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Hafenstrolche
Die Arwenacks auf der „Estrella de Malaga“ und die Le Vengeurs auf der „...
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Seewölfe 452 1
Frank Moorfield
Hafenstrolche
Die Arwenacks auf der „Estrella de Malaga“ und die Le Vengeurs auf der „San Lorenzo“ hatten es nach dem Schrecken mit der Flutwelle mit zwei Riesenkraken zu tun gehabt. Auf der „Estrella“ hatten sie den Bugspriet abgetakelt und auf der „San Lorenzo“ eine Culverine demontiert. So liefen beide Schiffe eine Bucht an der peruanischen Küste an, um die Schäden zu beheben. Außerdem zog ein Sturm auf, und da war ein geschütztes Fleckchen schon immer der bessere Teil der Seefahrt. Sollte sich allerdings das Seebeben wiederholen, dann war die Bucht eine Falle - wie offenbar für die Gestalt, tot im Wasser der Bucht trieb. Das war kein gutes Zeichen, und Smoky sagte: „Siehst eine Wasserleiche, schnell nach Westen hin entweiche… Die Hauptpersonen des Romans: Eric Winlow – der Koch der Le Vengeurs handelt fahrlässig und wird dabei auch noch dickköpfig. Jean Ribault – möchte seinem Koch in den Hintern treten und hat mächtigen Zorn. Rosalita –bietet sich als Liebhaberin an, verfolgt jedoch sehr eigensüchtige Ziele. Plymmie – die Wolfshündin der Zwillinge nimmt eine Spur auf. Philip Hasard Killigrew–sieht sich gezwungen, den Hafen Mollendo anzulaufen.
1. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, und der Abend warf die ersten grauen Schatten über die kabbelige Wasserfläche des Stillen Ozeans. Man schrieb den 21. November im Jahre des Herrn 1594. Die „Estrella de Malaga“, eine wendige spanische Kriegskaravelle, und die „San Lorenzo“, eine wuchtige Galeone, lagen vor Mollendo an der peruanischen Küste. Der Wind hatte nach den heftigen Stürmen der vergangenen Tage von Südost auf Südwest gedreht. Es erinnerte kaum noch etwas an die entfesselten Naturgewalten, die Schiffen und Mannschaften so schwer zugesetzt hatten. An und für sich verspürte Philip Hasard Killigrew, der mit wehenden schwarzen Haaren auf dem Achterdeck der „Estrella“ stand, nicht die geringste Lust, einen Hafen der Spanier anzulaufen. Ganz im Gegenteil - er und seine Mannen hatten allen Grund dazu, jedes Zusammentreffen mit den Dons zu vermeiden, obwohl sie selber
unter spanischer Flagge segelten und bei unvermeidbaren Begegnungen stets „auf spanisch“ mimten. Und das mit großem Erfolg, denn die „San Lorenzo“ war die Ausbeute einer solchen Begegnung. Der Seewolf und seine Männer hatten die Galeone mit einem verwegenen Einsatz und einer riesigen Portion Glück aus dem Geleitzug- nach Panama vereinnahmen können. Das Toben der Elemente war fast schon vergessen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, begannen sich die Gesichter der Männer wieder aufzuhellen. Manch düstere Miene wich einem zufriedenen Grinsen. Sir John, der karmesinrote AracangaPapagei, der seit einigen Jahren mit den Seewölfen die Weltmeere befuhr, glaubte wohl, auf seine Art zur Verbesserung der allgemeinen Stimmung beitragen zu müssen. Vor allem schien ihm sehr daran gelegen zu sein, daß sich ja niemand auf die faule Haut legte. „Bewegung, Bewegung, hopp-hopp!“ krächzte er und schlug dabei wild mit den Flügeln. „Laßt fallen Anker! Affenärsche!
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Platfußheringe!“ Nachdem er noch einen wüsten Fluch hinzugefügt hatte, drehte er eine Runde über der Kuhl und ließ sich dann auf der Querbalustrade des Achterdecks nieder. Natürlich verriet sein Wortschatz sofort, durch wessen Schule er gegangen war. Arwenack, der Schimpanse, bestätigte die anfeuernden Worte des Papageis mit einem lauten Keckern. Plymmie, die Wolfshündin, die die Zwillingssöhne des Seewolfs während seines Aufenthaltes in Finnland an Bord gebracht hatten, spitzte die Ohren, als der bunte Vogel auf der Querbalustrade ein lautes Hundegebell anstimmte. „Der hat ja heute wieder einen ganz schönen Schwung drauf“, sagte Ben Brighton, der neben den Seewolf getreten war, mit lachendem Gesicht. Dafür aber mußte er sich von dem Papagei prompt sagen lassen, daß er ein „verlauster Ziegenbock“ sei. Das Lachen der Arwenacks wurde von der Stimme Mac Pellews übertönt. Der hagere Mann, der bereits unter Sir Francis Drake als Koch und Feldscher auf der „Marygold“ gefahren war, hatte vor wenigen Augenblicken die Kombüse verlassen und zog wie üblich ein sauertöpfisches Gesicht. Ja, heute wirkte er sogar noch griesgrämiger als sonst, weil er schlechter Laune war. „Man sollte der verdammten Sumpfeule den vorwitzigen Schnabel zubinden!“ maulte er mit einem strafenden Blick auf Sir John. Edwin Carberry aber, der Freiwache ging und sich auf einer Taurolle in der Nähe des Großmastes niedergelassen hatte, nahm sein „Sir Jöhnchen“ sofort in Schutz. „Was ist denn mit dir los, was, wie?“ fragte er. „Hast du vielleicht einen Sprung in der Schüssel, he? Seit wann haben wir eine Sumpfeule an Bord? Falls du es noch nicht begriffen hast, Mister Pellew: Das niedliche Vögelchen ist ein Papagei.“ „Was du nicht sagst!“ erwiderte Mac Pellew giftig. „Für mich ist das ein Teufelsbraten, den man in den Hühnerstall sperren sollte. Von früh bis spät geht
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einem das Vieh mit seinem frechen Schnabel auf den Geist. Und von wem hat es das alles gelernt? Natürlich von unserem Zuchtmeister, dem ehrenwerten Mister Carberry, der eigentlich ein Vorbild an Tugend, Sittsamkeit und Keuschheit sein sollte!“ Der bullige Profos legte das zernarbte Gesicht in Falten. „Willst du Suppenonkel damit sagen, daß an Bord dieses Schiffes Sittenlosigkeit und Unkeuschheit herrschen?“ „Natürlich nicht“, sagte Mac eilig, „schließlich haben wir kein einziges. Weibsbild an Bord.“ „Na also“, röhrte der Profos. „Demnach ist gar keine Sittenlosigkeit möglich.“ Er deutete jetzt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Papagei. „Und was diese Nebelkrähe betrifft, hat sie es gar nicht nötig, etwas von mir zu lernen. Sie hat selber Klüsen im Kopf und sieht, wenn einige blaukarierte Affenärsche auf Vordermann gebracht werden müssen. Jawohl, richtig umsichtig ist der Vogel. Der sieht sofort, was anliegt.“ „Schon gut, schon gut“, brummelte Mac Pellew, und sein faltiges Gesicht wurde noch griesgrämiger. „Ich habe sowieso keine Zeit, dich vom Gegenteil zu überzeugen. Bis zum Backen und Banken wartet noch eine Menge Arbeit auf mich. Und die verfressenen Kerle hier starren alle schon gierig auf das Kombüsenschott.“ Edwin Carberry grinste. „Warum auch nicht? Schließlich halten Räucherspeck und Erbsensuppe Leib und Seele zusammen. Das solltest du dir einmal merken, du zweibeiniger Essigtopf.“ „Du hast gut reden“, lamentierte Mac. „Du bist ja nicht dafür verantwortlich, daß pünktlich was in die Schüsseln kommt.“ „Das nicht“, sagte Ed, „aber dafür habe ich einen Großteil Verantwortung dafür übernommen, daß das Zeug wieder aus den Schüsseln herauskommt.“ Jetzt wurde Mac Pellew fuchtig. „Verantwortung nennst du das? In meinen Augen ist jemand, der sich ein rundes Dutzend Speckpfannkuchen in den Hals schiebt, verfressen .wie ein Wolf!“
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Der Profos zuckte unwillkürlich zusammen, zumal einige Arwenacks bereits unverschämt zu grinsen begannen. „Was, wie?“ fragte er knurrend. „Du hast doch wohl beim letzten Backen und Banken nicht etwa mitgezählt?“ „Genau das habe ich“, antwortete Mac und zog ein verzweifeltes Gesicht. „Dreizehn Stück waren es, die du allein verschlungen hast. Die Zahl stimmt, das schwöre ich bei meiner seligen Großmutter.“ „Zum Kuckuck mit deiner Großmutter!“ fluchte Ed und erhob sich von der Taurolle. „Seit wann werden einem hier die Bissen zwischen den Zähnen gezählt, wie?“ Er stützte die mächtigen Pranken in die Hüften und nahm eine drohende Haltung ein. Mac kratzte sich verlegen am Hinterkopf, doch der Kutscher rettete die Situation wieder einmal. Er war unterwegs zu Hasard und hatte einen Teil des Gesprächs mitgekriegt. „Reg' dich wieder ab, Mister Carberry“, sagte der schmalbrüstige Mann. „Mac interessiert sich im Grunde genommen überhaupt nicht dafür, wie viele Speckpfannkuchen jeder einzelne verdrückt. Wenn er mal mitzählt, dann Mir aus organisatorischen Gründen ...“ „Aus was für Gründen?- fragte Ed. „Kannst du Salbenmischer und Hühnerschlächter nicht in einer Sprache reden, die anständige Christenmenschen verstehen?“Der Kutscher lächelte verbindlich. „Wenn ich von organisatorischen Gründen rede“, erwiderte er, „dann will ich damit sagen, daß die Zählarbeit Macs der Planung dient. Wenn wir in der Kombüse wissen. wie viele Pfannkuchen jeder verdrückt, dann wissen wir beim nächsten Mal, wie viel Teig wir anrühren müssen, damit jeder satt wird. Auf diese Weise wird verhindert, daß du nach dem ersten halben Dutzend keinen Pfannkuchen mehr abkriegst und jammervoll verhungern mußt.“ Dem Profos leuchtete diese ausführliche Erklärung ein. Sie klang irgendwie logisch und überzeugend.
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„Nun ja, wenn das so ist“, meinte er und leckte sich genießerisch über die Lippen. „Es wäre ja auch noch schöner, wenn man verhungern müßte, nur weil ihr Rübenweine zu faul wart, die leckeren Dingersehen zu zählen.“ Er ließ sich wieder auf der Taurolle nieder - offenbar mit sich und der Welt zufrieden. Erst als Mac Pellew in der Kombüse verschwunden und der Kutscher mit einem hintersinnigen Grinsen zum Achterdeck aufgeentert war, weil er etwas mit Hasard zu besprechen hatte, hieb sich Ed plötzlich mit der flachen Hand aufs Knie. „Ist was?“ fragte Ferris Tucker, der rothaarige Schiesszimmermann, scheinheilig. „Hirnrissige Ochsen sind das!“ rief Ed. „Die können doch am Ende einer Mahlzeit genau feststellen, wie viele Speckpfannkuchen insgesamt verzehrt worden sind. Warum müssen die geräucherten Gemüseputzer ausgerechnet die paar armseligen Dinger zählen, die für mich übriggeblieben sind?“ Die Arwenacks stimmten ein brüllendes Gelächter an. „Recht hast du, Ed“, sagte Ferris. „Da siehst du mal wieder, wie umständlich die Kombüsenhengste arbeiten. Von Pfannkuchenplanung haben die nämlich keinen blassen Schimmer.“ „So ist es“, bestätigte der Profos aufgebracht. „Es wird Zeit, daß ich ihnen das beibringe, und zwar aus rein organisatorischen Gründen!“ * Auch auf der „San Lorenzo“ hob sich die allgemeine Stimmung - zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Eric Winlow, der dicke Koch, zum Achterdeck aufenterte und sich einer unwirschen Geste über den kahlen Schädel strich. Jean Ribault blickte ihn stirnrunzelnd an. „Was gibt's?“ fragte er schließlich, denn es war ihm als Kapitän nicht entgangen, daß der Koch in letzter Zeit ein ziemlich aufmüpfiges Gebaren an den Tag legte.
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Winlow zuckte mit den Schultern und zog ein mißmutiges Gesicht. „Es geht um die Holzkohle“, erwiderte er. „Ich habe festgestellt, daß der Vorrat rapide zur Neige geht.“ Jean Ribault horchte auf. „Wieso rapide? Kochst du in letzter Zeit doppel soviel? Wieviel ist noch vorhanden?“ Winlow zuckte abermals mit den Schultern. „Verdammt wenig, Kapitän. Der Bestand reicht bestenfalls noch für drei warme Mahlzeiten.“ Jetzt klappte dem schlanken und drahtigen Franzosen die Kinnlade nach unten. „Für drei warme Mahlzeiten“, wiederholte er mit ungläubigem Gesicht. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Seine Augen begannen wütend zu funkeln. „Und was ist, wenn wir plötzlich in ein Gefecht verwickelt werden und gefüllte Kohlebecken auf die einzelnen Geschütze verteilen müssen, he?“ „Dazu reicht das Zeug nicht mehr aus“, entgegnete der Koch lakonisch. „Aber vielleicht kann der Kutscher drüben auf der ,Estrella' aushelfen.“ Ribault schluckte. Er beherrschte sich zwar, aber man sah ihm deutlich an, daß er stocksauer war. „So einfach gedenkst du das Problem also zu lösen“, fuhr er fort. „Und was können wir deiner Meinung nach tun, wenn der Kutscher auch gerade noch so viel auf Lager hat, daß es für die nächsten drei Mahlzeiten reicht? Sollen wir uns beim nächsten Gefecht vielleicht auf der Kuhl aufstellen, um die Kanonenkugeln selber zum Feind hinüberzuwerfen? Du bist ein verdammter Ochse, Winlow, ist dir das klar? Mit was hast du eigentlich gestern gekocht und vorgestern? Hattest du da keine Augen im Kopf?“ Winlows Gesicht verdüsterte sich. „Ich habe genug anderes zu tun, als die Holzkohle auf der Goldwaage zu wiegen ...“ Ribault ging einen Schritt auf ihn zu. „Du hast, verdammt noch mal, notfalls die Brocken zu zählen, verstehst du? Der Holzkohlevorrat gehört zu deinem
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Verantwortungsbereich als Koch. Und wenn dieser Vorrat zur Neige geht, hast du das rechtzeitig zu melden!“ „Na schön, ich habe eben nicht so genau darauf geachtet, weil ich viel um die Ohren hatte.“ Winlow ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und verscheuchte eine Mücke, die sich auf seiner spiegelblanken Glatze niedergelassen hatte. „Außerdem“, so fuhr er fort, „habe ich in den letzten Tagen auch mehr Kohle verbraucht, weil ich - zusammen mit dem Kutscher - viel für die drei Indiofamilien gekocht habe, die wir aus den zugeschütteten Höhlen befreit haben. Zum Schluß überließen wir den armen Teufeln sogar noch ein paar Säcke Holzkohle als Geschenk.“ Jean Ribault schüttelte verständnislos den Kopf. „Gegen eine sinnvolle Hilfeleistung ist gewiß nichts einzuwenden, Mister Winlow. Aber das befreit dich nicht von deiner persönlichen Verantwortung. Du hast schlicht und einfach gepennt, sonst hättest du längst bemerkt, daß fast nichts mehr vorhanden ist. Und dabei weißt du so gut wie ich, daß die Holzkohle an Bord eines Schiffes lebensnotwendig ist - ebenso lebensnotwendig wie Trinkwasser und Proviant oder wie Pulver und Munition.“ „Du magst ja recht haben, Kapitän, aber ...“ „Da gibt es kein Aber!“ herrschte Ribault den Koch an. „Und es gibt auch keine Entschuldigung! Ein Schiffskoch muß ohne Wenn und Aber wissen, wie lange sein Holzkohlevorrat reicht. Das gilt auch für besondere Umstände. Wir haben die ,San Lorenzo' vor zwei Wochen in Besitz genommen, und es wäre deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, nach der Bestandsaufnahme der Vorräte, zu denen auch die Holzkohle gehört sofort zu melden, daß du mit dem Brennmaterial nicht lange reichst. Ich erwarte von dir so viel klaren Menschenverstand, daß du abschätzen kannst, bis wann der Kohlevorrat verbraucht ist Du aber scheinst dieses Mindestmaß an Verstand nicht zu haben.
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Eric Winlow wollte zu einer neuen Ausrede ansetzen, aber Jean Ribault schnitt ihm das Wort ab_ „Ich möchte keine weiteren Rechtfertigungen hören“, sagte er scharf. „Es wäre besser, du würdest über die Angelegenheit einmal nachdenken und dafür sorgen. daß so etwas nicht ein zweites Mal passiert. Jetzt aber wird uns in der Tat nichts anderes übrig bleiben, als bei Hasard UM Kohle zu betteln. Leider ist das meine Aufgabe als Kapitän, und ich sage dir Hornochse ganz ehrlich, daß ich mich schäme, das tun zu müssen.“ Eric Winlow schob die Hände in die ausgebeulten Hosentaschen und zog ein Gesicht, das über alles erhaben zu sein schien, während Jean Ribault den Seewolf durch Zuruf über die Lage informierte. Hasard war natürlich ebenfalls alles andere als entzückt und schüttelte verwundert den Kopf. „Da hat sich euer Koch aber ziemlich schlampig und nachlässig verhalten!“ rief er zurück. „War der Kerl denn tagelang betrunken?“ Ribaults Gesicht wirkte verlegen. „Dann könnte man es ja noch halbwegs verstehen!“ rief er zurück. Der Kapitän der „San Lorenzo“ fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut, zumal die Arwenacks, die die Angelegenheit durch die Zurufe der beiden Kapitäne mitgekriegt hatten, bereits ziemlich spöttisch herübergrinsten, so als wollten sie sagen: Ihr seid vielleicht Pfeifen - erst landet euer Frauenheld Roger Lutz im Wasser, als er auf ein Liebesabenteuer mit einer der Ladys von der Galeone der Komödianten scharf war, und jetzt merkt dieser Trankopf von Koch, daß ihm die Holzkohle ausgeht. Richtig müde Tassen seid ihr“ Genau das mußte seiner Meinung nach in den Köpfen der Arwenacks vor sich gehen. Und er sollte sich darin nicht getäuscht haben, denn prompt tönte das rauhe Organ Edwin Carberrys auf die „San Lorenzo“ herüber. „Mister Ribault!“ rief er. „Dein betupfter Koch scheint wohl bereits Winterschlaf zu halten, was, wie? Aber wir sind ja gute
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Christen. Wenn ihr mal 'ne warme Suppe haben wollt, könnt ihr euch bei unserem Kutscher melden. Aber eurem Pfannkuchenschwenker würde ich an deiner Stelle kräftig in den dicken Affenarsch treten! Es wird Zeit, dass das Rübenschwein mal auf Vordermann gebracht wird.“ Das nachfolgende Gelächter der Seewölfe war bei Gott keine Musik in den Ohren des Franzosen. Der glatzköpige Winlow aber reagierte wie eine beleidigte Leberwurst. Wutentbrannt starrte er zu Carberry hinüber. „Mach die Futterluke dicht, Mister Carberry!“ brüllte er. „Und bei nächster Gelegenheit werde ich dir den ‚betupften Koch' und den ‚Winterschlaf ins Maul zurückstopfen, das verspreche ich dir!“ Er schüttelte drohend eine Faust zu der „Estrella de Malaga“ hinüber. Damit aber war er einen Schritt zu weit gegangen. Unterschwellig brachte- der dicke Koch damit die irrige Meinung zum Ausdruck, daß ihm der Profos der Seewölfe gar nichts zu sagen habe. Außerdem war da die Crew der „Le Vengeur“, die jetzt auf der „San Lorenzo“ fuhr, und da waren die Männer des Seewolfs, die mit ihrem Kapitän im Bund der Korsaren bisher die dominierende Rolle spielten, ohne das jedoch irgendwie herauszukehren. Trotzdem saß da ein gewisser Stachel: Die kriegen alles besser hin als wir, aber deshalb haben sie noch lange nicht das Recht, uns zu verpflaumen. Hinzu kam, daß sich Jean Ribault bei der Diskussion über das Potosi-Unternehmen verpflichtet hatte, sich dem Kommando des Seewolfs unterzuordnen. Wenn jetzt einer seiner Männer dem Profos der Seewölfe offen eine handfeste Auseinandersetzung androhte, konnte und durfte er das nicht hinnehmen - zumal Eric Winlow tatsächlich äußerst nachlässig gehandelt hatte. Es blieb Ribault demnach gar nichts anderes übrig, als hart durchzugreifen. Daß Anlässe dieser Art den Spott der Arwenacks herausforderten, bei denen
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eigentlich alles hervorragend klappte, konnte auch er nicht vermeiden. Aber er konnte durch seine Reaktion unter Beweis stellen, daß er keine Schluderei an Bord duldete. Im Falle von Roger Lutz hatte er das bereits getan, indem er den liebestollen Burschen zum Deckschrubben verdonnert hatte, nachdem er mit seinem, Ribaults, Einverständnis von der Crew kräftig verwalkt worden war. Jetzt aber mußten auch bei Eric Winlow die Zügel gestrafft werden, damit sich der Bursche seiner Verantwortung bewußt wurde. Der Kapitän der „San Lorenzo“ beugte sich über die Querbalustrade des Achterdecks und blickte auf die Kuhl hinunter. „Mister Baxter!“ rief er. „Es gibt Arbeit für dich!“ „Aye, Sir“, tönte es zurück. Und sogleich machte sich der wuchtig gebaute, fast kahlköpfige Mann auf den Weg zum Achterdeck. „Mir scheint“, so fuhr Ribault mit eisiger, Stimme fort, „daß wir Mister Winlow auf eine möglichst einprägsame Art beibringen müssen, woher auf unserem Schiff der Wind weht. Statt die Gefährlichkeit seiner Schlamperei einzusehen, krakeelt er noch hier herum und gibt sich so unschuldig Wie ein neugeborenes Lamm. Nimm dich seiner an, Mister Baxter, und belehre ihn wegen nachlässiger Wahrnehmung seiner Pflichten ...“ George Baxter, der eigentlich zur Mannschaft Jerry Reeves' gehörte und dessen harte blaue Augen ein kaltes, unnachgiebiges Wesen verrieten, war bei diesem Unternehmen der Profos der Le Vengeurs. Er stand stets loyal und bedingungslos zu Jean Ribault und vor allem zum Seewolf. So fackelte er auch jetzt nicht lange. Um was es ging, hatte er bereits mitgekriegt. Als Eric Winlow begriff, was ihm blühte, lief er rot an vor Wut. Sein mächtiger Bauch begann zu wackeln, sein fleischiges Gesicht rötete sich.
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„Ich - ich warne dich, Baxter!“ stieß er mit heiserer Stimme hervor. Doch weiter gelangte er nicht. George Baxter erreichte ihn mit einer Geschwindigkeit, die man seinem etwas schwerfällig wirkenden Körper gar nicht zugetraut hätte. Im selben Augenblick schlug er zu. Hart und erbarmungslos. Der gewaltige Hieb fegte den Koch regelrecht von den Beinen und schleuderte ihn quer über das Achterdeck. An Steuerbord krachte er hart gegen das Schanzkleid und plumpste dann wie ein schwerer Mehlsack auf die Planken. Wie es aussah, würde er sich die nächste halbe Stunde nicht mehr vom Fleck rühren. 2. „Dieser Hieb hätte selbst einen Ochsen gefällt“, stellte der Seewolf fest, „aber Winlow hat ihn verdient. Einen solch bodenlosen Leichtsinn kann man nicht durchgehen lassen.“ „Hoffentlich lernt der Bursche etwas daraus“, sagte der Kutscher, der sich noch bei Hasard aufhielt. „Entweder war ihm alles gleichgültig, oder er hatte Tomaten auf den Klüsen. Nur so kann man sich seine Verhaltensweise erklären.“ Der Seewolf nickte. „Wie dem auch fuhr er fort, „wir müssen uns den Gegebenheiten stellen und das Problem so rasch wie möglich lösen. Wie sieht es eigentlich mit unseren eigenen Holzkohlevorräten aus? Können wir der ,San Lorenzo' etwas davon abgeben?“ Der Kutscher bewies augenblicklich, daß er seinen Verantwortungsbereich im Griff hatte. „Unser Vorrat reicht noch für vier bis fünf Wochen“, antwortete er. „Das wäre normalerweise ausreichend. Wenn wir jedoch mit der ,San Lorenzo` teilen, wird es bedenklich -vor allem im Hinblick darauf, daß uns nach dem PotosiUnternehmen ja noch die Rückreise bevorsteht.“ Er meinte damit den Raid gegen die Spanier, die seit dem Jahr 1545 die Gold- und Silberminen von Potosi ausbeuteten. Von dort aus war ein weiter
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Weg bis zur Schlangen-Insel, dem Stützpunkt des Bundes der Korsaren in der Karibik. Der Seewolf zog ein nachdenkliches Gesicht, dann nickte er zustimmend. „Das gilt erst recht, wenn wir nicht den Isthmus von Panama zurückkehren können, sondern den Weg über Kap Hoorn nehmen müssen. Mit anderen Worten: Wir haben im Moment zwar einen ausreichenden Kohlevorrat, der aber nicht reichen wird, wenn wir der ,San Lorenz« davon abgeben. Also kommen wir nicht drum herum, die Vorräte zu ergänzen.“ Ben Brighton, Hasards Stellvertreter, kratzte sich am Hinterkopf. „Besorgen können wir das Zeug zur Zeit nur bei den Dons“, sagte er. „Und dabei gehen natürlich alle unsere guten Vorsätze, spanische Häfen zu meiden, zum Teufel.“ „Das läßt sich leider nicht ändern, Ben“, sagte der Seewolf. „Wir brauchen die Kohle.“ Edwin Carberry, der über den Backbordniedergang zum Achterdeck aufgeentert war, stieß einen Knurrlaut aus. „Wenn ich ein bissiges Krokodil zur Hand hätte, Sir, würde ich das Rübenschwein von einem Koch -zur Küste schwimmen lassen und das nette Tierchen hinter ihm herjagen, Sack für Sack müßte er so die Kohle zur ,San Lorenz& bringen. Das wäre diesem plattfüßigen Rochen vielleicht eine Lehre.“ „Der Hieb George Baxters war auch nicht gerade ohne“, sagte Hasard. Der Profos winkte geringschätzig ab. „Winlow ist ein harter Brocken, eine Backpfeife reicht für den noch lange nicht. Baxter müßte den Bastard hochpurren und ihm so lange in den Hintern treten, bis seine Stiefelspitzen rund geworden sind. Dann erst würde dem Kerl vielleicht langsam etwas dämmern.“ „Schon gut, Ed.“ Hasard winkte ab. „Das alles würde uns im Moment nicht weiterhelfen. Wir müssen sofort etwas unternehmen. Da wir schon gegen alle unsere Vorsätze einen spanischen Hafen anlaufen müssen, nehmen wir am besten
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Kurs auf Mollendo, das bereits Backbord voraus liegt.“ „Ach du heiliger Bimbam!“ entfuhr es dem Profos. „Da geht das verdammte Spielchen ja schon wieder los. Zum Teufel - ich habe bestimmt nichts gegen ein Tänzchen mit den Dons einzuwenden, aber ich bin nicht gern selber einer. Wenn das so weitergeht, rede ich mich schon bald selber mit Don Edwin an und vollführe jeden Morgen einen Kratzfuß, wenn ich aus der Koje steige.“ Trotz der ernsten Situation konnten die Männer ein Grinsen nicht unterdrücken. „Wohlan, Don Edwin“, sagte Hasard, „ich weiß, daß dir Spielchen anderer Art weit besser liegen, aber wir kommen leider nicht umhin, mal wieder auf spanisch zu mimen, wenn wir uns nicht eine Menge Ärger einhandeln wollen. Und wir müssen -wie immer - unsere Rolle gut und überzeugend spielen. Jean wird sofort darüber informiert. Wenn wir Mollendo erreicht haben, sollen seine Leute die Holzkohle besorgen, und zwar in einer Menge, die auch uns ein Aufstocken unserer Vorräte erlaubt.“ „Na, denn auf nach Mollendo!“ Ed seufzte wenig begeistert. „Ganz zu Befehl, Don Esteban.“ Bei dem Kratzfuß, den er anschließend „zu Übungszwecken“ zelebrierte, hielt er sich vorsichtshalber am Handlauf des Schanzkleides fest. „Wenn du eine glutäugige Senorita wärst, Sir, würde ich dir jetzt höflich die Hand küssen!“ * Der Himmel über der peruanischen Küste verdüsterte sich mehr und mehr. Die Abenddämmerung, die sich mit vorüberziehenden Wolken und einem schwachen Abendrot vermischte, zeichnete bizarre Muster auf die weißgetünchten Häuser und Holzhütten von Mollendo. Als die beiden Segler in die halbrunde Bucht einliefen, kam im Hafen der Ansiedlung niemand auf den Gedanken, daß es sich bei ihnen nicht um Spanier handeln könnte. Die Schiffe führten die
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Flagge Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, und auch ihre Namen sowie die Ausstattung verrieten sofort das Herkunftsland. Dabei bot nicht nur die, armierte „San Lorenzo“ einen imposanten Anblick, sondern auch die kleinere „Estrella de Malaga“. Bei ihr handelte es sich um eine kampfkräftige Kriegskaravelle mit neun Culverinen an jeder Seite und einer beachtlichen Anzahl von Drehbassen. Hätten die spanischen Behörden von Mollendo auch nur im entferntesten geahnt, daß sich an Bord der „Estrella de Malaga“ Korsaren der englischen Königin befanden, wäre augenblicklich der Teufel los gewesen. Allein schon der Name El Lobo del Mar, der Seewolf, hätte dafür ausgereicht. Philip Hasard Killigrew hatte die Dons, die skrupellos die Neue Welt ausplünderten, schon so gewaltig gerupft, daß er am spanischen Hof als Staatsfeind Nummer eins galt. So aber blieb alles ruhig, die Schiffe liefen ungehindert den Hafen an. Über den Masttoppen kreiste lärmend eine Schar hungriger Möwen. Soweit das von der Bucht aus zu beurteilen war, erweckte die Ansiedlung einen friedlichen Eindruck. „Werden wir bis an die Pier segeln?“ wollte Ben Brighton wissen. „Es ist besser, wenn wir schon hier vor Anker gehen“, meinte Hasard. „An die Pier zu gehen, ist mir etwas zu riskant. Wir ständen dabei unter dem Zwang, ständig spanisch sprechen zu müssen, und dabei kann -wie ihr wißt - leicht etwas schiefgehen.“ „Du hast recht“, pflichtete ihm Ben Brighton bei. „Wegen Winlow, diesem Holzkopf, wollen wir schließlich nicht das ganze Unternehmen gefährden.“ Wenig später gingen die Schiffe ein Stück von den Piers und Stegen entfernt vor Anker. Die Männer starrten erwartungsvoll zur Siedlung hinüber. Sie brauchten nicht lange zu warten, bis sich aus dem Gewirr von Fischerbooten und größeren Seglern eine kleine Schaluppe löste und auf ihren Ankerplatz zuhielt.
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„Der Hafenkapitän“, verkündete Hasard. „Das Spiel beginnt! Denkt daran, daß ich ab sofort wieder Don Esteban de Castellano bin. Und wenn mich jemand mit Sir anredet, wird das zwangsläufig Folgen haben. Außerdem wird ab sofort spanisch gesprochen, bis die Dons wieder verschwunden sind.“ Mit einem Seitenblick auf Edwin Carberry fügte er hinzu: „Ed - Sir John bringst du am besten gleich unter Deck, bevor er den Hafenkapitän auf englisch zum Backbrassen einlädt.“ „Aye, Sir, wird sofort erledigt.“ Arwenacks und ihre Freunde verwandelten sich unauffällig in Spanier. Sie hatten bereits einige Übung in diesem risikoreichen Spielchen. Die Mannen gingen wie gewohnt ihrer Arbeit nach, redeten wenig, und wenn es schon sein musste, dann auf spanisch, denn in dieser Sprache hatten sich die meisten von ihnen im Laufe der Jahre erstklassige Fähigkeiten erworben. Als die kleine Schaluppe längsseits schor, trat der Seewolf an das Steuerbordschanzkleid. Der Hafenkapitän sah zumindest freundlich aus. Er war ein kleiner, etwas gedrungener Mann mit rötlichen Pausbacken und listigen kleinen Augen. Er stellte sich als Miguel Sanchez vor und bat darum an Bord kommen zu dürfen. Don Esteban de Castellano, wie Hasard jetzt nannte, erteilte freundlich und großzügig die Erlaubnis. Seine Mannen brachten sofort eine Jakobsleiter aus. Der Hafenkapitän, dessen Uniform an einigen Stellen zu knapp saß, schüttelte dem Seewolf die Hand. „Willkommen in Mollendo, Don Esteban“, sagte er und deutete eine Verbeugung an. „Warum gehen Sie nicht an die Pier?“ „Wir sind sehr in Eile, Senor Sanchez“, erwiderte Hasard. „Dennoch möchte ich nicht versäumen, Sie zur Begrüßung zu einem Becher Wein einzuladen. Wenn Sie mir in meine Kammer folgen würden ...“ „Oh, da bin ich nicht abgeneigt, Don Esteban.“ Bereitwillig folgte der Spanier dem Seewolf in die Kapitänskammer, wo Hasard eine Flasche und zwei Becher aus
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dem Schapp nahm und den funkelnden Rotwein einschenkte. Hasard hob mit einer eleganten Bewegung den Weinbecher. „Auf das Wohl Spaniens“, sagte er, „und auf das Wohl von Mollendo.“ Die Männer tranken. Nachdem sich der Hafenkapitän genießerisch über die Lippen geleckt hatte, wurde er sachlich und fragte nach dem Woher und Wohin. Aber damit hatte Hasard gerechnet, denn das gehörte zu den Aufgaben eines Hafenkapitäns. „Ich sagte schon“, erwiderte er, „daß wir sehr in Eile sind, Senor Sanchez. Deshalb sind wir der Einfachheit halber gleich hier in der Hafenbucht vor Anker gegangen. Mein Schiff, die ,Estrella de Malaga`, und die ,San Lorenzo` als Begleitschiff, sind in einem geheimen Auftrag Seiner Majestät nach Süden unterwegs. Es war nicht vorgesehen, daß wir Mollendo anlaufen, aber schließlich zwang uns ein ganz banaler Grund dazu, diesen hübschen Hafen anzusteuern. Drüben auf der ,San Lorenzo` sind die Holzkohlevorräte zur Neige gegangen, was der Idiot von einem Koch erst heute gemeldet hat. Nun, Sie wissen, Senor, was das unter Umständen für ein Schiff bedeuten kann.“ „Aber natürlich, Don Esteban. Auf der ,San Lorenzo` fährt ein sehr leichtsinniger Koch, wenn diese Bemerkung gestattet ist.“ Der Spanier griff nach dem Weinbecher und trank in langen Zügen. „Damit haben Sie recht“, fuhr Hasard fort. „Der Mann wurde bereits gebührend bestraft, denn ich dulde keine Schlamperei auf Schiffen Seiner Majestät.“ „Gut so, Don Esteban. Dennoch glaube ich, daß Ihr Problem in Mollendo gelöst werden kann. Der Wirt vom ,Cuy` schenkt nämlich nicht nur Wein aus, sondern ist zugleich auch Händler, der Schiffe versorgt. Selbstverständlich hat er auch genügend Holzkohle auf Lager, da habe ich keine Bedenken.“ „Der Wirt vom ,Cuy“?“ fragte Hasard interessiert, weil ihm dieses Wort absolut
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nichts sagte. Spanisch war es jedenfalls nicht. Der Hafenkapitän lächelte. „Oh, ich verstehe. ,Cuy` heißt soviel wie Meerschweinchen. Das Wort stammt aus der Quechua-Sprache der Indios. Der Wirt hat es übernommen und seine Schenke so genannt, weil er ein verrückter Meerschweinchennarr ist und sich jede Menge dieser Tierchen hält. Sie vermehren sich wie die Karnickel, und wie man schon von den Indios weiß, werden sie dort wegen ihres zarten Fleisches sehr geschätzt“ „Interessant!“ Hasard lächelte verbindlich. „Man lernt doch immer wieder dazu. Um jedoch auf unser Problem zurückzukommen, Senor Sanchez: Meinen Sie, daß die Holzkohle noch an diesem Abend übernommen werden kann?“ „Ja, natürlich, Geschäft ist Geschäft“, erwiderte der Hafenkapitän. „Ich werde dem Wirt sofort Bescheid geben, damit alles zügig vonstatten geht und Sie sich nicht zu lange hier aufhalten müssen. Die Schenke und das Warenlager befinden sich unmittelbar am Hafen und sind nicht zu verfehlen.“ „Diese Auskunft ist Musik in meinen Ohren“, sagte Hasard. „Ich bin sehr erleichtert, daß wir die leidige Angelegenheit so rasch erledigen können.“ Er bedankte sich diskret mit einem Goldtaler für das freundliche Entgegenkommen des Hafenkapitäns, was dieser prompt mit einem Kratzfuß honorierte. Von jetzt an zerfloß der rundliche Mann mit den geröteten Pausbacken schier vor Liebenswürdigkeit und Wohlwollen. „Wenn ich sonst nichts weiter für Sie tun kann, Don Esteban“, sagte er, „erlaube ich mir. zurückzusegeln und das Geschäft anzubahnen.“ „Auch dafür habe ich zu danken“, sagte Hasard und begleitete den Hafenkapitän zurück zur Kuhl. Und just in dem Augenblick, in dem Miguel Sanchez abzuentern gedachte, geschah genau das, was die Arwenacks schon des öfteren befürchtet hatten.
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Ein Schott des Vorkastells wurde geöffnet und Paddy Rogers betrat die Kuhl. Noch bevor er das Schott wieder schließen konnte, tauchte ein Schatten hinter ihm auf, der ein lautes Zetern und Kreischen anstimmte und flügelschlagend auf die Kuhl huschte. „Spitzbuben! Halunken! Olivenfresser! Anbrassen Profos!“ krächzte Sir John voller Erregung und flatterte zu seinem Lieblingsplatz, der Vormarsrah, hinauf. Niemand dachte im Augenblick darüber nach, wie der Papagei es geschafft hatte, das Mannschaftslogis, in das der Profos ihn eingesperrt hatte, zu verlassen, aber alle zogen bange Gesichter, weil Sir John in englischer Sprache herumschimpfte. Den Arwenacks jagte er damit einen gehörigen Schrecken ein, zumal jetzt ein äußerst unchristlicher Fluch von der Vormarsrah heruntertönte. Der Hafenkapitän hatte sich überumgedreht. „Oh, ein sprechender Papagei!“ stellte er fest. „Was war das für eine Sprache, in der er geredet hat, Don Esteban? War es nicht die englische?“ Hasard versuchte die Situation zu Er lachte, daß seine weißen blitzten. „Ja, es war die englische“, bestätigte er. „Sie müssen wissen, Senor Sanchez, daß meine Leute diesen Vogel einigen englischen Piraten weggenommen haben, mit denen wir eine sehr unliebsame Begegnung hatten. Bis jetzt hat das Tier nicht vergessen, was es bei dem Gesindel gelernt hat.” Der Hafenkapitän nickte verstehend. Ich habe schon oft gehört, daß diese Vögel sehr gelehrig sein sollen und zuweilen für heitere Unterhaltung sorgen.“ Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt. Er verabschiedete sich ein zweites Mal von Hasard und enterte über die Jakobsleiter in die Schaluppe ab. Sobald er in angemessener Entfernung war, atmeten die Mannen auf. „Das scheint ja noch mal gut gegangen zu sein“, sagte Hasard. Dann wandte er sich an Paddy Rogers, der ein reichlich belämmertes Gesicht zog. „Wie konnte das
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passieren, Paddy? Warum hast du Sir John an Deck gelassen?“ „Das habe ich nicht“, beteuerte der bullige Mann, der im Denken ein bißchen langsam war. „Das Vieh muß mir heimlich gefolgt sein, oder es hat schon irgendwo darauf gelauert, daß jemand das Schott öffnet.“ Die Arwenacks grinsten. Ja, zuzutrauen war das Sir John durchaus, denn er konnte es absolut nicht ausstehen, eingesperrt zu sein. Hasard ließ Jean Ribault über das Gespräch mit dem Hafenkapitän informieren. Der Kapitän der „San Lorenzo“ hatte bereits die große Jolle aussetzen lassen. Soweit war demnach alles klar. Er und seine Mannen würden noch an diesem Abend Holzkohle fassen können und dann weiterklüsen - länger als ein, zwei Stunden würde die Sache wohl nicht dauern. * Jean Ribault führte das Kommando über die Jolle. Zum Mannen der Holzkohlesäcke befanden sich sechs Crewmitglieder der „San Lorenzo“ an Bord. Zu ihnen gehörte Pierre Puthan, ein perückentragender Franzose, sowie Grand Couteau, der seinen Namen „Großes Messer“ der Tatsache verdankte, daß er vorzüglich mit einem solchen umzugehen verstand, und Roger Lutz, ein Schürzenjäger, der schon beim Anblick eines Rockzipfels aus dem Häuschen geriet. Außerdem waren da noch Dave Trooper, ein etwas schwerfälliger Mann, und Mel Ferrow, der auf Schulter und Rücken von Haibissen gezeichnet war. Natürlich fehlte auch Eric Winlow nicht, der sich von Baxters Niederschlag überraschend gut erholt hatte. Der dicke Schiffskoch sah beileibe nicht wie ein reuiger Sünder aus -ganz im Gegenteil: Er hatte schon wieder Oberwasser und riß das Maul auf. Die Nachricht, daß man in Mollendo die Holzkohlenvorräte ergänzen könne, hob seine Stimmung sichtlich.
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Auch jetzt, in der Jolle, grinste er vor sich hin, was wiederum Mel Ferrow auf die Palme brachte. „Ein ernstes Gesicht würde zur Zeit besser zu dir passen, Mister Winlow“, sagte er und warf dem Koch einen schiefen Blick zu. Winlow reagierte spöttisch. „Bügle lieber deine griesgrämigen Falten auf, sonst kriegst du noch einen Knick ins Gesicht.“ Mel Ferrows Gesicht verdüsterte sich noch mehr. „Du hast es gerade nötig, auch noch den Witzbold zu spielen“, sagte er erbost. „An deiner Stelle würde ich das Genick einziehen und mich schämen wie ein Bettnässer.“ „Pah!“ tönte Winlow. „Dafür gibt es keine Ursache. Meine Koje ist trocken, außerdem ist das alles halb so schlimm. Ich frage mich, was die ganze Aufregung soll, wenn wir doch hier bequem Holzkohle fassen können.“ Jean Ribault, der das Gespräch mitgehört hatte, wurde wütend. „Das ist doch der Gipfel!“ sagte er scharf. „Mel hat recht, du solltest dich schämen, Mister Winlow: Vor allem deshalb, weil du so uneinsichtig bist. Jeder Mensch begeht Fehler - mal kleinere, mal größere. Aber seinen Charakter schmälert das nicht unbedingt, wenn er seine Fehler einsieht und darauf achtet, sie nicht zu wiederholen. Dies jedoch scheint dir - trotz der Belehrung' George Baxters - ganz und gar abzugehen. Du bist stur wie ein Esel, und mir scheint fast, daß du nicht einsehen willst, daß du Mist gebaut hast. Außerdem begreifst du offensichtlich nicht, daß es hier gar nicht darum geht, wo, wann oder wie schnell man wieder an Holzkohle kommt, sondern einfach darum, daß du verantwortungslos und pflichtvergessen gehandelt hast und damit die Ursache dieses Aufenthaltes bist. Und ich warne dich. : Wenn du noch lange auf deiner Sturheit verharrst, lasse ich den Profos aus dem Spiel und hämmere dir eigenhändig die Klüsen dicht. Verdammt, ein Mann
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muß auch irgendwann mal etwas einsehen.“ Zum erstenmal huschte eine Spur von Verlegenheit über Eric Winlows Gesicht, aber nur für einen winzigen Augenblick. „Es ist doch nichts passiert“; entgegnete er. „Und irgendwann wäre das Zeug sowieso zur Neige gegangen, und wir hätten nachfassen müssen.“ „Du kommst dir wohl ungeheuer klug vor, was?“ fragte Ribault mit scharfer Stimme. „Natürlich wäre die Kohle einmal zur Neige gegangen. Die Tatsache, dass sie weniger wird und deshalb ergänzt werden muß, wirft dir ja auch niemand vor. Dein Versäumnis liegt ausschließlich darin, dass du die Sache nicht rechtzeitig gemeldet hast, und an dieser Tatsache kannst du dich mit dummen Geschwätz nicht vorbeireden. Die Sache hätte ins Auge gehen können, und sie kann es immer noch, wenn uns die Spanier dort drüben in Mollendo auf die Schliche kommen. Die können uns ganz schön auf die Füße treten, wenn sie wollen.“ Ohne ein Erwiderung Winlows abzuwarten, wandte sich Jean Ribault an Pierre Puchan. „Gib dem Burschen endlich die Perücke, die du für ihn mitgenommen hast.“ Um ein Haar wäre Winlow von der Ducht hochgefahren. „Was? Ich soll wieder mal eine solche Scheißperücke aufsetzen? Verdammt, was Besseres fällt euch wohl nicht ein! Ich bin im Gegensatz zu Puchan stolz auf meine Glatze und sehe nicht ein, warum ich sie verbergen soll. Außerdem sehe ich mit dem Ding auf dem Kopf aus wie ein frisierter Ochse.“ „Der du auch bist!“ fügte Jean Ribault hinzu. „Du wirst auf jeden Fall die Perücke aufsetzen, ob es dir passt oder nicht. So siehst du mit dem schwarzen Haar wenigstens ein bisschen spanischer aus und fällst nicht allzu sehr auf.“ Eric Winlow streichelte seinen spiegelblanken Schädel, während Puchan eine schwarze Perücke aus dem offenen Hemd kramte und sie ihm auf die Knie warf. Er zog dabei ein mürrisches Gesicht,
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denn er verlieh seine Perücke nicht besonders gern, weil damit meist nur Schabernack getrieben wurde, und gerade das konnte er auf den Tod nicht ausstehen. Für gewöhnlich hütete er die Dinger wie seinen Augapfel, zumal er davon überzeugt war, damit wesentlich besser auszusehen als mit seinem Kahlkopf. Winlow hielt die Perücke in der Hand und betrachtete sie, als hätte ihm jemand einige faule Eier hineingepackt. Dabei knurrte er widerwillig. „Setz' das Ding endlich auf, Mister Winlow, das ist ein Befehl!“ Ribault warf ihm einen scharfen Blick zu. Der Koch stülpte sich das schwarzhaarige Utensil, das seiner Meinung nach wie ein Rattenfell aussah, zögernd über den kahlen Schädel. Sekunden später saß er völlig verändert auf der Ducht. Hatte er zuvor noch wie eine Dogge ausgesehen, so glich er jetzt einem behäbigen spanischen Kaufmann. Er sah genauso „spanisch“ aus wie Pierre Puchan, der seine geliebten Perücken mit Stolz und Würde trug. Die Mannen begannen zu grinsen. „Jetzt siehst du aus wie ein Bulle mit Hut“, erklärte Grand Couteau. „Oder wie ein Ochsenfrosch mit Nachthäubchen“, fügte Mel Ferrow hinzu. Erich Winlow reagierte bissig. „Laßt die blöden Witze!“ zischte er. „Ich weiß selber, daß ich mit diesem Rattenfell auf dem Kopf fürchterlich aussehe.“ Jetzt holte Pierre Puchan tief Luft. „Rattenfell?“ japste er. „Das ist die Höhe! Ich leihe diesem glatzköpfigen Affen eine meiner besten und teuersten Perücken, und der Kerl bezeichnet sie als Rattenfell. Am liebsten würde ich sie dir um die Ohren schlagen.“ Zu Ribault gewandt, fuhr er fort: „Und außerdem, Kapitän, wenn diese Tranfunzel eine Perücke braucht, könnte er sich gefälligst selber mal eine zulegen.“ „Damit hast du gar nicht so unrecht“, entgegnete Ribault. „Nur wird er in dieser Gegend schwerlich eine auftreiben. Ich schlage deshalb etwas anderes vor: Wenn sich Mister Winlow wieder zu einem normalen Menschen entwickelt hat, könnte er dich bei einem Landgang mal zu einer
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Flasche Rum einladen - sozusagen als Abnutzungsgebühr.“ Puchans Gesicht hellte sich auf. „Keine schlechte Idee, Kapitän. Hast du es gehört, Mister Winlow? Ein solches Prachtstück ist nicht gerade billig. Du könntest dafür ruhig einen ausgeben.“ „Schon gut“, sagte Winlow verdrossen, „ich spendiere dir 'ne Flasche, auch wenn ich nicht um dieses verdammte Ding gebeten habe.“ Der Kapitän der „San Lorenzo“ spähte zum Hafen hinüber. „Ab sofort wird nur noch spanisch gesprochen“, entschied er. „Wir haben die Pier bald erreicht.“ Die Aufmerksamkeit der Männer wurde jetzt mehr und mehr vom Hafengebiet in Beschlag genommen, was Eric Winlow nur recht war. Dennoch spürte der Koch deutlich, daß er bei der Mannschaft „im Verschiß“ war. Er hatte jedoch ein dickes Fell und sich noch niemals unterkriegen lassen. Die sollten sich nur nicht so haben, wegen der paar Säcke Kohle, sonst würde er sich zu gegebener Zeit mal jeden einzeln kräftig vorknöpfen. Als die Jolle an der Pier anlegte, wurde sie vertäut Und die Le Vengeurs enterten an Land. Nur Mel Ferrow blieb zur Bewachung zurück. 3. In Mollendo herrschte ein buntes Leben und Treiben, obwohl der spanische Stützpunkt an der peruanischen Küste im Grunde genommen ein gottverlassenes Nest war. Weißgetünchte, kastenförmige Häuser im spanischen Stil wechselten ab mit rohen Steinbauten und ärmlichen Holzhütten. In den engen Gassen und Winkeln wurde gefeilscht und gehandelt, außer den Dons waren auch zahlreiche Indios zu sehen. Es herrschte das gleiche Kunterbunt wie im Hafen, wo neben zahlreichen Fischerbooten und Schaluppen auch einige Frachtsegler vor Ankerlagen. Die Schenke mit dem indianischen Namen „Cuy“ befand sich – wie der Hafenkapitän angekündigt hatte - in unmittelbarer Nähe
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des Hafens. Es handelte sich um eines jener weißgetünchten Gebäude, die den in der Ansiedlung lebenden Spaniern ein wenig Erinnerung an die alte Heimat vermittelten. An der Rückseite der Schenke befanden sich zwei große Lagerschuppen, die für die Schiffsausrüstung in Mollendo von großer Bedeutung waren. Als die Le Vengeurs nur noch wenige Schritte von der Kneipe entfernt waren, flog dort plötzlich mit einem lauten Quietschen die Tür auf und prallte hart gegen die Wand. Lautes Stimmengewirr und Gegröle drang auf die Gasse heraus, dann segelte ihnen ein menschlicher Körper unmittelbar vor die Füße. Bei dem Mann, der bäuchlings auf das Pflaster krachte, handelte es sich um einen schmuddeligen, dürren Kerl, der ein lautes Gekreisch anstimmte und wilde Flüche ausstieß. In der Türöffnung tauchte eine rundliche Gestalt auf, über deren mächtigen Bauch sich eine speckige Lederschürze wölbte. Der Mann trug außerdem ein weißes Hemd und Hosen die bis zu den Knien reichten – dazu helle Strümpfe und teure Schnallenschuhe. Er war unverkennbar der Wirt der Schenke. „Verschwinde, du Mistkerl!“ rief er mit dröhnender Stimme. „Und laß dich hier so bald nicht wieder blicken, sonst gerbe ich dir das Fell wie einen störrischen Maulesel!“ Der im Dreck liegende Zecher wälzte sich auf die linke Seite und vollführte mit der rechten Hand eine drohende Geste. „Das wirst du bereuen, José!“ rief er mit keifender Stimme zurück. „Jawohl, das wirst du bereuen!“ Den Wirt beeindruckte das wenig. „Laß die albernen Drohungen, du Habenichts! Wenn du dich nicht packst, werfe ich dich in die Hafenbrühe. Keine Münze im Beutel, aber Unmengen meines erstklassigen Weines saufen wollen - so was liebe Die Hände in die Hüften gestützt trat er auf die Gasse. Der dürre Kerl rappelte sich überraschend schnell hoch und gab Fersengeld. Er schien
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nicht das geringste Interesse daran zu haben, in das schmutzige Hafenwasser befördert zu werden. Erst jetzt wandte sich der füllige Wirt den Le Vengeurs zu und musterte sie einen Augenblick neugierig. Schließlich huschte ein Grinsen über sein feistes Gesicht. „Treten Sie in mein bescheidenes Haus ein, Senores“, sagte er und verbeugte sich. „Und entschuldigen Sie, daß Ihnen dieser Dreckskerl vor die Füße geflogen ist, denn ich habe Sie zu spät bemerkt. Der Bursche ist mir wieder einmal die Zeche schuldig geblieben. Außerdem hat er sich abfällig über meine niedlichen kleinen Meerschweinchen geäußert. Es war höchste Zeit, ihm wieder mal zu zeigen, daß mit dem Wirt des ,Cuy' nicht zu spaßen ist. Übrigens - mein Name ist Jose Ramon. Sie werden sich in meiner Schenke bestimmt wohl fühlen.“ „Daran gibt es keinen Zweifel“, erwiderte Jean Ribault höflich. „Ich fürchte nur, daß uns nicht allzu viel Zeit bleiben wird. Mein Name ist Juan Ribaultajo. Ich bin der Kapitän der ,San Lorenzo`, diese Männer hier gehören zu meiner Mannschaft. Leider sind wir sehr in Eile ...“ „Oh, Sie sind also der Capitan, der neue Holzkohle braucht“, sagte der Wirt sichtlich erfreut und rieb sich die Hände. „Der Hafenkapitän hat Sie bereits angekündigt. Aber treten Sie doch ein, Senores, und lassen Sie sich trotz Ihrer Zeitnot zu einem Begrüßungstrunk einladen. Ein Becher Rotwein belebt die Geschäfte.“ Der schlitzohrige Wirt des „Cuy“, der selber aussah wie ein Meerschweinchen, versprach sich wohl bessere Preisergebnisse, wenn er seine Kundschaft erst einmal zu einem kleinen Umtrunk einlud. „Na schön“, sagte Ribault. „Wir nehmen Ihre Einladung an - auf einen Becher in aller Kürze.“ Die Mannen folgten dem Wirt in die Schenke. Dort roch es nach Schweiß und Rotwein. Die Luft war stickig und heiß. Die roh gezimmerten Holzbänke waren gut besetzt, der Schankknecht Jose Ramons
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hatte alle Hände voll zu tun. Einige Zecher, die bereits zu tief in den Weinkrug geschaut hatten, lallten andalusische Liebeslieder. Die Hauptattraktion der Schenke aber bildeten unweigerlich die zahlreichen aufeinandergestapelten Kästen, die vorne vergittert waren und eine ganze Wand einnahmen. In ihnen wimmelte es von kleinen, possierlichen Tierchen, die Männchen bauten und über eine Art Schaufelrad liefen, das sich dadurch in Bewegung setzte und Glöckchen zum Klingen brachte. Ein bißchen verrückt war das schon, fanden die Le Vengeurs, zumal in der Kneipe immer wieder brüllendes Gelächter einsetzte, wenn in einem der Kästen Liebesspiele betrieben wurden. Jose Ramon schien die Meerschweinchen zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib seiner Gäste zu halten. Jean Ribault und seine Mannen hatten sich an einem Tisch niedergelassen, von dem aus sie die zahlreichen Kästen überblicken konnten, und schon nach wenigen Minuten mußten sie sich grinsend eingestehen, daß es recht amüsant war, die Tierchen zu beobachten. Nur Eric Winlow saß mürrisch auf der Holzbank und gab sich äußerst wortkarg, was jedoch nichts mit seinen Spanischkenntnissen zu tun hatte, denn die waren ausgezeichnet. Von Zeit zu Zeit betastete er die Perücke, als wolle er deren Sitz überprüfen. Seine Miene erhellte sich erst etwas, als der Wirt mit einem großen Weinkrug und den -dazugehörenden Bechern erschien. Jose Ramon schenkte dienstbeflissen ein und setzte sich zu den Le Vengeurs - ohne im geringsten zu ahnen, daß es sich bei diesen Männern um „falsche“ Spanier handelte. „Trinken wir auf unsere Geschäfte“, sagte er und hob seinen Becher. „Ich hoffe, der Tropfen wird Ihnen schmecken. Es ist der beste, den ich auf Lager habe - ein echter Rioja aus dem Flußgebiet des Ebro.“ Der Wein schmeckte in der Tat, und es war den Männern von vornherein klar, daß der
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schlitzohrige Wirt den Preis dafür um ein Mehrfaches dem Kohlepreis zuschlagen würde. Die Becher waren in kurzer Zeit geleert, und als der Wirt nachfüllen wollte, hob Jean Ribault abwehrend die Hände. „Das Gewächs aus den Weingärten Logronos ist in der Tat edel“, sagte er. „Aber so vorzüglich der Wein, auch mundet, Senor Ramon - unsere Zeit ist sehr knapp bemessen. Ich würde es begrüßen, wenn wir jetzt zum geschäftlichen Teil übergehen könnten.“ „Aber natürlich können wir das, Senor Ribaultajo. Das ist kein Problem. Mein Schankknecht wird sich um die anderen Gäste kümmern, so daß ich mich ganz Ihren Wünschen widmen kann. Darf ich Sie bitten mir in die Lagerräume zu folgen?“ Die Männer erhoben sich. Nach wenigen Minuten betraten sie das Warenlager des Wirts, der zugleich er größte Händler in Mollendo war. In den geräumigen Schuppen stapelten sich Waren aller Art bis an die Decken. Auch Holzkohle war in großen Mengen vorhanden. Jose Ramon deutete stolz auf die Säcke mit der begehrten Ware. „Es handelt sich um erstklassige Kohle“, versicherte er geschäftsmächtig. „Viele Schiffe Seiner Majestät decken ihren Bedarf bei mir, zumal ich zu sehr niedrigen Preisen verkaufe.“ „Na, wir werden sehen“, sagte Jean Ribault und richtete seinen Blick auf Eric Winlow. „Senor Fernandez, prüfen Sie bitte die Qualität der Kohle.“ „Si, Capitan“, murmelte der Schiffskoch und registrierte im Unterbewußtsein den neuen Namen, den ihm Ribault soeben verpaßt hatte. Ohne besondere Begeisterung stapfte er auf die Säcke zu, öffnete einen davon und besah sich die Ware. „Esta bien“, sagte er schließlich und brachte damit zum Ausdruck, daß die Qualität in Ordnung wäre. „Wie viele Säcke sollten wir Ihrer Meinung nach fassen, Senor Fernandez?“ Ribault sah den Koch abwartend an.
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Winlow schien einen Augenblick zu überlegen und kratzte sich dabei gedankenverloren an der Perücke, was Pierre Puchan mit einem besorgten Blick registrierte. „Vierzig“, erwiderte Winlow schließlich naserümpfend, „in Anbetracht der Tatsache, daß auch die „Estrella“ zu versorgen ist.“ Offenbar war er der Meinung, der Kutscher habe sich ebenfalls verkalkuliert. Jean Ribault nickte. „Nehmen wir fünfzig“, entschied er, denn er wollte in diesem Fall sicher sein, daß sich eine solche Pleite nicht wiederholte. Und was seinen Koch betraf, gelangte er mehr und mehr zu der Erkenntnis, daß er ihm später wohl doch einmal kräftig in den Hintern treten mußte - wie Edwin Carberry das vorgeschlagen hatte. Es war schon ein Kreuz mit diesem Kerl, der mit mürrischem Gesicht herumlief und sich als beleidigte Leberwurst aufspielte, obwohl er grob versagt hatte. Prompt ging der Ärger weiter. Als man sich auf fünfzig Säcke geeinigt hatte, nannte Jose Ramon seinen Preis. Natürlich einen viel zu hohen. Eric Winlow aber nickte uninteressiert. „Der Preis ist angemessen“, bestätigte er. Ribault und die anderen Männer warfen ihm verwunderte Blicke zu. War er jetzt zu gleichgültig oder gar zu faul zum Handeln? Das Feilschen mit Schiffshändlern war fast schon ein ungeschriebenes Gesetz, das wußte jedes Kind. Es gehörte dazu wie das Salz in der Suppe. Außerdem leuchtete dem rundlichen Wirt die Schlitzohrigkeit genauso aus den flinken, schwarzen Augen wie dem guten Diego auf Tortuga. „Ist das Ihr Ernst, Senor Fernandez?“ fragte Jean Ribault. In seiner Stimme lag eine Spur Schärfe. „Meiner Meinung nach ist der Preis angemessen, Capitan“, wiederholte der Koch wenig beeindruckt. Ribault mußte sich beherrschen. „Meiner Meinung nach aber nicht“, fuhr er fort. „Wir kennen die Preise für Holzkohle, denn es ist nicht das erste Mal, daß wir welche einkaufen.“ Und zu Jose Ramon
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gewandt, fügte er hinzu: „Ihr Preis ist viel zu hoch, Senor. Sie haben die große Menge unserer Bestellung nicht berücksichtigt.“ Jose Ramon zog ein entsetztes Gesicht und schlug jammernd die Hände über dem Kopf zusammen. „Natürlich habe ich das, Capitan Ribaultajo, wo denken Sie hin? Ich habe Ihnen einen äußerst günstigen Preis genannt, in den die georderte Menge einkalkuliert ist. Hätten Sie nur zwanzig oder dreißig Säcke genommen, hätte ich den doppelten Preis verlangen müssen. O Madre de Dios, mein Preis ist ein wahrer Sonderpreis, der für mich kaum noch einen Verdienst enthält ...“ Im Handumdrehen war ein wortreiches Gefeilsche im Gange, bei dem nicht nur der Wirt des „Cuy“, sondern. auch Jean Ribault sein Geschick unter Beweis stellte. Eric Winlow schien das alles nicht zu interessieren. Er stierte eingeschnappt in eine .Ecke und gab sich so, als könne ihm die ganze Welt mal eben den Buckel runterrutschen. Als Jean Ribault den Wirt schon fast so weit gebracht hatte, daß er seinem Preisvorschlag zustimmte, spielte er seinen letzten Trumpf aus. Nach einer wortreichen Erklärung holte er tief Luft und bedachte den Wirt mit einem verbindlichen Lächeln. „Übrigens, Senor Ramon“, fuhr er fort, „habe ich eigentlich schon erwähnt, daß ich beabsichtige, noch zwei Fässer von dem erlesenen Rioja zu kaufen, den Sie uns in der Schenke kredenzt haben?“ „Aber nein, das haben Sie nicht, Capitan!“ „Natürlich kann ich diesen Entschluß nur dann aufrechterhalten, wenn wir uns bei der Holzkohle auf einen vernünftigen Preis einigen, denn die Mittel, die Seine Majestät einer Kriegsgaleone für den Einkauf zur Verfügung stellt, sind äußerst begrenzt, wie Sie sicherlich wissen.“ „Oh, ich weiß, ich weiß, Senor Capitan!“ Die Stimme des Meerschweinchen-Wirtes klang wehklagend. „Gerade deshalb bin ich Ihnen preislich ja schon bis an die Hungergrenze entgegengekommen. Aber bitte, Senor, ich will mir nicht nach- sagen
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lassen, ich hätte einem Schiff Seiner Majestät wegen fehlender Geldmittel die dringend erforderliche Holzkohle verweigert, deshalb stimme ich - gutmütig und hilfsbereit wie ich nun mal bin - Ihrem Preisvorschlag zu. Aber wirklich nur schweren Herzens, Capitan, .sehr schweren Herzens sogar. Und ein klein wenig auch in der Hoffnung, den zu erwartenden Verlust wenigstens zum Teil durch den Verkauf des vorzüglichen Weines ausgleichen zu können. Das sage ich als Mann, der im Begriff ist, zu verarmen. Aber selbst das würde ich zum Wohle Seiner Majestät, des Königs von Spanien, auf mich nehmen.“ Ribault lachte sich im stillen eins. Dennoch war er sich darüber im klaren, daß er auch in bezug auf die beiden Fässer Wein noch ein hartes Wortgefecht zu bestehen hatte: 'Bevor er sich jedoch auf die diesbezüglichen Preisverhandlungen einließ, wandte er sich an Eric Winlow, weil ihm der Kerl durch sein teilnahmsloses Herumstehen einfach auf den Geist ging. „Sie haben gehört, Senor Fernandez“, sagte er, „daß ich mich mit Senor Ramon auf einen vernünftigen Kohlepreis geeinigt habe. Da wir in Eile sind, besteht kein Grund mehr, tatenlos Löcher in irgendwelche Ecken zu starren. Sie haben als der für die Kohle Verantwortliche die Ehre, die ersten Kohlesäcke zu unserer Jolle zu bringen.“ 4. Eric Winlows Gesicht wurde noch trotziger. „Si, Senor Capitan!“ brummte er. Dann packte er zwei Holzkohlesäcke, klemmte sie unter die Arme und latschte los. Sollen sie den Wein doch alleine saufen, sagte er sich, als er die Gasse betrat. Er wußte nur zu gut, daß man im Lagerschuppen Jose Ramons jetzt noch eine Weinprobe veranstalten würde, bevor man sich auf den Preis einigte. Da tat es nichts zur Sache, daß der Wirt bereits einen „Begrüßungsschluck“ von dem
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teuren Rioja spendiert hatte. Ihn aber wollte der Kapitän ganz offensichtlich nicht dabei haben, daran gab es keinen Zweifel. Und alles nur wegen der verdammten Holzkohle! Am liebsten hätte er das Zeug ins Wasser geschleudert, aber da würde es wohl noch mehr Stunk geben. Außerdem war mit Jean Ribault nicht zu spaßen. Wenn bei dem der Faden riß, konnte er ganz schön hart zuschlagen. Dennoch wurmte es ihn gewaltig, daß er den Lastesel spielen sollte, während die anderen den guten Rotwein soffen. „Na, mein Süßer, du siehst aus, als ob du ein bißchen Trost und Entspannung nötig hättest.“ Die weibliche Stimme riß Eric Winlow aus seinen finsteren Gedanken. Und da sah er sie. Sie lehnte an einem Stapel leerer Fässer und bemühte sich, ihre dürren Beine zur Schau zu stellen, indem sie mit mißglückter Eleganz den langen Rocksaum ein Stück anhob. Als Winlows Blicke ihr Gesicht streiften, entglitten ihm beinahe die Kohlesäcke. Das Haar war zottelig und die Haut voller Falten. Die Zahnlücke, die sie beim Lächeln präsentierte, konnte selbst einem Kerl wie ihm einen Schauer über den Rücken jagen. „Laß mich in Ruhe, du Schlampe!“ stieß er wütend hervor. „So was wie dich würde ich nicht mal mit der Zange anfassen.“ Mit verbissenem Gesicht setzte er seinen Weg fort. Das aber war der Senorita gar nicht recht. Jawohl, sie fühlte sich sogar in ihrer Ehre gekränkt wegen der unverschämten Bemerkung dieses Grobians. Und immer, wenn sie sich in ihrer Ehre gekränkt fühlte, wurde sie wütend. Das wiederum äußerte sich durch eine höhere Stimmlage, die alles zu übertönen vermochte. In der Tat ließ das Gekreische, das sie anstimmte, selbst die Händler an ihren Obst- und Gemüsekarren verstummen. „Von so einem stinkenden Ziegenbock, wie du einer bist, würde ich mich auch gar nicht anfassen lassen!“ schrie sie. „Geh' doch und versaufe dein Geld lieber, du verlauster Mastochse. Wenn du mich noch
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einmal belästigst, rufe ich die Stadtgarde herbei!“ Viele Blicke waren plötzlich auf Eric Winlow gerichtet, und das war ihm gar nicht recht. Erstens war er trotz der schwarzen Perücke kein Spanier, was in seinem eigenen Interesse niemand erfahren durfte, und zweitens betrachtete ihn jeder auf der Gasse als abgeblitzten Hurenbock. Verdammt, dabei tat er nichts anderes, als die Kohlesäcke zur Pier zu schleppen. Am liebsten wäre er umgekehrt, um dem Miststück von einer Hafenhure eine Maulschelle zu verpassen, aber damit hätte er nur noch größeres Aufsehen erregt. Also marschierte er mit vor Wut gerötetem Gesicht weiter, bis er die Pier erreichte. Dort ließ ihn Mel Ferrows grinsendes Gesicht nur noch wilder werden. „Hier hast du das verdammte Zeug!“ zischte er und knallte die beiden Säcke mit einer solchen Wucht auf die Holzbohlen der Pier, daß einer davon aufplatzte und die Kohle herausbröselte. Zudem hatte er plötzlich englisch gesprochen, aber zum Glück war niemand in unmittelbarer Nähe, der es hätte hören können. „Paß doch auf, du Idiot!“ fuhr ihn Mel Ferrow an. „Willst du, daß die Kohle ins Wasser fällt? Außerdem -wenn du noch ein einziges englisches Wort von dir gibst, schlag' ich dir die Klüsen dicht und erstatte Meldung beim Kapitän. Du weißt so gut wie ich, daß du uns damit alle in größte Gefahr bringst.“ Eric Winlow hieb mit der Faust in die Luft. „Du kannst mich mal!“ stieß er wutentbrannt hervor. Aber wenigstens redete er wieder in spanischer Sprache. Dann drehte er sich um und marschierte zurück, ohne sich im geringsten um den aufgeplatzten Sack zu kümmern. Mit* Erleichterung stellte er fest, daß sich die Hafenhure nicht mehr an ihrem Standplatz befand. Er verspürte auch keinerlei Lust, sich noch einmal das Gekeife dieses Weibes anzuhören. An der Schenke angelangt, begab er sich nicht etwa zum Lagerschuppen, um weitere Kohlesäcke abzuholen, sondern marschierte geradewegs in den
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Schankraum, wo er sich einfach an den Tresen lümmelte. „Womit kann ich dienen, Senor?“ fragte Ramons Gehilfe dienstbeflissen. „Gib mir einen Zuckerrohrschnaps!“ Als ihm der Schankknecht das scharfe Zeug über die Holzplatte schob, bezahlte er großkotzig mit einer Goldmünze. Dasselbe tat er beim zweiten Becher. Dann erst ging er hinüber zum Warenlager. Daß vier Kerle mit üblen Visagen, die seit Stunden im „Cuy“ herumlungerten, sich erhoben und ohne Hast hinausschlenderten - das kriegte der aufmüpfige Schiffskoch nicht mit. * Jean Ribault stutzte, als Eric Winlow den Lagerraum betrat. Warum, zum Teufel, kam der Kerl vom Schankraum her und nicht durch die Tür des Lagers, die zum Hafen hinausführte? Hatte er sich etwa am Tresen einen genehmigt? Die Vermutung Ribaults sollte sich rasch bestätigen, denn die durchdringende Schnapsfahne des Kochs verbreitete sich mit jedem Atemzug und überlagerte den Duft des gehaltvollen Rotweins, den die übrigen Le Vengeurs gerade probierten. Winlow schien sich an der Weinprobe nicht zu stören. Er brachte sogar ein spöttisches Grinsen zustande, als er die verwunderten Blicke seiner Kameraden sah. „A su salud - Zum Wohl!“ sagte er. „Ist der Wein seinen Preis wert?“ Ribault setzte abrupt den Becher ab. „Seit wann kümmern Sie sich um Preise, Senor Fernandez? Außerdem scheint Sie Zuckerrohrschnaps weit mehr zu interessieren als ein edler Tropfen aus unserer spanischen Heimat.“ Er befahl dem Koch mit eiskalter Freundlichkeit, die nächster beiden Säcke zur Pier zu bringen. Winlow gehorchte wortlos, dennoch war er nicht mehr so mürrisch wie beim ersten Mal. Und das hatte seinen speziellen Grund. Wenn ihr einen sauft, dachte er, kann ich das auch. Notfalls kann ich sogar
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noch viel mehr. Er grinste sich eins, als ihm die Liebesspiele der Meerschweinchen einfielen. Aber zunächst einmal würde er auf dem Rückweg über die Schenke wieder einen zur Brust nehmen. Mit wuchtigen Schritten stapfte er abermals zur Pier, wo Mel Ferrow bereits auf ihn wartete. Dort angelangt, knallte er die Säcke genauso wie zuvor auf die Bohlen, drehte sich wortlos um und begab sich auf den Rückweg. „Verdammter Affenarsch!“ fluchte Mel Ferrow, der den kaputten Sack abgebunden und verstaut hatte. Diesmal blieben zwar beide heil, aber er hatte es trotzdem satt, sich das rüde Benehmen des Kochs gefallen zu lauen. Er schwor sich. beim nächsten Mal auf der Pier zu sein und diesem Bastard die Zähne einzuschlagen. Wütend holte er die beiden Holzkohlsäcke in die Jolle und achte nicht mehr darauf, welchen Kurs Eric Winlow einschlug. 5. „Senor Fernandez“ rückte die geliehene Perücke zurecht und steuerte an einer Gasse vorbei, die ein Stück vor der Schenke lag. Ein Obsthändler, der mit zwei vollen Körben auf ihn zuging, versperrte ihm den Weg, indem er die Körbe einfach vor Winlows Füßen abstellte. „Greifen Sie zu, Senor“, sagte der junge Bursche_ Früchte werden Sie in ganz Mollendo nicht finden, und schon gar nicht zu dem Preis, den ich Ihnen bieten werde.“ Der Schiffskoch winkte unwillig ab. „Verschwinde, ich brauche nichts von dem Zeug! Wenn du es nicht los wirst, dann friß es So rasch aber ließ sich der Händler nicht abwimmeln. Er holte einige exotische Früchte aus den Körben und hielt sie Winlow vor die Nase. „Aber sehen Sie doch, Senor, wie herrlich rund und frisch diese ...“ Winlow schnitt ihm das Wort ab. „Du sollst verschwinden, habe ich gesagt!“ Er schubste den jungen Burschen einfach zur Seite, denn meine Augen hatten
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inzwischen etwas anderes erspäht, und zwar nur wenige Schritte entfernt in der Einmündung der Seitengasse. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Dort drüben gibt es nämlich auch frische, runde Früchte“, fügte er hinzu, „und zwar von der schönsten Sorte.“ Als der Obsthändler der Blickrichtung des Kochs folgte, begriff er, dass da kein Geschäft zu tätigen war. Zumindest nicht für ihn. Er griff nach seinen Körben und setzte sich wieder in Bewegung. Eric Winlow aber hatte nur noch Augen für die Frau, die in der Nähe eines Hauseinganges stand und trotz der hereinbrechenden Dunkelheit deutlich zu sehen war. O ja, die zwei herrlich runden Früchte, die von einer dünnen Bluse nur spärlich verdeckt wurden, stachen ihm förmlich in die Augen. Überhaupt war das Weib ziemlich gewagt gekleidet, wie er mit Kennerblick feststellte. Zum Teufel, da konnte einem glatt die Perücke hochgehen. Die Schöne, die sich jetzt lässig an die Hauswand lehnte, bot fürwahr einen anderen Anblick als die abgetacktelte Hafenhure, mit der er sich vor einer halben Stunde beinahe in die Wolle gekriegt hatte. Das rassige Weib da drüben, das ihm sogar noch einladend zuwinkte, war beileibe keine Vogelscheuche, die ihre Umgebung mit riesigen Zahnlücken erschreckte. Im Gegenteil – Senorita war jung und knusprig, hatte einen wohlgebauten Körper mit üppigen Formen, und ihr ebenmäßiges Gesicht, das an eine Puppe erinnerte, wurde von langem, pechschwarzen Haar eingerahmt. Eric Winlow würdigte den Obsthändler keines Blickes mehr, und die sechsundvierzig Säcke mit Holzkohle, die noch im Lagerschuppen Jose Ramons auf den Abtransport warteten, vergaß er augenblicklich. Dafür aber setzte er jetzt sein Sonntagsgrinsen auf und winkte zurück. Als ihm die Senorita zu allem Überfluß noch eine Kußhand zuwarf, rieselte ihm ein angenehmer Schauer über den Rücken. Niemand konnte jetzt mehr verhindern,
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daß der bullige Koch hart nach Steuerbord abfiel und Kurs auf dieses prachtvolle Weib nahm. Am Ziel angelangt, stützte er die riesigen Pranken in die Hüften und ließ wie zufällig die beachtlichen Muskeln spielen. Jawohl, der renitente Koch der „San Lorenzo“ balzte plötzlich wie ein verliebter Auerhahn. „Sieh an, sieh an“, sagte er in seinem besten Spanisch, „in den dunkelsten Gassen blühen die hübschesten Blumen.“ Die „Blume“ kicherte geziert -wohl wissend, daß dies bei manchen Freiern die Reize erhöht und somit den Marktwert steigert. „Wie heißt du denn, mein Täubchen?“ fragte Eric Winlow. „Rosalita“, lautete die Antwort, der ein lockender Augenaufschlag folgte. Allein dieser Blick ging Eric Winlow durch Mark und Bein. Und dann noch diese hauchzarte Stimme! So müssen die Posaunen der himmlischen Heerscharen klingen, sagte er sich und verwarf den Gedanken sofort wieder: Blödsinn, Posaunen sind doch viel zu laut. Viel eher klingt diese Stimme so weich wie eine Hirtenflöte. Winlow wurde direkt poetisch. „Und wie heißt du, Amigo?“ Die Senorita trat auf ihn zu und stoppte erst dann, als sich ihre Körper. fast berührten. Winlow atmete tief durch. „Ich? Ich heiße - äh - Pedro, jawohl, Pedro.“ Blitzschnell hatte er sich einen spanischen Vornamen einfallen lassen. Die „Blume“ von Mollendo lächelte verführerisch. „Pedro“, sagte sie. „Ein schöner Name. Er paßt zu einem starken Mann wie dir und ebenso zu deinen hübschen schwarzen Haaren.“ Ein mittlerer Blitzschlag durchzuckte den Koch. Heiliger Bimbam, überlegte er, die hat sich in meine schwarzen Haare verknallt! Wenn sie jetzt merkt, daß es eine Perücke ist, dann ... Er schluckte hart. „J-ja, er paßt gut zu meinen Haaren“, stotterte er. „Ich - ich hatte schon als Kind so schöne schwarze Locken.“
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„Herrlich“, schmeichelte sie. „Du mußt nämlich wissen; daß ich Blondschöpfe oder gar Glatzköpfe überhaupt nicht ausstehen kann.“ Einen Augenblick geriet für Eric Winlow die ganze Welt ins Wanken, dann aber faßte er sich wieder. Schließlich hatte die Hübsche ja keine Ahnung davon, daß Puchan ihm eine seiner dämlichen Perücken verpaßt hatte. „Ich - ich eigentlich auch nicht“, pflichtete er ihr scheinheilig bei. „Vor allem die Glatzköpfe, das - das sind meist ziemlich hinterhältige Kerle.“ Nach soviel Zustimmung legte die schöne Rosalita plötzlich alle Geziertheit und Zurückhaltung ab und schlang dem schwarzgelockten Schiffskoch die Anne um den Nakken. „Du hast doch ein bißchen Zeit für mich, Süßer?“ „Aber natürlich, mein Täubchen.“ „Und ein paar Münzen für mich hast du auch?“ „Aber selbstverständlich, meine kleine Rosalita. Für dich sogar Goldmünzen.“ Winlow grinste gönnerhaft, währender unter den Blicken der Senorita dahin schmolz. „Du bist unwiderstehlich“, schwärmte sie in ihrer mädchenhaften Art, und bevor sich Winlow versah, hauchte sie ihm einen flüchtigen Kuß auf die Lippen. „Natürlich darfst du mich begleiten“, fügte sie vielversprechend hinzu, „und wenn du möchtest, darr du die ganze Nacht über bei mir bleiben. Na, komm schon, du großer starker Bär ...“ Das nun war himmlischer Posaunenschall und zarter Flötenton zugleich. Eric Winlow, dessen Verstand sowieso längst auf Eis lag, folgte der hübschen Rosalita nur allzu willig. „Es ist nicht weit, sagte sie. „Wir müssen nur da vorne um die Ecke.“ Der Schein der Hafenlaternen warf sein trübes Licht auf das seltsame Paar. das die Gasse entlanghuschte. Die besagte Ecke war schnell erreicht und auch das, was hinter dieser Ecke auf ihn lauerte, sollte dem verliebten Schiffskoch schnell ins Bewußtsein dringen.
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Bevor er sich versah, tauchte ein dunkler Schatten aus einer Nische hervor und umschlang von hinten seinen Hals. Gleichzeitig fühlte er die Spitze eines Messers an seiner Gurgel. „Schön stillhalten!“ zischte eine Männerstimme, die so gar nicht nach Hirtenflöte klang. Aber genau das wollte Eric Winlow nicht. Seine riesigen Pranken zuckten reflexartig nach oben und umklammerten den fremden Unterarm, der sich wie ein Schraubstock unter sein Kinn geklemmt hatte. Seine Gegenwehr hatte jedoch keinerlei Erfolgsaussichten, denn schon bei diesem ersten Versuch verstärkte sich der Druck der Messerspitze an seiner Gurgel, ja, er fühlte sogar einen brennenden Schmerz, wie ihn nur ein Ritzer in der Haut verursacht. „Wenn du nicht brav wie ein Lamm bist, wird man dich tot in der Gosse finden!“ versprach die Männerstimme, und Eric Winlow, dessen Verstand langsam aus fernen Gefilden zurückkehrte, begriff, daß der Wegelagerer die Wahrheit sagte. Es hatte jetzt absolut keinen Sinn, sich zu wehren, auch wenn es ihn mit ohnmächtiger Wut erfüllte, daß sein kleiner Spaziergang mit Rosalita so jäh unterbrochen wurde. Was war überhaupt mit Rosalita? Hatte man sie ebenfalls überfallen? Ganz und gar nicht! Das Täubchen mit den herrlich runden Brüsten stand wenige Schritte seitlich von ihm und wirkte plötzlich gar nicht mehr so sanft und mädchenhaft. „Was ist los?“ fauchte sie, dem Schall einer Kriegsposaune gleich. „Wollt ihr Lahmärsche hier einschafen und warten, bis uns jemand sieht?“ „Nur langsam“, erwiderte eine heisere Männerstimme, die nicht zu dem Messerhelden gehörte. „Gute Arbeit braucht ihre Zeit.“ Dem Schiffskoch fiel es jetzt wie Schuppen von den Augen. Am liebsten hätte er aufgebrüllt wie ein wilder Stier und alles kurz und klein geschlagen. Er, der sich immer einbildete, eine ordentliche
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Portion Grips unter der Schädeldecke zu haben, war dieser Hafenhure auf den Leim gegangen. Und alles, was sie ihm von seinen hübschen schwarzen Haaren vorgesäuselt hatte, war nur ein Mittel gewesen, ihn um den Finger zu wickeln. Verdammter Mist, das Weibsstück hatte nicht im geringsten vorgehabt, ihm die Nacht zu versüßen, sondern war von Anfang an darauf scharf gewesen, ihn in eine Falle zu locken. Und er war ihr blind gefolgt! In diesem Augenblick hätte er sich am liebsten selber geohrfeigt. „Was - was wollt ihr von mir?“ quetschte er mühsam durch die Zähne, denn der Unterarm, der ihn umklammert hielt, ließ nicht viel Spielraum. „Das wirst du schon noch merken“, ließ sich der Kerl hinter ihm vernehmen. „Los, setz' dich in Bewegung, wenn dir dein Leben lieb ist!“ Eric Winlow stieß ein wütendes Grunzen hervor, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Er hatte im Moment keine Chance, den Kerlen zu entwischen. Und wenn er anfangs gedacht hatte, es wären nur zwei, so hatte er sich getäuscht. Jetzt, da man ihn in einen finsteren Hinterhalt dirigierte, stellte er fest, daß insgesamt vier verkommen aussehende Kerle auf ihn gelauert hatten. Und Rosalita, dieses vermeintlich so zarte Täubchen, schritt wacker voran und erweckte den Eindruck, hier die tonangebende Rolle zu spielen. „Halt jetzt!“ befahl der Kerl mit dem Messer, nachdem man eine abgelegene Ecke des Hofes erreicht hatte, wo leere Kisten, Fässer und anderer Unrat aufeinandergestapelt waren. Kaum kriegte Winlow ein bißchen Luft, warf er der schönen Rosalita, die jetzt im Mondlicht nur undeutlich zu sehen war, einen wilden Blick zu. „Wir beide sprechen uns noch, du verdammtes Luder!“ Die Frau lachte spöttisch. „Natürlich“, sagte sie. „Am besten tun wir das gleich. Aber in unserer Sprache.“
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Sie gab den verluderten Kerlen einen kurzen Wink, und im selben Augenblick krachte ein harter Gegenstand auf den Schädel Eric Winlows. Für eine Sekunde sah er feurige Sterne, die Erde begann sich um ihn zu drehen, und für einen Moment glaubte er, tatsächlich Posaunenschall zu hören. Dann aber konnte selbst die Perücke Puchans, die den wuchtigen Hieb ein wenig gedämpft hatte, nicht verhindern, daß er besinnungslos zusammenbrach. * „Gut gemacht, Pepito“, sagte Rosalita, nachdem Winlows schwerer Körper auf den Lehmboden gesunken war. „Wo bleibt die Öllampe? Wie sollen wir bei diesen Lichtverhältnissen sehen, was der Kerl bei sich hat?“ Einer der Kerle verschwand blitzschnell im Hintereingang des Gebäudes und kehrte wenige Augenblicke später mit einer brennenden Tranlampe zurück. Rosalita und seine Kumpane hatten sich inzwischen schon über den Körper Eric Winlows gebeugt und plünderten ihn mit geübten Fingern aus. Die Gold- und Silbermünzen, die sie zutage förderten, funkelten verführerisch im Schein der Lampe. „Der Kerl scheint nicht zu den Hungerleidern zu gehören“, sagte Pepito mit gierigen Augen. „Wie es aussieht, haben wir ihn im ,Cuy` richtig eingeschätzt, als er für jeden Becher Zuckerrohrschnaps eine Goldmünze springen ließ. War unser Tip nicht gut, Rosalita?“ „Sehr gut“, bestätigte sie und zählte die Münzen mit flinken Fingern. „Es sind sieben Goldtaler und zweiunddreißig Silbermünzen.“ „Gut, daß er die noch nicht alle versoffen hat“, sagte einer der Kerle. Ein anderer fummelte an der Kleidung des Schiffskochs herum. Besonders der breite Ledergürtel, der silberne Beschläge trug, hatte es ihm angetan. „Ein schönes Stück“, stellte er fest. „Das kann ich gebrauchen.“ Schon löste er die Gürtelschnalle.
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„Was willst du damit?“ ließ sich Pepito vernehmen. „Um deinen dürren Bauch paßt das Ding ja zweimal.“ „Na wenn schon! Schließlich kann man einen Gürtel auch verkürzen. Oder sogar verkaufen. Für ein solch schönes Stück mit Silberbeschlag erzielt man bestimmt einen guten Preis. Hoppla - was ist das?“ Die Stimme des Hafenstrolches klang plötzlich erstaunt. Derjenige, der die Tranlampe hielt, rückte ein Stück näher damit, und jetzt sahen alle, was ihr dürrer Komplice entdeckt hatte. „Der Gürtel hat ja kleine Taschen an der Innenseite!“ sagte Rosalita überrascht. „Und die scheinen nicht einmal leer zu sein.“ Die Kerle starrten mit gierigen gen auf den Fund, den ihnen der fall beschert hatte. Woher hätten sie auch wissen sollen, daß Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher der Seewölfe, für die Teilnehmer des Potosi-Unternehmens diese Täschchen auf die Innenseite ihrer Gürtel genäht hatte. Der jeweilige Inhalt war als „Reisekasse“ gedacht und sollte unter Umständen auch für den Ankauf eines Schiffes in Panama verwendet werden. Kein Wunder, wenn die Täschchen prall mit Goldmünzen, Perlen und Edelsteinen gefüllt waren. Als die Hafenstrolche die kleinen Segeltuchtaschen öffneten, gingen fast die Augen über. „Hölle!“ stieß Pepito hervor. „Das ist ja unglaublich! Der Kerl hat ein Vermögen am Leib mit sich herumgetragen.“ Der dürre Juan, der das Geheimnis Gürtels entdeckt hatte, begann von Sinnen zu kichern. „Was sehen meine entzündeten Augen!“ rief er mit hoher Fistelstimme. „Überall Talerchen und Klunkerchen. Oh, welch ein Glückstag ist das heute!” Rosalita verschlug es für einen Moment die Sprache, als sie den Inhalt der kleinen Taschen sah. Alle Freier von Mollendo zusammengenommen hätten nicht annähernd soviel Geld aufbringen können, wie da vor ihr lag. Dennoch verlor sie nicht
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die Beherrschung. Sie legte vielmehr einen Zeigefinger an die Lippen. „Leise!“ mahnte sie. „Wir wollen ja nicht die ganze Stadt auf unseren Fund hinweisen. Bleibt immer schön auf dem Teppich, sonst gibt es Ärger mit mir, verstanden? Und daß mir keiner ein Wort darüber ausplaudert - auch nicht im Suff. Ist das klar?“ Die Strolche nickten, denn sie wußten durchaus, wer hier das Sagen hatte. Seit Rosalita den „Kopf“ des verluderten Männerquartetts bildete, gingen die „Geschäfte“ gut. Sie war zwar manchmal ziemlich unnachgiebig, aber andererseits bot sie auch was - so zum Beispiel erwies sie reihum jedem ihre Gunst, falls nicht gerade andere Freier aufzutreiben waren. Ehrliche Arbeit - das war so eine Art Pest für die vier Hafen- und Küstenstrolche, die irgendwann einmal von Bord „abgemustert“ hatten oder sonst wie hier gelandet waren. Der Pest aber mußte man stets aus dem Wege gehen, um sich nicht anzustecken. Da lebten sie schon lieber von der Hand in den Mund - von Diebereien, Überfällen und anderen Schurkenstreichen. Rosalita hielt die Zügel fest in der Hand. Dank ihrer Geschicklichkeit und ihres blendenden Aussehens hatte sie auch schon so manches einträgliche „Geschäftchen“ vermittelt - wie auch heute, als sie den dicken Kerl fast um den Verstand gebracht hatte. Außerdem war das ein Coup wie schon lange nicht mehr. Der kleine Überfall, der von ihnen inszeniert worden war, nachdem sie die Großkotzigkeit des Kerls im „Cuy“ beobachtet hatten, war ein durchschlagender Erfolg. Sie alle würden in nächster Zeit in Saus und Braus leben können. Sie konnten es sich jetzt sogar leisten, Jose Ramons besten Wein zu saufen. Mann, würde das ein Leben sein! Pepito kehrte von den vier Halunken als erstere in die Wirklichkeit zurück. „Am besten, wir beseitigen den Kerl jetzt“, schlug er vor. „Sonst wacht er uns am Ende noch auf, und es gibt Schwierigkeiten.“
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Von Juan und den beiden anderen Kumpanen erntete er lebhafte Zustimmung. „Schlagen wir ihn tot“, sagte Juan. „Wenn er aufwacht und merkt, daß wir ihm seinen ganzen Zaster weggenommen haben, trifft ihn ohnehin der Schlag.“ Er kicherte, als habe er einen besonders guten Witz erzählt. „Vor allem wird er versuchen, das Zeug zurückzukriegen, wenn wir ihn am Leben lassen“, bemerkte ein anderer. „Ihn zu beseitigen, ist somit die einfachste Lösung.“ Rosalita war jedoch wieder einmal völlig anderer Meinung. „Hört auf mit eurem dämlichen Geschwätz!“ fauchte sie. „Ihr beweist damit nur, daß ihr kein Hirn in euren Schädeln habt.“ „Willst du den Kerl einfach hier liegenlassen, bis er aufwacht?“ fragte Pepito verdutzt. Und Juan setzte hinzu: „Ist das vielleicht mehr Verstand, he?“ Rosalitas Augen funkelten. „Idioten!“ sagte sie mit scharfer Stimme. „Jetzt strengt doch endlich mal eure Köpfe etwas an: Wie ihr mir nach euren Beobachtungen im ,Cuy` berichtet habt, war dieser Bursche nicht allein. Es waren noch fünf andere bei ihm, als er das erstemal in der Schenke aufkreuzte Und einer war zur Bewachung der Jolle zurückgeblieben. Im ‚Cuy' aber soffen die Kerle vom teuersten Wein und folgten dem Wirt in den Lagerschuppen. Demnach könnte es sich um Kaufleute handeln zumindest aber um Männer, die viel Geld haben. Wenn dieser Ochse hier schon so viel im Gürtel mit sich herumschleppte, dann haben die anderen wahrscheinlich nicht weniger. Vielleicht tragen sie sogar die gleichen Gürtel, wer weiß. Wenn ja, dann stellt euch mal das ganze Zeug auf einem Haufen vor!“ Jetzt erst ging den Hafenstrolchen ein Licht auf, aber nur teilweise. „Du hast recht“, sagte Pepito begeistert. „Verdammt, so schnell wäre ich nicht auf diesen Gedanken gekommen. Wer weiß,
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was da noch für Reichtümer auf uns warten!“ Der dürre Juan rieb sich die Hände. „Trotzdem sollten wir uns diesen Burschen vom Hals schaffen“, beharrte er, „sonst haben wir nur einen Klotz am Bein„Nichts da!“ entschied Rosalita und rettete damit Eric Winlow - wenn auch ungewollt - das Leben. „Der Kerl kann noch recht nützlich für uns sein, denn reiche Leute halten zusammen. Mit ihm können wir die anderen wunderschön erpressen.“ „Erpressen?“ fragte Pepito ungläubig. „Wollen wir sie nicht einfach genauso schnappen wie den da?- Er deutete auf den Koch, der noch immer besinnungslos am Boden lag. „Ihr habt immer noch nicht begriffen“, erwiderte Rosalita. „Natürlich könnten wir sie ebenso schnappen, aber das wäre schwieriger, riskanter und arbeitsreicher als eine Erpressung. Schließlich ist es gar nicht so einfach, einzeln an die Kerle heranzupirschen und sie dann in eine Falle zu locken. Wenn wir aber diesen da einsperren und die anderen damit erpressen, werden sie uns ihre Klunkerchen freiwillig abliefern.“ „Und wir brauchen sie nur noch in Empfang zu nehmen und zu zählen“, ergänzte Juan und stimmte abermals sein dümmliches Gekichere an. „So ungefähr“, bestätigte Rosalita. ..Erpressung ist auf jeden Fall der einfachste Weg. Den Burschen hier fesselt und knebelt ihr jetzt, dann wickelt ihr ihn in ein Stück Tuch und bringt ihn zu der Felsenhöhle.“ Sie meinte damit eine alte Höhle, die am Rande des Hafens hinter dem Strand lag. Dort hatten sie schon des öfteren Beutestücke bis zu ihrem Verkauf versteckt. „Huch!“ japste Pepito mit unglücklichem Gesicht. „Das wird aber anstrengend, denn der Kerl ist so schwer wie ein ausgewachsener Ochse.“ „Mag schon sein“, sagte Rosalita ungerührt. „Aber ein bißchen müßt ihr für unseren künftigen Reichtum schon tun. Außerdem müßte das für vier erwachsene Männer ein Kinderspiel sein.“
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„Du hast recht“, sagte Juan. „Allein das Funkeln und Glitzern der Münzen und Klunkerchen strafft schon unsere Muskeln.“ Der dürre Galgenvogel griff als erster nach Eric Winlow, um festzustellen, ob er noch besinnungslos war. Während ein anderer im Haus verschwand, um einen Strick zum Fesseln zu holen, packte er den Bewußtlosen einfach bei seinem schwarzen Haarschopf, um den Kopf ein Stück anzuheben. Im selben. Moment aber hielt er die prachtvollen Locken in der Hand. Die Strolche blickten reichlich dumm aus ihren schmutzigen Hemden. „Was - was hast du mit ihm gemacht?“ fragte einer verblüfft. „Hast du ihm die Haare ausgerissen?“ „Quatsch“, erwiderte Juan. „Das ist eine Perücke. Siehst du nicht den spiegelblanken Glatzkopf, den der Kerl hat?“ Rosalita war für einen Moment sprachlos. „Eine Perücke“, wiederholte sie langsam und begann verhalten zu lachen. „Und mir hat der verliebte Gockel erzählt, er möge auch keine Glatzköpfe, weil die besonders hinterhältig seien.“ Sie griff nach dem künstlichen Haarschopf und betrachtete ihn, als wolle sie die Qualität überprüfen. Dann aber warf sie die Perücke schwungvoll über die niedrige Mauer, die den Hinterhof von der Gasse trennte. Die Schnapphähne verschnürten den Koch der „San Lorenzo“ wie ein Paket und umhüllten ihn mit einem Stück Segeltuch. Dann transportierten sie ihn auf Schleichwegen zu der einsam gelegenen Felsenhöhle. 6. Die Weinprobe im Lagerschuppen Jose Ramons war abgeschlossen. Auch die Preisverhandlungen, die der Wirt des „Cuy“ mit besonderer Schlitzohrigkeit geführt hatte, gingen ihrem Ende entgegen. Der rundliche Mann mit der speckigen Lederschürze stellte die Tranlampe auf
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einer Holzkiste ab und rang verzweifelt die Hände. „Ich bin im Begriff, diesen edlen Tropfen zu verschenken, Senores“, jammerte er. „Der Wein hat mich schon beim Einkauf ein Vermögen gekostet, denn er stammt aus den besten Gärten von Logrono, die gleich neben den Weingärten Seiner Majestät liegen. Nur mit Beziehungen bin ich überhaupt an eine größere Lieferung herangekommen ...“ Jean Ribault unterbrach den Wirt. „Ihr Edelmut ehrt Sie sehr, Senor Ramon. Aber Geschenke nehme ich nicht an. Auch habe ich nicht um ein Almosen gebeten, sondern bin nach wie vor .bereit, einen angemessenen Preis für diesen erstklassigen Rioja zu zahlen. Mein Gebot steht, Sie sollten zuschlagen, bevor Sie ihn tatsächlich verschenken müssen.“ Der Wirt sah ihn verdutzt an, dann verzog er sein feistes Gesicht zu einem Grinsen. „Oh, Sie sind ein guter Geschäftsmann, Capitan Ribaultajo“, sagte er. „Bei Ihnen muß man sehr darauf achten, welche Worte man wählt, sonst verstehen Sie selbst diese noch zu Ihrem Vorteil zu nutzen. Nun gut, ich will Ihnen preislich noch weiter entgegenkommen als bisher, in der Hoffnung, daß Sie noch öfter in Mollendo vor Anker gehen. Auch im Hinblick auf die Holzkohle, die sie bei mir eingekauft haben, stimme ich - wenn auch schweren Herzens - Ihrer Preisforderung zu.“ Der Kauf der zwei Fässer Rioja wurde durch Handschlag besiegelt. Erst jetzt fiel den Mannen auf, daß Eric Winlow noch nicht zurückgekehrt war. Der Zeit nach hätte er längst die nächsten Säcke abholen müssen. „Wo bleibt der Kerl?“ fragte Jean Ribault. „Vielleicht hat er sieb auf dem Rückweg verlaufen“, meinten Grand Couteau spöttisch. „Oder er hockt am Tresen und säuft sich die Hucke voll“, sagte Dave Trooper. Jean Ribaults Augen verengten sich. „Da befürchte ich schon eher das letztere“, sagte er. „Ich werde sofort nachsehen, sobald das Geschäft hier abgeschlossen ist.“ Er zog einen Lederbeutel hervor und
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zählte dem strahlenden Wirt den Preis für die Holzkohle und den Wein in Goldmünzen auf die Hand. Dann ging er mit langen Schritten auf die Tür zu, die in die Schenke führte. „Wie ich unseren Capitan kenne“, sagte Pierre Puchan, „ist Senor Fernandez jetzt reif zur Ernte.“ „Der übertreibt's aber auch wirklich“, sagte Dave Trooper grimmig. Doch das erwartete Spektakel blieb aus. Zur Überraschung Jean Ribaults und seiner Männer befand sich Eric Winlow nicht in der Schenke. „Dann schaue ich bei der Jolle nach-, sagte Ribault. Sein Gesicht ließ Zorn und Entschlossenheit erkennen. Bevor jemand etwas erwidern konnte, befand er sich bereits draußen auf der Gasse. Es war dunkel, und das Licht des Mondes vermischte sich mit dem Schein der Hafenlaternen. Es begegneten ihm nur wenige Männer, die offensichtlich unterwegs zum „Cuy“ waren. An der Pier angelangt, blickte er sich suchend um. Aber er entdeckte nur Mel Ferrow. „Wo ist der Hundesohn?“ fragte er. „Meinst du ...?“ „Ja, genau den meine ich. Der Bursche hat bis jetzt vier Säcke hierhergebracht, seitdem hat er sich im Lager nicht mehr blicken lassen.“ Mel Ferrow nickte verstehend. „Das sieht ihm ähnlich“, sagte er wütend. „Schließlich hatte er eine Stinklaune drauf. Einen der Säcke knallte er so auf die Bohlen, daß er aufplatzte. Soweit ich mich erinnere, ist er nach der zweiten Anlieferung ebenfalls in Richtung Schenke verschwunden. Wenn du mich fragst, Kapitän, braucht der Kerl endlich eine handfeste Abreibung, damit er wieder normal wird. „Da bin ich ganz deiner Meinung“, entgegnete Ribault, „aber dazu muß man ihn erst einmal haben.“ „Aber wir können doch nicht ganz Mollendo nach ihm absuchen.“ Mel Ferrow fuhr sich mit der Hand durch die Bartstoppeln.
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„Es wird uns aber gar nichts anderes übrigbleiben“, sagte Jean Ribault. „Zumindest werden wir uns in der Hafengegend etwas näher umsehen müssen. Es ist durchaus möglich, daß er in einer anderen Kneipe versackt ist.“ Mel Ferrow schüttelte wütend den Kopf. „Und das ausgerechnet in einem spanischen Hafenort, in dem wir um keinen Preis auffallen dürfen.“ Inzwischen nahten Grand Couteau, Pierre Puchan sowie Roger Lutz und Dave Trooper. Alle waren mit Holzkohlesäcken bepackt, die sie zunächst einmal an der Pier stapelten. „Habt ihr ihn gefunden?“ fragte Dave Trooper. „Siehst du ihn etwa?“ Jean Ribault warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Das nicht“, erwiderte Dave verdattert. „Aber der Kerl kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“ „Im Moment ist er für uns aber genauso unsichtbar wie Luft“, sagte Jean Ribault gereizt. Dave, der manchmal etwas schwerfällig im Denken war, winkte ab. „Ich wette, daß er in irgendeiner Kneipe hockt. Oder ...“ „Oder?“ hakte Ribault nach. „Nun ja“, meinte Dave verlegen, „es könnte ja sein, daß er einem hübschen Vögelchen begegnet ist.“ „Das allerdings wäre der Gipfel der Unverfrorenheit“, sagte Ribault. „Aber wie dem auch sei - wir müssen etwas unternehmen. Dave, du bleibst hier bei der Jolle und kümmerst dich um das Stauen der Säcke. Die anderen werden das restliche Zeug heranschaffen. Mel und ich sehen uns im Hafenviertel um. Irgendwo müssen wir den Burschen schließlich finden.“ Wenig später brach er zusammen mit Mel Ferrow zu den nächstgelegenen Gassen auf. Dort hielten sie in erster Linie nach weiteren Schenken Ausschau. Doch in unmittelbarer Nähe befand sich keine. Die engen Gassen wirkten wie ausgestorben. Vereinzelt drangen Stimmen aus den Fensteröffnungen, von Zeit zu Zeit war das Bellen von Hunden zu hören.
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Über das Gesicht des Mannes, der ein Stück von der Pier entfernt im Schatten eines hölzernen Schuppens kauerte, huschte ein zufriedener Zug. Ihm war es ganz recht, daß sich die Fremden gewissermaßen in alle Richtungen zerstreuten und nur einer an der Pier zurückblieb. Zwar war das nun ein anderer als derjenige, der zuerst die Jolle bewacht und die Säcke verstaut hatte, aber das war im Hinblick auf sein Vorhaben wohl egal. Stinkreich waren sie alle, daran gab es für ihn nicht den geringsten Zweifel. Es handelte sich um den dürren Juan aus dem verluderten Quartett der Hafenstrolche. Er musterte die kräftige Gestalt Dave Troopers mit gierigen Blicken, besonders hatte es ihm dabei der breite Ledergürtel angetan. Nachdem man den gefangenen Glatzkopf in der Felsenhöhle untergebracht hatte, war Juan von Rosalita in die Stadt geschickt worden, um dessen Begleiter etwas im Auge zu behalten. Das bot den Vorteil, daß man die „reichen Knöpfe“ später nicht zu suchen brauchte, wenn der Glatzkopf, den man ordentlich in die Mangel nehmen würde, ihre Vermutungen bestätigt hatte. Juan war zwar mit den besten Absichten aufgebrochen, aber inzwischen hatte er den Entschluß gefaßt, diese Gelegenheit für einen gewinnbringenden Alleingang zu nutzen. Warum auch immer mit den anderen teilen? Er war sowieso längst der Ansicht, daß Rosalita und Pepito meist die Hauptanteile einstrichen. Warum sollte er da nicht auch einmal ein bißchen in die eigene Tasche wirtschaften? Der Plan war auf dem Weg in die Stadt in ihm herangereift Wenn er sich den Kerl, der die Jolle bewachte, schnappte und ihm ein Messer zwischen die Rippen stieß, würde dessen ganzes Geld ihm allein gehören - vorausgesetzt, der Bursche war ebenso reich wie der Glatzkopf. Davon aber war Juan nach wie vor ' überzeugt. Wenn er die Leiche im Hafenwasser verschwinden ließ, würden Rosalita und
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die anderen nie erfahren, daß er im stillen ein Hühnchen gerupft hatte. Schließlich blieben immer noch fünf Kerle übrig, die man wie Gänse ausnehmen konnte. Dabei würde er selbstverständlich auch noch mal mit absahnen. Er war sogar der Meinung, daß er seinen Kumpanen damit in die Hände arbeitete. War nämlich einer von den reichen Kerlen tot, würden die anderen umso bereitwilliger ihr Geld herausrücken, wenn man sie - mit dem Glatzkopf als Geisel - erpreßte. O ja, Köpfchen muß man haben, sagte sich Juan. Der dürre Schnapphahn ließ Dave Trooper und die Jolle nicht aus den Augen. Er war fest entschlossen, zuzuschlagen, sobald er sicher sein konnte, daß sich die anderen nicht mehr in der Nähe der Pier aufhielten. Kaum war der Kerl in der Jolle allein, begann er damit, die Säcke, die auf den Bohlen der Pier abgelegt worden waren, zu verstauen. Das kam ihm, Juan, sehr gelegen. Er wartete noch einige Minuten bis von den anderen Männern nichts mehr zu hören und zu sehen war, dann zog er sein Messer aus dem Gürtel. Immer ran an den Speck, Juan, spornte er sich selber an. Ab heute bist du ein reicher Mann und kannst die Puppen tanzen lassen. Vorsichtig bewegte er sich im Schatten des Gebäudes vorwärts. Nachdem er sich von der Holzwand gelöst hatte und vom Lichtkreis einer Laterne erfaßt wurde, ging er rasch hinter einem hohen Bretterstapel in Deckung. Dort verharrte er kurze Zeit lauernd wie ein sprungbereites Raubtier. Der Mann in der Jolle ging ahnungslos seiner Arbeit nach. Schließlich stieg er an Land, um die letzten Säcke näher an den Rand der Pier zu schieben. In diesem Augenblick überquerte der Hafenstrolch mit einigen flinken Sprüngen die Gasse und hob sein Messer - bereit zum tödlichen Stoß. * Dave Trooper nahm den dunklen Schatten, der auf ihn zuraste, erst im letzten'
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Augenblick wahr. Blitzschnell richtete er sich auf - gerade noch rechtzeitig genug, um die tödliche Gefahr zu erkennen. Er versuchte, nach links auszuweichen, schaffte es aber nicht mehr ganz. Die Messerspitze riß ihm am rechten Oberarm das Hemd auf, gleichzeitig spürte er einen brennenden Schmerz. Dave Trooper blieb jedoch keine Zeit, sich darum zu kümmern. Hier ging es von einer Sekunde zur nächsten um Leben oder Tod, das begriff er rasch, auch wenn er sonst manchmal etwas länger brauchte als andere, um Zusammenhänge zu begreifen. Als Mitglied der Le Vengeur-Crew hatte er schon viele brenzlige Situationen meistern müssen und hatte genug Übung darin, sich in Gefahrenmomenten richtig zu verhalten. Bevor der hinterhältige Angreifer ein zweites Mal zustoßen konnte, schlug Dave Trooper hart zu. Seine Faust traf den Mann gegen die Brust und ließ ihn ein Stück zurücktaumeln. Für einen Augenblick rang der dürre Bursche nach Luft, dann aber blitzte erst recht die Mordgier in seinen Augen auf, und er warf sich Dave erneut entgegen. Wohl wissend, daß er das Überraschungsmoment jetzt nicht mehr hatte, versuchte er, ihm das Messer einfach in die Brust zu rennen. Dave Trooper mußte höllisch aufpassen, denn der dürre Kerl war ungemein schnell. Dennoch schaffte es Dave abermals, dem tödlichen Stoß auszuweichen, indem er blitzschnell zur Seite wich. Das wiederum hatte zur Folge, daß der Angreifer durch die Wucht seines Anlaufs an ihm vorbeigerissen wurde. „Zum Teufel!“ fluchte der dürre Bursche und warf sich herum, um einen dritten Anlauf zu unternehmen. Aber Dave paßte auf. Er verzichtete darauf, das eigene Messer zu ziehen, weil er die Hände freihaben wollte. Diesmal gelang es ihm, mit einem gewagten Griff den Stoß abzublocken und den mordlüsternen Spanier am Unterarm zu packen. „Jetzt bist du es, der zum Teufel geht, Freundchen!“ stieß er in spanischer Sprache hervor - immer darauf bedacht,
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sich und die Kameraden nicht durch eine Unbedachtheit zu verraten. Juan versuchte vergebens, sich dem harten Griff Dave Troopers zu entziehen. So sehr er auch seine letzten Kraftreserven mobilisierte - das Messer nutzte ihm nichts mehr. Er stöhnte laut auf vor Schmerz, als Dave ihm die Waffe schließlich entwand. Das Messer schlitterte über die Bohlen der Pier und verschwand im Wasser. „Himmel!“ entfuhr es dem Spanier, der es jetzt mit der Angst zu tun bekam. „Aha, jetzt bist du schon einige Stockwerke höher gestiegen“, sagte Dave keuchend. „Beim Teufel hast du angefangen, und jetzt bist du schon beim lieben Gott. Mal sehen, ob du ohne deinen Piekser auch noch so unternehmungslustig bist.“ Jetzt, da der Angreifer ohne Waffe war, ließ Dave ihn los und wuchtete gleichzeitig die rechte Faust vor. Sie traf Juan am Kinn und riß ihn von den Füßen. Wie ein Stück Tuch in einem Windstoß wurde der Kerl über die Pier gefegt. Einen Augenblick später klatschte sein Körper in die nachtschwarze Hafenbrühe. Dort begann er zu schwimmen, als sei ein ganzes Rudel Haie hinter ihm her. Dave Trooper ließ es dabei bewenden. Er verspürte jedenfalls nicht die geringste Lust dazu, dem hinterhältigen Mordbuben hinterher zu schwimmen. Wie es aussah, war auch dem Kerl die Mordlust zunächst vergangen. Was hatte der überhaupt von ihm gewollt? Erst jetzt begann sich Dave diese Frage zu stellen. Warum war der so versessen darauf gewesen, ihn einfach abzustechen? Er fand keine Erklärung dafür, außer daß der Bursche es vielleicht auf die Jolle abgesehen hatte. Oder aber auf die Säcke, denen man nicht unbedingt ansah, daß Holzkohle darin war. Das Brennen am Oberarm erinnerte ihn daran, daß er verletzt worden war. Aber das Messer hatte zum Glück nur die Haut e: as angeritzt. Und so was verdaute Dave, ohne mit den Wimpern zu zucken. Als die anderen Mannen mit neuen Säcken zurückkehrten, hatte er bereits alles in der
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Jolle verstaut. Von einem hergelaufenen Tagedieb ließ er sich schließlich nicht von der Arbeit abhalten. „Gibt es was Neues?“ fragte Pierre Puchan, nachdem er zwei Säcke abgesetzt hatte. Er meinte damit das Verschwinden Eric Winlows. Dave Trooper schüttelte den Kopf. „Nicht viel“, erwiderte er. „außer daß ich gerade eine dürre Ratte ins Wasser befördert habe, weil sie mich mit ihrem Messer kitzeln wollte.“ „Na, so was!“ Pierre Puchan staunte. „Was wollte denn zweibeinige Ratte von dir?' Dave grinste. „Da ich keine Senorita bin“, sagte er, „wahrscheinlich die Kohlesäcke 7. Mel Ferrow blickte seinen Kapitän ratlos an. „Ich habe das verdammte Gefühl, daß wir langsam im Kreis herumtappen“, sagte er. „Während wir hier einen nächtlichen Spaziergang veranstalten, rekelt sich unser verehrter Koch vielleicht wohlig in irgendeinem Lotterbett und hält uns für blöde Hunde, weil wir nichts Besseres zu tun haben, als ihn zu suchen.“ Jean Ribault zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Meinst du wirklich, daß er soweit gehen würde?“ Mel Ferrow ließ ein verhaltenes Lachen hören. „Beschwören kann ich es nicht, Kapitän“, erwiderte er, „aber so stur wie sich der Bursche schon den ganzen Tag über benommen hat, würde ich nicht die Hände für ihn ins Feuer legen. Da braucht eine raffinierte kleine Senorita nur noch ein bißchen mit den Augendeckeln zu klappern, und der Kerl vergißt auf der Stelle, wie er heißt.“ „Na, na“, meinte Ribault. „Du bist auch nicht gerade ein Kostverächter, wie ich weiß. Dennoch: Wenn es tatsächlich so wäre, könnte sich unser Freund wirklich auf eine ordentliche Abreibung gefaßt machen.“
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„Lassen wir uns überraschen“, sagte Mel Ferrow. „Wo wollen wir eigentlich noch suchen? Sämtliche Schenken haben wir schon hinter uns, und in der Kirche brauchen wir wohl nicht nachzusehen.“ Jean Ribault überlegte kurz. „Wir müssen näher an Ramons Kneipe heran“, sagte er. „Kurz vor dem ,Cuy` zweigt noch eine winkelige Gasse ab, wie ich auf dem Weg zur Pier gesehen habe. Dort sollten wir vielleicht auch noch die Nase reinstecken.“ „Wenn du meinst“, sagte Mel, aber sein Gesicht sah nicht sehr hoffnungsvoll aus. Verdrossen marschierten die beiden Männer durch die Nacht, immer darauf bedacht, von jedem, der ihnen begegnete, als Spanier angesehen zu werden. Das war nicht unbedingt ein angenehmes Gefühl, denn schon der geringste Fehler konnte die „Höhle des Löwen“ zur tödlichen Falle werden lassen. Mel Ferrow fand einen passenden . Vergleich. „Weißt du, wie ich mich in diesem spanischen Nest fühle?“ fragte er Jean Ribault und gab auch gleich die Antwort: „Wie einer, der ständig mit dem Finger in einem Hornissennest herumrührt, aber auf keinen Fall gestochen werden will.“ „Dann paß' nur auf deinen Finger auf“, sagte Ribault. „Unserem lieben Senor Fernandez allerdings würde ich mit Vergnügen tausend Hornissen in die Hose stecken und diese dann oben und unten zubinden.“ Mel Ferrow unterdrückte ein Lachen, zumal sie gerade in die kleine Gasse, unweit des „Cuy“, einbogen. „Ziemlich menschenleer“, sagte Ribault. „Da steht unser Freund bestimmt auch nicht am Straßenrand und wartet auf uns.“ Nach kurzer Zeit stoppte er abrupt seine Schritte. „Mist!“ schimpfte er. „Daß ich zu allem Überfluß auch noch in den Hundedreck treten muß!“ Der Kapitän der „San Lorenzo“ versuchte bereits, seine rechte Stiefelsohle am Pflaster abzustreifen, da sah er erst, daß das dunkle Etwas, das vor einem finsteren Hofeingang in der Gosse lag, gar nicht von
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einem Hund stammen konnte. Er bückte sich und hob es mit spitzen Fingern auf. „Heiliger Strohsack!“ entfuhr es ihm. „Das ist doch die Perücke unseres Kochs.“ Mel Ferrow überzeugte sich sofort davon, daß es sich tatsächlich um den schwarzen Haarschopf handelte, den Pierre Puchan an Eric Winlow ausgeliehen hatte. „Wie kommt die hier in die Gosse?“ fragte er wenig geistreich. „Frag' mich mal was Leichteres“, sagte Jean Ribault übelgelaunt. „Wir können wie schon den halben Abend lang - nur Schlüsse ziehen. Da ich nicht annehme, daß unser Herzbube das gute Stück einfach weggeworfen hat, bleibt mir im Augenblick nur die Annahme, daß ihm irgendwer eins über den Schädel gezogen hat.“ Mel Ferrow war verblüfft. „Du meinst, er ist überfallen worden?“ Wieder zuckte der Kapitän der ”San Lorenzo“ mit den Schultern. „Was sonst? Zum Teufel, das hat uns gerade noch gefehlt! Was hat der verdammte Idiot auch ausgerechnet in dieser Gasse gesucht, he? Hat der Ärger wegen der Holzkohle noch nicht ausgereicht? Statt zu unserem Schiff zurückzupullen, laufen wir hier in Mollendo herum, um die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen.“ Der schlanke Franzose ballte wütend die Hände. Mel Ferrow legte derweil die Stirn in Falten. „Wenn er tatsächlich überfallen wurde, müssen wir erst recht weitersuchen, da führt kein Weg daran vorbei. Nur frage ich mich, wo wir noch überall herumkriechen sollen, nur um immer wieder festzustellen, daß er spurlos verschwunden ist.“ „Angenommen, unsere Vermutung stimmt - von wem und warum wurde er überfallen?“ fragte Jean Ribault. „Vielleicht sollten wir von vorn anfangen und zum Ausgangspunkt zurückkehren zum ,Cuy`.“ Mel Ferrow warf seinem Kapitän einen verwunderten Blick zu. „Aber da war er doch nicht. Oder glaubst du, daß er inzwischen in diese Kneipe
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zurückgekehrt ist und dort den Meerschweinchen bei ihren neckischen Spielchen zuschaut?“ „Wundern würde mich das auch nicht mehr“, entgegnete Ribault. „Aber vielleicht finden wir dort Anhaltspunkte. Wenn ich mich recht erinnere, hockten dort genug zwielichtige Gestalten herum, denen ein Überfall durchaus zuzutrauen wäre.“ „Nun ja, versuchen könnte man es ja.“ Mel Ferrows Stimme klang nicht besonders zuversichtlich. Dennoch kehrten die beiden Männer um und begaben sich auf den Weg zum nahegelegenen „Cuy“: Unterwegs stießen sie auf Grand Couteau, Roger Lutz und Pierre Puchan, die noch immer damit beschäftigt waren, die eingekaufte Ware zur Pier zu schleppen. Von ihnen erfuhren sie in kurzen Worten von dem Überfall auf Dave Trooper. „Hat Dave etwas über das Aussehen des Kerls gesagt?“ fragte Jean Ribault. Die Mannen sahen sich an. „Er sprach von einer dürren Ratte“, berichtete Pierre Puchan und versuchte mühsam, den Staub von der Perücke zu klopfen, die Ribault ihm in die Hände gedrückt hatte. „Das ist sagte der Kapitän verdrossen. „Dürre und fette Ratten gibt es hier überall. Wenn es Dave gelungen wäre, den Burschen festzuhalten, würde uns das mit Sicherheit weiterhelfen.“ „Er hatte aber keine Lust, in die Dreckbrühe zu hüpfen, um den Kerl zu verfolgen“, sagte Grand Couteau. Und dafür hatte jeder Verständnis. Während die Le Vengeurs ihre Kohlesäcke wieder aufnahmen, setzten auch Jean Ribault und Mel Ferrow ihren Weg fort. „Irgendjemand hat es auf uns abgesehen“, meinte Mel. „Ob da wohl einer dahintergestiegen ist, daß wir keine richtigen Spanier sind?“ „Das glaube ich kaum“, erwiderte Ribault, „sonst wäre längst die gesamte Stadtgarde und noch einiges mehr angerückt. Solange unsere Leute von Einzelpersonen überfallen werden, läßt das mehr auf
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Wegelagerer oder Hafenstrolche schließen.“ Minuten später betraten sie die Kneipe Jose Ramons. Wie schon am frühen Abend, herrschte auch jetzt noch Hochbetrieb im „Cuy“. Der Schankknecht und Ramon, der immer, wenn die Le Vengeurs mit neuen Säcken aufgebrochen waren, kurz nach dem Rechten sah, waren vollauf beschäftigt. Wenn die zahlreichen Zecher nicht gerade grölten oder soffen, dienten die kleinen Tierchen in den vergitterten Kästen ihrem Amüsement. Jose Ramon watschelte ihnen entgegen und begrüßte sie überschwenglich. „Ist Ihnen noch etwas eingefallen, Senor Capitan?“ fragte er. „Brauchen Sie vielleicht noch Pulver oder einiges für die Kombüse?“ Ribault winkte ab. „Vielen Dank, Senor Ramon, aber unser Bedarf ist vorerst gedeckt. Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt gern wieder bei Ihnen einkaufen. Wir vermissen leider noch immer Senor Fernandez, unseren Koch. Deshalb sind wir zurückgekehrt. Leider drängt sich uns die Vermutung auf, daß er auf dem Weg zu Ihrem Lager von irgendwelchen Strolchen überfallen wurde. Darf ich mich kurz mit Ihrem Schankknecht unterhalten? Er war der letzte, zu dem Fernandez Kontakt hatte.“ „Aber natürlich, Senor Capitan.“ Der Wirt winkte sofort seinen Schankknecht herbei. „Ich bin bestürzt. Hoffentlich ist Ihrem Koch nichts Ernsthaftes zugestoßen.“ Er deutete auf den knochigen, etwas vierschrötigen Mann, der einen riesigen Weinkrug auf dem Tresen abgestellt hatte und dem Ruf seines Herrn gefolgt war. „Das ist Pedro, mein Gehilfe“, fuhr Jose Ramon fort. „Er steht Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.“ Pedro verbeugte sich artig. „Darf es Rotwein sein, Senores? Oder vielleicht Zuckerrohrschnaps?“ Ribault schüttelte den Kopf. „Nichts von alledem“, erwiderte er. „Wir haben lediglich einige Fragen. Es geht um Fernandez, unseren Schiffskoch. Sie
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erinnern sich bestimmt an ihn. Er ist groß und ziemlich kräftig gebaut, sein Haar ist schwarz. Während wir mit Senor Ramon im Lagerraum verhandelten, befand er sich hier am Tresen.“ Der Schankknecht nickte. „O ja, ich erinnere mich. Er trank zwei Zuckerrohrschnäpse. Der Senor war sehr großzügig.“ „Ja, das ist er immer“, sagte Jean Ribault. „Mit was hat er denn bezahlt?“ „Mit zwei Goldmünzen, Senor Capitan.“ Ribault warf Mel Ferrow einen vielsagenden Blick zu, und der schüttelte verständnislos den Kopf. „Ist Ihnen in diesem Zusammenhang irgendetwas aufgefallen?“ fragte Jean Ribault weiter. „Ich meine, haben irgendwelche Gäste besonderes Interesse an unserem Koch bekundet?“ Pedro überlegte kurz und wirkte etwas unschlüssig. „Warum fragen Sie das, Senor Capitan. Hat Ihr Koch Ärger gehabt?“ „Wir vermuten es“, erwiderte Jean Ribault. „Wir vermissen ihn, seit er in dieser Schenke war und halten es für möglich, daß er überfallen wurde.“ „O Madre de Dios!“ entfuhr es dem Schankknecht. „Hoffentlich ist ihm nichts Ernstliches geschehen. Sie müssen wissen, daß ich mich sehr um unsere Gäste sorge.“ „Daran zweifle ich nicht“, sagte Jean Ribault, „nur hilft uns das nicht weiter. Hat er während seines Aufenthaltes vielleicht mit anderen Gästen gesprochen?“ Pedro schüttelte den Kopf. „Nein, er trank die beiden Schnäpse und ging dann zum Lager. Eigentlich ist mir nur eines aufgefallen, was aber nicht unbedingt eine Bedeutung haben muß.“ „Was war das?“ fragte Ribault und schob diskret einige Silbermünzen über den Tresen, die ebenso diskret unter der Schürze des Mannes verschwanden. „Nun ja, Senor Capitan, mir ist lediglich aufgefallen, daß unmittelbar, nachdem Ihr Koch die Schenke verlassen hatte, vier Kerle eilig aufbrachen, obwohl sie zuvor etliche Stunden lang hier herumhockten.“ Jean Ribault und Mel Ferrow horchten auf.
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„Das ist sehr interessant“, sagte Ribault. „Was waren das für Kerle?“ Der Schankknecht druckste etwas herum. Dann sagte er: „Nun, Sie wissen, Senor Capitan, daß man sich die Gäste nicht aussuchen kann. Ich kenne die vier Männer nicht mit Namen, aber ich weiß. daß sie keinen guten Ruf haben. Meist hocken sie mit Rosalita, einer Hafenhure, zusammen. Wie man zuweilen hört, sollen die Kerle im trüben fischen. Nur erwischt hat man sie leider noch nicht ...“ Jose Ramon, der das Gespräch mitgehört hatte, unterbrach seinen Gehilfen. „Ich bin untröstlich. Senor Ribaultajo. Vielleicht hat dieses Gesindel etwas mit dem Verschwinden Ihres Kochs zu tun. Soll ich die G-endarmen benachrichtigen lassen?“ Ribault schüttelte der Kopf. Bloß das nicht, dachte er und merkte, daß es ihm allmählich schwül wurde. Da hatte ihnen dieser Scheißkerl von einem Koch wieder ganz schön was eingebrockt. Trotz seiner Wut zauberte er ein Lächeln auf seine Lippen. „Ich bedanke mich für Ihre Hilfsbereitschaft sagte er. „Aber solange ich nicht sicher bin, daß man Senor Fernandez tatsächlich überfallen hat, möchte ich die Gendarmen nicht bemühen. Stellen Sie sich vor, man würde unseren Koch im Bettchen einer Senorita finden ganz Mollendo würde über uns lachen! Nein. da warten wir zunächst ab und nehmen die Angelegenheit selber in die Hand.“ „Oh, ich verstehe“, sagte der rundliche Wirt. „Jedenfalls wünsche ich Ihnen bei der Suche viel Erfolg, zumal Sie doch in Eile sind.“ „Das ist es ja gerade“, erwiderte Ribault. Die beiden Le Vengeurs verabschiedeten sich und verließen mit grimmigen Gesichtern die Schenke. „Da ist guter Rat teuer“, sagte Mel Ferrow. „Wo sollen wir mitten in der Nacht die vier Halunken suchen?“ „Das frage ich mich auch“, sagte Jean Ribault. „Aber ich habe bereits eine Idee: Plymmie muß her!“
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„Plymmie?“ Mel Ferrow war überrascht. „Jawohl, die Hündin hat eine phantastische Nase, und wenn wir sie von der Stelle an suchen lassen, an der wir die Perücke gefunden haben, verspreche ich mir einiges davon.“ Mel Ferrow war von dieser Idee begeistert. Die beiden Männer machten sich sofort auf den Weg zur Pier. * Wie Jean Ribault mit Erleichterung feststellte, verstauten seine Mannen gerade die beiden Fässer Wein. Damit war die Arbeit in Mollendo getan, und wäre Eric Winlow zur Stelle gewesen, hätte man die Hafenbucht in kurzer Zeit wieder verlassen können. Die Le Vengeurs begaben sich an Bord der Jolle. „Wir legen zunächst bei der ,Estrella' an“, entschied Jean Ribault. „Schließlich sind wir Hasard eine Erklärung schuldig.“ Die Mannen hatten eine Stinkwut auf Eric Winlow, und Dave Trooper kleidete in Worte, was alle dachten. „Die Arwenacks werden ganz schön grinsen, wenn wir hier die halbe Nacht lang unseren Koch suchen müssen.“ Ribaults Miene war sauer. „Das werden sie mit Sicherheit tun“, sagte er, „ganz davon abgesehen, daß die Angelegenheit mit großen Gefahren für alle verbunden ist.“ Nach kurzer Zeit enterte er an Bord der „Estrella de Malaga“, während die schwerbeladene Jolle zur „San Lorenzo“ gepullt wurde. Der Seewolf erwartete Ribault auf dem Achterdeck. „Ist alles gut gegangen?“ fragte er. Der Franzose wirkte plötzlich verlegen. „Was die Holzkohle betrifft - ja. Wir haben fünfzig Säcke davon eingekauft. Das reicht für uns, und auch ihr könnt eure Vorräte damit ergänzen.“ „Das ist ja erfreulich“, sagte Hasard, „dennoch entnehme ich deiner Antwort, daß es noch irgendwelche Probleme gegeben hat.“
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„So ist es“, bestätigte Ribault. „Ich muß mit einigen Männern nach Mollendo zurück, um Eric Winlow zu suchen.“ Der Seewolf sah ihn verwundert an. „Soll das heißen, daß er irgendwo versackt ist?“ „Nein“, erwiderte Ribault. „Soviel ich bis jetzt herausgekriegt habe, wurde er von einigen Hafenstrolchen überfallen. Er hat sich in der Schenke ohne unser Wissen einige Schnäpse hinter die Binde gegossen und großkotzig mit Goldmünzen bezahlt. Das wiederum scheinen einige Halunken bemerkt zu haben. Bis jetzt haben wir lediglich in einer kleinen Seitengasse die Perücke gefunden, die Pierre Puchan ihm geliehen hat.“ „Ein schöner Mist!“ sagte der Seewolf. „Das bedeutet eine weitere Verzögerung.“ Die Gefahr, die für beide Mannschaften damit verbunden war, erwähnte er erst gar nicht. „Was ist nur in letzter Zeit mit diesem Burschen los, Jean?“. „Ich weiß es auch nicht“, erwiderte Ribault. „Wahrscheinlich hatte Ed Carberry recht. Der Kerl braucht einen kräftigen Tritt in den Hintern. Und den empfängt er auch, sobald er sich wieder auf der ,San Lorenzo` befindet vorausgesetzt natürlich, daß ihm nichts Ernsthaftes zugestoßen ist.“ Hasard nickte. „Wir werden alles daransetzen, ihn zu finden. Ich lasse sofort unsere Jolle abfieren und bemannen. Ich selbst werde mitkommen.“ „Ich wollte eigentlich darum bitten, auch Plymmie mitzunehmen“, sagte Jean Ribault. „Bevor ich an Bord der ,Estrella` geentert bin, habe ich mir die Perücke wieder von Puchan aushändigen lassen. Wenn wir Plymmie an jene Stelle führen, wo wir die Perücke gefunden haben, wird sie vielleicht eine Spur aufnehmen können.“ „Das ist eine gute Idee“, sagte der Seewolf. „Plymmie hat schon des öfteren bewiesen, daß sie eine hervorragende Spürnase hat.“ Philip Hasard Killigrew gab die entsprechenden Kommandos in spanischer Sprache. Sobald die Jolle ausgesetzt war, wurde sie mit Jean Ribault,
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Edwin Carberry, Al Conroy sowie mit Smoky und den Zwillingen bemannt. Auch Plymmie war mit dabei, und der Seewolf übernahm das Kommando. Vorsichtshalber hatten sich die Männer ausreichend bewaffnet. Edwin Carberry verhielt sich bemerkenswert still, da der Seewolf angeordnet hatte, daß von jetzt an die Gespräche eingeschränkt werden sollten. Dennoch bedachte Ed den Kapitän der „San Lorenzo“ mit einem freundschaftlichen Grinsen -wohl wissend, daß der jetzt etwas Aufmunterung gebrauchen konnte. „Du hast eine Menge Ärger, was Missjöh?“ sagte er in seinem fürchterlichen Französisch - offenbar, um Ribault damit einen Gefallen zu erweisen. „Hättest du dich nur an meine Empfehlung gehalten und deinem glatzköpfigen Cuisinier mal kräftig in seinen Derriere getreten: Aber das kannst du ja noch nachholen, wenn wir das Rübenschwein gefunden haben. Wenn du dazu einen spitzen Stiefel brauchst, leihe ich dir gern einen, notfalls bin ich auch bereit, ihm die Haut in ganz Streifen von seinem - äh - Derriere abzuziehen.“ „Merci, Monsieur Carberry“, sagte Ribault. „Wenn er sein muß, komme ich gerne auf dein Angebot zurück.“ Ed nickte großmütig. bevor er sich als einer der Rudergasten in die Riemen legte. 8. Die Luft in der Felsenhöhle war feucht und stickig, überall roch es nach Moder und Fäulnis vergangener Jahrhunderte. Die Tranlampe, die die Schnapphähne angezündet hatten, warf bizarre Muster auf das schroffe Gestein. Rosalita deutete auf den gefesselten Eric Winlow, der sich noch immer nicht rührte. „Was ist mit dem Kerl los?“ fragte sie ungeduldig. „Habt ihr ihn etwa totgeschlagen?“ „Nur keine Panik, er atmet noch“, entgegnete einer der Strolche. „Der Schlag war zwar kräftig, aber ein Bulle wie der wird ihn verkraften. Notfalls können wir ja
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ein bißchen nachhelfen, damit er nicht die ganze Nacht verpennt.“ Er beugte sich über den Schiffskoch und versetzte ihm einige Ohrfeigen. Doch mehr als ein Grunzen konnte er ihm damit nicht entlocken. Auch ein heftiges Rütteln brachte ihn nicht aus dem Reich der Träume zurück. „Versuchen wir es zur Abwechslung mal mit Wasser“, sagte der verluderte Kerl und griff nach einer Pütz, die man neben einigen anderen Utensilien in der Höhle aufbewahrt hatte. Doch bevor er das Versteck verließ, um am nahen Strand Wasser zu holen, hallte plötzlich ein dumpfes Pochen durch das Gewölbe. Irgendwo in der Nähe des Eingangs schlug jemand in einem bestimmten Rhythmus sechsmal mit einem Stein gegen das Felsmassiv. „Das ist Juan“, sagte Pepito, der neben Rosalita auf einer Holzkiste hockte. „Warum ist er schon zurück?“ „Vielleicht gibt es Neuigkeiten“, meinte die Hafenhure. Wenig später tauchte der dürre Juan im Lichtkreis der Tranlampe auf. „Was gibt's?“ fragte Rosalita. „Und warum hast du plötzlich so ein verschwollenes Gesicht?“ Juan winkte verlegen ab. „Das hat keine Bedeutung“, antwortete er. „Ich bin mit zwei besoffenen Kerlen aneinandergeraten, die unbedingt zu einem Krug Wein eingeladen werden wollten. Als ich ablehnte, fielen sie über mich her. Aber das hätten sie besser nicht getan, denn die Abreibung, die ich ihnen verpaßt habe, werden sie so schnell nicht vergessen.“ Rosalita kicherte, und die anderen Kerle grinsten schadenfroh. „Das Andenken, das sie in deinem hübschen Gesicht zurückgelassen haben, wirst du aber auch noch eine Weile in guter Erinnerung behalten“, sagte Pepito. Juan atmete auf und war im stillen froh darüber, daß man ihm die Geschichte mit den zwei Betrunkenen abgenommen hatte. Schließlich durfte niemand erfahren, daß er sein eigenes Süppchen hatte kochen wollen. Wohlweislich war er nach dem
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unfreiwilligen Bad in der Hafenbrühe in seinen Unterschlupf gegangen und hatte die nasse Kleidung gegen trockene Sachen ausgewechselt, was aber nicht weiter auffiel. „Hast du die reichen Knöpfe gefunden?“ fragte Rosalita. „Natürlich“, antwortete Juan. „Sie sind immer noch damit beschäftigt, prallvolle Säcke zum Hafen zu schleppen und in der Jolle zu verstauen. Die müssen eine Menge Zeug bei Jose Ramon eingekauft haben.“ „Hoffentlich haben sie nicht alle Talerchen ausgegeben“, warf einer der anderen Kerle ein, den sie wegen seiner gebogenen Nase „Geier“ nannten. „Es wäre ziemlich ärgerlich, wenn wir bei ihnen nur noch in leere Beutel greifen würden.“ „Diese Befürchtung teile ich nicht“, sagte Rosalita. „Wenn die Kerle soviel Geld mit sich herumschleppen wie der Glatzkopf, dann haben sie das gewiß nicht beim Einkaufen ausgegeben. Die Goldtalerchen und Klunkerchen würden ausreichen, um halb Mollendo zu kaufen. Dennoch würde mich - unabhängig davon - interessieren, was die alles in den Säcken haben.“ „Das waren einige Dutzend Säcke“, sagte Juan. „Vielleicht haben sie Obst oder Gemüse gekauft.“ „Dummkopf!“ erklärte Rosalita. „Wer soll denn einige Dutzend Säcke Gemüse fressen, wie? Damit könnte man ja eine ganze Ziegenherde ernähren.“ Die Schnapphähne lachten. „Es könnte auch Holzkohle sein“, sagte Pepito schließlich. „Ich nehme an, daß die Jolle zu einem der Schiffe gehört, die in der Hafenbucht ankern.“ „Das kommt der Sache schon näher“, sagte Rosalita. „Nur wären in diesem Fall die Säcke für uns uninteressant, denn wir brauchen ja nicht für die nächsten hundert Jahre Brennmaterial.“ Der Geier zog noch immer ein besorgtes Gesicht. „Hoffentlich lichten die nicht inzwischen die Anker und segeln davon, sonst können wir den Klunkerchen bestenfalls nachwinken.“ Rosalita schüttelte den Kopf.
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„In dieser Hinsicht brauchen wir keine Bedenken zu haben“, sagte sie. „Ohne den Glatzkopf verlassen die Mollendo nicht.“ Zu Juan gewandt, fügte sie hinzu: „Oder hattest du etwa den Eindruck, daß die Kerle aufbrechen wollen?“ Juan verneinte das. „Einer bewacht die Jolle und staut die Säcke“, berichtete er, „die anderen schleppen das Zeug herbei. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß sie nach Beendigung ihrer Arbeit erst mal im ,Cuy' verschwinden, um einen zur Brust zu nehmen. „Na schön“, sagte Rosalita, „du wirst das später überprüfen. Vielleicht kannst du ihnen bei dieser Gelegenheit schon unsere Forderungen übermitteln - sofern wir vorher den Glatzkopf zum Reden gebracht haben.“ Der Kerl, der noch immer die Pütz in der Hand hielt, fühlte sich an sein ursprüngliches Vorhaben erinnert und schickte sich an. die Höhle zu verlassen. Da aber war ein lautes Stöhnen zu vernehmen, das aus der Ecke ertönte, in der man Eric Winlow wie ein Paket abgelegt haue. „Der Kerl wird wach“, sagte Pepito. „Du brauchst kein Wasser zu holen. „Keiner der Halunken ahnte, daß Eric Winlow schon eine ganze Weile bei Bewußtsein war und ihrem Gespräch zugehört hatte. Jetzt aber fühlte er sich genötigt, den Erwachenden zu mimen. denn er verspürte keine Lust, sich auch noch eine Pütz voll Meerwasser ins Gesicht schütten zu lassen. Pepito beugte sich über den dicken Koch und verpaßte ihm einige harte Ohrfeigen. Diesmal blieben sie nicht ohne Wirkung. Winlow schlug die Augen auf und blinzelte scheinbar verwirrt in das Licht der Tranlampe. Dann versuchte er, sich mit einem Ruck aufzurichten, aber das gelang ihm nicht. Pepito grinste triumphierend. „Hast ganz schön lange gepennt, du Walroß“, sagte er vorwurfsvoll. „Jetzt wird's aber Zeit, daß du uns einige Liedchen vorsingst.“
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„Mit welchem Liedchen soll ich denn beginnen?“ fragte der Koch. „Soll es die Ballade von der Hure Rosalita und ihren verlausten Ziegenböcken sein?“ „Du nimmst das Maul reichlich voll, Kerl!“ fauchte ihn Pepito an. „Aber das werden wir dir rasch abgewöhnen, nicht wahr. Freunde?“ Seine Kumpane nickten mit spöttischen Gesichtern. „Wir verstehen uns nämlich auf so was“, fuhr er fort. „Außerdem weißt du genau, was ich mit Singen gemeint habe. Wie heißt du übrigens?“ „Was geht dich das an? Ich habe schließlich nicht deine Bekanntschaft gesucht.“ Pepito verpaßte Eric Winlow eine harte Maulschelle. „Ich habe dich etwas gefragt!“ zischte er und holte erneut zu einem Schlag aus. Das aber war Winlow die Sache nicht wert. Warum sollte er dem Kerl nicht sagen, was er hören wollte. Er trug hier in Mollendo ohnehin einen fiktiven spanischen Namen. „Schon gut“, sagte er, „du hast zur Zeit den längeren Arm. Ich heiße Fernandez.“ „Aha“, sagte der Schnapphahn. „Das hört sich schon viel vernünftiger an. Darf ich auch noch erfahren, was dich und deine Begleiter nach Mollendo geführt hat? Du gehörst doch zu einem der Schiffe, die in der Hafenbucht vor Anker liegen, nicht wahr?“ „Wenn es dich glücklich stimmt, das zu wissen“, erwiderte Winlow, „kann ich dir das bestätigen. Wir sind friedliche Kaufleute, denen lediglich die Holzkohle ausgegangen ist. Nur deshalb sind wir hier vor Anker gegangen.“ Pepito warf dem dürren Juan einen verächtlichen Blick zu. „Da hast du dein Gemüse“, sagte er. „Die Kerle haben Holzkohle geladen. Du kannst dir ja einige Säcke davon klauen, wenn du gar so sehr darauf versessen bist.“ Jetzt mischte sich Rosalita ein. Sie sank auf die Knie und beugte sich über den wehrlosen Koch. Die Einblicke in ihre offenherzige Bluse, die sie ihm dabei bot, beschleunigten auch jetzt noch seinen Atem.
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Die Hafenhure aber lächelte ihn nur spöttisch an. „Nur eine kleine Zwischenfrage“, sagte sie. „Wo hast du denn die hübschen schwarzen Locken gelassen, die angeblich von Kindheit an dein Haupt zieren?“ Eric Winlow erschrak unwillkürlich. An die Perücke hatte er überhaupt nicht mehr gedacht,. und aus den hohntriefenden Worten der Hure schloß er, daß das gute Stück wohl während des Überfalls verlorengegangen war. Verdammt, das war ihm trotz allem äußerst peinlich. Dennoch machte er gute Miene zum bösen Spiel. „Wer weiß“, sagte er. „Vielleicht hast du sie dir als Andenken aufgehoben.“ „Als Andenken an was?“ Die Hure lachte schrill. „An den einzigen schönen Mann, den du in deinem Lotterleben bisher gesehen hast.“ Rosalita schlug übergangslos zu. „Das ist für das Lotterleben“, zischte sie wütend. „Und wenn du noch mehr solcher Unverschämtheiten auf Lager hast, zerkratze ich dir dein feistes Gesicht, du mieser Glatzkopf.“ „Das ist aber auch nicht gerade die vornehme Art“, sagte Eric Winlow, dessen aufgesprungene Unterlippe heftig blutete. „Dafür aber eine sehr wirksame“, erwiderte Rosalita und erhob sich. „Kümmert euch weiter um den Kahlkopf!“ befahl sie dann ihren Kumpanen und ließ sich wieder auf der Holzkiste nieder. Jetzt war Pepito wieder am Zug. „Und nun, du schwarzgelockter Riesenaffe, kommen wir zur Hauptsache. Mit den feinen Goldmünzen in deinem Beutel hast du unsere Herzen sehr erfreut. Wir hatten uns nicht getäuscht, als wir dich für einen reichen Mann hielten. Wer sonst könnte für jeden Zuckerrohrschnaps eine hübsche Goldmünze auf den Tresen legen! Noch entzückter aber waren wir, als wir in deinem feinen Gürtel eine prächtige kleine Schatzkammer entdeckten. Kein Wunder, daß wir jetzt von dir wissen möchten, ob deine Freunde ebenfalls so reich bestückt sind.“ Dem Koch der „San Lorenzo“ ging endlich ein Licht auf, obwohl er natürlich längst
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begriffen hatte, daß er ziemlich tief im Dreck steckte. Jetzt aber wußte er, was die Kerle planten. Sie wollten auch die anderen Le Vengeurs überfallen oder zumindest erpressen. Zuvor aber versuchten sie, auszuloten, ob sich das für sie lohnte. Das bedeutete eine ernste Gefahr für die Kameraden. Eric Winlow, den der dreiste Überfall ziemlich ernüchtert hatte, war sich darüber im klaren, daß er jetzt Courage und Standvermögen zeigen mußte. Schlimm genug. daß er sich wie ein Vollidiot benommen hatte. Weitere Fehler durfte er sich nicht mehr leisten - gerade jetzt nicht. Ein Verrat an den Kameraden schied für ihn aus, gleichgültig, was geschah. „Sieh an, unser Freund ist plötzlich stumm geworden“, sagte Pepito. „Wir werden nicht umhin können, ihn ein wenig aufzuheitern. Vielleicht wird er danach wieder gesprächiger.“ Der Halunke nutzte die Wehrlosigkeit seines Opfers aus und schlug erbarmungslos zu. Als der erste „Ansturm“ vorüber war, konnte der Schiffskoch der „San Lorenzo“ kaum noch etwas sehen. denn man hatte ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Klüsen dicht geschlagen. „Soll ich dich ablösen Pepito?“ fragte der dürre Juan, der sich für die an der Pier bezogene Senge gern an den „reichen Knöpfen-- rächen wollte. „Nur langsam“, entgegnete Pepito, „du wirst ihn schon noch streicheln können. Es sei denn, unser Freund wird endlich etwas gesprächiger.“ Wieder mischte sich Rosalita ein. Ihre Augen schleuderten vernichtende Blitze auf Eric Winlow. „Hast du das gehört, du Dummkopf?“ kreische sie wild. „Gib Antwort auf unsere Fragen!“Winlow schluckte hart. Durch seinen Körper raste der Schmerz wie ein Lauffeuer. Dennoch beschloß er, die gewünschten Auskünfte nicht zu geben. Schließlich ging es dabei nicht nur um Verrat, sondern auch um sein Leben. Solange er nichts ausplauderte, würden ihn
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die Burschen am Leben lassen, um aus ihm herauszupressen, was sie wissen wollten. „Ihr - ihr laßt einen ja gar nicht zu Wort kommen“, stieß er keuchend hervor. „Irrtum!“ fauchte Pepito. „Wir sind ganz Ohr.“ „Na gut. Wenn es euch interessiert: Die anderen haben kein Geld im Gürtel. Sie hatten lediglich die Aufgabe, die Säcke zur Pier zu schleppen, das ist alles. Ich aber sollte die Holzkohle bezahlen.“ „Und das sollen wir dir glauben?“ Rosalita gebärdete sich wie eine Furie. „Du sagtest doch vorhin, ihr wäret Kaufleute. Und Kaufleute haben immer Geld bei sich.“ „Auf einem Schiff gibt es aber nicht nur Kaufleute“, sagte Eric Winlow mühsam. „Es gibt auch einfache Decksleute, und die schleppen keine Reichtümer mit sich herum.“ „Habt ihr das gehört?“ keifte Rosalita. „Er will nicht reden, sondern versucht, uns aufs Eis zu führen. Also nehmt ihn noch ein bißchen in die Mangel. Am besten, ihr laßt ihn mal kräftig zur Ader, denn das soll Wunder wirken.“ Was die Halunken darunter verstanden, kriegte Eric Winlow ziemlich rasch zu spüren, als sie zu ihren Messern griffen. Sie ließen erst von ihm ab, als er erneut bewußtlos wurde. „Seid ihr verrückt?“ schrie Rosalita. „Habt ihr ihn umgebracht?“ „Der ist nicht tot“, erwiderte Pepito. „Es wäre doch gelacht, wenn wir den Kerl nicht zum Reden bringen.“ Der Geier hatte jetzt Bedenken. „Vielleicht hat er vorhin doch die Wahrheit gesagt“, meinte er. „Es könnte doch sein, daß er allein das Geld bei sich trug.“ Rosalita funkelte ihn zornig an. „Du glaubst wohl noch an Kindergeschichten, wie? Ich sage dir, daß der Kerl gelogen hat - aus lauter Angst um die vielen Talerchen. Außerdem läuft niemand mit einem Vermögen im Gürtel herum, nur um ein paar Säcke Holzkohle zu bezahlen. O nein, der muß nur noch kräftiger hergenommen werden, dann wird er schon ausspucken, was er weiß.“ Juan griff nach der Pütz.
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„Ich werde Wasser holen“, sagte er, „dann sehen wir weiter.“ Nach kurzer Zeit kehrte er mit der vollen Pütz zurück und klatschte Eric Winlow das Wasser ins Gesicht. „Die kleine Erfrischung wird ihm gut tun“, sagte er mit einem hämischen Grinsen. „Wenn er aufgewacht ist, werden wir ihm zu einem weiteren Tänzchen aufspielen.“ 9. Die Jolle wurde an der Pier vertäut. Der Seewolf und seine Mannen gingen ungehindert an Land. „Gut, daß es ziemlich mondhell ist“, sagte Al Conroy, der schwarzhaarige Waffenund Stückmeister der Seewölfe, mit gedämpfter Stimme. „Das erleichtert uns zumindest die Orientierung.“ Smoky blieb zur Bewachung der Jolle zurück, und Jean Ribault übernahm zunächst die Führung, weil er sich bereits in Mollendo auskannte. Der kleine Trupp nahm sogleich Kurs auf die Schenke Jose Ramons, bog aber kurz vorher in die verwinkelte Gasse ab, von der der Franzose gesprochen hatte. Doch kaum hatten sie hundert Yards zurückgelegt, da vernahmen sie plötzlich harte Schritte und eine Stimme, die in militärischem Ton Kommandos gab. „Donner und Wolkenbruch!“ entfuhr es Edwin Carberry. „Wenn das nicht die Stadtgarde ist, segle ich auf einer Bratpfanne zur ,Estrella` zurück.“ Prompt verhielten die Arwenacks ihre Schritte. Der Seewolf winkte auffordernd. „Weitergehen!“ befahl er. „Verhaltet euch völlig normal und ungezwungen.“ Also setzte die kleine Schar ihren Weg fort. Ed blieb vor dem Segeltörn mit der Bratpfanne verschont, denn seine spontane Vermutung erwies sich natürlich als richtig. Es handelte sich aber nicht um die gesamte Stadtgarde, sondern nur um eine kleine Patrouille - um zwei Soldaten und einen Sargento, die routinemäßig das Hafengebiet kontrollierten.
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„Halt!“ befahl der Sargento, ein junger Mann in strammsitzender Uniform. „Wer sind Sie, und was tun Sie hier?“ Philip Hasard Killigrew verbeugte sich leicht. „Guten Abend, Senor. Mein Name ist Don Esteban de Castellano. Ich bin der Capitan der ,Estrella de Malaga`, die heute abend hier vor Anker gegangen ist, um Holzkohle zu mannen. Diese Männer gehören zu meiner Besatzung ...“ Der Sargento unterbrach ihn. „Oh, ich weiß, Senor Capitan. Der Hafenkapitän hat Ihre Ankunft der Form halber beim Stadtkommandanten gemeldet. Haben Sie genügend Holzkohle erhalten?“ „Mehr als genug“, erwiderte Hasard. „Ich muß sagen Mollendo ist für Schiffe Seiner Majestät gut gerüstet. Leider sind wir in Eile und können nicht länger in dieser gastlichen Stadt verweilen, aber dennoch möchte ich meine Männer zu einem Becher Wein einladen, bevor wir die Anker lichten.“ Der Sargento salutierte stramm, was Plymmie, die Wolfshündin, mit einem leisen Knurren quittierte. „Dann möchte ich Sie nicht länger aufhalten, Capitan. Es freut mich, daß es Ihnen in Mollendo gefällt.“ Die Patrouille setzte ihren Weg fort, und die Arwenacks atmeten erleichtert auf. „Wieder mal Glück gehabt“, meinte Edwin Carberry. „Wenn du nicht ein so guter Don wärst, Kapitän, hätten die uns längst am Schlafittchen gehabt. So aber behandeln sie dich immer wie einen vornehmen Senor, der beim Backen und Banken mit ihrem König am selben Tisch sitzt. Nachdem die Mannen sich vergewissert hatten, daß die Soldaten verschwunden waren, bogen sie kurz vor dem „Cuy“ in die besagte Gasse ein. „Dort vorn haben wir die Perücke gefunden“, sagte Jean Ribault und deutete auf den Eingang zu einem dunklen Hinterhof. Gleich darauf verhielten die Männer ihre Schritte, und Ribault ließ Plymmie ausgiebig die Perücke beschnuppern.
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Schon nach kurzer Zeit hatte es den Anschein, daß Plymmie die Spur aufnahm. Zunächst aber zog es die Hündin zur Überraschung aller in den finsteren Hof. „Sollte sich der Koch in diesem Haus befinden?“ fragte Philip junior, einer der Zwillingssöhne des Seewolfs. Die Männer musterten aufmerksam das halbzerfallene, ungepflegte Gebäude. Aber kein Lichtschein fiel durch die Fensteröffnungen. Auch deuteten keinerlei Geräusche darauf hin, daß sich jemand in dem Gebäude aufhielt. Plymmie, die den Hof erkundete, kehrte bald wieder zurück und setzte - laut schnuppernd - den Weg durch die Gasse fort. „Aha“, sagte Hasard, „jetzt hat sie die Spur endgültig. Wir scheinen Glück zu haben.“ Die Arwenacks folgten der Wolfshündin auf eine möglichst unauffällige Weise. Der Weg führte über kleine Plätze sowie durch mehrere Gassen und verlief dann in weitem Bogen zum Hafengebiet zurück. Dabei passierten sie eine kleine Schenke, in der offensichtlich eine wüste Schlägerei im Gange war. Zumindest ließ das laute Fluchen und Brüllen darauf schließen. Edwin Carberry juckte es sogleich in den Fingern. „Da würde ich auch gern mal einen zur Brust nehmen“, sagte er, „denn die peruanische Luft ist verdammt trocken. Und in diesem lieblichen Haus scheint es überhaupt nicht langweilig zu sein.“ Natürlich wußte er, daß eine Einkehr ausgeschlossen war, deshalb fügte er seufzend hinzu: „Ja, ja, auf was ein frommer Seefahrer nicht alles verzichtet, nur um ein blaukariertes Rübenschwein von einem nächtlichen Ausflug zurückzuholen.“ In der Nähe der Kneipe stießen sie auf eine Senorita vom horizontalen Gewerbe. Sie war spindeldürr und wirkte verkommen. Auffallend an ihr war eine riesige Zahnlücke, die man allerdings in der Dunkelheit nur aus nächster Nähe wahrnahm. Natürlich ahnte niemand, daß diese Hafenhure am selben Abend auch schon dem gesuchten Eric Winlow ihre
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Dienste angetragen hatte. Allerdings ohne Erfolg. Jetzt aber, als ein ganzer Trupp von Männern an ihr vorüberzog, glaubte sie wohl, mit einem von ihnen anbandeln zu können. Wie es der Zufall wollte, war es der Profos der Seewölfe, den sein Weg ziemlich dicht an ihr vorbeiführte. „Wie geht es euch, Amigos?“ rief sie. „Die Nacht ist noch lang, aber deshalb braucht sie nicht langweilig zu sein!“ Edwin Carberry blieb prompt vor ihr stehen und blickte ihr ins Gesicht. „Ogottogott“, murmelte er dann und setzte schleunigst seinen Weg fort. „Was ist, Süßer?“ hakte sie nach. „Willst du etwa nicht . ..?“ „Nee, ich kann nicht!“ rief Ed zurück. „Habe mich zu sehr erschrocken.“ Die wenig schmeichelhaften Namen, die sie ihm wütend nachkeifte, schluckte er mit äußerstem Edelmut, zumal Hasard ihn eilig weiterlotste. Plymmie dachte nämlich nicht daran, zu warten. Nur einmal verhielt die Wolfshündin kurz unter einer Laterne, um ein kleines, aber dringend notwendiges Geschäft zu verrichten. Die Arwenacks waren froh darüber, daß Plymmie sie größtenteils durch nahezu menschenleere Gassen und Winkel führte. Bald stellten sie fest, daß sie sich mehr und mehr einem abgelegenen Teil des Hafens näherten. In dieser Gegend gab es keine Piers und Stege mehr und auch keine Häuser und Lagerschuppen. „Ich möchte zu gerne wissen, was der Kerl in dieser Gegend gesucht hat“, sagte Al Conroy. „Hatte der wohl Lust auf einen Spaziergang?“ „Das bezweifle ich“, erwiderte Jean Ribault. „Eine so romantische Natur, daß er Lust auf einen Mondscheinspaziergang verspürt, ist unser Koch nun wirklich nicht.“ Die Männer entfernten sich jetzt immer weiter vom Hafen. Plymmie lotste sie über den Strand, durch Geröll, Sand und Gestrüpp, und schon bald sahen sie die Lichter von Mollendo ein ziemliches Stück hinter sich. Als sie schließlich einen riesigen Felsvorsprung rundeten, nahm die
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Nacht sie gefangen, und nichts deutete in dieser Umgebung mehr auf eine menschliche Ansiedlung hin. „Merkwürdig“, ließ sich Hasard junior vernehmen. „Hoffentlich hat sich Plymmie nicht getäuscht. Warum sollte sich Mister Winlow in dieser Einöde aufhalten?“ „Vielleicht hat man ihn gezwungen, diese Gegend aufzusuchen“, sagte Hasard. „Überfallen wurde er höchstwahrscheinlich nicht hier, sondern an jener Stelle, an der Jean die Perücke gefunden hat.“ „Das aber“, sagte Al Conroy, „würde bedeuten, daß man ihn nicht einfach überfallen und ausgeplündert, sondern sogar entführt hat.“ „Damit könntest du durchaus recht haben“, pflichtete ihm der Seewolf bei. „Es scheint in der Tat mehr in Gang zu sein, als wir bisher vermutet haben.“ Mit ernsten Gesichtern setzten sie ihren Weg fort. Die Nacht war kühl geworden, vom Pazifik wehte eine frische Brise herüber. * Das Meerwasser verfehlte seine Wirkung nicht. Eric Winlow erlangte das Bewußtsein zurück und versuchte, den über ihn hereinstürmenden Wassermassen durch Prusten Herr zu werden. Zudem brannte das Salzwasser höllisch in seinen zahlreichen Wunden und Blessuren. Die Hafenstrolche und ihre Anführerin lachten jedoch nur, als er vor lauter Schmerzen das Gesicht zu einer Grimasse verzog und laut aufstöhnte. „Wasser ist wohl doch das beste Weckmittel“, sagte Rosalita. Und spöttisch fügte sie hinzu: „Entschuldigen Sie, Senor Glatzkopf, wenn wir Ihre Nachtruhe gestört haben, aber leider ist jetzt nicht die Zeit zum Schlafen, denn es gilt, wichtige Dinge zu erledigen. Sollten Sie sich jedoch dazu bequemen; zu plaudern, dürfen Sie hinterher schlafen, solange Sie wollen.“ „Sogar bis zum Jüngsten Tag“, sagte der dürre Juan höhnisch, was ihm einen tadelnden Blick von Rosalita eintrug.
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Eric Winlow war sich darüber klar, daß die Kerle ihn jetzt erneut in die Mangel nehmen würden, um ihn zum Reden zu bringen. Obwohl er wußte, daß er eine ganze Menge vertragen konnte, wurde ihm doch etwas mulmig zumute. Andererseits sagte ihm sein Verstand, daß sein Verschwinden bei Jean Ribault und den Kameraden längst aufgefallen sein mußte. Bestimmt hatten sie eine Stinkwut auf ihn, aber dennoch war er davon überzeugt, daß sie nach ihm suchten. In seiner gegenwärtigen Situation bedeutete das, daß er unter allen Umständen versuchen mußte, Zeit zu gewinnen. Aber wie? Sehr lange würde er die Gemeinheiten dieser Spitzbuben nicht mehr durchstehen, denn irgendwo hatte jeder Mensch seine Belastungsgrenze. Da fiel ihm plötzlich etwas ein. „Ich - ich schlage euch was vor“, sagte er ächzend. „Er schlägt uns was vor?“ wiederholte Pepito grinsend. „Hoffentlich etwas Vernünftiges, sonst behalt's lieber gleich für dich.“ „Es - es ist der vernünftigste Vorschlag, den ich in meiner Lage habe“, sagte Eric Winlow. „Dann mach's nicht so spannend!“ fuhr Rosalita dazwischen. „Raus mit der Sprache, wir warten schon lange genug darauf!“ Eric Winlow begann zu husten, denn das Meerwasser war ihm in Mund und Nase gelaufen. Einiges davon hatte er sogar geschluckt. „Leider“, sagte er schließlich, „kann ich nur wiederholen, daß ich der einzige bin, der einen solchen Gürtel hatte. Die anderen sind arme Hunde. Ich dagegen habe noch einhundertfünfzig Goldmünzen, die auf einem der Schiffe verwahrt sind. Ich könnte jedoch einen Brief schreiben und darauf bestehen, daß man sie an euch aushändigt.“ Die Strolche grinsten. „Und du glaubst, daß wir das Geld so ohne weiteres erhalten?“ fragte Pepito.
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„Natürlich“, erwiderte Eric Winlow. „Es ist ja mein Geld, und ich kann jederzeit darüber verfügen.“ Rosalita wiegte das hübsche Köpfchen nachdenklich hin und her. „Einhundertfünfzig Goldmünzen sind eine ganze Menge“, sagte sie. „Dennoch sehe ich nicht ein, warum die reichen Kerle so ungerupft bleiben sollen. Vielleicht willst du mit deinem Angebot nur von den prallgefüllten Gürteln der anderen ablenken.“ „Ich sagte doch schon, daß keiner von ihnen einen solchen Gürtel besitzt“, entgegnete der Koch. „Selbst wenn dem so wäre, würden sie sich nicht für mich verantwortlich fühlen. Ich kann deshalb nur meinen Vorschlag wiederholen und meine. Bereitschaft bekräftigen, die einhundertfünfzig Goldtaler an euch aushändigen zu lassen. Um das verfügen zu können, brauche ich jedoch Papier und Schreibzeug.“ Eric Winlow hoffte inbrünstig, daß sie diese Utensilien in der Höhle nicht zur Verfügung hatten, sondern erst besorgen mußten. Das wäre für ihn ein beträchtlicher Zeitgewinn. Die Galgenvögel reagierten jedoch anders, als er erwartet hatte. „Darauf lassen wir uns nicht ein“, sagte Pepito, nachdem er sich mit Rosalita durch Blicke verständigt hatte. „Zudem gibt es hier weder Papier noch Schreibzeug. Uns interessiert auch nicht, wie viele Goldmünzen sich auf den Schiffen befinden, denn die sind für uns eine Nummer zu groß. Deine Kumpane in Mollendo allerdings sind für uns greifbar, sofern sie was im Beutel haben. Die können wir uns jederzeit schnappen oder sie erpressen. Dazu aber müssen wir wissen, ob sich das lohnt. Und das wirst du uns jetzt endlich sagen. Wenn du weiter maulfaul bleibst, müssen wir unsere Behandlung eben fortsetzen, und zwar solange, bis für klare Verhältnisse gesorgt ist.“ Rosalita stimmte seinen Worten lebhaft zu. Ihre Augen blitzten vor Geldgier, und sie schreckte auch nicht davor zurück, die Kerle anzustacheln. Als sie erneut zu ihren
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Messern griffen, trat Eric Winlow der Schweiß auf die Stirn, denn er hatte längst begriffen, daß sie kein Erbarmen kannten. Besonders Juan geiferte vor Wut und Rachsucht. Er beugte sich über den Koch und blickte ihm grinsend ins Gesicht. „Wie gefällt dir denn. der Aderlaß, he?“ fragte er zynisch. Eric Winlow wurde plötzlich von einer ohnmächtigen Wut gepackt. Mit äußerster Kraftanstrengung wuchtete er den Kopf hoch, und seine Stirn krachte hart in das Gesicht Juans. Der Schnapphahn schrie laut auf vor Schmerz und taumelte zurück. Mit beiden Händen bedeckte er sein Gesicht, das ohnehin noch arg mitgenommen war von den Hieben, die er sich an der Pier eingehandelt hatte. Als er jedoch den ersten Schmerz überwunden hatte, zog er voller Haß und Wut sein Messer und holte - halb von Sinnen - zum Stoß aus. Hätte Pepito nicht blitzschnell zugegriffen und den dürren Kerl am Unterarm gepackt, wäre es um Eric Winlow geschehen gewesen. „Laß den Blödsinn!“ herrschte er Juan an. „Wenn du den Kerl umbringst, ist er für uns nichts mehr wert. Für einen Toten wird dir keiner auch nur eine einzige Münze zahlen.“ „Der Teufel soll den Kerl holen!“ zischte Juan, dessen lädiertes Gesicht einer Fratze glich. „Das wird er auch“, sagte Pepito, „wenn er nicht bald redet.“ Die Lage wurde immer unangenehmer und immer gefährlicher für den Koch der „San Lorenzo“, denn Pepito begann damit, die Spitze seines Messers in die Flamme der Tranlampe zu halten. 10. Die einsame Landschaft, die der Mond in fahles Licht tauchte, wurde immer unwirtlicher. Der Sandstrand verlor sich in zerklüfteten Felsen, und weiter landeinwärts wucherte dichter Dschungel. Außer dem Rauschen des Wassers, das den nahen Strand umspülte, vernahmen die
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Männer kaum irgendwelche Geräusche. Hier jemanden zu suchen, wäre normalerweise ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Aber da war Plymmie, die sich nur wenig für das interessierte, was die Zweibeiner beschäftigte. Die Hündin verließ sich ausschließlich auf ihre Spürnase und führte die Männer in ziemlich kurzer Zeit weit in die Felsenlandschaft hinein. „Plymmie verfolgt einen ganz bestimmten Weg“, sagte Hasard mit leiser Stimme. „Sie schweift nicht ab und geht auch nicht im Kreis herum. Das beweist, daß sie auf der richtigen Fährte ist.“ Bald darauf blieb die Wolfshündin stehen und hob schnuppernd die Nase. Danach ließ sie ein leises Knurren hören. Der Seewolf hob die Hand. „Das hat etwas zu bedeuten“, sagte er. „Philip und Hasard - ihr haltet Plymmie jetzt etwas zurück.“ Die Zwillinge kümmerten sich sofort um die Hündin, die jetzt leise zu Winseln begann. Auf den Gesichtern der Mannen lagen Sorge und Anspannung. Sie alle wurden das Gefühl nicht los, in unmittelbarer Nähe Eric Winlows zu sein. Noch immer beschäftigte sie eine Reihe von Fragen: Hatte man den Koch der „San Lorenzo“ verschleppt und umgebracht? Würden sie am Ende einen Toten finden? Eins stand unverrückbar für sie fest: Wenn sich Eric Winlow in dieser Einöde befand, dann war er nicht aus freien Stücken hier. Auf ein Handzeichen des Seewolfs hin bewegten sie sich weiter vorwärts - immer darauf achtend, möglichst keine Geräusche zu verursachen. Trotzdem konnten sie nicht verhindern, daß zuweilen Geröll unter ihren Füßen knirschte. Es war nicht zu übersehen, daß Plymmie immer erregter wurde. Die Zwillinge hatten Mühe, sie zurückzuhalten, und schon bald entdeckte man auch die Ursache dafür. Höchstens dreißig Schritte von ihnen entfernt lag der Eingang einer Felsenhöhle, und genau dorthin schien die Spur, die Plymmie aufgenommen hatte, zu führen.
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Der Seewolf hob die Hand und gab seinen Söhnen durch ein Kopfnicken zu verstehen, daß sie mit der Hündin in Deckung gehen sollten. Die beiden Jungen verschwanden sofort hinter umherliegenden Felsbrocken, die gute Versteckmöglichkeiten boten. Danach pirschte sich Hasard mit Edwin Carberry, Al Conroy und Jean Ribault vorsichtig an die Höhle heran. Links des Eingangs häufte sich schroffes Gestein, das stellenweise von struppigem Buschwerk überwuchert wurde. Es ermöglichte den Männern, sich dem Eingang bis auf wenige Schritte zu nähern, ohne daß sie entdeckt werden konnten. Aus der Höhle drang leises Stimmengemurmel, und von Zeit zu Zeit schien jemand einen Fluch auszustoßen. So sehr sich die vier Männer auch anstrengten, sie konnten nicht verstehen, über was da drinnen gesprochen wurde. Dennoch zweifelte keiner daran, daß sich Eric Winlow in dieser Höhle befand. Als sie plötzlich Schritte vernahmen, hielten sie den Atem an. Ganz offensichtlich schickte sich jemand an, die Höhle zu verlassen. denn die Schritte näherten sich dem Eingang. Die Männer sollten sich nicht getäuscht haben. Ein verkommen aussehender Mann, dem man auf den ersten Blick ansah, welchem Gewerbe er nachging, verließ die Höhle in der Hand hielt er eine Pütz. Der Kerl, dessen Hakennase an einen Raubvogel erinnerte, schien sich absolut sicher zu fühlen, denn er trottete, ohne sich weiter umzusehen, über das Geröll und hielt auf den nahen Strand zu. Die Pütz ließ darauf schließen, daß er Wasser holen wollte. Der Seewolf und seine Begleiter rührten sich nicht von der Stelle und warteten, bis der geiernasige Schnapphahn mit der vollen Pütz zurückkehrte. Als er jedoch kurz vor dem Höhleneingang angelangt war, huschte Hasard wie ein dunkler Schatten aus seinem Versteck. Mit zwei langen Sätzen erreichte er den Kerl. Noch bevor dieser einen Laut von sich geben oder gar eine Warnung ausstoßen konnte,
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schmetterte er ihm den Lauf seiner Pistole gegen den Schädel. Der Mann sackte kraftlos in sich zusammen. Die Pütz entglitt seiner Hand, das verschüttete Wasser versickerte im Geröll. Der Seewolf griff nach dem leblosen Körper und zog ihn hinter die Felsen. Dort wurde der Besinnungslose von Al Conroy, Carberry und Jean Ribault in Empfang genommen und mit flinken Händen gefesselt und geknebelt. Natürlich beseitigte man auch die Pütz. Hasard deutete den anderen durch Zeichen an, abzuwarten. Sie verstanden, was er meinte, denn seine Taktik war einfach: Den Stimmen nach mußten sich weitere Halunken in der Höhle aufhalten. Logischerweise würde man den Kerl mit der Pütz bald vermissen und nach ihm suchen. Das aber konnte man nur, indem man die Höhle verließ. Die Mannen warteten geduldig und achteten dabei auf jedes Geräusch. Selbst eine Eidechse. die über das Geröll huschte, entging nicht ihrer Aufmerksamkeit. Sie hatten sich nicht getäuscht, denn bald waren erneut Schritte in der Höhle zu hören -Schritte von Stiefeln auf geröllhaltigern Boden. Schließlich tauchten drei wenig vertrauenerweckend aussehende Kerle im Eingang auf und starrten zum Strand. Auch sie schienen sich ziemlich sicher zu fühlen und gar nicht auf den Gedanken zu kommen, daß man sie hier finden könnte. „He, Geier, wo treibst du dich herum?“ rief einer von ihnen. Er erhielt jedoch keine Antwort. Plötzlich war aus dem Inneren der Höhle eine keifende Frauenstimme zu vernehmen. „Was ist los? Holt den Kerl und seht zu, daß es hier weitergeht!“ „Schon gut, Rosalita!“ rief einer von ihnen zurück. „Wir sehen gleich nach.“ Mit verwunderten Gesichtern latschten die drei Kerle los. Sie konnten sich offenbar nicht erklären, wo ihr Komplice sein sollte. Schließlich hatte man ihn doch nur
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losgeschickt, um eine Pütz Wasser zu holen. „Ob da was faul ist?“ fragte ein dürr aussehender Kerl mit lädiertem Gesicht. „Du hörst wohl die Flöhe husten! Was soll denn faul sein?“ entgegnete ein anderer. „Vielleicht mußte der Geier mal und hockt irgendwo zwischen den Felsen.“ Die Kerle lachten verhalten. „Dann könnte er, verdammt noch mal, wenigstens Antwort geben“, sagte der Dürre. „He, Geier, was ist los?“ rief er dann. „Ich hau' dir was über den Schädel, wenn du nicht antwortest.“ „Nicht nötig, Freundchen, das ist schon geschehen“, sagte da eine fremde Stimme hinter ihm. Die Kerle fuhren wie von Taranteln gestochen herum und sahen sich urplötzlich vier dunklen Gestalten gegenüber, die hinter ihnen aus dem Boden gewachsen zu sein schienen. Juan, der zuletzt nach dem geiernasigen Kerl gerufen hatte, starrte in ein zernarbtes Gesicht mit einem gewaltigen Rammkinn. Bevor er jedoch etwas unternehmen konnte, brach über ihn und seine Kumpane das Unheil herein. Harte Pistolenläufe fällten die Schnapphähne wie Bäume. Nach einem letzten Ächzen oder Stöhnen war ihr Schicksal besiegelt. Der Seewolf und seine Mannen schickten sich an, die drei Halunken ebenfalls hinter die Felsen zu bringen, wo schon der „Geier“ wohlverpackt schlummerte. Edwin Carberry, der Juan eins übergebraten hatte, packte den Kerl einfach am Gürtel und trug ihn wie eine Pütz Wasser zum Versteck. Während sich Al Conroy und Ed Carberry um die Gefangenen kümmerten, pirschten sich Hasard und Jean Ribault dicht an den Höhleneingang heran. Sobald die Kerle gefesselt waren, sollte Al zur Bewachung zurückbleiben und Ed sollte den beiden Männern in die Höhle folgen gewissermaßen als Rückendeckung. In dem Gewölbe blieb zunächst alles still. Dann aber war erneut die keifende Frauenstimme zu hören. „Wo bleibt ihr denn, ihr lahmen Kerle?“
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Die Frau, die von den Schnapphähnen Rosalita genannt worden war, erhielt keine Antwort. Hasard und Jean Ribault schoben sich inzwischen immer weiter in die Höhle. Der schwache Lichtschein, der von innen heraus den Gang etwas erhellte, zeigte ihnen den Weg. Sie preßten sich eng an die Felswände und achteten darauf, keine Geräusche zu verursachen. Beide hielten für einen Moment den Atem an, als sie plötzlich eine wohlbekannte Stimme hörten. * „Vielleicht nehmen die Kerle ein Bad“, spottete Eric Winlow. „Das hätten sie auch verdammt nötig.“ „Dich hat niemand nach deiner Meinung gefragt“, fauchte Rosalita. „Die Kerle werden schon zurückkommen, und dann geht es hier erst richtig rund. Bis jetzt haben wir dich ja noch weitgehend geschont, aber von nun an wird es ernst Entweder du redest und sagst uns_ was wir wissen wollen, oder du w s zu Fischfutter verarbeitet.“ Trotz ihrer wütenden Rede konnte die Hafenhure nicht verbergen, daß sie nervös wurde. Sie starrte immer wieder ungeduldig in den Gang, der nach einer leichten Biegung zum Ausgang führte. Hinter ihrer Stirn begann es zu arbeiten. Verdammt, wo blieben die Kerle? Sollte es draußen Ärger gegeben. haben? Das konnte sie sich zwar nicht vorstellen, aber ihre Besorgnis wuchs, als sich nach einigen Minuten immer noch nichts rührte. Eric Winlow merkte das. „Aha, jetzt kriegt die Süße wohl Schiß, was?“ „Halt's Maul, Glatzkopf? Wenn es Ärger gibt, habe ich immer noch dich als Geisel, merk' dir das. Und bilde dir bloß nicht ein. daß ich nicht mit einem Messer umgehen kann.“ Als wolle sie ihre Worte unterstreichen, griff sie nach einer Stichwaffe und erhob sich.
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Auch Eric Winlow konnte sich das Ausbleiben der vier Halunken nicht erklären. Sollte man ihn doch hier aufgespürt haben und hing das Wegbleiben der Kerle damit zusammen? Er wagte nicht, zu hoffen und spürte dennoch, daß seine Zuversicht wuchs. Da plötzlich drang ein leises Geräusch in die Höhle - es klang nach knirschendem Geröll. Rosalita zuckte zusammen. „Wer ist da?“ rief sie. „Seid ihr das, Pepito?“ Es erfolgte keine Antwort, und auch das Geräusch war wieder verstummt. Doch jetzt traute Rosalita der Sache nicht mehr und geriet übergangslos in Panik. Sie hob das Messer und eilte mit wut- und haßverzerrtem Gesicht auf Eric Winlow zu. Der begriff, was die Stunde geschlagen hatte. Die Hure würde nicht davor zurückschrecken, ihn zu töten, falls sie in Schwierigkeiten geriet. Er mußte deshalb zumindest das tun, was er in seiner hilflosen Lage noch tun konnte. Also wartete er, bis sie nahe genug heran war, dann zog er blitzschnell die Beine an und stieß sie wieder vor. Seine Stiefel trafen den Leib der hübschen Rosalita und katapultierten sie durch die Höhle. * Hasard und Jean Ribault hatten sich bereits bis an die Biegung des Ganges herangearbeitet, als das feine Geröll unter ihren Füßen zu knirschen begann. Hinter ihnen war wie ein lautloser Schatten Edwin Carberry aufgetaucht. Und genau dem flog die „Blume von Mollendo“ direkt vor die Füße. Während Ed nach der Frau griff, stürmten Hasard und Jean mit feuerbereiten Pistolen in das Gewölbe, in dem die Tranlampe brannte. Dort stießen sie jedoch nur noch auf den gefesselten Eric Winlow. Edwin Carberry hatte im Nu alle Hände voll mit der hübschen Rosalita zu tun, denn die verwandelte sich in eine rasende Furie,
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als sie begriff, daß der Traum vom schnellen Reichtum ausgeträumt war. Sie tobte, kreischte und fluchte. Nur um Haaresbreite entging Ed einem gefährlichen Messerstich. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als dem rasenden Weib das Messer wegzunehmen und ein paar kräftige Maulschellen zu verpassen. Schließlich schleifte er sie aus der Höhle, um im Schein des Mondlichtes erst einmal zu sehen, was für ein „Biest“ er da gefangen hatte. Mit Verblüffung vernahm er all die spanischen Flüche und Verwünschungen, die sie hervorstieß, während sie in seinen Pranken zappelte. „Ho!“ röhrte er. „Von diesem Vögelchen könnte ja selbst Sir John noch etwas lernen.“ Als sie erneut zu kratzen und beißen versuchte, handelte sie sich eine weitere Maulschelle ein. Schließlich blieb dem guten Mister Carberry gar nichts anderes übrig, als dem kreischenden Weib die Hände zusammenzubinden. „Da gerät man ja direkt ins Schwitzen“, stöhnte er. „Wenn sie jetzt immer noch keine Ruhe gibt, muß ich ihr zu meinem allergrößten Bedauern den hübschen Hintern versohlen.“ Al Conroy grinste. „Die ist ja schlimmer als ein Rudel Wildkatzen“, sagte er. „Und fluchen kann sie wie fünf Henkersknechte.“ „So ist es“, bestätigte Ed. „Man wird direkt rot von einem Ohr bis zum anderen.“ Das aber wollte bei Edwin Carberry schon etwas heißen. * Eric Winlow war frei - ziemlich lädiert und zerschunden zwar, aber er war mit dem Leben davongekommen. Wie es aussah, brauchte er auch die ihm von Jean Ribault zugedachte Abreibung nicht mehr, denn die hatte er inzwischen von den Hafenstrolchen und ihrer Anführerin zur Genüge erhalten. Verlegen und beschämt blickte er sich um.
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„Es - es tut mir alles sehr leid, was geschehen ist“, stotterte er. „Ich habe mich wie ein Idiot benommen ...“ „Wie ein grünkariertes Kamel mit Sonnenstich“, berichtigte ihn Edwin Carberry. „Ja, das auch. Ich - ich will das alles wieder in Ordnung bringen. Außerdem muß ich mich bei euch bedanken ...“ „Bei uns?“ unterbrach ihn Ed abermals. „Bei Plymmie mußt du das. Die hat uns nämlich. dank ihrer ausgezeichneten Schnüffelnase hierhergeführt, nachdem Senor Ribaultajo deine gepuderte Perücke in der Gosse gefunden hatte. Wir selber hätten die Spur nur dann gefunden, wenn sie nach herrlichen Speckpfannkuchen geduftet hätte.“ Eric Winlow streichelte Plymmie das Fell. Er wußte, daß er unverschämt viel Glück gehabt hatte – und außerdem gute Kameraden, denen es nicht gleichgültig war, was mit ihm passierte. Zudem beruhigte es ihn ungemein, daß der Seewolf und sein Kapitän auch die Goldmünzen, die Perlen und Edelsteine, die ihm weggenommen worden waren, in der Höhle wiedergefunden hatten. Nach kurzer Zeit setzte sich der kleine Trupp samt der wutschnaubenden Rosalita und ihren gefesselten Kumpanen nach Mollendo in Bewegung. „Wohin mit diesem Gesindel?“ fragte Al Conroy. „Wir werden sie bei der Stadtgarde abliefern müssen“, antwortete Hasard, „wenn wir sie nicht auf freien Fuß setzen wollen.“ Das aber wollte niemand. In der Tat zeigte sich der Kommandant der Stadtgarde über das „Geschenk“ Don Esteban de Castellanos hocherfreut. „Das nenne ich einen glücklichen Fang, Don Esteban“, sagte er Und strahlte, nachdem ihm Hasard in knappen Worten das Nötigste berichtet hatte. „Endlich ist es gelungen, dieses stadtbekannte Gesindel bei einer Missetat zu erwischen.“ Natürlich wurden Don Esteban und seine Männer zum Feiern eingeladen, doch Hasard lehnte höflich ab und wies darauf
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hin, daß man wegen des Geheimauftrages Seiner Majestät sehr in Eile sei und die dringend benötigte Holzkohle bereits geladen habe. Der Kommandant zeigte dafür Verständnis. Es war lange nach Mitternacht, als die „Estrella de Malaga“ und die „San Lorenzo“ die Anker lichteten und die Hafenbucht von Mollendo verließen.
Hafenstrolche
Draußen auf See gingen die Arwenacks und die Le Vengeurs sofort auf ihren alten Kurs nach Arica zurück. Sie waren froh darüber, daß sie keine Spanier mehr zu sein brauchten, sondern wieder das sein konnten, was sie wirklich waren - freie Männer, die sich am wohlsten fühlten, wenn ihnen auf See der rauhe Wind um die Ohren pfiff ...
ENDE