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Der Alkalde Calvo Ramirez Santana schnippte mit den Fingern. „Bringt sie her!“ befahl er,...
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John Curtis 1.
Der Alkalde Calvo Ramirez Santana schnippte mit den Fingern. „Bringt sie her!“ befahl er, und seine Brauen zogen sich bei diesen Worten unheilverkündend zusammen. Teniente Morales, der Führer der dreißig Mann starken Truppe, die die Streitmacht der winzigen Garnison Culebra bildete, scheuchte mit einer Handbewegung zwei seiner Soldaten los. Dann sah er den Alkalden an. „Senor — ich rate zur Vorsicht. Ich kenne die Nicaraos. Mit Gewalt ist bei denen nichts zu erreichen, sie sind zu stolz, um sich irgendeiner Gewaltaktion zu beugen. Ich schlage nochmals vor ...“ Der Alkalde beugte sich in seinem schweren lederbezogenen Armstuhl, der etwas erhöht stand und schon fast wie ein Thron wirkte, vor. „Ich habe Sie nicht um Ihre unmaßgebliche Meinung gefragt, Teniente!“ sagte er scharf. „Ich weiß allein, wie ich diese braunhäutigen Schufte anzupacken habe. Diese Aina ist die Tochter des Häuptlings —ein besseres Pfand könnten wir gar nicht in der Hand haben. Sie weiß erstens alles, was ich erfahren will, und zweitens wird sie reden. Außerdem habe ich einen Boten zum Häuptling der Nicaraos geschickt und ihm mitgeteilt, daß sich seine Tochter in meiner Gewalt befindet. Verlassen Sie sich darauf, er wird dieses Mädchen zu retten versuchen, ich kenne die Stellung, die eine Häuptlingstochter bei diesen Indianern einnimmt. Er darf sie nicht opfern, wenn er bei seinem Volk nicht das Gesicht verlieren will. Er wird uns gegen das Leben von Aina sagen, wo sich die Goldader befindet.“ Der Leutnant versuchte es noch einmal. „Senor, Sie vergessen, was sich beim letzten Markttag ereignet hat. Emilio Torro und Alfonso Ortiz haben die Indianer mit ihren Leuten überfallen und alle jungen Mädchen, die sie erwischen konnten, in ihre Bordelle verschleppt. Wäre ich nicht mit meinen Soldaten dazwischengegangen, dann hätten sie die Häuptlingstochter
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ebenfalls dorthin gebracht. Nur Ihr ausdrücklicher Befehl, Senor, hat mich daran gehindert, auch die anderen Mädchen aus den Klauen dieser üblen Burschen zu befreien. Ich halte es mit meiner Ehre als spanischer Offizier nicht für vereinbar, Kerle wie diesen Torro oder Ortiz auch noch zu unterstützen, ich ...“ Der Alkalde war aufgesprungen. Während der Teniente sprach, hatte sich sein Gesicht mehr und mehr verfinstert. „Schweigen Sie, Leutnant!“ brüllte er, und die Adern an seiner Schläfe schwollen bedrohlich an. „Damit Sie es ein für allemal wissen: Diese Indios zählen für mich nicht zu den Menschen. Ich werde auch diese Aina heute hierbehalten. Sie wird mir den Abend versüßen, und wenn sie genug Wein getrunken hat, wird sie mit Wonnen tun, was ich von ihr verlange. Diese braunhäutige Katze wird mir aus der Hand fressen, Teniente. Sie kann stolz darauf sein, daß ich, der Alkalde von Culebra, ihr überhaupt die Gnade erweise, mit mir das Lager teilen zu dürfen. Ihre bisherige Widersetzlichkeit bei den Verhören hätte jede andere schon längst auf die Folterbank gebracht. Ich habe mit dieser Aina bis jetzt mehr Nachsicht geübt als mit irgendeinem anderen Indio. Wenn sie allerdings auch jetzt nicht reden sollte, dann kenne ich ein paar Mittelchen, um ihr den hübschen Mund zu öffnen.“ Er richtete sich hoch auf, was bei seiner Leibesfülle statt imponierend schon fast komisch wirkte. „Und damit Sie es nun endlich begreifen, Teniente: Culebra ist Hoheitsgebiet Seiner Katholischen Majestät. Wir sind hier die Herren, was wir wünschen, das hat zu geschehen. Was es auf dieser Halbinsel an wertvollen Dingen oder Bodenschätzen gibt, das gehört der Spanischen Krone, deren Bevollmächtigter ich bin. Ich rate Ihnen dringend, Teniente, sich diesem Standpunkt anzupassen. Andernfalls sind Sie die längste Zeit der Befehlshaber dieser Garnison gewesen!“ Teniente Morales hatte alle Farbe verloren. In ohnmächtiger Wut ballte, er die Hände, aber er tat es hinter seinem Rücken. Er
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kannte die Macht des Alkalden, und er wusste, wozu dieser Mann fähig war. Er wurde auch jeder Entgegnung enthoben, denn in diesem Moment brachten die beiden Soldaten, denen er den Befehl gegeben hatte, Aina zu holen, das Mädchen herein. Der Teniente wandte sich unwillkürlich um. Und wieder musste er sich eingestehen, daß er nie zuvor ein hübscheres Mädchen gesehen hatte. Aina hatte ein fein geschnittenes Ge- sieht, ausdrucksvolle Augen und Züge, einen seltsam festen und doch zugleich weichen Mund. Ihr junger, schlanker Körper besaß eine Geschmeidigkeit, wie der Teniente sie bei keiner Weißen jemals gesehen hatte. Unwillkürlich fiel sein Blick auf den Alkalden. Der Teniente sah die unverhohlene Gier, mit der Calvo Ramirez Santana die Indianerin anstarrte, er sah, wie sich der Alkalde die Lippen leckte. Die beiden Soldaten hielten das Mädchen gepackt. Sie zerrten es vor den Alkalden und zwängen es dort in die Knie. Das war dem Teniente zuviel. „Laßt sie los!“ fuhr er die beiden an, und die Soldaten gehorchten. Aina erhob sich. Ihre dunklen Augen richteten sich auf den Alkalden. Der Alkalde kam sofort zur Sache. „Wo ist das Gold? Ich befehle dir, mir augenblicklich zu sagen, wo das Gold in euren Bergen liegt. Wenn du auch jetzt nicht redest, werde ich dir die Zunge lösen lassen. Wenn du mir aber sagst, was ich wissen will, werde ich dich fürstlich belohnen. Also?“ Der Alkalde hatte spanisch gesprochen, er wusste, daß Aina die spanische Sprache ziemlich gut verstand, zumindest aber den Sinn seiner Worte erfaßte. Das Mädchen schwieg und starrte ihn aus den dunklen Augen nur an. In ihren Zügen prägte sich überdeutlich die Verachtung, die sie für diesen Mann empfand. Der Alkalde bemerkte es, und plötzlich sah er rot. Er war ohnehin eine jähzornige Natur und in seinen Ausbrüchen völlig unberechenbar. Mit einer Schnelligkeit, die man ihm bei seiner Körperfülle nicht
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zugetraut hätte, schoß er auf Aina zu. Er packte sie an den Haaren und riß sie brutal zu Boden. Dann klatschten seine dicken Hände in das Gesicht des Mädchens. Anschließend versetzte er ihr einen derben Tritt in die Seite, der sie über den Boden katapultierte. „Reißt diesem Miststück die Kleider vom Leibe!“ brüllte er die beiden Soldaten an, die erschrocken zurückgewichen waren und die Szene aus großen Augen beobachtet hatten. Erst der wütende Befehl des Alkalden riß sie aus ihrer Erstarrung. Sie warfen sich auf die Indianerin, die sich eben aufrichten wollte. Dem Mädchen lief das Blut aus Mund und Nase, so heftig hatte Santana zugeschlagen. Die beiden Soldaten packten die immer noch etwas benommene Aina und fetzten ihr die wenigen Kleidungsstücke vom Leib. Sie gaben keine Ruhe, bis Aina splitternackt auf dem Boden lag. Dann rissen sie sie hoch und schleppten sie vor den Alkalden. Santana starrte Aina drohend an. „Willst du jetzt endlich reden?“ brüllte er unbeherrscht. „Oder soll ich die Folterknechte rufen?“ Er war mit einem einzigen Schritt bei dem Mädchen, packte ihre Schultern und drehte sie herum, als die beiden Soldaten sie losließen. „Da, ich habe das Feuer im Kamin schon anheizen lassen“, sagte er drohend und zwang die Indianerin, die lodernden Flammen anzustarren. „Wenn du jetzt nicht redest, werde ich dir deine verfluchte Indioschnauze aufreißen lassen!“ Aina sah in die Flammen, aber in ihrem Gesicht bewegte sich kein Muskel. Sie wischte nicht einmal das Blut ab, das ihr immer noch aus der Nase lief. Nur in ihren dunklen Augen glomm ein unheilvolles Licht. Aber das bemerkte der Alkalde nicht. Er registrierte nur, daß Aina auch jetzt weiterhin hartnäckig schwieg. Er ließ sie los. „Ruft die Folterknechte!“ schrie er außer sich vor Wut. „Sie sollen ...“ Teniente Morales fiel ihm ins Wort.
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„Senor, das können Sie nicht tun, das ist gegen ...“ Santana fuhr herum. Seine Augen waren nur Schlitze. „Sie wird gefoltert. Hier und jetzt. Ich will es sehen, ich will hören, wenn diese Inidanernutte schreit, wenn sie mich darum bittet, reden zu dürfen!“ Er stand vor dem Leutnant und hatte die Hände zu Fäusten geballt. Die beiden Soldaten, die das Mädchen gerade wieder hatten packen wollen, starrten den Alkalden an. Keiner achtete in diesem Moment auf Aina. Einer der beiden Soldaten, die Aina bisher festgehalten hatten, lief los, um die Folterknechte zu holen. Aina wusste, daß ihr nur noch wenige Augenblicke blieben. Sie warf sich herum und rammte dem neben ihr stehenden Soldaten ihren Ellenbogen in den Leib. Gleichzeitig riß sie ihm das dolchartige Messer aus dem Gürtel, das er bei sich getragen hatte. Der Soldat schrie auf, aber noch im Fallen packte er Aina und zog ihr die Beine unter dem Körper weg. Die Indianerin stürzte, die Hand, in der sie das Messer hielt, zuckte hoch. Die Klinge blitzte im Schein der Kerzen, die das Arbeitszimmer des Alkalden erhellten. Dann fuhr die Klinge dem Soldaten in die Brust. Aina sprang auf. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Teniente auf sie zustürzte, und geschickt wich sie zur Seite aus. Abermals schnellte ihre Rechte hoch, und dann brüllte der Alkalde plötzlich auf. Das Messer flog auf ihn zu, die spitze Klinge bohrte sich durch den Stoff seines leichten Gewandes in seine Brust. Der Alkalde taumelte, seine dicken Finger fuhren durch die Luft und suchten nach einem Halt. Er sah noch, wie die Indianerin auf das Fenster hinter seinem Armstuhl zusprang, hörte noch, wie die Scheibe splitternd unter dem Anprall ihres Körpers zerbarst. Dann wurde ihm schwarz vor Augen, und er brach zusammen. Auf seiner Brust breitete sich rasch ein roter Fleck aus, der schon innerhalb
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weniger Sekunden die ganze linke Seite seines Gewandes ausfüllte. Teniente Morales stand wie erstarrt. Das alles war so schnell gegangen, daß er seinen Augen und Sinnen einfach nicht traute. Er starrte seinen Soldaten an, den die Indianerin niedergestochen hatte, und er wusste sofort, daß diesem Mann nicht mehr zu helfen war. Dann war er mit einem Sprung bei dem Alkalden, beugte sich zu ihm hinunter und drehte ihn vorsichtig auf den Rücken. Der Alkalde atmete noch, aber er verlor viel Blut. Teniente Morales richtete sich ruckartig auf. „Überfall!“ brüllte er. „Hierher! Einen Arzt, die Indianerin hat den Alkalden ...“ Schritte wurden laut. Der Soldat und die beiden Folterknechte, die Santana hatte rufen lassen. stürzten herein. Leutnant Morales ließ ihnen keine Zeit zu irgendwelchen überflüssigen Fragen. „Packt mit an!“ befahl er. „Wir müssen den Alkalden in sein Schlafgemach bringen. Und du-, er wandte sich an den entsetzt auf seinen toten Kameraden blickenden Soldaten, „schaffst den Arzt zur Stelle. Beeil dich! Gib Alarm, die Wachen sollen das Mädchen einfangen! Los, ab!“ Der Soldat stürzte davon, während der Teniente und die beiden Folterknechte den bewußtlosen Alkalden in sein Schlaf gemach trugen. * Aina taumelte hoch. Sie wusste, daß sie keine Zeit verlieren durfte, denn die Spanier würden sie erbarmungslos jagen, weil sie einen Soldaten getötet hatte. Glücklicherweise hatte das Arbeitszimmer des Alkalden zu ebener Erde gelegen, der Sturz aus dem Fenster hatte ihr nichts getan. Lediglich an den Händen und Armen blutete sie aus einigen Schnittwunden, die ihr die splitternde Scheibe gerissen hatte.
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Die Indianerin lief zum Hafen hinunter. Aina wusste ganz genau, daß sie auf der Halbinsel, auf Culebra, nicht bleiben konnte, ohne ihren ganzen Stamm in Gefahr zu bringen. Man würde sie suchen, überall. Aber es gab eine kleine Insel und auf dieser Insel ein ganzes System von Höhlen – die von den Spaniern so heiß gesuchte Goldmine der Nicaraos. Eine der Goldminen – die größte. Dort konnte sie sich verstecken, und dort würde man sie auch niemals finden. Außerdem hatte die Sache noch einen weiteren Vorteil für Aina. Wenn ihr Vater erfuhr, was sich bei dem Alkalden ereignet hatte, dann würde er wissen, wohin Aina geflohen war. Aina überlegte das alles, während sie keuchend zum Hafen lief. Sie brauchte ein Boot, koste es, was es wolle! Ohne Boot war sie verloren. Sie erinnerte sich, daß seit dem heimtückischen Überfall auf die Frauen und Mädchen ihres Volkes während des Markttages noch etliche Auslegerboote im Hafen liegen mußten. Die Spanier hatten sie beschlagnahmt, trotz des Protestes ihres Vaters. Die Frage war nur, wie sie an eins dieser Boote gelangen sollte. Ich muß schnell sein, viel schneller als die verfluchten Gringos! dachte sie. Sie konnte sich genau vorstellen, was im Palazzo des Alkalden jetzt geschah, daß man die Wachen alarmieren würde, daß die Soldaten zuerst am Hafen nach ihr suchen und alles aufbieten würden, um sie wieder einzufangen. Was dann jedoch auf sie wartete, darüber gab sich Aina keinen Illusionen hin. Sie beschleunigte ihren Lauf. Ihr Puls flog, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Als sie die engen Gassen des kleinen Ortes auf der Halbinsel verließ und bereits das dunkle Wasser des Hafens vor sich sah, hörte sie die Trompeter der Spanier Alarm blasen. Stimmen drangen undeutlich an ihre scharfen Ohren, dann erschollen Kommandos. Aina warf sich in einen der dunklen Torbögen, die zu den letzten Häusern
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Culebras gehörten. Erst jetzt bemerkte sie, daß sie immer noch splitternackt war. Aina war es gleichgültig. Sie hatte nur ein Ziel: zu überleben und Rache zu nehmen an diesem fetten Spanier, der sie blutig geschlagen hatte. Sie, Aina, die Tochter des Häuptlings der Nicaraos. Aina lauschte. Erst undeutlich, dann aber mit jeder Sekunde stärker, vernahm sie die polternden Schritte, mit denen die Soldaten vom Palazzo heranstürmten. Sie überlegte fieberhaft. Nein, es blieb nur eine einzige Möglichkeit, sie musste es einfach riskieren! Die Indianerin sprang auf. Die kurze Pause hatte sie erfrischt. Ihr biegsamer, junger Körper schnellte über die Gasse und verschwand sogleich im Dunkel der Nacht. Aina wusste genau, wo sich die Boote befanden, und sie wusste auch, daß bei ihnen einer der Soldaten Wache hielt. Sie brauchte nur Minuten, um vom Rand des Ortes zum Liegeplatz der Boote zu gelangen. Sie sah den Wachsoldaten schon von weitem im Licht einer blakenden Öllaterne, die an einem der Holzpfähle hing. Lautlos glitt sie weiter. Ihre nackten Sohlen verursachten kein Geräusch auf dem Kopfsteinpflaster, das die Spanier für ihre schweren Pferdefuhrwerke angelegt hatten. Sie erreichte einen Bretterstapel, stoppte, duckte sich und horchte auf das Gebrüll der Soldaten, die nun schon bedenklich nahe waren. Ohne zu überlegen, schnellte sie sich vorwärts und sprang den Soldanten an, der sich gerade wegen des Gebrülls und der Rufe seiner Kameraden umgedreht hatte und ihr auf diese Weise den Rücken zukehrte. Sie tat es mit solcher Wucht, daß der Wachsoldat vornüberkippte, seine Muskete fallen ließ und vor Schreck einen lauten Schrei ausstieß. Dann warf er sich jedoch herum und wollte nach seiner Muskete greifen. Aber Aina war schneller. Sie packte die Waffe am Lauf, riß sie hoch und schmetterte sie dem Soldaten auf den Schädel.
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Der Mann sackte zusammen, sein Körper zuckte noch ein paarmal, dann lag er still. Aina tastete ihn blitzschnell ab, und sie fand, wonach sie suchte. Mit einem Ruck entriß sie ihm das dolchartige Messer, das in seinem Gürtel steckte. Sie sprang auf und jagte auf den Steg hinaus, an dem die Auslegerboote lagen. Sie warf sich in das letzte von ihnen, durchtrennte blitzschnell die Leinen, die es am Steg hielten, stieß sich ab und griff sofort nach dem Paddel, das im Boot lag. Von Land her wehte eine starke Brise, erste Regentropfen fielen. Aina hockte im Heck des Auslegerbootes und paddelte um ihr Leben. Sie wagte es nicht, mit dem Setzen des Dreiecksegels Zeit zu verlieren. Sie kannte die Reichweite der spanischen Musketen nur zu genau. Das wüste Gebrüll am Ufer ließ das Indianermädchen zusammenzucken. Ein paar Musketen wurden abgefeuert, spanische Flüche und Befehle drangen über das nachtschwarze Wasser zu ihr hinüber. Aina ließ das Paddel fallen. Wahrscheinlich hatten die Gringos kein Boot — sie hatte jedenfalls keins bemerkt —, mit dem sie die Verfolgung aufnehmen konnten. Und mit den Auslegerbooten verstanden diese weißen Tölpel sowieso nicht umzugehen. Aina verzog verächtlich die Lippen. Nein, von da her drohte keine Gefahr, die. drohte lediglich von jener Schaluppe, die weiter hinten in der kleinen Bucht lag und von den Spaniern immer dann benutzt wurde, wenn sie eine ihrer Niederlassungen weiter im Norden der Küste besuchen wollten. Es galt. schnell die offene See zu gewinnen und die Insel zu erreichen, nur so konnte sie sich vor den verhaßten Gringos in Sicherheit bringen. Aina zog das schwere Segel hoch. Sie brauchte dazu die ganze Kraft, über die sie verfügte, aber sie schaffte es. Der Wind blähte das Segel, das Auslegerboot legte sich weit über, als es von einer Bö gepackt in die Nacht hinausschoß.
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Abermals erschallte wütendes Gebrüll. Die Spanier hatten das helle Segel entdeckt. Donnernd entluden sich ihre Musketen, und die Kugeln surrten Aina nur so um die Ohren. Ein paar von ihnen durchschlugen das Segel, aber das Mädchen trafen sie nicht. Das Auslegerboot hatte inzwischen unter dem günstigen Wind stark an Fahrt gewonnen. Eine erste Regenbö, die in diesem Augenblick auf Culebra niederprasselte, entzog es der Sicht der hin und her rennenden Spanier. „Bemannt die Schaluppe!“ übertönte die Stimme eines Corporals das allgemeine Durcheinander. „Diese verdammte rote Hexe darf uns nicht entwischen! Sie hat einen von uns erstochen, den Alkalden schwer verwundet und Juan niedergeschlagen! Beeilt euch Männer, diese Indianernutte greifen wir uns, oder der Alkalde wird uns die Fußsohlen rösten lassen!“ Lautes Geschrei antwortete ihm, dann stoben die Soldaten auseinander. Aina hatte nicht verstanden, was der Corporal seinen Männern zugebrüllt hatte, aber sie wusste es auch so. Sie holte das Segel dichter und änderte den Kurs ihres Bootes. Dabei fuhren die Finger ihrer Linken wie zufällig über die Klinge des Messers, das sie dem Spanier entrissen hatte. Nein, lebendig würden die Gringos sie nicht fangen, niemals! Das Auslegerboot erreichte die offene See. Aber in diesem Moment erkannte Aina die neue Gefahr, die in der Dunkelheit auf sie lauerte. Der Wind nahm stetig zu. Gischtende Wogen überrannten das niedrige Auslegerboot und ließen es mit jeder Minute mehr und mehr zu ihrem Spielball werden. Aina kauerte sich ins Heck. Die Nacht war mittlerweile so finster geworden, daß sie die Hand nicht mehr vor Augen sah. Sie spürte die heftigen Bewegungen und hörte das Ächzen der Verbände, mit denen der Ausleger am Rumpf befestigt war. Woge um Woge holte sie ein, hob sie mitsamt ihrem Boot auf den Kamm und ließ sie
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gleich darauf ins nächste Wellental hinuntertaumeln. Aber das Boot hielt dem Wetter stand, jedenfalls vorläufig. Aina begann zu frösteln. Splitternackt, völlig ungeschützt kauerte sie fast bewegungslos im Heck und stemmte sich gegen das mit Pflanzenfasern festgelaschte Paddel, das zugleich als Ruder diente. Regenböen prasselten auf sie nieder, das Auslegerboot nahm Wasser über. Es schwappte Aina bei jedem Roller und jeder Schlingerbewegung um die Füße. Das Mädchen biß die Zähne zusammen. Ihre Hände tasteten im Boot umher, bis sie einen aus Pflanzenfasern gedrehten Strick erwischten. Sie band das Ruder fest und begann, das hin und her schwappende Wasser mit den bloßen Händen auszuschöpfen. Aina war sich völlig im klaren darüber, daß sie dabei um ihr Leben kämpfte. Sie musste die Nacht überstehen und warten, bis der Sturm wieder nachließ. Erst dann konnte sie überlegen, was sie weiterhin tun würde. Längst hatte sie nicht mehr die geringste Vorstellung davon, wo jene Insel liegen mochte, die ihr Ziel gewesen war. Aina wusste nur eins: So schlimm dieses Wetter auch für sie war, es würde die Spanier zwingen, in den Hafen von Culebra zurückzukehren und die Suche nach ihr zunächst aufzugeben. Und damit gewann sie wertvolle Zeit. Der Sturm nahm weiter an Stärke zu. Er zwang Aina, kurz vor Mitternacht das Segel zu reffen. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, denn schon die nächste Sturmbö, die über ihr flachbordiges Boot wegheulte, hätte es zum Kentern gebracht. Zitternd vor Kälte und Erschöpfung klammerte sie sich danach für einen Moment an den Mast. Ihre Lippen preßten sich zusammen, ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten. Sie würde nicht aufgeben, dieser Alkalde sollte noch erfahren, was es hieß, die Tochter des Häuptlings der Nicaraos zu schlagen. Aina hockte sich an den Mast. Dann band sie sich mit einem der Taue, mit denen
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sonst das Segel bedient wurde, fest. Sie spürte, daß die Götter ihr helfen würden, Rache zu nehmen, daß sie in dieser Nacht nicht sterben würde. 2. „He, du lausiger Affenarsch!“ brüllte Edwin Carberry, der einstige Profos der „Golden Hind“, durch das Heulen des Sturms und war mit ein paar Sätzen bei dem Mann. „Wenn ich sage, du sollst die Fallen klarieren, dann meine ich das auch, ist das klar?“ Carberry riß einen der schweren Belegnägel aus der Nagelbank, während die „Isabella III.“ bei einem schweren Roller stark nach Backbord krängte. Patrick O’Driscoll, einer der KaribikPiraten, die sich erst seit einigen Wochen an Bord der „Isabella III.“ befanden, fuhr herum. Sein vierschrötiges Gesicht verzerrte sich vor Wüt. O’Driscoll war ein Hüne von Gestalt, und er hatte Carberry, den Mann mit dem Rammkinn, schon lange auf dem Kieker. Mit einer blitzschnellen Bewegung riß er ebenfalls einen Koffeynagel aus der Bank. „Du bist selbst ein Affenarsch!“ brüllte er. „Eine dreckige, kleine Kakerlake, die ich zerquetschen werde!“ O’Driscoll holte aus, und es war Carberrys Glück, daß ein weiterer Roller die „Isabella“ in diesem Moment nach Steuerbord schwingen ließ. Der Belegnagel pfiff herab, verfehlte Carberrys Kopf nur um Haaresbreite und knallte auf die Nagelbank. Carberry wich zurück. Er brauchte einen Moment, ehe er begriff, daß dieser tückische Ire ihn eiskalt erschlagen hätte. Aber dann packte ihn die Wut. Und er reagierte noch viel schneller, als O’Driscoll sich das je hätte träumen lassen. Carberry senkte den Kopf, rannte los und rammte O’Driscoll seinen Schädel in den Leib, noch ehe der den Belegnagel ein zweites Mal heruntersausen lassen konnte. Der Eisenschädel Carberrys traf den Iren genau in die Magengrube. Der Koffeynagel wurde ihm aus der Hand
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geprellt, und O’Driscoll knickte mit einem Schrei zusammen. „Kakerlake, zerquetschen!“ stieß Carberry hervor. „Da mußt du Dreckskerl dir einen anderen suchen, aber nicht den alten Carberry!“ Er packte seinen Gegner, der keuchend nach Luft rang, riß seinen Kopf an den Haaren empor und schmetterte ihm die eisenharte Rechte in die Visage. O’Driscoll wurde von diesem mörderischen Schlag über das Hauptdeck katapultiert. Er stolperte über eine Taurolle und krachte auf die Planken. Aber der Profos war schon wieder zur Stelle. „Los, hoch mit dir, O’Driscoll!“ röhrte er. „Dir ziehe ich jetzt die Haut in Streifen von deinem Affenarsch! Du wirst schon noch lernen, wer hier an Bord der ‚Isabella’ das Maul aufreißen darf und wer nicht!“ Aber Carberry hatte den Iren unterschätzt. Der Ire trat ganz plötzlich zu, und der Tritt traf Carberry genau vor die Schienbeine. Der Profos ruderte wie wild mit den Armen, dann verlor er das Gleichgewicht und krachte ebenfalls auf die Planken. O’Driscoll verlor keine Zeit damit, aufzuspringen. Er wälzte sich einfach herum, warf sich auf Carberry und rammte ihm dabei ein Knie in den Leib. Carberry spürte den irrsinnigen Schmerz, der seinen Körper durchzuckte. Für einen Moment tanzten rote Sterne vor seinen Augen. O’Driscoll nutzte diesen Augenblick, schlug dem Profos seine gewaltigen Pranken um den Hals und drückte erbarmungslos zu. „Dich bringe ich um, du verfluchter Hundesohn!“ keuchte er und verstärkte den Druck. Aber in seiner Wut paßte er auf Carberry nicht auf, dem bereits die Luft knapp zu werden begann und der genau wusste, daß es für ihn jetzt um Leben und Tod ging. Mit letzter Kraft rammte er abermals seinen Schädel vor. Und der Profos traf seinen Gegner voll. Mit einem schon fast tierischen Schrei ließ O’Driscoll den Hals Carberrys los und
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warf sich instinktiv herum, um so einem weiteren Kopfstoß auszuweichen. Aber diesmal war Carberry, der zwar immer noch nach Luft rang, aber doch sofort aufgesprungen war, schneller. Mit einem Satz stand er neben O’Driscoll, als dieser gerade vom Boden hoch wollte. Erbarmungslos schlug der Profos zu. Rechts, links und wieder rechts. Den Iren schüttelten diese Schläge nur so durch, und als er abermals auf die Planken sank, packte ihn Carberry und schleuderte ihn auf den Großmast zu. Dort nagelte er ihn mit einer Serie von schweren Körpertreffern fest, bis der Ire die Augen verdrehte und der Länge nach an Deck schlug. Carberry blieb vornübergeneigt stehen, bereit, ihm sofort den Rest zu geben, falls er sich noch einmal mucksen sollte. Aber O’Driscoll rührte sich nicht mehr. Langsam richtete sich Carberry auf. Mit einer raschen Bewegung wischte er sich das Blut aus dem Gesicht, das aus seiner Nase quoll. Dann sah er sich um und blickte in die Augen der Männer, die mit ihm auf Wache gewesen waren. „Dan!“ rief er dem jüngsten der Besatzung zu. „Hol eine Pütz Wasser und gieß sie diesem Affenarsch über die Rübe. Und du kannst ihm von mir bestellen, daß ich ihn kielholen lasse, wenn er nicht innerhalb der nächsten Minuten die Nagelbank klariert hat!“ Dan O’Flynn starrte Carberry verwirrt an. Er wusste nur zu gut, welch ein gefürchteter Schläger O’Driscoll war. Und so vorlaut das Bürschchen sonst auch sein mochte, in diesem Moment flitzte er zur Kombüse, angelte sich die Lederpütz und ließ sie in Lee über Bord gehen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Seewolf an Deck erschien, und gleich darauf auch Ben Brighton. Er sah noch, wie der Seewolf sich über die Five Rail schwang und in der Kuhl landete, dann brandete eine riesige Woge heran und schleuderte die „Isabella III“ empor. Die wilde Bewegung des Schiffes warf Dan gegen die Kombüse, aber er hielt die
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Lederpütz, die an einer langen Leine hing, eisern fest. Erst als die „Isabella“ vom Kamm der Woge wieder herabtaumelte, zog er die Pütz blitzschnell an Bord und jagte zum Hauptdeck hinüber. Aber noch bevor er sie über dem immer noch bewußtlosen Iren entleeren konnte, stoppte ihn eine Handbewegung des Seewolfs. „Stop, Dan!“ sagte Philip Hasard Killigrew nur, während er mit gegrätschten Beinen an Deck stand und mit dem Oberkörper die wilden Bewegungen der „Isabella“ auspendelte. „Was, zum Teufel, geht hier vor?“ fragte er, und in seinen eisblauen Augen blitzte es gefährlich auf. Dan ließ den schon zum Guß erhobenen Ledereimer sinken. „Carberry hat diesem verdammten Großmaul endlich einmal was auf die Schnauze ge ...“ Der Seewolf fuhr herum. „Ich habe dich nicht gefragt, verdammt noch mal. Carberry!“ Der Profos wischte sich abermals das Blut von Lippen und Kinn, ehe er antwortete. „Ich habe diesem verdammten Affenarsch befohlen, die Nagelbank zu klarieren. Aber dieser Dreckskerl hat stattdessen ...“ Hasard war mit einem einzigen Schritt an der Nagelbank. Prüfend glitten seine Blicke über das Gewirr von Tauen und Tampen. Dann grinste er plötzlich. „Alles in Ordnung, Carberry“, sagte er. „Bring’s ihm bei, aber schlag ihn gefälligst nicht gleich tot, klar?“ Der Profos rollte die Schultern. „Kann ich nicht versprechen, Hasard. Wenn dieser Dreckskerl noch einmal versucht, mir mit einem Koffeynagel den Schädel einzuschlagen, dann holt ihn der Teufel. So wahr ich Edwin Carberry bin, ziehe ich diesem Hundesohn ...“ „... die Haut von seinem Affenarsch in Streifen ab!“ fielen die anderen johlend ein, die mittlerweile die Szene umstanden. Carberry starrte sie erst wütend an, dann aber grinste er plötzlich von einem Ohr zum anderen. „Gut, Jungs, daß ihr das schon kapiert habt. Vergeßt es nur nicht! Und jetzt, Dan,
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bring diesen irischen Dickschädel endlich wieder in die rauhe Wirklichkeit zurück.“ Dan ließ sich das nicht zweimal sagen. Er konnte O’Driscoll ebenso wenig leiden wie Carberry. Ein Schwall kalten Seewassers traf den Schädel des Iren, der sich eben wieder zu regen begann. Der Ire kam prustend wieder zu sich. Seine kleinen Augen funkelten tückisch, als er Carberry erblickte. Doch dann erhob er sich taumelnd, und unter dem Gelächter seiner Bordkameraden wankte er zur Nagelbank hinüber und begann die lose herumhängenden Tauenden aufzuklaren. Ben Brighton, der das alles ebenfalls beobachtet hatte, schob sich neben den Profos. „Auf O’Driscoll würde ich an deiner Stelle ein wachsames Auge haben, Ed“, sagte er nur. „Der wird dir diese Niederlage heimzahlen, irgendwann. Ich kenne diese Typen.“ Carberry nickte nur kurz. Und im stillen nahm er sich vor, künftig vor dem Iren auf der Hut zu sein. Dann scheuchte seine Stimme die Männer wieder an die Arbeit. Noch, immer bolzte die „Isabella“ schwer gegen die blaugrünen Seen an, deren weiße Gischt durch das noch schwache Licht des herannahenden Morgens leuchtete und die manchmal das gesamte Vorschiff unter ihren Wassermassen begruben. Aber trotzdem spürte der Profos, daß der Sturm an Stärke verlor und das Heulen des Windes in den Pardunen und im Rigg schwächer geworden war. Immer noch sprangen die Wogen über das Schanzkleid an Steuerbord und liefen gurgelnd wieder durch die Speigatten ab. aber der Himmel über den prall stehenden Segeln des Schiffes begann bereits aufzureißen und zeigte hier und da sein noch nachtdunkles Blau. Carberrys Blick wanderte zum Großmars hoch. Es war allerhöchste Zeit, daß Batuti, der dort oben als Ausguck saß, abgelöst wurde. „Dan!“ dröhnte seine Stimme über das Hauptdeck. „Aye, Ed, was gibt’s? Brauchst du auch eine Pütz zur Abkühlung über den
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Schädel? Oder warum brüllst du hier so herum! Mann, ich bin doch nicht taub!“ Carberry fixierte das Bürschchen, das vor ihm stand und beide Arme in die Hüften gestemmt hatte. „In den Ausguck mit dir, Dan. Aber ein bißchen plötzlich, klar? Schick Batuti herunter, der ist bestimmt schon halbtot vor Kälte.“ Dan warf dem Profos, dem immer noch das Blut aus der Nase lief, einen schiefen Blick zu. „Na gut, ich geh ja schon!“ maulte er. „Immer ich, immer die Kleinen ...“ Carberry fuhr sich abermals mit dem Unterarm durchs Gesicht. Dann schüttelte er grinsend den Kopf. „Also, wenn ich dein Vater wäre ...“ Dan fuhr auf dem Absatz herum. „Bist du aber nicht! So was wie mich hättest du nie zustande gebracht, klar?“ Und damit verschwand er blitzartig, denn Carberrys Rechte stieß bereits vor, um ihn zu packen. Dan wusste aus ureigenster Erfahrung, daß das zumindest für die nächsten zwei Stunden erhebliche Sitzprobleme für ihn bedeutet hätte. Auf dem Schanzkleid blieb er noch einmal stehen, ehe er aufenterte. In sicherer Entfernung, wie ihm schien. „Du bist schon längst nicht mehr der Schnellste, Carberry!“ hänselte er den Profos. „Früher hätte ich dir ...“ Ein Tauende zischte durch die Luft, landete auf Dans Kehrseite und ließ den Jungen einen wahren Panthersatz in die Wanten vollführen. Der brennende Schmerz, der von seinem verlängerten Rückgrat ausstrahlte, nahm ihm fast die Luft. Erst die Stimme Ferris Tuckers, des hünenhaften, rothaarigen Zimmermanns der „Isabella“, brachte ihn wieder zu sich. „So, Freundchen, das war schon lange fällig. Du bist mir in der letzten Zeit wieder reichlich übermütig. Wann wirst du endlich lernen, dass auf diesem Schiff Befehle ohne jede Widerrede und sofort ausgeführt werden?“
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Ferris Tucker schwang das Tauende in der Rechten und bog sich vor Lachen, als Dan giftige Blicke auf ihn abschoß. „Sag lieber nichts, Dan. Nenn mich ja nicht wieder einen rothaarigen Affen, oder ich gerbe dir das Fell mal richtig durch. Los, ab jetzt mit dir, Batuti wartet!“ Wohl oder übel setzte sich Dan in Bewegung. Er kochte innerlich, und selbst Arwenack, den Schimpansen-jungen, der schon seit langem das Maskottchen der „Isabella“-Crew war, ließ er trotz seines protestierenden Gekeffers diesmal völlig unbeachtet. Batuti, der das alles vom Mars aus mit angesehen hatte, klopfte Dan auf die Schulter. „Männer an Bord viel nervös, kleines Dan“, radebrechte er. „Batuti weiß, warum. Zu lange auf See, brauchen Weiber, dann alles gut!“ Dan sah den riesigen Gambia-Neger an. Mit Batuti verband ihn schon seit langem eine herzliche und enge Freundschaft. „Du meinst, unsere Crew braucht Weiber?“ Der Schwarze nickte. „Batuti wissen. Wenn früher in Dorf in Urwald nix Weiber, dann Krieg. Holen Weiber von Nachbarstamm, viele Tote, aber dann großes Fest, wenn Mond ganz rund. Gut, kleines Dan, sehr gut, solche Fest! Männer von ‚Isabella’ brauchen Fest, dann auch wieder alles gut!“ Er klopfte dem Jungen, der ihn sprachlos anstarrte, abermals auf die Schulter und enterte an Deck. Dan wäre noch nachdenklicher geworden, wenn er hätte hören können, über was soeben der Seewolf und Ben Brighton sprachen. „Ich weiß nicht“, sagte der Seewolf, „mit den Männern ist im Moment der Teufel los. So viele Schlägereien wie in der letzten Zeit hat es unter unserer Crew noch nie gegeben.“ „Vergiß die neuen Leute nicht, Hasard“, gab Ben Brighton zu bedenken. Und er meinte damit jene Männer, die sie von dem Piratenschiff aus der Karibik übernommen hatten.
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Aber Hasard schüttelte den Kopf. „Nein. Das allein ist es nicht. Die Burschen sind plötzlich wie ausgewechselt. Glaubst du im Ernst, daß Carberry sich sonst so hätte gehenlassen? Oder neulich sogar der besonnene Ferris Tucker? Oder Smoky, der mir sogar fast an die Gurgel gesprungen wäre? Nein, Ben irgendetwas ist faul, ich ...“ Jean Ribault, der schlanke, geschmeidige Franzose, gegen dessen Degen sich nicht einmal der Seewolf eine echte Chance ausrechnete, enterte zum Achterkastell auf. „Ich habe euer Gespräch gehört. Ich glaube, ich kenne die Antwort auf diese Frage. Die Crew ist zu lange auf See. Die Männer brauchen endlich einmal wieder ...“ Der laute Ruf Dans aus dem Ausguck unterbrach ihn. „Deck! Schiff Steuerbord voraus. Wahrscheinlich kleines, treibendes Boot, aber genau kann ich es noch nicht erkennen. Etwa zwei Strich an Steuerbord!“ Hasard und seine beiden Gefährten hatten ihr Gespräch jäh unterbrochen. Der Seewolf warf einen prüfenden Blick auf die Segel. Doch durch die besondere Takelage, Rahsegel am Fockmast, Dreieckssegel am Großmast, konnten sie mit der „Isabella“ noch höher an den Wind gehen und brauchten nicht erst zu wenden, um dann mühsam wieder aufzukreuzen. „Ben, zwei Strich Steuerbord! Und du, Jean, schnappst dir mein Spektiv und enterst auf in den Großmars. Mit dem Glas müßte man sehen können, was es mit dem Boot für eine Bewandtnis hat. Paßt aber auf, ob noch irgendwo ein Schiff auf der Lauer liegt. Nach dem Feuerwerk, das wir im Golf von Nicoya veranstaltet haben, würde es mich nicht wundern, wenn die Dons nach uns suchen.“ Jean nickte nur kurz. Während Ben Brighton bereits Pete Ballie, der am Kolderstock stand, die nötigen Ruderkommandos gab, scheuchten Carberry und Smoky die anderen Männer an die Brassen.
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Die „Isabella“ luvte an, donnernd brachen sich die Wogen an ihrem Bug und setzten das ganze Vorschiff zeitweilig unter Wasser. Der Seewolf stand auf dem Achterdeck. Er war auf alle möglichen Überraschungen gefaßt, nur nicht auf die, die ihn und seine Männer wirklich erwartete. * Der Alkalde Santana war wieder bei Bewußtsein. Mit verzerrtem Gesicht lag er in seinem Bett. Der Schmerz strahlte von seiner linken Schulter bis in den Leib hinunter. Der spanische Arzt saß an seinem Bett Als der Alkalde sich bewegen wollte, drückte er ihn sofort in die Kissen zurück. Aber Santana schob seine Hände zur Seite. „Teniente Morales soll sofort geholt werden!“ befahl er mit schwacher Stimme. „Sofort! Warum befindet er sich nicht an meinem Lager, um meine Befehle entgegenzunehmen?“ Santana runzelte die Stirn, verzweifelt versuchte er, sich die Ereignisse in seinem Arbeitszimmer in Erinnerung zu rufen. Und dann fiel ihm die ganze Szene plötzlich wieder ein. Er fuhr im Bett empor sank aber sofort mit einem Wehlaut wieder zurück. „Senor, Sie sind schwer verwundet!“ beschwor ihn der Arzt und zog das Bett, das heruntergerutscht war, wieder über seinen Oberkörper. „Sie bedürfen absoluter Ruhe. Andernfalls kann ich für alles, was mit Ihnen geschieht, keinerlei Verantwortung übernehmen. Das Messer hat Ihnen eine tiefe Wunde in der linken Schulter beigebracht. Sie können von Glück sagen, daß Sie noch am Leben sind. Ein wenig tiefer, und es wäre aus gewesen.“ Der Alkalde starrte den Arzt aus weitaufgerissenen Augen an. Das letzte bißchen Farbe wich aus seinen schwammigen Zügen. „Diese rote Hexe wollte mich ermorden“, flüsterte er. Dann schoß ihm plötzlich das Blut ins Gesicht. Er richtete sich trotz des
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Protestes von Doktor Gonzales im Bett auf. „Der Teniente soll kommen, sofort! Ich muß wissen, ob er diese Mörderin, die es gewagt hat, Hand an den Alkalden von Culebra zu legen, inzwischen gefangen hat.“ Sein Blick irrte durch das Schlafgemach. „Wache!“ brüllte er gleich darauf, und sank ächzend in die Kissen zurück. Der Doktor war aufgesprungen, deutlicher Ärger stand in seinen asketischen Zügen, als die Tür aufgerissen wurde und der Soldat mit seiner schweren Muskete hereinstürmte und deren Mündung sofort auf den Arzt richtete. Der Alkalde scheuchte ihn mit einer matten Handbewegung zur Seite. „Ich will Teniente Morales sehen, sofort!“ befahl er und versuchte dabei, seiner Stimme Nachdruck zu verleihen. „Holen, auf der Stelle holen!“ Der Soldat hatte verstanden. Er salutierte und verschwand wieder. Der Arzt trat an das Bett des Alkalden. „Senor, ich protestiere!“ sagte er verärgert. „Sie werden selber schuld sein, wenn Sie an Ihrer Wunde sterben. Sie ist tief, jede Aufregung kann sie wieder aufbrechen lassen. Sie haben bereits viel Blut verloren. Unter diesen Umständen muß ich jede Verantwortung ablehnen. Ich werde mir überlegen, ob ich auch weiterhin Ihre Behandlung übernehme.“ Der Alkalde sah ihn aus schmalen Augen en. „Es geht um Ihren Kopf, Gonzales! Wenn ich sterbe, werden Sie erschossen. Ich werde den entsprechenden Befehl erteilen.“ Doktor Gonzales erbleichte. Er kannte Santana gut genug, um zu wissen, daß das keine leere Drohung war. Während Santana abermals das Bewußtsein verlor, begann er, die Schulterwunde des Alkalden noch einmal gründlich zu untersuchen und neu zu verbinden. Anschließend zog sich Doktor Gonzales seinen Stuhl wieder ans Bett des Alkalden. Irgendwann musste der Teniente erscheinen. Er kannte Morales als einen aufrechten, fairen Mann, und daher
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beschloß Doktor Gonzales, mit dem Teniente zu sprechen. Irgendetwas musste geschehen. Er hatte von der Sache mit dem Indianermädchen gehört. Er wusste sogar noch mehr. Daß nämlich der Überfall auf den ausdrücklichen Befehl des Alkalden stattgefunden hatte. Man hatte dem Doktor berichtet, welche Szenen sich danach in den beiden Bordellen Culebras, die äußerlich normalen Kneipen glichen, abgespielt hatten - in Anwesenheit und unter Beteiligung des Alkalden. „Ich sollte dieses elende Schwein verrecken lassen“, flüsterte der Doktor erbittert. Aber dann dachte er an die Drohung, die der Alkalde eben noch gegen ihn ausgestoßen hatte. Resignierend ließ er die Arme sinken. Vielleicht würde Morales Rat wissen, denn für die Dauer der Bettlägerigkeit des Alkalden lag die Regierungsgewalt über Culebra ganz automatisch in seinen Händen. * Mit dem ersten Morgengrauen begann im Hafen von Culebra eine fieberhafte Tätigkeit. Die Schaluppe, die während der Nacht wegen des herrschenden Sturmes in den Hafen zurückgelaufen war, wurde unter dem Kommando des Teniente wieder seeklar gemacht und mit Wasser sowie Lebensmitteln ausgerüstet. Der Teniente ahnte, daß er sich da auf eine längere Verfolgungsjagd einließ. Aber er war entschlossen, die Indianerin zu verfolgen und zu fangen, obwohl er ihre Handlungsweise nur zu gut verstehen konnte. Es blieb ihm keine andere Wahl, wenn er nicht seinen Kopf riskieren wollte. Alkalden besaßen zwar im allgemeinen nicht allzu viel Macht. Der Befehlshaber einer Garnison, auch wenn sie noch so klein war, brauchte den Alkalden normalerweise nicht zu fürchten. Aber bei diesem Santana war das anders, denn er hatte nicht nur bei Hof im spanischen Mutterland mächtige Freunde, sondern
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auch in der Neuen Welt. In Panama zum Beispiel. Teniente Morales fluchte lautlos in sich hinein. Er hatte den unmißverständlichen Befehl erhalten, die Indianerin einzufangen und dem Alkalden vorzuführen. Ihm graute bereits jetzt bei dem Gedanken, was mit dem Mädchen dann geschehen würde. Aber zu ändern war das nicht. Aina hatte einen spanischen Soldaten getötet, den Alkalden schwer verwundet, einen weiteren Soldaten niedergeschlagen und beraubt. Drei Verbrechen, von denen jedes für sich schon unweigerlich die Todesstrafe zur Folge hatte. Schlimmer, diese Vorfälle würden eine grausame Strafexpedition gegen die Nicaraos, den Stamm, dem Aina angehörte und dessen Häuptling ihr Vater war, nach sich ziehen. Und wieder würde er, Teniente Morales, diese Strafexpedition, mit sehr genauen und zweifellos auch sehr blutigen Befehlen des verdammten Alkalden versehen, leiten müssen. Es war einer jener Momente, in denen Morales die Stunde verfluchte, in der er sich entschlossen hatte, spanischer Offizier zu werden. „Vorwärts, beeilen Sie sich!“ fuhr er den Corporal an. der die Männer an der Schaluppe befehligte. Und dabei überlegte er sich, wie weit die Indianerin in ihrem Auslegerboot wohl schon sein mochte. Er hob den Kopf und blickte prüfend in den Himmel. Zwar hatte der Sturm ein wenig nachgelassen, aber der Wind heulte immer noch über die Dächer der Häuser Culebras, und ganz bestimmt gingen draußen, auf der offenen See, die Wogen immer noch hoch. Zu hoch für das Auslegerboot, das allenfalls zum Fischfang in Küstennähe taugte. „Vielleicht ist diese Aina bereits ertrunken“, murmelte er. Das wäre für alle die weitaus beste Lösung gewesen. „Senor Teniente!“ riß ihn die Stimme eines Soldaten aus seinen Überlegungen. Morales drehte sich um und erkannte den Mann, den er als Wache vor dem Schlaf gemach des Alkalden abgestellt hatte.
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„Was gibt es?“ fragte er barsch, und ahnte gleichzeitig nichts Gutes. „Der Alkalde wünscht Sie zu sprechen. Sofort, Senor Teniente. Ich habe strikten Befehl, Sie mitzubringen.“ „Melde dem Alkalden, daß ich sofort kommen werde. Ab! Auf was wartest du noch?“ fragte er scharf, als er merkte, daß der Mann zögerte. Der Soldat wagte keine Widerrede. Er vollführte eine Kehrtwendung und sauste los. Wieder stieß der Teniente einen Fluch aus. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Verdammt, wenn diese Kerle sich doch bloß mehr beeilt hätten, dann hätte der Alkalde lange nach ihm schicken können. Dann wären sie längst mit der Schaluppe unterwegs gewesen! Morales instruierte den Corporal. „Wenn ich zurück bin, hat die Schaluppe segelfertig zu sein, verstanden?“ schnauzte er. „Oder ihr faules Pack lernt mich von einer anderen Seite kennen!“ Der Corporal starrte ihm aus zusammengekniffenen Augen nach. So kannte er den Teniente ja gar nicht. Hölle und Teufel, da musste ja gewaltig dicke Luft sein! Er marschierte zu seinen Soldaten hinüber. Und dann dröhnte seine laute Stimme über die kleine Mole, an der die Schaluppe, ein großes, starkes und absolut seetüchtiges Schiff, lag. Er trieb die Männer erbarmungslos an und kontrollierte noch einmal die gesamte Ausrüstung. Genau wie der Teniente wusste er, daß ihnen wahrscheinlich eine lange Jagd bevorstand. Er starrte auf die Bucht und die gischtenden Wogen, die der offenen See zustrebten. „Scheiße!“ sagte er. „Verfluchte, elende Scheiße!“ Und damit hatte er zweifelsohne recht. Wie sehr, das ahnte er allerdings nicht. 3.
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Dan riß die Augen auf, als das Spektiv des Seewolfs das treibende Auslegerboot erfaßte. „Oh, Mann, das gibt es doch gar nicht“, sagte er nur, setzte das kleine Fernrohr ab und fuhr sich mit der Linken über die Augen. „Gib her, Dan.“ Jean Ribault nahm ihm ungeduldig das Glas ab. Er blickte hindurch, und dann stutzte auch er. ‘ „Verdammt!“ entfuhr es ihm. „Ein Mädchen, an den Mast des Bootes gefesselt, splitternackt und allem Anschein nach tot oder zumindest nicht bei Bewußtsein!“ Der Franzose ließ das Spektiv sinken und bemerkte nicht einmal, daß Dan O’Flynn es ihm wieder abnahm. Erst als Dan sich wieder meldete, schreckte er hoch. „Eine Indianerin, Jean. Ihr Gesicht ist blutig. Und sie ist nicht tot, sie hält ein Messer in der Hand. Das Boot ist voll Wasser, ich begreife einfach nicht, wieso es nicht längst gekentert ist. Wenn das Mädchen den Sturm der vergangenen Nacht in dieser Nußschale abgewettert hat — ohne jede Kleidung, also, ich weiß nicht, wie sie das überlebt haben soll!“ Jean Ribault griff abermals nach dem Spektiv, und Dan händigte es ihm willig aus. „Dan, das Mädchen kann durchaus tot sein. Es rührt sich nicht mehr, das Blut in ihrem Gesicht ist verkrustet. Ihre Hand kann sich noch im Tode um das Messer gekrampft haben, und wenn erst die Totenstarre einsetzt, hat sogar ein starker Mann Schwierigkeiten, eine solche Hand von dem Gegenstand zu lösen, um den sie sich im Todeskampf geschlossen hat. Ich habe das bei Gefallenen schon oft erlebt.“ Wieder warf er einen Blick auf das Boot. Und in diesem Moment vernahm er die ersten Rufe an Deck. Einige aus der Mannschaft hatten inzwischen ebenfalls entdeckt, daß sich ein Mensch im Boot befand, auch wenn sie mit Sicherheit keine Einzelheiten erkennen konnten - noch nicht. Der Franzose warf einen raschen Blick in die Runde. Er dachte an die Mahnung des
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Seewolfs, Ausschau nach anderen Schiffen zu halten. Aber weit und breit zeigte sich außer dem treibenden Auslegerboot, dessen Segel gerefft war, keine Mastspitze. „Dan, ich enter an Deck. Halt Ausschau, ob sich nicht vielleicht doch noch ein Don irgendwo zeigt! Das Ganze da sieht nach Flucht aus. Das Mädchen ist in dem Auslegerboot vor irgendjemandem auf die offene See geflohen. Wir müssen sie an Bord holen, wir müssen überhaupt erst einmal feststellen, ob sie noch lebt.“ Ribault schwang sich über den Rand des Ausgucks und enterte wie der Blitz an Deck. Er lief zum Achterkastell hinüber und erstattete dem Seewolf Bericht. Hasard’ hörte ihm schweigend zu. überdeutlich stand in diesem Moment in seinen Zügen, was er dachte. Er sprach es aus. Zu Ben Brighton, zu Ferris Tucker und auch zu Carberry, der eben zu ihnen trat. „Wenn diese Indianerin noch lebt, wenn wir sie an Bord nehmen, dann sitzen wir alle auf einem Pulverfall. Ben, Ed - sofort ein Boot zu Wasser. Nehmt nur zuverlässige Männer. Ich werde aufpassen, daß die Kerle nicht durchdrehen, wenn ihr mit der Indianerin an Bord seid. Falls sie noch lebt, schlage ich jedem die Zähne ein, der seine Drecksfinger nach ihr ausstreckt. Sie wird in meine Kammer gebracht, klar? Und zwar sofort, falls auch nur noch ein Funken Leben in ihr ist. Nehmt den Kutscher mit.“ Die drei Männer nickten nur. Sie verstanden den Seewolf nur zu gut. Denn nach dem, was Ribault gesagt hatte, war die Indianerin auch verteufelt hübsch. Ben Brighton und Ferris Tucker stellten blitzartig eine Mannschaft für das Boot zusammen, während Carberry und Smoky zusammen mit dem Seewolf dafür sorgten, daß die „Isabella“ beidrehte und schließlich gestoppt im Wind lag. Sie hob und senkte sich auf der immer noch starken Dünung, und Ben Brighton hatte mächtige Schwierigkeiten, das Boot heil zu Wasser zu bringen. Immer wieder krachte es bei einem unerwarteten Roller gegen die Bordwand der „Isabella“.
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Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete Ben Brighton die nächste anlaufende See. „Pullt, Männer - jetzt – zuuu-gleich!“ Er warf die Leinen los, und das Boot glitt auf dem Rücken einer Woge sofort achteraus. Ben Brighton feuerte die Männer an den Riemen weiter an, während er Hartruder nach Steuerbord gab. Nur ab und zu tauchte der heftig schwankende Mast des Auslegerbootes in ihrem Blickfeld auf und verschwand gleich darauf wieder hinter den blaugrünen Wogen. Karl von Hutten, Jean Ribault, Ferris Tucker, Jeff Bowie, Batuti, Blacky, Al Conroy und Stenmark legten sich in die Riemen. Das Boot nahm Fahrt auf. Der Kutscher stand vorn im Bug, bereit, sofort den kleinen Anker, der an einer langen Leine befestigt war, zu werfen, sobald sie dem Auslegerboot nahe genug waren. Während Ben Brighton und seine Männer sich vorsichtig an das kleine Auslegerboot und die Indianerin manövrierten, blieb der Seewolf nicht untätig. Die „Isabella“ nahm wieder Fahrt auf und schob sich hoch am Wind ebenfalls auf das Auslegerboot zu. Carberry, der neben dem Seewolf auf dem Achterdeck stand, hatte längst begriffen, was der Seewolf wollte. Mit seiner dröhnenden Stimme trieb er die Männer immer wieder an. „Das wird dieser Nußschale bestimmt helfen und Ben auch, wenn wir Wind und Seegang von Luv her abschirmen“, sagte er, und der Seewolf nickte. „Ben muß sowieso ein halbes Wunder vollbringen, wenn er den Ausleger mit unserem Boot nicht rammen will. Die See geht noch verdammt hoch, Ed. Ich begreife immer noch nicht, wie das Auslegerboot diese Nacht überstanden hat. Falls in dem Mädchen noch Leben ist, hat sie unheimliches Glück gehabt.“ Er starrte zu dem Auslegerboot hinüber, das er vom hochgelegenen Achterkastell der „Isabella“ gut beobachten konnte. Dann sah er Carberry an.
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„Das Mädchen muß keinen anderen Ausweg mehr gewußt haben. Freiwillig verbringt kein vernünftiger Mensch bei einem solchen Sturm die ganze Nacht in einer solchen Nußschale! Wenn mich nicht alles täuscht, ist sie vor den Dons geflohen, die scheinen sie in die Mangel genommen zu haben.” Carberry nickte grimmig. „Ich kenne die Gepflogenheiten der Dons aus eigener Erfahrung. Die Kerle sind tatsächlich so dämlich, sich grundsätzlich alle Eingeborenen zu Feinden zu machen, statt zu versuchen, deren Freundschaft zu erringen. Was glaubst du wohl, was die dann aus den Indianern, die an dieser Küste leben, herausholen könnten?“ Der Seewolf musste Carberry recht geben. Drake hatte auf seiner großen Fahrt grundsätzlich eine völlig andere Politik betrieben. Er hatte die Eingeborenen gegen die Spanier unterstützt, wo immer es möglich gewesen war. Und er hatte ständig versucht, die Freundschaft der Eingeborenen zu gewinnen. Mit Erfolg, denn sowohl die „Isabella“ als auch die „Golden Hind“ waren vollgestopft mit Schätzen, deren Wert keiner von ihnen auch nur annähernd zu schätzen vermochte. Als der Seewolf an diesem Punkt seiner Überlegungen war, schleuderte der Kutscher, der immer noch im Bug des Beibootes stand, den Wurfanker. Der erste Wurf verfehlte das Auslegerboot, und fluchend holte der Kutscher den Anker wieder ein, während die Männer erneut zu den Riemen griffen. Dann flog der Anker ein zweites Mal, und diesmal verhakte er sich im Ausleger des kleinen Bootes. Die Männer brüllten auf. Ben Brighton beobachtete aus schmalen Augen, wie sich die „Isabella“ in Luv vor sie und das Auslegerboot schob. Sofort ließ das Heulen des Windes nach, und auch die See ging nicht mehr so hoch, weil der Rumpf der „Isabella“ die heranrollenden Wogen abblockte. Er gab Ferris Tucker und Batuti, die zusammen auf einer Ducht saßen, einen
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Wink. Die beiden verstanden sofort. Sie standen auf und halfen dem Kutscher, der sich vergeblich bemühte, das in der See herumtanzende Auslegerboot heranzuziehen. Das war der Moment, in dem Aina aus ihrer tiefen Bewußtlosigkeit zum erstenmal seit Stunden wieder erwachte. * Die Indianerin begriff zunächst nicht, was um sie herum vorging. Ihr Körper war total ausgekühlt, nur langsam gelang es ihr, die Benommenheit, die sie umfangen hielt, abzuschütteln. Und dann sah sie das Boot, die weißen Männer, die zu ihr herüberstarrten, das Tau, an dem sie ihr Auslegerboot heranzogen, und schließlich das große Schiff, dessen Segel die Sonne verdeckten, die immer wieder zwischen den aufreißenden Wolken auftauchte und die grünblauen, gischtenden Wogen aufleuchten ließ. Ein eisiger Schreck durchfuhr Aina. Wo kam das große Schiff plötzlich her? Die Gringos hatten sie also doch gefunden, sie war verloren! Aina zwang ihren steif gefrorenen Körper zum Handeln. Die Hand, die das Messer des spanischen Wachsoldaten immer noch umklammerte, zuckte hoch und durchtrennte die Stricke, mit denen sie sich selber am Mast festgebunden hatte, um nicht über Bord gespült zu werden. Ferris Tucker und Batuti, die das beobachtet hatten und über die plötzliche Reaktion des Mädchens einen Moment verblüfft gewesen waren, brüllten auf. Wenn das Mädchen über Bord sprang, dann würde es bei diesem Wetter nahezu unmöglich sein, sie wieder aufzufischen. „Halt!“ brüllte der rothaarige Schiffszimmermann der „Isabella“. „Wir sind Freunde, wir sind keine Spanier, warte!“ Aina, die schon den Fuß zum Sprung erhoben hatte, blieb wie erstarrt stehen. Das war eine fremde Sprache! Das war nicht die Sprache der verhaßten Gringos!
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Ihre schwarzen Augen irrten über Ferris Tucker und Batuti weg zu den anderen Männern. Karl von Hutten war es, der die Situation rettete. Er beherrschte eine ganze Reihe von indianischen Dialekten, vor allem aber die Zeichensprache der Indios, mit der sie sich untereinander verständigten. Er richtete sich auf der Ducht auf. Aina starrte ihn an wie eine Erscheinung. Sie sah seine dunkle Haut, sein pechschwarzes Haar, seine Zeichen, die Freundschaft bedeuteten. Langsam ließ sie die Hand mit dem Messer sinken, während Batuti und der Schiffszimmermann das Auslegerboot heranzogen. Hilfreiche Hände packten zu und holten das splitternackte, bildschöne Mädchen an Bord. „Verdammt, eine Jacke!“ brüllte Ferris Tucker. „Gebt dem Mädchen eine Jacke, die Kleine ist ja total erfroren!“ Er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da überlief Aina ein Zittern. Ihre Zähne schlugen aufeinander, ihr Körper verfiel in unkontrollierte Zuckungen. Die Indianerin sackte von einem Moment zum andern in den Armen Karl von Huttens zusammen. „Verdammt, das Mädchen ist völlig erledigt. Los, zurück zum Schiff! Sie braucht einen kräftigen Schluck Rum, sie muß überhaupt erstmal wieder zum Leben erweckt werden!“ Ben Brighton gab bereits die nötigen Kommandos, während der Kutscher sich um die Indianerin kümmerte und Karl von Hutten den Wurfanker wieder an Bord nahm. „He, Batuti! Wir müssen das Auslegerboot versenken. Wer weiß, ob die Indianerin nicht von den Dons verfolgt wird. Es ist besser, sie finden das Boot gar nicht erst.“ Ferris Tucker, der sich auch noch im Bug des Beibootes befand, nickte. Er streckte die Hand aus, und einer der Männer warf ihm seine riesige Axt zu, von der er sich fast niemals trennte. Geschickt fing er sie auf, dann sprang er auch schon an Bord des Auslegerbootes. Mit einem Blick erfaßte er, daß die
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schweren Netze, die auf dem Boden des Rumpfes lagen und es aller Wahrscheinlichkeit nach auch davor bewahrt hatten, zu kentern, völlig ausreichen würden, um es in die Tiefe zu ziehen, wenn es voll Wasser lief. Mit ein paar Griffen verknotete er die Netze so, daß sie sich nicht mehr vom Bootskörper lösen konnten. Dann hieb er mit seiner schweren Axt auf den Rumpf ein. Innerhalb weniger Minuten klaffte ein großes Loch im Boden. Gurgelnd schoß das Wasser ins Boot, und Ferris Tucker sprang über Bord. Mit ein paar Stößen schwamm er auf das Beiboot der „Isabella“ zu, fing mit der Linken geschickt die Leine auf, die ihm Batuti zuwarf und befand sich gleich darauf wieder an Bord. Er sah gerade noch, wie das Auslegerboot kenterte und in der Tiefe verschwand. Wenig später, nach zwei vergeblichen Anläufen, enterten die Männer wieder an Bord der „Isabella“. Karl von Hutten und Batuti hielten Aina zwischen sich und wollten sie behutsam über das Schanzkleid heben. Dabei verrutschte die Jacke, mit der die Männer die nackte Indianerin notdürftig bedeckt hatten, und fiel an Deck. Und dann ereignete sich jener erste Zwischenfall, dem noch eine ganze Reihe anderer folgen sollten. * O’Driscoll schob sich durch die Männer, die mit ihm auf dem Hauptdeck standen. Seine Augen traten ihm fast aus den Höhlen, als er das nackte Mädchen sah. Rücksichtslos bahnte er sich den Weg. Knapp einen Yard vor Karl von Hutten blieb er stehen. Unwillkürlich leckte er sich die Lippen. „Mann, o Mann, ist das eine Zuckerpuppe!“. stieß er hervor. „He, die ist richtig, was, Jungs? Das wird vielleicht ein lustiges Leben an Bord!“ Seine Rechte schoß vor und legte sich auf eine der kleinen, festen Brüste. „Mann stöhnte O’Driscoll.
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Aber da fegte ihn auch schon ein gewaltiger Stoß zur Seite. Der Ire brüllte auf, während er über das Deck schoß und wie wild mit den Armen ruderte. Wie der Blitz war Batuti heran, und noch ehe der Ire seine Arme zur Deckung hochreißen konnte, knallte ihm der riesige Gambia-Neger die Faust ins Gesicht. „Du dreckiges Bastard!“ sagte er dabei, und er sagte es gefährlich leise. „Mädchen halb tot, halb erfroren, von Dons gefoltert, und du nix wissen als Schweinerei!“ O’Driscoll lehnte am Schanzkleid neben einem der Geschütze. Schwer stützte er sich auf, denn vor seinen Augen stoben .noch die Funken und drehten sich feurige Kreise. „Wenn du noch mal ausstrecken Drecksfinger nach Indianerin, Batuti dich schlagen tot!“ fauchte der Neger. In diesem Moment explodierte der Ire. Er stieß sich vom Schanzkleid ab, warf sich auf den überraschten Gambia-Neger und hieb ihm mit voller Wucht beide ineinander verschränkte Fäuste gegen den Schädel. Jeder an Bord kannte diesen gefährlichen, gemeinen Schlag, mit dem man einen Gegner glatt töten konnte. Batuti, der nicht mehr imstande gewesen war, dem Schlag auszuweichen, wurde quer über das Deck geschleudert. Dabei rammte er eine der Geschützlafetten und krachte auf die Planken. Sein großer, schwerer Körper, dessen glatte dunkle Haut im Sonnenlicht, das in diesem Moment das Deck überflutete, unwirklich glänzte, rollte noch einmal herum, dann lag er still. Der Seewolf flankte über die Balustrade des Achterdecks. Er hatte alles gesehen und wollte eingreifen, aber er kam zu spät. Aus den Wanten des Großmastes löste sich ein Schatten, fegte über Deck und sprang den Iren an. „Dan, zurück!“ Ben Brighton schrie es über Deck, denn er erkannte die tödliche Gefahr, in der Dan O’Flynn sich befand. Der Ire hatte die gewaltigen Fäuste schon zum Schlag erhoben. Aber Dan war fix, er tauchte unter den Fäusten des Iren weg und
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rammte ihm den Schädel mit voller Wucht in den Leib. O’Driscoll wurde zurückgeworfen, prallte abermals gegen das Schanzkleid und stieß sich sofort mit einem Wutschrei wieder ab. Im nächsten Moment hatte er Dan auch schon gepackt, riß ihn hoch, schwang ihn herum wie ein Bündel Lumpen und schmetterte ihn an Deck. Dan überschlug sich ein paarmal, blieb für Bruchteile von Sekunden benommen liegen, sprang aber wieder auf. Diesmal brüllte auch er vor Wut. „Du irischer Bastard, dich bringe ich um!“ schrie er außer sich vor Wut und stürzte sich erneut auf seinen Gegner. Ferris Tucker, der sich das Bürschchen greifen und zurückhalten wollte, griff ins Leere und fing stattdessen einen schweren Schlag des Iren ein. Blitzartig ließ er seine schwere Axt fallen, sprang den Iren an und schlug zurück. Der Seewolf war inzwischen heran. „Aufhören, ihr verdammten Hornochsen! Wollt ihr wohl sofort aufhören!“ schrie er und wollte die Kampfhähne trennen, weil er glasklar erkannte, worauf das Ganze unweigerlich hinauslaufen würde. Aber es war zu spät. Einige der Neuen ergriffen für O’Driscoll Partei — und nicht einmal zu unrecht. wie der Seewolf blitzartig erkannte. Immerhin war es nicht fair, wenn sich Ferris Tucker und Dan zugleich auf den Iren stürzten. Ben Brighton, Matt Davies, Pete Ballie, der den Kolderstock kurzerhand verlassen hatte, griffen zuerst in den Kampf ein. Dann preschte Smoky heran, gefolgt von Blacky — und im Nu erfüllte die „Isabella III.“ ein wüstes Geschrei. Ein Teil der Karibik-Piraten kämpfte gegen den harten Kern der „Isabella-Crew“. Sogar Hasard musste sich ganz energisch seiner Haut wehren, wenn er nicht einfach überrollt werden wollte. Die einzigen beiden Männer, die in diesen Minuten einen klaren Kopf behielten, waren Karl von Hutten und Carberry. So schwer es letzterem auch fiel, er schaffte zunächst einmal zusammen mit von Hutten das Mädchen in die Kammer des Seewolfs.
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„Los, hol den verdammten Kutscher“, sagte Carberry, als sie Aina in warme Decken gehüllt auf das Lager des Seewolfs gebettet hatten. „Wenn dieser lausige Quacksalber nicht innerhalb der nächsten Sekunden hier auftaucht, dann ziehe ich ihm die Haut in Streifen von seinem ...“ Den Rest hörte Karl von Hutten schon nicht mehr, denn er lief den schmalen Gang entlang, der von der Kammer des Seewolfs zur Kuhl führte, und dabei stieß er schon fast mit dem Kutscher zusammen, der mit seinen Utensilien und einer großen Flasche Rum erschien. Zusammen eilten die beiden Männer zu Carberry und dem Mädchen zurück. Der Profos richtete sich ruckartig auf. „Ihr kümmert euch um das Mädchen. Außer dem Seewolf oder Ben laßt ihr keinen an sie ran, klar? Und dich, Kutscher, lasse ich kielholen, wenn du die Indianerin nicht schnellstens wieder zum Leben erweckst. Ich werde jetzt mal an Deck gehen und Ordnung schaffen!“ Bei den letzten beiden Worten grinste Carberry von einem Ohr zum andern, gleichzeitig ballte er seine mächtigen Pranken. Immer noch erfüllte wüstes Geschrei das ganze Schiff. Als Carberry auf die Kuhl hinaustrat, rannten ihn zwei Männer der Besatzung fast über den Haufen. Schon packte wieder einer den anderen, und gleich darauf wälzten sie sich wie ein wildes, zuckendes Knäuel aus menschlichen Leibern über die Planken. Carberry sah genauer hin. Dann grinste er. Er erkannte den hitzigen Blacky und den starken Holländer Piet Straaten. Beide hatten sich bereits blutige Köpfe geholt. „Schluß jetzt!“ brüllte Carberry, daß die „Isabella“ bis in ihre letzten Verbände erzitterte. Er bückte sich, und wollte die beiden trennen. Da trat Piet Straaten nach hinten aus und traf Carberry am Schienbein, so daß er vor Schmerz aufschrie. Gleich darauf kassierte er von Blacky einen Schwinger, der auch nicht ohne war. Carberry sah plötzlich rot. Mit einem wilden Schrei sprang er auf, packte die
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beiden und schlug ihre Köpfe zusammen, daß es nur so knallte. „Wenn ich Schluß sage, dann ist Schluß, ihr lausigen Affenärsche!“ brüllte er. Und dieses Gebrüll hatte endlich den beabsichtigten Erfolg. Die Kämpfer ließen plötzlich voneinander ab. Aus großen Augen starrten sie den Profos an, der von der Kuhl aufs Hauptdeck sprang und drohend einen Koffeynagel schwang. Aus den Augenwinkeln erhaschte Carberry einen Blick auf den Seewolf — und der machte in diesem Moment auch nicht gerade eine gute Figur. Er blutete aus mehreren Wunden und sah im übrigen genauso demoliert und zerrupft aus wie alle anderen. Hinter Carberry rappelten sich Blacky und Piet Straaten fluchend auf, beide hielten sich die schmerzenden Köpfe. Der Seewolf löste sich aus den wie erstarrt dastehenden Männern. Dann schlug er Carberry grinsend auf die Schulter. „Jedenfalls einer, der den Verstand behalten hat! Ist das Mädchen in meiner Kammer, Ed?“ fragte er und überging die ganze Keilerei absichtlich. Carberry nickte, und der Seewolf verschwand nach achtern. „Los, los, ihr verdammten ...“ Als die Männer plötzlich grinsten und sich das Blut aus den Gesichtern wischten, unterbrach sich Carberry. „Also los, an die Arbeit, Männer“, sagte er statt dessen. „Das Fest ist vorbei. Holt endlich das Boot hoch und seht zu, daß wir wieder Fahrt ins Schiff kriegen!“ Dan hinkte heran. Er warf O’Driscoll, dessen Gesicht völlig verschwollen war, einen giftigen Blick zu. Arwenack, der Schimpanse, der ihm in diesem Moment auf die Schulter sprang, kefferte erschrocken und verzog sich blitzartig in die Takelage, von wo aus er weiterschimpfte. Ben Brighton, selber ebenfalls ziemlich lädiert, konnte sich beim Anblick Dan O’Flynns ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen. „Mann, Dan, das werden bildhübsche Veilchen“, sagte er. „Also du hast bei dem
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Mädchen für die nächsten vierzehn Tage bestimmt keine Chancen mehr!“ Dan O’Flynn blieb stehen. Er lief vor Wut puterrot an. „Wenn Ferris, dieser rothaarige Affe, mich nicht ...“ Ferris Tucker, der gerade seine riesige Axt wieder aufgehoben hatte, trat auf Dan zu. „Wie war das, Dan? Sag das doch noch mal!“ Aber Dan zog es vor, zu verschwinden. Er kannte Ferris Tuckers harte Pranken zur Genüge, und sein Bedarf war für diesen Tag gedeckt. Nur vor O’Driscoll blieb er noch mal stehen. „Wenn du Dreckskerl das Mädchen nicht in Ruhe läßt, dann...“ Batuti langte zu. „Schluß jetzt, Dan! Batuti schon aufpassen! O’Driscoll sich hüten, noch mal Batuti zu Boden schlagen mit so gemeine Schlag“, radebrechte er und zog Dan mit sich fort. Er sah den tückischen Blick nicht, den ihm der Ire nachsandte. Bald darauf nahm die „Isabella“ wieder Fahrt auf. Es schien, als habe nie eine Keilerei an Bord des Schiffes stattgefunden. Aber der Schein trog, und der Seewolf wusste das. Er nahm sich vor, ein wachsames Auge auf seine Männer zu haben. Jetzt galt es allerdings erst einmal, von der Indianerin zu erfahren, was sich da irgendwo an Land ereignet hatte. Aber das war leichter gesagt, als getan. Denn Aina warf sich in wilden Fieberphantasien hin und her. Karl von Hutten und der Kutscher hatten Mühe, das Mädchen zu bändigen und immer wieder in die wärmenden Decken einzuwickeln. Manchmal schrie die Indianerin auf, dann wieder murmelte sie zu Tode erschöpft unverständliche Worte, deren Sinn auch Karl von Hutten nicht begriff. Schließlich begann Aina unter heftigem Schüttelfrost wie Espenlaub zu zittern. Nach einer Weile hörte der Schüttelfrost jedoch auf und ging in einen tiefen, totenähnlichen Schlaf über. Karl von Hutten erhob sich.
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„Gott sei Dank!“ sagte er und sah dabei den Kutscher an. „Sie muß Fürchterliches erlebt haben. Aber jetzt wird es Stunden dauern, bis sie erwacht und uns vielleicht berichten kann, was überhaupt geschehen ist. Hol den Seewolf her, ich möchte das Lager der Indianerin nicht verlassen, sie könnte auch ganz plötzlich wieder in Fieberphantasien verfallen, so ganz genau kann man das nie wissen.“ Der Kutscher warf nochmals einen prüfenden Blick auf das schlafende Mädchen, dann nickte er. „Die Indianerin wird uns noch steifen Ärger bringen“, sagte er mit Nachdruck. „Die Kerls sind jetzt schon total verrückt, das hast du ja eben erlebt. Ich rate dir, auf sie gut aufzupassen.“ Damit verschwand der Kutscher, und wenige Augenblicke später betrat der Seewolf die Kajüte. Mit ihm Ben Brighton, Ferris Tucker, Carberry und Jean Ribault, der Franzose. Vor Karl von Hutten, unmittelbar neben dem Bett, in dem Aina lag, blieb Hasard stehen. „Du wolltest mich sprechen?“ Von Hutten nickte. „Das kann Stunden dauern, bis das Mädchen wieder zu sich kommt. Ich bin aber der Meinung, daß wir unbedingt wissen müssen, was dort irgendwo vor uns an Land geschehen ist. Andernfalls könnten wir mit den Dons eine üble Überraschung erleben.“ Der Seewolf blickte den dunkelhäutigen Mann, der eher ein Wort zu wenig zu sagen pflegte als eins zuviel, stirnrunzelnd an. „Was schlägst du vor?“ fragte er und kannte die Antwort schon im voraus. „Kurs West, einen langen Schlag ins offene Meer. Wir befinden uns dicht unter Land. Überall wimmelt es hier von kleinen spanischen Garnisonen, die sich meist im Territorium irgendwelcher Indianerstämme eingenistet haben und das umliegende Land erbarmungslos ausplündern. Es könnte also gut sein, daß es irgendwo einen blutigen Aufstand gegeben hat. Vielleicht können wir den Indianern helfen
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und den Dons bei dieser Gelegenheit wieder eins überbraten. Aber wir müßten wirklich erst wissen, was passiert ist, bevor wir zur Küste hinübersegeln und vielleicht in eine Falle geraten.“ Der Seewolf überlegte. Dann trat er plötzlich einen Schritt vor und nahm das Messer, das sie bei Aina gefunden hätten. Er drehte es zwischen den Fingern. „Stammt mit Sicherheit von einem spanischen Soldaten“, sagte er und warf einen Blick auf die Indianerin, die sich eben bewegt hatte. Wieder überlegte er. „Deine Idee ist gut, Karl. Wir gehen auf Kurs West! Ben, laß nur die nötigsten Segel stehen. Ich möchte mich nicht weiter von der Küste entfernen als nötig.“ Ben Brighton wollte an Deck, aber der Seewolf hielt ihn zurück. „Warte, Ben. Auch ich bin überzeugt, daß es an Land eine Riesensauerei gegeben hat. Wir werden uns um die Geschichte kümmern, wenn irgend möglich. Aber dazu ist es nötig, daß wir aus unserer ‚Isabella’ wieder ein spanisches Schiff werden lassen. Also, fangen wir sofort damit an. Du, Ferris, sorgst dafür, daß an Bug und Heck deutlich sichtbar der Name ,Valparaiso` angebracht wird. Dieses Schiff hieß ,Valparaiso`, bevor wir es kaperten, wahrscheinlich kennen die Dons es.“ Er sah Ribault an. „Traust du dir zu, diejenigen der Mannschaft, die noch sehr nach Engländer oder Iren aussehen, auf Spanier umzutrimmen? Du scheinst mir der geeignete Mann dazu. Der Kutscher soll dir dabei helfen.“ Ribault nickte nur. „Gut, dann zu dir, Ed“, und dabei sah er Carberry an. „Wenn wir jetzt auf Westkurs gehen, dann werden einige der neuen Leute meutern, Du verteilst unsere Crew so, daß Typen wie O’Driscoll, Gordon Watts und Frank Buchanan unter Beobachtung bleiben. Andernfalls erleben wir eine Neuauflage von vorhin. Allerdings würde ich diesmal anders dazwischenfahren.“ Carberry stieß sein Rammkinn vor.
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„Ich lasse jeden kielholen, der wieder Krach anfängt, Hasard. Keine Sorge, ich werde mit den Kerlen schon fertig.“ „Du bleibst bei der Indianerin, Karl, Du verstehst sie am ehesten, wenn sie wach wird. Ruf mich dann“, sagte er zu von Hutten. „So, an die Arbeit, Männer. Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir schon sehr bald den Teufel wieder mal am Schwanz ziehen! Bereiten wir uns gründlich darauf vor.“ An Deck rief der Seewolf die Männer zusammen. Mit knappen Worten erklärte er ihnen sein Vorhaben. Die Crew johlte vor Vergnügen. Die Schlägerei war vergessen, mit Feuereifer ging jeder an die Arbeit. Unter dem Gelächter der anderen begann Jean Ribault damit, die Blonden der Besatzung auf spanisch zu trimmen. Eine mühselige Arbeit, bei der ihm schließlich Ferris Tucker, der hünenhafte, rothaarige Schiffszimmermann, half. Aber schließlich war auch das geschafft. Eine Stunde später erwachte Aina, während die „Isabella“, nunmehr durch den weithin leuchtenden Schriftzug an Bug und Heck als „Valparaiso“ ausgewiesen, mit nur wenigen Segeln langsam nach Westen lief. 4. Inzwischen war in Culebra der Teufel los. Der Alkalde Santana, der sich überraschend schnell erholte, allerdings noch das Bett hüten musste, dachte gar nicht daran, die Regierungsgewalt dem Teniente zu übergeben. Leutnant Morales hingegen brauchte zu dieser Stunde seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht aus der Rolle zu fallen. Abgesehen davon, daß der Alkalde ihn für die gesamten Vorkommnisse und die Flucht der Indianerin verantwortlich gemacht hatte, verlangte er jetzt eine sofortige Strafexpedition gegen die Nicaraos. Leutnant Morales trat einen Schritt zurück. Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
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„Das können Sie nicht verlangen, Senor, das ...“ Der Alkalde richtete sich im Bett auf. Sein goldbestickter Morgenmantel glitzerte in den Sonnenstrahlen, die durch die Fenster auf sein Bett fielen. „Leutnant, zum letztenmal: Sie rücken sofort aus und nehmen jeden Nicarao gefangen, dessen Sie habhaft werden können. Dann werden diese Dreckskerle öffentlich auf dem Marktplatz gefoltert, bis sie uns ihre Goldlager und außerdem den Aufenthaltsort dieser verfluchten Hexe, die es gewagt hat, ihre Hand gegen die Spanische Krone zu erheben, verraten. Die Verfolgung dieser Aina ist inzwischen zwecklos, weil Ihre feige Bande von Taugenichtsen es vorgezogen hat, wegen des bißchen Sturms schleunigst wieder umzukehren, statt die Indianerin zu verfolgen. Und sie hätten sie einholen können, denn das Auslegerboot war der hochgehenden See bestimmt nicht so gut gewachsen wie unsere Schaluppe. Es wäre eine Kleinigkeit gewesen, den Fluchtweg dieser Mörderin zu bestimmen, allein die Windrichtung wäre in dieser Situation schon ein sehr brauchbarer Anhaltspunkt gewesen. Spätestens im Morgengrauen hätten Ihre Soldaten die Mörderin greifen müssen. Aber natürlich, um solche Überlegungen anzustellen, hätte es eines erfahrenen und intelligenten Offiziers bedurft, und den gibt es offenbar in dieser Garnison nicht. Aber ich werde Abhilfe schaffen, verlassen Sie sich darauf, Teniente!“ Der Alkalde schöpfte Atem. Die Schmerzen in seiner Schulterwunde ignorierte er, denn die Widersetzlichkeit dieses Leutnants reizte ihn bis aufs Blut. „Was die Nicaraos betrifft, wenn ihnen auch die Folter nicht die Zunge lösen sollte, und bei diesen verdammten Kerlen weiß man das ja nie, dann werden die Mädchen geholt. Und wenn wir sie einzeln rösten müßten, ich will von Ihnen Ergebnisse, verstanden, Teniente?“ Der Alkalde funkelte den Leutnant an. „Ich befehle daher, daß die Mädchen ab sofort von einem Kommando Ihrer
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Soldaten aus den beiden Bordells geholt und in den alten Turm gesperrt werden, haben Sie mich verstanden, Morales? Ich will damit verhindern, daß eine dieser roten Hexen noch Gelegenheit erhält, zu fliehen.“ Teniente Morales war totenblaß geworden. Er hatte mehrmals rasche Blicke mit dem Arzt gewechselt, der am Kopfende des Bettes stand und -die Hände rang. Jetzt trat der Leutnant hart an das Bett des Alkalden heran. „Bedaure, Senor. Ich bin spanischer Offizier, aber kein Henker. Sie selbst haben sich alles zuzuschreiben, was passiert ist. Ich habe Sie mehr als einmal gewarnt. Die Nicaraos sind ein stolzes Volk. Es ist Wahnwitz, zu glauben, daß sie sich noch in ihrer Siedlung befinden. Und wenn es so wäre, weder ich noch meine Soldaten werden uns für Ihre Gemeinheiten hergeben. Ich werde den spanischen Hof darüber informieren, auf welche Art Sie hier die Ihnen von der Spanischen Krone verliehene Macht mißbrauchen. Ich quittiere meinen Dienst, hier haben Sie meinen Degen, Senor.“ Er löste das Wehrgehänge an seiner Hüfte und warf den Degen auf das Bett des Alkalden. Ohne ein weiteres Wort verließ er das Schlaf gemach des Allgewaltigen von Culebra. Der Teniente war sich völlig im klaren darüber, daß er dieses Spiel. schon verloren hatte, noch bevor es wirklich begann. Aber es war ihm gleichgültig, Santana war zu weit gegangen. Er hörte hinter sich die keifende, vor Wut überschnappende Stimme des Alkalden. „Ich befehle Ihnen, auf der Stelle zurückzukommen, oder ich werde Sie …“ Der Teniente kümmerte sich nicht darum. Es kümmerte ihn auch nicht, als das Geschrei plötzlich mit einem Wehlaut abbrach. Er verließ das Regierungsgebäude und begab sich zu seinen Soldaten. Mit knappen Worten instruierte er den Corporal über die Vorfälle. Der Corporal starrte ihn ungläubig an.
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„Aber Senor Teniente, sind Sie sich darüber im klaren, daß ich Sie bestimmt bald auf Befehl des Alkalden werde verhaften müssen? Daß der Alkalde Sie unter Umständen erschießen lassen wird? Senor Teniente, Sie wissen, daß wir Sie alle mögen, weil Sie zwar scharf, aber immer gerecht waren. Ich beschwöre Sie, fliehen Sie, solange es noch Zeit dazu ist.“ Der Teniente legte dem Corporal die Hand auf die Schulter. „Schon gut. Tun Sie Ihre Pflicht, Corporal, oder das, was Sie dafür halten. Wenn Sie mir einen Gefallen erweisen wollen, dann führen Sie jetzt den Befehl des Alkalden aus und holen Sie mit Ihren Männern die Indianerinnen aus den beiden Bordellen. Befreien Sie diese bedauernswerten Geschöpfe aus den Händen dieses Torro und dieses Ortiz. Sperren Sie die Mädchen in den alten Turm und lassen Sie sie gut bewachen. Sie verstehen, wie ich das meine?“ Der Corporal grinste. „Habe verstanden, Senor Teniente! Wird aber nicht ganz einfach sein, denn Corporal Pepa ist vorhin mit seinem Haufen ganz überraschend eingetroffen. Die Burschen halten sich bei Torro und Ortiz auf. Sie kennen ja Pepa.“ Morales sah seinen Corporal überrascht an. „Pepa? Wieso ist der denn hier? Die ganze Einheit sollte doch nach Panama verlegt werden?“ Der Corporal zuckte mit den Schultern. „Irgendein Schiff scheint verschwunden zu sein. Wie ich hörte, soll ein fremdes Schiff Puntarenas überfallen, die Garnison zerstört und mehrere Galeonen versenkt haben. Pepa berichtete davon, wusste aber selbst auch nichts Genaues. Aber es muß das reinste Massaker gewesen sein!“ Morales überlegte fieberhaft. Er hatte übereilt gehandelt, indem er seinen Dienst quittierte. Wenn dieser Pepa jetzt in Culebra das Kommando übernahm, würde das entsetzliche Folgen haben. „Schnell, Corporal, kommen Sie! Ich werde den Alkalden absetzen, dann übernehme ich das Kommando über Culebra, bevor Pepa das tut. Kann ich auf
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Sie rechnen? Ich übernehme für alles, was geschieht, die volle Verantwortung.“ Der Corporal war blaß geworden. „Senor, das, das ist — Meuterei! Man wird uns alle ...“ „Sie haben nicht gewußt, daß ich meinen Dienst quittiert habe. Corporal, ich kenne Sie als vernünftigen Mann. Wollen Sie, daß dieser Alkalde und dieser Pepa hier ein Blutbad anrichten? Wollen Sie, daß man Frauen und Kinder der Nicaraos einfach abschlachtet? Ich bin Spanier, Corporal, aber kein Henker. Also, wie ist es mit Ihnen, wie entscheiden Sie sich?“ Der Corporal kämpfte mit sich. Dann hatte er sich entschieden. „Gut, Senor Teniente. Unter der Bedingung, daß Sie mich und die Männer aus dieser Sache heraushalten. Daß Sie grundsätzlich behaupten, wir hätten lediglich Ihre Befehle ausgeführt. Aber sorgen Sie dafür, daß Alkalde uns nicht über Ihre Demission aufklären kann, denn sonst muß ich Sie verhaften.“ Morales nickte grimmig. „Ich gehe voraus, Sie folgen mir in ein paar Minuten. Sie und Ihre Männer haben nichts zu befürchten, verlassen Sie sich auf mich.“ Der Teniente ging mit schnellen Schritten davon. * Er erreichte den Regierungspalast innerhalb weniger Minuten. Schnurstracks verfügte er sich ins Schlafgemach des Alkalden. Zu seiner Erleichterung bemerkte er, daß der Alkalde noch ohne Bewußtsein und der Doktor gerade im Begriff war, dem Alkalden ein starkes Medikament zu verabreichen. Als Morales eintrat, sah Doktor Gonzales auf. Seine Hand, die die beiden Pülverchen hielt und sie eben zu einem Trunk mischen wollte, sank herab. „Um Himmels willen, Teniente, Sie ...“ „Ist der Alkalde bei Bewußtsein?“ unterbrach ihn Morales. Er kannte die Antwort zwar, aber er wollte absolut sichergehen.
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„Nein, er hat sich vorhin so erregt, als Sie ihm Ihren Degen gaben.“ Der Teniente griff nach seinem Degen und dem Wehrgehänge und legte es sich wieder an. „Gut, Doktor. Ich habe es mir anders überlegt. Pepa ist mit seiner Horde in der Stadt, bei Ortiz und Torro. Sie wissen, was passiert, wenn er die Situation erkennt. Er übernimmt auf der Stelle die Befehlsgewalt.“ Der Arzt wurde blaß. „Pepa? Heilige Mutter Gottes!“ „Hören Sie mir jetzt gut zu, Doktor. Hat irgendjemand außer Ihnen und dem Alkalden etwas davon erfahren, was sich vorhin hier abgespielt hat?“ Der Arzt schüttelte den Kopf. „Gut, dann stelle ich Sie jetzt unter Arrest. Ich zwinge Sie, den Alkalden zu behandeln, ich zwinge Sie dazu. Verstehen Sie? Ich nehme Ihnen die Möglichkeit, irgendetwas gegen mich zu unternehmen. Sie haben Angst um Ihr Leben, denn ich habe Ihnen mit dem Tode gedroht, falls Sie auch nur ein Sterbenswörtchen zu den Soldaten über die Vorgänge vorhin sagen. Ich werde den Alkalden jetzt im Interesse der Spanischen Krone seines Amtes entheben, und Sie werden dafür sorgen, Doktor, daß er für die nächsten Stunden schläft. Tief und fest, ist das klar?“ Der Arzt atmete gepreßt. „Wissen Sie auch genau, was Sie da tun, Morales? Ich müßte später als Zeuge gegen Sie auftreten!“ Der Teniente nickte. „Machen Sie sich darum keine Sorge, Doktor. Ich gehöre nun mal zu den Menschen, die lieber sterben, als daß sie ihre Ehre verkaufen.“ Doktor Gonzales sah den Leutnant aufmerksam an. „Genauso habe ich Sie eingeschätzt. Dieser Santana ist ein Schwein. Er hat mir gedroht, mich erschießen zu lassen, falls ich ihn nicht kurieren würde. Von allem anderen abgesehen, was ja noch viel schwerwiegender ist. Kurz und gut, Morales: Ich spiele mit.“
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Auf dem Flur wurden Schritte laut. Der Corporal und die Soldaten marschierten heran. „Schnell Doktor, nehmen Sie die Hände hoch, treten Sie an die Wand!“ Morales riß seine Pistole aus dem Gürtel und richtete sie auf den Arzt. In diesem Moment trat der Corporal ein, begleitet von zwei Männern. Die anderen warteten auf dem Flur. Morales drehte sich um und deutete gleichzeitig auf den Alkalden, der immer noch ohne Bewußtsein war. „Corporal, ich enthebe hiermit in meiner Eigenschaft als Kommandeur der Garnison Culebra den Alkalden Calvo Ramirez Santana wegen Mißachtung der Interessen der Spanischen Krone seines Amtes und erkläre ihn für festgenommen. Doktor Gonzales wird seine Pflege übernehmen, er steht jedoch wegen des Verdachts, von den Umtrieben des Alkalden gewußt zu haben, bis zur völligen Klärung des Sachverhaltes ebenfalls unter Arrest und darf diesen Raum nur unter Wache vor Gewehr verlassen. Ab sofort werden der Regierungspalast und seine nähere Umgebung zum Sperrgebiet erklärt. Er wird von Ihren Männern ständig nach außen hin abgeriegelt. Durchlaß erfolgt nur aufgrund von mir persönlich unterzeichneter Sondergenehmigungen. Corporal, lassen Sie alle Ein- und Ausgänge sofort besetzen, zwei Wachen vor die Tür dieses Raumes. Abtreten’!“ Der Corporal salutierte, dann marschierte er mit seinen beiden Soldaten auf den Flur hinaus. Mit schallender Stimme erteilte er seine Befehle. Der Teniente und der alte Arzt sahen sich an. „Viel Glück, Morales. Sie werden es brauchen“, sagte er leise. Und genau in diesem Moment geschah es. Der Corporal stürzte ins Schlaf gemach des Alkalden. „Teniente - ein Schiff nähert sich unserem Hafen. Es führt die spanische Flagge. Einer meiner Männer will mit dem Spektiv den Namen ,Valparaiso` entziffert haben?“
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Der Donner eines Kanonenschusses rollte über die Bucht. Unwillkürlich zuckte der Teniente zusammen. Dann stieß er eine Verwünschung aus. „Corporal, sehen Sie nach. Sobald Sie Näheres wissen, Bericht an mich. Ich habe hier noch zu tun.“ Der Corporal verzog sich. Gerade als er die Tür hinter sich zuzog, dröhnte der zweite Schuß über die Bucht. „Doktor, ich kenne dieses Schiff nicht. Aber sorgen Sie jetzt um Himmels willen dafür, daß der Alkalde nicht aufwacht. Der Doktor nickte. Er mixte den Schlaftrunk, dann hielt er dem Alkalden einfach die Nase zu und schüttete ihm das Getränk in den Rachen. „Das Zeug wirkt schnell, Teniente, und lange. Ich werde es erneuern, sobald die Wirkung nachläßt. Kümmern Sie sich jetzt um Himmels willen um die Fremden. Ich fürchte, durch das Eintreffen dieses Schiffes wird unsere Lage brenzlig.“ Der Teniente nickte nur, dann verließ auch er das Schlafgemach. Er hatte die Tür noch nicht hinter sich zugeschlagen, da dröhnte der dritte Schuß auf, das sichere Zeichen dafür, daß das fremde Schiff im Hafen festzumachen gedachte. Die Schüsse hatten aber nicht nur die Soldaten auf die Straße gelockt, sondern auch die Einwohner, die Soldaten Pepas, soweit sie nicht gerade mit einem der Mädchen beschäftigt waren, die Galgenvögel und Halsabschneider, wie sie jede Hafenstadt in ihren Mauern hat. Sie alle gafften dem einlaufenden Schiff entgegen - und genau das hatte der Seewolf auch bewirken wollen. Natürlich konnte er nicht ahnen, was inzwischen in Culebra geschehen war, aber immerhin hatte Aina ihn und seine Männer darüber aufgeklärt, was sich zuvor in Culebra ereignet hatte, und die meisten der Männer waren empört und voller Begeisterung dabei, die bedauernswerten Indianerinnen aus den Klauen dieses verfluchten Alkalden und der beiden üblen Burschen, die die jungen Mädchen und Frauen in ihren Bordellen festhielten, zu befreien.
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Daß bei dieser Gelegenheit auch für sie einiges herausschauen würde, das verstand sich am Rande. Und über diesen Punkt berieten soeben der Seewolf, Ben Brighton, Carberry, Ferris Tucker und Jean Ribault miteinander, die Hasard zu den Führern einzelner Aktionsgruppen bestimmt hatte. * Der Seewolf hielt das Spektiv in der Hand. Langsam ließ er es sinken. „Gar nicht so wenig Soldaten in Culebra, Ben“, sagte er. „Jedenfalls mehr, als Aina offensichtlich gesehen hat. Paßt bloß auf, daß sich die Indianerin nicht an Deck zeigt, oder unser ganzer Plan ist zum Teufel. Wer ist bei ihr?“ „Von Hutten. Er ist der einzige von uns, der Aina versteht. Er ...“ Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Nein, von Hutten brauchen wir an Land. Wer soll denn sonst den Indianerinnen sagen, daß wir sie befreien wollen? Schickt Dan zu der Indianerin, ganz gleich, ob er mault oder nicht.“ Ben Brighton nickte und sauste los. Der Seewolf wandte sich den anderen zu. „Also, es bleibt dabei: Wir markieren die Dons. Schiff ,Valparaiso’. Ich schlüpfe wieder in die Rolle des spanischen Capitans Diaz de Veloso. Wir sind auf der Suche nach den Schiffen, die das Massaker in Puntarenas angezettelt haben. Nach und nach schleusen wir einzelne Gruppen von Bord. Sie kämmen die beiden Kneipen von diesem Torro und diesem Ortiz durch, die ja wohl als Bordelle in dieser Stadt gelten. Laßt die Männer ruhig von der Leine, sollen sie sich austoben. Aber sorgt dafür, daß sie nicht vergessen, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Und bei den Indianermädchen keine Übergriffe, klar?“ Die Männer nickten. Es gab nur ein Handicap. Kaum ein Mann der Besatzung sprach Spanisch. Aber darauf konnten sie keine Rücksicht nehmen, früher oder später würde es sowieso knallen. Die nötigsten Brocken hatten Hasard und Ben den meisten von ihnen beigebracht.
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„Wenn es Nacht wird, schicke ich Aina zu ihrem Stamm. Wir rüsten ein Boot aus, der Landweg ist zu gefährlich. Die Indianer werden gute Verbündete für uns sein“, fuhr Hasard fort. „So, jetzt alles klar zum Ankern. Wir gehen vorläufig aus Sicherheitsgründen nicht an die Mole.“ Kommandos schallten über Deck, die „Isabella III.“ glitt in den Hafen. Hasard fuhr eine Halse und drehte das Schiff in den Wind. Während der Buganker ins Wasser der Bucht klatschte, bargen die Männer auf den Rahen des Fockmastes bereits die ersten Segel. * Die drei Schüsse waren auch in der Cantina „a piadoso peregrino“ gehört worden. Dabei war der Name dieser Hafenkneipe „Zum Frommen Pilger“ ein glatter Hohn. Denn diese Kneipe stellte eins der beiden großen Bordelle von Culebra dar. Im „Frommen Pilger“ ging es hoch her, Pepa, ein hünenhafter spanischer Corporal und wegen seiner Händelsucht an der ganzen Küste gefürchteter Raufbold, starrte aus seinem einen Auge dem einlaufenden Schiff entgegen. Dabei, schwankte er unaufhörlich von einer Seite zur anderen, während seine Linke eine dickbauchige Weinflasche hielt. Emilio Torro, der Wirt des „Frommen Pilgers“, stand neben ihm. Er war ebenfalls ziemlich groß, aber ganz im Gegensatz zu Pepa fett und schwammig. Wieder schwankte Pepa zur Seite, während er laut rülpste. Die schwarze Augenklappe über seinem rechten Auge und der pechschwarze, dichte Vollbart, der sein Gesicht umrahmte, gaben ihm ein wildes Aussehen. Mit einer blitzenden Bewegung griff er nach dem fetten Wirt und riß ihn zu sich heran. „Habe ich dir nicht befohlen, daß du mich stützen sollst, du fettes Schwein? Du bist wohl auch besoffen, was? Aber warte, ich werde dich schon wach kriegen, du Ratte!“
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Pepa holte aus, hob die schwere Weinflasche und wollte sie dem Wirt über den Schädel ziehen. Aber Emilio Torro tauchte blitzartig unter dem herabsausenden Arm weg. Und diese Bewegung verriet die Übung vieler Jahre und die Erfahrung aus ungezählten Kneipenschlägereien. Pepa, durch den eigenen Schwung mitgerissen, stolperte vorwärts. Die Flasche entglitt seiner Linken und zerschellte auf dem Boden vor der Kneipe. Pepa stieß einen Wutschrei aus. Viel schneller, als man es ihm bei seinem Zustand zugetraut hätte, fuhr er herum. „Du Hund!“ brüllte er. „Dir dreh ich den’ Hals um, dich werfe ich den Haien zum Fraß vor, dich schlitze ich auf!“ Der Corporal riß seinen breiten Säbel heraus, eine Waffe, die jeder, der ihn kannte, fürchtete. Niemand wusste, woher der Corporal diesen schweren, gebogenen Säbel hatte. Aber die Klinge war fleckig vom Blut derer, die Pepa mit ihr erschlagen hatte. Emilio Torro schrie auf. Dann floh er Hals über Kopf und wollte in einer der Gassen verschwinden, bevor Pepa ihn zu fassen kriegte. Aber völlig unerwartet stellte sich Hilfe ein. Juana, eine bildhübsche Kreolin und der Star des „Frommen Pilgers“, neben der alle anderen „putas“ völlig verblaßten, stellte sich Pepa in den Weg. Aus seinem einen gesunden, durch den Alkohol gerötetem Auge starrte Pepa das Mädchen an. Die Hand mit der erhobenen Waffe sank herab. „He, Juana!“ Seine fleischigen Lippen verzogen sich, sein Auge begann voller Gier zu funkeln. Juana spürte, wie Pepa sie mit den Blicken auszog - und genau das hatte sie beabsichtigt. Sie lächelte ihn an, ihr schlanker, biegsamer Körper schmiegte sich an den hünenhaften Spanier. Dabei warf sie blitzschnell einen Blick zu dem einlaufenden Schiff hinüber. Mit diesem Pepa musste sie fertig sein, bevor die Besatzung des Schiffes an Land
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ruderte, oder dieser Schläger und Raufbold vermasselte ihnen das ganze Geschäft. „He, Pepa“, gurrte sie, „ich dachte schon, du kennst Juana nicht mehr. Warum regst du dich über diesen alten Tölpel dort so auf? Nun steck schon den Säbel weg, oder weißt du nicht mehr, wozu ein Mädchen wie ich gut ist für einen Mann wie dich?“ Ihre Hände fuhren über seine mächtigen Arme, glitten zu seinem Kopf, zupften ihn spielerisch und zärtlich am Bart. Pepa stieß den Säbel in das Gehänge, dann packte er die Kreolin und zog sie an sich. „Und ob ich das weiß !“ stieß er heiser hervor, und plötzlich ging sein Atem schwer und stoßweise. „Los, Juana, rauf mit dir. Himmel und Hölle, wo warst du, wo hast du gesteckt, daß ich mich erst über diesen Affen grün und blau ärgern muß?“ Juana entzog sich ihm mit einer geschmeidigen Bewegung. Wie eine Schlange wand sie sich aus seinen Armen. „Geh schon nach oben, Pepa, ich hole uns nur noch eine neue Flasche Wein. Und dann wollen wir mal sehen, ob Pepa immer noch der Kerl ist, der jedes Mädchen in seinen Armen schmelzen lassen kann!“ Sie warf ihm einen heißen Blick zu, der dem Spanier durch und durch ging. Wieder griff der Corporal nach Juana, aber geschickt wich sie seinen Pranken aus. „Du weißt ja, Pepa, bei mir können nur Männer landen, keine Schwächlinge oder Trunkenbolde. Los, nach oben mit dir, dir ziehe ich das Fell ab!“ Diesmal war Juana nicht schnell genug. Pepa packte sie, riß sie an sich heran und bedeckte ihr Gesicht, ihren Hals mit wilden Küssen. Juana ließ das alles mit sich geschehen, sie spürte, wie seine Pranken sie abtasteten, und erst als Pepa an ihrem Kleid zu zerren begann, entschlüpfte sie ihm schlangengleich ein zweites Mal. „Oben!“ flüsterte sie. „Warte auf mich, ich bin sofort bei dir. Du bist ein Mann nach meinem Geschmack!“ Pepa grunzte befriedigt, dann rülpste er ausgiebig, während Juana dem Wirt verstohlen Zeichen gab. Als Pepa in der Kneipe verschwand, trat sie an Emilio Torro heran.
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„Wie oft soll ich dir noch sagen, du Tölpel“, zischte sie, „daß du solche Burschen mir überlassen sollst? Dieser Pepa hätte dich umgebracht, du kennst ihn doch! Los, eine Flasche Wein, aber vom besten. Ich muß mit dem Kerl fertig sein, bevor die Männer vom Schiff landen. Sorge dafür, daß ein paar Schlepper sie am Hafen abfangen, oder Ortiz schnappt sie dir weg.“ Sie warf abermals einen scharfen Blick zur „Isabella“ hinüber. „Kümmer dich um die Indianerinnen. Heute brauchen wir sie. Ich habe den Trank, der ihren Willen brechen und sie in die Arme der Seeleute treiben wird, schon fertig. Unten, im roten Krug. Ortiz hat mir das Rezept verraten, seine Indianerinnen funktionieren schon längst. Er macht glänzende Geschäfte mit ‘ihnen, die Männer sind ganz verrückt nach diesen rothäutigen putas!“ Juana lachte böse. Sie sah den feisten Wirt aus ihren Kohleaugen an. „Im Bett kriege ich jeden Mann dahin, wohin ich ihn haben will, Emilio. Sei heute nett zu mir, dann probiere ich es mal mit dir!“ Sie hauchte ihm einen flüchtigen Kuß auf die Lippen. „Du brauchst ein paar Männer, die Indianerinnen trinken das Zeug nicht freiwillig. Laß sie fesseln, binde sie an die Pfeiler im Keller. Und dann haltet ihnen die Nase zu, bis sie das Zeug schlucken. Ich hätte dir dabei geholfen, aber ich muß mich beeilen, oder dieser Pepa schlägt hier alles zu Kleinholz! So, her jetzt mit dem Wein!“ Sie bückte sich und holte aus einem der Regale eine große Flasche hervor. Gleichzeitig schob sie ein kleines silbernes Döschen in ihren Ausschnitt. „Dieser Pepa soll seinen Spaß haben, aber dann wird er schlafen, und wir haben Ruhe vor ihm!“ Juana verschwand und eilte die Treppe hoch. Sie war noch nicht ganz oben, als Pepa auch schon ihren Namen grölte. „Wenn du nicht gleich da bist, dann hole ich dich, du braunhäutige Hexe ...“
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Sein Gegröle verstummte, gleich darauf wurde eine Tür donnernd zugeschlagen, und das helle Lachen drang über die Treppe bis zu Emilio Torro hinunter. Aus schmalen Augen starrte der Wirt nach oben. Es war jedesmal das gleiche: Wenn Juana sich mit einem dieser Kerle befaßte, litt er Höllenqualen. Wenn sie ihm aber später ihre Einnahmen ablieferte, griff er gierig danach. Torro gab sich einen Ruck. Seine verschlagenen Augen richteten sich auf das Schiff, das schon fast alle Segel geborgen hatte. Er konnte es deutlich durch die offene Tür sehen. Ruckartig drehte er sich um. Dann griff er sich eines der Mädchen, das gerade Wein holen wollte. „Sag Pedro Bescheid, Estrella. Er soll mit dem Zambo antanzen. Anschließend gehen ein paar von euch mit Jose und Salvatore zur Mole. Der Teufel hole euch alle, wenn Ortiz uns die Besatzung von dem Schiff da draußen wegschnappt!“ Estrella, eine feingliedrige Negerin, grinste den Wirt des „Frommen Pilgers“ an. „Heute rote Hexen müssen Männer nehmen?“ fragte sie. Emilio nickte. „Ja, heute. Und jetzt beeil dich, verdammt noch mal, und stell keine dämlichen Fragen!“ Er versetzte dem Mädchen einen derben Klaps aufs Hinterteil, und die Negerin flitzte los. Das war der Moment, in dem das Beiboot mit dem ersten Trupp von der „Isabella“ ablegte. Unter den Männern befanden sich auch Ben Brighton und der Seewolf. Beide wollten versuchen, bis zu dem Alkalden vorzudringen, zumindest aber bis zu dessen Stellvertreter, falls der Alkalde noch das Bett hütete oder seiner Verletzung, die ihm Aina zugefügt hatte, gar erlegen sein sollte. Für diesen Fall hatte der Seewolf sich zusammen mit Ben Brighton einen ganz speziellen Plan überlegt. 5.
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Auch Alfonso Ortiz, der Wirt der Kneipe „Zum Goldenen Fisch“, hatte die Ankunft der „Isabella“ beobachtet. In seiner Kneipe ging es um diese Zeit ebenfalls hoch her. Ein Großteil der Soldaten des Corporals Pepa befanden sich im „Goldenen Fisch“, der Wein floß in Strömen und bei den Mädchen herrschte Hochkonjunktur. Alfonso Ortiz hätte allen Grund gehabt, mit sich und der Welt zufrieden zu sein, aber er war es nicht. Im Gegensatz zu seinem „Kollegen“ Torro war er von hagerer Statur. Er verfügte über einen wachen und sehr scharfen Verstand. Er hatte auf Umwegen erfahren, was im Regierungspalast geschehen war. Sogar von der Amtsenthebung des Alkalden durch Teniente Morales wusste er. Das aber war genau der Punkt, der ihm große Sorge bereitete. Ortiz war sich völlig im klaren darüber, daß seine Geschäfte in der bisherigen Art nur dann gut weiterliefen, wenn der Alkalde an der Macht blieb oder wieder an die Macht gelangte. Wenn er, Alfonso Ortiz, dem Alkalden dazu verhalf, würden für ihn wahrhaft goldene Zeiten in Culebra anbrechen. Mit Morales hingegen stand er gar nicht gut, dieser Leutnant war ihm unheimlich in seiner Unbeirrbarkeit und Unbestechlichkeit. Dann war da noch diese Sache mit den Indianerinnen. Gut, er hatte sich die Mädchen ebenso unter den Nagel gerissen wie Torro. Er hatte es auch verstanden, den anfänglichen wütenden Widerstand der jungen Frauen und Mädchen unblutig zu brechen, aber ganz wohl war Alfonso Ortiz bei dieser Sache nicht. Denn er kannte die Nicaraos, ihren Stolz und ihre Unberechenbarkeit, wenn sie beleidigt wurden. Zwar hatte sich bisher noch keiner der Indianer in Culebra blicken lassen, aber gerade das war dem Wirt unheimlich. Immerhin hatte Aina, diese bildhübsche Häuptlingstochter, fliehen können, nachdem ein Spanier von ihr getötet, der Alkalde verwundet und ein weiterer Wachsoldat niedergeschlagen worden war. Und nun dieses fremde Schiff. Ausgerechnet jetzt!
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Ortiz schlenderte näher an die Mole. Er beobachtete voller Ärger, wie sich bereits die Mädchen und die Schlepper Torros zum Empfang des Bootes bereitstellten, das eben von dem Schiff ablegte. Doch dann grinste er plötzlich. „Wenn mich nicht alles täuscht, wird sich Torro eine Menge Ärger einhandeln. Diese Kerls da sehen nicht so aus, als wären sie die reinsten Spaßvögel“, murmelte er und blieb abermals stehen. Aus zusammengekniffenen Augen musterte er das vor Anker liegende Schiff. Der Eimer befand sich garantiert schon lange auf See. Ortiz erkannte das sofort an der überall vom Meerwasser abgewaschenen Farbe. „Valparaiso“, las er. Vergeblich versuchte er, sich zu erinnern. Irgendwann und irgendwo hatte er von diesem Schiff schon mal gehört, aber Genaueres fiel ihm im Moment nicht ein. Es gab nur eine einzige Möglichkeit: Er musste mit Pepa reden und ihm berichten, daß Morales den Alkalden abgesetzt hatte. Das war Meuterei! Pepa war genau der richtige Mann, etwas gegen diese Entwicklung zu unternehmen. Noch einmal zögerte Ortiz. Pepa war ein äußerst jähzorniger und gewalttätiger Patron. Doch so jähzornig er war, so entschlossen würde er handeln, musste er handeln – oder er würde später ebenfalls der Meuterei angeklagt werden. Das wollte er, Alfonso Ortiz, diesem Pepa schon beibringen! Ortiz warf noch einen Blick zu dem Boot hinüber, das der Mole rasch entgegenstrebte. Und dabei blieb sein Blick auf dem hochgewachsenen Mann haften, der achtern stand. Er sah die pechschwarzen Haare, das scharfgeschnittene, markante Profil. Wieder zermarterte er sich vergeblich sein Gehirn. Auch dieser Mann war ihm der Beschreibung nach bekannt, aber verflucht, woher? In welchem Zusammenhang? Ortiz verlor keine Zeit. Pepa, das war jetzt sein Mann. Seine Kneipe konnte er ruhig eine Weile unbeaufsichtigt lassen, die war
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bei Elvira und den beiden Rausschmeißern in besten Händen. Ortiz marschierte los, geradewegs zum „Frommen Pilger“ hinüber. Er brauchte nur ein paar Minuten, bis er die Hafenkneipe seines Konkurrenten betrat. Er sah gerade noch, wie der Zambo, ein athletischer Mischling, der sowohl Negerals auch Indianerblut in den Adern hatte, mit ein paar anderen Männern die Treppe zum Keller hinabstieg. Ortiz wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Er grinste Emilio Torro an, der hinter der Theke hockte und offenbar der Dinge harrte, die da geschehen würden. „Hochbetrieb, heute, was?“ fragt er. Torro nickte, er wusste nicht recht, was er von diesem Besuch zu halten hatte. Etwas Gutes jedenfalls nicht, auch wenn Ortiz und er keinesfalls verfeindet waren. Sein Konkurrent sah ihn an. „Juana, diese Schlange, hat mich im Bett weichgekocht. Ich habe ihr das Rezept verraten, wie man die Indianerinnen kirre kriegen kann. Aber seid vorsichtig, man muß das Zeug nicht nur haben, sondern auch damit umgehen können. Andernfalls hast du den Keller voller Leichen. Aber das ist dein Problem, jeder wird an seinem eigenen Hals aufgeknüpft.“ Torro rutschte unbehaglich auf seinem Hocker hin und her. „Was willst du, Alfonso? Du bist doch nicht hier, um mir gute Ratschläge zu geben.“ Ortiz schüttelte den Kopf und trat an die Theke heran. „Ich suche Pepa. Muß ihn sprechen, sofort. Er ist hier. Wenn mich nicht alles täuscht, liegt er mit Juana im Bett. Stimmt’s?“ „Ich ..“ „Verdammt, Emilio, spiel jetzt nicht den Ahnungslosen. Ich habe beobachtet, wie Juana diesen Pepa vorhin becirct hat, als er dir den Hals abschneiden wollte. Also, ist er oben oder nicht?“ „Ja, aber ich kann ihn jetzt nicht stören. Der schlägt mein ganzes Lokal zusammen, du kennst Pepa doch.“ Ortiz stieß einen Fluch aus. In diesem Punkt gab er Torro recht. Aber dann sah er,
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wie Torro plötzlich erbleichte. Der fette Wirt vom „Frommen Pilger“ erinnerte sich daran, daß Juana den Corporal hinterher mit einem Schlaftrunk aus dem Verkehr ziehen wollte. Schweiß bedeckte sein feistes Gesicht. Aus angstvoll aufgerissenen Augen starrte er Ortiz an. Und er sah keinen anderen Ausweg, als Ortiz zu informieren. Der Wirt des „Goldenen Fisches“ stieß eine ellenlange Verwünschung aus, zumal es draußen an der Mole in diesem Moment schon hoch herzugehen schien. „Hör zu, Emilio, das darf auf keinen Fall passieren. Oder wir geraten alle in Teufelsküche. Dieser Teniente Morales hat den Alkalden abgesetzt, er hat ...“ Ortiz erzählte seinem Spielgesellen alles, was er wusste. Torro sackte förmlich in sich zusammen. Er hatte sofort begriffen, was das für ihn und Culebra bedeutete. Seine kleinen Augen, die fast hinter den Fettwülsten der Lider verschwanden, huschten unruhig hin und her. „Und du meinst, daß Pepa den Alkalden wieder einsetzen und diesen verfluchten Morales festnehmen kann, wegen Meuterei? Das bedeutet Kampf, der Teniente wird sich nie so ohne weiteres hoppnehmen lassen. Er wird ...“ „Quatsch jetzt nicht lange herum: Wir müssen etwas unternehmen, oder der Teniente schnappt sich auch noch die Besatzung des Schiffs da draußen. Die muß sich aber Pepa unter den Nagel reißen, kapiert? Dann ist er stark genug, um diesen Teniente zur Hölle zu schicken!“ „Wenn die Kerle aber nicht mitmischen wollen?“ fragte Emilio Torro und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wollen? Die müssen! Wenn die was von Meuterei hören, wird ihnen sofort der Hintern auf Grundeis gehen, verlaß dich drauf. Wer hat schon Lust, sich für den Blödsinn eines anderen aufknüpfen zu lassen? Und das würde geschehen, wenn sie sich auf die Seite des Teniente schlagen.“ Ortiz rutschte von seinem Hocker.
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„Aber ohne Pepa und seine Soldaten geht nichts mehr, kapiert?“ sagte er leise, weil schon ein paar der Soldaten aufmerksam zu ihm und Torro hinüberblickten. „Hoffentlich hat Juana noch keinen Blödsinn angestellt ...“ Lautes Gelächter, in das sich das Girren Juanas und der dröhnende Baß des Corporals mischten, unterbrach Ortiz. Er lauschte sekundenlang, dann hellte sich sein eben noch besorgtes Gesicht auf. „Die sind noch hoch dran, Emilio! Los, schnell rauf mit uns!“ Er hastete los und flog die Stufen zum Obergeschoß nur so empor. Wohl oder übel folgte ihm der feiste Torro. Aber dem Wirt vom „Frommen Pilger“ schwante nichts Gutes. „Madre de Dios!“ stöhnte er, während er sich die Stufen emporwuchtete. „Dieser Mensch stürzt uns noch alle ins Verderben!“ * Als der Seewolf und Ben Brighton auf die Mole von Culebra sprangen, senkten sich die ersten Schatten der herannahenden Nacht auf die Bucht. In den Häusern wurden die Lampen angezündet, wildes Gegröle dröhnte ihnen aus den beiden unmittelbar am Hafen gelegenen Kneipen entgegen. Ein halbnacktes Mädchen stürzte aus dem „Frommen Pilger“ auf die Gasse hinaus, verfolgt von einem ebenfalls fast nackten Kerl. Er holte das Mädchen, ein dunkelhäutiges, zierliches Wesen, innerhalb von Sekunden ein und riß ihr auch noch die letzten Fetzen vom Leibe. Das Mädchen schrie und wehrte sich aus Leibeskräften, aber es half ihr nichts. Der Kerl, ein spanischer Soldat, schleppte sie in die Kneipe zurück. „Ich habe für dich bezahlt, du verfluchte Hure!“ hörte der Seewolf ihn schreien. „Und jetzt will ich meinen Spaß mit dir haben, komm schon, oder ich helfe nach!“ Er zerrte das Mädchen durch die Tür und verschwand aus dem Blickfeld des Seewolfs. Hasard sah Ben Brighton nur kurz an.
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„Das war eine der Indianerinnen“, sagte Ben Brighton nur kurz. Patrick O’Driscoll, der ebenfalls zur ersten Gruppe gehörte, kriegte Stielaugen. Und als dann Estrella, die hübsche, junge Negerin, auf ihn zuschlenderte, hüftenschwingend und jeden Schritt auf seine aufreizende Wirkung berechnend, da war es auch um den Iren geschehen. Er stürzte vor und packte die Negerin. „He, Puppe!“ röhrte er. „Du bist gerade richtig! Patrick O’Driscoll ist genau der Mann, der zu dir paßt!“ schrie er auf Irisch. Estrella sah ihn an. Sie verstand kein Wort, noch nie hatte sie eine englische oder irische Silbe gehört. Der Seewolf stieß einen Fluch aus. Mit einem Schritt war er bei O’Driscoll und riß ihn zurück. „Idiot! fauchte er ihn an. Dabei kümmerte er sich einen Dreck um die wütende Grimasse, die der Ire zog. Stattdessen wandte er sich in bestem Spanisch an die Kleine. „Er ist noch neu in meiner Besatzung. Wir rekrutierten ihn jenseits des großen Meeres, er muß erst noch lernen, spanisch zu sprechen!“ Die Negerin starrte den Seewolf an — seine eisblauen Augen, sein pechschwarzes langes Haar, das im Abendwind wehte, seine tief braune Haut. Und sie spürte, daß das kein gewöhnlicher Mann war. „Capitan?“ fragte sie und deutete auf die „Isabella“, die auf der Reede von Culebra lag. Der Seewolf nickte. „Capitan“, sagte er, denn an ihrer gebrochenen Art, sich zu verständigen, erkannte er sofort, daß auch sie des Spanischen nur teilweise mächtig war. „Valparaiso“, fügte er noch hinzu, und deutete auf die „Isabella“. Dann wandte er sich um und winkte Ferris Tucker, Pete Ballie, Matt Davies und Stenmark heran. „Haut jetzt ab, in die Kneipe da hinten“, befahl er leise. „Aber passt auf diesen Iren auf. Der Kerl ist ja kaum noch zu bändigen!“
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Ferris Tucker nickte. Dabei fixierte er die anderen Mädchen, die sich jetzt zusammen mit zwei Schleppern auf die Gruppe zuschoben. Einer der Schlepper näherte sich Ferris Tucker, den er sofort als den Anführer der kleinen Truppe erkannt hatte. Dabei streifte sein Blick die riesige Axt, die der hünenhafte Schiffszimmermann in seinen Fäusten hielt. „Folgt mir, Senores“, flüsterte er Ferris Tucker zu. „Im ,Frommen Pilger’ warten hübsche putas auf euch, die euch verwöhnen möchten. Negerinnen, Mulatinnen, Weiße, sogar Indianerinnen, jung und hübsch, habe ich für euch. Und Wein, soviel ihr wollt!“ Seine Blicke wieselten von einem zum anderen. Auf der Hakenprothese von Matt Davies blieben sie hängen. Interessiert trat er näher, aber Matt Davies, der das ganz und gar nicht leiden konnte, scheuchte ihn zurück. „Paß bloß auf, Mister, daß du die nicht besser kennenlernst, als dir lieb ist. Solche Typen wie dich nehme ich besonders gern auf den Haken!“ Der Schlepper verstand ihn nicht, aber er begriff, daß er diesem Mann besser aus dem Wege ging. Er verbeugte sich mit spanischer Grandezza und lud die Männer durch eine unmißverständliche Geste ein, ihm zu folgen. „Los, ab mit euch, ich glaube, Ben und ich kriegen Besuch“, sagte der Seewolf leise und blickte in die Richtung, aus der eben ein Trupp Soldaten unter der Führung eines spanischen Offiziers heranmarschierte. „Sorgt dafür, daß die anderen Gruppen ebenfalls an Land gerudert werden. Von euch oder von den Dons hier. Achtet aber darauf, daß kein Spanier und kein Mädchen das Schiff betreten.“ Ferris Tucker grinste. Er gab den Männern, die noch an den Riemen des Beibootes saßen, ein Zeichen. Sofort legte das Boot wieder ab, um die nächste Gruppe zu holen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie die
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hübsche Negerin O’Driscoll auf die Kneipe zuzerrte. „Na, dann los, Leute!“ befahl er. „Aber paßt auf, das hier ist nicht so harmlos, wie die Kneipe des alten Plymson in Plymouth! Das hier ist eine einzige Brut von Halsabschneidern. Paßt auf eure Goldstücke auf, oder ihr seid schneller pleite, als ihr euch ein Mädchen geangelt habt. Und daß mir keiner seine Drecksfinger nach einer der Indianerinnen ausstreckt, verstanden? Die lassen wir in Ruhe, bis Karl von Hutten hier ist und ihnen die Lage erklärt hat.“ Die Männer nickten. Ferris Tucker warf noch einen Blick zur „Isabella“ zurück. Hätte er gewußt, was sich in diesem Moment an Bord des Schiffes an neuem Unheil anbahnte, wäre er dem Beiboot nachgesprungen. * Gordon Watts hatte das Ablegen des Bootes mit der ersten Gruppe verfolgt. In seinem Geiergesicht zuckte es, als er die Männer an Land springen und mit den Mädchen davonziehen sah. . Unwillkürlich fuhr seine Rechte in die Hosentasche, in der einige Goldmünzen klimperten, die der Seewolf jedem der Männer ausgehändigt hatte, um sie in die Lage zu versetzen, sich an Land alles das zu besorgen, wonach sie gierten. Hasard hatte nach einem längeren Gespräch mit dem Franzosen Ribault begriffen, daß er seine Männer einmal gründlich von der Leine lassen musste, wenn die Borddisziplin nicht ernstlich gefährdet werden sollte. Sie befanden sich nunmehr seit Monaten ununterbrochen auf See und hatten wilde Kämpfe und Schlachten hinter sich. Aber Gordon Watts war mit dieser Zuteilung des Seewolfs keineswegs zufrieden. Er hatte vor, sich an Land das hübscheste Mädchen aufzureißen, das aufzutreiben war. Ganz gleich, was es kostete. Noch immer klangen ihm die Worte O’Driscolls in den Ohren.
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„Mann, laß mich nur erst an Land sein! Ich werde zentnerschwere Weiber stemmen, ich werde diesen spanischen putas mal zeigen, was ein richtiger Ire ist! Die werden vom alten O’Driscoll noch reden, wenn ihre Enkel und Urenkel längst herangewachsen sind. Ich habe das alles schon mal erlebt, damals in der Karibik, ich kann dir sagen, Weiber gab es da, schön wie ein Traum.“ Gordon Watts hatte dem Iren anfangs aufmerksam zugehört. Er wusste zwar, daß dieser O’Driscoll ein unverbesserlicher Prahler war, aber er erinnerte sich auch aus ihrer gemeinsamen Zeit als KaribikPiraten, daß dieser hünenhafte Ire es wesentlich leichter bei den Frauen hatte als er. Aber diesmal, das schwor Gordon Watts sich, würde er den Spieß umdrehen. Er würde es diesem verdammten Iren schon zeigen! Gordon Watts huschte über Deck. Vor dem Niedergang zu dem vorderen Laderaum verhielt er. Aber an Deck war im Moment weit und breit außer der Wache auf der Back und auf dem Achterkastell niemand zu sehen. Die Gelegenheit war also günstig. Er stieg den Niedergang hinunter und brauchte nur ein paar Minuten, um den schweren Riegel, der die Bohlentür sicherte, zu lockern und zurückzuschieben. Dann huschte er weiter, zog die Tür jedoch hinter sich wieder zu. Einmal vernahm er erregte Stimmen. Sie drangen aus dem Achterschiff an seine Ohren, von dorther, wo Dan O’Flynn diese Aina in der Kammer des Seewolfs bewachte. Auch so etwas, worüber sich Gordon Watts halb schwarz ärgerte. Was die mit einer Indianerin für Umstände machten! So ein Blödsinn! Seit wann ging es die Männer der „Isabella“ etwas an, wenn die Dons sich ein paar dieser Indianerweiber vornahmen? Watts blieb noch einmal stehen. Er wusste, daß Batuti, der Gambia-Neger, sich noch an Bord befand. Er gehörte zur letzten Gruppe, die erst nachts von Bord gehen sollte, genau wie er, Gordon Watts. Und vor Batuti hatte der dürre Engländer mit
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dem Geiergesicht Angst. Wenn der ihn hier im Laderaum erwischte, konnte er sich gleich aufhängen. Aber wieder rührte sich nichts. Gordon Watts zog sein breites Entermesser aus dem Gürtel. Er schlich sich zu einer der Truhen, die am Boden des Laderaums festgelascht worden waren, so daß sie auch bei schwerer See nicht im Laderaum hin und her rutschen und zu Bruch gehen konnten. Gordon Watts kannte sich aus im Laderaum. Er war schon mehr als einmal dort gewesen, für alle Fälle, wie er das grinsend vor sich selbst zu rechtfertigen versuchte. Schnell hatte er die Truhe, nach der er suchte, gefunden. Abermals lauschte er. Aber wieder rührte sich nichts. Entschlossen ging Watts an die Arbeit. Mit seinem breiten Entermesser sprengte er den Deckel der Truhe auf. Dann fuhr seine Hand in die Truhe - und fast hätte er vor Freude aufgeschrien. Perlen! Echte, ungeheuer wertvolle Perlen in Hülle und Fülle! Eine Weile wühlte er wie von Sinnen in den Schätzen, deren Wert er nicht einmal ahnte. Dann schaufelte er sich zwei Beutel voll, die er sich ebenfalls heimlich im Pulvermagazin besorgt hatte. Außerdem stopfte er noch ein paar Hände voll in die Taschen seiner Hose — zum Bezahlen der kleineren Freuden sozusagen! Wieder horchte er. Und wieder vernahm er erregte Stimmen von achtern. Gordon Watts grinste. Dieser Dan O’Flynn schien mit der Indianerin auch nicht fertigzuwerden. Klar, sollte der Junge, wenn er schon als Wache für das Mädchen zurückbleiben musste, versuchen, diese Aina wenigstens zu vernaschen! Hätte er, Gordon Watts, auch getan. Er klappte den Deckel der Truhe wieder zu und huschte durch den Laderaum zur Treppe. Er verschloß die Bohlentür hinter sich und tauchte ungesehen wieder an Deck auf. Genau in dem Moment, als das Beiboot längsseits festmachte und gleichzeitig auch noch ein anderes Boot herangerudert wurde, offenbar eins, das die
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Spanier geschickt hatten, wie Watts sofort erkannte. Er mischte sich unter die Männer, die am Schanzkleid an Steuerbord lehnten und die beiden Boote beobachteten. Carberry, der als Steuermann im Beiboot fungierte, sah hoch. Er war im Licht der Deckslaterne und in der bereits fortgeschrittenen Dämmerung nur schwer zu erkennen. „Die zweite und die dritte Gruppe sollen an Land gehen“, sagte er leise. „Die zweite zum ‚Goldenen Fisch’, die andere in den ‚Pilger’ ich glaube, da hat Ferris bereits Indianerinnen entdeckt. Beeilt euch, was nicht in dieses Boot paßt, das setzt mit den Dons über. Aber haltet die Klappe, O’Driscoll ist schon wieder mal aufgefallen. Hasard hat das aber noch klargebogen. Jetzt palavern er und Ben Brighton mit einem spanischen Offizier, der hier offenbar das Kommando hat.“ Karl von Hutten schaltete sich ein. „Und was geschieht mit Aina und Dan?“ Carberry stutzte und sah Smoky an, der sich eben weit über das Schanzkleid lehnte. „Weiß nicht“, gab er schließlich zurück. „Weder Hasard noch Ben haben etwas gesagt, also bleiben die beiden an Bord, zusammen mit denen, die sowieso zur Wache eingeteilt worden sind. Wenn wir die dann ablösen, kann auch Dan mit an Land.“ Von Hutten überlegte. Der ursprüngliche Plan war gewesen, daß Aina nach Anbruch der Dunkelheit versuchen sollte, mit einem Boot Verbindung zu ihrem Stamm aufzunehmen. Andererseits — wenn man die Indianerinnen schon entdeckt hatte und sie vielleicht schon bald befreien konnte, erübrigte sich dieses immerhin nicht ungefährliche Unternehmen wohl. „Gut, ich gebe Dan Bescheid“, sagte Karl von Hutten. „Wartet auf mich. Ich will noch mit Aina sprechen, damit sie keine Dummheiten begeht.“ Von Hutten verschwand und flitzte zum Achterkastell. Von der Kuhl aus gelangte er in die Kammer des Seewolfs. Und dort blieb er wie angewurzelt stehen, denn Dan war eben dabei, dem Indianermädchen ein
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paar Hosen und ein Hemd von sich zu verpassen. Unwillkürlich musste Karl von Hutten lachen, aber Dan hatte natürlich recht, denn das Mädchen konnte unmöglich weiterhin splitternackt an Bord herumlaufen, Und in Culebra schon gar nicht. Er informierte die beiden, und er stieß bei Dan auf keinerlei Widerstand. Den Seewolf, Ben Brighton, Ferris Tucker oder Carberry hätte das sicher stutzig werden lassen. Karl von Hutten kannte Dan jedoch noch nicht so gut, und so verließ er die Kammer völlig arglos. Carberry, der voller Ungeduld im Beiboot wartete, sah von Hutten fragend an. „Alles in Ordnung bei den beiden?“ Von Hutten nickte nur. „Ich habe Dan gesagt, daß er später abgelöst und ebenfalls an Land gebracht wird.“ Einen Moment zögerte Carberry. Aber dann befahl er, abzulegen, während auch die Dons schon dabei waren, Männer der „Isabella“ -Crew an Bord zu nehmen. Ihr Boot war bei weitem größer, und so gelangten die beiden Gruppen mühelos an Land. Im Boot der Spanier befand sich Gordon Watts. Er hatte seine Perlen unauffällig in den riesigen Taschen seiner Seemannshose verstaut. * Unterdessen spitzte sich die Lage in Culebra zu. Allerdings bemerkten die Betroffenen davon vorläufig noch nichts. Der Seewolf und Ben Brighton, die perfekt spanisch sprachen, so daß der Teniente nicht den geringsten Verdacht schöpfte, während er mit ihnen palaverte, erfuhren sehr rasch, was sie wissen wollten. Ganz am Rande erzählten sie dem Teniente wahre Greuelmärchen über die Ereignisse in Puntarenas. Als Hasard endlich wusste, daß der Teniente den Alkalden seines Amtes enthoben hatte, zog er Morales zur Seite. „Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen, Leutnant: Ich bin in geheimer Mission hier.
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Deswegen tragen wir auch keine Uniformen. In Panama, unserem größten Stützpunkt in der Neuen Welt, kursieren seit einiger Zeit Gerüchte, daß der Alkalde Calvo Ramirez Santana bereits seit langem nicht mehr die Interessen der Spanischen Krone, sondern nur noch seine eigenen wahrnimmt. Es ist sicher nichts dazu zu sagen, daß er die Eingeborenen hart anfaßt, aber er soll sie uns nicht zu Feinden werden lassen. Wir haben in etlichen unserer Stützpunkte sehr schlechte Erfahrungen sammeln müssen. Zum Beispiel auf der Mocha-Insel, wo es sogar zu einem blutigen Aufstand der dortigen Eingeborenen aufgrund einer unberechtigten Strafexpedition kam. Vielleicht hätte sich die ganze Sache noch retten lassen, aber dann schlug sich dieser verfluchte El Draque auf die Seite der Indianer, und wir holten uns blutige Köpfe. Nicht nur das, die Indianer gaben diesem El Draque und einem Kerl, den sie den Seewolf nennen, Schätze, nach denen sich die Spanische Krone alle Finger lecken würde. Das soll künftig durch einen besseren Kontakt zu den Einheimischen vermieden werden. Solche Vorkommnisse darf es nicht mehr geben. Natürlich, meine Hauptaufgabe besteht darin, diesen El Draque aufzuspüren. Ihn anzugreifen und zu vernichten - dazu reicht mein verhältnismäßig kleines Schiff nicht aus. Es sind jedoch größere Kriegsschiffe im Anmarsch, aber das auch nur streng vertraulich, Teniente!“ Der Seewolf schwieg einen Moment, während Ben Brighton Mühe hatte, sich das Grinsen zu verbeißen. „Sie haben, soweit ich das im Moment entscheiden kann, völlig richtig gehandelt, indem Sie den Alkalden absetzten. Ich werde mich um ihn zu einem späteren Zeitpunkt noch kümmern. Jetzt erscheint mir vor allem wichtig, daß wir die Mädchen befreien, denn das kann zum Krieg mit den Nicaraos führen.“ Der Teniente nickte. Er hatte dem Seewolf natürlich auch von der Entführung der Indianerinnen berichtet.
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„Was aber diese Aina angeht, sie hat ihr Leben verwirkt, oder sind Sie anderer Meinung, Capitan?“ fragte Morales. Dem Seewolf tat es in diesem Moment fast leid, diesen aufrechten Offizier derartig hinters Licht führen zu müssen. Aber immer, wo sich durch eine List das Risiko blutiger Verluste vermeiden ließ, griff der Seewolf gern zu dieser Methode. „Das sollte in einer fairen Verhandlung geklärt werden, Teniente“, erwiderte er nach scheinbar kurzem Zögern. „Es scheint mir jedoch müßig, über all dies zu debattieren, bevor wir jene Aina haben“, sagte er dann. „Wenn ich ganz ehrlich bin, halte ich die Chancen, die Sie oder Ihre Männer haben, die Häuptlingstochter je wieder einzufangen, für äußerst gering.“ Ben Brighton warf dem Seewolf einen schiefen Blick zu. O du dreimal verdammter Höllenhund! dachte er und verbiß sich gewaltsam das Lachen, während er dieses süffisante Gerede des Seewolfs über sich ergehen ließ. Der Teniente straffte sich. „Darf ich die Herren zu einem bescheidenen Imbiß einladen? Anschließend werden wir uns dann um die Indianerinnen kümmern, wenn Sie einverstanden sind!“ Hasard wollte schon verneinen. „Erst die Mädchen, dann das Essen!“ hatte er auf der Zunge. Aber dann stimmte er zu. Eine Idee war ihm durch den Kopf geschossen, eine geradezu hervorragende Idee, wie er glaubte. 6. Die Befürchtungen Emilio Torros hatten sich um ein Haar bewahrheitet. Als Ortiz und er ins Zimmer stürmten, in dem sich Corporal Pepa und Juana befanden, sprang Pepa mit einem Wutschrei aus dem Bett. Das Glück der beiden Kneipenbesitzer war, daß Pepa in seinem reichlich entblätterten Zustand nicht schnell genug an seinen schweren Säbel gelangen konnte. Juana, die schneller begriff als der Corporal, bot alle ihre Raffinesse auf, um
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Pepa zu besänftigen. Und es war ihr dabei völlig gleichgültig, zu welchen Mitteln sie griff. Schließlich hatte Pepa nach dem Weinkrug gegriffen, ihn an die Kehle gesetzt und einen gewaltigen Schluck genommen. Und so erstaunlich das war, nach diesem Schluck wirkte der Corporal plötzlich wieder völlig nüchtern. „Das ist Meuterei! Ihr habt recht! Diesen Hundesohn lasse ich Spießruten laufen!“ Er griff nach Juana und riß sie zu sich heran. „Ich werde jetzt meine Männer zusammentrommeln. Nein — halt, das geht in aller Stille vor sich, verstanden? Ortiz, ab in deinen Puff! Und du, Torro, informierst diejenigen meiner Leute, die in deinem Laden sind. Aber unauffällig. Wer bei einem Mädchen ist, den holst du aus dem Bett. Sag ihnen, daß du es auf meinen ausdrücklichen Befehl tust. Daß ich jedem, der sich widersetzt, den Schädel spalten werde! In einer Viertelstunde will ich die ganze Bande im Hinterhof versammelt wissen. Wehe, wenn einer fehlt. Wie ihr das fertigbringt, ist mir scheißegal. Wenn ihr es nicht schafft, dann lernt ihr mich kennen!“ Alfonso Ortiz begriff am schnellsten, daß es ratsam war, diesen Befehl Pepas sofort und ohne jede Verzögerung zu befolgen. Er sauste die Stiege hinunter, die vom „Frommen Pilger“ in die oberen Stockwerke führte. Emilio Torro hingegen war zu langsam, Pepa holte aus und versetzte ihm einen derben Tritt in den Hintern, der Torro durch die offene Tür und anschließend die enge Treppe hinunterbeförderte. Der fette Wirt überschlug sich mehrmals und blieb einige Sekunden wie betäubt liegen. Aber er rappelte sich sofort wieder auf, als Pepa fast nackt am oberen Treppenabsatz erschien. „Ich habe gesagt, du lausige Kakerlake sollst dich beeilen!“ brüllte er. „Und wenn ich das sage, meine ich das auch, verdammt noch mal!“ Pepa schleuderte den noch halbvollen Weinkrug von oben in das Lokal hinunter. Donnernd zerbarst der
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Krug auf dem Steinboden. Der Wein spritzte herum, traf den Wirt, traf Ferris Tucker, Matt Davies und auch Pete Ballie, die zusammen an einem Tisch saßen und auf O’Driscoll und Stenmark warteten, die bereits mit ihren Mädchen in die oberen Stockwerke entschwunden waren. Der rothaarige Schiffszimmermann fuhr hoch. Seine Brust sah aus, -als sei er im Begriff, zu verbluten. Sein Kopf war über und über mit Wein bespritzt. „He, du wahnsinniger Decksaffe da oben, was soll das? Warte, du Hundesohn, du bist mir gerade recht!“ Ferris Tucker jagte die Stufen hoch. Noch im Laufen warf er seine schwere Axt. Er warf sie so gekonnt, daß ihr langer Stiel den Corporal mit voller Wucht am Schädel traf. Dann war Ferris Tucker heran. Er packte Pepa und wollte ihn mit einem kurzen Ruck über seine Schulter schleudern, hinunter ins Lokal. Aber nun zeigte sich, welche ungeheuren Kräfte der Corporal hatte. Er war größer als Tucker, breiter und bestimmt auch viel schwerer. „Du Wicht, dich blase ich aus, dich werfe ich den Haien zum Fraß vor!“ brüllte Pepa. Gleichzeitig nutzte er seine bessere Position brutal aus und versetzte dem Schiffszimmermann einen Hieb, der Tucker die ganze Treppe genauso hinuntersausen ließ wie vorher den Wirt. Ferris Tucker schlug schwer mit dem Schädel auf und blieb bewegungslos liegen. Pepa griff wutschäumend nach der Axt und schleuderte sie ebenfalls ins Lokal hinunter. Die scharfe Schneide traf einen der Tische und bohrte sich tief in die massive Platte. Pepa starrte den am Boden liegenden Tucker aus blutunterlaufenen Augen an. „Mit dir und deinen lächerlichen Figuren rechne ich nachher ab. Ihr braucht bloß auf Pepa zu warten, euch drehe ich einem nach dem anderen das Gesicht auf den Rücken!“ Damit verschwand er, fuhr in seine Hosen, warf sich die Jacke über und griff nach seinem schweren, gebogenen Säbel. Bevor er durch das Dachfenster verschwand, griff
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er sich Juana, die mit vor schreckgeweiteten Augen zitternd an der Wand der Kammer lehnte. „Wenn ich zurück bin, feiern wir beide meinen Sieg und du den neuen Befehlshaber von Culebra! Du brauchst nicht zu zittern, Mädchen. Dir tu ich schon nichts, wenigstens nichts, woran du sterben könntest!“ Er lachte dröhnend über seinen vermeintlichen Witz und verschwand gleich darauf in der Dunkelheit. Als Pete Ballie und Matt Davies, die sonst beide bestimmt nicht begriffsstutzig waren, aus ihrer Erstarrung erwachten, war Pepa längst fort. Statt seiner wankte eine immer noch zitternde Juana die Stiege hinunter. Es dauerte etliche Minuten, bis Ferris Tucker die Augen wieder aufschlug. Er schüttelte benommen den Kopf. Dann aber sprang er auf. Mit einem gewaltigen Ruck riß er seine schwere Axt aus dem Tisch. „Wo ist dieser Kerl?“ brüllte er, und zum erstenmal seit langem spürte er, wie rasende Wut von ihm Besitz ergriff. Doch dann blickte er sich plötzlich völlig verwirrt um. „He, was ist denn hier los? Wo sind die Soldaten? Die waren doch eben noch hier! Und die Mädchen, verflucht noch mal, da stimmt doch etwas nicht, was hat das zu bedeuten?“ Er ging auf Pete Ballie und Matt Davies zu. Pete Ballie zuckte mit den Schultern. „Der fette Wirt hat ihnen irgendetwas gesagt, und gleich darauf haben sie alle fluchtartig diesen Laden verlassen. Da, von oben kommen auch noch welche. Tucker wollte sich den Soldaten in den Weg stellen, aber die reagierten nicht, wichen lediglich aus. Gleich darauf waren auch sie nach draußen verschwunden. Ferris Tucker und seine Gefährten wußten nicht, daß Emilio Torro seinen einen Rausschmeißer zu ihnen nach oben geschickt hatte, damit er ihnen den Befehl Pepas überbrachte. Der rothaarige Hüne schüttelte den Kopf, in diesem Moment stürmte die zweite Gruppe der „Isabella“-Crew in den
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„Frommen Pilger“, unter ihnen auch Karl von Hutten. Ferris Tucker fuhr herum, seine Brauen zogen sich zusammen, als er die Gesichter der Männer sah. „Euch hätte ich eher brauchen können. Irgendetwas stimmt hier nicht.“ Karl von Hutten, der diese Gruppe anführte, trat an den hünenhaften Schiffszimmermann der „Isabella“ heran. „Du hast recht, Ferris. In diesem Kaff ist entweder schon der Teufel los, oder hier bricht jeden Moment die Hölle aus. Als wir die Mole enterten, liefen Soldaten durch die Gassen. Viele stürzten aus diesem verfluchten Puff hier, andere aus dem ,Goldenen Fisch’. Alle in Richtung Regierungsgebäude. Wo, zum Henker steckt Hasard, wo Ben Brighton? Soviel ich gesehen habe, sind die beiden vorhin mit den Spaniern zum Palazzo des Altalden hinüber. Da ist Verrät im Spiel, Ferris! Los, ihnen nach!“ Ferris Tucker, Pete Ballie und Matt Davies waren blaß geworden. Wenn von Hutten recht hatte, steckte der Seewolf mit Ben Brighton in einer tödlichen Falle, die über ihnen allen jeden Moment zuschnappen konnte. „Halt, warte! O’Driscoll und Stenmark sind oben mit zwei Weibern. Los, Matt, Pete, holt die beiden aus den Betten, aber ein bißchen schnell! Und ihr andern, ihr ...“ Ferris Tucker sah sich um. Keiner von ihnen hatte eine Muskete oder eine Pistole. Er musterte die Männer blitzschnell. „He, Blacky, Smoky, Al!“ rief er. „Wie viele Männer befinden sich noch an Bord der ‚Isabella’?“ Smoky hob die Schultern. „Fünf, sechs. Dan, Buchanan, Piet Straaten — ach, hol’s der Satan, ich weiß es nicht, Ferris!“ In diesem Moment gab es in einem der oberen Stockwerke wüstes Geschrei. Frauenstimmen gellten auf, Männerflüche übertönten sie, dann torkelten der Schwede Stenmark und der Ire O’Driscoll die Stiege hinunter, von Matt Davies und Pete Ballie ziemlich unsanft angetrieben.
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Ferris Tucker registrierte das nur am Rande. „Smoky, Blacky, ihr schnappt euch sofort ein paar Männer. Holt Waffen und Munition von der ‚Isabella’, aber beeilt euch, zum Teufel. Gegen die Dons haben wir mit unseren Messern und Fäusten keine Chance. Außerdem ladet die Geschütze der ‚Isabella’, segelt sie in Schußposition. Wie ihr das mit den paar Figuren an Bord anstellt, ist mir scheißegal. Wir andern sehen jetzt mal, was mit dem Seewolf und Ben los ist, vorwärts!“ Ferris Tucker stürmte los, aber er blieb noch einmal stehen. „Wo ist Ribault mit seiner Gruppe? Fehlt sonst noch jemand, der mit euch hergerudert ist? Wer war im Boot der Dons?“ fragte er. Karl von Hutten sah sich um. „Ribault und seine Leute sind zum ‚Fisch’, die können wir abholen. Ich vermisse Gordon Watts, er befand sich im Boot der Spanier.“ „Wir können ihn jetzt nicht suchen, vorwärts!“ Die Männer stürmten los. Einige von ihnen liefen unter der Führung von Smoky und Blacky zum Beiboot, das an der Mole lag. Liegen sollte! Das verschwundene Boot war jedoch nicht die einzige böse Überraschung, die an der Mole auf sie wartete. * Gordon Watts, der fast gleichzeitig mit Karl von Hutten bei der Kneipe Emilio Torros angelangt war, hatte fast alles gesehen und gehört. Er drückte sich in den Schatten einer engen Gasse. Sein Atem stockte, als er plötzlich Juana aus der Kneipe laufen sah. Gordon Watts war halb verrückt vor Gier nach einem Mädchen. Er dachte gar nicht daran, den anderen zu folgen. Mochten die sich die Schädel einschlagen lassen, er jedenfalls hatte etwas anderes vor. Er schob sich aus dem Schatten der Gasse heraus. Seine Augen traten ihm fast aus
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den Höhlen, als er Juana erblickte, die vor der Kneipe stand, vom herausfallenden Licht umflossen. Sie starrte den davonhastenden Männern nach. Hätte Gordon Watts in diesem Moment auch ihr Gesicht sehen können, er wäre sicher erschrocken. Die Wut, die Juana in diesem Moment verspürte, verzerrte es zu einer Fratze. Der vielversprechende Abend war gelaufen, alle Geschäfte, die sie sich von diesem Abend versprochen hatte, waren vorbei. Niemand konnte jetzt die Besatzung des fremden Seglers mehr ausnehmen. Sie kannte die Männer gut genug um zu wissen, daß in diesem Stadium mit ihnen nichts mehr anzufangen war. Juana ballte die kleinen, schlanken Hände zu Fäusten. Was ging sie eigentlich dieser blöde Alkalde an? Was dieser brutale, jähzornige Pepa? Was dieser Teniente Morales? Man hätte den Leutnant ihr überlassen sollen, sie traute sich durchaus zu, auch ihn um den Finger zu wickeln. Auch dieser verdammte Morales hätte ihr aus der Hand gefressen, bisher gab es keinen Mann in ganz Culebra, der ihren Liebeskünsten widerstehen konnte. Aber diese behaarten Affen dünkten sich ja alle so schlau und so stark. Sie vernahm das leise Zischen hinter sich und wirbelte herum. War ihr der verdammte Zambo nachgeschlichen? Er tat das manchmal, wenn er mit ihr schlafen wollte. Er bettelte dann wie ein Hund, und deshalb mochte Juana ihn, deshalb fand er manchmal bei ihr Gnade. Aber heute war sie dazu nicht in der Stimmung. Sie öffnete schon den Mund, um ihn anzufauchen wie eine gereizte Katze, aber dann erstarrte sie. Der Mann, der sich da aus dem Dunkel auf sie zuschob, den hatte sie noch nie gesehen. Er musste zur Besatzung des Seglers gehören. Juana spürte den Ekel, der plötzlich in ihr aufstieg, als der Lichtschein seinen dürren Körper erfaßte, sein vor Gier zuckendes Geiergesicht. Schon wollte sie ihn abwimmeln, da bemerkte sie noch etwas. Es glitzerte im
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flackernden Schein der Kerzen und Ölfunzeln auf der Hand des Fremden. Unwillkürlich trat Juana näher. Dann überlief es sie siedendheiß –das waren Perlen! Echte Perlen von unglaublicher Schönheit und unermesslichem Wert! Juana konnte nicht anders, sie streckte die Hand aus, bittend, bettelnd fast und wie berauscht. Gordon Watts grinste verzerrt. Er musste dieses Mädchen haben, dieses und kein anderes! Langsam ließ er einige der Perlen in Juanas ausgestreckte Hand rollen, dann noch eine und immer mehr. Sie waren beide allein. Keine Menschenseele befand sich in der Nähe. Nicht einmal Emilio Torro, denn der war voller Angst zum „Goldenen Fisch“ gerannt, weil er wusste, daß Culebra eine blutige, eine schlimme Nacht bevorstand. Juanas Hand schloß sich. Sie starrte den Fremden wie in Trance an. Sein Geiergesicht störte sie nicht mehr. Mochte er mit ihr tun, was er wollte, wenn er ihr nur diese herrlichen Perlen ließ! So fürstlich hatte sie noch nie ein Mann bezahlt, seit sie ihren Körper verkaufte. Juana schloß für einen Moment die Augen, und Gordon Watts, der vor Gier bereits zitterte, deutete das falsch. Er verstand ein paar Brocken Spanisch. „Ich habe mehr davon, viel mehr“, flüsterte er heiser. „Bleib diese Nacht bei mir, Mädchen, dann sollst du noch mehr davon haben.“ Seine Rechte, die eben noch die Perlen gehalten hatte, fuhr in die Tasche und zerrte einen kleinen Segeltuchbeutel hervor. Mit zitternden Fingern löste er die Verschnürung und hielt den Beutel mit den Perlen Juana hin. Juana quollen die Augen aus den Höhlen, aber dann arbeitete ihr Verstand wieder. Das war eine einmalige Gelegenheit, die bot sich ihr niemals wieder. Juana schmiegte sich an Watts und zog ihn mit sich fort. Sie flüsterte ihm etwas zu, und dabei tasteten ihre Hände ihn unauffällig ab.
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Sie spürte den zweiten Beutel, die anderen Perlen und die Goldstücke, die Watts noch bei sich trug. Juanas Entschluß stand fest. Dieser Narr sollte kriegen, was er wollte. Aber sie brauchte noch Wein, und sie musste später noch mit dem Zambo reden. Er war verschwiegen, er war ihr hörig, sie konnte ihn jederzeit um den kleinen Finger wickeln. Juana dachte blitzschnell weiter. Viele würden sterben in dieser Nacht, es würde nicht auffallen, wenn noch ein Mann mit einem Messer in der Brust oder eingeschlagenem Schädel am anderen Morgen im Wasser trieb. Und sterben musste er, denn die Perlen waren mit Sicherheit gestohlen, man würde nach ihnen suchen, man würde diesen Narren verhören, foltern. Aber zu ihr, Juana, durfte keine Spur führen, absolut keine. „Warte!“ flüsterte sie Gordon Watts zu. Und Watts stand keuchend im „Frommen Pilger“, unfähig, seine Gier noch länger zu bezwingen. Er riß Juana in seine Arme, und sie ließ sich seine Küsse gefallen, duldete seine tastenden Hände, die an ihrer Kleidung zerrten. Dann aber entwand sie sich ihm, huschte zur Seite und nahm sich einen der schweren Weinkrüge und eines jener weißen Pülverchen. Dann küßte sie Gordon Watts und zog ihn mit sich fort, in eins der entlegenen und verschwiegenen Zimmer. 7. Dan und Aina standen in der Kammer des Seewolfs. Mit brennenden Augen starrten die beiden durch eins der großen Fenster nach Culebra hinüber. „Da drüben ist der Teufel los, Aina“, sagte Dan leise in gebrochenem Spanisch, das er während der Zeit, die er als Galeerensträfling zusammen mit etlichen anderen Männern der „Isabella“-Crew in der Mündung des Guadalquivir verbracht hatte, leidlich beherrschte. Aina verstand ihn sofort. Auch ihren scharfen Augen und Ohren war nicht entgangen, daß die Dinge an Land eine
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andere Entwicklung genommen hatten, als vom Seewolf und seinen Männern geplant war. Aina, die jetzt eine Hose und ein Hemd aus Dans Seekiste trug, faßte den Jungen an der Schulter und drehte ihn zu sich herum. „Dan, ich habe dich belogen“, radebrechte sie auf Spanisch, und sie musste es zweimal sagen, eher der Junge sie verstand. „Belogen - wieso, warum? Ich ...“ Plötzlich horchte Aina, dann legte sie Dan die Hand auf den Mund. Gleichzeitig zog sie ihn zu einem der Fenster an Steuerbord. Sie deutete auf die dunkle Wasserfläche. „Siehst du dort?“ flüsterte sie. „Meine Krieger sind da. Die Stunde der Rache ist nahe. Wir Nicaraos sind ein stolzes Volk, der Alkalde wird das, was er getan hat, mit seinem Leben bezahlen. Und alle anderen, die sich an meinen Schwestern und den jungen Frauen meines Volkes vergangen haben, auch. Es wird eine blutige Nacht in Culebra geben, eine Nacht der Rache für all die Demütigungen, die wir bisher von diesem Gringo ertragen mußten.“ Dan hatte ihr voller Bestürzung zugehört. Seine Blicke folgten ihrer ausgestreckten Hand. Und nun erkannte auch er die länglichen Schatten, die lautlos über die dunkle Wasserfläche an die „Isabella“ heranglitten - die schmalen, langen Auslegerboote, in denen die Krieger der Nicaraos saßen. Aina hatte Dan bisher dazu überredet, mit ihr gemeinsam nach Culebra zu gehen und die Mädchen zu befreien. Nach anfänglichem Widerstand hatte Dan schließlich eingewilligt. Aber das nun ... Dan fuhr herum. Hinter seiner Stirn arbeitete es. „Aina, woher wissen deine Leute, daß du dich an Bord der ‚Isabella’ befindest? Wie hast du sie verständigt, du hast doch diese Kammer nie auch nur für eine Minute verlassen.“ Aina lächelte, dann legte sie Dan plötzlich die Arme um den Hals und hauchte ihm einen Kuß auf die Lippen. „Du bist dumm, Dan. Aina hat von den Gringos gelernt, wie man sich anderen
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mitteilt, ohne mit ihnen zu sprechen. Alle Nicaraos haben das gelernt! Da - sieh her!“ Verwirrt sah Dan dem Mädchen zu, als es jetzt einen der großen Spiegel von der Wand nahm. „Als wir auf Culebra zusegelten, schien die Sonne. Mit diesem Spiegel habe ich den Wachen, die mein Vater ausgestellt hatte, Zeichen gegeben. Genauso, wie es die Soldaten der Gringos tun.“ Sie hängte den Spiegel zurück, hakte die Lampe von der Decke, trat an eins der Fenster und schwenkte sie in einem bestimmten Rhythmus hin und her. Sofort flammte eine Fackel auf und wurde hin und her geschwenkt. „Mein Vater“, sagte Aina nur. Sie sah Dan abermals an, aber diesmal war jedes Lächeln aus ihren dunklen Augen verschwunden. „Wirst du mit mir und meinen Kriegern kämpfen, Dan? Obwohl ich dich belogen habe?“ Dan nickte stumm. Zwar wusste er, daß er Schwierigkeiten mit dem Seewolf kriegen würde, wenn er eigenmächtig handelte. Aber letztlich waren die Krieger der Nicaraos eine willkommene Verstärkung, falls es zu einem Kampf zwischen der „Isabella“-Crew und den Dons kommen sollte. Irgendwo an Deck wurden Rufe laut. Die Wachen mußten die Indianer entdeckt haben und riefen sie nun an. Dan nahm Aina an der Hand, zog sie aus der Kammer des Seewolfs und stürzte mit ihr an Deck. „Laßt die Nicaraos in Ruhe!“ schrie er. „Es sind Ainas Leute, sie werden es jetzt den Dons besorgen, und Aina und ich werden ihnen dabei helfen!“ Batuti, der Dan am nächsten stand, versuchte Dan mit einem wahren Panthersatz zu erreichen, aber diesmal war auch er nicht schnell genug. Gleichzeitig mit der Indianerin hechtete Dan über Bord. „Dan, halt, verdammtes Dan! Sofort zurück zu Schiff, oder Batuti dich holen. Dan, du lausiges Affenarsch!“
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Batuti stand am Schanzkleid, und im Nu scharten sich die restlichen Männer der Besatzung um ihn. Sie hörten, wie Aina ihren Stammesgenossen ein paar indianische Worte zurief, dann hatte sie mit Dan auch schon das Auslegerboot des Häuptlings erreicht. Hilfreiche Hände streckten sich den beiden entgegen und zogen sie an Bord. Kohlschwarze Augen musterten den jungen weißen Mann, der Ainas Freund war. Aber keiner der Krieger sprach ein Wort. Stattdessen wendeten sie ihre Boote und paddelten davon. Batuti stieß noch ein paar Verwünschungen aus, aber er blieb an Bord der „Isabella“. Sie waren sowieso nur noch ein paar Mann an Bord, es ging nicht, daß auch er noch an Land schwamm. Noch einmal sah er die länglichen Schatten der Boote auf dem Wasser, dann verschluckte die Dunkelheit die Nicaraos endgültig. Und so sehr sich die Männer an Bord der „Isabella“ auch bemühten, sie vernahmen nicht das leiseste Geräusch. * Smoky, Blacky und noch ein paar andere Männer, die an der Mole vergeblich nach dem Beiboot der „Isabella“ suchten, prallten erschrocken zurück, als das erste Auslegerboot voller indianischer Krieger aus der Dunkelheit auf sie zuglitt. „Himmel und Hölle, was ist denn das, das ...“ Blacky blieb das Wort im Mund stecken, als er plötzlich Dan und Aina erkannte, die neben einem hochgewachsenen Krieger saßen, in dem sie den Häuptling der Nicaraos vermuteten. „He, was zum Henker, geht hier vor?“ fauchte Blacky und griff sich das Bürschchen, als Dan auf die Mole sprang, gefolgt von Aina. Dan entwand sich seinem Griff. Er erklärte Blacky hastig, was ihm Aina vorher schon berichtet hatte. Blacky und Smoky starrten die Indianer an.
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„O Mann, ich möchte jetzt nicht in der Haut des Alkalden stecken. Der ist schon so gut wie tot! Aber hör zu; Dan ...“, und Blacky berichtete dem Jungen in fliegender Eile, was geschehen war, was sie befürchteten und daß Ferris Tucker mit allen anderen zum Regierungspalast unterwegs war, um den Seewolf herauszupauken, wenn das erforderlich werden sollte. „Wir sollen an Bord, um die ‚Isabella’ gefechtsklar zu machen und Ferris und die anderen mit Waffen zu versorgen. Aber irgend so ein Hurensohn hat uns das Beiboot geklaut.“ Aina hatte einen Teil dessen, was Blacky in fliegender Hast berichtet hatte, verstanden. Sie wechselte ein paar Worte in ihrer Sprache mit ihrem Vater, und der nickte ein paarmal. Dann gab er einigen seiner Krieger die nötigen Befehle, während sich Aina bereits Blacky und Smoky zuwendete. „Mein Vater stellt euch ein paar seiner Boote und auch die nötigen Krieger zur Verfügung“, sagte sie. „Euer Beiboot suchen wir später.“ Noch bevor der verblüffte Blacky etwas erwidern konnte, zog sie Dan mit sich fort. „Erst suchen wir jetzt meine Schwestern und befreien sie. Ich weiß, wo die Gringos sie gefangen halten. Dann wird mein Vater mit seinen Kriegern zum Palazzo des Alkalden ziehen. Er hat sein Leben verwirkt. Und hoffentlich ist auch der Mann, den ihr den Seewolf nennt, so klug, unsere Krieger nicht zu behindern, weil ein Mann seiner eigenen. Hautfarbe von unserer Hand sterben wird, Dan!“ Sie hatten den „Frommen Pilger“ erreicht. Aina flüsterte ein paar leise Befehle, und sofort verteilten sich einige der Krieger, während ein anderer, zahlenmäßig weitaus stärkerer Trupp bereits zum „Goldenen Fisch“ unterwegs war. Sie verschwanden im Niedergang zum Keller, brachen die schwere Tür auf, die den Zugang zu einem Gewölbe versperrte — und dann blieben Dan und Aina wie angewurzelt stehen.
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Acht Indianerinnen, alle splitternackt, jung, hübsch, hingen gefesselt in eisernen Ringen an den Stützpfeilern des Gewölbes. Dan erkannte sofort, daß sie alle schwer mißhandelt worden waren und man ihnen offenbar gegen ihren Willen irgendein Getränk eingeflößt hatte, eine Art Betäubungstrank, der ihren Widerstand brechen sollte. Aina ging langsam auf eine von ihnen zu, und ihre Züge verhärteten sich. „Tot“, sagte sie nur. Erst auf spanisch, dann auf indianisch. Langsam ging sie weiter, gefolgt von ihrem Vater. Fünfmal sprach sie dieses Wort aus, dann sah sie Dan an. Ihre dunklen Augen glühten. Der Häuptling befahl, die Lebenden und die Toten loszubinden. Während seine Krieger das besorgten, stand er unbeweglich dabei, in seinen Zügen zuckte kein Muskel. Aina trat zu Dan. „Du sollst sehen, wie der Alkalde dafür büßen wird. Er gab den Befehl, meine Schwestern am Markttag zu überfallen. Nur sein Teniente verhinderte, daß man auch mich hierher schleppte.“ Schweigend verließen die Nicaraos das Gewölbe. Juana, die in einem der oberen Stockwerke gerade damit beschäftigt war, Gordon Watts seine letzten irdischen Minuten zu versüßen, wurde auf diese Weise von den Nicaraos nicht entdeckt. Und das war ihr Glück, denn die Indianer hätten sie auf der Stelle erschlagen. Dan war kreidebleich, als er Aina zum „Goldenen Fisch“ folgte. Denn jetzt hatte auch er begriffen, daß diese Nacht in Culebra die Nacht der Rache sein würde. * Ferris Tucker und seine Mannen schafften es nicht mehr, den Vorsprung Pepas einzuholen. Der Corporal hatte ein mörderisches Tempo vorgelegt. Allein schon die Aussicht, über Culebra und alles, was dazugehörte, das Kommando zu
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übernehmen, war so verlockend, daß es seine Schritte von selbst beflügelte. Seine Männer spurten ebenfalls. Sie waren in erstaunlich kurzer Zeit zur Stelle gewesen und hatten sich wie befohlen im Hinterhof vom „Goldenen Fisch“ versammelt. Alfonso Ortiz und Emilio Torro, die das beobachteten, rieben sich die Hände. Als Corporal Pepa abrückte, griff sich Ortiz eine der besten Flaschen Wein, die er hatte und köpfte sie ohne viele Umstände. „Der Alkalde wird erfahren, daß wir es waren, die diesen Pepa mobilisierten. Er wird es uns zu danken wissen, Emilio“, sagte Alfonso Ortiz und nahm einen gewaltigen Schluck. „Und wenn hier alles gelaufen ist, veranstalte ich ein Fest, an das Culebra noch lange denken wird. Prost!“ Er nahm abermals einen Schluck und reichte die Flasche seinem Spießgesellen Torro. Auch Torro bediente sich, aber dabei überlegte er bereits, wie er sich endlich seinen Konkurrenten, diesen Ortiz, endgültig vom Halse schaffen konnte. Gewiß, solange Juana für ihn, Torro, arbeitete, hatte Emilio nichts zu befürchten. Dieses Mädchen war wie ein Magnet, es zog die Freier in Scharen an, und Ortiz konnte seinen Gästen nichts Gleichartiges bieten. Aber – und diese Furcht saß Torro schon lange im Nacken – er wusste nicht, ob Ortiz es nicht eines Tages schaffen würde, ihm Juana abspenstig zu machen. Ortiz’ Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.. „Holt die Indianerinnen!“ grölte er plötzlich, und allein schon dieser Ausbruch zeigte Torro, wie betrunken Ortiz sein musste. „Diese roten Huren sollen für uns tanzen, heute ist ein Festtag, sage ich euch!“ Seine Rausschmeißer rannten los, um die Indianerinnen zu holen. Noch bevor die Mädchen das Lokal betreten hatten, rissen sie ihnen die Kleider vom Leibe. Sie ahnten nicht, daß sie damit soeben alle ihr Todesurteil unterschrieben hatten, denn unaufhaltsam näherten sich Aina und die
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Nicaraos dem „Goldenen Fisch“. Lautlos wie Schatten glitten sie näher. Alfonso Ortiz bemerkte sie erst in dem Moment, als einer ihrer Pfeile seine Kehle durchbohrte. Unterdessen legte der Seewolf sein Besteck zur Seite. Zusammen mit Ben Brighton hatte er im Palazzo des Alkalden als Gast des Teniente hervorragend gespeist. Es war Zeit, an die Dinge zu denken, die noch getan werden mußten. „Teniente“, sagte er eben, „ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns jetzt zunächst einmal um die Indianerinnen kümmern könnten. Ich kenne die Indianer dieser Küste schon so einigermaßen. Was der Alkalde getan hat, beschwört zwischen Ihnen und den Nicaraos einen blutigen Krieg herauf. Wir sollten das ...“ Was dann passierte, nahm dem Seewolf das Wort aus dem Munde. Die große Flügeltür am Ende des Arbeitszimmers flog plötzlich auf. Krachend knallten ihre schweren Flügel gegen die Wand. Die gewaltige Gestalt Corporal Pepas erschien in der Tür. Zusammen mit einem weiteren Soldaten führte er den Alkalden, der sich in seinen goldbestickten Morgenmantel gehüllt hatte, in den Raum. In der Türfüllung blieben Pepa, der Alkalde und der andere Soldat, der den Alkalden ebenfalls stützte, stehen. Das Gesicht des Alkalden verzerrte sich zu einer höhnischen Fratze. „Aha, der Herr Teniente Morales belieben in meinem Arbeitszimmer von meinem Tisch zu speisen!“ höhnte er. „Ausgezeichnet, das erspart mir, Ihnen, Teniente, noch eine Henkersmahlzeit zu servieren. Ich werde Sie also ohne weitere Umstände vor meinem Palazzo aufknüpfen lassen. Haben der Herr noch einen letzten Wunsch? Erschießen vielleicht? O nein, Senor, das kann ich leider nicht zulassen, denn so lausige Zivilisten und Verräter wie Sie werden nun einmal gehenkt. So will es das spanische Gesetz. Oder haben Sie etwa nicht Ihren Dienst in Anwesenheit von Doktor Gonzales noch vor ein paar Stunden großkotzig quittiert? Hielten Sie es nicht mit Ihrer Ehre als Offizier der Spanischen Krone für unvereinbar,
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weiterhin unter einem Alkalden wie mir zu dienen? Und wieso belieben der Herr Teniente denn jetzt plötzlich, doch wieder den Degen zu tragen?“ Der Alkalde hatte sich von Pepa und dem anderen Soldaten gelöst und trat einen Schritt vor. „Antwort, Sie elender Verräter!“ brüllte er plötzlich. Teniente Morales saß da wie erstarrt. Sein Verstand weigerte sich, zu akzeptieren, was da vor seinen Augen geschah. Wie war dieser Pepa an seinen Leuten vorbeigekommen? Wieso hatte niemand diesen Kerl aufgehalten? Gleichzeitig wusste der Teniente, daß das jetzt absolut keine Rolle mehr spielte. Schweiß trat auf seine Stirn, und noch immer saß er da wie paralysiert. „Aha, den Senor Teniente überkommt das große Zittern! Corporal Pepa, sehen Sie mal nach, ob dieser feine Herr sich vielleicht sogar vor Angst in die Hose scheißt, ich fürchte, es stinkt schon bis hierher!“ Der Corporal zog seinen schweren Säbel. Aber dann geschah etwas, womit weder der Teniente noch der Seewolf noch Ben Brighton gerechnet hatten. Er holte aus und spaltete mit einem einzigen Hieb dem Alkalden den Schädel. Über den noch zuckenden Leichnam stieg er hinweg. „So, und nun zu Ihnen, Teniente. Sie werden natürlich auch nicht am Leben bleiben, und die beiden anderen Herren auch nicht. Ich werde mir erst später überlegen, wer von Ihnen diesen schändlichen Mord an dem Alkalden begangen hat. Dann, wenn ich meinen Bericht verfasse und Herr über Leben und Tod in Culebra bin! Also, wer will zuerst versuchen, seine Haut zu retten? Wer kämpft zuerst mit mir?“ Pepa trat einen Schritt vor. „Jeder Fluchtversuch ist überflüssig. Meine Leute stehen draußen. Jedem, der außer mir den Palazzo verlassen will, verpassen sie eine Kugel. Also, wer will das erste Tänzchen riskieren, aber immer hübsch der
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Reihe nach, wer sich vordrängelt, wird ebenfalls erschossen!“ Er gab nach hinten einen Wink, und sofort traten einige Soldaten vor, schußbereite Pistolen in den Händen. Der Seewolf, der sich bis dahin nicht gerührt hatte, tauschte mit Ben Brighton einen Blick. Ben, der Hasard aus vielen gemeinsam bestandenen Kämpfen und geschlagenen Schlachten kannte, verstand sofort. Der Seewolf hatte ihn mit seinem Blick warnen wollen, er kannte Raufbolde und Mörder wie diesen Pepa. Langsam erhob er sich. „Ich weiß zwar nicht, was Sie von mir wollen, Corporal, aber Ihr Argument leuchtet mir ein. Nach dem Mord, den Sie vor meinen Augen an dem Alkalden begangen haben, können Sie mich nicht als Zeugen am Leben lassen. Nun gut, dann versuchen Sie mal, mich ebenfalls umzubringen!“ Bei den letzten Worten hatte Hasard sich blitzschnell gebückt, den Stuhl, auf dem er bisher gesessen hatte, hochgerissen und auf den völlig überraschten Corporal geschleudert. Im nächsten Augenblick hielt er seinen Degen in der Hand und sprang den Goliath an. . Pepa hatte den Stuhl zur Seite geschlagen, aber er war dennoch nicht schnell genug gewesen, denn Hasard war heran, noch bevor er seinen Säbel zum Schlag wieder hochreißen konnte. Die Klinge zischte vor, verfehlte den Corporal nur knapp, weil er sich blitzschnell zur Seite geworfen hatte. Pepa stieß einen Wutschrei aus. Sein Säbel, mit einer einzigen wilden Bewegung hochgeschwungen, sauste nach unten. Der Schlag wurde so schnell und so präzise geführt, daß der Seewolf zur Seite hechten musste, um der mörderischen, breiten und gebogenen Klinge zu entgehen. Er fiel, rollte sich sofort ab, aber trotzdem war Pepa bereits über ihm, noch bevor er aufspringen konnte. Wieder sauste die Säbelklinge nieder, und wieder entging Hasard ihr nur um Haaresbreite. Der Seewolf erkannte erst
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jetzt, ein wie gefährlicher und geübter Kämpfer dieser Goliath war. „He, Bürschchen, mit dir zu kämpfen macht ja direkt Spaß !“ grölte Pepa. „Du bist wenigstens nicht so ein Jammerlappen, der sich einfach abschlachten läßt. Deinen Kadaver werde ich nicht den Haien zum Fraß vorwerfen lassen, du erhältst ein Grab, wie es einem ordentlichen Christenmenschen zusteht!“ Er lachte dröhnend, und gleichzeitig, nach einem weiteren sausenden Hieb seiner blutigen Säbelklinge, dem Hasard nur mit Mühe auszuweichen vermochte, packte er einen der schweren Stühle und schleuderte ihn nach dem Seewolf. Hasard erkannte die ungeheure Gefahr. Der Kerl wollte ihn am Boden festnageln, ihn in seiner Bewegungsfreiheit einengen, um ihm dann den tödlichen Hieb zu verpassen. Er warf sich dem Stuhl entgegen. Irgendwie glückte es ihm, das schwere Möbel zur Seite zu schlagen. Ein wahnsinniger Schmerz durchzuckte sein linkes Ellenbogengelenk, aber dann hatte er es geschafft. Er sprang auf, wich mit einem blitzschnellen Seitenschritt Pepa aus und ließ ihn einfach leerlaufen. Dann zuckte die scharfe Klinge seines Degens vor. Ihre Spitze bohrte sich in die Rippen seines Gegners, und Hasard warf sich in die Waffe hinein, ehe sie ihm durch den fallenden Goliath endgültig aus der Hand gerissen wurde. Pepa krachte zu Boden, sein Gesicht verzerrte sich, dann brüllte er. Blut quoll ihm über die Lippen, und sein gewaltiger Körper streckte sich. Seine Augen suchten den Seewolf. „O du Hurensohn, wer bist du?“ flüsterte er. „Du bist kein Spanier, es gibt keinen Spanier, der Pepa besiegen könnte!“ Er bäumte sich auf und starrte aus seinem einen Auge die Männer an, die ihre Waffen jetzt auf Hasard richteten. „Laßt ihn laufen, niemand krümmt diesem Hurensohn ein Haar. Er hat mich besiegt, er soll leben ...“ Pepa sackte zurück. Die schwarze Klappe über seinem rechten Auge war verrutscht
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und gab eine entsetzliche Narbe frei. Dann brach sein gesundes Auge. Noch einmal quoll ein Blutstrom über die Lippen des Goliats, danach lag er still. Und in diesem Moment geschah es. Die Scheiben der riesigen Fenster splitterten, das bunte Glas, das der Alkalde für immenses Geld aus Spanien hatte importieren lassen, fegte in Tausenden und Abertausenden von Splittern über den Boden. Ferris Tucker hechtete durch das Fenster. Ihm folgten Stenmark, Pete Ballie, Matt Davies, Jean Ribault, Karl von Hutten und andere. Musketen krachten, Pfeile zischten in den Raum und durchbohrten die völlig überraschten Soldaten des Corporals Pepa. Dann ertönte ein schrilles Geschrei, das dem Seewolf und Ben Brighton, der sich instinktiv zu Boden geworfen hatte, durch Mark und Bein ging. Zu Dutzenden quollen die Nicaraos in den Raum. Der einzige, der immer noch völlig bewegungslos, wie angenagelt auf seinem Stuhl saß, war der Teniente Morales. Er hatte das Gefühl, als würde sein Verstand stillstehen. Er begriff überhaupt nichts mehr, zumal um ihn herum jetzt Männer in einer ihm unverständlichen Sprache zu brüllen begannen, die er aber doch als Englisch erkannte. Aina und Dan O’Flynn stürmten in das Arbeitszimmer des Alkalden. Vor der blutigen Leiche des Alkalden blieb die Häuptlingstochter stehen. Lange starrte sie den Toten an. „Zu spät“, sagte sie dann. „Dieser Gringo hat Glück gehabt, er ist schnell gestorben, viel zu schnell. Bei uns, in unserem Dorf, hätte sein Sterben Tage gedauert, viele Tage und viele Nächte.“ Sie drehte sich abrupt um und sah den Seewolf an. „Wir werden dieses Gebiet verlassen. Die Gringos werden uns jagen und auch töten, wenn wir bleiben. Aber unser Volk schuldet euch Dank, wir laden dich und deine Männer ein, wir geben euch ein Fest. Heute nacht. Und ihr sollt Gold mitnehmen aus unseren Bergen, soviel euer Schiff tragen kann. Haltet euch also bereit.“
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Sie sah Dan an. „Dich nehme ich jetzt schon mit. Du sollst mein ganz persönlicher Gast sein, heute. So will ich es, und so will es mein Vater.“ Ohne eine Entgegnung abzuwarten, zog sie Dan mit sich fort. Der Seewolf starrte den beiden nach. Ben Brighton, der sich längst wieder vom Boden erhoben hatte, schüttelte nur den Kopf. Ferris Tucker grinste bis über beide Ohren. „Dieser Dan muß ein Sonntagsjunge sein!“ röhrte er. „Soviel Massel auf einmal gibt es doch gar nicht!“ Carberry stieß sein Rammkinn vor. „Also, wenn dieses Bürschchen uns bei der Puppe Schande macht, dann ziehe ich ihm die Haut persönlich in Streifen von seinem Affenarsch, so wahr ich Ed Carberry bin!“ Teniente Morales trat auf den Seewolf zu. Auf seiner Stirn zeigten sich tiefe Falten. Dicht vor Hasard blieb er stehen. „Senor, wer sind Sie wirklich?“ fragte er und wiederholte damit die Frage, die Pepa bereits gestellt hatte. Der Seewolf ließ seinen Degen in die Scheide gleiten. Dann verneigte er sich leicht. „Philip Hasard Killigrew“, stellte er sich dem verdutzten Teniente vor. „Man nennt mich auch den Seewolf, Senor. Wenn ich es genau nähme, dann wäre es der Englischen Krone gegenüber meine Pflicht, Sie und Ihre Leute zu Gefangenen zu erklären. Aber leider schließt mein kleines Schiff diese Möglichkeit von vornherein aus, und deshalb schlage ich Ihnen vor, daß wir für die Dauer unseres Aufenthalts in Culebra einen ehrlichen und einen ehrenvollen Waffenstillstand schließen. Leider ist auch für mich diese Situation völlig überraschend entstanden, meine Männer und ich haben etwas derartig Verrücktes noch nie zuvor erlebt, Senor. Ihre Antwort?“ Teniente Morales zögerte keine Sekunde. Er streckte dem Seewolf die Rechte entgegen. „Fürwahr eine eigenartige Situation, aber der Pakt gilt, ich werde sofort alles Nötige veranlassen. Für die nächsten Stunden
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sollen alle Feindseligkeiten zwischen unseren beiden Ländern ruhen.“ Der Seewolf und der Teniente besiegelten den Pakt durch Händedruck. Die Soldaten und Seeleute johlten vor Begeisterung, denn inzwischen waren auch die Männer des Teniente auf der Bildfläche erschienen. Der Seewolf beendete das Geschrei jedoch abrupt. „Alles herhören!“ sagte er. „Die ,Isabella` verholt sofort an die Mole. Feststellen, ob jemand von uns fehlt, wenn ja, Meldung sofort an mich oder Ben. Ein Kommando zusammenstellen, das den Soldaten des Teniente behilflich ist, die allgemeine Ordnung in Culebra wiederherzustellen. Anschließend Urlaub bis zum Wecken für jedermann!“ Abermals brandete wüstes Geschrei auf, dann gingen die Männer der „Isabella“ an die Arbeit. * Beim anschließenden Appell wurde Gordon Watts vermißt. Sofort durchkämmten Suchkommandos den Ort. Aber Watts blieb verschwunden. Stattdessen entdeckte Batuti die aufgebrochene Truhe im Laderaum der „Isabella“. Abermals ging ein Suchkommando los. Diesmal unter der Führung von Carberry. Der Profos nahm sich ganz besonders den „Goldenen Fisch“ und auch den „Frommen Pilger“ vor. Die Männer kehrten das unterste zuoberst, und endlich fanden sie, wonach sie suchten: ein paar Perlen, die sich in den Ritzen der Dielen einer Kammer im „Frommen Pilger“ verfangen hatten. Carberry drehte sie zwischen den Fingern hin und her. „Holt den Teniente!“ befahl er dann. „Wir selbst haben kein Recht, Verhaftungen vorzunehmen, das könnte zu erheblichen Komplikationen führen.“ Zwei der Männer liefen los und kehrten mit einem Kommando vor Gewehr zurück.
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Carberry empfing den Leutnant freundlich, aber er kam ohne alle Umschweife zur Sache. „Einer meiner Männer ist verschwunden, Teniente. Gordon Watts. Dürr, ziemlich groß, Geiergesicht. Will nicht sagen, daß der Kerl viel getaugt hätte, aber alles deutet darauf hin, daß man ihn beraubt und ermordet hat. Ich fürchte, daß es für diesen Mord keinerlei Zeugen geben wird. Wir wissen lediglich, daß Watts mit uns an Land gegangen ist, später haben wir ihn aus den Augen verloren.“ Carberry machte eine Pause, bevor er weitersprach. „Die beiden Oberschlitzohren Ortiz und Torro sind tot. Die Nicaraos haben sie umgebracht, was ich ihnen nicht verdenken kann. Bleibt also ein Mädchen oder auch ein Rausschmeißer. Auf wen tippen Sie, Teniente? Wer ist gerissen genug, um so einen Mord zu wagen und zugleich auch alle Spuren zu verwischen?“ Der Teniente schwieg. Hinter seiner Stirn arbeitete es. Darin schüttelte er den Kopf. „Ich könnte einen Verdacht äußern, aber das führt zu nichts. Ich könnte mir vielleicht den Zambo schnappen und ihn foltern lassen. Dieser Bursche hört für gewöhnlich das Gras wachsen. Aber er ist genauso verschwunden wie Juana. Außerdem lehne ich diese Methoden ab, Senor Carberry, Sie verstehen?“ Carberry nickte. „Verstehe“, sagte er. Dabei drehte er sich zu Al Conroy, Matt Davies, Blacky und Smoky um. „Und jetzt besaufe ich mich, Jungs. Dieser Watts war ein Schwein. Wahrscheinlich ist er an seiner eigenen Hinterfotzigkeit und Gier verreckt. Immerhin hat er uns alle beklaut, etwas, was es innerhalb unserer Crew noch nie gegeben hat. Außerdem hat uns dieses feige Schwein im Stich gelassen, als es zu kämpfen galt und wir den Seewolf heraushauen wollten.“ Er stieß sein Rammkinn vor und marschierte los. Die anderen folgten ihm. Die Leiche Watts wurde erst am nächsten Tag aufgefischt – und das auch nur rein zufällig. Ein Indianer, der mit ein paar
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Stammesgenossen zum Fischen gefahren war, zog ihn aus seinem Netz. Eine Untersuchung ergab, daß irgendjemand Watts das Genick gebrochen hatte. Außerdem fand man in seiner Tasche immer noch einige der Perlen, die er aus der Truhe entwendet hätte. Merkwürdig war nur, daß sein Gesicht sich einen fast glücklichen Ausdruck bewahrt hatte. So, als hätte der Tod ihn in seiner allerschönsten Stunde überrascht. Der Seewolf sah den toten Gordon Watts lange an. „Er hat seinen Diebstahl teuer bezahlt, Ben“, sagte er. „Ich gäbe etwas darum, wenn ich das Luder erwischen könnte, das ihn zu sich ins Bett gelockt und dann kaltblütig abserviert hat.“ „Das war kein Mädchen, Hasard, das hat ein Mann getan, und dieser Kerl hatte Bärenkräfte!“ Ben Brighton winkte Will Thorne, den Segelmacher, heran. „Näh ihn gut ein, Will“, sagte er. „Er hat uns zwar beklaut, aber er gehörte zu unserer Crew und hat für seinen Diebstahl mit dem Leben bezahlen müssen.“ * Am nächsten Morgen, nach dem rauschenden Fest bei den Nicaraos und nachdem alle Männer der „Isabella“-Crew von den Indianern reich mit Goldstaub beschenkt worden waren und die „Isabella“ selbst eine gehörige Ladung pures Gold zusätzlich in ihrem Bauch hatte, machte das Schiff seeklar. Bei Sonnenaufgang wollte man ankeraufgehen. Carberry war es, dem zuerst das Fehlen Dans auffiel. „Himmel und Hölle!“ fluchte der Profos. „Heiliges Kanonenrohr, diesem Bürschchen werde ich ...“ Er stoppte, als er das unverschämte Grinsen der anderen bemerkte, die nur darauf warteten, daß er wieder mal seinen Lieblingsspruch aufsagte. „Ja, verdammt, glaubt dieser Affenarsch denn, wir können hier liegenbleiben und Seepocken
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ansetzen, bis es ihm endlich einfällt, gnädigst wieder an Bord zu erscheinen?“ Aber der Profos konnte fluchen und toben wie er wollte, Dan war und blieb verschwunden. Erst gegen Mittag, die Sonne hatte längst ihren Kulminationspunkt überschritten und warf ihre sengenden Strahlen auf die Decks, tauchte in der Bucht ein Auslegerboot auf. Schon von weitem erkannte Carberry Aina, die hochaufgerichtet im Heck saß. Sie hielt Dan in ihren Armen — und das Bürschchen schien wahrhaftig zu schlafen. Carberry, Ben Brighton und Ferris Tucker, die sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Achterdeck der „Isabella“ befanden, verschlug es glatt die Sprache. „Ja, verdammt noch mal, das ist doch — das ist ...“ Carberry verstummte, denn das Auslegerboot schor längsseits. Er sah, wie Aina einem der Krieger, die das Boot gerudert hatten, einen Wink gab, und der Krieger brachte Dan an Deck. Anschließend enterte Aina selber auf. Carberry deutete auf den Schlafenden, und sein finsteres Gesicht verhieß nichts Gutes. „Was ist mit ihm, Aina?“ fragte er nicht eben freundlich. „Weißt du eigentlich, daß wir seit Sonnenaufgang hier liegen und auf den Kerl warten?“ Aina lächelte und nickte. Carberry hatte das Gefühl, daß ihn jeden Moment der Schlag treffen müsse. „Nun gut, du weißt es also“, sagte er und zwang sich mit aller Gewalt zur Ruhe. Aber seine Stimme hatte dennoch den Klang eines herannahenden Gewitters. „Dann wirst du mir sicher auch eine Erklärung geben können. Ich hoffe das jedenfalls sehr im Interesse Dans!“ fügte er drohend hinzu. Aina nickte wieder und lächelte Carberry erneut an. Sie deutete auf Dan. „Er hat das Fest der Liebe gefeiert“, erwiderte sie. „Und das dauert bei uns immer, bis die Sonne den Tag geteilt hat. Jetzt ist er erschöpft und braucht Ruhe. In zwei Tagen wird er wieder wach sein und
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dann grüßt ihn von mir. Er wird mir immer willkommen sein, mir und allen Nicaraos!“ Aina hob die Hände und kehrte die Handflächen gegen Carberry. Dann verließ sie die „Isabella“ und ließ sich von ihren beiden Kriegern davonrudern. Noch einmal sah sie sich um, Sekunden später verschluckte sie der Dunst, der über dem Wasser der Bucht lag. Carberry stand da und starrte ihr nach wie einer Erscheinung. Dann sah er Dan an. „Das Fest der Liebe“, murmelte er verblüfft. „Bis die Sonne den Tag teilt! Und nun braucht er zwei Tage Ruhe! Junge, Junge!“
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Er winkte Blacky und Smoky heran. „Tragt ihn runter. Aber weckt ihn nicht auf, denn er braucht jetzt ...“ Den Rest verschluckte er. Er zog eine Rumbuddel aus der Tasche,. trank sie auf einen Zug leer, und warf sie weit ausholend. über Bord. „So, und jetzt brauche ich auch Ruhe, weil ich das Fest des Saufens gefeiert habe“, brummte er. Dann wankte er nach vorn und haute sich auf die Back. Dort lag er immer noch, als die „Isabella III.“ die Bucht längst verlassen hatte.
ENDE