Johannes B. Berentzen Handelsmarkenmanagement
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Johannes B. Berentzen Handelsmarkenmanagement
GABLER RESEARCH Unternehmenskooperation und Netzwerkmanagement Herausgeber: Prof. Dr. Dieter Ahlert Universität Münster Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Distribution und Handel, Geschäftsführender Direktor des Internationalen Centrums für Franchising & Cooperation Prof. Dr. Utho Creusen Honorarprofessor an der Universität Münster Aufsichtsrat der ARCANDOR AG Senior-Consultant to the Management Board Media-Saturn-Holding Prof. Dr. Thomas Ehrmann Universität Münster Direktor des Instituts für Strategisches Management und des Internationalen Centrums für Franchising & Cooperation Prof. Dr. Günter Olesch Direktor des Internationalen Centrums für Franchising & Cooperation, Honorarprofessor an der Universität zu Köln
Johannes B. Berentzen
Handelsmarkenmanagement Solution Selling in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Münster, 2009 D6
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Claudia Jeske | Sabine Schöller Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1892-5
Meinen Eltern
Geleitwort Kooperative Unternehmensnetzwerke verkörpern die weltweit am stärksten wachsende Organisationsform für unternehmerische Aktivitäten sowohl im Business to Consumer-Bereich als auch im Business to Business-Bereich. Die bekanntesten Beispiele sind Franchisesysteme, Gewerbliche Verbundgruppen und Vertragliche Selektivvertriebssysteme zwischen Industrie und Handel, hier insbesondere Vertragshändler-, Shop-in-Shop-, Lizenz- und Depotsysteme. Neuerdings gewinnen Systemdienstleistungs- und Service-Netzwerke auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage (z.B. als Aktiengesellschaft konfiguriert), ferner Efficient Consumer Response (ECR)Wertschöpfungspartnerschaften und die sogenannten Virtuellen Netze zunehmend an Bedeutung. Unter den differenten Unternehmenskooperationen erweisen sich offenbar diejenigen als besonders erfolgreich, die über ein professionelles Netzwerkmanagement verfügen. Sie kennzeichnen sich durch eine spezifische Form der Koordination verteilter Aktivitäten bei der Erstellung und Vermarktung eines Leistungsangebots für die Nachfrager. Ihr Erfolgspotenzial besteht darin, dass sie marktliche und hierarchische Steuerungskomponenten sinnvoll kombinieren: Unternehmensnetzwerke mit Systemkopf verbinden das Prinzip der Kooperation zwischen eigenständig handelnden Akteuren mit den Vorteilen einer systematischen Steuerung durch eine Managementzentrale. Ein erstes Anwendungsfeld für Unternehmensnetzwerke sind räumlich verteilte Aktivitäten: Die geographisch verstreut angesiedelten Nachfrager, seien es Konsumenten, gewerbliche Abnehmer oder seien es institutionelle Haushalte, erwarten eine individuelle Betreuung durch räumlich nahe, stationäre Leistungsanbieter. Für das kundennahe, flexible Agieren ‚vor Ort‘ sind hoch motivierte Unternehmer mit hoher Eigenständigkeit prädestiniert, die jedoch durch effizient gesteuerte Hintergrundsysteme entlastet werden. Ein zweites Anwendungsfeld sind sachlich verteilte Aktivitäten arbeitsteilig operierender Unternehmungen, die gemeinsam eine komplexe, z.B. aus differenten Waren, Service-, Handwerks- und/oder Dienstleistungen zusammen gesetzte Problemlösung für den Verbraucher anbieten. Im Idealfall ist die Arbeitsteilung derart konfiguriert, dass jeder Netzakteur diejenigen Aufgaben übernimmt, die er vergleichsweise am besten beherrscht. Ein weiteres Anwendungsfeld sind parallele, miteinander konkurrierende Aktivitäten, die durch Kartellierung in monopolähnliche Leistungsangebote überführt werden sollen. Horizontale Unternehmensnetzwerke dieses Typs gehören allerdings nicht zu den hier betrachteten Unternehmenskooperationen.
VIII
Geleitwort
Die in der vorliegenden Reihe publizierten Forschungsarbeiten entstehen überwiegend aus einer engen Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis. Sie sollen theoretisch vorgebildeten Praktikern in Bezug auf den oben angesprochenen Restrukturierungsprozess Hilfestellung leisten, indem mit einzelnen Beiträgen die Grundzüge einer praxisorientierten Theorie des Netzwerkmanagements erarbeitet werden. Hierbei werden im Wesentlichen vier Forschungslinien verfolgt: (1) Institutionelle Aspekte von Unternehmensnetzwerken Arbeiten innerhalb dieses Forschungsfeldes beschäftigen sich mit Fragen der typologischen Erfassung und Explikation der Funktionsweise von Netzwerken. Realtypen von Netzwerkarrangements sollen identifiziert und deren Entstehung und Entwicklung erklärt werden. Dabei wird auch die Konversion von Netzwerken – von einer eher dezentralen hin zu einer eher zentralen Steuerung – als Antwort auf veränderte Marktbedingungen eingehenden Analysen unterzogen. Vorgelagert sind Netzwerke kontextabhängig zu definieren sowie Netzwerkphänotypen zu charakterisieren. (2) Benchmarking von Unternehmensnetzwerken Die Arbeiten im Bereich des Benchmarking sind überwiegend empirisch und international ausgerichtet. In Form von Studien, die zugleich die Erfolgsfaktorenforschung integrieren, wird – neben der Identifikation vorbildlicher Netzwerk- (Teil-) Konzeptionen und deren Erfolgsursachen – herausgearbeitet, ob im Ländervergleich unterschiedliche Evolutionsstadien von Netzwerkarrangements auszumachen und zu erklären sind. Mit Blick auf die Übertragbarkeit sowie Verbreitung exzellenter NetzwerkPraktiken sollen potenzielle Anwendungsbarrieren identifiziert werden, die eine Expansion beeinträchtigen könnten. (3) Controlling, Evaluation und Zertifizierung von und in Unternehmensnetzwerken In diesem Bereich sind Arbeiten angesiedelt, die anhand unterschiedlicher Kriterien und aus verschiedenen Betrachtungsperspektiven die Performance (z.B. in Form der Effizienz oder Effektivität) von Unternehmenskooperationen beurteilen und bewerten. (4) Managementkonzeptionen zur Führung von Unternehmensnetzwerken Arbeiten dieses Bereiches sollen zur Gestaltung geeigneter Managementkonzeptionen für die differenten Erscheinungsformen von Netzwerken beitragen. Im Mittelpunkt stehen der wertorientierte Managementansatz, das integrierte Markenmanagement, das Customer Value Management, das Customer Relationship Management, das Customer Trust Management und das Customer Satisfaction Management. Induktiv sollen dabei die Managementkonzepte (vermeintlich) vorbildlich betriebener Netzwerke im Rahmen des Benchmarking (vgl. Punkt 2) identifiziert und analysiert sowie deduktiv idealtypische Managementkonzeptionen für differente Netzwerkausprägungen abgeleitet werden.
Geleitwort
IX
Die Reihe „Unternehmenskooperation und Netzwerkmanagement“ wurde von den Herausgebern in der festen Überzeugung initiiert, dass im Systemwettbewerb den hybriden Systemen, die den kundenindividuellen, flexiblen Marktauftritt der Netzakteure im Front-End-Bereich (Unternehmertum ‚vor Ort‘) mit einer zentralisierten, effizienzorientierten Gestaltung und Steuerung des Back-End-Bereichs (Ausschöpfung der neuesten Technologien) verbinden, die Zukunft der Güterdistribution gehört. Vor diesem Hintergrund untersucht Johannes B. Berentzen in seiner Dissertation den Status quo des Handelsmarkenmanagements sowie das Marken- und Handelsmarkenverständnis in ausgewählten Konsumgüterbranchen. Folglich ist die Arbeit der vierten Forschungslinie zuzurechnen. Besondere Berücksichtigung findet zum einen die Ausgestaltung der Hersteller-Handels-Beziehung und zum anderen die Übernahme bestimmter Aufgaben des Handelsmarkenmanagements durch lösungsorientierte Hersteller und Dienstleistungsunternehmen im Sinne eines Solution SellingAnsatzes. Mit einer Vielzahl an aktuellen Beispielen erhöht Herr Dr. Berentzen die Lesbarkeit und Gegenstandsorientierung seiner Arbeit und gewährleistet auf diese Weise die Anschlussfähigkeit in der Praxis. Der wissenschaftliche Beitrag der Arbeit besteht unter anderem in der Erarbeitung einer zeitgemäßen Definition des Handelsmarkenbegriffs sowie in der Einführung und Darstellung von Handelsmarkenarchitekturen. Zusätzlich werden einfache und komplexe Handelsmarkenkonzepte unter Berücksichtigung der vier Handelsmarkengenerationen, wie sie international und zunehmend auch in Deutschland vorzufinden sind, dargelegt. Für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen interessant sind das überraschend unterschiedliche Verständnis von Handelsmarken und der stark variierende Professionalitätsgrad ihres Managements in den drei untersuchten Branchen. Im Bereich DoIt-Yourself gelten Handelsmarken zumeist als Billigalternative, in der Lebensmittelbranche avanciert die Handelsmarke gegenwärtig zu einem wichtigen Profilierungsinstrument und in der Bekleidungsbranche verschwimmen zusehends die Grenzen zwischen Markenartikel und Handelsmarke. Das in der Arbeit angewandte inhaltsanalytische Vorgehen der qualitativen Sozialforschung erweist sich als geeignete Forschungsmethode, die auch in anderen Bereichen der Marketingwissenschaft zunehmend zum Einsatz kommt. Die vorliegende Arbeit zeigt in beeindruckender Form, dass qualitative Forschung hoch innovativ sein kann und durchaus interessantere Einsichten zu vermitteln vermag als traditionelle, quantitative Studien. Die ausführliche Darstellung der empirischen Ergebnisse in Form von wiedergegebenen Interviewausschnitten verleihen der Arbeit zudem ein hohes Maß an Authentizität und ermöglichen Vertretern der Wissenschaft Einblicke in die Unternehmenspraxis, wie dies nur selten in der wissenschaftlichen Literatur gelingt.
X
Geleitwort
Mit dem vorliegenden Werk präsentiert Herr Dr. Berentzen eine umfassende empirische Untersuchung des Handelsmarkenmanagements, die durch eine stets leicht verständliche und gut nachvollziehbare Darstellungsweise besticht. Er erarbeitet zahlreiche, hochgradig problemstellungsbezogene Ansätze zur Bewältigung des Handelsmarkenmanagements, die auch und insbesondere Praxisvertretern als Lektüre anzuempfehlen sind. Johannes B. Berentzen gelingt es, mit seiner Dissertation eine wichtige Forschungslücke zu schließen, sowohl in theoretischer als auch in praktisch-normativer Hinsicht. Die Arbeit ist als richtungsweisend für weitere Untersuchungen zu würdigen. Die Reihe Unternehmenskooperation und Netzwerkmanagement wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie durch das Internationale Centrum für Franchising & Cooperation (F&C) an der Universität Münster gefördert. Diesen Institutionen, ihren Trägern und Mitarbeitern sowie dem Gabler Verlag danken die Herausgeber für das vielfältige Engagement.
Prof. Dr. Dieter Ahlert Prof. Dr. Utho Creusen Prof. Dr. Thomas Ehrmann Prof. Dr. Günter Olesch
Vorwort „In den Augen das Leuchten der Sterne, das Flimmern der Heidsonnenglut. Und tief in der Seele das Ferne, das Sehnen, das nimmermehr ruht.“ 1
Die Doktorarbeit kann vorzüglich mit einem Marathon verglichen werden, bei dem unter höchster Anstrengung ein unvorstellbar langer und mühsamer Weg zu absolvieren ist. Dies kann nur gelingen, wenn der Betreffende getrieben ist von einer tiefen Motivation, das Ziel zu erreichen – einem Sehnen, das nimmermehr ruht! Wie bei einem Marathon – an dem ich erstmals 2008 in Münster teilnahm – existieren in der Promotionszeit leichte und schwierige Streckenabschnitte. In beiden Fällen sind zudem viele Menschen beteiligt, die bei der Vorbereitung auf diesen langen Weg helfen und viele, die den Weg mitgehen und ohne die ein Ankommen im Ziel nicht möglich wäre. Meinen Wegbegleitern auf dem Marathon der Dissertation möchte ich in diesem Vorwort von Herzen danken. Mein erster Dank gilt meinem akademischen Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dieter Ahlert, der den wissenschaftlichen Ackerboden bereitstellte, in dem die zarten Pflänzchen meiner Forschungsbemühungen gedeihen durften. Ich danke ihm für Kritik und Inspiration im gleichen Maße, aber auch für das Teilen einer tiefen Neugierde und ein sich nicht zufrieden geben mit dem einfachen Weg. In seiner stets kompetenten, unnachahmlichen, überaus humorvollen und sympatischen Art hat er bereits in meiner Zeit als wissenschaftliche Hilfskraft mein wirtschaftswissenschaftliches Verständnis geprägt und mich in meinem Wunsch bestärkt, den Weg der Promotion einzuschlagen. Für das in mich gesetzte Vertrauen und für die mir gebotenen hervorragenden Arbeitsbedingungen in einem jungen und hochmotivierten Team wissenschaftlicher Mitarbeiter bin ich ihm zu tiefer Dankbarkeit verpflichtet. Für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens sowie für viele wertvolle Hinweise in intensiven Diskussionen gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Manfred Krafft. Bedanken möchte ich mich weiterhin bei allen Interviewpartnern für ihre Auskunftsbereitschaft, Geduld und zahlreiche konstruktive Diskussionen. Ohne sie hätte diese Dissertation nicht in der vorliegenden Form entstehen können. Meinen Dank schulde ich in diesem Zusammenhang zudem Bekannten, Freunden und den Sektretariaten, die mir bei der Vermittlung und Koordniation der Interviewtermine geholfen haben.
1
O. V., zitiert nach Cramer (2006), S. 102.
XII
Vorwort
Meine Zeit der Promotion in der wunderschönen Studentenstadt Münster werde ich mein Leben lang in bester Erinnerung behalten, wozu nicht zuletzt die familäre Atmosphäre und viele gemeinsame Events an unserem Institut beigetragen haben. Für diese unvergessliche Zeit danke ich der guten Seele des Instituts, Frau Anne Feldhaus sowie dem gesamten Lehrstuhl-Team, namentlich Dr. Markus Blut, Hai-Van Duong Dinh, Tim Eberhart, Katherina Gehrmann, Tobias Heußler, Julian Kawohl, Dr. Manuel Michaelis, Nils Ommen, Inga vom Rath, Benjamin Schefer, Sandra Vering, Dr. Verena Vogel, Prof. Dr. David Woisetschläger sowie Dr. Christof Backhaus und meinem geschätzten Bürokollegen aus Raum 11, Dr. Christian Brock. Den beiden letztgenannten danke ich zudem für die Durchsicht des Manuskripts. Ein ganz spezieller Dank gilt Dr. Vivian Hartleb, die mit mir die Höhen und Tiefen der Dissertation und der hießigen Schwimmbäder erkundete und Maja Rohlfing, die beständig für Blumen und Süßigkeitennachschub sorgte. Beide standen mir in unzähligen Stunden bei Korrekturen, kritischen Diskussionen sowie vielen gemeinsamen sportlichen wie kulinarischen Aktivitäten als herzensgute Mitstreiter bedingungslos zur Seite und ich wäre ohne ihre Hilfe so manches Mal an den Rand der Verzweiflung geraten. Liebe Vivian, liebe Maja, ich werde Euch diese Unterstützung nie vergessen! Aus meiner Anfangszeit sind mir zudem viele ehemalige Mitarbeiter des Instituts in bester Erinnerung geblieben. Hervorheben möchte ich zwei Personen, die meinen Weg am Marketing Centrum entscheidend geprägt haben. Zum einen Dr. Josef Hesse, der mir den Anstoß gab, mich für eine Promotion am Institut von Prof. Ahlert zu entscheiden und mir manch hilfreichen Ratschlag an die Hand gab. Zum anderen Prof. Dr. Peter Kenning, der mir in den vergangenen Jahren stets mit Rat und Tat zur Seite stand und den ich in zahlreichen Projekten begleiten durfte. Mein weiterer Dank gilt Prof. Dr. Heiner Evanschitzky für die Unterstützung in Forschungssitzungen und -seminaren sowie Dr. Hilke Plaßmann, Dr. Lars Köster und vielen weiteren Ehemaligen für die vielen guten Gespräche und gemeinsame Erlebnisse. Für die umfangreichen Korrekturen sowie viele konstruktiv-kritische Anmerkungen danke ich zudem ganz herzlich Janina Leismann, Dr. Marcus Brößkamp sowie meinen Geschwistern Anne, Michael und Christoph Berentzen. Mein größter Dank gilt jedoch meinen geliebten Eltern, Margret und Dr. Jan Bernd Berentzen, die mich in allem, was ich mir vorgenommen habe, stets gefördert und mit einer unerschöpflichen Liebe begleitet haben. Nicht zuletzt haben sie mich auch finanziell unterstützt und für mich und meine Geschwister die Rahmenbedingungen geschaffen, die notwendig sind, um einen fragenden und kritischen Geist zu formen. Euch, liebe Eltern, ist diese Arbeit von Herzen gewidmet. Johannes B. Berentzen
Inhaltsübersicht A. Einleitung ............................................................................................................. 1 1.
Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungsfragen ................................ 1
2.
Vorgehensweise und Struktur der Arbeit .............................................................. 5
B. Annäherung an ein Verständnis der zentralen Begriffe .................................. 9 1.
Marken- und Handelsmarkenbegriff ...................................................................... 9
2.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken .............................................. 35
3.
Konzept des Solution Selling............................................................................... 55
4.
Vertikale Wertschöpfungsnetzwerke ................................................................... 60
C. Dekonstruktion – Theoretische und konzeptionelle Grundlagen der Arbeit ........................................................................................................... 65 1.
Stand der Forschung im Kontext des Themas .................................................... 65
2.
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung ........................... 79
3.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung ...................... 98
4.
Prozess des Handelsmarkenmanagements ..................................................... 128
5.
Zusammenfassung der Dekonstruktion............................................................. 192
D. Rekonstruktion – Empirische Untersuchung der HerstellerHandels-Beziehung ......................................................................................... 195 1.
Methoden der empirischen Untersuchung ........................................................ 195
2.
Forschungsdesign der empirischen Untersuchung ........................................... 209
3.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse ............................................... 217
4.
Zusammenfassung der Rekonstruktion............................................................. 335
E. Konstruktion – Implikationen für das Handels- und Handelsmarkenmanagement ......................................................................... 345 1.
Organisatorische Verbesserungen der Hersteller-Handels-Beziehung ............ 345
2.
Implikationen für das Management von Handelsmarken .................................. 350
3.
Solution Selling in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken ................................ 365
F. Schlussbetrachtung ........................................................................................ 371 1.
Zusammenfassung der Ergebnisse................................................................... 371
2.
Ausblick ............................................................................................................. 374
Inhaltsverzeichnis Geleitwort ...................................................................................................................VII Vorwort ........................................................................................................................XI Inhaltsübersicht .........................................................................................................XIII Inhaltsverzeichnis...................................................................................................... XV Abbildungsverzeichnis ............................................................................................. XXI Tabellenverzeichnis ................................................................................................ XXV Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... XXVII A. Einleitung ............................................................................................................. 1 1.
Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungsfragen ................................ 1
2.
Vorgehensweise und Struktur der Arbeit .............................................................. 5
B. Annäherung an ein Verständnis der zentralen Begriffe .................................. 9 1.
Marken- und Handelsmarkenbegriff ...................................................................... 9 1.1 Zur Bedeutung der Marke ............................................................................. 9 1.2 Ansätze zur Definition und Führung von Marken........................................ 11 1.2.1 Zeichenorientierte Ansätze .............................................................. 13 1.2.2 Angebotsorientierte Ansätze............................................................ 14 1.2.3 Nachfrageorientierte Ansätze .......................................................... 17 1.2.4 Integrierte Ansätze........................................................................... 19 1.3 Das Markenverständnis dieser Arbeit ......................................................... 23 1.4 Arbeitsdefinition des Handelsmarkenbegriffs ............................................. 28
2.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken .............................................. 35 2.1 Ursprünge der Handelsmarken................................................................... 35 2.2 Historische Entwicklung und Bedeutung der Handelsmarken in Deutschland ................................................................................................ 37 2.3 Handelsmarkengenerationen...................................................................... 43
3.
Konzept des Solution Selling............................................................................... 55
4.
Vertikale Wertschöpfungsnetzwerke ................................................................... 60
C. Dekonstruktion – Theoretische und konzeptionelle Grundlagen der Arbeit ........................................................................................................... 65 1.
Stand der Forschung im Kontext des Themas .................................................... 65
XVI
Inhaltsverzeichnis
1.1 Forschungen zur Handelsmarke aus der Konsumentenperspektive ........................................................................... 66 1.2 Forschungen zur Beziehung zwischen Handelsmarke und Herstellermarke .......................................................................................... 70 1.3 Forschungen zur Hersteller-Handels-Beziehung in Bezug auf Handelsmarken ........................................................................................... 74 2.
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung ........................... 79 2.1 Wissenschaftstheoretische Einordnung der Arbeit ..................................... 79 2.2 Methodologische Einbettung in die qualitative Sozialforschung ................. 82 2.2.1 Qualitative Sozialforschung ............................................................. 82 2.2.2 Symbolischer Interaktionismus ........................................................ 86 2.2.3 Ethnomethodologie .......................................................................... 88 2.2.4 Grounded Theory............................................................................. 90 2.3 Gütekriterien aus interpretativ-konstruktivistischer Perspektive ................. 92
3.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung ...................... 98 3.1 Ansätze der Neuen Institutionenökonomik ................................................. 99 3.1.1 Transaktionskostentheoretische Betrachtung der Hersteller-Handels-Beziehung ....................................................... 100 3.1.2 Prinzipal-Agenten-Theorie ............................................................. 108 3.1.3 Theorie der Verfügungsrechte ....................................................... 116 3.2 Hersteller-Handels-Beziehung aus Sicht der Anreiz-BeitragsTheorie ...................................................................................................... 121
4.
Prozess des Handelsmarkenmanagements ..................................................... 128 4.1 Informatorische Grundlegung ................................................................... 131 4.2 Zielvorgaben des Handelsmarkenmanagements ..................................... 137 4.3 Handelsmarkenstrategien ......................................................................... 139 4.3.1 Strategierahmen des Handelsmarkenmanagements .................... 139 4.3.2 Ausgestaltung der Handelsmarkenarchitektur ............................... 144 4.3.3 Wahl der Handelsmarkentypen ..................................................... 150 4.3.4 Betriebstypenmarke als Dachmarke für Handelsmarken .............. 154 4.4 Organisation der Beschaffungspolitik ....................................................... 157 4.4.1 Ermittlung des Beschaffungsbedarfs ............................................. 157 4.4.2 Globale Beschaffungsentscheidungen .......................................... 162 4.4.3 Konditionenpolitik........................................................................... 166
Inhaltsverzeichnis
XVII
4.5 Marketing-Mix der Handelsmarken ........................................................... 169 4.5.1 Sortimentspolitik ............................................................................ 169 4.5.2 Servicepolitik.................................................................................. 174 4.5.3 Preispolitik ..................................................................................... 176 4.5.4 Kommunikationspolitik ................................................................... 182 4.6 Integriertes Handelsmarkencontrolling ..................................................... 189 5.
Zusammenfassung der Dekonstruktion............................................................. 192
D. Rekonstruktion – Empirische Untersuchung der HerstellerHandels-Beziehung ......................................................................................... 195 1.
Methoden der empirischen Untersuchung ........................................................ 195 1.1 Branchenfallstudien als Untersuchungsobjekt .......................................... 195 1.2 Qualitative Interviews als Erhebungsmethode.......................................... 197 1.3 Inhaltsanalyse qualitativer Interviews ....................................................... 202 1.4 Zusammenfassung des Forschungsprozesses ........................................ 208
2.
Forschungsdesgin der empirischen Untersuchung ........................................... 209 2.1 Interviewleitfaden ...................................................................................... 209 2.2 Auswahl der Interviewpartner ................................................................... 210 2.3 Beschreibung der Stichprobe ................................................................... 212 2.4 Dokumentation der empirischen Daten .................................................... 215
3.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse ............................................... 217 3.1 Besonderheiten des Handelssektors ........................................................ 217 3.1.1 Konzentrationsentwicklungen im Handel ....................................... 217 3.1.2 Aktuelle Situation im deutschen Einzelhandel ............................... 219 3.2 Fallstudie 1: Do-it-yourself-Branche ......................................................... 221 3.2.1 Branchenüberblick Do-it-yourself- und Baubedarf ......................... 221 3.2.2 Beziehungen von Herstellern und Handelsunternehmen der Do-it-yourself-Branche............................................................. 226 3.2.3 Marken- und Handelsmarkenverständnis in der Do-ityourself-Branche............................................................................ 229 3.2.4 Handelsmarkenbedeutung in der Do-it-yourself-Branche ............. 233 3.2.5 Handelsmarkenführung in der Do-it-yourself-Branche .................. 235 3.2.6 Aufgabenverteilung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements ....................................................... 240
XVIII
Inhaltsverzeichnis
3.3 Fallstudie 2: Textilbranche ........................................................................ 244 3.3.1 Branchenüberblick Textilien, Bekleidung und Schuhe .................. 244 3.3.2 Beziehungen von Textilherstellern und Handelsunternehmen .................................................................... 249 3.3.3 Marken- und Handelsmarkenverständnis in der Bekleidungsbranche ...................................................................... 255 3.3.4 Handelsmarkenbedeutung im Bekleidungseinzelhandel ............... 258 3.3.5 Handelsmarkenführung in der Bekleidungsbranche ...................... 260 3.3.5.1 Handelsmarkenpositionierung und Führungsaspekte ............................................................. 260 3.3.5.2 Produkt-, Preis- und Markenrechtspolitik ......................... 264 3.3.6 Aufgabenverteilung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements ....................................................... 266 3.3.6.1 Prozess des Handelsmarkenmanagements .................... 266 3.3.6.2 Zusammenarbeit mit Dienstleistern insbesondere bei der internationalen Beschaffung................................. 271 3.4 Fallstudie 3: Lebensmittelbranche ............................................................ 274 3.4.1 Branchenüberblick Lebensmittel.................................................... 274 3.4.2 Beziehungen von Lebensmittelherstellern und Handelsunternehmen .................................................................... 282 3.4.2.1 Konfliktfelder der Hersteller-Handels-Beziehung ............. 282 3.4.2.2 Machtverhältnisse in der Hersteller-HandelsBeziehung ........................................................................ 288 3.4.2.3 Informationsaustausch zwischen Herstellern und Händlern 291 3.4.3 Marken- und Handelsmarkenverständnis in der Lebensmittelbranche ..................................................................... 295 3.4.4 Handelsmarkenbedeutung im Lebensmitteleinzelhandel .............. 299 3.4.4.1 Historische Entwicklung der Handelsmarke ..................... 299 3.4.4.2 Bedeutung der Handelsmarken für Konsumenten und in unterschiedlichen Warengruppen ......................... 302 3.4.4.3 Professionalisierung des Handelsmarkenmanagements ......................................... 305 3.4.5 Handelsmarkenführung in der Lebensmittelbranche ..................... 307
Inhaltsverzeichnis
XIX
3.4.5.1 Aufbau und Funktionen von LebensmittelHandelsmarken ................................................................ 307 3.4.5.2 Führungsaspekte des Handelsmarkenmanagements ......................................... 310 3.4.5.3 Ausgestaltung der Handelsmarkenarchitektur ................. 312 3.4.5.4 Handelsmarkenführung in diskontierenden Betriebstypen ................................................................... 319 3.4.5.5 Markenrechte der Handelsmarken ................................... 322 3.4.6 Aufgabenverteilung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements ....................................................... 324 3.4.6.1 Aufgaben der Herstellerunternehmen .............................. 324 3.4.6.2 Aufgaben der Handelsunternehmen ................................ 328 3.4.6.3 Aufgaben externer Dienstleister ....................................... 331 4.
Zusammenfassung der Rekonstruktion............................................................. 335 4.1 Vergleichende Analyse der Ergebnisse der Branchenfallstudien ............. 335 4.2 Kritische Würdigung und weiterer Forschungsbedarf ............................... 343
E. Konstruktion – Implikationen für das Handels- und Handelsmarkenmanagement ......................................................................... 345 1.
Organisatorische Verbesserungen der Hersteller-Handels-Beziehung ............ 345
2.
Implikationen für das Management von Handelsmarken .................................. 350 2.1 Empfehlungen an Hersteller ..................................................................... 350 2.2 Empfehlungen an Handelsunternehmen .................................................. 358
3.
Solution Selling in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken ................................ 365 3.1 Hersteller als Solution Seller ..................................................................... 365 3.2 Dienstleister als Solution Seller ................................................................ 367
F. Schlussbetrachtung ........................................................................................ 371 1.
Zusammenfassung der Ergebnisse................................................................... 371
2.
Ausblick ............................................................................................................. 374
Literaturverzeichnis .................................................................................................. 377 Anhang ..................................................................................................................... 443
Abbildungsverzeichnis Abb. A-1:
Gang der Untersuchung ........................................................................... 8
Abb. B-1:
Ausdehnung des Verständnisses von Markenführung ........................... 10
Abb. B-2:
Phasen der Entwicklung des Markenverständnisses und der Markenführungsansätze ......................................................................... 12
Abb. B-3:
Die Marken-Mind Map ............................................................................ 25
Abb. B-4:
Systematik des Markenwesens .............................................................. 28
Abb. B-5:
Wachstum des kumulierten Handelsmarkenanteils in Prozent im Vergleich zum Marktführer ..................................................................... 39
Abb. B-6:
Wertmäßige Marktanteilsentwicklung von Handelsmarken in 100 Warengruppen ........................................................................................ 42
Abb. B-7:
Edeka-Eigenmarkensortiment mit der Dachmarke Edeka...................... 48
Abb. B-8:
Positionierung der Erscheinungsformen von Handelsmarken gegenüber Herstellermarken .................................................................. 51
Abb. B-9:
Solution Selling als interaktiver Transaktionsprozess ............................ 55
Abb. B-10: Phasen des Lösungsprozesses.............................................................. 57 Abb. B-11: Mögliche Akteure innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerkes ............. 61 Abb. C-1:
Konstruktion und Interpretation als Zugänge zur Erfahrungswelt .......... 80
Abb. C-2:
Einflussgrößen der Transaktionskosten ............................................... 105
Abb. C-3:
Kostenblöcke von Hersteller- und Handelsmarken im konzeptionellen Vergleich..................................................................... 124
Abb. C-4:
Aufgabenbereiche des Markenmanagements im Handel .................... 129
Abb. C-5:
Prozess des Handelsmarkenmanagements aus Handelssicht ............ 130
Abb. C-6:
Fünf Wettbewerbskräfte im Handel ...................................................... 133
Abb. C-7:
Ziele und Funktionen des Handelsmarkenmanagements aus Handelssicht ......................................................................................... 137
Abb. C-8:
Klassifikation von Handelsmarken anhand ausgewählter Abgrenzungskriterien............................................................................ 143
Abb. C-9:
Gestaltungsdimensionen von Markenarchitekturen im Handel ............ 145
XXII
Abbildungsverzeichnis
Abb. C-10: Vertikale Markenarchitekturoptionen .................................................... 146 Abb. C-11: Mehrmarkenstrategie innerhalb der Handelsmarkenarchitektur von Real ............................................................................................... 149 Abb. C-12: Schematische Darstellung des Lebenszyklus verschiedener Handelswarentypen .............................................................................. 160 Abb. C-13: Beschaffungssituationen im Handel ..................................................... 162 Abb. C-14: Strukturierung der beschaffungspolitischen Gestaltungsoptionen ....... 164 Abb. C-15: Progressive Preiskalkulation des Handels ........................................... 167 Abb. C-16: Sortimentspyramide nach Seÿffert ....................................................... 170 Abb. C-17: Beispielhafte Preispositionierung der Handelsmarken von Tesco ....... 181 Abb. C-18: Aufbau eines integrierten Handelsmarkencontrolling ........................... 191 Abb. D-1:
Vorgehen bei der Datenerhebung im Rahmen des problemzentrierten Interviews .............................................................. 200
Abb. D-2:
Inhaltsanalytisches Kommunikationsmodell ......................................... 203
Abb. D-3:
Zusammenfassung des Forschungsprozesses .................................... 208
Abb. D-4:
Mind Map der Themenbereiche des Interviewleitfadens ...................... 209
Abb. D-5:
Tag Cloud eines Herstellerinterviews aus der Lebensmittelbranche ............................................................................ 214
Abb. D-6:
Tag Cloud eines Händlerinterviews aus der Bekleidungsbranche ....... 214
Abb. D-7:
DIY-Branchen-Umsätze 2000-2007 in Deutschland in Mrd. Euro ........ 221
Abb. D-8:
Marktanteile der Betriebsformen der Do-it-yourself-Branche 2005 und 2010 in Prozent ............................................................................. 223
Abb. D-9:
Warengruppenanteile im Bereich Do-It-Yourself 2005, 2006 und 2010 ...................................................................................................... 224
Abb. D-10: Wissenstypen im DIY-Bereich .............................................................. 225 Abb. D-11: Branchen-Umsätze Textil/Bekleidung/Schuhe 2000-2007 in Deutschland in Mrd. Euro ..................................................................... 244 Abb. D-12: Marktanteile der Betriebsformen in der Bekleidungbranche 2005 und 2010 in Prozent ............................................................................. 246 Abb. D-13: Branchen-Umsätze im deutschen Lebensmitteleinzelhandel 2000-2007 ............................................................................................ 275
Abbildungsverzeichnis
XXIII
Abb. D-14: Umsatzanteile der Betriebsformen im Lebensmitteleinzelhandel 2000-2007 ............................................................................................ 277 Abb. E-1:
Lieferantenmanagement bei komplexen Handelsmarkenarchitekturen................................................................ 348
Abb. E-2:
Strategieoptionen eines Markenartikelherstellers................................. 355
Abb. E-3:
Handelsmarkenbezogene Typologie von Handelsunternehmen .......... 364
Abb. E-4:
Handelsmarkenhersteller als Solution Seller ........................................ 366
Abb. E-5:
Dienstleister als Solution Seller ............................................................ 369
Tabellenverzeichnis Tab. B-1:
Handelsmarkendefinitionen in der Literatur ........................................ 32
Tab. B-2:
Handelsmarkengenerationen im Überblick......................................... 50
Tab. B-3:
Spezifische Funktionen von Handelsmarken aus Handelssicht ......... 53
Tab. C-1:
Forschungsarbeiten zur Handelsmarke aus der Konsumentenperspektive ................................................................... 69
Tab. C-2:
Forschungsarbeiten zur Beziehung zwischen der Handelsmarke und der Herstellermarke ............................................. 74
Tab. C-3:
Forschungsarbeiten zur Hersteller-Handels-Beziehung in Bezug auf die Handelsmarke ............................................................. 77
Tab. C-4:
Forschungsperspektiven in der qualitativen Sozialforschung ............ 85
Tab. C-5:
Gütekriterien qualitativer Forschung................................................... 97
Tab. C-6:
Übersicht der Ansätze des theoretischen Bezugsrahmens ................ 98
Tab. C-7:
Mögliche Lieferantenrisiken für Handelsunternehmen ..................... 112
Tab. C-8:
Marktfeldstrategien nach ANSOFF ..................................................... 140
Tab. C-9:
Segmentspezifische Marktbearbeitungsstrategien nach FRETER mit Beispielen ...................................................................... 142
Tab. C-10: Handelsmarkentypenspezifische Bedarfsaspekte der Beschaffungspolitik........................................................................... 161 Tab. C-11: Servicemaßnahmen im Rahmen des Handelsmarkenmanagements mit Beispielen .................................. 175 Tab. C-12: Preisdimensionen und Pricing-Strategien im Einzelhandel .............. 179 Tab. C-13: Kommunikationsmaßnahmen und ihre Eignung für die Handelsmarkengenerationen ........................................................... 188 Tab. D-1:
Voraussetzungen für die Bestimmung der Experten ........................ 211
Tab. D-2:
Kurzübersicht der geführten Interviews ............................................ 212
Tab. D-3:
Die zehn größten Handelsunternehmen der DIY-Branche 2007 nach Brutto-Umsatz ................................................................. 222
Tab. D-4:
Ausgewählte Markendefinitionen der befragten Do-it-yourselfExperten ........................................................................................... 230
XXVI
Tabellenverzeichnis
Tab. D-5:
Die zehn größten Textilanbieter in Deutschland 2007 nach Brutto-Umsatz................................................................................... 245
Tab. D-6:
Ausgewählte Markendefinitionen der befragten Textilexperten ....... 255
Tab. D-7:
Die zehn größten Unternehmen der Lebensmittel-Branche 2007 nach Brutto-Umsatz ................................................................. 276
Tab. D-8:
Ausgewählte Markendefinitionen der befragten LEH-Experten ....... 296
Tab. D-9:
Branchenüberblick der Hersteller-Handels-Beziehungen................. 336
Tab. D-10: Branchenüberblick des Markenverständnisses und der Handelsmarkenbedeutung ............................................................... 337 Tab. D-11: Handelsmarkenführung im Branchenvergleich................................. 339 Tab. D-12: Einsatz der Handelsmarkengenerationen im Branchenüberblick ............................................................................ 341 Tab. D-13: Aufgaben der Hersteller und Händler im Branchenüberblick ........... 342
Abkürzungsverzeichnis Abb. ................................. Abbildung Abs. ................................. Absatz AG ................................... Aktiengesellschaft Anm. d. Verf. ................... Anmerkung des Verfassers AMA ................................ American Marketing Association Aufl. ................................. Auflage Ausg. ............................... Ausgabe BDB ................................. Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel e.V. BD Holz ........................... Gesamtverband Deutscher Holzhandel e.V. BHB ................................. Bundesverband Deutscher Heimwerker-, Bau- und Gartenfachmärkte e.V. bspw. ............................... beispielsweise BTE ................................. Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels e. V. bzgl. ................................. bezüglich bzw. . ................................ beziehungsweise ca. ................................... circa CEO ................................ Chief Executive Officer CI ...................................... Corporate Identity CPFR .............................. Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment CRM ................................. Customer Relationship Management d. h. ................................. das heißt DIY .................................. Do-it-yourself ECR ................................. Efficient Consumer Response ed. ................................... edition EG .................................... Europäische Gemeinschaft EHI ................................... Eurohandels Institut EMD ................................ European Marketing Distribution et al. ................................ et alii etc. .................................. et cetera e. V. ................................. eingetragener Verein FMCG .............................. Fast Moving Consumer Goods FOB ................................. Free on board G. .................................... Handelsmarkengeneration (in Tabellen)
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
GfK .................................. Gesellschaft zur Konsumforschung ggf. .................................. gegebenenfalls ggü. ................................. gegenüber GH ................................... Großhandel GWB ................................. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen HA ................................... Handelsunternehmen HaMa ............................... Handelsmarke HE ................................... Herstellerunternehmen HPP ................................. high price point Hrsg. ................................ Herausgeber hrsg. ................................ herausgegeben IGD .................................. The Institute of Grocery Distribution inkl. .................................. inklusive insb. ................................. insbesondere ital. ................................... italienisch ITM .................................. Kürzel der Intermarché Gruppe (Frankreich) IRI .................................... Information Resources, incorporated i. H. v. .............................. in Höhe von i. S. v. .............................. im Sinne von Jh. ................................... Jahrhundert k. A. ................................. keine Angabe Kap. ................................. Kapitel LED ................................. light emitting diode LEH ................................. Lebensmitteleinzelhandel MarkenG ......................... Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen Mio. ................................. Million MPP ................................ medium price point Mrd. ................................. Milliarde Nr. ................................... Nummer OPP ................................. open price point o. J. ................................. ohne Jahresangabe o. S. ................................. ohne Seitenangabe o. V. ................................. ohne Verfasserangabe PC ................................... Personal Computer PIMS ............................... Profit Impact of Market Strategies
Abkürzungsverzeichnis
PLMA .............................. Private Label Manufacturers Association polit. ................................. politisch PoS ................................. point of sale QDA ................................ qualitative data analysis qm ................................... Quadratmeter S. ..................................... Seite SB ................................... Selbstbedienung sog. ................................. sogenannt SSV ................................. Sommerschlussverkauf SWOT ............................. Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats Tab. ................................. Tabelle TEX ................................. Textil Tsd. ................................. Tausend TV .................................... Television u. ..................................... und u. a. ................................. unter anderem UE ................................... unabhängiger Experte u. v. a. ............................. und viele andere mehr UWG ............................... Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb VG ................................... Verbundgruppe vgl. ................................... vergleiche VM ................................... Verbrauchermarkt VMI .................................. Vendor Managed Inventory WH .................................. Warenhaus WSV ................................ Winterschlussverkauf WWS ............................... Warenwirtschaftssystem ZAW ................................ Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft z. B. ................................. zum Beispiel
XXIX
A.
Einleitung „Die Handelsmarke folgt der Hausfrau bis in die Küche und ist eine stete Erinnerung an ihren Kaufmann und daher für diesen ein unersetzliches Werbemittel.“ 2
1.
Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungsfragen
Aus einer Marketingperspektive betrachtet, stand das zwanzigste Jahrhundert im Zeichen der Markenartikel.3 Bereits Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre wird ihnen jedoch eine düstere Zukunft prophezeit.4 Der Handelsmarkenanteil und die Qualität der Handelsmarken sind in den vergangenen Jahren so stark angestiegen, dass Konsumgüterhersteller und insbesondere deren Markenmanager, diese Entwicklung nicht mehr ignorieren können. Mit Handelsmarken werden weltweit schätzungsweise eine Billion Dollar umgesetzt und die Tendenz ist steigend.5 Markenartikel geraten durch ein kontinuierliches starkes Wachstum der diskontierenden Handelsformate sowie durch die von diesen im Wesentlichen getragenen Marktanteilssteigerungen der Handelsmarken unter Druck. 6 Hinzu kommt ein Preiskampf zwischen den Handelsunternehmen, die mit bekannten Werbeaussagen wie „Geiz ist geil“7, „Ruinieren Sie uns!“8, „Ich bin doch nicht blöd“9, „Es lebe billig“10 oder „Nur nackt ist billiger“ 11 die „Schnäppchen-Jäger“-Mentalität der deutschen Verbraucher systematisch fördern.
2
Wickern (1960), S. 13.
3
Vgl. Kumar/Steenkamp (2007), S. 1.
4
Vgl. Hofmeyr/Rice (2002), S. 107-108.
5
Vgl. Lincoln/Thomassen (2008), S. 11.
6
Vgl. Ailawadi/Pauwels/Steenkamp (2008), S. 19; Kumar/Steenkamp (2007), S. 1-19.
7
Mit dieser sehr häufig zitierten Werbebotschaft warb der zur Metro gehörende Elektronikfachmarkt Saturn ab 2003. Im Oktober 2007 wurde sie durch „Wir hassen teuer“ ersetzt.
8
Die heute zur Arcandor AG gehörige Warenhauskette Karstadt hatte 2002 mit diesem Slogan für niedrige Preise geworben.
9
Dieser Werbespruch wird seit 1996 vom Elektronikfachmarkt Media Markt, ebenfalls Teil der Metro Gruppe, verwendet, der in den letzten Jahren außerdem mit Kampagnen wie „Wir können nur billig“ (2000), „Die Mutter aller Schnäppchen“ (2004), „Lasst Euch nicht verarschen“ (2005) und „Saubillig und noch viel mehr“ (2006) sehr aggressive Preiswerbung betrieb.
10
Dieter Bohlen warb mit dieser Werbeaussage 2003 für Makromarkt.
11
Der Textildiscounter KiK wirbt seit 2008 mit dieser Werbebotschaft.
2
Kap. A
In Deutschland wachsen die Handelsmarken seit ihrer Einführung kontinuierlich und nehmen bspw. im LEH zum Ende des Jahres 2007 mit 35 Prozent mehr als ein Drittel des Gesamtmarktes ein.12 Auch die Zahl der Hersteller, die sich für die Produktion von Handelsmarken entscheiden, hat in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zugenommen.13 Zum Teil verfügen sie bezüglich der Wahl, Aufträge zur Fertigung von Handelsmarken anzunehmen, über eingeschränkte Handlungsfreiräume. Vielfach bestehen Überkapazitäten in gesättigten Märkten und bei Verzicht eines Herstellers auf die Produktion von Handelsmarken erhalten dessen Konkurrenten die Aufträge und können sich dadurch Größenvorteile verschaffen.14 Auch der Wettbewerb innerhalb der Handelsstufe sowie der vertikale „Verteilungskampf“ hinsichtlich Ertragsspanne und Einflusssphäre bestimmen wesentlich das Umfeld der Handelsmarkenproduktion. In den deutschen Lebensmitteleinzelhandel werden jedes Jahr mehr als 50.000 neue Artikel eingeführt.15 Nach einem Jahr sind je nach Warengruppe mehr als 60 Prozent, nach drei Jahren im Durchschnitt 80 Prozent der Neueinführungen wieder ausgelistet bzw. vom Markt genommen.16 Der u. a. durch diese Innovationsflut ausgelöste Wettbewerbsdruck wird für den Handel verstärkt durch eine kaum wahrnehmbare Differenzierung seiner Betriebstypen hinsichtlich Standort-, Kommunikations- und Sortimentspolitik.17 Die vornehmlich preisorientierte Werbung der Handelsunternehmen und ferner die weitgehende Preistranzparenz im Internet erhöhen zudem die Austauschbarkeit der Einkaufsstätten aus Sicht des Konsumenten. Eine Ursache des Machtkonfliktes in der Hersteller-Handels-Dyade liegt in der fehlenden preispolitischen Chancengleichheit zwischen den Handelsunternehmen und der Industrie, die im Verbot der vertikalen Preisbindung zum Ausdruck kommt.18 Zur Ausschöpfung ihrer Rationalisierungspotenziale forcieren die Handelsunternehmen zudem Just-in-time-Belieferungen sowie eine Ausdehnung ihres Integrationsgrades durch die Übernahme von Lager- und Lieferlogistik.19 Diese Ausdehnung der Funktionen des Handels hat zum einen Auswirkungen auf die Preis- und Konditionenstruktur der Industrie. Zum anderen erfahren die Hersteller dadurch einen weiteren Kontrollverlust ihrer Markenartikel.20 Diese angespannte Situation in der Hersteller12
Vgl. GfK 2008, zitiert nach Lebensmittelzeitung Nr. 17 vom 25.04.2008, S. 45.
13
Vgl. Bruhn (2006), S. 633.
14
Vgl. Glémet/Mira (1993), S. 87; Wolters (1997), S. 308.
15
Vgl. Kurtz/Mett/Ritter (2008), S. 40.
16
Vgl. Sekundärquelle [1], o. S.
17
Vgl. Fox/Sethuraman (2006), S. 193-194.
18
Vgl. Köhler (2003), S. 4.
19
Vgl. Zentes/Swoboda (2005), S. 1069.
20
Vgl. Olbrich et al. (2005), S. 15; Zentes/Swoboda (2005), S. 68.
Ausgangssituation, Problemstellung und Forschungsfragen
3
Handels-Beziehung bezeichnen CORSTJENS und CORSTJENS (2000) treffend als „The battle for mindspace and shelf space“.21 Während die Handelsunternehmen lange Zeit in der Kritik standen, den Herstellerunternehmen die Markenführung allein zu überlassen,22 streben sie vielfach seit einem Jahrzehnt verstärkt die Marketingführerschaft innerhalb der Wertschöpfungskette an.23 Im Strategieverständnis der Handelsunternehmen nehmen Handelsmarken eine immer wichtigere Rolle ein, wobei die strategische Bedeutung teilweise deutlich über ihr Umsatzgewicht hinausgeht.24 In diesem Zusammenhang ist ein deutlicher Trend zu qualitativ hochwertigeren Handelsmarken zu beobachten.25 Die Handelsunternehmen verfolgen heute nicht mehr nur Me-too-Strategien, sondern führen teilweise eigene Innovationen in den Markt ein.26 Dies wird von Markenartikelherstellern als Angriff auf ihre Markenportfolios und auf ihre Markenpolitik generell angesehen. 27 Bekannte Markenartikel werden von Handelsunternehmen weiterhin vor dem Hintergrund der Profilierung gelistet, 28 schwache Herstellermarken hingegen zunehmend durch Handelsmarken ersetzt. 29 Mit ihren eigenen Marken beabsichtigen die Handelsunternehmen sich dem horizontalen Preiswettbewerb zu entziehen und ihr Verkaufsstättenimage positiv zu beeinflussen.30 Die Handelsunternehmen verfolgen weiterhin das Ziel, ihren Anteil an der Wertschöpfungskette ausbauen. 31 In der Umsetzung ihrer zahlreichen Handelsmarkenkonzepte erfahren sie jedoch eine zunehmende Komplexität, z. B. in Form der Herausforderung einer konsistenten Markenführung ihrer Handelsmarken. Neue Abteilungen innerhalb der Handelsunternehmen beschäftigen sich mit Markenentwicklung, Markenführung und kommunikationspolitischen Maßnahmen. Begleitet wird diese Entwicklung von Sortimentsausweitungen in allen Bereichen, die nicht nur kurzfristiger Umsatzeffekte erzielen, sondern vor allem auch zur Profilierung der Geschäftsstätten beitragen sollen. Diese Diversifikation von Warenkategorien führt neben den bereits genannten Faktoren zu einer weiteren Steigerung der Wettbewerbsintensi21
Corstjens/Corstjens (2000).
22
Vgl. Mulhern (1997), S. 104.
23
Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2008), S. 169. Zum Konzept der Marketingführerschaft vgl. Ahlert (1996), S. 109-113.
24
Vgl. Batzer/Greipl (1992), S. 197.
25
Vgl. Olbrich et al. (2005), S. 10-11.
26
Vgl. Kreimer/Acar/Vogell (2006), S. 36.
27
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 156.
28
Vgl. Twardawa (2003), S. 27.
29
Vgl. Berekoven (1995), S. 142; Kapferer (2008), S. 66.
30
Vgl. Olbrich et al. (2005), S. 10.
31
Vgl. Friese (2006), S. 2.
4
Kap. A
tät. 32 Konkludierend ist eine zunehmende Umweltkomplexität vorzufinden, auf die das System Handel mit einer Steigerung seiner Eigenkomplexität reagiert. Der Polarisierung und Segmentierung der Verbrauchergruppen und -bedürfnisse kann z. B. mit entsprechend diversifizierten Angeboten begegnet werden. Eine Verbesserungsmöglichkeit des Handelsmarkenmanagements eröffnet sich in der verstärkten Lösungsorientierung der an dem Wertschöpfungsnetzwerk mitwirkenden Marktteilnehmer. Diese Handlungsoption wird in der Literatur seit einiger Zeit unter dem Begriff „Solution Selling“ diskutiert.33 Handelsunternehmen wie Globus, Real oder Rewe verfolgen – wie die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit aufzeigen sollen – nach dem britischen Vorbild Tesco zunehmend professionelle Handelsmarkenstrategien und setzen dazu unterschiedlichen Formen von Handelsmarken ein. Die diskontierenden Betriebstypen, die einen hohen Handelsmarkenanteil sui generis aufweisen, wachsen kontinuierlich und mit ihnen der Handelsmarkenanteil innerhalb der Branchen. Ungeachtet dieser hohen Bedeutung im horizontalen wie vertikalen Wettbewerb weist das Thema „Handelsmarkenmanagement“ in wissenschaftlichen Publikationen wie in praxisorientierten Veröffentlichungen ein erhebliches Forschungsdefizit auf. 34 Insbesondere der Markencharakter der Handelsmarken wird kaum beachtet.35 Zahlreiche Wissenschaftler haben sich mit der Konsumenteneinstellung gegenüber Handelsmarken und absatzseitigen, preispolitischen Gestaltungsoptionen, jedoch nicht mit der Bedeutung der Handelsmarke als Marke und den damit verbundenen Implikationen für das Handelsmarkenmanagement beschäftigt. 36 Es stellt sich die Frage, ob Handelsmarken vorwiegend als „stiefkindliche Kopie“ der Markenartikel geführt werden oder ob sie ihnen aus Sicht der Praxis ebenbürtig und mit einem vergleichbaren Anspruch an die Markenführung zu behandeln sind. Durch die hier aufgezeigten Entwicklungen ergeben sich für Handelsunternehmen, Markenartikel- und Handelsmarkenhersteller neue Herausforderungen, anhand derer die Forschungsthematik der vorliegenden Arbeit letztlich in den folgenden drei Forschungsfragen kulminiert:
32
Vgl. Zentes (2006), S. 11. Zur Auflösung der traditionellen, produktbezogen definierten Branchengrenzen vgl. auch Zentes/Swoboda (1998), S. 129-131.
33
Vgl. z. B. Ahlert et al. (2008); Brady/Davies/Gann (2005); Davies/Brady/Hobday (2006); Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007).
34
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 147; Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 27; Hansen/Skytte (1998), S. 296; Shocker/Srivastava/Ruekert (1994), S. 157. Eine Ausnahme stellt die Arbeit von DUMKE dar (vgl. Dumke (1996)).
35
Vgl. Ailawadi/Keller (2004), S. 338; Grunert et al. (2006), S. 598.
36
Vgl. den Literaturüberblick in Kap. C.1.
Vorgehensweise und Struktur der Arbeit
5
Welche Unterschiede hinsichtlich des Handelsmarkenverständnisses bestehen in der Unternehmenspraxis und welche Auswirkungen haben diese auf die Hersteller-Handels-Beziehung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements? Wie kann die Interaktion von Herstellern und Handelsunternehmen im Hinblick auf das Handelsmarkenmanagement verbessert werden? In welchen Aufgabenfeldern können Handelsunternehmen zukünftig von Handelsmarkenlieferanten und externen Dienstleistern durch eine stärkere Lösungsorientierung im Bereich des Handelsmarkenmanagements unterstützt werden? Neben einer theoretischen Fundierung wird die Praxisnähe sowie Aspekte der Umsetzbarkeit in der Praxis als Leitlinie betont. Zu diesem Zweck werden die theoretischen und konzeptionellen Ausführungen zum Handelsmarkenmanagement anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis veranschaulicht.
2.
Vorgehensweise und Struktur der Arbeit
In der Fachliteratur liegen bisher noch keine Untersuchungen zur Bedeutung des Markenstatus der Handelsmarke und des Handelsmarkenmanagements im Business-to-Business-Kontext vor und das Untersuchungsfeld weist eine hohe Komplexität auf, so dass zur Beantwortung der Forschungsfragen ein qualitativer Forschungsansatz angezeigt ist. Die epistemologische Verankerung der Arbeit ist in Folge dessen im interpretativen Paradigma anzusiedeln.37 Methodologisch folgt die Arbeit der Grounded Theory nach CORBIN und STRAUSS (1998, 2008),38 wobei vor allem das Erkennen, Beschreiben und Verstehen der Hersteller-Handels-Interaktionen im Rahmen des Handelsmarkenmanagements Gegenstand der Analyse sind. Der Erkenntnisfortschritt der Arbeit vollzieht sich in drei wesentlichen Abschnitten, die durch die Begriffe Dekonstruktion, Rekonstruktion und Konstruktion einen strukturierenden inhaltlichen Rahmen erfahren. Die Dekonstruktion bezeichnet in Anlehnung an DERRIDAs Dekonstruktivismus (1974) ein bewusstes Sich-Entfernen vom Untersuchungsgegenstand mit dem Ziel, unterschiedliche Distanzen und Ebenen für dessen Zuordnung zu gewinnen.39 Dies betont den semiotischen Blickwinkel sowie die angestrebte Reflexivität dieses Abschnitts. Der empirische Teil der Arbeit umfasst die 37
Vgl. Lamnek (2005), S. 34-35; Wilson (1970) sowie weiterführend Rabinow/Sullivan (1979).
38
Vgl. Corbin/Strauss (2008); Strauss/Corbin (1998) sowie das Ursprungswerk von Glaser/ Strauss (1967).
39
Vgl. Weik (1996), S. 386-387; Schreyögg/Koch (1999), S. 7-10 mit Verweis auf Derrida (1974).
6
Kap. A
Rekonstruktion des Forschungsgegenstandes, als Vorgang des Entdeckens und Nachvollziehens von etwas mehr oder weniger Unbekanntem. Diesen Konstitutionsprozess der Realität zu dokumentieren, inhaltsanalytisch zu rekonstruieren und durch verstehendes Nachvollziehen zu erklären, bezeichnet LAMNEK (2005) als zentrales Anliegen der qualitativen Sozialforschung und des diese begründenden interpretativen Paradigmas. 40 Unter Konstruktion ist – dem theorieentwickelnden Charakter des gegenstandsorientierten Vorgehens der Grounded Theory folgend – die Ableitung von Implikationen für das Management von Handelsmarken zu verstehen. Grundlage der zu entwickelnden Theorie wird sein, herauszustellen, wie Hersteller und Handelsunternehmen Handelsmarken wahrnehmen und in ihrem Produkt- und Marketing-Mix berücksichtigen. Anknüpfend an diese Vorüberlegungen gliedert sich die vorliegende Arbeit in die folgenden Abschnitte: An dieses einleitende Kapitel schließt sich Kapitel B mit den begrifflichen Grundlagen an. Entsprechend der formulierten Forschungsfragen und dem abgesteckten Forschungsfeld wird zunächst ein einheitliches Verständnis der für diese Arbeit zentralen Begriffe geschaffen. Der erste Abschnitt zeigt zunächst die hohe Bedeutung der Marke und ihre Ausweitung auf weite Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Für die spätere Einordnung des in den Branchen vorherrschenden Markenverständnisses ist es unerlässlich, die bestehenden Ansätze zur Definition und Führung von Marken darzustellen. Diese münden in dem Markenverständnis der Arbeit und bilden zusammen die Basis für eine zeitgemäße Definition des Handelsmarkenbegriffs. Es schließt sich ein kurzer Abriss über die Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken sowie die in der Praxis vorzufindenden Handelsmarkentypen an.41 Das Kapitel endet mit der begrifflichen und inhaltlichen Konkretisierung des „Solution Selling“ als ein möglicher Weg der Differenzierung im Wettbewerb sowie einer Definition vertikaler Wertschöpfungsnetzwerke. Kapitel C basiert auf den begrifflichen Grundlagen und widmet sich der Dekonstruktion des Untersuchungsgegenstandes. Zur Abgrenzung der Forschungsfragen von bisheriger wissenschaftlicher Literatur erfolgt eine Übersicht der in Fachzeitschriften publizierten Aufsätze, die sich konkret mit Handelsmarken befassen. Als wissenschaftstheoretische und methodologische Basis der Arbeit wird im Anforderungskontext der aufgezeigten Forschungslücken und der angestrebten Praxisnähe ein interpretativ-konstruktivistisches Paradigma und damit einhergehend die methodologische Einbettung in die qualitative Sozialforschung gewählt. Als theoretischer Bezugsrahmen werden die Ansätze der Neuen Institutionenökonomik sowie die An40
Vgl. Lamnek (2005), S. 32-33.
41
Viele Beispiele zu den Ausführungen sind hier und im Fortgang der Arbeit insbesondere der Lebensmittelbranche entnommen, da die Lebensmittelbranche national wie international eine Vorreiterrolle in der Entwicklung der Handelsmarken einnimmt.
Vorgehensweise und Struktur der Arbeit
7
reiz-Beitrags-Theorie vorgestellt. Diese erleichtern das nähere Verständnis der Hersteller-Handels-Beziehung und der dort stattfindenden Interaktionen. Wesentlicher Bestandteil der Dekonstruktion ist zudem die umfassende Aufarbeitung des Handelsmarkenmanagement-Prozesses, der zugleich den konzeptionellen Bezugsrahmen der Arbeit darstellt. Als Strategierahmen und Grundlage der Handelsmarkenführung werden bewährte Konzepte der Marketingwissenschaft auf das Handelsmarkenmanagement übertragen. Die Rekonstruktion in Gestalt der empirischen Untersuchung der Hersteller-HandelsBeziehung ist Gegenstand von Kapitel D. Zunächst erfolgt die Darstellung der verwendeten Forschungsmethoden sowie des Forschungsdesigns. Der empirischen Untersuchung liegen durch den Autor geführte persönliche Interviews mit Experten aus Industrie und Handel in den drei größten Bereichen privater Nachfrage nach Konsumgütern zugrunde. Inhaltliche Klammer der Ergebnisdarstellung bilden drei Branchen-Fallstudien, in denen vor allem spezifische Merkmale der Handelsmarke und des Handelsmarkenmanagements herausgearbeitet werden. Die verschrifteten Interviews werden zu diesem Zweck softwaregestützt gemäß dem Vorgehen der Grounded Theory in mehreren Schritten kodiert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Das Forschungsinteresse richtet sich dabei in erster Linie auf die Erforschung des Handelsmarkenmanagements, wie es in der aktuellen Unternehmenspraxis vorzufinden ist. Zum Verständnis und zur Einordnung der aus den Interviews wiedergegebenen Inhalte werden der theoretische und der konzeptionelle Bezugsrahmen aus Kapitel C hinzugezogen. Aufbauend auf den Erkenntnissen der empirischen Untersuchung erfolgt in Kapitel E die Konstruktion einer gegenstandsorientierten Theorie und die Ableitung von Implikationen für das Handelsmarkenmanagement. Ziel der gegenstandorientierten Theorie ist die Beantwortung der zentralen Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit. Die Implikationen gliedern sich daher in organisatorische Verbesserungen der HerstellerHandels-Beziehung, Implikationen für das Handelsmarkenmanagement aus Handels- und Herstellersicht sowie Solution Selling-Ansätze in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken. Die Arbeit schließt in Kapitel F mit einer Schlussbetrachtung, in der im ersten Abschnitt die zentralen Ergebnisse zusammengefasst sind, gefolgt von einem kurzen Ausblick auf zukünftige Entwicklungstendenzen und verbleibende Forschungsbereiche. Abb. A-1 veranschaulicht den Gang der Untersuchung in einer zusammenfassenden Übersicht.
8
Kap. A
Begriffliche Grundlagen Kap. B.2
Kap. B.1
Marken- und Handelsmarkenbegriff
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
Kap. B.3/B.4
Solution Selling und vertikale Wertschöpfungsnetzwerke
Theoretische und konzeptionelle Grundlagen Kap. C.3
Kap. C.1/C.2
Literaturüberblick, Wissenschaftstheorie und Methodologie
theoretischer Bezugsrahmen der Untersuchung
Kap. C.4
konzeptioneller Bezugsrahmen der Untersuchung
Zusammenfassung der Dekonstruktion
Kap. C.5
Methodische Grundlagen und empirische Untersuchung Kap. D.2
Kap. D.1
Methoden der empirischen Untersuchung
Forschungsdesign der empirischen Untersuchung
Kap. D.3
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
Zusammenfassung der Rekonstruktion
Kap. D.4
Konstruktion der Implikationen Kap. E.2
Kap. E.1
organisatorische Verbesserungen der Hersteller-HandelsBeziehung
Implikationen für das Management von Handelsmarken
Kap. E.3
Solution SellingAnsätze in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken
Schlussbetrachtung Zusammenfassung
Abb. A-1: Gang der Untersuchung Quelle:
Eigene Darstellung.
Kap. F.1
Ausblick
Kap. F.2
B.
Annäherung an ein Verständnis der zentralen Begriffe „A definition is the enclosing a wilderness of idea within a wall of words.”42
1.
Marken- und Handelsmarkenbegriff
1.1
Zur Bedeutung der Marke
Die härteste Bewährungsprobe für ein Produkt – sei es im Lebensmitteleinzelhandel, im Baumarkt oder im Bekleidungseinzelhandel – ist die Präsenz auf der Verkaufsfläche. Produkte, die auf sich aufmerksam machen wollen, müssen aus der Masse der „zinnsoldatenhaft“ aneinander gereihten Produkte im wahrsten Sinne des Wortes herausragen.43 Einen großen Beitrag dazu kann die Marke leisten. Dies zeigt das oft zitierte und von DE CHERNATONY und MCDONALD dokumentierte Beispiel eines „BlindTests" mit den Markenprodukten Pepsi und Coca Cola.44 Dabei wurden Konsumenten Diät-Getränke ohne Markeninformation gereicht, die sie hinsichtlich ihrer Präferenzen zu beurteilen hatten. In diesem „Blind-Test" zogen 51 Prozent der Probanden Pepsi vor, während in der Kontrollgruppe, die die Markeninformationen erhielten, lediglich 23 Prozent Pepsi und 65 Prozent Coca Cola präferierten. Die Wahrnehmung der Marke ist hier folglich Auslöser für das Hervorrufen von entscheidungsdeterminierenden Vorstellungsbildern.45 Marken stellen für Unternehmen wesentliche Vermögenswerte dar und in der Pflege sowie dem Ausbau dieser Vermögenswerte sieht sich die Markenführung wachsenden Herausforderungen gegenüber. Der härter werdende Kampf um Aufmerksamkeit kann hierbei zu Markenerosion – also dem Rückgang des Markenwertes – führen.46
42
Samuel Butler (1612-1680) zitiert nach Crystal/Crystal (2000), S. 26.
43
Vgl. Berentzen/Berentzen (2005), S. 149.
44
Vgl. De Chernatony/McDonald (2003), S. 9. Einen ähnlich konzipierten Test beschreiben KENet al. für Reisemarken (vgl. Kenning et al. (2002), S. 2-3) und SCHNEIDER für Parteienmarken (vgl. Schneider (2004), S. 12-14). NING
45
Neben der Marke leistet auch die Verpackung als Träger der Marke am Point of Sale einen Beitrag zur Kaufentscheidung (vgl. Ahlert/Berentzen/Ommen (2007), S. 40-73; Becker (2006), S. 494-498; Caswell/Mojduszka (1996), S. 1248-1253; Deuss (1985), S. 38-40; Fuchs (2004), S. 179-182; Schoormans/Robben (1997), S. 271-287; Veryzer (1993), S. 224-228).
46
ZERNISCH beschreibt die Situation wie folgt: „Zur gleichen Zeit, in der eine winzige Zahl weltbekannter Markenartikel-Marken eine öffentliche Werteinschätzung in Milliarden-US-Dollar-Höhe erfährt und in der Pseudomarken wie Pilze aus dem Boden der allgemeinen Markengläubigkeit sprießen, verliert die Mehrzahl der klassischen Markenartikel an Einfluss und Wert“ (Zernisch (2003), S. 42).
10
Kap. B
Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Begriff der Marke nicht mehr nur im Zusammenhang mit Konsumgütern Anwendung findet, sondern im Sinne eines „Broadenings“47 die Ausdehnung auf weite Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens erfahren hat.48 Ausgehend von der Erkenntnis, dass nicht nur die Absatzmärkte, sondern auch die Personal-, Absatzmittler-, Beschaffungs- und Kapitalmärkte sowie die Öffentlichkeit Anspruchsgruppen an die Marke sind, hat die Markenführung eine inhaltliche Ausweitung erfahren. 49 MEFFERT/BURMANN bezeichnen diesen Prozess als „Deepening“.50
Markenführung
„Broadening“
„Deepening“
Sicherung konstitutiver Markenmerkmale Instrumente-Mix der Markenführung ökologische Aspekte der Markenführung gesellschaftliche Aspekte der Markenführung innengerichtete Markenführung Ressourcen und Kompetenzen für eine erfolgreiche Markenführung sozialpsychologische Phänomene der Markenbildung und -führung …
Handels-/ Gattungsmarken Betriebstypenmarken internationale/ globale Marken Dienstleistungsmarken Investitionsgütermarken Marken nichtkommerzieller und sozialer Institutionen Regionenmarken Personenmarken …
Abb. B-1: Ausdehnung des Verständnisses von Markenführung Quelle:
In enger Anlehnung an Meffert/Burmann (2005), S. 33.
47
Vgl. Meffert/Burmann (1996), S. 16-17.
48
Neben Konsumgütermarken sind je nach Markierungsobjekt und institutioneller Stellung des Trägers der Marke weitere Erscheinungsformen der Marke zu unterscheiden. Zu nennen sind hier insbesondere die Handelsmarke, Investitionsgütermarke, Betriebstypenmarke, Dienstleistungsmarke, digitale Marke, netzgeführte Marke, Non-Profit-Marke, Regionenmarke und Personenmarke (vgl. beispielhaft Schneider (2002)).
49
AHLERT fasst die Anspruchsgruppen an die Marke mit dem Begriff Markenpublikum zusammen, der im Folgenden Verwendung findet (Ahlert (2004c), S. 13-14; Ahlert (2005), S. 215). Zur Relevanz ausgewählter Anspruchsgruppen vgl. Franzen/Kumbartzki (2004).
50
Vgl. Meffert/Burmann (1996), S. 16-17. Die „moderne“ Markenführung bezieht sich nicht nur auf die Sicherung konstitutiver Markenmerkmale durch den Einsatz des Marketing-Mix, sondern bspw. auch auf ökologische und gesellschaftliche sowie mitarbeiter- und partnergerichtete Aspekte.
Marken- und Handelsmarkenbegriff
11
Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis kann bis dato nicht genau festgestellt werden, welchen Beitrag eine starke Marke zum Unternehmenserfolg leistet. Ein situationsübergreifendes Verfahren zur Markenbewertung, das die Anforderungen an einen solchen Ansatz herausragend erfüllt, existiert derzeit nicht.51 Trotz intensiver Forschungsbemühungen herrscht bislang weder Klarheit über den Begriff des Markenwertes noch über den Erkenntnisgewinn, den eine Berechnung dieses Wertes verspricht. Eine weitere Schwierigkeit im Rahmen der Bestimmung eines Markenwertes besteht darin, dass ein positiver Markeneffekt deutlich zeitverzögert nach den Investitionen eintritt, und darüber hinaus von weiteren Faktoren wie der Konsistenz der Markenführung abhängt.52 1.2
Ansätze zur Definition und Führung von Marken
Seit Beginn der systematischen Auseinandersetzung mit dem Management von Marken Anfang des 20. Jahrhunderts besteht Unklarheit über das Verständnis des Markenbegriffs.53 VON DER GATHEN verweist etwa darauf, dass Worte wie „Marke“, „Markenzeichen“ oder „Markenartikel“ von Vertretern der Praxis und wissenschaftlichen Autoren synonym verwendet, ihnen jedoch teilweise unterschiedliche Bedeutungsinhalte zugesprochen werden.54 Bereits 1970 charakterisiert SCHENK die Situation als „babylonische Sprachverwirrung“ 55 und trotz intensiver, Jahrzehnte währender Bemühungen um Erkenntnisfortschritt ist die Bedeutung des Markenbegriffs aufgrund uneinheitlicher Terminologie vielfach unklar. In Folge dessen werden Fortschritte in der Entwicklung eines einheitlichen theoretischen Verständnisses erschwert.56 Die Entwicklung des Begriffsverständnisses von Marken vollzieht sich chronologisch in vier Phasen, die sich durch den Wandel der Hersteller-Handels-Beziehung sowie Veränderungen der Aufgabenumwelt der Unternehmen erklären lassen. 57 Die wis51
Vgl. zur Übersicht Gerpott/Thomas (2004).
52
Vgl. Köster (2006), S. 30. KÖSTER entwickelt ein Modell zur Messung der Markenstärke, das den heterogenen Verhaltensweisen der Konsumenten gerecht wird und gleichzeitig Informationen über die Existenz unterschiedlicher Marktsegmente und deren gezielte Ansprache liefert.
53
Vgl. stellvertretend für viele Brauer (1996), S. 14. Ausführliche Übersichten geben Baumgarth (2008), S. 2-5; Burmann/Meffert/Koers (2005), S. 5-7; Bruhn (2004), S. 5-9 und Morschett (2002), S. 11. Einen Überblick wissenschaftlicher Buchveröffentlichungen zum Themengebiet Marke im Zeitraum 1963-2003 liefert Welling (2006), S. 5-7.
54
Vgl. von der Gathen (2001), S. 13 sowie Baumgarth (2008), S. 2; Kriegbaum (2001), S. 27; Maretzki (2001), S. 8-9; Schölling (2000), S. 12; Weis/Huber (2000), S. 29.
55
Vgl. Schenk (1970), S. 40. Auch AHLERT/KENNING/SCHNEIDER und andere griffen diesen Begriff im Zusammenhang mit der Systematisierung von Markendefinitionen auf (vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 1; Bruhn (1994), S. 5; De Chernatony/Riley (1998), S. 417-419; Kelz (1989), S. 20).
56
Vgl. Stern (2006), S. 216.
57
Vgl. Bruhn (2001), S. 6-8 sowie ausführlich Köster (2006), S. 12-31; Meffert/Burmann (2005), S. 20-32; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 355-364.
12
Kap. B
senschaftliche Diskussion über den Markenbegriff beginnt etwa Mitte des 19. Jahrhunderts und erfährt insbesondere in jüngerer Zeit eine Anreicherung durch interdisziplinäre Ansätze aus der Psychologie58, Soziologie59 und Physiologie60. Im Folgenden werden, den Phasen aus Abb. B-2 entsprechend, die wichtigsten Ansätze des Markenverständnisses und der Markenführung vorgestellt.61
Zeichenorientierter Ansatz
Angebotsorientierte Ansätze
Nachfrageorientierte Ansätze
Integrierte Ansätze
Marke als Eigentums- und Herkunftsnachweis
merkmalsorientierter Ansatz
wirkungsorientierter Ansatz
identitätsbasierter Ansatz
herkunftsstrukturierender Ansatz
imageorientierte Ansätze
fraktaler Ansatz
instrumenteller Ansatz
technokratischstrategieorientierter Ansatz
interdisziplinäre Ansätze
funktionsorientierter Ansatz seit Mitte 19. Jh.
seit Anfang 20. Jh.
seit ca. 1970
seit ca. 1990
Abb. B-2: Phasen der Entwicklung des Markenverständnisses und der Markenführungsansätze Quelle:
In Anlehnung an Meffert/Burmann (2005), S. 20-21, Thurm (2000), S. 28 und 38 sowie Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 356.
Im Rahmen der Untersuchung von Handelsmarken wird bei der Darstellung der empirischen Ergebnisse auf die verschiedenen hier dargestellten Ansätze verwiesen. Darüber hinaus wird die Entwicklung des Handelsmarkenverständnisses wie auch der Status quo der Handelsmarke in den unterschiedlichen Branchen aufgezeigt.
58
Vgl. Bergler (2007), S. 573-620; Bless/Greifeneder/Wänke (2007), S. 31-40; Sommer (1998); Sommer (2007); Wiswede (1992), S. 71-95; Wiswede (2007), S. 281-362.
59
Vgl. Algesheimer/Dholakia/Herrmann (2005); Deichsel (2004); Hellmann (2005); Muniz/ O'Guinn (2001).
60
Vgl. Esch et al. (2008); Kenning et al. (2004); Kenning et al. (2005); Kenning/LehmannWaffenschmidt/Hubert (2008); Knutson et al. (2007); McClure et al. (2004); Schaefer/Rotte (2007).
61
Die in Abb. B-2 vorgenommende Klassifikation wird in der Literatur zum Teil kontrovers diskutiert (vgl. Thurm (2000), S. 28).
Marken- und Handelsmarkenbegriff
1.2.1
13
Zeichenorientierte Ansätze
Das in der ersten Phase den Marken zu Grunde liegende Phänomen ist keine Erfindung der modernen Gesellschaft, sondern lässt sich bis ins ägyptische und römischgriechische Altertum zurückverfolgen. 62 Ursprünglich bezeichnet das germanische Wort „Marka“ einen Grenzstein bzw. ein Grenzzeichen, erlebt jedoch während des Mittelalters im lateinisch-römischen Sprachraum eine Sinnausweitung zu einem Eigentums- und Herkunftsnachweis, insbesondere für handwerkliche Erzeugnisse.63 An diese etymologische Interpretation des Markenbegriffs knüpft die Markendefinition der American Marketing Association (AMA) an, die “brand” definiert als: „…a name, term, design, symbol, or any other feature that identifies one seller's good or service as distinct from those of other sellers. The legal term for brand is trademark. A brand may identify one item, a family of items, or all items of that seller“64.
In dieser Definition sind mit der Schutzfähigkeit und Einzigartigkeit zwei Anforderungen an die Marke enthalten, die Einzug in das deutsche Markengesetz finden.65 Entsprechend gelten in § 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (MarkenG) in der Fassung vom 01.01.1995 nur solche Marken als schutzwürdig, „die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden“.66 Im Mittelalter hat es nach heutigem Verständnis keine Markenartikel gegeben, da die industrielle Fertigung von Produkten erst ca. 1750 einsetzt und sich bis dahin somit auch keine Notwendigkeit eines gewerblichen Rechtsschutzes gezeigt hat.67
62
Vgl. z. B. Room (1993), S. 13. Bereits vor 4.000 Jahren markierten ägyptische Steinmetze ihre Steine beim Pyramidenbau (vgl. Aaker (1996), S. 10), die Hochkulturen des antiken Roms sowie die Völker in China haben Güter mit Markierungen versehen (vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 355 f.). Auch im antiken Griechenland haben bereits 530 v. Chr. Hersteller hochwertiger Gebrauchskeramik ihre Produkte mit Markennamen versehen, die in weiten Teilen der damals bekannten Welt erhältlich waren und vermutlich überdurchschnittliche Preise im Vergleich zu unmarkierten Produkten gleicher Art erzielten (vgl. Sattler/Völckner (2007), S. 25).
63
Vgl. Baumgarth (2008), S. 2-5; Dichtl (1978), S. 17-34; Kemper (2000), S. 3-4; Linxweiler (1999), S. 51; Meffert/Burmann (2005), S. 19-36; Sattler/Völckner (2007), S. 25-27.
64
AMA (Hrsg.) (2004), o. S.
65
Vgl. hier und im Folgenden Köster (2006), S. 15. Mit Bezug auf Warenzeichen vgl. auch Kern (1962), S. 17; Schäfer (1959), S. 403.
66
§ 3 Abs. 1, MarkenG. Zu den Rechtsgrundlagen und der Entstehung des Markenschutzes sowie Schutzhindernissen vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 7-16; Backhaus (2007), S. 1-19; Kraft (1992), S. 247-268; Ingerl/Rohnke (2003); Sattler/Völckner (2007), S. 28-44; Schröder (2005), S. 351-377. Zum Management von Marketing-Schutzrechten vgl. Schröder (1987).
67
Die ersten Marken in Deutschland entstanden im Biersegment: Garley (1314), Mönchshof (1349), Franziskaner (1363) und Dortmunder Kronen (1430) (vgl. Sekundärquelle [2], Chart 5). Die älteste deutsche Marke im juristischen Sinne ist die Bildmarke der Porzellanmanufaktur Meissen, die ihre zwei sich kreuzenden Schwerter bereits am 20.05.1875 beim kaiserlichen Patentamt anmeldeten (vgl. Sekundärquelle [2], Chart 10).
14
Kap. B
Kritisch anzumerken beim zeichenorientierten Ansatz, der bis ins frühe 20. Jahrhundert vorherrscht, ist, dass er lediglich auf verschiedene Formen und Funktionen von Marken abstellt, ohne den Gegenstand der Marke und ihre Bildung konkret zu beschreiben. 68 In dieser Zeit des wachsenden Preiswettbewerbs im Handel, der von innovativen Betriebsformen, wie Warenhäusern, Filialisten und Konsumvereinen, ausgeht,69 dient die Markierung von Waren in erster Linie als Eigentumskennzeichnung und Herkunftsnachweis in Form einer „chiffrierten Visitenkarte“70 des Markeneigners. 71 Die Marke erfüllt außerdem die im Markengesetz enthaltene Identifizierungsfunktion, denn sie erleichtert die Wiedererkennbarkeit der Ware und die Unterscheidung von anderen Waren.72 1.2.2
Angebotsorientierte Ansätze
In der Phase der angebotsorientierten Ansätze (zweite Phase), die bis Ende der 1960er Jahre andauert, herrscht zunächst ein objekt- und merkmalsbezogenes Markenverständnis vor. 73 Der Begriff des Markenartikels enthält seit Anfang des 20. Jahrhunderts neben der Schutzfähigkeit und Einzigartigkeit, zusätzlich eine Qualitätskomponente, die vornehmlich absatzpolitischen Zielsetzungen zuzuschreiben ist. 74 „Echte“ Marken (Markenartikel) differenzieren sich dadurch von „unechten“ Marken (markierte Artikel).75 Angesichts der damals noch starken Konzentration auf das markierte Objekt fordert DOMIZLAFF am Anfang seiner Markengesetze: „Die Voraussetzung der natürlichen Markenbildung ist die Warenqualität.“76
68
Vgl. Burmann/Meffert/Koers (2005), S. 6; Meffert/Burmann (2005), S. 20.
69
Vgl. Berekoven (1978), S. 36.
70
Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 512.
71
Vgl. Linxweiler (2001), S. 49; Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 512. GEORG BERGLER stellte bereits 1939 über die ersten Markenartikelhersteller fest: „Ahnend haben damals einige wenige Männer die Realität des Verbrauchers erfühlt. Sie haben ihre Ware aus der Anonymität des Marktes herausgehoben und das Urteil des Verbrauchers herausgefordert, indem sie ihnen Namen und Herkunftsbezeichnung gaben und damit für die Qualität die Verantwortung vor aller Öffentlichkeit übernahmen“ (Bergler (1939) zitiert nach Vershofen (1959), S. 77). Er bewegt sich damit gedanklich über den schlichten Herkunftsnachweis im Sinne des zeichenorientierten Ansatzes hinaus.
72
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 511.
73
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 357.
74
Vgl. Leitherer (1954), S. 91.
75
Vgl. hier und im Folgenden Köster (2006), S. 16.
76
Domizlaff (2005), S. 79, im Original Domizlaff (1939). Mit seinem Lehrbuch der Markentechnik aus dem Jahr 1939 gilt er als Pionier des Markenartikels und weist schon damals über die materielle Gebundenheit der Marke hinaus (vgl. Zernisch (2003), S. 261).
Marken- und Handelsmarkenbegriff
15
Die Fixierung auf die Vermarktungsform des Markenartikels führt zu einem neuen Markenverständnis, das als angebotsorientiert bezeichnet wird. 77 Diese Entwicklungsphase ist geprägt durch einen konsumgüterorientierten Warenfokus und die Suche nach konstitutiven Eigenschaften der Marke.78 Die Vertreter des merkmalsorientierten Ansatzes definieren eine Sammlung von Charakteristika, die in generalisierter Form zu solchen Eigenschaften des Markenartikels erklärt werden.79 Die bekannteste Zusammenstellung einer abschließenden Anzahl von Merkmalen geht auf MELLEROWICZ zurück. Demnach sind Markenartikel: „…für den privaten Bedarf geschaffene Fertigwaren, die in einem größeren Absatzraum unter einem besonderen, die Herkunft kennzeichnenden Merkmal (Marke) in einheitlicher Aufmachung, gleicher Menge sowie in gleich bleiben-der oder verbesserter Güte erhältlich sind und sich dadurch sowie durch die für sie betriebene Werbung die Anerkennung der beteiligten Wirtschaftskreise (Verbraucher, Händler und Hersteller) erworben haben (Verkehrsgeltung)“80.
Die Aufstellung derartiger Abgrenzungsmerkmale darf als Reaktion auf die unternehmerische Praxis gewertet werden, aus absatzpolitischen Gründen immer mehr Produkte als Markenartikel zu deklarieren. Schon bald jedoch steht die inflationäre Verwendung des Markenbegriffs in der Umgangssprache im Widerspruch zu dem definitorisch engen Korsett der Merkmalskataloge.81 Der herkunftsstrukturierende Ansatz beschreibt in unterschiedlichen Kategorien das Kontinuum zwischen klassischen Markenartikeln und unmarkierter Ware.82 GOLDACK und SCHÄFER als Vertreter dieses Ansatzes greifen bereits die Trennung von Markenartikel und Markenware auf und ordnen Handelsmarken zwischen Herstellermarkenartikeln und unmarkierter Ware ein.83 Trotz der im Vergleich zum merkmalsorientierten Ansatz höheren Trennschärfe der einzelnen Kategorien verbleiben jedoch dahingehend Probleme, dass die konsumentenseitig als Marke wahrgenomme77
Vgl. Thurm (2000), S. 28.
78
Vgl. Meffert/Burmann (2005), S. 22.
79
Vgl. Thurm (2000), S. 28-30. In der Literatur findet auch die Bezeichnung „objektbezogener Ansatz“ Verwendung (vgl. z. B. Baumgarth (2008), S. 4).
80
Mellerowicz (1963), S. 39. Wird mindestens eine Anforderung von einem Produkt nicht erfüllt, liegt bei strenger Auslegung des merkmalorientierten Verständnisses kein Markenartikel vor (vgl. Leitherer (1954), S. 100-121 und Meffert (2000), S. 846).
81
Vgl. Köster (2006), S. 16-17. Nach herrschender Meinung wird den Merkmalskatalogen die Eignung zur Begriffsbestimmung des Markenprodukts heute abgesprochen, da die statische und formalistische Sichtweise dieses Ansatzes der Dynamik des Markenprodukts und der Vielfalt seiner Erscheinungsformen nicht mehr gerecht werde (vgl. bspw. Berekoven (1978), S. 40-42; Leitherer (1994), S. 78; Meffert/Burmann (1996), S. 5; Schäfer (1959), S. 406). Dennoch ist der merkmalsorientierte Ansatz zur Bestimmung eines Markenartikels bis in die heutige Zeit in der Praxis weit verbreitet.
82
Vgl. Thurm (2000), S. 32.
83
Vgl. Goldack (1948); Schäfer (1959), S. 128-130.
16
Kap. B
nen Produkte anhand der Merkmalskataloge nicht zweifelsfrei als solche identifiziert werden können.84 Ab Mitte der 1960er Jahre wird das objektbezogene Markenverständnis als Reaktion auf die Vernachlässigung der Kundenperspektive85 und die Vieldeutigkeit der Markendefinitionen86 bei den merkmals- und herkunftsorientierten Ansätzen von einem ausschließlich angebotsorientierten Markenverständnis abgelöst, bei dem nicht mehr das Produkt mit seinen besonderen Eigenschaften, sondern sämtliche Bemühungen des Anbieters im Vordergrund stehen.87 Als erster Markenführungsansatz wird der Ende der 1930er Jahre auf DOMIZLAFF88 und BERGLER89 zurückgehende sog. instrumentelle Ansatz der Markentechnik bekannt, der als Ausgangspunkt der professionellen Markenführung zu verstehen ist.90 Mit dem Begriff „Markentechnik“ bezeichnet DOMIZLAFF die systematische Nutzbarmachung massenpsychologischer Methoden und Erkenntnisse „für den Geltungskampf ehrlicher Leistungen oder produktiver Ideen“. 91 Die Markentechnik beruht auf der Annahme, dass Konsumenten häufig nicht über die Fähigkeiten oder das Wissen verfügen, durch Inspektion die Qualität eines Produktes festzustellen und ihre Entscheidung stattdessen an vermuteten Indikatoren festmachen, um dadurch die fehlende Erfahrung zu ersetzen.92 Grundlage der instrumentellen Markenführung ist die Identifikation derjenigen Absatzinstrumente, die in einer spezifischen Situation aus einer zunächst anonymen Ware langfristig einen Markenartikel entstehen lassen, so dass vor allem der Markierungs- und Verpackungsgestaltung eine besondere Bedeutung beigemessen wird.93 Die Verfechter des funktionsorientierten Ansatzes stellen hingegen die Frage nach der Ausgestaltung der betrieblichen Funktionen zur Erfolgssicherung eines Markenprodukts in den Mittelpunkt ihrer Forschungsbemühungen. 94 Auch dieser Ansatz orientiert sich überwiegend an den anbieterbezogenen Markenfunktionen. Der Auf84
Vgl. Köster (2006), S. 17.
85
Vgl. Morschett (2002), S. 24; Esch/Wicke/Rempel (2005), S. 10.
86
Vgl. Bruhn (2003), S. 181-183; Keller/Apéria/Georgson (2008), S. 2; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 349.
87
Vgl. Angehrn (1969), S. 21-22; Hansen (1970), S. 30-31; Hartmann (1966), S. 13-14.
88
Vgl. Domizlaff (2005). Im Original Domizlaff (1939).
89
Vgl. Bergler (1939).
90
Vgl. Bruhn (2003), S. 184.
91
Domizlaff (2005), S. 11.
92
Vgl. Köster (2006), S. 19. Im Mittelpunkt der Markentechnik steht die Frage, welche absatzpolitischen Instrumente zur Transformation anonymer Waren in Markenartikel geeignet sind. Schon damals enthält die Markentechnik Elemente, die später als Push- und Pull-Strategie (vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 593-594) Eingang in das vertikale Marketing finden.
93
Vgl. Meffert/Burmann (2005), S. 25; Walter (2007), S. 85.
94
Vgl. Hansen (1970), S. 30-31.
Marken- und Handelsmarkenbegriff
17
gabenbereich wird im Vergleich zur instrumentellen Sichtweise wesentlich breiter gefasst, denn die Vertreter des funktionsorientierten Ansatzes integrieren Marktforschung, Produktentwicklung, Preispolitik und Distributionspolitik in die Markenführung.95 Die Vertreter des Ansatzes gehen außerdem davon aus, dass sich Marken anhand der Erfüllung Nutzen stiftender Funktionen für Hersteller, Handelsunternehmen und Verbraucher unterscheiden.96 Die Ausgestaltung der einzelnen Marketingfunktionen, insbesondere der Vertrieb der Waren, wird dabei als wichtiger Wettbewerbsvorteil gesehen.97 1.2.3
Nachfrageorientierte Ansätze
Gesättigte Märkte und ein zunehmender Verdrängungswettbewerb führen Mitte der 1970er Jahre zu einer verstärkten Wettbewerbsorientierung.98 Kritische und vor allem preissensible Verbraucher sowie die inflationäre Verwendung des Markenbegriffs begünstigen zudem die Wandlung von der Angebots- zur Nachfrageorientierung und die Konzentration auf die Konsumentenperspektive avanciert in Folge dessen zur dominierenden Sichtweise. 99 Diese stellt die markenpolitischen Möglichkeiten der Beeinflussung und die damit erzielte Wirkung bei den Konsumenten in den Mittelpunkt der Betrachtung. Innerhalb der nachfrageorientierten Ansätze lassen sich in dieser dritten Phase der wirkungsorientierte, der imageorientierte und der technokratisch-strategieorientierte Ansatz unterscheiden. Als Reaktion auf die Unzulänglichkeiten der Markendefinitionen anhand von Wesensmerkmalen entwickelt BEREKOVEN einen neuen Ansatz zur Bestimmung des Markenbegriffs, der als wirkungsbezogener Ansatz bekannt geworden ist.100 Gemäß diesem Ansatz wird die Marke nicht mit Hilfe konstitutiver Kriterien aus Sicht des Markeneigners definiert, sondern umgekehrt anhand der erreichten Wertschätzung beim Verbraucher. Die Wesensbestimmung des Markenartikels erfolgt somit letztendlich durch die Konsumenten selbst und nur von ihnen als Marke bezeichnete bzw. empfundene Produkte verdienen demnach den Status des Markenartikels.101 Im
95
Vgl. Angehrn (1969), S. 21-22; Hansen (1970), S. 30; Hartmann (1966), S. 13.
96
Vgl. Thurm (2000), S. 34-35.
97
Vgl. Dubber (1969), S. 17-19; Hansen (1970), S. 41-42.
98
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 357.
99
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 357; Meffert/Burmann (2005), S. 25.
100
Vgl. Berekoven (1978), S. 43.
101
Vgl. Berekoven (1978), S. 43 und in ersten Ansätzen auch Berekoven (1961), S. 150.
18
Kap. B
wirkungsbezogenen Ansatz steht somit die sozialpsychologische Dimension der Marke im Fokus des Interesses.102 Ein derart erfolgsbezogenes Markenverständnis spiegelt sich auch in der Markenführung wider. Die Marke wird nicht mehr als Absatzobjekt, sondern als Vorstellungsbild aufgefasst. 103 Diese, als verhaltens- oder imageorientiert bezeichnete Richtung, basiert auf den Ergebnissen der umfangreichen Erforschung des Markenimages,104 das in der Fachliteratur auf unterschiedliche Weise erklärt wird. Das Spektrum reicht von einfachen Markenschemata über Means-end-Analysen bis hin zu komplexen kognitiven Netzwerken. 105 Die verhaltens- bzw. imageorientierten Markenführungsansätze betrachten dabei die externe Wirkung der Markenführung auf den Nachfrager und dessen Einstellung zur Marke als Prädiktor des Kaufverhaltens.106 Aus diesen Erkenntnissen werden Gestaltungsempfehlungen zum Aufbau und zur zielgerichteten Beeinflussung des Markenimages entwickelt, die sich schwerpunktmäßig auf die Positionierung und den kommunikativen Auftritt der Marke beziehen.107 Negative Beurteilungen erfährt dieser Ansatz für die definitorische Loslösung der Marke vom eigentlichen Produkt und ihre Gleichstellung mit dem hypothetischen Konstrukt der Einstellung.108 Insbesondere steht die Vernachlässigung der Integration sämtlicher betrieblicher Funktionen in der Kritik, die sich durch die Konzentration auf methodische Aspekte, wie die Operationalisierung des Markenimages, einstellt.109
102
Vgl. Buchholz/Wördemann (2003), S. 60; De Chernatony/Riley (1998), S. 427; von Matt (1988), S. 35; Ries/Trout (1986), S. 27-30. Der Ansatz knüpft dabei an die Vorstellung von DOMIZLAFF an, der mit dem 15. seiner 22 Markengesetze, „das Ziel der Markentechnik ist die Sicherung einer Monopolstellung in der Psyche der Verbraucher“ (Domizlaff (2005), S. 118), bereits 1939 Aspekte des wirkungsorientierten Ansatzes vorweg nahm.
103
Vgl. Aaker/Keller (1990), S. 27-29; Berekoven (1978), S. 43-44; Meffert (2000), S. 847-848; Trommsdorff (1992), S. 458-463.
104
Vgl. Herzig (1991); Keller (1993), S. 1-22; Wasmann/Pagels (2001); Wolf (1981).
105
Vgl. Adjouri (2002), S. 115-121; Esch/Wicke/Rempel (2005), S. 48-49; Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 232; Lederer/Hill (2001), S. 125-133; Trommsdorff (1997), S. 3-6. Zu den wirkungsorientierten kognitionspsychologischen Modellen zählen auch die Ansätze, die Marken über ihre Involvementwirkung beschreiben (vgl. Haedrich/Tomczak/Kaetzke (2003), S. 57-60; Rossiter/Percy (1998), S. 212-214; Trommsdorff (1995), S. 1067-1078).
106
Vgl. Keller/Apéria/Georgson (2008), S. 52-56; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 357; Trommsdorff (1992), S. 458-460.
107
Vgl. Aaker (1991), S. 164-166; Aaker/Keller (1990), S. 38; Berekoven (1978), S. 46-48; Farquhar (1989), S. 25-26; Keller (1993), S. 14-16; Ries/Trout (1986), S. 37-38.
108
Vgl. Brandmeyer (2003), S. 58-62; Welling (2006), S. 44.
109
Vgl. Koers (2001), S. 52. AHLERT und GUTJAHR weisen außerdem darauf hin, dass das Image einer Marke veränderlich ist. Es kann zwar durch Meinungsforschung erhoben werden, jedoch befindet es sich lediglich an der kognitiven Oberfläche des Bewusstseins, die beständige Markensubstanz hingegen bleibt im Unterbewussten verborgen (vgl. Ahlert/Gutjahr (2007), S. 433).
Marken- und Handelsmarkenbegriff
19
Der technokratisch-strategieorientierte Ansatz richtet die Aufmerksamkeit auf die Verknüpfung der Markenführung mit strategischen Entscheidungen der Unternehmensführung und versucht damit die Defizite der imageorientierten Ansätze durch Planung, Steuerung und Kontrolle aller Markenmaßnahmen zu beseitigen.110 Dieser Wechsel in der Betrachtungsweise von der Verhaltenskonstruktebene zur Unternehmensführungsebene stößt, im Hinblick auf die in den 1980er Jahren einsetzende Diskussion des Markenwertes, auf reges Interesse, mündet jedoch aufgrund der stark formalisierten Darlegung der Markenbildung in einem technokratischmechanistischem Vorstellungsbild von den Zielen und Aufgaben der Markenführung.111 Dieses führt schließlich zu zahlreicher Kritik am technokratischen Markenverständnis verbunden mit der Warnung, dass sich Wissenschaft und Praxis vermehrt auf die „Hardfacts“ der Markenführung beschränken112 und die DOMIZLAFF’sche Markentechnik mit den Worten dessen Schülers PETER ZERNISCH zur „[…] Markenmechanik verkümmert und schließlich in Markentechnokratie erstarrt“.113 1.2.4
Integrierte Ansätze
Die Veränderung der Rahmenbedingungen, insbesondere das Aufkommen der neuen Medien, die Positionierungsenge durch fortschreitende Internationalisierung der Märkte sowie die Informations- und Marketingführerschaft des Handels, führen in den 1990er Jahren zu einem veränderten Markenverständnis. In dieser vierten Phase werden die beiden Sichtweisen der angebots- und nachfrageorientierten Markenverständnisse miteinander kombiniert. Die Marke wird vor allem unter sozialpsychologischen Aspekten betrachtet.114 Ursprung dieser Entwicklung ist die Auflösung konstanter Verhaltensmuster seitens der Konsumenten.115 Dies ist teilweise durch eine Veränderung der Bedürfnisstrukturen zu erklären. Analog zur Bedürfnispyramide von MASLOW nimmt die Funktion des Konsums als Mittel der Befriedigung der Grundbedürfnisse mit steigendem Erfüllungsgrad ab.116 In den Vordergrund treten Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung und Selbstverwirklichung. Hiermit verbunden ist eine zunehmende Bedeutung intangibler Markeneigenschaften. Innerhalb des integrierten
110
Vgl. Franzen/Trommsdorff/Riedel (1994); Haedrich/Tomczak (1994); Meffert/Burmann (2005), S. 27; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 357; Voss (1983), S. 17-18.
111
Vgl. Meffert/Burmann (2005), S. 27.
112
Vgl. Meffert/Burmann (2005), S. 29.
113
Zernisch (2004), S. 33.
114
Vgl. Meffert/Burmann (2005), S. 28-29; Baumgarth (2008), S. 5-6.
115
Vgl. Meffert (1999), S. 12-14.
116
MASLOW unterteilt die Bedürfnisse in fünf Stufen: Physiologische Motive, Sicherheit, soziale Zuwendung, Selbstwertschätzung und Selbstverwirklichung. Erst, wenn die Bedürfnisse der vorhergegangenen Stufen erfüllt sind, strebt eine Person nach der nächst höheren Bedürfnisstufe. Vgl. hierzu Maslow/Holtzman/Murphy (1970), S. 35-40.
20
Kap. B
Markenverständnisses sind insbesondere der identitätsbasierte, der fraktale und der interdisziplinäre Ansatz von Bedeutung.117 Der identitätsbasierte Ansatz118 ist als eine konzeptionelle Weiterentwicklung und Verfeinerung des ursprünglich von MEFFERT und BURMANN entwickelten identitätsorientierten Markenmanagementansatzes zu verstehen.119 Dieser berücksichtigt sowohl nachfrage- als auch angebotsorientierte Aspekte der Markenführung. 120 Die bisher in allen Markenmanagementansätzen vorherrschende Outside-in-Perspektive der Marke wird um eine Inside-out-Perspektive ergänzt. Diese Erweiterung geschieht durch die Kombination des angebotsseitigen Selbstbildes, respektive der Markenidentität, und des nachfrageseitigen Fremdbildes in Form des Markenimages.121 Die Markenidentität umfasst aus Sicht der unternehmensinternen Zielgruppen alle räumlich-zeitlich gleichartigen, prägenden Merkmale der Marke.122 Sie teilt sich im Rahmen des identitätsbasierten Ansatzes in die sechs Komponenten Markenherkunft, Markenführungskompetenzen, Markenpersönlichkeit, Markenwerte, Markenvision und Markenleistungen auf.123 Beim Markenimage handelt es sich um ein mehrdimensionales Einstellungskonstrukt, 124 das in die drei Komponenten Assoziationen zur Markenpersönlichkeit, subjektives Wissen des Nachfragers zu den Markenattributen sowie Assoziationen zum Markennutzen unterteilt wird. Grundlage für die Bildung eines Markenimages ist die Bekanntheit bei den externen Zielgruppen der Marke im 117
Es existieren daneben zahlreiche weitere – jedoch in der wissenschaftlichen Literatur weniger beachtete – Markenführungsansätze, auf die im Einzelnen nicht näher eingegangen werden soll. Beispiele hierfür sind die persönlichkeitsorientierte Markenführung (vgl. Aaker/Fournier (1995); Aaker (1997); Hieronimus (2003); Triplett (1994), S. 9) und die entscheidungsorientierte Markenführung (vgl. Caspar/Metzler (2002); Echterling/Fischer/Kranz (2002); Riesenbeck/Perrey (2008)).
118
Vgl. den grundlegenden Beitrag von Meffert (1994) sowie die Weiterentwicklung von Meffert/Burmann (1996); Meffert/Burmann (2001), S. 49-69; Meffert/Burmann (2005), S. 30-32; Burmann/Blinda/Nitschke (2003); Burmann/Meffert (2005b), S. 37-72. Dieser Ansatz wurde auch verwendet von Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 17-23; Baumgarth (2008), S. 23-24; Esch (2008), S. 79-89. Parallel entwickelten Aaker (1996) und Kapferer (1992) ähnliche Ansätze.
119
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 358.
120
Vgl. Aaker/Joachimsthaler (2000), S. 41-43; Kapferer (2001), S. 97-100; Meffert/Burmann (2001), S. 49-69; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 358-364 sowie ergänzend Schmitt/Simonson/ Marcus (1995), S. 82-92; Upshaw (1995).
121
Vgl. Meffert/Burmann (1996), S. 35. Das Markenimage stellt „ein in der Psyche relevanter externer Zielgruppen fest verankertes verdichtetes, wertendes Vorstellungsbild von einer Marke [dar]“ (Burmann/Blinda/Nitschke (2003), S. 6).
122
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 361; Esch/Kiss G./Roth S. (2006), S. 76.
123
Eine ausführliche Beschreibung der Identitätskomponenten geben z. B. Burmann/Meffert (2005b), S. 56-60 sowie Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 361-364.
124
Vgl. Bergler (1972), S. 18; Keller (1993), S. 4-6; Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 168-171; Trommsdorff (2008), S. 159. Eingeführt wurde der Imagebegriff ausgehend von der Erkenntnis, dass objektive Verhaltensweisen nicht zwingend durch objektive Reizkonstellationen erklärt werden können (vgl. Hätty (1989), S. 59; Köster (2006), S. 116-117).
Marken- und Handelsmarkenbegriff
21
Sinne der Wiedererkennung.125 Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kommt es im Rahmen des identitätsbasierten Ansatzes auch zu einer veränderten Markendefinition, die nach BURMANN et al. wie folgt lautet: „Eine Marke ist ein Nutzenbündel mit spezifischen Merkmalen, die dafür sorgen, dass sich dieses Nutzenbündel gegenüber anderen Nutzenbündeln, welche dieselben Basisbedürfnisse erfüllen, aus Sicht der relevanten Zielgruppen nachhaltig differenziert.“126
Kritik erfährt der identitätsorientierte Ansatz in erster Linie dahingehend, dass er die mit der Definition des Images verbundenen wissenschaftstheoretischen Bedenken nicht zu überwinden versteht.127 Insbesondere seien Mängel bei der Konzeptualisierung und Operationalisierung des Images sowie bei der empirischen Fundierung zu konstatieren, die im Sinne von ex-post-Fallstudien einen anekdotischen Charakter aufweisen.128 Ausgehend von einem sozialpsychologischen Markenverständnis entwickelt GERKEN Mitte der 90er Jahre den fraktalen Ansatz der Markenführung. 129 Er distanziert sich dabei von allen Grundprinzipien der Markenführung bisheriger Ansätze, wie Positionierung, Zielgruppenorientierung und Nutzenversprechen. 130 Im Rahmen des fraktalen Ansatzes ersetzt GERKEN den mit Hilfe konsistenter Markenführung relativ stabilen Markenkern durch einen Mythos, der aufgrund seiner Elastizität die Anforderungen einer schnelllebigen Zeit besser erfülle.131 Dies ist seiner Meinung nach dringend notwendig, denn die klassischen Prinzipien der Markenführung seien nicht 125
Vgl. Aaker (1991), S. 61.
126
Burmann/Meffert/Koers (2005), S. 3 in Anlehnung an Keller (2003), S. 3-4.
127
Vgl. Köster (2006), S. 22; Welling (2003), S. 11-33. Insbesondere wird die nicht einheitliche und daher teilweise widersprüchliche Nutzung des Identitätsbegriffs kritisiert, wofür WELLING die unreflektierte Übernahme des Begriffs aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen verantwortlich macht (vgl. Welling (2003), S. 11).
128
Vgl. Ahlert et al. (2006), S. 25.
129
Vgl. Gerken (1992); Gerken (1994a); Gerken (1994b), S. 14. Fraktal ist ein von BENOÎT MANDELBROT (1975, 1987) geprägter Begriff (lat. fractus: gebrochen). Das Konzept der Fraktale stammt ursprünglich aus der Mathematik und dient der Beschreibung natürlicher oder künstlicher Gebilde, die einen hohen Grad von Skaleninvarianz bzw. Selbstähnlichkeit aufweisen, wie z. B. Wolken oder Hanffasern (vgl. Paulus (1995), S. 85).
130
Vgl. Meffert/Burmann (2005), S. 29.
131
GERKEN definiert Fraktale in diesem Zusammenhang in nur vager Anlehnung an die mathematische Theorie als Selbstähnlichkeit, „die sich durch eine homogene Inhomogenität auszeichnet“ (Gerken (1994a), S. 14). Neben dem Mythos beinhaltet die Marke zudem die Komponenten „Kairos“ und „Logos“. Der Kairos (in der griechischen Mythologie der Gott des rechten Augenblicks) ist laut GERKEN die Zeitgeistkomponente der Marke, in der sich unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Strömungen und Trends zusammenfinden. Der Logos dagegen umfasst die faktischen Informationen einer Marke und repräsentiert das Interesse des Verbrauchers, neben den spirituellen Komponenten auch sachliche Informationen über die Marke zu erwerben (vgl. Gerken (1994b), S. 14).
22
Kap. B
mehr zeitgemäß, da sie die Marke zu „[…] statischer Prägnanz durch Reduktion und Penetration […]“ 132 verdammten und dadurch unweigerlich in die Veralterung und Austauschbarkeit führten. Auch ZERNISCH verwendet diesen mythosbasierten Ansatz und stellt fest: „…dass der Mythos [einer] Marke die dauerhafte Substanz bildet, die alle jene Images trägt, die mir im Wettbewerb der Markenimages immer wieder so schöne Vorteile bringen. Mit ernsthaftem Interesse an der Ausbeutung eines Markenmythos erkenne ich auch bald, dass eine Marke ohne Mythos wie ein Fass ohne Boden ist, bei dem Investitionen in Images ohne mythischen Boden langfristig nur als Kosten zu bewerten wären, dass schließlich eine Marke ohne Mythos eigentlich nur eine Pseudomarke wäre, eine Markenattrappe.“133
Aufgabe der Markenführung ist diesem Ansatz zufolge die Generierung dynamischer Markenoberflächen, die aktuelle Trends wiedergeben und sich somit im Fluss des Zeitgeistes selbst organisieren.134 Die Profilierung der Marke ergibt sich dabei aus dem steten Wechsel der Kommunikationsthemen und der Markengestalt. Es kommt zu einem Verstoß gegen die Kontinuitätsforderung der Markenführung, denn radikale Brüche werden bewusst herbeigeführt.135 Das fraktale Markenverständnis erfährt insbesondere aufgrund der von GERKEN propagierten Auflösung der Zielgruppen, dem klaren Verstoß gegen die Kontinuitätsforderung und die dem Modell anhaftenden Operationalisierungsdefizite vielfältige, meist vernichtende Kritik aus Wissenschaft und Praxis.136 Durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Verhaltenswissenschaften steht beim interdisziplinären Ansatz der Integrationsgedanke ihrer Sichtweisen im Vordergrund.137 Nach mehr als 40 Jahren intensiver Kaufverhaltensforschung besteht weder in der Wissenschaft noch in der Praxis ein einheitliches und zeitgemäßes Mar132
Vgl. Gerken (1994b), S. 14.
133
Zernisch (2004), S. 34.
134
Vgl. Gerken (1994b), S. 14.
135
Die Werbeagentur Scholz & Friends hat Mitte der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts für die Zigarettenmarke West in Deutschland eine Kampagne entwickelt, die auf fraktaler Markenführung beruhte, trennte sich aber nach kurzer Zeit wieder davon (vgl. Herrmann (1999), S. 171172). Die Kampagne bestand aus teils widersprüchlichen Motiven, die in ihrer Gesamtheit an die latente Sehnsucht der Rezipienten appellierten, ihre verschiedenen Ichs auszuleben, auch wenn diese nicht immer gesellschaftlich akzeptiert sind. Einzige Konstante in der West-Kampagne war das Markenlogo und der Claim „Test it“. Dieser erste große Versuch einer fraktalen Markenführung wurde jedoch nach relativ kurzer Zeit durch eine klassische Kommunikationsstrategie ersetzt (vgl. Walter (2007), S. 91).
136
Vgl. Paulus (1995), S. 80-86. Verdienstvoll ist zumindest das Aufbrechen starrer Denkmuster einerseits, und die Betonung soziokultureller, kaum fassbarer Aspekte von Marken andererseits (vgl. Herrmann (1999), S. 92-93; Meffert/Burmann (2005), S. 30-31).
137
Vgl. die Publikationen zum inderdisziplinären Markenverständnis von Ahlert (2004c); Ahlert (2005), S. 216-219; Gutjahr (2004); Hengsbach (2004); Kruse (2004); Markowitsch (2004); Merten (2004).
Marken- und Handelsmarkenbegriff
23
kenverständnis.138 Daher soll, den Vertretern des interdisziplinären Ansatzes folgend, neben Einflüssen aus Psychologie und Soziologie auch der Rückgriff auf Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaften, Pädagogik, Theologie und Medizin zur Gewinnung eines besseren Markenverständnisses beitragen. Die Integration fachfremder Methoden aus anderen Verhaltenswissenschaften, wie z. B. den Neurowissenschaften139, verspricht große Fortschritte auf dem Gebiet der Entscheidungstheorie. Im Bereich des Marketing wurde das interdisziplinäre Markenverständnis im Wesentlichen von AHLERT und dem „brandsboard“ geprägt.140 Eine interdisziplinäre Betrachtungsweise kann dabei zu zwei zentralen Erkenntnisgewinnen für das Markenmanagement führen.141 Zum einen können die bisherigen Messverfahren zum Markenwert durch innovative Methoden verbessert werden. Dies gilt insbesondere für theoretische Konstrukte, die zwar Kaufverhaltensrelevanz entfalten, mit den üblichen Befragungsmethoden aber nicht gemessen werden können. Der Einsatz innovativer Methoden verspricht zudem eine adäquate Operationalisierung dieser Konstrukte und dadurch eine Verbesserung der Erklärungskraft der theoretischen Modelle. Zum anderen kann interdisziplinäre Forschung dazu beitragen, die aus den Sozialwissenschaften bekannten Vermutungen über die Wirkung von Marken auf eine breitere theoretische Basis zu stellen und in Einzelfällen naturwissenschaftlich zu fundieren. 1.3
Das Markenverständnis dieser Arbeit
In Anbetracht der heftig geführten wissenschaftlichen Diskussion über die Zweckmäßigkeit der in Kapitel B.1.2 vorgestellten Ansätze zur Definition und Führung von Marken ist an dieser Stelle explizit darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um eindeutig abgrenzbare, sich ausschließende Ansätze handelt, sondern – analog zur Wesensbestimmung der Marke – um unterschiedliche Sichtweisen desselben Untersuchungsgegenstandes. Ein gewisses „Markenschisma“ ist hierbei als Trennung der Denkrichtungen auch zukünftig unvermeidlich.
138
Vgl. Hanser (2005), S. 34; Simonson et al. (2001). AHLERT äußert sich dazu auf dem 1. G·E·MForum am 18.11.2008 wie folgt: „Wir sind in der Markenforschung noch im Mittelalter.“ (vgl. Sekundärquelle [3], o. S.). AHLERT betont die Notwendigkeit einer transdisziplinären Markenforschung, die im Gegensatz zum interdisziplinären Ansatz nicht nur Zusammenarbeit und Methodenaustausch zwecks neuem Erkenntnisgewinn bedeutet, sondern die Loslösung facheigener Forschungsdogmen zu Gunsten der Offenheit für andere Disziplinen.
139
Vgl. für einen Überblick der aktuellen Forschung Fugate (2008); Hubert/Kenning (2008), Kenning (2008); Kenning/Lehmann-Waffenschmidt/Hubert (2008); Senior/Lee (2008).
140
Vgl. Ahlert (2004a); Ahlert (2004c) sowie Ahlert (2005). Brandsboard ist der Zusammenschluss einer Gruppe interdisziplinär arbeitender Wissenschaftler zur Erforschung der Marke (siehe auch www.brandsboard.de).
141
Vgl. hier und im Folgenden Kenning/Ahlert (2004), S. 44-46.
24
Kap. B
Im Fortgang der Untersuchung wird das interdisziplinäre Markenverständnis von AHLERT (2004, 2005)) zu Grunde gelegt. In diesem Zusammenhang werden Marken definiert als „[…] kollektive Deutungsmuster, die Menschen als Orientierungshilfen zur Bewältigung von Entscheidungskonflikten nutzen“.142 Die Zweckmäßigkeit dieser Definition findet auch Bestätigung in den neurowissenschaftlichen Untersuchungen von KENNING et al.143, in denen Marken als Stimuli definieren werden, „[…] die während einer (Kauf-) Entscheidung sowohl zur Entlastung rationaler als auch zur gesteigerten Aktivität emotionaler Hirnareale führen“.144 AHLERT fasst das interdisziplinäre Markenverständnis in sieben Thesen zusammen, die auch die Grundlage für das in dieser Arbeit vertretende Hersteller- und Handelsmarkenverständnis bilden:145
Marke entsteht nicht in den Büros von Brand Managern, Schutzrechtsabteilungen oder Agenturen, sondern in der Psyche der Konsumenten.
Voraussetzung für die Markenbildung ist eine „merkwürdige Leistung“.
Als „des Merkens würdig“ empfindet der Mensch eine Leistung insbesondere dann, wenn sie ein wichtiges Entscheidungsproblem löst.
Die Markenbildung erfolgt beim Markenpublikum als kollektives gesellschaftliches Phänomen.
Nicht Produkte tragen Marken, sondern die Marke trägt das Produkt, d. h. der Markenbildungsprozess koppelt sich mit der Zeit vom Produkt ab.
Wirkungen auf die Marke gehen von sämtlichen Ressorts der Unternehmung sowie allen externen Bezugsgruppen aus. Die Kunst der marktorientierten Unternehmensführung besteht in der Koordination dieser Impulse.
Die Stärke einer Marke ist nur begrenzt durch die Analyse des (veränderlichen) Markenimage erfassbar, sie resultiert vielmehr aus der (beständigen) Markensubstanz.
142
Ahlert (2004c), S. 14. Die vollständige Definition lautet: „Marken sind kollektive Deutungsmuster, die Menschen als Orientierungshilfen zur Bewältigung von Entscheidungskonflikten nutzen. Marken entstehen anthropologisch aus der Verarbeitung komplexer Erfahrungen. Die Markenbildung vollzieht sich unbewusst, unvermeidlich und fortlaufend. Sie ist vielfältigen unkontrollierten Einflüssen ausgesetzt. Die Struktur einer Marke besteht aus einem veränderlichen Image und einer beständigen Substanz. Die Markensubstanz, die den eigentlichen Wert der Marke darstellt, wurzelt ganz überwiegend im Unbewussten. Sie ist insoweit nicht durch Meinungs- und Imageforschung erfassbar, sondern nur durch anthropologische Tiefenpsychologie zugänglich zu machen.“
143
Vgl. Kenning et al. (2005), S. 53-57.
144
Kenning et al. (2005), S. 55. KENNING et al. bezeichnen diesen Effekt als „kortikale Entlastung“.
145
Vgl. Ahlert (2004a), S. 9-10; Ahlert (2004c), S. 14-15; Ahlert (2005), S. 217-219.
25
Marken- und Handelsmarkenbegriff
Die Marke setzt sich aus ihrem Image beim Markenpublikum und ihrer Markensubstanz zusammen. Das Markenimage besteht als manifester Bewusstseinsinhalt aus einem fest definierten Vorstellungs- und Erwartungsbild, die Markensubstanz hingegen ist von latent psychologischem Gehalt und verfügt über eine unbewusste produktunabhängige Sinngebung.146 Dieses Markenverständnis ist in Abb. B-3 als Marken-Mind Map zusammenfassend dargestellt.
entsteht in den Köpfen der Menschen
bildet sich unbewusst, unvermeidlich, fortlaufend
Voraussetzung: „merkwürdige Leistung“
veränderliches Image
MARKE beständige Substanz
Fiktion im Gedächtnis des Menschen
Bewältigung psychischer Konflikte
kollektives Phänomen im Markenpublikum
Abb. B-3: Die Marken-Mind Map Quelle:
In enger Anlehnung an Ahlert (2005), S. 216.
Die Unterscheidung zwischen Markenimage und Markensubstanz spielt hinsichtlich der Aufspaltung eines Markenprodukts (nicht i. S. v. Markenartikel) in die Bestandteile Marke und Produkt eine wesentliche Rolle.147 Vertreter dieser Sichtweise verteidigen die klassische Trennung von Produkt als Kernnutzen und Marke als Zusatznutzen.148 Alternativ kann eine untrennbare Verbindung zwischen Marke und Produkt argumentiert werden, indem davon ausgegangen wird, dass Konsumenten Markenprodukte als Einheit wahrnehmen und somit alle Attribute und Erfahrungen aus dem 146
Vgl. Zernisch (2003), S. 175-176. Zum Markenimage vgl. Trommsdorff (2008), S. 155-163.
147
Vgl. Mandewirth (1997), S. 28-29. Im Brand Community-Kontext vgl. ausführlich Hartleb (2009).
148
Vgl. Köster (2006), S. 26-27 sowie beispielhaft für diese Sichtweise: Gardner/Levy (1955); McAlexander/Schouten/Koenig (2002); Teas/Grapentine (1996).
26
Kap. B
Kauf und der Verwendung mit dem Markenprodukt assoziieren. Liegt eine solche Interdependenz vor, so ist eine Differenzierung zwischen produkt- und markeninduzierten Attributen nicht mehr einwandfrei möglich.149 Das dieser Arbeit zugrunde liegende interdisziplinäre Markenverständnis trägt beiden Anschauungen Rechnung.150 Aus Managementsicht hat der Anteil des Markenimages für die Markenbildung eine große Bedeutung, da er Anknüpfungspunkte einer gezielten Beeinflussung des Markenbildungsprozesses bietet. Dem liegt die Überzeugung zu Grunde, dass sich bestimmte Imagebestandteile in der Markensubstanz als produktunabhängige Sinngebung der Marke sedimentieren. Ihre Existenz erlaubt die Ausschöpfung markenstrategischer Optionen, wie der Markenspreizung, bei denen die Sinngebung der Marke auf ein neues Produkt übertragen wird. Für die in der Definition geforderten Ausprägungen von Deutungsmustern im Rahmen der Markenbildung führt AHLERT die Schaffung einer Problemlösung für einen persönlichen Entscheidungskonflikt des Konsumenten an, wodurch zwei zentrale Faktoren an Bedeutung gewinnen.151 Erstens muss eine risikobehaftete Entscheidungssituation bei der Produktwahl vorliegen. Dieser Entscheidungskonflikt ist begründet in der Existenz eines subjektiv wahrgenommenen Risikos, verstanden als durch unvollständige Information hervorgerufene kognitive Dissonanz.152 In schlecht strukturierten Entscheidungssituationen stellt die konsumentenseitige Orientierung an Marken (Hersteller- wie Handelsmarken) häufig eine Erfolg versprechende Strategie dar, um diese Risiken zu reduzieren und Informations- und Suchkosten einzusparen. Steht der Konsument z. B. vor einem Supermarktregal mit 20 verschiedenen Nussnougat-Brotaufstrichen, reduziert sich diese Auswahl, wenn er stets seine Lieblingsmarke kauft. In dieser Situation unvollkommener Sicherheit und Information fungiert die Marke im Rahmen der Entscheidungsfindung als Vertrauensanker und Komplexitätsreduzierer.153
149
Vgl. Köster (2006), S. 27.
150
Vgl. Köster (2006), S. 27; Woisetschläger (2006), S. 14.
151
Vgl. Ahlert (2004a), S. 10. Zur Relevanz der zwei Faktoren vgl. auch Köster (2006), S. 27-28. Ähnlich argumentieren auch BACKHAUS/SCHRÖDER/PERRY: Wenn Marken ökonomischen Nutzen stiften sollen, müssen sie neben der Steigerung der Informationseffizienz bzw. der Komplexitätsreduktion das mit der Entscheidung verbundene Risiko minimieren sowie einen ideellen Nutzen stiften (vgl. Backhaus/Schröder/Perrey (2002), S. 50).
152
Vgl. Merten (2004), S. 62-63. Die von BAUER begründete Risikotheorie unterscheidet mit finanziellen, funktionalen, physiologischen, psychischen und sozialen Risiken fünf mögliche Konfliktauslöser einer solchen kognitiven Dissonanz (vgl. Bauer (1967), S. 23-33).
153
Das Beispiel wird noch deutlicher, wenn es auf den gesamten Einkaufsvorgang ausgeweitet wird: Müsste sich der Konsument bei jedem Supermarktbesuch immer wieder neu zwischen den – zumindest bei Vollsortimentern – mehreren zehntausend Artikeln entscheiden, ist anzunehmen, dass der Einkauf stets viele Stunden Zeit in Anspruch nähme. Durch die Markierung der Waren durch Hersteller und Handel wird dieser Aufwand erheblich reduziert.
Marken- und Handelsmarkenbegriff
27
Zweitens ist dieser Entscheidungskonflikt nur dann von Bedeutung, wenn er die individuellen Motive und Bedürfnisse des jeweiligen Markenpublikums betrifft. Ist die Marke nicht in der Lage persönliche Bedürfnisstrukturen zu befriedigen, ruft sie kein Involvement154 hervor und es kommt nicht zur gewollten Ausprägung der Deutungsmuster. Ein hoher Grad an Involvement ist jedoch in der Definition als IchBezogenheit Voraussetzung für die Verankerung der Marke in den Gedächtnisstrukturen des Konsumenten, da es die Aufmerksamkeit und Aktivierung in hohem Maße beeinflusst.155 Die wahrgenommenen externen Reize werden bei der Informationsverarbeitung mit bereits vorhandenen Informationen und Einstellungen abgeglichen, interpretiert und bewertet.156 In Folge der erlernten Erfahrungen und Beobachtungen und deren Wiederabrufbarkeit werden die Informationen im Gedächtnis als Wissen eingelagert.157 Hat sich dieses Wissen im Gedächtnis des Markenpublikums festgesetzt, kann von einer Marke gesprochen werden, die sich aus Markenimage und Markensubstanz zusammensetzt. AHLERT weist jedoch darauf hin, dass die an eine Marke geknüpften Attribut-Assoziationen lediglich einen kleinen Teil zur Markenbildung beitragen. Die Einflüsse auf die Marke gehen nicht nur von der betrieblichen Funktionseinheit des Marketing aus, sondern von sämtlichen Ressorts der Unternehmung sowie von Absatzmittlern, Kooperationspartnern, beauftragten Agenturen und Konkurrenten.158 Für die vorliegende Arbeit sind Marken nicht den klassischen Markenartikeln gleichzusetzen, sondern werden als Marken im oben beschriebenen Sinne verstanden. Darunter können auch Handelsmarken fallen, wie im folgenden Kapitel noch zu erläutern sein wird.
154
Zum Konstrukt des Involvement siehe Arora (1982); Chaiken (1980); Laurent/Kapferer (1985); Petty/Cacioppo (1979); Robertson (1976).
155
Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 371-372.
156
Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 244-245.
157
Zu den Informationsverarbeitungsprozessen vgl. z. B. Hawkins et al. (2004), Kap. 9 ab S. 315 und Hoyer/MacInnis (2007).
158
Vgl. Ahlert (2004c), S. 14-15.
28
Kap. B
1.4
Arbeitsdefinition des Handelsmarkenbegriffs
Die Klärung des Handelsmarkenbegriffs ist aufgrund einer fehlenden einheitlichen und juristisch gesicherten Definition unverzichtbar. 159 Handelsmarken sind ebenso wie Herstellermarken Unterformen der Markenware,160 die grundsätzlich danach unterschieden werden können, auf wessen Seite das Eigentum an den Markenrechten liegt, bzw. das Recht die Marke zu verwenden, zu bewerben und die Eigenschaften der zugehörigen Produkte auszugestalten. 161 Das Verständnis von Handelsmarken162 hat sich in der Abgrenzung zu Markenartikeln, bzw. Herstellermarken, erheblich geändert. Die synonyme Verwendung der Begriffe „Marke“ und „Markenartikel“ wurde von KENNING als gängiger Irrtum der Markenführung identifiziert.163 Die in den vorangegangenen Kapiteln gelegten definitorischen Grundlagen für Marken sollen – wie in Abb. B-4 dargestellt – auch für Handelsmarken angewendet werden.
Wirtschaftsgüter
markenlose Ware
markierte Ware
Markenware
Sachgütermarken
Herstellermarken
Verbundmarken
Dienstleistungsmarken
Handelsmarken
Gattungsmarken
Abb. B-4: Systematik des Markenwesens Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Schenk (1991), S. 321 und Bruhn (2001), S. 10.
159
Mit der 7. Novelle des GWB 2005 ist § 23, der das Empfehlungsverbot, die Regelungen über unverbindliche Preisempfehlungen und eine Legaldefinition der Markenware enthielt, weggefallen.
160
Vgl. Metzler (1967), S. 18; Müller-Hagedorn (2005), S. 57.
161
Vgl. Müller-Hagedorn (2001), S. 102.
162
Teilweise werden die Begriffe Handels-, Eigen-, Exklusiv- oder Hausmarke synonym verwendet (vgl. z. B. Peters (1998), S. 1 und Sattler/Völckner (2007), S. 26). In der englisch-sprachigen Literatur werden die Begriffe „own brand“, „own label“, „und „private label“ gleichbedeutend benutzt (vgl. Keller/Apéria/Georgson (2008), S. 18).
163
Vgl. Kenning (2003), S. 106.
Marken- und Handelsmarkenbegriff
29
Bereits 1954 beschreibt LEITHERER die Handelsmarke wie folgt: „In dem Falle, daß der Schöpfer einer Marke nicht der Hersteller, sondern der Händler ist, lassen sich […] zwei Arten von Marken feststellen. Einmal kann ein g r ö ß e r e s Handelsunternehmen versuchen, selbst eine Marke in eigener Regie durch Abpacken usw. oder als im eigenen Auftrag bei einem Herstellerbetrieb gefertigt in größerem Umfang auf den Markt bringen, also diesen eigenmarkierten Artikel selbst oder durch nachgeschaltete Handelsstufen absetzen. Oft sind das solche Waren, die der Hersteller gleichzeitig in derselben oder ähnlichen Qualität unter eigener Marke vertreibt. Wir sprechen in diesem Falle zweckmäßig von einer H ä n d l e r m a r k e […]“ (Hervorhebungen im Original).164
Und zur zweiten Form – von ihm als Hausmarke oder Eigenmarke bezeichnet – schreibt er: „Hier beschafft sich ein Einzelhandelsbetrieb entweder auf dieselbe Weise einen mit seiner Marke versehenen Artikel oder stellt ihn in eigener Regie her […]. Seit kürzerer Zeit spricht man hier auch zunehmend von ‚Eigenmarken‘.“165
Weitere frühe Abgrenzungskriterien von Handelsmarken gegenüber Markenartikeln legt 1963 MELLEROWICZ fest. 166 Handelsmarken sind seiner Auffassung nach auf Produkte „ohne aufwendigen Fertigungsprozess“167 limitiert. Dieses Merkmal trifft auf die meisten Handelsmarken heute sowohl in Bezug auf die Produktion als auch auf ihre Qualität nicht mehr zu.168 Ein zweites Kriterium bezieht sich auf den beschränkten Absatzraum der Handelsmarken. Dieses Abgrenzungsmerkmal ist heute aus zwei Gründen nicht mehr in vollem Umfang gültig. Zum einen werden Handelsmarken in Abhängigkeit von der strategischen Ausrichtung des jeweiligen Handelsunternehmens teilweise international vertrieben,169 zum anderen ist aufgrund der anhaltenden Konzentrationsprozesse im Handel der Distributionsgrad der Handelsmarken teilweise höher als der einiger Herstellermarken.170 Das aktuell in der wissenschaftlichen Literatur vorherrschende Handelsmarkenverständnis steckt in Analogie zu dem in Kapitel B.1.3 geschilderten Markenverständnis noch in den Anfängen und ist überwiegend zeichenorientiert. Eine nicht abschließende chronologische Übersicht der Handelsmarkendefinitionen ist in Tab. B-1 dargestellt.
164
Leitherer (1954), S. 122.
165
Leitherer (1954), S. 122.
166
Vgl. Mellerowicz (1963), S. 72.
167
Mellerowicz (1963), S. 72.
168
Vgl. z. B. Schenk (2001), S. 77 oder Quelch/Harding (1996), S. 100.
169
Vgl. Peters (1998), S. 34.
170
Vgl. zu den Konzentrationsprozessen im Handel Kap. D.3.1.1.
30
Kap. B
Autor(en) (Jahr), Seite
Definition
Konstitutive Merkmale
Angehrn (1960), S. 12
„Handelsmarken entstehen daraus, daß solche Mittlerbetriebe bestimmte Waren, die Gegenstand ihrer Absatztätigkeit bilden, mit einem Markenzeichen versehen, über das sie selbsst verfügen und das auf sie als Ursprung hinweist.“
Handelsunternehmen als Absender, Inhaber der Markenrechte, exklusiver Vertrieb
Mellerowicz (1963), S. 63
„Handelsmarken sind solche Artikel, die von einem Händler oder einer Handelsorganisation mit einer Marke versehen und in der Regel nur von diesen geführt werden.“
Handelsunternehmen als Absender, exklusiver Vertrieb
Schutte (1969), S. 9
„Products, owned and branded by organizations whose primary economic commitment is distribution rather than production.“
Inhaber der Markenrechte, Handelsunternehmen als Absender
Morris (1979), S. 59
„Consumer products produced by or on behalf of distributors and sold under the distributor’s own trademark through the distributor’s own outlet.“
Handelsunternehmen als Absender, Inhaber der Markenrechte, exklusiver Vertrieb
Dumke (1996), S. 19
„Handelsmarken sind Produkte, deren Markenzeichen sich im Eigentum eines Handelsunternehmens bzw. einer Handelsorganisation befinden. Sie unterliegen einer beschränkten Distribution und werden in der Regel nur in eigenen oder angeschlossenen Einzelhandelsbetrieben abgesetzt.“
Inhaber der Markenrechte, exklusiver Vertrieb
Baltas (1997), S. 315
„Store brands are produced by the retailer himself or according to his instructions and are sold under his name or label in his own shops.“
Handelsunternehmen als Absender, Inhaber der Markenrechte, exklusiver Vertrieb
Bruhn (2001), S. 10
„Handelsmarken sind Waren- oder Firmenzeichen, mit denen Handelsbetriebe Waren versehen oder versehen lassen, wodurch sie als Eigner oder Dispositionsträger der Marke auftreten.“
Handelsunternehmen als Absender, nach außen Eigner bzw. Dispositionsträger
Oehme (2001), S. 573
„Handelsmarken sind die Markenartikel des Handels.“
Handelsunternehmen als Absender
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
31
Marken- und Handelsmarkenbegriff
Autor(en) (Jahr), Seite
Definition
Konstitutive Merkmale
Schenk (2004), S. 128
„Herstellermarken („Markenartikel“) und Handelsmarken unterscheiden sich prinzipiell weder nach Qualität noch nach bestimmten Produkteigenschaften, sondern lediglich durch die jeweilige Markeneignerschaft und durch die Disposition über die Gestaltung der Marke.“
Inhaber der Markenrechte, Disposition über Gestaltung
Ackermann (2004), S. 87
„Handelsmarken sind solche Waren- oder Firmenkennzeichen, mit denen ein Handelsbetrieb oder eine Handelsorganisation Waren markiert.“
Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution (2006), S. 131
„Handelsmarken […] sind Waren- oder Firmenzeichen, mit denen eine einzelne Handelsunternehmung […] Waren markiert oder markieren lässt, um die so gekennzeichneten Waren exklusiv und im Allgemeinen nur in den eigenen Verkaufsstätten zu vertreiben.“
Handelsunternehmen als Absender, exklusiver Vertrieb
Karray/Zaccour (2006), S. 1008
„A store brand or a private label (PL) is a brand owned, controlled and sold exclusively by a retailer.“
Inhaber der Markenrechte, Dispositionsträger, exklusiver Vertrieb
Ahlert/Kenning (2007), S. 148
„Eine Handelsmarke ist eine Marke, deren Markenrechte sich im Eigentum einer Handelsunternehmung befindet und mit der die jeweilige Handelsunternehmung Artikel kennzeichnet.“
Inhaber der Markenrechte, vom Kunden subjektiv als Marke wahrgenommen
Kumar/ Steenkamp (2007), S. 20
„[…] we consider a private label to be any brand that is owned by the retailer or the distributor and is sold only in its own outlets”
exklusiver Vertrieb, Inhaber der Markenrechte
Sattler/ Völckner (2007), S. 160
„Handelsmarken oder synonym Eigenmarken sind von Handelsunternehmen für ein bestimmtes Sortiment angebotene Marken. Sie sind […] nur eingeschränkt […] distribuiert und werden üblicherweise zu über die Zeit einheitlichen Preisen angeboten.“
exklusiver Vertrieb, konstante Preise
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
Handelsunternehmen als Absender
32
Kap. B
Autor(en) (Jahr), Seite
Definition
Konstitutive Merkmale
Metro Group (Hrsg.) (2008), S. 127
„Handelsmarke = geschützte Marke einer Handelsorganisation. Handelsunternehmen, die bestimmte Artikel selbst markieren, d. h., unter bestimmten unverkennbaren äußeren Kennzeichen vertreiben, kreieren damit eine Handelsmarke.“
Inhaber der Markenrechte, exklusiver Vertrieb, Disposition über Gestaltung
Bruhn (2008), S. 39
„Marke, die sich im Eigentum eines Handelsunternehmens befindet. Auch als Eigenmarke oder Private Label bezeichnet. Der Handel tritt dabei als Qualitätsgarant und Verantwortlicher für Marketingaktivitäten auf und entscheidet über die Gestaltung sowie die strategische und operative Handelsmarkenpolitik.“
Inhaber der Markenrechte, Qualitätsgarantie des Handelsunternehmens, Disposition über Marketingaktivitäten und Handelsmarkenpolitik
Keller/Apéria/ Georgson (2008), S. 212
„[…] own labels or private labels can be defined as products marketed by retailers and other members of the distribution chain.“
exklusiver Vertrieb
Lincoln/ Thomassen (2008), S. 6
„We define Private Label as retailer brands: brands owned and sold by the retailer and distributed by the retailer.“
Inhaber der Markenrechte, exklusiver Vertrieb
PLMA International (Hrsg.) (2009)
„Handelsmarkenprodukte umfassen alle Waren, die unter der Marke eines Einzelhändlers verkauft werden. Bei dieser Marke kann es sich um den Eigennamen des Einzelhändlers handeln oder auch um einen Namen, der exklusiv von diesem Einzelhändler geschaffen wurde.“
Handelsunternehmen als Absender, exklusiver Vertrieb, Inhaber der Markenrechte
Tab. B-1: Handelsmarkendefinitionen in der Literatur Quelle:
Eigene Zusammenstellung.
Aufgrund der sich in den vergangenen Jahrzehnten ständig verändernden Rahmenbedingungen im Handel, stellt sich die Frage, ob die angegebenen in der Literatur verwendeten Definitionen der Handelsmarke noch zeitgemäß bzw. zweckmäßig für die vorliegende Arbeit sind.171 Es wird deutlich, dass kein Merkmal von allen Autoren gleichermaßen als konstitutiv angesehen wird. Die meisten Definitionen setzen einen exklusiven Vertrieb und das Handelsunternehmen als Markeneigner oder zumindest
171
Vgl. zu der Entwicklung der Handelsmarken in Deutschland Kap. B.2.2.
Marken- und Handelsmarkenbegriff
33
Absender der Marke voraus.172 Lediglich OEHME sowie AHLERT und KENNING fordern in ihren Definitionen einen Markenanspruch der Handelsmarke und letztere betonen, dass „[…] die Entscheidung darüber, ob eine Handelsunternehmung überhaupt auch nur eine einzige Handelsmarke hat, in den Köpfen der Kunden fällt“.173 PEPELS (2006) unterscheidet zwischen unechten und echten Handelsmarken. Werden Handelsmarken von Markenherstellern zur Auslastung ihrer vorhandenen Kapazitäten und zur Nutzung von Kostendegressionseffekten gefertigt, bezeichnet er diese als unecht.174 Übernimmt hingegen das Handelsunternehmen die Konzeption und Produktion der Handelsmarke im Wege einer Rückwärtsintegration oder werden Hersteller eingeschaltet, die nicht mit einem eigenen Markenartikel konkurrierend tätig sind, liege eine echte Handelsmarke vor.175 Dieser Ansicht kann aus zwei Gründen widersprochen werden. Zum einen gibt es nur wenige Markenhersteller, die zu 100 Prozent Markenartikel herstellen. Ein großer Teil der Handelsmarken entstammt der Produktion der Markenhersteller.176 Zum anderen stellen Handelsunternehmen – bis auf wenige Ausnahmen – ihre Produkte nicht in eigenen Produktionsstätten her. Ein weiteres charakteristisches Merkmal der Handelsmarke bezieht sich im Fall der Rückwärtsintegration auf die fehlende Relevanz des vertikalen Marketing, da die Handelsunternehmen lediglich die absatzgerichtete Zielgruppe der Konsumenten berücksichtigen müssen.177 Im Gegensatz zu Markenartikeln, die häufig als Einzelmarken geführt werden, umfassen Handelsmarken in der Regel viele verschiedene Produkte und teilweise gesamte Sortimentsbereiche des Handelsunternehmens.178 Das Unterscheidungsmerkmal der Ubiquität der Herstellermarken hat durch die hohe Filialdichte der großen Handelsunternehmen zumindest im Lebensmitteleinzelhandel an Aussagekraft verloren. Auch in Bezug auf die höheren Werbeausgaben, mit denen Herstellermarken beworben werden, haben die Handelsunternehmen in den letzten Jahren stark aufgeholt. Für das Bewerben der eigenen Marken geben die Handelskonzerne beträchtliche Summen aus. Unter den zehn werbeaktivsten Unternehmen finden sich 2007 laut Nielsen Media Research mit MediaMarkt-Saturn (500,3 Mio. Euro), Aldi (284,4), Edeka (244,6) und Lidl (224,8) vier Handelskonzerne.179 Insgesamt belegen die Handelsorganisationen mit 1.903,3 Mio. Euro noch vor den Au172
Absender heißt hierbei nicht, dass die Artikel zwingend mit der Betriebstypenmarke versehen sein müssen. Ebenso ist eine Kennzeichnung mit Betriebstypen- oder konzerneigenen Phantasiemarken möglich.
173
Ahlert/Kenning (2007), S. 148.
174
Vgl. Pepels (2006), S. 288.
175
Vgl. Pepels (2006), S. 289.
176
Vgl. Meffert (2000), S. 870.
177
Vgl. Mattmüller/Tunder (2004a), S. 957.
178
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 32.
179
Vgl. AC Nielsen und ZAW, zitiert nach Sekundärquelle [4], o. S.
34
Kap. B
tomobilkonzernen (1.554,8) den ersten Platz in der Rangliste der Unternehmen mit den höchsten Werbeaufwendungen in Deutschland.180 Die Markeneignerschaft als konstituierendes Merkmal entspricht ebenfalls nicht den Verhältnissen in der Praxis. Es existieren heute Handelsmarken, deren Markenrecht nicht der Händler, sondern Hersteller oder Handelsagenturen inne haben. Ein prominentes Beispiel dafür stellt der Elektronikhersteller Medion dar, der seit 20 Jahren Handelsmarken in der Kategorie „Home Entertainment“ für große Handelsunternehmen fertigen lässt181 und mehr und mehr vom Handelsmarkendienstleister zum Markenartikler avanciert. 182 Aus Konsumentensicht spielt es jedoch weder eine Rolle, wer die Rechte für die Handelsmarke inne hat, noch ob der Handel die Produkte in Eigenregie herstellt oder fremd fertigen lässt.183 Dieser Arbeit soll daher die folgende, zeitgemäße Definition einer Handelsmarke zugrunde gelegt werden, die das rechtliche Eigentum der Marke offen lässt und in der psychologische Elemente analog zur Markendefinition in Kap. B.1.3 Berücksichtigung finden: Handelsmarken sind in der Psyche der Konsumenten verankerte Warenoder Betriebstypenzeichen, mit denen eine Handelsunternehmung Waren markiert oder markieren lässt, wodurch sie als Eigner oder Dispositionsträger der Marke auftritt und die so gekennzeichneten Waren exklusiv und im Allgemeinen nur in den eigenen Verkaufsstätten vertreibt. Diese Definition stellt bewusst den Markencharakter der Handelsmarke in den Vordergrund.184 Streng genommen wären alle Handelsmarken, die diese Definition nicht erfüllen, in gewisser Weise ausschließlich Labels bzw. Handelsmarkenattrappen. Aufgabe der qualitativen Untersuchung wird es daher sein, den Markenstatus und das entsprechende Handelsmarkenverständnis in der Praxis aufzudecken und mit der hier gegebenen Definition zu vergleichen.
180
Die Ausgaben von 1.903,3 Mio. Euro teilen sich auf die klassischen Medien wie folgt auf: Zeitungen 75,2 %, Fernsehen 12,2 %, Radio 7,3 %, Zeitschriften 2,8 % und Plakatwerbung 2,4 % (vgl. The Nielsen Company (Hrsg.) (2008), S. 64).
181
Vgl. Sekundärquelle [5], S. 54. Wörtlich heißt es im Geschäftsbericht: „Medion entwirft in einer eigenen Designabteilung im interaktiven Prozess mit Einkäufern, Handelsunternehmen und Herstellern die äußere Gestaltung der Produkte und deren Verpackung […]“ (Sekundärquelle [5], S. 55).
182
In Deutschland war Medion hauptsächlich Aldi-Zulieferer; inzwischen werden auch andere Handelsunternehmen beliefert.
183
Vgl. Baltas (1997), S. 315; Peters (1998), S. 35.
184
Abweichend von dieser Definition wird im Folgenden auch das in der Praxis weit verbreitete umfassende Handelsverständnis verwendet. Im empirischen Teil der Arbeit werden die vorzufindenden Handelsmarkenauffassungen jedoch an der hier gegebenen Definition gemessen.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
2.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
2.1
Ursprünge der Handelsmarken
35
Handelsmarken sind im Grundsatz keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, sondern erleben – wenn man das Kriterium des Verkaufsstättenbezugs einmal außer Acht lässt – schon vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts eine erste Blütezeit.185 Als Vorläufer gelten die sog. Haus- und Hofmarken186, die sich in Form der signa der Volksrechte und Urkunden bis ins 5. Jahrhundert zurückverfolgen lassen.187 Bereits im Mittelalter sind sie im Handel als Willenserklärungs- und Urkundenzeichen, Eigentums- bzw. Vermögenszeichen, Ursprungs- oder Urheberzeichen sowie als Gütezeichen bekannt, während die Herstellermarken erst im Zuge der industriellen Massenfertigung von Konsumgütern für anonyme Märkte Ende des 19. Jahrhunderts entstehen.188 Das Handelsunternehmen Sainsbury‘s verkauft in Großbritannien bereits seit 1869 Handelsmarken, Co-op in Frankreich seit 1929 und auch A & P in den USA, Marks & Spencer, ebenfalls in Großbritannien, und Albert Heijn in den Niederlanden haben seit Beginn des 20. Jahrhunderts Handelsmarken im Sortiment.189 Der erste nennenswerte Durchbruch gelingt den Handelsmarken in den 1920er Jahren, als die Handelsunternehmen sinkende Handelsspannen bei den Herstellermarken verzeichnen und für sie der Eindruck entsteht, die teuren nationalen Werbekampagnen der Hersteller zu finanzieren.190 Sie führen daher selbst einige mehr oder weniger erfolgreiche Marken ein, jedoch ohne nennenswerte Marktanteile zu gewinnen. In den 1930er Jahren verwenden die großen Handelsunternehmen Handelsmarken und bauen diese Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre kontinuierlich aus.191 In den USA geben 1966 in einer Umfrage knapp 80 Prozent der Handelsunternehmen an, bereits in irgendeiner Form Handelsmarken im Sortiment zu führen.192 Eine Revolution der Handelsmarkenstrategien vollzieht sich erst in den 1970er Jahren, als die Handelsunternehmen verstärkt damit beginnen, nationale Filialnetze aufzubauen. Pionier ist der französische Konzern Carrefour, der 1976 Handelsmarken auf den Markt bringt, die mit den Herstellermarken qualitativ mithalten sollten, indes
185
Vgl. Schenk (2001), S. 73-74.
186
Vgl. Dumke (1996), S. 33; Schenk (1991), S. 317.
187
Vgl. Homeyer (1890), S. 8-12; Leitherer (1954), S. 6-7.
188
Vgl. Schenk (2001), S. 74.
189
Vgl. Dumke (1996), S. 33; Lincoln/Thomassen (2008), S. 33.
190
Vgl. Lincoln/Thomassen (2008), S. 33.
191
Vgl. Call (1967), S. 149.
192
Vgl. National Commission of Food Marketing 1966, zitiert nach Call (1967), S. 149.
36
Kap. B
ohne eine Markierung und zu deutlich günstigeren Preisen.193 Bald darauf zeigt sich jedoch, dass diese die Profitabilität der Handelsunternehmen schwächen und deren angestrebten Qualitätsimage diametral entgegen stehen. Aus diesem Grund stoppt bspw. Carrefour den Verkauf von Gattungsmarken und konzentriert sich auf qualitativ hochwertigere Handelsmarken.194 In den 1980er Jahren können Handelsmarken ihre Position nicht weiter ausbauen und erst zu Beginn der 1990er Jahre erleben diese eine „Renaissance“195, die durch die Öffnung der Ostmärkte, eine schwache Konjunkturlage und eine Großoffensive des LEH mit Handelsmarken in gehobener Qualität und verbesserter Aufmachung begünstigt wird.196 Ebenso tragen die zahlreichen Testergebnisse der Stiftung Warentest zu einer besseren Aufklärung bezüglich der guten Qualität der meisten Handelsmarken bei. Diese schneiden teilweise sogar besser ab als vergleichbare, aber wesentlich teurere Herstellermarken.197 Handelsmarken können zudem aufgrund niedrigerer Marketingkosten, günstigerer Verpackungen und der Realisation von Skalenerträgen zu einem wesentlich niedrigeren Preis als Herstellermarken angeboten werden.198 Sie stellen daher für den Kunden eine preislich attraktive Alternative zu den Markenartikeln dar und vermitteln ihm das Gefühl, das Produkt mit dem besseren Preis-LeistungsVerhältnis zu erwerben.199
193
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 154; Lincoln/Thomassen (2008), S. 34. Die von Carrefour eingeführten „produits libres“ werden in der englischsprachigen Literatur auch als „freedom brands“, „banner brands“, „generics“ oder „umbrella brands“ bezeichnet (vgl. Lincoln/Thomassen (2008), S. 34).
194
Vgl. Lincoln/Thomassen (2008), S. 34.
195
Vgl. Kornobis (1994), S. 18.
196
Vgl. Schenk (2001), S. 74.
197
Vgl. Schenk (2004), S. 127.
198
Vgl. Bontems/Monier-Dilhan/Requillart (1999), S. 148; Dick/Jain/Richardson (1996), S. 18; Semeijn/van Riel/Ambrosini (2004), S. 247.
199
Vgl. Gröppel-Klein (2005), S. 1124 und Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 507.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
2.2
37
Historische Entwicklung und Bedeutung der Handelsmarken in Deutschland
In Deutschland sind Handelsmarken in den 1960er Jahren aufgrund der bis 1974 bestehenden Preisbindung für Markenartikel 200 zunächst ein Mittel des Einzelhandels, sich über den Preis vom Wettbewerb zu differenzieren.201 Diese rechtliche Vorgabe der Preisbindung für Markenprodukte schreibt dem Handel einheitliche Preise für die Herstellermarken vor. Dadurch kann der zunehmend konsolidierte Einzelhandel seine Einkaufsvorteile und Mengenrabatte nicht direkt mit niedrigeren Preisen ausnutzen.202 Durch die rechtlichen Rahmenbedingungen sollen die kleinen Anbieter ohne vergleichbare Einkaufsmacht vor einem Verdrängungswettbewerb geschützt werden.203 Die ersten Handelsmarken in Deutschland lassen sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. 204 Diese sog. Firmenmarken treten vor allem in den 1950er Jahren in Erscheinung.205 Unter enormen Druck der Massenmarketingkampagnen der Herstellerunternehmen werden sie jedoch gegen Ende der 1950er Jahre stark zurückgedrängt.206 Den Anstoß für die Wiederbelebung der Handelsmarken gibt der bereits erwähnte Handelskonzern Carrefour, der 1976 die „produits libres“ als erste Gattungsmarken einführt.207 Darauf reagieren die deutschen Handelsunternehmen, indem sie selbst 1978 eigene Marken einführen.208 Damit kanibalisieren sie nicht nur die Herstellermarken, sondern auch die seit Anfang der 1970er Jahre ebenfalls schon erfolgrei-
200
§ 15 GWB verbietet grundsätzlich die Preisbindung der zweiten Hand, d. h. vertragliche Verpflichtungen der Abnehmer einer Ware, diese nur zu einem bestimmten Preis weiterzuverkaufen. Seit dem 1.1.1974 wurden auch bis dahin geltende Ausnahmebestimmungen für Markenartikelhersteller aufgehoben (vgl. Diller (1985), S. 253). Damit wurde ihnen ein wirkungsvolles Instrument zum Schutz vor Preiswettbewerben auf nachgelagerten Wertschöpfungsstufen genommen (vgl. u. a. Hax (1961), insb. Kapitel 2, Jacob (1971), S. 249-252 und Schmalen (1995), S. 147150). Eine umfassende analytische Betrachtung der vertikalen Preisbindung findet sich bei Krelle (1976), S. 633-680. Vgl. vertiefend außerdem Ott (1983), S. 321-328; Ott (1966) und Wilhelm (1960).
201
Vgl. Dölle (2001b), S. 133; Bruhn (2001), S. 31.
202
Vgl. Koch (2006), S. 180.
203
Vgl. Olbrich/Buhr (2007), S. 494.
204
HARTL verweist auf Edeka-Handelsmarken, die bereits 1911/1912 eingeführt wurden (vgl. Hartl (1960), S. 18).
205
Vgl. Dumke (1996), S. 34; Hartl (1960), S. 18.
206
Vgl. Keller/Apéria/Georgson (2008), S. 212-213.
207
Vgl. Cunningham/Hardy/Imperia (1982), S. 25; Pretzel (1996), S. 127. Zum Begriff Gattungsmarken vgl. Kap. B.2.3.
208
Vgl. Hunsinger (1981), S. 556; Pretzel (1996), S. 127; Schenk (2004), S. 75.
38
Kap. B
chen „klassischen“ Handelsmarken. 209 Die gleiche schlichte Aufmachung der Gattungsmarken hat indes zum einen keine Profilierungskraft und zum anderen erwirtschaften sie aufgrund der Dauerniedrigpreise zu geringe Gewinne, weswegen viele von ihnen wieder vom Markt genommen werden. Für die folgende positive Entwicklung der Handelsmarken in Deutschland ist neben der konsumentenseitigen Handelsmarkeneuphorie, die sich von Frankreich nach Deutschland übertragen hat, 210 der Erfolg der diskontierenden Handelsunternehmung Aldi von besonderer Bedeutung.211 Bereits 1957 schreibt GROSS über das Diskonthausprinzip, das von Amerika aus Einzug in Europa hält: „Das Diskonthausprinzip ist nicht verlustreiche Schleuderei, sondern gewinnbringende Preisherabsetzung, im Dienste preisbewußter Verbraucher und volumenbewußter Hersteller. Der Händler gewinnt auf den wachsend schwierigen Märkten eine wesentliche Waffe zurück: die Waffe der Preisbeweglichkeit, als Ergänzung oder gar Ersatz einer etwas teuer oder stumpf gewordenen Waffe, des Kundendienstes.“212
So stehen Herstellermarken stets für bessere Qualität, Ubiquität und höhere Werbeausgaben. Diese Merkmale, insbesondere das Vorurteil, Handelsmarken seien grundsätzlich von geringerer Qualität und könnten keine eigene Nachfrage generieren, sind zur eindeutigen Abgrenzung heute nicht mehr zweckmäßig.213 Auch die zunehmende Konzentration im deutschen Handel führt zur weiteren Verbreitung von Handelsmarken, da sich der Aufbau eigener Handelsmarken erst ab einer gewissen Unternehmensgröße lohnt.214 In den USA, Spanien, Italien, Portugal und Griechenland haben nur sehr wenige Handelsunternehmen nationale Präsenz; dies hat dort zu einer eingeschränkten Verbreitung von Handelsmarken geführt.215 In Deutschland erreichen sie hingegen Jahr für Jahr höhere Marktanteile und überschreiten bereits 1998 den durchschnittlichen Anteil der Marktführer, wie Abb. B-5 zu entnehmen ist.
209
Vgl. hier und im Folgenden Berekoven (1995), S. 134.
210
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 34 und Wildner (2003), S. 114.
211
Von KARL ALBRECHT sind dazu aus einem Fachvortrag der Lebensmittelzeitung am 04.09.1975 folgende Ausführungen überliefert: „Seit 1950 verfolgen wir neben dem Grundsatz des kleinen Warenangebotes den des niedrigen Preises. Auch dazu waren wir wiederum gezwungen. Wollten wir dem Kunden keine Auswahl bieten, so mußten wir ihm zumindest einen anderen Vorteil einräumen. Wir verkauften von der Zeit an unsere Ware entschieden billiger.“ (zitiert nach Brandes (2006), S. 11).
212
Gross (1957), S. 136.
213
Vgl. Choi/Coughlan (2006), S. 79; Gröppel-Klein (2005), S. 1118; Vanderhuck (2007), S. 56.
214
Vgl. zur Konzentrationsentwicklung im Handel Kap. D.3.1.1.
215
Vgl. Sekundärquelle [6], S. 20.
39
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
%
40 35 30 25 20
Handelsmarke
15
Marktführer
10 5 0
Abb. B-5: Entwicklung des kumulierten Handelsmarkenanteils in Prozent im Vergleich zum Marktführer Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an GfK (2006) zitiert nach Esch (2008), S. 544.
In der Literatur wird das Wachstum der Handelsmarken im Wesentlichen durch drei Erklärungsansätze beschrieben, dem konjunktur-, dem verbraucher- und dem wettbewerbsbezogenen Ansatz.216 Diese Ansätze werden im Folgenden kurz dargestellt und vor dem Hintergrund der in der Literatur nicht selten ideologisch geführten Handelsmarkendiskussion217 kritisch analysiert. Der konjunkturbezogene Ansatz versucht einen Zusammenhang zwischen der Marktanteilsentwicklung der Handelsmarken und der konjunkturellen Entwicklung herzustellen.218 Charakteristisch für diesen Ansatz ist ein Zitat von KORNOBIS (1997): „Zeichnet man die Entwicklung des Bruttosozialproduktes der vergangenen zwanzig Jahre nach und vergleicht, in welchen Phasen Handelsmarken Zugewinne verbuchen konnten, so gehen den Höhepunkten in der Handelsmarkenentwicklung rückläufige Wachstumsraten in der Wirtschaft voraus. Der Verbraucher verhält sich in Zeiten der wirtschaftlichen Rezession zwangsläufig sparsamer und preisbewusster, so dass er häufiger preisgünstige Angebote des Handels in die engere Wahl zieht.“219
Die zentrale Hypothese lautet demnach, dass Handelsmarken in Zeiten der Rezession verstärkt nachgefragt werden. Dies setzt jedoch voraus, dass Handelsmarken ei216
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 246-251.
217
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 246-247.
218
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 247; Kornobis (1997), S. 239; Lamey et al. (2007); Pretzel (1996), S. 123-126.
219
Kornobis (1997), S. 239.
40
Kap. B
nen entsprechend hohen Preisunterschied im Vergleich zu den Herstellermarken aufweisen. Einige Untersuchungsergebnisse hingegen widersprechen dieser These, da in Kategorien mit hohen Preisabständen besonders geringe Handelsmarkenanteile identifiziert wurden.220 Den Vertretern dieses Ansatzes ist dahingehend zuzustimmen, dass die Konsumenten in konjunkturellen Krisenzeiten preisbewusster handeln. Dies stellt allerdings nicht den einzigen Grund für den verstärkten Kauf von Handelsmarken dar und gilt insbesondere nicht für das gesamte Spektrum der Handelsmarken.221 Der verbraucherbezogene Ansatz erklärt das Wachstum von Handelsmarken anhand langfristiger Veränderungen im Verbraucherverhalten.222 Diese Veränderungen werden auf bestimmte Ursachen zurückgeführt. Zum einen auf das hybride Kaufverhalten der Konsumenten, die bspw. an Lebensmitteln sparen, um mehr Geld für Kleidung auszugeben.223 Zum anderen stellt die dem Verbraucher nachgesagte sinkende Markentreue einen weiteren Treiber des Handelsmarkenwachstums dar. 224 Ein Grund für diese Entwicklung ist das Phänomen des Variety Seeking der Konsumenten. 225 Der verbraucherbezogene Erklärungsansatz kann allerdings keinen wissenschaftlich fundierten Beitrag zur Erklärung des Handelsmarkenwachstums leisten, da es an empirischen Untersuchungen mangelt, die belegen, in welcher Weise verbraucherbezogene Kriterien einen Einfluss auf diese Entwicklung ausüben.226 RICHARDSON et al. können 1996 in einer Studie zumindest nachweisen, dass die Größe eines Haushaltes positiv mit dem Handelsmarkenkauf korreliert, während sich ein hohes Einkommen negativ auswirkt. Das Alter sowie der Bildungsgrad üben hingegen keinen signifikanten Einfluss auf die Kaufentscheidung für Handelsmarken aus.227
220
Vgl. Kornobis (1997), S. 253-256; Zellekens/Horbert (1998), S. 23. Es kommt hinzu, dass die Handelsunternehmen bei höherwertigen Handelsmarken keinen hohen Preisabstand zu den marktführenden Marken anstreben (vgl. dazu die Ausführungen im folgenden Kapitel). Handelsmarken weisen demnach zunehmend eine Konjunkturzyklen-Resistenz auf und ihr Marktanteil steht keineswegs in einem monokausalen Zusammenhang mit der Konjunkturentwicklung (vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 249).
221
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 249; Esch (2008), S. 544.
222
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 249-250; Schmalen/Schachtner (1999), S. 141-142; Zellekens/Horbert (1996), S. 26-27.
223
Vgl. Ahlert/Olbrich (1999), S. 40; Esser (2002), S. 40-45; Schmalen (1994); Schmalen (1995), S. 151-156; Schmalen/Schachtner (1999), S. 141-142.
224
Vgl. Szallies (1997), S. 138.
225
Variety Seeking bezeichnet als Konstrukt der Verhaltenstheorie das Streben nach Abwechslung ohne die Existenz weiterer Gründe (vgl. Bänsch (1995), S. 344; Helmig (1997), S. 14; McAlister (1982), S. 142-143; McAlister/Pessemier (1982), S. 312; Menon/Kahn (1995), S. 285-286). Einen Überblick der marketingwissenschaftlichen Beiträge zum Variety Seeking gibt HELMIG (1997, S. 23).
226
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 250.
227
Vgl. Richardson/Jain/Dick (1996), S. 175.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
41
Zur Erklärung des Handelsmarkenwachstum wird zudem der wettbewerbsbezogene Ansatz herangezogen. Vertreter dieses Ansatzes gehen davon aus, dass die Entwicklung im Wesentlichen vom veränderten Verhalten der Marktteilnehmer, insbesondere der Handelsunternehmen, abhängt. 228 Diese verzeichnen einen hohen Know-how-Zuwachs und professionalisieren ihre Handelsmarkenführung zunehmend, was ihnen das Anbieten qualitativ hochwertiger Handelsmarken ermöglicht.229 Dies führt zur Auslistung von Zweit- und Drittmarken bzw. ihrer Substitution durch Handelsmarken.230 Der steigende Handelsmarkenanteil lässt sich zudem durch das organische Wachstum der diskontierenden Handelsformate erklären, die einen überdurchschnittlich hohen Handelsmarkenanteil aufweisen. Der wettbewerbsbezogene Ansatz kann somit im Hinblick auf den explikativen Gehalt den höchsten Beitrag leisten. In der empirischen Analyse wird sich zeigen, ob dieser Erklärungsansatz auch vor den Vertretern der Praxis Bestand hat. Aus Sicht der Markenartikelindustrie sind Handelsmarken zunächst Wettbewerbsprodukte wie andere Markenartikel auch. Die Nachfragemacht des Handels nimmt hierbei insofern eine entscheidende Rolle ein, als dass die Handelsunternehmen gleichzeitig Vertriebsvermittler und nachfragemächtige Partner sind. Diese hinsichtlich der Absatzchancen lukrative Doppelrolle ist aber für ein Handelsunternehmen umso schwieriger, je mehr sich dieses für die Produktion von Handelsmarken entscheidet. Der Handel hat nicht nur die deutsche Markenartikelindustrie für die Produktion von Handelsmarken gewinnen können. Seit Beginn der 1990er Jahre sind die Handelsunternehmen verstärkt dazu übergegangen, Markenware weltweit zu beschaffen und auch immer mehr Eigen- und Handelsmarken von Herstellerunternehmen außerhalb der klassischen Markenartikelindustrie produzieren zu lassen.231 Die wertmäßige Marktanteilsentwicklung der Handelsmarken ist in Abb. B-6 für die Jahre 2004 bis 2007 dargestellt. Die Premiumherstellermarken haben in diesem Zeitraum um 2,9 Prozentpunkte zugenommen, was einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von rund 8,1 Prozent entspricht. Die Marktführer (größter Marktanteil unter den Herstellermarken) sind relativ konstant geblieben. Gewachsen sind auch die Handelsmarken, um 2,3 Prozentpunkte sowie die Premiumhandelsmarken (Preis mindestens 5 Prozent über Handelsmarkendurchschnitt) um einen Prozentpunkt. Die Herstellermarken, die weder Marktführer noch Premiummarke sind (Mitte-Marken), haben im gleichen Zeitraum 6,3 Prozentpunkte verloren. Das entspricht einem jährlichen Marktanteilsverlust von rund 5,1 Prozent.
228
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 251-258; Dumke (1996), S. 227; Meffert/Burmann (2001), S. 53.
229
Vgl. Kenning/Markmann (1999), S. 45; Meffert (2000), S. 872.
230
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 251; Bruhn (1996a), S. 16.
231
Vgl. Batzer/Greipl (1992), S. 191.
42
Kap. B
Abb. B-6: Wertmäßige Marktanteilsentwicklung von Handelsmarken in 100 Warengruppen Quelle:
GfK Consumer Scan, zitiert nach GfK (Hrsg.) (2008b), S. 21.
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Konsumenteneinstellung gegenüber Handelsmarken stark verändert. Die Handelsmarkenpenetration beträgt in allen westlichen Ländern nahezu 100 Prozent.232 Nicht nur Personen mit niedrigem Einkommen kaufen Handelsmarken, sondern alle Bevölkerungsschichten. Dies ist nicht zuletzt auf die gestiegene Qualitätseinschätzung der Handelsmarken aufgrund zahlreicher Produktvergleichstest der Verbrauchermagazine zurückzuführen. Handelsunternehmen sind daher darin bestrebt, die Anteile von Handelsmarken über alle Sortimentsbereiche hinweg zu erhöhen.233 Mit dem wachsenden Anteil ist auch die strategische Bedeutung der Handelsmarken im Konsumgüterbereich in den letzen Jahren stark gestiegen.234 Im Jahr 2007 betrug der kumulierte Marktanteil von Handelsmarken im Lebensmittelhandel in Deutschland 35,1 Prozent.235 Nur in der Schweiz (46,6 Prozent) und in Großbritannien (39,3 Prozent) ist der Anteil im europäischen Vergleich noch höher.236 Bemerkenswert ist, dass laut einer 2007 durchgeführten Befragung von 709 Konsumenten, zwei Drittel der Befragten angaben, den Unterschied zwischen Handels- und Herstellermarken zu kennen.237
232
Gemeint ist hier der Anteil der Konsumenten, die angeben, Handelsmarken zu kaufen. Quelle: ACNielsen zitiert nach Lincoln/Thomassen (2008), S. 24.
233
Vgl. Grunert et al. (2006), S. 605.
234
Vgl. Richardson/Jain/Dick (1996), S. 159; Zielke/Dobbelstein (2007), S. 112.
235
Vgl. GfK Consumer Scan 2007, zitiert nach GfK (Hrsg.) (2008b), S. 21.
236
Der Eigenmarkenanteil bezieht sich auf FMCG ohne Frischeprodukte. Quelle: AC Nielsen zitiert nach Metro Group (Hrsg.) (2008), S. 63.
237
Vgl. Sekundärquelle [7], S. 40.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
2.3
43
Handelsmarkengenerationen
Die Beschreibung der historischen Entwicklung verdeutlicht bereits, dass Handelsmarken im Zeitablauf unterschiedliche Funktionen erfüllt haben. Heute setzt ein Großteil der Handelsunternehmen mehrere Formen der Handelsmarke parallel ein. Im Laufe der Begriffsentwicklung der Handelsmarke werden in der Literatur in der Regel vier Generationen unterschieden:238
Gattungsmarken,
klassische Handelsmarken,
Dachmarken und Markenfamilien sowie
Gestalt- und Pioniermarken.
Einige Autoren unterscheiden drei Generationen, wobei sie die vierte Generation der Gestalt- und Pioniermarken unberücksichtigt lassen oder die dritte und vierte Generation unter dem Begriff der Premiumhandelsmarken zusammenfassen. 239 DUMKE hingegen beschreibt fünf Entwicklungsstufen, die neben den hier aufgeführten Generationen – in anderer Reihenfolge – die im vorherigen Kapitel erwähnten Firmenmarken als erste Form der Handelsmarken umfasst.240 Er nimmt dabei eine zeitliche Zuordnung dieser Handelsmarkenstufen vor, d. h. in der Reihenfolge ihres erstmaligen Auftretens.241 Dies spiegelt allerdings nicht die Entwicklung der Handelsmarken in ihren Anforderungen an das Handelsmarkenmanagement wider. Aus diesem Grund wird im Folgenden eine Typologie mit vier Handelsmarkengenerationen verwendet. Diese idealtypischen Entwicklungsstufen vermögen auch die Positionierung in Bezug auf ihre qualitativen und preislichen Unterschiede zu verdeutlichen.242 In der ersten Generation, den Gattungsmarken, handelt es sich vorwiegend um Basisprodukte des täglichen Bedarfs.243 Gattungsmarken zeichnen sich vor allem durch eine einfache Produktgestaltung und einen niedrigen Preis bei gleichzeitiger Siche238
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 34-36; Dölle (2001b), S. 135; Meffert (2002b), S. 154155; Pepels (2006), S. 291.
239
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 155-156; Ahlert/Kenning/Schneider (2001), S. 247-248; Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 46-47; Bruhn (2001), S. 12; Meffert (2000), S. 872-875; Theis (1999), S. 557-558.
240
Vgl. Dumke (1996), S. 34-44.
241
DUMKE führt nach der ersten Entwicklungsstufe der Firmenmarken die „Einzelmarken“ auf, die gegen Anfang der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre aufkamen (vgl. Dumke (1996), S. 36-37).
242
Vgl. Burt (2000), S. 878; Soberman/Parker (2004), S. 850.
243
Vgl. z. B. Berekoven (1995), S. 134 und Burt (2000), S. 879. Die Qualität der Gattungsmarken war zur Zeit ihrer Einführung vergleichsweise minderwertig. Außerdem trugen sie nicht den Namen der Handelskette, sondern nur die generische Produktbezeichnung auf weißer Verpackung (vgl. Kumar/Steenkamp (2007), S. 29-30).
44
Kap. B
rung einer Mindestqualität aus.244 Ihr Wesensmerkmal besteht aus Handelssicht somit in einem bewussten Verzicht auf differenzierungsfähige Produktmerkmale mit dem Ziel eines tiefst möglichen Verkaufspreises.245 Gattungsmarken sind zumeist auf Produktgruppen mit einem geringen wahrgenommenen Einkaufsrisiko beschränkt.246 Aufgrund ihrer meist weißen Verpackung mit generischen Gattungsbezeichnungen werden sie auch als weiße Ware, No-name-Produkte oder Generika bezeichnet.247 Die einfachere Gestaltung und die Niedrigpreisstrategie, ermöglicht durch reduzierte Marketingaktivitäten, sollen die Gattungsmarken aus dem Sortiment hervorheben.248 Diese bewusste Emanzipation von den Herstellermarken durch reduzierte Marketingaktivitäten und niedrige Preise degradiert die Gattungsmarken nicht zu anonymer Ware, sondern positioniert sie vielmehr als Gegenmarken bzw. Counter Brands.249 Der Preis stellt für den Kunden bei Handelsmarken der ersten Generation das entscheidende Kaufmotiv dar.250 BRUHN unterscheidet in der ersten Handelsmarkengeneration zwischen Gattungsmarken und Discount-Handelsmarken, die ausschließlich in diskontierenden Handelsformaten angeboten werden.251 Heute ist die Qualität dieser Handelsmarken – zumindest im Lebensmittel-Discount – keinesfalls minderwertig, 252 wie zahlreiche Tests der Verbrauchermagazine belegen. 253 Viele Handelsmarken der führenden Discounter Aldi und Lidl sind inzwischen eher der zweiten und dritten Generation zuzuordnen. In der wissenschaftlichen Literatur war lange Zeit umstritten, ob es sich bei Gattungsmarken und Discount-Handelsmarken um anonyme Ware oder Handels-
244
Vgl. Ackermann (2004), S. 88; Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 46; Bruhn (2001), S. 10; Gröppel-Klein (2005), S. 1120; Grunert et al. (2006), S. 598; Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 510; Meffert (2002b), S. 155. Teilweise wird ihnen auch unterdurchschnittliche Qualität vorgeworfen (vgl. Cunningham (1961), S. 25; Grunert et al. (2006), S. 598), was zumindest für den deutschen Markt gegenwärtig nicht zutrifft (vgl. Winkelmann (2008), S. 505).
245
Vgl. Meffert/Burmann (2001), S. 67.
246
Vgl. Meffert (2002b), S. 156.
247
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 35; Ahlert/Kenning (2007), S. 155; Meffert (2002b), S. 155.
248
Vgl. Schenk (2001), S. 79.
249
Vgl. und Bruhn (2001), S. 12; Hansen (1990), S. 243; Schenk (2001), S. 79. Den Begriff „Counter Brands“ verwendet z. B. Kapferer (2008), S. 69.
250
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 35; Grunert et al. (2006), S. 598; Pretzel (1996), S. 129; Yelkur (2000), S. 446.
251
Vgl. Bruhn (2001), S. 13.
252
Vgl. Winkelmann (2008), S. 505.
253
Vgl. Schenk (2004), S. 127.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
45
marken handelt.254 Heute werden die Preiseinstiegsmarken mit einer minimalen Markierung versehen.255 Die der großen Handelsunternehmen wie TiP von Real und ja! von Rewe zählen zu den bekanntesten Handelsmarken überhaupt.256 Viele Verbraucher sind inzwischen in der Lage, diese mit dem entsprechenden Handelsunternehmen in Verbindung zu bringen.257 Mit der Einführung von Gattungsmarken soll vor allem dem verschärften Wettbewerb im Einzelhandel, der deutlichen Druck auf die Margen der etablierten Marktteilnehmer ausübt, begegnet werden. Noch heute werden sie von den Handelsunternehmen im klassischen LEH zur Abbildung des Preiseinstiegssortiments geführt,258 um auch discount-orientierten Kunden eine Alternative zu den erfolgreichen Handelsmarken von Aldi, Lidl und anderen zu bieten. 259 Die Gattungsmarken liegen dabei regelmäßig zwischen 30 und 50 Prozent unter dem Preisniveau der Herstellermarkenartikel.260 Charakteristisch für Gattungsmarken sind enorm hohe Stückzahlen, in denen sie bei den Herstellern geordert werden.261 Einige Handelsunternehmen, darunter auch viele Discounter, minimieren das Lieferrisiko teilweise durch Aufteilen der Produktion eines Artikels unter einer Gattungsmarke auf mehrere Produzenten. Die Erfolgsbedingungen für Gattungsmarken liegen in der fehlenden Erklärungsbedürftigkeit, der Selbstbedienungsfähigkeit, einer gewissen Mode- und Geschmacksunabhängigkeit sowie einer einfachen und schlichten Ausstattung. 262 Außerdem muss eine gute und gleichbleibende Qualität der Ware gewährleistet sein.263 Ziel der Gattungs- und Discounthandelsmarken ist die Demonstration eines guten Preis-Leistungsverhältnisses des Sortiments der Einkaufsstätte und folglich eine höhere Kundenbindung.264
254
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 155-156; Dreiss/Klaka (1995), S. 24-25. AHLERT und SCHRÖDER weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es einigen Gattungsmarken erheblich an Unterscheidungskraft und Selbstständigkeit mangelt und sie dadurch juristisch nicht schutzfähig sind (vgl. Ahlert/Schröder (1996), S. 121).
255
Vgl. Preißner (1998), S. 92.
256
Vgl. Sekundärquelle [7], S. 41: „ja!“ kennen ungestützt 32 % und TiP 19 % der Befragten (N=709).
257
SCHENK sieht unter diesen Voraussetzungen Gattungsmarken als Handelsmarken an. Er verweist außerdem darauf, das Handelsunternehmen ihre Gattungsmarken als Wort-Bildmarke beim deutschen Patent- und Markenamt schützen lassen (vgl. Schenk (2001), S. 79).
258
Vgl. ausführlich dazu Schmalen/Lang/Pechtl (1996), S. 239-255.
259
Vgl. Meffert/Burmann (2001), S. 67 und Schenk (2001), S. 79. Beispiele für solche Preiseinstiegsmarken sind in Deutschland die Marken TiP (Real), ja! (REWE), Gut & Günstig (Edeka), Globe (Globus), A&P (Kaiser’s, Tengelmann) und K-Classic (Kaufland).
260
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 46; Theis (1999), S. 557; Sekundärquelle [6], S. 39.
261
Vgl. Kapferer (2008), S. 68.
262
Vgl. Schenk (2001), S. 85.
263
Vgl. Oehme (1992), S. 162.
264
Vgl. Bruhn (2001), S. 13.
46
Kap. B
Klassische Handelsmarken, die als zweite Generation der Handelsmarken beschrieben werden, sind qualitativ mit den Zweit- und Drittmarken der Hersteller vergleichbar, auch wenn sie sich teilweise technologisch noch im Rückstand befinden.265 Sie dienen in erster Linie der Kennzeichnung absatzstarker Einzelartikel und zeichnen sich durch eine eigenständigere Produktgestaltung als Gattungsmarken aus.266 Häufig tragen sie Phantasiemarken und imitieren in Verpackung, Farb- und Logogestaltung sowie in weiteren kaufrelevanten Merkmalen bekannte Herstellermarken,267 weswegen sie auch Me-too-Marken oder Pseudomarken268 genannt werden. In der Regel sind sie in Produktkategorien mit geringem Innovationsgrad und hoher Umschlagsgeschwindigkeit vertreten. Der Preis bildet wie in der ersten Gerenation das kaufentscheidende Kriterium.269 Hergestellt werden die klassischen Handelsmarken zunächst hauptsächlich von Zweitmarkenherstellern und Handelsmarkenspezialisten, da sich die Markenartikelindustrie Anfang der 1980er Jahre noch gegen die Produktion dieser Produkte ausspricht.270 In den letzten zwei Jahrzehnten haben die klassischen Handelsmarken mehr und mehr die Zweit- und Drittmarken der Markenhersteller bzw. die sog. Mitte-Marken 271 verdrängt, häufig mit dem Ziel, ihre Sortimentskomplexität zu reduzieren.272
265
Vgl. Bruhn (2001), S. 12. DUMKE spricht in diesem Fall von Einzelmarken und ordnet diese zeitlich einige Jahre vor den Gattungsmarken ein (vgl. Dumke (1996), S. 34).
266
Pretzel (1996), S. 130. Das Identitätsmerkmal der Individualität ist bei klassischen Handelsmarken durch die Imitation der Herstellermarken zwangsläufig nicht erfüllt (vgl. Meffert/Burmann (2001), S. 67).
267
Vgl. Bruhn (2001), S. 12. Zum „Diebstahl“ der Markenidentität durch Me-too-Handelsmarken vgl. Davies (1998).
268
Weniger gebräuchlich sind hingegen die Bezeichnungen Äquivalenzmarke (vgl. Meffert (2002b), S. 156) Konkurrenzmarke (vgl. Kapferer (1992), S. 191) und Imitationsmarke (vgl. Dumke (1996), S. 123).
269
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 35; Baltas (1997), S. 315; Sattler/Völckner (2007), S. 27.
270
Vgl. Dölle (2001b), S. 134.
271
Vgl. Wu/Wang (2005), S. 145; Dunne/Narasimhan (1999), S. 42 sowie zur Entwicklung des deutschen LEH Kap. D.3.4.1, Abb. D-14 auf S. 280.
272
Vgl. Brauer (1996), S. 100; Verbeke/Farris/Thurik (1998), S. 1008. Als Beispiel klassischer Handelsmarken sei auf weite Teile des Sortiments der Discounter Aldi und Lidl verwiesen.
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
47
In der dritten Generation, die Dachmarken und Markenfamilien des Handels umfasst, rücken Qualitätsaspekte weiter in den Vordergrund,273 so dass diese Produkte nur geringfügige bis keine Qualitätsunterschiede zu Herstellermarken aufweisen und bereits einen entscheidenden Beitrag zur Geschäftsstättenprofilierung leisten können. Im Falle der Dachmarkenstrategie fungiert der Name des Handelsunternehmens bzw. dessen Betriebstyps als Markenabsender.274 KUMAR und STEENKAMP bezeichnen diese Generation als „Premium-Lite Store Brands“. 275 Das Kaufmotiv dieser Handelsmarken ist der Zusatznutzen, den sich der Kunde in Form einer markenadäquaten Qualitätsgarantie des Handels bei gleichzeitig günstigerem Preis durch den Kauf verspricht.276 Auch die Dachmarken und Markenfamilien des Handels dienen häufig dazu, die Marktführer zu kopieren, mit dem Unterschied zu den klassischen Handelsmarken, dass sie bereits nach modernen Grundsätzen der Markenführung betreut werden.277 Das Preis-Leistungsverhältnis stellt indes immer noch ein entscheidendes Positionierungsmerkmal dar.278 Die Handelsmarken der dritten Generation sollen bereits zu einer Profilierung der Einkaufsstätte und einer verstärkten Kundenbindung beitragen.279 In der Bekleidungsbranche finden sich zahlreiche Beispiele wie Fabiani und manguun von Kaufhof, Inscene und Alex von Karstadt oder McNeal und Christian Berg von Peek & Cloppenburg West. Für die Lebensmittelbranche ist in Abb. B-7 stellvertretend das Handelsmarkensortiment der Markenfamilien der Edeka dargestellt.
273
Vgl. Richardson (1997), S. 388. Vereinzelt wird in der Literatur der Begriff vertikale Handelsmarke verwendet (vgl. Pretzel (1996), S. 131).
274
Vgl. Sattler/Völckner (2007), S. 157-159 sowie Kap. C.4.3.4.
275
Kumar/Steenkamp (2007), S. 43: „‘Premium-lite‘ store brands […] are those that expouse the proposition ‘better and cheaper.’ The aspired-to consumer proposition is to be equal to or better in quality than leading manufacturer brands while selling a discount.”
276
Vgl. Dölle (2001b), S. 135.
277
Vgl. Dölle (2001b), S. 135. Umfangreiche Dachmarkenstrategien im Handelsmarkensortiment sind im LEH u. a. bei Globus, Edeka, Rewe und Real in Deutschland, Migros und Coop Suisse in der Schweiz, Carrefour in Frankreich sowie Tesco und Sainsbury‘s in Großbritannien zu beobachten.
278
Vgl. Grunert et al. (2006), S. 599.
279
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 510 und Theis (2007), S. 331.
48
Kap. B
Abb. B-7: Edeka-Eigenmarkensortiment mit der Dachmarke Edeka Quelle:
Internetauftritt der Edeka (www.edeka.de).
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
49
Die Handelsmarken der vierten Generation werden als Gestaltmarken oder Pioniermarken bezeichnet.280 KUMAR und STEENKAMP bezeichnen diese Generation als „Premium-Price Store Brands“.281 Einige Autoren sprechen auch von Profilierungsmarken oder Leadmarken des Handels.282 Neben einer hohen Qualität zeichnen sie sich durch einen hohen Innovationsgrad und daraus folgend höhere Preise aus.283 Handelsunternehmen entwickeln ihre Handelsmarken heute zunehmend zu solchen Premiumhandelsmarken.284 Sie sollen Ebenbilder der führenden Premium-Herstellermarken darstellen, ihnen im Nutzen in nichts nachstehen und eine ähnliche Preispositionierung wie diese aufweisen.285 Handelsmarken der vierten Generation bilden das Grundprofil eines unverwechselbaren unternehmensspezifischen Warenangebots und stellen wegen ihres exklusiven Charakters ein wichtiges Instrument dar, das Handelsunternehmen als klares Vorstellungsbild im Bewusstsein der Verbraucher zu verankern.286 Gestalt- und Pioniermarken sind qualitativ führende sowie gleichzeitig innovative und imagebildende Produkte, die als „Markenartikel des Handels“ intensive kommunikative Unterstützung erfahren.287 Neben herausragender Qualität nimmt insbesondere die Innovationsfunktion in der vierten Generation eine bedeutende Rolle ein.288 Damit beabsichtigen die Händler sich der Gefahr der Austauschbarkeit mit ihren Wettbewerbern zu entziehen und gegenüber den Konsumenten gezielt Image- und Leistungsprofilierung zu betreiben.289 Etablierte Gestalt- und Pioniermarken sind bisher vorwiegend im Ausland zu finden. Es unternehmen jedoch immer mehr Handelsketten den Versuch, die Premiumhan280
Vgl. Dunne/Narasimhan (1999), S. 41; Dölle (2001b), S. 135.
281
Kumar/Steenkamp (2007), S. 43: „‘Premium-price‘ store brands […] are those retailer brands that are both higher in price and superior in quality, compared with leading manufacturer brands. The aspired-to consumer proposition here is to be the best money can buy.”
282
Vgl. Dumke (1996), S. 42.
283
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 156; Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 510-511; Meffert/Burmann (2001), S. 67; Theis (2007), S. 331.
284
Vgl. Jonas/Roosen (2005). Die englische Handelskette Marks&Spencer vertreibt bspw. unter der Handelsmarke St. Michael qualitativ hochwertige Nahrungsmittel, die denen der Herstellermarken vielfach überlegen sind und daher auch eine höhere Preisbereitschaft beim Konsumenten erzeugen (vgl. Dunne/Narasimhan (1999), S. 41-42).
285
Vgl. Dölle (2001b), S. 135; Richardson (1997), S. 388; Zielke/Dobbelstein (2007), S. 113. MEFund BURMANN bezweifeln jedoch, dass die Anforderungen an eine identitätsorientierte Markenführung (siehe Kap. B.1.2.4) selbst von großen Handelskonzernen stets erfüllt werden können (vgl. Meffert/Burmann (2001), S. 68).
FERT
286
Vgl. Batzer/Greipl (1992), S. 197-198; Schenk (1991), S. 322-323.
287
Vgl. Meffert/Burmann (2001), S. 67; Peters (1998), S. 52.
288
Vgl. Dumke (1996), S. 42.
289
Vgl. Batzer/Greipl (1992), S. 197-198.
50
Kap. B
delsmarken von Tesco zu kopieren, die in Großbritannien seit vielen Jahren sehr erfolgreich sind. 290 Das Unternehmen Globus bietet beispielsweise unter der Marke „Frilanda“ Premiumobst und -gemüse an.291 In der vierten Generation haben sich die Handelsmarken von den Herstellermarken in Bezug auf die Innovationskraft und die Preisstellung weitgehend emanzipiert und treten in der Kommunikation und Ausstattung gut und teilweise sogar besser auf als die führenden Herstellermarken. 292 In Tab. B-2 sind die vier vorgestellten Handelsmarkengenerationen mit ihren wichtigsten Merkmalen zur Übersicht zusammengefasst. erste Generation
zweite Generation
dritte Generation
vierte Generation
Marke
Gattungsmarke, weiße Ware
Klassische Handelsmarke, Me too-Produkte
Dachmarken, Markenfamilien
Gestaltmarke, Pioniermarke
Produkte
Basisprodukte
großvolumige Einzelartikel
große Kategorien
image bildende Produkte
Technologie
Basistechnologie mit niedrigen Barrieren
meist im Rückstand gegenüber dem Marktführer
vergleichbar mit führenden Marken
innovativ
Preislage
Preiseinstieg
unterhalb des Marktführers
vergleichbar mit führenden Marken
oberhalb des Marktführers
Qualität/ Image
geringer als Herstellermarkenprodukt
geringer bzw. als geringer wahrgenommen
teilweise vergleichbar mit führenden Marken
besser oder genauso gut wie führende Marke
Kaufmotivation
Preis
Preis-Leistung
Produktqualität/ Preis
besseres Produkt
Tab. B-2: Handelsmarkengenerationen im Überblick Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 34 sowie Boston Consulting Group zitiert nach Bruhn (1996b), S. 92, unter Bezug auf AC Nielsen.
290
LINCOLN und THOMASSEN sprechen vom Tesco-Effekt (vgl. 2008, S. 58).
291
Die ausgesuchten Sorten werden laut der Firmenhomepage nur zum jeweiligen Saisonhöhepunkt und bei optimaler Reife geerntet. „Frilanda hat die höchste Qualitätsstufe, die es auf dem Markt gibt“, heißt es dort wörtlich (Quelle: www.globus.de/de/pl_eigenmarken.htm).
292
Pam Boynton, Marketing Direktor des weltweit größten Handelsmarkendienstleisters Daymon Worldwide, fasst die Entwicklung wie folgt zusammen: „In the 1980s and 1990s, Private Label began to follow the brands. In the 21st century, what we’re seeing is that Private Label is starting to lead the brands […]” (zitiert nach Lincoln/Thomassen (2008), S. 58).
51
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
Die voranstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass die Kriterien Preisniveau und Qualitätswahrnehmung geeignet sind, die Erscheinungsformen der Handelsmarken untereinander zu unterscheiden und im Vergleich zu den Herstellermarken einzuordnen. Eine Positionierung der vier Handelsmarkengenerationen sowie der entsprechenden Qualitätsstufen der Herstellermarken ist auf Basis der Wahrnehmungsdimensionen Preis und Qualität in Abb. B-8 dargestellt.
hohe Qualität
PremiumHerstellermarken Gestalt-/ Pioniermarken klassische Herstellermarken
Submarken / Markenfamilien des Handels
niedriges Preisniveau
klassische Handelsmarken
Zweit-/DrittHerstellermarken
hohes Preisniveau
Gattungs-/ Discount Handelsmarken
niedrige Qualität
Abb. B-8: Positionierung der Erscheinungsformen von Handelsmarken gegenüber Herstellermarken Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Bruhn (2001), S. 12.
Die schematisch dargestellten Überschneidungen der Erscheinungsformen verdeutlichen die fließenden Übergänge in den beiden Dimensionen Preisniveau und Qualität. Insbesondere die dritte Generation der Dachmarken und Markenfamilien ers-
52
Kap. B
treckt sich über ein breites Spektrum und reicht in Preisniveau und Qualität von der klassischen Handelsmarke bis zur klassischen Herstellermarke.293 Handelsmarken erfüllen über alle vier Generationen hinweg verschiedene Funktionen, die teilweise konträr zueinander stehen. Diese Funktionen sind bei der markenstrategischen Konzeption sowie bei der Positionierung der Handelsmarken zu beachten. Die Emanzipation der Handelsmarke vom „Me-too-Produkt“ zu einer originären, strategischen Sortimentseinheit führt zu einem Wandel der Handelsmarkenfunktionen innerhalb der verschiedenen Anspruchsgruppen.294 Durch den steigenden Erfolg der Handelsmarken und der Positionierung als strategischer Sortimentsbestandteil schließen sich an die Grundfunktionen der Marke295 bei Handelsmarken zusätzlich die in Tab. B-3 dargestellten handelsspezifischen Funktionen an. Anhand der bisher diskutierten Überlegungen ist in der Tabelle zudem die jeweilige Eignung der vier Handelsmarkengenerationen zur Erfüllung der Funktionen dargestellt.
293
Einige ähnliche Abbildungen zur Positionierung der Erscheinungsformen von Handelsmarken berücksichtigen die Generation der Dachmarken nicht und stellen die übrigen Erscheinungsformen überschneidungsfrei dar (vgl. z. B. Bruhn (2001), S. 12). Dies entspricht nach Ansicht des Autors jedoch nicht den Verhältnissen, wie sie in der Praxis vorzufinden sind.
294
Vgl. Bruhn (2001), S. 27.
295
In der wissenschaftlichen Diskussion um eine zielführende und vollständige Enumeration der Markenfunktionen kann als Minimalkonsens konstatiert werden, dass Marken drei Grundfunktionen erfüllen: eine Informationseffizienz bzw. Komplexitätsreduktionsfunktion in der Phase der Entscheidungsvorbereitung, eine Risikoreduktions- bzw. Vertrauensfunktion in der Entscheidungsphase und die Stiftung idellen Nutzens in der Phase des Konsums (vgl. Fischer/Meffert/Perrey (2004), S. 337-338; Hätty (1989), S. 19; Keller/Apéria/Georgson (2008), S. 7-8; Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 511-512; Riesenbeck/Perrey (2008), S. 9-11; Teas/Grapentine (1996), S. 25; Thurm (2000), S. 35. Eine ähnliche Kategorisierung nehmen Burmann/Stolle (2007), S. 78, Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 364-367 und Sweeney/Soutar (2001) vor, die jedoch zwischen persönlicher, sozialer und funktionaler Nutzenebene der Marke unterscheiden und dabei den symbolischen Nutzen der Marke stärker betonen.
53
Entstehung und Entwicklung der Handelsmarken
Funktion
Nutzen der Funktion
Eignung der Handelsmarkengenerationen 1. G.
2. G.
3. G.
4. G.
++
+
o
–
Preisleistungsfunktion
Dokumentation der preislichen Leistungsfähigkeit durch niedriges Preisniveau bei der Handelsmarke im Vergleich zu den – auch von den Wettbewerbern geführten – Herstellermarken.
Sortimentsleistungsfunktion
Dokumentation des exklusiven Sortiments und unverwechselbaren Alternativangebotes.
–
o
+
++
Profilierungsfunktion
Erzeugung eines eigenständigen Sortimentsprofils als Teilprofil des gesamten Unternehmensimages und dadurch Abhebung von der Konkurrenz.
o
o
+
++
Polarisierungsfunktion
Deutliche Abgrenzung von anderen eigenen Betriebstypen bzw. von Betriebstypen der Konkurrenz.
–
–
+
++
Spannensicherungsfunktion
Größerer Spielraum bei der Kalkulation der eigenen Marke, kein Preiskampf und keine Preisschleuderei.
––
o
+
++
Gewerbliche Schutzfunktion
Inanspruchnahme des Warenzeichenschutzes als Schutz vor Konkurrenten und Nachahmern.
+
o
+
+
Solidarisierungsfunktion
Einsatz der Handelsmarke in Verbundgruppen des Handels zur Kräftigung des Zusammengehörigkeitsgefühls unter den Kooperationspartnern.
+
o
++
++
Innovationsfunktion
Möglichkeit zur Entwicklung neuer Produkte oder eines neuen Markenkonzeptes.
––
–
o
+
++ = hervorragend geeignet + = geeignet G = Handelsmarkengeneration
o = weniger geeignet
Tab. B-3: Spezifische Funktionen von Handelsmarken aus Handelssicht Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Schenk (2001), S. 82.
– = ungeeignet
54
Kap. B
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Anforderungen an das Handelsmarkenmanagement in den letzten vier Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen haben. Im Zuge dessen ist es zu einer zunehmenden Professionalisierung des Marketings der Handelsunternehmen gekommen.296 In der ersten Generation verlassen sich die Handelsunternehmen bei der Produktion der Gattungsmarken vollständig auf die Herstellerunternehmen und nehmen kaum Einfluss auf Entwicklung und Produktion der Handelsmarken. In der zweiten Generation der klassischen Handelsmarken werden bereits eigene Handelsmarkenteams eingesetzt, die mit externen Agenturen zusammenarbeiten, um die Qualität der Produkte zu verbessern. Im Rahmen der dritten Generation wird das Markenmanagement der Handelsmarken eingeführt und die Handelsmarkenteams spezialisieren sich auf bestimmte Warengruppen und betriebstypeneigene Dachmarken. In der vierten Generation schließlich werden die Handelsunternehmen mehr und mehr zu Experten des Markenmanagements und bedienen sich global agierender Dienstleister und Hersteller zur Unterstützung der eigenen Handelsmarkenteams. Aus Sicht dieser Hersteller und Dienstleister ist ein aktives Anbieten von kundenindividuellen Handelsmarkenkonzepten Erfolg versprechend. In der Wissenschaft wird eine solche Lösungsorientierung unter dem Begriff des „Solution Selling“ beschrieben.
296
Vgl. hier und im Folgenden Sekundärquelle [8], o. S.
55
Konzept des Solution Selling
3.
Konzept des Solution Selling
Das Konzept des „Solution Selling“ als ein Weg der Differenzierung im Wettbewerb wurde in der Wissenschaft auf der Ebene von Business-to-Business-Beziehungen bereits ausführlich erforscht.297 Dennoch bedarf es für die Übertragung auf das Handelsmarkenmanagement einer kurzen Beschreibung der wichtigsten Elemente dieses Konzeptes. Grundgedanke des Solution Selling ist das Anbieten integrierter Kundenlösungen anstatt einfacher und damit austauschbarer Produkte oder Services.298 Im Mittelpunkt der Strategie eines lösungsorientierten Unternehmens stehen die Identifikation möglicher Kundenprobleme und die Schaffung von Leistungen zu deren Lösung. Ein Kunde wird immer dann eine Lösung nachfragen, wenn er komplexen Investitionsproblemen gegenüber steht und die Diskrepanz zwischen einem gewünschten Soll- und einem unerwünschten Ist-Zustand nicht alleine bewältigen kann.299 Der Kunde wird im Rahmen des Solution Selling intensiv in die Problemlösung einbezogen, was als Transaktionsprozess in Abb. B-9 dargestellt ist.
Solution Selling Lösungsanbieter
Komponente A + Komponente B + Komponente …
Solution
Kunde
Interaktion
Abb. B-9: Solution Selling als interaktiver Transaktionsprozess Quelle:
Eigene Darstellung.
Ausgangspunkt konzeptioneller Überlegungen zum Solution Selling ist eine unbefriedigende Situation, die ihren Ursprung in einer spezifischen, nicht zufriedenstellenden Ausprägung eines Gesamtsystems findet. 300 Der Lösungsansatz richtet sich nicht auf das Produkt oder die Dienstleistung selbst, sondern auf das Ergebnis der
297
Vgl. Windahl et al. (2004), S. 228.
298
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 39.
299
Vgl. Vogt (1981), S. 7-9.
300
Vgl. Ahlert et al. (2008), S. 32.
56
Kap. B
Leistung.301 Steht ein Kunde vor besonderen Herausforderungen – wie es das Management von Handelsmarken ohne Zweifel darstellt – hat er die Wahl, diesen selbst entgegenzutreten oder eine Lösung am Markt einzukaufen bzw. sich bei der Lösung durch Marktleistungen unterstützen zu lassen. Dies kann im Fall des Handelsmarkenmanagements sowohl durch einen Handelsmarkenhersteller als auch durch ein externes Dienstleistungsunternehmen geschehen. Für die „interne“ Lösung sollte das Handelsunternehmen über entsprechendes Know-how und die notwendige Ausstattung verfügen oder in der Lage sein, beides aufzubauen. 302 Besteht hingegen die Absicht, das Problem durch Dritte lösen zu lassen, stellt sich dem Handelsunternehmen die Frage, inwiefern es diesen in den Prozess einbezieht und auf welche Teilprozesse besonderen Wert gelegt werden soll.303 In der wissenschaftlichen Literatur dominieren zwei Ansichten zur Abgrenzung des Begriffs „Solution Selling“. Die erste Sichtweise fasst eine Lösung, respektive eine „Solution“, als ein Bündel von Gütern und Dienstleistungen auf, das individuell entsprechend des Bedarfs des Kunden zusammengestellt wird.304 Die zweite Sichtweise ergänzt die individuelle Bündelung von Leistungen um die Zusätze einer engen wechselseitigen Beziehung der Vertragspartner, der Transaktion spezifischer Investments, der Gemeinschaftsproduktion und der Risikoteilung. 305 In der Vielzahl wissenschaftlicher Definitionen lassen sich vier konstitutive Merkmale für Lösungen identifizieren:306
die Individualität der Leistung durch Auswahl und Anpassung des Leistungsbündels,
die aus der Kombination mehrerer Güter oder Dienstleistungen erwachsende Komplexität,
die Interaktivität zwischen Anbieter und Nachfrager der Lösung und
die Integrativität in Form eines Mehrwertcharakters durch Implementierung der Lösung.
301
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 40; Griffiths (2004), S. 34; Windahl/Lakemond (2006), S. 807.
302
Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 13.
303
Vgl. Ahlert et al. (2008), S. 33.
304
Vgl. Bennett/Sharma/Tipping (2001); Hax/Wilde II (2001); Sharma/Molloy (1999); Tuli/Kohli/ Bharadwaj (2007); Vargo/Lusch (2004); Wise/Baumgartner (1999).
305
Vgl. Brady/Davies/Gann (2005); Cornet et al. (2001); Day (2004); Johansson/Krishnamurhty/ Schlissberg (2003); Sharma/Lucier/Molloy (2002); Shepherd/Ahmed (2000).
306
Vgl. Ahlert et al. (2008), S. 38.
57
Konzept des Solution Selling
Im Fortgang der Untersuchung wird die folgende Definition von AHLERT et al. zu Grunde gelegt: „Unter Lösungen werden individuelle Leistungen für komplexe Kundenprobleme verstanden, die interaktiv konzipiert werden und deren Komponenten einen integrativen Mehrwert bieten.“ 307
Zur Erstellung der auf den Kunden zugeschnittenen Lösung schlagen TULI et al. (2007) einen Lösungsprozess in vier Phasen vor.308 Abb. B-10 veranschaulicht diese vier Phasen sowie die Interaktionsbeziehung von Lösungsanbieter (Hersteller oder Dienstleister) und Lösungsnachfrager (Handelsunternehmen). Der Prozess besteht aus der Definition des Kundenbedarfs, dessen Anpassung und Integration, der Implementierung sowie der Nachsorge.309
Hersteller/ Dienstleister
gemeinsamer Lösungsprozess charakterisiert durch vier Phasen
Definition des Kundenbedarfs
Anpassung und Integration
Implementierung
Nachsorge
Handelsunternehmen
Abb. B-10: Phasen des Lösungsprozesses Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 5.
In der Phase der Definition des Kundenbedarfs beschäftigt sich der Lösungsanbieter mit dem Anforderungsprofil der auf den Kunden abgestimmten Solution.310 Das Spektrum möglicher Leistungsbestandteile reicht von ergänzenden Dienstleistungen über angepasste Produkt-Dienstleistungsbündel bis hin zu komplexen Einzellösungen, weshalb der Definition des Kundenbedarfs eine hohe Bedeutung zukommt. Neben einem umfassenden Verständnis des Geschäftsmodells ist daher die offene und 307
Ahlert et al. (2008), S. 38.
308
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 5.
309
Vgl. Ahlert/Kawohl (2008), S. 14-19; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 5.
310
Vgl. Foote et al. (2001), S. 87.
58
Kap. B
intensive Kommunikation zur Explikation bekannter Problemfelder sowie zur Aufdeckung latenter Bedürfnisse unverzichtbar. 311 Der Lösungsanbieter signalisiert dem Kunden, dass er keine standardisierten Lösungen anbietet, sondern den Kunden in den Lösungsprozess einbezieht.312 Zur Gewährleistung einer möglichst langen Kundenbeziehung sind neben aktuellen zudem zukünftige Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen.313 Ein wichtiges Kriterium des Solution Selling ist die wechselseitige Wertschaffung (CoCreation) zwischen Anbieter und Kunde, die durch eine enge Interaktion mit dem Kunden erreicht wird.314 Diese Interaktion tritt insbesondere in der Phase der Anpassung und Integration in den Vordergrund. Für ein maßgeschneidertes und integriertes Lösungsangebot ist es für den Anbieter erforderlich, einen recht tiefen Einblick in Problemfelder und Umfeld des Kunden zu erhalten. 315 Nachteil einer individuellen Anpassung der Leistungsbündel an die jeweiligen Kundenbedürfnisse sind die damit verbundenen hohen Kosten, so dass ein umfangreiches Wissensmanagement der gewonnenen Erfahrungen und des beim Kunden gesammelten Know-hows unerlässlich ist.316 Dies dient zum einen der Vermeidung iterativer Fehler und verringert zum anderen durch dokumentierte Vergleichsmöglichkeiten die Kosten zukünftiger Problemlösungsprozesse.317 Die Phase der Implementierung stellt aus der Sicht des Kunden einen integrierten Bestandteil der angebotenen Solution dar und umfasst die Umsetzung und die Einbettung des Produkt-Leistungsbündels in das System des Kunden.318 Häufig erfordert die konkrete Situation, dass der Solution Seller mit anderen Unternehmen innerhalb eines Netzwerkes kooperiert, um ein für den Kunden optimales Ergebnis sicherzustellen.319 Übertragen auf den Untersuchungsgegenstand kann der Handelsmarkenhersteller z. B. Dienstleister für die Verpackungsgestaltung oder die Transportund Lieferlogistik hinzuziehen. Für besonders komplexe Lösungsangebote ist die
311
Vgl.Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 6; Weis (2000), S. 209-210.
312
Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 13.
313
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 12-13.
314
Vgl. Bennett/Sharma/Tipping (2001), S. 4; Windahl et al. (2004), S. 220-221; Vandermerwe (2000), S. 28.
315
Vgl. Johansson/Krishnamurhty/Schlissberg (2003), S. 120.
316
Vgl. zum Wissensmanagement in Netzwerken ausführlich Blaich (2004); Ritsch (2005) und mit Handelsbezug Ahlert/Blaich (2004); Ahlert et al. (2005a).
317
Vgl. Davies/Brady/Hobday (2006), S. 46-47.
318
Vgl. Ahlert/Kawohl (2008), S. 17.
319
Vgl. Prahalad (2004), S. 23.
Konzept des Solution Selling
59
Implementierung durch Schulungen und unterstützende Informationen zu ergänzen.320 Zwischen dem Anbieter und dem Kunden ist im Rahmen des Solution Selling die Verkaufsbeziehung nicht auf die einzelne Transaktion beschränkt, sondern im Sinne einer Nachsorge findet eine ständige Begleitung und Anpassung der implementierten Lösung statt.321 Bestandteil dieser After-Sales-Services ist zudem die Entwicklung neuer Lösungselemente, die aufgrund sich wandelnder Anforderungen des Kunden in die bestehende Solution integriert werden.322 Diese Kundenunterstützung im Anschluss an die Implementierung ist von wesentlicher Bedeutung für den Fortbestand der Anbieter-Kundenbeziehung und somit ein entscheidender Bestandteil des Solution Selling.323 Die Risiken des Lösungsprozesses werden unter Umständen vom Anbieter mitgetragen, falls im Angebot avisierte Ziele nicht erreicht werden. Eine Zielverfehlung würde sich negativ auf Folgeaufträge auswirken, so dass sowohl der Kunde als auch der Lösungsanbieter an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit interessiert sind, in der Wissen und Erfahrungen intensiv ausgetauscht werden.324 Die enge Kooperation von Anbieter und Kunde im Rahmen des Solution Selling stellt im Falle langfristiger Partnerschaften ein strategisches Unternehmensnetzwerk entlang der Wertschöpfungskette dar. Handelsmarkenhersteller, externe Dienstleister und Handelsunternehmen schließen sich mit zunehmender Komplexität des Handelsmarkenmanagements zu vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken zusammen, um Kernkompetenzen zu bündeln und Kosten einzusparen.
320
Vgl. Goffin (1999), S. 375; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 14; Willerding (1987), S. 26-30.
321
Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 12.
322
Vgl. Ahlert et al. (2008), S. 42; Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 15.
323
Vgl. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007), S. 15.
324
Vgl. Sharma/Lucier/Molloy (2002), S. 42.
60
4.
Kap. B
Vertikale Wertschöpfungsnetzwerke
In der Literatur existiert eine große Anzahl sowohl sozio-ökonomischer als auch wirtschaftswissenschaftlicher Publikationen zum Thema Netzwerke, in der unterschiedliche Phänomene unter diesem Begriff betrachtet werden.325 Ein Tatbestand, der die Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit des Netzwerkbegriffs verdeutlicht.326 Ein Netzwerk kann allgemein als eine Menge von Knoten definiert werden, die miteinander verbunden sind, wobei die einzelnen Akteure die Knoten darstellen, und Verbindungen die Beziehungen zwischen den Akteuren kennzeichnen.327 Im Mittelpunkt der Netzwerkforschung steht die Analyse sozialer Beziehungen zwischen Akteuren in Form von Individuen, Organisationseinheiten oder Unternehmen. Bei einem Netzwerk handelt es sich zunächst nur um ein methodisches Konstrukt, bei dem der Untersuchungsgegenstand in Abhängigkeit vom jeweiligen Analyseziel unterschiedlich definiert wird.328 Es können drei Analyseebenen für Netzwerke unterschieden werden: interpersonale, intraorganisatorische und interorganisatorische Netzwerke. Bei den interpersonalen Netzwerken handelt es sich um Interaktionsbeziehungen zwischen Individuen. Intraorganisatorische Netzwerke bestehen aus Verknüpfungen von Organisationseinheiten innerhalb eines Unternehmens. Die interorganisatorischen Netzwerke können hingegen als kooperative Beziehungen zwischen Unternehmen aufgefasst werden.329 Diesem Verständnis von Netzwerken als Gefüge zwischen Unternehmen unter Einbeziehung weiterer Akteure wird im Fortgang der Arbeit verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet. In der Literatur wird vielfach diskutiert, ob Netzwerke eine eigene spezifische Governanceform neben Markt und Unternehmen darstellen,330 oder ob es sich bei diesen um eine hybride Koordinationsform auf dem Kontinuum zwischen Markt und Unternehmen handelt. 331 Im Folgenden werden Netzwerke als interorganisationale Hybridformen zwischen Markt und Hierarchie betrachtet und ein transaktionstheoretisches Verständnis zugrunde gelegt. Neben den in einer güterspezifischen vertikalen Wertschöpfungskette verbundenen Akteuren (Zulieferer, Mitanbieter und Handelsunternehmen) können im interorganisatorischen Netzwerk auch Endkunden, Dienstleister, Wettbewerber, öffentliche Ein325
Vgl. Borchert (2001), S. 71; Sydow (1992), S. 75.
326
Vgl. Windeler (2001), S. 33.
327
Vgl. Brass et al. (2004), S. 795. AHLERT und EVANSCHITZKY drücken die Kernfrage der Netzwerkforschung wie folgt aus: „Wer tauscht was mit wem auf welche Art?“ (Ahlert/Evanschitzky (2003), S. 404).
328
Vgl. Sydow (1992), S. 75.
329
Vgl. Brass et al. (2004), S. 795-798; Sydow (1992), S. 75. Für einen umfassenden Überblick zwischenbetrieblicher Kooperationen vgl. auch Rupprecht-Däullary (1994).
330
Diese Ansicht vertreten z. B. Klein (1996); Teubner (1992); Thorelli (1986).
331
Vgl. z. B. Jarillo (1988); Snow/Miles/Coleman (1992); Sydow (1992); Williamson (1991).
61
Vertikale Wertschöpfungsnetzwerke
richtungen und Berater in die Leistungsprozesse einbezogen werden. Der vertikale Charakter der Netzwerke ist ein wesentlicher Bestandteil der vorliegenden Untersuchung, was durch den hier verwendeten Begriff des „Wertschöpfungsnetzwerkes“ zum Ausdruck kommt. Unter einem Wertschöpfungsnetzwerk wird in Anlehnung an VON STENGEL (1999) die Summe der strategischen Partnerschaften selbständiger Unternehmen in aufeinander folgenden Stufen der Wertschöpfungskette verstanden.332 Wertschöpfungsnetzwerke zeichnen sich durch den Leistungs- und Güterstrom entlang der Wertschöpfungskette sowie die Verantwortlichkeit für einen konkreten Prozess dieser Wertschöpfungskette aus. 333 Mögliche Akteure eines interorganisatorischen Wertschöpfungsnetzwerkes und deren Austauschbeziehungen sind in Abb. Abb. B-11 dargestellt.334
öffentliche Stellen Subventionen, polit. Unterstützung Medien
Mitanbieter komplementäre(s) Produkte/Know-how Lösung von Schnittstellenproblemen
Netzwerk-/ Systemführer
Berater/Agenturen innovative Konzepte Prozessoptimierung Dienstleistungen
Zulieferer (neuartige) Inputfaktoren aller Art
Endkunden Definition neuer Anforderungen
Forschungs- u. Ausbildungsinstitute Grundlagenwissen Nachwuchs
Wettbewerber Vorfeld-Entwicklungen bei Grundlagen Standards und Normen
Groß-/Händler Informationen über Konsumentenbedürfnisse
Abb. B-11: Mögliche Akteure innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerkes Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Borchert (2001), S. 76.
332
Vgl. von Stengel (1999), S. 18.
333
Vgl. Ritsch (2005), S. 28.
334
In Abb. B-11 wird beispielhaft der Netzwerkführer auf der Stufe des Herstellers abgebildet, um die vertikale Ausrichtung eines Wertschöpfungsnetzwerkes zu verdeutlichen. In praxi kann die Position des Netzwerkführers auch durch das Handels- oder Dienstleistungsunternehmen eingenommen werden (vgl. Borchert (2001), S. 75).
62
Kap. B
Mit dem Aufbau solcher interorganisatorischer Netzwerke werden insbesondere zwei Ziele verfolgt. Zum einen ermöglichen sie eine aufgrund ihrer Koordinationsform möglichst kostengünstige Durchführung von Transaktionen (Effizienz), zum anderen stiften sie durch den Austausch von Ressourcen einen möglichst hohen Nutzen beim Kunden (Effektivität). 335 Dieser Zweiklang ist eng verknüpft mit den Motiven der Netzwerkbildung. Nach SIEBERT (2006) üben vier Wettbewerbsfaktoren einen maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung von Unternehmensnetzwerken aus:336
Der starke Innovationswettbewerb (insbesondere in der Konsumgüterindustrie) erfordert die Bündelung von Kernkompetenzen unterschiedlicher Unternehmen.
Hohe Anforderungen an Produktentwicklungs- und Lieferprozesse führen zu einem zunehmenden Zeitwettbewerb.
Die Entwicklung und Herstellung qualitativ hochwertiger Produkte bedingen neue Anforderungen in Bezug auf den Qualitätswettbewerb.
Dem Kosten- und Preiswettbewerb begegnen Netzwerke mit der Möglichkeit zur Ausschöpfung von Einsparpotenzialen in der Beschaffung und Arbeitsteilung.
Im Falle des Handelsmarkenmanagements sind alle genannten Wettbewerbsfaktoren relevant. Der Innovationswettbewerb äußert sich – wie eingangs beschrieben – durch hohe Flopraten und niedrige Verweildauern neuer Produkte im Regal. Die Markenartikelhersteller bringen fortlaufend Innovationen auf den Markt, die Handelsunternehmen versuchen den zeitlichen Abstand der Nachahmung erfolgreicher Markeninnovationen zu minimieren. Im Bereich der Gestalt- und Pioniermarken besteht der Anspruch, eigene Innovationen zur Profilierung des Handelsunternehmens zu entwickeln. Dass mit dieser Bestrebung hohe Anforderungen an die Produktentwicklung sowie an die Lager- und Transportlogistik verbunden sind, führt zu einem starken Zeitwettbewerb sowohl unter den Handelsunternehmen als auch unter den Anbietern von Handelsmarken. Die Ausschreibungen der Handelsunternehmen zu Handelsmarkenentwicklungen sind zeitlich determiniert und wenige Monate können über den Erfolg oder Misserfolg der Produkte entscheiden. Nach Nahrungsmittelskandalen wie Schweinepest, Vogelgrippe, BSE und Gammelfleisch nimmt der Qualitätswettbewerb zunehmend eine entscheidende Rolle im Handelsmarkenmanagement von Lebensmitteln ein. Die Qualitätsanforderungen treffen jedoch gleichermaßen auf die Sicherheit und Funktionalität von Werkzeugen oder die Unbedenklichkeit von Textilien im Hinblick auf gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe, Kinderarbeit und Waschbeständigkeit zu. Die zahlreichen Testhefte und Verbrau335
Vgl. Evanschitzky (2003), S. 39.
336
Vgl. Siebert (2006), S. 8.
Vertikale Wertschöpfungsnetzwerke
63
chermagazine leisten der Sensibilisierung des Verbrauchers zusätzlichen Vorschub. Für Handelsunternehmen ist es dadurch immer wichtiger geworden, dass die von ihnen angebotenen Handelsmarken mit der Qualität der Herstellermarken mithalten können. Besonders stark ist dieser Qualitätswettbewerb zwischen den marktführenden Discount-Anbietern im LEH zu beobachten. Die größte Bedeutung erfährt im Handel der Kosten- und Preiswettbewerb sowohl auf Hersteller- als auch auf Handelsebene. Ein Überangebot an Handelsflächen, uneingeschränkte Mobilität und nahezu vollständige Preistransparenz durch die Verbreitung des Internets haben in allen Branchen zu erbitterten Preiskämpfen zwischen den Handelsunternehmen geführt. Dieser Preiswettbewerb wird an die Hersteller weitergegeben und führt zu einem Kostenwettbewerb auf allen Stufen der Wertschöpfungskette. Vorteile der Wertschöpfungsnetzwerke bestehen nach VON STENGEL (1999) unter anderem im breiten Informationsfluss in der Definitionsphase, der Konzentration auf eigene Wertschöpfungskompetenzen und in erhöhten Leistungsanreizen durch kurze Fristigkeiten der Vertragsbeziehungen. 337 Als weiteren Vorteil sieht er die umfassende Problemlösung für den Kunden, wodurch die enge Verknüpfung zum Konzept des Solution Selling deutlich wird. Neben den angeführten Vorteilen, die Unternehmensnetzwerke bieten, birgt diese Organisationsform auch systemimmanente Risiken, von denen SYDOW (2006) drei als besonders wichtig herausstellt:338
Unternehmensnetzwerke sind komplexe Gebilde und eine vollkommene Steuerung von zentraler Stelle aus ist nicht möglich. SYDOW bezeichnet dies als Risiko der partiellen Systembeherrschung.
Es besteht das Risiko des Kompetenzverlustes, wenn Aufgaben z. B. aus Kostengründen irreversibel oder nur schwer umkehrbar an Netzwerkpartner ausgelagert und somit eigene Kompetenzen langfristig geschmälert werden.
Machtungleichgewichte bedingen zudem das Risiko der Abhängigkeit, insbesondere der einseitigen Abhängigkeit. Eine gewisse gegenseitige Abhängigkeit ist für den Bestand des Unternehmensnetzwerkes hingegen eher zuträglich.
Inwieweit diese Risiken in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken zwischen Industrie und Handel eine Bedeutung haben, ist im Folgenden noch zu untersuchen. Es herrscht nun ein einheitliches Begriffsverständnis des Marken- und Handelsmarkenbegriffs und der möglichen in der Praxis anzutreffenden Markenverständnisse. zudem wurden die Ursprünge, Entwicklungen und Erscheinungsformen der Handels-
337
Vgl. von Stengel (1999), S. 67-69.
338
Vgl. Sydow (2006), S. 402-405.
64
Kap. B
marke in angemessener Ausführlichkeit dargelegt. Das Konzept des Solution Selling wurde ferner auf den Bereich des Handelsmarkenmanagements übertragen und um die vorstehenden Ausführungen zu vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken ergänzt. Der begriffliche Klärungsbedarf ist hiermit abgeschlossen. Es folgt die theoriegeleitete Dekonstruktion des Untersuchungsgegenstandes, die zunächst einer wissenschaftstheoretischen und methodologischen Einordung bedarf.
C.
Dekonstruktion – Theoretische und konzeptionelle Grundlagen der Arbeit „Die Aufgabe wissenschaftlicher Untersuchung ist, die Schleier zu lüften, die den Bereich […], den man untersuchen will, bedecken.“339
1.
Stand der Forschung im Kontext des Themas
„Kaum ein Gebiet der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur ist so faszinierend unübersichtlich und wenig erforscht wie das der Handelsmarken“340 konstatieren AHLERT und KENNING (2007) und beziehen diese Aussage explizit auf empirische Untersuchungen.341 Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend der Versuch unternommen, die vorhandenen Arbeiten in ihren Kernaussagen vorzustellen. Das internationale Schriftum zur Erforschung der Handelsmarken lässt sich dafür zweckmäßig in drei Grundrichtungen aufteilen.342 Der Literaturüberblick gliedert sich dementsprechend in Forschungen zur
Handelsmarke aus der Konsumentenperspektive,
Beziehung der Handelsmarke zur Herstellermarke und
Hersteller-Handels-Beziehung in Bezug auf Handelsmarken.
Ziel der Übersicht vorhandener Arbeiten ist zum einen die Abgrenzung der Forschungsfragen zum bisherigen Stand des wissenschaftlichen Schriftums. Zum anderen können mittels der kritischen Bestandsaufnahme Hinweise auf methodischoperationelle Defizite bisheriger Untersuchungen gewonnen werden. Neben den empirischen Untersuchungen sind zur Vollständigkeit auch konzeptionelle Zeitschriften339
Blumer (1979), S. 53.
340
Ahlert/Kenning (2007), S. 147.
341
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 147.
342
In den Literaturüberblick werden ausschließlich hochrangige Zeitschriftenaufsätze einbezogen. Ausgangsbasis dafür stellt das Ranking betriebswirtschaftlicher Zeitschriften des Verbandes deutscher Hochschullehrer für Betriebswirtschaft von 2008 dar. Alle dort mit „C“ oder besser bewerteten Zeitschriften sind Teil der Analyse. Ausnahmen sind das Journal of Consumer Affairs, der (MIT) Sloan Management Review und das International Journal of Retail & Distribution Management, die im Ranking von 2003 als „B“ eingestuft sind und nach dem Ranking 2008 als „D“ geführt werden. Von den ersten beiden Zeitschriften werden jeweils ein und von letzterer insgesamt fünf Artikel in die Analyse einbezogen.
66
Kap. C
aufsätze in den Übersichten aufgeführt. Die deutsche Literatur wird nicht berücksichtigt, da es sich zum Großteil um Lehrbücher, Beiträge in Herausgeberbänden und Dissertationen handelt.343 Im konzeptionellen Teil dieser Arbeit werden diese Schriften hingegen explizit und intensiv herangezogen, da viele Aussagen zum Handelsmarkenmanagement landesspezifisch sind und sich die gewünschte Praxistauglichkeit der Arbeit nicht durch Beschränkung auf internationales Schrifttum herstellen lässt. Explizit hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Arbeit von DUMKE (1996), an dessen Konzeption das Kapitel zum Prozess des Handelsmarkenmanagements angelehnt ist. 1.1
Forschungen zur Handelsmarke aus der Konsumentenperspektive
Die vorliegende Arbeit beschränkt sich zwar auf die Untersuchung der Handelsmarke aus Sicht der an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen, für die Strategiefindung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements ist die Berücksichtigung der Konsumentenperspektive jedoch unerlässlich. Aus diesem Grund werden zunächst die Forschungsarbeiten vorgestellt, in denen die Einstellung gegenüber Handelsmarken und das handelsmarkenspezifische Verhalten der Konsumenten im Vordergrund stehen. Im Jahr 1998 bezeichnen HANSEN und SKYTTE das Forschungsdefizit der Kaufverhaltensforschung für Handelsmarken als „[…] frustrating to witness, that virtually nothing is known about the buying of own-labels”.344 Dieser Aussage kann nur teilweise zugestimmt werden, denn mit dem verstärkten Aufkommen von Handelsmarken in den 1970er Jahren beschäftigt sich auch die Wissenschaft mit diesem Thema. Wie in Tab. C-1 dargestellt, sind die ersten zwei Jahrzehnte der Kaufverhaltensforschung in Bezug auf Handelsmarken durch Konsumentenbefragungen geprägt.345 In der jüngeren Literatur werden zudem Experimente und die Analyse von Beobachtungsdaten zur Erforschung des Kaufverhaltens von Handelsmarken eingesetzt. Der Tabelle ist zu entnehmen, dass sich zahlreiche Arbeiten mit der Qualitätswahrnehmung von Handelsmarken und den Einflussfaktoren der Einstellung gegenüber Handelsmarken befassen. Auffällig ist zudem, dass fast alle empirischen Studien in der Lebensmittelbranche durchgeführt werden. Eine Erklärung hierfür ist das weitgehend transparente und objektive Datenmaterial, das Marktforschungsunternehmen wie AC Nielsen, der GfK und IRI erheben und bereitstellen.
343
Im deutschen Schrifttum existieren nur wenige Aufsätze zum Thema Handelsmarken. Darunter sind einige im Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung (vgl. Bauer/Görtz/Strecker (2005); Lingenfelder/Dann (1997); Ohlwein/Schiele (1995); Walsh (2002); Wildner (2003)) sowie ein Beitrag in der Marketing Review St. Gallen (vgl. Olbrich/Grewe (2008)).
344
Hansen/Skytte (1998), S. 296.
345
Dies trifft mit Ausnahme der Untersuchung von RAO (1969) gleichermaßen auf einen Großteil der hier nicht aufgeführten Aufsätze weniger renommierter Zeitschriften zu.
67
Stand der Forschung im Kontext des Themas
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Myers (1967)
MYERS identifiziert und testet Marktsegmentierungskriterien anhand von Einstellungsmerkmalen ggü. Handelsmarken.
Befragung
Rao (1969)
RAO untersucht Charakteristika des Handelsmarkenkaufes am Beispiel von Kaffee.
Beobachtungsdaten
Coe (1971)
Die Autorin untersucht einkommensabhängige Unterschiede in der Einstellung von Konsumenten ggü. Handelsmarken.
Befragung
Muse/Hartung (1973)
MUSE und HARTUNG untersuchen die Konsumentenwahrnehmung sog. „Dual-Brands“, die sowohl Befragung den Hersteller- als auch den Handelsmarkennamen tragen.
Bettman (1974)
Der Autor analysiert affektive Einflussfaktoren auf das Kaufverhalten von Handelmarken.
Befragung
Murphy/Laczniak (1979)
Die Studie untersucht das Kaufverhalten von Gattungsmarken. Diese werden gegenüber Markenartikeln u. a. günstiger und in der Qualität in etwa gleich eingeschätzt.
Befragung
Bellizzi et al. (1981)
Die Autoren identifizieren Unterschiede in der Wahrnehmung von Markenartikeln, Gattungsmarken und anderen Handelmarken.
Befragung
Cunningham/ Hardy/ Imperia (1982)
CUNNIGHAM et al. erheben die Präferenzeinstellungen und Wahrnehmungen der Konsumenten von Gattungsmarken, anderen Handelsmarken und Herstellermarken.
Befragung
McGoldrick (1984)
MCGOLDRICK untersucht in seiner Studie ebenso wie MURPHY und LACZNIAK das Kaufverhalten von Gattungsmarken.
Befragung
Rosen (1984)
Der Autor untersucht die wahrgenommene Qualität von Handelsmarken und stellt eine starke Abhängigkeit von der Warenkategorie fest.
Befragung
Die Autoren untersuchen Auswirkungen der PreisKamakura/Russell und Kreuzpreiselastizitäten auf das Switching(1989) Behavior in Bezug auf Hersteller- und Handelsmarken. (Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
Beobachtungsdaten
68
Kap. C
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Omar (1994)
OMAR untersucht die Preis- und Qualitätswahrnehmung von Handelsmarken aus Sicht der Konsumenten.
Experiment
Richardson/ Dick/Jain (1994)
RICHARDSON et al. untersuchen die relative Wichtigkeit extrinsischer und intrinsischer Einflussfaktoren der wahrgenommenen Handelsmarkenqualität.
Experiment
Abe (1995)
ABE kommt zu dem Ergebnis, dass ein Markenartikler umso mehr Werbung machen sollte, je größer der Qualitätsunterschied zwischen Handelsmarke und Herstellermarke ist.
Experiment
Jones/Mustiful (1996)
Die Autoren untersuchen die Abhängigkeit des Einkommens von der Preiselastizität der Nachfrage von Marken und Handelsmarken.
Beobachtungsdaten
Mandrik (1996)
MANDRIK entwickelt ein Modell zur Erklärung des Wahlverhaltens zwischen Markenartikeln und Handelsmarken.
(konzeptionell)
Richardson/ Jain/Dick (1996)
Die Autoren identifizieren Erfahrung mit Handelsmarken und extrinsische Merkmale, wie Preis, Markenname und Verpackung, als kritische Einflussfaktoren der Neigung, Handelsmarken zu kaufen.
Befragung
Baltas/Doyle (1997)
BALTAS und DOYLE entwickeln und überprüfen ein Nested-Logit-Modell des Wahlverhaltens zwischen Handels- und Herstellermarken.
Experiment
Burton et al. (1998)
Ergebnis der Studie von BURTON et al. ist eine Skala zur Messung der Konsumenteneinstellung ggü. Handelsmarken.
Befragung
Davies (1998)
In einer zweigeteilten Studie untersucht DAVIES, wie Me-too-Handelsmarken Markenartikel möglichst genau kopieren, um von deren Markenidentität zu profitieren.
Experiment und Befragung
Grewal et al. (1998)
Die Autoren untersuchen, welchen Einfluss Sonderangebote sowie Markennamen von Produkten und Geschäftsstätten auf die Einstellung von Konsumenten und deren Kaufhalten haben.
Experiment
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
69
Stand der Forschung im Kontext des Themas
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Sinha/Batra (1999)
SINHA und BATRA untersuchen den Einfluss der Preiswahrnehmung auf den Kauf von Handelsmarken und wie diese entsteht.
Befragung
Ailawadi/Neslin/ Gedenk (2001)
Die Autoren identifizieren psychografische und demografische Merkmale, die die Handelsmarkenaffinität beeinflussen.
Befragung
DelVecchio (2001)
Die Studie untersucht, welche Warengruppencharakteristika und Konsumentenheuristiken die Wahrnehmung der Handelsmarkenqualität beeinflussen.
Befragung
Semeijn/van Riel/Ambrosini (2004)
SEMEIJN et al. untersuchen Verbundeffekte von Händler- und Produkteigenschaften auf die Einstellung gegenüber Handelsmarken.
Befragung
Sprott/Shimp (2004)
SPROTT und SCHIMP kommen zu dem Ergebnis, dass die wahrgenommene Qualität von Handelsmarken positiv durch Produktverkostungen beeinflusst wird.
Experiment
Grunert et al. (2006)
Die Autoren analysieren, welchen Einfluss de Handelsmarkenanteil, sowie Qualität und Herausstellung von Handelsmarken auf die Kaufentscheidung haben.
Befragung
Vahie/Paswan (2006)
Die Qualität der Verkaufsstelle und die dort vorhandene Einkaufsatmosphäre haben nach der Studie von VAHIE und PASWAN einen positiven Einfluss auf die wahrgenommene Handelsmarkenqualität.
Befragung
Lamey et al. (2007)
LAMEY et al. untersuchen den Einfluss von Konjunkturzyklen auf den Handelsmarkenanteil und dessen Entwicklung.
Beobachtungsdaten
Ailawadi/ Pauwels/ Steenkamp (2008)
Ein höherer Handelsmarkenanteil führt laut der Studie von AILAWADI et al. zu einem höheren Anteil am Kundenbudget; die Konsumenten sind nicht ggü. dem Handelsunternehmen loyal, sondern nur ggü. dessen günstigen Preisen.
Befragungsund Beobachtungsdaten
Lee/Hyman (2008)
LEE und HYMAN untersuchen die Kongruenz „hedonistischer“ und funktionsorientierter Handelsmarken bzw. Verkaufsstellen.
Befragung
Tab. C-1: Forschungsarbeiten zur Handelsmarke aus der Konsumentenperspektive Quelle:
Eigene Zusammenstellung.
70
1.2
Kap. C
Forschungen zur Beziehung zwischen Handelsmarke und Herstellermarke
Ein weiterer Teil des wissenschaftlichen Schrifttums zu Handelsmarken befasst sich mit der Frage, in welcher Weise Handelsmarken und Markenartikel in den Verkaufsstellen, die beides anbieten, interagieren. Hier sind zwei dominante Strömungen zu beobachten. Eine Vielzahl der empirischen und konzeptionellen Arbeiten befasst sich mit der Preisstellung von Handelsmarken, Kreuzpreiselastizitäten von Hersteller- und Handelsmarken und anderen preispolitischen Fragestellungen. Ein weiterer Schwerpunkt ist in der Erforschung der Einflüsse kommunikationspolitischer Maßnahmen zu sehen. Die empirischen Untersuchungen greifen fast ausschließlich auf Beobachtungsdaten in Form von Scannerdaten zurück. Auffällig ist zudem, dass auch hier fast alle empirischen Studien in der Lebensmittelbranche durchgeführt werden. Die Studien zur Erforschung der Beziehung zwischen Handelsmarke und Herstellermarke sind in Tab. C-2 dargestellt.
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Call (1967)
Der Autor untersucht, in welchen Kategorien verstärkt Handelsmarken angeboten werden.
Beobachtungsdaten
Kinberg/Rao/ Shakun (1974)
KINDBERG et al. konzipieren ein Modell zur Erklärung von Marktanteilsveränderungen der Handelsmarken durch zeitlich begrenzte Preisreduzierungen von Markenartikeln.
(konzeptionell)
Little/Shapiro (1980)
LITTLE und SHAPIRO entwickeln eine Theorie zur Preisstellung von Gattungsmarken in Supermärkten.
(konzeptionell)
Rao (1991)
Der Autor stellt ein Modell zur Erklärung der Promotionsaktivitäten eines Markenartiklers im Duopol auf, der dem Wettbewerb mit einer Handelsmarke ausgesetzt ist.
(konzeptionell)
Connor/Peterson (1992)
In dieser Studie identifizieren CONNOR und PETERSON Werbeintensität, Nachfrageelastizität und Konzentrationsgrad als die drei wesentlichen Einflüsse auf die „price-cost-margin“.346
Beobachtungsdaten
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
346
„Price-cost-margins“ setzten die Abweichung der Preise von den Grenzkosten ins Verhältnis zu den Preisen; deren Wert liegt zwischen Null und Eins.
71
Stand der Forschung im Kontext des Themas
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Raju/ Sethuraman/ Dhar (1995)
Die Einführung einer Handelsmarke ist laut der Studie von RAJU et al. dann profitabel, wenn die Kreuzpreiselastizität ggü. den Markenartikeln niedrig und unter den Markenartikeln hoch ist.
Beobachtungsdaten
Sethuraman (1995)
In einer Metastudie untersucht SETHURAMAN den Einfluss von Preisreduzierungen von Markenartikeln auf den Absatz von Handelsmarken.
Beobachtungsdaten
Sivakumar (1995)
SIVAKUMAR entwickelt ein Wettbewerbsmodell für Produkte unterschiedlicher Qualitätsstufen und leitet daraus Implikationen für die Preispolitik ab.
(konzeptionell)
Bronnenberg/ Wathieu (1996)
Die Autoren untersuchen den Effekt der Markenpositionierung auf die Werbewirkungsasymmetrie zwischen Handelsmarken und Herstellermarken.
Beobachtungsdaten
Dhar/Hoch (1997)
Der Handelsmarkenerfolg ist gemäß der Studie von DHAR et al. unter anderem abhängig von der Qualität und der Sortimentsbreite der Handelsmarken, der Unternehmensmarke und dem Angebot einer Premiumhandelsmarke.
Beobachtungsdaten
Parker/Kim (1997)
PARKER und KIM kommen zu dem Schluss, das Hersteller von stark beworbenen Markenartikeln nicht mit Preissenkungen auf wachsende Handelsmarkenanteile reagieren sollten.
Beobachtungsdaten und Experteninterviews
Ashley (1998)
Die Autoren untersuchen mögliche Kommunikationswege, mit denen Markenartikler auf das Handelsmarkenwachstum reagieren können.
Metastudie
Putsis/Dhar (1998)
PUTSIS und DHAR kommen zu dem Ergebnis, dass es kein konsistentes Modell für die Erklärung des Wettbewerbs zwischen Marken und Handelsmarken innerhalb von Warenkategorien gibt.
Beobachtungsdaten
Horowitz (2000)
HOROWITZ betrachtet die Einführung einer Handelsmarke in eine neue Kategorie anhand des Optionspreis-Modells.
(konzeptionell)
Hoch/Banerji (1993)
DHAR und BANERJI untersuchen die Determinanten der Eignung von Handelsmarken für bestimmte Warenkategorien.
Beobachtungsdaten
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
72
Kap. C
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Raju/ Sethuraman/ Dhar (1995)
Die Einführung einer Handelsmarke ist laut der Studie von RAJU et al. dann profitabel, wenn die Kreuzpreiselastizität ggü. den Markenartikeln niedrig und unter den Markenartikeln hoch ist.
Beobachtungsdaten
Sethuraman (1995)
In einer Metastudie untersucht SETHURAMAN den Einfluss von Preisreduzierungen von Markenartikeln auf den Absatz von Handelsmarken.
Beobachtungsdaten
Sivakumar (1995)
SIVAKUMAR entwickelt ein Wettbewerbsmodell für Produkte unterschiedlicher Qualitätsstufen und leitet daraus Implikationen für die Preispolitik ab.
(konzeptionell)
Bronnenberg/ Wathieu (1996)
Die Autoren untersuchen den Effekt der Markenpositionierung auf die Werbewirkungsasymmetrie zwischen Handelsmarken und Herstellermarken.
Beobachtungsdaten
Dhar/Hoch (1997)
Der Handelsmarkenerfolg ist gemäß der Studie von DHAR et al. unter anderem abhängig von der Qualität und der Sortimentsbreite der Handelsmarken, der Unternehmensmarke und dem Angebot einer Premiumhandelsmarke.
Beobachtungsdaten
Parker/Kim (1997)
PARKER und KIM kommen zu dem Schluss, das Hersteller von stark beworbenen Markenartikeln nicht mit Preissenkungen auf wachsende Handelsmarkenanteile reagieren sollten.
Beobachtungsdaten und Experteninterviews
Ashley (1998)
Die Autoren untersuchen mögliche Kommunikationswege, mit denen Markenartikler auf das Handelsmarkenwachstum reagieren können.
Metastudie
Putsis/Dhar (1998)
PUTSIS und DHAR kommen zu dem Ergebnis, dass es kein konsistentes Modell für die Erklärung des Wettbewerbs zwischen Marken und Handelsmarken innerhalb von Warenkategorien gibt.
Beobachtungsdaten
Horowitz (2000)
HOROWITZ betrachtet die Einführung einer Handelsmarke in eine neue Kategorie anhand des Optionspreis-Modells.
(konzeptionell)
Cotterill/Putsis (2001)
Die Autoren entwickeln, gestützt durch eine Längsschnittanalyse, ein Modell zur Erfassung von horizontalen und vertikalen Interaktionseffekten zwischen Handels- und Herstellermarken.
Beobachtungsdaten
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
73
Stand der Forschung im Kontext des Themas
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Putsis/Dhar (2001)
Die Autoren untersuchen die Determinanten der Gesamtkosten einer Warenkategorie aus Handelssicht zur Erklärung der Marktinteraktionen von Marken und Handelsmarken.
Beobachtungsdaten
Sayman/Hoch/ Raju (2002)
SAYMAN et al. untersuchen in drei Studien die Positionierung von Handelsmarken unter verschiedenen Wettbewerbsbedingungen.
Beobachtungsdaten
Ailawadi/Harlam Bari (2004)
Die Deckungsspannen sind laut dieser Studie für Handelsmarken prozentual höher und ermöglichen mit wachsendem Handelsmarkenanteil höhere Herstellermargen durchzusetzen.
Beobachtungsdaten
Sayman/Raju (2004)
SAYMAN und RAJU eruieren konzeptionell und anhand von Beobachtungsdaten Eigenschaften von Warenkategorien, die die Anzahl der innerhalb der Kategorien angebotenen Handelsmarken erklären.
Beobachtungsdaten
Wedel/Zhang (2004)
Die Autoren untersuchen den (Preis-) Wettbewerb von Marken und Handelsmarken innerhalb und zwischen Unterkategorien von Warengruppen.
Beobachtungsdaten
Nogales/Suarez (2005)
In einer Fallstudie untersuchen NOGALES und SUAREZ den Stellenwert von Handelsmarken im Rahmen des Regalplatzmanagements.
Beobachtungsdaten
Choi/Coughlan (2006)
Eine hochwertige Handelsmarke sollte sich gemäß der Studie von CHOI und COUGHLAN an hochwertigen Markenartikeln orientieren, eine weniger hochwertige dementsprechend an weniger hochwertigen Markenartikeln.
(konzeptionell)
Soberman/ Parker (2006)
SOBERMAN und PARKER kommen zu dem Schluss, dass die Einführung einer qualitativ hochwertigen Handelsmarke zu höheren Durchschnittspreisen innerhalb der Kategorie führt, wenn sowohl Markenhersteller als auch der Händler über bedeutende Marktmacht verfügen.
(konzeptionell)
Amrouche/ Zaccour (2007)
AMROUCHE und ZACCOUR untersuchen die Allokation der Regalfläche in Abhängigkeit von der Qualität Experiment (Markenwert, Preisstellung, Austauschbarkeit) der Handelsmarken.
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
74
Kap. C
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Gabrielsen/ Sørgard (2007)
Die Autoren untersuchen, wovon die Einführung einer Gattungsmarke in bestimmte Warenkategorien abhängt und welche Folgen sie hat.
(konzeptionell)
Gómez/Rao/ McLaughlin (2007)
GÓMEZ et al. untersuchen Determinanten auf die Allokation der Handelskommunikationsbudgets. Eine davon ist ein hoher Handelsmarkenanteil.
Beobachtungsdaten
Huang/Jones/ Hahn (2007)
Die Autoren untersuchen Preiselastizitäten von Handels- und Herstellermarken und kommen zu dem Ergebnis, dass Geringverdiener preissensitiver sind und hohe Preislücken zu weiterem Handelsmarkenwachstum führen.
Beobachtungsdaten
Amrouche/MartínHerrán/Zaccour (2008)
Die Autoren untersuchen Preissensitivitäten in einem STACKELBERG-Äquilibrium einer Handels- und einer Herstellermarke.
(konzeptionell)
Tab. C-2: Forschungsarbeiten zur Beziehung zwischen der Handelsmarke und der Herstellermarke Quelle:
1.3
Eigene Zusammenstellung.
Forschungen zur Hersteller-Handels-Beziehung in Bezug auf Handelsmarken
Bereits 1967, d. h. noch vor der hohen Bedeutung der Handelsmarken in der Praxis,347 befassen sich KAVEN und CALL in ihrer konzeptionellen Arbeit mit Handelsmarken und deren Einfluss auf die Hersteller-Handels-Beziehung. 348 Hersteller haben ihren Ausführungen nach grundsätzlich drei Möglichkeiten, auf die Einführung von Handelsmarken zu reagieren. Sie stellen die Belieferung von Handelsunternehmen, die Handelsmarken führen, ein349 sie produzieren für die Handelsunternehmen zusätzlich auch Handelsmarken oder sie verstärken die Kommunikationsmaßnahmen für ihre Markenartikel. Herstellern, denen diese Optionen nicht offen stehen, empfehlen die Autoren als Ausweichstrategien Spezialisierung, Sortimentserweiterung, Vorwärtsintegration oder einen Zusammenschluss mit anderen Markenartikelherstellern. Es folgt ein zeitlicher Sprung von nahezu 30 Jahren „Forschungsabstinenz“. Erst seit Mitte der 1990er Jahren sind wieder verstärkt hochrangige Zeitschriftenaufsätze ver-
347
Zur historischen Entwicklung der Handelsmarken vgl. Kap. B.2.
348
Vgl. hier und im Folgenden Kaven/Call (1967).
349
Dies ist heute aufgrund des Diskriminierungsverbotes in § 20 GWB und den damit verbundenen Unterlassungsansprüchen und Schadensersatzverpflichtungen in § 33 GWB eine rechtlich nicht durchsetzbare Strategie.
75
Stand der Forschung im Kontext des Themas
öffentlicht worden, die sich mit der Beziehung von Hersteller- und Handelsunternehmen vor dem Hintergrund wachsender Handelsmarkenanteile befassen. Eine Erklärung hierfür ist der seit Anfang der 1990er Jahre in den Industrieländern stark steigende Anteil von Handelsmarken.350 Tab. C-3 zeigt eine Übersicht der wichtigsten Forschungsarbeiten und deren Kernergebnisse.
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Kaven/Call (1967)
Die Autoren erläutern in ihren konzeptionellen Ausführungen, wie Hersteller von Markenartikeln auf die Einführung von Handelsmarken reagieren können.
(konzeptionell)
Mills (1995)
Handelsmarken stellen gemäß der Studie von MILLS ein geeignetes Instrument des Händlers zur Erhöhung seiner Wertschöpfung und zur Förderung (konzeptionell) des Wettbewerbs unter den angebotenen Marken dar.
Krishnan/Soni (1997)
KRISHNAN und SONI entwickeln eine Konzeption zur Erklärung der Händlerübermacht im Lebensmitteleinzelhandel.
(konzeptionell)
Cavero/ Cebollada/ Salas (1998)
Die Autoren untersuchen Marken unterschiedlicher Qualität im gleichen Geschäft und Marken gleicher Qualität in unterschiedlichen Geschäften.
Beobachtungsdaten
Narasimhan/ Wilcox (1998)
Die Möglichkeit, durch Einführung einer Handelsmarke bessere Konditionen bei dem Markenhersteller durchzusetzen, ist laut der Studie von NARASIMHAN und WILCOX abhängig vom wahrgenommenen Risiko (Konsumentenbefragung) innerhalb einer Kategorie.
Befragung von Konsumenten und Experten
Kim/Parker (1999)
KIM und PARKER identifizieren in einer Längsschnittanalyse zwei ausgeprägte Käufersegmente, Markenfetischisten und Handelsmarkensucher, und leiten entsprechende Strategien für Handels- und Herstellerunternehmen ab.
Beobachtungsdaten und Experteninterviews
Cotterill/Putsis/ Dhar (2000)
COTTERILL et al. untersuchen den Einflusses von Preis- und Werbeentscheidungen der Händler und Hersteller auf den Marktpreis und Marktanteil von Hersteller- und Handelsmarken.
Beobachtungsdaten
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
350
In Deutschland bspw. stieg der kumulierte Handelsmarkenanteil von unter 20 % zu Beginn der 1990er Jahre auf über 35 % im Jahr 2005 an (vgl. Abb. B-5 auf S. 39).
76
Kap. C
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Dhar/Hoch/Kumar (2001)
Die Autoren identifizieren die Handelsmarkenstrategie, die Sortimentsbreite, Dauerniedrigpreise und Verkaufsförderungen als Haupteinflussfaktoren eines effizienten Category Managements.
Beobachtungsdaten
Chintagunta/ Bonfrer/Song (2002)
Die Studie untersucht den Einfluss einer Handelsmarkeneinführung auf die Beziehung des Händlers mit dem Markenartikler der jeweiligen Kategorie und die Veränderung der Preiselastizitäten auf der Nachfrageseite.
Beobachtungsdaten
Verhoef/Nijssen/ Sloot (2002)
VERHOEF et al. eruieren effektive Strategien von Markenartikelherstellern gegenüber Handelsmarken z. B. durch Innovationen oder Stärkung des Markenimages.
Experteninterviews und Befragung
Jonas/Roosen (2005)
Die Autoren befragen Hersteller und Händler zu Premiumhandelsmarken im Bereich Bio-Lebensmittel.
Befragung
Verhoef/Nijssen/ Sloot (2002)
VERHOEF et al. eruieren effektive Strategien von Markenartikelherstellern gegenüber Handelsmarken z. B. durch Innovationen oder Stärkung des Markenimages.
Experteninterviews und Befragung
Jonas/Roosen (2005)
Die Autoren befragen Hersteller und Händler zu Premiumhandelsmarken im Bereich Bio-Lebensmittel.
Befragung
Wu/Wang (2005)
WU und WANG entwickeln ein spieltheoretisches Modell zur Entscheidung, ob ein Markenhersteller (in einem Angebotsduopol) zusätzlich Handelsmarken produzieren soll.
(konzeptionell)
Karray/Zaccour (2006)
Die Autoren entwickeln eine Konzeption für kooperative Werbeformen als Maßnahme von Markenartikelherstellern gegen Handelsmarken.
(konzeptionell)
Villas-Boas (2007)
Anhand einer Längsschnittanalyse von Scannerdaten untersucht die Autorin die Beziehung von Markenartikel- und Handelsmarkenherstellern- und Handelsunternehmen.
Beobachtungsdaten
Amrouche/Zaccour (2009)
Die Autoren untersuchen, unter welchen Bedingungen es bezogen auf Handelsmarken für einen Markenartikelhersteller lohnenswert ist, Listungsgebühren für Regalfläche zu bezahlen.
(konzeptionell)
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
77
Stand der Forschung im Kontext des Themas
Autor(en), Jahr
Kurzbeschreibung / Kernergebnis
Art der Erhebung
Innes/Hamilton (2009)
INNES und HAMILTON entwickeln ein Modell, wie ein Hersteller eine beherrschende vertikale Machtstellung dazu nutzen kann, den Preis einer konkurrierenden Handelsmarke zu kontrollieren.
(konzeptionell)
Karray/MartínHerrán (2009)
Die Autoren stellen ein Modell vor, das die Abhängigkeit von Preis- und Kommunikationsentscheidungen mit der Art bzw. des Wirkungsgrades der Werbemaßnahmen erklärt.
(konzeptionell)
Tab. C-3: Forschungsarbeiten zur Hersteller-Handels-Beziehung in Bezug auf die Handelsmarke Quelle:
Eigene Zusammenstellung.
Die dargestellten empirischen Aufsätze konzentrieren sich erneut schwerpunktmäßig auf die Lebensmittelindustrie. Neben zahlreichen konzeptionellen Arbeiten existieren viele Untersuchungen, in denen die Autoren die Hersteller-Handels-Beziehung durch die Auswertung von Scanner-Daten analysieren. Zwei Aufsätze verwenden Expertenbefragungen als Erhebungsmethode und werden nachfolgend näher betrachtet. Im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit nutzen die Autoren die qualitative Forschung als Mixed-Methods-Ansatz zu konfirmatorischen Zwecken bzw. als ergänzende Vorstudie. KIM und PARKER (1999) führen anhand von Scanner-Daten eine 62-monatige Längsschnittanalyse in einer Getränkekategorie durch. 351 Sie finden z. B. heraus, dass Handelsunternehmen bei massiven Werbemaßnahmen von Markenherstellern mit Preiserhöhungen dieser Markenartikel reagieren sollten. Herstellern empfehlen sie, der Einführung von Handelsmarken nicht mit Preisreduzierungen ihrer Markenartikel zu begegnen. 352 Sie festigen ihre Ergebnisse anhand einiger Experteninterviews, ohne explizit auf das Vorgehen der qualitativen Studie einzugehen. VERHOEF et al. (2002) befragen als Vorstudie zehn Marketingleiter von Herstellern bekannter Markenartikel in leitfadengestützten Interviews zu ihren Strategien gegen die hohen Marktanteilsgewinne von Handelsmarken.353 Statt der Einführung eigener „Billigmarken“ oder extremer Niedrigpreise wählten die Hersteller – im Hinblick auf den Erhalt einer guten Beziehung zu den Handelsunternehmen – fast ausschließlich verstärkte Kommunikationsmaßnahmen und Investitionen in Innovationen, um die Qualität ihrer Produkte herauszustellen und zu verbessern.354 Hersteller, die zusätz351
Vgl. Kim/Parker (1999).
352
Vgl. hier und im Folgenden Kim/Parker (1999), S. 153-154.
353
Vgl. Verhoef/Nijssen/Sloot (2002).
354
Vgl. hier und im Folgenden Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1314.
78
Kap. C
lich Handelsmarken produzieren, nutzen dies nach eigenen Angaben als Instrument für die Verbesserung der Hersteller-Handels-Beziehung. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass qualitative Forschungsmethoden im internationalen Schrifttum zur Handelsmarkenforschung bis dato nur „stiefkindlich“ behandelt werden.355 Der Literaturüberblick verdeutlicht zudem, dass die erste dieser Arbeit zu Grunde liegende Forschungsfrage, wie sich das Handelsmarkenverständnis von Herstellern und Händlern in der Hersteller-Handels-Beziehung und im Prozess des Handelsmarkenmanagements äußert, im wissenschaftlichen Schrifttum bisher völlig unbeachtet geblieben ist. Die zweite Forschungsfrage, wie die Hersteller-Handels-Beziehung im Hinblick auf das Handelsmarkenmanagement effektiv ausgestaltet werden kann, wurde bisher nur unzureichend aus Sicht jeweils einer Wertschöpfungsstufe gestellt. Hier ist eine Synthese der Sichtweisen zu einer gemeinsamen Strategie im Sinne des Solution Selling angezeigt. Durch eine Auswertung von Scanner-Daten oder die Beschränkung auf konzeptionelle Überlegungen sind diese Forschungsfragen nicht zu beantworten. Befragungen und Experimente haben sich für die Erforschung des Konsumentenverhaltens als zweckmäßig erwiesen, scheiden hingegen für ein umfassendes Verständnis – vor allem unbekannter oder vertraulicher Bereiche – als Erhebungsmethode aus. Im Anschluss an diesen Forschungsüberblick sind daher Wege zu identifizieren, die Forschungsfragen auf andere Weise zu beantworten. Qualitative Marktforschung unter Einsatz von Experteninterviews erscheint aus den bereits genannten Gründen als Weg zur Lösung der Forschungsfragen sinnvoll. Dazu bedarf es jedoch zunächst einer wissenschaftstheoretischen und methodologischen Grundlegung.
355
Vgl. zur qualitativen Forschungsmethodik der vorliegenden Arbeit Kap. D.1.
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
2.
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
2.1
Wissenschaftstheoretische Einordnung der Arbeit
79
Das vorliegende Werk findet seine epistemologische Verankerung im interpretativkonstruktivistischen Paradigma.356 Als Begründer dieses Paradigmas gilt WILSON (1970), der sich vor allem auf die Methodologien des symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie beruft.357 Grundlegend für das interpretative Paradigma ist der Wechsel vom ontologischen Realismus zum ontologischen Relativismus, d. h. das Ablehnen einer vom Individuum unabhängigen, objektiven Wirklichkeit.358 Leitmotiv über die unterschiedlichen Auffassungen und Ansätze des interpretativen Paradigmas hinweg ist die Annahme, dass „Individuen entsprechend ihren Situationsdefinitionen handeln und damit das reale Vorliegen einer Situation eine nur untergeordnete Rolle spielt“.359 Die Forschungsperspektive des Paradigmas richtet sich damit an den Interaktionen von Individuen aus, um dadurch Interaktionsprozesse zu verdeutlichen und die durch Individuen konstruierte soziale Wirklichkeit nachzuvollziehen. Es steht somit dem positivistischen Paradigma der quantitativszientistischen Forschung, 360 die eine außerhalb der Interpretationen existierende objektive Realität unterstellt, diametral entgegen. 361 Vertreter der positivistischen Sichtweise akzeptieren ausschließlich Beobachtungen und Erfahrungen als Wissensquellen und bestehen auf eine quantitative Forschungsmethodik.362 Ebenso versteht auch der Postpositivismus Forschung als ein logisch-deduktives, konfirmatives Vorgehen, das aus bestehenden Theorien Hypothesen ableitet und diese anschließend mittels quantitativer Methoden überprüft.363 1985 entwickeln LINCOLN und GUBA unter dem Namen „naturalistic inquiry“ ein Paradigma,364 das unter dem Begriff des Konstruktivismus bekannt wird.365 Die Kons-
356
Im Folgenden wird verkürzt von dem „interpretativen Paradigma“ gesprochen.
357
Vgl. Wilson (1970).
358
Vgl. Guba/Lincoln (2000), S. 109.
359
Erzberger (1998), S. 37.
360
Szientismus bedeutet Wissenschaftsgläubigkeit und beschreibt den Vorbildcharakter der Naturwissenschaften für alle anderen Wissenschaften, wie es der Wiener Kreis postulierte (vgl. Kleining (2007), S. 192).
361
Vgl. Lamnek (2005), S. 35.
362
Vgl. Howe (1988), S. 13.
363
Vgl. Denzin/Lincoln (2000), S. 6 und Müller-Lankenau (2007), S. 90.
364
Vgl. Lincoln/Guba (1985). Zum Paradigmenbegriff vgl. auch Morgan (2007), S. 50-54.
365
Vgl. Morgan (2007), S. 57.
80
Kap. C
truktion von Begriffen und Wissen und deren Interpretation werden als einzig mögliche Zugänge zur Erfahrungswelt verstanden (siehe Abb. C-1).366
Konstruktion von Begriffen und Wissen
Erfahrungswelt natürliche und soziale Umwelt Ereignisse, Aktivitäten
Interpretation Verstehen Zuschreibung von Bedeutung
Abb. C-1: Konstruktion und Interpretation als Zugänge zur Erfahrungswelt Quelle:
Flick (2008a), S. 155.
Im Gegensatz zum (Post-)Positivismus können im Sinne des Konstruktivismus methaphysische Elemente wie menschliche Intentionen in der Forschung nicht eliminiert werden.367 Bereits 1971 konstatiert SCHÜTZ, dass Tatsachen erst über ihre Bedeutungen und Interpretationen Relevanz zugesprochen werden kann.368 Konstruktivistische Studien arbeiten daher zumeist mit qualitativen Forschungsmethoden und bedienen sich einer induktiven Vorgehensweise.369 Seinen erkenntnistheoretischen Hintergrund erfährt das interpretative Paradigma durch die Grundannahmen der Phänomenologie und der Hermeneutik.370 Die durch HUSSERL begründete Phänomenologie sieht den Ursprung der Erkenntnisgewinnung nur im unmittelbar Gegebenen.371 Nach HUSSERL kann nur eine phänomenologische Philosophie den Vorbedingungen einer strengen Wissenschaft genügen, da
366
Vgl. Flick (2008a), S. 151, der auf Piaget (1937) verweist.
367
Vgl. hier und im Folgenden Howe (1988), S. 13 sowie Müller-Lankenau (2007), S. 91. Vertiefend zu den Unterschieden zwischen Positivismus und Interpretativismus siehe auch Carson et al. (2001), S. 1-20.
368
Vgl. Schütz (1962), S. 5. Dieses Verständnis wird von Schmidt (1987) und von Glasersfeld (1992, 1996) zum radikalen Konstruktivismus weiterentwickelt.
369
Vgl. Creswell (2009), S. 8 und Müller-Lankenau (2007), S. 90.
370
Vgl. Lamnek (2005), S. 59.
371
Vgl. Husserl (1950). Vertiefende Ausführungen zur Phänomenologie finden sich außerdem bei Hitzler (2007); Hitzler/Eberle (2008); Ingarden/Haefliger/Fieguth (1992); Marx (1987) und Szilasi (1959).
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
81
eine naturalistische oder experimentelle Philosophie auf Vorurteilen und Existenzannahmen basiere und sich nicht an Objekten selbst orientiere.372 SCHÜTZ bedient sich der Idee HUSSERLS und überträgt sie auf die Sozialwissenschaften.373 Er legt hierfür die Definition der Soziologie von WEBER zu Grunde, der diese als eine Wissenschaft bezeichnet, „[…] die soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“374 Die Hermeneutik wird ursprünglich als die Lehre vom Auslegen, Deuten und Verstehen literarischer Werke, aber auch anderem Textmaterial und der mündlichen Rede verstanden.375 Hermeneutisches Verstehen bezieht sich außerdem auf das Erfassen menschlicher Verhaltensäußerungen. 376 Als Begründer eines übergeordneten Hermeneutik-Begriffs gelten SCHLEIERMACHER (1768-1834) 377 und DILTHEY (18331911)378, wenngleich sich die Ursprünge des Ansatzes bis in die Antike zurückverfolgen lassen.379 Das Ziel der Hermeneutik besteht in der Überwindung der Differenz zwischen dem Empfänger der Botschaft und dem vom Absender Gesagten. Zusammenfassend liegt dieser Arbeit erstens eine im Sinne des interpretativen Paradigmas konstitutive Ontologie zu Grunde, d. h. die Negation einer vom beobachteten Subjekt unabhängigen Welt. Zweitens wird Wirklichkeit durch sprachliche Interaktion konstruiert und kann phänomenologisch bzw. hermeneutisch ausgelegt werden. Die hier vorgestellten erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen dienen der vorliegenden Arbeit als Basis für die angewandten Methodologien und Methoden der qualitativen Sozialforschung, deren Einführung die folgenden Kapitel gewidmet sind.
372
Vgl. Husserl (1950).
373
Vgl. Schütz (1962) und Schütz/Luckmann (1979).
374
Weber (1922), S. 1.
375
Vgl. Lamnek (2005), S. 59. Vgl. ausführlich zur Hermeneutik Bühler (2008); Kurt (2004) und Seiffert (1992).
376
Vgl. Esser/Klenovits/Zehnpfennig (1977), S. 74.
377
Vgl. die gesammelten Schriften in Schleiermacher (1838).
378
Vgl. das Ursprungswerk von Dilthey (1900) sowie in den gesammelten Schriften Dilthey (1957), S. 317-338.
379
Der Gedanke der Hermeneutik als eine auslegende Instanz taucht bereits in der griechischen Mythologie in Gestalt des Götterboten Hermes auf, dessen Aufgabe der Prozess der Verständigung und des Verstehens ist (vgl. Mayring (2008a), S. 27).
82
Kap. C
2.2
Methodologische Einbettung in die qualitative Sozialforschung
2.2.1
Qualitative Sozialforschung
Parallel zur Pionierzeit der Feldforschung beginnt Mitte der 1920er Jahre die zügige Entwicklung der quantitativen Methoden.380 Mit dieser Evolution geht auch die Festlegung von Gütekriterien und Standards für sozialwissenschaftliche Forschung einher, 381 was einen starken Ansehensverlust der qualitativen Methoden im Stil der „Chicagoer Schule“ zur Folge hat.382 Die quantitativ-szientistisch geprägten Methoden gelten daher lange Zeit als Königsweg der empirischen Forschung, während den qualitativen Verfahren lediglich „ein Residualbereich an Forschungsaufgaben zugebilligt“383 wird. Eine „antipositivistische“ Wende hin zu interpretativen wissenschaftstheoretischen Ansätzen wird erst durch den großen Erfolg der qualitativen Methoden in der kommerziellen Markt- und Werbewirkungsforschung ausgelöst. In den 1950er Jahren ist die qualitative Forschung voll entwickelt, 384 allerdings werden in den 1970er bis 1990er Jahren in den Sozialwissenschaften viele kontroverse Diskussionen hinsichtlich der Überlegenheit des Positivismus gegenüber dem Konstruktivismus und vice versa geführt.385 Quantitative Methoden werden mit einer Strategie der Hypothesenprüfung und qualitative Methoden ebenso fest mit der genau entgegengesetzten Strategie der Konstruktion von Theorie aus dem empirischen Material verbunden. HOWE (1988) prägt schließlich den Begriff der Inkompatibilitätsthese („incompatibility thesis“), die eine Vereinbarkeit qualitativer und quantitativer Forschung grundsätzlich ausschließt.386
380
Die Erfassung sozialwissenschaftlicher Sachverhalte mittels objektiver Messinstrumente wurde vor allem durch die Arbeiten von Guttman (1941), Likert (1932), Thorndike (1927) und Thurstone/Chave (1929) ermöglicht. Zur ausführlichen Chronologie der quantitativen Marktforschung siehe z. B. Kelle (2007), S. 26-32.
381
Beispiele hierfür sind die heute allgemein verbreiteten Begriffe „Validität“, „Reliabilität“, „Objektivität“ und „Repräsentativität“ (vgl. z. B. Kelle (2007), S. 28).
382
Zur Chicago School siehe Matthews (1977). Sie ist gekennzeichnet von soziologischer Feldforschung, Materialsammlung und teilnehmenden Beobachtungen. Qualitative Methoden haben zumeist einen entdeckenden Charakter und werden pragmatisch nach Maßgabe der Forschungsziele ausgewählt und oft mit quantitativen Methoden kombiniert. Als wichtiger Vertreter der Chicago School ist Georg Simmel zu nennen (vgl. Kleining (2007), S. 192).
383
Aschenbach/Billmann-Macheta/Zitterbarth (1985), S. 30. Vgl. auch Kepper (1996), S. 10.
384
Vgl. Kepper (1996), S. 8-9.
385
Vgl. Datta (1994); Gage (1989); Guba/Lincoln (2005); House (1994); Rossi (1994).
386
Vgl. Howe (1988), S. 10. Diese Sichtweise vertreten auch Guba (1987); Smith (1983b); Smith (1983a) und Smith/Heshusius (1986). Eine Abgrenzung zwischen qualitativer und quantitativer Forschung anhand der jeweiligen charakteristischen Merkmale findet sich bei Rüegg-Stürm (vgl. Rüegg-Stürm (2003), S. 23-25).
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
83
Das zentrale Prinzip qualitativer Forschung, das sich aus der Ablehnung einer Prädetermination durch den Interviewer ergibt, ist das Prinzip der Offenheit.387 Es besagt, dass „[…] die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes zurückgestellt wird, bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes durch die Forschungssubjekte herausgebildet hat“388. Die befragte Person hat im offenen Interview daher die Möglichkeit frei zu antworten und das zu formulieren, was ihr in Bezug auf das Thema bedeutsam erscheint.389 Das Prinzip der Offenheit bedingt demnach einen Verzicht auf ex ante gebildete Hypothesen.390 Ziel der Forschung ist nicht das „Messen“ festgelegter Inhalte, sondern das „Suchen“ nach relevanten Inhalten.391 Die zweite Maxime qualitativer Forschung bezieht sich auf die Kommunikativität.392 Deutungsmuster und Wirklichkeitsstrukturierungen werden dem Forscher erst durch Diskurs mit den Befragten oder durch teilnehmende Beobachtung dieses Diskurses zugänglich.393 Das Prinzip ergibt sich aus dem Umstand, dass bedeutungsstrukturierte Daten in der Regel nur durch das Eingehen einer Kommunikationsbeziehung mit den Forschungssubjekten gewonnen werden können.394 Den größten Kritikpunkt an der qualitativen Forschung stellt der Vorwurf der Subjektivität dar, da die Ergebnisse maßgeblich von der Intention und dem Erfahrungshorizont des Forschers beeinflusst werden können. 395 Dem halten Befürworter der qualitativen Forschung entgegen, dass die quantitativen Methoden nicht in der Lage seien menschliche Verhaltenswei-
387
Vgl. Kepper (1996), S. 23; Lamnek (2005), S. 348; Naderer (2007), S. 366; Wallace (1984), S. 184. Oder mit den Worten von Rubin und Rubin ausgedrückt: „Interviewing is about obtaining interviewees’ interpretation of their experiences and their understanding of the world in which they live and work.” (Rubin/Rubin (2005), S. 36).
388
Hoffmann-Riem (1980), S. 343.
389
Vgl. Mayring (2002), S. 66.
390
Vgl. Hoffmann-Riem (1980), S. 345.
391
Vgl. Gutjahr (1988), S. 218-219.
392
Vgl. Naderer (2007), S. 367. Kepper führt als drittes Hauptmerkmal die Typisierung an. Sie will damit zum Ausdruck bringen, dass bei qualitativer Forschung nicht das Streben nach statistisch repräsentativen Daten im Vordergrund steht, sondern der Versuch, eine Zuordnung der Untersuchungseinheiten zu aussagefähigen Kategorien vorzunehmen (vgl. Kepper (1996), S. 30-32).
393
Vgl. Lamnek (2005), S. 348-349.
394
Vgl. Hoffmann-Riem (1980), S. 347. Sie weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es in dieser Kommunikationsbeziehung unverzichtbar ist, das „kommunikative Regelsystem des Forschungssubjekts“ (Hoffmann-Riem (1980), S. 347) nicht zu beeinflussen; der Interviewer hat sich diesem anzupassen.
395
Vgl. Aaker/Kumar/Day (2004), S. 210. In der vorliegenden Arbeit werden, um diesem Vorwurf zu begegnen, verschiedene Gütekriterien qualitativer Forschung beachtet (vgl. Kap. C.2.3).
84
Kap. C
sen und komplexe Beziehungsnetzwerke ausreichend zu erklären und daher sinnlos und irrelevant seien („abstracted empiricism“).396 Heute existiert eine Vielfalt an Forschungsparadigmen, wobei noch immer die positivistisch und neo-positivistisch geprägten erkenntnistheoretischen Grundauffassungen dominieren.397 Die qualitative Sozialforschung hat in den vergangenen Jahrzehnten hingegen sowohl in der deutschsprachigen als auch in der angelsächsischen Literatur stark an Bedeutung zugenommen und weitgehend Anerkennung gefunden.398 Die Suche nach einer geeigneten Definition der qualitativen Forschung gestaltet sich dennoch schwierig, da im wissenschaftlichen Schrifttum nur diffuse oder unzureichende Begriffsabgrenzungen zu finden sind.399 Dies ist sowohl auf die Komplexität als auch auf die Heterogenität der ihr zuzuordnenden Ansichten zurückzuführen.400 Die drei Forschungsperspektiven der qualitativen Sozialforschung sind in Tab. C-4 dargestellt. In der vorliegenden Arbeit steht die Forschungsperspektive des sozialen Sinns im Vordergrund, da der Prozess des Handelsmarkenmanagements und die Interaktionsstrukturen zwischen Herstellern und Händlern untersucht werden. Methodologisch ist diese Forschungsperspektive im symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie verortet. Für die Erhebung werden u. a. problemzentrierte Interviews und Dokumentenanalysen vorgeschlagen. Die Auswertung erfolgt schließlich unter Anwendung der Grounded Theory in Form von Branchen-Fallstudien.401
396
Vgl. Kleining (2007), S. 197 mit Bezug auf Mills (1959); Weik/Lang R. (2001), S. 52. WILHELM VERSHOFEN, Markt- und Markenforscher der ersten Stunde und Mitbegründer der Gesellschaft für Konsumforschung, entgegnete einer Kritikerin der qualitativen Forschung, die ihm vorwarf, dass z. B. in der Chemie quantitative Daten aufschlussreicher seien als qualitative: „Das ist zweifellos richtig. Offenbar aber ist es ganz unmöglich, aus dieser Tatsache den Schluss zu ziehen, als müsse sie auch in der Markt- und Meinungsforschung ergiebiger sein“ (Vershofen (1959), S. 74). Und weiter schreibt er: „Unserem Erkenntnisdrang ist nicht selten schon dann genüge getan, wenn es gelingt, gewisse Phänomene als solche zu erkennen und sie in bestimmte Kategorien einzuordnen, womit der Ordnung, die der erkennende Geist erstrebt, und nicht zuletzt auch der praktischen Orientierung, weitgehend gedient ist“ (Vershofen (1959), S. 75).
397
Vgl. Schaller (2007), S. 85-86.
398
Vgl. Thurstone (1959), S. IX.
399
Vgl. die Definitionsansätze von Bellenger/Bernhardt/Goldstucker (1976), S. 2, Chisnall (1986), S. 146-147, Gordon/Langmaid (1988), S. 1, Sampson (1978), S. 25 und Wallace (1984), S. 181. Einige Autoren fordern aufgrund der Begriffsvielfalt die Abschaffung des Begriffs „qualitative research“ (vgl. Berth (1968); Haupt (1987), S. 63). Diese Auffassung teilt der Autor jedoch nicht.
400
Vgl. Kepper (1996), S. 5.
401
Vgl. dazu die Kapitel zur Grounded Theory (C.2.2.4) und zum methodischen Vorgehen (D.1).
85
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
subjektiver Sinn
sozialer Sinn
objektiver Sinn
Erkenntnisziel
Rekonstruktion subjektiver Sichtweisen
Beschreibung von Prozessen und Rekonstruktion von Interaktionsstrukturen
Analyse deutungsund handlungsgenerierender Strukturen
Methodologischer Rahmen
symbolischer Interaktionismus, Phänomenologie
symbolischer Interaktionismus, Ethnomethodologie
strukturgenetische Ansätze, objektive Hermeneutik
Erhebung
alle Arten offener Interviews
Leitfadeninterviews, Dokumentenanalyse, Beobachtungsmethoden
Interviews, Gruppendiskussion, Interaktionen, Dokumentenanalyse
Auswertung
qualitative Inhaltsanalyse, dialogische Hermeneutik
theoretisches Kodieren, Grounded Theory, Fallstudien
objektive Hermeneutik, Narrationsanalyse, Tiefenhermeneutik
Tab. C-4: Forschungsperspektiven in der qualitativen Sozialforschung Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Flick/v. Kardorff/Steinke (2008), S. 19; Lamnek (2005), S. 28-31; Mruck/Mey (2005), S. 7-8.
Die qualitative Forschung findet heute in zahlreichen Wissenschaften Anwendung, u. a. in den Sozialwissenschaften, der Psychologie, den Politik- und Medienwissenschaften sowie den Erziehungs- und Wirtschaftswissenschaften.402 Insbesondere in der Konsumentenverhaltensforschung ist eine Zunahme qualitativer Forschungsansätze zu erkennen, da die quantitativen Methoden das veränderte, heterogene Kaufverhalten der Konsumenten nicht mehr ausreichend erklären können.403 Gemäß der Methodologie der quantitativ-szientistischen Sozialforschung muss der gesamte Forschungsprozess – von der Datenerhebung bis zur Analyse und Interpretation der Ergebnisse – intersubjektiv nachzuprüfen sein. Diese normative Position, wonach „[…] das Streben nach interpersonaler Verbindlichkeit als einzige verlässliche Basis soziologischen Erkenntnisfortschritts“404 dient, hat auch auf das interpretative Paradigma starken Einfluss ausgeübt. Im Gegensatz zur quantitativen Sozialforschung setzt die intersubjektive Vorgehensweise in der qualitativen Sozialforschung jedoch zu einem anderen Zeitpunkt ein: „Die quantitative Sozialforschung verweist die Genese theoretischer Konzepte über Zusammenhänge in der sozialen Wirklichkeit in den Bereich der vorwissenschaftlichen 402
Vgl. Teas/Grapentine (1996), S. 995.
403
Vgl. Buber/Gadner/Ruso (2003), S. 163.
404
Hoffmann-Riem (1980), S. 339.
86
Kap. C
Forschung psychologisch orientierter Exploration, weil diese eben nicht dem Falsifikationsprinzip unterliegen könne, sich weiter einer interpersonalen Überprüfbarkeit widersetze und andere wissenschaftliche Standards nicht zur Verfügung gestellt würden. Das interpretative Paradigma sieht hingegen gerade die Genese von Theorien unter wissenschaftlicher Kontrolle als eines ihrer vornehmsten Ziele an.“405
Die Methodologie als Anwendungsfall der Wissenschaftstheorie legt die Bedingungen fest, unter welchen wissenschaftliche Erkenntnis möglich ist.406 Für die vorliegende Arbeit wird das Verfahren der Grounded Theory angewandt, das sich im symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie als wichtigste Ansätze des interpretativen Paradigmas begründet.407 2.2.2
Symbolischer Interaktionismus
Der Begriff des symbolischen Interaktionismus hat sich als Bezeichnung eines sozialwissenschaftlichen Ansatzes zur Analyse der menschlichen Interaktion und des menschlichen Verhaltens durchgesetzt. 408 Davon ausgehend, dass Personen handeln, indem sie sich und anderen die symbolische Bedeutung ihres Handelns anzeigen, ermöglicht der Symbolische Interaktionismus eine sozialisationstheoretisch begründete Analyse des Bedeutungsrahmens der z. B. in problemzentrierten Interviews wiedergegebene Inhalte. Die von BLUMER und MEAD begründete Schule des symbolischen Interaktionismus geht auf die vom Pragmatismus geprägte „Chicago School of Sociology“ zurück.409 Das Erkenntnisinteresse richtet sich vornehmlich auf den Prozess sozialer Interaktion zwischen Individuen und die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit durch die Handelnden.410 In ihrer kanonisierten Form liegen der Theorie des symbolischen Interaktionismus drei Prämissen zugrunde:411
405
Lamnek (2005), S. 347.
406
Vgl. Kleining (2007), S. 207.
407
Vgl. Mayring (2008a), S. 29; Reiger (2007), S. 152; Witzel (1982), S. 12.
408
Vgl. zur Übersicht Denzin (2008), S. 136-150 und Reiger (2007), S. 139-154.
409
Vgl. Blumer (1969); Blumer (1981a) und Mead/Morris/Pacher (1968). BLUMER war ein Schüler des Sozialpsychologen GEORGE H. MEAD und orientierte sich bei der Ausarbeitung des Symbolischen Interaktionismus vor allem an dessen Überlegungen zur Sozialisationstheorie (vgl. Mead/Morris/Pacher (1968)). Einen ebenfalls interaktionistisch geprägten Ansatz zur Untersuchung sozialwissenschaftlicher Phänomene wählten z. B. HOLSTEIN/GUBRIUM (2000) und MUSOLF (2003), S. 136.
410
Vgl. Reiger (2007), S. 141.
411
Vgl. Blumer (1981a) und Erzberger (1998), S. 40-41.
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
87
Menschen handeln gegenüber Dingen412 auf der Grundlage der Bedeutung, die sie diesen Dingen zuweisen.413
Die Bedeutungen der Dinge entstehen aus der sozialen Interaktion, die Individuen untereinander eingehen.414
Die Bedeutungen der Dinge werden in einem interpretativen Prozess, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den Dingen nutzt, verwendet und aktualisiert.415
BLUMER sieht die symbolische Interaktion als eine „Präsentation von Gesten und eine Reaktion auf die Bedeutung solcher Gesten“416 an. Die Bedeutung einer Geste weist dabei einen triadischen Charakter auf.417 Sie zeigt erstens an, wie die Person, an die die Geste gerichtet ist, handeln soll. Zweitens erteilt sie dem Empfänger der Geste Auskunft darüber, was der Interaktionspartner zu tun beabsichtigt. Drittens zeigt die Geste die gemeinsame Handlung an, die aus der Verbindung der Handlungen beider Personen hervorgehen soll. 418 Zur Ermöglichung eines gegenseitigen Verstehens, muss die Bedeutung der Geste für die Interaktionspartner annähernd gleich sein. Erst dann kann von symbolischer Interaktion gesprochen werden.419 Ein Beispiel im Hinblick auf das zu behandelnde Thema wäre die Bitte eines Handelsunternehmens an einen Handelsmarkenhersteller, ihm die Produktionsmöglichkeiten für ein neues Produkt unter Berücksichtigung bestimmter Spezifika mitzuteilen. Dies ist erstens ein Hinweis darauf, dass sich das Herstellerunternehmen über die Möglichkeiten zur Produktion des neuen Produktes äußern soll und welche Modifikationen gegebenenfalls vorzunehmen sind. Zweitens gibt die Anfrage Auskunft darüber, welches Vorgehen das Handelsunternehmen anstrebt, in diesem Fall die Einführung einer neuen Handelsmarke. Drittens zeigt die Anfrage eine mögliche Verbindung der Handlungen beider Interaktionspartner an. Kann das Herstellerunternehmen die gewünschten Spezifika erfüllen, kommt es zu Verhandlungen über den Produktionsauftrag und gegebenenfalls zu dessen Ausführung. 412
„Dinge“ umfassen im Verständnis des symbolischen Interaktionismus neben physischen Gegenständen auch andere Menschen, Institutionen, Handlungen anderer Personen oder Leitideale, wie z. B. Loyalität (vgl. Blumer (1981a), S. 81).
413
Vgl. Blumer (1969), S. 2 und Blumer (1981a), S. 81.
414
Vgl. Blumer (1969), S. 2 und Blumer (1981a), S. 81.
415
Vgl. Blumer (1981b), S. 153. Zum Postulat der gesellschaftlich konstruierten Wirklichkeit vgl. ausführlich Berger et al. (2007) und Luhmann (1997).
416
Blumer (1981b), S. 88.
417
Vgl. Blumer (1981b), S. 88-89 und ausführlich Mead/Morris/Pacher (1968); im englischen Original: Mead (1934).
418
Vgl. Reiger (2007), S. 142.
419
Vgl. Reiger (2007), S. 143.
88
Kap. C
Gemäß dem Symbolischen Interaktionismus ist es Aufgabe des Forschers, abstrakte Forschungsrätsel bezüglich einer empirisch zugänglichen Welt aufzustellen, die notwendigen Daten durch eine sorgfältige Prüfung dieser Welt zu sammeln und den Versuch zu unternehmen, Beziehungen zwischen Kategorien solcher Daten aufzudecken, über die wissenschaftliche Aussagen getroffen werden können.420 Die empirische Forschung ist aus Sicht des Symbolischen Interaktionismus als „[…] ein ständiger Prozess des Überprüfens, Adaptierens und Korrigierens von theoretischen Entwürfen und Daten zu verstehen, wobei die reale empirische Welt als Prüfinstanz fungiert“.421 Der empirische Forschungsprozess besteht laut BLUMER nach der „naturalistischen“ Methodologie des Symbolischen Interaktionismus422 im Wesentlichen aus zwei ineinander übergehenden Vorgehensweisen. 423 Die erste ist die Exploration, die der Informationsgewinnung und der Vertrautheit mit den spezifischen Gegebenheiten des Untersuchungsgegenstandes dient. Als zweite nennt BLUMER die Inspektion, unter der er die „[…] intensive, konzentrierte Prüfung des empirischen Gehalts aller beliebigen analytischen Elemente, die zum Zweck der Analyse benutzt werden, wie auch eine entsprechende Prüfung der empirischen Beschaffenheit der Beziehungen zwischen solchen Elementen“ zusammenfasst.424 Diesem methodologischen Grundgedanken wird im Fortgang der Arbeit gefolgt. 2.2.3
Ethnomethodologie
Anknüpfend an den Symbolischen Interaktionismus sowie die Konzeption des Alltagswissens von SCHÜTZ (1932) 425 begründete GARFINKEL (1967) die Ethnomethodologie. 426 Im Zentrum der Analyse stehen routinierte Handlungen, d. h. alltägliche, praktische Aktivitäten, die Individuen in der Gesellschaft ausüben sowie der Prozess des Hervorbringens dieser Handlungen.427 Neben der Entdeckung der Methoden, die die Individuen zur Konstruktion ihrer sozialen Wirklichkeit einsetzen, ist die Ethnomethodologie bestrebt, die Art der konstruierten sozialen Wirklichkeiten zu bestim-
420
Vgl. Lamnek (2005), S. 41.
421
Reiger (2007), S. 152.
422
Blumer (1981b), S. 47.
423
Vgl. Blumer (1981b), S. 122-126.
424
Blumer (1981a), S. 126.
425
Vgl. Schütz (1932).
426
Vgl. Garfinkel (1967). Vertiefende Ausführungen zur Ethnomethodologie finden sich bei Bergmann (2008); Eberle (2007); Francis/Hester (2004); Knorr-Cetina (1993); Patzelt (1987); Weingarten/Sack (1976) und Witzel (1982), S. 18-31.
427
Vgl. Erzberger (1998), S. 46.
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
89
men.428 Die Ethnomethodologie beruht auf drei methodologischen Analysedimensionen:429
Alle Handlungen der Interagierenden sind kontextbezogen. D. h., die soziale Wirklichkeit wird stets lokal und sequenziell produziert. Der Kontext bildet dabei ein Muster, das dem sozialen Geschehen zugrunde liegt.430
Jedes Element sozialen Geschehens ist stets auf den spezifischen Kontext bezogen. Diese Beziehung zwischen dem Element und dem kontextgebundenen Muster wird als Indexikalität bezeichnet.431
Die Muster besitzen außerdem eine prinzipielle Reflexivität. Während sie einerseits dazu dienen, soziales Geschehen zu erklären, sind sie andererseits selbst ein Teil dieses Geschehens. Dies bedingt einen fortlaufenden Interpretationsprozess.432
Die drei Dimensionen können durch folgendes Beispiel beschrieben werden:433 „Ein Mensch steht laut lachend, gestikulierend und schreiend an der Straße. Die umstehenden Personen deuten sein Verhalten als nicht normal. Dann dreht sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein anderer Mensch um, überquert die Straße und schließt den ‚Verrückten‘ ebenso laut und freudig in die Arme. Das Handeln wird erklärbar: Zwei gute Freunde, die sich lange nicht gesehen haben.“
Das Beispiel verdeutlicht, dass sich dem Betrachter durch Reflexion der Interaktion die Kontextbezogenheit und die Indexikalität der beobachteten Handlung erschließt. Im Interpretationsvorgang kann zur Erklärung einer Handlung vorhandenes Wissen methodisch eingesetzt werden, sofern sichergestellt ist, dass „vernünftige“ Gründe dafür geltend gemacht werden können.434 Diese Prämisse ermöglicht die Konstruktion der Bedeutung einer Situation auch im Zusammenhang „bruchstückhafter“ Infor428
Vgl. Psathas (1981), S. 271. Ebenso wie der symbolische Interaktionismus geht die Ethnomethodologie damit von der grundsätzlichen Interpretiertheit der Welt aus.
429
Vgl. Lamnek (2005), S. 42-43.
430
Vgl. Bergmann (2008), S. 125; Eberle (2007), S. 101; Lamnek (2005), S. 42; Wieder/Zimmerman Don H. (1976), S. 121-122. HABERMAS erklärt dies am Beispiel der Sprache: „Die Bedeutung von Sätzen, in denen singuläre Termini wie ‚ich‘ und ‚du‘, ‚hier‘ und ‚jetzt‘ und ‚jener‘ auftreten, variiert mit der Sprechsituation. Die mit Hilfe dieser Ausdrücke vorgenommenen Referenzen können nur in Kenntnis der Sprechsituation verstanden werden“ (Habermas (1981), S. 181).
431
Vgl. Bergmann (2008), S. 126; Erzberger (1998), S. 47-48; Garfinkel (1967), S. 11; Lamnek (2005), S. 43.
432
Vgl. Bergmann (2008), S. 126; Lamnek (2005), S. 43; Weingarten/Sack (1976), S. 8.
433
Das Beispiel ist entnommen aus Lamnek (2005), S. 43.
434
Vgl. Erzberger (1998), S. 47. Andere Vertreter der Ethnomethodologie fordern hingegen eine Analyse, die sich strikt auf das vorliegende Datenmaterial beschränkt (vgl. Eberle (2007), S. 102). Im Fortgang dieser Arbeit wird das begründete Hinzuziehen von kontextbezogenen Informationen als Möglichkeit des Erkenntnisgewinns explizit berücksichtigt.
90
Kap. C
mationen und Wahrnehmungen. 435 GARFINKEL spricht von „Accounts“ 436 , d. h. erkennbaren, verstehbaren, beschreibbaren und erklärbaren Handlungen. 437 Für das Verständnis der Ethnomethodologie kann die Analogie des Eindringens in fremde Lebenswelten herangezogen werden,438 die für ein Erkunden der Methode des Alltagshandelns steht. Erkenntnisgewinn kann die Ethnomethodologie unter anderem im Bereich der sozialen Interaktion stiften, z. B. bei Verkäufer-Käufer-Interaktionen, wie sie im Handel zahlreich auftreten. Dies trifft insbesondere auf die Erforschung impliziter bzw. nondiskursiver Wissensbeständen zu. 439 Vom symbolischen Interaktionismus unterscheidet sich die Ethnomethodologie dahingehend, dass sie „[…] nicht nur nach den Verfahren und der Intention des Handelns forscht, sondern nach dem Wissen der handelnden Menschen“.440 2.2.4
Grounded Theory
Dieser Arbeit liegt eine qualitative Untersuchung im Sinne der Grounded Theory zugrunde. Hierbei werden Daten aus wenig erforschten Bereichen erhoben, um daraus eine Theorie abzuleiten.441 Die Grounded Theory, begründet 1967 von GLASER und STRAUSS 442 , hat innerhalb der qualitativen Forschung stark an Bedeutung gewonnen. 443 Sie lässt sich im weitesten Sinne mit „gegenstandsbezogener Theorie“ 444 oder „empirisch fundierter Theorie“445 übersetzen. Diese Begriffe sind insofern irreführend, als dass es sich bei der Grounded Theory nicht um eine Theorie, sondern vielmehr um einen wissenschaftlichen Ansatz mit dem Ziel der Theoriengenerierung handelt. 446 Hypothesen werden dabei nicht aus bereits bestehenden Theorien logisch deduktiv hergeleitet, sondern dienen der Theorieentdeckung und -entwick435
Vgl. Weingarten/Sack (1976), S. 12.
436
Garfinkel (1967), S. 1.
437
Vgl. Bergmann (2008), S. 125.
438
Vgl. Schütz (1932).
439
Vgl. Eberle (2007), S. 105-106.
440
Lamnek (2005), S. 46.
441
Vgl. Glaser/Strauss (1967), S. 3.
442
Vgl. Glaser/Strauss (1967).
443
Vgl. Lueger (2007), S. 191. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Publikationen erschienen, die sich mit der Weiterentwicklung der Grounded Theory beschäftigen (vgl. Charmaz (2006); Clarke (2005); Strübing (2004); mit Bezug auf Marketing Goulding (1998); Goulding (2000) und Goulding (2002)).
444
Vgl. Lamnek (2005), S. 100-102, der zusätzlich den Begriff „datenbasierte Theorie“ verwendet.
445
Vgl. Böhm (2008), S. 476.
446
Vgl. hier und im Folgenden Böhm (2008), S. 475-483, Lamnek (2005), S. 100-117 sowie Lueger (2007).
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
91
lung.447 Folgende drei Schritte sind in der Anwendung der Grounded Theory zu beachten:448
Zu Beginn steht die Organisation des Forschungsprozesses in Form des theoretischen Sampling. Für die Erhebung der Daten stehen dem Forscher Möglichkeiten wie Gespräche, Interviews und Sekundärmaterialien zur Verfügung. Erste Analyseergebnisse geben bereits Hinweise auf den konzeptionellen Bezugsrahmen. Die Logik der fortschreitenden Inklusion weiterer Fälle ist dabei den inhaltlichen Anforderungen der konkreten Theoriebildung anzupassen.449 In der vorliegenden Arbeit wird mit dem Handelsmarkenmanagement ein spezifisches und eng umgrenztes Problemfeld bearbeitet, so dass eine Unterschiedsminimierung der untersuchten Fälle zur Steigerung der Zuverlässigkeit der entstehenden Theorie angezeigt ist.450 Die Analyse ist beendet, wenn anzunehmen ist, dass die Untersuchung neuer Daten nicht zu einer Weiterentwicklung der Theorie beitragen kann.451 Das theoretische Sampling erfüllt somit die Funktion, „[…] die konzeptionelle Dichte der entstehenden Theorie zu erhöhen sowie deren Zuverlässigkeit und Reichweite zu kontrollieren“452.
Das Kodieren des Datenmaterials steht als zweiter Schritt im Zentrum der Grounded Theory.453 Auf die Kodierung des Datenmaterials wird im Rahmen der Erläuterung des methodischen Vorgehens in Kap. D.1.3 ausführlich eingegangen.
Als dritter Schritt ist das Anfertigen von Memos zu nennen, die den aktuellen Forschungsstand oder eine Reflexion geführter Interviews und anderer Datenmaterialien enthalten.454 Die Memos sollten dabei ausreichend dokumentiert werden und klar von den Daten getrennt werden. In der vorliegenden Arbeit wurden neben Interviewmemos auch Memos über Ideen und Konzepte zum untersuchten Phänomen sowie Mind Maps zur Strukturierung des Themas angefertigt.455
447
Vgl. im Folgenden Böhm (2008), S. 476-483, Glaser (2002), S. 2-28 und Lamnek (2005), S. 112.
448
Vgl. vertiefend Corbin/Strauss (2008); Strauss/Corbin (1998).
449
Vgl. Glaser/Strauss (1967), S. 32-33.
450
Wird im Gegensatz dazu eine möglichst hohe Reichweite und Generalisierbarkeit der Theorie angestrebt, ist die Inklusion neuer Fälle auf Basis maximaler struktureller Variation vorzunehmen (vgl. Glaser/Strauss (1967), S. 32-33).
451
Vgl. Glaser/Strauss (1967), S. 61.
452
Lueger (2007), S. 197.
453
Vgl. Böhm (2008), S. 476 und Lueger (2007), S. 197-198.
454
Hinweise zur Gestaltung und Verwendung der Memos finden sich u. a. bei Glaser (1978), Strauss (1998) und Strauss/Corbin (1998).
455
Vgl. dazu auch das Kapitel zum methodischen Vorgehen der Arbeit (Kap. D.1).
92
Kap. C
Kritik erfährt die Grounded Theory vielfach dadurch, dass ihre Anwendung „[…] als methodisches Gütesiegel [fungiert], das sich bei näherem Hinsehen häufig als methodisches Feigenblatt erweist“456. Auch die Distanz des Forschers zu bestehendem Wissen und vorhandenen Theorien stellt nach GOULDING eine besondere Herausforderung dar: „It involves a delicate balancing act between drawing on prior knowledge while keeping a fresh and open mind to new concepts as they emerge from the data.“457
Zur Wahrung von Anschlussfähigkeit, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis gilt es daher, zu Beginn der Forschung geeignete Gütekriterien festzulegen, die sich an der paradigmatischen Verortung wie auch an dem Forschungsziel der Arbeit ausrichten.458 2.3
Gütekriterien aus interpretativ-konstruktivistischer Perspektive
Die Frage nach Kriterien, die für die Bewertung der Wissenschaftlichkeit, Güte und Geltung qualitativer Forschung geeignet sind, wird häufig gestellt, in vielen qualitativen Forschungsarbeiten allerdings unzureichend beantwortet.459 Ausgangspunkt der anhaltenden Diskussion um Gütekriterien in der qualitativen Forschung bilden zumeist die in der experimentell-statistischen und hypothesenprüfenden Forschung fest etablierten Kriterien der Objektivität, Reliabilität und der internen wie externen Validität.460 Eine Anwendung dieser Kriterien ist für die Bewertung qualitativer Forschung grundsätzlich nicht angezeigt, es haben sich jedoch in der Literatur drei konkurrierende Grundpositionen zur Bewertung der Güte qualitativer Ergebnisse herausgebildet:461
456
Postmoderne Ablehnung von Kriterien: Diese Position geht aus postmoderner und sozial-konstruktivistischer Sicht davon aus, dass eine Formulierung geeigneter Kriterien zur Beurteilung der Ergebnisse qualitativer Forschung grundsätzlich nicht möglich ist.462
Lueger (2007), S. 191, der auf die Arbeiten von DEY (1999) und STRÜBING (2004) verweist.
457
Goulding (2005), S. 296. Ähnlich äußern sich auch GLASER und STRAUSS (1967, S. 253).
458
Vgl. Dachler (1997), S. 711-712; Lamnek (2005), S. 143; Guba/Lincoln (2005), S. 206-207.
459
Vgl. Lamnek (2005), S. 145 und Miles/Huberman (2001), S. 2.
460
Vgl. vertiefend Kepper (1996), S. 200-224; Lamnek (2005), S. 142-187; Mayring (2002), S. 140150; Steinke (2008), S. 319-331; Steinke (2007), S. 261-283. Zu den Gütekriterien quantitativer Forschung vgl. z. B. Diekmann (2008), S. 247-261.
461
Vgl. hier und im Folgenden Steinke (2008), S. 319-321.
462
Diese Position findet sich bei Denzin (1990), S. 231; Richardson (2000), S. 931; Smith (1984), S. 383 und Smith/Deemer (2000).
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
93
Quantitative Kriterien für qualitative Forschung: Vertreter dieser Grundposition argumentieren, dass die Kriterien Objektivität, Reliabilität und Validität auf die qualitative Forschung übertragen werden können, indem sie umformuliert und operationalisiert werden.463
Eigene Kriterien qualitativer Forschung: Die Vertreter dieser dritten Position bezweifeln grundsätzlich die Übertragbarkeit quantitativer Kriterien auf die qualitative Forschung. Vielmehr wird eine Formulierung von Kriterien auf der Basis der wissenschaftstheoretischen, methodologischen und methodischen Besonderheiten qualitativer Forschung befürwortet.464
Gegen die erste Position spricht, dass ein Verzicht auf Gütekriterien die Gefahr der Beliebigkeit und Willkür in sich birgt und die oben beschriebene Forderung nach Glaubwürdigkeit und Akzeptanz in der Wissenschaft wie in der Praxis vernachlässigt würde.465 Zudem ermöglichen konstruktivistische Ansätze im Rahmen einer konsistenten erkenntnistheoretischen und methodologischen Fundierung durchaus die Entwicklung von Gütekriterien.466 Die zweite Grundposition wird vom Autor ebenfalls abgelehnt, da sich die quantitativszientistischen Kriterien nur bedingt auf die qualitative Forschung übertragen lassen und sich bisher kein einheitlicher Ansatz dafür in der Scientific Community etabliert hat.467 Sie wurden für quantitative Methoden entwickelt, die auf einer eigenen wissenschaftstheoretischen und methodologischen Verortung basieren und daher kaum mit den Grundannahmen qualitativer Forschung vereinbar sind.468 Die vorliegende Arbeit schließt sich daher der dritten Position an, so dass eigene Kriterien zur Beurteilung der Güte qualitativer Forschung gefunden werden müssen. Auf die Begriffe der Objektivität, Reliabilität und Validität wird bewusst verzichtet, um die Eigenständigkeit der Kriterien zu gewährleisten. Statt dessen werden im Folgenden die gängigsten Gütekriterien der qualitativen Forschung dargestellt, an denen die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit zu messen sind.
463
Die Übertragung quantitativer Kriterien nehmen bspw. Kepper (1996), S. 200-223, Kirk/Miller (1985), Krippendorff (2004), S. 158, Lincoln/Guba (1985) und Miles/Huberman (2001), S. 277282 vor.
464
Eigene Kriterien für die qualitative Forschung finden sich z. B. bei Flick (2008c); Flick (2008b); Kelle/Erzberger (2008), S. 304-307 und Lamnek (2005), S. 146-148.
465
Vgl. Steinke (2008), S. 321-322.
466
Vgl. Steinke (2008), S. 322.
467
Vgl. Kepper (1996), S. 200-224.
468
Vgl. Soeffner (2004), S. 61-77 und Steinke (2008), S. 322. Insbesondere die in der quantitativen Forschung vorausgesetzte Vorstrukturierung der Untersuchungsgegenstände widerspricht dem Prinzip der Offenheit (vgl. Steinke (2007), S. 265). Zum Prinzip der Offenheit vgl. vertiefend Lamnek (2005), S. 145 und die Ausführungen in Kap. D.1.
94
Kap. C
Das Gütekriterium der Transparenz umfasst die vollständige und vorbehaltlose Dokumentation aller wesentlichen Bestandteile des Forschungsdesigns und des Forschungsprozesses.469 Dazu zählt ebenso die Explikation der Erhebungs- und Auswertungsmethoden, der Transkriptionsregeln und aller Informationsquellen. 470 Außerdem sind Kontext und Kontingenz des Erkenntnisprozesses offenzulegen, damit dieser intersubjektiv nachprüfbar wird.471 Des Weiteren muss die Plausibilität, das bedeutet die Schlüssigkeit und die Nachvollziehbarkeit der argumentativen Interpretationsleistung einerseits und der theorieentwicklenden Verdichtung und Abstraktion andererseits gewährleistet sein.472 Die Argumentation dient als Hilfsmittel des Validierungsprozesses, indem sie regelgeleitet und nachvollziehbar ist und somit die Intersubjektivität der Interpretationsergebnisse positiv beeinflusst.473 Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Authentizität, die sich in der Nähe zum Untersuchungsgegenstand bzw. in der partizipativ erfolgten Rekonstruktion des subjektiv gemeinten Sinns der Befragten manifestiert. 474 Sie ist ein methodologisches Grundprinzip qualitativer Forschung, dass die Berücksichtigung und Überprüfung der Relevanzsysteme der Befragten einschließt.475 MAYRING fordert außerdem die kommunikative Validierung476, in deren Rahmen den Befragten die Ergebnisse der Untersuchung zur Diskussion vorgestellt werden.477
469
Vgl. Kepper (1996), S. 205-211; Mayring (2002), S. 144-145; Miles/Huberman (2001), S. 278; Rüegg-Stürm (2003), S. 70; Steinke (2008), S. 325.
470
Vgl. Mayring (2002), S. 145; Steinke (2008), S. 324-325.
471
Vgl. Carson et al. (2001), S. 69; Kepper (1996), S. 205-208 und Lamnek (2005), S. 146.
472
Vgl. Kleining (2007), S. 223, Mayring (2002), S. 145 und Rüegg-Stürm (2003), S. 70. Im angelsächsischen Raum wird ebenso der Begriff „Trustworthiness“ verwendet (vgl. Carson et al. (2001), S. 67-69; Weis/Huber (2000), S. 64 und Wallendorf/Belk (1989), S. 69-79).
473
Vgl. Lamnek (2005), S. 147.
474
Vgl. Guba/Lincoln (1989), S. 245-247; Guba/Lincoln (2000), S. 112; Mayring (2002), S. 147, Miles/Huberman (2001), S. 278; Manning (1997) und Steinke (2008), S. 321.
475
Vgl. Lamnek (2005), S. 147.
476
Im angelsächsischen Raum auch „member checks“ genannt (vgl. Kozinets (2002); Lincoln/Guba (1985); Hirschman (1986), S. 244; Wallendorf/Arnould (1988)).
477
Vgl. Lamnek (2005), S. 155; Mayring (2002), S. 147 sowie unter dem Begriff “Credibility” vgl. auch Flint et al. (2002), S. 106. Finden sich die Befragten in den Ergebnissen wieder, ist dies ebenfalls ein wichtiges Argument, das für die Gültigkeit der qualitativen Untersuchung spricht (vgl. Mayring (2002), S. 147). Auf die im Forschungsprozess generierten Theorien ist sie jedoch nicht anwendbar, da diese jenseits der Zustimmungsfähigkeit durch die Befragten liegen (vgl. Steinke (2007), S. 275).
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
95
Die Güte der Ergebnisse wird zudem an der Reflexivität gemessen.478 Sie besteht in der aktiven, kritischen und expliziten Auseinandersetzung mit den Entscheidungen im Forschungs- und Erkenntnisprozess. Da in der qualitativen Forschung die Analyse bereits in der Erhebungsphase beginnt, bedarf es eines hohen Maßes an Selbstreflektion aller Beteiligten, die dem Prinzip der Offenheit gegenüber Unerwartetem oder scheinbar nicht logisch Erklärbarem geschuldet ist.479 Als weiteres Gütekriterium kann die Kohärenz hinzugezogen werden, d. h. die Stimmigkeit, Logik und Regelgeleitetheit des Forschungsprozesses, von der Exploration über die Interpretation bis hin zum Theorieaufbau.480 WILSON und VETTER unterscheiden zwischen interner und externer Stimmigkeit.481 Die interne Stimmigkeit beschreibt die Konsistenz der Daten und der Methoden ihrer Gewinnung mit deren Interpretation, während die externe Stimmigkeit die Übereinstimmung der Forschungsergebnisse mit bereits vorhandenen Daten umfasst. Insbesondere sind bestimmte Verfahrensregeln und eine systematische Bearbeitung des Materials einzuhalten.482 STEINKE (2008) fordert deshalb die Anwendung kodifizierter Verfahren 483 wie die der objektiven Hermeneutik484 oder der Grounded Theory.485 Die Repräsentanz der Ergebnisse stellt ein weiteres Gütekriterium qualitativer Forschung dar. 486 Anhand dieses Kriteriums wird geprüft, inwiefern sich die Forschungsergebnisse auf andere Kontexte übertragen lassen.487 Dies hängt zum einen von der gewählten Stichprobe ab,488 zum anderen von den verwendeten Theorien und Methodologien sowie der gewählten Interpretationsform. Die Repräsentanz der
478
Vgl. Alvesson (2003); Lamnek (2005), S. 23-24; Müller (1979), S. 10; Naderer (2007), S. 366-367 und Steinke (2007), S. 279.
479
Vgl. Naderer (2007), S. 366 und zum Prinzip der Offenheit die Ausführungen in Kap. D.1.
480
Vgl. Mayring (2002), S. 145-146; Miles/Huberman (2001), S. 278 („dependability“ und „auditability“) und Steinke (2008), S. 330.
481
Vgl. Wilson/Vetter (1982), S. 502-503. Siehe auch Kleining (2007), S. 223-224 und Lamnek (2005), S. 174-175.
482
Vgl. Mayring (2002), S. 147.
483
Vgl. Steinke (2008), S. 326. Alternativ schlägt sie eine detaillierte Explikation der Analyseschritte vor.
484
Zur objektiven Hermeneutik vgl. Lueger/Meyer (2007), S. 173-187, Reichertz (2007), S. 111-125 und Reichertz (2008), S. 514-519 sowie ausführlich Oevermann (1996).
485
Zur Grounded Theory vgl. Kap. C.2.2.4.
486
Vgl. Kepper (1996), S. 224-235.
487
Vgl. Steinke (2007), S. 275.
488
Vgl. zu qualitativen Stichprobenkonzepten ausführlich Schreier (2007), S. 234-244.
96
Kap. C
Forschungsergebnisse kann insbesondere durch Triangulation verbessert werden.489 Der Begriff der Triangulation entstammt dem in der Psychologie etablierten Begriff der Variation490 und beschreibt das Hinzuziehen verschiedener Methoden, Theorieansätze, Datenquellen oder Interpreten mit dem Ziel, unterschiedliche Lösungswege zu nutzen und die Ergebnisse miteinander zu vergleichen.491 Es werden demnach methodologische Triangulation, Theorientriangulation, Datentriangulation und Investigator-Triangulation unterschieden. 492 Methodische Triangulation kann zum einen die Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden bedeuten, was in der Literatur unter dem Begriff Mixed-Method-Forschung zusammengefasst wird.493 Zum anderen können unterschiedliche Verfahren innerhalb der qualitativen Forschung miteinander kombiniert werden.494 In beiden Fällen ist zu berücksichtigen, dass mit dem Einsatz unterschiedlicher Methodologien auch die dahinter stehenden Theorien in Form einer Theorientriangulation beachtet werden müssen. 495 InvestigatorTriangulation bedeutet, dass das erhobene Material als multipersonaler Diskurs mehrerer Forscher interpretiert wird.496 Datentriangulation setzt Daten unterschiedlicher Quellen voraus, die von unterschiedlichen Personen zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten erhoben wurden.497 Die beschriebenen Gütekriterien, die in der vorliegenden Arbeit Anwendung finden, sind in Tab. C-5 zusammengefasst. Dieser Kriterienkatalog ist allerdings weder abschließend, noch auf alle qualitativen Forschungsvorhaben übertragbar. Vielmehr sollten die Kriterien und Prüfverfahren untersuchungsspezifisch, d. h. nach Forschungsfrage, -gegenstand und -methode angepasst und ggf. ergänzt werden.498
489
Vgl. ausführlich Denzin (1978); Flick (2008b); Flick (2008c).
490
Vgl. Kleining (2007), S. 220.
491
Vgl. Denzin (1978), S. 295-304; Lamnek (2005), S. 159; Mayring (2002), S. 147.
492
Vgl. Flick (2008c), S. 311, der sich in seinen Ausführungen auf DENZIN (1978) bezieht.
493
Vgl. zur Mixed-Method-Forschung Tashakkori/Teddlie (2003a), S. 62; Creswell (2009), S. 203217; Miles/Huberman (2001), S. 41; Srnka/Koeszegi (2007), S. 31-34 und Wilson/Vetter (1982), S. 500 sowie ausführlich Tashakkori/Teddlie (2000) und Tashakkori/Teddlie (2003b).
494
Vgl. Flick (2008c), S. 313.
495
Vgl. Flick (2008c), S. 315.
496
Vgl. Flint et al. (2002); Kepper (1996), S. 207 und Steinke (2008), S. 326.
497
Vgl. Lamnek (2005), S. 159.
498
Vgl. Steinke (2008), S. 324.
Wissenschaftstheoretische und methodologische Fundierung
97
Gütekriterium
Kurzbeschreibung
Transparenz
vollständige und vorbehaltlose Dokumentation aller wesentlichen Bestandteile des Forschungsdesigns, des Forschungsprozesses sowie Kontext und Kontingenz des Erkenntnisprozesses
Plausibilität
Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit der argumentativen Interpretationsleistung sowie der Theorie entwickelnden Verdichtung und Abstraktion
Authentizität
Nähe zum Untersuchungsgegenstand bzw. die partizipativ erfolgte Rekonstruktion des subjektiv gemeinten Sinns der Befragten
Reflexivität
kritische und explizite Auseinandersetzung mit den Entscheidungen im Forschungs- und Erkenntnisprozess
Kohärenz
interne und externe Stimmigkeit, Logik und Regelgeleitetheit des Forschungsprozesses, von der Exploration über die Interpretation bis hin zum Theorieaufbau
Repräsentanz
Verallgemeinerungsfähigkeit der aus der Untersuchung gezogenen Schlüsse, die z. B. durch Triangulation verbessert werden kann
Tab. C-5: Gütekriterien qualitativer Forschung Quelle:
Eigene Darstellung.
Im Anschluss an die Rekonstruktion erfolgt eine Darstellung der Limitationen dieser Arbeit. Dort wird die Einhaltung der hier vorgestellten Gütekriterien im Forschungsund Erkenntnisprozess kritisch überprüft. Bevor die Arbeit sich jedoch ihrem empirischen Teil zuwenden kann, bedarf es eines ausreichenden theoretischen wie konzeptionellen Bezugsrahmens für die Erforschung der Hersteller-Handels-Beziehung.
98
Kap. C
3.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
Für das Verständnis der Hersteller-Handels-Beziehung bedarf es eines geeigneten theoretischen Bezugsrahmens. Besonders zweckmäßig erweisen sich die Ansätze der Neuen Institutionenökonomik, da ihnen die realitätsnahen Annahmen des methodologischen Individualismus und der eingeschränkten Rationalität zu Grunde liegen.499 Ergänzend zu diesen Ansätzen ist es notwendig, die Beziehungsstrukturen zwischen Herstellern und Händlern zu untersuchen und insbesondere vertikale Konfliktfelder zu berücksichtigen. 500 Einen geeigneten Ansatz dafür stellt die AnreizBeitrags-Theorie dar, auf deren Basis die motivationalen Gründe der Akteure, sich innerhalb eines vertikalen Wertschöpfungsnetzwerkes zu engagieren, diskutiert werden können. Eine Übersicht der verwendeten Theorien ist nachstehend mit ihrem Erklärungsziel in Tab. C-6 dargestellt. In den folgenden Abschnitten werden diese auf das Forschungsfeld übertragen und diskutiert. theoretische Ansätze
Erklärungsziel
Autorenverweis
Transaktionskostentheorie
Transaktionskosten als Effizienzkriterium von Institutionen
Coase, R.H. (1937); Williamson, O.E. (1973, 1979); Picot, A. (1982)
PrinzipalAgentenTheorie
Institutionelle Ausgestaltung von Prinzipal-AgentenBeziehungen
Jensen, M./ Meckling, W. (1976); Pratt, J.W./ Zeckhauser, R.J. (1991)
Theorie der Verfügungsrechte
Unternehmungen als vertragliche Netzwerke zur Regelung von Verfügungsrechten
Demsetz, H. (1967); Alchian, A.A./ Demsetz, H. (1972); Furubotn, E.G./ Pejovich, S. (1972)
AnreizBeitragsTheorie
Organisationen als Koalitionen zum Ausgleich von Anreizen und Beiträgen
Barnard, C.I. (1938); Cyert, R.M./ March, J. (1955); Simon, H.A. (1957); March, J.G./ Simon, H.A. (1958)
Tab. C-6: Übersicht der Ansätze des theoretischen Bezugsrahmens Quelle:
Eigene Darstellung.
499
Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland (2007), S. 6; Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 3-4.
500
Vgl. Rossiter/Percy (1998), S. 50.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
3.1
99
Ansätze der Neuen Institutionenökonomik
Die Neue Institutionenökonomik501 hat als ökonomische Denkrichtung zu einer neuen Sichtweise in den Wirtschaftswissenschaften geführt. 502 Sie umfasst verschiedene Ansätze, die darum bemüht sind, die Entstehung und Wirkung von Institutionen zu erklären und erweitert die restriktiven Prämissen der neoklassischen Wirtschaftstheorie um realitätsnähere Annahmen. 503 Dazu zählen unvollkommenes und veränderbares Wissen, begrenzte Rationalität, asymmetrische Informationsverteilung, Transaktionskosten sowie die Neigung zu opportunistischem Verhalten. 504 Auf Grundlage dieser Annahmen werden in der Neuen Institutionenökonomik drei wesentliche Beziehungsgeflechte zwischen Wirtschaftssubjekten näher untersucht: die Analyse von Transaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten (Transaktionskostentheorie), das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer (PrinzipalAgenten-Theorie) sowie die Übertragung von Verfügungsrechten (Theorie der Verfügungsrechte).505 Es handelt sich bei der Neuen Institutionenökonomik jedoch nicht um eine eigenständige, in sich geschlossene Wirtschaftstheorie,506 sondern um einen Pluralismus mehrerer methodisch verwandter Ansätze, die sich in ihrem Analyseobjekt – der Institution – überschneiden.507 Zudem liegen allen Ansätzen die Konzepte des methodologischen Individualismus und der begrenzten Rationalität sowie deren Einflüsse auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte zu Grunde.508 Der Erklärungsansatz des methodologischen Individualismus geht grundsätzlich von individuellen Wirtschaftssubjekten aus und beinhaltet die Annahme, dass ausschließlich Individuen Interessen und Ziele formulieren und dass institutionelle Arrangements als das Ergebnis der Summe individueller Handlungen und Entscheidungen angesehen wer-
501
Die Neue Institutionenökonomik lässt sich auf COASE zurückführen (vgl. Coase (1937)), der Begriff wurde jedoch erst später von WILLIAMSON geprägt (vgl. Williamson (1973); Williamson (1975)). Zu den Hauptvertretern der Neuen Institutionenökonomik gehören außerdem ALCHIAN, COASE, DEMSETZ und NORTH (vgl. Seifert/Priddat (1995), S. 26; Williamson (1975), S. 1).
502
Vgl. Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 4. In der Betriebswirtschaftslehre finden sich zahlreiche institutionenökonomische Ansätze (vgl. Laux/Liermann (2005), S. 525-581; Pfaff/ Zweifel (1998); Pfaff/Leuz (1995); Ordelheide (1988); Picot (1982); Schmidt (1981)).
503
Die Neoklassik unterstellt vollständige Information und ein vorhandenes Marktgleichgewicht. Eine ausführliche Beschreibung der Annahmen der Neuen Institutionenökonomik liefern z. B. Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 2-12; Helm (2006), S. 108 und Göbel (2002), S. 100-103.
504
Opportunistisches Handeln entsteht durch asymmetrische Informationsverteilung und unvollständige Verträge. Die Informationsvorsprünge oder Regelungslücken im Vertrag werden bewusst durch einen Transaktionspartner zu eigenem Vorteil ausgenutzt (vgl. Magnus (2007), S. 44).
505
Vgl. Richter/Bindseil (1995); Erlei/Leschke/Sauerland (2007), S. 41.
506
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 54.
507
Vgl. Magnus (2007), S. 42; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 55 und Williamson (2000), S. 595.
508
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 37-40.
100
Kap. C
den. 509 Im Gegensatz zur neoklassischen Theorie besteht die Annahme, dass die Akteure nicht vollständig informiert sind und deshalb nur begrenzt rational handeln. Die Individuen richten ihre Zielsetzung in der Form aus, dass sie den Eigennutzen unter der Einschränkung begrenzter Rationalität maximieren.510 Dies führt zu unvollständigen Verträgen, die wiederum opportunistische Verhaltensweisen begünstigen.511 Auf die Annahme der begrenzten Rationalität und deren Konsequenzen wird in den folgenden Kapiteln jeweils mit Bezug auf den entsprechenden Ansatz der Neuen Institutionenökonomik näher eingegangen. 3.1.1
Transaktionskostentheoretische Betrachtung der Hersteller-HandelsBeziehung
Als Begründer der Transaktionskostentheorie gelten COMMONS (1924) und COASE (1934).512 Letzterer setzt dem zu der Zeit vorherrschenden neoklassischen Ansatz entgegen, dass die Nutzung des Preismechanismus ihrerseits Kosten verursacht und diese Transaktionskosten bei jeder Art von Tauschprozessen entstehen. 513 Der Begriff Transaktionskosten stammt von COASE.514 Abhängig davon, ob die Kosten bei Markttransaktionen oder innerhalb einer Unternehmung anfallen, unterscheidet dieser zwischen Transaktions- und Managementkosten.515 In den 1970er Jahren wird die Transaktionskostentheorie von WILLIAMSON weiterentwickelt,516 der bis heute als
509
Der methodologische Individualismus geht auf SCHUMPETER (1909) zurück. Vgl. weiterführend Magnus (2007), S. 43; Rutherford (1996), S. 31-32.
510
Vgl. Williamson (2000), S. 600 sowie ausführlich Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 24-26. Die beschränkte Rationalität bezieht sich allgemein auf die Wahrnehmung der Umwelt (vgl. North (1990), S. 20) und speziell in der Neuen Institutionenökonomik auf die Entscheidungsprozesse (vgl. Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 5-6).
511
Vgl. Spremann (1990) und Williamson (1979), S. 234.
512
Vgl. Göbel (2002), S. 129-131. COMMONS stellte bereits 1924 die aus seiner Sicht hohe Bedeutung der Transaktion als ökonomische Analyseeinheit heraus: „A transaction […] is the ultimate unit of economics, ethics and law“ (Commons (1924), S. 68). Er versteht unter einer Transaktion jede ökonomische Interaktion von Marktteilnehmern (vgl. Commons (1934), S. 4-6). Ausgangspunkt der Transaktionskostentheorie ist jedoch der Aufsatz „The Nature of the Firm“ von COASE (vgl. Coase (1937)).
513
Vgl. Coase (1937), S. 390; eine ähnliche Argumentation verfolgen Bössmann (1983), S. 104 und Richter (1991), S. 420.
514
Vgl. Coase (1937). Sein Ziel war es, mit Hilfe der Transaktionskosten die Existenz von Unternehmen zu begründen. WILLIAMSON weitete die Ideen auf die Analyse der effizienten Organisationsform für eine gegeben Aufgabe aus und entwickelte maßgeblich den Transaktionskostenansatz (vgl. Döring (1998), S. 10; Fischer (1993), S. 39).
515
Mit den beiden Kostenarten begründet COASE die Existenz und die optimale Größe von Organisationen. Es kann unter bestimmten Umständen effizienter sein, Koordinationen nicht über den Markt abzuwickeln, sondern im Unternehmen stattfinden zu lassen (vgl. Enderle/Nolte (1999); Rindfleisch/Heide (1997), S. 31).
516
Vgl. u. a. Williamson (1973); Williamson (1975); Williamson (1979).
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
101
wichtigster Vertreter dieses Ansatzes gilt.517 Er erklärt die Evolution von Organisationsformen mit Effizienzüberlegungen unter der Einbeziehung von Produktions- und Transaktionskosten.518 Insbesondere steht die Frage im Vordergrund, „ […] warum bestimmte Transaktionen in bestimmten institutionellen Arrangements mehr oder weniger effizient abgewickelt und organisiert werden.“519 Nach Schätzungen nehmen die Transaktionskosten in modernen Marktwirtschaften bis zu 60 Prozent des Nettoinlandproduktes ein.520 In Bezug auf die Hersteller-Handels-Beziehung umfassen sie sämtliche durch einen Leistungsaustausch zwischen Hersteller und Handel entstehenden Koordinations- und Informationskosten. PICOT (1990, 1991) unterscheidet sechs Arten von Transaktionskosten:521
Anbahnungskosten (Kosten für die Informationssuche, Kapazitätsplanung, Identifikation potenzieller Serviceanbieter),
Vereinbarungskosten (Verhandlungskosten, Vertragsformulierungskosten),
Abwicklungskosten (Prozesssteuerungs- und Managementkosten),
Anpassungskosten (Kosten, die während der Vertragslaufzeit aufgrund von Termin-, Preis-, Qualitäts- oder Mengenänderungen anfallen),
Kontrollkosten (Kosten zur Sicherstellung der Einhaltung von Terminen, Qualität, Mengen, Preisen, Geheimhaltungsvereinbarungen) und
Beendigungskosten (Kosten bei Beendigung der Netzwerkbeziehungen, z. B. für vertragsspezifische Investitionen).522
Bei der Anwendung der Transaktionskostentheorie ist es nicht unbedingt erforderlich, die Höhe der Transaktionskosten exakt messen zu können. Zielsetzung ist vielmehr, relative Aussagen treffen zu können, in welcher Koordinationsform für eine bestimmte Transaktion die geringsten Kosten anfallen.523 Als Basis für die Überlegungen zur 517
Vgl. Döring (1998), S. 28 und die dort angegebenen Literaturhinweise.
518
Vgl. Williamson (1973) und Williamson (1975).
519
Ebers/Gotsch (2006), S. 277.
520
Vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 59; Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 68; Williamson (1990a), S. 18.
521
Vgl. Picot/Dietl (1990), S. 178 sowie Picot (1991a), S. 344. In der Literatur finden sich zahlreiche weitere Auflistungen von Transaktionskostenarten (vgl. u. a. Bayón (1997); Bronder (1995), S. 121; Ebers/Gotsch (2006), S. 278; Erlei/Leschke/Sauerland (2007), S. 199-201; Fritsch/Wein/ Ewers (2007), S. 77-80; Hildebrandt/Weiss (1997), S. 6; Schneider/Zieringer (1991), S. 48-49), die sich inhaltlich jedoch nicht wesentlich von der hier verwendeten Systematik unterscheiden.
522
Es sei kritisch angemerkt, dass die Zuordnung von Transaktionskosten zu den verschiedenen Phasen noch keinen Beitrag zur Abgrenzung von Transaktionskosten einerseits und Produktionskosten andererseits leistet (vgl. Wegehenkel (1980), S. 15-17; Michaelis (1985), S. 82-91).
523
Vgl. Giering (2000), S. 41; Richter (1990), S. 578.
102
Kap. C
Entstehung der Transaktionskosten dient das „Organizational Failure Framework“,524 das aus folgender informationsökonomischer Überlegung hervorgeht: Hindernisse von Markttransaktionen beruhen auf zwei Faktorengruppen, Humanfaktoren, die die Elemente begrenzte Rationalität, Opportunismus und Risikoneigung umfassen sowie Umweltfaktoren, die aus den Elementen Unsicherheit, Spezifität und Transaktionshäufigkeit bestehen.525 Damit eine Aussage zu den anfallenden Transaktionskosten getroffen werden kann, müssen deshalb erstens die Akteure charakterisiert und Annahmen über deren Verhalten getroffen werden und zweitens die Faktoren identifiziert werden, die die Höhe der Transaktionskosten beeinflussen.526 Die Transaktionskostentheorie liefert eine explizit kostenbezogene Klärung für die Vertriebssystemauswahl527 und bietet laut SCHENK (1991) auch und insbesondere für die Bildung von Netzwerken einen geeigneten Erklärungsansatz,528 der im Vergleich zu anderen Theorien eine große Anschaulichkeit aufweist. 529 In Handelsunternehmen resultieren Transformationsprozesse aus Faktorkombinationen, z. B. in Form der Regalplatzierung oder spezieller Warenpräsentation. Unabhängig davon bestimmt die Summe aus dessen Produktions- und Transaktionskosten, unter der Annahme, dass Herstellerunternehmen ihre Produkte zumindest kostendeckend anbieten, die minimalen Warenabgabepreise. 530 Die Gesamtkosten des Handelsunternehmens bestehen somit in der Summe aus den eigenen Produktions- und Transformationskosten und denen des Herstellers. Eine klar abgegrenzte Rollenverteilung zwischen Anbieter und Nachfrager wird in ihrer meist pauschalisierten Form den systemimmanenten Besonderheiten der Hersteller-Handels-Beziehung nicht gerecht. 531 Der Handel fungiert in dieser Transaktionsbeziehung als Zwischennachfrager sowie gleichermaßen als Zwischenanbieter und genau wie der Hersteller sieht er die systemspezifischen Leistung des jeweils anderen als Mittel zum Zweck, um eine Transaktionsbeziehung mit dem Endverbraucher herbeizuführen.
524
Vgl. zum Organizational Failure Framework Mandewirth (1997), S. 79; Michaelis (1985), S. 103; Neumann (1983), S. 620; Williamson (1975), S. 8-10.
525
Vgl. Williamson (1975), S. 40.
526
Vgl. Picot (1982). Zu den Bedingungen vgl. auch Ebers/Gotsch (2006), S. 278-289 und Götz/ Toepffer (1991), S. 9.
527
Vgl. Müller-Hagedorn/Schuckel (2003), S. 201.
528
Vgl. Schenk (1991), S. 71. Zur Bedeutung von Kooperationen als alternative Institution neben Markt und Hierarchie vgl. Richardson (1972), S. 883-887; Ouchi (1980), S. 138; Ouchi (1979), S. 838; Wilkins/Ouchi (1983), S. 469-472.
529
Vgl. Schenk (1991), S. 71 und 371. SCHENK sieht in der Transaktionskostentheorie die einzige überzeugende Theorie innerhalb der Kooperationsforschung (vgl. Schenk (1993), S. 4).
530
Vgl. Mandewirth (1997), S. 37.
531
Vgl. hier und im Folgenden Tunder (2003), S. 207.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
103
Für die nähere Charakterisierung der Hersteller- und Handelsunternehmen ist es unerlässlich, die Verhaltensannahmen der Transaktionskostentheorie zu berücksichtigen.532 Die Verhaltensannahme der begrenzten Rationalität unterstellt, dass die Unternehmensakteure zwar beabsichtigen, rational zu handeln, es ihnen jedoch aufgrund kognitiver Grenzen der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung nicht gelingt, objektive Entscheidungen zu treffen.533 Der Einkäufer eines Handelsunternehmens kann z. B. nicht alle Lieferanten weltweit und deren Warenpreise kennen. Ebenso wenig ist ein Hersteller in der Lage, im Jahresgespräch die genauen Auswirkungen von Zweitplatzierungen vorauszusagen. Prinzipiell fällt es jeder Institution schwer, objektive Informationen über das zukünftige Vorhaben von Wettbewerbern zu erheben, da diese kurzfristige Wettbewerbsvorteile anstreben und daher relevante Informationen verschweigen.534 Opportunistisches Verhalten, als zweite Verhaltensannahme, beruht auf der Verfolgung von Einzelinteressen der Akteure. Vertragliche Vereinbarungen werden unter Zuhilfenahme von List, Täuschung und Betrug missachtet.535 Ein solches Verhalten kann die Funktionsfähigkeit eines Wertschöpfungsnetzwerkes empfindlich stören und dessen Weiterbestand gefährden. 536 Handelsunternehmen können bspw. fordern, möglichst frühzeitig über Innovationen der Herstellerunternehmen informiert zu werden, um die eigene Sortimentsplanung darauf einzustellen. Als opportunistische Verhaltensabsicht lässt sich dahinter indes die möglichst schnelle Nachahmung durch Me-too-Produkte vermuten. Ein Hersteller könnte andererseits Lieferengpässe als Vorwand für eine Belieferungssperre nutzen, die er z. B. als Sanktion für nicht durchgesetzte Preiserhöhungen oder Untereinstandspreisverkäufe initiiert hat. Die dritte Verhaltensannahme besteht in der neutralen Risikoneigung der Vertragspartner. 537 Diese Annahme ist zur Betrachtung der Hersteller-Handels-Beziehung
532
Vgl. Williamson (1996), S. 5 und Williamson (1990a), S. 49-50. Während GÖTZ (1991, S. 279) und STEIFF (2004, S. 51-52) wie WILLIAMSON drei Verhaltensannahmen berücksichtigen, beschränken sich andere Autoren auf die beiden Annahmen des Opportunismus und der begrenzten Rationalität der Akteure (vgl. Bogaschewsky (1995), S. 165-167; Giering (2000), S. 41; Hildebrandt (1990), S. 153).
533
„The capacity of the human mind for formulating and solving complex problems is very small compared to the size of the problems whose solution is required for objectively rational behavior in the real world” (Simon (1957), S. 198). Vgl. zur begrenzten Rationalität auch Berger/BernhardMehlich (2006), S. 177-179 und Williamson (1990b), S. 61-62.
534
Vgl. Mandewirth (1997), S. 81.
535
Vgl. Williamson (1985), S. 30; Williamson (1990a), S. 54; Williamson (1996), S. 8-9. Zum Opportunismus im Handelskontext vgl. Mandewirth (1997), S. 85-87.
536
Vgl. Altmann (1996), S. 187-188.
537
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 275; Williamson (1990a), S. 325-327.
104
Kap. C
aus Vereinfachungsgründen zweckmäßig, obgleich sie in der Praxis häufig nicht anzutreffen sein wird.538 Die Höhe der Transaktionskosten wird nach WILLIAMSON (1990) durch drei Charakteristika beeinflusst. Erstens müssen Vertragspartner zur Leistungserstellung spezifische Investitionen in materieller oder immaterieller Form erbringen, wodurch eine Abhängigkeit entsteht. 539 Ein Handelsmarkenhersteller investiert z. B. spezifisch in eine Beziehung mit dem jeweiligen Handelsunternehmen, indem es zusätzliche Kapazitäten für die Handelsmarkenproduktion aufbaut oder spezifisches Verpackungsmaterial in großen Mengen einkauft. Spezifische Investitionen der Handelsunternehmen beschränken sich hingegen grundsätzlich auf die Aufwendungen, die sie leisten, um geeignete Lieferanten für ihre Handelsmarken zu finden. Sie investieren zwar auch spezifisch in die jeweilige Führung der Handelsmarke und den bereitgestellten Regalplatz, diese Investitionen sind jedoch zumindest mittelfristig sog. Mehrzweckinvestitionen zuzurechnen, d. h., dass die Handelsmarkenlieferanten in der Regel austauschbar sind und die spezifischen Investitionen in die Handelsmarken nicht als sunk costs anzusehen sind. Zweitens kann eine Transaktion bestimmten Formen von Unsicherheit ausgesetzt sein. 540 Parametrische Unsicherheit bezieht sich auf situative Bedingungen und zukünftige Entwicklungen. 541 Ein zuvor rentabler Vertrag kann durch Veränderung der Rohstoffpreise für eine Vertragsseite unrentabel werden. 542 Verhaltensunsicherheit äußert sich in der Ungewissheit, ob ein Vertragspartner sich opportunistisch verhält. Ein Hersteller verfügt bei Vereinbarungen von Konditionen – z. B. mit einer Handelsgruppe selbständiger Einzelhändler – nicht über das Wissen, welche von diesen die Vereinbarungen letztlich einhalten. Durch vertragliche Regelungen kooperativ durchgeführter Aktivitäten wird Unsicherheit minimiert, was aber auch negative Folgewirkungen hervorrufen kann. Zum einen zöge der Versuch einer umfassenden Antizipation aller Risiken einen erheblichen Planungs- und Koordinationsaufwand nach sich, zum anderen würde eine derart detaillierte Planung die unternehmerische Flexibilität einschränken.543
538
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 243.
539
Vgl. Altmann (1996), S. 39; Williamson (1990a), S. 206-207. Eine Investition ist dann spezifisch, wenn bei anderweitiger Nutzung ein Wertverlust entsteht. Je größer die Differenz zwischen erstbester und nächstbester Verwendung (Quasirente), umso spezifischer ist diese Investition. WILLIAMSON unterscheidet drei Arten von Spezifität: Standort-, Sachkapital und Humankapitalspezifität (vgl. Williamson (1985), S. 108-109).
540
Vgl. Williamson (1996), S. 15-16.
541
Vgl. Williamson (1990a), S. 64-65; Williamson (1996), S. 16.
542
Vgl. Göbel (2002), S. 142.
543
Vgl. Mandewirth (1997), S. 103.
105
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
Der dritte Einflussfaktor der Transaktionskosten besteht in der Transaktionshäufigkeit. Mit zunehmender Wiederholungsfrequenz gewinnen Skalen- und Synergieeffekte an Bedeutung, deren tatsächliche Realisation hingegen nicht als sicher anzusehen ist.544 Die Hersteller-Handels-Beziehung ist prinzipiell nicht auf Dauer angelegt, allerdings sind in der Praxis eher langfristige Geschäftsbeziehungen vorzufinden. Die Transaktionshäufigkeit äußert sich zudem in der Transaktionsatmosphäre. Zahlreiche von den Akteuren als positiv wahrgenommene Transaktionen verbessern die Atmosphäre und vermindern die Unsicherheit in Bezug auf zukünftige Transaktionen. Eine zusammenfassende Übersicht der Verhaltensannahmen und Transaktionskostentreiber ist in Abb. C-2 dargestellt.
Verhaltensannahmen
Transaktionskostentreiber
Transaktionsatmosphäre/ Transaktionshäufigkeit
begrenzte Rationalität Opportunismus
Unsicherheit/ Komplexität Informationsverteilung
Risikoneigung
Spezifität/ strategische Bedeutung
Abb. C-2: Einflussgrößen der Transaktionskosten Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Williamson (1975), S. 40.
Für die Organisation des Handelsmarkenmanagements stehen dem Handelsunternehmen drei Möglichkeiten zur Auswahl: die Beschaffung der Leistungen über den Markt, die kooperative Markenführung zusammen mit dem Hersteller oder die eigenverantwortliche Handelsmarkenführung. Wird die Entscheidung über die Organisationsform anhand der Höhe des Transaktionskostenniveaus getroffen, ist diese wiederum abhängig von den Transaktionsdimensionen Spezifität, Unsicherheit und Häufigkeit der Transaktion. Handelsunternehmen können ihre Transaktionskosten in der Hersteller-HandelsBeziehung auf vielfache Weise reduzieren. Anbahnungs- und Beendigungskosten fallen umso geringer aus, je länger die Geschäftsbeziehungen mit den Industriepartnern andauern. Durch langfristige Zusammenarbeit entwickelt sich ein Vertrauens544
Vgl. Williamson (1990a), S. 69.
106
Kap. C
verhältnis, das die Kontrollkosten auf beiden Seiten senkt. Selbst bei hoher Unsicherheit und größeren spezifischen Investitionen können Kooperationen vorteilhaft sein, sofern sie von vertrauensbildenden Maßnahmen begleitet werden.545 Dies ist damit zu begründen, dass die Transaktionskostentheorie Opportunität als Datum ansieht, was nach Aussage vieler Manager jedoch nicht der Realität entspricht, da durchaus vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen zu Stande kommen. 546 Das mit Kooperationen einhergehende Risiko kann demnach auch durch den Aufbau von Vertrauen verringert werden. Langfristige Kooperationen werden von den Handelsunternehmen indes nicht in allen Handelsmarkensortimenten gewünscht. Im Preiseinstiegsbereich der Vollsortimenter oder beim Handelsmarkenangebot der Discounter werden bewusst nur kurzfristige Kontrakte geknüpft, um in kurzen Zeitabständen den jeweils günstigsten Lieferanten zu finden. Eine möglichst effiziente Abwicklung und Anbahnung in Form von Telefonverhandlungen oder Internetauktionen stehen dabei im Vordergrund.547 Dies hat wiederum einen Einfluss auf die Höhe der Kontrollkosten in Form eines anspruchsvollen Qualitätsmanagements, da auch im Preiseinstiegsbereich eine gleichbleibende Qualität der Waren angestrebt wird. Wenn das Handelsunternehmen keine langfristigen vertikalen Kooperationen eingeht, besteht die Gefahr, dass die anfallenden Transaktionskosten, durch die sich ständig wiederholende Suche neuer vertikaler Kooperationspartner, die Gewinne aus der Realisation höherer Deckungsspannen überkompensieren. Das Handelsunternehmen steht zudem vor der Entscheidung, inwieweit durch eine Ausweitung des Handelsmarkengeschäfts die Transaktionskosten z. B. durch vertikale Integration von Herstellerunternehmen vermindert werden können.548 Für Herstellerunternehmungen lassen sich analog ähnliche Überlegungen festhalten, mit dem Unterschied, dass diese generell an langfristigen Kooperationen interessiert sind, da sie eine gleichmäßig hohe Auslastung ihrer Produktionskapazitäten anstreben. Auch sie können die Transaktionskosten im Bereich der Anbahnung, Kontrolle und Beendigung durch langfristige Lieferbeziehungen minimieren. Hohe Vereinbarungs- und Abwicklungskosten auf Seiten der Handelsunternehmen tragen dabei eher zu längeren Vertragslaufzeiten in Form eines Lock-in-Effektes bei. Die Anpassungskosten sind bei längeren Geschäftsbeziehungen hingegen auf beiden Seiten höher, da die generelle Bereitschaft zur Anpassung durch das Vertrauensverhältnis begünstigt wird. Ebenso besteht auch für Hersteller die Möglichkeit der verti-
545
Vgl. Spengel (2005), S. 93.
546
Vgl. Bahlmann/Schulze/Spiller (2008), S. 133.
547
Verwendet das Handelsunternehmen Internetauktionen, werden genaue Spezifikationen für einen Handelsmarkenauftrag ausgeschrieben und der günstigste Anbieter bekommt den Zuschlag. Dies ist insbesondere im Bereich der Commodities, wie z. B. Salz, Zucker und Milch, aber auch bei standardisierten alkoholischen Getränken, wie Bier, Vodka oder Korn, üblich.
548
Vgl. Bruhn (2001), S. 23.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
107
kalen Integration, insbesondere für jene, die sowohl Handelsmarken als auch bekannte Markenartikel im Sortiment führen. Im Bekleidungshandel könnte z. B. das Unternehmen Seidensticker, neben dem Verkauf ihrer Markenprodukte an Bekleidungsfachhändler und der Auftragsproduktion von Handelsmarken, eigene Verkaufsstellen eröffnen, um Unsicherheiten gegenüber Handelsunternehmen zu reduzieren. Diese Vorwärtsintegration wäre allerdings mit der Übernahme zahlreicher Handelsfunktionen verbunden. Für das Handelsmarkenmanagement ist weiterhin denkbar, dass ein Dienstleister einen Großteil der Koordinationsaufgaben übernimmt und die Schnittstelle zwischen einem Handelsunternehmen und den Handelsmarkenhersteller bildet. Ein solcher Dienstleister würde stellvertretend für das Handelsunternehmen Lieferanten suchen und auswählen sowie Vorschläge für neue Handelsmarken oder Innovationen innerhalb bestehender Handelsmarken unterbreiten. Das bedeutet für die Transaktionskosten, dass das Handelsunternehmen bei der Suche und Auswahl des Dienstleisters sehr sorgfältig vorgehen muss und hohe Anbahnungs- und Vereinbarungskosten hat. Dafür werden ihm zukünftig von dem Dienstleister ein Großteil der Anbahnungs-, Vereinbarungs-, Abwicklungs- und Anpassungskosten abgenommen. Für den Dienstleister lohnt sich dieses institutionelles Arrangement nur, falls er diese Transaktionskosten durch eine Bündelung mehrerer, z. B. weltweiter Aufträge und somit der Realisation von Synergie- und Skaleneffekten überkompensieren kann und sich die Dienstleistung von Herstellern und Handelsunternehmen z. B. durch eine mengenabhängige Provision vergüten lässt. Als kritische Würdigung der transaktionskostentheoretischen Betrachtung ist anzumerken, dass die Transaktionskostentheorie eine Ex-post-Betrachtung darstellt. Sie ist grundsätzlich auf jedes Vertragsproblem anwendbar,549 es sind jedoch andere institutionelle Arrangements mit anderen als den von WILLIAMSON beschriebenen Charakteristika denkbar, die nicht ausschließlich der Kostensenkung, der Risikoreduktion und der Vermeidung von Opportunismus dienen. Kritik erfährt der Ansatz zudem in Bezug auf die Operationalisierbarkeit, die Einperiodizität sowie die fehlende Berücksichtigung sozialer Interaktionen.550 Wie zuvor gezeigt wurde, ist das transaktionskostentheoretisch entscheidende Argument, dass sich unterschiedlich ausgestaltete institutionelle Arrangements in Bezug auf die Höhe der Transaktionskosten unterscheiden. Diese Unterschiede lassen sich vor allem darauf zurückführen, wie kostengünstig die Probleme der Verhaltensannahmen der begrenzten Rationalität und der Opportunität bei Berücksichtigung der Risikoneigung der Akteure in der Hersteller-Handels-Beziehung bewältigt werden
549
Vgl. Williamson (1985), S. 41. Die Anwendung der Transaktionskostentheorie fällt daher entsprechend weit gefächert aus (vgl. Jost/Alewell (2001); Williamson/Winter (1991), S. 12-15).
550
Vgl. Magnus (2007), S. 45; Picot (1991b), S. 153.
108
Kap. C
können. Die Schwierigkeit der wechselseitigen Quantifizierbarkeit der Kosten und Erlöse innerhalb eines vertikalen Wertschöpfungsnetzwerkes verlangt vom Hersteller und vom Händler einen offenen Austausch und gleichzeitig einen vertrauensvollen Umgang mit Unternehmensdaten. Unsicherheiten hinsichtlich eines opportunistischen Ausnutzens dieser Informationen stellen eine erhebliche Kooperationsbarriere dar.551 3.1.2
Prinzipal-Agenten-Theorie
Prinzipal-Agenten-Beziehungen treten wie die Transaktionskosten in den unterschiedlichsten Bereichen des Wirtschaftslebens auf. 552 Während die Transaktionskostentheorie den Leistungsaustausch in den Vordergrund stellt, untersucht die Prinzipal-Agenten-Theorie das Verhalten der beteiligten Wirtschaftssubjekte. 553 Die Theorie geht in erster Linie auf den Beitrag von JENSEN und MECKLING (1976) zurück und wurde von PRATT und ZECKHAUSER (1991) weiter entwickelt. 554 JENSEN und MECKLING definieren eine Prinzipal-Agenten-Beziehung „[…] as a contract under which [...] the principals engage [...] the agent to perform some service on their behalf which involves delegating some decisions making authority to the agent”.555 Die Prinzipal-Agenten-Theorie wird grundsätzlich in einen positivistischen und einen normativen Forschungszweig unterteilt. 556 In der vorliegenden Arbeit findet der positivistische Ansatz Verwendung, da eine dem normativen Ansatz immanente mathematische Präzision zur Ableitung optimaler Kontrakte nicht zielführend zur Lösung des Forschungsrätsels ist. Vielmehr sollen im positivistischen Sinne die konfliktären Ziele zwischen Prinzipal und Agent aufgedeckt werden. Das Hauptelement der Prinzipal-Agenten-Theorie besteht in der arbeitsteiligen Beziehung und den Informationsdifferenzen zwischen einem Auftraggeber (Prinzipal) und einem Auftragnehmer (Agent).557 Entscheidende Annahme dieser Theorie ist die
551
Vgl. Mattmüller/Tunder (2007), S. 496.
552
Vgl. Göbel (2002), S. 360-361; Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 173.
553
Vgl. Williamson (1988), S. 571.
554
Vgl. Jensen/Meckling (1976); Pratt/Zeckhauser (1991).
555
Jensen/Meckling (1976), S. 73.
556
Vgl. zur Gegenüberstellung der positivistischen und normativen Agency-Theorie Krafft (1995), S. 88-91.
557
Vgl. Arrow (1991), S. 37-38; Bergen/Dutta/Walker Jr. (1992), S. 1-3; Fischer (1993), S. 63-68. Eine Prinzipal-Agent-Situation entsteht immer dann, wenn in einer Beziehung zweier Wirtschaftssubjekte ein Akteur abhängig von der Leistungserstellung des anderen ist. (vgl. Pratt/Zeckhauser (1991), S. 2 und Ripperger (2005), S. 63-64).
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
109
begrenzte Rationalität der Akteure aufgrund unvollständiger Information,558 aus der wiederum Unsicherheit und Opportunismus resultieren.559 Damit der Agent entsprechend den Absichten des Prinzipals handelt, muss dieser vertragliche oder organisatorische Regelungen, Kontrollinstrumente und ein entsprechendes Anreiz- und Sanktionssystem schaffen.560 Mit steigender Komplexität der Austauschbeziehung können diese Elemente immer schlechter in Verträgen abgebildet werden und die Gefahr opportunistischen Verhaltens steigt.561 Konflikte treten insbesondere dann auf, wenn der Agent nicht die Interessen des Prinzipals vertritt. Insgesamt existieren innerhalb der Prinzipal-Agenten-Theorie vier Arten von Informationsasymmetrien.562 Während die Asymmetrie der „Hidden Characteristics“ vor Vertragsabschluss von Bedeutung ist, treten „Hidden Intention“, „Hidden Action“ sowie „Hidden Information“ erst nach Vertragsabschluss in Erscheinung.563 Hidden Characteristics bezeichnen die Unsicherheit des Prinzipals in Bezug auf wesentliche Merkmale des Agenten vor Vertragsabschluss.564 Hierbei handelt es sich um unveränderbare bereits bestehende Merkmale des Agenten oder der von ihm angebotenen Güter und Dienstleistungen, die der Agent bewusst verheimlicht, um als Vertragspartner ausgewählt zu werden. Aus dieser Informationsasymmetrie resultiert die Gefahr der Adversen Selektion, d. h. die Auswahl eines schlechten Vertragspartners, der bei Vorliegen vollständiger Informationen nicht ausgewählt worden wäre.565 Gleichwohl muss dieses Problem nicht zwingend, wie von AKERLOF (1970) beschrieben, zu Marktversagen führen, da verschiedene Lösungsmechanismen existieren. 566 Ein Handelsmarkenhersteller für Bekleidung verschweigt z. B. den Einsatz unerlaubter Chemikalien, die ihm eine günstigere Produktion erlauben. Möglichkeiten zur Reduzierung der Hidden Characteristics bestehen für den Agenten in einem glaubwürdigen Nachweis bestimmter Eigenschaften, das sog. Signaling (z. B. die
558
Der in Kap. C.3.1.1 geschilderte Zusammenhang zwischen unvollständiger Information und den Transaktionskosten wird nicht von allen Autoren geteilt. Im Gegensatz zu Williamson (1985), S. 44 erachtet Schweizer (1999), S. 5 die Herstellung dieser Verbindung für unangebracht.
559
Vgl. Picot (1991b), S. 150. Insbesondere ist hier die Unsicherheit aufgrund unvollständiger Verträge und die Zukunftsunsicherheit von Entscheidungen gemeint (vgl. Erlei/Leschke/ Sauerland (2007), S. 103-108).
560
Vgl. Ahlert/Ahlert (2007), S. 463. Die Kosten für diese Maßnahmen werden als Agenturkosten („agency costs“) bezeichnet, vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308.
561
Vgl. Bühner (2004), S. 117; Fritsch/Wein/Ewers (2007), S. 291.
562
Vgl. Göbel (2002), S. 100.
563
Vgl. Pfaffmann (1997), S. 41; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 88.
564
Vgl. hier und im Folgenden Bea/Göbel (2006), S. 135; Göbel (2002), S. 101; Picot et al. (2003), S. 57.
565
Vgl. Akerlof (1970). AKERLOF beschreibt in einem Modell, wie ein Markt durch das sukzessive Austreten von überdurchschnittlich guten Anbietern zusammenbricht.
566
Vgl. Fritsch/Wein/Ewers (2007), S. 297.
110
Kap. C
Einhaltung des Industriestandards Öko-Tex 100, der den Einsatz der Chemikalien verbietet). Für den Prinzipal besteht die Möglichkeit des Screening, d. h. die Vornahme bestimmter Aktivitäten, um die Eignung des Agenten zu überprüfen (z. B. Kontrolle der Qualität vor Vertragsabschluss durch ein unabhängiges Prüflabor).567 Das Handelsunternehmen kann darüberhinaus die unterschiedlichen Vertragsbedingungen so ausgestalten, dass bestimmte Verhaltensweisen belohnt werden und es zu einer Selbstauswahl geeigneter Lieferanten kommt.568 Eine Hidden Intention tritt als Folge des Spezifitätsproblems aus der Transaktionskostentheorie auf und liegt vor, wenn der Prinzipal nicht über sämtliche Informationen hinsichtlich der Handlungsabsichten des Agenten im Laufe der Leistungsbeziehung verfügt.569 Nach Vertragsabschluss kann der Prinzipal das opportunistische Verhalten des Agenten zwar beobachten, es aber nicht mehr abwenden.570 Dadurch besteht die Gefahr des Hold up, der Abhängigkeit durch irreversible spezifische Investitionen des Prinzipals, die der Agent ausnutzt, indem er sich opportunistisch verhält.571 Ein Handelsmarkenhersteller könnte bspw. eine ungünstige Vertragsgestaltung herbeiführen, die einen Anteil an chemischen Zusatzstoffen nicht konkret festlegt, mit der Absicht, diese später zu seinen Gunsten auszunutzen. Dieses Ausbeutungsrisiko kann minimiert werden, indem z. B. durch Sicherheiten in Form von Bürgschaften oder Garantien ein Interessenausgleich geschaffen wird. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Integration der entsprechenden Wertschöpfungsstufe in das Unternehmen. Als Hidden Action wird unerwünschtes Verhalten des Agenten nach Vertragsabschluss bzw. während der Leistungserstellung bezeichnet, das dem Prinzipal verborgen bleibt, da ihm nur die Ergebnisse der Handlungen des Agenten bekannt sind.572 Daher kann er nicht genau beurteilen, welchen konkreten Einsatz der Agent leistet und welche Rolle Umwelteinflüsse bei der Erbringung der Leistung einnehmen.573 Diese Tatsache beinhaltet die Gefahr des Moral Hazard, d. h., dass der Agent die unvollständige Kontrolle seiner Person ausnutzt, ohne dass dieses dabei im Nachhi-
567
Vgl. zu den Möglichkeiten des Signalling und Screening z. B. Beißel (2003), S. 28-29; Göbel (2002), S. 111; Jensen/Meckling (1976), S. 308; Picot et al. (2003), S. 57; Ripperger (2005), S. 65-66. Diese Lösungsmaßnahmen bilden zusammen mit dem Wohlfahrtsverlust die AgenturKosten, die es zu minimieren gilt.
568
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 214-215.
569
Vgl. Göbel (2002), S. 103; Peters (2008), S. 318.
570
Vgl. Beißel (2003), S. 32; Friese (2006), S. 63.
571
Vgl. Göbel (2002), S. 103; Ripperger (2005), S. 67. Die irreversiblen Vorleistungen werden auch als sunk costs bezeichnet.
572
Vgl. Ebers/Gotsch (2006), S. 213; Göbel (2002), S. 102; Picot et al. (2003), S. 58.
573
Vgl. Krafft (1995), S. 86.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
111
nein vom Prinzipal entdeckt wird.574 Bspw. ist es einem Bekleidungseinzelhändler in der Regel kaum möglich, die Produktionsstätten sämtlicher Lieferanten in Fernost auf den Einsatz von Kinderarbeit zu kontrollieren. Zur Eingrenzung der Gefahr des Moral Hazard kann der Prinzipal einerseits versuchen, die Informationsasymmetrie durch Berichtssysteme oder Kontrollinstanzen zu reduzieren (Monitoring) sowie andererseits Vertragsanreize schaffen, die das unerwünschte Verhalten durch Interessenangleichung verhindern. Im Beispiel des Bekleidungseinzelhändlers könnte dieser verbindliche Muster zur Qualitätsprüfung der Handelsmarken fordern oder aber seinen Lieferanten eine Prämie zahlen, wenn bei unabhängigen Kontrollen keine Kinderarbeit festgestellt wird. Dem Agenten ist es ebenfalls möglich, nach Vertragsabschluss, z. B. durch regelmäßige Berichte über seine Handlungen oder die freiwillige Unterwerfung unabhängiger Kontrollen, seine Verlässlichkeit zu demonstrieren. Durch dieses sog. Reporting gelingt es dem Agenten, im Verhalten gegenüber dem Prinzipal Transparenz zu zeigen.575 Die eng mit der Hidden Action verwandte Informationsasymmetrie der Hidden Information tritt auf, wenn der Prinzipal die Handlungen des Agenten zwar beobachten kann, aber nicht über genug Informationen eines Fachgebietes verfügt, um die Handlungen vollständig beurteilen zu können.576 Es besteht die Gefahr, dass der Agent diejenige Handlung wählt, die seinen persönlich Nutzen maximiert. 577 Ein Handelsunternehmen kann bspw. in der Rolle des Agenten aufgrund seiner umfangreichen Scanner-Daten Informationen über Markttrends ableiten, die es dem Hersteller in der Rolle des Prinzipals vorenthält. Zur Reduzierung dieser Informationsasymmetrie empfiehlt sich eine entsprechende Anreizstruktur in den Verträgen, die eine Angleichung der Interessen gewährleistet. Die angeführten Beispielen verdeutlichen, dass zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen eine meist gegenseitige Abhängigkeit herrscht und deshalb eine situationsspezifische Differenzierung zwischen Prinzipal- und Agentenrolle vorgenommen werden muss.578 Traditionell ist der Hersteller Prinzipal des Händlers, der diesen mit der Vermarktung seiner Produkte beauftragt.579 Die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen stellen sich gegenwärtig jedoch etwas anders dar und lassen sich z. B. anhand der Sortimentsflexibilität des Handels auf 574
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 74.
575
Vgl. Göbel (2002), S. 113.
576
Vgl. Göbel (2002), S. 102; Peters (2008), S. 318. PETERS weist darauf hin, dass die in der Fachliteratur verwendete Bezeichnung der Hidden Information missverständlich gewählt ist, da auch die anderen Konfliktfelder der Prinzipal-Agent-Theorie durch Informationsasymmetrien verursacht werden (vgl. Peters (2008), S. 318).
577
Vgl. Göbel (2002), S. 75; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 75.
578
Vgl. Göbel (2002), S. 98.
579
Vgl. Ergenzinger/Krulis-Randa (2003), S. 170.
112
Kap. C
der einen und der Produktflexibilität der Industrie auf der anderen Seite aufzeigen.580 Die Handelsunternehmen können ohne viel Aufwand Artikel im Sortiment austauschen oder deren Position im Regal oder Geschäft verändern. Diese Entscheidungen über die zur Verfügung gestellte Fläche und die Platzierung werden häufig als Druckmittel gegenüber den Herstellern eingesetzt.581 Diese benötigen zur Amortisierung ihrer spezifischen Investitionen, z. B. in Produktionsanlagen, hohe Volumina bzw. eine hohe Marktabdeckung. Im Falle der Handelsmarkenproduktion beauftragt ein Handelsunternehmen einen Hersteller mit der Produktion von Handelsmarken und nimmt folglich die Rolle des Prinzipals ein.582 Das Handelsunternehmen ist somit bezüglich der gelieferten Qualität und Quantität der Ware vom Hersteller, dem Agenten, abhängig. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Risiken für das Handelsunternehmen, die teilweise erst nach Vertragsabschluss dem Handelsunternehmen bewusst werden. Diese sind in Tab. C-7 zusammengestellt. Risiko
Beschreibung
Kapazitätsbeschränkung
Unvermögen, eine bestimmte Menge in einer vorgegebenen Zeit zu fertigen
variable Taktzeit
variierende Zeiträume zwischen Bestellung und Lieferung der Ware
schlechtes Informationsmanagement
Unfähigkeit des Herstellers, relevante Informationen richtig und rechtzeitig bereitzustellen
schlechte Lagerverwaltung
Probleme des Herstellers beim Management von Rohmaterialien, halbfertigen und fertigen Produkten
Qualitätsmängel
Abweichungen zwischen vereinbarter und gelieferter Qualität der Handelsmarken
Lieferungenauigkeiten
Abweichungen zwischen nachgefragter und gelieferter Menge
fehlende Kosteneinsparungen
ungenutzte Möglichkeiten, die gleichen Produkte günstiger zu fertigen
Tab. C-7: Mögliche Lieferantenrisiken für Handelsunternehmen Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Zsidisin (2001), S. 196.
Die Agentenrolle trifft insbesondere auf Hersteller zu, die keine eigenen Markenartikel, sondern ausschließlich Handelsmarken im Auftrag der Handelsunternehmen 580
Vgl. Steiner (2007), S. 10.
581
Vgl. Steiner (2004), S. 123.
582
ERGENZINGER spricht in diesem Zusammenhang von einer „Umkehrung der ‚Principal-AgentTheory‘ in ‚Agent-Principal-Theory‘“ (Ergenzinger/Krulis-Randa (2003), S. 170).
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
113
produzieren. Zudem wächst die Abhängigkeit der Hersteller von Handelsunternehmen, mit fortschreitender Konzentration in diesem Sektor.583 Mit den dadurch verringerten Ausweichmöglichkeiten der Hersteller stellen die Handelsunternehmen zunehmend die Bedürfnisse der Kunden in den Mittelpunkt ihres Handelns und betrachten diese als Prinzipal, für die sie – als Agenten – die idealen Hersteller suchen.584 Für Herstellerunternehmen ist es gut möglich, Kosteneinsparungen, z. B. in der Produktion, zu realisieren.585 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Hersteller Handelsmarken für unterschiedliche Handelsketten produzieren. Sind Handelsunternehmen nicht in der Lage festzustellen, in welcher Höhe der Hersteller Kosteneinsparungen realisiert, besteht die Gefahr, dass sich dieser opportunistisch verhält, während dem Handelsunternehmen nur unzureichende Informationen für eventuelle Verhandlungen über Folgeverträge vorliegen. 586 In diesem Fall ist nicht zu erwarten, dass der Hersteller die Kostenreduktionen weitergibt. Im Bezug auf den Absatz nimmt der Hersteller die Rolle des Prinzipals ein, der das Handelsunternehmen mit dem Absatz der Produkte beauftragt. Dem Handelsunternehmen bleibt die Rolle des Agenten, der sich als solcher im Informationsvorsprung bzgl. der eigenen Absichten befindet. Abhängig von diesen Absichten sind Handelsunternehmen völlig unterschiedlich als Partner für produzierende Unternehmen geeignet. Positiv auf eine Zusammenarbeit wirken langfristige Kooperationsvorhaben. Idealerweise sind diese noch qualitätsorientiert und streben eine Maximierung des Nutzens bzw. der Marge für beide Seiten an.587 Im Gegensatz dazu können Handelsunternehmen lediglich an einer kurzfristigen, auf dem Preis basierenden Zusammenarbeit interessiert sein und weniger Wert auf die Interessen des Kooperationspartners legen. Verfolgt ein Handelsunternehmen derartige Absichten, wird es sie dem Hersteller in den Verhandlungen vorenthalten. Die Hersteller müssen bei der Ausrichtung auf ein Handelsunternehmen oftmals spezifische Investitionen tätigen, um eine Fertigung der Handelsmarken im Interesse des Handelsunternehmens zu gewährleisten. Dadurch begeben sie sich in eine Abhängigkeit gegenüber den Handelsunternehmen und schränken ihre eigene Flexibilität stark ein. Spezifische Investitionen in einer solchen Hold up-Situation führen oft zu einer Ausbeutung der einseitigen Abhängigkeit in Form von opportunistischem Verhalten der Handelsunternehmen.588 Haben Hersteller bereits die spezifische Investition getätigt, sind Handelsunternehmen in einer besseren Verhandlungsposition, so583
Vgl. Steiner (2007), S. 10.
584
Vgl. Ergenzinger/Krulis-Randa (2003), S. 170 und Olbrich et al. (2005), S. 4.
585
Vgl. Jonas/Roosen (2005), S. 641.
586
Vgl. Paché (2007), S. 182.
587
Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 312.
588
Vgl. Grossman/Hart (1986), S. 692; Williamson (1975), S. 234.
114
Kap. C
bald es zu Neuverhandlungen mit den Herstellern kommt.589 Liegen einem Handelsunternehmen Angebote anderer Herstellern vor, können sie die Lieferanten wechseln und die Hersteller müssen die Kosten ihrer bereits getätigten spezifischen Investitionen tragen. Bereits das Androhen eines Herstellerwechsels könnte im Rahmen von Preisverhandlungen zu einem weiteren Entgegenkommen des Herstellers führen.590 Auf der Suche nach dem günstigsten Produzenten für eine Handelsmarke kann das Handelsunternehmen verschiedene Herstellerunternehmen gegeneinander ausspielen.591 Aufgrund dieser ungleichen Machtverteilung führen Kooperationen mit Handelsketten, die lediglich an einer auf dem Preis basierenden Zusammenarbeit interessiert sind, daher für die Hersteller mittelfristig zum Absatz der Handelsmarken zu Grenzkosten. Wenn ein Handelsunternehmen ein Herstellerunternehmen mit der Produktion von Handelsmarken beauftragt, ist es von besonderer Bedeutung, sorgfältig zu prüfen, ob alle relevanten Qualitäts- und Quantitätsanforderungen vertraglich berücksichtigt werden, sonst können Informationsasymmetrien opportunistisches Verhalten der Hersteller hervorrufen.592 Nach MORELLI (1999) kann lediglich durch Kooperationsverträge eine nachhaltige Entwicklung von Handelsmarken erreicht werden.593 Die Übertragung der Produktion auf einen Hersteller birgt in jedem Fall die oben aufgeführten Risiken. Es ist daher für das Handelsunternehmen zwingend notwendig, sicherzustellen, dass der Hersteller in der Lage ist, auf Unsicherheiten, die sich aus dem Unternehmensumfeld ergeben, z. B. die Versorgung bei Rohstoffengpässen, zu reagieren.594 Zudem ist für die Vertragsgestaltung wichtig, dass sowohl Hersteller als auch Handelsunternehmen spezifische Investitionen durchführen, um zur Einschränkung opportunistischen Handelns Informationsungleichheiten zu reduzieren und einen Interessenausgleich herzustellen.595 Tritt das Handelsunternehmen als Handelsvermittler (Agent) in einem vertikalen Wertschöpfungsnetzwerk auf, prägt dieses wesentlich die Waren-, Informations- und Finanzströme.596 Das gilt gleichermaßen für Handelsunternehmen und selbständige Händler, die Mitglied einer Einkaufsgenossenschaft sind und die Ware vollständig über diese beziehen.597 Der Händler ist in diesem Fall, da 589
Vgl. Narasimhan/Wilcox (1998), S. 596.
590
Vgl. Dunne/Narasimhan (1999), S. 45.
591
Vgl. Olbrich/Buhr (2007), S. 493.
592
Vgl. Paché (2007), S. 176.
593
Vgl. Morelli (1999), S. 184.
594
Vgl. Paché (2007), S. 180.
595
Vgl. Morelli (1999), S. 179.
596
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 662.
597
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 662.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
115
er die Produktion und die Distribution von Handelsmarken koordiniert, sowohl Agent des Herstellers, für den er die produzierten Handelsmarken verkauft, als auch Agent des Verbrauchers.598 Zum Schutz vor opportunistischem Verhalten der Hersteller ist das Handelsunternehmen bestrebt, eine hinreichende Qualitätssicherung einrichten.599 Durch die Einstellung von Spezialisten versuchen Handelsunternehmen, die Hersteller auf eventuelle opportunistische Verhaltensweisen bei der Entwicklung sowie der späteren Qualitätssicherung der Handelsmarken zu überprüfen. So werden Unsicherheiten reduziert und fundierte Beurteilungen darüber ermöglicht, ob Hersteller ihre Verpflichtungen vertragsgemäß erfüllen. Insbesondere bei dem heutzutage bedeutenden Einfluss der Qualität der Handelsmarken auf die Positionierung der gesamten Handelskette sind eigene Kontrollmaßnahmen zur Einhaltung der Qualitätsstandards fremdproduzierter Handelsmarkenprodukte für Handelsunternehmen unumgänglich.600 Wechselt ein Handelsunternehmen wiederholt den Hersteller, führt das nicht nur zu einer schlechten Reputation als Handelspartner, sondern ist zusätzlich mit hohen Kosten verbunden. Bspw. sind Änderungen am Produkt notwendig, wenn die Maschinen des neuen Herstellers nicht in der Lage sind, das Produkt baugleich zu fertigen.601 Durch Vertrauen werden die entstehenden Agenturkosten beider Akteure reduziert, da z. B. der Prinzipal auf Kontrollmaßnahmen zur Abwehr des opportunistischen Verhaltens verzichtet.602 Ein weiteres wirkungsvolles Instrument zur Verbesserung der Beziehung stellt der Interessenausgleich dar. Dieser kann durch Vertragsanreize zu Stande kommen, die für die Handelsunternehmen nur langfristig wirken und einen kurzfristigen Missbrauch des institutionellen Arrangements einschränken.603 Kritik erfährt die Prinzipal-Agenten-Theorie vor allem in Form der Überbewertung opportunistischen Verhaltens. 604 In der Praxis sind eine Vielzahl langjähriger Geschäftsbeziehungen anzutreffen, in denen opportunistisches Verhalten nur eine untergeordnete Rolle spielt. Des Weiteren wird der Prinzipal-Agenten-Theorie eine zu starke Orientierung an materiellen, insbesondere finanziellen, Anreizen unterstellt.605 598
Vgl. Olbrich (2001), S. 32. OLBRICH spricht in diesem Zusammenhang von einem „double-agentapproach“.
599
Vgl. Paché (2007), S. 181.
600
Vgl. Paché (2007), S. 181.
601
Vgl. Dunne/Narasimhan (1999), S. 45.
602
Vgl. Ripperger (2005), S. 68-70.
603
Vgl. Böger (1990), S. 209. Vgl. zu solchen sich selbst durchsetzenden Vereinbarungen Carmichael (1989), S. 81 („self-enforcing agreement“).
604
Vgl. Magnus (2007), S. 45; Picot (1991b), S. 153.
605
Vgl. Barney/Hesterly (2006), S. 128-129; Frey/Neckermann (2006), S. 271.
116
Kap. C
Dieser Kritik kann mit der Möglichkeit, auch nicht-monetäre Anreize in Verträge zu integrieren, begegnet werden.606 Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass es in der Realität problematisch ist, anreizkompatible Verträge auszugestalten, deren Anbahnung zudem noch kostenlos ist. 3.1.3
Theorie der Verfügungsrechte
Die Theorie der Verfügungsrechte ist als eine Weiterentwicklung des COASE’schen Transaktionskostenansatzes zu verstehen und geht auf die Beiträge von DEMSETZ (1964, 1967) und ALCHIAN (1965, 1972) zurück.607 Sie befasst sich mit exakt zugewiesenen Rechten sowie den zugehörigen Rechtsordnungen und berücksichtigt suboptimale Lösungen in Form von Transaktionskosten und sog. Verdünnung der Rechte.608 Die Theorie der Verfügungsrechte unterstellt, dass eine Ressource nicht nur aus ihrem physikalischen Wert besteht, sondern darüber hinaus aus den aus ihr hervorgehenden Verfügungsrechten. 609 Unter dem Begriff „Verfügungsrechte“ werden „[…] die mit materiellen und immateriellen Gütern verbundenen, institutionell legitimierten Handlungsrechte eines oder mehrerer Wirtschaftssubjekte“610 zusammengefasst. Die zentrale Hypothese dieses Ansatzes besagt, dass das Ausmaß des Verfügungsrechtes die Allokation von Ressourcen beeinflusst, was wiederum Einfluss auf die Effizienz von Institutionen ausübt.611 Es stehen allerdings nicht die individuellen Handlungen im Mittelpunkt, sondern die Handlungs- und Verfügungsrechte über die entsprechende Ressource. Gemäß der Theorie der Verfügungsrechte lassen sich vier Einzelrechte unterscheiden:612
das Recht eine Ressource zu nutzen (ius usus),
das Recht, sich die Erträge, die mit der Nutzung der Ressource einhergehen, anzueignen (ius usus fructus),
das Recht, eine Ressource in Form und Substanz oder Örtlichkeit zu verändern (ius abusus) und
606
Vgl. Peters (2008), S. 352.
607
Vgl. Leipold (1978), S. 518 und ergänzend Furubotn/Pejovich (1972).
608
Vgl. Picot (1991b), S. 145; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 55-56.
609
Vgl. Neus (2007), S. 108.
610
Picot/Dietl (1990), S. 178. Vgl. ähnlich bei Furubotn/Pejovich (1972), S. 1139.
611
Vgl. hier und im Folgenden Picot (1991b), S. 145.
612
Vgl. Furubotn/Pejovich (1972), S. 1139-1140 sowie Ebers/Gotsch (2006), S. 249; Neus (2007), S. 107-108; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 55.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
117
das Recht, die Ressource und die daren geknüpften Verfügungsrechte gesamt oder teilweise zu veräußern und den Veräußerungsgewinn einzubehalten (ius abutendi).613
Gilt für eine Ressource, z. B. das Recht an einer Marke, das Ausschlussprinzip, kann der Inhaber der Verfügungsrechte andere Akteure von der Nutzung dieser Ressource ausschließen.614 Sind nicht alle Verfügungsrechte über eine Ressource ein und demselben Akteur oder aber bestimmte Verfügungsrechte mehreren Akteuren simultan zuzuordnen, werden diese als „verdünnt“ bezeichnet.615 Die Ausübung der Verfügungsrechte ist damit in gewissem Maße eingeschränkt. Nutzenänderungen, die ein Akteur durch sein Verhalten bei anderen Akteuren ohne entsprechende Kompensation auslöst, bezeichnen die Vertreter der Theorie der Verfügungsrechte als externe Effekte.616 Wichtigste Aufgabe der Verfügungsrechte ist die Internalisierung dieser externen Effekte.617 Die individuellen Nutzenänderungen werden als private Erträge bzw. private Kosten bezeichnet, die insgesamt entstehenden Nutzenänderungen als soziale Erträge bzw. Kosten.618 Ist die Differenz zwischen privaten und sozialen Nutzenänderungen positiv, sind dies externe Erträge bzw. positive externe Effekte. Bei einer negativen Differenz wird analog dazu von externen Kosten bzw. negativen externen Effekten gesprochen. Die Steuerung der Warenströme im Handel und der Einfluss auf die Partner in der Supply-Chain hängt wesentlich von der Verteilung der Verfügungsrechte ab.619 Für das Handelsmarkenmanagement ist die Theorie der Verfügungsrechte insbesondere in Bezug auf die Markenrechte relevant. Mit wachsendem Handelsmarkenanteil, verfügen die Handelsunternehmen zunehmend über die Markenrechte an den Produkten, die sie verkaufen. Es kommt somit zu einer Verteilungsänderung der Verfügungsrechte zu Gunsten der Händler. Markenartikelhersteller haben das Handelsunternehmen traditionell „beauftragt“, die von ihnen hergestellten Produkte an den Konsumenten zu verkaufen, wobei mit der 613
Vgl. Blum (2005), S. 46; Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 23.
614
In der vorliegenden Arbeit werden ausschließlich rein private Güter betrachtet, weshalb auf eine Abgrenzung zu rein öffentlichen Gütern und Allmendegütern verzichtet wird. Siehe dazu Demsetz (1970), S. 293-294; Picot et al. (2003), S. 67-68.
615
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2008), S. 55-56. Der Begriff der Verdünnung („attenuation“) geht auf FUund PEJOVICH zurück (vgl. Furubotn/Pejovich (1972), S. 1140).
RUBOTN 616
Vgl. z. B. Neus (2007), S. 103; Picot/Dietl/Franck (2008), S. 57. DEMSETZ verwendet den Begriff „Externalitäten“. Diese können sowohl materieller als auch nicht materieller Art sein (vgl. Demsetz (1967), S. 348).
617
Vgl. Demsetz (1967), S. 348.
618
Vgl. hier und im Folgenden Neus (2007), S. 103-104.
619
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 662.
118
Kap. C
Auftragsvergabe immer schon eine Abtretung bestimmter Verfügungsrechten – wie der Warenpräsentation als ius abusus – verbunden war.620 Diese ursprüngliche Situation zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen macht MELLEROWICZ (1963) wie folgt deutlich: „Die Waffe des Handels in diesem Wettbewerbswettkampf ist das Verfügungsrecht über die Regale im Laden, die Waffe der Hersteller die Werbung, die dem Verbraucher das Produkt auch außerhalb des Ladens vertraut machen kann.“621
Ein weiteres wichtiges Verfügungsrecht innerhalb der Hersteller-Handels-Beziehung ist das der Preisgestaltung, das der Gesetzgeber den Herstellern mit der Aufhebung der vertikalen Preisbindung weitestgehend entzogen hat.622 Dieser Eingriff in die Vertragsfreiheit hat das preispolitische Instrumentarium der Hersteller in hohem Maße eingeschränkt und zugleich die preispolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Handelsunternehmen für ihre Handelsmarken gestärkt.623 Im Fall der Handelsmarken initiert das Handelsunternehmen die unterstützenden kommunikationspolitischen Maßnahmen.624 Der unmittelbare Nutzen, den Handelsunternehmen durch die bei Markenartikeln transaktionskostensenkende Funktion der Marke als ius usus fructus vom Hersteller erhalten, ist ein Verfügungsrecht, das dem Handelsunternehmen bei dessen Handelsmarken ohnehin zusteht, sofern es Eigentümer der Marke ist. Eigentum an der Marke bedeutet das unbeschränkte, dingliche Recht, über diese Marke frei zu bestimmen, zu verfügen und auf diese einwirken zu können, sowie das Recht, andere davon auszuschließen, sofern die in der Rechtsordnung gezogenen Grenzen (z. B. Gesetze, Rechte Dritter) nicht überschritten werden.625 Die Verfügungsrechte der Handelsmarke liegen in der Regel beim Handelsunternehmen. Daneben existieren Fälle, in denen Herstellerunternehmen einen Teil ihrer Marken einem Händler exklusiv zur Verfügung stellen. Der Händler verfügt damit über das Recht, die Handelsmarke exklusiv für seine Geschäftsstätten zu nutzen und sich die Erträge aus dem Handelsmarkenverkauf anzueignen. Dieses ius usus fructus ist jedoch insofern eingeschränkt, als dass gleichermaßen der Hersteller von der Fruchtziehung profitiert, da er mit dem Händler eine exklusive Lieferbeziehung eingeht. Das ius abusus geht ebenfalls auf den Händler über, denn dieser bestimmt über Positionierung und Auftreten der Marke. Verbleibendes Recht des Herstellers ist die Veräußerung der Markenrechte, die Verfügungsrechte sind dementsprechend als 620
Vgl. Tunder (2003), S. 207.
621
Mellerowicz (1963), S. 57.
622
Nach europäischem Gesetz verbietet Artikel 81 des EG-Vertrages die vertikale Preisbindung.
623
Vgl. Olbrich/Buhr (2007), S. 490-492; Olbrich/Grewe (2008), S. 32.
624
Vgl. zur Kommunikationspolitik der Handelsunternehmen Kap. C.4.5.4.
625
Vgl. Richter/Furubotn/Streissler (2003), S. 95-96.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
119
verdünnt zu bezeichnen. Diese Veräußerung kann z. B an das Handelsunternehmen erfolgen, wenn es der Ansicht ist, die entsprechende Marke verfüge über ein genügend großes akquisitorisches Profilierungspotenzial. Ein weiterer Grund, der dafür spricht, dass sämtliche Verfügungsrechte der Handelsmarke beim Handelsunternehmen liegen, sind die spezifischen Investitionen des Handelsunternehmens in Form des unentgeltlichen Reputationsaufbaus der Handelsmarken. Neben Insertionen und Handzetteln stellt bereits das zur Verfügungstellen limitierten Regalplatzes eine Investition in die entsprechende Marke dar. Ein Kapital, das mit den Markenrechten der Handelsmarke verknüpft ist, beinhaltet aus Sicht des Herstellers, ebenso wie der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten zur Herstellung der entsprechenden Handelsmarken, unter Umständen spezifische Investitionen in die Reputation eines Handelsunternehmens.626 Produziert ein Hersteller z. B. hochwertige Produkte unter einer Premiumhandelsmarke, deren Markenrechte beim Handelsunternehmen liegen, und erfolgt die Vermarktung der hohen Produktqualität ausschließlich über die Handelsmarke dieses einen Handelsunternehmens, kann die Qualitätsreputation bei Kündigung der Lieferbeziehungen nicht ohne Weiteres auf andere Handelsunternehmen übertragen werden. Das Reputationskapital für die produzierten Handelsmarken ist somit aufgrund der Markenrechte aus Sicht des Herstellerunternehmens spezifischer Natur. Solange für die Handelsmarkenproduktion auf Seiten des Herstellers die zur Verfügung stehenden Ressourcen eingesetzt werden können, ist die Spezifität gering. Diese steigt erst, wenn zusätzliche Kapazitäten aufgebaut werden. Die Übernahme von Teilen des Handelsmarkenmanagements wäre für den Hersteller mit dem Aufbau von zusätzlichem Know-how und Managementkapazität verbunden. Verbleiben sämtliche Verfügungsrechte über die Handelsmarke bei der Handelsorganisation, können nach einer Beendigung des Geschäftsverhältnisses die an diese Handelsmarke gekoppelten Ressourcen nur bedingt einer anderen Verwendungsrichtung zugeführt werden. Aus Sicht der Theorie der Verfügungsrechte ist es notwendig, dass die Markenrechte für eine Handelsmarke eindeutig verteilt sind. Die Ausführungen verdeutlichen die Sinnhaftigkeit, alle Verfügungsrechte der Handelsmarken auf Handelsseite zu belassen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die mit dem steigenden Handelsmarkenanteil verbundene Verschiebung der Verfügungsrechte positive bzw. negative externe Effekte hervorruft. Die Herstellerunternehmen, die ausschließlich oder zusätzlich Handelsmarken produzieren, verfügen über keine bzw. immer weniger Verfügungsrechte über ihre Produkte. Die Handelsunternehmen begeben sich insbesondere im LEH auf einen Weg „[…] immer weiter voranschreitende[r] Abschottung
626
Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland (2007), S. 205.
120
Kap. C
des Wettbewerbs bei gleichzeitiger Umgehung des Regulierungstatbestands Preisbindungsverbot“.627 Die Vermutung, dass durch eine Zunahme der im Vergleich zu den Markenartikeln deutlich günstigeren Handelsmarken, positive externe Effekte (für die Endverbraucher) entstünden, erweist sich in der empirischen Überprüfung als Trugschluss. In einer Längsschnittuntersuchung in den Jahren 2000 bis 2005 untersuchen OLBRICH und GREWE die Einflüsse des Handelsmarkenwachstums im deutschen LEH. Sie stellen dabei eine sinkende Artikelvielfalt durch ausgelistete Herstellermarken, ein über alle Betriebsformen sinkendes Marktvolumen und inflationsbereinigt steigende Durchschnittspreise fest. 628 Die privaten Erträge, die die Handelsunternehmen mit der Einführung neuer Handelsmarken erzielen, stehen in keinem Verhältnis zu den privaten Verlusten der Hersteller und Endverbraucher, was negative externe Effekte herbeiführt.629 Inwieweit eine Abschaffung der vertikalen Preisbindung und dadurch eine Stärkung der Verfügungsrechte der Hersteller diese externen Kosten internalisieren kann bleibt fraglich, da Handelsunternehmen auch unabhängig davon ihren Handelsmarkenanteil weiter steigern können.630 Im Rahmen einer kritischen Würdigung der Theorie der Verfügungsrechte ist anzumerken, dass sie in der Lage ist, rechtliche Arrangements, die für das Handelsmarkenmanagement von Bedeutung sind, vor dem Hintergrund externer Effekte zu analysieren. Dass das Ausmaß der Verfügungsrechte die Allokation von Ressourcen beeinflusst, zeigt sich auch in der Hersteller-Handels-Beziehung. Kritik erfährt die Theorie der Verfügungsrechte vor allem in Form der Ausblendung von Machtstrukturen, mangelhafter Operationalisierbarkeit und fehlenden Einbezugs sozialer Interaktionen.631 Zudem werden einseitig die Vorteile unverdünnter Verfügungsrechte gesehen, ungeachtet dessen, dass Konstellationen auftreten können, in denen eine Verdünnung externe Kosten internalisieren kann.632
627
Olbrich/Grewe (2008), S. 32.
628
Vgl. Olbrich/Grewe (2008), S. 34-38.
629
Für einige Handelsmarken sind private monetäre Gewinne als sehr gering einzuschätzen (Olbrich/Grewe (2008), S. 33).
630
Vgl. zur Diskussion der Abschaffung der vertikalen Preisbindung Ahlert (2004b); Ahlert/ Köster/Vering (2006); Olbrich/Buhr (2007); Olbrich/Grewe (2008), S. 37-38.
631
Vgl. Magnus (2007), S. 45; Picot (1991b), S. 153.
632
Vgl. Göbel (2002), S. 357.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
3.2
121
Hersteller-Handels-Beziehung aus Sicht der Anreiz-Beitrags-Theorie
Die Anreiz-Beitrags-Theorie begründet sich im Wesentlichen auf die Arbeiten von BARNARD (1938), CYERT und MARCH (1955), SIMON (1957) sowie MARCH und SIMON (1958). 633 Im Zentrum der Anreiz-Beitrags-Theorie steht ein Gleichgewicht zwischen den von einer Organisation gesetzten Anreizen und den geleisteten Beiträgen der Teilnehmer dieser Organisation.634 Jede Form der Organisation lässt sich dabei als Koalition interpretieren, in der die Teilnehmer bereit sind, für bestimmte Anreize einen entsprechenden Beitrag zu leisten.635 Es handelt sich demnach in erster Linie um einen motivationstheoretischen Ansatz, der sich mit der Fragestellung beschäftigt, wie Organisationen ihre Teilnehmer dazu bewegen können, Beiträge zu leisten, die den Fortgang der Organisation gewährleisten.636 Die gesamte Organisation bleibt schlussendlich solvent, solange die Summe der Beiträge größer oder gleich den Anreizen ist.637 Als Anreize werden alle materiellen und nicht-materiellen Vorteile bezeichnet, die sich für die Teilnehmer aus der Mitgliedschaft in der Koalition ergeben. 638 Analog handelt es sich bei den Beiträgen um alle materiellen und nicht-materiellen Nachteile, die ebenfalls aus der Koalitionsmitgliedschaft resultieren. 639 Der Anreiz-BeitragsTheorie liegt zudem die Annahme zugrunde, dass die Teilnehmer sich über die Alternativen zur gewählten Koalition und somit auch über die Opportunitätskosten, die ihnen durch die Mitgliedschaft entstehen, bewusst sind.640 Des Weiteren unterstellt die Anreiz-Beitrags-Theorie, wie die neoinstitutionenökonomischen Ansätze, die begrenzte Rationalität der Akteure.641
633
Vgl. Schlüter (2001), S. 29; Steiff (2004), S. 63.
634
Vgl. von der Gathen (2001), S. 172; March/Simon (1958), S. 83-85. Auf dem Ansatz des AnreizBeitrags-Gleichgewichts basieren ebenfalls sozialpsychologische Theorien wie die Austauschtheorie. Diese basiert auf der Annahme, dass jeder Interaktionspartner seinen Nutzen zu maximieren versucht und auf der Basis seines individuellen Vergleichsniveaus, die ihm entstandenen Kosten dem daraus resultierenden Nutzen gegenüberstellt (vgl. Backhaus (2009), S. 83-88; Nießing (2007), S. 85-89; Wiswede (2007), S. 98-102).
635
Vgl. Ahlert (1996), S. 92; Gust (2001), S. 33; Meffert (1981), S. 102-103; Schlüter (2001), S. 29; Steffenhagen (1975), S. 50-51; Steiff (2004), S. 63. BARNARD definiert eine formale Organisation als ein System bewusst koordinierter Handlungen oder Kräfte von zwei und mehr Personen (vgl. Barnard (1938), S. 65). In einem weiter gefassten Verständnis zählen dazu auch Lieferanten und Abnehmer einer Organisation (vgl. Barnard (1938), S. 68; March/Simon (1958), S. 85-87).
636
Vgl. Hoffmann (2008), S. 106; March (1993), S. 81.
637
Vgl. Ahlert (1996), S. 92; March (1993), S. 81.
638
Barnard (1938), S. 86-87. Als nicht-materielle Anreize nennt BARNARD bspw. Prestige und soziale Beziehungen (vgl. Barnard (1938), S. 124-129).
639
Vgl. March/Simon (1958), S. 82; Schlüter (2001), S. 29; Steiff (2004), S. 63.
640
Vgl. Meffert (1981), S. 103; Staehle/Conrad/Sydow (1999), S. 401.
641
Vgl. ausführlich Berger/Bernhard-Mehlich (2006), S. 177-179.
122
Kap. C
Aus Sicht der einzelnen Koalitionsteilnehmer stellen die ihnen gewährten Anreize Gegenleistungen für erbrachte Beiträge dar.642 Ein Teilnehmer bleibt in der Koalition, solange die empfangenen Anreize größer sind als die geleisteten Beiträge bzw. solange er subjektiv seine erbrachten Beiträge niedriger einschätzt als seinen Nutzengewinn, den er durch die Anreize erfährt.643 Die Effizienz und Dauerhaftigkeit einer Koalition hängt daher von dem individuell empfundenen Anreiz-Beitrags-Saldo eines jeden Teilnehmers ab.644 Empfinden die Teilnehmer diesen Saldo dauerhaft als positiv, befindet sich die Organisation im Gleichgewicht.645 Übersteigt das gesamte Anreizpotenzial der Organisation die Teilnehmerbeiträge, entsteht ein Überschuss, der als „Slack“ bezeichnet wird und als eine Art Gleichgewichtspuffer eine gewisse Unempfindlichkeit der Koalition gegenüber Veränderungen und äußeren Einflüssen und somit die Stabilität der Organisation gewährleistet.646 Kommt es hingegen kurzfristig bzw. zeitlich begrenzt zu einem negativen Anreiz-Beitrags-Saldo, bestehen für die Teilnehmer der Koalition grundsätzlich drei mögliche Verhaltensweisen:647
Die betroffenen Teilnehmer akzeptieren das Ungleichgewicht, da sie z. B. Verständnis für die kurzfristige Veränderung aufbringen oder aus der Vergangenheit ein ausreichender Slack besteht, der die kurzzeitige Verschlechterung kompensiert.
Die betroffenen Teilnehmer akzeptieren zwar das Ungleichgewicht, ergreifen jedoch (nicht opportunistische) Maßnahmen, um das vorherige Gleichgewicht wieder herzustellen bzw. einer weiteren Verschlechterung vorzubeugen.
Die betroffenen Teilnehmer ergreifen opportunistische Maßnahmen, um das subjektiv empfundene Missverhältnis zwischen Anreizen und Beiträgen wieder auszugleichen.
Hält das Ungleichgewicht über einen längeren Zeitraum an, kann es in Abhängigkeit der damit verbundenen Kosten, wie bspw. spezifischen Investitionen (sunk cost), zu
642
Vgl. March/Simon (1958), S. 82; Steffenhagen (1975), S. 50-51.
643
Vgl. Ahlert (1996), S. 92; Berger/Bernhard-Mehlich (2006), S. 173; Hoffmann (2008), S. 106-107; March/Simon (1958), S. 89.
644
Vgl. Ahlert (1996), S. 92.
645
Vgl. March/Simon (1958), S. 84; Meffert (1981), S. 103. Dabei ist nicht wichtig, ob die AnreizBeitrags-Rechnung tatsächlich positiv ist. Es kommt nur auf das subjektive Empfinden der Teilnehmer an (vgl. Berger/Bernhard-Mehlich (2006), S. 136-137; Steiff (2004), S. 64).
646
Vgl. Ahlert (1996), S. 92. Das individuelle Gleichgewicht der Teilnehmer kann als Grundvoraussetzung für den Bestand der Koalition gesehen werden. Die Anreize und Beiträge können sich allerdings im Zeitablauf sowohl objektiv als auch in der subjektiven Wahrnehmung der Teilnehmer verändern, so dass der Gleichgewichtszustand kontinuierlich neu definiert wird (vgl. Cyert/March (1963), S. 34-36; Schlüter (2001), S. 30).
647
Vgl. hier und im Folgenden Steiff (2004), S. 65.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
123
einem Austritt des Teilnehmers aus der Koalition kommen.648 Zu beachten ist, dass vertragliche Verflechtungen zu bilateralen Kopplungen von Anreizen und Beiträgen zwischen Herstellern und Handelsunternehmen führen können.649 Durch die Berücksichtigung externer Effekte, z. B. Skaleneffekte beim Einkauf, kann das AnreizBeitrags-Verhältnis zudem auf Kosten Dritter verbessert werden.650 Für eine Übertragung auf die Hersteller-Handels-Beziehung sind die jeweiligen Anreize und Beiträge zur Produktion bzw. zum Vertrieb von Handelsmarken zu identifizieren. Die Anreize eines Handelsunternehmens, mit Herstellern eine Koalition einzugehen, ergeben sich bei Markenartikeln im Wesentlichen aus dem Deckungsbeitrag der verkauften Produkte und der Profilierung der Einkaufsstätte.651 Durch die Partizipation am Namen und der Erfahrung des Herstellers erhoffen sich die Handelsunternehmen eine verbesserte Wettbewerbsposition. Die Anreize des Handelsunternehmens zur Führung von Handelsmarken im Sortiment bestehen ebenfalls in der Profilierung der Einkaufsstätte, mit dem Unterschied, dass sich die Profilierungsfunktion aufgrund exklusiver Distributionsrechte auf das jeweilige Handelsunternehmen beschränkt. 652 Insbesondere sind die Handelsmarken wegen ihrer Deckungsspanne interessant, auf deren Ausgestaltung das Handelsunternehmen einen wesentlichen Einfluss hat. Sie ist in der Regel höher als bei Markenartikeln, da bestimmte Kosten des Herstellers, z. B. für Forschung, Produktentwicklung und klassische Werbung, nicht oder nur in geringer Höhe entstehen.653 Der Handel beeinflusst durch die Art und Weise seiner spezifischen Funktionserfüllung die Höhe des Endnachfragerumsatzes, der letztendlich zwischen ihm und dem Hersteller aufzuteilen ist. Wie in Abb. C-3 vereinfacht dargestellt, fällt die Handelsspanne654 aufgrund der geringen Herstellerspanne trotz niedrigeren Endverbraucherpreises in der Regel höher aus.655 In praxi hängt die Höhe der Handelsspanne allerdings von dem Preiswettbewerb in der 648
Vgl. Meffert (1981), S. 108. Zu weiteren Faktoren, die den Austritt aus einer Koalition determinieren vgl. vertiefend Schulte-Althoff (1992), S. 151; Steiff (2004), S. 66-67.
649
Vgl. Steiff (2004), S. 70.
650
Vgl. Herder-Dorneich (1989), S. 25.
651
Vgl. Ahlert (1996), S. 92 und vertiefend Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 594-597.
652
Vgl. Berentzen (1983), S. 167. Zu den Funktionen der Handelsmarken vgl. Tab. B-3 auf S. 32.
653
Vgl. Dick/Jain/Richardson (1996), S. 18; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 608-609; Semeijn/van Riel/Ambrosini (2004), S. 247. Die Deckungsspanne liegt laut einer Studie von BONTEMS bei Handelsmarken mit durchschnittlich 23 % des Umsatzes höher als die der Markenartikel mit durchschnittlich 15 % (vgl. Bontems/Monier-Dilhan/Requillart (1999), S. 148).
654
Zu den zahlreichen Einflüssen der Handelsspannenhöhe vergleiche vertiefend Sundhoff (1953), insbesondere Kapitel vier.
655
Vgl. Hoch/Banerji (1993), S. 60. Die Herstellerspanne ist hier als Preispremium der Herstellermarke zu verstehen. Auch Hersteller von Handelsmarken verfügen über eine Herstellerspanne. Vereinfachend sei jedoch angenommen, dass diese in Abb. C-3 in den Herstellkosten enthalten ist, da diese bei der Handelsmarkenproduktion aufgrund von Skaleneffekten in der Regel niedriger ausfallen als bei den Markenherstellern.
124
Kap. C
jeweiligen Produktkategorie bzw. von der Höhe des dem Kunden gewährten Preisvorteils ab.
EUR
Handelsmarke
Herstellermarke
Verkaufspreis der Herstellermarke
Verkaufspreis der Handelsmarke
Preisvorteil des Kunden
Herstellerspanne
Handelsspanne
Handelsspanne Marketingkosten
Marketingkosten Kosten der Warenmanipulation
Kosten der Warenmanipulation
Herstellkosten
Herstellkosten
Abb. C-3: Kostenblöcke von Hersteller- und Handelsmarken im konzeptionellen Vergleich Quelle:
In enger Anlehnung an Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 44.
Die Beiträge des Handelsunternehmens bestehen vor allem in der Bereitstellung des Regalplatzes bzw. der Verkaufsfläche und in kommunikationspolitischen Verkaufsbemühungen, z. B. Handzettelwerbung oder Warenpräsentation. 656 Für Markenartikel kommt die Unterstützung von Herstelleraktionen hinzu. Zudem besteht eine gewisse Verpflichtung zur Interessenwahrung und Förderung des Absatzes.657 Für Handelsmarkenhersteller leisten Handelsunternehmen Beiträge in Form der Zusicherung fester Abnahmemengen. 658 Mögliche weitere Beiträge bestehen in der Markenführung der Handelsmarken, der Gestaltung von Produktlayouts oder dem zur Verfügung gestellten Verpackungsmaterial der Handelsmarken. Die Anreize für Hersteller von Markenartikeln ergeben sich neben dem Deckungsbeitrag vor allem aus der überregionalen Markenbekanntheit, einem angestrebten Distributionsgrad und gegebenenfalls aus der Übernahme bestimmter Funktionen, 656
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert (1996), S. 92. Zu den kommunikationspolitischen Möglichkeiten für Handelsmarken vgl. Kap. C.4.5.4.
657
Vgl. Meffert (1981), S. 104.
658
Vgl. Dumke (1996), S. 29.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
125
bspw. Lager- und Lieferlogistik oder Beratung und Kundenservice, durch das Handelsunternehmen.659 Zudem sind keine Investitionskosten für den Aufbau eines eigenen Filialsystems notwendig. 660 Für die Produktion von Handelsmarken existieren aus Herstellersicht im Wesentlichen drei Anreize: 661
ökonomische Anreize,
Verbesserung der Beziehungen zum Handelsunternehmen und
Wettbewerbsanreize.
Die ökonomischen Anreize bestehen vor allem aus erzieltem Deckungsbeitrag, Auslastung von Produktionskapazitäten sowie Skalen- und Verbundeffekten.662 Einige Markenhersteller nutzen Handelsmarken, um vorhandene Produktkapazitäten auszulasten und somit zu einer Deckung der fixen Kosten beizutragen, wenn eigene Marken keinen ausreichenden Markterfolg zeigen.663 Weitere ökonomische Anreize stellen Prozessoptimierungen in der Produktion, Kostenvorteile bei der Rohwarenbeschaffung und Umsatzsteigerungen durch Gewinnung neuer Kunden dar.664 Weiterhin ist die Produktion von Handelsmarken für Hersteller häufig die einzige Möglichkeit, ihre Produkte zusätzlich über die diskontierenden Vertriebssysteme zu vertreiben, um das ihnen zugängliche Marktpotenzial zu vergrößern und das Absatzrisiko zu vermindern.665 Einen weiteren Anreiz stellt die verbesserte Zusammenarbeit mit dem Handelsunternehmen dar.666 Neben dem allgemeinen Einfluss der Handelsmarkenproduktion auf die Beziehungsqualität zwischen dem Hersteller und dem entsprechendem Handelsunternehmen, erhoffen sich Markenartikler vor allem einen positiven Einfluss auf die Zusammenarbeit im Bereich der Markenartikel.667Durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Handelsunternehmen sind sie bestrebt, ihren Einfluss auf die Sortimentsgestaltung, z. B. im Rahmen eines Category Managements auszuweiten und
659
Vgl. Ahlert (1996), S. 92.
660
Vgl. Meffert (1981), S. 104.
661
Vgl. Dunne/Narasimhan (1999), S. 44-47; Gomez-Arias/Bello-Acebron (2008), S. 273-278; Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1313.
662
Vgl. Dunne/Narasimhan (1999), S. 44; Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1313.
663
Vgl. Berentzen (1983), S. 167; Dölle (2001a), S. 150; Vanderhuck (2001), S. 116.
664
Vgl. Dölle (2001a), S. 149; Sattler/Völckner (2007), S. 161.
665
Vgl. Bruhn (2006), S. 649.
666
Vgl. Sattler/Völckner (2007), S. 161; Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1313.
667
Vgl. Oubina/Rubio/Jesus Yague (2006).
126
Kap. C
dadurch die eigene Herstellermarke zu fördern und die Listung für die eigenen Markenprodukte zu erleichtern.668 Zusätzlich ergeben sich für die Herstellung von Handelsmarken verschiedene Wettbewerbsanreize. Der Hersteller hat z. B. die Möglichkeit, einem Wettbewerber Marktanteile abzugewinnen oder mit der Handelsmarkenproduktion die Ausweitung der Marktanteile eines Wettbewerbers zu vermeiden. 669 Weitere mögliche Anreize bestehen in der stärkeren Präsenz des Herstellers innerhalb der Produktkategorie, wenn er sowohl Markenartikel als auch Handelsmarken anbietet.670 Möglicherweise haben Handelsmarken eine so hohe Bedeutung innerhalb der Produktkategorie, dass die Kategorie nur wenig Spielraum für Markenartikel bietet, wie bspw. Toilettenpapier.671 Die Beiträge des Herstellers bestehen vor allem in der Bereitstellung marktadäquater Produkte. 672 Markenartikelhersteller leisten zudem Beiträge in Form von Werbekostenzuschüssen, Listungsgebühren und weiteren Konditionsbestandteilen. 673 Diese Leistungen entfallen für reine Handelsmarkenhersteller, da sie im Auftrag der Handelsunternehmen produzieren. Ihre Beiträge beschränken sich im Wesentlichen auf die Überlassung der Ware und weitere Aufgaben wie die termingerechte Lieferung der geforderten Anzahl an Waren. 674 Für Hersteller sowohl von Handelsmarken als auch Markenartikeln bestehen mögliche Beiträge im Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten, einer Übertragung von Forschungs- und Entwicklungs-Know-how, Aufgabe einer markenbezogenen Firmenphilosophie und Imageverlusten der Markenartikel, wenn die Produktion der Handelsmarken öffentlich wird.675 Die Handelsmarkenproduktion birgt für den Hersteller zudem das Risiko der erschwerten Differenzierung seiner Markenartikel und erhöht dadurch zusätzlich die Abhängigkeit gegenüber dem Handelsunternehmen.676
668
Vgl. Dölle (2001a), S. 150; Gollnick/Schindler (2001), S. 387. Für Handels- wie für Herstellerunternehmen ist die genaue Kenntnis der Kooperationspartner von hoher Bedeutung, da andernfalls die Anreizgestaltung zu scheitern droht. Zur Gestaltung kompatibler Anreizsysteme für ECRKooperationen vgl. vertiefend Wehling (2002), S. 158-167.
669
Vgl. Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1313.
670
Vgl. Dunne/Narasimhan (1999), S. 44.
671
Vgl. Dölle (2001a), S. 150; Sattler/Völckner (2007), S. 161.
672
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert (1996), S. 92.
673
Vgl. zur Konditionenpolitik Kap. C.4.4.3.
674
Vgl. Dumke (1996), S. 29.
675
Vgl. Dölle (2001a), S. 150.
676
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 609.
Theoretischer Bezugsrahmen der Hersteller-Handels-Beziehung
127
Die Aufteilung des absoluten Systemgewinns richtet sich allgemein nach dem Kräfteverhältnis im jeweiligen Distributionssystem. 677 Dieses Kräfteverhältnis wird insbesondere durch die Machtstellung der Koalitionsteilnehmer und die Höhe der Austauschbarrieren bezüglich ihrer Funktionserfüllung determiniert. 678 Wenn einige Teilnehmer die Ansicht vertreten, mangels Macht im Verteilungskampf eines Slack nicht ausreichend berücksichtigt worden zu sein, trachten sie möglicherweise danach, ihren individuellen Gewinn zu erhöhen, indem sie bei gleichen Anreizen ihre Beiträge vermindern, wodurch das gesamte Slack-Volumen des Distributionssystems reduziert wird.679 Eine Möglichkeit, dieses opportunistische Verhalten zu verhindern, besteht in der möglichst engen Verknüpfung von Anreizen und Beiträgen. 680 Ein Hersteller könnte bspw. seinen Werbekostenzuschuss von dem Ausmaß der produktbezogenen Werbeanstrengungen des Handelsunternehmens abhängig machen oder besondere Vergütungen für vorteilhafte Warenpräsentationen und Zweitplatzierungen gewähren. Handelsmarkenhersteller könnten spezifische Investitionen in Produktkapazitäten oder Entwicklungsaufwand für Innovationen an mehrjährige Verträge mit dem Handelsunternehmen knüpfen. Die Hauptkritik an der Anreiz-Beitrags-Theorie bezieht sich auf die statische Betrachtung, die Subjektivität der Bewertung von Anreizen und Beiträgen und ihre aufgrund mangelnder Operationalisierbarkeit des Gleichgewichtszustandes stark eingeschränkten Prognosefähigkeit.681 Weitere Schwachstellen werden in der Vernachlässigung einzelner Merkmale der Koalitionsteilnehmer sowie in der Begünstigung eines psychologischen Reduktionismus gesehen, d. h., dass eine geschlossene Betrachtung einzelner Elemente ohne Rücksichtnahme auf die Gesamtbedeutung vorgenommen wird.682 Zudem werden die Anreize und Beiträge auf einen einzigen Nutzwert reduziert und es wird nicht spezifiziert, welche Anreize und Beiträge in einer bestimmten Situation von Bedeutung sind.683
677
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert (1996), S. 93. AHLERT weist darauf hin, dass jeder Händler Mitglied „[…] so vieler Distributionssysteme [ist], wie er Absatzgüter verschiedener Hersteller in seinem Sortiment führt“ (Ahlert (1996), S. 91).
678
Vgl. zu den Konzentrationstendenzen im deutschen Einzelhandel Kap. D.3.1.1.
679
Vgl. Ahlert (1996), S. 92-93.
680
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert (1996), S. 93.
681
Vgl. Reber (1976), S. 358-359; Staehle/Conrad/Sydow (1999), S. 400-401.
682
Vgl. Staehle/Conrad/Sydow (1999), S. 401.
683
Vgl. Reber (1976), S. 359.
128
4.
Kap. C
Prozess des Handelsmarkenmanagements
Im Folgenden wird der Begriff „Management“ im funktionalen Sinne als ein Komplex von Steuerungsaufgaben innerhalb vertikaler Wertschöpfungsnetzwerke verstanden.684 Management umfasst dabei die Funktionen der Planung, Organisation und Kontrolle zur Steuerung arbeitsteiliger Systeme. Übertragen auf den Untersuchungsgegenstand beschreiben AHLERT et al. (2000) das Handelsmarkenmanagement als „[…] marktorientierte Führung von Handelsmarken auf Basis eines systematischen Planungs-, Realisations- und Entscheidungsprozesses“.685 Dabei wird nachstehend der Prozessablauf auf der Handelsstufe des Marktes betrachtet, der naturgemäß interdependent mit industriellen Abläufen verknüpft ist. Trotz der Heterogenität von Handelsunternehmungen und der damit einhergehenden eingeschränkten Generalisierbarkeit von Besonderheiten des Handelsmarkenmanagements, 686 lassen sich bestimmte Merkmale identifizieren, die zumindest in der überwiegenden Zahl der Handelsformate Gültigkeit besitzen. Zum einen verkaufen Handelsunternehmen in der Regel eine Vielzahl von Produkten, und das Management der Handelsmarken kann nicht losgelöst von sortimentsübergreifenden Entscheidungen erfolgen. Zusätzlich tangieren alle Handelsmarken- bzw. Sortimentsentscheidungen auch das Betriebstypenmarkenmanagement. 687 Zum anderen erbringen Handelsunternehmen zahlreiche Dienstleistungen bzw. können teilweise insgesamt als spezielle Dienstleistungsform verstanden werden.688 Das Markenmanagement im Handel soll letztlich den zielgerichteten, planvollen Umgang mit jenen Marken einschließen, die sich nicht im rechtlichen Eigentum der Handelsunternehmung befinden. 689 Ein derart integriertes Markenmanagement enthält, wie in Abb. C-4 dargestellt, neben dem Handelsmarken- und Betriebstypenmarkenmanagement auch das Management von Netzmarken,690 Markenshops, händlergeführten Dienstleistungsmarken und fremdgeführten Hersteller- und Dienstleistungsmarken und verknüpft diese Marken durch sinnvolles Co-Branding. Hinzu kommt eine abgestimmte
684
Zum Begriff des vertikalen Wertschöpfungsnetzwerkes vgl. Kap. B.4.
685
Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 215.
686
Vgl. Scheuch (2007), S. 494.
687
Vgl. Kap. C.4.3.4.
688
Vgl. Siems (2009), S. 331.
689
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 145.
690
Als „netzgeführt“ werden Marken bezeichnet, die nicht mehr einem bestimmten Hersteller oder Händler zugeordnet werden können. Ein virtuelles Unternehmen vergibt die Rechte an Lizenznehmer, produziert und vertreibt nicht mehr selbst, sondern konzentriert sich auf die Markenführung (vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 193-195).
129
Prozess des Handelsmarkenmanagements
Führung der genannten Marken im Internet.691 Im Rahmen dieser Arbeit ist das Betriebstypenmarkenmanagement aufgrund starker Interdependenzen mit dem Handelsmarkenmanagement von besonderer Bedeutung.
Integriertes Handelsmarkenmanagement im Handel Handelsmarkenmanagement
Betriebstypenmarkenmanagement
Management von Markenshops
Co-Branding Management fremdgeführter Hersteller- und Dienstleistungsmarken
Management netzgeführter Marken
Management händlergeführter Dienstleistungsmarken
Integriertes Markenmanagement im Internet
Abb. C-4: Aufgabenbereiche des Markenmanagements im Handel Quelle:
In Anlehnung an Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 141-142 und Ahlert/Kenning (2007), S. 145.
Aufgrund der Komplexität der Entscheidungssituationen des Handelsmarkenmanagements ist eine gedankliche Strukturierung des Handelsmarkenmanagements in idealtypische Prozessschritte erforderlich, die in Abb. C-5 teilweise in Anlehnung an DUMKE (1996) dargestellt sind.692 Ausgangspunkt bildet die informatorische Grundlegung in Form einer Umwelt- und Unternehmensanalyse. Daraus werden die unternehmens-, kunden-, konkurrenz- und herstellerbezogenen Ziele abgeleitet. Der dritte Schritt umfasst die strategischen Vorgaben, d. h. die Frage, mit welcher Handelsmarkenarchitektur und welchen Handelsmarkentypen die gesetzten Ziele erreicht
691
AHLERT et al. betonen, dass das Markenmanagement im Handel keine Spezialaufgabe für die Inhaber von Handelsmarken ist, sondern die Kernaufgabe des Handelsmarketing (vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 2).
692
Vgl. Dumke (1996), S. 65-66.
130
Kap. C
werden sollen.693 Es schließt sich auf der operativen Ebene in Schritt vier und fünf die Ausgestaltung der Beschaffungs- und Absatzpolitik an. Der sechste Schritt besteht in einer Kontrolle der operativen Schritte.
informatorische Grundlegung Umweltanalyse
Wettbewerbsanalyse
Analyse des Absatzmarktes
Analyse des Unternehmens
Zielvorgaben der Handelsmarken
Organisation
unternehmensbezogen
kundenbezogen
konkurrenzbezogen
herstellerbezogen
Handelsmarkenstrategien Wahl der Handelsmarkenarchitektur
Wahl der Handelsmarkentypen
Beschaffungspolitik Ermittlung des Beschaffungsbedarfs
globale Beschaffungsentscheidungen
Konditionenpolitik
Marketing-Mix der Handelsmarken Sortimentspolitik
Servicepolitik
Preispolitik
Kommunikationspolitik
integriertes Handelsmarkencontrolling beschaffungsbezogene Kontrolle
absatzbezogene Kontrolle
Abb. C-5: Prozess des Handelsmarkenmanagements aus Handelssicht Quelle:
Eigene Darstellung.
Das Prozessschema in Abb. C-5 impliziert hingegen nicht die Unveränderlichkeit der Schritte oder eine dogmatische Abarbeitung der einzelnen Schritte in der skizzierten
693
Dies geschieht analog zu den vier in Kap. B.2.3 beschriebenen Generationen.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
131
Reihenfolge.694 Die Erkenntnisse und Erfahrungen in jeder Prozessphase führen zu einer möglichen Modifikation vorhergehender und nachfolgender Schritte, was in der Abbildung durch die Rückkopplungspfeile deutlich wird. Grundlage dieser interdependenten Prozessschritte des Handelsmarkenmanagements ist ferner eine reibungslos ablaufende Organisation. Es ist erforderlich, alle am Handelsmarkenmanagement beteiligten Personen einem konkreten Prozessschritt zuzuordnen.695 Zur Bewältigung des dadurch entstehenden Koordinationsbedarfs bietet es sich bei entsprechender strategischer Bedeutung der Handelsmarken an, einen Handelsmarkenmanager mit der Koordination zu betrauen. Sein Aufgabenfeld besteht darin, alle unternehmensinternen Aktivitäten zu betreuen, die im Zusammenhang mit dem Angebot von Handelsmarken stehen.696 4.1
Informatorische Grundlegung
Die Basis des oben beschriebenen Prozesses bilden externe und interne Informationen. Durch eine informatorische Grundlegung der zu treffenden Entscheidungen können die Ungewissheit und somit auch das Risiko bei der Entscheidungsfindung erheblich reduziert werden. Die Informationsbedarfsdeckung teilt sich auf in Umweltanalyse, Wettbewerbsanalyse, Analyse des Absatzmarktes und Analyse des eigenen Unternehmens. Die Umweltanalyse lässt sich weiter in detaillierte Recherchen über politisch-rechtliche, ökonomische, sozio-kulturelle und technologische Umweltfaktoren aufgliedern.697 Politisch-rechtliche Maßnahmen geben dem Handlungsspielraum des Handelsmarkenmanagements rechtliche Grenzen vor. 698 Bedeutsam sind das Markengesetz (MarkenG) und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).699 Das MarkenG enthält Verfahrensvorschriften und Voraussetzungen zur Eintragung von Marken als schutzfähige Zeichen und weitere Erläuterungen zu ihrer rechtlichen Stellung. Kernstück des UWG bilden die Zweckbestimmung des Gesetzes in § 1 sowie die Generalklauseln in § 3. Ausdrücklich verboten ist irreführende Werbung (§ 5), z. B. irreführende Angaben über die Ergebnisse von Warentests. Im Zuge fortschreitender Globalisierung werden zukünftig auch supranationale Gesetze an Bedeutung 694
RUSCHE kritisiert, dass Prozessschemata regelmäßig als Checkliste interpretiert werden, deren Punkte es abzuhaken gilt (vgl. Rusche (1991), S. 38). Der Autor schließt sich dieser Kritik ausdrücklich an.
695
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 59-60.
696
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 60.
697
Vgl. Olbrich (2006), S. 35-36.
698
Vgl. zu den politisch-rechtlichen Grundlagen Ahlert/Schröder (1996); Liebmann/Zentes/ Swoboda (2008), S. 20-33.
699
Neben den hier erwähnten sind viele weitere Gesetze und Verordnungen im Rahmen des Handelsmarkenmanagements zu beachten, wie z. B. Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze, Lebensmittelverordnungen sowie Kennzeichnungs- und Auszeichnungsgesetze.
132
Kap. C
gewinnen.700 Als Beispiele hierfür lassen sich die europäischen Richtlinien über irreführende und vergleichende Werbung (Richtlinie 2006/114/EG vom 12. Dezember 2006) und zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Richtlinie 2008/95/EG vom 22. Oktober 2008) anführen. Zu den ökonomischen Umweltfaktoren zählen die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die Wachstumsentwicklungen der Märkte und die Entwicklung der Kaufkraft in den unterschiedlichen Zielgruppen. Im Rahmen des Handelsmarkenmanagements sind auf der Beschaffungsseite insbesondere bei lohnintensiven Produkten wie Kleidung oder elektrischen Werkzeugen auch internationale Marktentwicklungen zu betrachten. Analog dazu stellt sich für die Handelsunternehmen angesichts der Wettbewerbssituation im deutschen Handel die absatzpolitische Frage der grenzüberschreitenden Expansion. Hiermit ist eine weitere Anzahl von Fragestellungen verbunden, u. a. die zu wählende Internationalisierungsstrategie, länderspezifische Anpassungen des Markenmanagements und Umweltfaktoren in den jeweiligen Zielländern.701 In der Gruppe der sozio-kulturellen Einflussfaktoren sind gesellschaftliche Wertvorstellungen und der stete Wertewandel zu beachten. Dazu zählt z. B. die zu Beginn der Arbeit angesprochene Geiz-ist-Geil-Mentalität oder im Gegensatz dazu die erhöhte Nachfrage nach biologisch angebauten Lebensmitteln und ökologisch unbedenklicher Kleidung. Für die sozio-kulturelle Umweltanalyse werden häufig externe Dienstleister wie bspw. Sinus Sociovisions in Anspruch genommen.702 Auf dem Gebiet der technologischen Einflussfaktoren sind Informations- und Kommunikationstechnologien, innovative Produktionstechnologien und Produktinnovationen – nicht nur im Heimatland – zu beachten. Dies verdeutlicht das Beispiel des Internets. Die Befürchtung, das World Wide Web führe zu einer dramatischen Disintermediation, hat sich als unbegründet erwiesen. Statt dessen ist es innerhalb kürzester Zeit zu einem zusätzlichen Instrument des Handelsmarketings sowie der Beschaffungsaktivitäten avanciert.703 Auch die Sortimentsdynamik wird im Wesentlichen durch den Fortschritt in Forschung und Entwicklung bestimmt,704 z. B. im LEH in Gestalt des „functional food“ oder im Bekleidungseinzelhandel durch individuelle Maßkonfektion im Sinne des Mass Customizing.705 Unternehmen setzen zudem verstärkt
700
Vgl. Olbrich (2006), S. 35.
701
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 38-39.
702
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 39.
703
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 39.
704
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 47.
705
Vgl. dazu ausführlich Tietz (2007).
133
Prozess des Handelsmarkenmanagements
Frühwarnsysteme ein, um sich auf die immer kürzer werdenden Entwicklungszyklen im Bereich der technischen Möglichkeiten einzustellen.706 Im Unterschied zur Analyse der Umweltfaktoren des Handelsmarkenmanagements besteht bei der Wettbewerbsanalyse ein direkter Bezug zum eigenen Unternehmen.707 Inhaltlich stehen die Struktur der Branche sowie die Erhebung und Beurteilung von Daten über aktuelle und potenzielle Konkurrenzunternehmen im Vordergrund. Nach PORTER (1979, 2008) lassen sich, wie in Abb. C-6 dargestellt, zur Konkurrenzanalyse und Bestimmung der Branchen- und Marktattraktivität fünf Wettbewerbskräfte unterscheiden.708
Bedrohung durch potenzielle Wettbewerber
Verhandlungsstärke der Herstellerunternehmen
Wettbewerbsschärfe
Verhandlungsstärke der Konsumenten
Bedrohung durch substitutive Produkte und Betriebstypen
Abb. C-6: Fünf Wettbewerbskräfte im Handel Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Porter (2008), S. 80.
Die Bedrohung durch potenzielle Konkurrenten besteht zum einen durch internationale Handelskonzerne, die sich, zumindest in der Lebensmittelbranche, bisher nicht auf dem deutschen Markt etablieren konnten. Im Bekleidungseinzelhandel sind viele internationale Ketten, wie H&M, Esprit und Zara, ein fester Bestandteil der Ein706
Vgl. Olbrich (2006), S. 36.
707
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 40; Olbrich (2006), S. 36.
708
Vgl. hier und im Folgenden Porter (1979); Porter (1987). Für ausführliche und aktuellere Ausführungen zu PORTER’s Wettbewerbsmodell vgl. Porter (1980); Porter (2004); Porter (2008).
134
Kap. C
zelhandelslandschaft. Zum anderen können auch im Inland neue Wettbewerber in den Markt eintreten oder in Folge von Sortimentsausweitung zum Wettbewerber avancieren.709 Beispiele hierfür sind die ursprünglichen Lebensmittelhändler Aldi und Tchibo, die inzwischen zu den zehn größten Textilanbietern in Deutschland zählen.710 Indizien für die Gefahr potenzieller Konkurrenten können aus der Höhe der Eintrittsbarrieren abgeleitet werden. Dies sind z. B. Verfügbarkeit geeigneter Verkaufsfläche, Zugang zu den Beschaffungs- und Finanzierungsmärkten sowie Transport- und Lagerlogistik.711 Als weitere Wettbewerbskraft ist die Bedrohung durch substitutive Produkte und Betriebstypen zu beachten. Markenartikel stellen aus Handelssicht naturgemäß Substitute für Handelsmarken dar, aber auch die Produkte der einzelnen Handelsmarkentypen sind untereinander austauschbar. Entscheidend für die Gefahr der Austauschbarkeit ist das Preis-Leistungs-Verhältnis. 712 Die Preisstellung der Handelsmarken sollte demnach sensibel an das Preisniveau der Herstellermarken angepasst werden. Preis- oder Qualitätsunterschiede zwischen Handelsmarken unterschiedlicher Handelsunternehmen können durch Verhandlungsgeschick oder unterschiedliche Beschaffungsmärkte zu Stande kommen. Des Weiteren besteht eine Bedrohung durch neue Betriebstypen. Ein Beispiel ist der Markteintritt der Lebensmitteldiscounter, die die gleichen Handelsfunktionen erfüllen, wie Vollsortimenter und SBWarenhäuser, jedoch über wesentlich effizientere Betriebstypenkonzepte und Hintergrundsysteme verfügen. Etablierte Betriebstypen wie kleine Supermärkte und Solitäre im Bekleidungseinzelhandel werden dadurch verdrängt. Die Verhandlungsstärke der Abnehmer, in diesem Fall der Konsumenten, ist in Deutschland aufgrund des Überangebotes an Einzelhandelsflächen nicht zu unterschätzen. Durch ihre Geschäftsstätten- und Produktwahl nehmen die Konsumenten indirekt Einfluss auf Preise, Qualitätsstufen oder erweiterte Dienstleistungen. Infolge massiver Kommunikationsmaßnahmen durch Handelsunternehmen und die zunehmende Verbreitung von Preissuchmaschinen im Internet hat sich sowohl die Preistransparenz als auch die Preissensibilität und damit die Nachfragemacht der Konsumenten weiter erhöht. Eine entscheidende Wettbewerbskraft stellt die Verhandlungsstärke gegenüber den eigenen Lieferanten dar. 713 Im deutschen Handel lassen sich immer neue Konstellationen beobachten, die von Kooperationsbemühungen, z. B. im Rahmen 709
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 40.
710
Vgl. Tab. D-5 auf S. 243.
711
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 40.
712
Vgl. Olbrich (2006), S. 38.
713
Vgl. zum Beziehungsmanagement und zur Marktmacht zwischen Handelsmarkenherstellern und Handelsunternehmen Dölle (2001a) und Olbrich/Braun (2001).
Prozess des Handelsmarkenmanagements
135
von ECR-Partnerschaften, bis hin zu offen ausgetragenen Machtkonflikten führen. Der Gebäckhersteller Bahlsen stellte im September 2008 bspw. nach einer gescheiterten Preiserhöhung die Belieferung von Rewe und Kaufland zunächst ein und konnte die neuen Konditionen nach wenigen Wochen schließlich doch durchsetzen.714 Häufiger geht die Kraftprobe zwischen Herstellern und Handelsunternehmen allerdings zu Gunsten Letztgenannter aus. Schließlich ist auch die Intensität der Rivalität unter den Wettbewerbern zu beachten, die entscheidend von der jeweiligen Marktsituation abhängt. Charakteristisch für eine hohe Rivalität sind Preiskämpfe und geringe Umsatzrenditen in stagnierenden oder schrumpfenden Märkten.715 Wesentliche Veränderungen der Wettbewerbsintensität resultieren darüberhinaus in zahlreichen Branchen aus den Vorwärtsintegrationsstrategien der Herstellerunternehmen einerseits und den Rückwärtsintegrationsstrategien der Handelsunternehmen andererseits 716 Die Vertikalisierung hebt bspw. im Textilbereich zunehmend die Grenzen zwischen den Marktstufen auf. Die Analyse des Absatzmarktes ist für den Erfolg des Handelsmarkenmanagements von großer Bedeutung. Anhand messbarer Größen wie Marktpotenzial, Marktvolumen, Marktwachstum und Marktanteil, wird die Attraktivität der Märkte bewertet.717 Als Grundtendenzen sind für Deutschland die Verschiebung der Altersstruktur, die Zunahme an Single-Haushalten, die Mobilitätszunahme, die Einkommens bzw. Vermögenspolarisierung sowie das relativ hohe Ausmaß der Arbeitslosigkeit zu nennen.718 Erfolgsentscheidende Größe ist die Konsumentenanalyse, insbesondere die Analyse des Produkt- und Einkaufsstättenwahlverhaltens.719 Ziel ist die Abgrenzung und somit die bessere Einschätzung des für die eigenen Handelsmarken relevanten Absatzmarktes.720 Zudem ist es für Handelsunternehmen mit Handelsmarken im Sortiment unerlässlich, ausreichend über die geführten Herstellermarken und alle darauf wirkenden Einflussfaktoren informiert zu sein. In der Regel wird der Stand dieser Informationen von der Marktforschung und dem Kenntnisstand der Hersteller determiniert.721 Dabei auf externe Informationsquellen wie AC Nielsen, die GfK oder das EHI Retail Institute zurückzugreifen, bedeutet für den Handel eine wichtige Ergänzung der Absatzmarktanalyse.
714
Vgl. Lebensmittelzeitung vom 18.09.2008 (S. 1) und vom 09.10.2008 (S. 1).
715
Vgl. Ahlert/Kenning (1999), S. 41; Olbrich (2006), S. 38-39.
716
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 68.
717
Vgl. zur Übersicht und zur Berechnung dieser Kennziffern Ahlert/Kenning (2007), S. 43.
718
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 42-47.
719
Vgl. hier und im Folgenden Dumke (1996), S. 75-77.
720
Vgl. Ahlert (1987) und Ahlert/Kenning (2007), S. 43-46.
721
Vgl. Dumke (1996), S. 69.
136
Kap. C
Von hohem Informationswert für die Analyse des eigenen Unternehmens erweist sich die SWOT-Analyse, die aus den Teilkonzepten Stärken-Schwächen- und Chancen-Risiken-Analyse besteht.722 Ziel der Stärken-Schwächen-Analyse ist die Evaluierung der gegenwärtigen Position des eigenen Unternehmens und der Wettbewerber sowie die Gegenüberstellung dieser Positionen. 723 Dies kann bspw. anhand eines Stärken-Schwächen-Profils erfolgen.724 Durch Kombination der Stärken-SchwächenAnalyse mit den Ergebnissen der Umweltanalyse und der Analyse der Wettbewerbskräfte erhält man einen systematischen Überblick über die strategische Lage des Unternehmens.725 Für Handelsunternehmen bieten sich neben Kunden- und Marktinformationen auch und insbesondere für Stärken-Schwächen-Analysen Daten aus dem Rechnungswesen und Controlling sowie dem Warenwirtschaftssystem und ggf. vorhandenen Kundenkartenprogrammen an.726 Die gegenwärtige Position des Handelsunternehmens ist in einer Chancen-RisikenAnalyse vor dem Hintergrund der zukünftigen Umwelt- und Marktentwicklungen zu bewerten. Unterstützend können hier die Erfolgsfaktorenforschung und die Methode des Benchmarking herangezogen werden.727 Die Erfolgsfaktorenforschung dient der Identifizierung jener Bestimmungsfaktoren, die einen signifikanten Einfluss auf den Erfolg von Unternehmen ausüben.728 Das Benchmarking befasst sich mit der Suche nach vorbildlichen Prozessen, Konzeptbausteinen und ganzheitlichen Betreibungskonzepten innerhalb der eigenen Unternehmung (internes Benchmarking) und bei Wettbewerbern (externes Benchmarking).729 Das hier geschilderte Instrumentarium der Strategiefindung wird in der Praxis nach Kenntnis des Autors nur teilweise systematisch, oftmals unstrukturiert herangezogen. Ist die grundsätzliche marktstrategische Vorentscheidung gefallen, Handelsmarken im Sortiment zu führen, sind eine Reihe wichtiger Einzelfragen zu beantworten. Zuvor sollte geklärt sein bzw. entschieden werden, welche Ziele im Einzelnen mit dem Verkauf von Handelsmarken verfolgt werden.
722
Vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 342-343. Die SWOT-Analyse wurde in den 1960er Jahren von ALBERT HUMPHREY entwickelt (vgl. Christensen/Andrews/Bower (1973), S. 236).
723
Vgl. Christensen/Andrews/Bower (1973), S. 236-239; Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 351.
724
Vgl. Hinterhuber (2004a), S. 120.
725
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 42.
726
Vgl. Rudolph (2005), S. 178. Die Scannerdaten können z. B. zur Warenkorbanalyse und der Identifikation von Cross-Buying-Potenzial eingesetzt werden (vgl. Olbrich/Grünblatt (2004)).
727
Vgl. zur Unterscheidung von Benchmarking und Erfolgsfaktorenforschung sowie die Einordnung beider Begriffe in die Erfolgsforschung Ahlert/Schröder (2001).
728
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 352.
729
Vgl. Ahlert/Schröder (2001), S. 12 sowie ausführlich McNair/Leibfried (1992).
137
Prozess des Handelsmarkenmanagements
4.2
Zielvorgaben des Handelsmarkenmanagements
Diesen grundlegenden Schritt in der Prozesskette des Handelsmarkenmanagements stellt somit die Ausgestaltung der Zielvorgaben dar. Ziele bilden die Basis für unternehmerisches Handeln und können als angestrebte Sollzustände in der Zukunft definiert werden.730 Als übergeordnetes Ziel wird mit der Führung von Handelsmarken nach AHLERT et al. (2000) der Aufbau und die Pflege des Kundenvertrauens angestrebt. 731 Grundsätzlich besitzen die Ziele des Handelsmarkenmanagements für viele Unternehmen lediglich einen derivativen Charakter, d. h. sie werden aus übergeordneten Zielen z. B. der Sortimentspolitik abgeleitet.732 Die Funktionen und Zielsetzungen des Handelsmarkenmanagements lassen sich aus Sicht des Handelsunternehmens in Anlehnung an MEFFERT/BRUHN (1984) nach ihrem Bezugsobjekt vier Hauptzielen zuordnen. 733 Dies sind unternehmensinterne Ziele, kundenbezogene Ziele, konkurrenzbezogene Ziele und herstellerbezogene Ziele. Die zusammenfassende Darstellung der Hauptziele und die dazu gehörigen Teilziele und Funktionen der Handelsmarken aus Sicht der Handelsunternehmen zeigt Abb. C-7. unternehmensinterne Ziele
Renditeverbesserung Spannensicherung Solidarisierung und Verstärkung der Kooperation von Zentrale und Einzelhandelsverkaufsstellen Umsatzsteigerung Gewinnung logistischer Synergien
kundenbezogene Ziele
konkurrenzbezogene Ziele
Differenzierung des Sortiments gegenüber den Mitbewerbern Polarisierung der eigenen Handelsunternehmung Vermeidung von Preiswettbewerb rechtliche Schutzpositionen technologische Überlegenheit
Einkaufsstättentreue Profilierung der Einkaufsstätte Dokumentation preislicher und qualitativer Leistungsfähigkeit Arrondierung des Sortiments Unterstützung der Werbe- und Imagepolitik herstellerbezogene Ziele
Sicherung von Beschaffungsalternativen Reduktion der Lieferantenvielfalt Emanzipation von der Marktmacht großer Hersteller Innovationsfunktion Stärkung der eigenen Marktmacht
Abb. C-7: Ziele und Funktionen des Handelsmarkenmanagements aus Handelssicht Quelle:
Eigene Zusammenstellung.
734
730
Vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 206; Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 142.
731
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 43.
732
Vgl. Dumke (1996), S. 93; Möhlenbruch (1994), S. 326.
733
Vgl. Meffert/Bruhn (1984), S. 128-129.
734
Unter Verwendung von Ahlert/Kenning (2007), S. 92-93; Berekoven (1995), S. 140; Brauer (1996), S. 100; Bruhn (2001), S. 27-30; Meffert/Bruhn (1984), S. 129; Theis (2007), S. 327.
138
Kap. C
Aufgrund ihrer strategischen Bedeutung rücken Handelsmarkenziele zunehmend in den Fokus der Unternehmen, wenn z. B. die Handelsmarkenstrategie eng mit der Betriebstypenmarkenstrategie verbunden ist. Auf die einzelnen Teilziele wird indes hier nicht weiter im Detail eingegangen, 735 dienen sie doch alle den nach AHLERT/KENNING (2007) folgenden vier, für den Erfolg des Handelsmarkenmanagements wesentlichen Funktionen.736 Als erstes ist die Preis-Leistungs-Funktion zu nennen. Durch die, im Vergleich zu Markenartikeln, bedeutend günstigeren Handelsmarken dokumentiert der Handel seine preisliche und qualitative Leistungsfähigkeit.737 Die Sortimentsleistungsfunktion dient der Herausstellung der Einzigartigkeit des Warenangebots. Diese Funktion variiert je nach strategischem Stellenwert der Handelsmarken innerhalb des Sortiments, d. h., ob sie es lediglich abrunden oder eine bedeutende Rolle einnehmen. Die beiden ersten Funktionen bilden die Grundlage für die Profilierungsfunktion der Handelsmarken, da sich die Handelsleistung vor allem durch das Preisniveau und das eigene Sortimentsprofil von der Konkurrenz differenziert.738 Durch Handelsmarken kann sich der Handel der Vergleichbarkeit der Produkte und somit dem direkten Preiswettbewerb entziehen.739 Handelsmarken gewinnen so durch eine auf das Handelsunternehmen beschränkte Erhältlichkeit an Exklusivität und Profilierungspotenzial. 740 Ergänzend wird viertens die Spannensicherungs- und Ertragsverbesserungsfunktion herausgestellt. Da das vertikale Preisbindungsverbot nur herstellerbezogen für die Markenartikel greift, haben die Handelsunternehmen die Möglichkeit, die Preise der Produkte eigenständig zu kalkulieren und relativ hohe Margen zu generieren.741 Die anhand dieser vier Grundfunktionen individuell abgeleiteten Handelsmarkenziele bilden die vom Handelsunternehmen angestrebten Sollzustände in der Zukunft. Zu deren Erreichung sind im Anschluss an die Zielformulierungen geeignete Strategien herauszuarbeiten.742
735
Für eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Teilziele vgl. die zu Abb. C-7 angegebene Literatur.
736
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert/Kenning (2007), S. 149.
737
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 71; Schenk (2001), S. 83.
738
Vgl. Schenk (2001), S. 83.
739
Vgl. Mattmüller/Tunder (2004a), S. 959.
740
Vgl. Mattmüller/Tunder (2004a), S. 953.
741
Vgl. Schenk (2001), S. 83; Cunningham (1961), S. 127.
742
In der Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, ob Unternehmensziele den Strategien vorgelagert oder Bestandteil der Strategien sind bzw. ob der Strategiebegriff lediglich den Weg zur Zielerreichung oder auch das Ziel selbst umfasst (vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 258-259). In der vorliegenden Arbeit wird ein derivatives Verständnis der Strategien zu Grunde gelegt.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
4.3
Handelsmarkenstrategien
4.3.1
Strategierahmen des Handelsmarkenmanagements
139
Aufgrund des Wettbewerbs zwischen Handels- und Herstellermarken und zwischen den Marken beider Kategorien untereinander stellt die Entwicklung einer erfolgreichen Markenstrategie für das Handelsunternehmen eine anspruchsvolle Herausforderung dar. 743 Grundsätzlich umfassen strategische Entscheidungen eine Vielzahl von Aussagen über das mittel- bis langfristige Verhalten von Unternehmen, stellen aber nicht die Maßnahmen selbst, sondern Planungen und Absichten in Bezug auf die zuvor festgelegten Ziele dar.744 Dabei können diese Entscheidungen auf drei Bezugsebenen betrachtet werden: der Unternehmensebene (Unternehmensstrategie), der Geschäftsfeldebene (Geschäftsfeldstrategie) sowie der Funktionsebene (Funktionsbereichsstrategie).745 Da sich der Erfolg strategischer Konzepte aus ihrer Bündelung und Konsistenz auf mehreren strategischen Ebenen ergibt und nur selten aus der isolierten Strategiewahl einer solchen, erscheint eine zielgerichtete Kombination der Strategiekonzepte unerlässlich.746 Dies stellt eine wichtige unternehmensinterne Koordinierungsaufgabe im Strategiefindungsprozess dar. Nach BECKER (2006) lassen sich vier Hauptgruppen von Marketingstrategien unterscheiden,747 die sich auf das Handelsmarkenmanagement übertragen lassen:
Marktfeldstrategien,
Marktstimulierungsstrategien,
Marktparzellierungsstrategien,
Marktarealstrategien.
Die Marktfeldstrategien legen den Inhalt und die strategische Ausrichtung der sog. Produkt-Markt-Kombinationen fest. Handelsunternehmen können durch den Einsatz von Handelsmarken auf unterschiedliche Weise ihre Marktchancen verbessern. Gemäß ANSOFF (1965) sind durch die Gegenüberstellung von Produkten und Märkten vier Marktfeldstrategien zu unterscheiden, die die verschiedenen Wege einer Marktchancenausweitung beschreiben. Diese sind in Tab. C-8 dargestellt.748
743
Vgl. Schenk (2004), S. 146.
744
Vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 258.
745
Vgl. Backhaus/Schneider (2007), S. 16; Hinterhuber (2004b), S. 259-261; Meffert/Burmann/ Kirchgeorg (2008), S. 252.
746
Vgl. Becker (2006), S. 311.
747
Vgl. Becker (2006), S. 147.
748
Vgl. Ansoff (1965), S. 108-110.
140
Kap. C
bisherige Kundensegmente
neue Kundensegmente
bestehendes Sortiment
Marktdurchdringung
Marktentwicklung
Sortimentserweiterung
Produktentwicklung
Diversifikation
Tab. C-8: Marktfeldstrategien nach ANSOFF Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Ansoff (1965), S. 109.
Die Strategie der Marktdurchdringung knüpft im Rahmen des Handelsmarkenmanagements an bestehendes Marktpotenzial an und wird durch Produktvariation, Werbeintensivierung, Distributionsgraderhöhung und die Gewinnung bisheriger Nichtverwender angestrebt.749 Alternativ oder ergänzend kann die Marktentwicklung durch Anbieten bisheriger Sortimente in neuen Kundensegmenten die Marktchancen der Unternehmung erhöhen. Ein Handelsunternehmen kann bspw. sein Handelsmarkenportfolio, das es im Lebensmitteleinzelhandel anbietet, auf den Lebensmittelgroßhandel übertragen und diesen Markt zu Gunsten der Handelsmarken entwickeln. Mit der Strategie der Produktentwicklung wird der Versuch unternommen, neue Produkte zu kreieren und diese zunächst in bisherigen Kundensegmenten anzubieten. Diese Strategie betrifft insbesondere die Handelsmarken der vierten Generation. Gestalt- und Pioniermarken haben den Anspruch, über den Innovationsgrad der Markenartikel hinaus zu gehen und stellen sowohl für das Handelsunternehmen als auch für den Markt eine „echte“ Innovation dar. Insbesondere in stagnierenden und schrumpfenden Märkten werden viele Unternehmungen dazu veranlasst, in völlig neue Gebiete vorzustoßen. Die Sortimentserweiterung in gleichzeitig neuen Kundensegmenten stellt eine solche Diversifikation dar und dient zumeist der Risikostreuung, wobei dem bei der Markteinführung zunächst ein erhöhtes Risiko im Vergleich zu einer Markenimitation gegenübersteht. 750 Als Beispiel ist die Übertragung der Handelsmarke ja! der Rewe Handelsgruppe auf den Kommunikationsdienstleistungsmarkt zu nennen. Unter dem Namen ja! mobil bietet der Lebensmittelhändler seit Anfang 2007 einen DiscountTarif für Mobilfunkgeräte an. Zu beachten ist jedoch, dass die Synergieeffekte geringer werden, je weiter sich das Handelsunternehmen vom ursprünglichen Handlungsbereich entfernt. Ziel des Handelsunternehmens sollte daher eine sinnvolle Kombina-
749
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert/Kenning (2007), S. 76.
750
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 76.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
141
tion der vier Strategien sein, die durch eine gegenseitige Ergänzung der Marktfelder gekennzeichnet ist.751 Die Marktstimulierungsstrategien lassen sich auf PORTER (1980) zurückführen, der eine Trennung der akquisitorischen Ansatzmöglichkeiten in Qualitätsführerschaft, Preisführerschaft und Nischenstrategie vornimmt.752 Unternehmen können entweder eine aggressive Preisstrategie durch ein möglichst niedriges Kostenniveau oder eine Qualitätsführerschaft anstreben. Aufgrund des teilweise empirisch nachgewiesenen u-förmigen Zusammenhangs zwischen Rendite und dem relativen Marktanteil, empfiehlt es sich für kleinere Anbieter, lukrative Marktsegmente zu bedienen,753 auf denen sie ihre im Vergleich zu großen Anbietern höhere Flexibilität ausspielen können. Übertragen auf das Handelsmarkenmanagement ist eine eindeutige Preisführerschaft der Discounter zu beobachten. Dies trifft auf die Lebensmittel- und Textildiscounter gleichermaßen zu, wobei auch diese Betriebstypen ein Trading-up der Sortimente zu verzeichnen haben. Die Position der Qualitätsführerschaft beanspruchen im LEH Vollsortimenter wie Edeka oder Rewe für sich, in der Textilbranche exklusive Ketten wie SØR. Nischenstrategien werden im Bekleidungseinzelhandel insbesondere von den sog. „Platzhirschen“, d. h. kleinen Einzelhändlern mit bedeutender regionaler Marktstellung verfolgt. Im LEH sind Nischenanbieter mit Sortimentsspezialisierungen z. B. in Form von Weinhandlungen oder Delikatessengeschäften zu beobachten. Eng verbunden mit der Entscheidung der Strategie zur Marktstimulierung ist die Marktparzellierungsstrategie. Diese kann nach FRETER (1983) je nach Differenzierungsgrad der Marktbearbeitung und dem Grad der Marktabdeckung, wie in Tab. C-9 dargestellt, in vier Marktbearbeitungsstrategien unterschieden werden. 754 Für das Handelsmarkenmanagement lassen sich diese Strategien anschaulich am Beispiel eines Bekleidungsfachhändlers verdeutlichen. Ein undifferenziertes Marketing strebt das Unternehmen an, wenn es eine größtmögliche Anzahl von Kunden durch einheitliches Marketing ansprechen möchte. 755 Dies betrifft eine Handelsmarke für Basisware, die sich an alle Kunden richtet, z. B. weiße T-Shirts. Geschieht diese
751
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 77.
752
Vgl. hier und im Folgenden Porter (1980), S. 75.
753
Für die Korrelationsbeziehung zwischen Marktanteil und Rendite existieren in der Fachliteratur unterschiedliche Auffassungen. Während die Verfasser der PIMS-Studie einen eindeutigen Zusammenhang postulieren (vgl. Buzzell/Gale (1987), S. 94), stellt SIMON in seinen Studien keinen signifikanten Zusammenhang fest (vgl. Simon (2007), S. 79).
754
Auf einzelne Marktsegmentierungsstrategien wird hier und im Folgenden nicht näher eingegangen. Siehe hierzu z. B. Becker (2006), S. 246-286; Kotler/Keller (2009), S. 246-253; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 182-226.
755
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert/Kenning (2007), S. 79-80 und Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 295-297.
142
Kap. C
Ansprache des gesamten Marktes segmentspezifisch, wird diese als differenziertes Marketing bezeichnet. Der Bekleidungsfachhändler spricht z. B. die unterschiedlichen Sinus Milieus mit jeweils auf ihre typischen Eigenschaften abgestimmten Handelsmarken an.756 Anders verhält es sich bei der Strategie partieller Marktabdeckung aber einheitlicher Marktbearbeitung, die als konzentriertes Marketing bezeichnet wird. Der Bekleidungsfachhändler hat z. B. eine Handelsmarke, die sich ausschließlich an alle Teenager richtet. Erfolgt hingegen eine partielle und zusätzlich segmentspezifische Ansprache der Kunden, liegt ein selektiv differenziertes Marketing vor. Der Bekleidungsfachhändler kann eine Outdoor-Handelsmarke speziell für Extremsportler, z. B. Bergsteiger, anbieten. Undifferenziertes wie differenziertes Marketing eignen sich somit vor allem für den Massenmarkt, während mit konzentriertem und selektiv differenziertem Marketing in der Regel Segmentierungsstrategien unterstützt werden.
einheitliche Marktbearbeitung
differenzierte Marktbearbeitung
undifferenziertes Marketing vollständige Marktabdeckung (z. B. weiße T-Shirts)
differenziertes Marketing (z. B. Handelsmarken nach Sinus Milieus gegliedert)
partielle konzentriertes Marketing Marktabdeckung (z. B. Teenager-Bekleidung)
selektiv differenziertes Marketing (z. B. Outdoor-Handelsmarke für Extremsportler)
Tab. C-9: Segmentspezifische Marktbearbeitungsstrategien nach FRETER mit Beispielen Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Freter (1983), S. 110.
In der Marktarealstrategie legt das Handelsunternehmen abschließend fest, in welcher geografischen Reichweite die vorher getroffenen Marketingstrategien umgesetzt werden sollen.757 Insbesondere für große Handelskonzerne, wie Edeka, stellt sich die Frage, ob bestimmte Handelsmarken nur lokal bzw. regional zum Einsatz kommen, überregional bzw. national in allen Geschäften oder darüberhinaus auch in internationalen Tochtergesellschaften vertrieben werden.758 Beispiel für eine regionale Handelsmarke ist „Unser Norden“, die von der Coop Schleswig-Holstein mit einem Sortiment von mehreren hundert Produkten nur in Norddeutschland vertrieben wird. Nationale Handelsmarken lassen sich bei allen landesweit agierenden Handelsunternehmen finden, wie z. B. die Handelsmarken der Rewe. International treten insbesondere die Bekleidungsfilialisten mit gleichen Handelsmarken in Deutschland und 756
Vgl. zu dem Beispiel der Sinus-Milieus von Sinus Sociovision im Bekleidungshandel Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 452-453.
757
Vgl. Becker (2006), S. 299 und weiterführend S. 299-350.
758
Vgl. Schenk (2001), S. 80.
143
Prozess des Handelsmarkenmanagements
im Ausland auf. Peek & Cloppenburg West (P&C) ist z. B. mit der Handelsmarke McNeal inzwischen in 15 Ländermärkten präsent und verkauft sie teilweise auch in anderen Betriebstypen.759 Zur Klassifikation der Handelsmarken lassen sich als erweiterter Strategierahmen abschließend die in Abb. C-8 dargestellten Abgrenzungskriterien heranziehen.
Abgrenzungskriterien Eigentum des Markenzeichens inhaltlicher Bezug Reichweite des Absatzgebietes Sortimentsbreite Handelsmarkentyp Warengruppe Reichweite im Handelsunternehmen
Handelsmarke
Eigenmarke
Unternehmensmarke
lokale Marke
Kombination
region. Marke
Artikelmarke
Gattungsmarke
Fremdmarke
nation. Marke
Warengruppenmarke
Klass. HaMa
Textilmarke
Ein-Betriebstypen-Marke
Phantasiemarke
internat. Marke
Sortimentsmarke
Submarke
Hartwaren-Marke
Mehr-Betriebstypen-Marke
Gestaltmarke
Foodmarke
Konzernmarke
Beispiel
Abb. C-8: Klassifikation von Handelsmarken anhand ausgewählter Abgrenzungskriterien Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 151 und Dumke (1996), S. 15.
Vorerst ist zu klären, ob die Markenrechte der entsprechenden Handelsmarke bei dem Hersteller, dem anbietenden Handelsunternehmen oder einem kooperierenden Handelsunternehmen liegen. Dies ist entscheidend für die Handlungsfreiräume be759
Vgl. die exklusiv für diese Handelsmarke eingerichtete Webseite www.mc-neal.de. In Wien ist McNeal darüber hinaus mit einem Flagship-Store vertreten. Die Strategie, mit einer erfolgreichen Handelsmarke eigene Geschäfte aufzumachen, verfolgt P&C bereits mit Anson’s an 20 Standorten (www.ansons.de).
144
Kap. C
züglich der Markengestaltung und Markenaktualisierung.760 Des Weiteren ist der inhaltliche Bezug der Kennzeichnung festzulegen, d. h. ob die Markierung der Handelsmarke durch den Unternehmensnamen, einen Phantasienamen oder die Kombination aus Firmennamen und Phantasienamen erfolgt. 761 Die geografische Reichweite des Absatzgebietes wurde bereits in diesem Kapitel beschrieben. Die Sortimentsbreite ist ebenso wie die Wahl der Warengruppen für Handelsmarken eng mit der Handelsmarkenarchitektur sowie der Wahl der Handelsmarkentypen verknüpft und wird abschließend im Rahmen der Sortimentspolitik in Kapitel C.4.5.1 näher betrachtet.762 Die Wahl der Handelsmarkentypen bezieht sich auf die vier bereits beschriebenen Handelsmarkengenerationen der Gattungsmarken, klassischen Handelsmarken, Dachmarken und Markenfamilien sowie Gestalt- und Pioniermarken.763 Schließlich ist die Reichweite der Handelsmarke innerhalb der Unternehmung festzulegen. Grundlage hierfür sind die Ausführungen zur Betriebstypenmarke in Kap. C.4.3.4.764 Im Anschluss an diese strategischen Vorüberlegungen stellt sich für das Handelsunternehmen konkret die Frage, welche strategische Position die Handelsmarken einnehmen sollen. Im Rahmen dessen wird einerseits über die Ausgestaltung einer geeigneten Handelsmarkenarchitektur und andererseits über die Wahl der entsprechenden Handelsmarkentypen, die innerhalb der Architektur eingesetzt werden, entschieden. 4.3.2
Ausgestaltung der Handelsmarkenarchitektur
Die Handelsmarkenarchitektur eines Handelsunternehmens kann in Anlehnung an BURMANN/MEFFERT (2005) anhand dreier Dimensionen differenziert erfasst und gestaltet werden:765
einer vertikalen Dimension zur Gestaltung des Integrationsgrades über die verschiedenen hierarchischen Markenebenen hinweg,
760
Vgl. Dumke (1996), S. 142-144. Die weiteren sortimentspolitischen Entscheidungen werden im Folgenden für den überwiegenden Fall, dass das Handelsunternehmen die Markenrechte besitzt, betrachtet.
761
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 150; Burkhardt (1997), S. 229; Keller/Apéria/Georgson (2008), S. 18 sowie die Ausführungen zur vertikalen Gestaltungsdimension von Handelsmarkenarchitekturen in Kap. C.4.3.2.
762
Vgl. zur Beschreibung der Handelsmarkengenerationen Kap. B.2.3.
763
Diese kritische Betrachtung dieser Wahlentscheidung ist Gegenstand von Kapitel C.4.3.
764
Die Klassifikation von Handelsmarken ist in der Abbildung am Beispiel der Gestaltmarke Real selection dargestellt. Die Markenrechte der Kombination aus Unternehmens- und Phantasiemarke liegen beim Handelsunternehmen. Sie wird von der Metro national als Warengruppenmarke im Foodbereich für ausgewählte Schokoladenspezialitäten ausschließlich im Betriebstyp Real geführt (Stand: Frühjahr 2009).
765
Vgl. Burmann/Meffert (2005a), S. 173 sowie Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 370.
145
Prozess des Handelsmarkenmanagements
einer horizontalen Dimension zur Gestaltung der Anzahl von Marken auf der jeweiligen Hierarchieebene und
einer sortimentsgerichteten Ebene zur Gestaltung des Warensortiments in Bezug auf Handelsmarkentypen und Herstellermarken.
Zur Übersicht sind diese drei Dimensionen der Handelsmarkenarchitektur in Abb. C-9 als dreidimensionaler Gestaltungsraum dargestellt.
vertikale Dimension der Markenarchitektur sortimentsgerichtete Dimension der Markenarchitektur
Branded House
Premiumhandelsmarken Sub-Branding klassische Handelsmarken Endorsement Branding
House of Brands
Gattungsmarken klassische Herstellermarke horizontale Dimension der Markenarchitektur Einzelmarkenstrategie
Mehrmarkenstrategie
Abb. C-9: Gestaltungsdimensionen von Markenarchitekturen im Handel Quelle:
766
Eigene Darstellung in Anlehnung an Burmann/Meffert (2005a), S. 173.
In der anglizistischen sowie teilweise in der deutschen Literatur werden bei der vertikalen Dimension der Markenarchitektur ein Kontinuum vom Branded House, über Sub-Branding und Endorsement Branding bis zum House of Brands unterschieden.767 In einem Branded House dominiert die Dachmarke, die auch als Umbrella-
766
Die Handelsmarken der 3. und 4. Generation sind in der Abbildung als Premiumhandelsmarken zusammengefasst.
767
Vgl. Aaker (2004), S. 48; Aaker/Joachimsthaler (2000), S. 105-106; Burmann/Meffert (2005a), S. 170-173.
146
Kap. C
Brand bezeichnet wird.768 Je mehr die Strategie in Richtung eines House of Brands geht, stehen die Einzelmarken der Handelsunternehmung im Vordergrund. Wie in Abb. C-10 dargestellt und mit Beispielen aus dem Handel hinterlegt, ergeben sich nach AAKER/JOACHIMSTHALER (2000) innerhalb dieser vier Strategien weitere Gestaltungsoptionen für die (Handels-)Markenarchitektur.769
Brand Relationship Spectrum
Branded House
same identity (H&M, Zara)
different identity (ja! in Österr. und D.)
Sub Branding
master brand as driver (RealHaMa)
codrivers (EdekaHaMa)
Endorsement Branding
strong endorsement (edc by Esprit)
linked name (GlobusHaMa)
token endorsement (Babybel Belight)
House of Brands
shadow endorser (Lidl-, AldiHaMa)
not connected (Mc Neal)
Abb. C-10: Vertikale Markenarchitekturoptionen Quelle:
Eigene Darstellung in enger Anlehnung an Aaker/Joachimsthaler (2000), S. 106.
Zwei Fragestellungen sind mit der Wahl der vertikalen Handelsmarkenarchitektur verknüpft:770
Wie stark ist der Integrationsgrad von Dachmarke und Handelsmarke?
Welche Rolle spielt die Handelsmarke bzw. die Dachmarke bei der Kaufentscheidung?
Im Branded House nehmen Markenfamilien oder Einzelmarken nur eine untergeordnete Rolle ein. Als Beispiele aus dem Handel sind H&M und Zara zu nennen, die als vertikale Bekleidungshändler ihre Betriebstypenmarke in den Vordergrund stellen und diese mit einheitlicher Markenidentität in den Produkten als Absender verwenden. In bestimmten Fällen existieren innerhalb einer Dachmarke unterschied-
768
Vgl. Andresen/Nickel (2005), S. 790.
769
Vgl. Aaker/Joachimsthaler (2000), S. 106. Sie beziehen sich dabei auf den Strukturierungsansatz von LAFORET und SAUNDERS (vgl. Laforet/Saunders (1994), S. 64-76; Laforet/Saunders (1999), S. 51-66).
770
Vgl. in ähnlicher Form Esch/Bräutigam (2005), S. 850.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
147
liche Markenidentitäten.771 Die Handelsmarke ja! der Rewe Handelsgruppe wird in Deutschland als Preiseinstiegsmarke und in Österreich mit dem Zusatz „Ja! Natürlich.“ als Premium-Biomarke verkauft.772 Die Verwendung dominierender Dachmarken hat als Strategie der vertikalen Markenarchitektur nach einer Studie von LAFO773 RET/SAUNDERS in den letzten 15 Jahren stark zugenommen. Im Falle des Sub Branding erfolgt eine Modifizierung der Dachmarke durch Submarken (Markenfamilien bzw. Einzelmarken). Es kann zwischen dominierender Dachmarke und gleichberechtigter Bedeutung zwischen Dachmarke und Submarken unterschieden werden. 774 Die erste Strategie verfolgt z. B. Metro mit Real, deren Handelsmarken der dritten und vierten Generation unter Real quality bzw. Real selection angeboten werden. Die Strategie gleichberechtigter Marken vertritt die Edeka mit ihren Handelsmarkenfamilien, z. B. Edeka Mibell und Edeka Rio Grande.775 Auch im Falle der Endorsed Brands erfolgt eine Modifizierung der Dachmarke durch Submarken, die Dachmarke fungiert allerdings einzig als unterstützender Absender. Es kann zwischen deutlicher, durch Namen implizierter und einer nur angedeuteten Stützung unterschieden werden.776 Eine deutliche Unterstützung nimmt z. B. Esprit für die Submarke edc durch den Zusatz „edc by Esprit“ vor. Eine implizite Stützung der Eigenmarke durch die Dachmarke findet sich z. B. bei Globus und Kaufland, die ihre Preiseinstiegshandelsmarken einheitlich unter Globe bzw. K-Classic anbieten. Weniger häufig ist eine nur angedeutete Stützung in der Praxis vorzufinden. Aldi Süd hat z. B. halbfesten Schnittkäse von Babybel und Salzgebäck von TUC im Sortiment – beide Produkte sind prominent mit dem Logo der Aldi-exklusiven HandelsmarkenLinie Be Light versehen.777 Auf der Rückseite vieler Verpackungen von Handelsmarken der ersten Generation ist zudem eine angedeutete Stützung der Unternehmensmarke als Absender zu finden, z. B. „hergestellt für die Rewe Handelsgruppe“.
771
Vgl. Aaker/Joachimsthaler (2000), S. 119. Die Ausstattung einer Marke mit mehreren Identitäten kann zu konsumentenseitigen Widersprüchen führen, weswegen dieser Vorschlag zahlreicher Kritik unterworfen ist (vgl. Meffert (2002a), S. 147; Meffert/Burmann (1996), S. 31; Wiedmann (1994), S. 104).
772
Die Preiseinstiegsprodukte der Rewe in Österreich werden unter der Marke „clever“ verkauft.
773
Vgl. Laforet/Saunders (2005).
774
Vgl. Esch/Bräutigam (2005), S. 850. In beiden Fällen sind Investitionen in die Dachmarke angezeigt, da diese wichtiger Unterstützer der Produktmarken ist (vgl. Aaker/Joachimsthaler (2000), S. 117). Vgl.
775
Abb. B-7 auf S. 48. 776
Vgl. Aaker/Joachimsthaler (2000), S. 110-116.
777
Bereits 1973 haben MUSE und HARTUNG diese Form der sog. Dual-Brands untersucht (vgl. Muse/Hartung (1973)).
148
Kap. C
Im House of Brands werden Produktmarken ohne ein verbindliches Markendach geführt. 778 AAKER/JOACHIMSTHALER (2000) unterscheiden weiterhin in Marken, die zumindest verdeckt gestützt werden und solchen, bei denen das Absenderunternehmen nicht bekannt ist. Eine verdeckte Unterstützung findet bei vielen klassischen Handelsmarken der Lebensmitteldiscounter, z. B. Aldi, statt. Die Dachmarke Aldi taucht zum Großteil nicht auf den Produkten auf, der Konsument weiß jedoch, dass es sich um Handelsmarken des Aldi-Konzerns handelt und überträgt die positiven Assoziationen der „Betriebstypenmarke“ auf die Produktebene. 779 Keine Unterstützung der Produktmarke durch die Dachmarke erfahren häufig Bekleidungshandelsmarken. Die bereits erwähnte Handelsmarke Mc Neal wird z. B. auch in fremden Handelshäusern verkauft, ohne dass P&C als Markenabsender in Erscheinung tritt.780 Bei der Wahl der vertikalen Dimension ist zudem eine Kombination der Gestaltungsoptionen möglich. In der horizontalen Dimension der Markenarchitektur stehen dem Handelsunternehmen zwei Gestaltungsoptionen zur Verfügung, die Einzelmarken- und die Mehrmarkenstrategie.781 Im Rahmen der Einzelmarkenstrategie wird ein einzelnes Produkt exklusiv durch eine Marke gekennzeichnet.782 Die Strategie erweist sich dann als zweckmäßig, wenn heterogene Produkte angeboten werden. Da jede Marke einzeln geführt wird, werden weder positive noch negative Eigenschaften auf andere Handelsmarken übertragen.783 Insbesondere Discounter mit einem kleinen Sortiment von weniger als 1.500 Artikeln, verfolgen Einzelmarkenstrategien. Prominente Beispiele sind die Waschmittelmarke Tandil und Albrecht Kaffee von Aldi. Bei der Mehrmarkenstrategie führt ein Unternehmen mindestens zwei selbständige Marken, die
auf denselben Markt ausgerichtet sind,
sich durch sachlich-funktionale Eigenschaften, die Preisstellung oder die Ausgestaltung der Markenidentität unterscheiden,
innerhalb des Unternehmens organisatorisch abgegrenzte Einheiten darstellen und
778
Vgl. Esch/Bräutigam (2005), S. 850.
779
Vgl. zu dieser Strategie Kap. C.4.3.4.
780
Die Marke Mc Neal ist dadurch selbst eine Dachmarke für verschiedene Bekleidungsstücke.
781
Vgl. Burmann/Meffert (2005a), S. 175; Winkelmann (2008), S. 506. Auf den Begriff der Markenfamilienstrategie wird hier nicht weiter eingegangen, da er sich allein durch die Anzahl der unter einer Marke angebotenen Produkte von der Einzelmarkenstrategie unterscheidet und sachlogisch nicht der Markenarchitektur, sondern der Markenevolutionsstrategie zuzuordnen ist (vgl. Burmann/Meffert (2005a), S. 175).
782
Vgl. z. B. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 371; Theis (2007), S. 332-333.
783
Vgl. Theis (2007), S. 333.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
149
sich durch einen – vom Kunden wahrgenommen – getrennten Marktauftritt unterscheiden.784
Das Handelsunternehmen lässt somit Konkurrenz zwischen den eigenen Handelsmarken zu.785 Die Mehrmarkenstrategie hatte in der Vergangenheit für Handelsunternehmen im Rahmen des Handelsmarkensortiments kaum eine Bedeutung.786 Inzwischen bieten viele große Handelsunternehmen innerhalb der selben Warengruppe mehrere Handelsmarken an, meist eine Preiseinstiegsmarke, eine klassische Handelsmarke, eine Gestaltmarke und eine Bio-Marke als Submarke, wie am Beispiel unterschiedlicher Handelsmarken für Frühstückscerealien des Unternehmens Real in Abb. C-11 dargestellt ist.
Abb. C-11: Mehrmarkenstrategie innerhalb der Handelsmarkenarchitektur von Real Quelle:
Zur Verfügung gestellt von der Metro AG.
Die sortimentsgerichtete Gestaltungsdimension der Markenarchitektur bezieht sich auf die Wahl geeigneter Handelsmarkentypen und die Festlegung des angestrebten Handels- und Herstellermarkenanteils innerhalb des Sortiments. Wie im nächsten Abschnitt aufgezeigt wird, ist die Wahl der Handelsmarkentypen im Wesentlichen von der strategischen Ausrichtung der festgelegten Handelsmarkenarchitektur abhängig.
784
Vgl. Meffert/Perrey (2005), S. 816.
785
Zu den Vor- und Nachteilen einer Mehrmarkenstrategie vgl. Burmann/Meffert (2005a), S. 177; Freter/Baumgarth/Stuhlert (2008), S. 62.
786
Vgl. Theis (2007), S. 333.
150
Kap. C
4.3.3
Wahl der Handelsmarkentypen
Zu Beginn weiterer strategischer Überlegungen steht das Handelsunternehmen vor der Entscheidung, welche Artikel bzw. Artikelgruppen im Sortiment für Handelsmarken in Frage kommen.787 Die Substitution von Herstellermarken durch Handelsmarken innerhalb des Sortiments ist für das Handelsunternehmen prinzipiell dann interessant, wenn die Kosten nicht höher, Verkaufspreis und Absatzmenge nicht niedriger und der Ausstrahlungseffekt auf andere Artikel nicht ungünstiger ist als bei den bereits im Sortiment vorhandenen Herstellermarken.788 Neben diesem ertragsorientierten Aspekt existieren jedoch noch weitere Kriterien, die die Eignung von Produkten und Produktkategorien als Handelsmarken beschreiben.789 Der Konsument entscheidet sich häufiger für eine Handelsmarke, je geringer das wahrgenommene Risiko bei deren Kauf bzw. je niedriger die Reduktion dieses Risikos durch ein Markenprodukt ist.790 Das wahrgenommene Risiko drückt sich indes darin aus, inwieweit der Konsument die Qualität der Handelsmarke abschätzen kann.791 Besonders stark vertreten sind Handelsmarken daher in den Produktbereichen, die besonders austauschbar sind und von denen keine hohe emotionale Bindung ausgeht, wie bspw. Toilettenpapier, Mehl, Reis, Milch oder Zucker. Der Konsument ist zudem gedanklich weniger stark in den Kaufprozess involviert, da er weder ein funktionales noch ein finanzielles oder soziales Risiko beim Kauf der Handelsmarke erwartet. 792 Nur wenigen Herstellermarken gelingt in diesen Bereichen eine emotionale Markenführung, wie dem schwedischen Hersteller SCA mit Charmin im Toilettenpapierbereich. Ein ungleich höheres Involvement liegt z. B. beim Kauf von emotional aufgeladenen Produkten wie Baby-Nahrung vor. Hierbei setzt sich der Kunde intensiv mit dem Produkt auseinander. Für Produkte mit hohem Sozialprestige, z. B. Oberbekleidung, ist die Position des Markenartikels weniger gefährdet, da diese nicht ohne Weiteres durch Handelsmarken ersetzt werden können. 793 Dennoch zeigen die Handelsmarken Inscene von Karstadt oder Manguun von Kaufhof, dass Markenbildung in den Köpfen der Konsumenten auch in diesem Bereich möglich ist. Prestige-Effekte sind in der Lebensmittelbranche zudem bei Bier, Wein und Spirituosen zu beobachten, sofern sie Gästen
787
Vgl. Berekoven (1995), S. 143.
788
Vgl. Müller-Hagedorn (2001), S. 105.
789
Vgl. zur Eignung und Bedeutung von Handelsmarken in unterschiedlichen Warengruppen Pretzel (1996), S. 182-186.
790
Vgl. Batra/Sinha (2000), S. 182-184.
791
Vgl. Batra/Sinha (2000), S. 178.
792
Vgl. Esch (2008), S. 543.
793
Vgl. Gerszke/Rickert/Wellhöfer (2007), S. 38.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
151
ausgeschenkt oder in einem öffentlichen Umfeld konsumiert werden.794 Hinzu kommt der Aspekt der Wertschätzung, wenn Produkte als Geschenk eingekauft werden. Dies trifft etwa auf alkoholische Getränke sowie auf hochwertige Süßwaren, z. B. Pralinen, zu. Der Schenkende möchte dem Beschenkten durch die (teure) Herstellermarke, die über ein hochwertiges Image verfügt, eine gewisse Wertschätzung entgegen bringen.795 Zudem ist es relativ schwierig, eine erfolgreiche Handelsmarke zu etablieren, wenn bereits eine marktdominierende Herstellermarke am Markt vertreten ist.796 Dies ist deutlich am Beispiel des Energy-Getränks Red Bull zu sehen. Produkte, die innovative, hochwertige Technologien voraussetzen, wie bspw. Mobilfunkgeräte, eignen sich kaum zur Handelsmarkenproduktion.797 Der Kunde erwartet Serviceleistungen und der Händler muss zudem bereit sein, Gewährleistungsrisiken zu tragen.798 Erschwerend kommt hinzu, dass solche Produkte kapitalintensiven Fertigungsverfahren und einem hohen Innovationstempo bezüglich der Erfordernisse technischer Erneuerungen unterliegen. 799 Es ist daher nachvollziehbar, dass der Umsatzanteil von Handelsmarken bei technischen Gebrauchsgütern auf relativ niedrigem Niveau stagniert und Fachmärkte den Verkauf von Handelsmarken weitestgehend unterlassen.800 Außer durch limitierende Produktcharakteristika wird die Wahl der Handelsmarkentypen durch die strategische Ausrichtung der Handelsmarkenkonzepte innerhalb der gewählten Markenarchitektur bestimmt. Folgende fünf Konzepte sind in der Handelspraxis vorzufinden, die häufig untereinander kombiniert werden und deshalb nicht gänzlich überschneidungsfrei sind:801
Preisorientierung,
Warengruppenorientierung,
Produktweltenorientierung,
Altersgruppenorientierung und
Bedürfnisorientierung.
794
Vgl. Suhr (1961), S. 38-39.
795
Zum Image von Handelsmarken vgl. die Studien von Lee/Hyman (2008) und Vahie/Paswan (2006).
796
Vgl. Pretzel (1996), S. 135-137.
797
Vgl. Gerszke/Rickert/Wellhöfer (2007), S. 38.
798
Vgl. Wolters (1997), S. 315.
799
Vgl. Lenz (1996), S. 151.
800
Vgl. Meffert/Burmann (2001), S. 52.
801
Die hier vom Autor zusammengestellten Konzepte sind in der zugänglichen Literatur bisher nicht behandelt worden. Sie sind daher mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis hinterlegt.
152
Kap. C
Wird eine preisorientierte Handelsmarkenarchitektur gewählt, sind die Handelsmarken für den Kunden durch unterschiedliche Marken deutlich in Preiskategorien unterteilt. Ausnahme hiervon bilden die Discounter, die durchgängig Produkte im Preiseinstiegsbereich anbieten, selbst für hochwertige Produkte wie Champagner oder Flusskrebssalat. Dieses Vorgehen kann als Discountmarkenstrategie zusammengefasst werden. 802 In SB-Warenhäusern und Vollsortimentern hat sich nach internationalem Vorbild – insbesondere Tesco – ein Dreiklang preislicher Differenzierung durchgesetzt. Erstens wird ein Grundsortiment an Artikeln des täglichen Bedarfs im Preiseinstiegsbereich als preisliche Alternative zu den Angeboten der Discounter angeboten. Diese Produkte sind der ersten Generation der Handelsmarken zuzurechnen. Zweitens findet sich in den Regalen ein breites Sortiment an Produkten mit hoher Umschlagshäufigkeit im mittleren Preissegment, vor allem in Produktbereichen, in denen bekannte Marken vertreten sind, die im Sinne einer Me-too-Strategie in Ausstattung und Gestaltung den Marktführer als Vorbild nehmen. Hierfür eignen sich die Handelsmarken der zweiten und dritten Generation. Die dritte Preiskategorie stellen Premiumhandelsmarken dar, die qualitativ und preislich gleich oder oberhalb der marktführenden Herstellermarke positioniert sind und sich entweder an Premiumherstellermarken orientieren oder eigenständig neue Maßstäbe in Qualität, Rezeptur oder Ausstattung setzen. Dieser Kategorie sind die Handelsmarken der vierten Generation zuzuordnen. Eine derart dreigeteilte preislich orientierte Handelsmarkenarchitektur, die alle Handelsmarkengenerationen umfasst, wird in Deutschland gegenwärtig insbesondere bei Globus und Real umgesetzt.803 Erfährt die Handelsmarkenarchitektur eine Warengruppenorientierung, werden für unterschiedliche Warengruppen jeweils eigene Handelsmarken verwendet. Dazu eignen sich insbesondere Handelsmarken der dritten Generation. Rewe hatte z. B. – vor der Umstellung auf die „Rewe“-Eigenmarken – Handelsmarken für bestimmte Sortimente, z. B. Erlenhof für Obst und Gemüse, Salto für Tiefkühlkost, Füllhorn für Bio-Lebensmittel und Today für Hygieneatikel. Eine ähnliche Strategie verfolgt gegenwärtig die Baumarktkette Obi, z. B. mit Variolux für technische Produkte, Montana für Holzprodukte und Obi Classic für Wandfarben. Eine Kombination von Preisorientierung und Warengruppenorientierung findet sich bei Lidl. Die Discountprodukte werden vielfach unter einheitlichen Marken je Warengruppe zusammengefasst, z. B. Crownfield für Müsli, Dentalux für Zahnpflegeprodukte oder Milbona für Molkereiprodukte.
802
Vgl. Bruhn (2001), S. 13.
803
Die Eigenmarken heißen bei Globus „Globe“, „Globus“ sowie „Gold von Globus“ und bei Real „TiP“, „Real Quality“ und „Real Selection“. Rewe hat neben „ja!“ und „Rewe“ ebenfalls eine dritte Qualitätsstufe mit „Rewe Exklusiv“ angekündigt (vgl. Lebensmittelzeitung vom 13. März 2008, S. 1). Vorbild ist Tesco aus Großbritannien mit „Tesco Value“, „Tesco Basic“ und „Tesco Finest“.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
153
Eine weitere mögliche strategische Ausrichtung der Handelsmarkenarchitektur bezieht sich auf Produktwelten, d. h. auf die Zusammenfassung mehrerer Produkte zu einem bestimmten Themengebiet unter einer Handelsmarke. Prominentes Beispiel sind die Produktwelten von Tchibo, in denen wöchentlich Produkte unter der Handelsmarke tcm zu einem neuen Thema zusammengestellt werden. Kaiser’s Tengelmann fasst hingegen alle Produkte mit einem Bezug zur italienischen Lebensart unter der Marke De Niro zusammen. Ähnliche Konzepte sind bspw. für chinesische oder indische Produktwelten vorstellbar. Eine weitere Möglichkeit ist die Bezugnahme auf regionale Produktwelten, die z. B. in Famila-Märkten angeboten werden. Famila Nordwest verkauft unter der Marke Küstengold Produkte mit starkem Bezug zur Region Norddeutschland, Famila Nordost unter der Marke Hofgut regionale Produkte mit traditionellen Rezepturen. Die Handelsmarken der Produktweltenorientierung sind in der Regel ebenfalls der dritten Generation zuzuordnen. In der Bekleidungsbranche findet sehr häufig eine Altersgruppenorientierung statt, d. h. Produkte, die auf eine bestimmte Altersgruppe ausgerichtet sind, werden unter einer Handelsmarke zusammengefasst. Tacco hat mit Dopodopo eine Handelsmarke für Kleinkinder und mit Crash One und Dognose jeweils eine Bekleidungsmarke für Mädchen und eine für Jungen. Galeria Kaufhof bietet mit Rover & Lakes klassische Mode für „ältere“ Herren, mit Manguun Kleidung für junge Erwachsene an. Beispiele aus der Lebensmittelbranche finden sich bei Tesco (Tesco Kids), Sainsbury’s (Sainsbury’s Kids) und Coop Schweiz (JaMaDu).804 Diese häufige Ausrichtung auf Kinder als Zielgruppe ist mit ihrer nicht unbedeutenden finanziellen Ausstattung zu erklären.805 Die Coop Schweiz bietet zudem eine preiswerte Handelsmarkenlinie von Convenience-Produkten für junge Erwachsene unter dem Namen plan b an. Es sind auch Handelsmarken speziell für ältere Menschen denkbar, die sich z. B. besonders leicht öffnen lassen und bei denen Angaben auf der Verpackung ausreichend groß abgedruckt sind.806 Handelsunternehmen können Handelsmarken mit dem Ziel der Profilierung zudem an bestimmten Konsumentenbedürfnissen und einzelnen Zielgruppen ausrichten.807 Im LEH finden sich z. B. Diät- und Fair Trade-Produkte, Produkte für Allergi-
804
Laut der Firmenhomepage (www.coop.ch) wird JaMaDu zusammen mit Kindern entwickelt und durch Ernährungsfachleute auf ihre Bedürfnisse abgestimmt. JaMaDu richtet sich in erster Linie an Kinder von 4 bis 9 Jahren und ihre Eltern.
805
Laut der Kids-Verbraucher-Analyse 2008 des Ehapa-Verlags haben die 6-13-jährigen Kinder in Deutschland ein jährliches Budget von 2,6 Milliarden Euro und weitere 3,8 Milliarden Euro liegen auf Sparkonten, über die die Kinder zunehmend frei verfügen können (vgl. Sekundärquelle [9], S. 35).
806
Vgl. Schilperoord (2006), S. 199-203; Dreher (2006), S. 218.
807
Vgl. Kapferer (2008), S. 67. Kapferer bezeichnet diese Form der Handelsmarken als Positioning Brands. In der Typologie der Handelsmarken sind sie der vierten Generation der Gestaltmarken zuzuordnen (vgl. Kap. B.2.3).
154
Kap. C
ker, die frei von bestimmten Zusatzstoffen sind oder Produkte speziell für Vegetarier, wie die Handelsmarke Delicorn der Coop Schweiz. Zahlreiche Beispiele für eine bedürfnisorientierte Handelsmarkenarchitektur finden sich auch bei Tesco und Sainsbury’s in Großbritannien.808 Ebenfalls von der Coop gibt es mit Naturaline eine Handelsmarke für Textilien aus Bio-Baumwolle, die nach strengen sozialen und ökologischen Richtlinien produziert und verarbeitet wird. Der Textildiscounter Takko hat mit MaxiBlue eine Handelsmarke speziell für Kleidergröße 42-52 im Angebot. Der bedürfnisorientierten Handelsmarkenarchitektur sind vor allem Handelsmarken der dritten Generation und bei qualitativ besonders hoch positionierten Produkten auch die der vierten Generation zu zuordnen. Der Strategierahmen und die Handelsmarkenarchitektur werden – wie an einigen Stellen angedeutet – durch die Rolle der Betriebstypenmarke mitbestimmt und ist insbesondere als mögliche Dachmarke der Handelsmarken von besonderer Bedeutung. Der Begriff „Betriebstypenmarke“ und die enge Beziehung zum Handelsmarkenmanagement bedürfen daher einer eigenständigen Betrachtung. 4.3.4
Betriebstypenmarke als Dachmarke für Handelsmarken
Frei nach dem Motto „The Store is the Brand“809 entwickeln viele Handelssysteme den Namen ihres Betriebstypen zunehmend zu einer Dachmarke, die im Kaufentscheidungsprozess der Kunden die bisherige Funktion der Herstellermarken hinsichtlich Orientierung und Qualität einnehmen soll.810 Ziel ist es, ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Institutionenvertrauen aufzubauen und den entsprechenden Firmennamen als Dachmarke zu profilieren.811 Betriebstypen stellen nach AHLERT und KENNING unternehmensindividuelle Systematiken dar, die durch Typisierung der Betreibungskonzepte einer Unternehmung entstehen.812 Der Betriebstyp ist somit als eine Spezifizierung der Betriebsform zu verstehen.813 Das Betriebstypenmarkenmanagement ist eng mit dem Handelsmarken808
Tesco führt zahlreiche bedürfnisorientierte Handelsmarken wie „Tesco Organic“, „Tesco Free From“ oder „Tesco Healthy Living“. Sainsbury’s hat ähnliche Handelsmarken unter den Namen „Organics“, „Freefrom“ und „Be Good To Yourself“ im Sortiment (vgl. Keller/Apéria/Georgson (2008), S. 213).
809
Rudolph (2004), S. 979.
810
Vgl. Woodside/Walser (2007), S. 1. In Deutschland haben z. B. Rewe, Real und Globus viele ihrer Handelsmarken mit ihrer Händlermarke als Absender versehen. Sie folgen dabei dem Beispiel britischer Lebensmittelhändler wie Tesco und Sainsbury‘s.
811
Vgl. Meffert (2002b), S. 157. Siehe auch Sattler/Völckner (2007), S. 157-159.
812
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 111. In der Literatur wird für wirtschaftsstufenbezogene Ausprägungen von Betriebsformen neben Betriebstyp auch der Begriff „Vertriebslinie“ verwendet (vgl. z. B Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 105).
813
Trotz der großen Begriffsvielfalt in der Handelsliteratur können zwei zentrale Gemeinsamkeiten der Definitionen von „Betriebsform“ identifiziert werden. Zum einen die Gruppierung von Han-
Prozess des Handelsmarkenmanagements
155
management verbunden, insbesondere dann, wenn die Produkte den gleichen Markenamen tragen wie der Betriebstyp der entsprechenden Handelsunternehmung.814 Bei Betrachtung der Betriebstypenmarken im Handel fällt auf, dass die Erfahrungen der Konsumenten, die das Bild der Marke prägen, viel umfassender sind als bei einzelnen Produkten. Sie bestehen aus einer riesigen Summe von Einzeleindrücken.815 Für die Kennzeichnung der Betriebstypen wird in Anbetracht einer fehlenden eindeutigen Begriffsabgrenzung in der Literatur im Folgenden einheitlich der Begriff der „Betriebstypenmarke“ verwendet.816 Darunter wird „[…] eine Marke verstanden […], die sich im rechtlichen Eigentum einer Handelsunternehmung befindet und mit der die jeweilige Handelsunternehmung ihre Betriebstypen kennzeichnet“.817 Die Betriebstypenmarke nimmt dabei eine Zwischenstellung auf dem SachleistungsDienstleistungs-Kontinuum ein, da sie sich sowohl aus tangiblen als auch aus intangiblen Kompetenzdimensionen zusammensetzt. 818 Dem Verbraucher fehlt in der anonymisierten Handelslandschaft oftmals ein Identifizierungsmerkmal, dem er posi-
delsunternehmen (vgl. Gröppel (1994), S. 382; Hansen/Algermissen (1979), S. 56; MüllerHagedorn (2005), S. 69; Nieschlag/Kuhn (1980), S. 82-83) und zum anderen, dass die Betriebsform durch die Realisierung unterschiedlicher Unternehmenskonzeptionen gebildet wird (vgl. Algermissen (1981), S. 40; Gröppel (1994), S. 382; Nieschlag (1974), Sp. 366; Nieschlag/Kuhn (1980), S. 82-83). Unterschiede herrschen vor allem in der Perspektive der Definition. SEŸFFERT unterscheidet z. B. aus Anbietersicht die Betriebsformen Großhandelsbetriebe (Seÿffert (1972), S. 146-238) und Einzelhandelsbetriebe (Seÿffert (1972), S. 239-353). SCHENK unterscheidet aus Sicht der Handelsunternehmen über 100 Betriebsformen des Einzelhandels und rund 30 des Großhandels (vgl. Schenk (1991)). 814
Vgl. die empirischen Arbeiten von Ailawadi/Keller (2004), eine Metastudie zum Betriebstypenmarkenmanagement von Burt (2000), eine Längsschnittanalyse von Einflussfaktoren auf die Betriebstypenmarke Corstjens/Lal (2000) sowie Paneldaten zum Einfluss von Handelsmarken auf die Loyalität gegenüber der Betriebstypenmarke.
815
Vgl. Berentzen/Hamann (2008), S. 224, die diese Einzeleindrücke als „Touch Points“ bezeichnen. Folgendes, vielzitiertes Beispiel verdeutlicht die Komplexität: Ein Mars-Riegel hat 16 Zutaten, bestimmte Geschmackscharakteristika, eine Verpackung und ein Werbeleitmotiv. Eine Betriebstypenmarke im Handel dagegen besteht aus einigen Millionen Attributen – eine Kombination zehntausender Artikel, vielen tausend Mitarbeitern und Hunderten von Filialen (vgl. Ahlert/Kenning (2005), S. 1196; Berentzen/Hamann (2008), S. 229; Egloff/Kohlbacher (2004), S. 47; Jary/Schneider/Wileman (1999), S. 51-52).
816
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 104. Neben der Bezeichnung Betriebstypenmarke werden für unternehmenseigene Betreibungskonzepte auch die Begriffe Retail Brand (vgl. Ahlert/Blut/Evanschitzky (2006), S. 306; Morschett (2006), S. 532-533; Zentes/Morschett (2005), S. 1143), Händlermarke (vgl. Morschett (2002), S. 107)) und Einzelhandelsmarke (vgl. Jary/Schneider/Wileman (1999), S. 17) synonym verwendet. Werden sämtliche Produkte eines Unternehmens unter einer Marke zusammengefasst und handelt es sich dabei um den Firmennamen, kann auch von Firmen- bzw. Unternehmensmarken gesprochen werden (vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 514). Beispiele hierfür sind IKEA und Zara.
817
Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 104.
818
Vgl. Müller-Hagedorn (1998), S. 6; Kent (2003), S. 132; Gedat/Salfeld (2005), S. 5.
156
Kap. C
tive sowie negative Leistungen zurechnen kann.819 In anderen europäischen Ländern haben die Handelskonzerne schon früh erkannt, dass die richtige Inszenierung und das richtige Management die Betriebstypenmarke zu einem solchen Identifizierungsmerkmal herausbilden können. Nach einer empirischen Studie des Instituts für Handelsmanagement der Universität Münster sind eine hohe Bekanntheit und die Erzielung eines hohen Kundenvertrauens die erstgenannten Ziele des Betriebstypenmarkenmanagements.820 Die starke Bedeutung der Bekanntheit ist dadurch zu erklären, dass die Wiedererkennung einer Marke sowohl die Abgrenzung gegenüber Wettbewerbern ermöglicht, 821 als auch für den Kunden in Bezug auf die Identifikation der Leistung und die Bündelung von Informationen eine wichtige Hilfestellung darstellt.822 Da die Markenbekanntheit allerdings eine durch kommunikationspolitische Maßnahmen käufliche Größe darstellt,823 kann diese nur als notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für den Aufbau einer erfolgreichen Betriebstypenmarke angesehen werden.824 Somit fällt dem zweiten Ziel, dem Aufbau von Kundenvertrauen, ein ebenso hohes Gewicht zu. Gelingt dieses, kann die Betriebstypenmarke als Instrument des Imitationsschutzes genutzt werden, denn Wettbewerber können das Vertrauenskapital nicht unverzüglich nachahmen.825 Zudem reduziert das Vertrauen in die Betriebstypenmarke die Komplexität der Einkaufsstättenwahl und kann Preisaufschläge im Vergleich zur Konkurrenz in begrenztem Maße kompensieren. Ein Beispiel für den angestrebten Vertrauensaufbau bietet die Rewe mit ihrer Werbekampagne „Rewe – jeden Tag ein bisschen besser“. Händler mit eigenen Filialen können die Betriebstypenmarke insbesondere durch die räumliche Gestaltung, die Warenpräsentation und den angebotenen Service herausstellen.
819
Vgl. Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 103. Zur Zeit der „Tante-Emma-Läden“ war dies die persönliche Beziehung zum Ladenbesitzer. Heute hingegen haben die Handelssysteme meist mehrere hundert Filialen, in denen solche Bindungen eine eher untergeordnete Rolle spielen.
820
Vgl. Ahlert/Kenning (1999), S. 5 und Ahlert/Kenning/Schneider (2000), S. 128-131. Die Literatur beschäftigt sich allerdings nicht erst seit den 1990er Jahren mit der Betriebstypenmarke. Bereits in den 1950er Jahren wurde der Einfluss des Store-Image auf den Erfolg des Handelsunternehmens untersucht (vgl. Martineau (1958), S. 47-55).
821
Vgl. Rudolph (2004), S. 991.
822
Vgl. Morschett (2002), S. 26 und Uusitalo (2001), S. 215.
823
Vgl. Riesenbeck/Perrey (2004), S. 103.
824
Vgl. Esch/Langner (2005), S. 194.
825
Vgl. Kenning (2001), S. 67.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
157
In der Marketingliteratur ist zudem das Image der Betriebstypenmarke826 und deren Markenwert827 ein viel diskutiertes Thema. In der Praxis ist insbesondere am Beispiel Aldi zu erkennen, welche Bedeutung die Betriebstypenmarke einnehmen kann. 828 Sie übernimmt stellvertretend für die angebotenen Produkte Image- und Vertrauensfunktionen. Die Konsumenten definieren die Kompetenz der Handelskette dann nicht mehr über die Warengruppen und das Sortiment, sondern über den Namen bzw. das Logo der Einkaufsstätte.829 Nach der Zusammenstellung der Handelsmarkenstrategien, der Hinterlegung der gewählten Handelsmarkenarchitektur mit den entsprechenden Handelsmarkentypen und -konzepten sowie der Bestimmung der Relevanz der Betriebstypenmarke, gilt es in den folgenden Prozessschritten des Handelsmarkenmanagements, Entscheidungen über die konkrete Ausgestaltung einer zielführenden Beschaffungs- und Absatzpolitik zu treffen. 4.4
Organisation der Beschaffungspolitik
4.4.1
Ermittlung des Beschaffungsbedarfs
Primäres Ziel der Beschaffungspolitik aus Sicht des Handelsunternehmens ist es, unter Minimierung des Gesamtaufwandes, die vom Konsumenten nachgefragten Handelsmarken in der gewünschten Qualität, zum akzeptablen Preis, zur passenden Zeit, am richtigen Ort bereitzustellen. 830 Beschaffungspolitik bedeutet somit weit mehr als Verhandlungsstärke und Taktik in Konditionenverhandlungen. Der Beschaffungserfolg hängt ebenso von der Beschaffungsmarktforschung, der Lieferantenauswahl sowie einer effizienten Beschaffungslogistik ab.831 Durch die Beschaffungsmarktforschung sind verschiedene Informationen zu erheben: Neben allgemeinen Branchen- und Länderinformationen sind dies vor allem Waren- und Lieferantendaten sowie Informationen über die Beschaffungspolitik der Wettbewerber.832 Zugleich wird der Beschaffungsbedarf ermittelt. Nicht zu vernachlässigen ist hierbei der Einfluss bestimmter Produktspezifika auf den Beschaffungsprozess, denn nicht alle Produkte folgen einem klassischen Produktlebenszyk-
826
Vgl. die Untersuchungen von Ailawadi/Keller (2004); Grewal/Levy/Lehmann (2004); James/Durand/Dreves (1976); Keaveney/Hunt (1992); Kunkel/Berry (1968); Lindquist (1974); Zimmer/Golden (1988).
827
Siehe z. B. Ailawadi/Keller (2004); Hartman/Spiro (2005).
828
Vgl. Ahlert/Blut/Evanschitzky (2006), S. 306.
829
Vgl. Sattler/Völckner (2007), S. 157.
830
Vgl. Dumke (1996), S. 193.
831
Vgl. Rudolph (2005), S. 108-109.
832
Vgl. dazu ausführlich Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 275-280.
158
Kap. C
lus.833 Handelswaren lassen sich somit genauer – realistisch wie zweckmäßig – in Trendartikel, Modeartikel, Basisartikel und Saisonartikel unterscheiden.834 Trendartikel stehen oft nur wenige Wochen oder Monate in der Gunst der Konsumenten und sind meist ebenso plötzlich aus den Regalen ausgelistet wie sie dort mit Einsetzen des Trends aufgetaucht sind.835 Der Produktlebenszyklus dieser Produkte ist so kurz, dass sie vom Hersteller nur in einer einmaligen Auflage produziert werden und eine Wiederbeschaffung in der Regel nicht möglich ist.836 Für das Handelsunternehmen ist dies mit einem hohen Risiko verbunden, da die Ware einerseits zu Beginn des Trends verfügbar und andererseits nach Abklingen des Trends abverkauft sein muss. Sonst muss das Handelsunternehmen die Ware mit hohen Preisabschlägen verkaufen.837 Viele Trendartikel treten im Bekleidungshandel im hochmodischen Bereich auf, wie z. B. bestimmte, sehr ausgefallene Schuhe, die eine Schauspielerin in einem aktuellen Kinofilm trägt. Kinofilme und Fernsehserien beeinflussen ebenso Trendartikel im LEH, da viele Konsumgüterhersteller Werbeaktionen mit Testimonials, insbesondere für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen, initiieren. Modeartikel orientieren sich an kurz- bis mittelfristigen Trends und werden teilweise über einen längeren Zeitraum als eine Saison nachgefragt.838 Im Bekleidungsbereich gibt es zahlreiche Beispiele für Modeartikel wie Zwei-Reiher-Anzüge oder Stilettos. Bei modischer Bekleidungsware bezieht sich die Innovation in der Regel nur auf bestimmte Aspekte wie die Variation der Farben, Stoffe oder Schnittformen.839 Im LEH können ebenfalls bestimmte Produkte als Modeartikel bezeichnet werden, z. B. Mineralwasser mit verschiedenen Geschmackszusätzen. Wenngleich das Absatzrisiko für die Handelsunternehmen geringer als bei Trendartikeln ist, hat der Einkauf die Aufgabe, die Aktualität der Mode-Sortimente kontinuierlich zu prüfen und gegebenenfalls die Beschaffungsmaßnahmen anzupassen. In der Bekleidungsbranche werden zu diesem Zweck sog. Trend-Scouts eingesetzt.840
833
Das Konzept des Produktlebenszyklus geht auf VERNON (1966) sowie dessen Schüler HUF(1966) und HIRSCH (1967) zurück (vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 936). Es teilt den Lebenszyklus von Produkten in Einführungsphase, Wachstumsphase, Reifephase und Degenerationsphase auf. BAUER
834
Vgl. zum Produktlebenszykluskonzept Levy/Weitz (2009), S. 378-379; Rudolph (2005), S. 112.
835
Vgl. Rudolph (2005), S. 111.
836
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 663.
837
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 55.
838
Vgl. Rudolph (2005), S. 111.
839
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 55.
840
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 736.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
159
Basisartikel zeichnen sich durch einen geringen Innovationsgrad und einen vergleichsweise langen Produktlebenszyklus aus. Dazu zählen alle Standardprodukte, die kontinuierlich nachgefragt werden. 841 Ein Großteil des Sortimentes im LEH ist diesen Standardprodukten zuzuordnen. Es besteht jedoch bei vielen Produkten die Besonderheit der begrenzten Haltbarkeit, die insbesondere im Bereich der Milchprodukte sowie frischem Obst und Gemüse erhebliche Anforderungen an die Lager- und Lieferlogistik stellt.842 Ebenso existieren im Bereich Bekleidung zahlreiche Basisartikel, z. B. T-Shirts, Hemden und Socken, die sogar nach Jahren ihrer ursprünglichen Gestaltung noch gekauft werden. 843 Für die Basisartikel ist die Nachfrage anhand von Vergangenheitswerten relativ gut abzuschätzen, es empfiehlt sich hier, durch optimierte Bestellmengen und -rhythmen Out-of-stock-Situationen zu vermeiden und gleichzeitig die Lagerkosten zu minimieren.844 Im Gegensatz dazu unterliegt der Verlauf der Nachfrage nach Saisonartikeln erheblichen Schwankungen und richtet sich nach unterschiedlich verursachten Zyklen.845 Neben Witterungseinflüssen nehmen gleichermaßen Jahreszeiten und bestimmte Feiertage eine große Bedeutung ein. Besonders witterungs- und jahreszeitenabhängig ist der Verkauf von Bekleidung. Im LEH gibt es ebenfalls Saisonartikel wie Weihnachtsgebäck, Osterartikel, Grillutensilien oder Sonnenpflegeprodukte. In Abb. C-12 ist der Lebenszyklus der vorgestellten Handelswarentypen zusammenfassend dargestellt.
841
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 735.
842
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 663.
843
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 55.
844
Vgl. Rudolph (2005), S. 111.
845
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 735.
160
Kap. C
Trendartikel
Umsatz
Modeartikel
Umsatz
Zeit
Zeit
Basisartikel
Saisonartikel
Umsatz
Umsatz
Zeit
Zeit
Abb. C-12: Schematische Darstellung des Lebenszyklus verschiedener Handelswarentypen Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Levy/Weitz (2009), S. 378-379 und Rudolph (2005), S. 112.
Zur Systematisierung des konkreten handelsmarkenbezogenen Beschaffungsbedarfs empfiehlt sich in Anlehnung an VON SCHLESINGER (1991) eine Unterteilung in Objektund Modalitätsbedarf.846 Der Objektbedarf bezieht sich zum einen auf den Quantitätsbedarf, d. h. die Höhe der Bestellmenge bzw. die Mengenflexibilität des Herstellers und zum anderen auf den Qualitätsbedarf, d. h. die Beschaffenheit und Güte der Produkte, insbesondere die eingesetzten Mittel der Produktgestaltung und die Leistungskonstanz. 847 Während bei Handelsmarken der ersten Generation quantitative Aspekte im Vordergrund stehen, ist bei Gestalt- und Pioniermarken die hohe Qualität der Produkte entscheidend für die Beschaffungspolitik. Der Modalitätsbedarf besteht aus sechs Bedarfsaspekten, die für die Beschaffung von Handelsmarken je nach Handelsmarkentyp eine unterschiedlich große Bedeutung einnehmen.848 Der Entgeltbedarf bezieht sich auf Preis- und Rabattgestaltung sowie die Zahlungsmodalitäten. Weiterhin ist der Zeitbedarf z. B. für die Entwick-
846
Vgl. Schlesinger (1991).
847
Vgl. Schlesinger (1991), S. 66.
848
Vgl. hier und im Folgenden Dumke (1996), S. 199.
161
Prozess des Handelsmarkenmanagements
lung, Produktion und Lieferung sowie die Terminflexibilität zu ermitteln. Drittens ist der Lieferungsbedarf festzulegen, d. h. die Lieferzuverlässigkeit und weitere Anlieferungsmodalitäten, wie z. B. Anforderungen an Packungsgrößen und Verpackungsgestaltung. Des Weiteren ist der Informationsbedarf zu eruieren, z. B. die Bereitschaft zum Know-how-Transfer, die Informationskompetenz sowie die Geheimhaltung von Informationen. Fünftens ist der Servicebedarf festzulegen, d. h. die Nachkaufsicherheit, Kapazitätsreservierungen in Produktion und Entwicklung oder inwieweit eine reibungslose Reklamationsabwicklung notwendig ist. Abschließend ist zudem der erforderliche Kooperationsbedarf zu ermitteln. Dieser bezieht sich auf die Marktforschung, Produktentwicklung, Produktmarkierung, Produktgestaltung, Verpackungsgestaltung, Beschaffung und Produktion bis hin zur Qualitätskontrolle. Die Wichtigkeit der einzelnen Bedarfsaspekte für die verschiedenen Handelsmarkentypen ist zusammenfassend in Tab. C-10 dargestellt. erste Generation
zweite Generation
dritte Generation
vierte Generation
++
+
+
o
o
o
+
++
Entgeltbedarf
+
+
+
o
Zeitbedarf
+
o
+
+
Lieferungsbedarf
+
+
+
++
Informationsbedarf
–
–
+
++
Servicebedarf
–
o
+
++
Kooperationsbedarf
–
o
+
++
Objektbedarf Quantitätsbedarf Qualitätsbedarf Modalitätsbedarf
++ = sehr wichtig
+ = wichtig
o = weniger wichtig
– = unwichtig
Tab. C-10: Handelsmarkentypenspezifische Bedarfsaspekte der Beschaffungspolitik Quelle:
Eigene Darstellung.
Ein hoher Qualitäts-, Informations-, Service- und Kooperationsbedarf führt bei Handelsmarken der dritten und insbesondere vierten Generation zu einer hohen Beschaffungskomplexität. Me-too-Handelsmarken sind einzeln betrachtet leichter zu beschaffen. Wesentlicher Komplexitätstreiber der Gattungsmarken ist der hohe Quantitätsbedarf. Die hier aufgezeigten Bedarfsanforderungen haben unterschiedliche Auswirkungen auf die konkreten Beschaffungsentscheidungen, die Gegenstand des folgenden Kapitels sind.
162
Kap. C
4.4.2
Globale Beschaffungsentscheidungen
Nach Ermittlung des Beschaffungsbedarfes und anhand der gewonnenen Informationen aus der Marktforschung können weitere beschaffungspolitische Entscheidungen getroffen werden. Die Beschaffungssituation für Handelsmarken ist aufgrund der oft weitreichenden Integration des Handels in die Wertschöpfungskette recht komplex. Dadurch ergeben sich wesentliche Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenziale, bspw. in Form kollaborativer Produktentwicklungen oder eines kollaborativen Supply-Chain-Managements.849 Wie im vorherigen Kapitel aufgezeigt, sind gleichzeitig zahlreiche Bedarfsaspekte zu nennen, die als Komplexitätstreiber der Beschaffungssituation berücksichtigt werden müssen. Neben dieser Beschaffungskomplexität nimmt auch die absatzmarktorientierte Profilierungsrelevanz der Handelsmarken innerhalb der gewählten Handelsmarkenarchitektur eine entscheidende Rolle ein. Unter Einbeziehung der Markenartikel lassen sich, je nach Komplexität und Relevanz für die Profilierung, vier unterschiedliche Beschaffungssituationen unterscheiden, die in Abb. C-13 dargestellt sind.
Komplexität der Beschaffungssituation hoch
klassische Handelsmarken
Handelsmarken der 3. und 4. Generation
niedrig
Gattungsmarken
Markenartikel
niedrig
hoch
absatzmarktorientierte Profilierungsrelevanz
Abb. C-13: Beschaffungssituationen im Handel Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Zentes/Bartsch/Liebmann (2002), S. 44.
Die Beschaffungskomplexität bei Gattungsmarken erweist sich als vergleichsweise niedrig. Teilweise werden Kontrakte per Internetausschreibung angebahnt und aufgrund der großen Mengenanforderungen sowie zwecks Stärkung der Verhandlungsposition häufig mit mehreren Lieferanten geschlossen. Die Handelsmarken der ersten Generation eignen sich gegenwärtig nur geringfügig zur Profilierung, da alle großen Handelsunternehmen inzwischen Produkte im Preiseinstiegssortiment führen. 849
Vgl. Corsten/Kumar (2005); Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 737.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
163
Für klassische Handelsmarken ist der Komplexitätsgrad neben den Bedarfsaspekten insbesondere aufgrund der vielen jeweils produktbezogenen Abstimmungsprozesse bei der Markengestaltung recht hoch. Die Profilierungsrelevanz ist hingegen eher niedrig einzustufen, da Handelsmarken der zweiten Generation in der Regel Me-too-Strategien verfolgen. Viele Handelsunternehmen versuchen, mit starken Marken Konsumenten von ihrer Sortimentskompetenz zu überzeugen. 850 Die Beschaffungssituation der Markenartikel zeichnet sich durch eine hohe Profilierungsrelevanz und eine vergleichsweise niedrige Beschaffungskomplexität aus. Letztere ist bei Markenartikeln vor allem wegen des hohen Konzentrationsgrades und der Leistungsfähigkeit im Beschaffungsprozess geringer.851 Hinzu kommt die größere Erfahrung, die Markenartikelhersteller und Handelsunternehmen aufgrund der in der Regel sehr langen Geschäftsbeziehungen verzeichnen. Die Handelsmarken der dritten und vierten Generation weisen bezüglich der Profilierungsrelevanz ebenfalls eine hohe Bedeutung auf. Sowohl die Dachmarken, als auch die Gestalt- und Pioniermarken, die als besonders exklusiv für das Handelsunternehmen dargestellt werden, dienen der Profilierung des Handelsunternehmens. Vorteil dieser Art von Profilierung ist, dass sie nicht ohne Weiteres von der Konkurrenz kopiert werden kann. Die Beschaffungskomplexität der Handelsmarken der dritten und vierten Generation ist indes aus den bereits genannten Gründen recht hoch. Für die Beschaffungssituationen der Handelsmarken ist des Weiteren grundsätzlich die Entscheidung herbeizuführen, ob die Beschaffung in Form von Eigenfertigung oder per Fremdbezug erfolgen soll.852 Hierbei sind insbesondere die theoretischen Grundlagen der Neuen Institutionenökonomik hinzuzuziehen. 853 Für Make-or-BuyEntscheidungen sind die Dimensionen Spezifität und Unsicherheit und daraus abgeleitet die relativen Fähigkeiten des Handelsunternehmens in Bezug auf den betrachteten Handelsmarkentyp relevant. 854 Verfügt das Handelsunternehmen über vergleichsweise hohe Fähigkeiten oder ist es trotz hoher Know-how- und Kapitalbarrieren in der Lage, eine solche Position zu erreichen, empfiehlt sich eine Eigenfertigung.855 Ist die strategische Bedeutung dieser Handelsmarke vergleichsweise gering, kann das Handelsunternehmen eine Belieferung anderer Handelsunternehmen in Erwägung ziehen, um z. B. Kostendegressionseffekte zu realisieren.
850
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 736.
851
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 735.
852
Vgl. Brierley/Cowton/Drury (2006), S. 794; Dumke (1996), S. 201.
853
Vgl. Kap. C.3.1.
854
Für eine ausführliche Darlegung von Make-or-Buy-Entscheidungen aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik siehe Dumke (1996), S. 200-211.
855
Vgl. Dumke (1996), S. 208-209.
164
Kap. C
Sind die relativen Fähigkeiten des Handelsunternehmens in Bezug auf den entsprechenden Handelsmarkentyp eher gering, empfiehlt sich der Fremdbezug. Dies trifft insbesondere auf Produkte mit niedrigen Know-how- und Kapitalbarrieren zu.856 Für den Fremdbezug ist gleichermaßen die strategische Bedeutung der entsprechenden Handelsmarke in die Überlegungen einzubeziehen. Ist diese gering, wie im Fall der Gattungsmarken, erfolgt der Fremdbezug kostenorientiert. Für den Fall hoher strategischer Bedeutung, z. B. bei Dachmarken zur Profilierung der Betriebstypenmarke, sind die Lieferanten hingegen sorgfältig in Bezug auf die Beschaffungsaspekte auszuwählen. Es empfiehlt sich eine Zusammenarbeit mit den Hauptanbietern der jeweiligen Branche, mit denen bereits gute Erfahrungen gemacht wurden. Die beschriebenen Gestaltungsoptionen im Rahmen der Make-or-Buy-Entscheidung sind zur Übersicht stark vereinfacht in Abb. C-14 dargestellt.
hoch Lieferung an Dritte
Eigenfertigung
kostenorientierter Fremdbezug
Zusammenarbeit mit Hauptanbietern
relative Fähigkeiten des Handelsunternehmens
gering gering
strategische Bedeutung der Handelsmarke
hoch
Abb. C-14: Strukturierung der beschaffungspolitischen Gestaltungsoptionen Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Mei-Pochtler (2001), S. 373.
Die Strategie der Eigenfertigung ist, vor allem aufgrund der hohen Anzahl der vom Handel vertrieben Warengruppen, trotz insgesamt fortschreitender Rückwärtsintegration der Handelsunternehmen in den meisten Branchen nicht weit fortgeschritten. Im LEH finden sich nur vereinzelt Beispiele. Einige Handelsunternehmen stellen z. B. Handelsmarken im Bereich frisch abgepackter roter Ware in eigenen Zerlegungsbetrieben und Metzgereien selbst her. Beispiele sind „Wilhelm Brandenburg“ (Rewe), „Purland“ (Kaufland), „Gutfleisch“ (Edeka) und „Der Meistermetzger“ (Real). In dieser Warengruppe spielt aufgrund der Unsicherheit über Herkunft, Verarbeitung, Lager-
856
Vgl. Dumke (1996), S. 209.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
165
zeit, und Einhaltung der Kühlkette die Qualitätsdimension eine erhebliche Rolle.857 Die Lieferung eigener Handelsmarken an Dritte erfolgt im LEH ebenfalls nur in wenigen Fällen. Rewe beliefert z. B. die Hit-Märkte der Dohle Handelsgruppe mit ihren „ja!“-Produkten, wobei die Kompetenz in diesem Fall nicht in der Herstellung selbst, sondern in der Organisation der Herstellung und der Führung der Marke zu sehen ist.858 Ähnlich verhält es sich im Bekleidungseinzelhandel, der für die eigenen Handelsmarken große Teile der Wertschöpfung übernimmt, die eigentliche Herstellung hingegen über Handelsagenturen in weniger lohnintensiven Ländern organisiert. Bereits erwähnt wurde die Handelsmarke „Mc Neal“, die Peek & Cloppenburg West nicht nur in eigenen Geschäften, sondern auch Dritten zum Weiterverkauf anbietet.859 Entschließt sich ein Handelsunternehmen, den für eine Handelsmarke ermittelten Beschaffungsbedarf über Hersteller fremd zu beziehen, lässt sich der weitere Beschaffungsprozess chronologisch in vier Phasen unterteilen:
die Lieferantensuche,
die Lieferantenselektion,
die Warenbestellung und
die Lieferantenbeurteilung.860
In der Phase der Lieferantensuche ist die Beschaffungswegestrategie festzulegen, d. h. die Anzahl der zwischen Hersteller und Händler geschalteten Stufen.861 Neben der häufigen Form des Direktbezugs, können ein oder mehrere Beschaffungsmittler eingeschaltet werden. Ist z. B. ein Spezialgroßhändler dazwischen geschaltet, wie dies beim Bezug von Bier die Regel ist, wird die Bezeichnung einstufige Beschaffungsmittlerstrategie verwendet. Bei zusätzlicher Zwischenschaltung einer weiteren Großhandelsstufe, z. B. in der Pharmabranche, in der vor dem Pharmagroßhandel ein sog. Pre-Wholesaler zwischengeschaltet sein kann, wird von zweistufiger Beschaffungsmittlerstrategie gesprochen. Nach Zusammenstellung einer Liste der in Frage kommenden Lieferanten erfolgt die Beurteilung ihrer jeweiligen Eignung. Im Rahmen der Lieferantenselektion werden die geeigneten Handelsmarkenlieferan857
Vgl. Hornibrook/McCarthy/Fearne (2005), S. 701-715.
858
Diese Strategie fasst DUMKE (1996) unter dem Begriff „kooperative Handelsmarken“ zusammen und empfiehlt sie insbesondere kleinen Handelsunternehmen (Dumke (1996), S. 56).
859
Auf die konkrete Ausgestaltung der Eigenfertigung durch Handelsunternehmen wird in der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen, weil sie sich bis auf den höheren Integrationsgrad nicht wesentlich von der Warenproduktion durch Herstellerunternehmen unterscheidet.
860
Vgl. Rudolph (2005), S. 109. Vgl. vertiefend Arnold (1999); Arnold (2007), S. 13-46; Varley (2006).
861
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert/Kenning (2007), S. 81-82.
166
Kap. C
ten ausgewählt und ein Angebot für den entsprechenden Auftrag eingeholt. Die Offerte des Herstellers bildet schließlich die Grundlage für die Selektion des Vertragspartners, gefolgt von der Warenbestellung.862 Die letzte Phase der abschließenden Lieferantenbeurteilung dient der Verbesserung der Hersteller-Handels-Beziehung sowie der Dokumentation der Leistungsfähigkeit des Lieferanten für zukünftige Beschaffungsvorgänge. KALWANI und NARAYANDAS (1995) kommen zu dem Ergebnis, dass sich langfristige Partnerschaften auch für die Herstellerunternehmen positiv auswirken.863 Durch die Entwicklung langfristiger Partnerschaften zwischen Handelsunternehmen und deren Hauptlieferanten können wichtige Informationen effizient ausgetauscht werden. Dadurch sind beide in der Lage ihre Suppy-Chain-Kosten zu reduzieren.864 Der Beschaffungspolitik sind im Falle eines Fremdbezugs weiterhin die einmaligen bzw. jährlichen Konditionenverhandlungen mit den ausgewählten Lieferanten zuzuordnen sowie allgemein die Kontrolle der genannten Teilschritte. 4.4.3
Konditionenpolitik
Zwei Entscheidungsfelder sind im Rahmen der Kontrahierungspolitik von Handelsunternehmen zu unterscheiden. Zum einen werden im Rahmen der Konditionenpolitik die Abgabepreise der Hersteller an den Handel und die damit verbundenen Konditionensysteme vereinbart. Diese sind somit aus Sicht des Handelsunternehmens Teil der Beschaffungspolitik. Zum anderen legt das Handelsunternehmen die Endverbraucherpreise im Rahmen der Preispolitik als Teil seiner Absatzpolitik fest.865 Die Konditionenpolitik umfasst die Rabattpolitik, die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen sowie die Absatzkreditpolitik und beeinflusst somit letztlich den vom Konsumenten zu zahlenden Endbetrag. 866 Alle Konditionenelemente haben gemeinsam, dass sie als Gegenleistung für ein Produkt oder eine Dienstleistung dem Vertragspartner sofort oder später ein finanzielles Opfer oder eine bestimmte Gegenleistung abverlangen.867 Im Einzelhandel werden die Konditionen in Jahresgesprächen zwischen einzelnen Hersteller- und Handelsunternehmen ausgehandelt.868 Sie sind somit wesentlicher Bestandteil der Kalkulation des Bruttoverkaufspreises der Ware, der sich nach dem in Abb. C-15 dargestellten klassischen Kalkulationsschema ergibt.
862
Vgl. Rudolph (2005), S. 109.
863
Vgl. Kalwani/Narayandas (1995), S. 14.
864
Vgl. Kalwani/Narayandas (1995), S. 5.
865
Vgl. zur Preispolitik Kap. C.4.5.3.
866
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 544.
867
Vgl. Winkelmann (2008), S. 232.
868
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 544.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
167
Listenpreis der Ware (Herstellerangabe) – Konditionen (Rabatte, u. a.)
= + = + = + = + =
Einkaufspreis der Ware Bezugskosten Einstandspreis der Ware Handlungskosten (Einzel- und Gemeinkosten) Selbstkostenpreis der Ware Gewinnaufschlag Nettoverkaufspreis der Ware Umsatzsteuer Bruttoverkaufspreis („Ladenpreis“)
Abb. C-15: Progressive Preiskalkulation des Handels Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Ahlert/Kenning (2007), S. 245; Oehme (2001), S. 254-255.
Rabatte bezeichnen unterschiedliche Formen von Preisnachlässen, die ein Hersteller im Vergleich zum Normal- oder Listenpreis bei Rechnungsstellung gewährt.869 Dazu zählen Funktionsrabatte, z. B. Lagerhaltung, Warenpräsentation, Beratung, Skonti, Treuerabatte, Mengenrabatte bzw. Boni u. v. a., die in der Praxis meist in kombinierter Form als Rabattsystem Anwendung finden.870 Die Attraktivität von Rabatten besteht nicht zuletzt in dem psychologischen Effekt, dass der Käufer sich anderen Marktteilnehmern gegenüber bevorzugt behandelt fühlt. 871 Mit zunehmender Konditionenspreizung sinkt dieser Effekt jedoch und erzeugt eher Misstrauen, ob nicht anderen Marktteilnehmern noch höhere Rabatte gewährt werden.872 Die Lieferungskonditionen regeln Ort und Zeit der Warenübergabe, Modalitäten der Warenzustellung, Umtauschrecht und Garantieleistungen, Vertriebsbindungen für den Weiterverkauf, Konventionalstrafen und formalrechtliche Bestimmungen für juristische Streitfälle. 873 Mit entsprechender Ausgestaltung der Lieferungskonditionen kann ein Herstellerunternehmen das Kaufrisiko unterschiedlich weit auf das Handelsunternehmen übertragen, was sich dieses in Form von Preisabschlägen vergüten lässt. In der Bekleidungsbranche ist es bspw. üblich, Geschäfte mit Herstellern aus Fernost auf FOB-Basis (free on board) abzuschließen. Die Verkäufer tragen da-
869
Vgl. Diller (2008), S. 236.
870
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 545-546.
871
Vgl. Diller (2008), S. 236-237.
872
Vgl. ausführlich Böger (1990).
873
Vgl. hier und im Folgenden Diller (2008), S. 239.
168
Kap. C
bei die Kosten bis zur Anlieferung auf das Transportmittel, d. h. Zoll- und Ausfuhrdokumente, Steuern und andere Abgaben.874 Die wesentlichen Bestimmungen hinsichtlich der Zahlungsverpflichtungen des Käufers und deren Erfüllung sind in Zahlungsbedingungen geregelt. Dies sind u. a. Vereinbarungen über Zahlungsfristen und -weise sowie Übernahme von Zahlungsrisiken und Abwicklung der Zahlung.875 Die Zahlungsbedingungen sind in der Praxis zumeist Teil der allgemeinen Geschäfts- und Lieferbedingungen des jeweiligen Unternehmens.876 Ziel der Absatzkreditpolitik ist, durch Gewährung oder Vermittlung von Absatzkrediten potenzielle Kunden zum Erstkauf zu veranlassen bzw. die Kaufintensität bestehender Kunden zu erhöhen.877 Der Absatzkredit kann in Form von Absatzgeldkrediten und Absatzgüterkrediten gewährt werden.878 Ein Absatzgeldkredit wird dem Abnehmer für eine freie Verwendung zur Verfügung gestellt und ist nicht an den Bezug von Gütern des Kreditgebers geknüpft.879 Durch die Vergabe von Absatzgüterkrediten wird hingegen der Kaufpreis der erworbenen Güter kreditiert. Er ist somit an die Abnahme von Gütern gebunden und versetzt den Kreditnehmer in die Lage, Güter ohne gleichzeitige Gegenleistung abnehmen zu können.880 Die Absatzkreditpolitik ist für Handelsmarkenhersteller differenziert zu betrachten. In der hier dargelegten Form ist es nur einer begrenzten Anzahl an Herstellern möglich Absatzkredite zu gewähren. Im Bekleidungseinzelhandel ist hingegen eine umgekehrte Kreditsituation in Form der Vorfinanzierung von Warenproduktion in wenig lohnintensiven Ländern durch die Handelsunternehmen zu beobachten. Aufgrund des Verdrängungswettbewerbs auf allen Marktstufen und der damit verbundenen allseits engen Deckungsspannen, stellt die Konditionenpolitik seit Jahren das konfliktreichste Feld zwischen Industrie und Handel dar.881 Dies trifft allerdings nicht auf alle Handelsmarkentypen gleichermaßen zu. Bei den Handelsmarken der ersten und zweiten Generation spielt die Konditionenpolitik eine eher untergeordnete Rolle, da die Handelsunternehmen bereits vor Auftragsvergabe Preisvorstellungen 874
Vgl. Dobler/Burt/Lee (1990), zitiert nach Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 740.
875
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 247.
876
Vgl. Diller (2008), S. 239.
877
Vgl. Ahlert (1972), S. 22-24; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 548.
878
Vgl. ausführlich Ahlert (1972), S. 84-109.
879
Vgl. Ahlert (1972), S. 84.
880
Vgl. Ahlert (1972), S. 88.
881
Vgl. Iyer/Villas-Boas (2003), S. 80; Zentes/Swoboda (2005), S. 1067. Während der Handel bestrebt ist, möglichst hohe Deckungsbeiträge durch niedrige Einkaufspreise zu erzielen, sieht sich der Hersteller einer hohen Nachfragemacht des Handels gegenüber, die dieser nutzt, um Druck auf Preise und Konditionen auszuüben (vgl. Steiner (2007), S. 41).
Prozess des Handelsmarkenmanagements
169
bzw. Konditionen an die Handelsmarkenhersteller kommunizieren. Mit steigenden Anforderungen an die Qualität und den Innovationsgrad der Produkte, insbesondere im Bereich der Gestalt- und Pioniermarken, verkleinert sich die Anzahl möglicher geeigneter Lieferanten. Dadurch steigt der Stellenwert der Konditionenpolitik im Rahmen des Beschaffungsprozesses mit zunehmendem Anteil an Premiumhandelsmarken. Abschließend ist die Kontrolle der Beschaffungspolitik durch ein Lieferantencontrolling vorzunehmen, das die permanente Überprüfung bestehender sowie die Suche nach besser geeigneten Lieferanten und Produkten zur Aufgabe hat.882 4.5
Marketing-Mix der Handelsmarken
Hersteller- und Handelsunternehmen verfolgen in ihrer Absatzpolitik Ziele, die in ihrer teilweise gegensätzlichen Wirkungsrichtung ein offensichtliches Konfliktpotential in sich bergen. Trotz der Konformität der Oberziele, wie dem Erreichen bestimmter Umsatz- oder Deckungsbeitragsziele, unterscheiden sich insbesondere die Absatzziele in erheblichem Ausmaß. Diese Zieldivergenz erstreckt sich über den gesamten Handelsmarketing-Mix.883 4.5.1
Sortimentspolitik
Anknüpfend an die Überlegungen zur Handelsmarkenarchitektur und der Wahl der entsprechenden Handelsmarkentypen werden in der Sortimentspolitik zum einen spezielle Maßnahmen und Entscheidungen in Bezug auf die Sortimentszusammenstellung getroffen, zum anderen bestimmte Eigenschaften der Sortimente festgelegt. Die hohe Bedeutsamkeit der Sortimentspolitik wird dadurch deutlich, dass sie neben angebotspolitischen Entscheidungen auch die zentrale Ausrichtung bezüglich des relevanten Marktes bestehend aus den jeweiligen Konsumenten und Wettbewerbern bestimmt.884 Im Rahmen der Sortimentspolitik entscheidet das Handelsunternehmen darüber, welche Hersteller- und Handelsmarken in welcher Form dem Kunden angeboten
882
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 741.
883
Da die Elemente der handelsmarkenspezifischen Produktpolitik neben der Sortiments- auch der Markenpolitik untergeordnet werden können, wird im Weiteren der Handelsmarketing-MixZusammenstellung von AHLERT und KENNING (2007) gefolgt, welche die Produktpolitik als kein eigenständiges Instrument, sondern als Bestandteil der Sortimentspolitik betrachten (vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 22). Auch andere Autoren ordnen die Produktpolitik von Handelsunternehmen der Sortimentspolitik zu (vgl. Berekoven (1995), S. 131-133; Mattmüller/Tunder (2004b), S. 216-219). Die jeweilige Ausgestaltung der Produkte sowie Anforderungen, Tests, Einführung und Kontrolle der Produkte unterscheiden sich nicht wesentlich von Herstellermarken und sind ausführlich z. B. bei Herrmann/Huber (2009), S. 165-201 (Produktanforderungen), S. 203-238 (Produkttests), S. 240-274 (Produkteinführung) und S. 277-316 (Produktkontrolle) dargestellt.
884
Vgl. Möhlenbruch (1994), S. 31; Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 170.
170
Kap. C
werden, um ihn an das Unternehmen zu binden.885 Zudem wird durch die Auswahl der Produkte ein entscheidender Einfluss auf das Gesamtimage des Handelsunternehmens beim Konsumenten gesehen.886 Der Entscheidungsablauf bei der Festlegung von Handelsmarken im Sortiment lässt sich anhand der Sortimentspyramide nach SEŸFFERT (1972) kennzeichnen, die in Abb. C-16 dargestellt ist.887
Stufe
Artikel Artikelgruppe Warengruppe Warenbereich
Erdbeeren Obst Frischwaren Food
Beispiel Entscheidungsrichtung
Sorte
ital. Erdbeeren
Gesamtsortiment
Abb. C-16: Sortimentspyramide nach SEŸFFERT Quelle:
Ahlert/Kenning (2007), S. 196.
Für jede Stufe wird entschieden, inwieweit Handelsmarken in das Sortiment aufgenommen werden und als welcher Handelsmarkentyp sie in Erscheinung treten. Das Handelsmarkensortiment kann weiterhin durch die quantitative Dimension der Sortimentsbreite, -tiefe und -höhe charakterisiert werden.888 Die Breite des Sortiments beschreibt die Anzahl der unterschiedlichen Warengruppen, die dem Kunden parallel angeboten werden. Durch das Merkmal der Sortimentsbreite können Artikelmarken, Warengruppen- und Sortimentsmarken unterschieden werden.889 Im Gegensatz zur Artikelmarke, die nur ein einzelnes Produkt
885
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 195.
886
Vgl. Meffert (2000), S. 1195.
887
Vgl. Seÿffert (1972), S. 65.
888
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 197.
889
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 150.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
171
kennzeichnet, 890 werden unter Warengruppenmarken mehrere Produkte aus einer Warengruppe zusammengefasst. 891 Die Sortimentsmarke bezieht warengruppenübergreifend auch artfremde Produkte unter einer Marke ein.892 Handelsmarken treten in der Praxis in allen drei Formen auf. klassische Handelsmarken werden in der Regel als Artikelmarken geführt, Gattungs- und Dachmarken warengruppenübergreifend. Gestalt- und Pioniermarken sind im deutschen Handel bisher nicht weit entwickelt, die Handelsunternehmen beschränken sich meist zunächst auf eine Warengruppe oder Artikelauswahl.893 Die Markenartikelhersteller sind grundsätzlich daran interessiert, ein möglichst umfangreiches Produktangebot beim Händler zu führen. 894 Das Handelsunternehmen möchte dies jedoch nach Möglichkeit vermeiden, um die Abhängigkeit von einem einzelnen Hersteller gering zu halten. 895 Der daraus resultierende Wettbewerb um Regalplatz hat durch die Ausbreitung von Handelsmarken in allen Sortimentsbereichen zugenommen und erhöht die ohnehin starke Konkurrenz der Herstellermarken untereinander.896 Die Sortimentstiefe umfasst die Anzahl der Artikel und Sorten innerhalb einer Warengruppe. Vor dem Hintergrund, dass die Sortimentstiefe eine zentrale Determinante für das Einkaufsstättenwahlverhalten bildet,897 haben viele Handelsunternehmen die Ausweitung der Warengruppen vorangetrieben.898 Die Sortimentsexpansion in Breite und Tiefe wird unter dem Begriff des „Trading-up“ diskutiert.899 Neuere Studien belegen hingegen, dass sich vielmehr eine Sortimentstiefenreduktion positiv auf die Einschätzung der angebotenen Auswahl ausüben kann.900 Der Prozess der Sortimentsreduzierung wird entsprechend auch als „Trading-down“ bezeichnet.901 In diskontie-
890
Vgl. Grunert et al. (2006), S. 599.
891
Vgl. Esch (2008), S. 547.
892
Vgl. Esch (2008), S. 547.
893
Globus führte z. B. bis Ende 2008 eine Gestaltmarke für Obst und Gemüse unter dem Namen „Frilanda“ und Real hat seit Januar 2009 die Gestaltmarke „Real selection“ für Schokoladenspezialitäten im Sortiment (siehe www.globus.de und www.real.de). Es ist davon auszugehen, dass die Handelsunternehmen ausländischen Vorbildern wie Tesco folgend zukünftig ihre Gestaltmarken zu Sortimentsmarken ausbauen.
894
Vgl. Mrosik/Schmickler (1999), S. 31.
895
Vgl. Bruhn (2001), S. 21.
896
Vgl. Steiner (2007), S. 52-53.
897
Vgl. Arnold/Oum/Tigert (1983); Craig/Ghosh/McLafferty (1984); Louviere/Gaeth (1987).
898
Vgl. Assael (2004), S. 250.
899
Vgl. Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 71.
900
Vgl. Broniarczyk/Hoyer/McAlister (1998); Morales et al. (2005).
901
Vgl. Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 31.
172
Kap. C
renden Handelsunternehmen ist die Sortimentstiefe eher gering, da jeweils nur eine Sorte pro Artikel angeboten wird. In Verbrauchermärkten und insbesondere in SBWarenhäusern werden hingegen viele verschiedene Hersteller- und Handelsmarken pro Sorte nebeneinander geführt.902 Die Sortimentshöhe gibt schließlich an, in welcher Stückzahl die einzelnen Produkte jeweils vom Handelsunternehmen im Geschäft vorgehalten werden.903 Diese hat einen wesentlichen Einfluss auf die lagerhaltungsinduzierte Kapitalbindung und spielt somit insbesondere für das Handelsmarkenmanagement eine wichtige Rolle, da die Handelsmarken in der Regel nicht in anderen Handelsunternehmen weiterverkauft oder an die Hersteller zurückgegeben werden können. Neben diesen drei quantitativen Dimensionen sind in der Sortimentspolitik die qualitative, zeitliche und räumliche Dimension zu beachten. 904 In der qualitativen Dimension werden Sortimentsinhalt und -niveau festgelegt und es gilt, die Kompatibilität der Handelsmarkentypen mit den unterschiedlichen Aufbauprinzipien der Sortimentszusammenstellung und der gewählten Handelsmarkenarchitektur sowie den Anteil der Markenartikel im Sortiment zu überprüfen. Ziel ist es, eine einheitliche Sortimentsstruktur als Orientierungshilfe für den Konsumenten zu schaffen. Die Prinzipien des Aufbaus von Sortimenten lassen sich in Bedarfs-, Herkunfts-, Preislagenorientierung, Orientierung an der Selbstverkäuflichkeit der Ware, an betriebsbezogenen Aufbaugesichtspunkten, dem konsumentengerichteten Verhalten von Herstellern sowie der Orientierung an Wettbewerbern unterscheiden.905 Es kommt in diesem Zusammenhang regelmäßig zu einer Selektionsentscheidung zwischen den eigenen Handelsmarken und den verschiedenen Markenartikeln. 906 Handelsmarken werden häufig genutzt, um Preis- und Qualitätslücken im Sortiment zu schließen. In Folge dessen werden schwache Zweit- und Drittmarkenprodukte ausgelistet.907 Diese können zum einen dem Innovationsdruck der Marktführer nicht standhalten und zum anderen leicht durch klassische Handelsmarken nachgeahmt werden.908 Ein weiteres wichtiges Instrument der qualitativen Dimension der Sortimentsgestaltung ist das Erscheinungsbild der Handelsmarken innerhalb des Sortiments. Das schlichte Erscheinungsbild hebt bspw. die Gattungsmarken aus dem Sortiment als
902
Dieser Umstand nimmt im Bereich der Handelsmarken durch die Mehrmarkenstrategien innerhalb der Handelsmarkenarchitektur deutlich zu (vgl. C.4.3.2).
903
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 197.
904
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 203; Möhlenbruch (1994), S. 214.
905
Vgl. Dumke (1996), S. 132.
906
Vgl. Steiner (2007), S. 51.
907
Vgl. Bruhn (2001), S. 31; Walsh (2002), S. 109.
908
Vgl. Walsh (2002), S. 119.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
173
besonders preisgünstig hervor. 909 Ebenso denkbar ist ein einheitlicher, besonders hochwertiger Auftritt von Gestalt- und Pioniermarken. Ein solches Vorgehen wird als Dissimilationsstrategie bzw. Reizspezialisierung bezeichnet. 910 Lehnen sich Handelsmarken besonders stark an die Markenartikel an, so dass sie äußerlich durch die Konsumenten kaum von diesen zu unterscheiden sind, verfolgen die Handelsunternehmen eine Assimilationsstrategie.911 Als einzige wahrgenommene Differenzierung bleibt der für Handelsmarken in der Regel deutlich günstigere Preis. Die zeitliche Dimension bezieht sich auf die Sortimentsdynamik, d. h. in welchem Umfang und in welchen zeitlichen Abständen Änderungen im Sortiment stattfinden.912 Die Sortimentsdynamik schlägt sich vor allem in Rand- und Zusatzsortimenten über Verbund-, Folge- und Gelegenheitsmarktprinzipien nieder. 913 Der zunehmende Anteil an Gattungs-, Dach- sowie Gestalt- und Pioniermarken, die den Unternehmensnamen als Bestandteil des Markennamens führen, tragen zu einer gewissen Konstanz des Sortiments in der Wahrnehmung der Verbraucher bei; dies führt indes zu einer geringeren (wahrgenommenen) Sortimentsdynamik. In der räumlichen Dimension der Sortimentsstrategien wird die Präsentation der Waren in den Regalen bzw. auf der Verkaufsfläche festgelegt.914 In den Anfängen der Handelsmarkenentwicklung wurde die Ware in den Discountgeschäften noch von Paletten verkauft. Inzwischen werden insbesondere die Handelsmarken der dritten und vierten Generation, den Markenartikel ebenbürtig, hochwertig präsentiert. Die Discounter legen ebenfalls zunehmend Wert auf eine entsprechende Präsentation ihrer Handelsmarken. Alle vier Dimensionen der Sortimentsgestaltung tragen zu einem vom Konsumenten wahrgenommenen Sortimentsimage bei. Für die Steuerung der Sortimentsdimensionen und als heuristischer Ansatz zur Integration des Handelsmarketing hat seit Anfang der 1990er Jahre das Konzept des Category Managements Bedeutung erlangt.915 Als Teilstrategie des ECR-Konzeptes dient es einer kunden- und rendite-
909
Vgl. Windbergs (2007), S. 57.
910
Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 316; Windbergs (2007), S. 58.
911
Vgl. Kim/Parker (1999); Olbrich/Buhr (2005a), S. 231; Windbergs (2007), S. 58.
912
Vgl. Gümbel (1963), S. 59.
913
Vgl. Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 289.
914
Vgl. zur Präsentationspolitik ausführlich Ahlert/Kenning (2007), S. 269-280.
915
Vgl. Ahlert/Hesse (2002), S. 21-25; Ahlert/Hesse (2003), S. 19-20; Ahlert/Kenning (2007), S. 207210; Hertel/Zentes/Schramm-Klein (2005), S. 373-387; Morschett (2002), S. 541; Schröder (2002), S. 66; Schröder/Rödl (2006).
174
Kap. C
orientierten Sortimentsgestaltung.916 Eine Arbeitsteilung, wie sie über lange Zeit zwischen Markenherstellern und Händlern in der Weise stattgefunden hat, dass erstere lediglich für die optimale Marken- und letztere für die Einkaufsstättenprofilierung verantwortlich waren,917 erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Handelsmarkenanteile nicht länger zweckmäßig. Im Rahmen von Category Management-Projekten, in denen Herstellerunternehmen, die in der jeweiligen Warengruppe führend sind, die Leitung übernehmen („Category Captains“), ist die Rolle der Handelsmarken im Sortiment vom Handelsunternehmen eindeutig festzulegen. Bestimmte Regalbereiche können bspw. für die unterschiedlichen Handelsmarkentypen reserviert werden. Die wichtigsten Verfahren der Sortimentskontrolle, wie Bon- und Umsatzanalysen, Lagerumschlagsgeschwindigkeiten, Deckungsbeitragsrechnungen und direkte Produktrentabilitäten werden für Hersteller- und Handelsmarken gleichermaßen angewendet. Aufgrund des größeren Absatzrisikos der Handelsmarken ist jedoch auch hier eine erhöhte Aufmerksamkeit des Handelsunternehmens gefordert.918 4.5.2
Servicepolitik
Unter dem Begriff der Servicepolitik werden alle Neben-, Ergänzungs- und Zusatzleistungen zusammengefasst, die von den Handelsunternehmen angeboten werden, um den Absatz der Produkte – im vorliegenden Fall der Handelsmarken – zu unterstützen.919 Serviceleistungen lassen sich in Anlehnung an KÜTHE (1980) in Beschaffungs-, Informations-, Anpassungs-, Erhaltungs- und Risikosicherungsservice unterscheiden.920 Die unterschiedlichen Serviceleistungen, die für Handelsmarken in Frage kommen, sind zusammenfassend in Tab. C-11 dargestellt. Wie in den Beispielen zum Ausdruck kommt, eignen sich nicht alle Servicemaßnahmen gleichermaßen für alle Handelsmarken bzw. Handelsmarkentypen. Zudem müssen produkt- und branchenspezifische Besonderheiten beachtet werden. Aus Handelssicht lassen sich zwei Arten von Servicemaßnahmen unterscheiden. Zum einen die Servicemaßnahmen mit direktem Produktbezug, zum anderen die kundenbezogenen Servicemaßnahmen, die nicht eindeutig einzelnen Produkten zugeordnet werden können.921
916
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 206 sowie Ahlert/Hesse (2002), S. 18-28. Auf das ECR-Konzept und die einzelnen Teilstrategien wird hier nicht weiter eingegangen. Vgl. hierzu ausführlich Finne/Sivonen (2009); Nottmeier (2006); Seifert (2006), S. 49-96.
917
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 206.
918
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 215-220.
919
Vgl. Berekoven (1995), S. 165-166.
920
Vgl. Küthe (1980), S. 139.
921
Vgl. Dumke (1996), S. 171.
175
Prozess des Handelsmarkenmanagements
Services
Beschreibung
Beispiele
Beschaffungsservice
Verminderung des Beschaffungsaufwandes der Kunden
Bestellservice, Abholservice, Lieferdienst, etc.
Informationsservice
Beseitigung von Unkenntnis und Hemmungen beim Kunden
Planungsservice, Schulungen, Produkttests, Beratung, etc.
Anpassungsservice
Anpassung an die spezifischen Kundenbedürfnisse
Installation, Montage, Änderungen, etc.
Erhaltungsservice
Werterhaltung des Produktes nach dem Kauf
Pflegedienst, Wartung, Reparatur, Aufbewahrung, etc.
Risikosicherungsservice
Verminderung des Kaufrisikos
Tiefpreis-, Frische-, Herkunfts-, Qualitäts-, Umtausch-, Rücknahmegarantie, Kulanz, etc.
Tab. C-11: Servicemaßnahmen im Rahmen des Handelsmarkenmanagements mit Beispielen Quelle:
Eigene Zusammenstellung unter Verwendung von Dumke (1996), S. 171; Küthe (1980), S. 139; Schenk (2007), S. 220.
Servicemaßnahmen mit direktem Produktbezug sind z. B. Bestell-, Liefer- und Finanzierungsservice, Garantie, Umtausch und Kulanz. Speziell für Handelsmarken bieten sich je nach Handelsmarkentyp und Produkt Tiefpreis-, Frische-, Herkunfts-, Qualitäts-, Umtausch- und Rücknahmegarantien für die Verbraucher an, um das zum Kauf der Handelsmarken notwendige Vertrauen herzustellen. Im LEH kann bspw. der Erstkauf neuer Gestalt- und Pioniermarken durch Verköstigungen oder spezielle Kundenevents initiiert werden. In der DIY-Branche werden bei Obi Services für den Zuschnitt von Parkett und zur Anmischung einer gewünschten Dispersionsfarbe angeboten. Im Bekleidungseinzelhandel können Konsumenten neben den genannten Garantien z. B. durch einen Änderungsservice zum Kauf der Handelsmarken veranlasst werden. Unter Servicemaßnahmen ohne direkten Produktbezug fallen Parkplätze, Rolltreppen, sanitäre Anlagen oder eine spezielle Kinderbetreuung. Derartige Maßnahmen sind allerdings nicht handelsmarkenspezifisch, da sie auch den Verkauf von Markenartikeln unterstützen, sofern diese ebenfalls im Sortiment geführt werden. Ebenfalls nicht direkt einer Handelsmarke zurechenbar ist die Kundenberatung, die im Interaktionsprozess zwischen Kunde und Personal eine kaufentscheidende Rolle einnimmt.922 Die meisten Produkte im LEH sind nicht beratungsintensiv, jedoch kann das Bedienungspersonal an den Bedienungstheken für Fisch, Fleisch und Käse angewiesen werden, in Beratungsgesprächen die eigenen Handelsmarken zuerst zu empfehlen. Die Beratung spielt auch im Bekleidungseinzelhandel eine wichtige Rolle, 922
Vgl. Schenk (2007), S. 220.
176
Kap. C
da viele Konsumenten sich nicht aktueller Modetrends bewusst sind und Unsicherheiten in Bezug auf Stilsicherheit und Passformen bestehen. In der DIY-Branche bieten sich andererseits Beratung für bestimmte Elektrowerkzeuge, Produktvorführungen oder Heimwerkerschulungen mit Handelsmarken an. 4.5.3
Preispolitik
Die Preispolitik nimmt im Handel allgemein und für Handelsmarken im Speziellen eine bedeutsame Rolle ein, da sie das wichtigste kurzfristige Strategieinstrument für die Handelsunternehmen darstellt.923 Sie zeichnet sich durch erhebliche Wirkungsstärke und Wirkungsgeschwindigkeit aus, nicht zuletzt, weil sie kurzfristig sowohl auf die Mengen- als auch auf die Wertkomponente des Umsatzes einwirkt.924 Der Preis stellt im Einzelhandel das wichtigste Profilierungsinstrument dar und dennoch werden häufig aufgrund umfangreicher Sortimente relativ einfache Preisentscheidungsregeln befolgt. 925 Bei großen SB-Warenhäusern und Kaufhäusern müssen für teilweise mehr als 100.000 Artikel im Sortiment Preisentscheidungen getroffen werden, so dass eine jeweilige Schätzung von Preisabsatzfunktionen und Preiselastizitäten auszuschließen ist.926 Dies ist selbst in den kleineren Sortimenten der Discounter von 800 bis 1.500 Artikeln nur schwer vorstellbar und die möglichen zusätzlichen Einnahmen würden kaum die dafür notwendigen Kosten rechtfertigen.927 Vielfach orientieren sich die Handelsunternehmen in der Ausgestaltung ihrer Preispositionierung an ihren Wettbewerbern.928 Dies trifft bei Markenartikeln insbesondere auf stark beworbene Artikel zu. Aber auch über bestimmte Obst- und Gemüsesorten sowie ausgewählte Frischfleisch- und Molkereiprodukte haben die Konsumenten ei-
923
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 233. Im Marketing-Mix der Handelsunternehmen wirken Sortiments-, Kommunikations- und Standortentscheidungen dagegen mittel- bis langfristig, sind wenig flexibel und führen in unterschiedlich hohem Maße zu Vorabinvestitionen (vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 478). Zur zunehmenden Bedeutung der Preispolitik vgl. auch Diller (2003), S. 5-6, Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 481-482 und Simon/ Bilstein/Luby (2006), S. 16-17.
924
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 478.
925
Vgl. Simon/Fassnacht (2009), S. 471.
926
Vgl. Simon/von der Gathen/Daus (2006), S. 273-274.
927
Außerdem werden inzwischen von vielen großen Handelsketten zur Reduktion der Komplexität sog. Category Captains für jede bedeutende Warengruppe bestimmt (vgl. Kap. C.4.5.1). Diese nehmen neben der Sortimentszusammenstellung in den Regalen, teilweise auch Empfehlungen für die Preisstellung der Produkte vor. Dabei müssen sie sich jedoch in der Regel an umfangreiche Richtlinien des jeweiligen Handelsunternehmen halten (vgl. Bolton/Shankar/ Montoya (2006), S. 258).
928
Vgl. zur konkurrenzorientierten Preisfindung Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 528-531. Im Preiseinstiegsbereich orientieren sich die Vollsortimenter mit ihren Gattungsmarken in der Regel an den marktführenden Discountern Aldi und Lidl.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
177
ne relativ gute Preiskenntnis. 929 Generell stehen den Handelsunternehmen zur Preispositionierung fünf Preisstrategien zur Verfügung.930 Wenn die Preishöhe auf hohem Niveau nur begrenzt variiert wird, liegt eine Luxuspreisstrategie vor. Diese lässt sich nur für eine begrenzte Anzahl an Produkten mit hohem Werbedruck bei den Konsumenten durchsetzen. Kaufmotiv ist bei diesen Produkten nicht der Preis sondern die Marke des Produkts und deren Produktversprechen. Basis einer Luxuspreisstrategie ist demnach ein der Konkurrenz überlegener Kundennutzen, d. h. ein wahrgenommener Vorteil in Bezug auf Qualität, Dienstleistung oder Marke. 931 Für Handelsmarken ist diese Strategie nur sehr begrenzt übertragbar, da die klassische Kommunikation der Handelsunternehmen in der Regel nicht auf einzelne Produkte abzielt. Vorstellbar ist hingegen eine Luxuspreisstrategie ausgewählter Gestalt- und Pioniermarken. Handelsunternehmen können so höhere Zahlungsbereitschaften abschöpfen. Damit dies gelingt, können die Händler auf die ihnen zur Verfügung stehenden Kommunikationsmaßnahmen am PoS, z. B. eine hochwertige Präsentation im Regal oder Hinweise im Store-Radio, zurückgreifen. Die Premiumpreisstrategie zeichnet sich durch ein ebenfalls begrenztes Maß an Preisvariation bei durchschnittlicher bis gehobener Preishöhe aus. Es findet kein besonders stringentes, sondern eher ein undifferenziertes Pricing statt. Vorteilhaft ist der geringe Koordinationsaufwand, weswegen diese sich für Handelsmarken der dritten Generation anbietet. Bei Sub- und Familienmarkenstrategien sollte das Preisniveau der Handelsmarken unterhalb der Referenzprodukte der Markenhersteller liegen, eine gelegentliche Variation in Form von Promotions in einzelnen Sortimentsbereichen widerspricht dieser Vorgabe nicht.
929
Im Allgemeinen verfügen die Konsumenten jedoch über ein recht geringes Preiswissen (vgl. Aalto-Setala/Raijas (2003); Ahlert et al. (2005b); Estelami/de Maeyer (2004); Evanschitzky/Kenning/Vogel (2004); Vanhuele/Laurent/Dreze (2006); Vanhuele (2002); Vanhuele/Dreze (2002)). Dies gilt insbesondere für zufriedene Konsumenten, was auf die sinkende Preisbedeutung bei guter Leistung zurückzuführen ist (vgl. Adam et al. (2002); Homburg/Koschate/ Hoyer (2005)).
930
Vgl. Bolton/Shankar (2003), S. 220 und Simon/Fassnacht (2009), S. 472-473. In älterer Literatur wird vielfach nur zwischen Dauerniedrigpreis- und High-Low-Preisstrategie unterschieden (vgl. Bell/Ho/Tang (1998); Bell/Lattin (1998); Hoch/Dreze/Purk (1994); Lal/Rao (1997)). BOLTON und SHANKAR konnten jedoch nachweisen, dass sich nur 55 % der Handelsunternehmen auf diese beiden Preisstrategien beschränken. Die Einteilung in fünf Strategien erscheint auch vor dem Hintergrund ihrer Übertragbarkeit auf das Handelsmarkenmanagement sinnvoll.
931
Beispiele dafür in Deutschland sind Mercedes-Benz, Audi und Porsche in der Automobilindustrie, sowie Hersteller von Luxusartikeln wie Louis Vuitton, Gucci oder Rolex. In der DIY-Branche findet ein solches Pricing insbesondere im professionellen Bereich, z. B. bei Elektrowerkzeugen von Bosch blau, Metabo und Makita Anwendung. Im Lebensmittelbereich gibt es kaum Beispiele für exklusives Pricing. Ausnahmen sind u. a. bestimmte Premiumweine und Premiumspirituosen sowie Schokoladenspezialitäten von Lindt oder Feodora.
178
Kap. C
Im Rahmen einer High-Low-Pricing-Strategie werden in kurzen Promotionzeiträumen jeweils große Rabatte auf hohe Normalpreise gegeben. Dieses Vorgehen soll vor allem Schnäppchenjäger, bzw. die sog. Smart Shopper, ansprechen – verbunden mit der Hoffnung, dass diese Konsumenten noch weitere, nicht reduzierte Artikel kaufen. Eine solche Strategie eignet sich nur dann für einzelne Handelsmarken, wenn diese einen hohen Bekanntheitsgrad aufweisen und auch der reguläre Preis den Konsumenten bekannt ist. Dies trifft nur auf sehr wenige Handelsmarken der zweiten Generation zu, alle anderen Handelsmarkentypen eignen sich aufgrund der vorgenannten Eigenschaften nicht. 932 Grundsätzlich sollte die High-Low-Strategie daher den Markenprodukten vorbehalten sein. Die Dauerniedrigpreisstrategie schließt starke Preisvariationen und wechselnde Sonderangebote kategorisch aus. Das Preisniveau ist je nach Handelsformat durchschnittlich bis niedrig. Häufig weisen Schilder am Regal und Kennzeichnungen auf den Preisschildern auf die Dauerniedrigpreise hin. Eine solche Strategie eignet sich vor allem für Handelsmarken der ersten und dritten Generation. Sowohl bei Gattungsware im Preiseinstiegsbereich als auch bei mittleren Preislagen innerhalb der Dachmarkenstrategie führt die Dauerniedrigpreisstrategie zur einer Erhöhung des Preisvertrauens beim Konsumenten. 933 Besondere Ausprägung der Dauerniedrigpreisstrategie ist die Discountstrategie, bei der alle Produkte im Sortiment dauerhaft zu extrem niedrigen Preisen angeboten werden.934 Kennzeichnend dafür ist der „no frills“-Gedanke der Discounter, d. h. Reduzierung aller Aktivitäten auf die Kernleistung und kommunikationspolitische Konzentration auf den Preis.935 Eine aggressive Niedrigpreisstrategie bedeutet nur gelegentliche, dann aber sehr starke Preisvariationen nach unten für einen sehr begrenzten Zeitraum, z. B. Angebote, die nur eine Woche gültig sind.936 Vor allem die großen Elektronik-Fachmärkte der Metro, Media Markt und Saturn, nutzen aggressive Preise für wenige ausgewählte Artikel, um hohe Kundenfrequenzen zu generieren. Eine aggressive Niedrigpreisstrategie stellt für Handelsmarken nur begrenzt eine Strategiealternative dar, da sie in der Regel knapp kalkuliert sind und im Gegensatz zu Markenartikeln keine Referenzpreise (z. B. aus anderen Handelsunternehmungen) aufweisen. Die fünf Strategien sind in Tab. C-12 zusammenfassend dargestellt. Im Rahmen der Preisfestsetzung ist als erste Dimension die relative Preishöhe zu beachten. Diese 932
Vorstellbar ist eine solche Strategie z. B. bei Albrecht Kaffee oder Tandil Waschmittel bei Aldi.
933
Vgl. Sebastian/Maessen (2003).
934
Vgl. Haas (2003), S. 215. Für Vollsortimenter ist aufgrund ihrer Kostenstruktur eine derartige Strategie nicht geeignet (vgl. Hoch/Dreze/Purk (1994)).
935
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 506.
936
Auch die Preisstrategien der Lebensmitteldiscounter werden häufig als aggressiv bezeichnet. Die Variation der Preise ist jedoch gering. Discounter verfolgen somit eher eine aggressive Dauerniedrigpreisstrategie.
179
Prozess des Handelsmarkenmanagements
bezeichnet den Preis in Relation zum Durchschnitt innerhalb der Warenkategorie. Die Preisvariation gibt an, inwieweit vom regulären Preis abgewichen wird. Die Intensität beschreibt, wie häufig und wie dauerhaft die Preisstrategie angewendet wird und die Kommunikation der Preise bezieht sich auf Unterstützung der Strategie durch Zeitungsbeilagen, Insertionen und Displays oder andere PoS-Maßnahmen. In der Tabelle ist außerdem die Eignung der Strategien für die jeweiligen Handelsmarkentypen angegeben. Meist kommt es in der Praxis zu einer Kombination der hier aufgeführten Strategien. Preisdimen- relative Pricing sionen PreisStrategie höhe
Intensität Preisder variation Strategie
Kommunikation des Preises
Eignung für Handelsmarken
Luxuspreisstrategie
hoch
mittel
niedrig
gering
(4. Generation)
Premiumpreisstrategie
Durchschnitt
mittel
mittel
mittel
3. und 4. Generation
High-Low-Pricing
Durchschnitt
hoch
hoch
hoch
(2. Generation)
Dauerniedrigpreise
Durchschnitt
niedrig
mittel
mittel
1. und 3. Generation
aggressive Niedrigpreisstrategie
niedrig
hoch
niedrig
mittel
2. Generation
Tab. C-12: Preisdimensionen und Pricing-Strategien im Einzelhandel Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Bolton/Shankar (2003), S. 220.
Ergänzend können die Handelsunternehmen ihre Preise auch zeitlich differenzieren, um im Sinne eines „Yield Management“ für eine gleichmäßige Auslastung ihrer Geschäftsstätten zu sorgen. 937 Diese recht neue Form der Preisdifferenzierung führt jedoch zu erhöhter Komplexität und kann darüberhinaus zur Verärgerung der Kunden führen, die die „günstigeren Einkaufskonditionen“ nicht nutzen können.938 Üblich ist eine solche Preisdifferenzierung z. B. bei Fluggesellschaften und Hotelbetreibern.
937
Vgl. Siems (2009), S. 344-345 und Stoffl (1998), S. 391-392. Yield Management ist eine nachfrageabhängige Form der Preisdifferenzierung bzw. Angebotssteuerung, die Höhen und Tiefen der Nachfrage bei fixen Kapazitäten (im Handel z. B. die Fläche) auszugleichen versucht (vgl. Diller (2008), S. 497-499; Kimes (1989); Siems (2009), S. 298-302).
938
Vgl. Siems (2009), S. 345. Außerdem müssen die technischen Möglichkeiten für eine tageszeitabhängige Preisdifferenzierung, z. B. in Form von kurzfristig variablen LED-Preisschildern, geschaffen werden.
180
Kap. C
Im Rahmen der Preispolitik ist neben der Preispositionierung der einzelnen Handelsmarken das Preisimage des Handelsunternehmens von entscheidender Bedeutung.939 Das Preisimage ist definiert als die kundenindividuelle Bewertung des Preisniveaus einer Einkaufsstätte940 und entsteht aus den jeweiligen Einzeleindrücken zur Preisgünstigkeit und Preiswürdigkeit.941 In der Literatur existieren zur Entstehung des Preisimages zwei konkurrierende Hypothesen, von denen sich die Eckartikelhypothese durchgesetzt hat.942 Sie besagt, dass sich das Preisimage an den Preisen weniger preisimagerelevanter Produkte orientiert. 943 Dazu zählen Sonderangebote, werblich herausgestellte Artikel und Produkte mit hoher Umschlagsgeschwindigkeit. Letzteres trifft auch und insbesondere auf das Sortiment der Discounter und die Handelsmarken der ersten Generation zu. Die Preisstrategie der Handelsmarken ist eng mit der Preissetzung der Herstellermarken verknüpft und es müssen mögliche Interdependenzen beachtet werden. Bspw. wirkt sich nach einer Untersuchung von BONTEMPS et al. (2008) die Handelsmarkeneinführung stark auf die Preispolitik der Markenhersteller aus.944 Der Preisabstand zwischen der Hersteller- und Handelsmarke spielt zudem eine entscheidende Rolle beim Kauf. Je größer die Preisdifferenz ist, desto eher bevorzugt der Verbraucher den Kauf von Handelsmarken. 945 Handelsunternehmen verwenden im Zuge dessen die Preise der Markenprodukte als Preisschirm, d. h. die Preise der Handelsmarken orientieren sich an denen der Markenartikel in der Art, dass eine genügend hohe Differenz zwischen den Preisen für Markenartikel und Handelsmarke besteht und preisorientierten Verbrauchern die eigenen Marken als günstige Alternative angeboten werden.946 Anhand zweier Beispiele zeigt Abb. C-17 die stark differenzierte Preisstrategie für Handelsmarken von Tesco. Zum einen wird die ausgeprägte Mehrmarkenstrategie deutlich und zum anderen die enorme Preisspreizung von knapp 280 Prozent (Käse) bzw. rund 550 Prozent (Orangensaft) gemessen am Unterschied der jeweils günstigsten (Tesco Value) und teuersten Handelsmarke (Tesco Finest). Die Herstellermarken sind zum Vergleich ebenfalls angeführt und kursiv gekennzeichnet. 939
Die Besonderheiten der Preisfestsetzung auf Einzelproduktebene werden hier nicht näher behandelt. Siehe dazu z. B. Siems (2009), S. 332-334.
940
Vgl. Nyström (1970), S. 134.
941
Vgl. Diller (2008), S. 136; Hälsig (2008), S. 173 und Simon/Fassnacht (2009), S. 475-476.
942
Neben der Eckartikelhypothese gibt es die Theorie, dass der Verbraucher sich an seinen tatsächlich eingekauften Produkten orientiert und sich das Preisimage folglich aus den Preisen sehr vieler Artikel bildet (vgl. Simon/Fassnacht (2009), S. 477).
943
Vgl. Müller (2003), S. 238; Schindler (1998), S. 125-128; Simon/Fassnacht (2009), S. 475-476.
944
Vgl. Bontemps/Orozco/Réquillart (2008).
945
Vgl. Müller-Hagedorn (2005), S. 267.
946
Vgl. Steiner (2007), S. 44.
181
Prozess des Handelsmarkenmanagements
Cheddar Käse ($ pro KG)
Orangensaft ($ pro Liter)
Tesco Value 0,33 long-life
Tesco Value 3,34
4,64 Tesco
Tesco Value 0,57 chilled
0,57 Tesco Healthy Eating
0,66 Tesco Chilled Pure
Colliers 6,95
6,79 Tesco Organic
0,79 Tesco Fair Trade
Pilgrims Choice 7,25 Vintage Extra
0,89 Tesco Healthy Eating + Calcium 7,67 Tesco Farmhouse
Tesco 0,95 Florida Pure
7,76 Tesco Davidstow
Pilgrims Choice 8,95 Strong Farmhouse
0,95 Tesco Organic
0,98 Tesco 100% Pure Squeezed
Tropicana 1,62
Tesco Finest 9,29
Minute Maid 1,68
Cracker Barrel 9,90
Tesco Finest 1,84
Abb. C-17: Beispielhafte Preispositionierung der Handelsmarken von Tesco Quelle:
In Anlehnung an Kumar/Steenkamp (2007), S. 48.
182
Kap. C
4.5.4
Kommunikationspolitik
Ein jedes Handelsunternehmen muss, um seine Leistungen dem Konsumenten anzubieten und das Ziel der Einkaufsstättenprofilierung zu erreichen, entsprechende Kommunikationsmaßnahmen ergreifen.947 Bis Mitte der 1990er Jahre gibt es nur wenige Beispiele für überzeugende Handelsmarkenwerbung.948 Inzwischen geben die Handelsunternehmen für das Bewerben der eigenen Betriebstypen- und Handelsmarken hunderte Mio. Euro aus und unter den zehn werbeaktivsten Unternehmen befinden sich 2007 mit Media Markt-Saturn (500 Mio. €), Aldi (284), Edeka (245) und Lidl (225) vier Handelskonzerne.949 Die Kommunikationsinstrumente lassen sich nach MEFFERT et al. (2008) in „abovethe-line“ und „below-the-line“ einteilen.950 Unter klassischer Werbung wird die kommunikative Beeinflussung mittels verschiedener Massenkommunikationsmedien verstanden.951 Dazu zählen Print-, Fernseh-, Radio-, Kino- und Außenwerbung. Alle übrigen Maßnahmen werden als below-the-line bezeichnet, z. B. Neue Medien, Kundenmagazine, Public Relations, Messen oder Sponsoring. Für die Bewerbung von Handelsmarken sind nicht alle Kommunikationsinstrumente relevant und für die einzelnen Handelsmarkentypen nicht gleichermaßen sinnvoll. Die häufigsten above-the-line Werbeformen für Handelsmarken sind Anzeigen und Beilagen in Printmedien. Als kostengünstige Version kommen Handzettel oder Flugblätter als Postwurfsendungen zum Einsatz.952 Trotz immer zahlreicherer elektronischer Alternativen hat sich ihr Status in der „Medienlandschaft“ nicht wesentlich verändert. 953 Neben Markenherstellern, die Anzeigen und Beilagen in erheblichem Umfang durch Werbekostenzuschüsse mitfinanzieren, bieten die Handelsunternehmen ihre unterschiedlichen Handelsmarken an. Zu beachten ist allerdings, dass je mehr Platz diese einnehmen, zudem der Eigenanteil an den Werbekosten steigt. Printkommunikation kann auch in Form von Katalogen und Prospekten erfolgen, in denen z. B. Bekleidungsfachhändler ganze Kollektionen ihrer Handelsmarken darstellen. Ein Vorteil der Printwerbung ist die hohe lokale Abdeckung und zugleich sehr präzise regionale Steuerung, so dass Anzeigen geschäftsstättenspezifisch oder für
947
Vgl. Olbrich et al. (2005), S. 14.
948
Vgl. Dumke (1996), S. 182.
949
Vgl. Nielsen Media Research 2007, zitiert nach Berentzen/Hamann (2008), S. 221.
950
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 647.
951
Vgl. Schweiger/Schrattenecker (2005), S. 109.
952
Vgl. Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 232.
953
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 649.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
183
Handelsmarken, die nur in bestimmten Regionen erhältlich sind, geschaltet werden können.954 Die Außenwerbung von Handelsunternehmen auf Plakaten, Verkehrsmitteln und Dauerwerbemitteln unterscheidet sich nicht wesentlich von Markenartikelherstellern, die gute regionale Steuerung kommt den nicht national agierenden Handelsunternehmen jedoch sehr entgegen.955 Plakate sind trotz geringer Streuverluste aufgrund der hohen Herstellungskosten für den Einzelhandel nur bedingt attraktiv.956 Als Sonderform der Außenwerbung hat sich der Begriff „Ambient Media“ herausgebildet, d. h. Werbung, die auf unkonventionelle Weise in öffentlichen Orten, z. B. in der Gastronomie, an Universitäten oder Bereichen der Freizeitbeschäftigung, eingesetzt wird.957 Je nach Handelsmarkentyp können unterschiedliche Formen der Außenwerbung eingesetzt werden. Einzelne Me-too-Produkte sind in der Regel von der Außenwerbung ausgenommen und Gattungsmarken eigenen sich aufgrund ihrer knappen Kalkulation nur sehr bedingt für teure Werbeformen. Für kleine Einzelhändler ist die Schaufensterwerbung neben Anzeigenwerbung das wesentliche Kommunikationsmittel.958 Wichtig ist die Schaufensterwerbung vor allem für Bekleidungseinzelhändler, die zum Großteil auf Laufkundschaft angewiesen sind. Die ansprechende Schaufenstergestaltung soll Aufmerksamkeit erzeugen, Kundenwünsche wecken und die Betrachter zum Geschäftsbesuch verleiten.959 Aus diesen Gründen sind die Handelsmarken der dritten und vierten Generation am besten für diese Kommunikationsform geeignet. Werbung im Radio ist dadurch charakterisiert, „[…] dass sie mit ungerichteter Aufmerksamkeit, eher beiläufig wahrgenommen wird“.960 Trotz überregionaler Nutzung von Radiowerbung durch große Handelskonzerne, ist ein Vorteil in der regionalen Differenzierung zu sehen. Für kleinere Handelsunternehmen stellt die Radiowerbung daher neben Printmedien das einzige Massenmedium dar.961 Sie kommt vor allem für die dritte und vierte Handelsmarkengeneration in Frage.
954
Vgl. Busch/Fuchs/Unger (2008), S. 568.
955
Vgl. Busch/Fuchs/Unger (2008), S. 569.
956
Vgl. Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 233.
957
Vgl. Shankar/Horton (1999).
958
Vgl. Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 233.
959
Vgl. Pflaum/Eisenmann (1988), S. 68-69.
960
Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 661.
961
Vgl. Berekoven (1995), S. 249.
184
Kap. C
TV-Werbung ist auch für Handelsmarken der direkteste und wirkungsvollste Weg zum Konsumenten.962 TV-Kampagnen sind jedoch unter den Werbemitteln mit Abstand am teuersten.963 Als erste Handelsmarke wurde Viva Vital von Plus mit Kai Pflaume als Testimonial beworben. Aktuelle TV-Kampagnen von Edeka, Lidl, Real und Rewe zeigen, das der Handel die TV-Werbung endgültig für die Kommunikation von Handelsmarken entdeckt hat. Einzelne Handelsmarken oder Preiseinstiegssortimente werden hingegen mit Ausnahme der Discounter bislang nicht im TV beworben. Besonders lohnenswert ist TV-Werbung für Handelsmarken der dritten und teilweise der vierten Generation sowie der Kommunikation der Handelsmarkenarchitektur als Ganzes. Kinowerbung eignet sich hingegen eher z. B. für regionale Handelsmarken oder regionale Sonderangebote für Handelsmarken, da sie sich örtlich sehr genau platzieren lässt. Einem erwiesenermaßen höheren Wirkungsmaximum als bei anderen klassischen Kommunikationsmitteln steht die geringe Reichweite des Kinos gegenüber.964 Viele below-the-line Kommunikationsmaßnahmen, wie Instore-Medien und Verkaufsraumwerbung, können die Handelsunternehmen direkt und kostengünstig nutzen, da sie exklusiv darüber verfügen. Instore-Radio wird seit langer Zeit von Handelsunternehmen zur Mitteilung von Sonderangeboten und Verzögerung des Einkaufsvorgangs durch die Schaffung einer angenehmen Einkaufsatmosphäre genutzt.965 Aktuelle Sonderangebote für Handelsmarken aller Generationen können so kostengünstig an die Konsumenten vermittelt werden. Instore-TV, d. h. Werbefilme und Informationen über Bildschirme in den Verkaufsräumen zu zeigen, ist dann erfolgreich, wenn die Inhalte professionell und ansprechend genug sind, um die Kunden im Geschäft zum Verweilen und im Idealfall zum Kauf der Handelsmarken zu bewegen. 966 Gelingt dies dem Handelsunternehmen, eignet sich das Medium recht gut zur Herausstellung der Handelsmarken und damit zur Differenzierung vom Wettbewerb. Aufgrund höherer Deckungsbeiträge empfehlen sich diese Formen der Instore-Kommunikation insbesondere für Handelsmarken der dritten und vierten Generation.
962
Vgl. Lincoln/Thomassen (2008), S. 200.
963
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 646 (Angabe bezogen auf den TausenderKontaktpreis).
964
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 660-661.
965
Vgl. Zentes/Schramm-Klein (2009), S. 461-462. Zur Wirkung von Musik, Farben und weiteren kognitiven Reizen auf das Kaufverhalten vgl. Baker et al. (2002); Kaltcheva/Weitz (2006); Mattila/Wirtz (2001); Salzmann (2007).
966
Vgl. hier und im Folgenden Lincoln/Thomassen (2008), S. 200.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
185
Als Verkaufsraumwerbung werden z. B. Boden- und Deckenwegweiser, Regalstopper (sog. Wobbler) sowie Einzel- und Verbundplatzierungen bezeichnet. 967 Da die Handelsunternehmen relativ frei über Regalplatz und Verkaufsfläche verfügen, können sie die Handelsmarken innerhalb des Sortimentes in den Mittelpunkt stellen oder als direkten Vergleich neben Zweitplatzierungen von Markenartikeln.968 Darüber hinaus stehen dem Handelsunternehmen Einkaufswagen und -körbe als Werbeträger sowie multimediale Displays als elektronische Plakate mit flexiblen Inhalten zur Verfügung. 969 Da mehr als die Hälfte der Kaufentscheidungen am PoS getroffen werden, nimmt die Verkaufsraumwerbung eine besondere Bedeutung in der Kommunikationspolitik der Handelsmarken ein.970 Kundenmagazine sind Werbeträger und Ratgeber zugleich und können als imagebildende Kommunikation eingesetzt werden.971 Die Leserschaft ist zumeist auf den Kundenkreis begrenzt. Je nach Branche können Handelsmarken der dritten und vierten Generation sowie teilweise der zweiten Generation hochwertig inszeniert werden. Im LEH können Kundenmagazine z. B. Kochrezepte, Ernährungstipps und Warenkunde enthalten, im Bekleidungsfachhandel z. B. Berichte über Modemessen, Styling-Tips und Kombinationsmöglichkeiten der Bekleidungsstücke. Die Handelsmarken können dabei gezielt in den Vordergrund gestellt werden. Zentrale Merkmale der Online-Kommunikation sind die Aktualität und Flexibilität der Inhalte sowie die Interaktion mit den Kunden durch unmittelbare und direkte Feedbackmöglichkeiten.972 Vorteile liegen zudem in den niedrigen Kosten, der hohen Reichweite und den gestalterischen Möglichkeiten.973 Handelsunternehmen können auf ihrer Unternehmenshomepage umfangreiche Informationen zu ihren Handelsmarken bereitstellen.974 Für einzelne Me-too-Marken ist dies weniger geeignet. Gattungsmarken werden auf den Internetseiten nicht immer aufgeführt.975 Insbesondere eignen sie sich zur Darstellung der Handelsmarken der dritten und vierten Generati-
967
Vgl. Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 234.
968
Vgl. Olbrich et al. (2005), S. 14. Für eine ausführliche Darstellung präsentationspolitischer Gestaltungsoptionen vgl. Dumke (1996), S. 187-190.
969
Vgl. Zentes/Schramm-Klein (2009), S. 462.
970
Vgl. Berentzen/Berentzen (2005), S. 149.
971
Vgl. Barth/Hartmann/Schröder (2007), S. 232; Busch/Fuchs/Unger (2008), S. 569.
972
Vgl. hier und im Folgenden Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 662-670.
973
Zur Wirkung von Informations- und Anbahnungsleistungen im Internet vgl. Betz/Krafft (2003).
974
Zur Gestaltung der Internetauftritte von Handelsunternehmen vgl. Esch/Hardiman/Kiss (2002), S. 227-249.
975
Bspw. die Gattungsmarke Globe des SB-Warenhaus-Anbieters Globus (www.globus.de).
186
Kap. C
on. Nachteil der Online-Kommunikation ist die im Vergleich zu klassischen Medien eindeutig als niedriger wahrgenommene Glaubwürdigkeit und Qualität der Inhalte.976 Die Direktkommunikation fasst alle personalisierten kommunikativen Aktivitäten der Anbahnung und Aufrechterhaltung einer Kundeninteraktion zusammen.977 Sie kann z. B. in Form von E-Mail-Newslettern und Direct Mailings erfolgen und ist ein wesentlicher Bestandteil des CRM-Prozesses.978 Relativ kostengünstig können Konsumenten auf diese Weise über neue Handelsmarken oder eine Veränderung der Handelsmarkenarchitektur informiert werden. Anders als klassische Kommunikationsmaßnahmen kann die Ansprache der Konsumenten persönlich erfolgen und auf deren Bedürfnisse abgestimmt werden. Als weiteres Instrument des „One-to-one-Marketing“ werden im Einzelhandel vermehrt Kundenkartenprogramme eingesetzt.979 Vorteil ist die Verknüpfung von Informationen über Einkaufsdaten über einen längeren Zeitraum hinweg und den weiteren Daten des Kunden, z. B. Soziodemografika. 980 Durch spezielle Vergünstigungen oder andere Anreizsysteme innerhalb der Kundenkartenprogramme kann der Absatz von Handelsmarken systematisch gefördert werden. Kundenkarten sollten aufgrund höherer Margen vor allem den Kauf von Handelsmarken der dritten und vierten Generation honorieren.981 Mobile Kommunikation, z. B. über Mobilfunkgeräte und PDAs, ermöglicht eine zielgenaue Kommunikation mit den Kunden und stellt ihnen die Informationen dann und dort zur Verfügung, wenn sie diese tatsächlich benötigen. 982 Handelsunternehmen können diese in Verbindung mit Personal-Shopping-Assistant-Programmen nutzen, die den Kunden bspw. als elektronischer Einkaufszettel und Bezahlservice dienen.983 Eine Eignung kostenintensiver Maßnahmen, wie dem SMS-Versand aktueller Angebote, kann am ehesten den Handelsmarken der dritten und vierten Generation zugesprochen werden. Kritisch ist die Akzeptanz der mobilen Kommunikation zu betrachten, die in hohem Maße von der Bedienerfreundlichkeit, der Kompatibilität der 976
Vgl. Haas et al. (2007), S. 222.
977
Vgl. Wirtz (2007), S. 14.
978
Für einen Überblick vgl. Krafft/Peters (2005); Peters/Krafft (2005); Reinartz/Krafft/Hoyer (2004). Zum CRM im Handel vgl. Kenning (2002), S. 85-100 sowie Brock (2009), S. 22-27.
979
Vgl. Gedenk/Neslin/Ailawadi (2006), S. 353-354. Zu den Erfolgspotentialen von Kundenkartenprogrammen vgl. Krafft/Klingsporn (2007), S. 110-147; Krafft/Naß (2009) und zur Akzeptanz von Kundenkarten ausführlich Hoffmann (2008).
980
Vgl. Morschett (2002), S. 83-84.
981
Bei knapp kalkulierten Handelsmarken der ersten und zweiten Generation besteht durch Rabattaktionen die Gefahr verbotener Untereinstandspreis-Verkäufe.
982
Vgl. Reichwald/Meier (2002), S. 25.
983
Vgl. Gedenk/Neslin/Ailawadi (2006), S. 354; van Ackeren (2002), S. 349. Zu weiteren Merkmalen mobiler Services vgl. ausführlich Aschmoneit (2004), S. 102-112.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
187
Endgeräte, der Sicherheit von Transaktionen sowie günstiger und transparenter Kosten abhängig ist.984 Das Leitmotiv der Öffentlichkeitsarbeit bzw. Public Relations hat sich von dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ zu einer aktiven Informationspolitik im Sinne von „Rede über das, was du tust“ gewandelt.985 Für Handelsunternehmen ist dies eine wichtige Kommunikationsform zur Schaffung von Vertrauen, wenn es sich um Produkte wie Lebensmittel oder Bekleidung handelt. Bei Handelsmarken – insbesondere im Preiseinstiegsbereich – können Vorurteile der Konsumenten über Qualitätsmängel oder mangelnde gesellschaftliche Verantwortung beseitigt werden. Ein weiteres wichtiges Instrument, Handelsmarken den Konsumenten bekannt zu machen, stellen handelsspezifische Verkaufsförderungsmaßnahmen dar.986 Insbesondere für Handelsmarken der vierten Generation eignen sich z. B. Produktverkostungen im Geschäft oder Produktproben, um den Konsumenten die Erstverwendung ohne Risiko bzw. den Einsatz monetärer Mittel zu gewähren. Zur Kommunikation markenrelevanter Botschaften bieten sich des Weiteren Sponsoring-Maßnahmen an. 987 Sie fördern gleichzeitig Personen oder Organisationen sowie Kommunikationsziele und können in Sport-, Kultur-, Sozio-, und Umweltsponsoring unterschieden werden.988 Im Rahmen des Handelsmarkenmanagements können neben einer Steigerung der Bekanntheit auch positive Imageveränderungen für Handelsmarken herbeigeführt werden. Mit dem Argument der höheren Deckungsbeiträge ist auch hier den Handelsmarken der dritten Generation die beste Verwendung zuzusprechen. In Tab. C-13 sind die beschriebenen Kommunikationsmaßnahmen und ihre Eignung für die vier Handelsmarkengenerationen zusammengefasst.
984
Vgl. van Ackeren (2002), S. 350.
985
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 673.
986
Vgl. Gedenk/Neslin/Ailawadi (2006), S. 345 sowie ausführlich Ailawadi/Neslin (1998).
987
Zur Markenwirkung von Sponsoring-Maßnahmen vgl. ausführlich Woisetschläger (2006).
988
Vgl. Hermanns/Marwitz (2008), S. 15.
188
Kap. C
„below-the-line“
„above-the-line“
Werbemittel / Werbeträger
1. G.
2. G.
3. G.
4. G.
Anzeigen in Printmedien
+
++
++
+
Beilagen in Printmedien
++
++
++
++
Plakatwerbung
+
–
++
+
Werbung auf Verkehrsmitteln
o
–
++
+
Schaufensterwerbung
+
o
+
++
Radiowerbung
o
–
++
+
Fernsehwerbung
–
–
+
o
Kinowerbung
o
–
+
+
Werbemittel / Werbeträger
1. G.
2. G.
3. G.
4. G.
Instore-TV / Instore-Radio
o
+
++
++
Verkaufsraumwerbung
+
o
+
++
Kundenmagazine
o
–
++
++
Online-Kommunikation
+
o
++
++
Direct Mailings / Newsletter
+
+
++
++
Kundenkartenprogramme
o
o
++
++
Mobile Kommunikation
–
–
+
o
++
+
++
++
Produktverkostungen / Samples
–
o
+
++
Sponsoring
o
–
++
+
Public Relations
++ = hervorragend geeignet
+ = geeignet
o = weniger geeignet
– = ungeeignet
G. = Generation Tab. C-13: Kommunikationsmaßnahmen und ihre Eignung für die Handelsmarkengenerationen Quelle:
Eigene Darstellung.
Die hier dargestellten Kommunikationsarten werden in der Praxis auf vielfältige Weise kombiniert und den Bedürfnissen der jeweiligen Handelsunternehmen und ihrer Handelsmarkenarchitektur angepasst. Es empfiehlt sich von einer isolierten Betrachtung der Maßnahmen Abstand zu nehmen und im Rahmen einer übergeordneten Corporate-Identity-Strategie neben den Handelsmarken explizit die Betriebstypenmarke zu berücksichtigen und der Forderung nach einer integrierten Kommunikationsstrategie gerecht zu werden.
Prozess des Handelsmarkenmanagements
4.6
189
Integriertes Handelsmarkencontrolling
Die Kontrolle der im Prozess des Handelsmarkenmanagements getroffenen Entscheidungen setzen sowohl organisatorische als auch informationstechnische Aktivitäten voraus. Das zentrale Aufgabengebiet des operativen Controlling besteht in dem Vergleich zwischen den Zielvorgaben und dem Ergebnis der umgesetzten Maßnahmen bzw. zwischen den Erwartungen und den Erfahrungen des Handelsunternehmens. Ausgangspunkt der Informationsversorgung bilden die Daten des internen Rechnungswesens und des Warenwirtschaftssystems.989 Daraus abgeleitete Kennzahlensysteme reduzieren die Datenkomplexität und erleichtern zwischenbetriebliche Vergleiche. Die Aufgaben des operativen Handelscontrolling bestehen in
der Transformation der Ziele des Handelsmarkenmanagements in geeignete quantitative Soll-Kennzahlen,
der Transformation der Daten aus dem Rechnungswesen und dem Warenwirtschaftssystem in die entsprechenden quantitativen Ist-Kennzahlen und
der Abweichungsanalyse zwischen Soll- und Ist-Daten.990
Die letzte Aufgabe kann in eine beschaffungs- und absatzbezogene Kontrolle unterteilt werden. Bei der beschaffungsbezogenen Abweichungsanalyse stehen die Beschaffungsmärkte, die Lieferanten und die zu beschaffenden Handelsmarken im Mittelpunkt der Betrachtung. Häufige Kennzahlen des Beschaffungsqualitätsziels sind Mängelquote, Reklamationsquote, Lieferverzugsquote und Fehlmengenquote. Die Beschaffungskostenkontrolle erfolgt z. B. über Lager- und Fehlmengenkosten.991 Im Rahmen der absatzbezogenen Abweichungsanalyse erfolgt eine kritische Überprüfung spezieller absatzpolitischer Kennzahlen wie Umsatz, Handelsspanne, Umschlagshäufigkeit und Verkaufsflächenproduktivität. Des Weiteren sind die einzelnen Elemente der Absatzpolitik anhand weiterer geeigneter Kennzahlen auf ihre Zielerreichung hin zu prüfen.992 Die kennzahlenorientierte Analyse von Soll- und Ist-Zustand reicht allerdings nicht aus, um positive oder negative Abweichungen von den Zielvorgaben zu erklären. Deswegen ist im Sinne eines strategischen Controlling eine qualitative Dimension
989
Vgl. zum Begriff des „Warenwirtschaftssystems“ und dessen Subsystemen Ahlert (1998), S. 2730.
990
Vgl. Ahlert (2002), S. 67.
991
Vgl. ausführlich Dumke (1996), S. 236-242.
992
Auf die einzelnen Kennzahlen der absatzpolitischen Instrumente wird im Rahmen der Arbeit nicht eingegangen. Vgl. dazu Dumke (1996), S. 243-248.
190
Kap. C
hinzuzufügen, in der Beobachtungsfälle dokumentiert und analysiert werden.993 Dies bestehen nach AHLERT (2002) aus jeder Art des „Zusammentreffens einer bestimmten Konstellation des Aktionsraums mit einer bestimmten Konstellation des Zustandsraums“. 994 Der Aktionsraum umfasst alle Entscheidungen und Maßnahmen des Handelsmarkenmanagements und der Zustandsraum die konkrete Situation bezogen auf Umwelt, Konkurrenz, Verbraucher usw. Diese Beobachtungsfälle bilden zusammen mit den Daten des operativen Controlling den Ergebnisraum, der mit den Planungsvorgaben des Handelsmarkenmanagements abgeglichen wird. Wichtig ist zudem eine Informationsbasis der Beobachtungsfälle über mehrere Perioden, um zukünftige Soll-Ist-Abweichungen möglicherweise leichter erklären und entsprechend reagieren zu können. Durch diese Integration von operativem und strategischem Controlling wird ein ständiger Lernprozess unterstützt. Die ermittelten Zusammenhänge zwischen Aktionsvariablen, Zustandsvariablen und Handlungsergebnissen können im nächsten Schritt in Hypothesen überführt und hinsichtlich der vermuteten Kausalität anhand gesteuerter Real-Experimente überprüft werden.995 Das integrierte, lernorientierte Handelsmarkencontrolling ist somit keine Ex-postKontrolle, sondern setzt die permanente Fortschrittskontrolle unter Beachtung der zwischen den Prozessschritten herrschenden Rückkopplungen voraus. Der Aufbau dieses integrierten Handelsmarkencontrolling ist zusammenfassend in Abb. C-18 dargestellt.
993
Vgl. hier und im Folgenden Ahlert (2002), S. 69. Für eine Auflistung qualitativer Nutzenpotenziale von Warenwirtschaftssystemen siehe Ahlert (1998), S. 31-32.
994
Ahlert (2002), S. 69.
995
Vgl. Ahlert (2002), S. 70.
191
Erwartungen
Prozess des Handelsmarkenmanagements
Ziele des Handelsmarkenmanagements quantitative und qualitative Soll-Werte
integriertes, lernorientiertes Handelsmarkencontrolling
Ergebnisraum
Erfahrungen
quantitative und qualitative Ist-Werte
Aktionsraum
Beschaffungsentscheidungen Konditionenpolitik Sortimentspolitik Servicepolitik Preispolitik Kommunikationspolitik
Zustandsraum
Umwelt, Wettbewerb Absatzmarkt Kennzahlen aus dem WWS Kosteninformat. aus dem internen Rechnungswesen qualitative Zustandsgrößen, z. B. Kundenzufriedenheit
Abb. C-18: Aufbau eines integrierten Handelsmarkencontrolling Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Ahlert (2002), S. 70.
Im Rahmen des strategischen Controlling ist zudem die Handelsmarkenarchitektur und die Wahl der Handelsmarkentypen vor dem Hintergrund der Ergebnisse des operativen Controlling zu reflektieren und ein ebenso integrierter Lernprozess anzustoßen. Der Wert der hier beschriebenen handelsmarkenpolitischen Steuerungsinstrumente bemisst sich allerdings – wie gerade auch das Beispiel der erforderlichen Lernorientierung aufzeigt – naturgemäß an der Umsetzung durch Führungs-, Organisations- und Motivationsmechanismen in der Praxis.
192
5.
Kap. C
Zusammenfassung der Dekonstruktion
Das vorstehende Kapitels betrachtet die reflexive Dekonstruktion des Forschungsgegenstandes aus einem vordergründig semiotischen Blickwinkel. Zunächst erfolgt der Bezug zum aktuellen Stand der Forschung, die sich bis dato vorwiegend mit der Handelsmarke aus Konsumentenperspektive, der Beziehung der Handelsmarke zur Herstellermarke und Einflüssen der Handelsmarke auf die Hersteller-HandelsBeziehung beschäftigt hat. Die wichtigsten Aufsätze werden mit einer kurzen Beschreibung vorgestellt und auf ihren Erklärungsbeitrag hin untersucht. Es folgt die wissenschaftstheoretische Einordnung der Arbeit und ihre methodologische Einbettung in die qualitative Sozialforschung. Zu diesem Zweck werden die gewählten Methodologien des interpretativen Paradigamas, der symbolische Interaktionismus, die Etnomethodologie sowie die Vorgehensweise der Grounded Theory erläutert. Zur Gewährleistung der Qualität und der Anschlussfähigkeit der Untersuchungsergebnisse in Wissenschaft und Praxis werden ergänzend geeignete Gütekriterien für die qualitative Forschung dargelegt. Der Forschungsprozess in der Dekonstruktion vollzieht sich in zwei Phasen. In einer ersten Phase werden die für das Verständnis der Hersteller-Handels-Beziehung geeigneten Theorien identifiziert und vorgestellt. Mit der Übertragung der neoinstitutionenökonomischen Ansätze und der Anreiz-Beitrags-Theorie auf das Handelsmarkenmanagement erhält die Arbeit somit ihren theoretischen Bezugsrahmen. Wie aufgezeigt dienen Transaktionskosten als Effizienzkriterium institutioneller Arrangements und determinieren im Rahmen des Handelsmarkenmanagements Make-orBuy-Entscheidungen in Bezug auf Handelsmarkenproduktion und -distribution. Die nähere Betrachtung des Verhaltens der Akteure innerhalb vertikaler Wertschöpfungsnetzwerke erfolgte vor dem Hintergrund vorliegender Informationsasymmetrien anhand der Prinzipal-Agenten-Theorie. Anhand des dritten neoinstitutionenökonomischen Ansatzes, der Theorie der Verfügungsrechte, werden die Markenrechte sowie das Verfügungsrecht der Preisgestaltung als Konfliktfelder des Handelsmarkenmanagements beschrieben. Die Anreiz-Beitrags-Theorie stellt schließlich den besonderen Koalitionscharakter der Hersteller-Handels-Beziehung heraus und dient der Darstellung möglicher Anreize und Beiträge der Koalitionsteilnehmer zur Produktion bzw. Distribution von Handelsmarken. Abschließend ist für den theoretischen Bezugsrahmen zu konstatieren, dass die vorgestellten Theorien ein besseres Verständnis der Hersteller-HandelsBeziehung ermöglichen, jedoch keine der vorgestellten Theorien die gestellten Forschungsfragen ausreichend zu erklären vermag. Zum besseren Verständnis und zur Einordnung der im empirischen Teil der Arbeit wiedergegebenen Gesprächsinhalte der Interviews erfolgt in der zweiten Forschungsphase dieses Kapitels die ausführliche Beschreibung des Handelsmarken-
Zusammenfassung der Dekonstruktion
193
managementprozesse, der anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis veranschaulicht wird. Die Darstellung dieses Prozesses dient der vorliegenden Arbeit als konzeptioneller Bezugsrahmen und ermöglicht regelmäßige gedankliche wie explizite Rückgriffe im Fortgang der Untersuchung, die insbesondere für die Ableitung der Implikationen eine umfassende konzeptionelle Basis bilden. In einem ersten Schritt wird die Bedeutung der informatorischen Grundlegung für das Handelsmarkenmanagement herausgestellt, gefolgt von der Beschreibung der Ziele des Handelsmarkenmanagements. Anhand der unterschiedlichen Zielvorgaben können im nächsten Abschnitt geeignete Handelsmarkenstrategien abgeleitet werden. Den Strategierahmen bildet zunächst die Darstellung möglicher Markt-feld-, Marktstimulierungs-, Marktparzellierungs- und Marktarealstrategien. Zur Konkretisierung werden nachfolgend unterschiedliche Strategieoptionen in Bezug auf die vertikale Dimension (Gestaltung des Integrationsgrades über die verschiedenen hierarchischen Markenebenen hinweg), die horizontale Dimension (Gestaltung der Anzahl von Marken auf der jeweiligen Hierarchieebene) sowie der sortimentsgerichteten Ebene (Gestaltung des Warensortiments in Bezug auf Handelsmarkentypen und Herstellermarken) beschrieben. Die Organisation der Beschaffungspolitik besteht für Handelsmarken in der Ermittlung des Beschaffungsbedarfs, den konkreten Beschaffungsentscheidungen und der Konditionenpolitik gegenüber den Herstellern. Insbesondere werden hier die handelsmarkentypenspezifischen Bedarfsaspekte der Beschaffungspolitik herausgearbeitet. Der folgende Abschnitt adressiert die Ausgestaltung des Marketing-Mix für Handelsmarken in den Bereichen der Sortiments-, Service-, Preis- und Kommunikationspolitik und die wichtigsten Gestaltungsoptionen innerhalb dieser Entscheidungsfelder. Als letzter Prozessschritt wird ein integriertes, lernorientiertes Handelsmarkencontrolling zum Abgleich von Erwartungen und Erfahrungen im Rahmen des Handelsmarkenmanagements aufgezeigt. Vor dem Hintergrund des in der hiermit abgeschlossenen Dekonstruktion gelegten theoretischen und konzeptionellen Bezugsrahmens wird die Hersteller-HandelsBeziehung und das Handelsmarkenmanagement im nachstehenden Kapitel in verschiedenen Branchen empirisch untersucht.
D.
Rekonstruktion – Empirische Untersuchung der HerstellerHandels-Beziehung „Jedes Interview ist – neben einer Gelegenheit zur Informationssammlung – ein interpersonales Drama mit einer sich entwickelnden Handlung.“996
1.
Methoden der empirischen Untersuchung
1.1
Branchenfallstudien als Untersuchungsobjekt
Fallstudien sind in der Literatur seit vielen Jahren als eigenständige Forschungsmethode etabliert.997 Neben didaktischen Zwecken unterstützen sie die Forschung bei der Beschreibung komplexer Phänomene.998 Sie sind darüber hinaus entwicklungsorientiert und ordnen sich der in dieser Arbeit gewählten erkenntnistheoretischen Grundlage des konstruktiv-interpretativen Paradigmas unter. 999 Maßgeblich beeinflusst wurde die Fallstudienforschung durch KATHLEEN EISENHARDT und ROBERT YIN.1000 Letzterer definiert eine Fallstudie als „[…] an empirical inquiry that investigates a contemporary phenomenon within its reallife context when the boundaries between phenomenon and context are not clearly evident and in which multiple sources of evidence are used“.1001
Charakteristisch sind demnach der reale Forschungskontext, die Komplexität des untersuchten Phänomens sowie die Einbeziehung mehrerer Aussagequellen. EISENHARDT (1989) weist zudem auf die Möglichkeit hin, mit Fallstudien dynamische Forschungsphänomene erfassen zu können. 1002 Anstatt statistischer Repräsentativität ermöglichen Fallstudien ein tiefes und zugleich umfangreiches Verständnis eines solchen Phänomens.1003 Durch die Nähe zum Untersuchungsobjekt (hier: Unterneh996
de Sola Pool (1957), S. 193 zitiert nach Hermanns (2008), S. 360-361.
997
Vgl. Eisenhardt (1989) und Yin (2009).
998
Vgl. Bolz (2002), S. 8-9. Im Englischen spiegelt sich diese Zweideutigkeit durch die synonyme Verwendung der Begriffe „case study“ und „case study research“ bzw. „research case“ wider (vgl. Easton (1992), S. 1; Lynn (1999), S. 15).
999
Vgl. Heimerl (2007), S. 392.
1000
Vgl. Eisenhardt (1989); Yin (1984); Yin (2003); Yin (2009).
1001
Yin (2009), S. 13.
1002
Vgl. Eisenhardt (1989), S. 534.
1003
Vgl. Easton (1995), S. 475.
196
Kap. D
mungen) entsteht ein schneller und ergiebiger Zugang zum untersuchten Phänomen mit der zusätzlichen Möglichkeit, die Fragestellungen induktiv während der Forschung weiterzuentwickeln. 1004 Eine Fallstudienforschung bietet sich daher insbesondere dann an, wenn nur wenig über das untersuchte Phänomen bekannt ist und bestehende Theorien unzureichend zu dessen Erklärung herangezogen werden können. 1005 Die größten Herausforderungen bei einer Fallstudienforschung im Bereich der Unternehmensnetzwerke bestehen in der Abgrenzung, wer zum untersuchten Netzwerk gehört, der Komplexität der jeweiligen Netzwerkstruktur, dem Problem der zeitlichen Veränderung von Netzwerken sowie der Vergleichbarkeit mit anderen Fallstudien.1006 Häufig befassen sich Fallstudien mit der Untersuchung einer einzelnen Unternehmung oder einzelner Maßnahmen innerhalb einer Unternehmung. 1007 Im Forschungsprozess selbst werden sie überwiegend zur Generierung von Forschungsfragen und Hypothesen eingesetzt, teilweise auch zu deren Falsifizierung.1008 In der vorliegenden Arbeit dient die Fallstudienforschung hingegen vordergründig als inhaltliche Klammer der in den untersuchten Branchen durchgeführten Interviews. Dadurch wird auf der Erkenntnisebene vor allem der explorative Charakter der Fallstudienforschung adressiert.1009 Als Untersuchungsobjekt werden die drei größten Konsumgüterbereiche privater Nachfrage in Deutschland ausgewählt. Namentlich sind das die Branchen Nahrungs- und Genussmittel mit 148,15 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2007 (das entspricht einem Anteil von 37,4 Prozent der privaten Nachfrage)1010, Textilien, Bekleidung und Schuhe mit 55,9 Mrd. Euro (14,1 Prozent)1011 und Do-ityourself, Baubedarf mit 38,31 Mrd. Euro (9,7 Prozent).1012 Die jeweils in den drei Bereichen geführten Interviews werden zu Branchenfallstudien zusammengefasst, um dort vorhandene Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Handelsmarkenmanagements zu identifizieren.
1004
Zu Gültigkeit und Zuverlässigkeit von Fallstudien vgl. Riege (2007), S. 288-295.
1005
Vgl. Eisenhardt (1989); Yin (2009); Easton (1995).
1006
Vgl. Halinen/Törnroos (2005), S. 1287-1292; Easton (1995), S. 416-420.
1007
Einzelfallstudien eignen sich besonders bei longitudinaler Prozessforschung (vgl. Gummesson (2000), S. 84; Yin (2009), S. 14-15).
1008
Vgl. Boos (1992), S. 5-6; Easton (1992), S. 1; Yin (2009), S. 13.
1009
Fallstudienforschung kann neben der Exploration u. a. auch zur Deskription, Explikation und Falsifikation eingesetzt werden (vgl. Yin (2003), S. 5).
1010
The Nielsen Company (Hrsg.) (2008), S. 23. Prozentangaben beziehen sich auf die Einzelhandelsumsätze 2007 i. H. v. 395,8 Mrd. Euro (Quelle: Statistisches Bundesamt).
1011
BTE zitiert nach Engmann (2008), S. 45.
1012
BHB (www.heimwerkerverband.de).
Methoden der empirischen Untersuchung
1.2
197
Qualitative Interviews als Erhebungsmethode
Der Einsatz qualitativer Interviews folgt der Entscheidung für das interpretative Paradigma.1013 Die Befragten erhalten hierdurch die Möglichkeit, dem Forscher ihre Wirklichkeitsdefinitionen mitzuteilen.1014 Qualitative Interviews können sowohl zur Hypothesenfindung und Theoriebildung als auch für Pilotstudien, Vertiefungen bereits durchgeführter Studien, Einzelfallstudien, Prozessanalysen und Klassifizierungen verwendet werden.1015 Insbesondere wird die Analyse qualitativer Daten zur Entdeckung gegenstandsbezogener Theorien in allen Bereichen und Problemfeldern der Sozialwissenschaften eingesetzt. 1016 Sie eignet sich unter Verwendung nicht oder teilstandardisierter Interviews besonders zur Beschreibung komplexer Abläufe und der Ergründung von Handlungsmotiven.1017 Das Ziel qualitativer Interviews besteht darin, genaue Informationen der befragten Personen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Perspektive, Sprache und Bedürfnisse zu erlangen.1018 Die daraus gewonnenen Statements und Merkmale können dabei einen wichtigen Beitrag zur Exploration eines Forschungsproblems leisten und werden teilweise auch als Pilotstudien angewendet, deren Ergebnisse im Sinne eines Mixed-Method-Ansatzes Basis für nachfolgende repräsentative Umfragen sind.1019 In der Literatur existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Interviewtechniken, die sich insbesondere im Rahmen der Soziologie und Psychologie herausgebildet haben.1020 Zu diesen zählen problemzentrierte, fokussierte und narrative Interviews, Struktur-, Experten- und Tiefeninterviews, unstrukturierte Interviews, Episoden- sowie Fokus-
1013
Vgl. Kap. C.2.1. Aufgrund einer niedrigen zu erwartenden Rücklaufquote, verspricht eine schriftliche Befragung der Hersteller- und Handelsunternehmen zudem nur geringe Aussicht auf Erfolg (vgl. Busch/Fuchs/Unger (2008), S. 786). Befragungen von Unternehmen führen häufig zu sehr geringen Rücklaufquoten von unter 5 %, was zu einer erheblichen Verzerrung durch Nichtbeteiligung (Non-Response-Bias) führen kann (vgl. Armstrong/Overton (1977)).
1014
In der quantitativen Forschung wird der Befragte hingegen in eine weitestgehend standardisierte und operationalisierte Wirklichkeitsdefinition des Forschers „hineingezwängt“ (vgl. Lamnek (2005), S. 348).
1015
Vgl. Mayring (2008a), S. 20-23.
1016
Vgl. dazu das Kapitel zur Methodologie der Grounded Theory (Kap. C.2.2.4).
1017
Vgl. Brenner/Brown J./Canter (1985), S. 3-5; Gordon/Fleisher (2006), S. 3; Wittkowski (1994), S. 2-3.
1018
Vgl. Friedrichs (1999), S. 236. Vgl. ausführlich zur Vorbereitung, Durchführung und Analyse qualitativer Interviews Rubin/Rubin (2005).
1019
Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2006), S. 95. Vgl. zur Mixed-Method-Forschung ausführlich Tashakkori/Teddlie (2000) und Tashakkori/Teddlie (2003b).
1020
Vgl. Hopf (2008), S. 350 und Kepper (1996), S. 37.
198
Kap. D
gruppeninterviews. 1021 Im Wesentlichen unterscheiden sich die Interviewformen in der Intention des Interviews und dem Grad der Standardisierung.1022 In der Offenheit der Fragen und der Auswertung der Interviews besteht zwischen den qualitativ orientierten Interviewformen hingegen weitestgehend Kongruenz.1023 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden in den untersuchten Branchen zur Erkenntnisgewinnung sowohl auf Hersteller- als auch auf Handelsseite problemzentrierte Interviews 1024 geführt. Der Begriff des problemzentrierten Interviews wurde von WITZEL (1982, 1985) geprägt und lehnt sich an frühe Formen fokussierter Interviews von MERTON und KENDALL (1946) sowie CICOUREL (1974) an.1025 Die Wahl fiel auf diese Interviewform, da subjektive Sicht-, Erfahrungs- und Handlungsweisen im Rahmen des Handelsmarkenmanagements erfasst sowie offene Fragen mit theoretischen Vorkenntnissen kombiniert werden können. Das problemzentrierte Interview ist ein theoriegenerierendes Verfahren, das diesen „[…] vermeintlichen Gegensatz zwischen Theoriegeleitetheit und Offenheit dadurch aufzuheben versucht, dass der Anwender seinen Erkenntnisgewinn als induktiv-deduktives Wechselspiel organisiert“.1026 In Abgrenzung zu anderen Interviewarten ist in problemzentrierten Interviews nicht der Experte als Person Gegenstand der Untersuchungsmethode, sondern in seiner Funktion im jeweiligen institutionellen Kontext.1027 Es ist ein offenes, halbstrukturiertes Interview, das in der Regel durch einen Leitfaden unterstützt wird, sich jedoch nicht auf diesen beschränkt.1028 Der Forscher tritt nicht ohne jegliches theoretisches Vorverständnis in die Erhebungsphase ein, sondern bereitet sich wie im quantitativen Paradigma z. B. durch Literaturstudium und eigene Beobachtungen im Untersuchungsfeld auf die Studie vor.1029 Der Leitfaden dient somit der thematischen Organisation des Hintergrundwissens des Forschers während der Erhebung und ist für ihn 1021
Zur ausführlichen Beschreibung dieser und weiterer qualitativ orientierter Interviewformen vgl. Aghamanoukjan/Buber/Meyer (2007), S. 421-423; Hopf (2008), S. 351-357; Kepper (1996), S. 37-56; Liebold/Trinczek (2002), S. 33-36; Lamnek (2005), S. 356-384; Mey (2007), S. 250257; Mayring (2002), S. 66-69; Schäfer (1995).
1022
Vgl. Aghamanoukjan/Buber/Meyer (2007), S. 424-425; Hopf (2008), S. 350.
1023
Vgl. Mayring (2002), S. 27-28.
1024
Vgl. Witzel (1982), S. 66-74; Witzel (1985), S. 227-256; Witzel (2000) sowie darauf aufbauend Kurz et al. (2007), S. 463-475.
1025
Vgl. Mayring (2002), S. 67; Witzel (1982), S. 67-69.
1026
Witzel (2000), S. 1.
1027
Vgl. Schäfer (1995), S. 15 und Liebold/Trinczek (2002), S. 35-37. MEY und MRUCK kritisieren, dass dem Einsatz von Experteninterviews zum Teil die Kritik der Beliebigkeit vorzuwerfen ist, wenn bspw. „Konsumenten als ‚Experten für Konsum‘ befragt werden oder genereller Befragte als ‚Experten für das eigene Leben‘“ (Mey (2007), S. 255).
1028
Vgl. Mayring (2002), S. 67; Witzel (1982), S. 91-92.
1029
Vgl. Kurz et al. (2007), S. 469-470; Lamnek (2005), S. 364; Pfadenhauer (2007), S. 453-454.
Methoden der empirischen Untersuchung
199
Orientierungsrahmen und Gedächtnisstütze bei der Ausdifferenzierung der Erzählsequenzen des Interviewten.1030 Dem Einsatz problemzentrierter Interviews liegen drei zentrale Prinzipien zu Grunde:1031
Erstes Prinzip ist das der Problemzentrierung im Sinne einer Anknüpfung an gesellschaftliche und wissenschaftliche Problemstellungen sowie der Eingrenzung des Forschungsfeldes durch den Forscher.
Zweitens ist das Verfahren gegenstandsorientiert, d. h., die spezifische Ausgestaltung richtet sich nach dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand. Dies steht im Einklang mit der methodologischen Basis dieser Arbeit, insbesondere den Anforderungen der Grounded Theory (vgl. Kap. C.2.2.4).
Drittens erfordert die Verwendung problemzentrierter Interviews eine prozessorientierte Herangehensweise, d. h. die Analyse des Untersuchungsgegenstandes erfolgt dynamisch und iterativ.
Ziel der problemzentrierten Interviews ist, anhand der subjektiven Sichtweisen der relevanten Gesprächspersonen ihre „[…] psychologische[n] und soziologische[n] Inhalte wie z. B. Einstellungen, Meinungen und Motive“1032 herauszustellen und diese zu verstehen, zu beschreiben und zu interpretieren.1033 Somit wird zum einen versucht durch die individuellen Meinungen der befragten Personen Informationen zu erlangen und mögliche Verbesserungsvorschläge für die Praxis heraus zu arbeiten. Zum anderen werden die gewonnenen theoretischen Erkenntnisse mit in die empirischen Auswertungen einbezogen und gegebenenfalls angeglichen, damit ein iterativer Forschungsprozess zwischen Theorie und Praxis entstehen kann.1034 Diese Vorgehensweise wirkt der Kritik an der hier verwendeten Methodologie der Grounded Theory entgegen, der STAKE (1995) ein theorieloses Vorgehen attestiert.1035 Der Prozess der Datenerhebung im Rahmen des problemzentrierten Interviews ist in Abb. D-1 dargestellt. Er besteht aus Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Interviews. Die Phasen der Gesprächsvor- und -nachbereitung werden in Kap. D.1.3 und Kap. D.2 mit Bezug auf die Stichprobe der Untersuchung näher erläutert. 1030
Vgl. Witzel (1982), S. 90.
1031
Vgl. hier und im Folgenden Kurz et al. (2007), S. 466-467 und Witzel (1982), S. 70-72. MAYRING ergänzt die drei ursprünglichen Prinzipien von WITZEL um die Offenheit als weiteres Merkmal (vgl. Mayring (2002), S. 68). Zum Prinzip der Offenheit in der qualitativen Marktforschung vgl. Kap. C.2.2.1.
1032
Kepper (1996), S. 17.
1033
Vgl. Kepper (1996), S. 17.
1034
Vgl. Kubicek (1977), S. 14-16.
1035
Vgl. Stake (1995), S. 114.
200
Kap. D
Bezüglich der Gesprächsführung lassen sich allgemeine Aussagen zu den möglichen Kommunikationsstrategien treffen, die in Abb. D-1 zusammenfassend dargestellt sind.
Gesprächsvorbereitung
Erstellen eines Interviewleitfadens Auswahl der Interviewpartner
Gesprächsdurchführung
Gesprächsnachbereitung
Erstellen der Interviewmemos Transkription der Tonbandaufzeichnungen
Anfahrt, Bekanntmachen, Small Talk Tonbandaufzeichnung Gesprächseinstieg Kommunikationsstrategien
Datenauswertung (vgl. Kap. D.1.3) Abb. D-1: Vorgehen bei der Datenerhebung im Rahmen des problemzentrierten Interviews Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Witzel (1982), S. 89-107.
WITZEL (1982) unterscheidet im Rahmen der Gesprächsführung problemzentrierter Interviews grundsätzlich zwischen erzählungs- und verständnisgenerierenden Kommunikationsstrategien.1036 Erzählungsgenerierend sind der Gesprächseinstieg, allgemeine Sondierungen, Erfahrungsbeispiele sowie Ad-hoc-Fragen. Der Gesprächseinstieg erfolgt durch relativ neutrale Fragen, wie z. B. der aktuellen Position und Aufgabenbereichen im Unternehmen sowie dem Werdegang des Interviewpartners. 1037 Allgemeine Sondierungen signalisieren den Befragten den gewünschten Detailgrad des Gesprächs und verdeutlichen dessen inhaltliche Zielsetzung. 1038 Ebenfalls erzählungsgenerierend sind Fragen nach Erfahrungsbeispielen sowie der gezielte Einsatz von Intervieweingriffen durch Ad-hoc-Fragen, die nicht Teil des Leitfadens sind. Durch geschickte Intervention werden die Explikationsmöglichkeiten der Interviewpartner eher erweitert als eingeschränkt.1039
1036
Vgl. hier und im Folgenden Witzel (1982), S. 92-107. Durch die Anwendung unterschiedlicher Kommunikationsstrategien wird das induktiv-deduktive Wechselspiel der hier zugrunde gelegten Methodologie sichergestellt (vgl. Witzel (1982), S. 92).
1037
Vgl. Kurz et al. (2007), S. 472.
1038
Vgl. Witzel (1982), S. 99.
1039
Vgl. Witzel (1982), S. 99.
Methoden der empirischen Untersuchung
201
Zu den verständnisgenerierenden Kommunikationsstrategien zählen spezifische Sondierungen in Form von Zurückspiegelung des Gesagten, Verständnisfragen und Konfrontation mit Widersprüchen. Die Zurückspiegelung dient als kognitive Strukturierungshilfe für beide Gesprächspartner und gibt dem Interviewer die Möglichkeit, Zusammenfassungen der Äußerungen des Interviewten von diesem kontrollieren zu lassen.1040 Mit Hilfe von Verständnisfragen und Konfrontation sollen ausweichende, versteckte und widersprüchliche Antworten sondiert und damit die Wirklichkeitskonstruktion des Befragten offengelegt werden.1041 Die spezifischen Sondierungen stellen dadurch eine in anderen Interviewformen eher unübliche, vom Interviewer vorweggenommene Vorinterpretation der Explikationen des Befragten dar. Die Frage, wann es sinnvoll ist, von den erzählungsgenerierenden zu den verständnisgenerierenden Kommunikationsstrategien zu wechseln, lässt sich aus der Ethnomethodologie herleiten. 1042 Das Einbringen bereits getroffener Sinninterpretation durch den Interviewer (Deduktion) wird ergänzt durch die Suche nach neuen Mustern für nicht zu erklärende Einzelphänomene in den Ausführungen des Interviewten (Induktion). Die Interviews sollen, damit diese Kommunikationsstrategien erfolgreich sind, als Gespräch auf Augenhöhe mit den Befragten stattfinden; dies erfordert indes eine umfangreiche Vorbereitung. 1043 Laut TRINCZEK (2005) bietet sich insbesondere bei Interviews mit betrieblichem Kontext eine diskursiv-argumentative Gesprächsführung an.1044 Der Interviewer nimmt die Rolle eines Quasi-Experten ein, der eine entlastende Gesprächssituation schafft und durch thematische Kompetenz die Interviewten dazu bewegt, spezifisches Wissen und eigene Positionen mitzuteilen. 1045 Dadurch wird zudem der Kritik entgegen gewirkt, dass in Experteninterviews „[…] in beliebiger Weise Wissen und Meinungen erhoben“ werden, die als „Steinbrüche von anekdotischem oder illustrativem Material“1046 dienen. Die Begriffe „problemzentriertes Inter-
1040
Vgl. Witzel (1982), S. 100.
1041
Vgl. hier und im Folgenden Witzel (1982), S. 101.
1042
Vgl. Witzel (2000), Abs. 18 mit Bezug auf Garfinkel (1967).
1043
Vgl. Kurz et al. (2007), S. 471; Pfadenhauer (2005), S. 115-117; Pfadenhauer (2007), S. 453454. Neben einem umfangreichen Literaturstudium wurden daher fünf Probeinterviews geführt, deren Erkenntnisse in die Ausarbeitung des Leitfadens eingeflossen sind.
1044
Vgl. Trinczek (2005), S. 212; Trinczek (1995), S. 65.
1045
Vgl. Pfadenhauer (2007), S. 454-455; Trinczek (1995), S. 63-65. TRINCZEK weist insbesondere bei Interviews mit Managern auf die thematische Kompetenz des Interviewers hin: „Je mehr man im Verlauf des Interviews in der Lage ist, immer wieder kompetente Einschätzungen, Gründe und Gegenargumente einfließen zu lassen, umso eher sind Manager bereit, nun ihrerseits ihr Wissen und ihre Positionen auf den Tisch zu legen - und ihre subjektiven Relevanzstrukturen und Orientierungsmuster nicht-strategischer Absicht offen zu legen“ (Trinczek (1995), S. 65).
1046
Bogner/Menz (2005b), S. 18.
202
Kap. D
view“ und „Experteninterview“1047 werden im Folgenden synonym verwendet, auch wenn sich letzteres streng genommen vom problemzentrierten Interview dadurch unterscheidet, dass es einen weniger diskursiv-dialogischen Charakter aufweist und sich weniger nah am Untersuchungsgegenstand orientiert.1048 1.3
Inhaltsanalyse qualitativer Interviews
Die Interpretation von Expertengesprächen wird in der wissenschaftlichen Literatur unter dem Begriff „qualitative Inhaltsanalyse“ zusammengefasst.1049 Ziel einer solchen ist eine systematische und intersubjektiv überprüfbare Auswertung sprachlichen Textmaterials, die trotz dieses Anspruchs der Interpretationsbedürftigkeit des Materials gerecht wird.1050 Der hier verwendeten Konzeption des problemzentrierten Interviews liegen die methodologischen Prämissen des symbolischen Interaktionismus, der Ethnomethodologie, und der Grounded Theory zugrunde. 1051 Ziel der Inhaltsanalyse ist, anhand der Textmerkmale und gegebenenfalls zusätzlicher Informationen Schlussfolgerungen zu dem Textinhalt oder seinem Produzenten – im vorliegenden Fall dem jeweiligen Interviewpartner – zu formulieren.1052 Nach MAYRING müssen bei der qualitativen Inhaltsanalyse vier Grundsätze beachtet werden:1053 1. Eine qualitative Inhaltsanalyse darf die Vorzüge quantitativer Techniken, insbesondere deren systematisches Vorgehehen, nicht aufgeben. 2. Das Interviewmaterial darf nicht isoliert interpretiert werden, sondern muss innerhalb eines Kommunikationsmodells betrachtet werden. 3. Im Zentrum der Analyse soll die Konstruktion und Anwendung eines Kategoriensystems stehen.
1047
Vgl. hierzu insbesondere die Beiträge von Bogner/Menz (2005a); Bogner/Menz (2005b); Liebold/Trinczek (2002); Meuser/Nagel (1997); Pfadenhauer (2007).
1048
Vgl. Aghamanoukjan/Buber/Meyer (2007), S. 422; Meuser/Nagel (2005a), S. 76. Des Weiteren taucht in der Literatur der Begriff des Leitfadeninterviews als eine Form des Tiefeninterviews auf (vgl. Schub von Bossiazky (1992), S. 88-89) oder als abgeschwächte Form des Experteninterviews (vgl. Mey (2007), S. 255). Dieser wird im Folgenden zur Vermeidung von Begriffsunklarheiten nicht verwendet.
1049
Im deutschsprachigen Raum ist PHILIPP MAYRING wichtigster Vertreter der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Kuckartz (2007b), S. 148. Aktuelle Auflage: Mayring (2008a)). Außerdem sei auf das Lehrbuch von GLÄSER und LAUDEL (1998) verwiesen. In der anglizistischen Forschung hat sich der Begriff „content analysis“ durchgesetzt.
1050
Vgl. die Übersicht der gängigsten Definitionen in Mayring (2008a), S. 11-13.
1051
Vgl. dazu die Kap. C.2.2.2, C.2.2.3 und C.2.2.4.
1052
Vgl. Diekmann (2008), S. 580.
1053
Vgl. Mayring (2008a), S. 26-27.
203
Methoden der empirischen Untersuchung
4. Eine qualitative Inhaltsanalyse muss sich wie jede wissenschaftliche Methode anhand von Gütekriterien1054 überprüfen lassen. Auf das systematische Vorgehen und die Gütekriterien qualitativer Forschung wurde im methodologischen Teil dieser Arbeit (Kap. C.2.3) bereits ausführlich eingegangen. Nachfolgend werden das Kommunikationsmodell und die Konstruktion und Anwendung eines Kategoriensystems beschrieben.
Vorverständnis
Ein umfassendes Kommunikationsmodell ist in Abb. D-2 dargestellt. Die Abbildung zeigt die bei der Inhaltsanalyse für den Zweck der vorliegenden Untersuchung zu berücksichtigenden Parameter. Besondere Bedeutung erhalten die Rolle des Kommunikators, d. h. in diesem Fall des Interviewpartners und die des Autors als Inhaltsanalytiker.
emotionaler Hintergrund emotionaler Zustand Beziehung zu den Interagierenden emotionaler Bezug zum Gegenstand kognitiver Hintergrund Bedeutungshorizont Wissenshintergrund Erwartungen, Interessen, Einstellungen
Kommunikator
Gegenstand (Objektbereich)
Handlungshintergrund Intentionen, Pläne Machtressourcen bisherige Handlungen
Inhaltsanalytiker Fragestellungen Richtung der Analyse emotionaler Hintergrund kognitiver Hintergrund Handlungshintergrund
Sigmatik
Pragmatik
Text Syntax
Semantik
Abb. D-2: Inhaltsanalytisches Kommunikationsmodell Quelle:
Eigene Darstellung in enger Anlehnung an Mayring (2008a), S. 51.
Der Abbildung ist zu entnehmen, dass bei der Inhaltsanalyse der emotionale und kognitive Hintergrund sowie der Handlungshintergrund von Kommunikator und Inhaltsanalytiker zu beachten sind. Ebenso müssen das Vorverständnis und die Fra1054
Vgl. Kap. C.2.3.
204
Kap. D
gestellungen des Autors berücksichtigt werden. Außerdem sind in dem Kommunikationsmodell die Elemente des Textkontextes abgebildet, die in der Inhaltsanalyse Beachtung finden.1055 Der Gegenstand der Interviews ist mit dem Bereich des Handelsmarkenmanagements bei allen Interviews vorab festgelegt. Für die Analyse qualitativer Interviews stehen eine Reihe von Auswertungstechniken zur Auswahl.1056 ES werden in der Literatur je nach Forschungsziel Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung von Texten unterschieden:1057
Die Zusammenfassung reduziert das Textmaterial auf ein überschaubares Abbild. Dabei werden die wesentlichen Aussagen herausgearbeitet und auf einzelne Kategorien reduziert.
Im Rahmen der Explikation werden problematische Textstellen einer genaueren Bedeutungsanalyse unterzogen. Dies kann auch unter Rückgriff auf zusätzliches Material geschehen.
Die Strukturierung ist mit dem Ziel verbunden, mittels eines Kategoriensystems bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern.
Die Auswertungsstrategie dieser Arbeit beinhaltet eine Kombination aus der thematisch-strukturierenden Inhaltsanalyse nach MAYRING (2002)1058 und den methodologischen Grundsätzen der Grounded Theory. Sie postuliert somit einen offenen Charakter des theoretischen Vorverständnisses, verzichtet aber nicht auf explizite Vorannahmen und den Bezug auf bestehende Theorien.1059 Ausgangspunkt jeder Inhaltsanalyse ist die Bildung von Auswertungskategorien, die in Variablen gefasst und ihrerseits aus theoretischen Annahmen hergeleitet werden.1060 Das daraus entstehende Kategoriensystem legt diejenigen Aspekte fest, die aus dem Interviewmaterial herausgefiltert werden sollen. 1061 Die Bestimmung der Auswertungskategorien erfolgt zum einen deduktiv aus der Fragestellung und der im Leitfaden verwendeten Themenbereiche und zum anderen induktiv aus dem Auswertungsmaterial ohne expliziten Theoriebezug, d. h. durch intensives und wiederholtes
1055
Nonverbaler Textkontext fließt nur begrenzt in die Analyse mit ein (vgl. Kap. D.2.4).
1056
Vgl. Diekmann (2008), S. 607-613; Lamnek (2005), S. 478-546; Mayring (2008a), S. 42-99; Mayring (2008b), S. 471-473; Schmidt (2008), S. 447-456; Witzel (1982), S. 53-65.
1057
Vgl. Mayring (2002), S. 115-121.
1058
Vgl. Mayring (2002), S. 118-119; Mayring (2008a), S. 82-85. Siehe auch Lamnek (2005), S. 526527.
1059
Vgl. Kap. C.2.2.4.
1060
Vgl. Atteslander/Cromm (2008), S. 225. Vgl. zur Kategorienbildung ausführlich Diekmann (2008), S. 589-591; Glaser/Strauss (1967); Mayring (2002), S. 115-117; Witzel (1982), S. 108-111.
1061
Vgl. Mayring (2002), S. 114.
Methoden der empirischen Untersuchung
205
Lesen der vollständig transkribierten Interviews unter Einbeziehung der Interviewmemos.1062 Nach einem Teil des Materialdurchgangs, wenn kaum noch neue Kategorien gebildet werden können, wird das bisherige Kategoriensystem überarbeitet.1063 Je detaillierter das System ist, desto flexibler können die Daten ausgewertet werden, desto schwieriger gestaltet sich jedoch die Zuteilung der Kodierungen zu einzelnen Sinnabschnitten.1064 Die Auswertungskategorien werden abschließend zu einem Kodierleitfaden zusammengestellt.1065 Dieser enthält ausführliche Beschreibungen zu den einzelnen Kategorien und soll die einheitliche Kodierung des erhobenen Materials sicherstellen.1066 Weiteres wichtiges Element der qualitativen Inhaltsanalyse ist das Kodieren des Materials. Kodieren bedeutet, entsprechende Textpassagen eines Interviews einer Kategorie zuzuordnen, bzw. diese mit den im Kodierleitfaden definierten Codes zu versehen.1067 In der Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden in den vergebenen Codes liegt die hauptsächliche Interpretationsarbeit, die sich über den gesamten Forschungsprozess erstreckt. 1068 Auch in dieser Phase des Forschungsprozesses wird die Kombination von Induktion und Deduktion sowie die Verbindung von Offenheit und Strukturierung deutlich. Grundsätzlich wird zwischen thematischem und theoretischem Kodieren unterschieden. Thematisches Kodieren kommt im Rahmen von Fallanalysen zur Charakterisierung und Gruppenvergleichen zum Einsatz und ist auf Studien mit vorab festgelegten Vergleichsgruppen begrenzt.1069 Trotz des häufigen Einsatzes in qualitativen Studien entbehrt das thematische Kodieren zumeist jeglicher methodischer Begründungen und wird im Forschungsprozess von den Anwendern nicht näher beschrieben.1070 In der vorliegenden Arbeit wird der methodologischen Entscheidung für die Grounded Theory folgend die Methode des theoretischen Kodierens verwendet.1071 Diese 1062
Vgl. Schmidt (2008), S. 448-449.
1063
Vgl. Mayring (2002), S. 117.
1064
Vgl. Srnka/Koeszegi (2007), S. 37.
1065
Vgl. Crabtree/Miller (1999), S. 164; Lewin/Khan (1986), S. 284; Mayring (2002), S. 119.
1066
Vgl. Schmidt (2008), S. 451-452.
1067
Vgl. Kuckartz (2007b), S. 57. Zur Kodierung vgl. hier und im Folgenden auch Böhm (2008), S. 475-485; Crabtree/Miller (1999), S. 163-177; Diekmann (2008), S. 591-596; Flick (2007), S. 386-421.
1068
Vgl. Glaser (1978), S. 57 .
1069
Vgl. Flick (2007), S. 389; Lamnek (2005), S. 514-515.
1070
Vgl. Kuckartz (2007b), S. 83.
1071
Das theoretische Kodieren nimmt in der Grounded Theory nach CORBIN und STRAUSS (2008) einen zentralen Stellenwert ein (vgl. auch Lueger (2007), S. 192).
206
Kap. D
teilt sich nach CORBIN und STRAUSS (1998/2008) auf in offenes, axiales und selektives Kodieren.1072 Das offene Kodieren kann bereits in der Findungsphase der Kategorien in Form von „w-Fragen“ eingesetzt werden.1073 Beim offenen Kodieren nutzt der Forscher sein Hintergrundwissen über den untersuchten Bereich und verfasst kontinuierlich Memos, um Zwischenergebnisse festzuhalten.1074 Es stellt sich als induktiv gesteuerter Prozess dar, durch den Indikatoren für das untersuchte Phänomen gefunden werden sollen.1075 Die ersten Interviews sind daher vollständig zu transkribieren und zu analysieren, bevor weitere Interviews geführt werden. Durch das Kodieren können bereits in den ersten Interviews wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Führung und Transkription der folgenden Interviews gewonnen werden.1076 Ziel des axialen Kodierens ist es, Verbindungen von Kategorien herzustellen, Achsenkategorien zu identifizieren und auf diese Weise die Daten neu zusammen zu setzen.1077 Es richtet sich somit gezielt auf die Verfeinerung und Differenzierung schon vorhandener Konzepte und ihrer Beziehungen untereinander. 1078 Auf diese Weise kann der Analyseprozess eine abstraktere Ebene erreichen. In der Phase des selektiven Kodierens erfolgt die Interpretationsarbeit auf der Grundlage der bis dahin erarbeiteten Kategorien, Code-Notizen und Memos. Ziel ist die Identifikation einer Kernkategorie, die das zentrale Phänomen erfasst und sich formal durch vielfältige Relationen zu allen anderen wichtigeren Kategorien auszeichnet.1079 Der Grad der Verallgemeinerbarkeit einer so gewonnenen Theorie hängt von dem Abstraktionsniveau des Forschungsvorgehens ab.1080 Qualitative Inhaltsanalysen werden insbesondere bei großen Datenmengen wie im vorliegenden Fall nicht ohne den Einsatz von Software (QDA-Software) durchgeführt, da diese im Prozess der Datenanalyse und der Theorieentwicklung eine erhebliche 1072
Vgl. hier und im Folgenden Strauss/Corbin (1998) und Corbin/Strauss (2008). Die drei Kodierphasen werden sukzessive durchgeführt, es bestehen jedoch Interdependenzen zwischen den Phasen. Kommen neue Interviews hinzu, werden die Phasen erneut durchlaufen.
1073
Vgl. Böhm (2008), S. 477-478. Unter „w-Fragen“ sind nach BÖHM Fragen zu verstehen wie: „Was? – Welches Phänomen wird angesprochen“, „Wer? – Welche Rollen spielen die Akteure?“, „Warum? – Welche Begründungen werden angeführt?“ usw.
1074
Vgl. Corbin/Strauss (2008), S. 160-161.
1075
Vgl. Lueger (2007), S. 198.
1076
Vgl. Böhm (2008), S. 476. Auf die Unterscheidungsformen des offenen, axialen und selektiven Kodierens sei hier nicht weiter eingegangen, sondern auf die Ausführungen von Böhm (2008); Lueger (2007), S. 198-199; Strauss (1998) und Strauss/Corbin (1998) verwiesen.
1077
Vgl. zum axialen Kodieren die Ausführungen von Böhm (2008), S. 478-481 und Kuckartz (2007b), S. 75-76.
1078
Vgl. Corbin/Strauss (2008), S. 198. Sie verweisen darauf, dass die Unterscheidung in offenes Kodieren und axiales Kodieren nur didaktische Gründe hat, da beides auch gleichzeitig vorgenommen werden kann (vgl. Corbin/Strauss (2008), S. 198).
1079
Vgl. Böhm (2008), S. 482.
1080
Vgl. Böhm (2008), S. 483.
Methoden der empirischen Untersuchung
207
Unterstützung leisten kann.1081 Gegenwärtig existieren mehr als 20 unterschiedliche Programme, unter ihnen auch umfangreiche Softwarepakete wie ATLAS/ti, N-Vivo und MaxQDA, die sich jedoch nur wenig hinsichtlich ihrer methodisch bedeutsamen Funktionen unterscheiden.1082 Die Verwendung einer QDA-Software dient u. a. der Verwaltung von Texten mit schnellem Zugriff, dem Ordnen der Texte nach definierten Kriterien, der Definition von Kategorien und der Konstruktion eines Kategoriensystems sowie der Zuordnung der Codes zu einzelnen Textsequenzen.1083 Es wird deutlich, dass keine automatische Analyse möglich ist, sondern die genannten Funktionen nur Unterstützung für die intellektuelle Auswertungsarbeit bieten können. Die Einteilung und Strukturierung der Kategorien sowie die Kodierung der Texte wurde in der vorliegenden Arbeit mit der Textanalyse-Software MaxQDA 2007 vorgenommen. MaxQDA wurde ausgewählt, da es sich seit 20 Jahren in der EDVgestützten Textanalyse bewährt und im subjektiven Vergleich der unterschiedlichen Programme durch den Forscher als besonders benutzerfreundlich erwiesen hat. Alle Bestandteile eines Forschungsprojekts, d. h. alle Transkripte, Memos, Kategoriensysteme, Kodierungen und Visualisierungen, werden in einer Datei zusammengefasst. Ein weiterer Vorteil der Software besteht darin, dass sog. Sets sowohl auf Text- als auch auf Codeebene gebildet werden können. So kann der Forscher bspw. nur alle Händlerinterviews oder nur alle Herstellerinterviews einer bestimmten Branche in die Analyse einbeziehen. Die in MaxQDA kodierten Daten werden abschließend anhand eines ständigen Vergleichs der Textstellen und Kategorien interpretiert.1084 Die in der Literatur empfohlenen Memos mit Ideen und Gedanken zu Textstellen und Kategorien wurden direkt in MaxQDA an entsprechender Stelle vorgenommen. Das Kodieren erfolgte in oben beschriebener Weise und erstreckte sich über den gesamten Forschungszeitraum. Zunächst wurden für das Forschungsrätsel geeignete Kategorien aus der Literatur und dem Leitfaden abgeleitet und im Rahmen der Datendurchsicht in iterativen Schritten Kategorien hinzugefügt und umbenannt. Es bildeten sich Unterkategorien heraus, die zu neuen Kodierungen führten. Insgesamt wurden in den 53 Transkripten 3.608 Kodierungen vorgenommen, die sich auf 14 Hauptkategorien und 73 Unterkategorien aufteilen. Eine Übersicht der Kategorien und der Anzahl der jeweils in den Kategorien mit Codes versehenden Textstellen ist im Anhang abgedruckt.1085
1081
Vgl. Charmaz (2005), S. 520; Weitzman (2005), S. 817.
1082
Vgl. Kelle (2008), S. 486-487. Zur computergestützen Analyse qualitativer Daten vgl. ausführlich Kelle (2008); Kuckartz (2007b); Kuckartz (2007a).
1083
Vgl. Kuckartz (2007b), S. 12-13; Kuckartz (2007a), S. 717; Naderer (2007), S. 388.
1084
Vgl. hier und im Folgenden Glaser/Strauss/Paul (2005), S. 107-109.
1085
Vgl. Anhang Nr. 5 auf S. 443.
208
Kap. D
1.4
Zusammenfassung des Forschungsprozesses
Die vorgestellten Methoden zeichnen den Forschungsprozess vor, der sich von der Datenerhebung über Transkription und Kategorisierung bis hin zur softwareunterstützen Kodierung und Interpretation der Interviewtranskripte erstreckt. Dieser Forschungsprozess ist zusammenfassend in Abb. D-3 dargestellt. Die dritte und vierte Phase der Kategorisierung und Kodierung dürfen, wie im vorhergehenden Kapitel beschrieben, nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind ein sich abwechselnder und wiederholender Prozess, der das bereits erläuterte deduktiv-induktive Wechselspiel des Analyseprozesses einschließt. Das Ergebnis des Prozesses ist eine aus den Texten abgeleitete gegenstandsbezogene Theoriebildung.
Datenerhebung
Sekundärdatenrecherche und Führen der problemzentrierten Interviews
Transkription
Anfertigen der Interviewmemos und Verschriftlichung der Interviews
Kategorisierung
Entwicklung eines Kategoriensystems und Erstellen eines Kodierleitfadens
Kodierung
Zuteilung von Codes zu den einzelnen Sinnabschnitten
Interpretation
Text-Retrieval und komparative Analyse der untersuchten Branchen
gegenstandsbezogene Theoriebildung Æ Kap. E
Abb. D-3: Zusammenfassung des Forschungsprozesses Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Srnka/Koeszegi (2007), S. 35.
Die für das Forschungsdesign wichtigen Elemente, wie der verwendete Interviewleitfaden, die Auswahl der Interviewpartner sowie die Dokumentation der empirischen Daten werden im folgenden Kapitel mit Bezug auf die Stichprobe der Untersuchung ausführlich beschrieben.
209
Forschungsdesign der empirischen Untersuchung
2.
Forschungsdesign der empirischen Untersuchung
2.1
Interviewleitfaden
Die Interviews werden wie in Kap. D.1.3 beschrieben durch einen Leitfaden unterstützt, der während der Erhebung – insbesondere in der Anfangsphase – fortlaufend weiterentwickelt wird.1086 Der Interviewer entscheidet situativ, ob und wann er detailiert nachfragt und wann er den Ausführungen des Interviewten dem Prinzip der Offenheit folgend freien Lauf lässt oder aber bei Ausschweifungen wieder zum Leitfaden zurückkehrt.1087 Je nach Interviewverlauf können somit unter Berücksichtigung der inhaltlichen Schwerpunkte und der speziellen Bedürfnisse der Interviewpersonen die vorformulierten Fragen des Leitfadens situationsbezogen angepasst, und in ihrer Reihenfolge vertauscht werden.1088 Die Themenbereiche des verwendeten Interviewleitfadens sind in folgender Mind Map (Abb. D-4) dargestellt.1089
Marken-/ Handelsmarkenverständnis
Branchenbeschreibung und -entwicklung
Handelsmarken im Aufgabenbereich
Machtverhältnisse in der Branche
Interviewleitfaden
Markenführung bei Handelsmarken
Bedeutung der Handelsmarken
Aufgaben des Handelsmarkenmanagement
Hersteller-HandelsBeziehung
Industrielles Handelsmarkenmanagement
Abb. D-4: Mind Map der Themenbereiche des Interviewleitfadens Quelle:
Eigene Darstellung.
1086
Zur Konzeption von Interviewleitfäden vgl. Kurz et al. (2007), S. 471-472 und Witzel (1982), S. 90-91.
1087
Vgl. Flick (2000), S. 112-114 und Friebertshäuser (1997), S. 376-377.
1088
Vgl. Lamnek (2005), S. 346 und Mayring (2002), S. 65. MAYRING sieht in dieser Flexibilität eine besondere Stärke der qualitativen Forschung, da sie den Ergebnissen zu höherer Gegenstandsadäquanz verhilft.
1089
Ein vollständiger Interviewleitfaden der Erhebung ist beispielhaft im Anhang abgedruckt (vgl. Anhang Nr. 1 auf S. 433).
210
Kap. D
Inhaltlich wurde der Leitfaden im Verlauf der Erhebungsphase kontinuierlich weiterentwickelt und für die einzelnen Branchen sowie je nach Hersteller- oder Handelsperspektive leicht modifiziert. Für die unabhängigen Experten wurden die Unterfragen der Themenbereiche ebenfalls angepasst. Bei den in Abb. D-4 dargestellten Themenbereichen wurde seitens des Interviewers angestrebt, möglichst alle Themen anzusprechen, wenngleich die Befragten sehr unterschiedliche Schwerpunkte in den Interviews gesetzt haben. 2.2
Auswahl der Interviewpartner
Im Gegensatz zu der quantitativen Forschung steht bei der Stichprobenauswahl in der qualitativen Forschung nicht die statistische Repräsentativität im Vordergrund, sondern die Typisierung in Form der Relevanz und Repräsentation der untersuchten Subjekte.1090 Typisierung beschreibt die inhaltliche Ausdifferenzierung charakteristischer Merkmale eines komplexen Phänomens.1091 Das Prinzip der Typisierung findet sowohl bei der Sample-Auswahl als auch und insbesondere in der Auswertungsphase Anwendung.1092 Dies bedeutet hingegen nicht, dass im Umkehrschluss die Experteninterviews nicht zu verallgemeinerungsfähigen Erkenntnissen führen können. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgt so, dass die Ergebnisse auf andere Fälle übertragbar und in diesem Sinne generalisierbar sind.1093 In der Literatur wird eine Vielzahl von Kriterien diskutiert, die einen Expertenstatus im Sinne der qualitativen Forschung attestieren.1094 Bei der Auswahl der Experten stand der methodisch-relationale Ansatz im Vordergrund, d. h. die Befragten sind vor dem Hintergrund der Forschungsfrage als Experten zu bezeichnen. In Ergänzung zu diesem konstruktivistischen Expertenbegriff sind wissenssoziologische Aspekte hinzuziehen. Das bedeutet der Expertenstatus wird durch die spezifische Wissensstruktur der Befragten determiniert.1095 In Anlehnung an MEUSER und NAGEL soll ein Experte zumindest drei allgemeine Voraussetzungen erfüllen, die in Tab. D-1 dargestellt sind – ergänzt um die forschungsspezifischen Voraussetzungen der vorliegenden Untersuchung. 1096
1090
Vgl. Flick (2000), S. 57; Lamnek (2005), S. 384; Merkens (1997), S. 100.
1091
Vgl. Heimerl (2007), S. 394; Lamnek (2005), S. 186-187.
1092
Vgl. Kepper (1996), S. 23. Mit Bezug auf Fallstudienforschung vgl. Heimerl (2007), S. 394.
1093
Vgl. Friebertshäuser (1997), S. 373.
1094
Vgl. Bogner/Menz (2005a), S. 39-41; Merkens (1997), S. 97-99; Meuser/Nagel (2005a), S. 73; Meuser/Nagel (2005b), S. 260; Pfadenhauer (2007), S. 453-455; Schäfer (1995), S. 15.
1095
Vgl. Bogner/Menz (2005a), S. 41.
1096
Vgl. Meuser/Nagel (2005a), S. 73.
211
Forschungsdesign der empirischen Untersuchung
Allgemeine Voraussetzungen
Spezifische Voraussetzungen
Experten müssen langjährige Erfahrung im thematischen Umfeld des zu untersuchenden Bereiches haben.
Die Experten müssen mindestens über drei Jahre Erfahrung in einer leitenden Position mit Zuständigkeit für Handelsmarken bei einem Herstelleroder einem Handelsunternehmen verfügen.
Experten müssen über nicht allgemein zugängliches Wissen über das Forschungsgebiet verfügen.
Die Experten verfügen über Spezialwissen über Handelsmarken und das Handelsmarkenmanagement.
Experten müssen für Entwurf, Implementierung oder Kontrolle des Untersuchungsgegenstandes verantwortlich sein.
Die Experten haben oder hatten Verantwortung für die Planung, die Durchführung oder die Kontrolle der Ziele des Handelsmarkenmanagement.
Tab. D-1: Voraussetzungen für die Bestimmung der Experten Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Meuser/Nagel (2005a), S. 73.
Diese drei Voraussetzungen bilden zusammen die notwendigen Bedingungen für die Auswahl der zu befragenden Experten. Die hinreichende Bedingung stellt die tatsächliche Bereitschaft der ausgewählten Experten zu einem Interview dar. 1097 Insbesondere bei Interviewpartnern der obersten Führungsebene großer Unternehmen erwies sich die Terminfindung für ein Interviewgespräch zumeist als äußerst schwierig. Im Anschluss an jedes durchgeführte Interview stellt sich für den Forscher die Frage, wer ein weiterer Experte auf diesem Gebiet ist und welche neuen Aspekte dieser im Gespräch offenbaren kann, die andere Experten bisher nicht angesprochen haben. Die Befragten sollen zum einen über möglichst umfassendes spezifisches Wissen über Marken und Handelsmarken und zum anderen über zahlreiche eigene Erfahrungen im Bereich Handelsmarkenmanagement verfügen.1098 Des Weiteren ist es angezeigt, möglichst alle Perspektiven des Forschungsgegenstandes in die Befragung einzubeziehen. Zu den Befragten zählen daher neben Experten aus verschiedenen Funktionsbereichen in Hersteller- und Handelsunternehmen auch Vertreter aus dem Großhandel und Verbundgruppen sowie unabhängige Experten aus der Wissenschaft und Beratungspraxis.1099
1097
Vgl. Flick (2007), S. 21; Gläser/Laudel (2006), S. 113.
1098
Zur Auswahl geeigneter Interviewpartner vgl. z. B. Rubin/Rubin (2005), S. 64-70.
1099
Die Akquisition der Interviewpartner erfolgte zum einen über bestehende Kontakte, z. B. über Bekannte und Verwandte. Dies birgt die Gefahr in sich, dass das Bekanntschaftsverhältnis sich unter Umständen auf die Interviewsituation auswirken kann (vgl. Gläser/Laudel (2006), S. 113114). Der überwiegende Teil der Befragten wurde durch Anschreiben und telefonische Anfragen sowie über Kontakte der bereits Interviewten akquiriert, da diese meist über einen sehr guten Überblick über die handelnden Akteure im Forschungsfeld verfügen (vgl. Kurz et al. (2007), S. 468).
212
Kap. D
2.3
Beschreibung der Stichprobe
Alle Interviews wurden vom Autor persönlich als Face-to-face-Interview geführt.1100 Für die Qualität der Interviewergebnisse ist es wichtig, dass eine angenehme Gesprächsatmosphäre geschaffen wird und die Befragten das Gefühl haben, auch brisante Informationen preisgeben zu können.1101 Die Interviews fanden daher in einer für die Gesprächspartner vertrauten Umgebung statt, meist am Firmensitz der Befragten, im eigenen Büro oder in Konferenzräumen der entsprechenden Unternehmen.1102 Die insgesamt 53 Interviews wurden in der Zeit vom 27. Juli bis 12. Dezember 2008 geführt. Die Interviewlänge variiert zwischen 17 Minuten und 129 Minuten. Die durchschnittliche Interviewlänge beträgt 57 Minuten und 13 Sekunden (bei einer Standardabweichung von 18 Minuten und 42 Sekunden). Tab. D-2 gibt einen Überblick der geführten Interviews in den untersuchten Branchen.1103 Branche
Interviewpartner
Lebensmittelbranche
10 Hersteller 10 Händler 3 unabhängige Experten
Anzahl und Dauer
Bekleidungsbranche
DIY-Branche
3 Hersteller 8 Händler 1 Großhändler 1 Verbundgruppe 3 unabhängige Experten
4 Hersteller 4 Händler 3 Großhändler 2 Verbundgruppen 1 unabhängiger Experte
insgesamt 23 Interviews durchschnittliche Länge: 65 Minuten 52 Sekunden Standardabweichung: 18 Minuten, 7 Sekunden insgesamt 16 Interviews durchschnittliche Länge: 50 Minuten 21 Sekunden Standardabweichung: 11 Minuten, 15 Sekunden insgesamt 14 Interviews durchschnittliche Länge: 50 Minuten 49 Sekunden Standardabweichung: 21 Minuten, 30 Sekunden
Tab. D-2: Kurzübersicht der geführten Interviews Quelle:
Eigene Darstellung.
1100
Insbesondere bei qualitativen Interviews ist das persönliche Engagement und die unmittelbare Präsenz des Interviewers gefordert. Telefoninterviews scheiden wegen ihres unpersönlichen und anonymen Charakters in der Regel aus, da sie den Intentionen qualitativer Forschung nicht gerecht werden (vgl. Lamnek (2005), S. 346). Andere Autoren weisen darüber hinaus auf die zeitliche Begrenzung und die Beschränkung der Komplexität der Fragestellungen hin (vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2006), S. 110). Auf telefonische Interviews wurde daher verzichtet.
1101
Vgl. Hermanns (2008), S. 367 und Rubin/Rubin (2005), S. 36.
1102
Zur Interviewsituation und zu Einflüssen während des Interviews vgl. Diekmann (2008), S. 466470; Hermanns (2008), S. 360-368 und Lamnek (2005), S. 396-401.
1103
Für eine ausführliche Übersicht aller Interviews siehe Anhang Nr. 4 aus S. 306. Eine kurze Interviewdauer war zumeist dem engen Terminplan des Interviewten geschuldet.
Forschungsdesign der empirischen Untersuchung
213
Für die Akquise der 53 Interviewpartner wurden insgesamt 81 Firmenvertreter kontaktiert. Dies entspricht einer Response-Rate von 65,4 Prozent. Die Gesprächspartner kommen grundsätzlich aus unterschiedlichen Unternehmen. In jeder Branche wurden indes zur Datentriangulation bei zwei Unternehmen jeweils zwei Vertreter aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen bzw. Hierarchiestufen befragt. Abgesehen von den unabhängigen Experten stammen die Befragten überwiegend aus der Vorstands- bzw. Geschäftsführungsebene, einige aus der Abteilungsleitungsebene. Entsprechend ihrer Marktstruktur und -größe 1104 wurden in den drei untersuchten Branchen unterschiedlich viele Interviews in den verschiedenen Bezugsgruppen geführt. In der Lebensmittelbranche, die in Deutschland 2007 mehr als ein Drittel der privaten Nachfrage und damit mehr als drei mal so viel wie die Bekleidungsbranche oder die DIY-Branche ausmacht, wurden je zehn Hersteller und Händler sowie drei unabhängige Experten aus den Bereichen handelsnahe Dienstleistungen und Unternehmensberatung befragt. In der Bekleidungsbranche gibt es nur noch sehr wenige deutsche Hersteller, die Kleidung selbst produzieren. Viele beschaffen ihre Ware weltweit über sog. Contract Manufacturing.1105 Drei Repräsentanten aus Herstellerunternehmen konnten dennoch für ein Interview gewonnen werden. Neben acht Händlern wurden außerdem Geschäftsführer einer Verbundgruppenzentrale und eines Großhändlers sowie ebenfalls drei unabhängige Experten befragt. Die DIYBranche ist stark von Großhändlern und Verbundgruppen geprägt, daher wurden drei Vertreter aus dem Großhandel und zwei Vertreter unterschiedlicher Verbundgruppen befragt. Neben vier Händlern und vier Herstellern konnte zudem ein unabhängiger Experte interviewt werden. Zur Visualisierung der unterschiedlichen Themenschwerpunkte in den Gesprächen lassen sich z. B. sog. Word Clouds oder Tag Clouds1106 verwenden. Tag Clouds – in deutschen Texten auch als Stichwortwolke oder Schlagwortwolke bezeichnet – dienen hauptsächlich der Komplexitätsreduzierung und Informationsvisualisierung von Textmaterial in Weblogs und auf Homepages.1107 Die Stichwörter werden nach der Häufigkeit ihrer Verwendung im ausgewählten Textmaterial unterschiedlich groß dargestellt. Tag Clouds werden im Internet daher häufig zur Unterstützung von Stichwortsuchen eingesetzt. Von Benutzern häufig eingegebene Stichwörter sind größer abgebildet und erleichtern den Internetseitenbesuchern die eigene Suche. Die Technik lässt sich auf jede andere Textform übertragen. Abb. D-5 zeigt eine Tag Cloud des Transkriptes eines Herstellers aus der Lebensmittelbranche, Abb. D-6 die des
1104
Vgl. die Marktzahlen in Kap. D.1.1 auf S. 193.
1105
Vgl. McKone/Tumolo (2002), S. 64-65.
1106
Vgl. Appelo (2008); Bulik/Klaassen (2006); Sinclair/Cardew-Hall (2008).
1107
Vgl. Sinclair/Cardew-Hall (2008), S. 18.
214
Kap. D
Transkriptes eines Textilhändlers. Es sind beispielhaft die jeweils 50 am häufigsten verwendeten Begriffe dargestellt. 1108
Abb. D-5: Tag Cloud eines Herstellerinterviews aus der Lebensmittelbranche Quelle:
Eigene Darstellung unter Verwendung von Wordle (www.wordle.net).
Abb. D-6: Tag Cloud eines Händlerinterviews aus der Bekleidungsbranche Quelle:
1108
Eigene Darstellung unter Verwendung von Wordle (www.wordle.net).
Die Erstellung der Tag Clouds erfolgte mit der Software Wordle. Die Transkripte wurden zuvor um häufig verwendete allgemeine Begriffe der deutschen Sprache sowie Füllwörter bereinigt. Die Anordnung der Wörter ist zufällig durch die Software bestimmt und hat keine Aussage.
Forschungsdesign der empirischen Untersuchung
215
Die Ergebnisse sind insofern kontraintuitiv, als dass der Lebensmittelhersteller häufig Handelsunternehmen nennt sowie die Begriffe „Handelsmarke“, „Händler“, und „Handel“ besonders häufig verwendet, während der Bekleidungshändler hingegen fast ausschließlich Herstellerunternehmen erwähnt und die Begriffe „Hersteller“, „Macht“ und „Konkurrenz“ recht häufig genutzt. Der Begriff „Handelsmarke“ bzw. „Private Label“ wird von ihm recht wenig verwendet. Die hier gezeigten Beispiele dienen jedoch nicht der Auswertung, sondern sollen den unterschiedlichen Charakter der Interviews trotz gleicher Themenbereiche im Leitfaden veranschaulichen. 2.4
Dokumentation der empirischen Daten
Als Primärdatenquellen der empirischen Untersuchung sind zusätzlich zu den Transskripten zu jedem Expertengespräch Interviewmemos angefertigt worden. Vor den Interviews unterzeichneten alle Interviewpartnern eine schriftliche Genehmigung zur digitalen Aufzeichnung, Transkription und zur Verwendung des Interviewmaterials. Jedem Interviewpartner wurde im Gegenzug schriftlich zugesichert, dass die jeweiligen Ausführungen streng vertraulich behandelt, die Tonaufzeichnungen im Anschluss an die Arbeit gelöscht und die verschrifteten Interviews nur auszugsweise und ohne Rückschlussmöglichkeiten auf den Interviewten oder seinen unternehmensbezogenen Kontext zitiert werden.1109 Die Transkripte umfassen die vollständige und direkte Verschriftlichung aufgezeichneter Experteninterviews.1110 Alle 53 geführten Interviews wurden digital aufgenommen und in Volltext transkribiert.1111 Zum Teil wurde diese Aufgabe durch externe Hilfskräfte übernommen.1112 Alle nicht vom Autor persönlich transkribierten Interviews wurden in einem zweiten Schritt mit der Aufnahme abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert. Bei der Transkription respektive der Korrektur der nicht vom Autor selbst durchgeführten Verschriftlichungen richtete sich der Detailgrad der Transskripte an der angestrebten Interpretation der Interviews aus. Neben dem reinen, teilweise ge-
1109
Eine Mustervorlage der Einverständniserklärung findet sich in Anhang Nr. 2 auf S. 439.
1110
Zur Transkription von Gesprächen vgl. Kowal/O'Connell (2008), S. 437-447; Kowal/O'Connell (2003), S. 96-99; Rubin/Rubin (2005), S. 203-206; Wittkowski (1994), S. 40-41 sowie ausführlich Edwards/Lampert (1993); Höld (2007); Kuckartz (2007b), S. 37-46.
1111
Die vollständige Aufzeichnung von Experteninterviews wird in der Literatur einstimmig als zwingend angesehen. Dies hat während des Interviews den Vorteil, dass sich der Interviewer auf das Gespräch statt auf seine Mitschriften konzentrieren kann (vgl. z. B. Brenner (1985), S. 147; Hermanns (2008), S. 362; Wittkowski (1994), S. 39). Es dient jedoch vor allem der Eigen- wie Fremdkontrolle des tatsächlich Gesagten und den eigenen Einschätzungen und Interpretationen des Originalmaterials (vgl. Liebold/Trinczek (2002), S. 48).
1112
Eine dem Zeitaufwand geschuldete selektive Transkription oder die Reduktion des Interviewmaterials durch Paraphrasierung von ausschließlich inhaltstragenden Textstellen konnte so vermieden werden. Zur Datenreduktion im Rahmen der Inhaltsanalyse vgl. z. B. Mayring (2008a), S. 5976 und Höld (2007), S. 658-663.
216
Kap. D
glätteten gesprochenen Text wurden daher nur lange Pausen und besondere Betonungen der Interviewpartner im Transkript kenntlich gemacht. 1113 Da der Autor allen Befragten die vollständige Anonymisierung der Daten zugesichert hat, wird zur Zitation des Interviewmaterials folgende Systematik eingeführt: In allen Zitatationsangaben der Transkripte steht das erste Kürzel für die Branchenzugehörigkeit: LEH für die Lebensmittelbranche, TEX für Textil, Bekleidung Schuhe und DIY für Do-it-Yourself und Baubedarf. Das zweite Kürzel weist den Interviewten als Händler (HA), Großhändler (GH), Hersteller (HE), unabhängiger Experte (UE) oder als Mitarbeiter einer Verbundgruppenzentrale (VG) aus. Die letzten beiden Ziffern zeigen die laufende Nummer des Interviews innerhalb einer Branche an. Angegeben ist neben diesen Zitationskürzeln auch die jeweilige Absatznummer im Transkript.1114 In den Interviewmemos 1115 wurden direkt nach jedem Interview Erfahrungen und Gesprächseinflüsse, wie der Ort des Interviews, die Beziehung zwischen den beiden Kommunikanten, der Gesprächsverlauf, Störungen des Interviewverlaufes sowie weitere Besonderheiten handschriftlich durch den Interviewer festgehalten. 1116 WITZEL (1982) verwendet dafür den Begriff „Postkommunikationsbeschreibungen“ und weist darauf hin, dass diese im Rahmen problemzentrierter Interviews einen wichtigen Beitrag leisten können, einzelne Gesprächspassagen besser zu verstehen und auszulegen.1117 Die Interviewmemos stellen somit Feldnotizen der reflektierenden Beobachtung des Interviews dar und dienen bspw. dazu, nicht geplante Einflüsse, die das Gespräch verändert haben könnten, festzuhalten, um diese beim Auswertungsprozess zu berücksichtigen und die Plausibilität der Antworten sowie gegebenenfalls auftretende Widersprüche besser einschätzen zu können.1118
1113
Die Glättung des Textes schließt keineswegs Kürzungen oder Verfälschungen des Inhalts mit ein, sondern bezieht sich allein auf Wort- bzw. Satzteilwiederholungen und Diskurspartikel. Bei der Interpretation der Texte und der Zitation der Textpassagen wirken die Wiederholungen und Diskurspartikel störend und lenken vom Sinn des Gesagten unverhältnismäßig stark ab. Zu den Transkriptionstechniken vgl. Höld (2007), S. 658-665; Kowal/O'Connell (2008), S. 440-445; Kuckartz (2007b), S. 37-46 und Mayring (2002), S. 89-94.
1114
Bspw. bedeutet „TEX_HE_12, Abs. 4“ dementsprechend der vierte Absatz im 12. Interview in der Textilbranche, wobei der Interviewte Vertreter eines Herstellerunternehmens ist. Eine ausführliche Übersicht aller geführten Interviews ist im Anhang Nr. 4 auf S. 330 dargestellt.
1115
Vgl. zum Einsatz von Memos in der qualitativen Sozialforschung Glaser/Strauss/Paul (2005), S. 113; Kuckartz (2007b), S. 131-143 sowie Maxwell (2007), S. 37-41.
1116
Vor allem in den ersten Gesprächen wurden in den Memos auch Ideen zur Arbeit und zur Weiterentwicklung des Leitfadens festgehalten, z. B. zur Dramaturgie der Fragen.
1117
Vgl. Witzel (1982), S. 92-93.
1118
Vgl. Gläser/Laudel (2006), S. 187. Ein Muster der Interviewmemos findet sich im Anhang Nr. 3 auf S. 440.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
3.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
3.1
Besonderheiten des Handelssektors
3.1.1
Konzentrationsentwicklungen im Handel
217
Infolge zunehmend fehlender Grenzen für Kommunikation, Warenströme und Konsumentenbewegungen, europaweit geltender Regulierungen, internationaler Zusammenschlüsse und Übernahmen sowie wenig differenzierter Konzernstrategien nähern sich die Einzelhandelsstrukturen immer stärker an, wenngleich sich zwischen den europäischen Strukturen weiterhin Unterschiede in Bezug auf Konzentrationsgrad, Internationalisierung, Beschäftigungsstruktur und Geschäftsdichte feststellen lassen.1119 Ausgehend von einer ursprünglich zersplitterten, mehrstufigen und durch Kleinbetriebe gekennzeichneten Handelslandschaft, lassen sich in Deutschland fünf Konzentrationstreiber im Handel identifizieren, die durch ihr komplexes Zusammenwirken zu einer horizontalen Verengung und gleichzeitig zu einer vertikalen Verknüpfung des Distributionssektors geführt haben.1120 Erstens führt die überdurchschnittlich starke horizontale Unternehmenskonzentration auf der Groß- und Einzelhandelsstufe zu einer kontinuierlichen Abnahme der Anzahl kleiner, unabhängiger Betriebe. 1121 Der Marktanteil der fünf größten deutschen Lebensmittelhändler beträgt im Jahr 1980 26,3 Prozent, 1990 44,7 Prozent, 2000 62,6 Prozent und 2006 69,4 Prozent.1122 In der Bekleidungs-1123 und der DIYBranche1124 sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten. Das Verbot der vertikalen Preisbindung beschleunigt das Ausscheiden der weniger konkurrenzfähigen Einzelhändler und begünstigt damit zusätzlich den Konzentrationsprozess. Mehr als 30 Jahre nach dem Verbot der vertikalen Preisbindung ist es zwar schwierig, einen unmittelbaren Wirkungszusammenhang zwischen Preiswettbewerb und Konzentration im Einzelhandel sowie dem Verbot der Preisbindung nachzuweisen, dennoch ist hier ein enger Bezug zu dem Aufstieg der Discounter zu vermuten.1125
1119
Vgl. Rudolph/Potz/Bahn (2005), S. 35-38. Zur Machtkonzentration im Konsumgüterhandel vgl. auch Ahlert/Kenning (2007), S. 15-17; Ahlert/Schröder (1999), S. 253-255.
1120
Vgl. Borchert (2001), S. 9.
1121
Zu einer früheren Situationsdarstellung vgl. Ahlert et al. (1988).
1122
Vgl. M+M Eurodata, zitiert nach Metro Group (Hrsg.) (2007), S. 21. Laut einer Prognose der Metro Group werden 2010 die Top Fünf voraussichtlich knapp drei Viertel des Branchenumsatzes auf sich vereinen.
1123
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 49-52; BBE-Unternehmensberatung (Hrsg.) (2005), S. 39; Engmann (2008), S. 131-134.
1124
Vgl. Lehmann/Ziegfeld (2007), S. 3. Die DIY-Branche in Deutschland weist bisher im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nur eine geringe Konzentration auf, es lassen sich jedoch deutliche Tendenzen erkennen (siehe Kap. D.3.2.1).
1125
Vgl. Seul (2006), S. 59.
218
Kap. D
Den zweiten Konzentrationstreiber stellen horizontale Kooperationsformen dar. Als Gegengewicht zu den Großunternehmungen, darunter Aldi, Metro oder die Schwarz Gruppe, schlossen sich viele kleinere Einzelhändler zu Einkaufskontoren, freiwillig kooperierenden Ketten und Einkaufsgenossenschaften zusammen. Diese sind anfangs nur auf die Beschaffungsseite ausgelegt.1126 Heute geben sie, wie Rewe und Edeka für den deutschen LEH zeigen, ein sehr einheitliches Bild nach außen ab und haben die Kooperation auf gemeinsame Betriebstypenmarken, gemeinsame Handelsmarken, gemeinsame Werbung und einheitliche Ausgestaltung der Geschäfte und Sortimente ausgeweitet. Drittens ist die Entwicklung im deutschen Handel durch zunehmende vertikale Integration gekennzeichnet. Die großen Handelsunternehmen und die Zentralen der kooperierenden Systeme übernehmen das gesamte Spektrum der Großhandelsfunktionen.1127 Im Bereich der Handelsmarken greifen Handelsunternehmen, wie Zara in der Bekleidungsbranche, häufig auf eigene Lieferanten und Produktionsstätten zurück. Als vierter Treiber des Konzentrationsprozesses ist die fortschreitende Internationalisierung inländischer und ausländischer Handelsunternehmen zu beobachten. Ein Markteintritt in fremde Länder geschieht meist durch Zukauf angeschlagener nationaler Handelsunternehmen, die bspw. für eine globale Beschaffung nicht die notwendige Betriebsgröße aufweisen.1128 Neben diesen vier äußeren Dimensionen der Konzentration tritt als fünfte die Zentralisierung innerhalb der Systeme hinzu. Vor allem in den kooperativen Systemen kommt es zu interner Straffung und Konzentrationsprozessen, z. B. durch Zusammenschlüsse und Nationalisierung ursprünglich regional operierender Gruppen.1129 Einige von ihnen, wie Rewe und Edeka, treten z. B. in Bezug auf Kommunikationsmaßnahmen, Sortimentsstruktur und Geschäftsstätteneinrichtung nach außen wie ein Filialnetz auf. Auf der Herstellerseite lässt sich ebenfalls horizontale Konzentration durch Übernahmen und Fusionen feststellen, die teilweise durch Internationalisierungsbestrebungen ausländischer Konzerne verstärkt wird. Auch bei den Herstellern ist eine zunehmende Vertikalisierung zu beobachten. Als Vorwärtsintegration ist diese wiede1126
Von den kooperierenden Handelssystemen sind heute vor allem die Markant-Gruppe, die EdekaGruppe und die Rewe-Gruppe mit Brutto-Außenumsätzen (Food und Nonfood) von 42.467 (Markant), 41.591 (Edeka) bzw. 36.354 Mio. Euro (Rewe) im Jahr 2007 (vgl. Trade Dimensions 2008, zitiert nach www.markant-gmbh.de) von Bedeutung. Auf internationaler Ebene sind Einkaufskooperationen wie Alidis/Agenor (u. a. Edeka und ITM), Coopernic (u. a. Rewe und Coop Schweiz) und EMD (u. a. Markant und Kaufland) zu nennen.
1127
Vgl. Borchert (2001), S. 12.
1128
Vgl. Borchert (2001), S. 12.
1129
Vgl. Borchert (2001), S. 13.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
219
rum in der Bekleidungsbranche sehr ausgeprägt.1130 Im Lebensmittelhandel sind hingegen nur vereinzelt Unternehmen wie Tchibo zu nennen, die neben bewirtschafteten Flächen in Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern auch eigene Filialen zum Verkauf ihrer Produkte aufgebaut haben. 3.1.2
Aktuelle Situation im deutschen Einzelhandel
Der Einzelhandel ist derzeit stark durch die Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt. Die finanzwirtschaftliche Krise hat sich auf die Realwirtschaft ausgeweitet, das stagnierende Bruttosozialprodukt sowie gestiegene Lebenshaltungskosten aufgrund wachsender Energie- und Rohstoffpreise führen zu einer Zurückhaltung der Konsumausgaben und begünstigen die Entwicklung der Handelsmarken. Der wachsende Verdrängungswettbewerb aufgrund hoher Überkapazitäten bei gleichzeitig stagnierendem Marktvolumen wird in fast allen Konsumgütermärkten vornehmlich über den Preis geführt.1131 Hinzu kommt die fortschreitende Globalisierung der Märkte und des damit einhergehenden weltweiten Wettbewerbs. In der Folge importieren zunehmend Handelsunternehmen Produkte aus Niedriglohnländern mit vergleichbarer Qualität in etablierte Märkten und ziehen die dort ansässigen Hersteller und Handelsunternehmen in extrem starke, teilweise existenzbedrohende Preisauseinandersetzungen hinein.1132 Die Einzelhandelsumsätze in Deutschland steigen von 395,8 Mrd. Euro im Jahr 2007 um 1,5 Prozent auf 401,7 Mrd. Euro im Jahr 2008, nach einem Rückgang von 2 Prozent im Vorjahr.1133 Die Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel sinken im Zeitraum von 1997 bis 2007 von 15,4 kontinuierlich auf 14,5 Prozent ab. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch in der Bekleidungsbranche ab, im gleichen Zeitraum sinken hier die Konsumausgaben von 6,4 auf 5,3 Prozent. Eine Zunahme ist vor allem bei den Ausgaben für Wohnung, Wasser, Strom, Gas und andere Brennstoffe (von 23,3 auf 24,4 Prozent) zu verzeichnen; dies ist in erster Linie auf gestiegene Energiekosten zurückzuführen.1134 Die deutsche Handelslandschaft hat sich in den vergangenen 15 Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit vom Einzelfachhandel, traditionellen Lebensmittelgeschäften sowie Kauf- und Warenhäusern hin zu Fachmärkten, Discountern und SB-
1130
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 63.
1131
Vgl. Ahlert/Kenning (2007), S. 233; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 481.
1132
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 481. Einen guten Überblick über die grundlegenden Entwicklungen in den Handelssektoren liefert Täger (2006), S. 94-106.
1133
Vgl. Statistisches Bundesamt 2009 (www.destatis.de).
1134
Vgl. zu den genannten Daten BBE unter Bezugnahme auf das Statistische Bundesamt, zitiert nach Eichholz-Klein (2008), S. 12.
220
Kap. D
Warenhäusern entwickelt.1135 Immer weniger selbständige Einzelhändler stehen zunehmend größeren Systemanbietern gegenüber. Insbesondere diskontierende Handelsformate zeigen sich in der Lage, aufgrund hoher Abnahmemengen bei der Industrie eine konstante und mit Markenartikeln vergleichbare Qualität anzubieten. Hinzu kommt ein Imagewandel vom „[…] leicht schmuddeligen ‚Billigheimer‘ zum bedarfsgerechten Nahversorger“1136. Die daraus resultierende Reputation der Discounter ist ein Grund für deren Marktanteilsgewinne und den damit verbundenen steigenden Marktanteil der Handelsmarken. Neben dem starken Vormarsch der diskontierenden Vertriebsformate und den Konzentrationstendenzen führen vor allem erhebliche Überkapazitäten an Verkaufsfläche zu den geringen Renditen im deutschen Handel.1137 Im Zeitraum von 1997 bis 2007 erhöht sich die Einzelhandelsfläche von 95 auf 119 Mio. Quadratmeter. Die Bevölkerungszahl ist 2007 mit 82,22 Mio. Einwohnern im Vergleich zu 1997 (82,06 Mio.) fast konstant geblieben. Die Einzelhandelsfläche stieg in diesem Zeitraum somit um 25 Prozent – von 1,16 auf 1,45 Quadratmeter pro Einwohner. In der Betrachtung der marktrelevanten Veränderungen der Hersteller-HandelsBeziehung kann insgesamt neben einer Verschiebung der Machtverhältnisse durch die beschriebenen Konzentrationsprozesse auch ein Zugewinn an Know-how auf Seiten des Handels konstatiert werden. Die fortschreitende Verbreitung von ScannerKassen und die auf diesem Wege gewonnenen Daten des Konsumentenverhaltens versetzen die Handelsunternehmen gegenüber den Herstellern potenziell in die Rolle eines Informationsmonopolisten betreffend den PoS und ermöglichen ihnen zunehmend die Marketingführerschaft in der Wertschöpfungskette.1138 Zusätzlich werben sie Markenspezialisten bei führenden Markenartikelherstellern zur Umsetzung ihrer Handelsmarkenstrategien ab.1139 Wie sich die Konzentrationsprozesse und die gegenwärtige Situation im Einzelhandel auf das Handelsmarkenmanagement und die Beziehungen zwischen Herstellern und Handelsunternehmen auswirken, wird anhand der Auswertungen der Experteninterviews empirisch untersucht. Die drei Branchenfallstudien werden ihrer Größe nach aufsteigend vorgestellt. Die erste Branchenfallstudie befasst sich mit dem DIYBereich, die zweite mit der Bekleidungsbranche und die dritte mit der Lebensmittelbranche. Den jeweiligen Beschreibungen der Branche schließt sich nach der Darstellung der wichtigsten Strukturdaten eine Brancheneinschätzung durch die befragten Experten an. 1135
Vgl. Eichholz-Klein (2008), S. 12.
1136
Twardawa (2006), S. 379.
1137
Vgl. Schwarz-Musch (2004), S. 122.
1138
Vgl. Ahlert (1996), S. 110-111; Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 26.
1139
Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 244.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
3.2
Fallstudie 1: Do-it-yourself-Branche
3.2.1
Branchenüberblick Do-it-yourself- und Baubedarf
221
Im Jahr 2007 wird in der DIY-Branche ein Gesamtumsatz von 38,31 Mrd. Euro erwirtschaftet.1140 Fast 40 Prozent des Umsatzes entfallen auf die Heimwerker-, Bauund Gartenfachmärkte mit mindestens 1.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Den verbleibenden Umsatzanteil teilen sich andere Betriebsformen wie der organisierte Baustoffhandel, mittelständische Baumärkte, der Holzeinzelhandel oder unabhängige Gartencenter. 1141 Die Entwicklung der deutschen Branchenumsätze in den Jahren 2000 bis 2007 ist in Abb. D-7 dargestellt.
Abb. D-7: DIY-Branchen-Umsätze 2000-2007 in Deutschland in Mrd. Euro Quelle:
BHB, GfK, BDB, BD Holz, zitiert nach BHB (www.heimwerkerverband.de).
Nach einer guten Entwicklung ab 2002 und einem sprunghaften Anstieg der Umsätze von 5,2 Prozent im Jahr 2006 ist der Branchenumsatz 2007 wieder leicht gesunken. Wesentliche Gründe für den Umsatzrückgang im Jahr 2007 i. H. v. 1,84 Prozent gegenüber dem Vorjahr sehen Branchenexperten neben den allgemeinen wirtschaftli-
1140
Zu den Zahlenangaben vgl. hier und im Folgenden die Internetseiten des Bundesverbandes Deutscher Heimwerker-, Bau- und Gartenfachmärkte e.V. (www.heimwerkerverband.de) und des DIY-Branchenmagazins „diy“ (www.diyonline.de).
1141
In diesen Daten sind nicht die Vertriebswege Internet oder der Verkauf von DIY-Artikeln in den Discountern enthalten. Für eine genaue Aufteilung der Marktanteile 2005 und eine Prognose für 2010 siehe Abb. D-8 auf S. 222.
222
Kap. D
chen Entwicklungen1142 im Wegfall der Eigenheimzulage.1143 Ein Vergleich mit anderen EU-Ländern zeigt, dass der deutsche DIY-Markt vor Großbritannien (23,8 Mrd. Euro) und Frankreich (21,5 Mrd. Euro) mit Abstand der umsatzstärkste in Europa ist. Die Verkaufserlöse in Deutschland verteilen sich aufgrund der im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern stark fragmentierten Branche auf viele einzelne, teilweise regionale Unternehmen. Während in Großbritannien und Frankreich die fünf größten Baumärkte bereits 2004 einen Marktanteil von 92 Prozent bzw. 82 Prozent aufweisen, nehmen die fünf umsatzstärksten Baumarktunternehmen in Deutschland 2004 nur ein Drittel und 2007 nur knapp 50 Prozent des Gesamtmarktes ein.1144 Die zehn größten deutschen Unternehmen der DIY-Branche – gemessen am Bruttoumsatz – sind in Tab. D-3 dargestellt.
Rang Unternehmen
Betriebstypenmarke (Typ)
Anzahl der Filialen
Verkaufsfläche
BruttoUmsatz in Mio. Euro
1.
Tengelmann
OBI (Filialist, Franchise)
512
3.403
5.800
2.
Praktiker
Praktiker, Extra Bau& Hobby, Max Bahr, Max (Filialist, Franchise)
468
2.810
4.618
3.
Bauhaus
Bauhaus (Filialist)
190
1.720
3.063
4.
Hornbach
Hornbach (Filialist)
122
1.385
2.910
5.
Zeus
Hagebau, Knauber, Leitermann, Werkmarkt (Kooperation)
702
1.916
2.450
6.
Rewe
Toom, B1 (Filialist, Kooperation)
380
2.262
1.667
7.
Globus
Globus, Hela (Filialist)
96
744
1.327
8.
Eurobaustoff
(Kooperation)
351
418
824
9.
BayWa
(Filialist, Franchise)
381
493
683
Poco/Domäne
Poco Domäne (Filialist)
69
315
668
10.
Tab. D-3: Die zehn größten Handelsunternehmen der DIY-Branche 2007 nach Brutto-Umsatz Quelle:
Sekundärquelle [10], S. 42-43. Alle Zahlen beziehen sich auf 2007 (inklusive Ausland).
1142
Vgl. Kap. D.3.1.2.
1143
Vgl. Sekundärquelle [10], S. 42.
1144
Vgl. Sekundärquelle [11], S. 7 und für 2007 eigene Berechnungen (siehe Tab. D-3).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
223
Aufgrund des verstärkten Wettbewerbs haben sich in den vergangenen Jahren die Umsatzrenditen verringert und die Flächenproduktivität als Quotient aus Umsatz und Verkaufsfläche ist stark rückläufig.1145 Die Größe der Verkaufsfläche ist derart gestiegen, dass nur noch eine Flächenproduktivität von 1.500 Euro, im Vergleich zu 2.250 Euro pro Quadratmeter im Jahr 1985, erreicht wird.1146 Der deutsche Markt ist heute mit über 5.010 Baumärken bereits mehr als gesättigt, dennoch werden weiter neue Märkte eröffnet.1147 Vor diesem Hintergrund steigt der Druck auf die Unternehmen zunehmend und in den nächsten Jahren werden weitere Konsolidierungen erwartet.1148 Beispielhaft für die Konzentration in der DIY-Branche sind die Übernahmen von Max Bahr durch Praktiker, Marktkauf durch Toom sowie Distributa durch Globus. Abb. D-8 veranschaulicht die Marktanteile der Betriebsformen innerhalb der DIY-Branche für 2005 und als Prognose für 2010.
Abb. D-8: Marktanteile der Betriebsformen der Do-it-yourself-Branche 2005 und 2010 in Prozent Quelle:
BBE Retail Experts zitiert nach Kurtz/Mett/Ritter (2008), S. 63, (* 2010: Prognose).
Die sonstigen Anbieter, überwiegend Handwerksbetriebe, decken mit 59,1 Prozent mehr als die Hälfte des Marktes ab. Neben dem Fachhandel übernehmen die Bau1145
Vgl. Schommer et al. (2004), S. 4.
1146
Vgl. Schommer et al. (2004), S. 4.
1147
Vgl. Kreimer/Acar/Vogell (2006), S. 66. Die ersten Baumärkte wurden in Deutschland 1960 eröffnet. 1970 waren es bereits 100 und 1977 mehr als 400 Verkaufsoutlets (vgl. Sekundärquelle [12], S. 3).
1148
Vgl. Schlautmann (2008), S. 15.
224
Kap. D
märkte mit einem Marktanteil von 17,6 Prozent eine tragende Rolle in der DIYBranche. Auf SB-Warenhäuser, Verbrauchermärkte und Versender entfallen hingegen zusammen 4,2 Prozent des Marktes. Die Aufteilung der Branche in die verschiedenen Warengruppen veranschaulicht Abb. D-9 für die Jahre 2005, 2006 und 2010 (Prognose). Einzige Warengruppe, der eine deutlich positive Entwicklung vorausgesagt wird, ist der Bereich Elektro-Installation.
Abb. D-9: Warengruppenanteile im Bereich Do-It-Yourself 2005, 2006 und 2010 Quelle:
BBE Retail Experts zitiert nach Kurtz/Mett/Ritter (2008), S. 63 (* 2010: Prognose).
In den Baumärkten lassen sich mittlerweile neben dem traditionellen Baumarktsortiment und dem Gartencenter auch Kleinmöbel, Bastelartikel sowie Dienstleistungen, z. B. Schlüsseldienste, finden.1149 Viele Kunden sind mit dieser ständig wachsenden Sortimentstiefe und -breite überfordert und können nicht direkt abwägen, welches Produkt ihren Bedürfnissen am ehesten entspricht. In der Vergangenheit haben zudem nur wenige Privatpersonen selbst renoviert, wie ein Hersteller im Interview berichtet: „Wir bewegen uns ja in einem Markt […], der ist eigentlich gar nicht verbrauchernah. Klassische Handwerkszulieferer. Das [Privatkundengeschäft] ist ja erst durch die Baumärkte in die Handelslandschaft gekommen. Früher haben sie Fachhandelsgeschäfte gehabt für Farben und Tapeten, die haben ihnen wie in der Apotheke und Drogerie mit einem weißen Kittel hinterm Ladentresen […] verkauft und das auch nur höchst selten, weil in der Regel der Hauseigentümer nicht selbst gestrichen hat. Der hat einen Maler angerufen und hat gesagt: Mach mir mal das Wohnzimmer“ (DIY_01_HE, Abs. 88).
1149
Vgl. Schommer et al. (2004), S. 9.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
225
Die professionellen Verwender wie Tischler, Maler, Architekten und Bauherren entscheiden meist selbst über die verwendeten Produkte: „Da ist der Maler genau wie der Händler der Gatekeeper. Wenn der Maler dem Kunden sagt, das ist ‘ne super Farbe, umweltfreundlich, günstig im Verbrauch und dauerhaft haltbar, da ist der Maler näher dran als der Lieferant, weil der persönlich im Wohnzimmer steht […] Der ist vertrauensbildend und überlagert das Produkt. Und deshalb ist er so wichtig“ (DIY_01_HE, Abs. 142).
Neben diesen professionellen Verwendern gibt es private Anwender, die sich je nach Wissensstand und Professionalisierungsgrad in Amateure, Hobby-Heimwerker und Gelegenheitshandwerker aufteilen lassen. Abb. D-10 zeigt die unterschiedlichen Wissenstypen in der DIY-Branche und ihren durchschnittlichen Anteil an der Kundschaft eines Baumarktes.1150
Abb. D-10: Wissenstypen im DIY-Bereich Quelle:
Roland Berger & Partner zitiert nach Kölzer (1999), S. 156.
Zur derzeitigen Entwicklung der DIY-Branche äußern sich die interviewten Experten teilweise mit Sorge. Einer bezeichnet sie als eine Branche, „[…] die im Moment sehr, sehr schwierig ist – mit vielen up´s and down´s – die ganz fürchterlich einen auf den Hut bekommen hat als die Wohnbauprämien abgeschafft wurden“ (DIY_08_HA, Abs. 92).
1150
Vgl. dazu DIY_13_VG, Abs. 18: „[…] wenn sie zu uns in die Märkte ‘rein gehen, werden sie feststellen, dass bei uns eher der qualitätsbewusste Heimwerker und der Profi auf Zeit einkaufen“.
226
Kap. D
Erweitert wird diese Negativeinschätzung um die allgemeine wirtschaftliche Lage und die gegenwärtige Rohstoffpreisentwicklung. „Jetzt muss man sicherlich auch abwarten, was sich durch die Turbulenzen im Bankensektor tut und inwieweit sich das auch auf den DIY-Markt durchschlägt. Man muss wohl davon ausgehen“ (DIY_13_VG, Abs. 154). „Im Moment haben wir eine Preissteigerung auf den Rohstoffmärkten, die […] so noch nie aufgetreten ist. […] Preissteigerungen im dreistelligen Prozentbereich sind im letzten Dreivierteljahr nicht an uns vorübergegangen, die haben wir halt – und das müssen wir natürlich – weitergegeben“ (DIY_06_HE, Abs. 38).
Es kommt hinzu, dass der Umsatz in der DIY-Branche stark saison- und wetterabhängig ist.1151 Einige Experten weisen zudem auf die Bedeutung des Warengewichtes und -volumens in Baumärkten, insbesondere im Baustoffhandel hin, sowohl in Bezug auf Lager- und Transportlogistik, als auch bei der Präsentation in den Märkten.1152 3.2.2
Beziehungen von Herstellern und Handelsunternehmen der Do-ityourself-Branche
Grundsätzlich bezeichnen sowohl die Hersteller als auch die Händler die Beziehungen untereinander als partnerschaftlich.1153 Eine besondere Stellung nehmen allerdings für beide Seiten die Jahresgespräche ein, in denen Konditionen verhandelt werden.1154 In diesen herrscht häufig eine angespannte Atmosphäre.1155 „Wenn man das Ganze betrachtet, dann hat man das Gefühl, dass dort ein Gegeneinander stattfindet und jeder nur sich selbst sieht und dass in den Gesprächen Kompromisslösungen angegangen werden. Wenn man da von vornherein […] klar machen würde, dass beide das gleiche Ziel haben – nämlich Produkte zu verkaufen – wäre das sicherlich einfacher“ (DIY_06_HE, Abs. 48, ähnlich in DIY_12_UE, Abs. 85).
Neben den Jahresgesprächen finden zahlreiche weitere Gespräche und Kontakte in Form von Telefonaten, E-Mails oder Fax statt, teilweise sogar täglich.1156 „In Gesprächen, die unterjährig geführt werden, geht es dann um Sortimente und Präsentationen. Sehr viele der Marktteilnehmer haben Labore, in denen sie bestimmte
1151
In DIY_06_HE, Abs. 40, 74, 82; DIY_07_HE, Abs. 42.
1152
In DIY_06_HE, Abs. 54; DIY_07_HE, Abs. 22. „Der Frachtanteil […] liegt manchmal bei 20 bis 30 %“ (DIY_14_VG, Abs. 52).
1153
In DIY_01_HE, Abs. 28; DIY_05_HA, Abs. 40; DIY_08_HA, Abs. 28; DIY_10_HA, Abs. 50; DIY_11_HE, Abs. 30.
1154
In DIY_01_HE, Abs. 32; DIY_02_GH, Abs. 38; DIY_11_HE, Abs. 32; DIY_13_VG, Abs. 28, 32.
1155
In DIY_02_GH, Abs. 38; DIY_07_HE, Abs. 28.
1156
In DIY_01_HE, Abs. 30; DIY_02_GH, Abs. 34; DIY_03_GH, Abs. 20; DIY_09_HA, Abs. 30; DIY_11_HE, Abs. 32.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
227
Sortimente aufbauen und anhand der Aufbauten mit der Industrie diskutieren, welche Präsentation jetzt draußen vor Ort umgesetzt wird“ (DIY_13_VG, Abs. 32).
Die Beziehungen zwischen den Herstellern und Händlern sind unabhängig von der tatsächlichen Vertragsdauer recht langfristig. 1157 Viele Unternehmen arbeiten seit mehreren Jahrzehnten mit ihren Lieferanten bzw. Händlern zusammen. Besonders partnerschaftlich und langfristig erweisen sich nach Aussage des Experten einer Verbundgruppe die Beziehungen zu inhabergeführten Herstellern. „In Industriebtrieben, die inhabergeführt werden, sind die Kontakte seitens der Industrie zu uns wesentlich besser, ausgeprägter und langfristiger. Bei Konzernlieferanten haben wir vermehrt festgestellt, dass dort nur noch renditeorientiert gedacht wird und sehr häufig Führungswechsel seitens der Industrie stattfinden. In der Geschäftsführung, im Vertrieb – das führt zu sehr viel Unruhe, zu Reibungsverlusten und zu sehr langen und aufwendigen Diskussionen“ (DIY_14_VG, Abs. 42).
Weniger langfristig sind hingegen die Beziehungen zu reinen Handelsmarkenherstellern ausgelegt. Die Handelsmarkenverträge haben nach Angabe der Experten eine Fristigkeit von 1 bis 4 Jahren.1158 Die Machtverhältnisse zwischen Handel und Herstellern werden unterschiedlich wahrgenommen, insbesondere bei Handelsmarken existiert aus Industriesicht ein Machtungleichgewicht zu Gunsten der Handelsunternehmen. Hierzu zunächst die Aussage eines Großhändlers: „Bei Markenartikeln würde ich im Moment behaupten, dass die Industrie mächtiger ist als wir. Selbst wenn wir große Volumen abnehmen, wissen die, wir können eigentlich nicht zu einem anderen [Hersteller] wechseln“ (DIY_02_GH, Abs. 50). „Derzeit liegt die Macht stärker auf Handelsseite, da in unserer Branche die Hersteller eher noch mittelständisch geprägt sind, kleine Strukturen haben und da es dort nicht so große Marken gibt, […] wenn man das mit dem LEH vergleicht. Dort hat man sehr starke Marken, die mit entsprechender Werbekraft unterstützt werden – das gibt es in unserer Branche nicht“ (DIY_07_HE, Abs. 42, ähnlich in DIY_04_HE, Abs. 125). „Im Fall der Handelsmarken sind die Handelspartner schon eher dominant, weil sie in Richtung Handelsmarken schon eher die Möglichkeit haben, zu wechseln oder zu tauschen, weil ihnen eine Handelsmarke jeder herstellen kann, der sich irgendwo mit Farbe beschäftigt, das ist kein Problem“ (DIY_11_HE, Abs. 40, ähnlich in DIY_04_HE, Abs. 100).
Große internationale Hersteller der Handelsmarken in Fernost lassen sich hingegen nicht von deutschen Handelssystemen unter Druck setzen, weil sie „[…] Großkunden in Amerika und sonst wo haben, mit denen die 50 mal so große Umsätze machen“.1159 Mit diesen Herstellern existieren keine intensiven partnerschaftlichen Be-
1157
In DIY_01_HE, Abs. 34; 128; DIY_02_GH, Abs. 44; DIY_03_GH, Abs. 22; DIY_05_HA, Abs. 4244; DIY_06_HE, Abs. 44; DIY_07_HE, Abs. 30; DIY_08_HA, Abs. 32; DIY_09_HA, Abs. 34-36; DIY_10_HA, Abs. 46; DIY_11_HE, Abs. 34-36; DIY_13_VG, Abs. 38.
1158
In DIY_07_HE, Abs. 34-36; DIY_04_HE, Abs. 88; DIY_13_VG, Abs. 36-38.
1159
DIY_03_GH, Abs. 24.
228
Kap. D
ziehungen. Den Informationsaustausch zwischen Handel und der deutschen Industrie bezeichnen die Experten hingegen grundsätzlich als gut.1160 Nur wenige Informationen werden der jeweils anderen Seite vorenthalten, teilweise geben die Handelsunternehmen Scanner-Daten an die Hersteller weiter.1161 Kritisch merken jedoch beide Seiten an, dass der Datenaustausch in der DIY-Branche noch recht unprofessionell sei und viele, vor allem kleine Hersteller und Handelsunternehmen nicht über die technische Ausstattung verfügen, Daten entsprechend zu verwenden und bereit zu stellen.1162 „[…] die [Hersteller im Baustoffhandel] sind bei weitem nicht so weit, dass wir dort sehr viel papierlos machen können. Dort wird vieles noch wie vor 10, 15 Jahren auf Papier gemacht“ (DIY_14_VG, Abs. 60).
Insgesamt wünschen sich die Unternehmen einen umfangreicheren und besseren Datenaustausch zwischen den Warenwirtschaftssystemen. 1163 Verbesserungsmöglichkeiten im Rahmen der Beziehung sehen beide Seiten in einer intensiveren Zusammenarbeit, z. B. in Form von Category Management-Projekten.1164 Eine Kooperation im Sinne einer Partnerschaft erfordert hingegen den Einsatz beider Seiten. „In einer Partnerschaft müssen immer beide Partner schaffen, d. h., beide müssen etwas geben und beide dürfen auch etwas nehmen“ (DIY_11_HE, Abs. 30).
Ein Hersteller könnte sich vorstellen, einen Großteil der Aufgaben dem Händler abzunehmen, verknüpft diese Bereitschaft allerdings mit Verfügungsrechten über Regal und Preispolitik. Dies entspräche einem Geschäftsmodell, wie Tchibo es im Lebensmitteleinzelhandel seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert. „[…] am liebsten würden wir das Regal in toto selbst bewirtschaften und die Preispolitik gestalten, umsetzen und dem Handel ein anständiges Honorar für die Belegung der Fläche vergüten. Das wäre der Idealfall“ (DIY_01_HE, Abs. 90, ähnlich in DIY_12_UE, Abs. 127).
1160
In DIY_01_HE, Abs. 44.
1161
In DIY_02_GH, Abs. 64; DIY_04_HE, Abs. 50; DIY_05_HA, Abs. 80; DIY_14_VG, Abs. 60.
1162
In DIY_02_GH, Abs. 62-66; DIY_06_HE, Abs. 60; DIY_13_VG, Abs. 52. Es gibt vereinzelte Ausnahmen. Ein Hersteller berichtet z. B. von einer VMI-Kooperation mit einem Handelsunternehmen (in DIY_07_HE, Abs. 60; 76-78).
1163
In DIY_02_GH, Abs. 46; DIY_14_VG, Abs. 56.
1164
In DIY_06_HE, Abs. 62; DIY_07_HE, Abs. 38; DIY_08_HA, Abs. 34.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
229
Zentrale Ergebnisse
3.2.3
Die Beziehungen von Herstellern und Händlern in der DIY-Branche sind langfristig und partnerschaftlich angelegt. Sowohl in Bezug auf Markenartikel als auch auf Handelsmarken können keine eindeutigen Machtstrukturen zu Gunsten der Hersteller oder der Handelsunternehmen identifiziert werden. Bei vergleichsweiser geringerer durchschnittlicher Unternehmensgröße auf der Anbieterseite ist jedoch tendenziell eine Verlagerung der Macht in Richtung der Abnehmer erkennbar. Verbesserungspotenzial in der Hersteller-Handels-Beziehung sehen beide Seiten in einer engeren Kooperation und einem intensiveren Datenaustausch.
Marken- und Handelsmarkenverständnis in der Do-it-yourself-Branche
Anknüpfend an die erste Forschungsfrage wurden die Experten in den Interviews nach ihrem Verständnis einer Marke befragt. Einleitend sei die Äußerung eines Händlers wiedergegeben, die die Unterschiedlichkeit der Markenverständnisse in den Branchen bereits andeutet. „Die Lebensmitteleinzelhändler haben […] ein ganz anderes Markenverständnis. Wenn wir uns Marken oder Handelsmarken im Lebensmitteleinzelhandel anschauen, fallen uns beiden direkt 50 Marken ein. Wenn ich sie fragen würde, welche Marken fallen ihnen im Baumarktbereich ein? Da fallen ihnen keine 20 ein. Wenn ich ihnen dann noch ein paar nenne, sagen sie: Ja, kann durchaus sein. Metylan-Kleister ist durchaus eine Marke, aber da kommt auf den ersten Blick keiner drauf und das ist ein Marktführer mit weit über 90 Prozent“ (DIY_05_HA, Abs. 28).
Einige der Interviewpartner umschreiben den Markenbegriff mit ähnlichen Ausführungen oder Markennamen als Beispielen, während andere exakte Vorstellungen einer entsprechenden Definition äußerten. Eine Übersicht der formulierten Markenverständnisse zeigt Tab. D-4.1165
1165
Die Tabelle ist nach Bezugsgruppen sortiert.
230
Kap. D
Experte
Markenverständnis
DIY_01_HE, Abs. 48
„Marke ist das was der Konsument über Jahre hinaus mit einer gleichbleibenden Qualität wiedererkennbar im Regal findet.“
DIY_04_HE, Abs. 129
„Die Marke ist […] gehobene Qualität in Verbindung mit gut durchorganisiertem Marketing.“
DIY_06_HE, Abs. 66
„Hoher Qualitätsstandard, Liefersicherheit, gleichbleibende Produktqualität über einen langen Zeitraum hinweg. Etwas, womit man sich identifizieren kann.“
DIY_07_HE, Abs. 64
„Eine Marke ist für mich eine Bezeichnung, unter der ein Produkt verkauft wird. Ein Begriff, der künstlich generiert ist und der als Erkennungsmerkmal dienen soll.“
DIY_08_HA, Abs. 46
„Hohe Anerkennung bei den Kunden. Hoher Bekanntheitsgrad. Qualitätsmerkmale, die damit auf jeden Fall verbunden sein müssen.“
DIY_10_HA, Abs. 58
„Marke bedeutet für mich eine sehr hohe Qualität.“
DIY_14_VG, Abs. 64
„Eine starke Marke muss im Bewusstsein des Endverbrauchers fest verankert sein, muss Marktbearbeitung über Funk und Fernsehen machen, in den wichtigsten Medien vertreten sein.“
DIY_12_UE Abs. 111
„Breiter Distributionsgrad, Bekanntheitsgrad und genau das Gegenteil ist es bei einer Handelsmarke.“
Tab. D-4: Ausgewählte Markendefinitionen der befragten Do-it-yourself-Experten Quelle:
Eigene Zusammenstellung aus den Experteninterviews.
Allen Definitionen ist eine starke Angebotsorientierung zu entnehmen. Insbesondere lassen sich Gemeinsamkeiten mit dem merkmalsorientierten Ansatz feststellen, in dem der Qualitätsaspekt als Charakteristikum einer Marke hervorgehoben wird.1166 Eine Formulierung lässt ein zeichenorientiertes Markenverständnis vermuten.1167 Das anhand der Äußerungen der befragten Experten identifizierte Markenverständnis in der DIY-Branche lässt sich nicht mit der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Handelsmarkendefinition in Einklang bringen. 1168 Die Unterschiedlichkeit des Markenund Handelsmarkenverständnisses im Vergleich zu anderen Branchen ist darauf zurückzuführen, dass die Wiederkaufszyklen wesentlich länger sind – eine neue Bohr-
1166
Vgl. Kap. B.1.2.2, S. 15.
1167
In DIY_07_HE, Abs. 64 (vgl. zum zeichenorientierten Markenverständnis Kap. B.1.2.1, S. 13).
1168
Der Autor ist sich bewusst, dass die Meinungen nicht repräsentativ für die gesamte DIY-Branche sind und daher nur Tendenzaussagen möglich sind.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
231
maschine oder neue Gartenmöbel werden nur in größeren Zeitabständen gekauft.1169 Bei bestimmten Warengruppen in der DIY-Branche kommt hinzu, dass es sich als schwierig erweist, die Produkte zu markieren. „Wenn die Farbe […] an der Wand ist, dann sehen sie dem Produkt doch nicht mehr an, wo das herkommt. Da gibt es keinen Markenartikel vom Endergebnis her gesehen. Wohl für denjenigen, der mit dem Gebinde arbeitet, der sieht das ja, der verbindet eine Leistung, der verbraucht das Produkt und gebraucht es. Aber […] das Endprodukt ist hinterher an der Wand. Das können sie nicht markieren im klassischen Sinne. Wissen Sie, welcher Hersteller an ihrem Auto den Lack geliefert hat?“ (DIY_01_HE, Abs. 142).
Über den Begriff der Handelsmarke herrscht unter den Experten hingegen weitestgehend Uneinigkeit. „Eine Handelsmarke ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nur einem speziellen Handelspartner zu Verfügung steht und […] dass sie die A-Marke als Preisschirm benötigt, damit der Endverbraucher eine Vergleichsmöglichkeit hat, um das PreisleistungsVerhältnis entsprechend zu beurteilen“ (DIY_07_HE, Abs. 88). „Handelsmarke ist der Versuch, Qualität und Vertrauen hinzubekommen und das dem Endverbraucher ‘rüber zu bringen. Im Prinzip ist eine Handelsmarke nichts anderes als der Versuch, selbst eine Marke zu installieren“ (DIY_05_HA, Abs. 90).
Während der Hersteller die Handelsmarke als handelsspezifisches Produkt ansieht, das den Markenartikel als preislichen Referenzpunkt benötigt, besteht bei dem befragten Händler der Anspruch, mit Handelsmarken die Markenfunktion des Vertrauens zu erfüllen und damit die Handelsmarke auf eine Stufe mit den Markenartikeln zu stellen. Ein Hersteller betont ebenfalls, dass aus seiner Sicht keine Unterschiede zwischen Markenartikeln und Handelsmarken bestehen: „Marke ist Marke. Da gilt im Prinzip derselbe Mechanismus nur eben mit dem Unterschied, es gibt meiner Meinung nach keine produktbezogene, sondern nur eine organisationsbezogene Handelsmarke“ (DIY_01_HE, Abs. 52).
Mit dem letzten Teil der Aussage spielt der Hersteller auf Baumärkte an, die vereinzelt Handelsmarken anbieten, deren Namensbestandteil die jeweilige Betriebstypenmarke ist, z. B. die Handelsmarken der Obi-Baumärkte Obi Classic für den Bereich Dispersionsfarben und Tapeten oder Obi Montana für Holz- und Holzimitatprodukte. Herrscht in Bezug auf das Handelsmarkenverständnis aus Unternehmenssicht eine recht unterschiedliche Begriffsauffassung, stellt sich dies aus Sicht der Konsumenten etwas deutlicher dar. Nach Einschätzung der Experten wird die Handelsmarke in der DIY-Branche vielfach auf den Preis reduziert. Problematisch ist aus Handelssicht, dass die Handelsmarke kein Qualitäts-, sondern meist nur ein Preissignal darstellt.
1169
In DIY_04_HE, Abs. 72; DIY_05_HA, Abs. 24.
232
Kap. D
„Bei Gartenmöbeln [haben] unsere Kunden noch nie danach gefragt […], was ist das eigentlich für eine Marke? Das interessiert die überhaupt nicht. Die sehen das Produkt, sehen den Preis“ (DIY_02_GH, Abs. 74). „[…] der Kunde reagiert nicht auf die Handelsmarke, sondern nur auf den Preis“ (DIY_04_HE, Abs. 74, ähnlich auch DIY_11_HE, Abs. 22; DIY_08_HA, Abs. 74). „[…] ich habe bislang keine Handelsmarke als innovative Kraft im Markt erlebt. Wenn, wurden entsprechend innovative neue Produkte durch eine Herstellermarke eingeführt und dann hat die Handelsmarke das Produkt entsprechend kopiert“ (DIY_07_HE, Abs. 98).
Einen Beitrag zu diesem Handelsmarkenverständnis auf Unternehmens- wie auf Konsumentenseite haben vermutlich Gattungsmarken von zweifelhafter Qualität aus Fernost geleistet, mit denen Unternehmen die Konsumenten viele Jahre in die Baumärkte „gelockt“ haben. „Die No-names haben Preispunkte gesetzt, die der Endverbraucher noch nie gesehen hat – so dass auf einmal Produkte erschwinglich wurden, für die er sonst sparen musste. Sie wurden zur Mitnahme- und Wegwerfprodukten. Zum Teil waren es auch Wegwerfprodukte, weil die Qualität nicht dem Qualitätsniveau entsprach, das der Verbraucher erwartet hat. Das ist sicherlich ein Effekt gewesen, wo er gesagt hat: Schlecht investiertes Geld, auch wenn es günstig war“ (DIY_05_HA, Abs. 22). „Ein Großteil der Ware kommt aus Fernost. Es ist heute überhaupt kein Problem mehr: Schreibt meinen Namen auf die Ware und ich brauche zwei Container davon. So einfach läuft das Spiel. Und ob da jetzt [Baumarktmarke], oder sonst wer draufsteht, ist vollkommen wurscht. Es ist häufig genau dieselbe Ware“ (DIY_05_HA, Abs. 68, ähnlich in DIY_02_GH, Abs. 28).
Zentrale Ergebnisse
Das Markenverständnis in der DIY-Branche ist, mit wenigen Ausnahmen, den zeichen- und angebotsorientierten Markenansätzen zuzuordnen. Aufgrund längerer Wiederkaufszyklen und produktspezifischer Markierungsbeschränkungen gestaltet sich die Markenbildung schwieriger als in anderen Branchen. Gattungsmarken von schlechter Qualität prägen in der DIY-Branche das Handelsmarkenbild der Konsumenten. Dieses reduziert sich im Wesentlichen auf einen günstigen Preis.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
3.2.4
233
Handelsmarkenbedeutung in der Do-it-yourself-Branche
Das Handelsmarkenwachstum hat sich nach Angaben eines Händlers in den letzten 15 Jahren stark verändert. Nach einer Boomphase Ende der 1990er Jahre fiel das Wachstum in den letzten Jahren eher moderat aus.1170 Die Experten schildern die Handelsmarkenbedeutung in der DIY-Branche wie folgt: „Immer mehr Sortimente, wofür der Endverbraucher kein Markenverständnis hat, werden als Eigenmarke gemacht, einfach um mehr Wertschöpfung zu haben und natürlich um sich vom Wettbewerber abzuhängen“ (DIY_12_UE, Abs. 46, ähnlich in DIY_07_HE, Abs. 24). „Der Anteil der Handelsmarken hat in der letzten Zeit auf jeden Fall erheblich zugenommen. Im Bereich Gartenmöbel hat er bei uns mittlerweile eine Quote von 50 Prozent erreicht. Vor 20 Jahren betrug die Quote 5 Prozent“ (DIY_03_GH, Abs. 12). „Es verliert die Mitte! […]. Und ich könnte mir vorstellen, dass auch der Preiseinstieg bei einigen Produkten verloren hat – nicht bei allen – aber bei einigen“ (DIY_06_HE, Abs. 23, ähnlich in DIY_12_UE, Abs. 153).
Die Interviewpartner sehen vor allem in der Verringerung der Vergleichbarkeit einen Grund für das Handelsmarkenwachstum in der DIY-Branche. Dadurch versetzt sich das Handelsunternehmen zumindest partiell in die Lage, sich den Preiskämpfen zu entziehen.1171 „[…] im DIY-Bereich wird sich das weiter fort entwickeln und der Marktanteil der Handelsmarken wird stark ansteigen, weil die Handelsketten das forcieren, um aus dem direkten Preisvergleich im Wettbewerb ‘raus zu kommen“ (DIY_14_VG, Abs. 128).
Zudem versprechen sich viele Händler einen Wiedererkennungseffekt der exklusiv bei ihnen erhältlichen Handelsmarken.1172 Dieser soll vor allem zu einer Profilierung der Einkaufsstätte1173 und in Folge dessen zu höherer Kundenbindung führen.1174 Ein Befragter spricht zudem den Vorteil eines größeren Anteils an der Wertschöpfungskette durch Handelsmarken an.1175 In einigen Interviews wurde die Bedeutung und das Wachstum der Handelsmarken hingegen relativiert. „[…] wir können das nicht so stark feststellen, dass sich die Handelsmarken durchsetzten. […] Die meisten Kunden […] kommen aus dem handwerklichen Bereich. Das sind Handwerker, Maurer, Zimmerleute, die in ihren Firmen mit den Produkten zu tun haben und dann auch im privaten Bereich eher auf die Markenprodukten zurückgreifen“ (DIY_14_VG, Abs.Abs. 28-30).
1170
In DIY_08_HA, Abs. 20-22.
1171
In DIY_04_HE, Abs. 68; DIY_12_UE, Abs. 48; DIY_13_VG, Abs. 20-22; DIY_14_VG, Abs. 26.
1172
In DIY_02_GH, Abs. 18; DIY_12_UE, Abs. 48.
1173
In DIY_01_HE, Abs. 24; DIY_10_HA, Abs. 26; DIY_12_UE, Abs. 48.
1174
In DIY_04_HE, Abs. 66; DIY_12_UE, Abs. 48.
1175
In DIY_12_UE, Abs. 48-50.
234
Kap. D
„Heute bin ich da eher ernüchtert und sage, ja gut, [Handelsmarken] die hat man. Wenn wir bereit waren, vor acht Jahren die Marke zugunsten der Handelsmarke aus unseren Märkten zu verdrängen, sind wir heute eher wieder auf dem Rückwärtsprozess, weil wir feststellen, dass die Verarbeiter andere Ansprüche an das Produkt stellen. […] für mich muss Handelsmarke auch ein Qualitätsmerkmal haben. Und das muss den Verarbeiter überzeugen“ (DIY_08_HA, Abs.Abs. 62, 66). „[…] es ist schon relativ schwach ausgeprägt, diese ganze EigenmarkenHandelsmarken-Geschichte, weil es von unseren Kunden halt nicht gefordert wird“ (DIY_02_GH, Abs. 104).
Insbesondere im Bereich Baustoffhandel nehmen Handelsmarken eine untergeordnete Rolle ein, da planende Instanzen, z. B. Architekten aufgrund von Gewährleistungen und Garantien Markenartikel bevorzugen. „Zumindest […] im Baustoffhandel […] wird der Markt seitens der Marken sehr intensiv vorbereitet. […] Wir haben sehr viele Objekte, dort ist eine Vorarbeit seitens der Architekten erforderlich, d. h., der Architekt entscheidet über das Produkt und der Architekt informiert sich seitens der Industrie […] Weil hier in unserer Branche auch Gewährleistungen gegeben werden müssen, […] nimmt auch der Architekt oder die ausschreibende Stelle lieber die Marke, weil man dann immer auf der sicheren Seite ist“ (DIY_14_VG, Abs. 32).
Zudem bestehen Bereiche, wie elektronische Werkzeuge, in denen die Herstellermarken wieder Marktanteile zurückgewinnen. „Die ganze Zeit war ja der Abverkauf von Importmaschinen in Stückzahlen immens hoch und mittlerweile sind die recht heftig wieder auf dem absteigenden Ast und die Marke nimmt wieder an Stückzahlen zu“ (DIY_13_VG, Abs. 148). „Wir stellen fest, dass der Markenanteil sich positiv entwickelt, […] wir wollen, wenn es irgendwie möglich ist, die Marke verkaufen, weil wir mit der Marke die Erfahrungen haben, dass wir damit besser wachsen und uns am Markt besser etablieren“ (DIY_14_VG, Abs. 20).
Zentrale Ergebnisse
Die Handelsmarken haben in den letzten Jahren in der DIY-Branche zwar an Marktanteil gewonnen, das Wachstum hat jedoch nach einer Boomphase in den 1990er Jahren nachgelassen. Gründe für die Erhöhung der Handelsmarkenanteile sehen die Experten in der Reduzierung des direkten Preiswettbewerbs, der Wiedererkennbarkeit der Produkte, der Profilierung der Einkaufsstätte und einer höheren Kundenbindung. In einigen Warengruppen und Branchenbereichen spielt die Handelsmarke nur eine untergeordnete Rolle. Insbesondere professionelle Kunden bevorzugen Markenartikel von hoher Qualität.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
3.2.5
235
Handelsmarkenführung in der Do-it-yourself-Branche
Die Markenführung der Handelsmarken unterscheidet sich in der Theorie nicht von der Markenführung der Herstellermarken,1176 in der praktischen Umsetzung lassen sich zumindest in der DIY-Branche wesentliche Unterscheidungsmerkmale identifizieren.1177 Insgesamt findet trotz der steigenden Handelsmarkenanteile und der erörterten Chancen, die mit der Einführung von Handelsmarken verbunden sind, die Markenführung durch die Händler nach dem Urteil der Experten nur mit begrenzter Professionalität statt. „Im Handel wird die Markenführung immer sehr hemdsärmelig, sehr vertriebsorientiert betrieben. Entsprechend häufig ist sie auch sehr chaotisch und mit vielen Strategiewechseln verbunden“ (DIY_03_GH, Abs. 64). „Man muss dem Kind immer irgendeinen Namen geben. Und das ist hier schon fast der Hauptgrund, warum wir einen Namen verwenden. Weil unsere Kunden fragen ja, wenn die Artikeldaten abfragen, nach Hersteller und Marke und da muss man ja irgendwas angeben […]. Ein richtiges Marketing findet nicht statt“ (DIY_02_GH, Abs. 14). „[…] die Handelsmarken in unserer Branche sind noch Meilen weit davon entfernt, in den Köpfen der Endverbraucher eine Marke zu sein. […] Der Markenaufbau dauert ja Ewigkeiten und kostet extrem viel Geld“ (DIY_03_GH, Abs. 62).
Wie diesen und den folgenden Ausführungen zu entnehmen ist, setzt sich das zeichen- bzw. angebotsorientierte Markenverständnis teilweise in der Handelsmarkenführung fort. „Eigenmarken beschränken sich in unserer Branche auf ein einheitliches Verpackungsdesign. Sonst sehe ich im Baumarktbereich keine weiteren Markenmerkmale“ (DIY_02_GH, Abs. 106, ähnlich auch in Abs. 12). „Wir haben jetzt eine Designerin eingestellt, die genau dafür zuständig ist, dass wir einen vernünftigen Auftritt haben, vernünftige Logos – vielleicht ein besseres Logo als das, was irgendwann mal ein Azubi am PC basteln musste [lacht]“ (DIY_02_GH, Abs. 74).
Einen Grund für die zurückhaltende Markenführung sieht ein unabhängiger Experte in der geringeren Bedeutung von Marken in der DIY-Branche. „[…] die Relevanz der Marke im Baumarktbereich ist eine ganz andere als im Supermarktbereich, weil sie einfach viel weniger Markenkontaktpunkte haben. […] Das sind im Baumarktbereich Marken, die entweder in Richtung professioneller Endanwender gehen, also an die Handwerker, oder an den Endkonsumenten. Wenn sie für den Endkonsumenten bestimmt sind, dann erstreckt sich die Markenführung wahrscheinlich auf Verpackungsdesign, vielleicht noch ein bisschen auf Sortimentsbreite und -tiefe, aber wenig auf Kommunikation und andere Markenführungselemente“ (LEH_04_UE, Abs. 72).
1176
Diese Ansicht teilt auch ein befragter Hersteller (DIY_01_HE, Abs. 60).
1177
In DIY_03_GH, Abs. 48.
236
Kap. D
In den Verbundgruppen scheitert eine konsistente Handelsmarkenführung zudem am fehlenden Durchsetzungsgrad der angestrebten Handelsmarkenstrategie.1178 In der DIY-Branche werden Handelsmarken vielfach nach dem Motto „Masse verkauft Masse“1179 angeboten, d. h. Beschleunigung des Abverkaufs durch große Sortimentshöhe in Zweitplatzierungen. Ein Hersteller überspitzt die Situation folgendermaßen: „Preise und Aktionen machen können die [Handelsunternehmen in der DIY-Branche] gut, aber Markenpflege als solche, da sind die relativ schmerzfrei. Das haben die nicht wirklich verstanden, wie das funktioniert. Deswegen überlassen die das lieber dem Hersteller. Der ist in der Regel langfristig orientiert an seinen Produkten. Ein Händler hat eine sehr kurzfristige Sichtweise, der sucht einfach was, wo er Drehzahl und Rabatz mit machen kann, damit er die Bude voll hat. Und da ist ihm kein Mittel zu schlecht“ (DIY_01_HE, Abs. 84).
Anknüpfend an die Ausführungen zu den Handelsmarkengenerationen 1180 kann konstatiert werden, dass in der DIY-Branche ein großer Teil der Handelsmarken der ersten Generation zuzuordnen ist. Die Handelsmarkenstrategien und -architekturen beschränken sich dementsprechend auf das mittlere und untere Preissegment. „Es gibt eine Fokussierung […], dass man die Marke führt und unterhalb der Marke das Mittelpreissegment mit der Eigenmarke abdeckt und darunter dann noch den Preiseinstieg, der dann teilweise noch eine B-Handelsmarke ist“ (DIY_06_HE, Abs. 30). „Man muss ganz klar zwei Handelsmarkensegmente haben. Einen Preiseinstieg und einen MPP. HPP bleibt bei der Marke, MPP macht Eigenmarke und OPP im Preiseinstieg auch“ (DIY_12_UE, Abs. 155).1181 „[…] was die Handelsmarken angeht, muss man unterscheiden. Einmal gibt es Unternehmen, die der Meinung sind, den Preiseinstieg als Handelsmarke zu machen. Halte ich für absolut blödsinnig, weil ich meinen eigenen Namen nie für die schlechten Produkte bzw. die günstigen, qualitativ nicht so hochwertigen Produkte hergeben würde. Das halte ich für absolut schädlich für’s Image. Im zweiten Fall […], dass es eine vernünftige Qualität ist – da muss es mir vorher gelungen sein, mich als Marke beim Kunden in den Kopf einzugraben“ (DIY_05_HA, Abs. 26).
Vereinzelt gibt es Beispiele für Handelsmarken der zweiten und dritten Generation, Gestalt- und Pioniermarken kommen in der DIY-Branche bislang nicht zum Einsatz. Gründe für die Zurückhaltung, innovative Premiumhandelsmarken in den Markt einzuführen, sehen die Experten in den hohen und schwer abschätzbaren Kosten und einer mangelnden Markenführungsexpertise.
1178
In DIY_13_VG, Abs. 44; 56.
1179
In DIY_11_HE, Abs. 50.
1180
Vgl. zu den Handelsmarkengenerationen Kap. B.2.3.
1181
PP = price point, H = high, M = medium, O = open (Anm. des Autors).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
237
„Der Kostenfaktor, der mit [innovativen Handelsmarken] verbunden ist, ist ein immenser. Der steht vielleicht nicht mehr im Verhältnis zu den Zielen, die die Handelsunternehmen haben“ (DIY_07_HE, Abs. 98). „Trotz der Gatekeeper-Rolle akzeptiert der Handel zumeist die Expertise des Herstellers gerade in produkt- und sortimentspolitischen Fragen […]. Alleine schießt der Händler oft über das Ziel hinaus, indem er dazu neigt […], alles mögliche auszuprobieren […], was sich dann hinterher nur als teurer Ladenhüter entpuppt“ (DIY_02_HE, Abs. 42). „Zum fertigen Produkt ist es doch ein sehr weiter und kostenintensiver Weg, da hat man eine gewisse Ausfallquote. Ich sag mal 25 Prozent der Produkte, die in einer Entwicklung drin sind, werden auch wirklich marktreif. Und was ist mit den Kostenblock von 75 Prozent der Ideen, die nicht zur Marktreife gelangen? Wer trägt dann da die Kosten? Dazu ist aus meiner Sicht der Handel in unserer Branche bisher nicht bereit. Er betreibt an der Stelle gar kein Innovationsmanagement“ (DIY_07_HE, Abs. 100).
In der Praxis sind Handelsmarken, die mit der Betriebstypenmarke übereinstimmen, zusätzlich aber auch Endorsements und reine Phantasienamen zu finden.1182 Eine gut geführte Betriebstypenmarke übt nach Ansicht eines Händlers die relevanten Markenfunktionen aus und benötigt keine Handelsmarken. 1183 Werden dennoch Handelsmarken geführt, die den Namen des Unternehmens bzw. des Betriebstypen tragen, bestehen Risiken in Form von Abstrahlungseffekten durch negative Einflüsse. „[…] Stiftung Warentest testet diese Handelsmarke und die fällt durch, dann ist meine Handelsmarke durchgefallen und das wird logischerweise vom Endverbraucher auf alle Produkte, die diesen Namen tragen, transferiert und das ist das Schlimmste, was einem passieren kann“ (DIY_05_HA, Abs. 74).
Bei Betrachtung der Herstellerperspektive ist festzustellen, dass in den Fällen, in denen Handelsmarken losgelöst vom Markenartikel verkauft werden, die Kapazitätsauslastung im Vordergrund steht.1184 Herstellern, die sowohl Markenartikel als auch Handelsmarken anbieten, dient die Handelsmarke teilweise der strategischen Absicherung der Markenartikel und ist Teil einer Lösungsorientierung gegenüber den Handelsunternehmen. Diese erhalten die Möglichkeit, neben Marken- auch Handelsmarkenware von einem Lieferanten zu erhalten. „Wir versuchen die Handelsmarke strategisch einzusetzen. Überall da, wo wir unsere Marke voranbringen, absichern oder die Positionen halten wollen, da nutzen wir das Thema Handelsmarke als strategisches Werkzeug. Wir bieten sie selten losgelöst von der Marke an“ (DIY_06_HE, Abs. 14). „[…] einen Lieferanten, der schon beides liefert, den listet man dann nicht so ganz schnell aus, weil einfach viel mehr Arbeit dahinter hängt“ (DIY_06_HE, Abs. 22).
1182
In DIY_06_HE, Abs. 68; DIY_14_VG, Abs. 90.
1183
In DIY_08_HA, Abs. 12.
1184
In DIY_06_HE, Abs. 16.
238
Kap. D
Für Handelsmarken werden seitens der Industrie in der Regel keine Marktaktivitäten durchgeführt.1185 Die Handelsunternehmen sind gefordert, ihre Marken durch unterschiedliche Maßnahmen den Konsumenten bekannt zu machen. Für erklärungsbedürftige Produkte werden z. B. Schulungsveranstaltungen am PoS initiiert. Als kritische Determinante werden allerdings auch hier die dafür benötigten Finanzmittel genannt. „ […] wir haben in dem Bereich die Aufgabe, das Produkt bekannt zu machen, d. h. Handwerker und unsere Endverbraucher über Anzeigen und Verkaufsveranstaltungen zu informieren und Schulungen für unsere Kunden im Haus durchzuführen“ (DIY_14_VG, Abs. 84). „Das eine ist, die Marke nach außen zu transportieren, indem wir verschiedene Werbemedien einsetzen, z. B. Anzeigen, Flyer oder Beilagen. […] Das andere ist, darauf zu achten, dass die Marke eine vernünftige Aufmachung hat und draußen attraktiv dargestellt wird. Und das Weitere ist, dass wir über Regalstopper und verschiedene andere Möglichkeiten am PoS versuchen, diese Produkte hevorzuheben“ (DIY_13_VG, Abs. 78). „[…] wir müssten gerade […] bei unseren eigenen Marken einen gewissen Markenauftritt hinbekommen, wie z. B. eine Website oder einen schönen Katalog für die Kunden herstellen, der auch am Point of Sale ausliegen kann, […] aber da müsste man soviel Geld investieren, das würde sich aus meiner Sicht nicht rechnen“ (DIY_02_GH, Abs. 78).
Die Zuständigkeit für das strategische Handelsmarkenmanagement ist in den Unternehmen der befragten Experten recht unterschiedlich organisiert. Auf Seiten der Hersteller gibt es Abteilungsleiter für Handelsmarkenabwicklung1186 oder Stabsstellen, die der Geschäftsführung zuarbeiten. 1187 In den Handelsunternehmen werden Entscheidungen teilweise direkt in der Geschäftsführungsebene getroffen. 1188 Die Frage der Markenrechte an den Handelsmarken ist nicht in dem Umfang eindeutig zu beantworten, wie die wissenschaftlichen Definitionen vermuten lassen.1189 In einigen Unternehmen ist das Markengeschäft klar von dem Handelsmarkengeschäft getrennt1190 und den Handelsunternehmen werden Produkte inklusive Verpackungsdesign und Markenname angeboten, die diese exklusiv in ihrem Handelsunternehmen führen können. Die Markenrechte können in Ausnahmefällen beim Herstellerunternehmen oder einem Großhändler verbleiben. „Das ist unterschiedlich. Das ist Verhandlungssache“ (DIY_11_HE, Abs. 78, ähnlich in DIY_02_GH, Abs. 96). 1185
In DIY_14_VG, Abs. 84.
1186
In DIY_06_HE, Abs. 96
1187
In DIY_11_HE, Abs. 72
1188
In DIY_03_GH, Abs. 46.
1189
Vgl. Kap. B.1.4.
1190
In DIY_06_HE, Abs. 18.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
239
„Da muss man alle für und wider abwägen. Wenn er die Markenrechte hat, bin ich ja komplett abhängig vom Hersteller. Auf der anderen Seite kann ich auch die Position des Herstellers verstehen“ (DIY_08_HA, Abs. 82). „Das kann auch durchaus sein, dass wir die Markenrechte haben. Wir haben z. B. […] noch eine Handelsmarken-Vertriebslinie, [….] die wir von einem zugekauften Großhändler übernommen haben“ (DIY_11_HE, Abs. 80).
In der Regel liegen die Markenrechte der Handelsmarken hingegen beim Handelsunternehmen. 1191 Hintergrund der überwiegenden Markeneignerschaft auf Seiten der Handelsunternehmen ist die Gefahr opportunistischen Verhaltens der Hersteller, wie bereits im theoretischen Teil dieser Arbeit vermutet.1192 „[…] wenn der Liefervertrag endet und der Händler den Lieferanten wechselt, muss er die gesamte Markenpolitik umstellen, weil er die Marke nicht mitnehmen kann. Das hätten wir natürlich gerne so, weil er dann anschließend nicht mehr weg kann. Das kriegen sie aber in der Regel nicht hin“ (DIY_01_HE, Abs. 70, ähnlich in DIY_01_HE, Abs. 102; DIY_04_HE, Abs. 171; DIY_07_HE, Abs. 86).
Dem ist unter Bezugnahme der theoretischen Ausführungen zu den neoinstitutionenökonomischen Ansätzen entgegenzusetzen, dass auch der Hersteller spezifisch in die Handelsmarken investiert und nach Ablauf der Vertragslaufzeit diese Investitionen nur teilweise in anderen Handelsunternehmen fortführen kann. Zusätzlich aufgebaute Produktionskapazitäten können unter Umständen für die Produktion von Markenartikeln oder anderen Handelsmarken genutzt werden, im Gegensatz zu speziellen, zusammen mit dem Händler entwickelten Gebindeformen oder Rezepturen. Zentrale Ergebnisse
Die Handelsmarkenführung in der DIY-Branche ist wenig professionell und ausgereift und beschränkt sich teilweise auf den Markennamen sowie die Verpackungs- und Logogestaltung. In der DIY-Branche hat die Markenführung bei Handelsmarken nach Expertenmeinung eine geringe Bedeutung, die vor allem in der Einseitigkeit der Handelsmarkenstrategie begründet liegt. Die DIY-Handelsunternehmen beschränken sich zumeist auf Handelsmarken der ersten und zweiten Generation. Gegen Premiumhandelsmarken sprechen hohe und schwer abschätzbare Kosten. Die absatzpolitischen Maßnahmen der Handelsunternehmen lassen sich bei Handelsmarken auf Insertionen, Handzettel und Produktpräsentation auf der Fläche eingrenzen. Bei erklärungsbedürftigen Produkten kommen Schulungen hinzu.
1191
In DIY_03_GH, Abs. 56; DIY_04_HE, Abs. 54; DIY_05_HA, Abs. 100; DIY_07_HE, Abs. 84; DIY_11_HE, Abs. 82; DIY_13_VG, Abs. 86; DIY_14_VG, Abs. 92.
1192
Vgl. Kap. C.3.1.3.
240
Kap. D
3.2.6
Aufgabenverteilung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements
Der Prozess des Handelsmarkenmanagements wurde im konzeptionellen Teil dieser Arbeit intensiv erarbeitet und dient als Grundlage dafür, bestimmte Besonderheiten der Aufgabenverteilung in den unterschiedlichen Branchen herauszustellen. 1193 In der Praxis vollzieht sich dieser Prozess nicht in einer vorgegebenen Reihenfolge idealtypischer Prozessschritte, sondern vielmehr simultan und verbunden mit zahlreichen Interdependenzen zwischen den Prozessschritten.1194 Den typischen Prozess der Handelsmarkeneinführung aus Handelssicht beschreiben die Experten wie folgt: „Das fängt an mit der Marktbewertung […], wie steht der Markt heute da, wie verändert sich der Markt, wie stehen wir zukünftig da? Was muss ich für Sortimente haben? Wie muss die Platzierung aussehen? Wie muss die Qualität sein, wie muss der Preis sein und wie müssen die Konditionen sein? […] aber immer im Zusammenspiel mit dem Handelspartner, weil der nun mal seine Wünsche […] mit einbringen will und muss. Der Handelsmarkenmanger […] muss sich sowohl mit den Markenartikeln als auch mit der Handelsmarke auskennen“ (DIY_11_HE, Abs. 62). „Wir machen eine Marktanalyse […], ob es neben den Marken, die wir führen, erforderlich ist, eine Handelsmarke im Regal zu führen. Wir schreiben dann das Produkt aus und sprechen mit diversen Lieferanten […], die Handelsmarken herstellen. Teilweise sind das Hersteller, die auch Marken vertreiben, im Farbenbereich gibt es das. Dann machen wir eine Produktbeschreibung, die Anforderungen an das Produkt, was wir neu aufnehmen wollen, verhandeln die Konditionen und dann stellen unsere Agentur ein Vertriebskonzept her […]. Ziel ist, dass ein gewisses Outfit auf dem Produkt ist – es muss eine gewisse Linie sein, die auch zu unseren anderen Produkten passt“ (DIY_14_VG, Abs. 68). „Bei uns geht es eigentlich ‚ex ärmelo‘. D. h. [ein neues Produkt] kommt rein, wird vorgestellt, der Category Manager entscheidet dann: ist gut oder nicht gut, tauscht sich mit den Teilnehmern im Werbe- und Produktausschuss entweder telefonisch aus oder in einer der regelmäßigen Werbe- und Produktausschusssitzungen“ (DIY_13_VG, Abs. 50).
Die Handelsmarkenaufträge werden in der Praxis vielfach von den Handelsunternehmen schriftlich oder per Internet ausgeschrieben. Aus Herstellersicht stellt sich der Entscheidungs- und Verhandlungsprozess wie folgt dar: „Wenn man zu dem Entschluss gekommen ist, dass man ein Angebot abgeben möchte, wird ein Rezepturabgleich gemacht […] für dieses Produkt […], welches dann auch kalkuliert wird. Daraus wird dann letztendlich ein Angebot, wo Supply Chain und Logistik etc. mit berücksichtigt und jeweils die entsprechenden Kosten dargestellt werden […]. Zwischenzeitig ist […] vielleicht noch eine Nachkalkulation notwendig, wenn noch Veränderungen gewünscht sind. Wenn man dann den Zuschlag bekommt, […]. ist es 1193
Vgl. Kap. C.4.
1194
Dies entspricht in etwa der Einschätzung des Autors am Ende der konzeptionellen Darstellung des Prozesses. In der grafischen Übersicht des Handelsmarken-Managementprozesses sind die auftretenden Interdependenzen anhand von Pfeilen dargestellt (vgl. Abb. C-5 auf S. 128).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
241
so, dass in weiteren Gesprächen nochmal das ein oder andere ausgetauscht wird. Und dann geht es letztendlich daran, die Verpackung zu kreieren. Hierzu werden die technischen Daten, die Anwendungsempfehlungen etc. dem Kunden mitgeteilt, es gibt ein Verpackungsbriefing, wo z. B. die Stanzkonturen vom Packmittel […] enthalten sind“ (DIY_06_HE, Abs. 74).
Die Entwicklung einer Handelsmarke wird teilweise in enger Kooperation durchgeführt.1195 Das Design für die Handelsmarken geben die Handelsunternehmen indes häufig vor.1196 Partiell fließen produktspezifische Informationen in Form von Deklarations- und Anwendungshinweisen durch den Hersteller ein. „Wir geben unsere zusätzliche Informationen aufgrund unseres Produkt-Know-hows an die Baumarktkette weiter. […] je nachdem, wie kooperativ die Baumarktkette ist, werden dann unserer Vorschläge mit eingeflochten“ (DIY_04_HE, Abs. 14). „Packmittelgestaltung ist immer Thema […] des Händlers, wobei wir für […] die Deklaration und die Anwendungsempfehlung bereitstellen. Und das ist natürlich abzustimmen“ (DIY_06_HE, Abs. 42, ähnlich in Abs. 74 und DIY_07_HE, Abs. 74).
Eine Handelsmarkenführung durch die Hersteller ist für viele Experten nicht vorstellbar. 1197 Die Bereitschaft, einzelne Aufgaben des Handelsmarkenmanagements auf die Hersteller zu übertragen, ist hingegen hoch. „[…] man versucht von Seiten des Handels möglichst viel auf die Industrie zu transferieren“ (DIY_05_HA, Abs. 106, ähnlich in DIY_07_HE, Abs. 76-78). „Zuarbeiten wäre okay. Dann hätten wir die vollen Rechte und [der Hersteller] würde nur das Know-how dazu liefern“ (DIY_05_HA, Abs. 122). „[Der Hersteller] müsste dann sogar einen Großteil übernehmen, weil der Verbraucher von der Qualität überzeugt werden muss und das kann der Hersteller viel besser als wir als Vertreiber“ (DIY_08_HA, Abs. 78, ähnlich in DIY_14_VG, Abs. 106).
Diese Bereitschaft zur Abgabe von Aufgaben erklärt ein Experte mit dem Know-howVorsprung der Hersteller in der Markenführung. „Ein Handelssortimentsbetreuer hat generell in den einzelnen Produktklassen, die ein Hersteller zuliefert, für dieses Sortiment nicht die tiefe Kompetenz wie der Hersteller selbst“ (DIY_01_HE, Abs. 38). „Trotz der Gatekeeperrolle akzeptiert der Handel zumeist die Expertise des Herstellers, gerade in produkt- und sortimentspolitischen Fragen, was z. B. das Lieferprogramm anbelangt“ (DIY_01_HE, Abs. 42).
Für Hersteller besteht jedoch die Gefahr, sich durch starke Unterstützung der Händler in der Handelsmarkenführung Konkurrenz für die eigenen Markenartikel zu schaf-
1195
In DIY_05_HA, Abs. 106; DIY_04_HE, Abs. 155; DIY_11_HE, Abs. 66-68.
1196
In DIY_04_HE, Abs. 133.
1197
In DIY_05_HA, Abs. 102; DIY_06_HE, Abs. 84; DIY_08_HA, Abs. 58; DIY_13_VG, Abs. 92.
242
Kap. D
fen.1198 Die Handelsunternehmen sind zudem tendenziell nicht bereit, die Dienstleistungen, die zur Kreation und Führung von Handelsmarken notwendig sind, dem Hersteller zu vergüten.1199 Teilweise beschränken sie sich deshalb auf die Produktion der Handelsmarken und bieten keinerlei Unterstützung im Handelsmarkenmanagement an. „Die Handelsmarkenführung liegt beim Handel, wir produzieren in Abstimmung mit dem Handel die Produkte, aber die Präsentationen und die damit verbundenen Marketingmaßnahmen, Werbung etc. obliegen dem Handel. Wir haben hier nur sehr wenig bis gar keinen Einfluss“ (DIY_06_HE, Abs. 94, ähnlich in DIY_07_HE, Abs. 82).
Erschwerend kommt für Hersteller, die sich eine Unterstützung des Handelsmarkenmanagements vorstellen können, hinzu, dass die Produktion bei großen Handelsunternehmen auf mehrere Lieferanten aufgeteilt ist.1200 Zudem ist es möglich, dass ein Dienstleistungsunternehmen bestimmte Aufgaben im Rahmen des Handelsmarkenmanagements übernimmt. Insbesondere für Produkte, die in Fernost hergestellt werden, gibt es Handelsagenturen, die über sehr gute Kontakte vor Ort verfügen und als Einkaufsgesellschaft im Auftrag der Handelsunternehmen Produkte herstellen lassen. Eine Handelsmarkenführung durch Dienstleister ist für die Experten allerdings nicht vorstellbar. „Das kommt darauf an, ob sie das aus der Hand geben wollen oder nicht. Das ist sehr strategisch und deswegen auch unter oberster Aufsicht und sehr streng kontrolliert – so etwas gibt man nicht ab. Weil das wirklich die Marke [Baumarkt] nach außen repräsentiert […]. So etwas abzugeben ist immer sehr gefährlich“ (DIY_12_UE, Abs. 105, ähnlich in DIY_01_HE, Abs. 132; DIY_13_VG, Abs. 116). „Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, weil da immer […] das Gefühl wäre, der tut das für mich und der tut das für den Wettbewerb genauso. Ich würde mich nie exklusiv behandelt fühlen und das würde dazu führen, dass der keine Akzeptanz bei mir hätte“ (DIY_08_HA, Abs. 84). „Das verkompliziert das ganze noch mehr, weil man dann auf einen Dritten angewiesen ist, […] wir sind als Industriepartner vor dem Handelspartner verantwortlich, dass der pünktlich seine Ware auf der Fläche hat. Dass man das ganz an Externe abgibt, das hat, glaube ich, keine Zukunft“ (DIY_11_HE, Abs. 92).
Ein weiterer Nachteil des Outsourcing bestimmter Aufgaben an Dienstleistungsunternehmen besteht aus Sicht eines Händlers darin, dass kein Rückgriff auf den Hersteller möglich ist. Es kann so wesentlich mehr Druck ausgeübt werden, wenn kein Dienstleister dazwischen geschaltet ist. 1201 Dienstleister erfüllen hingegen, wie die Herstellerunternehmen, spezielle Aufgaben, die in Verbindung mit der Markenfüh-
1198
In DIY_11_HE, Abs. 84.
1199
In DIY_07_HE, Abs. 90.
1200
In DIY_11_HE, Abs. 86.
1201
In DIY_14_VG, Abs. 112.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
243
rung und dem Handelsmarkenmanagement stehen. In der DIY-Branche sind dies vor allem die Fachagenturen. „Man muss unterscheiden, ob das Unternehmen bereits über ein eigenes CI verfügt, was runter gebrochen wird auf die Produkte […] oder der Handel sagt, ich habe hier einen Markennamen, den habe ich mir schützen lassen […], dann hat die Agentur natürlich sehr viel mehr Freiheiten“ (DIY_06_HE, Abs. 106, ähnlich in DIY_14_VG, Abs. 70). „Da sind externe Dienstleistungsberater, Fachunternehmen natürlich immer mit eingebunden, Werbeagenturen bis zum Drucker, zum Fuhrunternehmen und Logistikspezialisten“ (DIY_01_HE, Abs. 132). „Vielleicht gibt es solche Fälle, dass solche Dienstleistungen an eine Agentur ausgegliedert werden, die trotzdem mit einem der beiden Unternehmen über eine Kapitalverpflichtung verbunden ist […] Tendenziell kann ich mir das gut vorstellen“ (DIY_07_HE, Abs. 92).
Zentrale Ergebnisse
Ein Großteil der Aufgaben des Handelsmarkenmanagements wird von den Handelsunternehmen übernommen, die Hersteller sind in der Regel nur für die Produktion verantwortlich. Teilweise findet eine gemeinsame Entwicklung von Handelsmarken durch Hersteller und Handelsunternehmen statt. Zur Professionalisierung ihrer Markenführung sind die Händler in der DIY-Branche bereit, möglichst viele Aufgaben an den Hersteller abzugeben, um von deren Produkt-Know-how zu profitieren. Ein Outsourcing der Markenführung bestimmter Handelsmarken ist für die Handelsunternehmen nicht vorstellbar, da dies einen zu großen Eingriff in die eigene Strategie bedeutete. Ebenso wenig ist ein Outsourcing handelsmarkenstrategischer Entscheidungen an Dienstleister vorstellbar. Werbe- und andere Fachagenturen übernehmen jedoch zahlreiche Aufgaben, um das Handelsmarkenmanagement der DIY-Händler zu unterstützen.
244
Kap. D
3.3
Fallstudie 2: Textilbranche
3.3.1
Branchenüberblick Textilien, Bekleidung und Schuhe
Der textile Einzelhandel ist neben allgemeinen konjunkturellen Einflüssen besonders durch Modetrends, schwankende saison- und witterungsabhängige Monatsumsätze sowie die Substitution von WSV- und SSV-Zeiträumen durch permanente Preisreduzierungen geprägt.1202 Analog zur DIY-Branche kommt ein fortschreitender Konzentrationsprozess hinzu. Im Jahr 2005 können die zehn größten Textilhandelsunternehmen 40 Prozent des Marktanteils auf sich vereinen, die 20 größten 51 Prozent. Vor zehn Jahren haben die 80 größten Textil- und Bekleidungsunternehmungen über 50 Prozent Marktanteil verfügt.1203 Die Entwicklung der deutschen Branchenumsätze im Bereich Textil/Bekleidung/Schuhe in den Jahren 2000 bis 2007 wird in Abb. D-11 veranschaulicht. Nach erheblichen Markteinbrüchen sind 2006 und 2007 erstmalig wieder Zuwächse zu verzeichnen. In der vorliegenden Arbeit werden insbesondere Handelsmarken im Bereich Bekleidung und Schuhe betrachtet, der einen Großteil der Branche darstellt.
Abb. D-11: Branchen-Umsätze Textil/Bekleidung/Schuhe 2000-2007 in Deutschland in Mrd. Euro Quelle:
BTE zitiert nach Engmann (2008), S. 45.
1202
Vgl. Engmann (2008), S. 45.
1203
Vgl. TextilWirtschaft, Nr. 38 (2007), S. 52-54; Engmann (2008), S. 143.
245
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
Der Umsatz mit Bekleidung und Schuhen auf Seiten der Handelsunternehmen beträgt 2006 47,3 Mrd. Euro (Vorjahr: 46,3 Mrd. Euro). Die Prognose für 2010 weist mit 49,2 Mrd. Euro eine weitere Umsatzsteigerung aus.1204 Der Bekleidungseinzelhandel ist in Deutschland traditionell überwiegend mittelständisch strukturiert, wenngleich der Wettbewerbsdruck auf die selbständigen Facheinzelhändler mit dem zunehmenden Eindringen filialisierter Handelsunternehmen in den letzten Jahren stark gewachsen ist.1205 Inzwischen befindet sich der deutsche Bekleidungsmarkt 1206 in einem rasanten Strukturwandel. Preisaggressive Anbieter auf der grünen Wiese und Discountketten wie KiK und Takko wachsen beständig.1207 Hinzu kommt der große Anteil branchenfremder Anbieter, allen voran die Lebensmitteldiscounter, wie der Tab. D-5 zu entnehmen ist, die die zehn größten Textilanbieter Deutschlands nach Bruttoumsatz zeigt.
Rang
Unternehmensgruppe
Anzahl der Filialen 2007
Brutto-Umsatz in Mio. Euro 2006 2007
1.
Arcandor
k. A.
4.207
4.170
2.
Otto-Gruppe
k. A.
3.548
3.406
3.
Metro
k. A.
3.074
3.072
4.
C&A
417
2.818
2.933
5.
H&M
313
2.175
2.395
6.
Peek & Cloppenburg West (inkl. Anson’s)
88
1.496
1.511
7.
Tengelmann (KiK, Plus)
2.039
1.274
1.498
8.
Aldi (Nord und Süd)
4.200
1.050
1.050
9.
Lidl
2.950
1.010
1.050
900
1.077
1.023
10.
Tchibo (inkl. Versand)
Tab. D-5: Die zehn größten Textilanbieter in Deutschland 2007 nach Brutto-Umsatz Quelle:
Eigen Darstellung mit Daten der TextilWirtschaft, zitiert nach Engmann (2008), S. 144.
1204
Vgl. BBE Retail Experts, zitiert nach Kurtz/Mett/Ritter (2008), S. 44.
1205
Vgl. Ahlert/Ahlert (2007), S. 453.
1206
Im Folgenden wird von der Branche Textil/Bekleidung/Schuhe allgemein als Bekleidungsbranche gesprochen.
1207
Vgl. Engmann (2008), S. 150.
246
Kap. D
Darüber hinaus drängen zunehmend ausländische Vertikalisten wie H&M, der spanische Textilhandelskonzern Inditex mit Zara und Massimo Dutti oder die französische Mulliez Gruppe mit Pimkie, Orsay und Xanaka auf den deutschen Markt.1208 Die Marktanteile der Betriebsformen im Bekleidungseinzelhandel sind für 2005 und 2010 (Prognose) in Abb. D-12 dargestellt. Den mit Abstand größten Anteil haben Fachhändler mit 59,8 Prozent. Prognostiziert ist ein leichter Rückgang um 0,7 Prozentpunkte. Gewinnen werden vor allem sonstige Anbieter, zu denen z. B. Tchibo oder TV-Verkaufssender zählen.
Abb. D-12: Marktanteile der Betriebsformen in der Bekleidungbranche 2005 und 2010 in Prozent Quelle:
BBE Retail Experts zitiert nach Kurtz/Mett/Ritter (2008), S. 45, (* 2010: Prognose).
Sowohl die Bekleidungsindustrie als auch der Handel mit Textilien und Bekleidung lassen sich durch eine Reihe von Besonderheiten charakterisieren, die sich in Verbindung mit den Produkten dieser Branche ergeben. Bspw. veranlassten die Grenzen der Automatisierung in der Bekleidungsproduktion die deutschen Bekleidungsunternehmen bereits in den frühen 1970er Jahren zu einer Auslagerung der arbeitsintensiven Konfektion in das lohnkostengünstigere Ausland.1209 Dieser Aspekt spielt für die Aussagen der Interviews eine bedeutsame Rolle.
1208
Vgl. Sekundärquelle [13], S. 18.
1209
Vgl. Ahlert/Große-Bölting/Heinemann (2009), S. 44.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
247
Die Besonderheiten der Branche führen ferner dazu, dass sich das Handelsmanagement in der Textilwirtschaft von dem anderer Branchen grundlegend unterscheidet.1210 Die Schnelllebigkeit der Produkte und damit die Sortimentsdynamik ist recht hoch und hat in der Vergangenheit durch die immer kürzeren Kollektionszyklen der vertikalen Systeme stetig zugenommen.1211 Die befragten Experten äußern sich ähnlich in der Beschreibung ihrer Branche und ziehen vielfach den Vergleich zur Lebensmittelbranche. „Der Kunde, der in den Lebensmittelladen geht und sich da eine Butter oder eine Cola kaufen will, tickt anders, wenn er in einen Bekleidungsladen geht“ (TEX_02_UE, Abs. 4). „Und anders als im Lebensmittelbereich […] habe ich hier einen ganz hohen Anteil an Einmalartikeln. Es ist nicht so, dass ich mich für ein T-Shirt entscheide und wenn ich das verkaufe, wird das permanent nachsortiert und ist in zwölf Monaten noch das gleiche, sondern da kommt eine neue Farbe, ein neuer Style, ein neuer Print“ (TEX_11_HA, Abs. 32). „[…] wir hatten im Laufe der letzten 25 Jahre, in denen wir uns systematisch mit dem Lebensmittelhandel befasst haben, immer den Eindruck, dass er ein Vorläufer der Entwicklung ist, die im Textilhandel kommt“ (TEX_14_HA, Abs. 19). „[…] die Nahrungsmittelindustrie ist sehr durchstrukturiert, weil sie gleichbleibende Prozesse hat und damit natürlich eine hohe Vergleichbarkeit von Saison zu Saison. Im Modebereich ist eben genau das nicht gegeben, d. h., es gibt einen Faktor Geschmack und den kann man nicht trainieren, nicht gradieren und auch nicht gewährleisten“ (TEX_10_HE, Abs. 92).
Die Experten weisen allerdings auf eine Parallele zum Lebensmittelhandel hin: Die im übertragenen Sinn schnelle „Verderblichkeit“ von Modeartikeln, die mit dem Verkauf von Obst vergleichbar sei.1212 „[…] die Ware muss, weil Bekleidung ebenso wie Lebensmittel schnell verdirbt, unglaublich schnell hier sein. […] Das ist der große Spagat, den es dort zu meistern gilt, was in der Regel auch ganz gut funktioniert, aber halt zu sehr hohen Prozesskosten“ (TEX_06_UE, Abs. 8). „[…] im Bekleidungseinzelhandel, von dem man immer gerne sagt, es ist Verkaufen wie Frischobst – es ist so schnell wieder weg, wie es gekommen ist, sind sechs Wochen eine unheimlich lange Zeit“ (TEX_13_HA, Abs. 52). „Mode hat ja ein gewisses Verfallsdatum, und Sie haben auch immer ein Stück weit unterschiedliche Prozesse, wie die Diffusion von einem Trend abläuft“ (TEX_16_HA, Abs. 40).
Der Haupterfolgsfaktor wird im Textilhandel der Lead Time, d. h. der Geschwindigkeit des Prozesses von der ersten Idee bis zum Verkauf im Geschäft zugewiesen.1213 1210
Zu den Erfolgsfaktoren im Bekleidungseinzelhandel vgl. Patt (1987).
1211
Vgl. Rudolph (2005), S. 108.
1212
In TEX_06_UE, Abs. 26.
248
Kap. D
Eine entscheidende Entwicklung in der Bekleidungsbranche sehen die Experten in der zweiseitigen Vertikalisierung der Marktstufen. Die Handelsunternehmen verstärken ihre Handelsmarkensortimente, Hersteller setzen vermehrt auf eigene Geschäfte.1214 Hinzu kommen die vollständig Vertikalen, wie z. B. Zara. „[…] beide haben verschiedene Funktionen […] und beide Extreme gleichen sich immer mehr an und vertikalisieren. P&C durch die Eigenmarken, Hugo Boss durch seine eigenen Shops. Aber im Endeffekt können sie beide auch nicht ohne einander, weil der Konsument nicht nur in einen Hugo Boss-Shop gehen möchte, außer wenn er etwas ganz gezielt sucht, aber er möchte auch einfach mal zu P&C gehen und […] das ganze Sortiment sehen“ (TEX_06_UE, Abs. 42). „Was man jetzt in der Modeindustrie beobachten kann, ist ja ganz klare Vertikalisierung und zwar von zwei Seiten. Und den Kunden, den interessiert eigentlich überhaupt gar nicht, ob das jetzt ein Hersteller ist, der zum Händler wird, oder ob es ein Händler ist, der zum Hersteller wird“ (TEX_07_HE, Abs. 78, ähnlich in TEX_14_HA, Abs. 8). „[…] die starken Marken haben jetzt alle mit eigenem Handel angefangen und mittlerweile machen sie einen Großteil ihres Umsatzes […] in eigenen Geschäften oder […] im kontrollierten Einzelhandel“ (TEX_02_UE, Abs. 26). „Die Prozesse sind bei beiden gleich, nur der Eine kommt ursprünglich eben vom Design, von der Kollektionsgestaltung her und der Andere versucht sich, vom Markt, vom Kunden her, zu vertikalisieren. Ich glaub der Erfolg, sowohl des Herstellers, als auch des vertikalen Händlers, hängt davon ab, wie sehr diese Wertschöpfungskette beherrscht wird […] und vor allem wie schnell sie ist“ (TEX_03_HA, Abs. 34, ähnlich in Abs. 2; TEX_07_HE, Abs. 78).
Insbesondere die vertikal integrierten Bekleidungshändler, die auf ein schnell verfügbares Angebot an modischer Kleidung setzen, wie z. B. Zara oder H&M, verfolgen nicht zuletzt aus Kontrollüberlegungen Eigenmarkenstrategien.1215 Vorteile vollständiger Vertikalisierung sehen die Experten neben höheren Deckungsspannen vor allem in transparenten Abverkaufsdaten und einer schnelleren Prozessabwicklung.1216 „Sie haben in dem Moment, wo Sie noch jemanden dazwischen haben, eine weitere Wertschöpfungsstufe, die in dem Prozess eine gewisse Alimentierung haben will. […] Das Andere ist, sie verlieren natürlich Zeit. Sie haben Kommunikation […]. D. h., diejenigen, die relativ schnell im Markt agieren wollen – und da sind ein Stück weit die spanischen Konkurrenten sicherlich ein Maßstab – die können sich diesen Prozess überhaupt nicht leisten“ (TEX_16_HA, Abs. 40).
Die Grenzen zwischen Hersteller und Handel verlieren durch die Vertikalisierung an Trennschärfe und es kommt hinzu, dass ein überwiegender Teil der Hersteller keine 1213
In TEX_03_HA, Abs. 34; TEX_08_HE, Abs. 76; TEX_09_HA, Abs. 24; TEX_13_HA, Abs. 48; TEX_14_HA, Abs. 29.
1214
Zu den Einflussfaktoren, warum Unternehmen mehrere Distributionswege zum Kunden suchen, vgl. Jindal et al. (2007).
1215
Vgl. Liebmann/Zentes/Swoboda (2008), S. 511.
1216
In TEX_03_HA, Abs. 44; TEX_06_UE, Abs. 18; TEX_07_HE, Abs. 40.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
249
klassischen Produktionsfunktionen mehr erfüllt, sondern sich seinerseits an sog. Contract Manufacturer wendet, d. h. er gibt einen Großteil seiner Produktion an Hersteller in weniger lohnintensiven Ländern als Auftragsfertigung ab.1217 „Der Hersteller hat maximal ein Prozent Eigenproduktion […], er kontrolliert die textile Kette, […] und ist im Grunde ein Wholesaler. […] Da gibt es in Indien und China Produzenten, die ausschließlich Contract Manufacturer sind – bei denen vermischt sich das. Die Auftraggeber sind sowohl Agenturen wie ein Li & Fung, Händler wie ein P&C, der seine McNeil-Eigenmarke macht und die klassischen Markenartikler wie Esprit und Boss“ (TEX_02_UE, Abs. 26). „Der Hersteller stellt heute nicht mehr her, der gibt das irgendwo in die verlängerte Werkbank rein. – Der vertikale Händler hat noch nie selber hergestellt, der gibt das im Prinzip gleich in China oder in Bangladesch in Auftrag“ (TEX_03_HA, Abs. 32, ähnlich in TEX_06_UE, Abs. 8). „Selbst die Erstmuster werden teilweise in Osteuropa oder in Asien gemacht, d. h. hier wird gar nichts mehr genäht, was natürlich immer den großen Nachteil hat, dass ein sehr großer Verlust an Kompetenz und Expertise stattfindet“ (TEX_06_UE, Abs. 36).
Die Bekleidungsbranche lässt sich in ihren Besonderheiten zusammenfassend durch eine Schnelllebigkeit vieler Marken, eine hohe Sortimentsdynamik, die zweiseitige Vertikalisierung von Herstellern und Händlern sowie die Produktionsverlagerung nach Osteuropa und Asien charakterisieren. 3.3.2
Beziehungen von Textilherstellern und Handelsunternehmen
Das Hersteller-Händler-Verhältnis ist im Bekleidungsbereich recht speziell und wenn im Folgenden die Beziehungen von Herstellern und Handelsunternehmen untersucht werden, beziehen sich die Ausführungen zum Teil auf die Hersteller, die einen Großteil ihrer Produktion an Contract Manufacturer in weniger lohnkostenintensiven Ländern abgegeben haben und zum Teil auf eben diese produzierenden Einheiten im Ausland. „So vor 10, 15 Jahren, war die Beziehung der Handelspartner zum Handelshaus eher davon geprägt, dass man im klassischen Sinne zweimal im Jahr groß geordert hat, dann gab es einen Zeitraum des Abverkaufes und dann wurde sich nach einem Zeitraum X wieder hingesetzt und mal geguckt, was da so rausgekommen ist. Heutzutage – ganz stark natürlich getrieben durch Shop-Konzepte, durch Flächenkonzepte, durch vertikale Partnerschaften und so weiter und so fort – hat sich die Art der Zusammenarbeit […] dramatisch verändert“ (TEX_05_HA, Abs. 24).
Die Geschäftsbeziehungen können teilweise kurzfristig sein, wenn z. B. SpotGeschäfte auf Großhandelsebene getätigt werden,1218 in der Regel sind sie jedoch sowohl für Markenartikel als auch für Handelsmarken eher langfristig angelegt.1219 1217
In TEX_02_UE, Abs. 26.
1218
In TEX_01_GH, Abs. 12-14.
1219
In TEX_02_UE, Abs. 40; TEX_03_HA, Abs. 24; TEX_04_UE, Abs. 34; TEX_05_HA, Abs. 28-30.
250
Kap. D
Als Grund hierfür nennen die Experten das erforderliche Vertrauen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.1220 Bezogen auf die Handelsmarken reduzieren sich die Geschäftsbeziehungen allerdings vielfach auf den Preis. „Die Geschäftsbeziehungen im Handelsmarkenbereich sind sehr, sehr stark preisgeprägt. Es wird schon erwartet, dass man Mengen zu einer Qualität, die auch messbar ist, liefert. Aber es ist ein preislich schon weitgehend ausgelutschtes Geschäft, je standardisierter die Kategorien sind“ (TEX_01_GH, Abs. 10). „Bei qualitativ anspruchsvollen Produkten habe ich langfristige Geschäftsbeziehungen. Bei austauschbaren Produkten wie T-Shirts, Unterwäsche, […] da mache ich eher ein Tendering […]. D. h., über eine weltweite Ausschreibung suche ich mir jedes Jahr die günstigsten Lieferanten“ (TEX_02_UE, Abs. 42). „Jeder kann in Asien Ware kaufen. Die einzigen Markteintrittsbarrieren sind im Grunde, habe ich das Know-how, habe ich die Kontakte und habe ich das Kapital? Know-how, Kontakte, Kapital – die drei „K“ und das kann man im Grunde als Händler relativ bequem aufbauen“ (TEX_01_GH, Abs. 14).
Die Konditionengespräche nehmen hingegen im Vergleich zur Lebensmittelbranche eine weniger dominante Rolle ein.1221 Dementsprechend ist der Umgang in den Verhandlungen weniger aggressiv. „[…] wir haben eher die Situation, dass ein Bekleidungshändler gerne eine starke Marke hätte und die nicht bekommt, weil sie wie eine Exklusivmarke behandelt wird. Da sehen wir diese Begehrlichkeit, die wir so im FCMG-Bereich gar nicht haben, wegen des Diskriminierungsverbotes. Dort habe ich dann ständig diesen Konflikt über die Konditionen. Den habe ich im Bekleidungsbereich so nicht, weil ich da relativ starre, vorgegebene Konditionen habe und über die Kondition bei starken Marken nicht verhandelt wird“ (TEX_02_UE, Abs. 32). „[Die Verhandlungen] sind anstrengend, sie sind intensiv, aber konstruktiv. Wir haben ganz selten Fälle, wo es zu einer Eskalation kommt“ (TEX_11_HA, Abs. 30).
Die Handelsunternehmen pflegen eine monatliche bis tägliche Abstimmung und einen regelmäßigen Austausch von Informationen mit Markenherstellern.1222 Es existieren hingegen nur wenige funktionierende Informationspartnerschaften, in denen der Hersteller vom Handel Informationen über Abverkäufe bezieht.1223 Eine Ausnahme stellt das Herstellerunternehmen eines der befragten Experten dar, der eine sehr intensive Kooperation mit den Handelsunternehmen schildert. Ein Händler wünscht sich diese Intensität der Zusammenarbeit in weiteren Bereichen. „[…] nehmen wir als Beispiel ein Handelshaus mit [x] Häusern. Dort wissen wir zu jeder Minute und zu jedem Zeitpunkt, wie viel Bestand von welchem Artikel, in welcher Grö1220
In TEX_05_HA, Abs. 50; TEX_08_HE, Abs. 78; TEX_12_VG, Abs. 78; TEX_13_HA, Abs. 34; TEX_14_HA, Abs. 25.
1221
In TEX_02_UE, Abs. 16; TEX_04_UE, Abs. 32; TEX_05_HA, Abs. 32; TEX_14_HA, Abs. 21.
1222
In TEX_04_UE, Abs. 56; TEX_05_HA, Abs. 26; TEX_08_HE, Abs. 28; TEX_11_HA, Abs. 28.
1223
In TEX_14_HA, Abs. 21.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
251
ße, welcher Farbe und in welcher Filiale ist. Was der Händler am Tag abverkauft, wird uns in der Nacht gemeldet, verarbeitet und ist dann am nächsten Morgen wieder in der Filiale. Vendor Managed Inventory – wir sind da komplett durchgesteuert. Wir vereinbaren [mit dem Handelsunternehmen], welches Sortiment in welcher Filiale geführt werden soll und den Rest machen wir“ (TEX_10_HE, Abs. 32). „[Ziel ist es], gemeinsam zu analysieren im Sinne eines Category Captain. Du bist mein Hemdenlieferant, einmal Private Label und einmal Fremdmarke […] jetzt kümmere dich bitte darum, dass angesichts dieser Daten von dir ständig Vorschlagslisten produziert werden, was verstärkt werden müsste oder was wir aus dem Sortiment rausnehmen“ (TEX_14_HA, Abs. 31).
Der Datenaustausch, insbesondere von Scanner-Daten, hat sich laut Aussage der Experten zwar verbessert, er findet jedoch nicht wie im LEH zur Mengen- und Trendprognose statt, sondern dient in erster Linie der Abrechnung verkaufter Ware. „[…] die Art der Zusammenarbeit […], die Transparenz der Zahlen, der Zahlenaustausch, […] haben sich in der Qualität deutlich verbessert“ (TEX_05_HA, Abs. 24). „Sie kriegen aus dem Markt ein Feedback: Sie können ins Data-Mining gehen, […] haben Scanner-Kassen […]. Das ist ein Stück weit ein Steuerungsmodul, […] das hat allerdings nur eine begrenzte Funktionalität. Der Konsument sagt ihnen ja in t1 nicht, was er in t2 haben will“ (TEX_16_HA, Abs. 40). „Es ist alles nicht so strukturiert und so standardisiert wie die Marktforschung im Lebensmittelbereich, man verfolgt lediglich Entwicklungen“ (TEX_01_GH, Abs. 18). „[…] ich glaube, dass kaum irgendjemand wirklich Trendschlüsse daraus zieht. Es ist eigentlich fast ausschließlich das buchhalterische Sicherheitsmoment“ (TEX_14_HA, Abs. 29, ähnlich in TEX_10_HE, Abs. 38; TEX_16_HA, Abs. 48).
Die Marktforschung erfolgt im Wesentlichen über Trend-Scouts, d. h. vom Handel oder der Industrie eingesetzte Marktforscher, die in Modemetropolen wie London oder Paris den Wandel des Verbraucherverhaltens aufspüren sollen. Die Erkenntnisse daraus sind allerdings von zeitlich stark begrenzter Gültigkeit.1224 Konsumentenbefragungen eignen sich grundsätzlich nicht für die Bekleidungsbranche, da zum einen die Lead Times zu lang für eine Umsetzung der Befragungsergebnisse sind und zum anderen die Konsumenten ihren Geschmack bezüglich Bekleidung häufig nicht artikulieren können.1225 Teilweise werden allgemeine Marktinformationen zwischen Herstellern und Händlern ausgetauscht, wie Marktanteilsveränderungen oder sog. „Renner-Penner-Listen“. 1226 Im Bereich der Handelsmarken findet hingegen teilweise gar kein Kontakt zu den Herstellern statt, sondern die Abwicklung erfolgt über Handelsagenturen in den osteuropäischen und asiatischen Ländern. 1227 Eine 1224
In TEX_10_HE, Abs. 48; TEX_11_HA, Abs. 40; TEX_16_HA, Abs. 64.
1225
In TEX_16_HA, Abs. 42-44. Eingesetzt werden Konsumentenbefragungen teilweise zur Abfrage von Bekanntheitsgrad und Sympathiewerten (TEX_11_HA, Abs. 86).
1226
In TEX_11_HA, Abs. 40; TEX_12_VG, Abs. 76; TEX_13_HA, Abs. 42.
1227
In TEX_13_HA, Abs. 30.
252
Kap. D
Rückmeldung von Verkaufsdaten an die Hersteller wird nicht vorgenommen, da sie für diesen keinerlei Bedeutung haben.1228 „[…] für den Eigenmarkenlieferanten braucht es keine Abverkaufserfolge, weil wir eh voll im Absatzrisiko stehen […]. Soll ich dem Lieferanten in China sagen, dass ich jetzt von den 100 Hosen, die er produziert hat, 90 verkauft habe und 10 abschreiben musste?“ (TEX_15_HA, Abs. 58).
Konflikte zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen treten in der Bekleidungsbranche in zahlreichen Facetten auf. Sie können entstehen, wenn Ware falsch oder nicht fristgerecht geliefert wird – was aufgrund des hohen Produktionsanteils in Fernost bei Handelsmarken häufig vorkommt.1229 „Sie haben ihre Label-Lieferanten, die schicken dann ihre tausend Labels hierhin, ihre tausend Labels dahin, so dass sie wenigstens die gleichen Labels verwenden […], und der Verbraucher wenigstens am Label nicht den Unterschied merkt. Aber die eine Bluse, die kaufen sie heute vom Lieferanten A und morgen vom Lieferanten B und die Passformen sind nicht abgestimmt, die Konfektionen sind nicht abgestimmt, die Farben sind nicht untereinander abgestimmt. […] Und das ist eben das, was die Vertikalen beherrschen und die Markenhersteller sowieso“ (TEX_03_HA, Abs. 32).
Bei Markenartikeln gehen die Ansichten zur Präsentationen der Marke am PoS weit auseinander.1230 Zudem führt die Eröffnung eigener Geschäfte durch die Hersteller zu angespannten Situationen mit Handelsunternehmen, die am gleichen Standort vertreten sind.1231 „[…] die Markenhersteller investieren in eigenen Retail, bauen eigene Stores […] auf und das muss nicht immer zum Nachteil der Händler sein. Wir hatten auch Fälle, wo wir am Anfang wirklich größere Konflikte hatten und dann nach der Eröffnung unseres Stores, machte der Händler am Ende sogar noch Zusatzumsatz auf seiner Fläche, weil die Marke in der Stadt halt noch besser repräsentiert war, noch stärker im Bewusstsein der Kunden“ (TEX_07_HE, Abs. 38).
Darüberhinaus ist, wie in allen Hersteller-Handels-Beziehungen, die Aufteilung der Wertschöpfungsspanne ein konfliktreiches Verhandlungsfeld.1232 „Der Handel möchte die höheren Margen haben, drückt die Hersteller in ihren Preisen. Das ist aber ein Spiel, was seit ewigen Zeiten besteht. Aber das ist schon schärfer geworden über die letzten 10, 15 Jahre. Je mehr der Handel unter Druck kommt, desto mehr setzt er die Lieferanten unter Druck“ (TEX_13_HA, Abs. 24). „Ich möchte nicht verhehlen, dass es auch immer wieder Konflikte gibt, wenn es um Preise geht […], aber da muss man sich zusammensetzen“ (TEX_08_HE, Abs. 80).
1228
In TEX_02_UE, Abs. 52; TEX_09_HA, Abs. 48.
1229
In TEX_05_HA, Abs. 32.
1230
In TEX_05_HA, Abs. 32.
1231
In TEX_07_HE, Abs. 38.
1232
In TEX_04_UE, Abs. 32; TEX_08_HE, Abs. 80; TEX_13_HA, Abs. 24.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
253
„[…] auch wenn es keine Preisbindung gibt, werden Preise in fast kartellhafter Art und Weise versucht durchzusetzen. Du wirst ganz einfach nicht mehr beliefert, wenn du ständig gegen die unverbindlichen Preisempfehlungen verstößt“ (TEX_14_HA, Abs. 21).
Die zweiseitige Vertikalisierung der Hersteller- und Handelsunternehmen eröffnet in Bezug auf den Informationsaustausch ein weiteres, rechtliches Konfliktpotenzial, wie ein Händler berichtet. „Würden wir [Abverkaufsdaten austauschen], würden wir latent Kartellrechtsprobleme möglicherweise bekommen, denn die Marken, mit denen wir kooperieren, […] verfügen auch über einen eigenen Retail, und damit stehen sie unmittelbar mit uns im Wettbewerb, Austausch über Markterfolge würde bedeuten, Informationen zur Verfügung zu stellen, die ein Preiskartell ermöglichen würden“ (TEX_15_HA, Abs. 60).
Die Machtverhältnisse sind in der Bekleidungsbranche aufgrund der vertikalen Strukturen und dem hohen Herstelleranteil im Ausland nicht eindeutig festgelegt. Früher sind die Einkäufer zu den Herstellern nach Italien oder Fernost gefahren und haben die angebotene Ware bestellt, heute hat sich dieser Prozess gedreht und die Händler geben die Massentrends vor. 1233 Durch die zunehmende Vorwärtsintegration und Internationalisierung der Markenhersteller hat sich die Machtposition der großen Handelsunternehmen jedoch relativiert. 1234 Gegenüber Herstellern von Handelsmarken in Osteuropa oder Asien haben Machtstrukturen einen geringen Einfluss auf die Geschäftsbeziehung,1235 in Bezug auf Hersteller von sehr starken (Luxus-) Marken besteht hingegen, unabhängig von deren Absatzvolumen, immer noch eine starke Abhängigkeit seitens der Handelsunternehmen, die eine Multi-Label-Strategie verfolgen. „[…] das ist ganz stark davon abhängig, welchem Partner man auf der anderen Seite gegenübersitzt. Eine starke Marke hat auch eine starke Verhandlungsposition und starke Marke heißt nicht automatisch immer auch groß. Es gibt viele starke Marken, z. B. ein Belstaff, […] die sind klein, aber sehr, sehr stark“ (TEX_05_HA, Abs. 36). „[…] je mehr du mit hochwertigen Marken arbeitest, umso weniger kannst du Lieferzeitpunkte bestimmen, weil die sich manchmal eher als Künstler, denn als Lieferanten verstehen. Und wenn du mit Topmarken arbeitest, kannst du auch nichts machen, weil die müssen dich nicht unbedingt beliefern – das hängt von der Marktmacht ab […] zumindest hat man da eher eine Joint-Situation als eine Drucksituation, wie man es jetzt im Lebensmittelhandel kennt“ (TEX_09_HA, Abs. 22). „Also bei uns ist es so, dass wir sehr stark sind – ohne uns kann eigentlich keiner. Und dies ist ein angenehmes Problem, weil man dadurch sehr selbstbewusst argumentieren kann“ (TEX_10_HE, Abs. 26).
1233
In TEX_13_HA, Abs. 32.
1234
In TEX_05_HA, Abs. 38; TEX_08_HE, Abs. 38.
1235
In TEX_02_UE, Abs. 44.
254
Kap. D
Ein wichtiger Bestandteil des Beziehungsmanagements ist in der Bekleidungsbranche die Auswahl der Lieferanten und die damit verbundene soziale Verantwortung. Ein Händler berichtet, dass es stark von der Beschaffungspolitik abhängt, ob Kinderarbeit oder Lohndumping billigend in Kaufgenommen werden. „Wenn sie beispielsweise ein T-Shirt mit einer gestickten Applikation oder mit bestimmten Dingen in bestimmten Teilen von Indien platzieren, dann sind sie entweder ein Idiot oder sie nehmen das, was dann passieren kann, billigend in Kauf, weil sie wissen, dass es bestimmte Regionen gibt in Indien, die dafür bekannt sind und die auch sehr, sehr schwer zu überwachen sind. Und wenn sie einigermaßen Verantwortung haben, dann platzieren sie da keinen Auftrag“ (TEX_16_HA, Abs. 76).
Zentrale Ergebnisse
Die Beziehungsdauer und -qualität sowie die Machtstrukturen zwischen Hersteller und Händler hängen in der Bekleidungsbranche von der geforderten Produktqualität und der Bedeutung der Marke sowie der entsprechenden Warengruppe ab. Insbesondere unterscheiden sich Beziehungen der Handelsunternehmen zu Markenartikelherstellern, die Handelsmarken als Zusatzgeschäft anbieten, von denen zu Produktionsfirmen in Fernost, die teilweise nur über Agenturen abgewickelt werden. Datenaustausch findet nur vereinzelt zu Marktforschungszwecken statt, da die vorliegenden Abverkaufsdaten kaum zukunftsgerichtete Prognosen zulassen. ECR-Partnerschaften stellen gleichermaßen eine Ausnahme dar. Konfliktfelder in der Hersteller-Handels-Beziehung liegen in Bezug auf Handelsmarken vor allem in falsch oder nicht termingerecht gelieferter Ware. Bei Markenartikelherstellern kommen Konflikte durch Vorwärtsintegration und Differenzen in der Markenpräsentation hinzu. Bestehen Beziehungen zu Produzenten in Asien, sind in der Beschaffung soziale Verantwortungsbereiche wie Kinderarbeit und LohnDumping zu beachten.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
3.3.3
255
Marken- und Handelsmarkenverständnis in der Bekleidungsbranche
Die Experten der Bekleidungsbranche wurden im Hinblick auf die erste Forschungsfrage ebenfalls nach ihrem Verständnis einer Marke befragt. Einen Auszug der in den Interviews wiedergegebenen Markenverständnisse zeigt Tab. D-6.1236 Experte
Markenverständnis
TEX_07_HE, Abs. 74
„Eine Hauptfunktion der Marke ist, dass sie ein Qualitätsversprechen abgibt […], ein Image, mit dem sich der Kunde identifiziert, das er benutzt […], um seine Persönlichkeit irgendwie darzustellen. Und dieses Image und das Versprechen muss aus meiner Sicht konsistent sein, […] muss verlässlich sein, das macht die Marke aus.“
TEX_08_HE, Abs. 66
„Eine starke Marke zeichnet sich für mich zunächst mal durch den Bekanntheitsgrad aus, die Leistungsfähigkeit der Marke, ein gutes Produkt, eine gute Qualität, gute Passform und dann sicherlich auch, um das zu erreichen, […] ein leistungsfähiges, gutes Marketing.“
TEX_10_HE, Abs. 40
„Eine starke Marke ist ein Qualitätsversprechen, das der Endverbraucher mit dem Namen verbindet.“
TEX_03_HA, Abs. 46
„[…] für mich ist es die starke, eigenständig profilierte Marke, die von einem Markenartikler, möglichst über Generationen aufgebaut, gepflegt worden ist.“
TEX_09_HA, Abs. 56
„Ich verstehe Marke als einen ganzheitlichen Ansatz, der mehr oder weniger das gesamte Umfeld dessen, was diese Marke kommuniziert, umfasst; also für mich ist das das Produkt, ist das die Marketingbotschaft, sind das die Menschen, die dahinter stehen.“
TEX_11_HA, Abs. 48
„Marken sind Phänomene, die im Kopf des Verbrauchers Schneisen des Bewusstseins schlagen.“
TEX_15_HA, Abs. 70
„Eine Marke, die den akademischen Definitionen in den Lehrbüchern entspricht, sehe ich nicht als eine starke Marke. Die Ubiquität, die Wiedererkennbarkeit und die durchgängige Markierung […] erfüllen so ziemlich viele Produkte, aber deswegen sind sie noch lange keine starken Marken. […] Starke Marken wären in meiner Definition Marken, die die Fähigkeiten haben, sich selbst zu imitieren.“
TEX_12_VG, Abs. 92
„Für mich hat Marke damit zu tun, dass sie eine Identität hat, authentisch ist und einen Fokus auf eine gewisse Käuferschicht legt, oder die Lebenswelt einer gewissen Käuferschicht, die sie ansprechen will, widerspiegelt.“
TEX_04_UE, Abs. 60
„Eine Herstellermarke oder eine Premiummarke macht für mich die unvergleichbare Begehrlichkeit durch den Konsumenten für diese Marke aus.“
Tab. D-6: Ausgewählte Markendefinitionen der befragten Textilexperten Quelle:
1236
Eigene Zusammenstellung.
Die Tabelle ist nach Bezugsgruppen sortiert.
256
Kap. D
Das Markenverständnis der befragten Experten reicht von merkmalsorientiert (TEX_08_HE) 1237 über wirkungsorientiert (TEX_04_UE), 1238 imageorientiert (TEX_07_HE),1239 technokratisch-strategieorientiert (TEX_15_HA)1240 und identitätsorientiert (TEX_12_VG)1241 bis hin zu einem Markenverständnis, das dem dieser Arbeit recht nahe kommt (TEX_11_HA).1242 In der Bekleidungsbranche haben Marken einen anderen Stellenwert als z. B. in der Lebensmittelbranche. „Wenn sie jetzt eine Handelsmarke im LEH sehen […], dann sind das ja mehr Verbrauchs- als Gebrauchsgüter. Modeartikel sind kurz- bzw. mittellebige Gebrauchsgüter, die eben auch ein Stück weit demonstrativer Konsum sind, wo Sie eben sagen können: ‚Ich habe das und strahle damit dieses und jenes aus‘“ (TEX_16_HA, Abs. 56).
Den Versuch einer Definition des Handelsmarkenbegriffs nimmt ein Händler wie folgt vor: „[…] für mich existieren zwei konstitutive Merkmale, um zu sagen, das ist eine Handelsmarke: Uns gehören die Rechte an der Marke und wir organisieren die Produktion und den Vertrieb“ (TEX_15_HA, Abs. 102).
Aus Sicht der Konsumenten wird oft gar nicht zwischen Hersteller- und Handelsmarken unterschieden. Die Markenorientierung ist beim Kleidungskauf in den letzten Jahren zwar leicht gestiegen, trotzdem spielt die Produktmarke als Kaufkriterium nur eine untergeordnete Rolle.1243 Handelsmarken werden von den meisten Händlern in erster Linie aufgrund höherer Deckungsspannen eingesetzt. 1244 Wesentlich bedeutender schätzen die Experten die Betriebstypenmarke ein.1245 „[…] die Markengestaltung beschränkt sich im Wesentlichen auf das Anbringen von Etiketten. Es sind eben die Labels, die irgendwo an der Ware hängen oder die man einnäht. Die spielen dort aber optisch nicht die gleiche Rolle, wie bei anderen Produkten bspw. aus dem Lebensmittelbereich“ (TEX_01_GH, Abs. 10, ähnlich in TEX_15_HA, Abs. 92). „Die Storebrand hat eine viel größere Bedeutung im Bekleidungshandel als im Lebensmittelhandel, da hat der Markenartikel eine große Bedeutung. […] es gibt ein paar Marken, die führt der Händler und da legt der Kunde vielleicht Wert drauf, die sich an-
1237
Vgl. Kap. B.1.2.2, S. 15.
1238
Vgl. Kap. B.1.2.3, S. 17.
1239
Vgl. Kap. B.1.2.3, S. 18.
1240
Vgl. Kap. B.1.2.3, S. 19.
1241
Vgl. Kap. B.1.2.4, S. 20.
1242
Vgl. Kap. B.1.3, S. 23.
1243
Vgl. Sekundärquelle [14], S. 7.
1244
In TEX_03_HA, Abs. 16; TEX_04_UE, Abs. 12; TEX_06_UE, Abs. 10, 18, 68; TEX_07_HE, Abs. 32; TEX_09_HA, Abs. 16; TEX_12_VG, Abs. 36, 116; TEX_16_HA, Abs. 18.
1245
In TEX_02_UE, Abs. 4; TEX_07_HE, Abs. 98.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
257
zugucken, aber bei den Produkten ist die Marke relativ unbedeutend. Wenn das ein schickes Kleid ist, dann kauft eine Dame das“ (TEX_02_UE, Abs. 4). „[…] das Stichwort ‚Vertikale‘ zeigt, dass die Handelsmarke – die Marke Hennes & Mauritz […] oder Zara ist eine Handelsmarke, aber mehr als eine normale Handelsmarke – […] im Grunde ein Art Symbiose von Storebrand und Handelsmarke [ist]“ (TEX_02_UE, Abs. 4, ähnlich in TEX_03_HA, Abs. 18).
Hinzu kommt die Kurzlebigkeit von Bekleidungsmarken, die sehr schnell zu hoher Bekanntheit gelangen und nach einigen Jahren keine Bedeutung mehr haben. Als Beispiel führt ein Händler Belstaff und Peuterey an,1246 zwei Händler nennen Ed Hardy als Beispiel für eine kurzlebige Marke.1247 „Und dann kann es auch schon mal sein, dass Marken innerhalb von ein bis zwei Jahren hochkommen, aber genauso schnell auch wieder weg sind“ (TEX_05_HA, Abs. 30, ähnlich in TEX_14_HA, Abs. 25; TEX_16_HA, Abs. 84). „Die sitzen auf dem hohen Ross. Sie wissen, dass sie ihre Waren nicht verkaufen müssen, sondern verteilen können – an die, die bereit sind, es zu deren Konditionen zu machen“ (TEX_14_HA, Abs. 25, ähnlich in Abs. 21).
Der Modegrad und das Verarbeitungsniveau determinieren nach Aussage der Experten die Eignung zur Handelsmarkenverwendung. Insbesondere in Sortimenten mit wenig modischem Anspruch und gleichbleibender Nachfrage werden nach Aussage der Experten zahlreiche Handelsmarken eingesetzt.1248 „[…] die Eigenmarke bezieht sich eher auf weniger komplizierte Sortimente. Das sind die Basic-Sortimente, das sind die Leisure Wear-Sortimente – T-Shirts, Jeans und so weiter. Wenn wir in den hochwertigen Konfektionsbereich kommen, wird das da dünner, sehr viel dünner, weil es da auch relativ starke Marken gibt“ (TEX_02_UE, Abs. 22, ähnlich in TEX_09_HA, Abs. 74). „[…] es ist wesentlich einfacher in Artikelbereichen wie Hemd, Pullover und Hose Handelsmarken zu produzieren […]. Wenn wir jetzt über hochwertige Pelzjacken nachdenken, dann ist es natürlich wesentlich schwerer, da einen Lieferanten zu finden, der das produziert. Da ist das Risiko viel höher, da sind der stilistische, geschmackliche Anspruch, die Schnittmuster sehr viel schwerer, da braucht man viel mehr Know-how in der Produktgestaltung, und manche Produkte kannst du da schlichtweg nicht produzieren“ (TEX_09_HA, Abs. 20).
Die Handelsmarken werden teilweise extensiv, aber ohne jegliche Markenführung eingesetzt. Die befragten Experten würden daher nur wenigen Produkten einen Markenstatus attestieren. „Im Bekleidungsbereich glaube ich, dass wir vielfach über Marken sprechen, obwohl es keine Marke ist, sondern nur ein Logo“ (TEX_02_UE, Abs. 108, ähnlich in TEX_15_HA, Abs. 92). 1246
In TEX_14_HA, Abs. 25.
1247
In TEX_16_HA, Abs. 84; TEX_15_HA, Abs. 170.
1248
In TEX_02_UE, Abs. 22, 26; TEX_09_HA, Abs. 72-74.
258
Kap. D
„Die Handelsmarke hat das Problem, dass sie inflationär verwendet wird, also, dass jeder Händler, der meint, er würde irgendwo ‚Mama Maria‘ draufschreiben, dann eine eigene Marke kreiert hätte. Das ist genau das Problem der Handelsmarke und das ist auch gleichzeitig wieder die Stärke der Vertikalen, die eben die Markenführung der Handelsmarke perfektionieren“ (TEX_03_HA, Abs. 32, ähnlich in TEX_02_UE, Abs. 4). „Es gibt sehr, sehr wenige Handelsmarken, denen ich attestieren würde, dass sie Handelsmarken sind“ (TEX_08_HE, Abs. 44).
Zentrale Ergebnisse
3.3.4
Das Markenverständnis der Bekleidungsexperten ist vielfältig und ist schwerpunktmäßig den nachfrageorientierten Ansätzen zuzuordnen. Marken können in der Bekleidungsbranche innerhalb kurzer Zeit einen Hype erlangen und ebenso schnell wieder vom Markt verschwinden. Handelsmarken werden inflationär eingesetzt und stellen, im Sinne des Markenverständnisses dieser Arbeit, häufig lediglich Markenattrappen dar. Die Vertikalisten vereinen Betriebstypenmarke und Handelsmarken und bekommen dadurch eine ganz andere qualitative Wahrnehmung. In Multi-Label-Stores wird das Angebot von Handelsmarken mit wenigen Ausnahmen auf Basissortimente beschränkt.
Handelsmarkenbedeutung im Bekleidungseinzelhandel
Die Bekleidungshersteller wie Esprit oder Benetton verkaufen zunehmend in eigenen Handelsoutlets. Diese Vertikalisierung in Form von Vorwärtsintegration der Hersteller für dazu, dass die Konsumenten diese verstärkt als Handelsunternehmen wahrnehmen.1249 Das Aufkommen der Handelsmarken in der Bekleidungsbranche führen die Experten ebenfalls auf die Vertikalisierung zurück. „[…] 1980/82 so um den Dreh, kamen die ersten Handelsmarken signifikant hoch und der Markt für Handelsmarken hat sich […] deutlich angehoben, stagniert aber jetzt in den letzten Jahren. Es ist also kein wertmäßiger Zuwachs mehr zu vermessen“ (TEX_10_HE, Abs. 16). „Der Auslöser […], dass man sich verstärkt mit dem Thema beschäftigt hat, war eindeutig die Vertikalisierung. Davor war der Textilhandel so ein bisschen im Dornröschenschlaf“ (TEX_09_HA, Abs. 24, ähnlich in TEX_02_UE, Abs. 30).
1249
In TEX_07_HE, Abs. 78; TEX_14_HA, Abs. 35-37.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
259
„[…] die Handelsmarken sind, wenn man die vertikalen Marken – und das ist meine Meinung – als Handelsmarken bezeichnet, die großen Gewinner“ (TEX_02_UE, Abs. 4).
Als Gründe für den verstärkten Einsatz von Handelsmarken außerhalb der Vertikalisten geben die Händler die Profilierung der Geschäftsstätte und einen höheren Ertrag an.1250 Zu letzterem äußert sich ein Händler jedoch kritisch. „Zuerst einmal ist der Faktor Alleinstellung ganz wichtig. Das Andere ist Ertragskraft“ (TEX_11_HA, Abs. 18). „Der Glaube an das Margen-Wunder in der Handelsmarke [hat] sich, zumindest aus meiner Sicht, für viele eben nicht bewahrheitet“ (TEX_09_HA, Abs. 24).
Die Einführung von Handelsmarken lohnt sich nicht für alle Händler gleichermaßen. Insbesondere bedarf es nach Ansicht der Experten eines bestimmten Volumens und der entsprechenden Finanzierung zur Entwicklung und zum Management der Handelsmarken. „Und dann ist das eine Volumenfrage. Für uns ist zum Beispiel ein Kinderbereich zwar wichtig, aber nicht so groß, dass du eigentlich skalenmäßig vernünftig Private Label produzieren kannst“ (TEX_09_HA, Abs. 20). „Das ist nicht immer nur die Produktstärke, sondern eben einfach auch die Frage, wie nehme ich die Marke war und das ist ein Punkt, wo […] die Exklusivmarken und Eigenmarken noch viel lernen können. Aber es bedarf natürlich auch der entsprechenden finanziellen Kraft, das zu tun.“ (TEX_05_HA, Abs. 106)
Für kleinere Bekleidungseinzelhändler besteht hingegen die Möglichkeit, sich in Verbundgruppen zu organisieren und auf die Handelsmarken zurückzugreifen, die die Verbundgruppenzentrale ihnen anbietet. Die weitere Entwicklung von Handelsmarken schätzen die Experten positiv ein. „[…] die Handelsmarken haben sich schon sehr viel vom Marktanteil erkämpft und ich glaube auch, dass das sich weiter fortsetzt. Heißt für mich: Die guten und die starken Marken werden sich auf dem Markt durchsetzen. Es wird Marken, die es heute noch gibt, vielleicht morgen nicht mehr geben, weil sie einfach nicht den langen Atem, vielleicht auch nicht die richtige Strategie, die richtigen Konzepte haben. Und auf der anderen Seite, glaube ich, dass Handelsmarken weiter erfolgreich ihren Weg gehen werden“ (TEX_08_HE, Abs. 102). „Erstens: das Thema Handelsmarken wird weiter zunehmen. Man sieht auch eine Professionalisierung in dem Thema. […] Das Zweite ist: es wird auch im textilen Bereich zunehmen, wobei man gucken muss, wer überhaupt das Volumen hat, so etwas zu stemmen“ (TEX_11_HA, Abs. 92).
Die branchenfremden Anbieter, wie Discounter, Verbrauchermärkte und SBWarenhäuser, bieten vor allem Standardware an, die eine breite Käuferschicht anspricht. Dies führt zu einer Einschränkung in Bezug auf modische Ware und ein ziel1250
In TEX_09_HA, Abs. 76; TEX_11_HA, Abs. 18, 98; TEX_14_HA, Abs. 8.
260
Kap. D
gruppenspezifisches Sortiment. Insbesondere Discounter setzen bei Bekleidung auf ein meist wöchentlich wechselndes Warenangebot mit hoher Umschlagshäufigkeit.1251
Zentrale Ergebnisse
3.3.5 3.3.5.1
Die Zunahme des Handelsmarkenanteils in der Bekleidungsbranche ist in erster Linie auf die Vertikalisierung zurückzuführen. Da immer mehr Hersteller vorwärts integrieren und in der Wahrnehmung der Konsumenten zum Händler werden, verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Markenartikeln und Handelsmarken. Für die zukünftige Entwicklung erwarten die Experten weitere Handelsmarkenzuwächse sowie eine Professionalisierung der Handelsmarkenführung.
Handelsmarkenführung in der Bekleidungsbranche Handelsmarkenpositionierung und Führungsaspekte
Die Markenführung in der Bekleidungsbranche ist nach Angabe der Experten in hohem Maße zielgruppengerichtet.1252 Anders als in der DIY- oder Lebensmittelbranche hat jeder Betriebstyp unterschiedliche bis gegensätzliche Zielgruppenvorstellungen. Das Spektrum reicht von KiK und Takko über Karstadt und Kaufhof, Peek & Cloppenburg und Breuninger bis hin zu SØR sowie den Markenshops von Boss, Escada und Emporio Armani. „[…] erfolgreiche Markenführung ist für mich eben, sich mit dem Markt, mit der Zielgruppe zu entwickeln, sowohl die Vorlieben, was Materialien, Passform, Stoffe und Farben angeht, aber auch den Größenspiegel anzupassen, eine Zielgruppe wird älter, wird dicker, also muss ich entsprechend meine Passform ändern“ (TEX_03_HA, Abs. 32). „Handelsmarken werden bei uns nicht bewusst als Marke geführt, insbesondere nicht mit einer zu starken Außenwirkung“ (TEX_16_HA, Abs. 16). „[…] letztendlich hat im textilen Einzelhandel jeder seine Kunden und […] spezifischen Zielgruppen und jeder muss für sich selbst sein eigenes Sortiment entwickeln“ (TEX_03_HA, Abs. 28).
1251
In TEX_16_HA, Abs. 28.
1252
In TEX_03_HA, Abs. 32; TEX_11_HA, Abs. 52; TEX_12_VG, Abs. 116.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
261
„Die Entscheidung, wie wird es gemacht? Was ist der Inhalt? Wie ist die Marke positioniert? Wie sind die Herstellermarken daneben positioniert? In welches Marktumfeld wollen wir überhaupt mit der Marke? Das sind die Kernfragen, die sich das Handelshaus beantworten muss und das verstehe ich dann auch unter Markenführung“ (TEX_05_HA, Abs. 74).
Bei der Positionierung ihrer Handelsmarken legen die Handelsunternehmen gleichermaßen Wert auf die Zielgruppen, die sie ansprechen wollen. „Die Handelsmarken haben ihren Zielmarkt, ihre Preislagendefinition bis hin zu der Art wie sie ausgestattet sind oder in der Werbung auftauchen. Das ist in sog. BrandRichtlinien genau hinterlegt für jede Marke“ (TEX_11_HA, Abs. 24).
Einige Händler erheben einen Anspruch der Gleichwertigkeit von Handels- und Herstellermarkenführung, andere betonen die Rolle der Betriebstypenmarke für das Management der Handelsmarken. „[…] eine Handelsmarke muss geführt werden wie eine Marke, d. h. man braucht ein Brandmanagement dahinter“ (TEX_09_HA, Abs. 12, ähnlich in TEX_14_HA, Abs. 8). „Und uns ist deutlich geworden, dass die [Marke X] zwei Medaillenseiten hat: Es ist einmal die Händlermarke, […] und es ist die Sortimentsmarke. Und wir müssen in beiden Markenkategorien denken“ (TEX_14_HA, Abs. 8). „[…] im Grunde wird die Retail Brand-Strategie […] auf das Exklusivmarkenmanagement übertragen, als tragende Säule der Kundenwahrnehmung. Da geht es um Inspiration, […] nicht mehr darum, Dinge zum halben Preis anzubieten oder langweilige Massenprodukte in den Markt zu schieben“ (TEX_11_HA, Abs. 102). „[…] der Aufwand einer echten Handelsmarke ist nicht zu unterschätzen. Nicht nur in der Positionierung, nicht nur in der Markenpflege, sondern ich muss natürlich auch meine Rechte verteidigen. Ich werde ja, wenn ich eine gute Handelsmarke aufbaue, genauso kopiert, wie der gute Hersteller kopiert wird“ (TEX_03_HA, Abs. 46).
Die Handelsmarkenführung in der Bekleidungsbranche zeigt in den Interviews einen recht unterschiedlichen Grad an Professionalität. „[…] es gibt Handelsmarken, die extrem gut funktionieren, weil […] sie die Kreativleistung, prominent wahrgenommen oder nicht prominent wahrgenommen, tatsächlich erbringen und dann eine Sortiments- oder Kollektionsaussage hinbekommen und sich über die Laufe der Jahre […] selbst imitieren können. Und dann gibt es Handelsmarken, die können das nicht, die haben diesen Anspruch auch nicht, die brauchen diesen Anspruch aber auch nicht zu haben“ (TEX_15_HA, Abs. 170).
Teilweise verfolgen die Handelsunternehmen Me-too-Strategien und kopieren unter Minimierung der Lead-Times die großen Herstellermarken. Dies trifft auf die MultiLabel-Stores wie auch auf die Vertikalen zu. „Die [Vertikalen] gucken auch: ‚Was macht [die Konkurrenz]? Komm, das machen wir auch und machen drei Knöpfe anders.‘ Es sind teilweise die gleichen Lieferanten. Also da wird schon viel kopiert, weil der Massenmarkt so schnell ist. Im Premiumsegment wird vielleicht noch auf dem klassischen Weg gearbeitet“ (TEX_06_UE, Abs. 38).
262
Kap. D
„Das Motto heißt ‚get inspired‘ – kopieren ist verboten, inspiriert werden ist gewünscht“ (TEX_11_HA, Abs. 102).
Aufgrund unterschiedlich langer Entwicklungs- und Produktionszeiten führen Me-tooStrategien im Bekleidungsbereich zu einer Situation, die die Innovationsfunktion der preislich hoch positionierten Designermarken ad absurdum führt. „Im Prinzip ist es bei Zara so: Der hat die kommerzialisierten Produkte schneller auf der Fläche als die Designer selbst, weil der auf die Messe geht und die Produkte dahinter schneller produzieren kann als die Designermarken das selbst hinkriegen“ (TEX_HA_09_HA, Abs. 24).
Die Experten attestieren dem Markenmanagement von Handelsmarken teilweise eine geringe Professionalität bzw. Vernachlässigung. Als kritischen Faktor erachtet ein Händler die Kreativleistung, die am Markt nur begrenzt einzukaufen ist. „Es gibt sicherlich ein großes, weites Feld, wo nichts gemacht wird, weswegen auch da Eigenmarken relativ wenig erfolgreich sind“ (TEX_02_UE, Abs. 66). „Die Verfügbarkeit des Talents von kreativen Leuten, die so etwas können, limitiert, ob sie daraus eine richtig große Marke machen können oder nicht. Wenn es keinen Tom Ford gegeben hätte, hätte es auch keinen Gucci in der Form gegeben“ (TEX_15_HA, Abs. 92).
Es kommt hinzu, dass Handelsmarken nicht immer konsistent geführt werden, sondern der kurzfristigen Umsatzsteuerung dienen. „Bei den eigenen Marken nutzen wir die Preisfindung oft als Marketinginstrument. Wenn wir feststellen, die Umsätze kommen nicht so, dann sind wir relativ schnell und flexibel in der Preisanpassung. […] das ist nicht immer eine feine Lösung und sicherlich aus Markengesichtspunkten eine schlechte Lösung, denn damit kriegt man dauerhaft kein Vertrauen und keine Bindung aufgebaut, das wissen wir auch. Aber hier und da ist Rabattierung auch ein Mittel, um kurzfristig Umsatz zu generieren“ (TEX_05_HA, Abs. 50). „Exklusivmarken werden [unglaubwürdig] […], wenn wir immer wieder Maßnahmen ergreifen, diese als das zu nehmen, wozu sie am Anfang erdacht worden sind, nämlich als Melkkuh. Eine Exklusivmarke kann nur dann funktionieren, wenn die Begehrlichkeit gewährleistet wird. Und das kann nicht mal ein paar Monate gut gehen und dann wieder ein paar Monate nicht. In die Geschichte muss eine Kontinuität und Nachhaltigkeit rein“ (TEX_04_UE, Abs. 84).
Ein Händler relativiert die Missstände, denn seines Erachtens ist eine professionelle Markenführung nicht immer notwendig. „Sie müssen nicht immer die ganze Arie fahren mit den Designerteams und allem drum und dran, um eine Eigenmarke zum Erfolg zu bringen. Es ist extrem situativ abhängig“ (TEX_15_HA, Abs. 168).
Bei der Betrachtung der Hierarchieebene, auf der Handelsmarken geführt werden, zeigt sich wie in der DIY-Branche ein uneinheitliches Bild. In der Bekleidungsbranche übernehmen vor allem Einkaufsleiter in enger Absprache mit der Unternehmenslei-
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
263
tung die Führung von Handelsmarken. 1253 Bei einem Handelsunternehmen obliegt die Handelsmarkenstrategie dem strategischen Marketing, ein weiterer Experte ordnet sie der obersten Führungsebene zu. „Die Führung des gesamten Eigenmarkenmanagements liegt in der Hand Einkauf / Marketing, wobei wir dort eine Funktionstrennung haben. Das Thema strategische Führung des Eigenmarkenportfolios und der Eigenmarkenstrategien liegt im strategischen Marketing“ (TEX_11_HA, Abs. 10). „[…] natürlich guckt man sich als Vorstand ganz genau an, was haben wir eigentlich in welchem Segment für Handelsmarkenanteile, wie ist die Kalkulation“ (TEX_03_HA, Abs. 42).
In vertikalen Systemen, in denen die Handelsmarken unter dem Label der Betriebstypenmarke geführt werden, müssen die Interdependenzen zwischen diesen Markenebenen beachtet werden. Die Betriebstypenmarke wirkt sich auf das Image und die Wahrnehmung der Modeartikel aus und deren Qualität, Passform, Modegrad und Preisstellung wirken sich wiederum auf das Image und die Wahrnehmung der Betriebstypenmarke aus. „Bei den Vertikalen findet eine Handelsmarkenführung statt – die ist verschmolzen mit der Storebrand und ich glaube schon, dass ein Hennes & Mauritz und ein Zara bei den modischen Sortimenten über die Sortimentsausrichtung auch eine Markenführung macht, dass das Sortiment auch die Kernzielgruppe trifft, dass das von der Sortimentsaussage irgendwo passt“ (TEX_02_UE, Abs. 66).
Zentrale Ergebnisse
1253
In der Bekleidungsbranche wird der Ausrichtung der Zielgruppen für Herstellermarken, für Handelsmarken und damit verbunden für Betriebstypenmarken eine besondere Bedeutung beigemessen. Die Handelsmarken werden je nach Anspruch des entsprechenden Handelsunternehmens mehr oder weniger professionell geführt. Einige streben Ebenbürtigkeit mit Herstellermarken an, andere nutzen Handelsmarken zur kurzfristigen Umsatzsteuerung und Abdeckung des Preiseinstiegssortiments. Sowohl Vertikale als auch andere Händler verfolgen bei ihrer Handelsmarkenführung häufig Me-too-Strategien, indem sie die Kollektionen der Top-Designer kopieren. Die voll vertikalisierten Systeme haben aufgrund wesentlich effizienterer Wertschöpfungsketten die Ware schneller auf der Fläche als die Top-Marken selbst.
In TEX_03_HA, Abs. 42-44; TEX_04_UE, Abs. 86; TEX_05_HA, Abs. 78.
264
Kap. D
3.3.5.2
Produkt-, Preis- und Markenrechtspolitik
Der Preisabstand zwischen Handelsmarken und Marken ist aufgrund der höheren Sortimentskomplexität und der begrenzten Vergleichbarkeit von Einzelartikeln für den Konsumenten schwer einzuschätzen. Trotzdem ist er für das Handelsmarkenmanagement zur Steuerung der Handelsmarkenumsätze ein unerlässliches preispolitisches Gestaltungsinstrument. „[…] wir haben diesen Preisabstand Handelsmarke-Markenartikel gar nicht so nachvollziehbar im Bekleidungsbereich, weil die Artikel auch nicht vergleichbar sind. Es gibt eine viel größere Vielfalt und jedes Geschäft hat irgendwo andere Sortimente" (TEX_02_UE, Abs. 30). „[…] wir sehen, dass wenn der Preisabstand nicht genau stimmt, die Marke die Eigenmarke schlägt. Wenn der Preisabstand aber stimmt, schaffen wir einen tolle Kundenbindung, wir schaffen Erfolg der Eigenmarke und hohe Wertschöpfung“ (TEX_11_HA, Abs. 98).
Eine besondere Bedeutung räumen die befragten Experten in der Bekleidungsbranche den Reduzierungen respektive Abschriften ein. Dies hängt stark mit der schnellen „Verderblichkeit“ der Modeware zusammen. Im Herbst wollen die Konsumenten keine Sommermode mehr einkaufen und spätestens am Ende des Jahres benötigen die Handelsunternehmen Lager- und Ausstellungsfläche für neue Kollektionen. „Das ist eben der klassische Modeeffekt: Triffst du den Modeanspruch der Saison […] und hast eine hohe Abverkaufsquote – dann verdienst du richtig gutes Geld. Und die Gretchengröße ist immer die Abschrift […]. [Bei einer Handelsmarke] trägst du halt – was für einen Händler ungewöhnlich ist – das gesamte Risiko“ (TEX_09_HA, Abs. 16, ähnlich in TEX_04_UE, Abs. 58). „[…] diese hohen Reduzierungen von Textilien zum Ende der Saison kommen dem Konsumenten zugute. Dies trägt der Geschichte Rechnung, dass alle Textilhändler zum Ende der Saison gerne die Lager geräumt haben, damit Platz für was Neues ist“ (TEX_16_HA, Abs. 48).
Die Markenrechte der Handelsmarken liegen zum überwiegenden Teil auf Seiten der Handelsunternehmen. Einige Experten sehen dies als konstitutives Merkmal an,1254 andere räumen ein, dass in der Praxis dieser Tatbestand nicht eindeutig festgelegt ist. Der Experte aus einer Verbundgruppenzentrale sieht unter Wahrung der exklusiven Vertriebsrechte kein Problem im Verbleib der Markenrechte auf Herstellerseite. „Ich würde mal sagen, zu 90 Prozent liegen die Markenrechte bei uns“ (TEX_05_HA, Abs. 82). „Wenn [der Hersteller] besser in der Markenführung ist, habe ich kein Problem damit, dass er die innehat. Die Frage ist nur, wie ich den Vertrieb steuere. Er kann gerne Markenrechte behalten. Solange ich die Vertriebshoheit habe, ist mir das recht“ (TEX_12_VG, Abs. 122).
1254
In TEX_10_HE, Abs. 82; TEX_15_HA, Abs. 102.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
265
Es existieren auch Beispiele für eine Handelsmarkenführung durch einen Dienstleister, wie ein Hersteller im Interview berichtet. Bei diesem liegen bzw. lagen zumindest in der Anfangszeit die Markenrechte. Für das Beispiel ist allerdings fraglich, inwieweit die Handelsmarke dem Definitionsanspruch dieser Arbeit gerecht wird bzw. ob sie nicht zum überwiegenden Teil von der Bekanntheit der Betriebstypenmarke profitiert. „Lidl oder Aldi, die haben ja irgendwo ein Bindeglied, eine Agentur oder eine Organisation, die für die Firmen eben gewisse Aufgaben übernimmt […], ein Design zu entwickeln, einen Lieferanten zu suchen, das dann umzusetzen und dann zu liefern, diese ich sage mal, Agenturaufgaben, die gibt es, die sind Gang und Gebe“ (TEX_08_HE, Abs. 90). „[…] gerade bei Lidl ist es so, dass es da dieses Chica gibt, eine Marke, die hat eine solche Organisation mit eingebracht und hat sich dann auch dort als Handelsmarke etabliert. Ob die jetzt mittlerweile Lidl gehört oder nicht, kann ich nicht sagen“ (TEX_08_HE, Abs. 90).
Handelsmarken sind nach Aussage eines Verbundgruppenexperten keineswegs den großen Handelsunternehmen vorbehalten. Für kleine Facheinzelhändler bieten die Verbundgruppenzentralen vor allem im Preiseinstiegsbereich Handelsmarken an, mit denen die in der Verbundgruppe organisierten Geschäfte in gewissem Umfang den Preiskriegen begegnen können. Darüberhinaus lassen die Handelsmarken höhere Kalkulationen zu und ermöglichen dadurch den Fortbestand der kleinen Facheinzelhändler. „Für uns ist es ganz einfach wichtig, Eigenmarken zu machen als Preiseinstieg. Dass also der mittelständische Fachhandel sich gegenüber den Konzernen profilieren kann und zusätzlich Kalkulationsvorteile herausholt“ (TEX_12_VG, Abs. 24). „[…] wir [werden] wahrscheinlich mit Umsatzrückgängen zu kämpfen haben im Fachhandel. Davon geh’ ich jetzt einmal aus, leider Gottes, haben wir aber auch Kostensteigerungen. Also heißt das im Endeffekt, dass ich nur versuchen kann, über höhere Kalkulationen, über höhere Margen, dieses Delta abzufangen. Und aus dem Grund glaub’ ich schon, dass zukünftig Handelsmarken an Bedeutung gewinnen, weil die doch eine deutlich höhere Kalkulation zulassen, als es Marken teilweise tun“ (TEX_12_VG, Abs. 32).
Insgesamt wünschen sich die Experten eine bessere Handelsmarkenführung. Diese könnte nicht nur eine Steigerung des Handelsmarkenanteils bewirken, sondern auch und insbesondere zu einer Profilierung gegenüber dem Wettbewerb und im Idealfall einer Ebenbürtigkeit mit den Herstellermarken beitragen. Die Experten räumen jedoch ein, dass dies ein zeit- und kostenintensiver Prozess sein wird. „[…] ich glaube schon, dass wir eine wesentlich sauberere Markenführung für die Handelsmarken brauchen und damit wird dann auch der Anteil steigen. Weil die Kalkulationsvorteile gerad jetzt […] in der Abschwungphase eine größere Bedeutung bekommen“ (TEX_12_VG, Abs. 32). „[Die Handelsmarken] sind für den Mainstream aufgestellt, knackige Preislage, nicht zu hoher Modegrad, stückzahlfähig. […] Wenn wir Eigenmarken so nutzen, dass damit ei-
266
Kap. D
ne Andersartigkeit […] zum Wettbewerb hergestellt werden soll […], dass sie eine ganz prägende Funktion übernehmen sollen und in Wertigkeit, in Modernität usw. zunehmen sollen, dann haben Exklusivmarken zukünftig den gleichen Stellenwert wie eine Herstellermarke, aber das […] wird sicherlich ein langwieriger Prozess“ (TEX_05_HA, Abs. 64). „[…] ein gutes Produkt hat zunächst mal oberste Priorität. Es darf nicht dazu führen, dass das als Billig-Marke irgendwo verramscht wird. Ein gutes Produkt, gutes PreisLeistungs-Verhältnis und dann ein Marketing, das die Marke eben auch dorthin führt, wo sie hingehört. Das kostet viel Geld, viel Zeit, […] aber das ist notwendig, um eine, zunächst als Handelsmarke deklarierte Marke, […] auch zu einer Marke werden zu lassen“ (TEX_08_HE, Abs. 84).
Zentrale Ergebnisse
3.3.6 3.3.6.1
Die Preispolitik spielt in der Bekleidungsbranche nicht immer eine dominierende Rolle, da Modeartikel sich aufgrund des Faktors Geschmack nur begrenzt vergleichen lassen. Wichtig für die Handelsmarken- bzw. Markenführung, ist die Höhe der Rabatte und Abschriften, um zum Ende einer Saison Platz für neue Kollektionen zu schaffen. Inwieweit die Markenrechte auf Hersteller- oder Handelsseite liegen, ist in der Praxis von nachrangiger Bedeutung.
Aufgabenverteilung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements Prozess des Handelsmarkenmanagements
Die Handelsleistung in der Bekleidungsbranche hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in ihren Funktionen wesentlich verändert. Die historischen Aufgaben von Bereitstellung, Überbrückung und Mengenreduktion sind teilweise in den Hintergrund gerückt, gegenwärtig nimmt insbesondere die weltweite Beschaffung marktgerechter Ware in entsprechender Qualität und zu einem möglichst niedrigen Preis eine bedeutende Rolle ein. 1255 Für das Verständnis des HandelsmarkenmanagementProzesses sei zudem auf die beschriebenen Vertikalisierungstendenzen und die besondere Situation der Hersteller respektive Contract Manufacturer verwiesen. Im Bereich der Markenartikel und Designermode prägen vor allem Kollektionen die Managemententscheidungen. Den klassischen Prozess für die Einführung einer neuen Kollektion beschreibt ein Markenhersteller wie folgt: 1255
In TEX_16_HA, Abs. 108.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
267
„[…] der Prozess sieht so aus, dass wir eine Kollektion entwickeln, dann gibt es einen Orderzeitraum, eine Modenschau, ein großes Event, eine große Party. Und in diesem Orderzeitraum bestellen die Händler bei uns ihre Ware. Ausgeliefert wird die erst ein halbes Jahr später […]. D. h. wir produzieren erst, wenn wir wissen, was bestellt ist und die Händler haben auch kein Recht, die Ware zurückzugeben“ (TEX_07_HE, Abs. 70).
Ein Einführungsevent ist für Handelsmarken bisher unüblich, ebenso entfällt der Orderzeitraum und die entsprechende Verzögerung der Warenauslieferung. Das Handelsunternehmen steht bei der Handelsmarke in vollem Risiko und kann zu viel oder fehlerhaft produzierte Ware nicht ohne Weiteres weiterverkaufen.1256 Unter anderem aus diesem Grund beschränken sich viele Bekleidungshändler im Handelsmarkenbereich auf Basisartikel.1257 Der Prozess, den eine Handelsmarke durchläuft, von der ersten Idee bis zum Verkauf im Geschäft, wird von zahlreichen Experten ausführlich beschrieben. 1258 Exemplarisch seien nachfolgend zwei Ausführungen wiedergegeben. „Das fängt an beim Design, mit der Ideengebung und den ersten Musterteilen, geht durch erste Bemusterungen entweder in Fachkreise oder ein kleines Sample an Kunden und es werden erste Musterteile angefertigt, die nachher vor Ort hergestellt werden, die dann nochmal wieder in die Qualitätskontrolle gehen, nochmal abgeglichen werden und es folgt eben die Großserienfertigung und dann kommt noch die Logistik hinterher“ (TEX_03_HA, Abs. 34). „Es wird eine Kollektion erstellt, Designer […] sagen: jetzt machen wir Winter 2009. Es fängt mit den Stoffen an. Es gibt die großen Stoffmessen in Paris. […] Dann wird kreative Arbeit geleistet und aus dem Stoff heraus werden Styles entworfen […], es wird eine Kollektionsentscheidung getroffen, und da wird natürlich schon der Musterungsprozess angestoßen. […] Dann habe ich die Erstmuster […], 500 verschiedene Styles, mit verschiedenen Farben, mit verschiedenen Materialien. Aus den 500 nimmt man sich jetzt z. B. 130 heraus und sagt: das ist jetzt unsere Kollektion. Dann werden Verdopplungsmuster gemacht für die Vertreter und dann wird halt geordert“ (TEX_06_UE, Abs. 36).
In vertikalen Systemen läuft dieser Prozess aufgrund der internen Strukturen wesentlich schneller ab und in diskontierenden Betriebsformaten weicht er zum Teil in Richtung einer Me-too-Strategie davon ab. Sehr überspitzt drückt dies ein Experte wie folgt aus: „Jetzt haben wir natürlich viele andere, die Esprits und Zaras dieser Welt, die auch recht ähnlich arbeiten, aber wo das sehr viel schneller geht. Und dann haben wir diese KiKs und Takkos, die Aldis, und da ist es ganz einfach. Die Leute gehen zu Esprit, kaufen sich das, was schön ist, fliegen nach Asien und sagen, davon brauch ich 10.000 Stück, so geht der Prozess auch“ (TEX_06_UE, Abs. 36).
1256
In TEX_09_HA, Abs. 16; TEX_15_HA, Abs. 58, 104.
1257
In TEX_07_HE, Abs. 40.
1258
In TEX_03_HA, Abs. 34; TEX_04_UE, Abs. 70; TEX_06_UE, Abs. 36; TEX_07_HE, Abs. 86; TEX_08_HE, Abs. 72; TEX_09_HA, Abs. 30; TEX_11_HA, Abs. 52; TEX_12_VG, Abs. 102; TEX_15_HA, Abs. 68.
268
Kap. D
Dieses Szenario ist jedoch ausdrücklich nicht als idealtypisch für alle in den diskontierenden Betriebstypen angebotenen Handelsmarken zu verstehen. Welchen Anteil Hersteller am Handelsmarkenmanagement haben, ist abhängig davon, ob es Handelsmarkenhersteller in Fernost sind, die über Agenturen lediglich mit der Produktion beauftragt werden oder ob es sich um Hersteller von Markenartikeln aus Deutschland handelt, die zusätzlich Handelsmarken anbieten. Im ersten Fall beschränken sich die übernommenen Aufgaben auf die Produktion und es stellt sich die Frage, inwieweit die unter Umständen dazwischen geschaltete Agentur am Ort der Produktion Unterstützung leisten kann. Im zweiten Fall des deutschen Herstellers bestehen zahlreiche Möglichkeiten, die Handelsunternehmen zu unterstützen. Er übernimmt vom Handelsunternehmen z. B. Aufgaben im Bereich Category Management oder die Steuerung des Warenbestands (Vendor Managed Inventory).1259 Die Lebensmittelbranche dient hier oftmals als Vorbild und nach Aussage eines Herstellers profitieren beide Seiten von einer Übernahme der Warensteuerung durch den Hersteller. „[…] es ist immer so, dass in dem Moment, in dem der Handel Kompetenz an die Industrie abgibt, er mit bis zu zweistelligem Umsatzzuwächsen auf bereits bestehender Fläche davon profitiert. Dies liegt daran, dass der Industriepartner einfach besser weiß, was zu dem Kunden passt“ (TEX_10_HE, Abs. 34). „Die Lebensmittelindustrie ist dort mit Sicherheit ein Vorbild, weil diese noch weiter ist mit Regalplatzierungen und Zweitplatzierungen. Aber wir gehen in die gleiche Richtung“ (TEX_10_HE, Abs. 36). „Wir haben Handelsmarken, die werden mit Herstellerunterstützung entwickelt, d. h. wir greifen auf deren Design zurück, […] Beschaffung machen wir zum großen Teil noch selbst, aber das Design und Produktmanagement kommt stark vom Hersteller“ (TEX_05_HA, Abs. 70).
Nicht bei allen Handelsunternehmen ist eine Unterstützung in diesem Umfang gewünscht und nicht jeder Hersteller kann diese umfassende Unterstützung leisten. „[…] wir als Handelsmarkenhersteller konzentrieren uns auf […] Design, Produktentwicklung, Passform, Produktion, Lieferung, Logistik, all diese Prozesse, die hier notwendig sind zwischen Design und Lieferung an den Kunden“ (TEX_08_HE, Abs. 74). „Der Hersteller übernimmt die Aufgabe, uns ein fertiges Kollektionsteil zu liefern nach unseren Vorstellungen bzw. danach die Ausführung bzw. die Auslieferung der Produktion zu übernehmen“ (TEX_12_VG, Abs. 110). „Grundsätzlich wollen wir die Dinge stärker selbst steuern und eben auch die Qualität der Eigenmarken damit stärken. Umgekehrt […] müssen wir uns fragen: Können wir das, sind wir in der Lage, uns das zu erlauben oder zu finanzieren?“ (TEX_05_HA, Abs. 72). „Es gibt bei uns Handelsmarken […], die sind mehr oder weniger zu 100 Prozent selbst gemacht. Es gibt ein Designteam dahinter, einen Produktmanager und auch Einkäufer, die die Ware beschaffen“ (TEX_05_HA, Abs. 70). 1259
In TEX_07_HE, Abs. 40; TEX_11_HA, Abs. 40-42.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
269
Die Händler sehen ihre Aufgabe vor allem in der Markenführung der Handelsmarken, wie ein Händler betont. Er kann sich nicht vorstellen, diese an einen Hersteller oder Dienstleister abzugeben. „[…] der gesamte Vermarktungsteil, Markengestaltung, Markenführung – das liegt logischerweise bei uns“ (TEX_09_HA, Abs. 50). „[…] wenn du [die Markenführung] aus der Hand gibst, […] hast du natürlich das allergrößte Risiko. Dann managed für dich jemand anderes. Auf der Fläche verkaufen und Marketing und Frequenz generieren ist schwer, geht aber irgendwie, aber wenn du dich in der Ware verhauen hast, dann ist es aus, dann kannst du nichts mehr machen“ (TEX_09_HA, Abs. 64).
Weitere Händler lehnen die Übernahme der Markenführung durch Dritte ebenfalls kategorisch ab. Sie betrachten sie als Kernkompetenz, an der die Glaubwürdigkeit des Handelsunternehmens gemessen wird. „Sie geben ja ein Stück weit Kernkompetenzen ab. Das ist ja eine geliehene Reputation, mit der sie da arbeiten. Das können sie zum Teil machen, da müssen sie sich aber ganz genau darüber Gedanken machen, wie viel kann meine Betriebstypenmarke […] an Fremdkompetenz oder an geborgter Kompetenz vertragen, um auch glaubwürdig zu bleiben und vor allen Dingen auch in dem Fall, dass sie die geborgte Kompetenz nicht mehr nutzen, stabil laufen. Das sind strategische Fragen der Markierung“ (TEX_16_HA, Abs. 86). „[…] die strategische Verantwortung für die Führung des Markenuniversums und die Positionierung der Brands. Das ist für uns ein Muss, das machen wir immer zwingend selbst, damit alles aus einem Guss bleibt. Alle anderen Sachen sind outsourcingfähig“ (TEX_11_HA, Abs. 88).
Der befragte Experte eines Herstellerunternehmens bekräftigt grundsätzlich die Ansicht, Markenführung gehöre zu den Kernkompetenzen eines Unternehmens, verweist jedoch im Falle der Handelsunternehmen auf die Betriebstypenmarke als wichtigste Marke des Unternehmens. „[…] für eine Herstellermarke ist die Markenführung ja wirklich absolute Kernkompetenz. Das kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand das aus der Hand gibt. Ich würde es jedenfalls niemandem empfehlen. Für den Händler ist es vielleicht ein bisschen anders, weil er eben seine Betriebstypenmarke hat, die für ihn erstmal den Hauptwert darstellt und er vielleicht auch nicht diese Know-how hat jetzt für eine Modemarke“ (TEX_07_HE, Abs. 98).
Als Bedingung für ein Outsourcing von Handelsmarkenmanagement-Aufgaben aus der Perspektive der Industrie, wird in den Interviews die Bereitstellung von kreativen Ressourcen und die vertragliche Regelung der Markenrechte und Exklusivität genannt. Der Hersteller sollte vor allem nicht auf die gleichen Prozesse wie beim Mar-
270
Kap. D
kenmanagement zurückgreifen, sondern Marken- und Handelsmarkengeschäft eindeutig voneinander trennen.1260 „Die größte Gefahr ist, und da hat man in der Industrie gute Belege dafür, wenn ein Industrieunternehmen eine Handelsmarke betreiben will und dabei die Prozesse ihrer eigenen Marke beibehält, dann geht dies definitiv nicht“ (TEX_10_HE, Abs. 76). „Das Industrieunternehmen muss sich als Dienstleister verstehen. In dem Moment, wo es sich als Owner des Prozesses versteht, sind die Konflikte vorprogrammiert“ (TEX_10_HE, Abs. 82). „Handelsmarkenmanagement ist nichts anderes, als das Markenmanagement, d. h. es braucht einen kreativen Kopf mit einem Verständnis für die Prozesse im Markt. Wenn es das gibt, kann sich ein Handelsunternehmen dies sehr gut von außen holen. Da wären nur meine Bedenken, wie langfristig das Ganze ist und wie sicher man sein kann, dass das Know-how nicht woanders hin geht“ (TEX_10_HE, Abs. 86).
Die Aufgaben der Hersteller von Handelsmarken aus anderen Staaten beschränken sich hingegen in der Regel auf die Produktion. In den asiatischen Ländern ist eine Spezialisierung der Städte und Regionen auf bestimmte Kleidungsstücke festzustellen.1261 In einer Stadt stehen z. B. zehn Fabriken für Brautkleider, in einer anderen zehn Fabriken für Strickpullover. Diese Contract Manufacturer sind nicht in der Lage, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, da sie in der Regel nicht einmal wissen, für welchen Zielmarkt die von ihnen produzierte Ware bestimmt ist, geschweige denn den deutschen Konsumenten oder den derzeitigen Modetrend in Deutschland kennen.1262 „Der Händler meint vielleicht, dass er mehr könnte, hat aber nicht verstanden, dass er vielleicht neben dem Design auch noch ein Qualitätskontrollmanagement machen muss, bestimmte Dinge vorgeben muss, die dann nicht vorgegeben werden, und produziert unter Umständen riesen Qualitätsprobleme – Größen, Passformen und so weiter. Das zeichnet eine erfolgreiche Handelsmarke aus. […] Das kann der Contract Manufacturer nicht abdecken. Es gibt vielleicht Agenturen, die das können“ (TEX_02_UE, Abs. 62). „Das sind – wie soll ich die bezeichnen? – Chinesen, Inder, die nie woanders waren als in ihrer Fabrik, die wissen gar nicht, was da zu machen ist“ (TEX_02_UE, Abs. 86).
1260
In TEX_08_HE, Abs. 80; TEX_10_HE, Abs. 78.
1261
In TEX_16_HA, Abs. 68-70.
1262
In TEX_02_UE, Abs. 86.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
271
Zentrale Ergebnisse
3.3.6.2
Der Handelsmarkenmanagementprozess hat vor allem in vertikalen Betriebsformen an Dynamik und Geschwindigkeit gewonnen. Dies wird für kleine Bekleidungsfacheinzelhändler einerseits und für die Hersteller von Premium-Designerware andererseits zunehmend problematisch. Aus Sicht der Experten ist eine Beteiligung deutscher Hersteller am Handelsmarkenmanagement der Händler durchaus vorstellbar und findet in einigen Fällen bereits statt. Die übernommenen Aufgaben reichen von der Entwicklung von Handelsmarken über das Produktmanagement bis hin zur Warensteuerung und -bewirtschaftung am PoS. Die Markenführung sehen die meisten Experten hingegen als Kernkompetenz an, die nur begrenzt outsourcingfähig ist, da die mit der fremd aufgebauten Marke in der Wahrnehmung der Konsumenten verbundene Kompetenz nur geliehen ist. Die Contract Manufacturer können nach einstimmigen Urteil der Befragten neben der Herstellung der Ware keine Aufgaben übernehmen, da ihnen das dafür notwendige Markt-Know-how fehlt.
Zusammenarbeit mit Dienstleistern insbesondere bei der internationalen Beschaffung
Für vertikale Systeme, die ihre Handelsmarken unter dem Label der Betriebstypenmarke führen, scheidet eine Übernahme von Aufgaben im Rahmen des Handelsmarkenmanagements de facto aus. Für Multi-Label-Stores, die eine Vielzahl von Handelsmarken für unterschiedliche Zielgruppen anbieten, besteht weiterhin die Möglichkeit, das Handelsmarkenmanagement bzw. Teile davon an den Hersteller oder einen Dienstleister abzugeben. Aus Herstellersicht stellen sich die vom Handelsunternehmen übernommenen Aufgaben bspw. wie folgt dar. „Es gibt Handelspartner, da nimmt uns die Einkaufsabteilung einen Teil von den Aufgaben ab, d. h. Design machen sie vielleicht selbst, eine gewisse Produktentwicklung oder Ideen. Dann gibt es Kunden, die sagen, wir möchten die Qualitätskontrolle selbst machen. […] Oder es gibt Kunden, die machen die Logistik selbst und sagen: Wenn du z. B. in Asien produzierst, möchte ich, dass du mir die Ware FOB verkaufst, d. h. die ganze Logistik, Transport, Distribution machen die selbst“ (TEX_08_HE, Abs. 74).
Ein Händler äußert sich sehr umfassend zu einem möglichen Outsourcing bestimmter Aufgaben. In dessen Unternehmen werden sowohl an Hersteller in Deutschland als auch an Agenturen im asiatischen Raum und auf Handelsmarken spezialisierte Dienstleister Teile des Handelsmarkenmanagements übertragen.
272
Kap. D
„[…] generell ist es so, dass wir uns immer den ganzen Prozess angucken und die Fragen stellen: Was können wir besser? Was kann ein Lieferant besser? Und dann gibt es Varianten, wo wir, wie eben, sehr strikt nur bestellen. Oder es gibt Varianten, wie im zweiten Fall ausgeführt, wo der Lieferant richtig Produktentwicklung macht. Dazwischen gibt es eine sehr, sehr breite Palette“ (TEX_11_HA, Abs. 54). „Wenn das mal einen bestimmten Punkt erreicht hat, überprüfen wir das, ob es betriebswirtschaftlich besser ist, das intern zu führen. Wenn das bei [einem Dienstleister] gemacht wird, führt der Zentraleinkäufer, im Sinne des Brand Managementkonzeptes, die sehr eng. D. h., das kommt quasi so heraus, als hätte er es selbst gemacht. Der sagt genau, was da rein gehört, welche Preislagen, Artikelstrukturen etc.“ (TEX_11_HA, Abs. 76, ähnlich in TEX_11_HA, Abs. 80). „Das sind alles geführte Prozesse, in denen wir mit einer Markenführungsagentur zusammenarbeiten, die eine Branding Division hat, die für uns dann diesen Job macht. D. h., wir suchen uns immer wieder Spezialisten und flankieren damit unsere Kernkompetenzen“ (TEX_11_HA, Abs. 88).
Teile der Beschaffungspolitik können an Agenturen übertragen werden. In der Überlassung sämtlicher Einkaufsfunktionen sehen die Experten dagegen ein hohes Risiko, weil die Nähe zum Konsumenten und das Gespür für Marktentwicklung fehlen und dies „[…] eine brutal gefährliche Entscheidung ist, die an den Grundfesten eines Handelsunternehmens rüttelt“.1263 „Das muss jemand sein, der aus der Nähe des Kunden kommt. Eine Beschaffungsorganisation, die das komplett übernimmt, die in Hong Kong sitzt […] ist relativ marktfern und da würde ich die Kompetenzen noch nicht sehen“ (TEX_16_HA, Abs. 84). „Als Händler müssen sie eine Einkaufseinheit haben, und der Einkauf ist beim Händler immer der Marktmacher. Am Ende können sie so viel Schi-Schi und sonst was machen, das Produkt spielt immer die entscheidende Rolle. Die Sortimentsfunktion, die Preisleistung und das Produkt“ (TEX_16_HA, Abs. 108).
Als weitere Aufgaben, die an die Dienstleister übertragen werden, nennen die Experten die Marktforschung durch Trendscouts, das Design der Ware sowie alle Aufgaben, die nicht zum Kerngeschäft des Handelsunternehmens gehören. Für die wichtigsten Handelsmarken, schränkt ein weiterer Experte ein, wird das Design hingegen vollständig innerhalb des Unternehmens entworfen. „[…] das Trendscouten und das Design lagern ja viele aus. Das ist bei uns alles intern, da können wir es noch effizienter darstellen. Outgesourced werden so Sachen wie Buchhaltung, oder Dinge, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Das macht man dann in Indien oder wo auch immer“ (TEX_13_HA, Abs. 96). „[…] es gibt bei uns mehr als [x] Eigenmarken. Ein Teil davon wird tatsächlich mit eigenen Design-Teams entwickelt, ein Teil davon nicht. Die, die wir wirklich Marke nennen wollen, sind die, auf denen wir den kreativen Teil selbst bereitstellen. Deswegen haben wir noch lange keine Produktion, […] und deswegen gehören uns nicht notwendigerweise alle Points of Sale und […] alle Produktionsstufen – aber wir organisieren, wie soll ich sagen, diesen vertikalen Prozess“ (TEX_15_HA, Abs. 102). 1263
TEX_16_HA, Abs. 84.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
273
Ein Hersteller sieht hingegen keine Begrenzung in der Übernahme von Handelsaufgaben durch einen Dritten und empfiehlt eine Analyse der wesentlichen Schwächen des Handelsunternehmens. „Es kommt darauf an, wo die Schwäche im Handelshaus liegt […]. Wenn der kreative Input das Manko ist, dann muss dieser Dienstleister der kreative Kopf sein, das Markenhirn, das Qualitätsversprechen. Haben sie einen kreativen Kopf, können aber nicht gradieren und nicht produzieren, dann muss er der Transmissionsriemen zwischen Handelshaus und Industrie sein, um sicher zu stellen, dass die Qualität umgesetzt wird. Es muss also alles an die Situation adaptiert werden, die das Handelshaus als Basis hat“ (TEX_10_HE, Abs. 88).
Verbundgruppen können ebenfalls als Dienstleister in Bezug auf das Handelsmarkenmanagement auftreten und neben der Handelsmarkenentwicklung und -führung zusätzliche Aufgaben wie die Warenwirtschaft, Buchhaltung und Kommunikation für ihre Mitglieder übernehmen.1264 „[…] unsere Rolle, sag ich mal, zwischen den Marken- und den Handelsunternehmen ist die, dass wir hier in gewisser Form als Vermittler, Dienstleister, neutrale Organisation versuchen aufzutreten“ (TEX_12_VG, Abs. 40).
Zentrale Ergebnisse
1264
Dienstleistungsunternehmen werden in vielen Bereichen von den Händlern hinzugezogen. Ihre Aufgaben reichen von Marktforschung durch Trend-Scouts, über Design der Ware bis hin zur Übernahme der Markenführung. Dienstleistern im jeweiligen Beschaffungsland werden zudem in unterschiedlichem Umfang Einkaufsfunktionen übertragen. Die Aufgabenverteilung innerhalb des Handelsmarkenmanagements in der Bekleidungsbranche ist im Wesentlichen von der Vertikalisierung und der überwiegenden Produktion im asiatischen und südosteuropäischen Ausland geprägt.
In TEX_12_VG, Abs. 40, 148.
274
Kap. D
3.4
Fallstudie 3: Lebensmittelbranche
3.4.1
Branchenüberblick Lebensmittel
Die Konzentration des deutschen Lebensmittelhandels hat in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr zugenommen und schließlich zu einer weitgehenden Anonymisierung der Händler geführt.1265 Als Folge dieser Entfremdung zwischen Handelsorganisation und Konsument ist die Entscheidung über den Einkaufsort zunehmend von rationalen Determinanten wie dem Produktpreis oder der Sortimentsvielfalt bestimmt.1266 Preisorientierte Handelsformate sind in der Vergangenheit in schwierigen konjunkturellen Phasen besonders erfolgreich gewesen und ihre Strategie der Dauerniedrigpreise funktioniert in Deutschland seit mehr als 15 Jahren. 1267 Sie ist den Konsumenten leicht zu vermitteln und schafft Vertrauen gegenüber der Betriebstypenmarke.1268 In Deutschland gibt es zum 1. Januar 2008 insgesamt 49.673 Outlets des Lebensmittelhandels, die im Jahr 2007 einen Umsatz von 148,150 Mrd. Euro erzielen. Dies entspricht einem Rückgang an Geschäftsstätten um 1,7 Prozent bei einer Umsatzsteigerung von 3,1 Prozent jeweils im Vergleich zum Vorjahr.1269 Unter den Begriff Lebensmittel fallen im Allgemeinen neben Nahrungs- und Genussmitteln die Bereiche Tiernahrung, Hygiene- und Haushaltspapier, Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel sowie Körperpflege- und Kosmetikprodukte.1270 Den größten Anteil an der Branche haben mit fast 88,9 Prozent die Nahrungs- und Genussmittel, es folgen mit 6,2 Prozent Körperpflege- und Kosmetikprodukte. 1271 Die Lebensmittelbranche hat sich in den vergangenen Jahren auch und insbesondere in Bezug auf die Betriebsformen stark verändert. In Abb. D-13 ist die Entwicklung der Branchen-Umsätze in der Lebensmittelbranche für die Jahre 2000 bis 2007 dargestellt.
1265
Vgl. zu den Konzentrationsprozessen im deutschen Einzelhandel Kap. D.3.1.1.
1266
Vgl. Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 481.
1267
Vgl. Bacos (2008), S. 4
1268
Vgl. Kap. C.4.3.4.
1269
Vgl. The Nielsen Company (Hrsg.) (2008), S. 17, Lebensmitteleinzelhandel inklusive Drogeriemärkte, exklusive Getränkeabholmärkte, Cash & Carry, Convenience-Kanäle und Apotheken.
1270
Aufgrund der semantischen Überschneidung der Begriffe Lebens- und Nahrungsmittel, wird als Oberbegriff häufig der Ausdruck „FMCG“ (Fast Moving Consumer Goods) verwendet.
1271
Vgl. BBE Retail Experts, zitiert nach Kurtz/Mett/Ritter (2008), S. 39. Es folgen Wasch-, Putz-, Reinigungsmittel mit 2,0 %, Tiernahrung mit 1,6 % sowie Haushalts- und Hygienepapier mit 1,3 %. Alle Angaben beziehen sich auf das Jahr 2006.
275
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
Abb. D-13: Branchen-Umsätze im deutschen Lebensmitteleinzelhandel 2000-2007 Quelle:
Eigene Darstellung unter Verwendung der Daten von AC Nielsen.
1272
Wie in der Abbildung deutlich zu erkennen ist, verzeichnet die Lebensmittelbranche kontinuierlich Umsatzsteigerungen. Die parallel ablaufenden Konzentrationsprozesse auf Seiten der Handelsunternehmen lassen sich an folgenden Zahlen veranschaulichen: Beträgt der Marktanteil der fünf größten deutschen Lebensmittelhändler 1980 noch 26,3 Prozent, sind es 1990 44,7 Prozent, im Jahr 2000 bereits 62,6 Prozent und für 2010 werden 72,2 Prozent Marktanteil erwartet.1273 Namentlich sind dies die Edeka-Gruppe, Rewe, Metro, die Schwarz-Gruppe und Aldi. In Tab. D-7 sind zusätzlich die fünf nächstgrößten Lebensmittelhändler dargestellt. Neben dem Bruttoumsatz 2007 zeigt die Tabelle die hinter den Zahlen stehenden Betriebstypen, die Anzahl der Filialen sowie die Gesamtverkaufsfläche.
1272
Vgl. The Nielsen Company (Hrsg.) (2007), S. 19; The Nielsen Company (Hrsg.) (2008), S. 23. * 2004: statistischer Sprung aufgrund einer modifizierten Marktabgrenzung. Die Umsatzzahlen beziehen sich auf den Lebensmitteleinzelhandel im engeren Sinn, d. h. ohne das Ernährungshandwerk (Bäcker, Metzger, Konditoren) und Convenience-Shops.
1273
Vgl. Metro Group (Hrsg.) (2008), S. 19. Die Angabe für 1980 bezieht sich auf Westdeutschland, die Daten ab 1990 auf Gesamtdeutschland.
276
Kap. D
Unternehmen
Betriebstypenmarke(n)
1.
EdekaGruppe
Edeka, Marktkauf, Netto, Spar
2.
Rewe
Rewe, Penny, Toom, Fegro, Selgros, u. a.
3.
Metro
Real, Metro C+C, Kaufhof
4.
SchwarzGruppe
Lidl, Kaufland
5.
Aldi
Aldi Nord, Aldi Süd
6.
Tengelmann
Kaiser’s, Tengelmann, Plus**
7.
Lekkerland
(Tankstellen, Kioske, Fachhandel)
8.
Schlecker
Schlecker, Ihr Platz, Drospa
9.
Arcandor
Karstadt, KaDeWe, Wertheim, Alsterhaus, (Karstadt Sport)
Globus
Globus
Rang
10.
Anzahl der Filialen
Verkaufsfläche in Tsd. m²
BruttoUmsatz in Mio. Euro
6.734
36.258
4.707*
32.627
k. A.
26.330*
3.506
4.417
25.050
4.242
3.308
24.275
13.131 7.399* 591*
697*
2.358*
9.584*
66.600
k. A.
7.836
10.987
2.177
6.256
134
k. A.
4.730
453*
3.632
40*
Tab. D-7: Die zehn größten Unternehmen der Lebensmittel-Branche 2007 nach Brutto-Umsatz Quelle:
1274
Eigene Darstellung mit Bezug auf Daten von AC Nielsen TradeDimensions (2008).
Die Marktanteile der in der vorliegenden Arbeit betrachteten Betriebsformen des Lebensmitteleinzelhandels sind für die Jahre 2000 bis 2007 in Abb. D-14 dargestellt. Das Wachstum der Drogeriemärkte stagniert 2007 bei 8,5 Prozent, 24 Prozent der Umsätze entfallen auf die großflächigen Verbrauchermärkte ab 1.500 qm und 24,3 Prozent auf die übrigen kleineren Geschäfte. Charakteristisch für die Situation im Lebensmitteleinzelhandel ist die zunehmende Dominanz der diskontierenden Betriebstypen, die 2007 43,2 Prozent der Umsätze auf sich vereinigen.1275
1274
Vgl. Sekundärquelle [15], o. S. Umsatzzahlen beziehen sich auf das Geschäftsjahr 2007, Strukturdaten auf September 2008. * = ohne Fachmärkte, ** Plus gehört seit Dezember 2008 durch ein Joint Venture mit Netto zur Edeka.
1275
Der Discount-Boom, der eng mit der Aufhebung der Preisbindung im Jahr 1974 zusammenhängt, begann bereits Anfang der 1970er Jahre, als Aldi bereits 800 Filialen eröffnet hatte. 1972 eröffnete die erste Plus-Filiale (seit 2008 Edeka, zuvor Tengelmann), 1973 folgten Penny (Rewe) und Lidl (vgl. Wortmann (2004), S. 432 und Wortmann (2003), S. 6-7).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
277
Abb. D-14: Umsatzanteile der Betriebsformen im Lebensmitteleinzelhandel 2000-2007 Quelle:
Eigene Darstellung mit Daten aus dem GfK (Hrsg.) (2008a), S. 6 sowie GfK ConsumerScan / IRI Grundgesamtheiten, zitiert nach GfK (Hrsg.) (2008b), S. 34.
Besonders hohe Marktanteilsgewinne verzeichnet in dem dargestellten Zeitraum der Discounter Lidl von 5,3 (2000) auf 9,3 Prozent Marktanteil (2007). Die kleinflächigen Betriebstypen bis 1.499 Quadratmeter Verkaufsfläche verzeichnen von 2000 bis 2007 einen sehr deutlichen Marktanteilsrückgang von 35,8 auf 24,3 Prozent und geraten zwischen „billiger“ und „größer“ immer weiter in eine Schere abnehmenden Bewegungs- und Gestaltungsspielraumes. Die befragten Experten aus der Lebensmittelbranche bestätigen die Dominanz der Discounter und führen noch weitere Charakteristika des deutschen Marktes an, bspw. dass er als „Enklave des nicht internationalen Einzelhandels“ zu bezeichnen ist.1276 Ferner ist generell eine zunehmende Marktspaltung in Hoch- und Niedrigpreisniveau zu Lasten der Mittelpreissegmente festzustellen. „[Erstens] ist eine ganz klare Dominanz der Discounter festzustellen, die natürlich das Eigenmarkengeschäft vergewaltigt haben, weil sie keine Vielfalt anbieten. Aber sie bieten exzellente Ware […] zu einem sehr wettbewerbsfähigen Preis an. […] Das zweite: Es gibt keine ausländischen Player in Deutschland. In USA, Asien und Europa können
1276
In LEH_14_HA, Abs. 66.
278
Kap. D
sie selten ein Land finden, wo keine ausländischen Player vertreten sind. […] Und das Dritte ist das Konsumentenverhalten, geprägt durch kulturelle Verzehrgewohnheiten […] – eine gesunde, aber auch ausgewogene Ernährung hat für den deutschen Verbraucher nicht unbedingt Priorität“ (LEH_19_UE, Abs. 48). „[…] Premium wächst, Preiseinstieg wächst, aber dieses Mittelfeld dazwischen schrumpft. Und das passiert genau deshalb, weil die Premiummarken sehr viel Geld in ihre Vermarktung investieren und der Preiseinstieg durch sein Billig-Konzept überzeugt, aber alles dazwischen funktioniert nicht mehr“ (LEH_08_HA, Abs. 114). „Der Markt hat sich geteilt. Es gibt die großen Markenartikler, die konzentrieren sich jetzt überwiegend auf ihre Marken und es gibt alle anderen, die überleben wollen […], die kämpfen bis zur letzten Patrone. Die produzieren jetzt für Aldi – mit geringen Margen, aber wenn sie Privatunternehmer sind – das ist ja was anderes als ein Konzern, der getrieben ist durch die Börse, jedes Jahr ein bisschen höher, ein bisschen weiter. […] Das andere ist der Mittelstand, der damit teilweise ganz gut überleben kann“ (LEH_16_HE, Abs. 28).
Ein weiteres prägendes Merkmal des deutschen LEH sehen die Experten im Überangebot an Verkaufsfläche.1277 Ein besonderes Problem besteht darin, dass im Insolvenzfall eines Handelsunternehmens die Verkaufsfläche durch Übernahme oder anderweitige Vermietung trotzdem bestehen bleibt.1278 Das Überangebot an Fläche und Produkten ist ein wesentlicher Konzentrationstreiber und führt zu den im Markt beobachtbaren Preiskämpfen.1279 „[…] wir haben in Deutschland im Lebensmitteleinzelhandel Verkaufsfläche mit dem Faktor 2 bis 3 Mal so viel im Vergleich zu England, Frankreich und den Niederlanden. Das Phänomen ist einfach: Wenn man Überkapazitäten hat, vermarktet man über den Preis“ (LEH_16_HE, Abs. 30). „Solange es diesen Wettbewerb gibt, solange es diese enormen Verkaufsflächen gibt, wird sich das so schnell nicht in die richtigen Bahnen lenken lassen. Es führt natürlich zu einer enorm starken Konzentration“ (LEH_08_HA, Abs. 68). „Wir haben eine Konzentration auf Handelsseite und das führt auch zu einer gewissen Konzentration auf Industrieseite. Und in dieser Situation sind wir jetzt und das Problem des Überangebotes an Fläche, das ist ja dadurch, dass der eine den anderen übernommen hat, nicht geregelt, weil diese Flächen ja nicht geschlossen werden“ (LEH_08_HA, Abs. 68).
Die positive Entwicklung der Discounter ist vor allem mit der aus Konsumentensicht eindeutigen Positionierung als Anbieter von guter Produktqualität zu möglichst niedrigen Preisen zu erklären.1280 Dies bestätigen auch die befragten Experten und nen-
1277
Vgl. dazu auch Kap. D.3.1.2, S. 219.
1278
In LEH_07_HA, Abs. 94; LEH_08_HA, Abs. 68; LEH_16_HE, Abs. 30.
1279
In LEH_05_HE, Abs. 18; LEH_08_HA, Abs. 68.
1280
Vgl. Twardawa (2006), S. 379.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
279
nen als weiteren Aspekt die Übersichtlichkeit des Sortimentes, das in der Regel 500 bis 1.000 Artikel mit hoher Umschlagshäufigkeit umfasst.1281 „Der Discounter hat sich ja ganz klar positioniert. Aldi ist jetzt knapp 50 Jahre am Markt und die Discount-Formate haben sich inzwischen einen erheblichen Stellenwert von ca. 44 Prozent Marktanteil erkämpft und versuchen, mit dem sehr straffen Sortiment zu extrem niedrigen Preisen die Kunden zu erreichen“ (LEH_22_HA, Abs. 18). „Der Erfolg der Discounter ist ja kein Billigerfolg. Sondern der Erfolg der Discounter besteht darin, dass sie sehr scharf kalkuliert haben für gute Produkte. […] Und nirgendwo sind die Einkäufer in Verhandlungen so gut vorbereitet auf die Produkte, wie im Discount. Aber eben nicht beim Penny oder beim Plus und deswegen sind die auch nicht erfolgreich gewesen. Die haben nur gedacht: Billig verkaufen ist alles! – Billig verkaufen ist gar nichts! Das Produkt steht immer an erster Stelle. Und das gute Produkt zu einem günstigen Preis zu verkaufen, das ist die Kunst von Aldi und Lidl“ (LEH_23_HA, Abs. 40). „Früher in den 70er Jahren haben 75 Prozent der Bevölkerung gesagt, Aldi ist billig. Heute sagen 75 Prozent der Bevölkerung Aldi hat ein gutes Preis-Leistungsverhältnis und das ist etwas gänzlich anderes“ (LEH_03_HA, Abs. 32). „[…] Aldi hat einen Warenumschlag, der ist sensationell. Bevor der seine Ware bezahlt hat – und der Aldi zahlt früh und pünktlich – […] hat er sie schon fünf mal verkauft. […] da bekommt der Endverbraucher das Frischeste auf dem ganzen Markt“ (LEH_20_HE, Abs. 22).
Die Discounter verfügen zudem über sehr standardisierte Flächenkonzepte, während die Edeka- und Rewe-Marktleiter relativ freie Hand in der Umgestaltung ihrer Verkaufsfläche haben und von diesem Recht regelmäßig Gebrauch machen, wie ein Hersteller sehr anschaulich berichtet. „Nehmen wir die Oma Meier, die den Zott Erdbeerjoghurt heute bei Edeka Bergmann kauft, und der schmeckt ihr gut und die sagt: ‚Oh, der war lecker, den hole ich mir wieder‘. Die geht da morgen hin und was passiert dieser armen Frau: Wenn sie Glück hat, steht an der Stelle, wo der Zott Erdbeerjoghurt war, noch Joghurt. Der ist mit Sicherheit nicht von Zott und ganz bestimmt nicht Erdbeer. Weil immer wieder umgeräumt wird – ist jetzt ein bisschen übertrieben. Was passiert dieser Frau aber, wenn sie bei Aldi einen Erdbeerjoghurt findet, der ihr gut schmeckt: da geht sie morgen hin, da geht sie übermorgen hin, da geht sie in vier Wochen hin, da kann sie blind hingreifen – die arme Frau sieht nicht mehr gut – sie hat immer wieder das, was ihr schmeckt“ (LEH_16_HE, Abs. 30).
Nach Aussage der Experten haben die Discounter zudem einen hohen Einfluss auf die Marktentwicklung neuer Kategorien und können Innovationen besser und schneller durchsetzen. Es kommt hinzu, dass bei dem kleinen Sortiment bspw. im Vergleich
1281
Vgl. Pepels (2007), S. 114. In den Interviews wird der Umfang des Discount-Sortimentes mit 800 bis 3.000 Artikeln auf einer Fläche zwischen 600 und 1.200 qm angegeben (in LEH_04_UE, Abs. 10; LEH_05_HE, Abs. 82; LEH_07_HA, Abs. 16, LEH_14_HA, Abs. 108; LEH_21_HA, Abs. 34; LEH_22_HA, Abs. 10).
280
Kap. D
zum SB-Warenhaus, das je nach Größe zwischen 25.000 und 100.000 Artikeln führt, die Innovationen vom Konsumenten viel stärker wahrgenommen werden.1282 „Die Power, die mittlerweile ein Aldi oder ein Lidl in den Kategorien hat, ist riesig. Wenn man sich anguckt, wer die Kategorie Bio entwickelt hat in Deutschland – das ist vom Discount getrieben. Der Plus war sehr früh dabei, dann sind Aldi und Lidl da aufgesprungen und […] das kriegen sie mit einer Edeka nicht hin. Die würden allein 10 Jahre von Hamburg bis Neumünster und von Rottendorf bis Offenburg darüber diskutieren und der eine möchte dies und der andere möchte das, da kommen die nie zu Potte“ (LEH_05_HE, Abs. 94). „Der Wettbewerb – das gegenseitige Beobachten und das Hinterherjagen nach innovativen Konzepten – ist in unserer Branche sehr stark ausgeprägt“ (LEH_18_HA, Abs. 70). „Die wahrgenommene Innovationsstärke ist im Discount gigantisch. Wenn sie da mit einem neuen Produkt reingehen, fällt dieser Artikel auf“ (LEH_05_HE, Abs. 75).
Aus der Sicht der Vollsortimenter stellt genau diese Sortimentsbeschränkung der Discounter auf ertragreiche Produkte ein Ungleichgewicht dar, das nicht im Konditionensystem der Hersteller abgebildet wird. „[Vollsortimenter] erbringen mit der Darstellung des kompletten Sortimentes des Herstellers wesentlich größere Leistungen, als der Discounter, der sich einfach nur das Vergnügen gönnt, die stärksten Artikel dieses Unternehmens zu handeln und [dem Vollsortimenter] dann die kostenträchtigen Randsortimente überlässt“ (LEH_21_HA, Abs. 26). „Die Hersteller machen wahnsinnige Preisspreizungen im Konditionensystem zwischen Discount und Vollsortiment zu Lasten des Vollsortiments. D. h., die Hersteller haben im Durchschnitt ein Preismodell – gilt nicht für jeden, […] gilt aber für die Mehrheit – da zahlen die Rewe und die Edeka die Zeche für den Discount“ (LEH_23_HA, Abs. 40).
Die Experten äußern sich bei der Beschreibung ihrer Branche auch zu den Konsumenten und dazu, wie diese ihrer Einschätzung nach auf Handelsmarken reagieren.1283 In der Fachliteratur werden im Zusammenhang mit Lebensmitteln besonders das funktionale und das soziale Risiko assoziiert.1284 Das soziale Risiko bestätigt ein Experte für den deutschen Konsumenten in Bezug auf Prestige-Artikel wie Automobi-
1282
Die Zahlenangaben stammen aus den Interviews (in LEH_07_HA, Abs. 20; LEH_08_HA, Abs. 128; LEH_12_HA, Abs. 22; LEH_13_HA, Abs. 28). In der Literatur ist für SB-Warenhäuser häufig eine niedrigere Artikelanzahl angegeben (vgl. z. B. Pepels (2007), S. 112).
1283
Z. B. in LEH_04_UE, Abs. 28; LEH_05_HE, Abs. 80; LEH_06_UE, Abs. 20; LEH_10_HE, Abs. 18; LEH_13_HA, Abs. 14, 90; LEH_22_HA, Abs. 4-10.
1284
Vgl. DelVecchio (2001), S. 241; Dunn/Murphy/Skelly (1986), S. 205; Semeijn/van Riel/ Ambrosini (2004), S. 249.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
281
le, Fernseher und aus dem Lebensmittelbereich Bier. Ähnliche Überlegungen lassen sich dort für Pralinen, Sekt, Wein oder Spirituosen anstellen.1285 „Ich glaube, dass der Deutsche ein eigenartiger Mensch ist; bei dem kommt zuerst das Auto, dann der Fernseher und dann seine Biermarke. […] Da geht es schon sehr um das Repräsentieren, und das Zeigen, dass man sich etwas leisten kann“ (LEH_11_HE, Abs. 18).
Des Weiteren wird der deutsche Konsument von den Experten als besonders preissensibel dargestellt. Eine Mitverantwortung dafür sehen sie in der preisaggressiven Verkaufsstrategie der Discounter, an der sich die Vollsortimenter nicht unwesentlich orientiert haben. „Der Deutsche ist Discountkönig, er ist besonders preissensibel, er ist gewohnt, ein gutes Einkommen nach Hause zu bringen, aber wenig Geld für Lebensmittel auszugeben. Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch einen intensiven Wettbewerb und Handelsunternehmen, die mit weitgehend gleichartigen Konzepten agieren“ (LEH_10_HE, Abs. 18). „Aus meiner Sicht einzigartig in Europa ist, dass die Deutschen durch Aldi extrem erzogen worden sind […], preiswert einzukaufen und besonders auf Preise zu achten, gleichzeitig aber auch auf die Qualität zu achten. Das ist ein deutsches Phänomen“ (LEH_15_HE, Abs. 14). „[…] der Verbraucher ist immer mehr zum preisbewussten Einkaufen erzogen worden. Das […] ist über Jahre gewachsen und dauert sicher auch Jahre oder Jahrzehnte, um das zurückzudrehen“ (LEH_15_HE, Abs. 54).
Zusammenfassend können dem deutschen LEH kontinuierlich steigende Branchenumsätze sowie eindeutige Konzentrationstendenzen in Folge von Flächenüberangebot und hartem Preiswettbewerb attestiert werden. Ein wesentliches Moment in diesem hochgradig dynamischen Entwicklungsgefüge stellen die diskontierenden Betreibungskonzepte dar, die in den letzten Jahren insbesondere zu Lasten der kleinflächigen Supermärkte Marktanteilsgewinne verzeichnen konnten. Der deutsche Verbraucher wurde systematisch „zum Schnäppchenjäger erzogen“, die Vollsortimenter sehen sich aufgrund ihrer Sortimentskomplexität gegenüber dem Discount bei gleichzeitig ungünstigeren Einkaufskonditionen benachteiligt.
1285
Vgl. Kap. B.1.3.
282
Kap. D
3.4.2 3.4.2.1
Beziehungen von Lebensmittelherstellern und Handelsunternehmen Konfliktfelder der Hersteller-Handels-Beziehung
Die Hersteller-Handels-Beziehungen in der Lebensmittelbranche sind geprägt von zunehmender derivativer Nachfragemacht der Handelsunternehmen aufgrund der fortschreitenden Konzentrationsprozesse. 1286 Insgesamt bezeichnen die befragten Experten die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Handelsunternehmen zwar als offen und kooperativ,1287 es existieren innerhalb der Beziehungen allerdings zahlreiche Konfliktfelder und Machtasymmetrien, die von beiden Seiten gleichermaßen beklagt werden, wie ein Experte sehr explizit ausführt. Zur Darstellung der Kontroverse seien je eine Handels- und Herstellermeinung wiedergegeben. „[…] der Handel sagt: ‚Die Konsumgüterhersteller bescheißen uns, die behaupten ständig, sie könnten nicht mehr und machen trotzdem Renditen von 10-15 Prozent, wir Händler machen nur unsere Umsatzrendite von 2 Prozent, irgendwie kann das doch nicht sein!‘ – das ist die eine Seite. Die Markenartikelhersteller sagen: ‚Die Händler erpressen uns und es ist immer das gleiche Spiel. Die fangen mit irgendwelchen Sonderkonditionen an, die sie haben wollen, z. B. Hochzeitsrabatte – irgendeinen Rabatt findet der Handel immer!‘ Und trotzdem sind beide Seiten aufeinander angewiesen“ (LEH_04_UE, Abs. 20). „Welche Spannen bleiben für den Handel übrig? Wenn wir 1 Prozent im Ergebnis über haben in Deutschland, dann sind wir sehr, sehr glücklich. Bei der Industrie sehen wir, dass alles was nicht 15 Prozent Ertrag bringt, rausgeschmissen wird. Daran sieht man, dass die Relationen da nicht ganz stimmen können“ (LEH_07_HA, Abs. 92). „[…] ich habe immer gesagt, wir müssen die Wertschöpfung erst einmal betreiben und dann können wir sie teilen. – Wenn meine Mutter früher einen Kuchen gebacken hat, der ausreichend groß zu werden schien, war ich relativ relaxed […]. Bei einem kleinen Kuchen war ich schon ein bisschen angespannt und musste sehen, dass ich in die erste Reihe kam, wenn es an die Verteilung des Kuchens ging. – Im deutschen Handel kommt mir das immer so vor, als wenn die Zutaten immer schon vorher aufgegessen werden. Da fangen wir erst gar nicht an mit dem Backen“ (LEH_16_HE, Abs. 48).
In der Literatur sind zwar die Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit der Bildung langfristiger und starker Partnerschaften zwischen Handel und Industrie unumstritten,1288 in der Praxis wirkt sich indes vor allem der durch den Preiswettbewerb bedingte Ertragsdruck auf die Jahresgespräche aus. In diesen sieht sich der Hersteller einer hohen Nachfragemacht des Handels gegenüber, die letzterer nutzt, um Druck auf Preis
1286
Vgl. Ahlert/Borchert (2000), S. 66-69; Ahlert/Kenning (2007), S. 15-16. Über eine originäre Nachfragemacht verfügen die Handelsunternehmen aufgrund der gegenwärtig hohen AnbieterWettbewerbsintensität hingegen nicht (vgl. Ahlert (1996), S. 113-121).
1287
In LEH_07_HA, Abs. 34; LEH_08_HA, Abs. 82; LEH_12_HA, Abs. 26; LEH_15_HE, Abs. 20; LEH_19_UE, Abs. 52; LEH_21_HA, Abs. 22.
1288
Vgl. Baker/Penny/Siguaw (1999), S. 50; Christopher/Jüttner (2000), S. 117; Kalwani/ Narayandas (1995), S. 14.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
283
und Konditionen auszuüben. 1289 Sowohl Hersteller als auch Händler beklagen die angespannte Atmosphäre in den Jahresgesprächen.1290 „Das Hauptthema sind die Jahresgespräche. […] Das Thema dreht sich mehr um Konditionen und Preis als um Aktionen und Sortimentspolitik oder wie wir aus dem Geschäft eigentlich gemeinsam eine bessere Wertschöpfung erzielen können“ (LEH_05_HE, Abs. 22). „[…] es ist nicht immer so harmonisch, wie es manchmal erzählt wird“ (LEH_07_HA, Abs. 42). „[…] die Machtgefälle äußern sich insbesondere in den Jahresgesprächen“ (LEH_03_HA, Abs. 40). „Wir sehen die Industrie nicht unbedingt als guten Partner, manchmal auch als Gegner, weil wir wirklich kämpfen müssen um die Konditionen, die wir brauchen“ (LEH_07_HA, Abs. 28). „Dass ich mit [dem Einkäufer] als Mensch gut auskomme, steht auf einem ganz anderen Blatt, aber am Verhandlungstisch wird es immer so sein, dass es da nie zwei Zufriedene gibt“ (LEH_20_HE, Abs. 48).
Wie sehr sich die Verhandlungsparteien insbesondere im Discount unter Druck setzen, verdeutlichen die Hersteller mit folgenden Aussagen: „[…] im Preiseinstieg, also wirklich im Discount-Bereich, da ist es nicht ganz so partnerschaftlich, um es mal so auszudrücken“ (LEH_09_HE, Abs. 24). „Wenn sie Lieferant von [Discounter x] sind, geben sie ein Stück von ihrer Lebensqualität auf und das ist noch human ausgedrückt. Bei [Discounter y] oder [Discounter z] ist die Gangart nicht ganz so krass – aber man muss sich schon einiges gefallen lassen. Das scheint bei [Discounter x] strategisch zu sein, denn da sind alle Einkäufer gleich“ (LEH_17_HE, Abs. 26).
Viele Hersteller entschließen sich dennoch zu einer Belieferung der Discounter, da sie auf deren Marktanteil von 43,2 Prozent nicht verzichten können und wollen.1291 Ein befragter Händler kann diese Entscheidung zwar nachvollziehen, fordert aber gleichzeitig Verständnis von der Industrie für die Handelsmarkenforcierung als Reaktion der Vollsortimenter auf diese Entwicklung. „[…] wenn die Verschiebungen so weitergehen, sind wir natürlich unter dem Druck, dass wir entweder unsere Produktionskapazitäten drastisch anpassen müssen oder, wenn ich das nicht machen kann oder nicht machen will, muss ich halt sehen, wie ich sinnvollerweise an diesem Trend partizipieren kann – […] auch ich muss Wachstum generieren“ (LEH_05_HE, Abs. 86).
1289
Vgl. Möllenberg/Dieterich (2003), S. 118.
1290
In LEH_02_HE, Abs. 92; LEH_03_HA, Abs. 40; LEH_05_HE, Abs. 22; LEH_07_HA, Abs. 38; LEH_08_HA, Abs. 44; LEH_09_HE, Abs. 28; LEH_11_HE, Abs. 42; LEH_16_HE, Abs. 34; LEH_17_HE, Abs. 30; LEH_21_HA, Abs. 22.
1291
Vgl. zu den Marktanteilen der Betriebsformen Abb. D-14 auf S. 277.
284
Kap. D
„[…] man kann ja die Markenhersteller verstehen, dass sie nicht gerne auf 40 Prozent des Marktes verzichten möchten, aber sie entscheiden sich eben in der Regel dann zwischen Pest und Cholera. Sie schaffen sich zwar neue Umsatzmöglichkeiten mit dem Auftritt bei den Discountern, aber riskieren dann eben, dass die Vollsortimenter Alternativen entwickeln“ (LEH_21_HA, Abs. 14).
Einer der interviewten Hersteller bestätigt diese Einschätzung und sieht den eigenen Discounteinstieg kritisch. Insbesondere die unverbindlichen Preisempfehlungen haben laut seiner Aussage sehr unter den Discount-initiierten Preiskämpfen gelitten. Dass das Preisthema einer der Hauptkonfliktverursacher ist, bestätigen weitere Hersteller in den Interviews.1292 „Unsere größte Herausforderung ist der angesprochene Konflikt, dass wir in den Discount eingestiegen sind und unsere unverbindliche Preisempfehlung […] den Ruf hatte, in den letzten Jahre auch wirklich gut eingehalten zu werden und wir im Moment feststellen, dass unsere Preisstellung von vielen Handelspartnern anders gelebt wird als empfohlen und wir natürlich nicht den Durchgriff haben. Mit dem Einstieg in den Discount hat sich das ganze noch dynamisiert“ (LEH_11_HE, Abs. 28). „Konflikte gibt es naturgemäß in Preiserhöhungs- oder Preisreduktionsphasen […]. Das korrespondiert natürlich sehr stark mit dem Wettbewerbsverhalten der Handelspartner untereinander“ (LEH_02_HE, Abs. 28). „Primär gibt es natürlich einen Zielkonflikt zwischen Industrie und Handel. Wir versuchen zum höchst möglichen Preis zu verkaufen, der Einzelhändler natürlich zum niedrigst möglichen Preis“ (LEH_05_HE, Abs. 20).
Als weitere Konfliktfelder führen die befragten Hersteller die fehlende Durchsetzbarkeit von Listungsentscheidungen in nicht filialisierten Handelsformaten an. Zusätzlich kommt teilweise die den Einkaufszentralen noch übergeordnete Ebene der internationalen Einkaufskooperationen hinzu.1293 „Listung heißt bei der Edeka: sie stehen in einer Liste. Da habe ich denen gesagt: ‚Ich will nicht in der Liste stehen, ich will im Regal stehen!‘ […] Warum sind Markenartikler also zu Lidl gegangen? Sicherlich nicht, weil sie es gerne gemacht haben. Aber so hart die Verhandlungen bei Lidl sind, wenn sie da von den berühmt berüchtigten [Einkaufschefs] ein Ja bekommen, dann stehen sie in 2.900 Läden im Regal und nicht in einer Liste“ (LEH_16_HE, Abs. 32). „Wenn wir jetzt von der Alidis/Agenor-Gruppe sprechen, die für den Edeka-Verbund verhandelt – der Einkäufer, der irgendwo in Genf sitzt, den interessiert nur der Preis, alles andere ist ihm egal. […] und dann müssen sie bei der Edeka in Deutschland ja auch noch das Gespräch und die Verhandlungen führen. Die interessiert natürlich die Qualität […]. Das unter einen Hut zu kriegen, ist manchmal nicht so einfach“ (LEH_09_HE, Abs. 24).
1292
In LEH_01_HE, Abs. 40; LEH_05_HE, Abs. 20; LEH_07_HA, Abs. 34; LEH_09_HE, Abs. 28; LEH_11_HE, Abs. 28; LEH_16_HE, Abs. 30.
1293
Vgl. zu den internationalen Einkaufskooperationen in Kap. D.3.1.1 Fußnote 1126 auf S. 217.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
285
Die Herausforderung mangelnder Durchsetzbarkeit von Absprachen beschränkt sich allerdings nicht auf die Handelskooperationen. In der Regel bestehen zwischen Herstellern und Handelsunternehmen Beziehungen auf mehreren Ebenen. Ein Hersteller moniert, dass strategische Absprachen der Führungsebenen untereinander nicht auf der operativen Ebene umgesetzt werden. „[…] der Einkäufer, der den Nettopreis sieht, sagt: ‚Die Strategie ist mir völlig egal, ich will den Artikel günstig einkaufen.‘ […] Betrachtet man dagegen die Top-Ebene, in welcher sog. Top-to-Top-Gespräche geführt werden, wird immer gesagt: ‚Oh, you are my strategic partner und wir wollen gemeinsam die Märkte bewegen.‘ Da ist ein gewisser Riss, das kommt nie auf den operativen Ebenen an – zumindest nicht auf der Handelsseite“ (LEH_15_HE, Abs. 22).
In Bezug auf Handelsmarken sehen die befragten Hersteller eine zunehmende Herausforderung in der Anonymisierung der Beziehung zum Handel durch Internetausschreibungen von Handelsmarken. „[…] neben dem Thema Preiserhöhungen haben wir ein weiteres Problemfeld bekommen in den letzen Jahren: Das sind diese Internetausschreibungen. Denn der persönliche Kontakt des Key Account-Managements, die erprobte Leistungsfähigkeit des Lieferanten über Jahre oder Jahrzehnte wird dann plötzlich relativiert und spielt keine große Rolle mehr. Das ist dann eine Anonymisierung und Standardisierung des Angebots, des Aushandelns […], die der Industrie nicht schmecken kann“ (LEH_01_HE, Abs. 40).
Ein Händler begründet diese Art der Auftragsausschreibung für bestimmte Warengruppen mit der dort nicht vorhandenen Notwendigkeit der Produktentwicklung, weil es sich um stark standardisierte Produkte handelt. „Es gibt Produkte, die eignen sich hervorragend für anonyme Verfahren, indem ich einfach sage, ich stelle es in eine Auktion oder in eine Ausschreibung und gucke, wer es am billigsten kann, aber das ist ja nur ein Ausschnitt aus dem Sortiment. Die Musik wird ja eigentlich da gemacht, wo ich auch Produktentwicklung betreibe. Für H-Milch brauche ich keine Produktentwicklung, da brauche ich einen leistungsfähigen Anbieter, der pünktlich und vollständig liefert und keinen so weiten Weg zu meinem nächsten Lagerstandort hat“ (LEH_18_HA, Abs. 60).
Der befragte Experte eines Herstellers weist zudem auf den internen Konflikt hin, bei Aufträgen zwischen Marken- und Handelsmarkengeschäft abzuwägen, welchem Auftrag der Vorrang gewährt wird. „[…] wenn die Handelsmarke eines Kunden sehr gut läuft und er bestellt mal eben 100.000 [Einheiten] nach, dann möchte er eigentlich, dass die schon gestern geliefert wurden und dass heißt, man gerät manchmal in den Konflikt, wenn ich als Hersteller gerade für die eigene Markenproduktion Kapazitäten eingeplant habe, ob ich die dann zurückstelle, um den Handelsmarkenkunden nicht zu verärgern, weil er eben jederzeit Lieferfähigkeit […] erwartet“ (LEH_01_HE, Abs. 30).
286
Kap. D
Trotz solcher Zielkonflikte aufgrund individueller Ertragsmaximierung ist die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Handelsunternehmen in Deutschland sehr intensiv und im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr professionell.1294 „[…] grundsätzlich muss ich sagen, brauchen wir dieses gute Verhältnis zwischen Industrie und Handel. Keiner kann ohne den anderen. […] Wobei ich weiß, dass es dieses Idealbild nicht gibt, denn irgendwo sitzen immer zwei Leute an zwei Seiten des Tisches, und beide haben den Willen, möglichst viel Umsatz zu machen“ (LEH_07_HA, Abs. 92). „Nichtsdestotrotz arbeiten Handel und Industrie sehr professionell miteinander. Also da muss ich sagen – das, was zum Beispiel [Handelsunternehmen x] macht, da staunen meine Kollegen in den USA kontinuierlich, wie gut die das machen, mit welcher Leidenschaft, mit welchen Kenntnissen. Das ist nicht immer so üblich“ (LEH_19_UE, Abs. 52).
Als ein wichtiges Indiz seiner These führt der Händler den Rückzug vieler ausländischer Konzerne aus dem deutschen Markt an. 1295 Enge Partnerschaften mit den Handelsunternehmen existieren vor allem im Bereich der Markenartikel.1296 Sie werden von den Herstellern unter anderem angestrebt, um als Innovationsführer aufzutreten.1297 Die Händler begrüßen diese Zusammenarbeit und sehen die Markenartikler je nach Kooperationsumfang als strategischen Partner, z. B. im Rahmen des Category Management an. „Das ist sicherlich bei den Top-Markenlieferanten, die in Einzelfällen Category-Leader sein können, im Wesentlichen ein intensiveres Miteinander, als das eben mit Zweitoder Drittmarkenherstellern der Fall ist“ (LEH_03_HA, Abs. 26). „[…] wenn ich mich im Sortiment profilieren möchte, brauche ich jemanden, der eine starke Produktentwicklung hat, der Märkte beobachtet, Trends aufspürt und mir die dann auch verfügbar macht. Und das geht nicht ohne intensiveren Austausch“ (LEH_18_HA, Abs. 60).
Die Zusammenarbeit mit Herstellern, die ausschließlich Handelsmarken anbieten, ist hingegen weniger intensiv. 1298 Dieser Tatbestand ist auf die im Regelfall leichtere Austauschbarkeit der Hersteller von Handelsmarken zurückzuführen1299 und in Folge dessen sind die Verträge im Handelsmarkenbereich regelmäßig von kurzer Fristigkeit. Ein Händler sieht vor allem in der engeren Kooperation mit den Handelsmarkenherstellern ein Verbesserungspotenzial für die Zukunft.
1294
In LEH_01_HE, Abs. 38; LEH_02_HE, Abs. 28; LEH_03_HA, Abs. 26; LEH_08_HA, Abs. 42; LEH_09_HE, Abs. 26; LEH_10_HE, Abs. 24; LEH_18_HA, Abs. 58-60; LEH_19_UE, Abs. 52.
1295
In LEH_07_HA, Abs. 92.
1296
In LEH_15_HE, Abs. 20; LEH_20_HE, Abs. 48.
1297
In LEH_10_HE, Abs. 22; LEH_11_HE, Abs. 24.
1298
In LEH_03_HA, Abs. 24; LEH_17_HE; Abs. 28.
1299
In LEH_01_HE, Abs. 40.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
287
„[…] es gibt bisher keine oder wenig wirklich enge Verbindungen mit [Handelsmarken-] Lieferanten, wo wir sagen, mit denen gehen wir eine Partnerschaft ein und entwickeln auch gewisse Dinge oder haben auf lange Sicht ein gemeinsames Konzept“ (LEH_13_HA, Abs. 30). „Bisher waren wir, was Handelsmarken angeht, eher preisorientiert, so dass man auf den letzten Cent geschaut hat, und da müssen wir […] von wegkommen und den Fokus auf andere Dinge legen“ (LEH_13_HA, Abs. 44).
Trotz kurzfristiger Verträge ist die Zusammenarbeit de facto sowohl bei Handelsmarken- als auch bei Markenartikelherstellern langfristig angelegt.1300 „Bei manchen sind die Beziehungen über viele, viele Jahrzehnte gewachsen und so einfach schmeißt man das nicht über Bord“ (LEH_21_HA, Abs. 20).
Zentrale Ergebnisse
1300
In der Hersteller-Handels-Beziehung nehmen Preis- und Konditionengespräche eine bedeutende Rolle ein und der dort vorherrschende Umgangston spiegelt die Konflikte in dieser Beziehung wider. Insbesondere die Jahresgespräche mit den Discountern beschränken sich auf Preisverhandlungen. Aufgrund des hohen Marktanteils der Discounter sind die Hersteller versucht, dort große Umsatzsprünge und bessere Kapazitätsauslastung zu generieren. Im Bereich der Vollsortimenter wird die Hersteller-Handels-Beziehung durch mangelnde Durchsetzbarkeit von Vereinbarungen und Listungszusagen auf der operativen Ebene belastet. Insgesamt ist die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Händlern in der Lebensmittelbranche trotz zahlreicher Konfliktfelder als intensiv und professionell zu bezeichnen. Hersteller von Handelsmarken sehen sich in einigen Warengruppen einer zunehmenden Anonymisierung der Hersteller-Handels-Beziehung im Verhandlungsprozess durch Internetausschreibungen gegenüber.
In LEH_01_HE, Abs. 42; LEH_05_HE, Abs. 24; LEH_08_HA, Abs. 46; LEH_12_HA, Abs. 26; LEH_18_HA, Abs. 58.
288
3.4.2.2
Kap. D
Machtverhältnisse in der Hersteller-Handels-Beziehung
Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Handelsunternehmen und Hersteller messen – wie in der DIY- und der Bekleidungsbranche – die befragten Experten der Verteilung von Marktmacht in der Lebensmittelbranche eine hohe Bedeutung bei. „[…] je stärker die Marken sind, die man hat, umso stärker sie vom Verbraucher nachgefragt werden, um so kooperationsbereiter ist der Händler“ (LEH_15_HE, Abs. 20). „Macht an sich ist ja nichts Schlimmes. Wenn man Macht hat, und die angemessen und nach bestimmten Spielregeln ausübt, dann ist das in Ordnung. Was eben nicht in Ordnung ist, ist Machtmissbrauch. Und hier trifft man im Umgang mit dem deutschen Handel oft auf Machtmissbrauch” (LEH_16_HE, Abs. 38). „Es ist im Endeffekt keinem damit geholfen, sich da die Köpfe einzuschlagen und Machtspielchen zu starten“ (LEH_08_HA, Abs. 54).
Die befragten Händler relativieren teilweise die asymmetrische Verteilung der Macht im Absatzkanal mit dem Hinweis auf die Hersteller von besonders starken Marken und deren Unternehmensgröße. „Ich glaube nicht, dass heute irgendeiner ganz auf den anderen angewiesen ist. Die starken Marken werden starke Marken bleiben. Da kann man nicht den Druck ausüben wie woanders. Aber es ist auch nicht so, dass irgendein Markenhersteller sich dem Druck des Handels vollkommen entziehen kann“ (LEH_23_HA, Abs. 52). „[…] die sog. Marktmacht, die ein Hersteller oder möglicherweise auch ein Handelsunternehmen hat, wird im allgemeinen Sprachgebrauch bzw. in der Presse häufig hochstilisiert. Sie können es sich doch in der Regel weder als Hersteller noch als Händler leisten, politisch oder strategisch an diese Beziehung heranzugehen, denn dann arbeiten Sie immer gegen die jeweils andere Seite“ (LEH_22_HA, Abs. 28). „[…] ich denke, durch die Größe der Hersteller, die wir heute haben und die Größe der Handelsunternehmen, die da auf der anderen Seite sitzen, ist das schon sehr stark ausgeglichen“ (LEH_08_HA, Abs. 54). „[…] die Macht der Vollsortimenter wird an dieser Stelle etwas überschätzt. Man vergisst in dieser Diskussion leicht, dass z. B. die Edeka ihre 30 Prozent Marktanteil mit mehr als 20.000 Artikeln darstellt, während sich die Nachfrage nach dem Sortiment eines Aldi, der sicherlich die Hälfte dieses Marktanteils hat, auf lediglich 1.000 Artikel in etwa verteilt“ (LEH_21_HA, Abs. 34).
Diese Gleichung des Experten trifft weniger auf die Markenartikel, die ein Aldi in der Regel nicht im Sortiment führt zu, dafür umso mehr auf die Handelsmarken. Die Macht der Discounter äußert sich gleichermaßen in dem faktischen Preisdiktat für bestimmte Produkte des alltäglichen Bedarfs, z. B. Butter oder Milch. „Das, was man heute sieht: Preiserhöhungen sind in bestimmten Kategorien fast nur dann überhaupt durchsetzbar, wenn sich der Endverbraucherpreis beim Aldi erhöht“ (LEH_05_HE, Abs. 86).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
289
Die befragten Hersteller sehen die Macht eindeutig asymmetrisch zu Gunsten der Handelsunternehmen verteilt.1301 „[…] in den meisten Branchen der Ernährungsindustrie haben wir ein Ungleichgewicht zu Gunsten des Handels, das in vielen Bereichen der Ernährungswirtschaft in Deutschland heute noch auf eine mittelständische Aufsplitterung der Industrie bei gleichzeitiger Konzentration des Handels zurückzuführen ist“ (LEH_01_HE, Abs. 46). „Heute ist es halt nach wie vor ein Machtspielchen […]. Der Handel ist der festen Meinung, wenn ich die Industrie prügele, dann kriege ich die besten Konditionen. Dummerweise war das leider auch so in den letzten Jahren“ (LEH_15_HE, Abs. 50). „[…] die Macht des Handels ist so groß, dass sie für kleine und mittelständische Unternehmen existenzbedrohend ist. Das darf man nicht unterschätzen und das ist leider von der deutschen Politik in den letzten Jahren sehr stark vernachlässigt worden“ (LEH_15_HE, Abs. 32). „Je weniger Handelspartner und je größer diese sind, desto unverblümter spielen sie ihre Machtposition aus“ (LEH_02_HE, Abs. 34).
Diese Machtasymmetrie trifft nach Aussage der Händler auch im Bereich der Handelsmarken zu. „Im Bereich der Handelsmarken ist die Dominanz des Handels wesentlich stärker, weil er letztendlich Auftraggeber der Produktion und im weitesten Sinne damit auch Produzent ist. Er benutzt den Hersteller als verlängerte Werkbank“ (LEH_03_HA, Abs. 46). „Aus den Warengruppen, die ich kennengelernt habe, würde ich schon sagen, dass der Handel für das Private-Label-Geschäft eine starke Position hat, weil die heutigen Handelszentralen, die ein Eigengeschäft betreiben, schon sehr interessante Volumen auf die Beine stellen können“ (LEH_18_HA, Abs. 44).
In Bezug auf die Markenartikelindustrie weisen die Händler jedoch eine einseitige Machtverteilung zu Lasten der Hersteller vehement von sich.1302 Ein Händler nennt internationale Konzerne und besonders begehrte Trendartikel wie das Getränk Bionade als Gegenbeispiele. In Bezug auf starke Marken bestätigt ein Hersteller diese Position im Interview. „Wir haben in einigen Bereichen die internationalen Player, z. B. Procter & Gamble, wo die meisten Handelsanbieter es eher schwierig haben in den Gesprächen“ (LEH_03_HA, Abs. 38). „Ich nenne mal ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Bionade, mit einer Preiserhöhung von, ich glaube, plus 33 Prozent. Das sind sicherlich Ereignisse, die gerne herangezogen werden, um Herstellermacht zu erläutern“ (LEH_03_HA, Abs. 40).
1301
In LEH_01_HE, Abs. 46; LEH_02_HE, Abs. 34; LEH_05_HE, Abs. 18; LEH_15_HE, Abs. 36; LEH_16_HE, Abs. 34; LEH_18_HA, Abs. 44.
1302
In LEH_03_HA, Abs. 38- 40; LEH_07_HA, Abs. 42; LEH_09_HE, Abs. 32; LEH_16_HE, Abs. 32.
290
Kap. D
„Ein großer Markenartikler […], der starke Sortimente hat, an denen man nicht vorbei kann, ist natürlich in einer sehr viel glücklicheren Position als ein Mittelständler, der doch in erheblichen Teilen des Sortimentes austauschbar ist“ (LEH_16_HE, Abs. 32).
Bemerkenswert ist, dass beide Seiten der jeweils anderen Seite größere Verhandlungsmacht unterstellen. Nach AHLERT (1996) kann die Machtverteilung in der Hersteller-Handels-Dyade anhand der Sanktionsgrundlagen beider Seiten beurteilt werden. 1303 Dem Handel stehen als größtes Druckmittel Auslistungen oder schlechte Platzierungen zur Verfügung. Die Hersteller haben aufgrund des Diskriminierungsverbotes keine Möglichkeit der Lieferungsverweigerung, können aber, sofern es sich um nationale Markenartikler handelt, über Kommunikationsmaßnahmen das akquisitorische Potenzial seiner Marken in dem Maße erhöhen, dass dem Handelsunternehmen die Auslistungsentscheidung zumindest entsprechend schwerer fällt. Diese Situation veranschaulicht ein Markenartikelhersteller im Interview in folgendem Bericht einer Verhandlung mit einem großen Discounter, der zur Verdeutlichung der angespannten Situation zwischen Herstellern und Händlern in voller Länge wiedergeben wird. „[…] ich habe das erlebt bei [Discounter x], da hat mich dann der Europa-Einkäufer angebrüllt: ‚Ich brauche den ganzen Scheiß nicht mehr, sie sind mit allem entlistet!‘ […] Da habe ich nur gesagt: ‚Jetzt haben wir endlich klare Verhältnisse: Sie schmeißen mich mit allem raus und ich gehe jetzt nach Hause. Aber eins verspreche ich ihnen: Ich halte sie auf dem Laufenden darüber, wie sie in den Sortimenten, in denen wir stark sind, Marktanteile verlieren. […] wenn sie kein [Produkt y] mehr haben und Mio. von Verbrauchern durch ihre Läden tigern und ihr Personal verrückt machen und sagen wo haben sie denn heute [die Produkte y], gibt es denn keine mehr?‘ […] Natürlich haben die sich wieder bei uns gemeldet und gesagt, dass sie das alles nicht so gemeint haben und ob man nicht noch mal in Ruhe reden kann“ (LEH_16_HE, Abs. 32).
Die Verhandlungen verlaufen allerdings in der Regel freundlicher im Umgang, wenngleich nicht weniger hart in der Sache, wie der Experte im weiteren Verlauf des Interviews einräumt. 1304 Eine Auflösung der Konfliktsituation zwischen Herstellern und Händlern sehen die Experten in einem neutralen Umgang miteinander, der frei von „Machtspielchen“ sein soll. Diese führen nach Aussage eines Händlers letztlich dazu, dass Konsumenten benachteiligt werden, so dass im Zweifel sowohl Handels- als auch Herstellerunternehmen Schaden davontragen. „Der Handel ist an Erträgen interessiert und der Markenhersteller ist daran interessiert, dass ihm seine Marke nicht kaputt gemacht wird. Und wenn das in Deutschland wieder so ein bisschen ins Lot kommen würde, dass das gemeinsam funktioniert“ (LEH_08_HA, Abs. 64). „Ich wünsche mir einfach mehr Offenheit und mehr Rationalität. Weniger Emotionalität von Seiten des Handels und mehr Vertrauen“ (LEH_16_HE, Abs. 48).
1303
Vgl. Ahlert (1996), S. 103-109.
1304
In LEH_16_HE, Abs. 32.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
291
„Man muss in den Verhandlungen immer die Leistungen beider Seiten abwägen und letztendlich entscheidet der Kunde, ob er das Produkt zu dem jeweiligen Preis kaufen will oder nicht. Die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten muss unvoreingenommen, frei von Ressentiments und aufgeschlossen sein. Man bekommt das nicht alles immer hin, sollte sich aber davon frei machen, seine Geschäftsbeziehungen zu politisch oder strategisch zu betreiben, denn am Ende vergrault man sich damit die eigenen Kunden“ (LEH_22_HA, Abs. 29).
Zentrale Ergebnisse
3.4.2.3
Die Machtstrukturen in der Lebensmittelbranche sind nicht so eindeutig zu Gunsten der Handelsunternehmen verteilt, wie häufig angenommen wird. Durch die Konzentration der Handelsunternehmen hat die derivative Nachfragemacht dieser in den letzten Jahren zwar zugenommen, manche große, insbesondere internationale Hersteller können die Marketingführerschaft in ihrem Distributionssystem jedoch aufgrund der Markenstärke ihrer Produkte für sich beanspruchen. Unternehmen, die ausschließlich Handelsmarken herstellen, sind durch die große Lieferantenvielfalt hingegen relativ leicht austauschbar und dadurch abhängig von den Handelsunternehmen. Der Umgang in den Preisverhandlungen zwischen Herstellern und Händlern ist konfrontationsbetont und teilweise wenig partnerschaftlich.
Informationsaustausch zwischen Herstellern und Händlern
Eine Verbesserung der angespannten Situation zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen wird häufig in einem intensiveren Informationsaustausch gesehen. „[…] der Datenaustausch wäre der erste Schritt, einfach mehr Transparenz zu schaffen“ (LEH_15_HE, Abs. 50).
Ein Austausch über gemeinsame Konzepte findet zwar regelmäßig mit den Handelspartnern statt, allerdings nicht in der aus Herstellersicht notwendigen Konsequenz. „Es gibt Handelshäuser, die sich Logistikverbesserungen auf die Fahne geschrieben haben, sprich, dass die Ware immer verfügbar ist, usw. Das würde es uns natürlich im Gegenzug erleichtern, wenn wir mehr Informationen vom Handel bekämen, wie direkte Scannerdaten über die Abverkäufe. Da tut sich der Handel noch extrem schwer“ (LEH_09_HE, Abs. 36). „Eine Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie könnte bspw. auch heißen, dass man den Handel sehr viel früher bei Innovationen involviert und im vertraulichen Ge-
292
Kap. D
sprächen sagt: ‚Pass mal auf, […] wir denken über diese oder jene Entwicklung nach, was hältst du davon? Kannst du dir das vorstellen? Ist da Platz im Markt? Und so weiter. Wir haben das sehr bewusst nicht getan, weil einfach das Risiko besteht, […] dass die das sofort kopieren. Nach dem Motto: Die Idee ist so gut, die könnte von mir selbst sein“ (LEH_16_HE, Abs. 18).
Die Hersteller beziehen ihre Daten aus eigener Marktforschung und vor allem über Dienstleister wie die GfK, AC Nielsen oder das IRI.1305 Nach eigener Einschätzung sehen diese sich in Bezug auf einzelne Produkte im Informationsvorteil.1306 „[…] im Normalfall ist der Hersteller, wenn er halbwegs gutes Marketing, Markt- und Verbraucherforschung betreibt, wesentlich schlauer als das Handelsunternehmen, weil das Handelsunternehmen ja hunderte von Warengruppen zu betreuen hat und auch jeder Einkäufer hat heute mehrere Warengruppen zu betreuen“ (LEH_01_HE, Abs. 50).
Die Händler sehen ihre Stärke in der Gesamtübersicht im Sortiment, insbesondere was Veränderungen der Marktanteile innerhalb der Warenkategorien oder Auswirkungen von Aktionen und Zweitplatzierungen betrifft. „Die Daten, die wir haben, die echten Abverkaufsdaten sind für die Hersteller ganz besonders wichtig, damit die wissen, was denn mit einer Aktion täglich oder stündlich passiert ist. Da habe ich theoretisch überhaupt keine Probleme mit, die auch, mit der Industrie auszutauschen, aber wir brauchen für diese Daten auch eine gewisse Gegenleistung“ (LEH_07_HA, Abs. 46).
Der Informationsaustausch – und darin besteht Einigkeit unter den Experten – muss sich in beide Richtungen verbessern, um durch strategische Partnerschaften die gemeinsame Wertschöpfung zu steigern. „[…] hier muss es in beide Richtungen gehen. […] das produktbezogene und auch das Marktforschungs-Know-how sollte vom Hersteller auf den Händler transferiert werden, und der Händler gibt dann wiederum sein entsprechendes – ich sag mal abgekürzt ‚Scanner-Daten-Know-how‘ an den Hersteller zurück“ (LEH_03_HA, Abs. 50). „Egal, ob Marke oder Handelsmarke, sollte meines Erachtens mehr in gemeinsamen Marktstrategien von Handel und Industrie gedacht werden. Es muss mehr Zeit sein für’s gemeinsame Geschäft. Und da muss sich der Handel noch bewegen, dass man den Herstellern genügend Zeit einräumt. Es sollte im wohl verstandenen Interesse des Handels liegen, hier über das spannenorientierte Tagesgeschäft hinaus, miteinander ins Gespräch zu kommen“ (LEH_01_HE, Abs. 80). „[…] der wichtigste Punkt, der mir da auffällt, ist, dass man im Prozess der Produktentwicklung einfach intensiver aufeinander hört, was möglich ist, was nicht möglich ist“ (LEH_18_HA, Abs. 56).
1305
In LEH_02_HE, Abs. 44; LEH_09_HE, Abs. 42; LEH_11_HA, Abs. 40; LEH_15_HE, Abs. 44; LEH_16_HE, Abs. 42; LEH_17_HE, Abs. 34; LEH_20_HE, Abs. 72.
1306
In LEH_01_HE, Abs. 50; LEH_05_HE, Abs. 56. Dieser Know-how-Vorsprung wird durch die Handelsexperten bestätigt (in LEH_03_HA, Abs. 58; LEH_13_HA, Abs. 74; LEH_23_HA, Abs. 78).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
293
Das trifft nach Ansicht der befragten Experten gleichermaßen auf die Beziehung zwischen Herstellern und Händlern im Rahmen von Handelsmarkengeschäften zu. „Wenn wir jetzt Richtung Eigenmarken schauen, würde ich mir wünschen, dass wir mit mehr Lieferanten wirklich partnerschaftlich umgehen und dass von den Lieferanten das Bewusstsein kommt, dass die Verpackung sehr wichtig ist und die Qualität sehr wichtig ist, entsprechend der jeweiligen Markenpositionierung“ (LEH_13_HA, Abs. 56). „[…] auch im Handelsmarkenbereich sollte man sich die Zeit seitens des Händlers nicht nur zwischen Tür und Angel nehmen, nach dem Motto: ‚Ich brauch mal gerade was in dem Segment, das sollte ähnlich aussehen wie die Top-Marke XY‘ – sondern dass man sich die Zeit nimmt, mit dem Hersteller auch mal über Strategie zu sprechen“ (LEH_01_HE, Abs. 44).
Abschließend ist für die Hersteller-Handels-Beziehung zu konstatieren, dass beide Seiten ein höheres Maß an Kooperation und partnerschaftlicher Zusammenarbeit anstreben, dies aber häufig an Zielkonflikten oder Ressentiments gegenüber der jeweils anderen Seite scheitert. „[…] die große Herausforderung in Deutschland mit dem deutschen Handel ist, von einer Einkaufs-Verkaufsbeziehung zu einer wirklichen Businessbeziehung zu kommen“ (LEH_16_HE, Abs. 48). „Ich glaube sehr stark an Kooperationen zwischen Markenartiklern und Handelsunternehmen auch was Instore-Kommunikation anbelangt. Da wird viel zu wenig gemacht, das ist viel zu unprofessionell“ (LEH_04_UE, Abs. 26). „[…] die Händler werden von sich aus mit Sicherheit nicht ihr Verhalten ändern, weil sie in der Vergangenheit gelernt haben, wenn ich oben draufschlage, fällt unten noch was raus. […] ‚Wal-Mart hat mit euch Herstellern Business-Pläne gemacht und da sind die gleich wieder gegen die Wand gefahren. Ich drücke euch schön immer den letzten Cent ‘raus, da bleibt ihr immer schön aktiv, schlank und frisch und lasst euch was Neues einfallen, und wenn wir hier über Partnerschaft reden, zusammen Kaffee trinken, dann werdet ihr sowieso alle dick und gefräßig und faul. Das wollen wir nicht‘“ (LEH_15_HE, Abs. 50).
Joint Business Planning ist eine in vielen Ländern übliche Abstimmung z. B. von Kommunikationsmaßnahmen zwischen Handelsunternehmen und Markenartikelindustrie.1307 In Deutschland wurde das Konzept nach Aussage der befragten Hersteller bisher nicht umgesetzt. Einzige Ausnahme stellt das amerikanische Unternehmen Wal-Mart dar, das den deutschen Markt nach zehn verlustreichen Jahren 2006 wieder verlassen hat.1308
1307
Vgl. zum Konzept des Joint Business Planning Zieger (2009), S. 115.
1308
Wal-Mart trat 1997 durch die Übernahme von Wertkauf und Interspar in den deutschen Markt ein und verkaufte seine 85 SB-Warenhäuser im Juli 2006 an die Metro (vgl. Lebensmittelzeitung vom 28.07.2006, S. 1). Verantwortlich für das Scheitern war nach Ansicht der Experten jedoch nicht das Joint Business Planning, sondern viele andere Faktoren, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll (in LEH_09_HE, Abs. 40; LEH_15_HE, Abs. 50; LEH_16_HE, Abs. 30, 48).
294
Kap. D
„[...] die Leute aus [der Konzernzentrale] haben mir gesagt: ‚Du musst mit deinen Kunden Joint Business Planning machen.‘ Und ich habe immer geantwortet: ‚It needs two to tango! Die verstehen nicht, was das ist – schreiben können die das auch nicht – und wenn ich denen das erkläre, wollen die das nicht‘ (LEH_16_HE, Abs. 48).
Category Management-Projekte werden dagegen relativ häufig und teilweise sehr erfolgreich mit den Handelsunternehmen umgesetzt.1309 Als besonders fortschrittlich und kooperationsbereit in diesen ECR-Partnerschaften wird von zahlreichen Herstellern die Metro angesehen. Kritisch sieht ein Hersteller dabei allerdings die Reservierung bestimmter Regalflächen für die Handelsmarken, die von dem Category Management ausgenommen sind. „Das Category Management beschäftigt sich mit 100 Prozent Verkaufsfläche minus dem, was die Händler ihren Marken zugestehen. Unfairer Wettbewerb, ist kartellrechtlich auch relativ bedenklich“ (LEH_16_HE, Abs. 36).
Zentrale Ergebnisse
1309
Die Handelsunternehmen beziehen ihre Konsumentendaten über die Auswertung von Scanner-Daten, während die Hersteller neben eigener Marktforschung, vielfach auf Daten von Marktforschungsinstituten zurückgreifen. Verbesserungspotenzial sehen die Experten in einem intensiveren Datenaustausch in beide Richtungen. Der Hersteller hat auf Produktebene ein dem Händler überlegendes Know-how und der Händler kann über seine Scanner-Daten, das gesamte Wettbewerbsumfeld sowie Veränderungen von Kategorien und Marktanteilen abbilden. Der Informationsaustausch sollte zudem durch strategische Partnerschaften gefördert und gefordert werden. Joint Business PlanningAnsätze nach internationalem Vorbild sind bisher an mangelnder Durchsetzungsbereitschaft seitens der Handelsunternehmen gescheitert, viele Experten berichten hingegen von erfolgreichen Category Management-Projekten.
Vgl. für einen Überblick zum Category Management Ahlert/Hesse (2002), S. 21-25; Ahlert/Hesse (2003), S. 19-20. Die Experten beschreiben Category-Management-Kooperationen in LEH_05_HE, Abs. 30-32; LEH_08_HA, Abs. 78-80; LEH_09_HE, Abs. 40; LEH_11_HE, Abs. 2426; LEH_12_HA, Abs. 38; LEH_13_HA, Abs. 52; LEH_14_HA, Abs. 98-100; LEH_15_HE, Abs. 46.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
3.4.3
295
Marken- und Handelsmarkenverständnis in der Lebensmittelbranche
Marken der Lebensmittelbranche sind omnipräsent. Sie begegnen dem Verbraucher täglich in der Werbung, beim Einkauf und Konsum sowie im heimischen Kühl- oder Vorratsschrank. Analog zu den Interviews der DIY- und der Textilbranche wurden die Experten der Lebensmittelbranche nach ihrem Markenverständnis befragt. Einen Auszug der in den Interviews wiedergegebenen Definitionsansätze zeigt Tab. D-8.1310 Experte
Markenverständnis
LEH_01_HE, Abs. 28
„Marke ist ein Produkt, wo mir als Hersteller die Markenrechte gehören, einmal und zweitens, wo ich unter dieser Marke überall distribuiere, wo es mir sinnvoll erscheint.“
LEH_02_HE, Abs. 46
„[…] ein Herstellerprodukt […], das völlig unter eigenständiger Kontrolle ist, bei jedem Marketing-Mix-Faktor, eine ausreichende Differenzierung hat und ein Produkt in kontinuierlicher Qualität mit ausreichender Distribution und einem nachvollziehbaren Preispremium.“
LEH_09_HE, Abs. 44
„Eine Marke ist ein Produktversprechen gegenüber dem Verbraucher, bei dem er immer wieder mit der gleichen Qualität rechnen kann.“
LEH_11_HE, Abs. 48
„[…] die Marke ist ein angebotenes Dienstleistungs- oder Sachgut, in das der Verbraucher Vertrauen steckt.“
LEH_16_HE, Abs. 50
„Eine Marke macht aus, dass der Begehrenswunsch oder der Besitzwunsch des Verbrauchers da ist, dass er sie haben möchte.“
LEH_03_HA, Abs. 54
„Marke ist ein in der Psyche der Verbraucher festverankertes Bild von einem Produkt, von einer Dienstleistung, wovon auch immer.“
LEH_05_HA, Abs. 38
„Eine starke Marke ist das Kapital, was ich in den Köpfen der Verbraucher habe.“
LEH_07_HA, Abs. 56
„[Eine Marke] muss im Bewusstsein des Verbrauchers sein, eine starke Stellung haben im Hinblick auf Ubiquität, […] Qualität, Dauerhaftigkeit, Verlässlichkeit.“
LEH_12_HA, Abs. 60
„Marke macht in meinem Verständnis aus, dass sie langfristig Vertrauen aufbaut.“
LEH_13_HA, Abs. 58
„Für mich ist eine Marke, eine Marke, die beim Kunden einfach im Bewusstsein ist und die eine hohe Käuferreichweite hat.“
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
1310
Die Tabelle ist nach Bezugsgruppen sortiert. In den Interviews beschrieben einige Interviewpartner den Begriff „Marke“ mit Beispielen oder gaben keine konkrete Definition. Diese Formulierungen sind analog zu den Kapiteln in der DIY- und Bekleidungsbranche nicht in der Tabelle enthalten.
296
Kap. D
Experte
Markenverständnis
LEH_14_HA, Abs. 102
„Marke schafft Vertrauen, Orientierung und gibt Sicherheit beim Kauf. Ich brauche nicht zu überlegen, ich greife zu und weiß, ich hab eine Superqualität für den Preis, den ich bereit bin, zu bezahlen.“
LEH_22_HA, Abs. 12
„Eine Marke ist ein Produkt, das sich durch eine gleichbleibend gute Qualität und eine hohe Wiedererkennbarkeit auszeichnet, dass sich den Gebrauchs- und Verbrauchsgewohnheiten der Konsumenten […] anpasst. Außerdem zeichnet sich eine Marke durch ein angemessenes PreisLeistungsverhältnis und eine hohe Distributionsreichweite aus.“
LEH_23_HA, Abs. 68
„Eine starke Marke ist es letzten Endes immer dann, wenn der Kunde ohne einen Nachdenkensprozess am Regal zu diesem Produkt greift und sich dabei wohl fühlt.“
LEH_19_UE, Abs. 84
„Eine Marke ist eine klare Positionierung im Kopf der Verbraucher, natürlich auch eine klare Kommunikation […] und ein durchgängiges […] Qualitätsversprechen an den Verbraucher.“
Tab. D-8: Ausgewählte Markendefinitionen der befragten LEH-Experten Quelle:
Eigene Zusammenstellung aus den Experteninterviews.
Auffällig ist, dass das Markenverständnis der ersten beiden Hersteller angebotsorientiert ist und sich auf Markenartikel beschränkt, während die übrigen Definitionen die Marke unabhängig von Absender oder Markenrechtsinhaber beschreiben. Die Spannbreite an Markenverständnissen ist ähnlich groß wie in der Textilbranche. Die Definition in LEH_22_HA ist merkmalsorientiert,1311 in LEH_01_HE überwiegend herkunftsorientiert1312 und in LEH_02_HE funktionsorientiert1313 bzw. im Ansatz technokratisch-strategieorientiert. 1314 Unter die nachfragebezogenen Ansätze fallen LEH_16_HE (wirkungsorientiert) 1315 sowie LEH_07_HA und LEH_13_HA (imageorientiert). 1316 Ein integriertes Markenverständnis formulieren die Experten in LEH_11_HE, LEH_12_HA, LEH_14_HA und LEH_23_HA (identitätsbasiert) 1317 sowie in LEH_03_HA und LEH_05_HA (in Ansätzen interdisziplinär).1318 In LEH_19_UE mischt sich eine im Ansatz interdisziplinäre Definition mit merkmalsorientierten Elementen.
1311
Vgl. Kap. B.1.2.2, S. 15.
1312
Vgl. Kap. B.1.2.2, S. 15.
1313
Vgl. Kap. B.1.2.2, S. 17.
1314
Vgl. Kap. B.1.2.3, S. 19.
1315
Vgl. Kap. B.1.2.3, S. 17.
1316
Vgl. Kap. B.1.2.3, S. 18.
1317
Vgl. Kap. B.1.2.4, S. 20.
1318
Vgl. Kap. B.1.2.4, S. 23.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
297
Die Unterscheidung der Marke in Handelsmarke und Markenartikel erachten die meisten Experten gegenüber dem Konsumenten als wenig zielführend. Entscheidend ist die Wahrnehmung der Produkte als Marke bzw. die Erfüllung bestimmter Markenfunktionen im Sinne des in dieser Arbeit zugrunde gelegten Markenverständnisses. „Ob es eine Handelsmarke oder eine Industriemarke ist, das sind Kunstbegriffe der betriebswirtschaftlichen Literatur, die sich historisch ergeben haben. Eine Marke ist eine Marke. ja! ist genauso eine Marke wie Ferrero. […] wir würden das eine als Industrieund das andere Handelsmarke differenzieren, aber für den Kunden ist das eigentlich in seinem Auswahlprozess egal“ (LEH_23_HA, Abs. 72-74). „[…] manchmal ist die Unterscheidung zwischen Marke und Handelsmarke in der heutigen Zeit fast eine artifizielle“ (LEH_16_HE, Abs. 52, ähnlich in Abs. 58).
Die Definitionsansätze der Handelsmarke durch einige Hersteller zeugen teilweise nicht von einer nur „aritfiziellen“ Unterscheidung von Marke und Handelsmarke. Insbesondere betonen die Experten den Me-too-Charakter bzw. die fehlende Innovationskompetenz sowie die ihrer Ansicht nach schlechtere Produktqualität der Handelsmarke.1319 „Unter der Handelsmarke würde ich in Deutschland ein Produktkonzept häufig eher untergeordneter oder zumindest mainstream-orientierter Qualität sehen, das […] keine besondere Kompetenz in Bezug auf das individuelle Warensortiment darstellt“ (LEH_10_HE, Abs. 34). „Die Handelsmarke orientiert sich natürlich an der Marke oder hat als Benchmark immer eine Marke. Ohne eine starke Marke würde es keine Handelsmarke geben“ (LEH_09_HE, Abs. 46, ähnlich in LEH_18_HA, Abs. 22). „[…] Handelsmarken befriedigen objektiv möglicherweise ein Bedürfnis, das auch eine Marke befriedigen kann, aber eine subjektive Bedürfnisbefriedigung findet aus meiner Sicht nicht statt“ (LEH_15_HE, Abs. 58). „Für mich ist im Moment eine Handelsmarke definitiv eine nachgemachte Marke, die je nach Kategorie, einen Preisvorteil bietet, damit ich für weniger Geld einen ähnlichen Nutzen habe“ (LEH_20_HE, Abs. 76).
Die in den Ausführungen zum Ausdruck kommende Überlegenheit des Markenartikels vermutet ein Hersteller auch in Bezug auf die Wahrnehmung der Konsumenten. „Bei der Handelsmarke fehlt dem Verbraucher dieses Vertrauen noch. Ich glaube, dass in den Köpfen der Verbraucher nach wie vor die Vorstellung ist, dass eine Handelsmarke nicht so gut ist wie die Marke“ (LEH_17_HE, Abs. 44).
Dass die Qualität vieler Handelsmarken tatsächlich mit den Markenartikeln vergleichbar ist, beweisen nicht nur regelmäßige Tests in Verbrauchermagazinen, sondern konstatieren auch die Experten aus Industrie und Handel.
1319
In LEH_10_HE, Abs. 16, 34; LEH_09_HE, Abs. 46; LEH_10_HE, Abs. 34; LEH_15_HE, Abs. 58; LEH_17_HE, Abs. 44; LEH_20_HE, Abs. 76.
298
Kap. D
„[…] es ist natürlich so, dass der Handel dem Verbraucher beibringen konnte und auch wollte: Du kaufst mit Handelsmarken keine schlechte Qualität, zahlst aber erheblich weniger. Das ist speziell in Deutschland so“ (LEH_01_HE, Abs. 32). „Handelsmarke ist für mich das Pendant zur Marke, außer, was den Preis anbetrifft. D. h., das ist eine super Qualität zu einem niedrigeren Preis“ (LEH_08_HA, Abs. 90, ähnlich in LEH_18_HA, Abs. 22).
Einige Experten gehen soweit, dass sie die Handelsmarke und den Markenartikeln als gleichwertig betrachten. „Handelsmarke ist ein Markenartikel, der vom Handelsunternehmen geführt und gemanaged wird – am besten Category-übergreifend“ (LEH_04_UE, Abs. 30). „Handelsmarke heißt ja mittlerweise zu Recht ‚Marke‘, weil sich die Handelsunternehmen eine so starke Positionierung aufgebaut haben, die sie berechtigt, unterschiedliche Artikel ihres Sortimentes […] mit dem Qualitätsversprechen ihres Unternehmens zu verbinden“ (LEH_11_HA, Abs. 52). „Handelsmarke ist zu wenig – Marken des Handels, die sie vertreiben und bei denen sie teilweise die gleiche Denkweise und die gleiche Organisation haben wie die Hersteller“ (LEH_06_UE, Abs. 10).
Eine im Sinne des Handelsmarkenverständnisses dieser Arbeit besonders fortschrittliche Definition, die zum einen der Anspruchsäquivalenz von Marke und Handelsmarke gerecht wird und zum anderen Elemente eines integrierten Markenverständnisses aufweist, zeigt das folgende Zitat: „Die Handelsmarke ist ein Produkt, das in der Psyche des Konsumenten als vom Händler hergestellt angesehen wird“ (LEH_03_HA, Abs. 56).
Ein Hersteller beschreibt die seiner Meinung nach in Deutschland vorkommenden Handelsmarkentypen und geht dabei auf Gattungsmarken sowie Handelsmarken der dritten und vierten Generation ein. Die zweite Generation der Me-too-Handelsmarken kommt ebenfalls in seiner Abgrenzung der Gestalt- und Pioniermarken zum Ausdruck. „Es gibt die reinen Preiseinstiegsprodukte, die nur darüber definiert sind, innerhalb der jeweiligen Warengruppe den niedrigst möglichen Produktmix zum ultimativ günstigsten Preis anzubieten. Dann gibt es in Deutschland je nach Betriebs- und Sortimentsstrategie der Handelspartner Produkte, die bis in den Premium-Bereich reingehen können […]. Und es gibt zunehmend Handelsmarken, die sogar Innovationscharakter haben, die sich nicht mehr an den klassischen Markenartikeln orientieren, sondern eigene Subsegmente mit Differenzierungspotenzial definieren, um daraus eben Wettbewerbsvorteile gegenüber Markenartikeln und anderen Handelspartnern zu generieren“ (LEH_02_HE, Abs. 48).
Die Handelsmarken, insbesondere die der dritten und vierten Generation dienen nach Ansicht der Experten der Profilierung und dadurch einer Erhöhung der Kunden-
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
299
loyalität.1320 Gattungsmarken können das Profil eines Handelsunternehmens zwar im Bereich der Preiseinstiegsprodukte abrunden, dies stellt allerdings ein für den Wettbewerb leicht zu kopierendes Merkmal dar. Im Sprachgebrauch der Experten hat sich teilweise der Begriff des „Aldi-nativen“ Sortiments durchgesetzt.1321 „Profilierung heißt, dass der Kunde ein Profil, dass er Kanten, Ecken, Konturen erkennen kann, die dazu führen, dass er sagt: Das ist mein Händler“ (LEH_03_HA, Abs. 68). „[…] es gibt ja schon Bestrebungen, wo die Handelsmarke hochwertiger als die Marke sein möchte. Eine Art Gestaltmarke, die die Handelsunternehmen zur Profilierung einsetzen wollen. Das ist ein Wandel, den wir ganz aktuell erst seit einigen Monaten wahrnehmen. Und das wird mit Sicherheit in Zukunft zunehmen, weil auch der Handel seine Handelsmarken mehr in den Fokus rückt […] und guckt, wie funktioniert das in anderen Ländern“ (LEH_09_HE, Abs. 48).
Zentrale Ergebnisse
3.4.4 3.4.4.1
Das Markenverständnis der Experten der Lebensmittelbranche ist ähnlich differenziert wie in der Bekleidungsbranche. Ein Großteil der Definitionen ist hier jedoch dem integrierten Verständnis zuzuordnen. Die Handelsmarke ist vor allem nach Ansicht der Hersteller noch weit von einer Ebenbürtigkeit mit dem Markenartikel entfernt. Aufgabe der Handelsmarken der 3. und 4. Generation ist die Profilierung der Geschäftsstätte, Handelsmarken der 1. Generation dienen den Vollsortimentern hingegen als „Aldi-native“ im Preiswettbewerb.
Handelsmarkenbedeutung im Lebensmitteleinzelhandel Historische Entwicklung der Handelsmarke
Die Handelsmarkenentwicklung in der Lebensmittelbranche gibt, wie in Kap. B.2.2 beschrieben, die Geschichte der Handelsmarken in Deutschland wieder. Der Beginn des Verkaufs von Handelsmarken in den 1970er Jahren wird auch von den befragten Experten bestätigt.
1320
In LEH_01_HE, Abs. 32, 76; LEH_03_HA, Abs. 68; LEH_08_HA, Abs. 106; LEH_09_HE, Abs. 16, 48; LEH_10_HE, Abs. 52; LEH_15_HE, Abs. 59; LEH_18_HA, Abs. 28, 98; LEH_19_UE, Abs. 12; LEH_22_HA, Abs. 18, 27.
1321
In LEH_21_HA, Abs. 12, 16; LEH_23_HA, Abs. 10.
300
Kap. D
„[…] das hat damals begonnen mit der gelben Ware des deutschen Supermarktes […], das ist jetzt schon locker 30 Jahre her, das war der erste große Einstieg der Handelsmarken“ (LEH_08_HA, Abs. 30). „[…] die Entwicklung begann eigentlich vor 30 Jahren und hängt sehr stark […] mit der volkswirtschaftlichen Entwicklung einerseits und der Handelsvertriebskanalentwicklung andererseits zusammen“ (LEH_02_HE, Abs. 18).
Als initialer Treiber der Handelsmarkenentwicklung wird von den Interviewpartnern das Aufkommen diskontierender Handelsunternehmen genannt. Insbesondere Aldi, als Vorreiter der Betriebsform „Discounter“, hat die Einführung der Handelsmarken vorangetrieben. „[…] das ist ja ein deutsches Phänomen, ausgelöst letztlich in den letzten Jahrzehnten durch Aldi und in Folge anderer Discounter. Der deutsche Verbraucher ist zur Preissensitivität erzogen worden, aber auf der anderen Seite auch qualitätsbewusst“ (LEH_01_HE, Abs. 32). „[…] die Handelsmarkenentwicklung ist in Deutschland mehr oder weniger durch den Discount getrieben worden […], angefangen von Aldi, Lidl, über Penny, Plus und Norma. Und die Marken, die dort verkauft wurden, waren ja in der Regel anonyme Marken“ (LEH_17_HE, Abs. 14). „Aldi wollte dieses Discountprinzip mit Marken machen. […] Und die Markenartikler haben gesagt: ‚Ja, ihr seid doch bekloppt. Auf der Palette im Karton? Unsere Produkte? Geht gar nicht. Und wenn, dann gegen Vorkasse. Und […] die gesamte Markenartikelindustrie war sich […] einig und hat gesagt: ‚Nee, also […] unsere tollen schicken Marken mit Schickimicki-Werbung – das geht doch überhaupt nicht‘, was dazu geführt hat, dass die beiden Aldi-Brüder, die an ihre Idee geglaubt haben, […] nur wenige Markenartikel hatten“ (LEH_16_HE, Abs. 24).
Das Unternehmen der Albrecht-Brüder zeigt sich nach Aussagen der Befragten zudem für die Etablierung und Akzeptanz der Handelsmarken in breiten Gesellschaftschichten verantwortlich. „[…] da ist zum einen natürlich, dass es ein Unternehmen wie Aldi geschafft hat, die Handelsmarke an sich generell in Deutschland zu etablieren, indem es etwas geschafft hat, was alle anderen nicht geschafft haben. Der hat Handelsmarken auf Qualität getrimmt“ (LEH_20_HE, Abs. 22). „Aldi [war] derjenige, der es geschafft hat, neben der Tatsache, dass die Dinger billiger waren als Marken, denen auch eine unheimlich qualitative Dimension zu geben. Aldi war da ausgesprochen clever und hat nicht gesagt, wir verkaufen billige Produkte, sondern preiswerte“ (LEH_16_HE, Abs. 26). „Früher kam alles aus einem braunen Karton auf einer Europalette, wenn man mal ganz weit zurückdenkt. Es musste einfach nur günstig sein. Heute sind die Kartonagen, die im Regal platziert werden, mit Offset-Druck gestaltet, […] die Handelsunternehmen haben für sich als Anspruch definiert, […] neben den Markenartikeln nicht schlechter auszusehen oder sogar teilweise oben noch einen draufzusetzen“ (LEH_18_HA, Abs. 70).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
301
„Zunächst sind die Discounter mit sog. Billig-Artikeln, auch in der Darstellung im Laden mit einfachen Verkaufsmöbeln, aufgetreten. Zur echten Konkurrenz für die Vollsortimenter wurden die Discounter, als sie auch in der Qualität nachgezogen haben und dann tatsächlich zu den Markenartikeln […] eine echte Alternative dargestellt haben“ (LEH_21_HA, Abs. 18).
Die Experten bestätigen die Feststellung, dass ein Großteil des Handelsmarkenwachstums in Deutschland durch den Discount verursacht wird. „[…] dadurch dass der Discount seit der Euro-Einführung jedes Jahr zweistellig wächst, steigt automatisch auch der Handelsmarkenanteil“ (LEH_13_HA, Abs. 22). „Das hängt sicherlich im Wesentlichen mit Entwicklung im deutschen Handel insgesamt zusammen. Die starke Preisorientierung, die sich im überproportionalen Wachstum der Discounter gezeigt hat“ (LEH_03_HA, Abs. 20). „[…] der größte Handelsmarkentrend, wenn wir über Handelsmarke in Deutschland reden, wird immer noch über den Discount getrieben. Und die haben auch große Wachstumsraten damit. Von daher ist es auch logisch, wenn der Discount wächst, werden wir weiter ein Handelsmarkenwachstum haben“ (LEH_05_HE, Abs. 62).
Als Reaktion auf den großen Handelsmarkenerfolg der Discounter haben die Vollsortimenter sich ebenfalls im Bereich der Handelsmarken betätigt. „[…] in dem Maße, in dem Discounter eigene Handelsmarken angeboten haben, die mit Markenartikeln Stand halten konnten, kam es auch im übrigen Handel zu Überlegungen, dort die entsprechenden Kontrapunkte zu setzen […]. Und das ist ein schwieriges Geschäft, weil die Vollsortimenter […] sich eine ganze Weile bis in die 90er Jahre hinein fast ausschließlich auf die Markenindustrie verlassen haben und dann erst ins Grübeln kamen, als sich die Markenindustrie, die nicht mehr ihre entsprechenden Umsatzzuwächse erreichen konnte, mit den Discountern eingelassen hat“ (LEH_21_HA, Abs. 18). „Die Hersteller sind hingegangen und haben für die Discounter die Handelsmarken produziert und damit haben sie natürlich letzen Endes sich selber konterkariert, weil sie auf gleichem Qualitätsniveau oder annähernd gleichem Qualitätsniveau woanders günstigere Preise zugelassen haben“ (LEH_23_HA, Abs. 36).
Die Markenartikelhersteller sind ihrerseits nicht unbeteiligt an dieser Entwicklung. Ein Gesprächspartner berichtet, dass er innerhalb seiner Warenkategorie als erster aktiv Handelsmarken entwickelt und zusammen mit einem Handelsunternehmen eingeführt hat.1322 Die Vollsortimenter arbeiteten im Bereich der Handelsmarkenproduktion zunächst nur mit Markenartiklern zusammen, getrieben durch das Wachstum der Discounter sind inzwischen jedoch zahlreiche, auf Handelsmarken spezialisierte Hersteller am Markt. „[…] wir müssen zugegeben, dass wir die Entwicklung der Handelsmarken im [Bereich x] selbst mit ausgelöst haben. Wir haben die erste Handelsmarke in diesem Bereich produziert und dieser Bereich hat dadurch in den letzten Jahren sehr an Dynamik gewonnen“ (LEH_09_HE, Abs. 20). 1322
In LEH_09_HE, Abs. 20.
302
Kap. D
„Klassischerweise hat die Eigenmarkenproduktion in der Zusammenarbeit mit Markenherstellern begonnen, die unsere Eigenmarken zur Auslastung ihrer Produktionskapazitäten hergestellt haben. Heute gibt es auch reine Eigenmarkenhersteller, die sich auf dieses Segment spezialisiert haben“ (LEH_03_HA, Abs. 30). „Es sind dort Produzenten gewachsen, weil Aldi & Co. von der Markenartikelindustrie teilweise nicht beliefert wurden, also haben die andere Lieferanten gebraucht. Und diese anderen Lieferanten sind in den Kategorien volumenmäßig inzwischen größer als die Markenartikler und bekommen dadurch natürlich Skaleneffekte und Effizienzeffekte“ (LEH_05_HE, Abs. 86). „[…] es gibt Hersteller, die sehr spezialisiert darauf sind, die zwar noch ihren Namen als Absender nutzen, aber eigentlich 100 Prozent Private Label herstellen“ (LEH_02_HE, Abs. 20).
Zentrale Ergebnisse
3.4.4.2
Das Wachstum der Handelsmarken wird nach Ansicht der Experten durch das organische Wachstum der Discounter dominiert. Als Reaktion auf diesen Handelsmarkenerfolg verfolgen Vollsortimenter verstärkt Handelsmarkenstrategien. Während zunächst insbesondere Markenartikelhersteller für die Produktion der Handelsmarken verwortlich waren, gibt es inzwischen zahlreiche Handelsmarkenspezialisten in der Industrie.
Bedeutung der Handelsmarken für Konsumenten und in unterschiedlichen Warengruppen
Die Entwicklung der Handelsmarken hat das Kaufverhalten der Konsumenten beeinflusst. Die Hemmschwelle, diese zu kaufen, ist durch die zunehmende Erfahrung der Konsumenten, Berichte anderer Verwender oder Tests in Verbrauchermagazinen erheblich gesunken. „[…] der Verbraucher hat Berührungsängste für das Thema Handelsmarke abgebaut und durch Erfahrungen bei verschiedenen Einkaufsstätten gelernt: Das ist etwas, dem ich vertrauen kann. Das ist nicht schlechter als der Markenartikel, und ich kann dabei Geld sparen“ (LEH_18_HA, Abs. 22, ähnlich in LEH_15_HE, Abs. 14). „Heute ist es schick und für [einen Großteil] der Haushalte völlig selbstverständlich, dass sie bei Aldi einkaufen und man darf ja inzwischen auch Aldi-Artikel auf den Tisch stellen, wenn Besuch da ist“ (LEH_21_HA, Abs. 18). „[…] im Grunde kauft jeder in Deutschland Eigenmarken. Und je mehr das tun, umso mehr stellen fest: ‚Oh, die Eigenmarke ist gar nicht schlecht‘, das ist natürlich das Risiko für die Markenartikelindustrie“ (LEH_15_HE, Abs. 16).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
303
Die Konsumenten zeichnen sich nach Aussage der Befragten durch eine sinkende Markenaffinität und eine steigende Wechselbereitschaft aus. Zudem vermuten sie hinter einem Großteil der Handelsmarken Markenartikel unter anderem Etikett.1323 […] die Markenaffinität der Endverbraucher sinkt. D. h., diese richtig echten, großen, starken Marken, bei denen der Kunde sagt: nur die und sonst keine, davon gibt es wirklich nicht mehr viele, sie sind heute austauschbar geworden. […] die Verbraucher verfügen in diesem riesigen Sortiment, das wir haben, schon über eine starke Wechselbereitschaft. Es gibt nur noch wirklich sehr wenige Marken, die eine hohe Markentreue aufweisen“ (LEH_08_HA, Abs. 86). „[…] es hat sich herumgesprochen, dass mittlerweile alle großen Hersteller mit der Qualität, die sie im Markenbereich an den Tag legen, auch Handelsmarkenlieferanten sind und man häufig nur unter einem anderen Vorzeichen die gleiche Qualität bekommt“ (LEH_10_HE, Abs. 18, ähnlich in LEH_06_UE, Abs. 20; LEH_14_HA, Abs. 66).
Ein Hersteller gibt aber zu bedenken, dass Konsumenten Handelsmarken nicht im gleichen Umfang vertrauen wie Markenartikeln. Dies zeigt sich seiner Ansicht nach insbesondere beim Auftreten von Lebensmittelskandalen.1324 „[…] wenn Lebensmittel-Skandale auftreten, rückt der Verbraucher von der Handelsmarke weg und greift eine Zeit lang auf die Marke zurück und wenn sich das dann wieder normalisiert, dann greift der Verbraucher auch wieder zur Handelsmarke“ (LEH_17_HE, Abs. 44).
Aus Hersteller- wie Handelssicht sind die Anteile der Handelsmarken in den Warengruppen unterschiedlich stark gestiegen und haben dadurch eine entsprechende Bedeutung innerhalb dieser Warengruppen erlangt. „[…] die Marktanteile und die Marktbedeutung der Handelsmarken haben sich in den einzelnen Kategorien drastisch verändert“ (LEH_05_HE, Abs. 14).
Den unterschiedlichen Anteil von Handelsmarken in den Warengruppen erklären die Experten vor allem durch die Emotionalität des entsprechenden Produktes einerseits und die Höhe der Umschlagsgeschwindigkeit andererseits. 1325 Besonders hoch ist der Handelsmarkenanteil bei Hygiene- und Haushaltspapier,1326 Wasch-, Putz- und Reinigungsmitteln, 1327 Molkerei-Produkten, wie Milch, Butter oder Sahne 1328 und Grundnahrungsmitteln wie Zucker oder Mehl.1329
1323
In zahlreichen Fällen ist dies zutreffend, wie Verbraucherschutzverbände und private Internetseiten regelmäßig offenlegen (siehe z. B. www.wer-zu-wem.de/handelsmarken oder www.jabooopenny.de).
1324
Hier ist nur ein kurzer Auszug wiedergegeben. Ausführlich in LEH_17_HE, Abs. 44.
1325
In LEH_02_HE, Abs. 90; LEH_14_HA, Abs. 18, 24; LEH_16_HE, Abs. 64; LEH_18_HA, Abs. 20.
1326
In LEH_01_HE, Abs. 66; LEH_03_HA, Abs. 22; LEH_08_HA, Abs. 24; LEH_13_HA, Abs. 14; LEH_14_HA, Abs. 26; LEH_20_HE, Abs. 38.
1327
In LEH_07_HA, Abs. 32; LEH_20_HE, Abs. 38; LEH_23_HA, Abs. 22.
304
Kap. D
„Es gibt Warengruppen, die sind in einem durchschnittlichen Handelsunternehmen zu über fünfzig Prozent vom Umsatz her handelsmarkengetrieben, in denen das durchaus gut funktioniert. Es sind meistens die Warengruppen mit sehr generischen Produkten, die keine Rezeptur beinhalten“ (LEH_18_HA, Abs. 20). „Im Bereich Süßwaren gibt recht wenige Handelsmarken und im unemotionaleren Bereich Nährmittel ist der Anteil sehr hoch. Und es kommt ja immer auf die Emotionalität der Produkte an“ (LEH_14_HA, Abs. 24). „[…] es gibt Spezialitäten- und Standardsortimente. Handelsmarken werden in der Regel für Standardprodukte gemacht und nicht für Spezialitäten, weil da der Umschlag bzw. die Drehzahl nicht hoch genug ist“ (LEH_17_HE, Abs. 12).
Als weitere Determinanten der Handelsmarkenanteile innerhalb von Warengruppen sieht ein Hersteller neben der generellen Emotionalität und der Umschlagsgeschwindigkeit, eine Genusskomponente, wie sie vor allem bei alkoholischen Getränken und im Bereich der Süßwaren vorzufinden ist, sowie die Wertschätzung durch Dritte, falls das Produkt als Geschenk übereicht wird.1330 Zudem ist es möglich, dass sehr spezielle und kostenintensive Herstellungsverfahren eine Eintrittsbarriere für Handelsmarkenproduzenten darstellen und somit in den entsprechenden Kategorien vergleichsweise wenige Handelsmarken angeboten werden.
Zentrale Ergebnisse
1328
Die Hemmschwelle der Konsumenten, Handelsmarken zu kaufen, ist stark gesunken. Die Konsumenten zeichnen sich durch sinkende Markenaffinität sowie steigende Wechselbereitschaft aus und sind über die Hersteller der Handelsmarken gut informiert. Der Anteil der Handelsmarken variiert stark zwischen den Warengruppen. Besonders hoch ist er in generischen und wenig emotionalen Produktkategorien. Neben fehlender Emotionalität führen die Experten eine geringe Umschlagsgeschwindigkeit, den geringen Genuss- und Wertschätzungscharakter eines Produktes sowie Eintrittsbarrieren durch spezifische Investitionen als Gründe für einen geringen Handelsmarkenanteil innerhalb bestimmter Produktkategorien an.
In LEH_03_HA, Abs. 23; LEH_08_HA, Abs. 24-26; LEH_09_HE, Abs. 84; LEH_16_HE, Abs. 86; LEH_18_HA, Abs. 20; LEH_20_HE, Abs. 88; LEH_23_HA, Abs. 22.
1329
In LEH_14_HA, Abs. 26; LEH_20_HE, Abs. 88; LEH_23_HA, Abs. 22.
1330
In LEH_20_HE, Abs. 16-18.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
3.4.4.3
305
Professionalisierung des Handelsmarkenmanagements
Die gegenwärtig positive Entwicklung der Handelsmarken begründen die Interviewpartner zum einen mit der wirtschaftlichen Situation,1331 zum anderen mit der zunehmenden Professionalität sowie Innovationsbereitschaft der Handelsunternehmen. „[…] die globale wirtschaftliche Entwicklung und die Tatsache, dass viele Händler ein Handelsmarkengeschäft mit Leib und Seele betreiben und da auch Geld investieren – sowohl in die Produkte selbst, als auch in die Verpackungen. Sie versuchen, Innovationen nicht dem Markenartikel zu überlassen, sondern diese über die Handelsmarke dem Kunden zu einem niedrigen Preis verfügbar zu machen – seien es Rezepturinnovationen oder Verpackungsinnovationen“ (LEH_18_HA, Abs. 22). „Das hat sicher etwas mit der konjunkturellen Lage zu tun. In den Zeiten, in denen das Geld wieder knapper ist, wie wir sie jetzt in der Finanzkrise haben […] spielt sich sehr viel im Kopf ab […] – das sind Zeiten, in denen der Kunde nicht nur mit Kaufzurückhaltung reagiert, sondern verstärkt die preiswertere Ware kauft“ (LEH_08_HA, Abs. 28).
Als weitere Gründe für den Erfolg der Handelsmarken nennen die Experten die zunehmende Erfahrung der Handelsunternehmen im Handelsmarkenmanagement sowie die Inspiration durch internationale Vorbilder, allen voran Tesco aus Großbritannien. „Da ist ganz viel passiert in letzter Zeit. Sicherlich auch inspiriert durch die Märkte im Ausland, wo sich das Thema früher als in Deutschland in die Richtung entwickelt hat, nicht zuletzt USA, Großbritannien, wo das Handelsmarkengeschäft schon länger eine andere Qualität hat. Das hängt auch vielleicht mit anderen Margen zusammen, die da erzielt werden können, dass man dort anspruchsvoller unterwegs ist“ (LEH_18_HA, Abs. 70). „Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren natürlich dazugelernt. Neben der Handelskonzentration ist hier vor allem auch die Internationalisierung der Handelskonzerne als Grund anzuführen“ (LEH_22_HA, Abs. 8). „Jeder hat bei Tesco geguckt, was machen die? Die haben einen hohen Eigenmarkenanteil, machen wir das auch mal“ (LEH_04_UE, Abs. 14).
Aus Sicht der befragten Experten wurden die Handelsmarken insbesondere durch Investitionen der Handelsunternehmen in Qualitätssicherung, Verpackungsmaterialien, Verpackungsdesign sowie Forschung und Entwicklung verbessert. „[…] das Problem der Markenartikel ist: sie sind nicht unbedingt schlechter geworden, die Handelsmarke ist besser geworden“ (LEH_16_HE, Abs. 94, ähnlich in LEH_09_HE, Abs. 18). „[…] das haben die Handelsunternehmen ganz gut nach vorne gebracht, indem sie sich von diesem ursprünglichen Kaufargument ‚preisgünstig’ weiterentwickelt haben in andere Felder, indem man sagt: ‚Wir haben auch Innovationen, […] die es vielleicht als Markenartikel nicht gibt‘“ (LEH_18_HA, Abs. 66). 1331
Den in Kap. B.2.2 aufgezeigten Einfluss der konjunkturellen Lage bestätigen die Experten in LEH_08_HA, Abs. 28; LEH_09_HE, Abs. 18; LEH_15_HE, Abs. 16; LEH_20_HE, Abs. 22.
306
Kap. D
„Die Handelsunternehmen – zumindest die, die wirklich ein professionelles, intensives Private Label-Geschäft betreiben – versuchen sich natürlich jetzt gegenseitig zu übertrumpfen oder nicht irgendwo ins Hintertreffen zu geraten“ (LEH_18_HA, Abs. 70).
Zudem hat sich nach Aussage eines Händlers die Geschwindigkeit, mit der Innovationen der Markenartikelhersteller kopiert werden, deutlich erhöht. „[…] die Handelsmarken sind sehr schnell geworden. Während früher eine Marke vielleicht erst nach einem halben oder einem Jahr kopiert wurde, dauert das heute manchmal nur noch zwei, drei Monate […] d. h., dieser Prozess, starke Warengruppen zu kopieren, funktioniert heute wesentlich schneller als früher“ (LEH_08_HA, Abs. 92).
Bezugnehmend auf die derzeitige Entwicklung im deutschen LEH äußern die Experten Bedenken, hinsichtlich einer erfolgreichen Zukunft der Markenartikel und üben Kritik an der späten Reaktion der Vollsortimenter auf die Preisstrategien der Discounter. „Ich sehe diese Entwicklung sehr, sehr kritisch, insbesondere wenn ich auf den englischen Markt schaue, wo der volumenmäßige Handelsmarkenanteil gar nicht so hoch ist, sondern der wertmäßige, weil England sehr, sehr viel hochpreisige Eigenmarken hat. Und das sehe ich als existenzielle Bedrohung für die klassische Marke an, wenn es der Handelsmarke gelingt, in Premiumsegmente abzudriften und auch das Versprechen gegenüber dem Verbraucher einzuhalten“ (LEH_15_HE, Abs. 60). „Die deutschen Händler sagen ja immer, der deutsche Handel ist ganz anders als alle anderen. Ja, die Renditen sind schwächer – da haben sie aber selbst Schuld, weil sie sich nie gegen die Discounter positioniert haben. […] sie haben ja jetzt […] auch alle ihre Eigenmarken […] mal so langsam eingeführt. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, das hätten die schon vor sieben, acht Jahren machen müssen“ (LEH_04_UE, Abs. 86).
Die Handelsunternehmen haben im Rahmen ihres Handelsmarkenmanagements immer mehr Auswahlmöglichkeiten, da die Zahl der Hersteller, die Handelsmarken herstellen, kontinuierlich steigt, wenngleich sich bekannte Markenartikelhersteller vielfach aus dem Handelsmarkengeschäft zurückziehen.1332 „[…] man steht ja meistens vor dem Konflikt, wenn wir es nicht machen, macht´s ein anderer. Das stimmt auch insofern, wenn man sich in einzelnen Produktgruppen bewegt, in denen die Marke keine große Rolle spielt“ (LEH_11_HE, Abs. 70). „Es gibt derart viele Unternehmen, die im Wettbewerb um die Regale als B-Anbieter – und das meine ich nicht im Sinne von Qualität, sondern im Sinne von Marke, Markenstärke – erfolgreich waren und die dann verdrängt worden sind von den Konzernen, die aber nach wie vor exzellente Produkte herstellen können, die aber nicht die Investments in einen strukturierten Markenaufbau tätigen können, die aber durchaus längst in eine exzellente Qualität investiert haben“ (LEH_10_HE, Abs. 48). „[…] viele Markenartikler, die heute Handelsmarken produzieren, haben aus meiner Sicht den Fehler gemacht, dass sie zu hohe Qualitäten geliefert haben, die teilweise in die Nähe der Marke kamen […] das führte dazu, dass die Handelsmarkenqualität in 1332
In LEH_11_HE, Abs. 56-58; LEH_15_HE, Abs. 10; LEH_16_HE, Abs. 20-22; LEH_20_HE, Abs. 12.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
307
Deutschland relativ hoch ist, es gibt natürlich noch schlechte Qualitäten, aber der Verbraucher weiß, wo er die Sachen kaufen muss“ (LEH_15_HE, Abs. 14-16).
Zentrale Ergebnisse
3.4.5 3.4.5.1
Das Handelsmarkenmanagement der deutschen Handelsunternehmen wird durch Erfahrung und Benchmarking mit internationalen Wettbewerbern zunehmend professioneller. Diese zunehmende Professionalisierung des Handelsmarkenmanagements äußert sich unter anderem in der Bereitschaft zur kurzfristigen Imitation von Innovationen sowie in Investitionen in Qualitätssicherung, Verpackungsmaterialien und -design. Das Vordringen der Handelsmarke in Premiumbereiche, wie bereits im Ausland erfolgreich vollzogen, kann sich zur Bedrohung des Markenartikels entwickeln. Es kommt hinzu, dass immer mehr Hersteller die Bereitschaft zeigen, unter fremder Marke, Produkte für den Handel herzustellen.
Handelsmarkenführung in der Lebensmittelbranche Aufbau und Funktionen von Lebensmittel-Handelsmarken
Der Aufbau von Handelsmarken erfordert, analog zum Aufbau von Markenartikeln, eine gewisse Zeitspanne. Bereits mehrfach wurde das britische Handelsunternehmen Tesco genannt, das sich viele deutsche Händler bei ihren Handelsmarkenstrategien zum Vorbild nehmen. Tesco hat seine Handelsmarkenarchitektur über einen sehr langen Zeitraum sukzessive aufgebaut, wie ein Hersteller im Interview berichtet. „Tesco hat 30 Jahre für die Entwicklung seiner Handelsmarkenstrategie gebraucht und hat sehr bewusst in bestimmten Feldern angefangen und hat irgendwann gemerkt: Jetzt ist diese Handelsmarke tragfähig, jetzt zieht die Lokomotive und jetzt können wir wieder einen Waggon dranhängen. Und dann mal wieder ein bisschen Ruhe und durchschnaufen – die Leute begreifen es. Und dann können wir wieder einen Waggon dranhängen. Und dann kommt auch die Phase: Den Waggon müssen wir rausnehmen. Der zieht nicht. Das bringt die Leute eher durcheinander, das machen wir lieber nicht. Und heute ist das bei Tesco ein geschlossenes Konzept, das für bestimmte Werte steht“ (LEH_16_HE, Abs. 64).
Die befragten Handelsexperten sind ebenfalls der Meinung, dass der Aufbau einer Handelsmarke viel Zeit erfordert und ziehen den Vergleich zu Markenartikeln. „[…] der Aufbau einer echten Handelsmarke funktioniert nicht von heute auf morgen, das dauert Jahre und Jahrzehnte. Schauen sie sich doch an, wie lange es die bekann-
308
Kap. D
ten Markenartikel schon gibt, teilweise mehr als 100 Jahre und da haben sie als Marke natürlich einen hohen Vertrauensvorsprung. Und genau das muss auch das Ziel der Handelsmarke sein“ (LEH_22_HA, Abs. 14). „[…] erst einmal brauchen sie die Akzeptanz. Sie werden ja nicht von heute auf morgen Marke. Und sie werden auch nicht von heute auf morgen zum Spitzenanbieter. Sie müssen damit anfangen, guter Anbieter zu sein und dann werden sie irgendwann mal ein ‚Porsche‘ – aber sie sind nicht von Anfang an einer. Zumindest nicht im Bereich der Vertrauensgüter“ (LEH_23_HA, Abs. 84).
Im Rahmen von Positionierungsentscheidungen lassen sich Handelsmarken mit Markenartikeln vergleichen. Für Handelsunternehmen unterscheidet sich der Entscheidungsprozess dadurch, dass er zusätzlich die Sortimentspolitik für verschiedene Warengruppen sowie naturgemäß die Entscheidung über den eingesetzten Handelsmarkentyp festlegt. „An sich gelten für eine Handelsmarke die gleichen Attribute wie für eine Marke. Auch hier muss eine hohe Wiedererkennbarkeit und ein angemessenes Preis-LeistungsVerhältnis gegeben sein“ (LEH_22_HA, Abs. 14). „[…] ich muss stringent in der Sortimentsauswahl, in der Preisführung und auch in der Kommunikation sein. Welche Aussage und welches Versprechen treffe ich für welche Handelsmarke?“ (LEH_13_HA, Abs. 78). „[…] der Händler fragt sich, welches sind die verbraucherrelevanten Produktsortimente, die er mit seiner Handelsmarke forcieren möchte, um den Verbraucher zielgerichtet in seine Outlets zu führen“ (LEH_10_HE, Abs. 38).
Die befragten Experten sehen in der Handelsmarke keinen Angriff auf die Markenartikelindustrie sondern – wie in den Ausführungen zur historischen Entwicklung dargestellt – eine Möglichkeit, den Discountern im Preiseinstiegsbereich ein entsprechendes Sortiment entgegenzusetzen. „Die Eigenmarke hat einen hohen Stellenwert und ich als Handelsunternehmen muss sie richtig positionieren. Aber die Eigenmarke ist in keinster Weise dafür da, der klassischen Markenartikelindustrie das Leben schwer zu machen oder sie sogar zu verdrängen. Sie ist für mich in erster Linie ein Instrument, um auch die Discountwelt in meinen Geschäften preislich abbilden zu können“ (LEH_22_HA, Abs. 10). „Wir haben nicht den Ehrgeiz, mit der Handelsmarke die Marke zu ersetzen“ (LEH_21_HA, Abs. 44).
Der Hintergrund dieser positiven Einstellung der Handelsunternehmen zum Markenartikel ist weniger in Markenorientierung aus Überzeugung als vielmehr im betriebswirtschaftlichen Nutzenkalkül anzutreffen; denn der Markenartikel wird von den Experten als unverzichtbar für die Handelsmarke beschrieben. „Und die Handelsmarke wäre ja nichts ohne die Marke. Wenn die Marke nicht teuer daneben stehen würde, könnte ich meine Handelsmarke ja nicht billig verkaufen. D. h., die Marke an sich bildet einen Vertrauensanker für den Verbraucher: Die QualitätsPreis-Relation. […] Ohne die Marke würde die Relation wegfallen“ (LEH_15_HE, Abs. 62).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
309
„[…] die Marke wird immer gebraucht […], weil sie der Handelsmarke als Referenz dient“ (LEH_18_HA, Abs. 100). „Die Handelsmarke kann nicht ohne die Marke“ (LEH_17_HE, Abs. 68). „Der Kunde findet bei uns alles von den Markenartikeln, über unsere Eigenmarken bis hin zur Preiseinstiegsmarke. Wir geben ihm damit die Orientierung am Regal, wie auch immer er preislich eingestellt ist. Aber ohne die Marken werden wir es nicht schaffen, unser Konzept ist auf starken Marken aufgebaut“ (LEH_14_HA, Abs. 136).
Vor allem Innovationskraft und die Funktion als preislicher wie qualitativer Referenzpunkt verleihen dem Markenartikel seine Existenzberechtigung im Sortiment des klassischen LEH. Für die Harddiscounter, wie Aldi oder Lidl ist anzunehmen, dass Konsumenten die Produktpreise mit denen von Markenartikeln vergleichen, denn Preisgünstigkeit ist stets eine relative Größe.1333 „Ich brauche ja den Reibungspunkt, indem ich [die Handelsmarke] daneben positioniere, ich stelle sie auch im Regal neben die Handelsmarke oder im Faltblatt oder sonst irgendwo und sage, sie ist zwanzig Cent billiger als die Marke. Wenn ich diese Vergleichsmöglichkeit nicht mehr habe, fehlt mir ein entscheidendes Argument in der Ansprache dem Kunden gegenüber, warum ich diese Handelsmarke habe“ (LEH_18_HA, Abs. 100). „Die Markenartikelindustrie treibt den Vollsortimentern mit Innovationen die Kunden ins Geschäft“ (LEH_16_HE, Abs. 48). „[…] die Eigenmarke braucht einen starken Sparring-Partner, denn was wäre die [Handelsmarke X] ohne ihre Benchmark. Die würde sich im Regal verlieren. Ich muss immer sagen können, ich bin mindestens so gut wie [Herstellermarke Y]“ (LEH_19_UE, Abs. 114). „Die Handelsmarke muss immer billiger sein als die Marke, denn wenn sie genau so teuer ist, wie der Markenartikel, neigt der Konsument – auch bei gleicher Qualität – dazu, das bekanntere Produkt zu kaufen“ (LEH_22_HA, Abs. 20).
Die preisliche Differenzierung der Handelsmarke unterhalb des Markenartikels ist gleichermaßen zur Absicherung hoher Volumina erforderlich. Da der Distributionsgrad der Handelsmarke grundsätzlich auf die Geschäftsstätten des entsprechenden Handelsunternehmens beschränkt ist, muss durch einen entsprechenden Preisabschlag ein zur Realisation von Skaleneffekten ausreichend hoher Absatz erreicht werden. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss auf jeden Fall besser sein als beim Markenartikel, sonst funktioniert das Ganze nicht, denn ich bin ja darauf angewiesen, dass ich auch eine ordentliche Stückzahl im Verkauf erreiche“ (LEH_18_HA, Abs. 22). „Sie brauchen schon Volumen. Und wenn sie die Handelsmarken zu sehr ausdifferenzieren, haben sie das Volumen nicht mehr. Und wenn sie das Volumen nicht haben, haben sie a) den Preis nicht, aber b) auch die Qualität nicht“ (LEH_23_HA, Abs. 84).
1333
Vgl. Eschweiler (2006), S. 208.
310
Kap. D
Zentrale Ergebnisse
3.4.5.2
Der Etablierung von Handelsmarken erfordert viel Zeit und lässt sich mit dem von Markenartikeln vergleichen. Im Rahmen der Positionierungsentscheidungen der Handelsmarken ist die Wahl der einzusetzenden Handelsmarkentypen der damit verbundenen sortimentspolitischen Aussage anzupassen. Überraschenderweise sehen die Handelsunternehmen die Handelsmarken nicht als Mittel zur Verdrängung der Markenartikel, sondern betonen deren Rolle als innovationstreibende Kraft und als preislicher wie qualitativer Referenzpunkt. Die preisliche Differenzierung der Handelsmarken zu den Markenartikeln setzen die Handelsunternehmen ein, um ohne aufwendige Kommunikationsmaßnahmen entsprechende Warenumschläge zu generieren.
Führungsaspekte des Handelsmarkenmanagements
Das Handelsmarkenmanagement ist in den Unternehmen der befragten Experten je nach Unternehmensgröße überwiegend auf der Geschäftsführungsebene 1334 oder der mittleren Managementebene 1335 angesiedelt. Dies verdeutlicht die gegenwärtig hohe Relevanz der Handelsmarken innerhalb der Unternehmensstrategie der Lebensmittelhändler. Die Befragten erheben bei der Handelsmarkenführung den gleichen Anspruch wie Hersteller bei den eigenen Markenartikeln. „[…] auch bei der Handelsmarke muss eine kontinuierliche Markenführung gewährleistet sein, nicht unbedingt über die klassischen Medien, aber zum Beispiel über Handzettel, Kundenzeitschriften und Platzierungen sowie Produktverkostungen in den Märkten“ (LEH_22_HA, Abs. 14). „Die Handelsmarke muss wie ein Markenartikel geführt werden. […] Deswegen muss ich alles tun, dass die Handelsmarke nicht verramscht wird“ (LEH_06_UE, Abs. 20). „Marke ist ja kein Selbstzweck. Entweder ich glaube dran, dass es mir etwas bringt als Handelsunternehmen, dann setze ich auch entsprechende Ressourcen darauf. Oder ich glaub nicht dran, dann brauch ich auch gar nicht die Marke darein zunehmen. Dann lasse ich es sein“ (LEH_04_UE, Abs. 46).
Als wichtigste Anforderungen an eine erfolgreiche Handelsmarkenführung verstehen die Experten eine eindeutige Zielgruppenvorstellung sowie die Grundsatzentscheidung, ob die eingesetzten Handelsmarken der Ergänzung des Sortiments durch 1334
In LEH_03_HA, Abs. 66; LEH_09_HE, Abs. 56; LEH_17_HE, Abs. 60.
1335
In LEH_13_HA, Abs. 84; LEH_02_HE, Abs. 62.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
311
Preiseinstiegsprodukte oder auch der Profilierung in Form von hochwertig positionierten Handelsmarken dienen sollen. „Markenführung in Bezug auf Handelsmarke heißt, genau zu wissen, in welchem Bereich man Eigenmarken sieht, dass man ein klares Verständnis dafür hat, in welchem Preissegmenten sieht man das Ganze und für welche Kundengruppe ist diese jeweilige Handelsmarke auch bestimmt. Handelsmarkenführung heißt im Grunde genommen auch, das Ganze nicht nur preisgetrieben zu machen, sondern klar anhand der Bedürfnisse des Kunden zu orientieren“ (LEH_12_HA, Abs. 72). „Markenführung besteht für mich im Wesentlichen darin, dass das Handelsunternehmen sich der Grundsatzentscheidung stellen muss, welche Rolle sollen Handelsmarken für ihn übernehmen; in seinem Geschäftskonzept. Es gibt starke Markenartikel, Powerbrands im Handel; die stehen dem Handel zur Verfügung, mit denen kann der Händler Umsatz machen. Wenn er sich dazu entscheidet, dass Handelsmarken für ihn attraktiv sind, muss er definieren, wofür. Sollen sie ihn im Preiswettbewerb gegenüber anderen Handelspartnern positionieren? Oder sollen sie ihn gegenüber dem Kunden eher in Richtung Qualität profilieren?“ (LEH_10_HE, Abs. 38).
Zu diesen Anforderungen zählen zudem die Sortiments- und Preispollitik sowie eine entsprechende Kommunikation am und außerhalb vom PoS.1336 „[…] das geht von Nutzendefinition, über Sortimentsdefinition, Verpackungsdesign und Pricing bis zu einer starken Kommunikation, sonst kriegen sie die Marke nicht eingeführt. Sie haben den großen Vorteil, dass sie das am Point of Sale entsprechend gut positionieren können, wesentlich besser als die Markenartikler“ (LEH_04_UE, Abs. 46). „Markenführung hört ja nicht auf, wenn ich einen Lieferanten gefunden habe für ein Produkt, was ich im Regal stehen habe. Da fängt die Arbeit ja erst an: Verköstigung, Marketing, Werbung, Handzettel, Auftritt, Design, Kontinuität, Brand Equity messen nach dem Voranschreiten, usw., all die Sachen. Und damit sind viele Retailer überfordert, weil sie es bisher nicht gemacht haben“ (LEH_14_HA, Abs. 168).
Für die zusätzlich ins Sortiment aufgenommenen Handelsmarken, werden zum Teil Markenartikel ausgelistet. Dies führt nach Aussage eines Händlers je nach Bedeutung dieser Markenartikel innerhalb der Kategorie, zu einer gewissen Unzufriedenheit auf Seiten der Konsumenten. „Wenn man jetzt vermehrt auf Eigenmarken setzt […] und konsequent sein will muss man natürlich auch gewisse Markenartikel dafür herausnehmen und da gibt’s natürlich Risiken, weil jeder Artikel oder auch jede Veränderung im Sortiment ist eine Veränderung, die sich beim Kunden niederschlägt und […] jede Veränderung sorgt dann auch irgendwo in gewissem Maße für Verärgerung bei den Kunden, die diese Produkte bisher gekauft haben“ (LEH_13_HA, Abs. 26).
Weitaus gravierender wirken sich auf das Konsumentenverhalten nicht eingehaltende Werbeversprechen der Handelsmarken aus. In kooperierenden Handelssystemen entwerfen Abteilungen in der Handelszentrale die Handelsmarkenkonzepte. Wenn diese anschließend in den angeschlossenen Geschäften umgesetzt werden 1336
Vgl. Kap. C.4.5.
312
Kap. D
sollen,1337 kann es im Einzelfall zu einer deutlichen Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit kommen. „[…] das Schlimmste ist, wenn sie in der Werbekampagne etwas versprechen, das sie in ihrem Imperium an Läden nicht einhalten können. sie sagen, wir sind die Schönsten, die Saubersten, und die Besten und bei uns haben Sie die größte Auswahl und dann guckt sie der jämmerliche Blumenkohl an. Dann ist Werbung nicht nur nicht produktiv, sondern kontraproduktiv“ (LEH_16_HE, Abs. 30).
Zentrale Ergebnisse
3.4.5.3
Das Handelsmarkenmanagement nimmt in der Strategie der Handelsunternehmen eine bedeutende Rolle ein. Dies verdeutlicht dessen organisatorische Verortung in der mittleren bzw. oberen Führungsebene. Die Festlegung einer geeigneten Handelsmarkenarchitektur erfordert die kundengetriebene Grundsatzentscheidung, welche Funktionen die Handelsmarken für das Handelsunternehmen in Bezug auf preisliche Wahrnehmung und Profilierungspotenzial erfüllen sollen. Konfliktfelder sehen die Experten zum einen in der Auslistung von Markenartikeln, weil dies zur Unzufriedenheit der bisherigen Käufer dieser Marken führen kann. Zum anderen stehen insbesondere kooperierende Handelssysteme vor der Herausforderung, die zum Teil anspruchsvollen Handelsmarkenambitionen der Zentrale in ihren Geschäftsstätten umzusetzen.
Ausgestaltung der Handelsmarkenarchitektur
Als erste Überlegungsschritte der Handelsmarkenarchitektur nennen die Interviewpartner die Auswahl der Sortimentsbereiche sowie die Auswahl der Handelsmarkentypen. Die Anzahl unterschiedlicher Handelsmarken und Handelsmarkentypen, im Sinne der im Grundlagenteil dieser Arbeit beschriebenen Handelsmarkengenerationen, bestimmt für das Handelsunternehmen letztendlich die Komplexität des Handelsmarkenmanagements. „[…] zunächst frage ich mich, was brauche ich für zusätzliche Leistungsangebote? Convenience ist sicherlich ein Thema – alle Querschnittsthemen bieten sich natürlich dazu an, übergreifend ein gewisses Konsumbedürfnis mit Handelsmarken abzugreifen und zu fördern“ (LEH_23_HA, Abs. 84).
1337
In LEH_03_HA, Abs. 24, 28; LEH_17_HE, Abs. 24, 30-32; LEH_18_HA, Abs. 44; LEH_21_HA, Abs. 6, 46.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
313
„Der Händler kann verschiedene Handelsmarkenkonzepte von Low-Price bis Premium forcieren, aber dadurch wird der Markt natürlich immer komplexer für ihn, auch das Handelsmarkenmanagement wird immer komplexer“ (LEH_10_HE, Abs. 38). „Idealtypischer Weise kommen sie von einem Kundennutzen her. Dass sie schauen, was für Nutzenbedürfnisse sind latent in der Bevölkerung verankert oder schon durch andere Marken befriedigt, aber oftmals, wenn man den Vergleich zum Markenartikel zieht, eben nicht Category-übergreifend befriedigt“ (LEH_04_UE, Abs. 32).
Die Experten konstatieren einen gegenwärtig zunehmend eingesetzten dreistufigen Aufbau der Handelsmarkenarchitektur in Preiseinstieg, Mitte-Marken und Premiummarken, analog zu Handelsmarken der 1. und 4. sowie je nach Strategie der 2. oder 3. Generation. „[…] wir haben ja nun im LEH immer dieses Drei-Schicht-Modell: Premium, Preiseinstieg und Mittelklasse. [Händler X] hat gerade eine Eigenmarke im Mittelklassebereich eingeführt“ (LEH_11_HE, Abs. 82). „[…] diese Dreiteilung ist die sinnfälligste und pragmatischste Lösung zunächst einmal. Und das können sie nur evolutionär entwickeln“ (LEH_23_HA, Abs. 84). „Diese dreigeteilte Strategie wird sich in den nächsten Jahren entwickeln und weiter ausprägen – die ist einfacher zu kommunizieren. Preiseinstieg […], Qualitätsmarkenniveau […] als Alternative zur A-Marke und ganz oben Differenzierungsmöglichkeiten durch Premium“ (LEH_19_UE, Abs. 102).
Damit diese Handelsmarkenarchitektur dem Konsumenten vermittelt werden kann, empfiehlt ein Händler eine schnelle Umsetzung aller Handelsmarkenstufen. „[…] je schneller ich die Architektur anbiete, die ja auch ein Gesamtkonstrukt darstellen soll, umso schneller kann das auch vom Kunden verstanden werden und wirken“ (LEH_13_HA, Abs. 114).
Es sind jedoch die bereits am Beispiel Tesco dargelegten Hinweise zum Aufbau von Handelsmarken zu beachten. In vielen Handelsunternehmen ist bereits eine Preiseinstiegsmarke vorhanden, die in die Handelsmarkenarchitektur integriert werden kann. Sind für die Qualitäts- und Premium-Stufe einheitliche Handelsmarkennamen in Verbindung mit der Betriebstypenmarke vorgesehen, steht dies nicht im Widerspruch zu einer anders lautenden Preiseinstiegsmarke. In der Praxis wird der Bezug zur Betriebstypenmarke für Handelsmarken der ersten Generation bewusst gemieden oder nur angedeutet. Sie werden als preisliche Alternative zu den Produkten der Harddiscounter angeboten. Die Vollsortimenter bezeichnen ihre Handelsmarken im Preiseinstiegsbereich daher teilweise als „Aldi-nativ-Sortiment“.1338 „[…] wir haben auch eine Preiseinstiegsmarke – eine Handelsmarke als Antwort auf die große Macht der Discounter“ (LEH_07_HA, Abs. 12).
1338
In LEH_21_HA, Abs. 12; LEH_23_HA, Abs. 10.
314
Kap. D
„[…] alle versuchen Alternativen zu den Discountartikeln darzustellen. Und da haben wir ja bei [Handelsunternehmen x] in etwa 800 Artikel, die in Preis und Qualität genau die Aldi-Artikel, also das Grundsortiment von Aldi kopieren“ (LEH_21_HA, Abs. 16). „[…] der klassische Lebensmittelhandel, also Supermärkte, Verbrauchermärkte, SBWarenhäuser, mussten dieser Discountentwicklung Paroli bieten, und haben dementsprechend […] durch die Entwicklung von Handelsmarken im Preiseinstiegsbereich eine Antwort gegeben“ (LEH_03_HA, Abs. 20, ähnlich in LEH_20_HE, Abs. 16).
Die Handelsmarken der zweiten Generation dienen den Handelsunternehmen dazu, erfolgreiche Markenartikel zu kopieren und von deren Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu profitieren. Teilweise werden auch Zweit-Marken der Hersteller durch einheitliche Handelsmarken ersetzt. Bei diesen ist das erwähnte Risiko der Kundenunzufriedenheit infolge der Auslistungen als überschaubar anzusehen. „Im Me-too-Markenbereich schaut man sich an, wie entwickeln sich Trends und wie entwickeln sich eingeführte Markenartikel und […] lassen sich die Deckungsbeiträge beim Handel in ein für uns relevantes Potenzial übersetzen. Wenn das der Fall ist, geht man einen völlig differenzierten Weg oder aber nutzt man erlaubte Wiedererkennungsmerkmale des jeweiligen Markenartikels, um Assoziationen beim Verbraucher herbeizuführen“ (LEH_02_HE, Abs. 50). „[…] die B- und C-Marken sind für mich gesichtslos und austauschbar geworden und deswegen sind das genau die Artikel, die wir aus dem Sortiment nehmen wollen, wo dann auch kein Risiko besteht […] Kunden zu verärgern oder zu verlieren“ (LEH_13_HA, Abs. 62).
Teilweise werden Markenartikel durch Handelsmarken derart eindeutig kopiert, dass rechtliche Grenzen überschritten werden. Für die Hersteller ist eine juristische Auseinandersetzung allerdings das äußerste Mittel, da die Beziehung zum entsprechenden Handelsunternehmen dadurch belastet würde. „Es ist im rechtlichen Graubereich und immer ein netter Diskussionspunkt zwischen Industrie und Handel, wenn der Handel sich da zu sehr annähert. Sie haben wahrscheinlich gesehen, was [das Handelsunternehmen x] bei einigen Produkten gemacht hat, wie nah die da dran waren. Das war schon unverschämt und da haben sich die betroffenen Firmen völlig zu Recht auch heftig gewehrt“ (LEH_05_HE, Abs. 75).
Handelsmarken der dritten Generation beschränken sich nicht auf ein einzelnes Produkt, wie die klassischen Me-too-Handelsmarken, sondern werden als Dachhandelsmarken, innerhalb von Kategorien oder kategorieübergreifend geführt. „Markenartikel sind für mich auf gewisse Kategorien beschränkt, eine Marke wie Coca Cola ist nun mal im Bereich Getränke, das werde ich selten an einem Schuh finden oder an einer Flasche Bier. […] Der Vorteil der Handelsmarke ist, dass ich sie ausbreiten kann auf eine gesamte Kategorie, d. h. nicht nur auf das Segment Getränke oder das Segment Tiefkühlkost“ (LEH_12_HA, Abs. 64). „[…] wenn sie Handelsmarken führen, […] können sie eine Marke über unterschiedliche Sortimentsbereiche aufbauen, indem sie z. B. Quality-, Premium- oder BioHandelsmarken nehmen, da sind sie nicht mehr in einem bestimmten Sortimentsbe-
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
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reich, sondern Category-übergreifend und das kann kein Markenartikler“ (LEH_04_UE, Abs. 14). „[…] der falsche Weg ist, wenn sie Category-spezifische Marken aufbauen – dafür gibt es die Markenartikel, das mache ich besser Category-übergreifend, allein aus Effizienzgesichtspunkten. Denn die Handelsmarken haben ja eine dramatisch geringere Distributionsdichte als ein klassischer Markenartikel“ (LEH_04_UE, Abs. 46).
Diese Dachhandelsmarken haben den Vorteil, dass das Kommunikationsbudget vieler Produkte auf eine Marke gebündelt werden kann. Dadurch kann die systemimmanente niedrige Distributionsdichte der Handelsmarken im Vergleich zu den Markenartikeln kompensiert werden. „[…] man hat mit dem gleichen Investment in der Handelsmarke einen viel größeren Nutzen, weil man die theoretisch auf alle Bereiche übertragen kann. […] Die Markendehnung ist beim klassischen Markenartikel vielleicht noch auf meine angrenzenden Produktgruppen möglich, aber dann hört´s auch auf“ (LEH_11_HE, Abs. 84-86). „[…] allein aus Effizienzgesichtspunkten. Denn Handelsmarken haben ja eine dramatisch geringere Distributionsdichte als ein klassischer Markenartikel. D. h., wenn sie das kommunikativ entsprechend bewerben wollten, könnten sie das ja nur über einen gewissen Umsatz pro Marke […]. Wenn ihre Distributionsdichte für dieses Produkt aber viel niedriger ist als vom Markenartikel, weil sie eben nicht bei allen Händlern drin sind, sondern nur bei dem Einen, […] hat es doch nur Sinn, wenn sie diese eine Marke wenigstens über unterschiedliche Categories führen“ (LEH_04_UE, Abs. 56). „[…] da sind sie nicht mehr in einem bestimmten Sortimentsbereich, sondern sortimentsübergreifend oder Category-übergreifend und das kann kein Markenartikler. Sie schaffen damit dann eben auch Einkaufsstättenbindung und können die Marke viel breiter präsentieren, als das ein Markenartikler kann“ (LEH_04_UE, Abs. 14).
Das größte Risiko, das mit den Effizienzvorteilen der Dachhandelsmarken verbunden ist, besteht in den Rückkopplungseffekten zwischen den unter ihr geführten Produkten. Konsumenten schließen von der Qualität eines gekauften Produktes auf die aller anderen Produkte der gleichen Handelsmarke. „[…] wenn die eine Produktlinie dort die Qualitätsansprüche nicht befriedigt hat, hat das natürlich sofort Auswirkungen auf andere, aber auch vice versa; d. h., ich habe zum Beispiel Butter ausprobiert und war absolut überzeugt; hab dann gesagt, diese Marke weckt mein Vertrauen und kaufe [die Dachhandelsmarke x] dann eben auch in den anderen Bereichen“ (LEH_11_HE, Abs. 84).
Die Handelsmarken der vierten Generation, die als Gestalt- und Pioniermarken mit Innovationen und herausragender Qualität zur Profilierung der Handelsunternehmen beitragen sollen, erweisen sich in ihrer Umsetzung als große Herausforderung. Sie sollen sich nach Angabe eines Händlers an den Premiummarkenartikeln messen und diese teilweise übertreffen. „Diese wertigen Eigenmarken, von denen träumt der deutsche Handel schon sehr, sehr lange“ (LEH_20_HE, Abs. 26).
316
Kap. D
„Wir wollen uns, wenn es vergleichbare Premium-Anbieter, z. B. Lindt, gibt, auch daran messen. Es wird nur schwieriger – da muss man noch individueller aufgestellt sein als im Mittelpreissegment, aber da wollen wir auch auf diesem Niveau vergleichbarer Premium-Anbieter liegen und in manchen Segmenten wollen wir selbst innovativ sein und Dinge launchen, die noch keiner besetzt hat“ (LEH_13_HA, Abs. 62). „[…] ich sehe das größte Risiko darin, dass es den Händlern nicht gelingt, die Verbraucher auf Dauer an dieses Thema zu binden. Weil darin liegt die Stärke der Marke: Qualität, Kommunikation und natürlich die Historie der Marke“ (LEH_15_HE, Abs. 64).
In der Flächenrentabilität bzw. der Umschlagsgeschwindigkeit sehen die Experten ebenfalls eine kritische Größe für den Erfolg der Gestalt- und Pioniermarken. „[…] das Risiko für den Handel ist natürlich, wenn jeder Händler jetzt mit seinem eigenen Sortiment kommt, dann wird der Markt ja aus Konsumentensicht überflutet. Ich habe einen gewissen Regalmeter, […] und da muss ich einen Umschlag erzielen. Wenn mir das nicht gelingt mit so einer Premium-, Selection- oder Sonst-was-Marke, hat diese Handelsmarke keine Relevanz“ (LEH_15_HE, Abs. 64). „[…] bei Premium muss man genau schauen, auf welche Produkte es sich lohnt zu setzen, weil auch bei Handelsmarken muss man natürlich eine gewisse Drehzahl erreichen. Wir haben nicht den kompletten deutschen Handel, den wir bedienen können, sondern nur unsere eigenen Stores“ (LEH_13_HA, Abs. 62). „Der Aufwand für solche Premium-Handelsmarken rechnet sich in der Regel nicht, es sei denn, sie bieten so außergewöhnliche und innovative Produkte an, die man sonst nicht im Bereich der Herstellermarken bekommt. Und auch da haben sie ja das Problem, dass es zunächst mal zu einer gewissen Anzahl von Kaufakten kommen muss“ (LEH_22_HA, Abs. 26).
Durch den geringen Warenumschlag im Regal können ferner Probleme mit der Mindesthaltbarkeit der Produkte entstehen. „[…] wenn ich z. B. von einer hochwertigen Zartbitterschokolade spreche, oder von einem hochwertigen Likör, dann sind das keine Schnelldreher und dann bin ich nicht im Massenmarkt. Da bedarf es schon eines deutlich intensiveren Austausches mit dem Hersteller, damit diese Produkte nicht von vornherein zum Sterben verurteilt sind, weil Sie sich nicht drehen, sich nachher MHD-Probleme ergeben und damit dann automatisch beim nächsten Sortimentscheck wieder rausfliegen“ (LEH_03_HA, Abs. 32).
Gestalt- und Pioniermarken unterscheiden sich in ihren Charakteristika wesentlich von den Handelsmarken der anderen Generationen. Zum einen ist der Beschaffungsvorgang anspruchsvoller, da nur wenige Hersteller als Lieferanten in Frage kommen. Zum anderen bedingt ihr Exklusivitäts-Anspruch ex definitione eine vom Konsumenten wahrgenommen Knappheit der Produkte. „[…] man muss als Händler schon ein gutes Standing haben, wenn ich über die AMarke hinausgehen will. […] Das funktioniert nicht so leicht, weil da muss ich auch wirklich exzellente Qualität haben, die über der A-Marke liegt, und da oben drüber ist es nicht so einfach, exzellente Qualität zu bringen. […] und da dann auch noch einen gewissen Warenumschlag hervorzurufen, ist fast unmöglich“ (LEH_23_HA, Abs. 28).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
317
Eine weitere Herausforderung stellt für die Handelsunternehmen der hohe erforderliche Kommunikationsaufwand dar, um die Gestaltmarke dem Konsumenten bekannt zu machen und ihn zu einem Erstkauf zu bewegen. „Was würde dafür sprechen, dass ich eine unbekannte Eigenmarke kaufe, die deutlich mehr kostet als die Marke?“ (LEH_20_HE, Abs. 28). „Die Leute müssen diese unbekannten Produkte ja ausprobieren und das funktioniert nicht ohne einen erheblichen werblichen Aufwand. Außerdem sind die Handelsunternehmen aus der Historie heraus keine großen Forscher und Entwickler sondern meistens Nachahmer“ (LEH_22_HA, Abs. 26, ähnlich in LEH_21_HA, Abs. 44). „[…] da muss man erst mal sehr viel Kommunikation betreiben, um den Kunden eine Premium-Handelsmarke nahe zu bringen, dass er die erst einmal probiert, und wenn man das schafft, dass dann auch der Wiederkauf kommt“ (LEH_08_HA, Abs. 114).
Die Gestalt- und Pioniermarken müssen des Weiteren eine entsprechende Umsetzung in den Geschäften erfahren und sich im Regal an der Flächenproduktivität und den Deckungsspannen der Markenartikel messen. „[…] es muss dann auch im Geschäft gelebt werden und ob der Einzelhandel das umsetzen kann und soll? Der wird sich eher um die Markenartikel kümmern, die schon etabliert sind, als seine Regalfläche nur Versuchen zur Verfügung zu stellen. Denn die Marken verkaufen sich aus Händlersicht von selbst“ (LEH_21_HA, Abs. 44).
Neben den zahlreichen Herausforderungen bestehen nach Aussage eines Händlers auch Vorteile bei der Einführung von Gestalt- und Pioniermarken, z. B. in der Lagerund Lieferlogistik von Frischeprodukten, wie er am Beispiel von frisch gepresstem Orangensaft mit begrenzter Haltbarkeit aufzeigt. „[…] wenn die Handelsunternehmen es wirklich wollten, könnten die das hinbekommen. Mit einem Supplier, der das kann, der ihnen Exklusivität garantiert […]. Dann machen die das mit ihrer Frischelogistik, mit der sie Milch und andere Dinge durch die Gegend karren. Ob da ein Granini mithalten kann? Daran haben die gar kein Interesse. […] Wenn der Granini dann sagt: Oh, jetzt wird es aber Zeit, dass wir uns auch um einen frisch gepressten Orangensaft kümmern, dann sagt [der Händler]: Ja, macht mal, aber nicht bei uns“ (LEH_16_HE, Abs. 28).
Eine besondere Bedeutung für die Handelsmarkenarchitektur nimmt – wie in der Dekonstruktion ausführlich dargestellt – die Betriebstypenmarke ein. Zahlreiche Handelsunternehmen nutzen sie als Namensbestandteil ihrer Dachhandelsmarken. „[…] wichtig ist, dass sie nicht nur ihre Handelsmarke stark führen, sondern dass sie auch eine starke Händlermarke haben“ (LEH_04_UE, Abs. 16, ähnlich in LEH_13_HA, Abs. 86). „[…] die Händlermarke muss auf der Produktverpackung präsent sein. Damit die Konsumenten eben auch die Zuordnung herstellen können. Sie wollen ja mit der Eigenmarke auch Einkaufsstättentreue erzeugen und dafür müssen sie ihre Händlermarke einspannen“ (LEH_04_UE, Abs. 46).
318
Kap. D
„Die Handelsmarke ist für uns ja gerade deshalb so reizvoll, weil sie uns zum einen die Möglichkeit gibt, das Discountsortiment preislich abbilden zu können und zum anderen auch unsere Händlermarke bekannt zu machen und als Marke zu etablieren“ (LEH_22_HA, Abs. 32).
Einige Experten äußern Kritik an der gegenwärtigen Ausdifferenzierung der Handelsmarkenarchitekturen der Handelsunternehmen. Zum einen werden die Markenartikel möglicherweise zu sehr in den Hintergrund gerückt, zum anderen sind derart komplexe Handelsmarkenstrategien nur für Handelsunternehmen ab einer bestimmten Betriebsgröße umsetzbar. „Ich sehe in diesen neuartigen Handelsmarkenstrategien nicht die Glücksseligkeit, wie das vielleicht andere tun. Für uns ist es wichtig, eine gut geführte Handelsmarke anzubieten, die für den Preiseinstiegsbereich der Discounter steht und die ergänzt wird durch ein breites Sortiment an Markenartikeln. Sortimentsvielfalt bedingt für uns ganz klar auch Markenvielfalt“ (LEH_22_HA, Abs. 22). „[…] die kleineren Vertriebsschienen müssen auch irgendwo eine Handelsmarke führen, um die Handelsmarken im Preiseinstiegsbereich abzudecken und damit ist das Ding auch schon erledigt. Dass die jetzt Handelsmarken implementieren wollen, um sich großartig zu profilieren oder zu differenzieren, sehe ich für diese Häuser eher nicht. Da sollte es Markenartikel geben und eine Preiseinstiegsmarke, um alles abzudecken“ (LEH_09_HE, Abs. 72).
Nicht nur kleine Handelsunternehmen, sondern auch die großen Discounter, die seit ihrer Entstehung die Maxime verfolgen, Komplexität in allen Bereichen zu vermeiden, 1339 nutzen ihre Betriebstypenmarke nicht als prominentes Absender-Logo auf den Produktverpackungen der Handelsmarken. „[…] für Real und Rewe scheint es zu funktionieren, aber z.B. Aldi ist erfolgreich obwohl er ganz verschiedene Marken hat, da ist zum Beispiel der Bekanntheitsgrad der Corporate-Brand Aldi, die eine Sogwirkung auf die Produkte hat, bei Lidl genauso“ (LEH_12_HA, Abs. 80).
Für Discounter, die keine oder nur wenige Markenartikel im Sortiment führen, gelten für die Ausgestaltung der Handelsmarkenarchitektur offensichtlich andere Bestimmungsfaktoren.
1339
Vgl. zu den Prinzipien der Discounter ausführlich Brandes (2006).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
319
Zentrale Ergebnisse
3.4.5.4
In großen, nicht diskontierenden Handelsunternehmen hat sich der simultane Einsatz der Handelsmarken mehrerer Generationen durchgesetzt. Am häufigsten wird eine Dreiteilung der Preisstufen in Preiseinstieg, mittlere Qualität sowie Premiumqualität vorgenommen. Die Gattungsmarken setzen die Vollsortimenter ein, um dem Konsumenten eine Alternative zum Sortiment der Discounter anzubieten. Klassische Handelsmarken werden genutzt, um erfolgreiche Markenartikel in kurzer Zeit zu kopieren und die Zweit-Marken der Hersteller sukzessive zu ersetzen. Die Dachhandelsmarken werden sowohl innerhalb von Warenkategorien als auch kategorieübergreifend eingesetzt, um Kommunikationsbudgets zu bündeln und den Konsumenten ein einheitliches und leicht verständliches Erscheinungsbild der Handelsmarken anzubieten. Ein Risiko besteht in negativen Partizipationseffekten der Produkte innerhalb der einheitlich markierten Warengruppe. Im Rahmen der Einführung von Gestalt- und Pioniermarken sehen die Experten zahlreiche Herausforderungen. Ein geringer Warenumschlag verursacht Probleme mit der Mindesthaltbarkeit und wirkt sich negativ auf die Flächenproduktivität aus. Zudem schätzen die Befragten den Kommunikationsaufwand zur Initiierung von Erstkäufen als hoch ein. Abschließend ist für die Ausgestaltung der Handelsmarkenarchitektur die Rolle der Betriebstypenmarke festzulegen. Wird sie als Teil der Dachhandelsmarken-Namen verwendet, weiten sich die Partizipationseffekte – positive wie negative – auf den Betriebstyp aus.
Handelsmarkenführung in diskontierenden Betriebstypen
Für diskontierende Handelsunternehmen steht im Rahmen der Handelsmarkenstrategie die Betriebstypenmarke im Vordergrund, ohne dabei prominent auf den Produktverpackungen zu erscheinen. Teilweise treten die Discounter nur als sog. Shadow Endorser in Erscheinung.1340 Die Experten verdeutlichen dies am Beispiel Aldi. „Die Leute gehen zu Aldi, weil Aldi über der Tür steht. Ich kaufe bei Aldi – da geht es nicht darum, dass ich die und die Marke bei Aldi kaufe, sondern ich kaufe einfach bei Aldi“ (LEH_17_HE, Abs. 16).
1340
D. h., ein Vermerk auf der Rückseite gibt Auskunft über den In-Verkehr-Bringer der Ware, z. B. „hergestellt für die Lidl-Stiftung“ (vgl. C.4.3.2, S. 147).
320
Kap. D
„Aldi hat es geschafft, sich selbst zur Marke zu machen und damit an sich jeden Artikel auch zu einer Art Handelsmarke zu machen“ (LEH_07_HA, Abs. 58). „[…] Aldi an sich wird wie eine Marke geführt. Das ist die Betriebstypenmarke. Die hat natürlich dann eine ganz andere Stärke. Und deshalb ist für Aldi wiederum egal, wie er die Produkte darunter markiert, weil durch das Aldi-Logo weiß ich genau, das ist hohe Qualität zum günstigen Preis. Und deswegen kann der Aldi auch Videorekorder, Tennisschläger und Schuhe und sowas verkaufen“ (LEH_05_HE, Abs. 16).
Die Frage, warum Aldi nicht die Betriebstypenmarke oder einen einheitlichen Phantasienamen auf Produktebene verwendet, wie Rewe oder Edeka sie einsetzen, sondern viele Einzelbezeichnungen, beantworten die Experten mit dem hohen Handelsmarkenanteil der Discounter.1341 „Ich halte nichts von produkt-spezifischen Eigenmarken, weil dann bin ich der schlechtere Markenartikel, dann kann ich auch den Markenartikel nehmen. Es sei denn ich bin ein Discounter wie Lidl oder Aldi“ (LEH_04_UE, Abs. 56). „Bei einer so geringen Anzahl von Produkten können sie nicht mit Einheitsbegriffen operieren. Es würden dann anteilig gesehen zu viele Produkte den gleichen Namen tragen. Wenn bei Aldi zwei Drittel der Produkte den gleichen Namen trügen, unabhängig davon, ob das ein Phantasiename oder die Händlermarke Aldi wäre, würde das Geschäft völlig mit diesem Namen überladen werden und man würde sich als Kunde wie ‚im Kommunismus‘ fühlen“ (LEH_22_HA, Abs. 10). „Aldi kann sicherlich nicht überall das Aldi-Logo draufkleben, das Problem ist sonst, die Leute gehen in den Laden und sehen nur Aldi. Dadurch reduziert sich ja für den Konsumenten dann wieder die Auswahlmöglichkeit. Dann merkt der plötzlich, ich hab ja gar keine Wahl“ (LEH_04_UE, Abs. 48).
Aus Sicht der Hersteller von Handelsmarken bedeutet dies, dass das Handelsmarkenmanagement nicht in Markengestaltung und Verpackungsdesign der Einzelmarken besteht, sondern in der Sortimentspolitik. Hersteller, die über das größere Knowhow innerhalb der Produktkategorie verfügen, empfehlen dem Handelsunternehmen, trendgerecht bestimmte Rezepturen auszutauschen oder entwickeln neue Produkte für die Handelsmarke. Erneut wird Aldi von den Experten als Beispiel herangezogen. „[…] der Hebel über die Sortimentspolitik ist bei Aldi wesentlich größer, als wenn ich über die Gestaltung gehe. Letztendlich kann ich dem Aldi ein Produkt reinstellen, wie ich will, die Gestaltung spielt eine absolut untergeordnete Rolle und der Markenname, der im Einzelnen da draufsteht ist auch absolut untergeordnet. Ich kann über die Sortimentspolitik sehr viel mehr bewegen, als über die Marke“ (LEH_05_HE, Abs. 72). „Wenn ein Aldi ein Produkt einführt, dann will es auf einmal auch die restliche Discountwelt in Deutschland haben. Und dann kommt da ein Penny, ein Lidl, ein Netto und Norma – alle“ (LEH_09_HE, Abs. 22).
1341
Der Handelsmarkenanteil im Sortiment der sog. Harddiscounter Aldi, Lidl und Norma beträgt Ende 2007 81,7 % im Gegensatz zu den übrigen „Marken-Discountern“ Netto, Penny und Plus mit 46,3 % (Daten von AC Nielsen 2008, zitiert nach Lebensmittelzeitung Nr. 17 vom 25.04.2008, S. 46).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
321
Zunehmend nutzen die Discounter zumindest innerhalb der Warengruppen einheitliche Bezeichnungen für ihre Handelsmarken. „Der Aldi hat es ein bisschen besser, weil der kann eigentlich in jeder Kategorie entscheiden, wie er die Produkte markiert, weil seine Marke Aldi oben drüber so stark ist. Aber so stark ist ein Kaufland und eine Metro nicht, also brauchen die auch auf der Produktebene auch eine viel stringentere Klammer als ein Aldi in dem Bereich“ (LEH_05_HE, Abs. 56). „[…] heute nutzen viele Discounter Kategorie-bezogende Gattungsbegriffe […]. Diese Vielzahl an Kategoriemarken erschwert natürlich eine jeweils hohe Bekanntheit bei den Konsumenten. Die Distributionsdichte der Discounter ist zwar in Deutschland sehr hoch, die Sortimente unter diesen Kategoriemarken sind jedoch recht klein. Aber es ist klar, dass ich mich bei kleinen Sortimenten in der Markenführung stärker spreizen muss, um dem oben gezeichneten monotonen Bild des Kommunismus-Lädchens entgegenzuwirken“ (LEH_22_HA, Abs. 10).
Aktuell bewirbt Lidl seine Handelsmarken – für Discounter ungewöhnlich – mit Fernsehspots, in denen jede Woche Handelsmarken einer bestimmten Warengruppe mit 15 Prozent Rabatt angepriesen werden. Die Experten heben die große Bedeutung der Strategien der Discounter auf die Handelsmarkenführung der Vollsortimenter hervor. Ein Händler betont die hohe Dynamik des Handelsmarkenmanagements, die durch zahlreiche Interdependenzen zwischen den Sortimenten der beiden Betriebsformate verursacht wird. „[…] man steht natürlich immer unter dem Fokus: Was macht der Discounter? Das macht es auch schwierig, überhaupt eine Handelsmarke zu definieren, z. B. als Preiseinstiegsmarke. Denn heute ist ein Produkt für uns in einer Premiumstufe drin, was morgen dann, weil der Discounter es anders macht, in den Preiseinstiegsbereich muss. Und deswegen ist das kein statischer Prozess, sondern eben sehr, sehr dynamisch und das ist eine ganz gefährliche Geschichte für die Markenführung. Nach meinem Dafürhalten die gefährlichste“ (LEH_23_HA, Abs. 22).
Ein Experte warnt die Vollsortimenter explizit davor, die Discounter als Vorbild des eigenen Geschäftsmodells anzusehen. „[…] wenn sie natürlich identische Leistung wie ein Discounter zu mehr Geld abrechnen wollen – funktioniert halt nicht. Sie müssen den Leuten schon sagen, warum sie mehr Geld hergeben sollen. Und das ist das Einkaufserlebnis. Deshalb: seitdem die Edeka mit ihrer ‚Wir lieben Lebensmittel‘-Kampagne angefangen hat, geht es der Edeka ja wieder dramatisch besser, die wächst! […]. Das Problem ist, dass die deutschen Supermärkte beim Aldi und beim Lidl abgucken, was sie besser machen können und sich dann wundern, dass sie die höheren Preise nicht durchsetzen können“ (LEH_04_UE, Abs. 90).
Dem ist in sofern beizupflichten, als dass Aldi oder Lidl wesentlich effizientere Hintergrundstrukturen aufweisen und bezogen auf die einzelnen Produkte eine um ein Vielfaches höhere Umschlagsgeschwindigkeit erzielen. Die damit zu realisierenden Skalen- und Effizienzvorteile lassen sich nicht mit dem umfangreichen Sortiment der Vollsortimenter kopieren.
322
Kap. D
Zentrale Ergebnisse
3.4.5.5
Die Betriebstypenmarke nimmt für diskontierende Handelsunternehmen eine bedeutende Rolle im Handelsmarkenmanagement ein, da sie stellvertretend für die weniger bedeutenden Markennamen den Konsumenten auf Produktebene das Versprechen eines guten PreisLeistungs-Verhältnisses gibt. Würden Discounter in ihrem begrenzten Sortiment eine einheitliche Handelsmarke oder ihre Betriebstypenmarke prominent auf den Produktverpackungen verwenden, böte sich dem Konsumenten ein einheitliches bzw. durch wenig Abwechslung geprägtes Bild, so dass ihm die geringe Sortimentstiefe und somit die fehlende Auswahlmöglichkeit aufgedrängt würde. Innerhalb der Warengruppen sind die Discounter dazu übergegangen, einheitliche Gattungsbezeichnungen zu verwenden sowie diese intensiv zu bewerben. Die Handelsmarkenstrategien der großen Discounter haben aufgrund ihrer Marktstellung einen hohen Einfluss auf die Strategie der Vollsortimenter. Eine strategische Ausrichtung auf den Preis ist den Vollsortimentern aufgrund ihres weniger auf Effizienz ausgelegten Geschäftsmodells nicht zu empfehlen.
Markenrechte der Handelsmarken
Die in der betriebswirtschaftlichen Literatur herrschende Meinung, die Inhaberschaft der Markenrechte auf Seiten des Handels sei ein konstituierendes Merkmal der Handelsmarke,1342 wird durch die Experten nicht bestätigt.1343 „Die meisten Marken, die wir haben, gehören zu uns, d. h., wir haben die registriert und auch prüfen lassen, dass die auch international verkehrsfähig sind, ist in den meisten Fällen auch der Fall. Klar gibt es auch Ausnahmen“ (LEH_12_HA, Abs. 74). „Es gab ein paar Vermischungen in den Anfängen. Es gab ein oder zwei Handelsmarken, wo das Markenrecht bei uns lag und alles andere war dann aber schon beim Handel angesiedelt“ (LEH_09_HE, Abs. 60). „In der Regel behalten wir die Markenrechte, sichern aber Exklusivität für die Marke, in der entsprechenden Region für die Handelskette zu. Wir haben zum Beispiel beim [Handelsunternehmen x] eine Marke, […] da haben wir auch eine eigene Ausstattung
1342
Vgl. zu den Definitionen in der Fachliteratur Kap. B.1.4.
1343
In LEH_01_HE, Abs. 28; LEH_02_HE, Abs. 66; LEH_05_HE, Abs. 68; LEH_11_HE, Abs. 60-62; LEH_18_HA, Abs. 88.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
323
und Gestaltung, das ist alles in unserem Besitz, aber wir liefern es exklusiv an [das Handelsunternehmen x]“ (LEH_05_HE, Abs. 68). „[…] es kann durchaus sein, dass die Marke mir [als Hersteller] gehört und ich mich dazu verpflichtet, sie exklusiv an einen Handelspartner zu liefern. […] Es gibt Fälle, wo wir unter einer eigenen Marke, die wir dem Handel exklusiv zur Verfügung stellen, ihn beliefern. […] das entscheidende Kriterium ist im Grunde: Stelle ich eine Marke, egal, wem sie gehört, exklusiv einem Handelspartner zur Verfügung, oder nicht“ (LEH_01_HE, Abs. 28).
Die Markenrechte liegen in der Lebensmittelbranche – wie schon zuvor für die DIYund die Bekleidungsbranche festgestellt – überwiegend auf Seiten der Handelsunternehmen.1344 Ein Hersteller schildert eine Mischform aus Markenartikel und Handelsmarke, die er als „Zweitmarke“ oder „Zwittermarke“ bezeichnet. Bei dieser Marke liegen die Markenrechte stets auf Seiten des Herstellers, dem Handelsunternehmen wird allerdings eine mehr oder weniger eingeschränkte Exklusivität zugesichert. „[…] ein Beispiel, wo noch viel mehr Hoheit beim Hersteller liegt, sind die sog. ZweitMarken. Zweit-Marken mit ‚Z‘ wie Zwitter, das passt gut, das sind tatsächlich Zwitter zwischen Marke und Handelsmarke. Es gibt in den großen Handelsgruppen des Lebensmittelhandels, aber auch beim Fachhandel einen Bedarf, bestimmte Produktkategorien, wenn diese groß und interessant genug sind, deutlich billiger als Marken einzukaufen, jedoch ohne dass das betreffende Handelsunternehmen sich zutrauen würde, hier eine eigene Handelsmarke zu führen. Da setzt man die sog. Zweit-Marken ein, die nur im Ausnahmefall einem Handelsunternehmen ganz exklusiv zugestanden werden. Das unterscheidet sie auch von den Handelsmarken. Aber von den Herstellermarken unterscheidet sie, dass sie preislich fast auf Handelsmarkenniveau angesiedelt sind“ (LEH_01_HE, Abs. 64).
Es kann die Annahme getroffen werden, dass viele klassische Handelsmarken aus solchen Zweitmarken entstanden sind, bzw. als solche von den Handelsunternehmen geführt werden. Dies stellt eine plausible Erklärung für die Ausnahmefälle dar, in denen die Markenrechte der exklusiv von einem Handelsunternehmen verkauften Produkte auf Seiten des Herstellers liegen. Zentrale Ergebnisse
1344
Entgegen der bisherigen Ansicht stellt das Recht des Händlers an der Marke kein konstitutives Merkmal dar. Die Markenrechte der Handelsmarken liegen überwiegend beim Handelsunternehmen, die Experten berichten dennoch von zahlreichen Ausnahmen. Diese Ausnahmen bilden häufig die aus Zweitmarken entstandenen Handelsmarken der zweiten Generation.
In LEH_03_HA, Abs. 70; LEH_04_UE_56, Abs. 56; LEH_07_HA, Abs. 76; LEH_09_HE, Abs. 6062; LEH_10_HE, Abs. 42; LEH_12_HA, Abs. 74; LEH_21_HA, Abs. 56.
324
3.4.6 3.4.6.1
Kap. D
Aufgabenverteilung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements Aufgaben der Herstellerunternehmen
Die Aufgaben des Herstellers im Rahmen des Handelsmarkenmanagements beschränken sich vielfach auf die Produktion der Ware in der vom Handel geforderten Qualität zu einem möglichst niedrigen Preis. Den Ablauf beschreibt ein Interviewpartner wie folgt: „[…] das Produkt wird zunächst anhand des Anforderungsprofils in den relevanten Dimensionen beschrieben, dann geht das in die Vorstufe der Bearbeitung und Organisation, wo ein erster Pre-Check gemacht wird hinsichtlich der Anlagenverfügbarkeit und einer […] Grobkalkulation. Wenn das erfolgreich ist, durchläuft das Angebot die nächste Stufe der Preisfindung. Zu dem Zeitpunkt, wenn man sagt: ‚Okay, können wir machen, zu dem und dem Preis‘, wird das Angebot mit dem jeweiligen Einkäufer besprochen“ (LEH_02_HE, Abs. 52).
Die Dauer des beschriebenen Prozesses im Herstellerunternehmen hängt von dem Umfang des Handelsmarkenauftrags ab. In der Regel beansprucht der Prozess drei bis vier Monate, bei sehr großen gemeinsamen Projekten kann die Vorlaufzeit bis zu zwei Jahren betragen, wie die Hersteller im Interview berichten. „[…] bei Handelsmarken läuft es so ab, dass der Handel in den meisten Kategorien Ausschreibungen macht. Da gibt es ein Standardprogramm, das man zu erfüllen hat. […] die wissen, wer die Anbieter in den Segmenten sind. Diese Pflichtaufgabe hat man zu erfüllen. Dann kann jeder zusätzliche Vorschläge machen […] und Empfehlungen abgeben, das ist aber eher die Ausnahme. […] Dann hat man für eine Ausschreibungsfrist zwei bis vier Wochen Zeit, es folgt eine Auswertungsfrist, so dass der Prozess sich über drei bis vier Monate hinzieht“ (LEH_05_HE, Abs. 44). „Der Prozess reicht von der Ideenfindung über eine […] Machbarkeitsphase inklusive Investitionen bis hin zur Entscheidungsphase […]. Bei ganz großen Projekten dauert das eineinhalb Jahre, zwei Jahre, bei anderen Projekten je nach Maschinenverfügbarkeit sechs, sieben Monate und bei Aufträgen, bei denen wir nicht in Anlagen investieren müssen und auch keine große Marktforschung machen müssen, sind das drei, vier Monate. Die Private Label-Aufträge, die ausgeschrieben werden, dauern im Normalfall ebenfalls drei bis vier Monate“ (LEH_02_HE, Abs. 14).
Die Qualitätsanforderungen für die Produktion von Handelsmarken haben nach Aussage der Experten mit der Professionalisierung des Handelsmarkenmanagements der Händler stark zugenommen. Ob eine Produkt- oder Sortimentsberatung durch den Hersteller gewünscht ist, hängt von dessen Leistungsfähigkeit ab. „Der Hersteller muss zunächst einmal die Qualitätsstandards einhalten. Er kann theoretisch auch, das ist jetzt die Frage, über welche Hersteller wir reden, mit Produktideen kommen“ (LEH_04_UE, Abs. 44). „In der Vergangenheit war es so, dass der Handelsmarkenhersteller das Layout der Produkte gemacht, die Qualität vorgeschlagen hat“ (LEH_16_HE, Abs. 82).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
325
„[…] das Management der Handelsmarken beginnt für uns mit den Qualitätsanforderungen oder -ansprüchen an die ausgeschriebenen Produkte. Der Handel hat heute, auch im Bereich Handelsmarke […] relativ hohe Qualitätsansprüche. Er möchte auf keinen Fall, was die Qualität anbelangt, unter den Durchschnittszahlen liegen“ (LEH_01_HE, Abs. 30).
In den Ausschreibungen werden die Hersteller indirekt von den Handelsunternehmen zur Kopie von marktführenden Markenartikeln aufgefordert. Ein Hersteller berichtet, das „Vorbild“ der gewünschten Handelsmarken sei meist recht leicht anhand der in der Ausschreibung ausgewiesen Rezeptur zu erkennen. „[…] wenn wir Handelsmarkenausschreibungen analysieren, dann steht da versteckt drin, bau mir [Marktführer x] nach, oder [Marktführer y]. Das Handelsunternehmen guckt sich den Marktführer an und bastelt danach die Spezifikationen und sagt: bitte, das scheint gut zu sein, mach mir das bitte nach“ (LEH_05_HE, Abs. 51).
Verbraucherverbände werfen den Markenartikelherstellern häufig vor, die identischen Rezepturen und Qualitäten für die von ihnen produzierten Handelsmarken wie für die deutlich teureren Markenartikel zu verwenden. Dies ist hingegen nach Aussage der Experten in der Regel nicht der Fall.1345 In bestimmten Produktkategorien wie Wurstund Fleischwaren können bei der Trennung von Marke und Handelsmarke allerdings kaum Qualitätsunterschiede wahrgenommen werden, wie ein Hersteller berichtet. „[…] da gab es natürlich viele Hersteller […], die dann ökonomisch getrieben gesagt haben: Bevor wir jetzt einen Extrapott anrühren, für das, was wir in Aldi-Verpackungen abfüllen, ist es ja viel billiger, einen großen Pott zu machen und irgendwann halten wir das Band an und dann stellen wir die anderen Becher drunter“ (LEH_09_HE, Abs. 84). „[…] bei dem Aspekt der Produktqualität können sie keine Kompromisse machen. Und jetzt irgendwas reinstreuen, dass es ein bisschen schlechter schmeckt, ist dann auch blöd. Im Grunde genommen, kommt es tatsächlich dazu, dass sie vergleichbar gute Qualitäten dem Händler für die Handelsmarke liefern“ (LEH_16_HE, Abs. 22).
An der Handelsmarkenführung wollen sich einige Markenartikelhersteller nicht beteiligen, da sie nicht dazu bereit sind, Ressourcen über die Anforderungen der Handelsunternehmen hinaus in die Handelsmarken zu investieren. Sie befürchten damit eine Konterkarierung ihrer Markenartikel. „Wir investieren nicht in die Handelsmarke, in ihre Wahrnehmung, sondern wir liefern ihm den gewünschten Artikel in der gewünschten Verpackung. Das, was wir sonst als Marketing oder Brand Management oder überhaupt Markenführung bezeichnen, geht ja in ganz andere Bereiche. Es ist ein absoluter Low-Involvment-Artikel von der Bedeutung hier im Haus; wir haben keine Anstrengungen in Richtung Qualitätswahrnehmung unternommen. Es war eine hochwertige Ausstattung, aber er wurde nicht besonders
1345
In LEH_01_HE, Abs. 58; LEH_09_HE, Abs. 84; LEH_10_HE, Abs. 12; LEH_11_HE, Abs. 56; LEH_17_HE, Abs. 70; LEH_20_HE, Abs. 86. In den Interviews versichern die Experten, dass sowohl andere Rezepturen als auch andere Rohstoffqualitäten in der Produktion eingesetzt werden. Sie betonen jedoch, dass dies im Gegenzug nicht heiße, dass die von ihnen produzierten Handelsmarken von schlechter Qualität seien.
326
Kap. D
beworben, weil wir wollten natürlich nicht unser eigenes Premiummarkengeschäft konterkarieren“ (LEH_11_HE, Abs. 64).
Dennoch können sich sowohl Händler als auch Hersteller vorstellen, dass Teile des Handelsmarkenmanagements von den Herstellern übernommen werden. In einigen Fällen besteht eine solche Arbeitsteilung bereits, z. B. in Form der trendgerechten Weiterentwicklung einer Handelsmarke. „[…] mit Sicherheit haben die Hersteller einen Anteil an der Handelsmarkenführung. Ich kann das nicht für alle sagen, aber wenn sie mal sehen, wer Lieferant bei Aldi ist, dann sind das – entgegen der Eide, die dort geschworen werden – zum großen Teil die Industrieunternehmen, die ihre eigene Marke haben; und am Marktanteil, den Aldi da bietet, gar nicht vorbeigehen können oder wollen, die ihr ganzes Know-how, in den Prozess mit einbringen“ (LEH_07_HA, Abs. 74). „[…] ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass man sich sehr eng mit einem Lieferanten abstimmt oder ihm sogar die Entwicklungsarbeit […] überlässt, weil da einfach ein so intensives Marktwissen erforderlich ist, um ein gutes Geschäft zu betreiben; das kann man sich als Vollsortimenter nicht aneignen. Da müssten sie ja im Prinzip in jeder dieser schwierigen Warengruppen totaler Experte werden, und da steht der Aufwand für den Umsatz, der sich dann damit in einem SB-Warenhaus realisieren lässt, in keinem Verhältnis mehr“ (LEH_18_HA, Abs. 96). „Das Outsourcen muss ja nicht erfunden werden, das gibt es ja in der Industrie auch: wir haben keine eigene Gehaltsbuchhaltung mehr, wir haben kein eigenes Finanzwesen mehr. Das machen irgendwelche Leute in Polen oder in Ungarn oder in Indien und das wird der Handel auch lernen […] bei verlässlichen Lieferanten […] wird man in einer Art […] Preferred Supplier-Status dem Handel das abnehmen, was man am Ende besser beherrscht“ (LEH_16_HE, Abs. 82).
Die Hersteller trauen sich eine Vielzahl von Aufgaben im Rahmen des Handelsmarkenmanagements zu, sowohl was die Entwicklung und Gestaltung neuer Handelsmarken betrifft als auch ein umfassendes Engagement durch das Management von Produktkategorien, von der Regalpositionierung bis hin zur Preisstellung. Letzteres wird kaum möglich sein, da die Händler es zum einen als ihr Privileg ansehen1346 und zum anderen das vertikale Preisbindungsverbot rechtliche Grenzen steckt. „Wir haben auch […] einen Pool von Marken – Marken ist jetzt vielleicht verkehrt – aber von Schriften und Namen und Markierungen, die wir geschützt haben, die wir dann den Handelsunternehmen möglicherweise im Prozess mit anbieten, ist aber eher die Ausnahme und auch deutlich in den letzten Jahren auf dem Rückzug“ (LEH_05_HE, Abs. 52). „[…] wir können für den Händler die ganze Category managen. Wir können ihn auch bei der Marke, bei der Auswahl und möglicherweise bei der Gestaltung beraten, da haben wir ziemlich viel Know-how“ (LEH_05_HE, Abs. 66). „[…] ich würde unserem Handelsmarkenmanagement durchaus zutrauen, bis hin zum Endverbraucherpreis, genau das Richtige zu tun. Praktisch als Category Leader, […] wir verfügen über ein beachtliches Know-how, dass man in der Lage wäre, die Positio1346
In LEH_07_HA, Abs. 44; LEH_08_HA, Abs. 70-72.
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
327
nierung im Regal des Handels, die Gestaltung der Produkte sowieso, […] und auch die richtige Preiskalkulation zu setzen“ (LEH_01_HE, Abs. 70).
Einer der befragten Hersteller, der sowohl Marken als auch Handelsmarken herstellt, sieht sich für den Bereich der Handelsmarken als Innovationsführer. Dies bestätigt ein Händler und kann sich in „innovationsgetriebenen“ Bereichen eine langfristige Zusammenarbeit mit Handelsmarkenherstellern vorstellen. „Ich möchte das Wort nicht totreiten, aber wir sind wirklich dieser Impulsgeber, Ideengeber, das sehe ich schon mit in unserer Verantwortung. […] wenn Ausschreibungen laufen, dann rufen die Händler schon mal vorher hier an und fragen: ‚Sagt mal, was tut sich denn im Verpackungsbereich? Worauf sollten wir achten?‘ oder: ‚Guck dir doch mal den und den Wettbewerber an und gib mir deine Einschätzung dazu‘. Da werden wir schon als Sparringspartner mit herangezogen“ (LEH_09_HE, Abs. 58). „In Bereichen, die sehr innovationsgetrieben sind, kann ich mir das gut vorstellen, […] wir können ja nicht besser sein als ein Herstellerunternehmen, sondern letztlich sind wir höchstens gleichschnell. In Bereichen, wo ein Hersteller wesentlich mehr Wissen hat, was die Technologie angeht […] macht er für eine bestimme Warengruppe […] das Sortiment, bestimmt welche Produkte für meine Kundengruppe richtig sind. […] alles im Sinne einer langfristigen strategischen Partnerschaft“ (LEH_12_HA, Abs. 84).
Bezüglich der Organisation des Handelsmarkenmanagements der Hersteller herrscht unter den Experten Uneinigkeit, ob dieses mit dem Management der Markenartikel vermischt werden darf. Teilweise trennen die Hersteller das Marken- vom Handelsmarkengeschäft eindeutig ab, indem sie es in eigens dafür vorgesehenen Firmen organisieren, 1347 in anderen Unternehmen kommt es zu einer organisatorischen Vermischung beider Bereiche.1348 „Es ist nicht so leicht, den Spagat zu schaffen und das glaubwürdig herüber zu bringen: Es kommt zwar aus einem Haus, es sind aber unterschiedliche Produkte, andere Rezepturen, andere Zusammensetzungen, andere Gebindeeinheiten und man greift auch zu anderen Rohstoffen. Zum einen schätzen wir den Verbraucher nicht für so dumm ein, dass er für genau das gleiche Produkt bereit ist, nachher mehr zu bezahlen, nur weil eben ein Markenname draufsteht. Es muss sich schon irgendwie merkbar differenzieren“ (LEH_09_HE, Abs. 84).
In vielen Fällen ist die organisatorische Trennung bzw. Vermischung von Markenartikel- und Handelsmarkenmanagement evolutionär entstanden, z. B. durch Firmenübernahmen von Handelsmarkenherstellern. 1349 Zur Produktion von PremiumHandelsmarken äußert sich ein Markenartikelhersteller sehr kritisch, insbesondere wenn die geforderte Qualität die seiner Markenartikel noch übertreffen soll. „[…] unsere Kraft ist unsere Marke, das ist unser Kapital. Warum sollte ich jemandem etwas produzieren, das besser ist als was, wofür ich selbst stehe? Das kann aus mei-
1347
In LEH_01_HE, Abs. 58; LEH_11_HE, Abs. 56; LEH_16_HE, Abs. 14.
1348
In LEH_05_HE, Abs. 90; LEH_09_HE, Abs. 84; LEH_17_HE, Abs. 70-72.
1349
In LEH_01_HE, Abs. 58; LEH_16_HE, Abs. 14.
328
Kap. D
ner Sicht nur dann erfolgen, wenn ich ein schwächelnder Markenartikelhersteller bin und durch die Handelskonzentration in Zwänge gerate, oder in meinem Bereich dramatisch rückläufige Entwicklungen stattfinden“ (LEH_20_HE, Abs. 32).
Zentrale Ergebnisse
3.4.6.2
Die Qualitätsanforderungen der Handelsunternehmen an die Produkte, die sie unter ihren Handelsmarken verkaufen sind mit zunehmendem Handelsmarkenanteil und der damit einhergehenden Professionalisierung des Handelsmarkenmanagements deutlich gestiegen. In Ausschreibungen werden Hersteller indirekt von den Händlern aufgefordert, Marktführer in Rezeptur und Grammatur zu kopieren. Nach eigenen Angaben differenzieren sie in der Regel dennoch zwischen Markenartikel- und Handelsmarkenqualität. Bemerkenswerterweise ist eine Beteiligung der Hersteller an der Handelsmarkenführung sowohl seitens der Handelsunternehmen als auch der Hersteller vorstellbar. Die Aufgaben, die sich die Hersteller zutrauen reichen von Markennamen- und Produktentwicklung, über Verpackungsdesign und Gestaltung bis hin zur Führung von Warenkategorien. Organisatorisch ist das Handelsmarkenmanagement – meist evolutionär bedingt – in einigen Herstellerunternehmen strikt vom Markenartikelgeschäft getrennt, wohingegen in anderen Unternehmen eine Vermischung der beiden Bereiche stattfindet.
Aufgaben der Handelsunternehmen
Die Aufgabenstellung der Handelsunternehmen in der warenwirtschaftlichen Prozesskette hat sich nach Aussage der Experten in den letzten Jahren dahingehend verändert, dass sie für einen Großteil ihrer Handelsmarken klassische Industriefunktionen übernehmen. „[…] früher war das meist so, dass der Handelsmarkenhersteller Vorschläge gemacht hat. Heute ist es zumindest in den Bereichen, die ich kenne, eher der Händler […]. Der hat sein Produktmanagement, das das Produktdesign macht. Ob nachher die Umsetzung vielleicht in einer professionellen Marketingabteilung eines Markenartikelherstellers passiert, ist eine andere Geschichte“ (LEH_16_HE, Abs. 76). „[die] Gestaltung und Pflege der Handelsmarken übernehmen die Handelsunternehmen sukzessive komplett selbst. Theoretisch vorstellen könnte ich mir das als Hersteller zwar schon, nur wird es in der Praxis mit Sicherheit gar nicht soweit kommen, weil der Handel momentan genau in die andere Richtung marschiert“ (LEH_09_HE, Abs. 68).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
329
„Der Handel hat ja eine gewisse Tendenz, klassische Industriefunktionen möglichst zu sich herüberzuziehen, um dadurch seine Spanne aufzubessern“ (LEH_01_HE, Abs. 62).
Als Beispiel für die Übernahme klassischer Herstellerfunktionen beschreibt der Interviewpartner aus eigener Erfahrung die Übernahme der Transportlogistik durch Handelsunternehmen. „In der Transportlogistik ist es so, dass das Herstellerunternehmen die Markenartikel an das Zentrallager liefert, aber auch je nach Bedarf an die einzelnen Märkte in bestimmten Vertriebsschienen. Handelsmarke ist eigentlich immer ein Geschäft, das zentral gemanaged wird im Handelsunternehmen, wo man die Handelsmarke teilweise abholt vom Lager des Herstellers, sich das aber auch wieder vergüten lassen will“ (LEH_01_HE, Abs. 58).
Die Hersteller sehen als Aufgaben der Handelsunternehmen vor allem Ausstattung, Verpackungsdesign und Grammatur der Handelsmarken an.1350 Ein Händler bestätigt im Interview diese Aufgabe und die zuvor getroffene Aussage des Herstellers, die Händler investierten zunehmend in herstellerbezogene Aufgabenbereiche. „[…] der Handel ist gefragt, gerade was solche Bereiche, wie Produktdesign, angeht, sich selbst Kompetenzen aufzubauen. Wenn ich als Händler in Eigenmarken, in Handelsmarken investiere, muss ich ein Stück weit auch in herstellerbezogene Aufgabenbereiche investieren, um dort Kompetenz aufzubauen“ (LEH_03_HA, Abs. 92).
Nach Angaben der Händler umfassen die Aufgaben weiterhin die Produktentwicklung, Platzierung, Verkostung am PoS sowie die Kommunikation der Handelsmarken. „[…] ein Eigenmarkenhersteller wird im Grunde genommen relativ wenig Geld in die Hand nehmen für die Kommunikation der Eigenmarken. Das ist eine Sache, die wir übernehmen müssen“ (LEH_12_HA, Abs. 28). „Wir machen alles am PoS über Platzierungen, Verkostungen und unsere Hauszeitschrift. Deswegen können wir unsere Handelsmarken dementsprechend günstiger anbieten“ (LEH_22_HA, Abs. 20). „Für mich reicht das von der Produktentwicklung bis hin zu Platzierungsvorschriften im Regal. Der ganze Prozess von A bis Z“ (LEH_23_HA, Abs. 76).
Ein Händler bestätigt, dass im Rahmen der Produktentwicklung explizit starke Markenartikel als Vorbild genommen werden. Zudem wird der Absatz durch die preisliche Differenzierung nicht im Sinne einer Kosten-plus-Methode festgesetzt, sondern der Händler kalkuliert, um welchen Betrag die Handelsmarke günstiger sein sollte als der Markenartikel. Dies führt dazu, dass Handelsmarken teilweise zu Grenzkosten angeboten werden.1351
1350
In LEH_04_UE, Abs. 42; LEH_05_HE, Abs. 48; LEH_09_HE, Abs. 52; LEH_17_HE, Abs. 54.
1351
In LEH_17_HE, Abs. 54.
330
Kap. D
„Sie schauen sich in Warengruppen an, wo starke Marken sind bei gleichzeitig hoher Nachfrage. Und dann lassen sie den Markenartikel qualitätsmäßig testen und versuchen dort eben ziemlich nah daranzukommen […] und sich entsprechend preislich zu positionieren: Wie weit müssen sie unter der Marke sein, damit das in dem Bereich funktioniert?“ (LEH_08_HA, Abs. 92).
Eine wichtige Aufgabe im Rahmen des Handelsmarkenmanagements ist die Qualitätssicherung. Bei Markenartikeln sind die Herstellerunternehmen für die Qualität der Waren verantwortlich. Auf den meisten Handelsmarken hingegen ist auf der Verpackung kein Hinweis auf den entsprechenden Hersteller zu finden, sondern sie zeichnen das Handelsunternehmen als Absender aus und somit in der Wahrnehmung der Konsumenten als verantwortlich für die Qualität. Diese Aufgabe sehen die Händler daher in ihrem Aufgabenbereich, insbesondere, wenn sie mit ihrer Betriebstypenmarke als Absender der Produkte auftreten, so dass sich Qualitätsmängel negativ auf das Image der gesamten Einkaufsstätte auswirken könnten. „Eine Funktion ist sicherlich diejenige, die sich am meisten unterscheidet zwischen Hersteller- und Handelsmarken. Und das ist eine Funktion, die ausschließlich der Handel übernehmen muss, das ist die Qualitätskontrolle“ (LEH_03_HA, Abs. 60). „[…] wir sorgen da für vernünftige Zweitplatzierungen, wir zeigen ihm unser PreisLeistungsverhältnis, aber wir sind natürlich auch verpflichtet, und das ist unser oberstes Gebot, die Qualität dieses Produktes, was im Endeffekt für unseren Namen dann steht, dort immer im Auge zu behalten, zu überprüfen, zu kontrollieren, zu verbessern. Weil das ist natürlich unser Image, das ist unsere Marke“ (LEH_08_HA, Abs. 100). „[…] ich brauche ein gutes Qualitätsmanagement, denn anders, als wenn es vom Markenartikler kommt, liegt das Risiko hier stärker beim Händler“ (LEH_04_UE, Abs. 16).
Die Markenführung der Handelsmarken liegt für Dachhandelsmarken aus Handelswie aus Herstellersicht eindeutig in der Verantwortung des Handelsunternehmens. In der Entwicklung von Rezepturen erwartet ein Händler allerdings Unterstützung von der Industrie. Der Experte eines Herstellerunternehmens kann sich bei Handelsmarken der zweiten Generation eine umfangreiche Zusammenarbeit vorstellen. „[…] der Händler erarbeitet die Vermarktungsstrategie: Welche Rolle, welche Breite, welche Dominanz, welche Stärke sollen Eigenmarken in der Gesamtkommunikation gegenüber dem Verbraucher einnehmen“ (LEH_10_HE, Abs. 38). „Markenführung ist ureigenstes Thema der Handelsunternehmen und die würde ich auch nicht nach draußen rausgeben“ (LEH_05_HE, Abs. 56). „[…] das Handelsunternehmen an sich wird versuchen, auch immer mehr in das Markenbewusstsein zu investieren, nicht nur an finanziellen Mitteln sondern auch an Ideen […] und hier ist das Wissen des Herstellers genauso gefragt wie das des Handelsunternehmens“ (LEH_12_HA, Abs. 100). „Die strategische Grundrichtung muss der Händler selbst treffen – unter welchem Markenansatz er das fahren will. Will er das unter einer Dachmarkenstrategie fahren, dann ist der Spielraum gleich Null, kann er sich einen spezifischen Ansatz in den Kategorien vorstellen zu fahren, dann wären wir dazu bereit“ (LEH_05_HE, Abs. 66).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
331
Zentrale Ergebnisse
3.4.6.3
Handelsunternehmen übernehmen im Zuge der Erhöhung ihres Handelsmarkenanteils zunehmend klassische Industriefunktionen, wie Produktentwicklung, Verpackungsgestaltung und Logistikfunktionen. Im Rahmen der Produktentwicklung dienen starke Markenartikel als Vorbild. Die Preiskalkulation orientiert sich dabei nicht an den Kosten der Produkte, sondern an den des entsprechenden Markenartikels. Eine bedeutende Rolle nimmt die Qualitätssicherung der Handelsmarken ein, da in der Wahrnehmung der Konsumenten die Handelsunternehmen für die Qualität der Waren verantwortlich sind. Für kategorieübergreifende Handelsmarken kann die Markenführung nicht an die Herstellerunternehmen übertragen werden. Die Unterstützung bei der Produktentwicklung ist hingegen explizit gewünscht.
Aufgaben externer Dienstleister
Abschließend ist für die Hersteller- und Handelsunternehmen festzustellen, welche Aufgaben im Rahmen des Handelsmarkenmanagements an einen oder mehrere Dienstleister übertragen werden können. Die Interviewpartner berichten von unterschiedlichen Einsatzbereichen wie der Übernahme von Category ManagementAufgaben in bestimmten Warenkategorien 1352 oder der Unterstützung bei Verpackungsdesign und -gestaltung durch Agenturen.1353 „Die Aufgaben des Dienstleisters umfassen Produkt-Briefings an die Designagentur, die die Verpackung zu gestalten hat, bis zur Druckabnahme – eigentlich die Prozesskoordination von der Qualitätssicherung, die für die Einhaltung der Rezeptur verantwortlich ist bis zur richtigen Deklaration an der Verpackung. Er ist Vermittler zwischen Qualitätssicherung, Lieferant, Designagentur und Einkaufsabteilung des Händlers und muss natürlich auch da in den Prozess mit eingebunden sein“ (LEH_18_HA, Abs. 82).
Die Zentrale kooperierender Verbundgruppen stellt nach Ansicht der Experten ebenfalls in gewisser Weise eine Dienstleistungsgesellschaft für ihre Mitglieder dar und übernimmt für sie die Handelsmarkenentwicklung und -führung. „Die [Zentrale] stellt sich […] immer dar als die Obergesellschaft, aber in Wirklichkeit ist das eine Dienstleistungsgesellschaft der Regionalgesellschaften mit den Aufgaben, das nationale Warengeschäft zu bündeln, zu koordinieren und eben auch solche Aufgaben wie die Entwicklung der Handelsmarken zu übernehmen“ (LEH_21_HA, Abs. 8).
1352
In LEH_11_HE, Abs. 24.
1353
In LEH_12_HA, Abs. 68; LEH_18_HA, Abs. 82; LEH_19_UE, Abs. 14.
332
Kap. D
„[…] im Grunde ist z. B. die Markant ja schon einer dieser Dienstleister, der das Handelsmarkenmanagement für die Mitglieder koordiniert. Die werden aber sicherlich die Gestaltung der Verpackung und so weiter nicht selbst machen, sondern da auch mit Agenturen zusammenarbeiten“ (LEH_07_HA, Abs. 88).
Es schließt sich die Frage an, ob das Handelsunternehmen die Handelsmarkenführung auch an einen Externen abgeben kann; es hat bei dieser Entscheidung zwei Alternativen. Dem Hersteller Aufgaben zu übertragen, ist – wie bereits festgestellt – in der Regel nicht gewünscht und bei kategorieübergreifenden Handelsmarken in der Praxis nicht umsetzbar. Die zweite Möglichkeit besteht darin, das Handelsmarkenmanagement an einen Dienstleister zu übertragen. „Ich kann nicht als Händler die Markenführung über sortimentsübergreifende Marken an den Hersteller outsourcen. Dann eher an eine Beratung mit angegliederter Werbeagentur“ (LEH_04_UE, Abs. 52). „[…] ich kann mir gut vorstellen, dass der Händler sagt, ich leiste mir ähnlich wie die Industrie zur Markenkonzeption eine Agentur, die das ganze koordiniert, die auch die Koordination zum Hersteller übernimmt“ (LEH_01_HE, Abs. 76). „[…] dadurch, dass [der Handelsmarkendienstleister] sich mit Produktmanagement beschäftigt, kann sich der Sortimentsmanager auf die Marken konzentrieren“ (LEH_19_UE, Abs. 38).
Voraussetzungen für die Übernahme des Handelsmarkenmanagements durch einen Dienstleister sehen die Interviewpartner in einem entsprechenden Know-howVorsprung und der Bündelung verschiedener Aufgaben zu einem Komplettangebot. „[…] das würde voraussetzen, dass diese dritte Partei eine gute Handelsmarkenkenntnis hat, eine gute Herstellerkenntnis, sämtliche Marketing-Mix-Faktoren gleichermaßen beherrscht […]. Auch wir arbeiten mit Externen, Marktforschung und sonstigen Agenturen zusammen, weil die über Spezialwissen verfügen“ (LEH_02_HE, Abs. 96). „[…] so ein Dienstleister hat eine Chance, wenn er sich um die globaleren Themen kümmert, die dem Partner Synergien einbringen, […] internationales Sourcing, […], tolle Packaging-Ideen, die er weltweit zusammenträgt und Vorschläge macht“ (LEH_15_HE, Abs. 86).
Als Vorteile des Einsatzes eines solchen Dienstleisters sind die hohe Flexibilität und die geringe Ressourcenabhängigkeit betreffend spezifischen Personalaufbaus zu nennen. „[…] aus Sicht des Handelsunternehmens ist das sehr zukunftsfähig, das Thema Outsourcing nimmt ja immer weiter zu. Wieso sollte ich mir eine Abteilung aufbauen, von der ich nicht weiß, wie langfristig ich diese Menschen hier wirklich beschäftigen werde“ (LEH_11_HE, Abs. 80). „[…] es stellt sich ja die Frage: Will ein Handelspartner das für sich als Kompetenzbereich selbst aufbauen und forcieren? Damit sind hohe Kosten verbunden. Wenn er sich im Handelsmarkengeschäft deutlich unterstützen lassen möchte, hat er zwei Optionen: entweder über den Hersteller, was nur bedingt funktioniert oder über einen Dienstleister, der ihm das extern strukturiert, an den er das outsourced“ (LEH_10_HE, Abs. 50).
Forschungskontext und empirische Ergebnisse
333
„Wenn ich einen eigenen Mitarbeiterstab für das Handelsmarkenmanagement aufbauen muss, habe ich immense Kosten, die ich auch nachhaltig produziere. Die Möglichkeit, auf einen Eigenmarkenbroker […] zurückzugreifen, ermöglicht mir eine größere Flexibilität, ich muss aber letztendlich auch über einen gewissen Zeitraum mit diesem zusammenarbeiten. Ich denke, der Kostenfaktor spielt eine gewisse Rolle und sicherlich auch die Unternehmensphilosophie“ (LEH_18_HA, Abs. 90).
Sowohl von Handels- als auch von Herstellerseite werden auch Bedenken gegenüber dem Outsourcing der Handelsmarkenführung an einen Handelsmarkendienstleister geäußert. Zum einen sei die Kontinuität der Markenführung nicht ausreichend gewährleistet und zum anderen seien die Margen im deutschen LEH zu gering, als dass ein wirtschaftliches Arbeiten eines solchen Dienstleisters möglich wäre. „[…] für mich liegt ein riesen Erfolg der Markenführung in der Kontinuität. Und auch da muss ich als Handelsunternehmen immer die Möglichkeit haben, wenn ein externer Dienstleister die entsprechende Leistung nicht mehr bringt – das ist nun mal bei externen Dienstleistern, die werden fett, die werden müde, die haben genug Geld daran verdient […]. Deshalb wird ja auch alle drei bis fünf Jahre eine Werbeagentur ausgetauscht […]. Und wenn das eintritt, müssen sie als Inhaber der Marke, das wieder wo anders hingeben. Und dann die gesamte Markenführung zu transferieren, ohne dass sie inhouse irgendeine Kompetenz dazu haben, da kriegen sie keine Kontinuität in die Markenführung“ (LEH_04_UE, Abs. 68). „Das Modell sehe ich für den deutschen Markt eher wenig, weil die Strukturen sind zu effizient, zu transparent. Und die Komplexitätsreduktion oder das Mehr-Know-how, was die mir bringen, ist zu gering, als dass ich dafür einen hohen Preis bezahle“ (LEH_05_HE, Abs. 92). „Wir haben schon genug Schnittstellen im Handel […] und da noch einen Dritten mit hereinzunehmen, mag aus den Problemen heraus, die in dem Beziehungsgeflecht bestehen, vielleicht theoretisch vorteilhaft sein, aber ich glaube, dass derjenige schnell zwischen den Stühlen sitzt und da verhungert“ (LEH_03_HA, Abs. 90).
Den Vorteilen des Dienstleisters, z. B. der hohen Flexibilität, steht zudem die Gefahr einer möglichen Abhängigkeit des Handelsunternehmens entgegen. Als weitere Herausforderung sehen die Experten die hohe Anzahl an Lieferanten, für die sich der Dienstleister als Schnittstelle zum Handelsunternehmen zur Verfügung stellt. „[…] eine dritte Partei halte ich für gefährlich, weil wir ja auch einen Teil des Wissens und des Verständnisses der Produkte und auch die Ansprache unserer Kunden in fremde Hände geben“ (LEH_12_HA, Abs. 90). „Die Gesamtsteuerung herauszugeben an einen Dritten, der das für beide macht, geht schon deswegen nicht, weil es da zu viele Ansprechpartner auf beiden Seiten gibt“ (LEH_02_HE, Abs. 96).
Eine Übernahme der Markenführung durch ein Dienstleistungsunternehmen stellt nach Aussage der Experten allerdings für kleine Handelshäuser oder solche, die bislang wenig Erfahrung in der Handelsmarkenführung haben, eine Alternative dar, ohne den Aufbau eigener Abteilungen, Handelsmarken im Sortiment zu führen.
334
Kap. D
„Je weniger Erfahrung sie haben bei der Entwicklung von Handelsmarken, desto mehr müssen sie auf Dienstleister zurückgreifen. Und je mehr sie selber die Kompetenz im eigenen Haus haben, desto weniger benötigen sie diese“ (LEH_23_HA, Abs. 82). „[…] diese Dienstleister haben eine Zukunft in kleineren Handelshäusern, bei den großen werden die sich das nicht aus der Hand nehmen lassen“ (LEH_09_HE, Abs. 80). „Für kleinere mittelständische Handelsunternehmen wäre das sicherlich interessant, wenn man den Bereich des Marketings und der Produktentwicklung durch Externe machen lässt […], weil man dann die eigene Man-Power nicht aufbauen muss“ (LEH_17_HE, Abs. 64).
Ein Hersteller äußert darüber hinaus den Vorschlag, ein Netzwerk mehrerer Dienstleister aufzubauen, das von einem Systemkopf zentral gesteuert wird. Dieses Netzwerk könnte aus allen vorgenannten Dienstleistungsunternehmen bestehen und insbesondere kleineren Unternehmen zahlreiche Aufgaben abnehmen, für die es sonst jeweils eigene Abteilungen aufbauen müsste. „[…] wir leben ja in einer immer vernetzteren Welt. Vielleicht muss es ja auch nicht so sein, dass einer das komplett macht, […] aber dass einer zumindest dieses Netzwerk für den Handel managed“ (LEH_16_HE, Abs. 90).
Zentrale Ergebnisse
Externen Dienstleistern kommen im Rahmen des Handelsmarkenmanagements in der Regel Hilfsfunktionen zu. Aus Sicht der Experten sind auch Handelszentralen und Einkaufskooperationen im weiteren Sinne Dienstleister. Diese übernehmen in der Regel einen Großteil der Markenführung für ihre Mitglieder. Die Übernahme des Markenmanagements durch einen externen Dienstleister machen die Interviewpartner von dem Know-howVorsprung und der Bündelung unterschiedlicher Funktionen abhängig. Vorteile für das Handelsunternehmen im Sinne einer hohen Flexibilität ergeben sich durch den Rückgriff auf externe Spezialisten und dem damit verbundenen entfallenden Bedarf des Aufbaus eigener Fachabteilungen. Herausforderungen bestehen nach Ansicht der Experten in der Gewährleistung der Kontinuität der Markenführung und den geringen Verdienstmöglichkeiten für die Dienstleister in Deutschland aufgrund niedriger Margen im LEH. Nachteile bestehen darüber hinaus in der Abhängigkeit von dem Dienstleister, dem Know-how-Transfer und dem Risiko, die Ansprache der Kunden – als wichtiges Kapital des Handelsunternehmens – in fremde Hände zu geben.
335
Zusammenfassung der Rekonstruktion
4.
Zusammenfassung der Rekonstruktion
4.1
Vergleichende Analyse der Ergebnisse der Branchenfallstudien
Zur besseren Vergleichbarkeit der Branchenfallstudien werden die Kernergebnisse der empirische Untersuchung nachstehend in Anlehnung an die inhaltliche Struktur der Fallstudien jeweils in einer Übersicht dargestellt und die wichtigsten Unterschiede herausgearbeitet. Die erste Übersicht umfasst die Beziehungen zwischen Händlern und Herstellern im Hinblick auf die Dauer und Art der Beziehung, die Machtstrukturen innerhalb der Branche sowie mögliche Konfliktfelder und Verbesserungspotenziale innerhalb der Beziehungsstrukturen (vgl.Tab. D-9). Hersteller-Handels-Beziehung
Machtstruktur
Art der Beziehung
Beziehungsdauer
Do-it-yourselfBranche Markenartikeln
Lebensmittelbranche
sehr lange Vertragsbeziehungen
stark abhängig von der Bedeutung der Marke
sehr lange Vertragsbeziehungen
eher kurzfristig angelegt
teilweise recht langfristige Beziehungen
in der Regel kurzfristig angelegt, teilweise bestehen jedoch lange Lieferbeziehungen
überwiegend partnerschaftlich
überwiegend partnerschaftlich
zahlreiche Partnerschaftskonzepte, die an gegenseitigem Vertrauen scheitern
reine Lieferbezie reine Lieferbeziehung, teilweise über hung, teilweise eine Großhandelsüber eine Agentur stufe als Schnittstelle
je nach Handelsmarkengeneration von anonym bis partnerschaftlich
aufgrund des heterogenen Anbietermarktes auf der Handelsseite
Markenhersteller bzw. Top-Designer können sich ihre Distributionswege größtenteils aussuchen
Machtstrukturen äußern sich vor allem in Konditionenverhandlungen
starker Anstieg der derivativen Nachfragemacht des Handels
je nach Anbietergröße unterschiedlich verteilt
Macht spielt eine eher untergeordnete Rolle
eindeutig auf Seiten der Handelsunternehmen
Handelsmarken
Markenartikeln
Handelsmarken
Markenartikeln
Handelsmarken
Bekleidungsbranche
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
336
Kap. D
Konfliktfelder
Do-it-yourselfBranche Markenartikeln
Preisverhandlungen Differenzen bzgl. der Markenpräsentation
Qualitätsmängel im Bereich der Preiseinstiegsware
engere Kooperation und intensiverer Datenaustausch von Marktdaten in beide Richtungen
Handelsmarken
Verbesserungspotenzial
Bekleidungsbranche
Lebensmittelbranche
scharfer Umgangston in Preisverhandlungen
Lieferverzug, Qualitätsmängel sowie soziale Verantwortungsbereiche
zunehmende Anonymisierung durch Ausschreibungen
ein verbesserter Datenaustausch zur Optimierung der Supply Chain
intensiver Datenaustausch von Marktdaten in beide Richtungen strategische Partnerschaften
Tab. D-9: Branchenüberblick der Hersteller-Handels-Beziehungen Quelle:
Eigene Darstellung.
Die Beziehung zu Markenartikelherstellern ist über alle Branchen hinweg sehr lang. In der Bekleidungsbranche existieren im hochmodischen Bereich Trend-Marken, die in einem begrenzten Zeitraum zunächst über eine hohe Nachfrage verfügen und anschließend wieder an Bedeutung verlieren. Im Gegensatz zur DIY- und Lebensmittelbranche bestehen in der Bekleidungsbranche zudem teilweise sehr lange Lieferbeziehungen zu reinen Handelsmarkenproduzenten. In den meisten Fällen ist allerdings eine Handelsagentur im Land des Produzenten zwischen geschaltet. Im LEH findet häufig neben der Verteilung der Aufträge auf unterschiedliche Handelsmarkenlieferanten ein Austausch dieser statt. Markenartikelhersteller und Handelsunternehmen bezeichnen in allen Branchen den Umgang miteinander als mehr oder weniger partnerschaftlich. In Bezug auf die Handelsmarkenhersteller ist die Beziehung hingegen häufig neutral und Verhandlungen reduzieren sich auf den Preis der Ware. Die Ausschreibung von Handelsmarkenaufträgen per Brief, Fax oder Internet führt dabei zu einer weitgehenden Anonymisierung der Hersteller-Handels-Beziehung. In den drei untersuchten Branchen sind unterschiedliche Machtasymmetrien festzustellen. Entgegen der Vermutung sind diese trotz schnell fortschreitender Konzentration nicht ausschließlich zu Gunsten der Handelsunternehmen verteilt. Markenartikelherstellern wird von den Expertem über alle Branchen hinweg ab einer gewissen strategischen Sortimentsbedeutung eine ebenbürtige bis stärkere Machtposition zugesprchen. Machtstrukturen haben in Beziehungen zu reinen Handelsmarkenherstellern in keiner der Branchen eine hohe Bedeutung. In der DIY-Branche berichten die Experten von wenigen internationalen Herstellern, die aufgrund ihrer Größe und Spezialisierung über eine gewisse Verhandlungsmacht verfügen. Verbesserungspotenzial sehen die Experten aller Branchen in einem intensiveren Datenaustausch und
337
Zusammenfassung der Rekonstruktion
einer engeren Kooperation zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen. Die beiden nachfolgenden Abschnitte der Branchenfallstudien stellen das jeweils vorherrschende Markenverständnis im Allgemeinen und das Handelsmarkenverständnis im Speziellen sowie die Entwicklung und Bedeutung der Handelsmarken dar. Ein Überblick der Ergebnisse ist Tab. D-10 zu entnehmen. Do-it-yourselfBranche
Bekleidungsbranche
Lebensmittelbranche
Markenverständnis
mit wenigen Ausnahmen zeichenund angebotsorientiert
differenziertes Markenverständnis viele nachfrageorientierte Ansätze
Handelsmarkenverständnis
Handelsmarken werden überwiegend als Preiseinstiegsmarken verstanden
Grenzen zwischen dem Betriebstypenmarken- und Handelsmarkenverständnis verschwimmen
Markenbildung
Markenbildungsprozess ist durch lange Wiederkaufszyklen eingeschränkt
Marken können innerhalb kürzester Zeit bekannt werden und genauso schnell wieder vom Markt verschwinden
Handelsmarkenentwicklung
starkes Wachstum von 1980 bis 1990, das Ende der 1990er Jahre nachgelassen hat die Markierung der Handelsware dient insbesondere der Wiedererkennbarkeit
die zunehmende Vertikalisierung führt zu einem starken Anstieg der Handelsmarken hinzu kommt das organische Wachstum der TextilDiscounter
Herstellerund Handelsmarkenbedeutung
hohe Bedeutung von Markenartikeln für Handwerker und andere professionelle Kunden Einsatz von Handelsmarken nur in bestimmten Warengruppen
durch die beidseitige Vertikalisierung verschwimmen die Grenzen zwischen Handelsmarke und Markenartikel zunehmend in hochmodischen Bereichen spielt die Handelsmarke jedoch keine Rolle
differenziertes Markenverständnis viele integrierte Ansätze Handelsmarkenverständnis am weitesten fortgeschritten umfasst alle Handelsmarkengenerationen eine hohe Anzahl an Kaufakten begünstigt die Markenbildung
das Handelsmarkenwachstum wird im Wesentlichen durch die Discounter bestimmt Vollsortimenter nutzen Handelsmarken als „Aldi-nativ“-Sortiment und zur Profilierung ihres Betriebstyps in bestimmten Warengruppen geringe Bedeutung viele kleine und mittelgroße Hersteller konzentrieren sich auf die Produktion von Handelsmarken Markenaffinität der Konsumenten nimmt zunehmend ab
Tab. D-10: Branchenüberblick des Markenverständnisses und der Handelsmarkenbedeutung Quelle:
Eigene Darstellung.
338
Kap. D
Das jeweils in den Branchen vorherrschende Markenverständnis unterscheidet sich deutlich. Während es für die Do-it-yourself-Branche überwiegend in die Angebotsorientierung der 1970er Jahren einzuordnen ist, finden sich in der Bekleidungsbranche vornehmlich nachfrageorientierte Markenauffassungen. Gemessen an dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Markenverständnis, besteht in der Lebensmittelbranche das fortschrittlichste Markenverständnis. Es enthält in vielen Fällen Elemente der integrierten Ansätze. 1354 In ähnlicher Weise unterscheidet sich auch das Handelsmarkenverständnis zwischen den untersuchten Branchen. Während in der Do-it-yourself-Branche Handelsmarken vor allem als Preiseinstiegsprodukte von teilweise zweifelhafter Qualität angesehen werden und professionelle Anwender überwiegend Markenartikel verwenden, äußern die Experten in der Bekleidungs- und Lebensmittelbranche ein sehr differenziertes Handelsmarkenverständnis. Aufgrund der zunehmenden Vertikalisierung der Bekleidungsbranche nimmt dort die Betriebstypenmarke eine besondere Rolle ein und wird vielfach als Absender der exklusiven Produkte verwendet. Im LEH haben die Handelsmarken – vor allem beeinflusst durch das starke Wachstum der Discounter – eine hohe Bedeutung. Auch in der Betrachtung der Markenführung können unterschiedliche Ansätze in den Branchen identifiziert werden. Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. zeigt eine Übersicht der Handelsmarkenführung im Branchenvergleich. Während die Handelsmarken in der Do-it-yourself-Branche fast ausschließlich der Abdeckung des Preiseinstiegsbereiches dienen, nutzen die Handelsunternehmen der Bekleidungs- und Lebensmittelbranche sie zunehmend zur Geschäftsstättenprofilierung und als Möglichkeit sich dem horizontalen Preiswettbewerb zu entziehen. Der Handelsmarkenanteil variiert jedoch aus den dargestellten Gründen stark zwischen den Warengruppen. Die Markenführung in der DIY-Branche ist insgesamt wenig professionell organisiert bzw. sie hat eine nur untergeordnete Bedeutung für die Handelsunternehmen. In der Bekleidungsbranche ist die Führung der Handelsmarken hingegen sehr bedeutend und häufig eng mit der Führung der Betriebstypenmarke eng verbunden. Zudem ermöglichen kurze Lead Times den vertikalen Anbietern in der Führung ihrer Handelsmarken eine vergleichsweise schnelle Reaktion auf Trendentwicklungen sowie die Anlehnung an Designer-Kollektionen, die teilweise noch nicht in den Markt eingeführt sind. Am weitesten fortgeschritten ist die Professionalisierung des Handelsmarkenmanagements in der Lebensmittelbranche. Die Handelsmarken werden dem Kunden nach internationalem Vorbild zunehmend unter einheitlichen Markenbezeichnungen in unterschiedlichen Preisstufen angeboten.
1354
Vgl. zu den Definitions- und Führungsansätzen der Marke Kap. B.1.2 und Kap. B.1.3.
339
Zusammenfassung der Rekonstruktion
Do-it-yourselfBranche
Bekleidungsbranche
Erhöhung der Unterscheidbarkeit durch Verwendung einheitlicher Verpackungen sowie einem einheitlichen Design
wenige professionelle Ansätze Markenführung hat kaum eine Bedeutung
Lebensmittelbranche
Funktionen von Handelsmarken
Führungsaspekte
Handelsmarkenführung im Discount
Ausgestaltung der Handelsmarkenarchitektur
hauptsächlich Handelsmarken der ersten, teilweise der zweiten und dritten Generation Gestaltmarken sind absolute Ausnahme
überwiegend Handelsmarken der ersten und dritten Generation, einige Ansätze für Gestaltmarken
Markenrechte der Handelsmarken
Geschäftsstättenprofilierung kurzfristige Umsatzsteuerung und Abdeckung des Preiseinstiegssortiments
überwiegend bei den Handelsunternehmen, allerdings von nachrangiger Bedeutung
Tab. D-11: Handelsmarkenführung im Branchenvergleich Quelle:
Eigene Darstellung.
dienen den Vollsortimentern nicht zur Verdrängung der Markenartikel, sondern als preisliche Abrundung des Sortiments nach unten
Handelsunterneh hohe Bedeutung der men verfolgen häupreislichen Positioniefig Me-toorung Strategien Austausch von Mar aufgrund wesentlich kenartikeln durch Hankürzerer Lead Times delsmarken verärgert bringen die VertiKäufer kalen die Mode teil- häufige Diskrepanz weise noch vor den zwischen Anspruch und Markenherstellern Wirklichkeit in der Hanauf den Markt delsmarkenführung
keine Discounter der Handelsmarkenvorhanden (Praktiker anteil der Textildisversucht jedoch, sich counter liegt bei als Discount Anbieter 100 Prozent zu positionieren) teilweise werden Markenfamilien zur Kennzeichnung der adressierten Zielgruppen verwendet
Markenrechte liegen in der Regel bei den Handelsunternehmen
Discounter bewerben vor allem ihre Betriebstypenmarken, verwenden diese aber nicht als Namensbestandteil der Handelsmarken
häufig Dreiteilung in Preiseinstieg, mittlere Qualität und Premiumqualität Rückgang klassischer Handelsmarken zunehmend bei den Handelsunternehmen Besitz auf Herstellerseite ist häufig historisch begründet
340
Kap. D
Die Handelsmarkenführung im Discount unterscheidet sich wesentlich von derjenigen der Vollsortimenter bzw. in der Bekleidungsbranche von den der Bekleidungsfachhändler. Während die Discounter alle ihre angebotenen Waren zu einem möglichst niedrigen Preis und ohne einheitliche Bezeichnungen anbieten, nutzen Vollsortimenter respektive Bekleidungsfachhändler einheitliche Handelsmarkenfamilien und Dachmarken zur Profilierung bestimmter Sortimente und ihrer Geschäftsstätte insgesamt. In der Do-it-yourself-Branche ist bisher kein bedeutender Discounter am Markt vertreten. Die Markenrechte an den Handelsmarken gehören in allen drei Branchen überwiegend den Handelsunternehmen. Dennoch berichten die Interviewpartner von Fällen, in denen die Markenrechte beim Hersteller liegen, und Vereinbarungen über Exklusivität bestehen. Teilweise bieten Hersteller Namen und Logos bei der Ausschreibung von Handelsmarken mit an oder auch Zweit-Marken, so dass die Grenzen zwischen Markenartikel und Handelsmarken verschwimmen. Bei Erfolg der Handelsmarken wollen die Handelsunternehmen nach einer gewissen Zeit die Markenrechte vom Hersteller übernehmen. Von einem intuitiv zu vermutenden Konflikt oder einer rechtlichen Auseinandersetzung beider Parteien um die Markenrechte berichtete keiner der befragten Experten. Die Nutzung der vier Handelsmarken-Generationen in den drei untersuchten Branchen ist abschließend für die Markenführung in Tab. D-12 dargestellt.
341
Zusammenfassung der Rekonstruktion
4. Generation
3. Generation
2. Generation
1. Generation
Do-it-yourself-Branche
Bekleidungsbranche
Lebensmittelbranche
intensive Nutzung
Gattungsmarken werden teilweise zur kurzfristigen Umsatzsteuerung eingesetzt
Nutzung in bestimmten Warenkategorien
klassische Handelsmarken kommen nicht zum Einsatz, allerdings werden Kollektionen der bekannten Designer nachgeahmt
vereinzelte Ansätze
intensive Verwendung in Form von Dachmarken und Markenfamilien
mit wenigen Ausnahmen keine Ansätze vorhanden
vereinzelte Ansätze, teilweise werden eigene Outlets für die Gestaltmarken eingerichtet
sehr intensive Nutzung der Vollsortimenter als „Aldinativ“-Sortiment die Preiseinstiegsmarken der Discounter haben sich qualitativ stark weiterentwickelt die Anzahl an klassischen Handelsmarken ist stark rückläufig Me-too-Strategien werden teilweise im Rahmen der Handelsmarken der 3. Generation fortgesetzt sehr intensive Nutzung von Vollsortimentern als Dachmarken und Markenfamilien Discounter nutzen zunehmend Markenfamilien Handelsunternehmen versuchen Gestalthandelsmarken oberhalb der Markenartikel einzuführen eine Bewertung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich
Tab. D-12: Einsatz der Handelsmarkengenerationen im Branchenüberblick Quelle:
Eigene Darstellung.
Als letzter Abschnitt wurde in den drei Branchenfallstudien die Aufgabenverteilung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements dargestellt. In der Do-it-yourself-Branche wird ein Großteil der Aufgaben vom Handelsunternehmen übernommen, insbesondere wenn es sich bei den Handelsmarkenlieferanten um große internationale Hersteller handelt. Ausnahmen stellen nationale Anbieter bestimmter Produktkategorien dar, die teilweise sehr professionell die Handelsmarkeneinführung und das Handelsmarkenmanagement begleiten. In der Bekleidungsbranche befinden sich die Hersteller der Handelsmarken fast ausschließlich in Osteuropa und Asien. Sie produzieren nach Mustern und auf Bestellung und haben in der Regel keinerlei Einfluss auf Sortiments- und Produktentwicklung, Regalpflege oder Qualitätssicherung. Große nationale Hersteller, die Handelsmarken zusätzlich verkaufen, bieten dagegen in den genannten Bereichen teilweise umfangreiche Unterstützung an.
342
Kap. D
In der Tab. D-13 sind für die Hersteller- und Handelsunternehmen die wahrgenommenen Aufgaben Sortiments- und Produktentwicklung, Produktlayout und Verpackung, Regalpflege, Qualitätssicherung, Produktion sowie Kommunikation anhand der Ergebnisse der Branchenfallstudien durch Symbole als Tendenzaussagen dargestellt. DIY
TEX
LEH
HE
HA
HE
HA
HE
HA
Sortimentsentwicklung
+/–
+
+/–
+
+
+
Produktentwicklung
+/–
–
+/–
+
+
+
Produktlayout/Verpackung
+
–
k. A.
k. A.
+
+
Regalpflege
+
+
+/–
+
–
+
Qualitätssicherung
–
+
+/–
+
–
+
Produktion
+
–
(+)*
(+)*
+
+/–
Kommunikation
–
+
–
+
–
+
Legende:
+ = Aufgabe wird übernommen – = Aufgabe wird nicht übernommen * = Produktion i. S. v. Organisation über Contract Manufacturer
Tab. D-13: Aufgaben der Hersteller und Händler im Branchenüberblick Quelle:
Eigene Darstellung.
Die Kommunikation der Handelsmarken obliegt in allen Branchen allein den Handelsunternehmen. Dieser Bereich wird allerdings häufig an externe Agenturen vergeben. Auf diese und weitere Aufgaben, die Dienstleister im Rahmen des Handelsmarkenmanagements übernehmen, wird in Kap. E.3 im Rahmen des Solution Selling vertiefend eingegangen. Zuvor bedarf die hiermit abgeschlossene Darstellung der empirischen Ergebnisse indes einer kritischen Würdigung sowie daraus abgeleitet einer Darlegung des weiteren Forschungsbedarfs.
Zusammenfassung der Rekonstruktion
4.2
343
Kritische Würdigung und weiterer Forschungsbedarf
Die kritische Würdigung umfasst zum einen die Überprüfung der im Rahmen der Dekonstruktion vorgestellten Gütekriterien der qualitativen Forschung und zum anderen die konkrete Umsetzung der empirischen Untersuchung. Hinsichtlich des Gütekriteriums der Transparenz werden der Forschungsprozess sowie der Erkenntnisprozess detailliert dargestellt und alle wesentlichen Bestandteile des Forschungsdesigns entsprechend dokumentiert. Aufgrund der Anonymitäts- und Vertraulichkeitsvereinbarung mit den Interviewpartnern, muss auf eine Veröffentlichung der vollständigen Interviewtranskripte sowie die Bekanntgabe der Identität der Interviewpartner verzichtet werden. 1355 Diese Einschränkung der Daten- und Forschertriangulation im Kodierprozess sowie der Auswertungs- und Interpretationsphase akzeptiert der Autor zu Gunsten einer erhöhten Interviewbereitschaft im Allgemeinen und der Mitteilung vertraulicher Informationen während des Interviews im Speziellen. Die Theorie entwickelnde Verdichtung und Abstraktion des Interviewmaterials kann vom Leser anhand des Interviewleitfadens sowie der Auflistungen der vorgenommenen Kodierungen nachvollzogen werden. Die Plausibilität und Authentizität der empirischen Auswertung wurde durch die Darstellung zahlreicher wörtlicher Zitate des Interviewmaterials hergestellt. Diese angestrebte Nähe zum Untersuchungsgegenstand erhöht zudem die Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit der argumentativen Interpretationsleistung. Zur Herstellung einer hinreichenden Reflexivität im Rahmen dieser Arbeit hat sich der Autor mit allen wesentlichen Entscheidungen im Forschungsund Erkenntnisprozess kontinuierlich kritisch und explizit auseinandergesetzt. Dies äußerte sich vor allem in der Weiterentwicklung des Interviewleitfadens sowie eines Abgleichs der konzeptionellen Ausführungen mit dem Interviewmaterial. Eine hilfreiche Unterstützung der Reflektion stellten zahlreiche Gespräche mit Vertretern der Wissenschaft wie Praktikern dar. Die interne Stimmigkeit und Regelgeleitetheit des Forschungsprozesses wurde zudem durch das Anfertigen von Memos unterstützt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden die drei größten Branchen privater Konsumgüternachfrage untersucht. Die Ergebnisse sind indes nicht uneingeschränkt auf andere Branchen übertragbar, da die Rolle der Handelsmarke innerhalb der Branchen sehr unterschiedlich ausfällt. Eine Replikation der Untersuchungen sollte sich der Bedeutung von Handelsmarken in weiteren Branchen widmen, um die Generalisierbarkeit der Aussagen zu erhöhen. Weitgehend unerforscht ist z. B. die Rolle der Handelsmarke in der Einrichtungsbranche, der Touristikbranche oder dem Bereich der Telekommunikation. Die Möglichkeit der Übertragbarkeit von Handelsmarken auf
1355
Vgl. Anhang Nr. 2, S. 442.
344
Kap. D
Dienstleistungen zeigen bereits zahlreiche Beispiele der deutschen Lebensmitteleinzelhändler.1356 Bei der Auswahl der Interviewpartner stand eine möglichst hohe Repräsentativität aller an dem Wertschöpfungsnetzwerk beteiligten Akteure in der jeweiligen Branche im Vordergrund. Die Anzahl der geführten Interviews richtete sich zum einen nach der Bedeutung der Branche für die Konsumgüternachfrage und zum anderen nach der Relevanz der Handelsmarke, wie sie sich aus wissenschaftlichen und praktischen Fachpublikationen ableiten lässt. Kritisch ist anzumerken, dass in keiner der drei untersuchten Branchen ein Hersteller befragt werden konnte, der ausschließlich Handelsmarken produziert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die Hersteller in der Textilbranche in Osteuropa und Asien befinden und in der DIY- und der Lebensmittelbranche die angesprochenen Experten im deutschsprachigen Raum keine Bereitschaft für ein Interview zeigten. Mit der vorliegenden qualitativen Analyse der Handelsmarke im Kontext der Hersteller-Handels-Beziehung konnten wichtige Erkenntnisse für das Handelsmarkenmanagement in der Praxis gewonnen werden. Für eine Konkretisierung der Ergebnisse und zur Erhöhung ihrer internen wie externen Validität bedarf es einer quantitativen Überprüfung der Ergebnisse. Diese kann zum einen durch weitere Befragungen der Experten, z. B. als Delphi-Studie1357 oder durch telefonische wie persönliche Abfrage von Unternehmensdaten erfolgen.1358 Zum anderen bietet die Analyse von Abverkaufsdaten hilfreiche Hinweise zur quantitativen Veränderungen in Bezug auf Preisniveau, Preisabstand zum Markenartikel, Absatzmenge und Marktanteilsveränderungen von Handelsmarken innerhalb und zwischen den Betriebstypen.1359 Anknüpfend an die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ist durch eine Befragung von Konsumenten zu beantworten, inwieweit diese in verschiedenen Branchen zwischen Markenartikeln und Handelsmarken differenzieren können bzw. welche Handelsmarken in der Konsumentenwahrnehmung typische Markeneigenschaften wie Risikoreduktion, Komplexitätsreduktion oder Qualitätssignalisierung erfüllen. Abschließend ist festzuhalten, dass aufbauend auf den Erkenntnissen der vorliegenden Arbeit weiterer Forschungsbedarf besteht.
1356
Beispiele hierfür sind die Übertragung der Handelsmarke ja! von Rewe auf den Mobilfunkbereich und Fonic als eigene Handelsmarke für Mobilfunkdienstleistungen des Discounters Lidl.
1357
Vgl. die Delphi-Studie zur Erfolgsforschung im Vertrieb von Hesse (2004).
1358
Vgl. die Untersuchung von Bromberger (2004).
1359
Vgl. die Studien von Olbrich/Grewe (2008); Olbrich/Grewe (2009) sowie Kap. C.1.1.
E.
Konstruktion – Implikationen für das Handels- und Handelsmarkenmanagement „Brand owners are only just beginning to realize what retailers have known for years. Supermarket shoppers don’t buy brands so much anymore. They buy solutions.”1360
1.
Organisatorische Verbesserungen der Hersteller-HandelsBeziehung
Die Implikationen der vorliegenden Arbeit richten sich sowohl an Handelsunternehmen als auch an Hersteller von Handelsmarken und Markenartikeln, wobei bestimmte Phänomene weniger in der DIY- und Bekleidungsbranche auftreten und daher häufiger auf Beispiele aus dem LEH zurück gegriffen wird. 1361 Es konnte gezeigt werden, dass die Hersteller von Handelsmarken und Markenartikeln eine bedeutende Stellung im Handelsmarkenmanagement einnehmen, sowohl was Interaktioneffekte zwischen Handelsmarke und Markenartikeln, als auch die Produktion von Handelsmarken durch die Markenartikelindustrie angeht. In den Interviewgesprächen berichten die Experten von zahlreichen Konfliktfeldern in der Hersteller-Handels-Beziehung. Diese sind teilweise auf Verschiebungen im tradierten Rollenverständnis, auf Machtasymmetrien sowie auf geringes gegenseitiges Vertrauen zurückzuführen. An diesem Misstrauen scheitern nach Aussage der Experten regelmäßig viele moderne – inzwischen nicht mehr neue Partnerschaftsmodelle – wie CPFR- und ECR-Kooperationen oder Joint Business Planning.1362 Eine Verbesserung des Datenaustausches stellt über alle Branchen hinweg eine wichtige Herausforderung der Zukunft dar.1363 Vor allem im LEH erweisen sich die Konditionenverhandlungen bzw. Jahresgespräche als besonders konfliktanfällig. Teilweise wird durch unsachlichen Umgang bei 1360
Lincoln/Thomassen (2008), S. 282.
1361
In der Organisation der Geschäftsstätten vor Ort lassen sich bspw. größere Unterschiede zwischen den drei Branchen feststellen. Hersteller könnten durch den Einsatz eigenen Personals Einfluss auf den Abverkauf und die Präsentation ihrer Produkte ausüben. Ein vom Kunden – vor allem in der DIY-Branche – wahrgenommenes Beratungsdefizit würde sich zumindest in den entsprechenden Warenkategorien reduzieren.
1362
Z. B. in LEH_03_HA, Abs. 36.
1363
In TEX_06_UE, Abs. 42. Vgl. zur Analyse von Informationssystemen als Erfolgsfaktor im Handel vgl. Schütte (2009).
346
Kap. E
betonter Schärfe einer oder ggf. beider Seiten in apodiktischer Weise möglichen partnerschaftlichen Aktivitäten die Grundlage entzogen. Gespräche und Verhandlungen finden zudem auf mehreren organisatorischen Ebenen sowie zwischen unterschiedlichen Abteilungen statt. Dies führt mitunter dazu, dass aufgrund noch nicht abgeschlossener oder neu terminierter Preisverhandlungen neue Produkte eines Markenartikelherstellers noch nicht eingelistet sind, obwohl dieser bereits mit den Kommunikationsmaßnahmen begonnen hat. Dies schadet beiden Seiten in Form von entgangenen Umsätzen. Wünschenswert ist aus Sicht der Praxis daher eine Synchronisation der Hersteller- und Handelskommunikation im Sinne des Joint Business Planning.1364 Ein Herausforderung besteht demnach in der Verbesserung bzw. der Institutionalisierung eines die jeweilig andere Marktseite integrierendes Beziehungsmanagement.1365 Die Beziehung zwischen Herstellern und Händlern könnte durch die Abschwächung bzw. Modifizierung bestimmter konflikttreibender Elemente verbessert werden, z. B. durch die Einführung besser nachvollziehbarer Konditionenmodelle. Vollsortimenter monieren bspw. eine fehlende Berücksichtigung von Sortimentsleistungen in den Geschäftsstätten. Hersteller äußern hingegen häufig Kritik an der Kreativität der Handelsunternehmen, stets neue Sonderrabatte und Werbekostenzuschüsse zu erfinden. Ein innovatives Konditionenmodell könnte bspw. darauf basieren, dass statt fixer ausschließlich variable Werbekostenzuschüsse zu vereinbaren, wobei die Konditionen sich nicht an Insertionsanzahl oder Regalfacings als messbaren Zielgrößen orientieren, sondern auf die Absatzmenge und den damit erzielten Umsatz bezogen sind. 1366 Dadurch sind Handelsunternehmen incentiviert, an der Pull-Wirkung der Markenartikel mitzuwirken. Eine weitere Möglichkeit besteht, wie in den USA üblich, darin, dass jeweils ein vom Markenartikelhersteller eingesetzter sog. Broker in der entsprechenden Handelsunternehmenszentrale sitzt und den Vertrieb der Markenartikel des Unternehmens im Rahmen des Category Management steuert. Dies reicht von Ein- und Auslistungsvorschlägen an den Einkauf über Positionierung und Anzahl der Facings im Regal bis hin zur Abstimmung von Aktionsware und Zweitplatzierungen.1367 Des Weiteren kann der Verkauf von Waren unter dem Einstandspreis die Beziehungen von Herstellern und Händlern belasten. Untereinstandspreis-Verkäufe sind trotz gesetzlicher Grenzen in der Praxis zwar relativ häufig vorzufinden, allerdings de facto kaum nachweisbar. Wenn bspw. ein Händler als Verkaufsaktion auf einen Einkauf
1364
In LEH_05_HE Abs. 94.
1365
In LEH_11_HE, Abs. 46.
1366
Von einem ähnlichen Konditionenmodell berichtet ein Hersteller in LEH_11_HE, Abs. 28.
1367
In LEH_19_UE, Abs. 10.
Organisatorische Verbesserungen der Hersteller-Handels-Beziehung
347
von über 50 Euro Warenwert zehn Prozent Rabatt gibt und viele Produkte im Sortiment, insbesondere im Bereich der Handelsmarken, ohnehin knapp über dem Einstandspreis kalkuliert sind, wird dieser bei vielen Produkten automatisch unterschritten.1368 Dem Bundeskartellamt werden solche Fälle in der Regel nicht bekannt, da Handelsunternehmen sich nur in offensichtlichen Fällen gegenseitig anklagen und Hersteller gerichtliche Auseinandersetzungen mit den Handelsunternehmen vermeiden, da sie sich der Gefahr bewusst sind, auf diese Weise den Fortbestand der Geschäftsbeziehung zu gefährden.1369 Verbesserungen dieser Problematik können durch eine preispolitische Disziplin der Handelsunternehmen oder eine stärkere Kontrolle der Einhaltung durch das Bundeskartellamt erfolgen. Eine intensive Beziehung der Handelsunternehmen zu ausschließlichen Handelsmarkenherstellern ist nicht zwingend beabsichtigt, da es sich teilweise um Kontraktgeschäfte handelt, in denen in erster Linie der Preis über den Fortbestand einer Lieferbeziehung entscheidet. Im Zuge der Weiterentwicklung und Aufwertung der Handelsmarken ist möglicherweise ein Umdenken erforderlich, da insbesondere die Einführung von Gestalt- und Pioniermarken, statt des Kopierens marktführender Produkte zum günstigsten Preis, eine Zusammenarbeit in Produkt- und Verpackungsentwicklung sowie die gemeinsame Entwicklung von Kategorien erfordert.1370 Für große Handelsunternehmen, die eine komplexe Handelsmarkenarchitektur einsetzen und mit einer großen Anzahl an Herstellern zusammenarbeiten, empfiehlt sich ein Lieferanten-Management, das zum einen komplexitätsreduzierende Wirkung hat und zum anderen den Ansprüchen der jeweiligen Handelsmarkengeneration gerecht wird. Zweckmäßig lassen sich drei Arten von Handelsmarkenlieferanten unterscheiden: Basis-Lieferanten, Kernlieferanten und strategische Lieferanten. Basis-Lieferanten können Handelsunternehmen für die Produktion generischer Handelsmarken der ersten Generation einsetzen. Die Auswahl reduziert sich überwiegend auf den Preis. Kontrakte werden für kurze Zeiträume oder Spot-Geschäfte geschlossen. Unter den Basis-Lieferanten herrscht eine gewisse Fluktuation, da kontinuierlich nach dem günstigsten Anbieter gesucht wird. Teilweise beschränkt sich der Produktionsumfang der Basis-Lieferanten auf ein einzelnes Produkt oder auf bestimmte Volumina dieses Produktes. Sie eignen sich gleichermaßen zur kurzfristigen Imitation neuer Markenartikel in Form der klassischen Handelsmarken der zweiten Generation. Für die Auftragsvergabe empfehlen sich, aufgrund der hohen Anzahl der 1368
Wie in Kap. C.4.4.3 dargestellt, sind zwar kalkulationswirksame Preisabschläge bei der Berechnung des Einstandspreises zu berücksichtigen, die Nachvollziehbarkeit ist in praxi hingegen selten gegeben.
1369
Vgl. Böger (1990), S. 162.
1370
In LEH_05_HE Abs. 94.
348
Kap. E
Lieferanten und der geringen Anforderungen, schriftliche Ausschreibungen oder Auftragsauktionen im Internet. Die Beziehungen zu den Herstellern sind im Wesentlichen sachlich und anonym. Ein Kernlieferant bietet dem Handelsunternehmen mehrere Produkte einer bestimmten Warenkategorie an, z. B. Zucker und weitere Backzutaten. Er ist für die Handelsmarken in der jeweiligen Kategorie mitverantwortlich und beteiligt sich an der Produktentwicklung. Kernlieferanten können in vielen Sortimentsbereichen für die Handelsmarken der dritten Generation eingesetzt werden. Zu ihnen bestehen in der Regel mittel- bis langfristige Geschäftsbeziehungen. Die Auswahl erfolgt anhand verschiedener Kriterien wie Preis, Innovationsfähigkeit und Lieferzuverlässigkeit. Die strategischen Lieferanten fertigen in Kooperation mit den Handelsunternehmen die Gestalt- und Pioniermarken. Ziel ist die Entwicklung einzigartiger und hochwertiger Produkte, die der Konsument in keinem anderen Handelsunternehmen findet. Die Auswahl der strategischen Lieferanten erfolgt hauptsächlich nach der Produktqualität sowie einem möglichst großen Know-how-Vorsprung ggü. Mitbewerbern. Die Konzipierung und Weiterentwicklung von Handelsmarken findet in ständiger Abstimmung mit dem Handelsunternehmen statt. Die Anzahl der strategischen Lieferanten ist begrenzt. Die Vertragsdauer kann bei spezifischen Investitionen mehrere Jahre betragen. Eventuell kann sich das Handelsunternehmen an den Investitionen beteiligen oder an kleineren Herstellern Anteile erwerben. Dieses mehrstufige Lieferantenmanagement, das vor allem bei komplexen Handelsmarkenarchitekturen angewandt werden kann, veranschaulicht Abb. E-1.
Handelsmarken der…
Anzahl
wenige
viele
sehr viele
strategische Lieferanten
…vierten Generation
Kernlieferanten
…dritten Generation
Basis-Lieferanten
Abb. E-1: Lieferantenmanagement bei komplexen Handelsmarkenarchitekturen Quelle:
Eigene Darstellung.
…ersten und zweiten Generation
Organisatorische Verbesserungen der Hersteller-Handels-Beziehung
349
Das Systemelement Handel hat, wie in den Interviews festgestellt wurde, in allen Branchen per Saldo ein Machtübergewicht, am stärksten in der Lebensmittelbranche. Diese asymmetrische Machtverteilung ermöglicht den Handelsunternehmen zunehmend die Marketing-Führerschaft im Absatzkanal. 1371 Die Verkaufspreisgestaltung liegt grundsätzlich in der Hoheit der Handelsunternehmen. Der Jahrzehnte andauernde, intensive Preiswettbewerb hat in Deutschland zu sehr geringen Spannen auf Hersteller- und Handelsseite geführt und gleichzeitig der Wertigkeit der Produkte sowie dem Ansehen der Marken geschadet. 1372 Es muss daher ein gemeinsamer Weg gefunden werden, wie die Wertschöpfung auf beiden Seiten gefördert und entsprechend vergütet werden kann. In einigen Studien wurde bereits festgestellt, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, sich nicht nur über den Preis gegenüber der Konkurrenz zu profilieren.1373 Teilweise werden zudem Forderungen nach der Wiedereinführung der Preisbindung bzw. nach der Aufhebung von deren generellem Verbot laut.1374 Diese Arbeit legt nahe, dass solche und andere konstruktive Überlegungen ohne Schärfe zwischen den Unternehmen beider Marktstufen erörtert werden.1375
1371
Vgl. Ahlert (1996), S. 103; Steffenhagen (1975), S. 107-110
1372
Die Preisorientierung ist auch auf Herstellerseite häufig das einzige Differenzierungsinstrument (vgl. Simon/Bilstein/Luby (2006), S. 30).
1373
Vgl. z. B. Ancarani/Shankar (2004); Pan/Ratchford/Shankar (2002); Shankar/Bolton (2004); Simon/von der Gathen/Daus (2006), S. 279-280.
1374
Vgl. Ahlert (2004b); Ahlert/Köster/Vering (2006); Olbrich/Buhr (2007); Olbrich/Grewe (2008), S. 38.
1375
In Großbritannien wird aktuell eine geplante Gesetzesnovelle kontrovers diskutiert, die den Rahmen für Verträge zwischen Handel und Industrie neu abstecken soll. Nach dem „Groceries Supply Code of Practice“ sollen Händlern ab einem Jahresumsatz von 1,1 Mrd. Euro Listungsgebühren, Werbekostenzuschüsse und verschiedene Rabatte verboten und auf Kosten des Handels ein unabhäniger Ombudsmann ernannt werden, der auch selbständig gegen Vorstöße gegen den Kodex vorgehen kann (vgl. Lebensmittelzeitung Nr. 11 vom 13.03.2009, S. 31.
350
Kap. E
2.
Implikationen für das Management von Handelsmarken
2.1
Empfehlungen an Hersteller
Die Implikationen für die Herstellerunternehmen richten sich nach der individuellen Situation des Unternehmens im Hinblick auf die Aufstellung und Zusammensetzung des eigenen Produktportfolios. Ausgehend von den Ergebnissen der Branchenfallstudien lassen sich zunächst für einen Markenartikelhersteller, der bisher keine Handelsmarken produziert, sieben Entscheidungsoptionen unterscheiden, mit denen er dem steigenden Handelsmarkenanteil begegnen kann. Dies sind der Direktvertrieb seiner Marken, Verbesserung der eigenen Leistung durch Innovationen, Optimierung des Preis-Leistungs-Verhältnisses durch eine verbesserte Produktqualität, Reduzierung der Preislücke zu den Handelsmarken, Verkauf günstiger C-Marken, Produktion von Handelsmarken im Preiseinstiegsbereich und Produktion hochwertiger Handelsmarken. (1) Direktvertrieb Einige Hersteller mit starken Markenartikeln nehmen oft nur geringe Veränderungen in der Preis- und Produktpolitik vor und versuchen den Absatz ihrer Produkte über umfangreiche Kommunikationsmaßnahmen zu erhöhen. Langfristig ist diese Strategie allein zumeist nicht ausreichend betreffend Absatz- und Marktanteilsziele eines Herstellers, es sei denn, es gelingt dem Hersteller, die Handelsstufe durch einen Direktvertrieb zu umgehen, wie es vielfach in der Bekleidungsbranche der Fall ist, z. B. bei Boss oder s.Oliver. In der DIY-Branche verwenden nur wenige Hersteller ausschließlich Direktvertrieb wie Hilti im Bereich Werkzeuge und Werkzeugzubehör oder Brillux im Bereich Farben. Lebensmittelhersteller bieten vielfach Fabrikverkauf bzw. den Vertrieb einiger Produkte über das Internet an. Allerdings sind diese Vertriebskanäle in Bezug auf das Absatzvolumen von nachrangiger Bedeutung. Einige Hersteller verfügen über sog. Flagship-Stores, d. h. einzelne Verkaufsstätten, die vornehmlich der Präsentation der Markenwelt eines Unternehmens dienen und nicht dem Vertrieb der Produkte. Beispiele hierfür sind das Dallmayr-Haus in München, das Nivea-Haus in Hamburg oder der in eine Kaufhof-Filiale integrierte Lindt-Shop in Münster. Ein Filialnetz eigener Verkaufsstellen hat bisher nur Tchibo aufgebaut. Dort werden allerdings überwiegend Non-Food-Artikel angeboten. Ein Vorteil des Direktvertriebs besteht in dem Verfügungsrecht über alle Bestandteile des Marketing-Mix einschließlich der Preispolitik. Den Preisauseinandersetzungen im Einzelhandel werden sich die Hersteller dennoch nicht vollständig entziehen können, da die Konsumeten Preisvergleiche geschäftsstättenübergreifend anstellen. Ein ausschließlicher Direktvertrieb bedeutet für Hersteller, neben einer stark reduzierten Distributionsdichte, die fehlende Möglichkeit, Produktkategorien gemeinsam mit den Handelsunternehmen zu fördern und weiterzuentwickeln.
Implikationen für das Management von Handelsmarken
351
(2) Produktinnovationen Eine zweite Möglichkeit besteht in der Verbesserung der Wettbewerbsposition durch die Entwicklung neuer Produkte. Markenartikelhersteller sind auf Produkt- und Verpackungsinnovationen angewiesen.1376 Gelingt eine Innovation mit echtem Mehrwert für die Konsumenten, können die Hersteller ensprechend ein Preispremium beim Konsumenten bzw. Handelsunternehmen abschöpfen und bieten dadurch gleichzeitig den Vollsortimentern die Möglichkeit, sich für eine gewisse Zeit dem horizontalen Preiswettbewerb mit den Discountern zu entziehen. Dies erhöht den Qualitätsabstand und kann das Wachstum der Handelsmarken in der entsprechenden Produktkategorie eindemmen. 1377 Produktlebenszyklen werden jedoch immer kürzer. Insbesondere in der Bekleidungsbranche verändern sich Modetrends in kurzen Zeitabständen. Zudem stellt sich das Problem, dass Vertikalisten aufgrund kürzerer Lead Times die „Kopien“ der neuesten DesignerKollektion teilweise noch vor den Originalen verkaufen können. (3) Verbesserung der (wahrgenommenen) Qualität Eine weitere Möglichkeit, dem Handelsmarkenwachstum zu begegenen, besteht für die Hersteller in der Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses ihrer Produkte. Durch eine Optimierung der Rohstoffe sowie der Produktions- und Verpackungstechniken ist es bspw. einem Lebensmittelhersteller möglich, Geschmack, Haltbarkeit und Verbraucherfreunlichkeit zu optimieren. Bekleidungshersteller können die Stoffeigenschaften verbessern oder auf die Fertigung in bestimmten Regionen verzichten, die für Kinderarbeit oder Lohndumping bekannt sind. Können diese Veränderungen ohne eine Preiserhöhung angeboten werden, wird dies von den Konsumenten als Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses angesehen. 1378 Die Hersteller sollten zudem den Versuch unternehmen, die vom Konsumenten wahrgenommene Qualität durch kommunikative Maßnahmen zu verbessern und einen Nachfragesog aufzubauen, der die Vollsortimenter dazu veranlasst, die beworbenen Produkte aufgrund einer starken Endverbrauchernachfrage in das Sortiment aufzunehmen bzw. im Regal zu belassen.1379 Handelsunternehmen unterstützen die ähnliche Wahrnehmung der Konsumenten von Markenartikeln und Handelsmarken durch das Kopieren der physischen Eigenschaften der Markenartikel.1380 Die Konfusion der Konsumenten durch ähnliche, fast gleiche Verpackungen der Handelsmarken im Vergleich zu den Herstellermarken ist 1376
In LEH_15_HE, Abs. 38.
1377
Vgl. Hoch/Banerji (1993); Glémet/Mira (1993).
1378
Vgl. Quelch/Harding (1996).
1379
Vgl. Ashley (1998); Meffert/Burmann/Kirchgeorg (2008), S. 593.
1380
Vgl. Rafiq/Collins (1996), S. 330.
352
Kap. E
nicht zu unterschätzen, variiert jedoch sowohl zwischen verschiedenen Produktkategorien, als auch zwischen den verschiedenen Handelsketten.1381 Eine Möglichkeit, die Unterscheidbarkeit von Markenartikeln und Handelsmarken zu erhöhen, besteht in der Verwendung salienter, schwer nachzuahmender oder geschmacksmusterschutzfähiger Verpackungen. In der Lebensmittelbranche werden häufig charakteristische Flaschenformen, z. B. von Maggi, Coca Cola oder Odol verwendet. Da das Verkaufspersonal in Handelsunternehmen teilweise selbst nicht in der Lage ist, die Handelsmarken von Herstellermarken zu unterscheiden, 1382 entfällt für den Konsumenten beim Einkauf die Beratungsleistung des Verkaufspersonals als Orientierungshilfe. Aus Sicht des Markenartikelherstellers kann es schlimmstenfalls dazu kommen, dass der Konsument keinen Unterschied in der Beschaffenheit der Produkte feststellt, mit Ausnahme des offensichtlich günstigeren Preis der Handelsmarken.1383 (4) Reduzierung des Preisabstandes zur Handelsmarke Das Preis-Leistungs-Verhältnis kann zudem durch Preissenkungen der Markenartikel bei gleichbleibender Qualität verbessert werden. Diese Strategie erweist sich aber in der Umsetzung aus verschiedenen Gründen als problematisch. Der Preisabstand zwischen Handelsmarke und Marke determiniert zwar innerhalb einer Geschäftsstätte maßgeblich den Handelsmarkenanteil in der entsprechenden Produktkategorie,1384 Preissenkungen des Markenartikels können sich jedoch negativ auf die Qualitätswahrnehmung der Marke durch den Konsumenten auswirken. Hersteller sind in vielen Fällen allerdings aufgrund recht geringer Konstensenkungsmöglichkeiten nicht in der Lage, die Preise im für deutliche Absatzeffekte erforderlichen Umfang zu reduzieren, ohne die eigene Profitabilität zu gefährden. Es kommt hinzu, dass die Preissenkungen gleichzeitig in allen nationalen Handelsunternehmen umgesetzt werden müssten, da sonst Sanktionsmaßnahmen bis hin zu Auslistungen seitens der benachteiligten Händler zu erwarten wären. (5) Angebot von Zweit-Marken Eine Möglichkeit, die Handelsmarken direkt „anzugreifen“ ist der Verkauf günstiger Zweit-Marken, die ohne Kommunikation sowie zusätzliche Forschungs- und Entwicklungskosten günstig angeboten werden können und bei denen nicht die beschriebene Gefahr der Beschädigung des Markenpreisimages besteht. VERHOEFF et al.
1381
Vgl. Kapferer (1995), S. 568; Rafiq/Collins (1996), S. 349.
1382
Vgl. Olbrich/Buhr (2005b).
1383
Vgl. Olbrich et al. (2005), S. 10.
1384
Vgl. Dhar/Hoch (1997); Hoch/Banerji (1993).
Implikationen für das Management von Handelsmarken
353
(2002) bezeichnen dies als Me-too-Strategie der Markenartikler.1385 Das Ziel dieser Strategie lautet, die Handelsmarken an einem weiteren up-Trading zu hindern und die Dominanz der Handelsmarken innerhalb der Produktkategorie durch eine für den Konsumenten scheinbar größere Vielfalt einzuschränken. 1386 Damit sind allerdings nicht nur hohe Kosten verbunden, sondern auch die Gefahr, Marktanteile bei den eigenen margenstärkeren Markenartikeln zu verlieren.1387 Die gegenwärtige Entwicklung zeigt zudem ein Bestreben der Handelsunternehmen in die entgegengesetzte Richtung. Als Gatekeeper der Regalflächen können sie gezielt auch bereits bestehende Zweit-Marken der Hersteller durch ihre Handelsmarken der unterschiedlichen Generationen austauschen. (6) Produktion großvolumiger Handelsmarken der 1. und 3. Generation Durch das rasante Wachstum der Handelsunternehmen, sowie insbesondere durch die Zentralisierung des Einkaufs der Handelsketten, erreicht der Absatz einzelner Handelsmarken für den Hersteller interessante Größenordnungen.1388 Die Herstellerunternehmen müssen sich festlegen, wie nah die Produktqualität der Handelsmarken an die ihrer Markenartikel heranreichen darf und wie sie mögliche Abweichungen in Verhandlungen mit den Handelsunternehmen begründen wollen. Des Weiteren stehen die Hersteller vor der Entscheidung, ob sie sich nur gelegentlich an Handelsmarkenausschreibungen beteiligen, um im Bedarfsfall kurzfristig Produktionskapazitäten auszulasten oder ob sie aktiv an die Handelsunternehmen herantreten und sich in das Handelsmarkenmanagement durch Produktentwicklung, Verpackungs- und Designvorschläge sowie möglicherweise mit bereits eingetragenen Markennamen einbringen. Hersteller können zudem aufgrund der international steigenden Nachfrage nach Handelsmarken und der Expansion von Handelsketten in andere Länder an deren Internationalisierungserfolg teilhaben. Auch bislang nicht relevante Zielgruppen, wie z. B. preisbewusste Käufer, werden durch die Produktion von Handelsmarken erreicht, wodurch sich ein wesentlich kostenintensiverer Aufbau von Zweitmarken vermeiden lässt.1389 Entschließen sich Markenartikelhersteller die Discounter mit Handelsmarken zu beliefern, was angesichts deren 40 Prozent Marktanteil in Deutschland nach Aussagen der befragten Experten attraktiv erscheint, geraten sie in die Gefahr, einen Teil der Glaubwürdigkeit ihrer Marke einzubüßen, wenn dies publik wird und die Konsumenten die gleichen Produkte unter anderem Etikett zu stark reduzierten Preisen vermu1385
Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1312.
1386
Vgl. Hoch/Banerji (1993), S. 66; Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1312.
1387
Vgl. Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1313.
1388
Vgl. Davies (1998), S. 141; Quelch/Harding (1996), S. 105.
1389
Vgl. Esch (2008), S. 566.
354
Kap. E
ten. Aufgrund großer Einkaufsvolumina der Discounter begeben sich die Hersteller zudem, z. B. durch spezifische Investitionen in den Aufbau weiterer Produktionskapazitäten, in eine Abhängigkeit, die sich bei Preisverhandlungen in einer eindeutigen Machtasymmetrie zu Gunsten der Discounter äußern dürfte und im Fall der Beendigung der Lieferbeziehungen existenzbedrohliche Auswirkungen erreichen kann. Im LEH liefern zahlreiche Hersteller zudem ihre Marken an die Discounter, sofern diese Markenartikel im Sortiment führen. In der Regel übernimmt der Discount allerdings nicht das gesamte Sortiment des Herstellers, sondern nur die Artikel mit dem größten Warenumschlag. Durch die großen Volumina auf Einzelproduktebene gelingt es ihnen, regelmäßig günstigere Einkaufskonditionen als die Vollsortimenter heraus zu handeln. Dadurch sind kontroverse Auseinandersetzungen in den Jahresgesprächen vorprogrammiert. (7) Produktion hochwertiger Handelsmarken Die Produktion innovativer und hochwertiger Handelsmarken durch Markenartikelhersteller mit entsprechendem Entwicklungs- und Produktions-Know-how kann zu einer beschleunigten Umschichtung des Sortiments einzelner Warengruppen zu Gunsten der Handelsmarken führen. Dies impliziert die Gefahr, dass die Konsumenten das Interesse an den Markenartikeln verlieren und diese vom Händler bei sinkender Nachfrage ausgelistet werden.1390 Dadurch würden die Markenartikelhersteller ihre eigene Markenpolitik konterkarieren und langfristig zur verlängerten Werkbank des Handels degenerieren. Für kleine und mittelständische Hersteller, deren Marken starke Marktanteilsrückgänge verzeichnen und die von den Handelsunternehmen nach und nach ausgelistet werden, besteht eine Chance darin, sich auf die Produktion hochwertiger Handelsmarken zu konzentrieren und das Markenartikelgeschäft auslaufen zu lassen. Je individueller das im Handelsmarkenbereich geforderte Produktprogramm, desto geringer ist aus Sicht des Lieferanten die Gefahr einer Substitution. Des Weiteren verringert sich die Austauschbarkeit in Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit des Herstellers, hochwertige und individuelle Produkte herzustellen, und von dessen Bereitschaft, sich auf die Wünsche des Handelsunternehmens einzustellen. 1391 Nach Möglichkeit sollten sich diese Hersteller um Aufträge mehrerer Handelsunternehmen bemühen, um nicht in zu große Abhängigkeit zu geraten. Da die Handelsunternehmen mit den Gestalt- und Pioniermarken jedoch eine exklusive Profilierung ihrer Geschäftsstätten anstreben, empfiehlt es sich für den Hersteller, weitere Kunden bspw. auf internationalen Märkten zu akquirieren. Diese Strategie ist
1390
Vgl. Galizzi/Venturini/Boccaletti (1997), S. 187.
1391
In LEH_01_HE, Abs. 40.
355
Implikationen für das Management von Handelsmarken
allerdings aufgrund begrenzter Liefer- und Lagerfähigkeit im Lebensmittelbereich nur für bestimmte Produkte möglich. In Abb. E-2 sind die sieben Handlungsoptionen eines Markenartikelherstellers schematisch in einem Preis-Qualitäts-Kontinuum zwischen Handelsmarke und Markenartikel zusammengefasst.
Qualität
3 Verbesserung der Qualität
4
Reduzierung der Preislücke
Markenartikel
2 Innovationen
1
Direktvertrieb
7 Produktion von PremiumHandelsmarken
5 günstige Zweit-Marke
6
Produktion von HaMa der 1. und 3. Generation
Handelsmarke Preis
Abb. E-2: Strategieoptionen eines Markenartikelherstellers Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Hoch (1996), S. 100; Hoch/Banerji (1993), S. 66; Verhoef/Nijssen/Sloot (2002), S. 1311.
Entschließen sich Markenartikelhersteller dazu, zusätzlich Handelsmarken zu produzieren (Handlungsoption 6 und 7), stehen sie vor der Entscheidung, die beiden Bereiche in den jeweiligen Abteilungen zusammenzulegen oder eine organisatorische Trennung vorzunehmen. In den Interviews berichten Hersteller von der Umsetzung beider Optionen. Für eine Zusammenlegung der Bereiche sprechen potenzielle Synergieeffekte in Marketing- und Vertriebsabteilungen. Teilweise kann es vorteilhaft sein, den Handelsunternehmen Markenartikel und Handelsmarken in Kombination anzubieten, um die Position als strategisch wichtiger Partner zu stärken. In der Produktion können ebenfalls Kostenvorteile erzielt werden. Dies ist jedoch stets vor dem Hintergrund der Frage zu entscheiden, inwieweit sich die Markenartikel
356
Kap. E
von den Handelsmarken in Rezeptur und Qualität differenzieren sollen. Ein Risiko in der Vermischung von Markenartikel- und Handelsmarkengeschäft besteht in der Zurechenbarkeit der Kosten und somit der Gefahr der internen Quersubventionierung der Handelsmarken, die möglicherweise aufgrund volumenbedingter Abhängigkeitsverhältnisse zu Grenzkosten angeboten werden. Für eine organisatorische Trennung der beiden Bereiche spricht somit die Möglichkeit, gegenüber Handelspartnern eine klare Abgrenzung der Kalkulationen von Markenartikeln und Handelsmarken aufzuzeigen. Im LEH gerät der Vertriebsverantwortliche in kooperierenden Systemen insbesondere auf Marktebene in Schwierigkeiten, wenn er in der ersten Hälfte des Gesprächs die Markenartikel anpreist und erklärt, warum sie den geforderten Preis wert sind, und anschließend in der zweiten Hälfte dem Marktleiter die günstigeren Handelsmarken anbietet. Eine ähnliche Problematik entsteht in der Transportlogistik. Der Hersteller muss eine Kosten-Nutzen-Abwägung vornehmen, ob er Markenartikel und Handelsmarken gleichzeitig im selben LKW beim Handelsunternehmen anliefert oder ob er zur Vermeidung von Mischkalkulation und einer Vermengung der Konditionensysteme auch hier eine strikte Trennung fortsetzt. Markenartikelherstellern, die bereits Handelsmarken produzieren, steht des Weiteren die Möglichkeit offen, dies vollständig einzustellen. Viele Markenhersteller haben offenbar noch nicht erkannt, dass ihre Hauptkonkurrenz nicht in den Markenprodukten ihrer Wettbewerber, sondern in den preislich attraktiven Handelsmarken liegt.1392 Diese Hersteller müssen sich, sobald sie feststellen, dass sie gleichzeitig bei den Vollsortimentern Regalflächen verlieren und bei den Discountern in schwierige Preisgespräche hereingezogen werden, die Frage stellen, ob es richtig ist, unter der Maxime der Umsatzsteigerung, Handelsmarken zu produzieren.1393 Einige der befragten Markenartikelhersteller haben sich nach dem Motto „either join them or fight them”1394 grundsätzlich gegen die Produktion von Handelsmarken entschieden bzw. lassen noch bestehende Handelsmarkenverträge auslaufen. 1395 Sie bezeichnen die Handelsmarke als „Droge der Absatzsteigerung“,1396 die langfristig zu einer deutlichen Absenkung der Gesamtprofitabilität des Unternehmens führt und sehen in ihr die größte Bedrohung für den Markenartikel.1397
1392
Vgl. Kapferer (2008), S. 67.
1393
In LEH_21_HA, Abs. 28.
1394
In LEH_16_HE, Abs. 22; LEH_15_HE, Abs. 10.
1395
In LEH_11_HE, Abs. 56-58; LEH_15_HE, Abs. 10; LEH_16_HE, Abs. 20-22; LEH_20_HE, Abs. 12.
1396
In LEH_15_HE, Abs. 10.
1397
In LEH_16_HE, Abs. 22.
Implikationen für das Management von Handelsmarken
357
Hersteller, die ausschließlich Handelsmarken herstellen, haben die Möglichkeit, entweder eine Kostenführerschaft durch eine möglichst effiziente Beschaffung und Produktion anzustreben oder sich auf eine Qualitätsführerschaft zu konzentrieren.1398 In der Bekleidungsindustrie scheidet die erste Alternative aufgrund zu hoher Lohnkosten für deutsche Hersteller aus. Die kostenführenden Produzenten haben ihren Sitz fast ausschließlich in Osteuropa und Asien. Für die zweite Option der Qualitätsführerschaft ergeben sich in Deutschland ebenfalls nur geringe Möglichkeiten, da sich zum einen die Produzenten in den genannten Gebieten stark spezialisiert haben und in der Lage sind, exzellente Qualität zu liefern. Zum anderen gibt es viele Hersteller hochwertiger Bekleidung in Südeuropa, vor allem Italien. Viele deutsche Hersteller wandeln sich vor diesem Hintergrund zunehmend durch Vorwärtsintegration zu Vertikalisten bzw. Großhändlern, soweit sie nicht über eigene Vertriebsnetze verfügen. Markenartikelhersteller sollten sich des Transformationsprozesses der klassischen Handelsmarken zu Handelsmarken im Sinne der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Definition bewusst sein und sie als Wettbewerber zu ihren Top-Marken betrachten.1399 Diese Herausforderung kann gleichermaßen als Chance begriffen werden, sich verstärkt für die eigenen Marken einzusetzen und an die neue Situation angepasste Marketingstrategien zu entwickeln. Der Vertrauensvorsprung der Herstellermarken gegenüber den Handelsmarken sinkt kontinuierlich und die Hersteller sind gefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Verkaufen Hersteller ihre Markenartikel an die Discounter, ist die im Vergleich zum Vollsortimenter weniger hochwertigere Warenpräsentation zu beachten. Genauso wie sich das Image einer Discount-Betriebstypenmarke negativ auf das Preis-Image der dort angebotenen Produkte auswirken kann, ermöglicht eine qualitativ hochwertig anmutende Betriebstypenmarke einen positiven Abstrahleffekt auf die Qualitätswahrnehmung der dort angebotenen Produkte.1400 Je homogener die Qualität von Marken und Handelsmarken durch Konsumenten wahrgenommen und je wichtiger der Preis als Kaufkriterium ist, desto mehr wird bei derzeitiger Positionierung von Herstellerund Handelsmarken der Marktanteil der Handelsmarken ansteigen. Sowohl Handelsmarkenhersteller als auch Markenartikler müssen zudem die Handelsperspektive in ihren Entscheidungsprozess mit einbeziehen, ebenso wie sie seit langem die Konsumenten- und internationale Perspektive zu berücksichtigen haben.1401
1398
Vgl. zu den Marktstimulierungsstrategien Kap. C.4.3.1.
1399
Vgl. Kap. B.1.4
1400
In LEH_23_HA, Abs. 48.
1401
Vgl. Corstjens/Corstjens (2000), S. 293.
358
2.2
Kap. E
Empfehlungen an Handelsunternehmen
Handelsmarken sind in der Regel ausschließlich in den Betriebstypen des jeweiligen Handelsunternehmens erhältlich und folglich zum Aufbau von Loyalität und, bei richtiger Vermarktung, zur Erhöhung der Kundenfrequenz geeignet. 1402 Handelsunternehmen sollten dieses Faktum nutzen, indem sie dem Konsumenten ihre Handelsmarken in Qualität und Anmutung betriebstypenadequat präsentieren. 1403 Markenhersteller haben mit Hilfe hoher Investitionen in Marketingmaßnahmen langfristig auf eine erfolgreiche Verankerung in der Psyche des Konsumenten hingearbeitet. Es ist nicht zu erwarten, dass der Aufbau des Markenwertes für Handelsunternehmen einfacher ist.1404 Handelsunternehmen sollten das Wachstum und die aus Sicht der Konsumenten positive Wahrnehmung der Handelsmarken für sich nutzen und eine für den jeweiligen Betriebstypen geeignete, konsistente Handelsmarkenarchitektur entwickeln. Dies sollte nach Möglichkeit unter Berücksichtigung der Rolle der Markenartikel im Sortiment geschehen, ohne die auch künftig kein Handelsmarkenerfolg möglich sein wird. Markenartikel dienen dem Konsumenten in den drei untersuchten Branchen gegenwärtig als qualitativer und preislicher Referenzpunkt für die Einschätzung von Handelsmarken. Dies trifft insbesondere auf Lebensmittel, am wenigsten auf Bekleidung zu. Die zentrale Bedeutung des Handelsmarkenmanagements muss in der Organisationsstruktur abgebildet werden. Das Handelsunternehmen sollte dabei eine proaktive, firmenindividuelle Rolle einnehmen und nicht den Ideen direkter Mitbewerber nacheifern. Ein Blick über die Landesgrenzen, z. B. nach Großbritannien oder in die Schweiz, in denen Handelsunternehmen wie Tesco und Sainsbury's bzw. Coop Suisse und Migros seit vielen Jahren erfolgreich ihre Handelsmarken umsetzen, kann dabei hilfreich sein. Handelsunternehmen und ihre Handelsmarken werden zunehmend im Sinne der oben genannten Definition als Marken wahrgenommen. Sie sollten daher weitere Elemente der Markenführung von Herstellermarken übernehmen und zusätzlich ihre Hoheit über den Regalplatz, die Innengestaltung und die Kommunikationsmaßnahmen am PoS nutzen, um eine Professionalisierung ihrer Markenführung voranzutreiben. Insbesondere sollte zudem Transparenz bezüglich der Bewertung des Handelsmarkenerfolgs geschaffen werden, denn eine Verdrängung von Markenartikeln bedeutet neben Umsatzeinbußen auch Einbußen bei Listungsgebühren und Werbekostenzuschüssen. 1402
Vgl. Corstjens/Lal (2000), S. 281-290. Ausnahmen stellen die Handelsmarken der Verbundgruppen und Einkaufskooperationen dar, die von allen Mitgliedern genutzt werden können.
1403
Vgl. Dick/Jain/Richardson (1996), S. 24.
1404
Vgl. Grunert et al. (2006), S. 605.
Implikationen für das Management von Handelsmarken
359
Für die Ausgestaltung der Handelsmarkenarchitektur empfiehlt es sich, die jeweilige Handelsmarke mit einer klaren Nutzendimension zu belegen und sie nicht als Oberbegriff einer Warenkategorie zu verwenden. Die Nutzendimensionen muss jedes Handelsunternehmen individuell für sich festlegen, wobei diese auch in einem möglichst niedrigen Preis bestehen kann, wie es bei Gattungs- oder DiscountHandelsmarken der Fall ist. Für die Handelsmarken der anderen Generationen sei auf die konzeptionellen Ausführungen in der Dekonstruktion verwiesen.1405 Die Qualitätsgarantie für Handelsmarken gegenüber den Endverbrauchern liegt beim Handelsunternehmen. Dies erfordert hohe Ansprüche an das Qualitätsmanagement, insbesondere wenn das Handelsunternehmen mit seinem Firmennamen auf den Produkten vertreten ist,1406 denn nicht der Preis, sondern die wahrgenommene Qualität und damit das Preis-Leistungs-Verhältnis erklärt den Erfolg der Handelsmarken.1407 Für Handelsmarken der vierten Generation ist es ratsam, zum einen die wahrgenommene Qualitätslücke zu den Markenartikeln zu schließen sowie den jeweiligen Preisabstand zu optimieren.1408 Es hat auch in Deutschland immer wieder Ansätze gegeben, Premiumhandelsmarken zu etablieren, die aber letzten Endes stets an der Preisorientierung des Verbrauchers gescheitert sind. Zudem ist das akquisitorische Potenzial der Handelsmarke aufgrund geringerer Werbemaßnahmen im Vergleich zu den Markenartikeln niedriger einzuschätzen. Ob die Ansätze ernsthaft und professionell genug, und die Strategien dauerhaft genug waren, ist zu bezweifeln, denn dies erfordert hohe Investitionen in die Kommunikation und Präsentation der Marke.1409 Eine mögliche Lösung Handelsmarken der vierten Generation im Lebensmittelhandel einzuführen, besteht in dem Angebot wechselnder saisonaler Spezialitäten. Durch die Platzierung unterschiedlicher Produkte auf der gleichen Fläche (im Spezialitätenregal) wird der Warenumschlag produktbezogen gesteigert und die wahrgenommene Sortimentsvielfallt erweitert. Des Weiteren kann eine Regalfläche mit Gestaltmarken regionaler Spezialitäten mit wechselndem Schwerpunkt vorgesehen werden und nach dem gleichen Prinzip in bestimmten Abständen wechseln. Eine eindeutige Kommunikation solcher Maßnahmen ist indes zwingend erforderlich, damit die kontinuierlichen Sortimentswechsel nicht zu Unstimmigkeiten seitens der Konsumenten führen und der Flächenumsatz tatsächlich höher ausfällt. Für das Erreichen von Kundenloyalität bildet die erstmalige Verwendung eines Produktes die entscheidende
1405
Vgl. zur strategische Ausrichtung der Handelsmarkenkonzepte Kap. C.4.3.2.
1406
In LEH_19_UE, Abs. 90.
1407
Vgl. Kumar/Steenkamp (2007), S. 93-94.
1408
Vgl. Kumar/Steenkamp (2007), S. 102-104.
1409
In LEH_10_HE, Abs. 52.
360
Kap. E
Grundlage.1410 Konsumenten sind daher insbesondere bei Gestaltmarken durch Produktverkostungen und -Samples von der Qualität zu überzeugen. Im konzeptionellen wie auch im empirischen Teil dieser Arbeit hat sich herausgestellt, dass sich Handelsmarken nicht für alle Warengruppen gleichermaßen eignen.1411 Ist das Handelsunternehmen bestrebt, Produkte, die eine hohe Außenwirkung oder Prestige-Funktion haben, als besonders hochwertige Handelsmarken der vierten Generation einzuführen, sollte es nicht die Produkte selbst mit der Handelsmarke markieren. Stattdessen eignen sich Hinweise, die nur im Moment des Kaufaktes sichtbar sind bzw. nach dem Kauf leicht vom Konsumenten zu entfernen sind, damit Lebensmittel vor Gästen auf den Tisch gestellt oder als Geschenk verwendet werden können bzw. Kleidung ohne soziale Risiken getragen werden kann. Bei Wein oder Champagner eignen sich z. B. Banderolen oder Anhänger mit der Aufschrift „Empfohlen von Handelsunternehmen x“, bei Bekleidung können entsprechende Hinweise in zusätzlich angebrachten Etiketten, den sog. Hang Tags, gegeben werden. Insgesamt lassen sich in Bezug auf die Handelsmarkenstrategie anhand der Dimensionen Unternehmensgröße und Artikelanzahl im Sortiment vier verschiedene Typen von Handelsunternehmen identifizieren, die im Folgenden dargestellt und anschließen in eine Typologie eingeordnet werden. (1) Handelsmarken-Discounter Handelsunternehmen, die über eine große Anzahl an Geschäftsstätten verfügen, aber einen geringen Sortimentsumfang aufweisen, können entweder ihr Sortiment vollständig mit Handelsmarken ausstatten oder diese als preiswerte Alternative zu einem begrenzten Markenartikelsortiment einsetzen. Die genannten Eigenschaften treffen insbesondere auf die Discounter des Lebensmittel- und Bekleidungseinzelhandels zu. Besonders wichtig ist für diese Handelsunternehmen die professionelle Führung der Betriebstypenmarke, da sie das artikelbezogene Produktvertrauen gegenüber den Markenartikeln weitgehend durch ein Systemvertrauen gegenüber dem Betriebtyp ersetzt. Eine Verwendung der Betriebstypenmarke als prominenter Absender auf der Handelsmarkenverpackung ist aufgrund der geringen Sortimentstiefe allerdings nicht zu empfehlen, da dem Konsumenten dadurch die de facto geringe Auswahl stärker bewusst würde. Der Einsatz von Handelsmarkenfamilien bietet hingegen die Gelegenheit, dem Konsumenten auch bei Discountern eine gewisse Orientierung zu bieten.
1410
Vgl. Zielke/Dobbelstein (2007), S. 112
1411
Vgl. zur Wahl der Handelsmarkentypen Kap. C.4.3.3.
Implikationen für das Management von Handelsmarken
361
Die Betriebstypenmarke sowie die Ausstattung und Warenpräsentation der Geschäftsstätten wirken sich auf das wahrgenommene Preisniveau des Sortimentes aus. Derzeit ist eine Aufwertung der Geschäftsstätten und eine Erweiterung des Sortiments seitens der diskontierenden Handelsunternehmen zu beobachten. Dieser Aufwertung sind jedoch aufgrund des Geschäftsmodells systemimmanente Grenzen gesetzt, die vor allem darin begründet liegen, dass die Dimensionen Preisgünstigkeit und Qualitätsführerschaft auch in der Wahrnehmung der Konsumenten diametrale Gegensätze darstellen. D. h., ein Discounter muss eine gewisse preiswerte Anmutung haben, wie sie in der Praxis in der Regel auch anzutreffen ist, um als preisgünstig wahrgenommen zu werden.1412 Dies ist ein Grund dafür, dass klassische Superund Verbrauchermärkte sowie SB-Warenhäuser, die über hochwertige Verkaufsmöbel und andere Wareninszenierungsinstrumente verfügen, regelmäßig als teuer wahrgenommen werden, obgleich sie sich vielfach im Preiseinstiegsbereich auf dem gleichen Preisniveau wie die Discounter bewegen.1413 Durch das up-Trading der Discounter, insbesondere Aldi und Lidl, könnte vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung zukünftig ein Angebotsvakuum für einen neuen Harddiscounter mit spartanischer Ausstattung und kleinerem Sortiment bestehen. Weiterhin ist eine strategische Umpositionierung bereits bestehender diskontierender Betriebstypen wie Netto oder Norma, in diese Richtung vorstellbar, denn nicht jeder Konsument „betrachtet Champagner und Flusskrebssalat als unverzichtbaren Sortimentsbestandteil“. 1414 Zusammenfassend zeichnen sich die hier vornehmlich beschriebenen Handelsunternehmen durch eine hohe Anzahl an Geschäftsstätten, eine geringe Sortimentstiefe und -breite sowie einen hohen Handelsmarkenanteil aus und lassen sich auf Grund ihrer Handelsmarkenstrategie als „HandelsmarkenDiscounter“ bezeichnen. (2) Marken-Individualisten Des Weiteren existieren Handelsunternehmen, die ebenfalls über eine geringe Anzahl von Artikeln im Sortiment verfügen, jedoch gleichzeitig wenige bzw. im Extremfall nur eine Geschäftsstätte bewirtschaften. Dies sind typischerweise kleine Facheinzelhändler, wie sie in der DIY-Branche und vor allem in der Bekleidungsbranche zahlreich zu finden sind. In der Lebensmittelbranche sind die sog. „Tante-EmmaLäden“ nur noch vereinzelt im Markt existent. Der Aufbau eigener Handelsmarken lohnt sich für kleine Facheinzelhändler nicht, für sie empfiehlt sich daher eine Konzentration auf Markenartikel. 1415 Eine Möglichkeit, dennoch von Handelsmarken zu
1412
In LEH_23_HA, Abs. 90.
1413
In LEH_23_HA, Abs. 92.
1414
In LEH_17_HA, Abs. 98.
1415
DIY_10_HA, Abs. 20-22; DIY_11_HE, Abs. 14; DIY_13_VG, Abs. 104.
362
Kap. E
profitieren, besteht in der Organisation des Handelsmarkengeschäfts in Verbundgruppen oder Einkaufsverbünden. Dies erfordert jedoch z. B. in der Bekleidungsindustrie ein stärkeres Vertrauen in Verbundgruppen sowie eine erhöhte Kooperationsbereitschaft seitens der Industrie.1416 Mit ihrer geringen Anzahl an Geschäftsstätten und des gleichzeitig geringen Sortimentsumfangs, sind kleine Facheinzelhändler darauf angewiesen, sich durch individuelle Präsentations- und Dienstleistungskonzepte am Markt zu behaupten. Sie müssen, insbesondere, wenn sie nicht in Verbundgruppen oder anderen Einkaufskooperationen organisiert sind, auf das akquisitorische Potenzial ausgewählter Markenartikel konzentrieren und können daher als „Marken-Individualisten“ bezeichnet werden. (3) Handelsmarken-Generalisten Für Handelsunternehmen, die über eine Vielzahl von Supermärkten, Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern verfügen und dort in der Regel eine große bis sehr große Anzahl von Artikeln im Sortiment führen, stellt die Differenzierung der Betriebstypen durch Niedrigpreise in den drei untersuchten Branchen keine durchsetzungsfähige Alternative dar. Dazu ist ihr Geschäftsmodell bzw. die Organisation ihrer Wertschöpfungsprozesse gegenüber den Discountern im Nachteil. Für diese Handelsunternehmen ist es sinnvoll, neben einem breiten und tiefen Markenartikelsortiment, auch Handelsmarken verschiedener Generationen einzusetzen. Eine hohe Komplexität in den Sortimenten ist allerdings mit dem Risiko verbunden, dass die Konsumenten die klassischen Lebensmitteleinzelhändler nicht als Vollsortimenter, sondern als „Zu-voll-Sortimenter“1417 wahrnehmen und mit der Sortimentsbreite und -tiefe überfordert sind. Aufgrund dessen kann die Verwendung der Betriebstypenmarke als prominenter Produktabsender für die Handelsmarken eine sinnvolle Orientierungshilfe beim Einkauf darstellen. Je individueller und glaubwürdiger die Handelsmarkengestaltung mit dem gewollten Erscheinungsbild und dem Corporate Design der Betriebstypenmarke verbunden wird, desto besser wird diese vom Konsumenten wahrgenommen.1418 Dieser Fit zwischen Handelsmarke und Betriebstypenmarke ist aus Sicht der Wissenschaft im Hinblick auf die Forderung nach Konsistenz und Kontinuität in der Mar-
1416
In der Schuhbranche oder der Sportartikelbranche arbeiten 95 % der Markenhersteller mit Verbundgruppen zusammen, im Bekleidungshandel liegt diese Quote zur Zeit bei 50 % (in TEX_12_VG, Abs. 78).
1417
In LEH_16_HE, Abs. 70.
1418
LEH_01_HE, Abs. 32.
Implikationen für das Management von Handelsmarken
363
kenführung erforderlich.1419 Für die Preiseinstiegsprodukte werden in der Praxis allerdings regelmäßig Phantasienamen wie ja! oder TiP verwendet bzw. nur eine indirekte Beziehung zur Betriebstypenmarke hergestellt (Globe bei Globus), um das Preis- und Qualitätsniveau dieser Handelsmarken der ersten Generation nicht auf das Betriebstypenmarkenimage zu übertragen. Handelsunternehmen können zudem durch ein verstärktes Handelsmarkengeschäft nicht nur eine direkte Ertragssteigerung erreichen, sondern dadurch auch ihre Verhandlungsposition ggü. den Markenartikelherstellern verbessern.1420 Von einem Verzicht auf Markenartikel ist dem LEH hingegen dringend abzuraten, da Handelsunternehmen naturgemäß nicht die gesamte Werbekraft einer klassischen Markenartikelindustrie ersetzen können, sondern diese Pull-Effekte für sich nutzen sollten.1421 In der Praxis hat sich als Ordnungsrahmen der Handelsmarkenarchitektur für große Vollsortimenter mit vielen Geschäftsstätten eine dreistufige Preispunktstrategie unter Einsatz der Handelsmarken der ersten, dritten und vierten Generation durchgesetzt. Diese Strategie verfolgen in Deutschland u. a. Real, Edeka und Globus. Aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Handelsmarken unterschiedlicher Generationen sind diese Unternehmen als „Handelsmarken-Generalisten“ zu bezeichnen. (4) Handelsmarken-Ergänzer Eine weitere Gruppe von Unternehmen zeichnet sich durch eine geringe Anzahl von Geschäftsstätten bei großer Artikelanzahl im Sortiment aus. Der Handelsmarkenanteil ist zumeist gering, da sich der Aufbau einer komplexer Handelsmarkenarchitektur aufgrund fehlender Kostendegressionsmöglichkeiten i. d. R. nicht lohnt. Typische Betriebstypen, auf die diese Eigenschaften zutrifft, sind im LEH die Mitglieder der BBB&R-Gruppe, die im Markant-Einkaufsverbund organisiert sind, wie bspw. BartelsLangness, Bünting, Ratio, Kaes oder Wasgau. Kleinere Handelsunternehmen dieser Art können sich z. B. unter Hinzunahme einer Preiseinstiegslösung auf Markenartikel konzentrieren und dies bewusst zur Profilierung nutzen. Insbesondere bei großflächigen Handelsformaten, wie SBWarenhäusern, kann den Konsumenten auch ohne Handelsmarken eine große Vielfalt angeboten werden. Eine Möglichkeit besteht wie bei den Markenindividualisten auf Handelsmarken der Einkaufskooperationen zurückzugreifen. Für regionale Handelsunternehmen bietet es sich an, z. B. regionale Handelsmarken als Profilierungsinstrument ggü. großen Handelsunternehmen einzusetzen und das Markenartikelsor1419
Vgl. Morschett (2006), S. 540-541; Wiswede (1992), S. 75-76. In Bezug auf den Fit zwischen den Eigenschaften zur Erreichung einer starken Markenidentität vgl. auch Meffert/Burmann (2001), S. 66.
1420
Vgl. Steiner (2004), S. 113.
1421
In LEH_22_HA, Abs. 24.
364
Kap. E
timent auch an dieser Stelle sinnvoll um einzelne Handelsmarken zu erweitern. Die Unternehmen, die eine solche Handelsmarkenstrategie verfolgen, können unter dem Begriff „Handelsmarken-Ergänzer“ zusammengefasst werden. In Abb. E-3 ist die vorstehend entwickelte handelsmarkenbezogene Typologie von Handelsunternehmen anhand der Dimensionen „Anzahl der Geschäftsstätten“ und „Anzahl der Artikel im Sortiment“ zweidimensional dargestellt.
Anzahl der Geschäftsstätten viele
wenige
HandelsmarkenDiscounter
HandelsmarkenGeneralisten
MarkenIndividualisten
HandelsmarkenErgänzer
wenige
viele
Anzahl der Artikel im Sortiment
Abb. E-3: Handelsmarkenbezogene Typologie von Handelsunternehmen Quelle:
Eigene Darstellung.
Die vorliegende Typologie ist zwar nicht zur überschneidungsfreien Klassifikation in der Praxis vorkommender Realtypen geeignet, kann den Handelsunternehmen aber als Unterstützung bei der Wahl ihrer Handelsmarkenarchitektur dienen.
Solution Selling in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken
3.
Solution Selling in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken
3.1
Hersteller als Solution Seller
365
Anknüpfend an die bisherigen Überlegungen, sind zunächst die in den Interviews geäußerten Solution Selling-Ansätze der Hersteller darzustellen. Im Mittelpunkt des Solution Selling-Konzeptes stehen die Identifikation möglicher komplexer Kundenprobleme und deren Lösung durch das Anbieten kundenindividueller integrierter Leistungspakete,1422 d. h., dass der Kunde intensiv in die Problemlösung mit einbezogen wird. Die Anforderungen der Handelsunternehmen an die Produkte, die sie unter ihren Handelsmarken verkaufen, sind mit zunehmendem Handelsmarkenanteil und der damit einhergehenden Professionalisierung des Handelsmarkenmanagements deutlich gestiegen. Zur Professionalisierung ihrer Handelsmarkenführung sind die Händler bereit, einen Teil der Aufgaben an die Hersteller abzugeben, um von deren Produkt-Know-how zu profitieren. Ein Hersteller kann ggf. auch gewisse Markenführungsaufgaben übertragen bekommen, wenn die Abstimmung und die Durchsetzungsmöglichkeiten festgelegt sind.1423 Wenn das Handelsunternehmen in der Lage ist, dem Hersteller die Markeneigenschaften ausreichend gut zu briefen und keine eigenen langfristigen Ressourcen aufbauen möchte, kann ein Hersteller bestimmte Aufgaben übernehmen.1424 Ein befragter Textilhersteller führt sowohl bei seinen Markenartikeln als auch bei seinen Handelsmarken CPFR-Partnerschaften mit Handelsunternehmen durch und bewirtschaftet bestimmte Flächen am PoS dieser Handelsunternehmen selbst im Sinne von Regalpflege und Nachbestellungen innerhalb vorher festgelegter Rahmenbedingungen. Er verfügt zudem über ein Tochterunternehmen in Asien und kann mit Spezialisten vor Ort, zusätzlich zu europäischen Schnitten, asiatische Schnitte anfertigen und mit entsprechender Logistik weltweit ausliefern. Für große Handelsunternehmen hat dies den Vorteil, dass Internationalisierungsbestrebungen mit diesem Hersteller als strategischem Partner leichter umgesetzt werden können.1425 In der DIY-Branche bietet ein Hersteller den Handelsunternehmen „Rund-um-sorglos-Lösungen“1426 im Bereich der Handelsmarken an, die neben Produkt- und Verpackungsentwicklung auch Design, den Markennamen bis hin zur Schutzreife beim Patentamt sowie eigens erstellte Werbebroschüren umfassen. In der Lebensmittelbranche reichen die Aufgaben, mit denen sich Hersteller an der 1422
Vgl. zum Konzept des Solution Selling Kap. B.3.
1423
In TEX_03_HA, Abs. 52.
1424
In TEX_05_HA, Abs. 76.
1425
In TEX_08_HE, Abs. 100.
1426
In DIY_01_HE, Abs. 64.
366
Kap. E
Handelsmarkenführung beteiligen, nach Aussagen der Interviewpartner von Markennamen- und Produktentwicklung, über Verpackungsdesign und -gestaltung bis hin zur Weiterentwicklung und Führung der jeweiligen Warenkategorie. 1427 Diese Beispiele zeigen in allen drei Branchen die Entwicklung von einer reinen Lieferantenbeziehung zur Co-Produktion bzw. einer strategischen Partnerschaft zwischen Hersteller und Handel. Ein Handelsmarkenhersteller kann zwar nicht kategorieübergreifende Handelsmarken betreuen, da er in der Regel nur in den Produktbereichen, die er anbietet über ein entsprechendes Know-how verfügt. Er ist allerdings in der Lage, für unterschiedliche Handelsunternehmen jeweils maßgeschneiderte Handelsmarken innerhalb seiner Produktbereiche anzubieten. In ständiger Interaktion mit den Handelsunternehmen kann er zudem die jeweiligen Handelsmarken weiter entwickeln und Änderungen z. B. in der Rezeptur vornehmen. Je stärker er dabei auf die Wünsche und Probleme der Handelsunternehmen eingeht und je intensiver die Zusammenarbeit im Rahmen des Handelsmarkenmanagements ist, desto mehr erfüllt der Hersteller die Funktion eines Solution Sellers. In Abb. E-4 ist die Transaktionsbeziehung von einem solutionorientierten Hersteller zu den einzelnen Handelsunternehmen dargestellt, die er mit individuell auf deren Handelsmarkenstrategie abgestimmten Handelsmarken beliefert.
Hersteller als Solution Seller
Entwicklung + Design + Verpackung + …
Handelsmarke A
Handelsunternehmen A
Handelsmarke B
Handelsunternehmen B
Handelsmarke C
Handelsunternehmen C
Interaktion
Abb. E-4: Handelsmarkenhersteller als Solution Seller Quelle:
1427
Eigene Darstellung.
In LEH_05_HE, Abs. 58; LEH_09_HE, Abs. 52.
Solution Selling in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken
367
Anknüpfend an den theoretischen Bezugsrahmen der Arbeit, stellt sich die Frage, welchen Einfluss eine umfangreichere Unterstützung des Handelsmarkenmanagements durch den Hersteller auf mögliche Agenturprobleme zwischen Herstellern und Handelsunternehmen hat. Gegenseitige Abhängigkeit und die engere Zusammenarbeit in Form einer strategischen Partnerschaft vermindern die Gefahren unerwünschten Verhaltens beider Seiten. Kleine Hersteller, die nur ein Handelsunternehmen beliefern, sind besonders abhängig von dem Fortbestand der Geschäftsbeziehung. Sie sollten daher ein besonderes Interesse daran haben, sich als strategische Lieferanten des Handelsunternehmens zu positionieren und folglich eine integrierte Kundenlösung im Sinne des Solution Selling zu erarbeiten. Die Mehrzahl der Hersteller ist bisher nach Ansicht eines Interviewpartners allerdings mit den hohen Anforderungen an derartige Komplettangebote überfordert, da entsprechende Strukturen innerhalb dieser Unternehmen nicht vorhanden sind.1428 3.2
Dienstleister als Solution Seller
Komplexe Handelsmarkenkonzepte und -architekturen erfordern zunehmend nicht nur die Unterstützung der Hersteller, sondern ebenfalls die externer Dienstleistungsunternehmen. Diese werden in der Praxis in vielen Bereichen von den Handelsunternehmen für Beratung und kreative Aufgaben hinzugezogen. In der Bekleidungsbranche reichen die Aufgaben von Marktforschung durch Trend-Scouts, über Design der Ware bis hin zur Übernahme von Markenführungsfunktionen einzelner Handelsmarken. Dienstleistern im jeweiligen Beschaffungsland, meist in Asien oder Osteuropa, werden zudem in unterschiedlichem Umfang Einkaufsfunktionen übertragen. In der Lebensmittelbranche werden externe Dienstleister im Rahmen des Handelsmarkenmanagements gleichermaßen von Herstellern und Handelsunternehmen für Hilfsfunktionen wie die Erstellung von Designs, Werbematerialien und Beratungsleistungen in Anspruch genommen. Einige Agenturen und Handelsmarkenberatungen bieten darüber hinaus umfangreiche Unterstützung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements an.1429 Textile Verbundgruppen sowie Zentralen der Einkaufskooperationen in der DIYBranche und der Lebensmittelbranche können in gewisser Weise für ihre Mitglieder als Handelsmarkendienstleister bezeichnet werden. Sie sollten dafür neben Einkaufsfunktionen sowie Lager- und Lieferlogistik, auch eine zentrale Buchhaltung, ein einheitliches Warenwirtschafts- und Kassensystem sowie gemeinsame Kommunikationsmaßnahmen und Kundenkartenprogramme anbieten. Insbesondere sollten sie einen Pool gemeinsam genutzter Handelsmarken entwickeln, die ihren Mitgliedern einerseits Exklusivität am jeweiligen Standort sicherstellen und andererseits durch
1428
In TEX_04_UE, Abs. 104.
1429
Z. B. hat sich die Dölle Gruppe auf Beratung von Handelsunternehmen spezialisiert (vgl. die Unternehmenhomepage www.doelle.com).
368
Kap. E
größere Einkaufsvolumina günstige Preise und entsprechend hohe Margen ermöglichen.1430 Ein Outsourcing handelsmarkenstrategischer Entscheidungen an externe Dienstleister ist für die Handelsunternehmen der DIY-Branche grundsätzlich nicht vorstellbar. Werbe- und andere Fachagenturen übernehmen hingegen zahlreiche Aufgaben, um das Handelsmarkenmanagement der Handelsunternehmen zu unterstützen. Ein Experte berichtet zudem von einem konzerninternen Dienstleister eines Handelsunternehmens, der die Markenführung aller Handelsmarken steuert. Dies reicht von der gemeinsamen Entwicklung neuer Handelsmarken zusammen mit nationalen wie internationalen Lieferanten, über das Beschaffungsmanagement der Handelsmarken, Verpackungsgestaltung, Markenrechtsmanagement, bis hin zu Qualitätssicherung und weiteren Hilfsfunktionen.1431 Die Übernahme des Handelsmarkenmanagements durch einen externen Dienstleister machen die Interviewpartner von dem Know-how-Vorsprung und der Bündelung unterschiedlicher Funktionen sowie von der intensiven Kommunikation und Interaktion dieses Dienstleisters mit dem Handelsunternehmen abhängig. Ein solcher Dienstleister sollte ein Gesamtkonzept von der internationalen Beschaffung der Ware über Entwicklung und Positionierung der Handelsmarke bis zur Umsetzung des Konzeptes in die jeweiligen Produktbereiche anbieten und damit die strategisch wichtige Funktion des Bindeglieds zwischen den Lieferanten und dem Handelsunternehmen übernehmen.1432 Herausforderungen bestehen in der Gewährleistung der Kontinuität der Markenführung und den geringen Verdienstmöglichkeiten für die Dienstleister in Deutschland aufgrund niedriger Margen. Zudem begibt sich das Handelsunternehmen in eine gewisse Abhängigkeit des Dienstleisters. Der Rückgriff auf externe Spezialisten ermöglicht den Handelsunternehmen eine hohe Flexibilität in Bezug auf den Umfang und die Art der jeweilig benötigten Unterstützung im Handelsmarkenmanagement. Abb. E-5 zeigt die Transaktionsbeziehung von einem Handelsmarkendienstleister zu den einzelnen Hersteller und dem Handelsunternehmen als Lösungsnachfrager, für das dieser Dienstleister, eine individuell und interaktiv entwickelte Handelsmarkenarchitektur mit den entsprechenden Handelsmarken der jeweiligen Handelsmarkengenerationen anbietet. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten empfiehlt es sich für einen solchen Dienstleister sich international aufzustellen und in jedem Ländermarkt nur ein Handelsunternehmen zu beraten und zu betreuen sowie eine internationale Beschaffungspolitik 1430
In der DIY-Branche bietet z. B. die Einkaufskooperation Eurobaustoff, in der Bekleidungsbranche die KATAG und in der Lebensmittelbranche die Markant-Gruppe ihren Mitgliedern in bestimmten Bereichen Handelsmarken an.
1431
In DIY_12_UE, Abs. 50, 61.
1432
In LEH_16_HE, Abs. 86; TEX_05_HA, Abs. 96.
369
Solution Selling in vertikalen Wertschöpfungsnetzwerken
zur Bündelung der Kundenaufträge und Ermöglichung günstiger Einkaufskonditionen zu verfolgen.
Hersteller A
Hersteller B
Dienstleister als Solution Seller
Hersteller C
Entwicklung + Design + Verpackung + Sourcing + Category Management + …
Handelsmarkenarchitektur
Handelsunternehmen A
Interaktion
Lieferbeziehungen
Abb. E-5: Dienstleister als Solution Seller Quelle:
Eigene Darstellung.
Sinnvoll ist der Einsatz eines solchen Handelsmarkendienstleisters in der Regel für mittelgroße Handelsunternehmen, die bisher wenig Erfahrung in diesem Bereich haben oder langfristige Ressourcenbindungen durch den Aufbau eigener Fachabteilungen für das Handelsmarkengeschäft vermeiden wollen. Im Lebensmittelhandel existieren solche Dienstleister bereits. Ein Beispiel stellt die internationale Handelsmarkenagentur Daymon Worldwide dar, die bereits 1970 gegründet wurde und inzwischen in 24 Ländern mit mehr als 15.000 Beratern in über 200 Niederlassungen Handelsunternehmen berät und dabei auf knapp 5.000 Lieferanten weltweit zurückgreifen kann.1433
1433
Vgl. LEH_19_UE, Abs. 10, 26 sowie die Unternehmenshomepage (www.daymon.com). Das Geschäftsmodell sieht vor, dass Handelsunternehmen für die Beratungsleistung im laufenden Geschäft nichts zahlen, sondern Daymon mit den Lieferanten jeweils eine produktbezogene Provision aushandelt, die sich letztlich im Abgabepreis dieses Lieferanten an das entsprechende Handelsunternehmen niederschlägt.
F.
Schlussbetrachtung „Der Handel hat […] viel wirksamere Waffen als die Preispolitik, um sich gegen seine Konkurrenten zu behaupten.“1434
1.
Zusammenfassung der Ergebnisse
In der Marketing-Literatur wird dem Thema Handelsmarken seit den 1990er Jahren ein verstärktes Forschungsinteresse beigemessen. 1435 Ansetzend an den zumeist sehr unterschiedlichen Markenansätzen im wissenschaftlichen Schrifttum wird in der vorliegenden Arbeit zunächst eine zeitgemäße Definition des Handelsmarkenbegriffs entwickelt: Handelsmarken sind in der Psyche der Konsumenten verankerte Warenoder Betriebstypenzeichen, mit denen eine Handelsunternehmung Waren markiert oder markieren lässt, wodurch sie als Eigner oder Dispositionsträger der Marke auftritt und die so gekennzeichneten Waren exklusiv und im Allgemeinen nur in den eigenen Verkaufsstätten vertreibt. Die Ergebnisse der Branchenuntersuchungen legen nahe, dass sich Handelsmarken auf Basis dieser Definition als in der Praxis erstrebenswert erweisen und dabei von Markenattrappen unterschieden werden können. Handelsmarken haben sich zudem in der Wahrnehmung der Konsumenten verändert. Eine Beschränkung auf die rechtliche Markeneignerschaft der Handelsunternehmen, wie sie in vielen bisherigen Definitionsansätzen enthalten ist, erweist sich in der Praxis als nicht trennscharf. Der Grundlagenteil der vorliegenden Arbeit beinhaltet weiterhin eine ausführliche Darstellung der vier Handelsmarkengenerationen (Gattungsmarken, klassische Handelsmarken, Dachmarken und Markenfamilien sowie Gestalt- und Pioniermarken). Diese Kategorien erweisen sich für den Fortgang der Arbeit als zweckmäßig und können in der empirischen Auswertung als Realtypen nachgewiesen werden. Die Entwicklung der Handelsmarken von der ersten bis zur vierten Generation ist jedoch nicht als vordeterminierte Reihenfolge erstrebenswerter Zustände des Handelsmarkenmanagements anzusehen, in der die vierte Generation für alle Branchen sowie für alle Betriebstypen das endgültige Ziel darstellt. Vielmehr erfüllen sie unterschied-
1434
Mellerowicz (1963), S. 244.
1435
Vgl. Kap. C.1.
372
Kap. F
liche Zwecke und verfügen über eine eigene Existenzberechtigung. Die empfundene Qualitätsspanne zwischen Marke und Handelsmarke ist in den letzten Jahren stark gesunken und insbesondere bei Handelsmarken der dritten und vierten Generation verschwimmen aus Sicht der Konsumenten die Grenzen zu Markenartikeln. Zudem bauen die Konsumenten noch bestehende Berührungsängste gegenüber der Handelsmarke ab.1436 Lediglich die Handelsmarken der zweiten Generation werden nach Aussage der Experten stark an Bedeutung verlieren. In der Dekonstruktion dieser Arbeit erfolgt, neben dem Forschungsstatus und der wissenschaftstheoretischen Einordnung, die Darstellung der zur Erklärung der Interaktionsbeziehungen zwischen Herstellern und Handelsunternehmen geeigneten Theorien sowie eine umfassende Konzeption des HandelsmarkenmanagementProzesses als Bezugsrahmen der Arbeit. Beides erweist sich für den Erkenntnisfortschritt im Forschungsprozess als zweckmäßig und trägt wesentlich zum Verständnis der in der Rekonstruktion dargestellten Ergebnisse der empirischen Untersuchung bei. Die Einbettung der Arbeit in die qualitative Sozialforschung sowie die Verwendung der dieser zugeordneten Methodologien und Methoden eignen sich zur Beantwortung der zentralen Forschungsfragen. Diese werden nachfolgend wiedergegeben und zusammenfassend beantwortet. Welche Unterschiede hinsichtlich des Handelsmarkenverständnisses bestehen in der Unternehmenspraxis und welche Auswirkungen haben diese auf die Hersteller-Handels-Beziehung im Rahmen des Handelsmarkenmanagements? Das unterschiedliche Handelsmarkenverständnis in den Branchen äußert sich nicht nur in den verschiedenen Definitionsansätzen der Interviewpartner, sondern auch in den gewachsenen strukturellen Gegebenheiten sowie in der Professionalität der Markenführung innerhalb der betrachteten Branchen. In der Bekleidungsbranche ist eine starke Vertikalisierung sowohl der Handels- als auch der Herstellerunternehmen zu beobachten, die sich nach Ansicht der Experten weiter fortsetzen wird.1437 Dies führt dazu, dass die Grenzen zwischen Markenartikeln und Handelsmarken zunehmend verschwimmen und an Bedeutung verlieren, ganz im Gegensatz zur Do-it-yourself-Branche, in der die Handelsmarke bislang überwiegend im Preiseinstiegsbereich eingesetzt wird und professionelle Anwender den Kauf von Markenartikeln bevorzugen.
1436
In LEH_04_UE, Abs. 18; LEH_09_HE, Abs. 86; LEH_16_HE, Abs. 66; LEH_18_HA, Abs. 98.
1437
In TEX_06_UE, Abs. 42; TEX_07_HE, Abs. 102; TEX_14_HA, Abs. 47.
Zusammenfassung der Ergebnisse
373
Im Hinblick auf die wachsende Marktbedeutung von Handelsmarken kann langfristig von einer neuen Form des Wettbewerbs, und zwar dem Wettbewerb der Handelsmarken untereinander, ausgegangen werden. Wie kann die Interaktion von Herstellern und Handelsunternehmen im Hinblick auf das Handelsmarkenmanagement verbessert werden? Schwerpunktmäßig sehen die Experten Optimierungsbedarf in einer besseren Vernetzung auf technischer Ebene und einem besseren Datenaustausch in Bezug auf die Wertschöpfungskette; dies setzt wiederum einheitliche Schnittstellen auf Hersteller- und Handelsseite voraus. Zusätzlich fordern sie insbesondere in der Lebensmittelbranche einen intensiveren Austausch von Scanner- bzw. Marktforschungsdaten und eine sachorientiertere Kooperation an Stelle der bisher vorherschenden Auseinandersetzung über Preise, Konditionen und Funktionen. In welchen Aufgabenfeldern können Handelsunternehmen zukünftig von Handelsmarkenlieferanten und externen Dienstleistern durch eine stärkere Lösungsorientierung im Bereich des Handelsmarkenmanagements unterstützt werden? Für Hersteller und Dienstleister aller Branchen steht eine Vielzahl von Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen des Handelsmarkenmanagements zur Verfügung. Das Kontinuum reicht von der Unterstützung der Produktentwicklung durch einen Hersteller bis zur Übernahme des gesamten Handelsmarkenmanagements durch einen Dienstleister. Einige der identifizierten Ansätze können als Solution Selling im eingangs beschriebenen Sinne bezeichnet werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die vorliegende Arbeit sowohl in wissenschaftlicher als auch in praktischer Hinsicht einen wichtigen Beitrag zum Status quo der Handelsmarke und des Handelsmarkenmanagements sowie deren Perspektiven leistet.
374
2.
Kap. F
Ausblick
Die befragten Experten sind sich einig, dass Handelsmarken auch zukünftig weiter Marktanteile gewinnen werden.1438 Den Konsumenten steht vor dem Hintergrund der derzeitigen makroökonomischen Rahmenbedingungen insgesamt weniger Kaufkraft zur Verfügung. Lebensmittel und Bekleidung gehören neben größeren Anschaffungen, wie Automobilen, zu Bereichen, in denen als erstes gespart wird. Ferner wird die weitere Handelsmarkenentwicklung durch das kurzfristige Gewinnstreben und die shareholderorientierte Ausrichtung auf Quartalsergebnisse der großen Markenhersteller begünstigt, da vielfach nach Bedarf die Kommunikationsbudgets reduziert und die Verpackungsqualität sowie schlimmstenfalls die Produktqualität verringert werden. Andererseits erwarten die Experten eine weitere Konsolidierung schwacher Markenartikel. Die sog. Zweit-Marken haben auf absehbare Zeit schlechte Zukunftsperspektiven und werden durch Handelsmarken im Sortiment ersetzt.1439 Auf Konsumentenseite führt eine Angleichung der Handelsmarken an die Markenartikel zu einer Reduktion des wahrgenommenen Qualitätsabstandes zwischen diesen und ermöglicht ebenfalls zukünftiges Handelsmarkenwachstum.1440 Dennoch dienen die Markenartikel dem Konsumenten zum einen über alle Handelsmarkengenerationen hinweg als Referenzpunkt für Preis und Qualität. Zum anderen werden die Handelsunternehmen auf die Innovationskraft der Markenartikelindustrie nicht verzichten wollen. Es konnte gezeigt werden, dass neben dem Preis weitere Möglichkeiten existieren, Marktanteile zu gewinnen. Durch intensive Kooperationen mit Markenartikel- und Handelsmarkenherstellern können beide Seiten gemeinsam einen höheren Wertschöpfungsertrag erwirtschaften, indem sie Sortimente und Vermarktungskonzepte besser abstimmen. Insbesondere der Trend zu technologisch komplexen, hochpreisigen und qualitativ hochwertigen Handelsmarken sowie damit einhergehende steigende Kundenerwartungen verlangen von den Händlern und Herstellern einen gegenseitigen Informationsaustausch. Nur auf diese Weise ist es möglich, gemeinsam eine effektive und effiziente Supply-Chain zu organisieren.1441 Ein kundenorientiertes Wertschöpfungsmanagement, z. B. in Form von Category Management-Projekten, setzt zudem die Entwicklung und Umsetzung einer vertikal und horizontal integrierten Angebotskonzeption im Rahmen eines Solution Selling-Ansatzes voraus. Festzuhalten ist, dass die geführten Interviews verdeutlichen, dass das lange praktizierte Neben- oder teils Gegeneinander von Handels- und Herstellerunternehmen
1438
In LEH_04_UE, Abs. 18; LEH_09_HE, Abs. 86; LEH_16_HE, Abs. 66; LEH_18_HA, Abs. 98.
1439
In LEH_18_HA, Abs. 100; LEH_19_UE, Abs. 114.
1440
In LEH_15_HE, Abs. 92.
1441
Vgl. Burt (2000), S. 881.
Ausblick
375
nicht nur ineffizient, sondern mit Blick auf den Konsumenten kontraproduktiv ist. Die Geschäftsstätten können von einem parallelen Auftreten von Markenartikeln und Handelsmarken profitieren. Dabei sind Handelsmarken für den Verbraucher umso attraktiver, und weisen damit letztlich auch für Händler und Hersteller entsprechend höhere Ertragsaussichten auf, je besser der Prozess der Sortimentsgestaltung und damit auch speziell die Kreation sowie die Umsetzung von Handelsmarken das spezifische Know-how der Unternehmen beider Marktstufen zusammenführt. Die bisherige Fixierung auf Preis- und Konditionenpolitik überdeckt vielfach die hierzu erforderliche Kooperation zwischen Herstellern und Handelsunternehmen. Bildlich gesprochen spielen Handel und Hersteller bisher jeweils auf ihrer eigenen Klaviatur. Erstrebenswert wäre ein vierhändiges Klavierspiel, das jedoch nur möglich ist, wenn die Partituren aufeinander abgestimmt werden und für den Zuhörer, sprich für den Konsumenten, die Klänge nicht Dissonanzen, sondern eine Harmonie ergeben. Handelsmarken sind und bleiben ein wichtiger Akkord auf den Klaviaturen beider Marktstufen. Mit der Einführung von Gestalt- und Pioniermarken kommen im Rahmen der Handelsmarkenarchitektur weitere Melodieelemente hinzu. Es bleibt abzuwarten, inwieweit es den Handelsunternehmen gelingt, in Kooperation mit den Herstellern entsprechende Konzepte ernsthaft anzustreben, konsequent umzusetzen und mit ihnen langfristig erfolgreich zu sein.
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Anhang Verzeichnis des Anhangs Anhang Nr. 1
: Interviewleitfaden (Beispiel) ..................................................... 444
Anhang Nr. 2
: Einverständniserklärung (Muster) ............................................ 447
Anhang Nr. 3
: Interviewmemo (Muster) .......................................................... 448
Anhang Nr. 4
: Übersicht der Interviews .......................................................... 449
Anhang Nr. 5
: Übersicht der Kodierungen in MAXqda ................................... 451
Anhang Nr. 6
: Verzeichnis der Sekundärquellen ............................................ 454
444
Anhang
Anhang Nr. 1 :
Interviewleitfaden (Beispiel)
Westfälische Wilhelms-Universität Münster Marketing Centrum Münster
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Distribution und Handel Prof. Dr. Dieter Ahlert
Interview-Leitfaden zur Dissertation „Handelsmarkenmanagement“ Interview-Nr.: ___________
Gesprächspartner: _________________________
Einleitung Bevor wir mit dem Interview beginnen, möchte ich Ihnen noch einmal kurz erläutern, worum es in meinem Anliegen geht: Im Rahmen meiner Dissertation erforsche ich zusammen mit meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dieter Ahlert, wie Hersteller und Handel im Bereich des Handelsmarkenmanagements interagieren. Insbesondere untersuche den Status quo der Handelsmarke sowie den Prozess der Handelsmarkenmanagements. Hierzu befrage ich Experten aus Industrie und Handel sowie unabhängige Fachleute. Das Interview werde ich mit Ihrem Einverständnis gerne aus zwei Gründen aufnehmen. Zum Einen, damit ich Ihnen ganzzeitig zuhören und mich so besser auf unser Gespräch konzentrieren kann und zum Anderen kann ich dann Ihre Aussagen auch so festhalten, wie Sie sie tatsächlich gesagt haben. Die Interviews werden wortgetreu transkribiert und im Anschluss daran ausgewertet. Die Interviews werden nur von mir gehört und alle Aufnahmen werden nach der Transkription gelöscht. Die Ergebnisse werden anonymisiert, so dass eine Verbindung mit Ihrer Person nicht möglich ist. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen gerne das fertige Transskript zur Verfügung stellen, so dass Sie sich es durchlesen können. Ansonsten handelt es sich um ein offenes Interview, indem es um Ihre persönliche Meinung, Ihre Erfahrung und Einstellung zu einigen Aspekten geht. Bitte erzählen Sie mir grundsätzlich alles, was für Sie relevant und wichtig ist. Ich werde Sie bei Ihren Ausführungen möglichst nicht unterbrechen und nur bei Bedarf Rückfragen zu meinem besseren Verständnis stellen. Haben Sie noch Fragen, bevor wir beginnen? I. Einstiegsfragen 1. Würden Sie mir bitte kurz Ihre derzeitige Position und Ihre wichtigsten beruflichen Stationen beschreiben?
Wie lange arbeiten Sie schon im Unternehmen, wie lange arbeiten Sie bereits in der derzeitigen Position? In welchen Unternehmen waren Sie vorher beschäftigt?
2. In wieweit haben Sie innerhalb Ihres Aufgabenbereiches mit Handelsmarken zu tun?
Inwieweit haben Sie im Rahmen Ihrer Forschung mit Handelsmarken zu tun?
3. Im welchen Bereich gibt es in der [Textil-/LEH-/DIY-Branche] verstärkt Handelsmarken?
Welchen Stellenwert haben Handelsmarken bzw. unmarkierte Ware in der [Textil-/LEH-/DIY-Branche]? Seite 1 von 3
445
Anhang
4. Worin bestehen Ihrer Meinung nach ganz allgemein die Hauptgründe für das seit langem anhaltende Wachstum von Handelsmarken?
Evtl. nachhaken: unternehmensinterne Gründe / unternehmensexterne Gründe?
Ist die Entwicklung in der [Textil-/LEH-/DIY-Branche] ähnlich zu beobachten?
II. Beziehung zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen Im folgenden Frageblock möchte ich mit Ihnen über die Beziehung von Ihrem Unternehmen zu den Handels- (bzw. Herstellerunternehmen) sprechen. 1. Wie würden Sie die Beziehung Ihres Unternehmens zu den Herstellerunternehmen bzw. Handelsunternehmen beschreiben?
Wie intensiv ist der Kontakt? Wie häufig finden Gespräche statt?
Welche Konflikte gibt es? Herrscht in Gesprächen eher eine kooperative oder eine kompetitive Atmosphäre?
Bestehen eher langfristige oder kurzfristige Geschäftsbeziehungen? Wie lang sind sie?
Welche Verbesserungenmöglichkeiten sehen Sie in der Beziehung zw. Herstellern und Händlern?
2. Beschreiben Sie bitte, wie Ihrer Meinung nach die Machtverhältnisse zwischen Herstellerund Handelsunternehmen in der [Textil-/LEH-/DIY-Branche] beschaffen sind.
Gibt es ein Ungleichgewicht? Falls ja, inwiefern äußert sich dieses Ungleichgewicht?
Wer bestimmt maßgeblich Preis, Sortiment, Platzierung und Aktionszeiträume?
Welche Besonderheiten gibt es in Bezug auf Handelsmarken?
3. Beschreiben Sie bitte möglichst genau den Informationsaustausch zwischen Ihrem Unternehmen und den [Hersteller- / Handelsunternehmen].
Welche Informationen werden weitergegeben? In welchen Zeitabständen?
Gibt es Informationen, die Hersteller den Händlern vorenthalten und umgekehrt?
III. Aufgaben im Rahmen des Handelsmarkenmanagements Kommen wir nach diesen Fragen nun speziell zum Handelsmarkenmanagement: 1. Definieren Sie bitte mit eigenen Worten kurz den Begriff „Marke“. – Und wie würden sie den Begriff „Handelsmarke“ definieren?
Was sind die aus Ihrer Sicht entscheidenden Merkmale und Unterscheidungskriterien?
2. Welche Aufgaben zählen Ihrer Meinung nach zum Handelsmarkenmanagement?
Nennen Sie bitte nach Möglichkeit alle Bereiche, die Ihnen einfallen
Evtl. einzelne Bereiche abfragen: Forschung & Entwicklung, Produktion, Supply Chain, Verpackung und Design, Preisgestaltung, Namensgebung, Sortimentsgestaltung, Markenführung, PoS-Auftritt, Markenrechte, Lagerlogistik, Transportlogistik
Welche Aufgaben übernimmt der Hersteller, welche der Händler? Welche werden gemeinsam erledigt? Welche Aufgaben würden Sie gerne abgeben oder übernehmen?
Seite 2 von 3
446
Anhang
3. Was heißt für Sie „Markenführung“ in Bezug auf Handelsmarken
Wo ist das Handelsmarkenmanagement bei Ihnen organisatorisch aufgehängt?
Inwiefern unterscheidet sich in der [Textil-/LEH-/DIY-Branche] die Markenführung zwischen Hersteller- und Handelsmarken?
Inwieweit ist dies abhängig von Warengruppen und Sortimenten?
Wer hat in der Regel die Markenrechte an den Handelsmarken? Sind ihrer Meinung nach andere Konstellationen denkbar?
Wie unterscheidet sich die Markenführung von „Händlermarken“ und „Handelsmarken“
IV. Übertragung von Aufgaben des Handelsmarkenmanagement Wir haben nun ausführlich über die Aufgaben im Rahmen des Handelsmarkenmanagements gesprochen. In den folgenden Fragen geht es um die Übertragung von Aufgaben an Dritte. 1. Unter welchen Voraussetzungen könnten Sie sich vorstellen, dass das Herstellerunternehmen einen Teil der Aufgaben des Handelsmarkenmanagements übernimmt?
Inwieweit ist dies evtl. von der Produktkategorie abhängig oder von der Betriebsform des Handelsunternehmens?
Welche Aufgaben trauen Sie [sich als] Herstellerunternehmen in Bezug auf das Handelsmarkenmanagement zu?
2. Welchen Einfluss hätte die Übertragung der Aufgaben auf die Hersteller-HandelsBeziehung?
Welche Chancen und Risiken sind damit Ihrer Meinung nach verbunden?
Bei wem sollten dann die Markenrechte liegen? Welche Konflikte treten auf? Wie können Konflikte umgangen/gelöst werden?
3. Könnten Sie sich darüberhinaus vorstellen, dass das Handelsmarkenmanagement an einen Dritten, einen auf Handelsmarken spezialisierten Dienstleister abgeben wird?
Welche Aufgaben könnte ein solcher Dienstleister übernehmen?
Welche Vor- und Nachteil ergäben sich Ihrer Meinung nach für Hersteller und Handel?
Was würde diese Übertragung für die Hersteller-Handels-Beziehung bedeuten?
V. Gesprächsabschluss 1. Wir haben jetzt eine ganze Reihe von Aspekten angesprochen. Gibt es sonst noch etwas zu dem Thema, dass Ihnen persönlich wichtig ist? Irgendetwas, das bisher außen vor geblieben ist? Haben Sie noch Anregungen für weitere Fragen, die ich zu diesem Thema an die Hersteller oder Händler richten sollte? 2. Wer ist Ihrer Meinung nach ein weiterer wichtiger Gesprächspartner zu diesem Thema? Könnten Sie evtl. einen Kontakt herstellen, damit ich mich mit meinem Interviewanliegen an die betreffende Person wenden kann? Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben und für das interessante und aufschlussreiche Gespräch!
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447
Anhang
Anhang Nr. 2 :
Einverständniserklärung (Muster)
Westfälische Wilhelms-Universität Münster Marketing Centrum Münster
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Distribution und Handel Prof. Dr. Dieter Ahlert
Einverständniserklärung des/der Interviewpartners/in „Ich, ___- NAME -____ erkläre mich damit einverstanden, dass das mit mir am __- DATUM -__ von Herrn Berentzen geführte Gespräch auf Tonband aufgenommen und verschriftet werden darf in Hinblick auf die Durführung der wissenschaftlichen Arbeit von Herrn Berentzen. Ich erkläre mich auch damit einverstanden, dass das verschriftete Interview anonymisiert und unter Beschränkung auf kleine Ausschnitte auch für Publikationszwecke verwendet werden darf. Mir wurde zu gesichert, dass dabei alle persönlichen Daten, die Rückschlüsse auf meine Person zulassen, gelöscht oder anonymisiert werden.“ ______________________
_____________________________
Ort, Datum
Unterschrift
Versicherung des Interviewers „Ich, Johannes Berentzen, versichere hiermit, dass ich das gesamte Interviewmaterial streng vertraulich behandle. Alle Interviews werden nach bestem Wissen und Gewissen transkribiert und in anonymer Form ausgewertet. Die Interviewaufnahmen werden nach Abschluss der wissenschaftlichen Arbeit gelöscht. Alle persönlichen Daten, die Rückschlüsse auf die interviewte Person zulassen, werden von mir gelöscht oder anonymisiert. Der Interviewte kann auf Nachfrage das Transkript jederzeit einsehen und die oben abgegebene Einverständniserklärung auf Wunsch widerrufen. Die Transskripte werden nur von mir selbst ausgewertet und können von niemandem Dritten eingesehen werden. Auf Wunsch stelle ich dem Befragten die Ergebnisse nach Abschluss der Forschungsarbeit zur Verfügung.“ ______________________
_____________________________
Ort, Datum
Unterschrift
448
Anhang Nr. 3 :
Anhang
Interviewmemo (Muster)
Interview-Nr.: ________
Gesprächspartner: ____________________________
Gesprächsatmosphäre: Ort, Uhrzeit und Atmosphäre des Interviews
Eigene Befindlichkeiten/ Stimmung und die des Interviewten
Rapport: Beziehung zwischen den beiden Kommunikanten und Interaktionsphänomene
Gesprächsverlauf: Entwicklungsdynamik des gesamten Interviews
Weitere Besonderheiten / Störungen des Interviewverlaufes
Auffallende Themen: Welche Thematiken wurden besonders intensiv angesprochen, welche wurden bewusst ausgelassen. Ist der Interviewte bestimmten Fragen ausgewichen?
Ideen / Gedanken nach dem Interview
449
Anhang
Anhang Nr. 4 : Laufende Nummer
Übersicht der Interviews Zitationskodierung
Datum des Interviews
Länge (h:m:s)
01
Interview LEH_01_HE
27.07.2008
01:12:13
02
Interview TEX_01_GH
27.07.2008
00:24:51
03
Interview LEH_02_HE
13.08.2008
01:21:54
04
Interview LEH_03_HA
19.08.2008
01:12:41
05
Interview DIY_01_HE
04.09.2008
01:13:18
06
Interview DIY_02_GH
05.09.2008
01:41:09
07
Interview DIY_03_GH
05.09.2008
01:06:07
08
Interview TEX_02_UE
08.09.2008
00:41:33
09
Interview TEX_03_HA
08.09.2008
00:47:02
10
Interview DIY_04_GH
12.09.2008
00:58:08
11
Interview DIY_05_HA
16.09.2008
00:35:15
12
Interview TEX_04_UE
17.09.2008
00:48:55
13
Interview TEX_05_HA
17.09.2008
01:02:20
14
Interview DIY_06_HE
19.09.2008
00:55:58
15
Interview DIY_07_HE
19.09.2008
00:32:21
16
Interview DIY_08_VG
21.09.2008
00:48:34
17
Interview TEX_06_UE
22.09.2008
00:58:53
18
Interview DIY_09_HA
23.09.2008
00:17:03
19
Interview DIY_10_HA
23.09.2008
00:23:43
20
Interview LEH_04_UE
24.09.2008
00:58:50
21
Interview TEX_07_HE
25.09.2008
00:44:53
22
Interview TEX_08_HE
25.09.2008
01:06:25
23
Interview TEX_09_HA
25.09.2008
00:48:32
24
Interview LEH_05_HE
26.09.2008
01:14:42
25
Interview TEX_10_HE
26.09.2008
00:33:18
26
Interview DIY_11_HE
29.09.2008
00:40:50
27
Interview DIY_12_HE
06.10.2008
00:55:50
28
Interview TEX_11_HA
07.10.2008
00:43:25
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
450
Anhang
Laufende Nummer
Zitationskodierung
Datum des Interviews
Länge (h:m:s)
29
Interview TEX_12_VG
08.10.2008
00:53:45
30
Interview LEH_06_UE
08.10.2008
01:26:03
31
Interview LEH_07_HA
10.10.2008
01:09:09
32
Interview DIY_13_VG
10.10.2008
00:57:35
33
Interview LEH_08_HA
13.10.2008
00:53:38
34
Interview LEH_09_HE
16.10.2008
00:45:06
35
Interview DIY_14_VG
17.10.2008
00:45:36
36
Interview LEH_10_HE
17.10.2008
00:54:26
37
Interview LEH_11_HE
18.10.2008
00:59:30
38
Interview LEH_12_HA
20.10.2008
00:59:26
39
Interview LEH_13_HA
20.10.2008
00:57:19
40
Interview TEX_13_HA
21.10.2008
01:01:33
41
Interview TEX_14_HA
22.10.2008
00:57:32
42
Interview TEX_15_HA
23.10.2008
00:51:28
43
Interview LEH_14_HA
23.10.2008
00:58:59
44
Interview LEH_15_HE
27.10.2008
00:44:24
45
Interview LEH_16_HE
27.10.2008
02:09:59
46
Interview LEH_17_HE
28.10.2008
00:50:37
47
Interview TEX_16_HA
28.10.2008
01:01:18
48
Interview LEH_18_HA
29.10.2008
01:25:47
49
Interview LEH_19_UE
29.10.2008
01:05:09
50
Interview LEH_20_HE
12.11.2008
00:59:59
51
Interview LEH_21_HA
27.11.2008
00:58:40
52
Interview LEH_22_HA
08.12.2008
01:01:05
53
Interview LEH_23_HA
12.12.2008
00:55:25
Legende LEH = Lebensmittelbranche TEX = Bekleidungsbranche DIY = Do-it-yourself-Branche
durchschnittliche Interviewdauer: Zahlen: laufende Nummer innerhalb der drei untersuchten Branchen
00:57:13
HA = Handelsunternehmen HE = Herstellerunternehmen GH = Großhandelsunternehmen VG = Verbundgruppenzentrale UE = Unabhängiger Experte
451
Anhang
Anhang Nr. 5 :
Übersicht der Kodierungen in MAXqda
Einstiegsfragen
DIY
TEX
LEH
Alle
Position im Unternehmen
19
24
31
74
Berufliche Stationen
10
13
19
42
Handelsmarken im Aufgabenbereich
12
15
14
41
Umfang des Handelsmarkengeschäfts
20
17
21
58
Stellenwert der Handelsmarken im Unternehmen
6
8
8
22
Sortiment des Unternehmens
17
5
16
38
Handelsmarkenschwerpunkte im Sortiment
13
14
16
43
Handelsmarkenbedeutung im Unternehmen
16
21
20
57
DIY
TEX
LEH
Alle
76
142
165
383
Branchenbeschreibung und -entwicklung Branchenbeschreibung Ausblick der Branchenentwicklung
9
43
38
90
Ausblick der Handelsmarkenbedeutung
5
16
38
59
DIY
TEX
LEH
Alle
Definition Marke
19
25
48
92
Definition Handelsmarke
20
34
35
89
Unterscheidungskriterien Markenartikel/Handelsmarke
3
12
7
22
DIY
TEX
LEH
Alle
Beschreibung der Beziehungen
10
15
31
56
Kontakthäufigkeit
13
8
15
36
Fristigkeit der Geschäftsbeziehungen
24
13
9
46
Gesprächsatmosphäre
13
8
6
27
Intensität des Kontaktes
11
14
21
46
Konflikte zw. Hersteller und Händler
20
23
48
91
Verbesserungswünsche für die Beziehung
14
12
32
58
Definitorische Abgrenzungen
Beziehung zw. Herstellern und Handel
Handelsmarkenwachstum
DIY
TEX
LEH
Alle
unternehmensinterne Gründe
10
11
22
43
unternehmensexterne Gründe
3
4
26
33
Statements zur Handelsmarkenentwicklung
16
12
28
56
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
452
Anhang
Machtverhältnisse
DIY
TEX
LEH
Alle
Beschreibung der Machtverhältnisse
15
19
28
62
Herstellerübermacht
12
5
17
34
Händlerübermacht
12
6
24
42
Machtverhältnisse bei Handelsmarken
6
2
5
13
Kartellrechtliche Aspekte
1
3
21
25
DIY
TEX
LEH
Alle
Art des Informationsaustausches
18
36
37
91
verheimlichte oder vorenthaltene Informationen
5
9
7
21
DIY
TEX
LEH
Alle
Sortimentshoheit
9
4
3
16
Produkteinführungen und Innovationen
2
2
7
11
Preishoheit
12
4
8
24
Platzierungshoheit
15
3
3
21
Category Management
3
2
43
48
Promotion-Hoheit
8
1
9
18
Informationsaustausch zw. Industrie u. Handel
Organisation des Marketing-Mixes
Organisation des Handelsmarkengeschäfts
DIY
TEX
LEH
Alle
Hierarchieebene des Handelsmarkenmanagements
6
4
5
15
handelsmarkenrevante Unternehmensbereiche
0
2
6
8
Handelsmarkenstrategien/-architekturen
25
20
121
166
Handelsmarkenmanagementprozess
16
27
34
77
Gründe gegen das Herstellen von Handelsmarken
2
0
26
28
Trennung von Marken und Handelsmarkengeschäft
3
3
27
33
Unterschiede inhabergeführter Unternehmen
4
0
3
7
Aufgaben des Handelsmarkenmanagements
DIY
TEX
LEH
Alle
Statements zum Handelsmarkenmanagement
11
0
2
13
Aufgaben des Handels
13
21
34
68
Aufgaben der Industrie
16
15
26
57
gemeinsame Aufgaben
6
1
8
15
Wunsch: Aufgaben abgeben
8
8
2
18
Wunsch: zusätzliche Aufgaben
4
3
7
14
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
453
Anhang
Markenführung
DIY
TEX
LEH
Alle
Herstellermarkenführung
13
20
38
71
Handelsmarkenführung
52
71
113
236
Markenrechte beim Händler
19
12
12
43
Markenrechte beim Hersteller
11
9
14
34
Sortimentseignung für Handelsmarken
14
6
41
61
Markenführung der Betriebstypenmarke
5
27
26
58
Handelsmarkenführung durch den Hersteller
DIY
TEX
LEH
Alle
Beispiele für industrielles Handelsmarkenmanagement
15
9
24
48
mögliche Aufgaben des Herstellers
14
10
18
42
Abhängigkeit von der Produktkategorie
1
0
5
6
Voraussetzungen für industr. Handelsmarkenmanagement
13
28
18
59
Konfikte bei den Markenrechten
6
5
6
17
Vorteile des industr. Handelsmarkenmanagement
3
1
7
11
Nachteile des industr. Handelsmarkenmanagement
10
9
11
30
Einfluss des industrielles Handelsmarkenmanagements auf die Hersteller-Handels-Beziehung
2
3
1
6
DIY
TEX
LEH
Alle
Statements zum Dienstleisteroutsourcing
24
34
25
83
mögliche Aufgaben des Dienstleisters
17
14
22
53
Vorteile des Dienstleister-Outsourcing
2
7
8
17
Nachteile des Dienstleisteroutsourcing
17
12
9
38
Einfluss des Outsourcing auf die Hersteller-HandelsBeziehung
2
2
2
6
DIY
TEX
LEH
Alle
Statements zur Lösungsorientierung
17
18
23
58
Solution Selling Lux
37
0
1
38
Solution Selling Daymon Worldwide
0
0
27
27
Solution Selling Li & Fung
1
17
1
19
1023
1679
3608
Handelsmarkenführung durch Dienstleister
Solution Selling-Ansätze
GESAMTANZAHL der Kodierungen* * = automatische Kodierungen sind nicht in der Übersicht enthalten.
906
454
Anhang
Anhang Nr. 6 :
Verzeichnis der Sekundärquellen
[1]
Madakom (2001): Innovationsreport 2001. Köln.
[2]
Marketing Pilots (2004): Das 1. virtuelle Markenmuseum stellt die Geschichte der Marke und Marken mit Geschichte vor, Vortrag von Michael Paul an der Unversität Bremen am 08.11.2004.
[3]
Ahlert, D. (2008): Aspekte transdisziplinärer Markenforschung, Vortrag auf dem 1. G·E·M Forum zum Thema Neuroökonomie und Markenführung am 18. November 2008 in Münster.
[4]
O. V. (2008a): Die 50 werbestärksten Unternehmen in Deutschland 2007, in: Gesamtverband Kommunikationsagenturen (Hrsg.): Kennzahlen zur Werbung.
[5]
O. V. (2008b): Geschäftsbericht der Medion AG 2007. Zu beziehen bei Medion AG, Investor Relations, Am Zehnthof 77, 45307 Essen oder online unter: http://www.medion.com/german/investor/document/medion_gb_07_dt.pdf
[6]
Samways, A. (1995): Private Label in Europe – Prospects and opportunities for FMCG retailers. A Financial Times Management Report, London.
[7]
UGW Promotion und Lebensmittel Zeitung (2007): PoS-Marketing-Report 2007 / 2008: Eine Konsumentenbefragung über Consumer Insights am PoS, Frankfurt und Wiesbaden.
[8]
Cravaack, Constanze (2008): Von der Gattungsmarke zum Premium-Label, in: Lebensmittelzeitung (Hrsg.): LZ-Dossier zum Thema Handelsmarken, 19.05.2008. Online unter www.lz-net.de/dossiers/sortimente /pages/protected/index.php, abgerufen am 18.11.2008.
[9]
O. V. (2008c): Kids-Verbraucher-Analyse 2008, hrsg. vom Egmont EhapaVerlag, Berlin. Online verfügbar unter (Zugriff: 19.12.2008): www.ehapa-media.de/pdf_download/Praesentation_%20KVA08.pdf
[10] O. V. (2008d): Markt-Daten Top 50: Konsumflaute und verhaltene Stimmung, in: Baumarktmanager Nr. 3 2008, S. 42-47. [11] O. V. (2006): Geschäftsbericht der Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte Holding AG 2005. Zu beziehen bei der Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte Holding AG, Am Tannenwald 2, 66459 Kirkel oder online unter: http://www.praktiker.com/servlet/PB/show/1071572/Imageteil_GB05_D.pdf [12] Weinrother, Michael: ICI Paints-Marken – für beste Ergebnisse, in: b+h marktTOP Thema: Euro-Marketing der DIY-Branche (Oktober 2007), Köln
Anhang
455
[13] Thomas Wulff (2003): Vertikalisierung, Filialisierung, Internationalisierung, in Hypovereinsbank (Hrsg.): Märkte & Chancen – Ein Branchenreport der Hypovereinsbank: Bekleidungsfachandel, S. 18-19. Thomas Wulff ist Redakteur der „TextilWirtschaft“. [14] Michael Albaum (2003): Der Handel macht die Marken, Interview in: Hypovereinsbank (Hrsg.): Märkte & Chancen – Ein Branchenreport der Hypovereinsbank: Bekleidungsfachandel, S. 7. Michael Albaum ist zum Zeitpunkt des Interviews Marketingleiter der Branchenzeitschrift „TextilWirtschaft“. [15] AC Nielsen TradeDimensions (2008): Der deutsche Lebensmittelhandel 2009, Handelsposter in Zusammenarbeit mit dem Lebensmittel Praxis Verlag, Frankfurt a. M., Neuwied.