HEIMKEHR CIVITAS TERRENA #4
DANIEL SCHENKEL / MARC H. ROMAIN
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Irgendwo am nördlichen Polarkreis, 14. April 2001 De...
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HEIMKEHR CIVITAS TERRENA #4
DANIEL SCHENKEL / MARC H. ROMAIN
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Irgendwo am nördlichen Polarkreis, 14. April 2001 Der eisige Polarwind brachte neuen Schnee, als der Trupp die liegengebliebenen Schlepper erreichte. Die zwei Transporter, ebenfalls Schlepper, aber im Gegensatz zu den Fahrzeugen der Rejissa-Stiftung mit Maschinengewehren bestückte, speziell für diesen Einsatz modifizierte Modelle, kamen zum Stillstand und die Männer des Kommandos begannen auszuschwärmen, um die Umgebung zu sichern. Auch Edgar Loneguard hatte die angenehme Wärme des Wohnmoduls verlassen und sah nun den Soldaten zu, wie sie sich, die Gewehre im Anschlag, den Schleppern der Stiftung näherten. Ihre Vorsicht war überflüssig, denn die Fahrzeuge standen nun schon seit knapp neun Monaten hier herum und es war höchst unwahrscheinlich, daß ein Mitglied der Besatzung überlebt hatte. Zum ungefähr tausendsten Mal verfluchte Edgar sich selbst dafür den Auftrag angenommen zu haben, der ihn in dieses eisige, gottverlassene Niemandsland geführt hatte. Dank der extremen Temperaturen war es ihm nicht einmal möglich, außerhalb der Wohnmodule zu rauchen; dazu hätte er für längere Zeit den Gesichtsschutz abnehmen müssen, was ihn wahrscheinlich Lippen und Nase gekostet hätte. Vor zwei Tagen war ein junger Obergefreiter auf die geniale Idee gekommen seinen Namen in den Schnee zu pinkeln; seitdem lag der arme Trottel mit schwersten Erfrierungen im Lazarettmodul des Zuges und betete, daß ein ganz bestimmtes Körperteil doch nicht amputiert zu werden brauchte. „Herr Oberst.“ Edgar fuhr zusammen, da sein Headset zu laut eingestellt war und die Stimme von Leutnant Nadine Touvel blechern in seinen Ohren klingelte. „Der Unglücksort ist gesichert, aber es gibt hier etwas, das Sie sich ansehen sollten.“ Edgar korrigierte rasch die Lautstärke seines Kopfhörers bevor er Touvel ein knappes „Verstanden“ antwortete und zu
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dem Trupp hinüberstapfte. Schon bald sah er warum der Leutnant ihn gerufen hatte. Der Schnee hatte die fünf Leichen bis jetzt vor neugierigen Blicken verborgen, doch die Soldaten waren bei ihrer Erkundung regelrecht über sie gestolpert. Obwohl die Männer vor rund einem Dreivierteljahr gestorben waren, wiesen die Körper fast keinerlei Verfallserscheinungen auf. Das polare Klima hatte sie schockgefroren. Edgar unterzog die Gesichter der Toten einer kurzen Musterung, bis er fand was er suchte: Miguel Vaniruó und Vladimir Kotirnow waren unter ihnen. Genau wie Edgar Loneguard hatten auch diese beiden Männer für die Abteilung 13 des Geheimdienstes der EUMON gearbeitet. Die beiden Agenten zu finden war ein Teil von Edgars Auftrag gewesen. Der andere Teil bestand darin, sämtliche noch auffindbare Ausrüstung der gescheiterten Expedition, zusammen mit allen etwaigen zurückgebliebenen Mitgliedern, lebendig oder tot, in die Zivilisation zurückzuschaffen. Zu diesem Zweck hatte man ihm diese kleine, aber gut ausgerüstete Einheit der Armee zu Verfügung gestellt, die ihn beim Ausüben seiner Pflicht unterstützen sollten. Die Soldaten wußten nicht, daß es der Geheimdienst war, der sie zu diesem Einsatz abkommandiert hatte. Für sie war es eine simple Bergungsaktion, bei der es darum ging wertvolle Ausrüstung sicherzustellen und wenn möglich ein paar Einwohner der EUMON zu retten. Edgar war für sie lediglich irgendein hohes Tier, das geschickt worden war, um ihnen etwas auf die Finger zu sehen. Dummerweise war der Oberst nicht viel schlauer als seine Untergebenen. McCartney, sein Vorgesetzter in der Abteilung 13, hatte es nicht für nötig gehalten ihm mitzuteilen, warum um alles in der Welt ein qualifizierter und gut ausgebildeter Agent wie Vaniruó dazu abkommandiert worden war, einen Haufen Wissenschaftler zu bespitzeln. Die Entdeckung von alten Ge-
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bäuden am Nordpol mochte zwar eine wissenschaftliche Sensation sein, aber einen militärischen Nutzen konnte Edgar in dieser Tatsache beim besten Willen nicht erkennen. Es war ihm außerdem völlig schleierhaft, wieso die Teilnehmer der Expedition sich gegenseitig über den Haufen geschossen hatten. „Sollen wir die Leichen bergen, Herr Oberst?“ Touvel sah Edgar ungeduldig an, der immer noch nachdenklich auf den toten Agenten herunterblickte. „Ja, tun Sie das“, befahl der Oberst. „Die Techniker sollen sich außerdem die Schlepper ansehen, vielleicht kriegt man sie ja wieder flott.“ „Zu Befehl.“ Edgar konnte spüren, daß die Frau ihn nicht mochte. Ihre Abneigung gegen ihn hatte wahrscheinlich nichts mit seiner Person zu tun, sondern beruhte auf den immer wieder aufflakkernden Spannungen zwischen dem Hause Stuart und den französischen Bourbonen. Die alte Zwietracht war, trotz dem Zusammenschluß der europäischen Monarchien, noch immer nicht ganz ausgestorben. Während die Leichen in blaue Plastiksäcke verpackt wurden, kehrte Edgar zu den Modulen zurück. Dort angekommen betrat er seine Unterkunft, die er sich mit Touvel und dem Arzt der Einheit, Dr. Giuseppe Pasci, teilen mußte. Der dunkelhaarige Mediziner saß auf seiner Koje und schlürfte Tee aus einem Pappbecher, als Edgar das Modul betrat. „Es ist noch Tee da, wenn Sie wollen“, begrüßte ihn der Sizilianer freundlich. Edgar nahm, nachdem er sich seiner schweren Schutzkleidung entledigt hatte, dankbar einen Becher mit der dampfenden Flüssigkeit entgegen. „Wir haben da draußen fünf Leichen, Doktor“, sagte er schließlich. „Ich hoffe es macht Ihnen nichts aus, aber wir müssen sie mitnehmen und können sie aus Platzgründen nur
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bei der medizinischen Ausrüstung lagern, wenn die Techniker die Schlepper der Expedition nicht wieder hinbekommen.“ „Gehören die Toten zu dieser Rejissa-Stiftung?“ fragte Pasci leicht beklommen. „Ja, aber wir haben sie noch nicht alle gefunden.“ „Sind die Leute erfroren?“ „Sie wurden erschossen“, antwortete Edgar knapp. Diese Tatsache war nicht mehr zu verheimlichen, da schon fast alle Soldaten aus dem Trupp einen Blick auf die Leichen hatten werfen können. „Großer Gott!“ Pasci bekreuzigte sich hastig. „Wie ist das bloß passiert?“ „Da fragen Sie mich zuviel. Vielleicht haben die Jungs eine kleine Schneeballschlacht veranstaltet und als jemand zu hart geworfen hat, gab ein Wort das andere.“ „Das ist nicht komisch.“ Der Oberst grinste lediglich während er sich eine Zigarette anzündete. Für einen Feldmediziner war Pasci erstaunlich zart besaitet, geradezu sentimental. Die Militärärzte, die Edgar ansonsten während seiner Laufbahn kennengelernt hatte, waren allesamt zynische Knochenflicker, die sogar noch Witze reißen konnten während sie die Einzelteile eines Minenopfers sortierten. Die Luke des Wohnmoduls wurde erneut geöffnet und Nadine Touvel kletterte herein. Als sie ihren Helm abnahm gab sie den Blick auf ein auffallend hübsches Gesicht mit klugen blauen Augen frei. „Die Leichen sind wie befohlen verladen worden, Herr Oberst“, meldete Touvel mit kühler Stimme. „Die Techniker meinen, daß sie wahrscheinlich einen der Schlepper binnen vier Stunden wieder flott kriegen können.“ „Ausgezeichnet, dann haben schaffen wir es vielleicht noch heute die Ruinen zu erreichen.“ Edgar füllte einen weiteren Becher mit Tee und reichte ihn Touvel, die ihn mit einem gemurmelten Dankeswort entgegennahm. Nachdem sie einmal
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kurz an dem Getränk genippt hatte, stellte die Offizierin den Becher jedoch wieder beiseite. „Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Oberst Loneguard?“ „Nur zu.“ Edgar zündete sich inzwischen die zweite Zigarette an. „Warum können wir nicht schon jetzt zum Schiff zurückkehren? In den Ruinen werden wir vermutlich auch keine Überlebenden mehr finden und mir erscheint das Risiko in einer Gletscherspalte zu verschwinden einfach zu groß, um die Bergung von ein paar weiteren Toten zu rechtfertigen.“ „Mir nicht, Leutnant Touvel“, antwortete Edgar kalt. „Unsere Befehle sind eindeutig. Wir haben nach Möglichkeit alle Teilnehmer der Expedition zu bergen und müssen deshalb auch zu den Ruinen vorstoßen, da ja immerhin noch die Möglichkeit besteht, wenn es auch äußerst unwahrscheinlich ist, daß ein paar Leute es bis dorthin geschafft und bis jetzt überlebt haben. Jetzt machen Sie sich mal an die Arbeit. Wegtreten!“ Für einen Augenblick schien es, als wolle Touvel zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, dann jedoch atmete sie hörbar ein und salutierte. „Jawohl, Herr Oberst.“ Ohne ein weiteres Wort verließ die Offizierin das Modul, wobei sie die Luke heftiger als nötig hinter sich zuknallte. Edgar stellte fest, daß er die junge Frau mochte. Sie sah nicht nur gut aus, sondern hatte auch Charakter und einen starken Willen; alles Eigenschaften die er sehr zu schätzen wußte. Doch gleich darauf verwarf er alle in diese Richtung gehenden Gedanken wieder. Seine Frau Jill, mit der er seit fast zwanzig Jahren verheiratet war, wartete in ihrem gemeinsamen Zuhause in London auf ihn. Edgar freute sich schon darauf sie endlich wieder in die Arme schließen zu können, wenn seine Arbeit hier endlich getan war. Das Bauwerk aus schwarzem Stein ragte wie ein drohender, eckiger Zeigefinger über dem Trupp auf.
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Edgar konnte weder Verzierungen noch Fenster erkennen, als er sich zusammen mit den Soldaten dem Eingang näherte, der fatale Ähnlichkeit mit dem klaffenden Maul eines Ungeheuers aufwies. Die Öffnung war breit genug, um sogar einen der Schlepper bequem passieren zu lassen, aber Leutnant Touvel hatte entschieden, daß das Gebäude zuerst einmal zu Fuß erkundet werden sollte. Fast sofort nachdem sie das Tor durchschritten hatten wurde das Licht und das beständige Klagen des Polarwindes von der trostlosen Dunkelheit des Turmes verschluckt. Edgar wußte natürlich, daß es nicht zu seinen Aufgaben gehörte an der Spitze des Stoßtrupps unbekanntes Gelände zu betreten, doch er war einfach nicht daran gewöhnt Däumchen zu drehen, während andere für ihn die Arbeit erledigten. Deshalb hatte er sich eines der SA-80 gegriffen und die Leitung des Trupps übernommen, auch wenn seine Anwesenheit Touvel ganz offensichtlich auf die Nerven ging. In den umherhuschenden Lichtkegeln der auf die Gewehre montierten Stablampen, konnte der Oberst eine kreisrunde, riesige Halle, sowie drei weitere Öffnungen in den Wänden ausmachen, die wohl Durchgänge in andere Teile des Gebäudes darstellten. Knapp acht Meter über den Köpfen des Stoßtrupps zog sich eine Galerie entlang, auf der Edgar für einen kurzen Moment glaubte einen sich bewegenden Schatten gesehen zu haben. Als er die Stelle jedoch mit seiner Lampe genauer ausleuchtete, bot sich seinem Blick nur schwarzes Gestein dar. Ganz ruhig Edgar, dachte er, du warst nur zu lange nicht im Außeneinsatz. Der Vorraum wirkte in seiner Größe und Leere auf den Oberst fast noch trostloser als die endlosen Schneefelder des Gletschers. Die übrigen Mitglieder des Trupps empfanden anscheinend ähnlich. Nervös umklammerten die Soldaten ihre Gewehre und versuchten sich nach allen Seiten abzusichern.
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„Recht beeindruckend hier, nicht wahr, Herr Oberst?“ Nadine Touvel sprach leise und war deshalb durch ihren Gesichtsschutz kaum zu verstehen. „Aber nicht besonders einladend. Ich schlage vor, Sie teilen Ihre Leute in Siebenergruppen auf und dann sehen wir einmal nach was es hinter diesen Durchgängen zu entdecken gibt. Vielleicht haben wir Glück und finden den Yeti.“ Touvel vermochte über den schalen Witz nicht zu lachen, trotzdem tat sie, was Edgar vorgeschlagen hatte. Es beobachtete die Ankunft des Trupps mit einer Mischung aus Furcht und Faszination. Die lange Zeit der Einsamkeit hatte es beinahe vergessen lassen, daß es außer ihm noch andere Lebewesen geben mußte. Das Aussehen der Männer machte ihr allerdings Angst, denn es erweckte unklare, schmerzhafte Bilder von Gewalt in ihrem Verstand, die sie nicht einzuordnen vermochte, außer daß die Erinnerung an Leid und Angst mit ihnen einherging. Es beschloß, auf der Hut zu sein. „Ach du Schande.“ Edgar konnte dem Ausruf des völlig verblüfften Soldaten nur zustimmen. Der Anblick, der sich ihren Blicken hinter dem Durchgang darbot, ließ auch den abgebrühten Agenten die Augen weit aufreißen. Dieser Raum war ebenfalls kreisrund, aber wesentlich kleiner als die Vorhalle, die in etwa das Ausmaß eines Flugzeughangars erreichte, und er war auch nicht leer. Bizarre Metallkonstruktionen, von denen ein konstantes leises Summen ausging, säumten die Wände. In der Mitte des Raumes klaffte ein quadratisches Loch mit einem Durchmesser von etwa drei Metern. Als Edgar sich an den Rand stellte und hinunterspähte, bemerkte er ein rötliches Glühen in der Tiefe, flüssigem Magma nicht unähnlich. Die Wärme, die aus dem
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Loch nach oben stieg und sein Gesicht streichelte, schien diese Annahme zu bestätigen. „Sagen Sie nicht, daß das hier eine uralte Ruine ist?“ fragte ein Soldat, ein junger Deutscher, dessen Namen Edgar vergessen hatte, beklommen. „Ich weiß was ich gesagt habe.“ Edgar verspürte auf einmal den unbeständigen Drang nach einer Zigarette. „Um ehrlich zu sein bin ich genau so ratlos wie Sie.“ Edgar fühlte sich plötzlich in die Kulissen eines schlechten Science-fiction-Filmes versetzt, den er vor ein paar Monaten im Kabelfernsehen gesehen hatte. In diesem halbseidenen Streifen war die Besatzung eines Raumkreuzers gezwungen gewesen, auf einem fremden Planeten mit einer alten Ruine notzulanden, die natürlich gleich erforscht werden mußte. In der Ruine hatte ein außerirdisches Monster, das bedeutete ein Statist in einem lächerlichen Gummikostüm, damit begonnen ein Besatzungsmitglied nach dem anderen zu verspeisen. Schließlich war nur noch der heldenhafte Kommandant übriggeblieben, der das Monstrum gegen Ende des Films in einem lächerlichen Showdown bezwungen hatte. Der Titel des idiotischen Streifens hatte, falls Edgar sich noch richtig erinnern konnte, Angriff der Schreckazoiden gelautet. „Sollen wir weitergehen, Herr Oberst?“ meldete sich Leutnant Touvel zu Wort und deutete auf die breite Steinrampe in einer Ecke des Raumes, die wohl auf die Galerie führte. „Gleich.“ Edgar nuschelte, da ihm inzwischen ein Zigarettenfilter zwischen den Lippen klemmte, während er seine Taschen nach Feuer durchsuchte. „Bei allem Respekt, Herr Oberst, sie sollten jetzt wirklich nicht rauchen.“ Die Französin warf einen mißbilligenden Blick auf Edgars Glimmstengel. „Wieso, haben sie hier irgendwo ein Verbotsschild gesehen?“ fragte der Oberst belustigt. Das schrille Geheul, das ertönte, kaum daß er den ersten Zug genommen hatte, ließ ihn vor Schreck die Zigarette aus-
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spucken. Gleichzeitig begann sich der Raum mit weißem Gas zu füllen. „Nichts wie raus hier“, keuchte Touvel. Zusammen mit dem Rest der Gruppe sprintete sie auf den Ausgang zu. Zurück im Vorraum, der glücklicherweise gasfrei war, blieben sie hustend und würgend stehen. Ein Mann krümmte sich zusammen und erbrach qualvoll sein Mittagessen. Edgar wurde von einem Hustenanfall geschüttelt und spürte wie ihm Tränen über beide Wangen liefen. Das Gas brannte höllisch in den Augen. „Leutnant bitte kommen! Leutnant, hier spricht Gruppe 3. Alles in Ordnung?“ „Keine weiteren Probleme“, krächzte Touvel in ihr Mikrofon. „Der Herr Oberst hat nur vergessen, die örtlichen Nichtraucherschutzbestimmungen zu beachten.“ Edgar, der sich inzwischen wieder halbwegs gefaßt hatte, grinste schief, obwohl ihm ganz und gar nicht danach zumute war. Er warf einen Blick in den Raum zurück, in dem immer noch das weiße Gas waberte. Die Sirene hatte inzwischen glücklicherweise aufgehört zu heulen. Was in Gottesnamen war das hier für ein Ort? Edgar glaubte inzwischen nicht mehr an den Inhalt seines Dossiers, das die Ruinen als uralte Zeugnisse einer vergangenen Kultur auswies. Der Oberst verstand nicht sehr viel von Frühgeschichte, meinte aber zu wissen, daß alte Kulturen nicht über einen solchen Maschinenpark verfügen sollten, geschweige denn über ein modernes Brandschutzsystem. McCartney würde ein paar interessante Fragen zu beantworten haben, wenn Edgar erst wieder zurück in London war. Das charakteristische Rattern eines Sturmgewehrs durchbrach die Stille. „Hier Thomson von Gruppe 2“, drang eine beinahe hysterische Männerstimme aus Edgars Ohrknopf. „Kontakt! Ich wiederhole, wir haben Kontakt!“
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Der Raum den Edgar an der Seite von Leutnant Touvel und einigen anderen Soldaten betrat, war weitaus größer als der, in dem der Oberst den Feueralarm ausgelöst hatte. Klotzige Maschinen, die durch zahlreiche Röhren miteinander verbunden waren, standen überall herum und schufen ein unübersichtliches Labyrinth aus Metall und Finsternis. Die Soldaten von Gruppe 2 standen dicht gedrängt beieinander und sicherten jeweils den Rücken des Anderen. Sie waren so nervös, daß sie beinahe das Feuer eröffnet hätten, als die Mitglieder der restlichen beiden Gruppen eintrafen. „Also gut, was ist hier eigentlich los?“ wollte Touvel wissen. Die Soldaten hatten ihre Gesichtsmasken inzwischen abgelegt, da es im Inneren des Turmes deutlich wärmer als draußen war. So konnte Edgar den Angstschweiß auf der Stirn des glatzköpfigen Schwarzen sehen, als der Mann vortrat und Haltung annahm. „Frau Leutnant, wir haben den Raum hier erforscht, da sind wir plötzlich auf dieses Ding getroffen.“ „Was für ein Ding? Erklären Sie mir das bitteschön etwas genauer, Thomson!“ „Nun ja ... Ähem ...Wie soll ich sagen ...“ Der Soldat zögerte und druckste herum, bis einer seiner Kameraden das Wort für ihn ergriff. „Es sah irgendwie falsch aus, Frau Leutnant, verstehen Sie?“ Nun mischte sich Edgar ein. „Nein wir verstehen nicht und wenn Sie nicht etwas präziser werden, dann werden wir vermutlich alle dumm sterben.“ „Es war ... es war kein Mensch, Herr Oberst.“ „Kein Mensch, was? Und was glauben Sie dann gesehen zu haben, den gottverdammten Yeti vielleicht?“ „Ist ja schon gut.“ Touvel faßte Edgar beschwichtigend am Arm. An den Soldaten gewandt fragte sie: „Können Sie sagen wo das Ding hingelaufen ist?“
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„Es ist dort entlang gerannt, Frau Leutnant.“ Der Mann zeigte den Gang hinunter. „Thomson hat ihm eine Salve hinterhergejagt, hat aber nicht getroffen.“ „Dann schlage ich vor, wir folgen dem Ding und verzichten diesmal auf sinnloses Herumballern“, befahl Edgar. „Entschuldigung, Herr Oberst, aber ich habe doch nur ...“ Edgars eiskalter Blick brachte Thomson zum Verstummen. „Kann ich Sie mal kurz sprechen, Thomson?“ Der Oberst nahm den nervösen Unteroffizier am Arm und führte ihn ein paar Schritt von den übrigen Soldaten weg. „Hören Sie mir jetzt einmal gut zu!“ zischte Edgar, als sie weit genug von den Männern weg waren, um außer Hörweite zu sein. „Wissen Sie was ich wirklich hasse? Wenn erwachsene Menschen anfangen sich aufzuführen wie ein Haufen Kinder bei Räuber und Gendarm. Ich trage die Verantwortung für diesen Einsatz und ich werde unter keinen Umständen dulden, daß ein schießwütiger Grünschnabel alles versaut. Stellen Sie also nie wieder meine Anordnungen in Frage! Haben wir uns in dieser Hinsicht verstanden?“ Thomson schluckte und nickte dann knapp. „Jawohl, Herr Oberst.“ Die vorschriftsmäßige Antwort kam leise durch seine beinahe geschlossenen Lippen. Touvel, die das Gespräch mitbekommen hatte, verzog angewidert das Gesicht, enthielt sich jedoch eines Kommentars, wofür Edgar ihr dankbar war. Thomson hatte es wahrscheinlich nicht verdient so zusammengestaucht zu werden, aber die ungewohnte Situation schien dem Trupp allmählich die antrainierte Disziplin zu rauben. Durch seine starke Betonung der Rangfolge wollte Edgar die Leute lediglich dazu bringen, sich wieder auf ihre Professionalität zu besinnen. Sollte Thomson ihn doch ruhig für einen arroganten Dreckskerl halten! Was die Männer von ihm dachten war Edgar herzlich gleichgültig, solange sie so arbeiteten, wie er es von ihnen erwartete. „Das wäre dann alles, Thomson.“
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Der Unteroffizier salutierte noch einmal, bevor er zu seinen Leuten zurückkehrte. Es war unvorsichtig gewesen. Einer der Männer hatte es entdeckt und sofort geschossen. Nur den schlechten Lichtverhältnissen war es zu verdanken, daß es überhaupt noch am Leben war. Seine Meinung hatte sich bestätigt: Diesen Leuten war nicht zu trauen. Das Vernünftigste wäre es gewesen, in die Dunkelheit des unterirdischen Labyrinths zurückzukehren, aber es fürchtete sich vor der Einsamkeit, die dort unten wartete, mehr als vor den Eindringlingen. Es würde in ihrer Nähe bleiben, allerdings vorsichtig und jederzeit zur Flucht bereit. Der Trupp pirschte sich langsam, nach allen Seiten sichernd, durch die Maschinenhalle. In jedem dunklen Eck schienen Schatten zu lauern, die nur darauf warteten einem Unvorsichtigen in den Rücken zu springen. Schließlich erreichten die Soldaten eine größere freie Fläche, die nach Edgars Schätzung etwa in der Mitte der Halle liegen mußte; der Freiraum wurde von einer einzigen, säulenförmigen Maschine dominiert, deren oberes Ende fast bis zur Decke des Raumes reichte. Was dann geschah, sollte sich auf ewig in Edgars Gedächtnis einbrennen. Einer der Soldaten stolperte fluchend über ein kleines, auf dem Boden liegendes Stück Metall und taumelte ein paar Schritte nach vorne. Instinktiv versuchte der Mann sich irgendwo festzuhalten und berührte dabei die säulenförmige Maschine. Ein unartikulierter Schrei entfuhr dem Mund des Soldaten, während gleichzeitig sein ganzer Körper wie ein Preßlufthammer zu zittern begann. Ein Kamerad wollte ihm zu Hilfe kommen, doch Nadine Touvel hielt ihn geistesgegenwärtig am Arm fest. „Nicht anfas-
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sen!“ rief die Offizierin warnend. „Wir müssen das Ding abschalten!“ Genau wie alle anderen Angehörigen des Trupps begann Edgar sich hektisch nach einem Schalter, einem Hebel oder etwas anderem Umzusehen, mit dem man dieser Höllenmaschine den Strom abdrehen konnte. Doch weit und breit war nichts dergleichen zu sehen. Hilflos mußten sie mitansehend, wie der Mann bei lebendigem Leib gebraten wurde. Auf seiner Kleidung züngelten bereits kleine Flammen und der durchdringende Geruch von verschmorten Fleisch lag in der Luft. Es ertönte das schrille Sirenengeheul, das Edgar schon kennengelernt hatte. „Zurück!“ brüllte er, bevor unsichtbare Düsen in der Decke, weißes Löschgas zu speien begannen. Die Halle wurde nicht komplett besprüht, so daß die Soldaten sich lediglich ein paar Meter weit zurückziehen mußten. Nachdem die Gaswolke sich wieder gelegt hatte, bot sich Edgars Augen ein Anblick dar, der ihm beinahe den Magen umdrehte. Die Leiche des unglücklichen Soldaten lag seltsam verrenkt neben der Maschine. Die linke Hand, mit der er sich festgehalten hatte, war verschmort und zusammen mit dem Unterarm wie ein morscher Ast zerbröselt, was den Kontakt zu der Säule unterbrochen hatte. Edgar hatte im Lauf seines Berufs Einiges zu sehen bekommen, aber der Tod dieses jungen Mannes berührte auch einen angebrühten Geheimdienstler wie ihn. „Leutnant Touvel!“ Edgar bemühte sich seiner Stimme einen beherrschten Klang zu geben. „Wir ziehen uns zurück. Es ist einfach zu gefährlich hier noch weiter herumzuschleichen.“ Die Französin nickte nur, während sie auf den entstellten Leichnam herabsah. „Sie haben recht“, sagte sie knapp. „Ihr habt den Oberst gehört, Leute. Hier können wir nichts mehr tun. Stransky und Kurz, ihr nehmt Cooper mit!“
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Schweigsam und bedrückt machten die Männer sich erneut abmarschbereit; zwei Soldaten wickelten ihren toten Kameraden in die Überreste seiner verkohlten Kleidung und trugen ihn mit sich, wobei einer Coopers Füße hielt, während der andere die Leiche bei den Schultern nahm. Währenddessen lies Edgar den Lichtkegel seiner Lampe ziellos umherwandern. In seinem Kopf bildeten sich beinahe wie von selbst Fragen, auf die er keine Antworten wußte. Warum hatte man ihn nicht genauer über diesen Ort informiert? Wieso war er, ein Agent der Abteilung 13, die sich normalerweise nicht mit Archäologie beschäftigte, überhaupt auf eine solche Mission geschickt worden? Wer zur Hölle hatte diesen Ort, fern aller von Menschen besiedelten Gebiete, errichtet? Eine plötzliche Bewegung in den Schatten riß Edgar aus seinen Gedanken. Die Gestalt zeigte sich nur für wenige Sekunden im Schein der Lampe, doch in diesem Augenblick sah Edgar in das Gesicht des Wesens. Der Anblick ließ ihn zusammenfahren und beinahe hätte er sein Gewehr fallengelassen. Ein Gedanke nahm in Edgars Geist Gestalt an und verdichtete sich rasch zur schrecklichen, nicht mehr zu verdrängenden Gewißheit. Dann war die Gestalt aus dem Lichtkegel verschwunden und verbarg sich offensichtlich hinter einer Anordnung fremdartiger Geräteblöcke. „Leutnant Touvel!“ Edgar wunderte sich selbst, wie brüchig seine Stimme auf einmal klang. „Ja, Oberst Loneguard.“ Die rothaarige Frau musterte ihren Vorgesetzten mit kühler, beherrschter Miene. „Nehmen Sie ihre Leute und verlassen Sie den Turm!“ hörte Edgar sich selbst wie im Traum sagen. „Wie bitte?“ Die Französin sah ihn an, als habe er nun endgültig den Verstand verloren. „Tun Sie was ich sage!“, herrschte Edgar sie an. „Und stellen Sie mir um Gotteswillen keine Fragen! Kehren Sie zu den Schleppern zurück. Wenn alles gut geht, werde ich in Kürze nachkommen.“
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Touvel sah den Oberst für einen Moment lang nachdenklich an, dann nickte sie. „Na gut. Männer, wir hauen hier ab.“ Die Soldaten befolgten den Befehl ohne Zögern. Sie waren sichtlich froh diesen Ort, der für ihren Kameraden zum Grab geworden war, endlich verlassen zu können. Nachdem Touvel mit ihren Soldaten verschwunden war, legte Edgar sein Gewehr auf den Boden. „Also gut“, rief er in die Dunkelheit. „Du kannst jetzt rauskommen. Ich habe die Männer weggeschickt und ich verspreche, daß ich dir nichts tun werde.“ Nichts geschah. Edgar hätte genauso gut mit der Luft reden können. Aber der Oberst wußte, daß seinen Worten allergrößte Aufmerksamkeit geschenkt wurde. „Ich habe meine Waffe auf den Boden gelegt.“ Er sprach betont deutlich und laut genug, um noch in den entfernteren Ecken des Raumes verständlich zu sein. „Ich weiß, warum du uns nachgeschlichen bist. Du willst hier weg. Diese Möglichkeit kann ich dir geben, aber dazu mußt du mir vertrauen. Also wie sieht deine Antwort aus?“ Edgar glaubte nun Schritte zu hören, die langsam näher kamen. Tatsächlich schälte sich nun eine Gestalt aus der Dunkelheit, sie bewegte sich so zögerlich, als ob die Finsternis ein Morast sei, aus dem sie sich nur mit quälender Langsamkeit lösen könne. Als die Kreatur endlich vollständig im Licht von Edgars Stabtaschenlampe stand, atmete der Oberst geräuschvoll ein. „Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich erst mal rauchen gehe?“ fragte er gepreßt. „Und Sie haben Ihn da drin einfach zurückgelassen?“ Dr. Giuseppe Pasci sah Touvel ungläubig an. Die Offizierin zuckte mit den Achsen. „Er wollte es doch so und steht im Rang leider so weit über mir, daß ich ihm nichts verbieten kann.“
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„Hoffentlich passiert ihm nichts.“ „Und wenn schon.“ Nadine Touvel machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. „Wäre kein großer Verlust für die Menschheit, das können Sie mir glauben, Doktor.“ Sie fuhren beide zusammen, als kurz darauf die Luke des Moduls geöffnet wurde und Oberst Edgar Loneguard hereinkletterte. Das Gesicht des Offiziers war das eines Mannes, der alle seine inneren Kraftressourcen aufbot, um nicht die Beherrschung zu verlieren. „Leutnant Touvel, Dr. Pasci, hören Sie mir jetzt gut zu“, begann Edgar tonlos. „Ich werde jetzt in den Schlepper der Rejissa-Stiftung steigen, den die Techniker repariert haben. Damit werde ich in den Turm fahren und etwas einladen, das höchster Geheimhaltungsstufe unterliegt. Während unserer Rückfahrt habe nur ich Zutritt zu diesem Schlepper. Sollte jemand meine Befehle mißachten, wird der Betreffende seines Lebens nicht mehr froh werden. Sie müssen mit mir darauf achten, verstehen Sie?“ „Wovon reden Sie überhaupt?“ rief Pasci aufgebracht. „Leutnant Touvel erzählt mir gerade, Sie hätten sich wie ein Verrückter aufgeführt und jetzt kommen Sie hier herein und geben Anweisungen, die auch mich an Ihrem Geisteszustand zweifeln lassen.“ „Halten Sie mich von mir aus für verrückt.“ Edgar zuckte mit den Achseln. „Aber wenn Sie meine Anweisungen mißachten, dann finden sie sich bald in einem Wachbataillon auf den Splittern wieder. Ist das klar?“ „Wollen Sie mir etwa drohen, Oberst Loneguard?“ Der Feldarzt reckte kampflustig das Kinn vor und ballte wütend die Fäuste. „Nein, ich stelle lediglich Tatsachen fest.“ Mit diesen Worten drehte Edgar sich auf dem Absatz um und verließ das Modul. Zurück blieben zwei verwirrte Offiziere, die über die Motive ihres eigenwilligen Vorgesetzten nur rätseln konnten.
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Edgar ließ sich von einem Fahrer des Schleppers die Zündschlüssel aushändigen und erklärte dem Mann anschließend, sein Dienst sei für heute beendet und er solle sich in sein Quartier begeben. Der Soldat konnte sich auf die Anweisungen des Oberst zwar keinen Reim machten, freute sich aber darauf, zum Kartenspiel mit seinen Kameraden zurückkehren zu können und erhob deshalb keinerlei Einwände. Die Steuerung des Schleppers war nicht sonderlich kompliziert und Edgar schaffte es nach kurzer Zeit das Fahrzeug zu wenden und rückwärts in den Turm zu fahren. Nachdem er den Schlepper angehalten hatte, stieg er aus und sah, daß er bereits erwartet wurde. „So, hier ist deine Mitfahrgelegenheit.“ Sein Lächeln wirkte gezwungen. Die Kreatur hingegen zeigte keinerlei Gefühlsregung, sondern sah den Oberst nur aus großen, unmenschlichen Augen an. Edgar marschierte um den Schlepper herum, öffnete die Luke des Wohnmoduls und winkte das Wesen mit einer einladenden Geste näher. „Ich werde dir später noch Nahrung und Wasser bringen, falls dir das Sorgen macht. Also los, worauf wartest du noch?“ Die Kreatur zeigte immer noch keine emotionale Regung, aber sie folgte Edgars Aufforderung und betrat das Modul. Nachdem er die Luke hinter ihr geschlossen hatte, kehrte Edgar zum Führerhaus zurück, wo er sich eine weitere Zigarette anzündete. Diese Mission war mit Sicherheit die haarsträubendste, auf die Edgar jemals geschickt worden war; aber er hatte seine Aufgabe erfüllt und nur das zählte letzten Endes. Sobald er wieder zurück in London war, würde er McCartney aufsuchen und ihm ein paar Fragen stellen, bei denen er keine Ausflüchte akzeptieren würde.
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Edgar ließ den Schlepper langsam durch das Tor rollen; draußen angekommen gab er dem Konvoi über Funk die Anweisung, unverzüglich aufzubrechen. Als die Fahrzeuge sich schließlich in Bewegung setzten, blieb der dunkle Turm wie ein Relikt aus alten Zeiten, die besser vergessen bleiben sollten, hinter ihnen zurück.
London (EUMON), einige Wochen später Oberst Edgar Loneguard schnippte seine heruntergebrannte Zigarette in den Rinnstein und beobachtete, wie die Kippe, kleine Funken sprühend, in einem Abwasserschacht verschwand. Abrupt wandte er sich um, wobei sein eigener, kondensierender Atem in der abendlichen Luft für einem Moment bizarre Formen um seinen Kopf bildete. In einiger Entfernung rasselten die Raupenketten der Schlepper, welche die Fähre verließen, auf dem Gußbeton der Ladestraße, die direkt am Kai entlang verlief. Edgar trug seine Uniformjacke offen, ein kleines Zeichen des Trotzes gegen die militärischen Formen und gegenüber der naßkalten Luft. Wo er gerade herkam, war es ohnehin viel kälter gewesen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie jemand neben ihn trat und er brauchte nicht hinzusehen, um der Person einen Namen zuzuordnen. „Sie werden sich erkälten, Sir“, stellte Leutnant Nadine Touvel fest. „Sie sind ja auf einmal sehr um meine Gesundheit besorgt, Leutnant“, entgegnete Edgar und angelte geschickt einen neuen Glimmstengel aus der Packung in der Innentasche seiner Uniformjacke. Ohne hinzusehen zündete er routiniert die Zigarette an, sein Blick war starr auf den letzten Schlepper gerichtet, der gerade die Fähre verließ.
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Leutnant Touvel ging unterdessen nicht auf seine lapidare Antwort ein, statt dessen trat sie vor ihn. Sie mußte nicht aufblicken, um dem Oberst direkt in die Augen zu sehen. „Wen oder was haben Sie hierher mitgebracht?“, fragte sie unverblümt und deutete einen kurzen Blick über ihre Schulter an. Es war nicht zu erkennen, ob die Geste dem Schiff oder speziell dem letzten Schlepper galt. Edgar ließ die Zigarette in den Mundwinkel wandern und zog geräuschvoll Luft ein. Die Offizierin wirkte dadurch nicht eingeschüchtert, was auch überflüssig gewesen wäre, denn die zu erwartende Explosion blieb aus.„Sie werden keine Ruhe geben, oder?“, fragte er ruhig. „Nein“, gab sie zu. „Sie wissen doch noch besser als ich, daß eine Direktive der Abteilung für jeden Mitarbeiter vorsieht, immer ein Auge auf die anderen Mitarbeiter zu haben. Und seit Betreten europäischen Bodens sind Sie nicht mehr der Operationsleiter.“ „Wissen Sie, es war noch einfacher, als ich nicht für den Verein gearbeitet habe. Beim Militär ging es nämlich ausschließlich nach Dienstgrad.“ Er wies auf seine Schulterklappe, auf der drei Sterne und eine stilisierte Efeuranke zu sehen war. Touvel trug an der gleichen Stelle nur einen einfachen Stern. „Mag sein, daß ich dies nicht nachempfinden kann“, gab sie zu. „Ich wurde direkt von der Universität für die Abteilung 13 rekrutiert.“ „Glauben Sie mir“, knurrte Edgar, „das merke ich jedesmal, wenn wir miteinander reden.“ Er warf die noch nicht zu einem Viertel abgebrannte Zigarette weg, die auf einmal nicht mehr schmecken wollte. „Kommen Sie mit.“ Er machte zwei Schritte in Richtung der Fähre, blieb dann stehen und machte auf dem Absatz eine Kehrtwende. Sie hatte keine Anstalten gemacht, ihm zu folgen und musterte ihn mit einem Blick, wie ihn verständige Psychiater für neurotische Patienten aufzubringen pflegten.
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„Wollen Sie es nun genau wissen?“, fragte er ungeduldig und machte eine einladende Geste in Richtung des Schleppers. „Wenn Sie schon vor der Abteilungsleitung meine geistige Gesundheit in Frage stellen wollen, dann doch wenigstens mit Fakten, oder?“ Ihre Reaktion überraschte ihn. „Das wäre sicher hilfreich“, meinte sie und es war das erste Mal, daß er sie in Gegenwart des Dienstälteren lächelte. Mit einigen raschen Schritten schloß sie zu ihm auf. Vor dem Schlepper blieb der Oberst stehen und öffnete die Luke, stieg allerdings nicht sofort ein. „Ich habe jemanden bei mir“, rief er in das Innere des Schleppers. „Sie wird Ihnen nichts tun.“ Er griff nach der Einstiegshilfe, die neben der Luke angebracht war und zog sich langsam hoch. „Ich steige jetzt ein.“ Touvel wollte ihm folgen, aber er hielt sie zurück. „Bitte warten Sie noch einen Moment.“ Er stieg ein und verschwand aus ihrem Blickfeld. Da sie schon nichts sehen konnte, strengte sie ihr Gehör an und da der Oberst die Luke offen gelassen hatte, war dieser Versuch von Erfolg gekrönt. Zuerst vernahm sie allerdings nur zwei oder drei langsame, auf dem kälteisolierten Innenboden des Fahrzeuges kaum vernehmbare Schritte des Oberst, schließlich aber auch die Fetzen eines leise geführten Gesprächs. „Wir sind jetzt eingetroffen. Wie geht es Ihnen?“, hörte sie ihn fragen. „Besser“, antwortete zu ihrem Erstaunen eine weibliche Stimme. „Die Luft ist hier feuchter.“ Es gab eine längere Pause. „An meiner Situation hat sich allerdings nichts geändert.“ „Wir werden einen Weg finden, Ihnen zu helfen. Ich möchte dazu auch Leutnant Touvel einspannen.“ Er räusperte sich. „Wir werden auch herausfinden, was die Rejissa damit zu tun hatte.“
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Die unmittelbare Antwort war ein merkwürdiges Zischen, das die Offizierin nicht einordnen konnte, welches sich aber in gewisser Weise mißbilligend anhörte. „Sie müssen verstehen, Oberst“, meinte die Stimme, „daß Ihre Regierung ebenso wenig mein Vertrauen hat wie jeder andere.“ „Aber sie haben mir vertraut“, bemerkte der Oberst ruhig. „Ich hätte die Einsamkeit nicht länger ertragen. Mir blieb keine Wahl.“ „Die haben sie jetzt immer noch nicht, befürchte ich.“ „Sie irren sich, Oberst Loneguard. Ich habe durchaus eine Alternative und mich auch in den letzten Tagen dafür entschieden.“ „Wie meinen Sie das?“ Der unterschwellige Streß in der Stimme des Oberst war für Touvel nicht zu überhören, obwohl er ansonsten ganz gelassen sprach. Die Antwort war nicht weniger ruhig. „Verzeihen Sie bitte, daß ich diese Entscheidung treffen mußte. Ich hoffe, Sie werden dadurch keine Schwierigkeiten bekommen.“ „Aber ...“ Der Satz wurde durch ein gedämpftes Rumpeln unterbrochen, welches die Offizierin verwirrte. Unschlüssig blieb sie stehen. Ein unterdrückter Ruf des Oberst ließ sie aktiv werden und sie kletterte in den Schlepper. Kaum hatte sie die Luke passiert, fegte ein undeutlicher Schemen auf sie zu und riß sie von den Beinen. Sie stolperte rückwärts aus dem Fahrzeug und konnte aus ihrem Sturz nur halbwegs ein kontrolliertes Abrollen machen. Die Gestalt setzte gestreckt über sie hinweg, doch als sie herumfuhr, war von dem Angreifer nichts mehr zu sehen. Sie rappelte sich auf und bemerkte aus dem Augenwinkel einen Schatten, der sich auf der Heckseite des Schleppers von dessen Dach zu Boden ließ. Sie nestelte an ihrem Pistolenhalfter, während sie sich in Bewegung setzte. Als sie hinter dem
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Schlepper ankam, hielt sie ihre Dienstwaffe in der Hand, aber es gab nichts, worauf sie damit hätte zielen können, denn der Schemen verschwand in diesem Moment über den Gipfel der Rampe im gähnenden Schlund des Frachtraums. Sie schüttelte den Kopf und gab kurzentschlossen zwei Schüsse in die Luft ab, woraufhin ein Soldat ihrer Truppe an der Reling über der Frachtluke der Fähre erschien. Sie erkannte Unteroffizier Thomson. „Eindringling an Bord“, rief sie hinauf. „Riegeln Sie alles ab. Äußerste Vorsicht.“ Thomson nickte nur stumm und verschwand aus dem Sichtfeld. Angesichts der Tatsache, daß sie ihren Dienstgrad mehr oder weniger als Formalität zuerkannt bekommen hatte, sah der Leutnant darüber hinweg, daß keine hörbare Bestätigung ihres Befehls erfolgte. Außerdem hatte sie Wichtigeres zu tun. Mit schnellen Schritten lief sie zur seitlichen Einstiegsluke zurück und sprang erneut in den Schlepper. Sie fand Loneguard an die Außenwand gelehnt auf dem Boden sitzend und sich den Schädel haltend. Er war offenbar nicht schwer verletzt, wirkte aber benommen. „Alles in Ordnung?“, fragte sie. „Mit mir ja“, meinte er langsam. „Aber ansonsten ...“ „Das glaube ich Ihnen sofort. Können Sie aufstehen?“ Er schob ihren hilfreich ausgestreckten Arm beiseite. „Es geht schon“, meinte er und schob sich langsam an der Wand hoch. „Ich habe ihre Möglichkeiten wohl unterschätzt.“ „Wessen Möglichkeiten?“, hakte Touvel nach und griff doch noch nach dem Arm des Oberst, als dieser wieder zu Boden gleiten drohte. „Später“, wehrte er ab. „Wir müssen verhindern, daß sie sich absetzt.“ Nadine fragte nicht weiter und half Edgar zur Luke. Sie waren kam draußen, als Thomson vor ihnen auftauchte. „Es wäre mir lieb“, meinte Edgar mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck, „wenn Sie gute Nachrichten haben.“
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„Ich fürchte nein, Sir. Wir hatten Sichtkontakt auf dem Oberdeck, kurz hinter der Leiter zum Frachtdeck. Der ...“ er stockte kurz, „... der Eindringling setzte im vollen Lauf über die Reling und tauchte unter. Keine weitere Sichtung.“ Er deutete hinter sich, wo die starken Lichtstrahlen zweier auf der Reling montierter Suchscheinwerfer über die spiegelglatte Wasseroberfläche wanderten. „In Ordnung, Thomson. Informieren Sie die anderen Gruppenführer, sie sollen mit allen Leuten das Hafengelände absuchen. Bleiben Sie aber im militärischen Areal, wir können weder Presseberichte noch öffentliche Spekulationen zu diesem Zwischenfall brauchen.“ „Verstanden, Sir.“ Edgar wartete, bis Thomson verschwunden war, bevor er sich an die Außenwand des Schleppers lehnte. Nadine war sicher, daß dies nicht allein die Benommenheit durch den Angriff war. „Ist sie gefährlich?“, fragte sie nur. „Vielleicht. Auf jeden Fall ist sie gefährdet. Suchen Sie sich aus, was davon ernster ist.“ „Später, wenn Sie mir die Details mitgeteilt haben. Kommen Sie, Dr. Pasci sollte sich ihren Kopf einmal ansehen.“ Sie lächelte. „Vielleicht ist ja doch noch etwas zu retten.“ Er blickte sie merkwürdig an. „Wissen Sie was? – Sie sind wie die Tochter, die ich nie hatte und die zumindest meine Frau nie wollte. Sie wären zu sehr nach mir geschlagen.“ Sie nickte nur. „Wir müssen ganz dringend zu Dr. Pasci.“ Kleine Luftbläschen, die ihren Weg an die Wasseroberfläche suchten, zeichneten eine Spur zum Ufer, die kurz vor der Kaimauer verschwand. Ein dunkler Fleck zeichnete sich unter dem vom der Kaibeleuchtung oberflächlich erhellten Wasser ab, wurde größer und schließlich schob sich ein kleiner Buckel durch die ansonsten fast unbewegte Wasseroberfläche.
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Augen, so schwarz wie die Nacht und das Wasser selbst, prüften in einem langsamen Rundumblick das Kai. Langsam sog das Wesen Luft ein. Es roch nach Salz, nach Fisch und ein wenig nach Diesel, nicht jedoch nach Menschen oder Waffenöl. Auf dem Kai schien sich niemand aufzuhalten und auch die zwei einsamen Kutter, die dort still und vertäut lagen, waren leer. Die Anlegestelle selbst war flach, dieser Teil des Hafens lag weit ab von den Anlegestellen der großen Fracht- und Linienschiffe und auch in einiger Entfernung zum militärischen Bereich des Hafens. Dieser war jedoch auf der Wasserseite nicht abgezäunt gewesen, auch nicht unter der Wasseroberfläche, was das anging. Mit einer erst zögernden, dann aber schnellen und kraftvollen Bewegung griff das Wesen nach der Kante der Kaimauer, zog sich nach oben und verschwand mit schnellen Sätzen zwischen den Reihen der Boots- und Lagerhäuser, hinter denen ein ständiges Rauschen den trotz der späten Stunde aktiven Straßenverkehr einer Großstadt verriet. Die Silhouette von London zeichnete sich hell über den flachen Dächern der Hafengebäude ab. Maggie Thatcher wollte gerade ihre Abendschicht in der Telefonzentrale beenden, als das Telefon klingelte. Die schon etwas ältere Dame blickte auf die Uhr und zuckte mit den Schultern. Es würde zwar schon in einer Minute offiziell Schluß sein, aber da sie die Anlage noch nicht auf Nachtbetrieb umgeschaltet war, konnte sie diesen letzten Anruf ebenso gut noch entgegen nehmen. Sie nahm den Hörer ab. „Guten Abend, Telefonzentrale der Rejissa-Stiftung London, Maggie Thatcher am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“ In ihrer Stimme lag genau die Mischung aus Geschäftigkeit und Interesse, die sich in ihrem Job so gut machte. Die Anrufer gewannen dadurch den Eindruck, ihr Anliegen würde mit aller
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Aufmerksamkeit behandelt, während sie gleichzeitig dazu angehalten wurden, sich selbst kurz zu fassen. „Einen guten Abend“, meldete sich eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. „Dr. Rachel Cheung mein Name. Könnten Sie mich bitte mit Mr. Robert Sander verbinden? Ich habe einige wichtige Auswertungen für ihn, allerdings ist mir bedauerlicherweise die direkte Durchwahl abhanden gekommen.“ Maggie zog eine Augenbraue hoch. Die Stimme sprach Europarl mit einem südländischen Akzent und klang auch ziemlich jung, ganz anders als alles, was Maggie mit Doktoren jedweder Couleur in Verbindung brachte. Sie vermutete sehr, daß dies eher ein privater Anruf war, aber darüber zu spekulieren, was der stets korrekt auftretende Vizevorsitzende Robert Sander neben der Arbeit mit seiner Zeit anfing, war nicht ihre Aufgabe. Ebensowenig wie das Sortieren von Anrufen, wenn sie keine Vorgaben von oben dafür erhalten hatte. „Ich würde Ihnen gerne helfen, Dr. Cheung“, sagte sie daher, „aber Mr. Sander ist nicht im Hause.“ „Wo kann ich ihn dann erreichen? Es eilt wirklich.“ Ihre Kollegen sagten Maggie eine diplomatische Ader nach und wenn sie etwas mehr Biß hätte, so meinten sie zudem, hätte sie sich gut in der Politik gemacht. Sie wies zwar bereits den bloßen Gedanken weit von sich, aber bei solchen Gesprächen zu dieser späten Stunde ... Sie riß sich zusammen. „Ich verstehe die Situation, Dr. Cheung, aber Mr. Sander ist derzeit in unserem Hauptsitz in der Neuen Welt und mir sind daher leider hier die Hände gebunden.“ „Wenn dem so ist, werde ich es dort versuchen“, lenkte die Anruferin zu Maggies Überraschung sofort ein. „Vielen Dank und einen schönen Abend noch.“ Bevor Maggie etwas entgegnen konnte, belegte ein Knacken das Unterbrechen der Verbindung. Sie hielt den Hörer noch eine Weile in der Hand und runzelte die Stirn, aber ein Blick
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auf die Uhr ließ sie den merkwürdigen Anruf wieder vergessen. Sie wollte endlich nach Hause, wo ihre Familie auf sie wartete. Oberst Loneguard winkte ab, als Thomson zu einer formellen Meldung ansetzte. „Sagen Sie nichts... Es gibt keine Spur, oder? Machen Sie sich weiter keine Gedanken über die Sache, andere werden sich darum kümmern. Wegtreten.“ „Verstanden, Sir.“ Der Unteroffizier verschwand wieder in Richtung Fähre und schien froh, daß die Sache sich für ihn erledigt hatte. Leutnant Touvel wandte sich an den Oberst, kaum daß Thomson außer Hörweite war. „Und was haben Sie nun vor?“ „Ganz einfach“, meinte Loneguard und förderte ein Mobiltelefon aus der Seitentasche seiner Uniformhose zutage. „Ich werde McCartney anrufen und hoffen, daß er mir nicht den Kopf abreißt.“ „Oder in anderer Form überreagiert?“ „Sie scheinen ihn gut zu kennen“, stellte der Oberst fest, während er bedächtig eine längere Telefonnummer eintippte. „Ich war anfänglich seine Assistentin und hatte dementsprechend häufig mit ihm zu tun. Er neigt dazu, manche Probleme auf rabiate Art zu lösen.“ Loneguard nickte, während er das Telefon ans Ohr legte. „Ich hoffe darauf, daß er die Alternative akzeptiert, die ich ihm anbieten werde.“ Das Landefeld war hell erleuchtet und die Technikcrew nahm gerade die letzten Überprüfungen an der für den Nachtflug bestimmte Passagiermaschine vor. Der leitende Techniker war der Letzte, der ging. Er hakte den untersten Punkt auf seinem Prüfzettel ab und betätigte den Schalter, der die Luke zum Frachtraum schloß. Routiniert klappte er den Deckel zu, der den Schalter sicherte und marschierte gähnend in Richtung des Gerätehauses, welches sich
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auf dem Rasen zwischen den Landebahnen befand und wo warmer Kaffee auf ihn wartete. Ihm entging, wie ein eine schemenhafte Gestalt hinter den gewaltigen Reifen des Flugzeugs hervorhuschte und sich im letzten Moment elegant in den Frachtraum schwang, bevor sich die Luke ganz geschlossen hatte. Einige Minuten später setzte sich die Maschine in Bewegung, wurde schneller und hob schließlich ab; an Bord 243 reguläre Fluggäste und ein blinder Passagier.
Atlanta (EUMON), 5 Tage später „Sie wirken müde.“ Es war eine reine Feststellung, frei von Mitgefühl, aber auch frei jedes Vorwurfs. Die Stimme von Mr. Toshing, dem Vorsitzenden der Rejissa-Stiftung schien zu beidem nicht in der Lage zu sein. Jedenfalls konnte Sander sich nicht daran erinnern, eine der beiden Regungen je bei seinem Arbeitgeber bemerkt zu haben. Obwohl er ihn genaugenommen noch nicht einmal körperlich gesehen hatte. Wie immer versuchten seine Augen das Dunkel zu durchdringen, in dem sich Toshing zu verbergen pflegte. „Um ehrlich zu sein, ich bin wirklich etwas erschöpft“, gab Sander zu. Es gab keinen Grund, dem Boß etwas vormachen zu wollen und eigentlich gab es auch keine Möglichkeit dazu. „Sie sollten sich etwas ausruhen, einmal ausspannen. Ich brauche Sie derzeit nicht, Ihnen stehen also die nächsten zwei Wochen zur freien Verfügung.“ „Ich werde keinen Urlaub brauchen.“ „Sie mißverstehen mich“, entgegnete Toshing und seine Stimme wurde um eine Nuancen schärfer. „Ich wünsche, daß Sie das Gelände der Stiftung zur Erholung verlassen.“ Die Schärfe verschwand so plötzlich, wie sie aufgetaucht war und
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die Stimme bekam einen beinahe väterlichen Tonfall. „Sie meiden die Menschen zu sehr, Robert.“ „Merkwürdig, das ausgerechnet von Ihnen zu hören.“ „Ich habe meine guten Gründe und spielte lange mit dem Gedanken, Sie Ihnen darzulegen. Inzwischen bin ich soweit, es zu tun ... Nachdem Ihr Urlaub vorüber ist, um genau zu sein.“ Sander schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann Ihnen nicht folgen, fürchte ich.“ „Das ist auch nicht erforderlich. Sie werden es bald verstehen.“ „Also gut“, meinte Sander nach kurzem Überlegen. „Und wann trete ich meine Zwangspause an?“ „Das hängt allein davon ab, wie lange Sie von hier bis zum Ausgang brauchen.“ Sie verlagerte ihre Position etwas, um sehen zu können wie der Wagen in einem der Parkunterstände verschwand, welche zu diesem Komplex von Apartmentwohnungen gehörte. Es hatte nur einen Tag gebraucht, um die Adresse des Mannes in Erfahrung zu bringen, der gerade seinen Wagen parkte, aber sie hatte sich noch drei weitere Tage zusätzlich Zeit genommen, seine Gewohnheiten geduldig zu studieren. Nun zog sie sich zurück und schloß die Fenstertür, die zum Balkon des Apartments führte, von innen. Sorgfältig prüfte sie, ob es bei seinem bisherigen Aufenthalt irgend etwas verändert hatte, daß dem heimkehrenden Besitzer auffallen konnte. Dies war nicht der Fall, und so zog sie sich in das zuvor ausgesuchte Versteck zurück, um die beste Gelegenheit abwarten. Die Vorbereitungen waren gerade abgeschlossen, als das Schließgeräusch an der Eingangstür die Ankunft des Apartmentbesitzers verriet. Sander warf sein Jackett achtlos auf die Couch, ebenso die Krawatte und ließ sich dann selbst locker in die Polster sinken.
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Bereits während der Fahrt hatte er den Entschluß gefaßt, das Beste aus diesem Zwangsurlaub zu machen, denn irgendwo hatte Toshing richtig gelegen: Er hatte schon lange nicht mehr ausgespannt und über kurz oder lang würde ihn dieser Dauerstreß zusammenbrechen lassen. Warum also nicht etwas ausruhen und für zwei Wochen alles vergessen, was mit dem Job zusammenhing? Erst als er sich vorbeugte, um eine der Tageszeitungen, die seine Haushälterin im Laufe der Woche dort hingelegt haben mußte, vom niedrigen Wohnzimmertisch zu nehmen, spürte er das Ziehen des Schulterhalfters. Soweit ist es also schon, stellte er mit einiger Verärgerung fest, daß ich diesen Mist als Teil von mir betrachte. Er ließ die Zeitungen, wo sie waren, legte auch die Waffe ab und schob sie nach kurzem Überlegen unter das Sofa. Er hatte keine Lust, sie wie gewohnt im Nachttisch seines Schlafzimmers zu verstauen, offen herumliegen lassen wollte er sie jedoch auch nicht. Er war kaum fertig, als ihn ein Ziehen in seinem Magen daran erinnerte, daß er seit Mittag nichts mehr gegessen hatte. Im Kühlschrank müßte noch etwas sein, schoß es ihm durch den Kopf, als er aufstand und sich in die Küche begab. Jedenfalls wollte er dorthin. Er war noch nicht ganz durch die Tür und mit der Hand am Lichtschalter, als ihn ein harter Schlag vor die Brust zurücktaumeln ließ. Er stolperte nach hinten, bis er mit dem Rücken gegen die Lehne der Couch stieß und er sich wieder fangen konnte. Der Hieb hatte ihm die Luft aus den Lungen gepreßt und noch während er das Defizit mit einem kräftigen Atemzug wieder auszugleichen versuchte, nahm er in einem antrainierten Reflex eine Kampfhaltung ein. Auch sein Blick klärte sich schnell wieder, allerdings nicht schnell genug, um dem erneuten Schlag zu entgehen, der ihn über die Lehne abkippen und über die Sitzfläche auf dem Boden landen ließ. Seine Hand
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fuhr unter die Couch und zog gekonnt die Pistole aus den Halfter, um sie auf den immer noch unbekannten Gegner zu richten. Bevor er dies umsetzen konnte, wurde ihm die Waffe aus der Hand geschlagen. Jemand ergriff sein Handgelenk und ein Gewicht nagelte ihn am Boden fest. Instinktiv ergriff er ebenfalls den Arm des Eindringlings und als er den Kopf wandte, konnte er nun den Angreifer sehr deutlich sehen. Der Anblick ließ ihn alle weiteren Versuche unterlassen, sich zu wehren. „Hallo Robert“, meinte die Kreatur und musterte den am Boden liegenden Mann kalt aus tiefschwarzen Augen, die den Angesprochenen in unangenehmer Weise an die eines Hais erinnerten. „Überrascht, mich hier zu sehen?“ Er entgegnete nichts. Obwohl er bereits einige Dinge erlebt hatte, die andere Leute höchstens aus dem Fernsehen kannten, konnte er nichts weiter tun, als seinen Angreifer mit aufgerissenen Augen zu mustern. Die Kreatur erschien annähernd menschlich, aber schon auf den ersten Blick fielen die anormal langen Arme und Beine auf. Generell machte das Wesen den Eindruck, als hätte man es künstlich in die Länge gezogen. Es trug die Überreste eines orangen Overalls, der ganz offensichtlich für eine viel kleinere Figur geschnitten war. Unter dem Stoff zeichneten sich weibliche Konturen ab, aber auch die ansonsten eher grazile Erscheinung konnten darüber hinwegtäuschen, daß ihn die Kreatur mühelos mit einem Arm am Boden hielt. Die Haut des Wesens hatte eine rotbraune Färbung und fühlte sich unter Roberts Fingern, mit denen er das Wesen seinerseits am Arm gepackt hielt, menschlich an. Allerdings strahlte sie spürbare Hitze ab, wie die eines Menschen, der gerade einige Runden Leistungssport hinter sich hatte. Da die Kreatur aber kein bißchen heftiger atmete, handelte es sich vermutlich um ihre normale Körpertemperatur.
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Die Augen, die den Blickkontakt zu ihm nicht für den Bruchteil einer Sekunde unterbrachen, schimmerten feucht, besaßen wimpernlose Lider und wurden von einem fein geschnittenen Gesicht eingerahmt, welches allerdings nach wie vor keinerlei Regung zeigte. Die Ohren waren hinter langen Haaren verborgen, die beträchtlich verfilzt waren und bis zu den Hüften reichten. Die Nase war eher angedeutet, der Mund sehr klein, die Ober- und Unterlippe hatten die gleiche Größe, was zusammen mit den großen Augen dem gesamten Gesicht einen merkwürdig verträumten Ausdruck verlieh. Zu seiner Verwunderung kamen Robert die Grundzüge ebenso bekannt vor wie zuvor die Stimme und er schluckte angesichts der Erkenntnis, die sich ihm plötzlich aufdrängte. Das konnte einfach nicht ... „Ich bin überrascht, daß Sie mich erkennen, Robert. Nur verstehen können Sie es nicht, habe ich recht?“ Sie neigte den Kopf etwas zur Seite. „Falls es Sie beruhigt ... Ich selbst verstehe es auch nicht.“ „Liza?“, fragte er zögerlich, in seiner Fassungslosigkeit außerstande, auf den Inhalt ihrer Worte einzugehen. Sie nickte. „Ja, ein wenig.“ Sander gewann allmählich die Kontrolle über seine Gedanken zurück und seine erste Handlung war es, beinahe hastig ihren Arm loszulassen. „Wie haben Sie die Explosion überlebt?“, stieß er hervor. „Und was ist mit Ihnen passiert?“ „Zwei schwere Fragen, Robert, warum beantworten Sie nicht zuerst meine einzige Frage an Sie?“ „Sicher, warum nicht?“, meinte er zögernd. Ohne Vorwarnung verstärkte sich der Druck auf seinen Brustkorb und ihr Gesicht näherte sich blitzartig dem seinen. „Warum haben Sie die Expedition sabotiert? Warum?“ Ihre Worte kamen abgehackt und aggressiv, sie ließ den Satz in einem scharfen Zischen enden.
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Sanders Unbehagen verstärkte sich, aber er schaffte es, zumindest äußerlich ruhig zu bleiben. „Sie irren sich, Liza“, stellte er fest und schüttelte langsam den Kopf. „Vaniruó und Kotirnow gehörten zusammen und haben uns ausgespielt. Während wir in der Gletscherspalte saßen, eröffneten sie oben das Feuer; dabei wurden meine Leute und Kotirnow getötet ... Jedenfalls vermute ich, daß es so ablief. Vaniruó war gerade dabei, das zweite Geschirr unserer Abseilvorrichtung mit Sprengstoff zu beladen, als ich an das defekte erste Geschirr sprang und mich mit nach oben ziehen ließ. Ich konnte Vaniruó aufhalten, aber die Sprengung nicht mehr verhindern.“ Er machte eine kurze Pause, aber sie machte keine Anstalten, diese für eine Reaktion ihrerseits zu nutzen. „Ich weiß, Sie waren mit Miguel befreundet“, fuhr Sander daher fort, „aber ich wüßte nicht, was ich Ihnen in der jetzigen Situation als Alternative berichten könnte und der Wahrheit dennoch nahe käme.“ Sie schwieg noch immer, aber er konnte hören, wie sie langsam Luft durch die Nase einzog. Dann ließ der Druck auf seinen Rippen nach. „Entweder sind Sie ein sehr guter Lügner“, meinte sie, „oder Sie sagen die Wahrheit. Oder sind zumindest überzeugt von dem, was Sie mir erzählen.“ „Gestatten Sie mir eine Frage, Liza?“ „Noch eine Frage?“ „Was ist aus den beiden Leuten geworden, die mit Ihnen in dem Tunnel zurückgeblieben sind?“ „Sie sind tot, gestorben durch die Explosion. Und bevor Sie fragen: Ich war aus Neugierde wieder ein Stück in den Tunnel gegangen, um mir die Wände in der Nähe des Eingangs näher anzusehen, deshalb überlebte ich.“ Ihre Augen weiteten sich ein wenig, was ihrem Gesicht einen fragenden Ausdruck verlieh. „Waren die beiden Männer Freunde von Ihnen?“ „Es waren Mitarbeiter der Stiftung und Teilnehmer der Expedition. Als deren Leiter bin ich für ihren Tod genauso ver-
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antwortlich wie für das, was ... Was immer Ihnen zugestoßen ist.“ Ohne jedes Wort entließ sie ihn aus ihrem Griff und erhob sie sich aus der Hocke. „Meine letzte Einschätzung Ihrer Person scheint richtig gewesen zu sein. Vielleicht erinnern Sie sich?“ Sander schloß kurz die Augen und in Gedanken stand er wieder mit Liza Sagyard auf dem Eishügel. Während der Fahrt über das Eis in den letzten anderthalb Wochen habe ich meine Meinung dahingehend korrigiert, sie für einen Experten auf einer ganzen Reihe von Gebieten zu halten, der sich seiner Verantwortung bewußt ist und lediglich seine Schwierigkeiten damit hat, bei irgend jemanden Sympathien zu wecken. „Sie erinnern sich“, stellte sie fest. „An jedes einzelne Wort.“ Er richtete sich betont langsam auf und stützte sich auf die Arme. „Was ist geschehen?“ Sie antwortete nicht, statt dessen nahm sie umständlich auf der Lehne der Couch Platz, als sie merkte, daß das Möbelstück zu flach war, als daß sie dort mit ihren hoch angesetzten Kniegelenken bequem hätte sitzen können. Ihr Blick ging starr gegen die Wand. „Nachdem ich feststellen mußte, daß mein Rückweg versperrt war“, begann sie schließlich, „erlebte ich eine Art Schock. Irgendwann hatte ich es aber auch satt, lethargisch dort herumzusitzen, außerdem wurde mir kalt und ich wußte, daß die Batterien des Handscheinwerfers nicht ewig reichen würden. Ich machte mich auf den Weg, um den Gang weiter zu verfolgen. Als nur wenig über die Stelle hinaus war, die wir bei unserem ersten Vorstoß erreicht hatten, gab die Lampe den Geist auf.“ Sie stockte kurz. „Ich war kurz davor, erneut in Panik zu geraten, aber mir wurde auch klar, daß es im Grunde egal war. Entweder führte der Gang irgendwo ins Freie oder eben nicht. Ich hatte nichts zu verlieren und verfolgte den Weg in absoluter Finsternis weiter.“
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Vorsichtig stand er auf uns setzte sich – in gebührendem Abstand von ihr – ebenfalls auf die Couch. „Was geschah dann?“, hakte er nach. Im Hinterkopf stellte er bereits Querverbindungen zwischen der merkwürdigen Veränderung Lizas und den möglichen Absichten Toshings her. Diese Überlegungen halfen ihm vor allem zu verdrängen, daß er mit einem Wesen ein beinahe vertrautes Gespräch führte, welches ihn vor wenigen Minuten noch ohne sichtliche Anstrengung durch sein Apartment geschleudert hatte. Sie lachte kurz auf und erneut wurde ihm bewußt, welche merkwürdige Aura aus Fremdartigkeit und gleichzeitiger Vertrautheit von ihr ausging. Das Lachen hatte ganz nach der Liza Sagyard geklungen, die er vor einem Jahr kennengelernt hatte, aber da ihr Gesicht dabei völlig ausdruckslos blieb ... „Warum schauen Sie mich so an, Robert?“, meinte sie, ohne den Kopf zu wenden. „Ich fasse es doch selber nicht. Können Sie sich vorstellen, daß ich Sie ganz deutlich erkennen kann, obwohl ich geradeaus schaue und sie seitlich von mir sitzen? Diese Perspektive bereitete mir zu Anfang noch Kopfschmerzen. Der Verstand gewöhnt sich zuletzt an Veränderungen, aber inzwischen komme ich damit klar.“ Sander wußte darauf nichts zu entgegnen. „Was geschah weiter, Liza?“, fragte er statt dessen. „Irgendwann, vielleicht eine, vielleicht zwei Stunden später, ich hatte bereits jedes Zeitgefühl verloren, spürte ich einen milden Luftzug und wenig später sah ich auch einen Lichtschimmer und ging auf diesen zu. Während der ganzen Zeit war es spürbar wärmer geworden, ich nehme an, weil sich die warme Luft durch die Verschüttung des Ganges staute. Der Gang mündete an ein Gitter, welches sich überraschend leicht nach innen wegdrücken ließ. Dahinter lag ein sehr großer Raum, komplett angefüllt mit technischen Anlagen.“ „Kam Ihnen etwas davon bekannt vor?“
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Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Die Verarbeitung war dabei nicht einmal fremdartig ... Stellen Sie sich einfach einen riesigen Saal vor, der soweit das Auge reicht, von Röhren unterschiedlicher Größe und unzähligen Kabeln durchzogen ist, die aus dem Nichts kommen und auch wieder dorthin verschwinden.“ „Ein Abwärmedrucktauscher“, murmelte Sander. „Was sagten Sie?“ „Abwärmedrucktauscher sehen so aus“, wiederholte er, diesmal an sie gerichtet. „Die Rejissa-Stiftung unterhält ebenfalls einige Hochdruck-Heizanlagen, die Tauscher dienen dazu, den Druck auf kleinerem Raum abzubauen, ohne daß dabei allzuviel Wärmekraft verloren geht. Bei dieser Größenordnung allerdings ...“ „Die Anlage dort unten war gewaltig“, meinte sie, seine Überlegung vorwegnehmend. „Nach meiner Veränderung lebte ich ein halbes Jahr darin und habe hatte sicherlich immer noch nicht alles gesehen. Allerdings gab es auch nicht viel zu sehen, wer immer die Anlage gebaut hat, war sehr prosaisch eingestellt.“ „Technische Anlagen sind selten Museen“, erinnerte Sander sie. „Richtig“, pflichtete sie ihm bei. „Aber ich ging damals anders an die Sache heran. Ich bin ... Ich war Archäologin.“ „Das sind Sie immer noch.“ „Nein, das bin ich nicht mehr. Ich bin nicht einmal mehr ein Mensch. Es ist eigentlich zum Heulen, aber ich habe offenbar auch keine Tränendrüsen mehr.“ „Das ist nicht witzig, Liza.“ „Nein, das ist es nicht“, gab sie zu. „Aber ich habe so langsam auch mit Humor meine Probleme. Meine größte Angst ist es, irgendwann aufzuwachen und mich nicht mehr an mein früheres Leben erinnern zu können.“ Sie blickte ihn aus geweiteten Augen an. „Aber das können Sie sicher nicht nachfühlen.“
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Es gab eine peinliche Pause. „Vermutlich besser als Sie denken“, entgegnete er schließlich. „Aber Sie haben noch nicht berichtet, was Ihre ... Ihre Veränderung bewirkt hat.“ „Sie haben recht“, gab sie zu und seufzte. „Der Grund dafür ist, daß ich es nicht weiß. Nachdem ich längere Zeit durch die Anlage geirrt hatte, machten sich der Ruhe- und Wassermangel bemerkbar und ich torkelte mit letzter Kraft durch die Anlage. Irgendwann geriet ich ins Straucheln und stürzte ... In einen engen Schacht, vermute ich, denn ich schlug häufiger gegen Wände, während ich fiel und brach mir sicherlich auch mehrere Knochen.“ Sie stieß zischend Luft aus, die Erinnerung an den Unfall schien ihr nicht zu behagen. Sander konnte dies absolut nachvollziehen, auch einige seiner Knochen hatte bereits mindestens einmal neu zusammenwachsen müssen. „Ich muß auch das Bewußtsein schon verloren haben, bevor der Sturz zuende war“, fuhr sie fort. „Als ich wieder erwachte, befand ich mich an einer ganz anderen Stelle der Anlage und brauchte eine Weile, um meine Veränderung zu bemerken und diese Erkenntnis zu verarbeiten.“ „Ich wüßte nicht, was ich dazu sagen sollte“, meinte Sander mitfühlend, „ohne daß es platt klingen würde.“ „Lassen Sie es besser. Mir fiel es leichter, als ich mir bewußt machte, daß mir diese Veränderung vermutlich das Leben gerettet hat. Als Mensch hätte ich dort niemals überlebt.“ Sie blickte ihn an. „Ich habe natürlich versucht, nachzuvollziehen, was mir zugestoßen sein könnte, aber ich fand in der ganzen Zeit, die ich dort zubrachte nicht einmal die Stelle wieder, bei der ich zuletzt noch mehr oder weniger bei Bewußtsein war.“ Sie zuckte kurz mit dem Kopf nach hinten, eine Geste, die Sander nicht interpretieren konnte. Offenbar hatte sie die Bewegung auch nicht bewußt vollzogen. „Ich hatte übrigens noch meine Uhr um“, fuhr sie fort. „Diese wies bei meinem Erwachen einen Zeitpunkt aus, der etwas
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über drei Wochen nach meinem Zusammenbruch lag.“ Sie griff in die rechte Brusttasche ihres Overalls, zog eine Armbanduhr heraus und reichte sie ihm auf den Fingerspitzen. „Hier.“ Ihre Finger waren ebenso unnatürlich verlängert wie alle anderen Extremitäten und Sander nahm die Uhr nur sehr vorsichtig an sich. „Hm“, meinte er nach kurzer Prüfung und blickte auf seine eigene Uhr. „Normalerweise gehen Digitaluhren nicht allzusehr nach, diese hier tut es aber. Woran könnte das liegen?“ „Die Tasten funktionieren auch nicht mehr“, meinte sie mit neu erwachtem Interesse und rutschte zu ihm hin. Merkwürdigerweise kam ihm die Diskrepanz zwischen dem bekannten Verhalten Lizas und ihrer Erscheinung inzwischen nicht mehr so merkwürdig vor. Ein leichtes Zusammenzucken konnte er dennoch nicht unterdrücken, als sie sich so plötzlich in Bewegung und neben ihn setzte. „Ich tue Ihnen schon nichts, Robert“, meinte sie beruhigend. „Ich wußte vorhin nur noch nicht, welche Rolle Sie in der Sache spielten.“ „Wie können Sie jetzt sicher sein? Sie haben nur meine Aussage.“ „Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich habe es auch erst in den letzten paar Wochen gemerkt, die ich nicht mehr in absoluter Isolation verbrachte. Ich wittere es, wenn jemand unter Streß steht und lügt. Und ich denke, daß ich Sie ziemlich unter Druck gesetzt habe.“ „Zugegeben“, meinte er. „Aber was diese Uhr angeht ...“ Mit einer raschen Bewegung schnippte er das Gehäuse auf. „Interessant“, meinte er, nachdem er einen Blick in die Innereien des Gerätes geworfen hatte. Diese waren mit einer harzigen Masse verklebt, die alle Freiräume ausfüllte und vermutlich recht gut in der Lage war, die Funktion zu beeinträchtigen. Er hütete sich, das Zeug zu berühren.
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Liza wirkte nicht überrascht. „Ich hätte daran denken sollen“, meinte sie. „Ich war ganz mit diesem Zeug bedeckt, nachdem ich erwachte. Allerdings war es damals noch dünnflüssiger.“ „Wie sind Sie es losgeworden?“ „In der Halle mit dem Abwärmedrucktauscher gab es ein Becken mit Kühl- oder Kondenswasser. Ich keine Bedenken, mir war damals alles egal.“ „Ich denke, es hat unmittelbar etwas mit dem zu tun, was mit Ihnen passiert ist. Ich würde es gerne in einem Labor der Stiftung untersuchen lassen, aber bedauerlicherweise hat mir mein Chef gerade heute einen zweiwöchigen Zwangsurlaub verordnet. Es wäre auffällig, wenn ich morgen dort auftauche.“ „Dann muß es warten“, legte sie fest. „Ich kann nicht einmal behaupten, daß es mir gefällt, wenn die Rejissa wieder eingebunden wird, aber da ich hier in der Neuen Welt gar keine Kontakte habe ...“ „Kamen Sie deshalb zu mir?“ „Deshalb und für einige Antworten. Außerdem ...“ „Ja?“ „Ich hatte in den letzten Wochen der Expedition den Eindruck gewonnen, daß Sie zuverlässig sind und daß man Ihnen vertrauen kann, wenn Sie sich einer Sache erst einmal angenommen haben.“ Sie schwieg für einen Moment. „Ich kann mich nicht in der Öffentlichkeit bewegen, aber ich habe in den letzten Wochen kaum geschlafen. – In der Arktis, in Europa und auch hier mußte ich ständig wachsam sein. Zudem werde ich vermutlich von einigen Leuten der EUMON gesucht und brauche ein Versteck, wo ich schlafen kann, ohne ständig ein Auge offen halten zu müssen.“ Sander schwieg, doch seine Gedanken rasten. Er wußte, daß ihn seine Entscheidung so oder so in Konflikte stürzen mußte. Andererseits war er beurlaubt und konnte sich somit zumindest für die nächsten zwei Wochen einen Kompromiß leisten.
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„Ich gebe meiner Haushälterin frei, dann sind Sie hier ungestört“, meinte er langsam. „Wir können die nächsten zwei Wochen nutzen, um außerhalb der Stiftung einige Dinge in Bewegung zu setzen. Für alles, was danach ist, kann ich nichts versprechen.“ Sie zog wieder langsam Luft ein und ihre Blicke durchbohrten ihn für einen Moment. „Mehr kann ich nicht verlangen.“
Flughafen Atlanta, am Nachmittag des gleichen Tages Der Mann nahm mit einem freundlichen Lächeln für die Angestellte am Schalter seinen Reisepaß wieder entgegen. Dieser lautete auf seinen richtigen Namen, aber Herkunft, Alter und auch einige andere Daten hätten sich für jemanden, der ihn näher kannte, sicher merkwürdig ausgenommen. Er nahm auch den zweiten Paß entgegen und reichte ihn an die junge Frau weiter, die neben ihm stand. „Danke, Vati“, meinte diese und erübrigte ebenfalls ein freundliches Gesicht für die Angestellte des Flughafens, die professionell zurücklächelte und ihnen einen angenehmen Aufenthalt wünschte. Die Beiden gingen ein ganzes Stück durch den Hauptkorridor des an diesem Tage eher leeren Terminals des Flughafens von Atlanta, bevor sie das Wort ergriff. „Das Ganze ist selten dämlich, wenn Sie mich fragen.“ „Da stimme ich mit Ihnen überein, Leutnant“, entgegnete Oberst Edgar Loneguard. „Ich gefalle mir in der Rolle des Witwers, der mit seiner erwachsenen Tochter eine Bildungsreise macht, auch nicht sonderlich. Auch meiner Frau würde es nicht gefallen, wenn sie davon wüßte.“ „Nein, ich meinte hauptsächlich den Grund unseres Hierseins.“
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Sie blieben stehen und schauten durch die hohen Glasfenster auf die Startbahnen. Von der einen hob gerade eine Passagiermaschine ab, auf deren Rumpf in großen Lettern PAN ATLANTICA stand. „Wir haben keinen Anhaltspunkt über ihren Aufenthalt“, murmelte er. „Die einzige Verbindung ist die Rejissa-Stiftung. Und die hat ihren Hauptsitz nun einmal hier, in der Neuen Welt.“ „Es scheint Ihnen nicht zu gefallen, daß andere jetzt versuchen, Sie wieder einzufangen, während sie diesen Auftrag durchführen.“ Sie lächelte. „Noch dazu mit mir.“ „Immerhin war die Abteilungsleitung noch relativ gelassen wegen des Fehlschlags.“ Er grinste schief. „Auch mit Ihnen komme ich klar.“ Das Grinsen verschwand von seinem Gesicht. „Was die andere Sache angeht ... Ich befürchte, daß einige schießen könnten, bevor sie ihr in die Augen sehen und das erkennen, was ich gesehen habe.“ „Ich bin sicher, sie weiß das und ist entsprechend vorsichtig.“ „Ja“, antwortete er, wobei offen blieb, ob er das Wissen der Gejagten oder das von Nadine Touvel meinte. Sie setzten sich wieder in Bewegung und strebten dem Ausgang des Terminals entgegen, während das soeben gestartete Flugzeug seinen Weg in den Himmel suchte.
Atlanta, 10 Tage später, am frühen Abend Robert Sander betrat sein Apartment und pfefferte den Mantel ärgerlich auf die Couch. Erneut war er unterwegs gewesen und hatte einen seiner Kontakte in medizinischen Kreisen konsultiert, aber niemand der sogenannten Experten hatte ihm bisher auch nur ansatzweise helfen können. Langsam gingen ihm die Leute aus, welche ihm noch Gefallen schuldeten.
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In der vertrauten Umgebung seiner vier Wände jedoch schluckte Robert den Frust schnell herunter, zumal er sich durchaus der Tatsache bewußt war, daß er den Leuten nicht viele Informationen zum Arbeiten hatte geben können. Einerseits, weil die ganze Angelegenheit mehr als nur brisant war und andererseits, weil er schlicht und ergreifend nicht sehr viele Informationen hatte. Angesichts dieser Erkenntnis verflog sein irrationaler Ärger vollständig und er begann, die Sachen auszupacken, die er für seinen Dauergast mitgebracht hatte. Zehn Tage war es nun schon her, seit er Liza Sagyard Asyl in seinem Apartment angeboten hatte und sie hatten den ersten Tag damit verbracht, sich gegenseitig ihre Erlebnisse nach dem unglücklichen Ende der Expedition zu berichten. Am zweiten Tag hatte er mit den Nachforschungen begonnen und Liza hatte sämtliche Nachrichten im Fernsehen verfolgt, um wieder Anschluß an das aktuelle Weltgeschehen zu bekommen, wie sie sagte. Auch hatte sie die wenigen Bücher, die Robert besaß, durchgelesen und es war nicht zu übersehen gewesen, daß sie sich anschließend unglaublich gelangweilt hatte. Unter seinen heutigen Mitbringseln befanden sich daher neben allen Ausgaben des „Archaeological Observers“ aus dem letzten Jahr, um die sie gebeten hatte, auch einige Bände Belletristik. Außerdem hatte er endlich einen Laden für weibliche Kleidung in Übergrößen gefunden und so bestanden gute Chancen, daß er seinen Bademantel endlich wiederbekommen würde, den Liza als Ersatz für ihren doch schon sehr lädierten Overall gerne angenommen hatte. Er hielt eines der Bücher nachdenklich in der Hand. „The Ghost Of Man“ stand auf dem Einband, und er war sich nicht sicher, ob der Kauf dieses Titel eine gute Idee gewesen war. Lizas größte Furcht schien es zu sein, auch geistig ihrem früheren Sein immer unähnlicher zu werden. Sander konnte dies nicht ganz nachvollziehen, denn so sehr sich auch ihr Aussehen
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verändert hatte, vom Verhalten her war sie immer noch die junge Wissenschaftlerin, die er damals für die verhängnisvollen Expedition angeworben hatte. Jedenfalls wenn man von ihren gelegentlichen depressiven Phasen und dem zeitweise schon labilen Verhalten absah. Letzteres konnte sich Robert gut erklären, das Ende der Expedition und die anschließende Einsamkeit in der Eiswüste mußten ihr hart zugesetzt haben. Er hoffte nur, daß sie allmählich darüber hinwegkommen würde. „Liza?“, rief er gedämpft und stellte die Einkauftüten unausgepackt wieder ab. „Kommst du mal bitte?“ Es gab keine Antwort, was ihn verwunderte, denn ihr Gehör war wesentlich besser als das eines Menschen und sie hatte ihm versprochen, das Apartment nicht zu verlassen. Außer natürlich, es gab einen zwingenden Grund dafür ... Er zog seine Waffe, ohne die er selten das Haus verließ, aus dem Schulterhalfter und ging vorsichtigen Schrittes zum türlosen Durchgang in die Küche. Sich seitlich an der Wand haltend, sprang er vor und betätigte den Lichtschalter, um gleich darauf in alle Richtungen sichernd die Küche betrat. Die Vorsicht erwies sich als überflüssig, weder der Kühlschrank noch die Mikrowelle unternahmen den Versuch, ihn anzugreifen. Von der Friedfertigkeit des Mobiliars unbeeindruckt, verließ er die Küche und wiederholte die Prozedur beim Schlafzimmer. Die Klärung um die Gebietshoheit für diesen Bereich war schnell vonstatten gegangen: Robert hatte seinem Gast höflich angeboten, er würde auf die Couch ausweichen, sie hatte ihn jedoch mit bestechender Logik verdeutlicht, daß ihre Anatomie mit der Klappcouch ungleich besser zurechtkommen würde. Dabei war es dann auch geblieben. Im Moment war sein Schlafzimmer allerdings auch nicht das Versteck eines Überfallkommandos, welches er prophylaktisch dort vermutet hatte. Möglicherweise überreagiere ich mittlerweile nur noch, dachte er und verstaute die Waffe wieder. Liza machte vermutlich einfach nur einen Spaziergang und sie wußte schließlich
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selbst sehr gut, daß sie sich nicht blicken lassen durfte. Sie hatte es immerhin aus der Arktis mit Zwischenstop in Europa bis nach Atlanta geschafft. Der Adrenalinschub hatte ihm einen feinen Schweißfilm auf der Stirn beschert und nur mit einem kleinen Rest der vorherigen Wachsamkeit drückte er die Tür zum Badezimmer auf, wo sich natürlich ebenfalls niemand befand. Er trat an das Waschbecken und drückte sich einen Schwall eiskalten Wassers ins Gesicht. Als er nach dem Handtuch griff, bemerkte er die kleine Unregelmäßigkeit in seinem kleinen, geordneten Haushalt und mit zwei Schritten war er bei der Wanne. Diese war zu etwa zwei Dritteln gefüllt und Liza lag in Embryonalhaltung so darin, das sie vollkommen vom Wasser bedeckt war. Ihr Gesicht war noch oben gewandt, die Augen geschlossen. Aus den schmalen Nasenschlitzen suchte sich ab und zu eine kleine Luftblase den Weg an die Oberfläche. Sie hatte ihm bereits berichtet, daß sie sich längere Zeit unter Wasser aufhalten konnte, aber er hätte nicht vermutet, daß sie auch Gefallen daran fand. Sie wirkte jedoch sehr entspannt und Robert verwarf den Gedanken, daß sie womöglich in Gefahr sein könnte. Auch konnte er ein Lächeln nicht unterdrükken, denn die fehlende Gesichtsmuskulatur machte es ihr unmöglich, Gemütsregungen wie Streß oder Unbehagen auszudrücken und zusammen mit ihrer Körperhaltung strahlte sie tatsächlich jene friedliche Ruhe aus, die sonst nur schlafenden Kindern vorbehalten blieb. In diese Überlegungen versunken erschrak er beinahe, als sie plötzlich die Augen aufschlug. „Guten Morgen“, meinte er mit einem Anflug von Verlegenheit, als ihm die groteske Intimität des Augenblicks bewußt wurde. Seine Worte drangen wie aus einiger Entfernung zu ihr, aber ihr Verstand führte diesen Effekt verzögerungsfrei auf das Medium zurück, in dem sie sich befand.
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Langsam erhob sie sich, bis ihr Kopf sich über der Wasseroberfläche befand und stieß ihre nur halb verbrauchten Luftreserven aus der Lunge. Die frische Luft, die sie mit dem neuen Atemzug aufnahm, schmeckte frischer ... Und auch ein wenig nach Furcht. „Du bist besorgt“, stellte sie fest und setzte sich ganz auf. „Was ist passiert?“ „Nichts“, winkte er ab, den Blick anstandshalber abgewandt. „Ich habe mich nur im ersten Moment etwas erschrocken.“ „Das ist vielleicht berechtigt. Ich brauche die feuchte Umgebung immer mehr.“ Ihre Augen schienen sich zu verschleiern, als sie beinahe haltsuchend nach seinem Arm griff. „Verstehst du das, Robert? Es zieht mich immer stärker ins Wasser.“ Für einen Moment herrschte Schweigen. „Wir werden eine Lösung finden“, versprach er und angelte nach einem Badehandtuch. Er warf es ihr über, während er ihr half, als sie beinahe schwerfällig aus der Wanne kletterte. „Vielleicht mußt du bloß wieder unter mehr Menschen ...“ Er zögerte kurz, als er feststellte, daß seine Worte in verblüffender Weise denen ähnelten, die Toshing an ihn gerichtet hatte, als er ihm den Urlaub aufnötigte. „Ich habe dir ein paar Sachen mitgebracht, mit denen du nicht auffallen wirst, wenn wir nach draußen gehen. Natürlich nur, wenn du das überhaupt möchtest.“ Sie nickte. „Auf jeden Fall.“
Flughafen Atlanta, am Abend Horaz wartete geduldig, bis sich die Luke des Learjet öffnete und zwei Gestalten zeitgleich in der kleinen Öffnung erschienen. „Willkommen in der Heimat“, meinte er lächelnd, als er hinzutrat und dabei half, das Ausstiegstreppchen herunterzu-
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klappen. „Ich nehme an, ihr Turteltauben hattet einen angenehmen Aufenthalt in Ägypten?“ Aheema strich sich über die Schulter und blies vielsagend eine kleine Staubwolke aus seiner Hand in die kühle Abendluft. Im gleißenden Licht der Scheinwerfer des Privatlandeplatzes, flirrte der Sand für einen Moment. Das Licht enthüllte auch, daß sowohl sie als auch Vincent mehr als nur etwas abgerissen aussahen. „Noch so eine dumme Bemerkung“, meinte dieser scherzhaft, „und du leitest ab morgen unsere Filiale in Nordafrika.“ „Wir haben dort meines Wissens keine Außenstelle“, meinte Horaz lachend. Aheema zog ein undefinierbares Gesicht. „Wenn es nach mir geht, wird es dort auch niemals eine geben. Im Moment reicht mir allerdings sowieso die Zentrale, eine warme Dusche und eine Bett ohne Sand.“ „Der Wagen steht schon bereit und der Fahrer hat alle Anweisungen“, nickte Horaz. „Die Auswertung eures Ausflugs wird wohl erst morgen stattfinden, wie ich das sehe?“ „Kommst du denn nicht gleich mit zurück?“ „Ich regele noch die letzten Formalitäten hier, anschließend habe ich noch selbst etwas vor, wenn du nichts dagegen hast.“ Er grinste. Vincent klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. „Dann viel Spaß ...“ „Genau“, ergänzte Aheema verschlafen. Horaz blickte den Beiden nach, als sie Arm in Arm zum Ausgang des Landefeldes schlenderten. „Den werde ich sicher haben.“
Upper Downtown von Atlanta, am späten Abend
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Niemand wandte sich nach dem Paar um, das an diesem Abend den König-Heinrich-Boulevard entlang schlenderte, unter den Nachtschwärmern war man ganz andere Anblicke gewohnt als jenen, den diese beiden boten. Sie war gut einen halben Kopf größer als er, was sich zumindest ungewöhnlich ausnahm, da auch er nicht gerade klein war. Viel merkwürdiger wirkte jedoch, daß sie trotz der Jahresund Tageszeit eine stark getönte Sonnenbrille und dazu dünne Lederhandschuhe trug. Ihr Teint legte nahe, daß sie die eine oder andere Stunde zuviel unter der Sonnenbank zugebracht hatte. „Ich glaube langsam, daß ich hier gar keine Verkleidung nötig hätte“, meinte Liza belustigt. „Die Bewohner der Neuen Welt sind viel lockerer als in Europa.“ „Das Reich ist groß und der Khan ist fern“, zitierte Sander einen Ausspruch und biß sich im nächsten Moment auf die Zunge, als ihm einfiel, von wem er diesen vor längerer Zeit gehört hatte. Lizas Reaktion folgte zwar sofort, fiel aber anders aus, als Robert befürchtet hatte. „Kotirnow war ein netter Mensch“, meinte sie nachdenklich. „Ein Forscher mit Leib und Seele. Was kann ihn nur dazu gebracht haben, zum Saboteur und Mörder zu werden?“ „Du solltest jetzt nicht über so etwas nachdenken, Liza“, meinte er. „Es war unachtsam von mir, dich überhaupt daran zu erinnern.“ „Es ist nicht deine Schuld“, versicherte sie ihm. „Ich beschäftige mich schon seit Tagen damit.“ Er schwieg für einen Moment. „Wenn du später noch Interesse hast, kann ich dir vermutlich erklären, was einen Menschen dazu bringt.“ „Aus erster Hand?“, fragte sie, sich an seinen Bereicht über die damaligen Ereignisse in der Arktis und seine Konfrontation mit Miguel Vaniruó erinnernd. „Bitte, Liza.“ Er blickte sie an. „Später.“
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„Schon gut, entschuldige. Ich vergesse zu schnell, daß ich nicht allein ein Problem mit mir herumschleppe.“ Ihr Blick fiel auf eine Leuchtreklame. „Ich war noch nie in so einer Bar“, meinte sie, die Gelegenheit zum Themawechsel ergreifend. „Aber jetzt ist vermutlich nicht die Zeit, damit anzufangen.“ „Warum nicht? Dort fallen wir sogar noch weniger auf als hier draußen.“ „Wollen wir?“, fragte sie. Ihr Gesicht blieb natürlich ausdruckslos, aber er konnte die Erwartung in ihrer Stimme hören. Ein leiser Anflug von Besorgnis machte sich in seinem Hinterkopf breit. Wie weit mußte man um die eigene Identität fürchten, wenn einem etwas derart Alltägliches so wichtig wurde? „Okay“, meinte er fröhlich, bevor sie womöglich erneut seine Emotionen witterte. „Schließlich hat mich mein Chef förmlich verpflichtet, mich zu amüsieren.“ Sie waren kaum durch die Außentür, als ihnen bereits gedämpfte Musik entgegenschlug. Es war noch nicht allzu spät, die Gäste noch sehr gemischt und eher spärlich vertreten. Sie suchten sich einen freien Eckplatz und Robert verschwand kurz, um etwas zu Trinken von der Theke zu holen, bevor einer der Kellner an den Tisch kommen konnte, es war nicht nötig, zuviel Aufsehen zu erregen. Für sich selbst bestellte er einen leichten Cocktail, für Liza einen Fruchtsaft. Das Experiment zum Thema Alkohol hatte Liza bereits durchgeführt und mit negativem Ergebnis zu den Akten gelegt, ebenso die meisten Käse- und Brotsorten. Jedes Gärungsprodukt wurde ungenießbar, wenn einem die eigene Geruchswahrnehmung vor dem Versuch des Verzehrs mit Warnmeldungen überschüttete. Er stellte gerade die Gläser auf ihrem kleinen Tisch ab, als er aus dem Augenwinkel zwei Gesichter bemerkte, daß ihm sehr bekannt vorkamen. Ohne näher hinzusehen, setzte er sich, wobei er darauf achtete, dem Eingang der Bar dabei den Rükken zuzuwenden.
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„Was ist?“, fragte Liza, der die plötzliche Anspannung ihres Begleiters nicht entgangen war. „Sieh bitte nicht auffällig hin“, meinte er und versuchte, sich ganz normal zu geben, „aber die beiden Leute, die gerade hereingekommen sind, sollten mich vermutlich besser nicht sehen.“ „Gefährlich?“, fragte sie und er konnte bemerken, wie sich ihre Finger in den Handschuhen spannten. In einigen Punkten ist sie doch nicht mehr dieselbe Liza wie vor einem Jahr, dachte er. Sie ist vorsichtiger und auch wehrhafter geworden. – „Nicht gefährlich“, beeilte er sich zu versichern. „Eher seltsam in der Konstellation. Der Eine arbeitet für die Rejissa, ich hatte allerdings noch nicht direkt mit ihm zu tun und kenne seinen Namen nicht. Der Andere nennt sich Horaz und ist der Technische Leiter des hier ansässigen AEKonzerns.“ „Ich kenne den Konzernchef“, meinte Liza und nippte kurz an ihrem Getränk. „Senhor Alexander hat ebenfalls einige der Projekte des Instituts gefördert. Aber was ist seltsam daran, daß diese Leute sich treffen, ich dachte, die Rejissa unterhält zahlreiche Kontakte zur Wirtschaft?“ „In diesem Fall liegt die Sache anders“, erklärte Robert, der bemüht war, eine unverfängliche Gesprächshaltung einzunehmen. „Ich erzähle es dir später.“ Er beugte sich vor, als hätte er seiner Begleiterin etwas unheimlich Wichtiges zu berichten, darauf hoffend, daß sich die Ankömmlinge einen Platz abseits des scheinbar übermütigen Pärchens suchte. Liza mußte seine Hoffnungen enttäuschen. „Sie kommen hierher“, meinte sie. „Falls sie mich erkennen, verhalte dich unauffällig, während ich versuche, ihnen eine gute Geschichte aufzutischen.“ Sie blickte ihn an. „Es gibt noch eine andere Möglichkeit.“ Bevor er reagieren konnte, hat sie ihm die Hand an den Hinterkopf gelegt und mit sanfter Gewalt näher zu sich gezogen.
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Er unterdrückte den Reflex, zurückzuweichen, als sie ihn küßte, das hätte zweifellos erst Recht Aufsehen erregt. Er hätte auch lügen müssen, um die Empfindung als unangenehm zu bezeichnen. Es war schon länger her, daß er eine Frau geküßt hatte, aber nicht so lange, als daß er nicht gemerkt hätte, daß Liza mehr tat, als einen Moment der Nähe nur anzudeuten. Diese Erkenntnis bereitete ihm ungleich mehr Beklemmen als die beiden Ankömmlinge und so war er froh, als sie ihn wieder entließ. „Sie haben sich woanders hingesetzt“, sagte sie und lehnte sich etwas zurück. Offenkundig war ihr sein unwillkürliches Widerstreben nicht entgangen. „Wir könnten jetzt gehen, ohne das sie uns bemerken.“ Als er nichts entgegnete, sog sie kurz Luft ein, beugte sie sich wieder vor und stützte die Arme auf den Tisch. „Es tut mir leid“, meinte sie nun entschuldigend. „Ich hielt es für eine gute Idee.“ „Ich empfand es auch als eine gute Idee“, entgegnete er. „Und genau das macht mir Sorgen.“ Sie schwieg und eine unangenehme Stille breitete sich aus. Schließlich stand er auf. „Wir gehen wohl besser.“ Arm in Arm verließen sie die Bar und machten sich auf den Weg zu seinem Auto, den er einige hundert Meter den Boulevard hinauf abgestellt hatte. Die ganze Zeit sprachen sie kein Wort, erst als sie in den Wagen stiegen, nahm sie das Gespräch wieder auf. „Bist du mir böse?“, fragte sie. Er antwortete nicht sofort, ließ den Zündschlüssel los und lehnte sich im Sitz zurück. „Nein“, meinte er dann und blickte sie lächelnd an. „Vermutlich hatte ich nur Angst.“ „Vor dem, was ich jetzt bin oder eher in der Weise, wie schon damals?“ Sie legte die Sonnenbrille und die Handschuhe ab. „Worauf möchtest du hinaus?“, hakte er nach.
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„Meinst du, ich hätte deine Blicke schon damals nicht bemerkt, während der Expedition? Wenn du glaubtest, ich und auch niemand anders würde es bemerken?“ „Um ehrlich sein ...“ Er blickte wieder starr nach vorne und beobachtete die Lichtreflexe der vorbeifahrenden Autos in der Frontscheibe. „... ich hatte es gehofft.“ Sie seufzte. „Vielleicht war es sogar richtig, daß ich nicht reagiert habe. Die folgenden Ereignisse hätten uns beide dann noch mehr belastet.“ „Vermutlich“, gab er zu. „Und ich fürchte heute genau dasselbe.“ „Du weißt, wovor ich heute mehr Angst habe“, murmelte sie. Einer Eingebung folgend, legte er seine Hand an ihre Wange und vertrieb eine widerspenstige Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Du redest dir etwas ein“, beruhigte er sie und folgte den feinen Linien ihres Gesichts bis zur Stirn und begann, ihr über das Haar zu streichen. Als sie vor Tagen überraschend in seinem Apartment auftauchte, war es noch eine verfilzte, mit Schlick und Seegras versetzte Mähne gewesen, inzwischen ähnelte es von der Konsistenz her eher schwarz glänzenden Spinnenfäden, die sich glatt über ihre Schultern und den Rükken legten. „Du bist kein bißchen weniger menschlich als die Liza, die ich zu der Expedition gebracht habe.“ Sie erwiderte nichts und legte statt dessen entspannt den Kopf zurück. „Strenggenommen bist du sogar viel menschlicher“, fuhr er nachdenklich fort, während seine Hand über den Hinterkopf zu ihrem Nacken wanderte. „Das fiel mir auf, während du schliefst. Du hast eine Gewissensruhe, die vielen anderen Menschen mittlerweile fehlt. Mich eingeschlossen.“ Sie wandte ihm langsam wieder das Gesicht zu und schob seine Hand langsam beiseite. „Du redest wie ein professioneller Psychiater“, stellte sie fest. Es klang kein Vorwurf in ihrer
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Stimme mit und vermutlich hätte sie gelächelt, wenn Gestik dazu befähigt gewesen wäre. „Ertappt“, gab er zu, „ich habe einen Abschluß in Psychologie. Das ändert aber nichts an den Tatsachen, oder?“ Ihr Gesicht näherte sich dem seinen. „Ich möchte aber keine Analyse meines Geisteszustandes“, stellte sie klar. „Was möchtest du dann?“, konterte er. „Eine Fortsetzung wäre nicht schlecht“, hauchte sie ihm ins Ohr. „Es sei denn, dazu müssen erst wieder ein paar seltsame Leute auftauchen.“ „Das wird nicht nötig sein“, entgegnete er und suchte den direkten Blickkontakt. Als sie ihn vor einigen Tagen in seinem Apartment angegriffen hatte, waren ihm ihre Augen als kalt und berechnend erschienen, in diesem Moment erschienen sie ihm wie kleine Ausschnitte des Nachthimmels, in denen die Reflexe der Straßenbeleuchtung wie Sterne blitzten. „Ich hätte diese Idee schon viel früher haben sollen“, meinte sie, „aber vermutlich war ich genauso ...“ Sie hielt inne, als sein Lächeln plötzlich zu erstarren schien und schließlich einem irgendwie verblüfften Gesichtsausdruck Platz machte. Seine rechte Hand zuckte ruckartig seinen Hals, die andere Hand fegte haltsuchend über das Armaturenbrett, seine Finger schienen plötzlich nicht mehr die Kraft zum Greifen haben. „Was ist?“, stieß sie besorgt hervor. „Ich ... ich bekomme ... keine Luft“, preßte er, immer noch von Krämpfen geschüttelt, hervor. Seine Augen begannen glasig zu werden. „Was soll ich tun, Robert?“, fragte sie hektisch und bereute zum ersten Mal, ihren Doktor in Archäologie und nicht in allgemeiner Medizin gemacht zu haben. „Stiftung“, keuchte er. „Hinfahren und ... Ärzte dort ...“ Er brach ab und sackte auf dem Fahrersitz zusammen. Liza starrte ihn für einen Augenblicke reglos an, dann war die Schrecksekunde überwunden. Sie sprang aus dem Wagen
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und blickte sich mißtrauisch um. Die Seitenstraße war bis auf ein paar weitere parkende Autos leer. Sie setzte mit einem Sprung über die Motorhaube und riß die Tür auf der Fahrerseite auf. Ein prüfender Griff an Roberts Hals brachte ihr die überraschende Erkenntnis, daß er zwar sehr flach, aber stabil atmete. Sanft, dann etwas heftiger rüttelte sie ihn an der Schulter, doch es gab keine Reaktion. Vorsichtig hob sie ihn an und legte ihn auf dem Beifahrersitz wieder ab. Sie überlegte für einen Augenblick, unschlüssig, ob sie seine Hinweise befolgen sollte. Robert hatte ihr bereits vor einigen Tagen erzählt, daß die Rejissa-Stiftung eigene Wissenschaftler, darunter auch Mediziner beschäftigte. Da sie in Kürze vermutlich ohnehin keine andere Alternative gehabt hätte, als sich diesen Leuten anzuvertrauen, konnte sie es ebensogut jetzt tun, um Robert willen hatte sie ohnehin keine Wahl. Kurzentschlossen startete sie den Wagen. Horaz kümmerte sich nicht um die Gäste in dem kleinen Club, den er ausgewählt hatte. Es war einer der Ort, an denen er sonst nie anzutreffen war und das verringerte die Wahrscheinlichkeit, auf Bekannte zu treffen. Das Gespräch, welches er zu führen gedachte, war nicht für jedermanns Ohren bestimmt und nach Möglichkeit sollte auch niemand erfahren, daß es überhaupt stattgefunden hatte. „Möchten Sie etwas trinken?“, fragte er seinen Gast und nickte auffordernd in Richtung des Kellners, der sich höflich zurückgehalten hatte. „Eigentlich nicht“, entgegnete der Andere und blickte sich kurz um. Sein Blick glitt müßig über die wenigen Gäste. „Aber vermutlich falle ich auf, wenn nicht. Danke.“ „Keine Ursache. Aber ich denke, unser beider Zeit ist begrenzt und daher sollten wir sofort zum Thema kommen.“ Der Andere nickte. „Allerdings. Wie Sie aus unserer Aufforderung für dieses Gespräch sicher entnehmen konnten, ist die Rejissa sehr gut informiert, was ihre tatsächliche Rolle in
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den AE angeht. Um genau zu sein, waren wir bereits mehrfach kurz davor ...“ Er hielt inne, als der Kellner den Tisch erreichte. „Zweimal Scotch ohne Eis, bitte.“, übernahm Horaz die Bestellung und der Kellner eilte davon. „Wo waren wir stehengeblieben?“, fragte er, als der Angestellte außer Hörweite war. „Meine Auftraggeber spielten mit dem Gedanken, Vincent Alexander dezent über ihre Rolle aufzuklären.“ „Warum haben sie es nicht getan?“ Der Andere zuckte mit den Schultern. „Die Wege ihrer Chefetage sind für Sie sicher genauso undurchschaubar wie die meiner Auftraggeber für mich und es wäre sinnlos, darüber zu spekulieren. Meine Aufgabe ist es, Ihnen ein Angebot zu unterbreiten.“ „Welches worin bestünde?“ „Es geht darum, daß Sie ...“ Erneut wurde er von dem Kellner unterbrochen, der die Drinks brachte und sofort kassierte. Horaz reichte dem Mann einen Geldschein und winkte ab, als der Kellner das beträchtliche Rückgeld herausgeben wollte. „Sorgen Sie bitte dafür, daß wir für zehn Minuten nicht gestört werden“, bat er im vertraulichen Tonfall. „Wir führen ein Geschäftsgespräch.“ „Selbstverständlich.“ Erneut machte der Kellner eine Kehrtwende und plazierte zwei Schildchen mit der Aufschrift RESERVIERT auf den angrenzenden Tischen, bevor er verschwand. Horaz schien zufrieden. „Das funktioniert überall.“ „Auch bei Ihnen?“, fragte der Andere ernst zurück. „Sie wollten auf den Punkt kommen“, bemerkte Horaz etwas ungehalten. Er hatte die Andeutung verstanden. „Keine Sorge, ich habe nicht vor, Sie abzuwerben ... Es sei denn, Sie möchten das selbst vorschlagen. Vorerst geht es mir nur darum, daß Sie Ihren Vorgesetzten übermitteln, daß wir Vincent Alexander zumindest in nächster Zeit noch am Leben
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sehen wollen. Ihr Vorhaben gefährdet unsere Aktionen und das könnte sich als ungesund erweisen.“ „Wollen Sie uns drohen?“ „Ich? – Keineswegs“, er lachte verhalten. „Sehen Sie, ich bin ein Gemütmensch und führe als solcher lediglich Verhandlungen. Wir haben aber auch Leute, die andere Fähigkeiten haben und eine Chefetage, die schnell ungehalten ist. Aber so etwas kennen Sie ja.“ „Allerdings“, meinte Horaz gedehnt und schaute sich um. Wie schon sein Gegenüber zuvor interessierte er sich nicht wirklich für die Gäste, er wollte nur einen Moment zum Überlegen herausschinden. Er schenkte auch dem Paar, daß in diesem Moment Arm in Arm die Bar verließ keine Beachtung. „Also gut“, meinte er schließlich und wandte sich wieder dem Anderen zu. „Ich werde Ihr Anliegen übermitteln. Ich kann Ihnen nichts versprechen, aber meine Vorgesetzten schätzen die Vermeidung überflüssiger Konflikte sehr hoch ein und daher ...“ „Ich verstehe.“ Er hob das Glas. „Auf die Konfliktvermeidung?“ Horaz nickte und erwiderte die Geste, bevor er das Glas leerte und es wieder auf den Tisch stellte. „Es wird einige Veränderungen hier in der Neuen Welt geben und Vincent Alexander steckt bis zum Hals drin“, stellte er fest und zögerte kurz. „Nur meiner persönlichen Neugier halber: Sind Ihre Leute ebenfalls darin verwickelt?“ Der Andere schien zu wissen, worauf Horaz hinaus wollte. „Nein“, versicherte er und schüttelte bedächtig den Kopf. „Wie auch Sie betrifft es uns nicht unmittelbar.“ „Nun dann.“ Horaz erhob sich und bot dem Anderen die Hand. „Auf das wir uns nicht demnächst unter unangenehmeren Umständen wiedersehen. Ich hoffe, Sie sind einverstanden, wenn ich die Bar einige Minuten vor Ihnen verlasse?“
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Der Mann stand ebenfalls auf und wechselte einen kurzen Händedruck. „Keineswegs. Auf Wiedersehen und einen schönen Abend noch.“ „Ebenfalls einen schönen Abend.“ Horaz verließ das Lokal und blickte prüfend in beide Richtungen, bevor er die kompakte USP-40 unter seinem Jackett umständlich wieder sicherte. Seine Fähigkeiten lagen auf anderen Gebieten und er bevorzugte es, wenn Gespräche dieser Art friedlich verliefen. Die Zentrale der Rejissa-Stiftung war in den südlichen, beinahe ländlich anmutenden Randbereichen Atlantas gelegen, nicht weit entfernt von den Grenzen des Pachtgebietes, die sich in der Ferne durch blitzende Positionslampen auf den Begrenzungspfählen abzeichneten. Eine feste Grenze gab es nicht, die weit auseinanderliegenden Pfähle hatten lediglich eine Orientierungsfunktion. Das Anwesen der Stiftung selbst bot das Bild eines altenglischen Landhauses, welches von weitläufigen, parkähnlichen Gartenanlagen umrahmt war, jedenfalls was die der Straße zugewandte Seite anging. Dort, wo die Anpflanzungen hinter dem Gebäude endeten, wurde das romantische Bild durch die kühle Rationalität eines betonierten Platzes abgelöst, der von einem flachen Gebäude u-förmig umgeben war. Liza hatte den Wagen etwas abseits an der Straße geparkt, nachdem sie ohne viele Schwierigkeiten hierher gefunden hatte. Robert hatte ihr als echter Planer bereits vor Tagen genauestens erklärt, wie man zur Stiftung kam. Obwohl er dabei wohl kaum an diese spezielle Situation hatte denken können, hatte sich seine Vorbereitung als nützlich erwiesen. Sie fühlte sich nicht gut dabei, Robert im Wagen zurückgelassen zu haben, aber instinktiv hatte sie die Situation so eingeschätzt, daß sie nicht einfach beim Haupttor vorfahren konnte. Es erschien ihr sinnvoller, erst einmal allein vorzugehen und jemanden zu finden, der in der Stiftung etwas zu sagen hatte.
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Ihr war bewußt, daß diesem Gedanken eine gewisse Irrationalität innewohnte, denn Sander gehörte zur Rejissa, aber dennoch schien es ihr richtig. Außerdem hatte sie jede Überlegung, was Sanders plötzliche Betäubung anging, erst einmal verschoben. Nun hockte sie hinter einer kleinen Bodenerhebung und beobachtete das Arbeitsgebäude, nachdem sie das Landhaus sofort als rein repräsentativ eingestuft und links hatte liegen lassen. Der Komplex war separat eingezäunt worden, statt des knapp schulterhohen Gußeisenzauns, der das komplette Anwesen umgab, fand sich hier ein hoher Drahtzaun, hinter dem in unregelmäßigen Abständen Wachen patrouillierten. Sie war sich des Risikos bewußt, aus so großer Nähe zu beobachten, aber die Umstände ließen ihr keine Wahl: Obwohl ihre Wahrnehmung ein klares Sichtfeld von fast 180 Grad auf einmal ermöglichte, schien ihre Sehstärke dafür nachgelassen zu haben. Der einzige Grund, warum sie davon ausgehen konnte, nicht zuerst entdeckt zu werden war, daß ihre Nachtsicht besser als die der Wachen sein mußte. Sie hoffte nur, daß die Hunde, von denen sie ebenfalls zwei erblickt hatte, dem Muster der Posten folgten und vor allem die Einzigen ihrer Sorte waren. Sich durchaus darüber im Klaren, daß es eine ganze Reihe von Unsicherheiten in ihrer Überlegung gab, hatte sie nicht vor, länger zu zögern. Nachdem wieder eine der Wachen den Abschnitt des Zauns passiert hatte, der ihr am nächsten lag, sprang sie aus ihrer Deckung und beschleunigte ihre Schritte. Bereits in der Anlage in der Arktis hatte sie ihre neue Laufund Sprungkraft zu schätzen gelernt, die in keinem Gegensatz zu dem standen, was sie früher zu leisten imstande gewesen war. Freunde hatten sie häufig als Bewegungsmuffel bezeichnet, mittlerweile genoß sie es, die Umgebung durch ihre eigene Geschwindigkeit verschwimmen zu sehen. Die Weite ihrer neuen Kleidung war großzügig genug bemessen um sie nicht zu behindern, als sie mit ungeheuerem Tempo auf den Zaun zusprintete und kurz davor absprang. Mit
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müheloser Eleganz überwand sie das Hindernis und kam federnd und in die Knie gehend auf der anderen Seite auf. Ihr Aufkommen hatte keine Spuren auf dem Beton hinterlassen, wie sie zufrieden feststellte. Sie verschwendete nur einen Augenblick darauf, sich sichernd umzublicken und sprintete dann zum Gebäude. Sie erreichte es gerade noch rechtzeitig, um dort im Schatten einer Ecke zu verschwinden, bevor ein anderer Wachposten die Stelle passierte. Er bemerkte nicht Ungewöhnliches und setzte seinen Rundgang fort. Liza gestattete sich ein erleichtertes Ausatmen. Sie mußte sich eingestehen, daß die körperliche Befähigung, sich mühelos in die Anlage zu schleichen nicht automatisch auch die nötige Abgebrühtheit mit sich brachte. Den Beweis für ihre Vermutung erhielt sie, als hinter ihr ein Knurren ertönte und sie zusammenzucken ließ. Langsam drehte sie sich um und bemerkte erst jetzt den Deutschen Schäferhund, dessen leise Annährung ihr durch die kurze Ablenkung entgangen war. Das Tier knurrte erneut und Liza registrierte verwundert, daß der Laut weniger aggressiv als vielmehr unentschlossen klang. Der Hund hatte zwar die Ohren vor Anspannung angelegt, doch sein Nackenfell sträubte sich nur leicht, während er den ungewöhnlichen Eindringling aus großen Augen musterte. Wäre es ihr möglich gewesen, hätte sie nun breit gegrinst. Offenbar war das Tier auf das Stellen von menschlichen Eindringlingen abgerichtet und hätte vermutlich auch für diverse Sonderfälle eine Reaktion parat gehabt, doch nun stand das Tier vor etwas, das es nicht einordnen konnte. Was nicht hieß, daß der Hund durch ein Bellen nicht die menschlichen Wachen alarmieren konnte. Jede hastige Bewegung vermeidend ging sie in die Hocke und suchte den Blickkontakt des Tieres. Ihre Familie lebte auf dem Land und sie hatte mit Tieren zu tun gehabt, bevor ihr Studium sie in die Stadt geführt hatte. Zum Bauernhof ihrer Eltern hatten auch zwei Hütehunde gehört und sie hoffte, daß
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dieses Exemplar sich nicht durch mehr als die Rasse von jenen unterschied. Langsam streckte sie den Arm aus und lockte mit den Fingern. Der Hund legte den Kopf schräg und knurrte erneut. Diesmal schien es Liza fast schon freundlich und sie atmete erleichtert auf, als der Hund langsam näher trottete und vorsichtig an ihrer Hand schnupperte. Sie beugte sich leicht vor und krauelte das Tier unter der Schnauze. Als es nicht wegzuckte, wußte sie, daß sie noch einmal Glück gehabt hatte. „Was machen Sie denn um diese Zeit hier draußen?“, ertönte es erneut hinter ihr und diesmal gelang es hier knapp, ein Zusammenzucken zu unterdrücken. Der Hund spitzte die Ohren und war mit zwei Sätzen hinter dem Gebäude verschwunden, als ahnte er, daß er die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllt hatte. Ihre Gedanken arbeiteten schnell, als sie sich langsam erhob. Die Stimme hatte nicht geklungen, als hätte ihr Besitzer einen Eindringling gestellt. Die Wache, zu dem sie gehören mußte, vermutete wohl, daß sie zum Personal der Einrichtung gehörte. „Ich wollte noch etwas frische Luft schnappen“, meinte sie und wandte sich zu dem Sprecher um. Der Mann mittleren Alters trug eine Kombination, wie sie die privaten Sicherheitsdienste unzähliger Institutionen und Unternehmen nutzten. Lediglich das Emblem der Rejissa an seiner Schirmmütze verwies auf seine Zugehörigkeit. Als Liza sich ganz umgewandt hatte, mußte er seinen Fehler bemerken und reagierte prompt. Obwohl er eine Schußwaffe im Halfter trug, galt sein erster Griff dem Elektroschocker an seinem Gürtel. Er kam nicht dazu, das Gerät aus seiner Halterung zu nehmen, denn mit einem gewaltigen Satz war Liza bei ihm und ein rascher Schlag ließ den Mann zu Boden gehen. Allerdings verlor er nicht das Bewußtsein und Lizas Skrupel, härter zuzuschlagen, rächten sich. Der Mann zog den Schocker und drückte die Kontakte an ihren Unterschenkel.
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Der elektrische Schlag ließ ihr Bein haltlos wegknicken. Der Schock hielt nur einem Moment an und bevor der Wachmann sich wieder aufrappeln konnte, entriß sie ihm mit einem wütenden Zischen das Gerät und schleuderte es an die Hauswand, wo es sich in Einzelteile zerlegte. Ein weiterer Griff, ein kräftiger Ruck, der Mann folgte der Flugbahn des Schockers und schlug wuchtig gegen die Hauswand, wo er besinnungslos liegenblieb. Liza ignorierte das Brennen ihres Beins und sprang auf. Der Lärm des Handgemenges war nicht ohne Folgen geblieben. Weitere Posten kamen angelaufen und binnen weniger Sekunden sah sie sich von drei weiteren Wachleuten umringt. Die Männer konnten ihre Unsicherheit nicht verbergen und angesichts ihrer eigenen Erscheinung wunderte es sie auch nicht. Die Posten hatten nun ihre Schußwaffen gezogen und Liza beließ es daher dabei, sich mit einem warnenden Zischen und in kampfbereiter Haltung langsam in alle Richtungen zu drehen. „Machen Sie keine Dummheiten“, warnte einer der Männer, wobei ihm deutlich anzusehen war, daß er sich unschlüssig war, ob er den gestellten Eindringling siezen sollte oder ob es überhaupt Sinn machte, ihn anzusprechen. „Das läßt möglicherweise einrichten“ antwortete Liza, die es nicht darauf ankommen lassen wollte, womöglich als gefährliches Tier erschossen zu werden. „Zumal ich eigentlich hier bin, um Robert Sander als Verletzten abzugeben“, ergänzte sie. „Mr. Sander?“, echote der Sprecher mit gerunzelter Stirn und zog sein Funkgerät, ohne dabei die Waffe zu senken. Er kam nicht dazu, die Ruftaste zu drücken, denn mit einen Knakken erwachte die Lautsprecheranlage zum Leben, die kurz unter dem Dach des Gebäudes angebracht war. „Mr. Holter, Sie können sich Ihren Anruf sparen“, meinte eine angenehme, sorgfältig modulierte Stimme aus dem Off. „Ich bin über die Vorgänge bereits informiert. Seien Sie doch bitte so freundlich und geleiten Sie unseren Gast zu mir. Ich habe bereits veranlaßt, daß Mr. Sander in ärztliche Behandlung
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überführt wird. Ihre Kollegen können inzwischen ihren Dienst fortsetzen.“ Es gab eine kurze Pause. „Unnötig zu erwähnen, daß ich von Ihnen allen erwarte, absolutes Stillschweigen über dieses Vorkommnis zu bewahren. Ihre Aufmerksamkeit wird sich in Form eines Bonus’ auswirken. Einen guten Abend, meine Herren.“ Ein erneutes Knacken belegte, daß die Anlage wieder abgeschaltet worden war. Die Leute senkten ihre Waffen und für eine Weile herrschte Schweigen unter den Anwesenden. „Wer war das jetzt?“, fragte Liza vorsichtig, als niemand Anstalten machte, sich zu rühren. „Das war Mr. Toshing“, meinte der als Holter bezeichnete Wachmann gedehnt. „Der Präsident der Stiftung persönlich. Ich arbeite hier seit fünf Jahren als Security Chief und habe es eben erst zum zweiten Mal erlebt, daß er direkt aktiv wird.“ „Dieser Mr. Toshing scheint sich also gern in die Aura des Geheimnisvollen zu hüllen“, stellte Liza trocken fest, ohne sich von der beinahe andächtigen Stimmung anstecken zu lassen. Holter erwachte aus seiner Starre. „Ich weiß nicht, wer oder was Sie sind“, meinte er zu Liza, „aber vermutlich werden sie Mr. Toshing persönlich begegnen.“ Er wandte sich den anderen zu und deutete auf den Wachmann, den Liza an die Wand geschleudert hatte und der sich bereits wieder zu bewegen begann. „Bringt Harm zum Doc, er soll ihn sich ansehen. Und holt jemanden aus der Bereitschaft, damit ihr wieder auf voller Stärke seid, wenn ihr eure Schicht fortsetzt. Zu niemandem ein Wort.“ Seine Leute griffen den Benommenen an den Armen, hievten ihn vom Boden auf und verschwanden mit ihm durch die nächste Tür. Holter deutete auf einen Eingang auf der anderen Seite des Platzes. „Wenn Sie mir bitte folgen würden?“
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Sander öffnete langsam die Augen und gönnte der makellos weißen Deckenverkleidung über sich einige Sekunden ungeteilter Aufmerksamkeit. Erst nachdem die Kunststoffstreifen keine Anstalten machten, sich ihm zu nähern, wagte er es, den Kopf zur Seite zu drehen. Die Bewegung kam gerade rechtzeitig, um eine Krankenschwester an die Liege treten zu sehen, auf der er sich befand. Er kannte die Frau flüchtig vom Sehen her und wußte, daß sie in der medizinischen Abteilung der Stiftung arbeitete. Er wußte nun auch, wo er sich befand und das Liza erfolgreich gewesen sein mußte. Apropos Liza ... Die Ereignisse, welche ihn in die Stiftung und auf diese Liege gebracht hatten, kamen ihm wieder zu Bewußtsein. „Guten Abend oder guten Morgen, je nachdem“, meinte er und setzte sich auf. „Was ist passiert?“ „Guten Abend“, sagte die Schwester. „Sie wurden vor etwas über einer Stunde von einigen Leuten aus der Forschung zu uns gebacht. Sie sagten, daß Sie bereits medikamentös behandelt worden wären und ich hatte Anweisung, Sie unter Beobachtung zu halten, bis Sie aufwachen.“ Sie hob bedeutungsvoll eine Braue. „Ich soll Ihnen ausrichten, daß Mr. Toshing Sie zu sehen wünscht und das Sie Dr. Sagyard bei ihm antreffen werden.“ Toshing hat also sofort reagiert, dachte Sander, hoffentlich ist mir die Sache nun nicht komplett aus den Händen genommen. – „Vielen Dank“, meinte er zur Schwester und schwang die Beine von der Liege. Reflexartig rieb er sich den Oberarm und bemerkte erst jetzt das kleine Pflaster, welches offenbar die Einstichstelle einer Injektion bedeckte. Die Experten aus der Forschung hatten also etwas gegen meine Vergiftung auf Lager, überlegte er, während er sich erst langsam und dann schnellen Schrittes auf die zentralen Bereiche der Stiftung zu bewegte.
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„Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Senhor Toshing“, meinte Liza und setzte sich etwas bequemer in den Sessel, dessen Höhe ihrer Anatomie merkwürdigerweise durchaus entgegenkam. Ihre Augen versuchten die Dunkelheit zu durchdringen, in der sich ihr Gesprächspartner verbarg, aber auch ihre gute Nachtsicht konnte die Schwärze nicht durchdringen. Da sie selbst in einem angenehmen Halbdunkel saß, störte es sie aber nicht sonderlich. Sollte ihr merkwürdiger Gastgeber ruhig seinen Spleen pflegen, Robert hatte ihr gegenüber so etwas schon angedeutet. „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“, meinte dieselbe wohlmodulierte Stimme, die sie bereits draußen über Lautsprecher gehört hatte. „Ich hoffe, daß Raumklima ist Ihnen angenehm?“ Liza mußte erst einmal nachdenken, bevor sie den Sinn der Frage verstand. Jetzt, wo sie darauf hingewiesen wurde, fiel ihr durchaus auf, daß sowohl Temperatur als auch Luftfeuchtigkeit in dem Raum tatsächlich perfekt ihren Geschmack trafen. „Allerdings“, meinte sie. „Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.“ „Nichts zu danken“, entgegnete ihr Gastgeber. „Es waren nur geringe Veränderungen der üblichen Einstellungen nötig. Es freut mich, wenn es Ihnen zusagt, fürchte aber auch, daß es Mr. Sander nicht optimal erscheinen wird.“ „Geht es ihm gut?“ „Dank Ihres Eingreifens: Ja.“ Der Ton bekam eine leicht amüsierte Färbung. „Obwohl es paradoxerweise auf Sie zurückzuführen ist, daß mein geschätzter Mitarbeiter überhaupt in diese Lage kam. Sie müssen sich darüber allerdings keine Vorwürfe machen, denn weder Mr. Sander noch Sie konnten es wissen.“ „Was wissen?“ „Ich denke, es ist einfacher, wenn ich es nur einmal für Sie und Mr. Sander erkläre. Er ist gerade vor der Tür.“
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Noch während der letzten Worte öffnete sich die gewaltige Schiebetür seitlich von Liza, durch die sie selber den saalartigen Raum betreten hatte, einen Spalt breit und Robert trat herein. „Bitte setzen Sie sich doch, Mr. Sander“, forderte die Stimme aus der Dunkelheit ihn auf. Sander nahm in einem Sessel neben Liza Platz. „Es tut mir leid, daß ich den Urlaub nicht zuende bringen konnte, den Sie mir verordnet haben, Mr. Toshing.“ „Ich sehe die Notwendigkeit für die Verkürzung durchaus ein, Mr. Sander“, entgegnete der Angesprochene. „Aber lassen wir doch die Floskeln. Ra`Tosh ist mein richtiger Name, Dr. Sagyard, und ich hoffe, daß ich zu einer ganzen Reihe ihrer Probleme eine Lösung beisteuern kann.“ „Darauf hatte ich gehofft, Ra`Tosh“, entgegnete Robert an Lizas Stelle. „Ich hoffe, Sie nehmen mir nicht übel, daß ich mir meinen Urlaub selbst als Bedenkzeit zugestanden habe.“ „Keineswegs, Mr. Sander. Ich enthalte mich zudem einer Meinung über Ihre Beweggründe“, antwortete Ra`Tosh. „Auch wenn die Begleitumstände sehr ungewöhnlich sind, interessiert mich das Privatleben meiner Mitarbeiter nicht. Aber vielleicht sollten Sie beide wissen, daß einige Stoffe aus Dr. Sagyards Metabolismus für Menschen toxisch sind. Wie gesagt, ich möchte mich in diesen Teil Ihrer beider Bekanntschaft nicht einmischen, rate aber dazu, daß Sie, Mr. Sander, sich vor weiteren Intimitäten einer entsprechenden Immunisierung von Seiten unserer Wissenschaftler unterziehen.“ Eine Weile herrschte Schweigen und es war Liza, die das Wort wieder ergriff. „Ohne unhöflich sein zu wollen, Mr. Ra`Tosh, aber woher wissen Sie das alles? Oder mit anderen Worten: Wer oder was sind Sie?“ „Eine durchaus berechtigte Frage, Fräulein Doktor, und eine sehr gute dazu. Sie erinnern mich daran, daß ich Mr. Sander versprochen habe, mich ihm nach Abschluß seines Urlaubs erstmalig persönlich zu zeigen. Das will ich gerne tun, aber ich
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denke, daß auch Sie ein besonderes Anrecht darauf haben zu sehen, mit wem Sie es zu tun haben.“ Ein leises, kaum wahrnehmbares Summen begann den Saal zu füllen, die sich irritierend langsam ausbreitende Helligkeit kam von Lampen, die in rund zehn Meter Höhe in die Decke eingelassen waren. Das warme, gelbe Licht enthüllte mehrere Meter glatten Saalbodens, welcher schließlich sanft zu einem wassergefüllten Bassin abfiel. Dieses war unregelmäßig geformt und mochte im Schnitt 20 Meter durchmessen. In der ungefähren Mitte erhob sich ein Sockel, der wie eine Liegebank geformt war und wie das Bassin selbst keine Ecken oder scharfe Kanten aufwies. Auf diesem bizarren Möbelstück saß eine massige Gestalt, die keinerlei menschliche Merkmale aufwies. Der Körper war unbekleidet, hatte eine rostbraune Färbung und war in symmetrischen Mustern mit Hornplatten bedeckt. Das verlängerte Rückgrat lief in einem langen Schwanz aus, der in einer Art schmaler Flosse mündete, die träge durchs Wasser plätscherte. Der mächtige Schädel saß auf einem kurzen Hals, der zum Rücken hin von einer besonders dicken Hornplatte bedeckt war. Der Schädel selbst war haarlos wie der Rest des Körpers und das Wesen hielt sein Kinn an die Brust gepreßt. Erst als das Licht nicht mehr heller wurde, hob sich der Schädel und es wurden zwei schwarze, geöffnete Augen sichtbar, die im Verhältnis zum Rest des Körpers sehr klein wirkten. Der Mund war eher ein Maul, halb geöffnet entblößte er zwei Reihen mit unzähligen Nadelzähnen. Unter dem Kinn befand ein kleines Gerät, welches auf nicht zu erkennende Weise am Unterkiefer befestigt war. Am Gerät befand sich eine unscheinbare Statusleuchte, die rot flimmerte. Als das Wesen zu sprechen anfing, schlug die Leuchte auf Grün um. „Ich hoffe, Sie beide sind nun nicht geschockt oder gar enttäuscht“, klang die bereits bekannte Stimme durch den Saal.
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Sander stand langsam auf und schüttelte nur den Kopf. „Mir fehlen im Moment die Worte“, gestand er, „aber sobald ich sie wieder habe, werde ich vermutlich einige Fragen stellen müssen.“ Liza blieb sitzen. „Ich ebenso, wenn Sie nichts dagegen haben.“ Ra`Tosh nickte. „Ich warte.“
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