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GESCHICHTEN, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT Band l
Von Sauriern, Computern und anderem mehr Ein Lesebuch des Deutschen ...
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GESCHICHTEN, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT Band l
Von Sauriern, Computern und anderem mehr Ein Lesebuch des Deutschen Forschungsdienstes Herausgegeben von Karl-Heinz Preuß und Rolf H. Simen Verlag Deutscher Forschungsdienst
Unterschrift nicht bestätigt
bitland
Digital unterschrieben von bitland DN: cn=bitland, c=DE Datum: 2001.11.18 10:38:05 +01'00' Ursache: Gescannt und bearbeite von
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CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Geschichten, die die Forschung schreibt : e. Lesebuch d. Dt. Forschungsdienstes / hrsg. von Karl-Heinz Preuss u. Rolf H. Simen. - Bonn-Bad Godesberg : Verlag Deutscher Forschungsdienst NE: Preuss, Karl-Heinz [Hrsg.]; Deutscher Forschungsdienst (Bonn) Bd. 1. Von Sauriern, Computern und anderem mehr 3.,überarb. Aufl. -1988 Von Sauriern, Computern und anderem mehr: e. Lesebuch d. Dt. Forschungsdienstes / hrsg. von Karl-Heinz Preuss u. Rolf H. Simen. - 3., überarb. Aufl. - Bonn-Bad Godesberg : Verlag Deutscher Forschungsdienst, 1988. (Geschichten, die die Forschung schreibt; Bd. 1) ISBN 3-923 120-15-X NE: Preuss, Karl-Heinz [Hrsg.]
© 1988 Verlag Deutscher Forschungsdienst, Forschungsdienst GmbH, Bonn-Bad Godesberg 3., überarbeitete Auflage 1. Auflage 1982 Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten. Umschlagentwurf: Michael B. Grunzke Typographie: Dieter Hüsken Gesamtherstellung: Konkordia Druck GmbH, Bühl/Baden ISBN 3-923120-15-X • Printed in Germany
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INHALT
Vorwort 12
GESCHICHTE__________________________ Von Kolumbus, Indianern und Eiszeitmenschen Das auf Europa zentrierte Weltbild der frühen Entdeckungen verblaßt immer mehr:
Kolumbus kamen einige zuvor 15 Forscher verblüffen durch den Beweis, daß die Indianer Nordamerikas auch Landkarten kannten:
Charme auf Birkenrinde 19 Auch ohne feuerfestes Kochgeschirr hatten die Hausfrauen der Vorzeit kein Problem mit heißer Suppe:
Das „Feuer" kam mit in den Topf 22 Wer die Vorläufer der Gegenwartsmenschen wirklich waren und wie sie lebten, zeigt
Ein neugieriger Blick in den Ur-Sammelbeutel 25 Sie waren weder heroische Großwildjäger, noch lebten sie zurückgezogen in Düsternis und Feuchtigkeit, und
Die Eiszeithöhlen waren nur Sommerwohnungen 28 Erst allmählich offenbaren Grabfunde auch die Gefühlswelt der eiszeitlichen Menschen und ihre Vorstellungen vom Paradies:
Auf einer Schwanenschwinge in die Ewigkeit 31 Schon in der Eiszeit jagte der Mensch zusammen mit seinem Hund. Seit mehr als 14000 Jahren ist er
Ein alter Freund des Menschen 34 SOZIAL- UND KULTURGESCHICHTE__________
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Von Energieproblemen im alten Ägypten bis zur Jeans-Revolution Die alten Ägypter kannten nicht nur schon sehr fortschrittlich anmutende Verhüttungstechniken. Sie schufen sich damit auch manches Energie- und Umweltproblem:
Pharao ging die Holzkohle aus 38 Mit einer imponierenden Hochkultur der Feuersteintechnik hat sich die Steinzeit aus der Geschichte verabschiedet:
Die letzte Blüte einer alten Technologie 45 Über das Theater ist viel geschrieben worden, über die Geschichte des Theatervorhangs so gut wie nichts:
Der Stoff, der zwei Welten trennt 44 Auf Homers Spuren fand man in Thrakien endlich auch den Ort,
Wo man den ersten Wein trank 48 Noten lesen konnten sie meist nicht, aber Starallüren hatten sie reichlich, die Sänger, über die sich Mozart ärgerte:
„Grobe, lumpenhafte Hofmusique" 52 Auch das „rasche öffentliche Essen im Vorübergehen" hat eine Geschichte, an der man nicht vorübergehen sollte:
Lustgewinn in der Imbißbude 54 Daß man einen „halbierten Kreuzgang" auch als Spielfeld verwenden kann, wurde im Mittelalter zu einer zündenden Idee:
Das erste Tennismatch bestritten Klosterbrüder 57 Was die Verfechterinnen der Gleichberechtigung heute über Presse, Funk und Fernsehen versuchen, erreichten die Emanzipierten des Mittelalters als Wanderpredigerinnen:
„Emmas" mittelalterliche Vorhut 60 Sie distanzieren sich schon äußerlich kraß von einer Gesellschaft, die ihnen keine Zukunft zu versprechen scheint. Sind die Punks dennoch nur
Aussteigerauf Zeit? 62 Ein über hundertjähriges Stück Arbeitskleidung hat Kulturgeschichte gemacht. „Die Revolution trägt Jeans", hieß es einmal. Ist die
Freiheit in die Hosen gegangen? 64
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NATURGESCHICHTE_____________________ Wale, Saurier und Meteoriten Renommierten Astronomen scheint die bisher plausible Geschichte von der „ Ursuppe" nicht mehr so ganz zuschmecken:
Kam das Leben aus dem All? 68 Eine zunehmende Zahl von Fossilfunden beleuchtet nun den Entwicklungsweg einstiger Landtiere zu Pseudofischen:
Wie die Wale das Meer eroberten 71 Wie ihre Körper mit 30 Meter Länge und 100 Tonnen Gewicht überhaupt funktionieren konnten, ist bis heute ein Rätsel. Daß sie auch im alten Europa zu Hause waren, beweisen
Die Fußspuren eines Hunderttonners 74 Schon vor fast 200 Jahrmillionen haben sie sich vom „Tatort" entfernt. Doch ihre erstaunlichen Spuren blieben:
Als die Saurier „über" die Alpen liefen 77 Hinter der so idyllisch klingenden Bezeichnung „Bärenhöhle" verbirgt sich oft ein grausiges Geheimnis:
Der Todesschlaf der Höhlenbären 80 Sie haben die Erde mindestens fünfzigmal länger bevölkert als die Menschheit von Anfang an. Ihr Ende kam nicht durch „Altersschwäche":
Weshalb die Saurier sterben mußten 83 RÄTSEL UND WUNDER DER NATUR Von Wasserwundern und Tausendfüßlern Daß der Rhein einmal kurze Zeit in den Bodensee zurückfloß, ist keineswegs ein Märchen aus alter Zeit:
Das Wasserwunder von Konstanz 87 Wenn dort auch nicht Atlantis war, so jagten Nordseeland doch Steinzeitmenschen nach Wild:
Als Weser und Ems in die Elbe flössen 90 Was im Ötztal wirklich los war, als vor rund 8700 Jahren zwei Kubikkilometer Gestein losbrachen, erstaunt die Fachleute immer 6
noch:
Als der Berg kam, schmolzen die Steine 93 Seit Jahrmillionen erweisen sie sich als ganz besondere Schnellhüpfer auf der Energiesparwelle:
Das Energiesparfederwerk der Känguruhs 96 Mit recht gehobener Mathematik erfassen sie den oft gewundenen Gang ihrer zahlreichen Beinpaare:
Die Kursmathematik der Tausendfüßler 99 Wie die verschiedenen Orientierungssysteme der Vögel eigentlich zusammenwirken, war bis jetzt ein ungeklärtes Geheimnis:
Was Zugvögel zielsicher macht 101 RHYTHMEN DES LEBENS Von der inneren Uhr bis zum Kraftwerk im Körper Unter irritierender Mitternachtssonne testeten Forscher, ob ein neues Medikament die „innere Uhr" verstellen kann:
Lithium, Biorhythmen und Depressionen 105 Auch mit den raffiniertesten wissenschaftlichen Tricks kann man ihnen nur selten ein halbes Jahr als ganzes vorgaukeln:
Auch Tiere haben einen Kalender 108 Bei seinen jahreszeitlichen Umzügen zwischen Wasser und Land behält der Bergmolch seine Umwelt stets richtig im Blick:
Die Jahreszeiten eines Molchauges 111 Eine riesige Alge lieferte der Forschung Modellvorstellungen für das Herzstück der biologischen Zeitgeber:
Die Unruh der inneren Uhr 113 Ein knautschbares Folien-Ding könnte unter anderem auch Herzschrittmacher mit Strom versorgen:
Das Kraftwerk im Körper 116 ASTRONOMIE Vom Weihnachtsstern bis zur kosmischen Fata Morgana Die Weisen aus dem Morgenland lasen die Geburt Christi aus einem ganz anderen Himmelsereignis ab, als man bisher glaubte: 7
Als Jupiter an Regulus vorbeizog 120 Ein Stern fasziniert die Astronomen allein schon durch die Tatsache, daß es ihn gibt:
So schwer wie 2000 Sonnen 122 Seit Albert Einstein gibt es eine verblüffende Erklärung dafür, daß ein „Stern" gleich zweimal am Himmel erscheinen kann:
Eine kosmische Fata Morgana 125 Die Radiogalaxien sind nicht nur Energie-Rätsel. Sie strahlen diese rätselhafte Energie auch aus dem scheinbaren „Nichts" ab:
Die stärksten Funkfeuer des Universums 128 Obwohl gewisse Teilchen „ohne Eigenschaften" auch Träger falsch verstandener Nachrichten sein könnten, stellt sich doch die Frage:
Ist die Sonne wirklich am Ende? 131 Noch weit hinter der Bahn des Uranus entfaltet der Sonnen wind eine überraschend starke Schutzwirkung. Das zeigt:
Der Weltraum ist noch gefährlicher 134 TECHNIK UND BIOTECHNIK________________ Von „fleißigen" Mikroben und „nachwachsenden" Super-Computern Die Rohstoffe werden knapp. Doch der Mensch ist erfinderisch:
Mikroben heben Metallschätze 138 Auf Bestellung kommen die modernen Zauberkünstler der Chemie und Biochemie aus Braunschweig. Dort liegen
Mikrobenheere im Kälteschlaf 141 Ausgeklügelte Technik läßt die Segelschiffe aus ihrem langen Dornröschenschlaf erwachen:
Mit vollem Wind über die sieben Meere 144 Kühn ist das Projekt, einen neuen Energiefluß von Alaska nach Europa zu leiten:
Super-U-Boote für den Erdgastransport 146 Längst hat die Meßtechnik der Astronomen jene Grenzen überwunden, die für optische Instrumente unüberschreitbar sind: 8
Die Argusaugen der Radioastronomie 148 Sie rechnen nicht nur 50 Millionen Vorgänge in jeder Sekunde durch, sondern „arbeiten" auch mit an ihrer nächsten Generation:
Wie Computer „Junge" kriegen 151 ENERGIE Wasserstoffproduzierende Algen und Kraftwerke auf heißem Fels Man muß nicht auf dem Vulkan leben, wenn man die Erdwärme nutzen will. Eine neue Technik verspricht
Kraftwerke auf heißem Fels 154 Gewächshaus, Kamin und Windturbine bilden die merkwürdige „Paten-Kombination" eines neuen Energieumwandlungssystems:
Sonnenkraftwerk im Aufwind 158 Selbst der tapfere Don Quichotte hätte um Growian II einen großen Bogen gemacht:
Ein einarmiger Riese greift nach Windenergie 161 Was ein technisch begabter Herkules mit dem Augiasstall auch hätte machen können, zeigte ein erfinderischer Landwirt:
Warmes Wasser aus dem Mist-Kollektor 164 Auf Bäumen wächst eine Lösung für Brasiliens Energieprobleme:
Nüsse in den Tank gepackt 166 Könnten biologisch veränderte Blaualgen Sonnenenergie direkt in Wasserstoff umsetzen, wäre dies von kaum abschätzbarer Bedeutung:
Die Blattgrün-Energiefabriken 168 Ozeanische Wasserspiele ganz besonderer Art versprechen eine überraschende Lösung:
Unbegrenzte Energie durch Meereswärme? 173 Abseits der Trampelpfade des Herkömmlichen sucht man Wege zu verblüffend neuen Energiewandlern. Nicht selten greift man dabei auf altbekannte physikalische Effekte zurück:
Magnetische Tricks für Kraftmaschinen 177 Daß sich das Rad der Zeit auch auf dem Energieversorgungssektor nicht zurückdrehen läßt, zeigen die Ergebnisse einer konsequent 9
durchgeführten Hochrechnung:
Hartes Erwachen aus sanften Träumen 180 UMWELTFRAGEN Bedrohung und Überlebenschancen unserer Natur Ein „Aktiv-Museum" für die Wissenschaft registriert fortschreitende Stufen der Schädigung unserer Lebenswelt. Es ist eine Probenbank ganz besonderer Art:
Umweltkrankheiten in Konserven 184 Abwasserbelastung und gewässerbauliche Maßnahmen schränken den Lebensraum der Tierwelt bedrohlich ein:
Gefahr für viele Süßwasserfische 187 Entgegen anderslautender Ansichten ist der Weißstorch nicht auf Frösche „angewiesen", doch auf einen sicheren Lebensraum, und zwar ganzjährig:
Adebar wird das Reisen abgewöhnt 190 Zahlreiche „Zuwanderer" aus der Natur stellen die Gemeinden vor neue Aufgaben in Planung und Umweltschutz:
Wie Wildtiere Neubürger werden 193 Sie sterben mit alamierender Geschwindigkeit an einer Krankheit, die sich erst in diesem Jahrhundert in Europa ausgebreitet hat:
Bedrohung für die letzten Ulmen 196 Im Himalaja und seinen Vorbergen spielt sich zur Zeit eine schleichende Umweltkatastrophe ab, die unabsehbare Folgen nach sich ziehen könnte:
Das Dach der Welt wird abgeholzt 199 Ein stärkeres Nebeneinander von landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz soll die Verwirklichung eines ungewöhnlichen Vorschlages bringen:
Ein Unkrautsaum um jeden Acker 203 Nicht mit dem Kanonenrohr gegen Spatzen, sondern scharf gezielt schießt die biologische Schädlingsbekämpfung ihre „Projektile" ab:
Ein Bakterium macht Karriere 206 Quellen, Hinweise, Literatur
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Vorwort Geschichten, die die Forschung schreibt, sind auch Geschichten, die das Leben schreibt. Die Geschichte beispielsweise, die die Evolution bei der Entwicklung des Lebens geschrieben hat, ist eine Geschichte, die sich uns erst offenbart, wenn sie vom Forscher entziffert und von ihm „nachgeschrieben" wird. Auch das, was eine einzige schmucklose Scherbe dem Archäologen und über ihn auch uns „erzählen" kann, ist eine solche Geschichte. Geschichten, die die Forschung schreibt, sind freilich fast immer Geschichten ohne Ende. Mosaikbildern gleich, die durch immer mehr Farbsteine ergänzt und bisweilen auch wieder verändert werden müssen, erschließt sich uns ihr Inhalt. Mühevolle und pedantisch genaue Detailarbeit der Wissenschaft ist für ihre Erkundung erforderlich, die Umsetzung ihrer Ergebnisse aus einer Fachsprache in eine uns allen geläufige Sprache unumgänglich, wenn wir an jenen neuen Einsichten in unsere komplizierte Welt teilhaben wollen, die von der Wissenschaft erarbeitet wurden. Wissenschaftliche Erkenntnisse in diesem Sinne als Kulturgut zu vermitteln und in allgemeinverständlicher Sprache lebendig möglichst vielen nahezubringen, ist seit 1954 Aufgabe der Pressekorrespondenz Deutscher Forschungsdienst, die sich inzwischen in der Presse des gesamten deutschsprachigen Raumes einen anerkannten Platz erobert hat und mit Auslandsausgaben in deutscher, englischer und spanischer Sprache auch weltweit über deutsche Forschung informiert. Dieser Aufgabe des Deutschen Forschungsdienstes entspricht auch die Form der mitgeteilten Information als der eines gleichsam feuilletonistischen Zeitungsartikels, der sich an jedermann richtet und nicht nur verdichtete Information enthalten, sondern auch unterhaltsam, wenn nicht gar span-
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nend geschrieben sein soll. Er soll dem Leser die oft etwas sauertöpfisch so genannte „Bildungsaufgabe" zum Bildungsvergnügen machen und ihn mit Forschung in einer erzählenden Weise vertraut machen, die seine Neugier ebenso reizt wie die spätere Fortsetzung solcher „Erzählungen" durch die Wissenschaft selbst. Deshalb ist dieser bereits in dritter Auflage erschienene Band, der eine erfolgreiche Reihe begründet hat, mit der sich jedermann eine eigene „Kleine Wissenschaftsbibliothek" aufbauen kann, in voller Absicht zu einem Lesebuch in jenem fast schon vergessenen „altmodischen" Sinne gestaltet worden, in dem auch das Wort „schmökern" noch einen guten Klang hat. Dabei dokumentiert jeder Band dieser Reihe, weil er den jeweiligen Stand der Forschung festhält und auch die damit verbundenen und nicht immer erfüllten Hoffnungen der Forscher beschreibt, zugleich auch ein Stück „Wissenschaftsgeschichte", die Band für Band fortgeschrieben und auch in den nachfolgenden Auflagen - trotz mancher notwendigen Ergänzung - unverfälscht nacherzählt wird. Geschichten, die die Forschung schreibt, sollen Wissenschaft lebendig darstellen, ihre Aufgaben und Probleme transparent machen, ihre Fortschritte mit Faszination verfolgen lassen und zum Verständnis einer Welt beitragen, deren Bild durch unzählige Entdeckungen immer komplexer wird. Karl-Heinz Preuß und Rolf H. Simen Redaktion Deutscher Forschungsdienst
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GESCHICHTEN, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
GESCHICHTE _____________________ Von Kolumbus, Indianern und Eiszeitmenschen
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In der Wissenschaft gibt es in einem Meer des Zweifels kleine Inseln anscheinend gesicherter und oft auch unbezweifelter Erkenntnisse, bis auch diese Territorien von Forschern unterminiert oder gar weggesprengt werden. So erleben wir gegenwärtig das Verblassen jenes Weltbildes der frühen Entdeckungen, in denen Europa stets Mittelpunkt war:
Kolumbus kamen einige zuvor Kolumbus hat 1493 Amerika „entdeckt". Dennoch waren die Wikinger bereits um 1000 in Nordamerika, als dessen „Entdecker" Giovanni und Sebastiane Caboto (englisch: Cabot) 1497 angesehen werden. Kolumbus dagegen gilt als „Entdecker" Mittelamerikas und Südamerikas, das er erst 1498, während seiner dritten Reise, fand; Nordamerika hat er nie gesehen. Auf Südamerika indes, so „entdeckte" seinerseits Professor Lienhard Delekat, Universität Bonn, sind die Phönizier schon um 500 v. Chr. gestoßen. Ein anderes Beispiel: Australien soll 1601 von Godinho de Eredia, einem Portugiesen, dem vielleicht einige Landsleute zuvorgekommen sein könnten, „entdeckt" worden sein; dabei sind inzwischen mindestens sechs Fundorte phönizisch-ägyptischer Gegenstände bekannt, und davon liegen drei an der europafernen Ostküste. Oder: 1498 „entdeckte" Vasco da Gama den Seeweg Europa - Vorderindien um Afrika herum. Und der Seeweg nach China soll von den Portugiesen Jörge Alvares 1513 und Fernao Perez d'Andrade 1517 gefunden worden sein. Beide Seewege waren indes dem Abend- und Morgenland Jahrhunderte vorher bekannt. Sie führen, der reisegeschichtlichen Leitlinie der Alten Welt folgend, durch das Rote Meer und dann an den Küsten Arabiens, Persiens, Indiens entlang bis China. Marco Polo lernte das Reich der Mitte auf dem Landweg bereits zwischen 1271 und 1295 kennen; als er in Kanbaluk, dem heutigen Peking, ankam, existierte dort bereits eine Kirche nestorianischer Christen. Je mehr Tatsachen genannt oder aufgedeckt werden, desto größer ist die Verwirrung. Das alte, starr bewahrte Bild der frühen Entdeckungsgeschichte verblaßt mehr und mehr. Augenblicklich bricht nun eine starre Kruste verfestigter Meinungen in der Geschichte der Reisen an vielen Stellen 15
gleichzeitig auf - und in dieser Situation veröffentlichte nach guter Vorbereitung ein belgisch-argentinischer Gelehrter, Professor Paul Gallez, Direktor des Patagonischen Instituts in Bahia Bianca in Argentinien, sein gut gegliedertes, solides, nachprüfbares Werk: „Das Geheimnis des Drachenschwanzes". Viele werden hinter dem geheimnisvollen Titel so etwas wie die Geschichten eines neuen Rätselerfinders vermuten, der, nach bekanntem Vorbild, Nichtiges unnötig aufbläht. Gallez bildet im Anhang seines Werkes allerdings allein 47 alte Karten ab, und schon insofern ist das Buch ein Gewinn. Diese Karten waren trotz ihrer oft großen Seltenheit bereits sämtlich bekannt. Doch war die Tat des Kolumbus derart verallgemeinert worden, daß niemand ein Kartenbild Südamerikas vor 1493 für möglich hielt. Mehr noch: Gallez weist nach, daß das Abendland auch nach der weltgeschichtlich folgenreichen Fahrt des Kolumbus mehr von Südamerika wußte als dieser jemals selbst, und zwar zu einer Zeit, als die Conquistadoren kaum einen bewußten Einblick oder gar einen geographischen Überblick gewonnen hatten. Drei argentinische Gelehrte, de Gandia, Grasso und Paul Gallez, haben uns Europäern die Augen geöffnet, und sie konnten auch von ihrem Subkontinent aus leichter eine neue Perspektive gewinnen. Obgleich Europa ohne Zweifel die insgesamt größte und weltgeschichtlich entscheidende Entdeckungsleistung vollbrachte, bemerken wir mehr und mehr, daß wir unser Denken nicht verabsolutieren dürfen. Erst Gallez hat den Beweis erbracht, daß zwar Kolumbus 1493 den Weg nach Mittelamerika fand. Aber bereits 1489, fast vier Jahre vorher, hat der Kartograph Henricus Martellus Germanus (das ist Heinrich Hammer der Deutsche) in Venedig eine Karte publiziert. Auf ihr wächst aus China, dem Land des Drachens, und Südostasien ein schwanzförmiges Gebilde heraus, das in einer frühen Darstellung der mittelamerikanischen Landbrücke und Südamerikas endet - mit erstaunlich genauer Eintragung des Flußnetzes. Die Anwendung einer modernen Kontrollmethode (Verzerrungsgitter) zeigte, daß Südamerika 1489 weitaus richtiger dargestellt worden ist als vergleichsweise das doch gut bekannte Deutschland. Zahlreiche spätere Weltkarten zwischen 1507 bis 1573, so zeigt Gallez auf, überliefern mit wachsender Ungenauigkeit dieses vorkolumbianische Weltbild. Manche dieser Karten enthalten Südamerika zweimal: Einmal wächst es als Drachen16
schwanz aus Asien heraus, dann erscheint es wieder richtig als neuer Weltteil. Der berühmte Kartograph Waldseemüller, der auf Veranlassung Matthias Ringmanns den Namen Amerika erstmals 1507 auf einem Globus und auf einer Karte einzeichnete, stellte Südamerika dabei auf ein und demselben Blatt sogar dreimal dar. Als älteste Südamerika-Darstellung in Form des Drachenschwanzes wies Gallez zudem überzeugend die von einem jungen Orientalisten 1968 solide rekonstruierte Karte des arabischen Geographen al-Huwarizmi 833 n. Chr. nach. Indem Gallez von hier aus in den Kern der Gedanken der großen griechischen Kartographen vorstößt, belegt er die Schwächen des Ptolemäus (etwa 100-160 n.Chr.) und die Stärken seines genialen, von ihm weidlich ausgebeuteten und oft mißverstandenen Vorbildes Marinos von Tyros (um 100 n.Chr.). Der östliche Golf auf allen griechisch inspirierten Weltkarten bis in den Anbruch der Neuzeit hinein erwies sich als frühe Darstellung des Pazifischen Ozeans. Ziehen wir kurz alles zu einer Frage zusammen: Wie konnten Kartographen seit 833 n.Chr. Südamerika überhaupt darstellen? Offenbar sind frühe Reisen, vom Mittelmeer ausgehend und der reisegeschichtlichen Leitlinie der Alten Welt folgend, das heißt längs des Roten Meeres, Persiens, Vorderund Hinterindiens, bis nach China gelangt. Schon Alexander von Humboldt wußte 1847 in seinem „Kosmos" zu berichten, daß Kaiser Marcus Aurelius Antonius (161-180) römische Legaten an den chinesischen Hof gesandt hat, ein Ereignis, das chinesische Geschichtsschreiber in den Reichsannalen registriert haben. Diese Legaten sind zum Beispiel nachweislich auf dem Seeweg über Tonking gekommen. Von China aus fanden frühe Reisen, vom Transportband des Kuroshio-Stromes dirigiert, den Weg nach Alaska und von hier, der Küste folgend, nach Südamerika. Auch Japaner und Inder dürften diesen Weg gefunden haben, wie die neu aufgedeckte, vermutlich älteste Kultur Südamerikas an der Küste Ecuadors nahelegt. Phönizische, griechische und römische Kapitäne, die der genannten Leitlinie der Alten Welt folgten, haben Informationen der ostasiatischen Kultur übernehmen können. Ob es so gewesen ist, wird als Frage wohl noch länger unbeantwortet bleiben. Jedenfalls ist nach einem Weg zu suchen, der das Zustandekommen des frühen südamerikanischen Kartenbildes verständlich macht. Dieses frühe Weltbild 17
eines angeblich erst 1498 von Kolumbus entdeckten Subkontinents wird dem Leser von Gallez in 47 alten Weltkarten erhellt. Wir müssen nun noch die Entdeckungsreisen entdecken, die dieses frühe und richtige Kartenbild ermöglicht haben. Professor Dr. Hanno Beck
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Auch einem findigen Kopf könnte die einfache Frage nach Landkarten der Indianer Nordamerikas Schwierigkeiten machen, da selbst das Wissen der Fachleute auf europäische, arabische und chinesische Karten begrenzt geblieben ist. Seltsamerweise übersah man den indianischen
Charme auf Birkenrinde Grundsätzliche Zweifel, ob denn die nordamerikanischen Indianer überhaupt Landkarten kannten, sind nicht mehr vonnöten, seit sie der Geograph und Amerikanist Professor Rainer Vollmar von der Freien Universität Berlin in Archiven und Bibliotheken der USA, Kanadas, Großbritanniens, Frankreichs und Spaniens gefunden und zu dem faszinierenden Werk „Indianische Karten Nordamerikas" zusammengestellt hat. Eine solche Sammlung fehlte bis dahin in der Weltliteratur. Erstmals ermöglicht sie Laien und Gelehrten einen Überblick, der zuvor weder erwartet noch je für möglich gehalten wurde. Ein Fünftel der sehr seltenen Darstellungen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert stammt von Indianern selbst, die übrigen bezeugen indianisch-europäische Kombination. Es lassen sich Wege- und Botschaftskarten mit Routenbeschreibung, Jagdberichte und Warnungen unterscheiden. Um seine reichen Funde verständlich zu machen, hat Vollmar eine bemerkenswerte Theorie entwickelt. Die Indianer haben im Rahmen ihrer Lebenssicherung im Gelände selbst einen Lernprozeß durchlaufen, der sie schließlich auch zu einer kartographischen Abstraktion befähigte. Dabei enthüllten Indianer zum Beispiel in ihren Birkenrinde-Karten einen unerwarteten Charme. Der deutsche Geograph Johann Georg Kohl berichtete 1857 von seinen Reisen im damals noch recht unbekannten Nordwesten der Vereinigten Staaten, er habe von der Geschicklichkeit der Indianer in der Zeichnung von Kartenskizzen gehört. Um sich selbst Gewißheit zu verschaffen, fragte er „Tönenden Wind", einen Sioux-Indianer, über das Seengebiet und die Flußverzweigungen des Canon Rivers, des Kanonenflusses, aus. Der kluge Indianer nannte ihm eine „zahllose" Menge von Seen, darunter auch einige bedeutende, „von denen keine 19
Spur auf meinen amerikanischen Karten zu finden war", wie der verblüffte Reisende feststellte. „Ich fragte ihn, ob er mir dies wohl aufs Papier bringen könne, und er ergriff sofort meinen Bleistift und entwarf mir eine detaillierte Landkarte der ganzen Gegend, ein Dutzend Arme des Kanonenflusses, ein paar Dutzend kleine Seen, aus denen sie entsprangen, und in den größeren Seen vergaß er auch die Inselchen nicht anzudeuten. Auch machte er einen Strich für den Fußpfad, auf dem wir hierhergekommen, und bezeichnete ebenso den Weg, auf dem wir zur Stadt Faribault zurückfahren werden." Auf diese Weise haben sich zum Beispiel Karten auf europäischem Papier erhalten, da immer wieder eine vergleichbare Auskunft bei einem geländekundigen Indianer gesucht werden mußte. Zur Orientierung ihrer ortsfremden Brüder haben Rothäute in weichem Ton, Stein, Knochen und Muscheln, auf abgeschälten Bäumen, in Birkenrinde, Tierhäute und Tuch mit der Spitze des Jagdmessers, mit gefärbten Stöckchen oder Holzkohle ihre Karten eingetragen. Zum Glück gab es Europäer, die besonders leicht vergängliche Darstellungen etwa in der Asche eines verglimmten Lagerfeuers, im Schnee oder im regenfeuchten Boden in ihrem Wert erkannten und kopierten. Wir kennen groß- und kleinmaßstäbige Karten und bewundern auch den unerwarteten Typ der knappen, kreisförmigen, erzählenden Karte, welche uns mit Anteilnahme erfüllt oder schmunzeln läßt. So etwa, „berichtet" eine Karte, hatte ein indianisches Ehepaar Streit. Der Mann ging trotz des Unwillens seiner Frau mit Pfeil und Bogen in den Wald auf die Jagd. Als ihn ein Schneesturm überraschte, fand er zwei Zelte. Darin befanden sich zwei kranke Personen: ein Junge mit Masern und ein Mann mit Pocken. Er entfernte sich eilig und erreichte einen Fluß. Er fing einen Fisch, bereitete ihn zu und aß ihn. Nach zwei Tagen brach er auf und begegnete einem Bären. Er erlegte ihn und fühlte sich wohl. Nach dem Aufbruch erblickte er ein Lager feindlicher Indianer, von dem er sich schnell entfernte. Er kam zu einem See, sah ein Stück Rotwild, schoß es und schleppte es zu seiner Frau und seinem Sohn. Die Versöhnung war selbstverständlich und wurde nicht eigens erwähnt. Diese Geschichte wird in ihrem räumlichen Vollzug liebenswürdig und geschickt mit Symbolen dargestellt, die jeden modernen Graphiker anregen dürften. Fast entwickelt sich in einer solchen Urkarte eine verständliche Zeichenschrift, ihre „Zeichner" hatten überdies einen Sinn für Formen und Schön20
heit. Die zeitgenössischen Bilder und Pionierkarten enthüllen zudem die Wahrheit einer bisher offensichtlich unterschätzten These: Der weg- und in unserem Sinn auch kartenkundige Indianer war der unentbehrliche Helfer und Führer, der dem Europäer meist selbstlos bei der „Entdeckung" seiner weiten, großen nordamerikanischen Heimat half. Professor Dr. Hanno Beck
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Mit neuen wissenschaftlichen Methoden sind die Archäologen auch hinter manches Küchengeheimnis der Hausfrauen der Vorgeschichte gekommen. Die „zauberten" unter anderem problemlos heiße Suppe auf den Tisch, obwohl sie keine feuerfesten Töpfe hatten:
Das „Feuer" kam mit in den Topf Kochsteine gehörten über Jahrzehntausende, wenn nicht gar Jahrhunderttausende, zu den wichtigsten Gebrauchsgegenständen in der Küche: Sie wurden benutzt, solange die Hausfrau noch keine ausreichend feuerfesten metallenen oder keramischen Töpfe zur Verfügung hatte. Konnte man schon nicht auf Feuer kochen, so brachte man das Feuer gewissermaßen in das Kochgefäß, indem man die Kochsteine in einem offenen Feuer bis zur Glut erhitzte und dann einfach in das Gefäß warf. Die Prähistoriker stoßen bei ihren Grabungen immer wieder auf derartige Praktiken des Küchenalltags der Vorzeit. Wenn es dann allerdings um die genaue Identifizierung bestimmter Steine als Kochsteine geht, müssen sie sich in der Regel mit Vermutungen begnügen. Erst dem Tübinger Chemiker Dr. Rolf Rottländer gelang am Institut für Urgeschichte der Universität Tübingen im Laboratorium für „Archäochemie", das chemische Forschungen im Dienste der Archäologen und Prähistoriker betreibt, ein gesicherter Nachweis. Er konnte eine Reihe von Steinen durch das noch in ihnen enthaltene Fett eindeutig als Kochsteine identifizieren. Das von Rottländer untersuchte Gesteinsmaterial stammt aus einer Grabung von Urgeschichtlern der Universität Freiburg bei Yverdon (Schweiz) am südlichen Neuenburger See. In dieser Grabung unter Leitung von Professor Christian Strahm wurde eine Pfahlbausiedlung der Jungsteinzeit freigelegt, in der sich viele bis zu fünf Meter hohe Haufen von Trümmern etwa faustgroßer Steingerölle fanden, die Spuren von Brandwirkung zeigten und offenbar durch Abkühlungseffekte abgeplatzt sind. Zwar ließ sich vermuten, daß es sich um Kochsteine handelte, da man zwischen den Steinen auch Tonscherben fand, doch Gewißheit brachten erst die chemischen Analysen der Tübinger Wissenschaftler. 22
Dieser Nachweis von Fettspuren in jahrtausendealten Kochsteinen demonstriert die neuen Möglichkeiten, die die Chemie für die Aufklärung des prähistorischen Alltags bietet. Zwar hat man auch schon früher zum Teil mit Erfolg versucht, einen Blick in die Kochtöpfe und Vorratsgefäße der Vorzeit zu tun, und zum Beispiel in ägyptischen und römischen Gefäßen Fettspuren gefunden, in manchen Fällen auch Indizien für Wein. Doch erst die modernen Analysemethoden und Extraktionsverfahren wie die Gaschromatographie oder Dünnschichtchromatographie erlauben, auch minimale Spuren organischer Substanz, die beispielsweise im porösen keramischen Material eines Tontopfes die Jahrtausende überdauerte, zu erfassen und zu analysieren. Mit diesem neuen Rüstzeug beginnt die Archäochemie den Hausfrauen der Vergangenheit nachzuspionieren. So entdeckten die Tübinger Forscher in der Wandung einer jungsteinzeitlichen Gefäßscherbe aus Aldenhoven im Rheinland Butterfett und Phosphate. Das beweist, daß dieser Topf in einem Haushalt vor rund 4000 Jahren als Milchtopf diente. Eine britische Wissenschaftlergruppe untersuchte römische Amphoren, die „Container" des Seeverkehrs jener Zeit im Mittelmeer, die man zwar in Massen findet, von denen man jedoch selten weiß, was sie enthielten. In einer Reihe dieser Amphoren entdeckten die Forscher in den Poren der Gefäßwandungen Spuren eines Öls, das sich als Olivenöl entpuppte: ein klarer Beweis für die Bedeutung dieses Öls als Transportobjekt und eine Möglichkeit, aus solchen Amphorenfunden die Wege des Olivenölhandels im römischen Weltreich zu rekonstruieren. Eine andere Untersuchung aus Tübingen befaßte sich mit Material aus einer altsteinzeitlichen Fundstelle in Lommersum bei Euskirchen im Rheinland, wo während der Eiszeit Großwildjäger ein Lagerfeuer entzündet hatten. Es läßt die Energiesorgen erkennen, die man schon damals hatte. In der baumlosen Steppenwüste des eiszeitlichen Mitteleuropa gab es kein Holz als Brennmaterial, so daß die Hausfrau ihr Feuer mit Tierknochen, den Überbleibseln der letzten Jagd, am Lodern halten mußte. Auf das ungewöhnliche Brennmaterial deuteten zwar schon Funde angekohlter Knochen hin, doch den letzten Beweis lieferte erst die Archäochemie, die in dem Boden unter dem Lagerplatz im Feuerbereich eine Fettanreicherung entdeckte. Dabei handelte es sich um Knochenöl, das offenbar aus den brennenden Knochen ausgeschmolzen worden war. Noch verblüffender sind Beobachtungen aus einer kleinen Höhle auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg, dem 23
sogenannten „Geißenklösterle", wo ein Wohnplatz eiszeitlicher Mammutjäger freigelegt wurde. Hier lieferte die Chemie möglicherweise Hinweise dafür, wie erstaunlich gemütlich es sich in einer solchen Höhle wohnen ließ. In den Kulturschichten dieser Höhle entdeckte Rottländer nämlich eine auffällige Fettanreicherung, die ausnahmsweise keine Küchengeheimnisse verriet. Die Fettsubstanz war noch so gut erhalten, daß sich die einzelnen Fettsäuren erkennen ließen. Ihre Zusammensetzung ist so ungewöhnlich, daß es unmöglich zu sein scheint, daß es sich um Reste von Mahlzeiten handelt, bei denen nach erfolgreicher Großwildjagd das Fett in Massen auf den Boden strömte. Die Bestandteile des Fetts deuten vielmehr auf Wollfett hin, mit dem viele „wollige" Säugetiere ihr Haarkleid konservieren. Man vermutet, daß es sich bei dem Wollfett um Überbleibsel der braunen Mammutfelle handelt, mit denen die Eiszeit-Frauen die Höhlen offenbar auslegten, um sie wohnlich zu machen, und die dann beim Umzug auf einen anderen Wohnplatz zurückgelassen wurden. Die interessanten neuen Möglichkeiten der Chemie haben schon zuvor Professor Hansjürgen Müller-Beck zu einem Forschungsprogramm „Gefäßinhalte" motiviert, in dem dann durch Untersuchung des Inhalts von rund 200 Töpfen aus jungsteinzeitlichen Fundplätzen des Bodenseegebiets und der Schweiz erstmals die Küchengeheimnisse einer Epoche der Vorgeschichte erkundet wurden. Wurden vorher immer nur vielversprechende Zufallsfunde untersucht, so ging es in diesem Tübinger Projekt um ein möglichst vollständiges Spektrum der Speisekarte und der Vorratskammer, nicht nur unter Anwendung chemischer Methoden, sondern auch mit Hilfe der Botanik, da beispielsweise in den schwarzen Krusten auf dem Boden angebrannter oder ausgebrauchter Töpfe auch Pollen als Hinweis auf Honig oder Hefepilze als Hinweis auf gebraute Getränke wie Bier entdeckt werden können. Der Alltag in der Vorzeit wird so allmählich zur nacherlebbaren Wirklichkeit. Dr. Harald Steinert
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Es ist stets ein Glücksfall, wenn durch Funde auch bewiesen werden kann, daß der Mensch seit mindestens einer halben Million Jahre das Feuer beherrscht. Mit dem Nachweis anderer Fertigkeiten unserer Vorläufer steht es ähnlich. So gibt es Urgeschichtler, die die Erfindung eines Sammelbeutels nicht weniger hoch einschätzen als die Anlage der ersten Feuerstelle:
Ein neugieriger Blick in den Ur-Sammelbeutel Das Problem mit diesem „neugierigen Blick" besteht freilich darin, daß er nur indirekt erfolgen kann und über den Beutel selbst nur Spekulationen möglich sind. Denn die Existenz solcher Behälter ist bis heute nicht eindeutig beweisbar. Und vom Sammelgut selbst ist auch kaum noch etwas zu finden. Früchte, Wurzeln, Nüsse und Pilze verfaulen eben so schnell, daß schon außergewöhnliche Fundumstände da sein müssen, um sie zu erhalten. Kalkhaltige Quellen etwa versintern auch die vergänglichen Pflanzenreste und erhalten sie so der Nachwelt. Deshalb kennt man beispielsweise auch die wärmeliebenden Pflanzen, die sich vor vielleicht 300000 Jahren bei der kleinen thüringischen Ortschaft Bilzingsleben (DDR) in der unmittelbaren Umgebung von Jägern vom Menschentyp des späten Homo erectus ansiedelten. Im konservierenden Kalksinter drückten sich Blätter von Feuerdorn, Buchsbaum, Kornelkirsche, Eiche und Haselstrauch ab. Der Kalk der Mineralquellen, die bei StuttgartBad Cannstatt austreten, hat ebenfalls ungefähr 250000 Jahre alte Buchsbaumblätter bewahrt, die in ein Lager von Elefantenjägern, wahrscheinlich vom Typ des Steinheimer Urmenschen, hineingeweht waren. In Weimar-Ehringsdorf (DDR) aber fanden sich 100000 Jahre alte Weinreben und Fliederblätter im Lager von Menschen, die wahrscheinlich frühe Neandertaler waren. Nicht alle auf menschlichen Lagerplätzen nachgewiesenen Pflanzen sind jedoch eßbar und daher mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit durch Sammeltätigkeit in diese Lager geraten. Dagegen ist es sicher, daß die kirschenartigen Früchte der Art Celtis (Zürgelbaum), die in den Kalkhöhlen von Chou kou Tien bei Peking inmitten der mindestens 400000 Jahre alten Wohnplätze dieser Homo erectus-Jäger lagen, von diesen Menschen hierhergebracht worden waren. 25
In den versteinerten Fäkalien der Pekingmenschen fanden sich überdies eindeutig erkennbare Pflanzensamen. Das waren nun schon sichere Sammel-Beweise, von denen es bisher nur sehr wenige gab. Daß auch die übrigen Ur- und Altmenschen Jäger und Sammler gewesen waren, ist zwar fast immer vorausgesetzt worden, doch zu belegen war es kaum. Die Ausgräber der Abteilung Alt-Steinzeit des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln hatten das Glück, an einem hervorragend zu datierenden Fundplatz im Neuwieder Becken (Kärlicher Berg) eine Handvoll Haselnußschalen zu finden, die vor 250000 Jahren von Menschen gesammelt worden waren, die an einem kleinen Bach lagerten, an dem ihre Beutetiere vorbeizogen: Waldelefanten, Nashörner, Rinder und Pferde. Diese Haselnußschalen lagen hier aber nicht im Kalk, sondern in einer dünnen Torfschicht, in der sich auch noch erkennbare Reste des Zürgelbaumes und der Flügelnuß zeigten – Anzeichen dafür, daß es in der Zeit, aus der die Haselnußschalen stammen, wärmer gewesen ist als heute. Das Neuwieder Becken bietet in Europa für die Erforschung der Urgeschichte einmalige Voraussetzungen. Hier haben sich die Ablagerungen aus einem großen Teil des Eiszeitalters angesammelt, und diese Schichten wurden später kaum mehr von Flüssen ausgeräumt als anderswo. Die Abfolge von Warm- und Kaltzeiten ist dort geologisch meist lückenlos zu sehen, und dazu kommen noch Zwischenlagen aus Vulkanausbrüchen. Das sind meist Bimsschichten zwischen den FlußSchottern von Rhein und Mosel und zwischen den LößSchichten, die in den Kaltzeiten angeweht wurden. Vulkanauswürfe aber sind physikalisch besonders gut zu datieren, und so gibt es heute für das Neuwieder Becken eine recht vollständige Gliederung der letzten 700000 Jahre der EiszeitEpoche mit einem Wechsel von neun kalten und acht warmen Perioden. Diese geologischen Umstände erlaubten dem Kölner Urgeschichtler Professor Gerhard Bosinski die eindeutige Fixierung des Fundplatzes Kärlich auf 250000 Jahre. Präziser läßt sich keiner der ähnlich alten europäischen Fundplätze datieren. Ebenso einmalig ist, daß im Löß von Kärlich eine Torfschicht erhalten blieb. Ob die Menschen, die in dieser Schicht auch ihre Faustkeile und winzige bearbeitete Quarzsplitterchen liegen ließen, noch Menschen vom Typ Homo erectus oder schon Menschen von der zum Homo sapiens hinführenden Steinheimer Urmenschenform waren, 26
ist allerdings offen. Das Rätsel, wer diese Menschen waren, stellt sich auch an einem anderen Fundplatz im Neuwieder Becken, nämlich am Zeltplatz von Airiendorf bei Bad Hönningen. Dort bauten sich vor 150000 Jahren Jäger, die noch keine Neandertaler, aber wohl auch keine Steinheimer Menschen mehr gewesen waren, eine Behausung an einem Hang. Wahrscheinlich zogen sie dort nur durch, denn auf dem deutlich sichtbaren runden Fleck, der heute den Hütten- oder Zeltgrundriß anzeigt, lagen nur wenige Steingeräte. Das Klima war damals kälter als heute, doch die Menschen hatten sich offenbar in ganz Europa auch an solche kühlen, offenen Graslandschaften angepaßt. Für Jäger waren diese Lößsteppen sogar ideal, weil sie großen Herden von Mammuts, Pferden, Hirschen, Rentieren, Wisenten und Nashörnern Nahrung boten. Mit großer Sicherheit trugen diese Jäger nun schon das ganze Jahr über Fellkleidung. Dagegen ist bei ihren Vorgängern von Cannstatt, Steinheim und Bilzingsleben eher anzunehmen, daß sie in ihren mittelmeerisch warmen Sommern aus praktischen Gründen lediglich eine Art Lendenschutz trugen und sich nur in den Regenwintern besser einhüllen mußten. Genaueres darüber ist freilich unbekannt. Rein technisch jedenfalls konnten sie mit ihren Stein- und vor allem den spitzen Knochengeräten schon vor vielen Jahrhunderttausenden Kleidung herstellen. Auch in Ariendorf fehlt jeder Hinweis auf einen Feuerplatz, der jedoch wegen der damaligen Klimabedingungen fast lebensnotwendig gewesen sein muß. Sicher ist nur, daß in dem Zelt oder Hüttchen, das vielleicht mit den Mammutrippen ringsum bedeckt war, zwei Mammut-Kugelgelenke als Unterlagen zum Knochenklopfen benutzt wurden. Beim HüttenDurchmesser von 2,70 Meter war allerdings nicht viel Platz für diese Küchenarbeit in dieser ältesten Behausung, die bisher in Mitteleuropa gefunden worden ist. Gerhard Schuh
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Noch heute erscheinen uns die eiszeitlichen „Höhlenmenschen" im heroischen Licht jener harten, fellbekleideten Großwildjäger, die mit Mammuts und Höhlenbären kämpften und bei flackerndem Feuer in düsteren Höhlen ein karges Dasein fristeten. Doch solche Supermänner waren diese Leute nun auch wieder nicht, und
Die Eiszeithöhlen waren nur Sommerwohnungen Das ebenso althergebrachte wie romantisch verklärte Bild des Eiszeitlebens stammt aus den früheren Tagen der Archäologie, als die Forscher ihre Schlüsse noch aus den Ergebnissen recht grober Grabungsmethoden und bisweilen auch sehr spärlicher Funde ziehen mußten. Ihre modernen Nachfolger arbeiten jedoch mit weit aufwendigeren Methoden, sammeln ihre Informationen mit Pinsel und Spachtel aus Knochenhaufen und Höhlenlehm mit der gleichen Hochachtung und Sorgfalt, mit der klassische Archäologen etwa einen Müllhaufen des alten Athen durchwühlten. Dementsprechend haben sie in jüngster Zeit ganz andere und zum Teil auch neuartige Vorstellungen über diese Frühzeit der Menschheit entwickelt. Die Höhlen scheinen für die Eiszeitmenschen nicht mehr gewesen zu sein als Sommerwohnungen. Ihr Speisezettel war vielfältiger, als man bisher wußte, und vor wehrhaftem Großwild hatten sie einen erheblichen Respekt. Ihre Jagd konzentrierten sie mehr auf Wiederkäuer und Niederwild. Diese Erkenntnisse stammen vor allem aus Grabungen in Höhlen der Schwäbischen Alb, die als Wohnplätze der „Höhlenmenschen" altbekannt sind, doch erst in jüngerer Zeit intensiv und mit modernen Methoden, vor allem durch das Institut für Urgeschichte der Universität Tübingen, untersucht wurden. Auf der Schwäbischen Alb liegt im Gebiet von Blaubeuren eine Kette von fast einem Dutzend Höhlen hoch über einem tiefen, einmal von der Ur-Donau benutzten Tal, die zum Teil viele Meter mächtige, mit Funden durchsetzte Schichten von Höhlenlehm bergen. Eine der Höhlen (der sogenannte „Vogelherd") lieferte schon vor einigen Jahrzehnten erste Indizien eiszeitlicher Kunst aus Mitteleuropa, die Jahrzehntausende älter ist als die berühmten Höhlenmalereien Frankreichs und Spaniens. Eine zweite, die „Brillenhöhle", enthielt - wie eine jüngere Grabung zeigte - ein Steinhaus, 28
dessen Wände noch stehen: ein Zeichen dafür, daß man in der Eiszeit das feuchtkühle Innenklima der Höhlen nicht sonderlich liebte und es sich deshalb in einem „Einbauhaus" gemütlicher machte. Besonders gründlich untersucht ist die „das Geißenklösterle" genannte Höhle. Dort sind unter Leitung von Dr. Joachim Hahn von den Wissenschaftlern des Tübinger Instituts meterdicke Schichten Höhlenlehm abgedeckt worden. Die fundreichsten und bisher ältesten Schichten stammen vom Ende der letzten Zwischeneiszeit: Es ist die Zeit, in der der moderne Mensch (Homo sapiens) in Mitteleuropa auftaucht und den Neandertaler verdrängt; es ist also das Lebensbild der ältesten Menschen im engeren Sinn, das hier im Höhlenlehm konserviert wurde. Die Blütenstaubkörner, die zu Lebzeiten dieser ältesten Europäer (sieht man vom Neandertaler einmal ab) in den Höhleneingang hineinwehten, liefern für die Rekonstruktion des Lebensbildes die Landschaftskulisse: Diese Körner stammen fast ausschließlich von Gräsern und Krautern, nur ganz wenige Prozent „Baumpollen" von Nadelhölzern und Birken finden sich dazwischen. Die Schwäbische Alb muß damals ein Bild wie heute die Fjells Lapplands geboten haben: weitgeschwungene kahle Höhenzüge, darin eingestreut an geschützten Stellen kleine Baumgruppen. Diese karge Grastundra ernährte jedoch eine sehr artenreiche Tierwelt, und an deren Nutzung hatten sich die vermutlich nur sehr kleinen Gruppen der ältesten Europäer angepaßt, die Spuren ihrer Tätigkeit in den Höhlen hinterließen. Diese Höhlenfunde sind für sich genommen höchst unscheinbar, allerdings mit Ausnahmen: Steinwerkzeuge und Waffen, wie sie andernorts bekannt sind, rauchgeschwärzte Steine und Lehmböden, Knochenbruchstücke und Splitter interessanter schon mehrere Tierfiguren aus Elfenbein sowie etliche runde Perlen und Knöpfe aus Knochen, die vermutlich auf die Fellkleidung aufgenäht waren und zeigen, daß man schon damals nicht in halbrohen Tierfellen auf die Jagd oder zum Essen ging und durchaus Sinn für dekorative Gestaltung der Umwelt hatte. Die Art der Tierfunde (beispielsweise der Alterszustand der Rengeweihe) läßt erkennen, daß die Höhlen erst im Frühsommer bezogen und im Herbst dann wieder verlassen wurden. Man kann aus gewissen Einzelheiten (etwa daraus, daß von den Jagdtieren immer nur kleine Knochenteile gefunden wurden) sogar den noch weitergehenden Schluß ziehen, daß diese 29
angeblichen Höhlenmenschen ihre Höhlen auch in der warmen Jahreszeit nur bei schlechtem Wetter (etwa Dauerregen) zum Wohnen nutzten, um dort ihre Renkeule oder ihr Wildpferdsteak zu verzehren. Im übrigen aber wohnten sie auf dem Talgrund 60 Meter tiefer. Diese Frühmenschen lebten vermutlich dauernd auf Wanderschaft. Sie hatten irgendwelche unbekannten Winterwohnplätze im Tiefland, wo es weniger rauh und windig war als auf der Alb. Um sich mit Fleisch zu versorgen, zogen sie von dort im Frühjahr in die Albtäler, durch die das Großwild in ganzen Herden wanderte. Doch war die Großwildjagd eine Nahrungsquelle, die sich erst längere Zeit nach dem Einzug in die Sommerwohnreviere erschloß. Die Grundnahrung für lange Zeit waren Vogeleier (Schalenreste wurden in großen Mengen gefunden), von denen man zwar ahnte, daß sie auch in früheren Jahrtausenden gegessen wurden, doch es nie in diesem Umfang nachweisen konnte, waren Fische aus den Seen und Flüßchen im Talgrund (vor allem Äschen und Rutten, lachsverwandte Bewohner kalter und sauerstoffreicher Gewässer, wie sie in diesen Jahrtausenden in diesem Land zu erwarten waren und heute in 800 bis 900 Meter Höhe in den Alpenseen schwimmen). Niemand hatte je geahnt, daß in der Altsteinzeit Fische eine so große Rolle auf dem Speisezettel spielten. Dazu kamen Vögel (wie Schneehühner und Enten), auch Hasen und Füchse wurden gejagt und gegessen. Die Großwildjagd lieferte dann Wildpferd, Steinbock, Rentier und andere Fleischträger. Ein Teil der Beute wurde vermutlich, wie heute bei den Eskimos, roh gegessen, ein Teil für den langen Winter konserviert. Die Höhlen wurden, wenn schon nicht zum Wohnen, so doch zur Fleischverarbeitung in großem Stil benutzt. Das „Geißenklösterle" enthält zum Beispiel eine solch große Anzahl von Feuerstellen nebeneinander, daß man diese am ehesten als „Räucherfeuer" zum Trocknen und Konservieren des erbeuteten Fleisches erklären kann. Außerdem sind Werkzeuge zum Fleischzerlegen auffallend häufig. Mit diesem Wintervorrat zog man dann wieder im Herbst aus der „Rauhen Alb" zu Tal - wohin, das ist noch unbekannt. Nur Zufallsfunde könnten die Archäologen auf die Spur der „Freilandstationen" der ältesten Europäer bringen. Dr. Harald Steinert
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Über die Abgründe der Vergangenheit hinweg hat uns bisher nur ein holzschnittartig vergröbertes Bild der altsteinzeitlichen Jäger erreicht. Nun hat sich aus ihren Gräbern aber auch ein Teil ihrer Gefühlswelt offenbart, die uns nicht unberührt läßt:
Auf einer Schwanenschwinge in die Ewigkeit Die in Mitteleuropa zahlreichen Sagen über Zwerge sind sicherlich durch die häufigen Funde von „Mikrolithen" mitverursacht worden, winzigen Messern, Klingen und Spitzen aus Feuerstein, die zwischen Jütland und der Schweiz oft massenhaft aus altsteinzeitlichen Kulturschichten aufgelesen werden können. Sie sehen zwar wie die Werkzeuge geheimnisvoller Zwergenvölker aus, sind aber doch von ganz normal gewachsenen Menschen verwendet worden: als glasharter und unglaublich scharfer Kantenbesatz für hölzerne oder knöcherne Waffen und Werkzeuge, mit dem nicht nur Speerspitzen und Schneiden, sondern sogar Sägeklingen gefertigt wurden. Für die Großwildjagd waren diese Waffen wohl kaum stabil genug. Doch vor 7000 bis 8000 Jahren, als diese Menschen Europa bevölkerten, war die ganz große Jagd der Eiszeit auf Mammut, Nashorn und riesige Rentierherden bereits vorbei. Man jagte den Rothirsch, fischte in Seen und Flüssen und schoß mit Pfeilen auf die Vogelschwärme. Der Lebensraum dieser letzten noch altsteinzeitlich lebenden Jäger war eine Art Paradies: Die Wiedererwärmung der Erde nach der letzten großen Vereisung hatte ihren Höhepunkt erreicht, und alles Leben war wieder voll aufgeblüht. Die menschliche Besiedlung war nur dünn, Wild dürfte nicht knapp gewesen sein, und man brauchte keineswegs mit Hacke und Sichel „im Schweiß des Angesichts" für sein Brot zu arbeiten. Man kennt von zahlreichen Funden, beispielsweise aus Mooren, aus Vegetationsrekonstruktionen anhand von Blütenpollen, aus Kulturresten und Fossilien das Leben dieser letzten Altsteinzeit-Jäger und ihre Umwelt recht gut. Von den Menschen selbst jedoch fanden sich bisher nur sehr undeutliche Spuren. Um so überraschender war die Entdeckung eines ganzen „Friedhofs" dieser letzten Altsteinzeitler bei Bauarbeiten auf 31
dem „Bögebakken" (Buchenhügel) bei Vedback an der Ostküste der Insel Seeland. Zu Lebzeiten der dort Beerdigten, vor rund 7000 Jahren, lag der „Buchenhügel" als kleine Insel in einem nun längst verlandeten Fjord. Der Friedhof gehörte zu einem Wohnplatz, der zum Teil schon früher ausgegraben worden war. 22 Tote fünf Kinder, sechs Männer, sechs Frauen und fünf Erwachsene, deren Geschlecht nicht feststellbar ist - waren hier bestattet worden. Die Skelette der oft mit reichen Grabbeigaben ausgestatteten Toten sind weitgehend vollständig erhalten. Aus diesen Gräbern konnte man erstmals ein Bild der letzten altsteinzeitlichen Jäger rekonstruieren und sogar einige Blicke in ihr Geistesleben und ihre Gefühle tun. Diese Jägerstämme waren offenbar die letzten Vertreter der derben Cromagnon-Menschen, die in den Jahrzehntausenden vorher, in der Eiszeit, Mitteleuropa bevölkert hatten. Das zeigen vor allem die Schädel, besonders jene der Frauen. Sie sind von massigem Bau, mit betont kräftigem Kinn, dickem Schädeldach und mächtigen Augenbrauen. In ihrer Umwelt haben diese Menschen aber offenbar nicht schlecht gelebt: Sie erreichten ein Durchschnittsalter von über 40 Jahren und waren verhältnismäßig großwüchsig, wie die Männerskelette mit etwa 1,70 Meter zeigen. Aus den Zahnemail-Linien läßt sich überdies ablesen, daß die Jugendentwicklung nicht besonders stark durch Ernährungsschwierigkeiten gestört wurde. Die Babies und Kleinkinder lebten sogar weit besser als heute, vermutlich, weil sie bis fast zum dritten Lebensjahr mit Muttermilch genährt wurden: Bis zu diesem Alter zeigen die Zähne dieser Kinder der Altsteinzeitler keinerlei Störungen im Zahnschmelz, wie sie - als „lineare Email-Hypoplasie" - heute bei Kindern in diesem Alter weit verbreitet sind. In den religiösen Bräuchen waren diese Jägerstämme des europäischen Atlantikums noch den Lebensformen der Eiszeit verhaftet: So haben sie ihren Toten bei der Beerdigung durch Überschütten mit rotem Ocker-Pulver, dessen Farbe sicher das Leben symbolisierte, einen weihevollen Hauch dieses Lebens verliehen. „Lebenswichtige" Organe, die auf diese Weise hervorgehoben wurden, waren der Kopf und der Unterleib. Offensichtlich fürchtete man aber zugleich die Rückkehr der Toten, da man ihnen die Füße fesselte oder in einem Fall sogar schwere Felsblöcke über die Beine wälzte. Die Toten wurden in Leder- oder Fellkleidung begraben, wobei das Leder durch das Kauen von Fellen hergestellt 32
worden war. Die Lederkleidung der Frauen war, vor allem in der Lendengegend, oft reich mit Perlen geschmückt, die man aus Vorderzähnen des Rothirsches, aus Wildschwein-, aber auch aus Menschenzähnen herstellte. Die Verteilung der Grabbeigaben läßt auf eine seltsame Entwicklung der sozialen Stellung der Frau mit zunehmendem Alter schließen: Während der Reichtum der Grabbeigaben der Männer (Flintgeräte, Hirschgeweihaxt) mit dem Alter des Begrabenen wächst, erhielten nur die jungen Frauen reichen Schmuck mit ins Grab. Trotz Verzicht auf Schmuck scheinen ältere, nicht mehr fruchtbaren Frauen jedoch in der Gemeinschaft einen hohen Rang eingenommen zu haben: Eine weit über vierzigjährige Frau wurde schmucklos, doch mit zwei mächtigen und sicherlich wertvollen Rothirsch-Geweihstangen als Kopfunterlage bestattet. Vielleicht am lebendigsten wird das Gefühlsleben dieser so derb erscheinenden Jäger, wenn man eines der Gräber genauer ansieht: Dort wurde eine etwa achtzehnjährige Frau mit ihrem zu früh geborenen Kind beigesetzt. Man bettete den Kopf der Mutter, die die Frühgeburt nicht überstand, auf ein weiches Kissen aus einem reich mit Perlen verzierten Lederkleidungsstück und das Kind auf eine Schwinge eines Höckerschwans. Ob diese Schwanenschwinge nur zufällig zur Hand war oder ein Symbol für den Weg in die andere Welt gewesen ist, wird vielleicht nie geklärt werden können. Doch ist der Schwan in der Volksmentalität, vor allem in Osteuropa, bis heute ein geweihter Vogel. Ein weiteres Grab läßt hingegen mehr auf ein Drama schließen: Dort wurden ein jüngerer Mann (zwischen 25 und 35 Jahren), eine Frau von etwa 40 bis 45 Jahren und ein älteres Kind beigesetzt. Der Mann wurde durch einen Knochenpfeil getötet, der durch den Hals zwischen zwei Brustwirbeln eindrang. Man kann dieses Ereignis, das dazu führte, daß offenbar ein jüngerer Vater mit der weit älteren Mutter seines Kindes zugleich beigesetzt wurde, zwar nicht rekonstruieren, doch bleibt der Phantasie reichlich Raum. Kam der Mann im Kampf um und tötete daraufhin seine Frau sich und ihr Kind? Oder spielte sich ein Eifersuchtsdrama mit Morden ab? Die Antwort darauf wird wahrscheinlich nie gefunden werden. Sicher ist nur, daß uns diese Gräber erstaunliche Gefühlsregungen der sonst so fremd und grob-exotisch erscheinenden Altsteinzeitjäger offenbart haben: Diese Stämme, die Mitteleuropa in ferner, grauer Vorzeit bevölkerten, gewinnen so plötzlich allgemein-menschliche Züge. Dr. Harald Steinen 33
Schon in der Eiszeit jagte der Mensch mit Hunden, hielt Rentierherden und zäumte Pferde auf. Dieses neue Bild der Kulturentwicklung ergibt sich aus Funden der letzten Jahre, die den Beginn der Haustierhaltung um vielleicht viele Jahrtausende zurückdatieren. Schon in der Weichseleiszeit war der Hund
Ein alter Freund des Menschen Bisher nahm man an, daß der Übergang von der JägerSammler-Wirtschaftsform zur planmäßigen Nahrungserzeugung durch Pflanzenanbau und Haustierhaltung nach dem Ende der letzten Vereisung vor etwa 7000 bis 9000 Jahren erfolgte, in Vorderasien oder Südasien. Dort nämlich tauchen die ältesten Anzeichen dafür auf, daß der Mensch Pflanzen anbaute und Haustiere hielt. Doch mehren sich in den letzten Jahren Funde, die einen weit früheren Beginn zumindest der Haustierhaltung beweisen: In Israel grub man einen Hund, vermutlich einen Welpen, in einem Männergrab aus, der vor über 12000 Jahren in einem „Haushalt" des Menschen lebte. Tierreste aus einem schon vor langer Zeit freigelegten Grab in Oberkassel bei Bonn, die der Archäologe Professor Gerhard Bosinski von der Universität Köln in Museen wiederentdeckte, entpuppten sich bei genauer Analyse durch den Zoologen Professor Günter Nobis, Direktor des Bonner Museums Alexander Koenig, zum Teil als Reste eines schäferhundähnlichen Hundes: Die Schnauze des Tieres und damit der Kiefer ist kürzer als bei Wölfen der gleichen Zeit. Dadurch kommt es zu einer leichten Verstellung der Zähne - das sind typische Merkmale der „Domestikation", des Weges, auf dem der Wolf zum Hund wurde. Der Fund ist etwa 14000 Jahre alt. Begraben wurde der Hund zusammen mit einem 50jährigen Mann und einer 20jährigen Frau: Schon während der letzten Vereisung gab es also Haustiere. Noch weit älter sind Hundereste aus Sibirien, von Afontora Gora bei Irkutsk, die vor einiger Zeit durch eine sowjetische Zoologin identifiziert wurden: Sie dürften rund 20000 Jahre alt sein. Offen bleibt dabei, ob diese eiszeitlichen Hunde als Begleiter, Freunde und Jagdhelfer des Menschen oder als Fleischlieferanten domestiziert wurden. Konkrete Hinweise 34
aus den Funden fehlen. Wären sie für Schlachtzwecke gehalten worden - der Fund aus Israel spricht allerdings eindeutig gegen diese Annahme; die Fundumstände deuten vielmehr an, daß dieses Tier dem Begrabenen nahe stand -, wäre klar bewiesen, daß der moderne Mensch, das heißt der Cromagnon-Mensch der Späteiszeit, der unmittelbar in den „modernen Menschen" überging, schon damals planmäßig Nahrung erzeugte. War der eiszeitliche Hund in erster Linie Jagdhund und Helfer des Menschen, so hatte dieser in seinen Hunden auch „Werkzeuge" zur „Haustierhaltung" nach Art der skandinavischen Lappen, nämlich zum Hüten und Treiben von Rentierherden, also ebenfalls für eine planmäßige Nahrungserzeugung. Schon seit dem vorigen Jahrhundert gibt es eine ganze Reihe von Indizien dafür, daß es schon in der Eiszeit eine Haustierhaltung gab. Sie finden sich fast alle in französischen Höhlen: Wandzeichnungen von Ziegen und Rentieren aus den Pyrenäen, die offenbar an Stricken gehalten werden, Darstellungen von Männern und Frauen in so enger Verbindung mit Pferden und Rens, daß es sich nicht um Jagdszenen handeln konnte, sondern um „Besitz", Pferdeköpfe mit Zäumen, die dem Kopfgeschirr aus Stricken, mit dem Rentiere in Lappland aufgezäumt werden, erstaunlich ähnlich sind. Diese Felszeichnungen waren so klar, daß die damaligen Archäologen ganz selbstverständlich annahmen, daß in den Steppen der letzten Vereisungszeit in Westeuropa die Träger der Magdalenien-Kultur Herden von Fleischtieren hielten vor allem Rentiere. Anderen Wissenschaftlern schien es jedoch damals undenkbar, daß primitive Eiszeit-Jäger sich bis zu Hirten emporentwickelt haben sollten. Sie wiesen unter anderem darauf hin, daß zu einer solchen Herdenhaltung nach lappländischer Art Hunde notwendig gewesen wären, die es jedoch noch nicht gegeben habe. Gerade sie, deren Fehlen damals ein Argument gegen die „Haustiere" der Eiszeit waren, sind nun aufgetaucht. Darüber hinaus wurde in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe von weiteren Entdeckungen gemacht, die für eine Haustierhaltung in den westeuropäischen Eiszeit-Wohngebieten des Menschen sprechen. So erwies sich - bei näherer Untersuchung - ein Rentiergeweih, gefunden in den Pyrenäen, als Geweih eines kastrierten Tieres. Und bei dem Mittelfußknochen eines Rens, der aus einer Magdalenien-Fundschicht derselben Gegend stammt, konnte festgestellt werden, daß das Tier einen später verheilten Knochenbruch zwei Jahre überlebt hat. Da es nun 35
absolut unmöglich ist, daß ein so verletztes Tier so lange der Jagd der Wölfe und anderer Raubtiere entgeht, kann es eigentlich nur unter Obhut des Menschen überlebt haben. Am eindrucksvollsten sind jedoch mehrere Funde von Wandritzungen sowie ein Knochenstab des französischen Magdalenien, die zum Teil sehr eindeutig Kopfzäume zeigen. Ein Fund von La Marche wurde eingehend analysiert, um jede Möglichkeit auszuscheiden, daß - wie bei früheren Wandzeichnungen argumentiert - der Zaum nur die Mißdeutung einiger anatomischer Merkmale, der Muskulatur, sein könne, oder einfach zufälliger Striche. Die Trense dieses Pferdekopfes ist jedoch so klar und nach der Darstellung des Kopfes als zusätzlicher Bildinhalt angebracht, daß man hier nicht mehr von Mißdeutung anatomischer Einzelheiten sprechen kann. "Dieses Fundmaterial weist nun eindeutig daraufhin, daß der späteiszeitliche Mensch schon planmäßig Nahrungserzeugung durch Tierhaltung betrieb. Da man normalerweise mit dem Eintritt in diese neue Kulturstufe in der Nomenklatur der Vorgeschichte die Jungsteinzeit - das „Neolithikum" - beginnen läßt, scheint es nun paradoxerweise so zu sein, daß die Jungsteinzeit eigentlich schon während der letzten Eiszeit erreicht worden ist - zumindest in dem fortschrittlichen Westeuropa. Dr. Harald Steinert
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GESCHICHTEN, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
SOZIAL- UND KULTURGESCHICHTE ________________________________ Von Energieproblemen im alten Ägypten bis zur Jeans-Revolution
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Schon vor rund 3000 Jahren gab es im „Tal des biblischen Kupfers" ein sehr aktuell anmutendes Energieproblem, das durch ungezügelten Raubbau an der Natur immer wieder zu langfristigen Stillegungen der Minen führte:
Pharao ging die Holzkohle aus Den Niedergang eines frühantiken Montanzentrums im Süd-Negev haben Wissenschaftler des Bergbau-Museums Bochum zusammen mit Kollegen aus Israel im Rahmen einer Expedition untersucht, die dem ältesten bekannten Bergbauund Hüttenbezirk des Orients im Timna-Tal galt. Was frühere Forschungsreisende im Süd-Negev immer wieder beschäftigt hat, waren 9000 helle, tellerförmige Kreisflächen. Sie brachten die deutschen und israelischen IndustrieArchäologen buchstäblich auf den Trichter: Die Kreisflächen entpuppten sich als trichterförmige, jetzt sandgefüllte Schachtmundlöcher - sogenannte Fingen. Die frühantiken Knappen hatten die Schächte zunächst wie Maulwürfe als Prospektionsschächte in den Berg getrieben, um die Kupfererz-Lagerstätten zu erkunden. Von den teilweise bis zu 36 Meter tiefen Schächten, an deren Wänden noch die Trittlöcher der Bergleute zu sehen sind, zweigen horizontale, bis zu 90 Zentimeter hohe Strecken ab. Die Wissenschaftler entdeckten dabei ganze Streckensysteme auf verschiedenen Ebenen unter Tage. Die Schächte hatten dann in der Phase des Kupferabbaus die Funktion von Fahr- und Förder- oder von Wetterschächten. Da die Lufttemperaturen in Timna tagsüber hohe Werte erreichen, war die Belüftung der Strecken ein Problem für den antiken Bergbau. Um vor allem die tieferen Gruben mit Frischluft zu versorgen, bohrten die Bergleute vor rund 3400 Jahren spezielle Wetterschächte oder verbanden zwei Gruben durch einen engen Verbindungskanal - eine „Wetterstrecke". Nach der Auswertung der Forschungsergebnisse stellte sich heraus, daß im Revier von Timna nach einer primitiven Phase des Erzsammeins bereits vom 4. Jahrtausend v. Chr. an eingeborene Bergleute einfache Schacht- und Streckenbaue angelegt hatten, um Anreicherungen von Kupfererzknollen abzubauen. Nach einer Unterbrechung von mehr als tausend 38
Jahren erschienen im Timna-Tal am Ende des 14. Jahrhunderts v.Chr. ägyptische Bergbau-Expeditionen des Neuen Reiches. Mit Hilfe örtlicher amalekitischer Arbeitskräfte und benachbarter Midianiter wurden sowohl Kupferbergbau als auch -Verhüttung aufgebaut. Ein zweites Untersuchungsobjekt im „Tal des biblischen Kupfers" war das Kupferverhüttungslager mit dem Schmelzplatz und den dazugehörenden Gebäuderesten. Es war das erste Kupferverhüttungslager der Antike, das systematisch ausgegraben wurde. Zur Zeit Ramses II. (1290-1224 v.Chr.) erreichten die Bergbau- und Verhüttungstätigkeiten der Ägypter die Ausmaße einer Großindustrie. Bis in die Zeit Ramses V. (1156-1152 v.Chr.) wurde in Timna ununterbrochen Kupfer geschmolzen. Dann lagen die Gruben und Schmelzanlagen im trockenen Süd-Negev brach. In Timna lagen nicht die „Kupferminen König Salomons", wie in den dreißiger Jahren der amerikanische Archäologe und Theologe Nelson Glueck in mehreren Veröffentlichungen behauptet hatte, sondern die Kupfergruben des ägyptischen Pharaos: ein „kleines Ruhrgebiet" des frühantiken Orients, in dem allerdings nicht Kohle, sondern Kupfer abgebaut und verhüttet wurde. Noch einmal erlebte die Gegend eine Bergbau-Renaissance: zur Zeit der XXII. Dynastie - vielleicht unter Pharao Schoschenk (946-925 v.Chr.) - nach zweihundertjähriger Pause. Wiederum machten die Wissenschaftler eine erstaunliche Entdeckung: Zur Zeit der XXII. Dynastie, in der Übergangsphase von der Bronze- zur Eisenzeit, war in Timna das „know-how" der Verhüttungstechnologie kräftig vorangeschritten. Die Ofen- und Schmelzprozeßtechnologie war „fortschrittlicher" geworden. Die Schmelzöfen zur Zeit der Ramessiden wurden zwar auch schon mit Blasebälgen betrieben, aber die Holzkohlenschlacke und das Kupfermetall waren noch nicht deutlich genug getrennt, so daß die Schmelzer die Schlacke nach dem Erkalten erst noch zerschlagen mußten, um die Hauptmenge des Metalls zu gewinnen. In der Mitte des 10. Jahrhunderts v. Chr. benutzten dann die Schmelzer des Pharaos einen bedeutend größeren und technisch raffinierteren Schmelzofen. Der Beweis: Die Ofenschlacken dieser Periode sind kupferarm. Den antiken Verhüttungstechnikern war eine selbst für heutige Verhältnisse saubere Trennung von Schlacke und Metall gelungen. Das Team israelischer und deutscher Wissenschaftler er39
rechnete aufgrund der in Timna gefundenen Schlacken, daß dort aus rund 1000 Tonnen aufbereitetem Kupfererz ungefähr 100 Tonnen Kupfer gewonnen wurden. Da ein antiker Schmelzofen während seiner Lebensdauer etwa 100 Kilogramm Kupfer erzeugen konnte, müssen während der Zeit, in der im Timna-Tal verhüttet wurde, über tausend Schmelzöfen geraucht haben. Bei der Erforschung alter Verhüttungsanlagen in Wüstengebieten stellt sich den Wissenschaftlern immer die Frage nach der Versorgung mit Brennstoff. Es steht fest, daß die Kupferschmelzer des Pharaos in Timna Holzkohle verfeuert haben, die aus Akazien- und Dattelpalmenholz gewonnen wurde. Um 1000 Tonnen Kupfererz zu schmelzen, benötigten die ägyptischen Kupferkocher 50000 Akazienbäume - und das in einer Landschaft, deren Vegetation und Klima zur Zeit der Verhüttungstätigkeit sich nicht von der Gegenwart unterscheiden. Die Folge war ein totaler Kahlschlag im Timna-Revier und der Umgebung und schließlich ein Mangel an Holzkohle. Daraus erklärt sich, daß - obwohl die Timnaer Kupferminen in frühgeschichtlicher Zeit so gut wie unerschöpflich waren die Hüttentätigkeit dort eingestellt wurde. Erst eine Wartezeit von Jahrhunderten, in der die Vegetation nachwachsen konnte, schuf die Voraussetzung für erneute metallurgische Tätigkeit im Süd-Negev. Deshalb auch die verschiedenen Perioden der Kupfergewinnung im Timna und die langen Unterbrechungen, während derer des Pharaos „Ruhrgebiet" praktisch still lag. Dr. Robert Lutz
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Europas Steinzeit ging nicht sang- und klanglos zu Ende. Ihr Abschied stand im Zeichen einer Hochkultur des Werkstoffes Feuerstein, die alles in den Schatten stellte, was zuvor entwickelt und erarbeitet worden war:
Die letzte Blüte einer alten Technologie Stein ist neben Holz und Knochen der älteste Werkstoff der Menschheit. Er wurde zwar in den meisten seiner Funktionen in einem einige Jahrtausende dauernden Umstellungsprozeß durch Metall ersetzt. Doch bevor die Steinzeit in Europa endgültig von der „Metallzeit" abgelöst wurde, entwickelte sich noch kurzfristig die letzte Blüte eines vorher nie erreichten Höchststandes, der etwa zwei Jahrtausende währte. Ein Bild dieser seltsamen Entwicklung vermitteln eine Dokumentation und auch eigene Grabungen des Deutschen BergbauMuseums Bochum. Das Aufkommen des Kupfers als Werkstoff fiel mit dieser Hochblüte der Feuersteinkultur in auffälliger Weise zeitlich zusammen. Es ist zwar nicht nachzuweisen, doch zumindest einleuchtend, daß diese Entwicklungen miteinander in Zusammenhang standen. Während sich das Kupfer etwa drei Jahrtausende v.Chr. in Europa verbreitete, begann sich das bisher primitiv durch Sammeln oder Flachgrabungen versorgte „Heimarbeits-Handwerk" der Herstellung von Feuersteingerät und -waffen fast explosionsartig zu entwickeln. Von Nordwestjütland bis nach Frankreich und Ungarn wurde Feuerstein bergmännisch gewonnen. Die Verarbeitung wurde entscheidend verfeinert; Waffen- und Geräteformen wurden entwikkelt, die in der Herstellung hochkompliziert waren. Die Neuerungen waren nicht völlig werkstoffgerecht - etwa Langmesser, Dolche oder Sicheln, die in Kupfer „vorerfunden" waren. Dies war keine Heimindustrie mehr. Die Grubenbetriebe wie die Werkstätten der Feuersteinschmiede wurden von erfahrenen Spezialisten geleitet und betrieben. Im Gebiet von Krakau wurden Gräber freigelegt, deren Inhalt die Bestatteten als solche Steinschmiede auswies; man hatte ihnen zum Beispiel Steinabschläge und einen knöchernen „Druckstab" zur Feinstbearbeitung von Feuersteinen in die Hand gelegt. Die Abbautechnik war in ganz Europa einheitlich: Man grub einen Schacht (in England bis in Maximaltiefen von 41
immerhin rund 20 Meter), von dem aus nach den Seiten der Abbau vorgetrieben wurde. Da Feuerstein meist in Kreide oder Kalkstein lagert, konnte er mit Hacken aus Hirschhorn oder Stein abgebaut werden. Solche Geräte wurden häufig gefunden. In Belgien wurden zwei verschüttete Feuersteinbergleute ausgegraben, mit der Hirschhornhacke in der Hand. Einer hatte ein vier- bis fünfjähriges Kind bei sich. Dieses arbeitete sicherlich für den „Hauer" vor Ort als „Schlepper" zum Abtransport seiner Ausbeute in den oft ganz niedrigen Stollen, wo Kinder sich am besten bewegen konnten. Man verstand es, die Stollen benachbarter Schächte miteinander zu verbinden und so die „Bewetterung" zu verbessern. Die Grabung des Bochumer Museums bei Klein-Kems in Baden wies sogar nach, daß man auch im Feuersteinbergbau den Vortrieb durch „Feuersetzen" beschleunigte, wie es im Erzbergbau bis in die Neuzeit üblich war: Man zündete am „Stoß" ein großes Feuer an, das den Fels zermürbte (in Kreide brachte das Verfahren keine Vorteile), und konnte dann noch zusätzlich den erhitzten Fels mit Wasser „ablöschen". In Experimenten erwies es sich, daß man den Fels durch einfaches Feuersetzen zehnmal und nach Ablöschen zwanzigmal schneller als den unbehandelten Fels abbauen konnte. In der Praxis wird der Rationalisierungserfolg für erfahrene Bergleute sicher noch viel größer gewesen sein. Der Sinn dieses aufwendigen Tiefbaus lag einmal darin, daß man in der Original-Lagerstätte des Feuersteins weit größere Rohstücke finden konnte als an der Erdoberfläche, in Bachbetten, an der Seeküste oder in anderen natürlichen „Aufschlüssen". Vor allem aber war der Feuerstein aus dem Bergwerk „bergfeucht", relativ weich und zäh. Erst aus diesem bergfeuchten Material konnte man die großen und komplizierten Werkstücke herstellen, wie sie nun der Markt erforderte. Die Feuersteingeräte und -waffen der Bergbauzentren wurden über viele hundert Kilometer, in Schweden bis über tausend Kilometer weit gehandelt. Bis heute ist noch ungeklärt, wieweit sich in diesem „Feuersteinindustrie-Zeitalter" spezielle Gewerbezentren entwickelten, deren Bewohner sich nicht mehr autark ernährten, sondern von dem Verkauf ihrer Fertigung lebten. Daß die soziale Organisation, die diesen Wirtschaftszweig betrieb, sehr stark war, läßt sich im Bergbaugebiet von Hov ostwärts von Thisted in Nordwestjütland erkennen: Dort wurde auf einer nur 500 Quadratmeter großen Fläche eine Anlage mit 36 Schächten entdeckt. Einige stießen nur auf schlechten Flint und mußten 42
nach wochen- oder monatelanger Abteufarbeit aufgegeben werden. Dafür wurden andere neu gegraben. Nur eine Gesellschaft, die ihre Bergleute ernährte und kleidete, ohne daß sie selbst ständig auf dem Feld oder im Stall arbeiteten, konnte den planmäßigen Abbau dieses Grubenfeldes betreiben. Die Blüte der Feuersteintechnologie währte nur so lange, wie das Kupfer als Metallwerkstoff vorherrschte. Mit dem Vordringen der Bronze endete die Konjunktur des Feuersteinbergbaus und der Feuersteinschmiede. Das ist kaum verwunderlich; denn der hochharte und sehr scharfe Feuerstein als Werkstoff konnte zwar mit dem weichen Kupfer konkurrieren, auch wenn es enorm mühsam und zeitaufwendig gewesen sein muß, die aus Kupfer in einfacher und schneller GußFormgebung herstellbaren Dolche oder Sicheln in Feuerstein nachzuahmen. Mit der härtbaren Bronze aber war diese Chance vorüber. Der Vorteil des Feuersteins, immer noch härter als Bronze zu sein, scheint nicht mehr so groß gewesen zu sein, als daß er weiter als Werkstoff für wertvolle und große Objekte auf dem Markt nachgefragt wurde. Die Feuersteinwirtschaft schrumpfte wieder zu dem häuslichen Handwerk zurück, zur Herstellung von Klingen oder Schabern für einfachste Zwecke, von Beilen und Äxten dort, wo Bronze zu teuer war. In dieser Funktion blieb der Feuerstein über die europäische Bronzezeit hin ein geschätzter Werkstoff. Dr. Harald Steinert
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Im Gegensatz zur Geschichte des Theaters ist über den Theatervorhang nur wenig berichtet worden. Er soll verhüllen und enthüllen, den Zuschauer neugierig machen, ihn überraschen und auf die Darbietung „einstimmen". Er ist
Der Stoff, der zwei Welten trennt Als im Jahre 169 nach Christus in der nordafrikanischen Stadt Dougga, im heutigen Tunesien, ein römisches Theater mit festlichen Darbietungen, gymnastischen Spielen und „Freibier" - wie wir heute sagen würden - eingeweiht wurde, meißelte man zu Ehren des großzügigen Spenders Namen und Ereignis in Stein. Aus dieser relativ gut erhaltenen Weiheinschrift geht hervor, daß „P. Marcius Quadratus, Priester des göttlichen Augustus ... mit seinem Geld für seine Heimat ... ein Theater erbauen ließ ... mit Portikus, Bühne und Vorhang mit vollständigem Dekor". Daß ein Theatervorhang hier unter den kostspieligen Bauelementen extra aufgeführt wurde - die damaligen Kosten eines solchen Theaters beliefen sich auf etwa 400000 Sesterzien, in heutiger Währung rund 200000DM - läßt vermuten, welch wichtige Rolle der Vorhang im römischen Theater spielte. Über das Phänomen Theatervorhang gab es bisher allerdings keine zusammenfassende Darstellung. Um so berichtenswerter ist, was Marlis Radke-Stegh an der Universität zu Köln in ihrer Studie „Der Theatervorhang" herausgefunden hat. Gekommen war der Vorhang nebst Bezeichnung „aulaeum" aus Griechenland, der Überlieferung nach aus Pergamon, als 133 v. Chr. Königs Attalos das römische Volk zu seinem Erben einsetzte. Damit wurden seine von ihm erfundenen, golddurchwirkten Teppiche in Rom bekannt und bestaunt - wie geschaffen, sich im Laufe der Zeit zum Theatervorhang umzuwandeln. Die Griechen selbst hatten zwar große Vorhänge in ihren Tempeln und Hallen angebracht, aber ein Theatervorhang war ihnen fremd, obwohl bei ihnen der Ursprung des europäischen Theaters zu suchen ist. Erst die Römer schufen in ihren prunkvollen Theaterbauten Voraussetzung und Rahmen für den Theatervorhang - als bewegliche Wand zwischen Zuschauerraum und Bühne, zwi44
schen dem Reich der Realwelt und der Phantasie. Das Theater als Massenmedium war entdeckt. Erwähnt wird der Theatervorhang zum ersten Mal in der antiken Literatur von Cicero; das war im Jahr 56 v.Chr., ein Jahr, bevor das erste Steintheater in Rom durch Pompeius erbaut wurde, was beweist, daß ein solcher Vorhang bereits üblich war. Ciceros Bemerkung „aulaeum tollitur" ist noch in anderer Weise aufschlußreich, weil daraus der Bewegungsablauf des Vorhangs hervorgeht. Er wird aufgehoben, aufgerichtet, was durch Forschung in römischen Ruinen vorstellbar wird. Im Theater von Pompeji war ein bühnenbreiter Graben der vermutliche Versenkungsschlitz für einen Vorhang. Durch fernrohrartig ineinandergeschobene Röhren soll dann der an einem Querbalken befestigte Vorhang langsam mit einer Winde in die Höhe gehoben worden sein. Ein jüngeres System - wie etwa in Dougga - ersetzt die Vorhanggräben durch Schächte zum Einstellen von Holzpfosten, an die der Vorhang jedesmal durch eine Bedienungsmannschaft erst angehängt werden mußte. „Während einer aufwendigen Darstellung blieb der Vorhang oft mehr als vier Stunden und länger liegen", klagt Horaz in seiner Kritik am dekadenten Geschmack des römischen Publikums. Sind auch die technischen Einzelheiten des Vorhangmechanismus nicht vollständig bekannt und erforscht, erbrachte römische Ingenieurkunst die Voraussetzung für eine wesentliche Funktion des Vorhangs: das Publikum so schnell wie möglich aus der Wirklichkeit in eine schönere Scheinwelt zu entführen. Mit dem Untergang des Römischen Reiches versank auf lange Zeit eine hochstehende Theaterkultur. Die großen Bauten wurden von den jeweiligen Eroberern zerstört oder verfielen - und mit ihnen vermoderten auch die kostbaren Vorhänge. Erst die Renaissance erweckte den Theatervorhang zu neuem Leben. Man orientierte sich an der Antike, studierte lateinische Schriftsteller und suchte in Ruinen verwertbare Anregungen. Nur die Konstruktion des Vorhangs mußten die Architekten des 16. Jahrhunderts neu ersinnen, und das geschah im Lauf der Zeit mit allen Raffinessen der Bühnentechnik, zumal der nun geschlossene Theaterbau andere Entwicklungsmöglichkeiten bot als die antike offene Szene. Die erste gesicherte Nachricht von einem Theatervorhang der Neuzeit stammt aus dem Jahr 1519 aus Rom, wo am 45
Karnevalssonntag im Vatikan Ariosts „Suppositi" in Gegenwart von Papst Leo X. aufgeführt wurde und sich das Publikum an einem bemalten Vorhang ergötzte, auf dem ein groteskes Spottbild auf den Narren des anwesenden Kirchenfürsten von schabernacktreibenden Teufeln umrahmt war. 100 Jahre später erobert sich der Theatervorhang im deutschsprachigen Raum von Salzburg aus die Bühnen in ganz Europa. Das theaterfreudige Barock, das den Schwerpunkt weniger auf das Wort als auf die Show legte, forderte auch vom Vorhang immer prächtigere Ausgestaltung. Die meisten dieser Monumentalgemälde aus Stoff - oft von bedeutenden Künstlern geschaffen - zeigten mythologische oder allegorische Themen und Anspielungen auch politischer Art, deren Enträtselung die Zuschauer vor der Vorstellung in Spannung hielt. Auf diesen Brauch griffen viel später unter anderem Picasso, Chagall oder Kokoschka zurück, wenn sie für ein ganz bestimmtes Stück einen nur darauf abgestimmten Vorhang bemalten. Neben dem alten Bildervorhang kam damals ein neutraler Vorhang in Mode, der nun geteilt nach beiden Seiten hochgezogen wurde. Seine Farbe war - psychologisch gut gewählt das festliche Purpurrot. Ob ein roter Samtvorhang bei der Hochzeit des Cesare D'Este mit Virginia Medici 1585 in Florenz oder ein roter Seidenvorhang mit Goldfransen anläßlich der Heirat Heinrichs IV. mit Maria de Medici (1600) dieser Vorhang zieht sich nun in vielen Variationen wie ein roter Faden durch die Theatergeschichte bis in unsere Tage. In Aktion trat der Vorhang jahrhundertelang nur zu Anfang und zum Schluß einer Aufführung, um die Aufmerksamkeit nicht zu unterbrechen, wie es bereits in der Antike üblich gewesen war. „Die Zuschauer sollten keinen Anlaß finden, aufzustehen und wegzugehen." Dieses Prinzip wurde 1828 zum ersten Mal durchbrochen, als in der Pariser Oper bei der Premiere des „Wilhelm Teil" der Vorhang in allen Zwischenakten gezogen wurde. Seither hatte sich dieses Verfahren zur festen Gewohnheit entwickelt, bis im April 1980 erstmalig wieder - und zwar in der Metropolitan Opera in New York - ein Werk (Bergs „Wozzek") ohne Pause durchgespielt wurde, was beim Publikum ein ungewöhnlich starkes Erlebnis hervorgerufen haben soll. In den gut 150 Jahren zwischen diesen beiden Daten hat sich das Theater auf dem Hintergrund sozialer und kultureller Umschichtung entscheidend verändert, und damit auch die Funktion des Theatervorhangs. Wenn Bert Brecht ihn in einer 46
Regieanweisung zu einer halben Gardine reduziert, damit das Publikum Einblick in die Inszenierungsarbeit gewinnen sollte, wird die Abkehr vom Illusionismus deutlich. Das Auge wird nicht mehr verzaubert, sondern oft eher geschockt. Gefordert wird der Intellekt. Verliert der Theatervorhang seine Bedeutung? Moderne Inszenierungen verzichten oft ganz auf ihn. Vielfach zählt der Vorhang nur noch, wenn am Schluß das Publikum die Vorhänge zählt. Dr. Gisela Reinhardt-Reuter
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Auf den Spuren Homers fand man mit dem Wohnsitz eines thrakischen Fürsten nicht nur eine neue „trojanische Lokalität". Man entdeckte auch die Überreste von 4400 Jahre alten zerquetschten Trauben, die damals als Viehfutter verwendet worden waren:
Wo man den ersten Wein trank Die „Ilias" Homers ist nicht nur ein Heldengedicht, sondern auch ein in vielen Einzelheiten zutreffender Tatsachenbericht eines großen griechischen Überseefeldzuges gegen die Stadt Troja am Eingang zum Schwarzen Meer. Vordergründig handelte es sich um Rache für den Raub der Schönen Helena durch die Trojaner, was freilich mehr ein Argument für das Volk war. In Wirklichkeit ging es um die Beherrschung des Fernhandels durch den Bosporus. Während die Hauptschauplätze dieser Auseinandersetzungen in etwa bekannt sind, die „Nebenschauplätze" und Lokalitäten im klassischen Griechenland nach und nach erforscht wurden und werden, steht es wesentlich schlechter um die Lokalisierung der Welt Homers für die Gegenpartei, die Trojaner, die sich eine Reihe von Verbündeten an den benachbarten Küsten vor allem von Thrakien (Nordgriechenland) gesichert hatten. Erst nach einer Jahrzehnte dauernden „Forschungspause" ist es wieder gelungen, eine solche „trojanische Lokalität" ausfindig zu machen: Im sogenannten „Trojanerkatalog" wird bei Homer als Verbündeter der Fürst Pyraichmes „... von fernher von des Axios breitfließendem Wasser" genannt. Auf dessen Herrschaftssitz stießen die Forscher des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel unter Leitung von Professor Bernhard Hansel ungewollt, als sie mit der Ausgrabung der sogenannten „Toumba" (wie in Nordgriechenland die prähistorischen Wohnhügel genannt werden) von Kastanas im Axiostal begannen. Der Anlaß der Grabung: die Fixierung einer möglichst vollständigen Siedlungsfolge der Jungsteinzeit und Bronzezeit in diesem Gebiet Nordgriechenlands, in dem sich Ausläufer der orientalischen Hochkultur - deren Kulturentwicklung zeitlich datierbar ist - mit den geschichtslosen prähistorischen Kulturen des nördlicheren Europas verzahnen. Damit sollen 48
die „absoluten" Zeitdatierungen der europäischen Vorgeschichte chronologisch eingeordnet werden. Da das Axiostal der einzige wirklich verkehrsgünstige Verbindungsweg zwischen Nordgriechenland und Kerneuropa gewesen ist, war zu erwarten, daß andere Wohnhügel wie der von Kastanas das Hin- und Rückfluten wandernder Völker und Kulturübertragungen an dieser „Grenze zwischen historischem und prähistorischem" Raum reflektieren würden. Tatsächlich fand sich in der 14 Meter hohen und 100 Meter langen „Toumba" eine vollständige Siedlungsfolge, die einen Zeitraum von über 2200 Jahren (von der Jungsteinzeit bis zur Römerzeit) abdeckte und die erhofften „Kulturverzahnungen" aufwies. Bis etwa 1400 v.Chr. siedelten hier Menschen auf einem Hügel, der nicht wie heute auf festem Land in der Flußaue lag, sondern eine Insel im damals rund sieben Kilometer breiten und heute längst verlandeten Mündungstrichter des Axios bildete. Es waren Bauern, die vor allem Weizen anbauten, Rinder, Schafe und Schweine züchteten und in lehmverschmierten Flechtwerkhütten wohnten. Sie lebten dabei nicht schlecht: In einem Haufen von Viehfutter (Heu), den sie in einem ihrer Ställe hinterließen, fanden sich zerquetschte Weinbeeren, aus denen man den Saft gepreßt hatte. Das kann nur eins bedeuten: daß man in diesem noch prähistorischen Dorf um 2400 v.Chr. (aus dieser Zeit stammt das Heu, mit dem die Traubenreste verfüttert wurden) schon Wein bereitete. Das ist der älteste Beweis für die Verarbeitung von Weinbeeren zu Wein in Europa und vermutlich auf der Welt. Das beschauliche Leben der weintrinkenden Weizenbauern auf der Insel im Axios endete etwa 1400 v. Chr.: Die mykenische Expansionswelle, die damals aus Südgriechenland nach allen Seiten ausstrahlte, erreichte auch Thrakien: In der „unorganisierten" Siedlung auf der Insel entstand ein modernes mykenisches Verwaltungszentrum, aus Lehmziegeln gebaut, ein Hof mit einem „Megaron" (Palast) und Nebengebäuden, wie in allen mykenischen Zentren. Die Ausgräber fanden rings um das „Megaron" einige Goldplättchen - die von goldbestickten Gewändern verloren wurden - und einen Goldring, beides Anzeichen dafür, daß man hier jetzt luxuriös lebte. Während die Nahrung der breiten Bevölkerung nun die Hirse wird, nimmt der Anteil der Wildknochen in den Küchenabfallhaufen plötzlich um rund 50 Prozent zu - ein Hinweis auf die Existenz einer adligen Oberschicht, die Zeit für die Jagd 49
hatte. Dies ist genau das Milieu der homerischen Helden, und diese mykenische Epoche ist es auch, in der Fürst Pyraichmes mit seinen „bogenspannenden Paionen" den Trojanern zu Hilfe kam. Die Entdeckung des mykenischen Hofzentrums in einem Gebiet, in dem der Axios tatsächlich „breitströmend" floß, wie man seit den Grabungen der Kieler Wissenschaftler weiß, läßt die sichere Identifikation zu. Darüber hinaus fanden sich in diesen Siedlungsschichten ungewöhnlich viele Pfeilspitzen aus Bronze, Knochen und Stein, wie man es von einem Stamm der nach Homer „bogenspannenden" Paionen erwarten möchte. Ein schweres Erdbeben zerstörte etwa 1300 v.Chr. die Siedlung, doch nach Aufräumungsarbeiten ging das Feudal-Leben der Mykener zunächst weiter. Erst kurz vor der Jahrtausendwende endete es: Die gesamte Siedlung brannte ab, und ohne große Aufräumungsarbeiten entstanden auf den Trümmern ganz andere Haustypen: Holzhäuser, in denen Menschen lebten, die durch die mitgebrachte Keramik - sie ist durch Fingerabdruck-Striche und Eindrücke, sogenannte „Kanneluren", gekennzeichnet - als Ausländer aus dem Norden oder Nordwesten zu erkennen waren. Die Invasion der Angehörigen der sogenannten „Lausitzer Kultur" (die von Böhmen bis fast an die Adria reichte) kam wahrscheinlich durch das Axiostal nach Nordgriechenland und zerschlug die mykenische Welt. Auf der Insel von Kastanas etablierte sich eine neue Herrenschicht, während offenbar die ansässige Bevölkerung aus Bauern und Handwerkern blieb. Bald entstand auf dem Hügel ein neues Stadtsystem mit Handwerkersiedlungen, bis dieses Regionalzentrum in der Zeit der makedonischen Könige degeneriert. Für die Beurteilung der Entwicklung der griechischen Kultur ist die Entdeckung der Invasion kurz vor 1000 v. Chr., die hier wie in der um 1920 ausgegrabenen Toumba von Axiochorion klar erkennbar wird, von noch größerem Interesse als der Nachweis einer von Homer beschriebenen Lokalität. Denn allem Anschein nach sind dies die Spuren der großen dorischen Einwanderung, die viele Altphilologen und Archäologen als Zäsur in der Entwicklung des Griechentums von der Herrschaft der Mykener bis zur klassischen Periode annehmen, ohne sie exakt fassen zu können. Die klaren Grabungsbefunde aus dem nordgriechischen Vorfeld bestätigen nun, daß es eine solche große Wanderung tatsächlich gegeben hat. Nur kam sie nicht - wie vielfach 50
vermutet - aus Mitteleuropa, sondern aus dem Südgebiet der Lausitzer Kultur. Welches die Ausgangsgebiete im einzelnen waren, weiß man noch nicht: Es dürften die Gebirge Bulgariens oder Teile des heutigen Jugoslawiens sein, die noch nicht so gut untersucht sind, daß man die Träger jener Lausitzer Sonderkultur, die sich in der „kannelierten Keramik" und den Holzhäusern über dem Brand- und Trümmerfeld der Jahrtausendwende auf der Toumba Kastanas erkennen läßt, genauer identifizieren kann. Dr. Harald Steinen
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Als Schöpfer von über 20 Bühnenwerken und 50 Sinfonien konnte er Zeit seines Lebens nur davon träumen, daß seine Meisterwerke jemals unter Bedingungen aufgeführt würden, wie sie heute zum Standard zählen. Was Wolfgang Amadeus Mozart quälte, war
„Grobe, lumpenhafte Hofmusique" So zumindest beurteilte Mozart selbst die Qualität und das Erscheinen der Musiker am Hofe des Salzburger Fürst-Erzbischofs Hieronymus Graf Colloredo. Das Zitat stammt aus einem der zahlreichen und langen Briefe, die der Komponist an seinen Vater geschrieben hat. Zusammen mit Briefen an die Mutter und an die Schwester Mozarts, aber auch solchen, die Mozart selbst von seiner Familie empfing, diente er Dr. Ulrike Welzel am Institut für Theaterwissenschaften der Universität Wien als Grundlage für die erste Analyse des Theaters im Spiegel der Mozart-Briefe. Keine Rede also damals von „Salzburger Festspielen", von bis ins kleinste Detail durchgearbeiteten Inszenierungen und bejubelten Aufführungen, deren Besuch man sich erst durch Hinterlegung eines oder mehrerer Tausendschillingscheine erkaufen kann, wie das heute nicht selten der Fall ist. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrschten andere Bedingungen. So gehörte es zu den Ausnahmen, wenn ein Sänger damals Noten lesen konnte - dennoch stellten die durch den BelcantoStarkult verwöhnten Sänger Anforderungen. Mozart mußte sich diesen Sänger-Einwänden fügen und seine Arien so oft umschreiben, bis sie den Interpreten genehm waren. „Die Arie soll dem Sänger angemessen sein wie ein gutgemachtes Kleid" war der Standpunkt, den Mozart im Interesse eines beiden Seiten dienlichen Kompromisses nach den ersten Erfahrungen mit dem Sänger-Starrsinn einnahm. Insgesamt war das Niveau der Künstler zu Mozarts Zeit sogar in großen Städten wie Wien oder Paris im Durchschnitt eher niedrig. Denn selbst wenn Wiener Theaterkritiker heute über die Qualität von Opernaufführungen herziehen, dann doch sicherlich nicht mit solch starken Worten, mit denen Mozart seinen Eindruck etwa von den Pariser Opernstars schilderte: „Die Pariser Sänger singen nicht, sondern sie schreyen - heulen - und zwar aus vollem Halse, aus der Nase, aus der Gurgel." 52
Die Briefe Mozarts von seiner Mannheim-Paris-Reise, wie auch die Schreiben, die der Komponist aus Wien an seine in Salzburg gebliebene engere Familie (Vater, Schwester) richtete, spiegeln in einzigartiger Weise nicht nur die Theatergepflogenheiten der siebziger und achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts wider, sondern geben auch Einblick in kulturhistorische Zusammenhänge. So beschreibt Mozart lobend die zu seiner Zeit weit und breit einzig dastehende soziale Altersversorgung, die der Mannheimer Kurfürst Karl Theodor seinen Musikern aus freien Stücken gewährte. Instrumentalisten wie Sänger erhielten nach ihrem Abtreten von der Bühne eine Pension ausbezahlt. Einen Pferdefuß allerdings hatte diese löbliche Einrichtung: Im Interesse seiner Geldbörse konnte sich der Kurfürst nicht entschließen, konsequent zu bleiben und Künstler auch wirklich dann in den „Schweige"-Stand zu schicken, wenn ihre Leistungen es geraten erscheinen ließen. Die Folge dieser seltsamen Mischung aus sozialem Denken und ausgeprägter Sparsamkeit war, daß greise Sänger weit über den Zenit ihres Könnens hinaus die Mannheimer Bühne bevölkerten und das Niveau drückten. Wie auf Sänger und Komponisten - die bei Mozart besonders schlecht wegkommen, zu Recht, wie das Urteil der Zeit gezeigt hat, denn die von ihm genannten Namen sind heute vergessen - so schimpft der Schöpfer der „Zauberflöte" und des „Don Giovanni" auch auf das Publikum. Vor allem am Salzburger Publikum läßt Mozart kein gutes Haar - es interessiere sich nur für das Trivialste, ist sein abschätziges Urteil. Die Wiener kommen hier etwas besser weg, allerdings auch nur, weil sie sich zumindest für heitere Szenen im Theater begeistern ließen. „Närrisches Zeug, tanzen, teufel, gespenster, Zaubereyen, Hanswurst, Lipper, Bernadon, Hexen" - das seien die Vorlieben der Wiener, an die man sich halten müsse, wenn man Erfolg haben wolle. Mozart hielt sich daran. Viele der heiteren, entspannenden Szenen in Mozarts Opern und Singspielen sind dieser Konzession an den Geschmack der Wiener zu verdanken. Werner Wanschura
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Die einen beklagen in ihm den totalen und endgültigen Verfall aller Eßkultur, die anderen sehen ihn als den treffenden Ausdruck unserer schnellebigen Zeit. Die Rede ist vom „Schnellimbiß", jenem raschen und öffentlichen Essen im Vorübergehen, das zu einem gewichtigen kulturgeschichtlichen Alltags-Phänomen geworden ist, vom
Lustgewinn in der Imbißbude So jung, wie man gemeinhin glauben möchte und wohl auch bisher geglaubt hat, ist der heute fast allgegenwärtige „Schnellimbiß" keineswegs. Der Germanist Dr. Ulrich Tolksdorf hat in seiner an der Universität Kiel durchgeführten Untersuchung Vorläufer bis in das Mittelalter zurück festgestellt. Auch heute noch lassen sich darunter zwei verschiedene aktuelle Grundmuster ausmachen. Regensburg etwa kann sich der „ältesten Würstchenbude der Welt" rühmen. Damit ist jene „geschichtsträchtige Imbißbude" aus dem Jahre 1134 gemeint, die den Erbauern des Regensburger Domes und der Steinernen Brükke als Brotzeithütte diente. Bei ihr, wie auch bei Buden ähnlichen Typs, handelt es sich nach Tolksdorf um „einen Arbeitsimbiß, einen Vorläufer unserer Kantinen und - eben Schnellimbisse". Anders die zweite Form: jene „Imbisse", die - so auch heute noch - auf den Jahrmärkten, den Volksfesten und Kirmessen standen. Konsument ist hier - in seiner Mußezeit - das ganze „Volk". Sowohl dieser „Freizeitimbiß" als auch der „Arbeitsimbiß" sind von der Industrialisierung wesentlich beeinflußt worden. Die Fabrikarbeit führte nicht nur dazu, daß Wohn- und Arbeitsbereich getrennt wurden, sondern bedeutete auch den Übergang von der „privaten Tischgemeinschaft" zum „öffentlichen Essen". Die Maschinen gestatteten nicht den „Luxus" langer Pausen für das Essen, in denen man womöglich sogar nach Hause gehen konnte; sie ließen nur Zeit für einen Kurzimbiß im Freien oder am Werkplatz, eingebettet in den Arbeitsprozeß. In die „Imbiß-Kultur" hinein wirkten andererseits aber auch die Ausdehnung der Freizeit und die mit der Motorisierung verbundene Mobilität bis hin zum Tourismus. Kennzeichnend dafür ist die Ballung von Imbißständen an Bahnhöfen, Autobus- und Straßenbahnstationen, an Autobahnen und städti54
schen Ausfallstraßen, an großen Parkplätzen und Ausflugszielen. Auch das Angebot der Imbißstuben hat sich im Zuge der Industrialisierung und Automatisierung verändert. Die Vereinheitlichungswelle scheint die freien Imbißstände hierzulande - anders als in den USA - allerdings erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts erreicht zu haben. Der Kieler Wissenschaftler führt dies darauf zurück, daß die Imbißstubenbetreiber meist „kleine Leute" waren, während in den USA die Standardisierung in den großen Imbißketten schon seit Beginn der zwanziger Jahre zum Durchbruch kam. Erst in neuerer Zeit automatisierten nunmehr auch die kleinen Imbißstuben ihre Küchentechnik; dies spiegelt sich auch im Angebot wider. Gab es in den fünfziger Jahren neben Frikadellen, Brat- und Bockwürsten noch selbstgekochte Erbsen- und Kartoffelsuppe, wurde diese „Kleine-Leute-Küche" allmählich unterwandert: Hot dogs, Hamburger, Schaschlik, Chinesische Frühlingsrolle oder Bami-Scheiben werden nun mit Vorliebe auf der „Speisekarte" geführt. Beim Imbiß sitzt man in der Regel nicht bei Tisch; damit geht auch das, was traditionellerweise mit Eßkultur verbunden wird, in gewisser Weise verloren, nämlich Tischgemeinschaft, -sitten, -Ordnung, partner, -gespräch und -gebet. Doch kulturlos ist die Imbißstube deshalb nicht. Tolksdorf: Auch sie kennt und hat ihre „Rituale", ihr „kulturelles System", das nur dann zur „Un-Kultur" wird, wenn man von der bürgerlichen Eßkultur und ihren Bedürfnissen ausgeht. Wie die Bezeichnung selbst schon sagt, ist das Typische an dieser Art der Bewirtung das „Schnelle". Schnell sind nicht nur Verzehr, sondern auch Zubereitung und Service. Schon dieses widerspreche deutlich dem Ideal bürgerlicher Eßkultur - zu Hause oder im Restaurant. Zumindest seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts tabuisieren Anstandsbücher das schnelle Essen als „vulgäre Gewohnheit". „Schling nicht so!" ist ja auch heute noch die ständige Beschwörungsformel in der Kinder erziehung bei Tisch. Für den ständigen Imbißgänger nun bedeutet schnelles Essen dagegen „eine Form von Freiheit und Ungezwungenheit". Die Amerikaner kennen dafür sogar den Begriff „FastFood-Happiness", und einer von ihnen beschrieb in seiner „Psychologie des Glücks bei der Schnellkost" die Gefühle an der Imbißstube so: „Schnelligkeit bedeutet: Wir können irgendetwas so rasch wie möglich bekommen. Es bedeutet ein Entkommen vor dem Zwang des Wartens, des Geduldigsein55
Könnens. In unserer schnellebigen Gesellschaft, in der Warten Einengung bedeutet und uns Beharrlichkeit abverlangt, verheißt uns die Befreiung von ,verschwendeter Zeit' Rettung, Trost und Glück. Schnelligkeit wird bevorzugt, weil sie uns eine Zukunft verspricht, in der mehr Dinge in weniger Zeit getan werden können." Offenbar auf diesen Lustgewinn, so meint Tolksdorf, zielt auch heute ein großer Teil der Kundschaft von Schnellimbissen ab. Typisch für den Schnellimbiß, im Gegensatz zur bürgerlichen Mahlzeit, Festessen einmal ausgenommen, ist auch, daß öffentlich gegessen wird, was öffentlich angeboten und öffentlich (im Gegensatz zur sonst geschlossenen Küche) zubereitet wird. Zwischen Gastgeber und Gast besteht keine Hierarchie, die Beziehung Verkäufer-Konsument ist eingeebnet: „Etikette gilt hier als Etikettenschwindel." Noch ein weiteres Bedürfnis werde, so Tolksdorf, durch das öffentliche Essen befriedigt: Man könne neben dem Essen gleichzeitig am Bestellritual anderer teilnehmen oder am Treiben rundherum, sei dies nun am Bahnhof, beim Fußballspiel oder in der Hektik einer Einkaufsstraße in der City. Am weitaus interessantesten ist für Tolksdorf aber der „elementare" Zug am Schnellimbiß-Essen. Peinlichkeits- und Schamgefühle, die im Zuge der Entwicklung der Eßsitten, der zunehmenden Zivilisation langsam, aber stetig vorrückten, würden wieder zurückgedrängt, „Affekte" und „Triebe" weniger streng kontrolliert. Am Imbißstand wird weitgehend auf Besteck verzichtet, es gibt auch keine Möglichkeit, sich vorher die Hände zu waschen, Essen mit den Händen bedeute „Unmittelbarkeit und Lustgewinn", der nicht nur bei „Hamburger" vertilgenden Kindern und Jugendlichen geradezu sichtbar ist - für Tolksdorf „sicherlich keine Gegenentwicklung zum Prozeß der Zivilisation ..., aber ein Freiraum eben von dieser Zivilisation." Dr. Renate I. Mreschar
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Was heute mit einer stürmisch wachsenden Zahl von Anhängern und den nicht minder stürmisch wachsenden Verdienstmöglichkeiten der Spitzenprofis zu einem Millionenspiel geworden ist, hat seinen Ursprung sehr wahrscheinlich in einem mittelalterlichen Zeitvertreib:
Das erste Tennismatch bestritten Klosterbrüder Wie das Tennisspiel zu seinem Namen kam, woher die sonderbare Zählweise dieses Spiels rührt und überhaupt, wie man es vor mehr als einem halben Jahrtausend spielte und wo es entstand, untersuchte der Sprachwissenschaftler Dr. Heiner Gillmeister an der Universität Bonn. Überraschend ist schon, daß das Tennisspiel offenbar nicht in England, dem Land mit dem „heiligen Rasen" und dem mit Wimbledon wohl ehrwürdigsten Tennisturnier der Welt, entstanden ist. Alle geschichtlichen Quellen weisen vielmehr darauf hin, daß man im 12. Jahrhundert wohl in Frankreich mit dem Tennisspielen begann. Der klösterliche Ursprung des Spiels ergibt sich - so Gillmeister - nicht zuletzt aus der Anlage des klassischen Tenniscourts, der bis in Einzelheiten hinein dem Kreuzgang mittelalterlicher Klöster nachempfunden zu sein scheint. Der Kreuzgang, ein quadratischer Innenhof, nach allen Seiten hin von einem Säulengang umgeben, schloß sich in der Regel an die Südseite der Klosterkirche an. Seine südliche, von der Kirche abgekehrte Hälfte wurde von den Mönchen zur Spielfläche erkoren, über die sie eine Schnur von einer mittleren Säule bis hin zur Hofmitte spannten, zu einem dort eingerammten Pfosten. Über diese Schnur wurde der Ball gespielt, zunächst mit der flachen Hand. Das halbierte Quadrat des Klosterhofs ergab die bis heute charakteristische rechteckige Form des Spielfeldes. Praktische Gründe für die Wahl der Südseite waren wohl, daß diese im Schatten lag, und daß die Mönche den Spiellärm von den Andächtigen in der Kirche fernzuhalten suchten, gleichzeitig aber auch ihre kostbaren Kirchenfenster nicht mit umherschwirrenden Tennisbällen gefährden wollten. Punkte ließen sich bei diesem frühen Tennisspiel auf direktem Wege erzielen, indem etwa bestimmte Öffnungen der Säulengalerie getroffen wurden, aber auch auf die heute noch 57
übliche Weise: Der Ball durfte nur einmal aufspringen, im freien Flug genommene Bälle (Volleys) waren statthaft. Seinen Namen verdankt das Tennis nicht - wie unter anderem vermutet wurde - der Stadt Tinnis im Nildelta, bekannt für die Herstellung eines vorzüglichen weißen Leinentuchs, mit dem man im Mittelalter Tennisbälle bezog, sondern der französischen Verbform „tenez": „haltet" (den Ball)! Mit diesem Wort leitete der Tennisspieler vor mehr als einem halben Jahrtausend sein Service ein, wie einer Episode in der wohl bald nach 1415 entstandenen Ballade „The Bataile of Agyncourt" zu entnehmen ist, die mit Sicherheit - so Gillmeister - als die älteste „Reportage" über ein Tennisspiel gelten kann. In ihr wird die Belagerung des Städtchens Harfleur durch die Engländer (während des Frankreichfeldzuges Heinrichs V.) in der Art eines Tennisspiels - auch von der Terminologie her dargestellt. Freilich wurden die Tenniswörter dabei in ironischer Form verwendet. Aus diesem Gedicht und dem Vergleich zweier seiner Fassungen geht nicht nur hervor, daß in alter Zeit die Besetzung mit einer Dreiermannschaft offenbar den Vorzug gegenüber dem heute üblichen Doppel oder Einzel erhielt; es dürfte darüber hinaus wohl auch der älteste Beleg für die Fünfzehner-Zählweise im Tennis sein. Von den Zählwörtern des Tennisspiels (15, 30, 45, 60) fehlen nur zwei, nämlich „Einstand" und „Vorteil". Vermutlich konnte der englische Verfasser der Ballade aus patriotischen Gründen den belagerten Franzosen die Chance eines Einstandes oder gar Vorteils im Kampf verständlicherweise nicht einräumen. Aus der Agyncourt-Ballade geht auch hervor, daß im mittelalterlichen Tennis ein lautes Ausrufen des Spielstandes durch denjenigen, der gerade einen Punkt gewonnen hatte, das Übliche war. Im Gegensatz zum heutigen Tennis, wo häufig vor allem mittelmäßige Spieler Stille während des Matches geradezu zelebrieren, war das Tennis im Mittelalter ein überaus geräuschvoller Sport. Die Ballade sagt nun freilich nur etwas aus über die Anwendung der Zählworte, aber nichts über ihre Herkunft. Auf jeden Fall ist daran - so Gillmeister - nicht das in Viertelstunden unterteilte Zifferblatt einer Uhr schuld, wie heute noch manchmal behauptet wird. Die ganze Geschichte liegt etwas komplizierter. Bereits in der Entstehungszeit des Tennisspiels, also im 12. Jahrhundert, machte sich beim Klerus und vor allem dann in Kreisen des Adels die auch heute bekannte (Un)Sitte breit, Tennis um Geld zu spielen. Die mittelalterli58
che Münzeinheit nun, der man sich bediente, war der altfranzösische „sol" (später: „sou"). Der „sol" ist im Mittelalter die Rechnungseinheit für zwölf Pfennige (altfranzösisch „denier"). 1266 dann wird diese Einheit erstmals in Form einer Silbermünze geprägt, dem „gros denier tournois", dem „großen Pfennig von Tours". Dieses Geldstück wurde im 14. Jahrhundert mehrmals nachgeprägt - der Wert betrug jeweils 15 deniers tournois = 15 Pfennige aus Tours. Bei einem Tennisspiel waren nun für einen verschlagenen Ball 15 deniers zu zahlen, für ein verlorenes Spiel deren 60 - immerhin der Gegenwert von zehn frischen Eiern. Die sehr spezielle sprachwissenschaftliche Analyse Gillmeisters ermöglicht es auch, den Weg des Tennisspiels im Mittelalter ziemlich genau zu verfolgen. Vom Norden Frankreichs gelangte es nach Schottland und England, dann in die Niederlande und von dort nach Deutschland. Vom ländlichen Norden Frankreichs breitete es sich auch ins städtische Paris aus. Parallel zu dieser Verbreitungswelle zwischen dem 12. und beginnenden 15. Jahrhundert kam es - von der höfischen Kultur Frankreichs ausgehend - auch zu einem Wandel in der Anredeform. Nur noch in den unteren Schichten redete man sich mit Du an, für die Oberschicht wurde das „Sie" gebräuchlich. Dies spiegelt sich auch im Eröffnungsruf beim Tennisspiel wider. Aus dem Aufschlägerruf mit der Du-Anrede „cachepol" (fang den Ball) wurde das höflichere „Tenez la balle" (halten Sie den Ball). Und da es im Ausland in besseren Kreisen „in" wurde, sich französischer Ausdrücke selbst im Alltag zu bedienen - das modische Tennisspiel war da keine Ausnahme - verfestigte sich diese französische Form. Durch die Beherrschung des fremdsprachigen technischen Vokabulars sonderten sich, so Gillmeister, die vornehmen Snobs in ähnlicher Weise von ihren Zeitgenossen ab, wie dies die distinguierte Welt im Deutschland und im Frankreich der Jahrhundertwende mit den nun kurioserweise englischen Tennisausdrücken tat. Der Tennissport hat also gleichsam in doppelter Weise seinen Ursprung in Frankreich, einmal als Spiel selbst, im 12. Jahrhundert beginnend, und rund 300 Jahre später in der auch heute noch gebräuchlichen Benennung. Dr. Renate I. Mreschar
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Luise Otto-Peters, Auguste Schmidt, Mary Woll' stonecraft und andere haben sich im 19. Jahrhundert für die Gleichberechtigung ihrer Geschlechtsgenossinnen stark gemacht und sind zu Symbolfiguren für die Frauenbewegung der Industrialisierungsphase Europas geworden. Doch auch sie blickten auf viele zurück, auf
„Emmas" mittelalterliche Vorhut Sie hießen Hildegard von Bingen, Hrotsvitha von Gandersheim und Heloise, und ihre Namen stehen symbolisch für Tausende von Frauen, die im elften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert eine Emanzipationsbewegung repräsentierten. Das Hochmittelalter war, wie später die industrielle Revolution Europas, eine Zeit des großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbruchs, die auch die Stellung der Frau innerhalb einer vorher nach außen hin männlich erscheinenden Kultur bewußter gemacht hat. War die Frau bisher als Geschlechtsgenossin Evas unterbewertet worden, so wurde nun die Mutter Jesu das „hymnisch gepriesene" Frauenideal, wie der Münchner Historiker Karl Bosl feststellt. Parallel dazu entstand in Europa eine selbständige Frauenbewegung, die im Beginentum des dreizehnten Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte: Es wurden in allen Bettelorden Frauenzweige gegründet, so daß um 1300 die Zahl ihrer weiblichen Mitglieder, der Beginen, so groß war wie die der Männer. Während die Verfechterinnen der Gleichberechtigung heute ihre Gedanken durch Presse, Funk und Fernsehen einer breiten Öffentlichkeit darlegen können, marschierten ihre Geschlechtsgenossinnen damals von Ort zu Ort und spielten so schließlich besonders als Wanderpredigerinnen eine führende Rolle. Sie verließen nicht selten ihren Ehemann und ihre Kinder, zogen über die Straßen und verbanden sich mit Witwen, entlaufenen Mönchen, Bettlerinnen, Aussätzigen und Prostituierten zu Orden und ordensähnlichen Gemeinschaften. Als Gründe für diesen von ihm als Emanzipation bezeichneten Aufbruch der mittelalterlichen Frau führt Bosl sowohl das Verlangen nach gesellschaftlicher Freiheit, Freizügigkeit und Unabhängigkeit vom besonderen Dienstverhältnis zum Mann, als auch unter anderem einen Frauenüberschuß an. Das neue Ideal eines Lebens in Askese, Buße, Armut und 60
Gebet hatte im Hochmittelalter die Frauen aus allen Schichten der Bevölkerung, Töchter des europäischen Adels ebenso wie arme Bäuerinnen, fasziniert. Dabei boten Klöster, Laiengemeinschaften und „ketzerische" Bewegungen den Frauen die Chance zur Unabhängigkeit und zum gesellschaftlichen Aufstieg. Dr. Robert Lutz
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Sie färben ihre stoppelkurzen Haare knallig bunt, durchbohren ihre Haut mit furchterregenden Sicherheitsnadeln, schminken ihre Lippen in dunklen Farben und geben mit Hundehalsbändern, Rasierklingen oder sonstigem „Zierwerk" ihre Abneigung gegen die Normen einer Gesellschaft kund, in der sie „no future" sehen. Sind sie aber wirklich das, was sie scheinen:
Aussteiger auf Zeit? Die „Punks", die exotischen Problemkinder der Wohlstandsgesellschaft vor allem der achtziger Jahre, haben durch Kleidung, Lebensweise und Musik die Aufmerksamkeit der Bevölkerung recht wirksam auf bestimmte Probleme unserer Gesellschaft gerichtet, von denen die Jugendlichen der Großstadt besonders hautnah betroffen sind: Arbeitslosigkeit, Zerstörung der alten Gemeinschaften durch Stadtsanierung und die Langeweile in den neu geschaffenen Wohnsilos der Vorstädte. Dabei scheinen die Punks selbst gar keine Kinder armer Eltern zu sein, wie eine Untersuchung dieser „Aussteiger" durch die Diplom-Politologin Christa Mahrad an der Forschungsstelle für Jugendfragen in Hannover erkennen läßt. Die Daten stammen aus den Kriminalakten von 119 Punks. Ganz eindeutig weist das Alter dieser polizeilich auffällig gewordenen Außenseiter daraufhin, daß es sich bei der PunkBewegung um ein abgrenzbares Jugend-Problem handelt: Fast alle dieser Punks waren zwischen 15 und 19 Jahre alt, keiner war jünger als 14, und nur sechs waren älter als 21. Die Angaben lassen zudem vermuten, daß die meisten Jugendlichen nur kurzfristig dieser Randgruppe angehören, daß es sich also um sogenannte „Modepunks" handelt. Den harten Kern der Punks machen hingegen die „Berufspunks" aus. Diese allerdings dürften nur einen sehr kleinen Teil bilden. Die oft geäußerte Behauptung, die Punks entstammten den ärmsten sozialen Schichten, läßt sich anhand der Daten ebenso nicht halten wie die, sie seien Schulversager. Zwar machten 77 Punks keine Angaben zum Beruf des Vaters, doch lassen sich daraus keineswegs Schlüsse auf die soziale Stellung ihrer Familie ziehen. Von den „geständigen" Punks waren 18 Kinder von Angestellten, zwölf Kinder von Facharbeitern, sieben Kinder von Hilfsarbeitern, drei Kinder von Beamten und zwei von Selbständigen. Fast die Hälfte der „Schäbigen" (so das englische „punk" in etwa auf deutsch) ging noch zur Schule, 21 62
ins Gymnasium, zehn in die Realschule, drei in die Gesamtschule, drei in Berufsvorbereitungsschulen, elf in berufsbildende Schulen, Fach- oder Fachoberschulen. Auffällig ist, daß keiner der Punks Sonderschüler war. Auch die 66 unter den 119, die ihre Schule bereits beendet hatten, verfügten fast alle über einen Schulabschluß. 35 von ihnen hatten erfolgreich die Hauptschule absolviert, 18 hatten die mittlere Reife abgelegt, ein Punk besaß Abitur, und einer hatte eine berufsbildende Schule abgeschlossen. Nur sechs von ihnen waren ohne Schulabschluß. Von denen, die die Schule bereits hinter sich hatten, waren 25 Auszubildende, elf Hilfsoder Gelegenheitsarbeiter und 27 arbeitslos. Die untersuchten Punks stammten in der Regel nicht aus zerrütteten Familienverhältnissen. Man kann also kaum davon sprechen, diese Jugendlichen seien wegen eines schlechten Elternhauses auf die „schiefe Bahn" gekommen. Bei 75 von den 119 waren die Ehen der Eltern nicht geschieden, die Familie also zumindest auf dem Papier intakt. Von diesen Punks lebten 57 noch bei ihren Eltern. 32 gaben an, ihre Eltern seien geschieden. Von diesen lebten 27 bei der Mutter, drei beim Vater. Nur zwei der befragten Punks wohnten in einem Heim, sechs waren ohne festen Wohnsitz. Die Wissenschaftlerin schließt aus ihren Daten, daß die meisten Punks „Aussteiger auf Zeit", reine Modepunks, sind. Für sie ist das Punkdasein eine typische Erscheinung des Freizeitbereiches und der damit verbundene „alternative Lebensstil" ein Anzeichen dafür, daß die Jugendlichen imponieren und auffallen wollen, wobei hinzu kommt, daß in der Jugend die Neigung zum Sich-Abheben aus der Masse besonders stark ist. Rolf Degen
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Daß die Jeans ihren „Aufstieg" der Rock 'n' RollWelle der fünfziger Jahre und den Protestbewegungen seit den sechziger Jahren verdanken, wird immer wieder behauptet. „Die Revolution trägt Jeans", lautete eine entsprechende Schlagzeile. Doch war das wirklich so? Ist die
Freiheit in die Hosen gegangen? Wie wenig das zutrifft, hat der Volkskundler Dr. WolfDieter Könenkamp aus Detmold durch eigene Untersuchungen aufgezeigt. An Hand so unterschiedlicher Quellen wie Brancheninformationsdiensten (über den Jeansmarkt), Bildbänden und Warenhauskatalogen, Fotos aus Zeitschriften und Jugend-Magazinen wie „Life", „Stern", „Weltbild", „Kristall", „Der Spiegel", „Bravo" und „Twen", Untersuchungen über Einstellungen und Haltungen von Jugendlichen sowie solchen der Marktforschung über Konsumverhalten auf dem Textilsektor fand er heraus: Die Behauptungen vom engen Zusammenhang zwischen Jeanstragen und Jugendunruhen stimmen nicht, die Blue Jeans sind eben nicht das Identifikationssymbol der unruhigen Jugend seit 1955. Dies bestätige nicht zuletzt der „Jeansmarkt": Er hat sich seit Anfang der fünfziger Jahre gleichmäßig nach oben entwickelt; eine Rock 'n' Roll- oder Protestexplosion ist nicht auszumachen. Zudem sind die Jeans nicht so jung, wie man aufgrund der ihnen bisher zugeschriebenen Rolle vermuten könnte. Es handelt sich bei ihnen vielmehr um ein „über lOOjähriges Stück Arbeitskleidung", das bereits in einem „Allgemeinen Waarenlexicon" von 1826 als Stichwort auftaucht. Bezogen auf die Jugendbewegungen taugen nach Könenkamp lediglich Marion Brando und seine Lederjacken- und Jeansfilme als Vorbild, der oft zitierte Elvis Presley kommt hingegen „mangels Jeanshose" nicht in Frage: Als Sänger auf der Bühne trug er nämlich niemals Jeans. Auch andere Rockand-Roll-Stars der fünfziger Jahre waren bei ihren Auftritten wie Fotos dokumentieren - nicht mit Jeans bekleidet. Und selbst die „Halbstarkenkrawalle" 1955 haben mit Jeans nichts zu tun: Man trug konventionelle Umschlaghosen, Oberhemden, Krawatte und Jackett. Natürlich hatten die jungen Leute dieser Zeit auch ihre Abzeichen, an der sich etwa die Rockand-Roll-Fans erkannten - aber das war damals vor allem die 64
Frisur („Entenschwanz"). Völlig übersehen habe man bei der Suche nach den Ursachen der Jeansverbreitung bisher, so meint der Wissenschaftler, die Möglichkeit „klassischer Innovation", das heißt von privilegierten Kreisen ausgehende Neuerungen. Gerade dies sei aber in den fünfziger Jahren der Fall gewesen. Künstler, Autoren, Modeschöpfer orientierten sich genauso wie auch Jugendliche an der „offensichtlich überlegenen Sieger-Kultur" - und übernahmen den US-amerikanischen Freizeitstil. Die Kette der Prominenten, die sich in Freizeit oder Beruf in „Blue Jeans" zeigten, riß während der fünfziger Jahre nicht ab. Die auffallende Verbreitung von Jeans erfolgte in den späten fünfziger Jahren durch Medien, besonders die nach USVorbild produzierte Teenager-Musik (Conny Froboess und Peter Kraus) und den Film (zum Beispiel „Wenn die Conny mit dem Peter"), die sich kräftig der Freizeit- beziehungsweise Jugendsymbolik der Jeans bedienten. Könenkamp: „Während die Darsteller in den Liedtexten permanent das Reizwort ,Blue Jeans' im Munde führten, hüpften sie im Film in wippenden Röcken und gebügelter Hose durchs Klassenzimmer. Die Aggressionen und die Zeichen der unruhigen Jugend wurden entschärft und in konsumierbarer Form an die Teenager zurückgegeben." In den späten sechziger Jahren waren die Jeans bereits weit verbreitet - als Freizeitmode. Die Protestbewegungen dagegen waren geradezu „jeanslos": So spielten bis etwa 1968 Jeans keine Rolle im Erscheinungsbild der Studenten. Auf Abiturfotos 1967 sind ebenfalls nirgendwo Jeans zu sehen. Und auch die Beat-Musiker der sechziger Jahre trugen alles mögliche aber keine Jeans. Schrille Farbkombinationen, Überdekoration, Wiederentdeckung der blumigen Ornamentik des Jugendstils und dessen Verballhornung charakterisierten diese Jahrzehnte ebenso wie die Buntheit der „Flower Power"Bewegung (Hippies) weitaus passender als das doch recht triste Blau der Jeans. Erst 1968 erscheinen mit der farbigen Cordwelle vermehrt Jeans, aber nicht beschränkt als Studenten- oder Popmusiker-„Tracht", sondern als allgemeine Jugendmode jenes Jahres, aus den USA übernommen. Gleichwohl gab es auch in den sechziger Jahren wiederum äußerliche Signale des Protests. Aber sie bezogen sich, wie schon in den fünfziger Jahren, auf die Frisur: Diesmal waren es die langen Haare. Ursachen der Jeanswelle seit Beginn der siebziger Jahre sind für den Detmolder Volkskundler „veränderte Bedürfnisse 65
aufgrund einer veränderten Lebenssituation der meisten Menschen", insbesondere der Trend zur praktischen Kleidung, zum Zwanglosen und Informellen (Kleidungsstücke sind nicht mehr so „anlaßgebunden"), die wachsende Bedeutung der Freizeit sowie der „Unisex"-Trend (gleiche Kleidungsstücke für Männer und Frauen) und ein gewisser „Jugendlichkeitswahn". In Form von Kleidung konnte man Jugend am leichtesten kaufen. Aktuell ausgelöst habe die „Jeanswelle" die Entdeckung der „Blue Jeans" durch die „offizielle" Mode in Paris und London am Ende der sechziger Jahre sowie die sich zwischen 1968 und 1970 hinziehende Propagierung der „Freizeitkleidung Blue Jeans" für alle Gelegenheiten. Hinzu kommen die Produktions- und Verteilungspotenz der amerikanischen „Jeans-Multis", die aufgrund jahrzehntelanger stattlicher Gewinne in der Lage waren, in Europa rasch Kapazitäten aufzubauen. Unter Umständen ließen sich die APO-Unruhen der sechzicher Jahre allerdings doch noch unter die aktuellen Auslöser der Jeans-Welle summieren: „Zum einen", so Könenkamp, „könnten Jeans zwar nicht als abzeichenhaftes Kleidungsstück, aber als Teil eines zwanglosen Kleidungsstiles in Alltag und Öffentlichkeit durch die von dem ,Protest' herbeigeführte kulturelle Lockerungsstimmung mitgetragen worden sein, zum anderen könnte die Bevorzugung der Jeans eine resignative Tendenz ausdrücken, in der man sich - wenigstens auf kulturellem Gebiet - die Freiheit nimmt, die politisch längst aus den Augen geschwunden war - Freiheit, die in die Hose gegangen ist." Alle bisherigen Ursachenvermutungen für die Jeanswelle seit 1970 wurden ja „umwölkt" vom grenzenlosen Begriff der „Freiheit", die letztlich die „heimliche Sehnsucht" der Jeanskäufer sei - „eine Hose, die frei macht", „die genietete Freiheit", „die blaue Haut, mit der man Freiheit überzieht". Das generelle Bedürfnis nach „Freiheit" hat nach Könenkamp für die Jugend freilich fatale Konsequenzen gerade da, wo sie einen Freiraum gegenüber der Erwachsenenwelt, sei es auch nur im Symbol, besitzt. Da, wo sie von Zeit zu Zeit meinen darf, ein Stück dieser Freiheit zur eigenen Gestaltung gefunden zu haben, wird sie rasch von der Restgesellschaft eingeholt, deren Konsumgüterproduzenten sich keine neue Welle auf dem unerschöpflichen, stets nachwachsenden Jugendmarkt entgehen lassen. Dr. Renate I. Mreschar 66
GESCHICHTEN, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
NATURGESCHICHTE __________________________ Wale, Saurier und Meteoriten
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Seit sich die Menschen Gedanken über die Entstehung des Lebens auf der Erde machen, streiten sie sich auch um die Richtigkeit ihrer Theorien. Die renommierten britischen Astronomen Sir Fred Hoyle und Chandra Wickramasinghe haben hier die Verwirrung noch größer gemacht:
Kam das Leben aus dem All? Leben entstand nicht durch chemische Reaktionen in einer „Ursuppe" auf der Erde, sondern die Erde wurde mit Leben angesteckt, das Kometen aus dem Kosmos auf unseren Planeten brachten. So lautet die Theorie der beiden Briten. Wie sehr sie auch die Gemüter der Wissenschaftler erhitzt, die zugrundeliegende Idee ist alles andere als neu: Der griechische Philosoph Anaxagoras, der um 500 vor Christus lebte und die richtige Erklärung für die Sonnen- und Mondfinsternis herausfand, soll schon behauptet haben, daß die Saat des Lebens zum Kosmos gehöre, daß diese überall Wurzeln schlage, sobald die Bedingungen günstig seien. Genies früherer Zeiten wie Louis Pasteur, der Vater der modernen Biologie, und der deutsche Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz zogen diese Möglichkeit zumindest in Betracht. Bisher glaubte die moderne Wissenschaft, daß zwischen der Bildung der ersten Gesteine vor etwa vier Milliarden Jahren und dem Auftreten von Leben etwa 500 Millionen Jahre verstrichen seien. Diese lange Zeit, so vermutet man, hätte vielleicht für die zufällige Entstehung von Leben in der brodelnden Ursuppe ausgereicht. Allerdings gab es da ein Problem, das die Wissenschaftler nicht recht lösen konnten. Der Informationsgehalt lebender Materie ist nämlich unvorstellbar groß und äußerst speziell. Kann dieser Informationsgehalt aus einer Situation entstehen, die ursprünglich so chaotisch war wie die Ursuppe? Eine einfache Rechnung zeigt, daß die Wahrscheinlichkeit dafür verschwindend klein ist. Wie etwa der Göttinger Nobelpreisträger Manfred Eigen, wenn auch in anderem Zusammenhang, aufgezeigt hat, kann eine hochspezifische Struktur wie die Desoxyribonukleinsäure (DNS), die als Trägerin der Erb- und Lebensinformationen für das richtige biologische Funktionieren von Lebewesen entscheidend ist, kaum zufällig, durch „Würfeln" in der Natur, entstanden sein, auch nicht in 500 Millionen Jahren. Eigen setzt gewissermaßen innere naturgesetzliche Zwangsläufigkei68
ten gegen den reinen Zufall. 1978 fanden der Gießener Geologie-Professor Hans-Dietrich Pflug und seine Mitarbeiter im Südwesten Grönlands in der Isua-Formation die ältesten bisher bekannten Reste irdischen Lebens: Spuren von Zell-Organismen, die sich nach weiteren Untersuchungen durch Professor Manfred Schidlowski im Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz als 3,83 Milliarden Jahre alt erwiesen. Neue Daten vom Mond lassen heute zudem vermuten, daß bis vor etwa 3,9 Milliarden Jahren das Milieu auf der Erde sehr lebensfeindlich war: Während sich unser Planet abkühlte, fanden Auf- und Umschmelzvorgänge statt. Laufend schlugen Kometen aus den äußeren Bereichen des Sonnensystems ein und führten der Erde verdampfbare Stoffe zu, einschließlich des Wassers, aus dem die Weltmeere entstanden. Langsam bildete sich eine Atmosphäre um den Planeten, die die ultraviolette Strahlung der Sonne abschirmte. Erst dann wurde Leben auf der Erde überhaupt möglich. Der Zeitraum, der zur spontanen Entstehung des Lebens im Sinne der Ursuppentheorie zur Verfügung stand, schrumpfte damit von 500 Millionen auf 70 Millionen Jahre zusammen. Für Hoyle und Wickramasinghe ist das ein Grund mehr, das Leben nicht als chemisches Zufallsprodukt zu betrachten, sondern als importiertes Phänomen aus dem Kosmos, wo es an zahllosen Orten hätte entstehen können. Ein weiteres Indiz für die kosmische Theorie sind Messungen, die zeigen, daß Kometen eine bemerkenswert ähnliche chemische Zusammensetzung besitzen wie Lebewesen. Die Chemie der Erdoberfläche hingegen ist von der der Lebewesen völlig verschieden. Vom rein chemischen Standpunkt her scheinen also die Kometen weit günstigere Brutstätten für das Leben zu sein als eine irdische Ursuppe. Falls Hoyle recht hat, könnte also das Leben in einem beliebigen der vielen Milliarden Kometen im Gesamtsystem der Milchstraße entstanden sein. Jeder von ihnen ist im Innern warm und wäßrig und enthält alle erforderlichen Nährstoffe, die für die Erhaltung lebender bakterieller Zellen nötig sind. Die Bakterien wären dann die eigentlichen Träger des Lebens. Die beiden britischen Astronomen behaupten nun tatsächlich, daß die Evolution diese Bakterien als Raumfahrer ausgestattet habe. Wenn dem so wäre, wäre die gesamte Milchstraße voll vom biologischen Vermächtnis einer jeden Gaswolke im Weltraum. Gewiß kein alltäglicher Gedanke! Hinweise dafür, daß es den Bakterien im Raum eigentlich recht wohl ist, gibt es 69
genug: Bakterien können fast unbegrenzte Zeit bei niedrigen Temperaturen und Drücken überleben, und sie weisen eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit gegenüber verschiedensten Arten von Strahlung auf, wie sie im Weltraum auftritt. Damit ist natürlich nichts bewiesen, aber die außerirdischen Eigenschaften der Bakterien wären zumindest nicht mehr so mysteriös. Zwischen den Sternen der Milchstraße gibt es dunkle Wolken. Sie bestehen aus gasförmigem Wasserstoff, verschiedenen organischen Molekülen und aus winzigen Staubteilchen. Diese Teilchen lassen nur einen Teil des Lichts aus fernen Strahlenquellen durch. Als Hoyle und Wickramasinghe die Lichtabsorption dieser Raumkörnchen maßen und mit derjenigen von Zellulose verglichen, stellten sie eine verblüffende Übereinstimmung fest. Schluß der beiden Wissenschaftler: Die Staubteilchen haben eine biologische Zusammensetzung, oder frecher formuliert, die Staubteilchen sind Bakterien. In ihren Köpfen entstand das Bild eines Weltraums, der mit lebenden, aber tiefgefrorenen Zellen vollgestopft ist. Damit würde jeder Ort, der für das Leben in Frage kommt, sehr schnell davon angesteckt: eine Begegnung der Dritten Art? Felix Weber
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Man entdeckte an ihnen die seltsamsten „biotechnischen" Mechanismen, so ein Schallortungssystem, enorme tauchphysiologische Fähigkeiten und eine Fernkommunikation, die offensichtlich über Dutzende Kilometer reicht. Manche von ihnen scheinen überdies die intelligentesten aller Tiere zu sein:
Wie die Wale das Meer eroberten Nun wird auch die Entwicklung der Wale aus landlebenden Säugetieren zu voll „hochseefähigen" Pseudofischen langsam bildhaft: Eine Basis für neue Erkenntnisse über den Weg der Wale vom Land ins Meer bildet eine zunehmende Zahl von Fossilfunden. Allerdings ist deren Aussagewert meist deshalb beschränkt, weil sie im allgemeinen nur aus den Hartteilen mit Knochen und Zähnen bestehen, während gerade bei den Walen die Untersuchung der Entwicklung des Gehirns und der Organe von besonderem Interesse ist. Gewisse Möglichkeiten zu solchen Studien bietet aber auch die Ontogenie, die sich mit der Embryonal- und Jugendentwicklung der Tiere befaßt, in deren Verlauf bekanntlich manche stammesgeschichtliche Entwicklungsstufe wenigstens andeutungsweise wiederholt wird. Dabei gewinnen vorübergehend Organreste Gestalt, die bei den Vorfahren vor vielen Millionen Jahren noch voll funktionsfähig waren und auch gebraucht wurden. Nach heutigem Wissen sind die Wale Nachkommen primitiver Ur-Raubtiere, die noch während der Lebenszeit der letzten großen Saurier vor rund 70 Jahrmillionen lebten. Sie waren bis wolfsgroß und hatten ein kräftiges Räubergebiß. Wie und wann diese „Mesonychiden" ins Meer einzogen, war bisher nicht genau abzuklären. Einige Urwale, deren etwa 50 Jahrmillionen alte Reste man unter anderem in Ägypten gefunden hat, zeigen jedoch im Schädelbau noch Merkmale ihrer Vorfahrengruppen. Irgendwann in den dazwischenliegenden 20 Jahrmillionen dürften die vierbeinigen Urahnen der Wale bei der Jagd nach Fischen oder anderen Wassertieren im Flachwasser die Möglichkeiten dieses neuen Lebensraums entdeckt haben: Sie paßten sich Generation für Generation besser dem Wasserleben an, entwickelten Vorderflossen, reduzierten die Hinter71
flossen, legten sich für den Antrieb eine - waagerecht liegende - Schwanzflosse zu und wurden so zu den Hochseetieren, die heute alle Meere der Welt bevölkern. Schon vor rund 35 bis 40 Jahrmillionen hatten sie sich an ihren neuen Lebensraum so weit angepaßt, daß sie sich spezialisieren konnten. Dabei entwickelten sich, wie Dr. H. Öhlschläger aus Frankfurt als Mitglied der deutschen Walforschergruppe berichtete, typische „Delphine" mit großem Gehirn, große Zahnwale und eine heute ausgestorbene Gruppe von Raubwalen mit enorm starkem Gebiß, zu denen ein berühmt gewordenes, doch mißdeutetes Fossil gehört. Es war der „Basilosaurus", den frühere Paläontologen als eine Art ungeheure Seeschlange von bis 34 Meter Länge rekonstruiert hatten. Erst neuerdings hat sich herausgestellt, daß man dabei die Wirbel von zwei Exemplaren zu einem Ungeheuer zusammengesetzt hatte. Die meisten der frühen fossilen Wale wurden in Ägypten gefunden, das damals von einem warmen Flachmeer bedeckt war, in dem offenbar viele dieser Tiere strandeten. Dieser Flachsee war ein Ausläufer des Urmeers Tethys, das sich zwischen Europa und Afrika und bis weit nach Asien über das heutige Himalaja-Gebiet hinzog und aus dem dann die Ketten der europäischen Faltengebirge herauswuchsen. Von ihm aus scheinen die Wale die Meere des ganzen Erdballs erobert zu haben. Die moderneren Wale zeigen in den am höchsten entwickelten Typen erstaunliche Modifikationen der ursprünglichen „normalen" Säugetieranatomie: so eine sehr weitgehende Umbildung der Extremitäten und den Verlust der Hinterbeine, eine reibungsmindernde Haut, die Druckunterschiede auf den Körper ausgleichen kann, so daß die Tiere beim Schwimmen besonders widerstandsarm umströmt werden, sowie in die Haut eingesenkte Brustdrüsen und Genitalien. Dieser ideal angepaßte Körperbau macht den schnellsten Walen, wozu die Finn- und Seiwale gehören, Geschwindigkeiten bis zu 35 Knoten möglich. Um ohne energiezehrendes Auftauchen einatmen zu können, sind die Nasenöffnungen von der Schnauze zum Scheitel verlagert. Die Nasenöffnungen können beim Einatmen stark erweitert werden, damit die Atemluft möglichst schnell ausgetauscht wird und das Tier zum Beutefang oder zur Flucht eiligst wieder untertauchen kann. Bei einem Atemzug wird bis 90 Prozent der Atemluft ausgetauscht, bei landbewohnenden Säugetieren nur zehn bis 15 Prozent. Die Muskulatur ist gegen Anreicherung des Stoffwechselabbauprodukts Milchsäure be72
sonders unempfindlich und verfügt über einen besonders hohen Gehalt an sauerstoffspeicherndem Myoglobin. Am erstaunlichsten sind die Künste der Tiefsttaucher, der Pottwale, die Tauchgänge bis zu einer Stunde unternehmen und offenbar bis zu 3000 Meter Tiefe erreichen. Überdies haben die Wale das Echolot (Sonar) etliche Jahrmillionen vor den Meerestechnikern erfunden: Sie senden den echogebenden Schall aus einem Knochenreflektor auf dem Schädel, der die Schallstrahlen vorwärts bündelt und den rückwärtigen Schädelteil abschirmt, und empfangen mit den Ohren, die zur Sicherung gegen störenden Eigenschall von dem Schädel „abgekoppelt" und lose und weich im Gewebe eingebettet sind. Als „Abstrahldom" füngiert eine Wulstung, die „Melone", gefüllt mit dem begehrten „Spermaceti"-Öl. Damit die Ortung möglichst wirkungsvoll ist, verwenden die Tiere bevorzugt Schallfrequenzen, mit denen sie dem „Hintergrundgeräusch" im Meer (zwischen 5000 und 20000 Hertz) ausweichen: Die Zahnwale senden vorwiegend in höheren Frequenzen im Ultraschallbereich, die Bartenwale im niederfrequenten Bereich. Zahnwale als Großtierjäger und Bartenwale als „zahnlose" Planktonfresser, die mit ihren Barten schwebende Kleintiere wie die antarktischen Krill-Krebse „maulvollweise" aus dem Wasser heraussieben, bilden die heutige „Walbevölkerung" der Meere der Erde. Sie sind so weit auseinander entwickelt, daß viele Walforscher die Ansicht vertreten, daß sich beide Gruppen unabhängig voneinander aus Landraubtieren entwickelt haben: Tatsächlich zeigt der Fossil-Stammbaum im wesentlichen nur Vorfahren und Evolution von Zahnwalen, aus denen sich die Bartenwale entwickelt haben müßten, wenn sie nicht selbständig entstanden sind. Dr. Harald Steinen
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In einem norddeutschen Steinbruch entdeckte man die Fährte eines der größten bis heute bekannten Saurier. Diese lebten als „elefantenfüßige Vierbeiner" in der Jura- und Kreidezeit und erreichten nach jüngsten Funden Körperlängen von möglicherweise mehr als 30 Meter. Ihr Gewicht war dementsprechend:
Die Fußspuren eines Hunderttonners Die Entdeckung wurde bei Münchehagen bei Hannover gemacht und bedeutete eine echte Überraschung, da Spuren dieser zu den Großdinosauriern gezählten Tiere bisher fast nur aus Nordamerika bekannt waren, wenn auch begrenzt ebenfalls aus Ostafrika und Portugal. Sie sind deshalb ein wichtiger Hinweis auf eine bisher noch nicht voll bekannte vorgeschichtliche europäische Tierwelt. Aus der Reihe der in Münchehagen aufgedeckten Trittsiegel des Giganten läßt sich eine mindestens 40 Meter lange Fährte zusammenfügen. Sie liegt in einem abgebauten Teil des Steinbruchs und ist erst nach einiger Zeit von einem örtlichen Denkmalspfleger erkannt worden. Sie ist rund 100 Jahrmillionen alt und dem Übergang zwischen der Jura- und der Kreideformation zuzuordnen, dem „Wälderton" (Wealden), der heute meist der Kreideformation zugerechnet wird. Manehe Fußabdrücke haben einen Durchmesser von bis zu 80 Zentimeter. Die einzelnen Spuren haben keine besonderen Merkmale wie etwa Krallenabdrücke und können keiner bestimmten Gattung der Sauropoden zugeordnet werden, von denen es Dutzende gab, wie etwa den Brontosaurus, Diplodocus, Brachiosaurus oder Apatosaurus, und von denen vermutlich auch noch längst nicht alle bekannt sind. Es läßt sich aber erkennen, daß sich das Tier in einer Art von Paßgang bewegte und dabei mit dem Hinterfuß in etwa in den Abdruck des Vorderfußes trat und daß es an einem Flachmeerstrand entlangspazierte, dessen Sand mit Rippelmarken bedeckt war. Doch ist der Erhaltungszustand der Trittspur insgesamt nicht sehr gut. Dabei handelt es sich nach den Beobachtungen des Geologen Dr. Franz Grahmann vom Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung in Hannover wahrscheinlich nur zu einem 74
Teil um echte Fährten, wie sie original „eingedrückt" wurden, zum anderen Teil aber um bloße Belastungsmarken, wie sie in den tieferen Untergrund des Watts eingedrückt wurden, während die obersten Gesteinsschichten mit der Fährte selbst verschwunden sind, möglicherweise abgewittert oder beim Sandsteinabbau mit fortgenommen. Derartige Riesenfährten sind bisher nur aus den USA bekannt. Dort wurde auch das bisher weitaus überwiegende Gros der Knochenreste dieser Tiere gefunden, die vor rund einem Jahrhundert in einem wissenschaftlichen Wettlauf beinahe in Massen ausgegraben wurden, später auch in Kanada. Die Fundstelle von Tendaguru in Ostafrika mit dem „Brachiosaurus", der von allen Neuweltformen dadurch abweicht, daß er seinen Kopf hoch erhoben trug, weil er möglicherweise auf dem Boden von Seen lebte, wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg entdeckt; die Fundstelle in Portugal erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese enthält auch Knochen anderer bisher nur aus der Neuen Welt bekannter Großdinosaurier, die als Räuber oder Aasfresser lebten, während die Riesen-Sauropoden reine Pflanzenfresser waren. Der Fundreichtum der Neuen Welt geht jedoch weit über alles in der Alten Welt Bekannte hinaus und führte zu der Annahme, daß das Zentrum der Evolution und Verbreitung der Landdinosaurier im allgemeinen und der Groß-Sauropoden im besonderen dort lag. Zu der Vorstellung paßt der Fundplatz in Portugal, da es im Erdmittelalter offenbar den Atlantik noch nicht gab und der Westen Europas zu Nordamerika benachbart lag. In Europa wurden nur einzelne Formen gefunden, voran das Iguanodon, ein auf zwei Beinen gehender Pflanzenfresser, der nicht zu den Sauropoden gehört. In der Bundesrepublik Deutschland wurde Anfang 1980 erstmals ein den Iguanodon-Formen zuzurechnender Dinosaurierrest im Sauerland gefunden. Allerdings hatte man bisher die erstaunlich zahlreichen Saurierfährten nicht voll gewürdigt, die in der Oberjura- und Kreideformation Niedersachsens (auch im Raum Münchehagen) immer wieder gefunden, doch kaum je intensiv untersucht wurden. Bereits 1905 wurde eine Fährte mit Fußspuren von immerhin 40 Zentimeter Durchmesser gefunden, Fährten von „vogelfüßigen" Dinosauriern etwa vom Typ des Iguanodon sind ausgesprochen häufig und immer wieder gefunden worden, oft in Gesellschaft von anderen Riesenfährten, die meist nicht näher analysiert wurden. Vor einigen Jahren wurde eine interessante Fährtenfundstelle in Bargthausen an der 75
Hunte durch das Naturmuseum in Osnabrück untersucht; dort fanden sich auch „elefantenfüßige" Sauropodenspuren. Sie haben jedoch bei weitem nicht die Dimensionen der Fährte des Riesen-Sauropoden von Münchehagen, mit dem die europäische Saurierwelt ganz neue Dimensionen erreicht: nämlich den „Gigantismus" der Neuwelt-Landdinosaurier, der in Europa nicht repräsentiert schien. Eine weitere Frage ist, wieweit solche Riesenfährten nicht doch schon früher gefunden und übersehen wurden - teils, weil man sie in Europa nicht erwartete, teils, weil einzelne Fußspuren der „elefantenfüßigen" Dinosaurier sehr uncharakteristisch sind. Die neu entdeckte Fährte fiel auch nur auf, weil sie aus vielen einzelnen Fußabdrücken hintereinander bestand. Eine eingehende wissenschaftliche Untersuchung der zahlreichen Saurier-Fährtenfundstellen im niedersächsischen Raum dürfte auch ohne Knochenfunde ein weitaus interessanteres und reicheres Bild der europäischen Dinosaurierfauna geben, als es bisher gezeichnet wurde. Die genaue Zuordnung der Fährten und vor allem der Riesenfährte von Münchehagen freilich muß wohl noch eine Zeitlang offen bleiben - vor allem die Frage, ob dieser Sauriergigant eine europäische Eigenentwicklung war oder zu einer der neuweltlichen Formen gehörte, und wieweit es andere „endemische" Dinosaurier in der Alten Welt gab. Nachdem man sich darüber klar werden muß, daß Europa in bezug auf Dinosaurier nicht „unterentwickelt" war, scheint alles möglich. Dr. Harald Steinen
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Auch in der Schweiz lebten Dinosaurier. Wenn sich diese Riesenreptile des Erdmittelalters auch längst vom „Tatort" entfernt haben, so sind doch ihre Spuren wortwörtlich erhalten geblieben. Sie hinterließen sie im heutigen Wallis und Graubünden an ganz unwahrscheinlich anmutenden Stellen:
Als die Saurier „über" die Alpen liefen Die Dinosaurierfährten im Nationalpark in Graubünden wurden schon in den sechziger Jahren von Geologen der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich entdeckt, blieben aber lange Zeit nur „schubladisiert". Erst viele Jahre später wurden sie durch Dr. Heinz Furrer im Gelände in über 2000 Meter Höhe untersucht. Auf die Fährten im Wallis stieß man in 2400 Meter Höhe nahe dem Staudamm von Vieux Emosson in der Gemeinde Finhaut im Jahr 1976, als der französische Geologe Dr. A. Bronner das Gebiet aus ganz anderen Gründen besuchte. Sie waren drei Jahre später das Ziel einer ganzen Expedition von 17 Mann, die mit Hubschrauber und Auto zehn Tage lang auf einer steilen Felsplatte - an Seilen hängend - die rund tausend einzelnen Abdrücke fotografierte und von vielen Abgüsse nahm, um mit diesen „geokriminalistischen Methoden" die Verursacher zu identifizieren. Diese haben sich allerdings schon vor fast zweihundert Jahrmillionen vom „Tatort" entfernt. Natürlich haben die Schweizer Dinosaurier, die nachweislich über die Alpen liefen, diese Spaziergänge unternommen, als die Alpen noch keine Alpen waren - bis in 2000 oder 3000 Meter Höhe hätten sich diese wechselwarmen Reptile zu Lebzeiten nie gewagt. Und ob sie (wie in Finhaut) über eine 40 Grad steile Felsplatte liefen, um ihre Fährten der Nachwelt zu hinterlassen, muß ebenfalls stärkstens bezweifelt werden ... Aus den Gesteinen der Fundstelle läßt sich ganz deutlich ablesen, daß die Fährten in beiden Fällen im feuchten Schlamm eines Meeresstrandes hinterlassen wurden - im Nationalpark war es ein feiner Kalkschlamm, der vermutlich die Fährten sehr gut konserviert hat, in Finhaut ein feiner Sandstein. Eindrucksvoller als mit diesen Fährten kann wohl die geologische Entwicklung des heutigen Hochalpengebietes vom Meer- und Küstenland zum Hochgebirge nicht demon77
striert werden. Beide Fährtengebiete stammen aus der geologischen Formation des Erdmittelalters, die mit „Trias" bezeichnet wird. Die Fährten im Bündnerland wurden vor etwa 190 Jahrmillionen eingedrückt, in dem geologisch als „Nor" bezeichneten Abschnitt der Trias, die Fährten des Wallis sind etwas älter (Mitteltrias), doch ihr Alter ist vorerst nicht genau festzulegen. Auch die Schiefstellung der Fährtenplatten im Wallis zeigt eindrücklich, wie die geologischen Kräfte seit der Lebenszeit der Dinosaurier mit den Gesteinen des Alpenlandes umgegangen sind. Es mag verwunderlich scheinen, daß die offen zutage liegenden Saurierfährten beim Emosson-Staudamm nicht schon früher gefunden wurden. Doch ist das Gebiet dort bis auf wenige Wochen im Jahr mit Schnee und Eis zugedeckt. Diese Schneebedeckung machte auch der Saurierexpedition dort erhebliche Schwierigkeiten. Die Spurenplatten mußten erst einmal von Schnee befreit werden, um Fotoaufnahmen machen zu können. Dazu wurde der Schnee mit Kohle bestreut, welche die Sonnenstrahlen gewissermaßen anzieht. Um die Platten „fotogen" zu machen, mußten sie trocken gelegt werden: Für diesen Zweck wurden zwei kleine Bäche umgeleitet, die über die Felswand rieselten. Die aus Silikon bestehende Ausgußmasse, von der fast eine Tonne benötigt wurde, mußte nachts mit in der Schlafbaracke übernachten, weil dieses Material keinen Frost verträgt. Allein für eine große Fährtenplatte mit vielen einzelnen „Fußtritten" wurden rund 150 Kilogramm Silikon verbraucht. Um sie aus der Wand zu holen, mußte sie in kleinere Stücke zerteilt und zunächst getragen und dann per Hubschrauber zum Stützpunkt, einer Baracke der Schweizerischen Bundesbahn, geflogen werden. Schließlich wurde die Felswand wieder von den Spuren der Abgußmasse gereinigt. Heute steht dieses fast zweihundert Jahrmillionen alte Naturdenkmal unter Naturschutz. Man wird wohl nicht damit rechnen können, die Fährtenleger genau zu identifizieren. Das ist bei den meisten Dinosaurierfährten so gut wie unmöglich - es sei denn, man findet im Zusammenhang mit den Fährten Knochenreste, was ganz selten ist. Man kann nur sagen, daß die Dinosaurier des Wallis noch nicht sehr groß waren - die größten Fährten stammen von Füßen von 30 bis 35 Zentimeter Länge. Aus der Größe der Abdrücke und der Schrittlänge läßt sich schätzen, daß es Tiere von maximal drei bis vier Meter Höhe waren, die dort am Strand von Finhaut wanderten. Es gab jedoch zu jener Zeit am Anfang des Erdmittelalters - auch keine wesentlich größe78
ren Saurier. Der Finhaut-Strand in der Mitteltrias scheint recht belebt gewesen zu sein: Es konnten mindestens fünf verschiedene Saurierarten unter den rund tausend Fährten identifiziert werden. Zum Teil waren es Dinosaurier im engeren Sinn, die sich später zu jenen Riesenformen entwickelten, die bis zwölf Meter hoch und dreißig Meter lang wurden und von denen viele aufrecht auf zwei Beinen gingen wie die Wallis-Saurier auch. Die „dreizehigen" Fährtentypen dürften den Vorfahren der späteren Riesendinosaurier zugehören. Andere, rundliche Fährten stammen von primitiveren Saurierformen. Die Saurier, die im Nationalpark ihre Visitenkarte hinterließen, lebten schon in einer Zeit, als die Evolution ihres Stammes weiter fortgeschritten war und erheblich größere Formen hervorgebracht hatte. Ein Teil der Fährten stammt von dreizehigen Tieren mit der stattlichen Fußgröße von 60 Zentimeter Länge und 40 Zentimeter Breite. So kann man sich zumindest vorstellen, daß es unter diesen Strandläufern des Erdmittelalters bereits Dinosaurier mit acht oder mehr Meter Körperhöhe gegeben hat -jedenfalls schon sehr eindrucksvolle Gestalten. Vielleicht zeigt die weitere Fährtenanalyse sogar, ob es sich um friedliche Pflanzenfresser oder gar beschuppte Räuber handelte, die das Nationalparkgebiet unsicher machten. In jedem Fall haben diese Funde eine Lücke in der Dokumentation der urzeitlichen Fauna der Eidgenossenschaft geschlossen - auch wenn bisher noch keine Riesenfährten wie in den USA oder in Münchehage in der Bundesrepublik Deutschland gefunden wurden, die mehr als einen Meter Durchmesser hatten. Dr. Harald Steinert
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Ein düsteres Geheimnis verbindet sich mit der Tatsache, daß viele Höhlen Süddeutschlands und der Alpen die Überreste zahlreicher eiszeitlicher Höhlenbären enthalten. In der Zoolithenhöhle in Oberfranken dürften 800 bis 1000 liegen. Die oft hervorragend erhaltenen Skelette haben zwar die Grundlage für eine ganze „Höhlenbärenpathalogie" geliefert, doch blieb das Ende der Tiere ungeklärt:
Der Todesschlaf der Höhlenbären Nun ist auf das Geheimnis dieses Massentodes zumindest in der Zoolithenhöhle überraschend Licht gefallen: Diese Höhle war eine mit erstickenden Gasen gefüllte Todesfalle von vielleicht ähnlich verhängnisvoller Wirkung wie die am Boden Kohlendioxid-Tümpel enthaltende Hundsgrotte bei Neapel, in der kleinere Tiere ersticken, die aber über diesen giftigen Schichtungen atmende Menschen unbeschadet betreten können. In der oberfränkischen Höhle hat der Leiter eines Heimatmuseums in Greding bei Schwabach, Dipl.-Ing. Forstmeyer, Indizien für eine solche „fossile" Kohlendioxidanreicherung ermitteln können. Kohlendioxid kann überall dort freigesetzt werden, wo Kalksinter abgelagert wird, wo also Höhlen in Kalksteinschichten liegen oder von kalkhaltigem Sickerwasser durchflossen werden. Aus diesem Sickerwasser scheidet sich Kalk aus, der dann Tropfsteine, „Wandbehänge", Bodenbeläge oder noch andere Niederschlagsformen bilden kann. Immer ist diese Kalkausscheidung aber mit einer Kohlendioxidfreisetzung verbunden, wobei die Ablagerung einer Tonne Sinter ungefähr 440 Kilogramm Kohlendioxid liefert. In der Zoolithenhöhle wird auch heute noch Kalksinter abgelagert. Deshalb enthält die Höhlenluft immer noch mehr Kohlendioxid als die freie Atmosphäre; die Konzentration dieses Gases erreicht beispielsweise in ihrem tiefsten Becken rund 30 Meter unterhalb des Höhleneingangs 0,2 Prozent und damit fast siebenmal mehr als in der „normalen" Luft. Während der Lebenszeit der Höhlenbären muß dieser Kohlendioxidgehalt aber ungleich höher gewesen sein. Wie sich nämlich an den großen Sintermassen erkennen läßt, die die Knochenablagerungen füllen und oft auch die Knochen selbst überzogen haben, war damals die Sinterbildung weitaus aktiver als 80
heute. Insgesamt müssen in den letzten Jahrtausenden mehrere 100 Tonnen Sinter gebildet und dementsprechend auch 100 oder mehr Tonnen Kohlendioxid freigesetzt worden sein. Wie hoch der Kohlendioxidgehalt in der Höhle zeitweise war, läßt sich nachträglich dennoch nur mit Schwierigkeiten abschätzen. Forstmeyer schätzt ihn auf „mehrere Prozent". Dafür gibt es auch den wichtigen Hinweis, daß viele „alte" Sinter nachträglich wieder „angeätzt" worden sind, aus ihnen also wieder Kalk herausgelöst worden ist. Das kann aber nur dann möglich gewesen sein, wenn in der Höhle zeitweilig ein abnorm hoher Kohlendioxidgehalt vorgeherrscht hat. Kohlendioxidgehalte der Luft in der Größenordnung von einigen Prozent sind jedoch bereits körperlich wirksam: Bei etwa drei Prozent des Gases in der Atemluft kommt es zu einer Art Rauschzustand, der von einem erhöhten Wohlbefinden und auch dem Gefühl gesteigerter geistiger Leistungsfähigkeiten begleitet ist, nicht unähnlich vielleicht dem Stickstoffrausch bei Überdruck, der Taucher gefährdet. Nach dieser euphorischen Phase wirkt das Gas dann aber eher erregungsdämpfend. Wenn also ein Höhlenbär, der sich vielleicht auf der Suche nach einem Platz für seinen Winterschlaf befand, in eine solche Gasfalle tappte, sich dort niederließ und damit erst recht in die am Boden lagernden Schichten der höchsten Gaskonzentration geriet, muß er sich dort zunächst sehr wohl und behaglich gefühlt haben. Er verbrauchte dann aber immer mehr des vorhandenen Sauerstoffs und steigerte zugleich den Kohlendioxidgehalt durch seine Atmung, so daß er schließlich bei fünf oder sechs Prozent den tödlichen Bereich erreichte und der Schlaf des Bären in seinen Todesschlaf überging, da es kein körpereigenes Warnsystem gegen dieses geruchlose Gas gibt. Dieser friedliche Tod im Winterschlaf dürfte also zumindest für die Gegebenheiten der Zoolithenhöhle, wahrscheinlich aber auch für die anderen „Bärenhöhlen", die Erklärung für den Fund der vielen unversehrten Bärenskelette liefern. Daß im Verlauf jener vielen Jahrtausende, in denen eine solche Höhle während der letzten Vereisung und Zwischeneiszeit vielleicht ständig offenstand, immer wieder Bären (und andere Tiere) in diese Todesfalle geraten konnten, ist eigentlich selbstverständlich. Entsprechend gab es auch nie ein „geheimnisumwittertes Massensterben". Diese „Bärenfriedhöfe" sind vielmehr nach und nach entstanden. Wenn das Rätsel der Zoolithenhöhle und wahrscheinlich auch vieler anderer „Bärenhöhlen" damit auch gelöst sein 81
dürfte, so mindert diese Lösung allerdings entscheidend alle Hoffnungen, in den Erstickungskesseln solcher Höhlen auch einmal ein vollständig erhaltenes Menschenskelett zu finden. Die Eiszeitmenschen haben ohnehin nie dauernd in Höhlen gewohnt, wie die moderne Forschung überzeugend belegen konnte. Sie mögen sie höchstens vorübergehend als kühle Sommerwohnungen genutzt haben. Wenn sie sie jedoch betraten, dann stets mit Fackeln oder ähnlichen Leuchten oder mit der Absicht, dort Feuer anzuzünden. Diese Flammen sind dann aber in den Gefahrenzonen dieser Höhlen ebenso schnell verlöscht wie etwa Kerzen in einem gasgefüllten Brauereikeller oder in der KohlendioxidBodenschicht der Hundsgrotte bei Neapel. Entsprechend dürfte die Annahme zutreffen, daß diese eiszeitlichen Besucher der gefährlichen Höhlen nach dem Erlöschen ihrer Fakkeln oder Feuer flüchteten und so entschieden darauf verzichteten, sich in ihnen „fossilisieren" zu lassen ... Dr. Harald Steinen
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Außer den Anwohnern des geheimnisumwitterten schottischen Loch Ness dürfte wohl niemand an die Existenz des sagenumwobenen Echsenungetüms in seinen Wassern glauben. Denn die Zeit der Riesensaurier ist vorbei. Weshalb das so ist, könnten jetzt überraschende wissenschaftliche Befunde erhellen:
Weshalb die Saurier sterben mußten Diese neue Geschichte ihres Untergangs hat mit hoch raffinierten chemischen Gesteinsanalysen zu tun, wie sie erst in jüngster Zeit technisch möglich geworden sind. In der Bundesrepublik Deutschland werden solche Element- und Isotopenanalysen an irdischen und außerirdischen Materialien insbesondere an den Max-Planck-Instituten für Kernphysik in Heidelberg und für Chemie in Mainz durchgeführt. So konnte unter anderem von den an diesen Instituten arbeitenden Forschern gezeigt werden, daß außerirdische Gesteine wie meteoritische oder vom Mond stammende Minerale chemische Elementhäufigkeiten aufweisen, welche von denjenigen in irdischem Oberflächengestein entscheidend und charakteristisch abweichen. Vor allem bei der Untersuchung des in Mexiko niedergegangenen Allende-Meteoriten sind zahlreiche Isotopenanomalien dieses meteoritischen Gesteins aufgedeckt worden. Entsprechende Häufigkeitsanalysen an irdischen Sedimentgesteinen haben dazu Befunde erbracht, die auf sehr überraschende Weise mit der Frage nach dem Aussterben der Saurier in Verbindung stehen. Für die Tatsache, daß die Erde während einer gewissen geologischen Epoche von saurierartigen Riesenwesen bevölkert und beherrscht gewesen ist, gibt es heute nur noch stumme, allerdings zahllose Zeugen in Form von fossilen Versteinerungen in geologisch typischen Sedimentgesteinen. Paläontologische Untersuchungen dieser Versteinerungen haben schon vor langer Zeit bewiesen, daß die Saurier während des geologischen Kreidezeitalters für eine recht lange Zeit die beherrschenden Festlandlebewesen gewesen sind, daß sie jedoch aufgrund eines bisher noch weitgehend unklaren Umstandes am Ende des Kreidezeitalters und zum Beginn des Tertiärs, also vor etwa 65 Millionen Jahren, ganz plötzlich 83
ausgestorben sein müssen. An für den Übergang vom Kreide- zum Tertiärzeitalter typischen Ablagerungsgesteinen, die man in der Nähe der mittelitalienischen Stadt Gubbio freigelegt hat, haben Physiker der Universität von Kalifornien in Berkeley unter Leitung von Professor W. Alvarez mit einem neu entwickelten Neutronenaktivierungsverfahren chemische Häufigkeitsuntersuchungen durchgeführt. Bei diesem Verfahren werden die Gesteinsproben einem starken Neutronenstrahl ausgesetzt und dadurch zu einer für die jeweiligen Elemente typischen Eigenstrahlung angeregt. Hierdurch kann die Häufigkeit bestimmter Elemente in der Gesteinsprobe mit einer bisher nicht erreichten Genauigkeit gemessen werden. Insbesondere die platinähnlichen Elemente Osmium, Rhodium und Iridium können von dieser Methode optimal erfaßt werden. Der frappierende Befund bei der Untersuchung des KreideTertiär-Sedimentes durch die Berkeley-Gruppe besteht in der Feststellung, daß Iridium auffällig häufiger als erwartet ist. Dabei tritt es im Vergleich zu normalem Erdgestein aus anderen geologischen Zeitepochen in diesem Übergangssedimentgestein 60 bis 160mal häufiger auf. Dieser Befund konnte auch von einer europäischen Forschergruppe um die norwegischen Geologen J. Smit und J. Hertogen an ähnlichem Sedimentgestein aus der Gegend von Caravaca in Südostspanien bestätigt werden. Danach sieht es also so aus, als zeichne sich das für den Übergang vom Kreidezeitalter ins Tertiär typische Sedimentgestein durch besonders hohe Iridiumhäufigkeiten aus. Nun weiß man, unter anderem durch die Analysen der Max-PlanckInstitute in Heidelberg und Mainz an aus Meteoriten, Asteroiden und vom Mond stammenden Gesteinsproben, daß alle Körper aus der Frühzeit des Sonnensystems, die keine mineralische Aufschmelzung und schwerkraftbedingte Entmischung durchgemacht haben wie etwa die erdähnlichen Planeten, um den Faktor 1000 höhere Iridiumhäufigkeiten aufweisen als beispielsweise irdisches Krustengestein. Zu solchen frühen Kleinkörpern des Sonnensystems gehören Meteoriten, Asteroiden und Kometen. Und wenn nun ausgerechnet das KreideTertiär-Gestein anormal hohe Iridium-Anteile enthält, so liegt nahe anzunehmen, daß die aus dieser Zeit der aussterbenden Saurier stammenden Sedimente gleichsam ein Iridium-Wundmal mitbekommen haben: wahrscheinlich dadurch, daß zu dieser Zeit ein Komet oder Asteroid mit der Erde zusammen84
prallte und seine Materie über den Erdball verteilte. Beim Eindringen eines außerirdischen Körpers in die frühe Erdatmosphäre dürfte sich dieser Körper bis zum Zerplatzen in feinsten Staub aufgeheizt haben. Sein um die ganze Erde verteilter Staub hat dann nachhaltig die Chemie des Festlandes und der Gewässer beeinflußt und möglicherweise durch cyanidische Vergiftungen der irdischen Umwelt das Aussterben der Saurier herbeigeführt. Welche der vielen mit dem Einschlag außerirdischer Materie verbundenen Auswirkungen letztlich für die Saurier tödlich waren, ist zur Zeit noch nicht ausdiskutiert; es könnten die beim Einschlag ausgelöste Hitze- und Druckwelle, ein stark vermindertes Pflanzenwachstum, bedingt durch reduzierte Sonneneinstrahlung durch den globalen atmosphärischen Staubschleier, aber auch eine allgemeine Gewässer- und Pflanzenvergiftung gewesen sein. Eins ist jedenfalls klar: Es bedurfte eines außerirdischen Ereignisses, um den Sauriern ein so abruptes Ende zu bereiten. Daß die Saurier zum Aussterben bestimmt waren, nur weil sie eine biologische Fehlkonstruktion gewesen seien, kann jedenfalls überhaupt nicht überzeugen, zumal die Saurier mindestens fünfzigmal länger die Erde bevölkert haben als bisher die gesamte Menschheit, angefangen bei den Hominiden. Professor Dr. Hans-Jörg Fahr
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GESCHICHTE, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
RÄTSEL UND WUNDER DER NATUR ________________________________ Von Wasserwundern und Tausendfüßlern
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Weit über den Bodensee hinaus berühmt ist ein seltsames Ereignis des Jahres 1549 geworden, das sogar in moderne Handbücher der Ozeanographie aufgenommen worden ist. Damals schwankte der Wasserspiegel des Schwäbischen Meeres während einiger Stunden so stark, daß sogar der Rhein plötzlich rückwärts floß:
Das Wasserwunder von Konstanz Seit Ende der sechziger Jahre wird der Bodensee auch seenphysikalisch erforscht. Dabei geht es in erster Linie um die durch Zuflüsse und Luftdruckschwankungen aufgezwungenen Wasserbewegungen und Pegeländerungen. Vor allem die Wasserstandsschwankungen sind erheblich und haben schon vor rund 100 Jahren den ersten Leiter des GroßherzoglichBadischen Centralbureaus für Meteorologie und Hydrographie, Honsell, mit Untersuchungen für eine „Regulierung" des Bodensees beginnen lassen. Die durchschnittlichen jährlichen Wasserstandsschwankungen des Bodensees erreichen anderthalb Meter, so daß es immer wieder zu Überflutungsschäden kommt. Ein wesentlicher Teil des Hochwassers stammt aus dem Rhein und anderen Zuflüssen, ein kleinerer entsteht aber deshalb, weil der See schwingt. Denn jedes stehende Gewässer schwappt in seinem Becken hin und her, wenn es durch äußere Kräfte wie etwa Luftdruckschwankungen „angestoßen" wird. Solche Eigenschwingungen in Form langer Wellen, die von der Größe des Sees abhängig sind, entdeckte im vorigen Jahrhundert zuerst der Genfer Arzt Dr. Auguste Forel im Genfer See, wo sie Schwankungshöhen bis zu einen Meter und mehr erreichen können. Er taufte sie „Seiches" (nach einer Volksmundbezeichnung, die von „sec", gleich trocken, abgeleitet wird). Forel fand solche „Seiches" auch in anderen Seen, darunter im Bodensee. Diese Eigenschwingungen des Bodensees wurden inzwischen nach neu entwickelten Theorien berechnet und mit den Naturbeobachtungen verglichen. Dabei hat sich gezeigt, daß sich die Seeoberfläche in einer regelmäßigen Grundschwingung von etwa 54 Minuten Dauer in Längsrichtung bewegt, wobei die größten Bewegungen am Westende auftreten, sowie in Eigenschwingungen höherer Ordnung mit Perioden von etwa 36, 27 und 19 Minuten. Die 87
noch kürzerperiodischen Schwingungen fünfter und nachfolgender Ordnung sind normalerweise ohne Interesse, weil sie meist nur zu sehr geringen Wasserstandsschwankungen führen. Meist bewirken diese Schwankungen nur Seespiegelschwingungen um nicht einmal einen Dezimeter. Doch erlebte der Bodensee einmal eine Seiche, die durch eine Eigenschwingung sehr hoher Ordnung und schneller Wiederkehr angeregt wurde und zu ganz extremen Wasserstandsschwankungen führte: Sie ereignete sich am 23. Februar 1549 und wurde von dem Konstanzer Chronisten Christoph Schulthaiss so beschrieben: „Uff disen Tag, was Sant Mathyss abend, morgens früeh, ist der See an und abgeloffen, wol einer Ellen hoch ..." Am Ufer von Konstanz stieg und sank das Wasser also um rund 60 Zentimeter, vier- bis fünfmal in der Stunde. Dieses Auf- und Ab-Laufen dauerte bis Mittag, wurde dann aber immer schwächer. Zugleich wurde am Rheinausfluß (in den Untersee) in Konstanz beobachtet, daß der Rhein im Takt dieser Wasserspiegelschwankungen einmal ablief und dann seinen Lauf umkehrte und wieder zurück in den Bodensee floß. „Das hat menigklich ain gross Verwunderung gehabt ..." Als „Wasserwunder von Konstanz" ist dieses Ereignis in die Historie und Wissenschaftsgeschichte eingegangen, so auch in ein englisches Lehrbuch der Ozeanographie von 1966. Diese rhythmische Wasserspiegelschwankung scheint eine typische Seiche zu sein, freilich mit einer im Hauptsee unbekannten Periode. Untersuchungen des Schwingungsverhaltens des Teilbeckens der Konstanzer Bucht anhand von Pegelaufzeichnungen auf Schweizer Uferseite deckten dann auch tatsächlich auf, daß das Wasser dieser Bucht eine Eigenschwingung mit der von Schulthaiss 1549 aufgezeichneten Periode von 13 bis 14 Minuten ausführt, die freilich im Normalfall nur sehr geringe Pegelschwankungen verursacht. Am Tag des „St. Mathyss abend" des Jahres 1549 dagegen stieg und sank das Seewasser in dieser Eigenperiode der Konstanzer Bucht um weit über einen halben Meter, so kräftig, daß der Rhein zeitweise rückwärts floß. Dies kann nur so erklärt werden, daß das Wasser des Hauptsees (des Obersees) an diesem Tag durch irgendwelche besonderen meteorologischen Ereignisse - etwa schnelle Druckschwankungen mit einer Periode von 13 bis 14 Minuten - ungewöhnlich stark angeregt wurde: Der Obersee hat als Eigenschwingungen fünfter oder sechster Ordnung Schwingungsperioden von dieser Zeitdauer. Diese Wasserschwingun88
gen des Obersees wurden dann in der Konstanzer Bucht - mit einer Eigenschwingungsfrequenz von der gleichen Dauer „resonant" verstärkt, so daß es zu diesen enormen Wasserspiegelschwankungen des „Wasserwunders von Konstanz" kam. Dr. Harald Steinert
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die Veränderlichkeit der Grenzen zwischen Land und Meer ist die Nordsee geradezu ein Musterbeispiel. Fünf- oder sechsmal hat sie sich in den letzten Jahrmillionen einige hundert Kilometer bis hinter die Doggerbank zurückgezogen und ist dann wieder nach Süden gerollt:
Als Weser und Ems in die Elbe flössen Zu Fuß konnte man die Doggerbank das letztemal vor vielleicht 30 000 Jahren erreichen und Helgoland sicher noch vor etwa 10000 Jahren. Denn der Weltmeerspiegel lag während des Höhepunktes der letzten Eiszeit rund 80 Meter tiefer und das „fehlende" Wasser als Gletschereis auf den Festländern. Vereinzelte zufällige Funde zeugen davon, daß dieses versunkene Land Wälder und Moore trug, Wild durch seine Steppen zog und Menschen der Altsteinzeit darauf Jagd machten. Wie dieses „Nordseeland" genau ausgesehen hat, ist heute noch weitgehend ungeklärt. Die Überlegungen des nordfriesischen Pastors Jürgen Spanuth, der dort das sagenhafte Atlantis vermutete und die in ihm aufragende Felsklippe Helgoland für ein vorgeschichtliches Kultzentrum hielt, können sich nicht auf konkrete geologische oder prähistorische Befunde stützen. Erstmals ist es dem Hamburger „Meeresgeologen" Dr. Klaus Figge gelungen, einige wesentliche geographische Züge dieses Landes zu rekonstruieren. Er konnte unter anderem das Tal der Elbe weit über 150 Kilometer nordwestwärts bis nahe an die Grenze des deutschen Nordseesektors verfolgen. Diese Entdeckungen sind gleichsam ein wissenschaftliches Nebenprodukt von Untersuchungen des Deutschen Hydrographischen Instituts in Hamburg, das gemeinsam mit anderen Institutionen die Sandbewegungen in der Deutschen Bucht erforscht. Das ist nicht nur wegen der Sicherheit der Seeschifffahrt wichtig, sondern auch für die vorbeugende Kontrolle der ständig von der See bedrohten Nordseeinseln, der Sandbänke und der Hafeneinfahrten. Mit einem Forschungsschiff wird deshalb regelmäßig der Untergrund des deutschen Nordseesektors mit einer speziellen Art Echolot systematisch abgetastet und kartiert. Aus diesen Aufzeichnungen ergibt sich zugleich ein Bild des Meeresbodens unter den lockeren und 90
wandernden Sandmassen, das wiederum Schlüsse auf die einstige Landschaft des Nordseelandes zuläßt. Die Zerstörungsarbeit des vordringenden Meeres hat in den letzten zehn Jahrtausenden zwar einen Teil des ursprünglichen Reliefs abgeschliffen. Erhalten geblieben sind aber vielfach die „morphologischen Senken", darunter auch Flußläufe, unter denen sich etwa ab Helgoland die nordwärtige Fortsetzung der heutigen Elbe deutlich erkennen läßt. In diesem untermeerischen Gebiet ist schon länger ein auffälliger Steilhang bekannt, der westlich der roten Felseninsei nach Nordwesten verläuft. Dort hebt sich der Nordseeboden aus etwa 44 Meter Tiefe zehn bis zwölf Meter nach Nordosten. Während die „Hochfläche" ein unruhiges Relief aufweist und mit Steinen bedeckt ist, bildet die „Tieffläche" südwestlich davon eine glatte und feinsandige Ebene. Figge fand den Beweis für die schon wiederholt geäußerte Vermutung, daß dieser Steilhang ein ehemaliges Eibufer sein könnte. Es zeigte sich nämlich, daß die „Tiefebene" in Wirklichkeit eine breite Rinne ist, deren Boden noch fast 20 Meter unter dem heutigen Nordseeboden liegt. Diese Rinne läßt sich von der Höhe Helgolands an nordwestwärts rund 110 Kilometer weit verfolgen, wobei sich zeigt, daß sie immer breiter wird. Ganz eindeutig erweist sie sich deshalb als ein ehemaliger Flußlauf; mit einiger Wahrscheinlichkeit auch als Fortsetzung der Elbe durch das alte Nordseeland zur damals sehr fernen Nordsee bei der Doggerbank. Mit „einiger Wahrscheinlichkeit" gilt das deshalb nur, weil die Möglichkeit besteht, daß der Fluß, der während der letzten Vereisung das untere Eibtal benutzte, gar nicht die heutige Elbe war. Untersuchungen von Professor Gerd Lüttig an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, verweisen nämlich darauf, daß dieses Tal eine „Sammelschiene" für einige heute in andere Richtungen fließende mitteldeutsche Flüsse gewesen sein könnte. Das geortete, rund 110 Kilometer lange Teilstück der Nordseeboden-Elbe ist heute mit feinem Sand und Schlamm rund 15 Meter hoch aufgefüllt. Es ist auf der Höhe Helgolands mit etwa 14 Kilometer Breite noch recht schmal, 110 Kilometer nordwestlich mit rund 35 Kilometer aber eher riesig zu nennen. Wohin es sich weiter nordwärts wendet, ist gegenwärtig noch unbekannt. In dieser einstigen Eiblandschaft gab es auch einige kleinere Nebenflüsse. Ein schmales Flußbett, das im Norden an Helgoland vorbeizieht, brachte von Osten die Gewässer der holstei91
nischen Geest heran und vor allem die Schmelzwasser der Gletscher, die bis nach Ostholstein vorgestoßen waren. Ob dieses Flußtal an die Hever oder die Eider anschließt, und ob Husum oder Tönning den Ruhm für sich beanspruchen dürfen, die Stadt am Haupt-Urstrom der eiszeitlichen Westküste zu sein, ist aber noch nicht entschieden. Mit größter Wahrscheinlichkeit flössen von der anderen Seite her die Weser und die Ems dem versunkenen Eibtal zu. Zwar sind deren untermeerische Fortsetzungen noch nicht entdeckt, doch dürfte der Verlauf des Eibtales keinem größeren Fluß mehr einen eigenen Weg zur fern im Norden brandenden Nordsee gelassen haben. Auch die auffällige Verbreiterung des untermeerischen Elbtales dort, wo die Mündungen der beiden anderen Flüsse eigentlich gewesen sein müßten, spricht für diese Annahme. Man darf daher mit gutem Gewissen Weser und Ems als Nebenflüsse der Elbe betrachten, die erst durch den Anstieg des Meeres Selbständigkeit gewonnen haben. Dr. Harald Steinert
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So viel Energie, wie gegenwärtig auf der ganzen Welt in einer halben Stunde verbraucht wird, wurde mit einem Schlag frei, als sich der unter Geologen weltbekannte Bergsturz bei Kofels im mittleren Ötztal vor rund 8700 Jahren ereignete:
Als der Berg kam, schmolzen die Steine Ein deutsch-österreichisch-schweizerisches Forscherteam fand eine Erklärung für den Hergang dieses Naturereignisses in Tirol. Dabei wurde erstmals am konkreten Beispiel die Energieverteilung eines derartigen Vorgangs rechnerisch erfaßt. Ergebnis: Schon ein etwas kleinerer Bergsturz als jener von Kofels - hier wurden mehr als zwei Kubikkilometer Gesteinsmassen verlagert - würde genügend Energie freisetzen, um Steine zum Schmelzen zu bringen. Dies war im Ötztal, wo der bisher größte Bergsturz im Urgestein der Alpen stattfand, auch tatsächlich der Fall. Der Fund von Gesteinen, die mit Sicherheit durch Schmelzen und Wiederabkühlung entstanden sind, war es denn auch, was seit über 100 Jahren immer wieder das Interesse der Wissenschaft auf das Naturereignis von Kofels lenkte. 1859 wurde der Ötztaler Pfarrer und Naturkundler Adolf Trientl auf die Verwendung von aus der Gegend stammendem „Bimsstein" durch die einheimischen Zimmerleute aufmerksam. Der Tiroler Dichter und Innsbrucker Geologieprofessor Adolf Pichler, dem Trientl darüber berichtete, versuchte wenig später, die Herkunft dieser Steine auf die Tätigkeit eines in allerjüngster geologischer Zeit hier tätigen Vulkans zurückzuführen. Neben der aufsehenerregenden Vulkantheorie, die sich in der Folge nicht zweifelsfrei erhärten ließ, kam in unserem Jahrhundert die nicht weniger spektakuläre Idee auf, zur Gesteinsabschmelzung und damit zur Entstehung des „Bimssteines" sei es durch einen Meteoriteneinschlag gekommen. Die Ergebnisse modernster Gesteinsanalysen schienen die Richtigkeit der Meteoritenhypothese dann tatsächlich zu beweisen. Sein Interesse für Meteoriteneinschläge rief auch den deutschen Mineralogen und Petrologen Professor Ekkehard Preuss vom Staatlichen Forschungsinstitut für angewandte Mineralo93
gie in Regensburg auf den Plan. Das Ergebnis seiner Untersuchungen: doch kein Meteorit in Kofels! Damit bestätigte Preuss die Zweifel, die auch der Geograph Professor Helmut Heuberger vom Institut für Geographie der Universität Salzburg längst gehegt hatte. Der Wissenschaftler erforschte die Oberflächenformen des Bergsturzes bis ins Detail. Dabei rekonstruierte er den abgebrochenen Bergkamm und kam zu dem Schluß, „daß - so wie die Bimssteinfundstellen liegen die Reihenfolge erst Meteoriteneinschlag, dann Bergsturz, in Kofels einfach nicht stimmen kann." Ende der siebziger Jahre legte dann der Schweizer Wissenschaftler Professor Theodor Erismann, Direktor der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Versuchsanstalt in Dübendorf bei Zürich, die geradezu phantastisch klingenden Ergebnisse des Rechenexempels vor, das er aufgrund der - von den anderen beiden Experten gelieferten - mineralogischen und geomorphologischen Daten vorgenommen hatte. Danach kam es beim Bergsturz von Kofels für Augenblicke zu einer „Energieexplosion": Die Gesteinsmassen sausten von ihrem ursprünglichen Platz am Funduskamm mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 150 und Spitzenwerten bis zu 200 Kilometer pro Stunde ins Ötztal hinunter. Schon nach einer Rutschstrecke von weniger als 100 Meter war die Hitzeentwicklung so groß, daß das Gestein an den Bewegungsflächen zu schmelzen begann und so gleichsam zur Bobbahn wurde, auf der die Felsmassen dann um so leichter und weiter zu Tal donnerten. Das Ganze spielte sich in der kurzen Zeit von nur etwa einer Minute ab. Innerhalb dieser Spanne brach der Berg, dämmte das Ötztal ab und verstopfte die einstige Mündungsschlucht des gegenüberliegenden Horlachtales. Wie Heuberger berichtet, hat die ganze Bergsturzrechnung keineswegs nur Bedeutung für die Aufklärung des Falles Kofels. Ähnliches hat sich auch anderswo ereignet und wird sich möglicherweise in Zukunft wieder zutragen. Meist sind die Beweisstücke für das Auftreten von Schmelzvorgängen bei Bergstürzen jedoch gar nicht mehr auffindbar. Sie liegen tief unter den herabgestürzten Felsmassen begraben. Nirgends treten bisher die durch ein derartiges Ereignis bewirkten Gesteinsabschmelzungen so offen zutage wie im Langtangtal, das nördlich von Kathmandu in Nepal liegt. Durch Gesteinsfunde früherer Expeditionen aufmerksam gemacht, begann Preuss dort in den siebziger Jahren mit Untersuchungen. 94
Der Bergsturz im Himalaja entspricht in der Größenordnung etwa jenem von Flims (Vorderrhein), bei dem zehn bis 15 Kubikkilometer Gesteinsmassen bewegt wurden. Dabei wurden, wie Erismann errechnete, Energiemengen freigesetzt, die groß genug waren, um damit die Cheopspyramide in eine Erdumlaufbahn zu schießen. An den untersuchten Beispielen konnte rechnerisch gezeigt werden, daß vor allem größere Bergstürze sich außerordentlich „rationell" bewegen. Mit dem Umfang der stürzenden Felsmassen wächst auch die Wucht der Bewegung. An den Reibungsflächen kommt es in Sekundenschnelle zu einer enormen Hitzeentwicklung: In Kofels überschritten die Temperaturen sicher 1700 Grad Celsius. Die Folge ist, daß in diesem Bereich das Gestein zu schmelzen beginnt oder aber, im Fall von Kalksteinen, in Branntkalk und Kohlendioxid zerlegt wird. Gesteinsschmelze und Gaspolster bilden dann ein ideales Gleitmittel, auf dem das Felsmaterial fast ungebremst noch weiter „abfährt" als sonst anzunehmen wäre. Gerade diese Erkenntnis erweist sich als bedeutsam, wenn es um die möglichst exakte Vorhersage der möglichen Reichweite drohender Bergstürze geht. Aufgrund der neuen Forschungsergebnisse muß in die Prognose nun eine neue Größe eingeführt werden: die bei großen Bergstürzen zu erwartende Schmierung an den Reibungsflächen. Ganz gelöst ist das Rätsel von Kofels jedoch noch immer nicht. Die Wissenschaftler wissen heute zwar ziemlich sicher, wie alles ablief; warum es zu diesem Naturereignis kam, ist aber noch nicht bekannt. Möglicherweise war ein vorhergehendes Erdbeben die Ursache für den Abbruch des Funduskammes. Dr. Heide Gottas
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Energiesparen ist nicht nur für die moderne Industriegesellschaft aktuelle Notwendigkeit. Die Tierwelt betreibt es schon seit vielen Jahrmillionen. Leuchtendes Vorbild ist das australische Rote Känguruh. Sein Energieverbrauch nimmt bei zunehmender Hüpfgeschwindigkeit ab:
Das Energiesparfederwerk der Känguruhs Seit Jahren werden die Fortbewegungsmethoden der Tierwelt auch energiephysiologisch untersucht, wobei sich gezeigt hat, daß viele Tiere - vermutlich alle - mit jener Energie sehr sparsam umgehen, die sie für ihre im Grunde genommen meist unrationellen Bewegungssysteme benötigen. Sie benutzen ihre Muskeln sozusagen als mechanische Federn, die während des Ablaufs der Bewegung durch die auftretenden Gegenkräfte erneut gespannt werden, so daß eine neue Bewegung des gleichen Muskelsystems nicht mehr den gleichen Energieaufwand wie die erste Bewegung erfordert. Das scheint beim Flug der Heuschrecke, bei der Schwimmbewegung der Haie mit Hilfe ihrer Schwanzflossen und beim Lauf des Pferdes eine Rolle zu spielen. Die Energierückgewinnung erfolgt zum Teil nach einem Prinzip, das neuerdings bei Autobussen erprobt wird: durch Ausnutzung der Bremskräfte. Allerdings sind das bei Tieren die Umweltkräfte, beim Hai zum Beispiel der Widerstand des Wassers, der die Muskelsysteme der Schwanzflossen wieder „spannt". Genauer untersucht wurde das aber auch beim Energierückgewinnungssystem der Känguruhs. Schon 1973 berichteten britische Forscher über solche Beobachtungen am Roten Känguruh: Sie hatten den Sauerstoff verbrauch eines solchen Tieres in einer Tretmühle gemessen und festgestellt, daß es - sobald es vom langsamen Kriechen auf allen Vieren mit Unterstützung des Schwanzes zum aufrechten Hüpfen überging - seltsamerweise immer weniger Energie verbrauchte (gemessen am Sauerstoff verbrauch), je schneller es hüpfte. Bei einer Geschwindigkeit von 18 Kilometer pro Stunde und darüber sank der Energieaufwand eines hüpfenden australischen Beuteltiers sogar unter den eines Vierbeiners vergleichbarer Größe ab. Das Geheimnis wurde dann weitgehend aufgeklärt durch Untersuchungen an Muskeln einer kleineren Känguruhart, 96
des Wallabies, wie der Physiologe Dr. Uwe Proske berichtete. Auch das Wallabie hüpft rationell, allerdings lange nicht so wie das weit größere Rote Känguruh. Nach Messungen des Sauerstoffverbrauchs bei „Bewegungsexerzitien" zeigte sich,daß es beim schwanzunterstützenden „fünfbeinigen Kriechen" für jede Geschwindigkeitssteigerung um einen Kilometer pro Stunde weit mehr Sauerstoff verbraucht als beim Hüpfen, mit dem es etwa ab einer Geschwindigkeit von sechs Kilometer pro Stunde beginnt. Allerdings erreicht es nie die Rationalisierungs-Spitzenleistung seines größeren Vetters, das heißt eine Minderung des Energieverbrauchs mit steigender Hüpfgeschwindigkeit. Um zu klären, ob diese hüpfenden Beutler über Muskeln mit ganz besonderen Fähigkeiten verfügen, oder ob normale Muskelfasern genügen, um die schon länger vermutete Energierückgewinnung beim Hüpfen zu erzielen, wurde die Funktion solcher Beinmuskeln des Wallabies im Laboratorium untersucht. Es zeigte sich, daß die Elastizität einer Muskelfaser nicht allzu hoch ist - Muskeln sind mechanisch gesehen Systeme, die teilweise elastisch und teilweise „viskos" (das heißt wie eine zähe Flüssigkeit) auf äußere Beanspruchung reagieren. Bei sehr kurzen schnellen Bewegungen allerdings reagieren sie elastisch, so daß sie mindestens zur Speicherung der beim Hüpfen freiwerdenden Aufprall-Energie beitragen könnten. Doch die mit den Muskeln verbundenen Sehnen sind für die Energierückgewinnung wichtiger als die Muskeln: Deren Funktion wurde bisher nie diskutiert. Sie bestehen aus langen Kettenmolekülen des Eiweißes Kollagen, die in Bindegewebehüllen eingelagert sind - und bei mechanischen Tests mit Achillessehnen eines Wallabies erwies sich dieses Konstruktionsmaterial der Natur als vollelastisch (bis zu Drehungen von zehn Prozent) und damit als idealer Werkstoff für „biologische Federn", in dem elastische Energie gespeichert werden kann. Diese hohe Elastizität der Sehnen - die die Muskeln mit den Knochen koppeln - im Vergleich mit den Muskeln hat zur Folge, daß beim Hüpfen eines Wallabies in dem wichtigsten Muskel der Beine beim Abstoßen vom Boden die Sehnen bis zu achtmal stärker gedehnt werden als die mit ihnen verbundenen Muskeln. Das bedeutet, daß in dem zum Sprung gedehnten Sehnen-Muskel-System beim Aufprall auf den Boden in dem federnden System die Sehnen wieder weit mehr verkürzt werden (also zurückfedern) als die Muskeln und entsprechend mehr „Bremsenergie" aufnehmen können. Proske hat ausgerechnet, daß beim Wallabie bei normaler 97
Hüpfgeschwindigkeit der Hauptmuskel des Hinterbeins rund 23 Joule aufwenden muß, um das Tier vom Boden abzustoßen. Von diesen werden etwa neun Joule allein in der AchillesSehne wiedergewonnen, wenn das Tier auf den Boden aufsetzt, so daß der nächste Sprung per Saldo nur 14 Joule erfordert, die der Muskel für die neue Kontraktion aufwenden muß. Das heißt, daß über 40 Prozent Energie durch die Nutzung der Elastizität vor allem der Sehnen eingespart werden. Mit diesen Beobachtungen läßt sich auch die weit erstaunlichere Energienutzung des Roten Känguruhs erklären: Denn die Energiespeicherung in solchem Federsystem „MuskelSehne" steigt im Quadrat der wirkenden Kräfte, also in diesem Fall mit der Aufprallenergie des Tiers auf den Boden. Diese ist wegen des mehrfach höheren Gewichts des Roten Känguruhs im Vergleich zum Wallabie weit höher. Das Känguruh steigert sie mit zunehmender Geschwindigkeit durch seine Hüpftechnik: Es beschleunigt nicht durch schnellere Hüpffolge, sondern durch weitere Einzelsprünge, die wiederum mehr rückgewinnbare Aufprallenergie liefern: Per Saldo ist - wiewohl nicht detailliert nachgewiesen - völlig erklärlich, daß das Känguruh durch höhere Hüpfgeschwindigkeit die Wirksamkeit der Energierückgewinnung steigert und dadurch zunehmend Energie spart. Dr. Harald Steinen
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Nicht nur ihre körpereigenen Marschkolonnen halten stets exakten Schritt und Tritt. Auch der oft gewundene Weg ihrer vielen Beinpaare wird laufend durch ein inneres Verrechnungssystem erfaßt und der Kurs auch dann eingehalten, wenn äußere Anhaltspunkte für eine Orientierung fehlen:
Die Kursmathematik der Tausendfüßler Daß diesem „Kurscomputer" auch die zumindest Oberschülern vertraute Sinus-Funktion keine Unbekannte ist, haben Untersuchungen von Professor Horst Mittelstaedt am MaxPlanck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen gezeigt. In dieser Forschungsabteilung befaßt man sich vor allem mit der mit „Steuerungstechnik" verbundenen Nachrichtenverarbeitung der Organismen, wobei nun die Tausendfüßler ein auch kybernetisch bedeutsames „Paradebeispiel" für die bei vielen Wirbellosen vorhandene Fähigkeit abgegeben haben, auch ohne äußere Richtungshinweise längere Zeit geradeaus laufen zu können. Diese sogenannte „idiothetische Orientierung" ist hier im Zusammenhang mit der „Kursregelung" durch das Schwerkraftempfinden dieser Tiere untersucht worden. Das idiothetische Vorankommen der Tausendfüßler erklärt sich daraus, daß ihr Kursregelsystem während eines hindernisbedingten Kurvenlaufs ständig Meldungen über die Abbiegungen eines jeden Körpersegments erhält, alle Abweichungen aufsummiert, als Summe mit der ursprünglichen Wegrichtung vergleicht und diesen sich ständig ändernden Abweichungswert so lange speichert, bis eine ausgleichende Kurskorrektur wieder möglich ist. Freilich geht das nicht über sehr lange Zeit einwandfrei gut: Da ein solcher Rechenprozeß wegen des unvermeidlichen „Rauschens" nicht fehlerfrei sein kann, muß das Tier allmählich unkorrigierbar aus seiner ursprünglichen Laufrichtung wegdriften. Das kann allerdings einige Minuten dauern. Wie dieses Kursregelsystem aber mit dem Schwerkraftgefühl dieser Tiere zusammenhängt, das natürlich ebenfalls ein Orientierungsmittel ist, konnte dank der Eigenart der Tausendfüßler ermittelt werden, auf geneigten Flächen meist nach oben auszuweichen: Man ließ sie aus verschiedenen Richtungen 99
über eine Fläche ohne Orientierungsanhaltspunkte geradeaus laufen, die dann plötzlich um einen bestimmten Winkel schräg gestellt wurde. Erwartungsgemäß wandten sich die Tausendfüßler dann nach „oben" und schlugen so einen Kurs ein, der ein Kompromiß zwischen ihrer idiothetischen Anfangsrichtung und der Orientierung zum Schwerelot war. Beim Zurückkippen der Lauffläche in die ursprüngliche Lage zeigte sich dann freilich, daß sie auch diese Veränderung „gespeichert" hatten: Sie schwenkten unverzüglich in ihre alte Marschrichtung ein, wenn auch nur näherungsweise. Dahinter verbirgt sich freilich eine bemerkenswerte Leistung des inneren Kurscomputers, wie die Wissenschaftler berichten: „Sowohl die Wirkung der Schwerkraft als auch die der Idiothetik hängt annähernd vom Sinus des Winkels der jeweiligen Abweichung ab, nicht etwa vom Winkel selbst. Da beim Tausendfüßler die idiothetischen Information aus Signalen über die Winkelabbiegungen der Segmente stammt, muß also für die Verrechnung mit anderen orientierenden Informationen eigens ein Sinus gebildet werden." Mit diesem Rückgriff auf eine „leicht gehobene" Mathematik hat die Natur eine sehr wirkungsvolle und vom Aufwand her sparsame Methode der „Datenverarbeitung" entwickelt, die überraschen muß. Denn das „Phänomen des Schräglaufes vieler Tiere auf einer schiefen Ebene" ist zwar schon in den dreißiger Jahren kontrovers diskutiert worden, doch ist eine einheitliche und nachvollziehbare mathematische Beschreibung dieses Verhaltens erst jetzt gelungen. Rolf H. Simen
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Zugvögel richten sich bei ihrer alljährlichen Reise vom Brutgebiet zum Winterquartier und zurück sowohl nach der Sonne, den Sternen als auch nach dem erdmagnetischen Feld. Diese „Kompaßsysteme" sind von den Vogelkundlern nacheinander entdeckt worden, doch war bisher nur wenig geklärt, wie sie eigentlich zusammenwirken:
Was Zugvögel zielsicher macht Einen Beitrag zur Lösung dieses Problems haben nun Zoologen geleistet. Sie wiesen nach, daß Brieftauben, die sich nicht nach dem Sonnenstand orientieren konnten, dennoch zielsicher den heimischen Schlag ansteuerten, indem sie sich am Erdmagnetfeld orientierten. Offensichtlich tritt der Magnetkompaß dann in Aktion, wenn der Sonnenkompaß nicht arbeitsfähig ist, so daß die Magnetfeldorientierung für den Vogel die wichtigste Informationsquelle ist, um sich bei seiner Reise zurechtzufinden. Zu diesem Ergebnis kam Professor Wolfgang Wiltschko mit seiner Arbeitsgruppe an der Universität Frankfurt. Die Wissenschaftler gingen der Frage nach, wie sich ein Vogel orientiert, wenn er den „Sonnenkompaß" nicht verwenden kann. Wiltschko und seine Mitarbeiter konnten sich dabei auf frühere Untersuchungsergebnisse stützen, nach denen ein junger Vogel den „Umgang" mit dem Sonnenkompaß zum größten Teil erst einmal erlernen, sein „Steuergerät" also zunächst eichen muß. Experimente zeigten nämlich, daß diejenigen Vögel, die die Sonne nur in der zweiten Tageshälfte wahrgenommen hatten, ihren Sonnenkompaß nicht mehr eichen konnten. Dennoch fanden junge Tauben, die am Vormittag das Himmelsgestirn nicht sehen konnten, zielsicher zum heimischen Schlag. Um diesen Sachverhalt aufzuklären und Zusammenhänge mit einer vermuteten Orientierung nach dem Erdmagnetfeld aufzudecken, hielt Wiltschko zwei Gruppen junger Tauben unter verschiedenen Bedingungen. Die einen „verdonnerte" er in einem künstlich beleuchteten Schlag zu einem allmorgendlichen Arrest, so daß sie den Sonnenaufgang am Vormittag nicht wahrnehmen konnten. Erst am Nachmittag, wenn die Sonne bereits hoch am Himmel stand, konnten sie den Glutball sehen und den heimischen Schlag verlassen. Eine Gruppe 101
von Kontrolltauben wuchs unter den gleichen Bedingungen auf, durfte jedoch zu jeder Tageszeit aus dem Schlag. Nach einiger Zeit wurden die Vögel an einem sonnigen Nachmittag in einem „Ausfliegeversuch" auf ihre Orientierungsfähigkeit hin getestet. Jeweils die Hälfte der Tiere aus beiden Versuchsgruppen bekam einen kleinen „Rucksack" auf den Buckel. Es war nicht etwa die Marschverpflegung für die gefiederten Reisenden, sondern ein kleiner Magnet, der eine Orientierung nach dem Erdmagnetfeld als künstlicher Störfaktor verhindern sollte. In der Tat zeigte es sich, daß die Vögel aus der „sonnengewohnten" Kontrollgruppe mit Leichtigkeit zurückfanden, ebenso diejenigen Tiere aus der zweiten Gruppe, die keinen MagnetRucksack trugen und die Morgensonne zum ersten Mal in ihrem Leben zu Gesicht bekommen hatten. Ihre Artgenossen mit Magnet-Rucksack flogen jedoch in alle möglichen Richtungen davon und waren offensichtlich völlig desorientiert. Die einfache und besonders wahrscheinliche Erklärung für diese Verhaltensweisen, denn nur sie ist für den Naturwissenschaftler maßgebend, liegt darin, daß die Tauben, die den Umgang mit dem Sonnenkompaß nicht erlernen konnten, nach dem Magnetfeld navigieren. Dieser Magnetkompaß ist den Vögeln immer verfügbar, eine Erkenntnis, die sehr gut in das Bild anderer Untersuchungen paßt, nach denen gerade junge Vögel mit Hilfe des Erdmagnetfeldes „zielfliegen", bis sie den Umgang mit dem Sonnenkompaß gelernt haben. Der Magnetkompaß stellt somit die Hauptinformationsquelle dar, an dem der Sonnenkompaß später ausgerichtet und geeicht wird. Die erfahrenen Vögel richten sich dann bevorzugt nach der Sonne. Welche Gehirnzellen nun wie auf das Magnetfeld der Erde reagieren, ist in einem weiteren Forschungsprojekt untersucht worden. Dabei deckten die Wissenschaftler eine außerordentlich interessante Spur auf: Spezialisierte Gehirnzellen im sogenannten Pinealorgan der Tauben reagieren sehr schnell und spezifisch mit einer Änderung ihrer bioelektrischen Aktivität auf Magnetfelder. Das Pinealorgan ist entwicklungsgeschichtlich sehr alt, reguliert bei Tieren auch die Tag- und Nachtlängen und paßt die Fortpflanzungsaktivität in die Jahreszeiten ein. In einem gemeinsamen neurobiologischen und verhaltensphysiologischen Ansatz versucht man nun, den Magnetfeldsensor „dingfest" zu machen. Zwar hat so die Forschung in den letzten Jahrzehnten eine Menge Rätsel des Vogelzuges lösen können, doch sind gleichzeitig ständig neue Fragen aufgetaucht. Wiltschkos Feststel102
lung gilt deshalb auch heute noch: „Das Problem, wie Zugvögel ihren Weg finden, ist trotz intensiver Forschungsarbeit noch recht ungelöst." Wilhelm Irsch
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GESCHICHTEN, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
RHYTHMEN DES LEBENS __________________________ Von der inneren Uhr bis zum Kraftwerk im Körper
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Fünf Wochen lebten sie auf Spitzbergen am Rande des arktischen Eises; ohne Uhr, Radio oder Fernsehen, ohne Verbindung mit der Zivilisation. Zehn Studenten der Universitäten Tübingen und Trondheim leisteten so einen Beitrag zum besseren Verständnis der endogenen Depressionen. Geklärt werden sollte, ob ein Medikament die innere Uhr des Menschen verstellen kann:
Lithium, Biorhythmen und Depressionen Der Zusammenhang zwischen endogenen Depressionen, Lithium und den Biorhythmen des Menschen, den dieses Experiment aufklären sollte, ist nach einigen interessanten Beobachtungen angenommen worden. So konnte Dr. Wolfgang Engelmann von der Universität Tübingen beispielsweise feststellen, daß unter Einfluß von Lithium die Blütenblattbewegungen des Dickblattgewächses Kalanchoe im Dauerdunkel nicht, wie üblich, im 23-Stunden-, sondern im 25-StundenRhythmus verlaufen. Die Frage, ob die Wirkung dieser Substanz beim Menschen die gleiche ist, interessiert indessen nicht nur die Biologen. Lithiumsalze nämlich werden seit vielen Jahren bei der Behandlung von endogenen Depressionen eingesetzt, einer schweren Gemütskrankheit, die von Zeit zu Zeit ohne erkennbare Ursache auftritt. Viele Nervenärzte glauben, daß sie vor allem organischen Ursprungs ist. Worauf die lindernde Wirkung von Lithium beruht, ist bislang nicht geklärt. Wohl haben die Psychiater aber eine Vermutung. Für Dr. Burkhard Pflug von der Nervenklinik der Universität Tübingen gibt es Hinweise darauf, daß der Rhythmus einiger Körperfunktionen bei den Patienten während der depressiven Phase anders verläuft als während der Zeit, in der sie sich wohl fühlen. Seine Beobachtungen deuten darauf hin, daß dabei eine Periodik eine Rolle spielt, die kürzer ist als der normale 24-Stunden-Rhythmus. Es wäre beispielsweise denkbar, daß der Arbeitsrhythmus der Leber nicht mehr mit den regelmäßigen Schwankungen des Blutdrucks übereinstimmt oder daß die verschiedenen Rhythmen nicht mehr mit der Tageszeit synchron laufen. Es könnte also sein, daß dieses „Durcheinander" zu depressiven Zuständen führt. Denkbar ist allerdings auch der umgekehrte Sachverhalt, 105
daß die verzweifelte seelische Situation des Patienten die innere Rhythmik durcheinander, bringt. Aber unabhängig davon, was Ursache und Folge ist, kamen die Tübinger Wissenschaftler zu der Hypothese, daß der positive Effekt von Lithium möglicherweise darin liegt, daß es die gestörten Rhythmen wieder auf den normalen 24-Stunden-Takt bringt. Zur Überprüfung der rhythmikverändernden Wirkung des Präparats mußte man eine Umgebung auswählen, die frei von „äußeren Zeitgebern" ist. Solche Zeitgeber, beispielsweise der Tag-Nacht-Wechsel, die Uhr, soziale Faktoren wie Arbeitszeiten, zwingen die innere Uhr immer wieder in den 24Stunden-Takt. So kamen die Forscher auf die Idee, das Experiment im Dauerlicht des arktischen Sommers, also in einer Umgebung ohne jede Information über die Uhrzeit, durchzuführen. In Zusammenarbeit mit Physikern der norwegischen Universität Trondheim sollte ein Vorversuch zunächst klären, inwieweit äußere Zeitgeber in Spitzbergen tatsächlich fehlen. In eindrucksvoller Weise zeigte er dann auch den „Freilauf" zweier Versuchspersonen, die sechs Wochen lang in der arktischen Einsamkeit gelebt haben: Sowohl Temperatur- als auch Aktivitätsrhythmen „liefen frei", das heißt, sie verhielten sich unabhängig von der Tageszeit. Beim einen schwangen sie im 26-Stunden-, beim anderen gar im 30-Stunden-Rhythmus. Nachdem diese Voraussetzung geklärt war, konnte das eigentliche Experiment stattfinden. Zusammen mit drei Betreuern fuhren die zehn „Versuchskaninchen" unter abenteuerlichen Bedingungen nach Norden. Der harte Winter brachte eine ganze Menge Schwierigkeiten mit sich. Treibeis, hoher Schnee, zeitweilig auch massives Tauwetter mit Überschwemmungen machten den Weg zu den fünf Hütten, einige Kilometer entfernt von Ny Älesund, der nördlichsten Siedlung der Welt, ausgesprochen beschwerlich. Aber die Schwierigkeiten wurden bewältigt und selbst abenteuerliche Begegnungen mit Eisbären überstanden. Das Experiment war für die Teilnehmer als sogenannter Blindversuch angelegt, das heißt, sie mußten täglich ihre Tabletten einnehmen, ohne zu wissen, ob es sich dabei um Lithium oder um Placebos (unwirksame „Scheinmedikamente") handelte. Ein tragbares, batteriebetriebenes Gerät notierte die Körpertemperatur, die mit einer Sonde im Enddarm gemessen wurde. Mit Hilfe eines Meßgeräts am Armgelenk wurde die Aktivität festgestellt. Der-Schreiber ordnete die Meßdaten aber nicht, wie gewöhnlich, einer Tageszeit zu, 106
sondern druckte in bestimmten Zeitabständen eine Nummer aus. Deshalb war es den Versuchspersonen auch nicht möglich, von den Messungen auf die Tageszeit zu schließen. Die so ermittelten Daten belegen eindeutig den „Freilauf" sämtlicher Zweier-Versuchsgruppen während ihrer „PlaceboZeit", das heißt ihre Tagesperiodik war länger als 24 Stunden. Bei zwei von vier Gruppen (die fünfte war die Kontrollgruppe) zeigte sich ein sehr deutlicher Einfluß von Lithium: Die Rhythmen wurden beim Wechsel von Placebo auf Lithium langsamer und im umgekehrten Fall schneller. Die beiden anderen Gruppen zeigten nur wenig oder keine Reaktion auf das Medikament, was nicht gänzlich unerwartet war, da auch bei der Behandlung von Depressionen Patienten bekannt sind, die nicht auf Lithium reagieren. Diese Ergebnisse unterstützen eindeutig die Hypothese, nach der Lithium die Tagesrhythmik auch beim Menschen verändert. Für Nervenarzt Pflug ist man damit der Wirkungsweise von Lithium bei endogenen Depressionen ein großes Stück näher gekommen. Ein weiteres wichtiges Ziel der Forschungen ist es jedoch, einen Ersatz für Lithium zu finden. Denn, so wirkungsvoll das Medikament ist, so wenig unproblematisch ist seine Anwendung . Ist die Dosis zu hoch, so kann es zu regelrechten Vergiftungserscheinungen kommen, ist sie zu niedrig, dann zeigt das Präparat keinerlei Wirkung. Pflug: „Deshalb wollen wir zunächst seine Wirkungsweise erforschen und dann einfachere, problemlosere Möglichkeiten finden, depressiven Patienten zu helfen." Brigitte Hirth
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Alle Lebewesen unseres blauen Planeten haben sich in irgendeiner Weise auf die vielfältigen rhythmischen Veränderungen ihrer Lebensbedingungen eingestellt. Die Wissenschaft von den Zeitstrukturen des Lebendigen hat sich bislang vorrangig mit den tagesperiodischen Schwankungen befaßt. Doch entdeckt wurde noch viel mehr:
Auch Tiere haben einen Kalender Neuere biologische Untersuchungen lassen darauf schließen, daß zahlreiche Tierarten neben der inneren „Uhr" auch noch mit einem inneren „Kalender" ausgestattet sind. Er setzt, wie Professor Eberhard Gwinner vom Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Radolfzell-Möggingen feststellt, die jahreszeitlichen Schwankungen der Lebensprozesse auch unter gleichbleibenden Laborbedingungen ungefähr durch. Bis vor kurzem waren die Biologen noch einhellig der Überzeugung gewesen, daß gerade „circaannuale" (ungefähr jährliche) Rhythmen direkt und ausschließlich von den periodischen Umweltschwankungen „dirigiert" werden. In der Tat scheinen auch viele Befunde dafür zu sprechen, daß jahreszeitliche Prozesse wie Fortpflanzung, Wanderverhalten, Winterschlaf oder Haar- und Gefiederwechsel von den „photoperiodischen" Änderungen abhängen, also von den Schwankungen in der Länge von Tag und Nacht, Dunkelheit und Helligkeit. Daneben dürften auch das Nahrungsangebot und die Umgebungstemperatur einen entscheidenden Einfluß bei der jahreszeitlich bedingten Organisation des tierischen Lebens besitzen. Erst allmählich wird deutlich, daß diese Vorstellung in vielen Fällen unzureichend ist, weil auch beim Wegfall der äußeren Taktgeber eine Jahresperiodik fortbestehen kann. So hatte man bei den Staren schon in den dreißiger Jahren festgestellt, daß die Funktion ihrer Keimdrüsen von der Länge von Tag und Nacht abhängig ist. Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, daß die Hoden der geselligen Singvögel auch dann regelmäßig zwischen einem aktiven und einem inaktiven Stadium wechseln, wenn die gefiederten Höhlenbrüter bei gleichbleibender Tageslichtdauer gehalten 'werden. In den Phasen herabgesetzter Keimdrüsenaktivität mausern die Vögel. Allerdings weicht das „spontane" Jahr der Tiere von unserem kalendarischen Jahr etwas ab; im Gegensatz zu 108
freilebenden Artgenossen beginnt die Mauser dieser Vögel nicht jährlich zur gleichen Zeit. Die Periode ist zunächst etwas länger, später eher etwas kürzer als zwölf Monate. Der ostasiatische Sikahirsch erneuert sein Geweih auch unter konstanten Lichtverhältnissen in einem jahreszeitlichen Rhythmus, wobei auch der Eigenrhythmus dieses Tieres wieder nicht ganz genau mit dem kalendarischen Jahr übereinstimmt. Sowohl das Waldmurmeltier als auch der Streifenziesel lassen sich vom synthetischen Laborlicht nicht beirren und gehen in regelmäßigen, etwa zehnmonatigen Intervallen in Winterschlaf. Vor jeder Schlummerperiode setzen sie noch erhebliche Mengen Fett an. Bei über 30 Tierarten, von den Weichtieren bis hin zu den Säugern, wurden bislang circaannuale Rhythmen identifiziert, welche über zwei oder mehr Zyklen hinweg fortbestehen. Diese Rhythmen haben bei den verschiedenen Tierarten zum Teil recht unterschiedliche Eigenschaften und unterscheiden sich insbesondere recht erheblich hinsichtlich ihrer Beständigkeit: Bei manchen Arten klingen sie schon nach wenigen Zyklen aus, bei anderen bestehen sie über die gesamte Lebensdauer fort. Die spontanen jahreszeitlichen Eigenrhythmen der Tierwelt sind relativ träge und lassen sich auch dann nur allmählich mit den verschiedenen „Schrittmachern" der Außenwelt synchronisieren, wenn die Tiere in einen neuen Lebensraum gelangen. Waldmurmeltiere, die auf dem 40. Breitengrad in Nordamerika gelebt hatten und die nach Australien verfrachtet wurden, paßten ihre periodischen Körperprozesse erst nach zwei bis drei Jahren an die ungewohnte Umweltrhythmik an. Ähnliche Phänomene kennt man übrigens auch von technischen Schwingkreisen, die ebenfalls gelegentlich etwas „nachhinken", wenn sie ihre Eigenschwingungen an äußere Zeitgeber anpassen sollen. Andererseits scheinen die biologischen Kalender auch höchst anpassungsfähig zu sein: Wenn man den Jahreslauf bei Staren durch künstliche Variationen der Tageslänge auf 1,5 Monate verkürzte, machte die Keimdrüsenaktiyität der Tiere diese „Kurzarbeitsperiode" noch mit. Beim Sikahirsch kann man das Jahr auf vier Monate reduzieren oder auf 24 Monate erweitern, stets erneuert das Tier sein Geweih nach dem Kalender, den die Wissenschaftler ihm vorschreiben. Durch ähnliche Manipulationen kann man die Gewichtsrhythmik des Feldhamsters oder die Brunftrhythmik des Schafes um ein halbes Jahr verkürzen. 109
Nach unten hin „fallen" viele Tiere noch auf ein auf zwei oder drei Monate verkürztes Jahr „herein", nach oben hin kann man das „künstliche" Jahr nicht länger als 24 Monate aufrechterhalten, andernfalls verlassen die Tiere sich lieber auf ihren inneren, biologischen Kalender. Im übrigen verschieben sich viele natürliche Funktionen, wenn das „manipulierte" Jahr zu sehr von dem natürlichen abweicht. Schafe, die im normalen Jahresverlauf herbstbrünftig sind, werden frühjahrsbrünftig, wenn man ihnen ein Jahr „vorgaukelt", welches nur 180 Tage besitzt. Aus den vorliegenden Daten schließt Gwinner, daß die Tagund Nachtschwankungen nicht ursächlich für die jahreszeitlichen Rhythmen in der Tierwelt verantwortlich sind. Sie dienen vielmehr als eine Art „Greenwich-Signal", als ein objektiver Zeitgeber, der dafür sorgt, daß die schon vorhandene biologische Rhythmik richtig ins Kalenderjahr eingefügt wird. Zukünftige Forschungen sollen vor allen Dingen klären, welche anderen Schrittmacher neben der Photoperiode den Tieren noch angeben, was die Stunde (und das Jahr) geschlagen hat. Rolf Degen
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Von den Säugetieren können nur der Mensch und die meisten Affen farbig sehen, daneben Bienen, Schmetterlinge, Vögel, Fische und einige Reptilien. Salamander und Molche besitzen aber trotz ihres verhältnismäßig einfachen und entwicklungsgeschichtlich alten Gehirns nicht nur einen farbtüchtigen, sondern auch sonst höchst bemerkenswerten Gesichtssinn:
Die Jahreszeiten eines Molchauges Der Bergmolch gehört zu den amphibisch lebenden Tieren: Er hält sich im Frühjahr, während der Fortpflanzungszeit, im Wasser auf und heftet Hunderte von Eiern an Wasserpflanzenblättern an. Nach der Eiablage verlassen beide Geschlechter das Wasser und leben die restliche Zeit des Jahres an Land, um erst im März wieder zu ihren Laichtümpeln aufzubrechen. Die Netzhaut des Auges weist beim Molch wie bei allen sehfähigen Lebewesen Nervenzellen auf, die auf bestimmte Lichtreize reagieren und dann nervöse, elektrische Impulse aussenden. Diese sogenannten „Rezeptoren" leiten die von ihnen erzeugten Impulse in das Gehirn weiter, beim Molch vor allem in eine Struktur des Stammhirns, das sogenannte Tektum. Werner Himstedt, Angelika Helas und Thomas J. Sommer haben am Institut für Zoologie der Technischen Hochschule Darmstadt dieses Molchauge untersucht, indem sie an bestimmten, vom Auge her erregten Nervenzellen des Tektums Elektroden anschlössen und die elektrischen Ströme ableiteten, die bei bestimmten Lichtreizen vor dem Molchauge erzeugt wurden. Störende Bewegungen der Molche wurden durch eine medikamentöse, ruhigstellende Injektion ausgeschaltet. Mit Halogenlampen konnten dem Auge nun experimentell die unterschiedlichsten optischen Reize dargeboten werden. Es stellte sich heraus, daß das Tektum des Molches farbempfindliche Nerven zweierlei Art beherbergt, und zwar solche vom „on-off"-Typus und vom „off'-Typus. „Off-Rezeptoren erzeugen nur dann elektrische Impulse, wenn bestimmte Lichtreize verschwinden. „On-off"-Rezeptoren senden Impulse sowohl beim Eintreffen von Licht als auch bei dessen Aufhören. Die Wahrnehmungssysteme der meisten Tierarten besitzen zusätzlich noch „On"-Rezeptoren, die le111
diglich auf das Eintreffen von Lichtimpulsen mit elektrischen Reizen reagieren. Die „On-off"-Nerven des Molches weisen aber nach den Befunden der Darmstädter Forscher eine interessante farbspezifische Eigenart auf: Bei einer Reizung mit blauem Licht von kurzer Wellenlänge wurden typische „on"-Reaktionen erzeugt, bei einer Anregung mit Licht langer Wellenlänge, wie es den Farben Gelb oder Rot entspricht, aber typische „off"Reaktionen. Manche der „On-off'-Nerven erzeugten bei Lichtreizen nur kurze elektrische Impulse, andere auf eine halbe Sekunde verlängerte elektrische Ströme. Die farbempfindlichen Rezeptoren des Bergmolches zeichnen sich durch eine eigentümliche jahreszeitliche Wandlung aus. Im Frühling, während der Fortpflanzungszeit im Wasser, reagieren die „On-off'-Rezeptoren auf das Farben-Paar BlauRot, wohingegen im Herbst, während der „erdgebundenen" Phase, das Molchauge vornehmlich auf blau und gelb mit nervösen Impulsen reagierte. Das „Wasser-Auge" des Molches entspricht in seiner Empfindlichkeit somit dem des Fisches, das „Land-Auge" dem des Frosches. Nur die Empfindlichkeit für blaues Licht bleibt jahreszeitlich ziemlich gleich. Der periodische Wechsel der Farbempfindlichkeit beim Molchauge geht mit feststellbaren biochemischen Prozessen einher: Die lichtempfindlichen Farbpigmente des Frühjahrs werden aus einem Vitamin vom A2-Typ gebildet, während die gelb-empfindlichen Pigmente des Herbstes aus Vitamin Ax aufgebaut werden. Für die Chronobiologie, die Wissenschaft vom Zeitfaktor in den Lebensprozessen, steht fest, daß der jahreszeitliche Wechsel der Pigmente im Auge des Molches einen ökologischen Anpassungs- und Überlebenswert hat. Im Frühjahr, wenn der Molch „rot sieht", ist das Wasser, in dem er sich bewegt, meist gelb gefärbt. Diese Färbung ist auf aufgelösten Humus oder Plankton zurückzuführen. Tiere, die in diesem Wasser leben, finden sich besser darin zurecht, wenn ihre Augen für das langwelligere Licht empfindlich sind, auf das die Pigmente vom Vitamin A2-Typ reagieren. Zudem fördert der Pigmentwechsel die Erkennung des Partners, Verhaltensforscher haben nämlich herausgefunden, daß die charakteristische rote Anfärbung des Molchweibchens beim Männchen Brautwerbungsverhalten auslöst. Die Liebe klappt also besser, wenn das Molchauge rot sieht... Rolf Degen Auf der Suche nach den Taktgebern des inneren 112
Zeitgefühls bot sich ein riesiger pflanzlicher Einzeller als ideales Studienobjekt an. Aus seiner Untersuchung heraus entwickelten nun Zellbiologen aus Ladenburg eine neue Modellvorstellung:
Die Unruh der inneren Uhr Schon die trotz guter Vorsätze wohl niemals voll erreichbare Harmonie zwischen „Morgenmuffeln" und jenen „Frühmenschen", die schon nach dem ersten Augenaufschlag mit Elan in den neuen Tag springen, gibt einen Eindruck vom bestimmenden Diktat der inneren biologischen Uhren und ihren individuell sehr unterschiedlichen Taktvorgaben. Regelmäßige Schwankungen von Blutdruck, Körpertemperatur, Blutzukkerspiegel und anderen Zuständen der Körperfunktionen zeigen dem Arzt darüber hinaus, wie wenig ein Mensch den ganzen Tag derselbe Mensch sein kann. Medizin, Arbeitsmedizin und Psychiatrie ziehen aus diesen chronobiologischen Erkenntnissen manche Nutzanwendung, wozu auch die zeitlich genau abgepaßte und deshalb besonders wirkungsvolle Verabreichung von Medikamenten gehört. Wie das biochemische Herzstück einer biologischen Uhr aber funktionieren könnte, ist durch Forschungsarbeiten am Max-Planck-Institut für Zellbiologie in Ladenburg bei Heidelberg verständlich geworden. Weil das „chronobiologische Zustandsbild" eines Menschen und auch anderer höherer Lebewesen aber nur als der Zusammenklang einer Vielzahl recht unterschiedlicher biologischer Rhythmen zu beschreiben ist, deren Abläufe Stunden, häufig einen Tag, aber auch Tage oder noch viel länger dauern können und sich in ihrer Wirkung vielfach überlagern, kam für diese Grundlagenuntersuchung nur ein einfacher Modell-Organismus in Frage. Dafür bot sich die in warmen Meeren lebende Schirmalge Acetabularia an, die zwar bis zu 20 Zentimeter lang werden kann, aber dennoch nur eine einzige riesige Pflanzenzelle ist. Daß in ihr eine von äußeren Einflüssen recht unabhängige „Uhr" arbeitet, zeigt sich unter anderem daran, daß der normale tägliche Gang der Photosynthese auch dann noch tagelang weiterläuft, wenn die Lichteinstrahlung und die Temperaturbedingungen nicht natürlich bleiben, sondern lange Zeit künstlich gleich gehalten werden. Auch dann bleibt jener Lebensrhythmus erhalten, der sonst durch den Lauf des 113
Tagesgestirns vorgegeben wird. Auf der Suche nach dem Ort dieser inneren Uhr zerlegten die Wissenschaftler des von Professor Hans-Georg Schweiger geleiteten Instituts für Zellbiologie zunächst einmal die Riesenzellen in einzelne Teile und fanden dabei heraus, daß das „Zeitgefühl" offensichtlich auch in allen Teilen vorhanden ist. Als sie aber auch die Zellkerne von solchen Schirmalgen untereinander austauschten, deren innere Uhren durch künstliehe Umweltbedingungen gegeneinander zeitverschoben waren, zeigte sich überdies, daß dies nicht schon die ganze Wahrheit sein konnte. Denn die ausgetauschten Zellkerne übertrugen jeweils ihre „Eigenzeit" allmählich auf die neue Zelle und erwiesen sich damit nicht als die gesuchte Uhr, sondern als deren wesentliches Stellglied. Nun enthalten die Kerne der Zellen eines jeden Lebewesens aber dessen gesamte Bau- und Funktionspläne in biochemisch verschlüsselter Schrift. Diese Information für das Leben und Überleben wird laufend biochemisch „abgelesen" und über die zelleigenen Produktionsanlagen in die jeweils notwendigen „Maßnahmen" umgesetzt, zu denen beispielsweise die Neubildung von Baustoffen, Wirkstoffen und Steuerungssubstanzen aus Eiweißen gehört. Die „Abschrift" dieser Lebensinformation, die im Zellkern in den Molekülen der Desoxyribonukleinsäure (DNS) gespeichert ist, wird Transkription genannt, die nachfolgend in den sogenannten Ribosomen erfolgende Produktion der speziellen Eiweiße Translation. In Ladenburg lahmten die Forscher auf der Suche nach dem geheimnisvollen zeitgebenden Faktor mit Hemmstoffen nacheinander Transkription und Translation in den Schirmalgen. Dabei zeigte sich, daß das innere Uhrwerk der Riesenzellen stets dann angehalten wurde, wenn die Translation unterbrochen war. Es setzte zeitverschoben wieder ein, wenn die Translation wieder ablaufen konnte. Demnach muß die innere Uhr aber von einem Stoff gesteuert werden, der bei der Translation entsteht und deshalb ein spezifisches Eiweiß ist. Von der Existenz dieses in seiner Zusammensetzung noch unbekannten und deshalb „Polypeptid X" genannten Eiweißes ausgehend, entwickelten die Wissenschaftler ein Modell der inneren Uhr der Riesenalge, in dem dieses Eiweiß gewissermaßen die Rolle einer biochemischen Unruh spielt: Polypeptid X stoppt dann, wenn es in einer bestimmten Menge in gewisse Membranen gelangt, den eigenen Nachschub. Es stößt diesen aber regelmäßig wieder an, wenn seine Konzentration durch einen gleichmäßig ablaufenden Abbauprozeß unter 114
einen ebenfalls bestimmten Wert abgesunken ist. Dieser wie bei der Unruh einer Uhr aus Anstoß und Hemmung bestehende Ablauf gibt zugleich den Takt der biologischen Uhr vor, die wiederum den Rhythmus der Lebensprozesse der Zelle steuert. Ein wichtiger Hinweis auf die Richtigkeit dieses Modells einer etwa im 24-Stunden-Takt „circadian" schwingenden biochemischen Unruh ergab sich daraus, daß es den Max-Planck-Wissenschaftlern auch gelungen ist, einen Eiweißkörper aus den Membranen der die Energiegewinnung aus Licht ermöglichenden Chloroplasten der Schirmalge zu gewinnen. Es ist ein Polypeptid mit einem Molekulargewicht von 210000, das die an den unbekannten Faktor X zuvor gestellten „Anforderungen" offensichtlich erfüllt. Dieses sogenannte „Zweistufenmodell des circadianen Rhythmus", das „gekoppelte Translations-Membran-Modell" schreibt dieser Membran eine besondere Rolle zu. Mit ihm in Einklang steht der ebenfalls in Ladenburg ermittelte Befund, daß an dieser Membran der Schirmalge auch dann der Lauf der inneren Uhr verfolgt werden kann, wenn sich die Temperaturund Lichtbedingungen über viele Tage nicht verändern. Experimente in anderen Laboratorien und auch an anderen Organismen wie weiteren Algen, Pilzen und tierischen Zellen stützen inzwischen die Vermutung weiter, daß dieses Modell allgemeingültig sein könnte. Besonders genau ist die innere Uhr der Schirmalgen allerdings nicht. Die höheren Organismen dürften sehr wahrscheinlich kompliziertere Mechanismen entwickelt haben, die Ganggenauigkeit ihrer inneren Uhren noch erheblich zu verbessern. Rolf H. Simen
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Es sieht aus, als könnte man darin Butterbrote einwickeln: Ein unscheinbares Silberpapierchen, handelsüblichen Haushaltsfolien aus Aluminium zum Verwechseln ähnlich, entpuppte sich als ein Energiewandler, der von der medizinischen Anwendung bis zur Kraftwerkstechnik für Überraschungen gut sein dürfte:
Das Kraftwerk im Körper Zumindest dem physikalischen Prinzip dieses, glänzenden Wunderdings, dessen innere Werte Professor Eberhard Häusler und seine Mitarbeiter am Institut für angewandte Physik der Universität des Saarlandes zum Bau eines stromerzeugenden Alleskönners nutzen wollen, können Konsumenten „moderner" Verbrauchsgüter praktisch alltäglich begegnen. Elektronische Feuerzeuge und Ultraschallfernbedienungen profitieren schon seit Jahren von der bereits gut 100 Jahre zurückliegenden Entdeckung des „piezoelektrischen Effektes", der sich bei bestimmten Stoffen dann als deren elektrische Aufladung zeigt, wenn sie mechanisch verformt werden. Der Fingerdruck auf den piezoelektrischen Kristall eines Feuerzeuges läßt beispielsweise so den elektrischen zündenden Funken aufblitzen. Auf die kleinen, dünnen Kunststoffolien bezogen heißt das: Schon die kleinste Dehnung erzeugt einen schwachen Strom. Vereinfacht erklärt liegt der Grund für diese Erscheinung darin, daß die Folie aus Polyvenylfluorid (PVF2) in ihrer innersten Feinstruktur polarisiert ist, also ihre Molekülketten alle parallel verlaufen. Bei einer Dehnung wird diese Anordnung gestört, die Ketten reiben sich gleichsam aneinander, und es entsteht eine elektrische Spannung. An mit Aluminium bedampften und so oberflächlich leitfähig gemachten Folien dieser Art kann diese Spannung abgegriffen werden, womit sich das vermeintliche Schokoladeeinwickelpapier als Stromerzeuger erweist. Die so entstehenden kleinsten Ströme könnten in der technischen Medizin Anwendung finden. Die zehn Millionstel Watt Leistungsbedarf eines Herzschrittmachers zum Beispiel, die gegenwärtig von Batterien abgedeckt werden, kann eine in „Unordnung" geratene Folie leicht abgeben. Mehrlagig um herznahe Arterien gewunden, könnte die winzige, aber hochstabile Folie als Energielieferant für im Körper implantierte Geräte dienen. Die Arterien, die sich beim Durchlaß des Blutes rhythmisch erweitern, sorgen dabei für 116
die notwendige Foliendehnung. Selbst eine Dehnung von nur zwei Prozent genügt, um mit kurzen Stromstößen einen Kondensator aufzuladen, der dann seine Ladungsmenge impulsartig an einen Pufferakku abgibt. Aber auch sonst läßt sich dieses Kraftwerk nach Ansicht der Saarbrücker Wissenschaftler vielfältig im Körper unterbringen, wobei jene Körperpartien die größte Funktionszuverlässigkeit versprechen, die - hauptsächlich durch die Atmung unwillkürlich bewegt werden. So könnten etwa zwischen zwei Rippen befestigte Folien bei jedem Atemzug kurze Stromstöße abgeben. Eine Brustkorbdehnung von realistischen 0,7 Prozent reichte schon für zehn Milli-Ampere Strom pro Impuls aus, der Kranken vielfach Hilfe leisten könnte. So könnte beispielsweise Zuckerkranken die tägliche Spritze erspart bleiben, wenn ein solches Mini-Kraftwerk nicht nur eine eingepflanzte Insulinpumpe versorgen würde, sondern auch ein Mikroprozessorsteuerwerk, das ihren Einsatz den ständig gewonnenen Werten des Insulinspiegels anpaßt. „Der Einsatz komplizierter Geräte im Körper war bislang lediglich mangels ausreichender Energieversorgung unmöglich" , sagt Häusler. Die Anwendung dieser inzwischen preisgekrönten und patentierten Idee der Energiefolie würde nun zum Beispiel auch die Ausstattung künstlicher Harnausgänge mit Magnetventilen möglich machen. Die Energie zum Öffnen und Schließen der Ventile an den Verschlußklappen und zur Beobachtung des Füllungszustandes der Blase lieferte dann das im Körper implantierte Minikraftwerk. Häusler hat sich noch über andere Anwendungsmöglichkeiten Gedanken gemacht: „Man hat durchaus die Möglichkeit, solche Folien auch als Impulsgeber zur Augenlidstimulation bei krankhafter Muskelschwäche und zur Reizgebung bei Muskellähmung zu verwenden". Und bei Langzeit-Tierversuchen könnten eingesetzte Meßfühler und Sender ihren Strom über Jahrzehnte hinweg aus solchen Folien beziehen. Vor dem endgültigen Durchbruch stehen in der HumanMedizin allerdings stets anspruchsvolle Tests und langwierige weitere Forschungsarbeit, was auch für den wirklichen Einsatz dieses kleinen Wunderdings volle Gültigkeit hat. Zudem zeigen sich Hindernisse, die seine Verwendung einschränken könnten. So läßt mit steigendem Lebensalter die Rippenatmung zugunsten der Zwerchfellatmung nach. Und altersbedingt verkalkte Arterien haben nur noch eine geringe Dehnfähigkeit. Die Wissenschaftler sind deshalb auf der Suche nach weniger anfälligen „Kraftwerks-Standorten" im 117
Körper. Schnelleren Erfolg als in der Medizin könnte die „Folienidee" aber vielleicht im Energiebereich haben: In Form meterlanger Seile oder mehrere hundert Meter langer Bahnen könnte diese Folie als überdimensionaler „Rippenwandler'f im Meer als Wellenkraftwerk installiert werden. Die silbrigen Taue ließen sich am Meeresboden befestigen und durch Schwimmkörper ständig in Bewegung halten. Die mechanische Leistung von Meereswellen beträgt (bezogen auf einen Meter Wellenfront) bis zu 100 Kilowatt. Alle zehn Sekunden würde der Schwimmer durch die Meereswellen angehoben oder gesenkt. Die Wucht der Wellen würde sich dann nach dem Umweg über eine Gleichrichterschaltung wieder in einem Akkumulator entladen. Der durch solche Folienkraftwerke erzeugte Strom, das weiß man nach einer ersten Wirtschaftlichkeitsberechnung, mit der man die Konkurrenzfähigkeit der Erfinder überprüfen wollte, könnte billiger als Strom aus konventionellen Kraftwerken sein. Die beispielsweise an der Nordsee oder an japanischen Küsten errichteten Kraftwerke - hier herrschen starke Wellenbewegungen vor - wären denkbar unkompliziert. Umständliche mechanische Einrichtungen, Gelenke, Wellen, Schrauben, fielen weg, die Störanfälligkeit gar läge fast bei Null. Selbst die Wartungskosten könnte man vernachlässigen. Die entscheidende wirtschaftliche Bestimmungsgröße ist der Preis der Folien. Und der, das erwartet man bei einer Massenproduktion und entsprechend einkalkulierten Toleranzen, weil die Foliengenauigkeit weit unter der heutigen liegen dürfte, ließe sich deutlich senken. Geringe Investitionskosten und minimale Zusatzaufwendungen ließen, so ermittelten die Saarbrücker Wissenschaftler, ein solches Kraftwerk selbst bei einer Foliendehnung von nur wenigen Prozent elektrischen Strom noch wirtschaftlicher erzeugen als das kostengünstigste konventionelle Kraftwerk, das Dieselkraftwerk. Gero Gemballa
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GESCHICHTEN, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
ASTRONOMIE __________________________ Vom Weihnachtsstern bis zur kosmischen Fata Morgana
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Krippenhersteller und Sternfreunde werden umdenken müssen: Der Stern von Bethlehem war weder jener kometenähnliche Schweifstern, den man heute noch in vielen Krippendarstellungen findet, noch jene dreifache Begegnung der Planeten Jupiter und Saturn im Jahre 7 vor Christus, die sich 1981 wiederholte und erst wieder 2238 stattfinden wird. Die drei Weisen erkannten das große Ereignis vielmehr dann,
Als Jupiter an Regulus vorbeizog Die traditionelle Erklärung, die den Weihnachtsstern mit der dreifachen Begegnung der Planeten Jupiter und Saturn im Sternbild Fische in Verbindung brachte, war bislang immer auf Johannes Kepler zurückgeführt worden. Ein Amateurastronom, im Hauptberuf Altphilologe an der Universität zu Köln, fand jedoch vor einiger Zeit in einem Gedicht aus dem 13. Jahrhundert bereits einen Hinweis auf diese dreifache Begegnung der beiden Planeten und die daraus abgeleitete Geburt eines großen Propheten; das Epos mit dem Namen „De vettula" stammt von einem unbekannten Dichter und gibt sich als Autobiographie des römischen Schriftstellers Ovid aus. In jüngster Zeit sind jedoch immer mehr Zweifel an dieser Deutung des Weihnachtssterns aufgetaucht. Mitarbeiter des Griffith-Planetariums von Los Angeles haben zusammen mit NASA-Wissenschaftlern auffällige Planetenkonstellationen um die Zeitenwende im Hinblick auf eine mögliche „bessere" Erklärung des Sterns von Bethlehem hin untersucht. Dabei stießen sie auf eine Reihe von Begegnungen zwischen dem Planeten Jupiter und dem Hauptstern im Sternbild Löwe, dem Regulus. Die erste dieser Begegnungen fand am 14. September 3 v. Chr. statt und konnte am Morgenhimmel beobachtet werden, die zweite folgte am 17. Februar 2 v. Chr. - in diesem Monat stand der Löwe fast die ganze Nacht am Himmel -, und am 8. Mai desselben Jahres zog Jupiter ein drittes Mal an Regulus vorbei (das Sternbild Löwe konnte inzwischen nur noch am Abendhimmel über dem Westhorizont beobachtet werden). Sechs Wochen später, am 17. Juni, zog die helle Venus im engem Abstand an Jupiter vorbei beide Planeten verschmolzen dabei fast zu einem Lichtpunkt. Die „astrologische" Deutung dieser Begegnungen ist leicht 120
und schlüssig: Das Sternbild Löwe war im babylonischen Kulturkreis das Sternbild der Juden („Löwe von Juda"), und sein Hauptstern Regulus galt als der „kleine König"; wenn Jupiter, der Königsplanet, der dem babylonischen Gott Marduk geweiht war, dreimal an diesem Königsstern vorbeizog und sich hinterher mit der Göttin der Fruchtbarkeit, der Venus nämlich, verband, dann mußte dort etwas Besonderes zu erwarten sein. Und daß die Weisen aus dem Morgenlande die religiösen Hoffnungen der Juden im Hinblick auf das Kommen eines Erlösers kannten, ist nicht weiter verwunderlich schließlich waren die Juden lange genug in babylonischer Gefangenschaft gewesen. Die neue Deutung des Weihnachtssterns stimmt auch zeitlich besser mit anderen historischen Quellen überein, beispielsweise mit der in der Bibel erwähnten Volkszählung, die Maria und Josef nach Bethlehem geführt haben soll (sie fand erst im Jahre 3 vor der Zeitenwende statt). Auch der Tod Herodes', der nach Angaben des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus im Anschluß an eine Mondfinsternis eintrat, läßt sich nun besser einordnen: Nicht mehr die bislang dafür in Frage gekommene nur partielle und damit wenig auffällige Mondfinsternis am 13. März 4 v.Chr. muß zur Erklärung herhalten, sondern die totale Mondfinsternis in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar des Jahres l v. Chr. Es bleibt nun abzuwarten, wie lange noch jener astronomisch nie ernsthaft diskutierte kometenähnliche Weihnachtsstern über den deutschen Krippen leuchten wird. Hermann-Michael Hahn
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Das zunächst nur wie ein Raunen durch die Reihen der Astronomen ging, hat durch Satelliten-Beobachtungen seine Bestätigung gefunden: Im DoradusNebel in den Magellanschen Wolken ist ein sternartiges Objekt mit der Kennzahl R 136 a
So schwer wie 2000 Sonnen Natürlich weiß man schon lange, daß unser Zentralgestirn Sonne in der Palette des astrophysikalisch Möglichen nicht eben zu den imponierenden Objekten zählt. Nach Masse, Oberflächentemperatur und Leuchtkraft ist die Sonne eher ein Durchschnittsstern. Es gibt wesentlich hellere, heißere und massenreichere Sterne. Nach Aussage der Sternbildungstheoretiker sollte es jedoch selbst für Superstars klare Grenzen, insbesondere für ihre Masse, geben. So ging man bisher davon aus, daß in den beobachtbaren Galaxien kaum Sterne mit mehr als dem Fünfzigfachen der Sonnenmasse vorkommen. In Ausnahmefällen sollten vielleicht Sterne mit hundertfacher Sonnenmasse möglich sein, diese wären jedoch sicher schon als Kuriosa zu werten. Dieser Tatbestand besitzt eine einleuchtende Erklärung darin, daß die Sternentstehungsrate bei Sternen mit nur einigen Sonnenmassen ihr Maximum hat. Sterne, die wesentlich leichter oder schwerer sind als die Sonne, werden also prozentual seltener geboren. Dazu kommt, daß massereiche Sterne ihr nukleares Brennmaterial in sehr verschwenderischer Weise verausgaben und folglich sehr kurzlebig sind. Solche Sterne werden also nicht nur seltener geboren, sie sterben auch schneller. Um so mehr muß es dann verwundern, wenn einige Astronomen nunmehr aufgrund ihrer Beobachtungen zu der gewagten Behauptung kommen, sie hätten ein stellares Objekt von 2000, vielleicht sogar mehr Sonnenmassen entdeckt. Diese Entdeckung geht auf eine in letzter Zeit eingehend betriebene Untersuchung des 30-Doradus-Gasnebels (auch Tarantula-Nebel genannt) in der großen Magellanschen Wolke zurück. Bei diesem Gasnebel handelt es sich um ein ausgedehntes Gebiet ionisierten Wasserstoffs. Die Ionisation des Wasserstoffs in diesem Nebel muß durch energiereiche Strahlungen hoher Intensität aus dem Inneren des Nebels verursacht sein. Aus der gesamten Radiostrahlung, die dieser Nebel aussendet, kann man 122
schließen, daß hier eine Energiequelle „am Werk" sein muß, die etwa 100 der heißesten Sterne (der Spektralklasse 0) entspricht. Die Suche nach der Quelle dieser Strahlung hat sich nun vor einiger Zeit auf ein ungewöhnliches Objekt im Zentrum des Nebels konzentriert. Dieses Objekt führt die astronomische Bezeichnung R 136a. Bereits optische Untersuchungen dieser Himmelsgegend hatten die Astronomen Dr. Johannes Feitzinger, Privatdozent Wolfhart Schlosser, Professor Theodor Schmidt-Kaler und Diplom-Physiker Christoph Winkler am Astronomischen Institut der Ruhr-Universität Bochum zu dem Schluß geführt, daß es sich bei dem Objekt R 136 a um einen extrem massereichen Stern handeln müsse, der den wesentlichen Teil der ionisierenden Strahlung für den Doradus-Nebel erzeugt. Neue Befunde über dieses zentrale Objekt des DoradusNebels scheinen aber eine genaue Massenangabe zu erlauben. Sie gründen sich auf die hochauflösenden Spektralbeobachtungen des I-U-E-Satelliten (International Ultraviolet Explorer). Diese Beobachtungen im ultravioletten Spektralbereich lieferten eine Reihe sehr interessanter Informationen über dieses rätselhafte Objekt, zu denen auch gehört, daß seine Oberflächentemperatur mit 63000 Kelvin einen bisher nirgendwo anders gemessenen hohen Wert aufweist. In Verbindung mit der von den Bochumer Astronomen für dieses Objekt festgestellten visuellen Helligkeit ergibt sich daraus eine im Vergleich zur Sonne um den Faktor „100 Millionen" höhere Leuchtkraft. Das macht klar, daß der gesamte Doradus-Nebel fast ausschließlich von diesem Objekt zum Leuchten angeregt wird. Weitere Eigenschaften dieses Objektes konnten die amerikanischen Astronomen aus der Analyse des Profils einiger markanter Absorptionslinien im Spektrum des Objektes R 136a erschließen, die von ionisiertem Kohlenstoff, Stickstoff und Helium hervorgerufen werden. Hieraus ergibt sich der eindeutige Hinweis auf die Existenz eines Sternwindes gigantischen Ausmaßes, das heißt, die äußerste Materiehülle des R 136a-Objektes wird mit enorm hohen Geschwindigkeiten von bis zu 3500 Kilometer pro Sekunde in die Umgebung abgeblasen, wodurch das Objekt einen Massenverlust entsprechend einer Sonnenmasse je tausend Jahre erfährt. Einen so intensiven Sternwind kennt man nur bei den heißesten Sternen vom Typ 03. Dieser Sterntyp besitzt jedoch mit 52 000 Kelvin eine weit niedrigere Temperatur, als sie an R 123
136 a beobachtet wird. Außerdem müßte man mindestens 30 bis 40 Sterne dieses Typs auf engstem Raum zusammenbringen, um die Gesamtleuchtkraft des gesehenen Objektes erklären zu können. Die einzig akzeptable Erklärung scheint also zu sein, daß es sich bei R 136 a um ein einziges stellares Objekt mit extremen Eigenschaften handelt. Nimmt man für ein solches Objekt dann die Annahme zu Hilfe, daß an seiner Oberfläche Schwerebeschleunigung und Strahlungsdruck im Gleichgewicht stehen, so ergibt sich eine Objektmasse von 2000 Sonnenmassen. Die Erklärung eines solch massereichen Objektes wird den Sternentwicklungstheoretikern noch viel Kopfzerbrechen bereiten. Professor Dr. Hans-Jörg Fahr
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Messungen mit dem 100-Meter-Teleskop des Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastronomie haben erstmals die bis dahin vorhandenen Zweifel an der Existenz von Gravitationslinsen im Weltraum beseitigen können. Entdeckt wurden zwei Quasare nämlich dort, wo in Wirklichkeit nur einer steht:
Eine kosmische Fata Morgana Erste Hinweise auf dieses kosmische Trugbild fanden die englischen Wissenschaftler Dennis Walsh und Robert Carswell bereits 1979 im Sternbild Großer Bär. Damals untersuchten sie die Lichtzusammensetzung von zwei schwachleuchtenden Objekten, die am Himmel nur etwa sechs Bogensekunden auseinanderstehen (das entspricht einem Dreihundertstel des Winkels, unter dem uns der Vollmond am Himmel erscheint). Dabei konnten sie fast identische Spektren aufzeichnen. Solche Spektren sind wie Personalausweise - sie erlauben wichtige Rückschlüsse auf die Natur der beobachteten Objekte. Eine Auswertung der Spektren ergab, daß die beiden Lichtpunkte den Quasaren zugerechnet werden müssen und etwa zehn Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Sie stehen daher von der Erde aus gesehen nicht nur in der gleichen Richtung am Himmel, sondern auch in der gleichen Entfernung - sind also räumlich offenbar eng benachbart. Dies allein war schon ein ungewöhnlicher Beobachtungsbefund, da man bislang keine so enge Nachbarschaft von Quasaren kannte. Quasare - so vermuten die meisten Astronomen heute - sind weit entfernte Objekte, die möglicherweise eine Vorstufe bei der Entstehung von Galaxien darstellen. Man beobachtet sie nur in sehr großen Entfernungen und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem das Universum noch nicht sehr alt war. Die rund 1500 bekannten Quasare sind (mit dieser Ausnahme) mehr oder minder gleichmäßig über den gesamten Himmel verteilt. Walsh und Carswell griffen daher auf die Überlegungen Albert Einsteins aus dem Jahre 1915 zurück, der den Einfluß von Schwerefeldern auf die Ausbreitung des Lichts vorhergesagt hatte, und gaben als Erklärung für diese „Quasarzwillinge" den Einfluß einer noch unentdeckten Milchstraße an, die das Licht eines in Wahrheit einzigen Objektes in zwei Bilder aufspalten sollte. Die enge Nachbarschaft und die nahezu identischen Spektren der beiden Lichtpunkte konnten Skeptiker unter den 125
Astronomen zunächst jedoch nicht überzeugen. Auch der inzwischen gelungene Nachweis einer elliptischen Galaxie, die etwa auf halbem Wege zwischen der Erde und dem Doppelquasar liegt, vermochte ihre Zweifel nicht völlig auszuräumen: Was ihnen fehlte, war eine Übereinstimmung auch im Aussehen der beiden Objekte. Hier aber waren die Astronomen mit ihren Lichtteleskopen überfordert, da sie bei den nahezu punktförmigen Strahlungsquellen keine Einzelheiten mehr erkennen können. Einen Ausweg bot einzig die internationale Zusammenschaltung mehrerer Radioteleskope. Da das Auflösungsvermögen eines Fernrohres ganz entscheidend auch vom Durchmesser der Auffangfläche abhängt, kann man durch die Verbindung mehrerer Instrumente selbst interkontinentale „Antennengrößen" simulieren und so eine „Trennschärfe" erreichen, die rund tausendmal besser ist als die des größten optischen Fernrohres. Mehrere solche Messungen wurden durch Zusammenschaltung des Bonner 100-Meter-Radioteleskops bei Effelsberg in der Eifel und der 76-Meter-Antenne in Jodrell Bank (England) unternommen. Diese beiden größten vollbeweglichen Radioantennen waren nach Aussage von Dr. Richard W. Porcas, der die Arbeiten in Effelsberg leitete, notwendig, um die schwachen Signale der beiden Strahlungsquellen aufzufangen. Wäre die Intensität der ankommenden «Strahlung nur dreimal schwächer gewesen, dann wären die Signale im allgemeinen Rauschen untergegangen. Parallelmessungen mit einem amerikanischen und einem schwedischen Radioteleskop konnten daher nicht viel zu der Arbeit beitragen. Die komplizierte Auswertung der Messungen, die ebenfalls am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie vorgenommen wurde, brachte dann den entscheidenden Beweis für die Wirkung einer Gravitationslinse: Beide Quasare haben nicht nur das gleiche optische Spektrum, sondern auch die gleiche Radio-Struktur: Sie bestehen beide aus je einer punktförmigen Strahlungsquelle und einem davon getrennt erscheinenden länglichen Gebiet, wie es für viele Quasare typisch zu sein scheint; dabei sind die „Einzelteile" in beiden Fällen nahezu gleich groß, und die Strahlungs„keulen" sind parallel zueinander ausgerichtet. Nach Ansicht von Porcas dürfte diese identische Detailstruktur der beiden Objekte auch die letzten Zweifler davon überzeugen, daß man es hier mit Abbildern ein und desselben Objektes zu tun hat, auch wenn die Theoretiker eigentlich eine 126
ungerade Zahl von Bildern erwarten; sie sind bei ihren Überlegungen bislang immer von der Schwerewirkung einer einzigen Milchstraße ausgegangen, doch ist durchaus denkbar, daß diese Galaxie nur das hellste Mitglied eines ganzen Galaxienhaufens ist, dessen gesammelte Gravitationswirkung die Strahlung auf dem Weg zu uns in nicht ganz so einfacher Art und Weise beeinflußt. Das Universum ist auch hier noch für weitere Überraschungen gut. Hermann-Michael Hahn
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Hinter dem Energie-Rätsel der gewaltigen Radiogalaxien des Weltalls stand bisher auch das Geheimnis um ihre eigentlichen Strahlungsquellen. Denn diese liegen keineswegs in den Sternsystemen selbst, sondern oft Millionen Lichtjahre davon entfernt im „Nichts":
Die stärksten Funkfeuer des Universums Schon die „astronomischen" Entfernungen sind Inbegriff der kaum vorstellbaren Wirklichkeiten des Universums. Noch mehr wird unsere Vorstellungskraft aber durch Feststellungen wie jene strapaziert, daß die „Sendeleistung" der Radiogalaxie Cygnus A in Kilowatt durch eine Eins mit 35 Nullen (1035) ausgedrückt werden muß. Obwohl dieses Sternsystem wiederum eine Eins mit 22 Nullen Kilometer oder rund eine Milliarde Lichtjahre von uns entfernt ist, ist es für die Astronomen doch die stärkste Strahlungsquelle außerhalb der Milchstraße. Was es mit dem merkwürdigen „Nichts" auf sich hat, aus dem die eigentliche Strahlung kommt, und wieweit die damit zusammenhängenden Fragen inzwischen gelöst werden konnten, schildert Professor Wolfgang Priester vom Institut für Astrophysik der Universität Bonn. Es stand zwar schon seit längerem fest, daß diese gewaltigen „Funkfeuer" nicht von den Sternen dieser Systeme ausgehen und deshalb auch nicht mit den Atomkernverschmelzungsreaktionen in deren Innerem zusammenhängen. Sie werden vielmehr von einer enormen Menge äußerst energiereicher Elektronen abgestrahlt, die sich mit der Wucht von Milliarden bis mindestens Billionen Elektronvolt fast lichtschnell durch den Raum bewegen und zugleich durch gewaltige Magnetfelder zusammengehalten werden. Da es gleichsam eine natürliche Eigenschaft der Elektronen ist, mit Energieabstrahlung auf jede Kraft zu reagieren, die sie von ihren Bahnen ablenkt und damit Beschleunigungen aussetzt, ist auch ihre Wechselwirkung mit den Magnetfeldern als Ursache dieser Strahlungsaussendung erklärt. Ganz anders sah es dagegen lange mit der Klärung der Ursachen aus, die eine solche Situation in der Nachbarschaft eines Sternsystems erst ermöglichen können. Diese sogenannte Synchrotronstrahlung hochenergetischer Elektronen entsteht bei vielen Radiogalaxien in zwei Berei128
chen, die wie zwei langgestreckte „Wolken" aus zwei einander gegenüber liegenden Seiten dieser Sternsysteme auszulaufen scheinen. Sie sehen aus wie mit höchster Geschwindigkeit verzischende Dampfstrahlen, und ihre allmählich breiter werdenden „Ausströmkeulen" reichen oft mehrere Millionen Lichtjahre in das Weltall hinaus. Man hat zwar schon seit Jahren vermutet, daß diese sogenannten „Jets" auf katastrophale Vorgänge im Inneren der Radiogalaxien zurückzuführen sind, doch bereitete die unvorstellbare Größe dieser Vorgänge bei der Aufklärung der „treibenden Kraft" die größten Schwierigkeiten. Aus der Energiebilanz der Radiostrahlen und den Strukturen der Strahlungsverteilung folgte indessen einerseits, daß diese Energiequellen im Zentrum der jeweiligen Galaxie liegen müssen. Andererseits ergab sich aus der Größe der ausgestrahlten Energie wiederum zwingend, daß dieses zentrale Objekt ungeheuerlich verdichtet sein und eine Masse von mindestens 100 Millionen Sonnenmassen haben muß. Nun ergeben 100 Millionen Sonnenmassen in Tonnen ausgedrückt schon wieder eine Eins mit 35 Nullen - und solche Objekte können nach Priester dann durch den Schwerkraftstrudel im Gravitationszentrum großer Sternsysteme entstehen, wenn Sterne von insgesamt mehr als 100 Millionen Sonnenmassen der Katastrophe eines gravitativen Kollapses erlegen und in einem „sehr massereichen Schwarzen Loch" untergegangen sind, die als Typ künftig nicht mehr „Schwarze Löcher 2. Art", sondern Schwarzschild-Objekte genannt werden sollen. Wenige Monate vor seinem Tod hat Karl Schwarzschild (1873-1916) als erster Theoretiker aus wesentlichen Elementen der damals brandneuen Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins schon das unvorstellbare Schicksal jener ausgebrannten Sterne errechnet, die mindestens dreimal so „schwer" wie unsere Sonne sein müssen. Wenn ihre nukleare Brennenergie verbaucht ist, geht es nämlich auch mit jenem grandiosen Balanceakt zu Ende, der ihre bisherige Form im Gleichgewicht zwischen dem nach außen gerichteten Explosionsdruck der Kernreaktionen und der nach innen gerichteten allseitigen Schraubstockwirkung der Schwerkraft aufrecht erhielt. Sie fallen dann schier endlos immer weiter in sich zusammen, so daß beispielsweise ein Stern von dreifacher Sonnenmasse zu einem Gebilde von weniger als zehn Kilometer Durchmesser schrumpfen kann, wobei seine Materie und auch ihr Schwerefeld in unvorstellbarer Weise konzentriert werden. 129
Buchstäblich in einer Sackgasse des Universums endet ein solcher Stern von drei Sonnenmassen rechnerisch dann, wenn er den sogenannten Schwarzschild-Radius erreicht hat, der in diesem Falle bei etwa 4,5 Kilometer liegt. Dann ist die Schwerkraft-„Konzentration" an seiner Oberfläche so groß geworden, daß nicht einmal mehr Licht und andere elektromagnetische Wellen von ihr loskommen können: Das Objekt verschwindet dann als Schwarzes Loch hinter seinem nun undurchdringbaren Schwerkraft-Vorhang, während die Schwerkraft allein weiter in den Raum hinausgreift und wie ein Strudel alles an sich reißt, was in ihre Reichweite kommt. Dabei kommt es wiederum zu einer ganzen Reihe naturgesetzlicher Effekte, in deren Verlauf viel Energie freigesetzt wird. Nur diese Effekte sind es wiederum, die ein Schwarzes Loch für die Astronomen „sichtbar" machen können, während ein sozusagen „alleinstehendes" Schwarzes Loch grundsätzlich nicht beobachtet werden kann. Die Wechselwirkungen der gewaltigen Schwarzschild-Objekte mit der Materie der Radiogalaxien sind also die Energielieferanten für die größten „Funkfeuer" unseres Universums. Priester verdeutlicht das mit der Erklärung, daß ein Teil des ständig in ein solches Schwarzschild-Objekt in Form eines Strudeis einströmenden Gases von einem mitrotierenden Magnetfeld auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird. Dabei werden die Elektronen in zwei „Jets" nach diametral gegenüberliegenden Richtungen aus dem Schwarzschild-Objekt ausgestoßen. Sie laufen in den beobachteten Zwillingsstrahlen aus der Muttergalaxie aus, bis zu den oft viele 100000 Lichtjahre entfernten eigentlichen Strahlungsquellen, denen so ständig neue Energie zugeführt wird. Bei mehreren Radiogalaxien konnten diese scharf gebündelten Elektronenstrahlen-Jets im Bereich der ZentimeterRadiowellen bereits nachgewiesen werden. Wie Priester meint, ist damit „auch die Indizien-Beweiskette geschlossen für die Energieversorgung aus dem zentralen SchwarzschildObjekt bis hin zu den weit außerhalb der ,Muttergalaxie' liegenden äußeren Radio-Strahlungsquellen". Rolf H. Simen
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Für die antiken Griechen war die Sonne ein makelloses Feuer, Galileo Galilei entdeckte auf ihrer Oberfläche „Warzen und Runzeln", für die nukleare Astrophysik der Gegenwart stellt sie noch immer eine ziemlich unbekannte Größe dar. Es gab sogar Meldungen über eine mögliche Erkaltung unseres lebensspendenden Zentralgestirns, die überall Aufmerksamkeit erregten:
Ist die Sonne wirklich am Ende? Was von solchen Meldungen wirklich zu halten ist, hat Professor Claus Rolfs von der Universität Münster nach dem aktuellen Wissensstand der Sonnenphysik kommentiert. Über die Sonnenoberfläche wissen die Fachleute recht genau Bescheid. Ihre Größe, Temperatur und Abstrahlung sind exakt bekannt. Was sich aber im Sonneninneren abspielt, darüber gibt es bisher nur Modellvorstellungen. Zu ihnen werden als gültige Prinzipien unter anderem angenommen, daß die Sonnenenergie aus thermonuklearen Prozessen entsteht, die Energietransporte durch Strahlung und Strömungen erfolgen und die chemischen Vorgänge im Inneren und auf der Oberfläche der Sonne die gleichen sind. Daraus ergeben sich geradezu phantastische Werte für den inneren Zustand der Sonne: ein Druck von 225 Milliarden bar und eine Temperatur von 15 Millionen Kelvin. Als hauptsächliche Energiequelle kann auf Grund dieser Annahmen die „Proton-Proton Kette" angenommen werden, also die Kernfusion von Wasserstoff zu Helium und schwereren Elementen. Diese Vorstellungen sind die Ergebnisse wohldurchdachter Theorien und Berechnungen. Ihnen fehlt aber ein in der üblichen physikalischen Praxis entscheidendes Merkmal: der experimentelle Beweis. Und genau damit gibt es Schwierigkeiten. Die Vorgänge an der Sonnenoberfläche können uns zur Deutung des inneren Geschehens kaum weiterhelfen. Was heute auf der Außenhaut der Sonne zu sehen ist, hat seinen Ursprung vor einer Million Jahren rund 700000 Kilometer tiefer in ihrem Inneren gehabt! Erst nach dieser Zeitspanne sind die Ergebnisse der Energieumwandlung an die Oberfläche gedrungen. Und auch das nur in einer indirekten Form, weil sich aus optischen Beobachtungen keine direkten Rückschlüsse auf Nuklearreaktionen 131
ziehen lassen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma hatten Wissenschaftler aus aller Welt bereits Anfang der siebziger Jahre mit Hilfe anderer „Spione" aus dem Sonneninneren gesucht, mit den Neutrinos. Neutrinos sind - salopp ausgedrückt - Teilchen ohne Eigenschaften. Sie haben (wahrscheinlich) keine Masse, tragen keine Ladung und treten nur sehr schwach mit anderen Teilchen in Wechselwirkung. • Anders als „echte Masseteilchen", die auf dem Weg vom Sonnenkern zur Oberfläche mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen ein anderes Teilchen prallen und aufgehalten würden, und anders als geladenen Teilchen, die auf diesem Wege auf einen Gegenpol stoßen und eingefangen würden, passiert das nur einem Bruchteil der Neutrinos. Die weit überwiegende Zahl dieser Teilchen durchdringt jedoch die Sonne, als ob sie nicht vorhanden wäre und verschwindet mit Lichtgeschwindigkeit im All. Tatsächlich müßten bei den erwähnten und von den Sonnenforschern angenommenen Nuklearreaktionen Neutrinos in riesiger Zahl entstehen, etwa 2 x 1038 in jeder Sekunde, von denen immerhin 60 Milliarden auf jedem Quadratzentimeter unserer Erde auftreffen müßten. Der Weg zur Erforschung des Sonneninneren schien damit vorgezeichnet zu sein: Man weise die Neutrinos der Kernreaktionen in der Sonne nach. Wegen der schwachen Wechselwirkung der Neutrinos, die sie alle Materie mühelos und ohne dort „anzurempeln" durchdringen läßt, ist allerdings dieser Nachweis nicht ganz einfach. Der amerikanische Physiker Davies lagerte bereits 1970 in einem 1,5 Kilometer unter der Erdoberfläche liegenden Bergwerk 620 Tonnen des Chlorisotops Chlor 37 ein, um, unter Ausschluß anderer kosmischer Strahlungen, täglich einige wenige Atome Bor zu suchen, die als Folge eines Neutrino-Einfangs aus dem Chlor entstehen müßten. Diese Messungen wurden von 1971 bis 1978 sorgfältigst durchgeführt und verblüfften mit ihren Resultaten damals die Fachwelt. Nachzuweisen war innerhalb der Fehlergrenzen recht genau die Hälfte der theoretisch zu erwartenden Neutrinos. Weil prinzipielle Fehler an der Meßmethode auszuschließen waren, begannen die Fragen und eben auch Spekulationen erneut: Ist die Energiephysik der Sonne falsch eingeschätzt worden? Haben Neutrinos uns bisher unbekannte Eigenschaften? Oder sind gar alle Theorien richtig, die Sonne aber im Stadium des Ausbrennens? Das würde einem Erkalten unseres Energiespeichers gleichkommen und damit einem Ende des irdischen 132
Lebens. Die Münsteraner Gruppe hat sich, ebenso wie andere Institute in Stuttgart und Toronto, Kanada, zunächst einmal mit den Eingangsvoraussetzungen der Fragestellung befaßt. Als schwächste Stelle entdeckten sie die theoretischen Voraussagen der Neutrinozahl, die unter den angenommenen Verhältnissen innerhalb eines bestimmten Energiespektrums zu erwarten war. Sie beruhten auf älteren Arbeiten, waren Ergebnisse heute technisch überholter Meßmethoden. Da auf der Erde die Verhältnisse im Sonneninnern experimentell nicht nachvollziehbar sind, waren die Voraussagen zudem Extrapolationen mit einer weiten Fehlergrenze. Ohne Extrapolationen können aus besagtem Grund natürlich auch heute keine Voraussagen gemacht werden, aber die Meßwerte, mit neuen, aufwendigen Experimenten gewonnen, gestatten eine weitaus besser gesicherte Prognose. Nach diesen Ergebnissen war die ursprünglich angenommene Neutrinozahl viel zu groß, während die tatsächlich gemessene Neutrinohäufigkeit nun wenigstens halbwegs mit der theoretischen übereinstimmt. Selbstkritisch geben die Forscher aber auch Hinweise auf immer noch vorhandene Fehlerquellen: So sind die Winkelverteilung der Neutrinostrahlung und der Wirkungsquerschnitt im Wechselwirkungsbereich noch zu ungenau bestimmt, um absolute Aussagen machen zu können. Immerhin kann mit sicherlich beruhigender Wirkung festgestellt werden, daß die Gefahr einer neuen Eiszeit, angezeigt durch fehlende Sonnenneutrinos, nicht besteht! Dr. Ulrich Hoppe
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Zu den Gefahren des Weltraums für das menschliche Leben gehört vor allem der kosmische Strahlung genannte Strom hochenergetischer Teilchen aus den Tiefen des Milchstraßensystems. Er würde jedes Leben auf der Erde unmöglich machen, wenn deren Magnetfeld nicht Schutz bieten würde. Es wird allerdings durch eine jetzt entdeckte, wesentlich weiter entfernte magnetische Abschirmung unterstützt. Denn:
Der Weltraum ist noch gefährlicher Erste Hinweise auf einen im gesamten Sonnensystem wirksamen „Strahlenschutz" durch den von der Sonne kommenden Teilchenstrom des „Sonnenwinds" wurden erst im Zusammenhang mit der Beobachtung von sogenannten „Forbush"-Zusammenbrüchen der kosmischen Strahlung wahrgenommen. Dieses erstmals 1937 von S.E. Forbush entdeckte Phänomen zeitweise starker Rückgänge der erdbodennahen kosmischen Strahlung, gekoppelt mit starken Störungen des erdmagnetischen Feldes, konnte inzwischen erklärt werden. Es sind Auswirkungen eines im Zusammenhang mit Aktivitätserscheinungen auf der Sonne plötzlich stark gestörten Sonnenwindes, der dabei einerseits das erdmagnetische Feld in dessen Außenzonen verdichtet und andererseits das Eindringen der kosmischen Strahlung ins innere Sonnensystem in besonderem Maße behindert. Da die Häufigkeit von solaren Aktivitätsereignissen einem elfjährigen Zyklus folgt, wird auch klar, warum die kosmische Strahlung einer in gleichem „Takt" verlaufenden Intensitätsschwankung unterworfen ist. Das genaue Ausmaß der Beeinflussung der kosmischen Strahlung durch den Sonnenwind ist jedoch bis heute nicht klar gewesen. Lediglich die grundsätzlichen Zusammenhänge dieser Beeinflussung schienen verstanden: Der Sonnenwind transportiert ein ihm eigenes Magnetfeld mit nach außen, von dem die geladenen Teilchen der kosmischen Strahlung beeinflußt werden. Die komplizierte, räumlich und zeitlich veränderliche Gestalt dieses nach außen mitgenommenen Feldes führt zu einer Reihe einander überlagerter Bewegungserscheinungen, die in ihrem Zusammenspiel zu seltsamen Erscheinungen führen können. Das entdeckte eine Wissenschaftlergruppe des Max-PlanckInstituts für Extraterrestrische Physik in Garching bei 134
München mit ihren Detektoren an Bord der Raumsonden „Helios I" und „Helios II". Sie stellte fest, daß die Elemente Helium, Stickstoff und Sauerstoff im mittleren Energiebereich der kosmischen Strahlung sehr viel häufiger als sonst auftreten. Man nimmt heute an, daß der Sonnenwind diese abnorme Zusammensetzung seiner sogenannten Zweitkomponente selbst aus Gasen aufbaut, die als zunächst neutrale Teilchen von außen ins Sonnensystem eindringen, dort elektrisch aufgeladen und dann vom Magnetfeld des Sonnenwinds auf hohe Energien beschleunigt werden. Das Schicksal der Erstkomponente der kosmischen Strahlung im System der Sonnenwindmagnetfelder war im Gegensatz dazu bisher weit weniger bekannt, ist andererseits jedoch von extremer Wichtigkeit, weil er Schlüsse auf die Art der kosmischen Strahlung außerhalb des Sonnensystems zulassen würde, was natürlich zahllose Konsequenzen für die Erklärung ihrer Herkunft hätte. Hier haben sich nun in jüngster Zeit einige Schleier lüften lassen. Durch die Messungen der Teilchendetektoren an Bord der NASA-Raumsonde „Pioneer 10", die sich bereits 1982 in einer Entfernung bewegte, die mehr als dem 24fachen des Erdabstandes von der Sonne (rund 150 Millionen Kilometer) entsprach, entsteht nunmehr ein klares Bild über das Ausmaß der Strahlungsbeeinflussung in den Außenbereichen des Sonnensystems. Wie die für diese Messungen verantwortlichen Wissenschaftler des Hochenergie-Astrophysik-Laboratoriums des Goddard Space Flight Centers in Greenbelt, Maryland, USA, berichteten, zeigen die „Pioneer 10"-Messungen im Vergleich zu gleichzeitig mit den „Helios"-Sonden im Erdabstand durchgeführten Messungen einen drastischen Anstieg der Intensität der kosmischen Strahlung um mehr als das Dreifache bei Sonnenabständen jenseits der Uranusbahn. Gleichzeitig wurde festgestellt, daß die Strahlungsintensität selbst bei solch großen Sonnenabständen immer noch von „Forbush-Zusammenbrüchen" gekennzeichnet ist, die dort draußen mit einer charakteristischen Verzögerungszeit von zweieinhalb Monaten entsprechenden Forbushereignissen an der Erde folgen. Dieser Befund besagt eindeutig, daß der Sonnenwind die für diese Intensitätseinbrüche verantwortlichen Sonnenwindstörungen mit einer mittleren Geschwindigkeit von 550 Kilometer je Sekunde bis über die Uranusbahn hinaustransportiert. Zur Zeit besonders starker kosmischer Strahlung, wenn die Sonne am wenigsten Flecken zeigt, ist die Strahlungsintensität an der Erde rund dreimal höher als zur Tiefzeit der Strahlung 135
während des Sonnenfleckenmaximums in der Gegend der Uranusbahn. Hieraus geht hervor, daß die wesentliche Beeinflussung der kosmischen Strahlung, zumindest bei höchster Sonnenfleckenaktivität, weit jenseits der Uranusbahn verursacht wird, vielleicht beim 50- bis lOOfachen Erdabstand. Aus dieser Erkenntnis schließen die Wissenschaftler, daß die kosmische Strahlung jenseits der Grenzen des Sonnensystems sicherlich um den Faktor Zehn höhere Intensitäten als an der Erde aufweist, daß jedoch bereits die Außenbereiche des Sonnensystems, also auch die äußeren Planeten, vor dieser starken Strahlung sehr wirkungsvoll geschützt sind. Professor Dr. Hans-Jörg Fahr
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GESCHICHTE, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
TECHNIK UND BIOTECHNIK ______________________________ Von „fleißigen" Mikroben und „nachwachsenden" Super-Computern
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Moderne Heinzelmännchen des Bergbaus könnten manche düstere Aussicht auf die dahinschwindenden Rohstoffvorräte der Erde wieder aufhellen, weil sie auch dort noch „fündig" werden, wo man bis heute nur nutzlosen Abfall vermuten mußte:
Mikroben heben Metallschätze Aufsehen erregte der Anfang der siebziger Jahre erschienene Bericht des „Club of Rome" mit seiner Rechnung, daß die damals bekannten Rohstoffvorräte der Erde für Aluminium nur noch 31 Jahre, für Kupfer 21 Jahre, für Eisen 93 Jahre, für Blei 21 Jahre, für Nickel 53 Jahre, für Silber 13 Jahre, für Zinn 15 Jahre, für Wolfram 28 Jahre und für Zink 18 Jahre reichen, wenn man die in der Vergangenheit üblichen Verbrauchssteigerungen zugrunde legt. Auch wenn vieles dafür spricht, daß das Ende der Metallrohstoffvorräte der Welt heute noch keineswegs in Sicht oder überhaupt errechenbar ist, ist dennoch in Zukunft mit gewissen Engpässen bei der Rohstoffversorgung zu rechnen. Das Problem ist dabei weniger ein grundsätzlicher Rohstoffmangel, weil es neben zahlreichen noch unentdeckten Lagerstätten auch eine Vielzahl von solchen Vorkommen gibt, die wegen ihres geringen Metallgehaltes bisher nicht als abbauwürdig gelten, als vielmehr die wirtschaftliche Gewinnung der RohStoffe: Je ärmer beispielsweise die Erze in ihrem Metallgehalt werden, desto wichtiger wird die Suche nach energiesparenden Abbau- und Aufbereitungsverfahren. Dazu zählt auch der Einsatz von Mikroorganismen zur Gewinnung metallischer Rohstoffe. Diese modernen Heinzelmännchen des Bergbaus könnten helfen, jene Metallschätze zu heben, deren normaler Abbau aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist. Entsprechende Verfahren werden vor allem in den USA, Kanada, Australien und in der Sowjetunion bereits großtechnisch zur Gewinnung von Kupfer und Uran eingesetzt. Allein in den USA wurden bereits in den siebziger Jahren jährlich über 200 000 Tonnen Kupfer mit Hilfe mikrobieller Laugungsverfahren, dem sogenannten bakteriellen Leaching, gewonnen. Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland, die mit einem Anteil von etwa zehn Prozent am Verbrauch der gesamten Weltbergbauproduktion drittgrößter Rohstoffver138
braucher der Welt ist, sollen sich Mikroben bei der Metallgewinnung nützlich machen. Die mögliche Eignung von uranhaltigen Erzen aus deutschen Lagerstätten für einen derartigen Abbau wird in kleinem Maßstab bereits erprobt. Die entsprechenden technischen Verfahren bei der mikrobiellen Nutzung von Armerzen gehen auf Vorgänge bei der biologischen Verwitterung von Gesteinen und Erzen jeder Art zurück. In der Natur besiedeln Bakterien, aber auch Pilze, alle offenliegenden Gesteinsflächen, beispielsweise Erzhalden, die längere Zeit im Freien lagern. Bestimmte Bakterien aus der Gruppe der Thiobakterien beteiligen sich an der Verwitterungstätigkeit besonders emsig. Eine Art, Thiobacillus thiooxidans, ist dabei in der Lage, aus schwefelhaltigem Erz Schwefelsäure zu produzieren, die wiederum das Uran oder ein anderes Metall aus dem Erz laugt. Eine andere Art, Thiobacillus ferrooxidans, sorgt dafür, daß zweiwertiges Eisen zu dreiwertigem oxidiert wird. Das ebenso wie die Schwefelsäure bakteriell gelieferte dreiwertige Eisen bewirkt schließlich den Oxidationsvorgang beim Uran. Bei der mikrobiellen Erzaufbereitung werden solche natürlichen Verwitterungsvorgänge nachgeahmt. Das mit normalen bergmännischen Methoden abgebaute und durch Sprengung so zubereitete Erz, daß die bakteriell erzeugte Lösung an das in haarfeinen Rissen versteckt liegende Uran herankommt, wird beispielsweise auf Halde gelagert, mit entsprechenden Mikroben „infiziert" und ständig berieselt. Zu Beginn kann man noch Chemikalien hinzugeben, um die Anfangsreaktion zu beschleunigen. Dann wird die metallhaltige Sickerwasserlösung im Dauerbetrieb umgepumpt, bis sie mit Uran so stark angereichert ist, daß das begehrte Metall mit normalen Methoden extrahiert werden kann. Denkbar ist aber auch, direkt unter Tage zu laugen. Dabei sprengt man von oben das Erz in einen leergeräumten Stollen hinein und läßt dann die Lösung durch das poröse Erz laufen. Mikrobielle Laugungsverfahren würden unter Umständen auch, nachdem der konventionelle Bergbau von Kupferschiefer in der Bundesrepublik Deutschland aus Rentabilitätsgründen eingestellt worden ist, einen Rückgriff auf die rund zwölf Millionen Tonnen Kupfer erlauben, die noch immer in den deutschen Kupferschiefervorkommen stecken. Auch bei der Gewinnung von Wertmetallen aus Haldenbeständen und Industrierückständen, die mit konventionellen Verfahren häufig unrentabel ist, könnten Mikroben wertvolle Dienste leisten. 139
Allein die Halden im Harz, die durch einen jahrhundertelangen Bergbau entstanden sind, enthalten mehrere Millionen Tonnen Material wie beispielsweise bis zu zehn Prozent Zink. Durch die Entwicklung geeigneter mikrobieller Laugungsverfahren ließen sich aus diesen Halden wertvolle Rohstoffe gewinnen. Auf diese Weise könnte auch eine mögliche Umweltbelastung durch die unkontrollierte Freisetzung von Schwermetallen wie Blei, die durch natürlich vorkommende bakterielle Laugung verursacht wird, vermieden oder verringert werden. Karl-Heinz Preuß
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Mikroorganismen sind heute die Zauberkünstler der modernen Chemie und Biochemie. Ihr Stoffwechsel löst oft die kompliziertesten Probleme des Aufund Abbaus organischer Substanzen. Wer sie braucht, kann in Braunschweig ein paar Millionen bestellen. Dort liegen ganze
Mikrobenheere im Kälteschlaf Die Deutsche Sammlung von Mikroorganismen (DSM) ist seit Oktober 1981 eine Niederlegungsbehörde im Sinne des Budapester Vertrages von 1977: Sie kann deshalb mit Wirkung für die ganze Welt Bakterien und Pilze, die entweder patentiert sind oder mit denen patentierte Verfahren durchgeführt werden, in „Dauerverwahrung" nehmen. Derartige Mikrobensammlungen gibt es schon seit Anfang dieses Jahrhunderts. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Biotechnologie, angeregt durch den Erfolg der mit Schimmelpilzen produzierten Antibiotika, in den Industrieländern der ganzen Welt ihren Aufschwung nahm, wurde es immer wichtiger, die hilfreichen Mikroben auch für lange Zeit zu konservieren: Ihre Erbsubstanz steht damit für zukünftige Züchtungen zur Verfügung. Forscher oder Firmen, die irgendwelche mikrobiologischen oder biotechnologischen Probleme zu lösen haben, können aus den Sammlungen die benötigten Stämme beziehen - gegebenenfalls unter Lizenzzahlung. Für diese Zwecke wurden in aller Welt sogenannte ServiceSammlungen, zu denen auch die bis 1987 in Göttingen angesiedelte DSM gehört, geschaffen, die weitergehende Aufgaben haben als die kleinen zweckgebundenen Sammlungen einzelner Institute oder Industrielaboratorien. Sie sind sozusagen »Treuhänder der Öffentlichkeit" für Mikroben - außerdem sind sie Hinterlegungsstelle für Patente, die eine Produktion mit Mikroben vorsehen (etwa die Herstellung neuer Antibiotika), und Hinterlegungsstelle für Mikroben, die selbst patentiert sind. Wie sehr die „Flut der Mikroben" mit der stürmischen Ausweitung der Mikrobiologie zugenommen hat, illustriert die Tatsache, daß in Braunschweig beispielsweise 1987 602 neue Mikroorganismen in die Sammlung aufgenommen und 6294 Kulturen aus dem Bestand an die verschiedensten Labors in Forschung und Industrie ausgeliefert worden sind. Etwa zwei Fünftel der „hinterlegten" Mikroben sind Pilze und Hefen, drei Fünftel Bakterien. Seit 1987 wurde die Sammlungstätigkeit zudem auf die Gebiete Plasmide, Pflanzenviren 141
und pflanzliche Zellkulturen ausgedehnt. Nur ein ganz kleiner Teil der Billionen Mikroben (von den meisten Formen hat man einige Milliarden Zellen in der Sammlung vorrätig) wird lebend aufbewahrt und bedarf ständiger Fütterung (auf Nährböden) und Betreuung (durch Überimpfen auf neue Nährböden im Rhythmus von Tagen, Wochen oder Monaten). Das sind die Probleminsassen der DSM, für die bisher noch keine geeignete Dauerkonservierung gefunden wurde. Im Normalfall existieren diese Zellen im Dauer-Kälteschlaf für unbegrenzte Zeit weiter: Entweder werden sie bei 40 bis 50 Grad Celsius unter Null gefriergetrocknet (lyophiliert) und können dann bei Temperaturen von acht Grad aufbewahrt werden, oder sie werden in flüssigem Stickstoff bei 196 Grad unter Null aufbewahrt. Ein ganz kleiner Teil, gewisse Pilze, kann noch etwas einfacher in Glyzerin bei minus 20 Grad Celsius konserviert werden. Einige Hundert Stämme der „eingelagerten" Mikroorganismen sind für die Sicherung von patentierten Verfahren hinterlegt worden; 1987 waren es zum Beispiel 176 neue. Denn diese Verfahren müssen voll „nachzuarbeiten" sein, also jederzeit wiederholt werden können. Und das ist nur möglich, wenn das „Werkzeug" dazu jederzeit (mindestens für die Geltungsdauer des Patents von 30 Jahren) gesichert gegen Umwelteinflüsse und genetische Veränderung oder gegen Verfälschung zur Verfügung steht. Einer der „Stars" unter den deponierten Mikroben ist das erste in der Bundesrepublik Deutschland selbst patentierte Bakterium „Lactobacillus bavaricus". Es vergärt Zuckerstoffe zu einem bestimmten Typ Milchsäure und wird zum Säuern von Gemüse verwendet, etwa für saure Gurken oder die Sauerkraut-Herstellung. Dafür benutzt man solche Lactobazillen zwar schon immer. Doch den Mikrobiologen der Bad Sodener Firma, die das Patent hat, gelang es, aus der Fülle der sonst benutzten „wilden" oder „halbwilden" Stämme einen Stamm zu isolieren, der die Milchsäureerzeugung noch unterhalb von zehn Grad Celsius über Null optimal leistet. Das sind Temperaturen, bei denen die normalerweise für die Säuerung benutzten Mikrobenfloren andere Säureformen liefern, zum Beispiel Milchsäure D, und nicht die von dem „Patentbakterium" erzeugte Milchsäure L, die vom Körper besonders gut verwertet wird. Dieser patentierte „Lactobacillus bavaricus" ist allerdings kein vom Menschen geschaffenes neues Lebewesen, sondern 142
eine bisher unbekannt gebliebene Form der Lactobazillen, die isoliert und in Kultur genommen wurde. Trotz eines positiven Entscheids des Bundespatentgerichts in diesem Fall sind sich die Mikrobiologen nicht einig, ob man solche „Naturorganismen" weiterhin patentieren kann. In den USA wurde denn auch vom Obersten Gerichtshof eine Entscheidung getroffen, nach der nur Mikroorganismen patentiert werden dürfen, die durch den Erfinder genetisch manipuliert und dadurch so weit verändert wurden, daß sie nicht mehr als natürliche Organismen angesehen werden können. Dr. Harald Steinen
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Sechstausend Jahre lang war der Wind über den Ozeanen die natürliche Antriebskraft für den Seetransport, bis die Frachtsegler den Dampfschiffen unterlagen. Doch als Mitte der siebziger Jahre drastisch steigende Energiepreise die Menschheit schockierten, wurde diese unerschöpfliche Energiequelle „wiederentdeckt":
Mit vollem Wind über die sieben Meere Mit den steigenden Ölpreisen begannen die Schiffahrtsnationen der Welt wieder intensiv über den Windantrieb nachzudenken: So entstanden auch immer wieder Vorschläge für neue Windenergieschiffe. Sie reichen von Detailverbesserungen an traditionellen Systemen bis zu sogenannten „Windmühlenschiffen" mit modernen Windturbinen, die einen normalen Schiffpropeller antreiben. Eine der interessantesten Ideen stammt von dem 1976 verstorbenen Hamburger Ingenieur Wilhelm Prölss, der in fast zwanzigjähriger Arbeit das Konzept eines neuzeitlichen Windenergieschiffes ausgearbeitet hat. Sein „Dynaschiff" ist eine Weiterentwicklung des altbekannten Rahmen-Seglers, nutzt aber konsequent die in den letzten Jahrzehnten erzielten Fortschritte auf den Gebieten der Aerodynamik, Wetterkunde und Elektronik. Auch spätere Berechnungen im Institut für Schiffbau der Universität Hamburg bestätigten die Vorteile der „mittleren Technik" des Dynaschiff s. Der Übergang zu extrem komplizierten Techniken wie Seglern mit Windturbinen oder starren Profilflügeln aus der Luftfahrttechnik bringt« dagegen nach Ansicht von Dipl.-Ingenieur Peter Schenzle von der Hamburgischen Schiffbauversuchsanstalt, die bei diesen Untersuchungen mit dem Institut für Schiffbau zusammengearbeitet hat, nur noch geringe Vorteile, die überdies mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand erkauft werden müssen. Ein erster Entwurf des Dynaschiffs ist bereits vor Jahren auf dem Reißbrett realisiert worden: ein Massengutfrachter von ungefähr 17000 Tonnen Nutzlast, 150 Meter Länge, 20 Meter Breite, neun Meter Tiefgang und einer Segelfläche von 9600 Quadratmeter, die auf 30 Segel auf sechs drehbaren Masten verteilt sind. Die Einzelsegel sind ohne Zwischenräume oder Spalten so dicht aneinandergesetzt, daß dabei sechs durchgehende 144
Segelflächen entstehen. Dadurch und durch die Möglichkeit, für jeden Mast den optimalen Anstellwinkel zum Wind zu wählen, läßt sich der vom Wind erzeugte Schub gegenüber konventionellen Segelschiffen mehr als verdoppeln. Es gibt weder Taue für die Abstützung der Masten oder das Anstellen der Segel noch anderes „störendes Geschirr". Gewissermaßen auf Knopfdruck werden die im Mastinneren aufgerollten Segel ausgefahren. Die Takelage, die eher an moderne Flugzeugtragflächen erinnert, wird von der Brücke aus vollautomatisch ferngesteuert, und da der Wind selbst ja ebenfalls „automatisch" weht, kann gegenüber vergleichbaren Motor- oder Turbinenschiffen Besatzung eingespart werden. Bleibt der Wind trotzdem einmal aus, sorgen Hilfsaggregate für eine Weiterfahrt mit angemessener Geschwindigkeit. Im Hinblick auf die Geschwindigkeit können, wie die Hamburger Untersuchungen gezeigt haben, moderne windgetriebene Schiffe durchaus mit konventionellen Antrieben konkurrieren, vorausgesetzt, die Motorschiffe gehen mit dem Öl sparsam um. In den Jahren des billigen Ölangebots sind die Schiffsgeschwindigkeiten drastisch gestiegen. Während typische Frachtschiffe 1950 etwa zehn bis dreizehn Knoten liefen und ein großes „Dynaschiff" eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 11,5 Knoten erreicht, fahren heute typische Containerschiffe 20 bis 27 Knoten. Entsprechend hoch ist der Anstieg des Energiebedarfs. „In einer Welt ohne Energieverschwendung", meint Schenzle deshalb, „werden Motorschiffe auch nicht schneller fahren, als es mit Windenergie möglich ist." Karl-Heinz Preuß
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Die Energiekrise der siebziger Jahre beflügelte Techniker und Ingenieure auf vielen Gebieten. U-Bootbauer entwickelten einen kühnen Plan, nach dem Erdgas Europa auf ganz ungewöhnlichem Wege erreicht. In „Riesenschachteln" von 500 Meter Länge und 140000 Kubikmeter Fassungsvermögen, die von Alaska nach Norwegen, am Pol vorbei, getaucht auf Kurs gehen sollen:
Super-U-Boote für den Erdgastransport Der Vorschlag, flüssiges Erdgas in riesigen Unterseebooten unter der arktischen Eiskappe hindurch von Alaska nach Europa zu transportieren, wirkt zwar utopisch. Nach dem heutigen Stand der Technik wäre dies aber durchaus machbar: Die Fahrt unter dem Eis des Nordpolarmeeres ist heute fast schon Routine, und der Bau eines fast 500 Meter langen U-Bootes würde auch nach Meinung deutscher Schiffbauer nicht auf prinzipielle Schwierigkeiten stoßen. Das trotz seiner Realisierbarkeit kühne Projekt wurde vom amerikanischen Rüstungskonzern „General Dynamics" entwickelt und mit deutschen Werften diskutiert. Auf diese unkonventionelle Weise könnte Westeuropa, wenn die holländischen Erdgasquellen langsam versiegen, an die großen Erdgasvorkommen der Amerikaner „angeschlossen" werden, die unter anderem über eine noch nicht erschlossene Lagerstätte in der Prudhoe-Bay am Nordrand Alaskas verfügen, in der knapp 750 Milliarden Kubikmeter Gas vermutet werden. Da der Transport dieses Gases nach Europa aber auf herkömmlichem Weg, per Pipeline und Schiff, viel zu teuer wäre, hatte man nach anderen Möglichkeiten gesucht und war auf den Unter-Wasser-Transport gestoßen. Denn ein Unterseeboot kann von der Prudhoe-Bay auf einer fast geraden Linie dicht am Nordpol vorbei bis nach Norwegen fahren. Der Weg reduziert sich so auf rund 5000 Kilometer, was in etwa der Entfernung zwischen der Prudhoe-Bay und New York entspricht. Die Unterwassertanker, deren Konzept bereits im Detail entworfen wurde, könnten pro Fahrt 140000 Kubikmeter verflüssigtes Erdgas transportieren - ebensoviel wie die größten Überwasser-Erdgastanker. Sie haben bei einer Länge von fast 500 Meter die Gestalt einer gedrungenen Riesenschachtel mit abgerundeten Ecken. Denn ihre Breite beträgt respekta146
ble 70 Meter, ihre Höhe 30 Meter. Der Frachtraum der Unterwassertanker enthält drei nebeneinanderliegende Reihen zylindrischer Behälter. Die beiden äußeren Reihen nehmen das Erdgas auf, in jeder liegen drei mehr als 100 Meter lange Tanks mit einem Durchmesser von knapp 20 Meter hintereinander. Die mittlere Behälterreihe ist unter anderem zum Auffangen des verdampfenden Erdgases bestimmt, denn das flüssige Gas, das eine Temperatur von minus 163 Grad Celsius hat und während der Fahrt nicht gekühlt werden kann, muß drucklos transportiert werden, so daß trotz optimaler Isolation der Behälter ständig kleine Mengen verdampfen. Da der Frachtraum wasserdurchspült ist, sind die Behälter druckfest ausgelegt. Doch sehr hoch wird die Druckbelastung durch die Tauchtiefe nicht sein, denn das Eis des Nordpolarmeeres ist nur einige Meter dick, und tief ins Wasser ragende Eisberge sind mit modernen Sonargeräten leicht zu erkennen, so daß man ihnen ausweichen kann. Die Antriebsleistung läßt sich durch konventionelle Motoren erzeugen, doch auch ein Nuklearantrieb ist denkbar. Er böte sogar nicht unerhebliche Vorteile. Denn dann könnte der Tanker um rund 70 Meter verkürzt werden und mit etwa 15 Knoten auch etwas schneller laufen. Würden 28 solcher Unterwassertanker gebaut, könnten jährlich mehrere Millionen Kubikmeter Erdgas nach Europa transportiert werden. Die Energieabhängigkeit Westeuropas etwa von nahöstlichen und afrikanischen Krisengebieten ließe sich auf diese Weise erheblich verringern. Dietrich Zimmermann
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Mit einem physikalischen Trick und Computerunterstützung ist es heute möglich, in der Radioastronomie Details tausendmal feiner zu „sehen" als mit den modernsten optischen Teleskopen. Eine solche „Sehschärfe" entspricht der eines Auges, das in 200 Kilometer Entfernung eine Stecknadel ausmachen könnte. Sie wird erreicht, wenn man Radioteleskope kontinentweit zusammenschaltet:
Die Argusaugen der Radioastronomie Im Prinzip ist ein Radioteleskop nichts anderes als eine empfindliche Radioempfangsanlage. Der hauptsächliche Unterschied zum herkömmlichen Radio besteht aber darin, daß man die Signale nicht anhört - mehr als ein Rauschen wäre nicht zu erkennen -, sondern mit komplizierten Geräten untersucht, woher sie kommen. Radioteleskope fallen vor allem durch ihre Größe und Konstruktionsweise auf. Dabei sieht man von außen eigentlich bloß einen parabolförmigen „Tisch", die Antenne, und das Eisenwerk, auf dem sie ruht. Die größte Anlage, bei der man die Antenne in alle Richtungen drehen kann, steht in der Bundesrepublik Deutschland bei Effelsberg in der Eifel und gehört zum Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Auf ihrem Parabolspiegel von 100 Meter Durchmesser hätte ein Fußballfeld bequem Platz. Größe und Aufwendigkeit einer solchen Anlage erklären sich leicht aus der Tatsache, daß die Signale aus dem Weltraum ungeheuer schwach sind. Sämtliche Signale, die seit ihrer Entdeckung durch den amerikanischen Radioingenieur Carl Guthe Jansky 1932 weltweit empfangen wurden, enthalten zusammengenommen weniger Energie, als man braucht, um diese Seite umzublättern. Die Signale müssen aber nicht nur enorm verstärkt werden. Außerdem möchten die Astronomen die Radioquellen im Weltraum möglichst genau orten. Beides, Signalverstärkung und Richtwirkung, lassen sich mit der Antenne erreichen, wobei die Ergebnisse um so besser ausfallen, je größer die Antenne ist. Mit dem Effelsberger Giganten ist man wahrscheinlich an der Grenze des Machbaren angelangt, sofern hier moderne Leichtbauweisen nicht doch noch für Überraschungen sorgen sollten. Denn das Projekt eines ebenfalls vollbeweglichen I8O-Meter-„Tisches" in Sugar Cove, West Virginia, USA, mußte 1962 fallengelassen werden, nach148
dem man herausgefunden hatte, daß das Teleskop sein eigenes Gewicht nicht tragen könnte. Allerdings braucht ein Radioteleskop nicht unbedingt eine drehbare Antenne. Da sich die Erde bewegt, wird auch von einer feststehenden Antenne mit der Zeit ein großer Teil des Himmels überstrichen. Das größte dieser sogenannten Transitteleskope ist in eine Hügelkette in Puerto Rico eingebettet. Sein Durchmesser beträgt 305 Meter, und der Brennpunkt dieses Parabolspiegels befindet sich 130 Meter über seinem Zentrum. Die Resultate, die man mit solchen Ungetümen bisher erhielt, sind eindrucksvoll. Trotzdem waren die Radioastronomen noch nicht zufrieden. Ihre neue Idee bestand darin, verschiedene Anlagen elektronisch zusammenzuschalten. Eine solche „Mehrfachanlage" - man nennt sie Interferometer hat eine Auflösung, die derjenigen einer Einzelanlage vom Durchmesser des Abstandes der beiden Antennen entspricht. Die Interferometer haben aber auch einen Nachteil: Sie sehen „vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr", das heißt, sie lösen zwar die Details am Himmel genau auf, können dafür aber größere Strukturen nicht erkennen. Natürlich war auch dieser Zustand für die Astronomen unhaltbar. Der englische Astronom Sir Martin Ryle fand dann auch prompt einen Ausweg aus diesem Dilemma und erhielt dafür 1974 den Nobelpreis für Physik: Er benutzte eine feste Antenne und verband sie elektronisch mit einer zweiten, die auf einem Eisenbahnwagen montiert war. Nach jeder Beobachtung einer Radioquelle wurde die zweite Antenne ein wenig verschoben und die Quelle erneut beobachtet. Weil die Emissionen sehr stabil sind, konnte Ryle jede einzelne während Wochen oder gar Monaten verfolgen und die Ergebnisse hinterher auf dem Computer zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Ryle fand auch eine raffinierte Methode, die sogenannte Supersynthese, mit der man dank der Erdrotation mit einem Interferometer den Himmel in sämtlichen Richtungen „abklopfen" kann, ohne daß die Parabolspiegel überhaupt bewegt werden müssen. Die Hauptarbeit, das Zusammensetzen und Auswerten der Daten, besorgte wiederum ein Computer. Eine riesige Anlage, die auf diesem Prinzip beruht, wurde zum Beispiel in Socorro im US-Bundesstaat New Mexico in Betrieb genommen. Sie besteht aus 27 Antennen von je 25 Meter Durchmesser, die y-förmig angeordnet sind und so einem Riesenteleskop von 27 Kilometer Durchmesser entsprechen. 149
Man nutzt inzwischen solche Zusammenschaltungen von Radioteleskopen in verschiedenen Ländern oder gar auf verschiedenen Kontinenten. Die Aufzeichnungen der Signale auf Magnetband erfolgen dabei an jedem Ort separat, doch werden die Bänder in einem gemeinsamen Rechenzentrum in einen Computer „eingelesen", der dann das Rieseninterferometer gleichsam simuliert. Solche Interkontinentalprojekte bringen neben der astronomischen Ausbeute auch den Erdwissenschaftlern wesentliche Ergebnisse, wie etwa den direkten Beweis der Kontinentalverschiebung, da die Teleskope ja von den tektonischen Platten der Erdkruste mitgetragen werden. Theoretisch erlaubt dieses Verfahren Zentimetergenauigkeit in der Basislänge und einige Tausendstel Bogensekunden in der Richtung. Praktisch ist das zwar noch nicht erreicht, doch wurden schon in den siebziger Jahren aus einer Interferometer-Basislinie von etwa 6000 Kilometer Länge zwischen Schweden und den USA Genauigkeiten von ± 4 Zentimeter erreicht und haben Vergleiche solcher Messungen auf der 3900 Kilometer langen Linie zwischen der Ost- und der Westküste der USA von 1976 bis 1980 die ersten plattentektonisch verwertbaren Aussagen geliefert, nach denen sich die „nordamerikanische Platte" jährlich nur um weniger als zwei Zentimeter weiterbewegt. Klar wird deshalb auch, weshalb die „Erdvermesser" der deutschen geodätischen Satelliten-Beobachtungsstation Wettzell im Bayerischen Wald seit 1983 nicht nur Satelliten für die Erdvermessung, sondern auch ein Radioteleskop von 20 Meter Antennendurchmesser im weltweiten Verband mit anderen einsetzen. So wurde zum Beispiel auch die Basislinie zu einem anderen Teleskop in Onsala in Schweden auf einen Zentimeter genau vermessen: Sie beträgt 919,661 Kilometer. Felix Weber
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Die Geschichte der Computer muß angesichts rapider Fortschritte ständig neu geschrieben werden. Was heute als Rekord gilt, kann morgen schon überholt sein. Nicht selten hat der „Verlierer" dabei dem „Gewinner" selbst den Weg geebnet:
Wie Computer Junge" kriegen So ist der seinerzeit, nämlich Anfang der achtziger Jahre, wahrscheinlich schnellste Computer mit der Typenbezeichnung „CYBER 205" zu wesentlichen Teilen auf seinem Vorgängermodell 203 entwickelt worden. Auf der „alten" Maschine konnten die Ingenieure ihre Ideen von Grund auf testen und verbessern, Fehler herausfinden und sogar die Leistung des Supercomputers vorhersagen, bevor dieser überhaupt gebaut wurde. Dabei wurden von Anfang an (1978) die Methoden des rechnergestützten Entwurfs (CAD) und der rechnergestützten Herstellung (CAM) eingesetzt: „Computer Aided Design" zum Beispiel für die Überprüfung der Algorithmen genannten Rechnungs-Durchführungsverfahren und „Computer Aided Manufacturing" zum Beispiel für die Herstellung neuer integrierter elektrischer Schaltkreise der sogenannten Hardware. In Simulationen wurde getestet, wie die neue Maschine, die erst auf dem Papier existierte, reagieren wird, wenn man sie mit 90000 Ereignissen pro Sekunde bombardiert. Da es bei einer solchen Reaktionsschnelligkeit bereits darauf ankommt, wieviel Millimeter die von lichtschnellen elektrischen Impulsen durchströmten Verbindungsdrähte innerhalb der Maschine überhaupt lang sein dürfen, mußten die Platten mit den Computerbausteinen entsprechend optimiert werden, was wiederum eine typische Aufgabe des CAD war. 15 bis 20 Entwicklungsingenieure konnten dabei unabhängig voneinander mit dem Typ 203 arbeiten, der während eines 24stündigen Arbeitstages zu 60 bis 80 Prozent ausgelastet war. Das Resultat dieser Mammutarbeit, die ohne maschinelle Hilfe wohl nie fertig geworden wäre, ließ sich denn auch sehen: Der „CYBER 205" erwies sich nicht nur als mindestens achtmal so schnell wie frühere Erzeugnisse aus derselben „Küche", von denen auch mehrere Exemplare in den Rechenzentren deutscher Universitäten und sonstiger Forschungsein151
richtungen stehen. Er übertraf damals auch jeden beliebigen vergleichbaren Großcomputer um mindestens das Dreifache an Geschwindigkeit. Was das in absoluten Zahlen bedeutet, kann man sich kaum mehr vorstellen: So konnte das Superding pro Sekunde bereits bis zu 50 Millionen Rechenoptionen bewältigen. Zum Vergleich: Die Maschine Z 4 des deutschen Computerpioniers Professor Konrad Zuse, 1943 einer der ersten programmierbaren Rechner überhaupt, hätte dafür glatte fünfeinhalb Jahre gebraucht! Trotz derartiger atemberaubender Zahlen und der sich zumindest dem Laien aufdrängenden Frage, was das soll, sind solche Entwicklungen alles andere als nur die „Spielereien wildgewordener Firmen". Denn mit Maschinen von dieser Leistungsfähigkeit kann man nun auch Probleme angehen, die früher schlichtweg „hoffnungslos" erscheinen mußten. Vor allem dort, wo es um Analysen oder Modellierungen von Vorgängen im abstrakten „Raum" kompliziertester Wechselwirkungen einer Vielzahl sich gegenseitig beeinflussender Faktoren oder Meßgrößen geht, sind die neuen Maschinen in ihrem eigentlichen „Element". So etwa bei geologischen Studien oder auch in der Reaktortechnik, wo sie die Analyse- und Kontrollfunktionen des gesamten Reaktorkerns übernehmen können. Auch in der Wetter- und Klimavorhersage können sie hervorragend eingesetzt werden. Und natürlich auch bei der Entwicklung der nächsten Generation von Supercomputern: Auch der „205" wurde unverzüglich wieder für die Entwicklung eines noch viel mehr leistenden Nachfolgers eingesetzt, wie das für die „Evolutionsreihen" der Rechner eben überall üblich ist... Felix Weber
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GESCHICHTE, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
ENERGIE _____________________________ Wasserstoffproduzierende Algen und Kraftwerke auf heißem Fels
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Nur wenn die in wasserundurchlässigen Gesteinen im tiefen Untergrund enthaltene Wärme in großem Umfang nutzbar gemacht werden kann, wird auch in Deutschland Erdwärme in wirtschaftlich interessanten Mengen und mit für die Stromerzeugung ausreichend hohen Temperaturen gewonnen werden können. Gebraucht werden
Kraftwerke auf heißem Fels Die natürlichen Voraussetzungen für eine Nutzung geothermischer Energie in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht allzu günstig, wenn man sie mit denen der klassischen Erdwärmefelder „The Geysers" in den Rocky Mountains (USA) oder der vulkanischen Heißdampfquellen in Lardarello in Oberitalien vergleicht. Denn in der Bundesrepublik gibt es fast überall nur den ganz normalen Erdwärmestrom, der, hervorgerufen vor allem durch den Zerfall natürlicher radioaktiver Elemente in der Erdkruste und wahrscheinlich verstärkt durch Auskühlungsvorgänge im Erdmantel, die Temperatur je 100 Meter Tiefe um jeweils etwa drei Grad Celsius zunehmen läßt. Nur in wenigen Gebieten mit sogenannten geothermischen Anomalien nimmt die Temperatur wesentlich stärker zu. Im Oberrheingraben, beispielsweise im Bereich des Erdölfeldes Landau, beträgt die Temperatur in 1000 Meter Tiefe fast 100 Grad. Diese Temperatur würde zwar noch nicht für die Stromerzeugung, aber immerhin für Heizzwecke ausreichen. Doch schon in 2000 Meter Tiefe - mit zunehmender Tiefe flacht der Temperaturanstieg etwas ab - rechnet man mit 150 Grad, in 3000 Meter Tiefe mit über 200 Grad Celsius. Ursache für die verstärkte Aufheizung des Oberrheingrabens, der zu den größten Grabenbrüchen (rifts) der Welt zählt, ist seine verhältnismäßig junge Tektonik. In den letzten Dutzend Millionen Jahren gab es dort starke Bewegungen in der Erdkruste, und wahrscheinlich laufen hier - an der Grenze zwischen Erdkruste und Erdmantel - noch immer Vorgänge ab, die zu einem Material- und Wärmetransport aus der Tiefe führen. Dabei kommt unter günstigen geologischen Bedingungen auch Grundwasser mit dem erwärmten Gestein in Berührung und wird entsprechend aufgeheizt. Deshalb gab und gibt es für dieses Gebiet Pläne, diese heißen Wasser zu fördern und für die Raumheizung zu nutzen. Allerdings sind solche Vorkommen verhältnismäßig selten, so daß sie keinen nennenswerten und in jedem Fall einen nur lokalen Beitrag zur 154
Deckung des Energiebedarfs der Bundesrepublik Deutschland leisten dürften. Völlig anders verhielte es sich dagegen mit einer Nutzung der im heißen Tiefengestein gespeicherten „trockenen" Wärme. Trockene, aber heiße Gesteine sind praktisch überall im Untergrund vorhanden. Man braucht nur entsprechend tief zu bohren, um auf geeignete Temperaturen zu stoßen. In der Bundesrepublik Deutschland ist das freilich erst in drei bis sechs Kilometer Tiefe der Fall, so daß auch hier - allein schon aus Kostengründen - vor allem Gebiete mit verstärkter Aufheizung in Frage kommen, in denen die erforderlichen Temperaturen möglichst früh erreicht werden. Die Gewinnung dieser Wärme würde auch in Deutschland eine Erdwärmenutzung in großem Stil erlauben. Die wirtschaftliche Entnahme von Wärme aus trockenen, heißen Gesteinen ist deshalb ein Ziel, das auch deutsche Forscher intensiv verfolgen. Erforderlich bei dieser Hot-DryRock-Technologie, die von Wissenschaftlern am Scientific Laboratory der Universität von Kalifornien in Los Alamos entwickelt wurde, ist die künstliche Erzeugung weit ausgedehnter Kluftsysteme in mehreren tausend Meter Tiefe, in denen eingepreßtes Wasser zur Zirkulation gebracht werden soll. Dabei erhitzt sich das Wasser und wird anschließend wieder gefördert. Dieses überhitzte Wasser oder der sich bildende Dampf lassen sich in über dem Rißsystem installierten Kraftwerken zur Stromerzeugung nutzen, wenn es gelingt, im Untergrund einen wirtschaftlichen Kreislauf mit den erwünschten hohen Temperaturen zu erzielen. In Los Alamos, wo es mit Hilfe der Technik des hydraulischen Brechens, bei der an einer bestimmten Stelle des Bohrlochs so hoher Druck auf das umgebende Gestein ausgeübt wird, daß es sich schließlich öffnet, gelungen ist, einen senkrecht stehenden Riß in 3000 Meter Tiefe im trockenheißen Granit zu erzeugen und diesen mit einer zweiten Bohrung zu treffen, so daß ein Zirkulationssystem in Gang gesetzt werden konnte, wird ein solcher „Abbau" von gespeicherter Wärme unter Beteiligung deutscher Wissenschaftler bereits experimentell vorgenommen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es zwei Experimentierfelder für die Hot-Dry-Rock-Technologie. So wurde beispielsweise in Nordost-Bayern in den kristallinen Gesteinen des Falkenberger Granitmassivs mit diesem Verfahren experimentiert - aus Kostengründen in allerdings wesentlich geringeren Tiefen, als dies bei einer kommerziellen Nutzung notwen155
dig wäre. Bei diesem vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) und der Kommission der Europäischen Gemeinschaft geförderten Projekt, bei dem Wissenschaftler der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, und des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung mit Wissenschaftlern der Geophysikalischen Institute der Universitäten Bochum, Braunschweig, München und Clausthal zusammenarbeiteten, hat man umfangreiche gesteinsphysikalische, hydraulische, thermische und geophysikalische Untersuchungen durchgeführt. Unter anderem wurden bis in 300 Meter Tiefe drei Bohrlöcher für seismische Beobachtungen und eine Hauptbohrung, von der aus künstliche Rißsysteme erzeugt werden können, niedergebracht. Im Bereich dieser Bohrungen analysierten die Wissenschaftler das natürliche Kluftsystem und bestimmten das natürliche Spannungsfeld, die Porosität und Durchlässigkeit der Gesteine im natürlichen Zustand und das natürliche Temperaturfeld. Durch Einpressen von Wasser unter hohem Druck erzeugte man außerdem in verschiedenen Tiefen Risse im Gestein. Die beim Aufbrechen des Gesteins und bei der Rißausbreitung entstehenden akustischen Signale wurden mit Hilfe von Seismometern registriert und dienten so zur Identifizierung der Ausbreitungsfläche des Rißsystems. Damit gelang es zum ersten Mal, einen Riß auch geophysikalisch zu orten, der dann durch weitere Bohrungen „angeschnitten" wurde. Die Beobachtung der Zirkulationsvorgänge zwischen der Hauptbohrung und den Schnittbohrungen wiederum brachte wichtige Aufschlüsse über den Verlauf des Wärmezustroms in den Riß sowie über Fließwiderstände und Flüssigkeitsverluste innerhalb des Zirkulationssystems. All diese Beobachtungen sind deshalb so wichtig, weil in der Praxis im Untergrund eine mehrere Quadratkilometer große Wärmeaustauschfläche möglichst gleichmäßig überströmt werden muß, wenn das Verfahren wirtschaftlich sein soll. Die im Falkenberger Granitmassiv im flachen und verhältnismäßig kühlen Bereich des Untergrundes experimentell gewonnenen Daten müssen, um wirklich aussagekräftig zu sein, natürlich erst in umfangreichen theoretischen Modellen auf größere Tiefen mit höheren Gesteinstemperaturen übertragen werden. So reicht selbstverständlich auch der bei diesen Versuchen erzielte Wärmegewinn, als beispielsweise neun Grad Celsius warmes Wasser in einen dreizehn Grad warmen Felsspalt gepreßt und mit einer Temperatur von zehneinhalb Grad Celsius wieder gefördert wurde, für eine ernsthafte Erdwär156
menutzung nicht aus, beweist aber dennoch, daß das Verfahren im Prinzip funktioniert. Versuche zur Hot-Dry-Rock-Technologie gab es auch bei Urach am Rande der Schwäbischen Alb. Dort wurde - allerdings bereits in erheblich größerer Tiefe - ebenfalls versucht, durch hydraulisches Brechen der Gesteine ein unterirdisches Zirkulationssystem zu schaffen. Als Experimentierfeld stand eine 3333 Meter tiefe Forschungsbohrung zur Verfügung. Hier gelang es sogar, mit verhältnismäßig geringem Druck einen künstlichen Spalt zu erzeugen, weil frühere, allerdings wieder verheilte Störungen im angebohrten Gesteinskomplex das hydraulische Brechen erleichterten. Sollte sich die Hot-Dry-Rock-Technologie nicht nur als technisch durchführbar, sondern auch als wirtschaftlich erweisen, könnte die Wärmeentnahme aus heißem Trockengestein nach Ansicht der Kommission der Europäischen Gemeinschaft etwa 20 Prozent der gesamten Energieversorgung der Europäischen Gemeinschaft bestreiten. Im unterirdisch heißen Oberrheingraben beispielsweise, in dem in Zusammenarbeit mit Frankreich bei Soultz en Foret im Elsaß ebenfalls experimentelle Versuche mit dieser Technik durchgeführt werden, ließe sich vermutlich sogar eine ganze Reihe von 1000-Megawatt-Kraftwerken installieren. Ein einzelnes Rißsystem würde dabei voraussichtlich mindestens 20 bis 25 Jahre Heißdampf-Energie für die Turbinen eines Elektrizitätswerkes liefern, ehe das Gestein ausgekühlt ist. Insgesamt würde die hier in technisch erreichbarer Tiefe gespeicherte Wärme jedoch einige Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende, reichen. Karl-Heinz Preuß
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Auf ganz ungewöhnliche Weise zapfen deutsche Forscher Strom aus Sonnenenergie: Sie kombinierten althergebrachte Technik zu einem revolutionären Kraftwerkstyp aus Gewächshaus, Kamin und Windturbine:
Sonnenkraftwerk im Aufwind Im Ungewöhnlichen dieser Kombination liegt zugleich ihre große Chance. Während beispielsweise für konkurrierende Konzepte wie Solartürme und Solarfarmen von der Spiegeltechnik über die Wärmeaustauscher bis zum komplizierten Sonnennachführsystem erst Technologien entwickelt oder weiterentwickelt werden müssen, kann man hier auf wenige einfache und grundsätzlich bekannte Lösungen zurückgreifen, so daß einer unmittelbaren, großtechnischen Nutzung prinzipiell nichts im Wege steht. Der Rückgriff auf alte, bewährte Techniken ermöglichte auch die kurzfristige Verwirklichung eines ersten Prototyps, mit dessen vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) geförderten Bau unter Betreuung durch die Kernforschungsanlage Jülich bereits 1980 in Manzanares, halbwegs zwischen Madrid und Granada, begonnen wurde, der im Frühjahr 1982 seine ersten erfolgversprechenden Probeläufe hinter sich brachte und seit 1987 in Dauerbetrieb ist. Dabei konnten allein 1987 bei einer Leistung von 40 Kilowatt mehr als 44 000 Kilowattstunden elektrische Energie erzeugt werden, was dem Jahresverbrauch von zwölf deutschen Haushalten entspricht. Zentrum einer solchen Anlage, deren Konzept in einem Stuttgarter Ingenieurbüro entworfen wurde, ist ein großer Kaminturm, der an seinem Fuß warme, also leichte Luft ansaugt und dadurch einen starken Aufwind erzeugt. Erwärmt wird die Luft nach dem Treibhausprinzip in einer großen, rund um den Turm angeordneten Sonnenkollektorflache, die lediglich aus einem einfachen, durchsichtigen Foliendach und dem darunter liegenden natürlichen, aber schwarz gefärbten Boden besteht. Der starke Aufwind treibt eine oder mehrere im Turm installierte Windturbinen an, die wiederum über Generatoren Strom erzeugen. Durch die Ausnutzung der natürlichen Speicherfähigkeit des Bodens, insbesondere bei Sandböden, kann die tageszeitliche Schwankung der natürlichen Sonnenstrahlung weitgehend ausgeglichen und das System sogar nachts, wenn auch mit stark verminderter Leistung, genutzt werden. Durch Verstellen 158
oder Drosseln der Turbineneintrittsleitschaufeln läßt sich überdies das je nach Tageszeit ohne aktive Regelung sehr unterschiedliche Leistungsangebot dieses atmosphärischen Aufwindkraftwerkes zusätzlich beeinflussen. Darüber hinaus kann man die Außenbereiche des Kollektorvordaches als Gewächshaus nutzen. Allerdings ist der Wirkungsgrad der Anlage sehr niedrig. Bei der Anlage in Manzanares mit einer Turmhöhe von 200 Meter, einem Durchmesser der Kollektorfläche von 250 Meter, was in etwa 44000 Quadratmeter Fläche entspricht, und einer installierten elektrischen Leistung von 100 Kilowatt liegt er mit etwa 0,75 Prozent im Bereich des photosynthetischen Wirkungsgrades bei Landpflanzen, die aus der gesamten eingestrahlten Sonnenenergie nur etwa 0,3 bis 1,3 Prozent für den Aufbau von Biomasse nutzen können. Dieser Wirkungsgrad erhöht sich jedoch mit zunehmender Größe der Gesamtanlage, wobei er in erster Linie über die Kaminhöhe bestimmt wird. Bei einer Turmhöhe von rund 450 Meter ist eine Leistung um etwa drei Megawatt zu erwarten, bei noch größeren Höhen scheint ein Wirkungsgrad um die zwei Prozent möglich. Das ist zwar noch immer bedeutend weniger als bei „herkömmlichen" Sonnenkraftwerkskonzepten. Geht man beispielsweise bei einer Solarturmanlage von einem Wirkungsgrad von zehn Prozent aus, würde das für ein Aufwindkraftwerk gleicher Leistung theoretisch einen fünfmal größeren Flächenbedarf bedeuten. Da sich jedoch der angenommene Wirkungsgrad von zehn Prozent beim Solarturmkonzept auf die zur Verfügung stehende wirksame Spiegelfläche bezieht, man also die Verschattung der Spiegel und damit die notwendigen Abstände der Spiegel voneinander bei der Berechnung des Landbedarfs berücksichtigen muß, dürften sich,die auf die Gesamtfläche bezogenen Wirkungsgrade einander noch mehr annähern. Dennoch kann man davon ausgehen, daß der benötigte Flächenbedarf beim Aufwindkraftwerk wesentlich größer sein wird als bei einem vergleichbaren Solarturmkraftwerk, was mögliche Standorte von vornherein auf dünnbesiedelte Landstriche, zum Beispiel auf Randgebiete großer Wüsten, beschränken dürfte. Auf der anderen Seite ist der Aufwand an Technik und Material drastisch niedriger als bei den anderen Sonnenkraftwerkskonzepten, da man beim solaren Aufwindkraftwerk als Kollektor lediglich den Erdboden und eine einfache Folienüberdeckung benötigt. Inwieweit sich diese 159
unterschiedlichen Bedingungen gegenseitig aufheben oder dem einen beziehungsweise anderen Kraftwerkstyp einen Vorteil verschaffen, läßt sich indessen noch nicht übersehen. Diese Frage hängt, da Wirkungsgrad und Kaminhöhe eng miteinander verbunden sind, nicht zuletzt davon ab, wie hoch die Kamine in wirtschaftlicher Weise gebaut werden können. Bei einer installierten Leistung von 500 Megawatt, was etwa der Leistung eines herkömmlichen Kohlekraftwerks entspräehe, würden die Turmhöhe bereits 1000 Meter und der Durchmesser für die Kollektorfläche rund zehn Kilometer betragen. In jedem Fall wäre, da der Wirkungsgrad mit abnehmender Größe wieder sinkt, dieses Konzept nur für die großtechnische Energieerzeugung geeignet. Man rechnet damit, daß sich in Gebieten mit intensiver Sonneneinstrahlung aber ganz erhebliche elektrische Leistungen zu Kosten erzeugen lassen, die überall dort vertretbar sind, wo es zwar Sonne in Überfluß, doch sonst keine anderen Energierohstoffe billig gibt. Karl-Heinz Preuß
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Während Growian I mit seinen 100 Meter Rotordurchmesser als Weltrekordprojekt deutscher Windenergienutzung auch aufzeigte, wie groß die Probleme mit solchen Großanlagen noch sind, dachte man schon an einen noch gewaltigeren Nachfolger. Mit nur einem einzigen Rotorblatt sollte er gleich fünf Millionen Watt aus der bewegten Luft „greifen". Da wäre selbst Don Quichotte nicht die geringste Chance geblieben:
Ein einarmiger Riese greift nach Windenergie Als Ende der siebziger Jahre die in der Energiekrise auch für die großtechnische Erzeugung von Windenergie aufgeflammte Begeisterung besonders groß war, hat man sich bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) im Auftrag des Bundesforschungsministers mit diesem fast schon sagenhaft anmutenden einarmigen Riesen befaßt, dessen Rotor nach den hochfliegenden Plänen den Jahresenergiebedarf und die Heizung von 420 Einfamilienhäusern aus dem Wind holen sollte. Dies hätte der alleinigen Stromversorgung von 6500 Haushalten oder der Einsparung von jährlich 6000 Tonnen Kraftwerks-Heizöl entsprochen. Diese hohe Leistungsauslegung ist aber nicht das einzig Bemerkenswerte an diesem Konzept. Ungewöhnlich war damals auch sein buchstäblich halbierter „Windpropeller". Growian II hatte nur einen einzigen Rotorflügel und ein Gegengewicht, das den zweiten ersetzt. Dieses Projekt eines „einarmigen" Giganten sprengte alle Maßstäbe im Bau von Windenergieanlagen. In der Kreisfläche, die von dem über 70 Meter langen Blatt überstrichen wird, hätten zwei große Fußballfelder Platz. Der höchste Punkt des Drehkreises liegt fast 200 Meter über dem Fußpunkt - der rotierende Growian II würde also den höchsten Kirchturm Deutschlands, den des Ulmer Münsters mit seinen 162 Metern, weit übertragen. Und unter dem tiefsten Punkt des Drehkreises, 50 Meter über dem Erdboden, hätte noch ein Hochhaus Platz. Die auf einem durch Seile abgespannten Rohrturm montierte Naben-Gondel befindet sich in etwa 120 Meter Höhe. Auch hierzu ist Rekordwürdiges zu berichten. Denn dieses, den 5-Megawatt-Generator beherbergende Maschinenhaus in Kirchturmspitzenhöhe hat mit einer Länge von etwa 20 Meter und einem größten Durchmesser von rund acht Meter die 161
Dimension eines komfortablen Einfamilienhauses - mit einem Gewicht von etwa 300 Tonnen. Growian II war so ausgelegt, daß das Blatt bei einer Windgeschwindigkeit von 6,6 Meter pro Sekunde in Nabenhöhe zu rotieren beginnt, das entspricht etwa der Windstärke 4, einer mäßigen Brise. Seine Leistung steigt dann an, bis sie bei gut elf Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit, einem sogenannten starken Wind, ihren Nennwert erreicht. Durch Verstellen des Anstellwinkels des Blattes wird die Drehzahl bei etwa 17 Umdrehungen pro Minute gehalten. Ganze dreieinhalb Sekunden braucht das Riesenblatt also für eine Umdrehung, die äußere Blattspitze erreicht dann eine Geschwindigkeit von 450 Kilometer pro Stunde. Irgendwann nähert man sich dann natürlich der Grenze der Belastbarkeit von Blatt und Nabe. Deshalb wird bei einer Windgeschwindigkeit von 20 Meter pro Sekunde, bei beginnendem Sturm, das Blatt auf Segelstellung gestellt, die Anlage also abgeschaltet. Growian II war von seinen Planern so ausgelegt worden, daß er auch den höchsten bisher gemessenen oder geschätzten Windgeschwindigkeiten, knapp 60 Meter pro Sekunde, hätte widerstehen können. Doch es war nicht so sehr ein solcher „Jahrhundertorkan", der den Konstrukteuren damals Sorge bereitete, sondern die Belastung des rotierenden Blattes durch plötzliche Böen oder durch das noch schlimmere Ereignis eines plötzlich aussetzenden Windes, eine „negative Böe". Den Flügel wollte man deshalb aus Gewichtsgründen im wesentlichen aus faserverstärktem Kunststoff herstellen, ein Verfahren, das heute auch bei modernen Großanlagen angewandt wird. Das Rotorsystem - Blatt, Gegengewicht, Nabe und Blattsteuerung - hätte jedoch auch in diesem Fall immer noch 100 Tonnen gewogen. Ein faserverstärktes Bauteil auch nur annähernder Größe war bis dahin noch nicht gebaut worden. Obwohl Messerschmitt-Bölkow-Blohm durch den Bau von Hubschrauberrotoren aus faserverstärkten Kunststoffen über ein enormes Know-how in dieser Technik verfügte, hätte die Herstellung eines solchen „Flügels" sicherlich einiges Kopfzerbrechen bereitet. Fragen der Blattherstellung hatten übrigens auch bei der Entscheidung für das Ein-Blatt-Konzept eine wesentliche Rolle gespielt. So hoffte man damit, verglichen mit einem Zweiblatt-Rotor, alle Symmetrieprobleme lösen zu können, was die Fertigung enorm erleichtert hätte. Durch den relativ großen Querschnitt des am Fußpunkt sieben Meter breiten Blattes hätten sich zudem alle Steifigkeits- und Festigkeitsforderun162
gen leichter erfüllen lassen. So ist jedenfalls zumindest planerisch ein Weg zu noch gigantischeren Anlagen der Windenergienutzung vorgezeichnet worden, als sie mit Growian I und seinen Nachfolgern bereits verwirklicht wurden. Dietrich Zimmermann
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Nicht nur Kleinvieh macht sprichwörtlich „auch Mist". Mit Mist kann man auch einiges machen. Das bewies ein erfinderischer Landwirt auf seine Weise durch die Entwicklung eines bemerkenswerten Energienutzungssystems, für das seine Schweine den natürlichen „Rohstoff" liefern:
Warmes Wasser aus dem Mist-Kollektor Was ein Sonnenkollektor ist, weiß inzwischen wohl jeder, der ein „offenes Ohr" für alternative Energiequellen hat. Der Mistkollektor hingegen ist sicherlich viel weniger bekannt, auch wenn das ihm zugrunde liegende Prinzip mittlerweile in einer Reihe von bewährten Verfahren der rationellen Energieverwendung genutzt wird. Sein Erfinder und Erbauer ist Heinz Koch aus Heisebeck in Hessen. Er entwickelte diese ungewöhnliche Anlage, mit der die in einem Misthaufen entstehende Wärme zurückgewonnen und zum Aufheizen von Wasser oder Wohnraum nutzbar gemacht werden kann. Mit der Mistwärme von fünfzig Schweinen heizt der erfinderische Landwirt im Winter - bei Außentemperaturen von minus 15 Grad Celsius - seinen 20 Quadratmeter großen Wohnraum auf 21 Grad Celsius. Im Sommer liefert ihm das System 1200 Liter warmes Wasser mit einer Temperatur von 45 Grad Celsius. Die steigenden Ölpreise veranlaßten Koch, sich Gedanken darüber zu machen, ob er sich nicht mit Hilfe seiner Landwirtschaft billigere Energiequellen erschließen könnte. Dabei war er schließlich auf die Idee mit dem Mist gekommen. Er hat sich nämlich daran erinnert, daß er schon als Kind beim Stehen auf dem Miststapel immer so warme Füße bekommen hat, „daß die Socken dampften". Bei der Lagerung von Festmist wird durch bakterielle Umsetzung in der Tat erhebliche Wärme produziert. Die durchschnittlich erreichte Temperatur beträgt dabei etwa 45 Grad Celsius. Diese Energie wurde bislang ungenutzt an die Außenluft abgegeben. Der Mistkollektor besteht aus einem Holzrahmen mit einer Wärmedämmschicht, der auf dem dampfenden Stapel aufliegt. Durch diese Isolierung steigt die Misttemperatur auf 75 bis 80 Grad Celsius. Auf der dem Mist zugewandten Seite sind 164
Kunststoffröhre angebracht, in denen Wasser zirkuliert. Die aufsteigende Mistwärme erhitzt das Wasser, das dann direkt in das Heizsystem geschickt werden kann. Eine andere Möglichkeit besteht darin, mit dem Wasser mit Hilfe einer Umwälzpumpe und eines Wärmetauschers das Brauchwasser zu erwärmen. Alle sieben bis zehn Tage wird eine neue Schicht Frischmist - etwa 30 Zentimeter hoch - aufgeladen. Dazu kippt Koch den Kollektor mit einer einfachen Handwinde seitwärts auf etwa 90 Grad, so daß der Frischmist mühelos mit dem Frontlader aufgesetzt werden kann. Der hessische Landwirt hat sich die Anlage nach langjähriger Versuchsarbeit selbst erbaut. Dabei hat er natürlich auch einiges an Lehrgeld zahlen müssen. Denn: Nicht jedes Material läßt sich verwenden. Der Kunststoff für die Rohre zum Beispiel muß sich mit dem aggressiven Mist vertragen und darf auch nicht durchlässig sein für die bei den bakteriellen Vorgängen entstehenden Ammoniakgase. Die Materialkosten der fertigen Anlage betrugen etwa 125 DM pro Quadratmeter, eine preiswerte Angelegenheit, wenn man bedenkt, daß fast keine Betriebskosten anfallen. Petra Niesbach
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Unversehens ist aus der volkstümlich Babassu genannten Kokosnuß Orbignya speciosa Brasiliens „Wundernuß" geworden, die das Land vom Baum herab von seinen Ölsorgen entlasten könnte. Ihr Inhaltsstoff Stärke läßt sich in Alkohol umwandeln, der für Motoren ein brauchbarer Treibstoff ist:
Nüsse in den Tank gepackt Die Babassunuß wächst in Südamerika, vor allem im Norden Brasiliens. Nach vorsichtigen Schätzungen nehmen die Bestände allein in Brasilien eine Fläche ein, die etwa halb so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Ein schlanker Stamm mit bis zu zwanzig Meter Höhe trägt einen Schöpf aufwärtsragender Fiederblätter, die bis zu sieben Meter lang werden können. Die Fruchtstände bestehen aus einigen Hundert kinderhandgroßen Nüssen. Außen sind diese Nüsse hellbraun und glänzend, innen haben sie zunächst eine faserige Haut, gefolgt von dem bis zu einem Zentimeter dicken stärkehaltigen Fruchtfleisch, und, in der Mitte sitzend, in einer harten Schale, vier bis sechs paranußähnliche Samen. Wie man sie in Treibstoff „umwandeln" kann, hat Professor Walter Darge von der Fachhochschule Aachen untersucht. Demnach besteht ein Fünftel der Masse der Babassunuß aus Stärke. Sie läßt sich zu Zuckersirup verarbeiten, der dann weiter zu Äthanol (Äthylalkohol) vergoren werden kann. Dazu muß zunächst die Stärke verflüssigt werden, wobei die langen Stärkemoleküle in viele kleine Spaltprodukte zerlegt werden. Biologische Wirkstoffe, Enzyme, beschleunigen diese Reaktionen. Dabei ist es wünschenswert, mit einer möglichst geringen Menge an Enzymen auszukommen, -um die Kosten für diesen Schritt der Stärkeverarbeitung gering zu halten, denn Enzyme sind sehr teuer. Der Wissenschaftler beschäftigte sich vor allem mit der Temperaturabhängigkeit des Verflüssigungsprozesses. Die Temperatur sollte ausreichend hoch sein, um eine schnelle Verflüssigung zu ermöglichen und gleichzeitig bakterielles Wachstum zu verhindern. In einem Versuch mit zwei verschiedenen Alpha-Amylase-Enzymen - aus Bakterien und aus Schweinebauchspeicheldrüsen - zeigte sich, daß die Aufspaltung mit dem Schweine-Enzym sowohl bei einer günstigeren Temperatur als auch mit besserer Wirkung möglich ist. Schon nach 20 Minuten werden bei 60 Grad Celsius 35 Prozent der 166
Stärke gespalten (hydrolysiert), während bei der bakteriellen Alpha-Amylase nach vier Stunden nur 25 Prozent Hydrolyse erreicht wurden. Bei der Verarbeitung von Stärke zu Äthanol ist es notwendig, möglichst hohe Stärkekonzentrationen zu verwenden. Die Versuche ergaben jedoch, daß sich die Verflüssigungsreaktion bei hohem Stärkegehalt verzögert, weil die Aktivität der Enzyme gehemmt wird. Man erwartet deshalb erhebliche Schwierigkeiten bei der Verarbeitung. Die genauesten Werte darüber, in welcher Zeit und in welchem Maße eine Stärkeart verflüssigt wird, lassen sich mit der Methode der chromatographischen Analyse ermitteln. Dabei werden die einzelnen Stärkebruchstücke in einer speziell für diesen Zweck konstruierten Säule voneinander getrennt. Sie haben verschiedene Brechungswerte, die mit einem „Brechungsindexdetektor" gemessen werden können. Auf diese Weise ist es möglich, zu jedem Zeitpunkt die Art und Menge der entstandenen Spaltprodukte anzugeben. Wie vielseitig die Babassunuß zu verwenden ist, zeigt eine Berechnung, nach der aus einer Tonne dieser Früchte folgende Produkte gewonnen werden können: 90 Liter Äthylalkohol, die aus den 200 Kilogramm Stärke entstehen, 150 Kilogramm Koks (zur Edelstahlgewinnung), 36 Kilogramm Essigsäure, 35 Kilogramm Speiseöl (aus den Samen), 25 Kilogramm Ölkuchen (als Viehfutter), 45 Kilogramm Teer und sechs Kilogramm Methylalkohol. Die Verwendung der Babassunuß könnte deshalb in Zukunft eine große wirtschaftliche Bedeutung erhalten. Petra Niesbach
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Ein seit Jahrmillionen in der Natur bewährtes Prinzip der Energieumwandlung könnte die Energieerzeugung völlig anders gewichten. Durch Eingriffe in den Photosyntheseapparat von Algen und grünen Pflanzen wird die Produktion von Wasserstoff möglich:
Die Blattgrün-Energiefabriken Daß dieser biologische Weg der Energiegewinnung möglich ist, zeigen Versuche im Energieforschungszentrum der Universität Konstanz. Aber auch in anderen Labors der Welt werden die Aussichten einer solchen Wasserstoffgewinnung intensiv untersucht. Dabei muß die Natur freilich ein wenig überlistet werden: Normalerweise verhindert die Pflanze nämlich die vom Biotechniker erwünschte Wasserstoffbildung, um ungestört Biomasse produzieren zu können. Bei der Photosynthese wird mit Hilfe des Sonnenlichtes aus dem Kohlendioxid der Luft und aus Wasser Zucker gebildet, der wiederum das Grundmaterial für die Biosynthese von Stärke, Zellulose und Eiweiß ist. Bei diesem Prozeß werden die Elektronen des Wassers in das Kohlendioxid der Luft eingebaut, weshalb die Entstehung freien Wasserstoffes und der Aufbau pflanzlicher Biomasse einander ausschließen. Deshalb wird die komplizierte Maschinerie, die für die Erzeugung von Biomasse, also das Wachstum der Zelle, notwendig ist, einfach „abgekoppelt", indem man den entsprechenden membrangebundenen Teil des Photosynthese-Apparates aus der Zelle herauslöst. Dadurch wird, wie Professor Peter Böger von der Universität Konstanz über seine Arbeit berichtete, die „Verwertung" der aus dem Wasser stammenden Elektronen durch Kohlendioxid unterbunden. Bringt man diese Elektronen nun mit Wasserstoffionen, also Protonen, die sich stets im Wasser befinden, zusammen, verlieren die Ionen ihre Ladung und lagern sich zu zweiatomigem, gasförmigem Wasserstoff zusammen. Zusätzlich benötigt man für diesen Vorgang ein bestimmtes Enzym, das sich beispielsweise aus bestimmten Bakterien gewinnen und den isolierten photosynthetisch aktiven Membranen beifügen läßt. Auf diese Weise kann man ein künstliches System bauen, für das der Rohstoff Wasser praktisch unbegrenzt zur Verfügung steht. Auch das Sonnenlicht steht - weltweit gesehen - unerschöpflich zur Verfügung. Da ein entsprechendes „zellfreies System", obwohl es gelun168
gen ist, isolierte Chloroplasten mit Kunststoffen zu ummanteln, relativ instabil ist, ist es möglicherweise sinnvoller, die Wasserstoffproduktion im „zellulären" System ablaufen zu lassen. Dazu eignen sich beispielsweise bestimmte Cyanobakterien, die Blaualgen. Diese entwicklungsgeschichtlich sehr alten Organismen nutzten Wasserstoff für ihren Stoffwechsel, als sich dieser noch in höheren Konzentrationen auf der Erde befand. Diese Fähigkeit haben sich einige Blaualgen bis heute bewahrt, obwohl sie wegen der veränderten Umweltbedingungen verkümmert ist und in ihrem Stoffwechsel heute nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es ist jedoch, wie Bögers Versuche zeigen, möglich, diese Fähigkeit der Blaualgen, die bis in die Anfangszeiten der Lebensentstehung zurückreicht, zu wecken und die Organismen durch geeignete Kulturverfahren zu verstärkter Wasserstoffproduktion anzuregen. Böger und seine Mitarbeiter experimentierten in Konstanz mit der Blaualge Nostoc muscorum. Diese Alge besteht aus kleineren vegetativen Zellen, in denen die Photosynthese abläuft, und zum kleineren Teil aus größeren Zellen, in denen kein kompletter photosynthetischer Elektronentransport durchgeführt wird. Dafür enthalten sie ein Enzym, das in der Lage ist, den freien Stickstoff der Luft zu binden und in Ammoniak überzuführen. Ammoniak wiederum dient zum Aufbau von Aminosäuren und damit der Eiweißsynthese. Das Stickstoff fixierende Enzym ist aber nicht wählerisch und akzeptiert auch andere Verbindungen. Bei Stickstoffmangel reduziert es auch Protonen zu freiem Wasserstoff. Allerdings sorgt ein weiteres Enzym dafür, daß der Wasserstoff nicht aus der Zelle entweichen kann, indem es kleinste Wasserstoffmengen aufnimmt, nicht aber freisetzt. Das Wassertoff aufnehmende Enzym arbeitet jedoch nur in Verbindung mit Sauerstoff. Durch Einsatz bestimmter Hemmstoffe, wie einiger Herbizide, die den photosynthetischen Elektronentransport unterbinden, gelingt es jedoch, die Sauerstoffentwicklung zu verhindern und damit auch die Tätigkeit des Wasserstoff aufnehmenden und nicht wieder freisetzenden Enzyms zu blockieren. Der entstehende Wasserstoff muß entweichen. Unter diesen Bedingungen produziert die Alge zehnmal mehr Wasserstoff als im ungehemmten Zustand. Durch weitere Manipulationen kann die Produktion noch gesteigert werden. Allerdings muß den Algen, wie die Versuche in Pilotanlagen gezeigt haben, nach einiger Zeit wieder die ungestörte Photosynthese erlaubt werden. Durch wechselseitige „Schaltung" 169
einer Photosynthese betreibenden und einer gehemmten Kultur läßt sich jedoch eine kontinuierliche Gasproduktion erreichen. Von der großtechnischen Anwendung ist das System freilich noch weit entfernt. Die Effektivität dieser Wasserstoffproduktion muß noch wesentlich gesteigert werden. Auch sind nicht alle diesem Verfahren zugrunde liegenden biochemischen Mechanismen voll verstanden. Eine noch stärkere Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Photosynthese und Bioenergetik ist hierfür notwendig. Erst dann kann abgeschätzt werden, welchen Beitrag diese unkonventionelle biologische Wasserstoffproduktion zur künftigen Energieerzeugung leisten kann. Ein prinzipiell ganz anderer Weg zu diesem Ziel wurde unter anderem im Fachgebiet Bionik und Evolutionstechnik der Technischen Universität Berlin eingeschlagen. Dabei läßt man durch die natürliche Photosynthese zunächst ungehindert Biomasse entstehen und gewinnt anschließend den darin gespeicherten Wasserstoff mit Hilfe spezieller Bakterien, die entsprechende Substanzen der Biomasse, zum Beispiel Traubenzucker, abbauen und dabei den Wasserstoff freisetzen. Als geeignet für diesen weiteren Schritt bei der Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie, bei dem der pflanzlichen Photosynthese eine bakterielle Photosynthese „nachgeschaltet" wird, erwiesen sich schwefelfreie Purpurbakterien, die aus Wasserproben nahe des Bodengrundes mehrerer Berliner Seen gewonnen, mit einer Nährlösung „gefüttert" und von einer Lichtquelle zur Wasserstoffproduktion angeregt wurden. Entsprechende Umweltbedingungen verhindern dabei, daß die Bakterien den von ihrer „photosynthetischen Stoffwechselmaschinerie" produzierten Wasserstoff weiterverarbeiten. Durch den Wasserstoffdruck öffnet sich dann gewissermaßen ein Ventil, durch das das Wasserstoffgas entweicht. Die Versuche in Berlin haben nicht nur gezeigt, daß es mit Hilfe von Purpurbakterien in einem Durchlauf-Reaktor möglich ist, eine kontinuierliche Wasserstoffproduktion aufrechtzuerhalten. Im Dauerbetrieb erfolgreich getestet wurde auch bereits eine Brennstoffzelle, die im Siemens-Forschungslaboratorium in Erlangen speziell für den direkten Anschluß an eine wasserstofferzeugende Bakterienkultur entwickelt worden ist. Da hier - anders als bei den Experimenten in Konstanz - der größere Teil der Gesamtausbeute an Wasserstoff aus der 170
abgebauten organischen Substanz stammt, ist dieses Verfahren eine denkbare und in mancher Hinsicht auch vorteilhafte Alternative zur mikrobiellen Vergärung von Biomasse zu Alkohol auf der Basis von Zucker (Glucose). Weil zusätzlich Lichtenergie in den Prozeß einfließt, gewinnt man nach Angaben von Professor Ingo Rechenberg, dem Leiter des Fachgebiets Bionik und Evolutionstechnik der TU Berlin, bei der Erzeugung von Wasserstoff aus Glucose durch photosynthetische Bakterien gegenüber der Vergärung zu Alkohol aus einer bestimmten Zuckermenge etwa 30 Prozent mehr an Energie. Auch entfällt der energieaufwendige Destillationsprozeß, bei dem der Alkohol erst aus der Gärmasse herausgekocht werden muß. Nicht zuletzt verbrennt Wasserstoff sehr viel umweltfreundlicher als Alkohol, der aus Biomasse gewonnen wird. Zurück bleibt, sieht man von geringen Mengen Stickoxiden ab, nichts als Wasser. Diese umweltfreundliche Verbrennung ist auch einer der Gründe, wegen der Wasserstoff heute vielfach als Energieträger der Zukunft angesehen wird. Auf der anderen Seite läßt sich natürlich eine Flüssigkeit wie Alkohol sehr viel einfacher „in den Tank packen" als Wasserstoff, den zu verflüssigen viel zu energieaufwendig wäre. Es gibt allerdings bereits sehr leistungsfähige Speicher, sogenannte Hydridspeicher, poröse, schwammartige Gebilde, in denen man auf kleinem Raum große Mengen an Wasserstoff unterbringen kann. Ein sehr viel größeres Problem und letztlich auch das entscheidende Problem der photobiologischen Wasserstoffproduktion mit Hilfe von Purpurbakterien ist freilich der riesige Flächenbedarf zur Produktion der Biomasse. Wollte man die Purpurbakterien zum Beispiel mit Rübenzucker „füttern", würden bei einem Umwandlungswirkungsgrad von 90 Prozent für den ganzjährigen Betrieb eines einzigen Wasserstoff-Autos, das wöchentlich als Äquivalent für 20 Liter Benzin 60 Kubikmeter Wasserstoff verbraucht, etwa 2320 Kilogramm Rübenzucker benötigt. Um diese Menge, die vielleicht gerade für wenige Fahrten im „Nahverkehr" ausreicht, zu gewinnen, müßte man wiederum, wenn man von einem mittleren Zuckergehalt der Rüben und den durchschnittlich erzielten Hektarerträgen ausgeht, ein rund 3200 Quadratmeter großes Zuckerrübenfeld bestellen. Erst wenn es deshalb gelingt, den Wirkungsgrad der Photosynthese im Hinblick auf die Zuckerbildung ganz erheblich zu steigern und so den Flächenbedarf deutlich zu verringern, 171
kann dieser Methode der solaren Wasserstoffgewinnung, die nur eine von vielen Möglichkeiten zur Herstellung dieses Energieträgers ist, eine wirtschaftliche Chance eingeräumt werden. Karl-Heinz Preuß
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Scheinbar „aus dem Nichts" lieferte eine Kleinstanlage vor Hawaii laufend zehn Kilowatt elektrische Leistung. Warmes Wasser von der Meeresoberfläche und kaltes Wasser aus der Tiefe machten das möglich nach einem Prinzip, vor dessen großtechnischer Nutzung freilich noch manche Hürde zu überwinden ist:
Unbegrenzte Energie durch Meereswärme? Die Nutzung der Wärmeenergie der tropischen Ozeane durch sogenannte Ocean Thermal Energy Conversion-Verfahren (OTEC) ist zumindest im Prinzip keine Utopie mehr. Das haben vor Hawaii sowohl die Kleinstanlage als auch eine Kleinanlage mit einem Megawatt Auslegungsleistung gezeigt, die auf einem ausrangierten Tanker der amerikanischen Marine installiert worden war. Pläne für eine Pilotanlage von etwa zehn bis 40 Megawatt installierter Leistung sind ebenfalls bereits entworfen worden. Die bisher im Experiment eingesetzten Verfahren nutzen alle die Meereswärme-Energie in einem geschlossenen Kreislauf: Sie verdampfen mit dem Warmwasser von der Meeresoberfläche an einem Wärmeaustauscher ein bei niederen Temperaturen verdampfendes Arbeitsmittel (Ammoniak), das dann eine Turbine antreibt. Der austretende Dampf wird zur Herstellung des Druckunterschieds mit ozeanischem Tiefenwasser gekühlt, verflüssigt sich und kann dann wieder verdampft werden. Dieser geschlossene Kreislauf ist eine elegante Lösung des Problems der Wärmenutzung, doch mit speziellen technischen Schwierigkeiten behaftet. Diese bestehen vor allem in biologischem „Fouling" auf der Wasserseite und chemischer Korrosion auf der Ammoniakseite der Wärmeaustauscher. Zwar wurde während des Betriebs des „Mini-OTEC" über etwa ein Vierteljahr keinerlei Ansatz von biologischer Besiedlung auf den aus Titan bestehenden Wärmeaustauscherflächen gefunden. Doch schon die Bildung einer ganz dünnen Haut von Bakterien würde den Wärmeübergang stark verschlechtern und damit den ohnehin geringen Wirkungsgrad der Anlage bedrohlich abschwächen. Dem durch die Anlage zirkulierenden Seewasser war ständig eine geringe Menge freien Chlors zur Desinfektion beigegeben worden. Doch beweist dieses 173
Resultat wenig für eine Großanlage, deren Funktion über mehrere Jahrzehnte gesichert sein muß und durch die, wenn sie tatsächlich einmal gebaut wird, pro Sekunde nicht Kubikmeter, sondern viele Tausende von Kubikmetern Wasser zirkulieren. Eine vollkommerzielle Anlage, zum Beispiel ein OTEC-Kraftwerk von 1000 Megawatt, würde gut 3000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde benötigen, eine Durchflußmenge, die etwa der Wasserführung des Nils entspricht. Ob eine auch nur geringe Chlorzugabe zu solchen Wassermengen ohne Gefahr der Umweltvergiftung zulässig ist, ist sehr fraglich. Noch fraglicher ist es, ob sich nicht im Verlaufe eines längeren Betriebes Mikrobenstämme ansiedeln oder durch Genveränderungen entwickeln, denen die „Antifouling-Chemikalien" nichts mehr ausmachen und die dann doch die Wärmeaustauscher besiedeln. Die Erfahrungen der Mikrobiologen sprechen für diese Erwartung. Metallflächen, die einmal besiedelt waren, werden nach einer Reinigung stets weit schneller als vorher wieder befallen. Diese „Fouling"-Fragen, kombiniert mit der AmmoniakKorrosion sind für die „OTEC'-Anlagen mit geschlossenem Kreislauf ein sehr ernsthaftes Hindernis. Die Idee eines „offenen Kreislaufs" lag deshalb schon lange in der Luft: In einem solchen Kreislauf nutzt man den Wasserdampf, der aus dem warmen Ozeanwasser aufsteigt, wenn es über freie Verdampfungsflächen strömt, eine Turbine antreibt, und die Strömung des Dampfes hinter der Turbine durch Kondensation mit Hilfe von Kaltwasser (aus großen Tiefen des Ozeans gepumpt) durch Erzeugung von Unterdruck beschleunigt. Bei diesem offenen Kreislauf werden die Fouling- und Korrosionsprobleme minimiert: Eine biologische Besiedlung der Verdampfungsflächen mindert den Wirkungsgrad der Anlage nur in engen Grenzen, wenn überhaupt, und besonders korrosive Flüssigkeiten oder Gase treten nicht auf. Freilich muß eine solche Anlage sehr groß dimensioniert sein. Die Dampferzeugung aus dem warmen Meerwasser bei typischen Betriebsbedingungen (25 bis 26 Grad Celsius Temperatur des Oberflächenwassers) ist nur minimal. Etwa 0,5 Prozent des durch die Anlage fließenden Wassers verdampft, wenn der Unterdruck durch Kaltwasserkühlung mit Wasser von etwa vier bis fünf Grad Temperatur erzeugt wird. Der Druckunterschied in der Anlage ist sehr gering. Man benötigt also extrem große Verdampferflächen und extrem große Turbinenschaufeln, um mit diesem bescheidenen Dampfanfall Generatoren betreiben zu können. 174
Diese Überlegungen behinderten lange Zeit die Entwicklung von „OTEC"-Anlagen mit offenem Kreislaufbetrieb. Es war die amerikanische Firma „Westinghouse Corporation" in Philadelphia, die Anfang der achtziger Jahre begann, diese Projektlösung voranzutreiben. Sie tat sich zu diesem Zweck mit der deutschen Dykkerhoff & Widmann AG, München, einer stark auf Betonkonstruktionen spezialisierten Baufirma, zusammen, um eine OTEC-Anlage aus Spannbeton zu konstruieren. Nur mit diesem - bei sorgfältiger Herstellung in der Umwelt der Meeresoberfläche über die Betriebszeit einer OTEC-Anlage von etwa 30 Jahren wartungsfreien - Baumaterial für eine schwimmende Riesenturbine schien es möglich, eine solche neuartige Anlage rationell zu realisieren. Die Ingenieure der beiden Firmen entwickelten ein erstes Konzept einer solchen Spannbeton-OTEC-Anlage, die die Erzeugung von Strom zu kommerziellen Preisen schon aus einer 100-Megawatt-Anlage erlauben sollte, die zu jenem Zeitpunkt allerdings verhältnismäßig hohen Preise für andere Energieträger vorausgesetzt. Freilich auch das nur in tropischen Meeresgebieten, in denen sowohl warmes Oberflächenwasser als auch genügend kaltes Tiefenwasser zur Verfügung steht. Sie besteht aus einem Riesenponton aus Spannbeton mit einer Dicke von etwa 40 Zentimetern, der auf einem Luftkissen „weich" auf der Meeresoberfläche schwimmt. In einer Riesenkuppel auf dem Ponton von rund 100 Meter Durchmesser werden 370 Tonnen Warmwasser pro Sekunde umgewälzt, aus denen freilich nur rund 1,6 Tonnen Dampf entstehen. Kühlung und Unterdruckerzeugung erfordern das Hinaufpumpen von rund 310 Tonnen Kaltwasser aus etwa 900 Meter Tiefe. Der Dampf fließt durch eine Turbine, deren Rotorblätter einen Durchmesser von 45 Meter haben und den 100-Megawatt-Generator antreiben. Sowohl Verdampfer als auch Turbine sind auch nach heutigen Begriffen gigantisch und nur aus völlig korrosionsfreien, also wartungsfreien Werkstoffen denkbar: die „stehenden" Teile aus Spannbeton, die Rotorblätter nach der bei Hubschraubern erprobten Technologie aus faserverstärktem Kunststoff. Die Kaltwasserzufuhr aus der Tiefe erfolgt in diesem faszinierenden Konzept durch ein Rohr, das nur im obersten Teil aus Spannbeton besteht (ein 900 Meter langes Spannbetonrohr wäre viel zu steif, das kurze Betonrohr dagegen ist erforderlich, um wie eine Art Kiel den OTEC-Ponton in der Position zu stabilisieren) und im unteren Teil aus einem verstärkten Plastikmaterial. 175
Die hohen Investitionskosten einer 100-Megawatt-Anlage gegenüber konventionellen Kraftwerken mit fossilem Brennstoff oder Uranbrennstoff hoffte man durch den kostenlos zur Verfügung stehenden „Treibstoff" Warmwasser ausgleichen zu können. Doch auch in diesem Fall haben nach einem ersten starken Anstieg wieder sinkende Ölpreise hochfliegende Pläne zumindest vorläufig zunichte gemacht. Dr. Harald Steinen
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Zwar ist schon mancher Erfindertraum an der naturgesetzlichen Unmöglichkeit einer Maschine gescheitert, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen sollte. Doch wird auch mancher Maschinenentwurf zu Unrecht als ein solches Perpetuum Mobile verdächtigt, obwohl er ernsthafter Überlegung wert ist:
Magnetische Tricks für Kraftmaschinen Auch wenn die Erfolgsaussichten nicht selten gering erscheinen, wird heute jede Spur zu einer neuen Energiequelle oder „Energiemaschine" unverdrossen aufgenommen. Während der Energiekrise 1973/74 hat das Bundesministerium für Forschung und Technologie die Bürger sogar regelrecht dazu aufgefordert, Vorschläge für die Lösung von Energieproblemen zu machen. Dabei wurde zwar manches Ei nur im Glauben der Erfinder selbst nach Art des Kolumbus auf die Spitze gestellt, doch gab es auch genügend Vorschläge, die man ernst nehmen mußte. Dazu zählen die zahlreichen Anregungen, den sogenannten Curie-Effekt zu nutzen. Er ist schon seit über 100 Jahren bekannt und besteht darin, daß magnetische oder magnetisierbare Stoffe diese Eigenschaften dann verlieren, wenn sie über eine bestimmte Temperatur hinaus erhitzt werden, die CurieTemperatur genannt wird und natürlich von Stoff zu Stoff verschieden ausfallen kann. Unter Ausnutzung dieses CurieEffektes glaubten die Erfinder eine Maschine bauen zu können, die unter anderem die bei Kraftwerken reichlich anfallende Abwärme in mechanische und damit auch elektrische Energie umsetzen könnte. Anordnungen zur Ausnutzung dieses Effektes werden in den Lehrbüchern der Physik beschrieben und in vielen Vorlesungen immer wieder vorgeführt. Nimmt man beispielsweise einen Stab aus Eisen oder einem anderen ferromagnetischen Material, der auf der rechten Seite heiß und auf der linken kalt ist, dann wird sein kalter Teil von einem Magneten stärker angezogen als der warme. Die Kraft, die den Stab also dann, wenn man ihn zwischen den Polen eines Magneten hindurchbewegt, von rechts nach links zieht, ließe sich ausnützen. Aber bis jetzt konnte niemand darüber Auskunft geben, wie groß der Wirkungsgrad einer solchen Maschine sein würde. Gerade 177
er entscheidet aber über ihre Wirtschaftlichkeit und damit auch über die Frage, ob sie sich überhaupt zu bauen lohnt. Deshalb wurde in der Zentralabteilung Allgemeine Technologie der Kernforschungsanlage Jülich mit Hilfe der Lehrwerkstatt ein Modell einer solchen Maschine gebaut. Ihr Herzstück besteht aus einem Rotor, dessen Ringkörper aus Lamellen des Werkstoffs Thermoperm zusammengesetzt ist, der bei einer Curie-Temperatur von 70 Grad Celsius entmagnetisiert wird. Dieser Rotor taucht nun teilweise in 55 Grad Celsius warmes Wasser ein und wird in seinem getauchten Teil auch weitgehend entmagnetisiert. Ein an der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft angeordneter Dauermagnet zieht deshalb vor allem den über Wasser liegenden Teil des Rotors an und erzeugt so eine Drehbewegung. Da die aus dem Wasser gedrehten Teile des Rotors aber schnell abkühlen und so wieder magnetisch werden, geht die Drehbewegung in eine fortlaufende Rotation über. Zur Verstärkung der Kühlung dient ein Ventilator, der vom Ring des Rotors über eine hohe Übersetzung angetrieben wird. Auf der Achse des Ventilators sitzt der Anker eines Generators, mit dem die Netto-Nutzleistung der Maschine bei der Stromerzeugung bestimmt werden kann. Bei ihren Messungen und Hochrechnungen auf größere Dimensionen einer solchen Anlage stellten die Wissenschaftler der Kernforschungsanlage Jülich jedoch fest, daß der Wirkungsgrad so gering ist, daß mit einer wirtschaftlichen Erzeugung von elektrischer Energie nach diesem Prinzip nicht zu rechnen ist. Dagegen ist eine andere Nutzung dieses Effektes zumindest denkbar. Unter Umständen könnte man nämlich dieses Prinzip und die gleiche Anlage dazu verwenden, die Abwärme eines Kraftwerkes an die Luft abzugeben, anstatt sie, wie bei herkömmlichen Kraftwerken häufig der Fall, einfach ungenutzt in die Flüsse zu leiten und damit das Flußwasser mit schädlichen Folgen für das ökologische Gleichgewicht aufzuwärmen. Bei dieser Art der Kraftwerkskühlung würde zum einen die gesamte Wärme, die das Metall vom Wasser aufnimmt, an die Luft abgegeben. Zum anderen würde von dem Rotor eine Menge Wasser heraustransportiert. Der Rotor benetzt sich ohnehin mit Wasser und ist außerdem mit einer großen Zahl von Löchern versehen, in denen ebenfalls Wasser sitzt. Dieses warme Wasser wird außerdem noch von dem Ventilator angeblasen, so daß eine relativ starke Verdampfung erfolgt, durch die ebenfalls Wärme abgeführt wird. Beide 178
Effekte, die Abkühlung durch Wärmeübergang und die Abkühlung durch Verdampfung, werden durch den Ventilator verstärkt, der kühle Luft anbläst und gleichzeitig gesättigte Feuchtigkeit wegbläst. Da die notwendige Antriebskraft für den Ventilator vom Rotor selbst aufgebracht wird, ist keine zusätzliche Elektrizität erforderlich. Solch eine Anlage zur Vernichtung von Abwärme, die im Prinzip einem Naßkühlturm entsprechen würde, hätte natürlich gewaltige Ausmaße. Sie bestünde aus einem Riesenrad mit einem Durchmesser von mindestens 100 Meter, das das erwärmte Kühlwasser durchläuft. Da ein derartiges in die Landschaft gesetztes Riesengebilde natürlich Tag und Nacht beleuchtet werden müßte, könnte man den in geringen Mengen anfallenden, jedoch bei entsprechend großer Dimensionierung der Anlage ausreichenden Strom für diesen Zweck verwenden. Auf diese Weise könnte sich die gesamte Anlage selbst mit Energie versorgen. Dennoch glauben die Wissenschaftler der Kernforschungsanlage Jülich nicht, daß ein derartiger „Naßkühlturm" gegen die ausgereiften Konstruktionen der heutigen Kühltürme konkurrenzfähig ist. Das gleiche Prinzip ließe sich übrigens aber auch für Verdampfer anwenden, mit denen man in zentralbeheizten Räumen mit häufig sehr trockener Luft das Klima verbessert. Derartige Anfeuchter werden heute als elektrische Geräte mit zum Teil nur geringem Wirkungsgrad gebaut. Die notwendige Wärme für die Ausnutzung des Curie-Effekts könnten sie von der Zentralheizung selbst beziehen. Schon die heute üblichen Heiztemperaturen würden bei entsprechender Wahl des Materials eine solche Klimamaschine ständig in Betrieb halten. Karl-Heinz Preuß
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Mit Akribie entwarfen Wissenschaftler der Kernforschungsanlage Jülich ein Luftschloß, um dessen für Luftschlösser typische Unverkäuflichkeit um so besser beweisen zu können. Es ging ihnen dabei um eine ausschließlich „sanfte" Energieversorgung durch Sonne, Wind, Wasser und Biomasse und die sachliche Abklärung des Für und Wider dahinter:
Hartes Erwachen aus sanften Träumen Diese umfangreichen Untersuchungen einer „sanften Utopie" setzten sich nicht nur mit der Behauptung auseinander, daß der Energiebedarf der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft weitgehend „sanft" gedeckt werden könne, sondern auch mit dem Anspruch, daß gerade dieser Weg auch zahlreiche gesellschaftliche Vorteile mit sich bringe. Wie Dr. Alfred Voss und Dr. Ortwin Renn erklären, wurde dabei vor allem nach der jeweiligen technischen Machbarkeit gefragt, nach der wirtschaftlichen Rentabilität, der ökologischen Verträglichkeit und den gesellschaftlichen Folgeerscheinungen. Dabei entstand ein „sanftes" Energieszenario für das Jahr 2030, das freilich keineswegs eine Prognose, sondern nur Ergebnis eines interessanten Gedankenexperimentes sein soll. Unter der Voraussetzung einer erheblichen Verbesserung des sparsamen Umganges mit Energie (der zu einer etwa doppelt so hohen Wirtschaftlichkeit der Raumheizung führen dürfte) wurden dabei die möglichen Beiträge untersucht, die Wasser- und Windkraftwerke zur Stromerzeugung, Solarsysteme mit und ohne Wärmepumpen und „Total'-Energieanlagen zur Wärmeerzeugung sowie Biokonversionsanlagen zur Erzeugung von flüssigen und gasförmigen Brennstoffen aus Abfallbiomasse insgesamt bereitstellen könnten. Und es zeigte sich, daß selbst die volle Ausschöpfung dieser Quellen nicht mehr als 30 Prozent des deutschen Energiebedarfs im Jahre 2030 abdecken könnte, eine ausschließlich sanfte Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland also gar nicht möglich ist. Gewicht haben auch die Ergebnisse, daß die mit dem „sanften" Weg verbundene Vielzahl kleiner Energieversorgungsanlagen auch bei einer Verdopplung der Anfang der achtziger Jahre bereits recht hohen Ölpreise noch unter der 180
Wirtschaftlichkeitsschwelle liegen würde, was nach Ansicht der Jülicher Forscher ganz besonders für solare HaushaltsHeizsysteme gilt. Die durch eine solche Vielzahl von kleinen Energiequellen bedingte Dezentralisierung der Energieversorgung bedeute überdies einen höheren Rohstoffverbrauch insgesamt, mehr Flächenbedarf und zum Teil auch verstärkte Umweltbeeinträchtigungen. Zu diesen Nachteilen zählen die Wissenschaftler aber auch eine Reihe von Vorteilen auf, zu denen nicht zuletzt die geringere „Verwundbarkeit" dezentraler Anlagen und die zweifellos bessere Akzeptanz bei den Bürgern gehören. Auch mit der Vermutung, daß die „sanften" Energiesysteme mehr Arbeitsplätze schaffen könnten, hat man sich in Jülich auseinandergesetzt und ist dabei zur Feststellung einer stark absinkenden Produktivität gekommen: „Je mehr die Energieversorgung auf dezentrale und regenerative Energiesysteme aufgebaut ist, desto größer ist der Zeitaufwand des Konsumenten zum Betrieb, zur Pflege und zur Wartung seiner Anlagen." Als Beispiel wird dazu der Fall angeführt, daß alle Haushalte zu 70 Prozent im Energieverbrauch Selbstversorger wären, also ihren Bedarf durch eigene Wind-, Solar- und Biogasanlagen abdecken würden. Dann müßte aber nach Rechnung der Wissenschaftler jede Familie wöchentlich rund 35 Stunden Arbeit in die familieneigenen Energiesysteme stecken - und auch bei einer leichten Versorgungs-Zentralisierung kämen immer noch 15 bis 20 Stunden heraus. Wenn solche Zahlenangaben vom Betrag her auch anfechtbar sein mögen, so verweisen sie in ihrer freizeitzehrenden Tendenz aber doch auf das Ende einer anderen Illusion, mit der die „sanfte" Energie bisweilen mit dem Traum von einem neuartig einfachen Leben verbunden wird. Eine „Zukunft ohne Zwang" wird sich so bestimmt nicht verwirklichen lassen. Nicht die „sanften" Energiequellen sind also von Übel, sondern die bisher verschiedentlich propagierte Absicht, sie als den allein problemlösenden Zukunftsweg zur „Weltanschauung" zu machen. Voss und Renn haben deshalb als wesentliche Erkenntnis aus dieser Untersuchung herausgestellt, „daß der Gegensatz von ,harten' und ,weichen' Energiesystemen eine künstlich herbeigeredete Barriere bedeutet, die an den wirklichen Problemen der Energieversorgung vorbeigeht". Dieser künstlich ausgehobene Graben kann ihrer Ansicht nach aber nur zugeschüttet werden, wenn man eine sachlich 181
begründete Vereinigung dieser scheinbar gegensätzlichen Energiestrategien versucht und jedes Energiesystem jeweils dort einsetzt, wo es den örtlichen Bedingungen entsprechend die besten Dienste leisten kann. Nur so kann ihrer Ansicht nach der Weg zu einer verantwortbaren und akzeptablen Energieversorgung der Zukunft gewiesen werden. Rolf H. Simen
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GESCHICHTEN, DIE DIE FORSCHUNG SCHREIBT
UMWELTFRAGEN ___________________________ Bedrohung und Überlebenschancen unserer Natur
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Wenn auch eine Zusammenstellung aus Dreikantmuscheln, Menschenblut, Regenwürmern, Kuhmilch und einigen anderen „Zutaten" wie ein Rezept für eine Hexenarznei anmutet, so ist doch hier der Sinn ein völlig anderer: Typisches organisches Material soll heute so konserviert werden, daß seine aktuelle Schadstoffbelastung festgehalten wird und Vergleichswerte für künftige Untersuchungen liefern kann:
Umweltkrankheiten in Konserven Auf dem Gelände der Kernforschungsanlage Jülich befindet sich die erste deutsche Umweltprobenbank, von der man sich zu Recht starke methodische, meßtechnisch-analytische und inhaltliche Impulse für die zukünftige Umweltforschung erhofft, zumal sie von Jahr zu Jahr nützlicher wird. Ihre Hauptaufgabe ist die Langzeit-Konservierung und -archivierung von organischem Material, von pflanzlichem und tierischem Gewebe: eine durch Tieftemperatur-Lagerung erfolgende Konservierung, die es ermöglichen soll, daß bei Analysen in zehn, 20 oder gar 30 Jahren noch zuverlässig festgestellt werden kann, welche Substanzen, insbesondere welche Schadstoffe, in ihm beim Zeitpunkt seiner Einlagerung enthalten waren. Auf diese Weise hofft man, Umweltbelastungen künftig laufend und zuverlässig verfolgen zu können. Wird beispielsweise über einen längeren Zeitraum die Zu- oder Abnahme eines bestimmten Schadstoffs festgestellt, ist es wichtig zu wissen, ob es sich wirklich um eine Umweltveränderung handelt, oder ob die Veränderung der Werte zumindest teilweise auf Änderungen, vor allem Verbesserungen der Meßmethoden zurückzuführen ist. Um diese Frage beantworten zu können, braucht man ähnliche Proben aus der Vergangenheit. Diese werden mit den verbesserten Methoden und Geräten erneut analysiert - ein Vergleich der neuen Daten mit den früher ermittelten zeigt dann, ob Korrekturen an den aktuellen Untersuchungsergebnissen erforderlich sind. Das mag auf den ersten Blick wie eine akademische Haarspalterei wirken, ist es aber keineswegs. Denn die Konzentration vieler Schadstoffe in Pflanzen und Tieren, aber auch im menschlichen Gewebe sind so niedrig, daß ihre zuverlässige 184
Bestimmung oft große Schwierigkeiten bereitet. Eine eindeutige Zuordnung einer bestimmten Substanz zu einem Krankheitsbild setzt aber eine sichere Analyse voraus. Nur so können folgenschwere diagnostische Fehlentwicklungen und Umwege vermieden werden. Und der Versuch, den Weg eines Schadstoffs durch die verschiedenen Nahrungsketten bis zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen, stellt die Analytiker vor noch größere Probleme, da sie immer geringeren Konzentrationen gegenüberstehen - auch in solchen Fällen dürfte sich eine Probenbank als außerordentlich hilfreich erweisen. Weiterhin ist es denkbar, sogar wahrscheinlich, daß künftig ganz neue Schadstoffe auftreten - bisher unbekannte Substanzen, möglicherweise aber auch bekannte Stoffe, die heute noch als harmlos gelten. Dann ist es wichtig, durch Umweltproben aus der Vergangenheit nachträglich verfolgen zu können, wann und wo sie zum erstenmal auftauchten oder eine bestimmte Konzentration überschritten. Da die noch nicht spürbare Entwicklung vieler sogenannter „Umweltkrankheiten", etwa mancher Krebsarten, mehrere Jahrzehnte dauern kann, wäre es deshalb wichtig, Umweltproben entsprechend lange konservieren zu können. Die Entwicklung geeigneter Konservierungsmethoden ist daher der eigentliche Schwerpunkt dieses Projekts, in dem man sich zunächst auf eine begrenzte Zahl von Probentypen und zu beobachtenden Schadstoffen beschränkt hat. Dazu gehören Probentypen in Form von Blut, Leber- und Fettgewebe, die für den menschlichen Organismus repräsentativ sind. Für den marinen Bereich wurden Karpfen, Dreikantmuscheln und Algen ausgewählt, und für Bodensysteme und Nahrungsketten Boden- und Klärschlammproben, Regenwürmer, Laufkäfer, Gras, Weizen und Kuhmilch. Bei den Schadstoffen konzentriert man sich auf solche anthropogener (menschlicher) Herkunft: auf Cadmium, Blei und Quecksilber, bestimmte Kohlenwasserstoffgruppen, einige anorganische Chemikalien, auf steroidförmige Hormone, wie sie zur Tiermast verwendet werden, beispielsweise Östrogen, und auf Pflanzenschutz- und -behandlungsmittel. Die Proben werden sowohl vor dem Einlagern als auch später nach bestimmten Lagerungsintervallen mit extrem empfindlichen Analysemethoden untersucht. Da die Proben, von denen ein Teil auch in der Universität Münster gelagert wird, aus allen wichtigen Regionen der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig zusammengetragen werden, dürfte die methodische Untersuchung des frischen 185
Materials auch zu einer ersten umfassenden Bestandsaufnahme der Umweltbelastung in ausgewählten Bereichen führen. Dietrich Zimmermann
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Trübe wie die meisten unserer Gewässer sind auch die Überlebensaussichten ihrer Bewohner. Was Fischern und Anglern längst kein Geheimnis mehr ist, blieb doch der Öffentlichkeit vielfach unbekannt: Schon manche Art steht in einem häufig hoffnungslosen Rückzugsgefecht:
Gefahr für viele Süßwasserfische Ein großer Teil der rund 70 in Süßgewässer einwandernden oder dort heimischen Fischarten der Bundesrepublik Deutschland ist in seinem Weiterleben bedroht oder bereits vernichtet. Von den 52 betroffenen Arten sind drei schon völlig ausgestorben. Zwölf weitere Arten wie Lachs, Meerforelle, Flußneunauge oder Maifisch sind unmittelbar vor dem Erlöschen. Ihr Überleben in der Bundesrepublik ist unwahrscheinlich, wenn keine entsprechenden Schutzmaßnahmen getroffen werden. Das gleiche Schicksal droht auf lange Sicht neun zusätzlichen Arten, zu denen beispielsweise der Perlfisch, aber auch die Wildform des Karpfens gehören. 16 Arten werden als stark gefährdet eingestuft, darunter Barbe, Steinbeißer, Bachneunauge, Elritze, Stint, Bitterling, Saibling oder Äsche. Als gefährdet gelten neben acht anderen Arten Stichling, Seeforelle und Wels. Potentiell gefährdet ist auch die Bachforelle. Diese erschreckende Bilanz zog Dr. Rüdiger Bless von der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie in Bonn. Stromfische wie Maifisch, Schnäpel, Aland, Barbe und Flußneunauge verloren beispielsweise in der Elbe Laich- und Ruheplätze, als sich in der Folge von intensiven Strombaumaßnahmen das Flußbett verengte, die Strömungsgeschwindigkeit erhöhte und dadurch Kies- und Sandbänke weggeschwemmt wurden oder Untiefen verschwanden. Staumaßnahmen schnitten Wanderfische wie den in der Bundesrepublik bereits ausgestorbenen Stör oder den fast erloschenen Lachs von ihren Laichgründen ab und behinderten auch die periodischen Wanderungen anderer Flußfische. Flußregulierungen und Staumaßnahmen sind ebenfalls schuld am Rückgang von natürlichen Überschwemmungsgebieten, die für viele Arten, wie beispielsweise den Zopen, wichtige Laich- und Freßplätze sind. Auch dem Wildkarpfen mangelt es deshalb an geeigneten Laichgewässern. In räumlich 187
kleinerem Maßstab gilt dies auch für den Zwergstichling, einen Bewohner kleiner und kleinster stehender Gewässer, dessen Bestand durch das Verschwinden von pflanzenreichen Gewässern, die vor allem durch periodische Überflutung gebildet und gespeist werden, rückläufig ist. Der Wels ist in der Elbe bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Flußregulierung und den dadurch entstandenen Mangel an flachen, pflanzenreichen Uferzonen verschwunden, während sein Bestand in anderen Gewässern nur über Besatzmaßnahmen erhalten werden kann. Durch Begradigungen, Absenken von Gewässern, künstliche Uferbefestigungen und Verrohrungen gehen viele ökologische Nischen verloren, werden natürliche Uferzonen als besonders produktive Gewässerzonen zerstört. Allein zwischen 1960 und 1970 sind im Bundesgebiet nicht weniger als 25 000 Kilometer Wasserläufe ausgebaut worden. Der begradigte Bach bietet Forellen, aber auch Groppen, Schmerlen und Elritzen nicht das Minimum ihrer Existenzbedingungen. Es fehlen Versteckplätze, die Selbstreinigungskraft und Nährstoffproduktion sind vermindert, weil die Aufwuchs- und Besiedelungsfläche für tierische und pflanzliche Organismen kleiner wurde. Reinigungs- und Instandhaltungsmaßnahmen tun ein übriges. Ohne Unterwasserpflanzen ist zum Beispiel in kleinen Fließgewässern mit Sandboden wegen des Mangels an Verstecken und Nahrungstieren ein Fischvorkommen kaum denkbar. Selbst eine vorübergehende völlige Entkrautung kann verheerende Folgen haben. Schwer zu schaffen macht so unterschiedlichen Arten wie Äsche, Bachneunauge, Quappe oder Stint zusätzlich auch die Verschmutzung durch eingeleitete Abwässer, die sie teilweise auch für Krankheiten anfälliger macht. In einigen Bereichen des Mains ist die Fischfauna als Folge der Verschmutzung bereits so gut wie erloschen. In südbadischen Rheinfischen wurden verhältnismäßig hohe Quecksilbergehalte gefunden. Die steigende Versalzung der Werra und Oberweser verändert zunehmend die Lebensgemeinschaften dieser Flüsse. Nicht nur die übermäßig hohe Salzkonzentration, sondern auch ihre Schwankungen beeinträchtigen viele im Süßwasser lebende Organismen, da für sie die enormen Schwankungen des osmotischen Druckes unerträglich sind. Weil einige Muschelarten unter der Wasserverschmutzung leiden, verschwindet langsam auch der Bitterling, der mit bestimmten Muscheln vergesellschaftet ist, in deren Kiemen er seine Eier legt.« Nicht nur Fließgewässer, sondern auch stehende Gewässer 188
müssen häufig große Mengen an Abwasser aufnehmen. Eine enorme Planktonproduktion ist die Folge. Während einige Arten wie Plötze oder Barsche davon profitieren und ihre Lebensgewohnheiten ändern, indem sie die neue Nahrungsquelle dankbar annehmen oder gar zu reinen Planktonfressern werden, müssen andere Arten wie Perlfisch, Saibling, Mairenke, Seeforelle, Sandfelchen oder Kilch unter der Eutrophierung der Seen leiden oder drohen dadurch gar auszusterben. Das Aufkommen der Brut einiger dieser Arten wird in zunehmendem Maße be- oder verhindert, da ihre Eier, die sie in den unteren Wasserbereichen ablegen, in sauerstoffzehrenden Faulschlammablagerungen ersticken, die durch Absinken der im Überfluß produzierten organischen Substanz entstanden sind. Darüber hinaus drohen einige Arten durch die Seen-Eutrophierung ihre „genetische Identität" zu verlieren, weil unter den veränderten Bedingungen die Isolationsmechanismen der einzelnen Arten nicht mehr richtig funktionieren. Aber auch Zucht- und Besatzmaßnahmen tragen dazu bei. Zumindest im Bereich des Alpenrandes gibt es beispielsweise keine genetisch reinen Vorkommen der Gattung Coregonus mehr, zu der neben dem Kilch, der möglicherweise eine Ausnahme macht, Sand- und Blaufelchen sowie Wandermaräne gehören. Auch vom Saibling, einem Bewohner von Seen des Donaugebietes, existieren im Bereich der bayerischen Alpen keine reinen Stämme mehr. Karl-Heinz Preuß
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Wenn ein typischer „Wandervogel" wie der Weißstorch in Europa immer seltener wird, liegt das auch an den Gefahren, die ihm auf seinen weiten Wegen überall begegnen. Deshalb helfen ihm Vogelfreunde nun auf recht ungewöhnliche Weise:
Adebar wird das Reisen abgewöhnt Der Weißstorch ist in Deutschland vom Aussterben bedroht. So drückt es jedenfalls die 1971 zum erstenmal erschienene und von Wissenschaftlern zusammengestellte Rote Liste der Naturschützer in Tiefrot aus, was höchste Alarmstufe bedeutet. Bereits das vom Europarat zum Naturschutzjahr erklärte Jahr 1970 hatte den Anstoß gegeben, daß sich engagierte Naturschützer in mehreren europäischen Ländern verstärkt um Meister Adebar kümmerten. Dabei entstand zum Beispiel im Elsaß auch ein bemerkenswertes Zentrum für die Wiedereinbürgerung der Störche. Im Elsaß müssen die Störche um 1900 nach allen Bezeugungen einige Tausend gezählt haben. Eine erste Zählung wies noch 1927 149 Paare und 386 Jungtiere nach. Erst nach 1960 begann der einschneidende Niedergang: 90 Paare wurden 1962 registriert, nur noch zehn 1976. In Holland verringerten sich die Storchenpaare von 48 im Jahr 1960 auf 14 im Jahre 1970. Im Nordrheingebiet ist der Weißstorch seit 1947 verschwunden, im Saarland seit 1965. Größere Restbestände leben noch in Bayern, in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein. Das Zentrum für die Wiedereinbürgerung der Störche im Elsaß, das 1972 in Kintzheim gegründet wurde -und dem 1975 in Hunawihr ein zweiter Storchen-Park folgte, hat sich schon vor Beginn seiner praktischen Versuche um die Biologie der Weißstörche gekümmert, die als „Kulturnachfolger" vor allem in Dörfern leben und nicht wie der Schwarzstorch als heimlicher Waldbewohner. Vor allem ging es dabei um die Frage, ob die Veränderung des Lebensraumes der Störche, etwa durch Flußbegradigungen und Entwässerungen feuchter Wiesen, ihnen auch die Nahrungsgrundlage entzieht. Dabei kamen die Forscher in Kintzheim im Gegensatz zu landläufigen Ansichten zu dem Ergebnis, daß Frösche und Froschartige keineswegs eine unbedingt notwendige Beute sind. Vom Regenwurm über Schnecken, Käfer, Engerlinge bis zu Mäusen, 190
Hamstern und manchmal auch Fischen schmeckt dem Weißstorch so vieles, daß er in trockenen wie auch feuchten Monaten sein Auskommen finden kann. Die Untersuchung von im Nest ausgewürgter Nahrung für die Jungen hat gezeigt, daß in der „trockenen Saison" Kleinsäugetiere und Käfer überwiegen, in der „feuchten Saison" Regenwürmer. Obwohl die Fachleute in dieser Frage keineswegs einer Meinung sind, verneinen jedenfalls die Forscher in Kintzheim die These, daß Nahrungsmangel ein Teil des Problems ist, das zum Rückgang der Störche geführt hat. Der Satz „je mehr Frösche, desto mehr Störche" sei ein bis zum Äußersten strapazierter Mythos. Die Untersuchungen der von Alttieren in die Nester gebrachten Nahrung hätten ergeben, daß das Angebot größer war, als die Jungen auffressen konnten. Im Gegensatz dazu führte ein Mitarbeiter der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie, Bonn, dieses Nahrungsproblem durchaus als Grund für den Rückgang an, zählte aber auch auf, daß die moderne Dorfarchitektur den Störchen zu wenig Möglichkeiten zum Nestbau biete, daß viele Störche auf ihren Zugstraßen nach Afrika Opfer von Jägern würden und daß die ökologische Qualität der afrikanischen Überwinterungsgebiete durch Eingriffe so verändert worden sei, daß sie auch in ihren klassischen Überwinterungsgebieten nicht mehr genug Nahrung fänden. Den Nahrungsmangel akzeptieren die Kintzheimer Storchschützer also nicht. Der Verlust durch eine mit Strom- und Fernmeldeleitungen „verdrahtete Landschaft", den auch die deutsche Rote Liste verzeichnet, betrage jährlich sechs bis acht Prozent. Das sei zwar ein bedauerlicher, aber im Hinblick auf die natürliche Zuwachsrate erträglicher Verlust. Die Kintzheimer Mitarbeiter J.-M. Thiollay und G. Moul haben indessen in Westafrika ermittelt, daß dort die Störche in großen Massen und oft auch mit automatischen Waffen - von Jägern dezimiert werden. Einen weiteren schwerwiegenden Grund sehen sie in der Versprühung von Schädlingsbekämpfungsmitteln in starker Konzentration aus Flugzeugen, auch auf Vogelansammlungen, gleich welcher Art. Die Folge: Von den in die Überwinterungsgebiete abreisenden Störchen kommt nur ein kleiner Prozentsatz zurück. Aus diesem Grund bemüht sich das „Centre de Reintroduction des Cigognes" im Elsaß um eine Unterdrückung des Zugtriebes: Die Störche sollen im Winter „zu Hause" bleiben. Deshalb wird das in der kalten Jahreszeit spärlicher werdende Nahrungsangebot verändert und werden dann täglich zwi191
schen 400 und 600 Gramm Fleisch an jeden Storch verfüttert. Bei starker Kälte stehen überdies beheizte Zonen zur Verfügung. „Festgehalten" werden die Vögel dadurch, daß man ihre Flügel stutzt, was ihnen nach der Mauserung die Flugfähigkeit wieder zurückgibt. Um den jährlichen Zugtrieb nach Afrika zu unterdrücken, muß dies bei jeder Storchengeneration drei Jahre lang geschehen. Die Jungen der im Elsaß auf diese Weise ganzjährig „ansässig" gemachten Adebare behalten indessen ihren Wandertrieb. Sie müssen ebenfalls der dreijährigen „Entwöhnungsprozedur" unterworfen werden. Die wissenschaftliche Frage dahinter ist, wie weit man Zugvögeln überhaupt das Ziehen abgewöhnen kann. In den siebziger Jahren bürgerte das wissenschaftliche Institut der Deutschen Jägerschaft in Bonn-Beuel in verschiedenen Gebieten Deutschlands erfolgreich Graugänse wieder ein. Inzwischen vermehren sie sich in freier Natur, doch unternimmt die Mehrzahl von ihnen keine Züge mehr. Heinz Ockhardt
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Immer weiter dehnen sich Dörfer und Städte in die freie Landschaft und oft wertvolle Naturräume aus. Sie treiben Tiere und Pflanzen zum Rückzug. Einige wenige Arten „verstädtern" indessen im lebenstüchtigen Gegenzug:
Wie Wildtiere Neubürger werden Ein Paradebeispiel, wie schnell Tierarten den für sie neuen Lebensraum Stadt erobern können und dort neue ökologische Nischen einnehmen, liefert schon lange die Amsel. Noch im 18. Jahrhundert ausschließlich als scheuer Waldvogel bekannt, drang sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts zuerst in die süd- und westdeutschen Städte ein und gehört heute sozusagen schon zum Stadtbild, sei es bei der Nahrungssuche auf dem Rasen in der City oder etwa auf einer Lichtreklame sitzend, wo sie laut flötend ihr Revier verteidigt. Ein ähnlicher Verstädterungsprozeß wiederholte sich bei einem nahen Verwandten, der Singdrossel. Worauf diese plötzliche „Verstädterung" zurückgeht, kann von zoologischer Seite bisher nur mit Mutmaßungen beantwortet werden. Ein Forschungsprojekt an der Universität des Saarlandes könnte hier indessen weiterhelfen. Was sich in wenigen Jahrzehnten am Beispiel der Amsel verfolgen läßt, hat sich - weniger auffällig - nämlich auch bei einigen anderen Tierarten abgespielt. Beim Fuchs beispielsweise treten in Stadtrandgebieten Verhaltensmerkmale auf, wie sie in freier Wildbahn unbekannt sind. Möglicherweise schlägt sich diese Urbanisierung auch in vererbbaren Veränderungen nieder. Dies zeigt, daß die Evolution noch nicht zu Ende ist, sondern sich ständig quasi vor unseren Augen vollzieht. So betrachtet sind Städte als Anpassungsräume eine Herausforderung für viele Tierarten, ein „Experimentierfeld der Evolution", wie es der Saarbrücker Biologe Dr. Hermann Ellenberg sieht. Wie „Großtiere" in dynamischen und vom Menschen intensiv genutzten Kulturlandschaften überleben, war die zentrale Frage, mit der sich Ellenbergs Arbeitsgruppe im Rahmen eines umfassenden „Stadtökologie-Projektes" am Lehrstuhl für Biogeographie befaßte. Sie interessierte dabei weniger, warum sich einzelne Tierarten zurückgezogen haben und auf welche, eventuell auch für den Menschen schädliche Faktoren 193
dies zurückzuführen ist. Die Wissenschaftler wollten vielmehr ergründen, wie es Säuger, Reptilien und Vögel schaffen, in einer stark veränderten Kulturlandschaft zu überleben - und dies oft nicht einmal so schlecht, wie schon erste Forschungsergebnisse zeigten. Es geht um Überlebensstrategien, deren Erforschung nicht nur für die zoologische Grundlagenforschung Bedeutung hat, sondern auch für Naturschutzmaßnahmen und sogar für Raumbewertung und Raumplanung. Nicht zuletzt ergeben sich so auch Hinweise auf eventuelle Umweltgefahren, die auch den Menschen bedrohen können. Daß Eidechsen sehr sensibel sind, was die Anreicherung bestimmter Schadstoffe im Körper angeht, zeigt beispielsweise eine Studie, in der die Schadstoffbelastung von Eidechsen der saarländischen Landeshauptstadt mit denen stadtferner Standorte verglichen und auch genau untersucht wurde, was sie dort jeweils als Nahrung vorfinden. Es stellte sich heraus, daß nicht nur Asseln, Tausendfüßler, Ameisen und Heuschrecken, sondern auch flugfähige Insekten sowie Früchte und Aas auf dem Speisezettel der flinken Vierbeiner stehen. An Zaun-, Mauer- und Waldeidechsen verschiedener Standorte aus der Innenstadt, dem städtischen Randbereich und aus unbelasteten stadtfernen Zonen wurde speziell die Schwermetallbelastung durch Cadmium und Blei analysiert. Ergaben sich bei der Ernährung auch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede, so wiesen die Eidechsen-Männchen dennoch höhere Blei- und Cadmiumgehalte auf als die Weibchen. Der Zustand der Tiere spiegelte sehr gut die Schadstoffbelastung des entsprechenden Raumes wider und stellte damit deren Eigenschaften als Bioindikator für die Raumplanung unter Beweis. Mit zunehmender Entfernung von einer stark befahrenen Verkehrsstraße nahmen bei den untersuchten Waldeidechsen-Männchen die Schwermetallrückstände stark ab, ebenso vom urbanen zum außerstädtischen Bereich bei allen untersuchten Populationen. Während sich der Aktionsraum einer Eidechse noch gut überblicken läßt, ist dies bei anderen Tieren nicht ganz so einfach. Um einen Habicht ständig überwachen zu können, war es erforderlich, das Tier mit einem Mini-Sender „auszustatten" . So konnten die Streifzüge des gefiederten Vagabunden in der saarländischen Landeshauptstadt mit einer Antenne genau verfolgt werden. Auf diese Weise gelang es auch, den Aktionsraum des Vogels ziemlich genau abzugrenzen, Schlafplatz und bevorzugte Aufenthaltsorte ausfindig zu machen. 194
Eine standardisierte Erfassung der möglichen Beutetiere in den einzelnen Räumen, die vom Singvogel bis zur Ente reichte, zeigte, daß sich der Greifvogel vor allem dort aufhält, wo das Beuteangebot am höchsten ist. Vor allem im Winter profitierte er vom überreichen Beuteangebot des reichhaltigen Vogellebens der Wald-, Park-, Garten-, Stadt- und Flußlandschaft. Aber auch im Sommer ist die Stadt ein verlockender Lebensraum für den Habicht, wie die Zahl der besetzten Horste im Stadtverband Saarbrücken zeigt. Auf einer Fläche von 315 Quadratkilometer wurden 14 besetzte Horste gezählt. Diese Siedlungsdichte von 1850 Hektar pro Habichtpaar ist verhältnismäßig hoch im Vergleich zu anderen Gegenden Deutschlands - ein Gütezeichen für einen reich gedeckten Tisch. Die Rückstandsanalysen in Mauserfedern der Habichte förderten mehr Blei und Cadmium zutage als in denen der Hauptbeutetiere; diese Schwermetalle reichern sich also an. Auch waren die Junghabichte noch nicht so stark belastet wie die älteren Tiere. Daß sich die Saarbrücker Umweltforscher nicht nur mit einzelnen Arten wie etwa auch dem Waldkauz, dem Fuchs oder der Schleiereule beschäftigten, beweist die Rasterkartierung der Brutvögel, in der man die gesamte Vogelwelt des Stadtverbandes zu erfassen versuchte. Die Ergebnisse dienen als Anhaltspunkt zur Ausweisung von Schutz- und Ruhezonen. Allein für die Landeshauptstadt wurden 99 Brutvogelarten registriert. Von weiteren acht Arten wie etwa dem Baumfalken, Rot- und Schwarzmilan sowie dem Flußregenpfeifer liegen Brutzeitbeobachtungen vor. Am weitesten im Stadtgebiet verbreitet sind Zaunkönig, Mönchsgrasmücke, Zilp-Zalp, Amsel, Kohlmeise und Buchfink. Sie wurden in mehr als der Hälfte der Rasterquadrate nachgewiesen. Schon erste Ergebnisse dieses Projektes zeigten, daß der Lebensraum Stadt für die Tierwelt keineswegs tabu ist, sondern gerade in städtischen Randgebieten für viele Tierarten neue ökologische Nischen bietet. Hier eröffnen sich auch für den praktischen Naturschutz neue Dimensionen, will man der „Evolution vor der Haustür" weiterhin eine Chance geben. Wilhelm Irsch
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Es sieht schlecht für sie aus: Sie sterben nicht mehr nur, weil sie manchem Stadtplaner im Wege stehen, sondern auch an einer Krankheit, die sich erst in diesem Jahrhundert verbreitet hat. Ein kleiner Pilz ist eine schlimme
Bedrohung für die letzten Ulmen Den Übeltäter haben die Biologen Ceratocystis ulmi getauft. Er wurde anfangs des Jahrhunderts aus dem Fernen Osten auf das europäische Festland verschleppt und im Jahre 1919 zum ersten Mal in Holland festgestellt. Von dort aus hat er schnell die Ulmen des ganzen Kontinents befallen. Nachdem die Krankheit Ende des Zweiten Weltkrieges etwas abflaute, treibt der Pilz seit den sechziger Jahren nicht nur in deutschen Landen wieder verstärkt sein Unwesen. Eine Ursache liegt möglicherweise darin, daß zu jener Zeit ein neuer, weit gefährlicherer Erregerstamm nach Europa kam. Inzwischen hat die Ulmenseuche Millionen Bäume auf dem Gewissen und macht auch vor den dicksten Stämmen nicht halt. Allein in Großbritannien gingen schätzungsweise 16 Millionen Ulmen an der Seuche zugrunde. In der Bundesrepublik Deutschland fielen bis Anfang der achtziger Jahre bereits über 70 Prozent des Ulmenbestandes. Der Pilz nistet sich in den Wasserleitgefäßen des jüngsten Jahresringes, dem im Frühjahr frischgebildeten Splintholz, ein und veranlaßt die dortigen Zellen zur Thyllenbildung. Diese pfropfartigen Gebilde wachsen heran und verstopfen schließlich das Wasserleitsystem. Der Wasserstrom von der Wurzel zur Krone versiegt, der Baum stirbt. Um an den „Tatort" zu gelangen, nimmt der Pilz bei uns die Transportdienste eines Tieres in Anspruch. Die Pilzsporen haften am Körper des Großen Ulmensplintkäfers Scolytus scolytus, den die Zoologen zur großen Familie der Borkenkäfer zählen. Auf diese Weise ist eine rasche Verbreitung des Pilzes gewährleistet. Das Käferweibchen bevorzugt zur Eiablage das Holz geschwächter Ulmen, die häufig vom Pilz befallen sind. Die Larven fressen sich ihre Gänge durch das Holz, verpuppen sich und vollziehen die Verwandlung zum Käfer. Mit den Pilzsporen beladen, bohrt sich das vollentwickelte Insekt schließlich seinen Weg ins Freie und sucht neue „Wei196
degründe" in den Baumkronen gesunder Ulmen, wo es sich am Blattwerk gütlich tut. Dabei gelangt gleichzeitig der Pilz in die Saftbahnen des Wirtes. Auf diese Weise kann sich die Seuche wie ein Lauffeuer unter den Ulmenbeständen ausbreiten. Gegen den Ulmensplintkäfer richten sich denn auch viele Bekämpfungsmaßnahmen, bei denen der durchschlagende Erfolg bislang noch ausgeblieben ist. Die chemische Bekämpfung durch den Einsatz von Bioziden, die sich als Insektizid gegen den Käfer oder als Fungizid direkt gegen den Pilz richten, ist sehr aufwendig und kostspielig. An die Wirksamkeit des DDT, dessen Einsatz wegen des enormen Umweltrisikos verboten ist, kommt ohnehin keines der heutigen Präparate heran. Die Anwendung von Fungiziden hat den Nachteil, daß die Substanzen den Bäumen direkt unter die Rinde gespritzt werden müssen, nachdem sie zuvor an mehreren Stellen angebohrt wurden. Abgesehen von den Kosten einer solchen Prozedur werden auch die Bäume selbst dadurch arg geschwächt, so daß der enorme Aufwand nur bei besonders wertvollen Exemplaren gerechtfertigt erscheint. Amerikanische Wissenschaftler versuchen dem Ulmensterben mit biologischen Mitteln zu Leibe zu rücken, die sich sowohl gegen den Erreger als auch gegen den Überträger richten. Dabei machen sie sich die Tatsache zunutze, daß die Käferweibchen, wenn sie einen zur Eiablage geeigneten Baum gefunden haben, einen charakteristischen Duftstoff (ein Pheromon) abgeben, der die Artgenossen gleich in Scharen herbeilockt. Papierrollen, die mit Leim bestrichen sind, imprägnieren die Wissenschaftler mit dem künstlichen Pheromon. Die Tiere gehen ihnen dann buchstäblich auf den Leim. Da auf diese Weise jedoch nie alle Käfer angelockt werden, läßt der Erfolg zu wünschen übrig. Eine andere Bio-Strategie läßt sich bei bereits befallenen Bäumen anwenden. Das Bakterium Pseudomonas syringae bildet einen Stamm aus, der eine hochwirksame Substanz ausscheidet, ein Antibiotikum, das den Pilz unschädlich macht. Eine solche Behandlung verspricht im Frühjahr besonders viel Erfolg, wenn die Ulmen voll im Saft stehen. Unter die Rinde injiziert werden die Bakterien in kürzester Zeit über den Saftstrom im ganzen Raum verteilt. Der Pilz kann auf diese Weise oft völlig vernichtet werden. Der Erreger der Ulmenkrankheit hat in Europa aber auch einen natürlichen Gegenspieler, der sich gegen den Ulmensplintkäfer richtet. Er heißt Phomopsis oblonga und ist ein 197
ebenfalls im Ulmenholz lebender Pilz, der den Baum jedoch nicht nennenswert beeinträchtigt. Dieser Pilz, der vor allem im Nordwesten der Britischen Inseln verbreitet ist, hemmt die Käferlarven in ihrer Entwicklung. Die auf diese Weise reduzierte Nachkommenschaft schlägt dann auch in einer erniedrigten Infektionsrate der Ulmen zu Buche. Die Hoffnungen auf eine holländische Ulmenart, die gegen die Pilzkrankheit resistent sein sollte, haben sich nicht erfüllt. Nachdem die in den sechziger Jahren angepflanzten Bäume inzwischen die für einen eventuellen Befall notwendige Reife erlangt haben, werden auch sie von der Seuche befallen. So bleibt denn auch heute die wirksamste Bekämpfungsmaßnahme, alle kranken und geschwächten Bäume sofort zu fällen, um dem Ulmensplintkäfer die Möglichkeiten der Eiablage zu entziehen. Ein rasches Eingreifen direkt nach dem Befall erfordert eine regelmäßige Überwachung der Bestände. In den Niederlanden läßt man sich den Kampf gegen das Ulmensterben etwas kosten. Ein landesweites Bekämpfungsprogramm verschlang allein im Jahre 1980 16 Millionen Gulden. Ähnliche Bekämpfungsaktionen gibt es in den Vereinigten Staaten. Wenn die Seuche sich damit auch nicht ausrotten läßt, so kann sie dadurch zumindest gebremst werden. Immerhin fallen in der Stadt Amsterdam von 50000 Ulmen jährlich lediglich 200 der Seuche zum Opfer. In Deutschland setzt man mehr auf die Züchtung widerstandsfähiger Formen. Diese könnten vielleicht, so paradox es klingen mag, aus der ursprünglichen Heimat des Erregerpilzes kommen. Unter den Ulmen in Fernost ist die Krankheit nämlich unbekannt. Vermutlich konnte sich dort im Verlauf eines jahrhundertelangen Zusammenlebens mit dem Pilz eine Art natürliche Resistenz entwickeln, die den in Europa heimischen Formen fehlt. Aus ostasiatischem Saatgut haben amerikanische Wissenschaftler nun auch einen anderen, wie sie hoffen, resistenten Ulmentyp herangezogen, von dem die ersten Exemplare in den letzten Jahren auch in der Bundesrepublik Deutschland angepflanzt wurden. Ob diese jedoch all das halten, was die Wissenschaft sich von ihnen verspricht, das wird sich frühestens zeigen, wenn die Bäume mit etwa 20 Jahren das kritische Alter erreicht haben werden. Wilhelm Irsch
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Im Himalaja und seinen Vorbergen spielt sich zur Zeit eine schleichende Umweltkatastrophe ab, die unabsehbare Folgen nach sich zieht. Die Wälder Nepals, die bis auf rund 4000 Meter hinaufreichen, werden verkauft, verfeuert, in Wiesen und Äcker umgewandelt:
Das Dach der Welt wird abgeholzt Dieser gewaltige Eingriff in die Natur ist vor allem deshalb fatal, weil die konzentrierten Niederschläge der Monsunzeit immer weniger im Waldboden zurückgehalten und in immer geringerem Umfang durch die „atmenden" Bäume wiederverdunstet werden. Diese extremen Regenmassen - die jährliche Niederschlagsmenge liegt fast überall weit über einem Meter und erreicht stellenweise sogar sechs Meter (!) im Jahr fließen immer schneller ab. Zunehmende Hochwässer, Schlammströme, Hangrutschungen und Bodenerosion vernichten den Waldboden und die Kulturflächen. Der immer schnellere Wasserabfluß durch die drei großen Flußsysteme des Landes, die alle in den Ganges münden und seine Hauptzuflüsse bilden, führen zu immer stärkeren Hochwässern des Ganges in Indien und in Bangladesh, wo die Hochwässer des Brahmaputra noch hinzukommen. Das extreme Ganges-Hochwasser des Jahres 1978 und das nicht viel weniger gewaltige Hochwasser des Jahres 1980 müssen beispielsweise, wie eine Untersuchung des Geographen Professor Hans-Christoph Rieger am Südasien-Institut der Universität Heidelberg zeigte, auf diese Entwicklung zurückgeführt werden. * Mit der fortschreitenden Entwaldung hat zum Beispiel auch der mittlere Jahresabfluß des Ganges in den letzten Jahren laufend zugenommen, auch wenn es keine bis ins letzte detaillierte Beweise für diese Zusammenhänge gibt, denn wer kann schon den Lauf eines Wassertropfens vom Fall am Himalajahang bis in den Ganges verfolgen. Die Waldvernichtung erfolgte jahrzehntelang vor allem zur Holzgewinnung, womit das Land einen Teil der Staatsausgaben finanzierte, und wird heute zunehmend unter anderem unter dem Druck des ständigen Bevölkerungszuwachses zur Landgewinnung betrieben. Mit Brandrodung, Beweidung des Waldes mit Großvieh und Gewinnung von Zweigen und Laub 199
als Viehfutter wird der Wald entweder schnell oder langsam zerstört, oft zur Gewinnung von Land, das so steil ist, daß es schon nach wenigen Jahren durch Bodenauswaschung wieder unfruchtbar geworden ist. Mit dem Kartoffelanbau dringt die Waldrodung bis zur Waldgrenze in 4000 Meter Höhe am Himalaja empor. Die Waldvernichtung wurde unter anderem durch die Verstaatlichung der Wälder stark beschleunigt. Zuvor gehörten sie den Dorfgemeinden. Nach der Verstaatlichung hatte niemand mehr Interesse, den fremden Wald zu schonen, wobei eine Kontrolle durch die Staatliche Forstverwaltung unmöglich war. Seit 1978 jedoch wird den Dorfgemeinden wieder ein eigener Waldbesitz zugestanden. Ein zusätzlicher Faktor der Waldvernichtung ist die Energienutzung des Holzes, da dieses praktisch die einzige Energiequelle des Landes ist. Die Schätzungen über den Holzbedarf pro Familie schwanken zwischen knapp einem und fast sieben Kubikmeter im Jahr. Bei heute möglicherweise 14 Millionen Einwohnern sind dies mehrere Millionen Kubikmeter im Jahr. Da jedoch offiziell nur rund zehn Millionen Kubikmeter Holz im Jahr eingeschlagen werden, von denen der größere Teil als Nutzholz nach Indien geht, dürfte der Haushaltsbedarf durch „Schwachholz" (junge Bäume), Fallholz oder Äste gedeckt werden - weitgehend auf Kosten des Waldes. Der Wald schwindet durch diese Nebennutzungen, Waldweide und Laubgewinnung vermutlich viel schneller, als es aus den Statistiken hervorgeht, und vieles, was als Wald registriert wird, ist nur noch sterbender Wald ohne Jungwuchs und Unterholz, der vor allem in den Spitzen der Kronen weitervegetiert. Ist der Wald verschwunden, so rinnt das Wasser mit vielfacher Geschwindigkeit zu Tal. Lediglich die sofortige Anlage von terrassenförmigen Feldern oder von dichtem Wiesenrasen könnte dies verhindern. Nach einer (allerdings nicht experimentell überprüften) Untersuchung wird der Wasserablauf durch Waldfortnahme und Ersatz des Waldes durch Gras um das 27fache beschleunigt; bleibt nur nackter Boden übrig, sogar um das 125fache. Untersuchungen vor Ort haben in Nepal gezeigt, daß aus einem gesunden Wald pro Jahr und Hektar drei bis fünf Tonnen Boden, aus einer guten Wiese etwa zehn Tonnen, aus einem Buschwald zehn bis 15 Tonnen und aus dem Gebiet einer Erosionsrinne, in der nur noch nackter Boden oder Fels die Oberfläche bilden, 45 bis 50 Tonnen fortgeschwemmt werden. Die Erosionskraft der Niederschläge an den Himala200
jahängen ist besonders groß, weil hier die Regen besonders konzentriert in großen Tropfen fallen. Das alles bedeutet, daß der Waldverlust an den Hängen des Dachs der Welt mit den großen Flächen mit starker Hangneigung und hohen Abflußgeschwindigkeiten zu zunehmenden Überflutungen in Talgebieten und zu einem schnellen Bodenabtrag auf den Hängen führt: Mit dem Boden schwindet die Lebensgrundlage der heute noch weitgehend von der Agrarwirtschaft lebenden Bewohner Nepals. Zwar ist es ein ehernes geologisches Naturgesetz, daß Hochgebirge auch wieder abgetragen werden, doch nicht in dem jetzt einsetzenden rasenden Tempo unterhalb der Baumgrenze in Nepal. In natürlichen Ökosystemen dürfte unter Waldbedeckung nicht mehr Bodenmasse „abfließen", als ständig unter den Wurzeln der Bäume neu aus Fels entsteht, so daß das Ökosystem immer intakt bleibt. Zwar hat man in Nepal, wo die staatliche Forstverwaltung mit der Aufforstung begonnen hat, die Problematik längst erkannt. Doch in etwa zwei Jahrzehnten entstanden kaum mehr als 50 Quadratkilometer neuer Waldflächen. Eine Reihe von Entwicklungsprojekten zielt indirekt auf die Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts durch Aufforstung, Wasserregulierung und Schaffung alternativer Energiequellen durch Biogas. Darüber hinaus wurde Anfang der achtziger Jahre erstmals ein Projekt begonnen, das als Modell für die weitere Entwicklung des Himalajastaates die Ökologie eines geschlossenen Gebietes, der Tinau Khola-Wasserscheide in Westnepal, regulieren soll. Es wird von der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und Nepal gemeinsam finanziert. In dem rund 550 Quadratkilometer großen Projektgebiet soll das ökologische Gleichgewicht wiederhergestellt und so eine ausbalancierte wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht werden. Das Projekt beginnt bei der Wiederaufforstung und dem Schutz der vorhandenen Forste, unter anderem durch Anpflanzung von Plantagen mit Futterbäumen auf Privatland, um das wilde Laubschneiden in dem Wald zu beenden, sieht die Anlage von terrassenförmigen Feldern in Hanglage vor, um die Bodenerosion zu beenden, soll die Hangrutschungen stabilisieren, die das Land bedrohen, und endet bei zahlreichen Verbesserungen der Produktivität in Landwirtschaft und Gartenbau. Im Vordergrund steht jedoch der Forstschutz, von dem alles andere abhängt. Dieses Projekt ist zwar nur ein kleiner, jedoch wichtiger Beitrag, um das Dach der Welt vor 201
der Verödung zu retten. Dr. Harald Steinen
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Auch selten werdendes Unkraut verdient Schutz. Zur üblichen „musealen Form" der Erhaltung dieser Ackerwildkräuter in Ackerreservaten und Freilichtmuseen gibt es eine neue Möglichkeit, zu einem besseren Nebeneinander von landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz zu gelangen:
Ein Unkrautsaum um jeden Acker Jahrzehntelang bemühen sich die Landwirte nun, das Unkraut von ihren Feldern zu verbannen, setzen gereinigtes Saatgut, Dünger und vor allem chemische Vernichtungsmittel (Herbizide) ein, und nun meldet sich die Wissenschaft mit der Forderung, diese ungeliebten Ackerwildkräuter zu schützen und zu erhalten. Der Grund: Von den 270 Arten der Wildkräuter aus Äkkern, Gärten und Weinbergen - sie werden auch Segetalflora genannt - sind 72 bundesweit bedroht oder verschollen und stehen auf den „Roten Listen" der gefährdeten Pflanzenarten. Dr. Wolfgang Schumacher vom Biologie-Seminar der Universität Bonn hat deshalb schon vor einigen Jahren erstmals den Vorschlag gemacht, einen etwa zwei Meter breiten Randstreifen der Äcker von der Herbizidanwendung zu verschonen. Dort könnten die Krauter dann ungestört wachsen, während der Rest des Ackers „normal" bewirtschaftet werden kann. Gerade die Wildkräuter sind auf einen regelmäßigen Eingriff des Menschen angewiesen. Ihre jahrzehntelang keimfähigen Samen gelangen bei der Bearbeitung des Ackers an die Oberfläche und treiben dort als Lichtkeimer rasch aus. Liegt der Acker längere Zeit brach, verschwinden die Pflanzen oft innerhalb von ein bis zwei Jahren. Schutzmaßnahmen für die Segetalflora sind also nur sinnvoll, wenn gleichzeitig Getreide oder Hackfrüchte angebaut werden, wobei jedoch auf die Anwendung von Herbiziden und übermäßige Düngung verziehtet werden muß. Ein genereller Verzicht auf chemische Unkrautbekämpfung und der Einsatz biologischer Anbaumethoden ist für die Landwirte jedoch zu unrentabel. In einem Modellvorhaben des Bundesmimsteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ging Schumacher deshalb der Frage nach, ob die Ackerkräuter nicht auch wirkungs203
voll geschützt werden können, wenn man nur die Randstreifen der Äcker nicht spritzt. Seit 1977 untersuchte er diese Frage regelmäßig an entsprechend behandelten Getreideäckern in der Sötenicher und der Dollendorfer Kalkmulde in der Nordeifel. Die Versuchsstreifen haben eine Gesamtfläche von 30000 Quadratmeter. Sie grenzen entweder an Wege oder an Wälder, Gebüsch und Kalkmagerrasen, nicht jedoch an benachbartes landwirtschaftlich genutztes Land. Im ersten Schritt des Vorhabens wurden alle Arten in den Randzonen der einzelnen Äcker erfaßt, getrennt nach gespritzten und ungespritzten Flächen. Anschließend schätzten die Wissenschaftler, wieviel Prozent des Ackerbodens die Krauter bedeckten, wie hoch also der „Bedeckungsgrad" ist. Insgesamt wurden bei der Bestandsaufnahme der ungespritzten Flächen 146 Wildkräuterarten gezählt, die gespritzten Vergleichsflächen wiesen nur knapp 50 Prozent dieser Artenzahl auf. Der Bedeckungsgrad der nicht gespritzten Fläche lag zwischen 30 und 70 Prozent gegenüber 15 bis 30 Prozent bei den Flächen, auf denen Herbizide eingesetzt wurden. Die pflanzensoziologische Bestimmung ergab, daß die Bestände entweder der Haftdolden-Adonisröschen-Wildkrautflur oder der selteneren Tännelkraut-Wildkrautflur zuzurechnen sind. Von den selteneren Arten fand man neun auf Versuchsflächen, auf denen sie vorher noch nicht angetroffen wurden. Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis), Labkraut (Galium tricornutum), Haftdolde (Caucalis lappula), Frauenspiegel (Legousia hybrida und Legousia speculum veneris) und Ackerlichtnelke (Melandrium noctiflorum) gediehen sogar in besonders großer Zahl. Das zeigt, daß in der Erde offensichtlich noch ein reicher Samenvorrat vorhanden ist. Ein Vergleich mit den gespritzten Randflächen ergab, daß dort auf einem Quadratmeter nur knapp ein Drittel der Arten und Individuen vorkommt, die man auf den ungespritzten Flächen antrifft. Einige seltene Arten, wie das Sommer-Adonisröschen, der Ackerhahnenfuß (Ranunculus arvensis) und die Haftdolde konnten in den ungespritzten Zonen sogar erfolgreich neu angesiedelt werden, da sie sich dann, wenn sie einmal ausgesät sind, aus eigener Kraft jedes Jahr erneuern. Wenngleich diese Ergebnisse zunächst nur für Äcker der Kaikeifel gelten, lassen sie doch hoffen, daß die Segetalflora mit diesen Maßnahmen „vor Ort" erhalten werden kann. Eine wichtige Funktion kommt dabei den Landwirten zu. Sie muß204
ten für die Teilnahme an dem Modellvorhaben erst einmal gewonnen werden, reagierten dann aber sehr positiv, denn ihre Angst vor Verunkrautung des gesamten Ackers bestätigte sich in keinem einzigen Fall. Für ihre Ertragseinbußen durch den Verzicht auf Herbizide erhielten sie eine Entschädigung. Die Ackerwildkräuter sind nämlich nicht nur interessant als lebende Zeugen alter bäuerlicher Wirtschaftsformen und Kulturen, wo sie zum Beispiel als Gift- und Heilpflanzen genutzt wurden, sie haben laut Schumacher vor allem in ökologischer und ökonomischer Hinsicht Bedeutung. So verhindern sie zum Beispiel das Aussterben vieler Schmetterlinge, Käfer, Spinnen und Raubinsekten, die nur in Gemeinschaft mit diesen Wildkräutern existieren können, und sind damit ein wichtiger Faktor für die Aufrechterhaltung des biologischen Gleichgewichts. Sie stellen zudem ein genetisches Potential dar, das für Züchtungen von großer Bedeutung sein kann. Viele unserer heutigen Nutz- und Zierpflanzen sind aus Kreuzungen zwischen Kultur- und Wildformen hervorgegangen. Rottet man die Wildarten aus, geht diese Möglichkeit für immer verloren. Petra Niesbach
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er hat sich sicherlich noch keine Gedanken darüber gemacht, daß sich der Erreger der tödlichen Krankheit seiner Zuchtraupen einmal als Nutzung erweisen könnte. Doch wenn sich Herr Berliner dieser Tatsache auch nicht bewußt gewesen sein mag, als er den Erreger aus dem Darm der kleinen Tierchen im Jahre 1911 als erster in Deutschland isolierte, so war es für Bacillus thuringiensis doch der bedeutende Schritt zum Schädlingsbekämpfungsmittel von „Rang":
Ein Bakterium macht Karriere Heute läßt sich der Bacillus nicht mehr nur bei der Bekämpfung von Raupen einsetzen, sondern auch als wirksame Waffe gegen Mücken. Für die Bekämpfung von Kriebelmücken und Stechmücken als Überträger gefährlicher Tropenkrankheiten gibt es damit zum erstenmal eine akzeptable Alternative zu jenen chemischen Bekämpfungsmitteln bei der Hand, die in den letzten Jahren zunehmend in Verruf geraten sind. Wichtigstes „Utensil" für den Einsatz des Bakteriums in der Schädlingsbekämpfung ist ein Eiweiß-Kristall, in das sich das Bakterium etwa bei Nahrungsmangel verwandelt. Nimmt die Raupe den Bacillus thuringiensis mit der Nahrung auf, so löst sich der Eiweißkristall im alkalischen Milieu des Darmsaftes und wandelt sich wieder zum für sie tödlichen Bakterium. Die Karriere des Bakteriums als nützlicher Helfer liest sich wie ein spannender Kriegsroman. Den ersten Feldzug im Dienste des Menschen hatte es Ende der zwanziger Jahre in Ungarn und Jugoslawien gegen den Maiszünsler zu bestreiten. Das Ergebnis ließ noch zu wünschen übrig. Erst Anfang der fünfziger Jahre traf Bacillus thuringiensis dann voll ins Schwarze. In Kalifornien gewannen die Mikroben den Kampf gegen den Amerikanischen Luzerneheufalter, einen Verwandten unserers Kohlweißlings. Etwa zur gleichen Zeit kamen Siegesmeldungen aus Ungarn im Kampf gegen den Weißen BärenSpinner. Schließlich wurden auch in Frankreich, Deutschland und der Sowjetunion die Raupen des Kohlweißlings durch Bacillus thuringiensis wirksam bekämpft. Diese Erfolge im Kampfe Davids gegen Goliath riefen schließlich auch die Industrie auf den Plan. Heute sind Bacillus-thuringiensisPräparate unter den verschiedensten Bezeichnungen fast über206
all auf dem Globus erhältlich. Inzwischen hatten sich neue Anwendungsgebiete für den Einsatz des Mikroorganismus eröffnet. Ein bestimmter Stamm enthält ein Gift, das nicht gegen Schmetterlingsraupen wirkt, sondern gegen Mückenlarven. Die Mikrobiologen haben ihn Ende der siebziger Jahre in Israel in den Brutstätten von Stechmücken aufgespürt und tauften ihn „israelensis". Im Vergleich zu anderen Bekämpfungsmethoden ist die Anwendung von Bacillus thuringiensis höchst elegant, zumindest was die „Nebenwirkungen" angeht. Der Stamm israelensis erweist sich nämlich in seinen Wirkungen auf den gesamten Naturhaushalt bislang als äußerst harmlos. Wie beispielsweise Untersuchungen des Heidelberger Zoologen Dr. Wolfgang Schnetter zeigten, richtet sich das Toxin nur gegen im Wasser lebende Larven von Stechmücken, Kriebelmücken, Zuckmücken und die einiger anderer Mückenarten. Nah verwandte Arten werden verschont: Büschelmücken und Schwebfliegen ebenso wie alle übrigen Wasserinsekten oder die zu den Krebsen zählenden Wasserflöhe. Auch der Mensch hat von dem Bakterium nichts zu befürchten, wie umfangreiche Sicherheitstests an Warmblütern wie Säugetieren und Vögeln sowie die bisherigen Anwendungen in der Land- und Forstwirtschaft bewiesen haben. So wartet denn nicht nur die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Spannung auf die neue Waffe im Kampf gegen die Überträger vieler Tropenkrankheiten. Wilhelm Irsch
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Quellen, Hinweise, Literatur Von Kolumbus, Indianern und Eiszeitmenschen Kolumbus kamen einige zuvor (1980): „Das Geheimnis des Drachenschwanzes" von Paul Gallez ist im Dietrich Reimer-Verlag, Berlin, erschienen. Auf die Spur großer Entdeckungen bis hinein in die jüngste Zeit führt Isaac Asimov in seinem Buch „Die Erforschung der Erde und des Himmels", das 1984 vom Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, herausgegeben wurde. Charme auf Birkenrinde (1981): Die Sammlung „Indianische Karten Nordamerikas" von Rainer Vollmar erschien im Dietrich Reimer-Verlag, Berlin. Ein anderes wichtiges Kapitel zur Geographie der neuen Welt beschreibt Hanno Beck in Band 3 der „Geschichten, die die Forschung schreibt" unter dem Titel „Geographie, Charme und Menschlichkeit" im Zusammenhang mit den kartographischen Pionierleistungen von Alexander von Humboldt. Humboldt-Forscher Beck hat darüber hinaus ein zweibändiges Standardwerk über diesen berühmten Forscher geschrieben: „Alexander von Humboldt". Es ist im Steiner-Verlag, Wiesbaden, erschienen. Der erste Band trägt den Titel „Von der Bildungsreise zur Forschungsreise, 1769-1804", der zweite „Vom Reisewerk zum ,Kosmos', 1804-1859". Das „Feuer" kam mit in den Topf (1978): Die Archäometrie ist ein Forschungsgebiet, das der Entwicklung, Erprobung und dem Einsatz modernster naturwissenschaftlicher Methoden vor allem für die Auffindung, Freilegung, Analyse, Erhaltung und Restaurierung von Kulturgütern dient. Als eine Art neuer Brückenschlag zwischen den Geistes- und den Naturwissenschaften ist dieses Gebiet von der Stiftung Volkswagenwerk, Hannover, von 1971 bis Ende 1985 als Schwerpunktprogramm gefördert worden und hat einer Reihe von Forschergruppen zu eindrucksvollen Ergebnissen mitverholfen, die für die weitere Entwicklung dieses Gebiets nachhaltige Anstöße gegeben haben. Details zu den hier geschilderten Tübinger Forschungsarbeiten finden sich unter anderem in dem von Hans-Jürgen MüllerBeck und Rolf C. Rottländer herausgegebenen und 1983 in der Reihe „Archaelogica Venatoria", c/o Institut für Urgeschichte der Universität Tübingen, erschienenen Symposiumsbericht „Naturwissenschaftliche Untersuchungen zur Ermittlung prähistorischer Nahrungsmittel". Ein neugieriger Blick in den Ur-Sammelbeutel (1982): Einen Überblick über die „Alt- und mittelsteinzeitlichen Fundplätze des Rheinlandes" gibt das im RheinlandVerlag, Pulheim, erschienene und von Stephan Veil zusammengestellte gleichnamige Buch, das auch Beiträge von Gerhard Bosinski und anderen enthält. Eine sehr lebendige Schilderung („Elefantenjagd in Thüringen") des Lebens im altsteinzeitlichen Lager Bilzingsleben findet sich in dem Buch von Helga Wingert-Uhde „Schätze und Scherben" - Neue Entdeckungen der Archäologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz", Verlag Gerhard Stalling, Oldenburg und Hamburg. Die Eiszeithöhlen waren nur Sommerwohnungen (1979) / Auf einer Schwanenschwinge in die Ewigkeit (1977) / Ein alter Freund des Menschen (1980): Von Joachim Hahn, Hansjürgen Müller-Beck und Wolfgang Taute erschien der Band „Eiszeithöhlen im Lonetal" in der Reihe „Führer zu archäologischen Denkmälern in Baden-Württemberg", 2. Auflage 1985, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart. Im gleichen Verlag erschien 1988 in 2. Auflage „Das große Buch der schwäbischen Alb", herausgegeben von Ernst W. Bauer und Helmut Schönnamsgruber. Das sich durch die Schwäbische Alb ziehende Lonetal, ein Paradies für Langstreckenwanderer und Eiszeitforscher, ist mit seinen zahlreichen Höhlen eine der berühmtesten archäologischen Fundlandschaften Baden-Württembergs. Speziell zum „Geißenklösterle" erschien von Joachim Hahn ein wissenschaftlicher Bericht unter dem Titel „Die Geißenklösterle-Höhle im Achtal bei Blaubeuren", herausgegeben 1988 vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg. Mit dem Domestikationsproblem, insbesondere am Beispiel der Hauspferde, beschäftigt sich Günter Nobis in seiner wissenschaftlichen Studie „Vom Wildpferd zum Hauspferd", Verlag Böhlau, Köln. Ebenso lebendige wie präzise Informationen aus der jüngeren Steinzeit vermittelt das Buch „Die Sonne bleibt nicht stehen" von Gabriele Korthals-Beyerlein und 208
Herbert Lorenz, 1988 erschienen im Arena Verlag, München. Für dieses ungewöhnliche Buch haben sich eine Schriftstellerin und ein Fachwissenschaftler in der Aufgabe zusammengefunden, den historisch einschneidenden Übergang des Menschen als Sammler und Jäger zum Ackerbauer und Viehzüchter in der Jungsteinzeit sowohl allgemeinverständlich und spannend als auch wissenschaftlich exakt darzustellen. Vor allem für jüngere Menschen eine ganz besondere Literaturempfehlung.
Von Energieproblemen im alten Ägypten bis zur Jeans-Revolution Pharao ging die Holzkohle aus (1980): Der Bericht beschreibt Ergebnisse der Arabah-Expedition des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, die von der Stiftung Volkswagenwerk finanziell unterstützt worden ist. „Pharaos Volk" von T. G. H. James, erschienen im Verlag Artemis & Winkler, München, ist darüber hinaus eine Leseempfehlung für alle, die über den Alltag der „kleinen Leute" im alten Ägypten mehr erfahren wollen. Die letzte Blüte einer alten Technologie (1981): Mehr über Europas steinzeitliche Techniken und Werkstoffe findet man in dem Sammelband „5000 Jahre Feuersteinbergbau", der vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum herausgegeben worden ist. Der Stoff, der zwei Welten trennt (1980): Die Studie von Marlis Radke-Stegh ist unter dem Titel „Der Theatervorhang" als Buch im Verlag Anton Hain, Meisenheim am Glan, erschienen. Wo man den ersten Wein trank (1979): Der wissenschaftliche Bericht zu den Ausgrabungen im Axiostal erschien von Alix Hochstetter und herausgegeben von Bernhard Hansel unter dem Titel „Kastanas. Ausgrabungen in einem Siedlungshügel der Bronze- und Eisenzeit Makedoniens 1975-1979" 1984 im Wissenschaftsverlag Spiess. Literaturempfehlung zu der hier geschilderten mykenischen Epoche: „Die mykenische Welt" von John Chadwick, Verlag Reclam, und „Das mykenische Hellas. Heimat der Helden Homers", Dietrich Reimer-Verlag, Berlin 1988. „Grobe, lumpenhafte Hofmusique" (1982): Literaturempfehlung: „Wolfgang Amadeus Mozart - Briefe", ausgewählt und herausgegeben von Stefan Kunze, erschienen im Verlag Reclam, Berlin. Lustgewinn in der Imbißbude (1981): Ulrich Tolksdorf hat über seine Untersuchungen in einem Vortrag vor dem 23. Volkskundekongreß in Regensburg berichtet. Das erste Tennismatch bestritten Klosterbrüder (1979): Heiner Gillmeister hat auch das Buch „Aufschlag für Walter von der Vogelweide, Tennis seit dem Mittelalter" geschrieben. Es ist 1986 im Verlag Droemer Knaur, München, erschienen. „Emmas" mittelalterliche Vorhut (1979): Karl Bosl berichtete über dieses Thema in dem Sammelband „Stauferzeit", der 1978 im Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, erschienen ist. Aussteiger auf Zeit ? (1981): Die Ergebnisse der Studie von Christa Mahrad sind in der Fachzeitschrift „deutsche Jugend" (8/1981) der Forschungsstelle für Jugendfragen, Hannover, veröffentlicht worden. Freiheit in die Hosen gegangen? (1981): Nach einem Vortrag, den Wolf-Dieter Könenkamp anläßlich des 23. Volkskundekongresses in Regensburg gehalten hat.
Wale, Saurier und Meteoriten Kam das Leben aus dem All? (1982): Ihre ungewöhnlichen Thesen verfechten Fred Hoyle und Chandra Wickramasinghe in ihrem gemeinsamen Buch „Evolution aus dem Weltraum" aus dem Verlag Ullstein, Berlin. Manfred Eigen beschreibt in seinem Buch „Stufen zum Leben - Die frühe Evolution im Visier der Molekularbiologie", Verlag Piper, München, die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Forschungsarbeit. Wie die Wale das Meer eroberten (1979): Literaturempfehlung: „Die Entwicklung der Lebewesen - Spielregeln der Evolution" von Heinrich K. Erben, Verlag Piper, München. Die Fußspuren eines Hunderttonners (1981) / Als die Saurier „über" die Alpen liefen (1982) / Der Todesschlaf der Höhlenbären (1980): Literaturempfehlung: „Deutschland in der Urzeit" von Ernst Probst, Verlag C. Berteismann, München 209
1986. Weshalb die Saurier sterben mußten (1980): Der Bericht von Hans-Jörg Fahr ist eine Zusammenfassung damaliger Forschungsergebnisse, der Saurier-Tod vor 65 Millionen Jahren aber nach wie vor eine kontrovers diskutierte Geschichte geblieben, wovon auch weitere Berichte in den diesem Band folgenden „Geschichten, die die Forschung schreibt" zeugen. Dazu zählen „Als der Tod aus dem All kam" in Band 2, und „Was brachte die Saurier wirklich um?" in Band 6.
Von Wasserwundern und Tausendfüßlern Das Wasserwunder von Konstanz (1981): Dr. E. Hollan von der Landesanstalt für Gewässerschutz, Karlsruhe, Dr. D.B. Rao vom Great Lakes Environmental Research Laboratory, Ann Arbor, Michigan, und der Ozeanograph Dr. E. Bäuerle vom Institut für Meereskunde der Universität Kiel haben über die hier geschilderten Untersuchungen 1980 im „Archiv für Meteorologie, Geophysik und Bioklimatologie" berichtet. Bäuerle hat in der Folge mathematische Verfahren entwickelt, mit denen die verschiedenen möglichen Schwingungen von Seen nicht nur berechnet, sondern auch elektronisch in Klänge umgesetzt werden können. Darüber wird unter dem Titel „Der Klang der Seen" in Band 5 der „Geschichten, die die Forschung schreibt" berichtet. Als Weser und Ems in die Elbe flössen (1979): Zusammenfassender Bericht über ein Teilergebnis der unter Federführung des Deutschen Hydrographischen Instituts, Hamburg, erfolgten Untersuchungen der Sandbewegungen in der Deutschen Bucht. Als der Berg kam, schmolzen die Steine (1981): Weiterführende Literatur: „Geologische Katastrophen" von M. A. Koenig, Ott-Verlag, Thun. Das Energiesparfederwerk der Känguruhs (1981): Literaturempfehlung: Werner Nachtigall: „Erfinderin Natur. Konstruktionen der belebten Welt", Verlag Rasch & Rohring, Hamburg, 1984, und, vom selben Autor als Ausblick in einen viel weiter gespannten Bereich: „Biotechnik und Bionik. Fachübergreifende Disziplinen der Naturwissenschaft", 1982, beim Verlag Franz Steiner, Wiesbaden, erschienen. Proske selbst berichtete 1981 in der Wissenschaftszeitschrift „Endeavour" über seine Berechnungen. Die Kursmathematik der Tausendfüßler (1981): Horst Mittelstaedt hat seine Forschungsergebnisse für das „Jahrbuch 1980" der Max-Planck-Gesellschaft zusammengefaßt, das im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erschienen ist. Was Zugvögel zielsicher macht (1982): Die Forschungsarbeit von Wolfgang Wiltschko vollzog sich im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs „Vergleichende Neurobiologie des Verhaltens"; er hat darüber unter anderem in der Zeitschrift „Science" (Nr. 214) berichtet.
Von der inneren Uhr bis zum Kraftwerk im Körper Lithium, Biorhythmen und Depressionen (1979): Forschungsreportage über die Spitzbergen-Expedition Tübinger Forscher zur Klärung von Zusammenhängen zwischen Lichteinwirkung und Depressionen. Dazu: „Biorhythmen" von Wolfgang Engelmann und Waldemar Klemke, 1983 als Band 34 der Biologischen Arbeitsbücher im Verlag Quelle & Meyer, Heidelberg, erschienen. Auch Tiere haben einen Kalender (1982): Eberhard Gwinner hat über diese Arbeiten in der Zeitschrift „Naturwissenschaften" (11/81) berichtet. Literaturempfehlung für an diesem Thema wissenschaftlich Interessierte: Eberhard Gwinner: „Circannual Rhythms. Endogenous Annual Clocks in the Organisation of Seasonal Processes, Springer-Verlag, Berlin 1986. Die Jahreszeiten eines Molchauges (1981): Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten sind in der Zeitschrift „Brain, Behaviour, and Evolution (1/2 -1981) veröffentlicht worden. Die Unruh der inneren Uhr (1981). Der Artikel gründet auf einer Forschungsmitteilung der Max-Planck-Gesellschaft. Das Ergebnis der Suche nach dem „Faktor X" wird von Hans-Georg Schweiger im „Jahrbuch 1984" der Max-Planck-Gesellschaft, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, beschrieben. Ein sehr 210
anschaulicher Bericht des Forschers befindet sich zudem unter dem Titel „Auf der Suche nach dem molekularen Mechanismus der circadianen Uhr" in Band 84/85 des „mannheimer forums", einer von Hoimar von Ditfurth betreuten Wissenschaftsbuchreihe von Böhringer-Mannheim. Das Kraftwerk im Körper (1982): Der damals 21jährige Schüler Gero Gemballa war 1982 mit einem Beitrag zum gleichen Thema einer der Preisträger des Wettbewerbs „Reporter der Wissenschaft". Das von Rainer Flöhl und Günter Haaf herausgegebene Buch „Reporter der Wissenschaft", Meyster Verlag, München 1981, enthält eine Vielzahl von Wissenschaftsreportagen, die aus diesem Wettbewerb hervorgegangen sind.
Vom Weihnachtsstern bis zur kosmischen Fata Morgana Als Jupiter an Regulus vorbeizog (1981): Der Artikel gründet unter anderem auf Forschungsergebnissen, die in der in München erscheinenden Astronomiezeitschrift „Sterne und Weltraum" (12/80) mitgeteilt wurden. So schwer wie 2000 Sonnen (1981): Entdeckungen wie jene des Sterns R 136a haben seit 1981 dazu geführt, daß die klassische Vorstellung, es könne keine Sterne mit mehr als 60 Sonnenmassen geben, widerlegt wurde. Allerdings sieht die Entwicklung dieser sehr massereichen Sterne nach bisherigem Wissen ganz anders aus als jene der „klassischen", die im Hertzsprung-Russel-Diagramm der Astronomen in ihren Lebensgeschichten beschrieben werden: Sterne über 50 Sonnenmassen laufen in ihrer Entwicklung in diesem Diagramm nicht mehr in das Gebiet der Roten Riesen oder Überriesen ein; es scheint vielmehr so, als ob ihre Entwicklungsgeschichte stets von enormen Massenverlusten beherrscht wird. Eine kosmische Fata Morgana (1981): Diese Entdeckung eines Trugbildes im Weltall, die wieder einmal eine Vorhersage von Albert Einstein glänzend belegt hat, stand am Anfang einer aufregenden Entwicklung. Inzwischen ist auch ein „Einstein-Ring" als weiterer Effekt der Ablenkung von Licht durch Schwerkraft entdeckt worden. Darüber berichtet Band 7 der „Geschichten, die die Forschung schreibt" unter dem Titel „Zerrspiegel der Sternenwelt". Die stärksten Funkfeuer des Universums (1981): Der Artikel beruht auf einem Vortrag von Wolfgang Priester in Bonn sowie auf weiteren persönlichen Mitteilungen von ihm. Ist die Sonne wirklich am Ende? (1980): Das Neutrino-Rätsel ist immer noch ungelöst. Welche Bedeutung seine Aufklärung für die Teilchenphysik, die Astrophysik und nicht zuletzt für die Kosmologie hat, schildert Physik-Nobelpreisträger Rudolf L. Mößbauer - einschließlich der Hintergründe des Neutrino-SonnenRätsels - in einem Übersichtsartikel mit dem Titel „Neutrino-Ruhemassen und Leptonenzahlverletzung" in der Zeitschrift „Naturwissenschaftliche Rundschau" (8/1986), in dem interessierte Laien allerdings einige Formeln überspringen müssen. „Geheimnisträger des Universums" lautet der Titel eines Neutrino-Artikels in Band 6 der „Geschichten, die die Forschung schreibt". Der Weltraum ist noch gefährlicher (1982): Eine sehr gute Darstellung des Kenntnisstandes über den Sonnenwind findet sich in „Der große IRO Atlas der Astronomie", der 1987 von der IRO Kartographische Verlagsanstalt, München, herausgegeben wurde. Das allerdings nicht billige Werk ist darüber hinaus jedem zu empfehlen, für den Astronomie und Astrophysik zu einem echten Interessengebiet zu werden verspricht. Literaturempfehlungen zu diesem Kapitel: Stephan W. Hawking: „Eine kurze Geschichte der Zeit", Rowohlt-Verlag, Hamburg 1988. Einen Überblick über die deutschen Raumfahrt-Forschungsaktivitäten bietet „Weltraumforschung in der Bundesrepublik Deutschland", herausgegeben von Karl-Heinz Preuß und Rolf H. Simen, 1987 in 2., überarbeiteter Auflage erschienen im Verlag Deutscher Forschungsdienst, Bonn.
Von „fleißigen " Mikroben und „nachwachsenden" Super-Computern Mikroben heben Metallschätze (1981): Die hier angesprochenen Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur mikrobiellen Nutzung von Armerzen wie etwa Kupfer211
schiefer, uranhaltige Erze und Nickelerze wurden im Rahmen des Rohstoffforschungsprogramms des Bundesministeriums für Forschung und Technologie durchgeführt; dieser Bericht bezieht sich auf diese Teilaspekte dieses umfassenden Programms. Der in diesem Beitrag zitierte Bericht des „Club of Rome", in dem sich eine größere Zahl von Wissenschaftlern und Wirtschaftsführern aus über 30 Ländern zusammengefunden hat, um die Ursachen und inneren Zusammenhänge der sich immer stärker abzeichnenden kritischen Menschheitsprobleme zu erforschen, hat das Bewußtsein der Öffentlichkeit in ganz besonderem Maße für die Tatsache geschärft, daß die meisten Rohstoffe nicht unerschöpflich sind und viele von ihnen bei unvermindertem Wachstum schon sehr bald zur Neige gehen: „Die Grenzen des Wachstums - Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit", von Dennis Meadows, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1972. Mikrobenheere im Kälteschlaf (1981): Informationen über den aktuellen Stand der Arbeit und Projekte der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen werden regelmäßig im jährlich erscheinenden „Wissenschaftlichen Ergebnisbericht" der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig-Stöckheim veröffentlicht. Mit vollem Wind über die sieben Meere (1979) / Super-U-Boote für den Erdgastransport (1981): Forschungsreportagen. Die Argusaugen der Radioastronomie (1982): Über weitere Entwicklungen auf diesem Gebiet berichtet Band 7 der „Geschichten, die die Forschung schreibt" in dem Beitrag „Botschaft aus den Sternkinderstuben". Wie Computer „Junge" kriegen (1981): „Über Dasein und Tätigkeit der Computer" berichtet Felix Weber, der Autor dieses Beitrages, in seinem Taschenbuch „Die schnellen Ja-Nein-Sager". Es ist im Sphinx-Verlag, Basel 1987, erschienen.
Wasserstoffproduzierende Algen und Kraftwerke auf heißem Fels Kraftwerke auf heißem Fels (1981) / Sonnenkraftwerk im Aufwind (1980) / Ein einarmiger Riese greift nach Windenergie (1980) / Warmes Wasser aus dem MistKollektor (1982): Hintergründiges zu diesen Themen wie überhaupt zur kritischen Bewertung möglicher Energie-Strategien für die Zukunft vermittelt Karl-Heinz Preuß in seinem Buch „Wege zur Bescheidenheit", das im Umschau-Verlag, Frankfurt 1981, erschienen ist. „Erneuerbare Energiequellen - Der schwierige Weg dorthin" lautet der Titel der Sonderausgabe 4/88 des „df-Digest für Jugend und Bildungseinrichtungen", in dem die Redaktion des Deutschen Forschungsdienstes diesen gesamten Themenbereich umfassend dargestellt hat und auch die Ziele der diesbezüglichen deutschen Forschungspolitik erläutert. Einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der deutschen Kernfusionsforschung als einer weiteren „Option für die Zukunft" vermittelt unter vielem anderen der Band „Bundesrepublik Deutschland: Ein Land der Spitzenforschung", herausgegeben von Karl-Heinz Preuß und Rolf H. Simen, in 2., überarbeiteter Auflage 1987 erschienen im Verlag Deutscher Forschungsdienst, Bonn. Nüsse in den Tank gepackt (1982): Der Artikel gründet auf den Ergebnissen der Untersuchung „Enzymatische Verflüssigung von Babassunußstärke und weitere Untersuchungen an dieser brasilianischen Kokosstärke von Orbignya speciosa" von Walter Darge, die dieser im Fachbereich Chemie-Julien an der Fachhochschule Aachen durchgeführt und veröffentlicht hat. Die Blattgrün-Energiefabriken (1980): Über seine Forschungsarbeit berichtete Peter Böger unter dem Titel „Energieumwandlung durch photobiologische Wasserspaltung" in der Zeitschrift „Umschau" (20/1979) und unter dem Titel „Photobiologische Umwandlung der Sonnenenergie" in „Naturwissenschaft" (65/1978). Die solartechnischen Aspekte der Wasserstoff-Produktion beleuchten in Band 7 der „Geschichten, die die Forschung schreibt" die Artikel „Der Sonnenweg zum Wasserstoff" und „Was Autos morgen bewegen könnte". Eine Literaturempfehlung bezieht sich zudem auf das Standardwerk „Wasserstoff - die Energie für alle Zeiten" von John O'M Bockris und Eduard Justi, Sonderausgabe, Bauverlag GmbH, Wiesbaden 1988, in dem das Konzept einer umfassenden Sonnen-Wasserstoff-Wirtschaft als globale Lösung des Energieproblems vorgestellt wird; eine 212
andere auf „Rückkehr zu Sonne-Wasserstoff, die Energie unserer Zukunft" von Helmut Tributsch, Safari-Verlag, Berlin. Unbegrenzte Energie durch Meereswärme? (1980): Nach einem Vortrag von Dr.-Ing. K. Finsterwalder, München, während des Meerestechnik-Kongresses „Intermaritec" 1980 in Hamburg. Magnetische Tricks für Kraftmaschinen (1978): Weitere Aspekte ungewöhnlicher Entwicklungen auf diesem Gebiet vermitteln in Band 7 der „Geschichten, die die Forschung schreibt" die Beiträge „Frühe Träume vom Elektromotor" und „Dielektrischer ,Durchgriff für neue Antriebe". Hartes Erwachen aus sanften Träumen (1981): Nach Vorträgen von Alfred Voss und Ortwin Renn in einer Informationsveranstaltung der Kernforschungsanlage Julien 1981. Die Diskussion über „harte" und „weiche" Energiesysteme nahm Ende der siebziger Jahre weltweite und zum Teil erbitterte Ausmaße an, als in der renommierten Zeitschrift „Foreign Affairs" ein Beitrag von Amory B. Lovins unter dem Titel „Energy Strategy: The Road Not Taken" erschien. 1977 folgte sein Buch „Sanfte Energie", das in deutscher Übersetzung 1978 im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, erschien. Lovins vertritt darin die Ansicht, daß die sogenannten „sanften" erneuerbaren Energiequellen auch langfristig für die meisten oder alle Energiebedürfnisse ausreichen. „Ernüchterndes zu neuer Energie" heißt ein Beitrag in Band 6 von „Geschichten, die die Forschung schreibt", der den Anteil erneuerbarer Energiequellen an der Gesamtbedarfsdeckung sehr viel zurückhaltender einschätzt. Auch in diesem Zusammenhang ist die Sonderausgabe 4/88 von df-Digest für Jugend- und Bildungseinrichtungen lesenswert.
Bedrohung und Überlebenschancen unserer Natur Umweltkrankheiten in Konserven (1981): Die Deutsche Umweltprobenbank in der Kernforschungsanlage Jülich ist im Zusammenhang mit dem dortigen Arbeitsschwerpunkt „Gesundheit, Umwelt, Biotechnologie" zusehen, dessen Forschungsvorhaben zu einem großen Teil in übergeordnete Programme der Bundesministerien für Forschungs und Technologie und für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eingebunden sind. Dabei geht es wiederum unter einem generellen Titel um „Umweltchemikalien und Ökosysteme", also um die Untersuchung von Schadstoffströmen in die Umwelt und deren Auswirkungen. Die Deutsche Umweltprobenbank hat hier die Aufgabe, künftig auch rückschauend Beurteilungen von Schadstoffsituationen zu ermöglichen. Literatur: „Umweltprobenbank - Bericht und Bewertung der Pilotphase", herausgegeben vom Bundesministerium für Forschung und Technologie, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1988. Gefahr für viele Süßwasserfische (1978): Die Studie von Rüdiger Bless ist im KildaVerlag, Greven, unter dem Titel „Bestandsänderungen der Fischfauna in der Bundesrepublik Deutschland" erschienen. Adebar wird das Reisen abgewöhnt (1981): Literaturempfehlung: Max Bloesch: „Altreu und seine Störche", Verlag Vogt-Schild, Solothurn 1983. In Solothurn in der Schweiz befindet sich die größte Wiedereinbürgerungsversuchsstation für Störche in Europa, die auch eng mit dem Zentrum im Elsaß zusammenarbeitet. Wie Wildtiere Neubürger werden (1981): Ein ausführlicher Bericht über dieses Projekt ist von P. Müller und I. Günther 1980 unter dem Titel „Öko-Modell Saarbrücken" in „bild der Wissenschaft", Band 17, Heft 12, erschienen. Ebenfalls von P. Müller erschien hierzu 1980 der Beitrag „Anpassung und Informationsgehalt von Tierpopulationen in Städten" in den „Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Zoologie", G. Fischer Verlag, Stuttgart. Bedrohung für die letzten Ulmen (1982): Der Artikel geht unter anderem von einem Bericht aus, der in der Zeitschrift „Umschau" (5/82) veröffentlicht worden ist. Das Dach der Welt wird abgeholzt (1981): Bodenerosion als Folge „wilden Holzsammeins", sich ausbreitende unfruchtbare Zonen und - wie im Falle Bangladesch - das wiederkehrende Elend gewaltiger Überflutungen, weil das Wasser213
Rückhaltevermögen geschädigter Wälder zurückgeht, sind ein kardinales Problem für viele Länder der Dritten Welt geworden, das von der deutschen Politik der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch erkannt ist. Da herkömmliche Energierohstoffe wie Erdgas, Erdöl oder Kohle für diese Länder oft zu teuer sind, erhält hier die Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie etwa Sonne, Wind oder Wasserkraft größte Bedeutung. Auch diese Problematik wird in der Sonderausgabe 4/1988 des „df-Digest für Jugend und Bildungseinrichtungen" aus der Redaktion des Deutschen Forschungsdienstes behandelt. Ein Unkrautsaum um jeden Acker (1981): Wolfgang Schumacher hat über seine Arbeit unter dem Titel „Schutz und Erhaltung gefährdeter Ackerwildkräuter durch Integration in landwirtschaftliche Nutzung und Naturschutz" in „Natur und Umwelt" (12/80) berichtet. In diesem Zusammenhang lesenswert sind auch die Beiträge „Eingriff in das Ökosystem der Äcker" in Band 5, und „Neue Chancen für wilde Schönheiten" in Band 6 von „Geschichten, die die Forschung schreibt". Ein Bakterium macht Karriere (1982): Der Artikel gründet unter anderem auf einem Bericht in der Zeitschrift „Umschau" (14/1981) und einer Übersicht im „Anzeiger Schädlingskunde, Pflanzenschutz, Umweltschutz" (3/1980). Literaturempfehlung zur Biologischen Schädlingsbekämpfung: Jost Franz und Aloysius Krieg: „Biologische Schädlingsbekämpfung unter Berücksichtigung integrierter Verfahren", 3. Auflage, Pareys Studientexte, Hamburg 1982. Ein zwar fürs Studium gedachtes, jedoch auch für Laien verständliches Standardwerk. Alle Beiträge in diesem Buch gehen auf Berichte zurück, die in den Pressekorrespondenzen „df-Berichte aus der Wissenschaft" und „df-Sonderdienst angewandte Wissenschaft" des Deutschen Forschungsdienstes, Bonn, erschienen sind. Die Jahreszahl in Klammern hinter den Titeln im Quellenverzeichnis weist auf das Jahr der Erstveröffentlichung des Originalbeitrages in den Pressekorrespondenzen hin. Eine Auswahl dieser Beiträge erscheint regelmäßig auch in „df-Digest für Jugend und Bildungseinrichtungen" und „df magazin".
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