GESETZ DES ZUFALLS VON MURRAY LEINSTER Aus dem Amerikanischen übersetzt
1. Kapitel Steve Sims, ehemaliger Professor de...
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GESETZ DES ZUFALLS VON MURRAY LEINSTER Aus dem Amerikanischen übersetzt
1. Kapitel Steve Sims, ehemaliger Professor der Physik an der ThomasUniversität, schob den Zweig des Gestrüpps vorsichtig zur Seite und blickte hinunter, wo die kleine Stadt einst gestanden hatte. Doch er sah nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, einen einzigen riesigen Atombombentrichter, sondern vielmehr ein halbes Dutzend kleinerer Trichter, etwa zwei- bis dreihundert Fuß im Durchmesser, die ein Drittel der Stadt völlig atomisiert und den Rest dem Boden gleichgemacht hatten. Dann war noch ein Feuer ausgebrochen und hatte nichts übriggelassen. Dieser Anblick löste in ihm weniger einen Schock als Verbitterung und Bedauern aus. Das war einst seine Heimatstadt gewesen. Er hatte lange Zeit gebraucht, um zu ihr zurückzufinden, nachdem bei der Thomas-Universität nichts mehr zu erhoffen war. Er hatte fast vier Monate am Rande des sich ausdehnenden verwüsteten Geländes zugebracht und zwischen Hoffnung und Zweifel schwankend auf jemanden gewartet, der ihm hei der Verwirklichung seines Werkes helfen sollte. Dieses Werk konnte seiner Meinung nach die Weltkatastrophe zum Teil wiedergutmachen. 3
Als er endlich einsah, daß er einen solchen Menschen nicht mehr finden würde, hatte er drei Monate gebraucht, um die vierhundert Meilen bis hierher zurückzulegen. Natürlich hatte er sich hier und da aufgehalten. Einmal schloß er sich einer Gruppe an, die sich Guerillas nannte. Als er ihre verbrecherischen Machenschaften durchschaute, verließ er sie. Dann mußte er sich vor seinen ehemaligen Gefährten verstecken und war in einer kleinen Gemeinschaft untergetaucht. Diese Leute waren unverbildet, aber sehr energisch, eigentlich viel zu energisch. Und nun war er in seiner Heimatstadt angekommen, die einer öden Wüste glich. „Na, dann mal rein ins Vergnügen“, murmelte der junge Exprofessor vor sich hin. Er grinste verdrießlich. Dann kauerte er sich nieder, um das Trümmerfeld besser übersehen zu können. Da unten hatte er seine Kindheit verbracht. Seit die ersten Bomben gefallen waren, hatte er wie alle anderen erkannt, daß es nichts einbrachte, sich mit den Gegebenheiten abzufinden, ungewöhnlich tapfer oder zu ehrlich zu sein. Die Zeiten hatten sich gründlich geändert. Was noch normal gewesen war und Gültigkeit hatte, war jetzt völlig anders. So hockte Steve Sims, der kein Professor mehr war, weil es keine Universitäten und keine Studenten mehr gab, auf einem Baumstumpf und betrachtete aufmerksam die Ruinen seiner Heimatstadt. Die Stadt war ausgestorben und nicht mehr bewohnbar. Sie mußte schon vor langer Zeit zerstört worden sein, denn Gras und Unkraut wucherten auf den geschwärzten Balken, wo die Stadt dem Erdboden gleich und abgebrannt war. In der Tiefe der Bombentrichter schimmerte eine grünliche, schleimige Masse, und man konnte deutlich erkennen, daß nicht Atom-, sondern Sprengbomben verwendet worden waren. Das bedeutete also, daß sie, die Leute mit den Flugzeugen und den 4
Bomben, keine unbegrenzten Mengen dieser Atombomben hatten, die den Erdboden zu einer rissigen glasigen Masse verschmolzen, die hochgradig radioaktiv war. Diese Anzeichen waren hier nicht zu sehen. Wenn sie also ganz gewöhnliche Bomben benutzten, um eine kleine Stadt zu vernichten, dann waren ihre Atomvorräte beschränkt. Das war gut. Steve hielt es jedenfalls für gut, doch im nächsten Augenblick kamen ihm schon wieder Zweifel. Wer diese Leute auch waren – und die ganze Zivilisation war vernichtet worden, ohne daß jemand wußte, wer den Anfang gemacht hatte –, Männer wie Steve konnten ihnen nicht beikommen. Der Atomkrieg war zu einem hysterischen, sinnlosen Massenmorden ausgeartet, bei dem jeder gegen jeden kämpfte. Steve war ein Wanderer, wie die meisten, die noch lebten. Er war heimatlos, und seine ganze Habe bestand aus einer winzigen automatischen Damenpistole mit nur zwei Patronengurten, einer Drahtschere mit abgebrochenen Griffen und scharfen Klingen, einer Decke, die auf einer Seite wasserdicht war, sechs Schreibheften für Kinder, fast alle vollgeschrieben, und einem halben gebratenen Huhn. Er hatte das Huhn vor zwei Tagen gestohlen. „Also noch mal“, ermutigte er sich, „rein ins Vergnügen. Aber …“ Er hielt ein. „Oho“, sagte er dann. In den Ruinen bewegte sich etwas ganz vorsichtig. Im ersten Augenblick konnte er es nicht deutlich erkennen, doch dann sah er, wie eine kleine Gestalt unter einem undefinierbaren Haufen hervorkroch, der wie schwarzes Stroh aussah. Die Gestalt sah sich gehetzt um und schien angstvoll zu lauschen. Dann kam sie vollends aus dem Haufen hervorgekrochen und rannte auf Steves Versteck zu. Sie bewegte sich mit überstürzter Eile. Steve beobachtete sie, ohne sich zu bewegen. Wenn jemand 5
davonlief, wurde er gewöhnlich von einem anderen verfolgt. Es war für einen einfachen Wanderer nicht üblich, sich da einzumischen, besonders nicht für einen ehemaligen Professor der Physik, der sechs Schulhefte über das Thema „Das Paradoxon des Unbestimmbaren“ vollgeschrieben hatte. Aber durch den Anblick seiner zerstörten Heimatstadt war dieser letzte Grund nichtig geworden. Noch beobachtete er die Jagd, ohne sich zu bewegen. Die kleine Gestalt kletterte über einen Haufen Ziegelsteine. Etwas lockerte sich, rollte nach unten, und andere Gegenstände folgten. Es gab einen Erdrutsch im Kleinformat. Eine Staubwolke wirbelte auf. „Das ist schlecht!“ sagte Steve. Die Gestalt jagte weiter. Sie war sehr klein und keuchte von dem schnellen Laufen. Sie schien der Verzweiflung nahe zu sein. Aber noch regte sich nichts außer ihr. Nur ein träge schwebender Bussard zog seine gemächlichen Kreise am Himmel. Außer dem Bussard und der Gestalt regte sich nichts. Doch dann tauchte eine zweite Gestalt auf. Sie lief durch das mannshohe Unkraut, das überall das eingeebnete Land am Rande der Stadt überwucherte. Die zweite Gestalt war größer. Sie rannte schnell, um die kleinere einzuholen. Steve beobachtete. Es ging ihn nichts an. Die Welt lag zerstört am Boden. Es gab kein Gesetz; es gab keine Regierung; es gab keine Hoffnung mehr. Er sah einfach nicht ein, weshalb er sein Leben aufs Spiel setzen sollte, um sich in die Verfolgungsjagd zwischen zwei unbekannten Personen einzumischen. Andererseits gab es auch keinen besonderen Grund, um sein eigenes Leben besorgt zu sein. Die kleinere Gestalt gewann an Vorsprung. Sie erreichte eine ehemalige Straße, die durch eine Bombe in der Mitte aufgeris6
sen war. Bäume lagen umgestürzt umher, doch sonst war sie wenig zerstört. Zweihundert Meter weit konnte die kleine Gestalt ungehindert fliehen, ohne daß ihr Verfolger sie sah. Dann stolperte sie und fiel hin, rappelte sich wieder auf und jagte weiter. Aber jetzt hatte sich ihr langes Haar gelöst und fiel über die Schultern. „Zum Teufel!“ sagte Steve Sims angewidert. Er richtete sich geschmeidig auf, warf das Bündel von seinen Schultern und zog die Drahtschere heraus. Er rannte schnell zwischen den Bäumen durch. Widerstreitende Gefühle bewegten ihn. Er hielt sich vor, daß so etwas zu oft passierte, als daß er sich dafür verantwortlich fühlen konnte. Außerdem würde es ihn unter Umständen eine seiner kostbaren Patronen kosten. Vielleicht wurde er auch getötet. Eins stand jedenfalls fest, er war ein hirnverbrannter Narr. Erst als er fast eine Meile gelaufen war, entdeckte er die beiden Gestalten wieder. Er hatte eine Lichtung erreicht und konnte von da aus durch die Bäume auf die Stadt sehen. Die Situation hatte sich inzwischen verändert. Das Mädchen hatte seinen Verfolger entdeckt. Er hatte sie fast eingeholt. Irgendwo hatte sie ein Stück Holz aufgegriffen. Als Steve den Waldrand erreichte, schnaubte der Mann und wollte sie packen. Sie schlug in typisch weiblicher Art verzweifelt, ohne Kraft und Treffsicherheit, mit dem Stock um sich. Er riß seinen Arm hoch und der Stock brach in Stücke. Aber dann brüllte er auf und rieb sich die Augen. Sie keuchte und floh auf den Wald zu. Ihre zerzausten Locken flatterten im Wind wie die Wimpel eines Bootes aus der früheren, glücklichen Zeit. Brüllend jagte der Mann hinter ihr her. Der Staub hatte ihn nur kurze Zeit geblendet. Sie war kaum zehn Meter vor ihm, als sie plötzlich zwischen den ersten Bäumen untertauchte. Namenloses Entsetzen stand in ihrem Gesicht, als Steve vor ihr auftauchte. Aber er wies nur mit dem Daumen zur Seite. 7
„Hierher“, sagte er scharf. Sie bog in die Richtung ab, die er angezeigt hatte, und lief wie ein gehetztes Wild weiter. Steve trat einen Schritt vor. Der Verfolger kam wutschnaubend durch das Gebüsch gelaufen. Er erblickte Steve und schrie auf. Dann sprang er auf ihn. Steve hielt die scharfe Klinge hoch, und der andere rannte mit voller Wucht hinein. Steve trat zur Seite und ließ seinen Gegner zu Boden fallen. Er bewegte sich nicht mehr. Etwa fünf Minuten später säuberte Steve sorgfältig die Klinge. In den Taschen des Toten hatte er Tabak, ein verrostetes Messer und eine Flasche übelriechenden Alkohols gefunden. Außerdem fanden sich noch vier Diamantringe und ein Kinderhalskettchen. Dieses Kettchen bewirkte, daß Steve nicht die geringste Reue für seine Tat empfand. Er reckte sich und stieß die Blätter beiseite, an denen er die Klinge gesäubert hatte. Dann hörte er ein zaghaftes Rascheln. Das Mädchen blieb unsichtbar und sagte nur mit zitternder Stimme: „D – danke.“ „Keine Ursache“, sagte Steve. Er schwieg einen Augenblick und sagte dann: „Ich teile meine Beute. Vielleicht können Sie das gebrauchen.“ Er warf das Messer des Toten in ihre Richtung. Blätter raschelten, und er konnte sie sehen. Sie hob das Messer auf. Von der Holzkohle, unter der sie sich versteckt hatte, war sie über und über beschmutzt und schwarz geschmiert, aber sie war hübsch. Er betrachtete sie sachlich. Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Männerrockes über das Gesicht. „Vielleicht gefällt Ihnen das auch“, sagte Steve. „Er hatte es in den Taschen. Ich bin kein Raubmörder und mag den Schmuck nicht an mich nehmen. Haben Sie Verwendung dafür?“ Er hielt ihr die Ringe und das Kettchen hin. Mit einem gehetzten Ausdruck flog ihr Blick prüfend über sein Gesicht. 8
„Ich lege alles hierher und gehe weg“, sagte er trocken. „Nein, wirklich, vielleicht können Sie sich etwas dafür eintauschen. Die Menschen sind heutzutage auf die verrücktesten Sachen aus.“ Sie atmete tief auf und trat näher. „N – nein“, sagte sie und atmete schnell. „Ich fürchte mich nicht vor Ihnen. Sie – Sie haben ja das für mich getan.“ Sie blickte auf den Toten und schluckte. „Er war schrecklich! Haben Sie noch andere Leute bei sich?“ „Ich bin ein einsamer Wolf“, sagte Sims. „Nein, ich muß mich verbessern. Ich bin kein Wolf. Ich bin nur einsam. Und wie ist das mit Ihnen? Haben Sie Freunde? Haben Sie irgendwo eine sichere Bleibe. Ich will versuchen, Sie dorthin zu geleiten.“ Sie schluckte wieder und schüttelte den Kopf. Bittend sah sie ihn an. Er überdachte die Lage. In den letzten sieben Monaten war die Weltordnung zerbrochen und hatte nichts als Trümmer und Chaos zurückgelassen. Für einen Mann allein war es schon schwierig genug, am Leben zu bleiben. Außerdem galt es noch, das Werk „Das Paradoxon des Unbestimmbaren“ zu vollenden, das entweder blühender Unsinn oder viel wichtiger als das Leben oder die Sicherheit eines Mädchens war. Und wenn dieses Mädchen ihn noch so angstvoll flehend und verzweifelt ansah, mußte er sich die Sache reiflich überlegen. „Nicht weit von hier habe ich ein halbes Huhn liegen. Es ist allerdings schlecht gebraten“, sagte Steve kühl. „Ich kann Ihnen etwas davon abgeben. Während meiner Wanderungen habe ich einige menschliche Gemeinschaften kennengelernt, die auf bestimmte Weise zusammenhalten. Ich will Ihnen helfen, sich einer solchen Gemeinschaft anzuschließen, aber ich fürchte, das ist alles, was ich für Sie tun kann.“ Sie hauchte: „Bitte!“ 9
Ihre Dankbarkeit war ihm lästig. Er wandte sich ab und ging weiter. Nach einigen Schritten schaute er sich um und sah, daß sie ihm folgte. Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres viel zu weiten Männerrockes über die Augen. Stirnrunzelnd ging er weiter. Niemand wußte, wer den Atomkrieg angezettelt hatte, der ihn, das Mädchen und den Toten verwildert in den Wäldern zurückgelassen hatte. Ein Los, das den meisten Überlebenden beschieden war. Niemand wußte, ob der Krieg zu Ende war oder nicht. Irgendwo war eine Art Zivilisation erhalten geblieben, soviel stand fest. Aber entscheidend war, daß es keine Hoffnung auf ein besseres Leben für die wenigen Überlebenden gab, als zielloses Umherirren, falls sie nicht zu der kleinen, unternehmungslustigen Gemeinschaft der Farmer gehörten, die ihr Dasein mit wilder Entschlossenheit verteidigten. Steve selbst hatte nicht ein Gramm überflüssiges Fett am Körper. Auch das Mädchen sah ausgehungert aus. Er fand sein Bündel wieder, wollte es über die Schulter hängen, doch dann ließ er es wieder fallen. Er nahm das halbe Huhn heraus und gab es ihr. Ihre Lippen bewegten sich hungrig. „Sie sagten doch, Sie hätten nur ein halbes“, sagte sie. „Eine Hälfte für Sie, eine für mich“, log er. „Essen Sie schon!“ Mit einem kleinen Seufzer begann sie zu essen. Obwohl sie sehr hungrig war, aß sie nicht gierig. In den Monaten, seit die Bomben gefallen waren, hatte er gesehen, wie Menschen zu Tieren wurden. Sie gehörte nicht dazu. Er sah ihr zu, bis sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, Sie war Mensch geblieben. Entschuldigend lächelte sie ihn an. „Ich habe Ihnen alles weggegessen“, sagte sie bedauernd. „Aber es hat so gut geschmeckt! Was tun wir jetzt?“ Er überlegte. Er hatte nichts für sich zu essen und keinen Unterschlupf. Das Mädchen hatte sich seinem Schutz anvertraut, und „Das Paradoxon des Unbestimmbaren“ war ein hoffnungs10
loses Unternehmen, da der einzige Mann, auf dessen Meinung er etwas gab, wahrscheinlich in seiner Heimatstadt umgekommen war. „Wie heißen Sie?“ fragte er weich. „Frances.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an. „Hören Sie, Frances“, sagte er sachlich. „Was halten Sie davon, wenn wir jetzt aufbrechen?“ 2. Kapitel Als die Dunkelheit hereingebrochen war, unterhielten sie sich leise. Steve bereitete ihnen ein Lager, etwa zwei Meilen von der Stelle entfernt, wo er Frances zum ersten Male gesehen hatte. Unterwegs hatte das Mädchen Brombeerbüsche entdeckt und einen ansehnlichen Vorrat von Brombeeren gesammelt. Nachdem Steve eine Seite des Baumstammes mit Blättern ausgelegt und seine Decke darüber ausgebreitet hatte, aßen sie die Brombeeren, stolperten durch die Dunkelheit an den nahegelegenen Bach, um zu trinken, und kehrten dann zu ihrem Lager zurück. „Sie haben mir vorhin nicht die Wahrheit gesagt“, sagte das Mädchen plötzlich. „Ich hab Ihnen alles weggegessen!“ „Ich bin von den Beeren völlig satt geworden“, versicherte Steve. „Sie können jetzt ruhig schlafen. Ich schreibe noch eine Weile.“ Sie lagerten in ihrem selbstgebauten Unterschlupf. Frances blinzelte durch den schwachen Schimmer des Feuers zu ihm herüber. „Schreiben?“ „Ein Meisterwerk“, sagte er bewußt ironisch. „Eine Abhandlung über ‚Das Paradoxon des Unbestimmbaren’. Es ist möglicherweise ein Paradestück von Logik und theoretischer Physik, ansonsten ist es bestimmt das sinnloseste Unternehmen, worüber sich je ein Mensch den Kopf zerbrochen hat.“ 11
Er grinste spöttisch zu ihr hinüber. „In früheren Zeiten zerbrachen sich die Alchimisten oft den Kopf, weshalb ihre Chemikalien nicht so reagierten, wie sie wollten. Sie sprachen dann von Affinitäten, Kalorien, Phlogiston und anderen Dingen, die es überhaupt nicht gab. Sie dienten nur zur Entschuldigung. Wir modernen Physiker zerbrechen uns den Kopf, weshalb unsere Experimente nicht so verlaufen, wie wir es erwarten. Wenn man von einigen tausend Atomen, Elektronen oder sonst was ausgeht, werden die Experimente zu Haarspaltereien. Man kann voraussagen, wie sich eine Billion von Atomen oder Elektronen verhalten wird, aber man kann nie wissen, wie sich hundert von diesen Dingern verhalten. Deshalb erfanden wir den Ausdruck ‚Unbestimmbarkeit’. Wenn man mit einer so geringen Menge experimentiert, daß die Gesetze des Zufalls mitspielen, werden auch die Resultate eher von den Gesetzen des Zufalls abhängig sein als von den gewohnten physikalischen Gesetzen. Das Resultat ist Unbestimmbarkeit, und dieser Ausdruck gilt ebenfalls als Entschuldigung für etwas Unverständliches.“ Frances hörte ihm ernst zu. Auf ihrer Wange war noch immer ein Rußfleck von den verbrannten Balken der zerstörten Stadt übriggeblieben. Sie hatte sich am Bach gewaschen, diesen Fleck jedoch nicht erwischt. Steve verlor sich ironisch in Einzelheiten: „Deshalb begann ich, mich mit den Gesetzen des Zufalls zu befassen. Alle anderen physikalischen Gesetze erklären, wie wir wissen, wie sich die Kräfte verhalten. Wir können diese Kräfte identifizieren, elektrische Ladung und dergleichen. Vielleicht erklären die Gesetze des Zufalls ebenfalls, wie sich Kräfte verhalten, aber wir haben niemals Kräfte identifizieren können, die unter diese Gesetze fallen. Ich habe mir da einiges einfallen lassen. Ich habe einige Kräfte angenommen und beschrieben, 12
die bewirken würden, daß jedesmal eine bestimmte Seite der Münze – zum Beispiel Zahl – herauskommt, wenn man sie in die Luft wirft und auffängt.“ Steve zuckte die Achseln. „Hmmm, man könnte dann jedes Kartenspiel gewinnen“, sagte das Mädchen. „Man könnte alles geschehen lassen, was sich bisher nur vage vorausbestimmen läßt. Ist es so gemeint?“ Steve fuhr überrascht zusammen. Er hatte seine Thesen bewußt ironisch vorgebracht, weil der einzige Mann auf Erden, der seine Beweisführung verstanden und weiterentwickelt hätte, zweifellos unter den Trümmern der Stadt begraben lag, die zwei Meilen hinter ihnen lag. Dieser Mann war ein Schwärmer gewesen und mehr oder weniger dafür verantwortlich, daß Steve Professor der Physik wurde. Der Verlust des einzigen Menschen, auf dessen Zusammenarbeit er gehofft hatte, war ein schwerer Schlag für ihn gewesen. Aber dieses Mädchen hier hatte nicht verständnislos zugehört! Sie hatte ihn verstanden! „Meinem Vater hätte diese Idee imponiert“, fuhr sie nach einer Weile fort. „Er wäre davon begeistert gewesen. Er kam ums Leben, als die Stadt bombardiert wurde.“ Sie nickte still. „Ich war damals fort. Ich kam zu Fuß zurück, weil es schon kein Benzin mehr gab. Die Stadt war zerstört, als ich hier ankam.“ Steve kniff die Augen zusammen. Dann nannte er zögernd einen Namen. Das Mädchen starrte ihn an. „Das war mein Vater! Sie …“ „Ich bin Steve Sims“, sagte er mit steifem Lächeln. „Vielleicht haben Sie schon von mir gehört. Ich erkenne Sie jetzt wieder! Sie waren zwölf Jahre alt, als ich aufs College kam. Das freut mich sehr.“ Das Gesicht des Mädchens entspannte sich. „Das ist – schön!“ sagte sie mit unsicherer Stimme. „Natürlich, jetzt fällt mir das 13
wieder ein! Sie schrieben meinem Vater ab und zu Briefe. Es ist, als hätte man seine Familie wiedergefunden!“ Sie blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten, und sie drückte ihm impulsiv beide Hände. „Es gehört nicht viel dazu, um einen Menschen glücklich zu machen“, sagte er rauh. „Wie haben Sie sich nur so lange über Wasser gehalten?“ Im Schutze des Blätterdaches erzählte sie ihm alles. Die Stadt war zerstört, als sie zurückkam. Sie hatte eine uralte Tante, die in einer baufälligen Hütte am Rande der Stadt wohnte. Die alte Dame hatte das Bombardement überlebt und sich in einem Schuppen der Sägemühle am Rande der Stadt eingerichtet. Dort hatte Frances sie gefunden. Die beiden Frauen, die eine alt und hilflos gegenüber der feindlichen Umgebung, die andere jung und deshalb den Gefahren der zerrütteten Zivilisation ausgesetzt, hatten sich über Wasser gehalten. Sie hatten Felder abgeerntet, deren Besitzer durch Tiefflieger getötet waren. Sie schafften sich Vorräte, aber plündernde Wanderer, vor denen sie sich versteckten, nahmen sie ihnen ab. Die Tante war vor zwei Wochen gestorben. Frances fand sie erschossen auf. Sie konnte sich nicht erklären, warum man sie erschossen hatte. Frances kannte keine Gemeinschaft oder Person, der sich ihre Tante anvertraut hätte. Drei Tage später war sie auf eine Gruppe von Wanderern, jenen ruhelosen umherstreichenden Menschen, gestoßen. Es waren Frauen in der Gruppe gewesen. Deshalb hatte Frances zunächst angenommen, daß sie bei ihnen sicher sei, aber schon nach einem Tag wurde sie eines Besseren belehrt. Ehe die Dämmerung hereinbrach, hatte sie sich davongeschlichen und versteckt. Die anderen Frauen waren froh, daß sie fort war, aber einige der Männer hatten sie verfolgt. Einer war ihr dicht auf den Fersen geblieben, als sie sich in den Trümmern der 14
Stadt versteckt hielt. Den Rest kannte Steve. Er hatte diesen Mann getötet. „Und dann machte ich den Vorschlag, gemeinsam aufzubrechen“, sagte Steve. „Das war eine gute Idee von mir.“ Er warf wieder einige Blätter in das Feuer. Ihr Unterschlupf füllte sich mit Rauch, der die Mücken verjagen sollte. Frances lächelte ihn an. „Ich möchte Ihnen etwas zurückgeben“, sagte sie ruhig. „Ich brauche es jetzt nicht mehr. Hier!“ Er machte sich an seinen Taschen zu schaffen, aber er schaute trotzdem hin. Sie reichte ihm das verrostete Messer, das er dem Toten aus der Tasche gezogen hatte. „Ich brauche es jetzt nicht mehr“, wiederholte sie. Sie lächelte, aber ihre Augen füllten sich mit Tränen. Steve brummte. Er nahm das Messer, aber er legte dafür etwas anderes in ihre Hand. Es war die kleine Pistole und die Munition, sein größter Schatz. „Es genügt nicht“, grollte er, „wenn Wanderer von der üblen Sorte Sie bedrängen. Doch halten Sie die Waffe immer schußbereit, und vergeuden Sie um Gottes willen keine Munition! Es gibt einfach keine mehr dafür!“ Dann fügte er fest hinzu: „Es ist besser, wenn Sie die Waffe haben, denn wenn wir einmal beide in Not geraten, wird man von mir erwarten, daß ich eine Waffe habe, so daß Sie unbeobachtet bleiben und eingreifen können.“ Sie zögerte, und er ließ die Waffe ungeschickt in ihre Rocktasche gleiten. „Jetzt müssen Sie aber schlafen“, befahl er. „Ich will noch etwas arbeiten.“ Sie gehorchte und rollte sich auf ihr Blätterlager. Aber die Augen behielt sie offen und beobachtete ihn. Er blickte stirnrunzelnd auf die kleine Feuerstelle. Das war eine verfahrene Geschichte! Es war schon schwer genug gewesen, sich allein durchzuschlagen. 15
Schlimm genug wäre es schon gewesen, wenn Sie ihm nichts bedeutet hätte. Ein Mädchen, dem er nicht verpflichtet war, hätte er bei einer grimmigen Gemeinschaft von Farmern unterbringen können, die sich gegen die plündernden und raubenden Guerillas zusammengeschlossen hatten. Aber hier war es anders. Wieviel größer war die Verantwortung. Ein Mädchen, das er kannte, dessen Vater ihn zum Studium veranlaßt hatte, weil er ihn für die Physik interessierte … Nach längerem Schweigen hatte er noch immer nicht sein Heft geöffnet, um darin zu schreiben, und sie sagte leise: „Bei diesen Wanderern war ein Mann, der nicht so schlecht zu sein schien. Ich glaube, er hätte mich auch beschützt. Aber ich hatte solche Angst vor den anderen …“ Steve brummte. Morgen würde er sie hier aus dieser Gegend wegbringen, irgendwohin. Er mußte sich einen Plan zurechtlegen. Aber eigentlich gab es gar nichts zu planen. Die Zivilisation war zerstört. „Aber ich erwähne ihn vor allem“, sagte Frances, und ihre Augen wirkten in der Dunkelheit sehr groß, „weil er Ihnen vielleicht helfen kann. Er heißt Lucky Connors und er behauptet, immer Glück zu haben. Außerdem sagt er, daß er niemals eine Mahlzeit versäumt hat, seit die Bomben gefallen sind. Und die anderen Wanderer weigerten sich, mit ihm Karten zu spielen, weil er immer gewann. Er hat einfach unglaublich viel Glück, Steve! Wenn Sie feststellen könnten, woher das kommt …“ „Das nennt man eine Glückssträhne“, sagte Steve ungnädig. „Es ist eine Folge von unwahrscheinlichen Begebenheiten, die beliebig lang, manchmal endlos sein können. Vielleicht hat er gerade eine solche Glückssträhne. Diese Erscheinungen bilden den Ausgangspunkt meiner Betrachtungen.“ Das Mädchen wurde still. Ihre Augen fielen zu. Plötzlich schreckte sie im Halbschlaf auf und blickte entsetzt um sich. Dann sah sie Steve flehend an. 16
„Ich träumte, Sie wären weggegangen und hätten mich allein gelassen“, sagte sie entschuldigend. „Wird es Ihnen etwas ausmachen, meine Hand zu halten, bis ich eingeschlafen bin? Es war alles so furchtbar, Steve.“ Er nahm ihre Hand. Sie war sehr klein und mußte früher einmal zart gewesen sein. Doch jetzt war sie verarbeitet. Er hielt sie mit sanftem Druck fest. Frances entspannte sich. Sie schlief ein, öffnete ihre Augen wieder und lächelte verschlafen, als sie ihn noch dicht neben sich sitzen sah. Dann sank sie plötzlich in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung. Steve fluchte leise vor sich hin. Er saß ganz still, um sie nicht zu stören. Eine halbe Stunde später hörte er Geräusche, die nicht in die Nacht gehörten. Es war ein Rascheln, das verstummte und dann wieder zu hören war. Etwas bewegte sich in der Dunkelheit. Ganz in der Nähe, und es kam immer näher. Steve kroch aus ihrem Unterschlupf in den Schatten eines riesigen Baumes. Er hielt die scharfe Drahtschere in der Hand und lauschte angestrengt. Das Geräusch wurde wieder lauter. Dann sah er eine Gestalt, die zwischen den kurzen Schatten der Baumstümpfe kauerte. Es war ein Mensch. Er blieb stehen und schnupperte. Steve wußte, wie er ihren Unterschlupf gefunden hatte. Der Rauch des Laubfeuers, mit dem er die Insekten vertreiben wollte, hatte sie verraten. Die Gestalt lief wieder weiter. Steves Körper spannte sich. Dieser Mensch konnte keine friedlichen Absichten haben. Er mußte das Mädchen beschützen. Die Gestalt nahm etwas in die Hand, und Steve sah im Sternenlicht, das durch die Äste drang, Metall aufblitzen. Der andere blieb wieder stehen, spähte angestrengt nach dem Unterschlupf und schlich vorsichtig darauf zu. Die Waffe hielt er schußbereit in der Hand. Schnell und geräuschlos sprang Steve vor und stieß mit der Schere zu. 17
Die Gestalt wirbelte mit einem Schmerzensschrei herum, Lichter tanzten vor Steves Augen und er spürte einen heftigen Schlag auf den Kopf. Er fühlte noch, daß er zu Boden sank. Dann schwanden ihm die Sinne. 3. Kapitel Wie aus weiter Ferne hörte er eine Stimme beruhigend sagen: „He, hör auf zu heulen, Frances. Er wird gleich wieder zu sich kommen. Bis jetzt hat mich mein Glück noch nicht verlassen.“ Dann kam Steve allmählich zu sich. Er lag auf dem Rücken, und ein abgebrochener Zweig kratzte ihm auf der Haut. Dann spürte er, daß sein Kopf dröhnte. Er schlug die Augen auf und sah die Sterne durch die Blätter funkeln. „Mein Glück verläßt mich nie“, wiederholte die selbstbewußte Stimme. „Hat er nicht meine Rippen verfehlt? Das ist doch der beste Beweis, Frances.“ Steve hörte das Mädchen still vor sich hin weinen. „Schließlich hätte ich ihn ja erschießen können“, fuhr die Stimme beruhigend fort. „Statt dessen habe ich ihm den Lauf meiner Waffe auf den Kopf geschlagen. Es ist kein Grund zur Aufregung. Er wird Kopfschmerzen haben, und ich habe auch einen anständigen Kratzer auf der Haut, der verteufelt weh tut. Also sind wir quitt! Ich habe mir gewünscht, einen Menschen zu finden, der mir mein Glück erklären kann und mir sagen kann, was sich daraus machen läßt. Mir scheint, er ist der Mann, den ich suche.“ In Steves Kopf drehte sich alles. Er begriff einfach nicht, was los war. Doch dann fand er eine fast widersinnige Erklärung. Das mußte Lucky Connors sein! Der Mann aus der Wanderbande, vor der sich Frances versteckt hatte – der Mann, der immer gewann! Frances hatte ihn erwähnt und Steve gesagt, 18
daß seine Erfahrungen vielleicht zur Auflösung des „Paradoxon des Unbestimmbaren“ führen könnten. „Ich schätze, Sie haben recht“, sagte Steve und stöhnte vor Schmerz. „Zumindest, was die Kopfschmerzen anbelangt.“ Er streckte sich. Frances stieß einen überraschten Schrei aus und beugte sich besorgt über ihn. Trotz der Dunkelheit konnte Steve den Ausdruck freudigen Erstaunens in ihrem Gesicht lesen. „Natürlich ist es möglich, daß ich übergeschnappt bin“, sagte er benommen. „In wenigen Minuten werde ich Sie darüber aufklären können.“ Es gelang ihm, sich aufzurichten. Der Mann, den er geräuschlos und ohne Warnung, wie es heutzutage üblich war, zu töten versucht hatte, sah ihn freundlich an. „Ich bin Lucky Connors“, sagte der Fremde versöhnlich. „Ihre Klinge ist ganz schön scharf. Ich schätze, sie war auf dem besten Wege, sich in meine Rippen zu bohren, statt abzugleiten und daran vorbeizufahren. Glück, wie?“ „Glück“, gab Steve zu. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Dieser Mann zeigte weder Triumph noch Zorn. Vielmehr hatte er ein tadelloses Gewehr an den Baum gelehnt und schien nicht im geringsten um sein Leben besorgt zu sein. „Es ist nämlich so“, sagte der andere eifrig, „ich habe Glück. Was ich mir wünsche, geht in Erfüllung. Als Frances der Bande, der ich angehörte, davonlief, wünschte ich, daß sie Glück haben sollte. Sie ist ein feiner Kerl. Und ich habe mir auch gewünscht, daß ich jemanden finde, der mir erklären kann, was ich mit meinem Glück anfangen soll. Ich verstehe es nicht, aber ich kann mir vorstellen, daß es sich nützlich anwenden ließe, wenn man es richtig auswertet. Verstehen Sie?“ „Es ist eine Glückssträhne“, sagte Steve. Er hielt sich den Kopf mit beiden Händen. „Zum Teufel, das ist verrückt! Haben wir nicht eben versucht, uns gegenseitig umzubringen?“ 19
„Hmm“, sagte Connors versöhnlich. „Aber wir haben es nicht getan. So sieht mein Glück aus. Finden Sie dafür vielleicht eine Erklärung?“ „Ja“, sagte Frances eifrig. „Er weiß, was du wissen willst, Lucky. Ich habe ihm gerade gesagt, daß du ihm helfen kannst. Es handelt sich um das ‚Paradoxon des Unbestimmbaren’. Es …“ Steve hielt sich den dröhnenden Kopf. Er zweifelte wahrhaftig an seinem Verstand. Normalerweise hätte entweder er oder der fremde Eindringling tot sein müssen, und falls das nicht der Fall gewesen wäre, müßten sie sich jetzt gegenseitig an die Kehle springen. Statt dessen lebten sie beide. Es waren also Ereignisse eingetreten, die selbst in Millionen Jahren nicht ein einziges Mal vorkamen, wenn man sie auf den Zufall zurückführen wollte. Frances sprach schnell weiter. Steve hörte seine eigene Definition des Unbestimmbaren, jedoch viel einfacher erklärt, als er es vermocht hatte. Und dann erklärte Frances eifrig, daß Steve einige Kräfte beschrieben hatte, die das Glück so gestalten würden, wie man es sich wünschte und daß er nur nicht wisse, wie er diese erzeugen oder fassen konnte. Steves Kopf dröhnte furchtbar. „Ich habe kapiert“, sagte Lucky in die Dunkelheit. „Er ist genau der Mann, den ich suche. Hör zu, mein Freund, wir wollen uns morgen weiter unterhalten. Du hast Kopfschmerzen und mußt jetzt ein Nickerchen machen. Meine Rippen schmerzen, wo du sie angekratzt hast, aber ich bin ohnehin nicht müde. Ich werde mich ein bißchen umsehen und ein paar Fallen für Wildkaninchen aufstellen. Morgen früh wollen wir uns während des Frühstücks sprechen. Einverstanden?“ Steve machte noch einen schwachen Versuch, gegen diesen Wahnsinn zu protestieren. „Wie willst du in der Dunkelheit Fallen aufstellen? Es ist schrecklich! Ich muß verrückt sein.“ 20
„Nicht du bist verdreht“, sagte Lucky Connors gemütlich, „sondern die Tatsachen. Hör zu! Ich habe genügend Schnur, um drei Fallen zu legen. Wenn ich morgen früh drei Kaninchen bringe, weißt du, daß ich in Ordnung bin, ja?“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern erhob sich schnell. „Also gut. Du versuchst jetzt zu schlafen. Ich bleibe in der Nähe, falls Gefahr droht, aber ich wünsche mir, daß es keine geben wird.“ Er verschwand in der Dunkelheit. Steve starrte ihm benommen nach. Frances ergriff seine Hand und befahl ihm, sich auszuruhen. Sie schien außerordentlich erleichtert. Und das, schoß es Steve durch den Kopf, war wieder Lucky Connors Glück zuzuschreiben, wenn sich Frances in seiner Nähe glücklicher und sicherer fühlte. * Er erwachte durch einige Geräusche und tastete instinktiv nach seiner Waffe. Dann löste Frances ihre Finger aus seiner Hand und lächelte ihn an. „Das ist Lucky“, sagte sie beruhigend. Steve ging dem Geräusch nach. Ein bärtiger, untersetzter Mann nahm das letzte der drei Wildkaninchen aus. Er nickte Steve zu. „Guten Morgen!“ sagte er freundlich. „Ich habe drei gefangen, wie ich versprochen habe.“ Er hielt die Kaninchen hoch. Zum Frühstück aß jeder ein Kaninchen, das sie über der kleinen Feuerstelle gebraten hatten. Während sie aßen, unterhielten sie sich. Vielmehr bestritt Lucky die Unterhaltung allein. „Weißt du, ich habe mir gewünscht, jemanden zu finden, der mir das alles erklären kann“, sagte er ernst. „Was Frances über dich sagt, ermutigt mich.“ Steve nickte müde. Diese Folge von Unwahrscheinlichkeiten 21
schien das Vorhandensein des Unbestimmbaren zu bestätigen. Doch aus demselben Grunde kamen ihm plötzlich Zweifel an ihrer Gültigkeit. Derartige Theorien ließen sich nicht durch exzentrische Menschen wie Lucky Connors beweisen. Das war keine wissenschaftliche Methode. Man müßte wissen, worauf man hinauswollte. Er griff in sein Hemd, und Steve bemerkte, wo seine Klinge es durchlöchert hatte und – es schien immer noch unglaublich – auf Luckys Rippe steckengeblieben war, statt ihn zu töten. Lucky kramte einen seltsamen Klumpen glasiger Substanz hervor, der einige Sprünge aufwies. Er wog ihn betont lässig in der Hand. „Ein Talisman, wie?“ sagte Steve. „Ich weiß nicht, was es ist“, gab Lucky zu. „Ich kam zu einer Stelle, wo eine Bombe explodiert war. Es war ein riesiger Krater mit einem Durchmesser von mehreren Meilen. Und es lag ein komischer Geruch in der Luft, verstehst du?“ „Ich weiß“, sagte Steve grimmig. „Solche Orte meidet man am liebsten. Wenn sie riechen, bedeutet das, daß sie radioaktiv verseucht sind.“ Lucky machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ja? Das wußte ich nicht. Jedenfalls hatte dort vorher eine Stadt gestanden, und direkt am Rande des Kraters lagen einige Klumpen auf der Erde unter dem glasigen Zeug, das die Bomben immer hinterlassen. Es sah so aus. als ob da ein festes Fundament gestanden hätte, das nicht ganz zerstört und aufgelöst worden war. Ich kampierte am Rande des Kraters, blickte über die Ruinen und dachte an die Menschen, die hier gewohnt hatten, bevor die Bomben kamen. Als es dunkel wurde, leuchteten düstere Lichter auf dem Boden des Kraters. Es sah gespenstisch aus. Aber unter den Klumpen, die wie ein ehemaliges Fundament aussahen, war ein heller Fleck, der sich von den anderen Lichtpunkten unterschied. 22
Es war ein purpur-grünlicher Schein. Sehr hell. Und ich stieg hinunter – es war nicht weit unten im Krater – und es hing fest. Ich grub es aus. Es leuchtet noch immer im Dunkeln. Ich decke es immer zu, damit es niemandem auffällt.“ Lucky legte den Kraterstein in Steves Hand. Steve starrte darauf, hielt ihn ins Licht und betrachtete ihn aufmerksam. „Und?“ sagte Steve schließlich. „Es war interessant“, sagte Lucky Connors. „Ich sah ihn an, aber ich war hungrig. Ich hielt das Ding in der Hand und sagte mir, ‚das ist alles gut und schön, aber es wäre mir lieber, ich hätte etwas zu essen’. Und plötzlich wurde das Ding warm. Es erwärmte sich schnell. Ich konnte mir nicht erklären, woher diese Wärme plötzlich kam und dann bums! fiel etwas ganz in meiner Nähe zu Boden. Du wirst es nicht für möglich halten, aber als ich näher ging, sah ich dort eine große Schleiereule, die etwas suchte, offenbar hatte sie etwas verloren. Ihre Beute, dachte ich. Sie hatte sich an ein ausgewachsenes Kaninchen herangewagt, das sich unterwegs freigestrampelt haben mußte und auf die Erde plumpste. Durch den Fall und den Angriff der Schleiereule war es fast erledigt und zuckte kaum noch, als ich es fand. Es war gruselig! Ich hatte mir etwas gewünscht, dann wurde das Ding in meiner Hand warm und bums! kam das Kaninchen vom Himmel heruntergeflogen. Mir war unheimlich zumute. Aber das Kaninchen hat wunderbar geschmeckt! Nun bildete ich mir ein, das Ding sei ein Glücksstein. Ich behielt es, und seitdem hat mich das Glück nie verlassen.“ „Was du da hast – hm!“ sagte Steve langsam, „war früher einmal ein Stück gelbes Erz, Uraniumerz, schätze ich.“ Er blickte plötzlich auf. „Es war in Chicago, wie?“ „Klar!“ sagte Lucky. „Woher weißt du das?“ „Uran gibt es nicht überall“, sagte Steve. „Es war die Südseite der Ruinen?“ 23
„Dort sind überhaupt keine Ruinen mehr“, berichtete Lucky. „Aber es war am Südrand von der Stelle, wo eigentlich Ruinen sein müßten.“ „Universität Chicago“, sagte Steve. „Atomforschungsstelle, das war’s!“ Er fühlte Frances Augen fest auf sich gerichtet. Lucky Connors grinste und nickte. „Ich habe mir jemanden gewünscht, der mir alles erklärt. Den habe ich gefunden!“ „Das wissen die Götter“, sagte Steve grimmig. „Wenn du Uran mit einem Zyklotron beschießt, erhältst du Neptunium und Plutonium. So wird es in Laboratorien gemacht. Aber dieses Uran wurde durch eine Atombombe beschossen, und das erweist sich natürlich als wesentlich wirkungsvoller als ein Zyklotron! Offenbar ist es weder Neptunium noch Plutonium. Es ist etwas anderes, dessen Atomgewicht wahrscheinlich noch über dem der beiden anderen Stoffe liegt. Ich vermute, daß es sich um etwas völlig Neues handelt. Etwas, das sich nicht entwickeln ließe und wahrscheinlich auch nicht nachgemacht werden kann. Aber möglicherweise ist es auch gefährlich.“ Er gab Lucky den seltsamen Stein zurück. „Ich würde ihn an deiner Stelle nicht am Körper tragen“, sagte er sachlich. „Ich würde ihn mit Blei überziehen. Keiner kann voraussagen, welche Wirkung er hat oder wie er beschaffen ist. Er kann nicht in einem Laboratorium hergestellt worden sein, denn man kann nicht etwas mit einer Atombombe beschießen, ohne daß einem alles in die Luft fliegt. Und er ist auf diese Weise entstanden. Ich fürchte daher, daß er zumindest ebenso aktiv ist wie Radium, wahrscheinlich nur auf eine andere Art. Es ist besser, wenn du ihn nicht mit dir herumträgst. Eine Radiumverbrennung ist eine üble Angelegenheit!“ „Nicht bei mir tragen!“ Lucky Connors betrachtete den Ge24
genstand und zuckte dann mit den Achseln. „Seit ich ihn besitze, habe ich noch nie eine Mahlzeit versäumt oder sonst irgendwie Pech gehabt. Ich habe gewünscht, daß Frances Glück hat und es ist eingetroffen. Ich wünsche mir einen Menschen, der mir alles erklären kann und da treffe ich dich. Ich wünsche mir drei Kaninchen für heute morgen und ich habe sie gefangen! Und du sagst mir, ich soll ihn wegwerfen!“ „Das könnte alles Zufall gewesen sein“, sagte Steve wenig überzeugt. „Das Unwahrscheinliche ist ein Teil der Wahrscheinlichkeit. Solche unwahrscheinlichen Dinge, selbst eine ganze Folge davon, müssen sich ab und zu einmal ereignen.“ „Ja?“ sagte Lucky. „Aber müssen sie ausgerechnet mir passieren?“ Auch dem Mädchen waren offenbar Zweifel gekommen. „Sie sagten etwas über eine Kraft, die bewirken könnte, daß tausendmal hintereinander die Zahl einer Münze herauskommt, wenn man sie in die Luft wirft, Steve“, sagte Frances schnell. „Vielleicht können Sie damit diese Kraft erzeugen. Vielleicht versuchen Sie es einmal. Erlaubst du es ihm, Lucky?“ Lucky reichte Steve den durchsichtigen Gegenstand. „Ich habe mir einen anständigen Kerl gewünscht“, sagte er ruhig. „Wenn mein Glück anhält, wird er fair sein und mir den Stein – oder was es ist – zurückgeben.“ Steve nahm das Ding in die Hände. Er stellte einige knappe Fragen, und Lucky wies ihn an, es einfach in der Hand zu halten und sich etwas zu wünschen. Meist gelang es. Manchmal wurde der Wunsch auch nicht erfüllt. Das geschah, wenn man sich etwas wünschte, das nicht mehr im Bereich des Möglichen lag, wie zum Beispiel ein Glas eiskaltes Bier. Wenn der Wunsch erfüllt werden konnte, erwärmte sich der Stein. Manchmal wurde er ziemlich heiß. Wenn er sich erwärmte, wußte man, daß der Wunsch in Erfüllung ging. Steve hielt ihn in der Hand. Er runzelte die Stirn. Sein Ge25
sichtsausdruck wirkte drollig, aber er konzentrierte sich hartnäckig. Dann starrte er auf das zackige Ding in seiner Hand. Es hatte sich fühlbar erwärmt. Es war heiß! Er ließ es mit einem plötzlichen Aufschrei fallen. Es war auf ein trockenes Blatt gefallen, das plötzlich immer brauner und schließlich schwarz wurde, um sich dann in eine dünne Rauchsäule aufzulösen. „Du hast es hart auf die Probe gestellt“, sagte Lucky. „Bei mir ist es noch nie so heiß geworden!“ „Wenn das in Erfüllung geht“, sagte Steve ungläubig und starrte auf das verbrannte Blatt, „dann werde ich verrückt!“ Offenbar ging sein Wunsch jedoch nicht in Erfüllung. Nichts geschah. Überhaupt nichts. Minuten vergingen. Frances sah sich überall um. Sie lauschte angestrengt. Steve lauschte ebenso gespannt und wußte nicht weshalb. Ein Geräusch war plötzlich über ihnen zu hören, ein dünnes Pfeifen. Es kam näher und wurde immer schriller. Es verdichtete sich zu einem Schrei, einem Kreischen. Dann schoß etwas Blitzendes vom Himmel herab. Es war keine Bombe, aber mit einem flüchtigen Blick konnte man erkennen, daß es glänzendes Metall war. Es traf in der Nähe auf, krachte etwa eine dreiviertel Meile entfernt durch Bäume und verursachte einen höllischen Lärm und ein ohrenbetäubendes Krachen. Dann war es wieder still. Steve wurde totenbleich. „Es hat wirklich funktioniert“, sagte er mit verzerrten Lippen. „Schnell fort von hier! Schnell!“ 4. Kapitel Es sah günstig aus, erstaunlich günstig. Steve hatte es für völlig unwahrscheinlich gehalten, daß ein Flugzeug notlanden würde, eines jener Flugzeuge, die Erdenbürger nie zu sehen bekamen, die aber überall dort, wo sie noch Spuren von überlebender oder 26
wiederbelebter Zivilisation entdeckten, Tod und Verderben vom Himmel herabspieen. Es war also erwiesen, daß Steve den Kraterstein einer harten Prüfung unterzog, als er sich die Bruchlandung eines Flugzeuges wünschte, das nicht explodieren sollte, dessen Sendegerät aber vor der Landung versagen sollte. Er arbeitete sich durch Gebüsch und Nadelwälder, wo man mühelos vorwärts kam und erkannte, daß sein Wunsch in allen Einzelheiten in Erfüllung gegangen war. Ein Flugzeug war vom Himmel gestürzt. Sie hatten es gesehen. Es war notgelandet. Sie hatten es gehört. Es war nicht explodiert, denn sie lebten noch und sogar seine Sendeanlage mußte kurz vor dem Sturz versagt haben, denn selbst eine Stunde später tauchten am Himmel keine verdächtigen Punkte auf. Erst nach drei Stunden entdeckte er am Himmel ein metallisches Ungeheuer, das sich aus der Luft neben dem Flugzeugwrack niederließ. Andere fliegende Gegenstände kreisten in der Nähe. Aber inzwischen waren die drei zehn Meilen von der Unfallstelle entfernt. „Es hat sich in jeder Einzelheit bewahrheitet“, erklärte er seinen beiden Gefährten. „Aber es war idiotisch von mir, sich so etwas zu wünschen. Sie werden jetzt das Wrack überprüfen, um festzustellen, ob es sich um einen Unfall handelt, oder ob von der Erde aus nachgeholfen wurde.“ „Sie?“ fragte Frances. „Wer?“ „Woher soll ich das wissen!“ fragte Steve wütend. „Ich meine die Leute, die zuerst Bomben abgeworfen haben, oder vielleicht auch die Leute, die die Anstifter vernichtet haben. Jedenfalls aber die Menschen, die jetzt noch Bomben werfen!“ Der große metallische Gegenstand war zwischen den Bäumen gelandet, wo das Flugzeugwrack lag. „Sie werden das Wrack abschleppen“, fuhr er grimmig fort, „wenn sie davon überzeugt sind, daß es sich nur um einen Un27
fall handelte. Sie werden den Landeplatz bombardieren, damit wir Erdenbürger nicht auf die Idee kommen, ihre Flugzeuge könnten derartige Unfälle erleben. Wenn sie jedoch den Verdacht haben, daß wir Waffen angewendet haben, werden sie die ganze Gegend strafen. Aber ich nehme an, daß sie es für einen Unfall halten. In gewissem Sinne stimmt das ja auch. Es war ein Zufall, ein unwahrscheinliches Ereignis. So ähnlich, wie wenn die Zahl einer Münze tausendmal hintereinander erscheint.“ Sie waren am Abhang eines kleinen Hügels, zehn Meilen von ihrem Lagerplatz entfernt, angekommen. Die Flugzeuge, die über dem Wrack kreisten, zogen jetzt weitere Kreise. „Schnell – ins Gebüsch!“ schnappte Steve. Sie krochen in das Dickicht unter den Bäumen und verbargen sich an einer dicht überwachsenen Stelle, wo nichts mehr vom Himmel zu sehen war. Eine halbe Stunde später hörten sie das Trommelfeuer von Explosionen und Aufschlägen, die sich wie tief grollender Donner anhörten. Steve atmete erleichtert auf. „Sie hielten es für einen Unfall und haben den Wald in die Luft gejagt. Offenbar suchten sie nach verdächtigen Spuren und fanden keine. Wir haben wirklich Glück gehabt! Aber es war auch eine Kateridee von mir, ein Flugzeug notlanden zu lassen. Wir hätten alle dabei draufgehen können.“ „Nein“, sagte Lucky Connors gemütlich. „Ich habe gewünscht, daß uns nichts passiert.“ Steve starrte ihn verdutzt an. Dann sagte er ernüchtert: „Du meine Güte! Daß ich darauf nicht auch gekommen bin! Wenn du mir jemals wieder den Kraterstein ausleihst, Lucky, dann sage ich dir, was ich mir wünschen will. Ich gebe jetzt zu, daß das Ding funktioniert. Das steht völlig außer Zweifel, und ich glaube, ich weiß auch, wie das vor sich geht.“ „Da bin ich aber gespannt“, sagte Lucky. „Das Ding beunruhigt mich! Es kommt mir gruselig vor, wie die Geschichte von 28
dem Jungen, der an einer Lampe rieb, ein Geist erschien und fragte nach seinen Wünschen, verschwand dann wieder und erfüllte sie.“ „Es hat nichts mit Aladins Wunderlampe zu tun“, widersprach Steve. „Es ist völlig rational. Es ist unvermeidlich, verdammt schwer zu glauben!“ Sie entfernten sich weiter von dem Ort, an dem Steve den rätselhaften Gegenstand auf die Probe gestellt hatte. Frances schritt tapfer aus, um mitzukommen. „Du hast jedenfalls etwas vom Himmel heruntergeholt“, sagte Lucky grinsend. „Aber nicht durch Gedankenenergie, Steve!“ protestierte Frances. „Das reicht nicht, um etwas in die Tat umzusetzen.“ „Damit hat man Städte und die Zivilisation aufgebaut“, gab Steve zu bedenken. „Und dann zerstörte man damit alles wieder. Meiner Meinung nach muß es sich um eine Art Energie handeln, die die Materie nicht direkt beeinflußt, sondern vielmehr andere Energie. Es beherrscht andere Energie. Und Lucky besitzt einen gestuften Ausdehner, der seine Kraft selbst vergrößert. Sein Zeug ist zweifellos in irgendeiner Weise radioaktiv. Wollen wir sie einmal, mangels eines besseren Ausdrucks, Gedankenströme nennen. Sie vergrößern die Aktivität und beseitigen die hemmenden Kräfte, damit der Wunsch in Erfüllung gehen kann.“ „Radioaktiv, wie?“ fragte Lucky brummend. „Deshalb wird es heiß? Wie bei Radium?“ „Wie bei einer Atombombe“, sagte Steve. „Glücklicherweise legt es sich selbst Schranken auf. Faktisch bewirkt es eine Intensivierung unserer Wünsche, so daß deren Erfüllung wahrscheinlicher wird. Nehmen wir einmal an, du beteiligst dich an einem Würfelspiel und wünschst dir eine Sieben. In deinem Hirn entsteht eine Gedankenverbindung, die es der Sieben leichter macht, zu erscheinen. Aber dieses Zeug hier, auf das 29
dein Gedanke schon übertragen wurde, intensiviert wiederum deine Gedankenverbindung und bewirkt ebenfalls das Erscheinen der Sieben. Und es geht dabei stärker zu Werke, als du es kannst, wird heiß, und schließlich ist es gar nicht anders möglich, als daß ständig die Sieben erscheint. Aber auch seine Möglichkeiten sind begrenzt …“ „Aber Steve, es erwärmt sich doch nur, bevor der Wunsch in Erfüllung geht“, sagte Frances sanft und keuchte ein wenig von der Anstrengung, mit ihnen Schritt zu halten. „Es bleibt aber nicht warm.“ „Es erwärmt sich, während es den Wunsch in die Tat umsetzt. Du kannst dir nicht eine Sieben wünschen, wenn sie bereits erschienen ist. Du kannst jetzt nicht das Tageslicht herbeiwünschen. Es ist ja Tag. Dieser Gegenstand kann nicht eine Sieben herbeizaubern, wenn diese ohnehin kommen wird, wenn der Wunsch schon Tatsache ist. Offenbar kann er auch nicht Unmögliches möglich machen. Luckys Wunsch nach eiskaltem Bier kann nicht erfüllt werden, weil es kein Bier gibt. Dieser Gegenstand intensiviert nur, wenn der Wunsch an eine Möglichkeit anklingt. Wenn die Möglichkeit zur Gewißheit wird, schaltet er ab. Aber alles was sich Lucky wünscht und was im Bereich des Möglichen liegt, geht in Erfüllung.“ „Ich wünsche mir gerade etwas“, sagte Lucky unvermittelt. Sie waren mehrere Minuten lang weitergeklettert. Dann kamen sie wieder an eine offene Stelle. Sie hielten an und blickten über das Gebüsch hinweg auf den Abhang, der auf der einen Seite abfiel. Sie vermochten ziemlich weit zurückzublicken und eine dünne dunkelbraune Staubwolke zu erkennen, wo die Flugzeuge gekreist hatten. Das letzte dieser brummenden Rieseninsekten schien sich jetzt in den Himmel zu erheben. Es stieg immer höher und steigerte während des Aufstiegs seine Geschwindigkeit. Dann verschwand es. 30
„Zum Teufel mit ihnen!“ fluchte Steve plötzlich. „Sie wollten uns zerschmettern! Jetzt werden wir sie vernichten! Ihre eigenen Bomben erzeugten die Masse, die sie herunterholen wird.“ „Ich werde mich mal dort unten umsehen“, sagte Lucky Connors gemütlich. „Ich habe mir etwas ganz Bestimmtes gewünscht.“ Dies war ein gewundener Bergpfad gewesen. Kein Fahrzeug war seit Monaten darauf gefahren und die ehemalige Autostraße war jetzt ein mit Unkraut und Gras überwucherter Weg. Aber Lucky stapfte durch das Unkraut auf einen seltsamen grünen Hügel am Waldrand zu. Etwas spiegelte sich im Licht. Er schob die Ranken zur Seite, die darüber wuchsen. Es war ein Auto, das von der Autostraße aus geparkt worden war, als das Benzin ausging. Sein Eigentümer war nie wiedergekommen, und es war über und über mit Grünzeug überwuchert. Als Lucky eine Tür gewaltsam öffnete, entdeckte er im Inneren nichts als Verfall und Schimmel. Die Metallkarosserie war verrostet und fleckig, die Polsterung mit Moos überwuchert. Lucky brummte vor Enttäuschung und machte sich am Kofferraum zu schaffen. Er stieß die verrosteten Schlösser auf und tastete in den Innenraum. „Es ist in Ordnung“, strahlte er. „Mein Glück hat mich nicht im Stich gelassen.“ Er brachte eine mit Pilzen bewachsene Kiste zum Vorschein und dann noch eine. Es waren Koffer. Aber sie waren aus dem Plastikstoff, der erst zwei Monate vor dem Bombardement auf den Markt gekommen war. Metall oder Leder wären längst verfallen. Als Lucky sie jedoch öffnete, war der Inhalt unversehrt. Er förderte eine Dreiviertelhose aus Cordsamt zutage und eine Mädchenjacke aus Cord, die Frances mit glänzenden Augen entgegennahm. Außerdem fanden sich noch ein paar Schuhe, 31
die, wie sie verkündete, ihr bestimmt passen würden und andere Frauensachen. Sie lief ins Gebüsch, um die Herrlichkeiten anzuziehen. Aus dem zweiten Koffer kam ein Anzug, Hemden, Rasierzeug und ein Revolver mit einer Schachtel Patronen zum Vorschein. „Sie macht sich hübsch“, sagte Lucky gutmütig. „Rasier dich lieber und mache dich auch schön, mein Freund.“ „Hör zu!“ sagte Steve heftig. „Ich möchte deinen Kraterstein benutzen und technisch versierte Männer herbeiwünschen. Er soll uns Bücher, Werkzeuge und die benötigten Chemikalien herbeischaffen. Dann werden wir diese Menschen, die die Flugzeuge und Bomben besitzen, vernichten und die zerrüttete Zivilisation wieder aufbauen.“ Er schüttelte sich vor Zorn bei dem Gedanken, wie die ganze Welt dem Erdboden gleichgemacht worden war, und es erfüllte ihn mit Genugtuung, daß er das jetzt heimzahlen konnte. „Du brauchst mir nur zu sagen, wenn du ihn benutzen willst“, sagte Lucky. Er klopfte auf die Stelle, wo er den kostbaren Gegenstand aufbewahrt hatte. „Er gehört dir genauso wie mir. Aber ich will ihn lieber aufbewahren. Du könntest vergessen, dir Dinge zu wünschen, die wir momentan am nötigsten brauchen. Wie – sieh dir Frances an, fein sieht sie aus, was?“ Frances kam strahlend auf sie zu. Die Hose und die Jacke paßten ihr ausgezeichnet. Sie sah nicht nur adrett, sondern sogar hübsch aus. Aber Steve beachtete sie kaum. Die Substanz beschäftigte ihn, die durch die zerstörende Kraft einer Atombombe entstanden war. Sie war so hochgradig empfindlich, daß ihre radioaktive Kraft durch Gedankenströme in ihrer Umgebung beherrscht wurde. Aber sie bemerkte, daß er sie nicht beachtete. Der strahlende Ausdruck wich von ihrem Gesicht. Sie gingen weiter. Ohne sich über ihr Ziel im klaren zu sein, wußten sie, daß sie als 32
nächstes etwas zu essen brauchten, und um das zu finden, mußten sie weitergehen. Am Nachmittag erreichten sie eine verlassene Farm, die nur noch ein Trümmerhaufen war. Aber der Obstgarten war erhalten geblieben, und Steve und Frances lasen die Früchte auf, während Lucky davonschlich und triumphierend mit zwei gackernden Hühnern zurückkam. „Es ist ein Wunder, daß die Füchse sie nicht erwischt haben“, bemerkte er, „oder vielleicht haben wir das nur unserem Glück zu verdanken.“ Sie aßen und gingen dann weiter. Gegen Sonnenuntergang kamen sie an die verrosteten Schienen einer Eisenbahn, die außer Betrieb war. Auch andere Anzeichen deuteten noch darauf hin, daß sie sich in der Nähe einer ehemaligen Großstadt befanden. Sie kampierten in einem kleinen Gebäude, das den Streckenarbeitern als Werkzeugschuppen gedient hatte. Als die Dämmerung hereingebrochen war, streckte Steve Lucky die Hand hin. Er hatte nicht bemerkt, wie Frances traurig wurde, als er die Veränderung an ihr übersah. Er hatte fast den ganzen Tag damit verbracht, einen rachsüchtigen Plan auszuarbeiten, dessen Ausführung er dem Spiel des Zufalls überlassen wollte. „Ich werde den Kraterstein jetzt benutzen, Lucky“, sagte er. „Willst du mir verraten, wofür?“ fragte Lucky. „Ich will technisch versierte Männer zusammentrommeln“, sagte Steve, „sie mit dem benötigten Material versehen und Flugzeuge erwerben. Dann will ich die Orte, wo Bomben und Flugzeuge stationiert sind, zerstören und die Zivilisation wieder aufbauen, Gesetz und Ordnung wieder einführen und genügend Lebensmittel und Sicherheit für jeden schaffen.“ Lucky musterte Steves Gesicht mit einem schnellen Blick. Dann zuckte er mit den Achseln. „Na, dann versuche es mal“, sagte er trocken. „Wenn es Zufall war, der die Zivilisation zerstörte, dann müßte sie auch mit 33
Glück wieder aufgebaut werden können. Aber ich glaube, du vergißt eins dabei, mein Freund. Die Bomben haben die Städte zerstört, aber wenn die Menschen Gesetz und Ordnung wiederherstellen wollten, hätten sie es längst tun können. In einigen Gegenden wollten sie es und haben es auch für eine Weile durchgeführt. Aber du wirst mit deinem Plan die Menschen nicht ändern. Ihr Verhalten entspricht nicht einer zufälligen Erscheinung, und weder Zufall noch Glück wird sie jemals ändern. Ich versuchte die Bande zu ändern, bei der mich Frances kennengelernt hat, aber es war sinnlos. Du kannst es ja versuchen.“ „Ich werde es schaffen!“ sagte Steve. Er nahm den kleinen Gegenstand und ging zuversichtlich nach draußen. In der Dunkelheit leuchtete er grünlich auf und schien zu leben. Eine warme sternenbeglänzte Sommernacht umgab ihn. Sie war von unzähligen Geräuschen erfüllt. Insekten schwirrten durch die Luft, ab und zu schrie ein Nachtvogel auf, und irgendwo in der Nähe stimmten in einem Sumpf die Ochsenfrösche ihr Konzert an. Sie hatten die größte Lautstärke. Die anderen Geräusche konnten nur schwach durch das Froschkonzert dringen. Steve war sicher, daß er die Macht in den Händen hielt, die ausreichte, um die Welt wieder aufzubauen. Er beherrschte den Zufall. Er würde auch noch das Unvorhergesehene und Undefinierbare beherrschen! Die Macht eines einzigen menschlichen Willens, andere Kräfte zu beherrschen, hatte man freilich schon früher erkannt. Die sorgfältigste Untersuchung von Rhinds Resultaten und ihren Nachahmungen hatte mit Sicherheit erwiesen, daß nicht alles dem Untergang geweiht sein konnte, wenn der menschliche Wille eingriff, obwohl die aufzuwendende Energie, wie die Gedankenströme, immer zu unbestimmbar gewesen war, um sie abzumessen oder auch nur annähernd zu bestimmen. Sie ließ sich nur von den Resultaten der Statistiken in etwa ablesen. 34
Aber Steve hatte mit dem Kraterstein in der Hand ein Flugzeug aus der Stratosphäre heruntergeholt. Der Stein war bei diesem Energieaufwand sehr heiß geworden. Er hielt die Macht von Millionen Willen – vielleicht sogar Billionen in der Hand. Eine Stunde später stolperte er in den kleinen Schuppen zurück. Frances war schon erschöpft in Halbschlummer gesunken. Sie wurde hellwach und sah ihn besorgt an. Sein Gesicht war bleich und trug einen verzweifelten, verletzten Ausdruck. „Habt ihr gehört, wie die Ochsenfrösche eine ganze Minute schwiegen?“ fragte er mit Galgenhumor. „Ich habe das gewünscht. Und es hat geklappt. Aber das war auch mein einziger Erfolg! Offenbar lebt kein einziger technisch versierter Mann mehr, der sich uns anschließen könnte. Ich wünschte alles, was dazugehört, um die Zivilisation wieder herzustellen, aber das Ding blieb kalt. Es war alles unmöglich. Aber es wurde ganz hübsch warm, als ich die Ochsenfrösche bezwingen wollte.“ Er schluckte und es war fast wie ein Schluchzen. Frances starrte ihn an. Lucky Connors hörte schweigend zu. „Ich werde euch sagen, was wir jetzt noch tun können“, sagte Steve. Er grinste sie an, und das wirkte schmerzlicher als Tränen. „Offenbar muß die Welt so bleiben, wie sie jetzt ist. Also, dann rein ins Vergnügen!“ 5. Kapitel Am nächsten Morgen war Lucky verschwunden. Der Revolver und die Munition aus dem Koffer lagen noch an der Stelle, wo Steve sie hingeworfen hatte, bevor er in einer, unruhigen Schlaf fiel. Und Frances war ebenfalls verschwunden. Alles war still. Steve erhob sich und ging nach draußen. Nichts war von Lucky oder Frances zu sehen. Ihn überlief es eiskalt. Dann 35
schüttelte ihn ein solcher Zorn, wie er ihn in seinem ganzen Leben noch nicht empfunden hatte. Er bebte und hätte Lucky Connors umbringen können, oder irgend etwas Verrücktes tun können! Lange Zeit blieb Steve bewegungslos stehen. Dann sagte er laut mit ruhiger, wenig überzeugter Stimme. „Nun, sie hat zumindest Verstand. Solange er den Kraterstein besitzt, wird sie jedenfalls immer genug zu essen haben. In normalen Zeiten hätte sie einen reichen Mann geheiratet, weil er ihr einen Wagen, ein schönes Haus und Schmuck schenken konnte. Nun weiß sie wenigstens, daß sie jeden Tag ein Huhn oder ein Kaninchen zu essen bekommt. Das sind die heutigen Reichtümer. Er hat ihr sogar zu einer Ausstattung verholfen!“ Er lachte schallend auf. Dann stieß er plötzlich einen gräßlichen Fluch aus und steckte den Revolver und die Munition in die Tasche. Das Gras längs den Schienen war niedergetrampelt. Lucky Connors und Frances hatten Steve verlassen und waren in Richtung der ehemaligen Stadt gegangen. Steve ging mit schnellen Schritten der Spur nach. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Seit mehr als sieben Monaten hatte er sich an die sinnlose Hoffnung geklammert, daß die theoretischen und unwirklichen Tatsachen, die er in sechs Schulheften niedergeschrieben hatte, die Rückkehr der Zivilisation herbeiführen könnten. Er hatte gehofft, daß sie zur Entdeckung einer Kraft führen würde, die die Menschen schon kannten, aber niemals anzuwenden verstanden hatten und daß diese Kraft Sicherheit, Hoffnung und Ordnung wieder in der Welt einführte. Jetzt wußte er, daß diese Kraft existierte. Er hatte einen groben, aber wirkungsvollen Atomgenerator angewendet. Und es war völlig sinnlos. Diese Kraft würde niemals eine tote Welt zum Leben erwecken. Sie brachte gestohlene Hühner und be36
wirkte, daß die Frösche aufhörten zu quaken und ein Flugzeug der Feinde am Boden zerstört wurde. Dinge, die Steve vorher nie für möglich gehalten hätte. Aber mehr ließ sich nicht damit anfangen. Und jetzt begann Steve zu wüten und wies den Gedanken, sich zivilisiert zu benehmen, weit von sich. Er begehrte Frances. Er haßte Lucky. Er würde Lucky töten, und obwohl sie ihn dann hassen würde, mußte Frances dann ihm gehören. Er kam an eine Stelle, wo drei verlassene Häuser erhalten geblieben waren. Dann überquerte er ein Trümmerfeld. Hier hatte das Feuer zügellos gewütet, und jetzt wucherte üppig das Unkraut. Ein Trümmerhaufen tauchte vor ihm auf. Häuser waren gewaltsam zusammengeschoben worden und in sich zusammengesackt, doch seltsamerweise hatten sie kein Feuer gefangen. Ehemals ein starkes Gebäude, jetzt nur noch eine leere Hülle. Er hörte einen gedämpften Knall und ein triumphierendes Gebrüll. Dann vernahm er einen zweiten Knall. Er kam von einer kleinen Pistole, etwa von demselben Kaliber wie er sie Frances geschenkt hatte. Als er an sie dachte, erfaßte ihn wieder maßloser Zorn. Er begann zu laufen. Dann hörte er ein Klicken, das nicht von einer Pistole kam, vielleicht aber von Luckys Gewehr. Ein Geheul folgte dem Schuß, und das waren nicht die Stimmen von Frances und Lucky, sondern wahrscheinlich von Wanderern. Diese Menschen waren zu Wolfen herabgesunken, wie der Mann, den er, um sie zu retten, getötet hatte. Ganz plötzlich verrauchte sein Zorn, und er stellte fest, daß der Revolver in seiner Hand nicht die richtige Waffe war, um gegen dieses Volk anzugehen. Eine Pistole war ein unermeßlicher Schatz und deshalb eine große Gefahr. Steve begann zu rennen. In einer Hand hielt er die scharfe Klinge aus seinem Bündel. Die Pistole hielt er für den Notfall schußbereit. 37
Dann erreichte er ganz plötzlich eine Stelle, von wo aus er den Krater sehen konnte, der fast das ganze Stadtgelände umfaßte. Ringsum lagen Trümmerhaufen, wo Landstreicher sich vielleicht noch Beute oder gar Nahrungsmittel in verrosteten Büchsen erhofften. Der Krater war zwei Meilen im Durchmesser, abschüssig, kahl, mit glasigem Zeug überzogen und in der Mitte war gähnende Leere. Am Rande des Kraters stand Frances. Neben ihr lag Lucky flach auf dem Boden. Offenbar hatte sein Fall das Freudengeheul ausgelöst, das Steve angelockt hatte. Steine, von der Größe von Ziegelsteinen, lagen neben ihm und Steve wußte, daß diese ihn zu Fall gebracht hatten. Und Frances duckte sich verzweifelt, die kleine Pistole auf die Angreifer gerichtet. Steves Ankunft traf sie unvorbereitet. Seine Waffe war geräuschlos. Er schlich sich hinter sie und warf sich auf eine Gruppe von vier unmenschlichen Wesen, die anscheinend gleichzeitig Steine werfen wollten. Seine Klinge blitzte auf und stieß zu wie eine angreifende Schlange. Er schoß vor und ein unterdrückter Schrei folgte. Er stieß wieder zu und ein weiterer Schrei ertönte. Er lief in Zickzacklinie, und die Angst um Frances ließ ihn rot sehen. Er hatte dreimal zugeschlagen, bevor sich die Aufmerksamkeit der Vagabunden von der attraktiven Gestalt des Mädchens abwendete. Dann sprang ihn ein bärtiges Wesen an, dessen Augen flackerten. Die Keule hob sich drohend, aber Steves Klinge bohrte sich in den Angreifer, und er lief weiter. Steine hagelten auf ihn herab. Er duckte sich, schnellte empor und stieß zu, wo er konnte. Schließlich gelangte er neben Frances, als ein tierisches Gebrüll laut wurde. Frances schien kein schlechtes Gewissen zu haben, sondern war froh, ihn zu sehen. Sie lächelte ihn zitternd an. „L – Lucky hat gewünscht, daß Sie kommen, Steve“, sagte sie. 38
„Wie, zum Teufel, seid ihr beide nur in diese Hölle hineingeraten?“ fauchte Steve. „Wir wollten noch mehr Kratersteine suchen“, erklärte Frances mit unsicherer Stimme. „Lucky sagte, daß es sehr unwahrscheinlich sei, daß wir noch welche finden würden, aber er hat es sich gewünscht, und der Stein erwärmte sich. So kamen wir hierher. Wir mußten nachts gehen, weil die Steine leuchten. Wir fanden … Steve! Hinter Ihnen!“ Steve fuhr herum. Seine Pistole krachte. Jetzt waren sie verloren. Er sah in der Ferne immer neue Gestalten auftauchen, die durch die Schüsse angelockt wurden und nun brüllend über die Trümmer stolperten, um sich an der Hetzjagd zu beteiligen. Anfangs hatte er etwa vierzig dieser menschlichen Ungeheuer gezählt. Jetzt waren weitere zwanzig oder dreißig unterwegs. Die Stadt hatte einst eine halbe Million Einwohner gehabt. Hundert konnten sich etwa noch in den Trümmern aufhalten, die die Atombombe zurückgelassen hatte. Lucky bewegte sich, aber er war wie benommen. Steve nahm sein Gewehr und feuerte drei Schüsse ab, einen auf eine Gestalt ganz in der Nähe, die anderen zwei auf weiter entfernte Angreifer. Ihr Tod erfüllte die Gefährten mit Entsetzen. Sie warfen sich zu Boden und kamen nicht näher. Sie würden die anderen Belagerer nicht mehr unterstützen. Aber immer mehr Gestalten tauchten wie Ratten aus den Erdlöchern auf. Steve sah, wie einige Männer zu den Toten krochen, aber natürlich nicht, um ihnen zu helfen, sondern um ihnen ihre kärgliche Habe abzunehmen. Steve sah den entsetzten Ausdruck in Frances Augen. Das Mädchen malte sich aus, was ihr blühte, wenn sie diesen reißenden Tieren in die Hände fiel. „Kannst du nicht den Kraterstein irgendwie anwenden, Steve?“ 39
fragte sie verzweifelt. „Wir können von den Steinen getroffen werden, und die ganze Schießerei ist sinnlos.“ „Der Kraterstein“, sagte Steve verbittert, „kann alles geschehen lassen, was durch einen Zufall herbeigeführt werden kann und nicht mehr. Es sieht so aus, als ob wir erledigt sind. Vielleicht können wir uns einen Rückweg erzwingen, wenn Lucky wieder zu sich kommt, aber sie werden uns dauernd verfolgen. Wenn nicht wegen der Waffen, dann deinetwegen.“ Ein Stein flog dicht an seinem Kopf vorbei. Er pfiff über den Kraterrand und rumpelte über die glasige Substanz in die gähnende Öffnung. Er feuerte. Ein Mann schrie auf. Tierisches, unmenschliches Gebrüll erhob sich ringsum. Die Laute, die diese halb versteckten, wild gestikulierenden Kreaturen ausstießen, waren kaum noch tierisch zu nennen. Wenn die Menschen zu reißenden Tieren werden, fällt alles Menschliche von ihnen ab und sie sind schlimmer als Raubtiere. Keine gewöhnlichen Tiere hätten Frances derart zugebrüllt. Und einigen Schreien konnten sie entnehmen, daß dieses Wolfsrudel früher oder später auf sie stürzen würde, und sie wußten, was ihnen dann blühte. Lucky bewegte sich wieder. Steve gab noch einen Schuß ab. Hinter jeder Unebenheit des Bodens verbarg sich ein Angreifer. Sie fauchten und japsten und betrachteten die drei Menschen und ihre Waffen mit wahnsinniger Begierde. „Ich habe den Kraterstein benutzt, Steve“, sagte Frances ruhig. „Er hat sich erwärmt. Wir können uns jetzt zurückziehen. Willst du versuchen, Lucky zu tragen?“ Nach drei Minuten war das Gebrüll noch lauter geworden, aber es kamen keine Steine mehr geflogen. Lucky hatte sich herumgerollt und versuchte taumelnd aufzustehen. Steve hielt immer noch Ausschau nach den Gegnern. „Ich habe den Kraterstein benutzt“, sagte Frances wieder. 40
„Ich glaube, wir können uns jetzt wirklich zurückziehen. Lucky ist aufgestanden.“ „Ja!“ sagte Lucky benommen. „Hat es mich erwischt? Das hat nichts mehr mit meinem Glück zu tun!“ Er richtete sich mit Steves Hilfe auf und stand unsicher auf den Beinen. Ein heiseres Gebrüll erhob sich. Aber nicht ein einziger Stein flog durch die Luft. „Was ist geschehen?“ fragte Steve. „Was hast du getan, Frances?“ „Ich habe alle Kratersteine benutzt und gewünscht, daß sie keine Steine mehr werfen und nicht mehr näher kommen. Ich habe gewünscht, daß sie es einfach nicht mehr können, und das ist eingetreten!“ Steve achtete nicht auf Luckys unsicheren Gang. Er drückte ihm das Gewehr in die Hand. Er trat vor und hielt die Klinge in der Hand. Wenige Augenblicke später stand er über einem Erdloch, in dem sich drei Gestalten krümmten. Ein Mann fauchte ihn hilflos an und versuchte verzweifelt, seinen rechten Arm zu bewegen. Ein zweiter strampelte wild mit den Beinen und hielt sich den Bauch. Ein anderer hustete und spuckte und stieß einen unterdrückten Fluch aus. Seine Augen waren voller Entsetzen auf Steve gerichtet, aber er hörte nicht auf zu husten. Steve ging zu seinen Freunden zurück. „Das hat wirklich nichts mehr mit meinem Glück zu tun!“ sagte Lucky weinerlich. „Ich habe einen Stein an den Kopf bekommen! Das ist das erste Mal, daß ich Pech habe.“ „Lege einen Arm um meinen Nacken, Lucky“, sagte Steve. „Wir müssen uns jetzt alle auf den Weg machen. Frances ist auf einen Trick gekommen, den wir gestern abend noch nicht kannten. Sie werden uns nicht verfolgen.“ Frances stützte Lucky an der anderen Seite, und so liefen sie auf den Bahndamm zu. Sie kletterten hinauf, verfolgt von dem 41
Geschrei ihrer Belagerer, das jetzt in wüste Beschimpfungen ausartete. Sie gingen durch das kniehohe Gras, und allmählich kam Lucky wieder zu Kräften. Nach einer halben Stunde hatten sie den Geräteschuppen erreicht, in dem sie die vergangene Nacht zugebracht hatten. „Aber das hat nichts mehr mit Glück zu tun!“ protestierte Lucky immer wieder. „Ich habe Kopfschmerzen! Dieser Kerl hat mich mit einem halben Ziegelstein bombardiert. Es ist das erste Mal, daß ich Pech habe!“ „Hört zu“, sagte er trocken. „Ich habe gestern abend den Kraterstein benutzt. Ich habe nichts erreicht, außer, daß die Frösche aufhörten zu quaken. Entsinnt ihr euch?“ „Ja“, sagte Lucky. „Aber ich habe gewünscht …“ „Ich vermute, daß du gewünscht hast, in Erfahrung zu bringen, wie die Kratersteine richtig anzuwenden sind“, unterbrach ihn Steve. „Du mußtest eins vor den Kopf bekommen, damit du erfuhrst, was du wissen wolltest.“ Er grinste mit grimmigem Humor. „Du solltest in Zukunft vorsichtiger mit deinen Wünschen sein, Lucky! Besonders wenn sie sich auf das allgemeine Wohl beziehen. Dieser Schlag auf den Kopf war bestimmt das größte Glück, das dich ereilen konnte. Aber wenn du so weitermachst, wirst du dich vor lauter Glück selbst umbringen.“ 6. Kapitel Seltsamerweise hatten Frances und Lucky genau drei der leuchtenden, glasigen Steine in dem Krater gefunden. Sie befanden sich an einer Stelle, wo früher einmal die Eisenbahn gefahren sein mußte, bevor sie und neun Zehntel der Stadt zerstört wurden. Es war möglich, daß ein Transport Uranerz in das Gebiet gebracht worden war, als die Bombe fiel. Vielleicht sollte diese Ladung auch zu einem der Atomkraftwerke gebracht werden, 42
die die Vereinigten Staaten unterhielten. Oder waren sie aus einer Mineraliensammlung einer Schule oder eines Museums entstanden? Es hatte sich zweifellos nachteilig für Lucky ausgewirkt, daß er weitere Steine fand. Auch die neuen waren zweifellos aus einer Beschießung von Uran mit Atom entstanden. Aber der Fund war nicht unmöglich gewesen, und der erste Kraterstein hatte sich deshalb erwärmt, als Lucky den Wunsch äußerte. Jetzt nahmen die drei ihr Frühstück und Mittagsessen auf einmal ein. Sie lagerten an einer Stelle, etwa zehn Meilen von der zerstörten Stadt entfernt. Ein kleines Wildschwein hatte sich ihnen neugierig grunzend genähert, und Lucky hatte es geschossen. In der Nähe fanden sie auch wilde Früchte. Lucky warf ein tiefes Loch aus, entfachte ein knisterndes Feuer mit trockenen Ästen, rollte das Schwein in Lehm ein und ließ es schmoren. Steve schrieb indessen in fieberhafter Eile in sein Schreibheft. Als der Braten fertig war, hatte er seine Gedanken geordnet niedergeschrieben. „Es paßt in den ganzen Aufbau“, sagte er begeistert, und kaute mit vollen Backen. „Wahrscheinlichkeit ist etwas, das sich herbeiführen läßt. Wenn man weiß, wie viele verschiedene Dinge sich ereignen können, kann man jedes einzelne abwägen. Wenn man zwei Würfel wirft, gibt es eine bestimmte Anzahl von Möglichkeiten, und zwar insgesamt sechsunddreißig, weil es einfach nicht mehr geben kann. Aber angenommen, du wünschst dir eine Dreizehn. Der Kraterstein bringt das nicht fertig, weil es einfach nicht möglich ist, nicht wahr?“ Lucky brummte. „Falsch, mein Lieber! Ich habe es einmal versucht und bin bald zu Tode erschrocken.“ „Einer der Würfel hatte einen Sprung, was?“ fragte Steve. „Und als du würfeltest, fiel er auf einen Gegenstand und zerbrach in zwei Teile, die zusammen mit dem zweiten Würfel eine Dreizehn ergaben?“ 43
„J – ja! Woher weißt du das?“ „Das war die einzige Möglichkeit, deinen Wunsch zu erfüllen“, erklärte ihm Steve. „Eine Dreizehn lag nur auf diese Art in dem zukünftigen Möglichkeitsbereich der beiden Würfel, und sie erschien. Mit beiden Würfeln wäre das nicht möglich gewesen.“ „Ich komme nicht mehr mit“, sagte Lucky und sah ihn verwirrt an. „Wärst du nicht niedergeschlagen worden, hättest du versucht, den Stein anzuwenden“, erklärte ihm Steve. „Wenn ich nicht dagewesen wäre, wäre Frances zu beschäftigt gewesen, um das tun zu können. Aber als sich die Dinge auf die einzig mögliche Art entwickelten, wendete sie den Stein auf eine Art an, auf die nur sie allein kommen würde, und diese Wilden konnten uns nicht mehr angreifen!“ „Was ist ihnen passiert, Steve?“ fragte Frances beunruhigt. „Habe ich sie – getötet?“ Steve grinste und schnitt sich noch ein Stück Schweinebraten ab. „Du hast sogar noch mehr erreicht“, sagte er. „Du hast den Trick gefunden, der uns noch fehlte. Gestern abend versuchte ich, Geschosse zur Explosion zu bringen. Ich wollte, daß Physiker zu mir kämen, wünschte mir Werkstätten, Flugzeugteile und Treibstofflager. Ich wußte zuviel über diese Dinge. Ich schuf nahezu Abbildungen davon.“ Er nahm sich ein weiteres Stück Braten und aß es genießerisch. Frances schüttelte den Kopf. Mit vollem Mund fuhr er fort. „Du hast dir gewünscht, daß sie keine Steine mehr werfen und uns nicht mehr angreifen sollten. Und bei jedem Menschen gibt es eine Möglichkeit, die ihn unfähig macht, das zu tun, zum Beispiel Krämpfe oder einen Hustenanfall, das Aussetzen eines Nervenstranges, so daß ein Arm gelähmt ist. All diese 44
Dinge ereilten die Männer. Alles mögliche trat ein und verhinderte, daß die Männer weiter angreifen konnten. Es geschah rein zufällig, weil die Kratersteine den Zufall beherrschen. Verstehst du?“ Lucky blinzelte ihn an und kaute bedächtig weiter. Frances starrte stirnrunzelnd vor sich hin, und langsam schien sie zu begreifen. „Ich glaube schon. Wenn ich gewünscht hätte, daß sie alle sofort umfallen sollten, wäre das nicht eingetroffen, weil das kein zufälliges Ereignis gewesen wäre. Man könnte sagen, so viel Asse waren einfach nicht im Spiel.“ „Richtig!“ Steve nickte. „Lucky kann keine Wunder vollbringen. Er kann nichts Unmögliches geschehen lassen. Aber er kann das Unwahrscheinliche, das schwer Vorstellbare vollbringen, die Chance innerhalb von Millionen Möglichkeiten. Das Unbestimmbare hört auf, unbestimmbar zu sein, wenn sich der Kraterstein damit beschäftigt. Die meisten Resultate liegen in ferner Zukunft. Nicht alle, aber die meisten. Wenn sie möglich sind, kann er sie herbeiführen.“ Lucky kaute und schluckte. „Mein Lieber, ich habe mir jemanden gewünscht, der mir mein Glück erklären kann“, brummte er. „Jetzt habe ich meine Erklärung und außerdem noch Reservekugeln. Eine gehört Frances, die anderen kannst du behalten. Ich habe mir gewünscht, daß du ein ehrlicher Kerl bist. Nun brauche ich nur noch zu warten, ob das auch eintrifft.“ „Ich weiß nicht, was dabei herauskommt“, sagte Steve. „Aber auf diese Weise könnte es den Menschen, die nicht wie Tiere leben wollen, ermöglicht werden, ein ordentliches Leben zu führen. Wenn das möglich ist, wird es auf jeden Fall eintreten. Es fällt mir ein“, sagte Steve plötzlich mit zusammengekniffenen Augen, „daß, falls einige unserer Freunde da drüben in 45
der Stadt wieder zu sich kommen, sie die Verfolgung aufnehmen könnten. Vielleicht berichten sie auch einigen Leuten, die sich brennend dafür interessieren, über Frances eigenartiges Verteidigungssystem.“ Frances betrachtete ihn ohne Neugier. Lucky dachte stirnrunzelnd nach, und auch Steve überlegte. Dann gab ihm Lucky zwei Kratersteine und schenkte Frances den dritten. Sie waren alle drei von verschiedener Größe, aber sonst glichen sie in allem Luckys erstem Stein. Aber Steve nickte ihm nur zerstreut zu, denn er dachte nach. Sie gingen weiter die Schienen entlang. Kurz darauf erreichten sie eine kleine Brücke, die über einen Fluß führte. „Sollten unsere hochherzigen Freunde auf die Idee kommen, uns zu verfolgen oder anderen über uns zu erzählen“, sagte Steve, „ist es besser, wenn wir uns hier ein Floß bauen und stromabwärts treiben, damit unsere Spur hier endet.“ Ohne viel Zeit zu verlieren, machte sich Lucky an die Arbeit. Sie hatten keine Axt und konnten deshalb keine Bäume fällen. Aber sie entdeckten einen Holzzaun, banden die Latten mit Draht zusammen, der ein Stückchen weiter eine Weide eingezäunt hatte. Sie schnürten das Holz zu Bündeln zusammen, machten daraus ein sieben Meter langes, zwei Meter breites Floß und schoben es ins Wasser. „Und ich werde jetzt meinen neuen Kraterstein ausprobieren“, sagte Steve. Er steckte die Hand in die Tasche. Sein Gesicht nahm einen befriedigten Ausdruck an. „Er erwärmt sich“, bemerkte er. „Gut. Jetzt werden wir das Floß abstoßen und flußaufwärts waten.“ Lucky blinzelte ihn vergnügt an, aber Frances schien nicht zu begreifen. „Schau dich um“, sagte Steve und machte eine weit ausholende Handbewegung. „Jeder kann hier auf Anhieb feststellen, 46
daß wir ein Floß gebaut haben. Jeder, der uns verfolgen wird, wird dann flußabwärts eilen. Und ich habe mir gerade von meinem Kraterstein gewünscht, daß das Floß lustig weiterschwimmen soll, ohne daß sie dann immer noch denken müssen, wir sind unterwegs irgendwo abgestiegen.“ Lucky kicherte. „Du hast dir etwas einfallen lassen, wie? Du denkst, es ist gar nicht alles so heillos durcheinander, wie es den Anschein hat? Ich habe mir aber auch etwas einfallen lassen.“ Er stapfte hinter Steve her durch den Fluß. Frances rollte erst die Hosenbeine ihrer neuen Cordhose hoch, bevor sie hinter ihnen herwatete. Steve schien kein bestimmtes Ziel zu haben. Er trieb sie vorwärts. Gegen den Strom zu waten, war ermüdend, aber er schlug ein flottes Tempo an. Frances folgte ihm und Lucky ging am Schluß. Er hatte einen langen Stock mit einer scharfen Spitze in der Hand. Während der ersten Meilen schien er ihn als Spazierstock zu benutzen. Dann drehte er ihn um. Ab und zu blieb er stehen. Einmal blieb er so weit zurück, daß Frances besorgt stehenblieb. „Wollen wir nicht lieber auf ihn warten, Steve?“ fragte sie. Aber dann tauchte Lucky wieder auf und stapfte in dem knöchelhohen Wasser. Steve ging schweigend weiter. Sie liefen etwa sieben Meilen durch das seichte Wasser. Dann wurde der Fluß zu einem kleinen Bach, und es war inzwischen später Nachmittag geworden. „Wir haben ungefähr noch fünf Meilen bis zu meinem Ziel zu gehen“, sagte Steve besorgt. „Wir wollen lieber etwas schneller gehen.“ Frances sah sehr müde aus, aber sie rollte ohne Widerrede ihre Hosenbeine herunter und wollte weitergehen. Lucky schaute sie an. „Frances soll wohl einen besonders guten Appetit bekommen?“ sagte er launisch. 47
Steve schüttelte den Kopf. „Ich habe den Kraterstein einem neuen Versuch ausgesetzt. Ich versuche, ihn zu indirekter Information zu bringen. In dieser Richtung gab es ein Haus, das sich sehr gut als Unterschlupf eignen würde. Ein Bekannter von mir benutzte es als Jagdhaus. Es liegt etwas abseits und könnte möglicherweise unzerstört sein. Ich habe mir also gewünscht, daß wir darin schlafen können und sicher sind, nachdem wir uns unterwegs noch etwas zu essen ergattert haben. Der Stein hat sich erwärmt. Aber wir haben noch nichts zu essen.“ Begeistert und freudig erregt übernahm er jetzt die Führung. Steve und Frances folgten ihm. Frances war müde, aber sie lächelte Steve an, als er ihr an einer holprigen Stelle behilflich war. „Das ist ein guter Trick“, sagte sie, „die Steine als Informationsquelle zu benutzen. Wenn man Dinge geschehen lassen und außerdem noch voraussehen kann …“ Die Dämmerung war hereingebrochen. Die ersten Sterne funkelten auf. Die Schatten der Berge, durch die sie hindurchgehen mußten, verdunkelten fast völlig ihren Weg. Lucky summte ein lustiges Lied vor sich hin. Der Weg war jetzt eben, und es ließ sich besser darauf gehen. Aber Steve hielt immer noch Frances Hand, und sie ließ es gern geschehen. Der Druck ihrer Finger war warm und fest. „Ich habe es bisher noch nicht klar erkannt, aber ich weiß auch etwas über unsere Zukunft“, sagte sie leise. „Ich habe mir etwas gewünscht und es wird eintreffen.“ „Was?“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte zu ihm auf. „Nicht die Erfüllung meines Wunsches“, sagte sie. Sie waren stehengeblieben und sahen sich an. Frances Hand fühlte sich fest und zart an. Sie schaute fast sehnsüchtig zu ihm auf. Sie sah sehr hübsch aus, als sie mit einem Lächeln die Augen zu ihm erhob, in denen ein wenig Angst zitterte. 48
Plötzlich nahm er sie in die Arme und küßte sie. Er küßte sie, küßte sie immer wieder. Die zurückgehaltene Sehnsucht war durchgebrochen. Dann gab er sie frei. „Es tut mir leid, Frances“, sagte er zerknirscht. „Ich wollte, daß du dich bei mir sicher fühlst, aber du bist so ein süßes Mädchen – ich konnte einfach nicht anders!“ Er schluckte. Plötzlich bemerkte er, daß er sie immer noch fest in den Armen hielt, damit sie ihm nicht weglaufen konnte, ehe sie ihm verziehen hatte. Dann fiel ihm auf, daß sie gar nicht davonlaufen wollte. Sie sah ihn immer noch ein bißchen ängstlich, aber doch froh an. „Du Dummer“, sagte Frances bebend. „Natürlich hast du mich geküßt. Was glaubst du denn, was ich mir von dem Kraterstein gewünscht habe?“ 7. Kapitel Obwohl sie sich beeilten, erreichten sie das Haus sehr spät, als der Mond gerade aufging. Es war ein kleines, hübsches Haus, das an einen Berg geschmiegt lag und von Bäumen und Grün umgeben war. Steve und Lucky untersuchten sorgfältig das Gebäude, die Waffen im Anschlag, und blieben schließlich vor den eingeschlagenen Türen stehen. Das Haus war leer. Sie durchsuchten es trotzdem von oben bis unten, bevor sie sich im Wohnzimmer niederließen. Steve machte ein Feuer im Kamin. Als es aufflackerte, stöberte er durch einige Bündel heruntergerissener Vorhänge, die auf dem Boden herumlagen. Er verhängte damit die Fenster, ehe Lucky überhaupt erfaßt hatte, was er vorhatte. Als sich dann der Lichtschein vom Kamin vergrößerte, durchsuchten die beiden Männer den Raum. Lucky ging nach draußen, um sich zu vergewissern, daß kein Lichtschein zu sehen war. 49
In einem kleinen Gewässer konnte er leicht ein paar Fische fangen. Frances blickte Steve mit leuchtenden Augen an und er küßte sie anhaltend. Dann sah er noch einmal nach den Vorhängen. Während Lucky die gefangenen Fische briet, sagte er nachdenklich: „Du hast heute etwas erwähnt, was mich stutzig gemacht hat, und du hast auch alles mögliche angestellt, um eine Verfolgung unmöglich zu machen. Wie kommst du darauf, daß an der ganzen Sache etwas ist?“ Steve erzählte ihm von der kleinen Gemeinschaft, die tapfer versucht hatte, sich einen Rest von Anständigkeit und Zivilisation zu bewahren. Er erzählte ihm auch von der Bande der Guerillas, deren Führer er getötet hatte, und wie er die Farmer vor ihnen gewarnt hatte. Dann erzählte er von dem Sieg der Farmer und von den Bomben, die die tapferen Farmer und alles, wofür sie gekämpft hatten, vernichteten. „Irgend jemand ist daran interessiert, daß es nie wieder eine Zivilisation gibt“, sagte Steve. „Du wirst dir sicher denken können, weshalb.“ „Nein“, sagte Lucky. „Einen Atomkrieg kann es nicht wieder geben“, hob Steve hervor. „Es kann nur noch Gemetzel mit Atomwaffen geben, einen gegenseitigen Vernichtungskampf. Doch mit Atombomben kann man keine Eroberungen durchführen. Man kann damit Menschen töten, nicht aber sie unterjochen. Als der Krieg ausbrach, konnte man die Vereinigten Staaten nicht erobern. Man konnte sie nur zerstören. Und das tat man denn auch! Und die übrige Welt wurde zum größten Teil ebenfalls zerstört. Nur das Gebiet, wo die Kriegsanstifter lebten, blieb unversehrt. Vielleicht nicht ganz, aber sicher hatten sie nur geringfügige Schäden. Wenn wir Amerikaner uns selbst überlassen blieben, würden wir sofort damit beginnen, unsere Zivilisation wieder aufzubauen. Selbst eine unversehrte andere Nation kann mit dem 50
riesigen Kontinent Amerika nicht viel anfangen, weil dieses Volk dazu wahrscheinlich nicht einmal genug Menschen hat. Sicher haben sie keine Schiffe und Ausrüstungen, um Besatzungstruppen zu transportieren und zu unterhalten. Wenn wir also beginnen aufzubauen, werden wir eines Tages wieder zur Gefahr. Was müssen wir also tun?“ Lucky brummte. „Ich beginne zu verstehen, mein Lieber, und der Gedanke macht mich wütend.“ „Mich auch“, sagte Steve. „Und es sind nicht bloße Vermutungen, die ich da ausspreche. Diese Menschen würden Plätze einrichten, auf denen sie Flugzeuge und Bomben stationieren. Diese Kampfmittel würden nicht dazu benutzt, irgendein Gebiet zu erobern, sondern nur, um einen Wiederaufbau jeglicher Art zu unterbinden. Sie würden Spitzel mit Taschensendern aussetzen, die sich mit Landstreichern und Gesindel herumtreiben. Mit ihren Flugzeugen könnten sie Luftbeobachtungen machen. Gepflügte Felder bedeuten, daß die Menschen wieder versuchen sich aufzurappeln. Wo sie Spuren von entstehender Zivilisation entdecken, stacheln die Spitzel Banden auf, die diese mit Vergnügen vernichten. Wenn die Banden versagen, bleiben immer noch die Flugzeuge und die Bomben.“ Lucky grollte vor sich hin. „Ich glaube, es ist ziemlich einleuchtend“, sagte Steve bedächtig. „Wenn sie uns dazu zwingen können, fünfzig oder hundert Jahre lang wie Tiere zu leben, dann sind wir und unsere Kinder zu Wilden geworden. Inzwischen wird das Volk, das uns künstlich niederhält, sich möglichst schnell vermehren. Eines Tages rückt es hier ein und besetzt einen fast unbewohnten Kontinent, auf dem nur noch einige Wilde wohnen. Möglicherweise“, fügte er bedächtig hinzu, „wollen sie nicht nur den einen Kontinent in den Urzustand zurückversetzen, damit ihn ihre Nachkommen übernehmen können. Vielleicht haben sie 51
das mit der ganzen Welt vor. Vielleicht wollen sie eine große Nation schaffen, die die ganze Erde bevölkert. Dazu brauchen sie ja nur die anderen Nationen auszurotten.“ Wieder stieß Lucky ein unwilliges Grollen aus. „Das soll ihnen nicht gelingen.“ Lucky starrte ins Feuer. „Ja“, sagte er dann. „Ich sehe eine Aufgabe vor mir, der ich mich widmen muß. Morgen werden wir weitergehen. Jetzt wollen wir schlafen.“ Sie rollten sich alle drei vor dem Kamin zusammen und schliefen bald ein. Steve erwachte, als Lucky ihn sanft rüttelte. Er war sofort hellwach. Lucky hatte einen der Vorhänge von den Fenstern abgenommen, und die frühe Morgensonne schien ins Zimmer. Lucky legte den Finger auf die Lippen und nickte zu Frances hinüber. Sie hielt noch immer Steves Hand umklammert, und er errötete verlegen. Aber Lucky schien es nicht bemerkt zu haben. Er bat Steve, mit nach draußen zu kommen und Frances schlafen zu lassen. „Sie ist ein lieber Kerl“, sagte er ohne Betonung, als sie die frische Luft genossen. „Du wirst dich doch um sie kümmern, wie?“ Steve sah ihn scharf an. „Was soll das, Lucky?“ „Ich verlasse euch“, sagte Lucky. „Ich habe Frances verdammt gern, aber sie hat nur Augen für dich. Ich habe den Kraterstein, der mir Glück bringt, aber dieses Glück hat seine Grenzen. Vor einigen Tagen wünschte ich mir etwas und bekam eins ausgewischt, weil das die einzige Möglichkeit war, alles zu erfahren. Daraus habe ich meine Lehre gezogen.“ Steve hörte ihm nur zerstreut zu. Ihn beschäftigte nur, daß Lucky zugegeben hatte, in Frances verliebt zu sein. „Worauf willst du hinaus?“ fragte er scharf. „Wenn du glaubst …“ 52
„Mann“, sagte Lucky mit schiefem Lächeln. „Ich glaube, daß Frances ein nettes Mädchen ist. Einmal habe ich ihr Glück gewünscht und sie hat dich getroffen. Das war ihr Glück. Erinnerst du dich, auf welche Weise du sie kennenlerntest? Gut! Ich habe Frances Glück gewünscht. Gleich darauf habe ich mir gewünscht, daß sie mich gern haben sollte. Das war leicht. Ich ging noch weiter und wünschte, daß sie sich in mich verlieben sollte. Das klappte nicht. So viele Augen hatte der Würfel nun einmal nicht. Wenn sie glücklich und zufrieden sein soll, wie ich es ihr wünsche, dann paßt dazu nicht, daß sie mich liebt. Diesen Steinen aus den Kratern sind Grenzen gesetzt. Deshalb verlasse ich euch.“ Steve runzelte die Stirn. Widerstreitende Gefühle beherrschten ihn. Dazu gab es nicht viel zu sagen. „Aber wir brauchen dich, Lucky!“ sagte er ehrlich. „Frances und ich, wir schaffen nicht alles allein, was es zu tun gibt, selbst wenn wir jetzt unsere eigenen Kratersteine haben.“ „Ich weiß“, sagte Lucky. „Ich komme wieder. Ich will mir einen von diesen Kerlen vorknöpfen, die den Leuten mit den Bomben und den Flugzeugen unterstehen. Es wäre vielleicht ganz interessant, von ihm etwas zu erfahren, das streng geheim ist. Ich – hm – glaube schon, daß ich ihn zum Reden bringen könnte. Und von Zeit zu Zeit werde ich wieder hier aufkreuzen. Wenn ich auch in Frances verliebt bin, so hasse ich den, der ihre Liebe errungen hat, doch nicht. Aber – sie ist ein feiner Kerl, mein Freund! Paß auf sie auf, ja?“ Er sah Steve prüfend an, drehte sich plötzlich auf dem Absatz um und ging davon. Zweimal wollte Steve den Mund aufmachen und ihn zurückrufen. Doch er ließ es sein. Dann verschwand Lucky im Dickicht, das wenige Meter vom Haus entfernt wuchs. Er war schon eine Stunde weg, als Frances erwachte und 53
Steve anlächelte. Er hantierte am Kamin, und sein Gesichtsausdruck war ernst. „Guten Morgen!“ sagte sie strahlend. Ihr Lächeln schwand. „Was hast du?“ „Zweierlei“, sagte er. „Zunächst einmal, hat Lucky uns verlassen.“ Sie machte ein verblüfftes Gesicht. Vorsichtig und in allen Einzelheiten wiederholte er, was Lucky ihm eröffnet hatte. Frances Gesicht wurde weich. „Er ist doch ein lieber Kerl, nicht wahr, Steve?“ „Er ist wahrscheinlich ein wertvollerer Mensch als ich“, sagte Steve leicht verbittert. „Ich hätte dich nicht einem anderen lassen können, wenn du mit ihm glücklicher würdest! Ich könnte dich nicht aufgeben, selbst wenn es besser für dich wäre.“ „Aber Steve!“ sagte Frances überzeugend. „Wie kannst du das sagen! Ich brauche doch nur dich, um glücklich zu sein.“ Sein Gesichtsausdruck blieb ernst. „Da ist noch etwas. Nachdem Lucky gegangen war, habe ich mich mal hier umgesehen. Ich erzählte dir ja, daß ich vor Jahren schon einmal hier war. Es hat sich hier einiges verbessert. Ein Damm wurde am Fluß gebaut, eine halbe Meile von hier entfernt. Dort steht auch ein elektrischer Generator, der groß genug ist, um für Beleuchtung und Heizung dieses Hauses zu sorgen. Und der Mann, dem dieses Grundstück gehörte, muß die ersten Bombardements überlebt haben, weil er versucht hat, für die Zukunft vorzusorgen. Er hat sich Waren beschafft, Saatgut und dergleichen. Die Saat sollte hier ausgesät werden. Er hatte sogar Maschinen, um die Felder zu bearbeiten. Aber die sind natürlich jetzt alle zerstört.“ „Und?“ „Plündernde Banden“, sagte Steve tonlos. „Du kannst ja selbst sehen, was sie angerichtet haben.“ Frances schwieg. 54
„Sie haben ihm den Schädel eingehauen“, sagte Steve. „Ich habe ihn gerade begraben. Ein Toter mehr oder weniger bedeutet heutzutage ja nicht viel. Es muß schon vor einigen Monaten geschehen sein. Aber es gibt demnach Räuber, die das Haus kennen. Sie sind hier gewesen und werden wahrscheinlich zurückkommen. Wenn wir hierbleiben, nehmen wir ein großes Risiko auf uns.“ „Ein Risiko, Steve?“ fragte Frances. „Warst du nicht derjenige, der sagte, er könne keine Wunder vollbringen, wohl aber das Unwahrscheinliche, das völlig Unvorstellbare, eine Möglichkeit von Millionen, ja, Billionen? Du möchtest bleiben. Und ich glaube, das sollten wir auch tun. Vielleicht können wir uns einen Garten anlegen, damit wir etwas zu essen haben.“ „Das klingt sehr hübsch“, sagte Steve bitter. „Aber die Leute, die Bomben und Flugzeuge haben, wollen, daß wir wie die Tiere leben. Es ist doch so. Ich liebe dich und du liebst mich. Das müßte doch etwas Wunderschönes sein, etwas, worauf man stolz sein kann. Aber wie sollen wir heiraten? Zum Teufel, nicht einmal heiraten können die Menschen mehr! Sie können sich nur paaren. Und dazu ist meine Achtung vor dir zu groß.“ Frances wurde blaß. Dann lächelte sie wieder. „Ich danke dir. Mir geht es genauso. Aber was willst du denn tun? Willst du eine aussichtslose Pilgerfahrt unternehmen, um einen am Leben gebliebenen Priester zu suchen?“ „Das wäre sinnlos“, grollte Steve, „und dumm! Wenn du dich nicht vor Räubern fürchtest, bleiben wir lieber hier. Lucky wird uns auch hier suchen. Ich habe viel Arbeit. Jemand muß ja schließlich etwas unternehmen. Zum Teufel, so kann die Welt nicht bleiben!“ Er drehte sich plötzlich auf dem Absatz um und stapfte aus dem Haus. Frances blickte auf den Ringfinger ihrer linken Hand. Sie trug keinen Ring. Sie warf einen seltsamen Blick darauf. 55
Aber schon bald, während Steve die Brauchbarkeit des elektrischen Generators überprüfte, begann sie wie eine ordentliche Hausfrau mit einem gründlichen Hausputz. 8. Kapitel Steve hatte sich einen Finger verletzt, als er einen Nagel in die Wand schlagen wollte, und er konnte nicht schreiben. Deshalb diktierte er, und Frances schrieb alles in das vierte Schulheft, in dem schon ein Teil der Abhandlung über das „Paradoxon des Unbestimmbaren“ verewigt worden war. „Unbestimmbarkeit ist also“, sagte Steve und starrte auf die gegenüberliegende Wand, „nur eine Bezeichnung für den normalen Status des Ausgleichs von Partikeln, der durch das Gleichgewicht der Kräfte entsteht. Die Gesetze des Zufalls sind gleich den Gesetzen des Gleichgewichtes. Abarten der Wahrscheinlichkeit ergeben sich demnach aus der Veränderung, die bei Kräften zu bestimmter Zeit und an bestimmtem Ort eintritt. Aber da ein neuer Zustand des Gleichgewichtes eingetreten ist, fallen die Abarten der Wahrscheinlichkeit fort. Hm – hast du das, Frances?“ Sie nickte. „Wir haben nichts zu essen“, sagte sie plötzlich. „Wir wollen mal nach der Fischfalle sehen“, sagte er. Wenige Minuten später traten sie beide aus dem Haus. Sie verließen es nie unbewaffnet oder einzeln. Ihre Waffen bestanden lediglich aus der kleinen automatischen Pistole, die Steve Frances bei ihrer ersten Begegnung geschenkt hatte, und dem Revolver aus dem Plastikkoffer. Ihre Munition war knapp. Natürlich hatten beide ihren Kraterstein bei sich. Steve hatte Hüllen aus einem Stück Dachrinne dafür angefertigt. Aber bisher bestanden keine Anzeichen dafür, daß die Kratersteine Verbrennungen am Körper verursachten. Offenbar erhielt das mit den starken Strahlungen der Atom56
bombe beschossene Uranium neue Eigenschaften. Aller Wahrscheinlichkeit nach konnte es zum Beispiel selbst die Hitze einer Atomexplosion ertragen. „Wenn mein Vater noch lebte“, sagte Frances, „würde er versuchen, ein Gerät zu entwickeln, das dieselben Aufgaben bewältigt wie die Kratersteine.“ „Glaubst du denn, darüber zerbreche ich mir nicht schon lange den Kopf?“ sagte Steve. Er fügte bitter hinzu: „Ich arbeite praktisch aufs Geratewohl. Ich muß zehntausend, hunderttausend Möglichkeiten ausprobieren, bis ich durch Zufall …“ Plötzlich blieb er stehen und fluchte vor sich hin. „Bin ich ein verbohrter Narr! Durch Zufall! Und die Kratersteine beherrschen ja den Zufall! Wenn ich feststellen konnte, daß dieses Haus noch stand, ohne daß ich es sah, dann müßte ich auch feststellen können, ob sich eine bestimmte Versuchsreihe so entwickelt, wie ich es mir vorstelle, ohne daß ich die Versuche ausführe. Ich brauche mir ja nur zu wünschen, daß es gelingt, und wenn der Kraterstein warm wird …“ Sie erreichten die Stelle, wo die Fischfalle ausgelegt war. Ein breiter Damm fing einen kleinen Bergfluß auf und machte ihn zu einem Stausee. Dort hatte Steve eine sehr wirkungsvolle Falle aufgestellt, in der sich jeden Tag Barsche und Forellen in ausreichender Menge fingen. In der ausgeplünderten Speisekammer befand sich verfaultes Gemüse. Etwas Tomatensamen war noch aus dem vertrockneten Haufen zu retten. Mit einem behaglich geheizten Haus konnte man es hier auch bei kaltem Wetter aushalten, und deshalb plante Steve eine Art Treibhauskultur, um auch in der kalten Jahreszeit etwas zu essen zu haben. Er griff in die Fischfalle und zog eine große Forelle an den Kiemen heraus. Wieder griff er hinein und versuchte einen weiteren wild um sich schlagenden Fisch zu haschen. Er richtete sich auf, und Frances hob warnend eine Hand. Sie 57
hatte den Kopf zur Seite gewendet und lauschte angespannt. Ihr Gesicht war bleich. Steve erstarrte. Er lauschte ebenfalls. Dann legte er vorsichtig den zappelnden Fisch nieder und griff nach seiner Pistole. Sie warteten angespannt. Zweihundert Meter entfernt tauchte ein Kopf auf. Ein blutiger Verband war darum gewickelt. Das Gesicht war unrasiert und abgemagert. Ein zweiter Kopf. Ein dritter. Sie starrten alle auf das Haus. Sie berieten untereinander. Drei Männer kamen aus der Deckung hervor und schlichen auf das Haus zu. Mühsam schleppten sie sich vorwärts, als ob sie am Ende ihrer Kräfte wären. Einer der Männer trug ein Gewehr, ein anderer einen riesigen Bogen. Der dritte hielt ein undefinierbares Gerät in der Hand, das man mit etwas Phantasie als Armbrust ansehen konnte, deren Federn zum Abschuß des Bolzens aus einem Auto zu stammen schienen. Alle drei Männer waren in Lumpen gehüllt. Jeder war verwundet, verbunden worden und wieder verwundet. Sie schleppten sich schwerfällig auf das Haus zu und duckten sich erschöpft hinter Bäume und Sträucher, um nicht gesehen zu werden. „Hallo, da!“ rief Steve mit scharfer Stimme. Frances trat einen Schritt vor und rückte unwillkürlich näher an ihn heran. Die drei Männer blieben wie vom Donner gerührt stehen. Sie fuhren herum. Dann kamen sie auf Steve zu. Der Mann mit dem Gewehr hielt es unzweideutig schußbereit, die beiden anderen hatten einen Pfeil in ihren Bogen gespannt. Aber als sie näher an Steve herankamen, drängten sie immer enger zusammen, als wollten sie sich gegenseitig stützen. Sie bewegten sich weniger mit drohenden als mit verzweifelten Schritten vorwärts. „Zum Teufel!“ sagte Steve und blickte von einem zum anderen. „Ihr seid ehrliche Männer. Es gibt noch Wunder.“ 58
„Natürlich sind wir ehrlich“, sagte der eine mit erstickter Stimme. „Wie viele Verbrecher hast du hier in der Gegend versteckt, daß du uns so lachend entgegenzutreten wagst?“ „Keine“, sagte Steve. Er kniff plötzlich die Augen zusammen. „Ihr seid Kundschafter, wie? Sollt vorausgehen und feststellen …“ Aus weiter Ferne tönte ein gellender Schrei durch den sonnigen Morgen zu ihnen herüber. Darauf folgte das ferne Geräusch eines Schusses. Die Männer rissen ihren Blick von Steve los und sahen in Richtung des Schusses. Einer schluchzte auf. „Oh, diese verdammten Halunken! Kommt, sie sollen uns auch mit umbringen!“ Er drehte sich um. „Was bedeutet das?“ schnappte Steve. „Eure Nachhut? Wie viele sind es?“ „Fünfzehn Männer, außerdem noch Frauen und Kinder“, sagte der bärtige Mann mit dem Gewehr düster. „Eine Bande Guerillas jagt uns schon tagelang. Sie haben fast die Hälfte unserer Leute umgebracht. Jetzt werden sie sich die übrigen holen.“ Er drehte sich resigniert um, um dem schrillen Schrei nachzugehen. Wieder ertönten Schüsse. In dem Gesicht des bärtigen Mannes arbeitete es. „Bringt die Frauen ins Haus!“ rief Steve heftig. „Es ist aus Stein. Sie können es nicht niederbrennen. Wir werden sie von dort aus abwehren.“ „Womit?“ keuchte der Bogenschütze verzweifelt. „Das beste ist, wir stürzen uns gleich in den Tod.“ „Komm mit, Frances!“ sagte Steve zornig. „Wir werden die Frauen suchen, und du bringst sie ins Haus und verbarrikadierst Türen und Fenster. Ich werde mit den Männern gehen und mal sehen, was sich mit Hilfe des Kratersteines machen läßt.“ Er war schon Hand in Hand mit ihr losgerannt, dicht gefolgt 59
von den drei verzweifelten Männern, die sich, obwohl sie erschöpft waren, einem aussichtslosen, grausamen Kampf anschließen wollten. In der Umgebung des Hauses war noch alles friedlich und still. Die helle Sommersonne warf einen goldenen Schein auf die mit Tau bedeckten Bäume und Wiesen. Das kleine Tal unterhalb des Hauses und die Wälder, die an den Berghängen emporwuchsen, lagen still und verlassen da. Insekten summten und surrten durch die flimmernde Luft. Von irgendwoher drang der Lockruf einer Wachtel zu ihnen herüber. Aber aus weiter Ferne vernahmen sie jetzt den entsetzten Todesschrei eines Mannes. Und wieder ertönte ein Schuß. Steve und Frances huschten unter den Bäumen hinweg, hinter den verzweifelt vorwärtsstolpernden Männern her. „Was kannst du mit dem Kraterstein unternehmen?“ fragte Frances keuchend. „Ich weiß noch nicht“, brummte Steve und rannte weiter. „Aber diese drei da sind ordentliche Kerle. Sie krochen zusammen, als sie auf uns zukamen, statt weit auseinandergezogen anzugreifen. Wenn sie Frauen bei sich haben, sind sie ein gefundenes Fressen für die Guerillas. Doch am schlimmsten ist, daß einer mit einem Taschensender bei den Guerillas ist. In der Bande, deren Bekanntschaft ich damals machte, war jedenfalls einer.“ Vor ihnen ertönte Geschrei, das jetzt viel näher gekommen war. Sie sahen huschende Gestalten, die sich verzweifelt durch das Dickicht kämpften. Es waren Frauen. „Du meinst – wenn wir sie abwehren – diese Guerillas“, keuchte Frances, „dann werden die Leute mit Bomben und Flugzeugen kommen – und bombardieren?“ „Ja“, grollte Steve. „Bringe die Frauen ins Haus und verbarrikadiere es! Ich bin bald wieder da.“ „Sei vorsichtig!“ rief sie ihm verzweifelt nach. „Bitte, sei vorsichtig!“ 60
Aber er war schon verschwunden. Er kroch durch Unterholz, sprang über Baumstümpfe und rannte durch den dichten Wald auf den Kampfplatz zu, wo sich Männer tapfer ihrer Haut wehrten und starben. Es gab zwei Fronten in diesem Kampf. Steve war beiden unbekannt. Beide würden sofort annehmen, daß er zum Gegner gehörte. 9. Kapitel Die Nacht brach herein und im holzgetäfelten Wohnzimmer des Hauses war es sehr dunkel. Die Kinder waren vor Erschöpfung in der Nähe der Feuerstelle eingeschlafen. Es lagen auch noch andere Gestalten auf dem Fußboden. Frauen kümmerten sich um sie. Es waren drei junge Frauen mit Säuglingen darunter, die ihre Kinder fest an sich preßten. Einige Männer hatten sich an die Wand gekauert, hielten ihre selbstgebastelten Waffen in der Hand, und waren ebenfalls vor Erschöpfung eingeschlafen. Frances sah Steve durch ein Fenster hereinblicken. Ein riesiges Lagerfeuer brannte am Abhang des Berges. Schatten liefen dort umher. Abgehackte Sätze drangen zu ihr herüber. „Ich vermute“, sagte Steve grollend, „daß einer sie dazu überreden will, einen Überfall zu machen, sie aber keinen Mut dazu haben. Wir haben ihnen in den Wäldern ziemliche Verluste zugefügt.“ Frances lehnte sich aus dem Fenster und spähte zu den züngelnden Flammen hinüber. Jedenfalls gab sie sich den Anschein. In Wirklichkeit war es nur ein kleiner weiblicher Trick, um Steve einen Augenblick lang ganz nahe sein zu können. „Glaubst du, daß sie versuchen werden, unser Haus zu stürmen?“ „Höchstwahrscheinlich“, sagte Steve nachdenklich. „Das Lagerfeuer ist nur eine Pfeilschußlänge von uns entfernt. Aber vielleicht kann unser Bogenschütze bis hin kommen. Rufe mir 61
den Burschen mit dem Bogen mal her, Frances. Sage ihm, er soll zu mir heraufkommen und auch andere, die gute Bogen haben.“ „Aber – Steve! Du hast Lucky und mir einmal erzählt, daß du einige Leute vor den Guerillas warntest und sie die Guerillas besiegten – und dann mit Bomben ausgelöscht wurden.“ „Ja“, sagte Steve wütend. „Guerillas und Räuberbanden beseitigen die letzten Spuren von Zivilisation, und solange sie erfolgreich sind, mischen sich die Leute mit Bomben und Flugzeugen nicht ein. Aber wenn eine Gruppe stark genug ist, um den Räubern zu widerstehen, dann spricht einer der Räuber in seinen Taschensender und ein Flugzeug klärt die Lage. Sehr gute Organisation! Wie zerstört man eine Zivilisation? Man gibt den Banditen freie Hand und setzt nur Bomber ein, wo zu große Tapferkeit übriggeblieben ist. Hol mir nun den Bogenschützen und noch einen mit einem starken Bogen, ja?“ Sie zögerte, und er küßte sie durch das offene Fenster. „Wir haben jetzt eine Aufgabe“, sagte er schlicht. „Nun geh!“ Sie tastete sich die dunklen Stufen hinunter in das große Wohnzimmer, das von dem flackernden Feuerschein des Kamins düster beleuchtet war. Dann kam sie mit zwei Männern zurück. „Die Guerillas halten dort unten am Feuer einen Kriegsrat ab“, erklärte ihnen Steve. „Sie arbeiten einen Plan aus, wie sie am besten das Haus stürmen. Könnt ihr einige Pfeile oder Bolzen auf sie abschießen?“ „Ich bin kein Experte“, sagte der Bogenschütze grämlich. „Ich habe mir Pfeil und Bogen geschnitzt, weil es keine anderen Schußwaffen mehr gab.“ „Ich habe auch gemeint, die Armbrust sei ganz gut“, gab der andere zu. „Und ich habe auch eine ganze Reihe von Guerillas damit erwischt. Aber ich bin bei weitem kein Scharfschütze.“ 62
„Versucht es trotzdem“, drängte nun Steve. „Laßt die Dinger nur so durch die Luft schwirren, daß sie in der Nähe des Feuers aufkommen. Ich garantiere für guten Erfolg.“ Der Bogenschütze legte einen Pfeil ein, zielte hoch in die Luft und zog weit zurück. Sie warteten lange. Plötzlich vernahmen sie entsetzte Schreie am Feuer. „Ein Treffer“, sagte Steve. „Ihr beiden wechselt euch jetzt ab und gebt so viele Schüsse wie möglich und so schnell wie möglich ab. Ich glaube, ihr habt Glück.“ Der Armbrustschütze legte einen Bolzen ein, der Bogenschütze einen weiteren Pfeil, dann wieder der Armbrustschütze, dann wieder der Bogenschütze. Geschrei und wütendes Geheul erhob sich an dem Lagerfeuer. Sie kamen nicht darauf, daß die Schüsse vom Haus kommen könnten. Dafür trafen sie zu gut. Die Guerillas dachten, sie würden aus dem Hinterhalt, aus dem Wald beschossen. Sie schlichen sich vom Feuer weg und suchten nach den Angreifern. Meist stießen sie auf eigene Leute. Eine halbe Stunde später bedeckte ein glutroter Feuerschein den Himmel hinter dem Berggipfel. Steve wütete in ohnmächtigem Zorn. „Sie haben den Generatorschuppen angezündet“, sagte er bitter zu Frances. „Und ich hatte mir schon ausgemalt, daß wir in einigen Tagen hier elektrisches Licht haben könnten. Vielleicht sprengen sie auch den Staudamm.“ Einen Augenblick blieb er unschlüssig stehen, dann übermannte ihn der Zorn. „Ich gehe hin“, wütete er. Trotz seines Zorns war er vorsichtig. Lange Zeit lag er hinter der Mauer. Er konnte kein verdächtiges Geräusch vernehmen. Auf jeden Fall deutete nichts darauf hin, daß ein Angriff geplant war. Dann entfernte er sich von dem Haus. Er fand nichts als eine stöhnende Gestalt, die er sorgfältig mied. 63
Eine Stunde später hörte er ein Murmeln. Vorsichtig schlich er näher. Er kannte das Gelände hier gut und konnte lautlos wie ein Indianer schleichen. Er entdeckte einen Mann, der ganz allein war. Der Mann flüsterte einige Worte, schien dann eine Antwort abzuwarten und flüsterte weiter. Er sprach nicht Englisch. Steve konnte die einzelnen Silben nicht deutlich genug verstehen, um sagen zu können, um welche Sprache es sich handelte, aber es war auf keinen Fall Englisch. Haß loderte in ihm auf. Dann blieb er ganz still liegen. Er wartete, bis die Unterhaltung beendet war. Ein leises Klicken und ein Rascheln löste schließlich die geflüsterte Unterhaltung ab. Ein einzelner Mann erhob sich und schlich davon. Steve ließ ihm einen guten Vorsprung und begann dann die Verfolgung. Nach einer Weile wurde er absichtlich unvorsichtig. Er begann zu hinken und laut durch die Büsche zu rascheln. Er hörte, wie der andere stehenblieb. Er stolperte weiter, stöhnte und hinkte auffällig. Dann hörte er ein Rascheln. Er knurrte mit ängstlicher, verstellter Stimme: „Wer ist da?“ „Ich“, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit leicht belustigt. „Bist du verletzt?“ „Ja!“ knurrte Steve. Er schien zu stolpern und kopfüber ins Gebüsch zu fallen. Der andere erreichte ihn, während er sich rollte und brummte. Steve setzte sich auf die Füße. So hockte er, als die andere Gestalt sich über ihn beugte. Er schoß hoch, die kleine Klinge schob einen Zweig beiseite und bohrte sich in den Körper des anderen. Wenige Minuten später fand er ein kleines Gerät, das sich leicht in der Achselhöhle eines Menschen verbergen ließ. Mit grimmiger Befriedigung stellte er fest, daß diese Entdeckung 64
seinen Überfall rechtfertigte, der sonst als Mord zu bezeichnen gewesen wäre. Dieser Mann gehörte zu der Guerillabande. Er war zurückgeblieben, als seine Kumpane flohen. Sie dachten, gefährliche Feinde hätten sie aus den Wäldern angegriffen. Nur dieser Mann war zurückgeblieben, bis alles ruhig geworden war und dann hatte er den Generatorschuppen in die Luft gesprengt, um dann mit seinem Mikrowellensender zu funken. Er war ein Spitzel für die Leute, die Bomben und Flugzeuge besaßen, verführte die Guerillas zum Rauben, Morden und Brennen, damit jede Spur menschlichen Lebens, die über tierische Primitivität hinausging, ausgelöscht wurde. Brennend beschäftigte ihn die Frage, ob er gefunkt hatte, daß sich hier eine Menschengruppe befand, die zu zivilisiert war und bombardiert werden mußte oder ob er sie als Wilde beschrieb. Hatte er die Angreifer aus dem Dunkel als eine weitere Bande Guerillas bezeichnet, die zweifellos die Mission der besiegten Bande übernehmen konnte? Im Hause beriet Steve mit Frances. Er zeigte ihr den kleinen Sender. Außerdem hatte er zwei automatische Pistolen und einen kostbaren Vorrat an Patronen bei dem Toten gefunden. „Unsere Pfeile haben sie in die Flucht geschlagen“, sagte er stirnrunzelnd. „Außerdem vermuteten sie überall im Wald Feinde, obwohl sie sich praktisch selbst umbrachten. Logisch wäre, wenn er berichtet hätte, daß diese Bande auf eine andere stieß, die seine Bande verjagte, um selbst den Raubzug durchzuführen. Aber ich glaube, es ist besser, wenn wir uns für eine Woche acht oder zehn Meilen von hier verbergen, falls das Haus doch bombardiert wird.“ Frances schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, Steve. Eines der kleinen Kinder ist sehr krank und zwei Männer könnten nicht einmal zehn Meilen laufen. Sie 65
sind am Ende ihrer Kraft. Deshalb habe ich auch meinen Kraterstein benutzt und gewünscht, daß das Baby gesund werden und übermorgen vor dem Haus in der Sonne spielen soll. Und der Kraterstein hat sich erwärmt.“ Steve überlegte. Er ging wieder nach draußen zu den rauchenden Trümmern des Generatorhauses am Damm. Der Dynamo war unbrauchbar. Der Gestank versengter Isolierung mischte sich mit dem beißenden Geruch schwelenden Holzes. Steve war zu niedergeschlagen, um zu versuchen, die glühenden Balken mit Wasser vom See zu löschen. „Hat ja alles keinen Zweck“, sagte er mißmutig. „Ich werde einige Fische ins Haus bringen und an dem Sender rumhantieren, sobald es Tag geworden ist.“ Es hatte keinen Zweck, die Fische einzeln einzufangen. Er zog das ganze Netz aus dem Wasser und schwang es über die Schulter. Einer der jüngeren Flüchtlinge war ausgeschickt worden, um das Gelände zu durchsuchen. Er half Steve beim Tragen. Der Junge war Steve schon aufgefallen, er war schlaksig und mochte etwa sechzehn Jahre alt sein. „Bob“, sagte Steve, „Kennst du dich mit Elektrizität aus?“ „Ich hatte ein Fernsehgerät“, sagte der Junge schüchtern, „ich hatte es selbst zusammengebaut und es funktionierte.“ „Hmm“, begann Steve, „dort am Damm am Rande des Sees ist ein Generator. Er erzeugte Elektrizität, womit das Haus beleuchtet und beheizt werden sollte. Diese Lumpen haben den Schuppen niedergebrannt. Es sieht so aus, als ob der Generator zerstört wäre, aber vielleicht sind noch einige Drahtspulen brauchbar, die wir mit der Hand aufrollen können. Willst du dir die Sache mal ansehen?“ „Ja, Sir!“ Der Junge strahlte. „Na, dann mal los“, sagte Steve. Als er das Haus erreichte, dämmerte vom Osten her der Mor66
gen auf. Er übergab die Fische einem ehrlich aussehenden jungen Farmer, der vor dem Hause Wache hielt. Frances hatte auch nicht geschlafen. Sie erwartete ihn und hakte sich bei ihm ein. „Du warst so böse, Steve, als du fortgingst. Hat sich deine Stimmung jetzt gebessert?“ „Oh, ich fühle mich ganz wohl“, sagte er trocken, „abgesehen davon, daß mich einige Probleme beschäftigen. Zum Beispiel die Nahrungsfrage, ob man einen zerstörten Generator wieder dazu bewegen kann, Strom zu erzeugen, wie man, ohne Anleitung und technische Mittel, etwas bauen soll, das genauso arbeitet wie die Kratersteine, damit wir ihnen auf die Spur kommen und alles aus ihnen herausholen. Und dann natürlich, wie man sich die Guerillas vom Leibe halten soll, ohne daß man die Aufmerksamkeit gewisser Leute auf sich zieht.“ Atemlos hatte er das hervorgesprudelt. „Kurz, außer dem Gefühl, daß es keinen Sinn hat, irgend etwas zu versuchen, fühle ich mich sehr wohl.“ Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Vielen Dank“, sagte er launisch. „Das Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit. Aber ich bestehe darauf, daß ich erst wenn ich mehr geworden bin als ein Hexenmeister, der mit Zaubersteinen herumjongliert, wenn ich ein zivilisierter Mann geworden bin – ach, zum Teufel!“ Dann sagte er unvermittelt. „Das Licht ist jetzt hell genug. Ich werde mir jetzt einmal den Taschensender vorknöpfen.“ Sie rannte ins Haus und brachte ihm das Gerät. Er betrachtete es mit finsterer Miene. „Es war nur für einen Spitzel bestimmt. Für den Fall, daß ein solcher Spitzel getötet wird, haben sie sich bestimmt einen netten Trick erdacht, damit es nicht in unrechte Hände fällt. Ich muß vorsichtig sein.“ Er entfernte sich einige Schritte von ihr und hantierte eifrig daran herum. Sie beobachtete ihn. Plötzlich ertönte ein lauter 67
Knall, und sie hielt den Atem an. Aber er winkte ihr beruhigend zu. Nach wenigen Sekunden kam er zurück. „Unsere Freunde mit den Bomben und Flugzeugen sind sehr vorsorgliche Leute! Wenn man das Ding auf die normale Weise öffnet, explodiert es. Ich habe es von hinten aufgeschnitten und so konnte nichts passieren. Das Krachen, das du gehört hast, kam vom Kopf des Explosivkörpers, als ich ihn wegschleuderte.“ Er breitete den Inhalt des kleinen Apparates vor ihr aus. Es waren fast mikroskopisch kleine Radioröhren, winzige Leiter einer Miniaturbatterie und zwei Zeiger, die zwischen Mikrophon und Miniaturlautsprecher angebracht waren. Er betrachtete den Sender lange und nachdenklich. „Feine Sache“, sagte er schließlich ironisch. „Das ist also ein Mikrowellensender. Wenn ein Flugzeug in der Stratosphäre kreuzt, kann dieser Sender selbst über mehrere hundert Meilen hinweg mit ihm Verbindung aufnehmen. Die Mikrowellen werden ausgestrahlt, indem man den gewundenen Sprechkegel als Reflektor benutzt. Siehst du? Der Zeiger hier ist auf eine bestimmte Frequenz eingestellt. Das Gerät reagiert nur auf Signale von dieser einen Frequenz. Das soll dazu anspornen, daß sich die Spitzel untereinander verständigen und in ihrer Teufelei zusammenarbeiten. Fein, was? Dieser Zeiger registriert jede andere elektrische Störung. Wenn wir unseren Generator in Betrieb gehabt hätten, hätte jeder x-beliebige Spitzel auf diese Weise davon Wind bekommen. Auch eine Verbrennungsmaschine oder sonstige Geräte, die ab und zu Funken sprühen, können damit entdeckt werden. Eine bequeme Art, jede kleine zivilisierte Oase aufzustöbern, wie? Wenn wir elektrisches Licht oder Strom hätten, oder eine Taschenlampe benutzen würden, würde es nicht lange dauern, bis ein Spitzel hier aufkreuzt und entweder die Guerillas auf uns hetzt oder Bomben niederprasseln läßt.“ 68
Er schaute sie an und lachte bitter. „Siehst du ein, daß das unseren ganzen Plan über den Haufen wirft? Wenn wir in irgendeiner Form Elektrizität verwenden, schnüffeln sie uns aus. Wenn sie uns ausgeschnüffelt haben, werden sie uns vernichten. Wenn wir uns gegen Räuber verteidigen, werfen sie Bomben auf uns. Wenn wir uns wehren, sind wir verloren. Bekommst du jetzt einen Begriff, wie sie arbeiten? Was nützen Kratersteine gegen einen solchen Aufwand, Frances? Na, hat ja alles keinen Zweck!“ 10. Kapitel Im ganzen waren es ursprünglich zweiundzwanzig Männer, achtzehn Frauen und fast ebenso viele Kinder gewesen, angefangen von Säuglingen bis zu Jungen in Bobs Alter. Vorgestern waren es nur noch fünfzehn und heute waren es elf, und von den achtzehn Frauen waren nur noch zwölf übrig. In ihrem Herzen nagte der Haß wie eine brennende Wunde. Ihr ganzer Haß galt den Guerillas, aber auch den Unbekannten, Unsichtbaren, die Bomben und Flugzeuge hatten. Die Flüchtlinge wußten, daß eine Verbindung zwischen den Guerillas und den Bomben bestand. Wo ehrliche Menschen sich dagegen wehrten, zu Tieren erniedrigt zu werden, tauchten Banden auf, um sie zu vernichten. Wenn diese Banden versagten, prasselten wie aus heiterem Himmel Bomben nieder. Bei dem Kriegsrat, den Steve mit ihnen abhielt, verheimlichte er ihnen nicht, was ihnen bevorstünde. „Wir können den Dreck hinwerfen, uns hinsetzen und auf den Tod warten“, sagte er zynisch zu den Männern. „Sehr wahrscheinlich wird unser Ende ohnehin so aussehen. Aber wir haben die Möglichkeit, vorher noch Schaden anzurichten. Und es hat sich in der ganzen bisherigen Geschichte bewahrheitet, daß eine Kette von Ereignissen manchmal mehr einbringen 69
kann, als man vermutet. Alles, was bisher der Menschheit schadete, wurde schließlich bezwungen und anderen Zwecken zugeführt. Die Menschen fürchteten vor Millionen Jahren das Feuer wahrscheinlich genauso wie Tiere heute noch. Aber sie haben es sich unterworfen. Selbst Blitze waren einmal etwas Schreckliches, bis man sie für elektrische Beleuchtung und Fernsehen benutzte. Alles, was einmal dazu diente, Menschen zu töten, wurde früher oder später friedlichen Zwecken zugeführt. Bei Atombomben schien das allerdings anders zu sein.“ Ein Murren ging durch die Menge. Dreihundert Meilen hatten sie sich durch vertierte Menschen gekämpft, die von den Atombomben übriggelassen worden waren. Sie haßten diese Tiere, sie haßten die Atombomben und die Leute, die sie abwarfen. „Es gibt nur eine Möglichkeit, und die ist wenig erfolgversprechend“, fuhr Steve noch zynischer als zuvor fort. „Lucky Connors hat etwas gefunden, das durch Atombomben entstanden ist, und das könnte bedeuten, daß wir uns damit die Atombomben unterwerfen können, wenn wir eine gute Idee haben.“ Er erklärte so einfach und einleuchtend wie möglich, wie die Kratersteine funktionieren. Er sah nur ungläubige Gesichter. Er versuchte es noch einmal und wieder scheiterte er an ihrer Verständnislosigkeit. „Sie bewirken, daß Ereignisse so eintreffen, wie wir es wünschen“, sagte er verzweifelt. „Seht her! Nehmt alle einen Bleistift oder holt euch ein Stück Holzkohle und schreibt eine Zahl nieder, ohne daß ihr euch untereinander verständigt. Irgendeine Zahl. Bis in die Million, wenn ihr wollt. Ich werde den Kraterstein benutzen und ihr werdet zufällig alle dieselben Zahlen niedergeschrieben haben.“ Er begegnete nur Skepsis und Ungeduld. Aber schließlich schrieb ein Mann eine Zahl und die anderen folgten seinem 70
Beispiel. Sie zeigten sich untereinander ihre Zahl. Sie hatten alle die Zahl 397 546 872 aufgeschrieben. Aber es schien ihnen nur wie ein Zaubertrick ohne größere Bedeutung. „Dann wollen wir mal nach draußen gehen“, sagte Steve, als er ihren Unwillen und ihr Unbehagen bemerkte. „Einer soll mir Pfeil und Bogen bringen.“ Hundert Meter entfernt hinter einem Baum markierte er ein Ziel. Er ließ einen Bogenschützen über den Baum hinwegschießen. Der Pfeil traf das Ziel, der nächste ebenfalls. „Nennt es einen Glücksstein, wenn ihr wollt“, sagte Steve verärgert, als sie ihn mit kalten Augen anfunkelten. „Geht zu dem Platz, wo die Räuber gestern nacht ihr Lagerfeuer hatten. Jeder Bolzen und jeder Pfeil, der vom Haus aus abgefeuert wurde, hat getroffen! Ihr werdet dort viele Tote finden. Und überall in den Büschen liegen noch mehr Tote.“ Drei Männer blieben bei Steve und beobachteten ihn mißtrauisch, während sich die anderen auf den Weg machten. Ein Geschrei erhob sich. Die Männer unten am Berg riefen nach den anderen, die noch im Haus waren. Alle liefen hinunter. Ein stämmiger, bärtiger Mann ballte über einem Leichnam die Fäuste. „Dieser Mann hat in dem Kampf vor einer Woche meinen Sohn getötet“, sagte der Farmer. „Ich habe es gesehen. Ich weiß nicht, wie du ihn umgebracht hast, ob durch Hexerei oder sonst was, aber meinetwegen kann es der Teufel selbst getan haben! Und schließlich sind wir alle dank deiner Hilfe mit dem Leben davongekommen. Wir wollen dir weiter zuhören und versuchen, dich zu verstehen, selbst wenn es Hexerei sein sollte.“ Neben dem niedergebrannten Feuer lagen acht Leichen. Drei davon hatten Gewehre, zwei Pistolen, und sie machten auch sonst noch reiche Beute. „Geh lieber ins Haus zurück“, sagte Steve leise zu Frances. 71
Sie zögerte und wartete dann in angemessener Entfernung auf ihn. Die Toten wurden entkleidet. Kleidung war kostbar. „Sie haben sich in der Dunkelheit auch noch untereinander umgebracht“, bemerkte Steve kalt. „Es müßten noch mehr Leichen herumliegen. Vielleicht können wir noch mehr Waffen erbeuten. Wir wollen mal nachsehen.“ Sie gingen zu den Ruinen des Generatorhauses zurück und durchsuchten das Gelände, aber sie fanden nur einen Dolch, den Steve an sich nahm. Jede zusätzliche Waffe war wertvoll. Steve ging mit den Männern ins Haus zurück. Sie fühlten eine grimmige Befriedigung. Was Steve ihnen erklärt hatte, überstieg ihr normales Denkvermögen, wie es Steve in gewissem Sinne anfangs selbst ergangen war. Aber zumindest hatten Steves Methoden, und wenn sie noch so unerklärlich schienen, die Probe bestanden. Dieser Beweis verfehlte seine Wirkung nicht. Sie besaßen jetzt neun neue Schußwaffen, und diesen Gewinn rechneten sie Steve hoch an. Und besonders zwei Männer bestürmten Steve mit hastigen Fragen, nur um Glauben und Hoffnung für die Zukunft schöpfen zu können. Als sie ins Haus gingen, hörte Frances ihn zweifelnd sagen: „Nun, wir wollen es versuchen und abwarten.“ Sie aßen fast nur Fisch. Danach ging Steve mit zwei Männern fort. Kurz darauf kamen die zwei Männer zurück, versorgten sich mit zusätzlichen Patronen und stapften in den Wald in der Richtung, aus der sie anfangs gekommen waren. Steve sah ihnen stirnrunzelnd und unschlüssig nach. „Was haben sie vor, Steve?“ fragte Frances. „Sie suchen zwei Frauen und einige Kinder, von denen allgemein angenommen wird, daß sie tot sind oder noch ein schlimmeres Schicksal erlitten haben“, erwiderte er. „Sie müssen sich dort draußen irgendwo versteckt haben. Diese Männer wollten 72
feststellen, ob ich ein Wunder geschehen lassen könne. Ich verneinte. Dann fragten sie, ob ich jemanden helfen könne, der noch am Leben sein könnte, sich aber verirrt habe. Ich sollte ihnen bei der Suche helfen. Ich sagte, daß das vielleicht möglich sei.“ Frances war verwirrt. Sie sah Steve an. „Was hast du unternommen?“ fragte sie. „Ich habe nur festzustellen versucht, welche Möglichkeiten in diesem Falle in der Zukunft liegen“, erklärte Steve. „Ich wünschte, daß die beiden Männer die Verirrten finden sollen. Der Kraterstein wurde warm. Es war möglich und ganz sicher. Dann wünschte ich, daß sie diese am ersten Tag finden sollten. Das war nicht auf dem Würfel. Dann versuchte ich es mit dem zweiten Tag. Das klappte. Dann probierte ich weiter und spielte praktisch das alte Kinderspiel ‚Heiß und kalt’. Sie haben sich auf den Weg gemacht, und sie werden zwei Frauen und mindestens zwei Kinder finden und mitbringen. Dann werden sie mich für einen Geisterbeschwörer oder sonst was halten! Vielleicht weihen sie mir aus Dankbarkeit eine Kirche! Aber, verdammt noch mal, ich mag keine Wunder fabrizieren und verirrte Menschen suchen und dergleichen Mätzchen. Es ist – Gaukelei!“ „Warum konstruierst du dann nicht eine verständliche Apparatur, die die Funktion der Steine übernimmt und erklärst daran, wie alles vor sich geht?“ „Wenn ich Elektrizität benutze, wird ein Spitzel die Strahlung auffangen“, sagte Steve bitter. „Und wenn nicht ein Spitzel dahinterkommt, dann ein Flugzeug oben in der Stratosphäre. Elektrizität bedeutet Zivilisation und Zivilisation bedeutet Bombardement! – Ich schnappe noch über, Frances! Bis jetzt haben die Menschen den Zufall von allen wissenschaftlichen Arbeiten ausgeschlossen. Sie mußten das einfach. Wenn Resultate nur zufällig erzielt wurden, taugten sie nichts, denn sie ließen sich nicht wiederholen. Aber wir brauchen jetzt nur den Beweis zu erbringen, daß der Zufall ein verlangtes Ergebnis 73
herbeiführen kann und dieses so bleibt. Ich muß meine Versuche fortsetzen, Frances. Es geht nicht anders! Aber wenn ich irgend etwas ausprobiere, jage ich uns die Bomber auf den Hals.“ Der sechzehnjährige Bob trat zu ihnen. „Ich kann den Dynamo in zwei Tagen reparieren“, sagte er triumphierend. „Nur zwei oder drei Drahtspulen waren unbrauchbar. Soll ich gleich anfangen?“ „Nein, Bob!“ sagte Steve finster. „Mir sind die Hände gebunden. Wir dürfen es nicht wagen, den Dynamo in Betrieb zu setzen. Es ist nur ein Glück, daß wir es vorher nicht versucht haben. Aber hör mal zu! Ich bin etwas durcheinander. Ich bin ein gelernter Physiker und mein Geist bewegt sich in abgesteckten Bahnen. Einmal habe ich sie durchbrochen, aber offenbar bin ich jetzt wieder in den alten Trott verfallen. Du bist noch nicht so alt, daß sich dein Denken schon in bestimmten Bahnen bewegt. Ich will mit dir über meine Sorgen sprechen. Vielleicht findest du eine Lösung.“ Frances ließ die beiden allein. Steve erklärte dem sechzehnjährigen Jungen, der sich einen eigenen Fernsehapparat gebastelt hatte, in verständlicher Weise seine Schwierigkeit. Er war auf eine bestimmte Art des Denkens trainiert und die Kratersteine erforderten eine völlig andere Denkweise. Deshalb zog er den jungen Bob zu Rate, weil dieser Junge mehr Verstand hatte als mancher Erwachsene und vielleicht schneller eine Lösung finden konnte als Steve selbst. Zwei Stunden später kam Steve ins Haus. Frances half gerade der Mutter eines kranken Säuglings. Er zog sie zu sich herauf und küßte sie übermütig. „Wir haben es gefunden!“ platzte er heraus. Während die Männer und Frauen ringsum ihn verdutzt anstarrten, küßte er Frances geräuschvoll und stapfte triumphierend aus dem Haus. Draußen brüllte er nach Bob. 74
11. Kapitel Weniger als zwei Tage danach schaltete Steve das elektrische Licht im Haus ein. Eine Stunde später drehte er die Heizkörper auf, die in die Wände eingebaut waren, und das Haus wurde trocken und mollig warm. Die Feuchtigkeit in der Luft, die dadurch entstand, daß das Haus lange unbewohnt und ungelüftet gewesen war, ließ nach. Bob arbeitete mit Hingabe und leitete sämtliche elektrischen Arbeiten. Der Dynamo würde nicht als Generator verwendet werden. Sie hatten eine bessere Lösung gefunden. Steve selbst zog sich zurück. Obwohl das Haus mit Menschen vollgepfropft war, hatte er sich für seine Forschungsarbeit ein eigenes kleines Zimmer gesichert. Er experimentierte mit dem unmöglichsten Material – Nägeln aus dem ausgebrannten Dynamoschuppen, abgerolltem Draht von dem zerstörten Dynamo, ja, sogar gewöhnlichen Flaschen, die er auf dem Schutthaufen gefunden hatte. Die Zeit verging und auch seine Arbeit ging voran. Seine Augen glänzten in fieberhaftem Eifer. Manchmal pausierte er und stützte den Kopf auf die Hände. Frances hörte ein Gespräch, das er mit Bob führte, als sie darauf bestand, daß er etwas essen sollte. „Faraday begründete nach drei Versuchstagen eine Wissenschaft“, sagte Steve. „Wir beide, Bob, wollen versuchen, in einigen Wochen eine völlig neue Zivilisation aufzubauen, und dieser Gedanke ist so verrückt, daß mir manchmal der Kopf brummt. Ich könnte einen Monat lang schlafen.“ Frances stellte ein Tablett mit Eßwaren vor ihn hin und paßte auf, daß er etwas aß. „Wenn mich das Essen wachhält, will ich etwas essen“, sagte Steve benommen. „Übrigens, wie steht es überhaupt mit den Nahrungsvorräten?“ 75
„Wir kommen aus“, sagte Frances ausweichend. Er schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken fassen zu können und sah sie scharf an. „Meine Liebe, ich glaube, du lügst. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen und wieviel war es?“ Er tobte, als er feststellte, daß sie ihm ihre ganze Tagesration gegeben hatte. Es war natürlich unvermeidlich, daß bei dreißig Menschen die Vorräte immer mehr zusammenschrumpften. Es gab Fische im See und anderes Wild in den Wäldern, und die Frauen sammelten gelegentlich Pilze, Eicheln und andere wild wachsende eßbare Dinge, nachdem die Männer vorher gründlich das Gelände durchgekämmt hatten. „Das nächste Mal wirst du mir noch deine ganze Ration zuschieben, während ich mich wie ein Wilder gebärde und mitten im Trubel einschlafe, ohne mich darum gekümmert zu haben, ob du genug zu essen bekommst. Und dann sitzt du an meinem Lager und fragst, ob du etwas für mich tun kannst. Du hast wirklich ein schweres Los an meiner Seite, Frances.“ „Wenn du nicht wärst, Steve, wäre ich schon längst gestorben“, sagte sie ruhig. „Ich war halb verhungert, als ich dich traf, und wir haben ja erst in den letzten Tagen unser Essen rationiert. Ich mußte mich vorher in Schuppen, unter Blättern und sonstwo vor den Räubern verbergen, und jetzt wohne ich in einem Haus, wo es elektrisches Licht und Bücher gibt, und um mich sind Leute, vor denen ich keine Angst zu haben brauche. Und manchmal beachtest du mich sogar, Steve.“ Sie lächelte ihn an und zwinkerte mit den Augen. „Wirklich, manchmal beachtest du mich sogar! Das genügt mir.“ Er setzte sich auf und packte sie am Arm. „Ich beachte dich? Für wen, zum Teufel, glaubst du denn, daß ich wie ein Vieh arbeite? Warum glaubst du wohl, will ich der Welt wieder Sicherheit, Anständigkeit und Zivilisation geben?“ 76
„Das konnte ich nicht wissen“, hauchte sie atemlos. „Sage es mir, Steve. Warum?“ Er riß sie stürmisch an sich und sie lächelte ihn wieder an. Dann küßte er sie. Und sie setzten sich zusammen auf den Fußboden. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt und sie sah zufrieden und glücklich aus. Selbst als er zehn Minuten später wieder fachsimpelte, änderte sich ihr Gesichtsausdruck nicht. „Der Junge erklärte mir, daß äußerst kurze Wellen nicht um scharfe Ecken herum und nicht durch Wasser geleitet werden können. Also haben wir unsere Anlagen so eingerichtet, daß sie beim An- und Ausschalten nur ganz kurze Wellen von sich geben und haben sie mit Wasser umgeben Gar nicht so kompliziert, wie du siehst. Aber ich kann nicht dafür, daß ich von meiner anerzogenen Denkweise nicht loskomme. Die Kinder in dieser Gruppe können das besser als ich und sind allem Neuen gegenüber aufgeschlossener im Denken.“ Frances hörte ihm zu, aber sie blickte fast unverwandt auf Steves Hand, die sie festhielt. Er fuhr eifrig fort: „Mit dem Trick, zukünftige Möglichkeiten zu erforschen und herauszufinden was unmöglich sein wird, habe ich praktisch nur zwei Stunden gebraucht, um ein Gerät zu entwerfen, das die Funktion der Kratersteine übernehmen kann. Ich kann es mit jeder beliebigen Menge von Energie anfüllen. Aber dazu brauche ich Elektrizität und der Dynamo war ein Wrack. Da kam der Junge auf diese Idee. Eine der lästigsten Erscheinungen der Unbestimmtheit ist der Schußeffekt, die thermalen Geräusche, die sich bei hochwertigen elektronischen Geräten einstellen.“ Frances verstand das nicht, aber sie ließ sich nichts anmerken. „Wie kann diese Schwierigkeit überwunden werden?“ fragte sie. „Freie Elektronen, die durch eine Leitung schießen, häufen sich manchmal rein zufällig an einem Ende an“, fuhr Steve fort. 77
„Wenn das geschieht, bekommen wir elektrischen Strom. Der Junge sagte mir, daß Strom auf Zufälligkeit beruht, und ob ich ihn nicht erzeugen könnte, wenn ich wollte. Das genügte mir. Natürlich konnte ich das! Ich nahm ein Stück Draht und benutzte den Kraterstein. Alle Elektronen konnten nur zu einem Ende wandern. Natürlich wurde der Draht dadurch abgekühlt und das ergab den Strom!“ Triumphierend sah er sie an. „Dann überlegte ich, ob dieser zufällige Zustand zu einem Dauerzustand gemacht werden konnte und das erwies sich als möglich. Wenn ich ein Stück Draht entsprechend behandelt habe, können die Elektronen nur in einer Richtung wandern. Sie häufen sich an, neue Elektronen bilden sich, wo die alten waren und wir haben Energie. Der Draht erkaltet und speichert mehr Wärme auf, um weitere Elektrizität zu produzieren, und so bekommen wir einen Generator ohne bewegliche Teile, der keinen Treibstoff braucht und unendlich lange produziert. Wir brauchen uns nie mehr wegen Treibstoffs den Kopf zu zerbrechen. Wir können Maschinen, Autos, Schiffe und Flugzeuge mit Wärme antreiben, die wir der Luft entnehmen. Sonnenenergie, wenn man es recht bedenkt. Das ist ein bedeutender Fortschritt auf dem Wege zu einer neuen Zivilisation.“ Frances lächelte ihn warm an. Er ließ ihre Hand los, um mit beiden Händen gestikulieren zu können. „Dann habe ich mich weiter mit Elektronen befaßt. Später versuchte ich es mit Molekülen. Sie haben bei Hitze Grenzwerte, die in gasförmigem und flüssigem Zustand in Erscheinung treten können, aber immer da sind. Als es mir gelang, alle Moleküle in einem Glas Wasser zur gleichen Zeit in der gleichen Richtung wandern zu lassen, wußte ich, daß der nächste Schritt getan war. Ich war gerade dabei, es mit einem Stück Eisen zu versuchen, als du hereinkamst und mir etwas zu essen brachtest.“ 78
Steve schwieg plötzlich und sah sie an. Er verzog anklagend das Gesicht. „Meine Güte, Frances! Da erzähle ich dir hier einen Haufen Unsinn, statt mich um dein leibliches Wohl zu kümmern! Warum bleibst du auch hier und hörst mir zu!“ „Ich dachte“, sagte Frances offen, „daß ich am Ende deiner Vorlesung vielleicht noch einen Kuß bekomme.“ Etwa zehn Minuten später verließen sie zusammen das Labor. Frances lächelte befriedigt und strich sich das Haar glatt. „Und wir sind beide hungrig“, wunderte sich Steve. „Daran muß die Liebe schuld sein!“ Lachend suchten sie nach Bob. Er hatte fleißig gearbeitet. Sein Werk war mit nichts zu vergleichen, was Menschen je zusammengebaut hatten. Es war eine unglaublich verwickelte Angelegenheit aus zusammengestückelten Drähten und aus Flaschen, die einem Schutthaufen entstammten. Einige dieser Flaschen waren mit Flüssigkeit gefüllt, und Drähte liefen hindurch. Andere wieder schienen bis auf die Drähte leer zu sein und keine besondere Funktion zu haben. „Das sind unsere Schatzkammern, glaube ich“, sagte Steve. „Ich werde das Gerät überprüfen und einen unserer bärtigen Freunde bitten, es zu bedienen. Da Bob es gemacht hat, werden sie mich vielleicht nicht mehr für einen Hexenmeister halten, wenn es funktioniert. Aber sie werden ihm während der nächsten Wochen ein Loch in den Bauch fragen.“ „Feine Arbeit, Bob. Wir wollen es mal den anderen zeigen.“ Der Junge schluckte und rannte los. In wenigen Minuten kamen die Männer herbei. Der Junge hielt sich vor Aufregung zitternd im Hintergrund. Steve lächelte die Männer an, die ihn immer noch mit einem Gemisch von Vertrauen und heimlichem Mißtrauen ansahen. „Diese Maschine kann zufällige Ereignisse herbeiführen“, sagte er. „Unser junger Freund Bob hat sie konstruiert. Er wird 79
euch erklären, wie sie funktioniert. Es gibt alle möglichen Arten von zufälligen Ereignissen. Einige sind guter, andere sind böser Natur. Dieses Gerät soll nur gute Ereignisse herbeiführen.“ Er winkte den bärtigen Mann herbei, der sich damals so über den Tod des Banditen gefreut und Steve sein Vertrauen zugesichert hatte. „Wenn du diese Griffe in die Hände nimmst und an etwas denkst, das wir nötig brauchen, wird, so glaube ich, dein Wunsch in Erfüllung gehen.“ Der bärtige Mann trat vor. Auf seinem Gesicht spiegelte sich ein Widerstreit von Gefühlen. Er nahm die Griffe in die Hand. Nichts geschah. Steve legte ihm die Hand auf die Schulter und er trat zurück. „Ich habe mir gewünscht“, sagte der bärtige Mann heftig, „daß alle Mörder und Räuber der Welt und jeder, der etwas mit den Bomben zu tun hat, auf der Stelle tot umfallen sollen!“ „Ich fürchte, Ereignisse von diesem Ausmaß kann unser Gerät nicht bewältigen“, sagte Steve trocken. „Wir müssen schon ein bißchen bescheidener sein. So etwas könnte nicht durch Zufall geschehen.“ Der Junge flüsterte Steve etwas zu. „Aber das geht doch, Sir! Ich habe es ausprobiert. Ich – habe mir gewünscht, daß ich eines Tages über ebensoviel Wissen verfüge wie Sie und die Drähte haben geglüht!“ Steve sah ihn an und brachte kein Wort heraus. Dann wandte er sich wieder den anderen Männern zu. „Jemand soll noch einen Wunsch äußern, der unerfüllbar scheint“, befahl er barsch. „Ich möchte, daß ihr versteht, daß das nur eine Maschine ist, die jedoch ein positives Ergebnis erzielen kann.“ Ein junger Mann packte die beiden Griffe an. In einer der mit Flüssigkeit gefüllten Flasche brodelte es plötzlich. Der Draht schien in der Flüssigkeit aufzuleuchten und blieb so. Ein weiterer Draht, der der Luft ausgesetzt war, glänzte feucht. Die 80
Feuchtigkeit verdampfte. Der Draht war mit Eis bedeckt. Dann schwand allmählich das Leuchten. Der junge Mann hatte ängstlich die Hebel losgelassen. „Wir haben alle zu wenig zu essen“, entschuldigte er sich. „Ich habe mir gewünscht, daß alle Fallen, die wir im Wald aufgestellt haben, gefüllt sein sollen, damit wir ein reichliches Abendbrot haben.“ „Dafür haben wir diese Wissenschaft!“ lobte ihn Steve. „Vorläufig jedenfalls. Wir wollen gleich mal nachsehen.“ Eine Stunde später kamen die Männer zurück, nachdem sie alle Fallen überprüft hatten. Sie brachten über zwanzig Kaninchen, zwei zerzauste Birkhühner und ein Rebhuhn mit. Steve nickte bedächtig. „Ich schätze, in Zukunft wird uns das Wild nie mehr ausgehen“, sagte er zu Frances. „Aber wir müssen vorsichtig sein. Wenn eine Wanderung des Wildes in diese Richtung eintritt, folgen bald darauf auch Menschen. Wir müssen uns eher auf Wildgeflügel verlegen. Sagen wir, daß etwa ein Dutzend Wildenten oder Gänse täglich auf dem See landen sollen.“ „Irgendwie müssen wir uns auch Gemüse besorgen und etwas Eisen für Geräte.“ Er seufzte. „Aber ich werde keine Ruhe haben, bis wir eine Art Verteidigungswaffe gegen Atombomben und Angriffe von Guerillas gefunden haben, die uns vielleicht eines Tages überrumpeln könnten.“ „Ich wünschte, du könntest öfter bei mir sein“, sagte Frances wehmütig. „Ich wünschte, die beiden Männer, die die Frauen suchen wollten, kämen bald zurück“, sagte Steve. „Und außerdem wäre es auch gut, Lucky hier zu haben. Ich kann Geräte entwerfen, Frances, aber ich fürchte, ich bin nicht sehr praktisch veranlagt. Jeder hat gehungert, weil ich keinen Hunger spürte. Und wir müssen praktisch denken. Die Leute mit Flugzeugen und Bomben wissen, daß sich hier 81
etwas tut. Ihr Spitzel hat es ihnen berichtet, bevor ich ihn tötete. Und es ist einleuchtend, daß wir früher oder später zur Gefahr werden können, wenn wir in Ruhe gelassen werden. Vorläufig könnten sie uns noch wie Ameisen zermalmen.“ In dem Haus lebten jetzt dreißig Leute, von denen nur Steve und ein sechzehnjähriger Junge das System kannten, womit der Zufall beherrscht wurde. Sie verkörperten daher die einzige nützliche Wissenschaft, die es noch auf der Erde gab. Der übrige Teil des Kontinents von Nordamerika glich einer Wüste, die von wildernden Banden heimgesucht wurde. Sie löschten jegliche Spuren von Zivilisation aus, auf die sie stießen und wurden von den Spitzeln der Leute angestachelt, die beschlossen hatten, die Bevölkerung Amerikas bis auf wenige Wilde aussterben zu lassen. Aber die beiden Männer, die vor einigen Tagen weggegangen waren, kamen am Nachmittag zurück. Sie hatten zwei Frauen und drei kleine Kinder bei sich. Die Frauen und Kinder waren halb verhungert. Eine der Frauen war von der Bande gefangengenommen worden, die die Flüchtlinge durch das ganze Land gejagt hatte. Diese Banditen waren jetzt tot. Die beiden Männer waren mit grimmiger Befriedigung erfüllt. Der kleinere der beiden hatte vier neue Skalps an seinem Gürtel hängen. Das war ein beunruhigendes Zeichen. Die Zivilisation konnte nicht mit Skalps aufgebaut werden. Aber während sich Steve noch darüber Gedanken machte, klang ein jubelnder Schrei durch die Nacht. Lucky Connors war zurückgekommen. 12. Kapitel Mit einem Freudenschrei umarmte Frances Lucky, und Steve wurde schon eifersüchtig. Aber Lucky streckte ihm die Hand hin und grinste. 82
„Während ich weg war, mein Freund“, sagte Lucky, „hat sich hier wirklich allerhand getan. Sogar elektrisches Licht? Und einen eigenen Stamm hast du auch. Habt ihr genug zu futtern?“ „Es reicht“, sagte Steve. „Ich habe dich sehr vermißt, Lucky. Ich scheine einem zerstreuten Professor verdammt ähnlich zu sein. Aber wir haben hier einen Jungen, der sich mal einen Fernsehapparat gebaut hat.“ „Großer Gott!“ sagte Lucky. „Erlaub ihm das nicht! Diese Burschen mit Flugzeugen und Bomben können so etwas sofort ausschnüffeln. Sieh hier!“ Er schwang ein Bündel von seinem Rücken und warf eine Anzahl kleiner Gegenstände auf den Boden. „Diese Dinger hier sind eine Art Kurzwellensender“, sagte er ernst. „Spitzel der Burschen mit den Flugzeugen haben sie bei sich. Sie können damit alles, was mit Elektrizität betrieben wird, finden. Sie können mit den Flugzeugen Verbindung aufnehmen, und sie können sich damit auch untereinander verständigen oder finden. Wenn hier jemand mit einem Fernsehgerät rumspielt, soll er das schleunigst sein lassen!“ Steve nickte. „In dieser Beziehung sind wir sicher. Ich habe selbst einen solchen Sender erbeutet. Wenn du die Dinger allerdings auf der falschen Seite aufmachst, gehen sie in die Luft.“ Lucky grinste. Sie saßen in dem großen Wohnraum des Hauses. Ein großes Feuer loderte im Kamin. Die Farmer, die Steve jetzt großen Respekt entgegenbrachten, hatten sich um sie versammelt und hörten zu. Lucky schien in guter Verfassung zu sein. „Ich habe sehr bald einen Spitzel erwischt“, sagte er selbstzufrieden. „Ich erzählte dir ja, daß ich mir einen solchen Burschen vorknöpfen wollte, der den Kerlen mit den Bomben Bericht erstattet. Als ich hier wegging, wünschte ich mir ganz fest, 83
einen solchen Burschen zu treffen. Am ersten Tag ging ich nach Süden, dann nach Westen. Ich wanderte drei Tage lang, ohne eine Menschenseele zu treffen. Ich war auch nicht gerade in rosiger Stimmung und deshalb war es vielleicht besser so. Am vierten Tag fand ich einen Toten, der noch nicht lange tot sein konnte. Er sah gut genährt aus, und ich suchte nach einer Spur, die zu den Leuten führte, die ihn getötet hatten. Als es gerade dunkel wurde, traf ich sie an einem Lagerfeuer. Ich trat dicht an das Feuer und sagte: ‚Ich bin Lucky Connors, ein Spieler. Ich setze mein Gewehr und möchte mir mit euern Würfeln etwas zu essen erwürfeln.’ Damit hatte ich das Eis gebrochen.“ Steve lächelte schief. Mit einem Kraterstein, der den Zufall beherrscht, konnte Lucky Connors das Würfelspiel einfach nicht verlieren, ganz gleich, welchen Würfel er benutzte. „Diejenigen, die es auf mein Gewehr abgesehen und mich sonst deshalb getötet hätten, hatten auch mehr Spaß daran, die Sache mit mir auszuwürfeln“, sagte Lucky. „Aber ich habe ihnen das Lager ausgeräumt, obwohl ich ihre eigenen Würfel benutzte und einige davon die krummsten Dinger waren, die ich je gesehen habe. Ich gewann immer! Dann aß ich mich satt und sagte: ‚Ich bin Lucky Connors, Freunde, und ich kann das viele Zeug, das ich gewonnen habe, gar nicht allein schleppen. Nehmt es zurück und erlaubt mir dafür, bei euch zu bleiben.’ Und ich lehnte mich zurück und erwartete, daß sie ablehnten. Aber ich wurde aufgenommen.“ Lucky schwieg und grinste. „Sie hätten mich töten können, aber jeder war begierig, festzustellen, wie ich es fertiggebracht hatte, daß ihre eigenen Würfel versagten“, fuhr er fort. „Wir setzten uns also freundschaftlich zusammen und sie erzählten mir, was sie vorhatten. Sie hatten von einer Farm gehört, die noch nicht geplündert worden war und wo es allerhand zu essen gab. Diese wollten sie sich einmal 84
vornehmen. Ich schloß mich dem Raubzug an und wünschte, daß die Leute dort flohen, bevor wir ankamen.“ Er zog eine Pfeife und Tabak hervor. Er stopfte die Pfeife und zündete sie an. Die Männer sahen ihm mit verhungerten Augen zu. „Bedient euch nur“, sagte Lucky großzügig. „Ich habe noch mehr.“ Er schob dem nächsten Mann einen prallen Beutel voll Tabak zu und er machte die Runde. Einige der Männer hatten seit Wochen keinen Tabak mehr gerochen. „Die Leute waren wirklich geflohen, aber wir plünderten das Haus aus“, erzählte er weiter. „Wir zündeten es dann noch an und setzten das Getreide auf den Feldern in Brand. Das geschah auf Anordnung des Chefs der Bande. Dieser Bursche – hm – interessierte mich irgendwie. Woher wußte er von einer Farm, die noch nicht geplündert worden war und warum brannte er das Getreide nieder, das er sich später, wenn es reif war, doch hätte holen können?“ Die Atmosphäre im Zimmer war ziemlich feindselig geworden. Diese Männer hier waren selbst Farmer, und die Hälfte ihrer Gruppe war von solchen Banditen, denen Lucky sich angeschlossen hatte, getötet worden. „Ich machte mir so meine eigenen Gedanken“, sagte Lucky. „Wenn ich richtig vermutete, mußte er diese Nacht einen Bericht durchgeben. Ich schlief also nicht wie die anderen, sondern schlich mich davon und beobachtete ihn. Als die anderen alle schnarchten, ging der Boß etwas von dem Lagerfeuer weg. Er lauschte eine Weile und ging dann noch weiter. Dann begann er vor sich hin zu murmeln. Ich wartete, bis er fertig war, und als er dann wieder zurückgehen wollte, schlug ich ihn von hinten nieder. Ich fesselte ihn und trug ihn auf dem Rücken, so weit ich es schaffte. Dann vergewisserte ich mich, daß er gut gefesselt war und schlief ein.“ 85
Steve fühlte einen leisen Druck an seiner Schulter. Es war Frances, die neben ihm auf dem Boden hockte und Lucky zuhörte. Sie kuschelte sich unbewußt dicht an Steve. In diesem Augenblick schwand bei Steve jede Spur von Eifersucht. „Als der Morgen graute, erwachte ich und blickte in den Lauf eines Gewehres. Ein Mann und zwei Frauen standen vor mir, und der Mann war bereit, mich auf der Stelle niederzuknallen. Es war der Farmer, dessen Haus und Ernte wir niedergebrannt hatten. Er hatte gesehen, wie wir sein Haus ausgeplündert und angezündet hatten. Er hätte mich erschossen, während ich schlief, aber er hatte den Mann, der gefesselt neben mir lag, als den Räuber erkannt, der sein Weizenfeld angesteckt hatte. Er wollte wissen, was das zu bedeuten hatte und wollte mich ausfragen, bevor er mich erschoß. Ich erzählte ihm alles.“ Lucky grinste und paffte dicke Rauchwolken. Er ergötzte sich offensichtlich an der Neugierde seiner Zuhörer. Noch vor kurzem hatte er die Gunst der anwesenden Männer durch seine großzügige Tabakverteilung errungen, die ihn aber gleich darauf zu hassen schienen, als er ihnen erzählte, daß er an einem Raubzug der Guerillas teilgenommen hatte. Jetzt wußten sie nicht mehr, was sie denken sollten. Und Lucky ergötzte sich an ihrer Unentschlossenheit. „Dieser Guerillaboß wurde dann verdammt redselig. Ich habe noch nie einen Mann so um sein Leben betteln hören. Der Farmer glaubte mir und die Sache lag ja klar genug auf der Hand. Wir entzündeten dicht neben dem Guerillaboß ein Feuerchen und begannen, ihn auszufragen. Als er lügen wollte, zogen wir ihm die Kleider aus, dabei fand ich auch den Sender, Steve, und versengten ihm das Fell. Da sagte er die Wahrheit.“ Die Augen der Flüchtlinge funkelten jetzt. Sie haßten Lucky nicht mehr. Sie waren begierig, Einzelheiten über die Folterqualen des verhaßten Banditen zu hören. 86
„Konntest du auch feststellen, welche, Staatsangehörigkeit er hatte, Lucky?“ fragte Steve plötzlich. „In welcher Sprache funkte er?“ „Ha!“ sagte Lucky verächtlich. „Er war nur ein ganz gewöhnlicher Bandit! Er sprach genauso Amerikanisch wie du und ich. Er hatte eine kleine Bande angeführt und mit ihr Raubzüge unternommen. Landstreicher stießen zu seiner Bande und verließen ihn wieder, wenn es ihnen nicht mehr paßte. Aber er war nicht allzu erfolgreich. Eines Tages tauchte ein Kerl bei ihm auf und bot ihm vertraulich Waffen und Whisky an, damit er seine Bande vergrößern konnte, wenn er ihm dafür über den Kurzwellensender Berichte zukommen ließ, was er getan und gesehen hatte.“ Lucky warf Steve einen raschen Blick zu. „Wir beide, Steve, hätten diesen Kerl sofort als Spitzel erschossen, aber der Guerillaboß hörte ihn an. Der Kerl gab ihm den Kurzwellensender und erklärte ihm, wie er damit umgehen mußte, aber er warnte ihn, das Gerät niemals zu öffnen, und wirklich bekam er in der folgenden Nacht Anweisung, wo er Whisky und Waffen finden konnte, und von da an ging es ihm besser. Seine Bande bestand etwa aus dreißig bis vierzig Män87
nern, als ich mich ihm anschloß. Meist plünderten sie Farmen aus, die ihm über den Kurzwellensender zugewiesen wurden, brannten die Gebäude nieder, raubten die Nahrungsmittel und ermordeten die Menschen mit teuflischem Vergnügen.“ Er rauchte schweigend, und die Männer beobachteten ihn gespannt. „Wir brauchten ziemlich lange, bis wir alle Einzelheiten aus ihm herausgepreßt hatten“, fügte er trocken hinzu. „Aber er erzählte uns alles, was er wußte und ich behandelte ihn fair.“ In seinen Augen lag ein treuherziger Ausdruck. „Ich habe genau das getan, was ich ihm versprochen hatte, wenn er mir alles erzählte, was er wußte und nichts verheimlichte.“ Ein bärtiger Mann beugte sich mit brennenden Augen vor. „Du hast ihn doch nicht etwa laufen lassen, Mann!“ „Nein, zum Teufel!“ sagte Lucky mit gespieltem Erstaunen. „Aber ich habe mein Versprechen gehalten. Ich habe dem Farmer die Sache überlassen. Trotzdem bekam der Bursche das, was ich ihm versprochen hatte – einen schnellen Tod mit einem Schuß.“ „Und dann, Lucky?“ sagte Steve ruhig. „Jetzt hattest du erst einen Sender. Wo sind die anderen her?“ „Oh, wir erfuhren von ihm, wie wir sie bekommen könnten. Es gab noch andere Burschen, die wie er einen Sender bekommen hatten und dann gab es auch welche die die Sender austeilten. Diese Leute unterstehen direkt denen, die Bomben und Flugzeuge haben. Einer dieser Schalter dient dazu, einen anderen Mann mit Sendegerät anzupeilen. Damit wird erreicht, daß sie sich untereinander kennenlernen und verständigen und keine Zeit vergeuden, um sich gegenseitig umzubringen. Er hat uns das alles erklärt. So machte ich zusammen mit dem Farmer davon Gebrauch. Wir erließen einen allgemeinen Aufruf und warteten. Zwei oder drei Tage später kamen einige Kerle. Einer sagte den anderen, sie sollten schon vorausgehen, während er 88
sich hinsetzte. Als seine Gefährten außer Sicht waren, kam er direkt auf unseren Sender zu sprechen. Ich tötete ihn in Notwehr. Dieser Bursche hatte zwei Pistolen und soviel Munition bei sich, daß man sich kaum vorstellen konnte, wie er das alles geschleppt hatte. Und er hatte auch einen Sender bei sich. Ich schenkte ihn dem Farmer, und er wollte weitere Aufrufe erlassen und solche Burschen mit Sendern in die Falle locken. Sie verlangten natürlich immer, ihn heimlich zu treffen. Und so wurde das ein ganz einträgliches Geschäft, wenn man es sich recht überlegt. Jeder, der sich verstecken mußte, gab alles für ein Gewehr oder eine Pistole und etwas Munition her, und nachdem er sich und die zwei Frauen mit Waffen eingedeckt hatte, konnten sie einen guten Tauschhandel treiben. Wir vereinbarten ein Verständigungszeichen, damit sich alle untereinander kennenlernten und dann trennten wir uns. Dieser Farmer war ein feiner Kerl. Er sagte, daß ich ihn eines Tages, wenn sich die Zeiten gebessert haben und er seine Farm wieder aufgebaut hat, unbedingt besuchen müsse.“ Damit schien Lucky seine Erzählung als beendet zu betrachten. Er zog an seiner Pfeife und grinste seine Zuhörer an. „Damit sind es aber erst zwei Sender“, sagte Steve. „Und du hast doch ein halbes Dutzend von diesen Dingern.“ „Ja“, sagte Lucky. „Es wurde ein interessantes Geschäft. Und es ist erstaunlich, wieviel anständige Leute noch überall anzutreffen sind. Alle halten sich irgendwo verborgen, und die meisten sind halb verhungert. Aber ich habe drei, vier Leute in die Sache eingeweiht und sie bekamen dadurch ein wenig Hoffnung. Sie wagen es sogar, sich untereinander zu verständigen. Ich erklärte ihnen, daß frisch gepflügte Felder von den Flugzeugen aus gesehen werden und daß die Flugzeuge die Guerillas verständigen. Sie sollten sich also danach richten. Sie werden jetzt nur noch kleine Streifen Land bebauen und 89
keine Furchen mehr aufwerfen. Das allein wird ihnen schon von großem Nutzen sein. Und sie werden diese Warnung auch zu den anderen funken. Es ist jetzt nicht mehr aufzuhalten, und wenn alle Spitzel in diesem Gebiet ausgelöscht worden sind, müssen die Leute, die das besorgt haben, andere Gebiete säubern.“ Eine befriedigte Stille senkte sich über den Raum. Die Männer hatten so furchtbar unter den Guerillas zu leiden gehabt, daß es sie mit Dankbarkeit erfüllte, als sie erfuhren, daß man allgemein dem Wiederaufbau der Zivilisation näher kam. Noch waren sie nicht in Sicherheit. Eigentlich bestand noch kein triftiger Grund zur Hoffnung. Ihre Ernährung hing von einem Gerät ab, das den Zufall beherrschte, und das sie nicht verstanden und letzten Endes auch nicht verstehen wollten. Und sie waren immer noch von allen Seiten bedroht. Nicht nur die Guerillabanden, von den Leuten mit Bomben und Flugzeugen angestellt, waren für sie eine große Gefahr. Sie konnten jeden Augenblick aus heiterem Himmel mit Bomben beworfen werden, wenn die Clique, die die Zivilisation ausgerottet hatte, auch nur die leiseste Andeutung bekam, daß hier etwas aufgebaut wurde. Dann wäre ihr Schicksal besiegelt. Und es konnte noch schlimmer kommen. Als sich alle im Hause zur Ruhe legten, zupfte Lucky Steve am Ärmel und wies mit dem Kopf zur Tür. Steve folgte ihm nach draußen. „Frances sieht glücklich aus, mein Lieber“, sagte Lucky. „Ich glaube, sie ist es auch“, sagte Steve. „Ich hoffe es jedenfalls.“ „Ja.“ Lucky schwieg einen Augenblick. „Hat sie – hm – verstanden, weshalb ich weggehen mußte?“ „Ja“, sagte Steve unbehaglich. Eine verlegene Pause trat ein. Dann zuckte Lucky leicht die Achseln und sagte mit veränderter Stimme: „Die Dinge spitzen sich zu, mein Freund. Auf meinem Rück90
weg nach hier las ich einen der übriggebliebenen Burschen auf, die noch einen Sender haben. Er und seine Bande schienen nach hier unterwegs zu sein. Das beunruhigte mich. Ich – hm – brachte ihn zum Sprechen. Ich glaube, er dachte, ich wäre so eine Art Spitzel für beide Fronten. Jedenfalls erzählte er mir, daß er dieses Haus überfallen und feststellen solle, was sich hier tut.“ Steve runzelte die Stirn. „Hier, he? Das ist schlimm. Wie lauteten seine Anweisungen, Lucky?“ „Wenn er hier Guerillas vorfindet, sei alles in Ordnung und er sollte Whisky und Waffen für diese Auskunft erhalten“, erwiderte Lucky. „Wenn nicht, sollte er Bericht erstatten, nachdem er alles, soweit wie möglich, vernichtet hatte. Er wird nicht mehr dazu kommen. Ich weiß aber nicht, ob seine Bande trotzdem hierherkommen wird. Aber wenn er keinen Bericht funkt, passiert bestimmt etwas! Die Clique, die das ganze Land verwüstet hat, ist auf uns aufmerksam gemacht worden. Sie weiß, daß hier irgend etwas faul ist, nachdem ihre sämtlichen Spitzel plötzlich vom Erdboden verschwunden sind. Sie werden sich auf dieses Gebiet konzentrieren. Was wollen wir dagegen unternehmen?“ Steve holte tief Luft. „Ich schätze, wir müssen kämpfen“, sagte er nüchtern. „Es gibt keinen anderen Ausweg. Weißt du, es wäre ja ganz wissenswert, zu erfahren, gegen wen wir eigentlich kämpfen oder wo sie sich aufhalten und was, zum Teufel, wir dagegen tun können. Ich komme mir vor wie eine Mücke, die gegen einen Elefanten anzukämpfen versucht.“ 13. Kapitel Nachdem Steve erfahren hatte, welche Gefahr ihnen drohte, machte er keine Anstalten sich zur Ruhe zu legen. Er zog sich mit Lucky in sein kleines Labor zurück und nahm seine Arbeiten wieder auf. Aber diesmal hatte er ganz bestimmte Pläne. 91
Lucky Connors konnte ihm nicht viel dabei helfen. Er saß auf einer Bank und sah Steve bei der Arbeit zu. Dieser arbeitete wie besessen. Er kramte eines der sechs Schulhefte hervor und schrieb etwas hinein. Dann faßte er die Griffe von Bobs eigenartigem Gerät an und runzelte die Stirn. Nichts geschah. Er strich das Geschriebene durch und schrieb wieder einige Zeilen. Dann faßte er wieder die Griffe an. Dieser Vorgang wiederholte sich immer und immer wieder. Nach ungefähr einer Stunde glühten zwei Drähte in einer mit Flüssigkeit gefüllten Flasche auf und ein ungeschützter Draht setzte Reif an. „Ich spiele ‚Heiß und kalt’“, erklärte Steve. „Erinnerst du dich, wie ich herausfand, daß dieses Haus noch stand, ohne daß ich es vorher gesehen hatte? So etwas Ähnliches mache ich jetzt auch. Ich habe jetzt gerade gewünscht, eine Möglichkeit zu finden, um auf Eisen eine Gedankenaufnahme zu machen. Das Gerät glühte nicht auf. Also liegt das nicht in den Möglichkeiten der Zukunft. Nun habe ich alle möglichen Stoffe ausprobiert. Jetzt versuche ich es gerade mit Protein. Es ist also irgendwann möglich, eine Gedankenaufnahme auf einer Art Protein zu machen. Jetzt muß ich noch feststellen, wie sich das machen läßt. Wenn ich mich der richtigen Lösung nähere, ist es ‚heiß’ und das Gerät zeigt an. Wenn ich weit davon entfernt bin, ist es ‚kalt’ und der Apparat schweigt. Das ist zwar eine eigentümliche Art, Forschung zu betreiben, aber es geht doch schnell. Trotzdem wünschte ich, ich wäre klüger. Es könnte möglich sein, daß ich mit zehn Fragen die Antworten erhalte und viel schneller vorwärtskomme, aber wie?“ Er schrieb wieder in das Schreibheft, hielt die Griffe und runzelte die Stirn. Nichts geschah. Dann strich er das Geschriebene wieder aus und begann von neuem. Als die Dämmerung hereinbrach, arbeitete er immer noch in 92
der gleichen Weise, schrieb einige Zeilen in das Heft, faßte die beiden Griffe an, dachte nach, strich wieder aus und schrieb von neuem. Es war ungeheuer anstrengend. Diese geistige Überanstrengung war viel schlimmer als körperliche Arbeit. Aber wie ein Automat arbeitete er weiter, bis die Sonne am Horizont aufging und immer höher stieg. Da glühten plötzlich die Drähte in den Flaschen wieder auf. Und in diesem Augenblick ließ er erschöpft und erleichtert die Arme sinken. Aber auch jetzt konnte er sich noch keine Ruhe gönnen. Er mußte Skizzen für die neuen Kreise aufstellen, das Material bestimmen und alle damit in Verbindung stehenden Dinge klären. Dann mußte er darangehen, diese Dinge zu konstruieren. Als die Menschen im Haus erwachten, holte er den jungen Bob zu sich. Er gab ihm die Skizzen für die zwei Geräte und erklärte ihm alle Einzelheiten, die aus den Zeichnungen nicht hervorgingen. Der Junge überprüfte sie eifrig und machte sich sofort an die Arbeit. Steve ging wieder in sein Labor, um ein drittes Gerät zu entwickeln, doch bevor er es vollendet hatte, sank er erschöpft in tiefen Schlaf. Die Zeit verging. Irgendwo, ein Dutzend Meilen entfernt, erwachte eine Bande Guerillas mit streitsüchtiger Laune. Ihr Führer war verschwunden. Deshalb hatten sie den ganzen Whisky getrunken, den er gelegentlich herbeigezaubert hatte, und sich untereinander wüst bekämpft. An diesem Morgen gab es im Lager drei Tote, und sie hatten immer noch keinen Führer. Sie berieten mürrisch, während sie die letzten Vorräte aufaßen. Sie hatten keine Pläne und wußten nur, daß ihr Führer vorgehabt hatte, ein Haus, das etwa ein Dutzend Meilen von ihrem Lager entfernt war, zu inspizieren. Es bestand die Möglichkeit, daß sich eine andere Bande in diesem Haus festgesetzt 93
hatte, oder daß dort Leute lebten, die man bequem ausrauben konnte. Jedenfalls war das ein Ziel. Einer anderen Bande konnten sie sich anschließen, und Flüchtlinge konnte man leicht töten, weil sie meist Frauen bei sich hatten. Gegen Mittag waren sie sich nach langem Hin und Her einig geworden, diesen Plan durchzuführen. Sie marschierten sorglos und ohne Deckung zu nehmen auf das Haus zu. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, im Schatten der Bäume zu gehen, sondern gingen querfeldein. Im Haus arbeitete der Junge fieberhaft und zwei seltsame Geräte, die ein eigenartiges Licht ausstrahlten, gewannen unter seinen geschickten Händen Gestalt. Er lief nach oben, um Steve zu suchen. Er war gerade aufgewacht und wandte sich hastig der Vollendung seiner Aufgabe zu. Draußen wetterte Lucky, weil er Steve nicht finden konnte. Frances versuchte, ihm den Weg zu versperren, als er ins Labor stürmen wollte. „Wenn er eingeschlafen ist, dann mußt du ihn in Ruhe lassen“, schimpfte sie. „Er hat die ganze Zeit nur gearbeitet, Lucky. Er hat sich keinen Schlaf gegönnt.“ „Aber heute kann so viel passieren“, sagte Lucky beunruhigt. „Eine Bande ist nach hier unterwegs.“ „Du bist doch auch noch da“, sagte Frances. „Du hast einen Kraterstein. Wende ihn doch an.“ „Quatsch!“ sagte Lucky. „Du hältst mich doch für deinen Freund, nicht wahr? Also, dann laß mich auch wie ein Freund handeln. Es besteht große Gefahr für uns alle. Ich weiß nicht, wie ich damit fertig werden soll, aber dein Freund Steve weiß das – oder er bildet es sich zumindest ein. Ich muß ihn rufen. Wir müssen etwas unternehmen.“ Er klopfte laut an die Tür zum Labor. Steve trat heraus und trug das unmöglichste Gerät unter dem 94
Arm, was je konstruiert wurde, Bob lief eilig voraus, wo er zwei weitere solcher Geräte liegen hatte. „Komm mit“, sagte Steve. „Wir müssen diese Dinger draußen aufsteigen lassen.“ Er kletterte den Hang hinter dem Haus hinauf, wo der Junge bereits damit beschäftigt war, eines der seltsamen Dinger aufzuspannen. Das Gerät war nur ein heilloses Gewirr von Draht und Flaschen auf einem verkohlten Brett. Das andere, das er so vorsichtig zu spannen versuchte, konnte wie eine Waffe auf ein Ziel gerichtet werden. „Sie sind bereit, Sir“, sagte der Junge demütig zu Steve. „Ich weiß allerdings noch nicht, wozu sie benutzt werden sollen.“ Steve setzte sein eigenes Gerät auf den Boden und überprüfte Bobs Machwerke. „Sie arbeiten zusammen“, sagte er. „Das eine, das ich gerade fertiggestellt habe, ist ein Gedankenaufnahmegerät. Es wird einen Wunsch, einen Gedanken oder einen Vorgang aufnehmen und in die anderen einhaken. Das muß klappen, denn ich habe es gewünscht und es liegt im Bereich des Möglichen. Das da“, er wies auf das Gerät in Bobs Hand, „ist ein hypothetisches Probegerät. Es ähnelt in gewisser Weise dem Radar, aber es kann die Auswertungen des anderen verwerten, das als Generatorhersteller dient. Weißt du, wie wir unsere Elektrizität herstellen, Lucky?“ Lucky schüttelte den Kopf. „Wir verstärken thermale Geräusche“, sagte Steve, der sich immer noch mit der Überprüfung der Geräte befaßte. „Schußeffekte, verstehst du? Das sind natürliche, ruckartige Ströme in allen Metallteilchen. Sie sind zufällig, und da wir zufällige Erscheinungen beherrschen können, können wir bewirken daß sie ständig auftreten und dazu noch viel stärker als unter normalen Umständen. Wir lassen alle frei gewordenen Elektronen in einer Richtung wandern. Dadurch kühlt das Metall ab und erzeugt Strom. Wir 95
können diesen Vorgang zu einer ständigen Erscheinung machen und erhalten dadurch die Energie, die wir brauchen. Dieses Gerät löst diesen Vorgang in der Ferne aus, aber die Wirkung wird nur vorübergehend sein.“ „Sie sagten, das sei hypo – hypo –“ Betrübt brach Bob ab. „Du hast gute Arbeit geleistet, Bob. Eine hypothetische Probe sollte als Variation unserer Erkenntnis dienen. Bis jetzt haben wir etwas gewünscht und die Kratersteine oder unser Gerät zeigten an, ob es klappen würde. Aber dies hier ist eine Probe darauf. Man sagt nicht: ‚Ich wünsche, daß dies und jenes geschieht, wenn ich dies und jenes tue’, sondern: ,Wenn ich dieses oder jenes tue, würde das dann geschehen?’ Komm! Es sieht aus, als ob alles in Ordnung sei. Ich will es ausprobieren. Ich verbinde es mit dem Gedankenaufnahmegerät, das die Frage stellen soll: ‚Wenn ich diese Linie gegebener Punkte entlangginge, würde ich dann ein Flugzeug sehen?’ Wir können selbstverständlich nicht hinaufgehen, deshalb ist es hypothetisch. Mit einem Kraterstein, Lucky, bekämen wir keine Antwort. Ein Flugzeug zu finden, indem man nach oben geht, liegt nicht im Bereich zukünftiger Möglichkeiten, weil wir einfach nicht nach oben gehen können. Aber es liegt im Bereich feststellbarer Tatsachen, und daher müßte das Gerät funktionieren.“ Er schwenkte den Holzklotz zum Himmel. Plötzlich glühten die Drähte auf. Er verharrte in der Bewegung. „Da ist ein Flugzeug über uns“, sagte er ruhig. „Das Ding arbeitet mit Radar. Ja, es muß ein Flugzeug sein!“ Lucky hörte ein fernes pfeifendes Geräusch und Rauchpilze stiegen auf. Dann wieder eine Explosion, eine dritte, eine vierte, eine fünfte. Dann waren zu gleicher Zeit die Erschütterungswelle und das Geräusch der ersten Explosion zu spüren. Das Geräusch der ersten Explosion glich einem dumpfen Brüllen. Dann folgten andere Geräusche, die Tonstärke steigerte 96
sich, und sie kamen immer näher. „He!“ sagte Lucky mit brüchiger Stimme. „Sie kommen näher!“ Steves Hände bewegten sich blitzschnell. Er stellte mit seinen Fingern Kontakte her. Dabei riß er sich an den Drähten die Haut auf. Er achtete nicht darauf, als Blut hervorquoll. „Wir werden gleich bombardiert“, sagte er kurz und heftig. Zwei Meilen entfernt schoß der Rauch von zwei Explosionen in die Höhe, und dann wurden drei weitere Rauchpilze sichtbar, die nur anderthalb Meilen entfernt waren. Ein Bombenteppich wurde gelegt. In einem Gebiet von vier Meilen Länge und zwei Meilen Breite würde alles ausgelöscht werden. Doch das Gebiet war noch ein wenig ausgedehnt worden, weil man von oben kleine, huschende Gestalten entdeckt hatte. Dann bewegte sich der Bombenteppich auf das Haus zu, schneller, als ein Mensch zu fliehen vermocht hätte. Eine Meile entfernt krachte eine Bombe, gefolgt von zwei weiteren. Durch die Erschütterungswelle geriet Steve ins Taumeln, aber er sagte knapp: „Geschafft!“ Er bog die letzten beiden Drähte zusammen. Andere Drähte überzogen sich plötzlich mit einer weißen Frostschicht, als ihre innere Hitze zu einem elektrischen Strom wurde, und sie zogen immer mehr Hitze aus der Luft, die sie umgab. Zwei kleine Drähte glühten hell in der Flasche. Dann schien der Himmel zu bersten. 14. Kapitel Die Blätter, die man als Tarnung befestigt hatten, wurden durch die gewaltige Explosion losgerissen. Ein halbes Dutzend Glasscheiben, die im Haus noch ganz geblieben waren, zersplitterten. Die Menschen taumelten von dem Druck, der auf ihnen la97
stete. Die Welt war mit donnerndem, krachendem Getöse erfüllt. Die Schallwellen der Explosionen durchtobten die Luft. Tausendfältiges Echo hallte in den Bergen wider. Der Lärm wurde erträglich und verlor sich schließlich in der Ferne. Die Vögel, die zunächst vor Schreck wie gelähmt gewesen waren, hopsten zwischen den Zweigen umher und flogen dann in panischer Angst davon. Fast genau über dem Haus, in etwa hundert Meter Höhe, hing eine geballte, riesige Masse schwarzen Rauches. Sie sank in sich zusammen, aber ein Windstoß blies sie wieder auf und trieb sie weg. Rußige Rauchwölkchen blieben zurück. Und dann sah man noch höher einen weiteren schwarzen Rauchschwaden, etwa von der Größe eines Fußballes. Er mußte fünfzehntausend Meter hoch sein, und darüber war eine dritte Rauchwolke von der Größe einer Erbse. Möglicherweise gab es darüber noch weitere Rauchpunkte. Das waren die Bomben, die vorzeitig, während des Falls, explodiert waren. Nur kurze Zeit war es still. Dann schrieen Frauen nach ihren Kindern, als könnten die Arme einer Mutter die Kinder vor den Bomben schützen. Eine Frau schluchzte heiser. Lucky Connors starrte mit bleichem, verzerrtem Gesicht zum Himmel. Auch Bob stierte nach oben. Seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Und Frances sah mit dem unbändigen Stolz einer Frau, deren Mann etwas Bemerkenswertes geleistet hat, auf Steve. Steve preßte die Lippen zusammen. „Ich schätze, das wäre erledigt. Als nächstes werden sie eine Atombombe auf uns loslassen. Hier! Ich brauche noch Draht. Wir müssen um das Probegerät eine zusätzliche Windung haben. Es muß wie aus der Froschperspektive arbeiten können!“ Er hob einzelne Drahtstücke auf und formte sie, wie beim Radar, zu einem Reflektor, den er an einer Seite des Gerätes anmontierte. „Ich kann das machen, Sir“, sagte der Junge schnell. „Wie 98
ein zweiseitiger 1/80-Strahlenreflektor?“ Steve nickte. In fieberhafter Eile wandte er sich dem anderen wirren Drahthaufen zu. „Muß dieses Gedankenaufnahmegerät auseinandernehmen und neu zusammensetzen“, murmelte er. „Wir haben nicht viel Zeit.“ Seine Finger bluteten. Hastig schüttelte er das Blut ab. Er arbeitete an seinem Gerät und nickte dem Jungen zu. Er baute das neu zusammengesetzte Drahtgebilde an das sogenannte Probegerät. Er befestigte es und hielt es dann himmelwärts. „Nun wollen wir mal sehen, was als nächstes kommt. Sie müßten inzwischen erraten haben, was geschehen ist.“ Es war heller Tag geworden und ging auf Mittag zu. Da plötzlich flammte am Horizont etwas auf, das greller leuchtete als die Sonne. Der Lichtschein nahm ungeheure Ausmaße an. Es war, als hätte sich die Sonne der Erde derart genähert, daß von ihr eine gleißende Hitze aufstieg. Dann erlosch das Licht. Die Hitze ließ nach. Nichts blieb zurück.
Steves gespannter Körper entspannte sich erleichtert. 99
„Das hat geklappt!“ sagte er bebend. „Es war eine Atombombe, die über der Atmosphäre explodierte. Sie müssen erfahren haben, was mit ihren Bomben passierte und haben sofort eine Atombombe auf uns losgelassen.“ Ein schrilles Pfeifen schoß über sie hinweg, es wurde immer schriller und zerschellte an einer Bergkette zwei Meilen weiter. Es folgte keine Explosion; es geschah überhaupt nichts weiter. „Das muß ein Bomber gewesen sein“, sagte Steve und zitterte immer noch am ganzen Leibe. „Er brauchte so lange, um abzustürzen.“ Weitere pfeifende Geräusche gellten an ihr Ohr, zwei, drei auf einmal. Sie kamen von allen Seiten und endeten alle in einem dumpfen Aufprall. Einige waren sehr weit entfernt. Im ganzen mußte es etwa ein Dutzend gewesen sein. Frances Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. „Ein ganzes Geschwader von Flugzeugen war über uns, um uns zu bombardieren! Und – und –“ Sie sah Steve fassungslos an. „Und jetzt sind sie nicht mehr da“, sagte Lucky und schluckte. „Seit ich Glück habe, habe ich noch nie solche Angst gehabt wie eben. Das war also eine Atombombe, Steve?“ Ein zweiter greller Feuerschein flammte am Horizont auf. Lucky zuckte zusammen. „Ja“, fuhr er fort und beantwortete seine eigene Frage. „Und das war noch eine. Und da kommt die dritte.“ Ein dritter Flammenschein glühte auf und war so hell wie die Sonne, nur viel größer. Drei Atombomben waren im leeren Raum explodiert, als sie am Horizont hervorschossen, um die Menschen zu vernichten, die es wagten, sich dem Chaos zu widersetzen. Steve setzte sich plötzlich auf einen Stein und stützte den Kopf in beide Hände. Aber jetzt schrie der sechzehnjährige Bob begeistert. „Ich 100
habe es geschafft! Teufel, ich habe es geschafft!“ Er schloß einen Generatorerzeugerkreis an, so daß das Probegerät einen Strahl hochschoß, der jedes Stück Metall, auf dem er auftraf, zu einem Generator machte. Jedes Stück! Die niederstürzenden Bomben wurden zu Generatoren. Die verschiedenen Metallstücke bogen sich zusammen, wo sie sich berührten. Sie erhitzten sich an dünnen Stellen im Zünder, verbrannten im Sprengkopf und rissen ihn auseinander. Und jedes einzelne Teilchen explodierte! „Als nächstes kommen die Flugzeuge, sie werden sich in Tausende von Generatoren verwandeln, die alle ineinandergreifen. Jedes Teilchen wird eine blauweiße Stichflamme abgeben. Jeder Draht in den einzelnen Instrumenten und jeder Hebel ladet sich auf. Das bringt alles durcheinander! Jedes Meßinstrument versagt! Jeder Motor ist blockiert! Wo an den Enden von Metallteilen keine elektrischen Funken aufsprühen, entsteht Kälte wie flüssige Luft, und überall gibt es spröde Stellen. Dann kracht es auseinander – oh, ich habe es geschafft! Ich habe es geschafft!“ Steve blickte auf. Frances sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Er richtete sich schwerfällig auf und legte seinen Arm um ihre Schultern. Er wollte etwas sagen, doch er brachte zunächst kein Wort heraus. „Wir wollen jetzt essen gehen“, sagte er schließlich. „Wir sind für eine Weile sicher, aber wir dürfen uns nicht damit begnügen. Wir müssen die Clique erledigen, damit sie nicht noch mehr Schaden anrichten kann und dann, schätze ich, können wir wieder zu zivilisierten Menschen werden.“ Er küßte sie zerstreut und ging auf das Haus zu, den Arm um ihre Schultern gelegt. Am Nachmittag hielt Steve Kriegsrat. Die Beratungen wurden einmal durch ein fernes Trommelfeuer von Explosionen unterbrochen. Als das dumpfe Dröhnen begann, fuhr er herum. 101
Über den Gipfeln der fernen Berge sah er kleine Rauchwolken, und kurz darauf schossen winzige Punkte über diese Berge hinweg und explodierten im selben Augenblick. „Tiefflieger“, sagte Lucky trocken. „Sie versuchen, über die Gipfel der Berge hinwegzuschießen. Im letzten Krieg konnten die Radarschirme nur Flugzeuge in großer Höhe abwehren. Aber diese Halunken sollen nur ruhig tief über die Berge hinwegfliegen, sie werden trotzdem von unseren Geräten zerschmettert.“ Steve kam plötzlich ein Gedanke. Er kniff die Augen zusammen. „Sie könnten auch noch versuchen, Bodentruppen zu landen, aber ich kann das Gedankenaufnahmegerät auch darauf einstellen. Jedenfalls werden sie mit allen möglichen Mitteln versuchen, uns beizukommen. Und doch möchte ich bezweifeln, daß sie von uns in absehbarer Zeit einen Angriff erwarten. Sie konnten unmöglich feststellen, welche Verteidigungsmittel wir benutzen und werden deshalb wahrscheinlich annehmen, daß wir über Radar und Energiestrahlen von einigen hunderttausend PS verfügen. Diese Abwehrmittel sind nicht beweglich. Sie werden annehmen, daß wir in der Defensive verharren und versuchen, nachzubauen, was wir, ihrer Meinung nach, besitzen. Deshalb werden wir sie angreifen, bevor sie zur Besinnung kommen.“ Frances warf ihm einen besorgten Blick zu. „Was hast du vor?“ fragte sie. „Wir werden diese Geräte nachbauen“, sagte Steve, „und eine Ausführung mitnehmen. Wir könnten zur Sicherheit für hier noch weitere Ersatzgeräte herstellen. Ich denke – hm –, daß vier oder fünf Mann für den Angriff genügen. Aber ich muß vorher das Probegerät einstellen und ihren nächsten Stützpunkt ausfindig machen.“ „Er liegt einige hundert Meilen südlich“, sagte Lucky. „Ich 102
konnte das feststellen. Dort gibt es ein Gebiet, in dem ständig Menschen auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Es umfaßt etwa eine Fläche von fünfzig Meilen.“ „Das ist genau das, was ich suche. Wer will sich Lucky und mir anschließen?“ Es erhob sich fast ein einstimmiger Ruf. Elf Männer betrachteten Steve jetzt als ihren Anführer. Anfangs hatten sie ihm Mißtrauen und Zweifel entgegengebracht. Doch nach den Ereignissen des heutigen Tages, vertrauten sie ihm blindlings und konnten sich nichts Befriedigenderes vorstellen, als die Clique zu vernichten, die mit Flugzeugen und Bomben die ganze Welt in einen Trümmerhaufen verwandelt hatte. Aber Steve wählte nur drei von ihnen aus. Dann zögerte er und sagte: „Wäre es nicht besser, Lucky, wenn du hierbleiben würdest, damit nichts passiert? Du weißt am besten, wie unsere Abwehr funktioniert.“ Er sagte das besonders aus Sorge um Frances. Aber Lucky wies sein Ansinnen zurück. „Nichts zu machen, mein Lieber“, sagte er. „Ich rede nicht viel, aber ich habe genug gesehen. Wenn diese Burschen endlich das Handwerk gelegt bekommen, dann muß ich dabeisein!“ In der Ferne war wieder ein Trommelfeuer von Explosionen zu hören. Sie lauschten unberührt. Es waren nur weitere Bomber, die versucht hatten, ihre gefährliche Last über ihnen abzuwerfen. Bisher hatten sie sich davor am meisten gefürchtet. Lucky zappelte vor Ungeduld. „Ich muß hinausgehen und zusehen, wie sie explodieren“, sagte er. „Abmarsch bei Morgengrauen, Steve? Okay! Wird gemacht!“ Der Kriegsrat war beendet. Bob begann mit der Vervielfältigung der Geräte, die sie noch am Morgen gebaut hatten. Steve gab dem Jungen ernst zu verstehen, daß es ihre vordringlichste Aufgabe war, möglichst viele solcher Geräte nach103
zubauen, und daß es außerdem noch wichtig war, den anderen Männern die Bedienung zu erklären. Als die Nacht hereinbrach, hatten sie die Modellgeräte noch erweitert und in einen gewehrähnlichen Projektor verwandelt, der statt eines Laufes eine Spule hatte. Fünf Männer arbeiteten die ganze Nacht hindurch, um Nachbildungen dieses Modells für die Expedition herzustellen. Aber lange Zeit vorher gingen Steve und Frances nach draußen. Der Mond war aufgegangen. Sie unterhielten sich leise unter einem schattigen Baum. Insekten huschten durch die Nacht und Nachtvögel stießen ihren klagenden Ruf aus. Es war eine romantische Nacht. „Wir werden es schaffen“, sagte Steve unbeholfen, nachdem Frances heftig gefordert hatte, mit ihm gehen zu dürfen. „Aber es wird eine anstrengende Reise. Wir könnten uns irgendwelche Fahrzeuge konstruieren, aber dann fallen wir den Feinden auf. Außerdem würden sie niemals annehmen, daß Leute, die ihre Flugzeuge am Himmel zerstören können, so anspruchslos sind und eine Fußwanderung unternehmen. Schon deshalb müssen wir es tun und so schnell wie möglich unser Ziel erreichen. Du wirst inzwischen hier bleiben.“ Er schnitt ihre Widerrede mit heißen Küssen ab. Wieder dröhnte ganz in der Ferne eine Explosion. Frances zuckte zusammen. „Nur ein weiterer mißglückter Versuch eines Tieffliegers“, beruhigte er sie. „Sie geben nicht so schnell auf.“ Er wurde nachdenklich. „Hm, ich werde dir etwas mitbringen. Ich habe den alten Kraterstein benutzt, um ganz sicher zu gehen, und mir etwas gewünscht. Und er wurde warm. Ich weiß also, daß ich dir dieses Geschenk machen kann.“ Es bestand überhaupt kein Grund zur Geheimnistuerei, aber er mußte es ihr ins Ohr flüstern. Sie schlang wortlos ihre Arme um seinen Nacken. Dann flammte plötzlich am südlichen Horizont ein heller 104
Feuerschein auf, heller noch als die Sonne und viel größer. Einen kurzen Augenblick lang war die ganze Welt taghell erleuchtet. Eine weitere Atombombe war explodiert. Dann versank wieder alles in friedliche Dunkelheit. Und der sechzehnjährige Bob, der Steve um eine technische Auskunft bezüglich der Veränderung eines Stromkreises bitten wollte, blinzelte, als er die beiden entdeckte. „Mensch!“ sagte er. Und er ging ins Haus zurück, ohne sie zu stören. 15. Kapitel Mit kurzen Unterbrechungen brauchten sie nur vier Tage, um die zweihundert Meilen zurückzulegen, denn zu Beginn des zweiten Tages kamen sie an einen breiten Fluß. Sie bauten sich ein Floß und trieben ohne Unterbrechung flußabwärts. Dabei brauchte nur ein Mann Wache zu halten. Sie stellten das Probegerät ein, um festzustellen, wie weit sie noch entfernt waren, und gingen am Nachmittag des vierten Tages an Land. Dann liefen sie zu Fuß weiter. Als die Nacht hereingebrochen war, erreichten sie ein ödes, von Unkraut und Gras überwuchertes Gebiet, das sich in nichts von anderen Gegenden zu unterscheiden schien. Doch sie wußten es besser. Lucky war begeistert von der Tüchtigkeit des Probegerätes. Wenn man daran einen Schalter bediente, konnte das gesuchte Objekt beliebig verändert werden. Lucky grinste belustigt. „Ungefähr dort müssen die ersten Wachen stehen“, sagte er. Er hatte das Probegerät dem Gedankenaufnahmegerät angeschlossen und damit bewirkt, daß alle technischen Instrumente, die die Anwesenheit feindlicher Wachen inmitten dieses Niemandslandes verrieten, entdeckt werden konnten. Dadurch 105
konnten sie die Feinde geräuschlos töten. Lucky schwenkte das Probegerät nach rechts und nach links und kicherte. „Ich sichere uns eine Stelle, wo wir ungehindert durchkommen.“ Sie kamen durch und gingen weiter. Eine Stunde später erreichten sie die zweite Kette der Wachposten. Sie kamen auch hier ungehindert durch. Dann folgte die dritte. Lucky hatte das Probegerät ständig eingeschaltet. „Stehenbleiben!“ sagte er plötzlich. „Vor uns tut sich etwas Ungewöhnliches.“ Er lauschte schweigend. „Ich komme nicht dahinter“, raunte er schließlich Steve zu. „Ich habe etwas entdeckt, wovon man fernbleiben soll, aber es ist keine Falle und nicht eine große Ansammlung von Gegnern. Keine Bomben. Versuch du’s mal, Steve.“ Steve schaltete sein eigenes Probegerät auf Gedankenprüfung und versuchte, etwas festzustellen. Nach wenigen Minuten lächelte er bitter. „Ein Gefangenenlager“, sagte er. „Viele Menschen sind dort eingesperrt, alles arme Teufel.“ „Sie werden dort Wachen aufgestellt haben, aber diese schauen nur ins Lager hinein und nicht nach draußen“, sagte einer der drei Männer rachsüchtig. „Wir könnten sie töten und dabei unser Zeug hier ausprobieren.“ „Warum nicht?“ sagte Steve. „Sie haben uns lange genug gepeinigt.“ Sie schlichen näher und erreichten eine lange Lichterkette und eine Ansammlung armseliger Hütten. Davor marschierte ein Wachposten lässig auf und ab, das Gewehr hielt er über dem Arm. Lucky schlich sich davon. Die anderen warteten. Kurz darauf hörten sie Lucky leise rufen: „He, Freundchen!“ 106
Der Posten fuhr herum und umklammerte mit beiden Händen sein Gewehr. Dann sahen die anderen in dem düsteren Licht, was geschah. Der Lauf des Gewehres bedeckte sich mit weißem Reif. Funken sprühten um die Finger des Postens. Er konnte es nicht fallen lassen. Er stürzte vornüber, und sein Körper zuckte verkrampft. Er wälzte sich am Boden, dann lag er still. Lucky kam zurück. „Werden die aber neugierig sein, wie er gestorben ist, wenn sie noch Gelegenheit haben sollten, ihn zu finden“, sagte er. „Elektrokution ist sehr wirkungsvoll. Sofort tödlich und geräuschlos, und jeder Bursche mit einem Gewehr trägt seinen eigenen Generator bei sich, vorausgesetzt, daß er es an zwei verschiedenen Stellen berührt und wir ihn mit einem Strahl bedenken.“ Die beiden anderen Männer drängten ungeduldig weiter. Gleich darauf erreichten die fünf die Baracke der Wachposten. Alle Posten waren tot, auf dieselbe Weise umgekommen, wie der erste draußen am Zaun. Steve drehte sein gewehrähnliches Instrument auf die Baracken zu. Sofort wurden die elektrischen Lichter weißglühend und gingen aus. Die Kraftstation war in den Baracken. Er hatte die Spannung so hoch getrieben, daß gleichzeitig jedes Metallteilchen in dem Gebäude elektrische Funken sprühte. Die meisten Wachen hatten sofort zu ihren Waffen gegriffen. Das war ihr Ende. Die anderen griffen zu den Waffen, als Steve einen Schuß in die Luft jagte, und auch sie mußten sterben. Steve ging an der zusammengekrümmten Gestalt eines Uniformierten vorbei durch das Tor. Das Gewehr, das ihn getötet hatte, hing immer noch zwischen seinen verkrampften Fingern. Steve betrat eine der Hütten und sprach kurz und bündig zu den Gefangenen, die hier zusammengepfercht waren und im Dunkeln lauerten. Dann kam er wieder heraus. Noch bevor die fünf Männer wieder in der Dunkelheit ver107
schwunden waren, strömten gehetzte Gestalten durch das Tor und verloren sich draußen in der Wildnis. „Hm – Zwangsarbeit“, sagte Steve nachdenklich. „Das bedeutet, daß es noch mehr solche Lager gibt. Sie müssen irgendwie Lebensmittel erzeugt haben. Das herauszufinden, könnte sehr vorteilhaft für uns sein!“ Bevor die Dämmerung hereinbrach, hatten sie ein hübsches, kleines Ausflugsgebäude auf der Spitze eines Berges besetzt. Die früheren Bewohner waren tot. Ein Telefon summte ärgerlich. „Ich nehme den Ruf an“, sagte Steve. Er nahm den Telefonhörer ab. „Hallo!“ sagte er gemütlich. „Ich möchte den leitenden Offizier dieses Stützpunktes sprechen. Ich bin der Amerikaner, der das Kommando über die Streitkräfte hat, die euch alle vernichten werden, wenn ich nicht sofort … Ich spreche eure Sprache nicht – sprecht Englisch! Wir haben euern Stützpunkt mit Waffen eingekreist, die unbesiegbar sind. – Nein, ich bin nicht verrückt! Hör zu!“
Er nickte Lucky zu, der seine Waffe streichelte. Sie war auf 108
die Stelle gerichtet, wo das Probegerät schwere Bomberverbände angezeigt hatte. Einige Drähte in einer Essigflasche glühten auf. Vier Meilen entfernt schoß plötzlich ein Feuerstoß empor. Dann folgte eine Reihe ohrenbetäubender Explosionen, die in rasender Geschwindigkeit aufeinander folgten. „Ihr werdet das gehört haben“, sagte Steve ins Telefon, als das Echo verhallt war. „Verbindet mich jetzt sofort mit dem kommandierenden Offizier. Ich bleibe am Apparat.“ Er grinste Lucky an. Dieser zielte lässig mit seiner Waffe über den Horizont hinaus. „Ich habe so eine Ahnung“, sagte Lucky erfreut, „daß ein Flugzeug unterwegs ist. Genau in der Linie, wo sie ihre Atombomben speichern.“ „Sie werden doch nicht so idiotisch sein und alle Atombomben an einer Stelle lagern“, sagte Steve. „Aber probier es! Es werden sowieso nur wenige Zünder eingestellt sein.“ Lucky zielte und pfiff dabei vor sich hin. „Wird das Flugzeug die Atombomben in die Luft jagen, wenn ich es herunterhole?“ Die Drähte begannen zu glühen. „Hmmm!“ sagte er. Lange mußten sie warten. Dann flammte urplötzlich ein greller Flammenstoß auf und entwickelte eine Höllenglut, die alle fünf Männer für einen Augenblick blendete. Der Geruch von verbrannter Farbe lag in dem kleinen Haus. Ein Krachen ertönte, das alle bisherigen Geräusche übertraf. Das Haus bebte in seinen Grundfesten. Steves Stimme unterbrach die darauffolgende tödliche Stille. „Hört mal“, schimpfte er ins Telefon, „wir werden allmählich ungeduldig! Wollt ihr mich jetzt mit euerm kommandierenden Offizier verbinden, oder soll ich euch noch ein paar Atombomben auf den Pelz jagen?“ Klappernde, kreischende Geräusche waren die Antwort. „Ihr Burschen seht ziemlich unternehmungslustig aus“, sagte 109
Steve zu seinen drei bärtigen Gefährten. „Brennt einen Teil der Stadt nieder, aber wohlgemerkt, nur einen Teil!“ „Hallo!“ sagte Steve ins Telefon. „Sie haben das Kommando? Gut. Vermutlich sind Sie General! – Also, Herr General, befehlen Sie sofort Ihrer gesamten Streitmacht, sich zu bewaffnen und zu den nächsten Gefangenenlagern zu marschieren. Dort sind die Waffen aufzustapeln, einschließlich Handfeuerwaffen und Patronengurten, und die Gefangenen zu befreien. Dann haben die Soldaten die Plätze der Gefangenen einzunehmen. – Ich bin sicher, daß sich die Gefangenen bewaffnen werden. Sie können Ihre Leute bewachen. Mir ist das gleich. Aber eins ist gewiß, wenn Sie diese Befehle nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten weitergegeben haben, werden Sie das bitter bereuen.“ Er sah Lucky fragend an, der ihm etwas zuflüsterte. „Das Arsenal, wo sie ihre ganze Munition lagern.“ „Um Ihnen die Entscheidung etwas leichter zu machen“, sagte Steve gleichmütig, „hören Sie sich das mal an!“ Kleine Drähte glühten in vier gewehrähnlichen Geräten auf, die in die von Lucky angegebene Richtung zielten. Donnernde Explosionen zerrissen die Nacht. „Als nächstes kommen Ihre schweren Bomben dran“, fügte Steve hinzu. „Wir könnten auch den übrigen Teil der Stadt in die Luft jagen, nachdem ein Teil schon abgebrannt ist.“ Kreischende, entsetzte Töne gellten aus dem Telefon. „Also gut“, sagte Steve gemütlich. „Ihre Leute in die Gefangenenlager, die Gefangenen selbst freilassen, oder ich werde deutlicher. Ich hänge jetzt gleich ab, General, und dulde keine Widerrede mehr. Befehle ausführen, oder wir vernichten Sie!“ Er hing ein. Sein Gesicht sah faltig und müde aus, aber er lächelte. Im Osten tauchte ein schwacher roter Schein auf. „Es ist eigenartig, daß ich mir nicht wie ein Mörder vorkomme“, sagte er leise. „Wir müssen in den letzten fünf Minu110
ten ein Massenmorden begangen haben. Aber wir haben ihnen nicht einen Bruchteil der Morde heimgezahlt, die sie begangen haben. Wir sollten sie wirklich radikal ausrotten. Aber so etwas liegt uns eben nicht. Ich glaube, hier hätten wir soweit alles erledigt. Wir werden noch die ehemaligen Gefangenen kurz unterrichten und ihnen raten, sich zu organisieren. Ich kann mir vorstellen, daß sie an Feldarbeit und Fabrikarbeit gewöhnt waren. Das können jetzt ihre früheren Peiniger für sie besorgen. Und dann treten wir den Rückzug an.“ „Nein“, fügte er noch nachdenklich hinzu. „Einer von uns muß hierbleiben und jedes Flugzeug von einem anderen Stützpunkt, das hier auftaucht, vernichten. Und wir müssen uns damit befassen, die anderen Stützpunkte einzunehmen. Ich denke, wir besorgen das in absehbarer Zeit von der Luft aus.“ Dann rieb er sich unbewußt die Hände und sagte: „Wir wollen hinausgehen und uns den Sonnenaufgang ansehen.“ Drei Tage danach traten sie den Heimweg an. Fünf Männer waren losgezogen, und fünf kehrten auch zurück, aber einer der fünf war ein Fremder. Sie ritten auf prächtig aufgezäumten Pferden aus den Ställen des Generals, und jeder hatte noch ein Packpferd bei sich, das Lebensmittel und andere nützliche Dinge für die Freunde daheim trug. Die Rückreise dauerte nur fünf Tage. Als die Pferde aus den Wäldern in der Nähe des Hauses auftauchten und sich über die verwilderten Felder näherten, wurden sie freudig begrüßt. Ein wahres Triumphgeschrei empfing sie. Frances empfing sie. Frances rannte so schnell auf Steve zu, daß sie, als sie vor ihm im Sattel saß, keine Luft mehr bekam; trotzdem umarmte und küßte sie ihn. „Wir haben es geschafft“, sagte er. „Ein Stützpunkt wurde von Zwangsarbeitern vernichtet und besetzt. Diese Gefangenen waren fast ausschließlich anständige Leute. Die andere Sorte Mensch verwendeten sie lieber als Guerillas. Die befreiten Ge111
fangenen planen eine organisierte Vernichtungswelle gegen alle übrigen Stützpunkte in ganz Amerika, und dann wollen sie die übrige Welt befreien.“ Sie klammerte sich fest an ihn. und er konnte ihren Herzschlag spüren. „Wo ist Lucky?“ fragte sie plötzlich. „Er ist dortgeblieben“, sagte Steve. „Einer mußte das übernehmen. Er blieb mit seiner Ausrüstung dort, um das Gebiet zu beschützen, bis wir ihm Verstärkung schicken können. Er ist einfach genial mit dem Probegerät, Frances. Er findet alles damit. Und gerade als wir aufbrachen trug er mir noch auf, dir zu sagen, daß er sich nun etwas anderes suchen will! Ein Mädchen, das er genauso gern haben kann wie dich. Und er behauptet, sein Gerät habe ihm verraten, daß es unter den entlassenen Gefangenen ein solches Mädchen gibt. So behauptet das Gerät. Aber er hat sie bis jetzt noch nicht getroffen. Sie muß ganz in der Nähe sein. Er wird nicht nachlassen, bis er sie gefunden hat. Und dann will er auch ausziehen und die anderen Stützpunkte vernichten helfen.“ Frances blickte beunruhigt zu ihm auf. „Aber du gehst doch nicht wieder fort, Steve? Du bleibst doch hier, nicht wahr? Wenn – wenn das Haus nicht so überfüllt wäre, ließe es sich darin bestimmt gemütlich wohnen.“ Steve lächelte. „Die anderen werden nicht mehr lange hier aushalten, fürchte ich. Und ich werde auf jeden Fall hierbleiben und weitere Versuche durchführen. Wir haben eine neue Wissenschaft begründet, und ich will mich ein wenig in sie vertiefen. Die Sache mit der Molekularbewegung …“ Dann brach er ab. „Ich habe dir auch mitgebracht, was ich dir versprochen habe. Ich fand ihn unter den befreiten Gefangenen. Er willigte ein, gleich mitzukommen.“ Frances erstarrte. Sie spähte über Steves Schulter auf den ab112
gemagerten Mann mit dem freundlichen Gesicht, der bei der Rückreise Lucky Connors Platz eingenommen hatte. Eine flammende Röte stieg in ihr Gesicht. Steve trieb sein Pferd zur Seite und beugte sich zu dem hageren Mann. „Hochwürden, darf ich Ihnen meine Braut vorstellen“, sagte Steve befriedigt. „Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir die Trauung für heute nachmittag ansetzen.“
UTOPIA-Zukunftsroman erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus, (Mitglied des Remagener Kreises e. V.). Einzelpreis DM 0,60. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 6. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. – Scan by Brrazo 07/2011
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