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ATLAN 168 – Die Abenteuer der SOL
Nr. 667
Heimweh nach der Namenlosen Zone
von Hubert Haensel Es geschah im April 3808. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Atlan und seinen Helfern auf der einen und Anti-ES mit seinen zwangsrekrutierten Streitkräften auf der anderen Seite ging überraschend aus. Die von den Kosmokraten veranlaßte Verbannung von Anti-ES wurde gegenstandslos, denn aus Wöbbeking und Anti-ES entstand ein neues Superwesen, das hinfort auf der Seite des Positiven agiert. Die neue Sachlage ist äußerst tröstlich, zumal die Chance besteht, daß auch in der künstlichen Doppelgalaxis Bars-2-Bars nun endgültig der Friede einkehrt. Für Atlan jedoch ist die Situation alles andere als rosig. Der Besitz der Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst, ohne die er nicht den Auftrag der Kosmokraten erfüllen kann, wird ihm nun durch Chybrain vorenthalten. Ob er es will oder nicht, der Arkonide wird verpflichtet, die Namenlose Zone aufzusuchen. Inzwischen schreibt man den August 3808. Trotz der Vernichtung des Junk-Nabels, des letzten Übergangs zwischen Normaluniversum und Namenloser Zone, gibt es eine überraschende Möglichkeit, wieder in letztere zu gelangen. Der unerwartete Weg zurück öffnet sich den BRISBEE-Kindern durch ihr HEIMWEH NACH DER NAMENLOSEN ZONE ...
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Die Hauptpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide hat eine Vision.
Borallu - Der verwandelte Zyrtonier wird fälschlich beschuldigt.
Monare, Dyla, Desmon, Lara und Menizza - Die BRISBEE-Kinder verschwinden.
Xynthia Ammon - Desmons Adoptivschwester.
Blödel - Der Roboter setzt sich mit »Stöcken« auseinander.
Palterwahn - 451-Page der Zyrtonier.
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1. Tiefe, gleichmäßige Atemzüge verrieten, daß Desmon eingeschlafen war. Er hatte die Arme auf der Tischplatte verschränkt und sein Gesicht zwischen ihnen verborgen. Dyla, die neben ihm saß, mußte ihn mehrmals anstoßen, bis er endlich den Kopf hob. »Laß mich«, murmelte er. »Mir ist wieder nicht gut.« »Du versäumst das Wichtigste.« »Und wenn schon ...« Desmon wollte erneut die Augen schließen, doch das Mädchen gab nicht nach. Seufzend ließ er sich in seinem Sessel zurücksinken und starrte die holographische Projektion an; dabei hatte er sichtlich Mühe, die Lider offenzuhalten. Inmitten des abgedunkelten Lehrsaals schwebte eine glitzernde Spirale aus zigtausend einzelnen Lichtpunkten. »... da die Milchstraße, vereinfacht ausgedrückt, die Form einer zum Rand abgeflachten Scheibe besitzt, erscheint es nur logisch, die Hauptebene dieses diskusartigen Gebildes als Äquatorialebene zu bezeichnen. Die Polachse stellen wir uns als Linie dar, die im Mittelpunkt der Scheibe auf dieser senkrecht steht. Welches Ende dieser gedachten Achse als Nord- und welches als Südpol bezeichnet wird, ist reine Willkür; in früheren Jahrhunderten wurde einfach jene Richtung als galaktischer Norden angesehen, die ...« Desmon stöhnte verhalten. »Warum müssen wir uns das anhören?« schimpfte er dann. »Das ist mir zu langweilig.« »Immerhin geht es um die Heimat unserer Vorfahren«, erwiderte Dyla leise. »Und wenn schon. Die Solaner könnten uns ihr Wissen einfach und umfassender durch Hypnoschulung zukommen lassen. Die Zeit, die wir hier absitzen, ist verloren.« »Gefällt dir deine Adoptivschwester so sehr?« spöttelte Dyla scheinbar zusammenhanglos. Aber sie wußte genau, was sie sagte. Auf Solist, ihrer Heimatwelt, und noch auf der MJAILAM, waren Desmon und sie nahezu unzertrennlich gewesen. Erst seit die Kinder der BRISBEE von Solanern adoptiert worden waren, machte der Junge sich häufig rar. »Du bist eifersüchtig«, stellte er fest. »Seid endlich leise«, schimpfte Jauter, der zu Desmons Linken saß. »He, was ist mit dir? Du siehst aus, als wäre dir nicht gut.« »Ist mir auch nicht«, gab Desmon unwillig zurück. »Solche Schwächeanfälle hatte er in den letzten Tagen öfter«, sagte Dyla. »Sie gehen schnell vorbei.« Desmon nickte stumm. Er würgte. Im nächsten Moment stemmte er sich aus seinem Sessel hoch und hastete zum Ausgang. *
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Inzwischen fanden die Kinder sich an Bord der SOL recht gut zurecht. Auf Solist von Emulatoren aufgezogen, besaßen selbst die Älteren kaum mehr eine Erinnerung an erwachsene Menschen, und es erschien ihnen wie ein großes Abenteuer, nun in richtigen Familien zu leben. Nach dem unerklärlichen Tod ihrer Eltern hatten sie emotionale Bindungen jeweils nur untereinander und zu den ihnen biologisch fremden Emulatoren entwickeln können. So gesehen, war ihnen sogar ein kosmisches Denken eigen, wie es die Menschheit lange Zeit hindurch hatte vermissen lassen. Die BRISBEE-Kinder kannten nicht einmal eine instinktive Scheu vor andersgearteten Lebewesen. Als Dyla auf den Gang hinaustrat, war von Desmon schon nichts mehr zu sehen. Sekundenlang verharrte sie unschlüssig und blickte sich um. Desmon muß den Antigravschacht benutzt haben. Dann war er bestimmt auf dem Weg zu seiner Kabine. Kurz entschlossen vertraute sie sich ebenfalls dem nach unten führenden Antigravschacht an. Die Technik, mit der sie und die anderen immer von neuem konfrontiert wurden, war erstaunlich. Zwar hatten die Emulatoren von solchen Erfindungen gesprochen, doch war es ein bemerkenswerter Unterschied, ob man von den Dingen nur hörte oder ihre Auswirkungen unmittelbar miterlebte. Die Wohnräume begannen einige Decks tiefer. Als Dyla den Schacht verließ, sah sie den Freund am Boden kauern, mit dem Rücken an die Gangwand gelehnt. Er machte einen mitleiderweckenden Eindruck und bemerkte nicht einmal, daß sie näherkam. Erst als sie unmittelbar vor ihm stand, hob er den Kopf. Dyla wußte nicht, was sie sagen sollte. Auch sie fühlte sich schwach und manchmal elend, aber sie besaß wenigstens die Kraft, sich darüber hinwegzusetzen. Desmon preßte seine Hände gegen den Oberkörper, als verberge er etwas unter der Kombination, die tatsächlich einige Beulen aufwies. »Was hast du da?« wollte Dyla wissen. Er blieb stumm – um seine Mundwinkel zeichnete sich ein trotziger Zug ab. Als gleich darauf Schritte näherkamen, zuckte er erschrocken zusammen. Einige Solaner gingen vorüber. »He«, machte einer von ihnen, »ist dir nicht gut? Soll ich einen Medoroboter rufen?« »Danke«, wehrte Dyla ab. »Desmon ist gleich wieder auf den Beinen.« Die Solaner verschwanden im Antigravschacht. »Und jetzt«, verlangte das Mädchen, »will ich wissen, was du vor mir verbirgst.« Desmon war zu schwach, um sich zu wehren. Dyla zog einen knorrigen, knapp dreißig Zentimeter langen Ast unter seiner Kombination hervor. »Gib her!« fauchte Desmon, schlagartig jede Schwäche vergessend. »Das gehört mir.« »Ich kann mir nicht vorstellen, wozu du das Holz brauchst.«
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»Um so besser. Dann laß mich in Ruhe.« Seit einigen Tagen wirkte Desmon verstockt. Daß er inzwischen auch vor ihr Geheimnisse hatte, bedrückte Dyla. »Der Ast ist für Xynthia?« vermutete sie. »Was habt ihr vor?«
Desmon wollte zupacken, doch sie war schneller und zog den Arm zurück. Plötzlich hatte sie das
Empfinden, als würde das Holz sich in ihrer Hand bewegen.
Sie sah genauer hin.
Die Schuppen spreizten sich ab. Zwischen ihnen kamen hauchdünne, fächerförmige Häutchen zum
Vorschein, die sich rasch auffalteten, und von denen jedes schließlich fast zehn Zentimeter durchmaß.
Diese beinahe filigranen Gebilde schillerten in sämtlichen nur denkbaren Farben. Dyla stellte fest, daß sie
trotz ihrer Feinheit überaus widerstandsfähig waren.
»Bitte«, sagte Desmon flehentlich, »gib ihn mir wieder.«
»Ist ... ist das ein lebendes Wesen?« Er nickte eifrig.
»Wenn die Solaner ihn finden, werden sie alle möglichen Versuche anstellen und seine Schönheit
zerstören. Das darf nicht geschehen.«
Dyla mußte zugeben, daß sie von dem Farbenspiel fasziniert war.
»Woher hast du ihn?« wollte sie wissen. Desmon schluckte krampfhaft. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht;
Freund hat mich gefunden. Als mir vor zwei Tagen zum erstenmal übel wurde, war ich wohl eine Weile bewußtlos – und als ich wieder zu mir kam, lag dieses Wesen neben mir und wand sich um meinen Arm.«
»Glaubst du, daß es intelligent ist?« Desmons Augen leuchteten. Seit er das Geschöpf erneut an sich
drückte, schien sein Befinden sich rasch zu bessern.
»Ganz bestimmt«, sagte er. »Hätte Freund mich sonst hier gefunden?«
»Wie nennst du ihn?« machte Dyla verblüfft.
»Freund. Einfach nur Freund.«
»Hm.« Das Mädchen schürzte die Lippen. »Gibst du ihn mir noch einmal?«
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Desmon überhörte die Frage geflissentlich. Statt dessen fuhr er in seiner Erklärung fort: »Ich habe Freund an einem sicheren Ort versteckt, wo niemand ihn finden kann.« »Du meinst, er ist dir bis hierher gefolgt? Wie bewegt er sich überhaupt?« »Ich weiß nicht. Aber ich werde ihn jetzt zurückschaffen.« * Zwischen den Lagerräumen und der Klimaanlage mit den Luft- und Wasserregeneratoren hatten Extras sich vor längerer Zeit ein kleines Reich urwüchsiger Planetenlandschaft errichtet, das infolge der sich überstürzenden Ereignisse der letzten Wochen und Monate zunehmend verwilderte. Eine feucht-schwüle Atmosphäre schlug Desmon und Dyla entgegen, als sie die lediglich fünfzig mal fünfzig Meter messende Halle betraten. Alle von Solist suchten diesen Ort auf, wenn sie, wie in letzter Zeit immer öfter, Heimweh verspürten. Obwohl jeder an Bord des Fernraumschiffs sich Mühe gab, den Kindern den Aufenthalt in der neuen Umgebung so leicht wie möglich zu machen. Desmon zwängte sich vor dem Mädchen durch ein Gewirr von Lianen und Schlingpflanzen, die wie ein dichter Vorhang aus der Höhe herabhingen. Richtige Bäume wuchsen in der Halle nicht – dafür gab es Dutzende täuschend echter Nachbildungen. Ein fahles Zwielicht beschränkte die Sicht auf wenig mehr als zwanzig Meter. »Hier ist es beinahe wie auf Solist«, murmelte Dyla. Desmon ging auf einen der Bäume zu und begann, in Augenhöhe vorsichtig die Moosschicht vom Stamm abzulösen. Er legte eine tiefe Höhlung frei, groß genug, um Freund darin zu verbergen. In dem Moment, in dem er den Arm ausstreckte, stieß Dyla einen überraschten Ausruf aus. Das vielfarbige Glitzern war unübersehbar. Blitzschnell packte Desmon zu und beförderte einen zweiten Ast ins Freie. Erstaunt wanderte sein Blick von einer Hand zur anderen. Dyla grinste nur. »Einer von denen gehört mir«, stellte sie fest. »Verrate mir lieber, woher der zweite kommt«, sagte Desmon. »Ist mir egal. Gib schon her.« Von irgendwoher erklang ein leises, schabendes Geräusch. Sekundenlang stand Desmon völlig regungslos und lauschte nur, dann ließ er seinen Freund blitzschnell unter der Kombination verschwinden. Dyla tat dasselbe und nickte ihm auffordernd zu. Nahezu lautlos bewegten sie sich in Richtung auf das Schott zu. Das Schaben kam nun aus unmittelbarer Nähe.
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Eine mannsgroße Ameise schob sich durch den künstlichen Wald mit seinen vielen bodenbedeckenden Pflanzen. »Das muß Borallu sein«, flüsterte Dyla. »Was sucht er hier?« Desmon zuckte mit den Schultern. Er atmete erleichtert auf, als sie die Halle verließen und das Schott sich hinter ihnen schloß. »Meinst du, der Zyrtonier ist uns gefolgt?« wollte Dyla wissen. * Anstatt in seine Kabine zurückzukehren, wanderte Desmon ziellos durch das Schiff; in der Rechten hielt er Freund krampfhaft umklammert. Ihm war übel. Manchmal, wenn er stehenblieb, schien der Korridor vor ihm sich wie eine Schlange zu winden. Desmon hatte dann Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Als zwei kräftige Kieferzangen sich mit lautem Knacken schlossen, zuckte der Junge heftig zusammen. Er hatte nicht bemerkt, daß Borallu hinter ihm kam. Die menschengroße Ameise, einst ein genialer Wissenschaftler der Zyrtonier, stand inzwischen auf Seiten der Solaner. Jahrtausende hatte er im Tiefschlaf verbracht, nachdem sein Volk, als es in die Namenlose Zone ging, ihn zusammen mit zwölf Unterpagen sozusagen als Eingreifreserve zurückließ. Borallu trat zuerst nicht nur in der Gestalt eines Unterpagen auf, sondern zeigte sich zeitweise als Zecke und verwandelte sich schließlich äußerlich in einen Vulnurer, was unzweifelhaft auf eine enge biologische Verwandtschaft zwischen den ameisenartigen Bekehrern und den Zyrtoniern hindeutete. Tagelang hatten die Bordnachrichten nur davon gesprochen, denn Borallu war nicht mehr in der Lage, sich zurückzuverwandeln, und mit seiner neuen Gestalt schien auch ein Gesinnungswandel eingetreten zu sein. Daß er sich an Bord nun nahezu frei bewegen durfte, verdankte er den Mutanten, die ihn als ungefährlich eingestuft hatten. Borallus Fühler berührten Desmon. »Von dir geht etwas aus, was ich mir nicht erklären kann.« Der Junge umklammerte Freund fester. »Vielleicht der Fluch, den unsere Vorfahren auf sich geladen haben«, murmelte er. »Die Namenlose Zone hat alle getötet. Oder ist dein Volk schuld daran?« Er schwankte, machte ungewollt einige Schritte zur Seite und prallte schwer gegen die Wand. »Ich weiß nicht«, sagte der Zyrtonier zögernd. »Ich kann mich nicht einmal erinnern, ob ich je in der Namenlosen Zone war.« Vorsichtig tastete er nach dem Gebilde, das Desmon unter der Kombination verborgen trug. Aber noch ehe er die Umrisse erfühlen konnte, rannte der Junge mit einem heiseren Aufschrei davon. * »Ausgerechnet jetzt muß das passieren.« Wütend starrte Alfons Grödelmeier den grauen Bildschirm an, der von einer Sekunde zur anderen nicht einmal mehr Konturen erkennen ließ. Mit der Faust schlug er auf das schmale Instrumentenpult vor sich. »Laß den Blödsinn«, fuhr Thorsten Verkamp auf. Die beiden
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teilten sich den nur wenige Quadratmeter messenden, für Überwachungszwecke eingerichteten Raum, dessen Installationen aus Chart Deccons Zeiten stammten. Breckcrown Hayes hatte den Raum ursprünglich versiegeln lassen, um das Vertrauen der Solaner in die Schiffsführung zu fördern; inzwischen arbeiteten jedoch einige Geräte siganesischer Mikrotechnik wieder. Nicht, um Menschen und Extras zu bespitzeln, sondern lediglich um Borallu zu überwachen, der trotz aller Beteuerungen ein Zyrtonier blieb und damit eine potentielle Gefahrenquelle darstellte. Hayes stand in dem Fall mit seiner Meinung allein gegen Atlan und die Mutanten, hatte es aber verstanden, sich durchzusetzen. Er fürchtete, daß den Solanern mit Borallu ein Kuckucksei ins Nest gelegt worden war. »Die gesamte Übertragung ist ausgefallen«, schimpfte Grödelmeier. »Hast du schon daran gedacht, daß der Zyrtonier den Minispion bemerkt haben könnte?« erkundigte sich Verkamp. Grödelmeier hob kurz den Blick. »Unsinn«, sagte er im Brustton der Überzeugung. Im nächsten Moment war das Bild wieder da. Thorsten Verkamp hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. »He«, machte Grödelmeier. »Kannst du mir verraten, was Borallu von dem Jungen wollte? Warum muß dieser verdammte Kasten auch ausgerechnet jetzt versagen?« »Keine Ahnung.« »Ist es nicht seltsam, daß sie sich in diesem abgelegenen Teil des Schiffes treffen? Informieren wir Hayes oder Atlan darüber?« »Wahrscheinlich ist das Ganze völlig harmlos«, widersprach Verkamp. »Dem Aussehen nach war es der Junge Desmon, obwohl ich manchmal das Gefühl habe, die BRISBEEKinder ähneln einander wie Geschwister.« »Wir sollten ihn fragen, was Borallu von ihm wollte.« »Heute nicht mehr«, winkte Verkamp ab. »Unsere Schicht ist in einer Stunde beendet, und ich habe nicht die Absicht, mir die Freizeit um die Ohren zu schlagen.« »Ich weiß, Jessica Stenton ist dir derzeit wichtiger als alles andere. Aber sie ist eine Buhrlofrau.« »Ich brauche deine Belehrungen nicht.« »Schon gut, schon gut«, versuchte Grödelmeier zu beschwichtigen. »Es war nicht so gemeint. Morgen früh bleibt genügend Zeit. Außerdem sollen wir in erster Linie darauf achten, daß Borallu sich nicht in einen Zyrtonier zurückverwandelt oder Sabotage begeht. Alles andere ist von untergeordneter Bedeutung.« Er begann, die Verkleidung des Monitors zu öffnen. Zwei kleine Chips waren leicht geschwärzt, und es bedurfte nur weniger Handgriffe, sie durch neue zu ersetzen. Verkamp unterzog die elektronischen Bausteine einer näheren Überprüfung. »Die Störung wurde eindeutig durch Gewalteinwirkung verursacht«, stellte er grinsend fest. »Du hättest nicht so hart zuschlagen dürfen.« *
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An diesem Abend lag Dyla noch lange wach. Obwohl sie zum Umfallen müde war, konnte sie nicht einschlafen. Mit geschlossenen Augen lauschte sie in die Dunkelheit ihrer Kabine. Aus dem Nebenraum drangen vielfältige, gedämpfte Geräusche herein – ihre Eltern hatten im Bord-TV einen Dokumentarfilm über die Verhältnisse in Xiinx-Markant gewählt. Dyla wußte aus dem Unterricht, was es mit dieser Galaxis auf sich hatte. Zweimal kurz hintereinander schnippte sie mit den Fingern, worauf augenblicklich die Beleuchtung aufflammte. Das Ganze war eine Spielerei, mehr nicht, aber Dyla amüsierte sich jedesmal köstlich. Zögernd öffnete sie den Wandschrank und kramte unter einem Stapel Wäsche ihren Ast hervor. »Du bist mein Freund, nicht wahr.« Sanft strich sie über die weißen Schuppen hinweg, aber erst nach einer ganzen Weile begann das fremdartige Wesen, sich zu bewegen. Es ringelte sich zu einem Halbkreis und blähte seine fächerförmigen, glitzernden Häutchen auf. »Hast du Hunger?« flüsterte Dyla. »Oder Durst? Du darfst es mir ruhig sagen.« Aber Freund redete nicht mit ihr. Er war ein stummer Freund, dem man alles sagen konnte. Auf Solist hatte Dyla einen ähnlichen Vertrauten besessen, einen vom Salzwasser des Ozeans zerfurchten Stein, dem eine Laune der Natur menschliches Aussehen verliehen hatte. Der Gedanke an Solist ließ sich nicht vertreiben. Vorsichtig legte sie Freund auf ihr Bett und begann, im Schrank herumzuwühlen. Nach und nach brachte sie ihre alte, kunstvoll aus Fellen und Leder gefertigte Bekleidung hervor, schlüpfte hinein und betrachtete sich im Spiegel. »Gefalle ich dir so, Freund? Es ist schade, daß du nicht mit mir sprichst, aber ich glaube, ich weiß, was du sagen würdest.« Dyla knüllte ihre Kombination zusammen und warf sie auf den Tisch. »Ich will zurück nach Solist«, murmelte sie. »Verstehst du? In der Namenlosen Zone fühlte ich mich wohl und geborgen.« Ein vorwurfsvoller Blick traf Freund, weil er noch immer schwieg. »Allmählich denke ich, du kannst überhaupt nicht sprechen. Ist dir auch so kalt?« Suchend blickte das Mädchen um sich und nahm ein kaum daumengroßes Feuerzeug von einer Konsole. Sekunden später zuckte eine kleine Flamme auf, doch die Kunstfaser der Kombination wollte nicht brennen. Blicklos starrte Dyla vor sich hin; das Feuerzeug fest umkrampft, stand sie starr wie eine Statue.
Der Stoff begann zu schmoren. Schwerer, beißender Rauch entwickelte sich. Das Schott zum Nebenraum glitt auf. Dylas Adoptivvater war nur einen Augenblick lang verblüfft, dann entriß er ihr das Feuerzeug und erstickte den auf der Tischplatte entstandenen Schwelbrand mit der Kombination. »Die Sensoren haben den Rauch angezeigt«, fuhr er Dyla an. »Was denkst du dir überhaupt dabei? Und weshalb trägst du wieder deine alten Sachen?«
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Dyla stand da und starrte ihre Schuhspitzen an. Sie schien nicht wahrzunehmen, was Gordon Blackwood sagte. »Ich habe dich etwas gefragt ...« Er packte sie an den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. Ihr Blick ging durch ihn hindurch. »Ist sie krank?« wollte Amy Blackwood-Miller wissen, deren Ehevertrag mit Gordon inzwischen zum dritten Mal verlängert worden war. »Sie hat Fieber.« Behutsam legte er das Mädchen aufs Bett. Ihr Atem ging hastig, aber keineswegs unregelmäßig. Mit Medikamenten mußte das Fieber innerhalb kürzester Zeit zu senken sein. Überrascht hob Gordon Blackwood das kurze Stück Holz auf. »Waren wir als Kinder auch so? Ich kann mich nicht erinnern.« »Für sie ist vieles noch neu«, sagte Amy. »Wahrscheinlich hat sie den Ast aus irgendeinem der Parks mitgeschleppt.« Dyla schlief jetzt. Deshalb blieb ihr verborgen, daß ihr Adoptivvater das Stück Holz schließlich in den Abfallvernichter warf. * Die Furcht, Freund wieder zu verlieren, und seine Erinnerungen an Solist hatten Desmon die Zeit vergessen lassen. In einem nicht mehr benutzten Lagerraum kauerte er zwischen verstaubten Robotertorsos und spielte mit dem Holz. Sooft er sich mit diesem Wesen unterhielt, fühlte er sich wohler, und das, obwohl der schuppige Ast nicht in der Lage war, sich zu artikulieren. Als er endlich zur Kabinenflucht seiner Adoptiveltern zurückkehrte, brannte in den meisten Korridoren schon die trübe Notbeleuchtung der Nachtphase. Es war merklich ruhig geworden in dem mächtigen Schiff; kaum jemand begegnete dem Jungen, der es plötzlich eilig hatte. Desmon kam rasch außer Atem. Nicht nur, daß sein Gaumen wie ausgedörrt war und ein schaler Geschmack auf seiner Zunge lag, mit jedem Pulsschlag durchflutete eine erneut stärker werdende Übelkeit seinen Körper. Xynthias lächelndes Gesicht erschien ihm heute wie eine starre Maske. »Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Wo warst du so lange?« Unwillig schüttelte Desmon ihre Hand von sich ab. »Laß ihn, Xynthia«, sagte ihr Vater und sah flüchtig von dem 3-D-Spielfilm auf, der in einem Kubus von zwei mal zwei Meter ablief. »Desmon ist alt genug, um selbst auf sich aufzupassen.« Der Junge nickte zaghaft. Für einige Augenblicke konzentrierte er sich auf das Filmgeschehen – eine jener Fantasy-Handlungen, die in letzter Zeit an Bord kursierten. Desmon wälzte sich dann lange auf seinem
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Bett, ohne Ruhe zu finden. Als er endlich eingeschlafen war, wurde er von Träumen gequält und wachte mehrmals schweißgebadet auf. Seine Träume fügten sich nahtlos aneinander. In ihnen weilte er wieder auf Solist und führte zusammen mit den anderen und den Emulatoren ein glückliches Leben. Aber bald kamen die Fremden, die sich Solaner nannten; sie zerstörten die Welt des Friedens und der Ruhe. Roboterheere rodeten den Wald, bohrten auf der Suche nach Bodenschätzen riesige Löcher in den Boden. Wer sich ihnen entgegenstellte, wurde gefangengenommen und an Bord ihres Raumschiffes gebracht. Desmon wollte fliehen, aber Roboter kreisten ihn ein und drängten ihn zurück ... Er erwachte durch sein eigenes qualvolles Stöhnen und benötigte eine Weile, um sich zurechtzufinden. Nur langsam wurde ihm bewußt, daß alles ein Traum gewesen war. Er und die anderen hatten Solist freiwillig verlassen, um eines Tages in die Heimat ihrer Vorfahren zu gelangen. Desmon richtete sich halb auf, doch ein jäher Kopfschmerz ließ ihn gequält aufschreien. Die Hände an die Schläfen gepreßt, krümmte er sich zusammen. Erst nach einer ganzen Weile ebbten die Schmerzen ab, die bei jedem Anfall heftiger wurden. Desmons Wangen glühten, er fühlte sich regelrecht zerschlagen. Da es bereits spät war, hatten seine Adoptiveltern sicherlich schon ihren Dienst angetreten. Das machte es ihm leichter, aufzustehen. Er wankte in den Nebenraum, aktivierte die Servierautomatik und bestellte sich einen Fruchtsaft. Hunger verspürte er keinen. Daß sich leise Schritte näherten und hinter ihm verhielten, nahm er nur unbewußt wahr. »Du hast dich in den letzten Tagen verändert«, stellte Xynthia unumwunden fest. »Heraus mit der Sprache, was ist los?« Der Junge vermied es, sie offen anzusehen. Er fröstelte und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Freund bewegte sich leicht unter seiner Kombination. »Ist dir nicht gut?« Xynthia war 18 und damit drei Jahre älter als er. Ob sie in ihm einfach nur den kleinen Bruder sah oder mehr empfand, konnte Desmon nicht beurteilen. Im Augenblick war ihm ihre Nähe jedenfalls lästig. Eine Welle von Schmerzen ließ ihn gequält aufstöhnen. Vor seinen Augen explodierte ein Feuerwerk bunter Ringe. Und dann stieg es würgend in ihm auf. Desmon fühlte die Erleichterung noch während er sich übergab. Xynthia blickte auf das leere Glas. »Ausgerechnet Fruchtsäure«, sagte sie tadelnd. »Ich fordere einen Reinigungsroboter an.« Über Interkom speicherte sie ihren Auftrag bei der Materialverwaltung. Als schon Sekunden später der Schottmelder ansprach, zog sie überrascht die Brauen hoch. Aber es war nicht der erwartete Roboter. Zwei Männer des technischen Personals standen im Korridor. »Wir möchten uns kurz mit Desmon unterhalten«, sagte der größere von beiden, der sich als Alfons
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Grödelmeier vorstellte. »Es geht darum, einige Fragen zu klären.« »Kommt später wieder«, wehrte Xynthia ab. »Er fühlt sich im Augenblick nicht sonderlich wohl. Zwar nur ein verdorbener Magen, aber er braucht dennoch Ruhe.« »Wir wollten wissen, warum er sich gestern mit Borallu getroffen hat.« »Mit dem Zyrtonier?« machte Xynthia erstaunt. »Das muß ein Irrtum sein. Ich bin überzeugt, daß mein Bruder und Borallu sich nicht kennen.« »Würdest du ihn trotzdem fragen?« bat Grödelmeier und gab ihr die Nummer des Interkomanschlusses, unter der er und sein Kollege zu erreichen waren.
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2. Als das Mädchen sich wieder umwandte und das Schott hinter ihr zuglitt, stand Desmon schwankend am Tisch. Sein Gesicht war kreidebleich. Vor ihm, auf der Tischplatte, lagen zwei dürre, kurze Aststücke, die er blitzschnell an sich nahm, während Xynthias Blicke ihn trafen. Sie wollte etwas sagen, wurde aber durch das erneute Summen des Schottmelders unterbrochen. Diesmal war es der Reinigungsrobot, und während sie ihn einließ, nutzte Desmon die Gelegenheit, sich an beiden vorbeizuzwängen. Xynthia reagierte zu spät, um ihn zurückzuhalten. Sie gab dem Roboter die nötigen Anweisungen und beeilte sich dann, ihrem Adoptivbruder zu folgen. Zuerst wußte sie nicht, wohin er wollte, schließlich aber, als sie in unbelebtere Sektoren kamen, erkannte sie, daß offenbar einer der Hangars sein Ziel war. Desmon hatte es eilig. Lightning-Jets stand auf einem Hinweisschild zu lesen. Xynthia konnte sich noch immer nicht vorstellen, was der Junge vorhatte. Erst als ein Hangarschott sich vor ihm öffnete und er zielstrebig auf eine der Jets zusteuerte, begann sie es zu ahnen. Hastig schlüpfte sie ebenfalls durch das Schott, bevor dieses wieder zuglitt. Drei Dutzend Maschinen standen hier in Reih und Glied nebeneinander. Noch waren sie durch Versorgungsleitungen mit dem Mutterschiff verbunden, aber das Mädchen wußte, daß sich dies von einer Minute zur anderen ändern konnte. Die Lightning-Jets befanden sich in ständiger Startbereitschaft. Desmon kletterte in eines der geöffneten Cockpits und ließ sich in den Pilotensitz sinken. Xynthia, den Sichtschutz der nächsten Maschinen ausnutzend, kam vorsichtig näher. Sie erschrak, als ein leises Brummen anzeigte, daß ihr Bruder die Energieversorgung aktiviert hatte. Langsam schwenkten die angewinkelten Tragflächen aus, während zugleich ein leichtes Flimmern im Heckbereich anzeigte, daß das Triebwerk hochgeschaltet wurde. Das Gerüst mit den Versorgungsleitungen hob sich und glitt zur Seite. Spätestens jetzt mußte in der Zentrale der SZ-2 eine entsprechende Kontrolle aufleuchten. Aber Xynthia durfte sich nicht darauf verlassen, daß diese bei der großen Zahl der vorhandenen Beiboote wirklich bemerkt wurde. Siedendheiß durchlief es sie: wenn Desmon von der Jet aus die Hangarschleuse öffnete, würde sie der Druckverlust in Sekundenschnelle töten. »Desmon!« rief sie. »Nicht!« Ein Schatten huschte auf die Lightning-Jet zu. Xynthia, der völlig entgangen war, daß das Innenschott sich erneut geöffnet hatte, zuckte erschrocken zusammen. Zugleich aber spürte sie eine unsagbare Erleichterung. Solange das Schott geöffnet blieb, verhinderte die Automatik, daß die Schleuse aufglitt. Es sei denn, die Jet durchbrach mit voller Beschleunigung die äußere Terkonitwandung, was ohnehin einer
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kleinen Katastrophe gleichgekommen wäre. Doch Desmon besaß wohl nicht die Kenntnisse, die Maschine zu starten. Ein wenig ruhiger werdend, zerbrach Xynthia sich bereits den Kopf darüber, was ihren Adoptivbruder bewogen haben mochte, den Hangar aufzusuchen. Sehnte er sich nach der unendlichen Weite des Alls, weil er sich an Bord der SOL eingeengt fühlte? Der Schatten hatte die Lightning-Jet erreicht und die Kanzel geöffnet. Es war Borallu, der den sich heftig widerstrebenden Desmon auf festen Boden zurückholte. Xynthias Neugierde siegte über den Drang, sich einfach umzuwenden und davonzulaufen. Der Zyrtonier war ihr plötzlich unheimlich, denn daß er ausgerechnet jetzt hier erschien, konnte kein Zufall sein. »Gib sie mir«, hörte das Mädchen Borallu sagen. Desmon schüttelte heftig den Kopf. Im nächsten Moment riß er sich los und floh unter den startbereiten Maschinen hindurch. Xynthia reagierte eine Sekunde zu spät. Bevor sie sich hinter dem Fahrgestell verbergen konnte, hatte Borallu sie entdeckt. Der Zyrtonier verharrte mitten im Lauf; sein durchdringender Blick jagte ihr eisige Schauer den Rücken entlang. Seine Kieferzangen klickten leise, dann warf er sich herum und folgte Desmon, der inzwischen die Außenwandung erreicht hatte und sich an dem Notschacht zu schaffen machte, der in den freien Raum führte. Die Innenluke glitt auf. Desmon warf etwas in den Schacht und betätigte den Verschlußmechanismus. Was immer er auf diese Weise zu beseitigen gedachte, wurde Sekundenbruchteile später ins All hinausbefördert. Borallu, offenbar in der Absicht, dies zu verhindern, kam zu spät. Zwei Männer der Wachmannschaft betraten den Hangar und rissen unwillkürlich ihre Waffe hoch, als sie den Zyrtonier entdeckten. »Was ist geschehen?« fragte einer von ihnen. »Desmon wollte mit dem Jäger starten«, erklärte Borallu. »Ich habe versucht, ihn daran zu hindern.« Vorsichtig zog Xynthia sich zurück. Es erschien ihr besser, wenn sie nicht gesehen wurde. Sie begann sich zu fragen, was Borallu eigentlich gewollt hatte. Die beiden schuppigen Dinger, die wie Äste aussahen? * Solania von Terra, die Kommandantin der SOL-Zelle-2, wirkte überrascht, als sie über Interkom die Meldung von den Ereignissen im Jet-Hangar erhielt. »Bringt Desmon und den Zyrtonier zu mir!« befahl sie und unterbrach von sich aus die Verbindung. Eine Weile starrte sie noch auf den erloschenen Monitor. Bisher hatten die BRISBEE-Kinder sich gut in das Leben der SOL eingefügt. Sie fragte sich, ob der Junge wirklich versucht hatte, mit dem Beiboot zu starten, oder ob er lediglich seinem Spieltrieb freien Lauf lassen wollte.
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Seit zehn Tagen war nichts von Bedeutung mehr geschehen. Solania sah dies als Ruhe vor dem Sturm und wartete eigentlich nur darauf, daß irgend etwas die Präsenz des Gegners unter Beweis stellte. Gemeinsam mit den drei Heimatschiffen der Vulnurer stand die SOL im weitgehend zerstörten Junk-System. Die Sonne wies noch annähernd normale Meßdaten auf. Die drei Planeten waren nur noch Trümmer. Der Nabel existierte nicht mehr. Solania war überzeugt davon, daß jedes weitere Warten vertane Zeit war. Es konnte nur einen Sinn haben, falls Chybrain sich irgendwann wieder meldete. Aber womöglich jagte Atlan längst einem Phantom nach. Der Gedanke, daß Chybrain nicht mehr existierte, fand mit jedem verstreichenden Tag neue Nahrung. Immerhin hatte Borallu in seinen Erklärungen keinen Zweifel daran gelassen, daß die Zyrtonier den Solanern in technischer Hinsicht überlegen waren, und alle Fäden innerhalb der Namenlosen Zone liefen bei ihnen zusammen. Die Kommandantin glaubte nicht, daß Borallu mehr wußte, als er zuzugeben bereit war, aber sie setzte auch kein allzu großes Vertrauen in ihn, solange er nicht endgültig bewiesen hatte, auf wessen Seite er stand. Solania von Terra ertappte sich dabei, daß sie unentwegt zum Hauptschott starrte. Was erwartete sie eigentlich? Irgendeinen Hinweis, durch den ihr Verdacht erhärtet wurde? Endlich erschienen die beiden Wachmänner mit Borallu und Desmon. Die Kommandantin erkannte sofort, daß mit dem Jungen einiges nicht stimmte; er schien überhaupt nicht wahrzunehmen, wo er sich befand. Vor einem der großen Bildschirme blieb er stehen und starrte die Projektion an, auf der die endlose Schwärze des Universums zu sehen war. »Ich kann nicht hier bleiben«, formten seine blutleeren Lippen. »Wohin willst du?« fragte sie. Zögernd streckte Desmon einen Arm aus, als wolle er nach der Schwärze greifen. Die Kommandantin wandte sich an Borallu. »Wie kommt es, daß du vor meinen Leuten im Hangar warst?« Bemerkte der Zyrtonier ihren lauernden Tonfall? Er ließ es sich zumindest nicht anmerken. Auch daß die beiden Männer hinter ihm ihre Hände an den Waffen hielten, übersah er geflissentlich. »Eigentlich ein Zufall«, sagte Borallu. »Jeder andere an meiner Stelle hätte wohl ähnlich gehandelt, wenn er das offene Hangarschott gesehen und den Startversuch der Lightning-Jet bemerkt hätte. Ich mußte mir sagen, daß das Mädchen in größter Gefahr schwebte.« »Welches Mädchen?« »Da war niemand außer den beiden«, erklärte einer der Wachmänner. »Sie stand hinter dem Fahrgestell einer Jet. Allerdings sah es nicht so aus, als hätte sie dort Schutz gesucht, eher schien sie sich verbergen zu wollen. Ein Spiel unter Kindern vielleicht.«
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Solania ging auf Desmon zu und zog ihn zu sich herum. »Wer war das Mädchen?« wollte sie von ihm wissen. Der Junge zitterte. »Ich weiß nicht«, murmelte er tonlos. »Mir ist kalt.« »Soll ich einen Arzt rufen?« »Nein«, wehrte er erschrocken ab. Die Kommandantin nickte einer in der Nähe sitzenden Frau, die das Gespräch verfolgt hatte, kaum merklich zu. Desmon hatte Angst. Aber er war auch am Ende seiner Kräfte. Ein Beruhigungsmittel und viel Schlaf würden ihm sicherlich guttun. »Warum hast du versucht, die Lightning-Jet zu starten?« wollte Solania wissen. »Du hättest dich und andere dabei töten können.« Desmon schluckte krampfhaft, und es sah aus, als würde er jede Sekunde zusammenbrechen. Endlich erschienen die angeforderten Medoroboter. Das Zischen einer Hochdruckinjektion klang in der entstandenen Stille doppelt laut. Desmon machte einen taumelnden Schritt vorwärts, und einer der Roboter fing ihn auf. »Wir bringen ihn zur Untersuchung auf die Station«, erklärte die Maschine. »Ist es möglich, daß der Junge unter Schockeinwirkung steht?« fragte Solania. »Die Anzeichen sprechen dafür, aber um Gewißheit zu haben, sollten wir das Ergebnis abwarten. Du wirst unterrichtet.« »Ich bin ebenfalls daran interessiert, die Wahrheit zu erfahren«, erklärte Borallu. Die Kommandantin musterte ihn eindringlich. »Im Moment brauche ich dich nicht mehr«, sagte sie. »Aber möglicherweise müssen wir noch einmal miteinander reden.« »Ich halte mich zur Verfügung«, nickte Borallu. »Es ist mir ohnehin unmöglich, die SOL zu verlassen.« Sinnend blickte Solania dem Zyrtonier nach, als er die Zentrale verließ. Zumeist konnte sie sich auf ihre Gefühle verlassen – und jetzt hatte sie ein ausgesprochen ungutes Empfinden. Augenblicke später entdeckte sie, wo Desmon gestanden hatte, ein eigenartiges Stück Holz. Es war knapp dreißig Zentimeter lang, zwei Zentimeter dick und rundum von Schuppen bedeckt. Sie hob es auf, wog es unschlüssig in der Hand und legte es schließlich auf eine Konsole über ihrem Schaltpult. Nur Desmon konnte den Ast verloren haben. * Das Hologramm war so plastisch, als schwebten die drei Schiffe der Vulnurer, die GESTERN, die HEUTE und die MORGEN, tatsächlich mitten in der Hauptzentrale der SOL. Gedankenverloren
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betrachtete Atlan die Projektoren.
»Du hoffst auf ein Wunder, das diesmal nicht eintreten wird«, sagte Breckcrown Hayes hinter ihm. »Wir
sind von der Namenlosen Zone endgültig abgeschnitten.«
»Ich denke an Chybrain«, erwiderte der Arkonide. »Ob er eine solche Entwicklung vorausgesehen hat?«
»Wir werden es erfahren.«
Hayes’ Tonfall irritierte Atlan. Er versuchte herauszufinden, ob der High Sideryt es vielleicht spöttisch
meinte, doch dessen Miene wirkte starr und ausdruckslos.
»Was?« fragte Atlan. »Bis dahin können Monate vergehen, und möglicherweise werden wir nie
Gewißheit erlangen.« Ungeduld war schon immer deine Stärke, behauptete der Extrasinn.
Du hättest deinem Sohn ruhig bessere Eigenschaften vererben können, gab Atlan lautlos zurück. Ich
fürchte, er gerät voll und ganz nach dir.
Warum regst du dich dann auf? Etwas Besseres hätte nicht passieren können. Ich rege mich nicht auf, ich
bin die Ruhe in Person.
Natürlich.
Atlan erkannte, daß sein zweites Ich ihn provozieren wollte. Er dachte eine Verwünschung.
Deine guten Manieren lassen nach. Du wirst alt, Beuteterraner!
»Funkkontakt«, hallte es durch die Zentrale. »Atlan, die Vulnurer wollen dich sprechen.«
»Durchstellen!«
Vor dem Arkoniden zeichnete sich das starre Antlitz einer mannsgroßen Ameise ab. Es war für
Menschen nicht einfach, diese Wesen voneinander zu unterscheiden, aber er glaubte, die Kommandantin
der HEUTE zu erkennen. »Ich habe unsere Schiffe in Alarmzustand versetzen lassen.« Ein Translator übertrug die hastig hervorgestoßenen Worte ins Interkosmo. »Zeigen die Sensoren der SOL Unregelmäßigkeiten, die einen bevorstehenden Angriff erwarten lassen?«
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»Bis jetzt gibt es keinen Anlaß für eine solche Annahme«, erwiderte Atlan. Die Kommandantin wechselte einige Worte mit Vulnurern außerhalb der Bilderfassung. Offenbar reichten die nur verzerrt verständlichen Laute nicht für eine Übersetzung aus, denn der Translator blieb stumm. »Ich höre gerade«, sagte sie dann, »daß es zu zwei weiteren unerklärlichen Zwischenfällen gekommen ist. Erneut sind zwei aus den Eiern schlüpfende Junge vor den Augen ihrer Eltern spurlos verschwunden.« »Im Umkreis von mindestens zwanzig Lichtjahren ist der Raum frei von ungewöhnlichen energetischen Aktivitäten«, kam es von den Ortungen. Atlan gab die Auskunft weiter. »Wir vermuten einen Dimensionseinbruch«, erklärte die Kommandantin. »Möglicherweise haben die Zyrtonier damit zu tun.« Eingeblendetes Datenmaterial informierte den Arkoniden, daß die drei Heimatschiffe der Vulnurer ihre Schutzschirme aktivierten. Die Energiewerte ließen darauf schließen, daß sie mit höchster Abgabeleistung arbeiteten. »Gibt es Hinweise auf den Gegner?« »Nichts Konkretes. Zwischen den gesprengten Eischalen fanden sich lediglich dünne Holzstückchen. Mag die Lichtquelle wissen, woher sie gekommen sind.« Wechselbalg, wisperte es in Atlans Gedanken. Du hast lange genug auf der Erde gelebt, um diesen Aberglauben zu kennen. Unsinn, dachte er scharf. Wer sollte ein Interesse daran haben, junge Bekehrer zu entführen? * Xynthia war den Männern gefolgt und hatte in der Nähe der Zentrale gewartet. Als sie Desmon schließlich in Begleitung der Medoroboter sah, begann sie das Schlimmste zu befürchten. Nachdenklich geworden, kehrte sie noch einmal zum Hangar zurück, fand aber nichts, was von Interesse gewesen wäre. Dabei hätte sie nicht einmal zu sagen vermocht, wonach sie überhaupt suchte. Xynthia begab sich schließlich zur Medostation, wo sie einen völlig apathischen Desmon vorfand. Er starrte unverwandt vor sich hin, ohne ihre Anwesenheit zu registrieren. Seine ohnehin helle Hautfarbe, die alle BRISBEE-Kinder auszeichnete, war einem fahlen Grau gewichen. »Geht es dir noch immer nicht besser?« erkundigte Xynthia sich besorgt. Desmon antwortete nicht. Als sie sein Gesicht berührte, zuckte sie erschrocken zurück. Es war eiskalt. Der Junge stöhnte leise, brachte aber kein verständliches Wort hervor. Unwillkürlich mußte Xynthia daran denken, was Grödelmeier gesagt hatte. Immerhin war der Zyrtonier schon zum zweiten Mal in Desmons Nähe aufgetaucht. Den Arzt, der das Krankenzimmer betrat, bestürmte sie mit einer Vielzahl von Fragen, doch er wehrte
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lächelnd ab. »Es handelt sich lediglich um eine vorübergehende Schwäche. Morgen, spätestens übermorgen, ist Desmon wieder auf den Beinen.« »Und wenn nicht? Ich habe Grund, anzunehmen, daß Borallu damit zu tun hat.« »Wie kommst du darauf?« Hastig erklärte Xynthia ihren Verdacht. »Ich verstehe deine Besorgnis«, sagte der Arzt und schob sie vor sich heraus dem Raum. »Doch der Zyrtonier kommt täglich mit einigen hundert Leuten in engeren Kontakt. Stell dir vor, sie alle würden erkranken.« »Aber ...« »Wir haben es noch immer mit Anpassungsschwierigkeiten zu tun, die erst jetzt richtig zum Ausbruch kommen. Auf einem Raumschiff wie der SOL zu leben, ist eben nicht jedermanns Sache.« »Ich weiß nicht«, beharrte Xynthia. »Inzwischen kenne ich Desmon gut genug ...« »Er und die anderen sind Abkömmlinge von Menschen, die sich über Jahrhunderte hinweg einer fremden Umgebung angleichen mußten. Das solltest du nicht vergessen. Außerdem wurden vor Desmon schon zwei der Kinder eingeliefert. Jauter und Monare leiden unter denselben Symptomen. Bei Monare steht die Ursache fest. Sie weist geradezu klassische Symptome von Entzugserscheinungen auf.« »Sie ist süchtig?« machte Xynthia ungläubig. »Nach der Namenlosen Zone. Zumindest konnte ich diesen Eindruck gewinnen. Und nun entschuldige mich, ich habe zu tun.« »Natürlich«, murmelte das Mädchen, verließ die Medostation und ließ sich vom Transportband durch den Korridor tragen. Sie hatte den Antigravschacht fast erreicht, als sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, absprang und zum Interkomanschluß zurückging, an dem sie eben vorbeigekommen war. Aus dem Gedächtnis wählte sie eine Nummer. »Bitte?« Der Mann auf dem Bildschirm erkannte sie nicht. »Ich bin Xynthia Ammon, Desmons Adoptivschwester.« Ein Aufleuchten huschte über das Gesicht ihres Gesprächspartners. »Was hast du auf dem Herzen?« »Können wir uns treffen?« »Sofort?«
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Xynthia nickte. »Ich bin in der Nähe der Medostation.« Es vergingen keine fünf Minuten, bis Alfons Grödelmeier erschien. »Und?« machte er anstelle einer Begrüßung. »Was konntest du in Erfahrung bringen?« »Das kommt darauf an«, erwiderte Xynthia. Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie Desmon und sich selbst nicht in ein Geschehen hineinmanövrierte, das ihnen beiden über den Kopf zu wachsen drohte. »Ich weiß noch nicht einmal, weshalb du dich für den Zyrtonier interessierst.« »Weil es immer noch Leute an Bord gibt, die Borallu keineswegs vorbehaltlos vertrauen«, sagte Grödelmeier, ohne zu zögern. »Hayes selbst hat Thorsten Verkamp und mir den Auftrag erteilt, den Fremden zu überwachen. Sollte sich der geringste Verdacht ergeben, sind wir bevollmächtigt, einzuschreiten.« Xynthia zögerte nach wie vor. »Eigentlich glaube ich nicht, daß mein Adoptivbruder mit Borallu in Verbindung steht.« »Du kannst beruhigt sein, wir wollen nur Borallu.« Sie seufzte schwer und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Desmon ist krank, er liegt auf der Medostation. Vor zwei Stunden hat er versucht, die SOL mit einer Lightning-Jet zu verlassen. Borallu konnte ein Unglück im letzten Moment verhindern ...« »Ich weiß«, nickte Grödelmeier nicht gerade begeistert. »Mich interessiert mehr eine Antwort auf die Frage, wieso der Zyrtonier wieder mit Desmon zusammentraf.« »Ich hatte den Eindruck, daß Borallu etwas haben wollte, was mein Bruder besaß.« »Dann hat er es sicher bekommen?« Xynthia schüttelte den Kopf. »Was immer es war, Desmon konnte es vorher in den Notschacht werfen.« »Das ist neu«, machte Grödelmeier erstaunt. »Demnach fliegt also irgendein Gegenstand außerhalb der SOL herum, an den Borallu nun nicht mehr herankommt.« »Wahrscheinlich schwebt das Ding in unmittelbarer Nähe der Außenhülle«, überlegte Xynthia. »Die Schwerkraft der SOL dürfte groß genug sein, es festzuhalten. Wenn du dir einen Raumanzug ...« Grödelmeier schnippte mit den Fingern. »Jessica Stenton«, platzte er heraus. »Verkamps Freundin ist eine Buhrlo. Wenn sie aussteigt, fällt das niemandem auf.« * Lara stieß einen spitzen Schrei aus, als sie von der meterhohen, künstlich erzeugten Welle erfaßt wurde, jäh den Boden unter den Füßen verlor und recht unsanft auf dem Sandstrand landete. Prustend und spuckend stemmte sie sich hoch, Menizzas spöttisches Lachen geflissentlich überhörend. Weder sie noch
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die anderen konnten sich bislang in voller Konsequenz mit den Konventionen auf der SOL abfinden. Sie fanden nichts dabei, ohne Kleidung zu baden. Sie waren und blieben der Natur verbunden, während die Menschen auf dem Raumschiff nur einen Götzen zu kennen schienen: die Technik. Deshalb hatten sie auch den Roboter desaktiviert, der das Wellenbad beaufsichtigte. Menizza ließ ihr Antigravbrett ins Wasser gleiten. In steilem Winkel die auflaufenden Wellen schneidend, hatte sie Mühe, stehend das Gleichgewicht zu halten. Aber sie schaffte es und glitt leicht wie eine Feder über die Schaumkronen dahin. Doch unvermittelt war ihr, als erhalte sie einen kräftigen Schlag in die Magengegend, der sie ächzend zusammensinken ließ. Das Brett machte sich unter ihren Füßen selbständig; kopfüber stürzte sie in die Flut und begann, wild um sich zu schlagen. Wasser drang ihr in Mund, Nase und Ohren, und der salzige Geschmack ließ sie Todesängste empfinden. Die Schmerzen wurden stärker. Dann war nichts mehr – von einem Moment zum anderen erlosch jegliche Empfindung. Verzweifelt bemühte Lara sich, die ertrinkende Freundin über Wasser zu halten. Aber sie schaffte es nicht, sich den Wellen entgegenzustemmen. Sie schrie, schluckte, schrie wieder ihre Verzweiflung hinaus, obwohl sie wußte, daß niemand sie hören konnte, weil sie allein waren. Plötzlich tauchte neben ihr ein chitingepanzerter Körper auf. Wie durch einen dichter werdenden Nebel hindurch nahm Lara wahr, daß kräftige Fäuste sie hochhoben und an Land trugen. Ein unheimlicher Druck lag auf ihrem Brustkorb, der ihr sogar das Atmen zur Qual machte. »Danke«, hauchte sie. Die mannsgroße Ameise sagte etwas, was Lara schon nicht mehr verstand. Mit zitternden Fühlern stelzte sie durch den Sand, hielt mehrmals inne und hob dünne, unterarmlange Hölzer auf, die von den Wellen angespült worden waren. * Als Menizza wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, sah sie über sich eine türkisfarbene Decke. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Aber das beklemmende Gefühl in ihren Eingeweiden wurde zunehmend intensiver. Ein besorgt wirkendes Gesicht schob sich in ihr Blickfeld. »Was ist geschehen?« Das Sprechen fiel ihr schwer. »Du wärst beinahe ertrunken«, antwortete der Mann. »Und deine Freundin auch. Zum Glück konnte Borallu euch noch rechtzeitig aus dem Wasser ziehen.«
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»Ich weiß nichts mehr.« Prickelnd kehrte das Leben in ihre Glieder zurück. »Wo bin ich?« »Auf der Medostation; ich bin Doktor Machon. Die Roboter hatten Mühe, dich ins Bewußtsein zurückzuholen.« Einem jähen Impuls folgend, wollte Menizza sich erheben, zuckte jedoch zusammen, als sie die Beine aus dem Bett schwang. Der Arzt schob sie sanft zurück. »Ich will nicht hierbleiben«, stöhnte das Mädchen. »Doch«, bestimmte Machon. »Hier ist bestens für dich gesorgt. Morgen sehen wir weiter.« »Warum hilft mir niemand?« Menizzas Stimme überschlug sich regelrecht. »Ich muß fort!« Ein Medoroboter setzte der heftig Widerstrebenden eine Injektionspistole an den linken Oberarm. Wenig später entspannten sich ihre verkrampften Züge. »Alles ist bald wieder in Ordnung«, lächelte der Arzt. »Was hat der Roboter mir gegeben?« »Ein Schlafmittel.« * Für drei Personen war der kleine Raum fast schon zu eng – und das auf einem Schiff wie der SOL, die weit mehr als 100.000 Menschen ausreichenden Lebensraum geboten hätte. In manchen Bereichen konnte man noch immer stundenlang herumwandern, ohne einem einzigen Solaner zu begegnen. Aber daran dachte Xynthia nicht, als sie zusammen mit Thorsten Verkamp und Alfons Grödelmeier auf einem der Bildschirme das Geschehen im freien Raum verfolgte. Jessica Stenton hatte sich spontan bereiterklärt, außerhalb des Schiffes nach etwas zu suchen, von dem keiner wußte, was es überhaupt darstellte. Buhrlos wie Jessica waren in der Lage, ohne technische Ausrüstung für längere Zeit dem absoluten Vakuum zu trotzen. Da insoweit allerdings jede Sprechverbindung illusorisch wurde, trug die Frau eine Minikamera mit sich. Die auf einer Spezialfrequenz hereinkommenden Bilder wurden von Verkamp gespeichert, um sie jederzeit wieder abrufbar zu haben. Im Augenblick befand Jessica Stenton sich noch in der Nähe der Teleskopkuppel der SZ2. Von ihrem Standort aus war lediglich die obere Schiffshälfte bis zum Ringwulst zu überblicken – der imposante Anblick, den die immerhin sechseinhalb Kilometer lange SOL in ihrer Gesamtheit aus einiger Entfernung bot, ließ sich nur erahnen. Gleich einem riesigen leuchtenden Auge hing die Sonne des Junk-Systems über dem Schiff; trotz der Distanz von einigen Lichtminuten rief sie leuchtende Reflexe auf dem Ynkelonium-Terkonit-Verbundstahl der Schiffshülle hervor und zeichnete zugleich scharf abgegrenzte
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Schlagschatten. Jessica hatte die Schleuse im oberen Polbereich zusammen mit anderen Buhrlos verlassen, sich aber von ihnen abgesondert, da diese mit einem raumflugtauglichen Gleiter tiefer in das System eindringen wollten. Die Frau führte ein kleines, gasgefülltes Rückstoßaggregat mit sich; als sie die Düsen für einen Sekundenbruchteil zündete, begann sie sich um die eigene Achse zu drehen. Das Universum lag zu ihren Füßen ... Nur wenige Menschen konnten wirklich ermessen, welch berauschendes Gefühl es war, die Unendlichkeit der Zeit und des Raumes ohne die trennende Hülle eines Anzugs um sich her zu spüren. Langsam glitt die Buhrlofrau an der Rundung der Schiffszelle entlang. Scheinbar zum Greifen nahe standen drei hell strahlende Sterne. Obwohl man mit bloßem Auge nicht sehr viel erkennen konnte, verriet die Dreiecksformation, daß es sich um die Heimatschiffe der Vulnurer handelte. Überrascht tippte Alfons Grödelmeier mit seinem Zeigefinger auf die Bildwiedergabe. »Fällt euch nichts auf?« »Wieso?« machte Verkamp erstaunt. »Alles läuft reibungslos.« »Das meine ich nicht«, wehrte Grödelmeier ab. »Die Hangars sind geschlossen. Es sieht so aus, als wäre der Verkehr zwischen den Vulnurern und uns zum Erliegen gekommen.« »Vielleicht hat man sich auf die Transmitter verlegt«, vermutete Verkamp. Jessica Stenton kam allmählich in die Nähe der Jet-Hangars. Eine Gruppe von Arbeitsrobotern geriet in den Bereich der Optik. Sie waren damit beschäftigt, in die Schiffswandung eingebettete Antennensysteme zu erneuern, und beachteten die Frau nur flüchtig. Wie ein riesiges, stählernes Gebirge wuchs der 400 Meter dicke Ringwulst vor ihr auf. Jessica ließ sich absinken und bewegte sich jetzt zielstrebiger. »Sie muß gleich da sein«, bemerkte Thorsten Verkamp ungeduldig. Eine gewisse Spannung bemächtigte sich der drei. Vor allem Xynthia fieberte einem Ergebnis entgegen. Der Bildschirm zeigte einen schnellen Schwenk über die Oberfläche. Deutlich war die verschlossene Schachtöffnung zu erkennen. Dann wechselte die Brennweite. »Da ist etwas«, rief Grödelmeier. »Neben dem Schacht.« Es sah aus wie zwei dünne Äste. »Ich glaube nicht, daß Desmon ...« Xynthia unterbrach sich, als das Bild zu schwanken begann.
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Jessica bückte sich nach den Hölzern. Von der Seite kam ihre Hand ins Bild. Deutlich war zu sehen, wie ihre Finger sich um einen Ast schlossen. Er war unverrückbar fest mit dem Ynketerk-Stahl verbunden und ließ sich nicht bewegen – selbst als die Frau mit beiden Händen zupackte.
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3. Von den Ortungen kam die Meldung, daß auf den Schiffen der Vulnurer große Energiemengen freigesetzt wurden. »Was geht dort drüben vor?« Solania von Terra war soeben im Begriff gewesen, das Kommando über die SZ-2 ihrem Stellvertreter zu übertragen. Solange die SOL im Verbund beider Kugelhälften mit dem Mittelstück flog, war diese Besetzung ohnehin nur von untergeordneter Bedeutung, da sämtliche Flugmanöver von SENECA oder der Hauptzentrale angeordnet wurden. »Die GESTERN und die MORGEN haben ihre Position verlassen und beschleunigen mit Kurs 80 Grad zur Ekliptik.« »Wollen sie das Junk-System verlassen?« »Zumindest sieht es so aus. Die HEUTE folgt den Schwesterschiffen mit einiger Distanz.« »Haben wir Funkkontakt?« »Die Verbindung ist vor wenigen Sekunden zusammengebrochen.« »Trotz der geringen Entfernung von nur zwei Lichtminuten? Das ist geradezu lächerlich.« Die Kommandantin führte eine Reihe von Schaltungen durch, woraufhin mehrere der bislang noch dunklen Bildschirme vor ihr aufflammten. Rasch wechselnde Datenkolonnen wurden eingeblendet. Vorübergehend schien Solania von Terra alles um sich her zu vergessen. Ihre Lippen bewegten sich in stummem Zwiegespräch mit sich selbst. Schließlich rief sie Daten der Masseortung ab und fütterte diese in die Positronik. Die Folge war ein dreidimensionales Diagramm, das einen Zeitraum von mehreren Minuten beinhaltete und aus dem Grund als instabil erschien. Zum Vergleich liefen die augenblicklichen Meßergebnisse nebenher. Jemand stieß einen überraschten Pfiff aus. »Ganz recht«, nickte Solania. »Die Vulnurer ziehen es vor zu verschwinden, lassen aber an ihrer bisherigen Position Energie- und Massefelder zurück, die denen ihrer Schiffe annähernd identisch sind. Fragt sich nur, wem das Täuschungsmanöver gilt.« Nachdenklich betrachtete sie das Oszillogramm der Hyperortung. »Verbindung zur Hauptzentrale«, befahl sie dann. Sensoren stellten die gewünschte Schaltung her. Nur einen Augenblick später blickte Breckcrown Hayes’ Konterfei von der Wand herab. »Wajsto Kolsch hat ebenfalls nachgefragt«, klang seine Stimme durch die Zentrale. »Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Die Vulnurer sind lediglich mit internen Problemen beschäftigt.« »... deretwegen sie unsere Nähe verlassen? Breck, halte mich nicht für so dumm, daß ich dir das
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abkaufe. Was ist los?« »Die Meldung darf vorerst nicht publik werden.« »Du weißt, daß ich mich auf meine Mannschaft verlassen kann.« Die Kommandantin seufzte laut. »Heraus mit der Sprache.« Was der High Sideryt zu sagen hatte, überraschte. An Bord der drei Heimatschiffe waren frisch aus den Eiern geschlüpfte Vulnurer spurlos verschwunden. Selbst der Aufbau sämtlicher Defensivschirme hätte diese Vorfälle nicht unterbinden können. »Ein Angriff der Zyrtonier«, vermutete Solania spontan. »Ich traue den Zecken einfach alles zu. Aber weshalb ist die SOL noch nicht betroffen? Gibt es schon irgendwelche Hinweise ...?« »Die Vulnurer vermuten eine Wechselwirkung zwischen unserer und einer anderen Dimension, die von den Zyrtoniern angezapft wird.« »Dann hilft ihr Fluchtversuch herzlich wenig.« »Ich kann dieses Volk sogar sehr gut verstehen«, sagte Hayes. »Wie würdest du reagieren, wenn du nach generationenlanger Suche nach der Lichtquelle dem Ziel deiner Wünsche endlich so nahe wärst wie nie zuvor? Und wenn du dann erkennen müßtest, daß der letzte Weg für dich verschlossen ist, weil du um einige Tage zu spät gekommen bist?« Die Kommandantin schwieg. »Vielleicht gibt es sogar eine brauchbare Spur«, erklärte der High Sideryt weiter. »Für jeden verschwundenen Vulnurer fand sich angeblich etwas wie ein Stück Holz zwischen den gesprengten Eischalen.« »Holz?« fuhr Solania von Terra auf. »Sagtest du Holz? So ein komischer weißer Ast, unterarmlang, mit Schuppen übersät ...« »Woher weißt du ...?« klang es verblüfft aus dem Lautsprecher. Die Kommandantin war aufgesprungen. Sie gab sich keine Mühe, ihre Erregung zu verbergen. Aber im letzten Moment zögerte sie und zog den schon ausgestreckten Arm zurück. »Breck«, sagte sie leise. »Was soll ich tun?« Auf der Konsole über ihrem Schaltpult lag nicht bloß der eine Ast, von dem sie bis eben noch glaubte, daß Desmon ihn verloren hatte, sondern es waren drei. Ihre in allen Farben des Regenbogens schimmernden Auswüchse konnten die Aura der Gefahr, die von ihnen ausging, nicht überspielen. Solania verstellte den Erfassungsbereich der Optik, daß Hayes die eigenartigen Gebilde deutlich zu sehen bekam. Sie hörte sein überraschtes Aufatmen.
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»Unternimm nichts, solange wir nicht wissen, wie gefährlich diese Dinger sind«, sagte er. »Ich schicke dir einen Spezialisten.« »Du kommst nicht umhin, alle Solaner zu informieren«, meinte die Kommandantin der SZ-2. »Wie hoch schätzt du die Möglichkeit, daß diese Äste auch an anderen Stellen des Schiffes aufgetaucht sind?« * »Ich muß zu Desmon!« Weder Alfons Grödelmeier noch Thorsten Verkamp waren in der Lage, Xynthia zurückzuhalten. Was sie soeben über den Rundspruch erfahren hatten, war ihnen regelrecht in die Glieder gefahren. Sie brauchten nur auf den Bildschirm zu sehen, um zu wissen, daß Jessica Stenton möglicherweise in höchster Gefahr schwebte. »Wir müssen sie warnen!« rief Verkamp aufgeregt.
»Jessica ist draußen ohne Funkgerät.« »Dann gehe ich eben auch raus.« Verkamp zeigte alle Anzeichen
einer aufkommenden Panik. Er wollte ebenfalls den Raum verlassen, aber Grödelmeier hielt ihn mit
eisernem Griff zurück.
»Sei vernünftig, Thorsten. Bis du Jessica erreichst, vergehen mindestens zehn Minuten.«
»Ich bin vernünftig.« Vergeblich versuchte Verkamp, freizukommen.
»Das bist du eben nicht«, widersprach Grödelmeier. »Breckcrown Hayes hat von einer möglichen Gefahr
gesprochen. Was noch lange nicht heißt, daß es wirklich zu Zwischenfällen kommen muß.«
Auf dem Bildschirm war zu sehen, wie die Buhrlofrau erneut versuchte, die beiden astförmigen Gebilde
von der Schiffshülle zu lösen. Sie schaffte es nicht.
Da auch sonst nichts geschah, wurde Thorsten Verkamp allmählich ruhiger.
»Was ist jetzt?« fragte Grödelmeier. Jessica Stenton machte ihnen mit Daumen und Zeigefinger Zeichen,
indem sie ihre Hand einfach vor die Kamera hielt.
»Sie meint, wir sollen abwarten«, erklärte Verkamp. »Was hat sie bloß vor?«
*
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Die Interkomdurchsage hatte Xynthia erschreckt. Blindlings rannte sie durch die Gänge und warf sich förmlich in den Antigravschacht, um so schnell wie möglich mit ihren Eltern reden zu können. An die Möglichkeit anzurufen, dachte sie nicht. In der Kabine fand sie allerdings nur einen Infowürfel, der für gewöhnlich benutzt wurde, wenn ein Familienmitglied den anderen eine Nachricht hinterlassen wollte. Mit fliegenden Fingern aktivierte sie das Gerät und vernahm dann die aufgeregt klingende Stimme ihrer Mutter: »Wir wissen leider nicht, wo du bist, aber die Medostation hat uns gebeten, sofort zu kommen. Desmon scheint es sehr schlecht zu gehen.« Damit endete die Aufzeichnung. Beinahe fluchtartig verließ Xynthia den Wohntrakt wieder. Völlig außer Atem erreichte sie die Krankenstation. Die Eltern einiger BRISBEEKinder diskutierten lebhaft miteinander. Ohne auf die ihr geltenden Zurufe zu achten, suchte Xynthia Desmons Krankenzimmer auf. Es war leer. Sogar das Bett hatte man entfernt. Der Schreck fuhr ihr in alle Glieder. Kam sie zu spät? »Desmon«, brach es tonlos aus ihr hervor. Sie zuckte erschrocken zusammen, als sich unvermittelt eine Hand auf ihre Schulter legte. Ohne daß es ihr aufgefallen war, hatte einer der Ärzte ebenfalls den Raum betreten. »Wir mußten deinen Bruder auf die Intensivstation verlegen«, sagte er. »Desmon hat heute nachmittag einen schweren Schock erlitten. Es hat den Anschein, als liege ihm nichts mehr am Leben.« »Du meinst«, Xynthia blickte den Arzt aus schreckgeweiteten Augen an, »er hat nichts, was ihn auf der SOL hält?« »Ich hoffte, die Antwort darauf von dir zu bekommen. Immerhin kann inzwischen ausgeschlossen werden, daß die Erkrankung durch organische Ursachen bedingt ist.« »Könnte ...?« murmelte Xynthia. »Ja? Was wolltest du sagen? Möglicherweise hilfst du Desmon und den anderen damit.« Das Mädchen wirkte unschlüssig. »Wir müssen das Schlimmste befürchten. Die Symptome sind, mehr oder weniger ausgeprägt, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Fieber, das selbst mit Medikamenten nicht unter Kontrolle zu bekommen ist. Trotz intensiver Behandlung verschlechtert sich die Situation stetig.« Als Xynthia dann vor Desmon stand, hätte sie ihn beinahe nicht wiedererkannt. Zusammengerollt, die Lider geschlossen, lag er auf einer Wärmedecke. Das Mädchen zwängte sich an den Eltern vorbei und setzte sich auf die Bettkante.
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»Darf ich?« fragte sie.
Der Arzt nickte aufmunternd.
Sanft strich Xynthia ihrem Bruder über die Schläfen. Schweiß bedeckte seine Haut, sie fühlte das Blut in
den Adern pochen. Desmon schlug die Augen auf, aber sein Blick ging ins Leere.
»Erkennt er mich nicht mehr?«
»Das ist durchaus möglich«, bestätigte der Arzt. »Jedes der Kinder zeigt eigentlich irrationale
Verhaltensweisen. Nur untereinander halten sie noch Kontakt. Ich kam dazu, wie Dyla sich von den Meßkontakten befreite und zu Desmon wollte. Wahrscheinlich wäre sie keine zehn Meter weit gekommen, ohne zusammenzubrechen. Trotzdem entwickelte sie Kräfte, daß ich Mühe hatte, sie zurückzuhalten.« »Desmon kapselt sich ab, als wollten er und die anderen nichts mehr mit uns Solanern zu tun haben«, sagte Xynthias Vater tonlos. »Das kann nicht wahr sein«, begehrte sie auf. In dem Moment hatte sie nur noch Angst um ihren Bruder. Sie wandte sich an den Arzt: »Ist es möglich, daß jemand eine psychische Beeinflussung ...?« »Wer?«
»Jemand, der Interesse daran hat, Unruhe zu verbreiten.«
»Du meinst Borallu«, überlegte der Mediziner. »Was sollte ausgerechnet er sich von den Kindern
versprechen?«
»Sie stammen aus der Namenlosen Zone.« »Das ist kein ausreichender Grund. Wenn ich mit einem derart vagen Verdacht vor Hayes oder Atlan hintrete, lachen sie mich bestenfalls aus.« »Und wenn du ihnen erklärst, daß Desmon zwei solche Äste besessen hat, wie der High Sideryt sie in seinem Rundspruch beschrieb? Und daß Borallu hinter ihm her war, um sie an sich zu bringen ...«
Will Ammon, Xynthias Vater, machte einen raschen Schritt auf sie zu. »Ist das wahr?« fragte er leise.
»Ich habe es selbst gesehen«, nickte das Mädchen. »Ich weiß auch, wo die Äste jetzt sind.«
»Warum hast du das nicht eher gesagt?« Ammon wirkte ungehalten. Wenn sein Gesicht sich rötete, war
dies stets ein Alarmzeichen.
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Xynthia schluckte krampfhaft. Ohne daß sie es verhindern konnte, rollten die ersten Tränen über ihre Wangen. »Hör auf zu heulen!« Ihr Vater faßte sie an den Handgelenken und wollte sie mit sich ziehen, aber sie riß sich ruckartig los und lief auf den Gang hinaus. Das gegenüberliegende Krankenzimmer stand offen. Als Xynthia einen flüchtigen Blick hineinwarf, zuckte sie unwillkürlich zusammen. * Die drei vermeintlichen Äste veränderten ihr Aussehen nicht mehr. Nachdem Solania von Terra einen von ihnen ohnehin schon in Händen gehalten hatte, fühlte sie sich versucht, es noch einmal ohne den angekündigten Spezialisten zu versuchen. Ihre Rechte näherte sich der Konsole bis auf wenige Zentimeter, bevor sie unverhofft einen starken elektrischen Schlag erhielt, der ihren Arm nach hinten riß. Von den Ästen ging ein statisches Knistern aus, dessen Tonlage allmählich in einen für Menschen unhörbaren Bereich hinüber glitt. Benommen schüttelte sich die Kommandantin der SZ-2. Nur wenig später schwebten Kampfroboter in die Zentrale – ihnen voran Hage Nockemanns ehemalige Laborpositronik. Blödel, in der Hauptsache eine 1,22 Meter lange und 34 Zentimeter durchmessende Röhre, an seinem oberen Ende mit einem vergleichsweise winzigen Kopf versehen, war durchaus in der Lage, selbständig und folgerichtig zu denken und zu handeln. Eine solch banale Bezeichnung hätte allerdings sowohl für ihn als auch für seinen nicht minder kauzigen Herrn eine Beleidigung dargestellt. Blödel war ohne Zweifel ein Genie. Die beiden Teleskoparme bis zur vollen Länge von zwei Metern ausgefahren und mit ihnen konfus in der Luft herumwirbelnd, wandte der Roboter sich abrupt zu seinen stählernen Gefährten um, die ihn um mehr als Haupteslänge überragten. Gegen die starken Kampfmaschinen wirkte er wie ein Zwerg. Wie eine verbeulte Konservendose, in die man eine Unmenge von Öffnungen hineingeschnitten hat, überlegte Solania unwillkürlich. An den Gesichtern einiger Männer und Frauen der Zentralebesatzung konnte sie erkennen, daß diese nicht viel anders dachten. »Aaaaalles stillgeeee... standen!« schnarrte Blödel. Die Kampfroboter verharrten auf der Stelle, was ihn offensichtlich mit Stolz erfüllte, denn er kratzte sich in aller Seelenruhe seinen Schnauzbart aus grünen Plastikhaaren. Dann erst baute er sich vor der Kommandantin auf und versuchte, militärisch exakt zu salutieren, was ihm bei der derzeitigen Länge seiner Arme nur sehr unvollkommen gelang. »Scientologe Blödel und sechs Kampfroboter zum Schutz der SZ-2 angetreten!« meldete er. »Wir haben Befehl ...« Er stockte. »Breckcrown Hayes hat uns ... ich meine, äh, der High Sideryt befiehlt ...« Sekundenlang stand er vollkommen reglos, schließlich drang ein langgezogener Seufzer aus seiner Sprechmembrane. »Lassen wir den militärischen Unfug«, sagte er. »Breck hat mir gesagt, hier gäb’s einige komische Dinger auseinanderzunehmen.« Die Kommandantin deutete auf die Konsole. »Zuerst war es nur eins«, erklärte sie. »Als ich vorhin mit der Hand in ihre Nähe kam, erhielt ich einen ziemlich starken Stromschlag.«
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»Was natürlich nicht ausschließt, daß es sich um lebende Organismen handelt«, folgerte Blödel. »Wir kennen genügend Beispiele. Angefangen von Fischen, die zu ihrer Verteidigung elektrische Stöße aussenden ...« Er wandte sich zu den Kampfrobotern um. »Das mache ich allein. Bleibt auf euren Plätzen.« Ohne zu zögern, packte er mit den Greiffingern beider Arme zu. Es gab eine krachende Entladung, und eine Wolke beißenden Ozongeruchs breitete sich aus. »Oa, eine allotrope Modifikation gewöhnlichen Sauerstoffs«, registrierte Blödel. »Entsteht unter der Einwirkung ultravioletter Sonnenstrahlung oder durch elektrische Entlaaa...« Funken stoben nach allen Seiten davon, eine Vielzahl von Überschlagsblitzen umflossen den Roboter und schlossen sich knisternd zwischen seinen Armen und dem Boden. Blödel schwankte. Und dann, zeitlupenhaft langsam, kippte er und schlug der Länge nach hin. Die ihn einhüllenden Entladungen verblaßten rasch. Das erste, was sich anschließend wieder bewegte, war sein Kopf. Mit seinem einzigen Auge fixierte er die Konsole. »Das sind wandelnde Akkus«, stellte er fest. »Noch dazu verdammt schlecht isoliert.« »Hast du eine Vorstellung, wie wir sie von da oben wegbekommen?« wollte Solania wissen. »Na, ja«, sagte Blödel. »Auf jeden Fall werden die drei Dinger nicht mehr lange auf der Konsole liegen. Das verspreche ich.« Er winkte den Kampfrobotern: »Steht nicht herum wie Ölgötzen, bewegt euch lieber. Ich brauche ein Energiekäfig, der diese Gebilde einschließt. Koppelt eure Projektoren – nun macht schon.« Die schweren Maschinen traten im Halbkreis an. Blödel hielt sich diesmal hinter ihnen und beschränkte sich aufs Befehle erteilen. Ein leichtes Flimmern der Luft ließ die Position des errichteten Prallfelds erkennen. Doch setzte dieses den Ästen keinerlei Widerstand entgegen. Mit wellenförmigen Bewegungen ihrer Hautlappen erhoben sie sich und strebten schwerfällig auseinander. »Vorsicht!« rief Blödel. »Ich kann ihre Reaktionen nicht vorausberechnen.« Die Äste schwebten auf die nächsten Schaltpulte zu. Womöglich wurden sie durch die Vielzahl bunter Kontrollen angelockt. »Abschalten!« befahl Blödel. »Sofort!« Die seltsamen Gebilde zeigten sich daraufhin zwar verwirrt, behielten jedoch ihre Richtung bei. »Laßt sie passieren«, wandte die Kommandantin sich an die Besatzung. »Weicht ihnen aus und vermeidet jede Berührung.« Mehrere Klappen an Blödels Körper hatten sich geöffnet und verschiedenartige Instrumente freigegeben. Der Scientologe versuchte herauszufinden, ob die schwebenden Gebilde auf bestimmte Frequenzen ansprachen. Aber erst Ultraschall ließ sie unruhig reagieren. Plötzlich verloren sie die Kontrolle über ihre Bewegungen und taumelten auf eine Gruppe von Menschen zu. Jemand schoß. Der Glutstrahl traf einen der Äste und floß an ihm auseinander, ohne Schaden anzurichten.
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Das Wesen, oder was immer es sein mochte, verharrte sekundenlang wie erstarrt und ließ sich dann zu Boden sinken, wo es zischend und blasenwerfend im Plastbelag versank. Die beiden anderen torkelten auf einen der Kampfroboter zu, durchstießen dessen blitzschnell aktivierten Schutzschirm und setzten sich auf seiner Metallhaut fest. Auch hier geschah annähernd dasselbe: offenbar handelte es sich um Säure, die den Stahl zerfraß. Der Kampfroboter geriet außer Kontrolle. Er drehte sich im Kreis, und seine Waffenarme ruckten hoch. Bevor es allerdings soweit kam, daß die Maschine verheerenden Schaden anrichtete, verlor sie ihren Gleichgewichtssinn und schlug der Länge nach hin. Mehrere schwache, durch die ins Innere des Robotkörpers eindringende Säure ausgelöste Explosionen richteten zum Glück keinen Schaden an. »Du hast gewußt, was geschehen würde?« wandte die Kommandantin sich an Blödel. »Nein«, erwiderte die Positronik. Solania deutete auf den Boden, wo sich auf gut einem halben Quadratmeter der Belag aufzulösen begann. »Du hast uns das eingebrockt«, schimpfte sie. »Jetzt sieh zu, wie du den Vorgang zum Stillstand bringst.« * Jessica Stenton plazierte die Kamera in der Nähe der beiden Hölzer und machte erneut das Zeichen für Abwarten. Dann entfernte sie sich mit Hilfe ihres Rückstoßaggregats schnell aus dem ohnehin begrenzten Erfassungsbereich der Optik. »Sieht so aus, als wolle sie wieder an Bord kommen«, stellte Alfons Grödelmeier sachlich fest. »Dann können wir sie warnen«, rief Verkamp. »Weißt du, welche Schleuse sie nimmt?« »Nein«, machte Thorsten und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ich muß es über Rundruf versuchen.« Aber noch während er den Interkom aktivierte, kehrte seine Freundin zurück. Sie trug eine gut zwei Meter lange Eisenstange bei sich, und ihre Absicht war unverkennbar. »Woher hat sie das Ding so schnell?« »Wir haben den Reparaturtrupp vergessen. Das ist eines von den ausgewechselten Antennenteilen.« Nur halb sah Thorsten Verkamp zu, wie Jessica die Stange als Brecheisen benutzte. Verzweifelt versuchte er, eine Verbindung zur Zentrale der SZ-2 herzustellen. Sein Ruf wurde zwar empfangen, dennoch erhielt er keine Antwort. Endlich verschwand das nervtötende Wartesymbol vom Monitor und machte dem weitaus hübscher anzusehenden Gesicht eines jungen Mädchens Platz. »Ich soll wohl alt und grau werden, bis sich endlich jemand bequemt, mit mir zu reden«, legte Verkamp los.
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»Es tut mir leid, wir hatten eben einige Probleme.« »Interessiert mich nicht. Draußen ist ein Reparaturtrupp – ich brauche eine Sprechverbindung, und zwar umgehend.« »Ohne ausreichende Begründung kann ich nicht ...« »Mädchen, ich werde dir die Begründung geben, sobald alles vorbei ist. Aber jetzt, bitte, tu mir den Gefallen.« »Sie schafft es«, rief Grödelmeier aufgeregt. »Jessica, sei vorsichtig!« Die beiden vermeintlichen Hölzer ringelten sich zusammen, gleichzeitig ging von ihnen eine grelle, blendende Entladung aus. Störungen in der Bildübertragung ließen kaum mehr etwas erkennen. »Es geht um diese verdammten Äste«, schrie Thorsten Verkamp in den Interkom. »Ich weiß nicht, was passiert, aber wenn es meine Freundin dort draußen erwischt ...« »Wir haben mehrere Trupps, die mit Reparaturarbeiten befaßt sind.« »Einer von ihnen muß in der Nähe eines Hangars für Lightning-Jets sein«, sprudelte Verkamp hervor. Das Bild wechselte. Die Kommandantin der SZ-2 blickte ihm jetzt vom Monitor entgegen. »Was ist wirklich los?« wollte sie wissen. »Zwei der Äste hängen am Schiff. Eine Buhrlo versucht, sie abzulösen, sie ...« »Die Verbindung kommt!«
Es gab keinen Sichtkontakt. Thorsten schloß daraus, daß er mit einem Roboter verbunden worden war. Aber das störte ihn nicht. Im Gegenteil. Maschinen reagierten schneller und vor allem exakter als Menschen. Bevor er jedoch die Situation erklären konnte, geschah das, was er insgeheim befürchtet hatte. Die Äste lösten sich und schwebten auf Jessica zu. Thorsten Verkamp hörte jemanden aufschreien. Bis er begriff, daß er selbst den Schrei ausgestoßen hatte, riß Jessica bereits die Metallstange hoch und setzte sich zur Wehr. Furcht hatte sich in ihre Züge eingegraben. Sie handhabte das Antennenstück so geschickt, wie es unter den Verhältnissen der Schwerelosigkeit nur Buhrlos können. Eine gleißende Strahlbahn stand plötzlich neben ihr. Wer immer geschossen hatte, die Energie umfloß einen der Angreifer und trieb ihn von der SOL weg. Der andere zog sich mit blitzschnellen Bewegungen an der Stange empor. Im letzten Moment, ehe das Geschöpf sie erreicht hatte, wirbelte Jessica Stenton das Eisen davon. Eine Weile stand sie da und blickte in die sternenklare Weite von Bars-2-Bars, dann bückte sie sich nach der Kamera und richtete das Objektiv neu aus. Wo die Äste gelegen hatten, war das Ynkelonium-Terkonit mindestens eine Handbreit tief aufgefressen.
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4. »Nehmt Borallu fest!« rief Xynthia. »Er ist an allem schuld.« Voll verhaltenem Zorn starrte sie den Zyrtonier an, der neben Monares Krankenbett stand und leise auf das Mädchen einredete. Monares Mutter zuckte merklich zusammen. »Ich weiß, daß er ein Verräter ist«, behauptete Xynthia. »Er hat Desmon und alle anderen infiziert.« Der Zyrtonier wandte sich zu ihr um und schüttelte den Kopf. »Ich mache einen Krankenbesuch, weil ich herauszufinden hoffe, was geschehen ist.« »Du lügst«, fuhr das Mädchen ihn an. »Ich habe selbst gesehen, wie du Desmon verfolgt und bedrängt hast. Was hatte er herausgefunden?« »Nun ist es aber genug, Xynthia.« Der Arzt versuchte sie zu beruhigen. »Ich will, daß jeder mich hört«, begehrte sie auf. »Borallu muß zu Atlan oder Hayes gebracht werden.« »Vielleicht hat das Mädchen recht«, nickte jemand. »Wissen wir denn, ob wir dem Zyrtonier wirklich vertrauen können?« Alle waren nur zu bereit, einen Schuldigen zu finden. Sie sahen, daß es den Kindern stetig schlechter ging, ohne daß die medizinische Technik helfen konnte. Zudem hatten die letzten Ereignisse während der Suche nach den Vulnurern bei vielen Solanern Spuren hinterlassen. Es bedurfte nur noch eines einzigen Funkens, um die angestauten Emotionen aufbrechen zu lassen. Und genau ein solcher Funke war der Verdacht, Borallu könnte den Menschen feindlich gegenüberstehen. Will Ammon schüttelte spontan die Fäuste. Ehe der Zyrtonier es sich versah, wurde er von mehreren Männern angegriffen, die ihm die Arme auf den Rücken zerrten. Er war zu überrascht, um sich wirksam zur Wehr zu setzen. »Achtet auf die Kieferzangen! Kommt ihnen nicht zu nahe!« Ammon riß einen Stuhl hoch und schlug zu. Der erste Hieb traf Borallus Schulter und glitt am harten Chitinpanzer ab. Den zweiten Stoß führte er von der Seite, das dünne Metallrohr splitterte, während der Zyrtonier den sicheren Stand verlor und stürzte. Ein Schwall scharf riechender Flüssigkeit verspritzte. »Das ist Ameisensäure. Seht euch vor.« Borallu überwand allmählich seine Verblüffung. Ächzend stemmte er sich hoch, schüttelte die Angreifer ab und benutzte seine Zangen, um sie auf Distanz zu halten. »Aufhören!« ertönte eine befehlsgewohnte Stimme, als Will Ammon erneut den zersplitterten Stuhl schwang. »Wer noch eine feindselige Bewegung macht, wird erfahren, wie unangenehm es ist, für einige Stunden gelähmt zu sein.« *
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»Ist SENECA nicht in der Lage, einen möglichen weiteren Übergang zu berechnen? Weshalb sollte eine außergewöhnliche Sonnenkonstellation nicht annähernd das gleiche bewirken wie die inzwischen geschlossenen Nabel?« Joscan Hellmut, Kybernetiker auf der SOL, bedachte den Katzer mit einem spöttischen Blick, bevor er nachdrücklich den Kopf schüttelte. »Du bist ein Laie auf dem Gebiet«, erwiderte er. »Erstens hätte SENECA eine solche Berechnung längst vorgenommen, wäre sie überhaupt möglich, und zweitens, das hat die Biopositronik deutlich zu verstehen gegeben, waren sämtliche in Frage kommenden Sektoren Anti-ES bereits bekannt.« Für den wortkargen Hellmut war dies eine lange Rede. Er gab seinem Begleiter dann auch zu verstehen, daß er die Diskussion über dieses Thema als abgeschlossen betrachtete. »Atlan wird sich damit nicht abfinden«, bemerkte Bjo Breiskoll. »Um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst zu erhalten, muß er in die Namenlose Zone zurückkehren. Ihm bleibt keine andere Wahl.« »Zumindest siehst du es so.« »Ist das alles, was du zu sagen hast?« Der Kybernetiker zuckte mit den Schultern. Beide hatten sich zufällig in der SZ-2 getroffen und waren auf dem Weg ins Mittelteil. Joscan Hellmut war anzusehen, daß er beinahe zwanzig Stunden ununterbrochen an einem rein kybernetischen Problem gearbeitet hatte; Bjo hingegen rückte nicht recht damit heraus, was er in der Nähe der Mannschaftsunterkünfte tat. Der Verdacht lag nahe, daß sich zwischen ihm und einer ausnehmend hübschen jungen Frau, mit der er in letzter Zeit mehrfach gesehen worden war, ein intimes Verhältnis anbahnte. »Das ist Unsinn«, bemerkte Breiskoll unvermittelt. »Was?« machte Joscan Hellmut irritiert. »Ria ist eine gute Freundin, mehr nicht.« Der Kybernetiker lief rot an. »Hast du in meinen Gedanken spioniert?« »Du weißt genau, daß ich das nie tun würde. Deine Überlegungen waren nur derart intensiv, daß ich sie einfach auffangen mußte ...« Er hatte noch etwas hinzufügen wollen, unterbrach sich aber. Für einen Außenstehenden mußte es den Anschein haben, als lausche der Katzer in sich hinein; Hellmut hingegen wußte, daß Bjo in dem Moment irgendwelche Gedanken esperte, die sich von der Norm abhoben. »Zur Medostation, schnell!« bestimmte Breiskoll. »Wenn wir uns nicht beeilen, lynchen sie Borallu.« Keine zwei Minuten später erreichten sie die Krankenstation. Ein ungewöhnliches Bild bot sich ihnen. Mehrere Männer und Frauen versuchten gemeinsam, eine mannsgroße Ameise zu Boden zu zwingen. Doch mit seinen Kräften und seiner Geschmeidigkeit war Borallu ihnen zumindest ebenbürtig. In dem Moment, in dem einer der Männer in unverkennbarer Absicht einen bereits demolierten Stuhl hochriß, schritt Breiskoll ein. Der Kombistrahler in seiner Rechten ließ keine Mißverständnisse aufkommen. »Warum hilfst du dem Verräter?« Die Ernüchterung über das, was sie beinahe getan hätten, stellte sich
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nur zögernd ein. »Ich verstehe eure Erregung«, sagte der Katzer, der sich inzwischen alle wichtigen Informationen telepathisch besorgt hatte. »Aber jedem sollte klar sein, daß es an Bord keine Privatjustiz gibt.« »Unsere Kinder sind schwer erkrankt. Glaubst du wirklich, dieser Zyrtonier sei daran unschuldig ...?« »Gebt endlich Ruhe«, zischte Breiskoll gefährlich leise. Er hatte viel von einer sprungbereiten Raubkatze an sich. Weil er in Borallus Emotionen keinerlei Feindseligkeit feststellen konnte, sondern eher einen Hauch von Wehmut, schob Bjo den Strahler in den Holster zurück. »Ihr solltet über euer Verhalten gründlich nachdenken«, wandte er sich an die betreten wirkenden Solaner. »Weder blinde Hysterie noch ein eigenmächtiges Vorgehen sind in unserer Lage angebracht.« »Was hast du vor?« wollte Gordon Blackwood wissen. »Ich bringe Borallu zu Atlan. Danach sehen wir weiter.« * Sie trafen den Arkoniden in seiner Kabine in SOL-City an, wohin er sich eben erst zurückgezogen hatte, um über die anstehenden Probleme in Ruhe nachdenken zu können. Atlan zeigte sich kein bißchen erstaunt, als Bjo Breiskoll, Joscan Hellmut und der Zyrtonier bei ihm erschienen. In kurzen, prägnanten Worten schilderte der Katzer das Vorgefallene. »So etwas habe ich beinahe befürchtet«, nickte der Arkonide schließlich. »Den Solanern ist nicht wohl in ihrer Haut und ich müßte lügen, würde ich das Gegenteil von mir behaupten. Immerhin hat der Gegner mehrfach bewiesen, daß er in der Lage ist, unsere Sicherheitsvorkehrungen zu unterlaufen.« »Dummerweise sprechen viele Fakten gegen Borallu«, stellte Breiskoll fest. »Bisher wurden keine Krankheitserreger festgestellt. Falls es also zu einer weiteren Verschlechterung im Gesundheitszustand der Kinder kommt, werden wir ihn vor dem Mob schützen müssen.« »Niemand wird Bakterien oder Viren finden«, ließ Borallu vernehmen. Atlan blickte ihn forschend an. Das unruhige Zucken der Fühler ließ auf einen Zustand innerer Erregung schließen. »In gewisser Weise fühle ich mich mit den Kindern verbunden«, erklärte der Zyrtonier. »Mit einigen habe ich sogar Freundschaft geschlossen. Zunächst wohl nur, weil ich von ihnen mehr über die Namenlose Zone zu erfahren hoffte und vielleicht auch über mein Volk. Mehr jedenfalls, als ich offiziell gesagt bekam. Leider mußte ich feststellen, daß die Kinder nichts wußten. Aber sie waren irgendwie sonderbar – anders
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als die Menschen, die an Bord dieses Schiffes aufgewachsen sind. Euch mag das vermutlich nicht auffallen, doch ein Fremder stellt solche Eigenheiten weit eher fest. Obwohl sie sich dessen selbst nicht bewußt sind, die Kinder haben Heimweh.« »Ähnliche Gefühle hat wohl jeder von uns irgendwann durchgemacht«, warf Hellmut ein. »Davon wird niemand krank.« »Auch nicht, wenn es sich um eine Art Extrem-Heimweh handelt?« »Wie soll ich das verstehen?« fragte Atlan. Borallu zögerte. Offenbar fiel es ihm schwer, seine Erklärung in Worte zu fassen. Er läßt sich von seinem Instinkt leiten, behauptete der Extrasinn. Deshalb fürchtet er, du könntest ihm nicht glauben. Atlan warf Breiskoll einen flüchtigen Blick zu, den dieser schulterzuckend beantwortete. War er nicht in der Lage, die Überlegungen des Zyrtoniers telepathisch zu erfassen? »Den Kindern haftet etwas an, das sie von euch Solanern unterscheidet«, sagte Borallu. »Eine schwer definierende Aura, sehr wahrscheinlich aus der Namenlosen Zone, vermutlich von ihrem Planeten Solist oder dessen Schockfront. Leider weiß ich zu wenig über die tatsächlichen Verhältnisse und bin deshalb auf Vermutungen angewiesen. Aber diese Aura beeinflußt die Kinder.« »Demnach sind die aufgetretenen Symptome rein psychischer Natur«, stellte Atlan fest. »Auf welche Weise äußert sich die Beeinflussung?« »Mit dieser Frage habe ich mich selbst schon einige Male befaßt«, erwiderte Borallu. »Ich muß gestehen, daß es keine zufriedenstellende Antwort gibt.« »Es wäre verfrüht, sich ernsthaft Sorgen zu machen«, warf Bjo Breiskoll ein. »Borallu sieht die Dinge düster, weil er nur darauf wartet, mit der Namenlosen Zone konfrontiert zu werden. Ich konnte bei den Kindern kein derart ausgeprägtes Heimweh erkennen.« Wortlos wandte Atlan sich dem Interkom zu und schaltete eine Verbindung zur Medostation auf der SZ-2. Er verzichtete auf jede Vorrede und erkundigte sich nur nach dem Befinden der Patienten. »Abgesehen davon, daß sie allmählich zur Ruhe kommen, geht es ihnen unverändert«, sagte der diensttuende Arzt. »Wir haben einigen von ihnen ein leichtes Schlafmittel verabreicht.« »Gut«, nickte Atlan. »Falls Unvorhergesehenes eintritt, unterrichte mich.« Er schien die Last der Verantwortung am liebsten weit von sich schieben zu wollen. Müdigkeit spiegelte sich in seinen Augen – es war die Müdigkeit eines nahezu Unsterblichen, in dessen Leben Freude und Leid mitunter so nahe beieinander wohnten, daß es schwerfiel, sie auseinanderzuhalten. Aber dann fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht und war schlagartig wieder der Alte. Ich hoffe, daß Chybrain endlich ein Zeichen gibt, oder daß die Vulnurer einen Weg in die Namenlose Zone finden, durchzuckte es ihn. Auch Borallu wirkte unruhig. »Ich werde mich selbstverständlich zurückhalten. Es liegt mir fern, neue Auseinandersetzungen mit übereifrigen Solanern zu provozieren.« »Nur für einen oder zwei Tage«, fügte Atlan hinzu, dem die besondere Betonung nicht entgangen war. »Bis die Dinge wieder ins Lot kommen.«
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Der Interkom summte. Atlan aktivierte den Empfang mittels Blickschaltung. Der Arzt von der SZ-2 rief an. »Zwei Kinder sind weg«, stieß er verstört hervor. »Weg?« wiederholte der Arkonide. »Wie soll ich das verstehen?« »Als ich eben nach ihnen sehen wollte, waren sie verschwunden. Niemand hat bemerkt, daß sie die Station verlassen haben.« »Wurden die Eltern schon verständigt?« »Natürlich. Aber dort sind sie nicht. Ich fürchte, sie haben sich in ihrem Zustand irgendwo verkrochen.« »In spätestens einer Viertelstunde haben wir die Ausreißer wieder«, versprach Atlan. »Ich veranlasse die Suche nach ihnen.« Der Arzt wirkte überaus beunruhigt. »Es geht mir weniger um Desmon als um die kleine Monare. Sie ist von allen am ärgsten betroffen.« * Daß er mit seinem Versprechen zu voreilig gewesen war, mußte der Arkonide schon bald einsehen. Selbst dem Telepathen Breiskoll gelang es nicht, eine Spur der Kinder zu finden. Tyari versagte ebenfalls.
Aber noch wollte Atlan eine offizielle Suchmeldung vermeiden, weil diese zweifellos neue Unruhe heraufbeschworen hätte. Nach beinahe zwei Stunden erzielte der Katzer endlich einen ersten Erfolg. Der Zufall wollte es, daß er die wütenden Gedanken eines Magazinverwalters erfaßte – eines alten Mannes, der es längst nicht mehr nötig gehabt hätte, irgendeiner Tätigkeit nachzugehen, dem jedoch die Gewohnheit eines geregelten Tagesablaufs über alles ging. Er war ein Ordnungsfanatiker, in dessen Lager jedes noch so kleine Teil seinen festen Platz besaß, an dem er es mit schlafwandlerischer Sicherheit fand. Daß die Türen mehrerer Schränke offenstanden, hatte es vorher nie gegeben. Noch dazu hatte jemand die Fächer durchwühlt und zwei Raumanzüge entnommen. Keine großen, schweren Kampfanzüge, sondern einfache Schutzhüllen für Kinder, wie diese von Eltern zumeist für die ersten Weltraumausflüge ihrer Sprößlinge angefordert wurden. Das war es auch, was Herbus Knoxham die Sache mysteriös erscheinen ließ. Er konnte sich nicht vorstellen, wer ein Interesse daran haben sollte, ausgerechnet diese Monturen zu entwenden. Mangels anderer Aufgaben nahm er den Vorfall zum Anlaß, um sämtliche Lagerbestände zu überprüfen. Dabei verzichtete er auf die Benutzung des Arsenalcomputers, weil ihm denkende Maschinen schon immer ein Greuel waren. Seiner Meinung nach förderten sie die Verdummung und Bequemlichkeit der Menschen. Schließlich war er selbst das beste Beispiel dafür, daß Arbeit jung erhielt. Mit seinen 209 Jahren fühlte er sich noch überaus rüstig und konnte nicht ohne Stolz behaupten, er sei schon von Anfang an auf der SOL gewesen. Allerdings spielte seine Erinnerung ihm manchmal einen Streich und er schilderte Ereignisse, die er gar nicht kennen konnte, weil er zu jenem Zeitpunkt erst zwei oder drei Jahre alt gewesen war. Zu Chart Deccons Zeiten hatten noch Zucht und Ordnung geherrscht. Damals wären bestimmt keine Raumanzüge spurlos verschwunden.
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»Wie heißt er gleich, dieser neue High Sideryt?« überlegend hielt Herbus Knoxham in seiner Arbeit inne. »Ist er nicht Chart Deccons Sohn?« »Du meinst Breckcrown Hayes ...« Verwundert blickte Knoxham auf den seltsamen Fremden, der sich offenbar angeschlichen hatte. Der Mann sah zumindest aus wie ein Mensch, wenngleich seine Augen schräg standen und an einzelnen Stellen seiner Haut die Reste rotbraunen Pelzansatzes zu erkennen waren. »Wie kommst du hier herein?« »Durch das Schott«, erwiderte der Fremde. Er hatte etwas Geschmeidiges, Katzenhaftes an sich. Verzweifelt kramte Knoxham in seinem Gedächtnis, an wen ihn dieser Mann erinnerte. »Ich bin Bjo Breiskoll. – Nein, kein Pyrride.« Der Alte bedachte ihn mit einer Reihe von verwirrten Blicken. Schon lange war niemand mehr zu ihm ins Magazin gekommen. Sie schickten immer nur ihre Roboter, wenn Ersatzteile benötigt wurden. »Ich bin kein Spitzel der SOLAG«, sagte der Fremde unvermittelt. »Die Zeiten sind längst vorbei.« »Antwortest du immer auf Fragen, bevor sie gestellt werden?« Herbus Knoxham konnte seine Unruhe kaum verbergen. »Manchmal«, erwiderte Bjo Breiskoll grinsend. »Eigentlich interessieren mich nur die beiden verschwundenen Raumanzüge.« »He.« Erschrocken machte der Alte einen Schritt rückwärts. »Hast du mit der Sache zu tun? Wer schickt dich überhaupt?« »Atlan hat mich gebeten ...« »Atlan?« unterbrach Knoxham ungeduldig. »Ist das der High Sideryt?« »Sagen wir, er ist sein Freund.« Das Lächeln auf Breiskolls Zügen gefror. Entgegen seiner üblichen Gepflogenheit drang er tiefer in Knoxhams Gedanken vor. Der Alte war verwirrt und kaum in der Lage, Überlegungen folgerichtig zu Ende zu führen. Im Grunde genommen lebte er noch immer in einer längst vergangenen Zeit. »Hörst du nie Bordnachrichten?« »Das ganze Geschwätz ist doch auf Verdummung ausgerichtet«, erwiderte Herbus ärgerlich. »Ich machte mir lieber meine eigenen Vorstellungen zu dem, was an Bord geschieht.« *
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Doktor Machon war sofort hellwach, als ein leiser Summton die Unregelmäßigkeit signalisierte. Eine Reihe von Kontrollen hatte hektisch zu blinken begonnen; Herzrhythmus, Kreislaufüberwachung und Atemfrequenz waren ausgefallen. Das konnte nur bedeuten, daß der betreffende Patient sich der Anschlüsse entledigt hatte. Raum 21. Dort lag Dyla. Es war kurz nach Mitternacht. Nachdem die beiden Ausreißer bislang unauffindbar blieben, hatte Atlan angeordnet, die BRISBEEKinder zu überwachen. Allerdings sollte ihnen nichts in den Weg gelegt werden, falls sie ebenfalls ihre Zimmer verließen. Doktor Machon ahnte, daß es um mehr ging, als im Augenblick abzusehen war. Als Dyla barfuß und nur mit ihrem Nachthemd bekleidet in den Gang hinaustrat, alarmierte er die Hauptzentrale. Damit war seine Aufgabe erfüllt. Das Mädchen wirkte keineswegs wie eine Schlafwandlerin. Sie schien es eilig zu haben und außerdem genau zu wissen, wohin sie sich wenden mußte. Nachdenklich stützte Machon den Kopf in die Handflächen und stierte auf den kleinen Monitor der abteilungsinternen Überwachungs- und Kontrollanlage. Er fragte sich, was mit Dyla geschah. Noch vor einer halben Stunde hatte sie nicht den Eindruck gemacht, als würde sie sich überhaupt auf den Beinen halten können. * Es war nicht das erste Mal, daß Herbus Knoxham die Nacht im Magazin verbrachte. Es machte ihm nichts aus, auf der harten Liege zu schlafen, benötigte er doch ohnehin nur vier Stunden Schlaf. Er hatte die Bestände überprüft, bis er vor Müdigkeit kaum mehr die Augen offenhalten konnte. Aber zumindest die wichtigsten Güter waren vollzählig vorhanden. Er hätte nicht gewußt, wie er ein Fehlen weiterer Gegenstände hätte erklären sollen. Knoxham schlief unruhig und schreckte immer wieder hoch, weil er sich beobachtet fühlte. Aber da war niemand. Trotzdem mußte er an Breiskoll denken. Der Katzer! kam es ihm in den Sinn. Das war der Name, unter dem er den Fremden kannte. Wie lange war das alles her? Einige Jahre? Oder länger? Er erinnerte sich, daß mehrere Solaner in den Kälteschlaf geschickt worden waren. Das Geräusch zaghafter Schritte schreckte ihn erneut auf. Vergeblich versuchte er, im trüben Halbdunkel der Nachtbeleuchtung mehr als schemenhafte Umrisse zu erkennen. Wenn das die Diebe waren, sollten sie sich wundern. Herbus Knoxham erhob sich lautlos. Die Finger seiner Rechten umkrampften den Schocker, den er an sich genommen hatte. Das leise Knarren einer Tür verriet ihm, daß die Diebe tatsächlich zurückgekommen waren und sich erneut an den Schränken zu schaffen machten. Diesmal würden sie es nicht so einfach haben.
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Im Grunde genommen war Knoxham dankbar für die Abwechslung. Immerhin war während der letzten Jahre absolut nichts von Bedeutung geschehen. Er hatte auch kein Bedürfnis verspürt, das Magazin und die angrenzende Kabine zu verlassen, um mit anderen Solanern zu reden. Er war schon immer ein Einzelgänger gewesen, und solange die Automaten Essen und Getränke lieferten, gab er sich zufrieden. Die gelegentlichen Interkomdurchsagen überhörte er geflissentlich, weil sie ihn ohnehin nicht betrafen. Knoxham hatte den Durchgang zum Nebenraum erreicht. Er sah die Umrisse eines Menschen, der sich trotz der Finsternis gut zurechtzufinden schien. »Licht!« sagte der Alte. Die Sensoren nahmen den Befehl auf und aktivierten die in der Decke und den Wänden versenkten Leuchtplatten. Herbus Knoxham stieß einen Laut der Überraschung aus. Er hatte nicht damit gerechnet, ein junges Mädchen vor sich zu haben. Ihr offenes Haar war auffällig weißblond, und ihre Haut wirkte krankhaft bleich. Sie mochte höchstens 14 Jahre alt sein. »Was machst du da?« entfuhr es ihm. Ängstlich blickte sie auf seinen Strahler, fuhr jedoch in ihrem Bemühen fort, den Raumanzug anzulegen. Sie brauchte nur noch ins Oberteil hineinzuschlüpfen und den Magnetsaum zu schließen. »Zieh das sofort wieder aus!« befahl der Magazinverwalter. Das Mädchen hielt nicht eine Sekunde lang inne. Ihre Bewegungen wirkten hektisch. Herbus Knoxham machte einige rasche Schritte auf sie zu. Zum erstenmal zeigte sich Furcht in ihrem Blick. Vielleicht sollte er sie kurzerhand übers Knie legen. Das war immer noch die beste Methode, um sich Achtung zu verschaffen. Das Mädchen griff nach dem volltransparenten Helm und setzte ihn sich auf. Bisher hatte sie nicht einen Laut von sich gegeben. Eine leichte Drehung rastete den Helm ein und aktivierte zugleich die im Rückentornister untergebrachte Sauerstoffversorgung. Herbus Knoxham ließ den Strahler in einer Tasche seiner Kombination verschwinden und packte zu. Das heißt, er wollte das Mädchen festhalten, doch seine Hände griffen ins Leere. Sie verschwand von einem Sekundenbruchteil zum anderen. Herbus starrte vor sich hin, als müsse das Mädchen jeden Moment wieder erscheinen. Er war aufgeregt, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Sollte er zum Interkom gehen und den High Sideryt verständigen? Oder hatte er sich getäuscht, spielten seine überreizten Nerven ihm einen Streich? Der Gedanke, daß es Menschen gab, die sich buchstäblich in Luft auflösten, behagte ihm gar nicht. Er starrte die noch vorhandenen Raumanzüge an, als sei alles letztlich nur ein böser Traum, aus dem er jeden Moment aufwachen mußte.
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So stand er noch, als Bjo Breiskoll zusammen mit einigen Solanern das Lager betrat. * »Was sollen wir damit?« Monare deutete auf die beiden im feuchten Moos liegenden Anzüge. Erst vor kurzem hatte sich die Bewässerungsautomatik der Halle abgeschaltet. »Frage mich lieber, wie wir hierhergekommen sind.« Desmon konnte sich an nichts erinnern. Sicher, sie waren oft in dieser Halle mit ihrem üppigen Pflanzenwuchs, aber diesmal fehlte ihm das Wissen an die letzten 24 Stunden. Außerdem war ihm übel. Und dieses Gefühl hatte seinen ganzen Körper erfaßt. Er gab sich Mühe, seinen Zustand vor der kleinen Monare zu verbergen. »Woher haben wir die Raumanzüge?« »Ich weiß es nicht.« »Aber ...« Das Mädchen bückte sich nach der kleineren Schutzhülle und hielt sie vor sich, als wolle sie probieren, ob es sich um die für sie passende Größe handelte. »Wir können sie nicht ohne Grund mitgenommen haben.« »Vielleicht wollten wir sie anziehen«, vermutete Desmon. Monare ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit offensichtlicher Begeisterung stieg sie in den Anzug hinein und schloß nacheinander sämtliche Magnetsäume. Lediglich mit dem Helm hatte sie Schwierigkeiten. Der Junge mußte ihr helfen. »Du hast vergessen, dein Funkgerät einzuschalten«, stellte er fest. »Die Außenmikrophone arbeiten deshalb ebenfalls nicht.« Augenblicke später war sie verschwunden. Obwohl dieser Vorgang an sich ungeheuerlich war, zeigte Desmon sich nicht im mindestens überrascht. Er fühlte, daß Monare ihm lediglich vorangegangen war, und daß sie jetzt am Ziel ihrer Wünsche weilte. Nur ein einziger Schritt trennte sie, oder eine Ewigkeit – wer vermochte das schon so genau zu sagen. Desmon hatte es plötzlich eilig, »seinen« Raumanzug anzulegen. Er hatte kaum die Sauerstoffzufuhr aktiviert, da glaubte er, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er stürzte in einen endlosen Schacht vollkommener Schwärze. * Das Ergebnis war so mager, wie Bjo Breiskoll es von Anfang an befürchtet hatte. Herbus Knoxhams ohnehin labiler geistiger Zustand war endgültig in Verwirrung umgeschlagen. Der Alte flüchtete sich in eine Traumwelt, die er für real hielt; es fiel schwer, seine Gedanken überhaupt noch telepathisch zu erfassen. »Dyla ist also ebenso unauffindbar wie Desmon und Monare«, stellte Atlan ohne Umschweife fest. »Ehrlich gesagt, ich hoffte, die Überwachung würde ein greifbares Ergebnis bringen.« »Wir sollten uns mehr auf die Frage konzentrieren, weshalb die Raumanzüge entwendet wurden«, warf
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Tyari ein. »Doch wohl nur, weil die Kinder die Absicht haben, die SOL zu verlassen.« »SENECA ist alarmiert«, sagte Breiskoll. »Sämtliche Schleusen sowie der umgebende Raum werden überwacht. Nicht einmal eine Maus könnte unbemerkt durchschlüpfen.« Er schwieg wieder, während das Laufband sie zur Zentrale der SZ-2 brachte. Atlan und Tyari hatten in der Medostation ebenfalls nichts herausgefunden, was ihnen weitergeholfen hätte. Ihre Hoffnungen konzentrierten sich daher auf die drei Äste, die sich in der Zentrale in den Boden fraßen. »Sie werden in einigen Minuten die ersten Versorgungsleitungen erreicht haben«, gab Solania von Terra zu verstehen. »Was geschieht, können wir uns an den Fingern abzählen.« Atlan nickte stumm. Er zwängte sich durch eine Gruppe von Robotern und blieb neben Blödel stehen, der mittels spezieller Meßsonden mehr über die Struktur der vermeintlichen Lebewesen herauszufinden hoffte. »Geht es voran?« »Es ist schon ein Fortschritt, wenn wir einen Rückschritt vermeiden«, erwiderte der Scientologe lakonisch. Einen halben Meter im Durchmesser und gut dreißig Zentimeter tief war das Loch im Boden. Durch die aufsteigenden Dämpfe des sich zersetzenden Terkonits hindurch gewahrte Atlan drei bleiche, zuckende Gebilde. Unwillkürlich tastete er nach seinem Strahler. Obwohl Blödel sich halb abgewandt hatte, entging diesem die Bewegung keineswegs. »Jede Energiezufuhr beschleunigt den Zerstörungsprozeß«, erklärte er mit leicht tadelndem Tonfall. »Ich habe alles Naheliegende bereits versucht.« Das klang nicht viel anders, als hätte er gesagt: »Laßt mich endlich in Ruhe.« Atlan hatte das ungute Gefühl, daß ihm diesmal die Geschehnisse entglitten. Es gibt eine bemerkenswerte Parallele zu den Ereignissen auf den Heimatschiffen der Vulnurer, wisperte der Extrasinn. Mit dem Unterschied, daß dort die Äste auftauchten, während die Jungen verschwanden, wohingegen bei uns diese Gebilde schon vorher bemerkt wurden. Ich werde sofort mit Borallu sprechen, erwiderte Atlan in Gedanken. Das war etwas, was er längst hätte tun sollen, wozu er aber bislang noch keine Zeit gefunden hatte. Zusammen mit Breiskoll und Tyari benutzte er den Transmitter, um rasch ins Mittelteil der SOL zu gelangen. Borallus Kabine war leer – von dem Zyrtonier keine Spur.
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5. Schmerzhaft schlug das Herz gegen seine Rippen, und mit jedem Schlag schien flüssiges Blei durch die Adern zu schießen. Desmon schrie. Er bekam kaum Luft, während alles in ihm sich zusammenkrampfte. Erst nach einer ganzen Weile ließen die Schmerzen nach, und er öffnete die Augen. Ein Meer von Pastellfarben hüllte ihn ein; überwiegend waren es warme Farbtöne, Rot in allen Schattierungen, ein kräftiges Orange, die ineinanderflossen und sich stetig veränderten. Nichts schien in dieser unwirklichen Umgebung von Bestand zu sein. Nur hin und wieder zuckten grelle, vielfach verästelte Lichtblitze auf, regten die Farben zum Leuchten an und hinterließen in ihrer Bahn für Sekunden den Eindruck samtener Schwärze. Begriffe wie Oben und Unten, Rechts und Links verwischten nahezu völlig. Desmon mußte erst lernen, seine Bewegungen unter Kontrolle zu bringen, die ihn in der ungewohnten Schwerelosigkeit jeder Orientierung beraubten. Allmählich wurde er ruhiger, ließ sich einfach treiben und lauschte angespannt in sich hinein. Ein leises, kaum wahrnehmbares Wimmern drang aus seinem Helmlautsprecher. »Monare?« fragte er zögernd und hoffnungsvoll zugleich. Die Antwort kam sofort und ebenfalls erleichtert. Und da war noch jemand, der sich meldete: Dyla! »Wo sind wir?« wollte sie wissen. »Ich weiß es nicht«, erwiderte der Junge zaghaft. »Aber es ist schön hier«, meinte Monare. »Ich fühle mich zunehmend besser.« »Als wären wir wieder auf Solist.« »Das ist nicht die Namenlose Zone«, dämpfte Desmon ihre aufkommende Euphorie. »Seht euch doch um. Wo ist die endlose Schwärze, die alle Sterne verbirgt?« Weit vor ihm blinkte ein winziges Licht. »Ich habe meinen Scheinwerfer eingeschaltet«, ließ Dyla wissen. »Sieht mich einer von euch?« Sowohl Desmon als auch Monare bestätigten. Mit Hilfe der Antriebsaggregate ihrer Rückentornister und einiger Übung gelang es ihnen schließlich, sich einander zu nähern. Urplötzlich verspürte Desmon einen Schlag gegen seine Schläfe. Als er den Kopf so weit wandte, daß er erkennen konnte, was sich festgesaugt hatte, stieß er einen freudigen Aufschrei aus: »Das ist Freund!« »Wer?« machte Dyla verwundert. »Laß ihn«, sagte Monare. »Da sind noch mehr. Ich kann mindestens ein Dutzend von ihnen erkennen. Es sieht so aus, als kämen sie näher.« Die Sprechverbindung wurde zumeist dann von Störungen überlagert, wenn einer der irrlichternden Blitze aufzuckte. Mit der Zeit fiel auf, daß alle einen gemeinsamen Ausgangspunkt hatten. Weit entfernt schimmerte eine düster rote Scheibe durch die ineinander verlaufenden Farben. Desmon streckte den Arm aus – die Scheibe war gerade so groß wie seine geballte Faust. Vielleicht eine Sonne? Das Tagesgestirn über Solist hatte mitunter eine ähnliche Färbung besessen. Ihm erschien es beinahe, als wäre er nie fort gewesen. Die Zeit auf der SOL war nichts als eine Episode, die rasch von der Gegenwart verdrängt wurde. Freudig stellte er fest, daß sich in seiner Nähe viele der weißen Äste versammelten. Einige von ihnen ließen sich an seinem Raumanzug nieder. Nicht einen Gedanken verschwendete er daran, daß sie das
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dünne Plastmaterial beschädigen und ihn damit töten konnten. »Wenn es nur möglich wäre, uns miteinander zu unterhalten«, murmelte er. »Ich würde gerne wissen, woher ihr kommt.« Aber die Freunde gaben ihm keine Antwort, so sehr er darauf wartete. Und dann begann alles vor seinen Augen zu verschwimmen. Desmon wußte instinktiv, daß er sich auf dem Rückweg befand. * Der Schwefelgeruch wurde derart intensiv, daß Hage Nockemann sich unwillkürlich um die eigene Achse drehte, um festzustellen, ob der Leibhaftige persönlich sein Labor betreten hatte. Er durfte erleichtert aufatmen, denn der Gestank kam von der Versuchsanordnung. Zufrieden zwirbelte Hage seinen Schnauzbart. Schade, daß Blödel diesen Triumph nicht miterleben konnte, aber der Roboter weilte noch immer auf der SZ-2. In den drei feldmagnetischen Reagenzröhren hatte das Plasma zu brodeln begonnen. Jeden Moment mußte die Strukturumwandlung in Gang kommen, die eine unangreifbare kristalline Masse erzeugen würde. Zufrieden rieb der Scientologe sich die Hände. Drängend fraß sich das Summen des Schottmelders in seine Überlegungen vor. »Jetzt nicht!« murmelte er und winkte gedankenverloren ab, als würde der Besucher unmittelbar hinter ihm stehen und nicht zwanzig Meter entfernt hinter einer dicken Terkonitwand. Die Erhabenheit des Augenblicks faszinierte den Wissenschaftler. Das Summen des Schottmelders störte ihn. Wer immer auf diese stürmische Weise Einlaß begehrte, sollte sich lieber zum Teufel scheren. Leider erwies sich dieser Jemand äußerst hartnäckig. »Ruhe!« brüllte Hage Nockemann verzweifelt. »Ich will nicht gestört werden!« Das Summen erklang jetzt rhythmisch – in gleichbleibenden Abständen. Der Scientologe warf einen sehnsüchtigen Blick auf seine Versuchsanordnung und wandte sich dann abrupt um. Das schrille Geräusch ging ihm auf die Nerven. Er löste die Verriegelung des Schottes und kehrte seinem Besucher, wer immer es sein mochte, sofort den Rücken zu. »Mund halten«, fauchte er anstelle einer Begrüßung. »Ich ...« Nur noch ein ersticktes Gurgeln drang aus seiner Kehle, die plötzlich wie zugeschnürt war. Er glaubte, seinen Augen nicht mehr trauen zu dürfen; zugleich war ihm zum Heulen zumute. Die Energiezufuhr hatte sich automatisch abgeschaltet ... ... in den feldmagnetischen Röhren wirbelte feiner, mehliger Staub. Ohnmächtiger Zorn über den Mißerfolg ließ Nockemann herumfahren. »Ich könnte dich ... Was soll das? Was willst du?« Borallu stand vor ihm und hielt ihm zwei weiße, dürre Äste entgegen.
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»Ich habe Arbeit für dich«, sagte der Zyrtonier. »Davon habe ich selbst genug«, erwiderte Hage wütend. »Verschwinde.« »Willst du sie dir nicht wenigstens ansehen? Ich habe versucht, hinter ihr Geheimnis zu kommen, aber ich schaffe es allein nicht.« »Du glaubst, ich wäre dazu in der Lage?« Nockemanns Tonfall klang schon weitaus versöhnlicher. »Was sind das überhaupt für Gebilde?« »Hast du die Durchsagen nicht gehört?« »Du meinst ...« Der Wissenschaftler stieß einen überraschten Pfiff aus. »Gib her!« Ohne länger zu zögern, griff er zu – und fand sich im gleichen Sekundenbruchteil auf seinem verlängerten Rückgrat sitzend, mitten im Labor wieder. Entgeistert starrte er seine geröteten Handflächen an. »Die Dinger teilen Stromschläge aus. Woher hast du sie?« Borallu erklärte, daß die vermeintlichen Hölzer irgendwie mit den BRISBEE-Kindern in Verbindung standen. Er hatte selbst alle möglichen Versuche angestellt, ohne jedoch irgendwelche Reaktionen zu erzielen. »Der Schlag, den du eben erhalten hast, ist der erste Beweis für die Richtigkeit meiner Vermutung«, sagte er. »Ich bin nicht dein Versuchskaninchen«, brauste Nockemann auf. »Merke dir das.« Er deutete auf den großen Labortisch, der inzwischen Zentimeter hoch mit feinem Staub bedeckt war. »Hinlegen und liegenlassen! Soweit mir bekannt ist, hat Blödel mit diesen Ästen auf der SZ-2 schon enorme Probleme. Weißt du davon?« »Nein«, machte Borallu überrascht. »Probleme welcher Art?« »Sie fressen sich durch Terkonit wie durch Butter.« Das erneute Summen des Schottmelders unterbrach den Wissenschaftler. »Herein!« rief er so laut, daß man ihn draußen auf dem Korridor verstehen mußte, und mehr für sich selbst fügte er hinzu: »Wenn es so weitergeht, lungert bald die ganze Besatzung bei mir herum.« »Deine Befürchtungen sind unzutreffend«, sagte Bjo Breiskoll spöttisch. »Mehr als 50 Personen passen ohnehin nicht ins Labor.« In Begleitung von Atlan und Tyari betrat der Katzer den Raum. »Ich nehme an, du suchst mich«, wandte Borallu sich an den Arkoniden. Atlan nickte und deutete auf die beiden Äste. »Warum hast du uns nicht informiert?« In seiner Stimme schwang Mißtrauen mit. »Ich weiß nicht, ob es einen Sinn hat, meine Beweggründe zu erklären.« Atlan erhielt einen Stoß in die Seite, der ihn taumeln ließ. Gleichzeitig hörte er Tyari aufschreien. Sich an einem fest verankerten Panzerglasschrank abfangen und den Strahler ziehen, war eine einzige Reflexbewegung. Aber Borallu hatte ihn nicht angegriffen. Der Zyrtonier starrte selbst überrascht auf den Jungen im Raumanzug, der wie aus dem Nichts erschienen zwischen ihnen stand. Nur Sekundenbruchteile später materialisierten Monare und Dyla.
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»Aufpassen!« warnte Hage Nockemann. An den Raumanzügen der Kinder hingen etliche der astähnlichen Gebilde. »Desmon nennt sie ›Freunde‹«, stieß Bjo Breiskoll überrascht hervor. Tyari nickte bestätigend. »Alle drei fühlen sich wieder wohl, ohne daß sie selbst genau wissen, was sich zugetragen hat. Sie waren in einem Raum voller Farben ...« »In der Namenlosen Zone«, warf Borallu ein. »Das Heimweh hat sie zurückgeführt. Nur dort konnten sie genesen, weil sie wieder etwas von der Aura ihrer Heimat spürten.« »Warum sind sie dann zurückgekommen?« wollte Hage Nockemann wissen. Die Frage blieb unbeantwortet im Raum stehen. »Das klingt reichlich mystisch«, gab Atlan zu bedenken. Desmon hatte sich mittlerweile seines Raumanzuges entledigt. Während die beiden Mädchen es ihm nachmachten, begann er bereits damit, die reglosen Äste einzusammeln. Nockemann sah ihm aus weit aufgerissenen Augen zu, als warte er auf etwas, was nicht eintrat. »Es sind seine Freunde«, stellte Borallu fest. »Weshalb sollten sie ihm einen ähnlichen Schlag versetzen wie dir?« »Fehlt bloß noch, daß du behauptest, sie stammten ebenfalls aus der Namenlosen Zone.« »Warum eigentlich nicht? Oder gibt es einen anderen Grund, weshalb die BRISBEEKinder und ich offenbar immun sind?« »Du hast dich nie in der Namenlosen Zone aufgehalten«, wandte Nockemann ein. »He«, machte Breiskoll überrascht. »Wenn du deine Behauptung beweisen willst, kannst du das in der Zentrale der SZ-2 tun. Solania hat ziemliche Schwierigkeiten mit diesen Ästen.« * Der Transmitter besaß eine autarke Energieversorgung, sonst hätten sie sich anderer Transportmittel bedienen müssen, oder es wäre zu schwerwiegenden Zwischenfällen bei der Ent- oder Rematerialisierung gekommen. Gut die Hälfte aller Kontrollsysteme war ausgefallen. Solania von Terra hatte den Hauptenergiestrang abschalten lassen, um mögliche Nebenwirkungen zu vermeiden. Die Zentrale lag daher in ein düsteres Halbdunkel getaucht, von grell flackernden Entladungen erhellt, die aus dem Boden kamen. »Irgendein Erfolg?« wollte Atlan wissen, kaum daß er das Transmitterfeld verlassen hatte. »Sieh dir Blödel an, dann weißt du, wie weit wir sind«, erwiderte die Kommandantin. »Er ist merklich kleinlaut geworden.« Es stank nach verschmorten Isolierungen und Ozon. Qualm verschwand in den Ansaugöffnungen der Lüftungsschächte. Die Zerstörungen hatten mittlerweile ein Ausmaß angenommen,
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daß die Reparaturarbeiten sicherlich einige Tage dauern würden. Zerfressene, glühende Kabelstränge zuckten in den Führungsschächten hin und her. Jedesmal, wenn einer von ihnen mit den Terkonitverstrebungen in Berührung kam, stob ein wahrer Funkenregen auf. Solania von Terra warf Desmon einen forschenden Blick zu. »Dir haben wir das alles zu verdanken«, stellte sie ohne jeden Vorwurf in der Stimme fest. »Ich bin gekommen, um zu helfen«, sagte der Junge und schränkte im selben Atemzug ein: »Falls ich das kann.« »Es geht dir offensichtlich wieder besser.« Die Kommandantin der SZ-2 wirkte überrascht. Desmon gab keine Antwort, sondern wandte sich dem Loch im Boden zu. Unmittelbar davor blieb er stehen und starrte in den wogenden Qualm hinab. Augenblicke später ließ er sich auf die Knie sinken und streckte die Arme aus. Schweiß brach ihm aus allen Poren, rann ihm von der Stirn in die Augen und ließ ihn blinzeln. Es wurde still ringsum. Sogar Blödel hielt in seinen vergeblichen Bemühungen inne und wandte sich dem Jungen zu. »Er schafft es«, flüsterte Tyari neben Atlan. »Paß auf, gleich ist es soweit.« Tatsächlich ließen die drei Äste von ihrem Zerstörungswerk ab und schwebten in die Höhe. Ziellos taumelten sie durcheinander, bis Desmon zupackte und sie an sich zog. Nichts geschah. Für ihn schienen sie tatsächlich nur dünne Holzstücke zu sein. Hage Nockemann bedachte Blödel mit einem fragenden Augenaufschlag. »Atlan, der High Sideryt sucht dich«, war unvermittelt eine weich modulierte Stimme zu vernehmen. »Was ist geschehen, SENECA?« wandte der Arkonide sich an die Hyperinpotronik. »Die Vulnurer haben wieder Funkkontakt zu uns aufgenommen. Sie stehen mit ihren Heimatschiffen außerhalb des Junk-Systems.« »Ich brauche eine Verbindung zur Hauptzentrale.« Atlan hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als ihm Breckcrown Hayes’ Gesicht bereits von einem der Schirme entgegenblickte. Die interne Kommunikation lief über ein inzwischen zugeschaltetes zweites Energienetz. »Die Vulnurer sind im Begriff, Dummheiten zu begehen«, warnte Hayes. »Sie machen Auswirkungen des nicht mehr existierenden Nabels für das erneute Verschwinden frisch geschlüpfter Bekehrer verantwortlich.« Er legte eine Pause ein, als müsse er das Gesagte selbst erst verdauen. »Von was für Dummheiten sprichst du?« wollte Atlan wissen. »Die Vulnurer besitzen genügend Waffensysteme, um die Sonne in eine Nova zu verwandeln. Sie fordern uns regelrecht auf, die Gefahrenzone zu verlassen.« »Immerhin ein netter Zug von ihnen.« Weder ihr Gesichtsausdruck noch der Tonfall ließen erkennen, ob
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Tyari die Bemerkung ironisch meinte. Falls die Vulnurer ihre Absicht in die Tat umsetzten, konnte das jedoch verheerende Folgen nach sich ziehen. Hayes schüttelte den Kopf. »Die Bekehrer meinen es verdammt ernst, sie fürchten um den Bestand ihres Volkes. Womöglich gerade weil sie ihrem Ziel näher sind als je zuvor und es dennoch für sie unerreichbar scheint.« »Keineswegs unerreichbar«, warf Borallu ein und erntete dafür eine Reihe überraschter Blicke. »Die Parallelen sind offensichtlich. Ich vermute, daß zumindest einige der jungen Vulnurer im Augenblick ihrer Geburt einen derart starken Drang zur Lichtquelle entwickeln, daß die freiwerdenden Kräfte sie in die Namenlose Zone versetzen. Wenn sie im Vakuum materialisieren, ist klar, warum keiner von ihnen bislang zurückkam.« »Du meinst, ich soll den Bekehrern raten, ihre Neugeborenen sofort in Raumkapseln oder gar Raumanzüge zu stecken?« fragte Breckcrown Hayes skeptisch. »Genau das«, nickte Borallu. »Halte sie hin. Sage ihnen, wir versuchen, ihre Kinder zurückzubringen.« Vielleicht sind die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst doch noch nicht verloren, durchzuckte es Atlan.
Falls Desmon und die anderen wirklich in der Namenlosen Zone waren, schwächte der Extrasinn ab. »Wenn ich dich recht verstehe«, sagten in dem Moment die beiden Scientologen Blödel und Hage Nockemann wie aus einem Mund zu dem Zyrtonier, »dann hast du vor, die BRISBEES noch einmal hinauszuschicken.« Hage funkelte den Roboter zornig an: »Misch dich gefälligst nicht ein, wenn Männer miteinander reden.« Blödel schlug sich mit seinen voll ausgefahrenen Tentakelarme an die Brust. »Ich habe vor dir reagiert. Werfe mir also nicht deine Langsamkeit vor.« Hage Nockemann murmelte etwas Unverständliches in seinen Bart. »Wer sind die erfahrensten BRISBEES?« erkundigte sich Borallu. »Lara und Menizza, nehme ich an«, erwiderte Tyari. »Dann gebt ihnen Raumanzüge, die mit zusätzlichen Meß- und Aufzeichnungsgeräten versehen werden. Charakteristische Daten der kosmischen Strahlung innerhalb der Namenlosen Zone liegen als Vergleichswerte ja vor.« Sekundenlang herrschte betretenes Schweigen. Borallus Vorschlag bedeutete nichts anderes als die beiden Mädchen wissentlich einer noch unkalkulierbaren Gefahr auszusetzen. »Lara und Menizza werden sich freuen, daß die Wahl auf sie gefallen ist«, sagte Dyla, bevor jemand Bedenken vorbringen konnte. »Alle anderen wären sicher gerne an ihrer Stelle.«
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Die technischen Vorbereitungen nahmen nur kurze Zeit in Anspruch. Atlan und Tyari suchten währenddessen die Medostation auf. Obwohl sie nicht erwartet hatten, daß es den Mädchen mittlerweile besser ging, erschraken sie dennoch über deren labilen Gesundheitszustand. Doktor Machon wehrte sich entschieden dagegen, die beiden Mädchen als Versuchskaninchen heranzuziehen. »Ich nehme an, Atlan, du gehst von selbst, bevor ich dich rausschmeißen muß. Weder du noch der High Sideryt haben innerhalb meiner Station Befehlsgewalt.« »Es ist im Interesse der Kinder«, versuchte Tyari zu beschwichtigen, zog sich damit aber ebenfalls den Zorn des Mediziners zu. Bevor es zum Eklat kommen konnte, verließen sie und Atlan die Medostation. »Er weiß leider genau, daß er am längeren Hebel sitzt«, seufzte Tyari. »Wenn ihn jemand von der Notwendigkeit überzeugen könnte, dann Desmon, Dyla und Monare. Ihnen wird er am ehesten Glauben schenken.« Sie sollte recht behalten. Machon sah schließlich ein, daß es so am besten war. Lara und Menizza steckten kaum in den präparierten Raumanzügen, als sie spurlos verschwanden. Das Warten auf ihre Rückkehr wurde zur Qual. Immerhin konnte Bjo Breiskoll zumindest die Dauer von Dylas Abwesenheit von der SOL ziemlich genau belegen. Knapp drei Stunden waren bei ihr vergangen. Auch nach vier Stunden kehrte keines der beiden Mädchen zurück. Und die Anzeigen der Uhren rückten unbarmherzig weiter vor. Die Vulnurer meldeten, daß drei weitere Neugeborene in Schutzkapseln verschwunden waren. Sie blieben ebenfalls verschollen.
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6. Von einem Augenblick zum anderen war vieles anders. Obwohl der Übergang wie ein Schock wirkte, wurden Lara und Menizza merklich ruhiger. Sie waren zu schwach gewesen, um alles zu verstehen, was Desmon und Atlan ihnen erzählt hatten – aber nach und nach begriffen sie, was von ihnen erwartet wurde. Die träge dahintreibenden Farbschleier weckten ohnehin ihre Aufmerksamkeit. Menizza brauchte nicht sehr lange, um ihre durcheinanderschwirrenden Gedanken zu ordnen und sich zur Ruhe zu mahnen. An Laras von Störungen überlagerten Worten erkannte sie, daß es der Freundin ähnlich erging. Allmählich konzentrierte sie sich auf die in der Sichtscheibe ihres Helmes eingeblendeten Meßdaten. Demnach tobten starke Energiestürme durch diesen Abschnitt des Weltraums, und die leuchtenden Wolken bestanden zum größten Teil aus ionisierten Gasen wie Wasserstoff und Helium. Und noch etwas erkannte Menizza: Lara und sie befanden sich in der Namenlosen Zone. An der Richtigkeit dieser Annahme konnte es kaum noch Zweifel geben. »Wir haben es geschafft«, lachte sie. Lara reagierte weit weniger überschwenglich. »Wo ist Solist?« wollte sie wissen. »Nachdem die Schockfront um das System zusammengebrochen ist, müßten wir unsere Welt orten können.« »Nicht mit den begrenzten Möglichkeiten unserer Raumanzüge«, wehrte Menizza ab. »Und bis das Licht der Sonne uns erreicht, können etliche Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, vergehen.« »Ich messe da etwas an«, sagte Lara unvermittelt. »Es scheint eben erst materialisiert zu sein.« Vergeblich versuchten sie, Funkkontakt zu bekommen. Lara, die sich inzwischen wesentlich wohler fühlte, aktivierte schließlich ihr Tornisteraggregat und näherte sich langsam den Koordinaten der Ortungsreflexe. Im Widerschein der wehenden Gaswolken erkannte sie drei kastenförmige Gebilde. Sie bestanden aus einer metallisch glänzenden Hälfte und einer transparenten, die fahle Helligkeit ausstrahlte. Die Größe dieser Kästen war schwer zu schätzen, allerdings schien keiner länger als zwei Meter zu sein. »Sei vorsichtig!« Menizza, die ebenfalls beschleunigte, fühlte sich plötzlich beobachtet. Hinter einer der durchsichtigen Wände zeichnete sich eine vage Bewegung ab. »He«, rief Lara überrascht, »das sind Vulnurer.« Die drei Ameisenartigen mochten sie ebenfalls entdeckt haben, denn sie blickten ihnen entgegen. Eine Funkverbindung kam aber selbst jetzt nicht zustande. Lara suchte den körperlichen Kontakt zu einer der Raumkapseln und berührte mit dem Helm deren transparente Oberfläche. »Kannst du mich verstehen?« fragte sie. Sie mußte den Satz zweimal wiederholen, bevor der junge Vulnurer endlich reagierte. Sein Name klang wie eine unverständliche Aneinanderreihung von Vokalen. Auf jeden Fall fand das Mädchen
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rasch heraus, daß er und die anderen von der HEUTE stammten. »Ich werde dich Ouou nennen«, sagte sie. »Das ist einfacher.« Der Vulnurer war einverstanden. Er wirkte desinteressiert, durchzuckte es Lara. Als hätte er eine große Enttäuschung hinter sich, die zu überwinden ihm schwerfiel. Sie sprach Ouou kurzerhand darauf an. »Ich hatte gehofft, die Lichtquelle würde uns erwarten«, sagte er stockend, und dasselbe galt vermutlich für seine Begleiter. »Während meines Weges durch das Nichts spürte ich ihre Nähe. Aber warum verleugnet sie ihre Kinder?« Den letzten Satz schrie der Vulnurer regelrecht heraus. Lara konnte seine Verwirrung spüren. »Die Lichtquelle wird kommen, wenn es an der Zeit ist«, versuchte sie zu besänftigen. »Es ist an der Zeit«, beharrte Ouou. Etwas was wie ein dünner, schuppiger Ast aussah, setzte sich auf der Raumkapsel fest. Im ersten Moment erschrak Lara, dann erkannte sie einen ganzen Schwarm dieser merkwürdigen Gebilde, der sich langsam näherte. Warum mußte sie ausgerechnet jetzt an Solist denken? Und an Sirhat, die Spinne, und Kitt, das Echsenwesen, und die anderen Emulatoren? Atlan hatte gesagt, daß die Kinder der BRISBEE deren Lebensinhalt gewesen waren, und daß sie den Tod auf sich genommen hatten, als sie die Kinder gehen ließen. Ein Hauch von Vertrautheit spann sich zwischen Lara, Menizza und dem Schwarm weißer Äste. Wenn sie Geschöpfe der Namenlosen Zone waren, so konnten sie dennoch nicht böse sein. »Ich fühle mich wieder frisch, als wäre ich nie von Solist fort gewesen«, sagte Lara. »Wahrscheinlich werden wir bald zur SOL zurückkehren. Glaubst du, daß wir die Vulnurer mitnehmen können?« »Ich denke, es ist soweit«, erwiderte Menizza stockend. Dann brach ein gequälter Aufschrei über ihre Lippen. »Etwas hält mich fest.« Von plötzlicher Panik erfüllt, begann sie um sich zu schlagen. Wahrscheinlich aktivierte sie dabei ihr Tornisteraggregat, denn sie wurde mit steigender Geschwindigkeit abgetrieben. Auch Lara fühlte, wie etwas Unsichtbares nach ihr griff und sie einengte. Daß sie ebenfalls schrie, bemerkte sie nicht. Neben ihr entstand eine Öffnung in der Raumkapsel des Vulnurers. Sekunden später detonierte die abgefeuerte Lichtbombe in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern. Eine grelle, blendende Lichtflut riß die Schwärze des Alls auf. Schlagartig wurde sichtbar, was bislang im Schutz der Finsternis verborgen war. Ein riesiges Raumschiff von der Form einer Zecke schwebte in unmittelbarer Nähe. Zyrtonier! Der Anblick der drohenden Gefahr fuhr Lara regelrecht in die Glieder. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sirhat! schrie jede Faser ihres Körpers. Mein Emulator, hilf mir! Lara konnte nicht gegen die Ohnmacht
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ankämpfen, die sie gnädig umfing. So entging ihr, daß das Raumschiff der Zyrtonier sich weiter näherte und die im Raum schwebenden Fremdkörper an Bord gezogen wurden. * »Wir nähern uns dem vom Rat bezeichneten Sektor«, meldete das Schiff. 451-Page Palterwahn murmelte eine flüchtige Zustimmung und widmete sich wieder den Ortungen. Was immer er zu sehen erwartet hatte, er wurde enttäuscht. Vor ihm lag das System einer kleinen orangefarbenen Sonne – besser gesagt die Überreste davon, nachdem aus unerklärlichen Gründen die Schockfront in sich zusammengefallen war. Eine Vielzahl von Ortungsechos deutete darauf hin, daß die Bruchstücke des einzigen Planeten mit großer Geschwindigkeit auseinanderstrebten. Jemand hatte versucht, die umspannende Schockfront in seinem Sinn zu manipulieren und war daran gescheitert. Vergeblich hielt Palterwahn nach fremden Schiffen Ausschau. Gigantische Sonneneruptionen erweckten den Eindruck, das All würde brennen. Wenn der Zyrtonier den Instrumenten Glauben schenkte, dann mußte er damit rechnen, daß die Sonne in relativ kurzer Zeit zur Nova wurde. Das Schiff tangierte die frühere Umlaufbahn des zerstörten Planeten und entfernte sich wieder von der Sonne Yeith, nachdem die vorgenommenen Messungen keine Ergebnisse im Sinne des Rates der Pagen erbracht hatten. Palterwahn ließ mehrere Robotbojen ausschleusen, die im Schutz größerer Trümmerstücke eine zumindest vorübergehende Kontrolle des Sektors ermöglichten. Ihr Verlust, wenn Yeith sich aufblähte und alle Materie im Umkreis verschlang, würde unbedeutend sein. Ein winziger, jedoch rasch größer werdender, pulsierender Leuchtpunkt im Haupthologramm weckte 451-Pages Aufmerksamkeit. Der eingeschlagene Kurs mußte das Schiff in geringer Entfernung daran vorbeiführen. Der Leuchtpunkt teilte sich. Innerhalb weniger Sekunden wurden fünf Einzelortungen daraus, deren nach wie vor pulsierender Charakter das Vorhandensein einer höheren Lebensform anzeigte. Die Energieemissionen blieben allerdings überraschend gering, auch die Massewerte enttäuschten Palterwahns Erwartungen. »Kurs und Geschwindigkeit angleichen!« befahl er dem Schiff. Er wurde aus den georteten Objekten nicht schlau, zumal zwischen ihnen deutliche Unterschiede bestanden, ordnete aber vorsorglich Feuerbereitschaft an. Noch sah er keine Notwendigkeit, seine Beobachtungen dem Rat der Pagen zu melden. Zwei der größer gewordenen Ortungsreflexe verloren schlagartig ihre Leuchtkraft. »Sie sind im Begriff, die Namenlose Zone zu verlassen«, meldete das Schiff. Also doch! Von Anfang an hatte Palterwahn geahnt, daß diese Objekte mit Atlan und der SOL in Verbindung standen. Es bedurfte keines anderen Beweises mehr.
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»Energiefesseln aktivieren! Sie dürfen nicht entkommen!« Ein Ball gleißender Helligkeit entstand unmittelbar vor dem Schiff und breitete sich in Gedankenschnelle aus. Aber fast ebenso rasch erlosch dieses Leuchten wieder. Palterwahn registrierte, daß die Fremden ihn entdeckt hatten. »Die Energiefesseln verstärken! Wir holen sie an Bord!« Sein Entschluß kam zu spät. Eines der kleineren Objekte entglitt seinem Zugriff. Innerhalb von Sekunden verschwand es aus dem Gefüge der Namenlosen Zone. Palterwahn tobte, während sich im Schutzfeld des Schiffes eine Strukturlücke öffnete. Deshalb entging ihm, daß nicht nur die vier zurückgebliebenen Fremden eingeschleust wurden. Dutzende winziger weißer Gebilde hatten sich an die Raumkapseln der Vulnurer und Menizzas Anzug geheftet. Mehrere Lichtminuten entfernt erfolgten zwei heftige Detonationen. Mit stoischem Gleichmut meldete der Schiffscomputer den Verlust zweier der ausgesetzten Robotbojen. Die Ursache der Explosion war ungeklärt. Palterwahn glaubte nicht an einen Zufall. Er begann zu ahnen, daß mehr dahintersteckte, als es den Anschein hatte. * Die Sensoren registrierten die Anwesenheit eines menschlichen Körpers, ohne jedoch Atmungsaktivität festzustellen. Ihrem Programm folgend, lösten sie im Aufenthaltsraum Alarm aus. Genau dreißig Sekunden vergingen, bis Doktor Machon in Begleitung eines Medoroboters das Krankenzimmer betrat. Der Anblick der reglosen, in sich zusammengekrümmten Gestalt im Raumanzug entlockte Machon ein entsetztes Stöhnen. Später konnte er sich weder an seine Gedanken erinnern, noch daran, was er zuerst getan hatte. Er mußte einfach instinktiv gehandelt haben, und erst als der leere Raumanzug neben ihm lag und er feststellte, daß Lara zwar bewußtlos war, aber keine körperlichen Schäden davongetragen hatte, wurde er ruhiger. Der Roboter injizierte ein kreislaufstabilisierendes Mittel, das zugleich die Auswirkungen eines möglicherweise vorhandenen Schocks eindämmen sollte. Laras Atemfrequenz wurde daraufhin regelmäßiger. Der Arzt nickte zufrieden. »Wir müssen Atlan verständigen«, stellte er fest. »Das hast du bereits getan.« Machon blinzelte verwirrt, als ihm auffiel, daß der Interkom noch aktiviert war. Sanft tupfte er Lara den Schweiß von der Stirn. Das Mädchen zitterte.
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»Wie geht es ihr?« Ohne sich zum Schott umzuwenden, wußte der Arzt, daß nur Atlan und Tyari den Raum betreten haben konnten. »Sie hat das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt«, antwortete er. »Wo ist Menizza?« »Ich weiß es nicht.« Langsam erhob Machon sich; sein Blick streifte den Arkoniden nur flüchtig, wobei er es vermied, ihm in die Augen zu schauen. »Du machst mir Vorwürfe?« fragte Atlan bitter. »Ich kann dich sogar verstehen.« »Wirklich?« mehr sagte der Arzt nicht. Doch in diesem einen Wort drückte sich seine ganze Sorge aus. »Seine Aufgabe ist es, Menschenleben zu schützen«, flüsterte Tyari so leise, daß Machon sie nicht verstehen konnte. »Er fürchtet, versagt zu haben, weil er dir gegenüber nicht konsequent genug seine Meinung vertreten hat.« »Das ist doch Blödsinn.« »Er läßt sich die Verantwortung nicht abnehmen.« »Lara braucht jetzt Ruhe«, bestimmte der Arzt. »Verlaßt bitte den Raum.« »Ich warte hier«, begann Atlan, wurde aber schroff unterbrochen. »Wenn sich ihr Zustand gebessert hat, werde ich dich rufen.« * In dem Moment, in dem Lara verschwand, wußte Menizza, daß die Freundin auf die SOL zurückgekehrt war. Sie selbst konnte dem Traktorstrahl nicht mehr entkommen, der sie und die Vulnurer auf das riesige Zeckenschiff zu zog. Menizza schätzte dessen Länge auf mindestens 1500 Meter. Dicht an dicht hingen die weißen Äste an den Kapseln der Bekehrer. Auch an ihrem Raumanzug hatten sie sich festgesaugt. Dabei fühlte das Mädchen sich in keiner Weise bedroht – eher erschien es ihr, als weile etwas Vertrautes in der Nähe. Eine Schleuse dicht unterhalb des Zeckenkopfes öffnete sich. Skurril anmutende Roboter schleppten die Gefangenen tiefer ins Schiff hinein. Menizza versuchte zwar, sich so viel wie möglich von der ungewohnten Umgebung einzuprägen, doch der wabenförmige Aufbau eines Großteils der Gänge und Räumlichkeiten verwirrte nur und machte es unmöglich, sich zurechtzufinden. Mehrmals konzentrierte sie sich auf die SOL. Aber irgendein äußerer Einfluß hinderte sie daran
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zurückzukehren. Enttäuscht und voll böser Vorahnungen gab sie es schließlich auf. Die Kammer, in die die Roboter sie einschlossen, war wie ein fugenloser, kahler Würfel mit zehn Meter Kantenlänge und nur einem einzigen Zugang. Woher das trübe, milchige Licht kam, das den Raum gleichmäßig erhellte, ließ sich nicht erkennen. Es zeichnete keine Schatten und schmerzte den Augen, je länger man ihm ausgesetzt war. Die Kontrollskalen ihres Raumanzugs zeigten Menizza eine atembare Atmosphäre ohne schädliche Beimengungen; sie öffnete ihren Anzug und bedeutete den Vulnurern, das gleiche zu tun. Die weißen Äste waren von den Robotern offenbar nicht als eigenständige Geschöpfe identifiziert worden. Erst jetzt begannen die ersten von ihnen sich zu bewegen. Menizza fragte sich, welche Absichten diese Lebewesen verfolgten, die sich anscheinend im Vakuum nicht minder wohl fühlten als in einer normalen Sauerstoffumgebung. »Die Lichtquelle hat sich von uns zurückgezogen«, sagte Ouou. »Unsere Existenz ist damit sinnlos geworden.« »Du redest Unsinn«, fuhr Menizza auf. »Wer gibt dir das Recht, deswegen zu verzweifeln?« »Du weißt nicht, was die Lichtquelle für unser Volk bedeutet«, warf ein anderer Vulnurer ein. Oh doch, wollte Menizza sagen, die Solaner haben es uns Kindern von Solist erzählt. Aber sie kam nicht dazu, weil das Schott sich öffnete und Roboter hereinschwebten. Mit ihren langen Tentakeln ergriffen sie einen der Vulnurer, der sich soeben erst aus seiner Kapsel befreit hatte, und schleppten ihn trotz heftiger Gegenwehr davon. »Was habt ihr mit uns vor?« rief Menizza ihnen nach – freilich ohne eine Antwort zu erhalten. »Willst du es wirklich wissen?« fragte Ouou tonlos, und als das Mädchen heftig nickte, fügte er hinzu: »Es ist nur logisch, daß sie Untersuchungen anstellen, um herauszufinden, was sie eingefangen haben.« * Regungslos blickte Palterwahn auf den Bildschirm, der eben noch das starre Gesicht von 211-Page gezeigt hatte. »Abwarten«, wiederholte er wütend. »Weshalb erhalte ich keine Verstärkung, wenn der Rat ebenfalls mit dem baldigen Auftauchen von Angreifern rechnet?« Die dritte Robotboje funkte Notsignale. Allem Anschein nach war sie in einen Meteoritenschwarm geraten, aus dem sie sich mit eigener Kraft nicht befreien konnte. Sekunden später brach der Kontakt ab und war nicht wiederherzustellen. Damit hatte sich innerhalb kürzester Zeit die Anzahl der ausgesetzten Bojen um ein Drittel reduziert. Zufall? 451-Page glaubte nicht daran. Vorübergehend wurde er abgelenkt, weil die Roboter mit einem der Gefangenen das Analysezentrum betraten. Um die Untersuchungen in Ruhe durchführen zu können, war es nötig, das insektoide Lebewesen zu betäuben. Aber noch wurde es nicht seziert. Palterwahn begnügte sich vorerst damit, Blutund Gewebeentnahmen sowie die Anfertigung von Zelldiagrammen anzuordnen. Insbesondere die gepanzerte Körperstruktur weckte sein Interesse.
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Während dieser Zeit fiel eine weitere Boje aus. Für Palterwahn wurde es zur Gewißheit, daß der Gegner dabei die Hände im Spiel hatte. Dennoch zögerte er, den Rat der Pagen von diesen Vorfällen in Kenntnis zu setzen. Solange das Schiff nicht direkt angegriffen wurde, mußte er selbst damit fertig werden. Er ließ ein Dutzend weiterer Bojen mit Schirmfeldaggregaten ausstatten und ausschleusen. Die Auswertung der Gewebeuntersuchungen brachte eine Überraschung, mit der er nicht gerechnet hatte. Es gab keine Zweifel daran, daß zwischen dem Fremden und den Zyrtoniern eine sehr große biologische Ähnlichkeit bestand. Hinsichtlich etlicher Blutwerte gab es sogar eine Duplizität, über die man sich unmöglich hinwegsetzen konnte. Die einzig logische Folgerung war die, daß die Fremden von den Zyrtoniern abstammten. Das kam beinahe einer Sensation gleich, die Palterwahn zwang, umgehend mit seiner Heimatwelt in Verbindung zu treten. Er hatte kaum berichtet, als die Bildverbindung durchgeschaltet wurde. Daß 1-Page auf dem Schirm erschien, sprach für die Wichtigkeit der Erkenntnisse. Palterwahn fühlte seine Gelenke zittern, als 1-Page ihn ansah. »Du mußt alle Wesen dieser Art sofort töten und das Gebiet der Sonne Yeith verlassen. Wir werden den gesamten Raumsektor von der Namenlosen Zone abkapseln, denn eine Stelle, an der Vulnurer eindringen können, bedeutet enorme Gefahr.« Ohne weitere Erklärung löschte 1-Page die Verbindung. Dabei lagen Palterwahn so viele Fragen auf der Zunge. Auch wenn niemand es je gewagt hatte, einem Befehl des Rates zu widersprechen, er war neugierig und verärgert zugleich, weil das den Abbruch seiner Untersuchungen bedeutete. Außerdem erschienen ihm die Fremden harmlos – nicht nur, weil sie unbewaffnet waren. Palterwahn ahnte, daß der Zufall ihn einem der großen Geheimnisse seines Volkes auf die Spur geführt hatte. * »Manchmal ist es schwerer, dich zu finden, als eine Nadel im Heuhaufen«, stellte Blödel fest. Dabei hätte es nur einer einzigen Anfrage bei SENECA bedurft, um zu erfahren, daß Atlan und Tyari sich in der Zentrale der SZ-2 aufhielten. »Daß dieser Doktor Machon dich absichtlich warten läßt, ist klar«, fuhr der Scientologen-Roboter in spöttischem Tonfall fort. »Ich komme eben von Lara. Sie ist noch schwach auf den Beinen, aber einigermaßen wieder ansprechbar.« »Was hat sie gesagt?« wollte der Arkonide wissen. Wenn der Roboter in der Lage gewesen wäre, zu lächeln, hätte er dies jetzt sicherlich getan. »Immer der Reihe nach«, sagte er. »Ich habe dir einen Vorschlag zu unterbreiten. Hage meinte zwar, du wirst mich nicht für voll nehmen, aber gerade deshalb mußte ich erst mit Lara sprechen.« Atlan schürzte die Lippen. Weil er wußte, daß Blödel nicht lange hinter dem Berg halten konnte, schwieg er. »Hast du wirklich kein Interesse daran?« fragte der Roboter. »Willst du nicht wissen, welch geniale Idee ...?« »Ist sie von dir?« »Naja«, machte Blödel.
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»Von wem dann?« Vermutlich war es eine Geste der Verlegenheit, daß er seine Tentakelarme um den röhrenförmigen Körper wickelte. »Borallu glaubt, wenn man alle heimatsüchtigen BRISBEE-Kinder auf einem Kreuzer versammelt, reicht deren Affinität zur Namenlosen Zone aus, um das ganze Schiff in die Nähe Menizzas oder zumindest in die Namenlose Zone zu versetzen. Selbstverständlich«, fügte Blödel rasch hinzu, »haben ich und Hage dem Zyrtonier bei der Ausarbeitung dieser Idee wichtige Impulse vermittelt.« »Du bist ebenfalls der Meinung, ein solches Vorhaben könnte zum Erfolg führen?« Atlan gab sich keine Mühe, seine Skepsis zu verbergen. »SENECA, was hältst du davon?« »Das ist unlogisch«, lautete die Antwort der Hyperinpotronik. »Allein die Masseverhältnisse lassen ein solches Unternehmen scheitern.« »Die Kräfte der Kinder potenzieren sich in der Gemeinschaft«, widersprach Blödel. »Das ist einwandfrei berechnet.« »Von wem?« wollte Tyari wissen. »Borallu behauptet es.« »Du hast gehört, wie SENECA dazu steht.« Atlans schroffe Handbewegung duldete keinen Widerspruch. »Dann willst du Menizza und drei junge Vulnurer schutzlos in der Gewalt der Zyrtonier zurücklassen.« »Wie kommst du darauf?« machte der Arkonide erstaunt. »Lara hat es mir erzählt. Sie sagte etwas von einer riesigen Raumzecke, der nur sie entkommen konnte.« * »Diese Äste sind auch an Bord unserer Heimatschiffe aufgetaucht«, erklärte Ouou. »Wir können nun ziemlich sicher behaupten, daß zwischen ihnen und uns eine Wechselwirkung besteht. Aber ohne Schutzkapseln müssen die vor uns verschwundenen Vulnurer sofort gestorben sein.« Menizza war mit dem Phänomen vertraut, daß frisch geschlüpfte Bekehrer bereits über ein beträchtliches Wissen verfügten – als würden sie durch die Eischale hindurch alles aus ihrer Umgebung aufnehmen. Sie dachte an die SOL. Und während sie dabei einen der Äste musterte, verschwand dieser von einem Moment zum anderen. Minuten vergingen, ohne daß er zurückkehrte. »Was hast du vor?« fragte Ouou, als Menizza von ihrer Kombination einen schmalen Streifen Stoff abriß und einen zweiten Ast damit umwickelte. Sekunden später war ihre Hand leer.
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»Glaubst du, deine Freunde finden einen Weg, um uns zu helfen?« Ouous Fühler bewegten sich unruhig. »Wir müssen es hoffen. Hier kommen wir von allein jedenfalls nicht heraus.« Mehrfach hatten die Vulnurer jeden Zentimeter Wandfläche abgetastet, ohne einen Öffnungsmechanismus aufzuspüren. Wahrscheinlich gab es keinen. Das Mädchen zuckte zusammen, als ein leises Summen hörbar wurde, das sich ihrem Gefängnis näherte. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß die Roboter so bald wiederkommen würden. »Wen von uns holen sie diesmal?« Ouou sprach aus, was Menizza krampfhaft zu denken vermied. Nach allem, was sie bisher von den Zyrtoniern wußte, mußte sie das Schlimmste befürchten. Einige Äste breiteten ihre Hautlappen aus und schwebten zum Schott, über dem sie sich festsaugten, während es aufglitt. Eine der bereits bekannten skurrilen Maschinen stakte auf Menizza zu, zwei weitere verharrten unmittelbar vor dem Raum. »Nein!« schrie das Mädchen auf, als metallene Greifklauen sich um ihre Arme schlossen. »Ich will nicht mit euch gehen!« Aber sie war zu schwach, um sich zu behaupten. In dem Moment griffen die Äste an, ließen sich einfach fallen. Wo sie die Maschinen berührten, begann deren Oberflächenbeschichtung blasenwerfend zu verdampfen. Innerhalb von Sekunden gerieten die empfindlichen Steuerungsmechanismen außer Kontrolle. Rückwärts raste einer der Roboter auf den Gang hinaus, prallte heftig gegen die Wand und blieb bewegungsunfähig liegen. Menizza kam frei. »Raus hier!« rief Ouou ihr zu. »Wir müssen Zeit gewinnen.« Ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollten, hetzten sie den Korridor entlang, wählten blindlings irgendwelche Abzweigungen und vertrauten sich schließlich einem Antigravschacht an, den sie fünf Decks tiefer wieder verließen. Schier endlose Containerstapel legten die Vermutung nahe, daß die Laderäume der Raumzecke erreicht waren. Da noch immer keine Verfolger auftauchten, durfte man sich einigermaßen sicher fühlen. »Wir brauchen Waffen«, sagte Ouou. »Andernfalls müssen wir uns hier verbergen.« »Und?« schnaufte Menizza, noch immer außer Atem. »Was mißfällt dir daran?« »Der Gedanke, daß die Roboter uns irgendwann aufspüren werden. Wir haben nur dann eine reelle Chance, wenn wir sie überraschen.« Das war einleuchtend. Außerdem hatten die Äste sich auf ihre Seite gestellt. Von Anfang an schien das Handeln dieser eigenartigen Geschöpfe nach einem ganz bestimmten Plan abzulaufen. Menizza bedauerte, daß eine Verständigung bislang nicht möglich war. Sie vollführte eine umfassende Handbewegung, die alle Containerstapel miteinbezog. »Ich fürchte, wir werden Stunden benötigen, um wirklich Waffen zu finden.« Die Vulnurer hatten bereits damit begonnen, die ersten Behältnisse zu öffnen. Mit ihren Kieferzangen fiel es ihnen leicht, die dünnen Plastikwände aufzuschlitzen. Sie fanden eine Vielzahl verschiedenster Maschinenteile, deren Verwendung zunächst unklar blieb. Erst nach und nach kristallisierte sich heraus, daß dies die Bauteile zeckenartiger Roboter waren, von denen jeder vermutlich bis zu vier Metern groß wurde.
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Mit einemmal hielt Ouou inne und richtete sich auf. Sein Blick verlor sich irgendwo hinter Menizza. Nichts Gutes ahnend, wandte das Mädchen sich um. Die aktivierten Abstrahlmündungen der Waffenarme etlicher Kampfmaschinen machten jede Hoffnung zunichte. * Der kleine Konferenzraum der Medostation war hoffnungslos überfüllt. Doch daran störte sich im Augenblick niemand. Lara schwebte auf einer Antigravtrage fast zwei Meter über dem Boden. Sie erholte sich zusehends von ihrem Erlebnis in der Namenlosen Zone, und je länger sie berichtete, desto mehr bewies sich, daß sofortiges Handeln geboten war. Desmons, Dylas und Monares Erzählungen wurden weitgehend bestätigt – jetzt stand einwandfrei fest, daß die Verschwundenen die Namenlose Zone erreicht hatten. Dort allerdings schien der potentielle Gegner inzwischen Lunte gerochen zu haben. Wie anders war die Anwesenheit einer mindestes 1500 Meter großen Raumzecke zu erklären? »Womöglich handelt es sich um die Vorhut einer größeren Flotte«, gab Atlan zu bedenken. »Die Zyrtonier sind gewarnt. Vorausgesetzt, wir schaffen es wirklich, mit der MJAILAM ...« »Wir schaffen es«, unterbrach Blödel. »Vergiß endlich deine Zweifel.« »Also gut«, seufzte Atlan. »Falls wir mit der MJAILAM in die Namenlose Zone gelangen, müssen wir damit rechnen, augenblicklich von mehreren Seiten unter Beschuß genommen zu werden.« Er fühlte sich mehr und mehr in die Defensive gedrängt, weil er das für die Kinder entstehende Risiko ablehnen mußte. Dabei war gerade er daran interessiert, einen Weg in die Namenlose Zone zu finden. Das Ganze wurde zu einem Teufelskreis. Du vergißt Menizza und die drei Vulnurer, wisperte der Extrasinn. In deiner übertriebenen Vorsicht setzt du ihr Leben aufs Spiel. »Ich bin dafür, daß wir den Versuch wagen«, hörte Atlan sich sagen. »Aber lediglich mit einer Space-Jet und drei oder vier der BRISBEE-Kinder. Falls etwas schiefläuft, sind wir dann nicht unwiderruflich abgeschnitten.« »Du irrst dich«, warf Borallu ein. »Der erhoffte Mitnahmeeffekt läßt sich nur erreichen, wenn alle Kinder versammelt sind. Und dabei ist ein Kreuzer wie die MJAILAM das größte zu transportierende Objekt und zugleich am schlagkräftigsten, falls es zu einem bewaffneten Konflikt kommt.« »Achtung!« schnarrte Blödel. »Da ist etwas.« Neben der Antigravliege flimmerte in einem eng begrenzten Bereich die Luft. Innerhalb von Sekundenbruchteilen materialisierte aus einem durchscheinenden Nebel heraus einer der weißen Äste, schwebte zu Lara und verharrte dicht über ihr. Das bunte Schillern seiner Hautlappen wirkte überaus intensiv. »Ich denke, Desmon hält diese gefährlichen Wesen in deinem Labor zusammen«, wandte Machon sich an den Scientologen Nockemann.
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»In Gegenwart der Kinder und von Borallu sind sie harmlos«, erwiderte Blödel an Stelle seines Herrn. »Wenn wirklich einer entkommt, ist das nicht weiter tragisch.« Hage Nockemann nickte beifällig. »Gerade weil diese Gebilde sich bislang jeder gezielten Untersuchung entziehen konnten, müssen wir davon ausgehen, daß es sich um höherentwickelte Lebewesen, vielleicht sogar um echte Intelligenzen handelt. Wir wissen inzwischen, daß sie aus der Namenlosen Zone stammen und daß ihr erstes Auftreten an Bord der SOL wohl einem unbewußten Sich-Entwickeln der besonderen Kräfte unserer BRISBEE-Kinder zuzuschreiben ist. Das sogenannte Extrem-Heimweh muß in gewissem Sinne eine Perforation unseres Raum-Zeit-Gefüges bewirkt haben.« »Also mehr oder weniger eine Wechselwirkung, die den Austausch materieller Bestandteile beider Kontinua ermöglicht?« wollte Bjo Breiskoll wissen. »Ungefähr so, wie Wärme immer das Bestreben hat, einen Temperaturausgleich herbeizuführen und dabei so lange von der wärmeren zur kälteren Seite fließt, bis ein Temperaturgleichgewicht erreicht ist«, vermutete Tyari. »Ich will damit sagen, daß die energetischen Bestrebungen innerhalb der Namenlosen Zone darauf ausgerichtet sind, sich dem Einsteinraum anzugleichen. Warum das allerdings nicht geschieht, ist eine Frage, deren Lösung bei den Schockfronten und den Zyrtoniern zu suchen sein dürfte.« Ein graugrünes Gebilde materialisierte, in dem man erst auf den zweiten Blick einen weiteren Ast erkennen konnte. »Wir haben ein neues Besatzungsmitglied«, stellte Blödel fest. »Der Stoff stammt einwandfrei von einer Bordkombination.« »Menizza will uns damit ein Zeichen geben«, behauptete Lara. »Dann dürfen wir nicht länger warten«, pflichtete Hage Nockemann bei. »Jede Minute ist verlorene Zeit. Tyari, Bjo, ist es euch möglich, wenigstens einzelne Gedankengänge unserer neuen Freunde zu erfassen?« Breiskoll schüttelte den Kopf. »Entweder verstehen sie es hervorragend, sich abzuschirmen, oder aber sie denken in uns völlig fremden Bahnen.« »SENECA«, wandte Atlan sich an die Hyperinpotronik der SOL. »Wie hoch schätzt du mögliche Erfolgsaussichten eines Fluges mit der MJAILAM ein?« Die Antwort kam prompt, und eigentlich hatte der Arkonide nichts anderes erwartet: »Das genannte Unternehmen ist von zu vielen unwägbaren Faktoren abhängig. Unter diesen Umständen sprechen nach wie vor 97,8 Prozent für ein Mißlingen.« Atlan wußte, daß die Entscheidung nun einzig und allein bei ihm lag. Selten war ihm ein Entschluß ähnlich schwergefallen. Er mußte an das Ziel denken, das er anstrebte, an die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Warum meldete Chybrain sich nicht mehr? Ein altes terranisches Sprichwort besagt, daß ein Ertrinkender sogar nach einem Strohhalm greift, spottete der Extrasinn. Du glaubst, ich bin dieser Ertrinkende? Bist du anderer Meinung? »Gut«, nickte Atlan. »Wir starten mit der MJAILAM, sobald die BRISBEE-Kinder an Bord sind. Ich nehme an, daß alle hier Anwesenden den Flug mitmachen werden.« »Selbst auf die Gefahr hin, daß wir in
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der Hölle landen«, bestätigte Hage Nockemann. * »Warum liegt uns die Durchführungsmeldung von Palterwahn noch nicht vor?« 2-Page deutete auf die dreidimensionale Projektion eines relativ großen Raumsektors, in dem sich das Gebiet der Sonne Yeith besonders abzeichnete. »Palterwahn ist uns als überaus zuverlässig und gewissenhaft bekannt«, erwiderte 3-Page. »Ich bin überzeugt davon, daß seine Meldung sehr bald eintreffen wird.« »›Sehr bald‹ ist zu spät«, fauchte 1-Page aufgebracht. »Etwas hat nicht in unserem Sinn funktioniert. Deshalb müssen wir ihn und sein Schiff aufgeben und das Gebiet, in dem er sich befindet, sofort durch Aktivierung von der Namenlosen Zone abtrennen.« 2-Page vollführte eine zustimmende Geste. »Für Palterwahn bedeutet dies das Todesurteil«, stellte er emotionslos fest. »Aber vermutlich unterliegt er inzwischen ohnehin einem falschen Einfluß.« Es gab nichts mehr zu besprechen. 1-Page wartete mit offensichtlicher Ungeduld, bis das Schott sich hinter 2-Page und 3-Page geschlossen hatte und nahm dann eine Reihe von Schaltungen vor. Auf einem Bildschirm erschien das Symbol einer stilisierten Zecke. Niemand außer 1-Page kannte es, und niemand wußte, daß sein unsichtbar bleibender Gesprächspartner überhaupt existierte. »Null-Page«, sagte er in demütig gedämpftem Tonfall. »Wie du es verlangt hast, werden wir den Sektor der Sonne Yeith nun von der Namenlosen Zone abtrennen.« »Gut«, erwiderte eine bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Stimme. »Ich erwarte den umgehenden Vollzug.«
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7. Von ihren Antigravfeldern getragen, schwebte die MJAILAM langsam aus dem Hangar. Uster Brick flog eine Position an, die sowohl von der SOL als auch den Heimatschiffen jeweils fünf Lichtminuten entfernt war. Unbewegt stand Atlan vor dem Panoramaschirm in der Zentrale. Wenn das Experiment Erfolg hatte, würden die unzähligen Sterne einer grenzenlos scheinenden Leere weichen. »Alle sind zuversichtlich«, sagte Tyari leise. »Daß wir neben den Kindern sämtliche Äste an Bord haben, hält Borallu für einen zusätzlichen Stabilisierungsfaktor.« Der Arkonide zuckte kurz zusammen, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle. Dennoch hatte sich etwas verändert. Tyari, die ihn von der Seite her musterte, entging nicht, daß seine Lider zuckten und seine Augäpfel sich heftig bewegten, als folge er einem für sie unsichtbaren Geschehen. Atlan sah sie zögernd auf sich zukommen, während ringsum die Umgebung in erschreckender Veränderung begriffen war. Im nächsten Moment hielt die Frau einen Strahlenkarabiner in Händen; ihre Finger umkrampften den Abzug, daß die Knöchel bleich durch die Haut schimmerten. Atlan spürte das Unwirkliche der Situation, konnte sich aber nicht dagegen wehren. Der Extrasinn schwieg. Es war, als entstünden die Bilder aus seinem Innern. Ein heiseres Krächzen ließ mich aufschauen. Obwohl ich wußte, wonach ich zu suchen hatte, entdeckte ich Ticker, den Adlerähnlichen vom Arsenalplaneten, keineswegs auf Anhieb. Das Tier hatte seine Gefieder nahezu vollständig der Färbung der rotbraunen Gesteinsschichten angepaßt, die das unterirdische Höhlensystem durchzogen. »Sie werden gleich wieder angreifen«, sagte Tyari unvermittelt. »Kannst du inzwischen ihre Gedanken erkennen?« »Nur dumpfe Emotionen. Die Psi-Paralyse des Roboters läßt mich schaudern.« Ich nickte flüchtig, wobei ich mich zum wiederholten Male fragte, wo wir uns eigentlich befanden. Ich wußte nur, daß Tyari, Ticker und ich uns auf einer unbekannten Welt aufhielten. Irgendwann in der Zukunft – aber nicht einmal das stand fest. Was war aus der SOL geworden? Ich hatte ebenfalls keine Ahnung und machte den gegnerischen flugfähigen Kleinroboter für meine Erinnerungslücken verantwortlich. Tyaris panische Angst vor dieser Maschine hatte längst auf mich übergegriffen. Flügelschlagend ließ Ticker sich nieder; das mächtige Tier besaß immerhin eine Spannweite von fast vier Metern. Ich erkannte, daß der Adler eine der letzten uns verbliebenen Lähmbomben aufnehmen wollte, um sie gegen die Angreifer einzusetzen. Meine gedankliche Warnung konnte Ticker jedoch nicht aufhalten. Der Adler hatte das Ende der Höhle fast erreicht, da tauchte aus einem der in die Tiefe führenden Stollen der kaum fünfzig Zentimeter messende Roboter auf. Tyari schrie, als die Ausläufer der sich wellenförmig
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ausbreitenden Psi-Paralyse sie ebenfalls erreichten. Ticker verlor in dem Moment nicht nur seine Mimikry-Fähigkeit, sondern auch seine anderen besonderen Kräfte. Zu einem normalen Vogel geworden, suchte er sein Heil in der Flucht. Der Roboter folgte ihm, in seinen winzigen Tentakeln hielt er eine bogenförmige Waffe. Nur Sekunden später stürzte Ticker, von einem stählernen Pfeil getroffen, wie ein Stein zwischen die sich heranwälzenden Angreifer. Die detonierende Lähmbombe verschaffte Tyari und mir ein wenig Luft. Ungeachtet ihrer eigenen Sicherheit sprang Tyari auf und stürmte vor. Ihr Strahlenkarabiner säte Tod und Verderben, dann fand sie das Ziel, das sie gesucht hatte. Der Schutzschirm des Roboters glühte zwar auf, hielt jedoch stand. Ich feuerte ebenfalls. Erst als unsere Waffenstrahlen sich in einem Punkt vereinigten, verging der Roboter. In dem Augenblick, da die Angreifer sich zurückzogen, wurde mir klar, daß wir vorerst gesiegt hatten. Leider um einen hohen Preis. Ticker, uns längst zu einem treuen Gefährten geworden, war tot. Schlagartig veränderte sich die Realität zum zweitenmal. Atlan sah auf dem Panoramaschirm die SOL nur mehr als winzigen Lichtpunkt. Innerlich aufgewühlt, wich er Tyaris fragendem Blick aus. Hatte er geträumt? Mit offenen Augen? Es war eine Vision, ließ der Extrasinn ihn wissen. Aber was bedeutete sie? Eine Warnung vor dem, was ihn in der Namenlosen Zone erwartete, falls der Durchbruch gelang? Entsetzt dachte Atlan daran, daß Ticker tatsächlich auf der MJAILAM mitflog. Bevor er aus naheliegenden Gründen den einstweiligen Abbruch des Experiments befehlen konnte, wechselte auf den Schirmen die Umgebung. * Irgendetwas in ihm war zerbrochen – etwas, was ihm als Maßstab gedient hatte, so lange er denken konnte. 451-Page Palterwahn konnte sich die Veränderung nicht erklären, die mit ihm vor sich ging. Auf den Schirmen der Bordüberwachung verfolgte er, wie die entflohenen Gefangenen von Robotern gestellt wurden. Obwohl er sich selbst darüber wunderte, befahl er, sie in die Zentrale zu bringen. Desgleichen den dritten Vulnurer aus dem Analysezentrum. Alarmsirenen schrillten auf. Palterwahn brauchte nur einen flüchtigen Blick auf die Ortungsschirme zu werfen, um zu erkennen, was geschah. Hauchdünn anmutende, netzartige Erscheinungen weiteten sich rasend schnell aus. Der Rat der Pagen hatte damit begonnen, das Gebiet der Sonne Yeith von der Namenlosen Zone abzuriegeln. »Fluchtgeschwindigkeit!« ordnete Palterwahn an. »Wir können nicht entkommen«, antwortete das Schiff. »Dem Programm folgend, wurde die Selbstzerstörungsanlage aktiviert. Ich darf dem Gegner nicht in die Hände fallen.« »Du mußt die Vernichtung rückgängig machen!« fuhr Palterwahn auf. »Die Befehlsgewalt ist dir ab Aktivierung entzogen. Das Programm ...« 451-Page hörte schon nicht mehr hin. Ihm blieben noch 30 Minuten. Aber konnte er die Zerstörung des Schiffes verhindern? Der Rat der
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Pagen würde ihn sicherlich nicht einmal mehr anhören. Sie laden neues Unrecht auf sich, durchzuckte es ihn. Was waren das für Gedanken? Eine Weile stand er wie erstarrt, dann schüttelte er sich heftig. Besaßen die Vulnurer versteckte Waffen, mit denen sie ihn beeinflussen konnten? Ein Roboter brachte den Gefangenen aus dem Analysezentrum. Die unmittelbare Konfrontation mit dem Fremden ließ in Palterwahn Gefühle aufbrechen, die er nie gekannt hatte. Wie ein Zwang kam es über ihn, alles Gewesene abzustreifen. Noch fünfzehn Minuten bis zur Selbstzerstörung des Schiffes ... »Geh!« sagte Palterwahn plötzlich. »Du und deine Freunde seid frei. Verlaßt das Schiff so schnell ihr könnt, oder ihr werdet mit ihm untergehen.« Der Vulnurer ließ keine Regung erkennen. Offenbar hielt er das Ganze für eine Falle. »Ich danke dir und den anderen«, fuhr Palterwahn fort. »Vielleicht ohne es zu wissen oder zu wollen, habt ihr mir kurz vor meinem Tod die wahre Erkenntnis über Gut und Böse vermittelt. Ich glaube, daß allein eure Anwesenheit auf dem Schiff meine Gefühle verändert hat.« Abrupt wandte er sich um und gab die erforderlichen Befehle an seine Roboter weiter. Die Maschinen würden die Gefangenen zu ihren Raumkapseln bringen. Als er kurz zum Schott blickte, war der Vulnurer verschwunden. Palterwahn lächelte zufrieden. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte er sich frei. Selbst das nahende Ende seiner Existenz war vergessen. * Das an- und abschwellende Heulen des von der Bordpositronik ausgelösten Distanzalarms übertönte die ersten freudigen Ausrufe. Die MJAILAM hatte es zwar geschafft, sie befand sich innerhalb der Namenlosen Zone, aber auf den Bildschirmen und den Ortungen zeigte sich eine gewaltige Schockfront, die ein im Vergleich zum Kreuzer riesiges Zeckenschiff der Zyrtonier einschloß. Die Schockfront war instabil – sonst hätte es keine Möglichkeit gegeben, sie zu orten, außer durch die Buhrlos. »Die Überreste eines Planeten schwirren durch den Raum«, meldete Uster Brick vom Pilotenpult. »Greifen wir an?« »Atlan!« schrie Desmon gequält auf. »Meine Freunde ...« Der Arkonide wirbelte herum. Entsetzt sah er, wie der Junge sich zusammenkrampfte. Das Blut war fast völlig aus seinem Gesicht gewichen; er zitterte und begann um sich zu schlagen, als jemand ihm helfen wollte. Aus seinem Mund kamen röchelnde Laute. Laute, wie Atlan sie vor nicht allzu langer Zeit vernommen hatte.
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»Ich freue mich, euch noch einmal zu sehen«, sagte Desmon mit völlig veränderter Stimme. »Du bist der-mit-dem-unaussprechlichen-Namen?« erinnerte Atlan sich. »Desmons Emulator, oder vielmehr das, was von meiner einstigen Daseinsform noch übrig ist«, wurde ihm bestätigt. »Keiner von uns wollte sein Leben auf Solist beenden, ohne ihm einen letzten Sinn zu geben. Deshalb beschlossen wir, ein zweites Sonnensystem von seiner Schockfront zu befreien. Wie du siehst, wäre uns dies beinahe gelungen. Im letzten Moment zerstörte jedoch eine Sicherung der Zyrtonier den Planeten und verwandelte Yeith in eine Nova.« Desmon rang nach Luft. Das Sprechen überanstrengte ihn offenbar. Heiser fuhr er fort: »Die Wesen, die ihr Äste nennt, sind die aggressiven Nachkommen der früheren Planetenbewohner. Unsere Körper starben auf ihrer Welt, doch unseren Bewußtseinen gelang es, viele von ihnen zu übernehmen und zu beeinflussen. Aber auch das wird bald zu Ende sein, dann gehen wir für immer. Einige der Kinder spürten intuitiv unsere Nähe und nannten die Äste Freunde. Wir wollten euch und den Vulnurern im Kampf gegen die Zyrtonier beistehen. Es tut mir leid, daß wir das nun nicht mehr können.« Desmon brach bewußtlos zusammen. »Das Schiff verschwindet!« rief Brick. Tatsächlich begann die Schockfront sich in einem nur Sekunden währenden Vorgang aufzulösen. Danach war das All von samtener, lichtloser Schwärze, als hätte es in diesem Abschnitt nie auseinandertreibende Bruchstücke eines Planeten, keine sich aufblähende Sonne und auch kein Zeckenschiff gegeben. Sämtliche Äste an Bord der MJAILAM waren ebenfalls verschwunden. Die Ortungen erfaßten lediglich vier kleinere Körper, die zusammen im Raum trieben. Es waren Menizza und drei Vulnurer in ihren Schutzkapseln, die in fieberhafter Eile an Bord geholt wurden. Staunend hörten Atlan und seine Besatzung dann dem Bericht der Geretteten zu, vor allem welche Reaktionen die Gegenwart der jungen Bekehrer bei Palterwahn ausgelöst hatte. Der Arkonide begann zu verstehen, weshalb die Lichtquelle auf der Basis des Ersten Zählers so sehr gedrängt hatte, die Vulnurer in die Namenlose Zone zu holen. Denn diese bildeten offensichtlich das entscheidende Gegengewicht zu den Zyrtoniern im Kräfteverhältnis zwischen Gut und Böse. Stunden später zeigte keines der BRISBEEKinder noch Krankheitssymptome. Als sie beschlossen, wieder in der Nähe der SOL zu sein, genügte ihr gemeinsamer Wille, um die MJAILAM in den Einsteinraum zu versetzen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung zog Atlan sich zurück. Tyari folgte ihm in seine Kabine. »Was bedrückt dich?« wollte er wissen. »Die Vision vom Tod Tickers«, erwiderte er nach anfänglichem Zögern. »Sie schwingt immer noch in mir nach, als hätte ich das Geschehen wirklich erlebt. Ich frage mich, welche Bedeutung sie haben kann.« »Du glaubst, die Emulatoren wollten dich auf diese Weise warnen?«
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»Es wäre immerhin möglich. Aber ich tröste mich erst einmal mit dem Gedanken, daß wir in den BRISBEE-Kindern wieder eine Möglichkeit haben, in die Namenlose Zone zu gelangen.« ENDE
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Weiter geht es in Band 169 der Abenteuer der SOL mit: Chaos um die Futurboje von Hans Kneifel Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
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