Arlene James
Heirat ausgeschlossen…?
Manche Aufträge sind einfach zu gut, um sie abzulehnen. Und so sagt die schöne I...
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Arlene James
Heirat ausgeschlossen…?
Manche Aufträge sind einfach zu gut, um sie abzulehnen. Und so sagt die schöne Innenarchitektin Chey Simmons Ja, als der vermögende Brodie Todd sie bittet, sein kürzlich erworbenes Herrenhaus elegant einzurichten. Dabei hat Chey zunächst gezögert, weil man Brodie Arroganz und Exzentrik nachsagt – was überhaupt nicht stimmt! Tatsächlich ist er der faszinierendste Mann, dem sie je begegnet ist. Und genau das wird für Chey zum Problem. Denn eine Affäre ist für sie undenkbar, eine Ehe noch mehr! Zudem hat sie sich ganz bewusst gegen Kinder entschieden, denn Karriere und Familie passen nun mal nicht zusammenfindet sie. Und zudem ist Brodie, der sie liebevoll umwirbt, nicht wirklich frei: Seine Exfrau Janey liegt nach einem Unfall im Koma und wird ebenfalls im Herrenhaus gepflegt. Viel spricht gegen ein Happy End – aber noch mehr für die Liebe…
2001 by Deborah Rather Originaltitel: „Her Secret Affair“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto in der Reihe: SPECIAL Edition Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA Band 1387 (22/2) 2003 by CORA Vertag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Tatjana LennartSeidnitzer Fotos: Zefa/Strandperle
1. KAPITEL Mit gemischten Gefühlen spähte Chey durch die Windschutzscheibe zu der hohen Doppeltür unter dem breiten Balkon und dann hinab auf den Brief in ihrer Hand. Einerseits hätte sie am liebsten die gebieterische Vorladung zusammengeknüllt und dem arroganten Mann ins Gesicht geworfen, der sie geschickt hatte. Andererseits hoffte sie seit Jahren, das baufällige, über ein Jahrhundert alte Herrenhaus in die Finger zu bekommen, das unter dem Namen ,Fair Havens’ bekannt war. Es zu restaurieren bedeutete einen Meilenstein für ihre Karriere und dazu einen sehr lukrativen, auch wenn sie nicht auf das Geld angewiesen war. ,Chez Chey’, der elegante kleine Antiquitätenladen im French Quarter, von dem aus sie ihren Betrieb als Innenausstatterin führte, war ebenso bekannt und respektiert wie ihre Fähigkeiten als Architektin. In fünf Jahren harter Arbeit hatte sie sich auf Renovierung und Restaurierung spezialisiert. Erst in der vergangenen Woche war sie für ihre Fachkenntnisse bei einer Veranstaltung der einflussreichen Heritage Society geehrt worden. Diese Organisation machte sich um den Denkmalschutz in New Orleans sehr verdient. Anlässlich jener Veranstaltung hatte Chey die Großmutter von Brodie Todd kennen gelernt. Als Resultat hatte der wohlhabende Besitzer von ,BMT Travel’ Chey hierher in sein baufälliges Herrenhaus zitiert. Erneut verspürte Chey Entrüstung über seine Arroganz. Todd war wohl bekannt als Exzentriker. Die Medien hatten gebührend über seine Rückkehr in diese Gegend berichtet und darüber spekuliert, ob er auch den Hauptsitz seiner Reiseagentur von Dallas nach New Orleans verlegen würde. Außerdem wurde behauptet, dass er seine Geschäfte vornehmlich von seinem Schlafzimmer aus führte. Jedenfalls nahm er keinerlei Rücksicht auf andere. Sein kurzer Brief besagte lediglich, wann und wo er Chey zu empfangen bereit war, und ließ keinerlei Raum für Terminverhandlungen. Es verdross sie mächtig, dass sie sich verpflichtet fühlte, seinem Diktat zu folgen. Doch die Renovierung von Fair Havens bedeutete für Chey die Erfüllung eines großen Traumes. Das Gebäude war vor dem Bürgerkrieg aus dunkelrotem Ziegelstein errichtet worden. Sein Erscheinungsbild war geprägt von ehemals weißen Säulen, großen Baikonen und zahlreichen Fenstern. Eine breite, halbkreisförmige Steintreppe führte zur Haustür. Das gesamte Holz musste dringend abgeschliffen, versiegelt und lackiert werden, und auch das Mauerwerk war an zahlreichen Stellen reparaturbedürftig. Insgesamt war Chey jedoch beeindruckt von dem grundlegend gesunden Zustand des Gebäudes. Alle fünf Schornsteine waren intakt. Wenn es auch ein wenig verwahrlost aussah, so war das nicht verwunderlich. Der alte Mr. Houser, der frühere Besitzer, hatte das Anwesen schließlich schändlich vernachlässigt. Das Haus stand gute fünfzig Meter von der Straße entfernt und wurde durch wild wucherndes Grünzeug vor neugierigen Blicken abgeschirmt. Eine kleine Armee von Gärtnern hatte sich jedoch bereits an die Arbeit gemacht, den Dschungel zu lichten. Chey ließ den Wagen auf der breiten Auffahrt stehen und blickte betrübt zu einer wundervollen Vogeltränke aus Marmor, die umgekippt auf dem Rasen vor dem Haus lag. Die Schale hatte einen Durchmesser von mindestens einem Meter, und nur mehrere starke Menschen zusammen würden sie mit vereinten Kräften wieder aufrichten können. Für ihr Zusammentreffen mit Brodie Todd hatte Chey ein pinkfarbenes, mit Hellgrau abgesetztes Designerkostüm aus ihrer Frühlingsgarderobe ausgewählt. Es bestand aus einem engen, knielangen Rock und einer kurzen, asymmetrisch
geschnittenen Jacke. Hellgraue Strümpfe und rauchgraue Schuhe mit hohen, modisch breiten Absätzen vervollständigten ihr Outfit. Das lange blonde Haar hatte sie zu einer Rolle am Hinterkopf hochgesteckt, ihr Makeup war sparsam, aber fachkundig aufgetragen: Chey war der Inbegriff einer eleganten, kompetenten Geschäftsfrau. Eine kleine Messingglocke hing an einem schmiedeeisernen Arm neben der Tür. Chey schüttelte kräftig den Klöppel. Als Resultat hallte das Glockenspiel lautstark über das gesamte Anwesen. Es veranlasste die Gärtner, von ihrer Arbeit aufzublicken, und Chey, die Glocke hastig mit beiden Händen zu umfassen und zum Schweigen zu bringen. Mit einem rostigen Knarren öffnete sich die Tür. Eine zarte, blasse Frau mit Pferdeschwanz erschien. „Miss Simmons? Ich bin Kate, die Haushälterin. Kommen Sie doch bitte herein.“ „Danke.“ „Die Familie wartet im Wintergarten.“ Kate bedeutete Chey, ihr zu folgen, und huschte mit energievollem, federndem Gang durch die große Eingangshalle, an einer Wendeltreppe vorbei und zur Rückseite des riesigen Hauses. „Sie ist da“, verkündete Kate und entschwand. Flüchtig nahm Chey viel Glas und üppige Pflanzen wahr, bevor eine kultivierte Stimme ertönte. „Hallo. Sie heißen Chey, nicht wahr? Oder ist Ihnen Miss Simmons lieber?“ Chey lächelte die große, schlanke Frau an, die ein hellgrünes Strickkostüm und einen bunten Schal um den schwanengleichen Hals trug und auf sie zukam. „Mrs. Todd. Es freut mich, Sie wieder zu sehen, und Chey ist mir recht.“ „Dann müssen Sie mich Viola nennen.“ Die Frau schloss ihre langen, leicht knorrigen Finger um Cheys Hand. „Gestatten Sie mir, Ihnen meinen Enkel und meinen Urenkel vorzustellen.“ Sie wirbelte herum, und ihr kinnlanges silbriges Haar wirbelte mit ihr. „Sie sind da drüben, auf der anderen Seite dieses Dschungels, und kämpfen mit einer Fitnessbank.“ Chey bahnte sich einen Weg durch unzählige Grünpflanzen in Tontöpfen und Holzkästen. Sie hörte ein Klappern und Gemurmel, gefolgt von einer hohen Stimme: „Guck mal, Daddy! Guck mal!“ „Nein, Seth!“ warnte Viola. Im selben Moment rief eine tiefere, schroffe Stimme: „Nein! Du klemmst dir…“ Ein Knall ertönte, und dann ein Wimmern. „… den Finger“, vollendete der Mann resigniert. „Lass mich mal sehen.“ Das Wimmern war bereits verstummt, als Chey zu Viola trat. Der Mann kniete auf nackten Beinen und beugte den dunklen Kopf über einen kleinen Jungen in seinen ebenfalls nackten Armen. Neben ihnen lagen ein Wirrwarr aus Gestängen und eine gepolsterte Bank. „Es blutet gar nicht“, sagte der Mann, während er den winzigen Finger des Kindes untersuchte. „Der Nagel ist auch okay.“ Er hob die kleine Faust und küsste den erhobenen Finger. „Etwas Erdbeermarmelade macht es wieder gut. Grandma gibt dir welche.“ Er verlieh dem Kosewort eine französische Aussprache. Chey war überrascht, als sie den leuchtend roten Haarschopf des Kindes erblickte, das sich in Violas ausgebreitete Arme stürzte. „Grandma, darf ich den Finger in das Glas stecken?“ „Wenn du unbedingt willst.“ Sie hob ihn auf die Arme. „Bitte.“ Der Junge nahm ihr Gesicht zwischen die Hände, wobei der verletzte Finger abstand. Viola lachte. „Brodie, steh auf und sprich mit dieser Frau“, sagte sie und ging davon. Über ihre Schulter starrte der kleine Wildfang Chey neugierig an und
winkte ihr zu. Sie lächelte ihn an, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Mann richtete, der gerade aufstand. Irgendetwas veranlasste sie, einen Schritt zurückzuweichen. Vielleicht lag es an seiner beachtlichen Größe oder an der nackten, gebräunten Haut, von der er viel zeigte, denn er trug nur Shorts, ein ärmelloses Turnhemd und Turnschuhe ohne Socken. Andererseits war es vielleicht auch der starke Kontrast zwischen seinen hellblauen Augen und den kohlrabenschwarzen Haaren, der Chey so beeindruckte. Oder aber es lag an seinem Gesicht, das sehr markant und dennoch ausgesprochen gut aussehend war. Vielleicht war es aber auch nur der unverhohlen neugierige und anerkennende Blick, der über ihre Gestalt glitt und schließlich auf ihrem Gesicht ruhte. Plötzlich spürte Chey, dass ihr Herz heftig pochte. Sie wich einen weiteren Schritt zurück, und der Mann bedachte sie mit einem wissenden und herausfordernden Lächeln, das ihr fast ein wenig Angst einjagte. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und nahm ihre Finger mit der anderen. Ein Prickeln schoss durch ihren Arm, bis in die Brust. Der Mann stand einfach da und starrte Chey an, bis sie aus Selbstschutz den Blick abwandte. „Brodie Todd“, sagte er leise. „Und Sie müssen die Designerin sein, Chey Simmons.“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Architektin, Restaurateurin und Inneneinrichterin.“ „Gut.“ Er lächelte. „Chey. Ein interessanter Name.“ „Eigentlich heiße ich Mary Chey.“ „Mary Chey. Das gefällt mir. Es freut mich, Sie kennen zu lernen. Sie sind mir wärmstens empfohlen und Ihr Talent aufs Höchste gepriesen worden. Allerdings hat mir niemand gesagt, dass Sie auch so hübsch sind.“ Erneut wandte sie den Blick ab und murmelte: „Danke.“ „Keine Ursache.“ Er ließ die Hand von ihrer Schulter am Arm hinabgleiten. „Gehen wir Kaffee trinken.“ Er zog sie förmlich zu einem runden Glastisch in einer Ecke. Viola saß dort, mit dem Kind auf dem Schoß, das gerade den Finger aus einem Marmeladenglas zog und ihn sich in den Mund steckte. Brodie drückte Chey neben seiner Großmutter auf einen Stuhl. „Wie mögen Sie ihn am liebsten?“ Verwirrt blinzelte sie zu ihm auf. „Den Kaffee.“ „Schwarz.“ Ihre Verwirrung amüsierte ihn. Er trat zu einem Servierwagen an der Glaswand und schenkte dort eine Tasse Kaffee aus einer silbernen Kanne ein. Chey verfolgte jede seiner Bewegungen. „Wie gefällt Ihnen unser Pool?“ erkundigte sich Viola. Abrupt lenkte Chey den Blick zunächst zu Viola und dann auf den Ausblick hinter der Glaswand. Der Pool besaß riesige Ausmaße und wurde von vier altgriechischen Fontänen flankiert. An beiden Enden standen von Pflanzen umgebene Lauben. Ein schmiedeeiserner Zaun war um den gesamten Bereich errichtet worden. Zum Glück gab es in diesem sehr klassischen Rahmen nichts aus Plastik oder ähnlich modernem Material. Dafür standen unter den Bäumen zahlreiche Bänke und Tische aus Stein. Außerhalb des Poolbereichs befand sich ein umfangreicher, von Pinien umgebener Spielplatz – ein wahres Paradies für einen kleinen Jungen. „Es ist wunderschön“, sagte Chey nachdrücklich. „Die Lauben dienen als Badehaus und Bar“, erklärte Brodie. Er brachte ihr die Kaffeetasse, ließ ihr eine schwere Leinenserviette auf den Schoß fallen und stellte ihr einen Kuchenteller hin. „Essen Sie ein Stück Ananastorte.“ Sein gebieterischer
Ton ließ Chey verärgert aufblicken, doch als sie sein Lächeln sah, schwand ihre
Empörung sogleich. „Es ist eine von Marcels Spezialitäten, und Sie wissen ja, wie
launisch Chefköche sein können. Sie kränken ihn zutiefst, wenn Sie nicht essen.“
Sie schnappte sich die Gabel, die er ihr reichte. Er sank auf den Stuhl neben
Chey. Um seine Mundwinkel zuckte es, als er immer noch ein Lächeln zu
unterdrücken versuchte. Offenbar wusste er genau, welche Wirkung er auf sie
ausübte. Gelassen lehnte er sich zurück, nippte an seinem Kaffee und
beobachtete Chey über den Rand der Tasse hinweg.
Verlegen blickte Chey hinab auf ihren Teller. Die Torte war noch warm und
verströmte ein verlockendes Aroma, das ihr den Mund wässrig machte. „Sie
essen ja selbst gar nichts“, stellte Chey fest.
Brodie schmunzelte. „Ich bin eben diszipliniert.“
Sie schloss flüchtig die Augen, während sie die Torte probierte, und seufzte
genüsslich. „Das schmeckt ja himmlisch.“
„Deshalb hatte Brodie auch schon vier Stücke“, offenbarte Viola.
Chey zog eine Augenbraue über seine Definition von „diszipliniert“ hoch, aber sie
konnte es durchaus nachempfinden.
„Ich könnte eine ganze Torte davon aufessen. Und ich tue es auch, sofern mir
nicht eine freundliche Seele zu Hilfe kömmt.“
„In diesem Fall nehme ich vielleicht noch ein Stück.“
Brodie lachte. „Ich mag Frauen mit gesundem Appetit.“
„Wenn sie wie du isst, muss sie auch wie du trainieren“, warf Viola ein. Sie
verzog das Gesicht. „All das Geschwitze und Gestöhne! Ich verstehe nicht,
warum du nicht einfach weniger isst.“
„Grandma ist die Königin der Selbstverleugnung“, bemerkte Brodie liebevoll. „Sie
probiert Marcels Torten nicht mal.“
„Natürlich nicht“, bestätigte Viola. „Ich probiere auch nicht Kokain oder Tabak
oder ähnlich schädliche Dinge.“
„Pfefferminzlikör erscheint übrigens nicht auf ihrer Liste der schädlichen Dinge.“
Viola täuschte Empörung vor. „Pfefferminzlikör ist das wirksamste Mittel, das je
erfunden wurde. Und Alkohol in Maßen hat noch niemandem geschadet.“
Brodie zwinkerte Chey zu. „Grandma beschränkt ihren Alkoholkonsum strikt auf
zwei Minzliköre pro Tag, einen nach dem Mittagessen und einen als
Schlummertrunk.“
„Genau“, bestätigte Viola. „Und ich bin mit achtzig noch genauso gesund wie du
mit sechsunddreißig.“
Chey verschluckte sich beinahe an ihrem Kaffee und schaffte es nur mit Mühe,
die Tasse abzusetzen. „Sie sind achtzig?“
„Zweiundachtzig, um genau zu sein“, erwiderte Brodie für Viola, die stolz
dreinblickte – bis ein Klecks Marmelade auf ihrer Brust landete.
Alle Augen richteten sich auf das Kind, das ebenso überrascht wirkte wie alle
anderen. Es hatte die Hand bis zum Daumenansatz ins Glas gesteckt, durch
Schütteln die Marmelade am Boden lockern wollen und das Resultat offensichtlich
nicht vorausgesehen.
„Seth!“ schalt Viola, während der sich die ganze Hand in den Mund steckte. Sie
tauchte eine Serviette in ihr Wasserglas und rieb an dem Fleck.
Brodie stöhnte, blickte zu Chey und erklärte: „Er ist erst drei.“ Dann nahm er das
Marmeladenglas von Seths Schoß. „Er braucht wohl wirklich ein Kindermädchen.“
„Er braucht eine Mutter“, widersprach Viola.
„Er hat eine Mutter.“
„Unsinn.“ Viola benetzte erneut die Serviette und griff nach dem Jungen, doch
der glitt von ihrem Schoß und lief in einem großen Bogen um Brodie herum zu
Chey. Dem kleinen Wildfang kam offensichtlich nicht in den Sinn, dass er
unwillkommen sein könnte.
Impulsiv griff sie nach ihrer Serviette und packte die klebrige Hand, bevor sie
Schaden anrichten konnte. Da er bereits auf ihren Schoß kletterte, schob sie
hastig seine Füße von ihrem Rock fort. Seth lehnte den Kopf zurück an ihre Brust
und spähte zu ihr auf. „Du bist so hübsch wie Mommy.“
Chey lächelte matt und fragte sich unwillkürlich, warum die Zeitungen nichts von
Brodies Ehefrau erwähnt hatten. „Danke. Wenn du auf meinem Schoß bleiben
willst, junger Mann, müssen wir dir aber erst mal die Hand waschen.“
Als Viola sich zu ihm beugte und seine Finger abwischte, hielt er tatsächlich still.
Leichthin bemerkte Brodie: „Sie haben offensichtlich Erfahrung, Mary Chey.
Haben Sie selbst Kinder?“
„Nein. Aber einunddreißig Nichten und Neffen.“
Klappernd stellte er seine Tasse ab. „Einunddreißig?“
„Bald werden es sogar zweiunddreißig“, wusste Chey zu berichten.
„Wie viele Geschwister haben Sie denn?“
„Neun.“
„Zehn Kinder? Heiliger Strohsack! Dieses eine macht mich ja schon fertig.“
„Das kann ich mir denken.“
„Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe diese kleine Nervensäge.“ Brodie
strich Seth über das rote Haar. „Ich würde ihn für nichts auf der Welt
eintauschen, aber zehn von seiner Sorte würde ich einfach nicht verkraften.“
„Nicht viele Leute könnten das“, räumte Chey ein. „Meine Geschwister haben
maximal fünf, nämlich Frank und Mary Kay. Bay und Thomas haben je vier.
Johnny, Mary May, Matt und Anthony bringen es auf je drei, und Mary Fay hat
eins und erwartet eins.“
Brodie lächelte. „Heißen alle Frauen in Ihrer Familie Mary?“
„jede einzelne, einschließlich meiner Mutter Mary Louise. Sie ist wohl im Herzen
eine Dichterin, sie hat uns nämlich alle gereimt. Mary May, Kay, Fay und Chey.
Als ich kam, waren ihr wohl die Standardnamen ausgegangen. Habe ich erwähnt,
dass mein Bruder Bailey Bay genannt wird? Und ich werde Mary gerufen. Ich
nehme an, Chey klingt für alle zu merkwürdig.“
„Aber Ihnen ist Chey lieber?“
„Na ja, Mary klingt furchtbar gewöhnlich.“
„Und an Ihnen ist überhaupt nichts Gewöhnliches“, verkündete Brodie
unverblümt.
„Das hoffe ich doch“, scherzte sie und ignorierte den wohligen Schauer, der ihr
über den Rücken rieselte.
Da griff ihr Gastgeber über den Tisch und legte seine Hand auf ihre. „Ich glaube,
es ist an der Zeit, Ihnen das Haus zu zeigen. Es sei denn, Sie haben es ernst
gemeint mit dem zweiten Stück Torte.“
„Leider nicht.“ Chey entzog ihm die Hand und schob ihren Stuhl zurück. „Wie
Ihre Großmutter ziehe ich es vor, etwas mehr Selbstbeherrschung zu üben.“
Brodie übergab Seth an Viola. „Ich habe da meine eigene Theorie zu dem
Thema: Wenn man im Allgemeinen Selbstbeherrschung übt, ist es auch ein
besonderer Genuss, sie gelegentlich abzulegen. Meinen Sie nicht?“ fragte er in
vertraulichem Ton.
Chey hüstelte. „Ich ziehe es vor, meine überhaupt nicht zu verlieren.“
„Vielleicht haben Sie nur noch keine Verlockung gefunden, der Sie nicht
widerstehen können.“ Abrupt wandte er sich an Seth. „Mach Grandma nicht zu
viel Stress, verstanden?“
Der Junge nickte mit zwei Fingern im Mund.
Chey wandte sich an Viola. „Es hat mich sehr gefreut, Sie wieder zu sehen.“ „Ich weiß, dass Sie uns gut tun werden“, sagte Viola. Sie blickte Brodie an, und eine stumme Verständigung erfolgte zwischen ihnen. Als er Cheys Arm nehmen wollte, schreckte sie automatisch vor der Berührung zurück. Es war töricht und verräterisch dazu, und es trieb ihr eine verlegene Röte in die Wangen. Brodie lächelte nur und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Das Verlangen in seinen hellblauen Augen war so offenkundig, dass es keiner weiteren Worte bedurfte, sie wusste seinen Blick auch so zu deuten.
2. KAPITEL „Wie viele Zimmer hat das Haus?“ erkundigte sich Chey, als sie mit Brodie den Rundgang begann. „Achtundzwanzig in den beiden unteren Etagen. In der dritten befinden sich die Wäscherei und die Wohnung von Marcel und Kate, die die beiden erst kürzlich selbst renoviert haben, also haben Sie damit nichts zu tun. Außerdem gibt es dort noch die Dachkammer, die ich als Lagerraum für alles Mögliche benutze, und so soll es eigentlich auch bleiben. Sie dürfen sich dort gern einmal umschauen. Viele der Möbel kommen mir ganz brauchbar vor, aber das können Sie besser beurteilen.“ „In diesen alten Häusern sind oft wertvolle Antiquitäten versteckt. Möglicherweise finden sich sogar ursprüngliche Einrichtungsgegenstände darunter.“ „Das wäre ja toll.“ Gründlich inspizierten sie das Erdgeschoss mit seinen zahlreichen Räumen: Küche, Frühstückszimmer, Ballsaal, Salon, Speisesaal für mindestens zwei Dutzend Personen, Garderobe, Billardzimmer, Rauchersalon, Wohnzimmer, zwei Toiletten und Waschräume, dazu gab es noch einen antiquierten Fahrstuhl aus den Dreißigern. Die Küche war vollkommen neu renoviert und mit hochwertigen Geräten ausgestattet, doch zu Cheys Erleichterung waren die ursprünglichen Bodenfliesen, die Deckenbalken und die Kohleöfen erhalten geblieben. Die anderen Räume waren größtenteils schäbig und baufällig und seit mindestens vierzig Jahren nicht mehr renoviert worden. Tapeten hatten sich gelöst und Parkettböden waren verrottet. Das zweite Stockwerk war besser erhalten. Eine lange Galerie nahm die gesamte Rückseite des Hauses ein und führte auf einen Balkon über dem Wintergarten. Zwei schmalere Korridore gewährten Zugang zu den vierzehn separaten Schlafgemächern. Wie in vielen alten Häusern wiesen zahlreiche Räume Verbindungstüren auf, die teilweise zugemauert waren. Brodie hatte ein vorläufiges Büro in einem der vorderen Zimmer des Hauses eingerichtet und Strom, Telefon und Datenleitungen für mehrere Computer installieren lassen. Der von ihm beauftragte Elektriker hatte das gesamte Haus überprüft und einen Bericht angefertigt, aus dem hervorging, dass einige Räume zwanzig Jahre alte Leitungen und andere gar keine Elektrizität hatten. „Danke“, sagte Chey, als Brodie ihr die Planskizze überreichte. „Das erleichtert es mir gewaltig, mein Angebot aufzustellen.“ „Welches Angebot?“ „Ich dachte, sie wollten von mir ein Angebot für das Projekt“, sagte sie verwirrt. „Ich will, dass Sie das Projekt beaufsichtigen“, entgegnete er tonlos. „Soll das heißen, dass Sie sich bereits entschieden haben?“ „Ich hatte mich schon entschieden, bevor ich den Brief geschrieben habe.“ „Noch bevor Sie mich kennen gelernt haben?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Es gibt bessere Wege, sich über jemanden kundig zu machen, wenn es um Geschäfte geht. Ich dachte, Sie wüssten das. Außerdem hat meine Großmutter Sie ja schon bei dieser Teeparty kennen gelernt. Sie ist nur zu dem Zweck hingegangen, nachdem meine Nachforschungen bestätigten, dass Sie die beste Person für den Job sind.“ „Sie haben Nachforschungen über mich anstellen lassen?“ „Sehr gründliche sogar, aber nur über Ihr Geschäft. Ich schnüffle nie im Privatleben eines Menschen herum.“ „Das ist aber ein seltsames Geschäftsgebaren, finden Sie nicht?“ fragte sie
schroff.
„Im Gegenteil. Ich halte diese Vorgehensweise sogar für sehr effektiv.“
„Aber was ist mit der menschlichen Ebene? Manchmal gibt es da Konflikte.“
„Auf lange Sicht engagiere ich lieber jemanden, der gute Arbeit leistet, auch
wenn ich ihn persönlich nicht besonders mag, als festzustellen, dass eine mir
sympathische Person schäbige Arbeit leistet.“
„Das ist Ansichtsache“, entgegnete Chey kühl.
„So sehe ich es aber. Also, sind wir uns einig oder nicht?“
„Das kommt ganz drauf an. Ich meine, wenn ich kein Angebot für das Projekt
abgeben soll, kann ich nur davon ausgehen, dass Sie mir ein bestimmtes Gehalt
bieten.“
Brodie schüttelte den Kopf. „Keineswegs. Ich weiß, wie viel dieser Auftrag mir
wert ist und vermutlich kosten wird. Also werde ich die Summe, die ich
auszugeben bereit bin, auf ein Bankkonto einzahlen, auf das Sie unbeschränkten
Zugriff haben. Ich erwarte, dass Dreiviertel der Summe in das Haus einfließen.
Der Rest gehört Ihnen. Wenn Sie mehr verbrauchen, wird dadurch Ihr Verdienst
geschmälert. Wenn Sie weniger ausgeben – nun, ich warne Sie, dass ich
hervorragende Qualität erwarte und persönlich die Arbeit und die Rechnungen
prüfen werde.“
Es war ein äußerst fairer Vorschlag, der jedoch einen Haken hatte. „Und was ist,
wenn ich mit der Summe nicht zufrieden bin, die Sie auszugeben gedenken?“
„Dann suche ich mir jemand anderen“, sagte Brodie unverblümt. „Aber ich
glaube schon, dass Sie einwilligen. Übrigens sollen Sie das gesamte Projekt von
A bis Z beaufsichtigen. Sie sind der Boss, in jeder Hinsicht.“
„Abgesehen davon, dass Sie mich überwachen werden.“
„Nur um sicher zu gehen, dass ich etwas Vollwertiges für mein Geld bekomme.
Ich werde Ihnen in fachlicher Hinsicht nicht hereinreden. Die Expertin sind
schließlich Sie, oder?“
Etwas schärfer als beabsichtigt erwiderte Chey: „Darauf können Sie wetten.“
Brodie grinste. „Ich vertraue darauf. Nicht, dass ich ein großes Risiko eingehe.
Zufällig weiß ich, dass Sie nicht nur Architektur und Design studiert, sondern
auch tischlern, klempnern und mauern gelernt haben.“
Sie wusste nicht recht, ob sie beleidigt oder beeindruckt sein sollte, und
entschied sich schließlich für Ersteres. „Warum haben Sie dann gefragt?“
Brodie lächelte ungerührt. „Nur um zu sehen, wie Sie reagieren. Ich mag keine
falsche Bescheidenheit.“
„Und ich mag keine Arroganz.“
Er lachte laut auf. „Ist es denn arrogant, seine Hausaufgaben zu erledigen? Sich
zu vergewissern, dass jemand dem Job gewachsen ist?“
Voller Sarkasmus entgegnete sie: „Sie halten sich wohl für eine bessere
Geschäftsperson als mich, weil ich nie jemanden so gründlich überprüfe, mit dem
ich Verträge schließe.“
„Sie berappen ja auch nicht eine Million Dollar.“
Fassungslos starrte Chey ihn an. Es war fast doppelt so viel, wie sie ihm durch
Einsatz all ihrer Überzeugungskünste zu entlocken erwartet hatte. Sie schluckte
ihre Verblüffung hinunter und brachte schließlich hervor: „Damit kann ich
arbeiten.“
„Das hoffe ich doch.“ Brodie reichte ihr die Hand. „Sind wir uns also einig?“
„Vollkommen.“ Sie legte die Hand in seine. Ein Prickeln wie von einem
Stromschlag rann ihr den Arm hinauf und den Rücken hinab. Was hatte dieser
Brodie Todd an sich, das diese Reaktion auslöste? Es beunruhigte sie sehr. Sie
ließ es normalerweise nicht zu, dass Männer ihr derart unter die Haut gingen,
und es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass sie in diesem Fall keinerlei Kontrolle über sich zu haben schien. „Der Vertrag wird morgen Vormittag in Ihrem Büro sein.“ Brodie ließ ihre Hand los. „Wollen wir jetzt unsere Inspektion fortsetzen?“ Er führte sie durch sein spartanisches, schäbiges Schlafzimmer, drei altmodische Badezimmer, Violas Suite und Seths Bereich, der aus Spielzimmer und Schlafzimmer bestand. Brodie zeigte sich besonders besorgt über den Mangel an Annehmlichkeiten für Gäste, da er häufig einflussreiche Leute, gelegentlich sogar ausländische Würdenträger empfing. Dennoch betonte er, dass die Räume für die Familie Vorrang hatten. Sie standen gerade im Spielzimmer, als Seth um die Ecke gerannt kam und sich an Brodies Beine warf. „Daddy, ich habe Mama gesehen!“ Brodie blickte auf, als Viola etwas atemlos in Sicht kam. „Wie geht es ihr? Gibt es etwas Neues?“ Sie schüttelte den Kopf. „Mir scheint sie völlig unverändert, und Brown sagt, dass sie nichts gesehen hat, außer dem üblichen Flattern der Augenlider.“ Sie streichelte tröstend seinen Arm. „Ich weiß, wie sehr du darauf hoffst, dass es ihr wieder besser geht.“ „Mit Autos spielen, Grandma!“ verlangte Seth lautstark. Viola und Brodie unterwiesen ihn gleichzeitig in der Kunst der Höflichkeit, und er belohnte sie mit Gehorsam, indem er bat: „Können wir jetzt mit Autos spielen? Bitte!“ Als Chey und Brodie den Raum verließen, hockte Viola auf Händen und Füßen auf dem Fußboden und rollte eine Matte aus, auf der ein Straßensystem abgebildet war, während Seth einen großen Karton voller Spielzeugautos heranzerrte. „Ich sollte wirklich ein Kindermädchen einstellen“, sagte Brodie, nachdem er die Tür geschlossen hatte. „Es wird Grandma langsam zu viel, sich um Seth zu kümmern.“ „Warum tun Sie es dann nicht?“ „Ich will nicht, dass mein Sohn von Dienstboten erzogen wird. Es wäre anders, wenn seine Mutter ihm ein bisschen Aufmerksamkeit widmen könnte.“ „Warum tut sie es denn nicht?“ Brodies Miene verfinsterte sich. „Sehen Sie selbst.“ Abrupt führte er Chey den Korridor entlang und öffnete die letzte Tür zu einem Raum, der eine Kombination aus Wohnzimmer und Krankenzimmer darstellte. Die Wände waren in kräftigem Pink gestrichen. Mit Rüschen verzierte Sessel standen um einen zierlichen Tisch mit einem riesigen Blumenstrauß. Die restliche Einrichtung war jedoch rein zweckmäßig, von dem Krankenhausbett über die Monitore bis hin zum Tropf. Ein kleiner Metallwagen mit einem Fernseher und einer Stereoanlage stand am Fußende des Bettes. Sanfte Musik erklang. Eine große Frau mit kurzen grauen Locken erhob sich aus einem Sessel, als sie den Raum betraten. Chey nickte ihr zu, doch Brodie ignorierte sie und trat an das Bett. Die Mundwinkel der Frau waren mürrisch herabgezogen, aber es wirkte wie ihr üblicher Gesichtsausdruck, nicht wie gegenwärtige Missbilligung. Brodie setzte sich neben die zarte Gestalt im Bett, nahm eine schlanke, manikürte Hand und erklärte sanft, wer Chey war. Zögernd trat Chey an das Fußende des Bettes. Was sie erblickte, überraschte sie in zweierlei Hinsicht. Zum einen lag die Frau offensichtlich im Koma. Zum Zweiten besaß sie das Gesicht eines Engels, von rotblonden Haaren umrahmt, die ihr über die Schultern auf das zarte Nachthemd aus weißer Spitze fielen. Jemand hatte dezent ihr Gesicht geschminkt und ihm Farbe verliehen. Nur das sanfte Heben und Senken ihrer Brust deutete darauf hin, dass sie lebte.
Eine vage Übelkeit stieg in Chey auf – vor Entsetzen und Mitgefühl für die arme Frau im Bett wie für ihren Mann und Sohn, aber auch aus Neid, als Brodie zärtlich ihre rosige Wange umschmiegte, bevor er aufstand und an das Fußende trat. „Die Ärzte haben mir geraten, sie mit vertrauten Dingen zu umgeben. Deshalb haben wir ihre Möbel mitgebracht, den Raum in ihrer Lieblingsfarbe gestrichen und so dekoriert, wie er in Dallas war.“ Er nickte der großen Frau zu. „Schwester Brown ist als Krankenschwester mitgekommen. Das ist Miss Simmons, Schwester Brown. Sie wird das Haus renovieren. Wenn Sie oder Janey Veränderungen benötigen, wenden Sie sich bitte an sie.“ „Ich könnte etwas frische Farbe an den Wänden gebrauchen, und die Toilette läuft ständig. Sonst brauche ich nichts.“ „Und was ist mit Janey?“ Schwester Brown entgegnete zornig: „Ich kümmere mich schon um ihre Bedürfnisse.“ „Das ist mir klar“, erwiderte Brodie schroff. „Aber benötigen Sie etwas, um Ihre Aufgabe zu erleichtern?“ Sie schüttelte den Kopf. Chey entging nicht, dass ihre Augen kalt wirkten und so stahlgrau waren wie ihre Haare. „Gut. Falls Ihnen doch noch etwas einfällt, lassen Sie es mich wissen.“ Damit wandte er sich ab und bedeutete Chey, ihm zu folgen. Er schloss die Tür hinter ihnen und murrte: „Scheußliches Ekel. Entschuldigung, aber diese Frau geht mir einfach gegen den Strich.“ „Warum behalten Sie sie dann hier?“ „Weil sie Janey treu ergeben und eine langjährige Freundin ihrer Familie ist. Janey hat als Kind ihre Mutter verloren und sich seitdem immer auf Miss Brown gestützt. Nach dem Unfall wollte Miss Brown nicht von ihrer Seite weichen, und ich lass sie bleiben, da Janey mit vertrauten Dingen und Gesichtern umgeben sein soll, wenn sie wieder aufwacht.“ Brodie seufzte. „Ich hätte Janey eigentlich gar keine so lange Reise zumuten wollen, aber mein Großvater ist vor sechs Monaten gestorben, und Seth und ich sind die einzigen Angehörigen meiner Großmutter. Daher sind wir hierher zurückgekehrt.“ Chey nickte verständnisvoll. „In welchem Zustand ist Janey, wenn ich das fragen darf?“ „Sie liegt im Koma. Die Ärzte vermuten ein Gehirntrauma. Sie ist betrunken in einen fast leeren Swimmingpool gefallen, übrigens an Seths erstem Geburtstag. Es ist ein Wunder, dass sie nicht ertrunken ist. Manchmal frage ich mich, ob es nicht einfacher für sie gewesen wäre.“ „Es tut mir sehr Leid. Ihre Frau zwei Jahre lang im Koma liegen zu sehen muss furchtbar sein.“ „Exfrau“, korrigierte Brodie schroff, zu Cheys Verblüffung. „Wir sollten uns jetzt das Dachgeschoss ansehen.“ Die Dachkammer war verstaubt und mit allerlei Trödel und Antiquitäten voll gestopft. Tagelang hätte Chey allein mit der Prüfung und Katalogisierung der Gegenstände zubringen können. Obwohl sie nicht dafür gekleidet war, konnte sie nicht widerstehen, diese wahre Schatzkammer zu erforschen. Schon bald war sie völlig in ihre Entdeckungen vertieft und vergaß alles andere um sich herum. Erschrocken zuckte sie zusammen, als Brodie ihr die Haare aus dem Gesicht strich, die sich aus dem Knoten gelöst hatten. Sprachlos über seine unverhoffte Nähe, blickte sie zu ihm auf. Er wickelte sich eine lange goldblonde Strähne um den Zeigefinger und zog sanft daran. „Sie benehmen sich, als ob diese verstaubte Kammer voll alter Möbel das achte Weltwunder wäre.“
Cheys Herz pochte. „Sie sind nicht einfach nur alt, sondern antik.“ „Na gut, dann eben antik“, räumte Brodie lächelnd ein. Dann wurde ihr bewusst, dass er sein Gesicht ihrem genähert hatte und er vorhatte, sie zu küssen. Sie hob den Kopf, doch bei der ersten Berührung seiner Lippen mit ihren wich sie wie elektrisiert zurück und stieß mit einem Bein an eine scharfe Kante. Benommen blickte sie hinab und erkannte eine Zuckertruhe aus Walnussholz. Die Truhe war vermutlich um 1840 angefertigt worden, zu der Zeit, als Zucker ein kostbares Gut gewesen und unter Verschluss gehalten worden war. Im Geiste schätzte Chey den Wert, während ihr gleichzeitig eine innere Stimme riet, die Flucht zu ergreifen, bevor etwas Furchtbares passierte. Etwas, das ihr Leben für immer ändern würde und auf das sie nicht vorbereitet war. Hastig griff sie nach einer Lampe und hielt sie wie ein Schild vor sich. „Ich muss zurück ins Büro, aber wenn Sie nichts dagegen habe, nehme ich einige Gegenstände mit, um sie schätzen zu lassen.“ Einen Moment lang blickte Brodie sie nachdenklich an, als versuchte er zu entscheiden, ob er den Annäherungsversuch fortsetzen sollte. Dann lächelte er zerknirscht und nickte. „Zeigen Sie mir, was Sie mitnehmen möchten, und ich trage es hinunter.“ Insgeheim atmete Chey erleichtert auf – und bemühte sich, den Anflug von Enttäuschung zu ignorieren. Brodie lehnte an einer Säule neben der Haustür und beobachtete gedankenverloren, wie Chey in ihrem schicken Sportwagen die Auffahrt hinabrollte. Der schmale Rücksitz war voll gestopft mit Sachen aus der Dachkammer, darunter auch jene Lampe. Es mochte sich um einen kostbaren Fund handeln, aber Brodie ahnte, dass Chey aus purem Selbstschutz danach gegriffen hatte. Warum er sich zu dem Kuss hatte hinreißen lassen, verstand er selbst nicht. Sie war durchaus eine attraktive Frau, von den schmalen Füßen über die langen Beine und den schmalen Hals bis hin zu dem hübschen ovalen Gesicht und den seidigen blonden Haaren. Er wollte sie um ihre kühle Sachlichkeit bringen, wollte den rosa Lippenstift fortküssen, ihr das schicke Kostüm vom Leib reißen und beobachten, wie sich ihre grünen Augen vor Leidenschaft verschleierten. Aber Brodie war ein pragmatischer Mensch und wusste, dass er bei ihr – im Gegensatz zu vielen seiner Damenbekanntschaften – besonders geschickt vorgehen musste. Chey Simmons war keine leichte Eroberung, die er am nächsten Morgen wieder vergessen konnte. Die Situation war komplizierter, denn Chey würde für eine ganze Weile da sein. Brodie verdrängte diese Gedanken und wandte sich dem Haus zu. Er legte eine Hand auf das kunstvoll geschnitzte Geländer und ging die Treppe hinauf. Enttäuschung über Janeys unveränderten Zustand stieg in ihm auf. Die Ärzte hatten ihn gewarnt, sich keine großen Hoffnungen zu machen, doch jener Vorfall, der sich beim Umzug von Dallas nach Louisiana ereignet hatte, beschäftigte ihn immer noch. Als sie in den Krankenwagen verfrachtet worden war, hatte sie nach über zwei Jahren der Bewusstlosigkeit die Augen geöffnet, den Krankenpfleger angesehen und sehr deutlich gesagt: „Hallo.“ Brodie war sofort zu ihr geeilt, doch sie hatte die Augen geschlossen und keine Reaktion mehr gezeigt. In jenem Moment schien sie bei klarem Verstand gewesen zu sein, aber seitdem nie wieder. Er hatte so sehr gehofft und gebetet, dass sie wieder gesund würde. Er wollte, dass sie nicht litt. Er wollte, dass Seth eine richtige Mutter hatte. Er wollte frei sein von der unerwarteten Verantwortung. Und nun wollte er Chey Simmons. Und er war entschlossen, zumindest einen Teil von dem zu bekommen, was er wollte.
3. KAPITEL Chey wandte den Blick nicht vom Computer ab, als ihr Assistent Georges aus dem Laden ins Büro kam. „Was ist denn jetzt?“ „Du hast wichtigen Besuch. Ich habe mir erlaubt, sie hierher zu fuhren.“ Mit einem einstudierten Lächeln blickte Chey zur Tür und seufzte innerlich, als sie den kleinen verbeulten Strohhut auf dem rauchgrauen Haar ihrer Mutter erblickte. Dass der Hut seit Jahrzehnten aus der Mode war, schmerzte sie weniger als die Tatsache, dass sie ihr schon unzählige moderne Hüte geschenkt hatte, die nie getragen wurden. Für Louise Simmons waren hübsche Dinge Verschwendung. Sie konnte einfach nicht aufhören, die selbstlose Mutter zu sein, die sich nie etwas für sich wünschte und nur an ihre Kinder dachte. Und obwohl Chey dankbar dafür war und sogar Achtung vor dieser Hingabe empfand, hatte sie sich das so nie gewünscht. Sie stand auf, küsste ihre Mutter auf die Wange und führte sie zu dem Stuhl vor dem zierlichen französischen Schreibtisch. Louise setzte sich, zog sich die Handschuhe aus und legte sie auf das antike Tischchen neben sich. „Ich habe einmal fünf Dollar für so einen Tisch in einem Secondhandshop bezahlt. Erinnerst du dich daran, Mary?“ Chey presste die rosa lackierten Finger an die Schläfen und unterdrückte ihren Unmut. „Ich erinnere mich, aber wegen des alten Tisches bist du bestimmt nicht gekommen, Mama. Was ist los?“ „Kay und Sylvester möchten gern wissen, ob du zu ihrer kleinen Feier für Melanies Schulabschluss kommst. Sie sagt, du wärst noch nicht sicher, ob du Zeit hast, aber wir haben doch erst April, so dass du deine Termine danach ausrichten kannst. Jedenfalls dachte ich mir, ich frage dich und plaudere dabei ein bisschen mit dir. Wir sehen uns nicht oft genug.“ Ein vertrautes Schuldgefühl stieg in Chey auf. Natürlich würde sie an der Feier teilnehmen. Sie wollte es auch. Und doch machten diese Familienfeiern sie oft unglücklich und erweckten das Gefühl, eine Außenseiterin zu sein. Alle ihre neun Geschwister waren der ehrbaren Tradition des Clans gefolgt, hatten jung geheiratet und viele Kinder bekommen. Nur Chey hatte andere Pläne, andere Träume. Nur sie war Single und kinderlos und widmete all ihre Hingabe ihrer Karriere. „Übrigens war Fay gestern zum Ultraschall“, verkündete Louise unvermittelt. „Der Arzt sagt, dass es höchstwahrscheinlich ein Mädchen wird. Ist das nicht perfekt? Dann haben sie einen jungen und ein Mädchen.“ „Besteht die Hoffnung, dass sie es dabei bewenden lassen?“ hakte Chey bissig nach. Louise verdrehte aufgebracht die Augen. „Herrje, Mary Chey, die meisten Leute mögen Babys!“ „Ich mag Babys auch. Ich finde nur, dass der SimmonsClan schon genug davon hat. Bin ich denn wirklich die Einzige, die der Meinung ist, dass es im Leben um mehr geht als nur darum, Kinder zu produzieren?“ Louise seufzte tief. „Es geht auch nicht nur darum, Geld zu produzieren, weißt du.“ „Mir geht es nicht ums Geld, Mutter. Es geht um Leistung und Lebensqualität. Es geht darum, etwas Bedeutungsvolles zu tun, etwas zu erreichen.“ „Du hast beruflich sehr viel geleistet, und ich bin sehr stolz auf dich. Aber nicht jeder ist auf seinen Beruf fixiert.“ „Ich bin nicht fixiert.“ „Du hast doch gar kein Leben neben deinem Geschäft. Du gehst nicht mal aus.
Wie willst du je einen Mann kennen lernen, wenn du nicht ausgehst?“
Das Bild von Brodie Todd stieg im Geiste vor Ghey auf. Sie verbannte es
augenblicklich und erwiderte grimmig: „Ich habe kein Interesse daran, Männer
kennen zu lernen.“
„Aber bist du es denn nicht leid, allein zu sein? Ich weiß, dass du keine Kinder
willst, und das ist doch auch okay. Es ist eben nicht jedermanns Sache, und ich
kann mich wirklich nicht beklagen, bei fast zweiunddreißig Enkelkindern und elf
Urenkeln. Trotzdem mache ich mir Sorgen um dich.“
„Mom, ich habe genauso viele Verwandte wie du“, betonte Chey.
„Aber du hast niemanden für dich allein“, entgegnete Louise sanft.
„Du musst gerade reden! Daddy ist seit zwanzig Jahren tot, und in der ganzen
Zeit hast du nie einen anderen Mann auch nur angesehen.“
„Wenn man den Besten…“
„Ich weiß, dass du ihn geliebt hast“, unterbrach Chey, „und das unterstützt nur
meinen Standpunkt. Diese Art von Liebe ist sehr selten.“
„All deine Geschwister sind glücklich verheiratet. Und du bist dreißig Jahre alt
und hast noch nicht mal einen festen Freund. Eine so hübsche und kluge Frau wie
du sollte einen Mann haben.“
„Mom, bitte nicht jetzt.“
In diesem Augenblick erschien Georges mit einem Blatt Papier in der Hand.
„Würdest du dir bitte diese Rechnung angucken? Ich werde einfach nicht daraus
schlau.“
Louise ergriff mit beiden Händen den Henkel ihrer Handtasche, stand auf und
sagte sanft: „Du hast zu arbeiten. Was soll ich Kay und Sylvester sagen?“
Chey brachte ein Lächeln zustande. „Sag ihnen, dass ich natürlich kommen
werde.“
Louise beugte sich über den Tisch und legte eine Hand an Cheys Wange. „Komm
bald mal zum Dinner vorbei, ja?“
Chey nickte, stand auf und lächelte, bis ihre Mutter zur Tür hinausgegangen war.
„Danke, Georges.“
Er zerknüllte das Blatt Papier und warf es in den Papierkorb. Es überraschte Chey
nicht. Die Rechnung, die Georges Phillips nicht entziffern konnte, war nie
geschrieben worden. Zum Teil war er deshalb so wertvoll für sie.
Er war in mittlerem Alter und rundlich und hatte einen ganz eigenen
Kleidungsstil, der irgendwo zwischen „vornehm“ und „ausgeflippt“ lag. An diesem
Tag trug er ein flammend rotes Hemd zu einem weißen Anzug. Sein schütteres
dunkelblondes Haar, das an den Schläfen ergraute, war streng zurückgekämmt,
und in seinem runden Gesicht dominierten die dickliche Nase und die vollen
Lippen. Sein Aussehen und seine drollige Ausdrucksweise erinnerten sie stets an
Alfred Hitchcock.
„Danke mir nicht“, erwiderte er schnippisch. „Ich habe es nicht für dich getan,
sondern um die Gefühle der alten Dame zu schonen. Sie macht sich Sorgen um
dich.“
„Dazu hat sie keinen Grund. Warum kann sie nicht begreifen, dass ich total
glücklich bin?“
„Weil ihr dein Lebensziel völlig fremd ist, und vielleicht auch deswegen, weil du
nicht so glücklich bist, wie du jeden glauben machen willst.“
„Das bin ich wohl!“ protestierte Chey hitzig.
„Vergiss nicht, mit wem du redest. Ich kenne dich besser als du selbst – und
deine Mutter vermutlich auch.“
„Nur weil du selbst unzählige Male verheiratet warst, müssen andere dir noch
lange nicht zum Altar folgen.“
„Nur vier Mal. Da hast du mehr Finger an einer Hand, und lenk jetzt bitte nicht vom Thema ab. Wenn du nicht mit dem Geschäft verheiratet wärst, hättest du ein Privatleben, wie deine Mama es wünscht. Überdies einen Ehemann.“ „Vielleicht sollte ich einfach dich heiraten. Das wäre gut fürs Geschäft und würde mir meine Familie vom Hals schaffen.“ Georges zog eine Grimasse. „Das ist nicht mein Stil, Darling. Es wäre, als würde ich meine Schwester heiraten.“ „Hast du denn eine Schwester?“ hakte Chey nach, obwohl sie wusste, dass er nur zwei Brüder hatte. „Sei nicht so schnippisch. Und wenn du deine Familie vom Hals haben willst, dann such dir einen Mann und verlieb dich.“ „Du solltest besser als jeder andere wissen, dass das nicht so leicht ist.“ „Ich versuche es zumindest“, entgegnete er und reckte trotzig das Kinn vor. „Und du wirst es weiterhin versuchen.“ „Es geht hier nicht um mich.“ „Nein, wir reden von deinem Boss“, bemerkte Chey. „Der Person, die deine Gehaltsschecks unterschreibt.“ „Der Person, die ohne mich verloren wäre“, meinte Georges zuversichtlich. In diesem Punkt hatte er Recht. Ohne ihn als Assistent und Freund hätte sie sich wirklich verloren gefühlt. Seufzend sank sie auf ihren Stuhl, blickte auf den Bildschirm und fragte: „Was hältst du von diesem Layout für die Herrensuite?“ Georges blickte ihr über die Schulter. „Vom Standpunkt eines Dekorateurs gefällt mir die Wanne mit den Klauenfüßen unheimlich gut. Vom Standpunkt eines Mannes ziehe ich allerdings eine Duschkabine vor.“ „Aber der ganze Raum ist praktisch eine Duschkabine. Alles ist wasserfest, so dass keine Vorhänge oder Trennwände nötig sind.“ „Er muss aber trotzdem in die Wanne steigen, um zu duschen. Mir würde das nicht gefallen. Okay, eine Duschkabine entspricht normalerweise nicht dem historischen Stil, aber wir können sie dem doch etwas anpassen.“ „Du hast Recht.“ Chey griff nach der Maus, entfernte die Wanne und setzte eine halb versenkte Kombination aus Dusche und Wanne aus Kunstmarmor ein. „So ist es gut“, lobte Georges. Als die Glocke über der Ladentür ertönte, wandte er sich ab. „Ich gehe.“ „Danke. Ich faxe dann diese Entwürfe nach Fair Havens.“ Sie klickte Brodies Faxnummer an, die sie bereits eingespeichert hatte, erhielt jedoch keine Verbindung. Verdammt! Nun musste sie die Entwürfe abliefern. Hastig druckte sie die Zeichnungen aus, stopfte sie in ihren Aktenkoffer und eilte aus dem Raum. Eine Viertelstunde später erreichte sie das Anwesen und staunte über den Anblick von der Straße her. Verschwunden waren das Unterholz und die wilden Ranken, die das Haus versteckt hatten. Die Gärten waren makellos gepflegt, und die massive Vogeltränke stand aufrecht mitten auf dem Rasen. Eine Steinbank und drei Marmorengel verschiedener Größe hatten sich dazugesellt. Der Effekt war überwältigend, obwohl das Haus selbst sich noch in einem traurigen Zustand befand. Cheys Herz begann schneller zu klopfen, als sie die Freitreppe erklomm, und als Brodie ihr die Tür öffnete, verspürte sie Schmetterlinge im Bauch. Er trug eine tadellos gebügelte helle Leinenhose und ein weites dunkelblaues Seidenhemd, das seine ebenfalls blauen Augen wie Saphire strahlen ließ. Die obersten drei Knöpfe des kragenlosen Hemdes standen offen, und die langen Ärmel waren aufgekrempelt, so dass ein Teil seiner glatten, gebräunten Brust und seine muskulösen Unterarme sichtbar waren. Er lächelte warmherzig. „Hallo.“
„Ihr Faxgerät funktioniert nicht“, sagte Chey, und es klang eher atemlos als
verärgert.
„Ja, ich weiß. Es tut mir Leid.“
Sie zog ein Knie etwas an und balancierte den Aktenkoffer darauf, während sie
die Entwürfe herausnahm. „Ich wollte nur diese Zeichnungen vorbeibringen.“
Als sie Brodie den Ordner reichte, nahm er ihn nicht entgegen. Stattdessen trat
er beiseite und öffnete die Tür weiter. „Kommen Sie doch herein.“
Zögerlich trat Chey über die Schwelle. „Ich lasse sie einfach hier. Sie können sie
sich in Ruhe ansehen und mich dann wissen lassen, was Sie davon halten.“
Er schloss die Tür. „Hier entlang“, sagte er und ging voraus durch die Halle.
Sie atmete tief durch und folgte ihm widerstrebend in den Wintergarten, der nun
völlig anders eingerichtet war als bei ihrem letzten Besuch. Die vollständig
aufgebaute Fitnessbank stand nun in einer Ecke, abgeschirmt von dem kleinen
Wald aus Grünpflanzen. Der Tisch und die Stühle waren so nahe wie möglich an
die Glaswand gerückt, und mehrere Beistelltische waren aus der Dachkammer
geholt worden. Auf einem marmornen Blumenständer stand ein altmodischer
Ventilator, und von zwei gebogenen Lampenständern hingen Öllampen. „Oh, da
war aber jemand fleißig.“
„Gefällt es Ihnen?“
„Sogar sehr“, sagte Chey und legte den Aktenkoffer auf den Tisch.
„Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie etwas ändern wollten.“
„Haben Sie das alles gemacht?“
Brodie bestätigte es mit einem Kopfnicken. „Grandma interessiert sich eigentlich
nur für die Gärten, und ich werde allmählich etwas ungeduldig mit dem Haus.“
„Na ja, vielleicht helfen diese Entwürfe weiter.“
„Möchten Sie etwas Eistee?“
„Nein, danke. Ich muss zurück ins Geschäft.“
„Ich würde die Entwürfe aber lieber sofort mit Ihnen besprechen. Das spart Zeit.“
Es klang wie ein Befehl. Chey unterdrückte eine schroffe Ablehnung und setzte
sich. „In dem Fall wäre Eistee sehr schön.“
Brodie schenkte zwei Gläser aus einer Kristallkaraffe ein und setzte sich neben
Chey. Dann zog er die Unterlagen zu sich heran. Der Entwurf für die Suite seiner
Großmutter lag zuoberst. Sorgfältig studierte er den Grundriss. „Oh, das wird ihr
gefallen. Habe ich dieses Sofa nicht in der Dachkammer gesehen?“
„Allerdings.“ Chey beugte sich vor und setzte zu Erläuterungen an, doch Brodie
legte das Blatt beiseite und griff zum nächsten, dem Plan für das Kinderzimmer.
„Das ist wundervoll geworden.“
Eine angenehme Wärme durchströmte sie. „Ich bin froh, dass es gut ankommt.“
„Sehr sogar.“ Brodie betrachtete die nächsten Skizzen, die seine eigene Suite
betrafen. Unwillkürlich hielt Chey den Atem an, während sie auf seine Reaktion
wartete. „Das ist fast perfekt“, sagte er schließlich.
Sie schalt sich wegen der Enttäuschung, die in ihr aufstieg. „Fast perfekt“ war in
diesem frühen Stadium praktisch ein großes Lob. „Wo liegt das Problem?“
„Nichts Wichtiges. Es hängt nur mit dem Büro zusammen. Ich habe da mein
eigenes System, das berücksichtigt werden muss. Sonst gefällt mir, was Sie
entworfen haben.“ Brodie lächelte sie an. Dann, anstatt zur nächsten Skizze zu
greifen, beugte er sich unvermittelt zu ihr. „Haben Sie Hunger?“
„Nein, ich…“
„Grandma macht mit Seth einen Ausflug“, unterbrach er, „und ich esse nicht gern
allein.“ Er griff nach ihrer Hand. „Essen Sie mit mir zu Mittag. Marcel wird
begeistert sein. Er beklagt sich ständig, dass er nicht genug zu tun hat.“
Chey wusste, dass sie eigentlich ablehnen sollte, obwohl sie natürlich häufig mit
Klienten aß. Daher lächelte sie und schüttelte den Kopf, in der Absicht, Nein zu
sagen. „Danke.“
„Ausgezeichnet!“ Er sprang auf und verschwand, bevor sie sich korrigieren
konnte. Kurz darauf kehrte er zurück. „Ich hoffe, Sie mögen Meeresfrüchte.
Marcel ist ein Genie, was Muscheln angeht.“ Brodie setzte sich neben sie.
„Überhaupt ist Marcel mit allen Speisen ein Genie. Jetzt lassen Sie uns die
restlichen Entwürfe durchgehen.“
Schweigend beobachtete Chey, wie er die Pläne für die Erdgeschossräume
betrachtete. Er schlug einige Änderungen vor, da er auf dem Dachboden einige
Möbelstücke entdeckt hatte, die er dort noch unterbringen wollte.
Sie holte einen Bleistift hervor und zeichnete alles mit leichter Hand ein. Ihr
wurde kaum bewusst, wie nahe sich ihre Köpfe waren, bis Brodie ihr den Bleistift
aus der Hand nahm und weitere Änderungen vornahm.
„Glauben Sie, dass es klappt?“ fragte er und lehnte die Schulter an ihre.
Chey schaute kaum auf das Papier. „Es erscheint mir machbar.“
Er blickte auf, und in seinen so unglaublich blauen Augen lag ein eindringlich viel
sagender Ausdruck.
In diesem Moment schob ein riesengroßer, dunkelhäutiger Mann mit kahl
rasiertem Schädel und Händen wie Schaufeln einen Servierwagen herein. Marcels
Anblick überraschte Chey, da seine Frau Kate sehr zierlich und blass war.
„Endlich Besuch!“ rief er und schenkte ihr ein Lächeln, während er den Tisch mit
weißem Leinen, kostbarem Geschirr und Silberbesteck deckte.
Sobald das Essen aufgetragen war, zog er sich zurück. Was sein Talent anging,
hatte Brodie nicht übertrieben, wie sie nach dem ersten Bissen des exotisch
gewürzten Meeresfrüchtesalats feststellte.
„Zum Dessert gibt es Kokostorte“, verkündete Brodie, bevor er zu essen begann.
Chey verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf, doch ihr Blick glitt
sehnsüchtig zu dem Servierwagen, auf dem eine sündhaft lecker aussehende
Torte aus Mürbeteig, Schlagsahne und Kokosflocken stand. „Ich würde aufgehen
wie ein Hefeteig, wenn ich in diesem Haus lebte.“
Brodie musterte ihre Gestalt. „Das glaube ich nicht. Sie scheinen von Natur aus
grazil zu sein. Ich wette, dass Sie nicht mal Sport treiben.“
„Das müsste ich aber, wenn ich immer so viel essen würde.“
„Manche Sportarten sind äußerst befriedigend“, sagte er sanft und wandte den
Blick ab, bevor Chey ergründen konnte, was er damit meinte. „Ich liebe gutes
Essen. Es ist der größte Luxus im Leben, finden Sie nicht auch?“
Da sie gerade den Mund voll hatte, konnte sie nur nicken. Brodie lächelte sie
abwägend an, und ihr Herz schlug höher. Entschieden richtete sie ihre Gedanken
auf die Arbeit und blickte sich um. „Da Sie häufig Gäste empfangen wollen,
sollten wir vielleicht diesen Raum umgestalten.“
„An was denken Sie da?“
„Man könnte für Dinnerpartys Tische zwischen den Pflanzen verteilen und
Lichterketten aufhängen.“
Eine Zeit lang diskutierten sie über die verschiedenen Möglichkeiten, die sich
ihnen zur Umgestaltung verschiedener Bereiche boten.
„Ich frage mich gerade, welcher der Räume überhaupt der größte ist“, überlegte
Chey laut. „Ich habe die Daten zwar in den Computer eingegeben, aber nicht
ausgedruckt, und ich kann mich nicht erinnern.“
Brodie nahm den letzten Bissen vom Teller und schob seinen Stuhl zurück.
„Wenn Sie genug gegessen haben, können wir ja nachsehen. Ich habe irgendwo
ein Maßband.“
„Gute Idee.“
In seinem Büro kramte er ein kleines Maßband hervor, das gerade mal drei Meter lang war, so dass sie es für eine Raumlänge mehrmals ansetzen mussten. Zudem neigte es dazu, sich ganz unvermittelt wieder aufzurollen, und schnappte Chey mehrmals aus den Fingern. Daraufhin hielt sie es eisern fest, und als es sich trotzdem wieder zusammenziehen wollte, folgte sie ihm törichterweise – und stieß prompt mit Brodie zusammen, der das andere Ende hielt. Erschrocken blickte sie auf. Einen Moment lang wirkte er ebenso schockiert wie sie. Er ließ das Gehäuse des Maßbandes fallen, legte eine Hand direkt unterhalb ihre Brust und schlang ihr die andere um den Nacken. Wie hypnotisiert starrte Chey ihn an. Brodie senkte den Kopf, bis sein Mund ihren erreichte. Die Berührung seiner Hände und Lippen ließ ihren Körper erzittern und erglühen und raubte ihr den Verstand. Zuerst war der Kuss leicht und zart. Dann schloss Chey die Augen, und alles änderte sich. Brodie schlang die Arme fest um sie und schob die Zunge zwischen ihre Lippen. Sie hörte ein Surren und erkannte, dass es vom Maßband rührte, das in das Gehäuse glitt, weil sie offensichtlich das Ende losgelassen hatte. Das erklärte auch, wie sie die Hände an seiner Brust hinaufgleiten lassen und um seinen Nacken schlingen konnte. Brodie schloss die Arme fester um sie, und das Spiel seiner Zunge wurde intensiver. Chey vergaß, warum es unklug war, so etwas zu tun. Sie vergaß alles, außer dem Begehren nach mehr. Sie wollte ihm näher sein, wollte mehr von seinem harten Körper, seinem Mund, seinen Händen, die sie mit wachsendem Verlangen streichelten. So als wüsste er genau, wonach sie sich am meisten sehnte, umschmiegte er ihren Po und presste sie an sich, während er ihr ein Knie zwischen die Schenkel schob und ihren Rock aufreizend hochschob. Instinktiv ließ sie die Hüften an seinen Lenden kreisen. Sie vergaß sich so sehr, dass sie nicht einmal die helle Stimme hörte, die den Zauberbann brach. Verblüfft blickte sie in Brodies Gesicht, als er sie abrupt von sich schob. Ihr blieb nicht einmal Zeit für Verlegenheit, denn schon stürzte Seth sich auf Brodie. „Daddy, ich habe Fische gesehen! Ganz doll große Fische!“ Brodie löste den Blick langsam von Chey und lächelte seinen Sohn an. „Das ist ja großartig.“ Aus den Augenwinkeln sah Chey, dass noch eine weitere Person in den Raum kam. Schnell verschränkte sie die Arme vor der Brust und gab vor, den Raum zu betrachten. Ihre Wangen glühten. „Wart ihr bei einem Aquarium?“ fragte Brodie. „Nein“, erwiderte Viola. „Wir sind spazieren gegangen, da kam ein Fischwagen und hat ein Restaurant beliefert…“ Chey hörte kaum die Geschichte von einer zerbrochenen Kiste, aus der sich Fische und Eisbrocken auf den Bürgersteig ergossen hatten. Verspätet merkte sie, dass alle lachten. Doch sie konnte nur ein vages Lächeln zustande bringen, denn nun erst wurde ihr richtig bewusst, was sie getan hatte. Das Wort ,Kuss’ schien zu unbedeutend für den Vorfall. Ein bloßer Kuss hätte sie nicht lange nachher noch zittern lassen und nicht gezwungen, die Hände zu ballen, um nicht erneut nach Brodie zu greifen. Sogar ihre Kehle war wie zugeschnürt, so dass Chey kaum schlucken konnte. „Ich habe jetzt erst mal alle Daten, die ich brauche“, verkündete sie abrupt und eilte zur Tür. „Ich finde allein hinaus.“ Als sie hörte, dass Brodie ihr folgte, beschleunige sie den Schritt. An der Treppe holte er sie ein, schloss eine Hand um ihren Oberarm und wirbelte sie zu sich
herum. „Chey, wir haben den Nachtisch noch nicht gegessen.“
Sie wandte den Blick ab. „Ich möchte nichts mehr, danke. Ich muss jetzt wirklich
gehen.“
„Wann kommst du wieder?“
„Bald.“
„Sehr bald, hoffe ich.“ Seine Stimme klang rau. „So bald wie möglich.“
„So bald wie möglich“, stimmte sie zu.
Brodie strich ihr noch einmal mit der Hand über den Arm und gab sie schließlich
frei.
Sie saß bereits in ihrem Auto, als ihr einfiel, dass sie ihren Aktenkoffer im
Wintergarten liegen gelassen hatte. Sie ging ihn nicht holen. Sie wagte es nicht.
4. KAPITEL Brodie umklammerte den Telefonhörer, schloss flüchtig die Augen, um sich zu beruhigen, und sagte in täuschend sanftem Ton: „Würden Sie Miss Simmons bitte eine weitere Nachricht geben? Sagen Sie ihr, dass ich sie eigenhändig hierher schleife, wenn sie nicht innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden auftaucht.“ Er verdrehte die Augen, während ihr Assistent nervös erklärte, wie beschäftigt Chey war und dass sie sich garantiert so schnell wie möglich melden würde. Das hatte Brodie bereits mehrmals gehört, und er glaubte es jetzt ebenso wenig wie beim ersten Mal. Der kleine Feigling ging ihm aus dem Weg, doch damit war nun Schluss. Brodie war fest entschlossen, sämtliche Waffen seines gewaltigen Arsenals einzusetzen. „Vierundzwanzig Stunden“, unterbrach er die Ausführungen des Assistenten tonlos und legte den Hörer auf. Über eine Woche war seit jenem Kuss vergangen. Brodie hatte wiederholt bei Chey angerufen und ihr sogar den Aktenkoffer ins Geschäft gebracht. Doch das einzige Gesicht, das er gesehen, die einzige Stimme, die er gehört hatte, beides gehörte ihrem modebewussten Assistenten. Brodie hielt nichts von Assistenten. Er zog es vor, selbst zu tun, was getan werden musste, anstatt ständig zu delegieren. Außerdem führte sich sein Geschäft praktisch selbst. Er besaß eine kleine, aber tüchtige Belegschaft, die das Dutzend Büros auf der ganzen Welt leitete. BMT war ein lukratives Reiseunternehmen, dessen Erfolg sich auf ausgezeichnetem Service zu hohen Preisen an exotischen Orten gründete. Seine Kunden waren reich und anspruchsvoll, genau wie er, und er handelte persönlich sämtliche Serviceverträge mit den Gastländern aus und unternahm stets die erste Reise, bevor irgendein Kunde hingeschickt wurde. Ansonsten verbrachte er seine Zeit mit Seth und Viola. Er führte ein schönes Leben, doch in letzter Zeit schien ihm etwas zu fehlen, etwas mit reizvollen Rundungen. Erneut dachte er an jenen Kuss, und erneut spürte er Verlangen. Es war lange her, seit ein Kuss ihn derart berührt hatte. Und Brodie war sich ziemlich sicher, dass es Chey nicht anders erging. Warum also mied sie ihn? Möglicherweise war sie mit einem anderen Mann liiert. Brodie mochte keine Konkurrenz, aber er wusste sich zu behaupten. Er glaubte fest daran, dass jeder seines Glückes Schmied war, und daher war er fest entschlossen, sie wieder zu sehen. So oder so. Genau um zehn Uhr morgens läutete es an der Haustür, gerade noch innerhalb der Frist von vierundzwanzig Stunden. Brodie stand von seinem Schreibtisch auf und ging die Treppe hinunter. Als er das Foyer erreichte, traf er dort eine kleine Versammlung an. Viola stand lächelnd neben der Tür. Seth ergötzte Chey mit der neusten Episode seiner bevorzugten Kinderserie, ausgeschmückt mit extravaganten Gesten und Soundeffekten. Höflich blickte sie zu ihm hinab. Ihr Assistent, mit ihrem Aktenkoffer in der Hand, täuschte nicht einmal Interesse an der Erzählung vor, sondern blickte sich neugierig um. Er sah Brodie als Erster und stieß Chey sanft mit dem Ellbogen an. Sie richtete sich auf, als Brodie sich näherte. Er glaubte, ihre Augen aufleuchten zu sehen, war sich aber nicht sicher, denn schon blickte sie wieder abweisend drein. Er lächelte nicht, obwohl er den Drang verspürte. Sie sah zum Anbeißen hübsch aus in Hellblau, die Haare zu einem kunstvollen Knoten geschlungen. Brodie legte Seth eine Hand auf den Kopf, um den Monolog zu unterbrechen, der
andernfalls endlos weitergegangen wäre. Seth blickte auf und verkündete: „Miss
Chey und ein Mann sind da, Daddy.“
Brodie ignorierte Chey und reichte ihrem Assistenten die Hand. „Ich nehme an,
Sie sind George.“
„Mein Name lautet Georges“, entgegnete der mit übertrieben französischem
Akzent und gab Brodie erst nach erfolgter Entschuldigung die Hand.
„Das sind mein Sohn Seth und meine Großmutter Viola Todd.“
„Ich bin entzückt, Sie kennen zu lernen“, verkündete Georges und verbeugte sich
über Violas Hand.
Zu Brodies Verwunderung errötete sie und klimperte mit den Wimpern. „Das
Vergnügen ist ganz meinerseits, Georges.“
„Ich bin gekommen, um mir dieses wundervolle Haus anzusehen.“
„Na, dann muss ich es Ihnen wohl zeigen. Komm mit, Seth.“
Georges reichte Ghey den Aktenkoffer. „Du brauchst mich doch nicht, oder,
Liebes?“ fragte er, und schon folgte er Viola durch das Foyer.
Chey blickte ihm so erzürnt nach, dass Brodie kaum ein Lächeln unterdrücken
konnte. Er wusste natürlich, dass sie Georges nicht wegen des Hauses, sondern
als Puffer mitgebracht hatte.
„Gehen wir doch in mein Büro“, schlug Brodie vor.
Sie nickte und schritt forsch zur Treppe. Er folgte ihr die Stufen hinauf und
bewunderte den graziösen Schwung ihrer Hüften. Bei jedem Schritt spannte sich
der enge Rock so reizvoll um ihren Po, dass er die Hände in die Hosentaschen
steckte und ballte, um Chey nicht anzufassen.
In seinem Büro setzte er sich hinter den Schreibtisch. Sie nahm davor Platz,
legte sich den Aktenkoffer auf den Schoß und nahm die Entwürfe heraus. Brodie
sah auf den ersten Blick, dass sie zahlreicher und wesentlich detaillierter waren
als die früheren. Er zollte ihrer harten Arbeit den gebührenden Respekt, indem er
die Pläne gründlich studierte.
Die Wohnräume waren so gestaltet, wie sie es besprochen hatten. Für große
Überraschung sorgten die Gästezimmer. Chey hatte jeden Raum unter ein
bestimmtes Motto gestellt und entsprechend mit zeitgenössischen Möbeln und
den Kunstgegenständen ausgestattet, die er von seinen unzähligen Reisen um
die Welt mitgebracht hatte. So waren ein orientalisches, ein europäisches und ein
polynesisches Reich sowie ein Zimmer im Wildweststil entstanden.
„Diese Entwürfe sind unglaublich“, sagte er.
Sie setzte sich ein wenig aufrechter. „Du bist also damit einverstanden?“
„Voll und ganz.“
Chey lächelte zum ersten Mal und nahm einige Papiere aus dem Aktenkoffer.
„Diese Listen und Terminpläne solltest du durchgehen.“
Er studierte die Aufstellungen über erforderliche Materialien und
Bauunternehmer. Dann nickte er zustimmend. „Wann können wir anfangen?“
„Ich möchte als Erstes die Klimaanlage einbauen lassen, bevor der Sommer
richtig anfängt und es unerträglich schwül wird. Morgen soll der Klimatechniker
kommen.“
„Okay.“
„Da stimmst du mir einfach so zu?“ hakte sie überrascht nach. „Keine Diskussion
über Details?“
„Wir haben schon mindestens eine Woche länger gebraucht, als mir lieb gewesen
wäre“, entgegnete Brodie bedeutungsvoll.
Abrupt sprang Chey auf und stopfte die Papiere in den Aktenkoffer. „Gut. Dann
kommen wir morgen vorbei.“
Brodie beugte sich vor und packte sie am Handgelenk. „Setz dich wieder“, befahl
er.
Langsam sank sie auf den Stuhl. Den Blick auf ihren Schoß gesenkt, murmelte
sie: „Ich wüsste nicht, was wir sonst noch zu besprechen hätten.“
Beinahe hätte Brodie laut gelacht. Er stand auf, ging um den Schreibtisch herum
und lehnte sich vor Chey an die Kante. „Du weißt sehr gut, was wir zu
besprechen haben.“
Sie sagte nichts.
„Ich lasse dich nicht so tun, als ob es nicht passiert wäre“, teilte er ihr geduldig
mit. Er seufzte, als sie lediglich das Kinn vorreckte, ohne zu antworten oder ihn
anzusehen. „Wir haben uns geküsst. Wir wurden unterbrochen. Du bist
weggelaufen, und jetzt gehst du mir aus dem Weg. Ich will wissen warum.“
Noch immer sagte sie kein Wort.
„Es liegt bestimmt nicht daran, dass es dir nicht gefallen hätte. So viel weiß ich.“
Endlich schaute sie ihn an. „Was soll das denn heißen?“
„Das heißt, dass du genauso erregt warst wie ich. Worin besteht also dein
Problem?“
„Ich habe kein Problem“, behauptete Chey und zuckte mit den Achseln. „Ich
ziehe es nur vor, diese Erfahrung nicht zu wiederholen.“
„Warum nicht?“
„Warum sollte ich?“
Brodie lachte auf. „Ach, ich weiß nicht, vielleicht weil ich dich heiß gemacht
habe.“ Sie warf ihm einen beleidigten Blick zu. „Ich war es auch“, versicherte er,
„und das ist meiner Ansicht nach Grund genug, es zu wiederholen.“
„Für mich bedeutet es aber genau das Gegenteil, weil ich mich niemals mit
Klienten einlasse.“
„Bis jetzt“, korrigierte er sie.
„Du bist ja ganz schön überzeugt von dir“, spottete Chey.
Er hockte sich neben ihren Stuhl. „Bist du mit jemand anderem zusammen?“
Sie presste die Lippen aufeinander, blickte zu Boden, gab dann zu: „Nein.“
„Also ist es eine rein berufliche Entscheidung?“
„Richtig.“
„Dann werde ich deinen Vertrag stornieren müssen.“
Unvermittelt sprang Chey auf. „Das kannst du nicht tun!“
„Der Vertrag, der nicht gebrochen werden kann, ist noch nicht geschrieben
worden.“
„Ich werde dich verklagen!“
„Bevor oder nachdem wir miteinander geschlafen haben?“ konterte Brodie.
„Ich lasse mich nicht auf flüchtige Affären ein.“
„Gut, denn es ist alles andere als eine vorübergehende Anziehungskraft.“
„Ich bin ganz bestimmt nicht an einer ernsten Beziehung interessiert.“
Mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme erklärte er: „Ich will dich doch
gar nicht zum Altar schleifen. Ich versuche nur, dich zu verführen.“
„Ich schlafe nicht mit jedem.“
„Das sollst du auch nicht. Nur mit mir.“
Chey reckte das Kinn vor. „Vergiss den Auftrag. Ich habe es nicht nötig.“ Sie
klemmte sich den Aktenkoffer unter den Arm und eilte zur Tür.
„Und was ist mit unserem Vertrag?“
Sie blieb stehen und blickte Brodie über die Schulter an. „Du hast selbst gesagt,
dass man Verträge auch brechen kann.“
„Das stimmt. Aber derjenige, der die besten Anwälte und die tiefsten Taschen
hat, bestimmt für gewöhnlich, was ein Vertrag besagt und wann oder ob er
storniert wird. Und meine Taschen sind eindeutig tiefer als deine.“
„Soll das heißen, dass du mich nicht aus dem Vertrag lässt?“
„Willst du ihn denn wirklich lösen? Es ist ein sehr bedeutender Auftrag, und wenn
dir deine Karriere wirklich so wichtig ist, wie du behauptest, wirst du ihm nicht
den Rücken kehren können.“
„Du willst damit doch wohl nicht sagen, dass es wichtig für meine Karriere ist,
mit dir zu schlafen.“
Brodie lachte. „Du glaubst wirklich, dass es hier um Nötigung geht?“
„Etwa nicht?“
Er schüttelte den Kopf. „Das ist ganz und gar nicht mein Stil. Verführung ist da
schon eher mein Ding.“
„Nun, dazu wird es nicht kommen.“
„Gut, dann wäre es doch dumm, auf dieses Sprungbrett für deine Karriere zu
verzichten.“
Damit hatte er sie umgestimmt. „Wenn ich bleibe, dann rein beruflich“, gab sie
zurück.
Schweigend senkte Brodie den Kopf. Wenn sie diese Bewegung jetzt als
Zustimmung seinerseits missdeutete, dann war das nicht seine Schuld.
„Damit dir das klar ist“, fügte Chey noch hinzu.
Er blickte auf und seufzte.
„Gut, dann verstehen wir uns ja“, verkündete sie und wandte sich erneut zur Tür.
„Ich erwarte dich morgen früh.“
Sie zögerte, nickte dann und ging.
Amüsiert blickte er ihr nach. Glaubte sie wirklich, dass die Sache damit für ihn
erledigt war? Dann musste sie noch einiges über ihn lernen!
Vorsichtig ließ Chey sich in die schmale Öffnung im Fußboden hinunter und
blickte sich um. Matts Taschenlampe erhellte den engen Schacht, und sie kroch
ihm auf allen Vieren nach.
Ihr Bruder beleuchtete ein Bündel Leitungen. „Ja, da ist Platz genug für neue
Rohre. Der Job dauert mindestens zehn Tage mit voller Belegschaft, wenn ich alle
anderen Arbeiten verschiebe.“
„Kannst du es übernehmen?“
„Na klar. Kostet aber einen schönen Batzen Geld, das sage ich gleich.“
„Wie viel?“
„Zwanzig, vielleicht dreißigtausend. Ich muss erst kalkulieren.“
„Tu das.“ Chey trat den Rückzug an, richtete sich unter der Öffnung auf und
stemmte sich hoch. Dann bückte sie sich und klopfte sich den Staub von den
Hosenbeinen.
Matt folgte ihr und zupfte sich Spinnweben aus den hellbraunen Haaren. Dann
drehte er Chey herum und klopfte ihr den Hosenboden ab.
„Wen haben wir denn da?“ fragte eine beunruhigend vertraute Stimme.
Chey warf einen strengen Blick über ihre Schulter. Überall, wo sie arbeitete,
tauchte Brodie auf und brachte sie aus der Fassung. Sie konnte sich nie
entspannen, musste stets auf der Hut vor ihm sein. Bewusst richtete sie sich
kerzengerade auf. „Das ist mein Bruder.“
Brodie reichte ihm die Hand. „Hallo. Ich bin Brodie Todd.“
„Matthew Paul Simmons“, sagte Matt auf die witzige, formelle Art, die so vielen
in Louisiana Geborenen eigen war. „Aber alle nennen mich Matt.“
„Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Matt. Ich nehme an, Sie werden an
meinem Haus arbeiten?“
„Ja, Sir, und wir werden verdammt gute Arbeit leisten, Mr. Todd.“
„Nennen Sie mich Brodie, bitte.“
Matt strahlte anerkennend. „In Ordnung, Brodie.“
„Und was für Arbeiten führen Sie aus?“
„Ich bin der Mann für Heizung und Klimaanlage.“
„Und ich bin sicher, dass Sie gut sind, denn sonst wären Sie wohl nicht hier“,
bemerkte Brodie mit einem Blick zu Chey.
„Allerdings. Unsere Mary ist nur mit dem Besten zufrieden. Manchmal mag ich
nicht für sie arbeiten, weil sie so pingelig ist.“
„Genau deshalb ist sie die Beste“, meinte Brodie und lächelte sie so vertraulich
an, dass sie schlucken musste.
„Das ist sie ganz sicher. Sie hat für nichts anderes Zeit als für ihre Arbeit.
Deswegen ist sie immer noch Single, ein hübsches Mädchen wie sie.“
„Ich bin kein Mädchen mehr“, protestierte sie.
„Klar, sie ist schon fast eine alte Jungfer“, neckte Matt sie, „aber sie ist trotzdem
meine kleine Schwester. Haben Sie zufällig eine Schwester?“
Brodie schüttelte den Kopf und wurde sehr ernst. „Nein. Aber ich hatte mal einen
Bruder.“
„Oh, das tut mir Leid“, erwiderte Matt betroffen, als ihm klar wurde, was für ein
sensibles Thema er da angesprochen hatte. Offenbar war Brodies Bruder
gestorben.
Tiefer Kummer lag in Brodies Augen. Er nickte und murmelte: „Danke. Ich
vermisse ihn sehr.“ Dann lächelte er vage. „Sie haben Glück, dass Sie eine so
große Familie sind.“
„Das stimmt. Was immer wir brauchen, kriegen wir in der Familie. Nehmen Sie
Mary zum Beispiel. Sie hat alle Handwerker, die sie benötigt. Frank, der Älteste,
ist Maurer. Thomas ist Elektriker. Wir arbeiten viel zusammen, Thomas und ich.
Anthony Sherman wiederum…“
„Matt“, unterbrach Chey, „ich bin sicher, dass Mr. Todd viel zu tun hat und nicht
an unserer Verwandtschaft interessiert ist.“
„Doch, das bin ich. Reden Sie weiter. Es ist faszinierend.“
Nachdenklich strich Matt sich über das Kinn. „Also, Anthony ist Schreiner. Er ist
ein Genie, ein wahrer Künstler. Schönere Möbel als seine findet man in keinem
Geschäft, ob alt oder neu.“
„Eine talentierte Familie“, bemerkte Brodie, während Chey ungeduldig mit dem
Fuß auftippte.
„Bay, das ist die Abkürzung für Bailey Michael, der macht in Fußböden. Sie
wissen schon – Teppichboden und Linoleum und Parkett und so. Und Johnny, der
Jüngste, der erledigt jede Art von Dächern. Lehm, Ried, Schindeln, Blech und
sogar Kies.“
Matt schüttelte sich. „Ich dagegen kann keine Höhe vertragen. Ich krieche lieber
in enge Räume.“
Brodie spähte in den Schacht hinunter. „Da hätte ich Platzangst.“
Matt grinste. „Das sagt Johnny auch. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, die
Schwäger hätte ich fast vergessen. Tom Beitran hat ein Geschäft für
Haushaltsgeräte, und Sylvester Gilroy, der Mann von Kay, macht Fundamente.“
Verwirrt blickte er Chey an. „Wen habe ich ausgelassen?“
„Carter“, erwiderte sie mit einem resignierten Seufzen.
„Carter Dupre, ach ja. Das ist Fays Mann. Sie erwarten in den nächsten Tagen
ein Baby. Er ist nicht im Baugeschäft, wissen Sie. Er ist Automechaniker, und
zwar ein ausgezeichneter. Es ist echt nützlich, ihn in der Familie zu haben.“
Brodie lachte. „Das kann ich mir denken. Die ganze Familie scheint nützlich zu
sein.“
Matt nickte stolz. „Ja, sogar Mary. Sie will nicht zu Hause bleiben und Kinder
kriegen wie die anderen Frauen. Stattdessen muss sie auf Baustellen
herumkriechen.“ Während er sprach, tätschelte er ihre Wange, ohne zu merken,
dass sie vor Wut kochte.
„Ich glaube, du hast jetzt genug gesagt“, stieß sie zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor.
Matt schmunzelte nur und zog sie mit einem Arm um die Schultern an sich. „Sie
wird einen guten Job für Sie machen. Auf unsere Mary können Sie vertrauen. Für
sie gilt nur das Beste.“
Brodie schob die Hände in die Hosentaschen und blickte Chey eindringlich an.
„Genau darauf zähle ich.“
Arroganter Kerl, dachte sie entrüstet und gab ihm mit einem vernichtenden Blick
zu verstehen, dass sie ihn in keinerlei Hinsicht für den Besten hielt. Offensichtlich
wollte er andeuten, dass er der Beste im Bett war. Oder bildete sie es sich nur
ein, weil ihr die Idee gerade im Kopf herumspukte?
Sie wandte sich an Matt und verkündete: „Ich brauche den schriftlichen
Kostenvoranschlag heute noch.“
„Ja, okay, ich kümmere mich gleich darum.“ Er klopfte Chey auf die Schulter,
winkte Brodie zu und ging.
Sie schickte sich an, ihm zu folgen, doch Brodie hielt sie mit einer Hand auf dem
Arm fest.
Abrupt wich sie zurück. „Es ist keine Vetternwirtschaft“, versicherte sie hastig.
„Matt ist wirklich der Beste in seiner Branche.“
„Das bezweifle ich nicht.“
„Was willst du dann?“
Brodie beugte sich zu ihr, scheinbar um den Kragen ihrer weißen Bluse zurecht
zu zupfen. „Dich, Mary Chey“, sagte er sanft. „Ich will dich nur berühren.“ Sanft
massierte er ihre Schultern.
Sie stand wie erstarrt da und versuchte zu ignorieren, dass ihre Haut unter
seinen Händen prickelte. Dann fand sie endlich ihre Stimme und ihre Entrüstung.
„Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, die Sache rein geschäftlich zu halten.“
Brodie neigte den Kopf. „Wirklich? Ich kann mich nicht erinnern, dem zugestimmt
zu haben.“
„Das ist gelogen! Ich weiß es noch ganz genau, ich erinnere mich daran…“ Dass
er den Kopf gesenkt und geseufzt hatte. Verlegenheit und Zorn stiegen in ihr auf.
Sie wusste nicht, was sie mehr ärgerte – dass er ihr Zustimmung vorgespielt
hatte oder dass sie darauf hereingefallen war. „Ich sollte dir eins aufbrennen“,
murrte sie.
Brodie senkte den Blick auf ihren Mund. „Oh ja, Baby, direkt hier.“ Er tippte sich
mit dem Zeigefinger auf die geschürzten Lippen.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte hinaus. Sein Lachen folgte ihr.
Dennoch fragte sie sich im Laufe des Tages wiederholt, was geschehen wäre,
wenn sie seine Herausforderung angenommen hätte.
5. KAPITEL Anthony klopfte an die dicken Holzplanken über seinem Kopf und verkündete:
„Ich sehe kein Problem. Alle Querbalken sind gesund. Ich erneuere den
Unterboden, und dann kann Bay ans Werk gehen.“
Chey atmete erleichtert auf. „Gut. Das erspart uns mindestens zwei Wochen.“ Sie
folgte ihm die kurze, schmale Leiter hinauf, die vom Keller ins Freie führte.
Ihr Schwager Sylvester hatte das Fundament geprüft und einige Schwachstellen
beseitigt. Bereits seit einer vollen Woche wurden Wasserrohre erneuert, und nun
war Anthony an der Reihe, die Fußböden zu sanieren.
Gemeinsam betraten sie die Küche. Seth saß mit verschmiertem Gesicht neben
einer Rührschüssel auf einem Schrank und rief: „Hallo, CheyChey!“
Er nannte sie CheyChey, seit Georges ihm erzählt hatte, dass ihre Firma ,Chez
Chey’ hieß.
Sie lächelte ihn unsicher an und trat näher. „Darfst du da oben sitzen?“
Seth nickte heftig, als Marcel mit einem Rührlöffel und einem feuchten Lappen
vom Fußboden aufstand und erklärte: „Wir hatten einen kleinen Unfall.“
„Ich habe einen Löffel runtergeschmissen“, gestand Seth. Er tauchte den Finger
in die Schüssel. „Willst du mal lecken?“
Chey lächelte. „Nein, danke.“
Er hielt Anthony den Finger hin. „Willst du?“
„Lieber nicht. Wir Mädchen müssen auf unsere Figur achten, weißt du.“
Seth steckte sich den Finger in den Mund. „Du bist aber gar kein Mädchen!“
Anthony täuschte Verblüffung vor. „Ich bin kein Mädchen? Bist du dir da ganz
sicher?“
Seth kicherte ausgelassen und nickte heftig.
Chey stieß Anthony in die Rippen. „Hör auf, ihn zu necken, sonst fällt er noch
runter.“
Mit sechsunddreißig war Anthony im Herzen ein großes Kind geblieben.
Außerdem war er stolz auf sein gutes Aussehen. Er war mit einem schlanken
Körperbau gesegnet, und seine goldblonden Haare waren beinahe so lang wie
Cheys.
„Du musst dir unbedingt noch die Bibliothek ansehen“, teilte sie ihm mit.
Unvermittelt versuchte Seth, vom Schrank zu steigen. „Ich zeig sie dir!“
Blitzschnell griff Marcel nach ihm und stellte ihn auf den Boden. „Nein, Junge. Ich
habe Miss Viola versprochen, dass du bei mir bleibst.“
„Ich will CheyChey zeigen!“ beharrte Seth. Er lief zu ihr und schob seine klebrige
Hand in ihre.
Sie spürte, dass Marcel eine Atempause ganz gelegen käme. „Wo ist Viola denn?“
„An der Haustür. Es hat vorhin geklingelt, und sie schaut gerade nach, wer
gekommen ist.“
„Wir bringen Seth zu ihr“, entschied Chey.
Sie gingen ins Foyer, wo Viola in ein angeregtes Gespräch mit Georges vertieft
war.
„Da bist du ja!“ rief er Chey zu. „Ich habe den ganzen Vormittag versucht, dich
über dein Handy zu erreichen.“
„Tut mir Leid. Ich war im Keller und hatte es nicht dabei. Was ist denn so
wichtig, dass du extra hergekommen bist?“
„Die Marmorfliesen für den Ballsaal sind nicht in ausreichender Menge zu haben.
Der Lieferant hat eine andere Partie in Baton Rouge aufgetrieben, die seiner
Meinung nach passen, aber ich wollte die Entscheidung nicht allein treffen.“
Chey seufzte und überlegte einen Moment. „Sag ihm, dass er sie besorgen, aber
nicht hierher liefern soll, bevor ich sie mir angesehen habe. Wenn wir sie hier
nicht verwenden können, kaufe ich sie. Irgendwann werde ich sie schon wieder
los.“
„Sagen Sie ihm, dass er sie direkt hierher liefern soll“, konterte Brodie von der
Treppe her. „Es besteht kein Grund, dass du dieses Risiko eingehst“, sagte er zu
Chey. „Ich kaufe sie. Wenn Farbe und Muster dir nicht zusagen, ist es eben mein
Problem.“
„Das ist nicht nötig“, wehrte sie ab.
„Ich glaube doch.“ Er kam die Treppe hinunter und wandte sich an Seth. „Da
muss sich aber jemand das Gesicht waschen.“
Der Junge versteckte sich hinter Chey und schrie: „Nein! Ich will CheyChey
zeigen!“
Brodie griff hinter sie und zog Seth hervor. „Was willst du ihr zeigen?“
„Die Bibliothek“, erklärte sie. „Er hat gehört, dass Anthony sie sich ansehen soll.“
„Aha.“ Brodie hockte sich vor Seth. „Junger Mann, du weißt ganz genau, dass du
in der Bibliothek und dem Spielsalon nichts zu suchen hast, weil es da zu
gefährlich für dich ist.“
Seth nickte, jammerte aber trotzdem: „Aber ich will CheyChey zeigen.“
„Du gehst sofort in dein Zimmer und bleibst dort bis zum Mittagessen“, wies
Brodie ihn streng an. „Und wenn ich dich in der Nähe der Bibliothek erwische,
bekommst du Probleme. Verstanden?“
Seth nickte stumm und lief zu Viola, die mit ihm die Treppe hinaufging.
„Und jetzt zurück zu den Fliesen“, sagte Brodie.
„Es besteht kein Grund, Fliesen zu kaufen, die du womöglich nicht gebrauchen
kannst“, wandte Chey ein.
„Aber ich kann sie gebrauchen. Wenn nicht im Haus, dann draußen. Viola möchte
hinter dem Haus Gartenwege unter den Bäumen haben.“
„Du willst teure Marmorfliesen unter die Bäume legen?“
„Ist dagegen etwas einzuwenden?“ hakte Brodie nach.
„Ich muss jetzt zurück ins Geschäft“, erklärte Georges unvermittelt und
verabschiedete sich.
Brodie wandte sich an Anthony, mit dem er bereits am Morgen Bekanntschaft
geschlossen und angeregt geplaudert hatte. „Kommt Ihnen dieser Georges nicht
auch etwas seltsam vor?“
„Seltsam? Der Mann ist mir ein echtes Rätsel. Wussten Sie, dass er schon vier
Mal verheiratet war?“
„Nein! Wie ist das denn möglich?“
„Ich kann es mir beim besten Willen nicht erklären“, erwiderte Anthony.
„Ich mir schon“, warf Chey empört ein. „Frauen mögen eben sensible Männer.“
„Sensibel?“ Anthony schnaubte verächtlich, während Brodie hinter vorgehaltener
Hand hüstelte.
„Nicht jede, Frau will einen Macho zum Mann“, teilte sie beiden entschieden mit.
„Die meisten schon“, konterte Anthony.
„Männlich und sensibel schließt sich nicht unbedingt aus“, gab Brodie zu
bedenken, „aber das kannst du wohl nicht wissen.“
„Das sollte sie aber wissen“, beharrte Anthony.
„Ach ja?“ erwiderte Chey. „Als ob einer meiner sechs Brüder auch nur die
Bedeutung des Wortes sensibel kennen würde!“
„He!“
„Ich möchte mich ja nicht in einen Familienstreit einmischen“, bemerkte Brodie
milde zu Chey, „aber eigentlich müsstest du doch schon viele Männer außer
deinen Brüdern kennen, die männlich und sensibel zugleich sind.“
„Sie reden hier mit der heiligen Jungfrau Mary Chey“, warf Anthony grinsend ein.
Ein Blick in ihr wütendes Gesicht verriet ihm, dass er zu weit gegangen war, und
er relativierte hastig: „Ich meine damit, dass sie nicht an Männern interessiert
ist.“
„Dann habe ich mich wohl getäuscht“, murmelte Brodie.
Chey rang nach Atem und warf beiden vernichtende Blicke zu.
Lakonisch murmelte Anthony: „Ich meine, sie arbeitet sehr viel.“
„Das ist mir nicht entgangen.“ Nachdenklich betrachtete Brodie ihr glühendes
Gesicht. Dann verkündete er: „Ich habe übrigens auch zu arbeiten. Wir sehen
uns.“ Damit durchquerte er das Foyer zur Rückseite des Hauses hin.
Chey bedachte Anthony mit einem vernichtenden Blick, bevor sie voraus zur
Bibliothek marschierte.
Am selben Abend, als Chey in ihrem notdürftig eingerichteten Büro im
Raucherzimmer an ihrem Laptop saß, ertönte ein Klopfen an der Tür. „Ja?“
Brodie steckte den Kopf herein. „Beschäftigt?“
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie deutete auf den Bildschirm. „Allerdings.“
„Ich werde dich nicht lange aufhalten.“ Brodie trat ein, schloss die Tür hinter sich
und starrte hinab auf seine Schuhe. „Es geht um diese Bodenfliesen.“
„Was ist mit ihnen?“
„Ich möchte mich entschuldigen. Mir ist erst nachher klar geworden, dass es
gewirkt haben muss, als wolle ich deine Autorität untergraben, und das war nicht
meine Absicht.“
„Es wäre besser gewesen, wenn du von vornherein erklärt hättest, was du mit
den Fliesen vorhast“, gab Chey zu.
„Also ist die Sache jetzt bereinigt?“
„Wenn du sie wirklich für die Gartenwege benutzen willst, dann ja“, entschied sie
und wandte sich wieder demonstrativ dem Monitor zu.
„Da ist noch etwas“, sagte Brodie beharrlich und drehte ihren Stuhl herum.
Unsicher und argwöhnisch blickte sie zu ihm auf. „Was denn?“
„Steh auf.“
„Wie bitte?“
„Du sollst aufstehen.“
Chey musterte seine Miene, die ihr jedoch nichts verriet. Sie dachte, dass mit
dem Stuhl vielleicht etwas nicht in Ordnung sein könnte, und erhob sich. Im
nächsten Augenblick zog Brodie sie in die Arme und senkte den Mund auf ihren.
Sie stieß einen erschrockenen Laut aus und wollte eigentlich fragen, was zum
Teufel er sich dabei dachte. Doch sobald sie den Mund öffnete, drang seine
Zunge ein, und eine Woge der Wärme durchströmte Chey. Instinktiv stemmte sie
die Hände gegen seine Brust, doch sie konnte der Versuchung nicht widerstehen,
als er sie an sich presste.
Heißes Verlangen packte sie beide. Chey stellte sich auf die Zehenspitzen und
schlang die Arme um Brodies Nacken. Die Liebkosung seiner Hände und Lippen
besiegte ihre Vernunft. Chey schmiegte sich an ihn, spürte die Hitze seines
harten Körpers und das Ausmaß seiner Erregung.
Vage wurde ihr bewusst, dass es ein Fehler war, aber sie konnte sich beim
besten Willen nicht erinnern, warum. Dann plötzlich gab er sie frei. Sie, taumelte
ein wenig und öffnete die Augen.
Atemlos verkündete er: „Sie mag eindeutig Männer und ist ganz bestimmt nicht
jungfräulich.“
Plötzlich verspürte sie den Drang, ihm eine Ohrfeige zu verpassen.
Offensichtlich erkannte er diese Absicht an ihrem wütenden Blick, denn er sagte
mit einem Lächeln: „Nur zu. Das war es mir wert.“
Chey ballte die Hände zu Fäusten. „Ich wollte das nicht!“
„Nicht mehr als ich, nehme ich an“, entgegnete er ungerührt.
Sie wandte ihm den Rücken zu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was
ist bloß los mit dir? Warum kannst du kein Nein akzeptieren?“
„Ich bin mir nicht sicher“, entgegnete Brodie so aufrichtig, dass sie ihn wieder
anblickte. Er wirkte ebenso verwirrt wie sie. „Ich weiß nicht, woran es liegt. Aber
ich habe bei dir das Gefühl, du könntest die Richtige sein“, sagte er wie zu sich
selbst. „Und ich verstehe nicht, warum du es nicht auch fühlst. Oder besser
gesagt, warum du nicht einfach nachgibst.“
Chey schluckte und entgegnete schroff: „Bilde dir bloß nichts ein.“
Lange Zeit schwieg er darauf. Schließlich sagte er nachdenklich: „Ich glaube
nicht, dass ich das tue. Ich glaube eher, dass du Angst hast.“
Sie war empört, gekränkt, nervös. Mit gespielter Überheblichkeit entgegnete sie:
„Ich habe bestimmt keine Angst vor dir.“
„Nein, nicht vor mir.“ Brodie neigte den Kopf zur Seite, so als lauschte er einer
inneren Stimme. „Vielleicht aber vor dem Leben an sich.“
Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Alles in ihr erstarrte. Sie erblasste, rang
nach Atem und wandte sich ab.
„Entschuldige“, murmelte er. „Das hätte ich nicht sagen sollen.“
„Geh weg“, verlangte sie schroff. Als er eine Hand nach ihr ausstreckte, wich
Chey zurück. „Bitte“, flehte sie.
Erst zögerte er, dann ließ er die Hand sinken und trat zurück. „Wenn du bereit
bist, dich dieser Sache zu stellen“, sagte er sanft, „werde ich da sein.“
Sie sagte nichts und rührte sich auch nicht. Eine Ewigkeit schien zu vergehen,
bevor sie das Öffnen und Schließen der Tür hörte.
6. KAPITEL Chey fügte eine Spur Rot zu dem Gold auf dem Monitor und entfernte es wieder.
Vielleicht ein Hauch von Grün, sinnierte sie und tippte einen neuen Code ein. In
diesem Moment öffnete sich die Tür, und Seth lief herein. Aus Erleichterung, dass
es nicht sein Vater war, reagierte sie freundlicher als gewöhnlich und sagte
fröhlich: „Hallo.“
Mit zwei Fingern im Mund stand er einfach da. Dann plötzlich rannte er zu ihr,
warf sich über ihren Schoß und kletterte hinauf, wobei seine Schuhe kräftig
gegen ihre Schienbeine stießen. Um sich zu schützen, half sie ihm und drehte ihn
mit dem Rücken zu ihrer Brust. Er neigte sich seitlich, hob den Kopf und blickte
sie mit unschuldigen, leuchtend blauen Augen an. „Hallo.“
„Wo sind denn die anderen?“
Er zuckte mit einer Schulter.
„Wo ist dein Vater?“
„Erarbeitet.“
„Und deine Großmutter?“
„Die ist da“, verkündete er und deutete mit einem Finger auf die Wand, hinter
der die Toilette, der Fahrstuhl und Violas Büro lagen.
„Du meinst, in ihrem Büro?“
Er nickte eifrig. „Und Marcel kocht und Kate ist einkaufen und Mama schläft.“
Chey verspürte ungewollt Mitgefühl, „ja, ich weiß, dass deine Mama schläft.“
Unvermittelt beugte er sich vor und griff nach dem Computer. „Spielen!“
Sie schob den Stuhl zurück, damit er das Gerät nicht erreichen konnte, und sagte
streng: „Das ist kein Spielzeug.“
Seth steckte sich die Finger in den Mund und sagte etwas Unverständliches.
Automatisch zog sie seine Hand heraus und schalt sanft: „Es ist unhöflich, mit
etwas im Mund zu sprechen, besonders mit deiner Hand. Es sieht nicht gut aus
und macht es schwer für die Leute, dich zu verstehen. Also, was hast du gesagt?“
Er starrte sie mit großen Augen an, schluckte und sagte recht deutlich: „Daddy
spielt aber Spiele mit seinem Computer.“
Unwillkürlich musste Chey lächeln. „Das glaube ich dir, aber auf meinem habe ich
keine Spiele.“
„Was ist das denn?“ fragte Seth skeptisch und deutete auf den Monitor.
„Das ist eine Farbpalette“, erklärte sie geduldig. „Ich stelle Farben für euer Haus
zusammen.“
„Na gut“, sagte er und lehnte sich zurück, um ihr zuzuschauen.
Natürlich hätte sie ihn aus dem Raum schicken können. Sie hätte es vielleicht tun
sollen, aber er war ihr nicht wirklich im Weg und schien sich gut zu benehmen –
momentan zumindest. Chey rollte den Stuhl wieder näher an den Tisch und
arbeitete weiter. Ohne darüber nachzudenken, erklärte sie dem Jungen, was sie
tat. Kurz darauf hatte sie eine Serie von Schemata aufgebaut. Der kleine
Farbdrucker spukte gerade das erste Blatt aus, als Viola und Brodie den Raum
betraten.
„Da bist du ja!“ rief Viola, und Seth rutschte sofort von Cheys Schoß und
trampelte ihr auf die Füße, in seiner Eile, zur Tür zu laufen. „Es tut mir Leid“,
sagte Viola zu Chey, während sie ihn bei der Hand nahm. „Sobald ich ihm in
letzter Zeit den Rücken kehre, ist er verschwunden.“
Brodie strich ihm mit der Hand über den Kopf. „Du hast uns einen ganz schönen
Schrecken eingejagt. Nächstes Mal fragst du Grandma um Erlaubnis, bevor du
das Zimmer verlässt. Okay?“
„Okay“, bestätigte Seth und nickte.
Brodie wandte sich an Chey. „Ich hoffe, er ist dir nicht auf die Nerven gegangen.“
„Nein, eigentlich nicht“, erwiderte sie und wunderte sich, dass es der Wahrheit
entsprach. „Kommt her und seht euch an, was wir getan haben.“ Chey zog zwei
Blätter hervor, auf denen Grün und Gold dominierten. „Ich habe mir diese
Farbgebung für den Salon und den Ballsaal gedacht. Gold als Grundfarbe für das
eine Zimmer und Grün für das andere, mit denselben Farbakzenten. Und ich
würde empfehlen, das Holzwerk elfenbeinfarben zu lackieren. Das macht alles
freundlicher und betont die dunklen Möbel.“
Viola musterte die Papiere. „Es sieht gut aus, aber für mich bedeutet ein Haus
nur Wände, die mich vom Freien abhalten.“
„Mir gefällt es sehr gut“, lobte Brodie. „Es wirkt luftig.“
„Es freut mich, dass es dir zusagt“, erwiderte Chey.
Er blickte ihr direkt in die Augen und raunte: „Mir sagt fast alles sehr zu, was du
tust, Mary Chey.“
Ihr stockte der Atem. „Ich… danke.“
Einen Moment noch hielt er ihren Blick gefangen. Dann sagte er: „Gut, ich bringe
diesen Knirps jetzt lieber für ein Nickerchen nach oben.“
„Das mache ich schon“, schaltete sich Viola ein. „Ihr beide macht mit euren
Farben weiter.“
„Tschüss, CheyChey!“ rief Seth, als Viola ihn aus dem Raum führte.
„Tschüss, Seth.“
Brodie legte die Papiere beiseite und sagte: „Es tut mir Leid. Wir haben Seth
ganz deutlich gesagt, dass er dich nicht stören darf, aber er vergisst gern, was er
sich nicht merken will.“
„Er ist ja auch erst drei.“
„Offensichtlich nicht zu jung, um die Gesellschaft einer schönen Frau zu
schätzen.“
Es beunruhigte Chey, dass sie sich insgeheim über sein Kompliment freute. „Tu
das nicht“, sagte sie sanft.
„Was denn?“
„Mir schmeicheln.“
„Die Wahrheit ist keine Schmeichelei.“
„Warum lässt du es nicht einfach gut sein?“ bat sie ihn.
„Ich kann nicht.“
Chey verdrehte die Augen.
„Okay, ich will nicht.“
„Bitte“, flüsterte sie.
Brodie beugte sich zu ihr und raunte ihr ins Ohr: „Was ist los, Mary Chey? Hast
du etwa Angst, dass du nachgeben könntest?“
Sie schloss die Augen und atmete tief durch, um Kraft zu sammeln. „Nein.“
„Ich glaube dir nicht.“
Sie wich zurück und blickte ihn strafend an. „Gefällt es dir etwa, mich zu
quälen?“
„Ja. Aber ich würde lieber mit dir schlafen.“
„Und mir wäre es lieber, du würdest vom Erdboden verschwinden.“
Brodie lachte. „Du könntest dein feuriges Temperament übrigens viel besser
einsetzen, als du es jetzt gerade tust.“
Als Reaktion kehrte Chey ihm den Rücken zu. Sie hörte ihn nicht hinausgehen,
doch als sie sich wieder umdrehte, war er fort.
Dennoch war es ihr nicht vergönnt, für lange Zeit in Ruhe zu arbeiten. Eine
knappe halbe Stunde später kehrte Viola zurück und setzte sich zu ihr an den
Tisch.
„Ist alles in Ordnung?“ erkundigte sich Chey.
„Mit Seth, meinen Sie? Ja, er schläft. Sie verstehen sehr gut mit ihm
umzugehen.“
„Na ja, ich habe eben sehr viele Nichten und Neffen.“
Viola nickte und faltete die schlanken Hände. „Ich wünschte nur, Sie könnten mit
seinem Vater auch so gut umgehen“, eröffnete sie unverblümt.
Sprachlos starrte Chey sie an.
„Ich bin alt, meine Liebe“, sagte Viola scharf, „aber ich bin nicht blind. Ich habe
von Anfang an erkannt, dass zwischen Ihnen und meinem Enkel etwas vor sich
geht, und mir scheint, dass es im Laufe der Zeit nur noch intensiver geworden
ist. Meine Güte, wenn ihr beide euch nahe seid, stehen mir die Haare zu Berge.
Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum Sie sich so entschieden dagegen
wehren.“
Fassungslos rang Chey nach Atem. „Ich bin nicht… es ist nicht…“ Sie brach ab, in
dem Wissen, dass ein Leugnen sinnlos und beleidigend wäre. „Ich lasse mich nie
mit meinen Klienten ein.“
„Na ja, im Normalfall kann ich das auch verstehen. Aber er wird nicht ewig Ihr
Klient bleiben, oder?“ Viola schüttelte den Kopf. „Nein, es ist kein Aufschub von
Ihrer Seite aus, sondern Ablehnung. Und verzeihen Sie mir, aber ich kann mich
nur wundern, warum dem so ist.“
Voller Unbehagen wandte Chey den Blick ab. „Ich erwarte nicht, dass Sie es
verstehen, aber mir gefällt mein Leben so, wie es ist.“
„Und Brodie bedroht das irgendwie?“
„Meine Karriere ist das Allerwichtigste für mich.“
„Ich verstehe“, sagte Viola und meinte damit ganz offenbar, dass sie es eben
nicht verstand.
„Romantische Beziehungen sind mir bei der Arbeit nur im Weg.“
„Sicherlich. Aber wollen Sie etwa behaupten, dass Sie sich niemals durch
irgendetwas von der Arbeit abhalten lassen?“
„Eigentlich nicht.“
„Dann muss es einen zwingenden Grund dafür geben, aus dem Sie versuchen,
der Natur ihren Lauf zu verweigern.“
Chey holte tief Luft. „Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich habe den
Grundsatz, mich nicht mit Männern einzulassen, die… schon gewisse
Verpflichtungen haben.“
Lange Zeit musterte Viola sie forschend. Dann lächelte sie. „Aha. Ich glaube, ich
verstehe. In früheren Zeiten war ich ebenfalls nicht bereit, solche Verpflichtungen
auf mich zu nehmen. Aber der Mangel an ausreichender Geburtenkontrolle nahm
mir diese Entscheidung ab. Und dann passierte etwas, das ich nie erwartet hätte.
Ich verliebte mich.“
„In Ihren Mann?“ hakte Chey neugierig nach.
„Nein. In ihn war ich längst verliebt. Ich verliebte mich in die Verpflichtung’.“
„Genau darum geht es mir. Ich habe nicht die Absicht, mich in irgendeine…“ Im
Geiste sah sie Seths Gesicht vor sich und konnte nicht mehr aussprechen, was
sie eigentlich hatte sagen wollen. „… in irgend jemanden zu verlieben“, schloss
sie lahm.
Viola lächelte wissend. „Das Problem mit der Liebe ist, dass sie sich nicht gerade
leicht kontrollieren lässt, und schließlich bedeutet es nur, dass man Platz in
seinem Leben für einen anderen Menschen macht. Oder für zwei, in diesem Fall.“
„Von denen einer sehr viel Fürsorge und Anleitung braucht“, wandte Chey ein.
Viola schmunzelte. „Wir alle brauchen Fürsorge und Anleitung, meine Liebe,
sogar Sie. Das, fürchte ich, liegt in der Natur des Menschen. Es erklärt jedoch
nicht, warum Sie sich noch nicht mal eine lockere persönliche Beziehung mit meinem Enkel vorstellen können.“ „Es spricht einfach zu vieles dagegen.“ „Fast jede andere Frau würde nicht darüber hinwegsehen können, dass vieles dafür spricht. Mein Enkel ist ein extrem attraktiver Mann. Aber was hilft das, wenn Sie sich so entschieden wehren?“ Viola stand auf. „Es ist ein Jammer. Ich habe doch gesehen, wie er Sie ansieht. Genau wie sein Großvater mich immer angesehen hat.“ Dann seufzte Viola und verließ den Raum. Mit leerem Blick starrte Chey auf die farbigen Computerausdrucke in ihren Händen. Plötzlich erschien es ihr, als ob ihr etwas fehlte, und sie musste zugeben, dass sie nicht länger so entschieden dagegen war, wie sie es sein sollte. Warum sollte sie sich nicht ein paar schöne Erinnerungen schaffen? Was konnte es schaden, die Möglichkeiten zu erforschen, die sich ihr boten? Doch allein die Tatsache, dass sie darüber nachdachte, beunruhigte sie. Fußböden waren erneuert, Wände versetzt, Türen zugemauert und andere freigelegt worden. Es war kühl und behaglich im Haus. Farbe brachte Leben in einst tote Räume. Chey verspürte einen gewissen Stolz, Erleichterung und auch eine seltsame Traurigkeit, eine drohende Enttäuschung. Ihr war bewusst, dass sie Brodie, wenn das Haus fertig war, vielleicht nie wieder sehen würde. Mit gemischten Gefühlen überwachte sie persönlich den Transport der Fitnessbank in seine Suite. Während die Arbeiter die Geräte hereintrugen, blickte sie sich im Raum um. Der Holzfußboden glänzte so sehr, dass er die lindgrünen Wände reflektierte, an denen elfenbeinfarbene Bilderrahmen hingen. An die hellblaue Decke waren zarte weiße Wolken gemalt, so dass der Eindruck entstand, im Freien zu sein. Dasselbe Farbschema wiederholte sich im Wohnzimmer und Schlafzimmer, mit variierten Akzenten. Über die Einrichtung und übrige Dekoration war noch keine endgültige Entscheidung gefällt worden, denn die Auswahl musste sie mit Brodie besprechen, und in letzter Zeit mied sie es tunlichst, mit ihm allein zu sein. Diese Bemühungen waren allerdings nicht immer von Erfolg gekrönt. Noch immer neigte er dazu, unerwartet aufzutauchen und in aufreizend vertraulichem Ton mit ihr zu reden, selbst wenn es um rein geschäftliche Angelegenheiten ging. Ihm gefielen ihre bisherigen Arbeiten am Haus. Erst am Vortag hatte er ihr mitgeteilt, wie sehr ihm seine Suite zusagte. Wie gewöhnlich hatte sie abweisend reagiert, aber eher aus Gewohnheit als aus Überzeugung. Als die Arbeiter wieder gegangen waren, blieb Chey in der Suite, bis ihr schließlich bewusst wurde, dass sie auf Brodie wartete. Warum konnte er nicht einmal auftauchen, wenn sie darauf eingestellt war? Warum musste er sie immer überraschen, aus der Fassung bringen? Kopfschüttelnd trat sie hinaus auf den Korridor und ging zu den Gästezimmern am Ende, die direkt gegenüber der Krankenstation lagen. Gerade wollte sie eine der neuen Türen öffnen, als sie laute Frauenstimmen aus Janeys Suite hörte. Sie blieb stehen und lauschte. Es erschien ihr seltsam, dass im Krankenzimmer gestritten wurde. Unwillkürlich ging sie hinüber und griff impulsiv zur Klinke. Erst im letzten Moment erinnerte sie sich an ihre Manieren, klopfte an und wartete. „Ja, bitte?“ rief eine misstrauische Stimme. Chey trat ein und blickte über den Wohnbereich hinweg zum Bett hinüber. Emma Brown saß dort in einem Stuhl mit einem Buch in der Hand und blickte finster zur Tür. „Was kann ich für Sie tun, Miss Simmons?“ „Ich dachte, ich hätte Stimmen gehört.“
Brown kniff ein wenig die Augen zusammen. „Ich habe ihr vorgelesen. Die Ärzte sagen, dass das gut für sie ist.“ Eine einleuchtende Erklärung, und doch hatte Chey eigentlich zwei Stimmen zu hören geglaubt. Hatte sie sich getäuscht? Aus Neugier trat sie näher an das Bett. „Wie geht es ihr?“ „Warum fragen Sie?“ Überrascht erwiderte Chey: „Aus Mitgefühl natürlich. Es ist traurig, was ihr zugestoßen ist.“ „Ja, sehr traurig.“ Chey blickte Janey an. Sie sah aus wie eine schlafende Märchenprinzessin. „Sie ist wunderschön, nicht wahr?“ Bewunderung schwang in Schwester Browns für gewöhnlich tonloser Stimme mit. Ihr Gesicht strahlte förmlich, als sie ihren Schützling musterte. „Ja, sie hat ein ganz liebliches Gesicht“, gab Chey leise zu. „Es ist so unfair“, sagte Miss Brown nachdrücklich. „Aber sie wird es überwinden. Warten Sie nur ab. Sie ist eine Kämpfernatur. Sie wird wieder aufwachen. Eines Tages.“ „Ich hoffe“, sagte Chey zweifelnd. Es war sehr unwahrscheinlich, dass jemand nach so langer Zeit aus einem Koma erwachte. „Sie muss es einfach schaffen“, fuhr die Krankenschwester tonlos fort. Ihre Knopfaugen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Allen Beteiligten zuliebe. Vor allem wegen Mr. Brodie. Sie hätten sehen müssen, wie es ihn erschüttert hat, als es passierte. Ich habe noch nie einen Mann so besorgt oder traurig gesehen. Alle dachten, dass sie sterben würde, aber Mr. Brodie wollte sie nicht aufgeben.“ Chey war völlig überwältigt von der Wirkung dieser Worte, die in ihrem Kopf herumzuschwirren schienen wie ein Schwarm zorniger Bienen. Ein heftiges Gefühl rief Übelkeit hervor. Sie brauchte einen Moment, um es zu identifizieren. Eifersucht. Sie war eifersüchtig auf diese Mitleid erregende Kreatur, die schon so lange im Koma lag! Nicht auf deren Schönheit, sondern weil sie eine Zeit lang die Liebe von Brodie Todd besessen hatte. Chey schämte sich für ihre Gefühle. „Warum hat er sich dann von ihr scheiden lassen?“ Schwester Brown zuckte die Achseln und wandte den Blick ab. „Was macht das schon aus? Er hat sie nicht vergessen. Er kümmert sich um sie, oder? Wenn sie aufwacht, werden sie wieder zusammen sein.“ Chey starrte auf das engelhafte Wesen im Bett. Sie konnte es sich durchaus vorstellen, doch etwas in ihr rebellierte dagegen. „Wie können Sie da so sicher sein?“ flüsterte sie. „Sie ist die Mutter seines Kindes. Das allein verbindet sie für immer.“ „So sollte es auch sein“, murmelte Chey. „Es ist aber noch mehr als das. Manchmal, wenn er sie ansieht, sieht man einfach die Sehnsucht in ihm.“ War es dieselbe Sehnsucht, mit der er Chey betrachtete? Oder war er hoffnungslos in seine komatöse Exfrau verliebt und versuchte nur, sich mit der erstbesten attraktiven Frau zu trösten, die ihm begegnet war? Die Vorstellung tat weh. Andererseits… wenn er Janey tatsächlich noch liebte, wäre eine flüchtige Affäre zwischen Chey und Brodie ungefährlich. Vielleicht war diese Anziehungskraft sogar das Beste, was ihnen im Moment passieren konnte. Keiner von ihnen konnte eine tiefe Bindung verkraften, aber sie brauchten beide, was der andere zu bieten hatte. Wäre es da so falsch, sich gegenseitig Genuss und Befriedigung zu schenken? Was konnte es schaden, wenn keine Gefahr bestand, dass es zu mehr führen würde? „Es tut mir Leid, dass ich Sie gestört habe. Danke für ihre Zeit“, sagte Chey zu
Schwester Brown und verließ den Raum. Zielstrebig eilte sie über den Korridor, und mit jedem Schritt wurde ihr leichter ums Herz.
7. KAPITEL Brodie legte eine Hand über die Sprechmuschel und rief „Herein!“ bevor er das
Telefonat fortsetzte. „Ich weiß es sehr zu schätzen, Herr Botschafter.“
Chey trat ein. Sie wirkte sehr lässig in ihren schwarzen Jeans und dem weißen,
ärmellosen Sweater. Das helle Haar hatte sie mit einem schlichten schwarzen
Band zusammengebunden.
Brodie bedeutete ihr mit einer Hand, sich zu setzen, und sagte in den Hörer:
„Warum treffen wir uns nicht und besprechen das persönlich? Es würde mich
freuen, Sie und Ihre Familie, hier in New Orleans zu empfangen.“
Der Botschafter nahm die Einladung überschwänglich an, während Chey auf den
Stuhl sank.
„Ich schaue mal in meinen Terminplan, dann rufe ich Sie morgen zurück“,
versprach Brodie und beendete das Gespräch. Lächelnd wandte er sich an Chey.
„Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen. Das war der Botschafter des
Sultanats von Legan, einem kleinen Land im Nahen Osten.“
„Ich habe schon davon gehört.“
„Dort hat man einige beachtliche Ruinen ausgegraben, die jetzt ein paar
auserwählten Touristen gezeigt werden sollen. Und BMT wird die ersten
Pauschalreisen dorthin anbieten.“
„Das ist ja wundervoll.“
„Allerdings. Ich ahne, dass es innerhalb der nächsten fünf Jahre einer der
begehrtesten Urlaubsorte auf der Welt wird.“ Brodie tippte mit einem Finger auf
die Schreibtischplatte. „Aber ich muss zunächst den Botschafter und seine Leute
einladen, um den Handel abzuschließen. Wie lange wird es noch dauern, bis wir
sie empfangen können?“
Chey schürzte die Lippen und schwang ein Bein vor und zurück, während sie
darüber nachdachte. „Einige Wochen.“
Brodie zeigte sich angenehm überrascht. „Wirklich? So schnell?“
„Wenn wir hart arbeiten, ja.“
„Ausgezeichnet!“
„Allerdings wirst du dich von jetzt an häufiger mit mir zusammensetzen müssen“,
warnte sie, während sie seinen Blick gefangen hielt. „Die Details erfordern die
meisten Entscheidungen.“
Sein Herzschlag beschleunigte sich. Wenn er sich nicht sehr irrte, sah er Feuer
hinter ihrem Schutzschild aus Eis aufflackern. „Das ist absolut kein Problem.“
„Gut.“
Brodie räusperte sich. „War das alles, was du mit mir besprechen wolltest?“
Chey schüttelte den Kopf, sagte einen Moment lang jedoch nichts. Schließlich
verkündete sie: „Ich habe nachgedacht. Über uns.“
Er beugte sich vor. „Und?“
„Und vielleicht könnten wir… na ja, uns etwas besser kennen lernen, etwas Zeit
miteinander verbringen.“
Nun gestattete Brodie sich ein kleines Lächeln. „Okay.“
„Ich meine“, erklärte sie hastig, „der Job ist in ein paar Wochen erledigt. Also
kann es doch eigentlich nicht schaden, etwas miteinander zu unternehmen.“
Beinahe hätte er einen Freudenschrei ausgestoßen. „Ich verstehe.“
„Ich will damit nicht sagen, dass wir die Dinge überstürzen sollten“, fuhr Chey
fort. „Im Gegenteil. Ich finde, wir sollten es langsam angehen lassen.“
„Ich kann es so langsam angehen, wie du möchtest“, versicherte er ihr.
„Ausgezeichnet. Dann verstehen wir uns ja.“
„Ich möchte nur noch eines wissen.“ Er trommelte mit den Fingerspitzen auf den
Schreibtisch. „Wie kommt es, dass du es dir anderes überlegt hast?“
„Ist das wichtig?“
Brodie überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Ich bin nur
neugierig.“
„Du hast meinen Widerstand nicht gebrochen, falls du das denkst“, sagte Chey
schroff. „Ich habe nur viel gearbeitet und dachte mir, dass es schön wäre, zur
Abwechslung mal auszugehen.“
Von wegen, dachte er. „Ich verstehe.“
„Also?“ Sie starrte ihn an, bis ihm klar wurde, dass der nächste Schritt bei ihm
lag.
„Hast du morgen schon etwas vor?“
Nervös ließ sie den Blick durch den Raum schweifen. „Morgen Abend? Nein, ich
glaube nicht.“
„Wie wäre es mit einem Kinobesuch?“
Sie strahlte. „Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen
Film gesehen habe. Das wäre schön. Danke.“
„Such du am Besten einen aus, der dir gefallen würde.“
„Okay.“ Chey stand auf, ging zur Tür, drehte sich noch einmal um. „Ach ja, und
ich werde morgen eine Reihe Stoffmuster für dich zur Ansicht mitbringen.“
„Ich freue mich schon darauf.“
Sie schenkte ihm ein Lächeln und ging. Brodie lehnte sich in seinen Stuhl zurück,
atmete tief durch und stieß jubelnd die Faust in die Luft.
Brodie war nervös, als er in seinem dunkelgrünen Sportwagen zu Cheys
Wohnung fuhr. Da es nieselte, hatte er das Verdeck geschlossen. Er konnte seine
Nervosität nicht begreifen. Vielleicht lag es an der langen Enthaltsamkeit und den
unerfüllten Sehnsüchten, die in den vergangenen drei Wochen immer mehr
gewachsen waren.
Die Situation war zermürbend. Sie waren drei Mal ins Kino gegangen, hatten
Stadtbummel veranstaltet und Konzerte besucht, waren Rollschuh gelaufen.
Bisher hatte er ihre Wohnung aber noch nicht von innen gesehen und war Chey
nicht annähernd so nahe gekommen, wie er es sich ersehnt hatte.
Brodie stellte das Auto neben ihrem Geschäft in der schmalen Gasse ab, die in
einen kleinen Garten mit Springbrunnen, Bank und üppigen Blumen führte.
„He! Komm rauf.“
Er blickte auf und sah Chey auf einem überdachten Balkon stehen. Sein
Herzschlag beschleunigte sich. Sie trug ein hautenges Kleid in Pink, das ein gutes
Stück unterhalb der Schultern anfing und ein gutes Stück oberhalb der Knie
aufhörte.
Mit einem Schirm unter dem Arm lief er eilig durch den Regen über den Hof und
die Außentreppe hinauf.
„Du siehst gut aus“, bemerkte sie, während sie ihn von Kopf bis Fuß musterte.
Brodie trug eine schwarze Anzugjacke und darunter ein weißes TShirt.
Er war zu bezaubert von ihrem Anblick, um ihr für das Kompliment zu danken.
Sie hatte die Haare in kunstvollem Chaos hochgesteckt, wobei lange Strähnen
lose herunterhingen und ihr Gesicht umrahmten. Ihr Kleid war elastisch und
umschmiegte ihren Körper wie eine zweite Haut. Ihre schlanken Beine wirkten
endlos lang. Falls sie Strümpfe trug, waren sie zu dünn, um aufzufallen. Brodie
bezweifelte sogar, dass sie überhaupt etwas unter dem Kleid angezogen hatte.
„Zu übertrieben?“ fragte sie unsicher.
„Oh nein, auf keinen Fall. Es ist einfach…“ Brodie zwang sich, den Blick von ihrer
wohlgeformten Brust zu ihrem Gesicht zu heben, und sah leuchtend grüne, von
dunklen Wimpern umrahmte Augen und volle, pinkfarben geschminkte Lippen.
Plötzlich verspürte er den Drang, sich Chey einfach über die Schulter zu werfen
und mit ihr zum nächsten Bett zu stürmen. „Du siehst beinahe zu hübsch aus,
um dich der Öffentlichkeit zu zeigen.“
Ihr sinnliches Lächeln und die Hand, die sie ihm auf die Brust legte, sandten eine
Woge der Erregung direkt zu seinen Lenden. „Danke“, flüsterte sie. „Ich hole nur
schnell meine Sachen.“
Er blickte ihr nach, als sie auf ihren hochhackigen silbrigen Schuhen davoneilte.
Das Kleid umschmiegte dabei sanft ihren Po. Einen Moment später kehrte sie mit
einer silbrigen Handtasche und einem hellgrauen Schal um die Schultern zurück.
Brodie öffnete den Regenschirm, hielt ihn über ihre Köpfe und geleitete Chey
galant zur Beifahrertür seines Autos. Dann fuhr er zu dem vornehmen Restaurant
am Fluss, in dem er einen Tisch reserviert hatte.
Ein Page mit Regenschirm führte sie zur Eingangstür. Angenehm klimatisierte
Luft schlug ihnen entgegen. Das Lokal war ganz in rotem Plüsch, schwarzem
Marmor und viel Chrom gehalten. Ein glitzernder Silberball an der Decke warf
bunte Lichtstrahlen auf die Tanzfläche aus schwarzem Marmor. Ein einsamer
Musiker saß auf dem Podium und spielte sanfte, verträumte Melodien auf einem
Piano.
Der Ober führte sie an ihren Tisch in einer Fensternische und gab ihnen
anschauliche Beschreibungen der Spezialitäten des Abends. Sie trafen ihre Wahl,
und Brodie bestellte eine Flasche Sekt.
„Das Haus wird wirklich prachtvoll“, bemerkte er.
„Es freut mich, dass es dir gefällt.“
„Du bist nicht nur talentiert, sondern hast auch Glück, dass du sämtliche
Handwerker in der Familie hast.“
„Ja, das ist sehr hilfreich.“
Brodie griff zu seinem Wasserglas. „Was haben sie eigentlich getan, bevor du die
Leitung übernommen hast?“
Verständnislos blickte Chey ihn an. „Wie meinst du das?“
„Darling, du bist doch effektiv die Geschäftsführerin des Familienbetriebes.“
„Aber es gibt keinen Familienbetrieb.“
„Vielleicht nicht auf dem Papier, aber in Wirklichkeit schon. Und du bist das
Organisationsgenie, das dahinter steckt.“
Sie runzelte die Stirn. „Lass das lieber nicht meine Brüder hören.“
„Ach, das wissen sie doch ganz genau. Sie verlassen sich darauf, dass du die
Geschäfte führst. Du magst zwar ewig ihre kleine Schwester bleiben, aber sie
respektieren deinen Geschäftssinn und dein Talent. Sie befolgen immer deine
Anordnungen, weil sie genau wissen, dass du dich auskennst. Ich habe es immer
wieder beobachtet.“
Nachdenklich blickte sie ihn an. Dann seufzte sie. „Wenn das wirklich so ist,
warum reiten sie dann ständig darauf herum, dass ich heiraten und Babys
kriegen sollte?“
„Sie wollen nur, dass du glücklich bist. Und aus ihrer Sicht muss man dafür eine
Familie gründen.“ Brodie lächelte. „So sind Brüder nun mal. Sie halten es für ihre
Pflicht, dich zu dem zu bringen, was sie für richtig halten. Ich weiß, dass es
nervig ist, aber es bedeutet einfach, dass sie dich lieb haben.“
Chey seufzte erneut. „Wie bist du nur so klug geworden?“
„Ein bisschen Erfahrung. Viel Beobachtungsgabe. Das ist eines meiner wenigen
Talente.“
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ach, ja? BMT ist also einfach aus dem Nichts
entstanden, wie? Du hattest nichts damit zu tun?“
„Reine Glücksache. Ich war nur aufmerksam genug, um zu erkennen, dass sich
ein lohnendes Geschäft daraus entwickeln könnte.“ Chey lachte, und ihre Augen funkelten. „Du bist ein gefährlicher Mann, Brodie Todd“, murmelte sie. „Ich mag dich sehr.“ Er beugte sich zu ihr, legte ihr eine Hand in den Nacken und zog ihr Gesicht nahe an seines. „Das ist immerhin ein Anfang“, sagte er sanft. „Vielleicht holen deine Gefühle irgendwann sogar meine ein.“ Ihr Blick verriet ihm, dass sie im Begriff stand, sich genauer nach diesen Gefühlen zu erkundigen. Ihm wurde bewusst, dass er sie selbst noch nicht richtig einschätzen konnte. Sie gingen gewiss über reines Verlangen hinaus, aber wie weit, das konnte er nicht sagen. Also küsste er Chey einfach. Einem Moment später servierte der Kellner den ersten Gang und unterbrach damit das intime Intermezzo. Während des Essens unterhielten sie sich über Musik, Kino und Literatur, bis der Pianist sich verabschiedete und eine Band auf die Bühne trat. Brodie schaute sich um. Das Restaurant hatte sich in der Zwischenzeit deutlich gefüllt. Er blickte zur Uhr und stellte überrascht fest, dass sie fast zwei Stunden über dem Mahl verbracht hatten. Als die Band Dixieland spielte, hielt ihn nichts mehr auf seinem Platz. Er stand auf, zog Chey vom Stuhl hoch und führte sie auf die Tanzfläche. Brodie merkte sofort, dass sie keine geübte Tänzerin war, aber sie besaß eine natürliche Grazie und lernte sehr schnell. Er zog sie eng an sich, schob ein Knie zwischen ihre Beine und wirbelte sie über das überfüllte Parkett. Ihre Körper passten so perfekt zusammen, als wären sie füreinander geschaffen. Brodie probierte einige seiner bevorzugten Schrittkombinationen aus. Am Anfang stolperte sie bei den komplizierteren Bewegungen, aber sie lachten darüber und machten weiter. Vor dem nächsten Stück zog er sich das Jackett aus. Die anderen Tänzer begannen, ihnen Platz zu machen, und als der dritte Tanz endete, applaudierten sie ihnen. Erhitzt und durstig kehrten sie an ihren Tisch zurück. Brodie füllte Cheys Sektglas, und sie leerte es zur Hälfte, bevor sie bemerkte: „Du trinkst ja gar nichts. Du hattest erst ein Glas.“ „Ich nehme noch eins, bevor wir gehen.“ „Nur eins?“ „Ich muss doch noch fahren“, gab er zu bedenken. „Ich aber nicht“, murmelte sie und leerte ihr Glas. Nachdem sie das Dessert verzehrt und ihren Durst gestillt hatten, führte Brodie sie erneut zum Tanz. Diesmal interessierten ihn die Schritte nicht. Er wollte ihr nur nahe sein, und ihr schien es ebenso zu gehen. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich an ihn. Das Parkett war überfüllt, so dass sie nicht mehr tun konnten, als sich miteinander zu wiegen. Cheys körperliche Nähe rief unbändiges Verlangen in ihm hervor, und als die Musik endete, fragte er bedeutungsvoll: „Bist du bereit zu gehen?“ „Ja“, erwiderte sie ohne Zögern. Sie kehrten an den Tisch zurück und beglichen die Rechnung. Der Page ging den Wagen holen, als sie auf den Bürgersteig traten. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen, und die kalte Nachtluft hatte Bodennebel entstehen lassen. Als sie in den Wagen gestiegen waren, fragte Brodie: „Stört es dich, wenn ich das Verdeck öffne?“ Chey verneinte das, und er drückte den Knopf. „Ich brauche ehrlich gesagt eine Abkühlung.“ Sie lehnte den Kopf zurück. „Ich glaube, ich bin berauscht.“ „Du hast doch gar nicht so viel getrunken.“ „Ich meinte auch nicht vom Alkohol.“
Der Bodennebel zwang Brodie, wesentlich langsamer zu fahren, als ihm lieb war. Als sie endlich ihre Wohnung erreichten, fragte sie atemlos: „Du bleibst doch noch, oder?“ Auf diese Einladung hoffte er seit langem. „Unbedingt.“ Eilig stürmten sie hinauf in ihre Wohnung. Ohne das Licht einzuschalten, durchquerte Chey das elegant eingerichtete Wohnzimmer. Sie warf Handtasche und Schal auf einen Schaukelstuhl, schlüpfte aus den Schuhen und schaltete die Stereoanlage ein. Verträumte Musik erfüllte den Raum. Brodie schloss die Tür, trat hinter Chey und schlang ihr die Arme um die Taille. Seufzend lehnte Chey den Kopf zurück und schmiegte ihn an seine Schulter. Als Brodie ihren Hals küsste und ihren Körper streichelte, stöhnte sie auf. Er schob ihr Kleid hinunter und erschauerte, als er ihre nackten Brüste berührte. In dem Drang, ihre Haut an seiner zu spüren, gab er sie frei und zog sich das T Shirt über den Kopf. Dann drehte er sie zu sich herum. Ihr Anblick raubte ihm den Atem. Ihre Brüste waren voll, und die rosigen Knospen hatten sich vor Erregung aufgestellt. Voller Verlangen zog er Chey an sich, und sie schlang ihm beide Arme um den Nacken. Sanft bewegten sie sich zu den Klängen der Musik, Brust an Brust. Schließlich streifte er ihr das Kleid ganz ab, und sie schmiegte sich verlangend an ihn, um ihn leidenschaftlich zu küssen. „Bist du sicher, dass du das auch willst?“ fragte Brodie rau. „Ja. Nein. Ich habe keine… Hast du Schutz dabei?“ „Natürlich“, murmelte er erleichtert und hob sie auf die Arme. „Wo?“ Sie deutete zu einer Tür, und er trug sie in ein großes, luftiges Schlafzimmer. Mondschein fiel durch ein Fenster auf ein hohes, mit Moskitonetz versehenes Bett. Er setzte sich auf die Kante und zog Chey zwischen seine Beine. Dann schlang er die Arme um ihre Taille und nahm eine Knospe zwischen die Lippen. Aufstöhnend bog sie sich ihm entgegen und presste seinen Kopf mit beiden Händen an sich. Hastig streifte Brodie ihr den Stringtanga ab, bevor er sich der anderen Brust widmete. Chey rang nach Atem, als er eine Hand zwischen ihre Schenkel schob und sie dort liebkoste. Nur widerstrebend gab er sie frei, um die Kondome aus der Tasche zu nehmen und sich hastig auszuziehen. Aufreizend streichelte Chey seinen Oberkörper und seinen Bauch, doch als sie die Hand tiefer senken wollte, hielt er sie fest. „Oh nein. Ich kann mich so schon kaum zurückhalten.“ „Dann lass dich gehen“, drängte sie und presste sich an ihn. Brodie war sehr versucht, dieser Aufforderung zu folgen. Aber noch mehr ersehnte er sich, Chey zu befriedigen, ihr Herz und ihre Seele ebenso zu erfüllen wie ihren Körper. Er drückte sie hinab auf das Bett, streifte sich das Kondom über und steigerte mit Händen und Lippen ihr Verlangen ins Unermessliche. Dann erst spreizte er ihre Schenkel, senkte sich auf sie hinab und begab sich langsam dorthin, wo er am liebsten sein wollte. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus und pochte dann heftig. „Brodie“, flüsterte Chey eindringlich und küsste ihn verlangend. Er bemühte sich, auf die Signale ihres Körpers zu achten, aber das war schwierig angesichts seiner starken Erregung. Schließlich merkte er, dass sie sich desto mehr zurückhielt, je tiefer er eindrang. Sie wehrte sich nicht körperlich, aber emotional gegen ihn, je näher er sie an jenen Ort entführte, den sie vielleicht noch nie erreicht hatte. Als sie den Kopf schüttelte und Tränen unter ihren geschlossenen Lidern hervorquollen, redete er ihr zärtlich zu. „Chey, bitte, Honey, komm mit mir, ich
brauche dich jetzt, bitte.“ Schließlich spürte er, dass sein sanftes Zureden Wirkung zeigte. Sie entspannte sich, gab sich ihm völlig hin. Unerwartet fand auch er sich in einer Region der Empfindungen wieder, in die er noch nie vorgedrungen war. Und endlich gelang es ihm auch, seinen verwirrenden Gefühlen einen Namen zu geben: Es war Liebe. Chey konnte nicht fassen, was sie getan hatte. Wie unvernünftig war es gewesen, auch nur für eine Sekunde zu glauben, dass sie mit Brodie flüchtigen Sex haben, die Angelegenheit ad acta legen und ihr Leben wie bisher fortsetzen konnte. Sie hatte die überwältigende Auswirkung des Liebesspiels mit ihm nicht vorausgesehen und nicht einmal geahnt, dass derart tiefe Gefühle möglich waren. Zweifellos hatte sie einen großen Fehler begangen. Ihr wurde erst bewusst, dass sie diesen Gedanken laut ausgesprochen hatte, als Brodie sich neben ihr aufsetzte und fassungslos nachhakte: „Ein Fehler? Das war ein Fehler?“ Der Schmerz in seiner Stimme verblüffte und beschämte sie. „Das wollte ich nicht sagen.“ „Aber du meinst es so“, warf er ihr vor und stand auf. Chey seufzte. „Es war mein Fehler, nicht deiner. Ich hätte es nicht zulassen dürfen.“ „Versuch bloß nicht, mir weiszumachen, dass du es nicht genossen hast, mit mir zu schlafen!“ protestierte er, während er sich anzuziehen begann. „Das ist es nicht“, entgegnete sie matt. In Wahrheit hatte sie es viel zu sehr genossen. „Ich habe nur gemeint, dass es nicht so weit hätte kommen dürfen.“ „Es hat doch gerade erst angefangen.“ Chey setzte sich auf. „Ich versuche nur zu sagen, dass nicht mehr daraus werden kann. Es ist einfach…“ „Nichts ist einfach mit dir!“ rief er hitzig. „Bei Janey wusste ich zumindest, woran ich war. Ich weiß nicht, was dein Problem ist, aber ich weiß, dass du den Rest deines seichten Lebens allein verbringen wirst, wenn du es nicht überwindest.“ „Mein Leben ist nicht seicht!“ „Oh doch, das ist es.“ Brodie stürmte zur Tür. „Der Himmel allein weiß, warum es mich überhaupt kümmert. Es muss ein Charakterfehler sein, dass ich mich immer wieder mit seichten Frauen einlasse!“ Damit stürmte er aus dem Raum. Einen Moment später fiel die Wohnungstür ins Schloss, und Chey war allein und fühlte sich irgendwie einsamer als je zuvor.
8. KAPITEL Brodie war sich nicht sicher, ob Chey je wieder auftauchen würde, bis sie tatsächlich das frisch renovierte Frühstückszimmer betrat. Erleichterung mischte sich mit Bestürzung, als ein Blick in ihr Gesicht seine Angst bestätigte. Es war die alte, verschlossene Chey, die gekommen war, nicht die charmante, verführerische Frau, die er in den vergangenen Wochen allmählich hervorgelockt hatte. Sie ging zur Anrichte und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, bevor sie sich an Brodie wandte. Beide sprachen gleichzeitig. „Ich möchte mich entschuldigen.“ „Es tut mir Leid.“ Sie verstummten. Chey lächelte matt. „Du zuerst.“ „Okay. Es tut mir Leid, dass ich dich als seicht’ bezeichnet habe.“ Sie blickte hinab in die Tasse in ihrer Hand. Dann straffte sie die Schultern und hob das Kinn. „Entschuldigung angenommen.“ Sie holte tief Luft. „Es ist alles meine Schuld. Ich wusste von Anfang an, dass aus dieser Beziehung nichts werden kann.“ „Nichts Dauerhaftes, meinst du“, unterbrach er. „Denn letzte Nacht ist sehr wohl etwas passiert, etwas ganz Erstaunliches.“ „Das mag zwar sein, aber es darf nicht wieder vorkommen.“ „Warum nicht?“ „Ich habe gleich zwei persönliche Tabus gebrochen, indem ich mich mit dir eingelassen habe. Die Tatsache, dass du ein Kunde bist, ist schlimm genug, aber du bist außerdem… Vater.“ „Es geht um Seth?“ hakte Brodie betroffen nach. „Nein“, entgegnete Chey hastig, „nicht um ihn persönlich. Es geht um Kinder an sich. Eigentlich liegt es an mir. Ich will keine… Ich bin nicht dazu geschaffen, Mutter zu sein.“ Einen Moment lang konnte er sie nur stumm anstarren. Dann plötzlich verspürte er zwei Gefühle auf einmal: tiefe Enttäuschung, weil er sie liebte, und Ungläubigkeit, weil er sie mit Seth zusammen gesehen hatte und wusste, dass sie von Natur aus mütterlich veranlagt war. Sorgfältig wählte Brodie seine Worte. „Weißt du, ich war auch nicht gerade erpicht auf Vaterschaft, bis Seth kam. Schließlich bin ich beruflich oft und gern auf Reisen, und dem sind Kinder nicht gerade förderlich. Aber wir haben uns arrangiert. Ich verreise nicht mehr so oft wie früher, und irgendwie ist es mir auch nicht mehr so wichtig.“ „Genau darum geht es mir. Um diese Selbstlosigkeit. Elternschaft erfordert eine Hingabe, zu der ich bisher nur in meinem Beruf fähig war.“ „Da hast du mich jetzt aber völlig missverstanden“, warf er ein wenig ungehalten ein. „Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe nie die Selbstlosigkeit meiner Mutter verstanden. In ihrem Leben gab und gibt es nie Raum für etwas anderes als ihre Kinder. So will ich nicht werden.“ „Na ja, zehn Kinder können auch ziemlich zeitraubend sein“, gab Brodie zu bedenken. „Zehn oder eins, das ist kein Unterschied“, beharrte Chey trotzig. „Ich erlebe es jeden Tag bei meinen Brüdern und Schwestern. Gute Eltern stellen ihr Kind immer an erste Stelle, und ich glaube nicht, dass ich das kann. Ich will es auch gar nicht.“ „Ich wollte es auch nicht“, konterte er verärgert, „aber als Seth kam, hatte ich
keine andere Wahl.“
„Aber ich habe eine Wahl“, stellte sie entschieden fest, „und ich habe sie
getroffen. Ich will keine Kinder.“
„Willst du damit sagen, dass du niemals ein Kind lieben könntest?“
„Nein, natürlich nicht. Ich habe meine Nichten und Neffen lieb, aber zum Glück
muss ich bei ihnen nicht die Mutter spielen.“
„Aber du würdest es tun, wenn du müsstest.“
„Es ist höchst unwahrscheinlich, dass es je dazu kommt.“
„Willst du damit etwa sagen, dass du nicht mehr mit mir schlafen willst, weil ich
erwarten könnte, dass du meinem Sohn eines Tages eine Stiefmutter bist?“
„Brodie, wenn ich geglaubt hätte, dass du mich heiraten willst, hätte ich mich gar
nicht erst mit dir eingelassen.“
Verständnislos blickte er sie an. „Du dachtest also, dass ich keine dauerhafte
Beziehung zu dir will?“
„Ja, natürlich. Aber da war mir noch nicht klar, dass Sex nicht so einfach ist, wie
es scheint.“
„Ich verstehe.“ Nachdenklich strich er sich über das Kinn. Er durchschaute Chey
wesentlich besser, als ihr womöglich lieb war. Er wusste, dass sie ebenso
aufgewühlt von dem Vorfall zwischen ihnen war wie er. Sogar noch mehr. „Also
gut. Wenn du wirklich so empfindest.“
Sie atmete erleichtert auf. „Danke. Ich… vielleicht sollten wir einfach so tun, als
hätte die letzte Nacht gar nicht stattgefunden.“
„Entschuldige, Darling, aber ein so guter Schauspieler bin ich nicht.“ Als sie sich
beunruhigt auf die Unterlippe biss, fügte er hinzu: „Aber wir haben immer noch
den Job am Haus zu beenden, und es wäre für uns beide wesentlich einfacher,
wenn wir es als Freunde tun könnten.“
„Freunde? Danke. Das ist offen gesagt mehr, als ich zu hoffen gewagt habe.“
„Ich bemühe mich immer, einer Dame mehr zu geben, als sie erwartet“,
bemerkte Brodie mit einem rätselhaften Lächeln.
„Machst du Feierabend?“ erkundigte sich Brodie.
Chey blickte auf und sah ihn im Türrahmen des Raucherzimmers stehen, das sie
als Büro nutzte. Sie nickte. „Es wird Zeit. Außerdem komme ich irgendwie nicht
voran.“
„Es ist schwer, sich bei dieser Hitze zu konzentrieren, oder? Lass uns doch
schwimmen gehen.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keinen Badeanzug dabei.“
„Grandma hat bestimmt etwas Passendes für dich.“
Erneut schüttelte Chey den Kopf. „Ein anderes Mal.“
„Ach, komm schon. Marcel hat frische Limonade gemacht. Wir nehmen ein Bad
und ein kaltes Getränk, und schon kommt es dir vor, als hätten wir März.“
Sie lachte. Die Verlockung war groß. „Na ja, ich könnte auch schnell meinen
Badeanzug aus der Wohnung holen.“
„Ich fahre dich hin. Wir können mit offenem Verdeck durch die Stadt sausen“,
drängte er. „Und in letzter Zeit war ich doch sehr brav, oder?“
Das stimmte. Er hatte sich in letzter Zeit wie der Inbegriff eines rücksichtsvollen
Freundes verhalten. Trotzdem wusste sie, dass sie sich auf gefährliches Terrain
begab. Sie wusste, dass sie mit dem Feuer spielte. Doch sie war gierig geworden
auf jeden Moment seiner Gesellschaft, den sie nur irgendwie rechtfertigen
konnte. Und sie konnte die Tatsache nicht länger leugnen, dass sie verliebt war.
Daher willigte sie in seinen Vorschlag ein.
Draußen herrschte eine erdrückende Hitze, doch der Fahrtwind machte die
Schwüle erträglicher. Brodie wartete im Wagen, während Chey in ihre Wohnung
hinauflief. In einem gelben Sonnenkleid, das sie über ihren Badeanzug gezogen
hatte, kehrte sie zurück.
Bald darauf waren sie wieder auf Brodies Anwesen und gingen in den Garten. Die
Innenseite des Pools war leuchtend blau gestrichen worden, und das Wasser
glitzerte einladend. Eine große Karaffe mit Limonade stand in einer Schüssel mit
Eis auf dem Tisch.
Während Brodie sich im Badehaus umziehen ging, begab Chey sich in das
herrlich kühle Wasser. Mit langen, graziösen Zügen durchquerte sie den Pool,
bevor sie untertauchte. Als sie wieder an die Oberfläche kam, stand Brodie in
schwarzen Boxershorts am Beckenrand. Er vollführte einen gekonnten
Kopfsprung und schwamm zu Chey.
„Du schwimmst sehr gut“, bemerkte er.
„Das liegt in der Familie.“
„Ach? Wie kommt das denn?“
„Wir haben als Kinder die Sommerferien immer bei Verwandten verbracht, die an
einem Wasserarm wohnen, einem Bayou.“
„Diese Bayous können trügerisch tief sein. Mein Bruder und ich sind dort oft Boot
gefahren.“ Brodie wandte den Blick ab. „So ist er ums Leben gekommen. Bei
einem Bootsunglück auf einem Bayou.“
„Das tut mir Leid“, murmelte Chey mitfühlend. „Du musst ihn sehr vermissen.“
Er nickte, und sein Blick wirkte entrückt. „Stell dir vor, einen deiner Brüder zu
verlieren. Und dann stell dir vor, es wäre dein einziger gewesen.“
Alles in ihr rebellierte gegen eine derartige Vorstellung. „Wie lange ist es her?“
„Im September werden es vier Jahre.“
„Nächsten Monat also. Demnach kannte er Seth gar nicht.“
„Nein. Er hat seinen Namensvetter nie gesehen.“ Abrupt wandte Brodie sich ab
und watete zur Treppe.
Chey eilte ihm nach, in der Befürchtung, ihn irgendwie beleidigt zu haben. „Habe
ich was Falsches gesagt?“
„Nein. Möchtest du Limonade?“
Der abrupte Themenwechsel verwirrte sie. „Gern.“
„Bleib hier. Ich hole uns welche.“
Chey setzte sich auf eine der Stufen und fragte sich, warum er selbst nach all der
Zeit nicht über seinen Bruder reden konnte.
Brodie kehrte zurück und reichte ihr einen Plastikbecher mit Zitronenlimonade
und viel Eis, bevor er sich neben sie setzte. Nach einer Weile fragte er: „Was
hältst du von unserem Pool?“
„Er ist wundervoll. Alles an diesem Anwesen ist wundervoll.“
„Vielleicht passt du deswegen so gut hierher“, sagte er sanft.
Sie blickte hinab in ihr Glas, erfreut und betroffen zugleich. Bevor sie etwas
sagen konnte, rief Seth: „Daddy!“
Brodie seufzte und blickte sie entschuldigend an, doch das Lächeln, mit dem er
zu Seth aufblickte, war aufrichtig. „Was gibt es denn?“
„Guck mal!“
Auch Chey schaute auf und sah, wie sich ihnen eine grimmig aussehende Viola
näherte, gefolgt von zwei Männern in unförmigen Jeans und verwaschenen T
Shirts.
Brodie murrte einen Fluch vor sich hin und stand auf. „Was zum Teufel wollt ihr
hier?“ verlangte er schroff zu wissen.
„Tja, nun“, erwiderte einer der Männer. Er war um die fünfzig, hatte blondes,
ergrauendes Haar und kalte graue Augen. „Wo sonst sollten wir sein, wenn du
mein Mädchen und meinen Enkel hierher gebracht hast?“
Ein Muskel zuckte an Brodies Kiefer. „Ihr hättet vorher anrufen und fragen sollen,
ob euer Besuch genehm ist, bevor ihr den weiten Weg hierher gekommen seid.“
„So weit ist es gar nicht“, entgegnete der andere Mann.
Sein rotblondes Haar und seine Gesichtszüge, die Seths ähnelten, verbunden mit
der Aussage des älteren Mannes, ließen Chey erkennen, dass es sich um Janey
Todds Vater und Bruder handelte.
„Was soll das denn heißen?“ hakte Brodie nach.
Der ältere Mann lächelte kalt. „Wir hatten keinen Grund, in Dallas zu bleiben.
Also leben wir jetzt hier, wenn auch nicht so hochherrschaftlich wie du.“ Er ließ
den Blick über das Grundstück gleiten und dann auf Chey ruhen. „Du hast keine
Zeit verschwendet, wie? Na ja, Frauen haben dich ja schon immer umschwärmt.
Muss an all deinem Geld liegen.“ Er kniete sich an den Beckenrand und reichte
Chey die Hand. „Ich bin Harp Shelly, und das da ist mein Junge, Dude.“ Er
deutete zu Brodie. „Ich bin sein Schwiegervater.“
„Exschwiegervater“, korrigierte Brodie.
Flüchtig gab sie Harp die Hand. „Chey Simmons.“
„Sie wissen von meinem Mädchen?“
„Ja. Es tut mir Leid.“
Harp nickte. Dann stand er abrupt auf und sagte zu Brodie: „Ich will den Jungen
morgen haben.“
„Nein“, entgegnete Brodie hart.
„Wir haben morgen schon etwas vor.“ Viola warf Chey einen verzweifelten Blick
zu.
„Wir gehen mit Seth in den Zoo“, verkündete Chey zu ihrer eigenen
Überraschung.
Seth hüpfte vor Freude und klatschte in die Hände. „Ja, Zoo!“
„Es gibt hier in New Orleans einen wundervollen Zoo“, fügte sie hinzu, „und wir
wollen den ganzen Tag bleiben.“
„Außerdem ist Seth noch zu klein, um mit Fremden unterwegs zu sein“, ergänzte
Brodie.
Zorn spiegelte sich auf Harps Gesicht wider. Dann maskierte er ihn hastig und
wandte sich an Seth. „Wir sind doch keine Fremden, oder? Du kennst deinen
alten Granddad doch noch, oder?“
Seth blickte unsicher drein und rückte näher zu Viola.
„Ihr könnt ihn gern hier besuchen“, räumte Brodie ein, „aber ruft bitte vorher
an.“
Harp blickte ihn durchdringend an. „Ich gehe jetzt mein Mädchen besuchen.“
Brodie wandte sich an Viola. „Bitte Kate, die beiden zu Janey zu fuhren. Behalte
aber Seth bei dir. Zu viel Besuch gleichzeitig ist nicht gut für Janey.“
Viola nickte mit besorgter Miene, nahm Seth bei der Hand und führte die beiden
Männer zum Haus.
„Dieser Mistkerl“, murrte Brodie.
Chey lächelte mitfühlend. „Offensichtlich vertraust du ihm Seth nicht an.“
„Er ist ein Gauner, der mit einem Fuß im Gefängnis steht. Ich würde ihm nicht
mal einen Hund anvertrauen. Wenn ich könnte, würde ich ihn völlig aus Seths
Leben verbannen.“
„Warum kannst du das nicht?“
„Weil er Janeys Vater ist.“
„Wie hast du sie eigentlich kennen gelernt?“ erkundigte Chey sich zögernd.
„Sie war meine Sekretärin.“
„Und wie ist es dazu gekommen, dass ihr geheiratet habt?“ hakte Chey nach und
war froh, dass es so gelassen klang.
„Sie war schwanger.“
„Warum hast du dich scheiden lassen?“
„Die Ehe war vorbei“, erwiderte er knapp.
„Liebst du sie noch?“
„Nein“, murrte er und starrte dabei in sein Limonadenglas.
Es war die Antwort, die Chey zu hören gehofft hatte, doch sein abweisender Ton
beunruhigte sie.
Nach einer Weile bemerkte er: „Danke, dass du mir eben zu Hilfe gekommen
bist. Aber dass du uns ausgerechnet mit einem Zoobesuch gekommen bist… Dir
ist hoffentlich klar, dass du jetzt mitspielen musst. Seth zählt schon die Minuten,
und er ist noch zu klein, um mit einer noch so guten Ausrede abgewimmelt zu
werden.“
Das hatte Chey natürlich nicht bedacht. „Mir bleibt wirklich keine Wahl, oder?“
„Nein“, bestätigte Brodie ungerührt.
Sie seufzte. „Na ja, es ist lange her, seit ich das letzte Mal in einem Zoo war, und
ein freier Tag wird schon nichts schaden.“
„Ich sorge dafür, dass du es nicht bereust“, versprach Brodie, und sie
befürchtete, dass er Wort halten würde.
9. KAPITEL Brodie sehnte sich danach, Chey die ganze Wahrheit zu sagen. Doch sie brauchte es nicht zu wissen. Eines Tages vielleicht, wenn sie ihn wirklich lieben lernte – und Seth. Vor allem seit dem gelungenen Zoobesuch spürte er, dass sie sich zu beiden hingezogen fühlte. Er hegte durchaus Hoffnung, doch es war noch zu früh, um ihr das bedeutsamste Geheimnis seines Lebens anzuvertrauen. Gedankenverloren ging er die Treppe hinauf. Seit Tagen hatte er die Krankenstation nicht aufgesucht, doch Cheys Fragen hatten ihn über seine seltsame Beziehung zu Janey nachdenken lassen, und nun schlug er unwillkürlich den Weg zu ihren Räumen ein. Als er sich näherte, hörte er zu seiner Überraschung Stimmen. Er konnte keine Worte ausmachen, aber es klang nach einer Unterhaltung zwischen zwei Personen. Verwundert öffnete er die Tür. Schwester Brown stand am Bett. Als sie ihn eintreten hörte, zuckte sie heftig zusammen, wirbelte herum und presste sich eine Hand auf die Brust. „Mr. Brodie, Sie haben mich zu Tode erschreckt!“ „Es tut mir Leid. Ich dachte, ich hätte Stimmen gehört.“ „Das war nur das Radio. Ich schalte es ein, weil die Ärzte sagen, dass Stimulation ihr gut tut. Aber manchmal wird da so viel geredet, dass ich fürchte, die fremden Stimmen verwirren sie, und dann mache ich es wieder aus.“ Es war eine einleuchtende Erklärung, und doch erweckte sie sein Misstrauen. Vielleicht lag es daran, dass Schwester Brown normalerweise nie mehr als nötig sprach und nun so viel plauderte. „Ich möchte mich einen Moment zu ihr setzen.“ Schwester Brown nickte und entfernte sich vom Bett. „Haben Sie in letzter Zeit irgendeine Veränderung an Janey bemerkt?“ „Na ja“, erwiderte die Krankenschwester nachdenklich, „ich glaube, sie hat gemerkt, dass ihr Vater und ihr Bruder da waren. Sie hat zwar nichts gesagt, aber irgendwie scheint sie es gespürt zu haben.“ „Aber sie hat sich nicht bewegt und die Augen nicht geöffnet?“ hakte Brodie nach. „Nein. Nicht solange ich hier war. Aber ich bin natürlich nicht jede Minute bei ihr“, erwiderte Schwester Brown und ging in ihr eigenes Zimmer. Brodie setzte sich auf die Bettkante und betrachtete das hübsche Gesicht seiner Exfrau. Ein Gefühl der Trauer beschlich ihn. Er nahm ihre zarte Hand in seine. „Es tut mir Leid, dass ich dich in letzter Zeit nicht besucht habe. Seth und das Haus und das Geschäft… Eigentlich steckt noch etwas anderes dahinter. Du bist momentan die Einzige, der ich es sagen kann. Ich habe jemanden kennen gelernt und mich verliebt.“ Er glaubte, eine Bewegung ihrer Hand zu spüren, doch er war sich nicht sicher. Er umfasste sie fester und musterte ihr Gesicht. „Janey? Kannst du mich hören?“ Ihre Augen bewegten sich hinter den geschlossenen Lidern, aber das hatte er schon unzählige Male gesehen. Die Ärzte behaupteten, dass es unbewusste Reflexe waren. „Vielleicht möchtest du mehr über sie erfahren“, fuhr er fort. „Du kennst sie gewissermaßen schon. Sie heißt Chey Simmons und ist eine attraktive, zierliche Blondine mit sechs Brüdern und drei Schwestern. Ich liebe sie, und ich möchte sie heiraten.“ Eines Tages. Vielleicht. Diesmal bestand kein Zweifel daran, dass Janeys Finger zuckten. Brodie beugte sich über sie und nahm ihr Gesicht zwischen die Hände. „Janey? Wenn du mich hören kannst, dann mach die Augen auf. Du kannst zurückkommen. Es ist nicht zu spät. Du bist eine wundervolle, charmante Frau. Du kannst so ein schönes
Leben haben.“ Keine Reaktion. „Das Geld ist noch da, Janey, jeder Cent. Es wartet nur auf dich. Das ist doch Grund genug aufzuwachen, oder?“ Doch anscheinend war es das nicht, Janey schlief weiter. Lange Zeit blickte Brodie traurig auf die reglose Gestalt hinab. Dann strich er ihr zärtlich die Haare aus dem Gesicht, beugte sich über sie und küsste ihre Stirn. Als er leise den Raum verließ, dachte er bei sich, dass er zumindest eines bewerkstelligt hatte. Er hatte endgültig geklärt, was er von Chey Simmons wollte. Es war die erste, wenn auch zwanglose Dinnerparty, die zur Einweihung des renovierten Speisesaals abgehalten wurde. Chey war erfreut, dabei zu sein, wenn auch etwas angespannt. Brodies Verhalten in letzter Zeit verriet ihr, dass die unbekümmerten Tage vorbei waren. Er hatte die freundschaftliche Fassade abgelegt und machte ihr den Hof mit einem überwältigenden Charme, der die Wirkung auf sie nicht verfehlte. Auch Georges war zum Dinner geladen. Obwohl das Haus längst noch nicht fertig gestellt war, wollte Brodie seine Anerkennung zum Ausdruck bringen und die Früchte der Arbeit genießen. Das Dinner verlief entspannt, mit fabelhaftem Essen, angeregter Unterhaltung und viel Gelächter. Marcel und Kate nahmen ebenfalls daran teil, doch Schwester Brown hatte die Einladung ausgeschlagen. Niemand vermisste sie. Als Viola sich nach dem Essen anschickte, Seth ins Bett zu bringen, erbot Georges sich galant, ihn die Treppe hinaufzutragen. Marcel und Kate begannen den Tisch abzuräumen. Brodie griff nach Cheys Hand. „Lass uns im Garten spazieren gehen.“ „Nach diesem üppigen Mahl kann ich allerdings etwas Bewegung gebrauchen“, stimmte sie zu und ließ sich aus dem Raum führen. „Marcel hat sich mal wieder selbst übertroffen.“ „Ich muss hart daran arbeiten, dass sein Können nicht in Form von Fettpolstern an mir sichtbar wird“, sagte Brodie, während sie zum Pool schlenderten. „Du arbeitest an gar nichts hart“, wandte Chey ein. „Das ist nicht wahr. Ich arbeite sehr hart daran, das Leben zu genießen. Und in letzter Zeit habe ich auch noch an etwas anderem sehr hart gearbeitet“, sagte er in sinnlichem Ton. „Ich kann nicht mehr einfach nur dein Freund sein, Chey. Über das Stadium bin ich längst hinaus.“ Ihr Herz begann zu pochen. Sie schluckte und flüsterte: „Ich weiß.“ „Und du läufst trotzdem nicht davon?“ fragte Brodie sanft und zog sie an sich. „Ich laufe nicht davon“, bestätigte sie und rang nach Atem* als er den Mund auf ihren senkte. Sie war gefesselt und bestürzt zugleich. Vor allem aber war sie erregt. Sie schlang ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an ihn. Mit seinen Händen und Lippen erweckte Brodie einen Wirbelsturm an Empfindungen, so dass Chey die Schreie nicht hörte, bis er den Kopf hob und sich halb zum Haus umdrehte. „Mr. Brodie! Kommen Sie schnell!“ Es war Schwester Brown, die in unbeholfener Hast zu ihnen eilte. „Was ist denn los?“ murrte er. „Es ist geschehen!“ brachte Schwester Brown atemlos hervor und blieb stehen. „Sie müssen kommen und es sich selbst ansehen!“ „Was denn?“ „Janey ist aufgewacht!“ rief sie, wirbelte herum und lief zum Haus zurück.
„Kommen Sie! Beeilen Sie sich!“ Einen Moment lang verharrte Brodie, reglos vor Verblüffung. Dann ergriff er Cheys Hand und sprintete los. Er zog sie mit sich über den Rasen und durch das Foyer zur Treppe. Als sie nicht mehr mit ihm Schritt halten konnte, entzog sie ihm die Hand. „Lauf vor. Ich komme nach.“ Nach kurzem Zögern stürmte er die Stufen hinauf, vorbei an Schwester Brown und den Korridor entlang. Als Chey ihm durch die geöffnete Tür des Krankenzimmers folgte, stand er wie erstarrt im Raum. Janey saß in einem rosa Seidenhemd auf der Bettkante und bürstete sich die langen, rotblonden Locken. „Du bist wirklich wach!“ rief Brodie erfreut und verwundert. Sie drehte ihm den Kopf zu. Ein Lächeln erhellte ihr engelhaftes Gesicht. Sie ließ die Bürste fallen und streckte beide Hände nach ihm aus. „Brodie!“ Fassungslos stand Chey da. Erst jetzt wurde sie sich der anderen Anwesenden bewusst. Mit Ausnahme von Seth waren alle Personen, die am Dinner teilgenommen hatten, gekommen. Alle bewunderten nun die aus dem Dornröschenschlaf erwachte Schönheit, die allerdings ihrerseits nur Augen für Brodie hatte. Plötzlich sprang Janey vom Bett auf und warf sich ihm in die Arme. „Ich bin wieder bei dir, Darling, und ich liebe dich!“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, schmiegte sich an ihn und küsste ihn. Er hatte ihr die Hände auf die Taille gelegt, schien aber zu verblüfft, um den Kuss zu erwidern. Dann sank Janey in sich zusammen und taumelte leicht. „Ich sollte lieber wieder ins Bett gehen. Schwester Brown hat gesagt, dass ich lange geschlafen habe und deshalb noch schwach bin.“ Halb trug, halb führte Brodie sie zurück zum Bett. „Was ist passiert?“ „Das würde ich selbst gern wissen“, entgegnete sie ein wenig atemlos, als sie sich in die Kissen lehnte. „Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist der erste Geburtstag unseres Babys. Und plötzlich wache ich an einem fremden Ort auf, und Schwester Brown sagt, es sei ein Wunder.“ Sie lächelte. „Zuerst war ich durcheinander, aber jetzt, wo du da bist, ist alles wieder gut.“ Sie hob eine Hand, winkte ihn zu sich und flüsterte so laut, dass alle es hören konnten: „Müssen denn all diese Fremden hier sein?“ Brodie trat zurück. „Es ist überhaupt kein Fremder hier. All diese Leute haben sich auf die eine oder andere Art um dich gekümmert.“ Plötzlich wurde Chey bewusst, dass sie die eine Person war, die wirklich nicht dorthin gehörte und sofort gehen sollte. Wie dumm von ihr, dass sie je etwas anderes geglaubt hatte. Schnell wandte sie sich zur Tür um, doch bevor sie hinausgehen konnte, schloss jemand seine Hand um ihren Arm. „Warte, ich habe dich noch nicht vorgestellt.“ Brodie zog sie näher an das Bett. Als sie protestierend den Kopf schüttelte, legte Viola, die neben ihr stand, ihr aufmunternd einen Arm um die Taille. Brodie wandte sich an Janey. „Lass uns mit den Hausbewohnern anfangen.“ Er legte Viola eine Hand auf die Schulter. „Das ist meine Grandma Viola. Ich habe bestimmt oft von ihr gesprochen. Grandpa ist vor einigen Monaten gestorben, und ich wollte sie nicht allein lassen. Da es undenkbar war, sie aus New Orleans zu entwurzeln, sind wir alle hierher gezogen. Sie ist mir eine unschätzbare Hilfe mit Seth.“ „Oh, ja, jetzt verstehe ich.“ Janey lächelte Viola an. „Das hier ist Kate“, fuhr Brodie fort. „Sie hält das Haus makellos in Ordnung, und Marcel hier beköstigt uns hervorragend. Die beiden zu finden, das war den
Umzug nach New Orleans schon wert.“
„Wir haben also Dienstboten?“ hakte Janey entzückt nach.
„Nein. Wir sind wie eine große Familie. Kate und Marcel sind für mich so
unentbehrlich, dass ich sie gerne und großzügig bezahle, damit sie bleiben. Sie
sind keine Dienstboten.“
„Genau wie Schwester Brown“, sage Janey und blickte zu ihrer Krankenpflegerin.
„Das ist wohl ein guter Vergleich.“ Brodie wandte sich an Chey und nahm ihre
Hand. „Chey Simmons ist das Genie, das dieses alte Haus in ein Zuhause
verwandelt hat, auf das wir stolz sind. Und Georges ist ihr Assistent.“
Janey blickte sich im Raum um. „Ich kann nur hoffen, dass der Rest meines
Hauses nicht so aussieht wie dieses Zimmer. Ich komme mir ja vor wie in einem
Krankenhaus!“
Ihr Haus also. Die Anwesenden, mit Ausnahme von Janey und Schwester Brown,
erstarrten bei ihren Worten. Doch es war Brodie überlassen, sie zu korrigieren –
was er auch tat, allerdings nicht in der von Chey erhofften Weise.
„Chey hat nichts mit diesen Räumen zu tun“, erklärte er, „und es sieht wie ein
Krankenzimmer aus, weil es das ist. Du warst wirklich sehr krank.“
„Wir sind alle sehr froh, dass es Ihnen besser geht, Miss Shelly“, sagte Kate
aufrichtig.
„Miss Shelly?“ rief Janey entrüstet. „Was in aller Welt soll das bedeuten? Eine
verheiratete Frau wird beim Namen ihres Ehemannes genannt. Ich bin Mrs. Todd
und sehr stolz darauf.“
Mrs. Todd. Diese Frau wusste offensichtlich nicht, dass ihr Ehemann sich
während ihrer Krankheit hatte scheiden lassen. Chey blieb fast das Herz stehen.
Ein Grund mehr, warum sie sich niemals mit diesem Mann hätte einlassen
dürfen.
Hilflos und schockiert blickte Brodie sie an, während Viola ruhig vorschlug:
„Jemand sollte den Arzt rufen.“
Er nickte, seufzte und strich sich mit einer Hand über das Gesicht.
„Ich gehe jetzt besser“, sagte Chey leise.
„Wir alle gehen jetzt besser“, pflichtete Marcel mit seiner tiefen, ruhigen Stimme
bei.
Resigniert sagte Brodie zu Chey: „Ich bringe dich hinaus.“
„Nein. Du wirst hier gebraucht.“
Georges nahm sie am Arm und drehte sie zur Tür um. „Komm, wir gehen
zusammen.“
Sie warf einen Blick zurück über die Schulter, gerade als Janey sich liebevoll an
Brodie schmiegte.
Sie ist die Mutter seines Sohnes, und bald wird sie auch wieder seine Ehefrau
sein, dachte Chey, und dieser Gedanke rief eine beängstigende Leere in ihr
hervor.
10. KAPITEL Erneut ging Chey ihm aus dem Weg, und Brodie wusste genau, warum. Es war höchste Zeit, dass er ihr die Wahrheit sagte. Er hätte es bereits am Tag von Janeys Erwachen getan, wären nicht Harp und Dude noch am selben Abend aufgetaucht, zweifellos von Schwester Brown herbeordert. Zu Brodies Verärgerung stieß er seitdem auf Schritt und Tritt auf die Shellys. Nicht, dass er sich über Janeys Genesung ärgerte, im Gegenteil. Sie wach zu sehen, war einer der glücklichsten Momente seines Lebens gewesen. Doch er hätte ahnen müssen, dass dieses Ereignis die Dinge unglaublich kompliziert machen würde. Schließlich wusste Brodie aus Erfahrung, dass nichts so einfach war, wie es erschien, wenn es um die Shellys ging. Außerdem machte ihn der Zeitpunkt von Janeys Genesung sehr misstrauisch. Noch verdächtiger war ihre angebliche Gedächtnislücke. Es war eine Sache, die erfolgte Scheidung zu vergessen, aber eine ganz andere, sich an eine Ehe zu erinnern, die nie existiert hatte. Allmählich verlor Brodie die Geduld. Mit Janey, die sich ihm ständig an den Hals warf. Mit Chey, die ihn mied. Mit den Shellys, die permanent auftauchten, und mit Schwester Brown, die plötzlich wie nie zuvor in seinem Haushalt präsent war. Seine Ungeduld erstreckte sich auch auf die Ärzte, die ihm einfach keine konkrete Auskunft über Janeys Zustand geben wollten. Vor allem Cheys Ausweichmanöver wollte er nicht länger tolerieren. Seit fast einer Woche rief er mehrmals pro Tag in ihrem Büro und ihrer Wohnung an, doch sie ging nie ans Telefon. Schließlich platzte ihm der Kragen. Als sie am Montagmorgen seinen strikten Aufruf nicht befolgte, sich doch bitte bei ihm zu melden, sperrte er am Nachmittag kurzerhand das Konto, das er für sie eingerichtet hatte. Obwohl das Haus längst noch nicht fertig war, mehrere Rechnungen ausstanden und ein Teil des Geldes ihr gehörte. Wie erhofft erschien Chey am Dienstag, kurz nach dem Mittagessen. Brodie saß an seinem Schreibtisch, als sie in einem Designerkostüm in sein Büro stürmte und fauchte: „Wie kannst du es wagen, mir das Geld zu rauben, für das ich wochenlang hart gearbeitet habe?“ „Niemand hat dir irgendetwas geraubt“, entgegnete Brodie nachdrücklich. „Aber was hast du denn anderes erwartet? Ich schütte dir mein Herz aus, und daraufhin lässt du dich eine Woche lang verleugnen!“ Sie presste die Lippen zusammen, sank auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Du lässt dabei eine wichtige Tatsache aus: deine Frau liegt nicht mehr im Koma.“ „Sie ist meine Exfrau!“ protestierte Brodie. „Und so wird es auch bleiben.“ Chey senkte den Blick auf ihren Schoß. „Offensichtlich liebt Janey dich aber noch.“ Das Zittern in ihrer Stimme machte ihm Hoffnung. „Sie hat mich nie geliebt. Dazu ist sie gar nicht fähig.“ „Mag sein, aber es ist offensichtlich, dass sie mit dir verheiratet sein will.“ „Bei Janey ist gar nichts klar, aber das ist auch momentan nicht so wichtig.“ Er senkte die Stimme. „Ich habe dir nichts vorgemacht, Chey. Ich liebe dich. Dich, nicht Janey.“ Ein sanfter, sehnsüchtiger Ausdruck trat auf Cheys Gesicht, doch sie schüttelte trotzig den Kopf und seufzte. „Brodie, sie ist die Mutter deines Sohnes. Du bist es Seth schuldig, dir Zeit zu lassen, um dir über deine Gefühle klar zu werden.“ Sie
stand auf. „Es geht nicht nur um Janey. Und jetzt möchte ich nicht weiter darüber sprechen.“ „Würdest du bitte still sein und mir zuhören?“ verlangte Brodie nachdrücklich. Er wirkte so verzweifelt, dass Chey es ihm nicht abschlagen konnte. Sie sank zurück auf den Stuhl. „Also gut.“ „Ich fange am Besten ganz vorn an. Janey war meine Sekretärin. Eigentlich brauchte ich keine, da ich mich nicht oft am Hauptsitz aufhalte, aber irgendjemand musste die Anrufe dort entgegennehmen. Mein Geschäftsführer in Dallas hat sie eingestellt. Als ich sie das erste Mal sah, gefielen mir ihr Aussehen und ihre verführerische Unschuld. Aber sie machte mir von Anfang an schöne Augen, und das stieß mich ab. Es roch mir zu sehr nach Berechnung. Als sie dann merkte, dass sie bei mir nicht weiter kam, wandte sie sich meinem Bruder zu.“ Brodie lehnte sich zurück und legte die Hände an die Schläfen. „Seth war nicht dumm und durchschaute sie auf Anhieb, aber er hatte kaum Geld und daher nichts zu verlieren. Also ging er auf das Spiel ein.“ Brodie beugte sich vor und räusperte sich. „Dann plötzlich sagte er mir, dass er sie heiraten wolle.“ „Wirklich?“ hakte Chey überrascht nach. Brodie nickte. „Es war an dem Tag seines letzten Angeltrips. Ich half ihm, das Boot fertig zu machen, als er plötzlich sagte: ,Ich werde Vater’.“ Brodie hielt inne und wartete auf Cheys Reaktion Ihr stockte der Atem. „Du bist also gar nicht der Vater?“ „Doch, das bin ich. Jetzt schon.“ Sie sank zurück gegen die Lehne. „Das ist ja unglaublich.“ „Ich muss dir erklären, wie es um meinen Bruder und mich stand. Ich bin durch Zufall in die Tourismusbranche geraten, indem ich einfach meiner Leidenschaft folgte und meine eigenen Reisen plante. Die Leute fingen an, mich um Hilfe zu bitten, und schon war ich im Geschäft. Seth hatte keine derartige Aufgabe – bis er erfuhr, dass er Vater wurde. Er entdeckte seine Leidenschaft ebenso zufällig wie ich meine für das Reisen. Er hat Janey nie geliebt, aber er liebte die Vorstellung, Vater zu werden, und er wollte um jeden Preis verhindern, dass sein Kind nur von ihr und den Shellys aufgezogen wird.“ „Aber wie kann man nur ohne Liebe heiraten!“ rief Chey verständnislos. „Seth hatte keine andere Wahl. Er wusste, dass Harp bereits mehrmals im Gefängnis gesessen hatte und Dude zu Gaunereien neigte. Außerdem war ihm klar, dass Janey nicht stark genug ist, um sich gegen ihren Vater aufzulehnen. Er war fest entschlossen, sie um des Kindes willen zu heiraten, und er wollte der beste Vater werden, den es je gegeben hatte. Leider ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung. Er kam bei einem Angelausflug ums Leben.“ „Also bist du für ihn eingesprungen.“ „Was hätte ich sonst tun sollen? Ich wusste, dass die Shellys mir das Kind verkauft hätten, und ich war bereit zu zahlen. Meine Anwälte rieten mir, das Kind nicht zu adoptieren, sondern meinen Namen in die Geburtsurkunde setzen zu lassen.“ „Also hast du Janey nur zu diesem Zweck geheiratet“, sinnierte Chey. „Aber im Laufe der Zeit hast du doch bestimmt Gefühle für sie entwickelt.“ Brodie schüttelte den Kopf. „Die Scheidung war von Anfang an eingeplant, aber natürlich nicht schriftlich fixiert. Wir sind übereingekommen, dass ich als Kindsvater in der Geburtsurkunde erscheine, wir uns nach einem Jahr scheiden lassen, sie eine Million Dollar bekommt und ich das Kind behalte. Sie hat äußerst bereitwillig eingewilligt und mir sogar gesagt, dass sie das Kind abgetrieben hätte, wenn es nicht zu diesem Handel gekommen wäre. Seth war für sie nie mehr als ein Zugang zu meinem Geld.“
Eine Weile lang war Chey sprachlos. Sie konnte zwar nicht nachvollziehen, dass viele Frauen überhaupt Kinder in die Welt setzen wollten, aber noch weniger verstand sie, wie eine Mutter ihr Kind auf derartige Weise benutzen konnte. „Ich verstehe nicht, wie das alles passieren konnte.“ „Ich schon. Ich habe einen Fehler gemacht. Selbst nachdem Janey mir kaltblütig ihr Kind verkauft hat, tat sie mir noch Leid. Ich war sicher und bin es immer noch, dass sie von Harp manipuliert wird. Dummerweise habe ich einfach nicht erkannt, wie gierig sie selbst ist. Etwa sechs Monate nach der Hochzeit erlaubte ich ihr, ein Haus in Dallas zu kaufen. Sie hat eine halbe Million nur für die Einrichtung ausgegeben, die übrigens ziemlich scheußlich war. Janey hat einfach keinen Geschmack. Aber sie hat durchaus Geschmack am Geldausgeben gefunden und bald erkannt, dass die bevorstehende eine Million nicht so lange reichen würde, wie sie zunächst gedacht hatte. Also beschloss sie, mit mir verheiratet zu bleiben.“ „Aber das wolltest du nicht?“ „Natürlich nicht. Sie versuchte mir Liebe vorzuspielen. Als sie merkte, dass es sinnlos war, weil ich sie nicht liebte, kam es zu hässlichen Szenen. Sie versuchte, den Ehevertrag anzufechten und sich gegen die Scheidung zu wehren. Das klappte nicht, also drohte sie mir mit Entzug des Sorgerechts für Seth. Obwohl mein Anwalt mir davon abriet, erklärte ich mich bereit, ihr eine weitere Million zu zahlen. Dann, am Abend von Seths erstem Geburtstag, tauchte sie total betrunken bei mir auf. Ich musste sie nach Hause fahren. Sie machte eine solche Szene, dass die Nachbarn nachschauen kamen, was da los war. Ich ließ sie schreiend im Garten zurück. Ein paar Stunden später fand Harp sie im Pool, der fast leer war, weil er gestrichen werden sollte. Offensichtlich hatte sie in einem Wutanfall mit Topfpflanzen und Gartenstühlen um sich geworfen. Dabei war sie wohl hineingefallen und hatte sich den Schädel aufgeschlagen.“ „Und trotz allem hast du dich um sie gekümmert“, sagte Chey verwundert. „Irgendjemand musste es doch tun. Harp und Dude konnten es nicht, selbst wenn sie es gewollt hätten, was ich bezweifle. Was Harp jetzt auch sagt, er hatte keinerlei Interesse mehr an ihr, als klar wurde, dass ihr Koma dauerhaft sein könnte. Nur Schwester Brown war bereit, ihr zu helfen. Also stellte ich sie ein. Es war das Mindeste, was ich für die Frau tun konnte, die mir Seth gegeben hat. Ich habe ihn so getauft, weil er mir in gewisser Weise meinen Bruder zurückgegeben hat. Ich wünsche Janey nichts Schlechtes, aber ich lasse sie nicht zwischen mich und diejenigen treten, die ich liebe.“ Brodie nahm Cheys Hand und streichelte sie zärtlich. „Falls es dir immer noch nicht klar ist, ich rede dabei von dir und meinem Sohn.“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Er war der anständigste Mensch, den sie je kennen gelernt hatte, und sie liebte ihn. Aber sie bezweifelte, dass sie ihm und Seth geben konnte, was sie brauchten. Und doch konnte sie ihm jetzt nicht den Rücken kehren, schon gar nicht nach den neuesten Enthüllungen. „Glaubst du, dass Janey ihre Gedächtnislücken nur vortäuscht, um sich an dich klammern zu können?“ Brodie nickte. „Ja, das glaube ich. Aber solange ich keine Beweise habe, kann ich nichts unternehmen.“ „Dabei fällt mir gerade was ein“, sagte Chey nachdenklich. „Neulich habe ich gedacht, Stimmen aus ihrem Zimmer zu hören, und bin reingegangen. Aber Schwester Brown hat gesagt, sie hätte Janey nur etwas vorgelesen. Ich habe es ihr abgenommen, aber jetzt zweifle ich daran.“ „Mir ist dasselbe passiert. Schwester Brown hat behauptet, es wäre das Radio gewesen, aber mir kam es komisch vor.“ Brodie begann, im Büro auf und
abzuwandern. „Jetzt fällt mir ein, dass es an dem Abend war, als ich Janey
erzählt habe, dass ich dich heiraten will.“
Chey stockte der Atem bei seinen Worten. Doch sie zwang sich, sachlich zu
bleiben und logisch zu denken. „Irgendwie kam ihre Genesung sehr abrupt.“
„Allerdings.“ Er blieb neben ihrem Stuhl stehen. „Offensichtlich hat sie das Koma
in der letzten Zeit nur vorgetäuscht und ist plötzlich ‚aufgewacht’, als klar wurde,
dass es mir ernst mit dir ist.“
„Aber warum hätte sie ein Koma vortäuschen sollen?“
„Weil sie wusste, dass ich sie fortgeschickt hätte, wenn sie genesen wäre.
Offensichtlich ist ihr Schlachtplan noch nicht ausgereift, und sie wollten Zeit
gewinnen.“
„Schwester Brown muss ihr sehr ergeben sein, wenn sie dabei mitspielt“,
sinnierte Chey.
„Allerdings. Aber es steckt noch mehr dahinter. Zwischen Miss Brown und Harp
besteht eine Verbindung. Ich weiß nur nicht, welche.“
„Also ist das Ganze eine abgekartete Sache.“
„Verdammt! Ich war so besorgt, dass ich durch den Umzug einen Rückfall
verursacht hätte. Danach schien Janey noch tiefer ins Koma gefallen zu sein,
dabei war sie wahrscheinlich die ganze Zeit über wach!“
„Und die Shellys haben es gewusst“, vermutete Chey. „Deshalb sind sie hierher
übergesiedelt.“
„Höchstwahrscheinlich. Vorher hat Harp nicht mal angerufen, um sich nach dem
Zustand seiner Tochter zu erkundigen. Schwester Brown muss ihm gesagt haben,
dass Janey wach ist. Sie wussten wohl nicht, wie sie die Sache handhaben
sollten. Als sie dann erfuhren, dass ich dich heiraten will, haben sie sich die
Geschichte mit der Amnesie einfallen lassen.“
„Aber was hoffen sie dadurch zu erreichen?“
„Ich nehme an, sie wollen Zeit gewinnen. Deshalb hat Harp einen gewissen Dr.
Champlain ins Spiel gebracht. Angeblich ist er ein Spezialist, der uns über Janeys
Zustand Aufschluss geben soll. Ich wette, dass er uns dringend vor den
Konsequenzen warnen wird, ihre Traumwelt zu zerstören.“
„Aber ihnen muss doch klar sein, dass deine Geduld irgendwann zu Ende geht“,
wandte Chey ein.
„Natürlich. Harp hat mir auch schon seine Trumpfkarte gezeigt. Wenn ich nicht
tue, was sie wollen, werden sie mir das Sorgerecht für Seth streitig machen.“
Erschrocken rang Chey nach Atem. „Aber ihr habt doch eine Vereinbarung.“
„Schon, aber wir haben sehr wenig Schriftliches dazu. Janey braucht also nur zu
sagen, dass sie es sich anders überlegt hat.“
„Was hast du also vor?“
Nachdenklich rieb Brodie sich das Kinn. „Ich werde natürlich kämpfen, wenn
nötig, vor Gericht. Aber ich bezweifle, dass es dazu kommen wird. Die Shellys
legen eher Wert auf eine außergerichtliche Einigung.“
„Für eine riesige Geldsumme.“
„Ach, ich nehme an, dass sie so ungefähr alles wollen, was ich besitze“,
bemerkte Brodie beinahe gelassen.
„Aber das kannst du doch nicht zulassen!“
„Das habe ich auch nicht vor. Aber ich brauche deine Hilfe, um ihre Pläne zu
durchkreuzen.“
„Wie könnte ich dir denn helfen?“
Er trat zu ihr, zog Chey vom Stuhl hoch und legte ihr die Hände auf die
Schultern. „Indem du ihnen vorspielst, dass du mich liebst und mich heiraten
willst. Meine Absicht, dich zu heiraten, hat sie ja schon nervös gemacht und
aufdecken lassen, dass Janey nicht mehr im Koma liegt. Wenn du dich jetzt
vertreiben lässt, gewinnen sie die Oberhand und können in Seelenruhe ihren Plan
weiter aushecken. Aber wenn du bleibst, sehen sie ihre Felle davonschwimmen.
Dann werden sie nervös und handeln vielleicht überstürzt, so dass wir sie
überführen können. Außerdem sollst du mir helfen, sie auszuspionieren.
Vielleicht stoßen wir dadurch auf Beweise.“
„Und wie wollen wir vorgehen?“
„Indem wir eine ‚heimliche Affäre’ direkt vor ihren Nasen vortäuschen. Kannst du
das?“
Chey blickte in sein besorgtes Gesicht und konnte einfach nicht ablehnen. „Das
würde mir nicht schwer fallen“, gestand sie ein.
„Wirst du es denn tun?“
Sie seufzte und schloss die Augen. „Ja.“
Brodie zog sie in die Arme und bettete ihren Kopf an seine Brust. „Danke“,
flüsterte er.
„Du hättest dasselbe für mich getan“, wehrte sie ab.
„Ja, aber ich liebe dich ja auch.“
Sie wusste, dass er auf dieselben Worte aus ihrem Munde hoffte, und sie lagen
ihr auf der Zungespitze. Doch sie konnte es nicht aussprechen, denn sie
bezweifelte nach wie vor, dass sie der Rolle als Ehefrau und Mutter gewachsen
war.
Nach einer Weile stieß er ein humorloses Lachen aus und murmelte: „Na ja,
zumindest bist du bereit, mir zu helfen, meinen Sohn zu behalten. Dafür bin ich
dir dankbar.“
11. KAPITEL „Es ist ganz einfach“, erklärte Brodie der Gruppe, die sich im spärlich möblierten Wohnzimmer versammelt hatte. „Wir müssen das Haus so schnell wie möglich fertig stellen, weil ich in Kürze eine wichtige ausländische Delegation erwarte. Deshalb haben Chey und ich beschlossen, dass sie hier einzieht, um die Vollendung ihrer Arbeit überwachen zu können.“ Er lächelte sie an, und sie übernahm die Erklärung auf Stichwort. „Die Mängel in Design und Ausführung werden oft nur von den tatsächlichen Bewohnern eines Hauses erkannt“, begann sie und hoffte, dass es nicht so einstudiert klang, wie es war. „Das bedeutet, dass der Designer und die Handwerker immer wieder zurückkehren und kleine Korrekturen vornehmen müssen. Indem ich hier wohne, kann ich mich mehr auf die Details konzentrieren und hoffentlich die Vollendung der Arbeit um Wochen verkürzen.“ „Außerdem ist es ein Vergnügen, sie im Haus zu haben“, fügte Brodie hinzu und nahm ihre Hand. Er beugte sich zu Chey und küsste sie auf die Wange. Dann, so als hätte er sich vergessen gehabt, ließ er Cheys Hand abrupt los und räusperte sich verlegen. „Kate, ich habe ihre Koffer bereits in das Zimmer gegenüber meinem gebracht. Wenn Sie nur das Bett beziehen und frische Handtücher hinlegen, wird sie es behaglich haben.“ „Ich kümmere mich sofort darum“, sagte Kate und eilte davon. „Ich halte es für eine ausgezeichnete Idee“, lobte Viola, während sie Seth zum zweiten Mal in kürzester Zeit die Schnürsenkel band. Wie er es immer wieder schaffte, die Schleifen ohne Einsatz der Hände zu öffnen, während er recht still auf dem Sofa saß, grenzte an ein Wunder. Unwillkürlich fragte Chey sich, ob Schuhe mit Klettverschluss nicht praktischer für ihn wären, aber natürlich war das nicht ihre Entscheidung. In gereiztem Ton verkündete Janey: „Ich begreife nicht, warum es nötig sein sollte, dass sie hier einzieht.“ Sie trug ein fließendes zartrosa Gewand und zierliche Sandalen, die nicht zu ihrem schleppenden Gang passten. Meist saß sie jedoch im Rollstuhl. „Wir haben es doch erklärt“, erwiderte Brodie geduldig. „Um das Haus fertig zu stellen.“ „Aber es muss sowieso alles neu gemacht werden.“ Janey rümpfte die Nase. „Die Farben sind alle scheußlich, und es sieht so altmodisch aus.“ Er verdrehte die Augen und sagte schroff: „Nichts wird neu gemacht. Es ist alles perfekt.“ „Das stimmt“, pflichtete Viola ihm bei. „Sie haben wundervolle Arbeit geleistet, Chey. Ich hoffe, dass Sie lange bei uns bleiben. Und jetzt entschuldigen Sie uns bitte. Wir brauchen ein Schläfchen.“ Sie nahm Seth bei der Hand und verließ den Raum. „Aber es ist auch mein Haus“, murrte Janey. „Habe ich denn gar nichts zu sagen?“ „Du hast genug damit zu tun, gesund zu werden“, erwiderte Brodie mit deutlich erzwungener Fröhlichkeit. „Und da wir gerade davon sprechen, Marcel bereitet uns heute Abend ein Festessen. Wir müssen doch feiern, dass du nicht mehr künstlich ernährt werden musst. Und als Mitglied des Haushalts wird Chey uns natürlich Gesellschaft leisten.“ Chey akzeptierte die Einladung mit einem Lächeln, obwohl sie sich nicht darauf freute, mit Janey und Schwester Brown an einem Tisch zu sitzen. „Sollten wir das nicht ganz unter uns feiern, nur mit der Familie?“ maulte Janey. „Jeder in diesem Haus gehört zur Familie“, teilte Brodie ihr mit. „Und je mehr
Personen, umso lustiger wird es.“
„Dann will ich meinen Vater und meinen Bruder auch dabeihaben“, verlangte sie,
und er willigte mit einem Achselzucken ein.
Als Schwester Brown Janey anbot, sie wieder nach oben zu bringen, damit sie
sich dort ausruhen könne, neigte sich Brodie zu Chey herüber. „Ich möchte gern
unter vier Augen mit dir reden“, verkündete er bedeutungsvoll.
Sie nickte und folgte ihm aus dem Raum. Am Fuß der Treppe blieb er stehen und
wartete, bis Brown und Janey mit dem Fahrstuhl oben angekommen waren und
sich auf der Galerie befanden. Dann legte er beide Arme um Chey und zog sie an
sich.
„Hältst du das für klug?“ flüsterte sie.
„Sehr.“ Er küsste sie genüsslich. Als er den Kopf wieder hob, sagte er etwas zu
laut: „Du weißt ja, wo du mich finden kannst, Darling, wenn du etwas von mir
willst.“
Sie blickte ihm mit verklärter Miene nach, während er die Treppe hinaufstieg. Als
sie sich abwandte und zu ihrem Büro ging, hörte sie das Surren der
Rollstuhlräder auf der Galerie.
Die Situation erwies sich als komplizierter, als Chey befürchtet hatte. Brodies
„heimliche“ Geliebte zu spielen, fiel ihr allzu leicht, und das beunruhigte sie.
Schwierig war für sie, Realität und Fiktion auseinander zu halten. Doch das sollte
es ihr wert sein, wenn es dazu führte, dass die Shellys sich verrieten und Brodie
so das Komplott aufdecken konnte.
Chey spürte die Spannung im Esszimmer, sobald sie eintrat und ihren Platz
rechts neben Brodie einnahm. Links neben ihr saßen Seth und Viola und ihr
gegenüber Janey und Schwester Brown. Dann folgten Dude und Harp.
Der offensichtliche Grund für die unangenehme Atmosphäre saß neben Viola am
anderen Ende des Tisches. Der junge, dunkelblonde Mann mit den markanten
Zügen war ebenso gut aussehend wie durchtrainiert.
„Chey, Liebes, ich möchte dir Nate Begay vorstellen“, eröffnete Brodie. „Nate,
das ist Chey Simmons.“
Nate beugte sich vor und sagte höflich: „Ich habe schon viel von Ihnen gehört,
Miss Simmons. Ich habe im letzten Jahr mit Jewel Chancery nach ihrem
schweren Reitunfall gearbeitet. Soweit ich weiß, haben Sie ihr Haus restauriert.“
„Das stimmt“, erwiderte Chey. „Wie geht es Jewel?“
„Recht gut.“
„Das freut mich zu hören.“
„Nate ist hier, um Janey bei ihrer Genesung zu unterstützen“, erklärte Brodie.
„Und ich habe meinen Ehemann soeben daran erinnert“, warf Janey in
angespanntem Ton ein, „dass ich bereits eine Krankenschwester habe.“
„Aber Nate hat sehr viel Erfahrung in physischer wie psychischer Therapie, und
ich bin sicher, dass er dich schon bald ganz gesund machen wird.“
„Aber was ist mit Schwester Brown?“ hakte Janey kläglich nach.
„Was soll schon mit ihr sein? Niemand will sie ersetzen.“
„Und wenn ich mich weigere mitzumachen?“
„Dann bleibt mir keine andere Wahl, als dich in ein spezielles Krankenhaus zu
schicken, wo man sich vernünftig um deine Genesung kümmern kann.“
„Du kannst sie nicht wegschicken!“ knurrte Dude und zuckte zusammen, als Harp
ihm den Ellbogen in die Rippen stieß.
„Dude, er ist mein Ehemann“, sagte Janey in sanftem Ton. „Er liebt mich und
wird tun, was für mich das Beste ist. Das stimmt doch, oder, Brodie?“
„Ich werde tun, was nötig ist, damit du wieder gesund wirst“, erwiderte er
diplomatisch. „Und jetzt lasst uns das köstliche Mahl genießen, das Marcel für
uns gezaubert hat“, schloss er, als Kate und Marcel zwei Tabletts mit
Suppenschalen hereintrugen.
Das Essen verlief weitgehend schweigend. Selbst beim köstlichen Hauptgang aus
Lachs und Gemüse war niemandem nach einem Gespräch zu Mute.
Sobald das Dessert serviert worden war, erhob sich Schwester Brown und sagte
laut zu Janey: „Ich räume jetzt deine Sachen um.“
Brodie hielt in der Bewegung inne, einen Löffel voll Eiscreme zu seinem Mund zu
führen. „Was soll das heißen?“
„Ach, Darling, jetzt hat Schwester Brown die Überraschung verdorben.“ Janey
lächelte ihn engelsgleich an. „Ich bin bereit, zurück in unser Schlafzimmer zu
ziehen.“
„In mein Zimmer?“
„Natürlich, in das Hauptschlafzimmer. Ich habe es so vermisst, bei dir zu
schlafen.“
Brodie lachte hart auf. „Janey, wir haben nie ein Schlafzimmer geteilt und
werden auch jetzt bestimmt nicht damit anfangen.“
Ihr Lächeln und ihr Ton blieben zuckersüß. „Aber wir sind verheiratet, und ich
vermisse dich.“
„Nein“, sagte er tonlos.
„Es mag altmodisch erscheinen“, warf Viola ein, „aber vornehme Leute teilen sich
kein Schlafzimmer. Es ist vermutlich eine Frage des Geschmacks, aber es wird
zumeist als ziemlich vulgäres Verhalten angesehen. Ich würde bestimmt nicht
teilen wollen.“
„Ich will auch nicht teilen“, verkündete Seth mit ernster Miene.
Alle lachten, nur nicht Janey, die fauchte: „Irgendjemand sollte ihm mal
Manieren beibringen!“
Brodie warf ihr einen warnenden Blick zu. „Seine Manieren sind hervorragend für
einen Dreijährigen.“
Sofort setzte sie wieder eine liebliche Miene auf. „Ich wollte damit nur sagen,
dass er lernen muss zu teilen.“
„Woher willst du wissen, was er lernen muss?“ gab Brodie zurück.
Viola erhob sich graziös. „Wir gehen jetzt nach oben. Seth braucht ein Bad.“
Marcel, Nate und Brodie sprangen sofort auf, doch Dude und Harp kamen nicht
auf die Idee, aus Respekt vor einer älteren Dame aufzustehen.
Brodie hob Seth aus dem Hochstuhl. „Ich komme gleich nach.“
„CheyChey soll kommen“, verlangte Seth, als Viola ihn bei der Hand zur Tür
führte.
„Chey hat etwas anderes zu tun“, entgegnete Brodie.
„Schon gut. Ich gehe Viola gern zur Hand“, entgegnete sie jedoch und stand auf.
Sie war froh über jeden Vorwand, um der Feindseligkeit am Tisch entfliehen zu
können.
„Danke.“ Mit zärtlichem Blick nahm Brodie ihre Hand. „Ich verspreche auch, dass
es nicht zur Gewohnheit wird.“
„Mach dir deswegen keine Sorgen“, entgegnete sie und sorgte sich dabei selbst
darüber.
Er senkte vertraulich die Stimme. „Ich habe einen Videofilm, der dir gefallen
würde. Sehen wir ihn uns nachher an?“
Sie nickte.
„Ich würde auch gern einen Film sehen“, säuselte Janey.
„Das geht nicht, ich muss mit dir reden“, knurrte Harp.
Sie verzog das Gesicht und nickte dann resigniert. „Ja, Daddy.“
„Ich komme nachher zu dir“, sagte Brodie zu Chey und ließ ihre Hand los. Dann
wandte er sich an Nate. „Wenn Sie einen Moment Zeit haben, möchte ich jetzt
Janeys Behandlung mit Ihnen besprechen.“
„Natürlich.“
Chey bedankte sich bei Marcel für das köstliche Mahl und schlüpfte aus dem
Raum. Ein langer, anstrengender Tag lag hinter ihr, und sie fragte sich, wie viele
sie noch davon ertragen musste, bevor sie ihr schlichtes Singledasein wieder
aufnehmen konnte. Das größere Rätsel war allerdings, warum sie sich nicht wie
erwartet darauf freute.
Chey blickte vom Monitor ihres Laptops auf, als sich ihre Schlafzimmertür öffnete
und Seth an ihr Bett huschte. Sie unterdrückte den Drang, das leuchtend rote
Haar zu zerzausen. Immer öfter hatte sie in den vergangenen Tagen derartige
Impulse unterdrückt.
„Hat dir noch nie jemand gesagt, dass du zuerst anklopfen und warten musst, bis
man dich hereinruft?“ fragte sie milde.
Seth schüttelte den Kopf. Dann, als Schritte auf dem Flur erklangen, ließ er sich
auf den Bauch fallen und rutschte unter das Bett.
Lächelnd stellte Chey den Laptop beiseite, hob die Tagesdecke und spähte unter
das Bett. Seth hatte die Hände vor den Mund geschlagen, als wolle er
unbeabsichtigte Laute unterdrücken.
„Komm raus da unten.“ Als er den Kopf schüttelte, fragte sie: „Warum nicht?“
In diesem Augenblick öffnete sich erneut die Tür. Chey richtete sich auf und sah,
wie Harp Shelly den Kopf hereinsteckte und sich umblickte. „Ist dieser Junge
hier?“
„Ich möchte Sie bitten anzuklopfen, bevor sie nächstes Mal die Tür öffnen.“
„Ich suche das Kind“, entgegnete er, als wäre das eine Entschuldigung. „Ich
wollte ihm gute Nacht sagen, und er hat gesagt, dass ich stinke, ist aus dem Bett
gesprungen und weggelaufen. Jemand muss ihm Benehmen beibringen.“
Chey war bereits einige Male aufgefallen, dass er tatsächlich sehr unangenehm
nach kaltem Rauch, Alkohol und Schweiß roch. Sie stand auf, verschränkte die
Arme und sagte schroff:
„Das sollten Sie jemandem überlassen, der es besser weiß, als in ein privates
Zimmer zu stürmen, ohne vorher anzuklopfen.“
„Was ist los? Haben Sie Angst, dass ich Sie mit meinem Schwiegersohn
erwische?“
„Exschwiegersohn“, korrigierte sie ihn.
„Haben Sie denn gar kein Anstandsgefühl?“
„Mehr als Sie. Und jetzt verschwinden Sie aus meinem Zimmer.“
Mit finsterer Miene zog er sich zurück und schloss heftig die Tür hinter sich. Chey
zählte bis zehn, bevor sie sich bückte und erneut die Tagesdecke hob. „Du kannst
jetzt rauskommen. Er ist weg.“
Einen Moment später tauchte Seth auf und kletterte unaufgefordert zu ihr auf das
Bett.
„Es ist unhöflich, anderen Leuten zu sagen, dass sie schlecht riechen, selbst
wenn es stimmt“, bemerkte Chey.
Er rümpfte die Nase, senkte den Kopf und murmelte: „Ich mag ihn nicht.“
„Trotzdem musst du höflich sein. Es ist okay, jemanden nicht zu mögen. Es ist
nicht okay, schlimme Dinge zu jemandem oder über jemanden zu sagen.
Verstehst du das?“
Mit großen Augen blickte er sie treuherzig an und nickte ernst.
„Gut. Dann brauche ich deinem Vater auch nichts davon zu sagen.“ Als sich seine
Miene erhellte, fügte sie vorsichtshalber hinzu: „Aber wenn es noch mal
vorkommt, muss ich es ihm doch erzählen. Ist das klar?“
Er nickte erneut und schlang die Arme um ihren Nacken. Sie lachte und drückte
ihn an sich. Erst als er sich aus ihrer Umarmung befreite, wurde ihr bewusst,
dass sie sich gerade sehr mütterlich verhalten hatte. Sie hatte ihn belehrt, ihm
Schutz und Trost geboten und ihm Zuneigung entgegengebracht, ohne darüber
nachzudenken.
Seufzend hob sie ihn vom Bett, nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm zur Tür.
Sie öffnete sie einen Spaltbreit, blickte in beide Richtungen und schlich hinaus
auf den Flur. Seth hielt es für ein Spiel und schlich kichernd hinter ihr her. Sie
hatten gerade das Kinderzimmer erreicht, als sich eine andere Tür auf dem
Korridor öffnete und leise Stimmen zu hören waren.
„Ich halte es trotzdem für einen Fehler.“
„Je länger ich in diesem Stuhl sitze, umso länger bleibt Begay hier.“
Chey erkannte die Stimmen von Schwester Brown und Janey. Hastig schob sie
Seth vor sich ins Kinderzimmer und bedeutete ihm, still zu sein. Neugierig
beobachtete er sie, während sie durch den Türspalt lauschte. Ein Teil des
Gesprächs war ihr entgangen, doch den Rest hörte sie deutlich.
„Harp sagt, du darfst nicht zu schnell gesund werden.“
„Es kümmert mich nicht, was Daddy sagt“, fauchte Janey. „Begay ist eine zu
große Bedrohung, und die einzige Möglichkeit, ihn loszuwerden, besteht darin,
dass ich gesund werde.“
„Das mag ja sein, aber damit werden wir diese Simmons noch lange nicht los,
und solange die da ist, musst du krank bleiben.“
„Ach, es ist hoffnungslos“, stöhnte Janey. „Er ist in sie verliebt!“
„Sag so etwas nicht. Du hältst einfach den Kurs, junge Dame, oder Harp wird
unangenehm.“
„Das weiß ich besser als jeder andere“, zischte Janey. „Und du bist immer noch
nicht meine Stiefmutter. Also sag mir nicht, was ich zu tun habe!“ Und damit
stürmte sie die Treppe hinunter.
Zufrieden lächelte Chey vor sich hin. Brodie hatte also Recht mit seiner
Vermutung, dass Harp der Kopf des Unterfangens war. Brodies Plan ging
offensichtlich auf und zeigte bereits die ersten Resultate. Die Shellys wurden
nervös.
12. KAPITEL Sobald Chey die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, spürte sie, dass sie nicht allein
war. Ihr Blick glitt durch den Raum und blieb an der Gestalt am Fenster hängen.
„Ihr Shellys scheint ein echtes Problem mit der Wahrung der Privatsphäre zu
haben.“
Janey drehte sich um und lächelte mitleidig. Sie seufzte, griff nach dem
Bettpfosten und hielt sich theatralisch daran fest. „Ich bin keine Shelly. Ich bin
Mrs. Brodie Todd. Natürlich verstehe ich gut, warum Sie das so gern vergessen
möchten. Sie wollen meinen Mann für sich gewinnen. Und das verstehe ich.“
„Ach ja?“ entgegnete Chey. „Wie einfühlsam von Ihnen.“
„Brodie ist ein sehr attraktiver Mann. Viele Frauen würden ihn begehren, aber
nicht jede Frau wirft sich ihm einfach an den Hals. Schämen Sie sich nicht dafür,
dass Sie meine Ehe und meine Familie zerstören?“
„Welche Familie denn?“ konterte Chey hitzig. „Sie scheinen doch gar nicht zu
wissen, dass Ihr Sohn überhaupt existiert.“
Janey wandte sich ab und humpelte zurück zur Fensterbank. „Sie haben Recht.
Ich kenne meinen Sohn eigentlich nicht mehr. Er war schließlich noch ein Baby,
als sich der Unfall ereignete.“
„Das ist kein Grund, ihn jetzt zu ignorieren.“
Janey wirbelte herum. „Sie verstehen ja gar nicht, wie sehr sich die Dinge für
mich geändert haben! Ich bemühe mich nach Kräften. Wenn Sie nur das Feld
räumen, kann ich alles wieder zurückgewinnen.“
„Wenn Sie das glauben“, entgegnete Chey trocken, „dann leiden Sie an
Wahnvorstellungen.“
Trotzig reckte Janey das Kinn vor. „Halten Sie sich gefälligst von Brodie fern! Er
gehört mir.“
„Wir wissen beide, dass das nicht so ist.“
Plötzlich verzerrte sich Janeys hübsches Gesicht. Sie sank auf die Bettkante und
schluchzte, als würde ihr das Herz brechen. Sie war gut, wirklich gut.
Wenn nichts anderes klappt, sinnierte Chey, kann sie immer noch zur Bühne
gehen. Sie verschränkte die Arme und wartete auf das Ende des Melodrams.
Janey hob die tränennassen Wimpern. „Ich will doch nur eine Chance, meinen
Ehemann zurückzugewinnen.“
Chey seufzte. „In dem Fall sollten Sie Ihre Taktik überdenken. Durch
Vorspiegelung falscher Tatsachen ist niemandem geholfen, am wenigsten Ihnen.“
„Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden.“
„Sie scheinen zu vergessen, dass Brodie die Wahrheit kennt.“
Theatralisch presste sich Janey eine Hand auf die Brust. „Was wollen Sie damit
andeuten?“
Chey verdrehte die Augen. Sie war mit ihrer Geduld am Ende. „Würden Sie mich
jetzt bitte entschuldigen? Ich will mich umziehen.“
Janey erholte sich rasch von ihrer Trauer. Sie sprang auf und schrie: „Ich will,
dass Sie mein Haus verlassen!“
„Ihr Haus?“ hakte Chey skeptisch nach.
Plötzlich zerbröckelte Janeys Fassade, und sie sah älter, müder und richtig
verzweifelt aus. „Ich kann nicht zulassen, dass Sie mir alles verderben.“
„Da gibt es nichts zu verderben.“
„Sie sind ja nur auf sein Geld aus.“
„Das ist nicht wahr.“
„Worum geht es denn dann? Warum suchen Sie sich nicht einen anderen Mann?
Warum muss es unbedingt Brodie sein?“
„Sie wissen es wirklich nicht, oder? Sie haben keine Ahnung, was Brodie
auszeichnet.“
„Sie meinen, außer seinem Bankkonto?“
Chey schüttelte den Kopf über Janeys Oberflächlichkeit. „Ja, er ist erfolgreich,
und ja, ich bewundere ihn dafür. Aber das ist längst nicht alles, was ihn so
liebenswert macht“, erklärte sie, und es entsprach der Wahrheit.
„Aber er liebt mich.“
„Wie könnte er, wenn Sie in ihm nur einen Goldesel sehen?“ konterte Chey. „Er
hat so viele positive Seiten“, sagte sie ebenso zu sich selbst wie zu Janey. „Er ist
ein starker, kühner, gebildeter Mann, der das Leben genießt. Er verhält sich nicht
nur seinen Mitmenschen gegenüber verantwortlich, ihm liegt auch etwas an
ihnen. Das liebe ich an ihm.“
„Aber er gehört Ihnen nicht.“
Das stimmte, und Chey war sich dessen nie so bewusst geworden wie in diesem
Augenblick. Aber sie wollte nicht zulassen, dass dieses habgierige Wesen ihn
wieder in die Fänge bekam. Also spielte sie weiter ihre Rolle und entgegnete
bedeutungsvoll: „Noch nicht ganz.“
„Ich warne Sie! Räumen Sie das Feld!“
„Im Leben nicht“, konterte Chey selbstbewusst. „Und jetzt gehen Sie endlich.“
„Das wird Ihnen noch Leid tun!“ prophezeite Janey düster und stürmte aus dem
Zimmer.
Chey atmete tief durch und schloss die Tür. Sämtliche Verdachtsmomente hatten
sich bestätigt. Trotz des engelhaften Äußeren war Janey unfähig zu lieben. Sie
hatte es nur auf Brodies Geld abgesehen und er hatte etwas Besseres verdient.
Wenn ich doch nur geben könnte, was er und sein Sohn jetzt brauchen, dachte
Chey sehnsüchtig.
„Hat sie dich tatsächlich bedroht?“ fragte Brodie bestürzt und nahm Cheys Hände
in seine. Sie saßen allein am Frühstückstisch.
Sie schüttelte den Kopf, doch er hatte das Gefühl, dass sie ihm nicht alles verriet.
„Sie hat nur große Töne gespuckt und mir unterstellt, dass ich hinter deinem
Geld her wäre.“
„Das sieht ihr ähnlich, so etwas zu denken.“
Chey blickte hinab auf ihre verschlungenen Finger und flüsterte: „Ich glaube, sie
hält dem Druck nicht mehr stand.“
„Da ist sie nicht die Einzige“, murmelte Brodie mit gesenkter Stimme. „Mein
Anwalt hat diesem Arzt, den Harp aufgetrieben hat, einen Besuch abgestattet.
Angeblich liegt ein ‚Missverständnis’ vor, was die Diagnose des guten Doktors
betrifft. Die ‚korrekte’ Prognose wird meinem Anwalt demnächst schriftlich
zugestellt. Es ist kein regelrechtes Geständnis, aber es bedeutet, dass wir Janeys
Theater nicht länger erdulden müssen.“
„Heißt das, dass du sie jetzt zwingen kannst, Farbe zu bekennen?“
„Noch nicht. Wir brauchen mehr, irgendeinen richtigen Beweis.“
„Und mehr Zeit, um ihn zu finden“, murmelte Chey.
„Ganz genau. Ich hoffe also, dass du noch ein bisschen bleibst und uns
unterstützt“, erwiderte Brodie. Das war ihm sehr recht, denn er mochte nicht
mehr auf ihre Nähe verzichten. Andererseits wollte er ihre Sicherheit nicht aufs
Spiel setzen, und er wusste, dass Harp skrupellos sein konnte. „Mach dir keine
Sorgen. Ich passe auf dich auf, und Nate auch.“
Sie blickte auf. „Wieso habe ich bloß den Eindruck, dass er in Wirklichkeit gar
kein Pfleger ist?“
„Oh, das ist er aber“, versicherte Brodie, „sogar ein sehr erfahrener Pfleger. Aber
bevor er sich dazu hat ausbilden lassen, war er Polizist.“
Überrascht hakte Chey nach: „Und wie bist du an ihn geraten?“ „Er wurde mir wärmstens empfohlen von einem Arzt, den ich gut kenne. Er hat mehrere falsche Anschuldigungen wegen angeblicher Kunstfehler aufgeklärt und außerdem einen Drogendieb im Krankenhaus aufgespürt. Ich lasse Schwester Brown von ihm beschatten.“ „Das ist eine gute Idee.“ „Dir ist sicher sehr daran gelegen, dass die Sache bald vorüber ist.“ Chey wandte den Blick ab. „Eigentlich nicht.“ Brodie lächelte und drehte ihr Gesicht zu sich herum. „Ich kann dir gar nicht für alles danken, was du für mich tust.“ Er küsste sie sanft und fragte sich dabei, wie lange er mit derartigem Verhalten noch davonkam. So bereitwillig sie seine Berührungen und Seths Zuneigung auch akzeptierte, er wusste, dass sie in einem starken inneren Konflikt war. Das Schlimmste daran war, dass er, Brodie, nichts dagegen unternehmen konnte. Denn so sehr er Chey auch liebte, so war seine Beziehung zu seinem Sohn ein unabänderlicher Bestandteil seines Lebens. Und doch würde er sich ohne Chey sehr einsam fühlen. Chey wollte gerade die Nachttischlampe löschen, als es klopfte. Offensichtlich war der Besucher keiner der Shellys. Sie zog sich die Decke bis zum Kinn hoch und rief: „Ja?“ Brodies gedämpfte Stimme drang an ihr Ohr. „Ich bins, Honey.“ Es war das erste Mal, dass er Cheys Zimmer aufsuchte, seit sie eingezogen war. Trotz der zärtlichen Szenen, die sie für die Shellys inszenierten, wahrten sie eine gewisse Distanz zueinander. Daher wusste sie, dass ihn etwas Bedeutsames zu ihr führte. „Komm rein.“ Sobald er eingetreten war, hielt er einen kleinen Kassettenrecorder hoch und sagte: „Das musst du dir anhören.“ Er setzte sich auf die Bettkante und stellte den Recorder auf den Nachttisch. „Nate ist Schwester Brown zu einem Treffen mit Harp gefolgt und hat ihr Gespräch aufgenommen.“ Er drückte die PlayTaste. Harps Stimme erklang, zwar etwas gedämpft und verzerrt, aber deutlich zu verstehen. „Dumme Gans.“ „Er meint Janey“, warf Brodie hastig ein. „Es ist alles ihre Schuld“, fuhr Harp fort. „Sie sollte eigentlich von Brodie schwanger werden, aber sie hat es nicht mal geschafft, ihn ins Bett zu kriegen. Hätte ich ihr nicht gesagt, dass sie sich den Bruder angeln soll, wäre sie ohne einen Penny ausgegangen.“ „Sie bemüht sich doch nach Kräften“, warf Schwester Brown beschwichtigend ein. „Was nützen ihr das hübsche Gesicht und der perfekte Körper, wenn sie nicht klug genug ist, beides einzusetzen?“ fauchte Harp. „Sie war doch krank.“ „Mehr als zwei verdammte Jahre hat sie uns gekostet! Sie hatte ihn schon an der Angel und hat sich dann mit einer kümmerlichen Million abspeisen lassen.“ „Sie bemüht sich doch schon, es wieder gutzumachen.“ „Das will ich ihr auch geraten haben. Ich bin es leid, von der Hand in den Mund zu leben.“ „Wir sollten die Million nehmen und uns nach einem anderen Geldgeber umsehen“, schlug Schwester Brown vor. „Aufgeteilt reicht eine Million nicht lange, und ledige Millionäre wachsen nicht gerade auf Bäumen. Außerdem ist Janey jetzt zu schwächlich, um sich einen anderen Dummen zu suchen. Also soll sie zusehen, dass sie die Hand wieder in seine Tasche kriegt.“ „Das Problem ist diese Simmons“, murrte Schwester Brown.
„Das stimmt. Wir müssen sie irgendwie aus dem Weg räumen. Es muss
irgendetwas geben, das wir gegen sie einsetzen können und das sie veranlasst,
Brodie abzuschieben oder umgekehrt. Vielleicht hat sie ja mal ihre Rechnungen
frisiert. Ich werde Dude beauftragen, die Sache zu überprüfen.“
„Und wenn das nicht klappt?“ hakte Brown zögernd nach.
Harp lachte selbstgefällig. „Vielleicht fällt sie dann ja in ein Koma, genau wie es
der dummen Janey passiert ist.“
Chey rang nach Atem, während Brodie den Recorder stoppte. „Du glaubst doch
nicht, dass er etwas mit Janeys Unfall zu tun hatte, oder?“
„Wer weiß? Er war derjenige, der sie gefunden hat, und es besteht kein Zweifel
daran, dass er wütend auf sie war, wegen der Scheidung und der finanziellen
Regelung. Aber ich mache mir vor allem Sorgen um dich.“
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass er mir etwas antun würde?“
„Er wird zuerst versuchen, dich in Misskredit zu bringen. Aber ich gehe kein
Risiko ein. Ich will nicht, dass du allein irgendwohin gehst. Von jetzt an behalten
Nate und ich dich im Auge. Außerdem brauchen wir jemanden, der dein Geschäft
bewacht.“
„Glaubst du, dass sie dort einbrechen wollen?“
„Es ist die logische Konsequenz, wenn sie sich deine Rechnungen ansehen
wollen.“
Chey nickte nachdenklich. „Ich werde Georges bitten, vorübergehend in meine
Wohnung zu ziehen.“
„Ich hoffe, er hat nichts dagegen.“
Sie lachte. „Ob du es glaubst oder nicht, sogar er genießt es, hin und wieder den
Helden zu spielen.“
„Aber traust du ihm zu, einen Einbrecher zu fangen?“ hakte Brodie skeptisch
nach.
„Aber ja. Es ist ein stiller Alarm installiert, der durch einen Bewegungsmelder im
Laden ausgelöst wird. Wenn er aktiviert ist, wird automatisch die Polizei gerufen,
und oben in der Wohnung schaltet sich der Fernseher ein.“
„Das ist brillant! Ein Einbrecher würde also gar nicht merken, dass man ihm auf
die Schliche gekommen ist. Er würde einfach denken, dass jemand in der
Wohnung nicht schlafen kann und den Fernseher eingeschaltet hat.“
„Einer meiner Neffen hat den Alarm installiert“, sagte Chey stolz.
„Ein weiteres Wunderkind der Familie Simmons“, bemerkte Brodie belustigt.
Dann strich er ihr über den nackten Arm. „Jetzt müssen wir uns nur noch mit dir
beschäftigen. Ich habe es ernst gemeint, dass ich dich nicht aus den Augen
lassen will, bis diese Sache vorüber ist.“
Seine zarte Berührung weckte Verlangen in Chey. Sie musste schlucken, bevor
sie fragen konnte: „Hältst du das wirklich für nötig?“
„Es ist nötig für meinen Seelenfrieden.“ Erneut streichelte er ihren Arm, dann
strich er ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Chey erzitterte.
„Kalt?“ fragte er sanft.
„Nein.“
„Wir sind dem Ende dieses Albtraums einen großen Schritt nähergekommen.“
Brodie senkte den Blick zu den Knöpfen ihres Nachthemdes. „Da sollte ich
eigentlich froh sein.“
Sie schluckte erneut. „Aber du bist es nicht?“
Er sah ihr tief in die Augen. „Ich würde Janey weiter hier wohnen lassen, wenn
ich dadurch dich behalten könnte.“
„Brodie“, begann Chey, doch sie wusste nicht, wie sie fortfahren sollte. Sie
konnte nicht ewig bleiben. Es sei denn…. Sie schloss die Augen, als eine erneute Woge des Verlangens durch ihren Körper strömte. Konnte sie ihm womöglich doch all das geben, was er und Seth von ihr brauchten? Brodie lehnte die Stirn an ihre und flüsterte: „Ich will jetzt in dieses Bett steigen und mit dir schlafen.“ Das war genau das, was auch sie wollte, und sie war es so müde, gegen sich und ihn und die Situation anzukämpfen. „Brodie“, sagte sie erneut und hob ihm das Gesicht entgegen. Er schmiegte die Hände um ihre Wangen und küsste Chey zärtlich, mit unterdrücktem Verlangen. Sie wusste, dass sie seine Leidenschaft freisetzen konnte. Es war zweifellos ein Fehler, sich ihm hinzugeben, aber es war ein Fehler, den Chey ohne Reue beging. Sie schlang die Arme um ihn und sank zurück in die Kissen. „Sag mir, dass ich hier bleiben soll.“ „Bleib bitte hier“, flüsterte sie lächelnd. Brodie gab ihr einen stürmischen Kuss, der ihr Blut in Wallung brachte. Als er sich aufsetzte und sich das Hemd auszog, streichelte sie genüsslich seinen nackten Oberkörper. Er schloss die Augen, rang nach Atem, seufzte dann und knöpfte ihr Nachthemd auf. Chey griff nach der Nachttischlampe, doch er hielt ihre Hand fest. „Letztes Mal, im Dunklen, war es wie ein Traum für mich. Diesmal soll es real sein.“ Er hielt ihren Blick gefangen. Dann schob er das Nachthemd beiseite und betrachtete ihren Körper. „Wundervoll“, murmelte er, während er ihre Brüste liebkoste, die praller und empfindsamer wurden. Ihr stockte der Atem, und heftige Empfindungen durchströmten ihren Körper. Sie fühlte sich wie Wachs in seinen Händen, als er ihren Oberkörper aufrichtete und ihr das Nachthemd von den Schultern streifte. Völlig nackt sank sie zurück und breitete die langen Haare auf dem Kissen aus. „Unglaublich“, flüsterte Brodie und musterte sie anerkennend. Er stand auf, zog sich rasch aus, und sie betrachtete seinen erregten Körper. „Muss ich dir noch sagen, wie sehr ich dich begehre?“ fragte er und sank zurück auf das Bett. Dann schnippte er mit den Fingern, so als wäre ihm gerade etwas eingefallen. Er bückte sich, nahm einen kleinen Gegenstand aus seiner Kleidung und legte ihn auf das Kopfkissen. Chey warf einen Blick auf das Päckchen und lächelte. „Das trage ich schön seit Wochen mit mir herum“, gestand er. „Dann lass es uns sinnvoll einsetzen“, drängte sie und zog ihn zu sich hinab. Brodie lächelte verführerisch. „Oh, ich liebe praktisch denkende Frauen.“ Er senkte den Körper auf ihren und genoss das Gefühl, so intim bei ihr zu liegen, Haut an Haut, Lippen auf Lippen. Chey spreizte die Beine und bettete ihn zwischen ihre Schenkel. Sein Gewicht und seine Wärme erregten ihre Sinne, und sie bewegte sich aufreizend unter ihm. „Beeil dich, bitte.“ „Das sollte ich wohl, zumindest beim ersten Mal.“ Er stützte sich auf einen Ellbogen und griff nach dem Päckchen. Eine seltsame Leichtigkeit und Freude erfüllten Chey. „Ich gehe davon aus, dass du noch mehr davon hast.“ „Damit liegst du nicht ganz falsch.“ Kurz darauf waren sie vereint. Eine Weile lagen sie still da, mit pochenden Herzen und einem Gefühl der Zufriedenheit. Dann spürte Chey, wie er sich in ihr bewegte. Sie zog die Knie an und hob ihm die Hüften entgegen. Zeit und Ort schienen keine Bedeutung mehr zu haben, während sie ins Reich der Sinne eintauchten. „Nein, bleib bei mir“, murmelte Chey, als Brodie sich anschließend zurückzog.
„Das würde ich ja gern“, entgegnete er seufzend, „aber mit dem Kondom ist das
problematisch.“
Sie kuschelte sich an ihn und murmelte: „Vielleicht sollte ich mit meinem Arzt
mal über die Pille reden.“
Er wurde sehr still, und plötzlich wurde ihr bewusst, was sie gerade angedeutet
hatte. Nun, warum nicht? Sie hatte damit ja noch keine Versprechungen
gemacht.
Brodie erwachte im Morgengrauen, mit Chey an seiner Seite. Sie beschlagnahmte
Dreiviertel des Bettes, das nicht annähernd so breit wie sein eigenes war.
Vorsichtig drehte er sich auf den Rücken und streifte dabei ihren Kopf mit einem
Arm. Sie seufzte, murmelte etwas und schob die Decke hinunter, so dass ihr
Oberkörper entblößt war.
Er lächelte, drehte sich auf die Seite und streichelte Cheys Brust mit den
Fingerspitzen, bis sich die Knospen aufrichteten. Sie blinzelte und griff nach ihm,
doch bevor sich ihre Lippen begegneten, schob sie ihn wieder von sich. „Es ist
schon hell!
Du kannst nicht hier bleiben, jemand wird dich sehen.“
Seufzend legte er sich zurück. „Chey, ich bin es leid, Janeys Theater länger
mitzuspielen.“
„Aber deine Großmutter…“
„Würde nicht mit der Wimper zucken“, versicherte er.
„Vielleicht nicht, aber es sind noch andere Leute in diesem Haus, zum Beispiel
dein Sohn.“
„Wir treiben es ja auch nicht auf der Couch im Wohnzimmer.“
„Diese Tür hat nicht mal ein Schloss.“
Brodie seufzte. „Okay. Dann schlafen wir heute Abend eben in meinem Zimmer.“
Chey setzte sich kerzengerade auf. „Das kann ich nicht tun.“
Zorn stieg in ihm auf. Er warf die Bettdecke zurück und sprang auf. „Zu viel
Verpflichtung für dich?“ fragte er ärgerlich.
„Du weißt doch, dass ich keine flüchtigen Affären eingehe. Es ist…“
„Flüchtig?“ unterbrach er sie scharf. „Du nennst es eine flüchtige Affäre?“
„Ich nenne es, was es ist, und zwar ist es weniger, als du willst.“
„Und mehr, als du willst!“ warf er ihr hitzig vor.
„Nein. Ja. Ich weiß es nicht“, gestand Chey ein.
„Was erwartest du von mir?“ verlangte er zu wissen, während er sich seine Hose
schnappte. „Willst du, dass ich meinen Sohn aufgebe?“
„Du weiß doch, dass ich das nie von dir verlangen würde!“
Eigentlich wusste Brodie das wirklich, doch der Schmerz über ihre Abfuhr hatte
ihn überwältigt. Bedeutete ihr die vergangene Nacht denn gar nichts? „Ich
dachte, wir hätten ein Einverständnis gefunden. Du weißt, dass ich dich liebe. Du
weißt, dass ich dich begehre. Dann kommt der Morgen, und du wirfst mich
wieder aus deinem Bett!“ Er beugte sich zu ihr, stützte die Hände auf die
Matratze und verlangte scharf: „Was zum Teufel ist mit dir los?“
„Ich habe nur Angst, dich zu enttäuschen“, wisperte sie, und ihre Augen waren
feucht.
Sein Zorn verflog augenblicklich. Brodie nahm ihr Gesicht zwischen die Hände.
„Ich liebe dich“, sagte er eindringlich. „Das habe ich nicht mehr zu einer Frau
gesagt, seit ich achtzehn Jahre alt war.“
„Ach, Brodie, wenn du nur wüsstest, wie sehr…“
Jemand klopfte an die Tür. „Chey?“
„Viola“, flüsterte die erschrocken, so als hätte Brodie die Stimme seiner
Großmutter nicht erkannt.
Gelassen stand er auf, ging zur Tür und öffnete. „Was ist denn, Grandma?“
„Oh, du bist es. Ich bin früh aufgewacht und wollte gerade hinuntergehen, um
mir eine Tasse Tee zu machen, als ich Streitereien hörte.“
„Es tut mir Leid, wenn wir dich beunruhigt haben.“
„Schon gut. Soll ich euch etwas mitbringen, da ich ohnehin gerade
hinuntergehe?“
Brodie blickte fragend über die Schulter zu Chey.
„Nein, danke“, murmelte sie verlegen. Ihre gedämpfte Stimme verriet, dass sie
sich bis zur Nasenspitze unter die Decke verkrochen hatte.
„Dann lasse ich euch in Ruhe“, sagte Viola. „Entschuldigt, dass ich euch gestört
habe.“
„Kein Problem.“ Er schloss die Tür und kehrte lächelnd zum Bett zurück. „Hat das
für dich entsetzt oder gekränkt geklungen?“
„Nein.“ Chey verschränkte die Arme über der Bettdecke.
„Aber du denkst trotzdem, dass ich gehen sollte, oder?“ Resigniert schloss er die
Augen, als sie schwieg. „Also gut.“
Er wandte sich zur Tür, doch Chey schlug die Decke zurück und drängte: „Komm
zurück ins Bett.“
Abrupt blieb er stehen. Erleichterung durchströmte ihn. Dann schlüpfte er halb
bekleidet zu ihr und zog sie an sich.
„Das ist alles so neu für mich“, erklärte Chey und schloss ihn in die Arme. „Ich
schäme mich nicht, dich zu lieben, aber in meiner Familie werden solche Dinge
nicht akzeptiert.“
„Ich weiß, und ich will das ja regeln – wenn du mich lässt.“
Sie seufzte. „Ich nehme an, dass es sich um eine dauerhafte Regelung handelt?“
„Dauerhaft und öffentlich abgesegnet“, bestätigte er sanft, „aber darüber können
wir reden, wenn das alles vorbei ist.“
Chey legte den Kopf auf seine Brust und fragte nach einer Weile: „Glaubst du,
dass ich eine gute Mutter für Seth abgeben würde?“
Brodie lächelte vor sich hin und küsste ihr Haar. „Ja. Unbedingt.“
„Meinst du, dass ich dafür mein Geschäft aufgeben müsste?“
„Natürlich nicht. Warum solltest du?“
„Was ist, wenn ich ihm nicht so viel Aufmerksamkeit schenken kann, wie er
braucht?“
„Grandma und ich sind auch noch da. Vergiss das nicht. Macht Seth etwa einen
vernachlässigten Eindruck auf dich?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Also?“
Lange Zeit sagte sie nichts. Dann flüsterte sie: „Er ist wirklich ein ganz
besonderer kleiner Junge.“
Brodie schloss zufrieden die Augen. „Er ist genauso besonders wie du“, sagte er
sanft. Und ihr gehört jetzt beide zu mir, dachte er und wagte nicht, sich
einzugestehen, dass es vielleicht nicht so einfach sein könnte.
13. KAPITEL Ein aufreizendes Zirpen riss Brodie aus tiefem Schlaf. Neben ihm stöhnte Chey und bewegte sich unruhig. Verschlafen tastete er nach dem Lichtschalter, stützte sich auf einen Ellbogen und griff nach dem Mobiltelefon auf dem Nachttisch. Er drückte eine der winzigen Tasten und hob das Gerät ans Ohr. „Hallo?“ Stille folgte und ließ ihn annehmen, dass er den Anruf zu spät entgegengenommen hatte. „Brodie?“ „Georges?“ Er gähnte. „Was gibt es denn?“ „Eine Menge. Ich bin hier in Cheys Laden mit der Polizei und einer idiotischen kleinen Ratte, die ich für Ihren Exschwager halte.“ Brodie grinste. „Bingo.“ „Ja. Er sagt nicht viel, aber wir haben ihn beim Durchstöbern von Cheys Schreibtisch erwischt, die Taschen voll gestopft mit Kleingeld und Computerdisketten. Die Polizei nimmt ihn jetzt mit in die Zentrale zum Verhör, aber Chey soll auf die Wache kommen und eine formelle Anzeige erstatten. Sie ist doch wahrscheinlich bei Ihnen?“ Sie strich sich gerade die zerzausten Haare aus dem Gesicht und sah so erschöpft und zufrieden aus, wie er sich auch fühlte. „Ja, sie ist hier. Wir treffen Sie in zwanzig Minuten auf der Wache.“ „Ohne mich“, wehrte Georges ab. „Ich hatte genug Spaß für eine Nacht, vielen Dank. Ich räume hier nur noch zusammen, und dann gehe ich wieder ins Bett.“ „Nun gut. Ach ja, übrigens vielen Dank, Georges. Ich bin Ihnen was schuldig.“ „Vergessen Sie es ja nicht“, scherzte Georges. Bis Brodie und Chey sich angezogen hatten und er seine Großmutter geweckt und ihr erklärt hatte, wohin sie fuhren und warum, waren die zwanzig Minuten bereits verstrichen. Erst weitere zwanzig Minuten später parkten sie vor der Wache, und noch einmal zehn Minuten dauerte es, bis sie zu dem ermittelnden Beamten geführt wurden. „Wir haben den Einbrecher noch nicht identifiziert“, verkündete er. „Ihr Assistent scheint aber zu glauben, dass Sie den Mann kennen.“ „Wenn wir uns nicht irren, ist es der Bruder meiner Exfrau“, sagte Brodie. „Da bin ich sogar ziemlich sicher.“ „Na, das werden wir ja gleich sehen. Aber was kann er mit all den Disketten wollen?“ „Wahrscheinlich hat er nach Buchhaltungsunterlagen gesucht.“ Kurz und bündig erklärte Brodie die Sachlage. „Die Angelegenheit wird ja immer seltsamer.“ Der Ermittler zog die buschigen Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. Dann führte er sie einen Korridor entlang, der dringend eines Anstrichs bedurfte. „Darf ich etwas fragen?“ bat Brodie. „Warum nicht?“ „Hat er jemanden angerufen?“ Der Ermittler schüttelte den Kopf. „Normalerweise darf gleich nach der Verhaftung ein Anruf getätigt werden, aber da er uns seinen Namen nicht nennen wollte, ist die Vorgehensweise anders.“ „Gut.“ Sie betraten einen winzigen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen. Auf einem saß eine wohl bekannte, verdrossene Gestalt. „Ja, das ist er“, sagte Brodie. „Mein ehemaliger Schwager. Er heißt Dude Shelly.“ Der Ermittler notierte den Namen auf einem Zettel. „Ich lasse den Namen gleich
mal durch unsere Datenbank laufen. Mal sehen, was wir finden.“ „Wahrscheinlich nichts“, entgegnete Brodie. „Die Shellys sind erst kürzlich von Texas hierher gezogen. Dort werden Sie eine lange Liste kleinerer Vergehen feststellen, von Ladendiebstahl bis zum Handtaschenklau.“ „Na, wundervoll. Wir lieben es, den Abschaum unserer Nachbarstaaten aufzulesen. Schon mal im Gefängnis gewesen?“ „In Gewahrsam in Dallas, glaube ich“, antwortete Brodie. „Nun dann, meinen Glückwunsch, Mr. Shelly. Diesmal werden Sie Gast des Staates Louisiana sein. Die Unterbringung mag etwas weniger luxuriös sein, als Sie es gewohnt sind, aber Sie werden es überleben – ob Sie wollen oder nicht.“ Zum ersten Mal meldete sich Dude zu Wort. „Ins Staatsgefängnis? Wegen sechzig Mäusen? Oh nein!“ „Tja, vielleicht sind sechzig Mäuse hier bei uns am Bayou mehr wert als oben in Dallas“, entgegnete der Ermittler milde. „Außerdem sind Sie beim Einbruchdiebstahl erwischt worden, und dann sind da noch die ganzen Disketten, die Sie bei sich hatten, und der Kleinkram, den Sie bei der Ladentür gestapelt hatten und stehlen wollten. Zweifellos handelt es sich dabei um kostbare Gegenstände.“ „Wir führen nur exklusive Antiquitäten in unserem Ausstellungsraum“, bestätigte Chey. Dude gab einen erstickten Laut von sich. „Das war doch alles nur Trödel!“ „Wir haben Grund zu der Annahme“, warf Brodie ein, „dass die Disketten Buchhaltungsunterlagen enthalten und das Hauptziel des Einbruchs waren. Wie bereits gesagt, wollen die Shellys einen Keil zwischen mich und Miss Simmons treiben und haben gehofft, diskriminierende Unterlagen für einen Erpressungsversuch zu finden.“ Dude fielen förmlich die Augen aus dem Kopf vor Verblüffung, als er das hörte. „Ach, wirklich? Das dürfte seinen Aufenthalt um ein paar Jährchen verlängern“, verkündete der Ermittler. „Aber sagten Sie gerade, es handle sich dabei um mehrere Täter?“ Brodie nickte. „Vielleicht möchte Ihnen Ihr Gast ja alles darüber erzählen. Vielleicht würde es seine Strafe sogar mildern, wenn er es täte?“ „Dad würde mich umbringen“, erklärte Dude verzweifelt. „Glaubst du etwa, dass er es nicht sowieso tut? Du hast deinen Auftrag nicht erfüllt. Du hast die ganze Sache vermasselt. Erspar dir also weitere Schwierigkeiten, und erzähl diesem netten Mann die ganze Story. Dein Vater hat dir diesen Schlamassel eingebrockt. Also lass ihn dafür sitzen.“ Dude schluckte erneut. „Ich… ich will telefonieren.“ „Sicher“, willigte der Ermittler freundlich ein. „Ich lasse Ihnen ein Telefon holen, aber ich hoffe, Sie beherzigen meinen Rat und rufen einen Anwalt an. Niemand sonst kann Ihnen helfen. Allerdings können Sie Ihre Lage verbessern, wenn Sie uns erzählen, warum Sie in Miss Simmons’ Geschäft eingedrungen sind und wer Sie dorthin geschickt hat.“ Dude schluckte. Tränen glitzerten in seinen Augen. Brodie verspürte ein wenig Mitleid mit ihm. Der Junge war nicht schlau genug, um sich allein aus der Patsche zu befreien, und von seinem Vater konnte er kaum Hilfe erwarten. „Dude hat nur Befehle befolgt“, erklärte Brodie daher und nahm die Kassette aus der Tasche. „Ich habe hier ein Gespräch zwischen seinem Vater und einer Angestellten von mir, in dem sie das Komplott planen. Das dürfte Dudes Aussage untermauern – sofern er bereit ist, die Wahrheit zu sagen.“ Brodie wusste durchaus, dass die Aufnahme vor Gericht nicht als Beweis zulässig war, aber er hoffte, dass Dude dies momentan nicht erfuhr.
Als der Ermittler sich nicht äußerte, wandte Brodie sich noch einmal an Dude.
„Wenn du klar Schiff machst, werde ich dafür sorgen, dass du nie wieder zu Harp
zurückzugehen brauchst.“
Dude starrte auf seine Hände hinab und nickte schließlich.
„Wollen Sie immer noch telefonieren?“ fragte der Ermittler.
Dude schüttelte den Kopf.
„Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich“, sagte Brodie nachdrücklich. Er
blickte Chey erleichtert an und steckte die Kassette wieder ein, während der
Ermittler zu einem Wandtelefon ging und zwei Beamte anforderte.
Kurz darauf erschienen die Polizisten, einer als Eskorte für Chey und Brodie und
einer als Zeuge des Verhörs.
Auf dem Heimweg verkündete Brodie: „Falls Dude es schafft, nicht in den Knast
zu wandern, werde ich ihm eine Wohnung und einen Job verschaffen.
Wahrscheinlich wird er nicht lange sauber bleiben, aber ich habe das Gefühl, dass
er nie eine Chance hatte, etwas anderes zu werden als das, was er im Moment
ist.“
„Das mag sein“, murmelte Chey.
Ihre Antwort klang recht gedämpft, aber das beruhte vermutlich auf Müdigkeit.
Da er sie lange mit Liebespielen wach gehalten hatte, war es nicht verwunderlich,
dass sie nun im Morgengrauen schlapp machte.
Als sie das Haus betraten, ging sie schnurstracks in ihr Zimmer, legte sich
angezogen auf das Bett und schlief sofort ein.
Brodie hingegen war viel zu aufgeregt, um auch nur an Schlaf zu denken. Er
schloss sich in seinem Büro ein und traf die nötigen Vorbereitungen, um seinen
Plan in die Tat umzusetzen. Dann legte er sich zu einem Schläfchen auf die
Couch.
Erfrischt und voller Energie erwachte er zwei Stunden später. Nach einer Dusche
und einer raschen Tasse Kaffee begab er sich zu Janeys Suite und klopfte an die
Tür.
Schwester Brown öffnete mit überraschter, argwöhnischer Miene. „Ja, bitte?“
„Würden Sie Janey bitte ausrichten, dass die Therapiesitzung mit Nate heute
ausfällt?“
„Wieso das denn?“
„Weil ich heute gern unsere Zukunft mit ihr regeln möchte.“
Wie auf Stichwort schob sich Janey an Schwester Brown vorbei und präsentierte
sich Brodie in einem hauchdünnen rosa Morgenrock. Sie klimperte mit den
langen Wimpern und äußerte atemlos: „Brodie, du siehst ja sehr schick aus heute
Morgen.“
Er lächelte sie an. „Danke sehr. Du bist auch sehr hübsch anzusehen. Ein wahrer
Engel in Pink.“ Niemand hätte je geahnt, was für ein Luder sie in Wirklichkeit ist,
dachte er bei sich.
Sie rückte näher zu ihm. „Wie süß von dir! Aber jetzt sag mir, was du für unsere
Zukunft planst.“
Nur mit Mühe gelang es Brodie, ein Lachen zu unterdrücken. „Janey, du kennst
mich doch. Ich habe gern alles Schwarz auf Weiß. Deshalb kommt mein Anwalt
heute um halb zwei, und dann werden wir alles aufsetzen. Ich möchte gern, dass
dein Vater auch dabei ist.“
„Ich bin sicher, dass Daddy die Gelegenheit begrüßen wird, meine Zukunft zu
regeln“, säuselte sie in kehligem Ton.
„Ich nehme an, du willst ihn gleich anrufen?“
Sie nickte freudestrahlend.
Brodie konnte förmlich Dollarzeichen in ihren Augen aufblitzen sehen und lächelte
unwillkürlich. Dann blickte er zu Schwester Brown, die ihn immer noch voller Misstrauen beobachtete. „Sie sind natürlich auch herzlich willkommen. Wenn Sie nicht wären, könnte diese Zusammenkunft schließlich gar nicht stattfinden.“ Die Krankenschwester kniff die Augen zusammen, nickte dann und zupfte aufgeregt an Janeys Morgenrock. „Gut, dann bis nachher beim Lunch“, sagte Brodie. Brodie war sehr hungrig, als sich alle zum Lunch niedersetzten. Chey war morgens schon ins Geschäft gefahren, nachdem Brodie sie ebenfalls zu dem nachmittäglichen Zusammentreffen eingeladen hatte. Ihre Abwesenheit blieb nicht unbeachtet. Als Kate sich nach ihr erkundigte erklärte er, dass in der vergangenen Nacht ‚jemand’ in ihr Geschäft eingedrungen sei und sie nun den Schaden begutachten müsse. Janey und Brown tauschten verstohlene Blicke, sahen aber klugerweise von Kommentaren ab. Die Übrigen äußerten angemessene Besorgnis. „Was ist nur aus dieser Welt geworden?“ „Hoffentlich haben die Diebe nichts Wertvolles aus dem Geschäft mitgehen lassen.“ „Können wir vielleicht irgendetwas für Chey tun?“ Brodie tat die Fragen mit vorgetäuschter Gelassenheit ab. „Chez Chey ist bestimmt ausreichend versichert. Außerdem betrifft es uns eigentlich nicht. Dieses Haus ist ja so gut wie vollendet. Ich plane sogar schon die Einweihungsfeier.“ Ausführlich berichtete er von dem prachtvollen Empfang, den er für den legantinischen Botschafter zu geben gedachte, und erklärte obendrein den exklusiven und sehr lukrativen Reisevertrag, der damit zusammenhing. Daraufhin schäumte Janey förmlich über vor guter Laune. Aufgeregt plauderte sie über die geplante Party und schenkte Brodie aufreizende Blicke. Offensichtlich berechnete sie bereits ihren vermeintlichen Anteil an dem Profit aus dem Geschäft mit dem Nahen Osten und war bereit, seine Affäre mit Chey zu vergeben und zu vergessen. Insgesamt war der Lunch eine täuschend unbeschwerte Angelegenheit. Seth, von der lockeren Stimmung am Tisch angesteckt, trug ein Übriges zur Unterhaltung bei, und ausnahmsweise wirkte sogar Janey amüsiert von seinen Possen. Schließlich, als die antike Uhr auf der Anrichte die Stunde schlug, entschuldigte Brodie sich vom Tisch und betonte nachdrücklich: „Wir sehen uns dann alle in einer halben Stunde im Salon.“ Nachdem Chey in ihrem Geschäft alles geregelt hatte, was nach dem Einbruch zu regeln war, kreisten ihre Gedanken nur noch um das anberaumte Meeting in Brodies Haus. Sie war deswegen sehr aufgeregt, und Georges erkannte auch gleich den Grund dafür. „Du bist nicht bereit für die Konsequenzen, oder?“ Sie zuckte die Achseln und sagte das Lächerlichste, was je über ihre Lippen gekommen war. „Das Treffen hat doch gar nichts mit mir zu tun.“ „Erzähl mir nicht so einen Unsinn. Ich habe Brodie letzte Nacht in deinem Bett geweckt. Das heißt, falls ihr überhaupt geschlafen habt.“ Chey spürte, dass ihre Wangen verräterisch glühten, schwieg aber trotzig. Georges knabberte an seinem Sandwich und hakte dann beharrlich nach: „Du willst ihn also nicht heiraten?“ „Ich weiß es nicht.“ „Du liebst ihn aber, oder?“ Sie stützte den Kopf auf die Hände. „Ja.“ „Und Seth?“ „Ich hatte nie das Bedürfnis, selbst ein Kind in die Welt zu setzen, aber…“
„Aber Seth ist bereits da“, schlussfolgerte Georges, als sie verstummte. „Und es
ist dir unmöglich, ihn nicht zu mögen.“
Sie nickte.
„Wo liegt also das Problem?“
Chey seufzte schwer. „Woher soll ich wissen, ob ich ihm eine gute Mutter sein
kann? Ich habe schon daran gedacht, meine Karriere aufzugeben. Aber ich weiß,
dass ich sehr unglücklich sein würde, wenn ich es täte. Andererseits weiß ich
nicht, ob es fair ist zu versuchen, Karriere und Mutterrolle miteinander zu
verbinden.“
„Es wäre sicher nicht fair dir gegenüber, dich zu veranlassen, etwas aufzugeben,
das dir so wichtig ist. Hat Brodie denn gesagt, dass er das erwartet?“
„Nein.“
„Habt ihr darüber gesprochen? Weiß er, wie wichtig dir deine Karriere ist?“
„Ich glaube ja. Ich meine, wir haben darüber gesprochen, ja.“
„Dann bist du das Problem, nicht er.“
Sie seufzte. „Ich habe einfach Angst vor der Verantwortung.“
„Hör mal, Chey, es ist doch nur ein kleiner Junge“, gab Georges sachlich zu
bedenken, „nicht eine ganze Schar Kinder.“
„Ich weiß, und manchmal denke ich auch, dass ich mit ihm klar komme, aber
was ist, wenn ich ihn ruiniere? Ich verstehe wirklich nichts davon, Mutter zu
sein.“
Er lachte auf. „Honey, für ein kluges Mädchen bist du furchtbar dumm. Natürlich
verstehst du nicht wirklich was davon. Es ist ein Lernprozess, der viel Zeit und
Übung erfordert. Aber du hast doch schon einige Erfahrung gesammelt. Wie oft
hast du schon bei deinen Nichten und Neffen Babysitter gespielt? Wie viele Nasen
hast du schon geputzt und wie viele Windeln gewechselt?“
„Es ist etwas ganz anderes, wenn es um die Kinder anderer Leute geht.“
„Natürlich. Es freut mich, dass dir das klar ist. Das beweist, wie gut du die Sache
meistern wirst.“
„Glaubst du das wirklich?“
Georges verdrehte die Augen. „Habe ich dich jemals belogen?“
„Nein.“
„Na, dann betrachte es doch bitte mal so. Es geht nur um einen einzigen kleinen
Jungen, und du bist nicht allein. Brodie ist ein erfahrener Vater, und Viola und ich
und deine ganze Familie sind auch noch da.“
„Du?“ hakte Chey amüsiert nach.
„Willst du etwa andeuten, dass ich nicht dein bevorzugter Babysitter sein werde?
Ich bin am Boden zerstört!“
Sie lachte, doch ihre Zweifel waren nicht völlig ausgeräumt.
Wie gern hätte sie ihre Beziehung zu Brodie wie bisher fortgesetzt! Doch leider
war das unmöglich. Ihr Vorwand, auf Fair Havens zu wohnen, bestand schon bald
nicht mehr. Ihre Familie würde anfangen, unliebsame Fragen zu stellen, auf die
sie keine Antwort wusste.
Außerdem wusste Chey, dass Brodie nicht lange so weitermachen konnte. Er
wünschte sich mehr von ihr. Wenn sie also Brodie nicht verlieren wollte, dann
musste sie ihn wohl heiraten. Das klang so einfach, aber war es das auch? Ihr
blieb nichts anderes übrig, als es zu hoffen, denn der Moment der Entscheidung
war gekommen. Es war an der Zeit sich einzugestehen, dass sie Brodie und Seth
liebte. Es war an der Zeit, ihre Ängste zu überwinden und sich zu binden.
14. KAPITEL Als Brodie den Salon betrat, waren Janey, Schwester Brown und Viola bereits anwesend. Janey bot Viola, die höflich gelangweilt wirkte, gerade einen überschwänglichen Bericht über ihre erstaunliche Genesung. Sehr zu Schwester Browns Missbilligung, die neben ihr saß, lobte sie Nate Begay in höchsten Tönen. „Ich muss zugeben, dass ich zuerst skeptisch war“, sagte sie, als sie Brodie erblickte, „aber wie gewöhnlich hat mein lieber Mann eine brillante Entscheidung getroffen, indem er Nate engagiert hat.“ Brodie lächelte vor sich hin bei dem Gedanken daran, dass Nate im Nebenraum jedes Wort hören konnte. Natürlich hatte Janey keine Ahnung von dessen Geschick auf gewissen anderen Gebieten. „Es ist nett von dir, dass du das sagst“, verkündete Brodie, während er sich neben Viola auf das Sofa setzte. „Oh, ich meine es ganz ernst. Es ist geradezu ein Wunder, was dieser Mann vollbracht hat! Ich bin so fit wie ein Turnschuh.“ Sie holte tief Luft und wandte sich einem anderen Thema zu, nämlich dem traurigen Zustand ihrer Garderobe. Schließlich war es zwei Jahre her, seit sie Einkäufe getätigt hatte, mit Ausnahme einiger unentbehrlicher Dinge, die sie in den letzten Tagen erworben hatte. Brodie ging durch den Kopf, dass Schuhe und eine Handtasche aus Straußenleder nicht unbedingt seiner Vorstellung von unentbehrlich entsprachen, aber er betrachtete die Ausgaben als gerechtfertigt, angesichts all der Zeit, die sie woanders verbracht hatte. Die Türglocke hallte durch das Haus und unterbrach zum Glück Janeys Geplapper. Brodie warf einen Blick zur Uhr. Wenn alles nach Plan lief, war Chey soeben eingetroffen – es sei denn, sie gab ihren geschäftlichen Belangen den Vorrang vor dieser Besprechung. Ein Anflug von Angst stieg in ihm auf. Bisher hatte er sich noch keine Gedanken darüber gemacht, was er tun sollte, falls sie aus irgendeinem Grund nicht erschien. Das Klappern hoher Absätze aus dem Foyer ließ ihn erleichtert aufatmen. Einen Moment später trat Chey ein. Janey runzelte die Stirn und tauschte einen Blick mit Schwester Brown, die regelrecht verärgert wirkte. Brodie stand auf und führte Chey zu einem Sessel. „Wie stehen die Dinge? Sind wertvolle Gegenstände geraubt worden?“ Sie lächelte müde, und ihm wurde bewusst, dass sie kaum mehr geschlafen hatte als er. „Nichts Wesentliches. Die zerbrochene Scheibe ist ersetzt worden, und bis das neue Gitter installiert ist, bringe ich ein Vorhängeschloss an. Die Handwerker haben versprochen, bis Ende der Woche fertig zu werden.“ „Nicht schon wieder Handwerker!“ rief Janey, die offensichtlich nur den letzten Teil mitbekommen hatte. „Ich dachte, wir hätten das alles hinter uns.“ „Die Handwerker arbeiten in Cheys Geschäft“, klärte Brodie sie auf. „Vielleicht erinnerst du dich, dass dort eingebrochen wurde.“ „Aber dann wäre Chey doch bestimmt lieber dort als hier“, vermutete Janey. „Ich habe sie gebeten, herzukommen“, erwiderte Brodie nachdrücklich. „Ich verstehe aber nicht, wozu wir sie hier brauchen“, entgegnete Janey schmollend. Da klingelte es erneut an der Haustür, und kurz darauf trat Harp ein. „Setz dich doch in den bequemen Sessel dort drüben“, forderte Brodie ihn freundlich auf. „Es ist eine Neuanschaffung. Chey hat ihn extra aus Boston kommen lassen.“ „Was soll das alles?“ wollte Harp wissen, während er den Raum durchquerte und
sich in den Sessel fallen ließ.
„Alles zu seiner Zeit.“ Brodie wandte sich an die anderen. „Übrigens scheint sich
herumgesprochen zu haben, wie geschmackvoll Chey dieses Haus renoviert hat.
Erst kürzlich haben mehrere Leute angefragt, ob sie sich drinnen mal umsehen
dürfen. Wenn es so weitergeht, werden wir Eintritt verlangen müssen.“
„Glaubst du wirklich, dass die Leute dafür bezahlen würden?“ hakte Janey eifrig
nach.
„Das ist doch totaler Unsinn“, warf Harp ein. „Niemand bezahlt dafür, in ein altes
Haus zu dürfen.“
„Oh doch“, widersprach Viola. „Überall entlang der River Road, im French Quarter
und hier im Garden District zahlen die Leute Eintritt für die historischen Gebäude.
Viele Familien und Organisationen leben sogar davon.“
„Was du nicht sagst!“ rief Janey verzückt. Bevor sie sich allerdings allzu sehr für
dieses Thema erwärmen konnte, hallte erneut die glorreiche Türglocke durch das
Haus.
Endlich war es so weit. Erleichterung und ein Anflug von Nervosität stiegen in
Brodie auf. Er stand auf und stellte sich neben das Sofa, gerade als Marcel
erschien, gefolgt vom letzten Handlungsträger in dieser Farce.
„Mr. Harvey“, verkündete Marcel.
Brodie rieb sich die Hände. „Ausgezeichnet! Dann kann es ja losgehen.“ Er
wandte sich an Marcel. „Sie können jetzt servieren.“ Mit einer kleinen
Verbeugung eilte Marcel davon. Brodie blickte sich im Raum um. „Gestattet mir,
meinen persönlichen Anwalt vorzustellen, Mr. Lionel Harvey.“
Unvermittelt sprang Harp auf. Brodie verglich die beiden Männer, die etwa
gleichaltrig und doch völlig gegensätzlich waren. Harp stand da in abgewetzten
Cowboystiefeln mit lächerlich hohen Absätzen, verblichenem TShirt und
unförmiger Jeans, die schütteren Haare mit Frisiercreme an seine Glatze geklebt.
Harvey hingegen strahlte Reichtum und Prestige aus, von den grauen Schläfen
über den maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug bis hin zu den glänzenden
italienischen Schuhen.
Harp stützte die Hände in die Hüften und verlangte: „Was soll das alles? Warum
hast du deinen Anwalt kommen lassen, und wieso sind die alte Frau und die da
hier?“ Anklagend deutete er mit dem Finger auf Chey.
„Ich möchte dich bitten, höflich von meiner Großmutter und Miss Simmons zu
reden“, entgegnete Brodie beherrscht. „Sonst wird dir die Feier leider entgehen.“
„Was für eine Feier denn?“
„Daddy“, warf Janey ein, „Ich habe dir doch gesagt, dass Brodie für meine…
unsere Zukunft sorgen will.“
„Dazu braucht er doch keinen Anwalt!“
„Harp, wenn du den Mund hältst und dich wieder hinsetzt, wird alles geklärt“,
sagte Brodie.
Harp schnaubte vor Wut, aber er sank in den Sessel. Brodie geleitete Harvey zur
Couch, wo er neben Viola Platz nahm. Marcel rollte einen Servierwagen mit
Sektflöten und einer Flasche Champagner auf Eis herein. Er füllte und verteilte
die Gläser und zog sich diskret wieder zurück.
„So. Wo waren wir doch gleich stehen geblieben? Ach ja, bei den Vorstellungen.
Lionel, meine Großmutter kennen Sie ja bereits. Also kommen wir zu den übrigen
Anwesenden. Ich möchte Ihnen meine Exfrau Janey vorstellen.“
Janey rang lautstark nach Atem, und Harp begann erneut zu murren, doch Brodie
ignorierte beide und fuhr fort: „Neben ihr sitzt ihre treue Pflegerin, Schwester
Brown, und dort in dem Sessel ihr Vater, Harp Shelly.“ Nun drehte Brodie sich zu
Chey um. „Und schließlich Miss Chey Simmons.“ Er lächelte sie an.
Sie war für ihn der einzige Lichtblick im Raum, und impulsiv schloss er: „Oder
besser gesagt, die zukünftige Mrs. Todd.“
Diese Ankündigung schlug ein wie eine Bombe. Chey rang nach Atem. Harp ließ
sein volles Sektglas zu Boden fallen und stieß einen Fluch aus. Schwester Brown
schrie auf, während Janey in eine scheinbare Ohmacht versank. Viola rief
entzückte Glückwünsche, und Lionel prostete Chey mit seinem Glas zu.
Brodie reichte ihr die Hand, während ihm das Herz bis zum Hals schlug. Mit
angehaltenem Atem wartete er, ob sie ihn abweisen oder die ihr zugedachte
Rolle annehmen würde.
Nach kurzem Zögern stand Chey auf und legte die Hand in seine. Hochstimmung
erfüllte ihn. Er blickte ihr in die Augen und hob sein Glas in einem stillen Toast
auf ihre gemeinsame Zukunft. Sie senkte den Blick und nippte an ihrem
Champagner.
Dann trat Harp drohend zu ihm und schrie: „Du Schuft! Das kannst du nicht
machen!“
„Aber natürlich kann ich“, entgegnete Brodie gelassen. „Was sollte mich davon
abhalten?“
Harp deutete zu Janey, die in sich zusammengesunken an Schwester Brown
lehnte. „Sieh dir an, was du meinem Mädchen angetan hast! So ein Schock
könnte sie umbringen. Du weißt genau, was ihr Arzt gesagt hat.“
Brodie nickte. „Ach ja, das ist doch genau der Arzt, der Lionel kürzlich eine
notariell beglaubigte Aussage übergeben hat, aus der hervorgeht, dass es sich
bei der Prognose für Janey um ein ‚Missverständnis’ handelt. Diesen Ausdruck
benutzte er doch, nicht wahr, Lionel?“
Harp schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
„Allerdings“, bestätigte Lionel Harvey in seiner ruhigen Art. „Bei der Vermutung,
dass Aufrichtigkeit in Bezug auf die Art der früheren Ehe und die erfolgte
Scheidung ihre Genesung gefährden könnte, lag ein Missverständnis vor.“
Brodie lächelte milde. „Da hast du es. Es kommt so leicht zu Missverständnissen,
wenn man zu hören glaubt, was man zu hören hofft.“
Harp richtete sich zu voller Größe auf. „Zum Teufel mit dir, Brodie Todd!“
„Das Spiel ist aus, Harp. Sieh es ein.“
Janey wimmerte Mitleid erregend und glitt auf den Fußboden. Schwester Brown
kniete sich neben sie, rieb ihre Handgelenke und schüttelte ihre Patientin sanft.
„Auch das noch“, murmelte Viola und verdrehte die Augen.
Lionel zog nur eine Augenbraue hoch, als wolle er damit kundtun, dass er das
ganze Theater geschmacklos fand.
Brodie lächelte und zwinkerte Chey zu. Plötzlich wünschte er sich nur noch, mit
seiner Braut allein zu sein und sie zu küssen.
„Tja“, bemerkte Viola, „ich würde sagen, dass sind gute Neuigkeiten für alle
Beteiligten.“
„Für ihn vielleicht“, wütete Harp. „Aber was soll daran für die anderen gut sein?
Es ist bestimmt nicht gut für mein Mädchen und mich.“
„Ich kann verstehen, dass es dir nicht gefällt“, pflichtete Brodie ihm bei. „Ich
weiß, dass du gehofft hattest, sie würde noch mehr Geld aus mir herausholen.
Dein vermeintlich privates Gespräch mit Brown beweist es sogar.“
Harp erstarrte. „Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest.“
„Dann erlaube mir, deinem Gedächtnis nachzuhelfen.“ Brodie rief Nate herein,
der mit dem Kassettenrecorder in den Raum kam. „Janey hat zu Recht Nates
Können gelobt. Er ist ein interessanter Mensch. Bevor er sein Herz für die
Krankenpflege entdeckt hat, war er einer der besten Polizisten von New Orleans.“
„Er ist wirklich ein Bulle“, kreischte Schwester Brown. „Ich habe es doch gesagt!
Ich habe es euch beiden gesagt!“ Plötzlich schlug Janey die Augen auf und starrte vorwurfsvoll zu Nate, der auf Brodies Zeichen hin den Recorder einschaltete. Wenige Sekunden später schüttelte Viola empört den Kopf, Harp begann zu toben, und Janey starrte ihn an und rief zornig: „Du alter Idiot!“ „Wage es nicht, so mit mir zu reden, du dumme Gans!“ gab ihr Vater zurück. „Dumm? Ich? Ich habe wochenlang in diesem Haus gelebt und so getan, als wäre ich im Koma, und ich bin damit durchgekommen! Du dagegen kommst in die Stadt und vermasselst gleich alles.“ Als ihr bewusst wurde, was sie da gesagt hatte, änderte sie sogleich die Taktik und wandte sich an Brodie. „Es war nicht meine Idee. Schwester Brown hat mich gezwungen mitzumachen. Sobald ich im Krankenwagen die Augen aufgemacht habe, hat sie…“ „Im Krankenwagen?“ hakte Brodie ungläubig nach. „Du bist schon im Krankenwagen hierher aufgewacht und hast uns die ganze Zeit etwas vorgespielt?“ Hastig stand Janey auf. „Bitte, Brodie, vergiss nicht, dass du mit der Mutter deines Kindes sprichst.“ Er deutete auf Chey. „Das ist die Mutter meines Kindes. Sie hat jetzt schon mehr für Seth getan, als du es je könntest, und sie wird die Mutter all meiner Kinder sein! Also lass das Theater. Ich kenne dich zu gut. Seth war für dich immer nur ein Mittel zum Zweck. Du bist genauso habgierig wie Harp!“ Verzweifelt entgegnete Janey: „Für meinen Teil war ich zufrieden mit unserer ursprünglichen Abmachung. Aber ich hatte Angst!“ Sie deutete mit dem Finger auf Harp. „Er hat mich in den Pool gestoßen! Nur weil ich nicht noch mehr Geld von dir kriegen konnte!“ „Du verräterische Hexe!“ beschimpfte Harp seine Tochter. „Wälz doch nicht alles auf mich ab. Dir war doch eine Million nicht genug, um sie mit deinem Vater zu teilen. Hakest du getan, was ich dir von Anfang an gesagt habe, wäre das alles nicht passiert.“ „Was diese ursprüngliche Vereinbarung angeht“, warf Lionel ein, „so glaube ich, dass die von uns vorgenommenen Änderungen im Licht dieser neuen Informationen angemessen, ja sogar sehr großzügig sind.“ Er öffnete seinen Aktenkoffer und nahm mehrere Papiere heraus. „Was für Änderungen?“ hakte Janey argwöhnisch nach. „Die ursprünglich vereinbarte Million liegt immer noch für dich bereit. Aber bevor ich sie dir übergebe, musst du die Zusatzvereinbarung unterschreiben, dass du auf jedes Anrecht auf Seth verzichtest, auch auf Besuchsrecht. Das gilt für dich und deine Familie.“ „Okay“, sagte Janey prompt. Harp hingegen wandte hastig ein: „Oh nein, so nicht! Ich habe genauso viel Recht auf den Jungen wie du, Brodie, sogar noch mehr, denn du bist ja gar nicht sein Vater!“ Als diese Aussage keinerlei Reaktion im Raum hervorrief, fuhr er fort: „Du bist ja nur sein Onkel. Dein Bruder hat sie angebumst!“ Die Frauen senkten betroffen den Blick über seine derbe Ausdrucksweise. Chey kehrte zu ihrem Sessel zurück, setzte sich und nippte nachdenklich an ihrem Champagner. Brodie leerte sein Glas und stellte es auf einen Tisch. „Damit sagst du nichts, was wir nicht alle schon wissen, Harp.“ „Das heißt noch lange nicht, dass ich dich nicht vor Gericht bringen kann! Ich bin der Großvater von dem Jungen! Ich habe ein Recht auf ihn, und ich lasse dich nicht damit durchkommen!“ „Ich rate Ihnen, es sich noch einmal zu überlegen“, warf Lionel ein.
„Ach, ja? Wozu soll das gut sein?“
„Na ja, einerseits ist diese Art von Prozess sehr kostspielig. Sie, Sir, können es
sich nicht leisten, vor Gericht gegen meinen Klienten anzugehen – es sei denn,
Ihre Tochter ist bereit, den Prozess zu finanzieren. Und selbst dann sind Mr.
Todds Taschen immer noch tiefer.“
„Von mir kriegst du nicht einen Penny“, verkündete Janey entschieden.
„Verdammt, Janey! Du kannst doch…“
„Dann ist da natürlich noch die Sache mit Ihren Vorstrafen“, unterbrach Lionel.
„Ich habe keine Vorstrafen in Louisiana.“
„Da könntest du dich irren“, entgegnete Brodie vergnügt. „Wir wissen nämlich,
dass du hinter Dudes Einbruch ins Chez Chey steckst, und die Behörden wissen
das auch.“
Brown stöhnte, Janey verdrehte die Augen, und Harp erblasste sichtbar.
„Außerdem weiß ich aus glaubwürdiger Quelle, dass Dude gerade vor dem
Staatsanwalt auspackt. Er scheint sehr kooperativ zu sein und all deine
Gaunereien aufzudecken. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird der Staat
Louisiana dich sogleich zurück nach Texas schicken.“
„Oh, Harp!“ rief Schwester Brown erschrocken. „Sie werden deine Bewährung
aufheben.“
„Das ist das Mindeste“, bestätigte Lionel trocken.
„Und wenn nicht, werde ich aussagen, was du mir angetan hast“, drohte Janey.
Unter obszönem Geschrei machte Harp einen Satz zur Tür. Schwester Brown
folgte ihm und rief: „Harp! Harp, warte!“ Sie holte ihn im Foyer ein und
klammerte sich mit ihren dicken Armen an ihn.
„Lass mich los, du nutzlose alte Kuh!“ Er versuchte, sie abzuschütteln.
„Aber du brauchst mich doch, Harp!“
„Wozu sollte ich eine alte Vogelscheuche wie dich jetzt noch brauchen?“
Schließlich gelang es ihm, sich aus ihrem Griff zu befreien. „Ich brauche dich
nicht, und ich will dich nicht!“ Damit stürmte er zur Tür hinaus.
Mit Tränen in den Augen, an den Türrahmen gestützt, blickte Schwester Brown
ihm nach und flüsterte: „Aber Harp, ich liebe dich doch.“
Alle Anwesenden waren gerührt von der leisen Erklärung. Brodie schaute Chey
an. Sie presste die Lippen zusammen und wandte den Blick ab. Janey seufzte,
ging zu ihrer Pflegerin und legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern. „Es ist
ja gut. Ich brauche dich, wie immer.“
Schwester Brown blickte auf und begann an Janeys Schulter zu schluchzen.
Brodie räusperte sich und sagte nicht unfreundlich: „Ich habe für euch eine Suite
in einem guten Hotel reserviert und für eine Woche bezahlt. Marcel und Kate
helfen euch beim Packen, und Nate fährt euch hin. Das Geld lasse ich ins Hotel
schicken. Es wäre mir lieb, wenn ihr jetzt gehen würdet.“
„Natürlich“, murmelte Janey und drehte Schwester Brown zur Tür um. Dann
blickte sie über die Schulter zurück. „Danke“, sagte sie und senkte den Blick, als
wolle sie damit zeigen, dass so ein schlichtes Wort nicht ausreichte. Brodie
nickte, und sie schob ihre schluchzende Pflegerin zur Tür hinaus.
Lionel stand auf. „Ich lasse die Papiere unterschreiben, bevor Miss Shelly das
Anwesen verlässt.“ Er wandte sich an Viola und fragte: „Würde es Ihnen etwas
ausmachen, als Zeugin zu fungieren?“
„Keineswegs.“ Sie stand auf und nahm seinen Arm. Als sie an Brodie
vorbeigingen, blieb sie stehen und küsste ihn auf die Wange, „jetzt ist endlich
alles vorbei.“ Mit einem Blick zu Chey ließ sie sich hinausführen.
„Ich gebe den Behörden Bescheid, dass Harp Shelly auf der Flucht ist“, sagte
Nate und ging ebenfalls hinaus.
„Danke.“ Brodie schloss die Augen und seufzte tief. Er fühlte sich ausgelaugt.
Doch dann machte er sich bewusst, dass es ein Augenblick des Triumphes war.
Er drehte sich zu Chey um und breitete die Arme aus, aber sie stand einfach nur
da und starrte in ihr Sektglas. Da ließ er die Arme sinken und sagte
aufmunternd: „Wir haben es geschafft. Die Shellys gehören der Vergangenheit
an.“
Chey blickte auf, doch ihr Lächeln wirkte freudlos. „Sie werden dich nicht mehr
belästigen. Ich bin froh, dass ich helfen konnte.“
Brodie fröstelte wie unter einer kalten Brise, die nicht vorhanden war. „Aber?“
Vage schüttelte Chey den Kopf. „Nichts.“
Gedanken, Worte, Ideen wirbelten wirr in seinem Kopf umher. „Du bist sauer,
weil ich dich nicht wegen der Hochzeitsankündigung gewarnt habe.“
„Nein, bin ich nicht.“
Er glaubte ihr nicht. „Ich wusste selbst nicht, dass ich es sagen würde. Ich habe
es ganz spontan getan. Du musst zugeben, dass es funktioniert hat, um den
Shellys den Wind aus den Segeln zu nehmen.“
Chey nickte. „Wir waren uns ja einig, dass ich den Störfaktor spielen sollte. Es ist
nur… Wird deine Großmutter nicht enttäuscht sein?“
„Worüber?“
„Über uns.“
„Warum sollte sie über uns enttäuscht sein?“
„Ich meine, wenn wir dann doch nicht heiraten.“
„Aber… Ich weiß, dass ich dir keinen angemessenen Antrag gemacht habe, aber
ich dachte… Du hast doch selbst gesagt, dass deine Familie unsere Beziehung
nicht billigen würde. Eine Hochzeit ist die einzig logische Schlussfolgerung, oder
nicht?“
Offensichtlich war dem nicht so. Chey stellte ihr Glas neben seines auf den Tisch.
„Ich kann dich nicht heiraten, Brodie“, sagte sie so leise, dass er es kaum hörte.
„Das verstehe ich nicht. Wir haben doch alles besprochen. Ich stelle sogar ein
Kindermädchen ein, wenn du möchtest, und Grandma ist auch noch da. Du
weißt, wie liebevoll sie sich um Seth kümmert.“
„Es geht nicht um Seth“, flüsterte Chey.
Worum denn dann? fragte Brodie sich verzweifelt. Und dann dämmerte es ihm.
Es musste an ihm selbst liegen. Ihm wurde schmerzlich bewusst, dass sie nicht
ein einziges Mal von Liebe gesprochen hatte. „Ich dachte… das heißt, ich bin
davon ausgegangen… Meine Güte, Chey, wir haben miteinander geschlafen, uns
ein Zimmer geteilt!“
„Und das war ein Fehler“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Warum?“
„Ich bin nicht die Richtige für dich, Brodie. Du brauchst eine normale Frau, die all
die normalen Dinge will, wie zum Beispiel Kinder.“
Zorn gesellte sich zu seinem Schmerz, weil sie ihm offensichtlich nicht die
Wahrheit gestehen wollte. Sie liebte ihn nicht, und ihr lag nichts an Seth. „Ich
verstehe dich nicht“, sagte Brodie kühl. „Aber wenn du so empfindest, solltest du
besser gehen.“
„In Ordnung.“
Wie erstarrt blickte er Chey nach, als sie den Raum verließ. Sie wischte sich
Tränen vom Gesicht, und das erschien Brodie sehr seltsam. Aber er war zu
verletzt und zornig, um den Grund zu analysieren. Während er allein in dem
wundervollen Raum stand, den sie für ihn eingerichtet hatte, konnte er nur noch
daran denken, dass er es nicht ertragen konnte, in diesem Haus ohne sie zu
leben.
15. KAPITEL Gedankenverloren musterte Chey die geschmackvoll geprägte Einladung in ihrer Hand. Eine schmerzliche Sehnsucht stieg in ihr auf. In der vergangenen Woche hatte sie die Karte oft angeschaut und sich nicht überwinden können, sie wegzuwerfen. „Das war es also?“ fragte Georges. „Du gehst deinen Weg und er seinen, und ihr werdet euch nie wieder begegnen?“ „So ungefähr.“ Er warf ihr einen skeptischen Blick über die Schulter zu, während er sich Kaffee einschenkte. „In dieser Stadt? Das glaube ich kaum. Selbst wenn du die Einladung für diesen Empfang ausschlägst, kannst du ihm nicht für immer aus dem Weg gehen.“ Natürlich hatte er Recht. Früher oder später würde sie doch auf Brodie treffen. „Außerdem ist es nicht gerade geschäftstüchtig, nicht hinzugehen“, fuhr Georges beharrlich fort. „Es handelt sich immerhin um die offizielle Einweihung des restaurierten Anwesens. Jeder andere Designer würde mit großem Tamtam und Visitenkarten in der Hand erscheinen. Es war sogar die Rede davon, dass du eine Führung veranstalten könntest. Wenn du das tätest, müssten wir Hilfskräfte anheuern, um all die neuen Aufträge zu bewältigen.“ Auch damit hatte er Recht. Chey stützte einen Ellbogen auf den Schreibtisch und das Kinn in die Hand, während sie immer noch auf die weiße Karte mit der eleganten schwarzen Schrift blickte. Ihr wurde bewusst, dass ihr Geschäft von ihr aus zum Teufel gehen konnte. Ohne Brodie schienen selbst die bisher wichtigsten Dinge ihres Lebens unbedeutend geworden zu sein. Sie ersehnte und erträumte sich nichts weiter, als sich in seine Arme zu werfen und ihn zu bitten, sie zurückzunehmen. Doch sie wusste, wohin das führen würde. Er hatte es selbst gesagt. Sie sollte die Mutter all seiner Kinder werden. Er hatte nicht nur von Seth gesprochen, sondern von weiterem Nachwuchs. Warum nicht, wenn ihn das glücklich macht? fragte eine innere Stimme. Schließlich hasste Chey Kinder nicht. Im Gegenteil. Sie liebte niedliche Babys – vor allem, wenn sie sie ihren Müttern zurückgeben und sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern konnte. „Natürlich könntest du hingehen und feststellen, dass du bereits ersetzt worden bist“, bemerkte Georges herausfordernd. Unwillkürlich hob Chey den Kopf und bedachte ihn mit einem schockierten Blick. „Es ist besser, darauf vorbereitet zu sein. Noch schlimmer wäre es, wenn du ihm eines Tages zufällig mit einem knackigen Ding am Arm begegnetest.“ Die Vorstellung wirkte vernichtend auf Chey. Die Eifersucht, die sie anfänglich auf Janey gehegt hatte, war nichts im Vergleich. „Selbst wenn dir klar ist, dass ein Mann wie Brodie immer eine Frau findet, ist es nicht leicht, auf deinen eigenen Ersatz zu stoßen. Ich kenne mich da aus. Ich konnte es kaum erwarten, meine zweite Frau loszuwerden, weil wir völlig unvereinbar waren. Sechs Monate nach der Scheidung traf ich sie in einem Restaurant mit einem anderen Mann an… Na ja, meine Unpässlichkeit an diesem Abend hatte nichts mit dem Essen zu tun, weil ich gar nicht mehr zum Essen blieb.“ Chey schluckte. Vielleicht ist es doch noch nicht zu spät, dachte sie fieberhaft. Schließlich war es erst drei Wochen her, dass sie aus Brodies Haus ausgezogen war, auch wenn es ihr wie eine Ewigkeit erschien. Falls er sie wirklich liebte, hatte er bestimmt nicht so schnell eine andere gefunden.
Andererseits trauerte kein vernünftiger Mann auf ewig einer Frau hinterher, die
ihn verlassen hatte. Eines Tages würde er sicher eine andere finden, sich
verlieben, mit ihr schlafen…
Chey schlug sich eine Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
„Chey?“ fragte Georges besorgt. „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen. Er
hat nicht…“
„Bitte geh“, brachte sie erstickt hervor.
Einen Moment lang blickte er sie betroffen an. Dann verließ er hastig und leise
den Raum.
Sie legte die Einladungskarte auf den Tisch und strich mit den Fingerspitzen
darüber. Tränen rannen Chey über die Wangen. Was für ein Dummkopf war sie
doch gewesen! Ihre Vorbehalte und Ängste, was die Mutterschaft betraf, zählten
nicht länger. Wenn den Mann, den sie liebte, weitere Kinder glücklich machten,
dann sollte es so sein. Wenn sie Seth eine Mutter sein konnte, warum dann nicht
auch ihren eigenen Kindern? Schließlich hatte sie oft gehört, dass die
Schwangerschaft wundersame Dinge vollbrachte und eine starke Bindung zu dem
Ungeborenen entstehen ließ. Womöglich entwickelte sie sich ja sogar zu der
hingebungsvollsten Mutter, die je existiert hatte!
Falls es noch nicht zu spät war.
Entschieden trocknete Chey sich die Augen, zog die Antwortkarte aus dem
Umschlag, unterschrieb und schob sie in den kleineren, bereits frankierten
Rückumschlag. Dann ging sie hinaus zu Georges in den Verkaufsraum und hielt
ihm den Brief hin. „Es ist zu spät, um ihn per Post zu schicken. Könntest du ihn
bitte für mich nach ,Fair Havens’ bringen?“
„Tust du es nur aus geschäftlichen Gründen? Dann solltest du es dir lieber noch
mal überlegen.“
Chey schüttelte den Kopf und sagte leise: „Ich liebe ihn.“
Georges lachte. „Hallelujah! Endlich ein Lichtblick!“ Er ging zur Tür, zögerte dann
aber. „Was ich vorhin mit dem Ersatz für dich gesagt habe…“
Sie winkte seine Besorgnis ab. „Ich habe ihn schon einmal aus den Fängen einer
Frau befreit, und ich schaffe es wieder, wenn es sein muss.“
„Das wird nicht nötig sein. Er hat kaum das Haus verlassen, seit du weg bist.
Viola macht sich Sorgen um ihn und ich auch, ehrlich gesagt. Ich habe das mit
der anderen Frau nur gesagt, um dich aufzurütteln.“
Chey lächelte. „Nun, das ist dir auch gelungen.“
„Du bist mir also nicht böse?“
„Nein.“
„Du hast dich richtig entschieden. Er liebt dich.“
„Das hoffe ich.“
„Das weiß ich.“ Georges wedelte mit dem Umschlag. „Willst du ihn nicht lieber
selbst abgeben?“
Chey überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich bin noch nicht so weit,
ihm zu begegnen. Bei einem geselligen Anlass wäre es wahrscheinlich leichter für
mich.“
„Da gebe ich dir Recht, Mädchen.“
In gespielter Überraschung riss sie die Augen auf. „Das ist das allererste Mal.“
„Tja, es geschehen eben noch Zeichen und Wunder.“
Cheys Herz klopfte so laut wie eine Buschtrommel in ihren Ohren, als sie auf
ihren perlenbesetzten, hochhackigen Schuhen die Freitreppe erklomm. Sie trug
ein schulterfreies Kleid mit weitem Rock und Petticoat, das sie an eine Ballerina
hatte denken lassen, als sie es im Schaufenster erblickt hatte. Georges hatte
geschwärmt, wie sehr der königsblaue Stoff ihre Augen leuchten ließ. Ihre Haare
waren in Form eines Füllhorns am Hinterkopf hochgesteckt, und als einzigen
Schmuck trug sie antike Saphirohrringe und ein dazu passendes Armband.
Chey hatte sich große Mühe mit ihrem Äußeren gegeben und war mit ihrem
Spiegelbild recht zufrieden gewesen. Doch nun kamen ihr plötzlich Zweifel. Ihr
Äußeres konnte ihr Verhalten nicht wettmachen. Sie hatte den Mann verlassen,
der sie liebte. Er musste einfach verärgert, verletzt und argwöhnisch sein.
Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als ihr der Portier die Tür öffnete und sie
Brodie am Fuß der Treppe stehen sah. Er trug einen schwarzen Smoking mit
weißem Hemd und schwarzer Fliege. Der Glanz seiner schwarzen Haare
rivalisierte mit dem seiner Lederschuhe, und er sah atemberaubend aus.
Anscheinend wartete er auf sie, und das gab Anlass zu Hoffnung.
Als Chey zu ihm trat, stand er so still wie eine Schaufensterpuppe. Dann plötzlich
nahm er ihre Hände. „Ich hatte schon befürchtet, dass du nicht kommen
würdest.“
Vor lauter Erleichterung sprudelte sie hervor: „Ich musste einfach kommen. Ich
war so unglücklich ohne dich.“
Flüchtig schloss er die Augen und zog Chey dann an sich. „Und du bleibst auch
hier.“ Sein Ton klang wie ein Befehl und eine Bitte zugleich.
„Ja, ich bleibe hier“, schwor sie.
„Gott sei Dank!“ Sanft wiegte er sie in den Armen. „Aber ich möchte noch
verstehen, warum du weggegangen bist.“
„Weil ich ein Feigling bin. Ich hatte ein sicheres Leben für mich geplant, und
dann hast du es auf den Kopf gestellt.“
„Ebenfalls.“
Chey wurde bewusst, dass er mehr als nur Erläuterungen brauchte. „Ich liebe
dich, Brodie, von ganzem Herzen, und Seth auch.“
„Ich liebe dich auch“, flüsterte er und senkte den Mund auf ihren.
Plötzlich ertönten Schritte hinter ihm. „Mister Brodie?“
Er stöhnte leise, hob den Kopf und drehte sich um. Eine kleine, pummelige Frau
trat zu ihnen. Sie war von Kopf bis Fuß in golden schimmerndes Seidenbrokat
gehüllt. Ein Schleier verbarg ihre untere Gesichtshälfte und lenkte die Aufmerksamkeit auf große, von Kajal umrahmte Augen. Brodie verbeugte sich. „Hoheit, womit kann ich Ihnen dienen?“ „Entschuldigung“, bat die Frau mit starkem ausländischem Akzent und nickte Chey zu. „Prinzessin, erlauben Sie mir, Ihnen Miss Chey Simmons vorzustellen. Darling,
Prinzessin Liana Sadhoturan, Gemahlin des legantinischen Botschafters, Tochter
des Sultans von Legan.“
Chey deutete unwillkürlich einen Hofknicks an. Lächelnd neigte die Prinzessin auf
königliche Art den Kopf, hob eine mit Henna und zahlreichen Ringen verzierte
Hand mit golden lackierten Nägeln und hielt ihm eine halb gegessene Praline hin.
„Ich muss unbedingt wissen, was dieses so Wohlschmeckende ist.“
„Das ist eine Spezialität aus New Orleans, eine Praline.“
„Praline, aha. Ich muss wissen, woraus sie besteht.“
Brodie lächelte. „Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber mein
Küchenchef wird Ihnen liebend gern das Rezept verraten.“
„Ah ja, der Dunkelhäutige. Bitte bringen Sie mich zu ihm.“
„Mit dem größten Vergnügen.“ Brodie reichte ihr den Arm, und sie legte ihre
Hand darauf. Dann wandte er sich an Chey. „Möchtest du mitkommen, Darling,
oder gehst du schon hinaus in den Garten? Alle erwarten dich bereits.“
„Ich gehe hinaus.“
„Es wird nicht lange dauern“, versprach er und führte die Prinzessin zur Küche.
Chey spazierte durch das seltsam stille Haus. Stolz stieg in ihr auf, aber noch etwas anderes. Sie fühlte sich wie zu Hause. Lächelnd ging sie hinaus in den Garten. Etwa zweihundert Gäste hatten sich dort versammelt. Unzählige Tische und Stühle waren aufgebaut worden, ebenso wie ein riesiges, reich gedecktes Büffet. Vor dem Badehaus spielte ein Streichquartett flotte Jazzmusik. Chey blickte sich um, auf der Suche nach bekannten Gesichtern, und stutzte plötzlich. „Mary Kay? Sylvester?“ Die rothaarige Frau in dem schlichten, hellen Kleid drehte sich um, ebenso wie der Mann in dem dunkelblauen Anzug an ihrer Seite. Fröhlich rief er: „Hallo, Schwägerin! Du siehst fantastisch aus.“ Kay küsste ihre Schwester Chey auf die Wange. „Du siehst wirklich bezaubernd aus.“ „Was tut ihr denn hier?“ fragte Chey verwundert. Kay strahlte. „Wir sind alle eingeladen, wegen der Arbeit am Haus. Es sieht übrigens großartig aus. Aber von uns sind nur ungefähr einundzwanzig gekommen. Die kleineren Nichten und Neffen sind nicht da, und Fay und Carter auch nicht, weil sie hochschwanger ist. Mom steht übrigens da drüben am Pool mit Brodies Großmutter.“ „Aha“, murmelte Chey geistesabwesend und begab sich auf die Suche nach ihrer Mutter. Mary Louise ruhte in einem Stuhl und plauderte angeregt mit Viola. Sie hatte die Haare elegant frisiert und trug ein neues knöchellanges Kleid aus pflaumenfarbener Seide und dazu goldene Sandalen mit Keilabsatz. Sie sah geradezu elegant aus. „Hallo, Mama“, sagte Chey und küsste sie auf die Wange. „Hallo, Sweetheart, du siehst sehr hübsch aus.“ „In der Tat“, pflichtete Viola ihr bei. „Setzen Sie sich doch zu uns. Ich habe Sie schon so lange nicht gesehen.“ „Du siehst übrigens wundervoll aus, Mama, und Sie auch, Viola.“ Chey setzte sich auf das Tischchen neben ihrer Mutter. „Ich kann es gar nicht fassen, dass Brodie alle eingeladen hat“, murmelte sie und blickte sich um. Sie entdeckte Anthony und Frank, Thomas und Matt, jeder Einzelne ungewöhnlich elegant gekleidet, in dunklem Anzug oder sogar im Smoking. Mary May kicherte wie ein Schulmädchen mit Franks Frau Genevieve und einer jungen, rot gekleideten und verschleierten Frau. Johnny und Dana unterhielten sich mit dem Bürgermeister, und eine ihrer Nichten flirtete schamlos mit einem faszinierend gut aussehenden, mit Schmuck beladenen Araber. Unglaublich! Chey lachte. Typisch Brodie, dass er die Simmons mit den Legantinern und der Elite von New Orleans vereinigte. Und warum auch nicht? Schließlich hatte er, ein hingebungsvoller allein erziehender Vater, sich selbst mit ihr zusammengetan, einer entschieden kinderlosen, leicht neurotischen, karriereorientierten Geschäftsfrau. Chey blickte ihre Mutter an, mit der sie oft völlig grundlos ungehalten war, und nahm ihre Hand. „Ich habe dich lieb, Mama“, sagte sie sanft, „und ich bin froh, dass du hier bist.“ „Das ist schön zu hören.“ Plötzlich raste Seth auf Chey zu, warf sich gegen sie und stieß sie beinahe von der Tischkante. „CheyChey!“ Zärtlich musterte sie ihn. In einem Anzug mit kurzen Hosen und einem weißen Hemd mit großem Kragen sah er entzückend aus, und sie freute sich riesig, ihn zu sehen.
„Hallo, Süßer.“ Sie breitete die Arme aus, und er kletterte auf ihren Schoß, umarmte sie und küsste drei Mal ihre Wange. Chey lachte. Es kümmerte sie nicht, dass ihr Kleid völlig zerknautscht und ihr Makeup verschmiert wurde. „Wie geht es dir?“ „Ich geh nicht ins Bett“, verkündete der Junge ernst und schüttelte dabei heftig den Kopf. Kate, die ihm gefolgt war, sagte sanft: „Es ist schon neun Uhr durch.“ „Ich will nicht ins Bett!“ beharrte er. „Pass mal auf.“ Chey stellte ihn auf die Füße. „Du gehst jetzt nach oben und machst dich fertig fürs Bett, aber du brauchst noch nicht zu schlafen, bis ich komme und dir gute Nacht sage. Bis dahin darfst du im Bett spielen. Okay?“ Seth dachte einen Moment nach und nickte dann siegessicher. „Er ist ein niedlicher Kerl“, sagte Louise warmherzig, als Seth und Kate davongingen. „Ja, sehr niedlich“, stimmte Chey zu. „Da kommt ja endlich Brodie“, verkündete Viola und stand auf. „Das wurde auch Zeit.“ „Grandma, einen Moment“, bat er, als Viola ein großes Taschentuch hervorholte und damit über ihrem Kopf wedelte. Er nahm Chey bei der Hand und zog sie hoch. „Ich möchte gern unter vier Augen mit dir reden.“ „Achtung!“ rief Viola. „Alle mal herhören!“ Zerknirscht blickte er Chey an. Dann holte er tief Luft und murmelte: „Ach, was soll’s.“ Die Musik verstummte, ebenso wie die Gäste. Brodie drückte Cheys Hand, räusperte sich und erklärte mit lauter Stimme: „Ich möchte die Gelegenheit für drei Dinge nutzen. Erstens bedanke ich mich bei allen für ihr Erscheinen zu diesem besonderen Anlass. Es ist eine Art Denkmalsenthüllung, und Sie sind alle herzlich eingeladen, das neu restaurierte Haus zu begutachten.“ Er legte eine kleine Pause, ein und fuhr fort: „Zweitens möchte ich offiziell Botschafter Sadhoturan und seine Familie sowie sein Gefolge willkommen heißen. Ich betrachte Ihre Anwesenheit an diesem Abend als sehr glückliche Fügung. Und das bringt mich zu dem dritten Grund, aus dem ich hier stehe.“ Brodie holte tief Luft. „Chey Simmons. Die meisten von euch kennen sie, und viele sind sogar mit ihr verwandt.“ Gelächter ertönte. „Viele andere kennen sie als die brillanteste, talentierteste Architektin und Designerin dieser Stadt, eine wahre Expertin in der detailgenauen Wiederherstellung historischer Bauten, wie dieses Haus beweist. Sie ist außerdem die inoffizielle Anführerin einer beachtlichen Armee von Handwerkern und Baumeistern.“ Er räusperte sich und erklärte laut und deutlich: „Aber sie ist sogar noch mehr. Sie ist die Frau, die ich liebe.“ Er blickte sie an, und sie sah, dass eine Ader an seinem Hals heftig pochte. „Soll ich mich hinknien?“ fragte er leise. Auch Chey schlug das Herz bis zum Hals. Sie schüttelte den Kopf und sagte mit vor Rührung zitternder Stimme: „Du machst es genau richtig.“ „Nun dann. Willst du mich heiraten, Sweetheart?“ „Ja!“ rief sie ohne Zögern und schlang die Arme um ihn. „Endlich“, murmelte er, als ringsumher Applaus ertönte. Gerade wollte er sie küssen, als ihm jemand auf die Schulter klopfte. „Ich fürchte, Sie haben etwas vergessen“, verkündete Georges, der prachtvoll aussah in einem weißen Dinnerjackett mit schwarzer Fliege. „Oh!“ Brodie kramte in seiner Innentasche und holte einen antiken Platinring mit einem riesigen Diamanten hervor. „Wenn er dir nicht gefällt, können wir Georges
die Schuld geben.“
„Oh, du meine Güte! Er ist wunderschön!“ rief Chey begeistert.
Brodie steckte ihr den Ring an den Finger und küsste sie so leidenschaftlich, wie
es die Situation zuließ. Als der Kuss endete, waren sie von ihrer Familie und
seinen anderen Gästen umringt, die ihnen gerührt gratulierten.
Dann spielte die Musik wieder auf, und Brodie rief: „Jetzt entschuldigt uns bitte.
Ich muss privat mit meiner Braut reden.“ Und schon zog er sie durch die Menge
zum Haus.
Am Fuß der Treppe blieb er stehen und schloss Chey in die Arme. „Wie hättest du
es gern? Wann können wir es tun?“
„Die Hochzeit, meinst du? Ich weiß nicht. Was hast du denn im Sinn?“
„Ich würde sie gern hier in diesem Haus abhalten.“
„Einverstanden.“
„Und wann?“
„Na ja, das hängt ganz davon ab, wie viele Leute kommen sollen. Willst du eine
große Hochzeit oder nur Familie?“
Brodie lachte. „Sweetheart, bei deiner Familie läuft es doch auf dasselbe hinaus.“
Chey lachte. „Das stimmt allerdings. Wärst du mit einem Termin in sechs
Wochen einverstanden?“
„Unter der Bedingung, dass du heute noch hier einziehst. Ich will nicht das Risiko
eingehen, dich noch mal zu verlieren.“
Sie schlang ihm die Arme um die Taille. „Ich bin nach Hause gekommen, und
zwar für immer.“
Ein Lächeln erhellte sein Gesicht. „Was hältst du von Legan als Ziel für die
Hochzeitsreise?“
„Eine gute Idee.“
Brodie gab ihr einen langen, innigen Kuss. Dann sagte er ernst: „Du hast mir
immer noch nicht gesagt, warum du mich verlassen hattest.“
„Das ist jetzt doch nicht mehr wichtig.“
„Für mich schon“, beharrte er sanft, aber nachdrücklich.
„Es geht nicht um Seth. Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.
Ich habe ihn sehr lieb, ich habe ihn vermisst, und ich freue mich darauf, seine
Mutter zu sein. Es ist die Vorstellung, noch andere Kinder zu haben, an die ich
mich erst noch gewöhnen musste.“
Verständnislos runzelte Brodie die Stirn. „Welche anderen Kinder?“
„Unsere Kinder.“
Verblüfft wich er ein wenig zurück. „Ich dachte, du hättest vor langer Zeit
entschieden, dass du keine Kinder willst.“
„Ich kann meine Ansicht doch ändern, oder?“
„Natürlich. Ich meine, wenn du wirklich willst.“
„Ich will, wenn du willst.“
„Ich dachte, wir wären uns in diesem Punkt einig.“
Verwirrt blickte Chey zu ihm auf. „Aber du hast doch gesagt, dass du noch mehr
Kinder willst.“
„Wann denn? Ich kann mich nicht erinnern, so etwas gesagt zu haben.“
„Am letzten Tag. Du hast Janey gesagt, dass ich die Mutter deiner Kinder wäre,
aller Kinder. Genau das waren deine Worte!“
„Aber so habe ich es doch gar nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen, dass du
für mich mehr Seths Mutter bist, als sie es je war, und dass, sollte ich durch eine
Laune des Schicksals noch ein Kind kriegen, es mit Sicherheit mit dir wäre und
mit niemandem sonst.“
„So hat es für mich damals nicht geklungen“, murmelte Chey.
„Aber wir haben doch ganz am Anfang darüber gesprochen“, entgegnete Brodie mit einem Anflug von Ungeduld. „Ich habe dir damals gesagt, dass ich deine Entscheidung verstehe, keine Kinder zu haben. Es ist auch meine Entscheidung. Ich habe mich nie als Vater gesehen, bis Seth kam, und du kannst mir glauben, dass er meine Bedürfnisse, in die Vaterrolle zu schlüpfen, mehr als befriedigt. Ich liebe ihn, und ich würde keinen Moment mit ihm gegen irgendetwas oder irgendjemanden eintauschen, nicht einmal gegen dich. Er gehört zu mir.“ Brodie blickte Chey tief in die Augen und fügte hinzu: „Aber ich würde nicht noch ein Baby auf mich nehmen, sofern ich mir das selbst aussuchen kann.“ Erschrocken über ihre eigene Dummheit blickte Chey ihn an. Hatte sie im Herzen nicht immer gewusst, dass dieser Mann perfekt für sie war? Auch das war etwas, das er ihr beigebracht hatte – auf ihr Herz zu hören. „Und du glaubst nicht, dass wir egoistisch sind?“ Brodie schüttelte den Kopf. „Eher realistisch. Wir kennen uns. Und wir sind es der Welt nicht schuldig, Kinder zu produzieren. Allerdings sind wir es der Welt durchaus schuldig, uns um das Kind zu kümmern, das sie uns bereits beschert hat.“ Chey lächelte. Zum ersten Mal war sie sicher, wer und wie sie wirklich war. „Ich hätte es wissen müssen. Es tut mir Leid.“ „Dass du mich missverstanden hast?“ „Dass ich nicht begriffen habe, dass du der einzige Mann auf der Welt bist, der mich wirklich versteht und akzeptiert, wie ich bin.“ Brodie wirkte äußerst zufrieden. „Du warst bereit, dein Leben für mich völlig umzukrempeln, deine Überzeugungen und Vorbehalte abzulegen und mir zu geben, was ich angeblich wollte. Da gibt es nichts zu verzeihen.“ Er grinste. „Es hat allerdings etwas länger gedauert, als mir lieb ist, bis du erkannt hast, dass du mich haben willst. Aber mir fällt schon eine angemessene, reizvolle Strafe dafür ein.“ Allein der Gedanke daran erfüllte Chey mit Verlangen. „Tu dein Schlimmstes“, bat sie. „Mein Bestes“, versprach er, „bei nächster Gelegenheit.“ „Ich kann es kaum erwarten“, flüsterte sie. „Aber jetzt lass uns unserem Sohn die gute Nachricht überbringen.“ „Gute Idee.“ Brodie nahm sie bei der Hand, und Seite an Seite gingen sie durch das grandiose alte Haus, das sie aus der Vergangenheit zu neuem Leben erweckt hatten, in eine strahlende Zukunft. ENDE