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G.F. UNGER Ein Begriff für Westen- Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller Deutschlands. BASTEI-LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen Taschenbuch- Bestseller.
Gold Creek Canyon Dan Saturday ist ein Revolvermann von der guten Sorte, die der Wilde Westen in seiner rauchigen Zeit so notwendig brauchte. Und es ist bezeichnend für ihn, dass er vor einem ruhmsüchtigen Burschen davonreitet, der ganz verrückt nach einem Duell mit ihm ist. Dan kämpft nicht ohne Grund, denn er weiß, dass ihm keiner dieser Wild Bills gewachsen ist. Doch gerade weil er davonreitet, gerät er in ein höllisches Abenteuer. Er findet den ersten Nugget im Gold Creek Canyon und steckt für sich und seine Freunde Claims ab. Das Schicksal will es dass er dabei beobachtet wird und in eine mächtige Pechsträhne gerät. Die aber endet erst, nachdem er sich halb tot zu seinen Freunden durchschlägt und mit ihnen gemeinsam den Kampf gegen die Claimräuber aufnimmt …
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 43 376 1. Auflage: März 2002 Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe All rights reserved © 2002 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Ballestar / Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Heinrich Fanslau, EDV & Kommunikation, Düsseldorf Druck und Verarbeitung: AIT, Trondheim AS, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-43376-9 Sie finden uns im Internet unter http://www.bastei.de oder http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Ein Western – das ist eine Urtümlichkeit. Gerade in seiner Einfachheit und Schlichtheit spricht er alle Urelemente des menschlichen Daseins an. Er zeigt die Reinen und die Sündigen und predigt doch keine aufdringliche Botschaft. Ein Western ist Ehrlichkeit. Direkt und ungeschminkt nennt er die Dinge beim Namen. Und wenn es auch nur eine einfache Geschichte ist, sollte man sie doch mit der Kraft eines Homer erzählen können. G. F. Unger
1 Auch an diesem Tag ist Dan Saturday bis zum Einbruch der Dunkelheit geritten – immer tiefer in das gewaltige Bergland hinein, einsam und mit zwiespältigen Gefühlen. Sein Campfeuer brennt in einer schmalen Hügelfalte. Bäume und Büsche sind vorhanden, und ein kleiner Bach kommt aus einer Felsspalte. Der Ort ist prächtig für ein einsames Camp. Dan Saturday hat soeben seine Abendmahlzeit beendet. Er bleibt noch eine Weile am Feuer hocken, starrt in die Glut und raucht. Hinter ihm bewegen sich seine beiden Pferde, die angepflockt sind, aber genügend Bewegungsfreiheit haben, um an Gräsern und Büschen rupfen zu können. Neben Dan Saturday liegt sein Sattel. Es ist ein prächtiger Sattel, mit Silber beschlagen und reich verziert. Am Sattel lehnt ein Winchestergewehr – es ist das allerneueste Modell. Seinen Waffengurt hat Dan Saturday abgeschnallt. Es ist ein Kreuzgurt, in dem zwei Colts stecken. Doch eine der beiden Waffen hat er aus dem Holster genommen und in den Hosenbund geschoben. Ein Mann, der einsam reitet, einsam ein Camp aufschlägt und alle Waffen ständig in Reichweite hat.
Die Flammen lassen sein schmales, kantiges und verschlossenes Gesicht noch härter erscheinen – es wirkt wie eine bronzefarbene Maske. Nur die Augen leben. Im Feuerschein leuchten sie grünlich. Das ist seltsam, denn bei Tageslicht haben sie die Farbe von stumpfem Kugelblei. Er wirft die Zigarette ins Feuer und erhebt sich mit müheloser Geschmeidigkeit aus dem Indianersitz. Seine hohe Gestalt wächst am Feuer empor und wirft einen langen Schatten hinter sich. Er wendet den schmalen Kopf und lauscht in die Nacht. Irgendwo heulen Coyoten im Chor. Noch weiter weg ertönt der wilde Ruf eines jagenden Bergwolfes. Unter den Büschen am Bach tanzen funkelnde Leuchtkäfer. Die Pferde rupfen am Gras und an den Büschen. Es sind die vertrauten Geräusche eines einsamen Camps. Dan Saturday bückt sich schnell und nimmt das Geschirr auf. Damit geht er zum murmelnden Bach und wäscht es aus. Als er an das Feuer zurückkommt, nimmt er sein Deckenbündel und bringt es außerhalb des Feuerscheines in die Büsche. Dann holt er sich Sattel und Gewehr und kehrt zu seinem Schlafplatz zurück. Er lässt sich nieder, zieht die Stiefel von den Füßen und dreht sich die letzte Zigarette. Seine Augen leuchten
immer noch, denn er starrt rauchend zum Feuer hinüber und hat dabei bittere Gedanken. Plötzlich murmelt er: »Nein, es ist keine Feigheit – ich will keine Revolverkämpfe mehr. Das ist es! Ich bin es leid, immer wieder Männern zu begegnen, die sich einen Namen machen wollen. Ich bin es mächtig leid, immer wieder auf diese Narren schießen zu müssen, die mich vor ihre Colts fordern. Deshalb bin ich davongeritten, nicht aus Angst vor Bruce Shadwick, der seinen närrischen Bruder rächen möchte. Ich bin dieses rauchige Leben leid. Nun, diese Einsamkeit hier wird gut für mich sein. Ich werde Wildpferde fangen und mir einen Bart wachsen lassen. Und wenn ich nach Wochen in eine neue Stadt reite, so werde ich einen meiner Colts ablegen. Mit Bart und nur einem Colt wird kein Mensch in mir den Revolvermann Dan Saturday erkennen. Ich will meinem Leben einen vernünftigen Sinn geben. Ich habe die Stelle erreicht, wo sich der Weg eines Mannes gabelt. Ich will nicht auf dem falschen und höllischen Wege reiten.« Er murmelt die Worte fast unhörbar vor sich hin. Es ist, als gäbe er sich ein festes Versprechen. Plötzlich spürt er die Glut der Zigarette zwischen seinen Fingern. Er hatte sie ganz vergessen, und sie ist abgebrannt, ohne zu verlöschen.
Er wirft sie weg, legt sich auf den Rücken, schlägt die Decke um seinen Körper und liegt still. Ruhig sieht er zu den Sternen hinauf, die über ihm durch die Büsche funkeln und fragt sich, ob das Schicksal eines Mannes wirklich von den Gestirnen abhängig ist. Plötzlich erklingt ein heiserer Ruf aus der Nacht. »Feuer! He, Feuer!«, ruft jemand. Dan Saturday richtet sich auf, nimmt das Gewehr und gleitet davon. Ein einzelner Reiter nähert sich dem Feuer und verhält an der Grenze des Lichtscheines. »He, Feuer! Ich bin allein! Darf ich kommen?«, ruft der Reiter wieder mit heiserer und etwas gepresster Stimme. Der Mann sitzt merkwürdig schief im Sattel. Dan Saturday ruft ihm von der Seite her zu: »In Ordnung! Reiten Sie zum Feuer, und steigen Sie dort ab!« Der Fremde zögert einen kurzen Moment und wendet dabei den Kopf, um in Richtung der Stimme nach Dan zu spähen. Dann reitet er zum Feuer und rutscht vorsichtig aus dem Sattel. Er benutzt dabei nicht seinen linken Arm, der lang herabhängt. Er bleibt ruhig stehen und wartet. Dan Saturday geht um ihn herum und sieht ihm ins Gesicht.
Der Fremde ist lang, schmal, sehnig und blond. Dan Saturday ist zufrieden. Er weiß, dass Bruce Shadwick, der vielleicht auf seiner Fährte sein könnte, dunkelhaarig ist und sehr muskulös gebaut sein soll. Sie sehen sich in die Augen. Der Fremde hat schmale und wasserhelle Augen, in denen sich das rote Licht des Feuers spiegelt. Es sind harte Augen. Dan Saturday kennt sich aus. Er ist unter rauen und harten Männern aufgewachsen, ist mit ihnen geritten und hat viele Kämpfe, die unvermeidlich waren, überstanden. Er kennt sich aus mit Männern. Auch diesen Fremden schätzt er richtig ein. Ein zweibeiniger Wolf, denkt er, der irgendwie von seinem Rudel abgekommen ist – oder ein neues Rudel sucht. Kein einsamer Wolf, aber unverkennbar einer von der rauen Sorte. »All right«, sagt er. »Ich habe schon gegessen. Sie können mein Feuer benutzen. Haben Sie Proviant?« »Ich reite schon über eine Woche«, erwidert der Fremde gepresst. »Nicht mal ‘ne Krume Tabak ist in meiner Tasche.« Dan Saturday nickt. So hat er sich das gedacht. Er deutet auf das Bündel neben dem Feuer. »Da! Ich reite mit einem Packpferd. Bedienen Sie sich.« »Danke!«
Der Fremde sieht ihn dabei aufmerksam an. Es ist ein abschätzender Blick. »Mein Pferd trat heute gegen Mittag fast auf eine Klapperschlange und warf mich ab«, murmelt er dann. »Ich habe mir den linken Arm ausgekugelt. Deshalb kam ich an Ihr Feuer. Dass ich zu einer Mahlzeit komme, ist mehr, als ich erwartet habe. Das Land hier ist verdammt einsam. Vielleicht können Sie mir meinen Arm wieder einrenken?« Dan Saturday sieht auf den tief an der linken Seite hängenden Colt des Fremden. Der Mann ist Linkshänder. »Schlimm für Sie«, sagt Dan. »Was wurde aus der Schlange?« »Oh, ich bekam sie gut zu packen und zerstieß ihren Kopf an einem Stein.« Der Fremde hebt dabei seine Rechte und macht eine kurze Bewegung. Dan nickt. Er lässt das Gewehr zu Boden gleiten und tritt an den Mann heran. Sie sind beide von gleicher Größe, doch Dan wiegt sicherlich zwanzig Pfund mehr. Er öffnet das Hemd des Fremden und zieht es ihm bis zum Gürtel herunter. Der Mann hat einen braunen Körper, wenig Fleisch, dafür aber starke Knochen und sehnige Muskeln. Ein magerer, zäher und sehniger Wolf, denkt Dan. Und er ist Linkshänder – und selbst mit der
Rechten noch schnell genug, um eine zustoßende Klapperschlange zu erwischen. Das Schultergelenk ist angeschwollen. Dan betastet es. Dann greift er blitzschnell zu. Es knackt hörbar. Der Fremde zerbeißt einen Schrei auf den Lippen, presst die Zähne zusammen und taumelt. Dan hält ihn fest und aufrecht. Aus den Mundwinkeln des Fremden rinnen dünne Blutfäden. »Es ist wieder eingeschnappt«, sagt Dan ruhig und beobachtet den Mann aufmerksam. Und er erkennt wieder, wie hart dieser ist, denn in das blass gewordene Gesicht tritt schon wieder Farbe. Der Fremde wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Danke«, sagt er zu Dan. »Das war höllisch, aber gut. Vielleicht kann ich mich einmal dafür erkenntlich zeigen.« »Kaum«, lächelt Dan. Dann kauert er sich nieder und bereitet dem seltsamen Gast eine Mahlzeit. »Sie müssen Ihren Arm wohl noch einige Tage schonen«, sagt er dabei. »Dort drüben ist ein Bach. Ich würde die ganze Nacht Umschläge machen, damit die Schwellung schneller zurückgeht.« »Yeah«, murmelt der Mann. Er geht zu seinem müden Pferd, nimmt mit einer Hand den Sattel
und das kleine Bündel ab, öffnet es und geht mit einem Handtuch zum Bach hinüber. Später isst er hungrig, raucht von Dans Tabak und dankt noch einmal. Sie nennen beide einander nicht ihre Namen, reden nur die notwendigsten Worte und gehen dann zur Ruhe. Ihre Schlafplätze sind weit voneinander entfernt. Als sie am nächsten Morgen das Frühstück verzehren, stellen sie keine Fragen. »Ich bleibe Ihnen etwas schuldig«, sagt der Fremde dann und klettert in den Sattel. Mit kurzem Gruß reitet er davon – nach Süden. Dan Saturday sieht ihm eine Weile nach, packt dann seine Sachen zusammen, schnürt sie auf den Packsattel und sitzt ebenfalls auf. Er reitet nach Osten. Bald denkt er nicht mehr an den Fremden. Er kennt diese Sorte. Und er ahnt noch nicht, dass dieser Fremde sehr bald doch noch seine Schuld begleichen wird – sehr großzügig sogar. Dan Saturday reitet weiter in das wilde, einsame und weite Bergland hinein und sucht nach Spuren von Wildpferden. Es vergehen viele Tage.
2 Eine Woche später durchreitet Dan Saturday ein kleines Hochtal und kommt in einen gewundenen Canyon, dessen steile Hänge mit Nadelwald bewachsen sind. Ein seichter Creek kommt aus dem Canyon. Dan reitet immer am Ufer des Creeks entlang und fragt sich, wo der gewundene Canyon wohl enden wird. Zweimal stößt er auf Wildpferdspuren, doch auch sie führen weiter in den Canyon hinein. Einmal hat Dan durch einen tiefen Einschnitt gute Sicht nach Osten. Und er sieht in der Ferne eine mächtige Mesa – ein großes Plateau ist es fast. »Aaah, dort werde ich sie in Massen finden und jagen«, murmelt er begeistert, denn er weiß jetzt, dass er richtig geritten ist. Ein alter Trapper hat ihm einmal von diesem sagenhaften Wildpferdland erzählt. Gegen Mittag rastet er, was er schon lange nicht getan hat. Bisher ist er immer den ganzen Tag geritten. An diesem Tag nimmt er sich Zeit. Der Creek kommt aus dem Bogen des Canyons und verteilt sein Wasser in einem breiten und ziemlich sandigen Bett, in dem viele Kiesel in der Sonne blinken. Bald brennt das Kochfeuer. Die Pferde grasen zufrieden im saftigen Gras. Es ist Sommer. Die
Blumen blühen noch. Schmetterlinge taumeln umher, Bienen summen, und aus dem Wald auf den Hängen erklingen Vögelstimmen. Dan füllt seinen Kochtopf mit Wasser, hängt ihn über das Feuer und wirft Bohnen hinein. Dann geht er zum Wasser zurück, setzt sich auf einen einzelnen Stein und zieht seine Stiefel und Socken aus. Er stellt seine Füße ins Wasser und dreht sich eine Zigarette. So sitzt er in der Sonne – ein großer Mann, der sich in der Einsamkeit wohl fühlt und der dieses Leben genießt. Ja, denkt er, dies hier ist für mich besser als das Leben in den wilden Städten, in Saloons und unter Männern, die ständig kämpfen und bestimmte Ziele verfolgen. Er starrt ins seichte Wasser und sucht nach Forellen. Und da sieht er auch schon eine, die um einen großen Stein gleitet, der einsam im kiesigen Sand steht und erst vom nächsten Schneewasser weiter talwärts gewälzt werden wird. Es ist eine etwa pfundschwere Forelle. Sie stellt sich gegen die Strömung und ist kaum vom Grund des Creeks zu unterscheiden. Dan Saturday verspürt plötzlich den Wunsch eines Knaben in sich. Er gibt diesem Wunsch nach und greift neben sich nach einigen Kieselsteinen. Als er den ersten Stein wirft, gleitet die Forelle wie ein Blitz hinter den kleinen Felsblock und ist verschwunden.
Er grinst nachsichtig über sich selbst. Da er noch drei andere Kiesel in der Hand hält, wirft er sie spielerisch nacheinander ins Wasser. Doch beim letzten Kiesel erstarrt er mitten in der Bewegung – diesen Kiesel wirft er nicht. Er spürt nämlich in der erhobenen Hand, dass dieser Kiesel nicht größer, aber bedeutend schwerer als die anderen ist. Und er nimmt die Hand herunter und sieht sich den Kiesel aufmerksam an. Es ist kein Kiesel, sondern ein Goldnugget. Ein Stück Gold, das zwischen den Kieseln im seichten Wasser des Creeks lag. Dan Saturday sitzt eine ganze Weile regungslos da und starrt das Ding an. Und er fühlt, wie ihm das Herz bis zum Hals hinauf schlägt und verspürt ein seltsames Gefühl in der Magengegend. Gold! »Nein«, knurrt er, »das ist nicht möglich!« Er nimmt sein Bowiemesser und kratzt und schneidet an dem Ding herum, das ein Nugget sein soll. Es ist weiches, gelbes Metall. »Verdammt, es ist tatsächlich Gold«, knurrt er wieder, und seine Stimme klingt gepresst. Dann springt er auf und watet zu einer kleinen Kiesbank hinüber. Er vergisst sein Kochfeuer, die Bohnen im Topf und alles andere auf der Welt. Er sucht.
Es sind viele Kiesel da, große, kleine und sehr kleine. Und es ist Sand da. Nach einer halben Stunde hat er eine Hand voll Nuggets gefunden. Sie sind alle kleiner als der erste, aber unverkennbar Goldnuggets. Manche sind glatt und rund geschliffen, ohne Ecken und Kanten. Manche sind dünne Blättchen. Er steckt sie in die Hemdtasche und eilt zum Camp, zerrt die Bratpfanne aus dem Bündel und eilt damit zur Kiesbank zurück. Dann wäscht er den feinen Kies aus, wie er es einmal Goldsucher hat machen sehen. Er ist ungeschickt, denn er tut es zum ersten Mal in seinem Leben. Dann starrt er auf das gelbe Zeug, das in der Pfanne geblieben ist. Und er weiß, dass es Gold ist – richtiges Gold! »In Dollar gerechnet habe ich in einer Stunde mehr gefunden, als ein Cowboy in einem Jahr bei harter Arbeit an Lohn bekommt«, murmelt er dann heiser. Zugleich erwacht er aus seinem Rausch. Seine misstrauische Wachsamkeit ist plötzlich wieder da. Er weiß zu gut, wie viel Gefahr sein zufälliger Fund für ihn bedeutet. Wo Gold gefunden wird, da fließt Blut, da wird betrogen, gekämpft und getötet. Gold entfesselt alle Leidenschaften, Wünsche und bösen Instinkte. Wenn es um Gold geht, dann verraten Männer ihre Freunde, Söhne ihre Väter und Frauen ihre Männer.
Goldgier macht die Menschen zu Bestien. So war es bisher überall und zu jeder Zeit – wenn Gold gefunden wurde. Dan Saturday wischt sich übers Gesicht. »Wenn ich es nicht gefunden hätte, so würde es bald ein anderer Mann gefunden haben – sicher. Es ist ein wahres Wunder, dass ich mit der Nase draufgestoßen bin. In diesem Creek liegen Millionen in Gold. Ich will meinen Teil davon haben. Ich werde mir den Entdecker-Claim abstecken – an der besten Stelle. Und ich habe drei Freunde zurückgelassen. Vielleicht verachten sie mich und denken, dass ich vor Bruce Shadwick weggelaufen wäre – aber vielleicht haben sie auch erkannt, dass ich nicht schon wieder einen Mann töten mochte, der einen Revolverkampf mit mir austragen wollte. Ich werde auch für meine Freunde je einen Claim abstecken. Und dann werde ich zur Provinzstadt reiten und diese Claims anmelden. Zuerst aber will ich noch ein paar Pfund Gold zusammensuchen.« Das murmelt er im Selbstgespräch. Und er sieht sich um. Weiter unterhalb setzt ein Hirsch mit langen Sprüngen durch den Creek und verschwindet im ansteigenden Wald. In der Luft sind Vögel. Die Schmetterlinge taumeln noch von Blume zu Blume, die Bienen summen – und alles, alles ist still und friedlich.
Kein Mensch ist in der Nähe. Vielleicht kommt erst in Wochen oder Monaten ein Mensch in diesen Canyon – vielleicht aber auch schon in wenigen Minuten. Eines aber steht fest: Wenn Dan Saturday sein Gold in Dollar wechselt und die Claims eintragen lässt, wird dieser Canyon wenige Tage später von Menschen nur so wimmeln. Wie Ameisen werden sie den Creek und die ganze Sohle des Canyons durchwühlen. Zelte, Hütten, Blockhäuser – eine ganze Goldgräberstadt mit Saloons, Hotels, Speiseküchen und allem, was dazu gehört, werden zauberhaft schnell vorhanden sein. Und dieser Canyon wird »Gold Creek Canyon« heißen. Aus tausend Meilen im Umkreis werden die Menschen herbeiströmen. So wird es kommen. »Ich werde meine Rechte zu wahren wissen«, sagt Dan Saturday in die Stille. Und dann erinnert er sich endlich an seine Bohnen. Er muss das ausgegangene Feuer neu entfachen. Am dritten Tag hat er seinen eigenen und drei andere Claims abgesteckt. Er hat die Pfähle tief in den Boden gerammt und auf die abgeflachten
Enden seinen und drei andere Namen mit Tintenstift geschrieben. Whip Dunn. Chase Pence. Jim Larrymaker. Das sind die Namen seiner Freunde, und es sind drei höllisch raue und scharfe Burschen, die vielleicht gar nicht mehr seine Freunde sein wollen, weil er vor Bruce Shadwick davongeritten ist. Ja, sie werden vielleicht wirklich nicht verstehen, dass Dan Saturday von den Revolverkämpfen die Nase voll hat. Aber das alles wird sich noch finden. Jetzt ist Dan Saturday bereit, wieder in die Provinzstadt zu reiten und den Dingen zu begegnen, die dort auf ihn warten. Er will mit allen Mitteln des Rechtes seine Fundstelle sichern. Er kann nun nicht mehr vor einem Schießer weglaufen, der den Bruder rächen will. Dan Saturday kniet am Creek und füllt die letzte Ausbeute des Tages in ein kleines Säckchen. Er ist ziemlich in diese Beschäftigung vertieft und denkt schon daran, dass er ab morgen schnell und hart wird reiten müssen. Plötzlich kommt der schwache Duft von Zigarettenrauch in seine Nase. Es geht wie ein Stich durch seinen Körper. Aber er richtet sich nicht auf, sondern hantiert ruhig weiter und überlegt dabei haarscharf.
Und da trifft ihn abermals der sanfte Luftzug, der den Duft von Zigarettenrauch mit sich bringt. Endlich richtet er sich mit dem Rücken zur Windrichtung auf. Er trägt seinen doppelten Waffengurt nicht, denn solch ein Kreuzgurt ist ziemlich hinderlich bei der Arbeit. Dafür aber hat er eine seiner beiden Waffen im Hosenbund stecken. Er tut so, als würde er noch den Beutel zubinden. Aber plötzlich lässt er ihn fallen, schnappt den Colt und wirbelt geduckt herum. Er lässt sich mit den Knien ins Wasser fallen und richtet die Mündung seiner Waffe auf die beiden Reiter, die am Ufer halten und ihre Hände schon an den Waffen haben. »Lasst das!«, ruft er scharf und schießt dabei schnell und sicher. Er trifft die Hutspitze des größeren Burschen, der einen bösen Fluch ausstößt und seine Hände hebt. Auch der andere Reiter nimmt die Hand vom Colt. »Steck sie auch in die Luft!«, ruft Dan wieder scharf. »He, he, was hast du gegen uns?« »Ihr seid zu leise gekommen – und das mag ich nicht! Los, runter von den Gäulen!« Dan erhebt sich, nimmt dabei mit der Linken seinen Beutel auf und verlässt das Creekbett.
Die Augen der Kerle richten sich auf den prallen Beutel. Es sind zwei abgerissene Satteltramps. Sie wirken wie zwei Wölfe, die nach einem langen Schneesturm hungrig aus ihrer Höhle gekommen sind. Dan Saturday ist sich der Gefahr, in der er sich befindet, wohl bewusst. Die beiden Kerle sind über die Terrasse in den Canyon gekommen. Sie haben ihn gewiss von der Terrasse, die sich in halber Höhe an der bewaldeten Bergwand entlang zieht, lange genug beobachtet. Und sicherlich hatten sie erkannt, dass er Gold suchte und keinen Waffengurt trug. Sein Hemd hat sich im Laufe der Arbeit weit über den Gürtel gebauscht. Sie konnten also auch nicht den Colt im Hosenbund erkennen. Sie dachten, er wäre waffenlos und sind leichtsinnig herbeigeritten. Aber wenn sie nicht allein sind und noch einer oder gar mehrere im Wald am Hang stecken, ist Dan Saturday verloren. Er probiert es gleich aus und schießt auch dem zweiten Mann den Hut vom Kopf. »Runter von den Gäulen und die Hände hoch, habe ich gesagt!« Sie verstehen diese Sprache – ja, diese raue und harte Sprache ist ihnen geläufig. Sie verkehren selbst mitunter mit anderen Menschen auf diese Art. Man merkt es ihnen an.
Vielleicht, wenn Dan Saturday seinen doppelten Revolvergurt tragen würde und nicht den Bart im Gesicht hätte, ja, vielleicht würden sie ihn dann sogar erkennen, obwohl sie ihn nie gesehen haben – nur nach der Beschreibung würden sie ihn erkennen. Denn Dan Saturday trägt als Revolverkämpfer einen bekannten Namen. Und er gehört zu den wenigen Coltmännern, die noch nicht mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Sie rutschen fluchend aus den Sätteln. Dann macht der kleinere Mann eine große Dummheit. Er tut so – und er macht es täuschend echt! – als knicke er mit dem Knöchel um. Mit der linken Hand fängt er seinen Fall ab. Die Rechte zuckt nach dem Colt. Er macht es schnell und geschickt. Aber als er die Waffe hochreißen will, schießt Dan Saturday. Die Kugel schlägt in den Oberarm des Mannes. »Du verdammter Narr!«, ruft Dan Saturday scharf. »Muss ich euch erst totschießen?« »Oh, du Hundesohn!«, heult der Verwundete. »Aufstehen! Los!« Sie gehorchen nun schnell. Auch der unverletzte Mann steht ruhig. Dan lässt sie einige Schritte vortreten. Dann geht er um sie herum und entwaffnet sie. »Jetzt verschwindet – zu Fuß natürlich!«
Das trifft sie hart. Der größere Mann zittert am ganzen Körper, und die böse Wut lässt auch seine Gesichtszüge zucken. Der andere greift nach seiner Wunde am rechten Oberarm. »Du Hundesohn«, keucht er wieder. »Du hast mich angeschossen, und nun schickst du mich zu Fuß weg!« Dan Saturday lächelt bitter. Er zeigt mit dem Colt kurz zum Creek hin. »Das ist ein Gold Creek – und ihr wisst es. Ich habe vier Claims abgesteckt, aber sie gehören mir erst, wenn sie beim Landkommissar eingetragen sind. Was würdet ihr beiden Hechte denn an meiner Stelle tun? Aaah, ihr hättet mich längst zusammengeknallt!« »Hätten wir es nur getan!«, schnappt der Kleine und starrt ihn aus kleinen Augen an, in denen es böse und gierig glitzert. »Ihr fühltet euch zu sicher. Ich trug keinen Waffengurt. Ihr seid nicht auf die Idee gekommen, dass ich einen Colt im Hosenbund haben könnte. Nun, ich hatte einen im Hosenbund. Und nun verschwindet höllisch schnell!« Er grinst sie hart an und richtet wieder den Colt auf sie. »Hölle! Ohne mein Pferd rühre ich mich nicht von der Stelle!«, heult der Kleine wild. Dan Saturday gibt keine Antwort. Er geht hin und holt sich einen Colt der beiden Männer. Er
hatte deren Waffen bis zum Rand des Creeks geworfen. Er nimmt also noch eine zweite Waffe zur Hand und beginnt zu schießen. Und er lacht grimmig dabei. Die ersten Kugeln fahren dicht vor den Zehenspitzen der Kerle in den Boden. Sie heulen böse Flüche heraus und beginnen zu rennen. Selbst der Verwundete, dem das Blut aus dem Hemdsärmel läuft, bewegt sich schnell. Dem größeren Kerl schießt Dan noch einen Absatz ab. Der Mann fällt zu Boden, schnellt wieder auf und hetzt hinter dem anderen her, der schon etwas Vorsprung gewonnen hat. Sie erreichen den bewaldeten Hang und halten an. Dan Saturday geht zu seinem Camp hinüber. Dort nimmt er sein Winchestergewehr auf und beginnt wieder zu schießen. Solange er die beiden Kerle noch zwischen den Bäumen klettern sieht, verfolgt er sie mit Schüssen. Sie klettern zu der Terrasse hinauf, von der sie sicherlich an einer weniger steilen Stelle herunterkamen. Dan Saturday zögert nun keine einzige Sekunde mehr. Er schnallt erst seinen Waffengurt um, bindet das Holster auf den Oberschenkeln fest und lädt die leer geschossenen Waffen nach. Dann packt er seine Siebensachen zusammen, holt die Pferde herbei und macht alles für einen schnellen Ritt
fertig. Den schweren Beutel mit dem Gold verstaut er in der Satteltasche. Binnen zehn Minuten ist er fertig. Sein kleines Zelt lässt er stehen. Das Packpferd hat sehr wenig zu tragen. Später wird Dan die Sättel wechseln. Sein Packpferd ist immer noch eine Klasse besser als die beiden Pferde der verjagten Satteltramps. Aber sind es nur Satteltramps, die zufällig dieses Land durchstreiften? Dan Saturday sieht, dass sie hinter den Sätteln nicht einmal eine Deckenrolle aufgeschnallt haben. Dieses Land aber ist viel zu groß und zu weit, als dass Reiter ohne Bündel darin herumreiten würden. Dan kommt immer mehr zu der Überzeugung, dass die beiden Kerle zu einer größeren Bande gehören, die irgendwo in der Nähe ein Camp haben. Er überlegt: Dieses Gebiet hier gehört noch zum Cochise County. Ich muss in Tombstone meine Ansprüche eintragen lassen. Bis Tombstone muss ich sechs bis sieben Tage reiten. Aaah, wenn die Bande bessere Pferde zur Verfügung hat, so wird sie mich hetzen. Und bestimmt kennen sie bessere und kürzere Wege nach Süden. Er schwingt sich in den Sattel, nimmt das Packpferd und auch die beiden anderen Tiere an die langen Leinen und reitet los.
Fünf Meilen weiter lässt er die beiden müden Sattelpferde zurück. Seine eigenen Tiere sind gut ausgeruht. Er reitet nun schneller.
3 Am dritten Tag begegnet er drei Apachen. Es sind untersetzte, muskulöse und wilde Burschen, halbnackt und auf scheckigen Pferden. Der Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten ist vor gut drei Jahren mit der Niederlage des Südens beendet worden, aber die Apachen sind immer noch eine ernste Bedrohung des Landes. In kurzer Entfernung reiten die drei Roten an ihm vorbei. Er sieht das böse Funkeln in ihren Augen und verspürt fast körperlich die Welle des Hasses, die von ihnen ausgeht. Und er hält seine Colts bereit und lässt die drei Krieger nicht aus den Augen, bis sie endlich außer Schussweite sind. Dort halten sie an und sehen ihm nach. Aber dann reiten auch sie weiter. Vielleicht haben sie wie erfahrene Wölfe gewittert, dass er sie töten würde, dass er gefährlich ist und sie ihn besser in Frieden reiten lassen sollten. An diesem Tag sieht er sich oft um und späht wachsam umher. Die Sonne sticht heiß hernieder. Er hinterlässt eine Staubwolke, die viele Meilen weit zu sehen ist. Als er am späten Nachmittag über eine Ebene reitet, entdeckt er im Osten eine ebensolche Staubwolke, wie er sie aufwirbelt. Er beobachtet sie eine Weile und zuckt dann mit den Achseln.
An diesem Tag reitet er bis spät in die Nacht hinein, schlägt dann für kurze Stunden ein kaltes Camp auf und reitet noch vor Tagesanbruch weiter. Am nächsten Tag sichtet er in der Ferne eine gewaltige Staubwolke. Sie steht im Osten und scheint sich kaum zu bewegen. Er schätzt, dass es sich um eine Treibherde handelt, die unterwegs nach Tucson ist und dort verladen werden soll. Er reitet weiter. Auch dieser Tag vergeht ohne Zwischenfall. Dan Saturday fühlt sich nun sicherer. Die Gegend ist ihm hier schon bekannter. Er kennt die natürlichen Landmarken und weiß, dass er in zwei Tagen Tombstone erreichen wird. Er reitet nun durch die Ausläufer der Whetstone-Berge, die zu seiner Rechten im Westen anwachsen. In einem tiefen Felsenloch verbringt er die Nacht. Es ist ein feuchter Kessel. Diesmal ist er ziemlich leichtsinnig und kocht sich ein warmes Essen. Aber dann tritt er das Feuer doch wieder aus. Bevor er einschläft, denkt er noch einmal an die beiden Satteltramps, die ihn am Gold Creek fast überrascht hätten. Fast ist er nun davon überzeugt, dass sie doch nicht zu einer größeren Bande gehörten. Als er vor Tagesanbruch erwacht und auf die Geräusche der erwachenden Natur lauscht, findet er alles in Ordnung. Er isst die Reste des
Abendmahls kalt und schwingt sich dann in den Sattel. Vorsichtig reitet er aus dem Kessel. Es ist noch zu dunkel, als dass er weit in die Runde spähen könnte. Er fröstelt leicht und freut sich schon auf die ersten Sonnenstrahlen, die er schon wenige Stunden später wie immer verfluchen wird – denn dann brennen sie mit sengender Glut hernieder. Nach Stunden reitet er um eine kleine Mesa herum und erreicht eine alte Heerstraße, die im Bürgerkrieg von der Armee benutzt wurde und nun fast vergessen ist. Die ausgefahrene Spur der Straße – nur daran ist sie als Straße erkenntlich – führt in eine schmale Schlucht hinein, die wie ein Riss zwei Mesas in Südrichtung trennt. Es sind nur rötliche Felsen zu beiden Seiten und glatte Wände, die steil anwachsen. Es ist kühler in dieser Schlucht, denn sie ist eng und tief. Er reitet vorsichtig. Die Hufschläge der Pferde hallen zwischen den Wänden. Sie übertönen jedes andere Geräusch. Ein feiner Instinkt in Dan Saturday warnt ihn andauernd vor einer Gefahr. Er hält einen seiner Colts bereit und reitet immer vorsichtiger. Allmählich treten die Felswände mehr auseinander. Der Weg steigt langsam an. Als er um eine Biegung reitet, sieht er das Ende der Schlucht. Er atmet zufrieden auf und reitet schneller.
Zu beiden Seiten des Schluchtendes stehen Felsen, auf deren Spitzen die Sonne flimmert. Jede der beiden Felsengruppen ist gut für einen Hinterhalt geeignet. Aber Dan Saturday muss hindurch. Vor sich sieht er eine weite Ebene und in der Ferne mächtige Mesas, die rötlich in der Sonne leuchten. Auf einer dieser Mesas liegt Tombstone, und der Weg zu dieser Stadt führt über diese Ebene. Dan Saturday späht scharf zu den Felsengruppen hinüber, beugt sich instinktiv tiefer über das Sattelhorn nieder und treibt sein Pferd aus dem Trab in einen wilden Galopp hinein. Das Packpferd wird mitgerissen. Sie hinterlassen eine rötlich graue Staubwolke und jagen auf die Ebene zu. Im selben Moment bricht es los. Die Bande, deren Vorhandensein Dan Saturday schon beim Erblicken der beiden Satteltramps ahnte, ist da. Er konnte sie auf dem tagelangen Ritt nach Tombstone nicht schlagen. Sie haben ihn nicht nur eingeholt, sondern warteten sogar auf ihn am Ende der Schlucht. Sie kannten das Land besser als er und haben ihren Nutzen daraus gezogen. Und nun wollen sie ihn töten. Schüsse krachen aus den Felsen. Wäre er langsam aus der Schlucht geritten, so hätten sie ihn sofort aus dem Sattel geschossen. Aber nun
wirbelt er die Staubwolke auf. Da sie ihn schon halb an sich vorbeiließen, denn er sollte sich nicht etwa wieder in die Schlucht retten können, stört die Staubwolke die heimtückischen Schützen nun einigermaßen. Vielleicht bleibt er aus diesem Grunde am Leben. Sie erwischen ihn nicht, sondern nur beide Pferde, die ihnen ein leichteres Ziel bieten. Das Packpferd stürzt zuerst. Es fällt und das Seil, an dem es mit Dans Sattelhorn verbunden ist, reißt. Dadurch wird aber auch Dans Pferd etwas nach rechts gerissen. Es bekommt gleich drei Kugeln in den Leib, stürzt und wirft den Reiter ab. Dan überschlägt sich in der Luft, fällt schwer auf den Rücken und kracht mit dem Hinterkopf auf einen Stein. Mit dem Schmerz, auf den die Bewusstlosigkeit folgt, zuckt noch ein Gedanke durch sein Hirn: Sie haben mich doch er… Dann verliert er die Besinnung. Er ist mit dem ganzen Gewicht seiner hundertfünfundachtzig Pfund auf den harten Boden gekracht. Als er erwacht, spürt er einen lähmenden Schmerz, der von seinem Hinterkopf bis zum Steißbein geht und der seine Glieder lähmt. Er versucht eine Bewegung, doch es wird nur ein Zucken. Als er die Augen öffnet, meint er für kurze Zeit, dass er nicht sehen kann.
Was ist mit meinem Rückgrat? Ich bin blind und kann mich nicht bewegen! Das sind seine Gedanken. Er erlebt eine Sekunde tiefster Verzweiflung. Aber dann lichten sich die dunklen Nebel vor seinen Augen, werden heller und verwandeln sich in rote Kreise, bis es vor seinen Augen nur noch flimmert und er dann endlich sehen kann. Auch die Lähmung schwindet. Nur die Schmerzen halten an. Er kann nur ganz flach und kurz atmen. Als er sich auf die Seite wälzt, bricht ihm kalter Schweiß aus allen Poren. Und trotz aller Not ist ein Glücksgefühl in ihm – denn er kann sich bewegen und kann wieder sehen. Der harte Aufprall scheint nur für eine Weile sein Nervensystem gelähmt zu haben. Er erträgt die erst jetzt richtig zur Wirkung kommenden Schmerzen und stöhnt nur leise. Dicht vor seiner Nasenspitze sieht er die Stiefel eines Mannes. Es sind feine Maßstiefel, wenn auch verdreckt und abgerissen. Er bewegt den Kopf und sieht langsam hoch. Es ist ein fast viereckiger Mann, an dem alles kantig und winklig ist. »Steh auf«, sagt der Mann zu ihm und stößt ihm die Stiefelspitze gegen das Brustbein. Dan Saturday quält sich hoch. Sein Atem pfeift noch und ist deutlich zu hören. Als er vor dem Mann steht, überragt er diesen um einen ganzen Kopf. Aber der andere ist an
jeder Schulter eine Handbreit breiter und im ganzen Gewicht gut dreißig Pfund schwerer. Dieser breite und kantige Klotz von einem Mann wiegt weit über zwei Zentner. Er sieht aus, als wäre er mit einer Axt aus einem mächtigen Hartholzklotz gehauen worden. Sein Mund ist ein feiner Strich – wie die Narbe eines sauberen Messerschnittes. Sein Kinn ist breiter als die kantige Stirn. Da er seinen dunklen Stetson zurückgeschoben hat, sieht man schwarze Stehhaare auf seinem kantigen Schädel. So dick wie Pferdehaar sind sie. Seine Nase ist breit, aber gerade und winklig. Es ist keine Boxer- oder Knubbelnase. Die Augen sind klein, stehen weit auseinander, liegen tief hinter kantigen Knochenbögen und raupenähnlichen Brauen verborgen und sind von glasklarer Farbe. Er grinst plötzlich und zeigt breite und kurze Zähne. Wie ein Nussknacker wirkt er so. Er starrt von unten herauf in Dan Saturdays Gesicht. »Pech für dich und Glück für mich«, sagt er kalt. Er spricht jedes Wort gewichtig. Kraft, Unerbittlichkeit, rücksichtsloses Selbstbewusstsein und eine eiserne Härte drückt er in seiner ganzen Art aus. Dan Saturday sieht sich langsam um. Ein Dutzend Männer umgeben ihn im Kreis. Es sind große, kleine, dünne und massige Männer. Von jeder Sorte ist einer da. Und alle
haben den gleichen Ausdruck in den Gesichtern: Sie sind ein hartes und raues Rudel. Und in ihren Augen glitzert dieselbe Gier. Dan erkennt auch seine beiden Freunde wieder, die er ohne Pferde davongejagt hatte. Und dann sieht er noch einen Mann, den er erkennt. Es ist der Fremde, der vor vielen Tagen an sein Feuer kam und dem er den ausgekugelten Arm einrenkte. Jawohl, dieser Mann ist auch bei der Bande. Er steht etwas abseits. Dan sieht ihn an und zuckt mit keiner Wimper. Der Mann erwidert den Blick, und auch in seinem Gesicht bewegt sich nichts. Also hat er sogar in dieser Wildnis Anschluss an ein raues Rudel gefunden, denkt Dan bitter. Er wendet sich wieder dem Anführer zu. »Nun, ihr habt mich bekommen«, murmelt er heiser. Der kantige Mann lächelt grausam. »Vor Tagen hast du zwei meiner Leute ziemlich rau behandelt. Aber das sei dir verziehen. Du wärst ein Narr gewesen, wenn du es nicht auf diese Art versucht hättest. Dein Pech, dass einer von uns dieses Land von früher her wie seinen Tabaksbeutel kennt. Wir warten schon seit drei Stunden auf dich. Deine beiden Colts haben dir nicht viel genützt. Du hast sicherlich einen berühmten Namen, was?«
»Es geht«, murmelt Dan ruhig und sieht weiter in die harten Augen, die so glashell und mitleidslos sind. Der andere grinst ihn an. »Vor einem Jahr noch hatte ich Dodge in der Tasche«, knurrt er. »Auf die Dauer aber ist das Gesetz doch immer stärker. Dann müssen hungrige Wölfe wie ich immer wieder ein Stück weiter – von einer wilden Stadt zur anderen. Tombstone wird gut für mich sein. Dort soll sich die Marshalspartei mit der Sheriffspartei in den Haaren liegen. Das ist immer gut für einen Mann wie mich. Tombstone wird in ein bis zwei Jahren erst den Höhepunkt erreichen und zu einer Filiale der Hölle werden. Nun, ich werde wohl doch nicht in Tombstone bleiben. Ich werde im Gold Creek Canyon selber eine Stadt gründen. Und sie wird von Anfang an mir gehören. Hm, wenn du nur ein zweitklassiger Revolverschwinger wärest, so würde ich dich in meine Dienste nehmen. Aber du bist einer von der seltenen Sorte, die gefährlich ist und nicht vergessen kann. Als du das Gold im Creek fandest, hattest du Glück. Es war zu viel Glück auf einmal. Großes Glück ist von kurzer Dauer. Du sitzt in einer mächtigen Pechsträhne, Mann. Ich wette, du kommst nicht wieder heraus!« Er wippt auf den Füßen und starrt Dan neugierig ins Gesicht. Plötzlich greift er in die Tasche und bringt eine Zigarre zum Vorschein.
»Eine Freude will ich dir noch machen. Rauche sie noch. Ich kann mir bald wieder Zigarren kaufen – du nie mehr wieder. Es wird deine letzte Zigarre sein. Verstehst du das?« »Yeah«, murmelt Dan, und er begreift plötzlich, dass sein Leben in wenigen Minuten beendet ist. Aus mit mir, denkt er. Er sieht an sich hinunter. Sie haben ihm den Waffengurt abgenommen. Er ist vollkommen waffenlos. Er nimmt die Zigarre. »Wie ist dein werter Name, Mister?« »Clark Brightman. Schon was gehört von mir?« »Genug«, sagt Dan und bringt ein Grinsen zustande. »Du hast in Dodge alle Bars, Spielhäuser und Tanzhallen kontrolliert oder besessen. Als es deine Leute zu bunt trieben, haben sie dich endlich aus der Stadt gejagt. Es soll eine wilde Schlacht gewesen sein.« »Yeah.« Clark Brightman grinst. »Es war ein mächtiger Wirbel. Und wer bist du?« »Oh, ich bin nur Dan Saturday«, murmelt Dan und holt ein Zündholz aus der Tasche. Durch den Kreis der Männer geht ein Raunen und Murmeln. »Ich habe doch gewusst, dass du einer von den Großen bist. Von dir erzählte man sich sogar in
Dodge, dass du bisher sauber kämpftest und sogar einmal Marshal warst.« »Yeah, ich war schuld, dass viele Hundesöhne beerdigt wurden«, murmelt Dan bitter und raucht dann an seiner Zigarre. »Du wirst meine Claims auf deinen Namen eintragen lassen – und deine ganze Bande wird sich Nachbarclaims sichern, was?« »So ist es«, nickt Clark Brightman ruhig. »Aber vorher muss dich jemand von meinen Leuten erschießen.« Er sagt es ungerührt und gleichmütig. Es hört sich an, als handelte es sich um eine belanglose Sache und nicht um einen klaren Mord. Welch ein böses Tier ist das nur, denkt Dan bitter. Eine Stimme zischt hinter ihm: »Ich will ihn haben! Mir hat er ‘ne Kugel in den Arm geschossen!« »Du Ratte bist ihm nicht einmal mit einem Colt in der Hand gewachsen«, knurrt Brightman spöttisch und eisig zugleich. Er tritt ein Stück zurück und sieht der Reihe nach seine Reiter an. Sein Blick bleibt auf einem Mann hängen. Es ist der Fremde, dem Dan den Arm einrenkte. »He, Slim, du bist neu bei uns. Du wirst es machen!« Dan Saturday verspürt plötzlich eine Gänsehaut. Bis jetzt hat er mit eiserner Energie
seine Schmerzen unterdrückt, sich aufrecht gehalten und sogar die Zigarre angeraucht, die ihm gar nicht schmeckt, sondern seine Übelkeit noch verstärkt. Die Schwäche will ihn übermannen und niederzwingen. Doch noch einmal reißt er sich zusammen. Er wendet sich um und sieht seinen Bekannten an, von dem er jetzt weiß, dass er Slim heißt und neu bei der Bande ist. Und Slim erwidert eiskalt seinen Blick, zieht den Colt und deutet damit zu den Felsen hinüber. »Los, geh vor mir her bis zwischen die Felsen«, sagt er kalt zu Dan, und in seinem harten Gesicht zeigt sich keine Regung. »He, warum nicht hier?«, fragt eine Stimme. »Willst du ihn wegtragen? Oder soll er auf dem Weg liegen bleiben?«, fragt Slim ruhig über die Schulter. Er erhält keine Antwort. »Los!«, sagt er kurz und hart zu Dan. Der setzt sich in Bewegung. Er geht an seinem toten Sattelpferd vorbei und schnurgerade auf die Felsen zu, zwischen denen er getötet werden soll. Die Bande sieht ihnen nach. »Slim, du machst es so, dass wir es sehen können!«, ruft Brightman. »Kommt doch mit«, knurrt Slim über die Schulter. Aber keiner der Kerle bewegt sich.
Es sind fünfzig Schritte, dann beginnen schon die kniehohen Steine und werden immer größer und steiler. »Halt!«, ruft Slim kurz. Dan bleibt stehen und wendet sich langsam um. In seinem Kopf hämmern schmerzvolle Stiche. Sein ganzer Rücken schmerzt. Und sein Steißbein ist schlimm geprellt. »Ich werde viele Tage nicht sitzen können«, murmelt er spöttisch, denn er weiß, dass er bald überhaupt nicht mehr sitzen muss. Er sieht Slim an, hält sich mit aller Energie aufrecht und ruhig und bringt es sogar noch fertig, die Zigarre zu rauchen, die ihm immer schlechter bekommt. »So sehen wir uns also wieder, Slim«, murmelt er. »Du hast ein raues Rudel gefunden. Wenn du dieses Gesellenstück vollbracht hast, bist du mit ihnen versippt und verschwägert.« Er grinst ihn verächtlich an. Slim bewegt nur seine schmalen Lippen – sonst bleibt sein Gesicht eine Maske, in der selbst die Augen verschleiert sind. »Bisher habe ich in meinem Leben noch jede Schuld beglichen«, murmelt er scharf. »Pass auf, Dan Saturday: Ich stehe nur drei Meter vor dir. Auf diese Entfernung treffe ich eine Fliege an der Wand. Ich werde dir einen blutigen Scheitel ziehen. Es wird wie ein Kopfschuss aussehen. Es wird weh tun. Aber als du mir den Arm
einrenktest, tat es auch weh. Man kann manche Dinge nicht anders machen. Vielleicht kannst du die Not überstehen und dich retten. Es kommt auf deinen Kopf an – und ob du nach der Bewusstlosigkeit noch hart genug bist. Es geht nicht anders. Die Kerle würden uns beide in Stücke schießen. Nun…!« Er hebt plötzlich den Colt und drückt ab. Dan sieht in die grelle Feuerzunge hinein, verspürt die brennende Hitze und dann den schmetternden Schlag am Kopf. Aus! zuckt es durch sein Hirn, und in ihm ist die Gewissheit, dass es endgültig aus mit ihm ist. Als Slim zu den anderen zurückkehrt, starren die ihn seltsam an. Sie sagen kein Wort. Nur ihre Augen glitzern seltsam. Aber dies ist zum ersten Mal in seinem Leben der Moment, wo er sich und seinesgleichen hasst. Er hat einen harten und mutigen Mann gesehen. Er hatte in Dans Augen gesehen und in ihnen etwas erkannt. Und er hofft von ganzem Herzen, dass er ihm keinen schlimmen Kopfschuss verpasst hat. Noch denkt er nicht daran, dass ein wieder gesundeter Dan Saturday für die ganze Bande und damit auch für ihn eine höllische Gefahr werden könnte. »In die Sättel!«, ruft Clark Brightman kurz und scharf. Sie laufen zu den Pferden hinüber, die zwei Männer aus den Felsen herausgebracht haben,
und sitzen auf. Bevor sie jedoch anreiten, reitet Clark Brightman zu Dan Saturday hinüber. Dort verhält er sein Pferd und sieht zwischen die Felsen. Das Rudel wartet. Auch Slim wartet. Aber Clark Brightman kommt zufrieden zurück, nickt Slim kurz zu und setzt sich an die Spitze seiner Reiter. »Nach Tombstone!«, ruft er. Und Jake Snow, sein Leutnant und seine rechte Hand zugleich, der bisher nur finster zugesehen und wie immer kein Wort gesprochen hatte, findet endlich die Sprache wieder. »Das Gold gehört uns! Bald besitzen wir überdies auch noch eine ganze Stadt – so groß wie Tombstone. Jungs, wir reiten mit einem Boss, der immer wieder auf die Beine fällt!« »Halt’s Maul!«, grollt Clark Brightman und treibt sein mausgraues Riesenpferd noch schneller vorwärts.
4 Viele Stunden liegt Dan Saturday unbeweglich und wie tot zwischen den Felsen. Als die Kugel seine Kopfhaut aufriss und ihm den blutigen Scheitel zog, sackte er zusammen und fiel dann aufs Gesicht. Das war gut für ihn. Gut für ihn war auch, dass Clark Brightman sich nicht die Mühe machte, aus dem Sattel zu klettern, ihn umzudrehen und genau nachzusehen. Clark Brightman sah nur das Blut in den Haaren. Das genügte ihm. Es ist Nacht, als Dan Saturday sich zu regen beginnt, und obwohl er sich bewegt, ist sein Bewusstsein nur zum Teil wieder vorhanden. Die Kugel hat seinen Stirnknochen gestreift und eine ziemliche Gehirnerschütterung erzeugt. Sie hat wie ein scharfer Hieb gewirkt. Als Dan Saturday endlich bewusst zu fühlen beginnt, ist es ihm, als befände er sich in einer riesigen Schaukel. Er hat das Gefühl, als würde er andauernd hochgeschwungen und fiele immer wieder in eine bodenlose Tiefe abwärts. Und dann spürt er das mächtige Dröhnen im Schädel. Es ist, als würde ihm jemand andauernd einen Sandsack aufs Haupt wuchten. Alle diese Dinge fühlt er vorerst nur dumpf. Es wird immer schlimmer, denn mit dem zunehmenden Bewusstsein werden die
Schmerzen schärfer, stechender, höllischer. Bald hat er das Gefühl, als hämmerten böse Teufel mit kleinen Eisenhämmern an seinem Kopf herum. Eine Übelkeit ist in ihm. Er wälzt sich stöhnend auf die Seite und erbricht sich. Dann verliert er wieder das Bewusstsein. Vor den Felsen reißen Coyoten an den toten Pferden herum, knurren und heulen. Es ist wie ein Wunder, dass keine Wölfe gekommen sind, denn diese wären auch über den bewusstlosen Mann hergefallen. Dan Saturdays Glück scheint also doch nicht ganz von ihm gegangen zu sein. Sein Weg ist noch nicht beendet. Es ist ihm nicht bestimmt, dass sich sein Schicksal hier erfüllt. Denn der Weg eines jeden Mannes ist in einem großen Buch aufgezeichnet. Und Dan Saturdays Seiten in diesem Buche sind noch zahlreich. Die Sterne am Himmel leuchten wie Türkise. Der Mond hat ein rundes Kinn und dicke Backen. Nach Mitternacht bekommt dieser prächtige Mond einen silbernen Hof und steht unwirklich schön über dem nächtlichen Land. Aber die Coyoten reißen immer noch knurrend an den toten Pferden und schlingen an den Eingeweiden – dunkle, knurrende, gierige und um die besten Bissen kämpfende Schatten. Bald wird es im Gold Creek Canyon viele Menschen geben, die sich auf dieselbe Art um das Gold balgen werden. Und ein paar Wölfe werden
dabei sein – Leute wie Clark Brightman und sein raues Rudel. Dan Saturday bewegt sich gegen Morgen wieder. Fieber ist in seinem starken Körper. Er wälzt sich, stöhnt, keucht, krallt manchmal seine Hände in den harten Boden und erliegt bösen Träumen. Er sieht grauenvolle Bilder – und einmal meint er auf einem Amboss zu liegen. Er sieht es ganz deutlich. Und er sieht auch den Höllenkerl, der ihm mit einem Hammer immer wieder den Kopf zerschmettert – den Kopf, der auf wunderbare Weise immer wieder neu entsteht, um abermals zu Brei zerschmettert zu werden. Als dann der neue Tag graut, die Morgennebel steigen und sich in Tau verwandeln, der an Gräsern und Steinen im ersten Sonnenlicht wie Diamantengeglitzer funkelt, da erwacht Dan Saturday zum zweiten Mal. Er bleibt lange still auf dem Rücken liegen, hält die Augen noch geschlossen, erträgt die Schmerzen im Kopf und genießt trotz aller Not das frohe Gefühl, dass er noch lebt. Langsam hebt er die Hände und legt sie um seine Stirn. Er fühlt das verkrustete Blut in den Haaren und betastet die schmerzende Wunde. Das linke Auge kann er nicht öffnen, denn es ist mit Blut verkrustet. Aber mit dem anderen Auge sieht er, dass es Tag ist. Die Sonne ist
schon ziemlich warm. Er begreift, dass er sechzehn Stunden bewusstlos war. Stöhnend setzt er sich auf. Sofort ist ein übles Schwindelgefühl in ihm. Es ist ihm, als säße er auf einer sich drehenden Scheibe. Er hält sich mit beiden Händen den Kopf fest und atmet gepresst. Dann rutscht er einen halben Meter zur Seite, kommt in den spärlichen Schatten eines Felsens und lehnt seinen Rücken gegen den noch kühlen Stein. Lange sitzt er so, erträgt das hämmernde Dröhnen in seinem Kopf, die stechenden Schmerzen, die mit dem Pulsschlag kommen und gehen. Und er fürchtet sich vor dem Versuch, sich auf die Beine zu stemmen. Er weiß, dass es dann mit seinem Kopf noch viel schlimmer sein wird. Als er sich endlich wieder bewegt und mühsam nach der Sonne blinzelt, ist diese schon ein gutes Stück höher geklettert. Ein Gedanke bohrt sich schmerzhaft durch Dans Schädel: Ich muss Wasser haben. Langsam stemmt er sich hoch und hält sich schwankend am Stein fest, bis sich das rhythmische Dröhnen und Hämmern in seinem Schädel etwas beruhigt hat, gerade noch auszuhalten ist und das Schwindelgefühl abebbt. Das dauert lange. Inzwischen brennt die Sonne auf ihn nieder, sticht auf seinen unbedeckten Kopf und wärmt
den kalten Schweiß, mit dem sein ganzer Körper bedeckt ist. Endlich wagt er es und versucht schwankende Schritte. Einige Male taumelt er gegen Felsen und hält sich daran fest. Dort, wo gestern noch die beiden toten Pferde lagen, liegen abgenagte Knochen und ein paar Hufe, zerfetzte Sättel und andere Dinge, die in seinem Packbündel waren und unverdaulich sind. Dan stolpert hinüber. Wie ein Betrunkener schwankt er. Aber er fällt nicht, obwohl es ihm oft schwarz vor Augen wird. Seine Energie ist groß. Er ist wirklich ein harter Mann. Und dann sieht er das Ding, das er sucht. Die große Wasserflasche. Es ist eine Flasche, die fast wie eine Trommel aussieht und nicht viel kleiner als eine solche ist. Oben ist ein Verschluss. Die Coyoten haben am Cordbezug herumgenagt und sie auch mit ihren Exkrementen besudelt. Aber an das Wasser konnten sie nicht heran. Und Wasser bedeutet für Dan Saturday mehr als alles andere auf der Welt. Vom Wasser wird sein Leben abhängen. Er bückt sich nicht, denn er weiß, dass er dann das Gefühl bekommt, als würde sein Kopf bersten. Der Schmerz könnte ihn ohnmächtig machen. Er möchte nicht hier in der Sonne umfallen. Er geht langsam in die Kniebeuge und tastet nach der Flasche, ohne auch nur den Kopf
zu bewegen. Als er sich wieder aufrichtet, hält er sie in der Linken. Weiter geht er, taumelnd, torkelnd und mit steifer Kopfhaltung. Seine Stiefelspitzen schleifen manchmal über den Boden. Sein ganzes Gepäck liegt verstreut auf dem Boden. Die Banditen haben nur das Säckchen mit dem Gold aus der Satteltasche genommen und alles andere durchwühlt und zurückgelassen. Aber alles was herumliegt ist besudelt, zerrissen, zerbissen und beschädigt. Auch die Reste seines Hutes sieht er liegen. Und dann sieht er die Blechbüchse, in der er sein Verbandzeug aufbewahrt hat. Als er allein in die Wildnis ritt, nahm er sich einige Binden, Puder und Wundsalbe mit. Ein Mann, der allein in der Wildnis auf Wildpferdfang geht, braucht solche Sachen für sich und sein Reitpferd immer. Auch die Blechbüchse konnten die Coyoten nicht öffnen. Er geht wieder in die Kniebeuge und hebt sie auf. Mit seinen beiden Schätzen, der Wasserflasche und der Blechbüchse, wankt er in die Felsen zurück. Diesmal geht er ein Stück weiter, denn dort sind die Felsen höher und spenden mehr Schatten. Als er sich auf den Boden setzt, seufzt er zufrieden.
In der Flasche sind etwa noch vier Liter Wasser enthalten. Es ist ja eine große Flasche, wie sie jeder Reiter an seinem Sattelhorn hängen hat. Er wäscht sich die Wunde aus. Dabei hält er einen kleinen Spiegel zwischen den Knien und starrt hinein. Und es ist ein zerfurchtes und hager gewordenes Gesicht, in dem die letzten Stunden deutliche Zeichen hinterlassen haben, das er in dem kleinen Spiegel erblickt. Als er den Kopf verbunden hat, ist er mit seiner Energie am Ende. Die Anstrengung hat seine Kopfschmerzen verdoppelt. Er sieht wieder Nebel und dunkle Schleier vor den Augen. Er streckt sich aus, wälzt sich auf die Seite und legt seinen schmerzenden Kopf in die Armbeuge. Er fällt in eine halbe Bewusstlosigkeit. Als er abermals erwacht, ist es wieder Nacht. Es ist kühl. Schüttelfrost durchjagt seinen abgehärteten Körper. Der Schmerz in seinem Kopf ist schwächer. Er trinkt einige Schluck aus der Flasche. Das tut gut, denn seine Zunge ist trocken und angeschwollen. Er lehnt sich gegen den Felsen, zieht die Beine an, legt die Arme über die Knie und das Gesicht darauf. So verbringt er die Nacht zwischen Schlaf und Wachsein. Manchmal denkt er über all die Dinge nach. Aber dann werden seine Kopfschmerzen wieder stärker, und er verbannt alle Gedanken.
Es wird eine lange Nacht. Hunger wühlt in seinen Eingeweiden und wird mit jeder Minute schlimmer. In einem oder zwei Tagen wird er diesen Hunger überwunden haben, das weiß er. Aber dann wird er immer schwächer werden. »Ich muss mich auf den Weg machen«, murmelt er heiser und erhebt sich steif und fortwährend erschauernd. Im Osten ist schon ein heller Streifen am Himmel. Dann erfolgen regelrechte Lichtexplosionen. Bald wird sich der Himmel röten und dem Land in leuchtenden Farben einen Sonnenaufgang schenken. Dan Saturday wirft die Büchse weg, nachdem er ihren Inhalt in den Taschen verstaut hat, hängt sich die Wasserflasche über die Schulter und setzt sich vorsichtig in Bewegung. Es geht einigermaßen und ist für einen harten Mann erträglich. Dan Saturday ist ein harter Mann. Er marschiert langsam nach Westen. Dort liegt Tombstone. Zu Fuß kann er den Ort in zwei bis drei Tagen erreichen – wenn er stark und zäh genug ist, es noch so lange ohne Nahrung aushalten und in Bewegung bleiben zu können.
5 Gegen Mittag des nächsten Tages erreicht er in der Nähe der Wagenfährten, die immer noch die alte und einsame Straße nach Tombstone bezeichnen, einen ausgetrockneten Creek. Im Creekbett findet er einen Tümpel. Es ist ein lächerlicher Tümpel. In wenigen Tagen wird ihn die Sonne ausgetrocknet haben. Aber in diesem Tümpel sind einige kleine Fische. Es sind winzige Dinger, kaum länger als ein Finger. Er fängt sie und verschwendet mehr als eine halbe Stunde Zeit dabei. Und er isst sie roh, reißt ihnen nur die Köpfe ab. Ein Mann, der viele Tage ohne Nahrung ist, darf nicht wählerisch sein. Er hat viel an Gewicht verloren, bewegt sich nur noch mühsam und ist ziemlich am Ende seiner Kraft. Immer noch schmerzt ihm der Kopf, und manchmal jagt ein Fieberschauer durch seinen langen Körper. Die Fische tun ihm gut. Sein Magen beruhigt sich etwas. Als er im Schatten einiger Büsche rastet, um die Mittagshitze vorüberzulassen, fühlt er, wie etwas Kraft in ihn zurückkehrt. Er späht nach Süden. Vor ihm liegt welliges Land, dahinter buckeln sich Hügel, und wieder dahinter sieht er die Mesa. Auf dieser Hochfläche – das weiß er – liegt Tombstone. Wenn die
Sonnenhitze nicht so flimmern würde, könnte er vielleicht sogar die Dächer am Rand der Mesa leuchten sehen. Dreißig Meilen noch, denkt er. Und dann sieht er die Staubwolke aus den Hügeln kommen. »Reiter!«, murmelt er scharf und wartet. Eine halbe Stunde später kann er die Reiter deutlich erkennen, wenn sie über eine der flachen Bodenwellen reiten. Sie benutzen die Straße und reiten zwischen den tiefen Wagenspuren. Bald kann er die ersten Reiter, die vor und unter der Staubwolke reiten, ganz genau erkennen. »Ah, das ist Clark Brightman mit seinem Rudel«, murmelt er. »Sie haben meine Claims auf ihre Namen eintragen lassen, haben sich ausgerüstet, mein Gold in gute Dollars umgewechselt und reiten nun zum Gold Creek Canyon, um eine neue Goldgräberstadt zu gründen, die ihnen gehören soll. Da reiten sie hin. Clark Brightman, Slim, dem ich mein Leben verdanke, und die anderen. Eine Menge Packpferde haben sie bei sich. Aah, die halten sich nicht mit Wagen auf. Sie reiten schnell.« Er zieht sich tiefer in die Büsche zurück. Bald reitet das Rudel keine hundert Yards entfernt an ihm vorbei. Schweigend beobachtet er sie. Sein Gesicht ist unbeweglich. Nur in seinen bleigrauen Augen leuchtet es seltsam. Er zählt
sie. Es sind mit Clark Brightman fünfzehn Kerle. Sie haben zwanzig Packpferde dabei. Eine Staubwolke bleibt hinter ihnen zurück. »In Ordnung, Clark Brightman«, murmelt Dan Saturday heiser. »Du hast diese Runde gewonnen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich dich nicht mit Hilfe des Gesetzes erledigen – noch nicht. Ich habe keine Zeugen – und du hast vierzehn Mann, die jeden Eid schwören würden – ah, dieser Slim vielleicht nicht! In Ordnung, Brightman! Du wirst vielleicht noch viele Runden gewinnen. Aber eines Tages wirst du ganz allein vor meinen Colts stehen. Ich weiß es sicher. Ich habe einige Federn lassen müssen – nun, ich hole mir sie wieder.« Er kriecht wieder aus den Büschen und setzt sich in den Schatten wie vorher. Die Sonne brennt noch zu stark für einen Mann, der zu Fuß gehen muss. Interessiert beobachtet er in Richtung Tombstone. Er erwartet nun eine ganz bestimmte und folgerichtige Entwicklung der Dinge. In Tombstone muss schon am Tag zuvor der Goldrausch ausgebrochen sein. Tombstone hat bisher von den Silberminen gelebt. Aber was ist Silber, wenn es sich um Gold handelt! Dan Saturday braucht nicht lange zu warten. Bald sieht er neue Staubwolken. Der ganze Weg bis nach Tombstone ist eine einzige Staubfahne.
»Tausend Menschen sind unterwegs«, murmelt er. »Es sind die neuen Bürger von Gold Creek. Und sie wissen heute noch nicht, dass sie wahrscheinlich alle für Clark Brightman arbeiten werden. Er holt sich auf diese Art eine vielhundertköpfige Belegschaft in den Gold Creek Canyon, eine Belegschaft, der er keinen Lohn zu zahlen braucht und die gar nicht weiß, dass er die Früchte aller Arbeit zuletzt allein einkassieren wird. Ja, da kommen sie!« Ein paar Reiter kommen in Sicht. Sie peitschen ihre Pferde vorwärts und zerren Packtiere hinter sich her. Es sind Cowboys, die für irgendeine Ranch geritten sind und dort ihren Dienst gekündigt haben. Sie jagen vorbei. In kleineren Abständen kommen immer wieder Reiter in Trupps oder auch allein. Manche sind sogar ohne Gepäck. Dan Saturday bleibt ruhig im Schatten sitzen. Er macht gar nicht erst den Versuch, einen Reiter anzuhalten und um Nahrung zu bitten. Er weiß, dass keiner anhalten würde. Diesen Menschen sitzt nur ein einziger Gedanke in den Schädeln: Gold! Dan wartet ruhig, obwohl in seinem Magen schon wieder ein Hungergefühl anwächst. Die paar kleinen Fischlein waren nichts, gar nichts für einen Mann wie ihn.
Ein leichter zweirädriger Wagen saust jetzt vorbei. Der Fahrer peitscht auf die Pferde ein. Es ist ein prächtiges Gespann. Neben dem Fahrer sitzt eine junge Frau und hält ein Baby im Arm. Um sie herum und zu ihren Füßen ist vielerlei Gepäck aufgestapelt und festgeschnürt. Ein junges Paar – vielleicht Siedler oder ein Minenarbeiter. Sie haben gewiss alles zu Geld gemacht und dafür diesen leichten Wagen und das Gespann gekauft. – Sie werden sich gewiss einen guten Claim sichern können. Aber ob er ihnen Glück bringt? Dan denkt es bitter. Wieder tauchen Reiter in Trupps und einzeln auf. Dann sieht er den ersten vierrädrigen Wagen. Sechs Maultiere ziehen ihn. Vorn sitzen ein bulliger Mann und eine füllige Frau. Zwischen ihnen hockt ein Junge. Und hinten sehen zwei kleinere Jungen durch den Schlitz der Wagenplane. Sie entdecken ihn und winken ihm zu. Müde winkt er zurück. Dann reißt die Kette der Fahrzeuge nicht mehr ab. Es sind fahrbare Untersätze aller Art. Manchmal biegt ein schnelleres Gefährt aus, überholt die langsameren Vordermänner und ordnet sich wieder in eine Lücke ein. Reiter sind dazwischen.
Ein alter Mann reitet auf einem Esel hinter einem Wagen her. Dann wird es wieder ruhiger, die Abstände werden größer, aber immer noch tauchen Fahrzeuge und Reiter auf. Es ist Nachmittag geworden. Dan Saturday erhebt sich. Seine Wasserflasche ist schon gefüllt. Er geht dichter an die Straße heran und wendet sich nach Süden. Er ist der einzige Mensch weit und breit, der in dieser Richtung zieht. Immer wieder begegnen ihm Reiter, Wagen – und wieder Reiter und Wagen. Manche Männer schenken ihm einen kurzen Blick – nicht mehr. Einmal ruft ihm eine Frau etwas zu. Er bleibt stehen, aber der Fahrer hält den Wagen nicht an. Dan Saturdays Schritte werden immer müder und schleppender. Manchmal schwankt er. Einmal bleibt er stehen und trinkt aus der Flasche. Dann lacht er heiser und bitter. »Oha, ihr Narren«, murmelt er dann. »Ihr rast alle in die Hölle hinein, die Clark Brightman für euch bereit hält. Ihr beachtet mich nicht und haltet euch nicht mit mir auf. Und doch fand ich das Gold. Und eines Tages werde ich es sein, der euch alle aus den Klauen eines Ungeheuers befreit.« Er geht weiter. Vom Kamm des nächsten Hügelrückens sieht er in eine Bodensenke hinunter. Dort steht ein
Wagen. Es ist ein großer und schwerer Wagen mit vier Maultieren. Ein großer Mann und ein schlanker Bursche hantieren am rechten Vorderrad herum. Als Dan bis auf zehn Meter heran ist, wischt sich der große Mann gerade die Hände an den Hosen ab und klettert auf den Bock. Neben dem Wagen liegt ein zerbrochenes Rad. Ein neues ist eingesetzt worden. »He, steig auf, Mädel! Worauf wartest du noch?«, ruft der große Mann mit Bassstimme. Dan Saturdays verbundener Kopf zuckt überrascht herum. Er erkennt erst jetzt, dass der schlanke Bursche gar kein Bursche, sondern ein richtiges Mädel ist. Und er erkennt, dass sie ihn mit großen Augen ansieht. »Dad, da ist ein verwundeter Mann, der bald zusammenbricht!«, ruft sie mit einer ruhigen und beherrschten Altstimme. »Verdammt, Bell! Wir haben wegen diesem verdammten Rad schon eine Menge Zeit verloren!«, ruft der große Mann – und dabei sieht er Dan Saturday an. Dieser bleibt jetzt etwas schwankend stehen und sieht zu ihm auf. »Richtig, Mister! Lassen Sie sich nicht aufhalten. Eine Menge Gold wartet auf Sie. Fahren Sie nur los, sonst schnappt es Ihnen ein anderer Mann weg!«
Er ruft es ihm mit heiserer Stimme bitter zu und geht weiter. Das Mädchen versperrt ihm den Weg. »Halt, Fremder! Sie können ja kaum noch auf den Beinen stehen. Sie fallen gleich um. Ich helfe Ihnen in den Wagen. Während der Fahrt kann ich mich um Sie kümmern. Kommen Sie! Dad, zieht ihn herauf!« Der Riese auf dem Wagenbock bewegt sich. »Verdammt, Mann, ich sehe erst jetzt, dass Sie aus dem letzten Loch pfeifen. Nun, kommen Sie!« Er streckt seinen mächtigen Arm aus, um Dan auf den Sitz zu ziehen. »Danke! Aber ich will nach Tombstone. Es ist nur Hunger. Ich habe eine ganze Woche nichts gegessen – oh, etwas doch! In einem Wasserloch waren einige Fische.« Er wendet sich wieder zu dem Mädchen um, dessen Augen ihn vorhin schon bezaubert haben. Es sind grüne Augen, und sie hat volle Lippen, die rot sind und einen energischen Schwung besitzen. Unter dem schwarzen Stetson mit flacher Krone sind ein paar kupferrote Locken zu erkennen. Sie ist zierlich und biegsam und geschmeidig. Bestimmt kann sie wie eine Indianerin reiten und weiß sich in jeder Lage zu helfen. Und sie ist bestimmt selbstbewusst und stolz.
Sie ist die Mischung, der Dan Saturday schon immer einmal begegnen wollte. Ihre Blicke treffen sich. »Lady«, sagt er schwerfällig, »ich brauche nur ein Stück Brot, dann schaffe ich es bis Tombstone!« Sie sieht ihn immer noch an und bewegt sich nicht. Sie sieht in sein mageres, zerfurchtes und erschöpftes Gesicht, das braun und dunkel gegen den Verband absticht. »Man hat Sie überfallen«, murmelt sie plötzlich. »Der Verband ist schlecht! Ich will einen besseren anlegen und nach Ihrer Wunde sehen!« »Das ist nicht nötig, Lady! Ich möchte nur ein Stück Brot. Dann bin ich morgen in Tombstone!« »Nun los, Bell! Gib ihm Proviant! Er weiß selbst am besten, was gut oder schlecht für ihn ist!«, ruft der Riese ungeduldig vom Bock. »Wir brauchen uns nicht beeilen, Dad! Du hast immerhin deine drei Söhne vorausgeschickt! Wir haben Zeit!« Sie ruft es ziemlich scharf. Dann geht sie hinten an den Wagen und klettert hinein. Dan bleibt am Vorderrad stehen und lehnt sich schwer dagegen. Der große Mann sieht forschend auf ihn herunter. Und Dan sieht zu ihm hinauf.
Der Riese hat ein breites Gesicht und darin eine kühne Adlernase. Der Mund wird zum Teil von einem schwarzen Bart bedeckt, in dem sich bereits die ersten Silberfäden zeigen. Graue Augen, die in vielen Fältchen verborgen sind, mustern Dan Saturday scharf. Und dieser scharfe Blick gleitet an Dans Körper abwärts und bleibt dort einen Moment ruhen, wo die Coltholster Dans Hose abgeschabt haben. Man kann auf Dans Cordhose deutlich erkennen, wo einst die Holster gesessen hatten. »Kummer gehabt, Cowboy?«, fragt er dann. »Mächtigen Kummer«, erwidert Dan heiser. Der Riese nimmt den Blick von ihm und sieht kurz nach Norden. »Auf diesem Weg wird es noch viel Kummer geben«, murmelt er. »Sicher – und im Gold Creek Canyon!« »Was wissen Sie vom Gold Creek Canyon, Fremder?« »Ich komme von dort Mister!« »He, ist schon viel Betrieb dort?« »Ich war allein dort, Mister.« Dan Saturday wendet sich ab, denn hinten springt das Mädchen aus dem Wagen und kommt schnell herbei. Sie trägt ein Bündel. »Ich habe alles in diese Decke eingerollt, Mister. Sie werden erst einmal essen und schlafen müssen, bevor Sie neue Kräfte bekommen.«
Dabei sieht sie ihn fest und offen an. Da sie zu ihm aufsehen muss, fällt ihm ihr festes Kinn auf – und ihr makelloser Hals, in dem er den Pulsschlag klopfen sieht. Sie trägt eine hellbraune Wildlederweste und ein grünes Hemd. Auf ihrer kleinen Nasenspitze ist ein Fleck zu sehen – Wagenschmiere wohl, die ihr beim Radwechsel irgendwie auf diese Stelle gekommen ist. »Danke, Miss. – Vielleicht kann ich es eines Tages vergelten«, murmelt er und sieht sie immer noch an. Sie lächelt. Ihre Wangen röten sich etwas. Ihre schön geschwungenen Augenbrauen zucken. »Ihren Namen könnten Sie mir immerhin nennen«, sagt sie dann geradeheraus. »Daniel – Daniel Saturday«, murmelt er. Und zugleich sieht er, wie sich ihre Augen weiten. »Sie – Sie sind Dan Saturday, der mit Lahs Shadwick vor drei Wochen einen Revolverkampf hatte und dann vor Bruce Shadwick in die Berge flüchtete?« »Ja, ich bin Dan Saturday, der nicht mehr kämpfen wollte – dieser Mann bin ich«, murmelt er. Sie mustert ihn ziemlich kritisch. »Ich habe von Ihnen schon gehört«, murmelt sie dann spröde. »Sie waren mal Town Marshal, brachten auf blutige Art eine wilde Stadt zur Ruhe – und wurden dann wieder ein
Revolvermann, der in einigen Rinderkriegen mitwirkte. Ich habe von Ihnen schon gehört.« Sie geht langsam um ihn herum und klettert auf den Bock zu ihrem Vater. »Ich hielt ihn für einen Cowboy, aber er ist Dan Saturday, der Revolvermann«, sagt sie dann. »Fahr los, Dad!« Die kühlen Worte treffen Dan bis ins Herz. Er tritt zurück, denn die Maultiere ziehen jetzt an. Und etwas in ihm treibt ihn zu einem Ausruf: »Ja, ich bin Dan Saturday! Und ich werde auch nach Gold Creek kommen und dort Ordnung schaffen! Lady, es gibt zwei Sorten von Coltmännern! Das sollten Sie wissen!« »Heee! Joojooo!«, ruft der Riese seinen Maultieren zu. Der Wagen rollt an Dan vorbei und in die Wagenspur der Straße hinein. Dan liest den Namen, der in die Bretter der Seitenwand eingebrannt ist: Ike Graham. »Bell Graham heißt sie also«, murmelt er. »Ysabel oder Isabella Graham. Nun, Bell, wir sehen uns wieder!« Er geht ein Stück von der Straße weg und findet bald einige Bäume und dichtes Gebüsch. Hier schlägt er sein Lager auf. Bell Graham hat ihm reichlich Proviant eingepackt, auch Tabak, Blättchen und Streichhölzer.
Die Nacht wird er in einer Decke, an einem Feuer und mit vollem Magen schlafen. Er isst langsam, liegt ausgestreckt auf der Decke und sieht zur Straße hinüber. Dort tauchen immer wieder Wagen und Reiter auf – bis die Nacht anbricht und die Sterne zu funkeln beginnen. Und selbst nach Mitternacht hört er sie noch rollen. Das halbe Cochise County ist zum Gold Creek Canyon unterwegs. Dan Saturday schätzt, dass er an diesem Tag fünf- bis sechshundert Menschen gesehen hat. Er schläft die Nacht vorzüglich. Sein Kopf schmerzt kaum noch. Er fühlt unter dem Verband, wie sich die Kopfhaut zusammenzieht und die Wunde verheilt. Niemand kommt an sein Feuer. Alle Menschen, die in der Nacht vorbeiziehen, haben es viel zu eilig. Am Morgen isst er wieder kräftig und marschiert dann weiter. Bald begegnet er einem geschlossenen Wagenzug. Er bleibt stehen und sieht dem Treck entgegen. Einige Reiter bilden die Spitze. Dann folgt eine Postkutsche, aus deren Fenstern Frauengesichter schauen. Und dann folgen noch fünf schwerbeladene Wagen. »Renee Roi ist schnell, ganz verdammt schnell«, murmelt Dan spöttisch. »Er wird in Gold Creek die erste Sündenhöhle errichten. Und er hat eine Menge Mädels dabei, die den
Goldgräbern das Gold aus den Taschen ziehen werden. Ah, Renee Roi und seine Gesellschaft sind gewissermaßen auch Goldgräber. Doch auch er wird einen großen Teil seines Gewinns an Clark Brightman abgeben müssen.« Er legt sein Bündel ab, holt sein Rauchzeug hervor und dreht sich eine Zigarette. Als er raucht, lösen sich zwei Reiter von dem Treck und kommen zu ihm herüber. Dan erwartet sie gelassen. Einer der beiden Reiter ist eine schöne Frau. Sie reitet im Damensitz, und sie reitet gut. »Hallo, du langer Satteltramp! Du siehst so aus, als könntest du Dan Saturday sein!« Sie ruft es mit einer klaren Stimme, die einen dunklen und melodischen Ton hat und dennoch nicht weich, sondern eher hart und unnachgiebig klingt. »Hey, Lil Randell, ich bin es!«, ruft er lässig. Sie verhält ihr Pferd vor ihm und reicht ihm die Hand hinunter. Er drückt die Hand. Es ist eine lange, schmale und geschmeidige Hand – sie kann mit einem Colt umgehen und Kartenkunststücke machen. »Du siehst schlecht aus, großer Mister. Pech gehabt?« »Glück gehabt.« Er grinst und sieht sie fest an. Sie hat kühle und graue Augen, eine leicht gebogene Nase und einen schön geschwungenen Mund. Ihr Haar ist blauschwarz. Es ist straff
zurückgekämmt, hinten mit einem roten Band zusammengehalten und glänzt in der Sonne. Sie ist ein dunkelhäutiger Typ, der keinen Sonnenbrand bekommt. Sie ist energisch, klug, kühn, schön und kann sich unter rauen Männern behaupten. Der schlimmste Hundesohn respektiert sie und hütet sich, auch nur einen zweideutigen Blick zu riskieren. Und sie macht Dollars. Sie ist eine Glücksritterin. »Vielleicht hast du wirklich Glück gehabt«, murmelt sie nachdenklich und sieht ihn seltsam an. »Mächtig!« Dan grinst und richtet seinen Blick auf Renee Roi, der neben ihr sein Pferd verhält und schweigsam abwartet. »Sie beeilen sich mächtig, Renee«, sagt Dan. In ihm ist plötzlich ein sarkastischer Spott. Renee Roi zieht die dünnen Augenbrauen in die Höhe, verzieht den schmalen Mund und sagt dann leise und höflich: »Ich bin Geschäftsmann. Ja, wir werden die erste Hall in Gold Creek eröffnen. Übrigens, Dan – in Tombstone wartet Bruce Shadwick immer noch auf Sie. Er schwört darauf, dass Sie eines Tages zurückkommen würden. Er macht sich nicht die Mühe, nach Ihnen zu suchen. Er wartet auf Sie.«
»Ich bin schon unterwegs.« Dan grinst immer noch sarkastisch und studiert Renee Roi noch einmal mit einem aufmerksamen Blick. Roi ist von unbestimmbarem Alter. Er ist mittelgroß, schlank, geschmeidig und ziemlich farblos. Aber wenn man ihn genauer ansieht, denkt man unwillkürlich an einen Hecht im Karpfenteich – an einen ruhigen, schweigsamen und zurückhaltenden Hecht, der nur manchmal und ganz plötzlich nach einer fetten Beute schnappt und sich dann wieder ruhig verhält. Dan Saturday sieht fest in Renee Rois Fischaugen hinein, die kein Gefühl verraten. »Renee, in Gold Creek wirst du einem Mann Tribut zahlen müssen oder viel Kummer erleben. Nun, Lil ist dein Partner. Sie ist klüger als du. Ich werde später auch nach Gold Creek kommen und mir die Sache ansehen.« »Vorher musst du Bruce Shadwick töten«, murmelt Renee Roi und wendet sein Pferd. Dan Saturday sieht Lil Randell an. »Du hast einen seltsamen Partner, Lady. Er ist ein ziemlich gefährlicher Hecht. Nun, du bist sicher eine Pantherkatze. Ich habe keine Angst um dich. Viel Glück, schöne Lady!« Er bückt sich, hebt sein Bündel auf und setzt sich in Bewegung. »Warte, ich hole dir ein Pferd aus dem Tross!«, ruft sie und reitet davon.
Die Wagen sind inzwischen vorbeigefahren. Zwei Mexikanerjungen treiben eine kleine Pferderemuda hinterher. Dan Saturday beobachtet, wie sie hinüberreitet, sich von einem der Mexikaner ein Lasso geben lässt, es wie ein Cowboy schwenkt und ein Pferd aus dem Rudel fängt. Sie bringt es schnell herbei. »Reservesättel haben wir nicht, Long Daniel, aber ich denke, du wirst dich auch so auf dem Pferderücken halten. Du bist ja fast ein Indianer!« Sie wirft ihm das Lassoende zu. »Lil, warum tust du das?«, fragt er. »Du hast doch sonst nichts zu verschenken! Wenn mich Bruce Shadwick erschießt, kann ich dir das Pferd nicht einmal zurückgeben.« Sie beugt sich etwas zur Seite und sieht ihn ruhig an. »Es ist alles Berechnung«, murmelt sie dann. »Du bist der beste Mann auf tausend Meilen in der Runde. Ich kann zwei und zwei richtig zusammenzählen. Und nun bist du mir verpflichtet. Das ist gut. Ich werde eines Tages ein paar Freunde brauchen. Du wirst doch auch bald nach Gold Creek kommen?« »Du bist wirklich klug.« Er grinst. »Ich dachte schon, dass du eine gewisse Schwäche für mich hättest. Auch Pantherkatzen können manchmal schwache Stunden haben.« Er lächelt sie seltsam an.
Sie schlägt ihn leicht mit der Reitpeitsche auf die Schulter. »Scherze nicht auf diese Art mit mir, Dan. Vielleicht bist du wirklich für mich eine Ausnahme unter all den Männern in diesem Land. Sei gut, Cowboy!« Sie will anreiten. »He!«, ruft er. »Vielleicht träume ich jetzt jede Nacht von dir und frage mich…« »Ich mag dich, Dan – aber ich wäre niemals die richtige Frau für dich. Du brauchst eine von der gutherzigen Sorte, die sich Kinder wünscht. Deshalb passen wir nicht zusammen, Dan. Ich bin eine Abenteurerin! Ich mache Dollars! Wenn ich reich bin, werde ich die ganze Welt durchstreifen. Du wirst einmal irgendwo feste Wurzeln schlagen. Wir passen nicht zusammen. Ich habe über uns schon oft nachgedacht. Du bist nicht aus Feigheit vor Bruce Shadwick weggelaufen. Deine rauchigen Jahre sind bald vorbei. Meine halten mein ganzes Leben lang an. Aber ich mag dich. Ich bin deine gute Freundin. Sei gut, Dan!« Sie reitet schnell davon. Dan sieht ihr lange nach – voller Staunen. »Du hast alles richtig erkannt, Lil Randell«, murmelt er. »Wir beide könnten als Paar nicht lange zusammen durchs Leben gehen. Aber gute Freunde könnten wir immer bleiben. Und du wirst bald einen guten Freund sehr nötig haben, Lil. Denn diesen Clark Brightman kannst du nicht
um den Finger wickeln. Der zerstampft auch dich!« Er schwingt sich mit seinem Bündel auf das sattellose Pferd, nachdem er aus dem Lasso nach Indianerart ein primitives Zaumzeug verfertigt hat.
6 Am Abend reitet Dan Saturday auf der Allen Street in die wilde Stadt Tombstone ein. Selbst die Nordseite der Straße, auf der sich alle Vergnügungslokale befinden, wirkt sehr ruhig. Dan reitet in den Mietstall. Der Stallmann starrt ihn im Licht der Stalllaterne staunend an. »Oha«, sagt er, »Sie sind also doch zurückgekommen, Saturday. Die halbe Stadt hat darauf gewettet. Aber Sie sehen nicht gut aus. Und Sie sind nicht bewaffnet!« »Ich will schlafen«, murmelt Dan und verlässt müde den Stall. Neben dem Kristallpalast ist ein Hotel. Er geht hinein, tritt an das Pult, trägt sich in das Gästebuch ein und streckt die Hand aus. Der Portier legt den Schlüssel hinein. »Nummer drei, Mister Saturday. Sie sind also doch zurückgekommen. Bruce Shadwick wartet in der Stadt auf Sie und…« »Er wird noch etwas warten müssen. Ich möchte ein oder zwei Tage schlafen. Morgen Mittag möchte ich ein kräftiges Frühstück ans Bett gebracht haben. Und der Barbier soll für morgen Mittag einen Bottich heißes Wasser für mich bereithalten. Heute bin ich für keinen Menschen zu sprechen. Klar?«
»Jawohl«, sagt der Portier. Dan geht hinauf, stellt einen Stuhl unter die Türklinke und zieht seine Stiefel aus. Dann fällt er um und schläft auf dem Bauch ein. Ein harter und starker Mann sammelt neue Kräfte. Siebzehn Stunden später sitzt Dan Saturday in einem großen Holzbottich und bis zum Hals im heißen Wasser, auf dem weißer Seifenschaum schwimmt. Der Barbier hat ihn schon rasiert und sich auch um seine verharschte Kopfwunde gekümmert. Dan trägt nur noch ein kleines Pflaster auf dem Stirnknochen. Er rülpst ungeniert in den Seifenschaum und brummt dann: »Mit einem vollen Magen sollte man nicht baden. Aaah, das tut mächtig gut. Ich werde zumindest eine halbe Stunde dieses Fest genießen – bis mir das Wasser zu kalt ist. Ha, wenn ich nur wüsste, wie ich alles bezahlen soll. Na, ich könnte immerhin das Pferd verkaufen. Aber dann müsste ich zu Fuß…« Er verstummt, denn die Tür des Wasch- und Baderaumes wird aufgestoßen. Drei Männer treten langsam ein. Und sie machen ziemlich grimmige Gesichter.
»Da sitzt dieser Hundesohn. Wir sollten ihn ertränken. Dieser verdammte Narr ist es nicht wert, noch länger auf dieser Erde atmen zu dürfen!« Der Sprecher ruft es mit knurriger Bassstimme. Und er ist lang, dünn und knochig. Er bewegt sich mit eckigen Bewegungen und marschiert in einem seltsamen Storchenschritt herein. Aber in seinem hageren Gesicht glänzen seine rotgeränderten Augen voller Freude. Das ist Whip Dunn, der auf verschwiegenen Wegen Wagentransporte von Mexiko über die Grenze bringt – kein Bandit zwar, aber immerhin eine ziemlich dunkle Existenz, an dem äußerlich keine Waffe zu sehen ist, weil er sie in einem Schulterholster unter der weiten Jacke trägt. »Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sich ein Mensch reinlich hält«, murmelt der zweite Besucher sanft und ruhig. Seine Aussprache ist gebildet, die eines Gentleman, und sein scharfgemeißeltes Gesicht verrät Intelligenz und eine gewisse Bildung. Er trägt die dunkle und für hiesige Verhältnisse elegante Tracht des Berufsspielers. Auch an ihm ist keine Waffe zu bemerken. Er lächelt fein und streicht sich über seinen kleinen Schnurrbart, der wie ein dunkler Strich über seinen schmalen Lippen sitzt. »Ich werde heute auch noch ein Bad nehmen«, sagt er und nickt Dan lässig zu.
Das ist Chase Pence, der Berufsspieler, von dem man sagt, dass er ehrlich spielt und zauberhaft schnell mit dem kleinen Colt ist, der irgendwo in seiner Kleidung verborgen ist. Als er Dan ansieht, leuchtet in seinen dunklen Indianeraugen eine warme Zuneigung auf – und verschwindet wieder. Der dritte Mann sagt nur: »Hallo, Dan! Ich sehe dich und freue mich darüber!« Er sagt es ziemlich impulsiv und tippt dabei an die mächtige Krempe seines großen Hutes. Das ist Jim Larrymaker, der als Treibherdenboss sein Geld verdient. Er ist noch jung, keine fünfundzwanzig Jahre alt, aber er ist ein harter Mann, riesig groß, stark, schnell und kühl in den Augen. Er trägt ein blaues Hemd, ein rotes Halstuch, einen großen Colt, vergoldete Sporen und ein golddurchflochtenes Hutband. Er könnte einem Maler, der das Idealbild eines Cowboys malen möchte, Modell stehen. Jim Larrymaker ist tatsächlich ganz und gar einer der stolzen, kühnen, harten und lässigen Ritter der Weide. Und als er Dan ansieht, leuchtet auch in seinen blauen Augen echte Zuneigung. Er schiebt den großen Hut zurecht. Eine Strähne weizengelben Haares fällt ihm über die Schläfe. Vom linken Backenknochen bis zum Kinn zieht sich eine Narbe über die braune Wange.
Das sind nun Dan Saturdays Freunde, auf deren Namen er gute Claims abgesteckt hat, Claims, die jetzt Clark Brightman beziehungsweise dessen Leuten gehören. Dan Saturday wischt sich den Seifenschaum aus dem Gesicht und grinst die drei so verschiedenen Männer seltsam an. »Ich frage mich, was euch in Tombstone zurückgehalten hat, wo doch das gelobte Land Gold Creek Canyon heißt«, sagt er zu ihnen. »Aber ich bin mächtig froh, dass ihr noch vorhanden seid, denn ich habe keinen Cent in der Tasche und lebe wie ein Fürst. Einer von euch wird für mich bezahlen müssen.« »Und andere Sorgen hast du nicht?«, knurrt Whip böse. »Ich habe viele Sorgen, Brüder!« »Bruce Shadwick ist mit ein paar Freunden in der Stadt. Er hat darauf gewettet, dass du eines Tages zurückkommen wirst. Wir dachten uns das auch. Weil er aber ein paar Freunde bei sich hat, dachten wir überdies auch noch, dass es nicht schaden würde, wenn wir mit ihm auf dich warten würden. Obwohl wir ziemlich gern nach dem Gold Creek Canyon geritten wären. Wir hätten zu den ersten zwanzig Männern gezählt, die ihre Claims abgesteckt hätten. Nun, wir werden…« »Ich hatte für jeden von euch einen prächtigen Claim abgesteckt«, unterbricht Dan Saturday den blonden Cowboy lässig. »Ich bin der Mann, der
im Canyon den ersten Nugget in die Hand nahm. Ich hatte nach drei Tagen einen ganzen Sack voll!« Er grinst und taucht dann unter. Als er wieder auftaucht und die drei Freunde anblinzelt, halten diese immer noch die Luft an. »Ich sah doch gleich, dass du mächtigen Kummer unterwegs hattest«, murmelt Whip. »Was passierte dann?«, fragt Jim ruhig. Chase, der Spieler, sagt gar nichts. Aber in seinen dunklen Augen, die sehr schmal geworden sind, blitzt und funkelt es hart. »Sie haben mich beim Goldaufsammeln beobachtet. Ich konnte ihnen nicht entkommen. – Sie denken, dass ich tot bin.« Er grinst sie wieder an. Plötzlich grinsen sie zurück. »Du bist aber nicht tot und hast überdies auch noch drei Höllenhunde zu Freunden«, knurrt Whip. »Yeah, das ändert die Sachlage gewaltig«, murmelt Jim hart. Chase Pence hebt die lange und schmale Spielerhand. »Ein gewisser Clark Brightman und dessen Mannschaft meldeten die Entdeckerclaims an«, sagt er. »Sicher, dem verdanke ich den Kummer. Die vier besten Claims hatte ich für uns abgesteckt.
Jetzt sind sie verloren«, erwidert Dan und taucht wieder unter. Als er wieder auftaucht, hört er Chase sagen: »Ich würde nicht behaupten, dass sie für uns verloren sind, Dan. Aber bevor wir hinreiten, musst du dich erst um Bruce Shadwick kümmern.« Nun sehen sie ihn ernst und forschend an. Dan wischt sich das schaumige Wasser aus dem Gesicht. »Ich war es leid«, sagt er. »Ich hatte keine Lust, wieder auf einen wilden Burschen schießen zu müssen. Es ist schlimm für einen Mann, wenn er einem anderen aus dem Weg geht. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass Bruce Shadwick seine Absicht aufgeben würde. Wenn wir in Gold Creek beginnen, würde er mich dort suchen. Ich muss es wohl doch mit ihm austragen.« »Er ist stur und hat sich in die Idee vernarrt, seinen Bruder zu rächen. Du musst es hinter dich bringen, oder bis zur Nordgrenze reiten«, nickt Chase ruhig. Dan grinst jetzt nicht mehr. Sein Gesicht bekommt einen bitteren Ausdruck. »Sicher. Geht in den Store und kauft mir einen neuen Anzug, Stiefel und einen Hut. Jim hat meine Körpergröße und Whip meine Schuh- und Hutnummer. Chase, du könntest dich im Waffengeschäft nach zwei eingeschossenen Colts umsehen. Ich weiß, dass du mir die richtigen
Dinger bringst. Eines Tages bekomme ich meine alten Kanonen zurück. Einer von Brightmans Leuten wird sie tragen. Beeilt euch mächtig, denn das Wasser wird langsam kalt.« Sie verlassen ihn schweigend. Er starrt eine Weile bewegungslos auf die Tür, die sich hinter ihnen schließt. Es beginnt schon, denkt er bitter. Weil ich um mein Recht kämpfen will, kann ich nicht mehr vor Bruce Shadwick davonlaufen. Der Narr ahnt ja gar nicht, dass ich weder aus Furcht noch aus Feigheit davongeritten bin. Er hält sich jetzt erst recht für einen mächtigen Burschen. Aaah, es ist wirklich schlimm mit allen Revolverschwingern! Er seift sich noch einmal ein, schrubbt sich ab und steigt dann aus dem Bottich. Als er sich abtrocknet, kommen die Freunde zurück. »Hier ist dein Festanzug, Hombre«, knurrt Whip. »Die Stiefel und der Hut kosteten fünfundvierzig Dollar – ich kaufe selbst für meine Freunde nur gute Sachen«, fügt er hinzu. Jim geht kritisch um Dan herum. »Du bist verdammt mager geworden, Sohn. Das Zeug wird dir um die Knochen schlottern.« »Ich nehme jeden Tag ein Pfund zu«, verspricht Dan und kleidet sich an. Sie haben nichts vergessen. Sogar ein rotes Taschentuch ist dabei. Sie sind wirklich seine Freunde und
denken an alles. Als er seine alten Kleider im Badeofen verbrennt, kommt Chase Pence herein. Er bewegt sich mit einem gewissen Ernst und reicht Dan einen alten Waffengürtel hin, in dessen zwei Holstern alte Colts stecken. Aber so abgegriffen die Waffen auch aussehen, sie sind gut gepflegt. »Danke«, sagt Dan ruhig. »Dein Vertrauen ist groß, Dan«, murmelt Chase. In den Augen des Spielers blitzt wieder Zuneigung und ganz im Hintergrund eine leise Sorge. »Probier sie in der Hand aus«, sagt er. »Das ist nicht nötig, Chase. Du hast sie ausgesucht und probiert. Das genügt für mich!« »Danke, Dan. Sie sind gut. Du kannst damit hinausgehen. Draußen auf der Straße wartet nämlich schon Bruce Shadwick auf dich. Seine Freunde sind in der Nähe, aber du brauchst nur auf ihn zu achten. Wir passen auf.« Dan Saturday nickt. Wortlos geht er hinaus, geht durch den Barbierladen und tritt auf die Straße. Auf der anderen Seite liegt die Veranda des Kristallpalastes. Dort steht ein massiger Mann – ein wahres Muskelpaket ist es. Er hält den runden Schädel gesenkt und schielt an seiner wulstigen Stirn entlang zu Dan herüber. Als er ihn sieht, wirft er eine Zigarre weg und tritt auf die Fahrbahn herunter.
»Hoiii, Saturday!«, ruft er. »Helfen dir deine Freunde?« »Sie passen nur auf, dass sich deine Partner nicht einmischen!«, ruft Dan bitter zurück und verspürt mit einem Mal wieder den starken Widerwillen in sich. Da steht ein wilder Bursche, der einen Kampf haben möchte. Und hier steht er. Vor gut drei Wochen ist er diesem Kampf aus dem Weg gegangen. Inzwischen haben sich einige Dinge verändert. Dan will im Land bleiben. Und deshalb kann er vor diesem gereizten Büffel nicht mehr länger weglaufen. Bruce Shadwick wendet sich um und gibt einigen Männern, die hinter ihm auf der Veranda stehen, ein kurzes Zeichen. Die fünf Kerle weichen zur Seite. Whip, Chase und Jim, die hinter Dan aus dem Barbierladen kommen, weichen ebenfalls zur Seite. Die beiden Gegner haben freies Schussfeld und stehen sich ganz allein gegenüber. Sie nähern sich noch einige Schritte und bleiben dann stehen. Der Zwischenraum beträgt nur noch zehn Schritte. Sie können sich deutlich in die Augen sehen. Bruce Shadwick hat wilde Augen. Er ist einer von der Sorte, die ständig gereizt und über irgendetwas wütend ist.
»Du hast meinen Bruder Lahs zusammengeschossen. Sein rechter Arm wird für immer steif bleiben«, grollt Bruce Shadwick. »Er hatte den ersten Schuss, und es war ein fairer Kampf«, murmelt Dan bitter. »Das weiß ich! Lahs ist ein wilder Junge. Es war dumm von ihm, dass er mit dir Streit anfing. Soweit ist alles klar, Saturday.« »Was willst du dann von mir, Bruce Shadwick?!« »Ganz einfach, Saturday! Lahs ist wieder auf den Beinen. Er ist verrückt nach deinem Skalp. Er wird dir auflauern und aus dem Hinterhalt mit einem Gewehr auf dich schießen. Das kann er trotz des steifen Armes. Nun, ich möchte nicht, dass ein Shadwick auf diese Art einen Mord begeht. Deshalb stehe ich jetzt für meinen Bruder vor dir. Wenn ich dich erwische, wird mein Bruder nicht zu einem Hundesohn!« »Du solltest Lahs lieber klarmachen, dass ein Mann auch eine Niederlage ertragen muss!« »Ich habe es versucht. Er hat die Hölle im Leib! Saturday, du musst gegen mich ziehen!« »Du liebst deinen Bruder, was?« »Ich war ihm Vater und Mutter. Jetzt ist er verrückt! Er wird erst wieder normal, wenn du tot bist!« »Dieser verdammte Narr, der mit mir Streit anfing, weil er ein Billy the Kid werden möchte! Bruce Shadwick, es lohnt sich nicht! Ich bin
damals weggeritten, um dich nicht töten zu müssen! Gib Lahs eine tüchtige Tracht Prügel und bring ihn zur Vernunft! Bruce, du schaffst es nicht mit mir!« »Das will ich ausprobieren! Ich bin Lahs’ großer Bruder! Los, Dan Saturday!« Das letzte Wort kommt als wildes und herausforderndes Wort aus Bruce Shadwicks Mund. Dabei klatscht seine große Hand hart gegen den Coltkolben und reißt die Waffe heraus. Er ist schnell. Dan Saturday ist noch schneller. Und doch schießt Bruce Shadwick zuerst. Denn Dan Saturday, der ihn mit einem raschen Schnappschuss voll erwischen könnte, wartet, bis die Hand des Gegners mit dem Colt zur Ruhe gekommen ist. Bruce Shadwick war schnell – und er schoss auch schnell. Die Kugel reißt ein Stück von Dans Ohrläppchen weg. Dann schießt Dan sorgfältig und trifft die Revolverhand des Gegners. Das wollte er. Er wollte Bruce Shadwick nicht töten. Er gab ihm den ersten Schuss und riskierte das Leben dabei. Der Colt fällt aus der verletzten Hand und in den Staub der Fahrbahn. Shadwick bückt sich, brüllt dabei und greift mit der Linken nach der
Waffe. Er ist ein harter Mann und will einen Kampf bis zum letzten Atemzug. Dan hat zuerst mit dem linken Colt geschossen. Nun spuckt die rechte Waffe einen Feuerstrahl aus. Er schießt die Kugel in Shadwicks linken Oberarm. »Jetzt hör auf, du sturer Büffel!«, brüllt er wild und scharf. Bruce Shadwick schwankt in gebückter Haltung. Er richtet sich langsam auf. Er scheint seine Schmerzen gar nicht zu spüren. In seinem runden und groben Gesicht ist ein verwundertes Staunen. Er schwankt auf Dan zu und hält ganz dicht vor ihm an. Er starrt ihm verwundert ins Gesicht. »Du hast gewartet – du hast mir den ersten Schuss gelassen«, keucht er heiser. »Du hättest mich töten können. Du hattest es gar nicht nötig, vor mir davonzulaufen!« »Ich hasse jeden Revolverkampf, Bruce. Ich bin es leid, dass immer wieder wilde Burschen kommen und sich einen Namen machen wollen. Deine Kugel ging haarscharf vorbei. Das nächste Mal riskiere ich nichts mehr – sondern töte dich, du Narr!« Er schiebt die Waffen in die Holster und wendet sich ab. Bruce Shadwicks Stimme hält ihn zurück: »Ich habe dich verkannt, Saturday. Vielleicht kann ich meinen Bruder doch noch zur Vernunft
bringen. Ich verstehe und achte dich, Saturday. Ich begreife dich. Es gibt keinen schnelleren Coltmann im Land. Aber es gibt viele Burschen, die es persönlich herausfinden wollen. Dein Name lockt sie an. Du wirst immer wieder kämpfen müssen. Schlimm für dich, Dan. Du solltest in ein anderes Land reiten, wo man dich nicht kennt. Jemand wird dir in den Rücken schießen – eines Tages. Ich wünsche dir Glück, ehrlich, denn ich kenne dich jetzt richtig.« Er geht davon. Dan Saturday geht mit seinen Freunden zum Speisehaus hinüber. »Chase, die Colts sind in Ordnung«, sagt er kurz. »Wenn du deinem nächsten Gegner noch einmal absichtlich den ersten Schuss überlässt, wird dir der Selbstmordversuch bestimmt glücken«, sagt der Spieler ruhig. »Dort, wo wir hinreiten, werde ich keine Chancen verschenken. Brüder, ich muss euch etwas klarmachen – wenn wir gegessen haben.« Er sagt es ziemlich rau. Dann gehen sie in den Speisesaal, nehmen Platz, bekommen ein Essen und reden kein Wort. Als sie dann bei Zigaretten und Kaffee sitzen und niemand in ihrer Nähe ist, beginnt Dan Saturday ruhig zu sprechen: »Wenn wir nach dem Gold Creek kommen, werden wir ein wildes Camp betreten, das von
Clark Brightman regiert wird. Es wird eine Goldgräberstadt sein. Ich selbst kann vorläufig nicht beweisen, dass mir der Entdeckerclaim gehört. Wir müssen Clark Brightman in die Knie zwingen. Und ich denke, er wird uns und einer ganzen Menge anderer Leute genügend Gründe liefern, sodass wir ihm früher oder später an den Kragen gehen können. Das Schwere an der Sache ist nur, dass wir am Leben bleiben. Wir werden getrennt vorgehen, sodass wir den ersten Schlag abwehren und die erste Runde gewinnen können. Er wird sich inzwischen schon einige Feinde gemacht haben, die dann, wenn er gegen uns eine Runde verloren hat, unsere Freunde werden. Nun, wir werden sehen. Morgen können wir reiten. Oder ist es euch zu riskant?« Er grinst die Freunde seltsam an. »Freund, ich möchte den Goldclaim haben, den du für mich abgesteckt hast«, sagt Jim ruhig. »Yeah, ich denke, wir sind hart und rau genug für diese Sache«, murmelt Whip Dunn leise. In seinen Augen glitzert es. »Es reizt mich sehr, mit diesem Clark Brightman eine heiße Partie zu machen«, lächelt Chase Pence. »Wir haben also eine Aufgabe. Begreift ihr, dass, wenn wir mit Clark Brightman abrechnen, wir ganz zwangsläufig Recht und Ordnung in den Gold Creek Canyon bringen werden? Begreift ihr das? Wir können natürlich nicht als eine zweite Banditenbande…«
»Richtig! So will ich es«, unterbricht Dan Saturday. »Wir waren alle vier bisher ziemlich leichtlebige und sorglose Vögel. Nun sind wir Clark Brightmans Gegner. Das bringt uns zwangsläufig auf die Seite von Recht und Ordnung. Und darüber freue ich mich. Ich möchte endlich einmal für eine gute Sache kämpfen – nicht so wie eben auf der Straße – für nichts! Jungs, wir haben eine Aufgabe, für die es sich lohnt zu kämpfen.«
7 Als Dan Saturday fünf Tage später in den Gold Creek Canyon reitet, ist er ohne Hast und Eile. Er nimmt sich Zeit. Er hat seinen drei Freunden einen guten Vorsprung gelassen und weiß, dass sie längst günstige Positionen eingenommen haben und seine Ankunft beobachten werden. Er nimmt sich also Zeit, denn all die Dinge, die am Gold Creek auf ihn warten, laufen nicht davon. Sie sind und bleiben – bis er sich mit ihnen auseinandergesetzt hat, bis es ausgekämpft ist. Welch ein Bild bietet sich ihm! Er hat diesen Canyon in anderer Erinnerung! Der einsame Canyon, dessen Ruhe nur vom Plätschern und Murmeln des Creeks und von den Stimmen der Natur gestört wurde, ist voller Leben und Bewegung. Ein zerfahrener Weg, schnell in den letzten Tagen entstanden, führt hinein. Überall stehen Hütten, Zelte und schon vereinzelt Blockhäuser. Wagen, Pferde, Kochfeuer. Und überall längs des Creeks Männer aller Sorten, arbeitende Männer in bunten Flanellhemden und derben Stiefeln. Sie hacken, schaufeln, wühlen, graben, sieben und waschen. Sie sehen kaum auf, kümmern sich kaum um die Umwelt. Sie haben ihren Claim abgesteckt und
suchen nun innerhalb ihrer vier Grenzpfähle nach dem Gold. Und die Sonne brennt auf sie hernieder, röstet sie, zehrt an ihrer Kraft und sorgt dafür, dass sie in Schweiß gebadet sind. Sie wühlen alle wie Ameisen. Aus den bewaldeten Hängen klingen die Axtschläge der Holzfäller. Sägen kreischen. Gespanne schleifen die Baumstämme zur Canyonsohle. Vor Dan Saturday fährt eine lange Reihe Frachtwagen. Hinter ihm trabt eine Packtierkarawane. Und je tiefer er in den Canyon einreitet, um so lebendiger wird das Bild. Die Zelte, Hütten, Erdhöhlen und Blockhäuser werden immer zahlreicher. Das Gewimmel der schwitzenden Männer wird immer lebendiger. Der ganze Canyon ist voll emsigen Lebens. Noch beschäftigt sich jeder mit sich selbst. Dan Saturday aber weiß, dass es bald anders sein wird. Bald werden zweibeinige Raubwölfe nach Beute zu jagen beginnen. Männer werden um ihre Rechte kämpfen – und sterben. Blut wird fließen. Das Böse wird wahrscheinlich vorerst die Oberhand bekommen – bis sich gute und harte Männer zusammenschließen und den Kampf für Recht und Ordnung beginnen. So wird es kommen. Dan Saturday weiß es. Und er will dafür sorgen, dass dieser Tag in nicht allzu großer Ferne liegt.
Er reitet langsam weiter und in den ersten Bogen des Canyons hinein. Der Außenbogen bildet einen riesigen Dreiviertelkreis. Vom Creek an steigt das Gelände eine halbe Meile sanft an und endet jäh vor dem bewaldeten Berghang. Und auf dieser Fläche im Canyonbogen entsteht der Ort Gold Creek. Der zerfahrene und zertrampelte Weg, auf dem Dan reitet, führt mitten hinein. Wenn es um reichen Verdienst und Gewinn geht, können die Menschen zaubern. Dann verrichten sie Wunder und leisten Unmögliches. Leider aber meistens nur, wenn sich die Arbeit für sie lohnt. Auch dieser Ort ist ein Wunder. Er ist binnen weniger Tage entstanden – geradezu aus dem Boden gezaubert. Die meisten Gebäude und Häuser sind noch nicht fertig. Man arbeitet noch daran. Aber es gibt schon eine Hauptstraße, die sich dem Bogen des Canyons anpasst und auf deren Seiten sich ein rohes Haus an das andere reiht. Und Bretter gibt es auch! Dan begreift, dass ein findiger Kopf weiter oberhalb, dort wo der Creek einen Wasserfall besitzt, eine kleine Sägemühle errichtet haben muss. Woher sollen die Bretter sonst kommen? Er reitet langsam in den Ort ein. Die Hauptstraße ist voller Leben. Menschen, Tiere
und Gefährte aller Art drängen sich durcheinander. Hammerschläge und die Rufe arbeitender Kolonnen erklingen von allen Seiten. Sägen kreischen rhythmisch. Dan reitet an einer Schmiede vorbei. Der Schmied und seine Gehilfen arbeiten im Freien. Eine knochige Frau und ein halbwüchsiger Knabe bedienen die Blasebälge der beiden Schmiedefeuer. Auf der anderen Seite wird eine Speiseküche eröffnet. Dann folgt ein Hotel, wo gerade die Türen eingesetzt werden. Gegenüber entsteht ein General Store. Oben deckt man noch das Dach. Unten wird schon verkauft. Zwei schwere und sechsspännige Frachtwagen stehen vor dem Store, schwitzende Neger tragen Lasten hinein. Wieder eine Speiseküche, noch ein Hotel, dann ein Barbierladen und ein Waffengeschäft. Die Posthalterei, vor der eine Postkutsche steht. Und dann ein besonders festes Haus. »GOLD CREEK BANK, Brutus Texter & Co.« steht auf dem Schild über dem Eingang. Ich wette, dass das Co. für Clark Brightman steht, denkt Dan Saturday grimmig. Als er vorbeireitet, sieht er Whip Dunn, der soeben aus der Bank kommt und sich neben dem Eingang an die Wand lehnt. Sie tauschen nur einen kurzen Blick aus und zucken mit keiner Wimper.
Dan reitet weiter und kommt an einem Mietstall vorbei. Am Tor lehnt Jim Larrymaker. Sie sehen sich gar nicht an. Dan reitet weiter und kommt auf einen kleinen Platz. Zwei große Bars, an deren Nebenbauten noch gearbeitet wird, stehen sich auf diesem Platz gegenüber. Links ist das Paradiese und rechts liegt die Nugget Hall. Auf der dritten Seite des Platzes entsteht das Stadthaus mit dem Marshal’s und Sheriff’s Office und dem Towngefängnis. Das große Gebäude auf der vierten Seite ist fertig. Auf einem großen Schild steht geschrieben: Gold Creek-Company, Clark Brightman & Co. Gründer der Stadt Ankauf und Verkauf von Schürfrechten. Investierungen aller Art. »So macht er das.« Dan Saturday grinst und lenkt sein Pferd zur Nugget Hall hinüber. Er stellt es an das Ende der Haltestange und geht auf die Schwingtür zu. Bevor er sie erreicht, öffnet sich diese und ein Mann kommt zum Vorschein. Sie prallen fast aufeinander, weichen jedoch im letzten Moment geschmeidig aus und sehen sich dann erst richtig an. »Hallo, Slim.« Dan Saturday grinst.
Ja, es ist Slim, dem Dan den Arm einrenkte und der sich revanchierte, indem er Dan nur einen Streifschuss verpasste, der Clark Brightman täuschte. Ja, es ist Slim. Und seine harten Augen werden schmal. Seine Lippen bewegen sich kaum. »Du Narr«, zischt er. »Die Bande kennt mich nur mit Bart«, murmelt Dan. »Bevor ich mit ihnen anfange, kannst du verschwinden. Deine Chance hast du. Nütze sie oder nütze sie nicht. Es ist jetzt deine Sache, Slim. Wir sind quitt, Slim.« »Auch du hattest deine Chance, Dan«, zischt Slim und geht davon. Dan stößt die Schwingtür auf und betritt den großen Raum. Es ist alles noch frisch und roh und primitiv. Aber es ist eine kleine Bühne vorhanden und daneben ein Podium. Und der lange Schanktisch ist von Tombstone mit Hilfe von drei Wagen hergeschafft worden. Drei bullige Barmänner stehen dahinter, doch sie putzen nur Gläser und haben nicht viel zu tun. Es sind nur wenige Gäste im Raum. Tagsüber wird in Gold Creek noch viel zu intensiv gearbeitet. Gegen Abend aber wird jeder Platz belegt sein, und hier am Schanktisch werden die durstigen Männer in Viererreihe stehen und nach Whisky brüllen. An den Tischen längs der Wände sitzen gelangweilte Berufsspieler, die vorläufig
unbeschäftigt sind. In der Ecke entdeckt Dan seinen Freund Chase Pence. Er legt mit andächtiger Gelassenheit eine Patience und scheint ganz in dieses Geduldspiel vertieft zu sein. Aber Dan fühlt ganz kurz fast körperlich den Blick des Freundes. Er wendet sich zum Schanktisch. Dort stehen ein halbes Dutzend Männer: ein Kartenhai, zwei Goldgräber, ein abgerissener Excowboy und zwei Burschen, die zusammengehören. Die beiden Burschen hat Dan sofort erkannt. Er sah vor Tagen ihre Gesichter unter Clark Brightmans Mannschaft. Und als er jetzt langsam näher tritt, sieht er, dass jeder dieser beiden Männer einen der Colts trägt, die ihm die Bande damals abgenommen hat. Er erkennt die Waffen sofort, denn in ihre Kolben ist je ein silberner Metallstern eingelassen. Er macht einen tiefen Atemzug und fängt sofort an. Er tritt hinter die Männer, legt ihnen sanft die Hände auf die Schultern und sagt ruhig: »Es trifft sich prächtig, dass wir uns hier treffen. Kennt ihr mich wieder?« Sie wenden sich um, und er tritt einen Schritt zurück. So kann er sie gut im Auge behalten. Und er erkennt, wie sie ihn forschend und nachdenklich ansehen und in ihrer Erinnerung suchen.
»Ich trug einen Bart«, sagt er. »Slim hat mich schlecht getroffen. Ich lebe noch. Ich bin wieder da. Nun habt ihr es wohl begriffen, was? Gebt mir meine Colts zurück!« Es sind raue, harte und eiskalte Burschen. Sie begreifen schnell und wundern sich nicht lange. »Hölle!« zischt der eine und schnappt wie der Blitz nach der Waffe. Sein Ellenbogen stößt dabei gegen die Schanktischkante, und das behindert ihn etwas. Der andere Kerl stößt nur einen zwischenden Laut aus und reißt zugleich sein Bein hoch. Dan gleitet zur Seite, und die Stiefelspitze trifft nicht seinen Unterleib, sondern nur seinen Oberschenkel. Und dann knallt er dem Kerl einen Linksschwinger aufs Ohr, sodass der Bursche gegen seinen Nachbarn taumelt und dessen Coltmündung aus der Schussrichtung bringt. Fast wäre Dan mit seinem eigenen Colt getötet worden, aber der Kerl prallt im richtigen Moment gegen den Schützen. Die Kugel pfeift an Dan vorbei und schlägt kurz vor der Schwingtür in die frischen Bretter des Bodens. Und dann macht Dan es hart. Auf die raue, höllische Art, die vorerst in Gold Creek die allein gültige und richtige Art ist. Er zaubert seine Ersatzcolts aus den Holstern. Aber er schießt nicht damit – er schlägt damit ohne Mitleid zu. Und es ist ein eiskalter Grimm
in ihm. Denn diese Kerle gehören zu der Bande, der er schlimme Tage zu verdanken hat. Er schlägt sie mit den langen Läufen der Waffen zusammen. Sie fallen um, sacken zusammen und bleiben zu seinen Füßen liegen. Sie beginnen zu wimmern und keuchen ihre Not heraus. Sie zucken vor Schmerz. Und ihr Blut beschmiert die frischen Bretter des Bodens. Es ist ganz still im Saloon. Alle anderen Gäste verhalten sich abwartend. Die Barmänner kennen Dan Saturday von Tombstone her. Sie mischen sich ebenfalls nicht ein. Er wartet. Dann sagt er hart: »Steht auf und legt mein Eigentum auf den Schanktisch! Steht auf, sage ich euch!« Er stößt einem Kerl ziemlich hart die Stiefelspitze in die Rippen. Die Kerle quälen sich hoch, schwanken auf den Beinen und halten sich die Hände vor die Gesichter. Blut rinnt zwischen ihren Fingern hervor. Sie stöhnen immer noch. »Ihr seid gar nicht so hart wie ihr ausseht«, sagt er zu ihnen. »Vielleicht ist Clark Brightmans ganze Bande nur halb so rau wie sie auftritt! Nun, legt meine Colts auf den Tisch!« Sie gehorchen. Der eine holt seine Waffe aus dem Holster, hält jedoch die Linke weiter auf das blutende Gesicht gepresst. Er legt die Waffe blind
auf den Schanktisch. Sein Partner bückt sich stöhnend, hebt den zweiten Colt vom Boden auf und legt ihn neben den anderen. »Oh, du Höllenhund! Aaah, wir werden dir die Haut bald abziehen«, gurgelt er und spuckt zwei Zähne aus. »Bestellt Clark Brightman einen schönen Gruß von mir. Sagt ihm, dass ihm die vier Entdeckerclaims, die er mir weggenommen hat, kein Glück bringen werden – ihm und seiner ganzen Bande nicht. Sagt ihm, dass ich auf seine Coltschwinger warte und jeden abschießen werde, den er gegen mich aussendet. Geht zu ihm und meldet ihm, dass ich noch am Leben bin und bald einen Grund finden werde, um euch alle aus dem Land jagen zu können! Los! Raus mit euch!« Sie taumeln davon, schwanken durch den Raum und torkeln durch die Schwingtür. Dan Saturday sieht sich um. Die einzelnen Berufsspieler an den Tischen studieren ihn. Zwei oder drei von ihnen kennt er. Einer nickt ihm kurz zu. Chase Pence erhebt sich und kommt zu ihm. Die beiden Goldgräber und der abgerissene Excowboy kommen ebenfalls wieder an den Schanktisch zurück. Sie trinken schnell ihre Gläser leer und verschwinden eilig. »Du nimmst dir deine alten Waffen wieder?«, fragt Chase Pence ruhig, als er sich neben Dan an den Schanktisch lehnt.
Dan lächelt ihn an. »Freund«, sagt er, »die beiden Waffen, die du mir in Tombstone schenktest, waren deine eigenen. Solch prächtige Dinger gibt es nicht im ersten besten Waffenladen. Du hast mir deine eigenen Waffen gegeben, damit ich gegen Bruce Shadwick bestehen konnte. Du bist ein guter Freund, Chase. Ich möchte dein Geschenk behalten. Nimm dafür meine Kanonen. Gilt es, Chase?« Der Spieler nickt langsam. Er sieht Dan an, und in seinen Augen ist wieder das warme Leuchten der Zuneigung. »Danke«, murmelt er, »danke, Dan. Wenn Freunde ihre Waffen tauschen, sind sie gute Freunde. Ich weiß, dass ich mich auf deine Waffen genauso verlassen kann, wie auf meine, die ich dir gab.« »Und du kannst dich auf meine Kanonen so verlassen wie auf mich, Chase!« Dan nimmt die beiden mattglänzenden Waffen vom Tisch und reicht sie ihm hin. Chase nimmt sie, wirbelt sie durch die Luft und schon sind sie irgendwo in seiner weiten Kleidung verschwunden. Er muss besondere Taschen in seinem Rock haben, denn man sieht nicht, dass er nun zumindest drei Waffen trägt. Er geht ruhig zu seinem Tisch in der Ecke zurück und setzt sich wieder hinter sein ausgelegtes Kartenspiel.
Renee Roi und Lil Randell kommen durch eine Seitentür in den Schankraum. Roi bewegt sich hastig und geht drei Schritte vor der schönen Lil. Mit einem Ruck hält er vor Dan Saturday an. »Tragen Sie Ihre Streitigkeiten in Zukunft an anderen Orten aus, Saturday!« »Sie werden jeden Abend in dieser Hall Streit und Kämpfe erleben, Roi. Sie haben sich nie daran gestört. Oder haben Sie etwas dagegen, wenn Brightmans Leute in dieser Bude verprügelt werden? Haben Sie Angst vor Brightman? Hat er Sie schon in der Tasche? He, Roi, Sie haben immer wilde Häuser in wilden Städten geführt! Was stört Sie plötzlich?« »Nichts, Saturday! Ich mache Ihnen jetzt nur klar, dass ich nicht Ihr Freund bin und dass Sie in diesem Haus nicht willkommen sind. Wenn Sie noch einmal einen Streit beginnen, verbiete ich Ihnen das Haus. Verstanden?!« Er wendet sich ab. Dan Saturday reißt ihn am Arm herum. »Passen Sie auf, Roi! Sie setzen auf das falsche…« Er verstummt, denn Renee Roi macht mit dem freien Arm eine kurze Bewegung und hält jetzt einen kleinen doppelläufigen Colt Derringer in der Hand. Er muss ihn aus dem Ärmel gezaubert haben. »Loslassen, Saturday! Wenn Sie mich noch ein einziges Mal anfassen, schieße ich Sie nieder!
Wenn Sie gegen Brightman eine Hölle loslassen wollen, dann sind Sie für mich ein heißes Eisen. Gehen Sie mir aus dem Weg, tragen Sie Ihre Kämpfe woanders aus. Ich bin nicht groß genug, um auf Brightmans Meinung pfeifen zu können. Und Sie sind bald ein toter Mann!« Er lässt Dan in die Doppelmündung sehen. Dan lässt ihn los. »Ich habe jetzt eine ganze Menge gelernt«, sagt er kühl. Er sieht Lil Randell an, die beobachtend in der Nähe steht. Er wartet, dass sie etwas sagen würde, denn er weiß, dass sie Rois Teilhaberin ist und ein gewichtiges Wort mitreden könnte. Aber sie sieht ihn nur seltsam an, wendet sich dann um und geht in ihr Büro zurück. Dan sieht wieder in Rois kalte Fischaugen. »In Ordnung, Roi«, sagt er. »Sie denken schnell und rechnen kühl. Wir werden sehen!« »Ich habe keine Angst vor Ihnen, Saturday. Und jetzt wissen Sie ganz genau, dass Sie hier nicht Ihr Hauptquartier errichten können – nicht in der Nugget Hall!« Er lässt die kleine Waffe im Ärmel verschwinden und folgt seiner Teilhaberin. Dan tritt ruhig an den Schanktisch. »Whisky«, sagt er kurz. Einer der Barmänner schiebt ihm ein Glas hin. Er trinkt, raucht eine Zigarette und denkt sorgfältig nach. Er glaubte bisher, Renee Roi gut
zu kennen. Und doch hat ihn der Mann jetzt überrascht. Roi hat sich eben eindeutig gegen ihn gestellt. Sicherlich hat er vorher gehört, was Dan zu Brightmans Männern sagte. Brightmans Macht in Gold Creek muss schon sehr groß sein. Sonst hätte Roi nicht so eindeutig seine Einstellung gezeigt. Kennt er Brightman? Fürchtet er, dass Brightman ihm das Haus anzünden lässt? Sind er und Brightman schon Partner? Das wäre möglich, denn vielleicht hätten Roi und Lil Randell hier sonst gar nicht ihren großen Laden aufbauen können. Dan erinnert sich, dass Brightman schon in Dodge alle Bars, Spielhäuser und andere Lokale kontrolliert hat. Vielleicht kennen sich die beiden Männer von früher. Roi ist mit seinen fahrenden Unternehmen viel umhergewandert, war in den Camps des Bahnbaues und an anderen Orten, die wie Gold Creek schnell entstanden, voller Leben und Geld waren und nach einiger Zeit wieder ausstarben. In Tombstone besitzt Roi eine feste Bar. Dan Saturday trinkt das Glas leer, wirft die Zigarette in die Sandkiste, die als Spucknapf dient und verlässt das Lokal. Er weiß, dass auf der Straße schon Clark Brightmans Killer auf ihn warten. Er ist bereit. Er will den Leuten in Gold Creek zeigen, dass Brightman nicht allein der große Mann ist. Er
weiß auch, dass er sich jetzt gleich auf seine Freunde verlassen kann. In wenigen Minuten wird alles vorbei sein. Und dann wird es zwei Parteien in Gold Creek geben. Das wird der Anfang eines großen Machtkampfes sein.
8 Als die Schwingtür hinter ihm zurückschwingt, tritt er ein Stück zur Seite und bleibt dann stehen. Er späht kurz zum Office im neuen Stadthaus hinüber. Wahrscheinlich hat Clark Brightman dieses Haus auf seine Kosten in seiner Eigenschaft als Städtegründer errichten lassen. Dan weiß, dass der Sheriff von Tombstone einen Vertreter hergeschickt hat. Aber er sieht weder den Hilfssheriff noch einen Town Marshal, den es gewiss in Gold Creek auch schon gibt. Das Office ihm gegenüber ist zu. Da sich die beiden Beamten nicht zeigen, kommt Dan zu der Erkenntnis, dass sie auf Clark Brightmans Lohnliste stehen. Er sieht zum Paradise Saloon hinüber. Dort stehen einige Männer. Die meisten erkennt Dan wieder. Es sind Brightmans Leute. Der Paradise Saloon ist demnach ihr Hauptquartier. Er ist noch etwas größer gebaut als die Nugget Hall. Wahrscheinlich gehört er Clark Brightman und wird für diesen von einem Geschäftsführer geleitet. So muss es sein. Dan Saturday kennt sich aus. Das ist die übliche Art, in der Haifische wie Brightman eine Sache anpacken. Dan sieht sich weiter um. Ein paar Zuschauer stehen in den Hauslücken. Dort, wo die beiden
Straßenenden in den Platz münden, stehen ebenfalls kleine Männergruppen an den Hauswänden. Er sieht sich nach seinen Freunden um. Plötzlich sieht er sie. Jim Larrymaker steht an der Ecke des Paradise Saloons und seitlich hinter Brightmans Leuten. Whip Dunn kommt aus der Straße, schwenkt ein und geht am Haus der Brightman Company vorbei. An der Ecke bleibt er stehen, lehnt sich an die Hauswand und zündet sich eine Zigarette an. Lang, dünn und abwartend lehnt er dort. Nur Chase Pence bleibt unsichtbar. Dan weiß aber, dass er die Nugget Hall bestimmt durch die Hintertür verlassen hat. Dies ist das Bild auf dem Platz. Von Clark Brightman ist nichts zu sehen. Dan wirft einen Blick zur Company hinüber. Dort kommt jetzt Slim aus der Tür, bleibt stehen, sieht sich um und setzt sich wieder in Bewegung. Er kommt schnurgerade über den Platz und auf Dan zu. »So läuft das also«, murmelt Dan und tritt zwei Schritte vor. Er wartet ruhig, bis Slim zehn Schritte vor ihm anhält. Slims Stimme ist leise. Sie dringt nicht weiter als bis an Dans Ohr. »Du Narr«, sagt er, »nun muss ich wieder auf dich schießen, denn ich muss meinen Kopf retten.«
»Du hättest schnell fortreiten sollen, Freund. Du hast deine Chance gehabt. Ich sah es kommen. Was hält dich bei Clark Brightman? Du bist nicht schlecht genug für sein Rudel! Was…« Rechts von Dan bellt plötzlich ein schwerer Colt auf. An der Ecke des Stadthauses taumelt ein Mann vorwärts, lasst ein Gewehr fallen und drückt beide Hände auf die Brust, bevor er selbst nach vorn fällt und schwer auf den Boden stürzt. Chase hat aufgepasst, denkt Dan zufrieden. »Siehst du«, sagt er zu Slim. »Das war einer, der mich mit einem Gewehr umlegen sollte. Brightman traut dir nicht viel zu, Bruder.« Die Männergruppe vor dem Paradise Saloon gerät jetzt in Bewegung. Eine Stimme ruft: »Hölle, Slim!« Und Slim, der seltsam ernst in Dans Augen sieht, verzieht sein hageres Gesicht. »Ich habe keine Zeit und kann es dir nicht erklären. Ich habe einen wichtigen Auftrag und muss meinen Weg gehen. Zieh, Saturday!« Sein linker Arm, den Dan vor vielen Tagen einrenkte, ist wieder ganz in Ordnung. Er macht eine zuckende Bewegung. Als er den Colt hochschwingt, glänzt das blaue Metall der Waffe matt in der Sonne. Er ist schneller als Bruce Shadwick in Tombstone.
Aber Dan Saturday schlägt ihn um einen Sekundenbruchteil. Er schießt beide Colts in so rascher Reihenfolge ab, dass beide Schüsse wie ein einziger, doppelt langer Knall klingen. Slims Revolverhand fällt herunter und lässt den Colt fallen. Er schwankt. Auf seiner Schläfe ist plötzlich ein roter Strich. Er dreht sich um die eigene Achse und fällt um. In Dan Saturday ist eine wilde und grimmige Zufriedenheit. Er hat deutlich sehen können, dass es ihm gelungen ist, Slim ziemlich denselben Streifschuss beizubringen, nur tiefer an der Schläfe. Aber das ging nicht anders, da Slim einen Hut trägt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren ist Dan Saturday dem Geschick dankbar, das ihn zu einem unübertrefflichen Revolvermann machte, der fast wie ein Zauberer seine Kugeln platzieren kann. Er hat Slim nicht getötet. Er hat seine Schuld an ihn endgültig abgetragen und bezahlt. Aber es geht weiter. Die Gruppe vor dem Saloon reißt die Revolver heraus und will auseinanderspritzen, um fächerförmig gegen Dan vorzugehen. Da gellt Jim Larrymakers Stimme über den Platz: »Halt, Leute! Heute nicht! Feierabend!« Und Whip Dunns Bassstimme brüllt: »Keine Chance für euch!«
Die ganze Gruppe erstarrt. Jim Larrymaker und Whip Dunn stehen mit angeschlagenen Colts an den Ecken. Sie grinsen hart und herausfordernd. Dan setzt sich in Bewegung. Plötzlich ist Chase Pence neben ihm. Und er hält Dans Colts in den Spielerhänden. Die Tür der Company wird aufgerissen. Clark Brightman und sein Vormann Jake Snow stürzen heraus. »Halt!«, ruft Brightman scharf und laut. Seine Stimme reicht weit. »Hört auf! In meiner Stadt wird nicht geschossen! Saturday, wenn Sie nicht Ruhe geben, lasse ich Sie und Ihre Freunde einsperren!« Selbst Dan braucht einige Sekunden Zeit, um diese Wendung zu verdauen. Und er begreift, dass Brightman jetzt kneift, dass er keinen Kampf mehr haben will und seine Pläne vollkommen geändert hat. Brightman hat schnell erkannt, dass Dan Saturday und dessen Freunde die halbe Mannschaft zusammenschießen würden. Diesen großen Kampf will Brightman noch nicht. Er ist nicht der Mann, der eine Sache durchkämpft, die er nicht mehr voll übersehen kann. Er hat begriffen, dass Dan Saturday mit einer Hand voll Trümpfen angekommen ist. Und er vermutet noch mehr Trümpfe in Dans Ärmeln, die er noch nicht sehen kann.
»Hört auf, Leute! Bringt Slim zum Doc, wenn er nicht tot ist! Saturday, was wollen Sie?« »Rechnen Sie es sich aus, Brightman! Vorläufig zeige ich Ihnen nur, dass Sie für mich nicht groß genug sind! Wenn Sie mir mit rauer Gewalt kommen, so beißen Sie sich die Zähne aus!« Dan bewegt sich langsam zu ihm hinüber und behält ihn vor den Colts. »Wie wollen Sie es haben, Brightman?!« Der starrt zu ihm hinüber und winkt dann seinen Leuten zu. »Keinen Kampf, Leute! Geht in den Saloon zurück! Es scheint ein großes Missverständnis zu sein. Saturday, wenn Sie mit meinen Leuten Meinungsverschiedenheiten haben, so wenden Sie sich an mich! Kommen Sie in mein Büro und tragen Sie mir Ihr Anliegen vor. Ich will eine friedliche Stadt haben!« Die letzten Worte ruft Brightman besonders laut, damit sie von den Zuschauern gehört werden, die von den ganzen Vorgängen überhaupt nichts begreifen. Brightmans Leute gehorchen wie Hunde ihrem Herrn. Sie gehen folgsam in den Saloon. Jim Larrymaker und Whip Dunn bleiben an den Ecken des Gebäudes stehen. Chase Pence murmelt hinter Dan: »Ist ein ganz geriebener Fuchs. Er will mit dir reden und dir süßen Schaum um die Backen
schmieren. Unser Wirbel ist ihm zu groß geworden – viel zu groß schon. Dan, wenn du zu ihm gehst, dann sei vorsichtig. Er will nur deine Trümpfe sehen und sich dann eine nette Sache ausdenken, die eleganter ist als die bisherige Stümperarbeit.« »Ich weiß, Freund«, murmelt Dan und geht weiter. Und dann stehen sich die beiden Männer wieder gegenüber, der massige Brightman, der wie ein kantiger Nussknacker wirkt – und der große, lange und sehnige Dan Saturday. Jake Snow steht daneben und zieht die vibrierende Oberlippe hoch wie ein Wolf, der böse seinen Fang zeigt. Brightman sieht Dan Saturday an, als sähe er ihn zum ersten Mal. So sieht ein Mann seinen Gegner an, den er beim ersten Mal nicht richtig einschätzte, den er jetzt erst richtig als gefährlich erkennt. »Kommen Sie in mein Büro, Saturday«, murmelt er dann scharf und wendet sich um. Dan folgt ihm. Und als Jake Snow hinter ihm hergehen will, bleibt er stehen und wendet sich um. »Geh nicht hinter mir her, du Ratte! Scher dich zum Teufel! Verstanden?!« Jake Snows knochige Hand zuckt nach der Waffe, bleibt aber auf halbem Weg in der Luft hängen. Sein langes und unregelmäßiges Gesicht
zuckt. Dan sieht, dass der Mann seltsame Augen hat. Snows linkes Auge ist gelb und das rechte ist grau. »Warte, du Hundesohn«, sagt Snow ruhig – und weil er es so ruhig und sanft sagt, wirkt die Drohung besonders gewichtig. Clark Brightman bleibt stehen und wendet sich halb um. »Es ist gut, Jake. Geh in den Saloon und halte die Jungens ruhig.« Jake Snow zuckt leicht zusammen. Er bewegt sich unwillig und mürrisch. »Boss, dieser langbeinige Revolverschwinger hat sich schon viel zu viel erlaubt. Wenn wir ihn nicht jetzt hier auf der Stelle auf die richtige Größe zurechtstutzen…« »Geh in den Saloon, Jake!«, ruft Brightman scharf. Jake Snow zuckt wieder zusammen. Er zittert vor wilder Wut am ganzen Körper. Wie ein gereizter Wolf, der sich nur ungern duckt, wirkt er. Er geht dicht an Dan Saturday vorbei, bleibt aber plötzlich stehen und wendet sich um. »Verdammt, du Hundesohn! Ich laufe nicht weg, weil du es so haben willst – nicht in unserer Stadt!« »Ersticke an deiner Wut«, sagt Dan ruhig. »Trink einen Whisky, dann wird dir wohler.« Das ist zuviel.
Jake Snow duckt sich und wirft sich vor. Er macht einen blitzschnellen Hechtsprung, rammt seinen Kopf in Dans Bauch und wirft seine langen und knochigen Arme um Dans Beine. Er bringt ihn zu Fall. Beide wälzen sich schlagend und stoßend übereinander. Dann reißen sie sich los und schnellen auf. Aber Dan blockiert den Schlag des Gegners ab, schlägt dann selbst zweimal links ziemlich tief und zieht dann einen Aufwärtshaken hoch. Jake Snow taumelt drei Schritte zurück. Dan bleibt dicht an ihm und bringt zwei kurze Schwinger an, die Jake Snow durcheinanderschütteln und schwanken lassen. Er wirft sich abermals im Hechtsprung vorwärts. Diesmal hat er Pech. Dan gleitet zur Seite und wuchtet ihm die Handkante ins Genick. Der Länge nach kracht Jake Snow zu Boden und bleibt liegen. »In Ordnung, Dan!« ruft Chase Pence kurz. Dan wirft ihm einen raschen Blick zu, aber Chase beachtet ihn gar nicht, sondern behält den Saloon im Auge. Dort drängen sich wieder einige Männer durch die Schwingtür. Jim Larrymaker und Whip Dunn, die an den beiden Hausecken des Saloons stehen, treten etwas vor und heben die Colts. Clark Brightmans Stimme ist heiser und böse vor wilder Wut.
»Zurück, Leute!«, brüllt er. »Jake wollte es nicht anders! Kommen Sie, Saturday!« Er geht schnell ins Haus hinein. Dan klopft sich den Staub aus den Kleidern und folgt ihm. Chase Pence tritt an Jake Snow heran, der sich jetzt stöhnend und fluchend erhebt. »Bruder, hast du nicht begriffen, dass dein Boss hier in der Stadt keinen großen Kampf haben will? Ihr sollt uns doch draußen auf den Goldfeldern abknallen. Nun geh, Schäfchen. Halte deine Spielkameraden ruhig und mach keinen Ärger mehr. Brightman wird dir nachher bestimmt die Ohren langziehen!« Jake Snow gibt keine Antwort. Er erhebt sich fluchend und stolpert davon. Er verschwindet im Saloon. Chase Pence winkt Jim und Whip zu und zieht sich bis an die Hauswand der Nugget Hall zurück. Er lehnt sich dagegen, steckt seine Colts weg und zündet sich eine lange und sehr dünne Zigarre an. So lehnt er in der Sonne und macht einen gelangweilten Eindruck. Aber er beobachtet sehr scharf seine Umgebung. Drüben stehen Jim Larrymaker und Whip Dunn ebenfalls wachsam und doch lässig auf ihren Posten. Die Positionen der drei Männer sind günstig. Würden sie angegriffen, so könnten sie in der jungen Goldgräberstadt eine Hölle loslassen. Sie
sind im Vorteil, denn Clark Brightman will keinen offenen Kampf. Sie waren härter als er und haben ihm gezeigt, dass sie gewillt sind, jede Sache auf die höllische Art bis zum Ende auszukämpfen. Brightman war noch nicht dazu bereit. Er hat zuletzt gekniffen. Sie haben demnach die erste Runde gewonnen. Chase Pence raucht zufrieden. Aus der Nugget Hall kommen ein paar Männer. Einer fragt: »Mister, können wir nach dem Mann da sehen?« »Sicher, schafft ihn zum Doc. Er bewegt sich schon wieder. Und da drüben liegt noch einer, der es mit einem Gewehr versuchen wollte. Ich habe ihn in die Schulter geschossen. Sicher, schafft sie nur weg.« Er beobachtet die Männer aufmerksam. Es geschieht nichts. Der Platz bleibt ruhig. Nur an den Mündungen der Straßen sind die Gruppen der Zuschauer dichter und vielköpfiger geworden. Clark Brightmans Büro ist ziemlich gut eingerichtet. Weiß der Teufel, wie er die Sachen so schnell hat herbeischaffen können. Er muss mehrere Frachtwagentrecks unterwegs haben. Mit meinem Gold, denkt Dan Saturday grimmig.
Brightman setzt sich hinter seinen Schreibtisch, legt die mächtigen Arme auf die Platte, lehnt sich darüber und sieht Dan Saturday lauernd an. »Sie haben mächtiges Glück gehabt, Saturday. Und überdies habe ich Sie unterschätzt.« »Yeah«, sagt Dan und nimmt den Hut ab. »Sehen Sie die Narbe? Well, Slim hielt einige Millimeter zu hoch. Die Kugel prallte ab und riss mir nur einen blutigen Scheitel. Yeah, ich habe Glück gehabt. Und jetzt bin ich hier, um Ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen. Ich werde Sie wie einen Wolf abhäuten und Sie dann der Menge zum Fraß vorwerfen. Sie haben hier ein Spiel begonnen – das Sie Kopf und Kragen kosten wird.« Brightman lächelt kalt. Seine Augen glitzern. Er hält sie fest auf Dan Saturday gerichtet. »Was muss ich tun, damit Sie alles vergessen, Saturday? Hören Sie, ich habe jetzt erkannt, dass Sie mir ebenbürtig sind. Ich habe eben eingegriffen, um es nicht zu einem blutigen Kampf kommen zu lassen, der schnell im ganzen Land bekannt geworden wäre. Das war jedoch keine Schwäche von mir.« »Ich weiß.« Dan grinst verächtlich. »Es sollte so aussehen, als wäre ich nur mit Slim zusammengeraten und von einem Freund meines Gegners aus dem Hinterhalt erledigt worden. So sollte es aussehen. Aber dann musste Ihre ganze
Mannschaft eingreifen. Und dadurch wurden Sie zu einer Entscheidung gezwungen. Wenn Sie Ihre Leute nicht zurückgepfiffen hätten, würde jetzt jeder Mensch wissen, dass Sie selbst mein Gegner sind und es sich nicht nur um einen persönlichen Streit zwischen Slim und mir handelte. Sie wollen es vermeiden, dass die Leute im Gold Creek Canyon über Sie nachdenken. Brightman, Sie wollen erst später aus dem Schafspelz kriechen – wenn Sie noch fester hier im Sattel sitzen.« »Sie haben es erkannt, Saturday. Als Gegner wären Sie mir sehr hinderlich. Ein Mann wie ich macht sich immer wieder Feinde. Ich möchte keine Gegenpartei im Canyon haben, die von Ihnen angeführt wird. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen: Ich biete Ihnen die Partnerschaft an. Sie sind klug, hart und können kämpfen. Sie sind als Revolvermann kaum zu schlagen. Und Ihre Freunde sind von Ihrer Art. Saturday, wir beide als Partner wären unschlagbar. Und als mein Partner sind Sie und Ihre Freunde voll entschädigt. Sie gewinnen mehr als nur die vier Goldclaims. Das ist mein Angebot. Ich habe Sie hart behandelt. Nun, ich habe Sie unterschätzt. Jetzt habe ich Sie richtig erkannt. Es ist schon oft vorgekommen, dass ebenbürtige Gegner Partner wurden. Warum sollen wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen, wo wir doch gemeinsam so viel gewinnen
können? Zusammen können wir uns den ganzen Canyon in die Tasche stecken – aber nur, wenn wir gemeinsam an einem Strick ziehen. Als Gegner reiben wir uns gegenseitig auf und gewinnen nichts!« Er beugt sich noch weiter vor und sieht Dan Saturday lauernd an. Seine glasklaren Augen studieren ihn wachsam. Die Wucht seines Willens trifft Dan Saturday fast körperlich. Dan sitzt rittlings auf einem Stuhl, hat seine Arme über der Lehne verschränkt und sein Kinn auf die Handgelenke gelegt. So erwidert er Brightmans Blick. Und dann lächelt er ihn mitleidlos an. »Sie sind mächtig klug, Brightman. Verbünde dich mit ebenbürtigen Gegnern – das ist eine alte Weisheit.« »Stimmt, Saturday! Wenn ich Ihnen die Hälfte abgebe, so gewinne ich immer noch mehr, als ich durch eine Gegnerschaft verlieren könnte. Ich bin kein Narr! Und legen Sie mein Angebot nicht als Schwäche aus.« »Den Fehler mache ich nicht!« Dan erhebt sich langsam und geht zur Tür. Auch Brightman stemmt sich hoch. »Ich will eine Antwort, Saturday!« Dan wendet sich an der Tür um. »Sie haben mich immer noch nicht richtig beurteilt, Brightman. Sie halten mich für einen Raubwolf. Ich bin keiner. Sicher, ich bin ein
Revolvermann und ich habe einige Männer getötet. Aber diese Männer waren Hundesöhne – so wie Sie einer sind. Noch habe ich keine Beweise gegen Sie, Brightman. Es genügt aber schon, dass ich hier im Gold Creek Canyon dem Gesetz Geltung verschaffe und einige von Ihren Leuten vor eine Jury bringe. Wenn Sie dann nicht stark genug sind, um diese Leute aus der Schlinge zu ziehen, werden diese Burschen die Geschichte der vier Entdeckerclaims erzählen. Dann werden Sie Mühe haben, Ihren dicken Kopf zu retten. Brightman, wenn Sie mir und meinen Freunden sofort die uns rechtmäßig gehörenden Claims überschreiben – und wenn Sie zur selben Stunde mit Ihrer Bande dieses Land verlassen, so will ich Sie vergessen. Dann will ich vergessen, dass Sie mich so rau behandelten – den vielen Männern zuliebe, die sonst ihr Blut vergießen müssten. Das ist die einzige Chance, die ich Ihnen gebe. Geben Sie die Claims zurück und verschwinden Sie! Sonst werden Sie an mir zerbrechen und zur Hölle fahren.« Er legt die Hand auf die Türklinke, sieht ihn an und wartet. Clark Brightman atmet schwer und schluckt hart. Und seine glasklaren Augen werden vor Wut und Hass ganz dunkel. »Ich hätte es wissen müssen«, murmelt er heiser. »Saturday, Sie und Ihre Freunde leben nicht mehr lange. Ich werde euch zertreten. Jetzt
pfeife ich auf die öffentliche Meinung. Ich werde euch zertreten, bevor ihr größer werden könnt. Hinaus!« Dan Saturday nickt. »In Ordnung, Brightman. Sie werden ein paar berühmte Killer anwerben und Heckenschützen und andere Schleicher aussenden. Nun, für jeden Ärger, den Sie uns bereiten, erhalten Sie von mir eine Tracht Prügel!« »Hahahaha!«, lacht Brightman höhnisch und dehnt seinen untersetzten Körper, der nur aus harten Winkeln und dicken Muskeln zu bestehen scheint. »Wenn wir persönlich aneinandergeraten, Saturday, reiße ich Sie in Stücke!« Dan verlässt ohne ein weiteres Wort das Haus. Er geht zu seinem Pferd hinüber. An der Haltestange wartet er auf die Freunde. Nacheinander kommen sie lässig herbei. Der Platz füllt sich wieder mit Leben. Es ist um die Mittagszeit. Hungrige Männer hasten zu den Speiseküchen. Ein paar Reiter galoppieren vorbei. Eine sechsspännige Postkutsche jagt durch das Gewimmel und hält weiter unten vor der Posthalterei an. Von der anderen Seite rollen schwer beladene Frachtwagen herein. Sie alle tragen die Zeichen der größten Fracht- und Handelsgesellschaft des Westens.
»Wells & Fargo Company« steht auf Wagenplanen und an den Seitenwänden. Bewaffnete Begleiter sitzen neben den Fahrern. Ein paar falkenäugige Reiter sind dabei. Sie biegen in den Hof der Frachtgesellschaft neben der Posthalterei ein. Die vier Freunde stehen bei Dans Pferd und sehen sich an.
9 Jim Larrymaker grinst kampflustig. »Er hat sie zurückgepfiffen, weil er nicht hart genug war«, sagt er etwas verächtlich. »Er wird uns schon noch zeigen, wie hart er wirklich ist«, murmelt Whip Dunn lässig. »Der ist schon hart genug, wenn er seine Chancen sieht und weiß, wie die Karten verteilt sind.« »Jetzt weiß er es wohl, Dan?«, fragt Chase Pence sanft. »Ganz genau, Brüder. Er bot uns die Partnerschaft an«, grinst Dan hart. »Aaaah, jetzt weiß ich genau, was wir eigentlich auf dem Kasten haben«, ruft Jim mit grimmigem Lachen, das aber mehr innerlich zur Auswirkung kommt, denn es schüttelt seinen starken Körper. Whip Dunn pfeift nur leise durch die langen Zähne. »Wir haben Flagge gezeigt«, sagt Chase Pence kurz. »Wir können jetzt wohl nichts anderes tun, als abwarten, Punkte sammeln und uns alle Mühe geben, recht lange zu leben.« »So ist es«, murmeln die anderen wie ein Mann. Und weil sie es so gleichmäßig im Chor sagen, grinsen sie sich wieder an. Dann sagt Chase trocken: »Dan, wir haben ein Hotelzimmer gemietet. Ich kenne den Hotelier.«
»Es ist prächtig eingerichtet.« Jim grinst. »Yeah, ein Spucknapf und ein Stiefelknecht sind vorhanden. Alles andere kommt noch – sagt der Hotelier«, knurrt Whip. »Es schläft sich hart auf dem Bretterboden, aber es ist ein richtiges Zimmer mit vier Wänden und einer Tür«, behauptet Chase. »Du hast das Fenster und den Kleiderhaken vergessen«, ruft Jim wichtig. Sie grinsen sich wieder an. Dann nimmt Dan sein Pferd und sagt: »Zeigt mir den Palast! Wo stehen eure Pferde?« »Im Mietstall – ich kenne auch den Stallmann«, sagt Chase sanft. »Ich sehe schon, Chase, dass wir ohne dich im Freien kampieren müssten!« »Vielleicht wäre das für uns gesünder, Dan!« Und sie gehen langsam davon. Vier Männer. Einer zieht ein Pferd hinter sich her. Vier harte und eiskalte Kämpfer. Vier Freunde, die sehr verschieden wirken und doch allesamt etwas Gemeinsames haben. Was? Nun, echte Männlichkeit, gegenseitige Achtung, Treue und Stolz. Echte Männer, die sich achten, die treu sein können und einen echten Stolz besitzen, nun, diese Männer werden, wenn sie sich erkennen, zu Freunden. Denn diese guten Eigenschaften
schweißen sie zusammen. Und zum Glück eines guten Mannes gehört es, wenn er echte Freunde besitzt. Ein Mann ohne wirkliche Freunde ist arm und einsam. Aber diese vier, die da mit dem Pferd über die Straße gehen, die sind selbst in ihrer größten Not noch reich. Sie besitzen ihre Freundschaft zueinander. Das ist gut und bleibt bis in den Tod. Als sie etwas später in ihrem Zimmer sind und Dan gerade seine Deckenrolle in eine Ecke geworfen hat, klopft es an die Tür. »Yeah«, ruft Chase lässig. Ein kleiner, untersetzter und rotbäckiger Mann kommt herein. Er hat himmelblaue Augen und eine aufgeworfene Nase. Seine krummen Beine stecken in hohen und derben Stiefeln. Ein rotes Wollhemd spannt sich über seine runde und muskulöse Brust. Sein Hut ist lächerlich klein und sein Colt an der Seite riesengroß. »Tag«, sagt er und schließt die Tür. »Was ist los, Kleiner?«, brummt Jim Larrymaker. »Ich bin Chet Doobyrne.« Der Kleine grinst. Seine Wangen werden noch roter. Seine himmelblauen Augen bekommen einen scharfen Blick und mustern schnell die vier Männer ab. So
lächerlich der Bursche auf den ersten Blick auch wirkt, seine Augen sind gut. Er ist ein richtiger Mann, obwohl er wie ein Bäuerlein aussieht. »Wir kaufen keine Hosenträger oder Kragenknöpfe. Mausefallen benötigen wir im Moment auch nicht«, brummt Jim Larrymaker wieder. »Was können wir für Sie tun, Mister Doobyrne?«, fragt Dan schnell, denn der Rotbäckige wirft Jim einen gereizten Blick zu. »Ich besitze einen guten Claim«, erwidert Doobyrne. Plötzlich wirbelt er herum, reißt die Tür auf und packt zu. Es ist ein geschmeidiger Mexikaner, der an der Tür gelauscht hatte. Der Mex stößt einen kreischenden Fluch aus und greift unter seine kurze Jacke. Aber als er das Messer herausbringt, umklammert der Rotbäckige sein Handgelenk und stößt ihm den Arm zurück. Der Ellenbogenknochen des Mexikaners stößt gegen die Wand. Er lasst das Messer fallen und bekommt dann eine höllische Tracht Prügel. Der Rotbäckige stößt ihn auf den Gang hinaus, bis zum Treppenabsatz, packt ihn dort noch einmal und wirft ihn die Treppe hinunter. Dann kommt er zu den vier Männern zurück, die neugierig aus dem Zimmer getreten sind und zugesehen haben.
»Jetzt können wir uns ohne Lauscher weiter unterhalten, Gentlemen«, sagt er grinsend und geht vor ihnen in das Zimmer hinein. Sie folgen ihm. Whip Dunn schließt die Tür und lehnt sich dann von innen dagegen. »Sie haben allerhand auf dem Kasten, Mister Doobyrne.« Jim Larrymaker nickt. »Aber für diese Sondervorstellung geben wir keinen Cent aus.« Der Kleine achtet nicht auf ihn. »Ich besitze einen guten Claim – dicht neben den Entdeckerclaims. Wollen die Gentlemen meine gleichberechtigten Partner werden?« Das ist für die vier Freunde nun doch eine Überraschung. Sie staunen den Kleinen an, sehen einander an und dann wieder auf den Kleinen. »Ein lieber Bursche«, sagt Jim. »Ein edler Menschenfreund«, knurrt Whip mit seiner Bassstimme von der Tür. »Interessant«, sagt Chase sanft. »Wie sieht der Haken aus?«, fragt Dan. »Ich habe Clark Brightman schon zwei- oder dreimal arbeiten gesehen – und ich kann mir ganz genau ausrechnen, wie er hier die Sache anpacken wird. Es ist purer Eigennutz von mir, Gents. Aber ich gebe immerhin vier Fünftel meiner Ausbeute dafür her. Mein Claim ist gut. Aber allein kann ich ihn nicht halten.« »Warum nicht, Doobyrne?«
»Brightman will ihn haben. Er hat mir schon ein lächerliches Angebot machen lassen. Das ist seine Arbeitsweise. Ich habe abgelehnt. Bald werde ich erschossen werden. Dann ist der Claim frei. Mit Hilfe eines Tricks wird ihn Brightman schlucken. Hey, Gents, wenn ich aber vier Partner habe, so sieht die Sache anders aus. Brightman sucht sich vorerst nur Einzelgänger, um zu guten Claims zu kommen. Ich wette, dass jeder Einzelgänger, der auf einem guten Claim sitzt, bald spurlos verschwindet. Ich habe zufällig gesehen, wie ihr mit Brightmans Leuten umgesprungen seid. Wenn schon Krach, dann gleich richtig. Ich habe nichts zu verlieren – nur zu gewinnen mit euch! Wie ist es, Gentlemen?« Er sieht Dan Saturday offen an. Der geht einmal um ihn herum. Plötzlich sagt Doobyrne leise, aber scharf und fordernd: »Wenn Sie die Goldgräber gegen eine tödliche Gefahr organisieren wollen, Saturday, dann müssen Sie es als Goldgräber aus ihrer Mitte heraus tun. Sonst traut Ihnen keiner. Brightman organisiert das Verbrechen. Mit jeder Stunde wird er stärker. Von überall her sind gewiss schon harte und raue Burschen unterwegs, die seinem Ruf folgen. Bald beginnt der Terror. Er wird wie die Spinne im Netz sitzen. Sein Wort wird hier im Gold Creek Canyon das Gesetz sein. Fangen Sie an, Saturday!«
Dan bleibt vor ihm stehen. »Wer steht hinter Ihnen, Doobyrne?« »Wenn es soweit ist, werden Sie es merken, Saturday.« Jim Larrymaker murmelt deutlich von der Wand her, an der er lehnt: »Wir sollten ihn mal auf den Kopf stellen. Vielleicht fällt was aus seinen Taschen.« »Dan«, sagt Chase vom Fenster her, »sein Angebot ist fair. Wir müssen gegen den zu erwartenden Terror eine Gegenmacht organisieren. Ich weiß jetzt, warum Brightman sein Rudel zurückgepfiffen hat. Er will erst noch stärker werden. Wenn er losschlägt, will er den Sieg schon in der Tasche haben. Er ist noch im Aufbau. Als Doobyrnes Partner haben wir Kontakt mit den Diggern. Wir müssen Brightman kommen lassen. Er muss uns angreifen. Auf einem ergiebigen Claim sind wir ihm bestimmt im Weg.« Dan Saturday nickt zu den kühlen Worten des Freundes. »Ich habe eine Hütte auf dem Claim, Partner. Sie ist groß genug für uns alle. Packt eure Sachen. Wir gehen zum Sheriff, lassen alles richtig eintragen und dann zeige ich euch…«
Hilfssheriff Bud Waco ist ihnen noch von Tombstone her bekannt. Er spielte schon in dieser wilden Stadt eine zweideutige Rolle, nur hatten die Sheriffs in Tombstone nicht viel zu sagen, da dort die Marshalpartei stärker war. Sheriff Waco sieht ihnen lauernd entgegen. Der neue Town Marshal steht am Fenster und wendet sich jetzt um. »Leute, wenn ihr noch einmal in dieser Stadt Streit beginnt, so werde ich euch einsperren«, sagt er rau und sieht Dan Saturday finster an. Dan und seine Freunde grinsen ihn nur an. Der Marshal wird rot unter ihren Blicken. »Bruder«, sagt Jim ruhig, »wenn wir wieder Streit haben, dann halte dich eine Meile von uns fern. Du blöder Narr musst doch inzwischen gehört haben, dass mein Kamerad nur zwei Pilgern sein Eigentum abgefordert hatte. Steig entweder ganz in eine Sache hinein oder halte dich draußen. Wenn du uns in den Weg kommst, weil …« »Ruhig, Jim! Nur ruhig Blut«, unterbricht Chase sanft. Der Sheriff sieht starr auf Chet Doobyrne. »Was wollen Sie? Sind diese Revolverhelden Ihre Freunde?« »Meine Partner! Nehmen Sie das Grundbuch heraus und tragen Sie darin ein, dass diese vier ehrenwerten Gentlemen auf meinem Claim
gleichberechtigte Partner sind. Yeah, tragen Sie es nur ganz genau ein, Sheriff!« Bud Waco schielt zum Marshal hinüber und sieht dann Dan Saturday an, der den forschenden Blick kühl zurückgibt. »Fangen Sie an, Waco«, sagt er dabei. »Oder müssen Sie sich erst von Brightman die Erlaubnis holen?« »Was soll das heißen, Saturday?!« »Dass ich Sie für käuflich halte. Sie haben schon in Tombstone mit Viehdieben unter einer Decke gesteckt, Waco. Hier geht es um Gold. Ich wette, dass Sie lieber selbst Gold suchen würden, wenn sich dieser Posten nicht für Sie lohnen würde. Sie sind kein Idealist, Waco. Sie spielen hier nicht für hundertvierzig Dollar im Monat Sheriff, wenn nicht noch eine andere fette Pfründe dranhängt. Ich kenne Sie, Waco – besser als Sie denken. Eines Tages sausen Sie mit Ihrem neuen Boss zur Hölle! Und jetzt machen Sie die gewünschten Eintragungen, verstanden!« Dan beugt sich weit über den Tisch und sieht in Wacos unruhige Augen. Und er weiß, dass dieser Mann vom Sheriff in Tombstone unterstützt wird, und er weiß, dass der Sheriff in Tombstone einflussreiche Gönner in der Regierung sitzen hat, die jedes Jahr von den Schmuggelbanden Schmiergelder bekommen. Er weiß es von Whip Dunn. Und Whip kennt sich aus in den Geschäften an der Mexikogrenze.
Eines Tages wird sich ein gewaltiger Sturm im ganzen Land erheben und alle diese korrupten Beamten wegfegen. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, murmelt Waco heiser und holt das Grundbuch hervor, in dem mehr als tausend Claims eingetragen sind. Er macht die notwendige Eintragung. Als er das Buch schließen will, greift Dan Saturday zu. Der Sheriff will abwehren, aber er lässt es, als Jim Larrymaker seinen Colt hochschwingt. Dan blättert in dem Buch herum. Dann wirft er es mit einem Krach auf den Tisch. »Waco, die Seiten sind nicht nummeriert. Ich komme heute Abend in die Stadt. Wenn Sie dann die Seiten nicht nummeriert haben, reiße ich Ihnen den Kopf ab. Gibt es eine Zweitschrift dieses Grundbuches?« »Das geht Sie einen Dreck an, Saturday!« »Wir sprechen noch darüber, Waco. Sie sind gewarnt. Setzen Sie nicht zu sehr auf Brightman! Kommt, Freunde!« Sie wandern zu Fuß auf das Goldfeld, denn ihre Pferde sind im Mietstall besser aufgehoben. Das Futtergeld ist zwar teuer, aber nun, als Doobyrnes Partner, können sie es sich leisten.
Es ist schon Nachmittag, aber überall arbeiten die Goldsucher noch emsig und ohne Pause. Sie müssen viele Umwege machen und immer wieder einen Claim umgehen. Endlich erreichen sie die Stelle, wo Dan Saturday vor vielen Tagen die ersten Pflöcke eingerammt hat. »Hier war es, Freunde«, sagt er. »Dies da sind die vier Entdeckerclaims.« »Yeah, aber jetzt arbeiten Brightmans Leute hier – und andere Pflöcke sind eingerammt«, sagt Doobyrne und wird plötzlich rot. Er geht schnell weiter. Die Freunde sehen sich an und folgen ihm langsam. »Verdammt, wieso weiß der Bescheid – das konnte er doch nicht wissen, Dan?«, zischt Jim. Dan gibt keine Antwort. Er sieht zu den arbeitenden Männern hinüber. Brightman hat eine Waschanlage bis zur Sandbank anlegen lassen. Eine ganze Gruppe von Männern schaufelt soeben Sand hinein. Auch auf den drei anderen Claims ist es so. Weit über zwei Dutzend Männer arbeiten hier für Brightman. Bewaffnete Wächter stehen herum. »Yeah, wieso wusste Doobyrne, was ich mit den Worten: ›Hier war es, Freunde‹ meinte«, sagt Dan nach einer Weile. »Jedenfalls weiß er, dass du vor Brightman hier schon Grenzpflöcke eingerammt und vier Claims abgesteckt hast«, murmelt Chase mit seiner sanften Stimme.
Chet Doobyrne führt sie noch an zwei abgesteckten Claims vorbei. Auf dem dritten Claim steht ein Wagen, der Dan sehr bekannt vorkommt. Und dann sieht er auch schon das Mädchen aus der Hütte kommen, neben der der Wagen steht. »Hallo!«, ruft er, geht auf sie zu und schwingt den Hut. Sie will mit einer Schüssel zum Creek hinunter. Sie hält die Schüssel gegen die Hüfte gestemmt, wendet sich um und erkennt ihn. »Sie sehen«, sagt er, »dass mich Ihre Marschverpflegung gerettet hat, Miss Bell. – Nun bin ich hier. Ich freue mich, dass wir Nachbarn werden.« Sie sieht ihn eine Weile schweigend und sehr aufmerksam an. »Ich freue mich, dass Sie durchgekommen sind, Mister Saturday. Gehören Sie zu Brightmans Leuten, weil Sie von Nachbarschaft sprechen? Es würde mich nicht wundern, wenn er wieder einen neuen Revolvermann angeworben hätte.« Sie will sich abwenden, doch er hält sie am Arm zurück und nimmt ihr mit schneller Bewegung die Schüssel ab, in der sich etwas Wäsche befindet.
»Sie müssen wirklich schlimme Dinge über mich gehört haben, Lady. Sie sind nicht fair zu mir!« »Mag sein, Mister Saturday!« Sie sieht ihn fest und ruhig aus ihren grünen Augen an. Ihr Gesicht ist klar, rein und schön – und stolz. Sie bewegt auf besondere Art ihre Lippen, wenn sie spricht. Dan fragt sich, ob sie schon einmal einen Mann geküsst hat. »Ich hasse alle Revolverhelden«, sagt sie plötzlich hart und bitter. »Ich hatte fünf Brüder. Und wir hatten eine kleine Ranch. Unser großer Nachbar wollte unsere Weide und unsere Wasserstellen. Er holte sich eine Revolvermannschaft zusammen. Damit holte er sich alles, was er haben wollte. Jetzt habe ich nur noch drei Brüder. Meine Mutter starb vor Kummer. Wenn nicht die Kunde von den Goldfunden durchs Land geeilt wäre, hätten wir weiter um unsere schon verlorene Ranch gekämpft. Vielleicht wären meine Brüder und mein Vater jetzt auch schon tot. Jetzt wissen Sie, Mister Saturday, warum ich keine Revolverleute sehen kann. Ich verachte jeden Mann, der seine Colts vermietet und sich für einen Kampf bezahlen lässt! Und jetzt geben Sie mir die Schüssel wieder. Ich möchte mit Ihnen nichts zu tun haben, Mister Saturday!«
Er bewegt sich nicht und hält die Schüssel fest. Seine Stimme ist heiser und klingt etwas gepresst. »Miss Bell, Sie sind verbittert. Aber da Sie in diesem Land geboren sind, sollten Sie wissen, dass es zwei Sorten von Revolvermännern gibt. Wie sollte dieses gesetzlose Land einmal zur Ruhe kommen können, wenn es nicht Männer gibt, die aus eigener Verantwortung heraus dem Gesindel einen Kampf liefern? Gift erzeugt Gegengift!« »Vielleicht sind Sie Gegengift – vielleicht! Aber ich möchte doch nicht unsere Bekanntschaft fortsetzen, Mister Saturday. Sie haben zu viele Männer getötet. Ich kann nicht glauben, dass es nur schlechte Männer waren und dass Sie stets in Notwehr töteten!« »Wenn Sie mich näher kennen würden, würden Sie nicht so an mir zweifeln.« Dan Saturday sagt es bitter. Und er starrt sie immer noch an und rührt sich nicht. Sie stampft jetzt mit dem kleinen Fuß auf. »Genug jetzt! Geben Sie mir…« »He, Bell! Belästigt er dich?!«, ruft eine scharfe Stimme. Eine zweite Stimme ruft: »Dann wird er sich entschuldigen!« Eine dritte Stimme knurrt böse: »Oder wir brechen ihn in zwei Teile!« Dan sieht sich um.
Drei Riesen, die noch ihre Schaufeln und Hacken in den mächtigen Fäusten tragen, kommen vom Creek her um den abgestellten Wagen herum und nähern sich mit großen Schritten. Sie sind so groß, so mächtig und gewaltig, dass man meint, der Boden müsste unter ihren Schritten erzittern. Und hinter ihnen taucht ein älterer Riese auf. Diesen kennt Dan schon. Es ist Ike Graham, dessen Name auf der Seitenwand des Wagens eingebrannt ist. Ysabel Graham windet eilig die Schüssel aus Dans Händen und geht eilig den Brüdern entgegen. »Es ist nichts!«, ruft sie scharf. Die drei mächtigen Burschen bleiben stehen. Sie sehen grimmig zu Dan hinüber. Einer knurrt: »Schwester, es sah aber so aus, als wärest du sehr zornig geworden.« Der alte Ike Graham schiebt sich an der Gruppe vorbei. »Geht wieder an die Arbeit, Söhne. Es ist Dan Saturday, der Revolvermann. Wir trafen ihn hinter Tombstone und gaben ihm etwas Proviant. Wahrscheinlich hat er sich bei Bell dafür bedankt. Geht an die Arbeit, Söhne!« Er macht eine scharfe Handbewegung. Die Riesenkerle gehorchen sofort. Mit ihrer Schwester gehen sie wieder zum Creek zurück.
Ike Graham nähert sich Dan Saturday und bleibt vor diesem stehen. Er sieht an ihm vorbei und zu Dans Freunden hinüber, die in einiger Entfernung eine abwartende und aufmerksame Gruppe bilden. Dann sieht er Dan wieder an. »Saturday, ich will nicht, dass Sie die Gesellschaft meiner Tochter suchen.« »Warum nicht? Bin ich ein Hundesohn?« »Das weiß ich nicht, Saturday! Auf jeden Fall aber tragen Sie zwei Colts. Und Sie sehen so aus, als wenn das Kämpfen und das Reiten Ihr einziger Beruf wäre. Ich will Sie nicht beleidigen, Saturday – ich stelle nur Tatsachen fest und…« »Das genügt, Mister Graham«, unterbricht Dan bitter und wendet sich um. Im selben Moment tritt Chet Doobyrne neben ihn, der sich inzwischen von der wartenden Gruppe gelöst hat. »Graham, ich bin nicht mehr allein Ihr Nachbar. Dies sind meine Partner. Sie kennen…« »Ich kenne Saturdays Namen. Nun, Doobyrne, ich wünsche Ihnen viel Glück mit Ihren Partnern!« Er sieht Dan Saturday noch einmal nachdenklich und verwundert an, wendet sich ab und geht davon. Chet Doobyrne lächelt seltsam und schaut dann zu Dan hoch.
»Verstehen Sie jetzt, Saturday«, murmelt er, »dass Sie erst ein richtiger, hart arbeitender Digger werden müssen, bevor Ihnen diese Leute vertrauen und Sie aus ihrer Mitte heraus einen Widerstand gegen Clark Brightman organisieren können?« »Yeah«, sagt Dan Saturday sanft. »Ich begreife einige Dinge. Wenn schnelle Coltschützen am Gold Creek auftauchen, werden sie mit Misstrauen empfangen. Es ist so, als ob Wölfe in einen Hundezwinger kommen!« »Genau so, Dan.« Chet Doobyrne grinst. »Ganz genau so! Alle Hunde fürchten sich vor einem Wolf – und mag der Wolf noch so gut und sauber sein. Er muss sie erst von seiner Sauberkeit und Rechtschaffenheit überzeugen. Dann werden sie ihn als Führer anerkennen. Und die Zeit wird kommen, Dan, wenn erst das erste Blut fließt und das Leben eines Mannes keinen Cent wert ist. Wenn all diesen armen Hunden die Angst in den Gliedern sitzt und dieser Canyon ein mächtiges Höllenloch geworden ist.« Sie gehen weiter. Chase, Whip und Jim schließen sich wieder an. Sie grinsen seltsam. »Ich kannte mal ein Mädel«, beginnt Jim, »das hatte drei Brüder. Und die Kleine war wirklich nett anzuschauen. Aber…« »Halt’s Maul!«, grollt Dan über die Schulter.
»He, das ist ja ernster als ich dachte«, ächzt Jim verwundert. Whip stößt ihn in die Rippen. Sie erreichen nun eine niedrige Hütte, die zwanzig Meter vom Creek entfernt unter zwei Birken steht. Es ist ein Wunder, dass die Birken noch nicht gefällt wurden. Die Hütte ist aus Balken und Kistenbrettern gefertigt. »He«, sagt Jim staunend. »Wo hat der Kleine nur die vielen Kisten herbekommen?« »Der Magazinverwalter von der Wells & Fargo ist mein Freund«, grinst Doobyrne. Sie treten gebückt durch die Tür und füllen den kleinen Raum fast aus. »Es sind nur zwei Schlafpritschen vorhanden«, stellt Whip bekümmert fest. »Aber ein ziemlich guter Petroleumofen und eine Menge Konserven sind vorhanden«, ruft Jim. »Dein Freund bei der Wells & Fargo scheint dich gut zu versorgen, Chet«, sagt Dan sanft. »Yeah«, murmelt Chase mit einem feinen Lächeln. »Man könnte fast denken, dass du selbst zur Wells & Fargo gehörst oder einen Wagentreck überfallen und ausgeraubt hast.« »Macht ein paar Büchsen auf. Ich will ein Essen bereiten.« Chet Doobyrne grinst seltsam. Dan und Chase haben sich nebeneinander auf eine Schlafpritsche gesetzt. Jim und Whip nehmen auf der anderen Platz. So hat Chet genügend Raum, um am Ofen hantieren zu können. Unter dem kleinen Fenster steht ein
Tisch und zwischen diesem und dem Ofen ein Regal, in dem viele Vorräte untergebracht sind. »Wir werden doch nicht alle zur gleichen Zeit schlafen können«, sagt Dan ruhig. »Ich zum Beispiel habe in dieser Nacht in der Stadt ein paar wichtige Dinge zu erledigen.« »Ich begleite dich, Dan«, verkündet Chase lässig und sieht ihn an. »Oh, nein, nein, Freund. Ich besuche eine Dame. Ich gehe ganz allein.«
10 Als Dan Saturday die Rückseite des Stadthauses erreicht, ist es fast Mitternacht. Langsam gleitet er um das Haus herum, bleibt einen Moment an der Ecke stehen und sieht über den Platz hinweg in die Straßen hinein. Die Lokale sind hell erleuchtet. Aus den Geschäften fällt ebenfalls Licht auf die Straße. Und überall drängen und schieben sich Männer nach allen Richtungen. Die Schwingtüren der Bars kommen nie zur Ruhe. Aus der Nugget Hall erschallt Beifallsgebrüll, Händeklatschen und Fußgetrampel. Es ist ein tosender Lärm. Dan weiß, dass jetzt ein paar leicht gekleidete Mädchen auf der kleinen Bühne tanzen. Später wird Lil Randell singen. Ihre etwas raue und harte Altstimme wird die Männer bezaubern. Der Platz vor dem Stadthaus ist leer. Wer geht schon jetzt in der Nacht zum Bürgermeister oder zum Sheriff? Der Town Marshal ist sicherlich unterwegs und macht seine Runde durch die Lokale. Dan setzt sich in Bewegung. Ruhig geht er an der Vorderseite des Hauses entlang und erreicht die Tür des Office. Aus dem Fenster fällt gelbes Licht. Dan stoßt die Tür auf und tritt schnell ein.
Bud Waco sitzt am Tisch. Sein Stern glänzt im Lampenlicht. Als er Dan erkennt, zuckt er leicht zusammen. Und dann grinst er ihn böse an. Aber er sagt kein Wort. »Zeig das Buch her«, sagt Dan sanft und tritt an den Tisch. Bud Waco holt es aus der Schublade und legt es ruhig auf den Tisch. Dan blättert es schnell durch. Die Seiten sind mit laufenden Nummern versehen. »Was soll das, Saturday?« »Waco, ich will nur, dass Sie ruhig schlafen können und nicht von anderen Leuten in Versuchung gebracht werden. Wer die Macht hat, der kann selbst plumpe Tricks anwenden. Und ein plumper Trick wäre es zum Beispiel, wenn jemand eine unnummerierte Seite aus dem Buch reißen würde. Das könnte schlecht bewiesen werden. Jetzt aber fällt es auf. Waco, hüten Sie dieses Buch wie Ihren Augapfel! Sollte es gestohlen werden oder ein Feuer entstehen, so …« »Jetzt ist es genug, Saturday! Gehen Sie zur Hölle! Sie beleidigen mich andauernd. Passen Sie auf, Sie Revolvermann!« »Und wie ich aufpasse – auf euch alle. Waco, es werden bald eine Menge schlimme Dinge geschehen. Wenn ich erkenne, dass Sie Ihren Eid
verletzen und Ihre Pflichten vernachlässigen, jage ich Sie mit der Bullpeitsche davon!« »Sie sind bald zu groß für Ihre Hosen, Saturday. Ich warte nur auf eine einwandfreie Handhabe gegen Sie. Dann werden Sie erledigt. Sie werden schon sehen, wie weit Sie kommen.« Hass strömt von dem Sheriff aus, von dem Dan mit Bestimmtheit weiß, dass er in Tombstone korrupt war und mit Viehdieben und Schmugglern Geschäfte machte. Warum sollte es hier, wo es um Gold geht, anders sein? Er glaubt nicht an Wacos Rechtlichkeit. Er verlässt ohne ein weiteres Wort das Office und geht wieder um das Haus herum. Mehrmals hält er an und sieht sich um. Er kann jeden Gegenstand gut gegen die Helligkeit des Platzes erkennen. Aber es folgt ihm niemand. Weiter entfernt torkeln ein paar singende Digger über den Platz und ihren Hütten zu, die irgendwo im Canyon oder gar am Creek stehen. Dan erreicht einen abgestellten Wagen und schwingt sich auf seinen Bock. Die beiden Pferde bewegen sich unruhig und erwartungsvoll, aber als er die Bremse nicht löst und auch die Zügel nicht in die Hand nimmt, versinken die Pferde wieder in einen dösenden Wartezustand. Plötzlich sieht er Bud Waco aus seinem Office kommen und quer über den Platz gehen. Von links kommen zwei Männer aus der Dunkelheit.
Sie tragen Gewehre. Er sieht es erst, als sie dicht bei ihm sind. Plötzlich erkennen sie ihn auf dem Bock und bleiben stehen. »He!«, sagt einer. »Was ist mit dir da oben los?« »Wenn Bill nicht bald kommt«, sagt Dan mit lallender Zunge wie ein Betrunkener, »dann fahre ich ohne ihn los.« »Hol ihn doch!« »Nein – nein, dadadas kakakann ich nicht. Ich bibibin zufrieden, dass – ich hier oben bibin.« Er gähnt, rülpst dann und lehnt sich weit zurück. Dann beginnt er leise zu schnarchen. Die beiden Männer lachen spöttisch und gehen weiter. Brightman passt auf seine Stadt auf, denkt Dan. Er bleibt noch eine kleine Weile sitzen. Mit einem Mal wird es ihm so richtig klar, dass er und seine Freunde einen schweren Stand haben werden. Brightman hasst ihn. Renee Roi hat sehr deutlich Stellung genommen. Alle anderen Geschäftsleute werden es ebenfalls tun. Der Sheriff ist sein Feind. Und die Goldgräber sind gegen jeden Revolvermann misstrauisch. Vielleicht werde ich mit dem Kopf gegen eine Wand rennen – und dann wird die Wand zwar wanken, aber auf mich fallen und mich
erdrücken. Mit jeder Stunde wächst Brightmans Macht. Auf gesetzliche Art konnte er für sich und seine Leute nur pro Nase einen einzigen Claim eintragen lassen. Er will jedoch viel mehr. Der verdammte Würger will alles. Und in jeder Arbeitsstunde holen seine Leute Gold aus den Claims, die mir und meinen Freunden gehören. Und den Sack mit Goldnuggets, den sie mir weggenommen haben… Er unterbricht seine Gedankengänge, denn die heiße Wut steigt in ihm auf. Schnell klettert er vom Wagen und gleitet in die Dunkelheit hinein. Einige Minuten später ist er im Hof der Nugget Hall. Er presst sich an eine Schuppenwand, ist im Schatten kaum zu erkennen und sieht zur Rückseite des großen Gebäudes hin. Im ersten Stock sind nur wenige Fenster erleuchtet. Dort oben liegen die Zimmer der Angestellten, der Tanzmädchen und auch sicherlich die Wohnräume von Lil Randell und Renee Roi. Eine Außentreppe führt hinauf und setzt sich rechts von der Tür des Privateinganges als Balkon fort. Dieses große Gebäude ist viel zu schnell und nicht für lange Dauer gebaut, als dass man die Treppen im Haus selbst eingebaut hätte. Dan Saturday zögert nicht mehr. Er gleitet wie ein lautloser Panther die Treppe hinauf und kriecht dann auf allen vieren über den Balkon.
Er geht von der Annahme aus, dass Lil Randell die besten Zimmer bewohnt. Als er die Balkontür erreicht, liegt er einen Moment still und lauscht. Unten im Saloon ist es merkwürdig still. Nur ein Klavier spielt. Aber wegen dem Klavierstück ist die raue Meute im großen Saal bestimmt nicht so ruhig. Dann hört Dan Lil Randell singen. Er richtet sich schnell auf, legt die Hand auf den Drücker und schnauft zufrieden, als sich die Balkontür mühelos öffnen lässt. Das Zimmer ist leer. Die Tür zum Nebenraum ist angelehnt. Er wirft einen Blick hinein und erkennt, dass es Lils Schlaf- und Umkleideraum ist. Nun ist er zufrieden und setzt sich im Wohnraum in die Ecke neben die Tür. So wartet er und sieht sich aufmerksamer um. Ein Sofa, Sessel, Kissen, indianische Decken an den Wänden und ein Teppich auf dem Boden. Eine Kommode und ein Glasschrank. Nicht viel, aber für diesen Ort beachtlich. Lil hat bestimmt einen ganzen Frachtwagen für sich allein benötigt. Er lehnt sich tiefer in den Sessel aus Büffelleder und raucht eine Zigarette an. Unten braust nun ein Beifallsorkan los, der das ganze Haus erzittern lässt. Endlich wird es wieder still. Wieder hört er Lil singen. Und er fragt sich,
wie eine solch kühle und berechnende Frau wie sie, so feurig, heiß und auch sehnsüchtig singen kann. Und er weiß, dass sie mit ihrer Stimme alle Männer dort unten bezaubert. Ihre Macht vergrößert sich auch mit jeder Stunde, denkt er. Dann braust unten wieder Beifall auf. Nach einer Weile hört er draußen Schritte. Die Tür öffnet sich, und Lil kommt herein. Sie sieht ihn erst, als sie die Tür schließt. Sie verrät keine Überraschung, lächelt nur seltsam. Und er selbst grinst wie ein großer Junge. »Kann uns jemand hören, Lil?«, fragt er leise. Sie kommt dicht zu ihm. Er erhebt sich und sieht in ihre grauen Augen hinein, die zu ihm aufsehen. Sie legt nur ihre schlanke Hand auf seine Brust. »Wenn du leise bist, du wilder Krieger – nein. Draußen ist ein kleiner Gang. Eine schmale Stiege führt zum Office hinunter. Im Office sitzt Renee Roi. Er wohnt unten. Die anderen Zimmer sind nur über die Außentreppe zu erreichen.« Sie wendet sich ab, geht zum Sofa und setzt sich. Dabei nimmt sie einen spanischen Spitzenschleier ab. Die brünette Haut ihrer freien Schultern glänzt im matten Licht der Petroleumlampe. Der Rock ist weit. Ihre Füße sind klein. Dan wartet darauf, dass sie ihre Beine übereinanderschlägt und kokettiert. Aber sie tut
es nicht. Wenn sie unten auch tanzt und singt – hier oben verzichtet sie auf solche Mittel. Und das ist der Unterschied. Wie immer steigt sie nach solch einem Moment in seiner Achtung. Sie besitzt trotz ihrer Art, Geld zu verdienen, einen echten Stolz. Sie ist nicht feil und billig. Unten tanzt und singt sie und verdreht rauen Burschen die Köpfe. Und hier oben ist sie eine kühle Lady. Aber ihre Augen glänzen warm und sanft, als sie Dan ansieht. »Setze dich zu mir, du Indianer!« »Kommt niemand? Ich möchte dich nicht …« »In meine Räume kommt niemand ungebeten herein, Dan!« »Doch! Ich bin hier.« »Du bist stets gebeten. Überdies habe ich dich erwartet. Du hast dich über mich gewundert, als du mit Roi die Auseinandersetzung hattest?« »Dein Verhalten war klug, Lil.« »Ich hoffe es. Dan, was ist zwischen Brightman und dir?« »Viel, Lady! Eine ganze Hölle voll Hass. Die vier besten Claims im Canyon wurden von mir für mich und meine Freunde abgesteckt. Ich wollte schnell nach Tombstone. Er war noch schneller. Ich wurde sehr unangenehm aufgehalten. Er meldet die Claims auf seinen und seiner Leute Namen an und nahm mir einige
Pfund Nuggets weg. Ich bin hier, um ihn zu vernichten.« »Warum tötest du ihn nicht gleich?« »Ich will die Claims haben. – Er hat sie mir weggenommen, und er muss sie mir wiedergeben. Das Letztere wird er erst dann tun, wenn er klein und hässlich geworden ist.« »Dan, wenn du nicht Dan Saturday wärest, den ich besser als alle anderen Menschen kenne, würde ich dich für einen verrückten Narren halten. Aber du bist wahrscheinlich der Mann, der auch einen mächtigen Berg zum Einsturz bringen kann.« »Ist er schon so mächtig, Lil?« »Ihm gehört die Stadt. Er hat schnell gearbeitet und verfügt über glänzende Verbindungen zu Regierungsleuten. Die Posten in dieser Stadt sind von seinen Handlangern besetzt. Du wirst Wilcey Craig, den Richter, und Brutus Texter, den Bankier, noch kennen lernen. Texter leitet nicht nur die Bank, sondern amtiert überdies auch noch als Bürgermeister. Das bedeutet, dass er die Konzessionen vergibt. Wir selbst haben die Konzession für die Nugget Hall nur auf Brightmans Empfehlung erhalten. Roi und Brightman sind alte Bekannte. Brightman bestimmt sogar, wer Stallbursche im Mietstall sein darf. Ohne seine Erlaubnis darf sich kein Mensch in dieser Stadt ansässig machen. Ihm
gehört Gold Creek und er erhält seinen Anteil an allen Geschäften und von jeder Einnahme.« »Dann hat er sich aber auch eine Menge Feinde gemacht.« »Hat er, Dan, hat er. Es gibt schon eine Menge Männer, die keine Konzessionen erhielten und von seinen Leuten aus dem Ort gejagt wurden. Nur die Wells & Fargo Company konnte er nicht verjagen. Eine Frachtlinie ist viel zu wichtig für die Stadt und die Goldfelder. Überdies hat die Wells & Fargo von der Regierung Sonderrechte in jedem County. Hier konnten Brightmans Gönner nichts ausrichten. Die Wells & Fargo muss er dulden – und vielleicht gehört das sogar in seinen Plan. Ich weiß von Roi, dass er hier einen Riesencoup machen will. Gold Creek wird nur so lange bestehen, wie die Goldausbeute lohnend ist. In einem halben Jahr kann der ganze Rausch schon wieder vorbei sein – es kann aber auch zwei oder drei Jahre dauern. Auf jeden Fall aber wird die ganze Korruption schon in wenigen Wochen zum Himmel schreien, so dass die höchsten Regierungsstellen gute Leute herschicken. Bis dahin will Brightman seine Taschen gefüllt und sich nach Mexiko abgesetzt haben. Er will in wenigen Wochen Millionen erbeuten. Vorläufig gilt er für Unwissende noch als ehrenwerter Mann, der dieser Stadt sogar ein großes Haus gebaut hat. Ich weiß nicht, Dan, wie du ihn stürzen könntest.«
»Er wird Fehler machen, Lil – vielleicht schon sehr bald. Du hast dich ihm ebenfalls unterworfen?« »Noch kann er mich zu jeder Tageszeit aus der Stadt jagen lassen, Dan. Darüber würde sich Roi sogar noch freuen. Aber warte nur noch wenige Tage. Dann kann er mir nichts mehr anhaben. Dann brauche ich nur mit dem Finger zu schnippen, und zweihundert Männer kämpfen für meine Rechte. Warte nur, Dan. Ich sorge zwar nur für mich, aber durch mich wird er noch Kummer bekommen. Und das wiederum wird dir nützlich sein. Nun geh, Langer. Ich muss unten noch einmal singen. Wenn ich mich vorerst auch noch öffentlich gegen dich abweisend verhalte. Warte nur, bald bin ich deine starke Freundin. Dieser ekelhafte Klotz hat mir schon am ersten Tag ein beleidigendes Angebot gemacht. Ich verabscheue dieses Vieh. Renee Roi hat so etwas nie gewagt. Nun, Roi will mich als Teilhaber ausbooten. Da er Brightmans Freund ist, muss ich Brightman vernichten helfen, um Roi rauswerfen zu können. So dreht sich alles im Kreis, Dan. Pass auf dich auf, langer Krieger!« Sie erheben sich. Plötzlich stellt sie sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn schnell. »Hallo«, murmelt er.
»Weil ich dich leiden mag, Dan. Wenn sie dich erschießen, mache ich mir vielleicht Vorwürfe, dass ich es nicht getan habe.« Sie lächelt ihn etwas bitter an. »Dabei bleibt es aber. Ich werde mir eine Leibwache anschaffen und für Brightman ein heißes Eisen werden. Ich kann für mich sorgen. Sorg du für dich. Wenn wir können, helfen wir uns ein wenig dabei.« »Viel Glück, Pantherkatze!« »Zu dir werden meine Krallen immer sanft sein.« Sie verschwindet im anderen Raum. Dan dreht die Lampe aus und gleitet leise auf den Balkon und die Außentreppe hinunter. Als er seinen Fuß auf die drittletzte Stufe setzt, klammern sich zwei Hände um sein Bein. Er stürzt hinunter und kracht auf den Boden. Zwei Männer kommen unter der Treppe hervor. Sie haben dort gekauert. Einer hat zwischen den Stufen nach Dans Beinen gegriffen und ihn so zu Fall gebracht. Nun werfen sie sich auf ihn. Dan liegt auf dem Rücken. Er zieht die Beine an und stößt sie dann von sich. Die beiden Angreifer taumeln zusammengekrümmt zurück. Dan bleibt liegen und zieht dabei seine Colts. Er kann die beiden taumelnden Schatten gut beobachten. Es geht alles in Sekundenschnelle. Er schießt in ihre Mündungsfeuer hinein. Und er weiß, dass er sie beide trifft und sieht sie
zusammensacken. Als er aufschnellt, fühlt er den Schmerz über den Rippen. Eine Kugel hat ihn also gestreift. Er ist der Meinung, dass er sehr gut abgeschnitten hat und hetzt mit langen Sprüngen in die Dunkelheit hinein. Als er in der Finsternis verschwindet, wird es hinter ihm laut. Die vier Schüsse sind natürlich gehört worden. Noch ist es in Gold Creek ziemlich ungewöhnlich, wenn Schüsse in der Nacht krachen. Er läuft dann langsamer und schlägt einen Bogen. Bald erreicht er die Hinterseite einer Häuserreihe. Hier sind viele Wagen und andere Dinge abgestellt. Er sucht sich einen Weg. Im Schatten eines Bauholzstapels verschnauft er ein wenig und tastet vorsichtig nach seiner Streifwunde. Sie blutet ziemlich stark. Er reißt sein Halstuch ab, faltet es zusammen und presst es auf die Wunde. Dann gleitet er weiter und erreicht die Rückseite der Brightman Company, die im Winkel zu den Rückseiten der Häuser steht. Hier liegt noch viel Bauholz herum. Ein Stall und zwei Schuppen stehen auf dem Hof. Dan Saturday bewegt sich so leise wie ein Wolf. Er verschmilzt mit dem Schatten der Schuppen und rückt nur langsam vor. Als er die Ecke erreicht, kniet er nieder und findet ein Stück Holz. Er lauscht erst eine Weile, dann wirft er es weit nach rechts. Es poltert gegen einen Bretterhaufen.
Sofort erklingt ein scharfer Ruf: »He, wer ist dort?« Schritte werden hörbar. Aus dem Schatten des großen Hauses tauchen zwei Gestalten auf. Als sie im Sternenschein deutlicher werden, erkennt Dan, dass sie Schrotflinten tragen. Sie gehen schräg vor ihm über den Hof und rufen noch einmal. Dann bleiben sie stehen und lauschen. Nach einer Weile murmelt einer: »Vielleicht ‘ne strolchende Katze oder ’n streunender Hund.« »Kann aber auch’n Mensch gewesen sein, Jorge. Komm, wir sehen lieber ganz genau nach.« Sie entfernen sich noch weiter und verschwinden hinter dem Bauholzstapel. Dan Saturday wagt es. Er huscht gebückt über den Hof, erreicht den Schatten des Hauses, kauert sich dort dicht neben einer Regentonne an die Wand und wartet. Seine Rippen schmerzen wieder. Die beiden Wächter kommen zurück. »Es war doch nichts«, sagt der eine. »Möglich. Du hast aber gehört, dass hinter der Nugget Hall geschossen wurde. Der Boss lässt nicht ohne Grund Doppelposten umherstreifen, die nach diesem Saturday und dessen Freunden ausschauen sollen. Nun komm, wir müssen die Runde um den Bau machen. Verdammt, auf meinen Namen ist ein guter Claim eingetragen
worden und ich muss hier den Wächter spielen. Die Digger haben es besser!« »Hahaha, dafür geht’s uns später besser!« Sie gehen dicht an Dan vorbei. Die Hosenbeine des einen Mannes streifen sogar die Regentonne, hinter der Dan kauert. Dann biegen sie um die Ecke. Dan erhebt sich und sucht nach einer Möglichkeit. Die Fenster hier hinten sind in Kopfhöhe angebracht. Die Läden sind dicht verschlossen. Auch eine Hintertür ist vorhanden, aber sie ist fest und solide und lässt sich nicht öffnen. Dan erreicht den kleinen Küchenanbau. Hier leuchtet etwas Licht durch die Fensterläden. Er späht durch einen Schlitz und sieht die Hälfte eines runden Chinesengesichtes. Er gleitet um den Anbau herum. Die Rückseite ist fensterlos. Er greift nach oben und erreicht den Dachrand des Anbaues. Langsam und leise zieht er sich hinauf und rollt sich auf das flache und nur leicht nach einer Seite zu ansteigende Dach. Als er oben liegt, kommen die beiden Wächter unter ihm vorbei. Er könnte ihnen auf die Hüte spucken. »Verdammt«, knurrt einer der beiden Männer. »Jake Snow habe ich noch nie so giftig gesehen. Er schwört darauf, dass unsere beiden Streifposten hinter der Nugget Hall auf Dan
Saturday gestoßen sind und er sie glatt erledigt hat. Wir müssen verdammt gut aufpassen und …« Dann sind die beiden Kerle außer Hörweite. Dan Saturday bewegt sich wieder. Er macht überhaupt kein Geräusch, und er denkt auch daran, dass ein Chinese in der Küche ist und vielleicht schon das leiseste Geräusch auf dem Dach hören könnte. An der Wand des Haupthauses richtet er sich auf. Über ihm befindet sich ein Fenster des oberen Stockwerkes. Dieses Fenster besitzt keine Holzläden. Die Flügel lassen sich ohne Mühe aufstoßen. Dan zieht sich hoch und klettert hinein. Er befindet sich in einem vollkommen leeren Zimmer. Es fällt genügend Sternenlicht herein. Er kann die vier leeren Wände und vor sich das Rechteck einer Tür erkennen. Als er sich über die ungehobelten Dielen bewegt, knarren diese leise. Er gleitet vorsichtig zur Wand und daran entlang bis zur Tür. Einige Atemzüge lang lauscht er. Er ist sich vollkommen darüber klar, dass er seinen Kopf sozusagen schon halb in den Rachen eines Löwen gesteckt hat. Bei diesem Gedanken grinst er. Wenn ich Glück habe, denkt er, wird Clark Brightman noch einmal zu der Erkenntnis kommen, dass er mich unterschätzt hat. Die Tür lässt sich öffnen, knarrt jedoch leise. Dan benötigt fast fünf Minuten, bis er sie so weit
geöffnet hat, dass er durch den Spalt in den Flur gleiten kann. Wie ein lautloser Schatten bewegt er sich den Gang entlang und kommt dabei an drei Türen vorbei. Er lauscht an jeder dieser Türen und späht durch die Schlüssellöcher. Aber er hört nichts und sieht auch kein Licht. Schlafräume, denkt er. Aber weder Brightman noch dessen Männer schlafen heute. Bestimmt sucht die ganze Bande die Stadt ab. Hier bin ich eigentlich sicherer als an jedem anderen Ort. Als er die Treppe erreicht, hört er unten eine Tür schlagen. Und mattes Licht schimmert herauf. Er wartet eine Weile. Da sich unten jedoch nichts rührt, gleitet er Stufe um Stufe tiefer. Er hält sich dicht an der Wand, denn hier knarren die Stufenbretter nur ganz wenig. So kommt er auf den Treppenabsatz und kann das letzte Stück Treppe hinunter und in die kleine Vorhalle sehen. An der Wand hängt eine Petroleumlampe. Einige Türen sind da. Eine dieser Türen ist etwas geöffnet. Der Streifen einer helleren Lichtquelle fällt schräg heraus und unterscheidet sich deutlich von dem gelben Licht der Petroleumlampe. Plötzlich duckt sich Dan zusammen, beobachtet aber weiter durch das Treppengeländer. Die Haustür wird nämlich aufgerissen, und Jake Snow kommt ins Haus gestürmt. Als er in
den helleren Lichtstreifen tritt, erkennt Dan die Spuren seiner Fäuste in Jake Snows verzerrtem Gesicht. Und er erkennt auch die wilde und böse Angespanntheit, die in Jake Snow ist und die nur der äußerliche Ausdruck einer krankhaften Begierde nach einer Gewalttat sein kann. »Boss!«, ruft Jake Snow schon bevor er die Tür erreicht. »Was gibt es schon wieder? Habt ihr ihn?« Clark Brightmans Stimme. Es geht wie ein Stich durch Dans Körper. Er erkennt mit einem Mal, wie sehr er Brightman hasst. Noch nie im Leben hat er auf diese Art einen Mann gehasst – und das bedeutet viel, denn Dan hat auf allen Wegen Feinde angetroffen, die, da er nie umkehrte, von ihm niedergekämpft wurden. Aber diesen Mann da unten hasst er. Jake Snow stößt die Tür weiter auf und bleibt in ihr stehen. Er nimmt sich nicht die Zeit, weiter in den Raum zu gehen. Seine ganze Haltung drückt eine wilde Unrast aus. »Edson ist tot, Boss. Kalispel ist schwer angeschossen. Er hat eben gesprochen. Er schwört, dass es Dan Saturday war. Sie haben ihn rein zufällig die Außentreppe der Nugget Hall herunterkommen sehen. Er kam vom Balkon herunter. Sie hatten ihn unter der Treppe erwartet und wollten ihn lebend erwischen. Er war nicht zu überrumpeln. Da schossen sie auf ihn – aber er schoss besser. So war es, Boss. Er ist in der Stadt.
Ich habe alle Jungs auf den Beinen. Wir erwischen ihn, wenn …« »Ich glaube nicht, Jake, dass er noch in der Stadt ist. Es gibt genügend Wege, auf denen er unbemerkt entkommen konnte. Er hat also jemanden von der Nugget Hall besucht? Nun, ich glaube nicht, dass er bei Roi war. Hmm, morgen spreche ich mit Lil Randell. Ich werde ihr meinen Standpunkt noch einmal ganz eindeutig klarmachen. Zur Sicherheit kannst du mit den Boys noch einmal die Stadt absuchen. Jake, wir müssen ihn abschießen. Er ist zu gefährlich!« »Er ist Gift für uns, Boss. Und er steckt noch in der Stadt! Ich würde meinen Kopf gegen einen Hosenknopf setzen! Ich gehe wieder, Boss! Vor dem Haus steht ein Posten. Zwei Mann mit Schrotflinten machen pausenlos ihre Runden. Boss, der bringt es fertig und versucht hier einzudringen!« »Quatsch! So närrisch ist er nicht! Der wollte nur mit Lil Randell reden. Er hat es getan und eine rauchige Fährte hinterlassen. Jetzt ist er weg. Ich werde schon herausbekommen, was er von dieser Pantherkatze wollte!« Jake Snow brummt etwas Unwilliges und verlässt das Haus. Er knallt die Außentür ziemlich heftig zu. Dan sieht einen kurzen Moment Brightmans massigen und doch so kantigen Körper, als dieser die Tür wieder bis auf einen kleinen Spalt schließt.
Als er noch überlegt, öffnet sich irgendwo eine andere Tür, die er nicht sehen kann. Plötzlich erscheint der dicke Chinesenkoch in seinem Blickfeld. Er klopft an die angelehnte Tür und ruft mit Fistelstimme: »Mastel Boss! Abendessen sein aufgedeckt im glosses Zimmel!« »Verdammt, du schleichender Zitronennigger, zieh dir feste Schuhe an! Aaah, ich komme!« Dan grinst, als der Chinese eilig verschwindet. Clark Brightman, du bist ja nervös, denkt er zufrieden. Das jähe Klopfen hat dich mächtig erschreckt. Er duckt sich wieder tiefer zusammen, denn jetzt kommt Brightman aus der Tür und folgt dem Chinesen. Eine Tür klappt. Dan zögert keine Sekunde. Er gleitet auf seine lautlose Art die Treppe hinunter, durch die kleine Halle und in das Zimmer hinein, aus dem Clark Brightman gekommen ist. Ein roher Schreibtisch, ein Regal mit mehreren Ordnern, ein großer Drehstuhl mit gepolsterter Lehne, ein zweiter Tisch mit drei Sesseln – und in der Ecke ein großer Geldschrank mit zwei Schlüssellöchern und einem großen Vorhängeschloss. Dan betrachtet den Geldschrank aufmerksam. Es ist ein großes Ungetüm von zehn bis zwölf Zentnern. Brutus Texter hat in seiner Bank bestimmt keine besseren Geldschränke. Es ist
also anzunehmen, dass Brightman sein Vermögen in Gold und Geld nicht in der Bank hat, sondern hier bei sich im Haus. Dan grinst grimmig und schüttelt sich vor unterdrückter Freude. Dann tritt er an den Schreibtisch und durchfliegt alle Schriftstücke, die da liegen. Er findet jedoch nichts von Wichtigkeit, auch in den Ordnern nicht. Es wird ihm aber klar, dass Clark Brightman seine Finger in allen Geschäften hat. Schließlich findet er eine Aufstellung über die bisherige Ausbeute der einzelnen Claims. Und er liest: Claim I = 3,57 Kilo Claim II = 2,95 Kilo Claim III = 1,73 Kilo Claim IV = 2,02 Kilo Es sind noch über ein Dutzend andere Claims verzeichnet, deren Ertrag aber bedeutend geringer ist. Dan weiß, dass diese ersten Claims von ihm zuerst abgesteckt wurden. Es sind die Claims, die eigentlich ihm und seinen Freunden rechtmäßig gehören würden, wenn er nicht auf dem Weg nach Tombstone überfallen worden wäre. Er nimmt einen Bleistift, zieht unter die Abrechnung der vier ersten Claims einen Strich und rechnet aus. Dann schreibt er die Endsumme hin. Insgesamt: 10,270 Kilo.
Lächelnd legt er das Buch hin. Auf dem kleinen Tisch steht eine halbvolle Whiskyflasche. Er schenkt sich ein, prostet dem Geldschrank zu und trinkt. Der Whisky ist gut. Clark Brightman ist Kenner. Diesen Tropfen gibt es nirgendwo zu kaufen. Neben der angelehnten Tür steht ein Stuhl. Wenn die Tür aufgeht, verdeckt sie diesen Stuhl. Dan Saturday geht hinüber, setzt sich und wartet. Er vertraut auf sein Glück, dass Clark Brightman allein in den Raum kommt. Zehn Minuten vergehen. Dann klappt eine Tür, und die schweren Schritte Clark Brightmans nähern sich. Dan Saturday macht einen tiefen Atemzug und erhebt sich lautlos. Er zieht seinen rechten Colt und hebt ihn hoch über den Kopf. Die Tür öffnet sich. Brightman kommt herein – und dreht Dan Saturday sofort halb den Rücken zu, um die Tür hinter sich zu schließen. Mehr Glück konnte Dan gar nicht haben. Er wuchtet seinen Colt auf Brightmans kantigen Schädel. Es ist ein harter und mitleidloser Schlag. Aber die kommenden Tage im Gold Creek Canyon werden alle mitleidlos und gewalttätig sein. Dies ist der Beginn der zweiten Runde.
Clark Brightman stößt einen heiseren Laut aus. Einmal hat Dan einen sterbenden Büffelbullen so stöhnen gehört. Aber Brightman stirbt nicht. Er wird noch nicht einmal voll bewusstlos. Dan muss noch einmal zuschlagen. Seufzend sackt Brightman zusammen. Dan fängt ihn auf. Und erst jetzt wird ihm klar, wie schwer und massig dieser viereckige Mann ist. Er legt ihn der Länge nach auf den Boden und durchsucht seine Taschen. Die Schlüssel findet er an der Uhrkette. Wenige Minuten später öffnet er den Geldschrank. Die Tür ist dick gepanzert. Pralle Lederbeutel liegen im untersten Fach. In den oberen Fächern befindet sich Bargeld und eine Menge Papiere und Schriftstücke. Dan weiß, dass in jedem Säckchen zwei abgewogene Kilo enthalten sind. Das ist im Goldland überall so üblich. Er nimmt sechs Säckchen. So bleibt Brightman ihm sogar noch etwas schuldig, da ihm die Bande ja vor Tombstone die allererste Ausbeute abgenommen hat. Drei Säckchen bleiben im Schrank zurück. Dan grinst, als er die Tür verschließt und die Schlüssel in die Tasche steckt. Clark Brightman hat sich bisher noch gar nicht gerührt. Seine Bewusstlosigkeit ist tief. Aber noch in seiner Bewusstlosigkeit wirkt er beachtlich. Eine klotzige Kraft schlummert in ihm, eine Gewalt, die zwar im Moment
bezwungen ist und schläft, die aber bald wieder auf volle Touren kommen und sich in wilden Ausbrüchen austoben wird. Und gerade das will Dan Saturday erreichen. Clark Brightman soll richtig wild werden, mit all seiner noch zurückgehaltenen Wildheit losschlagen – und Fehler machen. Ein Mann, der in wilden Gewalttaten und hassvollen Begierden seine Wut austobt, macht Fehler. Dan stopft sich die kleinen, aber sehr schweren Beutel ins Hemd. Dann öffnet er die Tür und gleitet in die Halle hinaus. Er hält seine rechten Colt schussbereit und ist gewillt, sich durch nichts aufhalten zu lassen. Durch die Vordertür kann er das Haus nicht verlassen, denn vorn, das weiß er, steht ein Wächter. Er will es durch die Küche oder ein Fenster der hinteren Räume versuchen. Die Fensterläden werden sich sicherlich von innen öffnen lassen. Er muss nur den Moment abpassen, wenn die beiden Wächter auf ihrer Runde vorbeigekommen sind. Aus der Küche klingt die singende Fistelstimme des Chinesen. Geschirr klappert. Dan öffnet auf gut Glück eine Tür. Das Zimmer ist dunkel. Er gleitet hinein und schließt die Tür wieder. Plötzlich spürt er, dass sich in diesem Zimmer ein Mensch befindet. Er riecht es.
Und schon sagt eine Stimme: »Wer ist da? Jake? He, wer ist da? Mann, ich habe einen Colt in der Hand!« Dan kennt diese Stimme. »Slim«, sagt er leise, »muss ich dich totschießen? Du kannst mich nicht aufhalten.« Ein Bettgestell knarrt. »Oha, Saturday – das ist aber eine mächtige Überraschung«, sagt Slim heiser. »Komm zu mir – ich habe auch eine Überraschung für dich.« »Ich habe auch einen geladenen Colt in der Hand, Slim!« »Du kannst ihn wegstecken. Ich will dir eine Geschichte erzählen. Komm her, Dan.« Ein feiner Instinkt sagt Dan, dass er Slim trauen kann. Im Laufe seiner bewegten und sehr gefahrvollen Jahre hat Dan schon oft auf diesen Instinkt hören müssen. Und er hat ihn immer richtig handeln lassen. »Ich komme, Slim, ich komme«, murmelt er und tastet sich durch das dunkle Zimmer. Ein Zündholz flammt auf. Er sieht Slim auf einem Bett sitzen. Slims Colt liegt auf der Bettdecke. »Nimm ihn, Dan – es wird Zeit, dass wir uns unterhalten.« »Behalte ihn.« Dan setzt sich auf den Bettrand. Das Zündholz verlöscht. Sie können sich nicht mehr sehen, denn die Fensterläden sind geschlossen.
»Ich liege hier, weil mich der Chinesenkoch so besser betreuen kann. Du hast gut geschossen, Dan. Ich wusste, dass du mich nicht töten würdest. Ich habe es deshalb riskiert, gegen dich zu ziehen. Ich musste Clark Brightman täuschen. Es steht zu viel auf dem Spiel.« »He«, sagt Dan staunend. »Wer bist du? Was für ein Spiel spielst du?« »Ich heiße Slim Hackett. Ich bin von der Wells & Fargo Company.« »Ein Detektiv?« »Yeah. Ich bin schon seit Dodge hinter Brightman her. Damals war in Dodge die Hölle los. Die Wells & Fargo hat einige Frachtzüge verloren. Geldtransporte wurden überfallen. Die Banditen hatten der Wells & Fargo Company schweren Schaden zugefügt. Nun, wir konnten diese Banden damals nach und nach vernichten und die Sicherheit auf allen Wegen wieder herstellen. Aber wir kamen nicht an den Mann heran, der in Dodge saß und alle Fäden in der Hand hatte. Brightman hat damals in Dodge Dummheiten gemacht. Sie haben ihn zwar aus der Stadt gejagt, und es war ein höllischer Kampf. Aber er konnte seinen Kopf retten. Die Wells & Fargo könnte ihn für ein paar Jahre einsperren lassen.« »Hier nicht, Slim – hier sperrt ihn keiner ein – und holt ihn auch keiner raus. Hier sitzt er fest, bis nach vielen Monaten das wahrhaftige Gesetz
Fuß fasst – solange sitzt er hier fest und füllt sich die Taschen.« Dans Stimme ist ärgerlich. »Das weiß man bei der Wells & Fargo. Man sah auch voraus, dass Brightman irgendwo wieder auf seine Art eine große Sache beginnen würde. Deshalb hat mich die Wells & Fargo angesetzt. Als ich damals mit ausgekugeltem Arm an dein Feuer kam, suchte ich Anschluss an die Bande. Ich wusste, dass sie in der Nähe sein musste. Nun, ich fand den Anschluss. Meine Aufgabe ist, als Spion bei der Bande zu bleiben und …« »Chet Doobyrne, der uns zu Teilhabern machte, ist der Verbindungsmann zur Wells & Fargo Company, was?«, unterbricht Dan wieder. »Du bist klug, Dan. Yeah, Doobyrne ist der Verbindungsmann. Er machte euch auf meinen Rat hin zu Teilhabern. Als ich hörte, dass du in der Nugget Hall begonnen hattest, rechnete ich mir einige Dinge aus und verständigte Doobyrne, bevor mich Brightman ausschickte, um dich diesmal wirklich abzuschießen. Ich musste alles riskieren. Und ich habe dich richtig eingeschätzt. Du hast mich geschont. Brightman ist nicht misstrauisch. Für ihn warst du gegen mich eben der bessere Mann. Als Schießer hält er nicht mehr viel von mir. Aber ich bin noch bei der Bande. Bald wird Brightman alle Goldtransporte überfallen lassen, die die Bank und die
Posthalterei zur Hauptstadt schicken. Da die Wells & Fargo Company alle Transporte von Menschen, Waren, Post und Gold durchführt, kann diese Linie der Ruin der ganzen Gesellschaft werden; denn wenn es zu schlimm wird, übernimmt keine Versicherung mehr das Risiko. Ich werde jeden geplanten Überfall verraten. In zwei Tagen bin ich wieder auf den Beinen. Doobyrnes Claim gehört der Wells & Fargo Company und …« »Ich verstehe, die Wells & Fargo setzt alles daran, um Brightman für immer zu erledigen.« »Yeah, Dan. Er hat uns in all den Jahren zu viel Schaden zugefügt. Auf die Dauer ist die Company noch mit jedem Feind fertig geworden. Die Schlinge um Brightmans Hals wird immer enger. Wenn Doobyrne zur Posthalterei geht, sind in kurzer Zeit ein Dutzend Männer zur Stelle, die allesamt gut kämpfen können. Und nun zu dir, Dan! Ich habe schon einen Bericht geschrieben, wie Brightman an die vier Entdeckerclaims gekommen ist. Dieser Bericht liegt bei der Wells & Fargo in guter Sicherheit. Wenn wir Brightman erledigt haben, bekommst du deine Claims zurück. Es werden sicherlich noch ein paar Kerle von der Bande überbleiben, die durch ihre Aussagen meinen Bericht erhärten. Wir, ich meine die Wells & Fargo und du mit deinen Freunden, wir ziehen alle an einem Lassoende. Auf der anderen Seite zieht Brightman. Die Wells
& Fargo will jedoch keinen blutigen Kampf. Sie will alles gesetzlich machen. Gesetz, Recht und Ordnung sollen ins Land kommen. Wir wollen eine große Gerichtsverhandlung aufziehen. So soll es sein! Willst du uns mit deinen Freunden dabei helfen, Dan?« »Wir sind dabei, Slim Hackett!« In der Dunkelheit drücken sie sich die Hände. »Tut mir leid, Slim, dass ich dich verletzt habe.« »Das war gut. Brightmans Misstrauen ist damit ausgelöscht worden. Jetzt glaubt er, dass ich auf dem Ritt nach Tombstone ebenfalls sehr schlecht gezielt habe.« »Manchmal geschehen im Leben eines Mannes seltsame Dinge, Slim. Ich muss jetzt höllisch schnell verschwinden. Ich habe vor einigen Minuten Clark Brightman niedergeschlagen. Er liegt in seinem Arbeitszimmer. Jeden Moment kann er das Bewusstsein wiedergewinnen. Und ich habe die Ausbeute der vier Claims aus seinem Schrank geholt. Das wird ihn zu Dummheiten verleiten. Er wird vor wilder Wut Amok laufen.« »Oha, Dan. Das wird die ganze Entwicklung allerdings gewaltig beschleunigen. Wohin willst du mit dem Gold?« »Irgendwo verstecken. Er wird natürlich den Sheriff alarmieren.«
»Darauf kannst du wetten! Wenn du willst, kannst du das Gold bei mir lassen – in meinem Bett. Der Chinese ist ebenfalls ein Wells-&Fargo-Mann. Wir können das Gold in der Posthalterei sicherstellen. Das ist sauber, Dan.« »Ich habe nur das aus dem Tresor genommen, was mir und meinen Freunden rechtmäßig gehören würde!« »Aber du darfst es nicht behalten – nur sicherstellen.« »Das stimmt wohl, Slim. Nun, hier sind die Beutel!« Dan handelt schnell. Slim verbirgt das Gold unter seiner Bettdecke. Als sie damit fertig sind, ertönt ein brüllender Schrei im Haus. Es ist ein gewaltiger, orgelnder und wuterfüllter Schrei. »Das ist Brightman. Nun muss ich verschwinden!« Dan eilt zum Fenster und öffnet die Läden. »Ich mache sie hinter dir zu«, flüstert Slim, der etwas schwach auf den Beinen hinter ihm hergewankt ist.
11 Der Morgen graut schon, als Dan wie ein schleichender Wolf die Hütte erreicht. Vier Gestalten bewegen sich in und vor der offenen Hütte. »Hallo, ich bin es!«, ruft er leise und gesellt sich zu den Freunden. »Da ist der Knabe ja endlich«, brummt Jim Larrymaker unzufrieden. »Du hast uns mächtig den Nerv getötet mit deinem Ausflug. Ich kam mir wie eine bangende Mutter vor, deren Söhnchen zum ersten Mal zur Arbeit gegangen ist.« »In Gold Creek soll es eine Schießerei gegeben haben«, murmelt Whip Dunn verärgert. »Wenn du daran beteiligt warst, so frage ich dich, ob du in Zukunft deine Kämpfe immer allein austragen willst? Du brauchst es nur zu sagen und …« »Ruhig, Whip«, mischt sich Chase sanft ein. »Hört lieber, was er zu erzählen hat.« Dan geht in die Hütte und legt sich auf eine der beiden Lagerstätten. »Verhängt das Fenster. Jemand muss mir ein Pflaster auf die Rippen kleben.« »Also hat er sich doch mit anderen Leuten herumgeschossen«, murrt Jim.
»Es ließ sich nicht vermeiden, Brüder. Wisst ihr schon, dass unser Partner Chet ein ganz falsches Geldstück ist?« Kaum hat Dan ausgesprochen, da packen Whip und Jim auch schon zu. Chet Doobyrne, der bisher kein Wort gesprochen, sondern nur zugehört hatte, wehrt sich jedoch nicht. Er lacht leise. »Warum lacht dieser krummbeinige Pfannkuchen?«, grollt Jim finster. »Lasst ihn los, er ist trotzdem und im doppelten Sinne unser Partner«, beruhigt Dan die Freunde. Dann erzählt er seine Geschichte und bekommt zwischendurch von Chase ein Pflaster auf die Streifwunde. »Wir müssen jetzt abwarten, was er unternehmen wird. Er wird eine Dummheit machen«, schließt er. »Durch Slim werden wir von allen Plänen der Bande erfahren. Slim schickt den Chinesen zur Posthalterei. Dort erfährt es Doobyrne. Ihr seht, wir brauchen ihn.« »Na ja, kochen kann er auch ganz leidlich«, murrt Jim scheinbar nachgiebig. »Cowboy, deine großspurige Art wird mich noch einmal wild machen, und ich werde dir Rattengift ins Essen tun«, sagt Chet Doobyrne sanft. Seine Augen funkeln. »Es wird überhaupt Zeit, dass ihr mit eurem Tagewerk beginnt. Ich wünsche, dass ihr jede
Stunde einen Goldklumpen aus dem Creek holt. Da in der Ecke stehen Schaufeln und Hacken! Raus mit euch! Ich will das Frühstück bereiten!« »Es wird immer schlimmer mit ihm«, brummt Jim ärgerlich. »Wartet nur noch ein Weilchen und er wird uns sagen, wann wir Luft holen dürfen. Alle Wesen, die mit Pfannen und Töpfen hantieren, haben irgendwie ‘nen Stich in ihrer Nuss. Ich gehe, bevor ich ihn …« Er nimmt sich sein Waschzeug und verlässt brummend die Hütte. Die anderen folgen. Sie gehen zum Creek hinunter und waschen sich dort. Die Nacht ist inzwischen dem ersten Grau des neuen Tages gewichen. Überall leuchten Kochfeuer in der Morgendämmerung. Rauch wallt über das Goldfeld. Viele Digger besitzen nur Zelte, Schutzhütten und Erdhöhlen, in denen sie nicht abkochen können. Deshalb brennen so viele Feuer. Sie leuchten am ganzen Creek entlang und weiter auf die Hänge des Canyons zu. Stimmen erklingen von nah und fern. Der Gold Creek Canyon erwacht zu neuem Leben. Bald werden wieder tausend Männer wie emsige Ameisen nach Gold suchen. Im Osten blitzt der allererste Sonnenstrahl über die Berge. Die Farben der Natur werden erkenntlich. Das trübe Grau verschwindet und die Morgennebel verschwinden.
Die Freunde waschen sich im kühlen Wasser des Creeks. Überall an den Ufern stehen Männer. Manche beginnen schon mit der Arbeit. Am Ufer des Nachbarclaims stehen die vier Grahams – ein alter Riese und seine drei ebenso riesenhaften Söhne. »Morning, Nachbarn!«, ruft Jim hinüber. Die Antwort ist ziemlich unwirsch. Von Bell Graham ist noch nichts zu sehen. Als sie mit ihrer Morgenwäsche fertig sind und noch herumstehen und das Leben um sich herum beobachten, ruft Chet Doobyrne von der Hütte her: »Kommt! Kommt, ihr prächtigen Sonntagsknaben! Holt’s euch! Eier mit Speck! Und Kaffee! Ich schütte alles weg, wenn ihr nicht kommt!« Im Gänsemarsch gehen sie zur Hütte. Und als sie beim Frühstücken sind – sie kauern dabei nach Cowboyart auf den Absätzen und halten die Teller in den Händen –, tauchen zwei Männer auf. »Ah, die beiden scharfen Augen des Gesetzes!«, ruft Jim Larrymaker kauend. »Einen guten Tag, saubere Westen und reine Herzen wünsche ich den Gentlemen. Was ist gefällig? Oder ist es nur ein Besuch der Höflichkeit?« Sie grinsen alle fünf, bleiben am Boden hocken, kauen ruhig weiter und sehen zu den beiden Männern auf.
Sheriff Bud Waco wirkt nervös und unsicher. Sein Kollege Dick Hudson, der den Stern des Town Marshals trägt, hält sich zurück und beobachtet voller misstrauischer Spannung. »Ich hätte mit einem ganzen Aufgebot kommen können, Gentlemen«, sagt Bud Waco heiser. »Ich habe vom Richter einen Haussuchungsbefehl in der Tasche. Saturday, jemand hat gegen Sie Anzeige wegen Goldraub erstattet.« »Wer?«, fragt Dan staunend. »Mister Brightman ist in seinem Haus überfallen, niedergeschlagen und beraubt worden. Saturday, ich werde diese Hütte durchsuchen müssen!« »Nur zu, Sheriff – tun Sie Ihre Pflicht!« Dan grinst und macht mit der Gabel eine lässige Bewegung. »Sie können alles durchsuchen. Aber wenn Sie in der Hütte auch nur die geringste Unordnung hinterlassen, bekommen Sie eine Menge Kummer mit uns!« Bud Waco öffnet staunend den Mund und klappt das Kinn herunter. Er ähnelt im Moment einem gähnenden Esel. »Sie machen mir keine Schwierigkeiten, Saturday?« »Ich achte das Gesetz. Und ich bin sicher, dass, wenn ich einmal eine Anzeige mache, Sie auch das Haus eines anderen Mannes untersuchen
werden. Gleiches Recht für alle. Nun, gehen Sie schon hinein, Sheriff!« Bud Waco bewegt sich nicht. Aber der Town Marshal setzt sich in Bewegung und will in die Hütte hinein. »Halt, Hudson – Sie nicht!« Dan winkt mit der Gabel ab. »Sie sind nur der Town Marshal. Ihre Befugnisse enden im selben Moment, da Sie die Ortsgrenze überschreiten. Nur der Sheriff ist zuständig. Verschwinden Sie, bevor wir Sie in den Creek werfen, um Ihren Übereifer abzukühlen. Ihr Stern gilt nur innerhalb der Ortsgrenzen. Hauen Sie ab!« Er sieht den Marshal von unten herauf kühl an. Und Dick Hudson beginnt vor Wut zu zittern und zu beben. »Lachen Sie nicht, Marshal!«, knurrt Jim Larrymaker. »Mein Freund hat keinen Spaß gemacht!« Bei diesen Worten erhebt er sich. Auch die anderen erheben sich jetzt alle. Der Marshal zuckt zurück. »Ich – ich – ich lache nicht«, keucht er, schüttelt dann wortlos die Fäuste und geht davon. Nach einigen Schritten ruft er über die Schulter: »Komm, Bud! Die haben ihre Beute an einem anderen Ort versteckt. Zwecklos, dass wir die Hütte durchsuchen!«
Bud Waco sieht die fünf Männer der Reihe nach an. Dann bleibt sein Blick wieder an Dan Saturday hängen. »Ich verzichte auf eine Haussuchung. Saturday, ich muss Sie warnen. Clark Brightman ist fast verrückt vor Wut. Wenn Sie oder Ihre Partner sich in Gold Creek blicken lassen, gibt es einen wilden Kampf. Und ich werde nichts dagegen tun können. Bleiben Sie außerhalb des Ortes.« »Wir werden heute Abend in allen Saloons einen Whisky trinken, Sheriff. Gold Creek ist eine offene Stadt. Wir sind freie Bürger und wollen keinen Kampf – nicht unbedingt. Wenn wir jedoch angegriffen werden, so wird Brightman zu der Erkenntnis kommen, dass ihm die Stadt nicht allein gehört. Und dann werden Sie sich entscheiden müssen, Sheriff, ob Sie auf der Seite der Angreifer oder der Angegriffenen stehen.« Bud Waco zuckt zusammen, wischt sich müde übers Gesicht und zerbeißt einen Fluch zwischen den Zähnen. »Verdammt, Saturday! Verdammt! Sie wollen, dass ich mich gegen Brightman stelle und er mir den Kopf abreißen lässt!« »Dann begeht er eine strafbare Handlung!«, mischt sich Jim grinsend ein. »Und wir rächen Sie, Sheriff«, brummt Whip Dunn behaglich.
»Ein Mann mit dem Stern muss einen geraden Weg reiten und mit offenen Karten spielen. Waco, wir zwingen Sie dazu«, sagt Chase Pence ruhig. »Zur Hölle mit euch!«, sagt Bud Waco heiser und geht davon. Sie sehen ihm nach. Chet Doobyrne sagt mit ernster Stimme: »Jetzt muss er sich entscheiden. Drei Dinge kann er tun: Er kann den Stern ablegen. Er kann sich offen auf Brightmans Seite stellen. Und er kann unparteiisch und nach bestem Gewissen und über Recht und Gesetz wachen. Diese drei Möglichkeiten hat er jetzt. Bald werden wir wissen, was er für ein Mann ist.« »Wir sollten uns auf diesem Claim erst einmal einen Sack Gold zusammensuchen«, fordert Jim. »Vielleicht finden wir einen solch großen Klumpen, dass wir Brightman damit noch mehr auf die Palme bringen können!« Sie werfen das Geschirr in die Schüssel, nehmen Schaufeln und Hacken und zwei Pfannen zum Goldwaschen und gehen damit zum Creek. Chet Doobyrne hat noch nicht viel nach Gold gesucht, da er mit dem Hüttenbau einige Tage beschäftigt war. Sie verteilen sich auf ihrem Claim und beginnen hart zu arbeiten. Sie versuchen es auf zweierlei Art. Chase und Chet stellen sich in den Creek und waschen den Sand aus. Die Ausbeute
beträgt bei jeder Pfanne einige Gramm feine Goldteilchen. Nach einer Stunde findet Chet sogar einen erbsengroßen Nugget. Der Claim ist wirklich nicht schlecht. Mit Ausdauer und bei harter Arbeit kann man allein durch Goldwaschen mehr als den Lebensunterhalt decken. Dan, Jim und Whip versuchen es auf die andere Art. Sie graben Löcher auf dem trockenen Ufer. Die Erdschicht ist nur ein bis zwei Fuß tief. Dann beginnt eine Kiesschicht, die von Felsen durchsetzt ist. Viele Goldgräber machen es hier auf diese Art. Sie buddeln sich immer tiefer in den Kies und zwischen die Felsen hinein, die unter der Kiesschicht liegen. Vor Jahrtausenden ist dieser Creek einmal ein großer Strom gewesen, der fast die ganze Sohle des Canyons ausfüllte. Es ist durchaus möglich, dass man in einiger Tiefe zwischen den Felsen auf Goldtaschen stößt – das sind Löcher, in denen sich vor Jahrtausenden Nuggets abgelagert haben, die von den Felsbergen im Osten heruntergeschwemmt wurden. Diese Buddelei ist natürlich reine Glückssache. Aber wenn man wirklich auf eine Goldtasche stößt, kann man in wenigen Stunden die ergebnislose Arbeit von Monaten und Jahren mit einem Schlag wettmachen. Dan Saturday arbeitet dicht an der Claimgrenze. Die Arbeit ist ihm ungewohnt und schwer. Seine Streifwunde auf den Rippen
schmerzt gerade noch erträglich. Er kann schon nach zwei Stunden kaum noch mit der Schaufel arbeiten und muss Hacke und Hammer benutzen. Bis zum Bauch steht er in seinem Loch. Von Zeit zu Zeit steht er ausruhend da und sieht zu den Grahams hinüber. Nur der alte Graham steht im Creek und wäscht mit der Pfanne den nassen Sand aus. Seine Söhne arbeiten in Löchern und Gräben, die sie anscheinend nach einem bestimmten System kreuz und quer durch ihren Claim ziehen. Sie sind schon so tief, dass man nur noch ihre Köpfe und breiten Schultern sehen kann. Zweimal kam Bell zum Wasser hinunter und mit gefüllten Eimern wieder zurück. Dan rief ihr beim ersten Mal einen Gruß zu. Sie nickte ihm nur kurz zu und straffte stolz und etwas abweisend ihren schlanken Körper. Gegen Mittag wird die Sonne unerträglich. Und dennoch bleiben die meisten Digger bei der Arbeit und verzichten auf jedes Mittagessen. Nur ganz wenige Gruppen, die über einen Koch verfügen, schlingen schnell ihr Essen hinunter und wühlen, waschen und schuften weiter. Einmal ertönt aus einiger Entfernung und auf der anderen Creekseite ein schriller und jubelnder Schrei. Ein halbnackter Mann tanzt wie verrückt auf seinem Claim herum und brüllt mit wilder Stimme seine Freude heraus.
Überall halten die Digger mit ihrer Arbeit inne. Viele laufen hinüber. Nach einiger Zeit löst sich die große Gruppe wieder auf. Einige Männer kommen am jenseitigen Creekufer entlang. Chet ruft hinüber: »He, Leute! Was war los?!« »Antonio Johnny ist auf eine Goldtasche gestoßen. Nuggets! So groß wie Taubeneier! Er schwört jetzt, dass in seinem Claim noch mehr solche Goldnester zu finden sind! Der Claim ist schon jetzt hunderttausend Dollar wert!« Die Freunde sehen sich an. »Verdammt«, knurrt Jim, »jetzt wird der prächtige Antonio Johnny sicherlich Kummer bekommen. Warum hat es der Narr so laut rausgebrüllt. Brüder, noch ein paar solche Funde auf diesem Goldfeld, und die Raubwölfe beginnen ihre Arbeit. Was können wir tun?« »Abwarten. Antonio Johnny wird uns nicht als Leibwache haben wollen. Wir kommen höchstens noch in Verdacht, wenn wir uns zu sehr um ihn kümmern würden. Bedenkt, dass wir als Revolverleute bekannt sind. Uns traut kein Mensch selbstlose Absichten zu. Abwarten, Zeitgenossen!« Dan Saturday sagt es mit bitterer Ironie. Dabei sieht er zu den Grahams hinüber. Der Alte und die drei Söhne arbeiten schon wieder und kümmern sich um nichts anderes als um ihren Claim.
Das Mädchen kommt nun aus der Hütte. Sie ist reitfertig angezogen. Dan hatte sich schon die ganze Zeit gewundert, sich gefragt, warum die Grahams ein Pferd beim abgestellten Wagen stehen haben. Das Mädchen sitzt auf und reitet davon. Sie sucht sich einen Weg durch die Claims, reitet dann am Hang entlang und verschwindet in einer schmalen Schlucht, die weiter oberhalb des Canyons rechtwinklig zu ihm in die Berge führt. »Chet, wo reitet sie hin?«, fragt Dan nachdenklich. »Sie haben ihre Pferde und auch die Maultiere in einem höher gelegenen Talkessel auf der Weide. Es gibt hier einige Familien und Partnerschaften, die mit Wagen gekommen sind. Überdies hat jeder zweite Digger noch ein Reitpferd in Besitz. Im Canyon ist wenig Platz für Weideland. Die Unterkunft im Mietstall ist teuer. Eine Menge Leute haben sich zusammengetan und eine Indianerfamilie angeworben, die auf die Tiere aufpasst. In jenem Talkessel grasen zwei- bis dreihundert Tiere. Sie reitet hin, um nach ihren Tieren zu sehen. Das tut sie jeden zweiten Tag und tauscht dann auch das Tier aus.« »Aha«, murmelt Dan und beginnt wieder zu graben. Der Tag ist voller Überraschungen. Kaum eine halbe Stunde später gellt wieder ein jubelnder
Schrei durch den Canyon. Genau gegenüber den Freunden, nur durch den Creek getrennt, tanzen zwei rotköpfige Iren wie wilde und vollkommen verrückte Teufel auf ihrem Claim herum. Sie brüllen, kreischen, boxen sich, wälzen sich auf den aufgeworfenen Erd- und Kieshaufen herum, werfen die Erde über sich, springen wieder wie Gummimännchen in die Höhe und brüllen die ganze Zeit wie verrückt. Wieder ruht in weiter Runde jegliche Arbeit. Von allen Seiten laufen Männer hinzu, bilden einen dichten Kreis um die beiden Verrückten und sehen sich die Sache an. Chet und Dan laufen jetzt ebenfalls hinüber. Der Creek geht ihnen an der tiefsten Stelle kaum bis über die Knie. Sie drängen sich in den Kreis der Männer und sehen den Anlass des Freudenausbruches. Einer der beiden wilden Söhne von Irlands grüner Insel hält jetzt einen kindskopfgroßen Brocken in den Händen, hält ihn hoch über den Kopf und brüllt immer wieder: »Hölle und Schwefel! Hölle und Schwefel! Paddy und ich, wir sind die wahrhaftigen Glückskerle des ganzen Canyons! Aaah, der große Mann im Himmel liebt alle Irländer! Seht’s euch an, ihr armen Hunde! Seht’s euch an! Gooold! Gooold! Ein Klumpen Gold, so groß wie ein Babykopf! Hölle und Schwefel! Hölle und Schwefel! Paddy und ich, wir sind die …«
Nun löst ihn sein Zwillingsbruder mit der Brüllerei ab und nimmt den Goldklumpen in seine schmutzigen Fäuste. Er brüllt fast die gleichen Worte. Und mit einem Mal löst sich der dichte Kreis der Männer. Jeder läuft eilig zu seinem Claim zurück und wühlt und schuftet mit verdoppeltem Eifer weiter. Es ist, als hätte ein wilder Rausch, eine brennende Gier und ein heißes Verlangen all die Männer gepackt. Dan und Chet gehen langsam durch den Creek. »Mann, Mann, o Mann«, knurrt Chet, »noch ein paar solche Funde, und dieser verdammte Canyon wird schlimmer als die wirkliche Hölle. Pass auf, Dan! Bald geht der Tod um! Die Hölle wird losbrechen, und wir haben kein Gesetz hier! Vielleicht bildet sich bald ein Vigilantenkomitee – und dann kann es noch höllischer werden. Solche Vigilanten finden nicht immer die wahren Schuldigen. Sie hängen auch …« »Ich weiß, Chet. Wir können aber nichts anderes tun, als abwarten. Brightman wird einen Fehler machen. Ihn müssen wir erledigen. Das ist wichtiger als Kleinkrieg mit kleinen Killern, die allesamt nur seine Befehle ausführen.« Sie gehen wieder an ihre Arbeit. Langsam versinkt die Sonne im Westen. Die Dämmerung fällt in den Canyon. Ein Tag geht zur Neige. Nach und nach flammen die Feuer auf. Sie leuchten, flackern und glühen bald überall im
Canyon – bis hinauf zur nächsten Biegung – und abwärts an der Stadt vorbei im Bogen bis zur unteren Biegung. Rauch wallt und schwebt durch den Canyon. Der Duft vieler Abendessen vermischt sich mit dem Rauch – und mit dem Geruch warmer Erde, des Waldes, des Creeks. An den Feuern bewegen sich wilde, raue und hungrige und vom harten Tagewerk erschöpfte Männer. Irgendwo singt ein Italiener mit herrlicher Tenorstimme vom schönen Venecia. Das emsige Leben im Canyon ist erloschen. Tausend Digger kochen sich ihre Mahlzeiten oder machen sich zum Stadtgang zurecht. In Gold Creek füllen sich gewiss schon die Speiseküchen, die Saloons und die Spielhallen. Und in Gold Creek werden wieder viele Neuankömmlinge eingetroffen sein – Goldsucher aller Sorten, Klassen und Gesinnungen. Alte und junge, starke und schwache, mutige und feige Männer. Draufgänger, die ihre Chance haben wollen. Gescheiterte, die es noch einmal versuchen wollen. Feiglinge, die auch dann verlieren werden, wenn ihnen wirklich vorübergehend das Glück lächeln sollte. Excowboys, Exsoldaten, verkrachte Farmer und Rancher, Schullehrer, Bahnarbeiter, Greenhorns aus allen Ländern, Verkäufer, Schreiberlinge, verkrachte Bankleute, Grafen, Barone, entlassene Zuchthäusler, die noch einmal auf faire Art ihr
Glück versuchen – und die harte, raue und mitleidlose Meute – Spieler, Buschräuber, Mörder, Exviehdiebe. Sie alle leben jetzt im Gold Creek Canyon, der immer mehr zu einem Vorplatz der Hölle wird. Und sie alle wollen auf verschiedene Art reich werden. Viele werden scheitern. Manche werden sterben. Wenige werden Glück haben.
12 »Und wir wollen wirklich in die Stadt gehen?«, fragt Chet Doobyrne verhalten. »Was dachtest du, Kleiner?« Jim grinst und leckt seinen Blechteller säuberlich ab. »Wenn wir es nicht tun, kommt Brightman am Ende auf die Idee, dass ihm die Stadt wirklich gehört. Wir sind viereinhalb prächtige Burschen, die dem Teufel einen Knoten in den Schwanz machen können. Brightman ist nicht groß genug, um uns den Zutritt zur Stadt verbieten zu können. Und es wird gut sein, wenn auch andere Leute erkennen, wie groß Brightman in Wirklichkeit ist. Denk an den prächtigen Sheriff und an den freundlichen Town Marshal – und an den Richter und an einige andere Leute. Wenn die merken, dass Brightman doch nicht groß genug ist, lassen sie sich von ihm nicht so ohne weiteres in die Tasche stecken. Yeah, wir müssen in die Stadt – immer wieder müssen wir ihn auf die richtige Größe zurechtstutzen. Sonst geht alles zu glatt für ihn, und er macht keine Fehler.« Jim sagt es wie ein Schullehrer. Chet funkelt ihn an. »Wir sind also viereinhalb prächtige Burschen, he? Wer ist denn der halbe Bursche? Langer, willst du mir das sagen?« Jim grinst. »Ich schlage vor, wir unterhalten uns nach unserer Rückkehr darüber – vielleicht
sind wir dann nur noch fünf halbe Burschen und haben allerlei Beschwerden.« Als sie die ersten Häuser erreichen und in die belebte Straße einsehen können, lösen sich zwei Gestalten aus der Hauslücke und treten ihnen entgegen. »Oha, da sind ja wieder die beiden scharfen Augen des Gesetzes«, kichert Jim Larrymaker freudig. »Ihr seid also wirklich auf Streit aus?«, fragt der Town Marshal heiser. »Überhaupt nicht«, ergreift Dan Saturday das Wort. »Wir kommen als friedliche und ruhige Amerikaner in eine freie Stadt und wollen ein oder zwei Whiskys trinken. Was dagegen?« »Verdammt, es wird einen höllischen Kampf geben«, keucht der Marshal. »Sicher – wenn uns jemand angreift. Aber es ist Ihre Sache, Marshal, in dieser Stadt für Ruhe und Ordnung …« »Aaah, Sie wissen ganz genau, dass …« Dick Hudson verstummt und wischt sich übers Gesicht. »Was weiß ich, Hudson?« »Dass ein ganzes Rudel wilde Burschen auf euch wartet!«
»Ruhestörer müssen Sie ins Gefängnis sperren, wenn sie den Stadtfrieden verletzen, Marshal. Wir helfen Ihnen gern dabei. Sie können aber auch den Stern zurückgeben und sich eine andere Beschäftigung suchen. Noch etwas?« »Hölle!« »Dann gehen Sie uns aus dem Weg!« Dan geht genau auf den Marshal zu. Und dieser tritt zur Seite. Sheriff Bud Waco steht regungslos an der Hauswand und sagt kein Wort. Die fünf Männer bahnen sich auf der überfüllten Straße einen Weg und erreichen die Nugget Hall. Vor der Schwingtür bleiben sie kurz stehen und sehen sich noch einmal um. Es ist nichts Bedrohliches zu sehen. »Ich habe Durst!«, ruft Jim Larrymaker und rammt seine Schulter gegen die Schwingtür. Der Saloon ist voll. Fünfzig Männer stehen in drei Gliedern vor dem Schanktisch. Sechs Barmänner füllen pausenlos Gläser. An den Tischen sitzen die Männer Kopf an Kopf und Schulter an Schulter. Und sie alle starren auf die kleine Bühne, wo fünf Tanzgirls ihre Beine zeigen, mit den Hüften wackeln und zum Rhythmus ihrer Bewegungen einen Reim singen, der im Lärm der Kapelle jedoch kaum zu verstehen ist. In den Gängen drängen sich andere Männer. Rauch, Wärme, Schweißdunst, Leder- und Whiskygeruch. Rohe Tische und Bänke. Rohe
Planken, die mit Sand bestreut sind. Sandkisten, die als Spucknäpfe dienen. Männer aller Sorten, gierig nach Leben, Ausschweifung – ah, es ist so viel in diesem großen Raum, und alles ist wild, rau, gierig und primitiv. Hundertfünfzig oder zweihundert hartbackige Burschen, die allesamt und jeder für sich etwas zu vergessen haben und vergessen wollen, sind in der Nugget Hall. In der Ecke geht gerade ein rotblonder Ire auf zwei Mexikaner los. Der Tisch kippt um, andere Männer fühlen sich in ihrer Ruhe gestört und springen auf. Doch bevor eine Schlägerei entsteht, bellt ein scharfgesichtiger und falkenaugiger Texasmann: »Stop, ihr Hundesöhne! Die Ladys tanzen für uns auf der Bühne! Wen muss ich zuerst zur Ruhe bringen?!« Und der Texasmann hält zwei großkalibrige Colts in den Händen. Die Mexikaner schleichen hinaus, der Ire drängt sich zur Bar – und die anderen Männer stellen Stühle und Tisch wieder zurecht und setzen sich wieder. Der Texasmann lehnt an der Wand, schiebt sich eine neue Zigarette zwischen die schmalen Lippen und ist zufrieden. Die fünf Freunde drängen sich zum Schanktisch durch. Jim Larrymakers breite Schultern schaffen Platz. Dan tritt einem dunkelhäutigen Kentuckymann auf den Fuß, der
gerade sein Bierglas auf Jims Hut wuchten möchte. »Ruhig, Bruder – er hat nur großen Durst!« Der Kentuckymann funkelt ihn an – und grinst dann. Jim reicht die ersten Gläser über die Köpfe anderer Männer hinweg. Sie nehmen die Gläser und verlassen den Schanktisch. Sie gehen zum angrenzenden Spielzimmer hinüber. Hier ist es etwas ruhiger. Zwei große MagahoniRoulettetische stehen in der Mitte. An anderen Tischen wird Faro gespielt. Sie stellen sich mit ihren Gläsern um einen der Roulettetische, trinken, sehen sich um und beobachten. Plötzlich kommt Renee Roi aus seinen Privaträumen und nähert sich Dan. Als er vor ihm stehen bleibt, lächelt er ihn scharf an. Seine Fischaugen sind starr und kalt. »Lil möchte Sie sprechen, Saturday. Sie hatte einen kleinen Unfall und wartet in ihrem Zimmer. Aaah, Sie brauchen nicht außen herum und über die Außentreppe zu gehen. Von meinem Büro führt eine schmale Treppe nach oben – eigentlich nur für Hausangestellte, aber ich möchte nicht, dass noch einmal zwei Männer hinter der Hall zusammengeschossen werden.« »Roi, was für eine Art Unfall erlitt Lil?« Er wendet sich wieder ab.
»Wird Sie Ihnen erzählen – kommen Sie – oder lassen Sie es bleiben!« Dan sieht seine Freunde an und leert mit einen Ruck das Glas. Er reicht es Jim. »Ich gehe hinauf!« »Vorsicht, Dan«, murmelt Chase. »Passt nur auf euch selbst auf!« »Das gilt auch für dich, Dan. Wenn es eine Falle ist, jagen wir Roi heute noch aus der Stadt«, sagt Chase kalt. Seine Augen haben einen seltsamen Ausdruck. Dan fällt es plötzlich ein, dass Chase und Lil in Tombstone viel zusammen ausgeritten sind. Er geht davon und folgt Roi, der die Tür für ihn offen hält. »Da ist die Treppe«, sagt Roi ruhig. »Oben ist es die dritte Tür links – aber das werden Sie ja wahrscheinlich schon selbst wissen.« Er schließt die Tür. Dan tritt dicht an ihn heran. Er muss den hageren Kopf senken, um Roi in die Augen sehen zu können. »Roi, wenn dort oben eine Falle ist, so verschwinden Sie heute noch aus der Stadt – das gilt auch, wenn Sie an Lils Unfall beteiligt sein sollten.« »Gehen Sie hinauf, Saturday. Lil wartet auf Sie. Und noch eines: Ich sage Ihnen jetzt zum letzten Mal, dass ich keine Angst vor Ihnen habe. Drohen Sie mir nicht mehr – nie mehr wieder. Verstanden?!«
»Yeah«, sagt Dan gedehnt und sieht ihm scharf in die Augen. Aber in diesen starren Fischaugen ist nichts zu erkennen. Dan geht die schmale Treppe hinauf. Sie ist steil. Oben ist eine Tür. Bevor er sie öffnet, sieht er noch einmal hinunter. Renee Roi steht an seinem Schreibtisch und starrt zu ihm hinauf. Ein feiner Instinkt warnt Dan wieder. Aber was ihn auch erwarten mag, er muss sich um Lil kümmern. Bevor er die Tür öffnet, zieht er den rechten Colt. Der Gang ist von einer Kreosotlampe dürftig erhellt. Dan bleibt stehen und lauscht. Aber er hört nur den Lärm aus den unteren Räumen. Auf der Straße krachen Schüsse – es hört sich aber so an, als knallte nur ein Betrunkener in die Luft. Er geht zu der betreffenden Tür und öffnet sie mit einem Ruck. Am Fenster steht Lil Randell. Ihr Gesicht ist bleich und ihr Mund ist leicht geöffnet. Neben ihr lehnt Clark Brightman an der Wand. Er ist unbewaffnet und hält seine Arme auf der Brust verschränkt. Mit gesenktem Kopf starrt er Dan Saturday an. »Komm schon, Saturday! Komm schon! Ich bin allein mit ihr! Steck den Colt weg – ich bin unbewaffnet!« Dan stößt die Tür mit dem Fuß zu und gleitet mit schussbereitem Colt zur Tür des Nebenzimmers. Bevor er einen Blick
hineinwerfen kann, sagt Lil Randell mit spröder Stimme: »Er ist wirklich allein, Dan – und ohne Waffen. Er ist ein gemeines und schmutziges Tier, Dan. Ich …« »Kommen wir zur Sache!« Brightman grinst grimmig, und eine kalte Wut geht von ihm aus. »Saturday, diese schöne Frau ist stolz und will mir nicht dienen. Dabei würde ich sehr nett zu ihr sein. Sie könnte die Königin von Gold Creek werden. Aber sie muss mir dienen. Ich kann es nicht dulden, dass sie sich mit Hilfe ihrer Schönheit binnen weniger Tage eine Leibgarde anschafft und mir die Stirn bietet. Sie ist zu stolz. Ich kann keine Gegnerschaft in dieser Stadt dulden. Nun, ich kam ihr entgegen. Ich wollte sie auszahlen und ihren Anteil übernehmen. Sie wollte nicht. Ich bot ihr meine Freundschaft und noch viel mehr an, Sie wollte nicht. Sie meint, dass ich bald ausgespielt hätte. Yeah, sie ist gefährlicher als eine ganze Mannschaft. Wenn ich sie gewähren ließe, so würde sie hundert Männern in kurzer Zeit die Köpfe verdrehen. Und diese hundert Männer würden meine Lokale zertrümmern und mich mitsamt meiner Mannschaft aus der Stadt jagen. Yeah, das würde sie fertig bringen. Hundert wilde Burschen würden ihr zuliebe jede Narrheit begehen. Deshalb habe ich sie heute schon eingesperrt. Wie gefällt Ihnen das, Saturday?«
»Gar nicht, Brightman. Was ist noch?« »Viel – sehr viel! Ich rechne mir aus, dass Lil Sie für einen großen Mann hält, der ihr Leben beschützt, bis sie ihre eigene Position ausgebaut und stark gemacht hat. Passen Sie auf, Saturday: Sie haben mich gestern in meinem Hause hinterrücks niedergeschlagen. Das war leicht. Ich habe Ihnen einmal gesagt, dass ich Sie in Stücke reiße, wenn wir persönlich aneinander geraten. Was Sie gestern taten, war kinderleicht. Ich möchte Lil jetzt zeigen, wie groß Sie wirklich sind. Ich bin unbewaffnet. Schnallen Sie den Gürtel ab und werfen Sie die Colts zum Fenster hinaus. Dann wollen wir uns mal wie zwei harte Männer unterhalten. Ich will allen Mannesstolz aus Ihnen herausprügeln. Und wenn Sie vor mir auf der Straße aus dem Ort kriechen, so will ich Sie für heute am Leben lassen. Haben Sie genügend Stolz und Mut? Oder sind Sie nur mit zwei schnellen Colts ein großer Mann?« Er stößt sich von der Wand ab und tritt langsam auf Dan zu. Einen Meter vor diesem bleibt er stehen, beugt sich vor und hebt das Gesicht zu ihm. So starrt er ihn an. »Saturday, ich hasse dich«, knurrt er. »Für einen von uns beiden gibt es keinen Platz auf dieser Welt. Ich erspare mir viel Kummer, wenn ich es persönlich mit dir austrage, du Hundesohn. Wahrscheinlich werde ich dich nicht töten. Aber ich werde dich so zerschlagen, dass du einfach
keinen Nerv mehr hast und nur noch die Arbeit eines Stallburschen oder Saloonfegers verrichten kannst. Du bist ein stolzer Bursche, der hart ist. Wenn ich mit dir fertig bin, bist du für mich nicht mehr wert als ein alter Nigger. Und dann wird die schöne Lil wohl einsehen, dass ich der starke Mann bin!« Er zeigt Dan seine breiten Zähne. Die Muskeln seiner Kinnbacken treten deutlich hervor. Die beiden dicken Raupen seiner Augenbrauen ziehen sich zusammen. Seine Augen funkeln. Eine tierische Kraft geht von ihm aus. Und die eiskalte Welle eines mitleidlosen Hasses trifft Dan fast körperlich. Er dreht Dan plötzlich den Rücken zu und geht zur Wand neben dem Fenster zurück. Er lehnt sich wieder mit seinem breiten Rücken dagegen, sieht jetzt aber Lil Randell an. »Lil, Sie werden zugeben müssen, dass ich meine großen Gegner auch fair erledigen kann. Wenn ich mit ihm fertig bin und Sie mir dann immer noch nicht aus der Hand fressen, werden Sie von meinen Leuten in ein verstecktes Camp gebracht. Und dort werden Sie bald auf die Idee kommen …« »Dan, nimm den Colt und schlag dieses Vieh damit in Stücke!«, ruft sie wild. »Er wird es nicht tun, Lil. Er wird mit mir kämpfen, denn noch ist er ein richtiger Mann!«
Dan Saturday denkt über alle Dinge sorgsam nach. Clark Brightman, im Bewusstsein seiner riesigen Kraft, verfügt unzweifelhaft über großen Mut. Menschenkenner ist er auch. Was er vorhat, ist wirklich der beste Weg für ihn. Er kann Dan schlagen und aus ihm einen Mann machen, der kein Mann mehr ist und für ihn als Gegner nicht mehr in Betracht kommt. Wenn Dan verliert, ist Lil Randell verloren. Sie muss sich dann entscheiden, ob sie ihren Anteil an der Nugget Hall an Brightman abtreten oder mit ihm arbeiten soll. Eine schöne und kluge Frau, die selbst eine Abenteurerin ist, kann von einem berechnenden Mann zu vielen Dingen missbraucht werden. Und wenn er sie fest in der Hand hat, kann sie ihm nicht mehr gefährlich werden. Ihre Wirkung und der damit verbundene Einfluss auf viele Männer verstärkt dann nur Brightmans Macht. Dan Saturday erkennt auch, dass er es selbst gewesen ist, der Lil in diese Lage gebracht hat. Brightmans Leute haben ihn die Außentreppe herunterkommen sehen. Es gab einen Kampf, und er musste die beiden Kerle niederschießen. Er hat dann später selbst gehört, wie Brightman sich die Dinge zusammenreimte. Brightman hat der Frau nicht mehr die geringste Chance gegeben. Lil konnte nichts mehr für sich tun. Ohne die Hilfe ihres Partners und ohne Freunde ist sie eben auch nur eine zwar mutige und kluge – aber nur eine
Frau unter rauen Männern. In Tombstone wäre ihr das nicht passiert. Dort hätten hundert Männer für sie gekämpft. Hier aber ist es anders, hier hat sie noch zu wenig Freunde, die ihr beistehen und für sie kämpfen. »Roi steht dir nicht bei, Lil?«, fragt er sanft. »Er hasst mich, Dan. Seit einiger Zeit hat er erkannt, dass er als Mann für mich nicht in Betracht kommt. Unsere Ansichten sind auch in geschäftlicher Beziehung verschieden. Dan, an den Roulettetischen und auch beim Faro wird falsch gespielt.« »Renee Roi wird heute noch die Stadt verlassen, Lil!« Er tritt langsam an das zweite Fenster. Dort schnallt er seinen Gurt los und wirft ihn auf den Balkon hinaus. »Geh bitte aus dem Zimmer, Lil«, sagt er dann sanft. Sie sieht ihn aus großen Augen an. »Nein, ich muss zusehen, Dan! Wahrscheinlich wird es sehr schlimm für mich sein!« Sie sagt es mit spröder Stimme. Und sie geht an Brightman vorbei und tritt in die offene Tür des Nebenzimmers. Lil Randells Vater war ein Spieler, und ihre Mutter war eine Dirne. Sie ist in Saloons und Spielhallen aufgewachsen. Später hat sie selbst Saloons geführt – bis sie in der Silberstadt Tombstone Rois Teilhaberin wurde, da sie sonst
keine Konzessionen bekommen hätte. Sie hat schon hundert und mehr wilde Kämpfe gesehen. Sie kennt die wilden Ausbrüche hassender Männer. Sie kennt Blut, Tod, Betrug und Gemeinheit. Bisher ist sie mit allen Dingen gut fertig geworden und hat Dollars gemacht. Ihr Traum ist es, einmal reich und unabhängig zu sein und frei durch die Welt streifen zu können. Was in all den Jahren um sie herum geschah, ließ sie kühl und kalt. Sie machte Dollars. Das allein war für sie ausschlaggebend. Sie verachtete und verabscheute die Männer. Sie nutzte und beutete sie aus, wenn sie es vertragen konnten. Eines Tages wollte sie all diese Dinge vergessen und ein vollkommen neues Leben führen. Aber nun bangt sie um Dan Saturday. Denn Dan Saturday ist für sie ein besonderer Mann. Er gehört zu den wenigen Männern, die sie achten gelernt hat. Wenn er von ihrer Art wäre, würde sie ihm ihre Liebe schenken. Aber er ist für sie zu gut, zu solide, zu fest in allen Ansichten. Dan gehört zu den Männern, die eine reine und saubere Frau brauchen – eine Frau, die nie in den Abgrund der Hölle gesehen hat. Dan gehört zu der Sorte, die eine stolze Sippe erzeugt, sich ein großes Reich baut und bis zu ihrem Tod über Söhne, Enkel und ein großes Stück Land gebietet.
Sie selbst aber wird immer ein abenteuernder Zugvogel bleiben. Und sie möchte keine Kinder haben; denn ihre Söhne könnten wie ihr Vater werden – und die Töchter wie ihre Mutter. Davor hat sie Angst. Sie will leben, nichts schaffen und erreichen, nur leben. Sie müsste Dan enttäuschen. Das weiß sie. Deshalb bleibt ihr Verstand kühl. Aber jetzt hat sie Angst um ihn. Und doch weiß sie, denn sie ist erfahren in Männersachen, dass es für einen stolzen Mann keinen anderen Weg gibt. Dan muss mit Brightman kämpfen – oder er würde nie mehr in einen Spiegel sehen können. Das Zimmer ist groß. Die beiden Männer nähern sich schon einander. Wahrscheinlich werden sämtliche Möbelstücke in Trümmer gehen. Plötzlich krachen in den unteren Räumen schnelle Schüsse. Gebrüll, krachende Schläge, als ob man schwere Möbel gegen Wände oder auf den Boden krachen ließe. »Deine Freunde werden unten von meinen Leuten zerschlagen. In einer Stunde gehört mir die Stadt endgültig«, schnaubt Clark Brightman und greift an. Unten kracht jetzt eine Schrotflinte kurz hintereinander.
Dan Saturday und Clark Brightman hören von all den Dingen nichts mehr. Sie sind mit einem Mal allein auf der Welt. Jeder sieht nur den anderen – sie könnten ebenso gut auch auf einer einsamen Insel sein. Für sie ist alles andere vergessen. Es gibt keine Umwelt mehr für sie. Sie sind zwei Männer, die gegeneinander kämpfen. Und jeder von ihnen weiß, dass es der Kampf seines Lebens sein wird. Dan empfängt Brightman mit einem Schwinger und dann mit einem Haken, der voll das breite Kinn trifft. Brightman taumelt oder schwankt nicht einmal. Sein breiter und kantiger Schädel scheint aus Eisen zu sein. Er schnauft nur einmal kurz und wuchtet die Rechte auf Dans Brustbein, erwischt ihn dann linksschlagend am Kopf. Dan kracht gegen die Wand. Er hat das Gefühl, als hätte ihn ein Pferdehuf getroffen. Schwarze Schleier sind vor seinen Augen. Brightmans Faust traf ihn auf Ohr und Kinnbacken. In Dans Kopf ist ein taubes Gefühl. Instinktiv taumelt er an der Wand nach rückwärts und lehnt dann in der Ecke. Plötzlich lichten sich die dunklen Schleier vor seinen Augen, und er sieht Brightmans Faust ankommen. Es ist ihm, als könnte er nur langsam seinen Kopf wegnehmen. Als ihn aber die Faust am anderen Ohr streift und neben seinem Kopf gegen
die Wand kracht, weiß er, dass er es gerade noch geschafft hat. Brightmans Faust hätte ihm wie ein Huftritt das Gesicht zerschmettert. Wie hart, schnell und stark ist doch dieser zweihundertzwanzig Pfund schwere Brightman! Dan taumelt zur Seite. Neben ihm kracht Brightman mit seinem ganzen Gewicht gegen die Wand. Das Haus scheint zu beben. Bretter splittern und krachen. Als Brightman herumwirbelt, ist Dan wieder klar. Und er macht nicht noch einmal den Fehler, nach diesem Eisenschädel zu schlagen. Das wäre wahrhaftig sinnlos. Wahrscheinlich könnte Brightman mit seinem Kopf gegen eine Mauer rennen – und würde ein Loch hineinstoßen. Dan schlägt mit der ganzen Kraft seines starken Körpers in den Magen des Gegners und knallt die Linke auf die Leber. Er hört den Mann schmerzhaft keuchen und weiß, dass er die richtigen Stellen gefunden hat. Als Brightman sich vorwirft, gleitet Dan zur Seite und zieht einen rechten und sehr tiefen Schwinger herum, der auf Brightmans kurzer Rippe landet. Ein Schlag auf das Brustbein treibt Dan durch das ganze Zimmer zurück. Brightman keucht leicht schwankend hinter ihm her und trifft ihn zweimal kurz und hart.
Dan fühlt, wie ihm die Knie weich werden. Er muss zu Boden. Er kann sich einfach nicht mehr auf den Beinen halten. Mit seinen Schlägen könnte Brightman einen Stier betäuben. Dan erkennt, dass er diesen Mann sehr unterschätzt hat. Er begreift mit einem Male, dass Brightman wahrscheinlich sein Versprechen wahr machen wird. Er rollt sich mit letzter Kraft von der Wand weg und gegen die Beine des Gegners. Er hat Glück. Brightman fällt über ihn und kracht mit dem Kopf an die Wand. Sie erheben sich gleichmäßig, starren sich an und keuchen nach Luft. »Gleich wisch ich mit dir das ganze Haus auf«, schnauft Brightman. Auf schlappen Beinen wankt Dan zurück und entgeht wie durch ein Wunder einem Schwinger, der vollkommen den Rest besorgt hätte. Durch die Wucht seines eigenen Schlages wird Brightman halb herumgerissen. Mit einem Mal fühlt Dan wieder Kraft in den Beinen. Die Lähmung, die von der Magengegend ausging, ist weg. Er kann nun wieder besser Luft in die Lunge bekommen. Er springt den Gegner an, jagt ihm zwei Schläge mit aller Kraft und mit der Wildheit eines verzweifelten Mannes in die Magenpartie, drängt Brightman bis zur Wand zurück, reißt sich los, als
dieser ihn umklammern will und knallt ihm noch einmal einen harten Haken auf die Leber. Der Mann schnauft schmerzvoll. Seine dicken Wurstfinger sind wie Eisenhaken. Er bekommt Dans Hemd zu fassen und reißt es ihm halb vom Körper. Dan setzt zu einem verzweifelten Endspurt an. Er darf dem Gegner jetzt keine Ruhe mehr gönnen. Brightman schlägt nun ziemlich ungenau. Dan kann einige Schläge abducken und andere blockieren. Er treibt den Mann an die Wand zurück. Aber das hätte er nicht tun sollen. Brightman stößt sich von der Wand ab, senkt den kantigen Schädel und rammt ihn in Dans Bauch. Dabei hält er Dans Hüften umklammert und stößt ihn so im Geschwindschritt quer durch das ganze Zimmer. Dan kracht gegen den Schrank. Brightmans Kopf bleibt weiter an seiner Magenpartie, und Brightmans Fäuste stoßen kurze Haken in Dans Leib. Brightman hat ihn regelrecht festgenagelt. Da reißt Dan beide Fäuste hoch und schmettert sie auf Brightmans Genick. Zugleich reißt er das Knie hoch. Und er hat sofort das Gefühl, als hätte er sein Knie gegen einen Stein gestoßen. Aber der Stein ist Brightmans festes Kinn. Es gelingt Dan, seitwärts zu rutschen, eine kleine Drehung zu machen und einen Haken in Brightmans Rippen zu schlagen.
Er wundert sich einen kurzen Moment, dass er überhaupt noch auf den Beinen steht und sich noch bewegen kann. Die Schwäche in seinem harten Körper wird immer schlimmer. Luft fehlt ihm. Aber die fehlt Brightman nicht minder. Er stolpert rücklings über einen Stuhl und fällt auf den Rücken. Instinktiv zieht er die Beine an. Als sich Brightman mit einem triumphierenden Brülllaut auf ihn werfen will, stößt er ihm die Füße vor die Brust. Brightman wird zurückgestoßen, schwankt rückwärts und fällt ebenfalls auf den Rücken. Fußboden und Wände erzittern. Dan ist früher auf den Beinen. Er hämmert gewaltige Schwinger an den Kopf des Gegners. Nun zeigen auch diese Schläge Wirkung. Jetzt ist Brightman auch an seinem eisenharten Schädel empfindlich. Seine Augen bekommen einen dumpfen und verwunderten Ausdruck. Er glotzt wie ein dummer Ochse, verzerrt aber dann sein Gesicht zu einer wilden Fratze und greift mit gesenktem Schädel abermals an. Sie bluten beide. Ihre Kleider sind zerfetzt und zerrissen. Sie bewegen sich bedeutend langsamer, sie keuchen, stöhnen und ächzen. Sie schwanken und taumeln manchmal. Sie haben mit ihren harten Fäusten gegenseitig ihre Körper zerschlagen. Und da sie nicht genügend Luft in die Lungen pumpen können, wirkt sich das auf ihre Muskeln aus – sie werden schlapp.
Aber ihre wilde Wut spornt sie immer wieder an. Es sieht wahrhaftig so aus, als würden sie bis zum letzten Atemzug kämpfen, bis sie vor Schwäche umfallen und keinen Finger mehr rühren können. Es ist ein roher, primitiver Kampf. So kämpften schon vor Urzeiten Männer miteinander und trugen ihre Fehden aus. Und in ihnen sind all die wilden Instinkte wieder wach geworden. Mann gegen Mann, ohne Waffe, nur mit den Fäusten – und dem Wunsch im Herzen, dem Gegner das Leben aus dem Körper zu schlagen. Vieltausendjährige Kultur sind vergessen. Sie sind wieder zwei Männer der Urzeit. Brightmans Schläge haben keinen Dampf mehr. Dan erkennt verwundert, dass er sie jetzt ertragen kann. Er fürchtet sich mit einem Male nicht mehr vor diesen Dampfhämmern. Er erkennt, dass er das Schlimmste überstanden hat. Jetzt erweist es sich, dass er zäher und härter ist. Brightman ist ein massiger Klotz, Granit ist er. Aber Dan ist biegsam wie federnder Stahl und zäh wie Büffelleder. Das ist nun der große Unterschied. Er weiß mit einem Mal, dass er diesen Kampf gewinnen wird. Die Erkenntnis gibt ihm noch einmal neue Kraft. Seine Schwinger sind zwar langsam, aber er holt dabei weit aus. Brightman kann diesen langsamen, aber noch ziemlich kräftigen
Schwingern nicht mehr ausweichen. Seine Schnelligkeit ist weg. Er gleicht nur noch einem schwankenden Klotz, der zwar noch auf den Beinen steht, aber schon jetzt nicht mehr mit klarer Übersicht kämpft. Sein mächtiger Körper verfügt jedoch immer noch über unerschöpfliche Energiequellen. Vielleicht wird Brightman gar nicht von den Beinen zu schlagen sein. Vielleicht gehört er zu den wenigen Kämpfern, die sich stehend auszählen lassen und immer wieder aufstehen, bis es der Gegner leid ist. Dan treibt ihn bis an die Wand neben der Balkontür, nagelt ihn dort fest und schlägt rechts und links. Er spürt nicht den Schmerz in seinen Fäusten, spürt nicht die Schläge des Gegners. In ihm ist nur ein wilder Wunsch, diesen Mann zu zerschlagen – und die geheime Angst, dass ihm dies zuletzt doch nicht gelingen könnte. Und Brightman rafft plötzlich noch einmal seine Kraft zusammen. Er stößt noch einmal seinen Kopf in Dans Leib, umklammert ihn und stößt sich von der Wand ab. Sie schwanken quer durch das Zimmer, und Dan kracht gegen die andere Wand. Über Brightmans gekrümmten Rücken hinweg starrt er verzweifelt auf die Balkontür. Durch sein müdes Gehirn zuckt es wie ein Blitz. Eine wilde Verzweiflung gibt ihm noch einmal für einen kurzen Moment große Kraft. Er schlägt nicht mehr in Brightmans Rippen hinein,
sondern klammert seine langen Arme um ihn, stößt sich mit einem Bein von der Wand ab und überwindet so Brightmans Gegenkraft. Er stößt den Gegner immer schneller durch das Zimmer. Brightman kann diesem Druck nicht standhalten. Zusammen wiegen sie etwas mehr als vier Zentner, sind also eine ziemliche Masse, die in Bewegung ist. Brightman kracht mit seinem Hinterteil gegen die Balkontür. Diese bricht auseinander. Dan stemmt mit einem nochmaligen Ausbruch aller Wildheit und Kraft den Mann weiter vor sich her. So taumeln sie auf den Balkon. Und hier reißt sich Dan mit einem plötzlichen Ruck los, springt zurück und holt zu einem Schwinger aus. Seine Faust kracht auf Brightmans Backenknochen. Und die Linke setzt er ihm genau auf das breite Kinn. Brightman taumelt, wirft die Arme hoch und kracht gegen das Balkongeländer. Es splittert und knirscht, hält jedoch noch. Da wirft Dan sich noch einmal gegen den zweibeinigen Menschenklotz. Das Geländer gibt nach. Brightman fällt rücklings in den Hof hinunter und stößt dabei einen gurgelnden Schrei aus. Mit letzter Kraft kann sich Dan noch zurückhalten. Schwankend steht er auf dem Balkon. Um ihn dreht sich alles. Dunkelheit ist vor seinen Augen.
Er fühlt sich wie in einem gewaltigen Strudel, der ihn in die Tiefe saugen möchte. Seine Knie werden weich und geben nach. An seinen Armen scheinen Zentnergewichte zu hängen. Dann beginnen Sterne vor seinen Augen zu tanzen und zu flimmern. Sein blutender Mund ist weit aufgerissen und keucht nach Luft. Schmerzen verspürt er vorerst nicht, denn alles an ihm ist taub und gefühllos. Er schwankt auf die Tür zu, stolpert über die zersplitterten Reste der Balkontür und stößt mit der Schulter gegen den Türbalken. Dadurch dreht er sich torkelnd um die eigene Achse und gelangt auf diese Art ins Zimmer. Dort bleibt er stehen, schwankend und mit gesenktem Kopf. Er möchte sich über das Gesicht wischen, aber er bringt es nicht fertig, die Arme zu heben. Plötzlich ist Lil Randell neben ihm. Wie aus weiter Ferne hört er ihre Stimme. Er möchte etwas sagen, aber sein Luftmangel lässt es nicht zu. Er keucht nur. Plötzlich wird es besser. Er begreift, dass Lil einen ganzen Wasserkrug über ihn ausgeleert hat. Er dreht mühsam den Kopf zur Seite und sieht, dass sie neben ihm auf einem Stuhl steht. Das kommt ihm irgendwie lustig vor. Ich – bin – zu – groß für sie, denkt er dumpf.
Das Wasser läuft an ihm herunter. Der kalte Schock tut ihm gut und regt seine Lebensgeister wieder an. Mühsam hebt er die Linke und wischt sich übers Gesicht. Da hört er Lils Schrei neben sich. Er hebt den Kopf, nimmt die Hand vom Gesicht weg und sieht Renee Roi – und noch zwei andere Renee Rois. Verwundert schüttelt er den Kopf und versucht Klarheit zu bekommen. Plötzlich werden aus den drei Rois zwei – und dann ist es nur noch einer, der einen Colt in der Hand hält. Aaah, ich habe ihn nur dreifach und dann doppelt gesehen, denkt Dan zufrieden. Mit einem Mal kann er wieder deutlich und gut hören. Zugleich stellen sich aber auch die Schmerzen ein. Sein ganzer Körper scheint eine einzige Wunde zu sein. Aus den unteren Räumen erklingt immer noch der Lärm eines Kampfes. Renee Rois Stimme ist scharf und kalt: »Saturday, du hast ihn wahrhaftig zertrümmern können und bist dabei noch selbst ein Mann geblieben. Nun, bevor ich mich von dir aus der Stadt vertreiben lasse, nehme ich es lieber auf mich, dich zu töten!« Er nimmt mit dem Daumen den Hammer der Waffe zurück und zielt genau auf Dans Brust. »Roi! Er ist unbewaffnet!«, ruft Lil und eilt auf ihn zu.
Roi hebt den Colt und schlägt ihr den Lauf auf den Kopf. Sie bricht mit einem Wehlaut zusammen und fällt vor seine Füße. Er richtet die Waffe wieder auf Dan, der auf ihn zuschwankt. »Du hast Brightman geschlagen und würdest mich vertreiben, Saturday. Ich will meinen Anteil an dieser Goldgrube nicht aufgeben. Ich töte dich und werde dann behaupten, du hättest Lil niedergeschlagen, weil sie Brightman beistehen wollte.« Noch bevor die grelle Stichflamme aus der Mündung kommt, macht Dan eine schwankende Bewegung. Die Kugel fährt in seine linke Schulter und stößt ihn halb um die eigene Achse. Im selben Moment taucht in der offenen Tür ein Mann auf. »Roi, du Hundesohn!«, ruft der Mann mit wilder Stimme. Der Saloonbesitzer duckt sich blitzschnell und wirbelt herum. Dabei schießt er auch schon. Aber er trifft Chase Pence nicht, der geduckt in der Tür steht. Chase schießt aus zwei Waffen. Seine Schüsse sind ein einziges Krachen ohne Pause. Dann steckt er die Waffen weg, steigt über Rene Rois zusammengekrümmten Körper und fängt Dan Saturday auf. Er schleift ihn ins Nebenzimmer und legt ihn auf Lils Bett. Als er sich aufrichtet, bringt Jim Larrymaker die
bewusstlose Frau herein. Er legt sie aufs Sofa und setzt sich müde und blutend in einen Sessel. »Ich bin auch erledigt, Chase – verdammt, ich kann nicht mehr stehen, Freund – mehr kann ich nicht tun«, ächzt Jim. Er hat wirklich seine letzte Kraft verbraucht, als er Lil ins Zimmer trug. Und er sieht aus, als wären hundert Pferde über ihn gestampft.
13 Als Dan aus seiner tiefen Bewusstlosigkeit erwacht, fühlt er sich so elend wie noch nie in seinem harten Leben. Eine Weile versucht er die Quellen seiner Schmerzen zu ergründen – aber es sind viel zu viele Schmerzen in ihm. Ein Mensch, der gesteinigt, gerädert und gefoltert wurde und der dabei auf wunderbare Weise sein Leben behielt, muss ähnliche Schmerzen verspüren. Nur einen Schmerz – es ist ein stechendes Ziehen in der linken Schulter – kann sich Dan erklären. Ihm fällt ein, dass Renee Rois Kugel dort traf. Und er fühlt den festen Verband an dieser Schulter. »Verdammt«, sagt er heiser. Seine Stimme klingt ihm fremd. Dieses eine Wort verstärkt die Schmerzen in der Rippengegend. Er hatte wahrscheinlich zu tief und zu rasch Luft geholt. Von der anderen Seite des Zimmers dringt eine Stimme an sein Ohr. Auch diese Stimme ist heiser und rostig, aber es liegt eine grimmige Freude in ihr. Irgendwie erkennt Dan, dass es Jim Larrymakers Stimme sein muss. »Hallo, Junge«, sagt die Stimme, »du hast anscheinend ausgeschlafen, was? Whip sagte mir gestern, dass du wie ein rohes Steak aussiehst – ein Steak mit Knochen. Aber das gibt sich mit der Zeit. Der Doc war vor drei Stunden hier. Und er sagte uns, dass Brightman noch schlimmer
aussieht, im Bett liegt und sich nicht bewegen kann. Wenn ich es mir so richtig überlege, was vor zwei Tagen geschah, so finde ich, dass es eigentlich eine prächtige Sache war. Brightman hat die Stadt schon fast in der Hosentasche gehabt. Das ist vorbei. Er hat sie nicht vollends in die Tasche stopfen können. Er ist zwar noch ein ziemlich großer und wichtiger Mann in Gold Creek – aber er ist nicht mehr der allergrößte und mächtigste Bursche. Die ganze Sache hat ziemlich unentschieden geendet. Wir haben jetzt zwei Parteien hier. Die große Endrunde wird entscheiden. Und wir müssen verdammt schnell wieder auf die Beine kommen!« Das sind Jim Larrymakers grimmige Worte. Dan hört sie, verdaut sie langsam und denkt darüber nach. Endlich sagt er: »Was dir auch passiert sein mag, Jim – deine Klappe ist gesund geblieben, was?« »Ich habe nur zwei Vorderzähne geopfert. – Dafür habe ich jedoch zwei gebrochene Rippen, einen Hintern voll Schrotkörner und ein Loch im linken Oberarm. Die paar Streifschüsse und der niedliche Messerstich im Rücken …« »Du lebst wirklich noch?«, stöhnt Dan verwundert. »Leidlich, Brüderchen – ziemlich mäßig und leidlich. Es sieht so aus, als könnte ich in zwei bis drei Tagen wieder aufstehen. Nun, Dan, wir
haben bei der ganzen Sache immerhin eine Menge Spaß gehabt. Und wenn man etwas verschenkt, so muss man auch etwas hinnehmen können. Ich habe eine ganze Menge verschenkt. Bald geht es wieder aufwärts mit uns!« »Du solltest nicht so verworren reden, sondern der Reihe nach erzählen. Was war unten los, nachdem ich nach oben gegangen war?« Dan dreht sich bei seiner Frage vorsichtig auf die rechte Seite. Er kann sein Stöhnen nicht unterdrücken. An seinem Körper scheint keine schmerzlose Stelle zu sein. Mit einer gewissen Befriedigung sagt er sich, dass Brightman bestimmt in keiner besseren Verfassung ist. Aber dann fällt ihm sein Kugelloch in der Schulter ein. Brightman wird noch einige Tage früher auf die Beine kommen. Das kann schlimm werden. Wenn Brightman wieder in Ordnung ist, halbwegs wieder in Ordnung ist, wird der vorläufige Waffenstillstand beendet sein. Jims Stimme dringt wieder in sein Bewusstsein, als die Schmerzen endlich nachlassen. Er bewegt sich nicht mehr, sondern hört aufmerksam zu. »Als du oben warst, Dan, kam nach und nach Brightmans ganze Mannschaft in den Spielraum. Die anderen Gäste rochen sofort die dicke Luft und verkrümelten sich. Wir kamen uns wie vier arme Hunde vor, die verprügelt werden sollten. Dann sprach dieser nette Jake Snow ein paar
kurze Einleitungsworte. Er machte uns klar, dass wir hier in Gold Creek unerwünschte Elemente wären. Und damit wir das endlich erkennen sollten und nie mehr wieder herkämen, um Unruhe zu stiften, wollten sie uns in Stücke schlagen – oder schießen, ganz wie wir es haben wollten. Nun, ich muss zugeben, dass wir mehr für eine Schießerei waren, weil wir uns da mehr Chancen ausrechneten. Bevor wir jedoch anfangen konnten, kamen der Sheriff und der Marshal herein. Dan, wir haben diesen beiden seltsamen Nummern anscheinend zu denken gegeben. Sie waren ganz vernünftig und wollten einen Kampf verhindern. Da sie beide prächtige Schrotflinten mitgebracht hatten, sah die Sache gar nicht schlecht aus. Brightmans Leute hatten jedoch ein oder zwei Schufte draußen vor dem Haus gelassen. Diese Brüder schossen durch die Fenster. Der Marshal bekam die erste Kugel. Dabei ging eine Schrotflinte los und traf den Kronleuchter. Die vier Karbidlampen explodierten wie auf Kommando. Und dann ging es los. Der Sheriff verlor anscheinend einen Moment die Nerven. Er jagte zwei Ladungen Schrot in die Gegend. Dann gab es ein gewaltiges Durcheinander. Mit Schießeisen war nicht mehr viel anzufangen, denn das Spielzimmer war viel zu klein für einen Revolverkampf. Allesamt hatten wir Angst, dass wir jemanden von der
eigenen Mannschaft erwischen könnte. Na, sie waren in vierfacher Überzahl. Ich habe noch nie im Leben so viel Schläge bekommen. Dabei schlug ich nacheinander drei oder vier Stühle und zwei Tische auf den Köpfen der Hundesöhne zu Brennholz. Sie bekamen uns so richtig in ihre Mitte. Ein windiger Mex stach mir das Messer in den Rücken. Na, der kleine Chet hat ihn mit einer leeren Flasche vollkommen zerstört. Der Kleine ist ‘ne Wucht, kann ich dir sagen. Er machte seine Sache genauso gut wie ich und Whip und Chase. Ich habe nie gewusst, dass Chase so prächtig boxen kann. Aber sie schlugen uns langsam und sicher in Grund und Boden. Zwischendurch erwachte der Marshal aus seiner Bewusstlosigkeit, nahm seine Schrotflinte und schoss mitten in den ganzen Haufen hinein. Dabei bekam ich leider auch meinen Teil ab. Der Sheriff kämpfte übrigens auf unserer Seite. Kommt dir seltsam vor, was? Der Bruder hat sich wohl doch für Recht und Gesetz entschieden. Diese Entscheidung bekam ihm gut, denn als sich auf Grund des Schrothagels der Haufen auflöste und wir etwas Luft bekamen, yeah, da kamen zwölf prächtige Burschen hereingesaust. Es waren die Frachtfahrer von der Wells & Fargo Company. Mit ihnen zusammen waren wir zwar immer noch in der Minderzahl, aber sie waren frisch und ausgeruht. Prächtige und harte Burschen. Mann o Mann, Dan, dann ging es erst
richtig los. Ich sah, wie Chase durch die Tür zum Büro verschwand, machte mich frei und folgte ihm. Bevor ich oben war, hörte ich Schüsse. Chase hatte Renee Roi erwischt. Später haben wir den Doc geholt. Er hatte noch einige Stunden zu tun, denn die Sache kostete zwei Tote und über ein Dutzend Schwerverletzte. Jetzt herrscht Waffenstillstand. An deinem Bettpfosten hängt dein Waffengurt. Wir fanden ihn auf dem Balkon. Whip und Chet sind wieder auf unserem Claim und halten dort die Augen offen und die Ohren steif. Chase hilft Lil den Saloon führen. Aaah, die beiden passen gut zusammen. Er ist ja ein Gentleman-Spieler und Abenteurer. Und sie passt zu ihm wie ‘ne Pantherkatze zum Pantherkater. Sie haben in den letzten Stunden ein halbes Dutzend hartgesichtige, scharfäugige und verlässliche Burschen auf ihre Lohnliste gesetzt. Einige Burschen, die zu sehr in Renee Roi verliebt waren und um ihn trauerten, haben sie rausgeworfen. Dan, um Lil Randell brauchen wir uns keine Sorge mehr zu machen. Die sitzt jetzt fest im Sattel und hat verlässliche Burschen zur Hand, die ihre Interessen unterstützen. Chase …« Jim verstummte, denn die Tür öffnet sich. Chase und Lil treten ein. Sie lächeln ernst, als sie Dan bei Bewusstsein sehen. Chase trägt einen Verband um die Stirn. Sein Gesicht weist einige Flecken auf, und sein linkes Auge ist blaugrün angeschwollen und verfärbt.
Er bleibt an Dans Fußende stehen, stützt sich auf die runden Kugeln der Bettpfosten und lächelt ihn an. Lil setzt sich zu Dan auf den Bettrand. »Dan, der Doc sagte, dass du noch aus einem Stück wärst«, murmelt sie sanft und sieht ihn an. »Bin ich«, grinst er und nimmt ihre Hand, obwohl ihn jede Bewegung schmerzt. »Es war furchtbar, Dan«, sagt sie. »Wenn ich eine Waffe gehabt hätte, so hätte ich ihn getötet. Es war grausam anzusehen. Ich habe vor Angst manchmal weggesehen und geschrien. Und ich wusste, dass mir niemand helfen konnte und dass euch keine zehn Pferde auseinander reißen konnten. Dan, wie stark und wie hart bist du eigentlich?« »Ich werde mich niemals mehr in deinem Zimmer mit anderen Männern prügeln, Lil. Du hättest rausgehen sollen. Ich bat dich darum.« »Ich musste bleiben.« Sie sagt es ernst. Er sieht sie nachdenklich an, wendet dann den Kopf und sieht in Chases Augen. Und plötzlich erkennt er, was in dem Freund ist. Er begreift plötzlich einige Dinge und erinnert sich wieder daran, dass Lil und Chase in Tombstone viel gemeinsam ausgeritten sind – vormittags, wenn in den Spielsaloons kein Betrieb war.
Er grinst den Freund seltsam an und wendet sich wieder an Lil. »Pantherkatze«, sagt er. »Es hat sich alles so ergeben. Ich habe eben von Jim die ganze Geschichte gehört. Chase ist ein mächtig guter Partner für dich. Er ist treu und mindestens so hart wie ich. Ihr beide könntet einen Saloon in jeder wilden Stadt auf eine saubere Art führen. Ihr solltet zusammenbleiben. Ihr beide passt so sehr zusammen, dass ihr euch gegenseitig Glück bringen werdet. Ich wünsche euch von ganzem Herzen Glück!« Sie sieht ihn seltsam ernst an. Plötzlich beugt sie sich vor und küsst ihn auf seine zerschlagenen Lippen. »Du bist klug und weise, Dan. Ich will deinem Rat folgen. Und dieser Kuss soll deine Weisheit belohnen, großer Krieger.« Sie erhebt sich und sieht Chase an. »Chase, er hat wohl für uns ein Problem gelöst?« »Das hat er – und wir sind Brüder, wenn auch sehr verschieden.« Sie nickt und geht zur Tür. »Dan und Jim werden kräftig essen müssen!« Sie verschwindet. »Sei gut zu ihr, Chase. Sie ist trotz allem eine Lady. Wenn es irgend geht, so zeige ihr die Welt. Lass sie viele Dinge vergessen. Eines Tages wird
sie zur Ruhe kommen. Und dann wird sie es dir danken – ewig.« »Ich weiß«, murmelt Chase Pence, der Spieler. »Ich liebe sie, Dan. Ich möchte eines Tages auch zur Ruhe kommen. Gemeinsam gelingt uns das bestimmt besser. Freund, du hättest sie haben können!« »Nein, Chase. Sie mag mich – aber sie will mich nicht. Ich bin ihr nicht artverwandt. Wenn ich mir eine Frau nehme, so will ich feste Wurzeln schlagen und eine Sippe gründen. Sie selbst ist noch nicht soweit. Und du bist auch nicht soweit, Chase – noch nicht. Ihr werdet euch brauchen und gemeinsam zur Ruhe kommen. Viel Glück, Freund!« »Danke, Dan Saturday«, sagt Chase fast feierlich. »Du weißt aber auch, dass ich dir Glück gewünscht hätte, wenn …« »Ich weiß es, Freund!« »Wenn ihr beide noch eine Weile so weiter redet, kommen mir die Tränen«, meldet sich Jim Larrymaker von seinem Bett her. Die Tage vergehen. Und jeden Tag gibt es neue Nachrichten. Chet Doobyrne und Whip Dunn bringen diese Nachrichten abwechselnd. Es sind böse Dinge. Die zweibeinigen Raubwölfe beginnen sich zu
regen. Sie sind jetzt fast jede Nacht an der Arbeit. Und es wird immer schlimmer, denn fast jeden Tag wird ein neuer Goldfund gemeldet. Am zweiten Tag, den Dan bei Bewusstsein verbringt, meldet Chet, dass man Antonio Johnny in seiner Hütte ermordet hätte und seine ganze Goldausbeute verschwunden wäre. Die Freunde sehen sich finster an. »Brightmans Rudel ist an der Arbeit. Herrgott, wir müssen etwas unternehmen!«, ruft Jim Larrymaker, der zum ersten Mal aufgestanden ist. »Wir können Brightman und seinen Leuten nichts nachweisen, solange wir sie nicht auf frischer Tat schnappen. Wir müssen warten, bis uns Slim Hackett einen geplanten Coup verrät. Anders ist es nicht zu machen!« Dan sagt es bitter und zornig. Am zweiten Tag berichtet Whip Dunn, der in die Stadt gekommen ist, dass man die beiden Irländer-Zwillinge ausgeraubt hätte. Einer der beiden Brüder wurde erstochen. Der andere lebt noch. Ihr Gold ist verschwunden. »Jetzt bringen alle Digger ihr Gold zur Bank«, setzt Whip seinen Bericht fort. »Kein Digger verwahrt seine Ausbeute noch in seiner Unterkunft. Bis heute Mittag haben sie vor der Bank Schlange gestanden. Mehr als ein Zentner Gold soll zusammengekommen sein.«
Die Freunde sehen sich wie am vergangenen Tag finster an. »Brightmans Spiel«, erklärt Dan. »Mit den Überfällen wird erreicht, dass die Bank ihr Gold bald zur Hauptstadt transportieren muss. Und viele Digger werden es sofort zur Wells & Fargo bringen und abschicken. Ich wette, dass die ersten Goldtransporte schon in den nächsten Tagen abgehen. Und sie werden überfallen werden. Gibt es von Slim Hackett noch keine Meldung?« »Nein.« Am dritten Tag kommt eine ganz besondere Nachricht in die Stadt. Sie muss sich wie ein Lauffeuer im ganzen Gold Creek Canyon verbreitet haben. Als Chase und Lil gerade mit Dan darüber sprechen, stürmen Chet und Whip ins Zimmer. »Habt ihr es schon gehört?!«, brüllt Chet. Er wartet gar nicht auf eine Antwort, sondern sprudelt hervor: »Die Grahams haben eine Goldader angeschlagen – zwei Meter tief in der Erde! Ich wunderte mich schon die ganzen Tage, warum sie so tief in der Erde herumgraben. Heute wurde es bekannt. Eine mächtige Ader soll es sein. Und sie soll sich auch durch unseren Claim fortsetzen. Der alte Graham kam zu uns herüber. Er sagte es uns. Anständig war er, Dan! Nach dem Entdeckergesetz kann er eine Ader, die sich ohne
Unterbrechung fortsetzt, auch auf einem fremden Claim ausbeuten. Daran ist nicht zu rütteln. Aber er war wirklich anständig und bot uns die Hälfte von der Ausbeute an. Wir haben angenommen und arbeiten nun mit den Grahams gemeinsam. Es sieht wirklich so aus, als ob sich ihre Ader ohne Unterbrechung quer durch unseren Claim fortsetzt. Alles fester Felsen! Wir müssen mit Hämmern und Meißeln arbeiten. Wir haben Gesteinsbohrer gekauft und werden morgen eine kleine Sprengung vornehmen.« Diese Nachricht schlägt wirklich wie eine Bombe ein. »Jetzt bekommen wir Brightman wieder auf den Hals«, murmelt Jim grimmig. »Eine Goldader lässt er sich nicht entgehen. Passt auf, es wird jetzt schlimm.« »Das glaube ich auch«, mischt sich Chase ein. »Es sind in den letzten Tagen viele Revolverschwinger nach Gold Creek gekommen. Sie verkehren alle im Paradise Saloon und sind mit Brightmans Leuten befreundet. Er baut sich wieder eine starke Mannschaft auf. Und ein paar besonders harte Kerle sind heute in die Berge geritten. Ich frage mich, warum Slim Hackett uns immer noch nichts melden kann. Er sitzt jeden Tag mitten unter den Kerlen und …« »Sicherlich weiß er selbst noch nichts. Aber das ändert sich bestimmt in wenigen Stunden. Ich wette, dass bald der erste Schlag erfolgt. Chase,
du musst ebenfalls Leute anwerben. Du musst hier in der Stadt die Stellung halten. Brightman darf nicht stärker werden als du und die Wells & Fargo. Das ist deine Aufgabe, Chase.« »In Ordnung, Dan!« Zwei Tage später verlässt Dan zum ersten Mal das Bett. Als er im Zimmer umhergeht und behutsam einige Kniebeugen macht, kommt Jim herein. Chase, Whip und Chet folgen. Und in ihren Gesichtern ist eine böse und wilde Wut zu erkennen. »Was ist los?«, fragt Dan. Und er weiß, dass es jetzt sehr schlimm werden wird. Jim Larrymaker zermalmt einen Fluch zwischen den Zähnen. Whip Dunn stößt einen seltsamen Laut aus – als wenn ein Wolf warnend knurrt, so hört es sich an. »Die Hölle hat diesen Canyon jetzt zu ihrer Filiale gemacht«, knirscht Chet Doobyrne. Chase Pence sagt nichts. Ruhig lehnt er neben der Tür an der Wand und sieht Dan an. Und in seinen Augen ist echte Sorge zu erkennen. In Dans Herzgegend ist plötzlich ein banges Gefühl. Es wird stärker. Er fühlt einen leichten Schauer. »Ist was mit den Grahams passiert?«, fragt er heiser. »Sag es ihm, Jim!«, zischt Chase plötzlich von der Tür her.
Dan wirbelt sofort herum und sieht Jim an. Dessen Gesicht zuckt. »Die Grahams sind weg«, knurrt er bitter. Und dann kommen die Worte schnell über seine Lippen: »Gestern, es war um die Nachmittagszeit, ritt das Mädel wie immer spazieren. Sie wollte wieder die Pferde im Talkessel besuchen. Als es dunkel wurde und im ganzen Canyon die Feuer brannten, war sie immer noch nicht zurück. Zwei ihrer Brüder gingen sie suchen. Wir beobachteten alles von der Hütte aus. Als es Tag wurde, waren die beiden Boys und das Mädel immer noch nicht zurück. Da kam der alte Graham zu uns herüber und bat uns, wir sollten auf ihren Claim aufpassen. Mehr sagte er nicht. Verdammt, wir konnten ihm ansehen, wie es in ihm aussah. Er ging mit seinem dritten Sohn davon. Sie hatten Gewehre bei sich, und sie gingen schnell. Dan, das Mädel kann sich in den Bergen verirrt haben. Es kann aber auch …« »Sie ist entführt worden!«, bricht Dan Saturday los. »Oh, Hölle! Auf diese Art will Brightman die Goldader in seinen Besitz bringen! Er hat Bell entführen lassen! Und jetzt suchen die Grahams nach ihr! Herrgott, sie haben verdammt wenig Chancen, am Leben zu bleiben! Was sagen die Leute in eurer Nachbarschaft dazu?!« Jim machte eine müde Armbewegung.
»Niemand achtet auf den Nachbarn! Die Digger haben nur das verdammte Gold in den Schädeln. Sie kümmern sich um nichts anderes! Die Grahams haben es ja auch nicht in die Gegend gebrüllt! Warum auch? Sie glauben und hoffen ja viel zu sehr, dass sich Bell nur verirrt hat. Wir sind ziemlich die einzigen Männer, die sich die Sache anders ausrechnen. Oha, tausend Digger wühlen im Canyon wie Maulwürfe! Aber sie kümmern sich nur um ihre Wühlerei! Ein paar Männer sind bereits ermordet und ausgeraubt worden. Es muss jedoch noch viel schlimmer kommen, bis diese Idioten einen gewissen Herdentrieb in sich verspüren, sich zusammenschließen und am Geschick ihrer Nachbarn teilnehmen. Dan, was sollen wir tun?« Dan starrt auf den Fußboden. Sein Gesicht hat sich noch mehr verhärtet. Nun hebt er es und sieht Chet an. »Immer noch keine Nachricht von Slim Hackett?« »Ich war noch nicht in der Posthalterei«, murmelt Chet. »Zum Teufel! Dann geh hin!« Dan zischt es scharf heraus. Chet holt tief Atem. Aber dann sagt er sanft: »Sicher, du hast Recht. Ich Narr hätte daran denken müssen, dass Slim …« Er verlässt schnell das Zimmer.
Dan achtet kaum noch auf seine Freunde. Er kleidet sich vollständig an und schnallt sich den doppelten Waffengurt um. Er nimmt die Colts heraus, wirbelt sie einmal kurz durch die Luft, fängt sie wieder auf und wechselt dann die Munition aus. »Jim, geh in den Mietstall und sattle mein Pferd«, sagt er heiser. »He, wir werden doch wohl alle reiten«, knurrt Jim. »Brightman will die Goldader haben«, sagt Dan kalt. »Wenn er Bell in der Hand hat, kann er die Grahams zu vielen Dingen überreden. Und er kann sie später verschwinden lassen. Vielleicht bringt er sogar den Nachweis, dass die Grahams ihm den Claim verkauft haben und abgereist sind. Ihr müsst die Claims halten. Wenn es Brightman gelingt, den Graham-Claim in Besitz zu nehmen, dann bekommt er auch unseren. Ihr müsst Widerstand leisten. Chase muss hier in der Stadt dafür sorgen, dass Brightmans Macht nicht wieder wächst. Ich reite allein. Aber bevor wir uns richtig entscheiden, müssen wir auf Chet warten.« Er geht langsam im Zimmer umher, dreht sich dabei eine Zigarette und raucht. Eine wilde Erregung ist in ihm. »Fühlst du dich gesund genug?«, fragt Chase einmal sanft.
»Ich kann in einem Sattel sitzen. Und ich kann meine Colts schießen. Aaah, ich habe nie gern auf Menschen geschossen – und dennoch sagt man von mir, dass ich ein Revolvermann bin. Nun, auf dieser Fährte werden meine Colts rauchen. Herrgott, ich wollte, dass Brightman Fehler macht – aber nicht solche! Er muss verrückt geworden sein. Wenn es herauskommt, dass er Bells Entführung befohlen hat, werden alle Digger aufwachen, sich zusammenrotten und ihn an einen Ast hängen!« »Sie bringen ihn gar nicht lebendig bis zu einem Ast«, murmelt Chase. »Sie reißen ihn nämlich vorher schon in Stücke. Nun, er ist entweder wirklich verrückt geworden – oder er hat sich seinen Plan wirklich so gut ausgedacht, dass ihm die ganze Sache glückt. Dan, wenn die Grahams verschwunden bleiben, dürfen wir nicht in den Verdacht kommen, den Graham-Claim für uns haben zu wollen.« Die Freunde zucken zusammen. Sie begreifen Chase sofort und erkennen die lauernde Gefahr. Whip stöhnt vor unterdrückter Wut. »Oha«, knirscht er. »So geht es auch! Wenn die ganze Digger-Gesellschaft aufgestachelt wird und jemand sie auf die Idee bringt, wir hätten das Mädel entführt oder entführen lassen, um …« Er kann nicht weiter sprechen, denn die Tür wird aufgestoßen und Chet Doobyrne stürmt herein. Er hält einen Brief in der Hand.
»Da ist Slim Hacketts Meldung. Wir hatten es so ausgemacht, dass ich nach Post frage und …« »Mach den verdammten Brief auf und halte keine langen Reden!«, bellt Jim ungeduldig. Chet gehorcht. Er liest schnell. »… wurde das Graham-Mädel entführt. Ich erfuhr es zu spät, denn Brightman weihte nur Jake Snow ein, und dieser suchte sich die größten Schufte der Mannschaft aus, ohne sie über die Art des Auftrages zu unterrichten. Wir anderen erfuhren es später. Brightman will den Vater und die Brüder des Mädels in die Hand bekommen. Sie sollen ihm ihren Claim überlassen. Er will ihnen viele Dinge versprechen und nichts davon halten. Wenn er den Graham-Claim besitzt, wird er euch vertreiben. Das Mädel und die Männer sind in äußerster Lebensgefahr, sobald sie etwas unterschrieben haben. Brightman wird sein Wort nicht halten. Irgendwie brütet er im Zusammenhang mit dieser Sache einen Plan gegen euch aus. In zwei Tagen geht der erste Goldtransport ab. Brightman arbeitet mit dem Bankier zusammen. Von ihm wird er unterrichtet. Der Transport soll ausgeraubt werden. Es handelt sich um einen Zentner Gold aus der Bank und um fast die gleiche Goldmenge, die von den Diggers bei der Wells & Fargo als Postsendungen abgegeben wurde.«
»Verdammt, wenn Brightman und der Bankier Partner sind, warum rauben sie dann das Gold der Bank?«, ruft Jim dazwischen. Chet grinst etwas mitleidig über den Brief hinweg. »Langer, du bist heute nicht besonders in Form«, sagt er und grinst scharf. »Sie rauben der Wells & Fargo zwei Zentner Gold. Ein Zentner gehörte der Bank – dann aber gehört er Brightman und dem Bankier. Ersatz an die Bank muss die Wells & Fargo leisten. Und überdies ist noch das Gold der Postlinie dabei. Es lohnt sich verdammt für diese Hundesöhne!« Er hebt das Blatt wieder vor die Augen und liest knurrig weiter: »In den Schluchten südlich des Black Peaks hat eine Gruppe der Brightman-Bande ihr Camp aufgeschlagen. Dorthin sollen die Grahams und später auch das Gold gebracht werden. Das Camp bildet die Basis für alle zukünftigen Überfälle. Ich selbst werde am Überfall auf die Postkutsche teilnehmen. Wenn sich die Postfahrer nicht zur Wehr setzen, wird es keine Toten geben. Nach dem Überfall wird sich die Bande trennen. Die größere Hälfte wird nach Gold Creek zurückreiten. Ich selbst gehöre zu der kleineren Gruppe, die das Gold zum Camp schafft. Es wäre kein Erfolg, wenn die Wells & Fargo nur den Goldraub verhindert – sie muss das Banditencamp ausheben.
Ich schlage deshalb vor: 1. Die Fahrer sollen sich kampflos das Gold rauben lassen. 2. Verfolgt den kleineren Trupp, der das Gold in die Berge bringt. Ihr werdet die Spur nicht verlieren, denn ich werde in den felsigen Schluchten rote Glasperlen ausstreuen. Ich werde mir im Store einen ganzen Beutel dieser roten Glasperlen kaufen und meine Taschen damit füllen. 3. Umstellt das Camp und macht möglichst viele Gefangene. 4. Bringt die Gefangenen nach Gold Creek und sorgt für eine große Gerichtsverhandlung.« Chet Doobyrne faltet das Blatt zusammen und will es in die Brusttasche stecken. »Verbrenn es lieber«, murmelt Chase. Die Männer beobachten, wie die Flamme das Papier frisst und richten dann ihre Augen auf Dan, der mitten im Zimmer steht. Dan nickt Chet Doobyrne zu. »Du wirst die Wells-&-Fargo-Leute führen, Chet. Macht Gefangene, zerstört das Camp und … ah, ich werde selber dabei sein, denn ich muss doch vor dem Kampf erst die Grahams in Sicherheit bringen. Wenn euch die Überrumpelung nicht glückt und die Bande ihr Camp verteidigt, so könnten sie die Grahams als Geiseln benutzen. Das ist der wunde Punkt am
ganzen Plan! Ich reite sofort. Jim und Whip achten auf die Claims. Chase, du wachst mit deinen Leuten über die Stadt. Und wenn wir Glück haben, wird es eine prächtige Gerichtsverhandlung werden. Wenn die Grahams gerettet sind und den Diggern ihre Geschichte erzählen, ist Brightman mit einer ganzen Armee nicht mehr stark genug. Dann gelingt ihm keine Flucht mehr, und er ist die Hauptperson der Verhandlung. Ihr sollt sehen, wie ihn seine eigenen Leute verraten!«
14 Dan Saturday führt sein Pferd durch die Hintertür des Mietstalles hinaus. Der Stallmann ist Chases Freund. Wenn nicht zufällig Brightmans Spione hinter der Stadt herumlaufen, bleibt Dan vielleicht ungesehen. Es ist noch früher Morgen. Er erreicht den bewaldeten Hang des Canyons und lässt sein Pferd klettern. Nach einem kurzen Stück erreicht er eine Terrasse. Nun hat er es leichter. Eine halbe Stunde später biegt er in die Schlucht ein, in der er zum Talkessel kommen muss. Nach einer weiteren halben Stunde erreicht er diesen Kessel. Es handelt sich um ein kleines und fast kreisrundes Hochtal. Pferde, Maultiere und Esel grasen durcheinander. Unter hohen Föhren steht eine primitive Hütte. Er reitet hinüber und bleibt im Sattel sitzen. Zwei halbwüchsige Indianerburschen und ein paar kleinere Kinder stehen an einem Feuer, über dem ein großer verbeulter Topf hängt. Eine alte Squaw, die wie des Teufels Großmutter aussieht, kommt mit einer Schnapsflasche aus der Hütte. Sie zeigt Dan zwei bemerkenswerte Zähne. Es soll wohl ein Lächeln sein, denn sie kichert:
»Feuerwasser sein gut für altes Bauch meiniges!« Dann macht sie »Brrr! Gutt! Guttes Feuerwasser! Du uns geben noch mehr welches? Große Medizin für kranke Squaw!« Plötzlich kommt eine jüngere Indianerin um die Ecke der Hütte. Sie trägt einen Eimer, setzt ihn ab und eilt schnell auf ihre Schwiegermutter zu. Dan versteht leider zu wenig von ihrer Sprache, um die schnellen Worte verstehen zu können. »He!«, ruft er. »Warum schimpfst du mit ihr?« Die scheltenden Frauen verstummen. Ihre Augen verschleiern sich. Stumpf und stur sehen sie ihn an. »Wo ist dein Mann?!«, fährt er die jüngere an. »Da!«, zeigt sie auf eine Schluchtmündung. »Wo ist das Mädchen mit den roten Haaren?« »Da!«, zeigt sie wieder. »Mit wem ist sie geritten?« »Weiße Männer kamen. Sie schlug einen mit der Peitsche. Andere lachten. Nahmen Mädchen mit!« »Und dein Mann?« »Arme Indianer hüten Pferde für Golddigger. Sich nicht einmischen in …« »Schon gut, wo ist dein Mann jetzt?« »Vater und Brüder von Rothaar kamen und …«
Dan hält sich nicht mehr auf. Er reitet davon. Die ganze Sache ist ziemlich klar für ihn. Bell Graham wurde entführt. Damit die Indianer den Raub nicht sofort im Canyon meldeten, gaben ihnen die Banditen Whisky. Wahrscheinlich war die ganze Familie viele Stunden sinnlos betrunken. Dann kamen Bells Brüder und nahmen sich das Familienoberhaupt dieser verkommenen Sippe vor. Sie werden ziemlich hart mit ihm umgegangen sein, denkt Dan. Inzwischen ist der alte Ike Graham mit seinem dritten Sohn auch noch hinzugekommen. Irgendwie haben sie den sicherlich noch halb betrunkenen Indianer dann gezwungen, die Fährte der Kidnapper zu verfolgen. So ähnlich muss es gewesen sein. Er reitet schnell in die Schlucht hinein. Dan Saturday hat in seinem harten Leben schon viele Fährten verfolgt – und sich dabei das Geschick und die Erfahrungen eines Indianers erworben. Überdies spornt ihn die Sorge und die Angst um das Mädchen besonders an. Verschiedentlich muss er aber wirklich sein ganzes Geschick aufbieten und immer wieder in den reichen Schatz seiner Erfahrungen greifen, um die Fährte nicht zu verlieren.
Sie führt durch Schluchten, Kessel, durch Hochtäler, Wald und über Geröllhänge – dann in einen engen und langen Canyon, dessen Creek silbern sprudelt. Es wird Mittag und Nachmittag. In Dan ist eine große Müdigkeit. Sein geschwächter Körper macht diesen Ritt nicht mehr lange mit. Schief und schlapp hängt er im Sattel, hält sich mit der Linken am Sattelhorn fest und lässt die Fährte nicht aus dem Auge. Als er aus dem Wald kommt und eine tiefe Mulde durchquert, sieht er die Fährte auf einer sumpfigen Stelle besonders deutlich. Aber es sind ja eigentlich zwei Fährten, eine ältere, die schon vor Stunden gezogen wurde – und eine ganz frische. Dan überwindet noch einmal seine Müdigkeit. Die vier Grahams sind keine Stunde vor ihm. Wahrscheinlich konnte der noch halbtrunkene Indianer die Fährte der Mädchenräuber nur langsam verfolgen – oder wollte absichtlich nicht schneller sein. Bald kommt er an einen kleinen See. Die Fährte führt südlich um den See. Dan lässt sein Pferd trinken, klettert selbst aus dem Sattel und erfrischt sich. Nach kurzer Rast reitet er weiter und isst im Sattel ein Stück kaltes Bratfleisch. Plötzlich steht sein Pferd am Rand eines Abgrundes. Das Land fällt in mächtigen
Terrassen abwärts. Dunkle Canyons ziehen sich nebeneinander nach Süden hin. Von hier oben wirken sie wie die Furchen eines Waschbrettes. Die Kämme zwischen diesen Canyons sind schmal und haben felsige Rücken. Aber auf den steilen Hängen steht dichter Wald. Plötzlich sieht Dan das Ziel seines Rittes. Vor ihm im Süden, in Luftlinie vielleicht nur fünfzehn Meilen entfernt, ragt der Black Peak in den Himmel. Es handelt sich um einen spitzen Felskegel am Rande eines Plateaus. Die Abendsonne lässt den dunklen Felsen rötlich leuchten. Dan hat den Black Peak noch nie in seinem Leben gesehen, und er wurde ihm auch von keinem Menschen beschrieben. Aber als er den spitzen Zuckerhut sieht, weiß er, dass es nur der Black Peak sein kann. Die Fährte führt ihn im letzten Tageslicht zu einem bequemen Abstieg. Lange Strecken kann er im Sattel bleiben. Mit zunehmender Dunkelheit rutscht er jedoch aus dem Sattel und merkt sich noch einmal die genaue Richtung, bevor er gänzlich in die Tiefen der Canyons taucht und den spitzen Kegel aus den Augen verliert. Als der Boden wieder ebener wird, sitzt er mühsam auf und reitet weiter. Nach einer Stunde ist es vollkommen dunkel. Er sitzt ab, bindet sich die Zügelenden um das Handgelenk und streckt sich aus.
Er versinkt sofort in einen betäubungsähnlichen Erschöpfungsschlaf und rührt sich die ganze Zeit nicht. Er erwacht von scharfen Rucken an seinem Arm, hört das Schnauben seines Pferdes und erhebt sich schwankend. Das Tier zittert an allen Gliedern, drängt sich ängstlich an ihn heran und schnaubt unruhig. Er beruhigt es mit schlaftrunkenen Worten. Dan kennt sonst keine Schlaftrunkenheit. Wie alle Cowboys und Westmänner gibt es bei ihm zwischen Schlaf und Wachsein keinen Übergang. Nur heute war er so erschöpft, dass er einige Sekunden wie betrunken ist. Von einem nahen Hügelkamm heult ein Wolf. In der Ferne antwortet ein ganzes Rudel. Deshalb benimmt sich sein Pferd auch so ängstlich. Am Himmel leuchten Sterne, und der Mond gleicht einer halbierten Silberscheibe. Und die Wölfe heulen den Mond an – vielleicht haben sie aber schon Witterung von seinem Pferd. Auf jeden Fall hat Dan die Dinge so ähnlich vorausgesehen und sich deshalb die Zügelenden um das Handgelenk gebunden. Er wusste, dass ihn sein Pferd beim ersten Wolfsgeheul wecken würde. Sonst würde er nämlich viele Stunden fest geschlafen haben. Seine Schwäche und die Erschöpfung sind zu groß.
Aber meine Colts werde ich verdammt schnell abfeuern, denkt er grimmig und klettert steif in den Sattel. Manchmal, wenn er einen Kamm überquert und bessere Sicht hat, sieht er weit in der Ferne den Black Peak im Mondlicht. Dann merkt er sich die Richtung und taucht wieder in die dunklen Canyons ein. Es ist schon lange nach Mitternacht, als er einen Hügelkamm überquert und unter sich das rote Auge eines Feuers entdeckt. »Oha«, murmelt er nur und bleibt einige Minuten bewegungslos im Sattel sitzen. Unten wirft jemand frisches Holz in die Glut. Flammen züngeln hoch, werden größer und erhellen die Umgebung des Feuers. Dan erkennt ein paar sitzende Männer, und der Mann, der das Holz ins Feuer tat, hebt sich deutlich gegen den dunklen Hintergrund der Hügelfalte ab. Es ist ein kleiner und drahtiger Kerl. Dan denkt über diese Erkenntnis nach. Die vier Grahams sind Riesen. Dort unten steht ein kleiner Kerl am Feuer. Und im Hintergrund sieht Dan die Hinterteile vieler Pferde, die in einer Reihe an ein ausgespanntes Lasso angebunden sind. Der Feuerschein wirft einen runden Kreis in die Umgebung, und die Bäume des Hanges werfen lange Schatten.
Entweder haben sie schon mit den Grahams verhandelt, oder sie haben die Grahams schon fest in ihrer Hand, denkt Dan. Langsam rutscht er aus dem Sattel. Und da sagt eine leise Stimme hinter ihm: »Beweg dich nicht!« Ich hätte es ahnen müssen, als ich das helle Feuer sah, denkt Dan bitter. Ich hätte damit rechnen müssen, dass sie hier oben einen Wächter postiert haben. Sonst würden sie da unten nicht solch eine Festbeleuchtung machen. Eine verzweifelte Wut steigt in ihm auf. Er bewegt sich vorerst wirklich nicht. Er ist zu klug, um eine Dummheit zu begehen. Der Mann befindet sich hinter ihm, und er selbst zeichnet sich deutlich gegen den hellen Himmel ab. Als er leise Schritte hinter sich hört, spannt er unmerklich seinen Körper. Er fühlt den Druck eines Coltlaufes auf seiner Nierengegend. Eine Stimme knurrt: »Was ist los mit dir, Bruder?« Dan hat eine plötzliche Eingebung. Er muss den Kerl für eine kurze Zeitspanne bluffen. Und er sagt lässig: »Brightman wurde von Dan Saturday erschossen. Ich muss verdammt schnell zu Jake Snow!« Er fühlt, wie der Mann hinter ihm zusammenzuckt. Der Druck auf seiner
Nierengegend lässt nach. Dan hofft, dass der Kerl vor Überraschung seinen Colt gesenkt hat und wirbelt herum. Dabei zieht er seinen rechten Colt und schlägt damit nach rechts, bevor er selbst seine Drehung vollendet hat. Er hat Glück. Sein Coltlauf trifft den Mann quer über den Hals. Der Kerl hatte wirklich die Waffe gesenkt. Als er jetzt abdrückt, schießt er sich, da er taumelt, in den eigenen Fuß. Dan springt ihn an und schmettert ihm die Waffe noch einmal auf den Kopf. Der Kerl bricht zusammen. Unten am Feuer ist der Teufel los. Einige Gestalten reißen das Feuer auseinander, und andere springen in die Dunkelheit hinein. Dan handelt schnell. Er muss sein Pferd hier zurücklassen und zu Fuß kämpfen. Er läuft den Hang hinunter, kommt in den Schatten der Bäume und verliert die Sicht zum Feuer. Er läuft, rutscht und klettert vielleicht fünfzig Meter tief, dann hält er inne, presst sich an einen Baumstamm und wartet. Die Bäume stehen weit auseinander. Es sind mächtige Tannen, deren Zweige weit ausladend tiefe Schatten werfen. Der Wildwechsel, der hinunterführt und auf dem die Reiter vor Dan
hinunter geritten sind, befindet sich links von Dan. Nach einer kleinen Weile hört er Geräusche unter sich. Männer arbeiten sich vorsichtig und möglichst lautlos den Hang aufwärts. Aber so leise sie auch sein wollen – Dan hört sie ganz deutlich. Eine Stimme ruft ganz plötzlich: »He, Cross! Cross, was ist mit dir?« Der Rufer ist keine fünf Meter von Dan entfernt. Und er sieht jetzt auch den Schatten des Mannes von einem Baum zum anderen gleiten. Der Mann kommt nach einigen Sekunden mit Dan in gleiche Höhe und hält drei Meter links von ihm an. »Verdammt, was ist mit Cross passiert? Kirk, sollen wir noch weiter klettern?« Eine noch weiter entfernte Stimme erwidert: »Wie sollen wir es sonst herausfinden können! Steve passt auf die Grahams auf und …« »Hier!«, ruft Dan halblaut. Der Mann links neben ihm stößt einen erschreckten Ruf aus. Ein Colt flammt auf. Die Kugel klatscht in den Baum. Zugleich sticht die rote Zunge eines zweiten Mündungsfeuers weiter entfernt durch die Dunkelheit. Dan schießt mit beiden Colts. Den Mann neben sich trifft er mit dem ersten Schuss. Er hört zwischen den Schüssen den Aufschrei und dann die Geräusche eines stürzenden Körpers, der ein
Stück hangabwärts rutscht, bis ihn ein Baum aufhält. Er schießt weiter, denn zehn Meter links von ihm blitzt immer wieder ein Mündungsfeuer auf. Die Kugeln klatschen in den Baumstamm, fetzen durch die Zweige oder splittern Rindenstücke von den anderen Bäumen. Es ist ein mitleidloser Revolverkampf. Jeder der Männer richtet sich nach dem Mündungsfeuer des Gegners. Der Bandit scheint sich in guter Deckung zu befinden, denn sonst hätte ihn Dan, der nun schon zum vierten Mal auf das Mündungsfeuer schießt, wenigstens verletzen müssen. Plötzlich wird ihm die Sache klar. Er duckt sich zu Boden und rutscht ein Stück tiefer. Er ist kaum in Bewegung, da kracht es von der anderen Seite. Eine heiße Bleikugel zupft an Dans Schulter. Er schießt nur zweimal zurück – und hört einen erstickten Laut, der seufzend abbricht, in ein heiseres Husten übergeht und mit einem zitternden Stöhnen endet. Er hört keinen Fall. Der getroffene Gegner lag anscheinend hinter einem Baum am Hang. Beinahe hätten sie mich auf diese Art erwischt, denkt Dan grimmig und richtet seine Aufmerksamkeit nun ganz zum Wildwechsel hinüber.
»Hast du ihn erwischt, Larry?«, fragt eine heisere Stimme. Dan gibt keine Antwort. Er steckt den linken Colt weg, tastet umher und findet ein knorriges Aststück. Er wirft es zum Wildwechsel hinüber. Sofort flammt dort eine Feuerzunge auf. Dieser Trick war billig. Aber er hatte Erfolg. Dan schießt die letzten zwei Kugeln aus seinem rechten Colt und hört schon zwischen den beiden Schüssen einen wilden und verzweifelten Schrei. Jetzt hat er sie alle drei erwischt. Aber fast hätten sie ihn gehabt. Der Kerl auf dem Wildwechsel hatte eine ganze Weile Dans Feuer auf sich gelenkt. Wenn der dritte Bandit nur etwas schneller gewesen wäre, hätte er Dan in den Rücken schießen können. Denn Dan rechnete nur mit zwei Gegnern. Er wartet eine Weile, lauscht und lädt die Waffe auf. Es bleibt alles still. Er rutscht ein Stück tiefer und macht dabei absichtlich Geräusche. Aber auch jetzt bleibt alles ruhig und still. Da weiß er, dass er diesen Kampf durchgestanden hat. Mit einem Mal fühlt er wieder die Schwäche und die zunehmende Müdigkeit in seinem Körper. Der kurze Kampf hat ihn sehr mitgenommen.
Doch unten sollen sich die Grahams befinden, und sie sollen von einem Mann bewacht sein. Diesen Mann muss Dan auch noch erwischen. Er arbeitet sich langsam hangabwärts, bewegt sich leise, macht kaum Geräusche und hält immer wieder inne, um aufmerksam zu lauschen. So erreicht er den Fuß des Hanges. Rechts von ihm bewegen sich die unruhigen Pferde. Vor ihm qualmt das auseinandergerissene Feuer. Dan erkennt ein paar längliche Bündel am Boden. Er sagt sich, dass es nur gefesselte Menschen sein können, denn um Schläfer kann es sich nicht handeln. Und von dem Kerl, den seine Kumpane Steve nannten, ist nichts zu sehen und zu hören. Dan kann seine Ungeduld nicht mehr länger bezwingen. Er ist zu müde und zu erschöpft, um die Geduld eines Wolfes aufzubringen, der vor einem Kaninchenbau hockt und auf seine Chance wartet. Dan erhebt sich langsam und ruft mit stöhnender und heiserer Stimme: »Mich hat’s erwischt, Steve! Aaah, mach das Feuer wieder an! Verdammt, Steve, wo bist du? Ich verblute, Steve!« Dabei taumelt und schwankt er aus dem Wald heraus, kommt in die Nähe der Pferde, bleibt stehen und lehnt sich an eines der Tiere, die ziemlich ruhig geworden sind. So wartet er.
Schon nach wenigen Sekunden hört er Steves Stimme. Sie kommt von der anderen Seite des auseinandergerissenen und qualmenden Feuers. »He, Kirk! Bist du das? Wo sind die anderen? Komm nur, ich mache das Feuer wieder an!« Dan sieht eine Gestalt auftauchen. Sie kniet nieder, sucht die qualmenden Reste beim Feuer zusammen, bläst hörbar in die glimmenden Holzstücke und erzeugt mit einiger Mühe eine kleine Flamme, die schnell wächst und viel von dem Qualm frisst. Der Mann sucht noch mehr von dem angekohlten Holz zusammen, häuft es über die Flamme. Und schon nach wenigen Sekunden erhellt der Flammenschein die ganze Umgebung. »Nun komm doch, Kirk! Oder schaffst du es nicht mehr?« Steve kommt bei diesen Worten um das Feuer herum. Da er vom Flammenschein etwas geblendet ist, starrt er ziemlich hilflos in die Dunkelheit. Dan tritt von den Pferden weg. Seine Stimme klingt scharf und hart. Er stöhnt und keucht die Worte nicht mehr wie ein verwundeter Mann hinaus. »Steve, du hast keine Chance«, sagt er scharf. »Ich bin Dan Saturday.« Der zuckt zusammen und hebt dann eine Hand, um sich übers Gesicht zu wischen.
»Was … was … was ist mit den anderen?«, stottert er. Dan tritt in den Feuerschein. Seine Waffen stecken in den Holstern. Ruhig wartet er und sieht den Banditen an. »Sie waren zu dritt und hatten ihre Chance. Cross ist nur betäubt«, murmelt er. Eine der gefesselten Gestalten, die etwas entfernt hinter dem Feuer liegen, bewegt sich und richtet sich mühsam in Sitzstellung auf. Dan wirft einen schnellen Blick hinüber. Er erkennt den weißen Haarschopf von Ike Graham und wendet sofort wieder seine ganze Aufmerksamkeit dem Banditen zu, der sich immer noch nicht entschlossen hat. »Wie willst du es haben, Steve?«, fragt Dan hart. Bevor Steve antworten kann, ruft Ike Graham herüber: »Vorsicht, Saturday! Der verdammte Indianer ist auch noch im Spiel – aah, hinter Ihnen, Satur…« Dan lässt sich fallen. Ein schweres Wurfmesser zischt an seinem Ohr vorbei. Er hofft, dass die Rothaut kein zweites Messer zur Verfügung hat und reißt liegend die Waffe heraus. Er schafft es noch rechtzeitig und drückt eine kleine Idee früher ab als Steve.
Dann wälzt er sich schnell auf den Rücken. Zu seinen Füßen taucht eine hohe Gestalt auf. Im Feuerschein erkennt Dan das verzerrte Gesicht eines Apachenindianers. Die Rothaut ist jedoch wie ein Cowboy gekleidet. Sie hechtet mit vorgestreckten Händen auf Dan – und Dan streckt der Rothaut den Coltlauf entgegen. Der Schuss kracht dumpf, denn die Mündung bohrte sich tief in den Magen des Angreifers. Dan wälzt den zuckenden Körper von sich hinunter und richtet sich langsam auf. Ein bitteres Gefühl ist in ihm. Revolvermann, denkt er, ich bin wirklich ein Revolvermann und dazu verdammt, immer wieder auf die rauchige Art … »Saturday!«, ruft Ike Graham ihn an und reißt ihn somit aus seinen bitteren Gefühlen und in die Wirklichkeit zurück. Er setzt sich in Bewegung, steigt über Steve hinweg, geht um das Feuer herum und kniet neben Ike Graham nieder. Als er mit dem Messer die Fesseln durchschneidet, keucht Ike Graham verzweifelt. »Aaah, Saturday, diese Hunde! Die Rothaut hat uns in eine Falle geführt und war mit den Banditen im Bunde. Tom hielt Wache, und die Rothaut stach ihn nieder. Dann kamen die Schufte über uns. Wir kämpften. Bob ist schwer angeschossen, und Bill kam nicht schnell genug
aus den Decken. Sie haben ihn mit dem Gewehrkolben …« »Schon gut, Graham. Was ist mit Ihnen?« »Mir fehlt nichts!« »Dann kümmern Sie sich um Ihre Söhne. Ich muss noch einmal weg. Oben ist noch ein betäubter Bandit!« Dan eilt davon. Wenige Minuten später erreicht er sein Pferd. Es steht ruhig auf dem Fleck. Daneben erwacht der zusammengeschlagene Bandit soeben aus seiner Bewusstlosigkeit. Dan nimmt das Lasso und fesselt ihn. Er wirft ihn über den Sattel und führt das Pferd zum Feuer hinunter. Ike Graham kauert neben seinem verletzten Sohn. Bill Graham steht schwankend neben dem Feuer und hält sich mit beiden Händen den Kopf. Dabei stöhnt er immer wieder: »Tom ist tot! Tom ist tot! Aaah, in meinem Schädel ist etwas geplatzt!« Er bricht wieder in die Knie. Dan muss schnell vorspringen und ihn zurückreißen. Bill wäre sonst ins Feuer gefallen. Dan untersucht ihn und kommt zu der Erkenntnis, dass der junge Riese eine schwere Gehirnerschütterung hat. In einer Satteltasche findet er ein altes Hemd. Er macht es unter einer Wasserflasche nass und bindet es dem Bewusstlosen um den Kopf. Mehr kann er für Bill Graham nicht tun. Er geht zum Alten hinüber und kniet neben ihm nieder.
»Was ist mit ihm?«, fragt er. »Das ist Bob«, murmelt der Alte heiser. »Er hat einen schweren Schulterschuss abbekommen. Das Ausschussloch ist so groß wie meine Faust. Er hat mächtig viel Blut verloren. Diese Hundesöhne wollten ihn nicht einmal verbinden. Aaah, warum hat sich Tom nur von dieser verdammten Rothaut überraschen lassen, während wir schliefen? Nun ist Tom tot, Bob und Bill sind für lange Zeit erledigt – und ich … ich muss mich jetzt entscheiden, ob ich …« »Sie brauchen sich gar nicht zu entscheiden«, unterbricht ihn Dan ruhig. »Sie bleiben bei Ihren Söhnen. Bill wird in einigen Tagen wieder klaren Kopf bekommen. Er hat eine Gehirnerschütterung und braucht nichts anderes als Ruhe und Schlaf. Bereiten Sie Ihren Söhnen bequeme Lager. Decken und alle anderen Dinge sind genügend vorhanden. Später können Sie mit Bill den verwundeten Bob langsam nach Gold Creek zurück …« »Und Bell? Was soll mit meinem Mädel werden? Ich muss doch jetzt, wo es keine andere Möglichkeit mehr gibt, mit der Bande verhandeln! Ich kann Bell retten, wenn ich der Bande meinen Claim gebe! Und ich werde es tun! Narren waren wir! Wir wollten Bell mit Gewalt befreien und die ganze Bande in Stücke schlagen. Aaah, wie Greenhorns sind wir in eine Falle gerannt und haben uns schlafen gelegt!«
»Man hat Bell geraubt, um euch in die Berge zu locken«, murmelt Dan. »Der Indianer und dessen ganze Familie haben ihre Rollen gut gespielt. Die Bande hatte einige Leute auf ihrer Fährte zurückgelassen. Die Kerle machten euch unschädlich, bevor ihr ernstlich etwas unternehmen konntet. Graham, Sie können auch mit einer Überschreibung Ihres Claims nicht das Leben Ihrer Tochter retten. Wenn die Bande das Schriftstück in den Händen hat, lässt sie keine Zeugen am Leben. Vielleicht würden sie notfalls auch eine Urkunde fälschen. Wer kennt in Gold Creek schon Ihre Unterschrift, Graham. Kümmern Sie sich um Ihre Söhne! Ich hole Ihr Mädel und …«
15 Dan Saturday ritt noch die halbe Nacht bis zum Morgengrauen. In einer bewaldeten Hügelfalte fand er eine kleine Lichtung, band sein Pferd an das lange Lasso, rollte sich in die Decken und schlief genau elf Stunden. Als er sich erhob, war es später Nachmittag. Er kochte sich ein Essen und aß so viel wie drei normale und gesunde Männer. Dann legte er sich bis zum Einbruch der Dunkelheit noch einmal lang. Er ritt die ganze Nacht und arbeitete sich bis an eine Meile an den Black Peak heran. Vor Anbruch des Tages suchte er sich ein Versteck und fand es zwischen einer Felsengruppe am Fuß eines spitzen Hügels. Nun ist es Mittag. Dan Saturday liegt auf der felsigen Kuppe des Hügels. Ein Riesenfelsen, wie ein Kirchturm geformt, steht hinter ihm und beginnt nach Osten zu einen Schatten zu werfen, der von Stunde zu Stunde länger wird. Vor ihm ragt der Black Peak gen Himmel. Die glatte Felswand der Mesa fällt vom Fuß des Black Peaks noch achthundert Fuß in die Tiefe. Schluchten, Kessel und tiefe Spalten sind dort unten. In Luftlinie sind sie kaum eine halbe Meile
weit entfernt. Dan beobachtet sie schon stundenlang. Einmal sah er zwei Reiter aus einer Schlucht kommen und nach Norden reiten. Wenig später hörte er drei Gewehrschüsse. Er brauchte nicht lange zu warten, denn bald kamen die Reiter zurück. Einer hatte einen Rehbock hinter dem Sattel. Um die Mittagszeit glaubte Dan leichten Rauch zu sehen. Die Stunden vergehen. Die Sonne beendet langsam ihre Bahn. Dan Saturday macht sich zum Abstieg fertig. Er kennt die Lage des Banditen-Camps ziemlich genau. Ysabel Graham sitzt ruhig vor der rohen und primitiven Blockhütte, deren Ritze und Spalten nicht einmal verschmiert sind. Sie ist viel zu stolz, um den Kerlen ihre Angst zu zeigen. Und sie weiß mit dem feinen Instinkt einer Frau, dass sie ganz und gar verloren ist, wenn sie diesen verkommenen Hundesöhnen ihre Hilflosigkeit deutlich macht. Unter der Bande gibt es keinen Burschen, der noch einen Funken Mannesstolz und Ritterlichkeit in sich hätte. Ysabel weiß, dass es in diesem Land eine Menge Banditen gibt. Und
sie weiß auch, dass diese Bande von allen Banditen die verkommenste Auslese ist. Denn sonst hätten diese Kerle nicht ein sauberes Mädchen entführt. In diesem Land, wo Frauen und Mädchen auf eine besondere Art respektiert, verehrt und geachtet werden, ist eine Entführung das allerschlimmste Verbrechen. Selbst wirklich schlimme Burschen schrecken davor zurück. Es muss wirklich eine Bande der allerschlimmsten Sorte sein, die solch eine Sache wagt. Oder ist die Aussicht auf viel Gold der Grund, dass diese Männer auch den letzten Rest von Vernunft, Manneswürde, Stolz und gewissen Grundsätzen, die auch in manchem schlimmen Burschen noch vorhanden sind, einfach wegwarfen? Das muss es sein. Sonst hätte Jake Snow keine Helfer für diese Art von Arbeit gefunden. Außer Jake Snow befinden sich noch vier Mann im Camp. Zwei weitere Leute überwachen die Zugangsschluchten. Die Bande hat in diesen Tagen zwei Blockhütten, ein Schutzdach für den Koch und zwei Corrals gebaut. Als Jake Snow mit Ysabel eintraf, war alles schon fertig. Das Mädchen sieht Jake Snow kühl und ruhig an, als dieser sich mit zwei Blechtellern nähert.
»Da ist das frühe Abendessen, Mädel«, sagt er sanft und reicht ihr einen Teller und einen Löffel. Die Sanftheit seiner Stimme täuscht jedoch. Ysabel sieht den seltsamen Ausdruck in seinen Augen – und weiß ihn richtig zu deuten. Wieder verspürt sie eine Furcht in sich aufsteigen. Wenn er mir etwas antun würde, würde ich wahnsinnig werden, denkt sie voller Not und wendet all ihre Energie auf, um ruhig und kühl zu bleiben. Als sich Jake Snow mit seinem Teller neben sie auf die Bank setzt, sagt sie hart und schroff: »Ich habe Sie nicht aufgefordert, mir Gesellschaft zu leisten. Mir wäre es lieber, wenn ein wirkliches Stinktier neben mir sitzen würde – nicht eines, das wie ein Mann aussieht. Lassen Sie mich allein!« Ruhig löffelt sie die dicke Bohnensuppe und freut sich, dass ihre Hand nur leicht zittert. Jake Snow zuckt zusammen und starrt sie mit verkniffenen Augen an. Sein hageres Gesicht zuckt. »Wie stolz bist du eigentlich, Mädel«, schnappt er plötzlich, »he, wie stolz bist du eigentlich?« Er wartet gar nicht auf Antwort, sondern spricht weiter: »Du hast immerhin nur zwei Möglichkeiten, Mäuschen. Wenn du dich für mich entscheidest,
habe ich einen Grund, dir die anderen Burschen vom Leib halten zu können. Aber wenn du …« »Schweigen Sie – Sie Schuft! Wie gemein und verkommen sind Sie eigentlich, Snow! Gibt es auf dieser Welt überhaupt noch ein Wesen, welches …« »Nun aber Schluss damit, Girl! Was weißt du schon davon, wie schnell es mit einem Mann bergab gehen kann? Ich kenne eine Menge Mädel, die sich an deiner Stelle anders benehmen würden. Was erhoffst du dir eigentlich noch? Deine Lage ist ohne Chance. Ich bin immerhin für dich noch das kleinere Übel!« Sie löffelt ruhig weiter und schluckt den Bohnenbrei hinunter. Sie möchte sich viel lieber auf ein Lager werfen und ihre Not nur so herausschluchzen. Sie möchte keinen Bissen essen. Aber sie zwingt sich dazu. Ihr Verstand sagt ihr, dass sie sich gerade jetzt bei Kräften halten muss. Und Jake Snow darf keine Schwäche an ihr erkennen. Deshalb löffelt sie scheinbar ruhig und erweckt den Anschein, als äße sie mit richtigem Appetit. »Snow«, sagt sie kühl und ruhig und vermeidet jedes Zittern in ihrer Stimme, »Snow, ich habe Ihnen schon gesagt, was Sie und die anderen Männer dieser Bande sind. Nun will ich Ihnen sagen, was Ihnen passieren wird. Ich bin zwar nur ein einfaches Mädchen wie tausend andere auch.
Aber meine Entführung wird in die Geschichte des Westens eingehen. Man wird noch in fünfzig Jahren darüber sprechen – nicht wegen mir und weil ich zufällig Ysabel Graham heiße. Man wird darüber noch den Kindern erzählen, weil die Mädchenräuber sauber nebeneinander aufgehängt wurden, Stück für Stück und Mann für Mann. Vielleicht wird man sich aber auch erzählen, dass man sich mit ihnen gar nicht die Mühe des Aufhängens machte und sie einfach in Stücke schoss, bis kein Leben mehr in ihnen war. Snow, Sie und Ihre Kumpane haben eine Sache gemacht, für die …« »Halt’s Maul!«, brüllt Snow los und schlägt ihr den Handrücken ins Gesicht. »Jetzt werd’ ich’s dir zeigen, du stolzes Biest!«, brüllt er weiter, springt auf, wirft den Teller weg und greift mit beiden Händen nach ihr. Sie wehrt sich, aber er ist natürlich viel stärker. Halb trägt und halb schleift er sie zur Tür der Hütte. Und in diesen Sekunden verliert sie ihre Fassung, ihre kühle Selbstbeherrschung und ruft voller Not und Angst mit gellender Stimme um Hilfe. Unter dem Schutzdach sitzen die anderen Kerle um den selbst gemachten Ofen und kauen ihr Essen. Sie erheben sich, sehen sich die Sache grinsend an, und einer ruft etwas herüber. Ysabel kann es nicht verstehen, denn sie ruft immer
wieder um Hilfe. Eine panische und verzweifelte Angst kommt in ihr zum Ausbruch und macht sich in verzweifelten Hilfeschreien Luft. Plötzlich taucht neben ihrer Wange eine geballte Faust auf und stößt mitten in Jake Snows verzerrtes Gesicht. Sie ist plötzlich frei, taumelt gegen den Türpfosten und sieht, wie Snow zurückspringt und nach den Colts greift. Sie erkennt auch den erschreckten Ausdruck in seinem Gesicht. »Saturday!«, brüllt Snow und zerrt taumelnd die Waffen heraus. Er bekommt sie nicht einmal aus den Holstern. Neben Ysabel steht ein großer Mann und beginnt unwahrscheinlich schnell zu schießen. Alle Kugeln klatschen in Snows taumelnden Körper, stoßen ihn zurück, immer weiter, bis er auf den Rücken fällt und die Beine hochwirft. »Nun springen Sie schon in die Hütte!«, ruft Dan Saturday ihr zu und schießt nun aus beiden Colts zu den anderen Kerlen hinüber. Diese sind einige Sekunden wie erstarrt. In der Dämmerung haben sie Dan Saturday wohl auch nicht sofort erkannt. Vielleicht hielten sie ihn für einen der beiden Wachposten. Und sie haben auch nicht genug Zeit, um sich über sein überraschendes Auftauchen zu wundern. Erst Dans Schüsse bringen sie in rasende Bewegung.
Heulend spritzen sie auseinander, werfen sich in Deckung und beginnen ihrerseits zu schießen. Ein Mann aber taumelt nur noch wenige Schritte, fällt über den Herd, reißt diesen um und spürt nichts mehr von den herausschießenden Flammen. Instinktiv taumelt Ysabel in die Hütte. Dan folgt ihr rückwärts gehend und dabei aus beiden Waffen schießend. Mit einer schnellen Fußbewegung wirft er die Tür zu, steckt die Waffen weg und legt den Querbalken vor. Er holt die Waffen jedoch sofort wieder heraus und beginnt sie neu aufzuladen. Dabei sieht er Ysabel an. Im Raum ist es sehr dunkel. Er kann nur ihr schreckensbleiches Gesicht und ihre geweiteten Augen sehen, die im Halbdunkel wie die einer Katze leuchten. »Sind Sie in Ordnung, Mädel?«, fragt er kurz und hastig. »Ja.« Er hat seine beiden Waffen wunderbar schnell geladen und tritt seitlich neben das Fenster. Eine halbe Sekunde später schießt er auch schon. Draußen brüllt ein Mann auf. Dan verlässt das Fenster und eilt zur Rückwand. Er findet einen fingerbreiten Spalt zwischen den Stämmen und späht hindurch. Plötzlich schiebt er den Coltlauf hindurch und schießt zweimal.
Ein Fluch und einige Schüsse sind die Antwort. Eine Kugel pfeift durch einen Spalt und quer durch den Raum. Sie schlägt in die Tür. »Miss Bell, haben wir einen Spaten, eine Hacke oder wenigstens eine Axt in dieser Hütte?« »Nein, nichts, Dan Saturday!« »Hier, nehmen Sie mein breites Messer. Lockern Sie damit den festgestampften Boden auf. Wühlen Sie sich wie ein Maulwurf in den Boden. Schnell, Bell! Die Bande wird bald Verstärkung bekommen. Ich habe Reiter in der Schlucht gehört. Es sind zu viele Spalten und Ritzen in den Wänden!« Er eilt an ihr vorbei, gibt ihr das Messer und stellt sich wieder neben dem Fenster auf. Einige Sekunden später kracht einer seiner Colts. Nun antworten Gewehrschüsse. Die Kugeln summen durch das Fenster und bohren sich klatschend und splitternd in die Stämme der gegenüberliegenden Wand. Dann ist es still. Doch die Stille währt nicht lange. Hufschläge trommeln heran. Einige Reiter jagen wie dunkle Schatten in einiger Entfernung an der Hütte vorbei und biegen hinter dem Schutzdach ein. Dan schießt nicht. Er steht bewegungslos neben dem Fenster und lauscht in die zunehmende Dunkelheit hinaus. Jemand hat den auseinandergefallenen Ofen unter dem Schutzdach gelöscht.
»Hölle! Was ist denn bei euch los?«, brüllt eine Stimme. Und eine andere Stimme, die vor Wut nur so schrillt, erwidert: »Gut, dass ihr kommt! Dan Saturday ist da. Er hat Jake Snow fast in Fetzen geschossen und hat sich mit dem Graham-Mädel in der ersten Hütte verschanzt. High Joe ist auch erledigt, und Leftys Schlüsselbein ist zerschmettert! Hölle, wie konnte er nur unbemerkt hier eindringen?« Dann ist es wieder still. Minuten vergehen. Dan lauscht und geht einmal auf die andere Seite hinüber. Als er wieder zum Fenster tritt, sieht er eine lange Reihe Maultiere vorbeiziehen und noch drei oder vier Reiter. Da weiß er – und er hat es schon vom Schluchtrand aus im letzten Tageslicht gesehen –, dass der Bande der Überfall auf den Goldtransport geglückt ist und dieser Trupp die Beute ins Camp gebracht hat. Aber bei diesem Trupp sollte eigentlich auch Slim Hackett sein. Er wendet sich halb um. »Geht es, Bell?« »Ja, Dan. Der Boden wird immer weicher. Ich kann schon mit meiner Waschschüssel schaufeln.« »Häufen Sie rings um das Loch einen Wall auf, Bell. Ich kann Ihnen leider nicht helfen.« »Ich weiß, Dan, ich weiß! Oh, Dan, ich hatte schon keine Hoffnung mehr. Es war schlimm.
Diese Männer sind schlimmer als wilde Wölfe. Dan, ich habe Sie vor Tagen beleidigt. Ich war ungerecht. Es muss doch Revolverleute geben, die mit diesen Wölfen aufräumen! Das habe ich in den letzten drei Tagen klar erkannt. Dan, warum sind Sie hier?« Sie hält erst jetzt in ihrer Arbeit inne. Ihre Augen leuchten groß und grün in der Dunkelheit. »Es werden noch mehr Männer kommen – wenn wir nur aushalten«, murmelt er heiser. »Aber Sie, Dan, waren zur Stelle, als meine Not am größten war. Es hätte Ihr Tod sein können. Dan, ich denke, dass wir diese Nacht nicht überstehen. Sie … Sie … haben sich wegen mir …« »Ich hätte es für jedes andere Mädchen auch getan!« »Das weiß ich, Dan. Ich bin sehr froh, dass es Männer gibt wie Sie. Ich habe auch keine Angst mehr – nicht vor dem Tod. Dan, ich möchte dieser Bande da draußen nicht lebend in die Hände fallen.« »Das werden Sie nicht, Bell«, murmelt er leise, aber fest und hart. »Ist das Loch tief genug?« Er wartet nicht auf Antwort und beginnt wieder aus dem Fenster zu schießen. Schnell wechselt er seinen Standort, läuft zur Rückwand der Hütte und feuert durch einen Spalt.
Draußen krachen viele Gewehre. Einige Kugeln pfeifen durch den Raum und klatschen in die gegenüberliegenden Wände. Das Mädchen arbeitet wie besessen. Mit dem Messer lockert sie das Erdreich, und mit der alten Waschschüssel schaufelt sie es aus dem Loch. Dan lädt seine Colts auf. Er kauert in der Ecke und lauscht auf die Schüsse. Um Ysabel braucht er jetzt nicht mehr zu bangen. Das Mädchen hat ihre kühle Ruhe wiedergefunden. Überdies liegt sie in einer Mulde, ist von einem Erdwall umgeben und kann von den Kugeln kaum getroffen werden. Die Banditen müssten schon vom Dach aus senkrecht in den Raum schießen. Als Dan daran denkt, richtet er seine Aufmerksamkeit nach oben. Es ist dunkel. Er kann das Hüttendach nicht sehen. Aber er weiß, dass es sicherlich mit Baumrindenstücken gedeckt ist. Und in einer Pause zwischen den Schüssen hört er ein leises Scharren und spürt eine leichte Erschütterung. Verdammt, die sind an die Hütte herangekommen und klettern aufs Dach. Ich hätte eine Axt haben müssen. Dann hatte ich auf jeder Seite eine Schießscharte in die Wand schlagen können!
Er bewegt sich durch den Raum und gleitet neben Ysabel in die Mulde. Neben ihr legt er sich auf den Rücken. Die Mulde ist eng. Er fühlt ihren Körper an seiner Seite. »Was ist, Dan?«, flüstert sie in sein Ohr. Er spürt ihren warmen Atem an seiner Wange. Und plötzlich dreht er den Kopf. Er findet ihren Mund, und ihre Lippen sind etwas feucht und warm. Sie erwidert seinen Kuss. Es war nur ein kurzer Moment. Er richtet seine Aufmerksamkeit sofort wieder nach oben. Ysabel schmiegt sich dicht an seine Seite. Er fühlt ihren Pulsschlag und spürt ihre Atembewegungen. Sie sprechen kein Wort, denn sie beide wissen, dass es nun schlimm werden und dieser Kuss den Abschied voneinander bedeuten kann. »Vielleicht wird diese Mulde unser Grab«, flüstert sie plötzlich. Aber ihre Stimme ist nicht verzweifelt. »Sei still, Liebes«, haucht er zurück. Mit angezogenen Beinen liegt er auf dem Rücken und hält die Mündungen seiner Colts nach oben gerichtet. Dann geht es schnell. Ein Stück Baumrinde fällt herunter. Dan sieht oben einen helleren Fleck, der sich sofort wieder verdunkelt. Er weiß, dass die Kerle auf dem Dach ein Loch gemacht haben und ihre Waffen durch dieses Loch in den Raum halten. Zugleich
erklingt vom Fenster her ein Geräusch. Eine Schrotflinte kracht zweimal hintereinander. Die Feuerblitze erhellen den Raum, und die Schrotkugeln prasseln überall gegen die Wände. Dan schießt aus beiden Colts. Er liegt nur auf dem Rücken, hat die Ellenbogen auf den Boden gestemmt und die Waffen nach oben auf die Stelle gerichtet, wo er für eine halbe Sekunde den helleren Fleck im Dach erkannte. Es ist ein Krachen, ein Aufblitzen und ein ständiges Dröhnen. Pulverdampf beißt in die Nase. Bell muss neben ihm niesen. Oben brüllen zwei verschiedene Stimmen. Ein Gewehr fällt in den Raum – und dann noch ein schwerer Gegenstand, wahrscheinlich ein Colt. Schwere Körper wälzen sich auf dem Dach. Rindenstücke fallen herunter. Das Brüllen des einen Mannes bricht jäh ab. Neben der Hütte wuchtet ein schwerer Körper zu Boden. Dan richtet sich etwas auf und jagt die drei letzten Schüsse auf das hellere Viereck des Fensters. Dann legt er sich neben Ysabel in die Mulde zurück und lädt seine Waffen neu. Es sind seine letzten Patronen. Die Schlaufen in seinem Waffengurt sind nun alle leer. Die Belagerer schießen mit ihren Gewehren von allen Seiten auf die Hütte. Die Geschosse pfeifen kreuz und quer durch den Raum. Die
Angreifer befinden sich an allen Seiten so dicht an der Hütte, dass sie die Mündungen ihrer Gewehre in die Spalten zwischen den Stämmen drücken können. Es ist eigentlich ein Wunder, sich bei diesem Kreuz- und Querfeuer nicht gegenseitig zu verletzen. Ohne die Mulde, in der sie liegen, wären Ysabel und Dan längst tot oder schwer verwundet. Plötzlich krachen schwere Schläge gegen die Tür. Die Kerle benutzen einen schweren Rammbalken. Beim dritten Stoß springt die Tür aus den Angeln, wird herausgerissen und fällt in den Raum hinein. Dan hebt leicht den Kopf und feuert zwei Schüsse in das hellere Türviereck. Ein Mann flucht schmerzvoll. Dann wird es still. Nach einer ganzen Weile ruft eine wilde Stimme draußen: »Die müssen sich irgendwie ‘n Loch gegraben haben! Wie könnten sie sonst noch am Leben sein? He, Mädel! Komm raus! Wir machen es jetzt mit Feuer. Wir brennen die Hütte ab! Lass das Mädel raus, Saturday! Oder willst du sie mit in die Hölle nehmen?!« Kaum ist die Stimme verstummt, da presst sich Ysabel noch dichter an Dan. Sie wirft einen Arm über seine Brust, und ihre Stirn berührt seine Wange.
»Ich gehe nicht hinaus, Dan – ich bleibe bei dir. Ich gehe nicht. Und du wirst mich auch niemals hinausschicken!« »Bell, schon in der nächsten Minute kann Hilfe eintreffen. Bevor ich die Wächter dieses Camps erledigte und den Kampf begann, habe ich Chet Doobyrne und zwölf Reiter von der Wells & Fargo in die Zugangsschlucht reiten sehen. Sie müssen bald hier eintreffen. Längst haben sie die Schüsse gehört. Geh hinaus, Bell. Du wirst gerettet werden. Wenn sie die Hütte anbrennen, bist du bestimmt verloren!« »Und du? Soll ich dich hier …« »Wenn du draußen bist und sie dich aus dem Schussbereich bringen, kann ich für mich selbst sorgen. Ich habe noch zehn Schuss in meinen Colts. Ich werde ausbrechen, bevor die Hütte brennend einstürzt und …« »Ich will nicht! Ich bleibe bei dir! Nein, ich will nicht!« »Bell, ich kann dich nicht mehr schützen. Ich muss in wenigen Minuten meinen letzten Kampf machen. Das ist so. Ich bin meinem Schicksal begegnet. Geh hinaus, Mädel. Du wirst gerettet. Willst du, dass ich wegen dir wie ein feiger Coyote im Loch hocke und mich lieber verbrennen lasse, anstatt wie ein Mann zu kämpfen? Du musst hinaus! Slim Hackett muss bei der Bande sein. Er wird dafür sorgen, dass dir vorerst nichts passiert. Und bevor sie mit mir
fertig sind, trifft Hilfe ein! Nun geh, Liebes. Was nützt es, wenn wir beide verbrennen. Lass mich meinen letzten Kampf machen. Dabei muss ich allein sein. Ich kann dich nicht mehr beschützen.« Sie wirft sich halb über ihn, presst sich an ihn und zittert am ganzen Körper. »Dan, ich liebe dich viel zu sehr, als dass ich dich in deiner Not verlassen könnte! Ich kann schießen! Gib mir einen deiner Colts, und wir beide werden gemeinsam …« Da springt er auf, reißt sie hoch und ruft mit wilder Stimme: »He, da draußen! Ich werfe sie euch hinaus! Schießt nicht auf sie! Bringt sie weg!« Und er umfasst sie von hinten und gibt ihr einen tüchtigen Stoß zur Tür. Sie kann sich nicht dagegen wehren. Sie stolpert vorwärts, fällt zu Boden und mit ihrem Oberkörper ins Freie. Als sie hochtaumelt, wird sie zur Seite gerissen. Kein Schuss ist gefallen. Dan gleitet wieder in die Mulde zurück und wartet. Von draußen ruft eine höhnische Stimme: »In Ordnung! Einer von uns bringt sie weg. Und nun werden wir dir den Vorgeschmack der Hölle bereiten! Brightman hat eine hohe Prämie auf deinen Kopf ausgesetzt. Du kannst aber auch herauskommen! Du hast die Wahl zwischen ein paar sauberen Kugeln und dem Feuer. Du bist erledigt, Saturday!« Er gibt keine Antwort.
Rings um die Hütte rufen Männerstimmen durcheinander und verständigen sich mit grimmigen Worten. Dan begreift, dass die Kerle dürres Gestrüpp heranschaffen. Bald darauf hört er das Knistern von Flammen. Es wird hell. Rauch zieht durch die Spalten und Ritze. Nur an der Vorderseite, wo sich die offene Tür und das Fenster befinden, ist kein Feuer angelegt. Er weiß, dass die Kerle im Halbkreis um die Vorderseite liegen und mit schussbereiten Waffen darauf warten, dass sich seine Gestalt im Türviereck und deutlich gegen den brennenden Hintergrund abhebt. Ich werde bis zur letzten Sekunde warten, denkt er. Wenn der Rauch am dichtesten ist, ist auch meine Chance am größten. Herrgott, wo bleibt Chet Doobyrne mit den Wells-&-FargoMännern? Kaum aber hat er den Gedankengang beendet, da krachen draußen viele Schüsse. Die überraschten Belagerer brüllen vor Schreck und Überraschung. Sie waren zu sehr mit Dan und der brennenden Hütte beschäftigt und achteten auf nichts anderes. Dan hört an den Schüssen, dass sich der Kampf bis in die weitere Umgebung des Banditencamps ausbreitet. Die Banditen haben anscheinend nach allen Seiten hin die Flucht ergriffen, um möglichst schnell aus dem Lichtschein der Flammen zu kommen.
Immer wieder ertönen die Schreie getroffener Männer. Gewehre und Revolver krachen. Männer brüllen sich kurze Verständigungen zu. Immer mehr breitet sich der Kampf aus. Dan springt mit schussbereiten Colts aus der brennenden Hütte. »Doobyrne! Doobyrne! He, Chet Doobyrne!«, brüllt er. Sofort erhält er Antwort. Chet Doobyrne kommt auf seinen krummen Beinen von den Corrals her angelaufen. »Hoiii, Dan! Wir haben sie erst einmal von der brennenden Hütte weggetrieben, damit du …« »Wo ist das Mädchen?« »In Ordnung, Dan! Slim Hackett brachte sie uns entgegen und trieb uns zur Eile an. Hast du dir vielleicht schon den Hintern verbrannt? Ha, lauf da hinüber! Dort muss sie sein!« Dan läuft davon. Hinter sich hört er noch Chet Doobyrne rufen: »Macht Gefangene, Leute! Hölle, schießt sie nicht alle ab! Wir brauchen ein paar prächtige Kronzeugen für eine nette Gerichtsverhandlung!« Dan eilt weiter und erreicht eine kleine Waldinsel. Hier stehen viele Pferde. Sie müssen dem Aufgebot gehören. »Bell! Bell! Slim Hackett!«, ruft er. »Hier, Dan, hier ist sie!«, ruft eine Stimme. Es ist Slim Hacketts Stimme.
Bell kommt aus dem Schatten der Bäume gelaufen und wirft sich in Dans Arme. »Oh, Dan! Oh, Dan! Stoß mich nie mehr wieder aus deiner Not! Ich bin fast verrückt geworden vor Angst!« Sie küsst ihn wild und fast gierig – als hätte sie ihn schon aufgegeben und plötzlich zurückerhalten. Als sie beide wieder Anteil an ihrer Umwelt nehmen, steht Slim Hackett neben ihnen und grinst zufrieden. Er hält ihnen die offene Hand hin. In der Hand liegen rote Glasperlen. »Mein Verlobungsgeschenk!« Er grinst. »Miss Bell sollte sich eine Halskette davon machen. Ohne diese Perlen hätte Chet Doobyrne nicht auf unserer Spur bleiben können. Dan, ich hätte dir nicht helfen können, aber ich wäre mit Miss Bell geflüchtet.« Ysabel Graham nimmt die Perlen. »Von ihnen hing es ab, dass die Hilfe rechtzeitig eintraf?«, fragt sie. »Ich streute sie aus – das konnte ich, denn ich ritt als letzter Mann! Chet Doobyrne hätte die Spur sonst glatt verloren und niemals dieses Camp gefunden«, erwidert Slim trocken. »Dann verdankt Dan Ihnen und diesen Perlen sein Leben. Slim, ich will Ihre Freundin sein. Und ich werde diese Kette mein ganzes Leben tragen.«
16 »Ich erhöhe um zweihundert Dollar«, knurrt Clark Brightman und grinst seine beiden Mitspieler an. Richter Wilcay Craig kneift seine scharfen Augen zusammen, streicht sich über den weißen Spitzbart und schüttelt bedauernd den Kopf. »Ich passe«, murmelt er sanft, legt die Karten weg und holt sich eine neue Zigarre aus der Kiste. Brightman sieht seinen Freund Brutus Texter an. Und dabei wird es ihm wieder einmal klar, dass dieser dunkelhaarige Mann sein einziger Freund ist. Er bekommt schon ein Doppelkinn und einen Spitzbauch, denkt er dabei. Oha, wie sich doch die Zeiten ändern. Vor wenigen Jahren noch war er ein schnell schießender Berufsspieler. Dann wurde er Makler und Viehaufkäufer. Und jetzt ist er in Gold Creek Bankier und Bürgermeister. Aber er ist mein Freund. Als ich ihn hier brauchte, war er zur Stelle. Er wird immer auf meiner Seite stehen, mag es hier in Gold Creek ausgehen wie es will. Aber Wilcay Craig ist eine Ratte. Der kippt um, wenn es gefährlich wird. Er passt zu schnell. Sein Limit ist nicht hoch genug. Und doch brauche ich ihn. »Ich erhöhe noch einmal – um fünfhundert Böcke«, grinst Brutus Texter. Seine schmale und
blauschwarze Bartbürste sträubt sich vor Vergnügen. Yeah, er liebt nichts mehr auf dieser Welt, als ein scharfes Spiel um einen hohen Einsatz, denkt Brightman zufrieden. Bevor sie jedoch die Einsätze noch höher steigern können, klopft es und der schwarze Diener des Bankiers lässt einen verschwitzten und bestaubten Reiter ein. Brightman wirft sofort die Karten hin und steht auf. Er kennt diesen Mann. Der Bursche gehörte zu Jake Snows ausgesuchten Leuten. »Was gibt es, Erbt?« »Boss, ich habe gehört, dass Sie hier beim Bankier sind«, sagt Erbt heiser. »Mann, ich will wissen, warum Jake Snow dich zu mir schickt!« »Jake ist tot – viele Burschen unserer Mannschaft hat es ebenfalls erwischt. Und die anderen sind gefangen. Ich glaube, dass ich als einziger Mann entkommen konnte.« »Hölle! Willst du wohl der Reihe nach und klar verständlich berichten?«, brüllt Brightman und stürzt auf den Mann zu, der betroffen zurückweicht. Er packt Erbt an der Brust, zieht ihn in den Lichtkreis der Lampe und knurrt: »Nun schnell und vernünftig!« »Mache ihn nicht noch verrückter«, mischt sich Brutus Texter ein. Mit einem vollen
Whiskyglas kommt er durch den Raum und reicht es dem erschöpften Reiter. »Setz dich in den Sessel da, Erbt. Trink einen Schluck und erzähle deine Geschichte«, sagt Texter ruhig und wirft dabei Brightman einen warnenden Blick zu. Erbt berichtet jetzt klar und fließend: »Als wir mit dem geraubten Gold ins Camp kamen, war dort die Hölle los. Dan Saturday war da. Er hatte Jake Snow erschossen und sich mit dem Mädel in einer Hütte verschanzt. Dann wollten wir sie beide ausräuchern. Vorher war schon eine Menge Blut geflossen. Nun, als wir ihn fast hatten, kamen Chet Doobyrne und eine Mannschaft von der Wells & Fargo Company. Sie holten sich nicht nur das Gold zurück, sondern schossen jede Gegenwehr zusammen. Sie haben auch Gefangene gemacht. Die bringen sie jetzt nach Gold Creek. Sie wollen eine große Gerichtsverhandlung abhalten. Das ist in kurzen Zügen alles. Slim Hackett war der Verräter.« Erbt verstummt und trinkt das Glas aus. Die Männer achten gar nicht mehr auf ihn. Brightman und Texter sehen den Richter an. »Craig, was werden Sie tun?«, fragt Brightman kehlig. Wilcay Craig erhebt sich. Seine Finger tasten über den Spitzbart. Und diese Finger zittern. Seine scharfen Augen flackern unruhig.
»Brightman, es sieht aus, als ob Sie erledigt wären«, murmelt er. »Sie können sich hier nicht mehr halten. Und es wird schlimmer werden als damals in Dodge. Ich kann Ihnen nicht mehr von Nutzen sein. Die Gegenparteien sind zu stark. Ich denke, wir sollten vergessen, dass wir Geschäfte miteinander machen wollten. Guten Abend, Gentlemen.« Craig setzt sich in Bewegung und will zur Tür. Brightman versperrt ihm den Weg. »So geht es nicht, Craig. Hier in Gold Creek habe ich immer noch fünfzig harte und raue Kerle zur Hand. Und wenn ich dieses Nest an allen vier Ecken anzünden muss, hier wird es keine Gerichtsverhandlung geben. Ich werde selbst mit meinen Leuten reiten, die zurückkehrende Posse erledigen und alle Gefangenen befreien. Und dann …« Er wird unterbrochen, denn der Neger lässt abermals einen Mann eintreten. Dieser Mann wartet nicht auf Fragen, sondern sprudelt seine Worte nur so heraus: »Die Hölle ist los, Boss! Der alte Graham ist zurückgekommen. Mit ihm zwei seiner Söhne. Einer ist schwer verwundet. Und sie erzählen den Diggern ihre Geschichte. Es sind schon eine Menge Digger zusammengelaufen – und es kommen immer mehr hinzu. Boss, in einer halben Stunde kommen sämtliche Digger des Gold Creek Canyons in die Stadt, darauf können Sie
wetten. Ich habe mir die Geschichte der Grahams nicht bis zum Schluss angehört. Aber ich habe gehört, dass es sich um die Entführung des Mädchens dreht und …« »Halt dein Maul!«, bellt Brightman und wirft die Arme hoch. In wilder Wut bricht er los: »Dann wird es eben einen höllischen Kampf geben und …« »Und sie werden dich lynchen«, unterbricht Brutus Texter kalt. Er tritt dicht an Brightman heran und tippt ihm auf die breite Brust. »Du hast verloren, Clark. Weißt du auch warum? Weil Dan Saturday am Leben blieb und mit ein paar hartbeinigen Freunden in diesen Canyon kam. Du hattest diese Stadt schon fast in der Tasche gehabt. Nun, wir wollen nicht darüber streiten. Du hast Fehler gemacht – viele Fehler. Und jedes Mal hast du Saturday unterschätzt. Es greift vieles ineinander. Slim Hackett war überdies auch noch ein Spitzel. Aaah, jetzt müssen wir unsere Haut retten. Zum Glück habe ich eine Menge Gold in der Bank!« Er wendet sich an den Neger, der ruhig und riesig neben der Tür steht. »Sam, spanne die sechs schnellen Pferde an den Wagen! Schnell! Stell ihn vor die Hintertür und halte die Schrotflinte bereit! Los!« Der Schwarze verschwindet.
»Kommt!«, ruft Texter den vier anderen Männern zu. »Yeah, Craig, Sie kommen auch mit!« Er geht vor ihnen aus dem Zimmer, führt sie den Gang entlang und bis in den Tresorraum. Fünf schwere Geldschränke stehen hier. Texter holt einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und öffnet einen Geldschrank nach dem anderen. »Los, tragt alles zur Hintertür. Es sind einige Zentner. Gleich kommt der Wagen. Vielleicht kommen wir bis zur Mexiko-Grenze!« »Oh, Hölle, soll ich alles aufgeben?«, keucht Brightman. »Was willst du noch aus dem Feuer reißen, Clark? Sicher, wir könnten uns vielleicht noch eine Weile halten. Aber dann hätten wir keine Chance mehr zur Flucht! Beeilt euch!« Er packt selbst mit an und trägt die erste Last zur Hintertür. Als er mit Brightman wieder in den Tresorraum kommt, steht Wilcay Craig immer noch auf dem Fleck. »Was ist los, Craig?« »Ich habe gepasst! Ich mache nicht mit!« »Du wolltest aber mitmachen, du Hund!«, brüllt Brightman und schlägt ihm die Hand ins Gesicht. Craig fällt halb über einen Tisch. »Wenn dir diese Stadt gehört hätte«, keucht Craig. »Ich habe dich für einen großen Mann gehalten – aber du bist nur ein kleiner Bandit! Ich
will mich nicht wegen deiner Fehler lynchen lassen. Noch habe ich keine Geschäfte mit euch gemacht. Das sollte erst kommen, wenn es um Grundstücke und Claims …« Weiter kann er nicht sprechen, denn Brightman packt ihn mit beiden Händen am Hals und lässt ihn nicht mehr los. Dann ist es vorbei. Wie aus einem Rausch erwacht Brightman und sieht sich wie irre um. Texter und die beiden Männer starren ihn an. »Du Narr«, sagt Texter müde, »du verdammter Narr. War das notwendig?« »Ich pfeife auf alles! Ich alarmiere meine Leute und lasse die Stadt an allen vier Ecken anzünden! Ich lasse mich diesmal nicht wie ein räudiger Hund davonjagen. Diesmal lass ich die Hölle los!« Er stürzt davon und schüttelt Texter mit einer heftigen Bewegung ab, als dieser ihn festhalten will. Er stürmt hinaus. Die beiden Männer zögern. Sie starren schließlich erwartungsvoll auf Texter. Der erhebt sich aus der Ecke, in die Brightman ihn gestoßen hat. »Dieser Narr!« Er tritt ruhig an den nächsten Tresor und räumt ihn aus. Die anderen folgen seinem Beispiel. Als sie die letzten Goldsäckchen auf den Berg neben der Hintertür werfen und Texter mit dem Koffer voll
Geld den Tresorraum verlässt, wird die Hintertür aufgestoßen. Der Neger stürzt herein. »Mastah, ich konnte den Wagen nicht …« »Nein«, sagt Chase Pence, der hinter dem Neger das Haus betritt, »so geht das nicht zu machen, Texter! Wir beobachten die Bank schon viele Tage. Wir wissen von Slim Hackett, dass Sie mit Brightman ein Herz und eine Seele sind. Aaah, da liegt ein ganzer Haufen Gold! Texter, Sie wollten doch wohl nicht Ihre geschätzten Bankkunden um das sauer …« Chase Pence bricht mitten im Wort ab und schießt. Texter, der einen kleinen Colt Derringer aus der Tasche holte, kann die Waffe nicht mehr abdrücken. Chases Kugel zerschmettert ihm die Schulter. Er richtet seinen Colt auf die beiden anderen Männer. »Na?«, fragt er. »Wir haben genug und steigen aus«, knurrt der eine. Sheriff Bud Waco und Marshal Dick Hudson kommen durch die Vordertür herein, die Brightman offen gelassen hatte. Hudson trägt seinen rechten Arm in der Schlinge und in der linken Hand einen Colt. »Ihr seid verhaftet – auch der Nigger«, sagt er kurz.
Der Sheriff verschwindet im Tresorraum. Er kommt schnell wieder zurück. »Wilcay Craig ist tot – erwürgt!«, ruft er. »Das war Brightman«, sagt einer der Gefangenen. »Legen Sie ein gutes Wort für mich ein, Sheriff, denn ich sage Ihnen jetzt, dass Brightman seine Leute aus dem Paradise Saloon holt und die Stadt an allen Ecken anzünden will.« »Das schafft er nicht!« Chase grinst. »Wir sind nämlich auch auf dem Posten und warten nur darauf, dass Brightman offen losschlägt. He, Sheriff, freuen Sie sich, dass Sie Ihre Freundschaft zu Brightman nicht vertieften und auf dem sauberen Wege blieben. Das gilt auch für Hudson. Bald wird alles vorbei sein! Hört den Lärm vor der Stadt! Die Golddigger kommen herein, um Brightman zu lynchen.« Dan Saturday ist schnell geritten – allein. Und manchmal roch er den aufgewirbelten Staub eines Reiters. Er konnte diesen Reiter nicht einholen, wusste jedoch, dass es sich um einen entkommenen Banditen handelte. Im letzten Schein der Abendsonne hat er den Mann noch einmal sehen können. Nur wenige Minuten nach dem Banditen erreicht Dan die Stadt und springt vor der Nugget
Hall aus dem Sattel. Er knickt etwas ein, denn der lange Ritt hat seine Glieder steif gemacht. Die Straße ist von vielen Lichtquellen erleuchtet und ziemlich belebt, obwohl zu dieser Tageszeit sonst viel mehr Leben im Ort ist. Auf der Veranda der Nugget Hall stehen einige Männer. Sie sind dunkel gekleidet und tragen Waffengurte. Er geht auf die Pendeltür zu, kommt in den Lichtstreifen und wird erkannt. »Saturday!«, ruft eine Stimme halblaut. Er bleibt stehen und wendet sich um. »Was?« »Chase Pence ist mit dem Sheriff und dem Marshal zur Bank gegangen. In wenigen Minuten wird in der Stadt ein Kampf ausbrechen. Die Grahams sind zurück …« Während der Mann spricht, hat sich Dan umgewendet und ist aus dem Lichtschein getreten. Seine Augen suchen instinktiv die Umgebung ab und bleiben zuletzt auf das dunkle Gebäude der Brightman Company gerichtet. Plötzlich sieht er eine massige Gestalt über den Platz laufen und auf den Paradise Saloon zuhalten. Der Saloon ist erleuchtet. Vor ihm steht eine wartende Männergruppe. Dan kommt die massige Gestalt auf dem Platz sehr bekannt vor.
Er zuckt leicht zusammen, springt vorwärts und ruft laut und sehr scharf: »Brightman! Bleib stehen, Brightman!« Die Worte gellen weit über den Platz. Brightman wirbelt herum, bevor er die Lichtbahn des Paradise Saloon erreicht. Ja, es ist Brightman, der die Bank verlassen hat und sofort in eine Seitengasse getreten ist, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Das war vorerst sein Glück, denn der Sheriff und der Marshal kamen mit einigen anderen Männern vorbei und hielten vor der Bank an. »Diese Hunde! Wenn ich besser gearbeitet hätte, würden sie nach meiner Pfeife getanzt haben«, knurrte er. Und dann wurde ihm klar, dass er sehr schnell seine Leute erreichen musste. Er hörte auch den näherkommenden Lärm der anrückenden Golddigger. Er eilte die Gasse entlang, erreichte die Hinterseite der Häuser und dann den Platz. Auf dem Platz erreichte ihn Dan Saturdays scharfer Anruf. Mit einer wilden Wut wirbelte er herum. Nun ist alles andere in ihm vergessen. Da kommt der Mann, dem er alle Niederlagen zu verdanken hat. Er stößt einen wilden Schrei aus, reißt seine Waffe aus dem Hosenbund und beginnt zu laufen. Wie ein wütender Büffelbulle stürmt er auf Dan Saturday zu.
»Dich erledige ich bestimmt noch, bevor …«, brüllt er und beginnt zu schießen. Er sieht plötzlich zwei Feuerblitze vor sich aufflammen, wird an beiden Schultern zurückgestoßen, schwankt, wankt und dreht sich um die eigene Achse. Langsam setzt er sich auf den Boden und hebt keuchend das Gesicht. Dan Saturday bleibt vor ihm stehen und sieht auf ihn nieder. »Warum – warum hast du mich nicht getötet? Aaah, du hast mir beide Schultern zerschmettert! Du willst wohl, dass mich die Digger …« »Es wird eine Gerichtsverhandlung geben, Brightman. Ich werde meine vier Claims zurückbekommen. Und alle Banditen werden Gold Creek Canyon verlassen. Wenn ein großer Mann wie du an einem Ast baumelt, bekommen alle kleinen Burschen mächtige Angst um den eigenen Hals. Brightman, ich wette mit dir, dass es morgen schon im Gold Creek Canyon nach Recht und Gesetz gehen wird – wir werden die weitere Entwicklung der Dinge fest in der Hand behalten. Erledigt, Brightman.« Dan tritt zurück und wendet sich um. Fünfhundert Golddigger kommen in die Stadt herein. Sie marschieren in dichten Reihen. Vorn sind Jim Larrymaker, Whip Dunn und Ike Graham. Dan geht ihnen entgegen.
Chase Pence kommt aus der Bank und reiht sich in das erste Glied ein. Vor Dan halten sie an. Die Masse der Männer staut sich. Dann wird es still. »Da sitzt Brightman«, zeigt er über die Schulter und spricht weiter: »Wir werden eine Jury wählen und aus Tombstone einen Richter kommen lassen. Und wir wollen allen zweifelhaften Burschen die Stadt und auch den Aufenthalt im Canyon verbieten. Aber ich denke, dass die meisten jetzt schon die Flucht ergriffen haben und nie wieder auftauchen werden. Einige, die wir erwischt haben, werden wir hängen müssen. Aber das wird für lange Zeit reichen. Bleibt ruhig, Leute. Wir brauchen nicht mehr zu kämpfen. Die großen Fische haben wir erwischt!« Er macht eine abschließende Handbewegung und tritt an Ike Graham heran, der ihn fragend ansieht. »Bell ist morgen Mittag hier – unversehrt und gesund«, sagt der zum Alten. Und dann nimmt er mit einigen besonnenen Männern die weiteren Geschicke der Stadt und des Gold Creek Canyon in die Hand. Und er ist kein Revolvermann mehr von diesem Moment an. Vielleicht ist er nie einer gewesen – nur ein harter Mann, der für seine Sache kämpfte, mit den Dingen wuchs und jetzt das Ende eines Weges erreicht hat, um auf einem anderen zu reiten.
Und es ist sicher, dass ihn der neue Weg ziemlich steil in die Höhe führen wird. ENDE