überrascht aufschauen, "Nicht gerade der ideale Platz zum Murmeln spielen", sagte Kent Baron. Petra stand schuldbewusst auf, und auch Alexander bewegte sich nur langsam auf den Bürgersteig zu. Neben Kent Baron wirkte der Junge plötzlich klein und zerbrechlich. "Du hast Miss Collins genug Zeit gestohlen, Alexander. Und jetzt gehst du besser ins Geschäft und wäschst dir die schmutzigen Hände, bevor wir nach Hause fahren." Wir . . . nach Hause fahren . . .? Das Urteil, das Petra sich von diesem Mann gemacht hatte, geriet plötzlich ins Wanken. Bis jetzt war es unangenehm gewesen, ihn als Nachbarn zu haben. Aber nun musste sie ihre Sichtweise ändern und ihn in Beziehung zu jemand anders sehen. War er Alexanders Vormund, Onkel oder etwa der Vater? Vater! Das würde schwierig werden. Es war überhaupt schwer zu glauben, dass dieser Mann undiszipliniert genug gewesen war, jemanden zu lieben und auch noch ein Kind zu zeugen. Alexander nahm ihr die Ungewissheit. "Petra hat mir all ihre Spielsachen gezeigt, Dad", sagte er. "Dann musst du dich bei Miss Collins bedanken." Die Betonung des Namens entging dem Kind nicht. "Sie hat gesagt, ich solle sie Petra nennen." "Aber Miss Collins wäre eine höflichere Anrede," Dieses Mal wurde die Botschaft mit einem Stirnrunzeln unterstrichen. "Vielen Dank, Miss Collins", sagte Alexander verschüchtert und gab ihr die Murmeln zurück. "Den kannst du behalten und damit in der Schule spielen." Petra ließ den Chinesen in seine Hand gleiten. Ein begeistertes Lächeln war die Antwort. "Oh, super. Danke Pe ... Miss Collins." Bevor sein Vater eingreifen konnte, rannte er in das Antiquitätengeschäft, den Chinesen in seine Tasche stopfend. "Ich dachte, Sie hätten nur einen Chinesen", bemerkte Kent Baron, und Petra wusste nicht, ob es ernst oder ironisch gemeint war. "So ist es. Aber bei Alexander wird er sehr viel besser aufgehoben sein." Sie sah zu ihm auf, "Eigenartig, dass Sie einen Sohn haben." "Es ist ein ganz normaler Zustand für einen Mann, einen Sohn zu haben und beunruhigt zu sein, wenn man ihn dazu verleitet, auf der Strasse Murmeln zu spielen", erwiderte er. "Habe ich wieder das Niveau der Granville Row gesenkt? Tut mir leid, aber in den Mietbedingungen steht nichts von Murmeln. Und diesmal habe ich sie von Anfang bis Ende gelesen. Sie haben da einen sehr lieben kleinen Jungen, Mr. Baron, Die Zeit mit ihm hat mir viel Spaß gemacht." Sein spöttischer Ausdruck verriet so etwas wie Mitleid. "Sollten Sie einmal erwachsen genug sein, um ein Kind zu haben, Miss Collins, dann werden Sie vielleicht lernen, wieviel Zeit Eltern damit verbringen, ihre Kinder vor den Gefahren der Strasse zu warnen. Es ist nicht angesagt, dort zu spielen, wo jederzeit ein Auto kommen könnte. Auch ich halte Alexander für einen lieben kleinen Jungen, und darum möchte ich, dass er die Chance hat, groß zu werden, ohne Schaden zu nehmen." Petra ging auf Verteidigungskurs. "Es war überhaupt kein Verkehr, das haben Sie doch selbst gesehen."
"Aber es hätte ja sein können. Wichtig ist das Prinzip." Sie wusste, dass sie im Grunde unrecht hatte, aber etwas an diesem Mann weckte ihren Kampfgeist. "Wie das Prinzip, das Sie geleitet hat, mich von der Granville Row zu vertreiben?" fragte sie. "Jetzt vermischen Sie zwei völlig verschiedene Dinge. Obwohl, wenn ich darüber nachdenke, ist es wohl heute das erste Mal, dass ein Mieter der Granville Row im Rinnstein Murmeln spielt." Er taxierte Petras Kleidung. Heute war es die Nationaltracht eines kleinen europäischen Staates - ein Schnäppchen aus London. "Ist das ein Zigeunerkostüm, was Sie da tragen?" Die Verbindung zwischen seiner Frage und den vorhergehenden Ausführungen bedurfte keiner Erklärung. "Du feiner Pinkel", murmelte Petra leise, aber nicht leise genug, "Meinen Sie nicht, dass man auch seine Schuld eingestehen kann, ohne dabei beleidigend zu werden?" fragte er und verschwand in Richtung Granville-Antiquitäten, Petra stürmte in ihren Laden und knallte die Tür zu. Durch den Luftzug wurde eine der Glaskugeln gelöst und zerschellte auf dem Boden. Sie hatte die Kugeln nur im Fenster gelassen, um Kent Baron zu beweisen, dass es ihr gleichgültig war, der Hexerei angeklagt zu werden. Nun war sie doppelt bestraft. Sie hob die Splitter auf und wünschte, sie zermahlen und dem Kerl von nebenan heute abend ins Essen streuen zu können. "Wie unmöglich es auch scheint, er ist menschlich genug, einen Sohn zu haben" beendete Petra am Abend den Bericht für Manda über das, was nachmittags geschehen war. "Das wusste ich bereits", antwortete Manda überraschend. "Du wusstest es? Wie denn das?" "Margaret Bannister hat es mir erzählt." Dies war die Mieterin der dritten Wohnung in Petras Haus. "Ich traf sie zufällig an dem Nachmittag, als du mit ihm gegessen hattest und mir die Zunge ausgerutscht war. Ich hab's ihr erzählt, und sie sagte mir, dass sein Sohn in ihrer Klasse sei. Danach habe ich nicht mehr daran gedacht." "Ich wünschte, du hättest es mir eher mitgeteilt. Ich brauche jede Information über diesen Mann." Manda hob die Augenbrauen. "Ich glaube, mich zu erinnern, dass du an eben diesem Tag gesagt hast, für dich wäre es das Schönste, nie wieder mit ihm in Berührung zu kommen." Petra beschäftigte sich noch immer mit den Informationen der Lehrerin. "Hat Margaret dir mehr über ihn erzählt?" "Sie sagte, er wäre ein netter Junge." "Ich spreche nicht von Alexander, sondern von seinem Vater." "Er soll auch sehr nett sein. Sie meinte, er wäre ein guter Vater, immer bei allen Schulveranstaltungen anwesend und großzügig, wenn es um Geld ging." Gedankenverloren wickelte sich Petra eine Haarsträhne um den Mittelfinger. "Und was ist mit Alexanders Mutter?" Sie konnte sich Kent Baron immer noch nicht mit Frau und Kind vorstellen. "Sie muss gestorben sein, bevor der Junge in die Schule kam. Margaret hat sie nie kennen gelernt." "Wenn ich das nur gewusst hätte!" Petra stöhnte niedergeschlagen. Manda schaute sie zweifelnd an. "Ich kann nicht sehen, was sich dadurch verändert hätte. Er scheint mir kein Mann zu sein, der seine Privatangelegenheiten mit anderen bespricht und bestimmt nicht mit..." Sie verstummte schlagartig. Und bestimmt nicht mit Leuten, die er nicht ausstehen kann", beendete Petra den Satz. "Natürlich wird er darüber nicht sprechen wollen und ich auch nicht. Aber meine Reaktion heute nachmittag wäre anders gewesen. Auf jeden Fall erklärt dies seine übertriebene Sorge Alexander gegenüber. Ich hatte es lediglich als eine weitere Unhöflichkeit mir gegenüberbetrachtet." "Na ja, höchstwahrscheinlich war es auch so gemeint", meinte Manda sachlich.
"Und jetzt hat er noch einen Grund mehr, gegen mich zu sein", sagte Petra pessimistisch. "Ich bringe seine Mutter aus dem Gleichgewicht, ziehe seine vornehmen Läden in den Schmutz und habe nun seinen Sohn beinahe unters Auto gestoßen." Manda gähnte. "Geh runter und mach dir was zu essen. Ich glaube, deine grauen Zellen haben Kalorienmangel." Zwar sah Petra jetzt Kent Baron mit anderen Augen, aber das meistens nur im Schutz des Schaufensters von "Collections". Oft sah sie ihn am späten Nachmittag mit Alexander vorbeigehen und diesem zulächeln. Damit kam Leben in seine ernsten Züge, und sein Blick verriet Wärme und Zuneigung. Doch nie hatte er diesen Ausdruck, wenn er ihr begegnete. Immer war da diese Kälte in den graugrünen Augen und der verkniffene Ausdruck um seinen Mund. Sollte jemand ihn wieder in ein normales Leben zurückführen können, so ganz bestimmt nicht sie. Es dauerte einige Zeit, bevor Petra mit Alexander wieder mehr als nur ein kurzes "Hallo" austauschte. Eines Tages kam er nach der Schule in den Laden und schien etwas zu wollen. Petra ging auf ihn zu. "Was macht der Chinese?" Er holte ihn stolz aus seiner Hosentasche, in der sich offensichtlich weit mehr Murmeln befanden, als es dem Stoff gut tat. "Er ist ganz toll. Am Anfang hatte ich Angst, ihn einzusetzen, denn ich wollte nicht, dass Nigel Forest ihn mir abnimmt. Also hab ich geübt, und nun kann ich Nigel jeden Tag besiegen." "Auf einen Chinesen kannst du dich immer verlassen", sagte Petra ernst. Vorsichtig schaute sie aus dem Fenster. "Weiß dein Vater, dass du hier bist?" "Ja. Ich habe es ihm gesagt. Ich möchte etwas kaufen." Petra blickte ihn respektvoll an. "Ein Kunde! Was kann ich für Sie tun, Sir?" "Sie kennen doch meine Großmutter." "Ein wenig." "Nun, sie hat bald Geburtstag, und ich dachte ..." Er zog die Brauen zusammen wie sein Vater "Ich dachte also, dass sie alt ist und dass alte Leute alte Dinge mögen. Vielleicht finde ich hier etwas, was ihr gefällt." Während seiner naiven Beschreibung musste Petra ein Lächeln unterdrücken und fragte dann "Und was willst du anlegen? Anders gesagt, wieviel Geld hast du?" Er langte in die murmelfreie Tasche und holte eine Handvoll Münzen hervor. "Zwei Pfund und fünf und vierzig Pence. Ich habe gespart." Petra war klar, dass nur wenige der ausgestellten und klar ausgezeichneten Stücke diesem begrenzten Budget entsprachen. Aber erst am Wochenende hatte sie von einer Haushaltsauflosung eine Kiste mit verschiedenen Dingen mitgebracht, die sie noch nicht geordnet und ausgezeichnet hatte. "Schau dir doch das mal an", sagte sie und holte die Kiste hinter der Tür zur Treppe hervor. "Das ist alles frische Ware, und niemand hat sie vor dir gesehen. Vielleicht findest du ein Schnäppchen. Mehr als drei Pfund ist bestimmt nichts davon wert." Sie ließ ihn glücklich in der Kiste wühlend zurück und kümmerte sich um zwei andere Kunden. Als dann der Laden leer war, stand Alexander da mit einer länglichen dunklen Dose in der Hand, und auf seinem Gesicht zeigte sich ein freudiges Lächeln. "Ich glaube, Grandma würde das Muster gefallen", sagte er. "Ziemlich schmutzig, aber man kann es wohl saubermachen, was meinen Sie?" "Wo hast du denn das gefunden?" fragte Petra nach kurzem Zögern. "Ganz unten in diesem zerbrochenen Holzkasten. Man kann den Boden rausnehmen, die Dose war darunter." Dieser Holzkasten, in dem Zigaretten aufbewahrt worden waren, hatte wohl ehemals eine Spieluhr enthalten. Es war nur noch zerknülltes Papier darin gewesen, so dass Petra nichts aufgefallen war, als sie die Sachen flüchtig durchgesehen hatte.
Er missverstand ihr Schweigen und fragte zweifelnd' "Sie glauben also nicht, dass man sie reinigen kann?" "O doch, ganz sicher " erwiderte Petra und gab ihm die Dose zurück. Sie war aus massivem Silber und ziemlich alt. "Nun Alexander", sagte Petra schließlich, "ich glaube, dies wäre eine hübsche Überraschung für deine Großmutter." Es war die Untertreibung des Jahres, aber wenn jemand ein Schnäppchen von "Collections" verdiente, dann bestimmt Mrs. Baron. Nur aus Überraschung hatte Petra gezögert, aber ihr Wort dem Kind gegenüber wollte sie halten. Habe ich genug?" Alexander kramte seine Münzen hervor, "Ja. Aber leider wird dabei dein ganzes Kapital draufgehen." "Das ist in Ordnung", sagte er großzügig. "Ich wollte ja auch nichts Billig"." Petra packte die Dose ein, gab ihm Ratschläge für die Reinigung und schickte ihn, der stolz auf seinen Einkauf war, auf den Weg. Doch sie hätte wissen sollen, dass die Sache damit nicht beendet war. Kaum fünf Minuten später klingelte das Telefon. "Baron", ließ sich eine unverwechselbare Stimme vernehmen. "Guten Abend, Mr. Baron", erwiderte Petra und bereitete sich schon insgeheim auf einen Kampf vor. "Wie geht es Ihnen?" "Überrascht, wenn ich es so ausdrücken soll", antwortete er prompt. "Sind Sie sich bewusst, was Sie getan haben?" "Was ich getan habe, weiß ich genau, und dazu stehe ich", erwiderte sie ruhig. "Sie haben eine wertvolle Silberdose aus dem achtzehnten Jahrhundert für ein paar Pence weggegeben." "Ich habe einen Artikel aus einer Kiste mit festgesetztem Preis verkauft", korrigierte sie ihn. Funkstille. "Glauben Sie wirklich, dass Sie den richtigen Beruf ausüben?" Kent Barons Frage kam plötzlich. "Mein siebenjähriger Sohn hat den Stempel auf der Dose bemerkt, warum nicht Sie?" "Mr. Baron, ich wusste genau, was ich tat. Wenn jemand einen Fund macht, dann ist es eben so." "Schlechte Geschäfte sollte man nicht abschließen, auch wissentlich nicht, wie Sie es ja wohl getan haben," "Wir sind beide in der gleichen Branche und versuchen, günstige Einkäufe mit Gewinn weiterzuverkaufen. Manchmal ist eben das Gluck auf der Seite des Kunden. Alexander hatte das Glück, die Dose in einer Kiste zum Einheitspreis von drei Pfund zu entdecken. Ich kann ihm nur gratulieren." "Er hat mir gesagt, Sie hätten nicht gewusst, dass die Dose da war." "Das stimmt, und es ändert nichts. Alexander hat einen guten Kauf gemacht," "Für mich hat das mehr den Geschmack von Mildtätigkeit, und daran soll sich mein Sohn nicht gewöhnen. Sind Sie allein?" "Warum?" fragte Petra irritiert. "Bitte, Mr. Baron, lassen Sie die Sache auf sich beruhen. Ich möchte mich wirklich deswegen nicht streiten." "Ich bin gleich bei Ihnen." Und schon war die Leitung tot. "Du mit deiner verdammten Manie, dich in alles einzumischen" fauchte Petra den unschuldigen Apparat an. Nun gut, sollte er doch kommen! Sie würde keinen Millimeter von ihrer Position abweichen. Er würde schon sehen, ob er ihr in ihrem Geschäft Vorschriften machen konnte. Vielleicht gehörte ihm das Gebäude, sie aber nicht. Doch Kent Barons Ankunft mit einem ziemlich deprimierten Alexander an der Hand nahm ihr allen Wind aus den Segeln. Ihr Nachbar legte die silberne Dose auf den Trommeltisch.
"Alexander und ich haben die Angelegenheit besprochen", begann Baron, "und wir sind übereingekommen, dass es falsch von ihm wäre, die silberne Dose für den von ihm gezahlten Preis anzunehmen. So ist es doch, Alexander?" Das Kind nickte begeisterungslos. Es sah ganz so aus, als wäre die Übereinkunft nicht tränenlos erfolgt. Petra fühlte eine ohnmächtige Wut in sich aufsteigen. Der Junge war nun so unglücklich über etwas, das ihn eigentlich hätte fröhlich stimmen sollen. Sollte sie die Situation noch verschlimmern, indem sie sich mit dem Vater stritt? Aber wie sollte sie überhaupt reagieren? Eine Entscheidung wurde ihr durch den Anblick von Mrs. Baron abgenommen, die an dem Schaufenster von "Collections" vorbeiging, kurz zögerte und dann stehenblieb, als sie Sohn und Enkel im Geschäft entdeckte. "Wir können jetzt nicht weiter diskutieren. Ihre Mutter ist hier", sagte Petra schnell. "Bitte, nichts sagen!" flehte Alexander. "Natürlich nicht." Mrs. Baron öffnete die Tür. "Also hier seid ihr!" Jeder der beiden bekam einen kleinen Kuss. "Hallo, meine Lieben. Bereit für den Tee mit mir, Alexander? In der Tüte sind Windbeutel." Sie wandte sich an Petra. "Wie hübsch Sie hier alles arrangiert haben. Findest du nicht, Kent?" Zu Petras Genugtuung musste er sich gequält eine Zustimmung abringen. "Mr. Baron hat bisher alles, was ich hier getan habe, mit großem Interesse verfolgt", sagte Petra boshaft, aber fröhlich lächelnd. "Mr. Baron? Ich dachte, ihr jungen Leute seid nicht mehr so formell? fragte Mrs. Baron unschuldig. "Ich empfinde den Stil Ihres Sohnes als sehr angenehm", entgegnete Petra. "Man findet diese Art heutzutage nicht mehr oft." Kent Baron äußerte sich nicht, aber sein Blick sprach Bände. Und auf Trommeltisch lag die eingewickelte Silberdose, die wie eine Zeitbombe vor sich hinzuticken schien. Wie ist es denn so, im eigenen Laden zu arbeiten?" fragte Mr. Baron gut gelaunt. "Es ist ein unvergessliches Erlebnis", antwortete Petra ehrlich. Kent Baron hatte offensichtlich genug. "Ich fahre Alexander und dich zu dir, Mutter", sagte er unvermittelt. "Nein, danke, wir laufen lieber", erwiderte Mrs. Baron. "Wir müssen noch bei ,Mitchell's' vorbei und die Zeitungen bezahlen, nicht wahr, Alexander?" Dem Aufleuchten in Alexanders Augen glaubte Petra zu entnehmen, dass "Zeitungen bezahlen" eine Umschreibung für "Süßigkeiten" war, und 'sie hoffte von ganzem Herzen, dass diese den bitteren Nachgeschmack, den die Auseinandersetzung über die Silberdose sicherlich hinterlassen hatte, verschwinden lassen würden. Aber das Kapitel war für sie noch nicht beendet. "Wenn das so ist, dann lasst mich euch hinausbegleiten", sagte Kent Baron und scheuchte seine Familie förmlich zur Tür hinaus. Petra beobachtete, wie Mrs. Baron und Alexander sich in Richtung Zeitungsladen entfernten und Mr. Baron allein sein Geschäft betrat. Dann nahm sie die Silberdose, verschloss ihren Laden und marschierte erhobenen Hauptes zu Granville-Antiquitäten. "Kann ich . . ." begann die Sekretärin, aber Petra hatte bereits die Tür zu Kent Barons Büro geöffnet und trat ein. Mit einer entschiedenen Geste legte sie die Dose auf seinen Schreibtisch. "Vorhin, als Alexander dabei war, konnte ich nicht offen reden", begann sie. "Aber jetzt kann ich Ihnen ja sagen, dass Ihr feiges Versteck-Spiel hinter dem Rücken eines siebenjährigen Jungen das Schlimmste ist, was mir je vorgekommen ist." Er streifte ihr gerötetes Gesicht mit einem kalten Blick. "Jetzt sprechen Sie ja wohl offen genug", bemerkte er trocken. "Und ich bin keinesfalls fertig. Ich denke nicht daran, mein Wort einem Kind gegenüber zu brechen, und es erstaunt mich, dass Sie etwas Derartiges von mir verlangen. Sehen Sie
nicht, wie tief Sie Alexander enttäuscht haben? Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass er verletzt ist?" "Das Leben ist hart"; sagte Kent Baron kurz angebunden. "Daran kommt niemand vorbei." "Aber mit sieben Jahren?" rief Petra leidenschaftlich. "Was sind Sie denn? Ein Fisch, ein Reptil oder was? Haben Sie denn überhaupt keine Wärme in sich?" "Wenn man von Ihrer übertriebenen Reaktion ausgeht, so haben Sie wohl genug davon für uns beide. Warum setzen Sie sich nicht hin und versuchen, die Sache logisch zu betrachten?" Seine stoische Ruhe war entnervend. "Sitzen will ich nicht, und nachgedacht habe ich bereits. Was mich betrifft, so hat Ihr Sohn ein wirklich gutes Stück gefunden, und das in einer Kiste voll mit dem, was Sie wohl Trödel nennen würden. Ich hatte gesagt, nichts würde mehr als drei Pfund kosten. So war es, so ist es, und ich werde verdammt noch mal nichts daran ändern." "Und was schlagen Sie mir nun vor?" Seine ruhige Stimme hatte einen gefährlichen Unterton. "Lassen wir alles, wie es war. und Alexander soll sein Geschenk für die Großmutter behalten." "Aber Alexander weiß doch, dass die Dose sehr viel mehr wert ist, als er dafür bezahlt hat." "Nur, weil Sie es ihm gesagt haben. Erzählen Sie ihm doch einfach, Sie hätten sich geirrt und ein Sachverständiger hätte das Stück sehr viel niedriger eingeschätzt." "Lassen Sie mich wiederholen", sagte er, und seine Stimme klang zugleich versöhnlich und warnend, "Sie verlangen, dass ich meinem Sohn falsche Eindrücke vermittle, was den Wert seines Taschengeldes angeht, und zugleich schlagen Sie vor, dass ich ihn belüge." "Es sind doch nur Worte", erwiderte Petra wütend. "Leider kann ich mich dem nicht anschließen." "Dann können Sie mit der verdammten Dose machen, was Sie wollen. Was mich angeht, so will ich das Ding nie mehr sehen. Ich nehme sie nicht zurück und erstatte auch Alexanders Geld nicht. Das können Sie selbst tun. Wenn Sie Lust haben, werfen Sie die Dose in den Fluss. Mir ist es egal." Seine Reaktion war kühl und kontrolliert. "Sie sind nicht der erste Mensch, dem ich begegnet bin, der nicht nur eine verlorene Sache verteidigt, sondern auch noch auf seine Niederlage völlig überzogen reagiert." "Wer immer diese andere Person war, sie hat meine ganze Sympathie. Sie muss ja gedacht haben, zur Eigernordwand zu sprechen", warf Petra ihm an den Kopf. Kochend vor Wut, drehte sie sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Büro. Sollte sie Kent Baron an diesem Nachmittag noch einmal treffen, könnte sie keine Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Den ganzen nächsten Tag war Petra auf der Hut und erwartete einen neuen Vorstoss von nebenan. Doch bei Granville-Antiquitäten rührte sich nichts, Gegen Abend hielt sie - wenn es auch traurig für Alexander war - die ganze Sache für abgeschlossen. Doch kaum hatte sie sich an diesen Gedanken gewöhnt, ging die Tür auf, und Kent Baron trat mit Alexanderein, Baron drehte das Türschild auf "Geschlossen", und er und Alexander näherten sich Petra. "Alexander hat Ihnen etwas zu sagen", begann Kent Baron. " Also dann schieß mal los, Alexander." Der Junge konnte es offensichtlich kaum erwarten, die Neuigkeiten loszuwerden. "Wir haben die Dose verkauft. Mein Dad sagte mir, Sie hätten ihm so was geraten. Wieviel haben wir wohl dafür bekommen?" Sekundenlang fehlten Petra die Worte, dann sagte sie schließlich: Das rate ich nie. Aber wie schon dein Vater sagte, ich hab ihm die Sache überlassen." Ein verachtungsvoller Blick streifte Kent Baron. "Sicherlich soll ich nun zu dem gelungenen Abschluss gratulieren."
"Einhundertfünfundsiebzig Pfund", rief Alexander triumphierend. Ihr wurde schlecht. Nicht wegen der Summe, sondern aufgrund der Lektion in Materialismus, die Alexander erhalten hatte. ,Sicher freut sich dein Vater, dass du eine solche Erfahrung gemacht hast", konnte sie sich zu sagen nicht verkneifen. Aber Kent Baron ließ sich nicht herausfordern. "Verrat Miss Collins, was wir entschieden haben", befahl er seinem Sohn. Alexander war ganz Feuer und Flamme. "Mein Dad hat gesagt, weil ich die Dose gefunden habe, soll ich auch einen Gewinn machen. Also gibt er mir genug, damit ich Grandmas Lieblingsparfüm kaufen kann. Jetzt ist alles in Ordnung." Plötzlich sah er nicht mehr so begeistert aus. "Nun ja, es ist nicht ganz so gut wie die Dose, aber immerhin." Seine Stimme wurde leiser, doch dann lächelte er wieder. "Außerdem wäre es ja nicht fair gewesen." Petras Blick maß sich mit dem von Kent Baron, und sie hoffte nur, dass ihre Botschaft verstanden wurde. "Also werden sowohl du als auch dein Vater einen Gewinn machen. Und das ist ja dann wirklich fair." "Aber nein!" Alexander schien schockiert, Kent Baron blickte Petra noch immer an. Seinen Mund umspielte ein leichtes, amüsiertes Lächeln. "Sag ihr das andere, Dad", bat der Junge und zog ihn am Arm. "In Ordnung." Er lächelte seinem Sohn zu und wandte sich wieder an Petra. "Alexander und ich dachten, dass der Rest des Geldes eigentlich zwischen Ihnen und mir geteilt werden sollte. Eine Hälfte für Sie, weil die Dose Ihnen gehörte, und eine Hälfte für mich, weil ich den Wert des Stückes erkannt habe. Ich weiß, dass Sie eine finanzielle Lösung nicht akzeptieren werden, und darum haben wir uns überlegt, dass vielleicht ein gemeinsames Essen eine gute Idee wäre. Was halten Sie von ,Quaglino`. Dadurch wäre dann die Diskussion über die Gewinnaufteilung geregelt. Bevor Petra antworten konnte, wurde die Tür geöffnet, und Kent Barons Sekretärin kam atemlos hereingestürzt. "Verzeihen Sie die Störung, Mr. Baron. Die Leute vom Auktionshaus sind am Telefon. Sie wollen Sie dringend sprechen und haben einen Anruf von Übersee auf der anderen Leitung." Er ließ die Hand seines Sohnes los. "Entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich bin gleich wieder zurück. Wart hier auf mich. Alexander." Schnell folgte er der Sekretärin aus dem Laden. Alexander sah Petra bittend an. "Sie tun's doch, oder? Ich meine, mit meinem Vater zu Quaglino gehen." Petra kannte das Restaurant nur dem Namen nach und auch vom Hörensagen die Preise. Sie sollten gepfeffert sein. Es würde sicher eine interessante Erfahrung werden, und auf jeden Fall wäre die Frage des Gewinns aus der Welt geschafft. Petra und Alexander sahen sich an, und im Blick des Kindes lag tiefe naive Hoffnung. "Es ist doch gar nicht nötig", sagte sie wenig überzeugend. "Aber ich möchte, dass Sie es tun." "Warum ist es dir denn so wichtig?" "Dad hat so was schon lange nicht mehr getan." "Vielleicht will er es nicht und ist glücklicher mit anderen Dingen", erwiderte sie. Wie zum Beispiel alte Damen verprügeln, Babys foltern und seinem eigenen Sohn die Freude verderben, setzte sie in Gedanken hinzu. "Aber er hat sich doch dafür entschieden. Wenn Sie nicht kommen, wird er nur wieder malochen. Sie sagt auch, es würde ihm gut tun, sich mit jemandem zu terrorisieren, der ein bisschen Spaß mag."
"Duellieren. "Ungehört hatte Kent Baron den Laden wieder betreten, und seine Stimme klang grimmig. "Wenn du etwas älter bist, Alexander, wirst du begreifen, dass manche Aussprüche deiner Großmutter es wert sind, wiederholt zu werden, man andere aber besser gleich vergisst." Er sah Petra an. "Nun, ist die Sache geregelt?" Sie bemerkte, dass Alexander vor Aufregung ganz zappelig war und wog das Für und Wider des Vorschlags ab. Dagegen sprach, dass sie nicht die geringste Lust hatte, mit diesem unausstehlichen Mann irgendwo hinzugehen. Lehnte sie aber ab würde sie einen netten kleinen Jungen tief enttäuschen. Und vielleicht würde Alexander wegen des teuren Parfüms einen Schuldkomplex entwickeln, wenn sie sich nicht an der Aufteilung des Gewinns beteiligte. "Ich denke schon", sagte sie ungnädig. Alexander stieß einen Freudenschrei aus und wurde prompt angewiesen, zum Antiquitätenladen hinüberzugehen und sich auf die Heimfahrt vorzubereiten "Ich komme gleich nach", meinte sein Vater. Als sie dann allein waren, wandte er sich steif an Petra. "Danke, dass Sie meinem Vorschlag zugestimmt haben. Für Alexander war es sehr wichtig. Er hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn." Jetzt endlich konnte Petra ihre angestaute Wut herauslassen. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass ich unter normalen Umständen lieber in einen Kessel mit siedendem Öl springen würde, als mit Ihnen auszugehen", sagte sie hitzig. "Und ich tue es auch nur, damit Ihr Sohn darüber hinwegkommt, dass er seiner Großmutter eigentlich eine beschlagene alte Dose schenken wollte." "Was immer der Grund auch sein mag", erwiderte er aalglatt, "ich danke Ihnen trotzdem." "Aber zu einem Essen in einem Luxusrestaurant bin ich nicht bereit, ich bin sicher, mir würde übel werden, ich geh gern mit Ihnen auf einen Drink in ein Pub Ihrer Wahl, damit Alexander glaubt, wir hätten alle Unstimmigkeiten bereinigt." "Das werden wir zu gegebener Zeit klären." Ein amüsierter Blick streifte Petras wütend gerötetes Gesicht. "Also, Sie irischer Feuerkopf, wann treffen wir uns?" "Je schneller, desto besser", entgegnete Petra unwirsch, "Dann haben wir es hinter uns." "Gut, Wenn Sie es nicht erwarten können, dann also am Sonnabend." Purer Hass sprach aus ihrem Blick. "Sonnabend ist in Ordnung. Ich weiß, dass diese Räume hier Ihr Eigentum sind, rate Ihnen aber, sie schnellstens zu verlassen." "Das hatte ich auch gerade vor. Alexander wartet auf mich. Bis Sonnabend dann." Er nickte kurz und verschwand. "Was ist denn mit dir los?" fragte Manda abends, als sie Petras Miene sah. Petra erzählte ihr die ganze Geschichte. "Ein Gratisessen bei Quaglino, und du stellst dich so an? Du musst verrückter sein, als ich dachte." "Aber mit einem derartigen Scheusal! Glaub mir Manda. wenn du meine Erfahrungen mit diesem Mann hättest, würdest du einsehen, dass es nicht gerade ein Vergnügen sein wird." Manda lehnte sich zurück, umfasste ihren Kaffeebecher und blickte Petra nachdenklich an. "Ich glaube, an diesem Kent ist mehr dran, als man am Anfang denkt. Für jemanden, der dich aus dem Weg haben wollte, stellt er doch einiges auf die Beine, um dich zu sehen." Petra lächelte spöttisch. "Unsinn. Das ist nur seine Vorstellung von Gerechtigkeit und Fair play. Er will mir, der Zigeunerin, korrektes Handeln beibringen." Sie zuckte mit den Schultern und wechselte das Thema. "Möchtest du noch Kaffee? Du wolltest mir doch auch das Brautkleid zeigen, an dem du gerade arbeitest." "Jetzt lenkst du vom Thema ab", sagte Manda, und ihre Augen funkelten. "Wenn ein Mädchen das tut, will es viel heißen." "Manda!" Petras Stimme wurde drohend. Manda lachte schelmisch. "Okay. Das Brautkleid. Komm mit und schau dir's an. Natürlich könnte es da einige Leute geben, die eine Verbindung zwischen Kent Baron und dem Kleid sehen würden."
"Und es wäre der letzte Gedanke, den sie hätten, bevor weißgekleidete Wärter sie mitnehmen würden", erwiderte Petra hitzig. "Hör jetzt auf, Manda. Bitte." Manda hörte den gefährlichen Unterton in Petras Stimme und ließ das Thema fallen.
4. KAPITEL Petra hatte ziemlich lange überlegt, was sie am Sonnabend anziehen sollte. Ihre Beweggründe dafür waren aber andere als die, die ein Mädchen normaler weise vor einem ersten Treffen mit einem Mann bewegten. Sie hörte den Wagen vor dem Haus vorfahren und hatte gerade noch Zeit, schnell in den Spiegel zu schauen, bevor die Klingel ertönte. Sie trug ein einfaches weisses Seiden-T-Shirt und Jeans, Kent Baron sollte gleich wissen, dass sie in einen Pub zu gehen gedachte und sich nicht in einem eleganten Restaurant zur Schau stellen lassen wollte. Es läutete, und Petra öffnete die Tür. "Guten Abend." Er trug einen untadelig geschnittenen hellgrauen Anzug, ein schneeweisses Hemd und eine dezent gemusterte Seidenkrawatte. Er wirkte ganz anders als während der Woche und sah Petra erst erstaunt, dann fragend an, "Ich komme doch nicht zu früh?" erkundigte er sich und vermied es offensichtlich, auf ihre Beine zu blicken, die in Jeans steckten. "Keinesfalls. Ganz pünktlich", erwiderte Petra lächelnd. Sie nahm ein großes Seidentuch, das mit bunten Blumen bedruckt war. "Und jetzt bin ich fertig," "Dann können wir ja gehen." Als sie sich jedoch ins Auto setzten, bemerkte Petra, dass er verstohlen auf ihre Beine schaute. "Stimmt etwas nicht?" fragte sie gut gelaunt. "Nein. Warum? Ich dachte nur gerade, dass ich Sie heute zum erstenmal so gekleidet sehe," Er ließ den Motor an. "Wie geht es Alexander?" fragte sie. "Sehr gut. Er bat mich, Ihnen auszurichten, dass er Ihnen einen schönen Abend wünscht." "Dann müssen Sie ihm etwas Nettes antworten." Ihr kam eine Idee. "Sagen Sie ihm einfach, ich hatte den Abend meinen Vorstellungen entsprechend genossen. Sie brauchen ihm ja nicht zu erzählen, dass wir in einen Pub gehen." "Ich hoffe doch nicht, dass wir das tun, denn schließlich habe ich Sie ja zum Essen eingeladen." Sein bestimmter Ton verunsicherte Petra. "Aber ich habe mich mit Ihnen lediglich auf einen Drink verabredet," Keine Reaktion. "Ich meine, was ich sage", beharrte sie streitlustig. "Ich auch." Er legte einen anderen Gang ein. Petra sah Kent Baron von der Seite an. Er hatte den Blick auf die Strasse gerichtet, aber seine Mundwinkel umspielte ein verdächtiges Lächeln. "Wenn Sie sehr hungrig sind - das `Kings Arms' etwas weiter vorn hat ganz ordentliche Snacks", sagte sie. "Ich denke nicht, dass wir die ausprobieren." Er fuhr an dem Lokal mit Lichtgeschwindigkeit - wie es Petra schien - vorbei, und ihr ungutes Gefühl verstärkte sich. "Wollen Sie uns etwa umbringen?" fragte sie. Er drosselte das Tempo. "Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Sie eine so nervöse Baifahrerin sind. Ich habe die Angewohnheit, immer pünktlich sein zu wollen. Offensichtlich scheint es den meisten Leuten nicht so zu gehen." "Das ist ja wohl heute Abend nicht so wichtig, oder?" "Ich habe den Tisch für zwanzig Uhr dreißig bestellt. Aber wir werden rechtzeitig da sein." "Welchen Tisch?" "Bei Quaglino." "Haben Sie mich denn nicht verstanden? Wir nehmen nur einen Drink, und das war's." Er lächelte. "Aber ich denke, dass wir Essen gehen." "Dann irren Sie sich", erwiderte Petra schnippisch.
"Ich sitze am Steuer - was wollen Sie dagegen tun?" Sie streckte die Hand nach dem Türgriff aus. "Das nützt nichts", sagte er. "Zentralverriegelung." Der Umgebung nach zu urteilen, waren sie auf dem Weg zu Quaglino. "Lassen wir doch diese Albernheiten", versuchte Petra ihn zu überreden. "Wie schön, dass Sie so denken." "So, wie ich angezogen bin, können wir unmöglich zu Quaglino gehen. " "Das ist in der Tat ziemlich ungewöhnlich, aber ich hätte es nie erwähnt, wenn Sie das Thema nicht angeschnitten hätten. Ich dachte. Sie hätten vielleicht nicht so viel Ahnung von Etikette." "Eben weil ich eine Ahnung davon habe, bin ich so angezogen", sagte sie trotzig. "Außerdem habe ich nicht im geringsten vor, zu Quaglino zu gehen." Doch ihre Antwort verpuffte wirkungslos, denn in diesem Augenblick fuhren sie vor dem Restaurant vor. Petra wurde es immer ungemütlicher. Ich weiß nicht, was Sie damit bezwecken wollen", wehrte sie sich, als das Auto sanft in eine Parklücke neben dem Eingang glitt. "Parken", sagte er kühl, stieg aus und öffnete die Tür auf ihrer Seite. Sie blickte trotzig geradeaus. "Hören Sie auf damit. Die lassen mich doch nie rein." "Das werden wir ja sehen." Er öffnete die Tür noch etwas weiter. "Auf jeden Fall lehne ich es ab auszusteigen. Sie werden mich nicht zum Gespött machen." "Ich denke, es wird eher umgekehrt sein", sagte er. "Kann ich etwas für Sie tun, Mr. Baron?" fragte in diesem Augenblick ein Lakai. "Nein, danke, George. Alles in Ordnung." Kent Baron senkte die Stimme. "Entweder verlassen Sie freiwillig das Auto, oder ich verspreche Ihnen, dass ich Sie wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter werfen und über die Türschwelle tragen werde. Und ich meine, was ich sage." Petra warf ihm verstohlen einen Seitenblick zu. Kein Zweifel, er meinte es ernst, Sie zögerte, löste dann aber schnell den Sicherheitsgurt und stieg aus. "Jetzt endlich benehmen Sie sich wie ein erwachsener Mensch", sagte er beifällig, hielt aber ihren Arm fest umklammert, während er die Tür abschloss. "Warum machen Sie sich überhaupt die Mühe?" fragte Petra ironisch. "In ein paar Minuten müssen Sie doch ohnehin alles wieder aufmachen." "Wollen wir wetten? Warten Sie einen Moment hier, und kommen Sie ja nicht auf die Idee wegzulaufen. Fünf Jahre lang habe ich den Rekord über 1.500 Meter in der Grafschaft gehalten, und ich trainiere immer noch." Er ging auf den Portier zu und sprach leise mit ihm. Dieser verschwand daraufhin im Restaurant, und Kent Baron winkte Petra mit einer herrischen Geste heran. "Sie können jetzt hineingehen." "Ich kann was?" "Hineingehen. Durch die Tür ins Restaurant gehen", sagte er, als würde er zu einem Idioten sprechen. "Nein. Das kann ich nicht." Panik klang aus Petras Stimme, "Dann werde ich Ihnen eben ein bisschen behilflich sein." Petra rannte die Treppen empor. Kent Baron hielt ihr die Tür auf, nahm ihr das Seidentuch ab und gab es an der Garderobe ab. Statt ihnen den Zutritt zum Restaurant zu verwehren, grüßte jedes Mitglied der Belegschaft sie höflich. Petra bildete sich sogar ein, so etwas wie Sympathie ihren Mienen entnehmen zu können. In ihrem ganzen dreiundzwanzigjährigen Leben hatte sie sich noch nie so bloß gestellt gefühlt, denn vor ihr lief eine Schau der modischsten, ausgefallensten und kostspieligsten Kleider ab, die Cheltenham aufzuweisen hatte. In ihrem einfachen Seiden-Shirt und den Jeans kam sie sich vor wie ein Küchenmädchen auf einem Debütantinnenball. Zwar schien das Personal
unerwartet höflich, aber die anderen Gäste. " Neugierige Blicke folgten ihr und überall sah sie erhobene Augenbrauen. Als sie dann endlich einen der besten Tische genau an der Tanzfläche erreichten, hätte Petra einen schnellen Tod von Herzen begrüßt. "Können wir nicht woanders sitzen?" fragte sie Kent Baron verzweifelt. Er sah sie überrascht an. "Es ist einer der besten Tische des Restaurants. Aus welchem Grund sollte ich einen anderen verlangen?" Man rückte ihr den Stuhl zurecht und reichte ihr devot eine Speisekarte, als wäre sie königlicher Besuch in Designerkleidung. Jetzt, da nur noch ihre einigermaßen akzeptable obere Hälfte zu sehen war, begann Petra wieder Mut zu fassen. Geräuschvoll klappte sie die Karte zu. "Ich habe schon gegessen", sagte sie. "Aber lassen Sie sich durch mich nicht stören." Über den Rand seiner Speisekarte blitzte er sie an. "Wenn ich drohen kann. Sie hier hereinzutragen, dann kann ich auch drohen, Sie zu füttern. Aber das wäre bestimmt kein angenehmer Anblick für unsere Nachbarn. Ich überlasse es Ihnen: entweder Sie wählen und essen Ihr Menü, oder ich bestelle für Sie und tue, was immer nötig sein wird. Außerdem glaube ich nicht, dass Sie mehr als eine Suppe oder ein Sandwich zu sich genommen haben." Petra begann einzusehen, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte. Es wäre besser, jetzt nachzugeben und in Ruhe ihre Rache zu planen. Denn rächen würde sie sich auf jeden Fall, Sie nahm die Karte wieder zur Hand. "Ich möchte, Melone Lafayette' und ,Fasan ä la Royale'", sagte sie. "Die Auswahl des Weins überlasse ich Ihnen, aber ich könnte ein Fass davon gebrauchen." Er lächelte. "So ist es richtig. Vielleicht können wir jetzt den Rest des Abends genießen." "Und vielleicht gibt es den Weihnachtsmann wirklich", antwortete Petra. Kaum zu glauben - er lachte. Sie blickte ihn kritisch an. "Irgendwie sind Sie heute abend ganz anders." "Vielleicht, weil Sie es zum erstenmal nicht geschafft haben, mich aufzuregen." "Komisch. Ich dachte, das hatte ich gerade getan." "Nein, Bis jetzt habe ich mich eigentlich sehr gut unterhalten." "Wie schön für Sie. Aber verraten Sie mir, was Sie den Leuten erzählt haben, damit sie mich in meinem Aufzug reingelassen haben." Ich sagte, dass es einen Grund für Ihre unkonventionelle Aufmachung gehe, und fragte, wie sie sich fühlen würden, wenn sie nach einem Hilfseinsatz in der Dritten Welt hierher zurückkämen und ihr Haus völlig ausgeraubt vorfinden würden." Man sah Petra ihre Missbilligung an. "Ich dachte, Sie wären so ein Wahrheitsfanatiker." "Ich habe keine Unwahrheit gesagt, sondern nur eine Frage gestellt und es den anderen überlassen, ihre Schlüsse zu ziehen." Und wieder haben Sie den Worten einen anderen Sinn gegeben." Wütend blickte sie in sein amüsiertes Gesicht. "Und man hat es Ihnen abgenommen." "So scheint es. Aber", fügte er etwas verlegen hinzu, "vielleicht hat es auch etwas geholfen, dass mir das Lokal gehört." Der Ober kam, um ihre Bestellung entgegenzunehmen, und so hatte Petra Zeit, diese überraschende Information zu verdauen. "Quaglino gehört Ihnen?" fragte sie, als sie wieder allein waren. "So ist es." "Und Sie haben es wirklich gewagt, dieses erlesene Ambiente mit einem Mädchen in Jeans zu verfälschen?" "Ich hatte ein anderes Ziel vor Augen." Ungläubig schüttelte sie den Kopf, "Für jemanden, der so viel auf Äußeres gibt, ist das wirklich ein Riesenschritt, Umfasst Ihr Imperium noch mehr?" "Ja." "Kein Wunder, dass sich Ihre Mutter wegen der vielen Arbeit Sorgen macht."
"Dazu besteht kein Grund." Er winkte ab. "Ihr Sohn aber auch." "Alexander? Was hatte er zu dem Thema zu sagen?" "So einiges in dem Tenor ,nur Arbeit und kein Vergnügen'. Malochen nennt er es." "Und ich weiß, von wem er das Wort gelernt hat. Es kommt aus der gleichen Quelle wie der ,feine Pinkel." "Ich glaube, beide machen sich Sorgen um Sie." "In einer Sache jedenfalls muss ich meiner Mutter recht geben. Ich werde Sie nicht den ganzen Abend über Miss Collins nennen. Petra passt viel besser zu den Jeans. Als Geste des guten Willens biete ich Ihnen Kent an." "Ich werde darüber nachdenken." Im Augenblick beschäftigte sich Petra mit ihrer Melone und deren exotischen Beilagen. "Sagen Sie, haben Sie nie daran gedacht, ein Au-pair-Mädchen für Alexander einzustellen? Offensichtlich haben Sie im Moment niemanden, denn er kommt ja immer gleich nach der Schule in den Laden." "Nein. Ich habe mich von Anfang an dagegen entschieden. Diese Mädchen bleiben nie lange, und meiner Ansicht nach braucht Alexander einen ruhenden Pol in seinem Leben." Ein Schatten huschte über sein Gesicht. "Obwohl ich weiß, dass nichts ewig dauern kann." "Haben Sie erwogen, wieder zu heiraten?" "Nie", antwortete er kurz angebunden. "Sagen Sie, glauben Sie etwa dass die Anrede mit dem Vornamen auch den freien Zugang zu der Privatsphäre des anderen einschließt?" "Es tut mir leid." Petra musste sich schuldbewusst eingestehen, dass sie etwas übereifrig gewesen war. "Ich interessiere mich eben für Menschen und ihre Probleme." "Dann passen Sie nur auf, dass diese Probleme nicht Sie überrollen", erwiderte er brüsk, begann aber gleich darauf, von einem Theaterstück zu erzählen, das er kürzlich gesehen hatte. Petra war fast ärgerlich, als ihr bewusst wurde, dass der Abend ihr wirklich Spaß machte. So war es nicht geplant gewesen, und auch der Anfang hatte nicht auf eine derartige Entwicklung hingedeutet. Aber sie wollte sich nicht amüsieren. Sie wollte ihre Wut, dass sie hier in unpassender Kleidung hatte erscheinen müssen, so richtig auskosten, um sich dann zu gegebener Zeit zu rächen. Doch jetzt saß sie hier und genoss den Augenblick. Es wäre auch schwer gewesen, ihn nicht zu genießen. Das Essen war ausgezeichnet, und seitdem die Gäste vergessen hatten, ihre Nasen über sie zu rümpfen, war auch das Lokal ein wirkliches Erlebnis. Kent Baron - sie fand, dass der Name gut zu ihm passte war im Moment weit entfernt von dem feinen Pinkel, als den sie ihn bisher betrachtet hatte. Sie blickte zu ihm hinüber - wart nur, dachte sie, du wirst es doch noch mal bereuen. "Ist das Essen in Ordnung?" fragte er, nachdem er ihr Mienenspiel beobachtet hatte. "Köstlich." Sie widmete sich ihrem Fasan und vergaß fürs erste die Rachegedanken. Doch beim Kaffee kam eine neue Überraschung. Eine kleine Band spielte, und einige Paare drehten sich auf der Tanzfläche. "Wie war's, wenn wir mitmachen?" fragte Kent, und seine Augen blitzten herausfordernd. Petra blickte ihn entgeistert an. "Sie machen wohl Witze?" "Warum sollte ich?" "Sie wollen wirklich, dass ich tanze, in Jeans?" "Verdammte Jeans - die hatte ich ganz vergessen. Aber Sie können es, glauben oder nicht, ich habe trotzdem Lust zum Tanzen, und es ist mir völlig egal, was Sie anhaben." Wieder überfiel Petra das unangenehme Gefühl, in einem Spinnennetz gefangen zu sein. "Ich gehe in den Waschraum", sagte sie und nahm ihre Handtasche. "Dort werden Sie kein Fluchtfenster finden." Er betrachtete sie, und seine Augen glitzerten verdächtig. "Wenn ich flüchten wollte, würde ich die Tür nehmen" , erwiderte sie.
"Auch das wird Ihnen nicht gelingen. Die Angestellten sind angewiesen worden Sie höflich daran zu hindern, das Lokal ohne mich zu verlassen " Sein Lächeln wurde breiter. "Diese Missionen in der Dritten Weit sind sehr stressig, wissen Sie. George hatte vollstes Verständnis." Petra bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und nahm dann ihren ganzen Mut zusammen. Wenn ihr Plan funktionierte, würde der Rückweg leichter sein. Sie hatte auf keinen Fall vor, auch auf der Tanzfläche zum Blickfang zu werden. Als sie ihr Tuch verlangte, zögerte die Garderobenfrau leicht. "Ich will nicht abhauen", sagte Petra ungeduldig. Die Frau lächelte entschuldigend. "Tut mir leid, aber Mr. Baron war sehr besorgt um Sie. Es muss ziemlich hart gewesen sein da draußen." "Nicht härter als hier drinnen", antwortete Petra wütend und nahm ihr Tuch. Sie fühlte den fragenden Blick der Frau auf sich ruhen, als sie auf den Waschraum zuging. Ganz offensichtlich buchte sie Petras eigenartige Antwort auf das Konto der Überlastung durch schwere Aufgaben in fernen Ländern. Petra schloss sich in der Kabine für Behinderte ein, in der sich ein Waschbecken und ein Spiegel befanden, und zog die Jeans aus. Nach einigem Herumexperimentieren schlang sie sich das Tuch wie einen Sarong um die Hüften. Unentschieden drehte sie sich vor dem Spiegel - nicht schlecht, aber irgendwie fühlte sie sich nicht sicher darin, und Sicherheitsnadeln hatte sie nicht dabei. Doch dann kam die Eingebung: sie besaß ja noch das schwarze Tuch, mit dem sie ihr Haar zurückgebunden hatte. Sie nahm es ab, wickelte sich es wie einen Kummerbund zweimal um die Taille und verknotete die Enden vorn. Jetzt hatte sie ein besseres Gefühl, und die ganze Sache sah vollständiger aus. Sie kämmte sich kurz, frischte ihr Make-up auf und machte sich, zufrieden mit dem Resultat ihrer Bemühungen, auf den Rückweg. Im Vorbeigehen ließ sie die Jeans an der Garderobe, und die Angestellte war zu höflich, ihr Erstaunen zu äußern. Zuerst schien Kent nicht zu begreifen, dass vor ihm das gleiche Mädchen stand, das ihn gerade verlassen hatte. Als der Groschen dann gefallen war. lächelte er beifällig und stand auf. Er unterzog Petra einer genauen Musterung. "Was sind Sie doch für eine erstaunliche Person", meinte er. "Man hat mich immer dazu ermutigt, Herausforderungen anzunehmen", erwiderte Petra ruhig. "Also, lassen Sie uns tanzen." Er zögerte kurz. "Können wir uns darauf verlassen, dass diese Konstruktion an ihrem Platz bleibt?" Petra schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. "Haben Sie wirklich Angst, wir könnten Aufmerksamkeit erregen? Unter den gegebenen Umständen ist das wirklich komisch." Tanzen mit Kent war eine überraschende Erfahrung. Er war der geborene Tänzer, leicht und beweglich, und wieder erwies sich eines ihrer Vorurteile als unbegründet. Eine Zeitlang tanzten sie, ohne zu sprechen, aber dann nahm er sie fester in die Arme und sagte: "Es gibt immer ein erstes Mal, nicht wahr? Jedenfalls ist dies etwas, wobei wir uns verstehen." "Nicht das erste, das zweite", entgegnete Petra. "Vergessen Sie nicht dass wir uns beide über Alexanders Vorzüge einig sind." Wie im Traum tanzten sie zu den langsamen Melodien, dann aber spielte die Band schnellere Rhythmen. "Ich möchte das Schicksal nicht herausfordern und Ihre Kreation durch das Tempo in Gefahr bringen", sagte Kent trocken. "Ich schlage vor, dass wir noch einen Kaffee trinken, bis die schnelle Phase zu Ende ist." "Feigling", sagte Petra über die Schulter, als sie zum Tisch zurückgingen.
Er füllte ihre Tasse. "Vielleicht bin ich mit mehr Vorsichtsmassregeln aufgewachsen als Sie. Wer hat Ihren Kampfgeist so gefördert?" "Die gleiche Person, die mir beigebracht hat, jede Gelegenheit zu nutzen. Mein Vater." "Erzählen Sie mir von ihm." Durch das Tanzen war die feinselige Stimmung verschwunden, die anfänglich zwischen ihnen geherrscht hatte. Petra liebte ihren Vater und war stolz auf ihn, also wollte sie gern über ihn reden. "Als wichtigstes ist zu bemerken, dass er von der Taille abwärts gelähmt ist", sagte sie. Sofort war sein Interesse geweckt. "Wie ist das geschehen?" "Ein Sturz vom Pferd. Er war Jockey, nicht sehr bekannt, wäre es aber bestimmt geworden." "Es kann nicht leicht für ihn gewesen sein, sich an die veränderten Umstände zu gewöhnen." "Sicher war es das nicht. Aber er hat es als Herausforderung betrachtet. Er sagte, dass ihm niemand die wundervollen, aufregenden Erlebnisse nehmen könne, die er vor dem Unfall gehabt habe. Natürlich war es schon gewesen, an einem sonnigen Tag über die Rennstrecke zu galoppieren, und er hätte es nie missen wollen, aber das war noch nicht alles gewesen." Petras Augen glänzten, als sie Kent anschaute. "Glauben Sie mir, wenn mir mein Vater riet, die Gelegenheit beim Schöpf zu packen dann wusste er, wovon er sprach." Überraschend zärtlich berührte Kent ihre Hand. "Wie alt waren Sie, als das passierte?' "Ich war gerade mit der Schule fertig." "Oh" sagte er verständnisvoll. "Also anstatt zu tun, was immer geplant hatten, taten Siewie war es noch? Dies und das. Sie arbeiteten einem Laden, trugen Zeitungen aus, machten ein bisschen sauber und halfen im Haushalt. Jetzt begreife ich endlich!" "Sie haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis", meinte Petra. "Für Dinge, die mich überraschen, ja. Wie geht es Ihren Eltern jetzt? Offensichtlich sind Sie ja jetzt der Meinung, dass sie ohne Ihre Hilfe auskommen." Meine Mutter regiert ein kleines Reich von Zeitungshändlern. Ihre Lehrzeit hat sie kurz nach dem Unfall durchgemacht, als das Geld zum Leben ja irgendwo herkommen musste. Mein Vater hat sich zu einem Computerfreak entwickelt. Nur so aus Spaß hat er ein Programm erdacht, mittels dessen die Leistungen von Rennpferden analysiert werden können, und nun gibt es dafür weltweites Interesse. Daneben beschäftigt er sich noch mit vielen anderen Dingen: so ist er zum Beispiel Berater für einen orthopädischen Chirurgen." "Es sieht ganz so aus, als ob Ihr Vater ein ganzer Kerl wäre." "Das ist er." Zum erstenmal an diesem Abend lächelte er sie ganz offen an. "Und ich bin sicher, dass er uns jetzt raten würde, die Gelegenheit zu ergreifen, denn die Band spielt gerade etwas Langsames." Petra stand auf und schmiegte sich wieder in Kents Arme. Diesmal tanzten sie schweigend. Doch es war schön, sich so harmonisch gemeinsam zu bewegen. Als sie wieder zum Tisch zurückgingen, hatte sich die Stimmung verändert. "Das hat Spaß gemacht", sagte Petra fröhlich, als sie sich setzten. Doch noch während sie sprach, sah sie in Kents Augen den nur allzu bekannten verschlossenen Ausdruck auftauchen, und Petra fiel nichts zur Aufheiterung ein. Offenbar war es nicht angesagt, Vergnügen zu zeigen. Dann sprachen beide plötzlich gleichzeitig. "Wie spät..." begann Petra.
"Ich glaube, es wird langsam Zeit. . ." Kent verstummte und zuckte mit den Schultern. "Es sieht ganz so aus, als hätten wir den gleichen Gedanken gehabt. Das Mädchen, das auf Alexander aufpasst, muss um Mitternacht zu Hause ein. Also lassen Sie uns gehen." "Ich dachte. Ihre Mutter würde da sein." "Nein", sagte er scharf, "meine Mutter ist nicht gerade erpicht darauf, mir das Leben zu erleichtern." Petra ging darauf nicht ein. "Ich hol nur mal schnell meine Jeans." Im Auto gab Kent ihr eine weiche Reisedecke aus Kaschmir wolle, die sie sich um die Schultern legen sollte. Aber nur schleppend kam wieder ein Gespräch zwischen ihnen auf. Offensichtlich war der Friede nur Schein gewesen. Warum nur hatte sich Kent von einem angenehmen Begleiter wieder in den ach so bekannten feinen Pinkel verwandelt? Petra, die es vorzog, Probleme geradeheraus anzugehen, sagte schließlich kurz vor Ende der Fahrt. "Danke für das wunderbare Essen. Ich weiß zwar nicht, was ich getan habe, um Sie zu ärgern, aber es war keine Absicht, Zugegeben, zu Beginn des Abends war ich ziemlich streitsüchtig, nicht aber zum Schluss. Wodurch auch immer ich Sie beleidigt habe - ich wollte es nicht." Vor ihrem Haus hielt er an und stellte den Motor ab. Dann wandte er sich ihr zu. "Es war nicht Ihre Schuld." Das gedämpfte Licht der Straßenlaterne beleuchtete Petras Gesicht, aber Kent saß im Schatten, und sie spürte seinen Blick eher, als dass sie ihn sah. "Aber irgendwas ist doch passiert", sagte sie. "Vergessen Sie es. Es war ein unerwartet angenehmer Abend. Bleiben wir dabei." Er nahm ihr die Decke von den Schultern und legte sie beiseite. "Ja, das war es, obwohl ich nie gedacht halte, so etwas einmal zu sagen." "Sie sind wirklich ein ehrlicher Mensch, stimmt's?" "Aber Sie sind es nicht", erwiderte sie angriffslustig. "Hinter Ihrem Stirnrunzeln verbergen Sie Ihre Gedanken, und Ihre Gefühle verstecken Sie unter Ihrem aalglatten Äußeren. Ist es nicht so?" "Meine Gefühle gehen Sie nichts an." "Aber deren Auswirkungen ... und wie." Er stöhnte auf, "Ich sage es Ihnen noch einmal, Sie haben nichts verbrochen. Aber wenn Sie unbedingt eine Erklärung wollen, dann ist dies die einzige, die Sie bekommen werden: sie erinnern mich an jemanden, an den ich nicht gern zurückdenke." "Es ist ja wohl kaum fair, mir die Schuld dafür zuzuschieben. Müssen Sie denn mir, die ich ohnehin schon ganz oben auf Ihrer schwarzen Liste stehe, auch noch unbedingt die Vergehen anderer anlasten?" protestierte sie, "Um Himmels willen, hören Sie auf!" Und ehe sie antworten konnte, hatte er ihr Kinn umfasst und sagte: "Niemand von uns beiden hat heute über die Massen gelitten. Vielleicht überzeugt Sie ja das hier?" Petra vermutete, dass es einer dieser halbherzigen Gute-Nacht-mein-Kind-Küsse werden würde, aber dabei blieb es nicht. Von dem Augenblick an als er die Lippen auf ihre presste, konnte sie nicht mehr klar denken. Ein Verlangen, das Petra bisher nicht gekannt hatte, wurde auf eine Weise gestillt, die sie überwältigte. So widersprüchliche Gefühle Angst, Triumph, der Wunsch nach Hingabe und der nach Sieg fassten sie und brachten sie in ihrem Ungestüm völlig durcheinander. Sie wusste, dass Kent das gleiche empfand. Sein Mund hatte es ihr verraten. Aber dann schnitten ihr plötzlich seine Worte wie Messer ins Herz. "So das war's", sagte er wie obenhin, und nur ein Anflug von Heiserkeit in seiner Stimme verriet etwas über seine Emotionen. "Das übliche Ende eines gemeinsamen Abends. Im Einklang mit Ihrer Philosophie wurde die Gelegenheit ergriffen und genutzt. Nun, so hoffe ich wenigstens, ist die Schuldfrage zwischen uns zur Zufriedenheit geregelt." Petra hätte nie gedacht, dass sich der Wirrwarr widersprüchlicher Gefühle, dessen Opfer sie gerade gewesen war, so blitzschnell in konzentrierten Hass verwandeln könnte. Wie
konnte dieser entsetzliche Mann es wagen, die Lebensphilosophie ihres Vaters so in den Schmutz zu ziehen? Sie stieg aus dem Auto und blickte Kent vernichtend an. "Die Schuldfrage geregelt? Wenn Sie so wollen. Aber Ihre eigenen Interessen, Mr. Quaglino, haben Sie dabei auch nicht vergessen. Was meine Philosophie anbetrifft, so sind Sie Lichtjahre davon entfernt, sie zu begreifen. Und noch etwas - ich mag es, wenn ein Mann mich zum Abschied küsst, weil er es will und nicht, weil sich die Gelegenheit dazu bietet und es so üblich ist. Aber diese Gelegenheit wird sich nie mehr bieten - es sei denn über meine Leiche." Sie knallte die Wagentür zu und wollte auf ihr Haus zustürmen. Jedoch auch diesmal mischte sich das Schicksal ein und verdarb ihr den siegreichen Abgang. Beim wütenden Zuschlagen war ein Zipfel ihres improvisierten Rocks in der Tür eingeklemmt worden. Hätte sie sich langsamer bewegt, wäre nichts passiert. Aber das Schicksal war unerbittlich. Mit teuflischer Genauigkeit drehte gerade in diesem Moment jemand im Hause die Außenbeleuchtung an, und sie stand im Flutlicht. Mit bebenden Händen öffnete sie die Tür, hörte aber noch deutlich vom Auto her ein unterdrücktes Lachen. Im Haus ging Joe gerade auf die Tür zu, um die leeren Milchflaschen hinauszustellen. Er begutachtete sie in ihrem eigenwilligen Aufzug: die gebräunten Beine, den weißen Spitzenslip. „Muss das ein Kerl sein", meinte er lakonisch. "Halt den Mund", schrie Petra. "Sag kein Wort mehr. Ihr Männer seid alle verdammte Mistkerle!" Unbeeindruckt grinste Joe und ging mit den Flaschen in der Hand hinaus, während Petra wutentbrannt die Wohnungstür aufschloss. Am nächsten Morgen fand sie das zusammengelegte Tuch mit einer Notiz zwischen Tür und Klinke geklemmt. Der Mann schwört, dass es eine ganz unschuldige Erklärung gibt, überlässt es aber Dir, sie zu geben. Du musst zum Mittag noch oben kommen und alles erzählen. Joe. Petra lächelte resigniert. Was Joe und Manda betraf, so hatte sie ihren Sinn für Humor wiedergefunden, für Kent galt das aber nicht. Ihm würde sie nicht vergeben. Sie lief die Treppen hinauf, um den Freunden zu sagen, dass sie kommen würde.
5. KAPITEL Am Montag Nachmittag stürmte Alexander in den Laden. Petra kümmerte sich gerade um eine Kundin, die nach langem Suchen endlich zwei Zangen für ihre Sammlung gefunden hatte. Über die Schulter der Dame hinweg sah Petra einen offensichtlich wütenden und rebellischen Alexander in der Nähe der Tür sich herumdrücken, voller Ungeduld, seine Sorgen abzuladen. Nachdem die Dame gegangen war, ging Petra auf den Jungen zu und sagte diplomatisch: "Hallo, wie geht's dir?" "Ich hasse ihn!" stieß Alexander hervor, bohrte die Schuhspitze in den Teppich und trat dann ungeduldig nach der Stelle. Die Art erinnerte Petra sofort an Mrs. Barons Beschreibung seines Vaters als Kind. "Er ist der schlechteste Mensch der Welt." "Wer?" fragte Petra interessiert, war sich der Antwort aber ziemlich sicher. "Mein Vater." Alexanders Betonung des letzten Wortes ließ es wie eine Beleidigung klingen. "Ist das nicht ein bisschen zu hart?" Sie wollte nicht direkt fragen, was einen derartigen Wutanfall bei diesem sonst so netten kleinen Jungen ausgelöst hatte, aber interessieren tat es sie doch. "Nein, das ist nicht zu hart. Er ist eklig. Es ist mir gleich, wenn ich nie wieder nach Hause gehe." Die Tränen, die in seinen dunklen Augen glitzerten, straften die letzten Worte jedoch Lügen. "Aber, aber, Alexander ", sagte Petra beschwichtigend. "Zu Hause ist es doch ganz schön." Er sah sie an. "Sie hätten am Sonntag da sein sollen. Es war ganz schlimm. Und es war auch noch Grandmas Geburtstag." Petra setzte sich auf einen zierlichen viktorianischen Stuhl und schob Alexander den zweiten hin. "Warum setzt du dich nicht? Du wirst noch ein Loch in den Teppich machen, wenn du ihn weiter so traktierst." "Tut mir leid." Er zog ein ziemlich mitgenommen aussehendes Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. Petra bot ihm ein Schokoladenbonbon an, das sie zufällig in der Tasche hatte. Wie unglücklich er wirklich war, konnte sie daran erkennen, dass er es ablehnte. "Ich glaube, war der schlimmste Geburtstag, den Grandma je hatte", grummelte er. Einiges war bestimmt auch gut. Dinge sind nie völlig schlecht", sagte Petra ermunternd. Das Essen war gut - aber nachher war mir übel, also hatte auch das ein schlechtes Ende." Er blickte Petra mit traurigen Augen an. Meinst du, dass du etwas Schlechtes gegessen hast?" "Nein. Getan, nicht gegessen. Und alles wegen der Dose." "Dose?" "Ja. Sie wissen doch." "Die, die den ganzen Ärger gemacht hat? Ich dachte, das wäre erledigt. Sei vernünftig, Alexander, ich bin sicher, dass deiner Großmutter das Parfüm sehr gut gefallen hat." Ja, das hat sie mir gesagt. Dann hat ihr mein Vater sein Geschenk gegeben - so eine Art Wolljacke. Aus Italien, denk ich. Die gefiel ihr auch." "Bis jetzt klingt ja alles ganz gut", kommentierte Petra optimistisch. " Aber dann hat mein Vater ...", wieder klang das letzte Wort wie eine Beleidigung, " ... mein Vater gesagt, es gebe noch eine Überraschung in letzter Minute und zog die Dose - die, die ich ihr hatte schenken wollen -aus seiner Tasche. Grandma war ganz begeistert. Das hatte ich ja gewusst." Seine Stimme zitterte, und die großen dunklen Augen sprühten vor Zorn über die Ungerechtigkeit. "O je", meinte Petra seufzend, mehr zu sich als zu dem Kind. Sie konnte Alexanders Wut verstehen. Jemand anders hatte sein Geschenk überreicht, und noch dazu derjenige, der es ihm verboten hatte. Aber sie fragte sich auch, warum, in aller Welt, sie das Essen am Sonnabend
hatte über sich ergehen lassen müssen, wenn es doch offensichtlich gar keinen Gewinn aus dem Verkauf der Dose gab. Alexander sprach weiter. "Ich fühlte mich, als ob etwas in mir wäre, das wächst und mich erstickt, wissen Sie? Ich wollte den Geburtstag nicht verderben und hab es auch ganz fest versucht. Ich habe nichts gesagt und bin in den Garten gegangen. Aber dieses Ding in mir wuchs immer weiter und tat weh. Und dann sah ich Dads Setzlingskasten mit den Geranien Stecklingen, und daneben lehnte eine Harke. Die hab ich genommen und das Glas in tausend Stücke zerschlagen. Die Scherben fielen auf die Stecklinge und haben fast alle zerstört. Und er hatte sich so lange damit rumgeplagt." Seine Augen bekamen bei der Erinnerung an seine Tat einen finsteren Ausdruck. "Und was geschah dann?" fragte Petra vorsichtig. "Mein Vater kam raus und brüllte mich an, und ich hab zurückgebrüllt. Dann erschien Grandma und schimpfte mit uns beiden. Sie sagte, es wäre wie in einem Ring mit zwei Kampfhunden und sie würde sich schämen, einen solchen Sohn und einen solchen Enkel zu haben. Dann wurde mir schlecht. Ganz doll. Der Geburtstag war gelaufen. Ich ging ins Bett, und Grandma fuhr ganz allein nach Hause." Er kämpfte mit den Tränen. "O je", sagte Petra erneut. "Alexander!" Die Stimme war tief, männlich und klang ausgesprochen ärgerlich. Sie waren beide so mit Alexanders Geschichte beschäftigt gewesen, dass sie Kent nicht hatten am Fenster vorbeigehen sehen. Alexander rutschte von seinem Stuhl, den Blick trotzig zu Boden gerichtet. Auch Petra stand auf, schwieg aber. "Ich habe dir schon unzählige Male gepredigt, dass du von der Schule aus sofort zu mir kommen sollst", sagte Kent böse. "Geh jetzt bitte sofort nach nebenan und wart auf mich." Alexander warf Petra noch einen bittenden, verzweifelten Blick zu und ging dann langsam an seinem Vater vorbei aus dem Laden. Als er fort war, wandte sich Kent an Petra. "Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie davon absehen würden, den Jungen jeden Tag hier hereinzulocken." "Das habe ich nicht getan", erwiderte Petra kühl. "Als Alexander von sich aus hereinkam, bediente ich gerade eine Kundin, Irgend etwas beschäftigte ihn offensichtlich, und ich wollte ihn nicht wegschicken, ohne ihn angehört zu haben." "Das bedeutet doch ganz einfach, dass sie ihn nicht gehen lassen wollten, ohne sich wieder in Angelegenheiten zu mischen, die Sie nichts angehen. " "Wenn ein Kind unglücklich ist, geht das jeden an, der es merkt und bereit ist zu helfen", antwortete Petra. "Ich kann mich sehr gut allein um Glück und Unglück meines Kindes kümmern." "Ja. Das habe ich gehört", erwiderte Petra scharf. "Sie haben sein Geschenk für die Großmutter übernommen, Sie haben ihn angeschrien, als ihm das nicht gefiel, und ihn ins Bett geschickt, wo ihm schlecht wurde. Ihr kleiner Ausflug in die Kinderpsychologie ist wirklich von Erfolg gekrönt!" Kent Barons Gesicht verfärbte sich, und einen Moment lang dachte Petra, er wolle sie schlagen. Aber er griff nur mit Worten an. "Kümmern Sie sich um Ihre eigenen verdammten Angelegenheiten!" knurrte er. "Und sehen Sie zu, dass Sie Ihre Kleider auf dem Leib behalten!" "Ein wahrer Gentleman würde sich zu einer derartigen Bemerkung nie hinreißen lassen", erwiderte sie zornig. "Das zeigt wieder einmal, wieviel Sie über Gentlemen wissen", entgegnete er angriffslustig. "Ihr Stammbaum interessiert mich nicht, aber lassen Sie Ihre schlechte Laune nicht an Alexander aus", drohte sie.
Er blickte sie mit seinen graugrünen Augen eiskalt an. "Für was halten Sie mich eigentlich? Für einen, der Kinder schlägt?" "Ich halte Sie für jemanden, der sein Kind nicht richtig versteht." "Und Sie mit Ihrer grenzenlosen Weisheit können es gar nicht abwarten mir die Psyche meines Kindes zu erklären. Ich denke doch, dass Alexander und ich auch ohne dieses zweifelhafte Vergnügen miteinander auskommen werden." Mit einem letzten abfälligen Blick auf ihren Rock, der heute aber nicht in Gefahr war, zu verrutschen, verließ er das Geschäft und schloss die Tür hinter sich. Vor Ladenschluss hatte Petra noch zwei Kunden, war aber kaum bei der Sache. Im Geiste beschäftigte sie sich immer noch mit dem unglücklichen kleinen Jungen und dem wütenden, verständnislosen Mann von nebenan. Helfen konnte sie nicht. Nicht jetzt, da Alexander noch da war. Und überhaupt kann ich nichts tun gegen einen so selbstherrlichen Mann wie Kent Baron, überlegte sie traurig. Am nächsten Tag fand eine Haushaltsauflösung in einem weitläufigen alten Besitz außerhalb von Cheltenham statt. Petra hatte Manda gebeten, sie am Vormittag in "Collections" zu vertreten, und hoffte, ihre Bestände vergrößern zu können. Durch einen Bekannten, der mit dem Verkauf zu tun hatte, hatte sie erfahren, dass die verstorbene alte Dame das letzte Mitglied einer Familie gewesen war, die über Jahrzehnte nichts weggeworfen hatte. Nicht erfahren hatte sie allerdings, dass in dem Haus auch hochwertige Möbel waren, an denen Kent Baron interessiert sein könnte. Petra war zeitig gekommen, um sich die Nummern der Sachen aufzuschreiben, für die sie bieten wollte. Kurz vor Beginn der Auktion untersuchte sie den Inhalt einer alten Waschschüssel, in der verschiedene kleine Artikel lagen. Da waren kleine Vasen in mehr oder weniger gutem Zustand, von denen einige Interesse verdienten, ein oder zwei recht hübsche Metallstücke und mehrere dekorative Hutnadeln, die ihr Interesse weckten. Petra kreuzte die entsprechenden Nummern auf ihrer Liste an, und als sie aufschaute, blickte sie genau in die Augen von Kent Baron, der gerade aufstand, nachdem er ein Vertiko genau inspiziert hatte. Zu ihrer Überraschung kam er auf sie zu und schien den hitzigen Wortwechsel vom Vortage vergeben und vergessen zu wollen. "Guten Morgen", sagte er ganz freundlich. "Guten Morgen." Petra suchte nach Worten. "Interessieren Sie sich dafür?" Sie deutete auf das Vertiko. "Kann sein, wenn es nicht zu viele andere Interessenten gibt. Und dies nehme ich an, liegt auf Ihrer Linie?" Er wühlte in der Schüssel herum. "Unter den gleichen Vorbehalten, wie Sie sie haben." Sie blickte zum Haus. "Ich glaube, es geht los." "Das wird noch ein bisschen dauern, Petra." Er hielt sie zurück, als sie auf das Haus zugehen wollte. "Ja?" Sie blickte zu ihm auf. "Ich war gestern nicht unbedingt in Höchstform und denke, ich muss Sie um Entschuldigung bitten. Alexander hat mir alles genau erzählt." "Genauso wie ich", sagte sie abwehrend. "Ich weiß. Das Dumme ist nur, wenn Alexander zu spät kommt, einfach nur weil kleine Jungen eben gern trödeln, dann denke ich immer gleich an das Schlimmste." "Aber Sie wussten doch, dass er in meinem Laden war, und dort kann ihm doch bestimmt nichts passieren." "Gefahr lauert oft da, wo man sie nicht erwartet", lautete seine eigenartige Antwort. Er sah sie mit einem Blick an, der seltsam abwesend wirkte, schien dann aber plötzlich wieder
hellwach zu sein. "Jedenfalls war es ausgesprochen unhöflich von mir, auf einen Vorfall anzuspielen, den Sie lieber vergessen würden." "Ich glaube, wir werden diesen Zwischenfall aus unserem Gedächtnis streichen", sagte Petra entschieden. "Natürlich hätten Sie aber im Badeanzug dagestanden, würden Sie sicher ganz anders reagiert haben." "Ich sagte -, vergessen wir es", wiederholte sie nachdrücklich. "Jedenfalls haben Sie keinen Grund, Ihr Licht oder etwas anderes unter den Scheffel zu stellen." Nun wusste sie, dass er sich nur über sie lustig machte. "Hören Sie, Kent", sagte sie ungeduldig, " entweder entschuldigen Sie sich für etwas, das ein wirklich netter Mensch sowieso nie wieder erwähnt hätte, oder Sie machen sich über mich lustig. Ich weiß schon, was ich davon zu halten habe, mich können Sie nicht täuschen." "Nur der wirklich Mutige würde so etwas versuchen." "Was mich betrifft", sagte Petra kühl, "so habe ich gestern eine wichtige Tatsache entdeckt, die Sie bisher nicht erwähnt haben. Sie sind nämlich fähig, Ihren eigenen Sohn zu verletzen, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, warum er verletzt ist. Sie sollten sich mehr auf ihn konzentrieren und nicht darauf, bei mir Punkte zu machen." Das hatte gesessen. Er war ernst geworden. "Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, geäußert zu haben, dass Alexander meine Sache ist." "Schon gut. Ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Ich weiß, wann ich zu Tauben predige, und die Auktion beginnt gleich." Petra ging in die Eingangshalle des Hauses und fragte sich, warum kein Treffen mit Kent Baron friedlich endete. Dann verstummte die Menge und die Auktion begann. Bei einer Versteigerung musste man sich konzentrieren, und während des Verkaufs gelang es Petra, nicht an Kent zu denken. Sie erstand einen hübschen Ofenschirm zu einem interessanten Preis sowie einige Stücke Derby-Keramik. Bei dem Zeitschriftenständer, den sie gern gehabt hätte würde sie überboten, konnte aber einen Pflegestuhl für sehr viel weniger ergattern, als sie gedacht hatte. Sie bemerkte, dass Kent das Vertief einen Satz HepplewhiteStühle und einen Schreibtisch ersteigerte. Die Waschschüssel samt Inhalt wurde erst gegen Ende der Auktion angeboten. Eine andere Bieterin schien daran auch sehr interessiert zu sein, und als weiter geboten wurde, mischte sich eine dritte Person ein. Petra blickte in die Richtung, aus der das letzte Gebot erfolgt war, und sah dass es von Kent gekommen war. Ihr nächstes Gebot machte sie mit Nachdruck und erntete ein heftiges Stirnrunzeln von Kent. Der Kampf zu dritt dauerte an. Von Sekunde zu Sekunde wurde Petra zorniger. Welches Spiel betrieb dieser Mann? In der Schüssel war doch nichts, was ihn hätte interessieren können. Bestimmt machte er das nur, um sie zu ärgern, weil sie ihn wegen Alexander angegriffen hatte. Die andere Frau blieb ebenfalls am Ball, und Petra musste sich immer wieder an ihr persönliches Limit erinnern. Sie wollte auf keinen Fall mehr ausgeben, als sie es sich leisten konnte, nur um Kent Baron zu überbieten. Also gab sie als erste auf, enttäuscht, aber ohne sich übernommen zu haben. Schliesslich winkte die andere Bieterin auf einen Blick des Auktionators hin ab, und Posten Nummer einhundertzweiundfünfzig ging an Kent Baron. Petra wäre am liebsten gleich weggerannt, aber sie musste ja noch ihre Einkäufe abholen und bezahlen, also blieb sie bis zum Ende der Auktion. Als sie schließlich mit dem letzten Gegenstand in der Hand zum Lieferwagen ging, hielt Kent sie auf. Er trug die Waschschüssel samt Inhalt. Petra griff ihn sofort an. "Kein Grund zur Schadenfreude. Gehen Sie nur nach Hause, und genießen Sie Ihren kleinen Triumph."
"Und was für ein Triumph soll das sein?" fragte er. "Offensichtlich haben Sie diesen kleinen Posten nur ersteigert, um mir eins auszuwischen. Wenn das nicht kleinlich ist, dann weiß ich nicht." "Wenn es so wäre, würde ich Ihnen ja gern recht geben. Aber die Sachlage ist ganz anders. Ist denn keins meiner Signale bei Ihnen angekommen?" "Ich habe jedes an mich gerichtete Stirnrunzeln und jeden bösen Blick aufgefangen, aber daran bin ich ja gewöhnt. Jedenfalls habe ich nicht Ihretwegen aufgehört. Ich hatte meine Grenzen erreicht." "Manchmal sind Sie unglaublich dämlich", sagte Kent niederschmetternd. "Ich wollte Ihnen doch nur zu verstehen geben, dass Sie mit dem Bieten aufhören und es mir überlassen sollten. Ich wusste, dass Maggie Taverner sehr viel weiter gehen würde, als es Ihnen möglich ist, wollte aber nicht, dass wir diesen kleinen Posten verlieren." "Wir?" fragte Petra ironisch. "Mir scheint, dass nur einer von uns mit den Sachen wegfährt. Aber es ist ja keine Frage von Leben und Tod, Fahren Sie nach Hause, und freuen Sie sich an Ihrer Beute. Ich mache Ihnen nicht die Freude, darum zu trauern." Sie wollte zu ihrem Wagen gehen aber mit seiner freien Hand hielt er sie zurück, "Hören Sie, Sie hitzköpfige kleine Idiotin, ich will nichts anderes mit nach Hause nehmen als dies." Er ließ ihren Arm los und holte ein bearbeitetes Metallstück aus der Schüssel, die er dann abstellte. "Der Rest gehört Ihnen, mit den besten Wünschen." Er hatte Petra allen Wind aus den Segeln genommen, und sie blickte misstrauisch von dem Metallstück zu ihm. "Wozu brauchen Sie das? Oder ist das etwa wieder so ein Trick? "Dieses Metallstuck ist ein Schlüssellochbeschlag für das Vertiko. Ich konnte das Möbel günstig ersteigern, weil der Beschlag daran fehlte. Ich habe ihn erst gefunden, als Sie schon bei der Auktion waren. Da ich nicht zu Ihnen durchkam, musste ich sicherstellen, dass Maggie Taverner die Schlüssel nicht bekam." Petra biss sich auf die Lippe, zuckte mit den Schultern und atmete tief durch. "Jetzt schulde ich Ihnen wohl eine Entschuldigung. Und noch mehr, denn das bezahle ich natürlich," Sie tippte mit dem Fuß gegen die Schüssel. "Das ist nicht notwendig. Ich werde durch die Wertsteigerung des Vertikos schon auf meine Kosten kommen." Sie war plötzlich zu müde, sich mit ihm weiter auseinanderzusetzen, "Ich will jetzt nicht streiten. Wir werden das später regeln. Inzwischen vielen Dank." Er blickte sie nachdenklich an. "Runzel ich wirklich so oft die Stirn?" Petra rang sich ein kleines Lächeln ab, "Ziemlich oft. Meistens blicken Sie so, als wollten Sie es mit der ganzen Welt aufnehmen, Doch manchmal wird eben diese Welt durch eine Person repräsentiert, nämlich durch mich." "Das klingt ja wenig angenehm." "Ich werd's schon aushalten." Immer noch ruhte der Blick seiner graugrünen Augen auf ihr. "Kommen Sie doch mit mir zum Lunch in einen Pub". sagte er überraschend "Als Friedensangebot." Petra schaute auf die Uhr. "Ich muss ins Geschäft zurück. Manda hilft heute vormittag aus." "Es ist jetzt zwölf Uhr, um eins sind Sie zurück." "Und ich habe den ganzen Kram im Wagen. Es lohnt sich nicht, zwei Autos zu benutzen." Er schaute ihr tief in die Augen. "Ich denke schon", sagte er ruhig und fügte hinzu, "ich möchte mit Ihnen über Alexander sprechen." Skeptisch zog Petra die Augenbrauen hoch. "Erst vor kurzem haben Sie mir gesagt, dass er nur Sie allein etwas angeht und niemanden sonst."
Man kann seine Meinung ändern. Es ist auch noch nicht so lange her, dass Sie Joe sagten, alle Männer wären verdammte Mistkerle. Ich glaube nicht, dass Sie davon hundertprozentig überzeugt sind." Petra verzog verächtlich das Gesicht. "Das war im Augenblick des Zorns. Wie, um Himmels willen, haben Sie es denn gehört?" "Ich habe ihre verstreute Kleidung aufgesammelt." Er grinste. "Armer Joe. Er hatte es wirklich nicht verdient." Er bückte sich und hob die Waschschüssel auf. "Tun wir dies in Ihren Lieferwagen, und fahren wir los," "Ich habe kaum noch Benzin." Es war ihr letzter Versuch, der Einladung zu entgehen. "Sie werden Ihren Wagen nur brauchen, um zum Laden zurückzufahren. Lassen Sie ihn hier, es wird niemanden stören." Petra gab es auf und überlegte sich, dass sie vielleicht Alexander damit etwas Gutes tun könnte. Sie fuhren ungefähr zwei Kilometer weit zu einem Dorfgasthaus aus hellem Sandstein. Selbst um diese Jahreszeit blühten Winterstiefmütterchen in den Hängekörben an der Fassade. Die Saison war vorüber, und es gab nur noch wenige Gäste. Petra und Kent wählten einen Tisch in der Nähe des Kamins, bevor sie an der Bar Drinks bestellten und dann die Speisekarte studierten. Letzteres war jedoch nur eine Formalität, denn nachdem er sich versichert hatte, dass Petra nicht allergisch gegen Schalentiere war, meinte Kent, dass nur sie in Frage kommen würden. Dazu sollte es hausgebackenes Baguette geben. Er ging zurück zur Bar und gab die Bestellung auf. Petra nippte an ihrem Wodka mit Tonic und beobachtete Kent. Er war schon eigenartig, knallhart, aber dann wieder ganz feinfühlig. Er kümmerte sich um seinen Sohn wie eine liebende Mutter, reagierte dann aber plötzlich mit der niederschmetternden Härte einer Dampfwalze. Jetzt, da sie ihn gezwungenermassen besser kennenlernte, bemerkte sie, dass er trotz seiner Unnahbarkeit Humor besaß. Wie war er nur so geworden? Sie hätte schwören können, dass es nichts mit seiner Erziehung zu tun hatte. Bestimmt war Mrs. Baron eine ausgezeichnete Mutter gewesen und war es immer noch. Obwohl Kent es bestritt, liebte er sie, wie das Fiasko an ihrem Geburtstag gezeigt hatte. Wenn er sich nichts aus ihr machen würde, hätte er sie doch gewiss nicht zu sich zum Essen gebeten Alles war so verwirrend, und Petra war sich nicht sicher, ob sie wegen Alexander das Richtige sagen würde. Doch Kent wollte mit ihr reden Sie brauchte nur zuzuhören und dann ihre ehrliche Meinung zu sagen. Er kam mit dem Essen an den Tisch zurück, und dann ließen sie sich den Fisch und die Schalentiere, die von einem Blätterteigmantel umhüllt waren, schmecken. Aber Kent hatte den Grund ihres Zusammenseins nicht vergessen. Schließlich legte er entschlossen seine Gabel nieder und sah Petra an. "Nach Alexanders Aussehen gestern zu urteilen, hatte er Ihnen wohl schon die ganze traurige Geschichte des Geburtstages meiner Mutter erzählt?" "Ja, das hat er", sagte sie vorsichtig. "Einen solchen Tag würde ich nicht gern noch einmal erleben." Er sah sie wachsam an und zog dabei die Brauen zusammen. "Was genau hat er erzählt?" Petra spießte eine letzte Garnele auf, aß sie und legte dann die Gabel nieder. "Er hat mir das, was geschehen ist, aus seiner Sicht berichtet. Wenn Sie mir nun die Geschichte von Ihrer Warte aus erzählen, dann wird sich die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen befinden." "Aber näher bei Alexanders Version als bei meiner, oder?" Petra sah ihn überrascht an. Legte dieser Mann wirklich Wert auf ihr Urteil? "Das habe ich nicht gesagt."
"Das brauchen Sie auch nicht. Ihre Reaktion, als ich Alexander aus dem Laden holte, liess keinen Zweifel daran. Aber ich will Ihnen trotzdem meine Version erzählen." Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und zog wieder die Brauen zusammen. Petra streckte die Hand aus und ließ einen Finger leicht darüber gleiten. "Sie machen es schon wieder", sagte sie mutig. Sein grimmiger Ausdruck wich einem überraschend warmen Lächeln, und Kent begann zu sprechen. "Ich hatte mich mit dem Abholen meiner Mutter etwas verspätet, deshalb haben wir sofort gegessen, als wir bei mir ankamen. Zu dieser Zeit war noch alles in Ordnung. Alexander war aufgeregt, aber das war ganz normal. Was es zu essen gab, schmeckte ihm und auch meiner Mutter, Dann haben wir mit Champagner auf die Gesundheit seiner Großmutter angestoßen. Alexander bekam ebenfalls ein kleines Glas mit Mineralwasser verdünnt und fühlte sich sehr erwachsen. Dann wurde es Zeit, die Geschenke zu übergeben, und Alexander gab seins als erster." "Und es hat ihr gefallen?" "Ja, sehr. ,Diorissima' war schon immer ihr Lieblingsparfüm. Alexander hatte sich besondere Mühe mit der Verpackung gegeben und stundenlang goldene Sterne auf rotes Papier geklebt. Dann hat er ihr noch eine selbstgemachte Glückwunschkarte geschenkt, von der sie ganz hingerissen war. Bis dahin war alles in Ordnung," Und was passierte dann?" "Ich gab ihr mein Geschenk - so eine italienische Stricksache, die sie sich gewünscht hatte. So weit, so gut. Auch das hat ihr gefallen." "Und dann?" Und jetzt kommen wir zu dem Punkt, wo es nicht mehr nach Plan lief." "Die Dose." „Ja, die. Ich hatte es mir noch einmal überlegt." "Überlegt? Sie?" entfuhr es Petra. Kents Blick war ernst. "Ich fand, dass sich Alexander in der Sache mit der Dose ausgesprochen gut verhalten hatte. Er musste akzeptieren, auf seinen wunderbaren Fund verzichten und sich ein neues Geschenk suchen zu müssen. Nicht leicht für einen Siebenjährigen. Ich war stolz auf ihn. Nachdem ich darüber lange nachgedacht hatte, entschied ich, dass meine Mutter die Dose doch bekommen und erfahren solle, wie Alexander sich verhalten hatte. Ich konnte mir ein solches Extrageschenk leisten, und Alexander sollte seinen Triumph auskosten." "Aber warum haben Sie denn Alexander nicht erzählt, was Sie vorhatten?" fragte Petra. "Weil ich bis zum Nachmittag des Geburtstages nicht sicher war, ob ich die Dose zurückbekommen würde. Auch jemand anders war daran interessiert, und der Mann, dem ich sie verkauft hatte, versuchte natürlich, das bestmögliche Geschäft zu machen. Schließlich habe ich gesiegt und die Dose auf dem Weg zu meiner Mutter abgeholt. Es wird Sie zweifelsohne amüsieren zu erfahren, dass ich das Doppelte meines Verkaufspreises bezahlen musste." Petra verkniff sich einen Kommentar, aber ihre Meinung über Kent geriet ins Schwanken. Ein Mann, der dies alles auf sich nahm, konnte nicht so gefühlskalt sein, wie sie bis jetzt geglaubt hatte. "Also holten Sie die Dose heraus", begann sie. "Genau, und wollte gerade die Geschichte der Dose erzählen und Alexanders tragende Rolle dabei erwähnen, als meine Mutter in Begeisterung ausbrach - wie er es vorhergesehen hatte. Da rannte Alexander aus dem Haus, und kurz danach war dieser ohrenbetäubende Lärm aus dem Garten zu hören. Der kleine Schlingel hatte meinen Setzlingskasten und den größten Teil der Geranienstecklinge zerstört und schien auch noch stolz darauf zu sein. Das hat mich dann etwas von der Dose abgelenkt. Meiner Mutter hat die sich anschließende Auseinandersetzung nicht gefallen, und auch sie gab das Ihrige dazu, bevor sie - nachdem Alexander im Bett war - wütend nach Hause ging. Er warf Petra einen kurzen Blick zu. "Gut, ich bin wütend geworden, aber ich bin schließlich kein Heiliger."
"Das habe ich bemerkt", murmelte sie. "Aber, warum in aller Welt haben Sie Alexander nicht gesagt, dass Sie ihm sein Geschenk nicht wegnehmen wollten, sondern im Gegenteil Himmel und Erde bewegt haben um seiner Großmutter zu geben, was er ihr zugedacht hatte?" "Weil ihm zu der Zeit schlecht war und es schwierig ist, einem kotzenden Kind - Sie verzeihen hoffentlich den Ausdruck - die Gründe zu er klären." "Und am nächsten Morgen?" "Ich wollte das Risiko nicht eingehen, ihn vor der Schule aufzuregen. Sie müssen mir schon etwas gesunden Menschenverstand zubilligen. Gestern Abend habe ich es Alexander erklärt, und alles ist wieder in Ordnung. " "Dann ist es ja gut", sagte Petra wenig überzeugend. "Reicht Ihnen diese Erklärung?" Sie errötete unter seinem Blick. "Spielt es eine Rolle, was ich denke? Wichtig ist doch nur Alexander." "Aber Sie haben sich doch Sorgen seinetwegen gemacht. Wenigstens schien Ihre Meinung über mein Vorgehen dies auszudrücken." "Ja. Ich mag Alexander, sogar sehr." Petra spielte nervös mit ihrer Gabel und legte sie dann wieder hin. "Aber es kommt mir doch etwas eigenartig vor, dass Sie plötzlich daran interessiert sind, was ich denke," "Vielleicht mag ich es nicht, wenn jemand einen völlig falschen Eindruck von meinen Beweggründen hat," Sie lachte kurz. "Es hat Sie überhaupt nicht gekümmert, wie ich über Ihre Motive dachte, als Sie mich von dem Laden wegzubekommen versuchten." Kent blickte ihr in die Augen. "Da ging's ums Geschäft, hier jedoch nicht. Außerdem ..." "Außerdem was?" fragte Petra, als er plötzlich verstummte. "Ich kenne Sie jetzt etwas besser." "Und was heißt das?" "Das heißt, dass Ihre Meinung .. .", vorsichtig wählte er seine Worte " ... dass Ihre Meinung mehr Gewicht hat als die eines Fremden." "Selbst wenn ich Sie an jemanden erinnere, den Sie nicht schätzen?" Er sah sie immer noch an. "Trotzdem." Dann gewann doch die Neugier die Oberhand bei Petra. "Wer ist es denn, die Person, an die ich Sie erinnere?" Mit einer brüsken Bewegung schob er seinen Stuhl zurück, und seine graugrünen Augen wirkten plötzlich leblos. "Nein, Petra", sagte er sanft, aber entschieden, "Ich habe Sie aus einen bestimmten Grund hierher eingeladen, nicht aber, um in meiner Vergangenheit zu stöbern. Sie haben erfahren, was Sie wissen wollten." Wie er das sagte, traf sie tief, aber sie spielte die Gleichgültige. "Tut mir leid, dass ich Sie darauf angesprochen habe." "Es wird Zeit, dass ich Sie zurückbringe. Es ist gleich zehn vor eins." Sie standen auf und verließen den Pub, Vorbei war es mit der Harmonie, und wieder herrschte zwischen ihnen gespannte Stille. Bei "Collections" angekommen, seufzte Petra tief. So würde es wohl immer sein: eine kleine Annäherung gefolgt von einer Entfremdung, die sie weiter denn je auseinander trieb. Welch ein Wechselbad der Gefühle! Sie verabschiedete Manda und versank wieder in Gedanken. Warum sollte sie sich Sorgen machen? Sie würde Kent Barons Weg nur für kurze Zeit kreuzen. Ende Januar würde sie fort sein, würde sie aufbrechen zu neuen Ufern. Danach würde in der Granville Row wieder die gewohnte Ruhe einziehen, die niemand mit unerwünschten Fragen störte. Trotz alle dem fühlte sie den ganzen Tag über eine Art Zufriedenheit. Es war Kent Baron nicht gleichgültig, was sie über ihn dachte. Sie wusste nicht, warum, aber es machte ihr
Freude. Er war nicht so stur, wie sie gedacht hatte. Heute hatte Kent etwas von sich selbst preisgegeben. Er hatte es zwar sehr schnell wieder zurückzunehmen versucht, es aber nicht ganz geschafft. Nie würde Petra den kurzen Augenblick vergessen, in dem Kent Baron sich für ihre Meinung interessiert hatte.
6. KAPITEL Gerade als Petra am nächsten Morgen bei "Collections" eintraf, öffnete Kent die Tür zu Granville-Antiquitäten. Sie rief ihm einen fröhlichen Gruß zu und erhielt kaum einen Blick und nur ein unterkühltes "Guten Morgen" als Antwort, bevor er in seinem Geschäft verschwand. Verblüfft blickte Petra auf die Stelle, wo er eben noch gestanden hatte. Langsam sollte sie sich ja an seine Art gewöhnt haben, aber gestern hatte sie das Gefühl gehabt, sie hätten das harte unebene Terrain hinter sich gelassen und bewegten sich auf glatterem Untergrund. Nun ja, damit musste sie leben. Sie war ihm wohl nur nützlich, wenn er sie für etwas brauchte, ansonsten aber eines netten Gesprächs nicht wert. "Na, dann lass es, alter Miesepeter!", murmelte sie in sich hinein. Warum sich aufregen? Jedenfalls war es genug, um sie in der ersten Hälfte des Vormittags in ziemlich ungnädige Stimmung zu versetzen. Sie verkaufte ein, zwei kleinere Artikel, verlor aber ein größeres Geschäft, weil sie sich im Geist mit ihrem launischen Nachbarn beschäftigte. Petra ging mit sich selbst ins Gericht und wurde kurz vor der Mittagspause durch den Verkauf des erst gestern erstandenen Ofenschirmes belohnt. Danach wärmte sie sich in der kleinen Küche eine selbstgekochte Suppe auf, die sie zu ihren Schinkenbrötchen essen wollte. Da klopfte es plötzlich an der Hintertür. Petra öffnete und sah sich Kent gegenüber. Er blickte in Richtung Suppentopf, der auf dem Herd stand, "Ich hatte gehofft, dass Sie mit mir zum Essen kommen würden", sagte Kent. "Ich fürchte, Sie kommen zu spät," Petras Reaktion entsprach seiner kühlen Begrüßung vom Morgen. "Wie Sie sehen, werde ich hier essen." Und auch wenn es nicht so wäre - er sollte nur nicht glauben, mit ihr in der gewohnten Weise umspringen zu können. Anstatt sich zu verabschieden, ging er durch die Küche und lehnte sich an die Tür zum Laden. Die Suppe begann überzukochen. Petra versuchte, es noch zu verhindern, schaffte es aber nicht ganz. Und als sie begann, den Herd zu reinigen, sah sie Kent zum erstenmal richtig an. Sie bemerkte, dass er unter Stress zu stehen schien. Sein Teint hatte trotz der Bräune einen fahlen Ton. "Geht es Ihnen gut? fragte sie. "Ja sehr gut." Eine offensichtliche Lüge. "So sehen Sie aber nicht aus." "Ich wollte nur nicht allein essen." Petra versuchte zu raten. "Es ist doch nicht wieder Alexander, oder?" Offenbar war es ihm peinlich, als verletzlich in bezug auf seinen Sohn zu gelten. "Lassen wir's." Er ging auf die Hintertür zu. "Essen Sie nur, ich halte Sie auf." Petra versperrte ihm den Weg. "Warum essen Sie nicht mit mir?" fragte sie und zog einen Stuhl an den Tisch. "Es ist genug da." "Aber nein. Sie waren doch darauf nicht vorbereitet. Außerdem habe ich sowieso keinen Hunger." "Nun machen Sie sich nicht lächerlich. Sie haben mich doch gerade zum Essen eingeladen, also hätten Sie auch gegessen." "Nur so zum Schein. Machen Sie schon, ich schaue zu." "Nein, Ich kann nicht essen, wenn man mir zusieht, und ich habe wirklich Hunger." Er gab auf und setzte sich an den Tisch. "Aber nur wenig, bitte." Petra holte eine kleine Porzellanschüssel aus dem Laden, "Wie gut, dass Sie keine Hutmacherin sind, denn ich wage mir kaum vorzustellen, aus was wir dann essen müssten", bemerkte er in einem Anflug von Humor. "Und was hat Alexander jetzt angestellt?" fragte Petra. "Denn es geht doch um ihn, stimmt's?"
Kent legte den Löffel aus der Hand. "Es ist nicht, was Sie denken. Er muss morgen ins Krankenhaus, um sich die Mandeln herausnehmen zu lassen." Er versuchte, gleichgültig zu klingen, konnte Petra aber nicht täuschen. "Heute früh wurde angerufen, dass er die Nummer eins auf der Warteliste ist." Petra studierte sein Gesicht und versuchte, ihre Antwort genau abzuwägen, "Nun, vielleicht freut man sich nicht gerade darauf, aber offensichtlich ist es notwendig. Heutzutage macht man diese Operation nicht grundlos, oder?" "Ja. Es ist wirklich notwendig. Er hat so viele Ohren- und Halsinfektionen gehabt." "Dann wird es ihm nach der Operation sehr viel bessergehen", sagte sie aufmunternd. "Ja, So sagt man." Petra blickte Kent genau an und legte ihm eine Hand auf den Arm. Bei solchen Gelegenheiten sind Eltern immer etwas nervös. Ich bin sicher, es wird gutgehen." Seine Augen waren völlig ausdruckslos. "Sind Sie das? Ich wünschte ich hätte etwas von Ihrem Vertrauen." Sie wandte den Blick nicht ab. "Da ist doch noch mehr, nicht wahr? Ich kann nicht verstehen, dass jemand wie Sie wegen einer kleinen Operation aus dem Gleichgewicht gerät." "Für uns gibt es keine kleinen Operationen." Endlich kam er damit heraus, was ihn quälte. ..Vor etwas mehr als zwei Jahren starb Alexanders Mutter unter Narkose. Man sagte mir, es wäre eine unerwartete allergische Reaktion auf eines der angewendeten Mittel gewesen." Petra blieb ruhig. "Ich verstehe", sagte sie leise. "Und nun fragen Sie sich, ob es möglich ist, dass auch Alexander ein solches Problem hat." Ihre Blicke trafen sich. "Ich kann allein mit meinen Gedanken und Ängsten fertig werden. Aber Alexander weiß, was seiner Mutter geschehen ist. Mich macht einfach seine Angst fertig." " Wie hat er es herausgefunden?" "Danke, dass Sie nicht gesagt haben ,es wäre vernünftiger gewesen, es ihm nicht zu erzählen." "Aber Sie waren es doch nicht!" sagte Petra mit Nachdruck. "Nein, er hat es gehört. Ein Polizist kam zu uns nach Hause, um mir die Nachricht von Kates Tod zu überbringen. Es war am frühen Abend, und zu dieser Zeit schlief Alexander sehr schlecht. Ich hatte den Beamten ins Wohnzimmer gebeten. Erst am Ende seines Berichts bemerkte ich, dass Alexander auf der Türschwelle stand und alles mitgehört hatte. Er war kalkweiß und zitterte. Heute morgen, als man vom Krankenhaus anrief, sah er genauso aus. Er sagte nichts, und ich wage auch nicht, etwas zu sagen, um nicht alles noch schlimmer zu machen." "Vielleicht ist reden gar nicht so wichtig", meinte Petra langsam. "Es wäre bestimmt besser für ihn, durch Erfahrung herauszufinden, dass der Unfall seiner Mutter ungewöhnlich war. Hat er die Operation erst einmal überstanden, wird auch das Trauma überwunden sein." "So sehe ich das auch. Aber die bevorstehende Nacht liegt mir auf der Seele." Um die Spannung zu lösen, stand Petra auf. "Ich denke, die Suppe können wir vergessen. Sie ist sowieso kalt geworden. Aber essen Sie wenigstens ein Schinkenbrötchen," Sie schenkte ihm Tee ein. "Zucker?" "Nein, danke." Er trank einen großen Schluck und nahm dann ein Schinkenbrötchen. "Sie beide", sagte Petra "brauchen jetzt viel Aufmunterung, und ich glaube, dass Mrs. Baron dafür die Richtige wäre." "Die Beste. Aber leider liegt sie mit Grippe im Bett." "Sie hat den Zeitpunkt schlecht gewählt." "Er könnte schlechter nicht sein." Eine Weile schwiegen beide, dann sah Kent Petra direkt in die Augen.
Am besten sage ich es geradeheraus. Alexander scheint viel Vertrauen zu Ihnen zu haben, und so habe ich gedacht, ob Sie nicht vielleicht heute zum Essen kommen und den Abend mit uns verbringen könnten." Petra antwortete sofort: "Natürlich. Ich komme gern." In seiner Erleichterung wirkte er fast jungenhaft. "Wirklich? Ich wäre Ihnen auf ewig dankbar." Offensichtlich erschien ihm aber seine Reaktion zu übertrieben, und deshalb versuchte er sogleich, sich zurückzunehmen, "Bestimmt wären auch andere Bekannte bereit, aber ich will die Sache von Alexanders Standpunkt aus betrachten." Natürlich", sagte Petra ernst. "Es würde mir auch nicht im Traum einfallen, dass noch jemand anders bei Ihnen Trost braucht." Er lachte. "Sie wissen verdammt gut, dass sich nicht nur Alexander über Ihren Besuch freuen wird." Petra fühlte plötzlich ein Glücksgefühl in sich aufsteigen und hoffte nur, dass man ihr es nicht ansah. "Was wir tun müssen", sagte sie einem Impuls folgend, "Ist, diesen Abend so außergewöhnlich zu gestalten, dass Alexander gar nicht dazu kommt, an morgen zu denken." Sie runzelte nachdenklich die Stirn. "Mag er Feuerwerk?" "Er liebt es - aber dazu ist es jetzt ja wohl ein bisschen zu spät." "Das macht doch nichts. Wir werden die Feuerwerkskörper nehmen, die Joe. Manda und ich am fünften November nicht abfeuern konnten. Und was halten Sie von einem WinterBarbecue, anstatt uns über einen Tisch hinweg anzustarren. Würde das die Pläne Ihrer Haushälterin durcheinanderbringen? " "Das regle ich per Telefon. Ich bin mir nur nicht sicher, ob der Grill funktioniert. Er ist jahrelang nicht mehr benutzt worden." "Sie werden ihn schon hinkriegen." Petras Augen funkelten fröhlich, "Bin ich sehr herrschsüchtig?" "Ich denke, wir werden es ertragen können," Er lächelte, "Je mehr Ablenkung, desto besser." "Ich kann sehr ablenkend sein, wenn ich will", versprach Petra. "Das ist mir bereits aufgefallen," Sein Ton ließ sie erröten. Schnell stand sie auf. "Das war's dann also. Sagen Sie mir, wohin und wann ich kommen soll, und ich werde da sein." Er gab ihr genaue Anweisungen, wie sie sein Haus in Abbotswood finden würde, und Petra versprach, um sechs Uhr zu erscheinen. Kent und Alexander waren auf der Terrasse, als Petra bei dem aus hellem Sandstein errichteten Landhaus vorfuhr. Kent kam die flachen Stufen herunter, um sie zu begrüßen, und Alexander tanzte wie ein junger Hund um ihn herum. In der abgewetzten Kordhose, den grünen Stiefeln und in dem weiten Sweatshirt sah Kent ganz verändert aus. Sein Haar war etwas in Unordnung geraten, was ihm außerordentlich gut stand. "Was macht das Grillfeuer?" fragte Petra beim Aussteigen. "Wir haben es in Gang gebracht", sagte Alexander aufgeregt, "ich musste zwar ein bisschen pusten, aber jetzt ist alles Ordnung. Und Mrs. Dawson hat uns Fleischstücke in einer ganz merkwürdigen Sauce dagelassen." "Marinierte Hühnerteile", erklärte Kent und strich seinem Sohn über den Kopf. "Und Würstchen und Tomaten und Zwiebeln und Hamburger, und dann noch Kartoffeln im Ofen, aber wir rösten sie auf dem Grill. Ich mag die krossen Stücke", plapperte Alexander weiter. "Hast du die Feuerwerkskörper mitgebracht?" "Ja. Und noch etwas." Petra griff ins Auto und holte eine dicke getigerte Katze hervor, die ihren Kopf an Petras Kinn rieb und laut schnurrte. Der kleine Junge hob die Hand und strich über das weiche Fell. "Gehört sie dir?" "Fast. Sie gehört den Nachbarn von oben, aber wir teilen sie uns. Sie heißt Ockie, eigentlich Oktavia."
"Wurde sie aus einem bestimmten Grund so genannt?" fragte Kent. "Natürlich. Manda rettete sie, als sie noch klein war, aus dem Kanal, Also war von Anfang an eins ihrer neun Leben weg." Kent stöhnte. "O je! Oktavia kommt von dem lateinischen Wort für acht", erklärte er Alexander. "Das weiß ich", erwiderte der Junge altklug. "Wir haben Achtecke in der Schule durchgenommen.'' Petras Blick begegnete Kents, und sie lachten. "Und wie kommt nun Ockie in den Lieferwagen?" fragte Kent. "Sie muss sich vorhin dort versteckt haben, und ich habe es erst gemerkt, als ich schon auf halbem Weg war. Da hat sie mir plötzlich ins Ohr miaut und mir einen Heidenschreck eingejagt. Gibt es einen sicheren Platz für sie, bis ich nach Hause fahre? Ich muss auch kurz Manda anrufen, damit sie sich keine Sorgen macht." "Darf Ockie in mein Zimmer? Bitte, bitte, Daddy", bettelte Alexander. "Sie wird die Daunendecke auf meinem Bett lieben, ganz bestimmt." An diesem Abend würde Alexander kein Wunsch abgeschlagen werden. "In Ordnung. Aber was ist mit der Toilette?" fragte Kent. "Ein Karton mit sehr viel Zeitungspapier wäre gut", erwiderte Petra. "Ockie ist ausgezeichnet erzogen. Ihr einziger Fehler ist, dass sie zu oft Junge bekommt, genau wie jetzt." "Wirklich?" Erstaunt strich Alexander über den gerundeten Bauch des Tiers. "Dann bring sie lieber rein, Petra," Offensichtlich hatte Kent nichts mehr dagegen, dass sein Sohn Petra mit dem Vornamen anredete, und bestand nicht mehr auf "Miss Collins". Während Kent das Fleisch auf den Grill legte, folgte Petra Alexander ins Haus und über die holzgetäfelte Treppe in sein Zimmer. Dabei erhaschte sie durch eine halbgeöffnete Tür einen Blick auf bequem aussehenden Sessel, die mit Chintz bezogen waren, und einige ausgesuchte schöne Antiquitäten. Das Haus machte einen gemütlichen Eindruck. Da spiegelten sich in einer Kupferschale arrangierte Blumen auf dem polierten Esstisch, und sie sah Alexanders Schuhe, winzig neben denen seines Vaters auf dem gewachsten Parkett. Auch die vielen Bilder überall gefielen ihr. Auf diesem Gebiet schien Kent das Moderne zu lieben. Ockie drehte sich auf Katzenart einige Male um sich selbst, bevor sie sich zufrieden auf Alexanders Daunendecke niederließ. Sie kümmerten sich um die Toilette und ließen die Katze dann im Zimmer zurück. "Aber ich komme bald und schaue nach dir, Ockie", versprach Alexander, als er die Tür schloss. Ockie wird heute Abend sehr hilfreich sein, dachte Petra, als Alexander sie zum Telefon führte. "Willst du, dass ich komme und sie abhole?" fragte Manda, nachdem sie von dem Abenteuer der Katze erfahren hatte. "Nein, außer du bist in Sorge wegen ihres Zustands." Manda lachte spöttisch. "Dieses Tier würde, ohne mit der Wimper zu zucken, auf einem Nagelbrett entbinden." "Na, dann lass sie hier. Sie kann noch sehr nützlich sein." "Das wäre dann ja das erste Mal", erwiderte Manda trocken. Aber Petra wusste, dass sie genauso verrückt nach der Katze war wie alle Hausbewohner. "Mich kannst du nicht täuschen. Ich kümmere mich schon um sie", sagte sie, "Frag, ob sie ein Kätzchen wollen. Ich hab nämlich bald keine Abnehmer mehr für kleine Ockies", bat Manda und hing auf. Vom Grill her duftete es köstlich, und Kent sah auf, als Petra herauskam. Nun, da sie keine ablenkende Katze mehr auf dem Arm hatte, begutachtete er aufmerksam ihr Kleid. "Und woher ist dieser Sonntagsstaat?"
"Es ist ein afghanisches Hochzeitskleid. Roter Samt mit Goldstickerei. Ein absolutes Gottesgeschenk für kühle Novemberabende draußen." "Besonders, wenn man es über einem schwarzen Pullover und einer Skihose trägt." Er hatte eine wirklich gute Beobachtungsgabe, denn von keinem der beiden Kleidungsstücke war viel zu sehen. Petra stocherte in dem Grillfeuer herum. "Es scheint, dass Sie hier gut zurechtkommen. Wollen wir das hier deinem Vater überlassen und das Feuerwerk vorbereiten, Alexander?" "Wie meinst du das?" Der Junge war erstaunt. "Wir zünden es sonst immer auf der Terrassenmauer an." "Nicht heute nacht. Dies ist ein besonderes Feuerwerk. Wir müssen im Garten Plätze finden, von denen es am besten aussieht. Hast du schon mal einen Goldregen durch Blätter gesehen?" "Nein, noch nie." "Heute abend wirst du es. Wenn du willst, kannst du die Kiste aus dem Wagen holen." Nachdem Alexander weggerannt war, fragte sie Kent: "Ist im Garten irgend etwas, das Ihnen besonders am Herzen liegt?" Er schaute sie an, und der Feuerschein verlieh seinem Gesicht etwas von dem geheimnisvollen Zauber eines alten Meisterwerks. "Es gibt nur eines, das mir heute am Herzen liegt", sagte er leise, "und das wächst nicht im Garten." Mit einer verständnisvollen Geste berührte Petra kurz seine Hand und ging dann mit Alexander in den Garten, um das Feuerwerk aufzubauen. Wenig später aßen sie auf der Terrasse im Schein von Windlichtern ganz in der Nähe des Grills. Kent hatte Champagnercocktails gemacht und eine Spezialmischung mit Limonade für Alexander. Über Lautsprecher hörten sie vom Haus her Händels Feuerwerksmusik, die die Vorfreude auf das Kommende noch steigerte. Petra hatte für jede Person sechs Riesen Wunderkerzen mitgebracht, die jeder aufstellen durfte, wo er wollte. Nach viel Suchen und Lachen im Garten trafen sie sich dann alle wieder auf der Terrasse. Alexander hatte seine sechs Feuerwerkskörper in Blumenkübeln untergebracht, und sie tauchten die Terrasse in magisches Licht, Kents Wunderkerzen an der Seite der Treppe versprühten ihre Lichtkaskaden auf Pflanzen und Steine, Petra hatte ihre an die Äste eines Apfelbaumes gebunden, wo sie spätgereifte Früchte und knorrige Zweige zauberisch vor dem dunklen Himmel erhellten. Das Farbenspiel verlieh den alten Mauern plötzlich neues Leben, und das Herbstlaub schimmerte in warmen Tönen. Krönung und Abschluss des Spektakels bildete ein Silberregen aus dem Brunnen in der Mitte des Sees. "O Dad! Ich will nie wieder normales Feuerwerk." Alexander war begeistert. Sie gingen zurück ins Haus, und der kleine Junge konnte sich nur schwer mit dem Gedanken ans Zubettgehen anfreunden, "Ich mag keine Operationen", sagte er mit leicht zitternder Stimme. "Die mag niemand. Aber es ist bald vorbei, und ich weiß, dass du tapfer sein wirst", sagte Petra sachlich. "Weißt du, Ockie hatte auch schon mal eine Operation. Soll ich's dir erzählen? Alles begann, als sie ein Huhn gestohlen hatte, ein ganzes." Hand in Hand mit dem Kind stieg sie die Treppe hinauf und erzählte ihm die Geschichte von dem Knochen in Ockies Speiseröhre. Alexander lauschte wie gebannt. Kann Ockie noch ein bisschen hierbleiben?" fragte er, als ihn sein Vater nach dem Bad wieder in sein Zimmer zurückbrachte, wo Petra mit der zufrieden schnurrenden Katze wartete. Ich denke schon, oder?" fragte Kent und blickte in ihre Richtung. "Ich hab's nicht eilig", erwiderte sie.
Alexander umarmte seinen Vater, "Mach dir keine Sorgen", sagte er tapfer, "Ockie und ich werden's schon schaffen." Für das, was Sie heute getan haben, kann ich Ihnen nicht genug danken" , sagte Kent, als sie wieder nach unten gingen. Ockie ist die wahre Heldin", erwiderte Petra. "Dann gibt es eben zwei Heldinnen. Setzen wir uns doch an den Kamin." Kent schob ein kleines Sofa zum Kamin. "Was darf ich Ihnen anbieten? Wodka und Tonic, oder?" "Himmlisch." Petra hatte ihre Stiefel auf der Terrasse stehenlassen und machte es sich nun, die Füße unter den roten Samtrock gezogen, auf dem Sofa gemütlich. Sie beobachtete, wie Kent die Drinks mixte. Nun, da Alexander nicht mehr dabei war, fühlte sie sich etwas unsicher in seiner Gegenwart, Doch bevor das Kind nicht durch Ockies hypnotisches Schnurren in den Schlaf gelullt worden war, konnte sie nicht gehen. Kent stellte ihr Glas auf einen kleinen Beistellstich und bückte sich, um einen weiteren Scheit in den Kamin zu werfen. Der warme Feuerschein verklärte seine strengen Züge und erinnerte Petra daran, wie anders sie ihn heute erlebt hatte. Es war kaum zu glauben, dass dies der kühle, feindselige Mann war, den sie sonst kannte. Er holte seinen Whisky, setzte sich ans andere Ende des Sofas und streckte die Beine aus. Petra prostete ihm zu. "Auf morgen um diese Zeit, wenn alles gut überstanden ist." "Darauf trinke ich." Er schaute ihr in die Augen, während er ihr zutrank. "Wie haben Sie gelernt, so gut mit Menschen umzugehen?" "Ich weiß nicht, ob es so ist. Aber was Alexander angeht, so hat Ockie das meiste getan." "Sie war bestimmt zur richtigen Zeit am richtigen Ort. "Und welch glücklicher Zufall, dass auch sie eine Operation durchmachen musste." Er bemerkte Petras beschämtes Mienenspiel. "Oder wollen Sie mir sagen, dass es nicht der Fall war?" "Leider müssen Sie für diese Geschichte die dichterische Freiheit verantwortlich machen. Wir brauchten eine Ablenkung, und Ockie hat sie geliefert." "Sehen Sie", sagte Kent frohlockend, "Sie wissen, wie man mit Menschen umgeht. Ich hätte da versagt." "Weil Sie in dieser Beziehung voreingenommen sind. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass alles gut gehen wird." Er ließ den Blick auf ihr ruhen. "Ich bin froh, dass Sie da sind", sagte er. "Ihre Worte tun gut." Wieder verspürte Petra eine gewisse Scheu, Sie wandte den Kopf und sah sich in dem großen Raum um den nur einige Lampen und das Feuer erhellten. "Ein schönes Zimmer", sagte sie. "Es sieht aus, als hätte es sich langsam zu dem entwickelt, was es heute ist. Sie kennen doch diese Räume die aussehen, als würden sie einem Katalog entstammen." Kent sah sich nachdenklich um. "Sie haben nur zum Teil recht. Zugegeben, das Mobiliar hat sich über Jahre hinweg angesammelt, aber es war nicht immer zusammen hier in diesem Raum. Nachdem ich hier die Nachricht von Kates Tod bekam, musste ich alles ändern, um das Bild dieser Nacht aus meinem Gedächtnis zu löschen. Also wurde hier alles umgeräumt, und so ist es zu dem geworden." "Sie erwähnten gerade diese Nacht", bemerkte Petra. "Ich frage mich nur, warum die Polizei damit zu tun hatte. Hätte der Arzt Ihrer Frau es Ihnen nicht schonender bei bringen können?" Kent blickte ins Feuer und trank einen Schluck Whisky. "Tatsache ist, dass ich nichts vom Krankenhausaufenthalt meiner Frau wusste", sagte er dann. "Sie hatte einige Wochen vorher das Haus verlassen - und ich kannte ihre neue Adresse nicht." Petra wünschte, das Thema nicht angeschnitten zu haben, aber nun war es zu spät. Sie wünschte sich auch, Kent möge wieder zu seiner Unnahbarkeit zurückkehren und ihr, Petra, sagen, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern solle. Aber er tat es nicht. "Es tut mir leid", erwiderte sie verlegen. "Das wusste ich nicht."
"Das konnten Sie ja auch nicht. Niemand hier wusste es. Kate war sehr oft fort. Woher sollte man wissen, dass es diesmal anders war?" Vielleicht war es der Stress vor Alexanders Operation, aber Kent schien sich an diesem Abend aussprechen zu wollen. Er leerte sein Glas und ging zur Bar, um es wieder zu füllen. "Sie war Schauspielerin, Wenn ich zurückdenke, glaube ich, dass die Ehe mit mir auch nur eine Rolle unter vielen für sie war," Sein Ton war zynisch, aber Petra spürte, dass er litt, und verstand seinen Schmerz, "Aber die Aussicht auf eine längere Spielzeit schien Kate nicht gelegen. Sie kehrte zum Theater zurück, und zwar immer wieder. Es kümmerte sie nicht, wie wenig sie von Alexander hatte. Jede drittklassige Unterkunft war wundervoll, jeder hier verbrachte Tag nur Zeitverschwendung. Als sie mir sagte, sie hätte einen Einjahresvertrag bei einem weit entfernten Theater unterzeichnet, war es mir zuviel. Ich stellte sie vor die Wahl zwischen Alexander und mir und dem Theater. Die Wahl fiel ihr leicht. Aber als sie ins Krankenhaus kam, hat sie mich noch als nächsten Angehörigen angegeben." Petra hörte ihm zu und bemerkte vor allem den Schmerz, der aus seien Worten sprach. Ganz von ihrem Gefühl geleitet, stand sie auf, ging ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Ich wünschte, ich hätte dieses Thema nicht angesprochen", sagte sie, und aus ihrem Blick sprach tiefes Mitgefühl. Ob ich es will oder nicht, es ist heute sehr gegenwärtig. Außerdem habe ich von Kate gesprochen, nicht Sie." Er nahm ihre Hand, drückte sie kurz und ließ sie dann wieder los. "Aber nun genug davon." Sie wusste nicht, ob sich diese letzte Bemerkung auf seine Erzählung oder ihre impulsive Geste bezog, und sagte: "Wenn Sie nichts dagegen haben, gehe ich jetzt rauf und hole Ockie. Ich möchte gehen, solange Alexander schläft." Kent blickte wieder ins Feuer, "Wie Sie wünschen", meinte er kurz angebunden. Petra stieg die Treppe hinauf und kam sofort wieder zurück, aber ohne Ockie. "Es tut mir leid, aber bedauerlicherweise ist oben etwas passiert", sagte sie, dem Lachen nahe, aber auch irgendwie verlegen. "Geht es ihm gut?" fragte Kent, der sofort an Alexander dachte. "Er schläft fest, aber Ockie nicht. Sie hat in der untersten Kommodenschublade zwei Kätzchen bekommen. Wir hatten keine Ahnung wann sie kommen würden. Und da Ockie nicht sehr dick war, haben wir angenommen, es wäre noch nicht so weit." Belustigt sah Kent sie an. "Mit Ihnen ist das Leben nie ohne Überraschung. Man lädt Sie zum Essen ein und bekommt eine gebärende Katze dazu." Beide lachten, Petra vor Erleichterung. "Und was tun wir jetzt?" fragte Kent. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, halte ich es für besser, die Katze dort zu lassen, wo sie ist. Wenigstens bis morgen. Es wäre nicht gut, die Kätzchen jetzt schon anzufassen. Ockie wird bei Ihnen bleiben, sie ist eine sehr gute Mutter." "Aber ein ziemlich überraschender Logiergast." "Und außerdem", sagte Petra voraus denkend, "ist es vielleicht ganz gut, wenn Alexander morgen aufwacht und die Kätzchen sieht, meinen Sie nicht auch? Wenigstens wird es ihn von den unangenehmen Dingen ablenken." "Sie denken praktisch", antwortete Kent. "Und ich glaube, Sie haben recht. Wie ist das mit dem Futter für Ockie? Im Kühlschrank ist kaltes Huhn." "Wenn Sie ihr das geben und dazu Milch und Wasser, haben Sie eine Freundin fürs Leben gewonnen." "Für heute nacht reicht es schon", erwiderte er trocken. Gemeinsam gingen sie in die Küche, füllten drei Schälchen und brachten sie Ockie hinauf. Beim Hinuntergehen überwand sich Petra, ihm vorzuschlagen. "Wenn Sie Alexander in Aussicht stellen, dass er eines der Kätzchen behalten kann, würde ihn das sicher ablenken. Er könnte sich auf etwas nach der Operation freuen. Was meinen Sie?"
"Ich denke, Sie nutzen die Gelegenheit schamlos aus. Tatsache ist jedoch, dass er sich schon lange ein Haustier wünscht, und ich es ihm gern erlauben will. Ich sag's ihm morgen." "Wie schön! Nun ist ja alles gut ausgegangen," Petra strahlte. "Aber jetzt muss ich wirklich gehen." Doch Kent legte ihr die Hände auf die Schultern, beugte sich herunter und küsste sie auf die Stirn "Und ich will es wirklich", sagte er und erinnerte sie gemeiner weise damit an das erste Mal, "Sie waren heute für uns ein Gottesgeschenk. Danke schön, Petra," "Gern geschehen", erwiderte sie und hoffte, nicht zu erröten. Der Ton, in dem er das sagte, verriet aufrichtige Herzlichkeit, und darüber freute sie sich. Zum erstenmal war am Ende eines Zusammenseins die Stimmung zwischen ihnen nicht getrübt. Es gab wohl doch noch Wunder. Zu Hause angekommen, rannte Petra nach oben und klopfte an Joes und Mandas Wohnungstür. "Tut mir leid, keine Ockie. Sie ist in einem der Schlafzimmer bei Kent Baron niedergekommen. Eure Katze hat wirklich einen guten Sinn für Timing." Manda stöhnte. "O Himmel! Dann sind wir in Mr. Barons Meinung ja wieder einige Sprossen auf der sozialen Leiter heruntergefallen." "Er hat es ganz sanftmütig akzeptiert", erwiderte Petra, und immer noch schwang Erstaunen in ihrer Stimme mit. "Ockie hat zwei Kätzchen bekommen, und er will wirklich eins für Alexander behalten. Ich habe Mutter und Kinder dagelassen, denn ich war mir nicht sicher, wie Ockie reagieren würde." "Das ist deine Version der Geschichte", meinte Joe zweifelnd. "Ich denke, sie sucht nur eine Gelegenheit, wieder dorthin zu fahren." Manda lächelte breit. "Los, gib's zu, Petra, du bist in Kent Baron verliebt." "Unsinn!" bestritt Petra verdächtig heftig, "Ich komme eben lieber gut mit Menschen aus, als immer zu streiten." Joe nickte. "Nur gute Freunde nicht?" frage er hämisch. "Das habe ich schon mal gehört." "Zum Dank dafür kannst du selbst hinfahren und deine unerzogene Katze abholen", zischte Petra. Manda blickte Joe an. "Die Dame protestiert zuviel, deucht mir." Offensichtlich seid ihr beide heute in alberner Stimmung", sagte Petra würdevoll und ging gemessenen Schritts zu ihrer Wohnung hinunter. Da erklang Joes Stimme: "Sind ihre Bewegungen nicht perfekt?" Sie übt wohl schon für die Freitreppe in seinem großen Haus", antwortete Manda. Petra schenkte ihnen keine Beachtung und schloss ihre Tür auf, Verliebt in Kent Baron! So ein Unsinn. Nur weil sie ihm geholfen hatte. Sie hätte das gleiche für jeden anderen getan. Gegen Mittag des darauffolgenden Tages hatte Petra etwas in der Nähe von Alexanders Krankenhaus zu liefern. Einem Impuls folgend, betrat sie eine Tierhandlung und erstand ein blaues Schälchen mit der Aufschrift "Pussy". Ein oder zwei Tage lang würde Alexander nach der Operation bestimmt nichts essen können, vielleicht aber würde ihm etwas für das Kätzchen Spaß machen. Sie unterschrieb eine Karte mit Genesungswünschen und fragte am Empfang des Krankenhauses, ob sie ein Geschenk für Alexander Baron abgeben könne. Die Angestellte erkundigte sich, ob sie mit dem Kind verwandt sei, und riet ihr, das Geschenk bei der Stationsschwester abzugeben. Am Operationstag sei nur der Besuch der Eltern gestattet. Vor der Station traf sie auf einen völlig übermüdeten Kent Baron. "Nun?" fragte Petra. "Es geht ihm ausgezeichnet." In einem spontanen Freudenausbruch umarmte ihn Petra, "Oh, wie wundervoll!" rief sie und drückte ihn an sich. In ihrer Familie waren Umarmungen und Küsse an der
Tagesordnung, und der glückliche Ausgang einer Operation war auf jeden Fall ein Grund zum Jubeln. Als sie später darüber nachdachte, war sie nicht sicher, ob er anfangs nicht auch die Arme um sie gelegt hatte oder ob sie es sich nur eingebildet hatte. Ganz genau aber wusste sie, dass Kent Baron unbeweglich dastand und aussah, als wäre ihr Freudenausbruch etwas Ekelhaftes. Sie trat etwas zurück. "Ich freue mich so sehr", sagte sie unnötigerweise. Seine Miene war völlig ausdruckslos. "Den Eindruck hatte ich auch. Was tun Sie hier?" "Ich habe ein Geschenk für Alexander gekauft. Und, verdammt noch mal, ich wollte wissen, wie es Ihnen beiden geht", stieß sie hervor, beschämt, wie ein Eindringling behandelt zu werden. Er nahm sie beim Arm und führte sie zur Treppe. "Ich glaube, hier muss etwas klargestellt werden", sagte er und sah ihr in die Augen. "Petra, ich möchte nicht, dass Sie wegen gestern auf falsche Gedanken kommen. Ich war Ihnen so ungemein dankbar, und Sie sind eine sehr attraktive Frau. Aber nach der Erfahrung mit Alexanders Mutter habe ich keinerlei Absicht, mich mit jemandem einzulassen, und ganz bestimmt nicht mit Ihnen." Petra fühlte, wie ihr das Blut zu Kopf stieg. Die Grobheit seiner Erklärung schockierte sie. Es war unmöglich, diesen Affront mit einem Lachen zu überspielen. Und Lachen war das letzte, was sie im Sinn hatte Sie blickte ihn offen an. "Ich bin wegen Alexander hier, und nur, weil ich seinetwegen so glücklich bin, habe ich Sie umarmt - sonst nichts. Wenn Sie es als unnatürlich und unangenehm empfinden, möchte ich mich dafür entschuldigen," "Sind Sie sicher, dass Sie nur an Alexander gedacht haben?" Wieder diese an Grobheit grenzende Härte. "Natürlich habe ich mich auch für Sie gefreut. Warum denn nicht?" erwiderte Petra, aber ihre Worte klangen selbst für sie lahm und wenig überzeugend. Die gestrigen Neckereien von Joe und Manda und Kent völlig unerwarteter Ausbruch verunsicherten sie. Wie benahm sie sich denn, wenn alle zu dem gleichen Schluss kamen?" Sie fühlte, dass er ihre Unsicherheit wahrnahm, doch seine folgender Worte belegten, dass es ihm ähnlich zu gehen schien. "Vielleicht betrifft das, was ich sage, mich ebenso wie Sie", meinte er etwas steif. "Seit unserem ersten Treffen habe ich mich ungewöhnlich benommen. Vorher habe ich noch nie jemanden um Rat oder Hilfe gebeten und bedauere, es jetzt getan zu haben. Aber vor allen Dingen bedauere ich, gerade Sie gebeten zu haben." "Warum sind Sie plötzlich so gegen mich?" protestierte Petra zornig, "Was soll das bedeuten, dass Sie sich mit niemandem einlassen wollen besonders nicht mit mir'? Sie bedauern, sich an jemanden gewandt zu haben `besonders an mich`. Was bin ich denn? Ein Ungeheuer?" "Kein Ungeheuer. Ich war wirklich ehrlich zu Ihnen. Ich fühle mich zu Ihnen hingezogen, würde aber alles tun, um es zu vermeiden. Wissen Sie noch, wie ich Ihnen sagte, Sie würden mich an jemanden erinnern, an den ich nicht gern zurückdenke?" "Ja", sagte sie kurz angebunden. "Es ist gespeichert mit mehreren anderen unangenehmen und unnötigen Dingen, die Sie mir in den letzten Wochen gesagt haben." "Haben Sie denn nicht erraten, wen ich meinte? Dann lassen Sie mich es Ihnen sagen. Sie sind in Ihrer Art Alexanders Mutter sehr ähnlich. Um es kurz zu sagen, Sie sind jedermanns Freund, haben aber zu niemandem eine wahre Beziehung. Kate war genauso. Sie wollen frei sein, um jede Chance des Lebens zu nutzen. Trotz ihrer Familie konnte Kate kein Engagement ausschlagen, Glauben Sie vielleicht, dass es mir Spaß macht, mich von Frauen wie Ihnen und Kate angezogen zu fühlen? Immer wieder der gleiche Typ. Aber Gott sei Dank erkenne ich die Signale und kann dementsprechend handeln. Sie sind eine schöne, unterhaltsame und anmutige Frau - aber nicht für mich bestimmt."
Nun packte Petra die kalte Wut. "Vergessen Sie da nicht etwas? In dieser eingebildeten Partnerschaft gibt es zwei Menschen. Sie haben da vielleicht ein Problem- aber ich nicht. Es tut mir leid, dass ich Sie an Ihre Frau erinnere, und fühle mich auch keinesfalls von dem Vergleich geschmeichelt. Aber Sie können beruhigt sein: es liegt mir fern, ihren Platz einnehmen zu wollen. Bitte geben Sie dies, Alexander von mir, es sei denn, Sie befürchten, es würde Ihr Familienschiff aus dem Fahrwasser bringen." Sie drückte ihm Päckchen und Karte in die Hand und funkelte ihn an. "Und machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde Ihre eiserne Standhaftigkeit nicht lange auf die Probe stellen. Bis ich die Granville ROW verlasse, werde ich alles tun, Ihnen aus dem Weg zu gehen." Ihre Entrüstung hielt an, bis sie ihren Wagen erreichte, und als sie darin saß, bebte sie plötzlich so sehr, dass sie den Schlüssel kaum ins Zündschloss stecken konnte. Dieser unerträgliche Mensch! Wie konnte er es wagen, sie so zu behandeln? Hatte sie nicht von Anfang an eine Abneigung gegen ihn gehabt? Vom ersten Tag an war nur Feindseligkeit zwischen ihnen gewesen. Jede Gelegenheit zu einem Treffen war von ihm ausgenutzt worden, und jetzt beschuldigte er sie, den Platz von Alexanders Mutter einnehmen zu wollen! Petra liess den Motor an und hatte dabei das Gefühl, die Windschutzscheibe sei beschlagen. Sie wollte sie abwischen, doch erst als sie das Glas berührte und eine heiße Träne auf ihren Arm fiel, bemerkte sie, dass der Schleier vor ihren Augen war. Es ist ja nur verletzter Stolz, sagte sie sich. Nur verletzter Stolz. Der Mann verdiente es nicht, dass sie sich seinetwegen aufregte. Er war unerträglich, übermäßig selbstgerecht und schrecklich unverblümt. Sie wünschte, sie hätte seine Mutter damals mit dem verletzten Knöchel nach Hause hinken lassen, denn dann wäre sie diesem feinen Pinkel nie begegnet.
7. KAPITEL Es lag nicht in Petras Naturell, lange niedergeschlagen zu sein, und schon bald stürzte sie sich mit aller Energie in den Vorweihnachtstrubel. Was machte es schon, wenn ein Mann sie als unerwünschte Person betrachtete? Sie wollte keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden, schließlich hatte sie ja genügend andere Freunde. Doch sie musste feststellen, dass es gar nicht so leicht war, ihre Gedanken den Vorsätzen zu unterwerfen. Mit ärgerlicher Häufigkeit kehrte die Erinnerung an das letzte Treffen mit Kent Baron immer wieder zurück, und hundert andere Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen, tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Aber warum an Problemen aus der Vergangenheit herumkauen? Ein neues war bestimmt schon auf dem Weg. Der Chor, dem Petra kurz nach ihrem Einzug in das Haus ihrer Tante beigetreten war, wollte am sechsten Dezember ein Benefizkonzert für Obdachlose geben. Erst im letzten Moment erfuhr sie, wo es stattfinden sollte, und das erschütterte Petra bis ins Mark: in Kent Barons Haus. Nach eingehendem Nachdenken kam sie zu dem Schluss, dass sie ihr Privatleben nicht dieses Mannes wegen ändern würde. Sie konnte die Chormitglieder bei dieser Gelegenheit nicht allein lassen. Sie würde hingehen und aus voller Kehle singen. Störte es ihn, sie wieder unter seinem Dach zu sehen, war das sein Problem, nicht ihrs. Am Abend des sechsten Dezember war sie zwar nervös, aber fest entschlossen, die Vorstellung durchzustehen. Um Parkplatzprobleme zu vermeiden, wurden die Chormitglieder mit einem Bus zu Kents Haus gefahren. Auf der Strasse und in der Auffahrt zum Haus standen schon die Autos Stossstange an Stossstange, und aus dem Gebäude selbst flutete helles Licht auf die mit Schnee bepuderte Terrasse und die Grünflächen. Mrs. Baron führte die Chormitglieder durch den Wintergarten in einen Raum, wo sie ihre Mäntel lassen konnten. Petra versuchte, unbemerkt zu bleiben, und Mrs. Baron erkannte sie auch nicht inmitten der Gruppe von Mädchen in langen roten Röcken und weißen hochgeschlossenen Blusen. Petra zupfte die rote Schleife zurecht, die ihr Haar zusammenhielt, nahm ihre Noten und folgte den anderen in die große Halle, wo sie sich auf der Treppe und darum gruppierten. Durch die geöffneten Türen der umliegenden Räume konnte sie die mehr als hundert Zuschauer sehen. Überall leuchteten Kerzen, und auf ein Zeichen des Chorleiters hin wurde die Hauptbeleuchtung gedämpft. Petra seufzte erleichtert auf. Sie hatte Kent bisher noch nicht entdeckt, und nun war es unwahrscheinlich, dass sie ihn im Halbdunkel entdecken würde. Zusammen mit den anderen Chormitgliedern hob sie ihre Laterne in Taillenhöhe und war sich sicher, in dem flackernden Licht nicht erkannt zu werden. Die erste Hälfte des Konzerts war besonders wichtig für sie, denn in einem der Lieder hatte sie ein kurzes Solo zu singen und wollte sich nicht durch den Anblick von Kents feindseliger Miene aus dem Konzept bringen lassen. In der zweiten Hälfte würden die Lichter wieder an sein, damit die Zuschauer den Text der Lieder lesen und mitsingen konnten. Das Konzert begann mit dem Lied "Die sieben Freuden der Maria". Es folgten beliebte Klassiker wie "Die Könige" und "Die Hosenkrone" im Wechsel mit weniger bekannten, modernen Werken. In ihrer Freude am Gesang vergaß Petra fast, wer da unter den Zuschauern saß. Mit ihrem Solo kam sie während des letzten Liedes der ersten Hälfte an die Reihe. Der Chor begann leise die Melodie von "Joseph, lieber Joseph mein" zu summen, und gerade in diesem Moment flackerte eins der Lichter im großen Kerzenhalter auf dem Klavier wild auf. Schnell trat jemand aus dem Schatten des Wohnzimmers, und bevor noch die rebellische Flamme ausgelöscht wurde, erkannte Petra Kents Gesicht.
Sie wünschte, es wäre nicht passiert, war aber diszipliniert genug, ihre Stimme nicht zittern zu lassen. Süß und glockenrein erklang es: "Joseph, lieber Joseph mein, hilf mir wiegen das Kindelein." Applaus war zu hören und Stimmengewirr kam auf. Plötzlich hörte Petra Alexander mit seiner kindlich hohen Stimme sagen: "Schaut mal! Es ist Petra, ich hab's doch gesagt." Kent war aufgestanden und informierte die Zuschauer, dass Glühwein serviert sei. Aber die Chormitglieder wurden gebeten, die Laternen abzustellen und sich den anderen anzuschließen. Als sich Petra etwas zögernd umdrehte, wartete schon Alexander auf sie. In den Händen hielt er ein Glas voll dunkelrotem Wein und gab es ihr vorsichtig. "Danke, Alexander. Wie geht es dir jetzt? Besser, hoffe ich." "Viel besser. Aber ich war noch nicht wieder in der Schule. Dad hat gesagt, erst nach den Weihnachtsferien." "Eine weise Entscheidung. Im Moment ist ja auch alle Welt erkältet." "Du hast gesungen, stimmt's? Ich dachte, dass du es wärst, aber du hast so anders ausgesehen in dem Kerzenlicht. Dad fand das auch. Er sagte ,Du meine Güte, sie ist es', als ich es ihm sagte. Ich glaube, er war sehr überrascht." Darauf möchte ich wetten, dachte Petra. Alexander zog sie am Ärmel. "Petra, komm mit nach oben. Ich will dir etwas zeigen." Glücklich über die Unterbrechung folgte sie ihm auf sein Zimmer. Dort wurde ihr ein fertig eingerichtetes Katzenkörbchen präsentiert das auf seinen Bewohner wartete. Sie bewunderte es gebührend. Dann schaute Alexander zu ihr auf und sagte: "Weißt du, dass ich über Weihnachten fortgeschickt werde?" "Nein. Wohin? An einen hübschen Ort?" "Ich denke schon. Ich fahre mit Grandma auf die Bahamas. Aber sehr weihnachtlich wird es wohl dort nicht sein, oder? Grandma sagt, es liegt an uns, in Weihnachtsstimmung zu kommen, aber wie macht man das ohne Schnee? Dad kommt leider nicht mit." Petra versuchte, ihr Erstaunen zu verbergen. "Vielleicht braucht dein Vater etwas Ruhe", meinte sie vorsichtig, denn sie hatte gemerkt, das Ganze ging dem kleinen Jungen nahe. "Er wird sich nicht ausruhen, sondern arbeiten. Dekorateure beaufsichtigen. Malochen, sage ich." Er schaute sie spitzbübisch an, und beide brachen in Gelächter aus. Genau in diesem Moment erschien Kent Baron auf der Türschwelle. "Also hier seid ihr", sagte er, keinen der beiden direkt ansprechend. Unter seinem schwarzen Jackett trug er eine reichbestickte Weste in Braun und Gold. Gegen ihren Willen musste Petra sich eingestehen, dass er ein sehr gut aussehen der Mann war. "Guten Abend, Petra", begrüßte er sie lächelnd, als hätte die beschämende Szene im Krankenhaus nie stattgefunden. "Guten Abend", erwiderte sie und strich nervös ihren Rock glatt. Sie fühlte sich ungemütlich und wünschte, Alexander nie nach oben gefolgt zu sein. "Alexander, würdest du Petras Glas nach unten bringen? Ich glaube, sie werden gerade eingesammelt", bat Kent, nahm ihr das noch warme Glas aus der Hand und gab es seinem Sohn. "Das mach ich schon", sagte Petra schnell, doch nicht schnell genug. "Alexander kriegt das schon hin. Er hat den ganzen Abend über geholfen. Ich weiß gar nicht, wie das Festkomitee ohne ihn ausgekommen wäre." Der kleine Junge errötete vor Stolz und machte sich gewichtigen Schritts auf den Weg. Petra kam das Zimmer plötzlich sehr klein vor. und sie ging auf die Tür zu. Doch Kent versperrte ihr den Weg. "Ich wusste gar nicht, dass auch Singen zu Ihren vielen Talenten gehört", bemerkte er. "Nun ja, ich kann einen Ton halten", sagte sie abwertend,
"Das ist eine Untertreibung. Ich war ganz überrascht, als mir aufging, wer die so überzeugende Maria war." Petra versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. "Sicher keine sehr angenehme Überraschung. Aber so ist es nun einmal. Seit ich hier wohne, bin ich in dem Chor, und ich wollte nicht aussteigen, nur weil das Konzert hier stattfindet." "Lächerlich. Warum, in aller Welt, sollten Sie so etwas tun?" Sie blickte ihn anklagend an. "Nach unserer letzten Begegnung hat wohl keiner von uns beiden dieses Treffen gewünscht. Ich bestimmt nicht. Aber es ist ja schon fast geschafft. Nur noch der zweite Teil des Programms, und ich verschwinde wieder." "Tragen Sie nicht ein bisschen zu dick auf?" fragte er und lächelte leicht ironisch, "Als Mitglied eines Chors von dreißig Personen kann ich schon mit Ihnen umgehen." Er machte sich über sie lustig, aber Petra fand die Situation keineswegs komisch und befürchtete, dass sich ihre Wangen bald der roten Schleife und dem Rock angleichen würden. "Ich muss nach unten", sagte sie schnell. "Wir müssen uns im Wintergarten für die zweite Hälfte versammeln." "Und ich muss mich um die Zuschauer kümmern." Der Wunsch, von ihm wegzukommen, beflügelte ihren Schritt. Als sich Petra unter die anderen Chormitglieder mischte, war sie glücklich, im zweiten Teil kein Solo zu haben. Aber jetzt hatte Mrs. Baron sie entdeckt. "Petra, wie schön, dass Sie hier sind! Ich habe ein paar Sachen für Ihren Laden. Nach meiner Grippe habe ich meine Schränke aufgeräumt und es kam mir in den Sinn, dass Sie vielleicht etwas gebrauchen könnten. Wollen Sie nicht nach dem Konzert hier bleiben und sehen, ob Ihnen etwas gefällt?" "Das ist sehr nett von Ihnen", erwiderte Petra vorsichtig, "aber ich bin mit den anderen im Bus gekommen und muss wieder mit ihnen zurück." "Das macht doch nichts. Bestimmt werden auch andere Zuschauer in Ihre Richtung fahren, und einer wird Sie bestimmt mitnehmen." "Könnte Ihr Sohn nicht die Sachen zum Laden bringen? Dann bräuchten wir niemanden zu bemühen." Petra wollte auf keinen Fall länger als nötig in diesem Haus bleiben. "Das hatte ich auch gedacht und habe deshalb die Kiste heute Abend mitgebracht. Aber er fährt Alexander und mich morgen zum Flughafen und hat dann wohl vor, einige Tage in London zu verbringen. Sie brauchen doch sicherlich noch Ware für das Weihnachtsgeschäft. Im Januar ist ja nicht viel los." "Petra" Jemand drückte ihr die Laterne in die Hand. "Schnell. Wir müssen anfangen." "Ich seh Sie dann später", sagte Mrs. Baron und schien die Angelegenheit für geregelt zu halten. Petra fügte sich in die unerwartete Verlängerung des Abends und bewegte sich singend mit den anderen zur Treppe. Es schien dann doch, als würde der Abend besser enden als erwartet Petra musste ein bisschen warten, während Mrs. Baron letzte Abschiedsgrüsse austauschte, dann aber nahm sie Petra mit nach oben. Kent brachte währenddessen seinen Sohn ins Bett, Es gab mehr Sachen anzuschauen, als Petra erwartet hatte, und für jedes Ding hatte Mrs. Baron eine Geschichte parat, wodurch sich die Auswahl ziemlich in die Länge zog. Als sie schließlich wieder nach unten kamen, schienen schon alle gegangen zu sein außer Kents Haushälterin, die, fertig angezogen, an der Haustür wartete. Kent trat, Petras blaues Tuch in der Hand, aus dem Wintergarten. "Nun, fertig?" fragte er. "Dann können wir ja losfahren, meine Damen." Petra hüllte sich in das Tuch, überrascht, von Kent heimgefahren zu werden, aber erleichtert, dass die Haushälterin mitkam. Doch ihre Erleichterung dauerte nicht lange, denn Kent fuhr in die entgegengesetzte Richtung, um die Haushälterin zuerst abzusetzen. Er begleitete Mrs. Dawson bis an die Tür, wobei er sie fürsorglich stützte. Als er wieder zum Wagen zurückkam, wandte sich Petra
gleich an ihn. "Ich hatte nicht gedacht, Sie extra bemühen zu müssen. Ich wäre doch mit einem der Zuhörer gefahren," "So war es auch geplant, aber ich habe entschieden, Sie mitzunehmen", erwiderte er ruhig und wendete den Wagen geschickt in der engen Strasse. "Ich wollte mit Ihnen reden." "Schon wieder? Ich dachte, wir hätten letztes Mal alles gesagt", kommentierte Petra trocken. "Ja, schon wieder." Er warf ihr einen Blick zu. "Unsere letzte Unterhaltung hat Sie wohl etwas verwirrt?" "Weil ich heute Abend in Ihrem Haus war? Machen Sie sich keine Sorgen. Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich auf und davon sein, wenn das Konzert wieder bei Ihnen stattfindet," "Es ist nicht wegen heute Abend", sagte er übertrieben geduldig. "Es ist wegen Ihrer Reaktion auf meine Worte." "Wie dachten Sie denn, dass ich reagieren würde? Sie vermittelten nicht gerade den Eindruck, meine Gegenwart zu schätzen. Oder irre ich mich?" "Natürlich irren Sie sich. Ich habe nichts gegen Ihre Anwesenheit. Ich wollte nur nicht, dass Sie sich falsche Hoffnungen machen." Petra verspürte den unbändigen Wunsch, seinen Kopf mit dem Notenkoffer zu bearbeiten. "Diese Fehlinterpretation stammt von Ihnen, nicht von mir", protestierte sie mit fester Stimme. "Vor Ihrem beschämenden Auftritt im Krankenhaus war mir Derartiges nie in den Sinn gekommen. Es liegt an ihrer eigenen, übertriebenen Selbsteinschätzung, wenn Sie denken, jede Frau müsse sofort von Ihrem Charme überwältigt sein. Ein Charme", fügte sie bissig hinzu, "der, was mich betrifft, wohl eher durch Abwesenheit glänzt." Kent lachte leise. "Dann ist ja alles in Ordnung. Dank der Abwesenheit jeglicher Anziehungskraft habe ich also nichts zu befürchten. Aber wenn es zutrifft, was Sie sagen, warum haben Sie mich dann so auffällig gemieden?" Jetzt wurde es Petra zuviel, "Was soll denn das nun wieder? Sie haben mir doch nahegelegt, Zurückhaltung zu bewahren, und genau das habe ich getan." "Wieder falsch. Ich erkläre es Ihnen noch einmal, ich wollte nur sichergehen, dass Sie aus unserem Treffen wegen Alexanders Operation keine falschen Schlüsse ziehen. Mir schien es nur fair, es klarzustellen." "Und das haben Sie getan. Also ist die Sache erledigt." Petra schaute auf die verschneite Landschaft, ohne auch nur irgend etwas zu sehen. "Können Sie nur freundschaftlich mit einem Mann verkehren, wenn Sie sich davon mehr erhoffen?" fragte Kent interessiert. "Natürlich nicht." "Warum gehen Sie mir dann so betont aus dem Weg? Sie haben mich nicht verstanden. Ich habe nie gesagt, dass ich Sie nicht wiedersehen wollte. Es gibt also keinen Grund, sich in Ihrem Laden zu verstecken, wenn Sie mich in der Granville Row sehen, oder zu warten, bis ich weggefahren bin, um dann zu Ihrem Auto zu gehen." Also war ihm ihr Versteckspiel aufgefallen! Petra hätte vor Verlegenheit im Boden versinken mögen. Aber der Wagen bog gerade in ihre Strasse ein, und beim Anblick des beleuchteten Hauses kehrte ihr Mut wieder zurück. "Dann ist ja alles klar", sagte sie entschieden. "Und da keiner von uns beiden mit dem anderen irgendwelche Pläne verbindet, können wir doch Freunde sein, oder?" Sie maß ihn mit einem kalten Blick. "Sollte man nicht lieber sagen, wir könnten Freunde werden? Denn weit scheinen wir in dieser Richtung ja bisher nicht gekommen zu sein." "Also gut. Lassen Sie uns Freunde werden. Und Sie sind nicht mehr böse?" Er streckte die Hand aus, und nach kurzem Zögern schlug Petra ein. "Gute Nacht, Petra." "Gute Nacht."
Nur eine gewisse Abenteuerlust hatte sie dazu bewogen, seine Auslegung ihrer Beziehung zu akzeptieren, aber bei sich zu Hause war die Kraft seiner Überredungskunst gebrochen und Petra wütend, dass sie sich hatte einwickeln lassen. Dieser Mann! Sie musste sich einfach rächen. Und nicht nur für heute da war auch noch der unvergessliche Abend mit dem feinen Restaurant und ihren Jeans. Sie hatte es ihm schon eher heimzahlen wollen, aber die Probleme mit Alexander hatten sie davon abgelenkt. Doch Kent musste einfach seine Strafe bekommen. Wie rächte man sich jedoch an jemandem, der die Situation immer wieder zu seinen Gunsten verwandelte? Grübelnd legte Petra sich schlafen, und, wie schon oft, kam ihr in der Nacht eine Idee, die sie mit einem hämischen Lächeln aufwachen ließ. Wunderbar! Ein erstklassiger Einfall! Hoffentlich klappte alles so, wie sie es sich vorstellte. Petra war ganz unbefangen, als sie Kent nach seiner Rückkehr aus London vor dem Laden traf. "Wie war die Großstadt?" fragte sie. "Überfüllt und hübsch beleuchtet. Wie geht es hier? Läuft das Geschäft?" "Sehr gut." Sie rang sich ein Lächeln ab. "Kent, nach unserem letzten Gespräch komme ich mir etwas lächerlich vor. Ich möchte mich gern beweisen. Da wir nun Freunde sind, wollen Sie nicht mit mir zu einer Party kommen?" "Das klingt nett. Wo soll sie stattfinden?" "Bei Freunden in Winchcombe. Um diese Jahreszeit geben sie meistens ein Kostümfest, und zwar am vierzehnten. Aber vielleicht haben Sie schon etwas vor?" "Nein, es geht. Gibt es ein bestimmtes Thema?" "Nichts besonderes. Ziehen Sie an, was Sie mögen." "Und Sie?" "Ich hab mich noch nicht entschieden, aber mir wird schon etwas einfallen." "Das sollte Ihnen ja nicht schwerfallen. Was Sie tragen, hat ja oft einen Hauch von Verkleidung an sich, nicht wahr?" Er beäugte das Marineuniformjackett über dem langen blauen Rock und die rote Baskenmütze, die dem Anzug eine kesse Note gab. "Doch ich muss zugeben, dass diese Zusammenstellung hier besonders gut aussieht. Wann soll ich Sie am vierzehnten abholen?" "So gegen halb neun." "Ich werde da sein." Wenig später, als Petra in ihrem Laden war, führte sie einen kleinen Freudentanz auf und konnte sieh ein schadenfrohes Lachen nicht verkneifen. Jetzt hatte sie ihn! Und wie leicht war er in die Falle getappt! An dem Abend, an dem die Party stattfinden sollte, war Petra schon früh fertig' Sie hatte sich in ihren so heißgeliebten Umhang gehüllt, und als es dann kurz vor halb neun Uhr klingelte, setzte sie ein freundliches Begrüßungslächeln auf und ging zur Tür. Dort bot sich ihr ein überraschender Anblick. Kent Baron trug ein Kostüm aus der Restaurationszeit: ein Brokatjackett mit weitem Schoss, weißes Hemd mit Spitzen Jabot und eine Kniehose, die den Blick auf wohlgeformte Waden in weißen Strumpfhosen freigab. Der breitkrempige Hut war mit einem prächtigen Federbusch geschmückt. Petra hätte am liebsten triumphierend aufgelacht, unterdrückte es aber. "Wirklich großartig", rief sie aus. "Sie haben wirklich keine Mühe gescheut." Und dann, überraschend ehrlich. "Es steht Ihnen, Kent." Er schien geschmeichelt. "Ich fühle mich unerwartet wohl darin. Vielleicht habe ich schon einmal im siebzehnten Jahrhundert gelebt. Dies hier aber geht zu weit." Er deutete auf seinen Hut und danach auf ihren Umhang. "Was haben Sie darunter an?" Petra tat geheimnisvoll und ging auf den Wagen zu. "Da müssen Sie schon abwarten." "Irgend etwas aus der Tudorzeit stimmt's?" Er betrachtete ihr Haar, bei dem sie sich besondere Mühe gegeben hatte. Die seitlichen Strähnen, in die kleine Perlen eingeflochten
waren, wurden hinten mit einer Spange zusammengehalten. Darunter quoll das Haar wie sonst ungebändigt hervor. Kents Bemerkung bewies, dass ihr Plan funktioniert hatte. Petra erklärte ihm den Weg zu ihren Freunden, und sie fuhren los. Wenig später warf ihr Kent einen Seitenblick zu. "Ich freue mich, dass ich heute Abend Ihr Begleiter sein darf." "Wirklich?" erwiderte sie vorsichtig. "Wie schön!" Wie lange würde diese Stimmung wohl anhalten? "So wird unser kleines Missverständnis angenehm bereinigt." Eine kurze Pause folgte, dann fuhr er fort. "Ich mag Sie eigentlich ganz gern, und deshalb wollte ich auch nicht, dass zwischen uns etwas schief läuft." "Kent - haben Sie getrunken?" fragte Petra unwillkürlich. Erstaunlicherweise wies er diese Vermutung nicht entrüstet zurück. "Ich bin vollkommen nüchtern und auch im Besitz all meiner geistigen Kräfte, falls Sie das als nächstes anzweifeln wollen. Muss man betrunken oder verrückt sein, um Ihre Gesellschaft zu genießen?" "Manchmal wäre es günstig", murmelte Petra und bekam langsam ein schlechtes Gewissen. Warum nur musste Kent - von dem sie sehr gut wusste, wie rücksichtslos und unangenehm er sein konnte - gerade jetzt so nette Dinge zu ihr sagen? War der Plan für heute Abend wirklich so gut oder nur ein Rückfall in kindisches Verhalten? Sie hatten das Haus von Petras Freunden erreicht, und es war nun zu spät für lange Überlegungen. Sie parkten den Wagen auf dem schon fast besetzten Hof. Beim Aussteigen hielt Petra ihren Umhang fest zusammen. Kent lächelte sie an. "Jetzt werden Sie sich nicht länger verstecken können", sagte er. Sie atmete tief ein und legte ihre Hand auf seinen Arm, als er in den Wagen greifen wollte, um seinen Hut zu holen. "Sie werden ihn nicht brauchen", erklärte sie und traf blitzschnell ihre Entscheidung. "Kent, dies ist kein Kostümfest," Er verharrte mitten in der Bewegung und drehte sich langsam zu Petra um, "Ich verstehe nicht. Sie sagten es doch," "Ich nicht. Sie haben es angenommen." Er schwieg und rief sich ihre Einladung und die darauffolgende Unterhaltung ins Gedächtnis zurück. "Wenn das der Fall ist dann wollten Sie es so. Sie können es nicht leugnen. Ich erinnere mich noch gut an unser Gespräch. Ich hatte mich irrtümlicherweise sogar darüber gefreut. " Sein Ton wurde schärfer. "Los, geben Sie es zu, Sie wollten, dass ich Sie falsch verstehe, nicht wahr?" Petra nickte betreten. "Warum?" Sie zögerte. Plötzlich erschien ihr alles so billig und kindisch zugleich. Kent ersparte ihr die Antwort. "Jetzt weiß ich! Es ist wegen des Abends bei Quaglino, oder? Seitdem haben Sie geduldig auf Rache gesonnen. Sie haben mich vorsätzlich getäuscht, Sie kleine Teufelin. Korrekt?" Seine Augen blitzten im Schein der Außenbeleuchtung. Sie schluckte, "Ich berichtige den Irrtum jetzt. Wir können zurückfahren, damit Sie sich umziehen. Niemand hat Sie gesehen." Nervös fügte sie hinzu. "Ich würde es auch verstehen, wenn Sie überhaupt zu Hause bleiben wollten. Plötzlich fühle ich mich so .... dumm." "Aber der Sinn der Sache war doch, dass ich der Dumme sein sollte, oder nicht?" Mit unbewegter Miene blickte er sie an und nahm dann ganz plötzlich ihren Arm, "Aber Petra! Sie erwarten doch nicht, dass ich in diesem noblen Kostüm einfach wegrenne. Meine adligen Vorfahren würden sich im Grab umdrehen." Er ging auf die Tür zu. "Sie werden der einzige in Verkleidung sein", warnte sie unnötigerweise,
"Dieser Zustand ist mir nicht fremd", erwiderte er unbeeindruckt. "Kommen Sie, kleine Ränkeschmiedin. Jetzt nicht kneifen. Sie werden Ihren Lohn bekommen." Er neigte den Kopf und flüsterte ihr ins Ohr, Und ich hoffe, er wird so ausfallen, wie Sie es verdienen." Julia, die Gastgeberin, erwartete sie in der Eingangshalle. Sie trug ein Kostüm mit Leopardenmuster und unzählige Perlen. Wo hört die normale Kleidung auf und fängt die Verkleidung an? fragte sich Petra verwirrt. Julia betrachtete Kents prächtigen Aufzug mit unverhohlenem Interesse. "Wie schön, dass Sie kommen konnten. Offensichtlich gehen Sie nachher noch woanders hin. Willst du uns nicht vorstellen, Petra?" Petra versuchte, ihrer Verwirrung Herr zu werden, und tat das Verlangte, Kent, sprühend vor Charme, wies die von Julia soufflierte Ausrede zurück. "Bedauerlicherweise gab es ein kleines Missverständnis, die Art Ihres Festes betreffend", erklärte er. "Und ich war einfach zu faul, umzukehren und mich umzuziehen. Nachdem ich nun all das ausgeliehen hatte ", er berührte sein Spitzenjabot, "scheint es doch bedauerlich, es nicht zu tragen. Ist es Ihnen unangenehm, oder verderbe ich dadurch die Stimmung?" "Nicht im mindesten", erwiderte Julia, bezaubert von seinem Charme. "Ich finde, Sie sehen wunderbar aus." "Offensichtlich ist meine Partnerin nicht der gleichen Ansicht. Sie wäre wohl lieber anderswo." Kent nahm Petra den Umhang ab und begutachtete sie eingehend: ihr knielanges Kleid mit weitem Rock und Ärmeln aus kupferfarbenem und schwarz gaufriertem Taft, das Oberteil aus schwarzem Samt mit einem tiefen eckigen Ausschnitt. Er wandte sich wieder an Julia, "Sieht sie nicht hübsch aus? Vielleicht sollte ich versuchen, etwas von der Spitzenpracht abzulegen und mich äußerlich dem Stil des zwanzigsten Jahrhunderts zu nähern? Ich glaube. Petra würde sich dann wohler fühlen." Mit hochroten Wangen stand diese nur stumm da. "Wenn Sie wirklich Ihre Kleidung in Ordnung bringen wollen", sagte Julia und lächelte unverschämt, "benutzen Sie doch bitte unser Schlafzimmer - oben, an der Treppe, der erste Raum links." "Na, Liebling, kommst du mit?" fragte Kent und warf Petra einen herausfordernden Blick zu. "Sie werden bestimmt ganz gut allein zurechtkommen", antwortete Petra nachdrücklich und zog sich in eine Nische der Halle zurück, um dort auf ihn zu warten. Als Kent wieder auf der Treppe erschien, hatte er den Schossrock nicht mehr an, das Spitzenjabot entfernt und den Kragen seines Hemds geöffnet. Die Kniehosen und die polierten Stiefel sowie die bauschigen Ärmel des schneeweißen Hemds gaben ihm den Charme eines Piraten. Ruhig und gemessen schritt Kent die Treppe hinab sich seiner Wirkung auf Petra voll bewusst. "Wollen wir hineingehen?" fragte er, als wäre nichts geschehen. Wieder wurde Petras Meinung über ihn völlig auf den Kopf gestellt Sie hatte immerhin mit einem gewissen Hochmut seinerseits gerechnet aber Kent war aufmerksam und freundlich zu ihr und allen anderen ein charmanter, aber gleichzeitig beunruhigender Partner. Die anderen Gäste begannen zu tanzen, Petra und Kent ebenfalls. "Einen Penny für Ihre Gedanken", sagte er nach einer längeren Pause Petra schaute leicht verlegen zu ihm auf. "Ich frage mich, wann Sie nun endlich unangenehm werden." "Machen Sie ruhig weiter", erwiderte er lächelnd. "Mir gefällt der Gedanke, dass Sie von Zweifeln und Angst gequält werden." "Ich habe doch nur gleiches mit gleichem vergolten, Kent. "Sie wollen mir doch nicht eine faire Revanche verwehren?"
"Die Fairness muss ich anzweifeln. Erinnern Sie sich doch: ich habe aus Ihnen eine Art Heldin der Dritten Welt gemacht, und Sie wollten mich einfach der Lächerlichkeit preisgeben." "Aber es ist mir nicht gelungen, oder? Natürlich sind Sie wieder dieser gute Kumpel, der alles einstecken kann und den jedermann bewundert." Ihr Blick hielt seinem stand. "Und außerdem ..." "Was außerdem?" "Außerdem sehen Sie in den Überresten Ihres Kostüms wirklich gut aus." "Nicht nur Sie können improvisieren. Aber die Schmeichelei wird nichts bringen. Sparen Sie Ihre Kraft fürs Tanzen." Er begann, sich im Rhythmus der Musik zu bewegen, und Petra folgte ihm mühelos. Beim Tanzen gab es keine Probleme zwischen ihnen. Oder vielleicht doch? fragte sie sich etwas später, als sie seine Nähe bei einem langsamen Tanz als ganz besonders angenehm empfand. Schuldbewusst rückte sie etwas von ihm ab. Kent blickte sie fragend an, aber sie wandte den Kopf ab. Als sie um ein Uhr nachts die Party verließen, war Kent immer noch nicht unangenehm geworden. "Ich wünschte. Sie würden endlich wütend werden, damit wir es hinter uns bringen", sagte Petra auf dem Heimweg. Der Wagen schien sich in einem schwarz samtenen Universum zu bewegen, in dem nur die glitzernden Sterne etwas Helligkeit spendeten. "Wie vorsichtig Sie doch geworden sind. Ist denn gar nichts mehr übrig von Ihrer Kämpfernatur?" neckte Kent sie. "Freundlichkeit passt einfach nicht zu Ihnen", entgegnete sie verunsichert. "Besonders unter den gegebenen Umständen." "Ich verfüge eben über ein verborgenes Reservoir an Freundlichkeit. Damit müssen Sie leben." Vor Petras Haus stieg Kent aus, um ihr die Tür zu öffnen. Er erschien ihr wie ein Geist aus vergangenen Zeiten. "Ich bitte Sie nicht herein", sagte sie beim Aussteigen. "Das hatte ich auch nicht erwartet." Wahrend sie nach ihrem Schlüssel suchte und mit unsicherer Hand die Tür aufschloss, wartete er. Dann lugte plötzlich der Mond hinter einer Wolke hervor und ließ die Perlen in Petras Haar aufblitzen. Sie schaute zu Kent auf. "Gute Nacht. Und ... es tut mir leid." Die Nacht, die Sterne und der Mond schienen sie in einen unsichtbaren Mantel zu hüllen, und dann kam noch etwas anderes dazu, das Petra erschauern ließ. Die Knie gaben unter ihr nach, und sie schloss die Augen. Hatte sie Halt an ihm gesucht? Sie wusste es nicht, aber plötzlich lag sie in seinen Armen. Er schaute auf sie hinab, und die Luft zwischen ihnen schien elektrisch geladen. Dann lockerte Kent seinen Griff und trat zurück. "Das war's für heute Abend, Petra", sagte er kühl. "Was immer Sie erwartet haben mögen, Sie werden enttäuscht sein." Sie schaute mit großen Augen zu ihm auf, aber bevor sie noch etwas erwidern konnte, war er schon in den Wagen gestiegen, und dieser fuhr mit quietschenden Reifen davon. Langsam kam Petra wieder zu sich, War das seine Rache gewesen? Oder hatte er etwa gedacht, sie hätte auf etwas ganz anderes gewartet, mit ihrem zurückgebeugten Kopf und den geschlossenen Augen? Wieder spielten ihre Gedanken verrückt, und noch einmal durchlebte sie das Gefühl, das sie bereits bei Julia dazu gebracht hatte, ihm nicht aufs Zimmer zu folgen. Es war nur seine Schuld, dass sie solche Überlegungen anstellte. Nur er hatte ihre Beziehung auf eine Ebene gebracht, die sie beide nicht wollten. Im kühlen Mondlicht fröstelnd, zog sie ihren Umhang fester um sich. Die eisige Kälte des gefrorenen Bodens drang durch die Sohlen ihrer dünnen Schuhe. Schnell ging Petra ins Haus und verbannte diese zauberhafte Nacht aus ihren Gedanken.
Etwas war jedenfalls klar: es war für sie und Kent Baron unmöglich, zusammenzusein, ohne dass ihre Gedanken verbotene Wege gingen. Wege, die er wissentlich und unwiederbringlich versperrt hatte. Und es gab darauf nur eine Antwort: sie musste jegliches Treffen mit ihm vermeiden.
8. KAPITEL "Nein, danke. Tut mir leid", sagte Petra am darauffolgenden Mittwoch als Kent in ihren Laden kam, um sie zum Mittagessen einzuladen. "Viel zu tun?" "Sehr viel, zum Glück." "Wie war's mit morgen?" "Ich glaube nicht, Kent", erwiderte sie ruhig. "Welche Ausrede haben Sie für morgen?" "Keine. Ich möchte einfach nicht mit Ihnen zum Essen gehen." Es hatte keinen Sinn, Ausflüchte zu gebrauchen. Er nahm einen Papierbeschwerer in die Hand, betrachtete ihn kritisch und legte ihn wieder zurück. "Wenn das keine klare Antwort ist! Darf ich fragen, warum Sie plötzlich so reagieren? Letzten Sonnabend wollten Sie doch unbedingt beweisen, wie freundschaftlich wir miteinander verkehren können." Petra überdachte ihre Antwort genau. Sollte sie sagen: Ich reagiere so, weil ich Angst habe, mit Ihnen zusammenzusein? Weil ich nicht sicher bin, wirklich freundschaftlich mit Ihnen verkehren zu können. Weil Sie selbst in kleinen Dosierungen viel zu gefährlich für mich sind. Aber keine dieser Antworten befriedigte ihren Stolz. Aber plötzlich kam die Eingebung. "Weil es jetzt unentschieden steht. Oder etwa nicht? Es hat wirklich keinen Sinn, noch mehr Zeit zusammen zu verbringen." Er blickte sie ungläubig an. "Und nur deshalb haben Sie Freundschaft geheuchelt?" "Warum denn sonst. Betrachten Sie doch unsere kurze Beziehung ganz nüchtern, Kent." Langsam begann sie, an ihr eigenes Märchen zu glauben. "Die meiste Zeit war die Atmosphäre zwischen uns nicht gerade freundlich. Warum sollten wir uns etwas vormachen? Sie sind nicht gerade mein Typ und ich bestimmt nicht Ihrer. Warum sollten wir eine Freundschaft demonstrieren, die gar nicht existiert? Wir wurden durch Umstände zusammengebracht, die bald nicht mehr bestehen werden. Belassen wir's dabei." "Dann ist auch Alexander nur ein Opfer dieser Umstände, oder?" Petra schlug die Augen nieder. "Ich mag Alexander wirklich sehr gern", sagte sie. "Ich frage mich, ob er Ihre Art von Zuneigung verstehen wird. Einmal hü einmal hott." Sein Ton war schneidend. Dann zog Kent eine Postkarte aus seiner Tasche. "Sie war in einem Brief von meiner Mutter. Alexander hasst Briefe schreiben. Damit können Sie Ihren Stellenwert in seinem Universum beurteilen." Petra nahm die Karte. Das Foto zeigte einen sonnigen Strand. Alexanders kindliche Schrift füllte die Rückseite. Er erzählte kleine Ereignisse seines Tagesablaufs, fragte nach seinem Kätzchen und endete mit bis zu meiner Rückkehr. "Er hat an niemanden sonst geschrieben", bemerkte Kent. "Soll ich ihm sagen, Ihnen nicht mehr zu schreiben, weil die Barons nicht Ihre Art Leute sind?" Petra erwiderte seinen Blick standhaft. "Es hat keinen Sinn, Alexander vorzuschieben, Kent. Das ist nur ein schmutziger Trick. Sosehr wie ich ihn auch mag - er ist ein Kind. Er wird mich schnell vergessen." Das hoffte sie jedenfalls. Kents kleiner Sohn war ihr ans Herz gewachsen, aber was sollte sie tun? "Ich fürchte, wir Barons vergessen nicht schnell", entgegnete Kent. Dann änderte sich sein Ton. "Aber wir finden uns mit den Gegebenheiten ab. Das war's dann also, Sie können aber ruhig mit den anderen Ladenbesitzern am einundzwanzigsten auf einen Drink in mein Geschäft kommen. Es würde ein bisschen komisch aussehen, wenn Sie es nicht tun würden. Und Sie wissen ja, wieviel Wert ich aufs Äußerliche lege." Petra hatte eine Einladungskarte von Granville-Antiquitäten erhalten, mit den anderen Mietern von Kent an einer Weihnachtsparty teilzunehmen. "Ich glaube, es wird gehen", erwiderte sie ruhig.
"Gut. Dann will ich Sie nicht länger aufhalten." Nachdem Kent fort war, blickte sie sich um. Trotz der Tannenzweige, roten Schleifen und bunten Behänge, mit denen sie das Geschäft dekoriert hatte, und der Weihnachtsbeleuchtung auf der Strasse hatte sie noch nie so wenig Vorfreude verspürt. "Du siehst blass aus", meinte Manda später zu Hause. "Geht es dir gut?" "Alles in Ordnung", erwiderte Petra. "Ich bin nur müde, wie fast jeder in dieser Zeit." "Solange es nicht Baron ist, der dich fertig macht... Man hört gar nichts mehr von ihm." Petra zuckte mit den Schultern. "Es gibt nichts zu erzählen." "Jedenfalls besser, als so wütend zu sein, wie vor einigen Wochen. Gehst du heute Abend aus?" forschte Manda weiter. "Nein." "Warum kommst du dann nicht rauf und isst mit uns zu Abend? Ich habe die Bestellungen für die Festtage fertig und muss nur Ockies Nachkommen davon abhalten, ihr Bett auf Seide und Satin zu machen." "Nein. Aber trotzdem vielen Dank, Manda." "Es ist die letzte Gelegenheit vor Weihnachten. Wir fahren morgen früh weg und bleiben bis zum zweiten Feiertag bei Joes Mutter, Und ich hab einen wirklich schönen scharfen Curry." "Auch nicht für den Curry, danke." Manda schaute die Freundin scharf an. "Du bist wirklich erledigt, oder? Und auch dein Geschäftssinn scheint nicht sehr wach zu sein. Weißt du überhaupt, dass unsere Miete seit fast drei Monaten überfällig ist? Ich hatte es nicht vergessen, kam aber einfach nicht dazu. Ich bringe dir nachher einen Scheck." "Kannst du ihn unter der Tür durchschieben?" Mit letzter Anstrengung lächelte Petra Manda zu. "Ich will nicht unhöflich sein, aber ich muss einfach ins Bett." "Gut. Ich werde dich nicht stören. Pass auf dich auf." Petra machte sich nichts zu essen. Sie hätte jetzt gern jemanden gehabt, der sich um sie kümmerte, ohne Fragen zu stellen, ohne Vorwürfe zu machen. Nur der Gedanke an das Weihnachtsfest mit ihren Eltern brachte ein wenig Licht in ihre schwarzen Gedanken. Am Sonnabendabend nach Geschäftsschluss war Feststimmung bei GranvilleAntiquitäten. In einer Ecke des Ladens stand ein riesiger gold- und silbergeschmückter Tannenbaum, und eine Kerze leuchtete in jedem der wertvollen georgianischen Kerzenhalter. Kents Angestellte boten den Gästen Getränke und Häppchen an. Da sehr viele Leute eingeladen waren, konnte Petra Kent lange aus dem Weg gehen. Doch kurz bevor sie gehen wollte, standen sie sich plötzlich gegenüber. "Was machen Sie über Weihnachten, Petra?" fragte er höflich, "Ich fahre nach Hause, nach Liverpool. Ich freue mich schon darauf. Sie werden doch sicher eine ruhige Zeit mit Alexander und Ihrer Mutter verbringen?" "Lange wird es nicht ruhig sein. Gleich nach Weihnachten habe ich Bautrupps in verschiedenen meiner Häuser." Dass er seinen Sohn als Waffe gegen sie benutzt hatte, machte ihr immer noch zu schaffen. "Wie schön, dass Alexander aus dem Weg ist", bemerkte sie, an ihrem Drink nippend. Kent blickte sie streng an. "Das hätten Sie etwas besser ausdrücken können. Ich habe Alexander nicht meinetwegen fortgeschickt. Der Kinderarzt hatte ein oder zwei Wochen warmen Klimas empfohlen, und ich bin seinem Rat gefolgt. Warum suchen Sie nicht nach der Ursache, bevor Sie die Tat voreilig verurteilen?" "Ich habe nichts dergleichen getan." "Nicht kneifen. Auf jeden Fall haben Sie es gedacht." "Kent", sagte Petra müde, "wir haben das schon so oft gehabt. Können wir das Streiten nicht einmal sein lassen?"
"Sieht nicht so aus", erwiderte er grimmig. "Aber ich will's versuchen. Nach Weihnachten läuft Ihr Mietvertrag nur noch über vier Wochen. Wissen Sie schon, was Sie dann tun werden?" "Nein. Aber Sie freuen sich doch sicher schon darauf, mich loszuwerden." Petra biss sich auf die Lippe. "Tut mir leid. Mein Fehler." Er lächelte, und dieses Lächeln tat ihr weh. "Komischerweise und trotz allem, was passiert ist, wird es ohne Ihr Temperament hier wohl etwas langweilig werden." "Jetzt weiß ich, dass Weihnachten ist. Sie sind ja fast höflich zu mir." Kent hob sein Glas. "Dann lassen Sie uns das Glück nicht länger versuchen und mit dieser harmonischen Note enden. Frohe Weihnachten." Auch Petra hob ihr Glas und stieß mit ihm an. Vorsichtig, denn es handelte sich um feinstes viktorianisches Kristall, "Frohe Weihnachten." Als Petra am Sonntagmorgen erwachte, war ihr sofort klar, dass es ihr nicht gut ging. Eine Erkältung zu Weihnachten, dachte sie missmutig. So ein Pech! Vor der Abreise nach Liverpool am nächsten Tag gab es noch sehr viel aufzuräumen, zu waschen und zu bügeln. Sie quälte sich damit ab und redete sich ein, dass ein Schnupfen eben ein Schnupfen sei, und man nichts dagegen tun könne. Jedoch am Nachmittag konnte sie nicht länger so tun, als habe sie nur eine leichte Erkältung. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, ihr gesamter Körper schmerzte, und der Kopf dröhnte ihr. Ihre Widerstandskraft war gebrochen. Sie nahm eine Tablette und ging mit einer Wärmflasche ins Bett. Nach einer unruhigen Nacht mit Fieberanfällen fühlte sich Petra am Morgen des Heiligen Abends nicht besser. Tränen der Enttäuschung brannten in ihren Augen. Sie konnte nicht nach Hause fahren. Selbst der Gedanke, sich anzuziehen, war zuviel für sie. Und sollte sie vielleicht auch noch ihre Eltern anstecken? Sie schleppte sich zum Telefon und beruhigte ihre Mutter mit falschen Auskünften, dass noch jemand anders im Haus wäre und auch genügend im Kühlschrank. Dann legte sie sich wieder ins Bett und fühlte sich so schwach wie Ockies Kätzchen, die Joe und Manda samt ihrer Mutter mitgenommen hatten. Es hatte die ganze Nacht über geschneit, und der Weg zu ihrem Haus war mit einem Teppich von unberührtem Weiß bedeckt, was die Einsamkeit noch zu verstärken schien. Noch nie war Petra das Haus so leer vorgekommen. Keine bekannten Geräusche drangen von den oberen Etagen zu ihr. Die Milch war abbestellt und auch für den Ofen kein Brennmaterial mehr im Hause. Doch die Vorstellung, durch den tiefen Schnee zu waten und vom Schuppen einen Eimer voll zu holen, erschien ihr unerträglich. Während sie erneut die Wärmflasche füllte, liefen Petra Tränen des Selbstmitleids über die Wangen. Dann verkroch sie sich wieder unter der Daunendecke, ärgerte sich über ihre Schwäche, das Leben im allgemeinen und den Unbekannten, der ihr die Grippeviren verpasst hatte. Sie musste wohl einige Zeit gedöst haben, denn als das Telefon klingelte, war es schon fast dunkel. Sie schleppte sich aus dem Bett, zog fröstelnd den Morgenrock um sich und krächzte ein schwaches "Hallo" in den Apparat. "Petra?" fragte eine männliche Stimme, die überrascht klang. "Ja." Wer war denn das? "Noch nicht fort. Sie werden im Dunkeln nach Liverpool fahren müssen. Ist das vernünftig?" Es war Kent, und damit wirklich die letzte Person, die ihr von Nutzen sein konnte. "Ich fahre nicht", sagte sie. "Und warum nicht?" Seine Stimme wurde schärfer. "Sie hören sich so komisch an. Sind Sie krank?" "Ich habe Grippe. Was wollen Sie, Kent? Ich mag nicht reden." "Ist jemand bei Ihnen?"
"Ich gebe keine Partys, wenn ich krank bin." "Also ist niemand im Haus?" "Nein. Und selbst wenn es so wäre, hätte ich keine Lust, mit jemandem zu reden", stieß sie hervor und warf den Hörer auf die Gabel. Warum war es nicht jemand gewesen, den sie hätte bitten können, ihr ein Wundermittel zu bringen? Aber selbst wenn es so gewesen wäre, man konnte nicht zu ihr vordringen, bis der Weg freigeschaufelt war. Sie kannte die Situation aus Erzählungen ihrer Tante. Wieder verkroch sich Petra im Bett. Ihr Kopf dröhnte, und sie fragte sich, wie viele Tabletten sie noch nehmen könne. Doch während sie noch überlegte, wurde sie vom Schlaf übermannt. Als Petra durch ein Klopfen ans Schlafzimmerfenster geweckt wurde, war es völlig finster. Sie fuhr hoch, hielt die Decke an sich gepresst und empfand große Angst. Sie war jetzt nicht fähig, sich einem Eindringling zu stellen. Aber solche Gäste klopften eigentlich nicht an Fenster, um auf sich aufmerksam zu machen, und riefen auch nicht ihren Namen. "Petra, Petra! Geht es Ihnen gut?" Wieder war es Kent und diesmal in Fleisch und Blut. Die letzte Person, die sie sehen und der sie sich mit verschwitztem Haar, roter Nase und verquollenen Augen zeigen wollte. "Petra?" rief er wieder. "Ich weiß, dass Sie da sind." "Natürlich bin ich hier", erwiderte sie krächzend. "Bitte, gehen Sie weg." "Sie brauchen nur die Tür aufzumachen und mich hereinzulassen. Das ist alles, ich verspreche es." Sie kämpfte mit ihrem alten roten Margenrock. "Sicher wird es das letzte sein, was ich überhaupt noch tue", murmelte sie ungnädig auf dem Weg zur Tür. Mit seinem marineblauen Dufflecoat, dem roten Schal und den Stiefeln war Kent gut gegen das Wetter geschützt. Sein Haar war mit Schnee überpudert. Als er eintrat, strömte eiskalte Luft ins Haus. "Wie sind Sie hergekommen?" fragte Petra, bebend vor Kälte. "Die Strasse sieht unbefahrbar aus, wenigstens tat sie das vorhin, und seitdem schneite es immer weiter." Er zog seinen Mantel aus. "Die Hauptstrasse ist soweit befahrbar. Ich habe den Wagen auf einem Parkplatz gelassen und bin den Weg raufgelaufen." Er legte seine Hand auf Petras Stirn - die Berührung war angenehm kühl. "Sie sind ja ganz heiß." Seine Stimme klang mitfühlend, und damit konnte Petra im Moment nicht umgehen. "Ich sehe scheußlich aus und fühle mich auch so." Zwei Tränen rannen ihr über die Wangen. "Sonst weine ich nie!" stieß sie hervor. "Was ist nur los mit mir?" Er legte ihr den Arm um die Schultern und schob sie in die Wohnung. "Sie sind übermüdet, enttäuscht wegen Ihrer geplatzten Weihnachtspläne und krank. Ist das nicht Grund genug?" Kent schaute sich um. "Warum ist es so kalt hier?" Sie deutele auf den Ofen. "Ich habe es nicht fertiggebracht, Brennstoff von draußen zu holen. Er ist in der Hütte hinter einer Schneewehe im Garten." "Haben Sie denn keinen elektrischen Heizkörper?" Daran hatte Petra gar nicht gedacht. "Doch. Hinter dem Sofa." Er holte das Gerät hervor, schob es vors Sofa und stellte den Heizkörper an. Dann verschwand er in ihrem Schlafzimmer und erschien bald darauf wieder mit der Wärmflasche und der Wolldecke in der Hand, die sie über ihr Federbett gelegt hatte. Petra musste sich hinsetzen, und dann hüllte er sie fest darin ein. "Wenn Sie es hier eine Weile aushalten können, werde ich das Bett frisch beziehen " Sie stöhnte bei dem Gedanken an das durchschwitzte Bettzeug. "Bitte tun Sie das nicht." "Machen Sie sich nicht lächerlich", sagte Kent tadelnd. "Dann werde ich die Wärmflasche füllen, mich um den Ofen kümmern und die Sacher hereinholen, die ich mitgebracht habe."
"Welche Sachen?" murmelte sie. "Warum sind Sie überhaupt hier ? Warum tun Sie das alles?" Er strich ihr sanft über die Wange. "Stellen Sie keine dummen Fragen. Sie brauchen doch jemanden, stimmt's? Ist es denn so wichtig, wer es ist? Aber wenn es Sie beruhigt, dann betrachten Sie es als einen Zug in unserem Spiel. Ich revanchiere mich für das, was Sie für Alexander getan haben." Wieder begannen Petras Augen verräterisch zu brennen, und sie zog sich die Decke übers Gesicht. "Seien Sie doch bitte nicht so nett zu mir. Es ist, als ob man einen Wasserhahn aufdreht." "Dann halten Sie jetzt den Mund und wärmen sich auf." Kent verschwand im Schlafzimmer und machte sich darin zu schaffen. Petra kuschelte sich tiefer in die Decke und genoss die Wärme. Schläfrig beobachtete sie Kents Tun. Dann war er plötzlich verschwunden, und sie hörte nur, wie er immer wieder etwas ins Haus trug Als er mit einem Eimer voller Brennstoff ins Wohnzimmer kam, blickte sie ihn fragend an. "Was haben Sie denn gemacht?" "Den Schlitten entladen." "Schlitten?" "Ja. Alexanders Schlitten. Bei diesen Schneemassen fiel mir nichts Besseres ein, um den Truthahn, und was ich sonst noch im Auto hatte, herzubringen." "Truthahn?" Offenbar waren Ein -Wort-Fragen an der Tagesordnung. Kent lachte jungenhaft. "Überanstrengen Sie sich nicht. Das Bett müsste jetzt schön warm sein." Ohne eine Antwort abzuwarten, hob er sie mitsamt der Decke auf und trug sie ins Schlafzimmer. Dort legte er sie in ein angenehm warmes und sauberes Bett. Dann brachte er ihr einen Waschlappen fürs Gesicht und ging sogar so weit, ihr das Haar zu bürsten. Petra schloss dankbar die Augen und ließ den Kopf in die Kissen zurücksinken. "Ich ... bin froh, dass Sie da sind", flüsterte sie heiser. "Das Fieber muss wirklich sehr hoch sein", sagte er skeptisch und brachte Waschlappen und Handtuch zurück ins Badezimmer. "Kent", murmelte sie schläfrig, "warum haben Sie einen Truthahn mitgebracht?" "Wir werden ihn morgen essen. " "Wir? Morgen?" "Sie glauben doch wohl nicht, dass ich Sie in diesem Zustand allein lassen werde. Trinken Sie das. Es ist mit Honig und Zitrone. Danach etwas Suppe. Wann haben Sie zuletzt gegessen?" "Ich weiß nicht. Ich hatte keinen Hunger." "Wenn ich vom Inhalt Ihres Kühlschranks ausgehe, hatten Sie sowieso keine Auswahl." "Ich wollte doch wegfahren." "Und jetzt bleiben Sie hier und lassen sich pflegen." Bevor Petra wieder einschlief, sah sie verschwommen sein Gesicht, als er sich an der Tür noch einmal umdrehte. Und sie glaubte, ihn zärtlich sagen zu hören: "Niemand sollte Weihnachten allein sein. Und ganz besonders nicht jemand wie Sie." Später, nachdem Petra wieder aufgewacht war, gab es Hühnerbrühe, die sie trotz allen Protestes heißhungrig hinunterschlang, und noch ein Zitrone-Honig-Getränk. Dieses Mal war Whisky beigemischt. Wieder übermannte Müdigkeit sie. Niemand sollte Weihnachten allein sein, hatte Kent gesagt. Aber was danach? "Ganz besonders nicht jemand wie Sie." Nein, unmöglich. Sie musste es sich eingebildet haben. Offensichtlich war das Fieber stärker, als sie angenommen hatte. Wieder schlief sie, diesmal die ganze Nacht durch. "Wie geht es Ihnen heute?" fragte Kent, als er am ersten Weihnachtstag um neun Uhr mit einer Tasse Tee in der Hand Petras Zimmer betrat. "Viel besser, wenn man Sie so ansieht."
Sie nahm die Tasse. "Danke. Ich fühle mich schon viel besser. Wo haben Sie geschlafen?" "Auf Ihrem Sofa. Sie sollten sich mal nach einem längeren umsehen. Nur für den Fall, dass Sie noch einmal in eine derartige Situation kommen. " "Tut mir leid. Trotzdem, fröhliche Weihnachten." Kent lächelte. "Fröhliche Weihnachten." Petra nippte an dem Tee. "Jetzt müssen Sie aber nach Hause, Kent." "Ich fürchte, das wird nicht klappen. Der Truthahn brutzelt nämlich schon in Ihrem Ofen." "Aber wenn Alexander und Ihre Mutter bei Ihnen anrufen? Sicher werden sie es heute tun und sich Sorgen machen, wenn Sie nicht da sind." "Aber nicht doch. Ich habe sie wissen lassen, dass ich heute gegen Mittag von hier aus anrufen werde. Natürlich werde ich dafür bezahlen." Petra richtete sich auf. "Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie verdienen mehr als einen Anruf bei Alexander. Versuchen Sie nur, dafür zu bezahlen, und ich werde Sie rauswerfen." Er schaute ihr ins blasse Gesicht mit den dunklen Bändern unter den Augen. "Sie und wer noch? Sie könnten noch nicht einmal einen Truthahnknochen nach draußen befördern." "Ich werde besser aussehen, wenn ich aufstehe und mich anziehe." "Aufstehen heißt bis zum Sofa beim Ofen, Dies ist ein Befehl und keine Bitte, Aber wenn Sie nach dem Fruchtsaft und dem Toast, den ich Ihnen gleich bringen werde, ein Bad nehmen wollen, ist das in Ordnung, Möchten Sie Kaffee?" Zufrieden ließ Petra den Kopf auf die Kissen zurücksinken. "Sie sine wirklich sehr herrschsüchtig. Kaffee möchte ich gern." Er verzog den Mund zu einem breiten Lächeln. "Das Frühstück kommt sofort." Nach dem Bad zog Petra einen Jogginganzug an und war froh, sich wieder auf dem Sofa ausstrecken zu können. "Wenn Sie krank sind, ziehen Sie wohl eher zeitgenössische Kleidung vor?" fragte Kent mit Blick auf ihren Anzug. "Was Mode betrifft, habe ich keine Vorurteile." Aus der Küche drangen angenehme Düfte, im Radio wurden gedämpft Weihnachtslieder gespielt, und draußen war alles in weihnachtliches Weiß gehüllt. Das gestern noch so kalt, einsam und feindselig anmutende Haus hatte sich in ein warmes, heimeliges Zuhause verwandelt. Als Petras Mutter am Spätvormittag anrief, stellte sie fest: "Es hört sich so an, als kümmerten sich deine Freunde um dich." "Das tun sie sehr gut", erwiderte Petra. "Wie schön, dass jemand da ist. Was meinst du, kannst du vielleicht doch noch kommen?" "Vielleicht." Komischerweise fiel es Petra schwer, sich vorzustellen, anderswo zu sein, "Heute habe ich noch ziemlich weiche Knie, aber das Geschäft ist die Woche über geschlossen, so dass ich Zeit habe ..." "Schön. Dein Vater und ich mochten dich so gern sehen. Grüß deine Freunde ganz herzlich von mir, Liebling." Petra überbrachte die Botschaft. "Meine Mutter lässt Ihnen dafür danken, dass Sie sich um mich kümmern." Sie blickte Kent an. "Das gilt auch für mich. Ich kann einfach nicht begreifen, wie nett Sie sein können." "Wenn ich je ein doppeldeutiges Kompliment gehört habe, dann war es dies hier. Buchen Sie meine Nettigkeit auf das Konto der Weihnachtswunder, und nutzen Sie die Gelegenheit." "Oh, das tue ich", erwiderte Petra und kuschelte sich wieder in die Kissen. Der erste Weihnachtstag verging so, wie er es immer tat und wohl immer tun würde: ein ausgedehntes, gut schmecken des Essen, die Ansprache der Königin, Tee, der Vorsatz, an diesem Tag nichts mehr zu sich zu nehmen, gebrochen am frühen Abend mit einem Snack aus Schinken und Salat. Gespräche und Fernsehen und spätabends eine Partie Scrabble vor dem warmen Ofen. Petra schenkte Kent den Sieg und ließ sich dann gähnend aufs Sofa sinken.
"Müde?" fragte er. "Vielleicht noch einen Whisky mit Honig und Zitrone?" "Ich glaube nicht, dass ich den noch nötig habe. Es geht mir schon sehr viel besser." "Aber ich brauche einen. Ausgezeichneter Schlaftrunk." Er stand auf und ging in die Küche. Petra schaute träumerisch zum Ofen, Kent kam zurück, gab ihr das Glas und setzte sich neben sie. Schweigend tranken beide. "Dies war wohl das ungewöhnlichste Weihnachten, das ich mir denken kann, aber ich habe es sehr genossen", sagte sie ganz ehrlich zu ihm. Er wandte den Kopf und sah sie an, "Mir geht es genauso." Durch das Fieber war sich Petra eigentlich kaum bewusst gewesen, dass Kent Baron hier bei ihr war und so unglaubliche Dinge tat, wie in ihrer Küche zu kochen und die Bettwäsche zu wechseln. Er bewegte sich in ihrer Wohnung, als wäre es seine. Aber durch diese kurze Unterhaltung schien sich die Atmosphäre verändert zu haben. Der Abend verlor seinen Zauber. Es gab plötzlich nichts mehr zu sagen. Mit einer brüsken Bewegung stand Petra auf. "Morgen fahre ich zu meinen Eltern", erklärte sie entschieden. "Bis dahin bin ich fit für die Reise." Auch Kent stand auf, "Ich werde meine Sachen zusammensuchen und nach Hause fahren, denn meine Gegenwart scheint hier ja nicht mehr notwendig zu sein. Warten Sie nicht, und gehen Sie ins Bett, bevor die Wirkung des Getränks nachlässt. Ich räume auf und finde dann schon hinaus." Sie saß noch eine Zeitlang unschlüssig herum und schaute ihm zu, wie er das Geschirr abräumte und es in die Küche brachte. Seine Energie verletzte sie. Sie fühlte sich von allem ausgeschlossen. "Nun gehen Sie schon!" sagte Kent, als er wieder aus der Küche kam. "Hier können Sie nichts tun." "Wird es klappen? Ich meine die Rückfahrt durch den Schnee." Gereizt sah er sie an. "Ich bin ja auch hergekommen, oder?" "Ja. Aber ich wusste es nicht. Jetzt werde ich mir Sorgen machen. Ich möchte sicher sein, dass Sie nicht in irgendeiner Schneewehe steckengeblieben sind. Rufen Sie bitte kurz an." "Ach, um Himmels willen!" Kent wirkte mit einemmal ungeduldig. Doch als er Petra unentschlossen in der Schlafzimmertür stehen sah, fügte er hinzu. "Ich werde Ihre Nummer wählen und es dreimal klingeln lassen. Sie brauchen nicht aufzustehen, um abzunehmen. Es wird wohl niemand anders Sie um diese Zeit anrufen, und Sie werden beruhigt sein. Zufrieden?" Petra sah ihn unglücklich an. "Es ist vorbei, nicht wahr?" Kent blickte sie verständnislos an. "Wovon sprechen Sie?" "Von dem Wunder." "Weihnachten dauert nicht ewig", entgegnete er kurz angebunden und schloss die Küchentür hinter sich. Sie lag im Bett und hörte gedämpfte Geräusche aus der Küche. Kurze Zeit später wurde die Wohnungstür zugeschlagen und dann die schwere Haustür. Wieder war Petra den Tränen nahe. Er hatte ihr noch nicht einmal einen Gutenachtgruß zugerufen. Nach dem heutigen Tag wäre es ja wohl das mindeste gewesen. Nachdem Wärme und Verständnis zwischen ihnen geherrscht hatten, waren sie wieder in Zwietracht auseinandergegangen. "Weihnachten dauert nicht ewig", hatte er gesagt. Aber Petra hatte das unbestimmte Gefühl, das sie die Auswirkungen nicht so schnell vergessen würde. Unruhig wälzte sie sich im Bett herum und wiederholte sich immer wieder: Du darfst nicht fühlen, was du fühlst. Er hat dir ganz eindeutig gesagt, dass du die letzte Person auf der Welt bist, mit der er sich einlassen würde. Reicht es dir nicht endlich? Offensichtlich nicht, denn als das Telefon klingelte, sprang Petra aus dem Bett und rannte ins Wohnzimmer. Nur ein Läuten mehr als die drei versprochenen, und sie würde den Hörer
abnehmen. Dann würde er ihr sagen, dass er nicht verstehen könnte, warum er auf diese Weise gegangen war, warum er überhaupt gegangen war. Zitternd lag ihre Hand auf dem Hörer. Das Telefon läutete dreimal. Nicht mehr. Kent Baron hielt sein Wort. Sie hatte sich alles nur eingebildet. Es war pure Selbsttäuschung gewesen. Petra schleppte sich zurück ins Bett. Morgen wurde sie nach Liverpool fahren. Bei ihrer Rückkehr wäre sie wieder in ihrem Normalzustand, und bis Ende Januar dauerte es nicht mehr lange.
9. KAPITEL Den Kopf voll mit guten Vorsätzen, kam Petra aus Liverpool zurück und fuhr vor ihrem Haus vor. Dort aber musste sie erfahren, wie kurzlebig doch eben diese guten Vorsätze bezüglich Kent Baron waren. Sein Wagen stand in der Einfahrt. Kent musste genau in dem Moment Blumen für Manda bringen - offensichtlich ein Dankeschön für Alexanders Kätzchen als -, Petra zurückkam. Taktvoll zog sich Manda schnell mit dem Blumenstrauß im Arm ins Haus zurück, und Kent kam zu Petras Auto. Sie hätte ebensogut überhaupt keine Vorsätze fassen können, denn ihr Herz schien plötzlich Aerobic zu machen, und ihr fehlten die Worte. "Hallo, Petra", sagte Kent freundlich, "War's schön in Liverpool?" "Wunderbar. Vielen Dank." Es war allerdings nur die Hälfte der Wahrheit. Natürlich war es, wie immer, schön gewesen, die Zuneigung der Eltern zu spüren. Aber dieses Mal hatte sie ihnen so viel verschweigen müssen. Und dafür war nur dieser Mann verantwortlich. "Sind Sie ganz wiederhergestellt?" "Vollkommen." Aber frag bloß nicht weiter, dachte sie. Frag mich nicht, ob ich nicht mehr an dich denke. Denn dann werde ich mich gegen dein Designersweatshirt werfen und mein möglichstes tun, um es einlaufen zu lassen. "Wie schön. Dann will ich Sie nicht länger hier draußen aufhalten." Kent nickte ihr zum Abschied kurz zu und fügte in einem Anflug von Ritterlichkeit hinzu: "Brauchen Sie Hilfe mit Ihrem Gepäck?" "Nein, danke, ich habe nur dies", sagte Petra schnell und holte ihre Reisetasche vom Rücksitz. Kent nahm sie beim Wort und fuhr ab. In Erwartung einer eiskalten Wohnung, öffnete Petra die Tür und wurde sogleich von wohliger Wärme umfangen. Gleich darauf kam Manda, um sie zu begrüßen und zu erzählen, dass Kent dafür verantwortlich war. "Er kam heute morgen her, fragte, wann du wiederkommen würdest, und erzählte, dass du krank gewesen seist. Als wir ihm sagten, dass du heute kommen würdest, hat er sich deinen Zweitschlüssel geborgt, um Feuer im Ofen zu machen. Heute nachmittag ist er wiedergekommen, um noch einmal einzuheizen. Ich hab ihm gesagt, dass Joe es schon tun würde, aber er gab mir auch die Blumen für das Kätzchen," Nachdenklich sah sie Petra an. "Er ist gar nicht so, wie wir am Anfang dachten, nicht wahr?" Nachdem die Freundin wieder gegangen war, setzte sich Petra an den warmen Ofen, und Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Es war einfach nicht fair, dass sich Kent so um ihr Wohlbefinden kümmerte, zugleich aber klarstellte, dass er an ihr selbst nicht interessiert war und nie sein würde. Wenn er sie schon nicht liebte, sollte er doch wenigstens auch nicht freundlich sein, denn diese Freundlichkeit tat weh. Ärgerlich sprang sie auf. "Du gehst mir auf die Nerven, Petra Collins", sagte sie zu sich selbst. "So geht es nicht. Komm wieder zu dir." Spätabends rief ein Bekannter an, um sie zum Sylvesterball in einem vornehmen Hotel der Stadt einzuladen. Mit beschämender Ehrlichkeit erklärte er ihr, dass seine ursprüngliche Partnerin ihn hatte sitzenlassen. Man hätte die Einladung höflicher formulieren können, aber jedenfalls war es eine. Sie musste Verabredungen haben, um nicht mehr so verwundbar zu sein, und schließlich war Paul Webster ein angenehmer Begleiter. "Das geht in Ordnung, Paul", sagte Petra, "Ich hatte mir für Sylvester nichts vorgenommen und bedauere es jetzt. Ich komme gern," "Wirklich? Wie schön,"
Aber nachdem Petra den Hörer aufgelegt hatte, saß sie da und hatte wenig Lust, auszugehen. Je eher sie wieder arbeitete, desto besser. Wahrend der Ferien hatte sie einfach zuviel Zeit, sich unpassende Gedanken und falsche Hoffnungen zu machen. Petra besaß ein wunderhübsches Abendkleid, das sie noch nie getragen hatte. Es stammte aus den zwanziger Jahren, und in seinem Schnitt zeigte sich die leichte, verführerische Einfachheit der Linien dieser Epoche. Das schmale Oberteil mit dem tief angesetzten Rock bestand aus hellgrauem Seidenvoile, besetzt mit Pailletten. Es war ein Traumkleid, und Petra würde es gern für einen Traummann getragen haben. Jetzt musste eben Paul Webster herhalten. Auf eine Frisur im Stil der zwanziger Jahre verzichtete sie, denn sonst hätte sie ihr langes Haar abschneiden müssen. Ein perlgraues Stirnband und kristallene Ohrgehänge passten gut zu ihrem Aufzug. Bei näherer Betrachtung fand sich Petra zwar hübsch aussehend, aber ohne Ausstrahlung. Ein bisschen blass, "spitz", wie Manda es gern formulierte. Aber jedenfalls sah sie nicht aus wie jemand, dessen Welt in sich zusammengebrochen war. Sie konnte stolz auf sich sein, "Wer hat dich denn in letzter Minute sitzenlassen", fragte sie Paul, als sie durch die Eingangshalle des Hotels gingen, in dem der Ball stattfand. "Darüber sollten wir wohl lieber nicht reden. Es ist nicht sehr taktvoll, oder?" erwiderte er. "Warum denn nicht? Ich weiß, dass du deine Pläne kurzfristig ändern musstest, und es stört mich in keiner Weise, darüber zu sprechen," "Nun, wenn du es wirklich wissen willst: ich hatte in letzter Minute eine Meinungsverschiedenheit." "Und mit wem?" fragte Petra. "Joanne Morton. Kennst du sie?" "Ich glaube nicht." "Sie gehört zu der Jäger- und Reiter-Clique." "Dann kenne ich sie bestimmt nicht. In diesen Kreisen bewege ich mich nicht." "Darum hatten wir ja die Meinungsverschiedenheit, Ich kann die Jagd nicht ausstehen. Joanne ist jedoch von Kind auf daran gewöhnt. Warum ich mich auch mit jemandem einlassen musste, der so andere Ansichten hat, ist mir schleierhaft. Aber leider kann man sich ja die Personen nicht aussuchen, zu denen man sich hingezogen fühlt, oder?" "Das ist nur zu wahr", erwiderte Petra ruhig. Sie betraten den Ballsaal und setzten sich an einen Tisch. Paul kam gleich wieder auf Joanne zurück. "Ich bat sie, mich am zweiten Weihnachtstag zu einem Essen zu begleiten, aber sie sagte, dass sie dann immer zu einem Jagdtreffen gehen würde. Und zwar schon seit ihrer Kindheit. Ich meinte, sie solle ein bisschen erwachsener werden, und schon war der schönste Streit im Gang. Schließlich sagte Joanne, wir sollten uns lieber sofort trennen, und ich stimmte zu. So kam es also, dass ich mit zwei Karten für den Ball und ohne Begleiterin dasaß. Ich war so froh, dass du kommen konntest, denn sonst wäre es wirklich ein scheußlicher Sylvesterabend geworden." "Bei mir wäre auch nicht viel losgewesen. Aber da wir nun schon hier sind, lass uns doch tanzen", sagte Petra entschieden, und sie mischten sich unter die Paare auf der Tanzfläche. Paul war ein passabler Tänzer und, wenn er nicht gerade seinem Liebeskummer nachhing, auch ein aufmerksamer Begleiter. Plötzlich aber spürte Petra, wie er zusammenzuckte. Sie schaute ihn erstaunt an. "Joanne ist hier. Ich hätte nie damit gerechnet, dass sie mit einem anderen herkommen würde." "Ist es dir unangenehm?" Er entspannte sich etwas. "Warum denn? Wir sind schließlich beide freie Menschen." Das demonstrierte er auch sofort, indem er Petra dicht an sich zog. "Was trägt sie denn?" fragte Petra neugierig.
"Rot natürlich. Aber in ihren Kreisen nennt man es wohl Pink. Dunkles kurzes Haar. Jetzt sind sie genau gegenüber." Es gab nur ein Mädchen, auf das diese Beschreibung passte, und ihr Anblick und der ihres Partners ließ Petra scharf einatmen. Das Mädchen tanzte mit Kent Baron! Dessen Blick begegnete Petras einen kurzen Moment, bis sie wieder im Getümmel verschwanden. "Hat sie mich gesehen?" fragte Paul, der sich bemühte, nicht auf die Tanzfläche zu schauen. "Ich glaube nicht, Tatsache ist jedoch", sagte sie zu Paul, "dass deine Joanne mit meinem jetzigen Vermieter tanzt. Und mit dem verstehe ich mich zur Zeit nicht gerade gut." "Phantastisch. Ein wirklich vielversprechender Abend", stöhnte Paul deprimiert. Sie ließen den nächsten Tanz aus und sahen das Mädchen in Rot mit einem anderen Partner tanzen. "Noch einer von der Jagd-, Schiess- und Fisch-Gesellschaft", bemerkte Paul bissig. Dann fiel ein Schatten über ihren Tisch, und Petra blickte auf - in Kents Gesicht. "Guten Abend, Petra", sagte er. Sie war darauf gefasst gewesen, irgendwann an diesem Abend mit ihm sprechen zu müssen, aber trotzdem fiel es ihr schwer, gelassen zu wirken. "Guten Abend, Kent. Kennen Sie Paul Webster?" "Nein. Noch nicht." Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. "Darf ich Ihnen Ihre Partnerin für diesen Tanz entführen?" fragte Kent übertrieben höflich. "Damit hatte ich schon gerechnet", antwortete Paul missmutig. Kent rückte Petra den Stuhl zurecht, als sie aufstand, und reagierte nicht auf Pauls feindseligen Ton. Aber auf der Tanzfläche bemerkte er trocken: "Sie scheinen sich ja einen ziemlich schlechtgelaunten Partner ausgesucht zu haben." "Paul ist einfach süß", widersprach Petra übertrieben heftig. Er verzog keine Miene. "Und wie gut kennen Sie diesen ,süßen Mann'?" "Schon ewig lange." "Ich fragte nicht, wie lange, sondern wie gut." "Gut genug, um mit ihm tanzen zu gehen". antwortete sie schlagfertig. "Aber nicht gut genug, um ihm ein SOS zu senden, wenn Sie krank sind." "Ich habe niemanden gebeten, sich um mich zu kümmern, Kent. Und geht es Sie eigentlich etwas an, wie gut ich Paul kenne?" "Da haben Sie recht. Es geht mich überhaupt nichts an." Einige Minuten lang tanzten sie in gespanntem Schweigen. Sie hatten nicht lange gebraucht, um dieses ihnen wohlbekannte Stadium zu erreichen. "Ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu treffen", meinte er endlich. "Es war eine Entscheidung in letzter Minute." "Bei mir auch. Ich bin für jemanden eingesprungen. Und wie war es bei Ihnen?" "Ich sehe keinen Sinn darin, das Thema weiter auszuspinnen", erwiderte Petra, der die Geschichte von Paul und Joanne langsam auf die Nerven ging. "Wir sind hier, und so ist es eben." "Ich wollte mich eigentlich nur unterhalten." "Wenn Ihnen an Unterhaltung liegt, warum tanzen wir dann?" Kent schaute auf sie hinab. "Für jemanden, der wie ein Engel aussieht, haben Sie eine verdammt spitze Zunge." Sie wollte wütend reagieren, bemerkte dann aber, dass ein winziges Lächeln seine Züge erhellte, und entspannte sich. "Nun geht es wieder los." "Lassen Sie uns die Unterhaltung vergessen", schlug er vor. "Beim Tanzen verstehen wir uns ja gut."
Und so war es wirklich. Ganz dem Rhythmus der Musik hingegeben, fühlte sich Petra ganz eins mit diesem Mann. Und das Wissen, dass sie m allen anderen Fragen weit voneinander entfernt waren, schien diese körperliche Harmonie noch erstaunlicher zu machen. Warum hatte das grausame Schicksal sie nur wieder zusammengebracht, und das auch noch durch Partner, die eigentlich zusammengehörten? Die Musik verstummte. Petra wandte sich mit einem kurzen "Dankeschön, Kent" wieder ihrem Tisch zu, blieb dann aber unvermittelt stehen. "O nein! Im Moment kann mich Paul, glaub ich, gar nicht gebrauchen", sagte sie. Kents Begleiterin, das Mädchen mit dem roten Kleid, unterhielt sich gerade sehr angeregt mit Paul und unterstrich ihre Erklärungen mit Gesten und Kopfbewegungen. "Was ist los?" fragte Kent. "Erraten Sie es nicht? Mein Begleiter ist der, für den Sie eingesprungen sind." Er lachte kurz. "Was für ein Zufall. Es ist wohl besser, aus ihrem Blickfeld zu verschwinden, damit sie ihre Meinungsverschiedenheiten bereinigen können, meinen Sie nicht? Ich werde uns etwas zu trinken holen - wir gehen wohl am besten in den Wintergarten." Petra stellte sich innerlich darauf ein, weiter mit Kent zusammenbleiben zu müssen. Im Wintergarten war es ruhig, bis auf das leise Rauschen eines Brunnens und die gedämpften Stimmen einer Gruppe am anderen Ende des grünen, schummrigen Raums. Kent kam mit den Drinks wieder und setzte sich neben Petra auf das Rattansofa. Sie wünschte, er hätte sich einen Stuhl genommen. "Ist Alexander wieder da?" fragte sie. "Noch nicht", erwiderte Kent kühl. "Er und meine Mutter kommen erst kurz vor Schulanfang zurück." Das Wasser im Brunnen plätscherte weiter, und die anderen Leute verließen den Raum. "Haben Sie schon eine genaue Vorstellung, was Sie ab Ende Januar machen werden?" fragte Kent. Es war schmerzlich, an das Ende des Monats und der Zeit in der Granville Row zu denken, also improvisierte Petra kühn. "Schon einige. Vielleicht vermiete ich meine Wohnung und gehe eine Zeitlang nach London. Von den Mieteinnahmen könnte ich leben, außerdem soll während des Frühjahrs und Sommers der Camden-Flohmarkt ja sehr interessant sein. Vielleicht gehe ich auch aufs Festland oder nach Amerika." Sie begann sich für das Thema zu erwärmen. "Wie ich gehört habe, mögen die Leute dort Sachen aus dem alten Europa. Doch es wäre umständlicher, die Waren dorthin zu transportieren, als einfach ab und zu mal über den Kanal zu fahren." "Anders ausgedrückt, die Welt liegt Ihnen zu Füssen. Ich komme mir unheimlich alt vor. Sind Sie sicher, dass Sie nicht auf den Spuren der Hippies wandeln wollen?" Petra hielt seinem Blick stand. "Ich bin absolut kein Hippie." "Nur abenteuerlustig, immer auf dem Sprung." "Wie Ihre verstorbene Frau. Sie brauchen es gar nicht mehr zu sagen." Sie begegnete seinem wütenden Blick und stellte ihr Glas hin. "Ich glaube, es ist Zeit, zu gehen. Es hat keinen Sinn, hier zu sitzen und Gemeinheiten auszutauschen. Das muss ich nicht haben." Sie stand auf, und Kent tat das gleiche. "Petra ..." Sie machte den Fehler, sich umzudrehen und in seine Augen zu schauen. Sie drückten so viel Gefühl aus, dass ihr die Knie weich wurden. "Bitte, machen Sie keine Dummheiten, wenn Sie Cheltenham verlassen." "Natürlich nicht." Stumm blickten sie einander an. So nah und doch so weit entfernt. Kent kam auf sie zu, und die Spannung wurde unerträglich. "Ich denke, dass unsere jeweiligen Partner nun zu einem Ergebnis gekommen sind", sagte Petra schnell. "Lassen Sie uns gehen und nachsehen."
Das Ergebnis war offensichtlich, denn Paul und Joanne tanzten so eng miteinander, dass ein Stück Papier zwischen ihnen keinen Platz mehr gehabt hätte. Joannes Kopf ruhte auf Pauls Schulter, sein Gesicht war in ihrem Haar verborgen, und er hielt sie zärtlich in den Armen. "Ich beginne, mich etwas überflüssig zu fühlen", sagte Kent. "Mir geht es ebenso. Ob sie sich überhaupt noch erinnern, mit jemand anderem gekommen zu sein?" Resigniert wandte sich Kent an Petra. "Ich bin gern bereit, für den Rest des Abends Ihr Partner zu sein." Gern bereit! Man hätte es kaum schlapper ausdrücken können. "Danke", erwiderte Petra ruhig. "Aber ich glaube, dass keiner von uns beiden Spaß daran hätte." "Wie Sie meinen", entgegnete er steif. "Ich möchte gern nach Hause. Ich habe Kopfschmerzen." "Vielleicht ist Ihr Stirnband daran schuld." "Vielleicht aber auch etwas anderes." "Ich wollte hinzufügen ,obwohl es bezaubernd aussieht'. "Aber wenn Sie unbedingt gehen wollen, werde ich Sie nach Hause bringen." "Nein", widersprach Petra fast unhöflich, "Tut mir leid, aber meine Kopfschmerzen werden davon sicher nicht besser. Ich hab wirklich welche, und da wir offensichtlich keine normale Unterhaltung führen können, nehme ich lieber ein Taxi." "Dann werde ich Ihnen eins rufen." Petras Blick folgte seiner großen, eleganten Gestalt im Abendanzug, und es schmerzte sie, dass sie so miteinander umgingen. Warum musste es so sein? In Romanen lebte das Paar immer glücklich bis ans Ende, Es gab Hochzeitsglocken und Konfetti. Plötzlich erschien ihr die Zukunft entsetzlich langweilig und ohne Perspektive. Als sie ihren Umhang von der Garderobe holte, kam Kent zurück. "In zwei Minuten. Wir haben Glück gehabt, es scheint gerade eine Flaute zwischen den beiden eingetreten zu sein." "Sollten Sie mit Paul sprechen, teilen Sie ihm bitte mit, dass ich ihn morgen anrufe", sagte Petra, als sie zur Tür gingen. "Ich denke, dass er Sie nicht nur anruft, sondern Ihnen auch einen Riesenstrauß Blumen schickt." "Es ist mir wirklich ganz egal", erwiderte sie ehrlich. "Wie alles andere, nicht wahr?" Hätte sie über seine letzten Worte nachgedacht, wäre sie vielleicht in Tränen ausgebrochen. Aber schnell verdrängte sie die aufsteigende Traurigkeit. "Ich bitte Sie nur, dass Sie den beiden gegenüber nicht unhöflich werden", warnte sie. "Sie sind wirklich verliebt." "Um so dümmer von ihnen, sich so zu benehmen. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Es liegt mir fern, hier eine Szene zu machen, und ich denke, dass meine Erziehung dieser Prüfung standhalten wird." Kent teilte dem Taxifahrer Petras Adresse mit und schloss die Wagentür mit einem Gutenachtgruß. Zu Hause angekommen, wollte Petra bezahlen, doch der Fahrer wehrte ab. "Es ist erledigt, Miss. Der Herr hat alles geregelt, bevor wir abgefahren sind." Petra lief ins Haus und lehnte sich gegen die Tür. "Verdammt", stieß sie hervor. "Verdammt, dass er ist, wie er ist." Streitsüchtig, aber immer korrekt. Beleidigend, doch großzügig. Grausam, aber doch liebenswert. Bedachtsam und unlogisch zugleich. All das war er und noch etwas mehr: unvergesslich. Gleich am ersten Schultag kam Alexander in den Laden. Er trug eine neue Schuluniform, deren Ärmel und Hosenbeine noch etwas lang waren. Irgendwie sah er so äußerst verwundbar
aus, und Petra hätte ihn gern in die Arme genommen. Von seinem Urlaub auf den Bahamas war er noch sonnengebräunt. "Du bist ja ein ganzes Stück gewachsen", stellte Petra fest, "Ich weiß. Jetzt bin ich so groß wie Nigel Forest. Vielleicht hört er nun auf, mich herumzukommandieren. Er ist wahnsinnig neidisch wegen des Kätzchens." Alexanders Miene wurde ernst. "Ist Ockie nun traurig, Petra?" "Weil das Kätzchen fort ist?" "Ja. Es ist doch traurig, wenn jemand fort ist." "Ich glaube, dass Katzen da etwas anders reagieren als Menschen, Alexander." Das war offensichtlich nicht die richtige Antwort gewesen. Er bearbeitete den Teppich mit dem Fuß und schaute sich dann um. "Du gehst doch weg, oder?" "Ja. Aber vergiss nicht, dass ich mein Haus hier habe. Ich werde sicherlich hin und wieder zurückkommen", sagte sie betont forsch. Er schien beruhigt, wechselte das Thema, runzelte plötzlich die Stirn und war genauso wie sein Vater. "Wusstest du, dass mein Vater eine Freundin hat?" Er sagte Vater, nicht Dad, und die Betonung des Wortes "Freundin" verriet, dass der Junge nicht einverstanden war. Auch Petra versetzte diese Information nicht gerade in einen Freudentaumel. "Ach ja", bemerkte sie so gelassen wie möglich. "Ihre Mutter ist eine Freundin von Grandma, und als wir von den Bahamas kamen, waren sie am Flughafen. Mein Vater hat viel mehr mit ihr gesprochen als mit mir. Am Sonntag nachmittag gehen sie reiten." Petra versuchte, dem Ereignis eine positive Note zu geben. "Das ist doch immerhin viel besser als malochen', oder?" Alexander quittierte den Gebrauch seines Wortes mit einem kurzen Lächeln. "Grandma sagt, es wird ihm guttun. Aber ich weiß nicht. Das Mädchen - es heißt Caroline - fragte mich, ob ich auch kommen wolle. Sie hätte ein gutes Pony für mich." Er spielte an der Tischdecke herum. "Eigentlich mag ich Pferde nicht so sehr", fügte er dann betont lässig hinzu. "Vielleicht wird es besser, wenn du größer wirst, und dir die Pferde kleiner erscheinen", meinte Petra diplomatisch. "Vielleicht." Er klang nicht sehr überzeugt. "Petra, warum kannst du nicht wieder zu uns kommen, wie damals, als ich ins Krankenhaus musste. Ich glaube, du wärst viel guter für meinen Dad." "Besser", korrigierte Petra ihn automatisch. "Aber Alexander, ich glaube nicht, dass du da etwas tun kannst. Eltern haben die Angewohnheit, sich ihre Freunde selbst auszusuchen und es nicht den Kindern zu überlassen." "Genau das hat mein Vater auch gesagt." "Na also, dann muss es ja wahr sein." Er wandte sich wieder dem Teppich zu, erinnerte sich dann aber, dass er es nicht durfte. "Tut mir leid. Aber jetzt gehe ich lieber, sonst krieg ich Ärger." Er blickte Petra anklagend an. "Nach Weihnachten sind Erwachsene immer schlecht gelaunt. Wenigstens mein Dad." "Alexander", sagte Petra, "lass doch deinen Vater in Frieden," "Er hatte ihn ja. Mehr als drei Wochen lang. Grandma sagt, es habe ihm nicht sehr viel gebracht." Caroline... überlegte Petra, nachdem der kleine Junge aus dem Laden gestürzt war. Und sie war seit langer Zeit eine Freundin der Familie, die ihre Wurzeln hier hatte und bestimmt keine Lust verspürte, umherzuziehen. Caroline, die Pferdeliebhaberin. Petra schaute sich in einem eichengerahmten, polierten Spiegel an und warf den Kopf zurück, indem sie ziemlich gut ein Wiehern nachahmte.
"Was, in aller Welt, tun Sie denn da?" fragte Kent in diesem Moment, der leise zur Tür hereingekommen war, die Alexander wohl nicht ganz geschlossen hatte, Petra wurde knallrot, "Eine Erklärung würde zu lange dauern", erwiderte sie schnell. Seit dem Sylvesterabend hatte sie Kent nicht mehr gesehen, und auch heute bereitete ihr sein Besuch keine besondere Freude, "Was kann ich für Sie tun?" "Ich habe nebenan den Nachmieter für das Geschäft. Wäre es Ihnen recht, wenn ich mit ihm herkomme, damit er sich alles ansehen kann?" "Kein Problem. Wie Sie wohl bemerken werden, herrscht hier zur Zeit kein besonderer Andrang." Er dankte ihr und verschwand, um kurz darauf mit einem großen blonden Mann zurückzukommen. Inzwischen war auch ein Kunde eingetreten, der Petra über eine Fußbank ausfragte. Sie konnte den beiden also nur kurz zulächeln, während die Männer sich das Geschäft und die anderen Räume ansahen. Als Petras Kunde ging, verabschiedete sich Kent auf dem Bürgersteig gerade von seinem zukünftigen Mieter. Gleich darauf erschien er wieder in "Collections". "Danke schön, ich hoffe, wir haben Ihren Verkauf nicht behindert." "Überhaupt nicht. Außerdem gehört der Laden ja Ihnen." Er stand unschlüssig herum und schaute sie dann plötzlich prüfend an. "Sie haben abgenommen, und viel zuzusetzen hatten Sie sowieso nicht Essen Sie denn ordentlich?" "Wie ein Pferd." Unter den gegebenen Umständen schien "Pferd" mit den damit verbundenen Assoziationen ihr eigentlich nicht das richtige Wort zu sein, und Petra wandte sich ab, um völlig unnötigerweise etwas im einem Regal zu ordnen. Er wandte den Blick nicht von ihr ab. "Haben Sie schon feste Pläne?" "Das haben Sie mich schon vor einer Woche gefragt", erwiderte sie ungeduldig. "Und wenn Sie nicht irgend etwas organisieren, dann schwimmen Sie in drei Wochen ohne Rettungsring", antwortete er schlagfertig. "Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Das tue ich schon seit Jahren", sagte Petra und schenkte ihm ein völlig unechtes Lächeln. "Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird schon gehen, wie immer." "Optimismus ist ja eine sehr schöne Eigenschaft, aber es kann auch schiefgehen", bemerkte Kent trocken und verließ den Laden. Als Petra Sonnabendabend spät nach Hause kam, hatte Joe gerade die Milchflaschen herausgestellt. "Hallo, warst du aus?" fragte er. "Essen - mit dem Pärchen, das mich Sylvester überflüssig gemacht hat. Vielleicht hat dir Manda davon erzählt." "Klar. Was für ein Paar! Hoffentlich haben sie dir einen netten Abend bereitet, denn schulden tun sie's dir ja." "Es war ein wunderbares Essen." Aber ein Abend mit zwei Menschen, die ihre Schwierigkeiten überwunden hatten und so offensichtlich verliebt waren, war nichts für Petras augenblicklichen, ungeliebten Zustand. "Komm rauf auf einen Drink", sagte Joe, dem das leichte Zittern in Petras Stimme nicht entgangen war. "Wir haben schon lange nicht mehr so richtig gequatscht. Was hast du denn die ganze Zeit getrieben? Winterschlaf gehalten?" "So was ähnliches", erwiderte Petra. "In Ordnung, Joe. Ich komme rauf. Vielleicht nehme ich dann später Ockie mit, wenn sie will " Joe sah sie mitfühlend an. "Also das ist es. Jetzt, da auch das zweite Kätzchen weg ist, braucht Ockie sicher auch Trost. Gehen wir nach oben." Eine Stunde später, als Petra mit der zufrieden schnurrenden Ockie im Arm die gemütlich chaotische Wohnung der Freunde verließ, tat sie den entscheidenden Schritt.
"Wenn ihr jemanden kennt, der meine Wohnung für ein halbes Jahr mieten würde, dann gilt das Angebot ab Ende des Monats", verkündete sie. "Du gehst weg? Wohin?" fragte Manda überrascht. "Irgendwohin. Mich hat die Wanderlust wieder gepackt. Ich gehe erst nach London - und dann, wohin immer ich möchte. Ich bin im Grunde kein sesshafter Typ." Jedenfalls hält man mich dafür, dachte sie, während sie die Treppe hinunterging. Aber wenn es wahr sein sollte, warum schien ihr der Gedanke an eine andere Stadt, eine andere Wohnung und andere Menschen so unangenehm. Doch unter den gegebenen Umständen war dies die einzig richtige Entscheidung gewesen, oder etwa nicht? Nun - sie hatte ihren Plan groß angekündigt, also musste sie ihn auch durchziehen. Bei einer Haushaltsauflösung am nächsten Wochenende entdeckte Petra den winzigen versilberten Babyschuh. So groß wie der Fuß, der ihn vor Jahren getragen hatte, besaß er das unverkennbare Loch an der Stelle, wo im allgemeinen der große Zeh war. Sie hielt ihn in der Hand und ließ die Finger immer wieder über das Loch gleiten, das auch das Versilbern nicht hatte vertuschen können. Plötzlich war ihr Herz ganz bei dem kleinen Jungen, dem er vor langer Zeit gehört hatte, und der Mutter, die sich ihn so sehr zurückwünschte. Sie kaufte den kleinen Schuh und rief am Nachmittag vom Laden aus Mrs. Baron an. Zu Petras Schreck war Kent am Apparat. "Oh, ich wollte Ihre Mutter sprechen", sagte Petra nervös. "Ich dachte, Sie seien nebenan." "Ich verbringe dort nicht meine gesamte Zeit. Schließlich muss ich mich auch um die anderen Immobilien kümmern. Manchmal nehme ich mir sogar ein bisschen Freizeit. Was kann ich für Sie tun?" "Ich habe eine Kleinigkeit für Ihre Mutter und dachte, ich könnte sie auf dem Heimweg heute abend vorbeibringen." "Sie wird nicht da sein, denn ich nehme sie übers Wochenende zu mir mit. Sicher wird meine Mutter sich freuen, Sie dort zu sehen." "Ich möchte aber auf keinen Fall stören." "Sie meinen. Sie möchten mich nicht sehen", sagte er leise. "Wenn es Ihnen die Entscheidung erleichtert, am Sonntag nachmittag gehe ich reiten." Schon wieder Caroline, dachte Petra verärgert. Zwei Sonntage nacheinander. Wie vielversprechend! Dann nahm Mrs. Baron Kent den Hörer ab. "Petra - ich möchte Sie so gern noch sehen, bevor Sie weggehen. Kommen Sie doch am Sonntag, und wir trinken gemütlich eine Tasse Tee zusammen." Eine Ablehnung war unmöglich. "Wenn Sie sicher sind, dass ich nicht störe", erwiderte Petra zweifelnd. "Aber keinesfalls. Beachten Sie Kent nicht. Sie wissen ja, wie er ist. Ich erwarte Sie dann um drei Uhr. ja?" Petra wünschte, den vermaledeiten Schuh nie gefunden zu haben. Und mehr noch wünschte sie. dass Mrs. Baron den Mietvertrag für die Granville Row nie zustande kommen lassen hätte. Aber diese hatte ja nur ihre Dankbarkeit zeigen wollen. Wie konnte sie wissen, welche Wirkung es auf Petras Leben haben würde? Mrs. Baron freute sich außerordentlich über den Babyschuh. Obwohl, wie sie Petra versicherte, gar kein Geschenk nötig gewesen wäre, hätte ihr dieses so viel Freude gemacht wie keines zuvor. Seinen Worten getreu, war Kent mit Caroline reiten, und Alexander verbrachte den Nachmittag mit Nigel Forest - sie schienen Freunde geworden zu sein. Also verging die Zeit so friedvoll und ruhig, wie Mrs. Baron es versprochen hatte. Nach einer Stunde verabschiedete sich Petra, versicherte, allein herauszufinden, und ging zu ihrem Wagen - und an dem lehnte Kent. Sein brauner Pullover, die Reithose und -Stiefel bezeugten, dass er geritten war.
"Ich hatte nicht erwartet. Sie zu sehen", sagte Petra. "Das kann ich mir vorstellen," Er lächelte ironisch. "Aber ich wollte Sie sehen und bin extra früher gekommen. Ich warte schon seit einer Viertelstunde." "Nichts hätte Sie davon abgehalten, hereinzukommen. Dann wäre ich eben einfach früher gegangen." "Aber ich möchte mit Ihnen sprechen. Ich wollte nur nicht ins Haus kommen und meiner Mutter Gelegenheit bieten, ihre Kommentare loszuwerden." "Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was es noch zu sagen gibt", entgegnete Petra, Er nahm sie beim Arm. "Kommen Sie ein Stück mit durch den Garten, und finden Sie es heraus." Sie schaute ihn unschlüssig an, aber sein Griff war fest, und sie gingen schon den Weg entlang, der von Hecken gesäumt wurde, vorbei an dem vereisten Brunnen. Sie fröstelte leicht. "Ich werde Sie nicht lange aufhalten", sagte Kent und schaute sie an. "Petra, ich mache mir Sorgen um Sie." "Dazu besteht kein Grund", antwortete sie mit fester Stimme. "Ich glaube aber doch." Er verstummte und schien zu zögern, seine Gedanken in Worte zu fassen. "Die Idee, dass Sie weggehen, ohne einen bestimmten Plan zu haben, gefällt mir nicht. Es kann so viel passieren. " "Wirklich, Kent". sagte sie ungeduldig, "was ich mache, ist doch meine Sache." "Ich möchte sie zu meiner machen", entgegnete er energisch und versetzte ihr damit einen tiefen Schock. Was war das? Trotz des kalten Januarwindes überlief eine Hitzewelle sie. " Ich möchte Sie etwas fragen, Ihnen ein Angebot machen." Er wandte unsicher den Blick ab, um sie dann schließlich direkt anzusehen. "Ich hoffe, Sie werden es sich gut überlegen, bevor Sie antworten." Petra hatte das Gefühl, ihr Herzschlag würde aussetzen. Erstaunt blickte sie zu ihm auf und versuchte verzweifelt, seine Gedanken zu erraten. "Möchten Sie nicht etwas länger hierbleiben. Geben Sie sich doch Zeit zum Überlegen, was Sie mit Ihrem Leben anfangen wollen. Drei Tage pro Woche kann ich Sie bei GranvilleAntiquitäten beschäftigen. Eine meiner Verkäuferinnen heiratet und wurde dann lieber Teilzeit arbeiten. Sie könnten mir wirklich nützlich sein." Ziemlich unsanft kam Petra wieder auf die Erde zurück. Für ihn arbeiten? Ihm "nützlich" sein? War dies sein Angebot? Nur mit Mühe fand sie ihre Stimme wieder. "Danke, Kent. Ich weiß, dass Sie es gut meinen. Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich Ihr Angebot um nichts auf der Welt annehmen würde." Er kniff die Augen zusammen. "Ich bat Sie, sich Ihre Antwort zu überlegen " "Das ist nicht nötig. Sie sind der letzte Mensch auf der Erde, für den ich arbeiten würde." Die Stimme versagte ihr fast vor Empörung. "Lieber würde ich vor Hunger sterben, als einen Handschlag für Sie zu tun. Also Sie können sich Ihre drei Tage sonstwo hinstecken." Sie rannte den Weg hinauf und stürzte zu ihrem Wagen. Zum Glück sprang er sofort an und sie war schon fast aus der Auffahrt, als Kent endlich erschien. Idiotin, beschimpfte sich Petra. Verrückte, wirklichkeitsfremde Idiotin. Einen Moment lang hatte sie zu wissen geglaubt, was Kent Baron sie hatte fragen wollen. Sie hatte wirklich geglaubt, dieser Mann habe ihr einen Heiratsantrag machen wollen. Wie hatte sie sich nur so täuschen können? Es war wirklich höchste Zeit, von ihm wegzukommen und ihren gesunden Menschenverstand wiederzufinden.
10. KAPITEL Als Petra das letzte Mal auf dem Camden-Flohmarkt gewesen war, hatte sie ihn als aufregend empfunden, wie einen Wirbel aus Farben und Geräuschen. An diesem Sonntag aber war er für sie nur eine unangenehme Mischung aus Lärm und Gedränge. Sie konnte gar nicht schnell genug wegkommen. Sie suchte nach Entschuldigungen für diese Reaktion: die M 40 war überfüllt gewesen, und schon bevor Petra nach einer Wohnung zu suchen begann, war sie erschöpft gewesen. Wo kamen nur all diese Menschen her? Der Sonntag war hier genauso turbulent und geschäftig wie jeder andere Wochentag. Auch die Wohnungssuche war eine deprimierende Erfahrung. Petra hasste die Doppelzüngigkeit der Makler. Nichts schien so zu sein, wie es sein sollte. Sie besichtigte Wohnungen, die nicht größer waren als ein Schrank mit Kochnische. Sie hatte eine Kellerwohnung "mit Atmosphäre" besichtigt, in der die Atmosphäre aus Alter, Feuchtigkeit und Zerfall bestand. Letztendlich hatte sie eine horrende Mietvorauszahlung für eine Wohnung geleistet, die aus zwei winzigen Zimmern bestand. Zwei "bessere Schränke" dienten als Küche und Badezimmer. Sauber waren sie schon, aber sie hatte einen "wunderbaren" Ausblick auf schmutzige Dächer und Kilometer von Eisenbahnschienen. Auf dem Rückweg durch die flache Landschaft von Oxfordshire überlegte Petra, wie verrückt sie doch war, ihr Haus einzutauschen gegen das sogenannte "Apartment". Und in etwas mehr als einer Woche würde es los gehen. Dann aber wurde die Landschaft in ihrem Kopf durch Zahlen ersetzt. Bis jetzt hatte sich noch niemand für ihre Wohnung interessiert. Die Mieten der anderen beiden Bewohner würden gerade die Kosten der Wohnung in London decken. Ihren Lebensunterhalt müsste sie aus Verkäufen und von ihren Ersparnissen decken. Aber wie kamen Leute zurecht, die keine Tante Jess hatten, die ihnen ihren Besitz hinterließ und ihre Existenz finanzierte? Sollte es zum Schlimmsten kommen, könnte sie immer wieder in ihr Haus zurückkehren. Petra verzog das Gesicht. Zurückkommen, das hieß, das Risiko einzugehen, Kent zu begegnen, von Kent zu hören, vielleicht sogar von seiner Hochzeit mit der pferdefreundlichen Caroline. Nein. Schließlich ging sie deshalb fort, oder? Sie würde fortgehen und so lange wegbleiben, bis Kent Baron für sie nicht wichtiger war als irgendein anderer Mensch auf der Welt. In der letzten Woche der Existenz von "Collections" war im Geschäft unerwartet viel los gewesen. Freunde und Leute aus dem Chor kamen in den Laden, um sich zu verabschieden und dabei auch etwas zu kaufen. Petra hatte mit Kent verabredet, dass sie die Schlüssel am Sonntag durch den Briefkasten von Granville-Antiquitäten werfen würde, wenn sie alles ausgeräumt und den Laden gesäubert hatte. Kent hatte ihr die Hand gereicht und viel Glück gewünscht. Aber der Augenblick war unerträglich gewesen, denn Kent hatte ihre Hand lange festgehalten und fast verlegen gesagt: "Petra, ich hoffe, dass alles gut gehen wird. Das wissen Sie doch, oder?" Welch eine Ironie, diese Worte von dem Mann zu hören, der, wenn er es nur wollte, alle ihre Wünsche und Hoffnungen erfüllen könnte. Nun war es Sonntag Nachmittag, und im kalten, dunklen Dämmerlicht des scheidenden Tages packte Petra ihre Waren ein. Sie war erst spät von einem Abschiedsmittagessen mit Manda und Joe gekommen. Noch war viel zu tun, aber sie hatte das Hilfsangebot der Freunde abgelehnt, wohlwissend, dass sie die bis jetzt zur Schau gestellte Heiterkeit nicht länger hätte zeigen können. Mit einigen Dingen in den Händen, die im oberen Stockwerk verstaut gewesen waren, kam Petra die Treppe hinunter und fand Kent mitten im Chaos des Ladens stehen. "Ich habe Sie nicht hereinkommen hören", sagte sie nicht allzu herzlich.
"Das wäre auch nicht möglich gewesen. Ob Dieb, Mörder, Vergewaltiger - die Tür war für alle offen." Doch in etwas versöhnlicherem Ton fügte er hinzu: "Um diese Tageszeit sollten sie wirklich nicht allein hier sein. Es ist ja gleich dunkel." Petra deutete auf die herumliegenden Sachen. "Wie Sie sehen, ist noch viel zu tun. Aber Sie haben recht, ich werde die Tür hinter Ihnen abschließen." Er nickte, "Das ist gut." "Hatten Sie einen guten Ritt?" fragte sie steif, mit einem Blick auf seine Kleidung. "Sehr angenehm. Auf den Hügeln liegt noch etwas Schnee, aber das Gelände ist gut." Hinter seinem Rücken brachte er eine Kristallkaraffe mit Sherry hervor. "Ich habe ihn aus dem Geschäft geholt. Machen Sie eine Pause für einen Abschiedsschluck?" "Die Gläser sind schon eingepackt", erwiderte Petra ungnädig. Seine andere Hand kam zum Vorschein. "Ich habe welche mitgebracht." Von Minute zu Minute wurde ihr sein Anblick schmerzlicher. Sie konnte einfach nicht mehr. "Ich möchte wirklich nicht. Mittags habe ich mit Joe und Manda Wein getrunken, und ich glaube nicht, dass noch mehr Alkohol das Packen beschleunigen wird." Sekundenlang glaubte Petra, er würde sich gegen diese brüske Zurückweisung auflehnen, aber statt dessen fügte er sich ihrem Wunsch, bemerkte, dass sie es am besten wissen müsse und er sie daher nicht länger stören werde. "Und morgen geht es also wirklich los?" fragte er noch von der Tür her. "Ja." "Und dann wartet das Abenteuer?" "Ich hoffe doch." Petra lächelte strahlend und hatte dabei das Gefühl, ein total verzerrtes Gesicht zu haben, Abenteuer? Nein. Nur die Hope Street mit ihren Schornsteinen und Schienen. Forschend blickte er sie an. "Sie können Ihr Vorhaben noch aufgeben. Mein Angebot steht noch immer," Sie schüttelte den Kopf. "Es bleibt, wie es ist." Dann war es plötzlich ganz still. "Also bleibt mir nur noch, Ihnen viel Glück zu wünschen", sagte Kent und hob Karaffe und Gläser. "Leider kann ich Ihnen nicht die Hand geben." "Ich Öffne Ihnen die Tür." Sollte er sie berühren, würde sie nicht für ihre Reaktion garantieren können, "Vergessen Sie nicht, abzuschließen." Kent ging an ihr vorbei, und keiner von ihnen sagte auf Wiedersehen. Petra verriegelte sowohl die Vorder- als auch die Hintertür und begann dann bitterlich zu weinen. Schließlich riss sie sich aber zusammen und stürzte sich in die Arbeit. Als endlich die letzte Kiste gepackt war, hatte Petra das Gefühl, ihr würde der Kopf vor Schmerzen platzen. Trotzdem lud sie die Kisten noch in ihren Wagen. Bevor sie jedoch mit der Reinigung des Ladens begann, schob sie einen Stapel Papier beiseite, um an die Steckdose zu kommen und den elektrischen Wasserkessel anzuschalten. Ein Blitz und beängstigendes Knistern ließen sie jedoch zurückzucken. Also würde es keinen Tee geben. Im Gegensatz zu dem Kessel ging das Licht noch. Sie sammelte leere Flaschen zusammen und ging auf die Strasse, um sie in den Container zu werfen, und spazierte dann in , den nahegelegenen Park, setzte sich völlig erschöpft und deprimiert auf eine Bank, bis sie sich nach einiger Zeit aufraffte und den Rückweg zum Laden antrat. Doch in der Granville-Row blieb sie wie versteinert stehen. Dort war offenbar die Hölle los. Ein Löschwagen der Feuerwehr war da, und mehrere uniformierte Leute rannten umher. Und auf der anderen Straßenseite hatten sich bereits erste Gaffer postiert. Neben Petra bog mit quietschenden Reifen ein Auto in die Strasse, hielt schlitternd an, und jemand sprang heraus. Da erst begriff Petra, dass sich der ganze Tumult auf ihren Laden konzentrierte. Und es war Kents Auto, das neben dem Feuerwehrwagen stand.
Kent kämpfte mit einem Feuerwehrmann, der ihn offensichtlich davon abhalten wollte, sich dem brennenden Laden zu nähern. Ein zweiter kam hinzu und bog ihm die Arme auf den Rücken. "Wir sind hier, um den Brand zu bekämpfen, nicht Sie. Beruhigen Sie sich", hörte Petra einen der Männer streng sagen. Sie lief auf die Gruppe zu, "Kent, ich bin hier", rief sie. Er wirbelte herum und starrte Petra an, als würde er einen Geist sehen, schloss sie dann aber erleichtert in seine Arme, "Petra. Ich glaubte, Sie wären da drin. Und diese Idioten wollten mich nicht zu Ihnen lassen." Einen unbeschreiblich schönen Augenblick lang verharrte sie in seinen Armen. "Bitte, gehen Sie weiter, Herrschaften," Unwirsch wurden sie voneinander getrennt. "Gehen Sie auf die andere Seite, und behindern Sie die Arbeit nicht." "Wo waren Sie?" rief Kent Petra zu, als sie getrennt wurden, und gleich darauf: "Ich stelle mich nicht zu den Gaffern da drüben, kommen Sie mit hierher." Sie kämpfte sich zu ihm durch, und er legte den Arm um ihre Schulter. "Gott sei Dank sind Sie in Sicherheit", sagte er und umfasste sie noch fester. "Ein Bekannter entdeckte Rauch und Feuer am Hinterausgang des Ladens und rief erst die Feuerwehr und dann mich an. Ich bin sofort hergeeilt. Als ich aber sah, dass die Lichter in Ihrem Geschäft noch brannten, wurde ich fast verrückt bei dem Gedanken, Sie könnten noch im Geschäft sein. Sehen Sie doch nur," Sie blickten entsetzt auf die verrußte Fassade von "Collections". Die Ladentür und die oberen Fenster waren aufgebrochen worden. Hauch drang heraus, und hinten konnte man züngelnde rote Flammen sehen. "Wo waren Sie?" fragte Kent erneut. "Nur die Strasse runter, um Flaschen in den Container zu werfen. Und dann habe ich im Park gesessen. Wie lange, weiß ich allerdings nicht. Dann bin ich wieder hierhergekommen. Wie ist das nur geschehen? Ich kann es nicht glauben. Mehr als eine halbe Stunde war ich bestimmt nicht weg." Er blickte sie grimmig an. "In einer halben Stunde kann viel passieren." "Ich kann mir nicht vorstellen, wie es passiert sein könnte", wiederholte Petra nachdenklich. "Und Ihre Waren?" fragte Kent plötzlich. "Alles ist im Lieferwagen auf dem Parkplatz. Aber das ist nicht so wichtig. Und Ihr Geschäft?" "Wir müssen abwarten." Ein Mann näherte sich ihnen. "Mr. Baron? Ich erinnere mich an Sie. Wir haben im letzten Jahr die feuertechnische Kontrolle bei Ihnen durchgeführt. Ich bin John Craver und Feuerwehrhauptmann." "Ja, ich erinnere mich. Wie sieht es drüben aus?" Kent deutete in Richtung von "Collections". "Wir haben den Brand jetzt unter Kontrolle, Sir. Sonst würde ich nicht mit Ihnen sprechen können. Es sah schlimmer aus, als es ist, und eine Gefahr für die anderen Gebäude besteht auch nicht." Er blickte Petra an. "Sie sind also die junge Dame, die für den Aufruhr gesorgt hat, nehme ich an. Sie haben wohl im Laden gearbeitet, oder?" "Ja." "Haben Sie etwas benutzt, was das Feuer hätte auslösen können? Den Ofen vielleicht?" fragte der Mann weiter. "Nein, nichts." "Haben Sie geraucht?" "Ich rauche nicht." Der Feuerwehrmann sah Kent an. "Wir müssen den Laden versiegeln, bis unsere Experten morgen alles besichtigt haben. Ich denke, das Gebäude als solches hat nicht sehr viel
mitbekommen. Die Einrichtung müssen Sie aber wohl leider vergessen. Waren noch Sachen von Ihnen drin, Miss?" "Nein. Ich hatte bereits alles ausgeräumt. Ich ziehe weg", antwortete Petra. "Dann haben Sie ja Glück gehabt. "Beide Männer schauten sie an, und plötzlich begriff sie den Sinn der Fragen, "Sie werden doch wohl nicht glauben .. ." Sie verstummte unvermittelt. "Sie sagten, ein Expertenteam würde kommen." "Nur, um festzustellen, dass es sich nicht um Brandstiftung handelt", erwiderte der Feuerwehrmann sachlich und blickte sie fest an. Jetzt war es ausgesprochen, das Wort hatte Gesicht bekommen, Petra blickte zu Kent hinüber. Im Licht der Straßenlaterne wirkte sein Gesicht blass und ausdruckslos. Doch plötzlich glaubte sie, Zorn in seinen Augen zu erkennen. "Ich denke, dass Miss Collins nun gehen kann", sagte er kühl. "Natürlich, Sir. Solange die junge Dame glaubt, dass sie allein fahren kann." "Natürlich werde ich sie nach Hause bringen." "Dazu besteht keinerlei Notwendigkeit. Ich kann das sehr gut allein", protestierte Petra. Kent maß sie mit einem kalten Blick. "Sie sehen aus, als würden Sie gleich umfallen. Ich gehe das Risiko nicht ein, Sie die halbe Stadt zerstören zu lassen." Blind vor Tränen wandte Petra sich um und rannte zu ihrem Wagen, Dieser Mann sollte sie nicht nach Hause fahren! Sie wurde also verdächtigt, das Feuer absichtlich gelegt zu haben. Der Mann von der Feuerwehr tat es, weil es sein Beruf war. Aber Kent? Glaubte er wirklich, Sie würde etwas Derartiges tun? War ihre Beziehung so schlecht gewesen, dass eine solche Tat verständlich schien? Petra erinnerte sich, wie er sie an sich gerissen hatte, erleichtert, sie nicht im Laden zu wissen. Jetzt erst sah sie, wie sehr sie die Situation überschätzt hatte. Nicht ihr hatte seine Erleichterung gegolten. Auf jeden anderen hätte er gleich reagiert. Aber im nächsten Augenblick hatte er sie verdächtigt, das Feuer selbst gelegt zu haben. Plötzlich sah sie Kents Wagen in ihrem Rückspiegel. Er folgte ihr nach Hause. Nahm er etwa an, sie würde fliehen? Sie wusste, was sie zu tun hatte. Langsam drosselte sie die Geschwindigkeit - sie wollte nicht auch noch sein Auto auf dem Gewissen haben -, bremste und stieg aus. Kent tat das gleiche. "Warum folgen Sie mir?" fragte Petra ärgerlich. "Ich mache mich nicht bei Nacht und Nebel aus dem Staub, sondern fahre nach Hause." "Und ich passe auf, dass Sie dort auch ankommen." Seine Stimme klang entschieden. "Nein. Das werden Sie nicht. Ich werde keinen Meter weiterfahren, bis Sie nicht versprochen haben, mich in Ruhe zu lassen." "Seien Sie doch nicht so dumm", erwiderte er. "Steigen Sie in Ihren Wagen, und fahren Sie endlich." Trotzig verschränkte Petra die Arme vor der Brust, und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Kent ging zu seinem Wagen zurück, schloss ihn ab, kam wieder, packte sie und nahm sie über die Schulter wie einen Sack Kartoffeln. Trotz allen Tretens und Schlagens trug er sie zu ihrem Wagen und setzte sie auf dem Beifahrer sitz ab. "Und wagen Sie es nicht, rauszuspringen", polterte er los, setzte sich auf den Fahrersitz und schlug die Tür zu. "Verdammte Spielzeugkiste auf Rädern. Schlüssel?" Petra reagierte nicht, also packte er ihre Hand, bog die Finger auseinander, holte die Schlüssel hervor und ließ den Motor an. "Sie stehen im absoluten Halteverbot", bemerkte Petra schadenfroh, "Erzählen Sie mir was Neues." "Man wird Ihr Auto abschleppen,"
"Was mich angeht, so können sie das verdammte Ding gern in die Luft sprengen," "Und für Geschwindigkeitsüberschreitung sind Sie auch dran, wenn wir überhaupt noch so lange leben", sagte sie. "Tun Sie mir einen Gefallen, und halten Sie den Mund." Vor Petras Haus stoppte er so scharf, dass die Kisten im Laderaum gegeneinander stießen. Einen Moment lang überlegte Petra, ob sie ihre wertvollen Sachen auch wirklich gut genug eingepackt hatte, sagte sich dann aber, dass jetzt sowieso alles egal sei. Kent ging um den Wagen und riss die Tür auf. "Raus", befahl er. "Sie kommen aber nicht.. ." "Natürlich komme ich mit. denn ich muss Ihnen etwas sagen." Im Wohnzimmer standen bereits die gepackten Koffer. Wahrend Petra wie hypnotisiert zuschaute, gab er jedem Gepäckstück einen Tritt, öffnete eines nach dem anderen und leerte den Inhalt auf dem Boden aus. "Was, um Himmels willen, machen Sie da?" brachte sie schließlich hervor, "Sind Sie verrückt geworden?" Kent drehte sich um. Er atmete schwer und wirkte ausgesprochen wütend. "Ja, verrückt", schrie er. "Komplett durchgedreht, und ich kann nichts dagegen tun. Sie werden nicht wegfahren, hören Sie! Ich lasse es nicht zu. Verdammt - trotz allem, was ich gesagt habe, und trotz dieses erniedrigenden und ermüdenden Kampfes, den ich mit Ihnen geführt habe -, mir bleibt nichts anderes mehr übrig, ich muss dich einfach heiraten." Während sie einander anstarrten, herrschte im Raum eine knisternde Atmosphäre. Und dann, ganz plötzlich, begann Petra hysterisch zu lachen. Es war ein unkontrolliertes Lachen, das mit Tränen endete. Kent warf sich auf die Knie und umarmte Petra. "Bitte nicht, Petra. Bitte, Liebling." Während er sie streichelte und Liebesworte flüsterte, beruhigte sie sich langsam. "Ich habe deinen Laden nicht angezündet, Kent", sagte sie unsicher. "Natürlich nicht." "Aber der Feuerwehrmann hat es geglaubt." "Reine Routinefragen. Ich wusste doch, was du gedacht hast, aber man kann nicht mit jemandem streiten, der gerade ein Feuer gelöscht hat. Aber warum reden wir eigentlich davon?" "Es muss sein. Ich weiß jetzt, was die Ursache war. Wenigstens glaube ich es zu wissen. Der Kessel muss einen Kurzschluss verursacht haben," Kent küsste sie. Dann schaute er sie so liebevoll an, wie er es noch nie getan hatte, "Geht es dir jetzt besser?" Petra nickte. "Wirklich? Alles in Ordnung?" "Ja," Sie seufzte. "Habe ich mich verhört, oder war das ein Heiratsantrag?" Er lächelte leicht beschämt. "Deine Frage erstaunt mich nicht. Aber ja, es war einer und ist es immer noch." Sie lachte lautlos. "Originell war er auf jeden Fall." Kent schüttelte sie leicht. "Lassen wir die Originalität doch beiseite, ich warte auf eine Antwort." Petra schaute ihn an. Ihre blauen Augen waren leicht gerötet, sprühten aber vor Glück. "Es war eigentlich eher eine Feststellung, die keine Antwort verlangte." "Petra!" Er schüttelte sie heftiger. "Also, dann wollen wir mal sehen. Was sagtest du noch? ,Ich muss dich einfach heiraten.' Nun gut, dann muss ich wohl einfach ja sagen." Kent lächelte triumphierend, zog sie hoch und küsste sie lange und zärtlich. "Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du weggehst. Ich wollte dich davon abbringen, hatte aber Angst, den entscheidenden Schritt zu tun. Nur heute, als ich dachte, du würdest in den
Flammen umkommen, wurde mir klar, wie dumm ich mich benommen hatte." Er sah sie direkt an. "Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich nicht mehr ohne dich leben kann." "Und was soll jetzt passieren?" Kent überlegte. "Wenn wir von unserer bisherigen Beziehung ausgehen, dann werden wir uns wohl ab und zu streiten." "Denk an die Versöhnung." "Alexander ist auch wichtig. Alles muss schön für ihn sein." "Natürlich. Das kriegen wir schon hin. Ich sage es dir hier und jetzt, Kent Baron, ich betrachte Alexander als ein großes Plus für uns, denn hauptsächlich seinetwegen werde ich dich heiraten." "Und dann gibt es ja auch noch meine Mutter. Sie hat die Angewohnheit, den Menschen zu befehlen, was sie tun sollen. In fünfunddreißig Jahren habe ich es nicht geschafft, sie davon zu kurieren. Sie hat mich die ganze Zeit genervt, dich zu heiraten, bevor es ein anderer tut." "Wo ist das Problem? Die Ideen deiner Mutter gefallen mir." "Aber dann ist da auch noch deine Nutze-den-Augenblick-Mentalität." Kents Miene war plötzlich ernst geworden. "Ich warne dich, Petra, wann immer du mich verlassen willst, ich werde dir folgen. Und ich werde dich zurückholen. Ich will dich für immer," "Und ich dich auch." Sie umarmte ihn heftig. "Kent Baron, ist dir eigentlich bewusst, dass ich jeden Moment meines Lebens mit dir verbringen will?" Aus Worten wurden Taten, bis Kent Petra nur ungern aus seinen Armen entließ. "Ich muss gehen. Meine Mutter ist bei Alexander geblieben und wird sich fragen, was geschehen ist." Er lächelte zufrieden. "Ich werde es genießen, ihr die Neuigkeit mitzuteilen." "Du vergisst aber etwas", sagte Petra. "Du kannst nicht fahren, wenn ich dich nicht zu deinem Wagen bringe, und vielleicht ist er auch gar nicht mehr da." "Aber natürlich wirst du mich fahren", sagte er großmütig. "Und ob ich mein Auto habe oder nicht, du kommst mit, um es zu erzählen. Dann bleibst du, damit wir es gleich morgen früh Alexander sagen können. Das gibt ihm dann wieder einen Vorsprung vor Nigel Forest, dessen Mutter etwas gewichtig ist und sich in Murmeln nicht auskennt." Glücklich über diesen Vorschlag, kramte Petra einige Sachen zusammen, und bevor sie draußen in den Wagen stiegen, atmete sie tief und glücklich durch. "Riech mal, wie die Erde duftet", sagte sie. "Sie ist erst kürzlich gepflügt worden." Sie deutete auf die regelmäßigen Furchen, die das Feld vor ihnen durchzogen: ein Muster aus Licht und Schatten, gezeichnet vom silbernen Mondlicht. Noch einen letzten Gedanken verschwendete sie auf die Dächer und Schienen, deren Ansicht sie schon fast akzeptiert hatte, und atmete noch einmal tief durch. Kent hielt sie fest umschlungen. "Dieses Feld ist wie wir, nicht wahr? Denk nur an den Kampf, den sich Erde und Pflug liefern mussten, um bald zu einer wunderbaren Ernte zu kommen."
-ENDE-