HORST H.BERNHARDT
Gummi vom Rio Negro
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BERLIN
JLangsam zog das vierrudrige Boot über d...
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HORST H.BERNHARDT
Gummi vom Rio Negro
VERLAG
NEUES
LEBEN
19 5 3
BERLIN
JLangsam zog das vierrudrige Boot über den Rio Negro. Weit hinten, jenseits des Dschungels von Santa Maddalena, stand der flammende Sonnenball über den feuchten Lagunen. „Chito", rief jemand leise im Ton der dunklen Kehllaute der Arawak-Indianer. Und dann gleich noch einmal, eindringlicher diesmal: „Chito!" Der Mann am Bug des Bootes hob die Flinte. Weit beugte er sich nach vorn. Für Sekunden vernahm man nichts als das sachte Plätschern des Wassers. „Pitsch", zuckte es dann kurz auf, wie ein Peitschenknall. Der Mann hielt noch immer die Flinte im Anschlag. Nun erst ließ er den Lauf sinken. Das eben noch so ruhige Wasser des Schwarzen Flusses kochte und brodelte. „Achtung - paß auf!" rief eine zweite Stimme. Sie kam vom Heck des fast zehn Meter langen Bootes, das ein hünenhafter Bursche steuerte. Der Mann mit der Flinte duckte sich und krallte die Finger in das Geflecht der Sitzmatten. Das Boot begann wild zu schlingern, Schaumkronen schlugen sprühend über die Bordwand. Ein letztes Mal noch peitschte der Schwanz des Alligators das unruhige Wasser. Dann krümmte die Echse sich, um endlich kraftlos nachzugeben. Der Rachen hob sich weit aus dem Wasser und klappte mehrmals, wie nach Luft schnappend, auseinander. Die kleinen, so tückisch anmutenden Augen waren hilflos und anklagend auf das Boot gerichtet. Dann verschwand der Schuppenpanzer für Sekunden im blutigen Wasser, und gleich darauf leuchtete zitronengelb die helle Haut des Bauches auf der Oberfläche. Der Arawak-Indianer lachte über das ganze Gesicht. Er war nackt, bis auf seine Lenden, um die ein Schurz hing, hatte schmale, doch muskulöse Schultern und trug ein mehrere Zentimeter breites buntes Band um die Stirn, das den rundverschnittenen, strähnigen Haarschopf fest zusammenhielt. 3
Das Jacare* w a r indes abgesackt. In einiger Entfernung von dem langsam dahinziehenden Boot schnitten zwei sanfte Bugwellen das n u n wieder ruhige Wasser der Uferlagune, zwei Bugwellen, in geringem Abstand und fast parallel zueinander laufend. Die Alligatoren k a m e n zum Leichenschmaus. Der Mann mit der Flinte richtete sich wieder auf. „Laß den Unsinn, Kay. Wer weiß, wozu wir die Munition noch brauchen können", tönte es vom Heck nach vorn. Der Schütze legte die Flinte vorsichtig auf eine der Matten u n d lachte. „Die Biester erinnern mich an die Finanzhyänen der großen Börsen. Eben noch sind sie sich einig, d a n n erwischt es einen von ihnen, und schon kommen sie zum Ausschlachten, zum großen Leichenschmaus." Der Riese im dunkelblauen Trikot b r u m m t e etwas vor sich hin, das wie ein Fluch klang. Dann tippte er den u n m i t t e l b a r vor ihm k a u e r n d e n Indio leicht mit dem feuchten Paddel an. Der Rundkopf drehte sich um u n d zeigte das dunkle Gesicht, dessen Stirn u n d Wangen sorgfältig geätzt und mit roter F a r b e ü b e r m a l t waren. „Ruf mal zu dem anderen Boot hinüber, Sapateiro, daß sie langsam fahren sollen. Wir sind n u n einmal nicht so schnell. Das sollten Melgaco u n d Postel wissen." Der A r a w a k erhob sich u n d legte die H ä n d e an den Mund. Sein Ruf klang wie fröhliches Jodeln, k a m als fernes Echo zurück u n d schwebte noch lange über dem Wasser. In beträchtlichem Abstand erblickte man ein zweites Boot, etwas kürzer und schmaler. „Wir hätten es uns überlegen sollen, Kay, die beiden mitzunehmen", b r u m m t e der Riese und paddelte energisch drauflos. Der mit Kay Angeredete w a r aufmerksam geworden. „Wie meinst du das, Belo?" Der Schiffer tauchte das Ruder in gleichmäßigem R h y t h m u s ins Wasser. „Wir haben uns mit den beiden einen argen Klotz ans Bein binden lassen." Doch Kay w a r sorglos. „Na, wenn schon. Wir können die beiden jetzt nicht so ohne weiteres an Land setzen." Kay mit den hageren Wangen, der sonnengebräunten H a u t u n d den grauen Augen sprach mit heller Stimme. Sein b ä r e n s t a r k e r Gefährte aber rümpfte die Nase. „ W a r u m nicht? Anstand in allen Ehren, Kay. Diese beiden Kerle aber sind m i r unausstehlich. Und ich halte sie a u ß e r d e m auch für gefährlich." Kay Norton lachte. „Gefährlich? Dir? Belo Belliades, dem stärksten Mann der Ilha de Marajo? Daß ich nicht lache!" * Brasilianisches Flußkrokodil
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Belo spie seinen Kautabak in weitem Bogen in den Fluß. Für Augenblicke schien er nachzudenken und sein ganzes Interesse auf die großen schwarzweißen Wildenten, die vom Ufer her zögernd bis zum Boot herüberkamen, zu konzentrieren. „Ich mußte in den letzten Tagen oft an Aiguirre denken, Kay. Aiguirre hat sehr viel Erfahrungen, mein Junge. Was er uns bei der Abfahrt sagte, war wohlüberlegt - und gut gemeint außerdem. Solch Leben in der Gewerkschaftsbewegung, wie es Aiguirre hinter sich hat, weitet den Blick. Glaub's nur." Kay überlegte einen Augenblick. „Wir hatten keine Wahl, Belo. Arbeitslos in Parä herumsitzen, oder im Auftrag der ,Union Rubber' durch die Grüne Hölle strolchen. Was ist besser?" Der Grieche, dessen Eltern Anfang der zwanziger Jahre von Lesbos nach Brasilien ausgewandert v/aren, lachte böse. „Verdammt nochmal! Ist es nicht ein Wahnsinn? Man weiß von vornherein, daß einem das Fell über die Ohren gezogen werden soll - und stampft dennoch in die Falle." Kay Norton hob protestierend die Hand. „Halt, mein Lieber. In deiner Beweisführung ist ein Denkfehler. Zugegeben, die Gewährsmänner und Auftraggeber der ,Union Rubber' sind smarte Geschäftsleute, und wenn sie ihre Dollarmillionen in die verseuchten RioNegro-Wälder stecken, dann eben nur, weil der Kautschuksegen aus Malaya versiegt, seit die Menschen dort klare Köpfe bekommen haben. Das wissen wir beide so gut wie Aiguirre. Was wir den Herrschaften bisher aber geben konnten, das mußt du zugeben, waren Vermutungen. Gewiß, ich halte unsere Informationen über die Lage der Kautschukwälder für gut. Doch was nutzt das im Augenblick der ,Union Rubber'? Sie muß erst mal ausspucken. Und, sag selbst, das Geld ist doch mitzunehmen. Wir beide sind Schiffer am Großen Strom, sind Dutzende von Malen den Rio Negro hinaufgefahren. Wir haben recht hoffnungsvolle Angaben über die Heveawälder*. Warum sollten wir die Gummihyänen nicht auch mal schröpfen?" Belo Belliades ruderte mit verbissenem Eifer und starrte nachdenklich ins Wasser. „Wenn wir sie nur schröpfen würden, Kay! Erinnere dich, was Aiguirre sagte: ,Sie werden euch auch diesmal übers Ohrhauen. Sie werden euch auch diesmal betrügen.'" Er sprach sehr leise, aber seine Worte wurden von der leichten Brise, die sacht vom anderen Ufer her wehte, getragen. „Warum stellst du diese Überlegung erst jetzt an, Belo? Warum nicht schon in Prainha oder Manaos?" * Hevea brasiliensis = der Kautschukbaum
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Der Grieche zog das Paddel aus dem Wasser u n d warf es unsanft ins Boot. „Verflucht nochmal! Weil es zum Vernünftigwerden niemals zu spät ist, denke ich. Weil ich von Tag zu Tag m e h r spüre, daß w i r G a u n e r n aufgesessen sind." Die helle Stimme Kays w u r d e noch schärfer. „Dann willst du also auf deine zehntausend Dollar vertragsmäßigen Lohn verzichten? Willst die Gelegenheit ungenutzt vorübergehen' lassen, den Börsenjobbern ein p a a r Tausender aus der Nase zu ziehen?" Er strich sich das blonde Haar aus der Stirn. „Bitte! Wenn du meinst. F a h r e n wir also zurück. Lassen wir andere das Geld abkassieren." Es zuckte um die Mundwinkel des hageren jungen Burschen. Man spürte deutlich, wie sehr diese Worte seinen w a h r e n Gefühlen widersprachen. Belo Belliades b r ü t e t e vor sich hin. Was e r w a r t e t e ihn? Arbeitslosigkeit, Hunger u n d Not in Parä. Und hier? Gefahren zwar, unsägliche Strapazen. Immerhin aber - w e n n ' s gut ging - zehntausend Dollar. „Wenn wir es nicht tun, tun es andere. Das sagt m a n so hin. Und doch ist es falsch, grundfalsch. Unsere Erfahrungen sollten uns vorsichtig machen." „Sind wir das nicht ohnehin?" „Ja u n d nein." „Warum diese Einschränkung?" „Siehst du, Kay. Da sind zum Beispiel diese beiden Kerle, der Melgaco u n d sein F r e u n d Postel." Belo verzog das Gesicht. „Sage, was du willst, ich m i ß t r a u e den Burschen." Man r u d e r t e n u n wieder im gleichmäßigen Rhythmus. Auch der A r a w a k r u d e r t e mit, u n d seine dunklen Augen glitten abwechselnd von einem zum anderen. Das zweite Boot h a t t e indes merklich an F a h r t nachgegeben, u n d man w a r sich sehr n a h e gekommen. „Die beiden sind zwar etwas undurchsichtig", r ä u m t e K a y Norton ein. „Doch was will das schon heißen? Sie w e r d e n in Ayrao oder Paraiso aussteigen, dort ihre Venda* aufmachen, u n d wir w e r d e n sie niemals wiedersehen." „Hoffentlich", entgegnete Belo Belliades. Es klang sehr erleichtert, w e n n auch keineswegs überzeugt. „Und wir fahren dann weiter den Rio Negro stromauf, versuchen die Heveawälder kartographisch aufzunehmen u n d kassieren bei der ,Union Rubber' unsere zweimal zehntausend Dollar. Das alles ist nicht ungefährlich, gewiß. Aber mit Unkereien ist noch niemand im Dschungel weitergekommen." Der Grieche hob den Kopf. Überzeugt hatte ihn Norton heute so wenig wie damals, als der P l a n in P a r ä zum erstenmal von ihnen • Venda = Urwaldverkaufsstelle
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beiden erwogen worden war. Doch gegen die ganze Aktion, gegen des Freundes Leichtfertigkeit sich auflehnen, das konnte er ebensowenig. „Wenn du schon ab und zu mal knallen mußt, so verschone die Krokodile und schieße lieber ein paar Wildenten", sagte er ablenkend. „Es ist nämlich höchste Zeit zur Rast." Kay sah auf die Uhr. Der Vogelruf des Arawak tönte erneut langanhaltend über das Wasser. Dann drehten zuerst Melgaco und Postel bei und steuerten dem Ufer zu. Die beiden Freunde folgten in ihrem schweren Boot viel langsamer, viel bedächtiger. < Kay Norton stand wieder am Bug und hielt die Flinte in der Hand. Zweimal, dreimal warfen die blaugrünen Wände des Uferdschungels den Schall - der kurzen Feuerstöße zurück. Dann angelte Sapateiro nach den Opfern und holte zwei prächtige Wildenten aus der brackigen Lagune. Die Boote tasteten sich behutsam am Ufer entlang. Endlich sichtete man eine Sandbank. Die Männer beugten sich vor und schätzten die Tiefe des WTassers. Dann wendete der Grieche das Fahrzeug und ließ es längsseits der Sandbank treiben. Man sprang aus den Booten und reckte die Glieder. Es war erst acht Uhr und doch lastete schon die Glut auf dem heißen Sand. Der Campo* reichte an dieser Stelle bis weit an den Strom. Er dehnte sich als spitz zulaufende Schneise etwa zwei Kilometer landeinwärts und war weithin zu überblicken. Erst vor kurzem mußten die Indianer des Nordufers den Campo abgebrannt haben. Das sonst mannshohe Schilf gras bildete zusammen mit Unterholz und knorrigem Wurzelwerk eine einzige ausgeglühte Fläche. Erste Keimlinge reckten ihre Köpfe aus dem toten Boden» und wenn nicht die dunkelbraunen Fasanen und die unübersehbaren Scharen der sich um einen Hirschk'adaver balgenden Geier gewesen wären, hätte man eher an eine Wüstenei als an die überschwengliche Natur der Tropen geglaubt. Belo schritt am Rande der Sandbank entlang und überprüfte die beiden Boote. Kay kauerte an der Feuerstelle, mischte aus Reis, schwarzen Bohnen und Rauchfleisch das Mahl, kochte und briet. Pedro Melgaco und Jan Postel hatten sich in einiger Entfernung niedergelassen und drehten geruhsam Zigaretten. Sie ähnelten einander erstaunlich und hatten den gleichen unsteten Blick. Wenn sie miteinander sprachen, geschah es flüsternd und immer etwas heiser. „Unser Boot ist weitaus schneller und wendiger als das andere, Pedro", sagte Postel und ließ seinen Blick schweifen. „Wenn's nach mir ginge, versuchten wir's überhaupt erst einmal mit einem Dreh. Dies hier", er tippte mit dem Zeigefinger auf den Revolver, „dies hier bleibt immer noch." . * Campo = Grassteppe
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„Und? Wie denkst du dir den ,Dreh'?" fragte der andere. Sie schwiegen, denn Belo Belliades ging gerade vorüber. Der Grieche knurrte wie ein Kettenhund, der einen mißliebigen Besucher zu dulden gezwungen ist. „Dieser griechische Fleischklotz ist ein unangenehmer Zeitgenosse", begann Jan Postel nach einer Weile erneut. „Er hat Kräfte wie ein Stier. Leider!" „Wo waren wir stehengeblieben?" fragte Melgaco. „Ach richtig. Bei dem Dreh!" Die beiden lachten so aufdringlich und schallend, daß die beiden Arawak, Sapateiro und Bojamaju, die Begleiter des anderen Bootes, unwillkürlich zusammenzuckten und ihre dunklen Schädel schüttelten. „Hör zu!" sagte Postel endlich. Er begann so leise zu flüstern, daß selbst Melgaco sich dieses und jenes wiederholen lassen mußte. Die Mienen der Burschen klärten sich auf. Sie wurden wohlgemuter mit jedem Wort. „Umlegen möchte ich die beiden nur, wenn's gar nicht anders geht", schloß Postel. „Ein paar Tote machen immer Scherereien; und in unserer gottverdammten Zivilisation sogar schon am Rio Negro." Nach der Mahlzeit kämpften die beiden Boote sich mühsam weiter den Fluß hinauf. Immerhin ging alles besser als erwartet. Man schrieb den zehnten August, und vor Mitte Oktober waren größere Regenfälle nicht zu erwarten. Nahrung gab es in Hülle und Fülle. Die kleine Expedition brauchte nur an Stellen anzulegen, wo der Campo bis nahe an den Strom reichte, um Rotwild und jagdbares Geflügel in großer Menge anzutreffen. Das nächtliche Lager befand sich heute nahe dem versumpften Mündungsarm eines winzigen, fast völlig vom Dschungel überwucherten Nebenflusses, und die Moskitos waren hier so aufreizend, daß selbst ausgekochte Rio-Negro-Fahrer, wie Norton und Belliades, darüber zu verzweifeln drohten. So saß man denn die ganze Nacht am Feuer und starrte mit entzündeten Augen und umschwirrt von Milliarden blutgieriger Plagegeister, die auch im feinmaschigsten Netz noch einen Durchschlupf fanden, zu der schmalen Schneise, die zum Fluß führte, nach Osten. Wann würde der Morgen grauen? Wann würde die Sonne endlich über dem drohenden Blauschwarz der unermeßlichen Wälder aufgehen? Doch auch diese Qual ging vorüber. Leise und flink verstauten Sapateiro und Bojamaju Zeltplanen, Töpfe und Geräte. Dann stießen die Boote in die Fahrtrinne, und weiter ging es in Richtung Barcelos. 8
Die Spiralen der kreisenden Geier am Morgenhimmel wurden kürzer, immer kürzer. Und lange schon, ehe das Boot außer Sichtweite war, balgten sich Hunderte von Geiern auf der Sandbank um die Reste des Mahls. Wie stets in den letzten Tagen hatte das kürzere, aber weitaus schnellere Boot Melgacos und Posteis die Spitze. Bie Burschen ruderten scharf zu. Sie wollten einen Abstand zwischen sich und das zweite Boot legen. Das Wasser trug den Schall, und es wäre nicht gut, wemn Belliades und Norton auch nur ahnten, was hier geplant und besprochen wurde. „Spätestens in Paraiso wird man versuchen, uns loszuwerden", flüsterte Postel seinem Gefährten zu. „Wir haben Paraiso als letzte Station unserer Fahrt angegeben. Was nun? Entweder so oder so?" „Die ,Union Rubber' zahlt ihre zwölftausend Dollar pro Nase nicht für zwei tote Waldgänger, sondern für genaue Angaben über die Lage der Kautschukwälder. Wenn wir also die Unterlagen anders bekommen können ...", er grinste. „Wenngleich . . . " Und dieses leichthin hergesagte „wenngleich" zeigte, wie gering Melgaco ein menschliches Leben einschätzte. „Mein Gott, das ist nicht so schwer." „Laß den lieben Gott aus dem Spiel. Er hat an dir ohnehin wenig Freude." Und wieder lachten die beiden verständnisinnig. Jan Postel entsann sich des Gesprächs in Parä mit Cornelius Warner, dem Bevollmächtigten der „Union Rubber" für Brasilien. Sie sollten Norton und Belliades die Unterlagen über die vermutlichen Vorkommen der Hevea östlich des Rio Negro abnehmen - so oder so, hatte Warner gesagt. Man habe kein Vertrauen zu den beiden Schiffern. Sie seien zwar grundehrlich, aber eben Narren. Und mit solchen Leuten könne man keine Geschäfte machen. Aus sorgfältigen Ermittlungen gehe überdies hervor, daß sie Verbindungen mit Gewerkschaftlern hätten. Und das allein sage ja alles. Mister Warjier hatte dann Melgaco und Postel jede Unterstützung zugesichert. Jede! Und der Arm der „Union Rubber" reiche weit, wie er betonte. Mister Warners Worte waren deutlich, und Postel hatte sie verstanden. Was man ihm und Melgaco an Bescheinigungen und Adressen mitgab, versprach schon einiges. Es kam jetzt nur noch darauf an, die Erfahrungen und das Wissen der beiden Schiffer zu nutzen, sich an sie zu hängen, um kurz vor dem Ziel zuzuschlagen, skrupellos und ohne Gnade. Wenn Postel'an das alles jedoch in diesem Augenblick dachte, so kamen ihm Bedenken. Verdammt, dieser Belo Belliades war ein Stier. Wenn man ihn nicht gerade aus dem Hinterhalt abknallte, 9
würde er ihnen beiden gewiß manches Rätsel aufgeben. Schießen aber wollte er nicht. Postel war für „verfeinerte" Methoden. Es war schon recht, was er mit Melgaco besprochen hatte. Nur genau durchdacht und präzis durchgeführt mußte es werden. Aber wozu hatte man schließlich die Zusagen Mister Warners? Man mußte eben alle Minen' springen lassen, um Norton und Belliades zu täuschen. Die Fahrt hatte zur Genüge bewiesen, wie gutgläubig die beiden waren. Warum sollte es da nicht gelingen, sie weiterhin zu überlisten? Postel und Melgaco hatten wieder an Fahrt nachgegeben. Zeitweise ruderte im anderen Boot nur noch Bojamaju. Schon hörte man von drüben die Worte Nortons und Belliades' deutlich herüberhallen. „Achtung!" rief Melgaco. Die Paddel tauchten wieder rhythmisch in das schmutziggraue Uferwasser des Rio Negro. Ruckartig zog das Boot an und stieß ins freie Wasser. Am Morgen des Tages, an dem man Ayrao zu erreichen hoffte, kamen Melgaco und Postel noch vor dem Bereiten des Kaffees zu Norton. Als Kay aufblickte, war es wie gewöhnlich Melgaco, der zu sprechen begann. „Chef, in ein paar Stunden werden wir in Ayrao sein." Kay Norton räusperte sich. „In Ayrao verlassen Sie und I h r . . . Freund uns, wie?" Für Sekunden herrschte Schweigen, unsicheres Schweigen. Dann ermannte sich Melgaco. „Wie weit fahren Sie noch, Chef? Wenn uns die Frage erlaubt ist." Belo Belliades hüstelte. Einen Augenblick überlegte Kay Norton. Dann antwortete er. „Zunächst bis Barcelos. Ich glaube aber, wir sprachen darüber bereits in Manaos." Melgaco beeilte sich, das zu bestätigen. Er sprach frei und offen, wie ein Mensch, der nichts zu verbergen hat. Nun wandte Belo seinen abschätzenden Blick den beiden zu. Zum Henker, man sollte ihn, Belo, vierteilen, wenn er sich täuschte. Mochte das alles auch noch so harmlos, noch so grundehrlich klingen, dieser Melgaco und sein Kumpan waren Gauner, raffinierte Gauner. Davon ließ er sich nicht abbringen. Ob sie nicht bis Curituba oder womöglich gar bis Barcelos mitfahren könnten, fragte Melgaco ohne jede äußere Spur von Arglist. Gewiß, manche Disziplinlosigkeit spräche vielleicht gegen sie, mancher Vorfall auf der bisherigen Fahrt. Sie wären aber aus der Großstadt; da verliere man den Sinn für Disziplin und vergriffe sich 10
gelegentlich im Ton. Doch er, Kay Norton, und auch sein Gefährte Belliades würden doch wohl nicht nachtragend sein. Melgaco blickte, wie Bestätigung suchend, zu Jan Postel. Und wenn auch dessen sauersüße Miene nicht gerade vor Herzlichkeit überfloß - es machte alles einen so ungekünstelten Eindruck, daß der immer etwas versöhnliche, zur Leichtfertigkeit neigende Kay Norton schon halb überzeugt war. Er wandte sich an Belo Belliades, der kauend an einem Baum lehnte und alles andere als entzückt schien, die Gesellschaft der beiden Gauner weiterhin zu genießen. „Gut. Wollen wir hören, was Belo dazu zu sagen hat." Der Grieche spie den Kautabak aus. „Sollen Melgaco und Postel uns doch einmal klipp und klar sagen, was sie hier an den Rio Negro führt. Was sie in Barcelos wollen. Davon, denke ich, sollte man es abhängig machen, ob wir weiter zusammen fahren." Der Einwand war lau, und die Art, wie Melgaco und Postel darauf reagierten, zeigte, daß sie sich bereits halb als Sieger fühlten. „Es ist Mißtrauen zwischen uns aufgekommen", begann Melgaco scheinheilig. „Seien wir doch ohne Argwohn, Freunde. Diese Umgebung erfordert es." Jan Postel nickte eifrig. Die Aussprache schien auch ihm heiliger Ernst zu sein. „Wir wollen sehen, ob Ayrao guter Boden für die Eröffnung einer Venda ist. Sofern nicht", er zuckte die Achseln, „möchten wir es - Ihre Einwilligung zur Weiterfahrt vorausgesetzt - in Paraiso, Curituba oder auch in Barcelos selber versuchen." Nun war es heraus! Belo Belliades atmete schwer. Sein Inneres befahl ihm, „nein" zu sagen. Doch begründen hätte er das im Augenblick nicht können. Was die beiden sagten, war durchaus vernünftig. Kay legte das Zögern auf seine Art aus. Bitte, da hatte man es wieder! Erst redete Belo Tag und Nacht gegen die weitere Mitnahme der beiden - und nun, da es darauf ankam, den Mund aufzutun, schwieg er. Zögern und Unentschlossenheit aber konnte Norton nicht vertragen. Dann machte er schon lieber mal einen Fehler. „Also gut, in Gottes Namen. Bis Barcelos", sagte er und blickte zu dem Griechen hinüber. Der lehnte noch immer mit finsterem Gesicht am Baum und verzog keine Miene. „Wir danken Ihnen, Chef. Und auch Ihnen, Belliades", antwortete Melgaco und schüttelte Norton die Hand. Dann ging er auf Belo zu und ergriff auch dessen mächtige Pranke. Postel trottete hinterdrein. Er brachte es sogar fertig, Belo Belliades anzulächeln. •
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Als die Boote zwei Stunden später die Ilha de Ayrao erreichten, flüsterte Melgaco seinem Freund befriedigt zu: „Dieses war der erste Streich! Wenn wir weiter so geschickt vorankommen, müßte es schon mit dem Teufel zugehen, wenn der Plan noch scheitern sollte." Zwischen Norton und Belliades aber herrschte in Ayrao zum erstenmal so etwas wie Mißstimmung. Man sprach zwar nicht darüber. Zufrieden aber waren beide nicht. Melgaco und Postel dagegen gingen noch am gleichen Spätnachmittag gut gelaunt auf die Jagd. Eine Venda konnten sie hier zwar nicht mehr eröffnen, denn es waren bereits drei vorhanden. Aber darauf kam es den beiden ja auch nicht an. Als sie bei einbrechender Dunkelheit zurückkehrten, brachten sie mehrere Wildenten und eine Rieseneidechse als Jagdbeute mit, und es herrschte an diesem Abend so etwas wie wohlwollende Duldung zwischen den vier Männern. Hatten Kay und Belo die beiden Reisegefährten tatsächlich bisher verkannt? Melgaco und Postel aber waren heute restlos mit sich und der Welt zufrieden. Und das nicht nur wegen ihres Jagdglücks und der gutbezahlten Eidechsenhaut. Die Fahrt von Ayrao nach Prosperanca, an der Sauama-Mündung vorbei, wurde zur großen Zerreißprobe für die Gruppe. Melgaco und Postel-sie hielten mit ihrem Boot wie gewöhnlich die Spitze - waren knapp nördlich der Ilha Jussara in einen versumpften Nebenarm des Rio Negro geraten und hatten sich arg verfahren. Man legte endlich an einer Stelle des Ufers an, wo der Dschungelgürtel nur schmal und durchlässig zu sein schien. Die Vermutung täuschte nicht. Kay Norton und Sapateiro schlugen sich mit dem Buschmesser durch den Ufergürtel bis zum Beginn des Campo. Mitten im hohen Gras, etwa vierhundert Meter abseits des Dschungels, stand eine Gruppe sehr hoher Bäume. An Strauchwerk und Knieholz vorbei, steuerten die beiden Männer der Baumgruppe zu. Einmal blieb Sapateiro stehen. Er hatte Spuren gefunden, Indianerspuren! In Abständen von jeweils zehn bis fünfzehn Metern waren die dürren Camposträucher in Schulterhöhe geknickt. Das sah wie zufällig aus, und doch gab es keinen Zweifel. Man befand sich im Gebiet eines Rio-Negro-Stammes, vermutlich der Caripunas. Langsam schlichen die beiden Männer weiter. Unter den Bäumen der einsam stehenden Gruppe schien einer zum Aufstieg besonders geeignet. Er hatte starkes Astwerk und war sehr hoch. Der Arawak stieg als erster. Er war .katzengewandt und erreichte die Gabelung bereits, ehe Kay 12
auch nur das erste Drittel zurückgelegt hatte. Vom schwankenden Sitz in der schütteren Baumkrone bot sich ein Ausblick, der für alle Mühe entschädigte. Da gewahrte man im Süden hinter einem Gürtel niedrigen dunkelgrünen Dschungels das breite, silbern leuchtende Band des Rio Negro. Etwas seitlich davon die Mündung des Sauama. Der Seitenarm des Rio Negro aber, jenes Flüßchens also, auf dem die Boote lagen, verlor sich irgendwo im Norden des Campo. Sein Lauf, versumpft und morastig, war allein kenntlich an den Farben der Tausende und aber Tausende von rothälsigen Störchen und blaßroten Löffelreihern. Man mußte also zurück. Eine halbe Meile etwa! Noch aber konnte sich Norton von dem Ausblick nicht losreißen. Er kletterte durch die Baumkrone zur anderen Seite. Doch da erlebte Kay Norton eine Überraschung. Eine Überraschung im doppelten Sinne! Schwarz wie die riesigen Wälder, die sich auf Hunderte von Meilen bis zur Grenze von Guayana erstrecken, kam eine Regenwand heran, die das eine Drittel des nördlichen Himmels bereits verfinsterte und seine Wolkenballen über die ganze Weite des Horizontes breitete. So phantastisch war der Anblick, daß Kay für Sekunden die Gefahr vergaß. Die doppelte Gefahr! Denn jetzt folgte Norton dem ausgestreckten Finger des Indianers. Dort, wo die dunkle Wolkenwand flimmernd ins Blaßblau des Himmels überging, zog sich ein feiner hellgelber Streifen. Sehr schmal erst, dann ausladend wie der Wipfel einer Schirmakazie. Rauch! - Die Rauchfahne eines indianischen Feuers. Vielleicht eines Warnfeuers, vielleicht auch nur eines Signals für die schweifenden Späher. Sapateiro glitt den Stamm hinab. Die Caripunas lagerten also höchstens zwei Meilen entfernt am Rio Negro. Dazu das Unwetter das sich mit rasender Geschwindigkeit nähernde Unwetter. Ein Prickeln lief über die schweißige Haut Nortons. Da war er in eine tolle Situation geraten. Jeden Augenblick konnten dort aus dem Saum des Campos kleine, dunkle Männer hervorbrechen: die Caripunas! Und wenn Kay Norton auch nicht geneigt war, die sensationell aufgemachten Berichte über die Blasrohrindianer für wahr zu nehmen, so wollte er ihnen jedoch in diesem Augenblick nicht begegnen. Da aber packte schon ein erster Windstoß die Baumkronen und jagte über den Campo, daß das messerscharfe Gras sich an den Boden schmiegte, als sei es gemäht. Norton und Sapateiro rannten, was die Füße hergaben. Eine Boe warf Kay zu Boden. Der Indio hatte sich vorher geduckt. Er sprang wieder auf, riß Kay mit sich fort und zerrte ihn ins filzige Unterholz 13
des Dschungels. Ringsum splitterte und barst es. Ein toter Stamm brach mit mächtigem Getöse auseinander, als hätte der Blitz ihn gefällt. Sapateiro arbeitete sich mit dem Buschmesser vorwärts. Langsam nur, doch stetig. Endlich erreichten die beiden den Fluß. Zu beiden Seiten, vom Winde gepeitscht, stöhnte und ächzte der Uferwald. Und dort oben, fünfzig Meter flußauf, war erst das Lager. Fünfzig Meter! Welch riesige Entfernung bei diesem Unwetter! Welch endlos weiter Weg... Die beiden Männer wateten durch das knietiefe Wasser. Wären jetzt hier Piranhas, jene blutgierigen Raubfische mit ihren messerscharfen Reißern, man könnte das Testament machen. Norton und Sapateiro erreichten das Zelt, als der Regen bereits eiskalt auf die vor Hitze dampfende Erde schlug. In dichten Schwaden krochen die Bodennebel das Tal entlang, drangen durch die Spalten des Zeltes, und erfüllten alles mit atembeklemmender Schwere. Draußen wütete der Sturm, krachten die Blitze in die Rio-NegroWälder und zuckte ihr fahles Aufleuchten über die aufgewühlte Wasserfläche des beängstigend schnell steigenden Flusses. Die Männer im Zelt kämpften mit dem Mut der Verzweiflung gegen die entfesselte Natur, klammerten sich an die Holzstützen und preßten ihre blutigen und zerschundenen Arme mit den um die Handgelenke geschlungenen Planenschnüren in den immer morastiger werdenden Grund . . . Das Unwetter im Flußtal des Rio Negro dauerte kaum länger als eine halbe Stunde. Als die Wetterwand aber endlich über die Ilha Tuniahu abzog, hatte sich alles ringsum verändert. Der eben noch schmale, in den Sümpfen versickernde Flußarm glich einem kochenden Meer, und an die Weiterfahrt war in absehbarer Zeit nicht zu denken. Die Gruppe erreichte Paraiso drei Tage später als vorgesehen. Man hatte zwar die Caripunas nicht zu Gesicht bekommen, gut ein Drittel der Ausrüstung aber war dem Unwetter zum Opfer gefallen. Darunter die „Montaria", das schnelle, wendige Klinkerboot. Man hätte schon viel Geld haben müssen, auf jeden Fall weitaus mehr als alle vier Männer zusammen, um in Paraiso ein so gutes Boot aufzutreiben. Endlich erwarb Norton von einem Rinderhirten, der täglich die Weideplätze seiner Herden auf der Ilha abzufahren pflegte, ein halbleckes Kanu. Der ausgehöhlte Baumstamm war jedoch durch ständiges Auskratzen so dünnwandig und durchlässig wie ein Sieb. Immerhin, das Fahrzeug kostete wenig, und mit einem Boot allein kam man 14
nicht weiter. Dazu war die Ausrüstung der Gruppe denn doch zu umfangreich. Nach zwei Ruhetagen, in denen Belo seine wunden Füße und Melgaco die eiternden Fliegenstiche ausheilte, ging es weiter nach Barcelos, dem letzten großen Etappenziel vor dem Angriff auf die RioNegro-Wälder. Diesmal lag das Boot Nortons und Belliades' an der Spitze. Das andere war zwar durchaus nicht langsamer; da man aber alle anderthalb Kilometer Wasser ausschöpfen mußte, sank das Fahrttempo beängstigend. Bei gutem Wetter kamen die beiden Boote in der Uferströmung der Ilha Boiacu rasch vorwärts. Sapateiro schoß mit Inbrunst auf Enten. Er bewies dabei eine Geschicklichkeit, die nur noch durch die Fähigkeit übertroffen wurde, die wohlschmeckenden, fast halbmeterlangen Piraracu-Fische bis zu einer Tiefe von einem Meter unter der Wasseroberfläche zu erlegen. Norton und Belliades aber hatten zu derlei Spaßen längst keine Muße mehr. Man näherte sich ja Barcelos. Man näherte sich dem entscheidenden Stadium der Fahrt. „Ich bin schon einmal - es war im August 1942 - den Rio Negro bis Barcelos hinaufgefahren", erzählte Kay. „Damals hörte ich zum erstenmal von den Fluß-Indianern - es sind übrigens Arua-Stämme - Einzelheiten über die Kautschukwälder. Später dann wurden diese Angaben immer wieder ergänzt, und danach habe ich unsere Unterlagen aufs genaueste ausgearbeitet. Die Indianer müßten ihre Wälder nicht kennen, wenn wir nicht 200 bis 250 Kilometer nordwestlich Barcelos auf Landeplätze stoßen sollten, von denen aus die Hevea-Wälder in ein bis zwei Tagesmärschen zu erreichen sind." „Durch das Gebiet der Caripunas allerdings!" Kay Norton runzelte die Stirn. „Ich habe zwar auch noch keine Verbindung mit den Caripunas gehabt. Es wären aber bestimmt die ersten Indianer, mit denen man nicht auskommt, wenn man sie nur richtig behandelt." Eine Weile schwiegen beide, dann sagte Belliades unvermittelt: „Diese beiden", er wies auf Melgaco und Postel, „werden mir immer unverständlicher. Die ganze Art ihres Benehmens - ihr Auftreten . . . " Er brach achselzuckend ab. „Das macht die Wildnis, die Grüne Hölle, die dauernde Drohung rings um den Menschen. Da braucht man Schutz und sucht ihn überall, auch wenn es dem inneren Wesen manchmal gänzlich widerspricht." Belo Belliades antwortete nicht. Was war es nur plötzlich für eine Unsicherheit, die ihn erfaßte? Sein Blick fiel auf den Dschungel am 15
nördlichen Ufer. Dort drüben, noch Hunderte von Kilometern entfernt, dehnten sich die Hevea-Wälder. Ob man sie jemals erreichen würde? Ob man die Kunde von ihnen jemals authentisch nach Parä bringen könnte? Auch Melgaco und Postel unterhielten sich. Nur, daß es für sie keine Unklarheiten und Rätsel mehr gab, sondern lediglich Tatsachen, rauhe, ungeschminkte Tatsachen. Sie würden in Barcelos endgültig von Bord gehen müssen. Daran gab es nach Nortons letzten Andeutungen keinen Zweifel mehr. Das aber bedeutete, daß bis Barcelos die Entscheidung herbeigeführt werden mußte. Und bis Barcelos war es nicht mehr weit. Schon lag die Ilha Caures zur Linken, schon dehnten sich die Sumpfgebiete von Carve mit ihren Scharen von Pfefferfressern, Wildenten und Möwen, mit den schmalen, piranhasverseuchten Dschungelzuflüssen und Jacareparadiesen weithin nach Norden. Es war also Zeit, allerhöchste Zeit! „Unsere nächste Rast wird knapp zwanzig Kilometer vor Barcelos sein. Uns bleibt also eine einzige Nacht", sagte Melgaco. Er sprach so unpersönlich, wie es Menschen zu tun pflegen, deren Entschluß längst gefaßt'ist. „Das bedeutet also . . . ? " „Das bedeutet, daß wir heute nacht die Aufzeichnungen in unseren Besitz bekommen und noch vor Morgengrauen mit dem großen Boot starten müssen. Nur wenn wir einen Vorsprung von zwei Stunden gewinnen, klappt es wie geplant." Mit pfiffigem Gesicht nahm Postel die Erklärung Melgacos zur Kenntnis, wie andere Menschen eine Einladung zur Geburtstagsfeier oder Kindtaufe. Dann holte er ein Glasröhrchen aus der Tasche und schwenkte es triumphierend vor sich her. Die Tabletten klapperten harmlos. Posteis vielsagendes Grinsen'aber verriet, wieviel er den so ungefährlich aussehenden weißen Pillen zutraute. Gegen Abend legten die beiden Boote an einer weit nach Westen ausladenden Sandbank an. In der Ferne - sehr weit noch, denn die Wasserspiegelung verwirrte das Gefühl für Entfernungen - glaubte man die ersten Lichter von Barcelos aus dem Dschungel herüberblinken zu sehen. Doch das konnte auch eine Täuschung der überreizten Nerven sein. Man war müde, sehr müde. Bojamaju brühte Kaffee. Kay Norton bereitete wie gewöhnlich das Mahl und briet zwei von Sapateiros Piraracu-Fischen. Das Essen schmeckte, und in einer gewissen Hochstimmung - Barcelos war nahe und damit das Ziel krochen Norton und Belliades in ihre Schlafsäcke. Die Nachtwache hatte heute Jan Postel. Er saß im Schneidersitz am Feuer, warf in längeren Abständen riesige Scheite in die Glut und 16
stocherte zuweilen mit einem langen Hartholzstab in der verglimmenden Asche. Dazu sang er und schien recht zufrieden. Die anderen hatten sich im losen offenen Halbkreis gegenüber von Jan Posteis Sitz um das Feuer gruppiert. Erst kam Sapateiro, dann Bojamaju, schließlich - fast unmittelbar nebeneinander - Melgaco, Kay Norton und Belo Belliades. Als ersten übermannte Norton der Schlaf. Dann ließ Pedro Melgaco den Kopf sinken, und endlich legte auch Belo sich auf die Seite. Nur Sapateiro und Bojamaju waren noch wach. Sie hatten einen leisen Schlaf und die Empfindlichkeit des Zittergrases. Doch - Postel lachte hämisch - auch bei ihnen würden die weißen Pillen ihre Arbeit tun. Der Bursche sang nun lauter. Er steigerte seine Stimme zu einem tragenden monotonen Bittgesang. So klang es, wenn die Burschen am Rio Grande ihre Lieder in die Nacht hinaus sangen. Das Anschwellen des Gesanges von Postel war nicht absichtslos. Es war ebensowenig absichtslos wie das Stochern in der Glut des Holzfeuers und das rhythmische Schlagen mit dem Hartholzknüppel. Er mußte genau wissen, wann seine Tabletten wirkten, wann alles - außer Melgaco natürlich den Schlaf der Betäubung schlief. Die Zeit war kostbar, sehr kostbar! Leuchtkäfer tummelten sich in der lauen Luft. Postel gähnte laut und ungeniert, stampfte mehrmals mit dem Knüppel auf den Boden. Dann erst war er seiner Sache sicher. Verhalten, wie aus weiter Ferne, schrillte der Ruf eines Nachtvogels. Für Augenblicke sah Sapateiro auf. Dann rollte sich der Indianer erneut wie ein Hornfrosch zusammen und schlief weiter. Dreißig Sekunden vergingen, eine Minute vielleicht. Plötzlich richtete sich auch Melgaco auf und stützte den Oberkörper auf beide Arme. Er sah nun gar nicht mehr müde und verschlafen aus. Jan Postel stand im Schatten und richtete den Lauf seiner Pistole auf Norton. Vier Meter betrug der Abstand - nicht mehr! Das Gesicht Kays war den beiden Männern zugewandt. Er schlief fest, und seine Atemzüge gingen regelmäßig wie die eines schlummernden Kindes. Melgaco beugte sich über das Gesicht Nortons, nahm ein leichtes Tuch zur Hand und fächelte über die Wange des Schlafenden. Zweimal zuckte es unwillig über das hagere Gesicht. Dann pflanzte das Widerstreben sich fort und lief wie ein Schauer über den ganzen Körper, bis Kay Norton sich endlich mit einem ächzenden Laut herumwarf. Der Trick - Melgaco hatte ihn bei mittelamerikanischen Indios gelernt - war gelungen. Noch während Kay sich schlaftrunken auf seinem neuen Lager zurechtlegte, tastete Melgacos Hand vorsichtig und ganz behutsam zu )7
der Tasche in Nortons Schlafsack vor. Sehr schwierig war das, und zwei-, dreimal mußte Melgaco den Rückzug antreten. Dann aber eine ganze Zeit war nun schon vergangen - kam er zum Ziel. Sehr langsam zog er die gefaltete Geländetasche mit den Expeditionsunterlagen aus dem gefütterten Schlafsack und wiegte sie nachdenklich im rötlichen Schein des Feuers. Dann beugte Melgaco sich vor und warf seinen Fund über das lodernde Feuer hinweg dem Kumpan zu. Jan Postel fing die Tasche geschickt auf und wartete einen Augenblick. Dann erhob er sich - ganz lautlos diesmal - und verschwand in der Dunkelheit. Als er gleich darauf vom Boot zurückkehrte, lag Melgaco schon wieder neben dem schlafenden Kay Norton. Seine Augen waren hellwach. Melgaco und Postel würden kein Auge mehr zumachen in dieser Nacht. In einer Stunde ging der Mond auf. Dann konnten sie starten. Das brachte ihnen einen Vorsprung von hundertundzwanzig Minuten. Nicht viel zwar - doch bis Barcelos mußte es reichen. Und für die Urwaldmetropole hatten die beiden schon ihren Plan . . . Als Belo Belliades erwachte, war es noch fast dunkel. Sein Schädel brummte, und er fühlte sich wie chloroformiert. Die Silhouetten zweier Männer zeichneten sich gegen den Horizont ab. Zweier dunkler Männer: Sapateiro und Bojamaju. Beide redeten auf den in seinem Schlafsack Liegenden ein. Erst verstand Belo kein Wort. Dann aber raffte er sich auf. Was sagten die beiden da? „Melgaco und Postel fort", wiederholte Sapateiro zum soundsovielten Male auf portugiesisch. Und Bojamaju fügte klagend hinzu: „Boot fort! Boot fort!" „Das Boot! Verflucht und zugenäht!" Belo sprang auf und rüttelte den Gefährten. Doch Kay schlief noch immer. Er schien wie in Narkose zu liegen. „Hallo, Kay! Steh auf! Das Boot und die beiden Gauner sind verschwunden." Belliades schwankte hin und her. Seine Knie waren weich wie Gummi. „Hunde, nichtswürdige!" fluchte er und packte den Freund bei den Schultern. Nicht nur, daß das Fahrzeug gestohlen war - nein, außer Gefecht hatte man sie beide setzen wollen. Denn daß Nortons tiefer Schlaf und die eigene Übelkeit nicht mit rechten Dingen zugingen, war Belo nun klar. Plötzlich kam dem Griechen ein Gedanke. „Die Aufzeichnungen!" schrie er. „Kay, die Aufzeichnungen!" 18
Norton zuckte zusammen und schlug langsam die Augen auf. „Kay", brüllte Belo noch einmal. „Wo sind die Aufzeichnungen?" Da richtete Kay Norton sich auf. Sein Gesicht war bleich wie nach langem Zechen. Er schüttelte sich. Das wirre Haar hing in die Stirn. Dann aber tastete er doch mit spitzen Fingern zur Tasche des Schlafsacks. Er schien zu begreifen, und seine Augen weiteten sich schreckhaft. „Belo!" Auf die Hände gestützt, versuchte sich Norton zu erheben. Doch es wollte nicht gelingen. Seine Hände wühlten zitternd in der Tasche des Schlafsacks. „Die Aufzeichnungen! Die Karten und Aufzeichnungen!" „Melgaco und Postel!" keuchte der Grieche. Er ging auf die Indios zu. Als er aber sah, wie die beiden erschrocken zurückwichen, hielt er inne. Was konnten die Arawak dafür, daß Kay und er den Gaunern in die Falle gegangen waren? Und wenn sie dreist die beiden Kerle hätten davonfahren sehen - mußte es ihnen nicht durchaus verständlich erschienen sein? Wie oft war man zu zweien bei Nacht auf Alligatorenjagd gerudert. „Wann fort?" drang Norton in die beiden Indianer. Sapateiro zuckte die Achseln. Bojamaju aber wußte mehr. Er hatte Melgaco und Postel aufbrechen sehen, und nach langem Hin und Her ergab sich, daß die Burschen einen Vorsprung von gut anderthalb Stunden haben mußten. „Los!" wütete Belo. „Hinterher! Koste es, was es wolle." Kay Norton raffte die Decken zusammen und torkelte zum Boot, das im Wellengang der kühlen Morgenbrise schaukelte. Doch auch hier erlebte er eine Überraschung. Eine Sparre war gewaltsam gelockert, und das Fahrzeug leckte! „Packen!" befahl Kay. „Trotz allem: Packen!" Die Indianer trugen Decken und Lebensmittel zusammen. Norton und Belliades aber werkten an dem lecken Boot. Es war kurz nach vier, als das Fahrzeug leergeschöpft und abgedichtet von der Sandbank abstieß. Belo und Kay schwangen die Behelfsruder, denn auch die Paddel hatten Melgaco und Postel mitgenommen. Dichte Nebel lagen über dem Fluß, und die modernden Baumstämme und Grasinseln tauchten wie urzeitliche Ungeheuer aus dem wogenden Strom. Belo trieb die drei zur Eile an. Sein Kopf drohte zu zerspringen. Aber er ruderte mit verbissener Wucht. Noch elender fühlte sich Norton. Er hatte am Abend viel mehr gegessen als Belo - und entsprechend größer war auch die Menge von Posteis Schlafmittel, die er geschluckt. Die beiden nahmen Chinin in großen Mengen. Endlich 19
stellte sich Erbrechen ein. Dann aber kam das Fieber - und mit ihm Schwäche, lähmende Schwäche. Um Mittag erst langte das Boot in Barcelos an. Die Anlegestellen und Holzhäuser am Uferkai hoben sich weithin sichtbar vom dunklen Grün der Wälder ab. Drei Wohnboote lagen im Hafen, außerdem ein uralter, seit Jahren wohl schon außer Dienst gestellter Raddampfer. Von Melgaco und Postel aber keine Spur. Als Norton undBelliades am Ufer anlegten, kam ihnen ein bärtiger Mann entgegen. Er schien gewartet zu haben und warf spielerisch eine runde Metallmarke in die Höhe. „Der Bürgermeister", knurrte Belo zu Kay gewandt. Dann richtete er das Wort an den bärtigen Müßiggänger. ,,n' Morgen, Senhor! Ist hier heute ein Boot durchgekommen? Ein Boot mit zwei Mann Besatzung?" Der Kerl am Ufer spielte noch immer mit seiner Marke. „Na und, wenn's so wäre?" Die Worte klangen feindselig und waren voller Ironie. „Die beiden sind Gauner, Bürgermeister", schaltete sich Kay ein. „Sie haben unten an der Sandbank, bei der letzten Rast, unser Boot gestohlen, unsere Karten und Aufzeichnungen . . . " „Aufzeichnungen?" Der Bürgermeister legte den Kopf schief. „Sie wissen, daß es verboten ist, Karten und Aufzeichnungen im Militärbezirk von Barcelos bei sich zu führen. Weisen Sie sich erst einmal aus, so wie es die Senhores heute morgen getan haben." Dem Griechen kribbelte es in den Fäusten. Er begann zu ahnen, daß dieser Empfang nicht zufällig, daß er wohlorganisiert war. „Aber so seien Sie doch einsichtig, Bürgermeister. Diese Gauner haben uns doch alles gestohlen. Eine ganze Tasche mit Papieren!" Die Stimme des Bürgermeisters auf dem sandigen Ufer wurde scharf. „Lassen Sie gefälligst die Senhores aus dem Spiel!" Er hatte nun die blanke Marke an den Rockrevers geheftet und streckte anmaßend die Brust heraus. „Zeigen Sie mir lieber Ihre Ausweise. Und zwar ein bißchen rasch!" Kay und Belo blickten sich an. Sie sahen nun klar. Eher würde die Welt untergehen, als daß sie mit diesem korrupten und augenscheinlich bestochenen Kerl ins reine kämen. Und damit auch ja kein Zweifel bestehe, brummte der Bärtige jetzt: „Die Senhores von heute morgen reisen nämlich im Auftrag der .Union Rubber'. Sie haben gute Papiere. Sehr gute!" Dem Griechen schoß das Blut in den Kopf. Im Auftrag der „Union Rubber"? Gute Papiere? Aha, daher wehte also der Wind. 20
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Der gutgläubige Kay Norton starrte den großspurig und frech vor ihnen stehenden Burschen an. Auch er schien nun zu begreifen. Nun endlich! In Belos Hirn wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Das Fieber peinigte ihn noch immer. Doch soviel wußte er: Hier regierte die Willkür, und Mister Warner und seine Kreaturen bedienten sich ihrer, waren mit ihr verbündet. Man hatte ihn und Kay in eine Falle gelockt. Es ging den Gaunern um die Pläne, um die Gewißheit der Kautschukwälder. Boxte man sich jetzt nicht heraus, so verreckte man irgendwo hier in den bestimmt nicht gerade menschenfreundlichen Verließen dieses selbstherrlichen Patrons. Wieder kitzelte es in den Fäusten des Griechen. Und diesmal gab er der Versuchung nach: Belo Belliades legte alle Kraft in den Schlag und traf den gänzlich unvorbereitet vor ihm stehenden Mann genau am Kinn. Und lautlos ging der Bürgermeister von Barcelos in die Knie. „Ins Boot! Los!" rief der Grieche. Kay lief auf das halblecke Kanu zu. „Hier, hinein!" schrie Belo nochmals und zerrte den taumelnden, noch immer schwer fiebernden Norton in ein gelblackiertes, schnittiges Flußboot. Er griff zum Paddel und stieß das Fahrzeug in die starke Strömung. Am Ufer entstand Bewegung. Doch ehe der Bürgermeister auf den Beinen stand, ehe die beiden Soldaten im schmutzigen Khaki begriffen hatten, was geschehen, war das Flußboot mit Südkurs in der reißenden Strömung zwischen unzähligen winzigen Inselchen verschwunden. Die Arawak-Indianer aber blieben in Barcelos. Das war zwar von vornherein geplant gewesen. Doch anders hatte man sich den Abschied von den treuen Helfern bestimmt gedacht. Die „Serra das Oncas" - so stand es am Bug des Bootes - trieb in rascher Fahrt nach Süden. Sie trieb dorthin zurück, woher Kay und Belo vor kaum einer Stunde gekommen: Nach Curituba, nach Ayrao und Manaos! „Wir müssen ans Ufer, Kay. Diese Fahrt flußab ist reiner Wahnsinn. Der bestochene und zweifellos mit den Agenten der ,Union Rubber' in Verbindung stehende Bürgermeister wird uns verfolgen, er wird die Flußsiedlungen alarmieren, und wo wir hinkommen, da gehen wir nur erneut in die Falle." Der für Minuten aufgeflackerte Eifer Kays war erneuter Resignation gewichen. Das Fieber schüttelte ihn, und seine Augen blickten glasig. „Und wohin, Belo? Wohin sollen wir?" 21
Belliades kämpfte gegen den peinigenden Kopfschmerz. Seine Augen richteten sich schon seit einer ganzen Weile auf eine Rauchspur, sehr fein und kaum wahrnehmbar. „Dorthin zum Beispiel." Er wies zum Ufer. „Dorthin!" Müde folgte Kay seinem Blick. „Und wenn es Caripunas sind, Blasrohrindianer? " „Dann werden wir erleben, daß es um vieles einfacher ist, mit ihnen eine Verständigung herbeizuführen, als mit solchen Aasgeiern, wie diesem Bürgermeister von Barcelos." Seine Worte klangen grimmig, und er ballte die Fäuste. Plötzlich ließ er das Ruder sinken: „Kay, warum haben wir aber auch alle unsere eigenen Erfahrungen, warum haben wir Aiguirres Warnungen so leichthin in den Wind geschlagen?" Kay Nortons Augen blickten trübe. „Steuere zum Ufer hinüber, Belo", sagte er. „Zu den Caripunas?" Norton nickte stumm. Das Boot lief kratzend auf den weißen Sand. In einiger Entfernung gewahrte man ein schwelendes Feuer. Es mußte erst vor kurzer Zeit Holz auf gelegt worden sein. Der Platz ringsum jedoch war leer, augenscheinlich verlassen. „Bleib im Boot, Kay", sagte der Grieche. „Ich will sehen, ob hier noch irgendwo ein lebendes Wesen ist." Er steckte das Buschmesser in den Gürtel und nahm die Pistole in die Rechte. Der Ufersaum war schmal, kaum zehn Meter im Geviert. Dahinter I drohte der Dschungel, dunkelgrün und abweisend. Vorsichtig ging Belo auf das Feuer zu, jeden Augenblick bereit, sich zur Wehr zu setzen, sollten die Indianer irgendwo aus dem Dschungel brechen. Er war nun bis auf einen Meter an das schwelende Feuer heran. Da schien plötzlich die Luft zu vibrieren. Ein feiner singender Ton klang auf. Belo wandte sich um. Er sah nichts. Und doch! Wieder summte es, als umschwirrten ihn Moskitos. Und diesmal sah er auch etwas. Kaum einen Meter rechts und links von ihm schwankten gertenschlanke Pfeile mit bunten Federn im weichen Grund der Uferniederung. Der Grieche blickte erschrocken auf. Fünf, sechs - nun schon zehn schwarze Männer standen im Halbkreis an der drohenden Dschungelwand. Sie hielten ihre Blasrohre in der Hand - und Pfeile, gefiederte Pfeile! Der einzige Laut, der ertönte, war ein Aufschrei Kays, Er richtete sich mühsam im Boot auf und zog den Revolver. „Bist du wahnsinnig?" rief Belo ihm zu. 22
Die Blicke der schwarzen Männer gingen von einem zum anderen. Sie hatten nach dem Brauch ihres Stammes die Warnschüsse abgegeben. Nun lag es an den Besuchern, sich zu erklären. Belliades entsann sich eines Gesprächs, das er vor Jahren mit Arua-Indianern gehabt hatte, und er handelte danach. Seine Pistole fiel zur Erde, und dann auch das Messer, das scharfe, geschliffene Buschmesser. Bewegung kam in die wie erstarrt dastehenden Caripunas. Langsam, unhörbar auf dem weißen Sand des Ufers, kamen sie näher. Die Gesichtsätzungen leuchteten in der Sonne, der Knochenschmuck in Ohren und Lippen stach vom Dunkel der Haut ab, und das dichte, blauschwarze Haar umgab die runden Köpfe wie eine härene Kappe. Da ließ auch Kay Norton die Pistole fallen. Todmüde und vom Fieber verzehrt sank er ins Boot. Die Caripunas - es waren nur zehn Späher des Uferstammes hatten sich wieder rund um das Feuer niedergelassen. Sie waren verhältnismäßig klein, geschmeidig, durchweg wohl Angehörige der jungen Mannschaft. Man briet Piraracus, und als auch Kay taumelnd an Land kam, näherte sich ihm einer der dunklen Männer, öffnete seinen Lederbeutel und entnahm ihm mehrere zentimetergroße giftgrüne Kugeln. Seine Gesten ließen keinen Zweifel: Kay sollte die Kugeln essen. „Los, Mensch! Zier dich nicht", sagte Belo. Und Kay aß! Die Pillen schmeckten fürchterlich. Sie waren gallenbitter. Aber schon nach knapp einer Stunde wich das Fieber, verschwand der Kopfschmerz. Kay vermochte nun zu essen. Die Caripunas, von denen sensationslüsterne Reporter, ausbeuterische Händler und ihre Hintermänner sagten, sie töten die Reisenden, wo sie ihrer habhaft werden, die gleichen Caripunas brachten heran, was nur immer den beiden Männern nutzen mochte: Blätterauflagen, gestampfte Rinde und Baumharz. Dies alles war in seiner Selbstverständlichkeit, nun, da die Fremden ihre friedlichen Absichten dokumentiert hatten, so rührend, daß Kay und Belo bedauerten, den Caripunas nichts oder fast gar nichts als Gegenleistung geben zu können. Nur eines der Buschmesser, das feingeschliffene, fast neue Buschmesser aus Manaos, legte Belo zu Füßen der braunen Burschen. Man saß um das abendliche Feuer, und niemals, seit Wochen nicht, hatten sich Kay und Belo so sicher, so geschützt gefühlt wie in Gesellschaft der Späher des Caripuna-Stammes. Der Grieche erwachte um Mitternacht. Am lodernden Feuer saßen die Wachen der Caripunas. Sie schnitzten Pfeile, und ihre geschickten 23
Finger befestigten an den Enden die bunten Federn des Aras, des Kolibris und des Blaufinken. Belo wandte den Kopf. Der Gefährte starrte in die lodernden Holzscheite. „Wie fühlst du dich, Kay?" „Es ist alles gut. Ich bin wie neugeboren." „Und nun?" „Wir haben keine Wahl." Der Grieche stützte sich auf den Ellenbogen. Er sah in das hagere Gesicht Kays. Die Augen des Freundes blickten trotziger denn je. In ihnen war nichts mehr zu finden von Leichtsinn und Gutgläubigkeit. „Morgen früh, Belo", und wenn Belliades diese Augen nicht gesehen hätte, diese klaren Augen - er hätte geglaubt, Kay spräche im Fieber, „morgen früh brechen wir auf! Melgaco und Postel werden die Landeplätze zu den Hevea-Wäldern nicht erreichen, hörst du? Niemals!" Die Worte waren wie ein Schwur und schienen weiterzuhallen im Dunkel des Dschungels. Das Wettrennen der „Serra das Oncas" mit Melgacos und Posteis Fahrzeug begann im ersten Morgengrauen des folgenden Tages, genau achtundvierzig Stunden nach dem Aufbruch der beiden Gauner von der Sandbank im Rio Negro. Kay Norton hatte sich einigermaßen erholt, und Belo war sogar wieder in bester körperlicher Verfassung. Die Späher der Caripunas mit ihren Blasrohren und den gefiederten Pfeilen standen am Ufer. Einer von ihnen hatte sich sogar bereit erklärt, die Freunde durch die Stromschnellen von Veixeira zu schleusen. Er wollte dann mit einem ausgehöhlten Kanu, wie es die Flußindianer innerhalb weniger Stunden herstellten, zu seinem Stamm zurückkehren. Die Zurückbleibenden schwangen freudig die Waffen, und ihr Rufen klang wie melodiöser Gesang. „Das also waren die Caripunas^', sagte Belo und wischte sich über den Mund. „Die Caripunas, diese gefürchteten Kopfjäger." Es klang sehr ironisch, als der Grieche das sagte. Kay Norton aber lachte böse auf. „Um wieviel besser wäre es in der Welt bestellt, wenn es statt der Herren Warner, Morgan und Dupont ein paar Caripunas mehr gäbe." Die Fahrt auf dem Rio Negro wurde von Stunde zu Stunde mehr zu einer wilden Jagd. Kay Norton schonte nun weder sich noch den Freund, und der Caripuna entpuppte sich schon bald nach dem Start als überaus wertvoller Helfer. Gegen Mittag kam der Banzeira auf, jener lästige Nordwind, der die Amazonaszuflüsse besonders Anfang September hinunterzufegen 24
pflegt. Die Fahrt wurde langsamer, denn das überdachte Heck des Bootes bot dem Winde Widerstand und drosselte die Geschwindigkeit. Nach der Rast auf einer versumpften Niederung, über der die Moskitoschwärme wie Nebelschwaden lagen, riß Norton kurz entschlossen das Dach über dem Heck des Bootes herunter. Das war zweifellos ein Wagnis; doch egal. Geschwindigkeit allein konnte das Vorhaben Nortons retten. Gegen Abend schoß Belliades einen Auerhahn. Man machte kurze Rast, aß etwas und setzte die Fahrt wieder fort. Silbrig lag der Mondschein über dem Fluß. Die zerrissenen Schatten de*r Urwaldriesen spiegelten sich unwirklich im seichten Wasser. In ungezählten Scharen schwangen sich Nachtvögel über den Fluß, um mit kläglichen Rufen, wie erschrocken über den eigenen Mut, zur dunklen Wand der Rio-Negro-Wälder zurückzufliegen. Norton und Belliades wechselten von Zeit zu Zeit im Schlag ab. Der Caripuna dagegen wuchtete das Paddel ohne Pause in das quecksilbrige Wasser. Wo er nur die Kraft dazu hernahm? Der Banzeira hatte zu wehen aufgehört, und das Boot schoß dahin wie ein Rennkanu. Kay Norton war zufrieden. Kein Muskel zuckte in seinem Asketengesicht. „Sie werden uns suchen, irgendwo im Süden, die Häscher des sauberen Bürgermeisters von Barcelos. Hier, am Ostufer des Rio Negro, vor der Ilha Mapore, vermutet uns bestimmt niemand." Er lachte wie über einen gelungenen Streich. Gegen Morgen rasteten die drei Männer eine gute Stunde. Noch blies der Banzeira nicht. Man mußte die Zeit nutzen, mochte die Schwäche den Willen auch zu übermannen drohen. Auf der Sandbank fanden sich Jaguarspuren, und auch eine Eidechse schien kurz vorher zur Tränke gewesen zu sein. Ganze Schwärme gelbgrüner Sittiche wechselten über den schmalen Urwaldweg, und in den Uferbäumen vollführte eine Herde grauer Wollaffen tolle Kunststückchen. Ab und zu begegneten dem Boot schmale, kurze Kanus, in denen Curenao-Indianer saßen. Sie trugen das dichte Haar hoch über der Stirn rasiert und muteten mit ihren tätowierten braunen Gesichtern wie Masken in den Vitrinen eines Völkerkundemuseums an. Heute kam der Banzeira erst gegen Mittag auf. Doch bis dahin hatte das Boot mehr Fahrt gemacht, als das Fahrzeug Melgacos und Posteis am ganzen vorherigen Tag. Am dritten Tag des Unternehmens bekam Kay Norton wieder Fieber. Er schluckte Unmengen Chinin und hielt sich mühsam aufrecht. 25
Die Spannkraft des Caripuna begann nun auch nachzulassen. Er hatte gegeben, was er konnte. Kay Norton wehrte sich, so gut es ging. Dann aber zwang ihn das Fieber nieder. Gegen elf Uhr vormittags legte man an einer Sandbank an. Um zwölf kam wieder der Banzeira auf und wehte den ganzen Tag. So konnte man wenigstens hoffen, daß auch Melgaco und Postel die erzwungene Pause nicht zu nutzen vermochten. Belo besserte das Boot aus, und der Indio flpcht neue Ruder. Er war unermüdlich, und alles, was er tat, hatte Hand und Fuß. In der Nacht - es war windstill geworden, und das breite Bahd des Rio Negro lag friedlich in der lauen Dunkelheit - trugen Belo und der Caripuna den fiebernden Kay ins Boot und ruderten ohne Unterbrechung sechs Stunden. Norton aber schlief im sanften Wiegen des Bootes. Er schlief sich gesund. Die Gruppe erreichte die Stromschnellen von Santa Ana am Nachmittag des vierten Tages. Kay Norton war wieder einigermaßen im Stande, und so konnte er mithelfen, das Fahrzeug nebst allem Gerät etwa anderthalb Kilometer durch seichtes Wasser, Sumpf und Uferdschungel zu tragen, denn an ein Weiterkommen über das Gefälle war flußauf in der einzigen fahrbaren Rinne zwischen riesigen Felsblöcken nicht zu denken. Am Abend des fünften Tages lagerten Kay und seine beiden Gefährten nach einer Rekordfahrt nur noch etwa vierzehn Kilometer südlich Joami, der einzigen Siedlung in diesem Gebiet. Doch sie würden in Joami nicht anlegen. Zwar war nicht zu erwarten, daß man in Barcelos ihre Verfolgung Melgacos und Posteis für denkbar hielt. Immerhin war es besser, auch mit dieser Möglichkeit zu rechnen und nichts Unnötiges zu riskieren. Die drei schliefen in dieser Nacht ohne Wachen. Es war Leichtsinn, aber in Anbetracht ihrer lähmenden Müdigkeit verständlich. Als Kay, Belo und der Caripuna am Morgen ihr Flußboot beluden, machte - fast zur gleichen Zeit - am hölzernen Landesteg von Joami nach zwölfstündigem Aufenthalt ein schlankes Boot los. Es trug zwei mittelgroße weiße Männer und einen sehnigen Caraja-Indianer. Die Besatzung war gut ausgeruht und kam schnell von der Stelle. Hätte die Müdigkeit nicht am Abend vorher die Mannschaft der verfolgenden „Serra das Oncas" übermannt - Norton und Belliades hätten das von ihnen gejagte Wild auf der Höhe von Joami überrascht, und alles wäre anders gekommen. 26
Es war kurz vor zehn, als die „Serra das Oncas" in angemessener Entfernung Joami passierte. Eine Anzahl niedriger, mehr als bescheidener Hütten mit Veranden, auf denen sich das eigentliche Leben der Waldgänger- und Flußindiofamilien abspielte, gruppierte sich um das Wellblechhaus der Urwaldkneipe. Den ganzen Tag über jagte die „Serra das Oncas" hinter Melgaco und Postel her. Die drei Männer ruderten fast ohne Pause. Kay Nortons Überlegungen gingen dahin, daß Melgaco und Postel sich nun Zeit lassen würden. Zweifellos fühlten die beiden Gauner sich ziemlich sicher und rechneten wohl kaum noch mit einer Verfolgung, nachdem sie in Barcelos so willfährige und mächtige Unterstützung gefunden hatten. Was sollten Norton und Belliades auch schon tun, ohne ein gutes Boot, ohne Geld und Papiere? Wenn sie der Bürgermeister von Barcelos nicht gar sofort hinter Schloß und Riegel gesetzt hatte. Doch, weiß der Kuckuck, obwohl sich weder Kay noch Belo glaubten entsinnen zu können, jemals vorher so gute Fahrt gemacht zu haben wie heute - das Boot Melgacos und Posteis tauchte noch immer nicht auf. Einmal hob Norton die Flinte, um in einen Knäuel Alligatoren hineinzuhalten. Belo aber rief ihn zur Ordnung. Man durfte sich keinesfalls verraten. Durch nichts! Die Sonne sank blutrot und hinter einem dichten Schleier hernieder. Das dunkle Grün des Dschungels schien drohender noch als sonst. Ein Tapir flüchtete aus dem Uferschlamm, und als das Boot eine Sandbank ansteuerte, verschwanden zwei Riesenkröten im morastigen Gesträuch. Letzte Schmetterlinge spielten um eine violette Schmarotzerblüte, und ganz nahe klang der feine, silberhelle Flügelschlag eines grellbunten Kolibris. Die Nerven noch immer gespannt, schlugen Belo und Kay das Lager auf. Von den nahen Bäumen verfolgten widerlich fette Geier ihre Tätigkeit. Die Vögel schnäbelten mit unsäglicher Geduld in ihrem struppigen Gefieder und saßen auch noch auf den Ästen, als die Nacht hereinbrach . Milchigweiß lag der Nebel über dem Fluß, als Norton und Belliades am nächsten Morgen aufbrachen. Ihre Nerven waren angespannter noch als an allen Tagen zuvor. Die Augen suchten das fahle Halbdunkel zu durchdringen. Nach halbstündiger Fahrt dröhnte schon von Ferne das brodelnde Rauschen der Stromschnellen von Veixeira herüber. Bis hierher hatte der Caripuna sie begleiten wollen. 27
Vorsichtig steuerte die „Serra das Oncas" an die Fälle heran. Sie schienen nicht allzu gefährlich, und der Indio bestand darauf, das Boot mit dem Schleppseil über die Steine zu heben. Man hatte etwa vier Fünftel des mindestens zweihundert Meter langen Gefälles bewältigt, als plötzlich das Schleppseil riß. Alle drei wurden von der Strömung gepackt. Kay und Belo bekamen gerade noch rechtzeitig das Kantengeflecht des Bootes zu fassen und wurden ans Ufer geworfen. Den Caripuna aber hatte der Sog ergriffen. Vorwärtsgestoßen von den wütenden Schaumwellen wurde der geschundene Körper mehr als hundert Meter über die Felsen gespült, um dann, längst leblos, im Gischt der Strömung zu verschwinden; Hilfe war nicht möglich. Der Caripuna, Nortons und Belliades treuer Freund, war nicht mehr, und sie hatten ihm nicht einmal helfen können, der diese Fahrt erst möglich gemacht. Der unermüdliche Begleiter hatte seine Hilfsbereitschaft mit dem Leben bezahlt. Auf den Uferbäumen saßen wieder die Geier und steckten ihre nackten 'Hälse in das zottige, schmutzige Federkleid. Die Späher aber, jene braunen Männer am Strand südlich von Barcelos würden warten. Zur körperlichen Schwäche und Nervosität war Niedergeschlagenheit getreten. Weder Norton noch Belliades sprachen. Ihre Gesichter waren grau, und auf den Wangen zeigten sich hektische Flecken. Da, im Augenblick völliger Resignation, sichtete Belo die Reste eines Feuers. Es glimmte auf der schmalen Zunge einer langgestreckten Sandbank. Norton steuerte in den Schutz des Uferdickichts und hielt Ausschau. Ganz - vorsichtig näherte man sich. Wasservögel schrien erschreckt auf und stoben davon. Dann hörte man wieder das Gleiten eines Alligators. Nichts war zu sehen. Als die doppelmannshohen Schilfwälle plötzlich schütterer wurden, bot sich Kay und Belo ein überraschendes Bild. Da saß der Caraja und zimmerte mit dem Buschmesser schmale Bretter, augenscheinlich zum Ausbessern des Bootes. Melgaco und Postel selbst hantierten mit zwei großen, braunen Decken, die zur Ausrüstung Nortons und Belliades' gehört hatten. Die Stunde der Abrechnung war da. Lautlos und langsam wühlte sich die „Serra das Oncas" ins Ufergras, und lautlos gingen Norton und Belliades an Land. Sie waren jetzt außergewöhnlich beherrscht und ließen kaum Anzeichen von Nervosität erkennen. Belliades trat als erster aus dem Schilf - dann auch Kay Norton. Fest und sicher schritten sie nun auf die drei Männer am Strande zu. Da schrie der Caraja auf, und fast gleichzeitig hoben Melgaco und 2,'J>
Postel den Kopf. Sie schienen zu erstarren. Ihre Leiber richteten sich auf. Die Finger tasteten nach den Gesäßtaschen. „Hände unten lassen!" rief der Grieche, und die beiden gehorchten. Urplötzlich aber griff Pedro Melgaco dennoch nach hinten, und zugleich peitschten zwei Schüsse durch die Luft. Doch da hatte auch Belo reagiert. Viermal noch warf der Saum des Waldes das Echo der Feuerstöße zurück. Der Caraja rannte zum Boot. Er hatte die Decken und alles andere liegengelassen, stieß in tödlicher Angst von der Sandbank ab und ließ das Boot treiben, wie vor Tagen Norton und Belliades bei ihrer Flucht vom Strande von Barcelos. Im pulverigweißen Sand lagen leblos zwei Männer: Kay Norton und Pedro Melgaco. Zwei andere aber fochten einen mörderischen Kampf. Belo Belliades - zweimal von Melgaco getroffen, bevor er ihn niederstreckte - rang mit Jan Postel, der zwar gewiß nicht stärker als der Grieche war, dafür aber weit ausgeruhter. Hartnäckig rangen sie. Der Grieche schrie auf in wilder Wut. Sein bärenstarker Körper bäumte sich. Dann hieb er Jan Postel mit fürchterlichem Schlag nieder und warf sich erneut auf ihn. Irgendwie jedoch war Postel wieder an die Pistole gekommen. Belliades entwand sie ihm, packte seinen Gegner an der Kehle und drückte ihn im Sande fest. Mit ganzem Gewicht kniete er jetzt auf Jan Posteis Körper. Die Rechte hob die Waffe und zielte sorgfältig. Jan Posteis Augen waren schreckhaft geweitet. Das Echo hallte zum letztenmal vom anderen Ufer zurück. Belo Belliades aber kümmerte sich nicht mehr um Melgaco und Postel. Er kniete neben dem toten Gefährten, und seine Hand strich über Kay Nortons noch immer schwitzige Stirn. Der Grieche bestattete seinen Freund auf einer Anhöhe, kaum zwanzig Meter landeinwärts. Während der Regenzeit, wenn der Rio Negro die Wälder auf Hunderte von Kilometern versumpfte, würde er womöglich auch den Hügel fortspülen und mit ihm den Schildkrötenpanzer, den Belo als Kennzeichen daraufgelegt hatte. Belliades bahnte sich seinen Weg zu der noch immer im Schilf schaukelnden „Serra das Oncas". Dort lag Kay Nortons Schlafsack, lagen seine zwei Decken und die rostige Vogelflinte. Alles war noch wie vorher. Und doch so ganz anders. Unsägliche Trauer, tiefe Verlassenheit überkamen ihn. Er setzte sich ins Boot und weinte. Zum erstenmal wieder seit seiner Kindheit. Dann aber ging es wie ein einziger Ruck durch seinen Körper. Er durfte ja nicht sitzen bleiben. Keinen Augenblick. Die Wunden, an sich gewiß nicht bedenklich, wurden hier, ohne ärztlichen Beistand, 29
zum Problem. Er blutete noch immer, und jeder verlorene Blutstropfen schwächte ihn. Dazu diese Einsamkeit, diese quälende, tödliche Einsamkeit. Ohne sich länger zu besinnen, stieß Belo vom Ufer ab. Nur fort von hier! Fort von der Nähe •fter Hevea-Wälder, die schon einmal, beim ersten Run zu den Kautschukbäumen, Tausenden und aber Tausenden von Menschen das Leben gekostet hatten. Zur höheren Ehre der „Union Rubber", zum Nutzen und Frommen ihrer Aktionäre! Die „Serra das Oncas" trieb den Rio Negro hinab. An ihrem Steuer saß ein Mann mit starrem Gesicht. Ein Mann, der nicht mehr nach rechts noch nach links blickte. Ein Mann, der mit zugekniffenen Lidern auf die Fahrrinne starrte und die Fäuste ballte. Er mußte es schaffen, mußte Manaos erreichen. Trotz Wunden, trotz Stromschnellen, trotz der drohenden feindlichen Wälder - und ohne eine menschliche Hilfe! Die Hände des Griechen tasteten nach der Brusttasche. Dort hatte er nun wenigstens wieder den Umschlag mit den Ausweisen und Aufzeichnungen. Dort hatte er aber auch die Papiere der beiden Gauner und die Unterlagen ihrer Absprachen mit Mister Warner in Parä. Er mußte diese Wische bis nach Manaos bringen, wenn möglich bis zu Aiguirre. Er hatte das Material in Händen, die schmutzigen Machenschaften der Gummi-Hyänen zu entlarven. Er konnte, er durfte jetzt nicht schlappmachen! Der Banzeira blies steif und pausenlos von Norden her. Belliades richtete den Behelfsmast auf und spannte die Persenning. Der Wind faßte das Boot und trug es in rasender Fahrt den Rio Negro hinab. Vorwärts - nur vorwärts! Vorbei an Barcelos, vorbei an Curituba, an Paraiso und Ayrao, wo ihn, Belo, sicher nichts anderes erwartete, als Mißtrauen, Feindschaft und Gefahr. Vorwärts nach Manaos, nach Prainha und zu Aiguirre! Nach achttägiger wahnwitziger Fahrt im leckgeschlagenen Boot, die Schulter vereitert, von Schmerzen gequält, erreichte Belo Belliades die Anlegestelle in Manaos. Er wankte in dem Orte umher, bis er einen Kapitän fand, der ihn auf seiner Barkasse mitnahm nach Prainha, zu Aiguirre. Die Botschaft vom Schicksal Belos und Kays im Dschungel des Rio Negro jagte den Großen Strom entlang. Sie brauchte keine Telegraphen, keine Sendestationen. Sie reiste mit den Dampfbooten, den Barkassen und Raddampfern, den indianischen Booten. Sie ging von 30
• Mund zu Mund. In den Sprachen der Schiffer und in den Dialekten der Uferstämme. Am 16. Oktober wurde Belo Belliades - er war gerade erst einigermaßen wiederhergestellt - im Hause Aiguirres, des Vorsitzenden der Amazonasschiffergewerkschaft, unter dem Verdacht des Mordes an zwei „ehrbaren Waldgängern", Pedro Melgaco und Jan Postel, verhaftet. Der Apparat der „Demokratie" begann zu spielen. Von Washington nach Rio. Von Rio nach Parä. Und von dort weiter den Strom hinauf. Pedro Melgaco und Jan Postel - „zwei ehrbare Waldgänger"! - So wollten es die Zeitungen wissen. Kein Wort aber von Kay Norton, über dessen Dschungelgrab längst die Feuerameisen hasteten. Am 17. Oktober rief Aiguirre die Männer am Strom zur Befreiung Belos auf, und am gleichen Nachmittag noch streikten die Schiffer und Verladearbeiter von Santarem, von Freixal, Prainha und Manaos. Die Ladungen der Dampfbarkassen blieben ungelöscht oder verdarben an den Verladerampen. Am 18. Oktober zogen die Werktätigen protestierend durch die Straßen Paräs. In Caridade erhob Aiguirre erneut anklagend seine Stimme. „Freiheit für Belo Belliades", forderte er. „Freiheit für einen Mann, der mundtot gemacht werden soll, um die Blutschuld, die Intrigen und Verbrechen eines führenden USA-Konzerns unter dem Schutz der staatlichen Justiz zu sanktionieren." Zum erstenmal brodelte es am Großen Strom. Spontan noch, gefühlsmäßig vieles und unorganisiert. Die Menschen aber meldeten ihren Anspruch an. Sie begannen sich den Weg zu bahnen! Weiße, Neger, Indianer, Mischlinge aller Schattierungen. Am 20. Oktober mußte die Justiz Belo Belliades unter dem Druck dieser drohenden Masse freilassen. Kay Norton hatte seine Vertrauensseligkeit und politische Unerfahrenheit mit dem Leben bezahlt. Sein Tod aber und der tapfere Kampf des Amazonasschiffers Belo Belliades waren zum Fanal geworden. Zum ersten leuchtenden Fanal des revolutionären Kampfes am Großen Strom.
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Alle R e c h t e v o r b e h a l t e n Copyright 1953 by Verlag N e u e s Leben Lizenz Nr. 303 • Gen.-Nr. 305/67/53 U m s c h l a g z e i e h n u n g : Heinz R a m m e l t , B e r n b u r g Gestaltung u n d T y p o g r a p h i e : Kollektiv N e u e s L e b e n D r u c k : K a r l - M a r x - W e r k , P ö ß n e c k , V 15/30
Gierig versucht die japanische Fischereigesellschaft „Mizukoshi"sich durch Fischfangkonzessionen auch zukünftig auf Kamtschatka festzusetzen. Durch Überfälle, Intrigen, ja Mord soll das erfolgreiche, friedliche Schaffen der sowjetischen Arbeiter, Fischer und Studenten des Seetechnikums gestört werden. Eine Goldsuchaktion sowie die Ausbildung der Amazone Seyd sind einige Episoden aus dem Buch, das die Eigenart der Naturstämme des Fernen Ostens, aber auch die Härte des politischen Kampfes Ende der zwanziger Jahre schildert.
Begegnungen mit massigen Sauriern, fliegenden Raubechsen, mit Menschen der Vorzeit. Atemraubende Kämpfe mit menschen grollen Ameisen und urzeitlichen Meeresungeheuern. Wer Mut hat, ist willkommen. Hasenfüile bleiben besser zu Hause.