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Gilmore Girls Wie die Mutter, so die Tochter Band 1 Erscheinungsdatum: 2004 Seiten: 180 ISBN: 3802532457 Amazon-Verkaufsrang: 943 Durchsch. Kundenbew.: 4/5 Scanner: Crazy2001 K-leser: klr CCC C C C
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AAA ZZZZZ Y Y A A Z Y Y AAAAA Z Y A A Z Y A A ZZZZZ Y 2004
Dieses E-Book ist Freeware und somit nicht für den Verkauf bestimmt.
Sie treten fast immer in Doppelpack auf, sind süchtig nach Kaffee und guten Filmen und teilen einen unschlagbaren Humor: Lorelai und Rory sind nicht nur richtig gute Freundinnen, sondern auch Mutter und Tochter. Und gemeinsam eigentlich unschlagbar - ein echtes Dreamteam. Eigentlich. Wenn da nicht der Neue wäre, der Rory gehörig den Kopf verdreht hat. Und meistens ist die eigene Mutter als Freundin zwar gut, eine beste Freundin wie Lane aber auch nicht verkehrt, vor allem, wenn es um Herzensangelegenheiten geht... Das daneben noch ein Schulwechsel für Rory ansteht, macht die Sache nicht leichter. Zielstrebigkeit ruft Neider auf den Plan, und neue Freundschaften fallen auch nicht vom Himmel. Und was hat eigentlich Grandma mit der ganzen Sache zu tun? Spannungen sind vorprogrammiert.
Catherine Clark
Gilmore Girls WIE DIE MUTTER, SO DIE TOCHTER
Roman
Aus dem Amerikanischen von Antje Görnig
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Der Roman »Gilmore Girls – Wie die Mutter, so die Tochter« entstand auf der Basis der gleichnamigen Fernsehserie von Amy Sherman-Palladino, produziert von Warner Bros, ausgestrahlt bei VOX. Erstveröffentlichung bei HarperCollins Publishers, Inc. New York 2002. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Gilmore Girls. Like Mother, Like Daughter. Copyright © 2004 Warner Bros. GILMORE GIRLS, characters, names and all related indicia are trademarks of and ©Warner Bros. All Rights Reserved. ™ ©Warner Bros. (s03) © der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft Köln, 2004 Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Almuth Behrens Produktion: Wolfgang Arntz Umschlaggestaltung: Sens, Köln Senderlogo: ©VOX 2004 Titelfoto: © 2004 Warner Bros. Satz: Hans Winkens, Wegberg Printed in Germany ISBN 3-8025-3245-7 Besuchen Sie unsere Homepage: www.vgs.de
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Prolog »Wir mokieren uns über das, was später mal aus uns wird«, sagt Mel Brooks als zweitausend Jahre alter Mann auf dem Sketchalbum, das er in den Sechzigern mit Carl Reiner gemacht hat. Kennt ihr das? Egal, es ist jedenfalls zum Brüllen komisch. Kauft es, hört es, erlebt es! – Das ist ein Spruch meiner Mutter. Meine Mutter. Sie ist das, was später mal aus mir wird – und das ist gar nicht so übel, wenn man sie sich so ansieht. Eigentlich ist es sogar ziemlich cool. Meine Mutter. Manche Leute halten sie für verrückt. Ich sage immer, sie hat wahnsinnig viel Power. Ich heiße Lorelai Gilmore. Da meine Mutter jedoch genauso heißt und sie zuerst da war, hat sie die älteren Rechte auf den Namen, und daher nennen mich die Leute Rory. Der Name ist nicht unsere einzige Gemeinsamkeit. Wir mögen dieselbe Musik – Gott sei Dank! –, verabscheuen dieselben Nahrungsmittel (Avocados zum Beispiel, was ist das? Ein grausamer Scherz?), wir tauschen Klamotten, gucken uns tonnenweise Filme an, hängen rum, bringen uns gegenseitig zum Lachen… Im Grunde ist Mom meine beste Freundin. Und ich muss sagen, es ist sehr praktisch, mit der besten Freundin unter einem Dach zu wohnen. Ich weiß nicht genau, warum wir uns so nahe stehen. Vielleicht, weil sie so jung war, als sie mich zur Welt brachte. Sie ist zweiunddreißig. Ich bin sechzehn. Also sind wir quasi zusammen aufgewachsen. Jetzt würde ich
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gern sagen, dass uns am stärksten der Respekt verbindet, den wir einander entgegenbringen, aber das stimmt leider nicht. Es ist vielmehr unsere absolute Leidenschaft für Kaffee. Wir sind seine Sklaven. Wir reden sogar mit ihm. »Hey, Kaffee, wie geht es dir? Gut? Freut mich. Mir auch.« Mom sagt immer, wenn sie jemals einen Sohn bekommen sollte, müsste sie ihn Juan Valdez nennen. (Das ist der Typ in einer alten Kaffeewerbung. Fragt eure Eltern, sie werden ihn kennen!) Jedenfalls müsst ihr, wenn ihr uns mögt und Kaffee für euch ebenso wichtig ist, Luke’s Diner kennen lernen. Da gibt es den besten Kaffee weit und breit. Der Mann ist ein Genie. Und das Verrückte ist, er selbst mag überhaupt keinen Kaffee. Und auch sonst nicht viel. Aber wie verschroben er auch sein mag, meine Mutter und ich gehen jeden Tag hin. Ob es regnet, friert oder schneit oder eine Kaffeeknappheit die Preise in den Himmel treibt – uns hält nichts auf der Welt von unserer Tagesdosis des kleinen braunen Glücks ab. Gestern Morgen war es eiskalt. Ich quälte mich aus dem Bett, packte mich mit allem ein, was wärmt – abgesehen von der Tagesdecke – und machte mich auf den Weg, um mich vor der Schule mit Mom bei Luke zu treffen. Es war so kalt, dass mir die Ohren sogar innendrin wehtaten. Ich erreichte die Tür, schleppte mich mit den fünfunddreißig Pfund Wolle, die ich auf dem Körper trug, ins Lokal und fand Mom an unserem Stammplatz vor. »Hey, es friert richtig draußen«, sagte ich, als ich auf sie zuging.
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»Was brauchst du? Heißen Tee? Kaffee?«, fragte sie lächelnd. Als ich mich an den Tisch setzte, merkte ich, was ich wirklich brauchte. »Lipgloss«, entgegnete ich. Mom fing an, in ihrer riesigen schwarzen Ledertasche zu wühlen. Sie selbst sagt zwar Handtasche dazu, es kommt aber einer Einkaufstasche näher. Für mich ist das ziemlich praktisch, denn sie hat immer alles dabei. »Aha!« Sie holte ein durchsichtiges Plastiktäschchen hervor, in dem es recht chaotisch aussah, und prüfte den Inhalt. »Also, ich hätte anzubieten: mit Vanillegeschmack, Schoko, Erdbeere oder geröstete Marshmallows.« »Hast du auch einen, der nichts mit Essen zu tun hat?«, fragte ich. »Ja.« Sie nahm eine größere Kosmetiktasche zur Hand und holte einen Stift heraus. »Der da ist geschmacksneutral, aber er wechselt die Farbe, je nachdem, wie du drauf bist.« »Du liebe Güte, nicht mal RuPaul braucht so viel Make-up«, erklärte ich, als sie mir sämtliche Lipgloss-Stifte reichte. »Du bist aber schlecht gelaunt.« »Tut mir Leid. Ich konnte meine Macy-Gray-CD nicht finden, und ich brauche dringend Koffein.« »Ich habe deine CD.« Sie holte sie aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. »Diebin!«, schimpfte ich. »‘tschuldigung. Ich hole dir erst mal einen Kaffee.« Sie sprang vom Tisch auf. Während Mom an der Theke wartete, fing ich an, die Lipgloss-Stifte zu beschnuppern. Als ich
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mich für einen entschieden hatte und ihn gerade auftragen wollte, kam ein Typ mit blauem Hemd und kariertem Wollmantel auf unseren Tisch zugeschlendert. »Hey, guten Morgen!«, sagte er. »Hallo.« Ich nickte ihm zu. »Ich heiße Joey«, erklärte er. »Bin unterwegs nach Hartford. Und du?« »Bin nicht unterwegs nach Hartford«, entgegnete ich und sah ihn an. Er beugte sich vor und stützte sich auf den Tisch. »Ja, also, ich bin zum ersten Mal hier.« »Ach, du schon wieder!«, rief plötzlich meine Mutter, die hinter ihm aufgetaucht war. Ich fing an zu grinsen. Joey drehte sich um und war total geschockt. »Oh, hallo!«, sagte er verlegen. »Auch hallo! Du magst meinen Tisch wirklich, kann das sein?« »Ich wollte nur…«, stotterte er. »…meine Tochter kennen lernen«, beendete Mom den Satz und stellte sich neben mich. Joey wurde ziemlich blass. »Deine…«, setzte er an und richtete den Blick auf mich. Ich lächelte ihn an. »Bist du mein neuer Daddy?« Es hatte den Anschein, als würde Joey jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. »Wow!«, stieß er schließlich hervor. »Du siehst gar nicht so alt aus, um schon Mutter zu sein. Echt, das meine ich ehrlich!« Mom strahlte ihn einfach weiter mit einem gekünstelten Lächeln an. Joey drehte sich zu mir. »Und du siehst nicht aus wie eine Tochter.« »Das ist wirklich sehr süß von dir«, sagte Mom.
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»Danke.« »Ja, also…Tochter«, stammelte Joey. Er zeigte auf einen Typen Anfang zwanzig, der an der Theke saß. Er sah leicht blöde aus und drehte sich mit einem hoffnungsvollen Grinsen im Gesicht um. »Wisst ihr, ich bin mit einem Freund unterwegs. Und…« »Und sie ist sechzehn«, unterbrach ihn Mom. Joey nickte abrupt. Ende der Diskussion. Er hatte es plötzlich ziemlich eilig zu verschwinden. »Macht’s gut!« »Gute Fahrt!«, rief Mom ihm hinterher. Und dann zogen sie ab, die Männer unserer Träume. Zum Heulen. Bereits 2,1 Sekunden später ahmte Mom Joeys Gesichtsausdruck perfekt nach – ein neuer Rekord –, und dann konnten wir uns nicht mehr beherrschen. Jedes Mal, wenn wir uns ansahen, wurde unser Lachen lauter. Wir konnten gar nicht mehr aufhören. Es wurde so schlimm, dass uns Luke fast aus dem Lokal geworfen hätte. Ich muss sagen, es gibt nichts Besseres, als zusammen mit meiner Mutter über etwas zu lachen. (Meine Mom meint: doch, ein Paar hohe Lacklederstiefel, aber das ignorieren wir jetzt einfach mal.)
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1 Meine beste Freundin Lane Kim zieht sich immer auf dem Weg zur Schule an. Besser gesagt, sie motzt unterwegs ihre Garderobe auf. Heute Morgen zum Beispiel trug sie ein pinkfarbenes Thermo-T-Shirt, als wir uns trafen. Daran war nichts auszusetzen, aber damit war sie eben nicht Lane. Also holte sie ein Batik-T-Shirt aus ihrem großen Rucksack und zog es über das pinkfarbene. Nun sah sie nicht mehr wie ein süßes, kleines, unschuldiges Mädchen aus, sondern eher nach Woodstock ‘99. Lane macht das schon fast so lange, wie wir zusammen zur Schule gehen, seit der ersten Klasse. »Wann willst du deinen Eltern endlich sagen, dass du böse Rockmusik hörst?«, fragte ich sie, während ich ihre Jeansjacke und den Rucksack festhielt, damit sie sich umziehen konnte. »Du bist ein amerikanischer Teenager, Herrgott noch mal!« Lane schüttelte den Kopf. »Rory, so lange sich meine Eltern immer noch über diese ekelhaften Riesenportionen beim amerikanischen Essen aufregen, werde ich ausgerechnet mit Eminem wohl kaum was ausrichten können.« Wir blieben vor einem Plakat stehen, das eine >Planwagenfahrt für junge Leute< ankündigte. »Da muss ich mitmachen«, erklärte Lane und zeigte darauf, während sie ihren Mantel wieder überzog. »Bei einer Planwagenfahrt? Soll das ein Witz sein?«, fragte ich. Unser Städtchen – Stars
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Hollow, Connecticut – ist 1779 gegründet worden, ein unglaublich idyllischer Ort mit schönen alten Bauwerken und Gehsteigen mit Kopfsteinpflaster und vielen liebreizenden altmodischen Traditionen wie Planwagenfahrten zum Beispiel. »Meine Eltern wollen mich mit dem Sohn von einem Geschäftspartner verkuppeln. Er wird mal Arzt.« Lane lächelte, als sie das sagte, aber ich wusste, was für ein Albtraum all diese Blind Dates waren, die ihre Eltern für sie arrangierten. Lane warf sich den Rucksack über die Schulter, und wir setzten unseren Weg fort. »Wie alt ist er denn?«, wollte ich wissen. »Sechzehn.« Lane holte ihr schulterlanges schwarzes Haar unter dem Mantelkragen hervor. »Dann ist er vielleicht in hundert Jahren Arzt«, bemerkte ich. »Tja, meine Eltern sind eben äußerst vorausschauend«, witzelte sie. Ich lächelte. »Und mit diesem Typen musst du die Planwagenfahrt machen?« »Und mit seinem älteren Bruder.« »Nein, das ist jetzt aber wirklich ein Witz, oder?« Lane schüttelte den Kopf. »Koreaner machen niemals Witze über zukünftige Ärzte. Dann fährst du wohl nicht mit, hm?« »Nein, mir ist immer noch nicht klar, was daran Spaß machen soll, auf einer pieksenden Unterlage zwei Stunden in der Kälte zu hocken«, entgegnete ich, und wir stiegen die Steintreppe zum Eingang der Schule hoch, der Stars Hollow High.
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»Das kann ich dir leider auch nicht erklären«, entgegnete Lane. Wir gingen zu den Schließfächern, dann machte ich mich auf zu meinem ersten Kurs: amerikanische Literatur. »Wenn Sie Huckleberry Finn noch nicht zu Ende gelesen haben, können Sie die heutige Stunde dafür nutzen«, erklärte Mrs. Traister. »Wer damit fertig ist, kann jetzt schon mit seinem Aufsatz anfangen. Wie Sie sich auch entscheiden – es ist auf jeden Fall Stillarbeit angesagt!« Natürlich begann ich mit der Arbeit an meinem Aufsatz. Die drei Mädchen, die vor mir saßen, fingen an sich die Nägel zu lackieren. Na ja, jeder setzt andere Prioritäten. Ich will unbedingt auf die Harvard-Uni. Und die drei wollen in einen Tanzclub in der Nähe dieser Uni. Nach ein paar Minuten spürte ich, wie sie mich anstarrten, aber ich schrieb weiter. »Vielleicht ein Liebesbrief«, flüsterte eine von ihnen. »Oder ihr Tagebuch«, sagte eine andere. »Vielleicht auch ihre Kladde«, bemerkte das Mädchen vor mir. Sophie Larson, die neben mir saß, stand sogar auf, um einen Blick über meine Schulter zu werfen. »Es ist der Aufsatz«, erklärte sie mehr oder weniger angewidert. Die anderen starrten mich eine Weile an, dann drehten sie sich um und widmeten sich wieder ihren Fingernägeln. Ich lächelte nur und schrieb weiter über Huck.
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Mir macht es nichts aus, anders zu sein. Eigentlich gefällt es mir sogar ziemlich gut. »Hatte der Nagellack wenigstens eine tolle Farbe?«, fragte Lane, als wir nach der Schule zur ihr nach Hause gingen. »Er war mit Glitzerpartikeln«, erklärte ich. »Und er roch wie Kaugummi.« »Na, damit kann Mark Twain natürlich nicht mithalten«, frotzelte Lane. »Mom? Wir sind wieder da!«, rief sie, als wir das Haus betraten. Im Erdgeschoss führten Lanes Eltern einen ziemlich coolen Antiquitätenladen: Kim’s Antiques heißt er. Er ist voll gestopft mit Möbeln und Lampen und Glasvitrinen voller Sammlerstücke, und man kommt sich darin vor wie eine Ratte in einem Labyrinth. Daher versuchten Lane und ihre Mutter wieder einmal, sich durch abwechselnde Zurufe gegenseitig zu orten. »Wir treffen uns in der Küche!«, rief Lane schließlich. »Was?« Mrs. Kims Stimme klang gedämpft, als säße sie in einem dicken Eichenschrank. »In der Küche!«, rief ich lauter. »Wer ist da?« »Es ist Rory, Mom«, antwortete Lane. Ein gedämpftes, nicht gerade begeistertes »Oh« drang zu uns herüber. Mrs. Kim wird mich wohl nie mögen. »Wow, ich konnte die negativen Schwingungen bis hierher spüren«, sagte ich. »Ach was, hör auf damit!«, entgegnete Lane. Ich zog den Kopf ein, um einem Kronleuchter auszuweichen. »Es nervt mich eben, dass deine Mutter mich nach all den Jahren immer noch so
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hasst.« »Sie hasst dich nicht«, erwiderte Lane. »Sie hasst meine Mutter«, rief ich ihr in Erinnerung. »Sie traut unverheirateten Frauen nicht über den Weg.« »Du bist doch selbst unverheiratet!« »Ich mache mit einem zukünftigen Proktologen eine Planwagenfahrt. Ich bin ausbaufähig«, sagte Lane, als wir in die Küche kamen. »Geht nach oben!«, war Mrs. Kims Kommentar, als sie uns erblickte. Besonders warmherzig ist sie nicht, wenn ich dabei bin, und allgemein ziemlich streng und traditionsbewusst. Manchmal kann ich nicht anders, als Lane zu bedauern. Sie versteckt nicht nur ihre Klamotten vor ihrer Mutter, sogar ihre CDs muss sie unter den Dielenbrettern in ihrem Zimmer horten. »Der Tee ist fertig«, sagte Mrs. Kim. »Ich habe Muffins gebacken. Sehr gesund. Ohne Milch, ohne Zucker, ohne Weißmehl. Ihr müsst sie in den Tee stippen, damit sie weich werden, aber sie sind sehr gesund.« Ich lächelte leise. »Wie war es in der Schule?«, fragte Mrs. Kim. »Keins von den Mädchen schwanger geworden? Niemand von der Schule gegangen?« »Nicht, dass wir wüssten«, meinte Lane. »Obwohl…«, bemerkte ich, »wenn ich es recht bedenke…Joanna Posner hatte so ein gewisses…« »Was?« Mrs. Kim riss die Augen auf. Ihr schlimmster Alb träum! »Ach nichts, Mom. Das war nur ein Witz«, beruhigte Lane sie sofort.
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»Jungen mögen keine witzigen Mädchen«, erklärte Mrs. Kim, sah mich böse an und stach bei jedem Wort mit dem Zeigefinger in die Luft. »Werd ich mir merken«, sagte ich nur. Zum Glück kam in diesem Augenblick ein Kunde in den Laden und unser Gespräch war beendet. »Esst die Muffins! Die sind mit Weizenkeimlingen, deshalb halten sie nicht lange«, sagte Mrs. Kim noch. »Alles ist um die Hälfte reduziert!«, schrie sie in den Laden und eilte an uns vorbei dem Kunden entgegen. Lane und ich sahen uns wortlos an. Wir waren vor langer Zeit übereingekommen, dass es schön ist, eine beste Freundin zu haben, die weiß, was für eine verrückte Familie man hat, aber nicht ständig auf diesem Thema herumreiten muss. Am nächsten Tag ging ich nach der Schule zu Mom ins Independence Inn. Das ist das Gasthaus, wo sie arbeitet. Wir haben früher auch mal da gewohnt, im Schuppen. Das Gebäude ist echt unglaublich, sehr klassisch und typisch für Connecticut, mit den hohen weißen Säulen und der umlaufenden Veranda. Mom liebt ihre Arbeit – sie sorgt dafür, dass der Laden läuft, in jeder Hinsicht. Als ich am Empfang vorbeiging, beäugte mich der Portier Michel Gerard misstrauisch. Warum auch nicht? Das tat er bei jedem, auch bei den Gästen. Er macht seinen Job richtig gut und ist wahrscheinlich gar kein schlechter Kerl, wenn man über seine pampige Art hinwegsieht. Ich beschloss, Michel nicht zu fragen, wo Mom sein könnte. Anscheinend war er immer noch sauer auf mich, weil ich ihn am Vortag gebeten hatte,
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meinen Französischaufsatz Korrektur zu lesen. Als wenn er dafür länger als fünf Minuten brauchte! Er ist schließlich Franzose. »Mom?«, rief ich, während ich auf die Küche zuging. »Hier! Sie ist hier drin!«, rief Sookie St. James mir durch die geschlossene Tür entgegen. Sookie ist Köchin und eine der besten Freundinnen meiner Mutter. Die beiden haben sogar vor, eines Tages ihr eigenes Gasthaus zu eröffnen. Sookie ist ein großartiger Mensch, eine unglaubliche Köchin und obendrein etwas tolpatschig. Das ist an sich nichts Schlimmes, sie neigt nur dazu, sich selbst sehr oft Verletzungen beizufügen. Zum Glück nimmt sich der Rest des Küchenpersonals immer rechtzeitig der Dinge an, bevor es zu einem echten Desaster kommt. Als ich die Küche betrat, begrüßten mich Mom und Sookie mit strahlenden Gesichtern. »Euch geht es gut«, stellte ich fest. Mom lächelte mich an. Ihre Augen leuchteten richtig. »Allerdings.« »Habt ihr etwas Verbotenes angestellt?«, fragte ich. »So war das nicht gemeint«, entgegnete Mom. Sie und Sookie fingen an zu kichern. Dann hielt mir meine Mutter eine lilafarbene Geschenktüte hin. »Hier!« Ich nahm die Tüte und fing auch an zu grinsen. Ich bekomme total gern Geschenke – besonders von Mom, denn die sind meistens ziemlich gut. »Was habt ihr?«, fragte ich. Ich hatte keine Ahnung, was los war, aber so fröhlich, wie die beiden aussahen, musste es sich um eine
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Riesensache handeln. »Mach es auf!«, drängte Mom. Ich griff in die knisternde Tüte und zog einen blauweiß karierten Rock heraus. Irgendwie wollig. Mit vielen Falten. »Ich soll bei einem Video von Britney Spears mitmachen?«, platzte ich heraus. »Du gehst nach Chilton!«, krähte Sookie aufgeregt und drehte sich zu Mom um. »Oh, tut mir Leid.« Chilton? Die exklusivste Privatschule weit und breit? Die Schule, vor der am Abschlusstag Pendelbusse zu sämtlichen Eliteuniversitäten der Vereinigten Staaten warteten? Ich konnte es nicht glauben. Wie… wann? »Mom?«, fragte ich nur. Sie hielt einen Brief hoch. »Du hast es geschafft, Baby! Du bist drin!« Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ich erinnere mich nicht, sie je so glücklich gesehen zu haben. »Wie ist das möglich?« Ich war begeistert. »Du hast doch nicht… mit dem Direktor… oder etwa doch?« »Ach, Süße, das war doch ein Witz!«, sagte Mom und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es ist ein Platz frei geworden, und du fängst am Montag an«, erklärte sie. »Echt?« Ich konnte es immer noch nicht fassen. Ich auf der Chilton-Vorbereitungsschule? Das klang so offiziell, so erhaben, so… nah an Harvard. »Echt«, bestätigte Mom. »Ich kann es nicht glauben! Oh mein Gott! Ich gehe nach Chilton!«, rief ich und umarmte Mom. »Sookie, ich gehe nach Chilton!«, schrie ich
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wieder und umarmte auch sie. »Ich mache Haferflocken-Kekse«, erklärte Sookie kichernd. Wir konnten uns nicht mehr einkriegen. »Protestanten lieben Haferflocken!«, meinte Sookie. »Ich muss Lane anrufen.« Ich drehte mich um und wollte die Küche verlassen. Ich glaube, ich werde verrückt!, dachte ich und machte kehrt, um meine Mutter noch einmal stürmisch zu umarmen. Diese Nachricht war einfach unglaublich! »Ich liebe dich!«, sagte ich. »Oh, und ich liebe dich«, entgegnete sie. Ich lief aus der Küche in die Eingangshalle. Michel musterte mich, als ich nach dem Telefon griff. »Das ist das Haustelefon und nicht für Mädchen gedacht, die ihre Freundinnen anrufen wollen«, erklärte er. »Ich gehe nach Chilton!«, verkündete ich aufgeregt. Er war nicht sonderlich beeindruckt. Ich hielt den Rock hoch. »Chilton! Das ist eine sehr exklusive Privatschule«, erklärte ich. »Da kommt kaum jemand rein.« »Ist es ein Internat?« »Nein«, antwortete ich. , »Oh.« Michel klang enttäuscht. »Wie weit ist es denn entfernt?«: »Eine halbe Stunde.« »Gut, vielleicht verpasst du dann, manchmal den Bus nach Hause«, meinte er nur. Michel ist wirklich reizend.
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2 Am nächsten Abend – Mom und Sookie saßen draußen auf der Veranda und unterhielten sich – kam ich aus dem Haus, um meinen Chilton-Rock vorzuführen. Den passenden Blazer, die Hemdbluse, die speziellen Sneakers und die Krawatte musste ich noch kaufen. »Also, was meint ihr?«, wollte ich wissen. »Wow, damit siehst du richtig clever aus«, sagte Sookie. Ich sah sie prüfend an. Sie lehnte am Verandageländer, und ihr Gesicht war ganz rot. »Okay, du kriegst keinen Wein mehr«, entgegnete ich. »Mom?« »Du siehst aus, als hätte dich ein Riesenschottenrock verschluckt«, witzelte sie. »Okay, du kannst ihn kürzer machen«, sagte ich zögernd. Mom klatschte begeistert in die Hände. »Ein bisschen!«, bremste ich sie. »Nur ein bisschen!« »Okay«, entgegnete sie und wir gingen ins Haus. Sookie steuerte auf die Küche zu. Meine Mutter kann ausgezeichnet schneidern und in null Komma nichts Säume umnähen oder Reißverschlüsse einsetzen. »Ich kann gar nicht glauben, dass Freitag mein letzter Tag an der Stars Hollow High ist«, erklärte ich. »Ich weiß«, entgegnete Mom, und es klang, als könne sie es selbst nicht glauben. »Ich war den ganzen Tag so aufgeregt, dass ich sogar zum Sport gegangen bin.«
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»Im Ernst?« Das war sehr ungewöhnlich für mich. »Und ich habe Volleyball gespielt«, fügte ich hinzu. »Zusammen mit anderen Menschen?«, hakte sie ungläubig nach und holte ein Nadelkissen vom Wohnzimmertisch, während ich das Sofa ein Stück zur Seite schob, um mich darauf zu stellen. »Und weißt du, was ich dabei gelernt habe?«, fragte ich. »Was denn?« Mona fing an, den Rocksaum auf Kniehöhe nach innen zu schlagen und mit den Stecknadeln festzuheften. »Dass es sehr schlau von mir war, die ganze Zeit einen Bogen um Gruppensport zu machen, weil ich das einfach nicht kann«, erklärte ich. »Na, das hast du von mir«, entgegnete Mom lächelnd. »Wo ist denn die Pastete?« Sookie kam uns aus der Küche entgegen. »Vielleicht bei Zsa Zsa Gabor?«, meinte Mom. »Ganz genau«, bemerkte Sookie. »Ich gehe schnell mal einkaufen, ihr habt ja überhaupt nichts im Haus. Mögt ihr die mit Ente?« »Wenn da Hähnchen drin ist, auf jeden Fall«, entgegnete Mom. »Bin gleich wieder da!«, rief uns Sookie über die Schulter zu. »Bis nachher!« Mom befestigte noch ein paar Stecknadeln, dann sagte sie: »Gut, so kannst du es dir ansehen. Guck mal, ob es dir gefällt!« »Okay.« Ich sprang vom Sofa, um in mein Zimmer zu gehen. An der Treppe drehte ich mich noch einmal um. »Ich finde es klasse, auf eine Privatschule zu gehen!«
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Mom lächelte, als ich das sagte, aber sie wirkte auch irgendwie nervös. Ob sie sich Gedanken wegen der bevorstehenden Näherei machte? In meinem Zimmer stellte ich mich vor den Spiegel und betrachtete mich eingehend. Ich konnte es nicht erwarten, auf die neue Schule zu wechseln. »Und wir haben Schuluniformen«, erzählte ich Lane, als sie mir am Donnerstagnachmittag half, mein Schließfach auszuräumen. Ich nahm noch ein paar Bücher vom obersten Regalbrett, und das war’s auch schon. Nun war meine Kiste voll. »Niemand guckt danach, was für eine Jeans du trägst, weil alle gleich angezogen sind und nur ans Lernen denken«, erklärte ich. »Okay, aber zwischen intellektuell ambitioniert und Amish besteht doch noch ein gewisser Unterschied«, bemerkte Lane. Wir gingen durch den Korridor auf die große Schultür zu. Ich lächelte sie an. »Haha.« »Danke!«, entgegnete sie. »Ich habe meiner Mutter übrigens erzählt, dass du die Schule wechselst.« »Hat sie sich gefreut?«, fragte ich. »Die Party steigt am Freitag!« Lane lachte. »Oh, ich muss los. Ich bin zum Prä-PlanwagenfahrtTeetrinken mit einem zukünftigen Arzt verabredet. Wie sehe ich aus? Koreanisch?« »Koreanischer geht’s nicht!«, entgegnete ich lächelnd. »Sehr gut.« Lane klopfte auf meine Bücherkiste. »Bis dann!« »Bis dann!« Als ich mich umdrehte, um ihr hinterherzusehen, fielen ein paar Sachen von der
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Kiste herunter. Ich bückte mich, stellte sie ab und hob ein paar zerknitterte Notizblätter und ein Buch auf. Plötzlich stand direkt vor mir ein Paar Beine, und ich erschrak. »Gott, du tauchst einfach so auf wie Ruth Gordon mit der Taniswurzel! Sag doch was!« »Rosemary’s Baby«, sagte eine tiefe Stimme über mir. Ich sah auf und blickte in das Gesicht eines extrem gut aussehenden Jungen. Er war groß, mindestens einsachtzig, und hatte braunes Haar und eine lässige Frisur. Er trug eine Lederjacke und war „wirklich – wirklich! – klasse. Ich war total verblüfft, weil er die Anspielung auf Rosemary’s Baby verstanden hatte. Das war eine Revolution. »Ja«, sagte ich und richtete mich wieder auf. »Das ist ein toller Film«, sagte er mit einem lässigen Grinsen. »Du hast einen guten Geschmack.« Er warf einen Blick auf meine überfüllte Kiste. »Ziehst du um?« »Ich nicht, nur meine Bücher«, erklärte ich. »Ich bin gerade hierher gezogen. Aus Chicago«, entgegnete er. »Chicago«, wiederholte ich. Ein Stadtkind. »Da gibt’s viel Wind. Und Oprah.« »Ganz genau!«, meinte er. Ich starrte zu Boden und wusste nicht, was ich sagen sollte. Plötzlich beugte er sich vor und sagte: »Ich bin Dean.« »Hallo«, sagte ich nur. Er zog die Augenbrauen hoch, als „wolle er sagen: Fehlt da nicht noch was? Hast du nicht
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was vergessen? Aber weil mir noch nie zuvor so ein Dean begegnet war, hatte es mir kurzzeitig die Sprache verschlagen. »Oh… Rory. Ich… So heiße ich.« »Rory«, wiederholte er. »Also, eigentlich Lorelai«, erklärte ich. »Lorelai. Das gefällt mir!«, bemerkte er und lächelte immer noch. »Meine Mutter heißt auch so«, sagte ich. »Ich habe den Namen von ihr. Sie lag da so im Krankenhaus und dachte darüber nach, dass Männer ihre Namen immer nur an die Söhne weitergeben, du verstehst? Warum also nicht auch mal eine Frau? Der Feminismus ist über sie gekommen, sagt sie immer. Aber wenn du meine Meinung hören willst, glaube ich, bei der Entscheidung war auch eine Menge Demerol im Spiel.« Ich holte Luft und sah Dean an. »Sonst rede ich nicht so viel.« Und doch tat ich es – gegen alle Logik. Wir standen noch ein paar Sekunden herum, ohne etwas zu sagen. »Also dann, ich muss los«, sagte er schließlich. »Klar, natürlich«, entgegnete ich lässig. Nach so einem Vortrag würde wohl jeder das Weite suchen. »Ich will mich nach einem Job umsehen«, erklärte Dean. »Okay, super«, sagte ich. Er ging an mir vorbei zum Ausgang. »Du solltest mit Miss Patty sprechen«, rief ich ihm hinterher. »Was?« Dean drehte sich zu mir um. »Wegen dem Job! Sprich mit Miss Patty!«, sagte ich. »Sie ist Tanzlehrerin. Sie war sogar früher
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mal am Broadway«, fügte ich hinzu. Dean sah mich verwirrt an. »Ich… ich habe mit Tanzen nichts am Hut.« »Das meine ich doch gar nicht«, entgegnete ich. »Sie ist immer über alles informiert, was in der Stadt los ist. Wenn jemand Jobs zu vergeben hat, dann weiß sie das.« »Oh, das ist super.« Dean lächelte und wirkte irgendwie verlegen. »Danke.« Ich blickte wieder zu Boden, wie ich es in den letzten Minuten schon häufiger getan hatte. Dean machte kehrt und kam zu mir zurück. »Hey, was machst du denn jetzt?«, fragte er. »Nichts Besonderes.« Ich hielt die zerknitterten Zettel hoch. »Das sollte ich wohl irgendwo entsorgen.« »Hm, vielleicht könntest du mir zeigen, wo ich diese Miss Patty finde?«, bat Dean. »Ja, ich glaube schon. Ich habe gerade nichts Wichtiges zu erledigen. Gehen wir!« Dean nahm meine große Kiste mit den Büchern und Papieren, und wir verließen gemeinsam die Schule. Es war ein wunderschöner Herbstnachmittag. »Bist du hier aufgewachsen?«, fragte Dean, als wir über die Wiese vor der Schule gingen. »Ja… also… eigentlich schon«, stammelte ich. »Geboren bin ich aber in Hartford.« »Das ist ja nicht so weit weg«, bemerkte Dean. »Dreißig Minuten, wenn nicht viel Verkehr ist«, sagte ich. »Wirklich?« Er schien unheimlich interessiert, was ziemlich verwunderlich war, weil ich doch nur von Fahrtzeiten sprach.
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»Ich habe die Zeit gestoppt«, erklärte ich. »Na dann!« Dean lächelte und wir gingen weiter. »Magst du gern Kuchen?«, fragte ich, als wir an der Bäckerei vorbeikamen. »Was?« »Hier gibt es ziemlich guten Kuchen«, erklärte ich. »Der ist total… rund.« Was redete ich da überhaupt? Vielleicht sollte ich lieber den Mund halten. Er war absolut unzuverlässig geworden, und ich konnte mich anscheinend nicht mehr auf ihn verlassen. Dean lachte. »Okay, das merke ich mir.« Er war sehr freundlich, wenn man bedenkt, wie abgedreht ich ihm vorkommen musste. »Ja. Gut. Schreib es dir auf]«, sagte ich. »Du willst doch nicht vergessen, wo es die runden Kuchen gibt.« Einige Sekunden lang war es sehr still. Dann fragte Dean: »Und wie gefällt dir Moby Dick?« »Oh, ziemlich gut«, antwortete ich. Ich war sehr erleichtert, dass wir das Kuchen-Thema hinter uns hatten. »Ja?«, meinte Dean. Ich lächelte. »Ja, ist mein erster Melville.« »Cool«, fand Dean. »Ich meine, es ist zwar irgendwie klischeehaft, wenn man als erstes Buch von ihm ausgerechnet Moby Dick liest, aber…« Ich blieb abrupt stehen. »Hey, woher weißt du überhaupt, dass ich gerade Moby Dick lese?« Dean drehte sich zu mir und sah mich an. Er wirkte verlegen. »Also, ahm, ich habe dich beobachtet.«
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Was? »Mich beobachtet?«, wiederholte ich ungläubig. »Ja, schon, aber nicht, wie du jetzt denkst – nicht spannermäßig«, sagte er. »Ich… Du bist mir einfach aufgefallen.« »Ich?« Ich konnte es nicht glauben. »Ja«, gestand er. »Wann?«, hakte ich nach. Dean seufzte. »Jeden Tag. Nach der Schule kommst du raus und setzt dich unter den Baum da vorn und dann liest du. Letzte Woche war es Madame Bovary. Diese Woche ist es Moby Dick.« Ich konnte es immer noch nicht fassen. »Aber warum…?« »Weil du ein richtiger Blickfang bist«, sagte er. Es wollte mir nicht in den Kopf, wie er einfach da stehen und so etwas aussprechen konnte, ohne verlegen zu werden. »Und weil du eine unglaubliche Konzentrationsfähigkeit hast.« »Was?« »Letzten Freitag haben hier zwei Jungs Ball gespielt und einer von ihnen hat ihn mitten ins Gesicht bekommen. Es war eine Riesensauerei«, erklärte Dean. »Überall Blut! Die Krankenschwester kam raus, es war das reinste Chaos, und seine Freundin flippte völlig aus – und du hast einfach dagesessen und gelesen. Ich meine, du hast nicht mal aufgesehen! Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben gesehen, wie jemand so vertieft in ein Buch sein kann. Dieses Mädchen muss ich kennen lernen, habe ich gedacht.« Ich umklammerte nervös die Zettel in meiner
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Hand. Die Vorstellung, von Dean beobachtet zu werden, war irgendwie aufregend und toll, aber ich musste mich erstmal daran gewöhnen. »Vielleicht habe ich auch nicht aufgesehen, weil ich unglaublich egozentrisch bin«, entgegnete ich. »Vielleicht.« Dean zögerte. »Aber das bezweifle ich.« Er sah mir direkt in die Augen und lächelte. Ich konnte den intensiven Blickkontakt nicht aushalten und sah weg. Ich musste unbedingt das Thema wechseln. »Also… habe ich dich schon gefragt, ob du Kuchen magst?« Ich setzte mich wieder in Bewegung. »Ja, das hast du.« Dean kam an meine Seite. »Oh! Weil… da in dieser Bäckerei, da gibt es wirklich guten Kuchen«, sagte ich. Dean lachte nur. Er war clever, witzig und sehr, sehr süß.
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3 »Du bist spät nach Hause gekommen«, sagte Mom. Wir saßen bei Luke, stocherten in unseren Beilagensalaten und warteten auf die bestellten Cheeseburger. »Ja, ich war noch in der Bibliothek«, entgegnete ich gedankenverloren. Ich dachte über Chilton und Dean nach und darüber, dass Dean nicht nach Chilton ging. »Oh.« Auch Mom wirkte irgendwie zerstreut. Sie nahm einen Schluck Kaffee und sagte: »Ich habe ganz vergessen, dass wir morgen Abend zum Essen zu deinen Großeltern fahren.« »Tatsächlich?«, fragte ich. Meine Großeltern, das sind Emily und Richard Gilmore. Obwohl sie nur eine halbe Stunde entfernt in Hartford leben, sehen wir sie nicht oft. Daher überraschte mich Moms Aussage. »Hmhm«, machte Mom. »Aber es ist September«, bemerkte ich. »Ja und?« »Was für Feiertage gibt es denn im September?«, wollte ich wissen. Wir fahren nämlich nur an Feiertagen zu meinen Großeltern. An hohen Feiertagen. »Das hat nichts damit zu tun«, entgegnete Mum zunehmend gereizt. »Es ist einfach nur ein Essen, okay?« »Schon gut«, lenkte ich ein. »Sorry!« Weshalb war sie nur so gestresst? Da brachte Luke unsere Burger. »Von Rindfleisch kann man sterben«, sagte er und
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stellte uns die Teller vor die Nase. »Guten Appetit!« »Ich habe deinen Rock heute geändert«, sagte Mom leichthin, als Luke wieder hinter der Theke verschwand. Ich reagierte nicht. Ich dachte immer noch an Dean. Was, wenn er eine andere fand, die er bei der Moby-Dick-Lektüre beobachten konnte? Mom räusperte sich. »Ein anerkennendes Grunzen wäre nicht schlecht«, unterbrach sie meinen Gedankenfluss. »Ich verstehe nicht, warum wir morgen Abend zu Grandma und Grandpa fahren. Und wenn ich etwas vorgehabt hätte? Du hast mich nicht mal gefragt!« »Wenn du etwas vorgehabt hättest, hätte ich es gewusst«, entgegnete Mom. »Wie denn das?« »Du hättest es mir gesagt«, meinte sie. »Ich sage dir doch nicht alles! Ich habe meine eigenen… Sachen«, erwiderte ich patzig. »Schön.« Sie zuckte mit den Schultern. »Du hast also Sachen.« »Genau. Ich habe Sachen«, wiederholte ich. Mom sah mich durchdringend an. »Hey, ich habe heute Abend Anspruch darauf, die Hexe zu sein.« »Nur heute Abend?«, murmelte ich vor mich hin. Jetzt war sie wirklich sauer auf mich. »Was ist eigentlich los mit dir?«, fragte sie. »Ich bin mir nicht so sicher, ob ich nach Chilton will«, sagte ich. »Was?« Mom war total perplex.
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»Das Timing ist einfach sehr schlecht«, erklärte ich. »Das Timing ist schlecht?« »Und die lange Busfahrt nach Hartford und zurück? Das sind jedes Mal dreißig Minuten.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, was ich da höre.« »Und ich finde, wir sollten uns solche Ausgaben im Moment lieber sparen«, führte ich aus. »Ich meine, Chilton kostet doch eine ganze Menge.« »Oh, das weißt du doch gar nicht«, entgegnete Mom. »Du solltest dein Geld lieber sparen, damit du mit Sookie bald einen neuen Laden aufmachen kannst«, sagte ich, denn ich war um unser beider Wohl bedacht. Ich konnte mit Dean an der Stars Hollow High bleiben, und Mom konnte sich ihr Restaurant kaufen. »Und was ist mit dem College?«, fragte sie verwirrt. »Was ist mit Harvard?« »Ich könnte Harvard doch auch schaffen, wenn ich bleibe, wo ich bin«, erklärte ich. »Okay, genug jetzt! Schluss mit diesem unsinnigen Geschwätz!«, fuhr sie auf. »Ich weiß deine Sorge zu schätzen, aber mit dem Geld gibt es keine Probleme.« »Aber ich möchte nicht hin«, sagte ich. »Warum?«, fragte Mom. »Weil ich nicht möchte!« Weil ich gerade diesen unglaublichen Jungen kennen gelernt habe und er nicht nach Chilton geht, dachte ich. »Ich… ich muss hier raus.« Mom schob ihren Stuhl nach hinten. Sie flippte total aus, schnappte sich ihren Mantel und rannte zur Tür.
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»Wir müssen noch bezahlen!«, rief ich. Sie kam zurück und warf ein paar Scheine auf den Tisch. Ich nahm mir meinen Mantel und folgte ihr. So ein Streit kommt bei uns eigentlich nie vor – diese Chilton-Sache förderte das Schlechteste in uns beiden zutage. Plötzlich hörte ich hölzerne Wagenräder über den Asphalt klappern. Als wir auf Miss Pattys Ballettschule zugingen und die Straße überquerten, fuhr der von Pferden gezogene Planwagen an uns vorbei. Ich lächelte Lane zu, die ganz hinten auf dem Karren saß, eingekeilt zwischen ihren beiden Begleitern. Der eine muss ihr Date sein und der andere der ältere Bruder, dachte ich. Einer trug einen beigefarbenen Wollmantel mit Knebelknöpfen und der zweite einen beigefarbenen Trenchcoat. Es war alles ziemlich beige. Keiner von beiden redete mit Lane, als sie an uns vorbeifuhren, und sie sahen allesamt total unglücklich und jämmerlich aus – genau wie ich mich fühlte. Die Türen von Miss Pattys Tanzstudio standen weit offen. Sie gab gerade einer Gruppe von sechsjährigen Mädchen Ballettunterricht. »Eins, zwei, drei – eins, zwei, drei«, rief sie. »Das ist ein Walzer, meine Damen!« »Oh, Rory!« Ihr Gesicht leuchtete auf, als sie mich erblickte. »Gut, dass ich dich sehe! Ich glaube, ich habe einen Job für deinen Freund gefunden.« »Was für ein Freund?«, fragte Mom sofort. »Im Supermarkt wird eine Aushilfe gesucht«, erklärte Miss Patty. »Ich habe schon mit Taylor Doose darüber gesprochen. Schick den Jungen
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einfach morgen hin«, fügte sie hinzu und nahm einen Zug von ihrer Zigarette. »Okay«, sagte ich leise. »Danke.« »Was für ein Freund?«, fragte Mom noch einmal. »Oh, er ist wirklich süß. Du hast einen guten Geschmack«, meinte Miss Patty und lächelte mich an. Dann ging sie zu ihren Miniatur-Ballerinas zurück und rief: »Finger in die Luft, nicht in die Nase! Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei!« Ich machte mich eilends auf den Heimweg. Wenn ich schnell genug ging, konnte ich Moms unangenehmen Fragen vielleicht ausweichen. Aber sie heftete sich umgehend an meine Fersen. »Da musst du noch viel schneller laufen! Du müsstest so schnell laufen wie Griffith-Joyner, wenn du mir entkommen willst!«, rief sie mir hinterher. Als ich zu Hause ankam, knallte ich die Haustür hinter mir ins Schloss. Aber Mom war auch schon da und öffnete sie wieder. »Es geht also um einen Jungen«, sagte sie und knallte die Tür zu, genau wie ich es zuvor getan hatte. »Natürlich! Nicht zu fassen, dass ich es nicht gemerkt habe! Das ganze Gerede über das Geld und die lange Busfahrt. Du hast was mit einem Jungen laufen, und deshalb willst du die Schule nicht wechseln!« Ich packte alle Bücher und Blöcke, die ich auf dem Sofa gelassen hatte, in meinen Rucksack. »Ich gehe schlafen«, sagte ich nur. Ich wollte dieses Gespräch nicht. »Gott, bin ich blöd!«, schimpfte Mom weiter. »Das hätte ich mir gleich denken müssen!
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Schließlich bist du genau wie ich!« »Bin ich nicht!«, erwiderte ich, drehte mich um und versuchte, mich an ihr vorbei in mein Zimmer zu verdrücken. »Tatsächlich? Du willst dir eine tolle Chance im Leben durch die Lappen gehen lassen, um mit einem Jungen zusammenzusein!«, sagte Mom. »Das klingt für meinen Geschmack sehr nach mir!« »Wenn du das sagst«, entgegnete ich. Endlich war ich an ihr vorbei und lief auf mein Zimmer zu. »Wer ist es denn?«, fragte Mom und kam mir hinterher. »Niemand«, entgegnete ich. »Dunkles Haar? Schöne Augen? Sieht ein bisschen draufgängerisch aus?«, zählte sie auf. »Das Gespräch ist beendet!« »Tattoos sind auch gut!«, rief Mom mir nach. Ich drehte mich im Flur um. »Ich will die Schule nicht wechseln – und zwar aus den Gründen, die ich dir schon tausendmal genannt habe. Wenn du mir nicht glaubst, ist das dein Problem. Gute Nacht!« »Hat er ein Motorrad?«, schrie Mom. »Wenn du nämlich dein Leben wegwerfen willst – das geht mit einem Motorrad besonders gut!« Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür. Ich wollte nicht darüber reden. Dean begegnet zu sein war eine überraschende, aufregende Sache. Und nun redete Mom plötzlich über ihn, als wäre er ein übler Ganove, der mich in seine Höhle locken wollte. Ein paar Minuten später, als ich mich fürs Schlafengehen fertig machte, ging
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meine Tür auf. »Das eben ist blendend gelaufen, findest du nicht?«, fragte Mom und kam herein. »Danke, dass du angeklopft hast!«, gab ich zurück und warf meinen Sweater aufs Bett. »Hör mal, können wir nicht noch mal von vorn anfangen?«, bat sie. »Okay? Du erzählst mir von dem Jungen, und ich verspreche, ich gehe nicht in die Luft.« Ich setzte mich schweigend auf die Bettkante und schnürte meine Stiefel auf. »Rory, bitte rede mit mir!«, bat Mom und setzte sich ans Fußende. Aber ich wollte nicht mit ihr reden. »Okay, dann rede ich eben! Ich will nicht, dass du mich falsch verstehst. Jungs sind super! Ich bin ein großer Fan von Jungs. Man wird schließlich nicht mit sechzehn schwanger, wenn einem Jungs egal sind«, sagte sie. »Aber die Jungs wird es immer geben, hörst du? Die Schule nicht. Sie ist viel wichtiger. Sie muss dir einfach wichtiger sein.« Ich nahm Moby Dick zur Hand. »Ich will jetzt ins Bett«, ließ ich sie wissen. »Rory.« Mom rutschte zu mir herüber. »Du warst immer die Vernünftige in diesem Haus, hm? Daran musst du jetzt festhalten. Du wirst dich später in den Hintern beißen, wenn du dir diese Chance entgehen lässt.« Ich legte das Buch wieder zur Seite. »Na ja, es ist ja mein Hintern«, sagte ich und drehte mich auf die Seite. »Gut gekontert«, bemerkte Mom. »Danke.« »Keine Ursache.« Sie zögerte. »Rory… komm schon…«
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»Ich will nicht darüber reden!«, sagte ich frustriert. »Würdest du mich bitte, bitte allein lassen?« »Okay. Also gut.« Sie stand auf. »Wie du weißt, haben wir in diesem Haus immer alles demokratisch geregelt. Wir haben alle Entscheidungen gemeinsam getroffen. Aber jetzt werde ich wohl den Muttertrumpf ausspielen müssen.« Sie holte tief Luft. »Du wirst nach Chilton gehen, ob du willst oder nicht. Am Montagmorgen fährst du hin. Ende der Geschichte.« »Das werden wir ja sehen!«, erwiderte ich mit Tränen in den Augen. »Ja, das werden wir!« Mom verließ das Zimmer und knallte die Tür zu. Ich war total „wütend. Wir hatten uns noch nie gestritten, und ich war nicht daran gewöhnt, wie schlecht es sich anfühlte, wenn Mom sauer auf mich war. Aber ich konnte nicht aufhören, an Dean zu denken und daran, wie mein Wechsel nach Chilton alles ruinieren würde, was vielleicht zwischen uns entstehen konnte. Ich schaltete das Radio ein, um mich abzulenken. Aber es wurde gerade das Lied von Macy Gray gespielt, das Mom und ich so gern hören, und so ging es mir nur noch schlechter. Innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden hatten sich viele merkwürdige Dinge ereignet. Ich fing an, mir zu wünschen, niemals eine Zusage von Chilton bekommen zu haben. Wäre ich nicht angenommen worden, hätte ich nun einen Haufen Probleme weniger.
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4 »Gehen wir jetzt rein oder bleiben wir hier draußen und spielen Das Mädchen mit den Schwefelhölzern?«, fragte ich Mom, als wir am Freitagabend bei meinen Großeltern vor dem Haus standen. Wir hielten uns dort schon ein paar Minuten auf und hatten noch nicht geklingelt. Das Haus ist sehr groß, sehr beeindruckend. Davor sind mehrere Brunnen und zwei Löwenskulpturen, die die Eingangstür bewachen. Das Ganze ist eher ein kleines Privatmuseum als ein normales Wohnhaus. Wir waren den ganzen Weg zu meinen Großeltern schweigend gefahren – es war die längste halbe Stunde, die ich je erlebt hatte. Auch am Nachmittag hatten wir kaum miteinander geredet. Das war für uns sehr ungewöhnlich. Wir beide reden unheimlich gern. Eigentlich tun wir das die ganze Zeit. »Okay, hör mal«, sagte Mom schließlich. »Ich weiß, da ist diese Sache zwischen uns und du hasst mich. Aber du musst dich benehmen, wenigstens beim Dinner. Auf dem Heimweg kannst du dir dann ‘ne dicke Zigarre anzünden. Einverstanden?« Ich willigte ein. Endlich drückte Mom auf die Klingel. Sekunden später öffnete meine Großmutter die schwere Eichentür und begrüßte uns mit einem Lächeln. Sie sah wieder einmal perfekt aus. Ihr Kostüm war wie immer nach der aktuellen Mode, das Haar sorgfältig frisiert, und sie trug Pumps mit
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hohen Absätzen und Nylonstrümpfe. Sie wäre sofort bereit, wenn mitten in der Nacht der Präsident zum Tee hereinschneien würde. In dieser Hinsicht ist sie wirklich beeindruckend. »Hallo Grandma!«, sagte ich lächelnd. »Na, ihr seid ja richtig pünktlich«, meinte sie. »Ja, es war überhaupt kein Verkehr«, entgegnete Mona, als wir das Haus betraten. »Ich kann euch gar nicht sagen, was für eine Freude es ist, euch hier zu haben!« Grandma nahm uns die Mäntel ab. »Oh ja, wir freuen uns auch sehr«, entgegnete Mom. Meine Großmutter warf einen Blick auf den Kaffeepappbecher, den Mom in der Hand hielt. »Willst du damit Geld sammeln oder kann ich ihn wegwerfen?« »Oh.« Mom sah sich um und wollte den Becher in den Abfallkorb an der Tür werfen. »In der Küche bitte!«, befahl Grandma. »Oh – tut mir Leid«, sagte Mom. Es war schon komisch, wie sie manchmal miteinander redeten. Als wäre Mom erst zehn oder so und müsste ständig wegen irgendetwas ermahnt werden. Großmutter legte mir einen Arm um die Schultern und wir gingen ins Wohnzimmer. »Ich will alles über Chilton erfahren!«, sagte sie aufgeregt. »Ich habe ja noch nicht mal angefangen«, entgegnete ich. Ich wusste immer noch nicht, ob ich wechseln sollte. Das Wohnzimmer meiner Großeltern ist ziemlich elegant mit seinem Kronleuchter aus Kristallglas und dem antiken Mobiliar. Allein die Einrichtung ist teurer als unser
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ganzes Haus! »Richard, sieh nur, wer da ist!«, rief Großmutter. Mein Großvater saß auf einem der Sofas und las Zeitung. Er schob die Lesebrille ein Stück die Nase hinunter, um mich anzusehen. »Rory!«, begrüßte er mich. »Du bist aber groß!« Er trug eine Hose aus Schurwolle, ein Oberhemd mit Fliege und eine Strickjacke – sein Standardoutfit, wenn er keinen Anzug trägt. Wahrscheinlich achtet er so genau auf Millimeter und Zentimeter, weil er selbst ziemlich groß ist. »Kann schon sein«, sagte ich und zuckte mit den Schultern. »Wie groß genau?«, fragte er. »Einsfünfundsechzig«, schätzte ich. Ich war schon eine ganze Zeit lang nicht mehr gemessen worden. »Das ist groß«, stellte Großvater fest, als hätte ich etwas Besonderes erreicht. Er drehte sich zu meiner Großmutter um, die an dem Tisch hinter dem Sofa die Drinks zurechtmachte. »Sie ist ganz schön groß!« »Hallo Dad!«, sagte Mom im Hereinkommen. »Lorelai, deine Tochter ist groß«, begrüßte Großvater sie. »Oh ja, ich weiß. Es ist beängstigend«, erwiderte Mom. »Wir haben schon daran gedacht, das mal im M.I.T. wissenschaftlich untersuchen zu lassen.« Großvater sah sie an, als wäre sie verrückt, und ich verkniff mir ein Grinsen. »Ach ja«, sagte er nur. Dann widmete er sich wieder seiner Zeitung. »Wer möchte denn ein Glas Champagner?«,
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fragte meine Großmutter. Sie kam mit einem Silbertablett mit vier Sektflöten aus Kristallglas zu uns herüber. Ein Besuch bei meinen Großeltern ist immer wie eine Reise in ein anderes Universum – ihr Leben ist ganz anders als unseres. »Oh, das ist aber schick!«, sagte Mom und nahm sich ein Glas. Ich nahm mir auch eins. »Nun, es passiert ja auch nicht so oft, dass ich von meinen Mädchen an einem Tag Besuch bekomme, an dem die Banken geöffnet sind«, sagte Grandma. Eins muss man meiner Großmutter lassen: Sie ist wirklich sehr witzig. Das hat Mom bestimmt von ihr. Aber was Großmutters Witz über die geöffneten Banken anging, fragte ich mich immer noch, warum wir sie an einem ganz normalen Freitag besuchten. Sollte dies eine Feier wegen meines Wechsels nach Chilton werden? Wenn ja, warum hatte Mom mir nichts davon gesagt? »Lasst uns anstoßen!« Grandma hob ihr Glas. »Auf Rory und auf Chilton und auf einen aufregenden neuen Lebensabschnitt!« Lächelnd prostete sie uns zu und nahm einen Schluck Champagner. »Prost, Prost!«, sagte mein Großvater, sah aber nicht von der Zeitung auf. Er ist regelrecht besessen von den Wirtschaftsnachrichten. Selbst wenn er auf einer einsamen Insel stranden würde, fände er noch eine Möglichkeit, an seine Zeitung zu kommen. Als ich einen Schluck Champagner nahm, merkte ich, wie meine Großmutter mich ein
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wenig zu strahlend und stolz anlächelte – als erwarte sie irgendetwas. Also ging es tatsächlich um Chilton! Das alles wurde mir langsam zu viel. Ich ‘wollte nicht mal nach Chilton gehen, und sie redete schon von einem aufregenden neuen Lebensabschnitt. Als Grandma, Mom und ich noch einmal anstießen, kam ich mir vor wie eine große Heuchlerin. »Also, setzen wir uns! Setzt euch bitte alle!«, sagte Grandma. Ich setzte mich neben meinen Großvater, und Großmutter setzte sich mir gegenüber. »Das ist einfach wunderbar!«, rief sie. »Bildung ist Jas Wichtigste auf der Welt, abgesehen von der Familie.« »Und Pastete«, fügte meine Mutter grinsend hinzu. Meine Großeltern starrten sie an. Ich ebenfalls. Sie liebt Pasteten, aber trotzdem. »War ein Witz«, erklärte sie und setzte sich neben Großmutter. »Ein Witz!« »Aha.« Meine Großmutter nickte kurz und wandte sich von Mom ab. Beide tranken einen großen Schluck Champagner. Eisiges Schweigen breitete sich im Wohnzimmer aus. Es war, als sei uns allen im selben Moment der Gesprächsstoff ausgegangen. Hoffentlich ist das Essen bald fertig, dachte ich. Mein Großvater gab mir einen Teil von seiner Wirtschaftszeitung, und ich fing an, über die Börse zu lesen. Der Abend drohte reichlich zäh zu werden. »Rory, wie schmeckt dir das Lamm?«, fragte meine Großmutter beim Essen.
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»Es ist gut«, antwortete ich. Auf dem Tisch gruppierten sich weiße Kerzen um den Blumenschmuck in der Mitte. Im Kamin hinter meinem Großvater brannte Feuer. »Ist das Fleisch vielleicht zu trocken?«, wollte meine Großmutter wissen. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, es ist perfekt.« »Aber den Kartoffeln könnte ein bisschen Salz nicht schaden«, bemerkte meine Mutter. »Wie bitte?« Da es so aussah, als würden sie einen Streit über Salz und Kartoffeln vom Zaun brechen, wechselte ich rasch das Thema. »Und, Grandpa, wie läuft’s in der Versicherungsbranche?« Er seufzte und schluckte einen Bissen hinunter. »Wenn die Leute sterben, bezahlen wir. Wenn sie ihr Auto kaputtfahren, bezahlen wir. Und wenn sie ein Bein verlieren, bezahlen wir auch.« »Na, immerhin hast du einen guten neuen Slogan!«, scherzte Mom. Ich grinste. »Und wie läuft es im Motel?«, fragte Großvater Mom. »Im Gasthaus?«, berichtigte ihn Mom. »Es läuft prima.« Sie nahm einen Schluck Wein. »Lorelai ist jetzt Geschäftsführerin«, sagte Grandma. »Ist das nicht großartig?« »Apropos – Christopher hat gestern angerufen«, erklärte Grandpa und führte sein Weinglas an den Mund. Ich war überrascht, dass er meinen Vater erwähnte. Ich sprach höchstens einmal in der Woche mit meinem Vater – er war viel unterwegs und schaute nicht oft bei uns vorbei, um uns zu erzählen, was er gerade so trieb.
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»Apropos? Was war das denn für eine Überleitung?«, fragte Mom. Sie klang genervt, und das konnte ich verstehen. Ich sah Großvater nervös an und fragte mich, warum er davon angefangen hatte. »Ihm geht es sehr gut in Kalifornien«, fuhr er fort. »Er macht nächsten Monat eine eigene Internet-Firma auf. Damit kann er es „weit bringen!« Er sah mich an. »Ein sehr begabter Mann, dein Vater.« »Das weiß sie«, ließ Mom verlauten. »Er war schon immer clever, dieser Junge«, sagte Grandpa und lächelte mich an. »Das musst du von ihm haben.« Mom sah Grandpa böse an. »Apropos – ich werde mir eine Cola holen.« Sie legte ihre Serviette auf den Tisch und stand auf. »Oder ein Messer.« Damit verschwand sie in der Küche. Ich konnte nicht glauben, was mein Großvater da gerade gesagt hatte. Es war eine Beleidigung zu behaupten, ich hätte meine Intelligenz von meinem Vater, wo er doch nie für mich da war. Ich saß ein paar Sekunden lang da und fühlte mich sehr, sehr unwohl in meiner Haut. Mir war ganz furchtbar zumute, wenn ich an Mom dachte, und ich wusste, dass es ihr noch viel schlimmer ging. Ich hörte, wie sie in der Küche mit dem Geschirr klapperte. Anscheinend wollte sie den Abwasch machen. Ich legte meine Gabel ab und erhob mich. »Ich glaube, ich werde mal mit ihr reden…« »Nein, ich gehe.« Großmutter stand auf. »Du bleibst hier und leistest deinem Großvater Gesellschaft.«
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Gehorsam setzte ich mich wieder und wartete ab, was geschah. Aber ich hätte genauso gut mit Grandma in die Küche gehen können, weil ich jedes Wort verstand, das sie und Mom wechselten. »Und so soll es jetzt jeden Freitagabend gehen?«, klagte Mom. »Ich komme zu Besuch, um mich von euch beiden angreifen zu lassen?« Jeden Freitagabend? Wovon redete sie überhaupt? »Jetzt übertreibst du aber!«, meinte Grandma. »Warst du gerade auch im Esszimmer?«, gab Mom zurück. »Ja, das war ich«, entgegnete Grandma. »Und ich glaube, du hast die Äußerung deines Vaters in den falschen Hals gekriegt.« »In den falschen Hals? Was war daran denn missverständlich? Wie hätte ich es denn sonst verstehen sollen?«, fuhr Mom auf. Ich versuchte wegzuhören. »Warum hackt ihr auf allem herum, was ich sage?«, wollte Mom wissen. »Das ist doch absurd! Du hast den ganzen Abend kaum etwas gesagt«, entgegnete Grandma. »Das ist nicht wahr!«, widersprach Mom. »Du hast >Pastete< gesagt«, räumte Grandma ein. »Ach, komm schon«, sagte Mom. »Das hast du! Ich habe von dir nur das Wort >Pastete< gehört.« Dann bekam ich mit, wie Mom fragte: »Warum musste er von Christopher anfangen? War das wirklich nötig?«
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»Er mag Christopher«, erklärte Grandma ruhig. »Das ist ja wirklich interessant!« Moms Stimme wurde immer lauter. »Denn wenn ich mich recht entsinne, mochte Dad Christopher nicht sonderlich, als ich von ihm schwanger wurde!« Ich spürte, wie sich das ganze Abendessen in meinem Magen verklumpte. Jetzt war ich das Thema des Streits. Indirekt zwar, aber es ging um mich. »Oh, also bitte! Du warst sechzehn. Was sollten wir denn machen? Eine Party schmeißen?«, entgegnete Großmutter. Mom hatte mir einmal davon erzählt, was ihre Eltern von der Entscheidung, die sie für ihr Leben getroffen hatte, gehalten hatten, aber ich konnte nicht glauben, dass sie so sehr dagegen gewesen waren. Schließlich war doch alles gut ausgegangen, für uns beide. »Wir waren enttäuscht«, sagte Grandma. »Ihr beide hattet noch eine so große Zukunft vor euch.« »Ja, und indem wir nicht geheiratet haben, haben wir uns beide diese große Zukunft erhalten«, entgegnete Mom. »Wenn man schwanger ist, muss man heiraten«, erwiderte Grandma störrisch. »Ein Kind braucht eine Mutter und einen Vater.« Ich wäre am liebsten in die Küche gerannt, um zu widersprechen. Ich liebe meinen Vater, und es wäre toll, wenn er in unserer Nähe wohnen würde. Aber Mom und ich, wir kommen wirklich gut allein klar. Sehr gut sogar. Wir haben ein besseres Mutter-Tochter-Verhältnis als alle anderen. Sie ist meine beste Freundin.
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»Mom, glaubst du denn im Ernst, dass Christopher jetzt eine eigene Firma gründen könnte, wenn wir geheiratet hätten? Glaubst du, aus ihm wäre überhaupt irgendetwas geworden?«, fragte Mom. »Ja, das glaube ich«, antwortete Grandma. »Dein Vater hätte ihn in der Versicherungsbranche untergebracht, und ihr hättet jetzt ein schönes Leben.« »Er wollte aber nicht in die Versicherungsbranche und ich habe ein schönes Leben!«, widersprach Mom. Sie war wütend und frustriert zugleich. Ich musste ihr zustimmen – wir hatten wirklich ein schönes Leben. »Oh ja, ganz richtig«, schimpfte Grandma. »Weit weg von uns. Du bist mit der Kleinen abgehauen und hast uns komplett aus deinem Leben ausgeschlossen.« »Ihr wolltet mich kontrollieren!«, behauptete Mom. »Du warst doch noch ein Kind«, entgegnete Grandma. »Ich habe in dem Augenblick aufgehört, ein Kind zu sein, als die Linie auf dem Teststreifen sich blau verfärbte, okay?« Ich spürte, wie ich errötete, und Grandpa räusperte sich. Wir wären wohl beide am liebsten unter den Tisch gekrochen. »Ich musste herausfinden, wie das Leben funktioniert. Ich habe einen guten Job gefunden…« »Als Dienstmädchen«, meinte Grandma abschätzig. »Mit deiner Intelligenz und deinen Fähigkeiten!«
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»Ich habe mich hochgearbeitet. Jetzt leite ich das Gasthaus«, sagte Mom. »Ich habe mir ohne Hilfe von außen mein eigenes Leben aufgebaut.« »Ja, und überleg dir mal, wo du jetzt wärst, wenn du ein bisschen Hilfe angenommen hättest. Hm? Und wo Rory sein könnte! Aber nein! Du warst ja immer zu stolz, um irgendetwas anzunehmen«, beschwerte sich Grandma. »Nun, ich war nicht zu stolz, euch zu besuchen und um Geld für die Schulausbildung meiner Tochter zu bitten, nicht wahr?«, erwiderte Mom. Was? Darum ging es also! Ich war total geschockt. Ich konnte nicht glauben, was Mom getan hatte – sie legte doch so großen Wert auf ihre Unabhängigkeit. Wow! Im Grunde war also ich der Auslöser des ganzen Streits. Warum hatte Mom mir nicht gesagt, dass wir uns Chilton nicht leisten konnten? »Aber du bist zu stolz, um ihr zu sagen, wo du es herbekommst, nicht wahr?«, meinte Grandma. »Also gut. Du hast deinen kostbaren Stolz und ich meine wöchentlichen Abendessen.« Wöchentliche Abendessen! Also stimmte es. Wir mussten von nun an jeden Freitag antreten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. In die Küche gehen und mich bei Grandma für das Chilton-Geld bedanken? Oder mich zuerst einmal dafür entschuldigen, dass ich nach Chilton hatte gehen wollen? Ich sah Grandpa in der Hoffnung an, dass er vielleicht einen Vorschlag hatte, aber von ihm kam nichts. Er war eingeschlafen. Mom und ich verließen etwa zehn Minuten
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später das Haus, nachdem wir so getan hatten, als äßen wir von der zwölfschichtigen Schokoladentorte. Wie ich feststellen musste, spielte es im Haus meiner Großeltern offenbar keine Rolle, ob es Streit gegeben hatte oder niemand etwas sagte – den Nachtisch gab es trotzdem. Als wir draußen waren, lehnte sich Mom neben der Tür an die Hauswand. »Mom?«, fragte ich besorgt. Sie sah sehr blass aus; als würde sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. Sie hatte nicht viel gegessen, wenn überhaupt. Doch sie lächelte mich an. »Alles in Ordnung. Ich… Sehe ich jetzt vielleicht kleiner aus als vorhin?«, fragte sie. »So fühle ich mich nämlich.« »Hey… wie war’s, wenn ich dich auf einen Kaffee einlade?«, schlug ich vor. »Oh ja!« Sie legte mir einen Arm um die Schultern, und wir gingen zusammen die Treppe hinunter. »Aber du fährst, ja? Ich komme mit meinen Füßen bestimmt nicht an die Pedalen.« Als wir etwa eine halbe Stunde später auf Luke’s Diner zusteuerten, wollte ich das Eis brechen. Wie schon hinwärts hatten wir auch auf dem Rückweg nicht viel miteinander geredet. »Nettes Essen bei den Großeltern«, sagte ich betont beiläufig. »Oh ja, so viel haben wir noch nie verputzt«, entgegnete Mom mit matter Stimme. »Du hast dich anscheinend nett mit Grandma unterhalten«, bemerkte ich lächelnd. Mom blieb vor dem Eingang stehen. »Wie viel hast du gehört?« »Ach, nicht viel«, antwortete ich
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schulterzuckend. »Nur ein paar Gesprächsfetzen.« »Gesprächsfetzen«, wiederholte sie. »Kleine Bruchstücke«, fügte ich hinzu. »Also im Prinzip alles?« »Im Prinzip ja«, gab ich zu. Mom öffnete die Tür und wir betraten das Lokal. »Das war so nicht geplant.« Ich zog die Jacke aus, und wir setzten uns an einen freien Tisch nahe der Tür. Es war ruhig bei Luke. Das gefiel mir. Es war schön, fast ganz allein im Restaurant zu sitzen. »Ich finde, es war wirklich tapfer von dir, sie um das Geld zu bitten«, sagte ich. »Ach, darüber möchte ich wirklich nicht reden«, entgegnete Mom. »Wie viele Abendessen müssen wir denn ableisten, bis wir aus dem Schneider sind?«, fragte ich, um sie aufzuheitern. Die Freitagabende würden von nun an anders sein – aber vielleicht lernte ich ja auf diese Weise endlich meine Großeltern ein bisschen besser kennen. »Ich glaube, der Leichenschmaus auf meiner Beerdigung ist der letzte Termin«, sagte Mom. Dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht. »Hey… Moment mal… soll das etwa heißen…?«, fuhr sie auf. »Wenn ich doch schon so einen schicken karierten Rock habe…« Ich lächelte. »Ach, Schatz, du wirst es nicht bereuen!« Sie sah so glücklich aus, und mir fiel auf, dass ich sie schon eine ganze Weile nicht mehr hatte lächeln sehen. Das war schön. Die Sache mit Chilton
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musste sie von Anfang an ziemlich gestresst haben; sie hatte schließlich überlegen müssen, – woher sie das Schulgeld nehmen sollte. Und dann war ich gekommen und hatte gesagt, ich wolle nicht wechseln. Ich hätte das natürlich niemals gesagt, wenn ich gewusst hätte, was sie durchmachte. Aber es sah ihr wieder einmal ähnlich, mir nichts zu sagen und so zu tun, als wäre es das reinste Kinderspiel – wo sie doch in Wirklichkeit so ein großes Opfer für mich gebracht hatte. Luke kam zu uns, um die Bestellung aufzunehmen. Für seine Verhältnisse war er ziemlich schick: Er trug ein Oberhemd, das ausnahmsweise mal nicht aus Flanell war. Und KEINE Baseballkappe! Ich hatte ganz vergessen, wie sein Kopf ohne Kappe aussah. Mom fiel es auch auf. »Wow!«, sagte sie. »Du siehst gut aus. Wirklich gut.« »Ich hatte vorhin einen Termin bei der Bank. Die mögen ordentliche Hemden«, entgegnete er. »Aber du siehst auch nicht schlecht aus.« »Ich musste zu einer Geißelung«, entgegnete Mom trocken. Luke lächelte und nahm unsere Bestellung auf. »Also, dann erzähl mir mal von dem Kerl«, sagte Mom, als Luke sich entfernte. Oh Gott, jetzt ist es so weit!, dachte ich, jetzt wird sie mich über Dean ausquetschen. »Weißt du, was das Besondere an unserer Beziehung ist?«, sagte ich. »Dass wir beide wissen, wie wichtig persönlicher Freiraum ist. Ich meine, du bist jemand, der das wirklich respektiert.« »Jetzt erzähl schon«, drängte Mom.
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»Mom…« »Ist er ein eher verträumter Typ?«, fragte sie. Verträumt? Ich verdrehte die Augen. »Das ist ja hier wie bei Nick at Nite.« »Na ja, ich werde es sowieso herausfinden«, erklärte Mom. »Wirklich? Wie denn?«, wollte ich wissen. …… »Ich werde spionieren!« Luke brachte uns zwei Tassen Kaffee und einen Teller mit Chili-Pommes. »Kaffee… Pommes…«, sagte er, während er alles auf dem Tisch abstellte. Während wir unseren Kaffee schlürften, blieb er bei uns stehen und druckste herum. »Ich kann es nicht mit ansehen«, platzte er schließlich heraus. »Das ist so ungesund! Rory, bitte, trink den Kaffee nicht! Du willst doch nicht werden wie deine Mutter!« Ich sah Luke an, dann Mom. »Tut mir Leid«, sagte ich. »Zu spät!« Wir lächelten uns an. Ich war so froh, dass unser Streit wegen Chilton vorbei war. Mom hatte ganz Recht. Ich konnte mir diese Chance nicht entgehen lassen – Dean hin oder her. »Jetzt erzähl mir endlich von ihm!«, forderte Mom erneut, als Luke uns endlich allein ließ. »Die Rechnung bitte!«, scherzte ich. »Nein wirklich, ist es dir etwa peinlich, von ihm zu sprechen?«, drängte sie weiter. Natürlich würde sie mich den Rest des Abends wegen Dean löchern. Aber das war in Ordnung. Ich würde nach Chilton gehen. Und meine Mom hatte dafür gesorgt, dass ich das tun konnte.
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5 Es dauerte nicht sehr lange, bis Mom und ich uns daran gewöhnt hatten, jeden Freitag zum Dinner bei meinen Großeltern zu erscheinen. Mir machte das Ganze regelrecht Spaß. Es war toll, Zeit mit ihnen zu verbringen, und mein Großvater nahm mich sogar mit in den Club, um mir das Golfspielen beizubringen – eine absoluter Fehlschlag in sportlicher Hinsicht, aber ein großer Gewinn für unser Verhältnis. Wir entdeckten, dass wir ähnliche Interessen hatten, und er schenkte mir einige kostbare Erstausgaben von Büchern, die ich wirklich schätze. Natürlich hätte ich mit den Freitagabenden auch gut etwas anderes anfangen können, mit Lane rumhängen zum Beispiel. Oder Dean zufällig begegnen. Ich bekam die beiden längst nicht so oft zu sehen, wie mir lieb gewesen wäre. Chilton war viel anspruchsvoller als meine alte High School, und so gingen die Abende unter der Woche für meine Hausaufgaben drauf. An dieser Schule herrschte ein extremer Konkurrenzkampf, und niemand dort mochte mich. Am meisten hasste mich Paris Geller. Als ich nach Chilton kam und sie merkte, dass ich ihr womöglich Konkurrenz machen konnte, hatte sie geschworen, mir das Leben im wahrsten Sinn des Wortes zur Hölle zu machen. Anscheinend hatte ich mit meinem Auftauchen ihren Masterplan durchkreuzt. Ihre Freundinnen Madeline und Louise hassten mich auch. Sie machten daraus einen richtigen Gruppensport.
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Und dann war da noch Tristin Dugray, dem nichts auf der Welt mehr Spaß machte als sich über mich lustig zu machen. In meinen ersten zwei Wochen in Chilton nannte er mich Maria. In Anspielung auf die Jungfrau Maria. Am Ende der Schulwoche war ich meist ziemlich erschöpft, und so hatte das Dinner freitags bei meinen Großeltern durchaus auch seine positiven Seiten. Wir wurden von Kopf bis Fuß bedient, das Essen schmeckte immer sehr lecker und die Gespräche waren niemals langweilig. »Morgen kommt unser Anwalt Joseph Stanford vorbei«, verkündete meine Großmutter beim Kaffee nach dem Essen. »Oh je!« Mom stöhnte. »Der Vater von Crazy Sissy.« »Wie kannst du nur!«, schimpfte Grandma. »Sissy war eine gute Freundin von dir.« »Mom, Sissy hat mit ihren Stofftieren geredet, und sie haben ihr geantwortet«, sagte Mom. »Dann wechseln wir jetzt mal das Thema«, schlug ich vor, um einen Streit zu verhindern. Aber Grandma wollte nicht einlenken. »Du bist unmöglich!«, sagte sie zu Mom. »Hast du nicht gehört? Themawechsel, Mom!« Grandma geriet in Rage. »Jeder Satz ist nur ein Spaß, und jeder Mensch wird zur Witzfigur«, bemerkte sie voller Abscheu. »Okay, tut mir Leid«, entschuldigte sich Mom. Aber Grandma war noch nicht fertig. »Der reinste Sprücheklopfer, meine Tochter – schlimmer als Henny Youngman!« Da kehrte mein Großvater ins Wohnzimmer zurück. »Tut mir Leid«, sagte er und setzte sich
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wieder an den Tisch. »Wir haben ein bisschen Ärger in unserem Büro in China. Habe ich was verpasst?« »Ich war wieder mal unmöglich, und dann wurde ich mit einem berühmten Komiker verglichen«, erklärte Mom ihm. »Aha, sehr schön. Dann lasst euch nicht stören!«, meinte Großvater lächelnd. Ihn brachte einfach nichts aus der Fassung. Das gefiel mir so gut an ihm: Er ließ sich nie in die dummen Streitereien zwischen meiner Mutter und Grandma hineinziehen. »Danke. Wo war ich?«, fragte Grandma. »Ahm, morgen kommt Joseph Stanford«, rief ich ihr in Erinnerung. »Ja! Also haben dein Großvater und ich gedacht, nach dem Essen würdest du vielleicht gern eine Runde durchs Haus machen und dir aussuchen, was wir dir vererben sollen.« Grandma schenkte mir ein Lächeln. Das war wirklich bizarr: Sie redete beim Essen über den Tod und ihr Testament. Ihr Anwalt kam morgen ins Haus, um eine Bestandsaufnahme ihrer Besitztümer zu machen, und ich sollte mir aussuchen, was ich haben wollte? »Sieh dir den Schreibtisch in meinem Büro an«, riet mir Großvater. »Es ist ein wirklich schönes Stück aus Georgia.« Mom war genauso verblüfft über die Wendung der Ereignisse wie ich. »Warum bin ich noch nicht drauf gekommen, bei unseren Besuchen ein Tonbandgerät mitzubringen?«, murmelte sie. »Ja, also… mir ist egal, was ihr mir hinterlasst, es ist alles schön«, sagte ich. Ich wollte nichts
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Spezielles haben – ich wollte nur, dass meine Großeltern so lange wie möglich am Leben blieben und ihr Testament gar nicht brauchten. »Unsinn!«, schimpfte Grandma. »Du sollst haben, was dir gefällt. Sieh dich einfach um, und wenn du etwas schön findest, dann kleb ein Postit dran!« Sie bedachte mich mit einem strahlenden Lächeln. Ein Einkaufsbummel im Haus meiner Großeltern mit Post-its? Ich sollte einen Wunschzettel für den Tag machen, an dem sie uns verließen? Waren sie verrückt geworden? Mir fehlten die Worte. »Okay, ihr beiden habt soeben ganz offiziell einen neuen Level von Seltsamkeit erreicht, über den sogar ich staunen muss«, sagte Mom. »Du darfst dir natürlich auch etwas aussuchen«, versicherte Grandma ihr. »Oh! Dann ist das Ganze natürlich nicht mehr so gruselig«, entgegnete Mom. »Hast du das gehört, Richard?«, fragte Grandma. »Offenbar sind wir gruselig.« »Tja nun, man lernt nie aus«, antwortete mein Großvater trocken. Ich sah Mom über den Tisch hinweg an und gab mir Mühe, nicht zu lachen. Das Dienstmädchen trug ein Silbertablett mit vier Glasschüsselchen ins Esszimmer, deren Inhalt verdammt nach Schokoladenpudding aussah. »Oh, cool!«, war mein Kommentar, als ich eins davon vor die Nase gestellt bekam. »Was ist das?«, fragte Mom. »Der Nachtisch«, erwiderte Grandma forsch. »Das ist Pudding«, stellte meine Mutter fest.
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»Wenn du weißt, was es ist, warum fragst du dann?«, wollte Grandma wissen. »Du magst doch gar keinen Pudding«, antwortete Mom. Oh mein Gott! Jetzt zankten sie sich über Schokoladenpudding! »Richtig, aber du schon«, gab Grandma zurück. »Oh, ich liebe Pudding! Ich bete ihn an«, erklärte Mom. »Ich habe eine Schüssel davon auf dem Kaminsims stehen, gleich neben der Jungfrau Maria, einem Weinglas und einem Geldschein«, fuhr sie fort. Grandma verdrehte die Augen. »Ich habe noch nie Pudding aus einer Kristallglasschüssel gegessen«, sagte ich voller Bewunderung. Kaum zu glauben, dass es sich auf den Geschmack auswirkte, aber genau das tat es. »Gefällt dir die Schüssel? Kleb ein Post-it drauf, wenn du aufgegessen hast«, meinte Grandma. Als wir mit dem Essen fertig waren, gingen Mom und ich mit unseren Post-it-Blöckchen durchs Haus. Meine Großeltern besaßen viele schöne Dinge, und es war gar nicht so einfach, etwas auszuwählen. Zuerst konnte ich mich für nichts entscheiden, aber Grandma bestand darauf, dass ich die Post-its benutzte – sonst würde ich es später noch bedauern, wie sie sagte. Mom und ich blieben vor einer großen Vase stehen, die wie ein Beutestück aus irgendeinem japanischen Samuraikrieg aussah. »Was halten wir davon?«, fragte Mom. »Wo sollen wir die hinstellen?«, fragte ich zurück. »Ich weiß nicht. In das verrückte Museum von
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Emily und Richard Gilmore?«, schlug sie vor. »Das ist der merkwürdigste Abend, den ich je hier verbracht habe«, erklärte ich, als Grandma ins Wohnzimmer zurückkehrte. »Und, wie kommt ihr voran?«, fragte sie strahlend. »Super«, antwortete Mom. »Wir machen uns bereit für den großen Tag«, scherzte sie, löste ein Post-it von ihrem Blöckchen und klebte es an die große Vase. »Sehr schön«, bemerkte Grandma und nickte anerkennend. »Ja, also, es ist schon spät, Mom. Wenn wir nicht noch ein paar Gräber schmücken sollen, fahren wir jetzt besser wieder nach Hause«, sagte Mom. »Irgendwelche speziellen Wünsche für nächste Woche?«, fragte Grandma und lächelte mich an. »Oh, also…« Ich sah Mom an. Wir hatten im Auto darüber gesprochen. Und zu Hause. Überhaupt ständig in den vergangenen zwei Wochen. Am kommenden Freitag hatte ich Geburtstag, und wir wollten zu Hause eine große Party feiern, wie jedes Jahr. Das war bei uns Tradition. »Mom, ich muss mal kurz mit dir sprechen«, sagte meine Mutter. »Rory, warum verabschiedest du dich nicht schon mal von Großvater?« »Sehr elegant«, raunte ich ihr zu, als ich den Raum verließ. Ich sprach ein paar Minuten mit Großvater und ging dann mit Mom nach draußen zu unserem Jeep. Wir stiegen ein und schlossen die Türen. »Also,
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wie wäre es dieses Jahr mit zwei Geburtstagspartys?«, fragte Mom und sah mich entschuldigend an. »Du konntest sie nicht überreden«, stellte ich fest. »Nein, aber sie war einverstanden, dass das Streichquartett Like a Virgin einstudiert«, entgegnete sie lächelnd. »Naja, du hast es versucht«, sagte ich etwas enttäuscht. »Süße, ich verspreche dir: Am Samstagabend machen wir zu Hause ein ganz großes Fass auf«, entgegnete Mom. »Dann steigt bei uns die Megaparty von Stars Hollow.« Das war nicht übertrieben. Unsere Geburtstagspartys waren immer Großereignisse. »Soll denn die Party, die Grandma ausrichtet, auch was Großes werden?«, fragte ich und malte mir aus, was sie aus einem Geburtstag machen konnte, wenn schon ein Dinner am Freitagabend zu einem hochoffiziellen Anlass ausartete. »Nicht wirklich«, antwortete Mom. »Die Regierung macht an dem Tag zu. Die Flaggen hängen auf Halbmast. Barbra Streisand gibt ihr letztes Konzert… wieder mal.« »Ha ha«, machte ich. »Der Papst hatte schon andere Verpflichtungen, aber er will versuchen, sich freizumachen«, fuhr sie fort. »Aber Elvis und Jim Morrison kommen auf jeden Fall – und sie bringen Chips mit.« »Da stellt man eine einfache Frage…«, seufzte ich, als Mom den Motor anließ. Sie machte ihre Späße, aber mich interessierte ernsthaft, was für ein Fest Grandma ausrichten wollte.
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Die Party bei uns zu Hause war schließlich die richtige Party. Nichts gegen meine Großeltern, aber Mom und ich haben unsere eigenen Vorstellungen, und wir lieben es, Partys zu veranstalten. Ich fragte mich, ob ich Dean einladen sollte. Er musste kommen. Ich wollte, dass er kam. Die Geschichte mit ihm lief superlangsam an, aber letzte Woche hatten wir einen Gang höher geschaltet. Eines Tages „war er in meinen Bus nach Chilton eingestiegen und hatte sich hinter mich gesetzt, nur um mir Hallo zu sagen. Ein anderes Mal hatten wir uns im Supermarkt getroffen, und obwohl unser Gespräch nicht weit über »Papier oder Plastik?« hinausgegangen war, hatte es doch bedeutungsvoll auf mich gewirkt. Es war, als näherten wir uns einander mit ganz kleinen Schritten. Vergangene Woche war er bei unseren Nachbarn, bei Babette und Morey, um ihnen Soda für die Totenwache für ihre Katze Cinnamon zu liefern (sie hingen sehr an dieser Katze, okay?), und vor dem Haus hatten wir eine peinliche Begegnung. Angeblich hatte er gemerkt, dass ich nicht an ihm interessiert wäre, und deshalb würde er aufhören, mich zu »belästigen«. Ich war so überrascht, dass ich kein Wort mehr rauskriegte. Als er wegging, habe ich ihm hinterhergerufen, dass ich sehr wohl interessiert war. Also wussten wir es nun beide: Wir mochten uns. Und was nun? Jede Menge peinliches Schweigen. Ich wollte ihn gern auf meiner Geburtstagsparty dabeihaben, war aber nicht sicher, ob ich schon
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so weit war. Setzte uns das vielleicht beide zu sehr unter Druck? Vielleicht brauchte ich drei Geburtstagsfeiern, eine davon nur mit Dean allein. Am Dienstagmorgen war ich gerade in Chilton eingetroffen und stand an meinem Spind, als Tristin herbeischlenderte und sich an den Schrank neben meinem lehnte. »Hey«, sagte er und kam mir ein bisschen zu nah. »Was ist, Tristin?«, fragte ich und sah ihn an. »Ich wollte dir nur zum Geburtstag gratulieren«, sagte er. »Ich habe heute gar nicht Geburtstag«, entgegnete ich. Er hielt einen weißen Umschlag hoch. »Noch nicht, aber bald!« Er klappte die Karte auf, die in dem Umschlag steckte und fing an vorzulesen. »Am Freitag um vier Uhr drei in der Frühe erblickte Lorelai Leigh…« »Was ist das?« Ich riss ihm die Karte aus der Hand und studierte sie mit großen Augen. Es war eine offizielle Einladung – eine offizielle Ankündigung meines Geburtstags. »… wurden Emily und Richard Gilmore mit einer perfekten Enkelin gesegnet, Lorelai Leigh. Bitte beehren Sie uns an diesem Freitag mit Ihrer Anwesenheit, um diesen freudigen Anlass zu feiern. Sieben Uhr. Abendkleidung kein Muss.« »Wer hat noch so eine?«, fragte ich Tristin entgeistert. »Keine Ahnung«, sagte er nur und zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich alle in unserer Klasse.« Alle in unserer Klasse? Eine ganze Horde, die
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mich weder kannte noch mochte? Ich schloss meinen Spind ab. »Ich muss los«, sagte ich und ging den Korridor hinunter. »Dann sehen wir uns am Freitag, du Geburtstagskind!«, rief mir Tristin hinterher. Ich ging weiter und starrte auf die Einladung in meiner Hand. Wie konnten mir meine Großeltern nur so etwas antun? »Das ist sie«, hörte ich Louise zu einem anderen Mädchen sagen, als ich an ihnen vorbeiging. »Meine Eltern zwingen mich hinzugehen«, entgegnete die andere. »Noch so eine Pflichtveranstaltung!«, beschwerte sich Louise. »Mein Leben ist eine Katastrophe.« Ihre Freundin seufzte. Ihr Leben ist eine Katastrophe?, dachte ich und suchte nach einem Mauseloch, in dem ich verschwinden konnte. Meine ganze Klasse würde gezwungen, zu meiner Geburtstagsparty zu kommen. Ein einziger Albtraum! Noch nie hatte ich Angst vor meinem Geburtstag gehabt. Aber von diesem Zeitpunkt an war mein Leben ganz offiziell eine riesengroße Katastrophe.
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6 »Na, du machst aber ein Gesicht!«, rief Mom mir gut gelaunt entgegen, als ich bei Luke hereinschlurfte, um mich mit ihr zu treffen. Nicht nur der Rucksack war mir schwer, sondern auch das Herz. »Kaffee«, sagte ich nur, als ich mich setzte. »Schlechten Tag gehabt?«, wollte Mom wissen. »Ich habe das Wort >Katastrophe< so häufig benutzt, dass es jede Bedeutung verloren hat«, entgegnete ich niedergeschlagen. »Vielleicht kann dich das hier aufheitern«, meinte sie, öffnete die Tüte, die sie in der Hand hielt, und holte ein dickes Bündel graugrünen Tüll heraus. »Was ist das denn?«, fragte ich. »Das sind unsere Partykleider!«, verkündete sie fröhlich. Ich konnte mir weder sie noch mich in einem solchen Kleid vorstellen. »Sieht ganz nach einer Halloween-Party aus.« »Hör mal!« Mom lächelte. »Ich war heute mit deiner Großmutter einkaufen, und nachdem ich drei Stunden lang immer wieder fragen musste >Für wen willst du das denn kaufen? Doch wohl nicht für Rory?<, hat sie endlich ein Einsehen gehabt und mir zugehört. Und dann hat sie etwas für dich gekauft, das dir meiner Meinung nach wirklich gefallen wird.« ‘ Mom strahlte regelrecht. Normalerweise tat sie das nicht, wenn sie über Grandma sprach. Ich freute mich für sie, aber bessere Laune bekam
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ich davon auch nicht. »Wirklich?« »Ja, wirklich. Und natürlich hat sie darauf bestanden, uns diese Kleider zu kaufen, aber ich glaube, ich kann sie etwas abändern und aufpeppen.« »Wow! So gut gelaunt warst du noch nie nach einem Treffen mit Grandma«, stellte ich fest. »Naja, wir haben uns auch zum ersten Mal seit langer Zeit nicht gestritten. Mal „ne nette Abwechslung. Spaß ist zwar was anderes, aber wenigstens sind diesmal diese stechenden Augenschmerzen ausgeblieben, die ich sonst immer bekomme«, scherzte Mom. »Ist ja großartig!« Luke kam mit zwei großen Tassen Kaffee zu uns. »Ich habe gehört, am Samstag steigt eine Party.« »Ja, Mom ist berühmt für ihre rauschenden Feste«, erklärte ich. »Die beste Party war die an deinem achten Geburtstag«, sagte Mom und sah mich an. »Oh ja, die war gut!«, pflichtete ich ihr anerkennend bei. »Die Cops haben sie beendet«, erklärte Mom Luke. »Die Cops sind gekommen, um der Geburtstagsparty einer Achtjährigen ein Ende zu machen?«, staunte Luke. »Und sie haben den Clown festgenommen«, fügte ich hinzu. Mom und ich lachten. »Ich will kein Wort mehr hören«, sagte Luke und ging zurück zur Theke. Mom und ich schlürften genießerisch unseren Kaffee.
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»Dann erzähl mir doch mal, warum du heute so ein Gesicht machst?«, forderte sie mich auf. Ich konnte ihr ja schlecht sagen, wie aufgebracht ich war, weil meine ganze Chilton-Klasse zu der Party kommen sollte. Mom und Grandma fingen doch gerade an, sich besser zu verstehen. »Ach, nur so«, sagte ich. »Ich… mir geht’s gut. Ich habe nur in der Französischarbeit eine Eins minus bekommen und hätte gern eine glatte Eins gehabt.« Das war nicht mal gelogen. Von einer Eins minus kriege ich schlechte Laune. Ich hasse diese Note. Es ist eine Eins, die sich über einen lustig macht. »Süße, eine Eins minus ist doch großartig«, sagte Mom ehrlich. »Ja… ganz in Ordnung«, gab ich zurück. Mom wühlte erneut in der Tüte und fummelte an den Partykleidern herum. »Mal sehen! Vielleicht sollten wir diese Tüllgeschichte doch ein bisschen reduzieren. Machen wir doch auf ganz moderne Aschenputtel! Was hältst du davon?«, fragte sie. »Es ist dein Geburtstag!« »Ja«, erwiderte ich und zwang mich zu einem Lächeln. »Ich Glückliche!« Am Freitagmorgen kam Mom um exakt vier Uhr drei in mein Zimmer, um mich zu wecken. Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Kleine!« »Hey!« Als Mom sich neben mich aufs Bett setzte, rappelte ich mich mühsam auf. Ich schlang meine Arme um ihren Arm und kuschelte mich an sie. Das taten wir jedes Jahr an meinem Geburtstag, so lange ich zurückdenken kann. Es
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ist eins meiner Lieblingsgeburtstagsrituale. »Ich kann gar nicht glauben, wie schnell du groß geworden bist«, sagte Mom zärtlich und betrachtete mich. »Wirklich?«, fragte ich müde. »Kommt mir eher langsam vor.« »Glaub mir, das ist sehr schnell. Und wie findest du das Leben bis jetzt?« »Ganz gut«, nuschelte ich in mein Kissen. »Irgendwelche Beschwerden?«, wollte Mom wissen. »Hm…Auf diesen feuchtglitschigen Kram könnt ich allerdings ganz gut verzichten«, antwortete ich. »Okay, ich kümmere mich darum«, entgegnete Mom. »Und, sehe ich älter aus?«, fragte ich. Mom sah mich prüfend an. »Oh ja! Wenn du vor fünf bei Denny’s reinmarschierst, kriegst du Seniorenrabatt!« »Nicht schlecht.« Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf auf ihre Schulter. »Weißt du, was ich finde?«, sagte Mom. »Ich finde, du bist eine großartige, coole Person und die beste Freundin, die man haben kann.« »Du auch«, flüsterte ich. »Und es ist wirklich schwer zu glauben, dass ich um genau diese Zeit vor vielen, vielen Jahren dalag…« Ich atmete tief durch. »Oh je! Jetzt kommt’s.« »… mit einem dicken Bauch und dicken, geschwollenen Knöcheln«, fuhr sie fort, »und geflucht hab wie ein Matrose…«. »Auf Urlaub«, rief ich ihr in Erinnerung.
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»Wie ein Matrose auf Urlaub, genau! Und dann kamen…« »… die Wehen«, ergänzte ich. »Und obwohl es manche gern als bedeutendste Erfahrung ihres Lebens beschreiben, hatte das Ganze für mich eher Ähnlichkeit mit einem Spagat auf einer Kiste Dynamit.« »Ob es so was auch bei den Waltons gegeben hat?«, überlegte ich laut. Mom fuhr fort: »Und ich hab geschrien und geflucht, und wie ich so dalag, umringt von Hunderten von wichtigen Ärzten, ging ich einfach davon aus, dass der Becher mit Eiswürfeln, den sie mir gaben, zu irgendwas gut sein musste.« »War er aber nicht«, ließ ich einfließen. »Aber die Krankenschwestern damit zu bewerfen hat Spaß gemacht!«, erklärte Mom. Ich drückte ihren Arm und schmiegte mich an sie. »Ich liebe dich, Mom.« »Schscht! Jetzt kommt der Teil, wo der Arzt deinen Kopf sieht«, sagte sie. Ich machte es mir gemütlich, um mir den Rest der Geschichte anzuhören. »Eigentlich müsstest du heute freihaben«, meinte Lane, als wir vor der Schule bei Luke vorbeischauten. »Muss aber hin«, sagte ich. »Lateinarbeit.« »Jeden Tag schreibst du irgendwelche Arbeiten«, stellte Lane fest. »Wann hast du eigentlich noch Zeit, das alles zu lernen, was da permanent abgefragt wird?« Gute Frage! »Hey, falscher Platz!«, sagte Luke, als Lane und ich uns an die Theke setzen wollten. »Seit wann gibt es denn richtige und falsche
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Plätze?«, fragte ich. »Seit da an dem Tisch der selbst gebackene Kuchen und die blöden Ballons warten, die ich für dich aufgeblasen habe.« Luke zeigte nach hinten, wo fünf rote, weiße und blaue Luftballons an dem Serviettenständer auf dem Tisch befestigt waren. »Du hast Ballons für mich aufgepustet?«, fragte ich ungläubig. »Oh, Luke, du verkappter Softie!« »Wenn du bei drei nicht am Tisch bist, verschwindet der ganze Zauber«, entgegnete er barsch. »Vielen Dank!«, rief ich, und dann flitzten Lane und ich an den Geburtstagstisch. »Geht es dir gut?«, fragte Lane, als „wir uns setzten. »Ja, ich bin nur… ich werde alt, Lane.« Ich seufzte und nahm meine Gabel. »Du bist heute Morgen ziemlich still.« Wir fingen an, den Geburtstagskuchen zu essen. Er war wahnsinnig lecker. »Mir graust es vor heute Abend«, sagte ich. »Es ist ja schon schlimm genug, wenn ich diese Idioten jeden Tag in der Schule sehe. Und jetzt auch noch heute Abend! An meinem Geburtstag! Ich meine, mit den meisten hab ich noch nie geredet. Gott, die halten mich bestimmt für die größte Pfeife auf Erden, weil ich meine Großmutter brauche, um Leute zu meiner Party einzuladen.« »Und was hat deine Mutter dazu gesagt?«. »Die weiß es gar nicht.« »Warum denn nicht?« »Wegen dem Pudding«, erklärte ich. Lane sah mich an, als wäre ich verrückt
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geworden. »Oh, der Pudding! Stimmt, hab ich ganz vergessen.« »Neulich hat meine Großmutter uns zum Nachtisch Pudding serviert, und dann war sie noch mit meiner Mom einkaufen, und die beiden haben sich nicht in die Haare gekriegt«, erklärte ich. »Ich weiß auch nicht. Ich meine, sie zanken sich sonst immer, und jetzt verstehen sie sich auf einmal. Ich wusste nicht, ob Mom vielleicht ausflippt und Grandma anruft – was dann das Ende des Puddings gewesen wäre.« »Du weißt aber, dass man Pudding auch kaufen kann?«, erklärte Lane nach einer Weile. Ich nickte. »Ist ja nur ein Abend, stimmt’s?« »Genau.« »Einen Abend lang halt ich das schon aus.« Das hatte ich mir eingetrichtert, seit die Einladungen massenweise in Chilton eingetroffen waren. Ein weiterer Abend voller Demütigungen und Peinlichkeiten war auf das ganze Leben gerechnet im Grunde bedeutungslos. Da öffnete sich die Ladentür mit einem Klingeln, und Dean kam herein und sah sich um. Er blieb kurz stehen, als er mich entdeckte, dann ging er zur Theke. »Einen Kaffee zum Mitnehmen, bitte«, sagte er zu Luke. Während Luke ihm einen Becher abfüllte, drehte sich Dean um und schaute über die Schulter wieder zu mir herüber. Ich blickte auf und er sah weg. Dann drehte er sich wieder um, und auf seinem Gesicht erschien ein riesiges Lächeln. »Bitteschön!«, sagte Luke und reichte ihm den Becher.
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Dean bedankte sich, bezahlte und ging zur Tür. Bevor er rausging, sah er wieder zu mir herüber. »Herzlichen Glückwunsch!«, formte er lautlos mit den Lippen und lächelte mich an. Ich spürte, wie ich rot wurde, dann sah ich weg und musste lächeln. Ein paar Tage zuvor hatte ich im Supermarkt mit Dean gesprochen und ihm von meinem Geburtstag erzählt. Weil er am Samstag arbeiten musste, wollte er nach der Party noch vorbeikommen. Wir taten immer noch ein bisschen geheimnistuerisch. »Warum grinst du so?«, fragte Lane. »Ach, ich habe nur an den Pudding gedacht«, log ich. Was auch immer am Abend geschehen würde, es konnte gar kein misslungener Geburtstag mehr werden! Ich sah auf die Uhr: zwei Minuten vor acht. Von der Party bei meinen Großeltern war schon eine Stunde verstrichen, eine lag noch vor mir. Bislang war es mir gelungen, dem Chilton-Trupp aus dem Weg zu gehen, aber ich wusste, meine Uhr lief ab. Das Haus sah wirklich sehr hübsch aus, und man sah fast mehr Bedienungspersonal mit Tabletts voller Drinks und Snacks als Klassenkameraden. Mir persönlich wäre ein ganz normales Freitagabend-Dinner mit meinen Großeltern lieber gewesen. Aber stattdessen tobte eine bizarre Mischung aus Freunden meiner Großeltern und Chilton-Leuten durchs Haus. »Hier!« Mom reichte mir ein Glas und setzte sich neben mich. »Was ist das?« »Ein Shirley Temple.«
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»Und was trinkst du?« »Einen Shirley Temple Black.« Ich schnupperte an ihrem Drink. »Puh? da ist ja ganz schön was drin!« Mom nahm einen Schluck. »Möchtest du was zu essen?« »Das riecht alles so komisch«, sagte ich und rückte das Fersenriemchen an meinem rechten Schuh zurecht. »Oh, da seid ihr ja!«, rief Grandma und steuerte auf uns zu. Mit ihrem blaugrauen Kostüm und der schlichten Perlenkette sah sie sehr elegant aus. »Komm, ich möchte dich ein paar Leuten vorstellen.« Sie griff nach meinem Arm und zog mich aus dem Sessel. Grandma stellte mich mindestens dreißig von ihren Freunden vor, bevor ich ihr entwischen konnte, um nach Großvater zu suchen. Als ich ihn endlich fand, steckte er mitten in einer Geschäftsbesprechung mit ein paar Männern aus seinem Büro. Er stellte mich ihnen vor, und einer nach dem anderen überreichten sie mir einen Umschlag, um anschließend davonzugehen und mit ihren Büros zu telefonieren. Ich wollte gerade nachsehen, wo Mom steckte, als Grandma mich wieder in die Finger bekam. »Rory, eine ganze Menge deiner Schulfreunde haben sich in der Bibliothek versammelt!«, rief sie aufgeregt. »Sagen wir ihnen doch kurz Hallo!« Schulfreunde? Wohl kaum. Aber Grandma kannte kein Erbarmen und scheuchte mich zur Bibliothek. Als wir im Türrahmen standen, erblickte ich zwanzig Mitschüler und -Schülerinnen, die ich
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nicht mal mit Vornamen kannte. Nur weg!, war mein einziger Gedanke. »Ich muss mal zur Toilette«, sagte ich zu Grandma und versuchte, mich zu verdrücken. »Sag nur schnell noch Hallo! Geh schon, ich hake das für dich.« Sie nahm die Geburtstagskarten und schubste mich in den Raum. Dann rauschte sie davon und ließ mich allein dort stehen. »Wer ist das?«, sagte einer von den Jungen am Kamin, als ich ein paar Schritte in die Bibliothek machte. »Ich glaube, es ist ihre Party«, antwortete der Junge neben ihm. »Oh.« Dann starrten mich die beiden schweigend an. Noch nie in meinem Leben war ich so verlegen gewesen! Ich drehte mich um und verließ rasch den Raum. In diesem Augenblick sah ich sie. Langes blondes Haar und ein sehr teuer wirkendes Kleid. Das war doch nicht möglich! »Paris?«, staunte ich. Sie drehte sich um. »Meine Eltern haben mich gezwungen«, platzte sie heraus. »Oh Gott«, murmelte ich. »Sonst wäre ich nämlich nicht hier. Das kannst du mir glauben!«, rief sie mir hinterher, während ich mich davonstahl. Es war einfach unfassbar. Ich musste unbedingt verschwinden. Ich marschierte zur Haustür, um wenigstens für ein paar Minuten frische Luft zu schnappen. Aber als ich in der Eingangshalle war, kam Tristin herein, mit Anzug und Krawatte. Er hatte
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die Hände in den Hosentaschen und sah total entspannt und lässig aus. »Oh, du kommst mich persönlich begrüßen?«, fragte er, arrogant wie immer. »Hallo Tristin«, sagte ich nur. »Und wo bleibt mein Geburtstagskuss?« »Es ist mein Geburtstag, schon vergessen?« »Dann muss ich dir wohl einen Geburtstagskuss geben«, meinte Tristin und kam näher. »Sag mal, was hat dich eigentlich gestochen?«, fragte ich. »Okay, ich muss dir was sagen. Ich bin total verknallt in dich«, entgegnete er. »Na dann, viel Glück!«, erwiderte ich. »Ich kann nicht essen, ich kann nicht schlafen… Ich werde mitten in der Nacht wach und schreie deinen Namen. Rory, Rory!« »Würdest du bitte die Klappe halten?«, fuhr ich auf. »Rory, wer ist dein Freund?«, fragte Grandpa, der in diesem Augenblick in die Empfangshalle kam. »Weiß ich nicht, aber das hier ist Tristin«, sagte ich und wäre am liebsten davongelaufen. »Wie bitte?«, sagte Grandpa. »Tristin Dugray, Sir.« »Dugray?« Großvater schüttelte Tristin die Hand. »Sind Sie irgendwie mit Janlen Dugray verwandt?« »Das ist mein Großvater, Sir«, antwortete Tristin. Auf einmal konnte er nett und höflich sein? So ein Heuchler! Mir wurde ganz schlecht. »Nun, ich habe jahrelang Geschäfte mit Janlen gemacht«, erklärte Grandpa. »Er ist ein feiner
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Kerl.« »Das ist er«, pflichtete Tristin ihm bei. »Rory, du hast wirklich einen guten Geschmack, was deine Freunde angeht. Das freut mich«, sagte Grandpa. Dann kam einer seiner Bekannten und rief ihn zu sich, und Tristin und ich waren wieder allein. »Er mag mich«, stellte Tristin großspurig fest. »Er ist betrunken«, entgegnete ich. »Komm mit!« Tristin nahm mich bei der Hand. »Gehen wir ein bisschen spazieren.« Ich zog meine Hand zurück. »Das ist doch albern! Du magst mich ja nicht einmal! Du hast nur dieses merkwürdige Bedürfnis, irgendjemandem zu beweisen, dass ich mit dir ausgehen würde. Das hat mit Mögen nichts zu tun!« »Warum wehrst du dich so dagegen?«, fragte Tristin. »Zum Schluss lenkst du doch sowieso ein.« »Ich gehe jetzt meine Mutter suchen«, erklärte ich und ging Richtung Wohnzimmer. »Wow, deine Mom!« Tristin rieb sich die Hände. »Vielleicht ein bisschen früh, aber okay – ich bin bereit, sie kennen zu lernen!« Ich machte mich auf dem schnellsten Weg vom Acker. Am liebsten hätte ich sofort die Party verlassen. »Oh, da bist du ja!« Schon wieder hielt Grandma mich am Arm fest. »Ich denke, es ist an der Zeit, dass du ein paar Worte zu unseren Gästen sagst.« »Was?« Ich warf Mom einen flehentlichen Blick zu.
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»Nur eine kleine Rede, in der du dich bedankst und allen erzählst, wie es sich so anfühlt, ein Jahr älter zu sein«, fuhr Großmutter fort. Sie merkte offenbar überhaupt nicht, wie unangenehm mir das Ganze war. Mom schüttelte den Kopf und versuchte einzugreifen. »Mom, ich glaube, sie möchte keine…« »Sie ist die Gastgeberin, Lorelai«, fiel Großmutter ihr ins Wort. »Es ist ihre Aufgabe!« »Ich bin überhaupt nicht die Gastgeberin!«, fuhr ich auf. »Das bist du doch!« »Hey, Süße, beruhige dich«, rief Mom und blickte besorgt drein. Ich war so wütend, dass mir die Tränen in die Augen stiegen, als ich Großmutter ansah. »Das ist deine Party und es sind deine Gäste! Ich habe ihnen nicht das Geringste zu sagen, also halte du doch die Rede!« »Rory!«, rief meine Großmutter fassungslos. Ich hatte sie mit meinem Ausbruch total schockiert. »Entschuldigt mich«, entgegnete ich, rannte die Treppe zu Moms altem Zimmer hoch und knallte die Tür hinter mir zu.
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7 »Hey, kann ich reinkommen?« Ein paar Minuten später streckte Mom den Kopf durch die Tür. Ich lag auf dem Bett, starrte an die Decke und dachte darüber nach, was für eine schreckliche Enkelin ich war. Ich war undankbar. Und unhöflich obendrein. Ich hatte mich durch Grandmas Vorschlag in die Enge getrieben gefühlt. Sie begriff einfach nicht, dass Dinge, die ihr ganz leicht fielen, für mich schier unmöglich waren. »Ist ja dein Zimmer«, sagte ich und Mom kam herein. »Wie geht es dir?« »Es tut mir Leid, dass ich Grandma so angefahren habe«, entgegnete ich und setzte mich auf. »Ja, hm?« Mom setzte sich auf die Bettkante. »Das gerade war ja fast schon filmreif.« »Sie hat einfach über meinen Kopf hinweg die ganzen Chilton-Leute eingeladen«, erklärte ich. »Soll das ein Witz sein? Ich dachte, sie hätte das mit dir abgesprochen.« Mom tätschelte mir tröstend das Bein. »Sie hat es mir nicht gesagt und auch nicht gefragt«, entgegnete ich. »Au Mann, das tut mir Leid!« »Es ist… ach, das alles hat mich einfach tierisch aufgeregt.« »Süße, warum hast du mir nichts davon erzählt?«, fragte Mom. »Weil du dich so gefreut hast«, erklärte ich.
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»Ich meine, es herrscht ja nicht so oft Frieden zwischen euch. Ich wollte nicht alles verderben.« »Rory, das ist sehr lieb von dir, aber so etwas solltest du mir nicht verheimlichen«, sagte Mom. »Ich fühle mich schrecklich!«, entgegnete ich. »Ich meine, ich habe sie noch nie so angeschrien.« »Hör mal, du wirst dich entschuldigen und dann ist alles vergessen. Ganz bestimmt!« Mom stand auf und fing an, sich ihr altes Zimmer genauer anzusehen. Die Poster, die Vorhänge, der Schrank – alles war unverändert, seit sie ausgezogen war. »Mensch, das ist ja, als wäre in diesem Zimmer die Zeit stehen geblieben.« »Muss ein komisches Gefühl für dich sein hier drin«, meinte ich. »Damals erst!« Ich nickte. »Jetzt kann ich mir vorstellen, wie es gewesen sein muss, hier aufzuwachsen.« »Das kannst du erst, wenn du mal an den Haaren kauend da in der Ecke gehockt hast«, erwiderte Mom. »Erinnerst du dich an deine letzte Geburtstagsparty hier?«, fragte ich. »Ja, wir hatten Streit, und ich lag auf dem Bett, genau wie du jetzt.« »Was war denn los?«, wollte ich wissen. War Mom etwa auch von Grandma in Verlegenheit gebracht worden? »Oh.« Mom setzte sich aufs Bett und ließ sich gegen das Kopfteil sinken. Ich schmiegte mich an sie. »Tja, ich war schwanger«, antwortete sie. »Ach so, na dann!« »Und ich habe beim Essen gesagt, dass die
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Pastete nach Domestos riecht, und dann kam eins zum anderen, und schließlich endete ich hier oben. Ich hatte noch niemandem etwas von uns beiden erzählt.« Sie sah mich lächelnd an. »Das muss sehr schwer für dich gewesen sein«, meinte ich. Mom nickte. »Ja. Ich weiß noch, wie ich es ihnen endlich gesagt habe. Nie wieder habe ich sie so hilflos erlebt wie in diesem Augenblick.« Die Situation musste wirklich unglaublich schwierig gewesen sein. Das konnte ich mir lebhaft vorstellen; besonders, da ich meine Großeltern nun ein bisschen besser kannte. »Ich glaube, wir sehen jetzt besser mal nach Grandma.« »Ach, lass ihr noch eine Minute…« Da tauchte Grandma im Türrahmen auf. »Da seid ihr ja!« »… und sie kommt eh rauf«, beendete Mom ihren Satz. »Ihr beide habt sehr schlechte Manieren«, tadelte Grandma und betrat das Zimmer. Sie sah nicht sehr glücklich aus. »Das hier ist nämlich wirklich nicht meine Geburtstagsparty.« Mom setzte sich auf. »Tut mir Leid, Mom.« »Ehrlich, wie ihr beiden euch benehmt…«, schimpfte Großmutter. »Grandma, ich möchte mich…«, setzte ich an. »Darüber reden wir später«, unterbrach sie mich kurzerhand. »Und jetzt geht!« Mom und ich kletterten vom Bett und gingen an Großmutter vorbei zur Tür wie zwei kleine Mädchen, die einen Anpfiff bekommen hatten. Ich hatte Grandma nicht wehtun oder in Verlegenheit
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bringen wollen. Das Ganze war mir furchtbar unangenehm. Aber sie hatte mich richtiggehend dazu getrieben. Ich wollte nicht wieder nach unten, aber ich wusste, ich hatte keine andere Wahl. Wenigstens war Mom bei mir. Als wir uns am Ende des Abends verabschieden wollten, war Grandma immer noch eisig zu mir – zu uns beiden. »Hey Mom, super Party!«, lobte Mom. »Eine der besten. Mir haben sogar diese braunen Pilzdinger geschmeckt.« Meine Großmutter rang sich nicht mal ein Lächeln ab. »Grandma, kann ich kurz mit dir reden?«, fragte ich schüchtern. Sie sah mir nicht in die Augen. »Richard, die Mädchen wollen fahren!«, rief sie meinem Großvater zu. Dann ging sie an mir vorbei, ohne auf meine Frage einzugehen. »Rory, ich hoffe, du hast dich gut amüsiert«, sagte mein Großvater, als er zu uns kam. »Ja, das habe ich«, antwortete ich. »Wie ich weiß, hat deine Großmutter dir ja bereits ein Geschenk gekauft und für mich auf der Karte unterschrieben. Das war Teil unserer Abmachungen, als wir geheiratet haben.« Er grinste. »Aber heute ist noch ein kleines Extra fällig.« Er überreichte mir einen weißen Briefumschlag. »Leg das für deine Reisepläne weg.« »Oh, Grandpa!«, rief ich. »Du bist ein braves Mädchen, Rory. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«, sagte er voller
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Wärme. »Das verdiene ich gar nicht«, meinte ich und sah den Umschlag an. »Gut, dann gib es mir«, sagte Mom. Grandma blieb mit ein paar schmutzigen Gläsern auf dem Weg zur Küche vor uns stehen. »Ihr solltet jetzt wirklich losfahren. Ihr seid doch eine ganze Weile unterwegs.« Aber ich wollte noch nicht fahren, weil ich nicht wollte, dass der Abend so endete. Wie furchtbar die Party auch gewesen war, meine Großmutter hatte es gut gemeint. »Grandma, wir feiern morgen bei uns zu Hause eine Party«, erklärte ich. »Ich meine, die lässt sich mit dieser hier nicht vergleichen, aber es wird bestimmt lustig, und vielleicht willst du mit Grandpa auch kommen?« »Ach, das ist sehr nett, Liebes, aber wir haben leider schon andere Pläne«, entgegnete sie. Ihr Tonfall ließ klar erkennen, dass sie nicht interessiert war. Sie ‘war immer noch sauer auf mich. »Oh.« So hatte sie noch nie mit mir geredet. Mir war zum Heulen zumute. »Oh… okay«, stammelte ich. »Gute Fahrt!«, sagte sie, als wären wir uns total fremd. Mir tat die ganze Sache furchtbar Leid. Das sollte mein Geburtstag gewesen sein? Meine Großmutter hasste mich. Ich musste es irgendwie wieder gutmachen, ganz dringend. Aber wie, wenn sie nicht einmal mit mir redete? Am nächsten Morgen stand ich früh auf und fuhr
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nach Chilton zum Informationstag. Sookie und meine Mutter trafen unterdessen schon die Vorbereitungen für die Party am Abend. Unterwegs gab ich mir alle Mühe, nicht an die katastrophale Feier bei meinen Großeltern zu denken – und daran, wie sehr ich meine Großmutter enttäuscht hatte. Ich hoffte, ich würde niemandem begegnen, der auf meiner Party zu Gast gewesen war. Und wenn doch? Dann würde derjenige hoffentlich nicht darüber sprechen. Ich stellte den Jeep ab und schlenderte an den Tischen und Ständen entlang, die von Vertreterinnen verschiedener Colleges und Universitäten betreut wurden. Mein Herz machte einen Sprung, als ich vor mir den Harvard-Tisch erblickte. »Neue Broschüre?«, fragte ich. Das Titelblatt kannte ich noch nicht. »Ja.« Die Dame reichte mir das Heft und ich lächelte. Als ich gerade zu blättern begann, kam Paris mir entgegen und baute sich vor mir auf. »Was machst du denn hier?«, fragte sie schnippisch. »Wir haben Informationstag«, sagte ich nur. »Nein, ich meine, was machst du hier?« Paris zeigte auf den Harvard-Tisch. »Ich habe mir die neue Broschüre besorgt.« »Und warum?« Sie sah mich durchdringend an. »Wohl kaum, weil ich eine Pizza will«, entgegnete ich patzig. Dann dämmerte es mir. Sie, ich, Harvard. »Oh nein!«, stöhnte ich. »Das geht nicht«, sagte Paris. Sie war eine der Cleversten in unserer Klasse,
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wenn nicht gar die Cleverste. Sie hatte auf alles eine Antwort. Als ich sie kennen lernte, erzählte sie mir gleich als Erstes, dass sie Chefredakteurin der Schülerzeitung werden und auch die Abschlussrede halten würde. Sie sagte sogar, ich würde sie niemals einholen oder gar überholen können. »Du willst nach Harvard?«, fragte ich. Ich für meinen Teil wollte ihr nie wieder in meinem Leben auf einem Campus begegnen. Sie hatte geschworen, mir das Leben zur Hölle zu machen, und das war ihr bisher auch recht gut gelungen. »Ja!«, entgegnete sie. »Nein!« Das konnte doch nicht wahr sein! »Die Gellers gehen seit zehn Generationen nach Harvard«, erklärte sie. »Ich muss nach Harvard.« »Ich kann es nicht glauben«, meinte ich. »Geh doch woandershin«, entgegnete Paris, als wäre sie meine Studienberaterin. »Geh nach Brandeis! Brandeis ist hübsch.« Sie hatte ja keine Ahnung. »Ich wollte schon immer nach Harvard und sonst nirgendwohin!« Wir standen einander gegenüber und starrten uns sekundenlang an. Es war ein richtiger Showdown. Keine wollte einlenken. Vor ein paar Jahrhunderten hätten wir uns, wären wir Männer gewesen – reiche Männer – , gegenseitig zum Duell herausgefordert und wären nun jede zehn Schritte zurückgegangen. »Die Uni ist groß«, sagte ich schließlich. Paris zuckte mit den Schultern. »Ja, sicher.« »Wir werden uns wahrscheinlich gar nicht begegnen.« »Glaubst du?«, fragte Paris hoffnungsvoll.
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»Und wenn doch, dann weichen wir uns schnell aus.« »Okay«, erklärte sich Paris einverstanden. »Also…« Also hatten wir nichts mehr zu besprechen. Paris ging weiter, dann blieb sie noch einmal stehen. »Hey, bist du mit Tristin zusammen?«, fragte sie. »Was? Nein! Auf keinen Fall!«, antwortete ich. Sie trat von einem Bein aufs andere. »Magst du ihn?«, fragte sie schließlich. »Kein bisschen«, erklärte ich. »Wirklich?« »Wirklich.« Meine Antwort schien ihr zu gefallen. »Okay«, sagte sie und drehte sich um. Dann hielt sie erneut inne. »Hey, nette Party!« Wollte sie sich ehrlich für die Einladung bedanken oder machte sie sich über mich lustig? Es war schwer zu sagen. Ich beschloss, das Kompliment gnädig anzunehmen, um mein Höflichkeitskarma, das am Vorabend kräftig gelitten hatte, wieder ins Gleichgewicht zu bringen. »Danke.« Am Abend schnitt ich gerade meine Torte an, da klingelte es. Sookie hatte sie obendrauf mit meinem Konterfei verziert – wirklich cool! Nachdem alle Happy Birthday gesungen hatten und Mom einen Toast ausgebracht hatte, bekam ich von Sookie ein Messer in die Hand gedrückt. »Ist schon ein bisschen merkwürdig, sich selbst in den Kopf zu schneiden«, sagte ich und durchschnitt ein Ohr. Ich trug eine dicke pinkfarbene Federboa um den Hals und auf dem
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Kopf eine Papierkrone mit Happy-BirthdayAufschrift. Das Haus war rappelvoll – außer Dean war fast ganz Stars Hollow anwesend. Es klingelte ein zweites und ein drittes Mal. »Du liebe Güte, wer klingelt denn da?«, rief Mom. »Das ist eine Party! Schwing deinen Hintern hier rein!« Ich sah auf – gerade als meine Großeltern hereinkamen und im Durchgang zum Wohnzimmer stehen blieben. »Eure Hintern, besser gesagt«, murmelte Mom vor sich hin. Ich ließ das Tortenmesser fallen und lief den beiden entgegen. »Grandma! Grandpa! Ihr seid doch gekommen!« Ich umarmte sie nacheinander. »Ich bin so froh, dass ihr da seid!«, rief ich. »Hey, keine Krawatte?«, fragte ich meinen Großvater. »Mal was anderes, dachte ich«, entgegnete er lächelnd. »Guck mal!« Ich hielt Großmutter mein Handgelenk entgegen, damit sie sah, dass ich das Armband trug, das sie mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich mochte es, weil es von ihr war und sie es ausgesucht hatte. Außerdem leuchtete es, wenn man auf einen Knopf drückte. »Es sieht sehr hübsch aus!«, stellte Grandma fest. »Ich will euch den anderen vorstellen. – Hey, hört mal, das sind meine Großeltern!«, rief ich in die Menge. Nicht zu fassen, dachte ich, als die beiden anfingen, sich unters Volk zu mischen. Sie waren noch nie bei uns zu Besuch gewesen. Ich war so
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froh, dass sie meine Einladung angenommen hatten. Mom hatte nach der Party mit Grandma gesprochen, das wusste ich, aber was sie gesagt hatte, war mir nicht bekannt. Aber ganz offensichtlich hatten ihre Worte gewirkt. Danach ging die Party viel zu schnell vorbei. Wir beendeten den Abend mit der obligatorischen Runde, in der alle peinliche Geschichten aus meiner Kindheit erzählen und viel zu viel Kuchen essen, bis Miss Patty schließlich meinen Großvater anmachte. Alles in allem ein weiterer gelungener Geburtstag. Als sich allmählich alle Gäste verabschiedeten, fingen Mom und Sookie mit dem Aufräum- und Reinigungsritual an. Ich sah auf die Uhr: Es war Zeit, Dean zu treffen. Ich schnappte mir meine braune Kordjacke und lief nach draußen. Dean wartete an der Hecke. »Hey«, sagte er. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!« Er lächelte mich an, als ich zu ihm hinüberkam. »Hey«, begrüßte ich ihn. Er hielt mir eine kleine Schachtel entgegen. Sie war in Zeitungspapier eingepackt und hatte eine rote Schleife. »Hier, für dich!« Ich war wirklich überrascht. Von Dean hatte ich gar kein Geschenk erwartet. »Du musst mir doch nichts schenken«, sagte ich. »Sorry, aber so sind die Regeln. Wenn man ein Jahr älter wird, kriegt man ein Geschenk.« »Tut mir Leid mit der ganzen Heimlichtuerei. Ich habe nur meiner Mutter noch nichts von dir erzählt. Ich meine, eigentlich gibt es da ja auch nichts zu erzählen, aber…«, plapperte ich los. »Ist schon in Ordnung!«, unterbrach mich Dean.
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»Ist auch besser so.« Er hatte Recht. Es war besser, hier draußen im Mondschein zu stehen, mit ihm allein. Ich packte das Geschenk aus und öffnete die Schachtel. Ein silbernes, mit einem keltischen Muster verziertes Medaillon blitzte mir entgegen. »Oh mein Gott!« Ich sah Dean an und lächelte. »Das ist wunderschön!« Ich nahm den Anhänger, der an einer Lederschnur baumelte, aus der Schachtel. »Also, den Anhänger habe ich gekauft und die Lederschnur dann selbst drangemacht«, erklärte Dean. Er klang nervös. »Und… ahm… gefällt es dir?« Ob es mir gefiel? Mir fehlten die Worte. »Ich… ich…es ist umwerfend«, stammelte ich. Dean grinste. »Gut.« »Vielen Dank!« »Moment mal.« Dean nahm meine Hand und schnürte mir mein neues Armband ums Handgelenk. Er grinste unaufhörlich dabei, genau wie ich. Als er die Lederschnur zugeknotet hatte, blieben wir ein paar Minuten Händchen haltend stehen, bis mir klar wurde, dass ich schnell wieder ins Haus musste, bevor meine Mutter die Fahndung nach mir einleitete. Aber ich hatte noch keine Lust, den Abend zu beenden. Ich wollte mich noch nicht von Dean verabschieden. Jetzt lief wirklich etwas zwischen uns. Eindeutig.
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8 Ungefähr eine Woche nach meinem Geburtstag kam ich, wie immer auf dem Heimweg von der Bushaltestelle, am Supermarkt vorbei und beschloss spontan, kurz reinzugehen. Ich suchte die Gänge nacheinander ab, bis ich Dean schließlich entdeckte. Er arbeitete mit Taylor Doose an einem neuen Verkaufsdisplay für Konserven. Taylor ist regelrecht besessen vom Umdekorieren. Er lebt sozusagen für die Feiertage und sämtliche Saisonwechsel – ihm ist jede Ausrede recht, um Girlanden aufhängen zu können. Er wäre gut in der Grußkartenindustrie aufgehoben, da würde er es bestimmt weit bringen. »Ich weiß nicht«, sagte Taylor in dem Moment, als ich näher kam. Kritisch begutachtete er den Aufbau. »Es sieht der Mayflower eigentlich nicht besonders ähnlich.« Die Dosen mit Preiselbeersoße waren keilförmig wie der Rumpf eines Schiffs aufgestapelt, und darüber hing ein Schild mit der Aufschrift >Herbstaktion: Preiselbeersoße im Angebot! <. Ich ging weiter, schlenderte an den Regalen entlang und tat so, als würde ich einkaufen. Dean trug seinen grünen Arbeitskittel und sah wirklich süß aus. »Wir könnten noch ein Schild dranmachen oder so«, schlug Dean vor. »Ich weiß nicht. Ich weiß einfach nicht.« Taylor war offensichtlich ernsthaft besorgt darüber, dass sein Dosenschiff nicht gelingen wollte.
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»Vielleicht greifen wir dann doch lieber auf die Idee mit Plymouth Rock zurück?«, fragte Dean. Taylor rückte noch einmal eine Dose zurecht. »Wir lassen das heute erst mal stehen«, beschloss er. »Okay, ahm natürlich.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Dean auf mich zukam, während ich die Angaben auf einer Packung Stärkemehl studierte. »Zwei davon gibt’s für drei Dollar.« »Oh, tatsächlich?«, fragte ich und sah auf. »Das ist ja ein gutes Angebot!« »Du brauchst wohl dringend Stärkemehl, was?« »Ja, zum Kochen. – Schöner Kittel«, sagte ich. »Schöne Uniform«, erwiderte er. »Ja, weißt du, ich habe die Knöpfe mit silbernem Garn angenäht, um mich von der Masse abzuheben«, erklärte ich, denn in Chilton müssen alle die gleichen Jacken tragen. Offenbar hatte ich mit dieser Bemerkung das Gespräch abgewürgt. Keinem von uns beiden fiel noch etwas ein und so sagte ich schließlich verlegen: »Na, dann will ich mal nach Hause gehen.« »Warte mal!«, sagte Dean. »Willst du Sprudel oder so?« »Sprudel?«, entgegnete ich. »Gib mir ‘ne Chance!«, sagte Dean. »In Chicago nennt man das nun mal Sprudel.« »Tja, in Connecticut sagen „wir Soda dazu«, erklärte ich. »Und ja, ich hätte gern eins.« Ich folgte Dean ans Kühlregal. Er nahm zwei Dosen heraus und versteckte sie hinter dem Rücken. »Also gut. Wenn du die Sorte rätst, bekommst du die Dose.«
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»Weißt du, wenn man auf ein Soda eingeladen wird, muss man eigentlich nichts dafür tun«, erklärte ich. Er zuckte mit den Schultern. »Tut mir Leid, aber du musst für dein Essen singen.« »Fürs Trinken offenbar auch.« Ich sah ihn an. »Nun rate schon!«, forderte er mich mit sanfter Stimme auf. »Also gut.« Ich dachte kurz nach. »In dieser Hand«, sagte ich und tippte ihm auf den Arm, »hast du…« Plötzlich beugte er sich vor und küsste mich. Auf den Mund. Ihm fiel das Haar ins Gesicht und streifte meine Wange, und ich hielt die ganze Zeit die Luft an. So war ich noch nie von jemandem geküsst worden! Und dann war es auf einmal vorbei. Ich blinzelte einige Male und sah zu Dean auf, und er blickte mir direkt in die Augen und sah ziemlich glücklich aus. Ich war überwältigt. »Danke«, krächzte ich. Danke? War mir das wirklich soeben herausgerutscht? Absolute Panik ergriff von mir Besitz, und ich rannte aus dem Laden. Ich wusste überhaupt nicht, wohin ich lief. Autos hupten, als ich über die Straße sprintete, dann hüpfte ich auf dem Marktplatz über ein paar dicke Kürbisse und lief immer weiter. Ich lief, bis ich vor Lanes Haus stand. Atemlos stieß ich die Tür auf und stürmte hinein. »Lane! Lane?«, rief ich. Lane kam mir mit einer Schürze vor dem Bauch und einem Geschirrtuch in der Hand entgegen. »Was ist los?«
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»Ich… ich bin geküsst worden«, erklärte ich. Dann bemerkte ich die Schachtel Stärkemehl in meiner Hand. »Und das hier habe ich geklaut!« »Ist das wahr?« Lane wirkte noch aufgeregter, als ich es war. »Wer hat dich geküsst?« »Dean.« »Der Neue?«, staunte sie ungläubig. »Ja.« »Du hast den Neuen gekriegt? Oh mein Gott!«, rief Lane. »Es ging alles so schnell«, erklärte ich atemlos. »Ich stand einfach da…« »Wo denn?« »Im Supermarkt.« »Er hat dich mitten im Supermarkt geküsst?« Lane war total perplex. »Gang drei«, sagte ich. »Da, wo das Ameisenspray steht?« »Ja!«, rief ich. Woher wusste Lane das? »Oh, das ist ein guter Gang«, erklärte sie. Ich musste lachen. »Was ist denn bitte ein guter Gang?« »Ein Gang, in dem man von dem Neuen geküsst wird, ist ein guter Gang«, führte Lane aus. Ich liebe Lane für ihre Begabung, alles immer auf einen ordentlichen, knappen Satz reduzieren zu können. Sie hat immer Recht. Plötzlich stand mir wieder vor Augen, wie Dean mich küsste, und ich bekam weiche Knie. »Oh mein Gott! Ich kriege keine Luft mehr!«, ächzte ich. »Setz dich!« Lane holte mir einen Stuhl. »Ich kann mich nicht setzen. Ich bin zu… Oh mein Gott, er hat mich geküsst!«
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Wie von Zauberhand tauchte plötzlich Mrs. Kim neben mir auf. »Wer hat dich geküsst?«, wollte sie wissen. »Der liebe Gott, Mama«, antwortete Lane. »Oh, na dann.« Mrs. Sum ging weg und ließ uns allein. »Los, du musst mir alles erzählen«, forderte Lane und zog mich ein Stück näher. »Bis ins kleinste Detail!« »Also, ich bin in den Laden gegangen, er hat mir ein Soda angeboten, und dann hat er zwei Dosen hinter dem Rücken versteckt, und ich musste raten, und dann hat er mich geküsst!«, erklärte ich. »Ich bin so neidisch!«, kreischte Lane. »Und ich muss mich mit den Dummen, Hässlichen begnügen!« »Und ich muss es meiner Mutter sagen«, platzte ich unvermittelt heraus. Ich musste es ihr sofort sagen! Ich bahnte mir durch das Labyrinth aus Möbeln den Weg zur Tür. »Okay, ruf mich später an, ja?«, rief Lane. »Okay.« Dann wurde mir etwas bewusst. Was hatte ich da eigentlich vor? Nach Hause laufen und Mom von dem Kuss erzählen, wo sie doch gar nichts über Dean wusste – außer dass wir wegen ihm vor nicht allzu langer Zeit den größten Streit unseres Lebens gehabt hatten? Ich blieb an der Tür stehen und drehte mich zu Lane um. Ich konnte es kaum erwarten, Mom von dem Kuss zu erzählen, aber was, wenn ich damit einen neuen Streit vom Zaun brach? »Was ist los?«, fragte Lane. »Ich kann nicht.«
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»Du kannst nicht?« Lane sah mich an, als hätte ich sie nicht alle. »Heute ist bei den Kims wieder Liederabend. Sieh zu, dass du wegkommst!« »Meine Mutter weiß nichts von Dean«, erklärte ich. »Dann sag es ihr doch!« Das klang furchtbar einfach. »Aber als letztes Mal das Thema Jungs zur Sprache kam, wurde das Ganze ziemlich unangenehm«, wandte ich ein. »Naja, das war doch etwas anderes«, meinte Lane. »Da dachte sie, du wolltest wegen einem Jungen nicht nach Chilton.« »Ja, wegen Dean.« »Na gut. Aber sie muss ja nicht erfahren, dass es um ihn ging«, argumentierte Lane. Ich schüttelte den Kopf. »Das merkt sie sofort.« »Wie denn?« »Sie merkt es eben. Sie ist Lorelai. Was soll ich nur machen?« »Vielleicht steht sie der Sache jetzt offener gegenüber, weil du in Chilton bist und alles gut läuft und so«, erwiderte Lane. »Vielleicht«, sagte ich. »Versuch es einfach!« »Okay. Ich muss los.« Ich ging wieder zur Tür. »Hey!«, rief Lane mir hinterher. »Was?« »War der Kuss gut?« Ich lächelte. »Er war perfekt.« Diesen Eindruck hatte ich zumindest. Mir fehlten zwar die Vergleichsmöglichkeiten, aber ich hatte ein gutes Gefühl. Nur das ,Danke’ am Schluss hätte ich weglassen
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können… Meine Mutter imitierte gerade die Geräusche des Kühlschranks, als ich eine Viertelstunde später nach Hause kam. Sie lag rücklings auf dem Boden, mit dem Kopf halb im Kühlschrank, und piepste ins Telefon. Ich blieb stehen, weil ich ihr eigentlich sofort von dem Kuss und von Dean erzählen wollte und davon, wie alles gekommen war. »Ja, seit letzter Woche«, erklärte Mom dem Mitarbeiter des Kundendienstes. »Aber mittlerweile piept es ständig und immer höher. Und es scheint immer schlimmer zu werden. Hören Sie, ich habe das jetzt schon drei Kollegen von Ihnen erzählt! Könnte ich vielleicht mal mit jemandem sprechen, der mir sagen kann, was mit diesem Kühlschrank nicht in Ordnung ist? Nein, ich mache Ihnen das Geräusch nicht noch einmal vor. Ich werde…« Und dann machte sie doch wieder »Iiiiiihhhhh«. Ich war drauf und dran, meinen Mut wieder zu verlieren. Was, wenn es wieder Streit gab? Ich nahm meinen Rucksack ab und ging in mein Zimmer. Dort holte ich die Schachtel Stärkemehl heraus und stellte sie auf die Kommode. Da stand sie gut – auch „wenn es sich um Diebesgut handelte. Dann ging ich mit meinen Hausaufgaben in die Küche zurück und setzte mich an den Tisch. Ich lächelte Mom an, weil ich ihr erzählen wollte, was ich mit Dean erlebt hatte. Ich wollte wirklich. Aber sie telefonierte immer noch mit dem Mann vom Kundendienst. »Hören Sie, machen wir es so«, schlug sie
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gerade vor. »Sie schicken mir morgen zwischen acht und neun jemanden her. Ich arbeite nämlich und kann nicht stundenlang auf Ihre Leute warten.« Sie lauschte ein paar Sekunden, dann: »Sehr schön. Wiederhören!« Damit legte sie auf. »Morgen kommt also jemand?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Ach was! Montag zwischen drei und acht. Da war nichts zu machen!« »Tut mir Leid«, sagte ich. »Du liebe Güte, guck dir mal die Küche an! Der reinste Saustall!«, schimpfte sie, als sie aufstand. »Okay, jetzt habe ich schlechte Laune. Blöder Kühlschrank!« Sie verpasste dem Gerät einen Tritt. »Blöder Kundendienst! Ich hasse mein Leben!« Damit stürmte sie aus der Küche. Einen Augenblick später streckte sie den Kopf durch die Tür. »Wie war dein Tag?« Ich überlegte kurz, ob ich ihr meine Geschichte erzählen sollte, fand aber, der Zeitpunkt war eher ungünstig. »Oh, gut. Danke der Nachfrage!« »Gut«, entgegnete sie und verschwand. Es ist schrecklich, wenn der Mensch, den man am liebsten hat, sagt, dass er sein Leben hasst – und man selbst schwebt gerade auf Wolke sieben.
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9 »Bitte noch mal!«, bat mich Lane. »Ich habe dir die Geschichte jetzt schon hundertmal erzählt!«, protestierte ich. »Sie wird nicht schmutziger, echt nicht!« Es war Herbstfestival, und Lane und ich saßen auf dem Marktplatz, verkleidet wie Pilgerfrauen: Wir trugen schwarze Kleider, weiße Umhängetücher und weiße Hauben auf dem Kopf. Schon seit zwei Jahren halfen wir ehrenamtlich am Stand der Cornucopia-Konservensammlung aus. Die Leute spenden Dosen mit Nahrungsmitteln, die im Winter an die Bedürftigen verteilt werden. Es gibt ein riesengroßes Füllhorn, das jedes Jahr komplett mit Konserven voll gepackt wird. »Ich kann nichts dagegen tun«, erklärte Lane. »Ich bin regelrecht besessen davon. Ich ernähre mich gewissermaßen von deinen Erlebnissen.« »Wieso denn das? Du hast doch letztes Wochenende auch einen Kuss bekommen«, wandte ich ein. »Du erinnerst dich? Von diesem Typen, mit dem dich deine Eltern verkuppeln wollen. Der den Lincoln Continental fährt. Wie heißt er noch? Patrick Cho?« »Okay, dann betrachten wir das Ganze doch mal im direkten Vergleich! Du wurdest von einem süßen, coolen, sexy Jungen, den du wirklich magst, auf den Mund geküsst!«, entgegnete Lane mit unverhohlener Begeisterung. Dann änderte sich ihr Tonfall. »Und ich wurde von einem Theologiestudenten mit Klubjacke auf die Stirn
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geküsst, und der glaubt auch noch ernsthaft, dass Rockmusik zu Drogenmissbrauch führt«, erklärte sie. »Okay, ich seh’s ein. Ernähre dich ruhig von meinen Erlebnissen!«, erwiderte ich. »Aber denk dran: Ich habe keine Ahnung, was ich da tue.« »Dessen bin ich mir bewusst«, erklärte Lane. »Deshalb habe ich ja bereits fleißig Informationen für uns gesammelt.« Sie ließ einen Stift zwischen ihren Fingern wirbeln. »Was für Informationen?«, wollte ich wissen. »Also, dann pass mal auf! Dean kommt aus Chicago. Das weißt du ja schon.« »Das weiß ich.« »Er steht auf Nick Drake, Liz Phair und Sugarplastic, und er ist total allergisch gegen Walnüsse«, fuhr sie fort. »Keine Walnüsse, verstanden.« Ich war froh, dass Dean dieselbe Musik mochte wie ich. »Und er hatte eine Freundin in Chicago«, erklärte Lane. »Eine Freundin?«, wiederholte ich überrascht. Hätte er nicht noch mehr Allergien, dafür aber keine Ex-Freundin in Chicago haben können? »Sie heißt Beth, und die beiden waren ungefähr ein Jahr lang zusammen. Sie haben sich freundschaftlich getrennt, als er umzog, und nun ist sie mit seinem Cousin zusammen, was ihn allerdings nicht allzu sehr kümmert, weil er nicht glaubt, dass sie sich wirklich lieben.« Wisst ihr, was noch toll an Lane ist? Sie redet so schnell, dass sie die schlechten Nachrichten „wirklich zügig hinter sich bringt. »Beth?«, fragte ich.
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»Ich würde mir deshalb keine Gedanken machen.« Lane schüttelte den Kopf. »Woher hast du diese ganzen Informationen?« »Von seinem besten Freund. Der übrigens ziemlich cool ist. Hör mal, wenn mit Dean alles läuft, dann fragst du ihn auch mal über Todd aus, ja?« »Oh, natürlich.« Aber mir ging die Ex nicht aus dem Sinn. »Beth, hm?«, fragte ich. »Ich hasse diesen Namen. Er ist so…« Ich sah ein hübsches Mädchen vor mir. Es lachte und hielt Deans Hand und dann küssten sie sich. »Todd hat auch gesagt, dass Dean seit Wochen nur noch von dir redet«, trumpfte Lane auf und quietschte beglückt. Beth, wer ist das eigentlich? Lächelnd küsste ich Lane auf die Stirn. Ich war so glücklich! Lane rückte von mir ab. »Hör auf damit! Das erinnert mich zu sehr an Patrick Cho!« Wir mussten so doll lachen, dass Taylor Doose schließlich herüberkam. Er meinte, mit diesem Benehmen seien wir keine würdige CornucopiaVertretung für Stars Hollow. Wir versuchten ihm zu erklären, dass wir einfach nur sehr fröhliche Pilger waren, aber er entgegnete, das sei historisch inkorrekt. Als mir einfiel, dass ich mich eigentlich mit Mom bei Luke treffen wollte, war ich schon viel zu spät dran. Sofort machte ich mich im Laufschritt auf den Weg. »Tut mir Leid, tut mir Leid!« Ich stürmte zur Tür herein und ließ mich Mom gegenüber auf den Stuhl fallen.
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»Hey, spar dir die Entschuldigungen für die Indianer, Missy«, witzelte sie. »Die Leute sind heute wirklich spendabel«, erzählte ich. »Das Füllhorn ist schon rappelvoll.« »Ist ja super!« Sie lächelte. »Hey, willst du einen Kaffee?« »Ach nein, ich nehme nur einen Schluck von deinem«, sagte ich. »Ich muss gleich wieder zurück.« »Wirklich?« Mom klang enttäuscht. »Ich dachte, wir essen zusammen.« »Ich kann nicht. Wir haben einen Pilger zu wenig«, erklärte ich ihr. »Tut mir Leid, aber ich habe nur ein paar Minuten.« »In letzter Zeit bist du immer sehr beschäftigt«, bemerkte Mom. »Ich meine, wir haben uns schon tagelang nicht mehr unterhalten.« »Worüber möchtest du dich denn unterhalten?«, fragte ich und nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee. »Keine Ahnung, egal.« »Okay. Also, hast du den Artikel in der Zeitung gelesen über die schmelzenden Polarkappen?«, fragte ich. Das interessierte Mom überhaupt nicht. »Ja, ja, schlimme Sache«, sagte sie nur. »Na gut, dann such du ein Thema aus«, entgegnete ich. »Gute Idee!« Sie strahlte. »Neulich habe ich General Hospital gesehen. Und du weißt doch, da ist jetzt ein neuer Lucky, weil der alte Lucky irgendwo mitspielt, wo was aus ihm werden kann«, fing sie an. »Jedenfalls – der alte Lucky hatte eine Freundin, Liz, und die dachte, er sei
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bei einem Feuer ums Leben gekommen. Aber dann wurde ja dieser neue Lucky eingeführt und okay, man weiß natürlich, dass es nicht der alte Lucky ist – der Neue benutzt viel zu viel Haargel –, aber trotzdem: Weil Liz so fertig wegen seines angeblichen Todes gewesen war, konnte man es gar nicht erwarten, dass sie sich endlich küssten. Du verstehst?« Mom musste erst mal Luft holen. »Woher nimmst du eigentlich die Zeit, dir diese Serien anzugucken?«, fragte ich sie. »Lenk nicht vom Thema ab«, gab sie zur Antwort. »Was hältst du von dieser ganzen Kussgeschichte mit Liz und Lucky?« »Ich meine, es sind Schauspieler, die dafür bezahlt werden, eine Rolle zu spielen. Un da ist es doch nett, wenn sie ihrer Verpflichtung auch nachkommen«, erklärte ich. »Hm«, machte Mom, als dachte sie darüber nach. »Rory…« »Hör mal, können wir dieses bedeutungsschwangere Gespräch vielleicht später fortsetzen?«, fragte ich. »Ich habe Lane versprochen, sofort zurückzukommen.« Mom seufzte. »Okay, wir sehen uns dann später!« »Okay, bye!«, rief ich und rannte zurück zum Marktplatz und seinem großen Füllhorn. Mom lag auf der Couch und las, als ich abends nach Hause kam. »Hey, tut mir Leid, dass ich so spät bin«, sagte ich und zog meine Jacke aus. Ich war noch mit Lane nach Hause gegangen, nachdem wir unsere Pilgerpflicht erfüllt hatten. Ihre Eltern waren nach Stonington gefahren, um
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bei einem Nachlassverkauf Antiquitäten zu erwerben, und so hatte Lane die seltene Gelegenheit, in ihrem Zimmer richtig laut Musik zu hören. Und es hatten sich viele neue CDs angesammelt, die sie mir unbedingt vorspielen musste. »Ach, das macht doch nichts!«, rief Mom mir zu. Sie klang viel besser gelaunt als mittags bei Luke. »Im Kühlschrank ist noch was vom Chinesen!« »Prima!« Ich ging in die Küche und machte den Kühlschrank auf, um mir die Pappschachteln mit den Resten anzusehen, als Mom hinter mir auftauchte und ebenfalls ihren Kopf in den Kühlschrank steckte. »Und? Letzte Zeit irgendwelche netten Jungs geküsst?«, wollte sie wissen. Ich wäre fast in Ohnmacht gefallen. Sie wusste es? »Woher…?«, fragte ich nur. »Mrs. Kim«, antwortete sie. »Natürlich!« Ich nahm mir eine Schachtel und schloss den Kühlschrank. Neuigkeiten machten in Stars Hollow immer sehr schnell die Runde. Mom legte die Hand an die Kühlschranktür, um mir den Weg zu versperren, und sah mich an. »Also, er ist süß«, stellte sie fest. »Ja, ist er«, pflichtete ich ihr bei. Woher wusste sie nur, wer Dean war und wie er aussah? Oh Gott! Jetzt dämmerte es mir. Sie musste ihn sich im Supermarkt angesehen haben. »Kann er schreiben?«, fragte sie. »Er kann lesen und schreiben«, erklärte ich und hob ihren Arm, um darunter hindurchzuschlüpfen. »Wie lange weißt du das schon?«, fragte ich
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dann, öffnete den Schrank und holte einen Teller heraus. Ich war immer noch ziemlich fassungslos. »Seit heute Morgen«, antwortete sie. »Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, du könntest es geheim halten, oder? Immerhin habt ihr im Supermarkt rumgemacht.« »Wir haben nicht rumgemacht«, erwiderte ich. »Es war nur ein einziger Kuss.« »Ja, aber bis die Neuigkeit bei Miss Patty ankommt, ist es eine Szene aus 9 Wochen«, klärte sie mich auf. »Dann wusstest du also schon heute Mittag Bescheid«, sagte ich. »Bei Luke…« »Ja.« »Du hättest doch was sagen können!«, schimpfte ich. Mom stemmte die Hände in die Hüften. »Ach, komisch, dasselbe wollte ich dir auch gerade sagen!« Plötzlich hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Sie hatte Recht. Ich hätte ihr von Dean und dem Kuss erzählen können. Erzählen müssen. Ich hatte ja gewollt, aber der Zeitpunkt war einfach ungünstig. Betreten sah ich Mom an. »Nun…«. »Nun…«, sagte sie, ebenfalls betreten. »Und was jetzt?«, fragte ich. »Jetzt? Nichts.« Sie zuckte mit den Schultern. »Nichts? Kein Vortrag übers Küssen?« Ich konnte es nicht glauben. War sie nicht total ausgeflippt, als sie angenommen hatte, ich würde wegen einem Jungen nicht nach Chilton gehen? »Kein Vortrag. Warum auch? Hast du etwas falsch gemacht?«, fragte sie irritiert.
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»Nein«, antwortete ich und zögerte. »Ich glaube nicht.« »Mir gefällt zwar nicht, wie ich es erfahren habe, aber du wirst älter, und dann passieren solche Sachen nun mal«, erklärte sie ruhig. Damit hatte ich nicht gerechnet. Andererseits – was genau hatte ich eigentlich erwartet? »Eigentlich finde ich es toll«, erklärte Mom und schenkte mir ein strahlendes, etwas aufgesetztes Lächeln. »Nein, das findest du nicht«, konstatierte ich. »Doch, doch. Ich freue mich riesig!« »Tatsächlich?« »Ja«, bestätigte Mom. »Mal ehrlich, dir passt das Ganze überhaupt nicht«, stellte ich fest. »Nein! Du bist ja verrückt! Ich finde es total gut.« »Aber den Eindruck machst du nicht«, erwiderte ich. »Ganz im Gegenteil.« »Das projizierst du nur auf mich, weil du nicht glauben kannst, dass ich nichts dagegen habe«, widersprach sie mir. »Okay.« Ich setzte mich an den Küchentisch und klappte die Pappschachtel auf. »Wirklich, kein Problem!«, bestätigte Mom noch einmal. »Verstanden!« Ich stocherte mit der Gabel in der Schachtel und häufte mir Nudeln auf den Teller. Mom blieb neben mir stehen und beobachtete mich. »Willst du auch welche?«, bot ich ihr an und sah auf. »Nein, nein, iss nur…. kein Problem.«
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10 Am nächsten Tag gingen Mom und ich in den Supermarkt, um unsere Naschvorräte für den Videoabend aufzustocken. Was auch immer in unserem Leben – oder auf der Welt – passierte, auf unseren Fernsehabend verzichteten wir nie. Und so spielte es auch keine Rolle, dass Mom und ich uns beide komisch verhielten, seit wir über den Kuss gesprochen hatten: Uns einte die Leidenschaft für Willy Wonka und die Schokoladenfabrik – und für Junkfood in rauen Mengen. >Komisch< beschrieb allerdings nicht mal ansatzweise, wie mir zumute war, als wir auf den Supermarkt zugingen – den Tatort. Dean war bestimmt da. Das war großartig und schrecklich zugleich. Mom hatte noch nie einen Jungen kennen gelernt, den ich gern hatte, weil ich eben noch nie einen Jungen wirklich gern gehabt hatte. »Hör mal, wir müssen uns beeilen, weil die Videothek bald zumacht. Also halten wir uns streng an unsere Liste. Keine Spontankäufe wie Zahnpasta oder Seife!«, wies mich Mom an, als sie die Tür öffnete. Sie war schon halb im Laden, als sie merkte, dass ich immer noch draußen stand und auf ein Herbstfestival-Plakat starrte, das im Schaufenster hing. »Rory?«, fragte sie und drehte sich um. »Weißt du was?«, meinte ich. »Ich glaube, wir haben genug zu essen im Haus.« »Tatsächlich?« Mom stemmte die Hände in die
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Hüften. »Bist du etwa umgezogen? In dem Haus, wo ich wohne, war heute Morgen nämlich nichts mehr da.« »Wir können ja Pizza bestellen«, schlug ich vor. »Das genügt.« »Bist du verrückt?«, fuhr sie auf. »Willy Wonka ohne einen Haufen ungesundes Zeug geht nicht. Ausgeschlossen. Das lasse ich nicht zu. Wir gehen da jetzt rein!« Und schon stand sie wieder an der Tür. Ich für meinen Teil blieb wie angewurzelt auf dem Gehsteig stehen. »Rory, das klappt schon«, ermunterte sie mich und kam zu mir herüber. Sie wusste, wie mir zumute war. »Vertrackte Situation!«, sagte ich. »Irgendwann muss ich ihn doch kennen lernen«, sagte sie, als könnte sie mich mit Logik überzeugen. »Okay, wie wäre es nächstes Jahr?«, gab ich zurück. Mom ging darauf nicht ein. »Ich werde mich ganz cool verhalten – cool wie Shaft«, sagte sie. »Kein Verhör!«, mahnte ich. »Ich schwöre«, versprach Mom. Ich rief ihr noch einmal alle Regeln ins Gedächtnis, damit sie mich nicht vor Dean in Verlegenheit brachte. »Keine Kussgeräusche!«, sagte ich. »Keine Geschichten aus meiner Kindheit, und sag bitte nicht >Chi-Town< zu Chicago! Keine James-Dean-Witze, keine Supermarkt-Witze, keine bösen Blicke, keine Nancy-Walker-Imitationen…« »Also bitte!«, beschwerte sich Mom. »Du musst es versprechen!«, bat ich. »Versprochen, hoch und heilig«, sagte sie.
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»Können wir jetzt bitte reingehen?« Ich atmete tief durch und machte mich bereit. »Okay, gehen wir!« Rasch ging ich durch die Tür, bevor mich der Mut wieder verließ. Drinnen sah ich mich nervös um. Dean war nirgendwo zu sehen, nach all dem Stress. Was für eine Erleichterung! »Ich sehe ihn nirgends«, ließ ich Mom wissen. »Vielleicht macht er gerade Pause.« Sie nahm einen Einkaufskorb. »Ja, vielleicht.« Ich war wirklich unglaublich erleichtert. »Okay, dann kaufen wir ein. Brauchen wir Marshmallows?« »Hm«, machte Mom, und ich warf eine Tüte in den Korb. »Und Geleebonbons brauchen wir«, sagte sie, »und Schokoküsse. Teig für Kekse haben wir zu Haus… und Erdnussbutter. Ach, sag mal, haben die vielleicht diese Dinger hier, die auf der einen Seite wie eine Zuckerstange aussehen, und mit der anderen stippt man sie in Zucker, bevor man sie lutscht?« »Davon wird einem bestimmt total schlecht«, bemerkte ich, und wir bogen in den nächsten Gang ein. »Ein Wunder, dass unsere Körper überhaupt noch funktionieren.« Als wir um die Ecke kamen, sah ich Dean vorn an der Kasse. »Da ist er!«, flüsterte ich Mom schnell zu. Dean unterhielt sich freundlich mit einem Kunden, dessen Einkäufe er gerade in eine Tüte packte. »Ganz schön groß!«, staunte Mom und blieb stehen, um ihn zu betrachten. »Da verbiegt ihr euch beim Küssen ja ziemlich den Rücken!«:. »Mom…« »Ihr müsst euch vorher immer gut aufwärmen!«
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»Okay, wir gehen«, bestimmte ich, nahm sie am Arm und führte sie nach vorn zu den Kassen. »Sorry!«, raunte sie mir zu. »Ich bin schon still.« Ich ließ ihren Arm wieder los. Wir waren nun dicht vor der Kasse. »Er hat tolle Augen«, bemerkte Mom. »Zum Verlieben!« »Ja«, sagte ich. »Und ein nettes Lachen«, fugte sie hinzu. »Sehr nett«, pflichtete ich ihr bei. »Wäre gut, wenn er sich mal umdrehen würde.« Natürlich interessierte sich Mom auch für seinen Hintern! »Die Kehrseite ist auch hübsch anzusehen«, kam ich ihr zuvor. »Wirklich?« »Glaub mir!« Wir legten unsere Kaloriensammlung auf das Transportband. Dean sah mich an und lächelte. »Habt ihr „wieder euren Videoabend?«, fragte die Kassiererin. »Ja«, antwortete Mom. »Heute gibt’s Willy Wonka und die Schokoladenfabrik.« »Oh, der ist gut. Da spielt doch Gene Hackman mit, oder?« »Nee, Gene Wilder«, schaltete Dean sich ein. Er kann lesen und schreiben und kennt sich mit Filmen aus! »Sind Sie ein Wonka-Fan?«, fragte Mom Dean. »Ahm…ja«, antwortete er. Er packte unser Junkfood in eine Tüte. Der Moment war günstig, fand ich. »Ahm, Dean, das ist meine Mutter, Lorelai. Mom, das ist Dean.« Mom schüttelte Dean die Hand. »Schön, Sie kennen zu lernen«, sagte sie höflich. »Ich freue mich auch«, entgegnete Dean.
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»Netter Kittel«, fugte Mom hinzu. »Ahm, danke!« Dean wirkte verlegen. Ich bekam verschwommen mit, wie meine Mutter bezahlte. Ich ging auf Dean zu und er reichte mir unsere Tüte. »Danke«, sagte ich. »Gern geschehen.« Wir sahen uns ein paar Sekunden lang verlegen an und dann kam meine Mutter. »Ja, Dean, schön, Sie kennen gelernt zu haben«, sagte sie. »Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.« »Ja«, erwiderte Dean. Wir gingen zum Ausgang. »Siehst du? War doch gar nicht so schlimm!«, sagte Mom leise zu mir. »Stimmt«, räumte ich ein. »Ich habe nichts Peinliches oder Dummes gesagt.« »Dafür bin ich dir auch sehr dankbar«, bemerkte ich. »Entspann dich, du Supermarktliebchen«, neckte sie mich. »Siehst du? Selbst die kleinste Information kann in deinen Händen zu einer tickenden Zeitbombe werden«, erklärte ich. »Darauf brauche ich einen Kaffee«, ließ Mom mich wissen, als wir auf der Straße standen. »Mom, die Videothek macht in zehn Minuten zu!« »Dann lauf du doch schnell rüber, und ich bestelle uns schon mal Kaffee«, schlug sie vor. »Gut.« »Los, beeil dich! Wir treffen uns bei Luke.« Ich flitzte die Straße hinunter. Ich war total
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glücklich, weil ich Dean gesehen hatte, weil Mom ihn gesehen hatte und weil alles gut gelaufen war. Das war höchst erstaunlich, wenn man bedachte, wie schlecht diese ganze DeanGeschichte angefangen hatte. Alles war in Ordnung. Ich konnte es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen, den Film zu gucken und mich in Bergen von Junkfood zu verlieren. Der Film war noch da, und ich lief zurück, um mich mit Mom zu treffen. Als ich um die Ecke bog, entdeckte ich sie vor dem Supermarkt auf der Straße. »Und?«, fragte sie, als ich näher kam. »Ich habe ihn!« »Klasse! Weißt du was? Einerseits freue ich mich, dass er noch da war, aber andererseits: In was für einer Welt leben wir, wenn nicht alle Willy-Wonka-Streifen ausgeliehen sind?« »Na, jetzt haben wir ihn ja«, sagte ich. »Ja, zum Glück für uns! Ach übrigens, ich habe deinen Freund auch zu unserem Videoabend eingeladen.« »Welchen Freund?«, wollte ich wissen. »Dean«, entgegnete Mom beiläufig. »Was?« Ich blieb stehen und sah sie fassungslos an. War sie jetzt total verrückt geworden? »Ja.« Sie lächelte. »Wir haben unseren Rotwein stehen lassen und Dean ist mir nachgelaufen. Da habe ich ihm erzählt, was wir heute vorhaben, und das hat ihm so gefallen…« Sie zögerte. »Warum guckst du mich so komisch an?« »Du hast Dean eingeladen? Zu uns nach Hause? Einfach so?« Ich konnte es nicht fassen! »Ja und?«
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»Bist du verrückt?« »Warum bist du denn so sauer?«, fragte Mom. Das schien sie auch noch ernst zu meinen – sie hatte echt keine Ahnung! »Weil wir noch gar kein richtiges Date hatten«, erklärte ich. »Mein erstes Date mit Dean findet also zu dritt statt? Bist du… was hat dich eigentlich gestochen?« »Tut mir Leid«, entgegnete Mom. Sie klang verwirrt. »Ich dachte, du freust dich.« »In welcher Welt lebst du eigentlich? Wir sind hier nicht bei den Amish! Jungen und Mädchen verabreden sich in der Regel allein]«, ereiferte ich mich. »Ich hatte das nicht als Date angesehen«, erklärte Mom. »Ich dachte eher an zusammen abhängen.« »Ich will aber auch nicht, dass unser erstes gemeinsames Abhängen mit meiner Mutter stattfindet!«, begehrte ich auf. Sie war die coolste Mom auf der Welt, aber deshalb blieb sie trotzdem meine Mutter. Plötzlich blickte auch sie missmutig drein. »Okay, sag bitte nicht so komisch >meine Mutter<.« »Wieso komisch?« »Es klingt so nach Glucke.« Ich seufzte. So hatte ich das nicht gemeint, und Mom hatte bestimmt in bester Absicht gehandelt, aber blöd war das Ganze trotzdem. »Ich kann nicht glauben, dass du so etwas getan hast! Das ist mir total peinlich!« Aufgebracht marschierte ich die Straße hinunter. Ich kam mir vor wie im siebten Schuljahr: Deine beste Freundin steckt
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einem Jungen, dass du ihn magst, um festzustellen, ob er dich auch mag. So etwas habe ich zwar noch nie getan, aber ich habe davon gehört. »Jetzt reagierst du aber über!«, sagte Mom und folgte mir. »Ich habe ihn zu Video und Pizza eingeladen – nicht zu einer Fahrt an die Niagarafälle.« Ich drehte mich um. Warum wollte sie mich nicht verstehen? »Du hast ausgerechnet den einen Jungen eingeladen, den ich mag!«, rief ich. »Ich weiß. Und ich hab auch nach einem Ausschau gehalten, an dem dir nichts liegt, aber da war nichts zu machen«, entgegnete sie leichthin. Ich lachte nicht. »Und jetzt fühlt er sich genötigt, uns zu besuchen und mit uns auf der Couch zu sitzen, ungesundes Zeug zu futtern und einen Film zu gucken!« »Ich habe doch nur einen Freund von dir zu uns eingeladen. Das ist doch nichts Schlimmes! Ich meine, was wäre, wenn Lane das getan hätte?«, wollte Mom wissen. »Du bist aber nicht Lane. Du bist meine Mutter!«, entgegnete ich. »Und du hast dasselbe gemacht wie Grandma früher, wenn sie jemanden eingeladen hat, den du sehr mochtest.« »Du vergleichst mich mit meiner Mutter?« Mom war entsetzt. »Nein«, sagte ich. »Ich will nur…« »Ich bin wie Emily Gilmore!« Mom schüttelte den Kopf. »Du liebe Güte, wie tief man doch fallen kann.«
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»So habe ich das doch gar nicht gemeint!« Ich hatte nicht geahnt, wie sehr sie dieser Vergleich treffen würde. »Ich wollte dich nicht demütigen!«, fuhr Mom auf. »Ich weiß«, versicherte ich ihr. Wie gern hätte ich alles wieder zurückgenommen! »Wenn ich Emily Gilmore wäre, hätte ich das nämlich versucht! Also, hör mal, tut mir wirklich Leid«, entschuldigte sich Mom. »Ich hab’s versaut. Ich wollte nur… ach, egal. Ich werde ihn einfach wieder ausladen. Ich sage ihm, der Abend fällt aus, weil ich gerade herausgefunden habe, dass ich wie meine Mutter bin, und mich sofort in Therapie begeben muss«, sagte sie. Was? Das war doch keine Lösung! »Nein, du kannst ihn nicht wieder ausladen«, widersprach ich. »Er wird denken, ich spinne, oder so.« »Gut, dann werde ich einfach verschwinden und euch zwei allein lassen«, schlug Mom vor. »Damit es so aussieht, als müsse meine Mutter die Dates für mich klarmachen? Auf keinen Fall!« »Und was jetzt?«, fragte Mom. Es gab nur eine Lösung. »Er muss kommen«, stellte ich fest. Mom nickte. »Hör mal, das wird bestimmt nett. Pizza essen, den Film gucken, abhängen. Ich verspreche dir, er wird nicht das Gefühl haben, dass deine Mutter dabei ist.« »Okay.« Ich wusste zwar nicht, wie das möglich sein sollte, wenn sie doch neben uns auf dem Sofa saß, aber wir würden es einfach probieren. Was blieb uns auch anderes übrig? Eine Viertelstunde später türmte sich ein großer
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Haufen Klamotten auf meinem Bett. Ich trug mein pinkfarbenes Blumenkleid und hatte das Haar mit einem Stirnband zurückgebunden. Dean sollte in einer halben Stunde eintreffen – und ich war nicht einmal annähernd fertig. Mom kam ins Zimmer, um nach mir zu sehen. »Hey, das ist klasse! Nimm noch ein bisschen Gesichtscreme und Lockenwickler, dann sieht er, was ihn jeden Abend erwartet, wenn er von der Arbeit kommt«, neckte sie mich. »Das sollte ein ganz normaler Abend werden!«, entgegnete ich. »Den Film gucken, Süßes futtern, mit Bauchschmerzen schlafen gehen, Ende der Geschichte. Und jetzt muss ich mich plötzlich hübsch machen… was ein Ding der Unmöglichkeit ist, weil ich hässlich bin und nichts zum Anziehen habe!« »Soll ich dir helfen?«, bot Mom an. »Nein«, antwortete ich, überlegte es mir aber schnell wieder anders. »Ja!« »Okay, dann wollen wir mal sehen – hier!« Sie zog ein knallrotes Shirt aus dem Kleiderhaufen auf meinem Bett. »Das hier ist perfekt. Darin siehst du hip und süß aus, weil es dir unheimlich gut steht, zugleich aber auch lässig und unkompliziert wirkt, als hättest du es dir nur schnell übergezogen.« Ich sah sie ungläubig an. »Wie hast du das gemacht?« »Was?« »Ich gucke nun schon seit zwanzig Minuten auf dieses Shirt, und es war nur irgendein Oberteil von vielen. Du kommst rein, und drei Sekunden später ist es ein richtiges Outfit!«
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»Das ist das Ergebnis unzähliger Jahre, in denen ich genau wie du gerade an Denkblockaden in Sachen Mode gelitten habe«, erklärte sie. »Aber wie machst du das?«, wollte ich wissen. »Was denn?«, fragte Mom wieder. Sie begriff offenbar gar nicht, wo das Problem war. »Diese ganze Sache mit den Jungs. Ich meine, ich habe doch schon oft beobachtet, wie du mit einem Mann sprichst«, erklärte ich. »Du hast auf alles eine Antwort, du bringst ihn zum Lachen, du lächelst richtig…« »Ich lächle richtig?«, fragte Mom nach. »Und dann machst du immer so was mit den Haaren…« Ich versuchte es vorzumachen, aber bei mir mit meinem Pony und dem Stirnband sah die Frisur nach nichts aus. »Ich werfe sie nach hinten«, erklärte Mom und zeigte mir, wie sie es machte. »Und dann gehst du ‘weg, und der Kerl bleibt total beeindruckt und wie vom Donner gerührt stehen, als könnte er nicht glauben, was ihm gerade widerfahren ist«, meinte ich. »Weil ich ihm gerade die Brieftasche geklaut habe!«, entgegnete Mom. »Das schaffe ich nie!«, stöhnte ich und ließ mich aufs Bett sinken. »Trigonometrie – kein Problem. Jungs und Dates – vergiss es! Ich bin eine totale Niete.« Mom nahm das rote Shirt und setzte sich ans Fußende. »Hör mir mal zu! Das Reden, daran gewöhnst du dich. Das mit den Haaren kann ich dir beibringen. Und was das Beeindrucken angeht, da mache ich mir bei deiner Intelligenz und diesen knallblauen Augen überhaupt keine
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Sorgen! Du kannst es. Lass dir nur ein bisschen Zeit und setz dich nicht unter Druck.« »Reicht auch eine halbe Stunde?« »Dicke! Und jetzt los! Nimm ein bisschen Lipgloss – farblos, aber fruchtig – , vielleicht etwas Wimperntusche, lass das Haar offen und dann: Kopf hoch!« Mit den letzten Worten klopfte sie mir aufmunternd aufs Bein. »Du bist ja wie unsere Fashion-Expertin Elsa Klensch, nur viel verrückter«, meinte ich. »Vielen Dank! Und jetzt beeil dich! Wir erwarten Herrenbesuch!« Ich sprang auf und fing hektisch an aufzuräumen und mich für den Abend zu stylen.
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11 Eine Stunde später saßen Mom und ich auf der Couch und starrten trübe auf den Tisch mit unseren Junkfoodtüten. Dean kam zu spät. Er war fast schon eine halbe Stunde überfällig. Vielleicht wollte er ja gar nicht mehr kommen? Es war die reinste Folter. Ich sah auf meine Uhr. »Welche Zeit hast du mit ihm abgemacht?«, fragte ich Mom zum wiederholten Mal. »Sieben Uhr«, antwortete sie mit einem nervösen Lächeln. Das wusste ich schon, aber ich hatte irgendwie gehofft, diesmal eine andere Antwort zu bekommen. »Vielleicht ist etwas passiert«, rätselte ich. »Vielleicht kommt er gar nicht mehr.« »Vielleicht hat er nur ein bisschen Verspätung, du Pünktlichkeitsfanatikerin!«, neckte mich Mom. Sie stand auf und sah aus dem Fenster. Das hatte auch ich schon unzählige Male getan. »Oh je!«, rief Mom. »Was?« Ich schaute über die Schulter, sprang auf und rannte zum Fenster. Und schon sah ich, – wo das Problem lag: Babette, die sehr nett ist, vor allem aber extrem geschwätzig, hatte Dean auf dem Weg zu unserer Tür abgefangen. Er stand im Vorgarten, nur wenige Schritte vom Haus entfernt. Er trug eine Lederjacke und sah unglaublich gut aus. Aber Babette und ihr Mann Morey, der im Haus war und vom Fenster aus mit Dean redete, ließen ihn
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nicht gehen. Babette hatte sich bei ihm eingehakt, und Dean hörte ihr höflich zu. »Sie haben Dean!«, stellte ich fest. »Warte hier!«, sagte Mom. Ich beobachtete, wie Mom nach draußen lief und Dean mit chirurgischem Geschick von Babette löste. Als sie zur Tür kamen, ließ ich die beiden rasch herein. Ich nahm Dean die Jacke ab und legte sie über die Rückenlehne eines Stuhls. »Tut mir Leid«, sagte er. »Ich war schon vor einer halben Stunde da.« Ich sah ihn an und lächelte. »Das glauben wir dir sofort!« Mom rieb sich die Arme, weil ihr draußen kalt geworden war, und sagte: »Wir würden dir sogar glauben, wenn du gesagt hättest, du wärst schon vor drei Stunden gekommen.« Wir mussten alle drei lachen. Dann entstand eine unangenehme Pause, in der Dean und ich eigentlich hätten reden sollen, es aber nicht taten. Zum Glück war Mom in diesen Dingen etwas geschickter als ich. »Dean, wie gefällt dir Stars Hollow eigentlich?« »Sehr gut!«, antwortete er begeistert. »Es ist ruhig hier, aber sehr schön. Mir gefallen die vielen Bäume hier.« »Ja, die Bäume, das ist schon was«, pflichtete ihm Mom bei. »Ich weiß noch, wie Rory als Kind mitbekommen hat, dass da vorn an der Straße der Baum eine Trauerweide ist. Sie hat stundenlang davor gestanden und versucht, ihn aufzuheitern«, erzählte sie mit einem strahlenden Lächeln. »Sie hat dem Baum Witze erzählt und…« Ich schüttelte den Kopf und sah sie gequält an.
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Glücklicherweise bemerkte sie es. »Nein, tut mir Leid, das war eine Geschichte aus meiner Kindheit«, erklärte sie rasch. Dean blickte verwirrt drein. »Sollen wir dir das Haus zeigen?«, fragte Mom. Dean zuckte mit den Schultern. »Ahm… okay.« »Nun, hier ist das Wohnzimmer«, erklärte Mom. Wir drehten uns in kleinen Schritten im Kreis, um das Wohnzimmer zu bewundern. Mom zeigte auf die Treppe. »Und oben ist mein Zimmer und das Bad…« Plötzlich wurde mir klar, dass die Hausbesichtigung direkt auf die oberpeinliche Fotosammlung von mir als Säugling, Kleinkind und als Kürbis verkleidet hinauslief. »Mom!«, formte ich lautlos mit den Lippen und zeigte unauffällig auf den großen Fotorahmen. Zum Glück drehte sie ihn rasch um. »Und ahm… hier hinten ist die Küche!« Dean ging unter dem Rundbogen hindurch zur Küche. »Danke!«, raunte ich Mom im Vorbeigehen zu. »Keine Ursache«, gab sie flüsternd zurück. Dann folgten wir Dean, und Mom fuhr fort: »Okay… also, das Wichtigste: die Mikrowelle für Popcorn, der Ofen zum Schuhe aufbewahren, der Kühlschrank – leider völlig nutzlos.« Dean nickte. »Ah ja.« Da klingelte es an der Tür. »Ich gehe schon«, sagte Mom und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Rory, mach du doch inzwischen mit der Führung weiter. Und vergiss bloß die Notausgänge nicht!« Ich wurde nervös, als Mom uns allein ließ. »Tja,
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meine Mutter«, sagte ich daher nur und sah Dean an. »Die hat aber Energie«, bemerkte er. »Allerdings. Sie besteht zu neunzig Prozent aus Wasser und die restlichen zehn Prozent sind Koffein«, erklärte ich. Dean lachte, dann drehte er sich zu der Tür hinter ihm um. »Und was ist da drin?« »Ahm, das ist mein Zimmer«, antwortete ich. »Echt? Kann ich es sehen?« »Okay, geh ruhig rein.« Er öffnete die Tür und betrat mein Zimmer. »Wow! Total ordentlich!« Ich lehnte mich an den Türrahmen und sah zu, wie Dean mein Zimmer begutachtete. Er nahm meine Nick-Drake-CD. »Ist es nicht unglaublich, dass >Pink Moon< in der VW-Werbung verbraten wird?« »Oh ja!«, entgegnete ich. Nick Drake ist nicht nur ein Musiker, er ist ein Poet. Seine Musik ist wunderschön, und ich war fassungslos gewesen, als ich die Werbung zum ersten Mal gesehen hatte. Lane und ich sind noch immer nicht darüber hinweg. »Und… möchtest du nicht auch reinkommen?«, fragte Dean. »Ach nein«, entgegnete ich. »Ich kenne es ja schon.« »Du siehst aus, als wärst du an der Tür festgewachsen«, sagte er. »Nein, ich sehe mir mein Zimmer nur mal aus einer anderen Perspektive an. Von hier kenne ich es eigentlich gar nicht«, erklärte ich. »Und ich glaube, ich muss mir neue Kissen zulegen, wenn
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ich das so sehe.« »Wäre es dir lieber, wenn ich auch wieder rauskomme?«, fragte Dean. »Oh nein, ist schon in Ordnung, wenn du dich ein bisschen umsiehst«, entgegnete ich. Er nahm mein Plüschhuhn vom Bett, hielt es sich ans Gesicht und sagte: »Nettes Huhn!« »Okay, Schluss jetzt mit der Besichtigung!« Dean lachte, und ich merkte, dass ich fast am Verhungern war. »Mom!«, rief ich, »war das die Pizza?« »Jaha!«, antwortete Mom. Wir liefen zurück ins Wohnzimmer. Mom stand im Türrahmen. »Und, habt ihr Hunger?« »Ich sterbe fast«, entgegnete Dean. »Wo ist denn die Pizza?«, fragte ich. »Die Pizza ist…«, Mom blickte auf ihre leeren Hände hinunter. »Die Pizza…« Da klingelte es schon wieder, und Sookie kam mit der Pizza hereinspaziert. Aha, sehr clever!, dachte ich. Dann machte Sookie sich mit Dean bekannt. »Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Dean«, sagte sie. »Ich meine, ich wusste nicht, dass Sie Dean sind, Sie sehen nur aus wie ein richtiger Dean«, plapperte sie. »Sieht er nicht aus wie ein Dean?« Ich wäre am liebsten gestorben. Dean auch, glaube ich. Als Sookie endlich wieder verschwand, gingen wir ins Wohnzimmer. »Ich habe sie nicht hergebeten«, sagte Mom leise zu mir. »Ich schwöre!« »Warum hast du nicht gleich eine Kamera aufgestellt, um das Ganze übers Internet zu verbreiten?«, gab ich zurück.
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»Weil ich nicht in so großem Stil denke«, entgegnete Mom. Dean setzte sich auf die Couch. »Gott sei Dank gibt es hier gute Pizza«, sagte er mit Blick auf die Kartons, die auf dem Kaffeetisch standen, gleich neben der Schüssel mit den Marshmallows. »Oh ja! Weil wir nicht wussten, welche du magst, haben wir von allem etwas genommen«, erklärte Mom. »Mir ist jede Sorte recht«, entgegnete Dean. »Okay, prima. Na dann, guten Appetit!« Wir nahmen alle ein Stück Pizza, lehnten uns zurück und fingen an zu essen. Eine Stunde später saßen wir auf dem Boden und sahen uns den Film an. »Wer will noch was?«, fragte Mom. »Ich!« Ich beugte mich vor und nahm mir eins von den restlichen Pizzastücken. »Wow!«, staunte Dean. »Du hast einen gesunden Appetit!« »Ja, den habe ich«, erwiderte ich stolz, stutzte aber gleich darauf. »Moment! Das ist eher schlecht, oder?« Wahrscheinlich war es besser, wenn ich nicht alles wegfutterte, was auf dem Tisch stand. »Nein, nein!«, antwortete Dean. »Die meisten Mädchen essen überhaupt nichts. Es ist gut, wenn du isst!« »Finde ich auch«, schaltete Mom sich ein. Ich war froh, dass Dean meinen Appetit gut fand, aber wir hatten uns schon viel zu lange mit diesem Thema beschäftigt. »Reden wir mal über was anderes als Essen, ja?«, schlug ich vor. »Oh! Da sind die Oompah Loompahs!«
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Ich sah Dean an. »Mom steht total auf die Oompah Loompahs.« »Ich finde sie nur lustig!«, verteidigte diese sich. »Ach, und wie war das mit dem Traum, den du mehrmals hintereinander hattest? Du wolltest einen von den orangen Kerlchen mit grünen Haaren heiraten!«, sagte ich und Dean musste lachen. Das konnte Mom natürlich nicht auf sich sitzen lassen. »Hey, pass bloß auf, sonst erzähle ich von deinem Märchenprinzen! Wenigstens sind die Objekte meiner Begierde echt. Du wolltest was mit einer Zeichentrickfigur anfangen!« »Oh!« Dean war neugierig geworden. »So, so, ein Märchenprinz!« »Das ist schon lange her! Und es war nicht der von Aschenputtel, sondern von Dornröschen«, protestierte ich verlegen. »Weil er tanzen konnte«, meinte Dean verständnisvoll. »Ich habe Schwestern.« Ich versuchte mir vorzustellen, wie Deans Schwestern aussahen. Es war gut, dass er welche hatte. Ich meine, ich hatte schon mal gehört, es sei gut, sich mit Jungs anzufreunden, die Schwestern haben, weil sie besser mit Frauen klarkommen. Und tatsächlich, Dean hatte Verständnis für meine MärchenprinzSchwärmerei. »Okay, Dean. Dann erzähl du uns doch mal von deinen peinlichen Geheimnissen und Abgründen«, forderte Mom ihn auf. »Nun, ich… ich habe keine peinlichen Geheimnisse«, antwortete er.
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Das glaubte ich ihm nicht, und Mom auch nicht. »Also bitte!«, sagte sie. Ich setzte mich auf. »Ich wette, ich kenne eins. Bei der Titelmelodie von Eisfieber musst du weinen.« »Oh, das ist sehr gut!«, sagte Mom lachend. »Das stimmt doch gar nicht!«, protestierte Dean. »Und ich kenne noch eins: Am Ende von Cherie Bitter wäre es dir lieber, wenn Robert Redford wegen Barbra Streisand Frau und Kind verlässt«, sagte Mom. Dean schüttelte den Kopf. »Den Film habe ich noch nie gesehen.« »Soll das ein Witz sein?«, fragte ich. »Was will man mehr?«, schwärmte Mom. »Herzschmerz, was zum Lachen…« »Kommunismus«, ergänzte ich. »Alles zusammen in einem Film!« Dean wirkte ein wenig erschlagen. »Den muss ich mir mal ansehen.« »Beim nächsten Videoabend«, schlug Mom vor. »Wäre eine Maßnahme«, ergänzte ich. Mom stand auf. »Ich mache jetzt Popcorn.« »Bring bitte den Sprühkäse mit!«, rief ich ihr hinterher. »Darf denn bei euch der Besuch auch mal einen Film vorschlagen?«, wollte Dean wissen. »Kommt drauf an«, entgegnete ich. »Woran hast du denn gedacht?« »Ich weiß nicht.« Dean strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Boogie Nights vielleicht?«, wollte er dann wissen. Ich schüttelte den Kopf. »Das kriegst du bei
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Lorelai nicht durch.« »Kein Marky-Mark-Fan?« Dean sah mich an und lächelte. »Auf Magnolia hat sie gar nicht gut reagiert«, sagte ich und Dean lachte. »Sie saß da und schrie: >Ich will mein Leben zurückhaben< – und dann wurden wir aus dem Kino geworfen. Das war ein sehr amüsanter Tag.« »Ja?« Dean rückte ein Stück näher an mich heran. »Ja«, bestätigte ich. »Na, dann muss ich wohl einen anderen Film vorschlagen.« Dean sah mir in die Augen. »Das musst du wohl«, entgegnete ich. Ich drehte mich um und sah zum Fernseher. Es lief alles so gut, dass ich es mit der Angst zu tun bekam. Dean hatte also vor, noch einmal zum Videoabend vorbeizukommen – das hatte er gerade gesagt. Wir hatten uns praktisch schon verabredet. Das bedeutete, es gefiel ihm bei uns. Und es bedeutete, er mochte mich. Wir scherzten und lachten eine Weile, bevor wir uns wieder auf Willy konzentrierten. Während ich mir eine bequemere Sitzposition suchte, nahm Dean ein Kissen von der Couch und stopfte es mir in den Rücken. »Danke«, sagte ich. Dean lächelte mich an und sah wieder auf den Fernseher. Ich blickte ihn noch ein paar Sekunden an. Plötzlich wurde mir klar, wie allein wir waren. Wo blieb Mom nur so lange? Dean drehte sich wieder zu mir um. »Hey«, sagte er. Ich geriet wieder mal total in Panik und konnte
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die innere Anspannung nicht länger aushalten. »Bin sofort wieder da!«, versprach ich und sprang auf. Ich brauchte dringend Moms Hilfe.
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12 »Mom!« Ich marschierte in die Küche und stemmte die Hände auf den Tisch. »Was? Was ist denn los?«, fragte sie und sah überrascht von der Modezeitschrift auf, in der sie gerade las. »Was treibst du denn hier?«, wollte ich wissen. Eigentlich sollte sie draußen im Wohnzimmer sein und mir helfen! »Ich versuche, den richtigen Badeanzug für meine Oberweite zu finden«, erklärte sie. »Mach, dass du wieder ins Wohnzimmer kommst!«, befahl ich. »Warum? Was ist denn passiert? Ist dir der Junge zu nahe gekommen?« »Nein! Er sitzt da und guckt den Film und er ist einfach perfekt und er riecht sehr gut!« »Wie bitte?« »Er riecht gut und er sieht fantastisch aus und ich bin blöd und habe danke gesagt und…« »Immer langsam! Du hast danke gesagt?« Mom schien irritiert. »Als er mich geküsst hat«, erklärte ich. Mom blickte total schockiert drein. »Er hat dich geküsst? Schon wieder? Der ist ja schnell aus dem Gefängnis entlassen worden nach seiner letzten Straftat…« »Nein, nicht jetzt!«, rief ich ungeduldig. »Neulich, im Supermarkt.« »Ach so, dann streich die Bemerkung mit dem Gefängnis. Okay, also: Er hat dich geküsst und du hast danke gesagt?« Es aus ihrem Mund zu
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hören, machte die Sache nur noch peinlicher. »Ja«, gestand ich. »Na, das war doch sehr höflich.« Mom lächelte. »Nein!«, brauste ich auf. »Es war blöd! Und ich weiß nicht, was ich tun soll. Und du sitzt in der Küche! Was bist du eigentlich für eine Anstandsdame?« »Ich?« Mom hob abwehrend die Hände. »Ich will doch gar keine Anstandsdame sein. Nur eine Freundin.« »Na, dann komm in die Gänge, sonst tick ich komplett aus!« Mom lächelte still vor sich hin. »Du magst ihn sehr, nicht wahr?« Ich nickte. »Ja.« »Also gut, dann beruhige dich erst mal.« »Ich will einfach nichts mehr tun oder sagen, was auch nur im Entferntesten idiotisch wirkt«, erklärte ich. Das bedeutete dann wohl, dass ich am besten gar nicht mehr sprach, so lange Dean da war. »Tja, leider ist es bei Herzensangelegenheiten nur so, dass man sich meistens ein bisschen idiotisch verhält«, entgegnete Mom. »Bitte komm wieder mit ins Wohnzimmer!« »Okay, gehen wir«, meinte Mom. Da wurde mir schlagartig klar, wie das aussehen musste: Als hätte ich Mom geholt, weil ich Angst davor hatte, mit Dean allein zu sein. »Nein, wir können nicht zusammen reingehen«, erklärte ich. »Das wäre viel zu offensichtlich.« »Okay, dann gehe ich zuerst, und du… du gehst noch ins Bad«, schlug Mom vor. Sie wusste wirklich immer einen Ausweg!
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»Okay, gut. Sag ihm, ich muss mir kurz das Gesicht waschen.« »Wegen dem ganzen Süßkram, den du gegessen hast«, fügte Mom hinzu und perfektionierte die Geschichte noch. Wäre die Zeit nicht so knapp gewesen, hätten wir meine Gier auf Zucker weiter vertiefen und bis in meine Kindheit zurückverfolgen können. Aber für den Augenblick genügte die Kurzfassung voll und ganz. »Ja, gut. Sehr gut!« Ich schubste Mom Richtung Wohnzimmer. Dann ging ich ins Bad und drehte den Heißwasserhahn auf. Ich sah in den Spiegel, der allmählich vom Wasserdampf beschlug. So sieht also das Mädchen aus, das noch mal von Dean geküsst werden will, dachte ich. Mit einem Ruck drehte ich den Kran wieder zu und lief zurück ins Wohnzimmer. Als der Film zu Ende war, verabschiedete sich Dean. Ich brachte ihn zur Tür und blieb auf der Veranda stehen. »Sag deiner Mutter noch mal danke für die Einladung«, bat er. Wir standen dicht nebeneinander am Geländer. »Tut mir Leid, falls dir das alles komisch vorgekommen ist«, sagte ich. »Ich meine, weil meine Mutter dich eingeladen hat und…« »Ach was, nein!«, unterbrach er mich. »Es war toll. Wirklich.« »Wirklich?« »Ja.« Wir sahen uns an – und dann beugten wir uns beide vor, und unsere Lippen verschmolzen zu einem langen, zärtlichen Kuss. »Danke«, sagte
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Dean liebevoll. Wir mussten beide lachen, und dann verschwand er. Als ich wieder reinkam, war Mom schon im Bett. Sie lag auf dem Rücken und hatte einen Arm über die Augen gelegt. Ich hopste aufs Bett und legte mich neben sie. »Das ist doch ganz gut gelaufen«, meinte sie. »Ja, nicht schlecht«, pflichtete ich ihr bei. »Habe ich was Peinliches gemacht?« »Ich weiß nicht.« Ich strich mir über den vollen Bauch. »Was hast du denn zu ihm gesagt, als ich im Bad war?« »Dass du hübsch bist«, entgegnete Mom mit einem unschuldigen Lächeln. »Lügnerin!« »Ja, also…« »Ich gehe jetzt schlafen.« Ich setzte mich auf und wollte gehen, aber irgendetwas schien meine Mutter zu beschäftigen. »Mom? Was ist los?« »Nichts.« »Nun komm schon«, widersprach ich. Sie ist so eine schlechte Lügnerin! »Los! Sag es mir!« »Ach, nichts. Ich… ich hätte mich nur gefreut, wenn du mir von dem Kuss erzählt hättest.« »Das tut mir so Leid! Ich wollte es ja. Ich schwöre! Ich habe nur Angst bekommen und…« »Ich weiß, und ich bin auch gar nicht sauer. Ich hätte nur gern davon erfahren. Das ist alles. Kein Problem.« Sie drehte sich auf die Seite. »Schon in Ordnung. Alles klar! Tut mir Leid. Hör mal, du musst morgen zur Schule und ich muss arbeiten. Also höchste Zeit zum Schlafengehen!« »Okay, gute Nacht!« »Nacht, Süße«, sagte Mom.
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In der Tür blieb ich stehen. »Mom?« »Ja?« »Es ist zwar schon ganz schön spät, aber…« Mom setzte sich auf und sah plötzlich taufrisch und gut gelaunt aus. »Fang ganz von vorne an, und wenn du etwas auslässt, bringe ich dich um!«, rief sie. Ich setzte mich wieder aufs Bett, und sie zog mich ein Stück näher an sich heran. »Wo also warst du genau?«, wollte sie wissen. »Ich war in dem Gang mit dem Ameisenspray«, sagte ich. »Oh, das ist ein guter Gang!« »Ich weiß, das hat Lane auch gesagt. Aber jedenfalls, er hat gearbeitet und…« Es war wohl das neunzigste Mal, dass ich die Geschichte erzählte. Fünfzigmal hatte ich sie Lane erzählt. Fünfunddreißigmal mir selbst. Vier Tagebucheinträge. Und nun erzählte ich sie endlich Mom – dem Menschen, dem ich sie zuallererst hätte erzählen sollen.
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13 Am darauf folgenden Freitag waren Mom und ich wieder zum Essen bei meinen Großeltern, aber diesmal war mein Großvater nicht dabei. Er fehlte mir, denn ich hatte einen besseren Draht zu ihm als zu meiner Großmutter, auch wenn ich sie häufiger sah als ihn. »Dein Großvater hat gestern Abend angerufen. Ich soll dir sagen, er bringt dir etwas ganz Besonderes aus Prag mit«, erklärte Grandma, während wir unseren Salat aßen. »Wow, aus Prag!«, sagte ich voller Bewunderung. Es war toll, wie viel mein Großvater reiste – er brachte immer klasse Geschichten mit nach Hause. »Wahnsinn, er ist echt in Prag!« »Dort muss es wunderschön sein«, sagte Grandma. »Sehr beeindruckend, die Burg und die Altstadt.« »Wusstet ihr, dass man in der Zelle, in der Vaclav Havel gesessen hat, jetzt Urlaub machen kann?«, fragte ich. »Die Nacht kostet um die fünfzig Dollar.« Ich sah Mom an. »Hey, vielleicht können wir auf unserer Europareise auch nach Prag fahren und in dieser Zelle übernachten!« Wir hatten vor, in dem Sommer nach meinem HighSchool-Abschluss eine große Europatour zu machen. »Unbedingt!«, erwiderte Mom. Sie stocherte in ihrem Salat herum und schob ein paar Stückchen an den Tellerrand. »Und dann fahren wir in die Türkei und übernachten in diesem Haus aus
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Midnight Express.« Meine Großmutter musterte sie. »Lorelai, was machst du da?« »Ich sortiere die Avocadostücke aus«, antwortete Mom. »Seit wann magst du denn keine Avocados?«, fragte Grandma erstaunt. »Seit dem Tag, als ich sagte: >Igitt, was ist das denn?<, und du geantwortet hast: >Avocados<.« »Jetzt aber zu dir!« Grandma sah mich neugierig an. »Erzähl mir alles über den ChiltonTanzabend nächste Woche!« »Es gibt einen Tanzabend?«, fragte Mom. »Woher weißt du das?«, wandte ich mich an Grandma. »Ja, woher weißt du das?«, wiederholte Mom. »Aus meinem Chilton-Rundbrief«, antwortete Großmutter stolz. Sie steht total auf Chilton und ist mit Betty Charleston befreundet, der Frau des Direktors. »Seit wann bekommst du denn den ChiltonRundbrief?«, fragte Mom erstaunt. »Nun, da ich maßgeblich zu Rorys Bildung beisteuere, dachte ich, ich darf mir auch den Rundbrief schicken lassen«, erklärte Großmutter. »Im Ernst?« Großmutter ging ins Arbeitszimmer und holte den Rundbrief. »Und anscheinend ist das auch gut so, denn du liest ihn ja nicht«, sagte sie. »Wenigstens eine von uns sollte auf dem Laufenden sein, was Rorys Schule angeht.« »Hey, natürlich lese ich den Rundbrief!«, verteidigte sich Mom. »Tatsächlich?«, gab Grandma zurück.
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»Ja, das tue ich!« Grandma versteckte den Rundbrief hinter ihrem Rücken. Ich kam mir vor wie im Kindergarten. »Was für ein Bild ist auf dem Titel?«, wollte sie wissen. »Ein Bild von einem superreichen Kind«, sagte Mom ein wenig zu schnell. Sie stocherte weiter in ihrem Salat. »In karierter Kutte«, fugte sie dann hinzu. Grandma hielt ihr den Rundbrief hin. »Es ist eine gepunktete Eule.« »In karierter Kutte«, wiederholte Mom. Ich konnte mir nur mühsam ein Lachen verkneifen, aber Grandma nahm die Sache total ernst. Wenn ich nicht aufpasste, verkuppelte sie mich für den Tanzabend noch mit jemandem von Chilton. Man durfte sie nicht unterschätzen. »Diese Eulenart ist vom Aussterben bedroht, und Chilton sammelt Spenden, um dagegen anzugehen.« Grandma drehte sich zu mir um und lächelte. »Du hast eine ordentliche Spende abgeliefert, falls es dich interessiert.« Sie setzte sich wieder an den Esstisch. »Mom, du kannst doch nicht in Rorys Namen spenden!«, protestierte Mom. »Das ist meine Aufgabe.« »Und wie willst du das machen, wenn du nicht mal den Rundbrief liest?«, fragte Grandma. »Ich lese ihn«, erwiderte Mom störrisch. »Aber du wusstest nicht, dass sie Spenden sammeln!« »Es ist eine Privatschule, da werden immer Spenden gesammelt«, erklärte Mom. »Das ist praktisch ein eigenes Unterrichtsfach. Nächstes
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Mal mache ich mit.« »Und was ist mit den Eulen?«, fragte Grandma und sah Mom durchdringend an. »Die werden schon überleben.« »Nun, offensichtlich nicht, Liebes. Deshalb werden die Spenden ja so dringend benötigt«, erklärte Grandma. Ich schwöre, normalerweise können sie und Mom stundenlang so weitermachen. Aber Mom gab auf und wandte sich an mich. »So, dann hast du also einen Tanzabend vor dir?« »Ja.« Ich zuckte mit den Schultern. »Aber ich glaube nicht, dass ich hingehe.« »Unsinn!«, rief Grandma. »Natürlich gehst du hin!« »Mom, wenn Rory nicht hingehen will, dann muss sie es auch nicht«, schaltete Mom sich ein. »Also, warum sollte sie denn nicht wollen?«, konterte Grandma. Es schien ein sehr günstiger Zeitpunkt, um mich zu verdrücken. »Ich hole mir noch eine Cola«, sagte ich und stand vom Tisch auf. »Warum hast du denn nichts von dem Tanzabend gesagt?«, fragte Mom, als wir nach Stars Hollow zurückfuhren. »Weil ich nicht hingehe.« »Okay, aber warum nicht?« »Weil ich Tanzabende hasse«, erklärte ich und beobachtete, wie kleine Schneeflocken vor der Windschutzscheibe wirbelten. »Gute Antwort.« Sie nickte und es sah so aus, als wäre sie mit mir einer Meinung. Dann sagte sie jedoch: »Abgesehen davon, dass du noch nie
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bei so einer Veranstaltung warst.« »Na und?« »Du kannst also gar nicht wissen, wie es ist.« »Nein, aber ich kann es mir vorstellen.« Und die Vorstellung von einem Tanzabend mit einem Haufen versnobter Klassenkameraden begeisterte mich eher wenig. »Sicherlich«, pflichtete sie mir bei. »Aber andererseits liegst du mit deiner Vorstellung möglicherweise falsch. Du warst ja noch nie auf so einem Tanzabend. Deine Meinung basiert lediglich auf einer Spätvorstellung von Das darf man nur als Erwachsener.« »Na und?«, fragte ich wieder. »Du solltest zumindest einen richtig guten Grund haben, wenn du etwas hasst«, erklärte sie. Und das aus ihrem Mund! Echt witzig. »Vertrau mir, ich hasse Tanzveranstaltungen«, wiederholte ich. »Es wird ein spießiger, langweiliger Abend, die Musik ist ätzend und da mich niemand leiden kann, würde ich nur dumm rumstehen und Tristin und Paris dabei zusehen, wie sie sich streiten, wer von ihnen mich als Erstes quälen darf.« »Mag sein. Vielleicht ist es aber auch total prickelnd und aufregend, und sie spielen Tom Waits, während du mit einem umwerfenden Typen über die Tanzfläche schwebst, der dich so intensiv ansieht, dass du gar nicht mitbekommst, wie Paris und Tristin ausgehungerten Bären zum Opfer fallen«, erwiderte Mom. Das klang gut. Gab es Grislibären in Hartford? »Mit welchem Typen denn?« »Ich weiß auch nicht. Vielleicht mit dem, der sich die ganze Zeit bei uns vor dem Haus im
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Gebüsch versteckt und auf dich wartet, wenn du aus der Schule kommst?« »Dean versteckt sich nicht im Gebüsch«, erklärte ich. »Letzte Woche ist er mit dem Kopf gegen einen Ast gestoßen, als ich überraschend aus dem Haus kam«, berichtete Mom. Bei der Vorstellung, wie Dean sich den Kopf anstieß, musste ich lachen. »Warum liegt dir plötzlich so viel daran, dass ich hingehe?«, fragte ich Mom. »Im Grunde ist es mir egal«, erklärte sie. »Ich will nur nicht, dass du irgendetwas im Leben verpasst, weil du Angst hast.« »Weil ich Angst habe?«, wiederholte ich. »Wovor denn?« Ich sah aus dem Fenster. »Davor, Dean zu fragen. Davor, dass er nein sagt«, entgegnete Mom. »Davor, einen Abend mit einem Haufen Kids zu verbringen, die dich noch nicht akzeptiert haben. Davor, in der Öffentlichkeit zu tanzen«, fuhr sie fort, »und dabei vielleicht herauszufinden, dass du es besser nie wieder tun solltest.« »Okay, okay, hab schon verstanden!« »Hör mal, ich weiß, du bist keine Partynudel, und darüber bin ich auch sehr froh. Aber manchmal frage ich mich, ob du nicht mitmachst, weil es dir wirklich keinen Spaß macht – oder ob du einfach nur zu schüchtern bist. Wenn du wirklich nicht hingehen willst und es nicht daran liegt, dass du vor irgendetwas Angst hast, dann werde ich nie wieder davon anfangen, versprochen!« Ich dachte kurz darüber nach. »Ich habe kein
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Kleid«, sagte ich schließlich. »Ich könnte dir eins machen«, bot Mom an. »Wirklich?« »Und wir kaufen dir tolle Schuhe und neue Ohrringe. Und wir gehen zum Frisör…« Sie schien ganz aus dem Häuschen. »Und du hältst mich dann nicht für eine Idiotin?«, fragte ich. Mom zog die Nase kraus. »Kommt darauf an, was für eine Frisur du dir aussuchst.« Sie sah mich an. »Es kann ein sehr schöner Abend für dich werden!« Das Ganze war also beschlossene Sache. Einfach so. Ich würde zu dem Tanzabend gehen. Nun musste ich nur noch Dean fragen, ob er mich begleiten wollte.
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14 »Er sagt bestimmt nein.« »Warum sollte er nein sagen?«, fragte Lane. »Warum sollte er ja sagen?«, fragte ich zurück. Es war Samstag, um die null Grad, und wir gingen die Main Street hinunter. »Rory, hör mal zu«, setzte Lane an. »Wozu ist ein Freund gut, wenn du ihn nicht zum Tanzabend mitnehmen kannst?« »Er ist nicht mein Freund«, entgegnete ich. »Ach nee?« »Nein.« »Was ist er denn dann?«, fragte Lane. »Er ist mein… Herrenbesuch«, erwiderte ich. »Ganz wie Sie wünschen, Verehrteste«, sagte Lane lachend. »Ich weiß auch nicht, was er ist, aber er ist nicht mein Freund«, betonte ich. Andererseits: Woher sollte ich das wissen, wo ich doch noch nie einen gehabt hatte? Wir hatten uns ein paar Mal geküsst. Wir hatten zusammen einen Film angeschaut. Und er hatte mir etwas zum Geburtstag geschenkt, das ich am Handgelenk trug. »Findest du denn, er ist mein Freund?«, erkundigte ich mich bei Lane. Sie rieb ihre dicken Fausthandschuhe aneinander. »Ich finde, ihr beiden vermeidet es schon ziemlich lange, andere Leute zu küssen, wenn das keine Freund-Freundin-Geschichte sein soll?« »Freundin«, sagte ich.
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»Du«, erklärte Lane. »Freund.« »Das ist er.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das klingt komisch.« »Hör mal, habt ihr schon dieses gewisse Gespräch geführt?«, fragte Lane. »Ja, Lane. Die Babys kommen vom Klapperstorch«, entgegnete ich. »Das andere Gespräch!« »Was für ein anderes Gespräch?« »Wir treffen uns jetzt seit ein paar Wochen und was heißt das? Was bedeuten wir uns? Was machst du, wenn ein anderes Mädchen mit dir ausgehen will…« »Woher weißt du so gut darüber Bescheid?«, fragte ich erstaunt. »Wenn man’s kann, macht man’s. Und wenn man’s nicht kann, redet man drüber«, antwortete Lane lakonisch. Wir blieben vor dem Supermarkt stehen und spähten durchs Schaufenster. Dean war an der Kasse, nur wenige Meter von uns entfernt. »Da ist er«, stellte Lane fest. »Wir kommen besser später noch mal wieder«, entschied ich und wandte mich ab. »Nein, du musst das jetzt durchziehen!« »Warum?« »Weil ich bald nach Hause muss und meine Mutter den Fernseher zum Fenster rauswirft, wenn sie mich beim V.l.P.-Gucken erwischt. Ich sterbe vor Langeweile und brauche dringend ein bisschen Abwechslung«, erklärte Lane. »Okay, dann gehe ich rein«, seufzte ich.
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»Viel Glück!…Ach, Rory?« »Was?« »Denk dran, du musst sehr deutlich artikulieren!«, ermahnte Lane mich. »Ich lese hier draußen von deinen Lippen ab.« Ich lächelte Lane zu und betrat den Supermarkt. Dean schleppte gerade eine Kiste durch den Laden. »Hey«, begrüßte ich ihn. »Oh, hallo!« Er lächelte und schien sich zu freuen, mich zu sehen. »Du bist beschäftigt«, bemerkte ich zögernd. »Ich muss nur die grünen Bohnen ins Regal räumen«, antwortete Dean. »Willst du mir helfen?« »Ja, klar. Regale einräumen macht mir total viel Spaß.« Was? »Okay«, sagte Dean in einem Tonfall, als hätte ich sie nicht mehr alle. »Dann komm mal mit!« Gern, dachte ich und folgte Dean. »Wie ist das eigentlich, arbeitest du samstags? Habe ich vergessen.« »Nun, das kommt darauf an. Manchmal, wenn ich nichts anderes vorhabe.« Er stellte die Kiste ab und fing an, die Dosen auszupacken. »Warum?« »Ach, nur so«, stotterte ich. »Weißt du, da ist nächsten Samstag so ein Abend an meiner Schule. Also, nicht wirklich an meiner Schule, sie richtet ihn nur aus.« »Was denn für ein Abend?« Phänomenaler Anfang! Wirklich beeindruckend. »Also, so ein Abend, wo man hingeht, und dann ist da Musik, und man muss sich schick machen tanzen, und dann gibt es noch Hähnchen.«
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»Hähnchen?« »Also, ich weiß nicht genau, ob es Hähnchen gibt, aber an solchen Abenden wird oft Hähnchen serviert, wahrscheinlich, weil’s nicht so teuer ist und vielen Leuten schmeckt, also ist es eigentlich gar keine schlechte Wahl.« Ich plapperte und plapperte. Falls Lane versuchte, mir etwas von den Lippen abzulesen, dann war sie mittlerweile bestimmt total verwirrt – genau wie Dean. »Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen«, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln. »Es handelt sich um einen Tanzabend«, erklärte ich. »Aha.« Dean nahm die leere Kiste und schickte sich an, die nächste zu holen. »Und eigentlich will ich da gar nicht hin«, fuhr ich fort, »aber ich bin neu an der Schule, und in Chilton wird großer Wert daraufgelegt, dass man am gesellschaftlichen Leben teilnimmt.« Was redete ich da? Das klang ja wie aus der Schulbroschüre. »Du willst also wissen, ob ich mitkomme zum Tanzen?«, fragte Dean. »Nein«, log ich. »Ich meine, ja. Wenn du gern hingehen möchtest, würde ich mitgehen.« Dean lachte. »Das wäre nicht schlecht – immerhin ist es deine Schule.« »Stimmt. Also… willst du hingehen?« »Ehrlich?« Dean holte die nächste Kiste. »Ja«, sagte ich. »Ich war noch nie auf so einem Tanzabend.« Ich war erleichtert, das zu hören. »Weil das spießig ist?«, fragte ich. »Ja. Und weil ich noch nie Lust dazu hatte.«
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Dean drehte sich um und sah mich an. »Ich bin nicht so der gesellige Typ.« »Okay.« Er lehnte also ab. »Ist auch in Ordnung. Noch Dosen, bitte!« Ich versuchte mich auf das Einräumen des Regals zu konzentrieren, um meine Enttäuschung zu verbergen. »Du würdest gern hingehen, oder?«, fragte Dean plötzlich und kam zu mir. »Nein, will ich nicht. Ich will überhaupt nicht hingehen«, antwortete ich. »Ich habe nur laut nachgedacht.« Dean schwieg ein paar Sekunden lang. Dann fragte er: »Ahm, was müsste ich denn da anziehen?« »Wo?« »Na, bei dem Tanzabend«, erklärte er. »Was muss ich da anziehen?« »Was du willst«, antwortete ich hoffnungsvoll. »Jetzt komm schon!« »Nein, wirklich«, sagte ich. »Man kann anziehen, wozu man Lust hat.« »Rory…« »Eine Hose wäre schon nicht schlecht«, sagte ich. »Rory…« »Jackett und Krawatte«, gestand ich. »Au Mann!« Dean seufzte. »Aber mit Jackett und ohne Krawatte geht es wahrscheinlich auch«, fugte ich hinzu. Dean zuckte mit den Schultern. »Okay.« »Wirklich?« »Ja.« Ich schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. »Danke!«
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»Keine Ursache«, rief mir Dean hinterher, als ich mich zu den Kassen aufmachte. Lane wartete immer noch draußen und ich machte das Daumenhoch-Zeichen, als ich am Schaufenster entlangging. Sie fing an zu hüpfen. Als ich rauskam, kreischten wir vor Begeisterung und machten uns auf den Weg zu Luke. Unterwegs erzählte ich ihr alles. Manchmal habe ich das Gefühl, alles würde mir nur halb so viel Spaß machen, wenn ich keine Lane hätte, mit der man hinterher alles noch mal durchgehen konnte. Ein paar Tage später begann der Kartenverkauf für den Wintertanzabend von Chilton. Paris saß wie immer an der Kasse, und Tristin stand gerade vorne am Tisch und kaufte seine Eintrittskarten. »Zwei, nehme ich an«, sagte Paris. »Das nimmst du richtig an«, entgegnete Tristin. »Wen bringst du denn mit?«, erkundigte sich Paris. »Warum? Bist du etwa noch frei?«, neckte Tristin sie. Treffer! Paris wurde nervös. »Ich, ahm…« »Dumme Frage!«, sagte Tristin. »So kurz vor der Party bist du doch bestimmt nicht mehr zu haben!« Er bezahlte seine Karten und ging an der Schlange entlang, in der auch ich stand und Die Clique von Mary McCarthy las. »Und wieder liest sie«, bemerkte Tristin und blieb vor mir stehen. »Ist ja mal was ganz Neues!« »Wiedersehen, Tristin.« »Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte er. »Weil…«
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»Ich sagte: Wiedersehen«, unterbrach ich ihn. »Was machst du eigentlich hier?«, fragte er ungerührt. »Mir macht Schlangestehen eben Spaß«, erwiderte ich und sah in mein Buch. »Eigentlich kauft aber der Mann die Karten.« »Tatsächlich? Weiß Susan Faludi das schon?« Er hatte natürlich keine Ahnung, dass Susan Faludi eine Hardcorde-Feministin war, die ihn keine Sekunde lang ertragen könnte. »Außer natürlich, wenn es keinen männlichen Partner gibt«, fugte Tristin hinzu. »Doch doch, den gibt es«, erklärte ich. »Bestimmt einen, der leicht zu haben ist«, stichelte Tristin, als ich weiter in der Schlange vorrückte. »Tja, was soll ich sagen? Auf die stehe ich eben«, konterte ich. »Schlampig und glatzköpfig müssen sie sein. Mit Bierbauch! Du weißt schon, wo die Hose hinten runterrutscht und man die Kimme sieht. Das macht mich total an!« Tristin schüttelte den Kopf. »Sag schon, wer ist es?« »Also echt, muss ich noch deutlicher werden? Das geht dich nichts an!« Aber Tristin wich mir nicht von der Seite. »Geht er auf unsere Schule?« »Nein, tut er nicht.« Ich blickte stur geradeaus. »Aha…«Tristin klang interessiert. »Ja, dann will ich dir etwas verraten. Ich habe noch keine Partnerin.« »Ich habe gehört, Squeaky Fromme kommt auf Bewährung raus, frag die doch mal!«, schlug ich vor.
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»Ich dachte eigentlich, du würdest gern mit mir hingehen«, sagte er. »Das kann nicht dein Ernst sein!« »Doch, das ist es!« Ich starrte ihn an. »Das kann nicht sein. Du bist doch nicht blöd.« »Ach, danke.« Er schien angenehm überrascht. »Schleimig und aalglatt, das bist du«, erklärte ich. »Aber nicht blöd. Und du müsstest blöd sein, wenn du dir einbilden würdest, ich könnte auch nur einen Schritt mit dir irgendwohin machen. Nie und nimmer!«, beteuerte ich. Tristin blinzelte irritiert. »Okay, in Ordnung. Dann frage ich eben Cissy.« Ich schaute wieder in mein Buch. »Ich schicke ihr eine Beileidskarte.« »Ja, ja, aber wenigstens muss sie nicht selbst ihre Eintrittskarte kaufen«, entgegnete er sarkastisch und marschierte davon. Ich trat an den Verkaufstisch. »Zwei bitte«, sagte ich und reichte Paris das Geld. Wütend sah sie zu mir auf. »Idiotin!« »Wie bitte?« »Er ist total nett zu dir, und du reagierst absolut bescheuert!«, ereiferte sich Paris. »Wenn du Tristin so magst, dann geh du doch mit ihm hin«, forderte ich sie auf. Darauf hatte sie keine Antwort. Sie schüttelte nur den Kopf. »Ich kann nicht wechseln.« »Gib es mir später zurück«, meinte ich. »Meinst du, ich laufe dir hinterher? Warte gefälligst auf das Wechselgeld!« Sie drehte sich
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zu dem Jungen um, der neben ihr saß. »Ich brauche Kleingeld! Und zwar dalli!«, bellte sie ihn an. Sofort sprang er auf und sprintete von dannen. »Du kriegst auf keinen Fall jemanden, der besser ist als Tristin«, erklärte Paris und sah mich an. »Was du nicht sagst«, entgegnete ich. »Wahrscheinlich hast du gar keinen Partner«, vermutete Paris. »Garantiert bekommst du eine seltene Grippeform, von der nur Versager an Tanzabenden befallen werden.« Das war der längste, nervigste Kartenvorverkauf, den ich je erlebt hatte. »Weißt du was?«, sagte ich. »Ich verzichte auf das Wechselgeld. Geld verdirbt ohnehin den Charakter.« Damit entfernte ich mich von dem Tisch. Genau in diesem Augenblick kehrte der Laufbursche mit ein paar Dollarscheinen für Paris zurück. »Hier ist dein Wechselgeld!«, schrie sie mir hinterher. Ich ging einfach weiter.
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15 Die Tage bis zum Tanzabend vergingen wie im Flug. »Jetzt mach schon!«, rief Mom, als ich mich auf meinen großen Auftritt vorbereitete. »Ich bin noch in der Maske!«, rief ich zurück. Eigentlich war ich schon fertig und stand bloß noch vor dem Spiegel und musterte mich eingehend. Mein schulterfreies Kleid strahlte in Saphirblau. Es war knielang und ganz im Fünfziger-JahreCocktailparty-Stil a la Ava Gardner gehalten. Das Haar hatte ich zu einem Knoten aufgesteckt, und um den Hals trug ich eine glänzende Perlenkette. »Du bist sechzehn, und deine Haut ist so glatt wie ein Babypopo – da gibt es nichts zu pudern!«, rief Mom vom Sofa aus. Sie hatte sich, einen Tag bevor sie mit meinem Kleid fertig war, am Rücken verletzt und konnte sich nicht bewegen. Ich wollte sie in diesem Zustand nicht allein lassen, aber sie hätte es um keinen Preis gestattet, dass ich den Tanzabend verpasste. Ich würde nur ein paar Stunden fortbleiben, meinte sie, und konnte sie danach noch immer von hinten bis vorne bedienen. Seufzend stand ich auf und ging ins Wohnzimmer. »Okay, okay. Da bin ich!«, rief ich und marschierte hinein. Mom stand sprichwörtlich der Mund offen, als sie mich erblickte. »Wow! Sieht so aus, als hätte dich jemand mit einem Zauberstab berührt.« »Das Kleid ist fantastisch!«, sagte ich und drehte mich, um den Rocksaum um meine Knie
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wirbeln zu lassen. »Du hast dich selbst übertroffen!« »Es ist wunderschön, meine Süße. Du bist wunderschön«, stellte Mom fest. »Komm mal her!« »Was ist?« »Eine lose Haarsträhne«, erklärte sie. Ich ging zur Couch und beugte meinen Kopf vor. »Bitte festmachen!« »Hm, ich glaube, die Schuhe gefallen mir am besten«, sagte Mom und zeigte auf meine schwarzen Doc Martens. »Von denen mit den hohen Absätzen tun mir die Füße weh«, beschwerte ich mich. »Hey, wer schön sein will, muss leiden!« »Ich ziehe sie erst an, wenn ich losgehe«, sagte ich. »Du solltest sie lieber jetzt schon anziehen, damit deine Füße nachher richtig taub sind«, belehrte mich Mom. »Das ist doch krank!« »Hol mal schnell das Haarspray!« Ich war auf dem Weg in mein Zimmer, da klingelte es an der Tür, und Sookie kam ins Haus spaziert. Sie hatte mexikanisches Essen mitgebracht. Als ich mit dem Haarspray zurückkam, kippte Sookie fast aus den Latschen. »Oh mein Gott! Du siehst wie ein Filmstar aus! Im Ernst! Du musst unbedingt irgendwann heute Abend eine Treppe runtergehen!«, ordnete sie an. »Filmstars kommen immer eine Treppe runter!« Mom streckte die Hand aus, um das Haarspray in Empfang zu nehmen. »Lass mich schnell die
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Strähne festsprühen, während du dir das durch den Kopf gehen lässt.« »Du bleibst schön da liegen!«, sagte Sookie zu Mom. »Ich mache das.« Sie nahm mir die Dose ab und drückte auf den Sprühknopf. Das Spray schoss ihr mitten ins Gesicht. »Aua!«, schrie sie und kniff die Augen zusammen. »Oh nein! Alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt. »Ja, alles in Ordnung. Hier, Süße, gib das deiner Mutter!« Mit geschlossenen Augen hielt Sookie mir die Haarspraydose hin. »Meine Wimpern sind total verklebt!« Dann stolperte sie aus der Küche. Mom bat mich, die Tacos abzudecken, und ich legte eine Serviette darauf. Dann fing sie an zu sprühen. Eine dicke Wolke bildete sich um meinen Kopf. »Gott!«, keuchte ich. »Das reicht auf jeden Fall für sechs langsame Tänze, vier mittlere und einen Lambada. Aber wenn du so richtig abrocken willst, legen wir besser noch mal nach.« »Ich glaube, das genügt«, sagte ich. In der Küche fügte sich Sookie nur noch mehr Schaden zu, und so lief ich ihr rasch hinterher und half ihr, die Augen auszuwaschen, bis sie endlich wieder sehen konnte. Sie blinzelte ein paar Mal und lächelte. Ich riss ein Blatt von der Küchenrolle ab, befestigte es am Ausschnitt und nahm mir ein Taco. Plötzlich klingelte es, und kurz darauf hörte ich meine Großmutter. »Rory! Komm doch schnell mal her!«, rief sie. »Hey Grandma«, rief ich und betrat mit dem Taco das Wohnzimmer. »Sie war deinem Einfluss schon viel zu lange
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ausgesetzt«, bemerkte Grandma mit einem vernichtenden Seitenblick auf meine Mutter. »Okay, Rory, schmeiß das Lätzchen und den Taco weg, hol deine Schuhe und komm wieder her, damit Grandma dich in deiner ganzen Pracht bewundern kann«, sagte Mom. »Okay.« Ich ging in mein Zimmer, warf die Serviette weg und tauschte meine Doc Martens gegen die Pumps. Nach einem letzten Checkup ging ich wieder ins Wohnzimmer. »Hier ist sie!«, rief Mom, als ich hereinkam. »Mom, ist die Kamera fertig?« »Du liebe Güte! Du siehst entzückend aus!«, rief Grandma. Sie drückte wie verrückt auf den Auslöser und schoss ein Foto nach dem anderen. »Lächeln!«, befahl sie. »Oh, ich bin so froh, dass du ihr doch ein Kleid gekauft hast!«, ließ sie Mom wissen. Ich wollte sie gerade korrigieren und ihr sagen, dass Mom das Kleid genäht hatte, als draußen eine Autohupe ertönte. »Das ist Dean!«, rief ich aufgeregt. »Komm erst mal her!«, sagte Mom. Ich lief schnell zu ihr, um ihr einen Kuss zu geben. »Amüsier dich gut, ja?«, sagte sie. »Ich werde dir detailliert Bericht erstatten«, versprach ich. »Bye, Grandma!«, rief ich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Wo willst du hin?«, fragte sie. Ich drehte mich um. »Zu dem Tanzabend.« »Du wirst doch nicht aus der Tür rennen, wenn ein Junge hupt!«, ermahnte sie mich. »Mom, ist schon in Ordnung«, griff meine Mutter ein.
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»Es ist ganz sicher nicht in Ordnung«, widersprach ihr Grandma. »Das hier ist kein Drive-in, und sie ist kein Brathähnchen!« »Grandma, ich habe ihn gebeten zu hupen«, erklärte ich. »Es ist mir egal, was du ihm gesagt hast«, entgegnete sie. »Wenn er dich ausführen will, muss er schon klingeln, Guten Abend sagen und einen Augenblick hereinkommen, wie es zivilisierte Menschen nun mal tun.« »Mom, das ist doch albern! Ich habe ihn schon kennen gelernt«, erklärte Mom. »Nun, ich aber nicht! Wir werden warten, bis er klingelt«, ordnete Grandma an. »Aber er weiß doch gar nicht, dass er klingeln soll.« »Er wird schon drauf kommen«, entgegnete meine Großmutter ruhig. Natürlich, sie hatte die Ruhe weg! Dean hupte noch zwei Mal, während ich hilflos im Wohnzimmer auf und ab ging. »Er ist nicht besonders helle, was?«, bemerkte Grandma. Als ich draußen auf der Treppe Schritte hörte, hielt ich inne. Dann klingelte es. Ich rannte zur Tür. »Nicht rennen!«, donnerte Grandma. »Eine Dame rennt nie!« Langsam ging ich zur Tür und öffnete sie. »Hallo!« »Hey, ich dachte, ich sollte hupen«, sagte Dean irritiert. »Ich weiß, tut mir Leid«, erklärte ich. »Junger Mann, kommen Sie doch bitte herein!«, rief Grandma.
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Sie stand hinter mir im Flur. Als Dean ihrer Aufforderung nachkam, sah ich ihn entschuldigend an. Ich liebe meine Großmutter, aber manchmal ist sie einfach ein bisschen zu herrisch. »Hallo Dean«, rief Mom vom Sofa aus. »Das ist meine Mutter Emily.« »Emily Gilmore«, stellte Grandma sich vor und begutachtete Dean. »Hallo«, sagte Dean. »Hallo.« Grandma fuhr mit ihrer Musterung fort. »Okay, und jetzt verschwindet schnell, ihr beiden!«, rief Mom mir und Dean zu. »Viel Spaß!« »Um elf bist du wieder zu Hause«, sagte Grandma streng. »Zwölf!«, formte Mom lautlos mit den Lippen. »Bye, Grandma! Bye, Mom!«, rief ich. Wir waren bereits auf halbem Wege nach Hartford, als ich Panik bekam. Was hatte ich mir eigentlich gedacht? Der Abend würde schrecklich peinlich werden, und alle würden Dean und mich anstarren. Paris erstellte bestimmt gerade eine lange Liste mit Beleidigungen. Ich sah Dean an und sagte: »Vielleicht sollten wir das Ganze einfach vergessen.« »Okay«, entgegnete er sichtlich verwundert. »Ich meine, es ist doch nur ein Tanzabend, nichts Besonderes.« »Nichts Besonderes«, pflichtete Dean mir bei. »Und meine Mitschüler, die sind einfach schrecklich. Hast du The Outsiders gesehen?« Dean grinste. »Ja, habe ich.« »Pony Boy – das bin ich!«, sagte ich und Dean
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lachte. »Aber der Veranstaltungsort soll nicht schlecht sein. Alt und gediegen. Vielleicht sollten wir doch mal kurz vorbeischauen.« »In Ordnung.« »Ach, vielleicht auch nicht«, sagte ich. Warum bekam ich nun plötzlich wieder kalte Füße? »Ist mir auch recht«, entgegnete Dean. »Ich weiß auch nicht«, sagte ich. »Warum kann ich mich nicht entscheiden? Das ist doch albern. Was meinst du?« »Ich meine…« Er sah mich an. »Du siehst heute umwerfend aus.« Ich lächelte Dean an. »Na, ein paar Minuten können ja nicht schaden.«
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16 Ich sah mich in dem wunderschönen Saal um. Alle waren festlich gekleidet. Es war ein merkwürdiger Anblick, weil ich die anderen normalerweise nur in Schuluniform sah. Manche Mitschüler erkannte ich nicht einmal auf Anhieb. Ich hoffte, ich selbst könnte auch inkognito bleiben. Man hatte Aberdutzende Tische aufgestellt und auf jedem stand in der Mitte ein Blumenschmuck mit einer kleinen Lampe. Es gab Musik, und einige Leute tanzten, manche schlenderten durch den Saal, und andere saßen einfach an den Tischen, aßen und unterhielten sich. »Also… echt schön hier«, stellte ich fest. Dean und ich hatten unsere Jacken abgegeben und standen staunend nebeneinander. »Sieht ziemlich gediegen aus«, bemerkte Dean. »Wirklich eine gute Wahl, der Laden.« »Dann könnten wir jetzt schnell das Foto von uns machen lassen und wieder abhauen«, schlug Dean vor. »Könnten wir«, stimmte ich zögernd zu. Dean entging meine Unentschlossenheit nicht. »Oder wir könnten zuerst ein bisschen tanzen«, schlug er vor. »Mit Betonung auf ein bisschen.« Ich lächelte. »Etwas Langsames?« »Klingt gut.« Dean nahm mich an der Hand und ging mit mir auf die Tanzfläche. Unterwegs kamen wir an Louise und Madeline vorbei, und Louise nahm Dean prüfend ins Visier. Aber Dean wurde spielend mit der Situation fertig und ließ
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sie wissen, dass er mein Begleiter war, indem er die Arme um mich legte. Da wurde Louise die Sache langweilig, und sie rauschte mit Madeline ab. »Schönes Kleid!«, rief mir Madeline noch über die Schulter zu. »Danke!« Ich lächelte. Als wir weitergingen, stießen wir auf Paris und ihren Begleiter. »Du bist gekommen!« Sie klang überrascht. »Du hast mir doch selbst die Karten verkauft«, rief ich ihr in Erinnerung. »Ich bin Jacob«, stellte Paris’ Begleiter sich vor. »Hi. Ich bin Rory. Und das ist Dean.« »Entschuldigt uns«, sagte Paris und zog Jacob fort. »Das sind keine Freunde von mir!« »Ich wollte nur höflich sein«, entgegnete Jacob. »Kein Bedarf]«, wies Paris ihn zurecht. Dean und ich sahen uns nur an. »Das ist also Paris«, sagte er. »Jawoll, wie sie leibt und lebt.« »Scheint ja richtig witzig zu sein.« »Oh ja, allerdings.« Endlich erreichten wir die Tanzfläche. »Hör mal, an diese Tanzerei brauchst du dich gar nicht erst zu gewöhnen, und Kommentare lässt du auch lieber bleiben«, sagte Dean. Ich legte die Arme auf seine Schultern und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. »Das gilt umgekehrt auch«, entgegnete ich, sowie Dean die Hände an meine Taille legte. Wir fingen an, uns langsam zur Musik zu bewegen. »Hey, wenn ich dich jetzt küsse, kommt dann eine Nonne angerannt und schmeißt
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mich raus?«, fragte Dean. »Das ist doch keine katholische Schule«, erklärte ich. »Dann kann ich dich also küssen?« »Ja, das kannst du.« Und er tat es auch. »Na, Pony Boy, bist du zufrieden?« »Ja, das bin ich!« Ich lächelte. Kurz darauf machten wir Pause. Dean holte uns etwas zu trinken, und als ich mich umdrehte, stand plötzlich Jacob vor mir. »Hallo… Rory, nicht wahr?« »Ja«, sagte ich. Hatte Paris ihren Begleiter losgeschickt, damit er mich beleidigte? War sie selbst heute etwa nicht im Einsatz? »Amüsierst du dich?«, fragte Jacob. »Ja, sehr. Und du?« »Ist ganz okay«, meinte Jacob und sah sich um. »Und, war das dein Freund?« »Oh…ja also, ich weiß nicht. Ich bin nicht sicher.« »Du bist nicht sicher?«, hakte Jacob nach. »Nein. Ich meine, wir treffen uns jetzt schon eine Weile, also…« »Also gibt es noch ein bisschen Spielraum, ja?« Spielraum? »Wie meinst du das?«, fragte ich zurück. »Möchtest du mit mir tanzen?« Jacob machte einen Schritt auf mich zu. »Oh. Nein, danke.« Ich schüttelte den Kopf. »Vielleicht kannst du mir ja mal deine Nummer geben«, schlug er vor. »Wozu?« »Damit ich dich anrufen kann«, erklärte Jacob
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mit größter Selbstverständlichkeit. Ich verstand nur Bahnhof. »Aber du bist doch mit Paris hier, oder?«, fragte ich ihn. »Ja.« Jacob nickte. Musste ich es erst noch für ihn buchstabieren? Was war er überhaupt für einer? Nicht mal Paris hatte so einen Möchtegern-Frauenhelden verdient. »Dann solltest du mich eigentlich nicht nach meiner Nummer fragen«, erklärte ich. »Warum denn nicht? Paris ist meine Cousine«, antwortete er mit einem verlegenen Lachen. »Deine Cousine?« »Ja.« »Paris ist deine Cousine«, wiederholte ich, um mich zu vergewissern, dass ich richtig gehört hatte. »Ihr seid verwandt.« Sie wagte es, mir zu unterstellen, ich brächte keinen adäquaten Begleiter zu diesem Tanzabend mit und sie selbst war mit ihrem Cousin da! »Jacob?« Ich lächelte ihn an. »Es war sehr nett, dich kennen zu lernen. Ich hoffe, du hast noch einen schönen Abend.« Damit drehte ich mich um und ging Dean suchen. Bislang lief die Veranstaltung viel besser, als ich mir je erträumt hätte! Eine halbe Stunde später saßen Dean und ich an unserem Tisch. Ich hatte meine Pumps ausgezogen und die Füße hochgelegt. Nachdenklich sah ich meine Schuhe an. »Wie kann etwas so Hübsches so schlimm sein?«, überlegte ich laut. »Ist es so schlimm?« »Solche Schmerzen habe ich noch nie erlebt!
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Ich glaube, damit bin ich offiziell in den Club der erwachsenen Frauen aufgenommen.« »Das ist schon ein hartes Los!«, bemerkte Dean mitfühlend. »Willst du vielleicht nach Hause?« »Du langweilst dich«, stellte ich fest. »Tut mir Leid. Natürlich, lass uns fahren!« »Ich langweile mich überhaupt nicht«, erwiderte Dean. »Ich dachte nur, wir haben doch noch ein bisschen Zeit. Vielleicht können wir irgendwo einen Kaffee trinken… ein bisschen reden, ein bisschen spazieren gehen. Nur wir beide.« Ich lächelte. »Das wäre schön.« Dean ging zur Garderobe, um unsere Jacken zu holen, und plötzlich tauchte Paris an unserem Tisch auf. »Wie vielen Leuten hast du es schon aufgetischt? Vier? Fünf?«, fragte sie, beugte sich vor und kam mir bedrohlich nahe. »Allen?« »Wovon redest du?«, wollte ich wissen. »Du weißt, dass Jacob mein Cousin ist, und jetzt hast du endlich die nötige Munition, um dich an mir zu rächen, stimmt’s?« Paris wurde mit jedem Wort lauter. Sie stand kurz vor einem hysterischen Anfall. »Ich will mich überhaupt nicht an dir rächen«, entgegnete ich. »Ich will nur Ruhe vor dir haben.« »Jetzt kannst du in der ganzen Schule rumlaufen und allen erzählen, dass Paris Geller keinen Begleiter für den Tanzabend gefunden hat!«, schrie Paris. Ich sah mich nervös um. »Los, sag ihnen, dass ich keinen gefunden habe und meine Mutter meinen Cousin Jacob bitten musste, mich auszuführen. Und ich musste ihm
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Benzingeld geben, damit er es macht!«, donnerte sie wütend. »Los, mach schon! Erzähl es allen!« »Das brauche ich gar nicht«, entgegnete ich leise. »Das hast du gerade selbst getan.« Paris richtete sich auf und sah sich um. Hinter ihr standen an die zwanzig Paare wie angewurzelt da und beobachteten die Szene. Aufgebracht drängte Paris sich durch die Menge und lief davon. Obwohl sie mir das Leben zur Hölle machte, hatte ich Mitleid mit ihr. Eine solche öffentliche Demütigung wünschte ich niemandem. Auf der anderen Seite des Saals sah ich Dean mit unseren Jacken kommen, aber dann blieb er stehen, weil ihn jemand ansprach. Tristin?, dachte ich erstaunt. Dean und Tristin redeten miteinander? Ich ging zu ihnen hinüber, um zu sehen, was los war. »Hey! Wie läuft’s?« Ich gab mir Mühe, möglichst lässig zu wirken. »Ich lerne gerade deinen Freund kennen«, erklärte Tristin. »Und es läuft bestens«, erklärte Dean. »Findest du nicht auch?« Die beiden funkelten sich böse an. Mir gefiel das überhaupt nicht. »Oh ja, wir machen bald einen Club auf«, meinte Tristin. »Tja, also, ich löse die Runde nur ungern auf, aber wir müssen jetzt fahren«, sagte ich und sah Dean an. »Ach, so früh müssen kleine Mädchen nach Hause?«, spottete Tristin von oben herab. »Halt die Klappe!«, sagte Dean wütend. »Was denn? Ich finde, ihr beiden gebt wirklich
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ein hübsches Paar ab. Hast du deine Pferdekutsche draußen vor der Tür? Musst wohl früh ins Bett, weil ihr morgen ‘ne neue Scheune aufstellt?« Ich hatte Dean noch nie so wütend gesehen. »Gehen wir!«, sagte er und reichte mir meine Jacke. Wir wollten zum Ausgang, aber Tristin stellte sich uns in den Weg. Dean schob ihn zur Seite. »Was zum Teufel willst du eigentlich?« Tristin war fassungslos. »Schubs mich bloß nicht noch mal!«, drohte er. »Willst du jetzt etwa den Starken markieren?«, fragte Dean. »Du trägst eine Krawatte, schon vergessen?« Tristin zeigte auf die Tür. »Wir treffen uns draußen!« »Ich prügele mich doch nicht mit dir«, meinte Dean. »Du bist doch bloß ein Papiertiger!« Die Leute strömten aus allen Richtungen herbei. Tristin packte Dean am Kragen. Als Dean daraufhin zum Schlag ausholte, hielten ihn zwei Jungen an den Armen fest. »Glaub mir, Tristin, du willst gar nicht gegen mich kämpfen!«, rief er. »Warum denn nicht?«, gab Tristin zurück, den mittlerweile zwei andere Jungen festhielten. »Weil ich dich umbringen würde, du Idiot!«, sagte Dean. Er ging an Tristin vorbei und auf mich zu. »Komm mit, Rory«, bat er leise. Da riss Tristin sich los und kam hinter uns her. Als er uns eingeholt hatte, drehte Dean sich um. »Du wirst dich nie wieder in ihrer Nähe blicken lassen!« Dann gingen wir.
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17 »Na, das war mal ein Tanzabend!«, sagte Dean, als wir – endlich zurück in Stars Hollow – spazieren gingen. Der Abend war kalt, und unsere Sohlen knirschten im Schnee. Wir hatten uns einen Kaffee gekauft, und ich war froh, etwas Warmes trinken zu können. »Ich weiß wirklich nicht, was in ihn gefahren ist«, sagte ich kopfschüttelnd. »Ich aber«, erwiderte Dean. »Er ist scharf auf dich.« »Ach, Quatsch! Für ihn ist es ein Spiel oder so«, erwiderte ich. »Er ist scharf auf dich«, wiederholte Dean. »Aber er beleidigt mich die ganze Zeit und nervt mich nur!« »Er ist scharf auf dich.« Ich dachte darüber nach. »Ich weiß nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen soll«, seufzte ich, als wir vom Park auf die Straße zurückkehrten. »Was meinst du damit?« »Ich weiß auch nicht. Dass mein Freund meine Ehre verteidigt – irgendwie komisch.« »Dein Freund?«, fragte Dean. »Was?« »Du hast >mein Freund< gesagt«, stellte er fest. »Ich habe nur >mein Freund< gesagt, weil diese ganze Verteidigungsmaßnahme ziemlich >mein Freund<-mäßig war«, entgegnete ich beschwichtigend. »Aber nur im weitesten Sinne
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des Wortes, obwohl… auch das stimmt ja nicht so richtig.« Dean sah mich an und lächelte. »Pass auf, dass du dich nicht um Kopf und Kragen plapperst.« »Ich habe nicht gemeint, du bist mein Freund«, sagte ich. »Okay.« »Ich glaube nicht, dass du mein Freund bist«, erklärte ich noch mal. Dean zuckte mit den Schultern. »Okay.« Er klang absolut unbeteiligt, und ich wusste nicht, ob er beleidigt oder enttäuscht war. »Dean?« »Was?« … Schweigend gingen wir noch ein paar Schritte. »Bist du mein Freund?«, fragte ich schließlich. »Im weitesten Sinn des Wortes?«, fragte er zurück. »Nein, im Sinne von: Hallo, das ist Dean, mein Freund!« Nun war es also heraus. »Also, wenn du willst, dann bin ich dein Freund«, erklärte Dean. Ich blieb stehen und er sah mich an. »Ich will es«, ließ ich ihn wissen. »Okay«, erklärte er sich einverstanden. »Dann ist es abgemacht.« »Ja, das ist es.« »Du bist mein Freund«, stellte ich fest. »So lautet der Beschluss.« Ich konnte gar nicht aufhören zu grinsen, während wir weiter durch die Stadt bummelten. »Ich finde, das ist eine sehr gute Entscheidung.« »Na, da bin ich aber froh.« Vor Miss Pattys Tanzstudio blieben wir stehen.
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Die Tür war nur angelehnt. Es war schon ziemlich spät, fast zehn Uhr. »Miss Patty hat bestimmt vergessen abzuschließen«, vermutete ich. Dean spähte durch den Türspalt. »Ich war noch nie da drin.« »Dann komm mit!«, sagte ich. Nachdem wir das Tanzstudio betreten hatten, sah Dean sich die vielen Schwarzweiß-Fotos an der Wand an. »Ist das alles Miss Patty?«, fragte er. »Allerdings. Sie sagt von sich, sie hat so ziemlich alles getan, was man im Showbusiness so tut, außer den Reifen anzuzünden, durch den dann der Hund springt.« Während ich redete, fiel plötzlich meine Handtasche zu Boden. »Ich hebe sie auf«, bot Dean an. »Gott, die wiegt ja eine Tonne!«, staunte er dann. »Was hast du da denn alles drin?« »Keine Ahnung.« Ich nahm ihm die Tasche ab und schlenderte durch das Studio. »Einen Lippenstift, fünf Dollar, Kaugummi, Haarspray, ein Buch…« »Ein Buch?«, fragte Dean erstaunt und folgte mir. »Du hast ein Buch zum Tanzen mitgenommen?« »Ja«, gestand ich. »Hast wohl gedacht, der Abend wird langweilig?« Er lächelte. »Nein! Ich habe immer ein Buch dabei. Das ist so eine Angewohnheit von mir«, erklärte ich. »Und was liest du gerade?« »Gedichte von Dorothy Parker.« Er nahm mir das Buch aus der Hand und blätterte darin. Dann fing er an, eins der Gedichte vorzutragen.
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»Was taugen schon Nehmen und Geben, was taugen Wasser und Wein, dies’Leben, dies’Leben, dies’Leben war noch nie meine Sache, nein.« Dean machte es sich auf einem großen Sitzsack gemütlich. Ich setzte mich neben ihn, und er legte den Arm um mich. »Hey«, flüsterte ich ihm zu. »Was?« Dean sah mich an. »Danke für heute Abend. Es war toll.« »War mir ein Vergnügen.« Wir küssten uns und kuschelten uns dann zusammen in den Sitzsack und fingen an zu lesen. Es ‘war ein perfekter Abend. Ein bisschen Tanzen, ein bisschen Spazieren, ein bisschen Dorothy Parker. Einfach perfekt. »Rory, Süße! Ich bin’s, Miss Patty!« Eine Stimme drang in meine Träume, und ich spürte, wie mich jemand anfasste und schüttelte. »Rory? Rory, was macht ihr hier?« »Miss Patty?«, sagte ich und blinzelte verschlafen. Langsam öffnete ich die Augen. Vor mir stand Miss Patty mit etwa zwanzig Frauen mittleren Alters. Alle starrten mich an. Ich trug immer noch mein blaues Kleid und kauerte immer noch neben Dean auf dem Sitzsack. War das ein Traum? »Wart ihr die ganze Nacht hier?«, fragte Miss Patty. »Ich… Oh nein! Dean, steh auf!« »Wie viel Uhr ist es?«, fragte er verschlafen. »Halb sechs in der Frühe«, informierte uns Miss Patty.
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Mom würde mich umbringen! »Oh mein Gott! Wir sind eingeschlafen. Wie konnte das nur passieren?«, fragte ich Dean und suchte meine Schuhe, meine Tasche und meine Jacke. »Jetzt beruhige dich erst mal!«, sagte Dean und stand auf. »Ich werde das deiner Mutter schon irgendwie beibringen.« »Wo ist meine Tasche? Wo ist meine Tasche?« »Hier ist sie«, sagte Dean. »Entspann dich!« »Ich muss weg!« Ich drängte mich zwischen den Frauen durch, rannte zur Tür und blieb nicht einmal stehen, um mir die Schuhe anzuziehen – auf Strümpfen war ich sowieso viel schneller. »Rory! Warte doch!« Dean flitzte hinter mir her. »Ich muss nach Hause!« »Ich komme mit!«, rief er. »Wir erklären ihr das. Das geht schon in Ordnung!« »Nein, du kommst nicht mit«, rief ich. »Du solltest nicht mal in die Nähe unseres Hauses kommen!« »Wir können doch nichts dafür!« »Ich weiß, aber ich muss jetzt nach Hause!«, sagte ich. Er verstand nicht, wo das Problem war – er konnte es auch gar nicht verstehen. Dean fasste mich am Arm. »Bitte lass mich mitgehen.« »Nein!« Kurzerhand riss ich mich los. »Rory!« rief er mir hinterher, aber ich lief schon die Straße hinunter. »Ich muss nach Hause!«, erwiderte ich nur. Ich lief so schnell ich konnte. Die ganze Zeit stellte ich mir vor, was für Sorgen Mom sich machen musste. Sie hatte mich ermuntert, zu dem Tanzabend zu gehen, und mir ein
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sagenhaftes Kleid gemacht und mit allem geholfen. Und was tat ich? Ich kam nicht nach Hause. Sie war in diesem Augenblick bestimmt furchtbar wütend. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie die ganze Nacht wach gewesen war und auf mich gewartet hatte, voller Sorge und Kummer. Aber es kam alles noch viel schlimmer. Grandmas Auto stand immer noch vor dem Haus. Sie musste bei uns übernachtet haben, und sie und Mom waren wahrscheinlich die ganze Nacht aufgeblieben. Ich fühlte mich schrecklich; mir war richtig übel. Ein solches Verhalten war wirklich nicht meine Art. Als ich mich ins Haus schlich, schrien Mom und Grandma sich gerade an. Sie waren völlig außer sich. »Sieh dich um, Mom! Das ist ein Leben!«, brüllte Mom in der Küche. »Es ist ein bisschen Farbe drin, deshalb wirkt es vielleicht ungewohnt auf dich, aber es ist ein Leben! Und wenn ich nicht schwanger geworden wäre, hätte ich Rory nicht!« »So habe ich das nicht gemeint, das weißt du genau!«, entgegnete Grandma. »Vielleicht war ich ein schreckliches, nicht zu bändigendes Kind, wie du das nennst, aber Rory ist anders. Sie ist clever und umsichtig, und ich vertraue ihr, und wenn du das nicht akzeptierst oder glaubst, dann will ich dich nicht in diesem Haus haben!«, wetterte Mom. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, dann verließ Grandma die Küche. Ich drückte
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mich flach an die Wand, damit sie mich nicht sah, und schon stob sie an mir vorbei und knallte die Haustür hinter sich ins Schloss. Langsam ging ich in die Küche. Mom war dabei, sich einen Kaffee zu machen. Sie stand mit dem Rücken zu mir an der Spüle und füllte Wasser in die Kanne. »Mom«, setzte ich nervös an, »danke, dass du so viele nette Sachen gesagt…« In Sekundenschnelle wirbelte sie um die eigene Achse und ging auf mich los. »Was hast du dir dabei gedacht, die ganze Nacht wegzubleiben? Bist du verrückt geworden?« Sie war wahnsinnig wütend auf mich. So hatte sie mich noch nie angeschrien. Mir stiegen sofort die Tränen in die Augen. »Es tut mir Leid«, sagte ich leise. »Das war keine Absicht.« »Du sprichst mit der Königin des Über-NachtWegbleibens!«, fuhr sie mich an. »Eigentlich bin ich die Erfinderin! Und ich sage dir, Absicht hin oder her: So geht das nicht. Punkt aus!« »Aber es ist doch gar nichts passiert!«, sagte ich. Warum wollte sie mir nicht zuhören? »Hast du überhaupt eine Vorstellung, wie das war? Ich werde wach, meine Mutter ist da, und wir stellen fest, dass du nicht nach Hause gekommen bist?« »Also geht es darum, dass Grandma hier war?«, fragte ich zurück. »Nein, es geht darum, was für ein unvorstellbarer Horror es ist, wenn dein Kind morgens nicht in seinem Bett liegt!«, tobte Mom. »Es tut mir Leid«, beteuerte ich wieder. »Und dann geht es noch um einen ganz anderen
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Horror. Wenn man nämlich feststellt, dass die eigene Tochter die Nacht mit einem Jungen verbracht hat!« »Ich habe doch gar nicht die Nacht mit ihm verbracht. Wir sind eingeschlafen.« »Du nimmst ab sofort die Pille!«, befahl Mom und marschierte aus der Küche. »Was?« »Dm wirst nicht schwanger!«, rief sie. »Ich schlafe doch gar nicht mit Dean!«, erwiderte ich. »Verdammt!« Sie wollte mir einfach nicht glauben. Das war doch verrückt! »Und was hatte das zu bedeuten, was du gerade zu Grandma gesagt hast? Was ist denn mit deinem Vertrauen?«, schluchzte ich. Ich konnte kaum sprechen, so sehr musste ich gegen die Tränen ankämpfen. »Du weißt genau, dass das keine Absicht war! Du bist nur sauer, weil ich einen Fehler gemacht habe und Grandma es gemerkt hat und sie dich dafür zur Minna macht! Es tut mir wirklich Leid! Es tut mir Leid, dass ich es versaut habe, und es tut mir Leid, dass sie dich angeschrien hat, aber ich habe nichts angestellt! Und das weißt du!«, heulte ich. Ich lief in mein Zimmer und knallte die Tür zu. Dann schleuderte ich meine Tasche und die Schuhe auf den Boden und warf mich aufs Bett, um in meine Kissen zu schluchzen. Wie konnte sie nur so an mir zweifeln? Sie kannte mich und musste doch wissen, dass ich niemals so etwas Blödes anstellen und ihr mit Absicht so wehtun würde!
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18 Es vergingen einige Tage, bevor Mom und ich wieder halbwegs normal miteinander redeten. Dies jedoch nur, um Informationen über unsere Termine auszutauschen, oder wenn es um Aufgabenteilung ging. Ich konnte ihr nicht verzeihen, was sie gesagt hatte. Und sie konnte mir offenbar nicht verzeihen, was ich getan hatte – oder besser: was sie mir unterstellte getan zu haben. Die Situation war einfach schrecklich! Eigentlich hatten wir die Adventszeit furchtbar gern. Die Proben für das Krippenspiel liefen auf Hochtouren, aber diesmal redeten wir weder dabei, noch machten wir uns über Leute lustig, wie wir es sonst immer getan hatten. Es gab niemanden, mit dem ich einkaufen gehen konnte, das Füllmaterial für die Socken zum Beispiel. Wir verzichteten auf unsere Lieblingsweihnachtslieder, die wir jedes Jahr hörten, und wir sahen uns keinen einzigen der Weihnachtsfilme an, die wir so liebten. Auch die nicht, die wir hassten. Eines Nachmittags vergaß ich sogar, dass ich mit Lane verabredet war. »Hey, ich dachte, wir treffen uns bei Luke!«, rief sie, als wir uns anschließend über den Weg liefen. »Wollten wir das? Oh ja, natürlich!«, sagte ich. »Tut mir furchtbar Leid. Das habe ich vergessen!« »Lass mich mal raten! Du hast dich noch immer nicht mit deiner Mutter vertragen, hm?« »Nein. Es geht immer noch ziemlich merkwürdig
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bei uns zu Hause zu. Gott, warum ist das alles nur so kompliziert!« Ich ließ mich auf die Bank fallen, auf der ich meine Einkaufstüten abgestellt hatte. »Vielleicht liegt es unter anderem daran, dass du die ganze Nacht mit Dean weggeblieben bist«, bemerkte Lane, als sie sich zu mir setzte. »Und dass meine Großmutter dabei war und alles mitgekriegt hat, war auch nicht gerade hilfreich«, fügte ich hinzu. »Eben«, pflichtete Lane mir bei. »Das nervt!«, stöhnte ich. »Alles lief gerade so gut! In der Schule. Mit Dean. Und jetzt reden meine Mutter und ich kaum miteinander und meine Mutter und meine Großmutter auch nicht… und Dean glänzt neuerdings durch Abwesenheit.« »Wie geht’s ihm denn so?« »Ich weiß nicht. Seit dem besagten Abend habe ich ihn nicht wieder gesehen.« »Was?«, staunte Lane. »Aber das ist doch schon vier Tage her!« »Ich weiß.« »Hat er angerufen?« »Ich habe es ihm verboten.« »Und daran hat er sich gehalten?« Ich lächelte dünn. »Nein.« Er hatte mir zwar Nachrichten hinterlassen, aber ich hatte ihn noch nicht zurückgerufen. Ich wollte meine Mutter nicht noch mehr ärgern, indem ich mit dem Feind sprach. Aber Dean fehlte mir total! Ich hatte gerade ein Weihnachtsgeschenk für ihn gekauft, Die Verwandlung von Franz Kafka. Als ich Lane davon erzählte, sagte sie, das Buch sei nicht romantisch genug. Sie hielt es für keine gute
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Idee. Ich war unsicher und beschloss, es noch ein paar Tage zu behalten und darüber nachzudenken. »Ich wünschte, du würdest deine Meinung ändern!«, rief ich Mom zu, während ich unser Geschenk für Grandma mit einer Schleife verzierte. Ich hatte mich schon für die große Weihnachtsfeier bei meinen Großeltern schick gemacht, die alljährlich zwei Wochen vor dem eigentlichen Fest stattfand. Ich konnte es nicht glauben, dass Mom nicht mitwollte. Sie hatte die Weihnachtsfeier noch nie ausgelassen. »Es ist nicht meine Meinung, die der Änderung bedarf«, entgegnete sie. »Sie hat es bestimmt nicht so gemeint«, sagte ich. Mom und Grandma hatten sich schon wieder gestritten. Diesmal war es um Moms Teilnahme an der Feier gegangen: Weil Mom nicht pünktlich zum Cocktail da sein konnte, hatte Grandma sie tatsächlich wieder ausgeladen. Mir war jedoch klar, es ging nicht um die Cocktails. Es ging immer noch um den Streit, den sie am Morgen nach dem Tanzabend gehabt hatten. Eigentlich war ich ja an allem schuld, aber mich wollte Grandma trotzdem bei der Feier dabeihaben. »Oh doch, das hat sie«, entgegnete Mom. »Vielleicht hast du Recht, aber wenn ich allein aufkreuze, meint sie es bestimmt nicht mehr«, erwiderte ich. »Leider kann ich dieser Logik nicht folgen«, erklärte Mom. »Ich weiß nur, dass es kalt draußen ist. Setz lieber eine Mütze auf!« »Dann willst du also weiter vor dich hin schmollen?«
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»Ja, dabei verbrennt man zusätzliche Kalorien«, entgegnete Mom. »Das stimmt doch gar nicht!« »Was glaubst du denn, woher deine Großmutter solche Beine hat?«, fragte Mom. »Ein StepperFan ist sie garantiert nicht!« »Mom!« »Auf der Aschenbahn habe ich sie auch noch nie gesehen.« »Okay.« Manchmal weiß meine Mutter nicht, wann es Zeit ist aufzuhören. »Ich kann mich auch nicht erinnern, dass der Countryclub je ein Gymnastikwochenende organisiert hätte«, fuhr sie fort. »Jaha!«, sagte ich genervt. »Hör auf! Soll ich jetzt deinen Namen auf die Karte schreiben oder nicht?« »Ja, schreib: die Gastwirtin, früher bekannt als deine Tochter!« Ich nahm das Geschenk und ging ins Wohnzimmer. »Weißt du, was ich finde? Ich finde, du verhältst dich ein bisschen unreif.« »Hey, ich verhalte mich überhaupt nicht«, sagte Mom. »Und was ist mit den Apfeltörtchen?«, fragte ich, als ich meinen langen Wollmantel überzog. Es war einfach verrückt, ohne Mom zu meinen Großeltern zu fahren. »Du freust dich doch das ganze Jahr auf diese Apfeltörtchen!« Mom stand seufzend von der Couch auf. »Ich kann ohne die Apfeltörtchen leben.« »Aber du hast dir, nachdem du fünf davon verdrückt hast, Lieder darüber ausgedacht, und die widersprechen dem Inhalt deiner Aussage
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leider völlig.« Sie nahm den Schlüssel aus der Schale auf dem Tisch neben der Tür. »Ach, weißt du was? Du musst los, du bist spät dran.« »Und du willst wirklich nicht mit?« Ich sah sie an. »Wie? Tut mir Leid, hat da gerade jemand was gesagt? Rory kann es nicht sein, die ist schon unterwegs nach Hartford.« »Okay okay, bin schon weg«, sagte ich und nahm den Schlüssel. »Fahr vorsichtig! Es kann glatt werden!«, rief sie mir hinterher. »Und bring mir so ein Törtchen mit!« »Komm herein! Du siehst reizend aus«, sagte Grandma, als sie mir die Tür aufmachte. Sie selbst sah ebenfalls großartig aus: Zu ihrem schwarzen Rock trug sie einen knallroten Wollblazer mit schwarzem Pelzbesatz an Kragen und Manschetten. Wie jedes Jahr war das Haus dem Anlass entsprechend prächtig geschmückt. »Das ist von mir und Mom«, sagte ich und überreichte unser Geschenk. »Wie aufmerksam! Legen wir es unter den Baum.« »Mom hat es selbst ausgesucht«, erklärte ich in der Hoffnung, die Wogen etwas glätten zu können. Aber Grandma reagierte nicht und legte das Geschenk unter dem Weihnachtsbaum ab. »Rory, du kennst doch Holland Prescott?«, fragte sie stattdessen. »Ich habe sie letztes Jahr kennen gelernt«, antwortete ich. »Holland! Rory ist da!«, verkündete Grandma
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und wir gingen ins Wohnzimmer. Grandpa stand mit Alan Boardman, einem seiner Freunde, am Kamin. Es ging wieder mal ums Geschäft. Grandpa klang ziemlich verärgert. Er hatte einen Drink in der Hand, trank aber nicht, weil er zu beschäftigt damit ‘war, sich über jemanden zu beschweren, mit dem er arbeitete. Das Wort >Trottel< fiel gleich mehrfach. »Richard, Alan, seht mal, wer hier ist!«, rief Grandma. Mr. Boardman winkte mir zu, und Großvater begrüßte mich warmherzig. »Hallo Rory!« »Wo ist deine Mutter?«, fragte Alan Boardman. »Bestimmt in der Küche bei den Apfeltörtchen, oder?« Bevor ich antworten konnte, schaltete sich meine Großmutter ein. »Lorelai ist heute Abend verhindert«, erklärte sie. »Sie kommt nicht?«, fragte mein Großvater erstaunt. Er hatte also nichts mitbekommen. Das überraschte mich. »Nein!«, antwortete Grandma fröhlich. »Sie muss arbeiten.« Ich sah sie verwundert an. Was redete sie da? »Apropos arbeiten«, sagte mein Großvater. »Ich muss diesen Kerl anrufen.« »Richard, reg dich doch nicht so auf«, versuchte Alan ihn zu beruhigen. Aber mein Großvater ließ sich nicht beirren und marschierte aus dem Zimmer. Ich fasste Grandma am Arm. »Grandma, kann ich kurz mit dir allein sprechen, bitte?« »Möchtest du etwas trinken?«, fragte sie und lief – ganz die perfekte Gastgeberin – nach
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nebenan an die Bar. »Ich möchte mich wegen neulich entschuldigen.« »Rory, bitte! Dies ist eine Weihnachtsfeier.« »Ich habe alles vermasselt«, sagte ich. »Es ist meine Schuld.« »Dies ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um das zu besprechen«, entgegnete sie schroff. »Das hätte dir deine Mutter beibringen müssen.« »Bitte sei nicht sauer auf sie!«, bat ich. »Ich bin auf niemanden sauer!«, antwortete sie, als hätte es nie ein Problem gegeben. »Und jetzt zurück zu den anderen!« »Aber…« Sie reichte mir ein Glas. »Nimm das doch bitte für Gigi mit!« Ich konnte das Dinner gar nicht schnell genug hinter mich bringen. Mein Großvater war wütend, weil er seinen Kollegen in London nicht erreicht hatte, und er konnte einfach nicht aufhören, vom Geschäft zu sprechen. »Ich finde es unerträglich heiß hier«, sagte er und nestelte an seiner Fliege. Sein Gesicht war ganz rot, aber er saß ja auch direkt vor dem Kamin. »Richard, bitte nicht bei Tisch!«, rügte meine Großmutter. »Rory, was hast du denn in den Weihnachtsferien vor?«, fragte mich Holland. »Ich mache es mir wahrscheinlich einfach mit Mom gemütlich«, meinte ich. »Ach, wirklich schade, dass sie nicht kommen konnte – sie bringt immer so viel Pep mit«, sagte
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Gigi und alle lachten. »Lorelai fühlte sich nicht gut, da habe ich gesagt, sie soll lieber zu Hause bleiben«, erklärte meine Großmutter. Das war nun schon die zweite Ausrede, die sie anführte. Allmählich musste sie sich mal entscheiden… »Ganz schön heiß hier«, wiederholte Grandpa und stand auf. »Ich gehe mal die Heizung runterdrehen.« Er verließ das Esszimmer. »Die Arme, was fehlt ihr denn?«, fragte Holland teilnahmsvoll. »Ich glaube, sie hat eine Grippe«, sagte meine Großmutter. »Richard, lass den Thermostat in Ruhe!«, rief sie in die andere Richtung. »Hast du nicht gesagt, sie arbeitet?«, fragte Gigi und sah meine Großmutter irritiert an. »Nun, sie hätte arbeiten müssen, aber dann ist sie krank geworden. Aber wie dem auch sei – sie konnte nicht kommen«, erklärte Grandma rasch. Sie war eine sehr, sehr schlechte Lügnerin. »Sag ihr, wir haben sie vermisst«, trug Gigi mir auf. Ich lächelte sie an. »Mache ich.« »Richard, hast du gehört? Richard?«, brüllte Grandma. Sie stand vom Tisch auf und lief in den Flur – und dann hörten wir auf einmal einen lauten Schrei. Wir sahen uns mit großen Augen an, dann sprangen wir alle vom Tisch auf und rannten in den Flur. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich die beiden erblickte: Grandma hockte neben Grandpa, der rücklings auf dem Boden lag. Sie
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redete auf ihn ein, aber er gab keine Antwort. Seine Augen waren geschlossen. Anscheinend war er bewusstlos. Irgendjemand rief den Krankenwagen, und ich stand neben Grandma und sah meinen Großvater an, während sie ihm die Wange tätschelte und versuchte, ihn wachzurütteln. Er sah so hilflos und blass aus! So hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich hätte so gern etwas für ihn getan. Auf einmal kamen mir Tausende schrecklicher Gedanken. Was, wenn mein Großvater starb, bevor der Krankenwagen kam? Was überhaupt, wenn er starb? Ich versuchte, Mom zu Hause anzurufen, aber sie ging nicht an den Apparat. Auch auf ihrem Handy erreichte ich sie nicht. Ich stand dermaßen unter Schock, dass ich, als die Mobilbox anging, nur stammeln konnte: »Grandpa ist im Krankenhaus, bitte komm schnell!« Im Krankenhaus roch es nach einer Mischung aus Schulcafeteria und Reinigungsmittel. Piepser ertönten von irgendwo und aus den Lautsprechern kamen Durchsagen. Am deutlichsten war jedoch meine Großmutter zu hören, wie sie die Krankenschwestern anbrüllte – was es mir ungemein erleichterte, sie zu finden, als ich endlich eintraf. »Weißt du schon etwas?«, fragte ich sie. »Ich bitte dich! Hier geht es ja zu wie beim CIA«, beschwerte sich Großmutter. Da kam ein Mann mit Trenchcoat und Schal zu ihr geeilt und ergriff ihre Hände. Offenbar Grandpas Hausarzt. Sie hatte ihn noch von zu Hause aus angerufen und ihn gebeten, ins Krankenhaus zu kommen.
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»Ach, Joshua!«, sagte Grandma. »Gott sei Dank! Dieses Krankenhaus bringt mich um den Verstand!« »Jetzt bin ich ja da, alles in Ordnung«, beruhigte er sie. »Ich werde sofort nach ihm sehen. Haben Sie schon die Formulare ausgefüllt?« »Die Formulare sind mir wurscht«, entgegnete Grandma. »Ich will meinen Mann sehen!« »Kann es sein, dass sie ein wenig zu Sturheit neigt?«, fragte mich Joshua. »Gut möglich«, antwortete ich. »Ich werde mich erst mal erkundigen, was los ist, und dann sehen wir weiter.« Joshua ging den Korridor hinunter und verschwand hinter einer Tür mit einem großen Schild: »Zutritt für Unbefugte verboten!« Großmutter und ich sahen ihm hinterher. Sie seufzte. »Vielleicht sollte ich noch mal bei Mom anrufen«, schlug ich vor. Es war schrecklich, sie nicht dabeizuhaben. Sie würde Großmutter zwar kaum beruhigen können, aber sie konnte bestimmt viel besser mit der ganzen Situation umgehen als ich. »Lass nur, sie ist bestimmt viel zu beschäftigt«, sagte Grandma rasch und fing an, in ihrer Tasche zu wühlen. »Das stimmt doch gar nicht!«, protestierte ich. Natürlich würde sie sofort kommen, wenn sie meine Nachricht abhörte. »Sie ist bestimmt…« »Rory, geh bitte und kauf deinem Großvater eine Zeitung!« Sprach’s und drückte mir Geld in die Hand.
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»Aber…« »Das Wall Street Journal oder so etwas in der Art. Er wird etwas zum Lesen brauchen, wenn er auf sein Zimmer kommt.« »Okay, kann ich dir auch etwas mitbringen?«, fragte ich. »Einen Kaffee vielleicht?« »Ach nein, Liebes, ich brauche nichts.« Grandma lächelte mich an. Ich ging den Korridor hinunter und suchte nach einem Wegweiser, um herauszufinden, wo sich der Kiosk befand. Rasch sprang ich in den Aufzug und drückte auf den Knopf. Ich war sehr froh, eine Aufgabe zu haben, eine Ablenkung. Als ich mit ein paar Zeitungen unter dem Arm zurückkehrte, wartete Luke auf einem Stuhl vor dem Schwesternzimmer. »Ich habe deine Mutter hergebracht«, sagte er. »Aber wir waren nicht zusammen aus.« »Oh… okay.« Er wies auf die Tür mit dem großen Verbotsschild. »Sie ist gerade mit deiner Großmutter losgezogen, um nach einem Arzt zu suchen.« Ich hatte doch gewusst, dass Mom Dinge tun konnte, zu denen ich nicht in der Lage war! Ein Verbotsschild hatte sie noch nie von etwas abhalten können. »Weiß man schon mehr über Großvater?«, fragte ich und setzte mich neben Luke. »Ich glaube nicht«, antwortete er. »Aber lass deiner Mutter noch ein paar Minuten. Ich wette, sie findet was raus.« »Danke fürs Fahren!«, sagte ich. »Gern geschehen.« Er nickte. »Hey, alles in
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Ordnung mit dir?« Ich spürte, wie sich mir der Hals zuschnürte. »Ich will nicht, dass er stirbt.« »Sag ihm das, wenn du ihn siehst«, meinte Luke. »So was hören die Leute gern.« In diesem Augenblick flog die verbotene Tür auf, und meine Mutter kam heraus. »Mom!«, rief ich und sprang auf. »Hey du!« Sie lächelte und umarmte mich. »Hallo!« »Es war schrecklich!«, sagte ich. »Es ging alles so schnell.« »Er wird jeden Moment aus dem Untersuchungsraum kommen, wir müssen uns noch etwas gedulden«, sagte sie. Sie wirkte kein bisschen besorgt. Da sie offenbar davon ausging, dass Grandpa nichts Schlimmes hatte, fühlte ich mich gleich ein bisschen besser. »Wo ist Grandma?« »Sie verjagt gerade einen Patienten aus dem Zimmer mit der besten Aussicht.« »Im Ernst?« »Wenn ihm nicht schnell jemand hilft, geht er ohne den Sauerstoffapparat«, entgegnete Mom halb scherzhaft, halb im Ernst. »Wie lange dauert es denn noch, bis er gebracht wird?«, fragte ich. »Nicht mehr lange.« »Ich würde gerne irgendwas tun«, sagte ich. »Was denn? Rollschuh laufen?«, fragte Mom. »Kaffee holen oder jemanden anrufen – irgendetwas anderes, als hier rumzustehen und zu warten«, erklärte ich. »Verstehe.« Sie nickte. »Telefonieren ist nicht
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schlecht, aber ich bin doch eher für den Kaffee.« »Okay, prima. Luke? Einen Tee?«, wandte ich mich an ihn. »Am liebsten Pfefferminz«, antwortete er. »Bin gleich wieder da.« Ich ging davon. »Hey!«, rief Mom und kam mir hinterher. Als ich mich umdrehte, sagte sie leise: »Er wird bestimmt wieder gesund.« »Ich hab doch gerade erst angefangen, ihn kennen zu lernen.« »Ich weiß.« »Ich will nicht, dass er…« »Das wird er nicht«, unterbrach sie mich, bevor ich es aussprechen konnte. »Und jetzt hol mir meinen Kaffee!« Aber der Kaffeeautomat war kaputt, und so kehrte ich mit leeren Händen zurück. Es gab nur Hühnersuppe und Pez-Bonbons. – Ehrlich, das stimmt! Während meiner Abwesenheit hatte man Großvater auf sein Zimmer gebracht. Sobald er wach wurde, las ich ihm die neusten Nachrichten aus der Financial Times und dem Wall Street Journal vor. Es schien ihm gut zu tun, und ich leistete ihm gern Gesellschaft. Als Grandma mit frisch bezogenen Kissen wiederkam, bat sie mich, später weiterzumachen, weil sie mit Großvater allein sprechen wollte. Beim Aufstehen beugte ich mich über ihn. »Darf ich dich umarmen, oder tut das weh?« »Schmerzen gehören zum Leben«, antwortete er. Ich umarmte ihn rasch und küsste ihn sanft auf die Wange.
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»Dieses kleine Mädchen mag dich«, bemerkte Grandma und legte mir einen Arm um die Schulter. »Nun… sie hat einen guten Geschmack«, sagte Großvater lächelnd. In diesem Augenblick wusste ich, dass er wieder ganz gesund werden würde. Als ich nach draußen auf den Flur kam, saß Luke auf einem Stuhl direkt vor der Tür. Er hatte das Kinn in die Hände gestützt und blickte zu Boden. Er sah sehr blass aus und machte einen bekümmerten Eindruck. »Wo ist Mom?«, fragte ich. »Auf der Suche nach Kaffee«, antwortete er mit monotoner Stimme. »Was machst du da?« »Ich gucke meine Schuhe an.« »Oh, dann lass dich nicht stören!« Im Besucherraum drückte Mom immer wieder auf den Kaffeeknopf an dem Automat für Heißgetränke. Aber da war nichts zu machen. »Geht nicht, hm?«, sagte ich. »Ich glaube, ich habe den Knopf schon überstrapaziert«, entgegnete sie und versuchte es mit einem aa* deren. »Du Arme!« »Ist der Arzt schon wieder zurück?« »Noch nicht.« »Tja.« Endlich ließ sie von dem Automaten ab und drehte sich zu mir um. »Du hattest übrigens heute Abend Besuch.« »Ja? Wen denn?«, fragte ich erstaunt. »Den großen Unsichtbaren.« »Dean war da?« »Genau der«, sagte Mom und ging an mir vorbei
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zu dem Wechselgeldautomaten. »Er hat versucht, heimlich an dein Fenster zu klopfen.« »Warst du fies zu ihm?«, fragte ich. »Also bitte! Ich bin nie fies«, erwiderte sie. »Du warst also fies«, stellte ich fest. Mom lächelte zaghaft. »Er hat mir gesagt, es ist nichts passiert.« »Es ist nichts passiert.« »Ich weiß«, sagte Mom. »Du weißt es?«, fragte ich. »Echt?« »Rory, weißt du eigentlich, worauf ich mich auf dieser Welt verlassen kann? Zum einen auf die Tatsache, dass ich Charo – egal wie lange sie auch schon in diesem Land lebt – nie verstehen werde, und zum anderen auf dich.« »Hoffentlich nicht in dieser Reihenfolge«, bemerkte ich. »Aber du musst auch verstehen, was für eine Panik das Ganze ausgelöst hat«, sagte Mom. »Das verstehe ich«, entgegnete ich. »Wirklich! Und es tut mir so Leid. So etwas wird nie wieder vorkommen, ich schwöre!« »Schwör lieber nicht!«, drohte Mom. »Warum nicht?« »Weil du die Tochter deiner Mutter bist«, sagte sie nur. »Was hat denn das jetzt wieder zu bedeuten?« »Es bedeutet, dass so was trotzdem wieder vorkommen kann. Auch wenn du es wirklich nicht darauf anlegst.« »Es kommt aber nicht wieder vor«, beteuerte ich. Mom lachte kurz auf. »Okay.« Dann schwiegen wir eine Weile.
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»Es war schrecklich, ohne dich auf die Weihnachtsfeier zu gehen«, erklärte ich schließlich. »Es war schrecklich, dich allein gehen zu lassen«, gab sie zurück. »Wie waren die Apfeltörtchen?« »Ach, Grandma hat dieses Jahr gar keine gemacht«, antwortete ich. Langsam schlenderten wir zurück zu Großvaters Zimmer. »Wirklich? Das ist aber merkwürdig.« »Ja, nicht wahr?« »Hm, ich habe so das Gefühl, du wolltest mich gerade anflunkern«, sagte sie misstrauisch. »Stimmt voll und ganz.« Sie legte mir einen Arm um die Schultern. »Braves Mädchen!« Etwas später bat Joshua uns alle in Großvaters Zimmer und teilte uns mit, dass Grandpa einen leichten Angina-Pectoris-Anfall gehabt hatte. Er müsse seine Ernährung umstellen, erklärte der Arzt, und sich mehr bewegen, dann würde er zukünftig keine Probleme haben. Ich war unglaublich erleichtert und froh. Meinem Großvater würde es bald wieder gut gehen – schon am nächsten Morgen sollte er nach Hause entlassen werden. Mom war nicht mehr sauer auf mich. Und Dean hatte sich endlich blicken lassen. Weil Mom noch ein Weilchen bei ihren Eltern im Krankenhaus bleiben wollte, bat ich Luke, mich mitzunehmen. Mom riet mir noch, Dean anzurufen und ihm was Kitschiges ins Ohr zu flüstern und mich mit ihm zu zanken, wer zuerst auflegen soll. Manchmal hat sie wirklich verrückte Ideen!
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Aber als Luke mich zu Hause abgesetzt hatte, ging ich wirklich sofort ans Telefon und rief bei Dean an. Und obwohl er schon geschlafen hatte, redeten wir ungefähr zwei Stunden lang – ohne großen Kitsch. Ehrlich!
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