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Gier nach Gold Roy Palmer In einer versteckten Bucht westlich von Batabanó am gleichnamigen Golf ankerten die „Isabella", die „Caribian Queen" und die „Le Griffon". Die drei Schiffe des Bundes der Korsaren lagen auf der Lauer, nämlich in Erwartung der Schiffe des Gouverneurs Alonzo de Escobedo, der die Absicht hatte, das Schatzversteck seines Vorgängers bis zur letzten Goldkiste auszuplündern. Der Plan des Seewolfs war geradezu schlicht: Wenn die Dons die Schätze auf ihre Schiffe geladen hatten, dann sollten die Arwenacks, die Mannen Siri-Tongs und die normannischen Schrate es Edmond Bayeux zupacken. Aber es sah ganz so aus, als sei eine neue Taktik erforderlich, denn Alonzo de Escobedo geriet bereits mit dem Kommandanten der „San Sebastian" aneinander... Glitzernde Lichtflecken tanzten auf den Wellen der Bucht am Golf von Batabanó. Die Bordlaternen der beiden vor Anker liegenden Dreimastgaleonen waren bis auf die offene See zu sehen. Doch die Kapitäne und die Besatzungen waren, was dies betraf, völlig unbesorgt. Sie glaubten, die einzigen Menschen weit und breit zu sein. Doch sie täuschten sich. Es gab einen heimlichen Beobachter: Philip Hasard Killigrew. Noch vor den Spaniern war der Seewolf mit seinen Männern an der Südküste von Kuba eingetroffen. Gold wert war der kaum sichtbare Einschnitt etwa fünf Meilen westlich der Bucht, den Dan O'Flynn entdeckt hatte. Es handelte sich um eine Art Kanal, der nach Westen abknickte und in eine geräumige Bucht führte. Ein hervorragender Platz, weil er hinter den Ufern von hohen karstigen Felsen umgeben war, so daß die drei Schiffe des Bundes der Korsaren nicht nur von der Seeseite her, sondern auch von Land aus kaum entdeckt werden konnten. Die drei Schiffe das waren die „Isabella IX." unter dem Kommando von Hasard, Siri-Tongs „Caribian Queen" und die „Le Griffon" des Edmond Bayeux. Sie lagen völlig sicher in der Bucht und vor neugierigen Blicken verborgen. Die Spanier ahnten nichts von diesen stillen Beobachtern.
Die Hauptpersonen des Romans: Philip Hasard Killigrew der Seewolf ist mit seinen Männern stiller Beobachter sehr erstaunlicher Szenen. Alonzo de Escobedo der Gouverneur von Kuba stürzt von einem Wutanfall in den nächsten. Diego Machado der Kapitän der „Trinidad" hat die Absicht, im trüben zu fischen. Cabral der Decksälteste der „Trinidad" hat keinerlei Hemmungen und schreckt auch vor Mord nicht zurück. Don Gaspar de Mello der Kommandant der „San Sebastian" handelt nach seinem Gewissen. Hätte Alonzo de Escobedo, der neue Gouverneur von Kuba, der sich an Bord der „Trinidad" befand, davon auch nur etwas gewittert, hätte er gewiß einen Teil seiner arroganten und überheblichen Selbstsicherheit abgelegt. Aber Alonzo de Escobedo, der sehr ehrenwerte Nachfolger des hochwohlgeborenen Don Antonio de Quintanilla, lag in seiner Kammer im Achterkastell der „Trinidad" und schnarchte. Ein Leben in unvorstellbarem Prunk und Luxus war der Gegenstand seiner Träume. Diese Träume waren keine leeren Seifenblasen mehr. De Escobedo hatte sein Ziel erreicht. In der Höhle hinter dem Wasserfall lagen die gesammelten Schätze des Don Antonio. Unzählige Menschen hätten davon reich werden können. Doch jetzt gehörte all das das viele Gold, das Silber, der Schmuck und die Juwelen ihm ganz allein, dem Gouverneur! Wie gut, daß er, de Escobedo, auf die Idee verfallen war, den Fuhrunternehmer Miguel Cajega gefangenzunehmen und dem peinlichen Verhör zu unterziehen. Cajega war der einzige gewesen, der von dem Schatzversteck gewußt hatte außer Don Antonio natürlich. Zunächst hatte Cajega nicht reden wollen, aber dann hatte er doch alles preisgegeben. Cajega hatte de Escobedo zu dem Schatzversteck führen müssen. Am Ziel eingetroffen, hatte sich de Escobedo des Mannes entledigt, der von ihm mit einer Kugel ins Jenseits befördert worden war. In seinen Träumen beglückwünschte sich de Escobedo auch zu dem hervorragenden Gedanken, nach Havanna zurückgekehrt zu sein. Wie anders sonst hätte er den immensen Schatz abbergen können als mit entsprechenden Schiffen und deren Besatzungen,
die die Beute an Bord der Segler mannten? Oh, er war stolz auf seinen Einfallsreichtum, und sein heftiges Schnarchen drückte einiges von seiner Selbstzufriedenheit aus. Kapitän Diego Machado und der Zweite Offizier der „Trinidad", Felipe Gutierrez, saßen in der Kapitänskammer der Galeone bei einem Humpen Rotwein zusammen. Sie hörten das Schnarchen und grinsten sich über das Kapitänspult hinweg an. „Der Kerl kann einem den letzten Nerv töten", sagte Machado. „Sind deine Nerven so schwach?" fragte Gutierrez. „Das meine ich nicht", erwiderte der Kapitän. „Nur hasse ich Schnarcher an Bord meines Schiffes. Es wäre besser, wenn Kerle, die so laut sägen, gar nicht vorhanden wären." Gutierrez lachte leise. „Ah, jetzt i verstehe ich. Na ja, leiden kann ich ihn auch nicht besonders, unseren Gouverneur. Aber wir müssen ihn wohl erdulden." Machado füllte wieder die Humpen aus einem dickbauchigen Tonkrug und grinste verschlagen. Er war ein dicklicher Mann, rücksichtslos, kaltschnäuzig und bar jeglicher Skrupel. Mit Gutierrez verstand er sich besonders gut. Gutierrez war ein breitschultriger Mann mit kalten Augen, einem zynischen Mund und spitzem Kinn. Ein Kerl, der mit dem Teufel paktieren würde, wenn es ihm Vorteile verschaffte. Oft hockte er mit dem Kapitän zusammen, und sie heckten irgendwelche Pläne aus, wie man andere Leute übers Ohr hauen konnte. „Was er wohl mit dem vielen Gold und Silber anfangen will", sagte Machado nach einem weiteren gluckernden Schluck. „Wer? Der Gouverneur?" Der Zweite Offizier grinste höhnisch. „Ich schätze, daß er es bereits weiß. Und ich sage, daß er damit abhauen wird." „Ganz von Kuba weg?" „Ja." „Was geschieht, wenn Don Antonio de Quintanilla zurückkehrt?" fragte der Kapitän. „Als Vizekönig hat der Dicke noch mehr Macht. Er wird de Escobedo suchen und finden." „Kaum", entgegnete Gutierrez. „De Escobedo ist zwar nicht de Quintanilla, aber er wird gerissen genug sein, jede Spur zu verwischen." „Und wir?" fragte Machado lauernd. „Was soll mit uns sein?" erwiderte der Zweite. „Wir führen einen Auftrag aus und werden dafür entlohnt."
„Wir sind aber auch unbequeme Zeugen", sagte der Kapitän. „Weißt du, was aus Cajega geworden ist? Er ist in Havanna nicht wieder aufgetaucht. Ich glaube, daß er tot ist." „Das ist anzunehmen", sagte Gutierrez. Er hob seinen Humpen an die Lippen und trank ebenso geräuschvoll und gierig wie sein Kapitän. „Und es ist mir jetzt auch klar, auf was du rauswillst, Diego. Ich finde aber, du kannst es dir aus dem Kopf schlagen. De Escobedo kann uns nicht alle aus dem Weg räumen." Machado brummelte etwas Unverständliches. Dann meinte er: „Fähig dazu wäre er. Aber er kann nicht wagen, sich mit uns anzulegen. Trotzdem vermute ich, daß er versuchen wird, uns irgendwie auszubooten." Gutierrez schob die Unterlippe vor und überlegte. Dann erwiderte er: „Wie wäre es, wenn der umgekehrte Fall eintreten würde?" „Wie meinst du das?" „Das ist doch ganz einfach", sagte der Zweite grinsend. „Unser lieber, guter Gouverneur verschwindet plötzlich von Bord. Keiner hat gesehen, in welche Richtung er verschwunden ist. Keiner findet ihn. Höchstens die Haie, meine ich, aber die schweigen ja." Machado grinste ebenfalls. „Du bist ein verfluchter Hurensohn, Freund Felipe. Aber das können wir nicht riskieren. Es könnte uns den Kopf kosten." „Das Risiko entspricht dem Gegenwert. Denk an den Schatz." „Ich denke daran", entgegnete der Kapitän. ,Aber wir wissen nicht, bei wem de Escobedo in Havanna hinterlassen hat, wohin er sich wendet." „Vielleicht hat er's keinem hinterlassen." „Und er ist heimlich aus Havanna verschwunden?" fragte Machado zweifelnd. „Also, das glaube ich nicht ganz. Zumindest haben wir keine Beweise dafür. Wir könnten uns ganz höllisch die Finger verbrennen." „Jetzt übertreibst du", sagte Gutierrez spöttisch. Er trank noch einen Schluck und dachte: Zur Hölle mit dem Gouverneur. Wir sollten den Spieß umdrehen und die Schätze für uns vereinnahmen. Machado stieß einen leisen Fluch aus. „Werd nicht frech!" zischte er. „Glaubst du etwa, ich scheue davor zurück, dem Hund ein Messer ins Kreuz zu jagen? Da irrst du dich gewaltig." „Das habe ich nicht sagen wollen", erklärte der Zweite.
„Schon gut", brummte Machado. „Aber ich weiß immer noch, wie weit ich gehen kann. Ich bin kein Hitzkopf, Felipe. Klar?" „Das bin ich auch nicht", erwiderte Gutierrez. „Ja, du hast recht. Man sollte vernünftig sein und sich vom Wein nicht zu losen Reden verleiten lassen. Aber ich finde, wir sollten die Entwicklung abwarten. Irgendwas tut sich noch." „Drück dich gefälligst deutlicher aus." Der Zweite blickte in seinen leeren Humpen, dann griff er nach dem Krug. Er füllte seinen Humpen zur Hälfte, dann den des Kapitäns. „Es gärt in der Mannschaft, mein lieber Freund. Die Kerle sind auf den Schatz gierig. Kann man es ihnen verübeln?" „Wenn sie zu gierig werden, kriegen sie was auf ihre dreckigen Pfoten", erwiderte Machado. „Glaubst du, de Escobedo weiß nicht, daß einer von ihnen eine Extratour unternehmen könnte? Das ist doch der Grund dafür, warum er angeordnet hat, daß keiner nachts von Bord geht." „Die Frage ist, ob sich die Kerle daran halten", sagte der Zweite. Machado hatte seinen Kelch geleert und wollte nachschenken, doch auch der Krug war leer. „Auf meinem Schiff sorge ich für Ordnung und Disziplin, sagte er schroff. „Und du weißt auch, daß ich nicht lange fackle, wenn einer aus der Reihe tanzt. Es soll nur einer versuchen, heimlich von Bord zu gehen und an Land zu schwimmen. Der kriegt von mir persönlich die Neunschwänzige." Machado hob den Krug und streckte ihn seinem Zweiten Offizier entgegen. „So, und jetzt hol gefälligst noch ein bißchen Wein. Von dem vielen Quatschen wird mir die Kehle ganz trocken." „Mir auch", sagte Gutierrez grinsend. „Das muß mit der Luft in Batabano zusammenhängen." Machado gab ein grunzendes Lachen von sich. „Hörst du endlich auf. Blödsinn zu faseln? Her mit dem Wein!" Felipe Gutierrez verließ die Kapitänskammer und suchte den Proviantraum auf, in dem die Weinfässer lagerten. Routinemäßig lauschte er den Geräuschen im Schiff. De Escobedos Schnarchen war auch hier unten zu vernehmen. Außer dem Plätschern des Seewassers an den Bordwänden und dem Knarren der Blöcke und Rahen herrschte aber sonst Ruhe. An Bord der „Trinidad" schien alles ruhig und friedlich zu sein. Hoffentlich, dachte der Zweite. Daß es auf der „San Sebastian" keine Unregelmäßigkeiten geben würde, war ohnehin sicher. Don Gaspar de Mello war ein auf-
richtiger, ordentlicher Mensch, wie es sich für den Capitän einer Kriegsgaleone Seiner Majestät geziemte. Der ging lieber mit Mann und Maus unter, statt auch nur eine Goldmünze anzurühren. So ein Narr, dachte Gutierrez verächtlich, wie kann man nur so dumm sein! * In dieser Nacht, der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1595, wurde an Bord der Galeone „Trinidad" ein Komplott geschmiedet. Doch davon bemerkten weder Alonzo de Escobedo noch Kapitän Machado oder der Zweite Offizier Gutierrez etwas. Wüste Kerle waren es, die im Vorschiff beisammenhockten und tuschelten, Galgenstricke, die es mit Machado oder Gutierrez an Skrupellosigkeit durchaus aufnehmen konnten. Das war die „Trinidad" ein Handelsschiff zwar, doch alles andere als ein biederer Kauffahrer. Die komplette Besatzung vom Kapitän bis zum Moses bestand aus üblen Strolchen, die auf jeden Piratensegler gepaßt hätten. Ganz anders die Kriegsgaleone „San Sebastian". Capitan Don Gaspar de Mello war ein geradlinig denkender, korrekter Offizier der Armada. Seine Männer richteten sich strikt nach seinen Befehlen. Disziplinlosigkeiten gab es nicht. De Mello konnte sich auf seine Männer verlassen, und auch umgekehrt wußten die Offiziere des Achterdecks und die Seeleute und Seesoldaten, daß sie in Don Gaspar de Mello einen vorbildlichen Kommandanten hatten. De Mello hatte dem angeblich „geheimen Auftrag" des Gouverneurs von Anfang an mißtraut. Für de Escobedo war er nichts weiter als ein nützlicher Narr, der den Beschützer für die „Trinidad" spielen sollte. Machado hingegen war von Anfang an in alles eingeweiht gewesen. In Havanna hatte de Escobedo schon so manches krumme Geschäft mit Machado getätigt -"allerdings nicht in dem Umfang wie dieses Mal. Bei dem Stand der Dinge war es nur zu verständlich, daß Don Gaspar de Mello argwöhnisch und obendrein verärgert war. Goldmünzen befanden sich in der einen Truhe, die an Bord der „Trinidad" gebracht worden war. Soviel wußte er inzwischen. Und wie ging es weiter? Wie sah der „geheime" Auftrag tatsächlich aus? Nun, es würde noch zwei Tage in Anspruch nehmen, bis alles aus der Höhle geborgen und an Bord der Schiffe gebracht
worden war. In dieser Zeit, so dachte de Mello, konnte noch einiges geschehen. Die beiden Schiffe lagen in Windrichtung mit dem Bug nach Nordosten der Wind wehte aus Nordosten und parallel zueinander. Die Steuerbordseite der „San Sebastian" war der Backbordseite der „Trinidad" zugekehrt. Das Kriegsschiff ankerte also mehr westlich, der Handelssegler mehr östlich in der Bucht. Auf beiden Schiffen war eine Ankerwache aufgezogen. Für beide Schiffe galt die Order Alonzo de Escobedos, daß niemand nachts von Bord durfte. Der sehr ehrenwerte Señor Gouverneur hatte ja seine guten Gründe dafür. Er war der Meinung, „seinen" Schatz in den Höhlen hinter dem Wasserfall unbewacht lassen zu können. Aber das war ein Irrtum. Die Kerle an Bord der „Trinidad" wie auch die Männer der „San Sebastian" hatten aufgrund der Truhen-, Kisten- und Fässerverladung auf die Handelsgaleone längst spitz, was sich in dem Höhlensystem hinter dem Wasserfall befand. Und die Mannschaft der „Trinidad" war gegenüber der disziplinierten Crew der Kriegsgaleone nun mal ein rüder Haufen ein Spiegelbild ihres Kapitäns. Bei diesen Kerlen war die Gier geweckt, die einmalige Chance, reich zu werden. Sie brauchten ja nur zuzulangen. Fünf Kerle der „Trinidad"-Mannschaft bildeten da sozusagen den harten Kern. Diese Clique hatte im Vordeck der Galeone die absolute, uneingeschränkte Macht. Wort- und Anführer des Quintetts war der Decksälteste Cabral. Ein tückischer Bulle war dieser Mann, der mit den Fäusten regierte und auch schnell mit dem Messer bei der Hand war. Seine vier Vasallen waren Domingo, Casco, Toluca und Manzo insgesamt ein höllisches Quintett. Manzo war Kreole, die vier anderen waren Spanier. Vom Gemüt her bestand zwischen Manzo und ihnen nicht der geringste Unterschied. Für ein paar Goldmünzen hätten sie ihre eigenen Mütter erschlagen. Die Order des Gouverneurs interessierte diese Kerle einen Dreck. Sie hatten ihren Plan festgelegt und handelten noch vor Mitternacht. Toluca huschte auf das Schott der Waffenkammer zu und hantierte an dem Schloß herum. Cabral war hinter ihm. Domingo hielt am Logis Wache. Casco war am Schdtt des Vorkastells und lauschte den Schritten der Ankerwache. Manzo sicherte nach achtern, zu den Laderäumen hin. Sobald irgend jemand auftauchte, um zu kontrollieren, würden die Kerle ein ' Zeichen ge-
ben. Cabral würde Toluca verständigen, und sie würden sich verstecken. Aber dieser Fall trat nicht ein. Die fünf Kerle blieben ungestört. Toluca arbeitete im Dunkeln. Er war unerhört geschickt und behauptete von sich, jedes Schloß aufknacken zu können. Dies stellte er unter Beweis: nach knapp einer Viertelstunde brach er das schwere Vorhängeschloß auf. Vorsichtig öffnete er das Schott. Die Eisenangeln waren gut geölt, sie quietschten und knarrten nicht. Toluca und Cabral drangen in die Waffenkammer ein. Cabral drückte das Schott hinter sich zu. Toluca entfachte ein Talglicht, und sie schauten sich um. „Na los", sagte der Bulle Cabral grinsend. „Bedien dich, mein Junge. Und nimm gefälligst nur vom Besten." Toluca entblößte seine schadhaften Zähne. „Wie wär's mit 'ner feinen Radschloßpistole?" „Klar. Nun mach schon." Sie versorgten sich mit Pistolen und Munition. Dann knieten sie sich auf die Planken und verstauten ihre Raubbeute in wasserdichter, mit Öl getränkter Leinwand. Inzwischen hatte sich Domingo genähert. Er kratzte am Schott, das war ein vereinbartes Zeichen. „Komm rein", brummte Cabral. Domingo trat ein. „Im Logis pennen sie alle", erklärte er. „Keine Sprüche mehr. Diese Aufschneider!" „Und während sie pennen, stauben wir ab", sagte Cabral. „Und sie gehen leer aus", sagte Toluca mit leisem, gehässigem Lachen. „Geschieht ihnen recht. Sie haben eben nicht genug Mumm in den Knochen, so was anzupacken." Die anderen Kerle hatten am Abend im Vordeck nur geschwätzt und schwadroniert. Man könnte doch in den Höhlen zulangen, hatten sie gemeint. Aber letztlich hatten sie nicht den Schneid aufgebracht, etwas zu unternehmen. Cabral hingegen war fest entschlossen, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Die Nacht war der beste Verbündete für ihn und seine vier Kumpane. Jetzt bot sich die Chance, steinreich zu werden und für alle Zeiten ausgesorgt zu haben die Kerle wollten sie um keinen Preis verpassen. „So", sagte Cabral, als sie genügend Waffen und Munition wasserdicht eingepackt hatten. „Das wär's. Mehr brauchen wir nicht." „Warum hauen wir nicht gleich ab?" wollte Domingo wissen.
„Das hab' ich vorhin schon erklärt!" zischte Cabral. „Erst müssen alle richtig schlaf en." „Der Gouverneur schnarcht schon seit Stunden", murmelte Toluca. „Aber das will nichts heißen. Machado und Gutierrez hocken bestimmt noch zusammen und bechern einen." „Wenn sie genug gesoffen haben, schnarchen sie auch", meinte Domingo mit unerschütterlicher Logik. „Und das kann noch ein Weilchen dauern. Also warten wir eben ab." Kurze Zeit darauf verließen die drei Kerle die Waffenkammer. Im Gang, des Vordecks trafen sie sich mit Casco und Manzo. „Alles in Ordnung?" erkundigte sich der Anführer flüsternd. „Bestens", erwiderte Casco. „Der Posten hat nicht die Spur gemerkt." „Wie sollte er auch?" raunte Toluca. „Wir arbeiten ja lautlos." „Und achtern?" fragte Cabral den Kreolen. „Ich glaube, Gutierrez hat vorhin Wein geholt", erwiderte Manzo. „Den Schritten nach zu urteilen, kann nur er es gewesen sein. Es hat gegluckert. Er hat wohl einen Krug gefüllt." „Ich hab's ja gesagt", flüsterte Toluca. „Die kippen einen hinter die Binde." „Darauf hätte ich auch Appetit", sagte Casco. „Später", brummte Cabral. „Und red' nicht so laut. Du vermasselst noch alles." Zum Schein suchten sie wieder das Logis auf und legten sich in ihre Kojen. Die anderen Männer schliefen tief und fest. Keiner bemerkte, wie sich die fünf Kerle auf ihren Lagern ausstreckten. Und keiner sah, daß das Quintett inzwischen bewaffnet war. Domingo, Casco, Toluca und Manzo lagen wach da und malten sich die nächsten Phasen des Unternehmens aus. Cabral hingegen verfiel in einen kurzen, tiefen Schlaf. Er hatte die stärksten Nerven. Nichts konnte ihn beeindrucken. Er war völlig gelassen und wußte, daß alles gelingen würde. Es handelte sich um einen simplen, aber gutdurchdachten Plan. 2. Bis zwei Stunden nach Mitternacht harrten die fünf Kerle im Logis der „Trinidad" aus. Dann handelten sie. Cabral war als erster auf den Beinen. Er schlug die Augen auf, als habe ihm jemand ein
Zeichen gegeben, und sofort war er hellwach. Lautlos glitt der Riese aus seiner Koje und schlich durch das dunkle Logis. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer großen Raubkatze. Cabral blieb stehen und lauschte dem Schnarchen und Brummeln der schlafenden Kerle. „Gut", raunte er seinen Kumpanen zu. „Es geht los." Darauf hatten Domingo, Casco, Toluca und der Kreole nur gewartet. Sofort verließen auch sie ihre Schlafstellen und gesellten sich zu Cabral. Gemeinsam verließen sie das Mannschaftslogis. Sie schlichen durch den Mittelgang des Vordecks und näherten sich der Kombüse. Die Waffen, die sie aus der Waffenkammer entwendet hatten, verbargen sie unter ihren Hemden. Vorsichtig schlichen sie weiter, stiegen einen Niedergang hoch und befanden sich nun am Schott der Backbordseite, das vom Vorkastell auf die Kuhl der Galeone führte. Cabral berührte mit seinen Händen den Riegel des Schotts. Behutsam öffnete er ihn. Er selbst hatte diesen Eisenriegel am Vortag geölt, damit er sich völlig geräuschlos aufziehen ließ. Das zahlte sich jetzt aus. Der Riegel glitt zurück. Das Schott ließ sich aufdrücken. Cabral öffnete es einen Spaltbreit und spähte nach draußen. Der Ankerwächter hatte nichts bemerkt. Er stand am Backbordschanzkleid der Kaihl und blickte zur „San Sebastian". Innerlich verfluchte er den Dienstplan, der ihn dazu zwang, mitten in der Nacht diese langweilige Wache zu schieben, während die anderen in den Kojen schliefen. Der Wächter hieß Montez und stammte von der Insel Mallorca. Er hatte beschlossen, in seine Heimat zurückzukehren, wenn es ihm gelang, nur einen winzigen Teil des Schatzes für sich abzuzweigen und in die eigene Tasche zu stecken. Wie alle anderen hatte er vor, irgendwie ein „Ding zu drehen" und heimlich eine der Truhen oder Kisten zu öffnen. Wie das vor sich gehen sollte, wußte Montez noch nicht. Aber er nahm sich fest vor, etwas zu unternehmen. Eine Gelegenheit wie diese würde sich kein zweites Mal bieten. Montez malte sich in seinen Gedanken aus, wie seine Familie staunen würde, wenn er als reicher Mann nach Mallorca zurückkehrte. Das ganze Dorf, aus dem er stammte, würde die Augen aufreißen. Am größten würde die Schadenfreude sein, wenn Mon-
tez seinem Vater gegenübertrat. Der hatte ihn stets als Taugenichts und Galgenstrick bezeichnet und seinen Sohn sogar verflucht, als dieser von zu Hause ausgerissen war. Doch bald würde er alles zurücknehmen und das Gegenteil behaupten. Montez hatte in der Neuen Welt sein Glück gefunden, während jene, die in der Heimat geblieben waren, heute wie damals mehr schlecht als recht vom Fischfang und vom Ackerbau lebten. Während Montez all das durch den Kopf ging, überlegte Cabral, wie er den Kerl am besten ausschalten konnte. Montez hielt dem Quintett nicht den Rücken zugewandt, sondern stand in seitlicher Position zu ihnen und würde somit unweigerlich aus den Augenwinkeln sehen, wie sich das Schott ganz öffnete und eine oder mehrere Gestalten heraustraten. Deshalb griff Cabral zu einer Kriegslist. Er gab Manzo ein Zeichen. Manzo verstand. Die hatten es vorher abgesprochen, wie sie vorgehen würden. Für jeden Eventualfall gab es ein Schema. Die fünf Kerle konnten nicht wissen, wo sich der Ankerposten zum Zeitpunkt ihres Aufkreuzens an Oberdeck befand. Er konnte auf der Back, auf der Kuhl oder gar auf dem Achterdeck sein. Cabral hatte jedoch mit seinen Spießgesellen genau vereinbart, wie sie Montez überrumpeln konnten. Der Kreole schlüpfte an Cabral vorbei und trat auf die Kühl. Montez registrierte sein Auftauchen und fuhr zu ihm herum. Manzo preßte eine Hand gegen seinen Bauch, mit der anderen stützte er sich am Schanzkleid ab. Verwundert blickte Montez den Kreolen an. „He was ist denn mit dir los?" „Schmerzen", erwiderte Manzo mit verzerrtem Gesicht. „Hölle, wie das brennt!" „Geh doch auf die Galion", schlug Montez vor. „Das ist es nicht", sagte Manzo. In gekrümmter Haltung blieb er vor dem Posten stehen. „Ich hab's schon versucht, aber es klappt nicht. Mein Leib ist wie zugemauert. Das muß der verdammte Fraß gewesen sein, den der Hund von einem Koch uns heute abend vorgesetzt hat." „Davon merke ich nichts", entgegnete Montez ohne Argwohn. „Mir geht es soweit gut. Warum hast du den Feldscher nicht geweckt?"
„Bin ich blöd?" Manzo winkte ab. „Der Knochenflicker taugt höchstens dazu, einen Toten ins Meer zu kippen. Nein, was ich brauche, ist ein Rum." „Mann, ich hab' doch keinen Rum", sagte Montez. „Und ich habe auch keine Genehmigung, dir welchen aus der Kombüse zu holen." „Diese Schmerzen!" stöhnte Manzo. Er lehnte sich gegen das Schanzkleid und keuchte. Montez drehte sich zu ihm um. Er wußte nicht, was er tun sollte. Etwa den Kapitän wecken? Machado trat ihm in den Hintern, wenn er ihn um Rum bat. Das wußte Montez genau. An wen sollte er sich wenden? An den Ersten oder Zweiten Offizier? Die würden sich nicht anders verhalten. Cabral nahm Montez die Entscheidung ab. Montez kehrte den vier Kerlen, die im Inneren des Vorkastells lauerten, jetzt den Rücken zu. Cabral huschte nach draußen und war mit wenigen Schritten hinter Montez. Montez griff nach Manzos Schulter. „Hör mal, ist dir etwa schlecht?" „Wahnsinnig schlecht!" Manzo röchelte. „Spuck hier bloß nicht die Planken voll!" Es waren Montez' letzte Worte. Er nahm noch den Schatten hinter seinem Rücken wahr. Aber zu einer Reaktion war er nicht mehr fähig. Cabral hatte sein Messer gezückt. Die Klinge blinkte matt im Licht der Hecklaterne. Sie zuckte hoch und bohrte sich in Montez' Rücken. Gleichzeitig packte Cabral mit der freien Hand zu und preßte sie dem Wächter auf den Mund. Montez spürte den glühenden Schmerz in seinem Rücken. Er wollte schreien irgend etwas unternehmen. Doch seine Kräfte ließen rapide nach. Ein unterschwelliges Dröhnen, das immer mehr zunahm, raubte ihm die Sinne. Montez' Arme baumelten herunter, seine Knie knickten ein. Schlaff sank er auf den Planken zusammen. Als Cabral wieder losließ, war Montez bereits tot. Cabral schnitt eine verächtliche Miene. Er empfand kein Mitleid. Den Mann hatte er ohne Skrupel getötet. Das Ziel allein zählte. Der Zweck heiligte die Mittel. Cabral hätte auch den Kapitän aus dem Weg geräumt, wenn das erforderlich gewesen wäre. Der Kreole drehte sich grinsend zu seinem Anführer um. „Erledigt?" fragte er.
„Ja. Gut gemacht, Manzo." Cabral wandte sich halb um und gab den drei wartenden Kumpanen ein Handzeichen. Sie verließen das Vordeck und huschten zu Cabral und Manzo. Eine Weile warteten die fünf Kerle und spähten zur „San Sebastian" hinüber. Doch dort regte sich nichts. Der Ankerposten befand sich gerade auf der anderen Schiffsseite. Er hatte von den Vorgängen nichts bemerkt. Auch auf der „Trinidad" blieb alles ruhig. Cabral grinste. Der erste Teil des Unternehmens war somit bereits gelungen. Unbemerkt konnten er und seine Spießgesellen die Galeone verlassen. Wie sie das abgesprochen hatten, ging es weiter. Toluca schlich zur Steuerbordseite des Schiffes und fierte ein Tau außenbords ab. Cabral und die drei anderen eilten zu ihm, dann enterten sie einer nach dem anderen außenbords ab erst der Decksälteste, dann der Kreole und schließlich Toluca, Casco und Domingo. Die Steuerbordseite der „Trinidad" konnte von der „San Sebastian" aus nicht eingesehen werden. Aus diesem Grund hatte Cabral diese Seite gewählt, um ungesehen zu verschwinden. Wieder gingen die fünf Kerle völlig geräuschlos vor. Sie glitten ins Wasser und begannen zu schwimmen. Rasch entfernten sie sich von der Bordwand ihres Schiffes. Weiterhin blieb alles ruhig. Kein Mensch tauchte an Oberdeck auf. Noch blieb das Attentat auf den Ankerwächter unentdeckt. Cabral konnte zufrieden sein. Die Entscheidung, in dieser Nacht zu handeln, war richtig gewesen. Die Kerle schwammen, ohne ein Wort zu wechseln. Sie dachten an die Haie, die sich möglicherweise in der Nähe befanden. Auch das war ein Risiko, das sie auf sich nehmen mußten. Doch Cabral hoffte, keinem der grauen Mörder zu begegnen. Die Distanz zum Ufer betrug nur etwa vierzig Yards und war schnell zu überbrücken. Ohne Zwischenfälle erreichten die Kerle das östliche Ufer der Bucht. Sie krochen an Land und huschten zwischen die Mangroven. Jetzt konnten sie das Rauschen des Wasserfalles bereits hören. Kurze Zeit darauf hatten sie ihn erreicht. Cabral rammte Manzo, der rechts neben ihm war, den Ellbogen in die Seite. „Das wäre geschafft! Der Schatz ist unser!" stieß er hervor. „Keiner nimmt ihn uns weg", erwiderte der Kreole höhnisch grinsend.
„Es ist die schönste Nacht meines Lebens", sagte Toluca. „Hölle, wir sind reich wie der König von Spanien." „Wir werden alles kaufen", murmelte Domingo. „Häuser, Weiber, Sklaven." „Und jede Menge zu fressen und zu saufen", fügte Casco hinzu. Der Decksälteste verließ das Dickicht und lief zu der Steilwand. Er stieg zu dem Sims auf und schob sich vorsichtig unter den Wasserfall. Seine Kumpane schlossen sich ihm an und folgten seinem Beispiel. * Der Wasserfall war nun allerdings doch bewacht aber nicht von den Spaniern! Natürlich hatte der Ausguck des Seewolfs Bill am vergangenen Vormittag die beiden von Westen heransegelnden Schiffe entdeckt. Na endlich! Die Männer des Bundes der Korsaren hatten aufgeatmet. Immerhin hatten sie seit dem 21. Mai auf Alonzo de Escobedo beziehungsweise die Kriegsgaleone und die Frachtgaleone gewartet. Daß beide Schiffe im Arsenal von Havanna für eine längere Reise ausgerüstet worden waren, hatten Hasard und seine Kameraden ja von Arne von Manteuffel erfahren, als sie ihn in Havanna heimlich besucht hatten. An dem Einschnitt zu der Bucht, in der die „Isabella IX.", die „Caribian Queen" und „Le Griffon" ankerten, also etwas westlich der anderen Bucht, waren die beiden spanischen Galeonen achtlos vorbeigesegelt. Der Seewolf hingegen hatte sie scharf beobachtet. Er war mit Siri-Tong, Edmond Bayeux und Roger Lutz in die Felsen aufgestiegen. Von hier aus hatten sie alles überblicken können. Und Roger Lutz hatte durch den Kieker sogar Alonzo de Escobedo an Bord der Kriegsgaleone identifiziert. Den ganzen Tag über hatten sie dann von einem Versteck in der Nähe des Wasserfalles aus zugesehen, wie die Spanier Kiste um Kiste und Truhe um Truhe aus dem Versteck hinter dem Wasserfall geholt hatten. Auch der Zwischenfall, den es dabei gegeben hatte, war ihnen nicht entgangen. Eine der Kisten war beim Transport aufgebrochen. Und was war herausgerollt? Lauter Goldmünzen. Ein Bootsmann hatte dafür gesorgt, daß die Münzen sofort wieder aufgesammelt wurden.
Dann war der Abtransport weitergegangen, bis zum Einbruch der Dunkelheit. Danach hatten sich die Spanier an Bord der Schiffe zurückgezogen. Hasard und seine Männer hatten sehr wohl vernommen, wie Alonzo de Escobedo an Bord der „San Sebastian" herumgetobt hatte. Der Kapitän der Kriegsgaleone verlangte nach Erklärungen. De Escobedo berief sich auf seinen angeblich geheimen Auftrag, den er noch von seinem Vorgänger, Don Antonio de Quintanilla, erhalten hatte. Demnach ging es de Mello einen feuchten Dreck an, was die Kisten enthielten. De Mello wußte inzwischen Bescheid und machte sich seine Gedanken. Es konnte schon angehen, daß es sich um einen Geheimauftrag handelte, und alles hatte seine Richtigkeit, wenn die Truhen und Kisten für den König von Spanien bestimmt waren. Wenn! Die Betonung lag auf diesem Wörtchen. De Mello spürte, daß etwas oberfaul war, aber noch hatte er keine Beweise dafür. Er konnte nur die weitere Entwicklung der Dinge abwarten. Dem Seewolf, der Roten Korsarin und den anderen Beobachtern war ebenfalls nicht entgangen, daß da zweierlei Typen von Spaniern an der Arbeit waren. Da waren einmal die disziplinierten Männer der Kriegsgaleone unter der Führung eines Bootsmannes mit sympathischem, offenem Gesicht, und auf der anderen Seite jene ziemlich rüden Kerle von der Frachtgaleone, die ein übler Bulle mit verschlagener Galgenvogelvisage unter seiner Fuchtel hatte. Genau von diesem Bullen, der auf den Namen Cabral hörte, hatten sie durch Zufall eine Bemerkung aufgeschnappt, die darauf hindeutete, daß eine Gruppe von Kerlen hier ein eigenes Süppchen zu kochen gedachte. Das hatte den Seewolf veranlaßt, auch nachts „Zuschauer" vor Ort, also an der Höhle, zu postieren aus der ganz einfachen Überlegung heraus, daß es immer gut war, zu wissen, was auf der Gegenseite gespielt wurde. „Wenn die Kerle was klauen wollen, dann sollen sie es tun", hatte Hasard zu seinen Männern gesagt. „Es ist eh so viel da, daß wir alle zu Millionären werden können." „Es kratzt dich 'nicht?" fragte Edmond Bayeux. „Mich nicht. Und dich?" „Mich auch nicht", erwiderte der harte Mann. „Sollen sich die Kerle doch tüchtig was in die Taschen stopfen."
„Die Mannen wird es auch nicht beunruhigen, da bin ich sicher", hatte Siri-Tong geäußert. „Ganz abgesehen davon, daß in der Klauerei Zündstoff steckt." Hasard hatte unwillkürlich lachen müssen. „Und nicht zu knapp. Wenn sie sich gegenseitig in die Haare geraten, ist das für uns nur ein Vorteil." So teilte der Seewolf seine Männer ein. Bis um Mitternacht waren es der Boston-Mann, Gustave Le Testu und Montbars, die am Wasserfall Wache hielten. Danach war die Reihe an Dan O'Flynn, Carberry und Batuti. Carberry gab seinen beiden Begleitern mit einer Gebärde zu verstehen, daß er etwas vernommen hatte. „Ruhig mal", brummte er. „Da quatscht doch jemand. Hört ihr's?" „Deutlich genug", erwiderte Dan flüsternd. „Hasard hat recht gehabt. Da kommen die Kerle, um die Schatzhöhle zu plündern." Der Gambia-Mann entblößte seine perlweißen Zähne. „Und sie scheinen schon ganz zappelig zu sein." „Was unternehmen wir?" fragte Dan. „Wir warten erst mal ab", entgegnete der Prof os. Kurz darauf sahen sie die fünf Spanier aus dem Mangrovendickicht treten. Aufmerksam verfolgten Carberry, Dan und Batuti, was weiter geschah. Die Kerle konnten gar nicht schnell genug den Wasserfall erreichen. Sie enterten den Sims und schoben sich in das Höhlensystem. Einer kippte fast ab. Sein nachfolgender Kumpan hielt ihn am Arm fest. Sie fluchten beide, dann verschwanden sie wie die drei ersten unter dem rauschenden Wasserfall. „Seht sie euch an", sagte Carberry. „Sie benehmen sich wie die hechelnden Köter." „Die gierig hinter einer Wurst her sind", fügte Dan grinsend hinzu. Stimmt genau." „Na schön", sagte der Gambia-Mann. „Sie fangen jetzt also mit dem Klauen an. Aber was werden sie dann tun?" „Wahrscheinlich hauen sie ins Landesinnere ab", erwiderte Dan. „Sehr viele Möglichkeiten haben sie ja nicht." „Und sie haben auch keine Maultiere", sagte der Gambia-Mann. „Viel können sie nicht mitschleppen, das ist klar", sagte der Profos. „Aber sie müssen auch damit rechnen, verfolgt zu werden."
„Sehr schlau sind sie nicht", stellte Dan fest. „Aber wenn keiner etwas von ihrem Verschwinden bemerkt hat, können sie auch an Bord ihres Schiffes zurückkehren." „Die Ankerwache hätte sie bemerkt", sagte Carberry. „Verlaß dich drauf. Vielleicht hat dieses Rübenschwein de Escobedo die Wachen sogar verdoppeln lassen. Möglich wäre es." „Er muß doch was tun, damit keiner verschwinden kann", sagte Batuti. „Die Kerle wissen, daß es um Gold geht, sie sind alle wild darauf. Wenn ich der Gouverneur wäre, hätte ich an der Höhle Wachen aufgestellt!" „Aber du bist nicht der Gouverneur", sagte Dan. Batuti lachte. „Ich möchte auch nicht in seiner Haut stecken." „Aber was meinst du, ob die Kerle die Wache abgemurkst haben?" fragte Dan. „Schon möglich." „Mit Sicherheit haben sie es getan", sagte der Profos. „So wie die aussehen, sind sie zu allem fähig." Durch das Rauschen des Wasserfalles war aus der Höhle jetzt Gelächter zu vernehmen. Die fünf Kerle schienen vor Freude schier verrückt zu sein. Der immense Reichtum, den sie vor Augen hatten, umnebelte ihren Verstand. Nicht anders war es Alonzo de Escobedo ergangen, als Cajega ihn hergeführt hatte. Wie ein Verrückter hatte er sich benommen. Jean Ribault und Roger Lutz hatten es beobachtet. Carberry, Dan und Batuti harrten in ihrer Deckung aus und verfolgten, was weiter geschah. Die Nacht schien noch mit einigen Überraschungen aufzuwarten. * Cabral war der Decksälteste und der Anführer, ihm stand es zu, die erste Schatzkiste zu öffnen. Er brach sie auf, riß den Deckel hoch und stieß einen glucksenden, freudig erregten Laut aus. Dann griff er mit beiden Händen hinein und wühlte in den Goldmünzen herum, mit denen die Kiste bis obenhin gefüllt war. „Haha!" brüllte er. „Geschafft! Wir sind reich! Ihr verdammten Hurensöhne, wie haben wir das gemacht?" „Großartig!" stieß Manzo hervor. Er hatte eine Fackel entfacht. In ihrem zuckenden, glutigen Schein wirkte Cabral wie ein gewaltiger Bär, der mit seinen Tatzen einen Bienenstock ausplün-
dert. Die Münzen wirbelten hoch und fielen klirrend in die Kiste zurück. Ein ganzer Regen von Dukaten und Dublonen, Piastern und Reales ergoß sich ins Innere. Casco hielt seinen Kopf über die Kiste. Die Münzen prallten auf seinen Schädel. Er kicherte und war außer sich vor Triumph und Freude. Toluca, Manzo und Domingo durften eine weitere Kiste aufbrechen. Sie enthielt ebenfalls Münzen auch aus Gold. Cabral begann, einen der Ledersäcke mit Münzen vollzustopfen. Die Ledersäcke hatten sie in kluger Voraussicht mitgenommen. Sie waren bei dem Bad in der Bucht naß geworden, doch das spielte keine Rolle. Manzo pfiff ein vergnügtes Lied. Domingo setzte sich in die offene Kiste und schaufelte die Münzen über seine Oberschenkel. Casco kicherte und lachte. Toluca hantierte mit einem zweiten Ledersack herum. Münzen klirrten auf den Boden der Höhle oder fielen scheppernd in die Säcke. Casco kroch auf dem harten, kalten Boden herum und sammelte die verlorenen Münzen ein. Nie in seinem Leben hatte er sich so prächtig amüsiert. Er war berauscht und wie von Sinnen. So auch die anderen. Sie waren kaum noch imstande, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Nur ein Gedanke beherrschte ihren Geist: raffen und wegtragen! Wie die Besessenen schaufelten und kehrten sie die Münzen in die Säcke. Etwas später entdeckten sie noch andere Ledersäcke, die hinter zwei größeren Truhen aufgeschichtet waren. „Seht mal her!" rief Cabral. „Ist das nicht freundlich? Hier hat uns jemand einen Gefallen getan und schon Säcke für uns bereitgelegt!" „Wer? De Escobedo?" schrie Casco. „Der doch nicht!" brüllte Manzo. „Höchstens einer unserer Leute!" „Oder der Bootsmann von de Mello!" rief Toluca. „Blödmänner", erklärte Cabral wild grinsend. „Und wenn ich es nun gewesen wäre? Was würdet ihr dann sagen?" „Du Teufelskerl!" stieß der Kreole hervor. „Das hast du gedreht? Und keiner hat es gemerkt! Einfach toll!" „Es lebe Cabral!" schrien die drei anderen.
„Warum haben wir eigentlich nichts zu saufen?" fragte Domingo. „Das wäre doch der richtige Moment, um kräftig einen zur Brust zu nehmen." Cabral lachte und förderte aus seinem Wams eine flache Flasche zutage. Manzo hielt es für einen Scherz. Er dachte, die Flasche sei leer. Doch sie war voll. Gefüllt mit Rum. Cabral ließ die Kerle reihum trinken, dann setzte er selbst die Flasche an und ließ das scharfe Zeug gluckernd die Kehle herunterlaufen. Er setzte ab und gab einen satten, ächzenden Laut der Genugtuung von sich. „Prost, auf unseren Sieg", sagte er. „Und jetzt weiter. Wir füllen alle Säcke." Das taten sie. Die Kerle schufteten, wie sie nie zuvor in ihrem Leben geschuftet hatten. Und sie schleppten Ledersack um Ledersack nach draußen. Die Säcke mußten über den schmalen Sims bugsiert werden, dann wurden sie nach unten getragen und dort am Ufer des Flusses gelagert. Der Inhalt der Säcke klirrte und schepperte. Domingo stolperte mit dem einen Sack, als er ihn ans Ufer schleppte. Er fiel hin, ließ den Sack los und überrollte sich mehrfach. Mit einem wiehernden Lachen landete er im Wasser des Flusses. Manzo lief zu ihm. „Nicht so laut, du Idiot! Willst du, daß sie uns an Bord hören?" „Uns hört doch keiner", erwiderte Domingo. Er lallte, als habe er einen Liter Rum getrunken. „Sag das nicht. Irgendwann merken sie auch, daß Montez nicht mehr am Leben ist." „Vielleicht hätten wir ihn doch lieber in den Teich werfen sollen", sagte Domingo. „Dann wäre er weg gewesen. Und die Haie hätten was zu futtern gehabt." „Komm her und halt keine Volksreden", forderte der Kreole seinen Kumpan auf. „Wir haben noch genug zu tun." Domingo rappelte sich wieder auf. Er taumelte an Land, beugte sich über einen der Säcke und küßte ihn. Dann kehrte er mit Manzo zur Höhle zurück, während Casco und Toluca bereits wieder andere gefüllte Säcke zum Ufer schleppten. So ging es weiter. In der Schatzhöhle beugte sich Cabral über die dritte aufgebrochene Schatzkiste. Auch diese enthielt Münzen aus Gold. Cabral füllte sie in die Säcke um. Manzo, Domingo, Toluca und Casco schafften die Säcke fort. Es war ein beständiges Hin und Her. Ohne Unterbrechung. Die fünf Halunken leisteten ein
hartes Stück Arbeit, aber sie ahnten nicht, daß sie sich völlig verzettelten. Zu groß war die Gier nach dem Gold. 3. „Es ist die alte Leier", sagte Carberry mit verächtlicher Miene. „Sie können den Hals nicht voll genug kriegen." „Ja, das stimmt", bestätigte Dan. „Was sich da so alles ansammelt mein lieber Mann." „Dabei ist noch nicht mal eine Stunde vergangen, seit sie angefangen haben", stellte der Gambia Mann fest. „Wo wollen sie bloß mit dem ganzen Zeug hin?" „Das frage ich mich auch", erwiderte der Profos. „Sie können das ganze Zeug nur mit Maultieren abtransportieren." „Aber die haben sie nicht", sagte Dan grinsend. „Als kühle Rechner sind die Kerle ziemliche Dilettanten." „Wir werden ja sehen, was sie sich einfallen lassen, um die Säcke wegzuschleppen", sagte der Profos. Aber die Aktion der fünf Galgenstricke war zum Scheitern verurteilt. Als sie einen ganzen Berg Ledersäcke ans Ufer des Flusses transportiert hatten, versammelten sie sich bei ihrer Beute und kratzten sich die Köpfe. Was tun? Im Dunkeln waren ihre Gesichter nicht zu erkennen. Dennoch meinte Dan, es ihren Mienen ablesen zu können. Sie waren ratlos. Der Profos stieß Dan und Batuti an. Er konnte jetzt nur noch den Kopf schütteln. Statt sich mit zwei Sack Goldmünzen pro Mann zu begnügen, hatten die Kerle mindestens zwei Dutzend Säcke zum Fluß hinunterbefördert. Erst jetzt schien ihnen aufzugehen, daß sie sich in ihrer Gier völlig verrannt hatten. Und was unternahmen sie? Cabral, der Decksälteste, gab leise seine Befehle. Die vier Spießgesellen fluchten zwar, schienen aber einzusehen, daß ihr Anführer wieder mal recht hatte. So bückten sie sich und hoben die Ledersäcke wieder vom Boden auf. Sie packten sie sich auf die Schultern und begannen, in den Felsen aufzusteigen. „Das halt' ich nicht aus", sagte Dan O'Flynn. „Die haben sie ja nicht mehr alle. Sind sie jetzt total durchgedreht?" „Achtung, gleich sind sie verschwunden", brummte der Profos. „Wer folgt ihnen?"
„Ich", erwiderte Batuti. Wieder zeigte er seine Zähne. „Ich bin in der Nacht kaum zu erkennen und habe die beste Tarnung. Also, ich sehe mal nach, wo sie abbleiben." Kaum hatte er ausgesprochen, verschwand er auch schon. Die Dunkelheit schluckte die Umrisse seiner Gestalt. Der Riese schien tatsächlich mit der Nacht zu verschmelzen. Er bewegte sich lautlos und schnell. Ohne daß Cabral und dessen Kumpane ihn entdeckten, huschte er zu den Felsen und stieg in einer Scharte hoch, die ihm als Deckung diente. Das Rauschen des Wasserfalles verebbte ein wenig, als der Gambia Mann weit genug nach oben geklettert war. Dort vernahm er die Stimmen der fünf Spanier. „Verfluchter Dreck", sagte Manzo gerade. „Ist das eine Schinderei! Das hatte ich nicht geahnt!" „Hölle, sind die Säcke schwer", beklagte sich auch Domingo. „Wenn das noch lange dauert, geh' ich in die Knie" sagte Casco. Toluca stieß eine Reihe von Verwünschungen aus. Dann aber war es Cabral, der die Kerle zum Schweigen brachte. „Maul halten, ihr Pfeifen", sagte er. „Schaut mal hierher." „Was ist da?" fragte Casco. „Bist du blind?" fuhr Cabral ihn an. „Oder hat das bißchen Rum schon deinen Geist umnebelt?" „Da ist eine Höhle", stellte Manzo fest. „Na, um so besser." Sie waren noch nicht lange in den Felsen unterwegs, erst seit knapp fünf Minuten. Die Höhle, die Cabral entdeckt hatte, gähnte sie wie das schwarze Maul eines Giganten an. Der Decksälteste kroch hinein, unterzog die Grotte einer kurzen Untersuchung und kehrte dann zu seinen Kumpanen zurück. „Gut", sagte er. „Groß genug und trocken. Schmeißt die Säcke hinein, dann holen wir uns die anderen." Batuti kauerte hinter einem flachen Felsen nur knapp zehn Yards von den Kerlen entfernt Als Cabral in seine Richtung blickte, zog der Gambia-Mann den Kopf ein, aber nicht zu schnell, sonst hätte der Anführer der kleinen Bande die Bewegung registriert. Cabral entdeckte den Schwarzen nicht, und auch die vier anderen wurden nicht darauf aufmerksam, daß sie beobachtet wurden. Sie waren viel zu sehr mit ihrer Aufgabe befaßt und achteten kaum auf ihre Umgebung. Hastig verstauten sie die Ledersäcke in
der Höhle. Dann kehrten sie nach unten zurück und holten die nächste Ladung. Batuti verharrte hinter seinem Felsen und verfolgte, was weiter geschah. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Kerle schufteten wirklich wie verrückt. Sie scheuten keine Mühe. Hin und her ging es in den Felsen, her und hin. Bald erteilte Cabral dem Kreolen Manzo einen neuen Befehl. „So", sagte der Bulle. „Jetzt haben wir die Säcke fast alle vom Ufer abgeborgen. Geh du in die Höhle hinter dem Wasserfall und hol weitere Münzen." „Noch mehr?" fragte Manzo verblüfft „So viel wie möglich, was denn sonst?" „Aber wir werden das Zeug nie von hier wegkriegen", gab Manzo zu bedenken. Aha, dachte Batuti, der jedes Wort mithörte, endlich geht wenigstens einem von ihnen ein kleines Licht auf. „Du bist ein Idiot, Manzo", sagte Cabral verächtlich. „Ich habe es immer gewußt. Aber da du auch Mut hast, dachte ich, du würdest zu unserem Haufen passen. Dein Pech ist, daß du nicht die einfachsten Sachen kapierst." Manzo senkte etwas den Kopf. „Hör mal zu. Ich hab' es nicht nötig, mich von dir beleidigen zu lassen. Was soll das also?" „Diese Höhle ist unser Versteck", erklärte Cabral. „Keiner wird vermuten, daß wir die Münzen hier raufgetragen haben. Wir können uns später immer noch Maultiere holen, in Batabanó von mir aus. Dann kehren wir hierher zurück." „Du meinst, wir hauen ab und lassen unsere Beute hier im Stich?" „Wir lassen sie 'nicht im Stich", erwiderte Cabral schroff. „So, und jetzt hol gefälligst noch mehr Münzen. Wird's bald?" Manzo überlegte, ob er Cabral an die Gurgel springen sollte, aber bezwang er sich. Es hatte keinen Sinn. Erstens war Cabral größer und stärker als er und verdammt flink mit dem Messer. Außerdem war es völlig unsinnig, sich jetzt, da doch alles hervorragend geklappt hatte, in die Haare zu geraten. Immerhin, das mußte man Cabral zugestehen, hatte sich alles bewahrheitet, was der Decksälteste prophezeit hatte. Folglich war es nur richtig, sich auch weiterhin an seine Anweisungen zu halten, die sicherlich den gewünschten Erfolg hatten.
Manzo holte also neue Beute aus der Schatzgrotte. Domingo, Casco und Toluca schafften die „Ware" zur neuen Höhle hinauf, wo Cabral sie sorgsam im Inneren verstaute. Nicht nur Batuti, auch Carberry und Dan staunten über den Arbeitseifer der Strolche. Wenn sonst Kerle wie diese fünf jede Gelegenheit wahrnahmen, sich vor Arbeit zu drücken, so arbeiteten sie jetzt wie die Kesselflicker, blind und taub in ihrer Gier nach Gold und Reichtum. Gegen vier Uhr morgens aber gab es eine jähe Unterbrechung des emsigen Treibens. Ein gellender Schrei wehte von der Ankerbucht der spanischen Schiffe herüber. Er ertönte an Bord der „Trinidad". „Ich hab's ja gesagt", brummte der Profos. „Die Kerle haben den Ankerposten abgemurkst, und jetzt hat irgend jemand den Toten gefunden. Vielleicht ein wachhabender Offizier, der den Posten kontrollieren wollte." „Und gleich ist auf der Galeone der Teufel los", sagte Dan. „Was danach passiert, kann man sich leicht ausrechnen." Cabral und seine vier Spießgesellen waren zusammengezuckt. „Verdammt!" zischte Manzo. „Jetzt ist es soweit. Sie haben Montez gefunden. Ich glaube, das war Gutierrez' Stimme!" „Was tun wir?" wollte Casco wissen. „Wir verstecken uns erst mal", entgegnete der Decksälteste. „Dann sehen wir weiter." Die Kerle flüchteten zu ihrer Höhle hoch. Cabral war überzeugt, daß es nicht lange dauern würde, bis de Escobedo auf den Beinen war und einen Trupp Seesoldaten an Land schickte. Cabral wollte nicht riskieren, auf frischer Tat ertappt zu werden. Lieber ließ er jetzt die Säcke im Stich, die noch am Ufer in unmittelbarer Nähe des Wasserfalles am Boden lagen. Es waren zwanzig mit Goldmünzen gefüllte Säcke. Carberry und Dan starrten zu den Ledersäcken. Die fünf Kerle waren zwischen den Felsen verschwunden und ließen sich nicht mehr blicken. Wo aber steckte Batuti? Dan wollte die Frage aussprechen, da raschelte es im Buschwerk, und der Gambia-Mann tauchte neben ihm auf. „Alles in Ordnung", raunte er ihnen zu. „Die Kerle haben oben eine Höhle gefunden, in der sie ihre Beute lagern. Jetzt haben sie sich selbst in die Höhle zurückgezogen."
„Hier gibt es gleich Stunk", sagte der Profos. „Wir sollten einen Stellungswechsel vornehmen." Das taten die drei Männer der „Isabella". Sie gaben ihr Versteck auf und marschierten im Schutz des Unterholzes weiter nach Westen. Carberry hatte recht. Es würde einigen Verdruß geben. Es war nur ratsam, jetzt nicht zu dicht am Ort des Geschehens zu sein. * Auf der „Trinidad" war inzwischen allerlei los. Felipe Gutierrez war um kurz vor vier Uhr in seiner Koje aufgewacht und hatte beschlossen, den Ankerwächter zu kontrollieren. Bei dieser Gelegenheit wollte er auch gleich einen Blick ins Vordeck werfen, um sich davon zu überzeugen, daß alles in Ordnung war. Aber auf der Kuhl gab es eine üble Überraschung für den Zweiten Offizier der „Trinidad". Eine reglose Gestalt lag auf den Planken. „Montez", sagte Gutierrez, als er das Achterkastell verließ und über die Kuhl schritt. „Was ist mit dir los?" Im ersten Augenblick dachte Gutierrez, der Mann habe getrunken. Dann erreichte er ihn und beugte sich über ihn. Montez war tot. Er lag in einer Blutlache. Jemand hatte ihm in den Rücken gestochen, das konnte der Zweite einwandfrei erkennen, obwohl die Hecklaterne der Galeone nahezu heruntergebrannt war. Gutierrez stieß einen Schrei aus. Er fuhr hoch und stürmte nach achtern. Seine Schritte polterten durch den Mittelgang der Hütte, und Alonzo de Escobedo brach sein Schnarchkonzert ab. Verwirrt richtete er sich in seiner Koje auf. „Was geht hier vor?" murmelte er. Diego Machado wachte erst auf, als Gutierrez in die Kapitänskammer stürzte und an seiner Schulter rüttelte. Wütend starrte der Kapitän seinen Zweiten an. „Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?" fuhr er ihn an. „Hast du den Verstand verloren? Was fällt dir ein, mich mitten in der..." Im Gang ertönte die Stimme des Gouverneurs. „Was geht hier vor, Kapitän?"
Im ganzen Schiff wurde es lebendig. Schritte trappelten, irgendwo im Vordeck stieß einer der Kerle einen lauten Fluch aus. Gutierrez unterbrach Machado: „Montez! Jemand hat ihn abgestochen!" „Wer?" „Ich weiß es nicht", entgegnete der Zweite. Machado war jetzt hellwach. Mit einem Satz verließ er seine Koje und kleidete sich hastig an. „Das kriegen wir raus! Und gnade dem Hund, der das getan hat! Er wird sofort erschossen!" Gutierrez eilte wieder nach draußen. Auf dem Gang prallte er mit de Escobedo zusammen. Der Gouverneur fluchte und brüllte. Gutierrez kümmerte sich nicht darum. Er stürmte auf die Kuhl und war mit ein paar langen Sätzen wieder bei dem Toten. Er hob die Hand und stoppte die Kerle, die aus Richtung Vordeck anrückten. „Halt!" schrie er. „Was ist denn los?" fragte einer der Kerle. „Seht ihr das nicht?" „Montez", sagte, ein anderer Mann. „Warum, zur Hölle, liegt er da auf den Planken?" „Er ist tot", erwiderte der Zweite. „Tot?" fragte ein Kerl ungläubig. „Wie kann das sein? Vorhin ging es ihm noch gut." „Dir ginge es auch nicht gut, wenn dir jemand ein Messer zwischen die Rippen stoßen würde", sagte Gutierrez hämisch. „Aber wir finden den Mörder, verlaßt euch drauf. Er ist unter euch." Die Kerle waren sprach- und ratlos. De Escobedo indessen hielt Machado an der Schulter fest, der eben an ihm vorbeilief. „Machado!" brüllte er. „Was hat der Lärm zu bedeuten?" Machado fuhr halb herum und verlor das Gleichgewicht. Er prallte mit der Schulter gegen die Längswand. Sein Gesicht war verzerrt. „Gutierrez hat der Wachtposten gefunden. Er ist tot." „Das ist nicht wahr!" „Leider doch", erwiderte der Kapitän kalt. Dann riß er sich von dem Gouverneur los und lief weiter. De Escobedo folgte ihm. Sie stürzten hintereinander nach draußen. Gutierrez hatte unterdessen das Tau entdeckt, das an der Steuerbordseite ins Wasser hing. „Da!" schrie er der Mannschaft zu. „Seht euch das an!"
„Ein Tau", murmelte einer der Kerle. „Was hat das zu bedeuten? Und was haben wir damit zu tun?" Lichter wurden entzündet. Alle Männer waren auf den Beinen. Drüben, an Bord der „San Sebastian", war es auch lebendig geworden. Don Gaspar de Mello wollte wissen, was geschehen sei, aber vorläufig blieben ihm die Männer der „Trinidad" die Antwort schuldig. „Wer fehlt?" brüllte Machado. „Raus mit der Sprache!" Innerhalb weniger Minuten stand fest, daß die Mannschaft nicht mehr komplett war. „Fünf Mann sind verschwunden", stellte Gutierrez fest, nachdem er die Kerle abgezählt hatte. „Der Decksälteste Cabral, Domingo, Casco, Toluca und Manzo." „Die übelsten Schweinehunde", sagte Machado gepreßt. „So eine Sauerei!" Die Kerle tauschten untereinander Blicke. Sie ahnten, was Cabral und die vier anderen unternommen hatten. Vielleicht waren die fünf mit ihrer Beute bereits über alle Berge. Sie waren zu beneiden. Während die anderen nur dummes Zeug geredet hatten, hatte Cabral mit seinen Kumpanen, auf die er sich verlassen konnte, gehandelt und Kapital aus dem Fund in der Höhle geschlagen. De Escobedo fuhr zu Machado herum. Er drehte schier durch und hatte sich nicht mehr in der Gewalt. „Versager!" brüllte er. „Wie konnte dir so was passieren, Machado!" „Es ist nicht meine Schuld!" brüllte Machado zurück. „Wer hat dann die Schuld?" „Es ist nicht meine Aufgabe, die Wachen zu kontrollieren!" schrie der Kapitän. „Sie!" brüllte de Escobedo Gutierrez an. „Sie haben das verpatzt. Aber das werden Sie noch bereuen! Sie haben dafür geradezustehen!" „Ich nicht!" schrie der Zweite zurück. „Ich denke gar nicht daran, hier den Sündenbock zu spielen!" „Gutierrez!" schrie Machado. „Es ist deine verdammte Pflicht als Offizier der Wache, stündlich den Ankerposten zu kontrollieren! Willst du, daß ich dich kielholen lasse?"
„Nein", erwiderte Gutierrez frech. „Außerdem hat Montez um drei Uhr noch gelebt." Das stimmte natürlich nicht, aber niemand konnte Felipe Gutierrez das Gegenteil beweisen. De Escobedo schrie: „Dann hätten Sie eben halbstündlich kontrollieren müssen!" „Das ist nicht üblich", erklärte der Zweite kaltschnäuzig. Von der „San Sebastian" dröhnte die Stimme de Mellos herüber. „Was ist los?" brüllte er. „Ich erwarte, sofort zu erfahren, was bei Ihnen geschehen ist, Capitän Machado!" „Wie?" stieß de Escobedo mit schriller Stimme hervor. „Sie wissen von nichts? Das wird ja immer schöner!" „Mein Ankerposten ist erdolcht worden!" rief Machado dem Kapitän der Kriegsgaleone gnädigerweise zu. De Escobedo hatte in de Mello jetzt einen neuen Prügelknaben. „Sie da drüben!" brüllte er. „Was denken Sie sich eigentlich? Ihre Ankerwache hätte den Mord sehen und sofort melden müssen!" „Unmöglich!" schrie de Mello zurück. „Ihre Wache schläft wohl, wie?" brüllte de Escobedo. Bevor Don Gaspar de Mello darauf eine geharnischte Antwort geben konnte, ergriff Machado wieder das Wort. Er zog die längst fällige Folgerung aus dem Vorfall und lenkte den Gouverneur dadurch vorerst von de Mello ab. „Die fünf Deserteure sind an Land geschwommen", sagte Machado. „Und warum?" fragte Gutierrez, obwohl er es sich natürlich denken konnte. „Weil sie klauen wollen", entgegnete der Kapitän der „Trinidad". „Das liegt doch wohl auf der Hand." „Sie vergreifen sich an dem Schatz", stöhnte de Escobedo. „Mein Gott! Allmächtiger, tu mir das nicht an!" Um ein Haar hätte er sich gleich über Bord gestürzt, um nachzusehen, ob etwas fehlte. Aber im letzten Augenblick bezwang er sich. „Beeilung!" würgte er nur mühsam hervor. „Wir müssen das nachprüfen! Und gnade Gott den Hunden, wenn wir sie erwischen!" Machado hatte seinen Kerlen einen Befehl gegeben, und diese holten jetzt die achtern angehängte Jolle längsseits. Der Kapitän ließ das Boot mit Rudergasten bemannen, dann enterte er selbst ab und nahm auf einer der Duchten Platz. „Ich komme mit!" schrie de Escobedo.
Er enterte an der Jakobsleiter ab und zitterte vor Wut und Haß. Diese Halunken! Wenn er sie packte, würde er nicht lange fackeln. Die Kerle gehörten an die Rah! An Bord ihres Schiffes! Die Jolle legte ab, die Rudergasten pullten sie zum Ufer der Bucht. Alonzo de Escobedo konnte es nicht schnell genug gehen. Er stand von der Ducht auf, als die Jolle durch die Brandung glitt. Als erster sprang er ins flache Wasser und rannte an Land. Machado stürmte ihm nach. „Gouverneur!" rief er. „Warte auf mich!" Die Rudergasten zogen das Boot an Land. Ihre Aufgabe war es, jetzt zu warten. Sie schauten sich untereinander an, und einer von ihnen sagte: „Cabral hat recht gehabt. Man muß es nur anpacken. Die fünf sind jetzt fein raus." „Das ist noch nicht sicher", widersprach ein anderer. „Wenn sie doch noch geschnappt werden, sind sie erledigt." „Cabral läßt sich nicht schnappen", meinte der erste Sprecher. „Manzo auch nicht. Wahrscheinlich sind sie längst im Urwald untergetaucht. Hölle und Teufel, wie ich sie beneide." De Mello stand unterdessen auf dem Achterdeck seines Schiffes und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Aus dem Geschrei an Bord der „Trinidad" hatte er den Rest schließen können. Fünf Männer waren desertiert, um etwas von den immensen Reichtümern, die in der Höhle lagerten, an sich zu reißen. Das bedeutete Verdruß und Ärger. Und es verriet, wie heftig es bereits an Bord der Handelsgaleone gärte. Wie sollte das enden? 4. Alonzo de Escobedo und Diego Machado hasteten durch den Urwald und rasten buchstäblich zum Wasserfall hoch. Es war dunkel. Die Fackel, die die fünf Strolche benutzt hatten, war längst erloschen. Dennoch sah de Escobedo auf Anhieb alles die ganze Bescherung. Am Wasserfall waren die liegengebliebenen Ledersäcke nicht zu übersehen. De Escobedo und Machado stürzten in die Höhlen und mußten feststellen, daß drei Kisten aufgebrochen waren. Zwei waren leer, die dritte war noch nicht ganz ausgeräumt. „Donnerwetter", sagte Machado, „die haben sich ganz schön rangehalten."
De Escobedo stützte sich mit bei den Händen am Rand der halbleeren Kiste ab. Er hatte Schaum vor dem Mund. Sein Atem ging stoßweise und unregelmäßig. „Diese Schweine!" keuchte er. „Diese Banditen!" „Die können sich auf was gefaßt machen", murmelte Machado. „Diese Strolche!" heulte der sehr ehrenwerte Señor Gouverneur. „Abschaum der Menschheit! Bastarde!" Diego Machado mußte nun doch verstohlen grinsen, obwohl auch er wütend war. Aber er hatte zumindest die Ironie der Situation begriffen, die darin bestand, daß die „Strolche" nichts anderes getan hatten als das, was de Escobedo und er, Machado, gleichfalls taten, nämlich den feisten Don Antonio de Quintanilla, den zukünftigen Vizekönig, kräftig zu beklauen. Im übrigen hatte Diego Machado an diesem Abend längst seine Entscheidung gefällt. Er hatte vor, sich nach dem großen Reibach dieses Idioten von einem früheren Hafenkapitän zu entledigen. Machado hatte sich durch den Kopf gehen lassen, was Gutiérrez gesagt hatte. Der Zweite hatte völlig recht: es war besser, de Escobedo aus dem Weg zu räumen, ehe dieser sich irgendeine Hinterhältigkeit einfallen ließ, mit der er seine Helfer ausbootete. Daß de Escobedo als Gouverneur eine Niete war, brauchte Machado keiner mehr zu sagen. Doch in dieser Eigenschaft war de Escobedo solange nützlich, bis die Höhlen leergeräumt waren so wie sie beide zur Zeit noch auf de Mello und dessen Kriegsgaleone „San Sebastian" angewiesen waren. Zitternd vor Wut verließ der Gouverneur die Schatzhöhle. Machado folgte ihm. Der Weg führte durch den Urwald zurück zum Ufer der Bucht. Hier blieb de Escobedo stehen. „Capitan!" brüllte er zur „San Sebastian" hinüber. „De Mello!" „Bitte sehr?" fragte de Mello. „Sie haben sich sofort am Strand einzufinden!" „Sofort, Señor Gouverneur!" rief de Mello. „Mit allen Seesoldaten!" „Ja!" rief de Mello, dann gab er gelassen seine Befehle. Es hatte sowieso keinen Sinn, sich aufzuregen. Es war völlig unsinnig und bar jeder Logik, was der Gouverneur von ihm verlangte. Der Kapitän eines Kriegsschiffes räumte nicht seine Galeone und ließ sie in einem Zustand er Manövrier- und Gefechtsunfähigkeit zurück. Das widersprach jeder militärischen Vernunft. De Mello war kein Mann, der stur nach Dienstvorschrif-
ten handelte. Aber er setzte klare Prioritäten. Er war für seine Männer verantwortlich. Die „San Sebastian" konnte nicht schutzlos vor Anker liegen bleiben. Ständig mußte man mit dem Aufkreuzen möglicher Feinde rechnen. Kuba wurde besonders an seiner Südküste von Schnapphähnen und Galgenstricken heimgesucht, die stets auf irgendwelche Beute lauerten. Manche von ihnen scheuten auch nicht davor zurück, spanische Kriegsschiffe anzugreifen. Im übrigen war Don Gaspar de Mello auch aus anderen Erwägungen nicht bereit, seine Galeone bis auf ein oder zwei Mann Ankerwache zu räumen. Alonzo de Escobedo konnte tausendmal der Gouverneur sein, es scherte den Capitán nicht. Er, de Mello, war nicht bereit, seine Männer Risiken auszuliefern, die ein Gouverneur heraufbeschwor. In diesem Fall stellte er sich schützend vor sie. De Mello teilte zwanzig Seesoldaten ab, diese Zahl genügte seiner Ansicht nach. Man entblößt ein Kriegsschiff nicht seiner Kämpfer, dachte er verärgert, während er selbst in die größere Jolle abenterte, die jetzt von den Männern der „San Sebastian" abgefiert wurde. Die Seesoldaten nahmen ihre Plätze im Boot ein. De Escobedo tobte am Strand herum. Er schien sich nicht mehr beruhigen zu können. Vielleicht hatte er auch begriffen, daß es ein Fehler von ihm gewesen war, keine Wachen an der Schatzhöhle und dem Wasserfall zu postieren. Seine Wut mußte er jetzt an irgend jemandem auslassen. De Mello war der Prügelknabe er hatte ja nicht einmal bemerkt, wie auf der „Trinidad" der Ankerwächter erdolcht worden war. Skandalös! De Mello gab den Befehl, von der Bordwand abzulegen und zum Ufer zu pullen. Die große Jolle setzte sich in Bewegung. Der Capitän saß auf der achteren Ducht und legte sich innerlich zurecht, was er dem Gouverneur antworten würde. De Escobedo würde ihn wahrscheinlich sofort anschnauzen, warum er nicht alle Seesoldaten mitbrachte. Nun, de Mello wußte schon, was er erwidern würde. In die militärischen Dinge ließ er sich nicht hineinreden zumal ihm mehr und mehr dämmerte, daß hier einiges faul war. Ohne sonderliche Eile ließ Don Gaspar de Mello die Jolle zum Strand pullen. Er lauschte den Flüchen und Verwünschungen des sehr ehrenwerten Gouverneurs von Havanna und dachte sich wieder mal seinen Teil.
* Alonzo de Escobedo hüpfte vor Erregung auf dem Ufersand herum. Er schien den Verstand verloren zu haben. Immer wieder stieß er Schreie und Flüche aus. „Bastarde!" brüllte er. „Drecksgesindel! Ich lasse sie alle enthaupten!" De Mello stieg aus der Jolle, die inzwischen eingetroffen war, und schritt auf de Escobedo und Machado zu. Die Seesoldaten sprangen ebenfalls an Land und zogen das Boot auf den Strand. „Zur Stelle, Gouverneur", sagte de Mello. De Escobedo hielt in der Bewegung inne. Mit etwas geducktem Kopf fixierte er den Kapitän der „San Sebastian". Erst jetzt schien er ihn richtig wahrzunehmen. „Zur Stelle mit zwanzig Seesoldaten", erklärte de Mello ruhig und gelassen. Zwanzig? De Escobedo wollte darauf etwas entgegnen, unterließ es aber. Waren das alle Soldaten? Wie viele hatte die Kriegsgaleone eigentlich? Er wußte es nicht. Egal, dachte er. „Sofort die Höhlen abriegeln!" brüllte der Gouverneur de Mello an. „Und nach den Verbrechern suchen!" Aber Don Gaspar de Mello zog nur die Augenbrauen hoch. „Was für Höhlen?" fragte er. „Was für Verbrecher?" De Escobedo schien zerspringen zu wollen. Seine Augen quollen aus den Höhlen. „Was sagen Sie da?" „Von Höhlen oder Verbrechern ist mir nichts bekannt." „Es geht um die Schatzhöhlen", sagte Machado. „Drüben, hinter dem Wasserfall." „Aha", entgegnete de Mello. Aber er stellte sich weiterhin dumm. Offiziell wußte er ja von nichts, was die Höhlen betraf. Nur sein Bootsmann hatte ihm davon berichtet, nachdem sich eine der Kisten beim Abtransport geöffnet hatte. Auch hatte der Bootsmann darüber Auskunft geben können, welche unermeßlichen Schätze in diesen Höhlen lagerten. Was Don Gaspar de Mello hingegen absolut nicht in den Kopf wollte: Wenn es sich um Schatzgüter des Königs von Spanien handelte, was hatten diese dann abseits des unwichtigen Hafens Batabanó in einem geheimen Versteck zu lagern?
Welche Güter auch immer für den König bestimmt waren, sie wurden von Cartagena, Nombre de Dios oder Porto Bello und Vera Cruz per Schiff nach Havanna verfrachtet und traten von dort die Reise nach Spanien an. Daß sie irgendwo abseits der sonst üblichen Transportrouten in einem nahezu unzugänglichen Versteck geheim gehortet wurden, erschien dem Capitän absurd. Und wer bewachte eigentlich diese unermeßlichen Reichtümer, wenn sie an einem solchen Platz gelagert wurden? Auch diese Frage war noch nicht geklärt. Sie beschäftigte de Mellos Geist Er warf Machado einen Blick zu. Machados Miene war verschlagen und hinterhältig. Der Kerl wußte bestens Bescheid, wollte aber natürlich auch nicht mehr sagen, als unbedingt nötig war. De Escobedo indessen brüllte weiter: „Der Schatz des Königs ist von Strolchen geraubt worden! Von fünf Deserteuren der „Trinidad"! Diese Hunde müssen sofort standrechtlich erschossen werden!" „So man sie hat", sagte de Mello spöttisch. „Was?" brüllte de Escobedo. „Es ist Ihre Aufgabe, sie zu fassen!" De Mello hakte nach: „Wenn es sich um einen Schatz des Königs handelt, dann wundere ich mich, daß er offenbar nicht bewacht worden ist." „Das ist Ihre Schuld!" brüllte der Gouverneur. „Wie bitte?" De Escobedo schrie den Capitän völlig unbeherrscht und durcheinander an: „Genau das ist Ihre Pflicht, zum Teufel noch mal! Sie haben den Schatz zu bewachen! Sie haben Ihre Pflicht gröblich vernachlässigt!" „Ich habe keine entsprechenden Befehle gehabt", erklärte de Mello kühl. De Escobedo überhörte den Einwand. „Sie werden für Ihr Versagen zur Rechenschaft gezogen, verlassen Sie sich darauf!" schrie er den Mann an. Mit dieser Logik kam er bei de Mello schlecht an. Kalt erwiderte der Capitän: „Ich kann ja nicht etwas bewachen lassen, von dem ich bis zu dieser Stunde nichts gewußt habe." „Es ist Ihre Pflicht und Schuldigkeit!" heulte Alonzo de Escobedo. Diego Machado versuchte einzugreifen. „Moment mal, Gouverneur", sagte er. „De Mello will dir gerade erklären, daß..." „Mund halten!" brüllte de Escobedo ihn an.
„Ich wiederhole", sagte de Mello. „Ich kann nicht etwas bewachen, dessen Existenz mir unbekannt ist. Leider bin ich kein Hellseher. Und meinen diesbezüglichen Fragen ist der Señor Gouverneur bisher ja geflissentlich ausgewichen." „Unterstehen Sie sich, so etwas zu behaupten!" schrie der sehr ehrenwerte Gouverneur. De Mello sprach unbeirrt weiter. „Mir jetzt die Schuld und Verantwortung zuzuschieben, ist grotesk. Wenn Sie nach einem Prügelknaben suchen, Gouverneur, dann fangen Sie gefälligst bei sich selbst an. Das eine kann ich Ihnen schon jetzt versichern: ich werde alle diese Dinge im Logbuch niederschreiben, angefangen bei den Ungereimtheiten, die Sie mir beim Auslaufen aus Havanna mitzuteilen geruhten." Beim Auslaufen hatte de Escobedo sich nur in Andeutungen ausgedrückt und von einem angeblichen Geheimauftrag gesprochen, den er von seinem Vorgänger Don Antonio de Quintanilla erhalten haben sollte. De Mello gegenüber, auf dessen Schiff der Gouverneur anfangs gewesen war, hatte de Escobedo erklärt, man müsse Batabanó ansteuern, um eine für den König bestimmte Ladung zu übernehmen. De Mello hatte begonnen, sich zu wundern. Batabanó? Die Umrundung der Insel nahm eine Strecke von dreihundert Seemeilen in Anspruch. Auf dem Landweg hätte man mit Maultieren nur fünfundzwanzig Meilen zurückzulegen brauchen, um die Ladung aus Batabanó abzuholen. Der Seeweg war also eine reine Zeitvergeudung. Dabei hatte de Escobedo von einem dringenden Auftrag gesprochen. Wie paßte das zusammen? De Escobedo starrte den Capitän an, als wolle er ihm an die Gurgel springen. De Mello ließ sich auch dadurch nicht beeindrucken. Er sprach weiter. „Alles das werde ich protokollieren", fuhr er fort. „Bis zur jetzigen Situation, die in ihrer ganzen Deutlichkeit beweist, daß der Señor Gouverneur wohl nicht mehr in der Lage ist, klar zu denken." Während der Gouverneur ob solcher Kaltschnäuzigkeit noch nach Luft schnappte, war es nun Diego Machado, der sich erneut einschaltete. Einigermaßen sachlich erklärte er: „Es hat doch keinen Sinn, daß wir uns hier herumstreiten. Viel vordringlicher ist jetzt, nach den fünf Deserteuren zu suchen, die sich an den Schatzgütern des Königs vergriffen haben."
„Dann suchen Sie mal schön", sagte de Mello trocken. „Denn es sind ja Ihre Leute, die sich dieses Gaunerstückchen geleistet haben." „Auf Ihre Hilfe kann ich leider nicht verzichten", erwiderte Machado giftig. „Bei der ganzen Sache wäre auch noch zu fragen, wie das überhaupt passieren konnte", sagte de Mello, „vor allem nach dem Befehl des Gouverneurs, niemand habe das Schiff zu verlassen." „Pech", sagte Machado. „Die Kerle haben ein Komplott geschmiedet." „Und sie haben einen Mann abgestochen!" keuchte de Escobedo. De Mello blieb kühl und gelassen. „Die Überwachung des Gouverneursbefehls ist an Bord Ihres Schiffes Ihre Angelegenheit, Machado", sagte er. „Und wenn Ihre Leute verschwinden, bin nicht ich zuständig, sondern Sie als verantwortlicher Kapitän." „So sehen Sie das also!" stieß Machado wütend hervor. „Das nenne ich eine feine Zusammenarbeit!" „Mir ist neu, daß Kriegsschiffskommandanten auch noch die Pflichten der Kapitäne von Handelsschiffen übernehmen sollen", erwiderte de Mello. „Und was die Zusammenarbeit betrifft, da haben Sie bisher alles andere als ein glänzendes Beispiel gegeben, Señor." „Sie weigern sich also, meine verschwundenen Leute zu suchen?" fragte Diego Machado lauernd. „Ich werde mich hüten, mich in die Angelegenheiten einer Handelsgaleone einzumischen." „Ich befehle es Ihnen!" brüllte jetzt de Escobedo wieder los. De Mello musterte den Gouverneur kalt und ungeniert von oben bis unten. „Sie können mir befehlen, einen Schatz des Königs zu bewachen, vorausgesetzt, es handelt sich um einen solchen", entgegnete er. „Aber nach Deserteuren eines Handelsseglers zu suchen, ist oder gehört nicht zu meinen Aufgaben als Kommandant eines spanischen Kriegsschiffs. Es sei denn, die „Trinidad" wird meinem Kommando unterstellt und unterliegt somit den Regeln und Gesetzen, wie sie auf Schiffen Seiner Majestät üblich sind." „So weit kommt's noch!" höhnte Machado.
De Mello warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. „Dann suchen Sie Ihre Kerle gefälligst selbst was Sie schon seit über einer Stunde hätten tun können, als nämlich der Krach auf Ihrem Schiff losging." „Was? Soviel Zeit ist schon vergangen?" brüllte de Escobedo. „Allerdings", erwiderte de Mello spöttisch. Die Ruhe des Capitäns brachte de Escobedo erneut zur Raserei. „Es muß was unternommen werden! Die Hundesöhne sind schon weit entfernt! Wir müssen sie noch schnappen!'' Natürlich wußte er genausogut wie de Mello und Machado, wie außerordentlich schwierig es war, nachts im Urwald eine Gruppe von fünf Kerlen zu finden. Nahezu unmöglich war es, aber das wollte der Gouverneur in diesem Moment nicht wahrhaben. Er dachte nur an „seinen" Schatz und an die Kostbarkeiten, die die Plünderer ihm bereits geraubt haben konnten. In seiner Wut entging auch ihm, daß Cabral und dessen Komplicen ja nur einen ganz geringen Teil entwenden konnten, weil sie nicht in der Lage waren, mehr fortzuschleppen. Aber zu vernunftsmäßigen Überlegungen schien der Gouverneur nicht mehr imstande zu sein, Wut und Haß regierten die Stunde. „Gutierrez!" brüllte Machado zur „Trinidad" hinüber. „Sofort zum Land übersetzen! Der Erste und der Bootsmann ebenfalls! Bringt drei Gruppen zu je acht Mann mit!" „Jawohl!" brüllte Gutierrez zurück. „Gut so", sagte de Escobedo stöhnend. „Endlich!" Gutierrez veranlaßte alles Erforderliche. Das Boot, mit dem de Escobedo und Machado an Land übergesetzt waren, wurde von den Rudergasten zurück zur „Trinidad" gepullt. Weitere Beiboote wurden abgefiert. Gutierrez wählte die Männer aus, die zu den drei Suchtrupps gehören sollten, dann enterten alle in die Jollen ab. Der Erste Offizier der „Trinidad" spielte eine eher untergeordnete Rolle an Bord. Er war der Mann für alles. Er mußte die Dienstpläne aufstellen und das Logbuch führen, sich um Proviant und Munition kümmern. Aber der eigentliche Vertraute des Kapitäns war Gutierrez wegen seiner Gerissenheit und Verschlagenheit. Der Bootsmann der „Trinidad" war ein übler Kerl, der allerdings zu eigenständigem Denken kaum fähig war. Er war der typische Befehlsempfänger. Gutierrez sagte ihm, was zu tun war. Der Bootsmann handelte. Er pullte mit seinen Leuten an Land. Es
folgten die beiden anderen Boote mit Gutierrez und dem Ersten Offizier als Führer. De Mello hatte sich inzwischen entschlossen, das in die Tat umzusetzen, was er angekündigt hatte. Er trat zu seinen Seesoldaten. „Wir sehen uns die Höhlen jetzt an", sagte er. „Danach werden einige von euch als Wachtposten dort oben zurückbleiben." Kurz darauf brach der ganze Trupp zu den Höhlen auf. Das Hickhack war beendet, man schritt zur Tat. De Escobedo zeigte de Mello zähneknirschend die Höhlen und den Wasserfall. De Mello staunte nicht schlecht. Was da an Reichtümern lagerte, war unfaßbar. Und doch war es wahr. All das gehörte dem König von Spanien. Aber wußte er, daß ein Höhlenlabyrinth im Urwald bei Batabanó als Lagerplatz diente? Sicherlich nicht. De Mello teilte sechs seiner Seesoldaten ein, die ab sofort an dem Schatzversteck Wache halten sollten. Dann kehrte er mit den anderen an Bord der „San Sebastian" zurück. Machados Erster Offizier, Felipe Gutierrez und der Bootsmann der „Trinidad" forschten unterdessen die Umgebung der Höhlen ab. Je acht Mann, die schwer bewaffnet waren, begleiteten sie. Die drei Trupps suchten in nördlicher, westlicher und östlicher Richtung nach den fünf Deserteuren und Schatzräubern. Gutierrez' Aufgabe war es, mit seinen acht Kerlen in die Felsen aufzusteigen und nachzuprüfen, ob die fünf Kerle sich dort möglicherweise versteckt hielten. 5. Cabral kauerte neben seinen Kumpanen in der Höhle, die sie sich als Versteck ausgesucht hatten, und lauschte den Stimmen der Männer, die unten durch das Rauschen des Wasserfalles undeutlich zu vernehmen waren. „Da tut sich was", murmelte der Bulle. „Jetzt suchen sie uns." Die fünf Kerle hatten bereits gehofft, daß nichts weiter geschehen würde. Nach dem Schrei an Bord der „Trinidad", der auf die Entdeckung des toten Montez hinzuweisen schien, war immerhin eine Stunde vergangen, ohne daß etwas passierte. Aber jetzt stellte sich heraus, daß dies eine Wunschvorstellung gewesen
war. Die Männer der „Trinidad" und der „San Sebastian" waren zur Stelle, und sie kämmten die ganze Umgebung ab. „Mist", sagte Manzo unruhig. „Wir sitzen hier wie die Ratten in der Falle, wenn sie uns entdecken." „Was hast du vor?" fragte Casco den Kreolen. „Was ich vorhabe? Das weiß ich selber nicht." „Hat jemand einen Vorschlag, was wir tun können?" fragte Domingo. „Na, mal los", sagte Toluca spöttisch. „Es gibt ja jede Menge Möglichkeiten, nicht wahr?" „Warum könnt ihr blöden Hunde nicht mit eurem Geschwätz aufhören?" knurrte Cabral. „Merkt ihr denn nicht, wie bescheuert ihr seid?" „Warum beleidigst du uns dauernd?" fragte Manzo wütend. „Willst du dich mit mir anlegen?" Drohend rückte der Riese auf den Kreolen zu. „Du brauchst nur Bescheid zu sagen." „Das hab' ich nicht gemeint", erwiderte Manzo einlenkend. „Ich finde nur, es hat keinen Zweck, uns zu beschimpfen. Unternehmen wir lieber was." „Was denn?" fragte Cabral. „Wir könnten ausrücken." „Und dann?" „Nachsehen, was sich draußen tut", entgegnete der Kreole. „Sollten die Narren sich einfallen lassen, zu uns hochzuklettern, bereiten wir ihnen einen freundlichen Empfang." Cabral hielt dem entgegen: „Vielleicht finden sie uns gar nicht, wenn wir hier in der Höhle bleiben und unsere Schnauzen halten." „Still mal!" zischte Domingo plötzlich. „War da nicht was?" Sie schwiegen und lauschten. Tatsächlich im Freien war ein hartes Geräusch zu vernehmen. Ein Stein schien auf den Fels zu schlagen und in die Tiefe zu rollen. „Da ist jemand", sagte Cabral. „Ihr bleibt hier. Ich sehe nach, wie die Lage ist." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er die Höhle und verschwand zwischen den buckligen, schroffen Felsen. Manzo und die drei anderen Kerle blickten sich an. Was passierte jetzt? War es richtig gewesen, Montez zu töten, von Bord zu gehen und sich hier mit den Goldmünzen zu verstecken? Wäre nicht besser gewesen, sich mit weniger zu begnügen und im Urwald zu verschwinden?
Diese Frage stellten sie sich jetzt alle auch Cabral. Der Bulle huschte zwischen den Felsen dahin. Er glaubte, eine Stimme zu hören und duckte sich. Wieder waren Laute zu vernehmen, das Scharren und Kratzen von Stiefeln auf dem Untergrund, das Klirren eines Steines, der sich löste und nach unten rollte. Dann eine dunkle Stimme: „Hier sind sie bestimmt nicht. Warum hören wir nicht einfach mit dem Suchen auf, Señor Gutierrez?" Aha, dachte Cabral, Gutierrez ist mit ein paar Männern herauf geklettert. Wartet, ihr Hunde, ihr werdet euer blaues Wunder erleben! Cabral tastete nach seinem Messer. Er hätte auch die Pistole benutzen können, die er inzwischen aus dem ölgetränkten Tuch ausgewickelt und geladen hatte. Aber wenn sich unten noch andere Männer befanden, empfahl sich nicht, zu schießen. Das Messer hingegen arbeitete lautlos. Und Cabral war ein Meister im Umgang mit der Klinge. Felipe Gutierrez ließ sich auf einem flachen Stein nieder und winkte seine acht Männer zu sich heran. „Setzt euch mal hin", sagte er. Sie nahmen auf dem Felsen Platz und waren für die Pause dankbar. Der Aufstieg war recht beschwerlich gewesen. Sie atmeten tief durch und hörten dem zu, was Gutierrez ihnen zu sagen hatte. „Meint ihr, daß es sich lohnt, sich mit Cabral, Manzo, Domingo, Toluca und Casco herumzuschlagen?" fragte Gutierrez. „Wir werden hart kämpfen müssen", erwiderte einer der Männer. „So leicht lassen die sich nicht überrumpeln." „Und sie haben Schußwaffen", meinte ein anderer Mann. „Wir wissen ja inzwischen, daß irgend jemand in die Waffenkammer eingebrochen ist." Gutierrez selbst hatte dies festgestellt, nachdem Machado und der Gouverneur die „Trinidad" verlassen hatten. Das Schloß der Waffenkammer war aufgebrochen worden, in dem Raum fehlten Pistolen und Munition. Der Zweite Offizier hatte das mühelos erkannt, er selbst führte ja die entsprechenden Listen. „Welchen Grund haben wir eigentlich, uns gegenseitig die Schädel einzuschlagen?" fragte Gutierrez. „Cabral und die vier haben Montez auf dem Gewissen", erwiderte einer der Männer des Trupps. „War Montez dein Freund?" erkundigte sich der Zweite.
„Das nicht gerade." „Wer konnte Montez schon leiden?" fragte ein untersetzter Andalusien „Er war ein merkwürdiger Kauz." „Einer wie jeder andere", sagte Gutierrez. „Aber richtig schade ist es eben nicht um ihn." „Ich würde nicht auf die Idee verfallen, Montez rächen zu wollen", sagte ein Mann, der an Bord der „Trinidad" einer der Fockmastgaste war. „Eben das meine ich", sagte Gutierrez grinsend. „Wir haben doch eigentlich gar keinen Grund, Cabral und die vier zu fangen und de Escobedo auszuliefern. Dann läßt der Gouverneur sie nämlich erschießen. Und wir kriegen nichts dafür, daß wir unsere Haut zu Markte getragen haben." „Nicht mal ein paar dankende Worte", sagte der Fockmastgast. „Der Gouverneur ist ein blöder Hund. Wie der rumschreit! Als sei er übergeschnappt." „Also, da ist der Schatz, und wir gehen leer aus", sagte Gutierrez. „Irgendwie finde ich das nicht gerecht. Der Schatz gehört dem König, aber de Escobedo hat nicht vor, ihn dem König zu bringen. De Escobedo wirtschaftet in die eigene Tasche. Cabral hat das klar erkannt und sich entsprechend verhalten." Cabral konnte in seiner Deckung jedes Wort verstehen. Er grinste breit und wohlgefällig. Recht so! Gutierrez hatte genau begriffen, wie die Lage war, und er spielte auch bereits mit dem Gedanken, von der Fahne zu gehen. Bald würden nicht mehr genug Männer an Bord der „Trinidad" sein, um das Schiff zu segeln, wenn das so weiterging. „Können wir nicht auch ein bißchen abstauben?" fragte der Andalusier. „So schwer kann das doch nicht sein." „Jetzt, nachdem die Seesoldaten unten Wache halten?" fragte sein Nebenmann. „Du spinnst wohl!" „Kann man die nicht überzeugen?" fragte der Fockmastgast. „Von was denn?" wollte Gutierrez wissen. „Na, davon, daß es besser ist, sich mit uns zusammenzutun." „Nicht mit denen", erwiderte der Zweite verächtlich. „Die halten zu ihrem Capitän, und das ist einer von der verdammten Marine. Zur Hölle mit dem! Nein, wir müssen es anders anfangen." „Wie?" fragte der Andalusier.
„Wir schließen einen Pakt mit Cabral", schlug Gutierrez vor. „Wir schlagen uns auf seine Seite. Er kann jetzt Unterstützung brauchen. Und das Gold ist für alle da." „Ich bin mit dabei", sagte der Fockmastgast. „Machado und der Gouverneur können mir gestohlen bleiben." „Wer noch?" fragte Gutierrez. Vier andere hoben die Hände. Die übrigen schienen noch zu zögern, schlossen sich dann aber auch an. Sie hatten die Nase voll von der „Trinidad", von den Launen Alonzo de Escobedos und dem ganzen Auftrag, in geheimer Order den Schatz abzutransportieren. .Jetzt brauchen wir Cabral nur noch zu finden", sagte Gutierrez. „Ist hier", ertönte eine Stimme hinter den Felsen. „Mann, Cabral!" stieß Felipe Gutierrez hervor. „Bist du's wirklich?" „In Fleisch und Blut", erwiderte der Bulle. „Aber du kriegst mein Messer als erster zwischen die Rippen, wenn es ein verdammter Trick ist, Gutierrez!" „Ich bin kein solcher Bastard", entgegnete der Zweite. „Wir sind bereit, mit dir zu verhandeln." „Wie viele Suchtrupps sind noch unterwegs?" wollte der Riese wissen. „Zwei andere", erwiderte der Zweite wahrheitsgemäß. „Einer wird von unserem Ersten angeführt, der andere von unserem Bootsmann." „An der Pest sollen sie verrecken!" zischte Cabral. „Also, paßt auf! Wenn ihr es ehrlich meint, können wir zusammen was auf die Beine stellen." „Ich stehe mit meinem Wort dafür ein", sagte Gutierrez und richtete sich auf. Cabral erhob sich ebenfalls und trat zwischen den Felsen auf die neun Männer der „Trinidad" zu. „Ihr wißt, was ihr riskiert?" fragte er scharf. „Das wissen wir", entgegnete der Zweite. „Aber wir nehmen es auf uns. Wir haben eine Menge zu gewinnen, Cabral. Was du getan hast, war völlig richtig." „Wie viele seid ihr?" fragte Cabral. „Neun Mann", entgegnete Gutierrez. „Zusammen wären wir also vierzehn."
„Und ihr habt genug Waffen", sagte der Bulle nachdenklich. „Das heißt also, wir könnten uns gut verteidigen, falls man versucht, uns anzugreifen." Er sah zu Gutierrez. „Ich habe gehört, wie ihr von den Wachen vor der Schatzhöhle gesprochen habt. Wie viele sind es? " „Sechs Seesoldaten", erwiderte der Zweite Offizier. „Mit denen werden wir fertig", sagte Cabral. Gutierrez fragte: „Was hast du vor?" „Los", sagte der Decksälteste. „Wir ziehen uns zur Beratung zurück." Er drehte sich um und schritt voran. Gutierrez und die acht Männer der „Trinidad" folgten ihm zu dem Versteck. Cabral stellte Gutierrez und den Trupp auf die Probe. Hätten sie ihn hintergehen wollen, dann hätte sich jetzt die beste Möglichkeit dazu geboten. Sie brauchten ihn nur von hinten anzugreifen. Darauf war er gefaßt. Doch Felipe Gutierrez Absichten waren ernst gemeint Und auch die anderen zögerten nicht, bei Machado abzuheuern und sich den Deserteuren anzuschließen. Schließlich ging es um eine Menge Gold. * Natürlich konnten die Kerle in der Höhle kein Licht und kein Feuer entfachen. Doch ihre Augen hatten sich auf die Dunkelheit eingestellt. Eine schmale Mondsichel verbreitete ein wenig Licht, das bis in den Eingang der Grotte fiel. So konnten sie sich während der nun stattfindenden Beratung untereinander anschauen. Sie kannten sich ja zur Genüge. Manzo erschien zwar anfangs noch ein bißchen mißtrauisch. Nach und nach begriff aber auch er, daß Gutierrez und die acht Kerle nur zu gern bei Machado abgemustert hatten. Und so schmiedeten sie ihr Bündnis. Es ging darum, so viel Gold wie möglich zusammenzuraffen und eventuelle Verfolger auszuschalten. „Ich frage mich, warum ihr unten die Ledersäcke habt liegenlassen", sagte Gutierrez. „In der Eile haben wir uns nicht anders verhalten können", entgegnete Cabral. „Schließlich war da der Schrei." „Das war ich", erklärte der Zweite. „Ich habe Montez gefunden." „Aber de Escobedo schreit noch lauter als du", sagte Casco.
„Er ist total verrückt", sagte Gutierrez verächtlich. „Ein mieser Drecksack, eine Null. Das weiß auch Machado, obwohl er früher Geschäfte mit ihm getätigt hat. Wißt ihr, was ich glaube? Machado hat auch die Nase Voll." „Ja, verdammt noch mal", brummte Toluca. „Warum haben wir dann diesen Scheißgouverneur nicht einfach ins Wasser geworfen? Zu den Haien?" „Du vergißt, daß da noch die „San Sebastian" ist", sagte Gutierrez. „Ich denke, de Mello kann de Escobedo auch nicht leiden", sagte Domingo. Gutierrez nickte zur Bestätigung. „Das ist richtig. Aber de Mello ist Kommandant eines Kriegsschiffs. Der hält sich an seine Vorschriften. Würde eine Meuterei ausbrechen, würde er nicht zögern, die „Trinidad" mit seinen Kanonen zu bedrohen." „Der Mistkerl", sagte Manzo. „Aber mit dem rechnen wir auch noch ab." „Lassen wir de Mello erst mal dahingestellt", sagte Cabral. „Zurück zu dem wichtigsten Problem. Die Ledersäcke haben euch also auf unsere Spur geführt?" „Nicht direkt", erwiderte der Zweite. „Aber sie waren der Beweis, daß ihr die Truhen ausgenommen habt. Na ja, und die Situation in der Schatzhöhle spricht ja für sich. Aber wir werden jetzt das Beste daraus machen." Es entging ihm nicht, daß die Kerle mit ihrem Blick an seinen Lippen hingen. Cabral war der Wortführer der vier Kerle, doch inzwischen schienen auch sie davon überzeugt zu sein, daß er, Gutierrez, der bessere Führer für sie war. Eben: der Zweite Offizier hatte die Seiten gewechselt, um die ganze Sache „richtig in die Hand zu nehmen". Das hieß, er tat sich mit Cabral zusammen und entwickelte einen Plan, was weiter geschehen sollte. „Was schlägst du vor?" fragte der Decksälteste. Irgendwie hatte er nicht mehr die richtigen Ideen. Sein Einfallsreichtum hatte sich in dem Vorhaben, die Schatzgrotte auszuplündern, erschöpft. Jetzt wußte er nicht mehr recht weiter. „Es gibt zwei Möglichkeiten, soweit ich die Dinge beurteilen kann", sagte Felipe Gutierrez. „Die erste lautet, die Wache der Seesoldaten in der nächsten Nacht lautlos abzumurksen. Dann können wir vier Stunden lang ungestört abräumen, bis die nächste Ablösung erscheint."
„Stimmt", sagte Cabral. „Aber den Rest müssen wir zurücklassen. Ich meine, wir können nur soviel mitnehmen, wie wir tragen können." „Und das ist schon genug", sagte Manzo. Gutierrez warf ihm einen Blick zu. „Du willst den Rest des Schatzes de Escobedo überlassen?" „Was würdest du denn tun?" fragte der Kreole lauernd. Der Zweite Offizier grinste. „Ich würde die zweite Möglichkeit anwenden. Sie ist lukrativer. Ich ziehe sie vor. Allerdings ist sie auch gefährlicher. Es hängt also davon ab, wieviel Schneid jeder von euch aufbringt." „Jede Menge", sagte Manzo. „Statt hier rumzuhocken wie ein Idiot, unternehme ich lieber was." „Ich auch", pflichtete der Fockmastgast ihm sofort bei. „Auf zu neuen Taten!" „Wie lautet die zweite Möglichkeit?" wollte Cabral wissen. „Ich wiederhole: die Voraussetzung ist, daß jeder von euch genug Mumm in den Knochen hat, das durchzustehen", erwiderte Felipe Gutierrez. „Wir würden nämlich den Wasserfall besetzen und jeden abschießen, der sich nähert oder versucht, zu den Höhlen vorzudringen." Er sah die Kerle der Reihe nach an. Cabral, Manzo und vier, fünf andere schienen sofort Feuer und Flamme zu sein. Die anderen überlegten noch. „Notfalls könnten wir uns in die vordere Höhle zurückziehen", fuhr der Zweite fort. „Und wer im Eingang auftaucht, wird weggeputzt. Der Eingang ist nicht zu stürmen." „Richtig", stimmte Cabral ihm zu. „Wer auch immer in die Höhlen will, muß den Weg über den schmalen Sims nehmen, der unter dem Wasserfall zum Eingang führt." „Auf dem Sims kann immer nur ein Mann seitlich vorrücken", erklärte der Kreole. „Dabei muß er sich außerdem am Felsen festhalten, da und dort." „Das war ja auch schon die Schwierigkeit beim Abtransport der Kisten und Truhen", erinnerte sich Toluca. „Wenn wir erst mal drinnen sind, kann uns keiner mehr rausholen. Wir sitzen aber auch nicht in der Falle, denn wir haben ja genug Waffen und Munition, um jeden Gegner abzuschießen." Die Augen der Kerle begannen zu glitzern. Auch jene, die noch gezögert hatten, waren jetzt begeistert und von Gutierrez" Plan angetan.
„Klar", sagte der Decksälteste. „Besser den ganzen Schatz als nur Teile davon. Was du da entwickelst, Felipe, klingt erfolgversprechend." „Wir sind uns also einig?" fragte Gutierrez. „Einig", bestätigte Cabral. Dann schaute er sich in der Runde um. „Oder hat einer was dagegen? Will jemand aussteigen?" Die Kerle schüttelten die Köpfe. „Hat einer von euch einen besseren Vorschlag?" fragte der Bulle. Auch auf diese Frage gab es keine Erwiderung. Cabral stieß ein zufriedenes Grunzen aus. Er entkorkte die Flasche Rum, trank einen Schluck und reichte sie dann herum. Zur Besiegelung ihres Paktes tranken die Kerle, bis die Flasche leer war. „Wir könnten einige Tage in der Höhle zubringen", sagte der Zweite Offizier der „Trinidad" dann. „Unser einziges Problem wäre die Verpflegung. Doch auch das läßt sich lösen." „Wie?" fragte Cabral. „Wasser gibt's genug vom Wasserfall. Aber wo kriegen wir was zu beißen her?" „Wir sollten uns von den Palmen weiter unten mit Kokosnüssen eindecken", sagte der Zweite. „Gut", sagte der Decksälteste. „Wir sollten sofort handeln." „Ja", bestätigte Gutierrez. „Denn in einer Stunde wird es hell." Wie die anderen war er von der Goldgier besessen und schreckte vor Mord nicht zurück. Die Kerle besprachen leise die letzten Einzelheiten. Dann verließen sie die Höhle und stiegen lautlos und vorsichtig in den Felsen ab. Von den beiden anderen Suchtrupps unter dem Ersten Offizier und dem Bootsmann der „Trinidad" war' weit und breit nichts zu sehen. Als sich Gutierrez, Cabral und die zwölf Kerle im Schutz der Felsen dem Wasserfall näherten, sahen sie nur die Helme und Brustpanzer der Seesoldaten im fahlen Mondlicht schimmern. Geduckt schoben sie sich noch ein wenig näher auf den rauschenden Wasserfall zu. „Ich bin froh, wenn wir endlich abgelöst werden", sagte einer der Soldaten gerade. „Mann, ist das ein Dienst!" „Stinklangweilig", pflichtete ihm ein anderer bei. „Ich wette, Cabral und die anderen Deserteure sind längst in Richtung Batabanó abgehauen. Dort schnappen sie sich ein Boot."
„Das ist auch besser so", sagte ein dritter. „Ich persönlich lege keinen Wert darauf, diesen Halunken zu begegnen." „Halt mal", sagte der erste Sprecher plötzlich. „War da nicht etwas?" Sie schwiegen und lauschten. Von den Felsen schien im Rauschen und Plätschern des Wasserfalles ein scharfes Geräusch herüberzudringen. „Da ist was", sagte der Soldat. „Ich sehe mal nach." „Augenblick, ich komme mit", sagte der Mann, der direkt neben ihm stand. Zu zweit gingen sie zu den Felsen. Der erste Soldat trat zwischen die schroffen Gesteinsformationen und forschte nach der Ursache des Geräusches. Cabral war es gewesen, der zwei Steine heftig zusammengeschlagen hatte, so daß der Laut bis zu den Bewachern des Schatzversteckes zu hören war. Jetzt packte er den Soldaten und zerrte ihn zu sich herunter. Der Mann wollte sich zur Wehr setzen, doch im nächsten Moment hatte er Cabrals Messer bereits in der Kehle stecken. „He", sagte der zweite Soldat. „Wo bleibst du denn? Ist was nicht in Ordnung?" Cabral setzte blitzschnell den Helm des toten Soldaten auf. Vorsichtig schob er sich hoch nur so weit, daß der andere Uniformierte den Helm sehen konnte. „Hier", sagte Cabral. Der Soldat näherte sich ihm. Jetzt war es Gutierrez, der handelte. Seine Gestalt löste sich aus dem Schutz der Felsen. Er huschte hinter dem zweiten Soldaten her und sprang ihn an. Er packte ihn von hinten und rang ihn nieder. Dann stemmte er ihm das Knie in den Rücken, griff mit beiden Händen nach dem Kopf des Mannes und riß diesen nach hinten. „Erledigt?" fragte Cabral. „In Ordnung", erwiderte der Zweite Offizier. Ein Messer hatte er nicht gebraucht. Doch jetzt schritten die vier anderen Seesoldaten, mißtrauisch geworden, auf die Felsen zu. „Wo steckt ihr denn?" rief einer von ihnen. „Hier!" antwortete Cabral, und wieder bediente er sich des Tricks mit dem Helm.
Immer näher rückten die Soldaten. Gutierrez wartete nur auf den richtigen Augenblick. Er kauerte neben dem Toten und spähte durch eine Spalte zu den Seesoldaten. Dann gab er der Meute das vereinbarte Handzeichen. Die Kerle sprangen aus ihrer Deckung hervor. Sie hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Die vier Soldaten waren völlig überrascht und überrumpelt. Ehe sie handeln konnten, waren die Gegner über ihnen. Messer blitzten auf, Fäuste hieben zu. Einer der Soldaten unternahm noch den Versuch, die Muskete zu heben und abzufeuern, doch Cabral vereitelte es. Wieder war es sein Messer, das den Kampf entschied. Nur wenige Minuten waren vergangen. Die Meuterer richteten sich von ihren toten Landsleuten auf. Cabral und Gutierrez grinsten sich zu. Sie empfanden auch jetzt nicht die geringsten Skrupel. „Weg mit den Hunden", sagte Gutierrez. „Ich will sie hier nicht mehr sehen." Die Meute nahm den Toten die Waffen und die dazugehörige Munition ab. Dann wurden sie zum Fluß gezerrt und ins Wasser gestoßen. Sechs Leichen trieben davon und verschwanden in der Nacht. Höhnisch spuckte Felipe Gutierrez in den Fluß. Gute Fahrt in die Hölle, dachte er. 6. Sämtliche Vorgänge waren aus dem Dunkel der Nacht verfolgt worden. Dan O'Flynns scharfen Augen war keine Einzelheit entgangen. Neben ihm lagen nach wie vor in dem Versteck im Dickicht Batuti und der Profos. Doch die drei hatten auch ihre Kameraden an Bord der Schiffe verständigt. So waren Hasard, SiriTong und Edmond Bayeux zu ihnen gestoßen. Sie wurden ebenfalls Zeugen, wie die Suchtrupps mit der Arbeit begannen, wie die Seesoldaten den Wasserfall bewachten und dann von der Horde der Deserteure überwältigt wurden. „Diese Teufel", murmelte SiriTong. „Sie sind zu jeder Tat fähig. Man sollte sie vernichten." „Gesindel", urteilte Bayeux. .Aber wir sind nicht ihre Richter. Und auch nicht ihre Henker."
„Ist schon recht", sagte die Rote Korsarin. Aber manchmal packt mich die Wut." „Wir brauchen nur abzuwarten", sagte der Seewolf. „Früher oder später zerfleischen sich die Kerle in ihrer Gier gegenseitig. Sie sind wie blind und können ihre widerstreitenden Gefühle nicht beherrschen." Sie beobachteten, wie die vierzehn Kerle die Felsen am Wasserfall besetzten dort, wo der Sims begann. Ein paar Mann hatten Kokosnüsse geholt und in die Höhlen gebracht. Jetzt war das Grölen und Lachen der Meute zu vernehmen. Triumphierend hielt sie Einzug in „ihr" Reich. Als die drei Suchtrupps erschienen und losgezogen waren, hatten sich die sechs Beobachter noch weiter zurückgezogen, als Carberry, Dan und Batuti es zuvor getan hatten. So waren sie sicher und brauchten nicht zu befürchten, daß die Spanier sie durch einen Zufall entdeckten. Einer der Suchtrupps hatte inzwischen sein erfolgloses Unternehmen abgebrochen. Es war die Gruppe des Ersten Offiziers der „Trinidad". Der Erste hatte seine Leute fast eine halbe Meile weit in den Urwald geführt. Sie hörten das Zirpen der Zikaden, das Quaken der Frösche und die heulenden und klagenden Laute der Nachtvögel. Einmal glitt etwas dicht am rechten Stiefel des Ersten vorbei. Eine Schlange er hatte da nicht die geringsten Zweifel. Unwillkürlich schauderte er zusammen. Er haßte Schlangen. Er hatte vor Reptilien mehr Angst als vor einem kräftigen Sturm auf See. Schließlich blieb der Erste stehen und drehte sich zu seinen acht Männern um. „Das reicht", sagte er. „Wir finden sie nicht mehr. Sie sind verschwunden." „Ja", sagte einer der Männer. „Wo sollen wir auch noch suchen?" „Es hat keinen Sinn mehr", erwiderte der Erste. „Sie sind weg. Wir können nur noch eins tun: zur Bucht zurückkehren, ehe wir uns in dieser verdammten Wildnis verlaufen." Da hatte er gewiß nicht unrecht. Es war leicht, in der Finsternis die Orientierung zu verlieren und sich im Dickicht zu verirren. Auch die Gefahr, die durch wilde Tiere drohte, war nicht zu unterschätzen. So befand der Erste Offizier der „Trinidad" im stillen bei sich,
daß es für alle das beste war, in die Richtung zurückzukehren, aus der sie gekommen waren, an Bord der „Trinidad" zu gehen und dem sehr ehrenwerten Señor Gouverneur Alonzo de Escobedo und dem Kapitän Diego Machado zu melden, daß sich die gesuchten Deserteure gewissermaßen in Luft aufgelöst hätten. So kehrten die neun Männer um und marschierten zur Ankerbucht ihrer Schiffe zurück. Sie schoben ein Boot ins Wasser, kletterten hinein und pullten zur „Trinidad". Nicht nur de Escobedo, Machado und die Crew der „Trinidad" sahen ihnen mit gespannten Mienen entgegen. Auch die Männer der „San Sebastian" waren neugierig, was sich getan hatte. Aber die Erklärungen des Ersten Offiziers waren eine Enttäuschung. „Nichts", sagte der Erste, als er an Bord der Handelsgaleone auf enterte. „Nur Grünzeug." „Wie bitte?" fuhr de Escobedo ihn an. „Wollen Sie mich veralbern, Mann?" „Nein, Señor. Wir haben alles abgeforscht, aber die Gesuchten sind verschwunden." „Wo sind die beiden anderen Trupps?" wollte Machado wissen. „Noch unterwegs", entgegnete der Erste. „Dann warten wir ihr Eintreffen ab", sagte der Kapitän der „Trinidad". „Etwas anderes bleibt uns ja auch nicht übrig." De Escobedo marschierte gereizt auf dem Achterdeck hin und her. Er war immer noch wild und erregt. Aber was sollte er tun? Fünf Hundesöhne hatten sich einen Teil des Schatzes einfach unter den Nagel gerissen. Und weiter? Er mußte die Tatsache endlich hinnehmen. Es blieb ja noch genug für ihn übrig. Ein immenser Schatz. Er hatte bis ans Ende seiner Tage ausgesorgt. Doch es war der Umstand als solcher, daß fünf Bastarde gewagt hatten, einfach zu verschwinden und die Kisten zu plündern, der den Gouverneur derart in Rage versetzte, Wehe ihnen, wenn er sie doch noch erwischte! Er würde sie vierteilen lassen! Den toten Montez hatte man inzwischen ins Wasser der Bucht geworfen. Das war bei Machado die einfachste und problemloseste Art der Bestattung. Seemännische Ehren? Alles Unsinn Machado dachte nur praktisch. Haie kreisten in der Bucht, man konnte ihre Dreiecksflossen wie Schemen erkennen. Was brachte es, wenn man einen Toten erst in Segeltuch einnähte und ein Gebet für ihn sprach? Alles Zeitvergeudung und Materialverschwendung. Im übrigen war Montez auch nur ein
Hundesohn gewesen, der sicherlich genauso gern wie die anderen die Schatzhöhle geplündert hätte, wenn ihm die Gelegenheit dazu geboten worden wäre. Wir sind alle Hundesöhne, dachte Machado, dann blickte er zu de Escobedo. Auch du und ich, Gouverneur. Unwillkürlich mußte er grinsen. Wie sollte dies alles noch weitergehen? Glaubte de Escobedo im Ernst noch daran, den Schatz ungehindert von hier fortschaffen zu können? * Der Suchtrupp des Bootsmanns der „Trinidad" indessen geisterte noch in der Gegend herum. Der Bootsmann verfluchte seinen Auftrag genauso, wie es der Erste Offizier getan hatte. Er war es leid, noch länger durch die Nacht zu irren. Die Männer schimpften vor sich hin. Einer von ihnen stolperte über die Luftwurzel eines Mangrovenbaumes und stürzte. Sein Hintermann half ihm wieder auf die Beine. „Teufel!" fluchte der Unglücksrabe. „Hier bricht man sich noch die Knochen!" „Wir geben auf", sagte der Bootsmann. „Wir finden Cabral und seine Kerle ohnehin nicht mehr." „Meinen Segen haben sie", sagte ein anderer Mann. „Mir wär's auch recht, wenn ich mit einem Sack voll Goldmünzen abhauen könnte. Das würde sich wenigstens lohnen." Genau das, dachte der Bootsmann, zur Hölle mit dem Gouverneur! Keiner war gut auf de Escobedo zu sprechen. Das einzige, was der Gouverneur tat, war, seine Untergebenen herumzuhetzen und auf sie einzubrüllen. Sie waren allesamt Versager und Nichtsnutze. Er hatte ihnen noch nicht einmal eine Belohnung für den Fall versprochen, daß sie die Gesuchten fanden. Was nutzte das ganze Unternehmen also? Nichts. Und die Begleitumstände waren nicht dazu angetan, die Moral der Truppe zu heben. Durch einen Zufall führte der Weg dieses Trupps genau zum Wasserfall zurück. Der Bootsmann hatte sogar die Orientierung verloren und war froh, als er das Rauschen des Wasser vernahm. Er richtete sich danach und führte seine Männer zum Ufer des
Flusses. Als sie aus dem Dickicht traten, blieben sie jedoch abrupt stehen. Gestalten waren an der Felswand zu erkennen, dicht neben dem Wasserfall. Die Kerle von Felipe Gutierrez waren gerade dabei, in „Stellung" zu gehen. Etwas zögernd traten der Bootsmann und die acht Männer der „Trinidad" auf sie zu. Sie hoben ihre Waffen doch in diesem Augenblick war Gutierrez selbst heran. Er hatte etwas abseits gelauert und den Trupp auftauchen sehen. Jetzt griff sich der Zweite Offizier den Bootsmann. Er hielt ihm ein Messer an den Hals und zischte: „Hör mir gut zu! Entweder spielst du mit oder du atmest zum letzten Male durch einen Gurgelschnitt!" „Laß mich los!" röchelte der Bootsmann. „Das könnte dir so passen!" Die Männer des Trupps standen da wie angewurzelt. Sie wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Der Bootsmann gab ihnen ein Zeichen. „Nicht schießen!" preßte er hervor. „Aha", sagte Gutierrez triumphierend. „Du wirst also vernünftig?" Abgesehen davon, daß der Bootsmann nicht das geringste Verlangen verspürte, durch einen Gurgelschnitt zu atmen, hatte er längst darüber nachgedacht, wie auch er sich bereichern könnte. Die Gier nach dem Gold hatte ihn gepackt und seinen Begleitern erging es nicht anders. Fast war der Bootsmann selig, daß Gutierrez offenbar auch in diese Kerbe haute. „Was soll ich tun?" keuchte er. „Ihr sollt euch auf unsere Seite schlagen!" zischte Gutierrez. „Wir sind bereits vierzehn Mann, aber wir können auch euch gebrauchen!" „Kein Problem", erwiderte der Bootsmann. „Was ist mit euch?" fragte der Zweite Offizier die unschlüssig und ratlos dastehenden Seeleute. „Macht mit", sagte der Bootsmann. „Ich rate euch dazu. Wenn ihr bei Machado bleibt, kriegt ihr keinen müden Silberling ab." „Das stimmt", sagte einer der Männer. „Wir werden nur ausgenutzt." „Und vielleicht sogar noch verheizt", fügte ein anderer hinzu. „Also?" fragte der Zweite noch einmal. „Seid ihr dabei?"
„Jawohl", erwiderten die Männer. Gutierrez ließ den Bootsmann wieder los. „Ausgezeichnet", sagte er grinsend. „Ich sehe, wir sind uns wirklich einig." Der Bootsmann atmete erleichtert auf. „Mann, das hättest du mich auch anders fragen können, Gutierrez." „Konnte ich ahnen, was du tust?" „Wir hätten nicht auf euch geschossen", versicherte ihm der Bootsmann. „Aber was ist hier eigentlich los?" „Wir haben die Höhle besetzt", erklärte der Zweite. „Und die Soldaten?" „Tot", erwiderte Gutierrez, ohne mit der Wimper zu zucken. „Der Fluß trägt sie weg, aufs Meer hinaus." „Das gibt noch Ärger", sagte einer der Männer. Gutierrez lachte auf. „Na und? Wäre es nicht schlimmer, wenn wir Männer der „Trinidad" uns untereinander bekämpfen würden? Was mit de Mellos Leuten wird, ist mir egal. Sie gehören nicht zu uns." „Das finde ich auch", pflichtete der Bootsmann ihm bei. „Wenn sie vernünftig wären, würden sie sich auch auf unsere Seite schlagen." „Das tun sie nicht", sagte Gutierrez. „Sie stehen unter de Mellos Fuchtel, und der wird den Gouverneur nicht hintergehen. Auch dann nicht, wenn der Hund ihn öffentlich ohrfeigt." „Was kümmert es uns?" Der Bootsmann zuckte mit den Schultern. „Die Hauptsache ist, daß wir unser Schäfchen im trockenen haben." Gutierrez lachte wieder und schlug ihm auf die Schulter. „Ich wußte ja, daß ich mich auf dich verlassen kann. Willkommen bei unserem Haufen!" So ging auch der Bootsmann samt seinen acht Kerlen von der Fahne mit sozusagen wild flatternden Fahnen. Damit hatte sich die Truppe um Felipe Gutierrez und Cabral um weitere neun Mann auf insgesamt dreiundzwanzig Kerle verstärkt. Sie gingen zum Wasserfall und stiegen zu der Schatzhöhle auf. Cabral empfing sie mit ausgebreiteten Armen. „Großartig!" rief er. „So habe ich mir das vorgestellt!" Seine Augen funkelten. Er war von einer Begeisterung ergriffen, die einem Rausch ähnelte. Der Bootsmann hatte eine Flasche Rum bei sich. Heimlich hatte er sie von der „Trinidad" mitgenommen, um sich unterwegs,
wenn sie Jagd auf die Deserteure veranstalteten, stärken zu können. Jetzt wurde die Flasche von Kerl zu Kerl weitergereicht. Alle tranken und lachten. Cabral hieb dem Bootsmann wie Gutierrez auf die Schulter. „Recht so!" brüllte er. „Laßt uns feiern!" „Auf die Beute!" rief Gutierrez. „Auf das freie Leben!" „Wir werden wie die Fürsten leben", sagte der Bootsmann grinsend. „Was sagst du denn da?" rief Gutierrez. „Wie der König von Spanien! Nein besser als er! Uns gehört die Welt!" „Was wir alles anstellen werden!" stieß Cabral hervor. „Unser ist der Sieg! Wir können uns ganz Kuba kaufen! Ach was die ganze Neue Welt!" „Mir reicht schon, wenn ich irgendwo in Frieden leben kann", sagte Manzo, der auf dem Boden kauerte und Münzen zählte. „Die Hauptsache ist, daß ich genug Weiber und Wein habe. Mehr braucht der Mensch zum Leben nicht." Domingo kicherte. „Weißt du, was ich mache? Ich richte ein Bordell ein. Mit meinem Geld ein richtiges Bordell. Mit einem Dutzend Huren. Aber es müssen blonde Huren sein." „Warum denn blonde?" fragte Casco. „Weil ich blonde Weiber mag." „Quatsch", widersprach Toluca. „Wenn ich ein Hurenhaus eröffnen würde, dann nur mit blonden, schwarzen und roten Weibern." „Was für schwarzen?" erwiderte Toluca. „Mit Weibern aller Rassen. So meine ich das. Das ist doch viel interessanter." Gutierrez postierte Wachen im Freien. Ihre Aufgabe war es, das Nahen von Störenfrieden sofort zu melden. Sicherlich tauchten bald wieder Soldaten der „San Sebastian" auf. Schließlich würde de Escobedo wissen wollen, wo die Suchtrupps abgeblieben waren beziehungsweise, warum es nicht einmal eine Spur von den fünf Deserteuren gab. Daß es inzwischen fast zwei Dutzend waren, die sich in der Höhle verschanzten, ahnte er noch nicht. De Escobedo stand eine böse Überraschung bevor. Aber auch für Don Gaspar de Mello würde es bitter sein, zu erfahren, daß sechs seiner Männer ihr Leben eingebüßt hatten. Nur Diego Machado ließ dies alles unberührt. Genau wie Felipe Gutierrez war er der Überzeugung, daß nur die Dinge wirklich wichtig waren, die zum eigenen Vorteil dienten.
Nach wie vor lagen Hasard, SiriTong, Bayeux, der Profos, Dan und der Gambia-Mann in ihrem Versteck und beobachteten die Vorgänge. Wieder hatten sie alles verfolgt: wie der Bootsmann mit seinem Achtmanntrupp erschienen war, und wie Gutierrez es verstanden hatte, auch diese Kerle auf die Seite der Verschwörer zu ziehen. „Ich habe es ja vorausgesehen", sagte die Rote Korsarin. „In der Klauerei steckt Zündstoff." „Ja", erwiderte der Seewolf. „Deine Vorhersage hat sich bestätigt, voll und ganz. Und jetzt gehen sich die Burschen gegenseitig an die Gurgel." „Wie du es prophezeit hast", sagte Carberry. „Hölle, was seid ihr doch für Propheten!" „Sie sind besessen von ihrer Gier", sagte Bayeux. „Die einzige Ausnahme scheinen der Kommandant und die Crew der Kriegsgaleone zu sein. Aber sechs anständige, brave Seesoldaten sind bereits über die Klinge gesprungen. Wo soll das bloß noch hinführen?" Darauf wußte keiner eine Antwort. „Wir müssen abwarten", entgegnete der Seewolf lediglich. „Etwas anderes können wir nicht tun. Auf keinen Fall dürfen wir uns da einmischen." „Eben", sagte Dan grimmig. „Und wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich der dritte." „Na, dann freut euch mal schön", brummte der Profos. „Was ist eigentlich mit dir los?" erkundigte sich Hasard. „Mir hängt die ganze Sache langsam zum Hals heraus", erklärte Carberry. „Diese ewige Warterei das zieht sich ja teuflisch in die Länge." Hasard grinste. „Ich weiß, daß es dir in den Fingern juckt. Aber wir müssen uns zurückhalten. Mal sehen, was der neue Tag bringt. Es wird ja gleich hell." Der Tag kündigte sich bereits durch graue Schleier im Osten an. Es war der 25. Mai. Für die Spanier der beiden Schiffe sollte es ein höchst fataler Tag werden. 7. Alonzo de Escobedo, seines Zeichens Gouverneur von Kuba, hatte erheblich an Selbstsicherheit eingebüßt. Er war sonst stets
arrogant und herablassend aufgetreten, war sich seines Amtes bewußt und nutzte seine Macht bedenkenlos aus. Jetzt aber war er eher verwirrt und deprimiert. Diego Machado hatte die Kapitänskammer der „Trinidad" aufgesucht, um sich erst einmal zu stärken. Bald würde der Koch zum Backen und Banken auffordern, dann wurde das Frühstück eingenommen. Für Machado aber begann der junge Tag mit einem kräftigen Schluck Wein. Der Krug, den Gutierrez in der Nacht noch einmal gefüllt hatte, war noch halbvoll. Seufzend schenkte Machado den Becher voll. Dann trank er. Gleichzeitig dachte er nach. Wo blieben Gutierrez und der Bootsmann mit ihren Suchtrupps? Warum hatte nicht wenigstens der Zweite einen Boten geschickt, der die Schiffsbesatzungen über den Stand der Dinge unterrichtete? Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit: die Kerle hatten sich im Dunkeln verlaufen, und zwar gründlich. Sie waren zu weit von der Ankerbucht entfernt, um sich durch Rufe bemerkbar machen zu können. Außerdem war da der Wasserfall, der mit seinem Rauschen alle anderen Geräusche aus dem Landesinneren übertönte. Nun, man mußte eben das Tageslicht abwarten. Dann fanden sich auch die Suchmannschaften wieder zurecht und kehrten zur Bucht zurück. Ohne jeglichen Erfolg natürlich. Daß sie Cabral und dessen Spießgesellen doch noch erwischt hatten, konnte sich de Escobedo aus dem Kopf schlagen. De Escobedo betrat das Achterkastell und schritt auf die Kapitänskammer zu. Das Schott stand offen. De Escobedo hörte gluckernde Laute. Er ging in die Kammer und blieb vor Diego Machado stehen. Machado hatte soeben den Becher abgesetzt. Leutselig grinste er den Gouverneur an. „Wie wär's mit einem guten Schluck Wein? Es ist ein feiner Tropfen." „Her damit", erwiderte de Escobedo. „Den kann ich jetzt gebrauchen." Machado holte einen zweiten Becher und füllte ihn. Sie setzten sich an das Pult, Machado auf seinen Kapitänsstuhl und de Escobedo auf den Besucherstuhl. Der Wein heiterte de Escobedo keineswegs auf. Er stimmte ihn nur noch mißmutiger. Als er seinen Kelch halb geleert hatte, sagte er quengelig: „Ach, mein lieber Freund, wie ist die Welt doch ungerecht."
„Nur Mut", sagte Machado. Am liebsten hätte er gegrinst. Doch er verkniff es sich. „Es renkt sich schon alles wieder ein." „Nichts läuft so, wie ich mir das vorgestellt habe", klagte der Gouverneur. „Der verdammte de Mello stellt sich quer und gehorcht nicht meinen Befehlen." „Er hat zu gehorchen." „Er ist ein Querkopf, ein verfluchter Rebell!" stieß de Escobedo hervor. Machados Gesicht hatte einen tückischen Ausdruck angenommen. „Letztlich muß er sich aber doch fügen. Sonst treten wir ihm auf die Füße." „Wie denn?" fragte de Escobedo. „Nun, wenn er nicht pariert, kannst du ihn doch absetzen." „Das werde ich tun", erwiderte der Gouverneur. „Aber ich stelle den Hund noch einmal auf die Probe. Das ist jedoch nicht das schlimmste. Fünf Kerle sind desertiert und haben sich bereichert. Diese Schweine!" „Sie kriegen auch noch, was sie verdient haben", sagte der Kapitän, obwohl er in dieser Richtung nicht die geringste Hoffnung hegte. „Der eine Suchtrupp hat nichts gefunden", fuhr de Escobedo in näselndem Tonfall fort. „Dein Erster Offizier ist eine Träne, Machado." „Ja, das ist er", bestätigte Machado. Was sollte er sonst sagen? Den Ersten in Schutz nehmen? Dazu bestand kein Anlaß. Es war nur klug, dem Gouverneur in allen Punkten recht zu geben. „Die beiden anderen Suchtrupps sind noch nicht zurück", beschwerte sich de Escobedo. „Obwohl es jetzt zu dämmern anfängt. Was treiben die bloß, diese faulen Hunde?" „Vielleicht haben sie sich ein bißchen verlaufen." „Das glaubst du im Ernst?' „Ich nehme es an. Glauben kann ich viel, aber es hilft mir nicht weiter", entgegnete der Kapitän der „Trinidad". Mit dieser Logik konnte de Escobedo nichts anfangen. Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht und atmete tief durch. Rasch leerte er seinen Becher Wein, dann sagte er: „Wir müßten jetzt bereits mit dem weiteren Abtransport der Schätze anfangen." Machados Gesicht hellte sich auf. „Ja, der Ansicht bin ich auch. Was man hat, das hat man, nicht wahr?"
.Allerdings", erwiderte der Gouverneur. „Wir sollten also handeln, statt hier tatenlos herumzusitzen." Machado war völlig klar, daß hier offenbar einiges aus dem Ruder lief. So gut wie alles das war die Realität. Dann also besser abräumen auf Teufel komm raus, als auf weiteren Ärger zu warten. De Escobedo erhob sich. „Ich brauche eine Jolle", sagte er. Irgendwie hatte er doch die Fassung wiedererlangt. „Sofort." „Die Jolle liegt bereit", antwortete Machado. „Ich will zur San Sebastian' übersetzen." „Du brauchst nur abzuentern. Ich sage den Rudergasten gleich Bescheid." Machado war froh. Endlich war er den Kerl wenigstens für kurze Zeit los. Sollte de Escobedo de Mello die Ohren vollquengeln. Kurze Zeit darauf wurde der sehr ehrenwerte und durchlauchte Señor Gouverneur zur Kriegsgaleone „San Sebastian" hinüberbefördert. Machado blickte dem Boot grinsend nach. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn de Escobedo ins Wasser gefallen und von Haien zerrissen worden wäre. Aber diesen Gefallen tat ihm der Kerl natürlich nicht. Don Gaspar de Mello stand auf dem Achterdeck seines Schiffes und blickte der herangleitenden Jolle entgegen. De Escobedos Gesicht sprach Bände. Es gab wieder mal Zunder. Aber de Mello war nicht bereit, sich sinnlosen oder widersprüchlichen Befehlen zu beugen. De Escobedo enterte auf und betrat das Achterdeck. Den Gruß des Capitäns überhörte er. Er sagte: „Stellen Sie sofort Ihre Männer zum Abtransport der Königsgüter zur Verfügung, Capitán. Sie werden durch die Männer der „Trinidad" verstärkt, von denen allerdings einschließlich der Deserteure dreiundzwanzig Mann zur Zeit nicht greifbar sind." De Mello erklärte kühl: „Ich werde lediglich die zwanzig Männer von gestern mit dem Bootsmann abstellen, und zwar nach dem morgendlichen Backen und Banken um acht Uhr." „Sind Sie verrückt?" schrie de Escobedo. Um seine Beherrschung war es bereits wieder geschehen. „Nein, immer noch sehr normal, Señor", erwiderte de Mello gelassen. „Schließlich müssen sich meine Männer den ganzen Tag schinden, und da brauchen sie ein kräftiges Frühstück." „Nein! Sofort!" brüllte der Gouverneur wieder los.
De Mello schmetterte zurück: „Über den Einsatz meiner Männer befinde immer noch ich als der verantwortliche Kommandant! Da lasse ich mir nicht hineinreden, auch von Ihnen nicht, Señor Gouverneur!" „Ist das Ihr letztes Wort?" „Mein letztes Wort!" De Escobedo überlegte wutschnaubend, was er tun sollte. Den Kerl auf der Stelle erschießen? Ihn gefangennehmen lassen? Von wem? Die Seesoldaten und die Seeleute und auch die Offiziere der „San Sebastian" standen einmütig auf seiten ihres Capitäns, das drückten allein schon ihre Mienen aus. Nein, es hatte alles keinen Sinn. De Escobedo brauchte de Mello noch und war auf ihn angewiesen. Das wußte auch der Capitän des Kriegsschiffes. Dies gab ihm den Mut, gegen den Gouverneur aufzubegehren und auch gegen ihn zu bestehen. Also gut, dann um acht Uhr!" bellte de Escobedo. Er drehte sich auf dem Stiefelabsatz um und marschierte davon. Zornbebend enterte er wieder in die Jolle ab. Die Rudergasten brachten ihn zur „Trinidad" zurück. Machado hatte die kurze Diskussion hohnlächelnd verfolgt. Jetzt sanken seine Mundwinkel wieder herunter. Der Idiot von einem Gouverneur kehrte schon wieder zurück. „Mit der Ruhe ist es aus", brummte Machado. „Haltet euch bereit." Der Erste Offizier stand rechts neben ihm. Er äußerte nichts, stellte sich im stillen aber ebenfalls die berechtigte Frage, wie das alles weitergehen sollte. Es schien so gut wie alles schiefzugehen. Der Schatz war wie ein riesiger Klotz, der an ihren Hälsen hing. Wenn sie sich nicht beeilten, aus dieser Bucht zu verschwinden, kostete er sie noch alle das Leben. Mit dieser düsteren Vision sah der Erste zu der Jolle. Machado blickte ebenfalls ziemlich finster drein, denn er konnte sich ja denken, was jetzt kam. De Mello wartete das Backen und Banken ab. Acht Uhr militärische Disziplin. Er, Machado, mußte das Frühstück ganz einfach vorverlegen, und dann ging es mit der Plackerei los. „Machado!" rief de Escobedo noch vom Boot aus. „Die Männer sollen sich was in den Rachen stopfen und dann gleich an Land übersetzen! Wir fangen an!"
Wir ist gut, dachte Diego Machado. Dann aber gab er seine Befehle. Letztlich war es ja auch in seinem Interesse, daß die Sache jetzt so schnell wie möglich vorangetrieben wurde. Die Männer der „Trinidad" schlangen ihre Morgenmahlzeit in sich hinein. Sie waren alle verstimmt, beugten sich aber den Befehlen. Nach allem, was geschehen war, würde Machado jedes Murren sofort ahnden. Machado hatte sich eine Neunschwänzige gegriffen und stand mit abgespreizten Beinen auf dem Achterdeck seines Schiffes. Aus schmalen Augen verfolgte er das Tun seiner Männer. Rasch war das Backen und Banken beendet. Die Männer sprangen auf und enterten in die Boote ab. De Escobedo hatte sich zu Machado gesellt, und gemeinsam verfolgten sie, wie die Boote unter der Führung des Ersten Offiziers ablegten und an Land gepullt wurden. Es waren zwei Jollen, besetzt mit insgesamt fünfundzwanzig Mann. Der Auftrag des Ersten Offiziers war es, sofort mit dem Abtransport der Kisten und Truhen aus der Schatzhöhle zu beginnen und so schnell wie möglich die „Königsgüter" an Bord der „Trinidad" zu schaffen. An Bord der Galeone wurde das Ladegeschirr klargemacht. Machado und de Escobedo warteten mit den wenigen Männern, die an Bord zurückgeblieben waren, auf die Anlieferung der ersten Kisten. * Dem Ersten Offizier der „Trinidad" war irgendwie nicht wohl in seiner Haut, als er an der Spitze des Trupps zum Wasserfall aufstieg. Wo waren Gutierrez, der Bootsmann und die beiden Suchmannschaften abgeblieben? Warum zeigten sie sich nicht? Was war geschehen? Alles war wie verhext, mysteriös und unheimlich. Der Erste keuchte und fluchte. Welcher Teufel hatte Machado geritten, sich auf dieses Unternehmen einzulassen? Wie es schien, brachte ihnen der Schatz des Königs nichts als Unglück. Weitere Überlegungen stellte der Erste nicht an. Das Geschehen ließ sich nicht mehr aufhalten, das Drama war unabwendbar. Plötzlich passierte es: zwischen den Felsen krachte und knallte
es, und rötliche Feuerzungen leckten auf den Trupp zu. Pulverqualm puffte in weißen Wolken hoch. „Deckung!" schrie der Erste. Aber die Überraschung hielt die Männer der „Trinidad" wie in einem Bann fest. Viel zu spät reagierten sie. Einige suchten Schutz hinter Uferfelsen, andere rissen ihre Waffen hoch. Aber die Kugeln waren heran und fegten sie von den Beinen. Aus dreiundzwanzig Musketen wurde zwischen den Felsen gefeuert schlagartig. Gutierrez, Cabral und die anderen Kerle hatten genug Waffen und Munition. Die Musketen hatten die Suchtrupps mitgenommen, als sie ihr Schiff verlassen hatten und in den Urwald aufgebrochen waren. Cabrals Quintett verfügte über die Musketen, die man den toten Soldaten abgenommen hatte. Der Bulle hatte sogar zwei Büchsen. Ein Stakkato von Schüssen und die Folgen waren verheerend. Felipe Gutierrez hatte kalt abgewartet, bis die Männer der „Trinidad" auf Trefferweite heran waren, etwa dreißig Yards Distanz. Er hatte kalkuliert, daß dieser erste Feuerüberfall sitzen mußte. „Der muß in die Vollen gehen", hatte er seinen Kerlen zugeraunt, als der Trupp unter der Führung des Ersten angerückt war. „Denn er wird nicht wiederholbar sein." „Kein Problem", hatte Cabral grimmig erwidert. „Unsere Leute können mit den Knallern umgehen." Das stellten die Kerle jetzt unter Beweis. Mit genauer Zielverteilung wurden dreiundzwanzig Mann niedergemäht. Gutierrez sah, wie sie gurgelnd und schreiend zusammenbrachen, und er grinste. Über die Hälfte der Männer war sofort tot, die anderen zumindest schwerverletzt. Ein Massaker. Nur zwei konnten flüchten ein Decksmann und der Erste Offizier. Der Erste rannte geduckt davon. Mein Gott, dachte er in panischem Entsetzen, o mein Gott! Welchen Sinn hatte es noch, zurückzufeuern? Zwei Dutzend Gegner lauerten zwischen den Felsen. Um wen es sich handelte, war nicht schwer zu erraten. Ihr Hunde, dachte der Erste, ihr verfluchten Verräter! Cabral richtete sich aus seiner Deckung auf und hob die zweite Muskete. Ruhig zielte er. Er drückte ab, der Kolben stieß gegen seine Schulter. Die Kugel flog aus dem Lauf und ereilte den Ersten Offizier. Sie grub sich in seinen Rücken. Der Erste stürzte vornüber, stieß noch einen Schrei aus und blieb dann reglos liegen.
„Erledigt", erklärte Gutierrez kalt. „Das war's", sagte Cabral. Der eine Decksmann, der sich vor den Schüssen hatte retten können, hatte seine Muskete vor Schreck aus den Händen verloren. Er rannte in Panik durch den Urwald, erreichte den Strand und warf sich hinter einen Felsen. An Bord der „Trinidad" herrschte lähmendes Entsetzen. Alonzo de Escobedo war beim Krachen der Schüsse und beim Schreien der Männer käsebleich im Gesicht geworden. „Allmächtiger", murmelte er. „Was hat das zu bedeuten?" Machado sah den Decksmann aus dem Dickicht brechen und verfolgte, wie dieser sich hinter den Felsen warf. Er erkannte ihn und rief: „Jorge, was ist los?" „Überfall!" brüllte Jorge. „Die Hunde haben alle erwischt, auch den Ersten!" Diego Machado schnappte jetzt selbst nach Luft. Alle erledigt, dachte er erschüttert, der ganze Trupp! Das darf nicht wahr sein! Gleichzeitig begriff er, wem er diesen heimtückischen Überfall zu verdanken hatte. Nicht nur Cabral und dessen teuflischem Quartett die anderen mußten sich auf ihre Seite geschlagen haben! De Escobedo drehte wieder durch. „Verrat!" brüllte er. „Angriff! Macht sie nieder, diese Schweine!" Aber da war nur noch ein Mann, der angreifen konnte Jorge. Doch Jorge rührte sich nicht. Er lag hinter dem Felsen am Ufer. Als einzige Waffe hatte er nur noch sein Messer bei sich. Leck mich doch, dachte er, zur Hölle mit dir, Gouverneur! Bei Machado war die Erkenntnis herangedämmert: die beiden Trupps unter dem Zweiten und dem Bootsmann hatten mit Cabral paktiert. Ganz klar war dies aus der Vielzahl der abgefeuerten Musketen zu schließen gewesen. Die haben sich alle da oben verschanzt, dachte der Kapitän der „Trinidad", und sie sind entschlossen, sich den Schatz selbst unter den Nagel zu reißen. Machado dachte auch an jene Schatzladung, die sich bereits in den Laderäumen seines Schiffes befand. Er sah zu dem tobenden de Escobedo, trat etwas näher auf ihn zu und versuchte, ihn zu beruhigen. „Gouverneur!"
„Dieses Piratengesindel! Packt sie! Wir hängen sie alle auf!" heulte de Escobedo. „Gouverneur!" brüllte Machado ihn an. Der Gouverneur verstummte und sah ihn verblüfft an. „Was ist los?" „Ich habe dir etwas vorzuschlagen." „Wir müssen das Pack ausrotten." „Das können wir nicht." „Wir räuchern sie aus", sagte de Escobedo, besessen von seinem Vorhaben. „Wir machen ihnen Feuer unter ihren Hintern und rösten sie bei lebendigem Leibe." „Das geht nicht. Du vergißt den Wasserfall." „Wir knallen sie ab." „Wir haben nicht mehr genügend Männer", sagte Diego Machado. „Daher mache ich dir diesen Vorschlag. Ich halte es für besser und auch für gesünder, jetzt mit dem, was wir haben, abzuhauen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden." De Escobedo war für einen Moment sprachlos. „Das ist dein Ernst, Machado?" „Ja." „Unmöglich. Ich gebe die Schätze nicht auf." „Dir muß doch auch klar sein, daß wir kaum eine Chance haben, den Wasserfall und die Höhlen zu stürmen", erwiderte Machado. „Gutierrez und der Bootsmann haben sich samt ihren Trupps mit Cabral verbündet." „Verräter", stöhnte de Escobedo. „Die Hunde haben da oben eine geradezu uneinnehmbare Verteidigungsposition", fuhr der Kapitän fort. „Wir holen sie da nicht raus, verlaß dich drauf. Wir haben auch schon genug Verluste. Meine Mannschaft ist dezimiert." Aber bei de Escobedo stieß er auf taube Ohren. De Escobedo hörte überhaupt nicht mehr hin. Er war viel zu verbohrt und vernagelt, viel zu verrückt, viel zu gierig auf alles, was in den Höhlen noch lagerte. „Niemals!" schrie er mit überkippender Stimme. „Ich will zur „San Sebastian"!" „Ja, bitte, gern, das wird gleich erledigt", erwiderte Machado eilfertig. Wieder eine Chance! Er wurde den Gouverneur erneut los!
Sofort fuhr Machado zu seinen letzten Männern herum und befahl ihnen, die Jollen zu klarieren. De Escobedo enterte in das Boot ab, ohne auch nur noch ein Wort zu Machado zu sagen. So ein Feigling, dachte er nur. Die Jolle legte ab und setzte zur „San Sebastian" über. De Mello sah sie nahen und dachte: O Gott, jetzt habe ich ihn wieder am Hals! De Escobedo dachte im Boot nur an seinen Plan, die Höhlen zu stürmen. Ganz klar, sagte er sich, es ist die einzige Möglichkeit: de Mello muß mit seinen Seesoldaten zum Einsatz gebracht werden. Eine militärische Aktion, entschlossen und hart. „Gute Idee", sagte Machado noch mehr zu sich selbst, als zu dem Gouverneur, der bereits zu weit von ihm entfernt war. Hau bloß ab, du blöder Hund, dachte er. Machado hatte seine Chance erkannt. Kaum hatte sich de Escobedo mit der kleinen Jolle und vier Rudergasten weit genug entfernt, stieg Machado zu seinen letzten Männern auf die Kuhl hinunter. Sie sahen ihn erwartungsvoll an. „Wir hauen ab", sagte Machado. Die Jolle befand sich fast auf halber Strecke zwischen der „Trinidad" und der „San Sebastian". Diego Machado schickte noch einen Blick zu ihr hinüber, dann zischte er seinen Kerlen zu: „Es geht los. Alles bereit?" „Alles bereit", erwiderte einer der Kerle, der jetzt sozusagen der Decksälteste war. Er grinste flüchtig. Es war ihnen nur recht, aus dieser Bucht zu verschwinden. Immerhin hatten sie einiges an Reichtümern an Bord! „Anker hieven!" befahl Machado. Mehrere Männer bedienten das Spill. Der Stockanker brach aus dem Grund der Bucht, schob sich aus dem Wasser und wurde auf gekattet. „Segel setzen!" befahl Diego Machado. Die Segel wurden aus dem Gei gelöst. Sie bauschten sich im Wind. Die „Trinidad" nahm Fahrt auf. 8. Auch Don Gaspar de Mello war zusammengezuckt, als vom Wasserfall und den Höhlen das Krachen der Musketen herüber-
geklungen war. Was war geschehen? De Mello war erschüttert. Seine Offiziere, die Decksleute und die Seesoldaten blickten sich untereinander ebenso ratlos wie erschrocken an. Der Mann der „Trinidad" Jorge -, der kurze Zeit darauf an den Strand stürmte und sich hinter einem Felsen in Deckung warf, gab Auskunft darüber. De Mello und die Crew der „San Sebastian" hörten, was er zur „Trinidad" hinüberrief, nachdem Machado ihm eine entsprechende Frage gestellt hatte. Jetzt kehrte wieder der Gedanke zurück, den de Mello beim Krachen der Schüsse sofort gehabt hatte: was war mit den sechs Seesoldaten passiert, die dort oben die Höhlen bewachen sollten? Jorge schien darüber nichts zu wissen. Die Seesoldaten schienen verschwunden zu sein. Verschwunden? De Mello schüttelte den Kopf. „Nein", murmelte er. „Das ist unmöglich." „Was ist unmöglich, Señor?" fragte sein Erster Offizier. „Unsere sechs Soldaten..." „Ich kann nur annehmen, daß man sie umgebracht hat", entgegnete der Erste. „Sie hätten sonst zweifellos in das Feuergefecht eingegriffen und etwas unternommen, um ein solches Massaker zu verhindern." „Mein Gott", sagte de Mello. Er war fassungslos. „Und wenn die sechs sich nun mit der Bande verbündet haben?" „Sie wissen so gut wie ich, daß sie das niemals tun würden", erwiderte der Erste. „Trotz des vielen Goldes und all der Reichtümer haben sie einen klaren Kopf behalten." Ja, dessen war auch Don Gaspar de Mello sicher. Doch er verfluchte innerlich die Disziplin, die seine Männer nun das Leben gekostet hatte. Sie waren wie Helden gestorben doch welchen Sinn hatte es? Wäre es nicht besser gewesen, sie hätten sich diesen Halunken und Galgenstricken angeschlossen? Er, de Mello, hätte es ihnen nicht einmal übelgenommen, wenn sie desertiert wären. Aber die Vermutung lag auf der Hand, daß sie im Kampf gefallen waren. Sie waren brave Kerle. De Mello kannte jeden einzelnen von ihnen und wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte. „Wie auch immer", sagte de Mello erbittert. „Wir müssen wohl mit ihrem Tod rechnen." „Das fürchte ich auch", sagte der Erste.
„Verdammt!" entfuhr es dem Zweiten Offizier, der jetzt zu ihnen trat. „Das haben wir alles dem Gouverneur und diesem Machado zu verdanken! Diese Halunken!" Er verstummte und sah seinen Capitän an. „Ich bitte um Verzeihung, Señor." „Schon gut", entgegnete Don Gaspar de Mello. „Eins steht ganz sicher fest: Dieser windige Machado ist Kapitän von einer Crew von Strolchen." „Sie wollten hier den ganz großen Coup landen", sagte der Erste Offizier der „San Sebastian". „So ist es", pflichtete de Mello ihm bei. „Und sie haben die Gelegenheit skrupellos beim Schopf gepackt." „Mit dem Mord an dem Ankerposten und der Desertion der fünf Kerle hat es angefangen", sagte der Zweite Offizier. „Und so hat sich alles weiterentwickelt zum Argen." „Diese Idee mit den Suchtrupps", sagte de Mello. „Sie war einfach verrückt. Konnten sich de Escobedo und sein Freund Machado nicht ausrechnen, daß das Vorhaben zum Scheitern verurteilt war? In der Nacht war die Wahrscheinlichkeit, auch nur eine Spur von den Gesuchten zu finden, verschwindend gering. Und die Gefahr bestand, daß sich die Trupps der Cabral-Meute anschlossen." „Was sie auch getan haben", sagte der Zweite. Natürlich war es auch den Männern der „San Sebastian" nicht entgangen, daß zwei der Suchtrupps bis jetzt nicht zurückgekehrt waren. Sie hatten sich ihr Teil gedacht und ihre Schlüsse daraus gezogen. De Mello zweifelte nicht daran, daß sich die Trupps mit den fünf Deserteuren verbündet hatten sonst wäre die Feuerkraft bei diesem Überfall geringer gewesen. Sechs seiner Seesoldaten waren aller Wahrscheinlichkeit nach tot kaltblütig ermordet von den Strolchen der „Trinidad". Capitän Don Gaspar de Mello zog daraus seine Konsequenzen. „Klar Schiff zum Gefecht", sagte er. „Das zahlen wir diesen Hunden heim." Der Koch, der in der Kombüse der Kriegsgaleone das Frühstück zubereitete, mußte das Feuer unter den Kesseln löschen. In Windeseile streute er Sand auf den Planken aus. Dann eilte er auf die Kuhl und half dem Moses, Seewasser in Pützen und Kübeln außenbords hochzuhieven. Inzwischen wurde auch auf den Decks Sand verteilt. Die Männer öffneten die Stückpforten und rannten die Kanonen aus. Auch die Drehbassen wurden gefechtsbereit
gemacht. Im Handumdrehen verwandelte sich das Kriegsschiff in eine feuerbereite Festung. Die Männer an den Kanonen schürten das Feuer in den Kupferbecken. Sie standen klar bei Lunten und warteten nur noch auf Don Gaspar de Mellos Feuerbefehl. De Mello stand an der Querbalustrade des Achterdecks und stützte die Hände auf. Sein Blick wanderte zu der Jolle, die sich von der „Trinidad" löste und auf die „San Sebastian" zuglitt. Sofort erkannte er den Gouverneur, der mit verkniffener Miene auf der Heckducht saß. Du Bastard, dachte de Mello, du hättest auch eine Kugel verdient. Sinnlos hast du meine Leute verheizt. Er war außer sich vor Wut, doch er wußte sich auch zu beherrschen. Noch ehe die Jolle heran war, gab er seinen Männern den Befehl zum Feuern. * Das Donnern der Kanonen riß de Escobedo aus seinen Gedanken hoch. Er hob den Kopf und blickte zu der Kriegsgaleone. Etwas verwirrt und verständnislos registrierte er, wie die Drehbassen Feuer und Rauch ausspuckten. Es dröhnte und krachte, dann flogen die Kugeln aus den Mündungen. Don Gaspar de Mello hatte die Rohre der Schwenkgeschütze so justieren lassen, daß sie zu dem Wasserfall hinauf zielten. Nur mit den Drehbassen war dies möglich, nicht mit den Culverinen der Galeone. De Mello kommandierte seine besten Schützen an die Hinterlader, und diese zeigten ihr Können. Im Krachen der Geschütze rasten die Kugeln zum Wasserfall hoch. De Escobedo hob seinen Kopf noch etwas an. Dann sah er, wie die Kugeln oben in die Felsen krachten. Ein wahrer Feuerhagel jagte zum Wasserfall hinauf. Schnell ließ de Mello die Drehbassen nachladen, dann donnerten sie wieder und schickten eine neue Ladung zu den Felsen. Das Geschrei der Kerle an dem Schatzversteck bewies, daß die Kugeln im Ziel saßen. Selbst Machado, der auf der Kuhl seiner Galeone herumgefahren war, staunte nicht schlecht. Zum ersten Mal sah er die Männer der „San Sebastian" in voller Aktion. De Mello schien ent-
schlossen zu sein, die Bande wenigstens spüren zu lassen, daß man ihre Tat nicht ungerächt lassen würde. Und schießen konnten die Männer der Kriegsgaleone, das sah Machado. Plötzlich bekam er Bedenken. Was war, wenn die „San Sebastian" die „Trinidad" angriff? Die Handelsgaleone mit ihren wertigen Geschützen und der dezimierten Mannschaft konnte im Gefecht gegen das Kriegs schiff nicht bestehen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber die Männer der „San Sebastian" waren durch den Beschuß der Höhlen ja abgelenkt. De Escobedo blickte auch nur auf die Kriegsgaleone und nach oben zum Wasserfall. Die Rudergasten in der Jolle schauten dumpf oder erbittert drein, sie schien überhaupt nichts mehr zu interessieren. Im Übrigen auch das sagte sich Diego Machado in diesem Moment durfte de Mello ja auch nicht die königlichen Schatzgüter gefährden, die sich an Bord der „Trinidad" befanden. Also: wenn er feuerte, um die „Trinidad" und deren winzige Besatzung daran zu hindern, sich zu verdrücken, versenkte er nicht nur das Schiff, sondern auch die Truhen und Kisten, die sich bereits an Bord befanden. Alles viel zu riskant, dachte Machado und grinste. So dumm, die bereits geborgenen Königsgüter aufs Spiel zu setzen, war auch ein de Mello nicht. Er durfte es nicht tun, es war gegen die Vorschriften. Also gereichten die Vorschriften in diesem Fall sogar Machado zum Vorteil. Darüber amüsierte er sich derart, daß er sich die Hände rieb und zu kichern begann. Seine Männer blickten ihn an. Hatte der Kerl jetzt auch den Verstand verloren? Nein so irre schaute er noch nicht drein. Viel verrückter war der Gouverneur, der von der achteren Ducht der Jolle aus das Geschehen an Bord der Kriegsgaleone und beim Wasserfall verfolgte. Don Gaspar de Mello spähte durch einen Messingkieker, den er rasch auseinandergezogen hatte, zum Wasserfall hoch. Er gab einen Laut der Genugtuung von sich. „Getroffen?" fragte der Erste Offizier. „Allerdings", erwiderte der Capitän. „Drei oder vier Kerle." „Das ist wenigstens etwas", sagte der Zweite. „Und wann geben wir ihnen den Rest?" „Wir warten erst einmal ab", entgegnete de Mello.
Deutlich hatte er oben die Kerle gesehen, die beim Krachen der Drehbassen hinter den Felsen hochgezuckt waren. Wollten sie sich in Sicherheit bringen? Oder rechneten sie überhaupt nicht damit, daß die Geschütze auf die Felsen feuern würden? Möglicherweise wollten sie nur Ausschau halten und gerade das war ihr Fehler. Die Kugeln rissen sie aus ihrer Deckung. Die Schreie gellten bis zur Bucht hinunter. Dann krachten die nächsten Schüsse, und wieder traf es einen der Kerle. „Recht so!" stieß der Erste Offizier der „San Sebastian" hervor. „Wenn es sie doch alle erwischen würde!" De Escobedo hegte denselben Wunsch, aber er fragte sich auch, was aus dem Schatz wurde. Wurden die Höhlen durch das Drehbassenfeuer gefährdet? Was war, wenn sie einstürzten? Nein Drehbassenkugeln hatten nicht solche Wucht und Wirkung, daß sie Felsen zum Einsturz brachten. In diesem Punkt konnte der Gouverneur ganz beruhigt sein. Und es war gut, daß de Mello den Hunden einen Denkzettel verpaßt hatte. Überhaupt, so schlecht schien dieser Kriegsschiff-Capitan doch nicht zu sein. Vielleicht hatte er, de Escobedo, ihn auch falsch eingeschätzt. Immerhin zeigte de Mello, wie entschlossen und kampffähig er war. Ihn brauchte de Escobedo jetzt ihn und seine Männer. Es stellte sich heraus, daß es trotz aller Widrigkeiten doch nicht falsch gewesen war, die „San Sebastian" mitreisen zu lassen. Er, Alonzo de Escobedo, hatte es ja von Anfang an gewußt. Die „Trinidad" allein hätte niemals genügt, den Schatz aus dem Versteck abzubergen. Einen Beschützer brauchte man für jeden Eventualfall. Und jetzt mußten die Seesoldaten den Kerlen dort oben bei den Höhlen den Rest geben. Drauf das war die Devise! De Escobedo hegte wieder Hoffnung. Seine Gesichtszüge änderten sich und drückten Zuversicht aus. Fast freudig erregt ließ er beschleunigt auf die „San Sebastian" zupullen. * Als die Drehbassen zum ersten Male donnerten, tauschten Cabral und Gutierrez einen verblüfften Blick. „Was hat denn das jetzt zu bedeuten?" fragte der Bulle.
„Deckung!" rief der Zweite Offizier der „Trinidad" ihm plötzlich zu. „Das gilt uns!" Sie warfen sich hinter den Felsen hin. Cabral kam unsanft zu Fall und stieß sich den Kopf. Er fluchte wild und unbeherrscht. Eben noch hatten sie wegen des Sieges über die Angreifer gegrölt und gelacht jetzt war der Triumph dahin. Die Kugeln heulten heran und schlugen gegen die Felsen. Drei Kerle, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachten, wurden erwischt. Schreiend und röchelnd brachen sie zusammen. Ein vierter wurde von einem Gesteinssplitter getroffen und fiel Cabral genau vor die Füße. Es war ein Mann des Bootsmann Trupps. Der Kerl wälzte sich blutend vor Cabral. „Hilf mir!" flehte er. „Wo bist du getroffen?" fragte der Decksälteste. „Hier im Bauch!" Gutierrez kroch heran, „Wie sieht es aus?" „Schlecht", erwiderte Cabral. Er deutete auf den Verletzten. Der Zweite Offizier beugte sich über den stöhnenden Mann und unterzog ihn einer kurzen Untersuchung. Inzwischen hatten sich die Kerle, die nicht verwundet waren, um ihre getroffenen Kumpane gekümmert. Sie versuchten, sie in Richtung auf den Wasserfall zu zerren. Plötzlich krachte es unten, in der Bucht, wieder. Gutierrez und Cabral sahen noch, wie an Bord der „San Sebastian" die Stichflammen aus den Mündungen der Drehbassen leckten. Dann warfen sie sich erneut in Deckung. Wieder wurde ein Kerl getroffen. Er kippte über die Felsen und wälzte sich schreiend. Der Bootsmann der „Trinidad" und ein anderer Mann schoben sich auf ihn zu, packten ihn und zerrten ihn weg. Der Verwundete schrie immer lauter. „Weg!" rief Gutierrez. „Zum Wasserfall!" Längst hatten die Kerle seine Rolle als Anführer akzeptiert. Auch Cabral beugte sich. Er sah ein, daß der Zweite der bessere Mann war. Mehr noch, Cabral war sogar froh, daß Gutierrez ihm die Entscheidung und Verantwortung abnahm. Es war seine Idee gewesen, auf den von dem Ersten Offizier der „Trinidad" geführten Trupp zu feuern. Aber daß de Mello mit den Drehbassen zurückschießen würde, hatte Gutierrez sicherlich nicht mit einkalkuliert. Dennoch verlor Gutierrez nicht die Nerven. Er war kalt und konzentriert. Die Gier nach dem Gold hatte ihn nicht verblendet. Er
handelte mit Überlegung. Rückzug war jetzt erst einmal das Allerwichtigste. Dann konnte man weitersehen. Schließlich hatte man dreiundzwanzig Kerle in die Flucht geschlagen, beziehungsweise aus dem Weg geräumt Allein das zählte. Selbst wenn die jetzt verwundeten Kerle ins Gras beißen mußten es war ein Opfer, das noch als gering anzusehen war. Die Bande flüchtete unter den Wasserfall. Die Getroffenen wurden mitgeschleppt. Gutierrez und Cabral trugen den Kerl der den Gesteinssplitter abbekommen hatte. Es war nicht leicht, die Verletzten zum Sims hinaufzuhieven und auf dem schmalen Pfad unter den Wasserfall zu tragen. Schließlich schafften die Kerle es aber. Sie tauchten in der Höhle unter und betteten die Verwundeten auf den Boden. Gutierrez kümmerte sich um sie. „So", sagte Cabral mit grimmiger Miene. „Jetzt bin ich mal gespannt, wie's weitergeht. Was werden die Hunde als nächstes unternehmen?" „Wir können nur abwarten", erwiderte der Zweite. .Aber erobern werden sie die Höhle nicht, das verspreche ich dir." „Dann ist es gut", brummte Cabral. „Allein das zählt." Er trat zu den Kisten und Truhen. Der Anblick der Kostbarkeiten genügte, die Euphorie zurückkehren zu lassen. Cabral griff in eine offene Goldmünzenkiste und ließ die Dublonen, Piaster und Reales durch seine Hände gleiten. Phantastisch, dachte er. Die Kerle um ihn herum kicherten und stießen sich an. „Na, wie haben wir das gemacht?" sagte Manzo. „Es hat doch prächtig geklappt, oder? Nur hätten wir eben nicht zu lange draußen bleiben sollen." Casco warf ein paar Münzen in die Höhe. Sie klirrten auf seinen Kopf, und er schüttelte sich und lachte. Domingo stopfte sich Münzen in die Taschen, bis sie prall gefüllt waren. „Es hat sich gelohnt, es hat sich gelohnt", sagte er immer wieder. Und auch er konnte sich an dem Reichtum nicht sattsehen. Toluca hatte sich in eine offene Kiste gesetzt und „badete" in den Münzen. Wieder waren die Kerle wie von Sinnen. Nichts und niemand konnte ihnen diesen Schatz wieder wegnehmen. Lieber ließen sie sich totschlagen. Aber wer sollte sie totschlagen? De Mello mit seinen Mannen? Cabral lachte, als er daran dachte. Auch die Seesoldaten der „San Sebastian" reichten nicht mehr aus, einen erfolgreichen Sturm
auf die Höhlen vorzunehmen. So gesehen, hatte die GutierrezBande bereits gesiegt. Mit ihren Kanonen konnte die „San Sebastian" auch nichts ausrichten. Die Schußweite der Drehbassen, so schien es, war gerade genügend, um die Felsen am Wasserfall mit Kugeln zu erreichen. * „Aha", sagte Don Gaspar de Mello, der die Vorgänge bei den Höhlen wieder durch das Spektiv beobachtete. „Jetzt verschanzen sie sich in der vorderen Höhle." „Señor", sagte der Zweite. „Der Gouverneur kommt an Bord." „Ja, das habe ich schon gesehen", versetzte de Mello grimmig. Dann schob er das Spektiv zusammen und wandte sich zu de Escobedo um, der die Jakobsleiter hochenterte. De Escobedo stieg den Backbordniedergang zum Achterdeck hoch und trat vor de Mello hin. „Sehr gut!" sagte er laut. „Das waren gezielte Schüsse, Señor Capitán! Weiter so!" De Mello hörte überhaupt nicht hin. Sein Blick richtete sich jetzt auf die „Trinidad". Was ging denn dort vor? Wurde dort etwa der Anker gelichtet? Ließ Machado die Segel setzen? Das sah nach Flucht aus. De Escobedo wandte sich an den Ersten und den Zweiten Offizier. „Ich bin erfreut", erklärte er. „Sie haben bewiesen, daß Sie doch was können." „Ach, ja?" sagte der Erste mit unverhohlenem Spott. „Jetzt müssen wir an Land übersetzen", fuhr der Gouverneur fort. „Alle verfügbaren Männer. Soldaten und Seeleute." „Auch wir, die Offiziere?" erkundigte sich der Zweite. „Ja, natürlich", erwiderte de Escobedo. „Und wir nehmen an Waffen mit, was die Depots hergeben. Musketen und Pistolen, einfach alles. Vielleicht auch ein kleines Geschütz." „Wie bitte?" fragte der Erste Offizier erstaunt. „Ich habe an eine Drehbasse gedacht", entgegnete der Gouverneur allen Ernstes.
„Und wo sollen wir die montieren?" wollte der Erste wissen. „Es gibt doch keine Bordwand mit drehbaren Gabellafetten, an Land, meine ich." Er war jetzt selbst verwirrt. De Escobedo deutete auf die Culverinen. „Dann nehmen wir eben so ein Ding mit." „Señor", sagte der Zweite. „Eine Culverine läßt sich nicht so leicht in ein Boot verladen und an Land schaffen. Das ist ein schweres Stück Arbeit. Im Übrigen müßten wir die Kanonen bis zum Wasserfall hinaufbefördern, und das würde auch viel Zeit und Kraft erfordern." „Wollen Sie etwa den Befehl verweigern?" schrie de Escobedo. Seine Ruhe war wie weggefegt, er drehte erneut durch. „Das ist Meuterei!" De Mello wandte den Kopf und blickte zu den drei Männern. Die Decksleute und Seesoldaten verfolgten von den anderen Decks aus, was auf dem Achterdeck vor sich ging. Sollten sie lachen oder fluchen? Sie wüßten es selbst nicht. „Gouverneur!" rief de Mello. Alonzo de Escobedo wirbelte zu ihm herum und stürzte wie ein Verrückter auf ihn zu. „Ihre Kerle wollen nicht gehorchen! Bringen Sie denen gefälligst Disziplin und Anstand bei!" „Was ist los?" fragte de Mello. „Wir sollen eine Kanone an Land bringen", erwiderte der Erste. „Unsinn", erwiderte Don Gaspar de Mello. „Capitän!" schrie de Escobedo auf ihn ein. „Es müssen sofort alle Mann an Land! Wir unternehmen einen Gegenangriff! Verstanden? Das mit dem Backen und Banken hat zu warten!" De Mellos Blick richtete sich wieder auf die „Trinidad". Machado schien sich entschlossen zu haben, der Szene den Rücken zu kehren. Die Vorbereitungen, die an Bord der Handelsgaleone getroffen wurden, waren eindeutig. Man rüstete zum raschen Aufbruch. Schon nahm das Schiff Fahrt auf. Ein starkes Stück, dachte der Kapitän der „San Sebastian". Aus schmalen Augen verfolgte er, was weiter geschah. Glaubte Machado wirklich, daß er das Manöver nicht bemerken würde? Richtig: de Mello leuchtete ein, daß Machado den günstigen Zeitpunkt ausnutzte. De Escobedo war an Bord der Kriegsgaleone geentert und sorgte für Aufruhr. Außerdem war da der Beschuß der Wasserfall-Felsen gewesen, der ebenfalls von der „Trinidad" ablenkte. So gesehen, verhielt sich Machado gar nicht dumm.
„Capitän!" schrie de Escobedo schon wieder. „Ich befehle Ihnen, Ihre Leute zu den Höhlen zu schicken! Wir greifen an! Wenn wir die Hunde nicht zusammenschießen, räuchern wir sie aus!" „Das dürfte wegen des Wasserfalles schwierig sein", erwiderte der Erste Offizier spöttisch. „Und wir haben auch wenig Chancen, die Höhlen zu stürmen", fügte der Zweite hinzu. „Sie sind so gut wie uneinnehmbar. Wenn es nur Cabral und die vier Kerle von heute nacht gewesen wären, hätten wir vielleicht Aussichten gehabt, die Kerle zu überrumpeln. Aber so..." „Keine Widerrede!" brüllte de Escobedo. „Befehle nehmen wir nur von unserem Kapitän entgegen", sagte der Zweite. De Escobedo wollte gerade wieder aufbrausen und die Offiziere mit einem Schwall von Flüchen und Verwünschungen eindecken, da fuhr Don Gaspar de Mello jäh zu ihm herum. „Gouverneur!" rief er. „Sind Sie jetzt soweit?" schrie de Escobedo. „Ich warte!" De Mello wies mit dem ausgestreckten Arm zur „Trinidad" hinüber. Dort wurden soeben die Segel aus dem Gei genommen, der Anker war fast ganz hochgehievt. „Können Sie mir mal verraten, was das bedeutet?" fragte de Mello scharf. Der Gouverneur drehte den Kopf und stierte zur „Trinidad" hinüber. Er verschluckte sich und begann zu röcheln. Das durfte nicht wahr sein! Und doch war es die Realität: Der sehr ehrenwerte Diego Machado rüstete zum Aufbruch. Er lief aus und ging in See. So einfach war das. „Dieses Schwein!" stieß de Escobedo heiser hervor. „Aha, das habe ich mir gedacht", sagte hinter seinem Rücken leise der Erste Offizier zum Zweiten. „Erst war Machado sein lieber, guter Freund. Jetzt gehört er auch zu den Schweinen. So schnell kann ein Mann absteigen." „Der will abhauen!" brüllte de Escobedo. „Nein!" De Mello wartete die Entscheidungen des ehrenwerten Gouverneurs nicht ab. Wenn es nach dem ging, war Machado innerhalb der nächsten Sekunden aus der Bucht verschwunden. Darum hieß es, so schnell wie möglich zu handeln.
De Mello schob den krakeelenden Gouverneur einfach beiseite. Er trat an das achtere Steuerbordschanzkleid und rief mit dröhnender Stimme zu der Handelsgaleone hinüber: „Machado!" „Hier bin ich!" schrie Machado zurück. „Was gibt's?" Er war wie unter einem Peitschenhieb zusammengezuckt. Jetzt hatten die Bastarde ihn doch ertappt! „Du Schwein!" heulte de Escobedo. „Verschwinden willst du, was? Aber das lasse ich nicht zu!" „Wie will er es denn verhindern?" fragte der Zweite. Der Erste schüttelte nur den Kopf. Eins war sicher: Nur mit Gewalt war der Halunke Diego Machado von seinem Vorhaben abzuhalten. „Machado!" rief de Mello noch einmal. „Sollten Sie die Absicht haben, wegzusegeln, lasse ich aus meinen Steuerbordbatterien das Feuer auf Ihr Schiff eröffnen! Denn ich muß annehmen, daß Sie Seine Majestät, den König von Spanien, bestehlen wollen!" Machado reagierte auf seine Weise. Ein höhnisches Gelächter war die Antwort auf de Mellos Zuruf. Es schallte über die Bucht und wehte bis zu den Höhlen hoch. Der Verfall der „Trinidad"Crew einschließlich ihres Kapitäns war somit perfekt... Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 493 Feuerfrei! von Frank Moorfield Der Stückmeister der „San Sebastian" gab durch ein Handzeichen zu verstehen, daß die Geschütze einsatzbereit wären. Don Gaspar hob die Hand: „Feuer frei!" Sofort begann das ohrenbetäubende Hacken und Fauchen der Drehbassen. Eisen und Blei zischten mit fürchterlicher Gewalt zu den Felsen hoch und setzten oben in der Steilwand Gestein und Geröll in Bewegung. Staub wirbelte auf, zahlreiche Steinsplitter fetzten durch die Luft. Über der „San Sebastian" breitete sich grauschwarzer Pulverdampf aus, über die Decks zog ein beißender Geruch. Und dann brüllten die beiden Culverinen der vorderen Backbordbreitseite auf und übertönten für Momente das Geschrei der Deserteure oben auf den Felsen am Wasserfall...
Diesen Roman mit einem neuen spannenden Abenteuer des Seewolfs und seiner Crew erhalten Sie bereits in der nächsten Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler sowie in jeder Bahnhofsbuchhandlung.