Atlan - Minizyklus 07 Flammenstaub Nr. 02
Hauch des Todes von Michael Marcus Thurner
Auf den von Menschen besiedelten...
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Atlan - Minizyklus 07 Flammenstaub Nr. 02
Hauch des Todes von Michael Marcus Thurner
Auf den von Menschen besiedelten Welten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht. Der relativ unsterbliche Arkonide Atlan, der seit Jahrtausenden im Auftrag der Menschheit wirkt, kämpft in der fernen Galaxis Dwingeloo gegen die mysteriösen Lordrichter. Die Widerstandsgruppe »Konterkraft« schickt Atlan zur geheimnisvollen Intrawelt, um dort den Flammenstaub, der eine ultimate Waffe sein soll, zu besorgen. Nach zahlreichen Abenteuern in der gigantischen Hohlwelt gelingt es ihm, diesen zu erbeuten. Aber er verweigert dessen Herausgabe in der Überzeugung, dass die Anführer der Rebellen zu schwach für seine Verwendung sind. Atlan trägt nun den Flammenstaub in sich und testet die Wirkung erfolgreich gegen die Truppen der Lordrichter. Aber je intensiver er ihn benutzt, desto verheerender ist sein Einfluss auf Psyche und Körper. Um seine Balance wiederzuerlangen, landet er auf einer heißen Vulkanwelt, wo ihn der HAUCH DES TODES streift …
Hauch des Todes
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide begegnet sich selbst. Admal Kalistein-aus-dem-Tiefsten - Der Namibander versucht sein Volk zu retten.
1. Er wurde geboren. Er fühlte, wie Geist und Körper entstanden. Sein Körper, wunderbar glatt und flach, erzielte mehr und mehr Massezuwachs, bis er eine optimale Größe erreicht hatte. »Wie wirst du dich nennen?«, fragte ein Mitglied seines Elternstammes. Instinktiv wusste er, dass es sich bei dem »Sprecher« um Sedumol Vrentzaus-dem-Hohlsten handelte. Der groß und etwas zu breit geratene Namibander war einer der begabtesten Kantenwächter der Heimat. Er überlegte, und es fiel ihm, bloß wenige Augenblicke nach seiner Bewusstseinswerdung, noch ein wenig schwer, die passenden Gedanken zu fassen. Also ließ er sich viel Zeit. Er nahm die Umgebung in sich auf, in der Geburt und geistiges Erwachen vor sich gegangen waren. Mit all seinen Sinnen forschte er umher; fühlte die Kraftlinien, den Geschmack des Genf, das ihn umgab, maß die Erschütterungen an, die weit oberhalb seiner Zeugungsstätte passierten. Seine Eltern hatten sich tief unten zusammengefunden. Es schien kaum noch weiter hinabzugehen. Dies war ein wertvoller, ein wichtiger Anhaltspunkt, den er verinnerlichte und niemals mehr vergessen würde. Nacheinander nahm er Form und Konsistenz seiner Erzeuger in sich auf. Er berührte sie, und sie vermittelten ihm durch leichte Bewegungen ihre Namen. Ja, dies war wahrlich ein bedeutsamer Moment! Nicht nur für ihn, sondern für alle Namibander. Er würde zu etwas Besonderem heranwachsen, denn seine fünfundzwanzig Eltern gehörten zu den Besten, Geschicktesten und Hitzigsten des Volkes. Zudem stellte die Fünfundzwanzig eine
Glückszahl dar. Ein wenig Aberglaube steckte selbst in den nüchternen Namibandern. Obwohl sie es alle erbittert bestritten hätten, so glaubten sie doch daran, das Schicksal nicht bestimmen und beeinflussen zu können. Und selbstverständlich hatte er diesen chiromant unterlegten Einschlag ganz von ihnen übernommen. Die Kette der Namibander löste sich in Unruhe auf. Er spürte, dass er sich zu viel Zeit bei der Auswahl seines Namens ließ. Sie alle hatten zu tun und wollten zurück an die Stätten ihres Wirkens. Das Genf, ihr Lebensmedium, bedurfte stetiger Achtsamkeit und Pflege. Hastig tastete er mit den Randfransen umher. Er spürte festes Gestein, das sich unterhalb seines herrlich flachen Leibes ausbreitete. Augenblicklich wusste er, dass es sich um kalihaltige Brocken handelte, die nur in ganz bestimmten Bereichen des Genf vorkamen. »Ich bin … Admal Kalisteinaus-dem-Tiefsten«, sagte er endlich zögernd. »Ein schöner Name«, lobte einer der Eltern, der sich nestelnd und zärtlich über seinen Leib bewegte, um gleich darauf an Höhe zu gewinnen und irgendwohin zu verschwinden. Es handelte sich um Umlauf Hersten-hoch-in-den-Kräften, einen der führenden statischen Theoretiker des namibandischen Volkes. Wahrscheinlich zog es ihn in seine Eindenkhöhle zurück, die während seiner Abwesenheit mit Informationsfransen voll gestopft worden sein musste. »Du wirst Außergewöhnliches leisten«, vermittelte ihm Asten Hochlautin-der-Stufe. »Wir alle sind stolz auf dich«, franselte Irmen Zahllos-um-die-Kette. »Ich setze große Brocken auf dich«, schabte Emen Heiß-kroch-aus-dem-Inneren über seinen Leib. Nacheinander vollzogen die 25 Eltern das
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Ritual der Geburtsglückwünsche und zogen sich anschließend so rasch wie möglich zurück. Sie alle wussten aus eigener Erfahrung, dass er nun alleine sein wollte – und musste. Zudem verlangte das Genf nach ihnen. Sie mussten ihren Pflichten so rasch wie möglich wieder nachkommen. Während der nächsten Zeiteinheit würde sich Admal Kalistein-aus-dem-Tiefsten darüber klar werden, wo er seine Bestimmung sah. Die ersten Epsen nach seiner Geburt gehörten ihm ganz alleine, und er brauchte sie dringend zum Nachdenken. Danach gab es keine Pause mehr, bis ans Ende aller Tage.
2. Garshwyn war tot. Selbst der verfluchte Flammenstaub, der in mir tobte, konnte daran nichts mehr ändern. Trodemlyor, der im Orbit um Varlin stationierte Truppenstützpunkt der Lordrichter, war vernichtet, nachdem ich die Sonne kraft meines Willens zur Supernova gemacht hatte. Nichts war geblieben, was von Substanz war. Ich hatte diese feindliche Bastion aus seiner – meiner! – Existenzebene geblasen. Ich hatte Feinde sonder Zahl getötet. Wesen, die entweder aus Verblendung oder von der sogenannten Trodar-Lehre indoktriniert die Galaxis Dwingeloo mit Angst und Schrecken überzogen hatten. Meine Hände zitterten, Schweiß stand auf meiner Stirn. Ich hieß die DYS-116, die Temperatur ein wenig zu senken. Die Zaqoor, Torghan, Daorghor, Ur'orgh, Shiruh und wie sie alle heißen mochten, bekämpften das Leben, das nicht wie sie war. Oh, wie ich sie hasste! Eine Stimme in meinem Inneren, samtweich und verlockend, forcierte einen weiteren Adrenalinschub, der mich beinahe alles um mich herum vergessen ließ. Beinahe. Sie unterwarf mein ohnehin bis aufs Äußerste angespannte Gemüt einer Zerreißprobe. Ich ballte die Hände, bohrte die Fingernägel ins Fleisch, bis es wehtat. Der
Schmerz, verhältnismäßig schwach im Vergleich zur Lust, die in mir tobte, brachte mich wieder – einigermaßen – zur Vernunft. Ich drehte den Kopf zur Seite und blinzelte die Tränen weg, als ich mich zwang, Garshwyn aus meinen Gedanken zu verdrängen. Ein Feind war mir zum Kumpan geworden, dank des Flammenstaubs. Dies war möglicherweise die einzig gute Tat gewesen, die ich mit Hilfe des magischen Stoffs in meinem Leib vollbracht hatte. Und selbst dieser Hoffnungsschimmer, dieser Ansatz zur positiven Verwendung, war durch den Selbstmord Garshwyns ins Gegenteil verkehrt worden. Der Zaqoor hatte sich erschossen, um jenen Frieden zu finden, den ich ihm nicht hatte geben können. »Warum hast du den Leichnam nicht desintegriert?«, fragte die Schiffsintelligenz der DYS-116 mit einem beiläufigen Unterton in der Stimme, wie mir schien. »Was kümmert dich das?«, schrie ich unbeherrscht. »Dieser Mann verdiente zumindest eine Raumbestattung. So, wie er es sich gewünscht hätte.« Wie konnte es die Syntronik wagen, meine Entscheidung nachträglich anzuzweifeln? Ich zitterte und schluchzte und lachte. Was tat ich hier? Was geschah mit mir? Wie hatte ich jemals in eine derartige Situation geraten können, die mir von Augenblick zu Augenblick auswegloser erschien? Es ist dies das Resultat grenzenloser Selbstüberschätzung, unter der du schon immer gelitten hast, merkte der Extrasinn mit jenen deutlichen Zeichen der Erschöpfung an, die er mich seit Beginn seines Gesundungsprozesses immer wieder spüren ließ. Und dennoch klang auch so etwas wie Häme in seiner geistigen Stimme mit. Als wollte er sagen: »Siehst du – ich habe gewusst, dass du dich überschätzt.« »Wohin jetzt?« Die KI der DYS-116 unterbrach meine träge Unterhaltung mit dem Logiksektor. Die Stimme der Syntronik klang anders als sonst. Sie hatte möglicherweise Probleme, meine Unbeherrschtheit
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und meine Stimmungsschwankungen richtig einzuordnen. Sehr mühsam konzentrierte ich mich. »Wir kehren dorthin zurück, wo dieser ganze Wahnsinn begonnen hat«, gab ich zur Antwort. Ich nannte die Koordinaten, die sich mir – so wie alles während meines langen Lebens! – unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt hatten. Oder? Hatte der Kampf gegen Peonu einen Teil meines Erinnerungsvermögens gekostet? Waren Lücken entstanden, die ich nie mehr würde füllen können? Ich weiß es nicht, flüsterte der Extrasinn. Willst du – wollen wir – tatsächlich zurück? Ja, dachte ich. Es muss ein Ende nehmen. Ich verliere die Kontrolle, ich verliere meinen Verstand. Ich verliere dich. Und du hoffst, dies alles in der Intrawelt wieder zu finden? Selbst auf die Gefahr hin, niemals mehr von dort hierher, ins Normaluniversum, zurückgelangen zu können? Man muss wissen, wann man verloren hat. Ohne Tuxits Hilfe wird es mir kaum mehr gelingen, den Flammenstaub unter Kontrolle zu bringen. Und wenn ich den Weg zurück nicht mehr schaffe, dann soll es eben so sein. Dann lebe ich mein Leben in der Intrawelt zu Ende. Wann auch immer dieses Ende sein mag. Zuerst einmal musst du den Durchgang in die Intrawelt bewältigen, unkte der Extrasinn. Die innere Stimme wurde mit den letzten Wortgedanken immer schwächer, bis sie wie ein letzter Windhauch verging. Von nun an schwieg sie für eine verdammt lange Zeit.
* Nach subjektivem Empfinden dauerte die Reise zurück ins Innere der Sternengeburtswolke SET-3 fünf oder sechs Ewigkeiten. Der varganische Schutzanzug hielt meine Körperfunktionen auf meinen Wunsch hin möglichst niedrig. Ich durfte und wollte mich nicht aufregen und schon gar nicht über meinen Zustand grübeln. Jeder gedank-
liche Impuls mochte den Flammenstaub in mir zu einer Reaktion bewegen, die ich nicht mehr kontrollieren konnte. Schon das Reflektieren über diese ungreifbare, unbegreifbare Substanz in mir regte mich auf und setzte möglicherweise Dinge in Gang, die in der Erschaffung zusätzlicher, unerwünschter Wahrscheinlichkeitsebenen mündete. »Glück ist eine leichte Dirne«, hatte ein gescheiter Mann vor Jahrtausenden einmal geschrieben. »Sie weilt nicht gern am selben Ort; sie streicht das Haar dir aus der Stirne. Und küsst dich rasch und flattert fort.« Verflucht sollte ich sein – aber ich wünschte mir in diesen Stunden und Tagen nichts so sehr, als dass mich das Glück endlich verließe! Es saß mir im Genick, fett und breit und alles zerstörend, und weigerte sich hartnäckig, jemand anderem als mir gefällig zu sein. Ich verspürte einen leichten Schmerz an meiner Pobacke und erwachte bereits ein paar Augenblicke später aus dem Halbschlaf, in den ich mich versetzt hatte. Ich blickte auf mein Chronometer. 23. September 1225, stand dort. 14:46 Uhr war es in einer unendlich weit entfernten Stadt in einer unendlich weit entfernten Galaxis. »Ich bitte um exakte Landekoordinaten«, forderte die DYS-116. »Dieselben wie bei unserer ersten Annäherung«, antwortete ich. Mit mentalen Dagor-Übungen, die mir in Fleisch und Blut übergegangen waren, versuchte ich, jene körperliche und geistige Erschöpfung zu vertreiben, die mich seit dem Tod Garshwyns im Griff hielt. Die Schiffssyntronik führte mittlerweile das gewünschte Manöver aus. Zehn Minuten später landeten wir im Staub jenes Asteroiden, von dem aus der hyperenergetische Schlauch Tephs in die Intrawelt hineinragte. Und in dessen Boden der Leib einer Toten ruhte.
* Ich trat zu Kytharas Grab, einer schmuck-
6 losen Erhebung inmitten der trostlosen Sand- und Steinwüste, deren kurzer Horizont von der Intrawelt und nichts anderem begrenzt wurde. Es gab keine Götter, an die ich in ihrem Namen ein Gebet richten konnte. Zu viel hatte ich gesehen und erlebt, um nicht zumindest Zweifel an der Existenz einer alles lenkenden Macht zu spüren. Ich war zu oft in unangenehme Nähe jener Wesen gerückt, die sich selbst als höher stehend titulierten. Die Ehrfurcht vor einem großen Unbekannten, vor Gott, war bei meinen Abenteuern irgendwann einmal auf der Strecke geblieben. Traurig schüttelte ich den Kopf. »Es sieht so aus, als wäre dein Tod umsonst gewesen«, begann ich einen leisen Monolog. »Ich komme mit dem Flammenstaub in mir einfach nicht klar. Ich habe mich verändert, und ich bin froh, dass du mich in diesem Zustand nicht siehst.« Ich konnte nicht ruhig stehen bleiben, machte ein paar nervöse Schritte. »Andererseits vermisse ich dich wie noch selten jemanden zuvor. Ja – als Unsterblicher ist der Tod mein stetiger Begleiter. Er nimmt mir Gefährten und Freunde scheinbar im Sekundentakt, während ich weitermarschiere.« Hastig korrigierte ich mich: »Weitermarschieren muss. Du kennst diesen Zustand ewiger Trauer sicherlich viel besser als ich. Ich verstehe, warum ihr Varganen euch so sehr in den Hintergrund der Geschichte zurückgezogen habt und unter euresgleichen geblieben seid.« Der goldene Anzug erhöhte seine Klimaleistung und trocknete mir Feuchtigkeit aus dem Gesicht. »Ich will gar nicht lange lamentieren; ich bedaure lediglich das Schicksal. Gemessen an unserer beider Lebenserwartungen ist es ein Hohn, dass uns nur so wenig gemeinsame Zeit zur Verfügung stand. Und wir haben sie für alles Mögliche benutzt – nur nicht für uns selbst.« Ich nahm ein wenig Sand von ihrem Grab und ließ ihn zwischen den Fingern meines Handschuhs zu Boden rieseln. Dank der niedrigen Schwerkraft tanzten die Körner langsam, wie in Zeitlupe, hinab. Sie glitzer-
Michael Marcus Thurner ten und glänzten in der allgegenwärtigen Beleuchtung der riesenhaften Intrawelt, die scheinbar jeden Moment auf mich herabzustürzen drohte. »Ich habe einen Freund gefunden«, fuhr ich schließlich fort, »und ich habe ihn wieder verloren. Ich zeigte ihm das wahre Leben, frei von jeglicher Beeinflussung.« Bitternis packte mich. »Ich habe seinen Tod auf dem Gewissen. Ich stehe in Garshwyns Schuld, genauso wie in der deinen.« Schließlich stützte ich mich, erschöpft und rasch atmend, auf eine mannshohe Felsnadel und verharrte ein paar Minuten in stiller Andacht.
* Ich musste die Gedanken an Kythara nun verdrängen. Voraus wartete eine weitere Begegnung mit dem Schicksal. Ich aktivierte den Antigrav des Anzugs und programmierte den Autopiloten, der mich zu Tephs Behausung bringen würde. Wenn alles glatt ging, würde ich in wenigen Minuten durch seinen Leib hindurch, der in den Hyperraum hineinragte, ein zweites Mal in die Intrawelt vordringen. Dort, so hoffte ich, war ich vor den Auswirkungen des Flammenstaubs sicher. Tuxit würde eine Möglichkeit wissen, wie ich die Substanz abstoßen konnte. Doch noch war ich nicht so weit. Ich flog in Bodennähe dahin und blickte mich um. Das Generationenschiff der Hemeello war ebenso verschwunden wie Peonus Raumer. Ich schwebte über eine eintönige Landschaft, die lediglich hier und dort vom Anblick alter Schiffswracks durchbrochen wurde. Tephs Energieschlauch kam in Sicht. Sein wirbelnder Strahl, der taumelnd und wie suchend über dem Horizont im Nirgendwo endete, emittierte goldene Flocken, wie ich es erhofft hatte. Allerdings in einer wesentlich geringeren Quantität als bei meinem ersten Vordringen in die Intrawelt. Dennoch: Das Krakenwesen musste sich
Hauch des Todes erholt und seine Funktion als Wächter an der Schwelle zur Intrawelt wieder aufgenommen haben! Erleichtert atmete ich durch. Bei meiner letzten Begegnung hatte Teph zwischen Leben und Tod gehangen. Ich landete und marschierte kurzerhand durch die gläserne Schleuse in jene einfach gehaltene Halle, in der er lebte. Augenblicklich stellte mein Anzug jegliche Funktion ein, wie gehabt. Ich zog mich aus, atmete die verbrauchte und nach Fäulnis riechende Luft ein. In erster Linie beäugte ich die dunklen Winkel und Ecken, in denen sich das seltsame Krakenwesen wie schon das letzte Mal verstecken mochte. Nichts. Der Raum war leer. Bis auf ein paar verdreckte Lumpen, die scheinbar achtlos in eine Ecke gepfeffert worden waren … Lumpen? Wie hätten die hierher gelangen sollen? Ich trat näher, langsam und vorsichtig, und vermisste dabei schmerzhaft die Alarmschreie des Extrasinnes. Mein interner Mahner war bisweilen ein lästiger Geselle, aber oft genug auch mein Retter in höchster Not gewesen. Schließlich neigte ich zu unverhältnismäßiger Neugierde. Es dauerte einige Sekunden, bis sich meine Augen an das Dunkel der Ecke gewöhnt hatten. Was ich erblickte, hätte aus einem billig gemachten Horror-Trivid stammen können: Teph lag hier – beziehungsweise das, was von ihm übrig geblieben war. Faltige, schlaffe Häute waren übereinander getürmt und geknotet. Das Fleisch der langen und massiven Krakenarme, die mich einmal mit immenser Kraft gepackt und umschlungen hatten, war verschwunden. Ich griff nach den dünnhäutigen Resten, rieb sie zwischen meinen Fingern hin und her. Sie knisterten und emittierten hellblaue Funken, die nach wenigen Augenblicken zerstoben. Ein Ton erklang. Ich zuckte zusammen. War dies … ein Seufzer? Erschrocken ließ ich die Haut los und wich zwei Schritte zurück, bereit, mich so
7 schnell wie möglich wieder in den varganischen Anzug zu zwängen und zu fliehen. Aber nein! Ich gab mir einen Ruck. Ich war hierher gekommen, um neuerlich Einlass in die Intrawelt zu begehren. Der Einfluss des Flammenstaubs hatte bereits beim Betreten dieses Raums ein wenig nachgelassen. Ich fühlte mich erstmals seit Tagen fast wohl in meiner Haut. Doch das konnte auch lediglich eine momentane Verbesserung meines mentalen Zustandes sein. Ich musste zurück, musste Kontakt zu den Rhoarxi finden! Ich überlegte. Der Energieschlauch, der eine sichtbare Verbindung zur Intrawelt vorspiegelte, war vorhanden; also steckte noch Leben in Teph, so unwahrscheinlich dies auch schien. Schließlich gab es keinen anderen Weg in das in sich geschlossene Universum, das auf einer anderen Strangeness-Ebene existierte. »Kannst du mich hören?«, fragte ich in Richtung des Hautknäuels und kam mir dabei lächerlich wie selten zuvor vor. »Gnn …«, ertönte eine brummige Stimme aus dem breitesten Teil des Hautlappenknäuels. Und noch einmal: »Gnn …« Ich trat wieder näher heran, schob die einzelnen Schichten der Körperreste behutsam beiseite. Die vielen Augen, die mich während unserer ersten Begegnung so eindringlich gemustert hatten und großteils von rostroten Hautlappen verdeckt worden waren, bestanden nunmehr aus verschrumpelter Gallerte. Reihenweise fielen sie aus ihren Höhlen, während ich den Leib hin und her bewegte. Die schwartigen Hautreste der Krakenarme ließen sich nach allen Richtungen ausbreiten, ohne eine Reaktion zu erzeugen. Ein Kribbeln übertrug sich währenddessen von den Fingerspitzen über meinen gesamten Körper. Ich legte den zentralen Sackkörper frei, betastete ihn behutsam. Er fühlte sich wie ein antiker Heißluftballon an, aus dem jegliche Luft entwichen war. Halt! Ich spürte Widerstand; ein etwa kopfgroßes Etwas be-
8 wegte sich im Inneren von Tephs Körperhaut. Wärme übertrug sich auf meine Handinnenflächen. War dies der letzte Rest des Wärters? War er auf eine kleine Kugel zusammengeschrumpft? Auf einen Gehirnbrocken, der nicht aufhören wollte zu existieren? »… ss los!« brummte dieselbe Stimme wie zuvor. Sie war kaum verständlich und drang aus dem Leib hervor. Behutsam legte ich den Sackkörper zu Boden und wartete. Ich hatte in meinem Leben zu viel gesehen, um mich über Derartiges zu wundern. Das Leben konnte vielfältigste Erscheinungsformen annehmen; auch der Prozess des Sterbens trat in Formen auf, die wir Arkoniden niemals verstehen würden. Wenn Teph denn tatsächlich starb. »Kann ich dir helfen?«, fragte ich so prononciert wie möglich. Das Wesen, besser gesagt: der Rest des Wesens, achtete nicht auf meine Worte. »… kein Durchgang in die Intrawelt für dich möglich, Atlan von Arkon«, sagte Teph. Auf eine unheimliche Art und Weise erkannte er mich! Und mit einer Stimme, die mir Schauder über den Rücken jagte, zerstörte er jegliche Hoffnung. »Ich sterbe«, fuhr er fort. »Mein Nachfolger hat sich … reits zu mir durchgefressen. Er wird die Reste … es Bewusstseins und meines Wissens aufnehmen und als neuer Torwärter dienen.« Seines Nachfolgers? »Ich muss zurück!«, forderte ich mit möglichst fester und drängender Stimme. »Der Flammenstaub tötet mich. Ich gefährde den Bestand ganzer Sternensysteme, sobald ich nicht mehr Herr über meine Sinne bin.« Tephs Körpersack bewegte sich. Das kugelförmige Restwesen verlagerte sich gut sichtbar ein Stück nach vorne, näher zur Vorderseite des einstmaligen »Gesichts«. Die Haut riss wie Papier. Ein hellleuchtendes, konturloses Etwas kam hervorgeglitten, gehalten von einem einzigen dünnen und scheinbar elastischen Band. Die Oberfläche
Michael Marcus Thurner des Restlebewesens reflektierte plötzlich mein Gesicht. Mit verzerrten Lippen sagte der gespiegelte Atlan zu mir: »Deine Probleme sind belanglos für mich, Arkonide! Meine Todesmetamorphose ist nur noch Tontas deiner Zeit entfernt, und ich sehne mich danach wie noch niemals jemand zuvor. Mein Nachfolger ist nah, ganz nah; er wird den Platz einnehmen, den ich hinterlasse. Er wird meine Erinnerungen und Erfahrungen verinnerlichen. Und dazu gehört auch die Erkenntnis, dass du bereits einmal durch mich hindurchgereist bist. Das stimmt doch, nicht wahr?« Ich nickte automatisch, ohne zu wissen, ob Teph mich tatsächlich sehen und meine Gestik deuten konnte. »Du und der andere vor dir haben mir Schmerz sondergleichen zugefügt. Ihr habt meinen Tod beschleunigt. Einerseits muss ich euch beiden dafür danken, andererseits spürte ich eure Rücksichtslosigkeit, mit der ihr euch hierher zurückgekämpft habt.« Die Kugel verlor sichtlich an Substanz, die Oberfläche wurde immer matter. »Unter keinen Umständen wird Tepher, mein Nachfolger, erlauben, dass du ihn als Durchgang benutzt. Du hattest deine Chance, Atlan. Und was du mit diesem Teil des Multiversums anstellst, ist schlussendlich dein Problem. Wenn irgendetwas passieren sollte, was die großen Strukturen dieses Universums ändert, so hast allein du es zu verantworten. Man wird dich dafür sicherlich zur Rechenschaft ziehen …« Teph kroch stückchenweise in seinen Sackkörper zurück. Oder … wurde er von etwas zurückgezerrt? Von seinem Nachfolger Tepher, der sich an ihm nährte? »Ich habe einen Fehler begangen«, beharrte ich auf meiner – zugegebenermaßen schwachen – Argumentation. »Die Rhoarxi, die Erbauer der Intrawelt, werden es verstehen, wenn …« »Wenn du versagt hast, dann stehe dafür ein«, unterbrach mich Teph grob. »Und nun verschwinde endlich! Es gibt nichts mehr zu sagen. Ich möchte sterben.«
Hauch des Todes Die Bilder auf dem kleinen Restkörper verschwanden, jegliches Leben darin schien zu erlöschen. Verzweifelt dachte ich nach. Es musste einen Weg geben! Notfalls würde ich ihn mir mit Gewalt erzwingen … Ein dünnes Pfeifen ertönte. Mich fröstelte, und mit einem Mal musste ich nach Luft schnappen. Teph ließ die Atemluft aus der Halle entweichen! Ein deutlicheres Zeichen, dass er mich loswerden wollte, gab es wohl nicht. Eilig wie selten zuvor schlüpfte ich in den Varganenanzug. Schon kristallisierte die Atemluft, schon fühlte ich das schmerzende Beißen unglaublicher Kälte an den Händen und im Gesicht. Es musste binnen weniger Sekunden auf minus 30 Grad oder mehr abgekühlt haben. Ich hielt den Atem an, verriegelte den letzten Sicherheitskarabiner am Halskragen und stürmte so schnell wie möglich aus Tephs Halle. Meine Beine waren steif und wollten sich nur mühsam bewegen lassen. Unter Schmerzen öffnete ich das Tor und stapfte hinaus, auf den namenlosen Asteroiden. Endlich sprangen die Funktionen des Anzugs an! Die Heizung setzte mit Höchstleistung ein. Köstliche Luft füllte meine Lungen, und keuchend atmete ich tief durch. Es dauerte eine Weile, bis ich die Kraft fand, erneut an der Schleusentüre zu rütteln. Umsonst; ich war ausgesperrt. Ich spähte durch das dumpfe Glas nach innen. Die Sichtfunktionen des Schutzanzugs funktionierten lediglich mangelhaft. Sie zoomten ein grob gerastertes Bild heran. Tephs Restkörper war wohl noch kleiner geworden. Aus der Ecke, in der er gelegen hatte, drang ein weiteres Etwas in den Hautsack; es schien, als würde es aus dem Nichts auftauchen … oder aus dem unbegreifbaren Hyperraum. Tepher war gekommen. Er nährte sich an seinem Vorgänger und würde nicht mehr aufhören zu fressen, bis er dessen Leib zur Gänze ausgefüllt hatte. Vielleicht wuchs er
9 in der hinterlassenen Haut so lange heran, bis er den Krakenkörper ausfüllte – wer vermochte das schon zu sagen? Ein Energieschirm, dem meine Anzugfunktionen nichts entgegenzusetzen hatten, schleuderte mich plötzlich mehrere Meter zurück. Ich landete schwer auf dem Rücken, ohne dass mich das varganische Hochtechnologie-Produkt auffangen konnte. Zorn erfüllte mich. Ich griff, so bewusst ich nur konnte, nach dem Flammenstaub in mir, fokussierte ihn mangelhaft auf Tephs Halle. Ich wollte das Gebäude zerstören, es zerfetzen. Die Aussicht, dass der Krake einen Tod erleiden würde, wie er ihn wollte, während ich hier weiterem Leiden ausgesetzt war, führte mich nahe an die Grenze zum Irrsinn. Ich erzeugte einen instinktiven Aufriss zu einer anderen, einer hässlichen Wahrscheinlichkeit und schleuderte das Produkt gegen den Schutzschirm. Nichts geschah, sosehr ich mich auch abmühte und konzentrierte. Dieses Gebäude hier war wohl das einzige im bekannten Universum, dem nicht beizukommen war.
3. Admal Kalistein-aus-dem-Tiefsten sah sich um. Er reiste die Untiefen des Genf entlang. Gemächlich flosselte er durch die Höhlen und Kavernen, die Gräben, Klüfte und Spalten. Sorgsam verglich er das, was er an Wissen von seinem Elternstamm übernommen hatte, mit jenen Eindrücken, die er soeben am eigenen Leib erfuhr. Es gab geringfügige Diskrepanzen. Admal begriff, dass das Erfassen, Erfühlen und Einordnen dieser kleinsten Unterschiede ein Charakterbild ergaben. Sein Charakterbild. Dieses Kennenlernen seiner körperlichen Funktionen machte ihn zu einem Individuum, das sich von anderen unterschied. Admal lernte rasch, Kleinigkeiten zu klassifizieren. Es tat ihm gut, seine individuellen Ausprägungen zu definieren. Durch den
10 Vergleich von Theorie und Praxis erfuhr er, dass er einen leichten Hang zu Nervosität hatte. Auch war er lernbegieriger als andere Namibander, und seine physischen Leistungswerte schienen weit über denen des durchschnittlichen Artgenossen angesiedelt zu sein. Andererseits machte ihm sein nur leidlich ausgeprägter Geschmack für Kraftlinien zu schaffen. Mehr als einmal verirrte er sich in Nebenhöhlen oder Abbrüchen und tat sich schwer, wieder in ausreichend weiche Fahrrinnen des Ee zu gelangen. Lag hier etwa eine körperliche Dysfunktion vor? War er eine Fehlgeburt? War es ihm vorherbestimmt, recht bald wieder den Weg in den Tod wählen zu müssen? Die Namibander, so erfuhr er aus seinem umfangreichen Wissensfundus, hatten keinen Sinn für Unnötiges. Jemand, der nichts zum Wohlgefühl des Volkes beitrug, wurde nicht gebraucht und hatte sich selbst aufzulösen. Aber nein! Erleichtert bewegte er seinen Körper in breiten Wellen, als er die notwendigen Informationen aufstöberte: Er tat gut daran, eilig den Weg zur Großen Leere zu suchen. Nur dann, wenn er die rituelle Erste Entladung vornahm, würde er die Kraftlinien in ausreichendem Maß spüren und damit auch die Entwicklung weiterer lebenswichtiger Sinne initiieren. Taumelnd verließ er die tiefliegende Geburtshöhle durch den größten Verbindungskanal. Immer wieder streifte er am Festen an und machte sich mit dem unangenehmen Tastgeschmack vertraut. Viel lieber hätte er sich an anderen Namibandern festgeklammert und wäre mit ihnen in einer kleinen Kette weitergereist. Doch sie wichen ihm aus und machten ihm unmissverständlich klar, dass sie um seine Desorientierung und sein geringes Alter wussten. Es ging weiter. Auf und ab, immer den Hauptstrom der reisenden Namibander entlang. Seine Welt war groß; viel größer, als er sie mit seinem Verstand eingeschätzt hätte. Und dennoch war sie … unkomplett. Teile
Michael Marcus Thurner eines Koordinatensystems, das von älteren Generationen stammen musste, fehlten ihm schmerzlich. Denk nicht daran, ermahnte er sich, zumindest jetzt noch nicht. Während Admal dahintrieb, nahm er Nahrung zu sich. Er versetzte seinen Körper parallel zu seinen Flosselbewegungen in geringfügige Rotation. Der Vorgang vollzog sich automatisch, ohne dass er ihn bewusst steuern konnte. Fasziniert fühlte er, dass sein herrlich dünner Leib Nährstoffe durch einen Diffusionsprozess aus dem Genf filterte und in sich aufnahm. Er wurde breiter und höher. Auch bildeten sich schlackige Beulen, in denen es gehörig rumpelte. Admal zog seinen Körper verschämt ein wenig zusammen. Die anderen Namibander mussten nicht bemerken, dass er sich erstmals ernährte. Dafür, so sagte ihm sein Wissensfundus, war dieser Vorgang zu intim. Die Beulen wanderten ruckartig durch sein Inneres, fanden sich allmählich zusammen und bildeten schlussendlich eine flache Blase. Es wurde wirklich Zeit, dass er zur Großen Leere gelangte! Als er meinte, den richtigen Weg anhand der Kraftlinien gefunden zu haben, fädelte er sich in den Strom der geschäftig dahintreibenden Namibander ein. Sie bewegten sich elegant vorwärts, flosselten mit scheinbar geringem Kraftaufwand an ihm vorbei und wichen einander mit unglaublichem Geschick aus. Es herrschte in der Tat ein riesengroßer Unterschied zwischen all dem in seinem Kopf gespeicherten Wissen und der praktischen Erprobung. »Platz da!«, vermittelte ihm ein bullig gebauter Namibander. Er drängte sich grob vorbei, ja er stieß sich sogar an ihm ab, um sein Tempo zu steigern! Währenddessen teilte er Admal mit den feinen Randfühlern entschuldigend mit, dass in einer unteren Seitenhöhle möglicherweise ein HoaAusbruch bevorstand. Die gefährliche Situation erforderte unbedingt mehrere Sicherheitsleute, die für eine kanalisierte Vertei-
Hauch des Todes lung der hochgeschleuderten Massen sorgen mussten. Was für ein aufregendes Leben dieser Namibander haben musste! Stets war er auf der Suche nach möglichen Sicherheitslücken, stets unterwegs durch das wunderbare Labyrinth ihres Lebensbereiches, immer vor Ort, wo etwas Bedeutsames geschah. Die Wellen, die er schlug, verklangen allmählich. Er hatte das Kraftliniensystem gehörig durcheinander gewirbelt. Es würde einige Zeit dauern, bis sich die Unruhe legte und Admals noch stumpfe Fühlsinne die Richtung, in die er musste, neu bestimmen konnten. Orientierungslos drehte er sich im Kreis und nahm währenddessen weitere Nahrung auf. Sein Leib schwoll stetig an. »Wohin willst du, Junge?« Admal fühlte sich an allen Rändern gleichzeitig gepackt. Ein schlanker, unruhig hin und her franselnder Namibander umflatterte ihn. Seine sanften Berührungen, die nur Augenblicke zu dauern schienen, erzeugten ein neues, seltsames Gefühl. »Zur Großen Leere«, vermittelte er dem anderen. »Ich wurde soeben geboren …« »Das musst du nicht extra erwähnen. Das fühle ich ohnehin.« »Kannst du mir den Weg nach oben zeigen?« »Keine Zeit, Junge. Ich bin Bote und mit wichtigen Informationen unterwegs. Du schaffst das auch alleine, da bin ich mir sicher. Dein Körper fühlt sich gut an; so glatt, so faltenfrei, so frisch.« »Ach ja? Wie kannst du das …« »Keine Zeit für Erklärungen, ich muss weiter. Hast du in fünf Epsen Zeit für mich?« Eine Epse war eine Zeiteinheit, so wusste Admal, deren Länge sich durch den Rhythmus in der regelmäßigen Umkehrung der Kraftlinien ermittelte. Allerdings hatte er eine solche Umkehrung noch nicht mitgemacht, also konnte er mit dieser Angabe vorerst nichts anfangen. »Ich muss mich orientieren.« Verwirrt ließ er die Randfransen hoch und nieder tan-
11 zen. »Es ist alles so neu …« »Keine Zeit, mein Bester. In fünf Epsen an der Durchflucht zur Treibhöhle Aufdem-Ee. Und sei pünktlich.« »Ich kann es dir nicht garantieren, dass …« »Keine Zeit für schöne Worte, ich muss weiter. Du kommst, verstanden?« Der andere ließ ihn los und flosselte mit kräftigen Bewegungen in einen Nebenstrang der Strömung. Was war das bloß für ein komischer Partutz gewesen? Es dauerte lange, bis er des Rätsels Lösung gefunden hatte, und sie versetzte ihm einen gehörigen Schreck: Es gab in der Tat Namibander, die stets lamentierten, keine Zeit zu haben, und dennoch ewig lange zu plaudern vermochten. Sie gehörten im großen Volksverbund zu jener Minderheit, die allein spontane Gebärketten anregen konnte und das Zusammenspiel während der Geburt lenkte. Admal war einer der wenigen Frauen begegnet, und sie hatte ihn zu einer prophylaktischen Zuchtbegutachtung eingeladen.
* Allmählich legte sich Admals Verwirrung. Er schob die Erinnerung an die beunruhigende Begegnung beiseite und setzte den Weg fort. Seine Sinne schienen sich unterdessen geschärft zu haben. Mochte es die Aufregung sein oder sein wachsendes Bedürfnis, sich zu entladen – es zog ihn förmlich in die richtige Richtung. Vorbei ging es an toten Höhlen, zwischen trägen Strömungen des widerwärtigen und bröckeligen Hoa hindurch, um gefährliche Wechseltiefen herum. All diese Gefahren konnten einen unerfahrenen und unaufmerksamen Namibander in den Tod reißen. Mit jedem Fransenschlag wuchs seine Selbstsicherheit. Er empfand seine Vorwärtsbewegungen nicht mehr als mühselig und belastend, im Gegenteil: Sie machten
12 ihm Spaß! Einer seiner Eltern, der Tanzkünstler Beloir Zitterbar-vor-dem-Grund, hatte ihm Einfühlsamkeit und einen besonderen Sinn für Schönheit mitgegeben. Im Gegensatz zu vielen anderen Artgenossen, so wusste Admal, konnte er die Pracht seines Lebens in vollen Zügen genießen. Er empfand Freude und Leid, Glück und Trauer mit außerordentlicher Intensität. Für eine kurze Weile ließ er sich auf den Kraftlinien dahintreiben und genoss es schlichtweg, zu sein. Bis ihn das zunehmende Gurgeln in seinem Körper in die Wirklichkeit zurückrief. Nun wurde es tatsächlich Zeit für die Begegnung mit der Großen Leere. Admal schwamm quer durch die oberste der Breiten Höhlen, deren sieben Ausgänge unweigerlich in Enden des namibandischen Lebensbereiches mündeten. Dahinter, so wusste er, gab es nichts. Erschreckendes, fürchterliches Nichts, das sie dennoch für ihr Überleben dringend benötigten. Warum dies so war, vermochten auch die drei Philosophen seines Elternstammes nicht zu sagen. Die Namibander waren darauf angewiesen, in regelmäßigen Abständen die Nähe der Großen Leere zu suchen und sich zu entladen. Nur so blieb ihre Körperlichkeit in einem akzeptablen Gleichgewicht. Er nahm die Abzweigung zu einem der breitesten Endstücke. Admal spürte die Bewegungen einer Vielzahl Artgenossen, die ebenfalls hierher und wieder zurück strömten. Manchen war immenser Druck anzumerken, andere wiederum wirkten dösig und erschöpft. Geduldig reihte er sich in die Kolonne der Wartenden, die niemals kürzer wurde. Der Stamm der Namibander war groß und mächtig und ihr Gebiet, so befürchteten manche des Volkes, zu klein. »Du kannst vorflosseln«, teilte ihm ein älterer und bereits steif gewachsener Artgenosse mit. »Du bist jung und hast es dringend nötig, wie ich fühle.« So war es in der Tat. Alleine der Gedanke, sich endlich entladen zu dürfen, verstärkte den Druck in Admal. Also streichelte er
Michael Marcus Thurner dem Alten kurz und dankbar über die Oberfläche und schob sich an ihm vorbei. Auch andere ließen ihm den Vortritt. Sie alle kannten wohl die Schmerzen, die ihn nun plagten. Bereitwillig machten sie Platz. Kälte kroch über seinen Leib, je näher er dem Ziel kam. Sie versteifte seine Fühl- und Bewegungsfransen und ließ im Gegensatz dazu seinen Leib nahezu unkontrolliert zittern. »Helft mir … bitte«, bat er zwei Namibander, die unmittelbar neben ihm trieben. »Ich habe es noch nie getan. Ich weiß nicht … wie ich mich öffnen soll, und … ich platze gleich.« Admal fühlte beruhigendes Streicheln über seine Seitenkanten. Doch es half nicht viel. Sein Inneres, von unaussprechlicher Kälte geplagt, rebellierte, wollte sich in Einzelpartikel auflösen und in die Große Leere hinauftreiben … »Du musst loslassen«, sagte einer seiner beiden Helfer. »Dann geschieht es von alleine.« Admal zerbarst. Der Körper, eben noch wunderbar glatt und unverbraucht, löste sich in kleinste Einzelbestandteile auf. Die Nahrungsgase, die sich in seinem Leib gebildet und verfangen hatten, drangen schwallartig nach oben, stießen hinaus in das unmögliche Universum, dessen Existenz noch kein Namibander hatte bestätigen können. Admals einzelne Bewusstseinsteile spürten und verfolgten die Gasblase, bis sie ins Außen, in die Große Leere, vordrangen und aufhörten zu existieren. Vielleicht war da ein Hauch einer Empfindung schrecklicher, bizarrer Kälte, die sein zerteilter Körper auffing. Doch das Gefühl verging genauso rasch, wie es gekommen war. Zurück blieben unendliche Müdigkeit und das Gefühl, die Entladung ohne Probleme hinter sich gebracht zu haben. Kleinste Reste seines Körpers fanden rasch wieder zusammen, wie magisch voneinander angezogen. Sie verbanden sich zu einer neuen, durchaus interessanten Gruppierung. Er wirkte nun ein wenig bucklig und unrein. Doch diese Makel
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wurden durch einen spürbaren Zuwachs an Selbstbewusstsein und Spannung mehr als ausgeglichen. »Gratuliere!«, sagte einer seiner Helfer. »Beachtenswert, wie du das gemacht hast«, meinte der andere. »Du kannst nur Admal Kalistein-aus-dem-Tiefsten sein, nicht wahr? Ich habe von deiner Geburt gehört. Du bist wirklich etwas Besonderes.« »Ja«, wiederholte er stolz, »ich bin etwas Besonderes.«
4. Ich verließ den Asteroiden wie ein geprügelter Hund. Selbstverständlich hatte ich geahnt, dass es mir schwer fallen würde, in die Intrawelt zurückzukehren. Aber es würde »schon irgendwie gehen«, hatte ich mir selbst weisgemacht. Im Nachhinein betrachtet entsprang diese Einstellung bemerkenswerter Selbstüberschätzung. Ich hatte den Flammenstaub bei vollem Bewusstsein akzeptiert. Niemand und schon gar nicht die Rhoarxi würden mir dabei helfen, ihn wieder loszuwerden. Die DYS-116 erhob sich einmal mehr in die Schwärze des Weltalls. Bald darauf schoben wir uns an fütternden Sternengeburtswolken vorbei und rasten um das riesige Gebilde eines Ernteraumschiffes, das weiteres Material für die Fertigstellung der Intrawelt heranbrachte. Ich kümmerte mich nicht um das Zubringerschiff. Ich empfand weder Lust noch Muße, diesem Giganten mehr Aufmerksamkeit als notwendig zu widmen. Weg, nur weg, so war meine Devise. Nie mehr wieder wollte ich hierher zurückkehren, an diesen Ort des Todes – und der Niederlagen. »Wohin?«, fragte mich die DYS-116. »Hinaus aus Dwingeloo«, ächzte ich. Mein Magen brannte. Ich nahm meine Umgebung in mehreren übereinander liegenden Schichten wahr, die sich in alle räumlichen Dimensionen ausdehnten und immer mehr an Platz benötigten. Die Impulse des Zellak-
tivator hatten kaum besänftigenden Einfluss auf meine Phantasmagorien und die fürchterlichen Schmerzgebilde, die sich in mir aufstauten. »Such einen allein stehenden Planeten!«, befahl ich dem Schiff. »Voraussetzungen: atembare Luft, kein intelligentes Leben, möglichst weit weg von allem. Und beeil dich!« Die KI gab keine Antwort. Wahrscheinlich durchsuchte sie ihre Speicherdatenbänke nach Übereinstimmungen mit meinem groben Anforderungsprofil. Die Stunden vergingen. Die DYS-116 zeichnete inzwischen auf meinen Wunsch hin ein Bild der momentanen Lage in Dwingeloo. Es gereichte mir zum Vorteil, dass ich in einem Beiboot der lordrichterlichen Flotte unterwegs war. Wann auch immer wir zwecks Orientierung in den Normalraum zurückkehrten, sandte es Abfrageimpulse nach allen Richtungen aus, die allerdings nur teilweise beantwortet wurden. Die Truppen der Zaqoor, Ur'oghs und wie sie alle hießen, wirkten selbst zwei Monate nach dem Tod Yagul Mahuurs verwirrt und führerlos. Ihren sonst so straffen Strukturen fehlte die Führungselite. Niemand schien sich aufraffen zu können, den Gesamtbefehl über die weit versprengten Trodar-Kämpfer zu übernehmen. Ein weiterer Schmerzanfall plagte mich, zwang mich in die Knie. Der Flammenstaub wuchs in mir, wurde wilder und wilder, verlangte nach ungezügelter Entladung. Es schien mir fast, als handelte er wie ein heranwachsendes Kind, das nach mehr Freiheit verlangte. Natürlich war dieser Gedanke unsinnig. Diese Materie war, in bildlicher Übertragung, Abrieb von einer jener Achsen und Knotenpunkte, die das Multiversum in Bewegung hielten. Substanz, die eigentlich gar nicht existieren durfte und mit meiner Umwelt höchst folgenschwer reagierte. Sie erzeugte veränderte Wahrscheinlichkeiten. Anders ausgedrückt, verschaffte mir der Flammenstaub bei allem, was ich mir wünschte, Glück – und brannte mich gleich-
14 zeitig aus. Der Anfall ging vorbei, ich erlangte wieder die Kontrolle über meinen Körper. »Du hast Schmerzen«, konstatierte die Schiffssyntronik. »Kümmere dich nicht darum«, entgegnete ich. »Mein Schutzanzug sorgt für eine ausreichende Behandlung.« Die goldene Kombination aus varganischer Fertigung war in der Tat weitgehend auf meine Bedürfnisse ausgerichtet. Sie versorgte mich mit einem vorsichtig dosierten Schub eines Schmerzmittels, das andererseits meine Sinne so wenig wie möglich belastete. Es würde mich, so hoffte ich, von der ungreifbaren Gefahr in meinem Inneren befreien. »Statusbericht«, forderte ich müde. »Die Sondierungsarbeiten laufen. Der Funkverkehr ist nicht besonders rege. Wir mussten einen verbliebenen Knotenpunkt des lordrichterlichen Flottenaufmarschs anfliegen, um genauere Informationen zu erhalten. So kann ich nur auf wenige routinemäßig abgesetzte Datenstreams zugreifen …« »Wir bleiben jeglicher Schiffsansammlung fern«, unterbrach ich ihn erschrocken. Die KI schwieg. Ihre Rechenprozesse, die im Hyperraum überlichtschnell verliefen, blieben mir manchmal rätselhaft. Ich konnte mir niemals sicher sein, ob sie mich als alleinigen Befehlshaber ansah. Die DYS-116 war mir schließlich von einem Anführer der so genannten Konterkraft namens Reshgor-1 übergeben worden, der mich aufgefordert hatte, den Flammenstaub für seine Untergrundorganisation zu besorgen. Solcherart wollten die Revoluzzer den Lordrichtern den Kampf, der bislang bestenfalls auf Sparflamme geführt worden war, offen ansagen. Ich hatte ihnen das teuflische Zeug aus gutem Grund verweigert. Einerseits waren mir die Erklärungen von Reshgor-1 zu nebulös erschienen, um ihm wirklich zu vertrauen. Andererseits wollte ich nicht wie ein Maskottchen auf Reshgors Zaqoor-Raumer drei Galaxien durchpflügen und mich gemäß
Michael Marcus Thurner seiner Anweisungen im Guerillakampf um die Lordrichter-Truppen kümmern. Ich war zwar unsterblich, aber meine Zeit erschien mir dennoch zu wertvoll, um dieses Spielchen ohne Garantie auf Erfolg mitzumachen. Nein. Ich hatte einen anderen, einen dritten Weg gewählt. »Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken«, hätte mir ein bestimmter Barbar von Larsaf III gesagt, »also gib dich gar nicht damit ab, die Gräten abzuknabbern.« Ich nickte ihm in meinen Gedanken zu. Die einzige Person, der ich wirklich vertraute, die Herrschaft der Lordrichter zu beenden, war ich selbst. So überheblich, so selbstverliebt das auch klingen mochte. Ich kehrte mit meinen Überlegungen zur DYS-116 zurück. Ich nutzte sie als Werkzeug und nicht als Berater, wie dies in unzähligen arkonidischen und terranischen Schiffen der Fall gewesen war. Überrangbefehle konnten jederzeit wirksam werden und mir die Befehlsgewalt wegnehmen. Flammenstaub hin oder her – wenn die Syntronik mich täuschte und betäubte, war es um mich geschehen. Weitere Informationen zu Bewegungen der Lordrichter-Flotten tröpfelten herein, wie ich anhand eines akustischen Signals vermittelt bekam. Ich wartete zwei oder drei Sekunden, bevor ich nach Auswertungsergebnissen verlangte. »Tendenziell ist es immer noch so, dass die Truppen des Feindes wie gelähmt sind. Es herrscht, wenn man das bei von Trodar geimpften Truppen sagen kann, gelindes Entsetzen über die Zerstörungen am Dunkelstern. Man wartet auf eine Reaktion oder einen Befehl der Lordrichter. Die Nervosität wurde durch deine Störmaßnahmen weiter gesteigert. Die Truppenverluste hielten sich zwar in Grenzen; aber erstmals ist das bislang Undenkbare eingetreten. Jemand leistet Trodar offenen Widerstand – und hat Erfolg damit.« »Ich dachte, dass der Trodar-Glaube durch nichts und niemanden zu beeinflussen sei?«
Hauch des Todes »So ist es auch«, bestätigte die DYS-116. »Die Unsicherheit bezieht sich allgemein auf den Mangel an Befehlen. Die Zaqoor und andere Völker zweifeln an den Fähigkeiten ihrer Vorgesetzten.« »Kommt es zu Machtkämpfen in den unteren Rängen der Befehlskette?« »Nein.« Die Syntronik sagte nichts weiter. Ich überlegte. Es war eine törichte Frage gewesen. Große Teile der Garbyor-Truppen kannten offensichtlich nichts anderes als Gehorsam. Sie wussten wahrscheinlich nicht einmal, was Aufbegehren oder Rebellion bedeutete. »Du sagtest: Tendenziell verhalten sich die Einheiten der Lordrichter ruhig. Gibt es auch gegenteilige Anzeichen?« »Ja. Eine Flotte mit mehr als 300 Einheiten, die in der Southside stationiert gewesen waren, soll sich in Bewegung gesetzt und Dwingeloo verlassen haben.« »Wohin?« »Das ging aus dem Funkspruch nicht hervor, der auch mit aller gebotenen Vorsicht als ›mögliches Gerücht‹ gekennzeichnet worden war. Der tatsächliche Informationsfluss zwischen den einzelnen Flottenteilen ist angesichts der besonderen Bedingungen in Dwingeloo nicht besonders einfach.« Kein Wunder. Mehr als ein Drittel der Galaxis bestand aus Zonen mit hochaktiven Pulsaren, die mit den Aktivitäten der Varganen und dem Dunkelstern in engem Zusammenhang standen. Irgendwann würden sich die energetischen Feuerwerke, die dort abliefen, beruhigen. In Hunderten oder Tausenden von Jahren. Wer vermochte schon zu sagen, wie lange es dauern würde, bis sich das natürliche Gleichgewicht, das über endlose Zeiten hinweg gestört worden war, wieder einstellte? »Hast du einen Planeten gefunden, der meinen Wünschen entspricht?«, fragte ich. »Die Datenstreams der Garbyor-Truppen haben mir Aufschlüsse gegeben, wo ich suchen sollte. Auswahl gibt es genug, und deine Kriterien lassen mir ausreichend Platz für
15 Interpretationen. Aber ich habe deinem Wunsch, dass du eine Welt möglichst fernab von allen anderen suchst, an die oberste Stelle der Prioritäten gesetzt.« »Gut. Beeil dich. Zeit ist ein wertvolles Gut für mich geworden.« Ein beunruhigendes Grummeln hatte sich in meiner Magengegend bemerkbar gemacht. Es zwickte und zwackte. Gleichzeitig bewegten sich die Gegenstände, die in mein Gesichtsfeld gerieten, über- und ineinander. So früh? Das Schmerzmittel hatte nicht einmal eine halbe Stunde lang gewirkt.
5. Admal gewann an Reife und Erfahrung. Er fügte neue Erkenntnisse auf vielerlei Gebieten dem Wissen seiner Vorfahren hinzu. Irgendwann einmal würde er sich auf eine Paarungskette einlassen – und dann würde er mehr hinterlassen als die Erinnerungen anderer. Wenn er seine Reisen durch die Strömungen des Genf einmal bleiben ließ und befand, dass es Zeit für ein wenig Ruhe war, dann begab er sich in die Höhle der Philosophen. Drei seiner Väter lebten dort, doch er fühlte sich nicht unbedingt zu ihnen persönlich hingezogen. Er liebte vielmehr die Ungezwungenheit, mit der in großen Verbundsteppichen Theorien aufgestellt wurden, die in anderen namibandischen Lebensbereichen vielleicht als Blasphemie gegolten hätten. »Vielleicht gibt es … Leben jenseits der Großen Leere?«, fragte Jenhaut Zweifelob-der-Steine, ein Berufsprovokateur. Unruhiges Geflatter begleitete seine Worte. Es war ihm anzumerken, dass er selbst nicht an diese Theorie glaubte, die er hier so großspurig aussprach. »Hör auf, dich über uns lustig zu machen«, erwiderte Iman Wahrestief-im-Leben, der die Rolle des ständigen Gegenpols hervorragend spielte. So vernünftig eine Theorie auch sein mochte – Iman sprach und argumentierte dagegen. Die bei-
16 den, obwohl keine angenehmen Zeitgenossen, ergänzten sich prächtig. Sie hielten die Diskussionen stets am Laufen. Wollte man, aus welchen Gründen auch immer, an den Gesprächen nicht mehr teilhaben, so zog man sich einfach zurück und ließ einen anderen des Volkes nachrücken. Solcherart änderten sich die Ausrichtungen der Streitgespräche immer wieder. Neue Meinungen kamen hinzu, alte wurden aussortiert. Und irgendwann, wenn ein Thema erschöpfend behandelt und von allen Seiten betrachtet worden war, wurde es zur »Wahrheit« erklärt. Man schickte dann Boten aus, die die Nachrichten weitergaben. Trotz aller Homogenität im Geflecht der Körperteppiche gab es auch Namibander, die sich niemals auch nur eine Fransenbreite darüber hinaus bewegten. Sie wurden in dieser Höhle geboren, lebten, um nachzudenken, und zerfielen irgendwann, nach scheinbar unendlich langer Zeit. Diese Urgesteine der philosophischen Betrachtungslehren lebten in Askese. Die Gase der wenigen Nahrung, die sie zu sich nahmen, wurden von Helfern bereitwillig entsorgt. Sie genossen die größte Hochachtung unter ihresgleichen – auch wenn ihnen der Makel anhaftete, dass sie sich niemals bereit erklärten, sich zu paaren und derart die Unmengen an ausdiskutiertem Wissen weiterzureichen. Admal Kalistein-aus-dem-Tiefsten löste sich nach geraumer Zeit aus dem Teppich und schwebte, von den fantastischen Ideen der anderen getrieben, glückselig nach oben. Sein Körper fühlte sich nun straffer an. Die Auflösungserscheinungen, die er stets nach anstrengenden Reisen an sich bemerkte, waren nicht mehr als eine Erinnerung. Er grüßte seine drei Väter, indem er über ihre Leiber strich, und verließ die Höhle der Philosophen. Noch war er nicht bereit, eine Arbeit, die ihm für sich selbst geeignet schien, zu suchen. Er wollte weiter mit seinen nach wie vor nicht ausgereizten Sinnen experimentieren. Das Erfühlen der Kraftlinien alleine war für einen Namibander nicht ausreichend. Er
Michael Marcus Thurner wusste um andere Möglichkeiten, sich zu orientieren und das Leben zu erfühlen, scheiterte bei der Ausführung aber immer wieder an mentalen Blockaden. »Schau an«, streichelte ihm eine unangenehm bekannte Fühlfranse über die Haut. »Der junge Neugeborene, der seine Rendezvous nicht einhält. Ich habe eine ganze Epse in der Treibhöhle auf dich gewartet, obwohl ich keine Zeit hatte.« Es war … es war die Frau. Ein Wesen, dessen Ausstrahlung, Berührungen und körperliche Vermittlungen sein Denken gehörig durcheinander brachten. »Eben … eben genau deswegen bin ich nicht erschienen«, vibrierte Admal zurück. Er bewegte sich dabei so ungeschickt, dass sie seine Lüge durchschauen musste. »Du sahst so geschäftig aus. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass du es zum Treffpunkt schaffen würdest.« »Du fühlst dich so gut an – und schwindelst gleichzeitig so schlecht. Deine Eltern gehörten offensichtlich nicht zur besonders fantasievollen Sorte.« »Ist denn Fantasie ein Kriterium für die Paarung?«, fragte Admal empört. »Warum willst du Dinge wissen, die eigentlich nur Frauen etwas angehen? Na schön – ich werde dir ein wenig bei deinen Problemen helfen. Du hast doch Probleme, nicht wahr? Unterbrich mich gefälligst nicht! Ich habe ohnehin nur wenig Zeit.« Sie hakte sich mit mehreren Fransen bei den seinen ein und zog ihn unbarmherzig mit sich, sosehr er sich dagegen wehrte. »Mein Name ist Girlian Heißschwatz-voll-der-Güte. Ich wusste von Anfang an, worin meine wahre Begabung liegt, auch wenn ich hauptsächlich als Informationsbote zwischen den Höhlen hin und her flattere.« »Und worin liegt deine eigentliche Begabung?«, fragte Admal, dessen Verwirrung sich von Augenblick zu Augenblick verstärkte. Die Aufdringlichkeit der Frau war ihm unheimlich. Der Rückgriff auf den Wissenspool seiner Väter half ihm auch nicht weiter. Die namibandischen Männer standen
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ihren weiblichen Artgenossen seit Urgedenken hilf- und ratlos gegenüber. Und er hatte, so stellte Admal panisch fest, kaum Zugriff auf die genetischen Erinnerungen seiner einzigen Mutter. Er schlitterte trotz seiner ausgezeichneten Lebensplanung in eine Situation, die er nicht oder kaum kontrollieren konnte. »Auch wenn ich nur wenig Zeit dafür erübrigen kann, so bin ich doch dafür prädestiniert, Männer zu leiten.«
* Girlian nahm ihn unter die Franslinge und zeigte ihm die gemeinsame Heimat aus ihrer Sicht. Das, was sich bislang so klar strukturiert dargeboten hatte, wirkte plötzlich kompliziert und eigentlich unüberschaubar. Die Namibanderin machte ihn auf die leisen Erschütterungen des Gesteins unter ihnen aufmerksam. Sie ließ ihn den Geschmack des Genf kosten und seine Konsistenz austesten. Auch mit unterschiedlichen Intensitäten im körperlichen Kontakt machte sie ihn vertraut und welch subtile Zwischentöne man daraus erfühlen konnte. Der Austausch von Körperteilchen, mit denen Namibander wichtige Informationen an den Fühl- und Gesprächspartner weitergaben, war ihr ein besonderes Anliegen. »Du weißt, dass ich eigentlich keine Zeit für dich habe«, so begann sie wie so oft, »aber du bist derart geradlinig in allem, was du sagst und tust, dass es fast schmerzt. Ich möchte deinen Charakter ein wenig ändern.« »Wie bitte? Was soll denn an Geradlinigkeit falsch sein?« »Du könntest andere damit verletzen.« »Es hat sich bislang noch niemand bei mir beschwert.« »Weil du immer nur mit Männern zu tun hattest.« »Andere Frauen reden ohnehin nicht mit mir und schon gar nicht, seitdem du wie zähestes Hoa an mir hängst.« »Das wäre ja noch schöner, dass du mit
einer anderen herumfranselst.« »Dann gibt es ohnehin niemanden, den ich verletzen könnte!« »Also nein!« Empört stieß sie eine winzig kleine Gasblase der Entrüstung aus, die sich wie ein Klumpen im Ee hielt und irgendwann von den Mitgliedern der stets aufmerksamen Flussreinigung entfernt werden würde. »Und was ist mit mir?« »Was soll mit dir sein?« »Du fransenloser Partutz, du dauergeblähter Kantenlecker, du schlabbriger Flachtaucher, du …« Girlian bewies, obwohl sie dafür eigentlich keine Zeit hatte, enormes Stehvermögen beim Fluchen und einen überaus ausgeprägten Wortschatz. Eine Epse lang verfolgte sie ihn, wohin er auch tauchte und franselte, fuhr über ihn hinweg, stellte sich ihm in den Weg, ließ ihn mit schmerzhaften Griffen ihre Wut spüren. Schlussendlich krümmte sie sich müde zusammen und legte ihm ein Körperteilchen an seinen Fransenrand. »Sosehr du dich auch dumm stellst und dagegen wehrst«, so glaubte er zu verstehen, »du wirst irgendwann zu meinen Kettenpartnern gehören. Ob du es willst oder nicht. Ich weiß es, und keine Widerrede! So – und jetzt habe ich keine Zeit mehr für dich.« Girlian trieb davon und ließ ihn völlig verblüfft zurück. Darauf wäre er nie gekommen. Vielleicht stimmte es ja, dass er ein wenig neben der Strömung war. Denn er verstand die Frauen – beziehungsweise diese Frau – immer weniger.
6. Ich trieb auf Schmerzwellen dahin, im labilen Bereich zwischen Schlaf und Ohnmacht. Ab und zu erwachte ich von meinem eigenen Geschrei, verschwitzt und stinkend. Ich schaffte es, bei halbwegs klarem Kopf ein paar Entscheidungen zu treffen. Die DYS-116 hatte meine Erklärungen akzeptiert, dass ich aufgrund einer Krankheit derzeit nur bedingt handlungsfähig sei. Sie war
18 angewiesen, nur jene Befehle von mir zu befolgen, die logisch und in sich schlüssig klangen. Ich begab mich damit auf äußerst dünnes Eis, wusste allerdings keine bessere Lösung für mein Dilemma. Ich hatte den Gedanken lange genug verdrängt – doch nun musste ich mich der Wahrheit stellen: Wenn ich nicht bald eine Lösung fand, mit mir selbst ins Reine zu kommen, starb ich. Es gab keine Heilung für meine »Krankheit«. Ich alleine konnte sie besiegen – oder daran zugrunde gehen. Aber eine Entscheidung sollte keinesfalls an Bord dieses Raumschiffes fallen. Nicht hier, umgeben von fremden Dingen, denen ohnehin nur schlechte Erinnerungen anhafteten. Ich wollte Erde, Sand oder Stein unter meinen Füßen spüren, wenn es … wenn es so weit war. Kämpfe!, hörte ich das schwache Echo einer Stimme, die wohl meinem Extrasinn gehörte. Kurz erwachte mein Widerstandsgeist; ich war ein Arkonide, und ich war der Kristallprinz. Dutzende Ehrentitel und Beinamen hafteten mir an. Viele davon deuteten auf meine Beharrlichkeit hin, die manchmal auch als Stolz gedeutet wurde. Was war davon geblieben? Kaum etwas. Der Flammenstaub machte seinem Namen alle Ehre. Er fraß mich mit fiebrig heißem Feuer auf. Kein Leib und keine Seele war als Gefäß für ihn geeignet, wenn man die wunderlichen Rhoarxi außen vor ließ. Er brachte Schmerzen und viel schlimmer, er brachte Veränderungen. In manchen Augenblicken erkannte ich mich nicht wieder. Mit jeder Verwendung des Flammenstaubs, mit jedem Eingriff in die unendlichen Welten der Wahrscheinlichkeiten veränderte sich mein Charakter zum Schlechten. Ich hatte einen Weg betreten, der spiralförmig nach unten in einen Abgrund führte. Und ich konnte nicht mehr umkehren, so viel hatte ich während der letzten Tage einsehen müssen. »Wir haben das Zielgebiet erreicht«, durchbrach die DYS-116 meine von
Michael Marcus Thurner Schmerzwehen benebelten Gedanken. »Wie … meinst du?« »Der Planet, den du suchtest. Weitab von anderen, ohne intelligentes Leben, aber mit für dich erträglichen Verhältnissen.« »Wollte … ich das? Gut, gut …« Nach diesen Worten musste ich eingeschlafen sein; das fünffach überlagerte Bild des zentralen Holoschirms hatte sich verändert, als ich das nächste Mal darauf starrte. »… soll er heißen?« »Wie bitte?«, fragte ich verwirrt. »Der Planet hat bislang keinen Namen. Du musst ihm einen geben.« Das war absurd! Was kümmerte mich ein Name für diese Welt? Ich ließ mir Zeit mit einer Antwort. Gierig und mit zitternden Händen trank ich aus einem Wasserbecher. Die kühle Flüssigkeit tat gut und weckte in geringem Maße meinen Lebensgeister. »Ich nenne ihn ›Ende‹«, brachte ich schließlich hervor. »Ein seltsamer Name.« »Ich brauche keine nutzlosen Kommentare!«, brüllte ich mit rauem Hals. Trotz der Schmerzen tat es gut, sich Luft zu verschaffen. Am liebsten hätte ich … hätte ich … dieses verdammte Schiff samt seiner Syntronik in einen Klumpen aus Metall und Plaststoffen verwandelt und … Erschrocken hielt ich inne, lenkte meine Gedanken in ungefährlichere Gefilde. Beinahe hätte ich den tobenden Gelüsten in mir nachgegeben, den Flammenstaub genutzt – und für meinen Tod gesorgt. Nein, so dachte ich voll Ingrimm, wenn es denn sein soll, dann auf dem Boden dieser Welt. Stehend und mit jener Würde, die mir gebührt.
* Ich ließ mir die Daten von Ende viermal vorspielen. Nur allmählich sickerten die Informationen in meinen Geist ein. Der Planet war heiß, selbst für meine Bedürfnisse. Die Durchschnittstemperatur lag
Hauch des Todes an den Polgegenden bei 35 Grad Celsius, in Äquatornähe sogar weit darüber. Dicke Wolkendecken, ständig von statischen Entladungen erleuchtet, hingen über dampfenden Ozeanen, deren Wellen mit einer Höhe von zwanzig Metern oder mehr gegen karstiges Land schlugen. Die beiden Kontinente waren klein und von vulkanischer Tätigkeit in all ihren Ausprägungen beherrscht. In den Ozeanen hatte sich, so meinte zumindest die Syntronik der DYS-116, primitives Leben entwickelt, das in relativ kurzer Zeit, also nicht mehr als in ein paar zehntausend Jahren, das Festland erobern könnte. Der Atmosphäregehalt an Schwefel, Methan und Ammoniak würde mir das Atmen schwer machen. Ende befand sich mehr schlecht als recht in jenem schmalen biosphärischen Band, das Arkoniden ein Überleben erlaubte. »Es wird für meine Zwecke reichen«, hustete ich. Das Tuch vor meinem Mund färbte sich rot von Blut. Achtlos warf ich es beiseite. Der weiß eingepackte Planet und seine gelbe Sonne wirbelten heran, ohne dass ich sonderlich darauf achtete. Mein ZaqoorSchiff gestaltete die Annäherung automatisch. Bis wir landeten, starrte ich untätig vor mich hin und bemühte mich, die chaotische, brodelnde Hexenküche in mir im Zaum zu halten. »Du kannst aussteigen«, sagte die Schiffssyntronik schließlich. »Wie soll ich mich weiter verhalten?« »Du wartest«, wies ich sie an, während ich meinen Schutzanzug überprüfte. Meine Hände zitterten so sehr, dass ich kaum die notwendigen Handgriffe absolvieren konnte. »Wie lange soll ich warten?«, bohrte die DYS-116 mit der Langmut einer Maschine nach. »Bis ich wiederkehre.« »Und wenn du nicht zurückkommst?« »Du wartest.« Ich hatte keinen Plan, wie ich weiter mit dem Schiff verfahren sollte.
19 Meine Gedanken verwirrten sich. Es wollte mir keine vernünftige Anweisung einfallen. Ich stützte mich aus meinem Sessel hoch, blickte mich ein letztes Mal um und trat in die Schleuse. Die DYS-116 spuckte mich förmlich aus, als wollte sie mich nicht mehr an Bord haben, und ich tat einen ersten Schritt in die Hölle.
7. Lange Zeit beschäftigte sich Admal mit unterschiedlichstem Fransenwerk. Seine genetischen Veranlagungen machten ihn zum Allrounder, der in keinem Fachgebiet sonderlich gute Leistungen erbringen würde. Ein Großteil der Namibander vereinte fachspezifisches Erbgut in sich, das ihn für einen bestimmten Arbeitsbereich prädestinierte. Oblohn Schwartensteinaus-dem-Hauen zum Beispiel, ein schweigsamer und fast ausschließlich auf seine Tätigkeit konzentrierter Strömungsleiter, »beerbte« mehr als zwanzig Väter, die dieselbe Tätigkeit ausübten oder ausgeübt hatten. Er kam kaum zur Ruhe. Überall und nirgends war er anzutreffen, trieb im Genf umher, durchmaß den Wohn- und Lebensbereich ihres Volkes mit kräftigen Fransenschlägen und erfühlte die Flüsse des Ee und des Hoa mit all seinen Sinnen. »Wann ruhst du dich jemals aus?«, fragte ihn Admal, als er Oblohn während einer seiner Routinewege ein Stückchen begleitete. »Ist nicht notwendig«, erwiderte der Strömungsleiter. Er flosselte währenddessen vorsichtig vor sich hin, schmeckte schnuppernd nach den Gravitationslinien und erschnüffelte etwaige Temperaturveränderungen. »Aber jedermann benötigt eine Erholungszeit. Sonst zerfällst du irgendwann oder vergisst, dich zu entladen.« »Zerfallen müssen wir alle«, kam die lakonische Antwort. »Und meine Arbeit muss getan werden. Wir sind ohnehin viel zu wenige.«
20 Da war sie, die Unsicherheit. Das Gefühl, nicht vollständig zu sein und irgendwann einen Teil des Volkes verloren zu haben. Admal spürte dasselbe ungreifbare Gefühl in sich selbst heranwachsen, während Oblohn diese bedrohlich klingenden Wörter aussprach. Sie waren früher mehr gewesen … Die kollektive Erinnerung seiner Väter und Vorväter sprach an, erzählte vom »Tag der Zerfransung«. Als das komplizierte Höhlen- und Wohnsystem aufgrund der Unachtsamkeit eines einzigen Tunnelmeisters in sich zusammengebrochen war. Tausende ihrer Landsleute waren damals umgekommen. Ein überraschender Erdstoß, dessen Entstehung nicht schnell genug gemeldet worden war, hatte Gänge zerstört und Kavernen zum Einsturz gebracht. Den in der Folge aufgetretenen erbarmungslosen Starkströmungen waren vor allem die Unerfahrenen und Schwachen zum Opfer gefallen. Und letztendlich war die so genannte Große Tangente, der wichtigste Reisetunnel ihres komplexen Lebensraumes, in sich kollidiert. Seitdem fehlte Admals Volk die Zugangsmöglichkeit zum »Bauch« des namibandischen Stadtlandes. Einem Teil ihres weitläufigen Siedlungsgebietes, in dem die heißen Quellen sprudelten, prickelndes Ee entsprang und die Felskrusten außerordentlich stabil waren. Vermutlich lebte dort auch heute noch ein Drittel aller Namibander getrennt von ihnen. Sie waren in den kollektiven Erinnerungen Admals und seiner Landsleute nach wie vor präsent, aber sosehr er sich auch bemühte, er konnte nicht sagen, wie sie sich eigentlich anspürten. Und Spüren war das Wesentliche ihrer Zivilisation. »Wir werden sie wiederfinden«, franselte Admal seinem so schweigsamen Freund zu. »Das werden wir«, bestätigte Oblohn ohne besonderen Nachdruck. »Wir werden dann ein Fest feiern, wie es das Volk noch nie erlebt hat.« Sie verabschiedeten sich voneinander. Admal ließ sich weitertreiben, ohne Weg
Michael Marcus Thurner und Ziel. Manchmal unterhielt er sich mit seinen Artgenossen, erkundigte sich, wie sie sich fühlten, fragte nach ihren Arbeiten. Er kommunizierte mit anderen Tunnelmeistern, Raumschneidern, Strömungsleitern, Kantenwächtern, Regelwerkern, Genfspülern. Sie alle wirkten geschäftig und völlig auf ihre Aufgaben konzentriert. Was für ein Unterschied zu den Philosophen, die in ihren tiefen Höhlen schwebten und sich hingebungsvoll theoretischen Erkenntnissen widmeten! Hier, in den belebtesten Gebieten, herrschte unglaubliche Hektik, die vollkommene Aufmerksamkeit erforderte. Admal horchte in sich hinein. Seine Sinne, seit geraumer Zeit vollends erwacht, erzeugten zwiespältige Gefühle. Einerseits hätte er am liebsten gleich mit angepackt, um den fleißigen und arbeitsamen Männern zu den Fransen zu gehen. Andererseits zog es ihn in die Stille und relative Einsamkeit der Denker und Lenker, um dort Entscheidendes zur Gesundung der Namibander beizutragen. Ja. Zur Gesundung. Denn jeder Gedanke, so hatte er mittlerweile festgestellt, drehte sich eigentlich um die Wiedervereinigung ihres Volkes. Es musste unbedingt eine Ausweichroute zur Großen Tangente gefunden werden, um in den Bauch hinabzugelangen. Sonst würden sie über kurz oder lang ihren Lebenswillen verlieren, hinauftreiben zur Großen Leere und dort ihr Leben kollektiv beenden.
* »Du bist nicht sehr entschlussfreudig«, stellte Girlian entschieden fest. »Seit Ewigkeiten schon flosselst du ohne Ziel umher und weißt nicht, welche Arbeit du tun sollst. Und da ich nur wenig Zeit zur Verfügung habe, weiß ich, wie lange eine Ewigkeit andauern kann.« »Ich bin das Produkt meiner Eltern«, verteidigte sich Admal schwach. »Es zieht mich mal hierhin, mal dahin. Ich könnte zwanzig oder dreißig Berufe ausüben – und in kei-
Hauch des Todes nem besonders gut sein.« »Immerhin bist du im Zeitverschwenden meisterlich.« »Spar dir deine Scherze, Girlian! Ich weiß gar nicht, warum ich dein lächerliches Gefransle auf Dauer erdulde.« »Weil du mir gehörst. Irgendwann einmal werden wir uns paaren. Ich freu mich schon darauf.« Admal schreckte vor der brutal ehrlichen Frau eine Fransenbreit zurück. »Du bist … pervers«, teilte er ihr entrüstet mit. »Wie kann man nur so offen von einer Vereinigung sprechen!« »Ich bin eine Frau. Eine Frau darf das.« Dies war eines der Totschlag-Argumente, die Girlian im Laufe ihrer Zusammenkünfte immer wieder und gerne anwandte. Es gab einfach kein Beikommen. Mit ihrer naturgegebenen Sonderstellung hob sie sich ab. Niemals verließ sie die heißen Diskussionen als Verliererin. Admal wechselte abrupt das Thema. »Du bist eigentlich die einzige Frau, der ich jemals begegnet bin. Wo sind denn die anderen?« »Ach – die sind alle ganz schön begaselt.« Mit rollenden Bewegungen ihrer Randfransen zeigte Girlian ihren Widerwillen, während sie weitersprach. »Es gibt ohnehin nicht allzu viele von uns, und wir gehen uns so weit wie möglich aus dem Weg. Außerdem habe ich eh nie Zeit für einen Plausch.« »Wenn sie dich meiden, dann wundert mich das nicht. Dennoch: Ich bin wahrscheinlich mehr als du in allen Teilen des Stadtlandes unterwegs, und ich hätte längst eine deiner Geschlechtsgenossinnen treffen müssen.« »Deine Sinne sind offensichtlich derart schlecht ausgeprägt, dass du sie selbst nicht bemerktest, wenn sie dich im Doppelpack mit sich nähmen.« »Und warum erkenne ich dich dann fünfzig Sabis gegen die Strömung? Gibst du damit zu, dass du stinkst?« Girlian fasste ihn fest, fast schmerzhaft an und stieß ihn entrüstet eine Körperlänge von
21 sich. »Kein Feingefühl habt ihr Männer! Es ist mit euch allen dasselbe! Muss man dir und deinen hohlgasigen Artgenossen denn alles genau erklären, bevor ihr kapiert?« »Wie? Ich verstehe nicht. Was hab ich denn gesagt …?« »Ach – vergiss es! Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich dir eine Lektion erteilen, dass dir Riechen und Fransein verginge.« »Verdammt – jetzt sei doch nicht so! Woher soll ich denn das alles wissen? In den Erinnerungen meiner Väter gibt es kaum Informationen über euch Frauen. Es ist, als wärt ihr bloß Geister, die für eine Zeit lang das Leben eines jeden Mannes teilen und schließlich irgendwann spurlos verschwinden.« Girlian ließ ihre Fransen schlaff hängen und bewegte sich lediglich müde gegen den sanften Strom des etwas zu kühlen Ee. Schließlich raffte sie sich doch zu einer Antwort auf. Admal konnte spüren, wie schwer es ihr fiel. »Du weißt gar nicht, wie nahe du der Wahrheit kommst, du lecker Gasblaserich. Vorerst sag ich dir nur so viel: Du wirst niemals in deinem Leben einer anderen Frau begegnen. Ich habe dich als mein Eigentum markiert. Niemand darf dich mir abspenstig machen.«
* Die Große Tangente war lange Zeit eine Baustelle gewesen, in der man vergeblich versucht hatte, einen neuerlichen Durchbruch zum Bauch zu schaffen. Doch jegliche Hoffnung war vergebens gewesen. Nicht nur der riesige Tunnel an sich war zusammengebrochen. In diesem thermisch und bruchtechnisch hochaktiven Teil des Stadtlandes war kein Stein auf dem anderen geblieben. Die Strömungen hatten sich ebenso verändert wie die Struktur des Gesteins, die Kraftlinien, Geschmack und Geruch der Felsen. Admal fühlte sich wie auch alle anderen Namibander in diesem Grenzbereich von sei-
22 nen Sinnen überfordert. Er durfte nicht allzu lange hier bleiben. Seine Empfindungen spielten ihm sonst gefährliche Streiche. Mehr als einmal war er Hunderte Sabis entfernt wieder zu sich gekommen, voll gefüllt mit schwärendem Gas und instinktiv in abwehrender Position zusammengerollt. Dies hier war lebensgefährdendes Gebiet, in dem es einfach kein Vorwärtskommen mehr gab. Immer wieder probierten es Arbeitstrupps, stürzten sich in größeren Gruppen und mit fatalistischem Todesmut in den nur noch rudimentär vorhandenen Tunnel. Viele kamen nicht mehr zurück, noch mehr wurden wahnsinnig und zuckten nunmehr in abgesonderten Höhlen sinnlos vor sich hin. »Es muss einen anderen Weg geben«, behauptete Admal während einer der unzähligen Besprechungen, denen er sich anschloss. »Wir dürfen nicht immer wieder stur dasselbe versuchen. Suchen wir nach Alternativen …« »Und wie, bitte schön?«, fragte ein Namibander, der im Verbundteppich anonym bleiben wollte. »Wir spüren es doch alle, dass es hinter der Großen Tangente weitergeht. Nur, sobald wir uns dem … dem … eingestürzten Stück nähern, versagen uns die Sinne den Dienst. Ich behaupte, dass wir uns lediglich in der Masse einen Weg hindurchgraben können. Es muss eine Anstrengung des gesamten Volkes sein. Hunderte, Tausende, ja Zehntausende müssen sich versammeln, zu allem entschlossen; dann beginnen wir zu bohren und zu graben, schieben die Unentschlossenen und Verwirrten nach vorne, bis wir das Ziel erreicht haben …« »Was du da forderst, kommt einem Massenmord gleich!«, franselte Admal erschrocken zurück. »Es wäre auch nichts gewonnen. Mir graut vor der Vorstellung, dass wir die wahnsinnig Gewordenen vor uns hertreiben, in das Tote Gebiet hinein, und von ihnen erwarten, dass sie graben und wühlen. Das kann nicht dein Ernst sein!« Er erhielt keine Antwort. Nervöse Spannung machte sich im Diskussionsteppich
Michael Marcus Thurner breit. Das Thema war bereits zu oft durchdiskutiert worden. Nicht nur von Admal und den hier Anwesenden, sondern auch von unzähligen Generationen davor. Wir sind beschränkt, dachte Admal verärgert und erschrocken zugleich. Es fällt uns schwer, neue Wege einzuschlagen. Wir erledigen zeitlebens Routinearbeiten, entwickeln aber – außer auf den Gebieten philosophischen Denkens – kaum neue Ideen. Was ist es nur, das uns fehlt? Mir ist, als könnte ich die Lösung jeden Moment greifen – und dann gleitet sie mir doch zwischen den Fransen hindurch … Admal löste sich aus dem Teppich und ließ sich zum Gasablassen zur Großen Leere hinauftragen. Die Strömungen waren günstig um diese Zeit. Die Höhlenwächter signalisierten wenig Unruhe im Ee, er kam zügig vorwärts. »Immer wenn ich keine Zeit habe, läufst du mir über den Weg«, vermittelte eine bekannte Gestalt. Girlian hielt sich an ihm fest. Genüsslich ließ sie sich von ihm weiterziehen. Er hasste das, und sie wusste es. »Es ist eine schöne Zeit, nicht wahr? Ich habe das Treibenlassen selten so genossen wie jetzt. Das Ee, es fühlt sich so weich, so sanft an … Ich würde mich am liebsten jetzt gleich paaren.« »Bist du verrückt geworden?« Erschrocken faltete er seinen Leib zusammen und schob ihre Fühlfransen so weit wie möglich von sich. »Ich habe momentan ganz andere Sorgen als deine Fortpflanzungsbegierden. Schlag dir das gefälligst aus deinen schmutzigen Gedanken!« »Benimm dich nicht so zickig, mein Bester! War ja nur ein kleiner Scherz. Aber du solltest darauf gefasst sein, dass der Moment, da ich nach dir und den anderen verlange, jederzeit kommen kann. Glaub mir – ihr Männer habt keinerlei Einfluss darauf, wann und wo ich will.« »Warum willst du mich unbedingt bei deiner Fortpflanzungskette dabeihaben?«, fragte Admal, während er verzweifelt versuchte,
Hauch des Todes der Umklammerung Girlians zu entkommen. »Ich bin jung. Ich habe wenig Erfahrung. Ich habe keine Ahnung, was einmal aus mir wird. Was willst du also mit mir anfangen?« »Du hast Großes in dir«, franselte sie sanft, aber unbarmherzig. »Ich spüre, dass du unser aller Leben beeinflussen kannst. Und wenn es so weit ist, werde ich an deiner Seite sein.« Sosehr sich Admal auch wehrte – sie bewegte sich wesentlich geschickter als er durch das Genf und blieb stets auf seiner Höhe. »Ich werde dich nie verstehen«, blubberte er überfüllt, während er in eine kleine Zwischenhöhle trieb. Die Nahrungsgase machten sich unangenehm in ihm bemerkbar. Der Entladungsprozess an der Großen Leere war keine Sache, die man von einem Moment zum anderen perfekt beherrschte. Nach wie vor schied er unmäßig und unkontrolliert aus, so dass er meist für eine halbe Epse in Einzelteile zerlegt blieb. Insgeheim war es Admal nicht unrecht, Girlian an seiner Seite zu wissen. Sie konnte ihm vielleicht bei einer rascheren Zusammensetzung helfen. »Ich gebe dir einen Vorgeschmack, wie es sein wird, dich mit mir zu verbinden«, sagte sie plötzlich mit einer erschreckenden Mischung aus Zärtlichkeit und Gier. Sie legte sich zur Gänze an seine empfindliche Unterseite, streichelte und kitzelte ihn, während sein Drang zur Entladung immer größer wurde. »Lass es bleiben!« Mit aller Kraft versuchte er, sich von ihr zu lösen, ihrer Umarmung zu entkommen – und schaffte es nicht. Ihre Berührungen sprachen Empfindungen an, die tief in ihm steckten. Wunderfransige, grauenvolle, herrliche, erschreckende, Panik erzeugende Gefühle. Admal blieb steinstarr und ließ es geschehen. Es traf ihn wie ein Schock. Er war bislang … nicht ganz gewesen! Erst durch Girlians Berührungen wurde er in eine neue Welt gehievt, die nichts mehr mit dem Einerlei des
23 Genf zu tun hatte. Sie war so bunt und so schillernd, dass er sich am liebsten auf die doppelte Länge ausgestreckt hätte und … »Na – wie fühlt sich das an?« »Nicht aufhören!«, bettelte er und presste ihren Leib fest an sich. »Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Es ist so schön, dass es schmerzt.« »Nicht wahr? Schade, dass ich nicht mehr Zeit habe …« »Bleib doch! Bitte!« Vergeblich kämpfte sein schmerzhaft aufgeblähter Körper gegen den ihren an. Sie löste sich von ihm. Girlian bewegte sich geschickter als jeder andere Namibander, dem er jemals begegnet war. Binnen weniger Augenblicke hatte sie sich befreit. Lediglich Duft und Geschmack nach unglaublicher Hitze blieben an ihm haften. »Ich habe gesagt, dass ich dir nur einen Vorgeschmack geben werde. Kannst du dir vorstellen, wie es sich bei einer richtigen Kettenvereinigung anfühlen wird?« »Wann willst du es machen? Sag mir, dass es bald sein wird. Du willst es doch auch, das kann ich spüren. Warum sollen wir warten?« Erneut wehrte sie seine begierig ausgestreckten Fransen ab und zog sich noch weiter zurück. Nur die längsten Spitzen ihres Körpers berührten ihn nun. »Geduld. Irgendwann kommt der richtige Moment.« Schwer unterdrückte Sehnsucht klang in ihren Berührungen mit. »Ich … ich weiß auch nicht, wann es so weit sein wird. Es liegt außerhalb meiner Kontrolle.« Eine letzte flüchtige Berührung, sanft und zärtlich, und fort war sie. Girlian, seine Frau. Girlian, die Wundervolle.
* Zeit verging. Admals Erfahrungsschatz wuchs weiter an. Es stand für ihn fest, dass er weder für körperliche Tätigkeit noch für trockene Denkarbeit geeignet war. Er kümmerte sich nicht weiter um die Stimmen, die ihn mittlerweile als »unnützen Taugenichts«
24 titulierten. Keinesfalls wollte er sich drängeln lassen. Stattdessen tauchte er überall und nirgends auf, stets unruhig und quirlig – und meist mit einer Vielzahl lästiger Fragen im Gepäck. Einige Namibander hassten ihn aufgrund seiner Beharrlichkeit. Admal ignorierte sie. Ein Teppich voll Gedankenfransen hatte sich in ihm gesammelt. Dies war Wissen, das er aus allen Höhlen und Kavernen zusammengetragen hatte und das irgendwann einen Sinn ergeben würde. Er musste nur noch in Erfahrung bringen, welchen. Das Grübeln und Sinnieren fiel ihm manchmal gehörig schwer. Girlian ging ihm nur selten aus dem Sinn. Seine Fransenspitzen waren bis zum Gehtnichtmehr angespannt, wenn er nur an sie dachte. Jede Begegnung mit seiner Frau war von Hoffen und Bangen geprägt. Irgendwann musste es doch endlich so weit sein, dass sie eine Befruchtungskette befahl! »Sie fränselt uns!«, behauptete Oblohn Schwartenstein-aus-dem-Hauen, der mittlerweile zu seinem kleinen Freundeskreis zählte. Und, wie das Schicksal so spielte, gemeinsam mit 18 weiteren Namibandern zu Girlians Auserwählten gehörte. »Natürlich tut sie das«, klagte Admal. »Ich verstehe bloß nicht, warum wir uns ihr nicht entziehen können. Ich habe sogar eine Radikalkur ausprobiert, um sie zu vergessen. Eine Epse lang habe ich mich gegen HoaFels geschmissen, immer wieder, bis jede einzelne Franse schmerzte.« »Und?« »Fehlanzeige. Ich konnte mich epsenlang nicht bewegen, aber in meinen Gedanken sah ich, wie sie mich streichelte und versorgte.« »Ein verfluchtes Weib ist das! So hartnäckig, dass sie uns nicht einmal in unseren Träumen alleine lässt.« »Ich hasse sie!« »Ich auch.« Sie schwiegen lange und trieben reglos nebeneinander her, bis sie Oblohns neueste
Michael Marcus Thurner Arbeitsstätte erreicht hatten. »Wann siehst du Girlian wieder?«, fragte Admal schließlich. »Hoffentlich nach meiner Schicht.« »So ein verfluchtes Weib.« »Ja. Verflucht ist sie.« Admal ließ seinen Kumpan alleine und trieb ohne Sinn und Zweck davon. Er gab sich den Strömungen hin, genoss kleine Verwirbelungen und musste nur gelegentlich größeren Hoa-Brocken ausweichen. Seit geraumer Zeit war das Genf besonders friedlich. So ruhig, dass die erfahrenen Strömungsbeobachter bereits nervös wurden. Ein schmäler werdender Strom zog ihn durch eine Kette enger Kavernen, die lediglich als Durchgänge dienten. Hier war kein Platz für Behausungen oder Ruhestätten. Mehrere Namibander eines Arbeitstrupps hielten sich beharrlich an den Felsseiten fest und klaubten unbeeindruckt von der heftigen Strömung Brocken aus den Wänden. Drei kräftig gebaute Männer zogen das Gestein an ihren Leib und ließen sich davontreiben, hinauf zur Großen Leere, wo sie es entsorgten. So würde hier in absehbarer Zeit ein breiter, bequemer Durchfluss entstehen, in dem vier oder fünf Namibander nebeneinander dahinflosseln konnten. Admal passierte geschickt die schmale Stelle, ohne sich den Körper anzuschlagen. Gleich dahinter gabelte sich die Strömung. Ee führte tiefer hinab. Dorthin, wo Hunderte Ruhekavernen müde Arbeiter aufnahmen, um sie nach ein oder zwei Epsen der Entspannung wieder auszuspucken. Admal nahm den anderen, unsauberen Weg. Hoa-Brocken, scharf und kantig, kamen ihm träge entgegen. Mit kräftigem Körperschlag musste er gegen mehrere Wirbel ankämpfen. Hier war er noch nie gewesen. In Gedanken versunken reiste er dahin. Nur beiläufig registrierte er, dass der Strom der Namibander immer geringer wurde und schließlich endete. Erschrocken blieb er stehen. Die magnetischen Kraftlinien hatten fast vollends nachgelassen! Nur noch ein Hauch
Hauch des Todes war von ihnen zu spüren. Beängstigend wenig und gerade so viel, dass er seine Orientierung behielt. »Furchterregend, nicht wahr?« Erschrocken zog er seinen Körper zusammen. »Was hast du hier zu suchen, Girlian?«, fragte er nach geraumer Zeit. Teilweise verärgert, teilweise glücklich; wie immer, wenn er mit seiner Frau allein sein durfte. »Ich komme oft hierher«, gab sie knapp zur Antwort. »Man nennt dieses Gebiet das ›Ruheland‹. Ich genieße die Treibstille, der man hier ausgesetzt ist.« »Ich dachte, du hättest keine Zeit für Vergnügungen?« »Die Ruhe ist schrecklich, und dennoch gibt es nichts Schöneres als diesen Ort«, fuhr sie fort, ohne auf seine Worte einzugehen. »Die Erinnerung einer meiner Vorfahren hat mir den Weg hierher gezeigt.« Sie drehte sich scheinbar willkürlich im Kreis und zog ihn dabei mit sich. Admal wirbelte hilflos umher, berührte glatten Fels, geriet in unterschiedlichste Hitzeströmungen. »Hör auf!« Er drückte sich, so fest er konnte, gegen ihren Leib. Panisch löste er eine Informationsfranse und drückte sie ihr entgegen. Es war dies ein Hilfeschrei, eindringlich und nicht zu überspüren. Endlich ließ sie ihn los. Admal fühlte sich davongeschleudert, ins Nichts hinein, in dem es kein Oben und Unten gab. Keine Kraftlinien, keine Anziehung in irgendeine Richtung, keine unterschiedlichen Geschmäcker. Was hatte die Wahnsinnige getan? Er verlor die Orientierung, griff vergebens nach allen Richtungen, sandte weitere Informationsflecken und -fransen aus in der Hoffnung, dass einer davon Girlian treffen würde … Admal prallte auf Fels, glatt und griffig. Er erinnerte ihn an eine andere Stelle des Stadtlandes. Girlian packte ihn plötzlich und setzte seinen unkontrollierten Treibbewegungen mit mehreren ruhigen Griffen ein Ende. »Ist
25 schon gut, Admal, ich bin ja da.« Die Panik hielt ihn fest im Griff. »Wir werden hier sterben! Ich spüre nichts mehr; wir sind im Bodenlosen. Ist dies etwa die Große Leere? So tu doch etwas, du verrücktes Weibsstück …« »Ganz ruhig.« Ihre Fransen wurden steinhart, als sie ihn mit sich zerrte. »Ich weiß, was zu tun ist.« Unter Schmerzen befolgte er ihren Rat. Er ließ seinen Körper hängen und hoffte, dass Girlian tatsächlich wusste, wie sie vorzugehen hatte. Nach geraumer Zeit kehrten Admals Sinne zurück. Schwach und vage fühlte er Kraftlinien. Sie gaben ihm ein ausreichendes Gefühl der Sicherheit und beruhigten seine aufgebrachten Nerven. Girlian ließ ihn behutsam los. Er stieß sich ab und ertastete eine kantige Felsformation, die schmerzend über seine Oberfläche rieb. Doch diese Pein war immer noch besser als das Bewusstsein, der Unberechenbarkeit seiner Frau ausgesetzt zu sein. »Was hast du dir bloß dabei gedacht?«, fuhr er sie wütend an, als sie sich schließlich näherte. »Es tut mir Leid«, franselte sie schuldbewusst zurück. »Ich dachte, du würdest die Kraftlinien noch spüren.« »Mitten im Nichts? Machst du Scherze?« »Nein. Ich vergaß, dass ihr Männer bei weitem nicht so empfindlich seid wie ich.« »Du kannst mir nicht weismachen, dass du dort draußen noch wusstest, wo vorne, hinten, oben oder unten war!« Girlian trieb ihn mit ihren Angebereien noch in den Wahnsinn! »Die Kräfte sind hier schwächer, das stimmt«, gab sie unumwunden zu. »Aber ich habe keineswegs die Orientierung verloren.« »Das glaube ich dir nicht!« »Ich bin eine Frau«, empörte sie sich. »Glaubst du denn, wir sind lediglich dazu da, um mit euch Nachkommen zu zeugen?« »Na ja … öhm … eigentlich …« »Oh, du stumpfster aller Hoa-Brocken!« Peitschend hieb sie ihm über den Mittelteil
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seines Leibs, so dass es ihn beinahe erneut fortriss. »In uns steckt viel mehr als ein paar Pheromone, Hormone oder sexuelle Begierde; das lass dir ein für alle Mal gesagt sein.« »Da hast du Recht«, schnappte er, nach wie vor außer sich. »Darüber hinaus kommst du wie eine Naturkatastrophe über uns Männer. Jedes Mal, wenn wir beide zusammentreffen, bringst du mich so in Rage, dass ich nicht mehr weiß, wie ich heiße. Und ich habe mir sagen lassen, dass es auch anderen so geht.« »Jetzt hör einmal zu, du zerflauster Flatterteppich! Ohne mich hättest du das Stadtland gar nicht richtig kennen gelernt. Sei dankbar, dass ich dich ab und zu anstupse und dir den richtigen Weg in deiner Entwicklung zeige.« »Du hast mich also in die Mitte eines riesengroßen Nichts geschmissen, damit ich ›meine Fähigkeiten entfalten kann‹? Nein danke – auf diese Hilfestellung kann ich gut und gerne verzichten. Die Breiten Höhlen mögen zusammenbrechen, bevor ich noch einmal mit dir zusammentreffen will, du … du …« Und ein fernes Grollen, unheilbringend heftig am und im Fels zu spüren, kündete davon, dass die Breiten Höhlen tatsächlich einbrachen.
8. Ich entfernte mich so rasch wie möglich von der DYS-116. Ungeduldig wartete ich die zusätzliche Überprüfung meines Schutzanzuges ab, bevor ich den golden beschichteten Helm nach hinten schob und die Luft des Planeten einatmete. Gleich darauf wünschte ich, es nicht getan zu haben! Glühend heiße Luft, stickig und feucht, strich über mein Gesicht. Sie stank bestialisch nach Schwefel und scharfem Reinigungsmittel; ätzender Geschmack sammelte sich augenblicklich in meinem Mundraum. Ich musste flach und rasch atmen, um ausreichend Sauerstoff in meine Lungen pum-
pen zu können. Alles eine Sache der Gewöhnung, sagte ich mir und blieb stehen. Die Umstellung dauert sicherlich nur ein paar Minuten. Ich nahm mir die Zeit. Keinesfalls wollte ich mit geschlossenem Raumanzug über Ende stiefeln. Tatsächlich beruhigte sich meine Atmung nach geraumer Zeit. Arkoniden sind schließlich für ihre Anpassungsfähigkeit bekannt. Der ungewohnt niedrige Luftdruck bereitete mir bald keine Probleme mehr; den üblen Gestank hatte ich noch viel schneller vergessen. Erstmals blickte ich mich bewusst um. Die DYS-116 hatte mich auf einer kleinen Landzunge abgesetzt. Wenige hundert Meter entfernt brachen gewaltige Wasserkämme über dunkle Felsen. Der stürmische Wind aus Meeresrichtung führte nicht den erwarteten Geschmack nach Salz mit sich. Vielmehr vermeinte ich, Ozon zu riechen – was natürlich Unsinn war. Bestenfalls waren es meine oxidierten Nasenschleimhäute, die von dem hochreaktiven Gas über alle Maße gereizt wurden. Hundertfach verästelte Blitze schlugen gegen den dunkelroten Hintergrund ins Wasser. Die hochstehende Sonne war nur anhand einer etwas helleren Wolkenbank zu erkennen. Wahrscheinlich durchdrang sie den Nebel nur in den seltensten Fällen. »Wo hast du mich abgesetzt?«, fragte ich über Funk die DYS-116. Ich unterdrückte einen Fluch über mein Fehlverhalten. Dies und viele andere Fragen zu den Bedingungen auf Ende gingen mir erst jetzt, viel zu spät, durch den Kopf. Routinen, die mir über Jahrtausende in Fleisch und Blut übergegangen waren, hatten nicht gegriffen. »Eintausend Kilometer südlich des magnetischen Nordpols«, meldete sich der Schiffssyntron. »Ich achtete darauf, dass die Umweltbedingungen für deinen Metabolismus noch einigermaßen verträglich sind.« Ja. Einigermaßen war das richtige Wort. Ich spuckte ätzend schmeckenden Schleim auf den Boden.
Hauch des Todes »Brauchst du Unterstützung?«, fragte die DYS-116 nach. Mir schien, als klänge die Stimme lauernd. »Nein!«, krächzte ich ins Mikrofeld. »Du wartest gefälligst ab.« »Ich verstehe nicht ganz, auf was ich warten soll.« »Du wirst schon sehen!« Mit einem schwachen Hieb auf mein Handgelenk unterbrach ich die Verbindung. Es dauerte wiederum einige Sekunden, bis ich meine Atmung unter Kontrolle bekam. Jede körperliche Anstrengung zehrte an meinen Kraftreserven. Ein besonders kräftiger Brecher des dunklen, gischtenden Wassers fegte brüllend über die Felsbank hinweg, auf der ich stand. Für mich bestand zunächst keine Gefahr. Der Schutzanzug würde mich selbsttätig in Sicherheit bringen, sobald ich nicht ausreichend auf eine Bedrohung reagierte. Das Wasser umspülte meine Beine. Es trieb schleimige Pflanzen- oder Algenreste mit sich. »Wassertemperatur 36 Grad Celsius«, meldete die Positronik des Schutzanzugs. »Hoher Metallgehalt, hoher Ozon- und Sauerstoffgehalt, wenige gelöste Salze. Es ist nicht ratsam, größere Mengen der Flüssigkeit zu trinken.« Es war mir klar, dass die hohen Temperaturen von massiver unterseeischer Vulkanaktivität verursacht wurden. Nicht weit voraus blubberte es an der Wasseroberfläche. Ein gelblich roter Schaumteppich verteilte sich dort gleichmäßig über die dicke Wassersoße. Immer wieder wurden glühende Gesteinsbrocken mehrere Meter hoch in die Luft geschleudert, um bald darauf zischend zu versinken. Ein weiterer Wasserstoß schwappte auf mich zu, reichte rasch bis zum Knie. Das Wasser drang fast bis zur DYS-116 vor, bevor es sich wieder zurückzog. Die Strömung zerrte unbestimmt an meinen Beinen, als wollte sie mich davor warnen, hier allzu lange zu verweilen. Der Hustenanfall kam plötzlich, fast über-
27 fallartig. Ich krümmte mich, fiel auf die Knie, war plötzlich bis über den Hintern mit schäumendem Wasser bedeckt. Meine Lungen brannten, während ich mir speiend Erleichterung verschaffte. Schmerz im Schläfenbereich setzte mir zusätzlich zu. Ich spürte den leichten Einstichschmerz an der Pobacke und fühlte mich plötzlich hochgehoben. Der im Kragen eingerollte Helmwulst zog sich sekundenschnell nach vorne. Augenblicklich atmete ich sauberen, herrlich schmeckenden Sauerstoff. Mein Metabolismus reagierte auf die Schmerzspritze. Auch wenn sich meine körperliche Befindlichkeit nur für kurze Zeit verbessern würde, genoss ich es in vollen Zügen. Moment mal … so hatte ich es nicht gewollt! Die Anzugpositronik reagierte gemäß ihren Befehlen. Sie wollte mein Leben unter keinen Umständen gefährdet sehen. Doch die Hilfe des Anzugs störte mich bei meinem Unterfangen, so unvernünftig dies auch klang. Aus einer Höhe von fünfzig oder sechzig Metern blickte ich hinab auf den Ozean. An mehreren Stellen blubberte und kochte es. Überall schien Bewegung zu sein. Primitives Leben mochte dort unten gegen die elementaren Gewalten ankämpfen. Protozellen, Bakterien oder bereits höher entwickelte Organismen. Vielleicht warteten auch schon Gastropoden und Cephalopoden gut versteckt auf ihre Chance. Sie lauerten, um irgendwann, wenn sich die Meere einigermaßen beruhigt hatten, das Wasser zu verlassen und sich aufs Land vorzutasten. Die Analyse der DYS-116, dass es nur noch wenige tausend Jahre bis dahin dauern würde, erschien mir sehr gewagt. Seltsam schien lediglich, dass die Flora für die hiesigen Verhältnisse außerordentlich weit und gut entwickelt war. Über den Ozean schwappten breite Algenteppiche, an Land warteten riesige Urwaldflächen darauf, von der Tierwelt erobert zu werden. Ich seufzte. Die Entwicklung des Lebens ging stets
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mit der Langmut von Mutter Natur vor sich. Nur in verhältnismäßig wenigen Fällen griffen so genannte Höhere Mächte in dieses Spiel ein und streuten nach vorherbestimmten Plänen lebensbringende Sporen über Planeten aus. Wer wusste schon, wer hier wann seine Spuren hinterlassen hatte? Angewidert schüttelte ich meinen Kopf. Selbst jetzt, da ich eigentlich um mein Leben kämpfen sollte, lenkten mich Gedanken an kosmische Zusammenhänge ab. Ich übernahm die Kontrolle über die Flugaggregate und steuerte weiter landeinwärts. Der Schutzanzug ließ mich gewähren. Offensichtlich lag die Kurve meiner Vitalimpulse derzeit im Plus. Der Ozean, der sich von hier oben wie ein apokalyptisches Durcheinander verschiedener Rot-, Blau- und Grüntöne präsentierte, aus dem Labyrinthe an unterseeischen Felsgraten und -nadeln hervorstachen, verschwand rasch aus meinem Gesichtsfeld. Auch die DYS-116 blieb hinter mir. Mit weniger als dreißig Stundenkilometern flog ich an dampfenden Seen, abgerundeten Felsbänken und steil hochragenden Gesteinsformen vorbei. Es war eine Flucht, nichts anderes. Ich wollte das Zaqoor-Beiboot einfach nicht mehr sehen, wollte meinen Frieden haben. Ich durfte an nichts anderes mehr denken als mein Innerstes. An den Kampf, den ich auszufechten hatte. Der Plan, wie ich dem Flammenstaub beizukommen gedachte, stand. Und dafür benötigte ich alle Ruhe dieser Welt. Das Mittel ließ nach. Es sollten dies die letzten schmerzfreien Minuten meines Lebens gewesen sein.
* Ich wanderte über eine weite Ebene. Sie war von bizarr spitzen Felsnasen durchbrochen, die scheinbar vom Wind in eine Richtung gebeugt worden waren. Wie erstarrte Krieger ragten sie in den Himmel und warfen weiche, konturlose Schatten.
Es dämmerte. Die wenigen Sonnenstrahlen, die den Boden erreichten, färbten das Land rot und braun. Trugbilder narrten mich, erzeugt vom Flammenstaub. Ich sah doppelt oder dreifach. Schattierungen lösten sich scheinbar von meinem Körper. Als entfernten sich sterbende Wahrscheinlichkeiten von mir. Ratten, die das sinkende Schiff verließen. Ich lachte. Meine Stimme klang dünn und schrill in dieser Atmosphäre. Wo war der Extrasinn geblieben? In diesen Stunden benötigte ich ihn mehr als jemals zuvor. Es war mir, als verlöre mein Körper an Konsistenz. Alles fühlte sich seltsam weich und nachgiebig an. Der Schutzanzug hingegen, der mich umgab, war hart und spröde. Er passte nicht mehr zu mir. »Weg damit!«, schrie ich, und schlüpfte hastig daraus hervor. Die wenigen, normalerweise so vertrauten Handgriffe wollten mir einfach nicht gelingen. Ich zog, nestelte und zerrte, kämpfte gegen den ungewöhnlichen Widerstand an. Ein akustisches Signal erklang. Ich ignorierte das Geplapper der Positronik. Sie wollte mich »vor weiteren Gefahren warnen«, sprach von »Unverantwortlichkeit«, »Delirium« und »tendenzieller Unzurechnungsfähigkeit«. Sämtliche Einwände ignorierend, musste ich mehrmals nachjustieren, bis ich endlich die erforderliche Befehlsfolge in das Multigerät am linken Unterarm eingegeben hatte. Augenblicklich endete das nervige Gequäke. Wie eine tote Haut hing der Anzug nun an mir. Ich zog mir diese Haut vom Leib und ließ sie achtlos liegen. Die letzte Verbindung zu meinem früheren Leben war somit gekappt. Ein einzelner vernünftiger Gedanke befreite sich aus dem Chaos meiner Empfindungen. Du weißt nicht mehr, was du tust!, warnte die Stimme meines früheren, rationalen Ichs. Und ob ich das weiß!, gab ich mir selbst zur Antwort. Ich werde den Teufel mit dem
Hauch des Todes Beelzebub austreiben. Ich stolperte und taumelte weiter. Weg, nur weg von allem, was mich an meine Vergangenheit erinnerte. Ich konnte kaum noch etwas erkennen. Nein – es war keine Beeinträchtigung meiner Sehnerven; vielmehr sah ich zu gut! Jedes kleinste Detail, das ich erblickte, jeder Stein, jeder Wassertropfen, jede kristalline Form zerfiel augenblicklich in Fraktale. Die Bilder teilten und teilten sich bis auf die molekulare Ebene hinab. So in etwa muss uns eine Superintelligenz oder ein Kosmokrat wahrnehmen, flüsterte eine bösartige Stimme im Hintergrund meines Seins. Unbedeutend und klein, jenseits jeglichen bewussten Sinngehalts, aber dennoch gestochen scharf. Eine Idee kam mir in den Sinn; irrsinnig, aber faszinierend. Was wäre, wenn ich zurück zum Ozean marschierte und mich einfach hineinfallen ließ? Ich brauchte lediglich den Mund weit zu öffnen und zu schlucken, schlucken, schlucken … Mein Körper, von Parasiten in großen Mengen befallen, würde in seine Bestandteile zerfallen. Irgendwo im Himmel mochte das Bild einer Spiralgalaxis aufleuchten, zum Zeichen dafür, dass ein Zellaktivator-Träger gestorben wäre. Und im Meer, tief drunten, dort, wo mein Leib zerfiel, würde neues Leben entstehen. Aus totem Zellgewebe würden neue Kulturen und Verbindungen werden. Vielleicht hatte Ende auf mich gewartet? Möglicherweise war ich jener Katalysator oder jener Samen, aus dem irgendwann einmal intelligentes Dasein entspringen würde? Ein Volk, aus einem Arkoniden geboren … Das Lachen kam genauso stoßweise wie mein Atem. Die Bewegungen schmerzten immer mehr, seitdem die Unterstützung durch den Schutzanzug weggefallen war. Ich sollte mich ein wenig ausruhen. Vielleicht für ein paar Minuten hinlegen und darüber nachdenken, was ich hier eigentlich wollte. Ich plumpste zu Boden. Drei oder vier Blitze zuckten über den Horizont, während
29 ich die dahinziehenden Wolken betrachtete. Regen begann auf mich niederzuprasseln. Er schmeckte furchtbar bitter. Ich hasste ihn. Der Boden fühlte sich viel zu warm an. Ich hasste ihn ebenfalls. Ich machte, dass er nicht mehr so heiß war. Ich kühlte ihn ab. Weil. Ich. Es. Konnte.
9. »Die Breiten Höhlen!« Admals Fransen rollten sich vor Schreck ein. Mühsam unterdrückte er ein Körperflattern. »Ich kann es auch spüren!« Girlian legte sich über seinen Körper. Mehrere unmotiviert aus ihrem Körper losgelöste Fransenbotschaften trafen ihn schmerzhaft. Sie wirkte nervöser, als er sie jemals erlebt hatte. »Ich muss hin!« Admal kümmerte sich nicht weiter um die Frau. Plötzlich waren ihr Geruch und ihre Lockstoffe, mit denen sie ihn sonst zu verwirren wusste, nebensächlich geworden. Eine Katastrophe bahnte sich an, wie sie schlimmer nicht sein konnte. Die Breiten Höhlen machten mehr als 30 Prozent ihres gesamten Lebensraumes aus. Wenn dort die ihnen so gewohnte Ordnung verloren ging, sich die Kraftlinien veränderten und die Höhlen gar einbrachen, würde dies unabsehbare Folgen für die Namibander haben. »Was können wir tun?«, fragte Girlian, die ihm mit spürbarer Verwirrung folgte. »Wir sollten uns fern halten. Es gibt Spezialisten für Aufräumarbeiten nach Unfällen.« »Spezialisten – ja!«, gab Admal kurz angebunden zur Antwort. »Aber niemand macht sich die Mühe, die Dinge miteinander zu verknüpfen.« Er ließ die Botschaften über seine Außenfransen schwappen. Ganz ruhig und schwach, eigentlich für sich selbst und nicht für Girlian bestimmt. »Ursache und Wirkung«, setzte er grüblerisch hinzu. »Wirkung und Ursache.« »Ich verstehe nicht.«
30 »Ich auch noch nicht. Aber ich weiß, dass ich in die Breiten Höhlen muss.« Tatsächlich war es ein besonderer Drang, der ihn nach oben trieb. Druck baute sich in seinem Leib auf, durchaus vergleichbar mit einer besonders heftigen und schmerzhaften Gasblase – und doch ganz anders. Admal fühlte, dass er gebraucht wurde. Er flosselte sich mit all seiner Geschicklichkeit durch Ee- und Hoa-Linien. Zwischen Felswänden hindurch, die von zähklebrigem Genf nahezu miteinander verschweißt waren. Versteckte Schleichfurten entlang, mitten durch eine Philosophenkammer, in der mit äußerster Verärgerung auf seinen waghalsigen Kurs reagiert wurde. Kreuz und quer durch das Labyrinth ihres Stadtlandes, das er sich im Laufe seines Lebens, so gut es ging, eingeprägt hatte. Die unterste der Breiten Höhlen war erreicht. An den Zugängen herrschte schreckliches vibrierendes Geflatter, das sich über das Genf auf Admal übertrug. Die Namibander hier waren voll der Panik. Hunderte von ihnen wollten die Höhle gleichzeitig verlassen. Sie waren ineinander verschlungen. Ihre verwirrt tastenden Fransen verbanden sich mit denen anderer und bildeten in Angststarre einen undurchdringlichen Riesenteppich an Leibern. »Sie werden sich gegenseitig zerreißen!« Girlian war seinen raschen Körperschlagbewegungen nur mühsam gefolgt. Ihr Leib hob und senkte sich wellig vor Erschöpfung. »Wir probieren es an einem anderen Zugang.« Entschlossen flosselte Admal weiter. »Ich muss unbedingt in die Höhle hinein. Ich muss mir ansehen, was passiert ist. Ich muss …« Er hinterließ ihr keine weiteren Wortfransen und konzentrierte sich ganz auf die Strecke vor ihm. Kanten- und Tunnelwächter waren hier, in den schmalen Durchgangsbereichen, die die Breiten Höhlen umgaben, zugange. Sie alle wirkten verwirrt und wie gelähmt. Im Erinnerungsschatz ihrer Vorfahren gab es nur einen Vorfall von ähnlicher Tragweite, und auch damals hatten die
Michael Marcus Thurner Namibander nicht gewusst, wie sie reagieren sollten. Passierte hier ein zweiter »Tag der Zerfransung«? Würde sich die Katastrophe wiederholen und ihren ohnehin beschränkten Lebensraum endgültig zerstören? Der zweite Zugang zu den Breiten Höhlen war ebenso verstopft wie der dritte, vierte und fünfte. Überall knäulten sich die Namibander in- und übereinander. Wie lebende Hoa-Pfropfen versperrten sie die Zuflüsse. »Sie sterben!«, lamentierte Girlian. »Sie werden sich gegenseitig zerfetzen!« Admal spürte, wie ihn die Ereignisse zu überrinnen drohten. Er fühlte mit allen Fransen seines Körpers, dass er und niemand anders mit dieser Situation umgehen konnte. Hier wartete seine Bestimmung! Er musste in die erste der Breiten Höhlen hineingelangen, sich einen Überblick über die Geschehnisse verschaffen und dann eine Entscheidung treffen. Es blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Vor seinen Fransen wurde gestorben. Und hinter dem Felswerk, das die Breiten Höhlen umgab, fühlte er den Druck weiter wachsen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er sich irgendwo entladen würde. »Weg hier!«, franselte Girlian mit zunehmender Panik. »Wir müssen möglichst weit weg sein, wenn es passiert.« Sie zog und zerrte an ihm. »Wir dürfen uns hier nicht länger herumtreiben, sonst erwischt es uns …« »Begreifst du denn nicht, dass es kein Entkommen gibt?« Er erschrak vor seiner eigenen Heftigkeit. »Wenn die Breiten Höhlen hochgehen, ist es mit dem gesamten Stadtland vorbei. Reiß dich zusammen, Frau!« Sie schwieg, während sich ein weiteres Teilchen zu seinem Gedankenpuzzle fügte. »Du kannst den Namibandern bei den Ausgängen helfen!«, schlug er schließlich zögernd vor. »Ich? Ich blähe mich grad auf vor Angst! Wie kann ich in meinem Zustand jemandem helfen?« »Schwimm einfach hin und benimm dich, wie du es mir gegenüber immer machst!
Hauch des Todes Umgarne die Verknäulten, streichle sie, liebkose sie, beruhige sie. Sie werden sich entspannen – und deinen Wünschen folgen.« »Ich … ich kann diese Männer doch nicht auf Befehl erregen.« Unruhig trieb sie vor ihm auf und ab, während verzweifelt abgestoßene Fransen, die von Leid und Schmerz der ineinander verhangenen Namibander verkündeten, vorbeitrieben. Eine jede, die auf Admals Leib traf, ließ ihn zusammenzucken. »Du kannst es!« Er packte sie, schüttelte sie kräftig durch. »Du musst es können!« Er stieß sie vor sich her, auf den nächstgelegenen Leiberpfropfen zu. »Beruhige dich und hör mir gut zu«, vermittelte er möglichst ruhig. »Verlass dich auf deinen Instinkt. Lass es so geschehen, als würdest du mich oder Oblohn umgarnen.« Er streichelte sanft über ihre kratzige Oberseite. Allmählich entspannte sich ihr Leib, wurde glatter und griffiger. Ruhe kehrte in sie zurück – und diese seltsame Ausstrahlung, die ihn jedes Mal wieder in ihren Bann zog. Ein kräftig gebauter, nur noch leise franselnder Namibander hatte sich zu einer pervertierten Körperrundstellung verbogen und sich dabei um zwei andere Flüchtlinge gekrallt. Er hielt die beiden fest, zog sich immer fester um sie zusammen, als wolle er sie ganz einhüllen. »Es ist gut«, hörte Admal seine Frau beruhigend auf ihn einwirken. Ihr wunderschöner, praller und vor Erotik knisternder Leib strich mit unglaublicher Sanftheit über den Verknüllten hinweg. So leicht, so flaumig, dass lediglich der Hauch einer Berührung passierte. »Lass los«, flüsterte Girlian, »du bist in Sicherheit. Ich bin ja da, ich helfe dir …« Das Wunder geschah. So plötzlich, dass Admal erschrocken zurückfuhr. Der Verknüllte streckte sich, ließ die beiden anderen los. Diese wiederum schossen davon, wie vom wilden Hoa gestoßen, ließen die Gänge in Rekordzeit hinter sich. Das riesige Namibander-Knäuel verschob sich und lockerte sich ein wenig in seiner Struk-
31 tur. »Gut so«, franselte Admal Girlian zu. »Du machst das ausgezeichnet.« »Es ist widerlich!«, klagte die Frau. »Diese hier sind Männer, die sich weder gut anfühlen noch gut schmecken. Mir ist, als würde ich die Gasblasen eines anderen in mir aufnehmen.« »Aber du alleine kannst sie retten!« Erneut streichelte er sie beruhigend. »Ich bleibe so lange wie möglich bei dir. Denke nur an mich und an unsere gemeinsame Kette.« Girlian beutelte sich angewidert, berührte zweifelnd seinen Flachleib – und machte weiter. Es funktionierte. Je mehr Erfolg sie hatte, desto leichter fiel es ihr, die wildfremden Namibander anzufassen, zu streicheln, auf sie einzureden, sie zu entspannen. Mit einem letzten Schnalzer, dessen Vibrationen durch das Genf deutlich zu spüren waren, platzte der Leiberpfropfen. Die letzten Namibander trieben hastig zur Seite. Ein toter Fleckenteppich, der vielleicht einmal aus zehn oder zwölf Mitgliedern ihres Volkes bestanden haben mochte, blieb über. Dies war ein geringer Fransenzoll im Vergleich zu jenem, den man ohne Girlians Beistand hätte erwarten müssen. »Du kümmerst dich um die anderen Zuund Abflüsse!«, befahl Admal mit in energischem Befehlston aufgestellten Informationsfransen. »Du weißt, was zu tun ist. Du wirst es von nun an alleine schaffen. Ich lasse mich währenddessen in die Breiten Höhlen hineintreiben und erkunde, was dort genau vor sich geht.« »Es könnte dein Tod sein!« Sie hängte sich an ihn, zitternd und müde. »Ich spüre, wie sich das Genf verdichtet. Es kann nicht mehr lange dauern, bis …« »Ich weiß«, antwortete er müde. »Aber ich bin Admal Kalistein-aus-dem-Tiefsten. Ich bin etwas Besonderes. Und ich weiß, wo meine Bestimmung liegt.« Er ließ Girlian hinter sich und begab sich hinein ins Ungewisse.
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Michael Marcus Thurner
* Die Breiten Höhlen waren nahezu leer. In allen drei klebten geflüchtete Namibander an den wenigen Zu- und Abflüssen. Bewegungslos, in einer Starre verhangen, die von Geschmäckern nach Panik und Hilflosigkeit durchtränkt war. Wir können uns möglicherweise perfekt auf eine derartige Situation vorbereiten, sinnierte Admal trübsinnig, und wir verlassen uns auf die Erfahrungswerte unserer Ahnen. Aber wenn wir eine derartige Situation nicht selbst einmal durchlebt haben, reagieren wir falsch. Wir sind … schwerfällig. Diese Erkenntnis, so unspektakulär sie momentan auch klingen möchte, würde vielleicht später einmal große Bedeutung erlangen. Doch dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sinnieren. Die Kraftlinien in den Breiten Höhlen waren fast vollends abgestorben. Die wenigen Orientierungspunkte, die Admal noch spürte, erwiesen sich als trügerisch. Er wünschte sich Girlian herbei. Ihr Gespür war wesentlich stärker ausgeprägt als das seine. Doch es half nichts – seine Frau musste ihre Arbeit an einer ganz anderen Front erledigen. Also ließ er sich treiben, stets zwischen gesundem Selbstbewusstsein und heftigen Panikschüben schwankend. Das Genf drang aus mehreren Zulieferflüssen durch den Boden der Hallen, wie er wusste. Normalerweise wurde das meiste davon durch ein System schmaler, nicht beflosselbarer Nebenkanäle an die Große Leere abgeleitet. Dort sprudelte es unter leichtem Druck hoch und verendete, möglicherweise zu Leblosigkeit erstarrt, im ewig kühlen Nirgendwo. Sechs der Nebenkanäle, so konnte Admal fühlen, waren verstopft. Dort lag die Ursache des ganzen Problems. Wie hatte dies passieren können? Immer wieder verklebten Nebenkanäle und mussten dann mühsam und unter Einsatz aller ver-
fügbaren Kräfte leer geräumt werden. Aber sechs Systeme, die zur selben Zeit versagten – das konnte einfach kein Zufall sein! Er flosselte die Nebenkanäle ab. Das Genf stand hier still, und Stillstand im Fluss bedeutete Abkühlung. Nur durch stetig nachströmendes Ee und Hoa aus den tiefsten Tiefen, zu denen sie keinen Zugang hatten, blieb die Temperatur im Stadtland angenehm. Admal erfühlte einen der verstopften Nebenkanäle. Mit Todesverachtung drang er, so weit es ging, nach oben vor. Eisige Kälte erwartete ihn und schwer bröckeliges Hoa, so dick und fest, dass er sich beinahe darin verklemmt hätte. Hastig zog er sich aus dem Kamin zurück in Sicherheit und wärmte sich für ein paar Augenblicke an einem tieferen Ee-Strom. Doch auch hier war das Stocken im Fluss bereits zu spüren. Alles wurde träge, alles wurde kalt. Das Genf schmeckte derart widerlich, dass er sich am liebsten in kleinere Bestandteile aufgelöst hätte. »Die Kanäle sind so fest verpfropft, dass wir sie so rasch nicht wieder freibekommen«, franselte er zu sich selbst. »Und wenn wir den Druck, den nachfließendes Ee und Hoa liefern, nicht schnellstens abbauen, stürzen die drei Breiten Höhlen allesamt in die Große Leere.« Die Vorstellung allein erzeugte einen weiteren Zitterschub. »Was können wir bloß dagegen tun? Denk nach, Admal, denk nach …« Einmal mehr erkannte er, wie wenig die Erinnerungen der Eltern und Vorfahren eigentlich wert waren. Sie stellten allesamt Einzelsprengsel dar, denen der Zusammenhang fehlte. Wie Körperteilchen, die niemals mehr zueinander fanden. Aber er, Admal Kalisteinaus-dem-Tiefsten, war doch etwas Besonderes! Bereits vor einer knappen Epse hatte er in einer Situation, der niemals zuvor ein Namibander gegenübergestanden hatte, die richtige Entscheidung getroffen. Wer außer ihm hätte erkannt, dass allein die Frau Girlian das Leben der verpfropften Männer retten
Hauch des Todes
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konnte? Finde die Zusammenhänge!, forderte er von sich selbst. Ein Gedanke: Die Kantenwächter wissen ganz genau, welche Stellen zur Großen Leere hin am labilsten und dünnsten sind. Ein zweiter Gedanke: Die Strömungsleiter verstehen es, das Genf durch ein System von Öffnungen und Verschlüssen punktgenau an die gewünschte Stelle zu leiten. Ein dritter Gedanke: Raumschneider arbeiten mit Über- und Unterdruck, um neu geschaffene Wohn- und Denkhöhlen nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Sie wissen, wie man Platz schafft. Der vierte, revolutionäre und noch niemals zuvor gedachte Gedanke war: Kombiniere diese handwerklichen Fähigkeiten miteinander und löse damit das Problem. Admal tat es.
* »Du meinst, dass das funktioniert?«, fragte Ziam Hartenbau-ob-der-Hitze zweifelnd. »Ich bin mir hundertprozentig sicher!«, gab Admal zur Antwort. »Die Lösung liegt ganz klar vor mir. Aber wir dürfen keine weitere Zeit verlieren. In maximal einer Epse bricht das gesamte Höhlensystem zusammen.« »Die Arbeiten, die du uns zumutest, sind lebensgefährlich«, meldete sich eine weitere, anonyme Stimme aus dem hastig zusammengeflochtenen Beratungsteppich. »Ja. Das ist nicht zu leugnen. Wir alle riskieren unser Leben, vor allem die Raumschneider an vorderster Front.« Admal zögerte für einen Moment. »Indem einige wenige sich opfern, bekommt das Volk der Namibander eine Überlebenschance. Um euch zu zeigen, wie ernst es mir ist, werde ich mich selbst an den gefährlichsten Arbeiten beteiligen.« Admal löste nahezu ein Zehntel seiner Körpermasse auf, um die Anwesenden in möglichst eindringlicher Manier zu überzeugen. Er bombardierte sie förmlich mit klei-
nen und größeren Informationsfransen, in die er all seine Kraft und seinen Willen packte. »Dann lass es uns versuchen«, franselte Ziam schließlich. Er löste sich aus dem Teppich und machte sich auf den Weg, tief hinein in die Breiten Höhlen. Die anderen folgten. Schweigsam, in düstere Gedanken verhangen.
* Transporteure wälzten schweres, fast ausgehärtetes Hoa in die oberste der Breiten Höhlen, angewiesen von jenen Linienspürern, die die feinsten Sinne hatten. Die Strömungsleiter erhöhten währenddessen punktuell den Druck des Ee dort, wo Kantenwächter besonders labile Deckenflecken markiert hatten. Sie alle franselten vor Angst und Unsicherheit. Ein falscher Gedankengang, eine unbedachte Bewegung, und schon würden sie vom Druck des Genf in das Unbekannte geschleudert werden. »Beeilung!«, Admal trieb die Männer an. Ruhelos flosselte er hin und her, sprach diesem Mut zu und gab jenem präzise Anweisungen, die sein plötzlich wie heiß brennend funktionierender Geist hervorbrachte. Im Gegensatz zu allen anderen steckte unglaubliche Ruhe in seinem Körper. Er fühlte sich nun, da er tätsächlich etwas tat, so gut wie niemals zuvor. »Den großen Klumpen dorthin!«, wies er den größten Arbeitstrupp an. »Haltet ihn möglichst aus der Strömung und wartet auf mein Zeichen.« »Wir müssen uns beeilen!«, warnte ihn Oblohn. »Es knirscht und knackst überall. Ich spüre, dass das Gefüge der Breiten Höhlen nicht mehr lange hält.« Der Freund gehörte ebenfalls zu den Freiwilligen, die ihr Leben riskierten. »Ich weiß.« Admal zögerte. »Wir müssen dennoch auf den geeignetsten Moment warten.« »Und wann ist der, bitte schön?« Oblohn bewegte sich unruhig im Ee auf und ab.
34 »Ich … ich kann es noch nicht sagen«, musste Admal zugeben. »Aber ich werde es spüren, wenn es so weit ist.« Oblohn berührte ihn zweifelnd. »Du verlässt dich viel zu sehr auf deine Gefühle.« »Ich nenne es Intuition.« Entschlossen schob Admal die Fransen hoch. »Ich weiß, was ich zu tun habe. Ihr müsst mir nur vertrauen.« »Das tun wir, Admal. Das tun wir …« Er trieb davon und verschwand aus seiner Wahrnehmung. Sosehr Admal ihn auch mochte – er benötigte Ruhe, um sich zu konzentrieren. Ein Geflecht verschiedenster Eindrücke musste sortiert werden. Ohne bewusst darauf zu achten, nahm er währenddessen die Nachrichten mehrerer Boten entgegen. Sie informierten ihn über beunruhigende Sprünge und Risse an der Oberseite der Breiten Höhlen. Er durfte sich nicht mehr allzu viel Zeit lassen … »Der große Hoa-Brocken ist in Position!«, spürte er eine hastig auf ihn geschleuderte Informationsfranse. Gut, gut … »Die Kantenwächter sollen sich bereitmachen!«, franselte er an mehrere Boten. »Alle anderen verlassen so schnell wie möglich die Räume.« Er rollte sich zusammen und zählte leise bis fünfzig. »Vierzehn, fünfzehn …« Wie es Girlian wohl geht? Ob sie es geschafft hat, alle Knäuel zu lösen? »Dreiundzwanzig, vierundzwanzig …« Habe ich mit meinen Vermutungen Recht, oder besitze ich lediglich ein falsches, grenzenlos übersteigertes Selbstbewusstsein? »Siebenunddreißig, achtunddreißig …« Es kann nicht gut gehen, ich irre mich bestimmt! »Fünfundvierzig, sechsundvierzig …« Ich muss es abbrechen! Ich werde davonlaufen und … »Fünfzig!« Admal spannte seinen Körper an und schnellte davon. Auf den großen HoaBrocken zu.
Michael Marcus Thurner Die Kantenwächter spürten sein Nahen, tasteten mit aller Kraft über den klobigen Fels, schoben ihn in das Ee. Die Strömung, von den besten Wächtern der Zunft geschickt verstärkt und kanalisiert, riss den Brocken mit sich. Nach oben. Auf die Decke der Höhle zu. Dort, wo sie fragil und dünn war. Dort, wo sich die ersten Risse bildeten. »Stärker und schneller!«, feuerte Admal die Männer an. Sie schoben und drängten, wuchteten und flosselten, beschleunigten das riesige, so unangenehm kantige Ding. Hoch, immer höher, ihrem sicheren Tod entgegen. Dies hier war sein persönliches Opfer. Die große Tat, für die er lebte und gelebt hatte. Mit Bedauern dachte er an das neue Wissen über Ursache und Wirkung, Zusammenhänge, Verbindungen, von einem großen und komplexen Bild. Niemals würde er diese Erfahrungen weitervermitteln können, so dass seine Nachfahren darauf aufbauen konnten. Wenn dieses Manöver hier klappte, würde es einen grandiosen Sieg für ihr kleines Volk bedeuten – und dennoch von seinem Tod überschattet sein. Niemand würde jemals von seinen Ideen erfahren … Etwas streifte Admal, schmiss ihn aus der Bahn. Er torkelte, verlor kurzfristig die Orientierung. Ein breiter und wuchtig gebauter Körper schob sich an ihm vorbei und nahm seinen Platz im Geflecht der anschiebenden und antauchenden Namibander ein. Eine einsame Informationsfranse traf seinen Körper. »Du bleibst hier«, wurde übermittelt. »Du bist zu wichtig für das Volk. Akzeptiere mein Opfer und bring dich in Sicherheit. Leb wohl.« »Oblohn!« Admal warf seinen Körper in verzweifelte Wellen, wollte dem Freund hinterherflosseln. Doch der Sog, den der HoaBrocken erzeugte, riss die Kantenwächter und Oblohn mit sich hinauf, immer forscher und schneller, der Decke der Höhle entgegen. Er hingegen blieb zurück. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde der Trupp aus dem Ee-Fluss ausscheren
Hauch des Todes und gegen die Gewölbedecke prallen. Es war zu spät, er konnte sie niemals mehr einholen! Admal musste sich sofort in Sicherheit bringen, wollte er nicht jene Chance vertun, die ihm der Freund geboten hatte. »Oblohn!«, franselte er zu sich selbst, während er den Körper so stark wie niemals zuvor zum Vibrieren brachte und gegen das zerrüttete Genf ankämpfte. Und nochmals, traurig und verzweifelt: »Du selbstloser, verrückter, herrlicher Narr!« Der Hoa-Brocken prallte gegen die Decke. Admal fühlte es. Augenblicklich entstand ein Sog, der das Genf nach oben zog. Hinein in die Große Leere. Feuriges, angenehm heißes Material würde eruptiv nach oben geschleudert werden, ins Wasauchimmer hinein. Ein paar Brocken, widerwärtig, spitz und jeglicher Hitze beraubt, würden irgendwann wieder auftauchen und als dreckiges, schweres Hoa in das Genf zurücksinken. Admals Gedanken drehten sich im Kreise, während er sich vom Ort des Durchbruchs wegbewegte. Der Sog hinter ihm nahm immer mehr zu. Er kam kaum noch von der Stelle. Ein scharfkantiger Hoa-Brocken streifte ihn, zerriss seinen Körper bis zur Mitte. Er scherte sich nicht weiter darum. Seine Fransen schienen nicht verletzt, und Schmerz empfand er in diesen Momenten ohnehin nicht. Alles drehte sich um ihn. Das Genf brüllte und dröhnte, Kraftlinien verschwammen, der Geschmack des Ee wurde säuerlich. Er konnte nicht mehr. Noch immer entlud sich das unter enormem Druck stehende flüssige Gestein in die Große Leere. Wütend und wild, weil man es so lange daran gehindert hatte. Weil seine natürlichen Strömungen behindert worden waren. Weil die Namibander ihrer Aufgabe als Pfleger ihres Lebensbereiches nicht hatten nachkommen können. Admal wollte einfach nicht mehr weiter. Seine Fransen waren klamm und schwielig geworden; jegliche Kraft fehlte ihnen. Ob-
35 lohn, der sicherlich mit all den anderen Kantenwächtern ins Nichts hinausgeschleudert worden war, hatte sich umsonst für ihn geopfert. Schon zog das Genf an ihm, würde ihn packen, während seine Bewegungen immer schwächer wurden, ihn immer weiter hinaufspülen und … Da! Ein kantiger Vorsprung, seitlich von ihm. Mühsam hielt er sich fest. Nochmals holte er alles aus seinem müden Körper heraus, umklammerte mit all den aufgedröselten Fransen das widerlich schmeckende Gestein. Eine sanfte Kraftlinie war hier zu spüren. Sie führte ein Stückchen hinein und versiegte dort. Neuer Mut durchströmte Admal. Wenn er es schaffte, seinen Widerwillen gegen das tote, versteinerte Material aufzugeben und tiefer in die Kaverne hineinzugelangen, würde er vielleicht eine Bucht finden, in der er sich festklammern konnte. Er zog sich vorwärts, Stück für Stück. Der hintere Teil seines Körpers löste sich währenddessen auf. Immer größere Fransenteile rissen ab. Und dennoch tastete er sich mit einer seltsamen Mischung aus Panik und Trotz als Antrieb vorwärts. Ruhiges, fast bewegungsloses Ee erwartete ihn abseits der dünnen Kraftlinie. Eine winziger Einschnitt, kaum groß genug für seinen zerfetzten Leib, nahm Admal auf. Ruhig schwappte er umher, genoss den Moment der Ruhe, während das entfesselte Genf nach wie vor durch die Breiten Höhlen tobte. Er hatte es geschafft! Er war in Sicherheit. Die Geschmäcker und die Vibrationen wurden schwächer. Sie traten immer weiter in den Hintergrund, während Admal in seinen Körper hineinhorchte. Sein Zustand war bedenklich. Er musste unbedingt wach bleiben. Nur wenn er es schaffte, die vielen lose weghängenden Fetzen erneut an seinen Leib zu binden, würde er überleben. Er durfte sich unter keinen Umständen auflösen, und noch weniger durfte er das Bewusstsein ver-
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lieren. Er musste unbedingt … unbedingt …
10. Stunden später erwachte ich aus meiner Katharsis. Ich fühlte mich besser. Durch den Rundumschlag, den ich mit Hilfe des Flammenstaubs vollführt hatte, hatte ich etwas Zeit gewonnen. Doch was war passiert, bevor ich in Ohnmacht versunken war? Ich schüttelte benommen den Kopf und blickte mich um. Es war längst dunkel geworden. Rot glühende Augen kleiner Lavaseen und -öffnungen des vulkanisch hochaktiven Umlandes starrten mich an. Magmaflüsse zeichneten in weiter Ferne die Umrisse eines Berges nach. Das Meer hingegen war hier nicht mehr zu sehen. Ich musste weit gewandert sein; weiter, als ich es vermutet hatte. In unmittelbarer Umgebung war es ruhig und kühler, als ich es in den wenigen Stunden auf Ende bislang erlebt hatte. Der Boden, schwarz und scharfgratig, bewegte sich unruhig. Plötzlich war mir, als triebe ich auf einer riesigen, kühlen Scholle durch ein Meer aus Hitze … Ich begriff. Ich hatte die Welt um mich verändert! All mein Verlangen, es ein wenig kälter zu haben, hatte sich auf die Erdoberfläche um mich konzentriert. Wo früher Lava in Seen und aus Quellen geblubbert war, hatte ich festen Untergrund hingewünscht. Erschrocken stemmte ich mich hoch. Da war die Ahnung einer Erschütterung, die ich unter meinem Körper spürte. Der Druck des Magmas, das unter meinen Füßen kochte, würde irgendwann, irgendwo zu groß werden und sich in einer gewaltigen Entladung Luft verschaffen – im wahrsten Sinne des Wortes. Und wenn ich meinem Gefühl und meiner Erfahrung bloß ein wenig Vertrauen schenkte, dann war dieser Moment nicht mehr allzu weit weg. Ich lief und stolperte durch die Dunkelheit. Aus irgendeinem Grund hatte ich die
dünnen, aber strapazierfähigen Stiefel angelassen, genauso wie den Schweiß absorbierenden Unteranzug. Angesichts des unruhigen und rauen Bodens gratulierte ich mir im Nachhinein zu diesem Entschluss. Ich musste weg von diesem herbeigewünschten Land, so schnell wie möglich. Irgendwohin. Der Boden schien immer heftiger zu schwanken. Mein Atem ging pfeifend, mein Kopf begann zu dröhnen. Meine körperliche Verfassung war unter jeder Kritik. Auch die Gedanken flossen träge dahin. Genauso langsam und bedächtig wie die Magmabäche in geraumer Entfernung. Ein weiterer Erdstoß. Mir war, als klopfte jemand oder etwas von unten gegen den Erdboden. Wütend und empört darüber, dass man es eingesperrt hatte. Eine Spalte tat sich vor mir auf. Im düsteren Lichterschein kaum sichtbar – und dennoch mehr als vier Meter breit. Ich konnte nicht mehr abbremsen, also stieß ich mich an der Kante ab und sprang darüber hinweg. Ich landete schwer und ungelenk, hatte kaum noch die Kraft, mich auf den Beinen zu halten. Schwer federte ich in den Knien ab und lief weiter. Der rechte Ärmel hing in Fetzen weg. Blut tropfte darunter hervor. Am liebsten hätte ich vor Zorn und Ohnmacht laut geschrien, aber meine Atemluft war mir zu wertvoll. Warum blieb ich nicht einfach stehen und wünschte mir eine noch stärkere Bodendecke herbei? Ich konnte Schicht auf Schicht, Wunsch auf Wunsch auftragen lassen. Die Wahrscheinlichkeiten ändern, bis kein Grummeln und Wüten unter meinen Beinen mehr zu spüren war. Ich spürte, dass ich es nicht tun durfte. Mit jeder Beeinflussung der Wahrscheinlichkeiten, die ich auslöste, trieb ich weiter hinab in den Strudel aus Wahrnehmungsstörungen, Schmerz, Illusionen, Kräfteverlust und … und Irrsinn. Also lief ich, was die Beine hergaben. Ganz merkwürdige korallenähnliche
Hauch des Todes Bäumchen, kaum zwanzig Zentimeter hoch, zerbarsten unter meinen Beinen zu Staub. Sie klingelten und sirrten in Tonfrequenzen, die wohl bis in den Ultraschallbereich reichten. Der Schmerz, den sie erzeugten, verfolgte mich. Eine weitere Qual, der ich ausgesetzt war. Die Erde bebte; sie warf mich wie ein bockendes Wildpferd ab, schleuderte mich meterweit beiseite. Ich landete hart, aber glücklicherweise auf ebenem Grund. Hinter mir, so fühlte ich, stieg Hitze auf. Hastig drehte ich mich um – und blickte einem Monster ins Antlitz. Rot und gelb glühend sprudelte es mit unglaublicher Wucht zwischen berstenden Bodenschollen hervor. Das befreite Magma war von unglaublicher Wut erfüllt. So lange eingesperrt, so lange gebändigt, sann es nunmehr auf Rache. Mehr als hundert Meter hoch spritzte die Fontäne, machte die Nacht zum Tag. Ich atmete tief durch; ich glaubte, mich in ausreichend sicherer Distanz zum Eruptionszentrum zu befinden. Wie sehr ich mich irrte, merkte ich erst, als die ersten krustigen Lavabrocken unweit von mir niederkrachten und knallend auseinander brachen. Dann erst war die Schallwelle des explosionsartigen Ausbruchs heran. Sie brüllte über mich hinweg, betäubte mich, zwang mich noch tiefer zu Boden. Mit beiden Händen an den Ohren rollte ich mich fort, hinab in eine Bodensenke, die mir einigermaßen vertrauenswürdig erschien. Hitze kam über mich, versengte meine Augenbrauen, nahm mir den Atem. Erst nach zehn, zwölf Sekunden wagte ich es, wieder Luft zu holen. Blinzelnd erhob ich mich, zögernd, tastend. Alles um mich strahlte Hitze aus, doch es ließ sich aushalten. Also nahm ich die Hände von den Ohren und überblickte das neu geordnete Land. Seltsam verformte Steinplatten, über dreißig Meter breit, standen einen halben Kilometer von mir entfernt im Kreis steil in die Höhe. Sie wankten bedenklich, während aus dem Kanal in ihrer Mitte weiteres Magma
37 quoll. Es war dort passiert, wo ich noch vor Minuten bewusstlos gelegen hatte. Ein Vulkan war geboren – und ich trug Schuld daran! Er spuckte böse vor sich hin und grub sich mit seinen Flammenarmen neue Wege durch das Plateau. Die meisten Kamine und Flüsse des Magmas führten glücklicherweise von mir weg. Durch meinen Eingriff in die labile Natur von Ende hatte ich für ein Kippen des lokalen Ökosystems gesorgt. Im Nachhinein beglückwünschte ich mich zu meiner Voraussicht, auf einem nicht von Intelligenzen bewohnten Planeten gelandet zu sein. Fetzen undefinierbarer Konsistenz, seltsam ausgefranst und schlickigen Algenteppichen nicht unähnlich, platschten hier und dort zu Boden. Es schien mir, als steckte Leben in ihnen. Aber sie zitterten wohl wegen des tektonisch in Unruhe begriffenen Landes. Trotz der Hitze fröstelte ich. Und wenn es sich doch um Lebewesen handelte? Nicht weit entfernt lag so ein … zuckendes Teil. Ich unterdrückte den Impuls, es zu untersuchen. Also marschierte ich einfach weiter, tiefer in das unheimliche Land hinein – auf der Suche nach einem Ausweg aus meinem persönlichen Inferno, das sich in einem weiteren Schub in mir drin ankündigte.
* Meine innere Bestie erwachte erneut. Für eine Stunde hatte sie Ruhe gegeben. Jetzt aber griff sie nach meinem Geist, lockte und verführte mich. »Lass mich raus«, rief sie, »lass mich raus!« Es war schlimmer als das härteste Rauschgift, das einen körperlich und geistig abhängig machte. Denn der Flammenstaub war nicht nur ein Stoff, dem ich mich hingegeben hatte. Seit geraumer Zeit durchdrang er mich, war ein Teil meines Lebens geworden. Er war ich. »Es ist ganz leicht«, sprach die Stimme in meinem Kopf. »Befreie mich. Gib dich mir
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hin. Nur ein wenig, ein winziges bisschen …« Und, nur Augenblicke später, brüllend: »Tu es, du verdammter Dickschädel, oder ich schneide dir den Schädel entzwei! Ich verursache Schmerzen, wie du sie noch niemals zuvor gespürt hast!« Eine schwarze Wolke voll Flitter durchdrang mich, legte sich über meine Ganglien und Nervenzentren. Jede einzelne Berührung, die ich in mir zu spüren glaubte, erzeugte eine andere Art von Qual. Ich wollte schreien und konnte es nicht. Ich wollte weinen und durfte es nicht. Ich wollte sterben und schaffte es nicht. Es gab nur noch eines, was ich zu tun imstande war: die Bestie des Flammenstaubs ein weiteres Mal freizulassen. Mein letzter Plan, aus Verzweiflung geboren, würde nicht greifen. Ich zermarterte mir den Kopf. Was war es überhaupt gewesen, das ich mir überlegt hatte? Ich erinnerte mich nicht mehr. Einerlei. Denn wie konnte man sich selbst etwas vormachen? Der Gegner, den ich bekämpfte, war nun mal ich selbst. Er wusste, was ich war, was ich dachte, was ich wollte. Niemals würde ich mich selbst reinlegen können. Ich ließ mich in eine Erdfalte plumpsen, versteckte mich wie ein verschrecktes Tier. Mit zitternden Händen schob ich die geistigen Staubweben beiseite, die sich vor meinen Sinnen bildeten. Es nützte nichts. Immer mehr von ihnen tauchten auf, drängten nach. Wahrscheinlichkeitsebenen sonder Zahl, die sich in meinem Inneren bündelten. Ich wurde zu einem Embryo, der ungeboren darauf wartete, aus dem Schoß der Mutter hervorzudringen. Tausendfach, millionenfach. Ich ließ es zu. Ich wurde wieder und wieder geboren. Der Flammenstaub überschüttete einmal mehr das Land.
11. Admal erwachte. Er vermochte zielgerichtet zu denken. Er war ganz geblieben!
»Wir haben dich gerade noch rechtzeitig gefunden«, franselte Girlian an seiner Seite. »Es war knapp, doch die besten Fransenschweißer haben es geschafft, deinem Leib wieder eine Form zu geben.« Er drehte sich um die eigene Achse, schnupperte das herrlich heiße Ee und rollte sich wohlig darin. Kraftlinien, stark und ruhig, zeigten in seltsame neue Richtungen – aber sie strahlten Gesundheit aus. »Du hast es tatsächlich hinbekommen!«, plapperte Girlian weiter. »Du alleine hattest einen Plan. Du alleine konntest ihn durchsetzen. Du bist wahrlich etwas Besonderes!« »Du bist etwas Besonderes!«, echote es von allen Seiten. Erstaunt lauschte Admal umher. Da … da waren Namibander sonder Zahl! Sie alle hatten sich hier in einer der Breiten Höhlen versammelt, um ihm zu huldigen. Ihre Fransen berührten einander. Ein gewaltiger Teppich, der aus zigtausend Mitgliedern des Volkes bestehen musste, hüllte ihn ein. Er schmeckte und roch Philosophen, die seit Namibandergedenken ihre Höhlen nicht mehr verlassen hatten. Sechzehn seiner Väter hatten sich ebenfalls hierher begeben und strahlten Stolz aus. Drei – drei! – Frauen bildeten Zentren des Teppichs, umschwärmt und auch gefürchtet. Auch sie vermittelten Dankbarkeit und Wärme. »Es ist noch nicht vorbei«, franselte Admal schwach. Unruhe entstand. Wellenartig breitete sie sich aus, von einem Ende zum anderen. »Wie sollen wir das verstehen?«, fragte Girlian als Fransenrohr der anderen. »Irgendetwas geht in der Großen Leere vor sich«, gab er zur Antwort. »Unser Stadtland ist im Umbruch begriffen, und wir können offensichtlich keinerlei Einfluss darauf nehmen.« »Die Geschehnisse der letzten Epsen waren eine ähnliche Katastrophe wie am Tag der Zerfransung vor undenklichen Zeiten«, warf Emen Heiß-kroch-aus-dem-Inneren, einer seiner Väter, ein. »Es ist unwahrscheinlich, dass sich Derartiges gleich wieder er-
Hauch des Todes eignet. Gut, es haben sich in der Zwischenzeit zwei weitere Entlastungskanäle geschlossen, aber das sind wohl die Nachwirkungen …« »Wir dürfen uns nicht selbst belügen!«, fuhr Admal wütend dazwischen. »Ich vermute, dass der Aufbruch der Breiten Höhlen erst der Vorbote viel schlimmerer Geschehnisse ist. Überlegt einmal: Sechs Kamine der Breiten Höhlen haben sich zum selben Zeitpunkt für immer verschlossen. Das kann kein Zufall sein! Wer auch immer dafür verantwortlich ist, vermag möglicherweise das Genf als Ganzes in ewige Starre zu zwingen.« »Unsinn!«, drang ein Kommentar aus der Anonymität des riesigen Teppichs. Doch der Stimme fehlte jeglicher Nachdruck. »Ich habe lange genug beobachtet.« Admal ließ sich von der Gegenrede nicht irritieren. »Das Stadtland ist viel zu unruhig. Zeit unseres Lebens laufen wir Problemen hinterher. Wir flicken kleine Einbruchstellen, reparieren Kanäle, bessern Höhlen aus. Wäre es denn nicht vernünftig, uns eine neue Heimat zu suchen? Eine, in der wir wesentlich mehr Ruhe und Muße finden?« Es herrschte Totenstille. Mit einem leisen Seufzer setzte Admal hinzu: »Ich bin davon überzeugt, dass wir von hier verschwinden sollten.« Empörung erfüllte augenblicklich die Versammlungshöhle. »Selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht weg!«, rief ein erzürnter Mann. »Seit Ewigkeiten schon … suchen wir den Durchgang von der Großen Tangente zum Bauch, zu den anderen, und es gelingt nicht. Wie sollen wir es denn … jetzt schaffen?« »Ich weiß, dass ich einen Tunnel finden kann«, antwortete Admal. »Denn ich habe es während der letzten Epsen gelernt …« »Du hast jetzt erst gelernt, wie man etwas … findet?« Unruhe kehrte in den Teppich ein. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ausgerechnet du uns vor der Katastrophe gerettet haben willst; ich finde schon … seit meiner Geburt das, was ich suche.«
39 Gelächter übertrug sich durch die ineinander verwobenen Fransen. Die Stimmung drohte zu kippen. Bereits jetzt. Es schien so, als neideten ihm manche Namibander den Erfolg und wollten seine Forderung ins Lächerliche ziehen. Admal zog den Körper nachdenklich ein wenig zusammen. Er beschloss, etwas zu riskieren. »Ich habe keine Zeit, mit dir zu streiten, Jenhaut Zweifel-ob-der-Steine«, franselte er schließlich selbstbewusst. »Lasst mich einfach gewähren, und ich garantiere, dass ich binnen kürzester Zeit eine geeignete Verbindung zum Bauch erforsche.« »Wie hast … du mich erkannt?« Jenhaut, der stets provokante Berufsphilosoph, fiel vor Erstaunen beinahe aus dem Teppich. »Ich wollte doch anonym bleiben. So … so etwas habe ich noch nie erlebt!« Admal streckte sich erleichtert aus. Seine eben erst entdeckte Begabung, zu kombinieren und Schlüsse zu ziehen, hatte ihm erneut geholfen. Es gab nur wenige Namibander, die den Widerspruch so genüsslich wie Jenhaut zelebrierten. Noch weniger waren für ihre Überheblichkeit bekannt. Und es kam eigentlich nur einer in Frage, dessen Wortfransenstruktur derart seltsam war: Er franselte schleppend, immer wieder von langen Pausen unterbrochen. Auch wenn ihm persönlich die Lösung so einfach erschien, so war Admal sich dennoch sicher, dass niemand anders Jenhaut aus der Vielzahl der Anwesenden hätte herausfiltern können. »Wie ich das gemacht habe, bleibt mein Geheimnis«, teilte er schließlich über seine Fransen klar und deutlich mit. »Ich hoffe, ihr schenkt mir jetzt euer Vertrauen?« Vibrierende Zustimmung erreichte ihn von allen Seiten. Er hatte die Namibander wieder dort, wo er sie brauchte. »Gut.« Admal überlegte rasch. »Ich brauche so viele Informationen wie niemals zuvor. Wir beginnen in jenem Bereich, in dem der Zusammenbruch der Großen Tangente stattgefunden hat …« »Wir haben das gesamte Einbruchsgebiet
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hundertfach abgesucht!«, versuchte ein Kantenwächter, der sich in seiner Berufsehre angegriffen fühlte, einen Einspruch. »Ist das etwa alles, was dir einfällt?« »Du solltest mich aussprechen lassen! Ich möchte, dass ihr das Gebiet in einem Umkreis von mehreren hundert Sabis abklopft. Ich will über die kleinste Änderung in der Gesteinsstruktur Bescheid wissen. Der winzigste Hohleinschluss, die geringste Strömungsänderung und der minimalste Verdacht auf eine verschobene Kraftlinie muss mir gemeldet werden.« »Was erwartest du dir davon?« »Ich möchte eine Art Plan entwerfen. Seit dem Tag der Zerfransung ist viel Ee die Linien entlanggeronnen. Und ich bin mir sicher, dass sich die Verhältnisse geändert haben. Oder habt ihr vergessen, dass sich Ee und Hoa immer den leichtesten und günstigsten Flussverlauf suchen, bevor sie in die Große Leere entweichen? Vielleicht waren es nur leichte Verschiebungen, die seit jenem Tag passiert sind; vielleicht haben wir die damalige Linienführung ignoriert.« Er zögerte. »Das Genf hat einen neuen Lauf. Wir hingegen sind auf der Stelle geflosselt.«
* Das Begreifen fiel den Namibandern nicht leicht. Schweren Gases musste Admal einsehen, dass er eine einmalige Laune der Natur war. Wahrscheinlich konnte er seine seltsame Gabe zum Kombinieren niemals an andere weitergeben. Keiner schien die Voraussetzungen zu besitzen, Dinge so wie er zu verstehen. Doch mit diesem Problem würde er sich beschäftigen, sobald Zeit dafür blieb. Momentan musste er dafür sorgen, dass die Dinge im Fluss blieben. Sein Gefühl – und diesmal war es wirklich nur ein Gefühl – sagte ihm, dass sie sich beeilen mussten. Er erholte sich in einem Ee-Becken in der Nähe der einstmals eingestürzten Großen Tangente aus. Hier waren die Kraftlinien nur zu erahnen, und auch der Sog des Genf war
so schwach, dass er seinen Körper nur ganz behutsam bewegen musste, um an Ort und Stelle zu bleiben. Sein zusammengeflickter Körper schmerzte nach wie vor. Heftige Treibbewegungen waren ihm kaum möglich. Oblohn kam ihm in den Sinn; nicht das erste Mal während der vergangenen Epsen. Er verdankte dem Freund sein Leben. Er würde von nun an an dieser Schuld tragen. Die Nachrichten, die ihn aus allen Teilen des Stadtlandes erreichten, blieben beunruhigend. Die Erschütterungen und Veränderungen durch den Ee-Ausbruch zogen weitere Probleme nach sich. Manch kleiner Wohnbereich litt seitdem unter einem Mangel an Genf-Durchfluss und füllte sich mit Hoa, das über kurz oder lang zu festem Gestein erkalten würde. Andere Bereiche wurden vom Ee regelrecht überschüttet, so dass die Statik der Höhlen in Gefahr geriet. Diese Katastrophe ist wie eine heftige Vibration, die vom Zentrum eines Versammlungsteppichs ausgeht und immer heftiger wird, je näher sie den Randbereichen kommt. Ich habe Angst; fürchterliche, gasige Angst. Nur mühsam bekam Admal seine Gefühle unter Kontrolle. Er durfte sich in diesen Momenten keinerlei Unsicherheit leisten. Alle Namibander setzten mittlerweile ihre Hoffnung auf ihn. Niemand zweifelte mehr an seiner Besonderheit. Weitere Informationsfransen wurden ihm zugeschwappt. Die Boten verschwanden so rasch, wie sie aufgetaucht waren. Sie erledigten ihre Aufgaben so, wie er es wünschte, und um keinen Fransenbreit anders. Und genau darin bestand ja das prinzipielle Problem.
* Sein wenig trainierter Geist tat sich schwer, das dreidimensionale Bild, das sich allmählich formte, zu erfassen. Bislang hatte er das Stadtland immer instinktiv erfasst. Ohne viel nachzudenken, war er von einem Ort zum anderen geflosselt. Nun galt es
Hauch des Todes aber, Standorte genau festzulegen und zueinander in Relation zu setzen. Größenverhältnisse mussten miteinander abgeglichen, die Flüsse des Genf in einen Zusammenhang gebracht werden. »Du solltest eigentlich in einem Ee-Bad treiben und es dir gut gehen lassen«, franselte ihm Girlian zärtlich zu. »Ich spüre, dass du noch immer nicht vollends geheilt bist.« »Lass das!«, fuhr er sie an. »Was meinst du?« Irritiert wich sie eine halbe Körperbreite beiseite. »Deine Ausstrahlung – sie behindert mich bei der Arbeit! Sie überlagert meine Gedanken, lenkt mich ab …« »Ich wollte dir nur etwas Gutes tun!« »Ich weiß …« Seufzend zog er seinen Körper zusammen. »Du bist dir deiner Wirkung wirklich nicht bewusst, stimmt's?« Girlian gab keine Antwort. »Du hast keine Ahnung, wie sehr du mich erregst. Du tust es ständig. Immer, wenn wir zusammen sind, würde ich dich am liebsten an mich fesseln und knäueln und die anderen Männer zusammenrufen. Doch jetzt, in den nächsten paar Epsen, kann ich keinerlei Ablenkung brauchen. Ich habe mir eine Last aufgeladen, die für einen Einzelnen eigentlich viel zu schwer ist. Wenn du mich zusätzlich noch ablenkst, ist meine ganze Planung umsonst.« »Ich verstehe.« Beleidigt rollte sie ihre Fransen ein und fädelte sich in den sanften Ee-Strom ein. »Du magst mich nicht. Nun gut – ich habe ohnehin keine Zeit für dich …« Und weg war sie. Admal warf Wellen der Fassungslosigkeit. Das Stadtland ging unter, er brachte trotz aller Hektik logische und vernünftige Argumente vor, und dennoch spielte dieses Weibsstück die Beleidigte. Als ob er an all ihren Problemen Schuld trug! Nur mühsam gelang es ihm, sich wieder auf seine gedankliche Karte zu konzentrieren. Der namibandische Geist war nicht darauf trainiert, eine derart große Zahl von Einzelinformationen aufzunehmen und zu ver-
41 arbeiten. Als natürlichen Ausgleich für diese Schwäche besaßen sie die Fähigkeit, das Erbgut ihrer Eltern in vollem Bewusstsein zu übernehmen. Todesmutige Namibander suchten trotz der hier herrschenden Probleme die Große Tangente ab. Weitere Informationsfransen schwappten herbei. Er fügte sie ein, verschob sie ein wenig, brachte sie zueinander in Relation. Gedanklich gesetzte Farbtöne halfen ihm, die Schwerpunkte seiner Suche zu markieren. Hier lag das Trümmerfeld der einstmaligen Großen Tangente. Dort vermuteten die Kantenwächter mehrere Hohlräume. Risse, meist schmal wie Fransen, ließen erahnen, dass sich in mehreren übereinander gelagerten Höhlen die Felswände zueinander verschoben hatten. Ältere Magnet- und Kraftlinien waren mithilfe der Erinnerungen ihrer Vorfahren rekonstruiert worden. Sie existierten nicht mehr, oder nur noch in Ansätzen. In das Stadtland eingebrochene Brocken, so groß wie zwanzig übereinander gekettete Namibander, waren zu Teilen der Außenwände geworden. Ee- und Hoa-Ströme, die ständig die Kavernen und Tunnels abgeschliffen und verändert hatten, waren weitere Faktoren in Admals Bild. »Aus jetzt!«, befahl er, als sich ihm die nächsten Boten näherten. Er hatte genug, er konnte nicht mehr. Es war zum Verzweifeln! Wie sehr er das Bild auch drehte und wendete, es ergab einfach keinen Sinn. Drehen und wenden … drehen und wenden … Er begann zu vibrieren. Das war es! Augenblicklich näherte sich ihm ein unruhig wartender Kantenwächter. »Was befand sich unterhalb der Großen Tangente?«, fragte Admal – auch wenn er die Antwort bereits ahnte. »Darunter? Aber … da sind Stützwände und ein paar Hohlräume, zu klein, um uns aufzunehmen, dann ein paar unbedeutende Ee-Ströme, und es …« »Darunter, du Gasblaserich!« Warum stellte man ihm ausgerechnet den dümmsten
42 aller Wächter zur Verfügung. »Ganz unten ist eine Höhle, die wir kaum nutzen, weil sie keine Kraftlinien aufweist …« »Es ist das Ruheland!«, unterbrach ihn Admal. »Stimmt's?« »Ja … ja, so nennen es die meisten.« Das Ruheland. Jenes schreckliche Gebiet, in dem ihn Girlian – war es tatsächlich erst ein paar Stunden her? – frei hatte umherwirbeln lassen? Das so tot war und so schal schmeckte, dass kaum jemand bis dahin vordrang? Mit Ausnahme der Frau, die ein perverses Vergnügen an der totalen Linienleere verspürte und sich in scheinbar selbstmörderischer Absicht hineinwarf, um in dunkler Ödnis zu tanzen? »Wir haben immer falsch gedacht«, behauptete Admal fassungslos. »Wir glaubten, dass lediglich die Große Tangente zusammengebrochen sei. Hier, auf dieser Ebene, musste sich der Durchgang zum Bauch befinden. Aber in Wirklichkeit hat sich unser gesamter Lebensraum an einer Bruchkante nach oben verschoben. Besser gesagt: Der Bauch und all das Stadtland auf der anderen Seite sind nach unten weggekippt. Die Niveaus der beiden Bereiche haben sich um mehrere hundert Sabis zueinander verschoben, möglicherweise auch verdreht. Ich Idiot! Ich habe im Ruheland dieselbe Gesteinsstruktur gespürt wie hier oben. Warum ist mir das nicht gleich eingefallen?« Er packte den verdutzten Kantenwächter und holte mehrere der Boten herbei. »Franselt es an alle weiter, dass der Zugang zum Bauch höchstwahrscheinlich unten im Ruheland liegt«, vermittelte er ihnen. »Wir müssen uns dort versammeln und so schnell wie möglich einen Durchbruch erzwingen. Ich brauche jeden Mann, der noch ausreichend Kraft in sich verspürt, um zu helfen …« Vibrationen, so heftig, dass sie das gesamte Stadtland durchdrangen, beutelten Admal sabisweit beiseite. Etwas Schreckliches musste passiert sein. Der Untergang des Stadtlandes hatte in diesen Momenten begonnen.
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12. Ich machte, dass die Erde bebte und aufriss. Ich machte, dass ein Regenguss mit Blitz und Donner über mich hinwegzog und die Hitze des Magmas abkühlte. Ich machte, dass Wind aufkam, der den Wasserdunst hinwegfegte und die kleinen Kristallbäumchen wie Zahnstocher knickte. Ich machte … einfach alles. Was mir bei meiner Begegnung mit den Keilraumern der Roschech-Echsen auf dem Planeten Letrasch nur mangelhaft »geglückt« war, hätte mir nun keinerlei Probleme mehr bereitet. Mit einem einzigen Gedanken hätte ich ihre Schiffe vernichten können. Die unmöglichsten Wahrscheinlichkeiten wurden unter dem immer heftiger werdenden Einfluss des Flammenstaubs zur Realität. Nichts, nichts, nichts konnte sich meiner Allmacht entziehen. Ich war alles. Ich war Herrscher. Ich war Gott. Eine kurzer Gedanke genügte, und zwei bizarr verformte Felsnadeln brachen zur selben Zeit. Ihr Knacksen war weithin zu hören. Sie stürzten gegeneinander – und blieben beide in absurden Winkeln stehen. Ihre Spitzen, kaum breiter als ein Finger, stützten einander ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas geschehen konnte, musste in einem prozentuellen Bereich liegen, dessen Nullen vor der Eins irgendwo von hier bis zum Horizont reichten. Mein Kopf schien sich währenddessen zu verformen. Er wurde größer und größer. Panisch griff ich mir mit beiden Händen an die Schläfen und ertastete eine geleeartige Masse. »Was soll das?«, brüllte ich. »Ich bin Gott!« Die widerliche Substanz, weich und warm, zerriss und zerbröckelte unter meinen Fingern. Schließlich zerfiel sie zu feinsten Fusseln, die im ruhiger gewordenen Wind davonwehten. Ich verstand.
Hauch des Todes Ich hielt abgestorbene Wahrscheinlichkeiten in meiner Hand. Je mehr ich meine Umwelt formte oder verformte, desto geringer war die Zahl meiner möglichen Wege in die Zukunft. Ich – wir! – wurde weniger. Der Flammenstaub erschöpfte mich und meinen Geist so lange, bis nur noch ein letzter, singulärer Atlan hier liegen würde, inmitten eines Staubhaufens, der schließlich im Nichts verging. Zellaktivator hin oder her. Wo bist du?, rief ich in die Tiefen meines Unterbewusstseins. Ich brauche dich wie niemals zuvor! Der Extrasinn antwortete nicht. Er war, wenn dies mein zerrütteter Geist noch richtig auf die Rolle bekam, meine winzige und einzige Chance, dem Tod zu entgehen. Ich musste ihn wachrütteln, aus seinem Erschöpfungszustand wecken und einen Deal mit ihm aushandeln. Der Logiksektor war Fremder und Freund zugleich. Ein Teil von mir – und dennoch viel mehr. Wenn ich ihn dazu »überreden« konnte, die Wirkung des Flammenstaubs in sich zu bündeln, würde er sterben – und ich leben. So sah es zumindest mein Plan vor. Die Hoffnung, dass er aufgehen würde, war von vorneherein gering gewesen. So hatte ich mir gewünscht, auf Ende einen ruhigen Ort zu finden, an dem ich mich konzentriert mit dem Extrasinn beschäftigen konnte. Doch ich trug Chaos und Unruhe in mir. Wo auch immer ich auftauchte, würde niemals mehr Frieden herrschen. Ich brauche dich!, schrie ich ein weiteres Mal in mich hinein. Ein leises, kaum wahrnehmbares Echo antwortete mir. So schwach, müde und ausgelaugt, dass es auch einer Einbildung entspringen mochte. Warum wünschte ich ihn mir nicht einfach herbei? Ich war dazu imstande … Der Gedanke, bittersüß und schön, weckte mich für ein paar Sekunden aus meinem körperlichen und geistigen Zerfallsprozess – um gleich darauf zerstört zu werden. Die Spielchen mit der Wahrscheinlichkeit erstreckten sich auf alles Vorstellbare – nur
43 nicht auf mich selbst. Ich war der ruhende Pol in diesem Meer aus Chaos, das ich verbreitete. Ich fasste die Sonne ins Auge. Sie ging soeben auf, nach dem gewaltigen Sturm von Wolkenbergen nicht mehr verdeckt. Wie wäre es, wenn ich sie herabstürzen ließe? Oder explodieren? In einem Feuerwerk vergehen lassen, dass im Anschluss gegrillte Rinderviertelchen auf Ende herabregneten, während eine halutische Balletttruppe in Tutus gekleidet ein neuarkonidisches Tanztheaterstück interpretierte? Buchstäblich alles war möglich. Die Wirkung des Flammenstaubs war längst nicht mehr kontrollierbar. Dieser Stoff, aus dem das Multiversum gewoben war, hatte mich für eine gewisse Zeit als Gefäß ausersehen. Nun war er meiner überdrüssig geworden. Er forderte mein Leben und würde auf geheimnisvolle Art und Weise diffundieren. Wahrscheinlich kehrte er dorthin zurück, von wo er gekommen war. In ein Kontinuum, das wir einfachen Wesen uns nicht einmal vorstellen konnten und das auch höhergestellten Entitäten nicht zur Verfügung stand. Ich schluchzte auf, laut und irre, und es regnete Taschentücher. Weil ich es so wollte.
13. Admal trieb die Namibander an, als hätte er zeit seines Lebens nichts anderes getan: Er teilte ein, plante und gab Befehle. Etwas war in ihm erwacht: ein Gefühl, das ihn in die Verantwortung für das gesamte Volk zwang. Noch niemals zuvor, so wusste er aus den Gedächtnisblöcken seiner Vorfahren, hatte es einen wie ihn gegeben. Die Struktur des Stadtlandes brach zusammen, da gab es nichts zu beschönigen. Es existierten kaum noch Öffnungen nach oben, an denen man Gase in die Große Leere entladen konnte. Das Genf wechselte immer wieder und völlig willkürlich seine Konsistenz. Zu ihrer aller Verwirrung änder-
44 ten sich auch die Kraftlinien; somit ging nahezu jegliche Orientierung verloren. Einige Namibander starben, weil eine Zwischenhöhle einbrach und sie im sich verfestigenden Genf festgeklemmt blieben. Ein paar störrische Philosophen waren seinen Warnungen nicht gefolgt. Eine neu entwickelte Ee-Strömung hatte sie mit sich gerissen, hin zu einer Höhle, aus der es keinen Ausweg mehr gab. Eine der wenigen Frauen hatte angeblich während einer Panikattacke ihre Männer zusammengerufen; sie galten seitdem als vermisst … »Gibt es denn keine guten Nachrichten?«, herrschte er den Boten an. »Alles, was du mir berichtest, bringt mich dazu, dass ich meine Fransen einrolle.« Der Namibander schwieg. Voll Angst und Respekt zog er sich in die Ee-Strömung zurück. »Der Auszug muss rascher vor sich gehen!«, ließ Admal durch andere Boten verbreiten. »Versammelt euch unten im Umfeld des Ruhelands. Drängt euch dicht an dicht. Sobald wir die Öffnung zum Bauch gefunden haben, verschwinden wir von hier.« Er franselte »sobald«, obwohl es »sofern« heißen musste. Seine Überlegungen basierten lediglich auf ein paar Vermutungen und Wunschdenken. Mit gasigen Schmerzen im Leib musste er zugeben, dass angesichts der Umstände die Suche nach dem Durchbruch zum Bauch nicht so schlecht lief. Girlian, die sich ja im Ruheland auskannte und auch am besten orientieren konnte, hatte eine winzige Höhle mit äußerst schwachem Ee-Durchfluss entdeckt. Der Riss, nur eine halbe Körperhöhe breit, schien tief zu gehen. Ein Freiwilliger hatte nahezu die Hälfte seiner Körpersubstanz geopfert und eine langgezogene Franse ausgebildet, die hundert Sabis waagrecht in die Felsspalte hineinreichte. Wenn man seinem Gefühl vertrauen konnte, so weiteten sich die Wände am Ende dieser Schlucht aus. Die Höhle auf der anderen Seite musste, so sagte er, derart groß sein, dass ihr ganzes Volk hineinpasste.
Michael Marcus Thurner Admal erstickte das aufkommende Jubelgefransel im Ansatz. Es würde lange dauern, bis sie die Höhle so weit verbreitert hatten, dass sie durchkonnten. Währenddessen passierten beängstigende Dinge in längst aufgelassenen Höhlen und Durchgängen des Stadtlandes. Willkürliche Ee-Ausbrüche sogen unglaubliche Mengen von Genf hinaus in die Große Leere. Höhlen, die stets gut durchströmt gewesen waren, erkalteten. Viele Boten und Beobachter bezahlten ihre mutige Tätigkeit mit dem Leben. Zu Admals Erleichterung blieben die meisten Namibander ruhig und besonnen. Die Männer und Frauen würden all das tun, was er von ihnen wünschte. »Wie kommt ihr weiter?«, fragte Admal einen der Kantenhauer. Es war ein grobschlächtiger Kerl mit vernarbten Fransen, der mit unglaublichem Elan immer und immer wieder gegen das Gestein anstürmte. Kleine Bröckchen fielen in den sanften EeStrom und wurden von Helfershelfern weggekehrt, bevor sie klumpenweise erkalteten und zu Hoa wurden. »Wir geben alles«, war die einsilbige Antwort. Wieder lief er an. Eine breite Gesteinskante stürzte unter dem Jubel seiner Kollegen herab. Dreißig oder vierzig Sabis waren bereits geschafft, wie sich Admal überzeugen konnte, also mehr als ein Drittel des Gesamtweges. Zwei oder drei Namibander würden nebeneinander durch dieses Nadelöhr flosseln können, sobald die gesamte Strecke geschafft war. Hoffentlich reicht das, dachte Admal bei sich. Der Zusammenbruch des Stadtlandes schreitet immer zügiger voran. Es würde schon klappen. Es musste klappen. Wobei sie allerdings eine weitere Unbekannte nicht außer Acht lassen durften: Was erwartete die Namibander auf der anderen Seite, im Bauch?
14.
Hauch des Todes Eine Ruhephase ließ mich Schmerz und Flammenstaub nahezu vergessen. An die Trübung meines Blicks hatte ich mich längst gewöhnt und auch an die Hautschichten, die von mir abfielen wie Rindenborke. Ich nutzte diesen Moment der Klarheit, um erneut nach dem Extrasinn zu forschen. Ja – er war wach, und er konnte mich denken hören. Vielleicht hatte ich doch noch eine Chance? Würde ich denn ohne ihn leben können? Schließlich war er ein Teil meines Geistes und meiner Psyche. So wie während der seelischen Gefangennahme durch Peonu würde ich wahrscheinlich immensen Druck verspüren und ein Gefühl der Leere, das schrecklicher war als jeder körperliche Schmerz. War es das wert? Sollte ich den Tod nicht annehmen? Schließlich kam er als alter Freund zu mir, den ich schon tausendmal weggeschickt hatte … Nein! Ich würde kämpfen. Ich konnte mich keinesfalls über ein zu kleines Ego beklagen. So war ich durchaus der Ansicht, dass ein Universum mit Atlan wesentlich besser funktionierte als eines ohne. Auch mit meinem arkonidischen Heimatvolk hatte ich noch einiges vor. Es war mir nicht recht, dass ich einfach so starb. Mein Tod sollte zumindest eine Bedeutung haben und nicht so profan passieren, so abgelegen und unbemerkt. Eine neue Schmerzwehe peinigte mich. Sie war stärker und mächtiger als die vorherigen. Flammenstaub rieselte grau aus meinem Kopf, und Hautschalen starben ab. Tausende Atlans fanden in diesen Sekunden den Tod. Ich wollte mich erheben und aus diesem Loch, das voll von Staubweben war, verschwinden. Unter Aufbietung aller Kräfte kam ich hoch – und stürzte schwer zurück. Ich fiel auf den Arm. Er brach, brach entzwei. Es tat weh. Der Flammenstaub tat noch mehr weh. Also ließ ich ihm seinen … Willen und erzeugte weiteres Chaos auf diesem toten, unbewohnten Planeten.
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15. Alle Ee-Ströme versiegten. Nichts bewegte sich mehr. Das Stadtland war endgültig zum Erstarren verurteilt. »Weitermachen!«, ordnete Admal an. »Beruhigt die Wartenden; noch haben wir ausreichend Zeit, bis sich die Kälte im gesamten Stadtland ausbreitet. Bleibt währenddessen alle in Bewegung.« Die Kantenhauer machten weiter, während Boten in den riesigen Teppich der Wartenden eindrangen und Admals Worte verbreiteten. Admals Leib zitterte wie der eines alten, zerrupften Tatterfransers. Er hatte gelogen. Natürlich wusste er nicht, ob die Zeit reichen würde. Wer konnte so etwas schon voraussagen, bei der großen Gasblase? Grob gerechnet blieb ihnen noch eine dreiviertel Epse. Dann würde die Starre über sie kommen und sie unbarmherzig einschließen, ihre Leiber zerquetschen und alle Träume und Hoffnungen endgültig zum Versiegen bringen. »Schichtwechsel!«, ordnete er an. »Beeilt euch gefälligst!« Die Kantenhauer flosselten aus dem frisch geschlagenen Teilstück des Tunnels hervor. Sie waren von den Strapazen gezeichnet. Admal konnte frische Wunden und unkontrolliertes Körperzittern spüren. Frische, ausgeruhte Arbeiter nahmen ihre Plätze ein. Mit dem Mut der Verzweiflung warfen sie sich gegen die Felswände, so wie ihre Vorgänger. Admal blieb im dünnen Strahl des Ee. Dies war der einzige Ort im Stadtland, an dem es noch ein wenig Hitze zu spüren gab. Er nutzte das Privileg, hier drin treiben zu dürfen, ohne schlechtes Gewissen aus. Auf seinen Geist kam es an; er durfte unter keinen Umständen erkalten. Ab und zu streifte er über das frisch behauene Gestein, ob er eine Erwärmung oder eine Bruchstelle zu spüren vermochte. Immer wieder erteilte er neue Anweisungen. Er befahl, die Stoßrichtung ein wenig abzuändern oder Nebenboh-
46 rungen vorzunehmen. Mehrere Richtungswechsel, die durch weicheres Gestein führten, schürten die Hoffnung. Zeit verging. Vier Namibander starben während ihrer Rammversuche. Ihre aufgefranselten Leiber wurden gemeinsam mit losgebrochenem Gestein abtransportiert und im sich verfestigenden Genf abgelagert. »Hinter dem Teppich ist alles hart geworden!«, teilte ihm ein zu Tode verängstigter Bote mit. »Wir können uns kaum noch bewegen.« »Rückt enger zusammen!«, befahl Admal. »Bildet Knotengemeinschaften! Nutzt jeden freien Raum, den es gibt! Lasst uns nur den einen Spalt, den wir benötigen, um das Gestein nach hinten weg zu entsorgen!« »Es gibt kein Hinten mehr …« »Tu gefälligst, was ich dir sage!« Admal zerrte an den Gesprächsfransen des Boten. Panikartig stob der Junge davon. Admal drehte sich wieder in Richtung des dünnen Genf-Sprudels. Täuschte er sich, oder war der Strahl stärker, breiter geworden? Tatsächlich! Der Druck auf seinen Körper nahm zu. Eine Rinne herrlicher Wärme bildete einen krassen Gegensatz zu der Kälte, die sich schleichend in ihr Stadtland gestohlen hatte. Admal flosselte nach vorne. Dorthin, wo zu Tode erschöpfte Namibander mit taumelnden Bewegungen gegen das Gestein anstürmten. »Ihr habt es gleich geschafft!«, feuerte er sie an. »Eine letzte gemeinsame Anstrengung, und wir sind durch!« Er gliederte sich in die Reihen der müden Männer ein. Schob, drängelte, drückte. Sie mussten diesen einen Pfropfen wegdrücken. In den Leerraum, den er dahinter erahnte. Nun gab es für Admal kein Zaudern und Zweifeln mehr. Er malte sich aus, was im Bauch auf sie wartete. Herrliche Kaskaden warmen Ees, die sich über abgerundetes Felsgestein nach allen Seiten ausbreiteten. In denen er sich laben konnte und die, wenn er den richtigen Moment abwartete, ihn unwi-
Michael Marcus Thurner derstehlich hochsprudelten und ihn in einen gemächlich dahintröpfelnden Seitenstrang spülten. Diese Gedanken gaben ihm Kraft. »Und – zugleich!«, rief er. Sie stürmten drauflos. Drei Dutzend Männer in einem engen Knäuel. Das Gestein wankte, der Strahl des Ee nahm neuerlich zu. »Und – zugleich!« Dasselbe Kommando, dasselbe brutale Manöver. Die freigeräumte Höhle bebte. Admal schob seine Ängste, dass unter der Wucht ihr fragiles Räumwerk in sich zusammenstürzen würde, beiseite. Es galt. »Und – zugleich!« Ein Knäuel, dessen Außenflanken großteils nur noch aus totem Fransengewebe bestanden, rammte mit aller verbliebenen Kraft gegen die Felswand. Unbekannte Kraftlinien wurden plötzlich spürbar. Feine Risse erschienen dort, wo sie aufgeprallt waren, verbreiterten sich, zogen sich durch das Gemäuer. Etwas hatte nachgegeben. Die Männer entwirrten sich müde und flosselten dann ruhig im Strom. Drei weitere tote Körper wurden nach hinten weggeschwemmt. Admal wagte sich als Erster vor an die Wand. Er hatte Angst. Gasige, verfluchte Angst. Zigtausend Namibander warteten hinter ihm. Auf seinem Leib lastete die Verantwortung für alles, was in den letzten Epsen passiert war. Vorsichtig tippte er gegen das Gestein. Es fühlte sich morsch und bröckelig an. Flammende Hitze strömte aus kleinen Löchern über seinen Körper. Er verstärkte den Druck seiner Fransen. Ein leibgroßer Brocken stürzte nach vorne. Feuer badete ihn augenblicklich, leckte und liebkoste ihn. Das Gefühl war so schön, so heiß, so … anders. Sie hatten den Bauch erreicht. Er ließ sich nach hinten treiben, auf die anderen zu. Merkwürdige Ruhe hatte ihn erfasst. Admal flosselte an den Kantenhauern vorbei, ließ sich wegschwappen, bis er einen
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Boten erreicht hatte. Er packte ihn an den Fransen, fest und sanft zugleich. »Sag ihnen allen, dass wir es geschafft haben. Das Volk kann umziehen, hinein in den Bauch und möglicherweise noch weiter. Sie sollen diszipliniert vorrücken und sich gefälligst beeilen.« Er ließ los und kümmerte sich nicht weiter um seinen Gesprächspartner. Er brauchte Ruhe und Abstand. Einen Platz, an dem er sich verstecken konnte, um die große Leere zu begreifen, in die er mit einem Mal gefallen war.
16. Alles um mich erstarrte. So weit ich blicken konnte, stand die Welt still. Ich wollte diesen Gestank nach Schwefel und Ammoniak nicht, dieses flammende Schreckbild ständig nachquellender Lavamassen und schon gar nicht die tektonische Unruhe unter meinen Beinen. Mein Zorn auf … auf … Ichweißnichtwas zeigte unglaubliche Folgen. Ich war der Flammenstaub, und der Flammenstaub war ich. Müde zog ich mir weitere abgestorbene Wahrscheinlichkeiten, dünn wie Gazehäute, beiseite. Sie starben so rasch, dass ich kaum nachkam, zumal der eine Arm – welcher? Der linke oder der rechte? Ich konnte mich nicht mehr an den Unterschied erinnern – schmerzte. Ich blickte ihn an. Ein Knochen stach in irrwitzigem Winkel aus dem Fleisch hervor. Eingerissene Sehnen, hauchdünn und hellrot, bewegten sich, wenn ich meine Finger beugte. Ich lachte und wünschte diese ganze Welt zum Teufel. Nun – selbst die Wirkung des Flammenstaubs schien Grenzen zu haben, denn es veränderte sich nichts. Nur der Schwefelgeruch kehrte wieder. Da lag ich, inmitten eines riesigen Haufens durchsichtiger Lebensfolien, und pump-
te Unmengen des Flammenstaubs aus mir. Wie eine Wolke aus glitzernden, irisierenden Staubfusseln schwebte er über meinem Kopf. Ich fragte mich, woher all dieses Zeug kam. Hatte es sich in mir vermehrt? Das Nachwachsen der Gazeschichten endete. Vielleicht waren es noch vier oder fünf, die ich auf mir fühlte. Seltsamerweise spürte ich Leben in ihnen. Vitalimpulse. Ich verstand. Dies waren jene Atlans, die mir am nächsten standen. Die sich vielleicht nur in winzigsten Details von mir unterschieden. Ein Atlan verging, dann der nächste. Ich war müde, so unendlich müde. Ich wollte dieses Leben nicht mehr ertragen, wollte einfach nur noch schlafen und all das, was sich in mir abspielte, vergessen. Ein weiterer Atlan starb. Wir waren nun alleine, der Andere und ich. Beide litten wir dieselben Schmerzen und starrten fassungslos auf den gebrochenen Arm, aus dessen offener Wunde träge Blut hervordrang. »So hätte es niemals enden sollen«, sagte ich. »Wir dürfen nicht aufgeben«, entgegnete er. Entsprang dies einer Einbildung, oder konnten wir tatsächlich miteinander kommunizieren? »Ich höre dich, so, wie du mich hörst«, murmelte der Andere. »Ich verstehe deine Gedanken. Ich bin du. Du bist ich.« »Es wird nicht mehr lange dauern, dann bist auch du weg.« Ich grinste schwach. »Ich werde alleine sterben.« Er lächelte gleichzeitig mit mir. »War es denn das?«, fragte er mich, während sich die Wolke des Flammenstaubs über uns weiter verdichtete und zusammenzog. Die Welt um uns hörte währenddessen auf, sich auf meinen Wunsch hin zu verändern. Meine Kraft reichte nicht mehr aus. Ich vermeinte, ein Muster im Flirren des Flammenstaubs zu erkennen. Das einer Spiralgalaxis, das sich immer weiter ausbreitete …
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»Ja, das war's«, gab ich nach geraumer Weile zur Antwort. Auch das Reden tat nun gehörig weh. »Wir brachten nicht alles zu Ende, was wir uns vorgenommen hatten. Die Lordrichter … die Befreiung der Cappins … Peonu …« »Es hätte niemals ein Ende gegeben.« Ich drehte mich zur Seite, krümmte mich in eine Embryonalstellung. So, wie ich geboren wurde, so wollte ich sterben. »Haben wir etwas zu bereuen?«, fragte ich den Anderen. »Vieles – und doch nur wenig. Angesichts unseres Alters wahrscheinlich nur Bagatellen.« »Unsere Feinde, und das waren im Laufe der Jahrtausende ein ganzer Haufen, waren sicherlich anderer Meinung.« Er lachte. Leise und schwach. Wir würden einfach einschlafen. Zuerst er, dann ich. Dann war da die Idee.
17. Die Beben hatten sich beruhigt. All die plötzlichen, unbegreiflichen Änderungen waren zu einem Ende gekommen. Das Genf floss kräftig und herrlich warm durch den Bauch. Sie badeten darin, eng ineinander geschlungen, und wiegten sich in einer kollektiven Melodie. Dichter und Kunstfransler arbeiteten bereits gut vernehmbar an einem Heldenepos, das sie ihm auf den Leib schreiben würden. »Admal Kalistein-aus-dem-Tiefsten ist ein Heroe, wie ihn das Volk noch nie gesehen hat!«, dröhnte eine kräftige Stimme. Mehrere Namibander nahmen die Worte auf, trugen sie weiter, bis sie durch den gesamten Teppich vibrierten. Jubel, Fröhlichkeit und Erleichterung machten sich Luft, so laut, dass der Fels zu beben schien. Doch hier, an der Jenseitsseite des Stadtlandes, konnte ihnen – vorerst – nichts passieren. Die Fachleute hatten ihre Prüfungen längst abgeschlossen. Dies war Genf, gesünder und reiner als jenes, das sie bislang um sich gehabt hatten. Und die Statik der Felswände gab
Anlass zu der Hoffnung, dass sie hier für lange Zeit würden leben können. »Danke«, sagte Admal bescheiden. Nach wie vor wusste er nicht, wie er mit den Ereignissen der letzten Stunden umgehen sollte. War er immer schon so gewesen, wie er sich jetzt fühlte, und hatte bloß die Augenblicke der letalen Gefahr gebraucht, um auf seine besonderen Gaben zurückgreifen zu können? Oder hatte der Zufall Regie geführt? War er ein Kind des Glücks, das im richtigen Moment am richtigen Platz gewesen war? Auf diese Fragen würde es wohl keine Antworten geben. Admal musste nach vorne blicken. Es gab so viel zu tun. Wahrscheinlich würde seine Lebenszeit nicht ausreichen, um all das zu erledigen, was er sich in diesem neuen Lebensraum vorgenommen hatte. Er platzte vor Tatendrang. Ideen, Pläne und Vorschläge drängten in seinen Geist, und eine unstillbare Sehnsucht erwachte: Er wollte alles über das Warum herausfinden. Warum das Stadtland binnen kürzester Zeit ausgetrocknet und warum all die Eeund Hoa-Flüsse versiegt waren. Gab es etwa Leben jenseits der Großen Leere? Unwahrscheinlich. Nach namibandischem Ermessen konnte kein Wesen, egal wie fremdartig es auch sein mochte, im Nichts existieren. War also alles nur Zufall oder Bestimmung gewesen? Nun – er würde viel darüber nachdenken. Unruhe entstand an den Rändern des Teppichs. Stille, freudige Unruhe. Admal Kalistein-aus-dem-Tiefsten rollte sich wohlig zusammen. Es gab sie also wirklich, die jenseitigen Verwandten. Sie waren gekommen, um sie zu begrüßen. Sie waren wieder ein Volk.
18. Der Zellaktivator, der mich seit vielen Jahren am Leben erhielt, schickte seine belebende Wirkung mit derartiger Heftigkeit
Hauch des Todes durch meinen Körper, dass ich nicht einmal mehr zwischen den einzelnen Impulsen unterscheiden konnte. Der Chip, den ich von ES nahe dem rechten Schlüsselbein implantiert bekommen hatte, surrte unruhig vor sich hin. Er schien überhitzt und überlastet, und er erzeugte zusätzliche Schmerzen. Er konnte die vom Flammenstaub verursachte Wirkung nicht mehr ausreichend neutralisieren. Mein Plan geriet in Vergessenheit. Kein Gedanke wollte mehr haften bleiben. Alles verschwamm, alles wurde weich, ätherisch leicht und seltsam trivial. Hätte ich die Kraft besessen, hätte ich wohl mit den Schultern gezuckt. Was war schon dran am Tod? »Noch ist es nicht so weit«, murmelte der Andere, während sich auch seine Lebensfolie mehr und mehr verfestigte. »Du hattest eine Idee?« Ich beneidete ihn um seine Kraft. Er schaffte es, seine Lippen zu bewegen. Es fiel mir wieder ein, was ich vorgehabt hatte. Mir blieben vielleicht noch Sekunden. Ich musste mich konzentrieren, die träge gewordenen Zahnräder in meinem Kopf ein letztes Mal in Bewegung setzen. Ein letztes Atemanhalten, eine letzte Anstrengung. Ich dachte: Leb wohl! Dann atmete ich tief ein. Sog mit all meiner Restkraft den Flammenstaub in mich zurück. Ich spürte währenddessen den Anderen. Er war verwirrt, er konnte mit meiner Idee nichts anfangen. Vielleicht waren die Gedanken der letzten Minuten der einzige Unterschied, der uns jemals ausgemacht hatte. Der Großteil seiner Flammenstaub-Wolke ging ebenfalls auf mich über, weil ich es so wollte. Ich besiegte dieses verfluchte Zeug, indem ich es nutzte – denn ich befreite den Anderen. Er würde leben, ich sterben. Ich war einem – verständlichen – Irrtum erlegen. Nicht ich, sondern er war es, der auf der stärksten, der wahrscheinlichsten
49 Zeitlinie lebte. Sein bisschen Mehr an Energie machte möglicherweise den Unterschied zwischen uns beiden aus. Er war der Atlan. Aber schlussendlich ist alles eine Sache der Perspektive, nicht wahr?
* Schwarze Wolken zerbissen mein Gehirn, sie tobten durch die Ganglien und löschten mein Denken mit tollwütiger Rasanz aus. Ich wehrte mich, denn es gab zwei Dinge, die ich zuvor noch erledigen wollte. Vielleicht würde ich explodieren, inmitten einer Staubwolke aus unerfüllten Möglichkeiten? Der Andere musste also weg. Ich schleuderte ihn von mir. Nicht physisch, sondern unter Ausnutzung des Flammenstaubs. Und ich würde ihm ein Abschiedsgeschenk bereiten. Ein Transportmittel dorthin zurück, wo auch ich gerne gestorben wäre. Eine Passage in die Milchstraße. Ein Schiff der Cappins würde kommen und ihn aufnehmen. Die Schmerzen verklangen, machten der finalen Gleichgültigkeit Platz. Das fingergroße Muttermal am rechten Oberschenkel juckte, und ein letztes Mal kratzte ich darüber. Mein Leben war vollbracht. Ich ließ den Tod geschehen.
19. Im Bauch, viel später: Admal hatte Dinge getan, die in den Erinnerungen der Namibander für alle Ewigkeiten verankert bleiben würden. Es galt noch eines zu tun, bevor er sich auf seine alten Tage in eine einsame Höhle zurückzog, um über das Abenteuer des Lebens nachzudenken. »Ich bin so weit, Girlian«, sagte er zu seiner Frau. »Es muss jetzt sein oder nie.« Sie tätschelte zärtlich über seine alten, etwas krumm gewordenen Fransen. »Ja. Ich denke, dass ich jetzt Zeit für dich habe.«
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Auch ihr Körper war alt und gebrechlich geworden. Sie konnte die Kraftlinien, die sie früher so geliebt und außerordentlich gut gespürt hatte, kaum mehr wahrnehmen. Dennoch schaffte sie es mit ihrer nervtötenden, charmanten, immens lästigen und liebenswerten Art, binnen kurzer Zeit einen gut gehegten Hort paarungswilliger Männer um sich zu sammeln. Genau fünfundzwanzig Namibander knüpften sich zu einem Liebesteppich zusammen. Fünfundzwanzig war eine gute Zahl. Niemals hatte sie ihn, Admal, in den Geburtstanz mit einbezogen. Jetzt erst, zum Ende ihres Lebens, erhörte sie sein Werben. »Du wirst verstehen, warum«, hatte Girlian stets ausweichend gefranselt. Sie verschlangen sich ineinander, während die Frau Pheromone ausschüttete, die einzelnen Väter umgruppierte und den Paarungstanz mit viel Geschick und Zärtlichkeit dirigierte. Schließlich ließ sie sich ins Zentrum des Teppichs gleiten. Dorthin, wo Ad-
mal schwebte. Im Zentrum der Hitze, im Mittelpunkt aller Ekstase und Glückseligkeit. Girlian glitt auf ihn zu, legte sich über ihn, wurde eins mit ihm. Sie löste sich auf. Ihr Körper verdampfte während des Geschlechtsverkehrs. »Normalerweise würde ich mich während des Geburtsvorganges meines letzten Kindes auf alle Väter verteilen«, hörte Admal ihre Stimme in sich, »und niemand würde ahnen, wohin ich verschwunden wäre. Aber du bist etwas Besonderes. Meine Gedanken und meine Erinnerungen werden für immer in dir bleiben.« Girlians Körperlichkeit verwehte. Das, was die Frau ausgemacht hatte, steckte von nun an in Admal. Und das Kind, das gezeugt worden war, wurde zu etwas ganz Besonderem. ENDE
ENDE
Todeszone Schimayn von Christian Montillon Dem verletzten Atlan bleibt nur wenig Zeit, sich von der strapaziösen Konfrontation mit sich selbst bzw. seinem »Alternativ-Ego« zu erholen. Welche Wirkung hat der restliche Flammenstaub? Wird der Arkonide seinen wertvollen varganischen Raumanzug wiederfinden?
Hauch des Todes
51 Infoblock "info": Lesermagazin
Liebe ATLAN-Leserinnen und -Leser, während ich diese Zeilen schreibe, stecke ich schon mitten in euren Geschichten aus dem Intrawelt-Storywettbewerb. Ich muss sagen: Respekt! Da waren bislang einige echte Leckerbissen dabei. Wie schon vor zwei Wochen angesprochen gibt es diesmal ein Jubiläum zu feiern, nämlich den 50. Heftroman der (neuen) ATLAN-Serie. Aus diesem freudigen Anlass erscheint es mir legitim, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und all denen, die noch nicht so alt und zittrig sind wie ich, ein klein wenig über die literarische Historie unseres unsterblichen Arkoniden zu erzählen. Die Legende besagt, dass alles an jenem schicksalhaften 7. August des Jahres 1962 a. D. begann … An diesem Tag erscheint nämlich der 50. Roman der damals noch jungen und wenig bekannten PERRY RHODAN-Serie. Chefautor Karl-Herbert Scheer hat schon in den Wochen zuvor intensiv darüber nachgedacht, welche besondere Überraschung er den Lesern zu diesem Jubiläum bieten kann. Das Ergebnis seiner Überlegungen heißt Atlan und ist ein unsterblicher Arkonide, der die vergangenen 10.000 Jahre im biologischen Tiefschlaf in einer Unterwasserkuppel am Grund des Atlantischen Ozeans zugebracht hat. Einst auf der primitiven Erde gestrandet, lässt er sich von der hochwertigen Technik der Kuppel in unregelmäßigen Abständen immer wieder wecken, um die Entwicklung der jungen Menschheit zu beobachten und gegebenenfalls fördernd einzugreifen. Seine entsprechenden Streifzüge durch die Geschichte werden später in rund 60 Taschenbüchern (die sogenannten Zeitabenteuer im Rahmen der PRPlanetenromane) beschrieben und begründen Hans Kneifels legendären Ruf als Atlan-Kenner. Besagte Zeitabenteuer sind inzwischen übrigens in der Reihe der ATLAN-Blaubände in überarbeiteter und ergänzter Form wieder erhältlich. Atlan hat sich im Juli 1971 Handlungszeit letztmalig in seine Kuppel zurückgezogen, da er aufgrund der politischen Entwicklungen auf der Erde den Ausbruch eines weltweiten Atomkriegs befürchten muss. Seine Bemühungen, die Menschheit in die Lage zu versetzen, eines Tages überlichtschnelle Raumschiffe zu bauen (und damit in seine Heimat Arkon zurückzukehren), sieht er als gescheitert an. PR-Band 50 (»Der Einsame der Zeit« von K. H. Scheer) beginnt im Handlungsjahr 2040. Atlan erwacht aus seinem fast 70-jährigen Schlaf und stellt überrascht fest, dass die Menschen sich nicht wie erwartet gegenseitig vernichtet, sondern unter der Führerschaft von Perry Rhodan ein blühendes Imperium errichtet haben. Im Zuge der weiteren Ereignisse kommt es zunächst zum Konflikt mit dem großen Terraner, aus dem schließlich jedoch eine jahrtausendelange Freundschaft erwächst. Der unsterbliche Arkonide entwickelt sich schnell zu einem der beliebtesten Handlungsträger der PR-Serie. So ist es kein Wunder, dass der damalige Chefredakteur des Verlags, Kurt Bernhardt, bereits im Jahr 1967 den Plan entwickelt, Atlan eine eigene Serie zu
spendieren. K. H. Scheer lehnt zunächst aus Zeitmangel ab, erstellt dann aber doch ein erstes Manuskript auf Basis seines PR-Romans Nr. 150 (»Die Spezialisten der USO«). Dennoch sollen zwei weitere Jahre vergehen, bis im Oktober 1969 das erste ATLAN-Heft veröffentlicht wird (»Das galaktische Syndikat« von K. H. Scheer). Die Romane erscheinen zunächst monatlich, dann (ab Band 15) vierzehntäglich und schließlich, da die Leserresonanz stetig zunimmt, wie ihr großer Bruder PR jede Woche (ab Band 88). Im September 1978 startet sogar eine zweite Auflage, die später mit Erscheinen von Band 299 wieder eingestellt wird. In den ersten 87 Heften spielt der Arkonide selbst nur eine Nebenrolle. In seiner Funktion als Lordadmiral der United Stars Organisation, einer Art galaktischer Feuerwehr, schickt er seine Agenten – in der Hauptsache das Team um Ronald Tekener und den Kosmokriminalisten Sinclair Marout Kennon – in die diversen Risikoeinsätze, hält sich selbst jedoch im Hintergrund. Die Romane tragen deshalb auch den Untertitel »Im Auftrag der Menschheit«. Mit Band 88 (inzwischen hat William Voltz die Expose-Redaktion von K. H. Scheer übernommen) startet der Großzyklus »Der Held von Arkon«. Diese Romane erscheinen zunächst nur alle vier Wochen unter dem Titel »Atlan Exklusiv« (die drei Hefte dazwischen setzen weiterhin die USO-Abenteuer fort), ab Band 120 dann vierzehntäglich und ab Band 176 wöchentlich. Die Handlung spielt rund 8000 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung und beschreibt Atlans steinigen Weg während seines Kampfes gegen den arkonidischen Imperator Orbanaschol III. Dieser hat Atlans Vater, Imperator Gonozal VII. ermorden lassen und danach selbst den Thron bestiegen. Die entsprechenden Romane sind inzwischen in den ATLANBlaubänden ab Band 17 als »Jugendabenteuer« in überarbeiteter und ergänzter Form nachzulesen. Im Juni 1977 beginnt mit Band 300 ein weiterer Großzyklus mit dem Titel »Der König von Atlantis«. Er spielt in den Jahren 2648 bis 2650 a. D. und weist einen hohen Fantasy-Anteil auf, weshalb er bei vielen Lesern bis heute umstritten ist. Auf der Erde materialisiert unvermittelt ein Weltenfragment, bei dem es sich angeblich um einen Teil des Kontinents Atlantis handelt. In Wahrheit ist Pthor, so der Name des Fragments, ein Dimensionsfahrstuhl. Während die Romane bis Band 399 Atlans Erlebnisse auf Pthor selbst schildern, beginnen ab Band 400 die Abenteuer in der Schwarzen Galaxis und die Konfrontation mit der negativen Superintelligenz Dunkler Oheim, die Dimensionsfahrstühle wie Pthor ausschickt, um Chaos und Vernichtung zu säen. Ab Band 444 übernimmt Marianne Sydow die Expose-Redaktion. Soweit der erste Teil unseres Ausflugs in die Vergangenheit, den wir aus Platzgründen auf der nächsten Leserseite fortsetzen. Übrigens: Schreibt mir mal, wie euch solcherlei Hintergrundberichte gefallen. Falls sie euren Beifall finden, werde ich sie in Zukunft immer wieder einstreuen.