PAUL BOWLES MOHAMMED MRABET
M'hashish
Geschichten aus Marokko
Ins Deutsche übertragen von Carl Weissner Vignetten: M...
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PAUL BOWLES MOHAMMED MRABET
M'hashish
Geschichten aus Marokko
Ins Deutsche übertragen von Carl Weissner Vignetten: Mohammed Mrabet
GOLDMANN VERLAG
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Buch
Das Wort m'hashish bedeutet in Moghrebi soviel wie voll von Haschisch und bezeichnet nicht nur eine Person in bekifftem Zustand, sondern auch solche, deren Verhalten irrational oder sonstwie unerwartet ist. In faszinierender Weise ungewöhnlich sind auch die vorliegenden Stories, in denen es nur vordergründig um Haschisch und Kif geht. Denn nicht um »ausgeflippte« Geschichten handelt es sich, sondern um Geschichten, die den ganzen Charme und die heitere Naivität des Orients atmen und die in erfrischender Unmittelbarkeit die Mentalität und Alltagswelt Marokkos lebendig werden lassen. Erzählt hat Mohammed Mrabet, das Erzählgenie aus Tanger, diese Geschichten in Moghrebi, einer Sprache, für die es keine Schrift gibt. So wären diese Stories für immer der Vergessenheit verfallen, wenn nicht Paul Bowles sie aufgezeichnet hätte, der bekannte amerikanische Schriftsteller, der seit langen Jahren in Tanger, Marokko, lebt. Voll zauberhaftem Humor und zuweilen deftigem Witz berichten Mrabets Geschichten von einer fast schon versunkenen Welt, von den tausend Weisen und Zwecken, Haschisch zu nehmen, und von Menschen, denen die diesseitige Welt als zu unwirklich erscheint, als daß sie sich damit bescheiden möchten. »Ah«, sagt eine von Mrabets Figuren einmal, »ich glaube nicht an die Welt. Es gibt noch eine andere Welt, und dort ist das Leben ganz anders.« Dies sind Geschichten aus jener Welt. Autoren
Mohammed Mrabet wurde um 1940 im Rif-Gebirge geboren. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt hauptsächlich von der Fischerei - aber eigentlich ist er Geschichtenerzähler. Paul Bowles, geboren 1910 in New York, lebt seit langen Jahren in Tanger und gilt heute als einer der großen amerikanischen Autoren der Moderne. Von Paul Bowles
sind im Goldmann Verlag erschienen:
So mag er fallen. Roman (9081) • Das Haus der Spinne. Roman (9120) • Gesang der Insekten. Roman (9782) • Mitternachtsmesse. Erzählungen (9923) • Die Stunden nach Mittag. Marokkanische Erzählungen (9398) • New York-Tanger. Erzählungen (9306) • Rastlos. Erinnerungen eines Nomaden (42000)
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Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »M'hashish« bei City Lights Books, San Francisco
Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Berteismann Genehmigte Taschenbuchausgabe Copyright © 1969 by Paul Bowles Alle deutschen Rechte bei MaroVerlag, Augsburg Für Vor- und Nachwort liegen die Rechte bei den Autoren Umschlaggestaltung: Design Team München Umschiagfoto: Süddeutscher Verlag, Bilderdienst, München Druck: Eisnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 9293 G.R. • Herstellung: Sebastian Strohmaier/sc Made in Germany ISBN 3-442-09293-0 3 5 7 9 10 8 6 4
digitalisiert von
DUB SCHMITZ Nicht zum Verkauf bestimmt !
Inhalt Werner Pieper: Zu diesem Buch Das Röhricht Das Kif-Feld Der Doktor aus dem Chemel Der junge Einsiedler Hassan und die Aghrebia Die See auf der Straße Zwei Freunde und der Regen Die Datura-Blüten Allahs Worte Die Erzählung des Kif-Händlers Les Deux Noirs: Brief aus Tanger Anmerkungen
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Zu diesem Buch Es war Mitte der 70er, als ich eines Tages dicke Post aus dem Knast bekam; jemand hatte sich die Mühe gemacht, marokkanische Dope-Stories zu übersetzen, und mir gefielen sie auf Anhieb so gut, daß ich sie verlegte (Der Grüne Zweig 49). Es handelte sich um «M'Hashish» von Mohammed Mrabet, das hier nun endlich in einer guten Übersetzung neu vorliegt. Was es war, das mich so an diesen Geschichten fas-ziniert(e), weiß ich nicht zu benennen, bin ich doch ansonsten ein rechter Literaturmuffel. Aber fast fieberhaft suchte ich nun alle verfügbaren Texte des Autorengespanns Paul Bowles / Mohammed Mrabet und eines Tages bekam ich ein Interview mit Bowles in die Hand. Nach 10000 verkauften Büchlein hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, ob ich diesen Raubdruck nicht legalisieren sollte, aber als ich las, daß von den Geldern der Agenturen und Verlage in Tanger allemal nichts ankäme, entschloß ich mich anders. Nadina und ich packten unsere Siebensachen und fuhren nach Marokko. Der Raubdrucker wollte sein schlechtes Gewissen erleichtern, also nichts wie in die Höhle des Löwen. Nie zuvor war ich außerhalb Europas, und diese paar Meter über die Enge von Gibraltar führten mich in der Tat in eine andere Welt. Wir hatten ja all die Geschichten gelesen, aber trotzdem wurden wir abgeschleppt und geneppt, bevor der Hahn dreimal krähte. Stundenlang liefen wir ziellos durch die Medina, den Markt, fremdländische Geruchsschwaden und die Spießrutengänge der Basare. Die Grenze zwischen Traum und Realität verwischten Zusehens, zumal wir mit den Einheimischen kaum sprechen konnten. Was macht man als Ungläubiger zwischen Gläubigen, wenn man nicht einmal die einheimische Sprache spricht? Jeder Augenkontakt wurde zur potentiellen Frustfalle: Männer glaubten, daß wir Haschisch kaufen wollten; alle Frauen schienen Brüder zu haben, die darauf achteten, daß niemand zu arg auf ihre Schleier schielte, und selbst die Kinder hielten sofort erbarmungslos ihre leeren Hände in unsere Richtung, wenn sie sich beim Spielen beobachtet fühlten. Aber was hatten wir erwartet? Natürlich mußten wir davon ausgehen, daß jeder in uns Touristen sah, konnte doch keiner wissen, daß wir in einer Mission unterwegs waren. Die Mission: Übergabe von Honorar für einen Raubdruck. Der Empfänger war klar, nur hatten wir keine Anschrift. So zogen wir stundenlang unsere bekifften Kreise und waren am Ende kaum überrascht, als uns eine Amerikanerin auf unsere Frage nach Paul Bowles das nächste Haus zeigte: da wohne er. 5
Ein mehrstöckiges Haus mit Fahrstuhl und einem Charme, den man von Häusern aus der DDR kennt. OK. Tief durchgeatmet und geklingelt. Mr. Bowles ist daheim und bittet uns freundlich einzutreten. Im abgedunkelten Zimmer sitzt Mohammed Mrabet, allerdings nicht ansprechbar. Es ist Sonnabend und die Fußballreportage im Radio erfordert seine erhöhte Aufmerksamkeit. So plaudern wir mit Paul, rauchen von seinem, er von unserem (hatten wir doch extra asiatische Rauchkräuter mitgebracht, um uns nicht auf illegale Händlereien einzu lassen). Mohammed gesellt sich zu uns. Jaja, Deutschland: Beckenbauer, Müller. Wir haben ein Thema, auch wenn sein Englisch nicht allzugut zu sein scheint. Nach einer Stunde geselligem Zusammensein dann die Frage, was denn unser Anliegen sei. Also raus mit dem Geständnis, das Geld auf den Tisch, eine Hand voll Dollars und ein paar Dollar mehr. Nun war es so, daß Paul Bowles als Mann vom Fach alle Rechtsdealereien für Mohammed erledigt hatte, sie also beide wußten, daß es bislang in deutscher Sprache keine offizielle Ausgabe der Geschichten gab. Mohammed hatte Paul zwar gesagt, daß jemand auf dem Markt erzählt habe, seine Geschichten seien in Deutschland erschienen. Trotzdem ist es für Mohammed ein sichtbarer Schock, daß wir uns da gegenseitig die Hucke vollgeraucht hatten-und ich mich nun als Dieb seiner Geschichten zu erkennen gebe und mich auch noch bedingungslos ausliefere. Was macht man nun mit so einem grinsenden Piraten? Er kämpft sichtbar mit sich, hält Rücksprache mit seinem väterlichen Freund, schaut auf das Geld, ist sichtlich verwirrt. Aber schließlich finden sich Argumente, die ihn gnädig stimmen: erstens hat er endlich einmal auf dem Fachgebiet seines Mentors Recht gehabt - doch eine deutsche Ausgabe! - und zum zweiten die Auflage unseres Heftchens: höher als die Restauflage in allen anderen Sprachen der Erde zusammen. So nimmt er das Geld, und wir schütteln uns die Hände. Zwar ist so eine Zahlung auch nicht Rechtens, aber mein Gewissen ist beruhigt. Nach ein paar Tagen gingen wir nochmal bei Paul Bowles vorbei. Jaja, inzwischen habe Mohammed be griffen, daß wir ihm quasi drei Monatsgehälter gezahlt hätten, natürlich erwarte er noch mehr, und vor allem das Titelbild sollten wir ändern, habe er doch genügend eigene Bilder gezeichnet. Und wir erfahren noch mehr über Mohammed: Er kam etwa 1940, bevor die Geburtenregistrierung eingeführt wurde, im Rif-Gebirge zur Welt. Seine Eltern zogen bald darauf nach Tanger, wo er, statt die Schule zu besuchen, fischen ging und sich im Vogelschießen übte. Seine Ausbildung beschränkte sich aufs Lernen der Suren des Koran, Spanisch brachte er sich als Autodidakt bei. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt hauptsächlich von der Fischerei. In den '60er Jahren war er dreimal in den USA, aber das Leben dort war nichts für ihn, wie er in einer seiner Geschichten erzählt: «Du bist erst drei Tage in New York und schon spielst du verrückt!» rief sie. «Richtig. Ich werde verrückt. Was hast du von mir erwartet? Viel Geld, viel zu Trinken, alle Frauen die ich gebrauchen kann, ja selbst Jungs, wenn ich sie will.» ... Er schlachtete die Vögel seiner Gastgeber, die ihn daraufhin nicht mehr ohne Aufsicht aus dem Haus lassen wollten, «als sei ich ein Tier!» ... Zurück in Tanger erzählt er seinen Angehörigen von Amerika: «Dort sind fast alle Leute Kriminelle!» Aber schon nach ein paar Wochen fing er an, darüber zu sinnieren, warum er Amerika eigentlich verlassen hatte. Er sei doch verrückt, nach Tanger zurückzukommen, nur um dort am Strand zu sitzen und an Amerika zu denken. Aber auch die nächste Reise, als Chauffeur von Paul Bowles in Kalifornien, hielt ihn nicht in den Staaten, es zog ihn immer wieder zurück nach Tanger. «Los Angeles? Endlos wie die Sahara, nur viel dreckiger!» Er lebt vom Fischen, aber eigentlich ist er ein Geschichtenerzähler. Fängt er erst einmal an zu erzählen, dann reiht sich eine Geschichte an die andere und jede möchte man am liebsten festhalten. «Ich sage ihm immer, warte, bis das Tonbandgerät eingestellt ist, aber er erzählt los und kann sich hinterher selber nicht mehr an die einzelnen Geschichten erinnern. Ich weiß nicht einmal, welche Stories er spontan erfindet, und welche einen traditionellen Hintergrund haben. Ich glaube nicht, daß er es selber weiß. Für Marokkaner gibt es keine Trennung zwischen der objektiven Wahrheit und dem, was wir Fantasie nennen. Was bist du bereit zu 6
glauben? Was möchtest du denken? Es gibt eine Wahrheit für jeden. Kein Marokkaner wird einem jemals erzählen, was er denkt, was er fühlt oder meint. Er erzählt dir etwas hiervon, et was davon, erfindet ein paar Dinge und webt so ein Netz von glaubhaften Geschichten. Was für einen Sinn hat es, die Wahrheit zu erzählen? Sie ist doch in den meisten Fällen nicht sehr interessant, also macht man sie durch ein paar neue Elemente spannender. Außerdem wäre es doch eine Torheit, sich ändern gegenüber so zu öffnen. Du hast ja auch zwei verschiedene Kifsorten in deinen Taschen: in einer den guten für dich, und in der anderen den minderen für Freunde.» So erzählt Paul Bowles. Kif, nicht Haschisch. «Ja. Erst die Ausländer haben vor so 25 Jahren die Methode der Haschisch-Herstellung aus anderen Ländern mit hierhergebracht. Es gibt eigentlich kein gutes marokkanisches Haschisch. Kein Produkt, das sie schon seit langem benutzen. Die ersten, die es hier in Marokko gemacht haben, waren wohl amerikanische Schwarze, die auch Pressen mitbrachten und den Marokkanern zeigten, wie man es machen muß. Was die meisten Marokkaner als Haschisch verkaufen, ist nichts anderes als der Abfall vom Kifschneiden, normalerweise würde das Zeugs niemand rauchen. Das Haschisch in Marokko ist ein ausländisches Produkt, und es wird auch fast ausschließlich an Ausländer verkauft. Das einzige, was die Marokkaner seit alters her kannten, ist Kif und Majoun.» Bowles hat Mitte der Sechziger angefangen, die Geschichten von Einheimischen auf Band aufzunehmen, um sie dann ins Englische zu übertragen. Mohammed Mrabet erzählt seine Stories in Moghrebi, einer Sprache, zu der es keine Schrift gibt. Seine Geschichten leben. «Sein literarischer Erfolg amüsiert Mrabet ziemlich. Er hält selbst nicht allzuviel von Schreibern, Intellektuellen und ähnlichen Beschäftigungsarten. Mrabet trägt zwei Armbanduhren, beide auf eine andere Zeit eingestellt. Er neigt dazu, laut zu lachen, manchmal in den unmöglichsten Momenten, und er weigert sich beharrlich, englisch zu sprechen, obwohl man bald den Eindruck hat, daß er jedes Wort versteht. Wenn er einmal Englisch spricht, dann kommt meist etwas dabei heraus wie: Über den Tisch gebeugt, die weißen Zähne lächelnd gebleckt, spricht er dich mit seiner rauhen, rauchgeschwängerten Stimme an: «He, Du, Du mein Freund.» Das Grinsen wird breiter, der Blick wandert ein bißchen umhehr, kehrt zurück. «Irgendein Tag, und ich komme in Dein Haus und töte Dich», er lehnt sich zurück, großes Grinsen. An einem anderen Nachmittag komme ich bei Bowles an und finde nur Mrabet, der dasitzt und an seiner Pfeife zieht. «Mrabet. Como estas?» «Uhhh - » Mrabet grunzt nur leicht und konzentriert sich auf seine Pfeife. «Muy, muy mal.» «So, schlecht? Warum das?» «Ahh- » Mrabet schüttelt leicht seinen Kopf. Sichtlich ist er schwer niedergeschlagen. «Heute habe ich die Syphillis am Mund... Tuberkulose an der Leber... Krebs am Herzen» er schaut betrübt, «und außerdem hatte ich heute morgen einen Kampf mit drei Spaniern und...» traurig schaut er mich an, schaut an seiner Pfeife herunter, «sie haben mir alle Zähne ausgeschlagen.» Und dann, wieder ein zähnebleckendes Grinsen.» Tanger, vormals eine 'Internationale Zone' ist heute ein Anziehungsplatz für junge Europäer, die sich bekiffen wollen und meist dabei gelinkt werden. Die Lage der Altstadt, das permanente Gehandel auf den Gassen, die Farbenpracht und die exotischen Gerüche wirken faszinierend auf den Besucher, der allerdings nur ahnen kann, was sich hinter den Fassaden verbirgt. Paul Bowles lebt seit 40 Jahren hier und wird diesen Ort auch nicht mehr verlassen. «Zur Verteidigung der Stadt kann ich eigentlich nur sagen, daß sie viel weniger als die meisten anderen Städte vergleichbarer Größe von den negativen Aspekten der heutigen Zivilisation berührt wurde. Viel wichtiger für mich ist, daß ich den Gedanken genieße, in der Nacht im Schlaf von Zauberei, die ihre Tunnel überall hingräbt, von tausenden Sendern und tausenden unwissenden Empfängern umgeben zu sein. Verwünschungen werden ausgestoßen, Gifte gehen ihre Wege; Seelen verlieren sich, frei von parasitären Pseudo 7
Bewußtseinsebenen, die in den Schlupfwinkeln des Gehirns lauern. Nachts trommelt draußen meist irgendwo jemand. Ich wache nie davon auf; ich höre die Trommeln und baue sie in meine Träume ein», sagt Paul Bowles dazu. Auch in Mohammed steckt viel Traditionalismus. Verbürgt ist die Tatsache, daß er zu den Jilala gehört, einem Bund, der durch spezielle Musik Trancezustände erreicht. Auf einer Party für Europäer spielten Jilala-Musiker mit Flöten und Handtrommeln auf. Freund Mohammed wurde von der Musik erfaßt, was die Musiker entsprechend erfreute. Aber da es kein Fest von Einheimischen, sondern eines von Europäern war, wurde er in seinem Trancezustand (mit dem Säbel in der Hand...) gestört. Solch eine Unterbrechung kann mitunter tödlich verlaufen. Der Schock, beim Ritual unterbrochen zu werden, hat schon viele Menschen zum Ausflippen gebracht. Auch von Mohammed weiß man, daß er im Tanz sehr aggressiv wird und häufig mit Messern etc. herumhantiert. Es gehört dazu, daß Blut fließt. In diesem Fall gelang es mit Hilfe der Musiker, Mohammed nach etwa einer Stunde wieder ins alltägliche Bewußtsein zurückzubrignen. Anschließend fühlte er sich absolut fit und entspannt. Für die anwesenden Festgäste war sein Tanz mit dem gebogenen Messer in der Hand sicherlich so spannend und geheimnisvoll, wie für dich und mich der Inhalt seiner Geschichten. Alles ist 'wahr'. Als unwahr kann sie nur der empfinden, der sich ängstlich an seine eigenen Vorstellungen der Welt klammert. Meine Mutter hat es ganz schön formuliert, als ein Staatsanwalt wegen potentieller Drogenverherrlichung die vorliegenden Geschichten prüfte. »Nein, das ist doch keine Drogenpropaganda, das sind einfach spannende Geschichten aus einem anderen Kulturkreis.» Werner Pieper Bisher sind erschienen: 1967 -LoveWithAFewHairs,einRoman 1969 - The Lemon, ein Roman - Haschisch, Kurzgeschichten 1974 - The Boy Who Set The Fire, Kurzgeschichten 1976 - Look And Move On, Autobiografie - Harmless Poisons, Blameless Sins, Kurzgeschichten
1977 -The Big Mirror, Roman 1981 - The Beach Cafe & The Voice 1983 - The Chest (9 Kurzgeschichten und ein Stück) Wie Paul Bowles 1986 dem Newsweek Magazin mitteilte, ist ein weiteres Buch in Arbeit
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Das Röhricht Kacem und Stito trafen sich jeden Nachmittag in einem Cafe. Sie waren alte Freunde. Kacem trank und hatte eine Frau, die er nie aus dem Haus ließ. Sie konnte ihn bitten und auf ihn einreden, soviel sie wollte; er ließ sie nicht einmal zum Baden ins Hammam gehen. Stito hatte keine Probleme, denn er war Junggeselle und rauchte nur Kif. Kacem kam immer mit einer Flasche in seiner Einkaufstasche ins Cafe, und bald danach brachen sie auf, um zu Kacem nach Hause zu gehen. Unterwegs kauften sie auf dem Markt etwas fürs Abendessen ein, denn Kacem erlaubte seiner Frau auch nicht, zum Markt zu gehen. Stito hatte keinen, der für ihn kochte, deshalb aß er immer bei Kacem zu Abend und bezahlte jedesmal seinen Anteil. Sie brachten die Einkäufe zu Kacems Frau, damit sie das Essen zubereiten konnte. Doch zuerst machte sie Tapas für Kacems Drinks und Tee für Stitos Kif. Später, wenn das Essen auf dem Herd war, ging sie zu den beiden Männern hinein und setzte sich zu ihnen. Einmal, als sie alle drei so beisammen saßen, wandte sich Stito an Kacem und sagte: Manchmal frage ich mich, wie du so viel trinken kannst. Wo läßt du das alles? Kacem lachte. Und du? Du hast nichts als Rauch aus deiner Pfeife. Ich behalte den Alkohol in mir drin, und er gibt mir ein herrliches Gefühl. So ein Unfug, sagte Stito. Von Kif habe ich mehr, als einer von Alkohol jemals haben kann. 9
Ich kann klarer denken und besser reden.
Kacems Frau entschied, daß dies eine günstige Gelegenheit war, um ihrem Mann zu sagen:
Dein Freund hat recht. Du trinkst zuviel.
Kacem war verärgert. Geh und sieh nach dem Essen, sagte er zu ihr. Es müßte jetzt fertig sein.
Wir wollen essen.
Sie trug das Essen auf, und sie setzten sich zu Tisch und aßen. Als sie fertig waren,
unterhielten sie sich noch eine halbe Stunde, und dann stand Stito auf. Bis morgen, sagte er zu
Kacem.
Jaja. Bis morgen, sagte Kacem. Er war betrunken.
Wenn Allah will, fügte Stito hinzu.
Kacems Frau stand auf und öffnete ihm die Tür.
Gute Nacht.
Sie schloß die Tür, und dann gingen Kacem und sie zu Bett. Voll zärtlicher Gefühle begann
sie ihren Mann zu küssen. Doch er lag nur da und war zu betrunken, um sie zu bemerken.
Sie setzte sich auf. Seit dem Tag unserer Hochzeit, klagte sie, hast du mich nie mehr geliebt.
Du willst nur noch was von mir, wenn du Hunger hast. Die übrige Zeit bin ich Luft für
dich.Frau, sagte er, leg dich hin und schlaf.
Sie weinte jetzt. Es dauerte lange, bis sie Schlaf fand.
Am folgenden Nachmittag ging Kacem nach der Arbeit ins Cafe und holte Stito ab. Sie
besorgten ihre Einkäufe und gingen damit zu Kacems Haus. Der Abend verlief wie
gewöhnlich. Als Stito aufbrach, war Kacem sehr betrunken.
Kacems Frau hielt Stito die Tür auf und ging vor ihm hinaus. Als er aus der Tür kam, flüsterte
sie: Versuch morgen allein zu kommen. Laß ihn allein nach Hause gehn.
Was hast du vor? fragte er.
Sie zeigte auf das Röhricht hinter dem Garten. Versteck dich dort, sagte sie.
Stito verstand. Aber er wird hier sein, flüsterte er.
Das macht nichts, sagte sie. Keine Sorge. Gute Nacht.
Gute Nacht.
Die Frau schloß die Tür. Kacem saß da und trank. Sie ließ ihn sitzen und ging zu Bett.
Am folgenden Nachmittag trafen sich die beiden Freunde wieder im Cafe. Stito legte seine
Pfeife weg. Wie gehts? sagte er.
Komm, gehn wir, sagte Kacem. Er hatte es eilig, nach Hause zu kommen und seine Flasche
zu öffnen.
Ich kann jetzt nicht weg, sagte Stito. Ich muß hier noch auf jemand warten. Ich komm dann
nach. Hier ist das Geld fürs Essen.
Ja, sagte Kacem. Dann geh ich jetzt auf den Markt.
Setz dich doch eine Weile zu mir, sagte Stito.
Nein, nein. Ich muß los.
Dann bis später, sagte Stito.
Er blieb bis zum Beginn der Dämmerung im Cafe. Dann stand er auf und ging in die Straße/
wo Kacems Haus war. Er wartete, und als niemand mehr durch die Straße kam, schlich er sich
ins Röhricht und versteckte sich dort. Durchs Schilfrohr konnte er Kacem sehen, der in
seinem Zimmer saß, eine Flasche neben sich auf dem Tisch und ein Glas in der Hand. Und er
sah die Frau, die ihm den Taifor brachte.
Dann kam sie mit einer großen Schüssel aus dem Haus und ging geradewegs zum Rand des
Röhrichts. Sie stellte die Schüssel auf die Erde und bückte sich, als hätte sie Arbeit zu tun. Sie
sah zu ihrem Mann hinüber und sprach mit ihm. Ihre Kleider reichten vorne bis auf den
Boden, doch hinten war sie vollkommen nackt, und Stito sah alles, was er sehen wollte.
Während sie vorgab, in der Schüssel etwas zu waschen, drückte sie ihr Hinterteil ins Röhricht,
und Stito drückte dagegen und begann sich mit ihr zu vergnügen.
Wenn du so weit bist, flüsterte sie, zieh ihn heraus und laß es mich in der Hand auffangen.
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Das ist nicht richtig, sagte er. Wie kann ich so etwas tun?
Die Frau bewegte sich plötzlich nach vorn, und er rutschte heraus. Stito begriff, daß er nichts
von ihr haben konnte, wenn er nicht tat, was sie verlangte.
Du kannst es dann nochmal machen, flüsterte sie, und ihn drinlassen, wenn du willst.
Sie drückte wieder nach hinten, und er begann erneut. Als er fast soweit war, gab er ihr eine
Warnung, und sie griff nach hinten und bekam, was sie wollte. Sie behielt es in der
geschlossenen Faust und wartete, damit er es noch einmal machen konnte, wie es ihm gefiel.
Als er fertig war, verließ er das Röhricht und ging auf die Straße. Niemand sah ihn.
Die Frau ging ins Haus. An dem Platz, wo Kacem saß, blieb sie stehen und schaute auf ihn
herunter. Kann ich morgen in das Hammam gehen? fragte sie.
Fängst du schon wieder damit an? schrie Kacem. Tausendmal hab ich schon nein gesagt.
Nein! Du kannst das Haus nicht verlassen.
Sie streckte die Hand aus, öffnete sie und ließ, was sie darin hatte, auf den Taifor neben
Kacems Glas tropfen.
Kacem riß die Augen auf. Vor einem Augenblick war er noch betrunken gewesen, doch jetzt
war er nicht mehr betrunken. Er fragte nicht einmal, wie sie dazu kam oder von wem sie es
hatte. Er stand auf, ließ Hasche und Glas stehen und ging ohne sein Abendessen zu Bett.
Als er am Morgen zur Arbeit ging, ließ er die Haustür weit offen. Den ganzen Tag machte er
sich Gedanken um seine Frau. Nach der Arbeit ging er ins Cafe zu Stito.
Seine Miene war traurig, als er sich setzte. Stopf mir eine Pfeife, sagte er.
Was? rief Stito.
Ja.
Stito gab ihm seine Pfeife. Was ist geschehen? Das ist das erste Mal, daß du Kif willst.
Ich trinke nichts mehr, sagte Kacem. Von jetzt an rauche ich Kif.
Aber warum?
Kacem gab keine Antwort, und Stito fragte nicht weiter.
Als die beiden Freunde an diesem Abend zu Kacem nach Hause kamen, lachten und scherzten
sie und hatten den Kopf voll Kif. Kacem war den ganzen Abend in bester Laune. Als Stito
gegangen war, sagte er zu seiner Frau: Bist du ins Hammam gegangen?
Ja, sagte sie. Danke, daß du die Tür offengelassen hast. Ich dachte, du hättest vergessen, sie
abzuschließen, als du weggegangen bist.
Ich werde sie nie mehr abschließen, sagte er.
Sie küßte ihn, und sie gingen zu Bett. Zum ersten Mal seit vielen Nächten war Kacem nicht zu
betrunken, um sich mit seiner Frau zu vergnügen. Sie machten einander sehr glücklich, und
schließlich sanken sie in einen tiefen Schlaf.
11
Das Kif-Feld Vor dem Dorf Rehreh gab es einen Rifi, der ganz für sich lebte. Er besaß ein großes Stück Land, auf dem viele Bäume standen, und er lebte davon, daß er die Bäume fällte und daraus Holzkohle brannte, die er in die Stadt brachte. Eines Tages, als er gerade seine Holzkohle auf dem Markt verkauft hatte, kam ein Djibli zu ihm und fragte, ob er Arbeit für ihn hätte. Der Rifi sagte, wenn es ihm nichts ausmache, auf dem Land zu leben, könne er mitkommen und bis zum Sommeranfang für ihn arbeiten. Der Djibli war einverstanden. Gemeinsam gingen sie nach Rehreh, zum Haus des Rifi. In der Hütte da drüben kannst du schlafen, sagte der Rifi. Dann zeigte er dem Djibli seinen Besitz. Morgen früh, Insch'allah, fällen wir ein paar Bäume und machen Holzkohle, sagte er. Und wenn wir früh genug fertig sind, können wir hier ein kleines Kif-Feld anlegen. Ouakha, sagte der Djibli. Sie aßen zu Abend, und dann ging der Dibli hinaus und legte sich in seiner Hütte schlafen. Am Morgen stand der Rifi auf und machte Kaffee. Er ging hinaus, weckte den Djibli und sagte ihm, er solle zum Frühstück kommen. Nach dem Frühstück rauchten sie einige Pfeifen Kif, dann gingen sie hinaus und begannen Bäume zu fällen. Ab und zu legten sie eine Pause ein, setzten sich hin und unterhielten sich und machten dann weiter. Sie arbeiteten, bis sie genug Holz für vier Meiler hatten. Sie bedeckten die vier Stapel mit Erde und zündeten das Holz an. Als sie fertig waren, blieb ihnen bis Sonnenuntergang noch genug Zeit, um das Kif-Feld anzulegen. Als es dunkel wurde, 12
hatten sie eine ordentliche Zahl von Reihen eingesät. Der nächste Tag verging genauso. Der Djibli war zufrieden. Am Ende der ersten Woche hatten sie so viel Holzkohle, daß sie sechs Esel brauchten, um alles zu transportieren. Sie luden es auf und schafften es zum Souk el Fham. Der Rifi verkaufte es für vierzehntausend Francs. Fünftausend gab er dem Djibli, und der freute sich sehr, denn er wußte, daß er alles sparen konnte, weil er für Kost und Unterkunft nichts ausgeben mußte, solange er bei dem Rifi war. Jeden Tag fällten sie Bäume, und einmal in der Woche brachten sie die Holzkohle zum Markt und verkauften sie. Mittlerweile wuchs der Kif auf dem Feld. Der Rifi deckte die Pflanzen jeden Abend mit drei Zeltplanen ab, die er am frühen Morgen wieder herunternahm, damit den Blättern kein Sonnenstrahl entging. Als es Sommer wurde, ging der Rifi daran, sein Gemüse zu ernten. Es regnet jetzt nicht mehr, sagte er zu dem Djibli, und ich habe keine Arbeit mehr für dich. Aber komm nächsten Winter zurück, wenn der Regen wieder einsetzt. Er gab dem Djibli einen großen Vorrat an Gemüse und außerdem eine Ladung Holzkohle und zehntausend Francs. Der Djibli packte alles auf seinen Esel. Dann sah er den Rifi an. Und der Kif? fragte er. Du siehst ja, wann er soweit sein wird, sagte der Rifi. Dann kommst du vorbei, und ich gebe dir deinen Anteil. Der Djibli verabschiedete sich und ging nach Hause. Doch die Geschenke des Rifi machten ihn nicht froh. Er mußte immer daran denken, wie hart er in Rehreh gearbeitet hatte, und er war sich ganz sicher, daß der Rifi sein Wort nicht halten würde, wenn der Kif reif zur Ernte war. Ich frage mich, wieviel er für den Kif bekommen wird, dachte er. Ich werde davon nie etwas sehen. Wochenlang machte sich der Djibli Gedanken über den Kif. Schließlich beschloß er, nicht länger zu warten. Eines Abends ritt er auf seinem Esel nach Rehreh und nahm einen Eimer voll Teeröl mit. Im Dorf brannte nirgends ein Licht, aber er kannte jeden Pfad. Er ritt geradewegs zum KifFeld des Rifi und schüttete das Öl über die Pflanzen. Dann deckte er die Zeltplanen wieder darüber und ritt zurück in die Stadt. Am frühen Morgen stand der Rifi auf und ging zum Feld, um die Pflanzen abzudecken. Seine Augen wurden groß, als er sah, daß sie alle von Öl glänzten und abgestorben waren. Er blieb eine Weile stehen, und dann quollen ihm die Tränen aus den Augen. Er riß die Pflanzen aus und trug sie zum Ufer des Bachs. Als er alles auf einem Haufen zusammengetragen hatte, zündete er es an und sah zu, bis es verbrannt war. Im Laufe des Tages trug er von seinem Kif-Feld die obere Erdschicht ab, die von Teeröl durchtränkt war. Dann grub er das Feld mit dem Spaten um und säte neuen KifSamen. Ehe der Tag vorüber war, hatte er das Feld wieder eingesät. Auf seine jungen Pflanzen achtete er diesmal noch mehr als zuvor. Abends goß er sie regelmäßig und mit großer Vorsicht, und tagsüber lief er mehrmals zum Feld und sah nach, ob sie auch gut gediehen. Eines Nachmittags erschien der Djibli auf dem Feld, wo der Riff gerade arbeitete. Salaam aleikoum. Aleikoum salaam. Sie schüttelten sich die Hand. Wie gehts? fragte der Djibli. Was macht der Kif? Ist er noch nicht reif? Der Rifi seufzte. Der Kif! sagte er. Er ist verdorben. Irgendein Hurensohn ist gekommen und hat nachts lauter Teeröl über die Pflanzen geschüttet. Ich mußte alles ausreißen und verbrennen. Aber ich habe schon wieder neue Pflanzen, und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie reif sind. Ich sorge dafür, da'sie gut wachsen. Angst macht mir nur der Tau über Nacht. 13
Ich muß sie vor Sonnenuntergang abdecken, sonst werden sie mir schwarz. Komm und sieh dirs an. Sie gedeihen gut und sind schon ziemlich hoch. Er ging mit dem Djibli zum Feld und zeigte ihm die jungen Pflanzen. Der Djibli starrte sie einen Augenblick an. Es gibt eine Menge Hurensöhne in der Gegend, sagte er. Komm, wir trinken einen Tee, sagte der Rifi. Wir können uns da drüben unter die Zypressen setzen. Er machte den Tee im Garten. Dann gingen sie mit ihren Gläsern in den Schatten und setzten sich auf eine Matte. Sie rauchten ihre Pfeifen und unterhielten sich. Als sie aufstanden, sagte der Rifi: Nicht mehr lange, und es wird wieder Winter. Sobald es anfängt zu regnen, kannst du wieder für mich arbeiten. Gut, sagte der Djibli. Der Rifi holte Gemüse und füllte die Körbe, die der Esel des Djibli trug. Dann schenkte er dem Djibli noch zweitausend Francs, und sie verabschiedeten sich. Als der Djibli fortgeritten war, goß der Rifi seine Kif-pflanzen und breitete vorsichtig die Zeltplanen darüber. Hinter dem Kif-Feld gab es niederes Buschwerk, und dahinter führte ein Pfad zum Bach. Eines Tages, als der Rifi nach seinem Kif schaute, sah er einen wilden Eber auf dem Pfad. Das machte ihm Sorgen. Er holte Hacke und Schaufel aus dem Haus und ging hinunter zum Bach. An einer Stelle unter den Bäumen begann er zu graben, und er hörte erst auf, als er eine sechs Fuß tiefe Grube ausgehoben hatte. Am nächsten Tag schleppte er körbeweise Kakteen, Flaschenscherben und alten Stacheldraht zur Grube, bis ihr ganzer Boden damit bedeckt war. Er machte aus Schilfrohr ein Gitter, das er über die Grube legte. Darauf legte er dickes Packpapier und bedeckte es mit Erde. Es war eine zeitraubende Arbeit. Stundenlang lief er hin und her. Und jedesmal, wenn er am Kif-Feld vorbeikam, warf er einen Blick auf seine Pflanzen. Wenn ein Eber nur ein einziges Mal durch den Kif läuft, macht er mir alles zunichte, dachte er. Ich muß diesen Eber fangen. Außerdem kann ich ihn dann den Spaniern in Oued Bahrein verkaufen. Nicht lange danach -die regnerische Jahreszeit hatte noch nicht begonnen- hörte der Rifi gegen Abend ein Klopfen an seiner Haustür. Er öffnete, und der Djibli stand da. Msalkheir! Ich hatte heute abend nichts vor, da dachte ich, ich komme mal vorbei. Vielleicht kannst du mir etwas Gemüse geben? Ja, ich denke schon, sagte der Rifi. Und der Kif? Was macht er? Er ist fast reif, sagte der Rifi. Aber diesmal ist es nicht so viel. Komm und schau dirs an. Während sie zum Kif-Feld gingen, dachte der Djibli: Er wird mir bestimmt nichts geben. Er wird irgendeinen Vorwand finden. Er sagt ja schon, daß es nicht viel ist. Nachdem sie eine Weile dagestanden und das Feld betrachtet hatten, gingen sie zurück ins Haus und setzten sich. Du bleibst zum Essen, sagte der Rifi. Anschließend tranken sie Tee und rauchten Kif. Als es für den Djibli Zeit wurde, zurück in die Stadt zu reiten, ging der Rifi hinaus und holte Gemüse für ihn. Er füllte ihm den einen Korb mit Gemüse und den anderen mit Holzkohle. Dann gab er ihm noch tausend Francs und schickte ihn auf seinem Esel auf den Heimweg. Den ganzen Tag hatte der Djibli an den Kif gedacht, den er mitzunehmen hoffte. Jetzt, da er ohne Kif zurückkehrte, war er voll Haß auf den Rifi. Noch ehe er nach Hause kam, hatte er bereits beschlossen, dem Rifi auch diesen zweiten Versuch zu verderben. Unterwegs hielt er an einem Cafe und kaufte ein Päckchen Kif. Zu Hause setzte er sich hin und rauchte eine Pfeife nach der anderen. Dann stand er auf und ging hinaus in die Nacht. Mit einem Eimer Teeröl machte er sich auf seinem Esel wieder auf den Weg nach Rehreh. Um ungesehen zum Kif-Feld zu gelangen, schien es ihm am sichersten, den Bach zu durchqueren und den Pfad hinter den Büschen entlang zu schleichen. Als er den Bach hinter 14
sich hatte, stieg er von seinem Esel ab und ließ ihn stehen. Er ging den Pfad entlang, auf die Eberfalle zu. Als er auf die dünne Erdschicht über der Grube trat, brach sie unter seinem Gewicht ein, und er fiel hinunter auf die Glasscherben und Kaktusstacheln. Das Blut lief ihm überall aus dem Leib. Im Dorf schliefen alle, und hier draußen war niemand, so daß auch seine lautesten Schreie ungehört verhallten. Am Morgen stand der Rifi auf und ging hinaus, um seine Kif-Pflanzen abzudecken. Er besah sie eingehend und stellte fest, daß sie alle wohlauf waren. Er ließ sie auf die Sonne warten und ging in den Teil des Gartens, wo seine Gemüsebeete waren. Bald darauf beschloß er, nach der Eberfalle zu sehen. Als er die offene Grube sah, lächelte er. Er war sicher, daß er den Eber gefangen hatte. Er beugte sich über den Grubenrand und sah den Djibli. Rasch lief er zum Haus und holte ein Seil. Er machte eine Schlinge, warf das Seil über einen Ast und zurrte es fest. Dann ließ er sich langsam in die Grube hinunter. Der Djibli, von Blut und Teeröl verschmiert, war tot. Der Rifi wußte nun, wer seinen Kif vernichtet hatte, und er erkannte, daß es ihm der Eber ermöglicht hatte, den Djibli zu töten, ohne daß er sich schuldig fühlen mußte. Niemand kann die Pläne Allahs vorhersehen, murmelte er. Er kletterte heraus und lief zum Haus. Dort holte er einige Kilo Kalk hervor und schüttete alles in einen Kessel voll Wasser. Er weichte den Kalk ein und rührte mit einem Stecken, bis die Brühe schäumte und Blasen bildete. Dann trug er es zur Grube und goß es über den Djibli. Er warf Steine in die Grube und schaufelte Erde hinein, bis alles eingeebnet war. Dann pflanzte er Unkraut und Büsche darauf. Nichts deutete noch darauf hin, daß hier einmal eine Grube gewesen war. Von da an lebte der Rifi allein und fällte auch seine Bäume allein. Er erntete seinen Kif und rauchte ihn allein und hatte keinen Ärger mehr.
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Der Doktor aus dem Chemel
Vor dem Eingang zum Palast des Khalifa lag ein Garten mit Springbrunnen und Blumen. Hierher kam jeden Tag ein gewisser Nchaioui und setzte sich unter einen Feigenbaum. Er stellte seinen Korb ab und entnahm ihm ein Schaffell, das er immer bei sich hatte. Er breitete es aus und setzte sich darauf. In seinem Korb hatte er auch noch Holzkohle, einen Teekessel und eine Schüssel voll Majoun. Er rückte drei Steine zurecht, so daß er zwischen ihnen ein Feuer machen konnte, stellte den Teekessel darauf und wartete, bis das Wasser kochte. Jeden Tag konnte man ihn da auf seinem Schaffell im Garten sitzen sehen. Er hatte keine Arbeit, aber er hatte viele Freunde, die ihm ab und zu ein wenig Geld gaben, und das reichte ihm zum Leben. Es wurde bekannt, daß der Khalifa an einer Eiterbeule litt, und zwar an einem unaussprechlichen Körperteil. Die Folge war, daß er nicht mehr sitzen konnte. Man hatte schon die besten Ärzte herbeigeholt, doch sie hatten ihm nicht helfen können. Der Grund war, daß der Khalifa sich genierte und deshalb nicht zuließ, daß sie die Eiterbeule untersuchten. Er ließ heilige Männer und Tolba kommen, die ihm den Koran rezitierten, doch die Schmerzen blieben. Als der Nchaioui von den Schwierigkeiten des Khalifa hörte, ging er in den Garten und begann Majoun zu essen. Er aß an diesem Tag mehr als gewöhnlich und rauchte auch eine große Menge Kif. Die ganze Zeit dachte er an den Khalifa. Als er in heiterer Stimmung 16
war, legte er sich im Schatten des Feigenbaums auf den Rücken und sagte sich: Ich denke, ich
kann ihn heilen.
Bald danach stand er auf, legte sein Schaffell zusammen, verstaute seine Pfeife, den Teekessel
und die Ma-joun-Schüssel im Korb, ging zum Tor des Palasts und klopfte an. Ein Sudanese
öffnete und fragte, was er wollte.
Ich bin Arzt, sagte er.
Woher kommst du? fragte der Schwarze und musterte seine zerlumpte Kleidung. Wir hatten
schon alle Ärzte aus dem Land hier.
Ich bin aus dem Chemel, sagte er. Ich habe Mittel, die jedes Leiden lindern, ganz gleich, wie
krank einer ist.
Warte hier, sagte der Schwarze. Ich komme gleich wieder.
Der Sudanese ging in die Gemächer seines Herrn und berichtete ihm, daß ein Toubib aus dem
Chemel eingetroffen sei.
Der Khalifa lag auf dem Bauch. Er hob ein wenig den Kopf und seufzte. Bring ihn herein,
sagte er.
Der Diener ging zum Tor. Komm mit, sagte er zu dem Nchaioui. Im Schlafgemach sah der
Nchaioui den Khalifa, der bäuchlings auf seinem Bett lag. Bring viel Honig und heißen Tee,
wies er den Schwarzen an. Dann setzte er sich neben den Khalifa aufs Bett.
Als der Diener mit Tee und Honig zurückkam, nahm der Nchaioui seine Schüssel aus dem
Korb und kratzte mit dem Löffel eine große Kugel Majoun heraus, die er dem Khalifa reichte.
Eßt zuerst das hier, sagte er zu ihm. Und dann trinkt diesen Tee.
Das tat der Khalifa, und der Nchaioui goß ihm immer wieder Tee nach. Als eine Stunde
vergangen war und der Nchaioui sah, daß die Wirkung des Majoun eingesetzt hatte, schickte
er den Diener weg und stand auf.
Dies ist der Augenblick für die Medizin, sagte er. Er zog dem Khalifa den Tchamir herunter,
so daß dessen Hinterteil entblößt war. Der Khalifa merkte es gar nicht.
Dann rieb sich der Nchaioui sein Glied mit Honig ein und stieß es mit einem kräftigen Ruck
in den Khalifa hinein.
Der Khalifa schrie auf und versuchte, den Nchaioui abzuschütteln, doch er hatte nicht die
Kraft dazu. Danach blieb er still, während der Nchaioui ihn bearbeitete.
Die Operation ist gleich vorüber, Euer Exzellenz, sagte der Nchaioui. Er brachte es zu Ende
und zog sehr befriedigt sein Glied heraus. Die Eiterbeule war geplatzt. Er rief den Schwarzen
herein und sagte ihm, er solle Tücher holen und seinen Herrn säubern.
Der Khalifa, der so lange gelitten hatte, empfand das Verschwinden der Schmerzen als eine
solche Wohltat, daß er einschlief. Als der Nchaioui dies sah, entrollte er sein Schaffell am
Fußende des Bettes und legte sich ebenfalls schlafen. Als er am Morgen aufwachte, schlief
der Khalifa noch immer.
Nach einer Weile wurde der Khalifa wach, und der Nchaioui half ihm beim Aufstehen.
Ich habe keine Schmerzen mehr, sagte der Khalifa.
Hamdoullah! sagte der Nchaioui.
Gemeinsam gingen sie in das Bad des Khalifa. Als die Diener sie mit Wasser übergössen
hatten und gegangen waren, sagte der Khalifa: Gestern abend, als du mich operiert hast, was
hast du da benutzt? Einen Stab?
Der Nchaioui zeigte auf sein Glied. Euer Exzellenz, ich habe das hier benutzt.
Was? rief der Khalifa. Aber das bedeutet, du hast dich an mir vergangen. Du hast dich an
deinem Khalifa vergangen!
Nein, Euer Exzellenz, ich habe Euch operiert. Nichts weiter.
Gut, sagte der Khalifa und besann sich, daß der Nchaioui ihn in der Tat von seinem Leiden
befreit hatte.
Sie verließen das Hammam, und der Khalifa gab Anweisung, sofort ein großes Fest zu
veranstalten. Musiker und Tänzer traten auf, und die Gäste aßen viele Stunden lang und
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tranken Tee. Der Nchaioui holte seine Majoun-Schüssel hervor und gab dem Khalifa einen
Löffel voll. Bald wurde der Khalifa sehr redselig. Er lachte und sang, und der Nchaioui
wußte, daß er glücklich war. Er verstaute alles wieder in seinem Korb und stand auf.
Ich muß gehen, Euer Exzellenz, sagte er.
Was schulde ich dir? fragte ihn der Khalifa.
Sidi, was immer Ihr mir gebt, wird mehr als genug sein, denn es kommt von Euch.
Er ist ein großer Arzt, dachte der Khalifa. Er ließ von einem Diener einen Beutel voll Dinar
holen und gab ihn ihm.
Der Nchaioui dankte ihm und ging. Draußen überquerte er die Straße und setzte sich wieder
unter den Feigenbaum, um Kif zu rauchen.
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Der junge Einsiedler Ein Mann namens Si Kaddour hatte von seinem Vater ein großes Stück Land geerbt. Am einen Ende stand ein großes Haus, in dem die Familie wohnte, und etwa eine halbe Meile vom Haus war ein Wäldchen. Hier hatte Si Kaddours Vater am schattigen Ufer eines Flusses ein kleines Haus gebaut und rings herum einen Garten angelegt. In diesem Garten, fern von seinen Angehörigen, hatte sich der alte Mann die meiste Zeit aufgehalten. Si Kaddour hatte immer viel zu tun und kümmerte sich nicht um das kleine Haus im Wald. Sein Sohn jedoch, ein Junge von siebzehn Jahren, rauchte gerne Kif, und der Garten des Großvaters schien ihm dafür der ideale Ort zu sein. Er hielt sich immer öfter dort auf, und schließlich zog er ganz aus dem Haus seines Vaters aus, um allein im Wald zu leben. Einmal im Monat ging er in die Stadt und kaufte ein, was er brauchte - Streichhölzer oder eine neue Pfeife und frischen Kif. Jeden Nachmittag ging er zum Haus seines Vaters und holte sich Essen für den Abend und den nächsten Tag. Sein Großvater hatte im Garten einen Teich angelegt, und an dem Teich gefiel es dem jungen Mann besonders gut. Stundenlang saß er regungslos da, bis die Vögel zutraulich wurden und ganz nahe herankamen. Er hatte viele Monate gebraucht, um sich mit ihnen anzufreunden. Es erforderte Geduld und Klugheit- urJ eine ganze Menge Kif-, bis man lernte, so still zu sitzen und auf die Vögel zu warten. Doch gewöhnlich kamen sie, und manchmal setzten sie sich sogar auf seine Schulter. Und es war ihm, als versuchten sie, mit ihm zu reden. Sie schienen zu glauben, daß er verstehen konnte, was sie ihm mit ihrem. Zwitschern sagten. Eines Tages kamen Verwandte aus einem anderen Teil des Landes, um Si Kaddour und seine Familie zu besuchen. Bei ihnen war ein junges Mädchen, das stumm war. Eine Weile saß sie bei den anderen, dann wurde ihr langweilig, und sie stand auf und ging hinaus. Die Obstgärten waren so schön, daß sie beschloß, einen Spaziergang zu machen. Sie erreichte das 19
Wäldchen und folgte dem Pfad, der zu dem kleinen Haus am Fluß führte.
Als sie in den Garten kam, sah sie den Jungen am Teich sitzen, und vor ihm auf der Erde sah
sie zwei Vögel, mit denen er zu reden schien. Sie blieb stehen und brachte vor Staunen den
Mund nicht mehr zu. Die Vögel schilpten sehr laut. Der junge Mann hörte ihnen zu und
schien dann etwas zu ihnen zu sagen. Er hob die Arme, und als die Vögel wegflogen, lachte
er. In diesem Augenblick sah er das Mädchen, das ihn vom anderen Ende des Gartens be
obachtete. Es schien ihm, daß er noch nie ein so schönes Gesicht gesehen hatte.
Wer bist du? rief er ihr zu.
Sie legte die Hand auf den Mund und zuckte die Schultern, um ihm zu zeigen, daß sie nicht
sprechen konnte. Er ging zu ihr und machte Zeichen, und sie gab ihm zu erkennen, daß sie
verstand.
Was machst du hier draußen im Wald? wollte er wissen.
Sie erklärte ihm in Zeichensprache, daß ihre Familie in dem großen Haus hinter den
Obstgärten zu Besuch sei, und er sagte ihr, daß es das Haus seines Vaters war.
Er führte sie zum Teich und sagte ihr, sie solle sich setzen. Dann machte er ihr einen Tee.
Während sie trank, stopfte er seine Pfeife mit Kif und zündete sie an. Er goß sich ein Glas Tee
ein, rauchte und sah das Mädchen an.
Sie versuchte ihm unter großen Anstrengungen etwas zu sagen, doch er hob die Hand und
sagte: Nein. Versuch nicht zu sprechen. Ich will ein bißchen träumen.
Eine Weile saßen sie schweigend da. Der Kif stieg dem jungen Mann in den Kopf, während er
dasaß und dem Rauschen des Flusses lauschte.
Nach einiger Zeit stand er auf und sagte zu dem Mädchen: Komm, ich zeige dir, wie du
wieder zurück zum Haus meines Vaters kommst.
Sie machten sich auf den Weg durch den Wald. Er redete mit ihr, und sie antwortete ihm mit
Gesten. Plötzlich reckte sich mitten auf dem Pfad eine Schlange, als wollte sie die beiden
angreifen. Das Mädchen sah sie, und ihre Angst war so groß, daß sie den Mund öffnete und
gellend schrie. Die Angst hatte ihr die Zunge gelöst.
Die Schlange glitt seitwärts zwischen das Laub am Wegrand.
Ich kann sprechen, sagte das Mädchen. Der Junge sah
sie an, als verstehe er nicht, was daran so ungewöhnlich sein sollte.
Bald danach sagte er: So, jetzt sind wir aus dem Wald heraus. Dort drüben siehst du das Haus.
Geh einfach darauf zu.
Ja, sagte sie, und während sie zum Haus ging, dachte sie: Ich kann jetzt sprechen.
Der junge Mann kehrte um und ging zurück zu der Stelle, wo die Schlange auf ihn wartete. Er
blieb stehen und strich ihr mit der Hand zwei- oder dreimal über den Rük-ken, und sie glitt
davon. Dann ging er in seinen Garten, setzte sich wieder an den Teich und rauchte Kif.
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Hassan und die Aghrebia Hassan war unverheiratet. Er war Kifraucher und liebte seine Freiheit. Sein bester Freund war
ein alter Mann namens Si Mokhtar, den er seit seiner Kindheit kannte.
Eines Tages kam Si Mokhtar auf einen Besuch in Has-sans Haus. Hassan bot ihm die
Matratze zum Sitzen an und machte ein Feuer, damit er ihn zum Abendessen einladen konnte.
Während das Essen kochte, rauchten sie einige Pfeifen Kif.
Als sie gegessen hatten, tranken sie Tee, rauchten noch mehr Kif und unterhielten sich. Si
Mokhtar, sagte Hassan, es ist kaum zu glauben, daß du fünfundsiebzig bist. Du bist kräftig.
Du wirkst viel jünger. Sieh mich an - ich bin fünfunddreißig und tauge zu nichts mehr.
Weißt du, mein Sohn, die Menschen sind nicht alle gleich. Du bist du, und ich bin ich, und
jeder ist er selbst.
Ja, natürlich, sagte Hassan.
Ich bin ich, und ich achte auf meine Gesundheit, sagte der alte Mann. Du dagegen achtest
überhaupt nicht auf dich.
Das ist wahr, Si Mokhtar. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, und jetzt ist es zu spät. Gestern
abend habe ich ein Mädchen mit nach Hause genommen. Ich war die ganze Nacht mit ihr
zusammen und habe gewartet, daß sich was tut. Es ging nicht. Sie hat mich geküßt und ge
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streichelt, sie hat alles versucht, aber er regte sich nicht. Er schlief einfach weiter.
Si Mokhtar lachte. Das muß das erste Mal sein, daß es dir passiert ist, sonst würde es dir nicht
solche Sorgen machen. So etwas erlebt jeder einmal. Da ißt man einfach einige Aghrebia.
Aghrebia? Hast du welche?
Nein. Ich habe es nicht nötig, sagte der alte Mann und zwinkerte Hassan zu.
Wo kann ich welche kaufen?
Si Mokhtar schüttelte den Kopf. Es gibt sie nicht zu kaufen, mein Sohn.
Hassan machte ein unglückliches Gesicht.
Wenn du willst, kann ich dir sagen, wie man sie macht, fuhr Si Mokhtar fort. Und wenn du sie
gemacht hast, bringst du sie mir, und ich sage dir, was man damit tut.
Natürlich will ich welche. Was muß ich tun?
Zuerst holst du dir Kharouah-Bohnen und kochst sie, bis das Wasser schwarz ist. Dann
trocknest du sie in einer Pfanne auf dem Feuer. Aber schütte das schwarze Wasser nicht weg.
Außerdem brauchst du noch viele andere Sachen - Mehl und Eier, Zucker und Nüsse und
Gewürze.
Si Mokhtar erklärte Hassan das Rezept für Aghrebia. Und wenn du sie in die Bäckerei bringst,
sag dem Maallem, er soll sie nicht länger als eine halbe Stunde im Ofen lassen, fügte er hinzu.
Morgen, Insch'allah, werde ich die Medizin machen, und du kannst kommen und sie dir
ansehen.
Si Mokhtar war einverstanden. Er stand auf und ging.
Früh am Morgen holte sich Hassan die Kharouah-Bohnen von einigen Stauden, die an der
Straße wuchsen. Er ging damit nach Hause und setzte sie zum Kochen auf. Danach ging er
hinaus und besorgte sich die übrigen Zutaten. Er formte den Teig zu kleinen Kugeln, wie es
ihm Si Mokhtar gesagt hatte, und ging damit zum Bäcker. Er wartete eine halbe Stunde, bis
sie durchgebacken waren.
Er fand Si Mokhtar in dem Cafe, in dem er immer saß. Er setzte sich zu ihm und bestellte sich
ein Glas Kaffee. Sie rauchten ihre Kif-Pfeifen.
Ich habe die Medizin gemacht, sagte Hassan.
Gut, sagte Si Mokhtar.
Bald danach standen sie auf und gingen zu Hassan nach Hause. Hassan zeigte dem Alten die
kleinen Kugeln, und Si Mokhtar sagte: Ja, so haben sie immer ausgesehen, als ich sie noch
machte. Er nahm ein Messer und schnitt eine der Kugeln durch.
Iß das, sagte er. Und jetzt trink ein Glas heißen Tee.
Hassan tat, was der alte Mann ihm sagte.
Etwa eine halbe Stunde danach begann Hassan zu schwitzen. Er schloß die Augen, und es
schien ihm, daß er Klänge hörte, wie er sie noch nie vernommen hatte. Und Dinge, die er
noch nie gesehen hatte, glitten an seinen Augen vorüber. Er war überzeugt, daß er schwerelos
in der Luft schwebte.
Si Mokhtar fragte ihn, wie er sich fühle.
Ah, sagte Hassan, ich glaube nicht an die Welt. Es gibt noch eine andere Welt, und dort ist
das Leben ganz anders.
Hab ich es nicht gesagt? meinte Si Mokhtar.
Ich habe auch nicht gedacht, daß du mir etwas vormachst. Jedenfalls, ich fühle mich herrlich.
Es dauerte nicht lange, und in Hassans Glied schwollen die Blutgefäße, so daß es sich regte.
Si Mokhtar bemerkte es. Wieder fragte er Hassan, wie er sich fühle.
Noch besser, sagte Hassan.
Ich muß gehen, sagte Si Mokhtar und stand auf.
Nimm dir von der Medizin etwas mit, forderte Hassan ihn auf. Der alte Mann nahm drei
Kugeln und legte sie in die Kapuze seiner Djellaba. Dann ging er hinaus.
Als Hassan am Abend zu Bett ging, fühlte er sich nicht müde. Bald stand er wieder auf, zog
sich an und ging in den Zoco Chico. Als er am Cafe Central vorbeikam, sah er drinnen eine
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junge Amerikanerin allein an einem Tisch sitzen. Er ging hinein und setzte sich an den Nebentisch. Er sprach die junge Frau an, und sie antwortete ihm. Er setzte sich zu ihr an den Tisch, und sie redeten eine Weile. Dann holte er seine Pfeife hervor, stopfte sie und gab sie ihr. Sie rauchte und lächelte ihn an. Jeder trank einen Kaffee. Als Hassan sie fragte, ob sie mit ihm nach Hause gehen wollte, war sie einverstanden, doch sie sagte, sie müsse erst noch in ihr Hotel. Hassan zahlte, und sie gingen zu ihrem Hotel-eine kleine, dunkle, sehr schmutzige Absteige nicht weit vom Zoco Chico. Er ging mit ihr nach oben, und sie öffnete die Tür. Auf dem Bett lag ein junger Mann. Das ist mein Freund, sagte das Mädchen. Kann er mitkommen? Hassan war sicher, daß sie nicht mit ihm gehen würde, wenn er nein sagte. Also sagte er: Natürlich. Doch er überlegte bereits, wie er den jungen Mann loswerden könnte. Als er ihn eingehender betrachtete, fiel ihm auf, daß er lange blonde Haare wie ein Mädchen hatte und bunte Glasperlenketten und seltsame Dinge um den Hals trug. Sie machten sich auf den Weg zu Hassans Haus. Als sie dort waren, lud er die beiden zum Sitzen ein und machte heißes Wasser für einen Tee. Die beiden Amerikaner betrachteten den Teller voll Aghrebia-Kugeln auf dem Tisch. Sind das Haschisch-Plätzchen? wollte das Mädchen wissen. Das sind Aghrebia. Versuch mal. Hassan gab ihr eine halbe Kugel, und sie aß sie. Dann streckte sie die Hand aus und nahm sich noch eine halbe. Bis Hassan merkte, was vorging, hatte sie ihre zweite Portion bereits heruntergeschluckt. Es war zu spät, um etwas zu sagen, also ließ er es sein. Er wollte den Teller wegstellen, aber der junge Mann wollte jetzt auch eine Kugel. Hassan gab ihm eine. Sie tranken ihren Tee. Nach etwa zwanzig Minuten sah Hassan, daß das Mädchen schwitzte und die Augen fast geschlossen hatte. Er warf dem jungen Mann einen Blick zu, um zu sehen, ob er es bemerkt hatte - und sah, daß auch er die Wirkung der Medizin verspürte. Fühlt ihr euch gut? fragte er die beiden. Ich fühle mich prächtig! sagte das Mädchen. So schön kann es nirgends sein wie da, wo ich grade bin. Die Luft weht an mir vorbei wie Musik - eine Musik, die nicht von dieser Welt ist. Ich habe überhaupt keine Verbindung mehr mit der Erde. Ich bin im Himmel! Im Himmel! Ja, da hast du ganz recht, sagte Hassan. So ist das. Der junge Mann saß mit geschlossenen Augen da und lächelte nur. Das Mädchen strich ihm mit den Fingern durch seine langen Haare und sagte zu Hassan: Mein Freund fühlt dasselbe wie ich. Er ist auch im Himmel. Dann sagte sie zu dem Jungen etwas in ihrer Sprache, und er wandte sich ihr zu und küßte sie, ohne die Augen zu öffnen. Hassan nahm den Teller mit den Aghrebia und hielt ihn dem jungen Mann hin. Er dachte, der Bursche würde vielleicht noch etwas nehmen und schließlich das Bewußtsein verlieren. Doch der junge Mann öffnete die Augen, sah den Teller und schüttelte den Kopf, ohne von dem Mädchen abzulassen. Und dann sah Hassan mit ungläubigem Staunen, wie die beiden Amerikaner einander entkleideten und sich auf seinem Bett liebten. Im ersten Augenblick war er so verblüfft, daß er wie angewurzelt dasaß und kein Wort herausbrachte. Dann sprang er auf, stieg die Treppe hinauf zum Dach und ging dort mehr als eine Stunde hin und her. Als er herunterkam, hatten die beiden Amerikaner ihre Kleider wieder an, saßen auf dem Bett und sahen sich in die Augen. Er machte die Tür auf, und sie standen auf und gingen hinaus auf die Straße. Er knallte die Tür zu und verriegelte sie. Im Cafe traf er Si Mokhtar am nächsten Tag in bester Laune an. Ich hatte die ganze Nacht ein Mädchen bei mir, sagte ihm der alte Mann. Ich habe ein bißchen von deinen Aghrebia genommen. Er fing an, ihm von seiner Nacht zu erzählen. Bald merkte er, daß Hassan nicht zuhörte. Also sprach er nicht weiter davon.
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Die See auf der Straße
Ein Kif-Raucher stand eines Morgens auf, und nach dem Frühstück mit seiner Frau begann er
eine Mischung aus Kif und Qoqa zu rauchen. Als seine Frau das sah, schimpfte sie: Warum
rauchst du morgens nicht Tabak und wartest mit Kif und Qoqa wenigstens bis zum
Nachmittag? Du bist noch nicht einmal auf dem Markt gewesen.
Aber er sagte, er würde nur eine oder zwei Pfeifen rauchen, ehe er auf den Markt ging. Er
rauchte zwei Pfeifen, stand auf und verließ das Haus. Er kaufte Gemüse ein und was sie sonst
noch für diesen Tag brauchten. Dann ging er zum Fischmarkt, wo ein alter Freund von ihm
eine Bude hatte. Sie begrüßen sich und schlugen einander auf die Schulter.
Wie ist heute dein Kif? fragte der Fischhändler, der keinen bei sich hatte.
Mein Kif ist immer hervorragend, sagte der Mann. Ich schneide ihn jeden Tag selbst.
Stopfst du mir eine Pfeife?
Der Mann stopfte seine Sebsi, und der Fischhändler rauchte sie. Komm herein, sagte er. Ich
habe heißen Tee für dich.
Der Mann ging hinein und setzte sich, und sein Freund goß ihm ein Glas Tee ein. Sie saßen
eine Stunde oder etwas mehr, rauchten, unterhielten sich und schlürften Tee. Dann kaufte der
Mann ein Kilo Schwertfisch, bezahlte dafür und ging nach Hause. Er war schon ziemlich be
nebelt von dem Kif, den er geraucht hatte.
Seine Frau öffnete ihm. Du warst aber lange weg, sagte sie. Das wird heute ein sehr spätes
Mittagessen.
Stell dir vor, sagte er, ich habe einen Mann getroffen, den ich Jahre nicht mehr gesehen hatte.
Wir kamen ins Reden, und es wurde spät. Hast du Hunger?
Ich habe ein bißchen was gegessen, sagte sie.
Er packte die Einkäufe aus. Hier sind die Sachen. Warum kochst du nicht das Essen?
Wo ist das Öl? Du hast kein Öl mitgebracht.
Gib mir eine Hasche, dann hole ich welches, sagte er.
24
Sie brachte ihm eine alte französische Weinflasche mit einer Vertiefung im Boden. Er nahm sie und ging damit zu einem Laden, einige Straßen weiter. Der Bacal stand hinter dem Ladentisch und wollte sich gerade seine Kif-Pfeife anzünden. Statt dessen begrüßte er den Mann und reichte ihm die Pfeife. Der Mann setzte sich auf eine Kiste neben dem Eingang und rauchte die Pfeife. Anschließend stopfte er sie wieder und gab sie dem Bacal zurück. Gib mir eine Limonade, sagte er. Ich habe Durst. Der Bacal öffnete zwei Haschen Limonade. Sie unterhielten sich und rauchten. Die leere Weinflasche lag am Boden, und zu Hause saß die Frau und wartete. Als sie das Warten leid war, beschloß sie, zu einer Nachbarin zu gehen und sich Öl zu borgen. Zu Hause wartete sie dann noch eine Weile, doch schließlich wurde ihr Hunger so groß, daß sie den Fisch zubereitete und aß. Der Mann und der Bacal saßen immer noch beisammen, unterhielten sich und lachten. Wenn Kunden hereinkamen, bediente sie der Bacal, und der Mann stopfte sich eine Pfeife und rauchte, bis der Bacal sich wieder zu ihm setzte. Es wurde dunkel. Plötzlich hob der Mann mit einem erschreckten Ausruf den Kopf. Was ist denn? fragte der Bacal. Gib mir einen Liter Öl. Meine Frau wartet darauf. Er gab dem Bacal die Flasche, und dieser füllte ein Litermaß mit Öl und fing an, es in die Rasche abzufüllen. Bald war die Flasche voll, doch wegen des falschen Bodens blieb noch einiges Öl übrig. Du hast hier noch mehr, sagte der Bacal. Wo soll ich das hintun? Einen Augenblick stand der Mann da und betrachtete die Flasche in seiner Hand. Dann fühlte er die Vertiefung im Boden und drehte die Flasche um. Hier, sagte er und zeigte dem Bacal die Vertiefung. Füll es da rein. Der Bacal starrte ihn verständnislos an, während das Öl über den ganzen Ladentisch floß und auf den Boden tropfte. Doch da er selbst reichlich benebelt war vom Kif, goß er schließlich das restliche Öl in die Vertiefung des Flaschenbodens. Der Mann bezahlte, verabschiedete sich und ging hinaus. Es war Abend, und der Ostwind hatte aufgefrischt. Als er draußen die frische Luft einsog, entfaltete der Kif, den er geraucht hatte, mit einem Mal seine ganze Wirkung. Er kam in die Straße, wo er wohnte, und blieb stehen. Statt der Straße, die sich endlos vor ihm erstreckte, sah er das Meer. Hohe Wellen rollten im Mondschein auf ihn zu. Was für eine See! dachte er. Dann zuckte er die Schultern, zog Jacke und Hose aus, Hemd und Unterzeug. Als er nackt war, wickelte er die Flasche sorgsam in seine Kleider und band sich das Bündel auf den Kopf, damit er die Hände frei hatte zum Schwimmen. Dann machte er einen Hechtsprung in die Wogen. Er landete auf dem Bauch vor einem Kaktuszaun, an dem Kothaufen lagen. Rauhe See, dachte er und kroch die Straße lang, als würde er schwimmen. Vor seinem Haus stand er auf und hämmerte an die Tür. Als seine Frau ihn nackt und kotverschmiert und mit blutenden Schürfwunden sah, war sie so entgeistert, daß sie kein Wort herausbrachte. Siehst du denn nicht? rief er. Das Meer ist gekommen. Schau nur, wie hoch die Wellen da draußen sind! Sie packte ihn, zerrte ihn herein und knallte die Tür zu. Dann bugsierte sie ihn in die Toilette, goß mehrere Eimer voll Wasser über ihn und schrubbte ihn sauber. Danach trocknete sie ihn ab und brachte ihn zu Bett. Mitten in der Nacht schreckte er hoch und rief: Ich habe das Öl gebracht! Du kannst jetzt den Fisch braten. Ich habe Hunger.
25
Zwei Freunde und der Regen Farid und Mansour hatten benachbarte Stände auf dem Markt und waren Freunde geworden.
Da sie beide gern Kif rauchten und Haschisch aßen, beschlossen sie, sich nach einer
gemeinsamen Wohnung umzusehen. Sie fanden ein Haus mit nur einem Raum. Sie hatten
eine Strohmatte, einen kleinen Tisch, eine Truhe, eine Kohlenpfanne und einen Kochtopf.
Ihren Tee machten sie in einer Konservendose. Aber sie hatten zwei Matratzen, für jeden eine,
und jede hatte ihre eigene Decke.
An einem verregneten Abend mitten im Winter aßen sie ein großes Tajine aus Lamm und
Quitten. Danach legten sie sich auf ihre Matratzen und rauchten mehrere Pfeifen Kif. Dann
stand Farid auf und holte ein Stück Haschisch.
Es regnete in Strömen, und der Wind rüttelte am Haus. Lange saßen sie da, knabberten an
dem Haschisch und lauschten dem Regen. Schließlich löschte Mansour das Licht, und sie
schlössen die Augen und begaben sich auf eine Reise in andere Welten.
Es regnete weiter, und das Prasseln wurde lauter. Es war sehr dunkel im Raum. Bald wurde
das Geräusch so stark, daß es Farid aus seinen Träumen riß.
Ist das ein Unwetter! sagte er. Hör dir nur diesen Regen an.
Das, mein Freund, ist kein Regen, sagte Mansour.
Nicht? Was denn dann?
Es ist Wasser.
Farid lachte. Doch Mansour sagte: Da gibt es nichts zu lachen. Es ist nicht dasselbe. Regen ist
Regen, und Wasser ist Wasser. Und was da auf unser Dach fällt ist Wasser.
Ich muß jetzt schlafen, sagte Farid. Ich kann nicht die ganze Nacht reden.
26
Du hast angefangen, sagte Mansour.
Sie schwiegen. Der Sturm nahm zu. Mansour lag auf dem Rücken und war schon fast
eingeschlafen. Da bekam das Dach ein Leck. Zuerst fiel nur ab und zu ein Tropfen, jedesmal
genau auf sein linkes Augenlid. Doch bald kamen die Tropfen schneller. Sie zerplatzten auf
seinen Lidern, liefen ihm an den Wangen und am Hals herunter. Er versuchte wieder in
andere Welten zu entschweben, aber der Regen nagelte ihn auf seiner Matratze fest.
Farid! rief er schließlich.
Farid grunzte nur.
Farid! Tu mir einen großen Gefallen und schieb meinen Kopf ein bißchen zur Seite. Das
Wasser tropft mir in die Augen.
Farid stöhnte.
Da sagte Mansour: Was hast du denn? Auf meinem Kopfkissen ist eine Ratte, die versucht
dauernd, an meinem Ohr zu nagen. Kannst du nicht den Stock nehmen und sie vertreiben?
Mansour lag still. Was für ein Sturm! sagte er seufzend. Der Regen tröpfelte weiter auf sein
Gesicht, und bald war er eingeschlafen.
Als ihn die Ratte schließlich ins Ohrläppchen biß, raffte sich Farid zu einer Handbewegung
auf und verscheuchte sie. Dann schlief auch er ein.
27
Die Datura-Blüten Zwei junge Freunde, Hamed und Mustafa, lebten seit mehreren Jahren zusammen in einem Haus mit drei Zimmern, und jeder bezahlte die Hälfte der Miete. Beide arbeiteten als Teppichknüpfer in der Fondouk ech Chijra. Nach Feierabend gingen sie immer in ein Cafe oder ins Kino und anschließend nach Hause. Sie machten alles gemeinsam. Mustafa hatte einmal in Casablanca gelebt und hatte noch Freunde dort. Einer von ihnen war ein Junge namens Abdeslam, den er seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte, doch eines Tages bekam er plötzlich einen Brief von ihm. Der Junge schrieb, daß er nach Tanger kommen und ihn besuchen wollte. Mustafa wußte, daß Hamed gegen Leute aus Casablanca eine Abneigung hatte, deshalb erzählte er ihm von dem Brief, um zu sehen, was Hamed sagen würde. Er war nicht sicher, ob Hamed damit einverstanden sein würde, daß Abdeslam ins Haus kam. Aber Hamed zuckte nur die Schultern und sagte: Er will dich besuchen, nicht mich. Mustafa sagte sich, daß er Ab deslam nun kommen lassen konnte. Er wollte ihn sehr gerne wiedersehen. An dem Tag, als Abdeslam eintreffen sollte, gingen sie hinunter zum Strand und warteten auf den Bus aus Casa-blanca. Als der Bus hielt, drängte Abdeslam als erster heraus. Er sprang herunter, umarmte Mustafa und küßte ihn auf beide Wangen. Abdeslam, das ist mein Freund Hamed. Hamed und Abdeslam gaben sich die Hand. Dann stiegen alle drei in ein Taxi und fuhren zum Haus. Mustafa machte Tee für Abdeslam, während Hamed zum Markt ging, um die Zutaten fürs Abendessen einzukaufen. Als er zurückkam, setzte er sich zu den beiden und trank Tee mit 28
ihnen. Er holte seine Sebsi hervor, und sie begannen zu rauchen. Sie unterhielten sich, und nach einer Weile merkte Mustafa, daß Hamed etwas gegen Abdeslam hatte. Er hoffte, daß es keinen Ärger geben würde. Kurz danach stand er auf und ging weg, um eine Packung Zigaretten zu kaufen. Als er wiederkam, sah er, daß die beiden sich zornig anfunkelten, und er hatte den Eindruck, daß er sie wohl mitten in einer Prügelei angetroffen hätte, wenn er etwas später gekommen wäre. Doch sie nahmen die Unterhaltung wieder auf, und bald ging Hamed in die Küche, um das Essen zu kochen. Als es fertig war, kam er damit herein und setzte es auf den Taifor. Dann schnitt er Brotscheiben ab. Die drei Freunde setzten sich zum Essen, doch Hamed hatte keinen Hunger. Er brachte keinen Bissen herunter. Er hatte ein Gefühl, als wäre alles in ihm blockiert. Beeilt euch, sagte er zu den beiden anderen, ich bin im Marshan bei ein paar Amerikanern eingeladen, und ihr kommt natürlich mit. Als die Mahlzeit beendet war, fuhren sie mit einem Taxi den Hügel zum Marshan hinauf. Der Garten rings um das Haus war von Lampions erhellt. Hamed läutete. Ein Amerikaner mit einem Glas in der Hand kam und schloß die Pforte auf. Hamed stellte ihm Mustafa und Abdeslam vor. In einem Raum saßen mehrere Amerikaner. Sie tranken und lachten und hatten die Füße auf den Tischen. Die drei Gäste schüttelten allen die Hand und setzten sich nebeneinander auf eine Couch. Hamed saß neben der Tür, durch die man in den Garten gelangte. Er schaute hinaus und sah ein paar große Datura-Bäume mit hunderten von weißen Blüten, die von den Zweigen hingen. Der Amerikaner brachte den drei Freunden Kaffee und Gebäck, da sie nicht wie die anderen Whisky tranken. Hamed stopfte seine Sebsi und rauchte vier oder fünf Pfeifen Kif. Danach begann er angestrengt hinaus in den Garten zu starren. Er dachte an die Worte, mit denen ihn Abdeslam beleidigt hatte, während Mustafa weg war, um Zigaretten zu holen. Unverwandt starrte er hinaus in den Garten, wo die Abendbrise durch das Laub der Bäume strich, und es schien ihm, als sähe er hinter den Bäumen die Gestalt einer Frau. Sie trug einen weißen haik und winkte ihm zu. Er legte seine Pfeife auf den Tisch und stand auf. Mustafa sah den Ausdruck auf seinem Gesicht und starrte ihn an. Er schaute ihm nach, als er langsam in den Garten hinausging. Hamed wandte nicht den Blick von der Stelle, wo er die Frau gesehen hatte. Als er unter den Datura-Bäumen war, stand er lange Zeit regungslos da und spähte in die dunklen Schatten, wo sie sein mußte. Die weißen Blüten verströmten einen starken süßen Duft. Nach einer Weile kam sein amerikanischer Freund heraus, um nachzusehen, was er so lange allein im Garten machte. Hamed bemerkte den anderen nicht, bis dieser ihn an der Schulter berührte. Er zuckte zusammen. Was ist denn? fragte der Amerikaner. Nichts. Du hast mich erschreckt. Du wirkst so anders. Was ist passiert? Hamed drehte sich um, schüttelte langsam den Kopf und sagte leise: Ich habe meine Mutter nie gekannt. Dann ging er zurück ins Haus. Eine Weile saß er neben Mustafa und hörte zu, wie die Amerikaner redeten und lachten. Dann stand er auf und ging wieder in den Garten. Unter einem der Bäume blieb er stehen und pflückte sechs Blüten, die er in seine Tasche stopfte. Der Amerikaner sah es von der Tür aus, und als Hamed wieder hereinkam, fragte er: Werden die Blüten in deiner Tasche nicht zerdrückt? Das macht nichts, sagte Hamed. Ich habe sie gern bei mir, weil sie gut riechen. Der Amerikaner lachte, und Hamed ging hinein und setzte sich. Bald danach sagte er zu Mustafa: Komm, wir gehen. Mustafa und Abdeslam standen auf. Die drei verabschiedeten sich von den anderen und gingen. 29
Als sie nach Hause kamen, setzten sich Mustafa und Ab-deslam zusammen und redeten weiter. Hamed sagte, er werde einen Kaffee machen. Sie schauten hoch und sagten, daß sie gerne einen trinken würden. Er ging in die Küche. Dort nahm er die Blüten aus der Tasche und warf sie in einen Topf voll Wasser. Er blieb dabei stehen und sah zu, wie sie aufkochten. Dann nahm er sie heraus und warf sie in die Toilette. Mit dem gelben Wasser, in dem sie gekocht hatten, machte er den Kaffee, und er machte ihn sehr stark. Als er fertig war, füllte er zwei Gläser und trug sie ins Zimmer. Dann ging er in die Küche, machte einen Kaffee für sich selbst und setzte sich zu den beiden. Mustafa und Abdeslam tranken ihren Kaffee und unterhielten sich weiter. Doch es dauerte nicht lange, und ihre Worte kamen immer langsamer. Lange Pausen traten ein, und schließlich fielen Mustafa die Augen zu. Er kippte um und blieb am Boden liegen. Abdeslam sperrte Augen und Mund auf und blieb sitzen, aber er regte sich nicht mehr. Es war, als wäre er aus Stein gemeißelt. Hamed setzte sich neben ihn und lockerte ihm den Gürtel. Er zog ihm die Hose herunter, und Abdeslam rührte sich kein bißchen. Er zog ihm die Hose aus, dann auch die Unterhose. Von Abdeslam kam keinerlei Regung. Hamed schubste ihn um und wälzte ihn auf den Bauch. Er kniete über ihm und spuckte ihm zwischen die Hinterbacken. Dann ließ er ihn büßen für die Beleidigungen, wie es ihn die Frau unter den Datura-Bäumen geheißen hatte. Als er fertig war, ging er in sein Zimmer und legte sich schlafen. Am Morgen stand er auf und machte sich sein Frühstück. Bald erwachte Mustafa und rappelte sich vom Boden auf, wo er die ganze Nacht gelegen hatte. Dann sah er Abdeslam daliegen, so wie ihn Hamed am Abend verlassen hatte, mit entblößtem Hintern. Wortlos schaute er Hamed an. Ja, ich habe es getan, sagte Hamed. Ich habe meiner Mutter geschworen, daß ich es tue, und ich habe es getan. Ich muß jetzt weg. Wenn dein Freund aufwacht, dann beobachte ihn mal-er wird mit der Hand nach hinten greifen, dann wird er dich ansehen und schnell seine Hosen anziehen und hinunter zum Strand gehen und in den Bus nach Casablanca steigen. Wir sehen uns dann später.
30
Allahs Worte Si Brahim war ein sehr frommer Mann. Er verehrte den Koran so sehr, daß er dachte, andere würden ihn nicht hoch genug achten, und er hielt es oft für seine Pflicht, Freunde und Nachbarn zu ermahnen, daß sie sich nicht leichtfertigen Sünden wie Stehlen, Unzucht und Trunkenheit hingeben sollten. Er verteilte auch großzügig Almosen an die Armen. Ein guter Mann, sagten die Leute, wenn er vorbeikam. Wie ein Heiliger, sagten manche. Sie küßten ihm die Hand und redeten ihn mit Cherif an. Si Brahim besaß einen großen Basar, in den jeden Tag viele Touristen zum Einkaufen kamen. Er hatte einen Sohn von knapp zwanzig Jahren, und wenn Si Brahim zum Beten in die Moschee ging, übertrug er dem jungen Mann die Aufsicht über den Basar. Wenn er hörte, wie die Worte des Korans gesungen wurden, fühlte er immer, daß das Leben gut war. Manchmal blieb er den ganzen Tag in der Moschee, saß in einer dunklen Ecke auf einer Matte und hörte den Gebeten einfach zu. Er wußte, daß die meisten Menschen sich diesen Luxus nicht erlauben konnten. Trotzdem dachte er immer wieder, wie schön es wäre, wenn auch andere den ganzen Tag die heiligen Worte hören könnten und in derselben glücklichen Lage wären wie er. Er überlegte hin und her, und eines Tages ging er zu einem Inder, der mit Elektrogeräten handelte, und kaufte ein großes Tonbandgerät. Am Abend sagte er zu seinem Sohn, er habe beschlossen, der Nachbarschaft ein Geschenk zu machen. Ich möchte, daß du mir Worte aus dem Koran auf dieses Tonband sprichst, sagte er. Der junge Mann stellte das Gerät in sein Zimmer und behielt es ungefähr eine Woche lang, bis er ein Tonband mit Suren aus dem Koran aufgenommen hatte. Dann gab er es seinem Vater zurück. 31
Si Brahim stellte in seinem Zimmer die Lautsprecher auf das Fensterbrett und spielte den Leuten auf der Straße die Worte Allahs vor. Es machte ihn sehr glücklich, sie so laut und machtvoll zu hören, und er war sehr zufrieden mit seiner Idee. Die Passanten waren ebenfalls erfreut. Möge dir Allah ein langes Leben schenken! riefen sie zu ihm hinauf. Si Brahim saß den ganzen Tag glücklich und zufrieden am Fenster und spielte das Tonband immer wieder ab. Am nächsten Tag hielt er sich nur eine Stunde im Basar auf, ging zu einem kurzen Gebet in die Moschee und dann nach Hause, um sich wieder seinem guten Werk zu widmen. Am dritten Tag kam seine Frau zu ihm ins Zimmer und sagte: Willst du von jetzt an nur noch dasitzen und diesen Apparat laufen lassen? Si Brahim war verärgert. Frau, sagte er, ich gebe den Menschen die Worte Allahs. Können wir nicht ein bißchen Ruhe haben? Was ist denn los mit dir? Zornig ging sie aus dem Zimmer. Nach ein paar Tagen fiel Si Brahim auf, daß die Leute nicht mehr stehen blieben, um die Worte zu hören, die-er für sie abspielte. Es rief auch niemand mehr Segenswünsche zu ihm hoch. Sie hatten genug von den lauten Worten, die vom Fenster durch die Straße hallten. Viele im Viertel dachten jetzt, daß Si Brahim ein bißchen verrückt war. Seine Angehörigen erfuhren davon, und es war ihnen sehr peinlich, doch sie konnten nichts daran ändern. Der Sohn tröstete seine Mutter. Mir wird schon etwas einfallen, sagte er. Si Bahim saß weiter am Fenster und dachte: Sie hören nicht zu. Sie wollen die Worte Allahs nicht hören. Eines Tages hielt er es nicht mehr aus. Er ging hinaus auf die Straße und hielt die Passanten an. Hört ihr diese Worte? rief er. Warum achtet ihr nicht darauf? Es sind die Worte Gottes. Und ihr lebt nicht danach! Die Leute redeten über ihn und sagten: Seht ihr? Es wird immer schlimmer mit ihm. Sie schüttelten den Kopf und schnalzten mitfühlend mit der Zunge. Das bereitete Si Brahim großen Kummer. Er konnte an diesem Tag seinen Lunch nicht essen und verließ das Haus, um in ein Cafe zu gehen. Als er weg war, beschloß sein Sohn, einen Freund aufzusuchen, der auch ein Tonbandgerät hatte. Er überredete ihn, zu ihm nach Hause zu kommen und das Gerät mitzunehmen. Sie schlössen die beiden Geräte an und überspielten das Band mit den Worten Allahs auf das zweite Geräte, aber rückwärts. Dann legten sie das neue Band auf Si Brahims Gerät, gingen ins Wohnzimmer und setzten sich mit den anderen Familienmitgliedern zum Tee. Im Cafe traf Si Brahim einen Freund, den er schon seit vielen Jahren kannte. Der Mann war inzwischen ein starker Kif-Raucher geworden. Sie saßen eine Weile beisammen und unterhielten sich, und der Mann bot Si Brahim eine Pfeife Kif an. Nein, sagte Si Brahim. Ich rauche keinen Kif. Schade, sagte der Freund, denn dann würdest du vielleicht nicht so ein trauriges Gesicht machen. Si Brahim gab keine Antwort. Nach einer Weile sagte er: Du mußt mit mir nach Hause kommen zum Abendessen. Gut, sagte der Mann. Ich werde dir die Worte Allahs auf meinem Tonband vorspielen, sagte Si Brahim. Er dachte, das wäre vielleicht gut für den Kif-Raucher. Ouakha, sagte sein Freund. Von Leuten aus dem Viertel hatte er schon von Si Brahims Tonbandgerät gehört. Sie bezahlten beim Qahouaji ihre Rechnung und machten sich auf den Weg zu Si Brahims Haus. Als sie hineingingen, sagte Si Brahim: Die Leute hier wollen Allahs Worte nicht mehr hören. Sein Sohn kam dazu und folgte ihnen in Si Brahims Zimmer. Als sein Vater einen Augenblick 32
abgelenkt war, zwinkerte er dem Besucher zu.
Die beiden Männer setzten sich. Sie Brahim trug seiner Frau auf, einen Tee zu bringen. Sein
Freund, sagte er, werde zum Abendessen bleiben. Die Frau ging zurück in das Zimmer, in
dem die anderen Familienmitglieder saßen. Er hat den alten Hacheichi zum Abendessen
eingeladen, sagte sie. Es ist die einzige Möglichkeit, wie er einen noch dazu bringen kann,
sein Tonband anzuhören. Der arme Ha-cheichi tut mir jetzt schon leid.
Mittlerweile stand Si Brahim auf, ging zu seinem Tonbandgerät und stellte es an. Die Worte,
die herauskamen, hörten sich an wie das Quaken von Fröschen. Er sah verdutzt drein, hielt
das Band an und schaltete auf eine andere Geschwindigkeit. Jetzt klang es wie Vogel
zwitschern. Er schaltete zurück auf die erste Geschwindigkeit und hörte es sich an, doch er
konnte kein Wort verstehen. Er schüttelte den Kopf und schickte sich an, das Gerät
abzuschalten.
Was ist denn? sagte sein Freund. Laß es mich doch hören.
Si Brahim sah ihn an und entschied, daß er den Kopf voll Kif hatte. Er schaltete das Gerät aus.
Etwas stimmt nicht damit, sagte er. Es funktioniert nicht richtig.
Laß es doch, sagte der Mann. Warum hast du es abgestellt? Dreh es auf und laß es laufen. Du
hast mich eingeladen, damit ich mir die Worte Allahs anhöre. Also laß hören.
Er begriff, daß Si Brahims Sohn sich einen Scherz ausgedacht hatte, und er beschloß, bei dem
Spaß mitzumachen. Si Brahim stellte das Band wieder an, und sein Freund sagte: Gut. Jetzt
komm und setz dich. Ich stopfe dir eine Pfeife, und dann hören wir es uns an.
Si Brahim war so verstört und durcheinander, daß er die Pfeife nahm und sie rauchte. Und
jedesmal, wenn er sie von seinem Freund wieder gereicht bekam, nahm er sie. Sie saßen da
und hörten auf die Laute, die aus dem Apparat kamen. Als das Band halb durchgelaufen war,
sang bereits der Kif in Si Brahims Kopf. So allmählich glaubte er die Laute vom Tonband
jetzt verstehen zu können.
Von Zeit zu Zeit spähten die Familienmitglieder durch den Vorhang in das Zimmer, wo die
beiden Männer saßen. Dann drehten sie sich rasch wieder um, damit man sie nicht lachen sah.
Als das Tonband zu Ende war, wandte sich Si Brahim an seinen Freund und fragte: Hast du
etwas verstanden? Verstanden? Ja selbstverständlich. Du etwa nicht? Si Brahim kratzte sich
am Kinn. Nein, kein einziges Wort, sagte er. Der Apparat funktioniert heute nicht richtigist
doch ein gutes Gerät. Es ist vollkommen in Ordnung.
Ich habe alles verstanden, sagte sein Freund.
Da hörte Si Brahim, wie seine Angehörigen im anderen Zimmer lachten. Seine Frau sagte:
Vielleicht wird ihm das eine Lehre sein und wir bekommen endlich ein bißchen Ruhe.
Inzwischen hatte Si Brahim den Kopf so voll von Kif, daß er die Worte seiner Frau falsch
verstand und glaubte, sie würde sich beklagen, weil er Kif geraucht hatte. Er wurde sehr
zornig.
Er stand auf und rief ins andere Zimmer hinein: Du irrst dich! Ich werde Kif rauchen, so oft
ich will. Und ich werde lernen, wie man ihn schneidet, damit ich ihn jeden Tag frisch habe.
So! Was sagst du jetzt, Frau?
Sein Freund war hoch erfreut über diesen Sinneswandel. Nach dem Abendessen ging er mit Si
Brahim zurück ins Cafe, und sie rauchten weiter, bis spät in die Nacht hinein.
Von nun an verbrachte Si Brahim seine ganze Zeit in Cafes, wo er seinen Kif schnitt und
rauchte. Sein Tonbandgerät interessierte ihn jetzt nicht mehr, also schenkte er es seinem Sohn.
33
Die Erzählung des Kif-Händlers Wenn ich keine Arbeit fand und nichts zu tun hatte, schnitt ich Kif. Es war meine einzige Möglichkeit, zu Geld zu kommen. Ich setzte mich draußen in Beni Makada in ein Cafe und zupfte mir den Kif zurecht, Büschel für Büschel, und sobald genug Raucher im Cafe waren, verkaufte ich es ihnen. In kleinen Päckchen, je nachdem, wieviel sie haben wollten. Manche wollten es mit viel Tabak, und andere wollten eine leichtere Mischung. Ich wußte, wie man guten Kif macht, und ich machte ihn für richtige Raucher. Sie hätten ihn nicht gekauft, wenn er nicht gut gewesen wäre. Ich nahm nur die besten Teile der Pflanze. Eines Tages war ich mit dem Schneiden gerade fertig und spielte mit Freunden eine Partie Ronda. Auf dem Tisch hatte ich ein Blatt Tabak liegen, das übrig geblieben war. Ich wollte es später wegtun. Da kam ein Mann ins Cafe, mit Turban und Djellaba, gelbe Slipper an den Füßen und einen Spazierstock in der Hand, wie ein Djibli. Wir schauten zu ihm rüber, und er setzte sich hin und bestellte sich ein Coca-Cola und bezahlte es dem Qa-houaji, und wir spielten weiter. Und dann griff er auf einmal nach meinem Blatt Tabak und sah es an und sagte: Wem gehört das? Ich sagte: Mir. Und er sagte, er wollte sich draußen mal mit mir unterhalten. Wo? Draußen. Na gut. Ich stand auf und ging mit ihm raus. Draußen hatte er ein Auto stehen. Steigen Sie ein, sagte er. 34
Wer sind Sie?
Ich bin von der Regie des Tabacs.
Ich steige ein, und wir fahren zu seinem Büro. Dort sitzen drei Franzosen und vier
Marokkaner.
Was hat der da verbrochen? fragen sie.
Ich habe ihn in einem Cafe erwischt - mit diesem Blatt Tabak, sagte der Djibli und wedelte
damit.
Einer der Franzosen sieht mich an und fragt auf Arabisch: Rauchen Sie Kif ?
Wenn ich welchen angeboten kriege, ja. Aber sonst rauche ich Tabak.
Und das Blatt hier? Wo haben Sie das her? will er wissen.
Da ist heute früh ein Mann ins Cafe gekommen, sage ich ihm. Ich habe ihn noch nie gesehen.
Er hat seinen Kif geschnitten, und als er fertig war, hatte er ein Blatt übrig. Ich hab ihn
gefragt, ob ich es haben kann, und er hat gesagt, ich soll es nehmen.
Und was wollten Sie damit? fragte er.
Ich sag ihm, es gibt viele Männer, die Kif rauchen, und wenn sie sich ihren Kif schneiden,
brauchen sie manchmal noch ein bißchen Tabak, und dann kann ich ihnen aushelfen.
Und Sie wissen nicht, daß das verboten ist? C'est de-fendu, QCI! Er wedelt mir mit dem Blatt
vor dem Gesicht herum.
Non, monsieur, sag ich. Ich dachte immer, für Moslems ist nur Alkohol verboten, nicht
Tabak. Außerdem ist es nur ein Blatt, und ich weiß nicht einmal, wem es gehört.
Sie gehen mit mir raus und setzen mich wieder ins Auto und fahren mich in den Knast, den
die damals da draußen hinter der Kaserne von Beni Makada hatten. Sechs Tage in einer
dunklen Zelle. Keine Pritsche. Ich mußte auf dem Boden schlafen. Und der Boden war aus
Stein. Nach sechs Tagen und Nächten kommen sie wieder, schließen die Tür auf und sagen,
ich soll rauskommen. Also geh ich raus, und sie fahren wieder mit mir ins Büro.
Der Franzose sieht mich an und sagt, diesmal würden sie mich noch davonkommen lassen.
Aber ich muß fünfhundert Peseten Strafe zahlen.
Wieso? sag ich. Für ein Blatt Tabak? Für zweihundert Peseten kann man ein ganzes Kilo
kaufen, und Sie wollen von mir fünfhundert für ein einziges Blatt?
Entweder Sie zahlen, oder Sie sitzen fünf Monate im Gefängnis, sagt er.
Ich zahle. Die sechs Tage haben mir gereicht.
Ich gebe ihm die fünfhundert, und er sagt, ich soll nach Hause gehen.
Zu Hause wollten alle wissen, wo ich gewesen bin, und ich erzählte ihnen, ich wäre in Tetuan
gewesen, damit sie sich keine Sorgen machen. Ich nahm ein Bad, zog frische Sachen an und
ging ins Cafe.
Als ich reinkam, sagten alle: Das war ein übler Trick, mit dem sie dich da reingelegt haben.
So etwas sollten sie mit den Leuten nicht machen.
Ist doch nichts passiert, sagte ich. Später ging ich los, kaufte zwei Kilo Kif und ging damit ins
Cafe zurück. Ich setzte mich auf die Bühne der Musiker und breitete alles vor mir aus. Drei
Freunde setzten sich (zu mir und halfen mir beim Sortieren, damit ich schneller fertig wurde.
Ich rief den Qahouaji und ließ ihn vier Gläser Tee bringen. Ich wollte, daß alle in guter
Stimmung waren und flott arbeiteten, also gab ich ihnen Kif, den sie während der Arbeit
rauchten. In der Zwischenzeit machte ich den Tabak zurecht. Wir wurden gleichzeitig fertig,
und dann fing ich mit dem Schneiden an. Als die Kunden hereinkamen, war alles fertig, so
daß ich wenigstens diesen Tag nicht verloren hatte.
Damals konnte ich ein Kilo Kif für hundertfünfzig Peseten bekommen. Und für weitere
hundert bekam ich ein Kilo Tabak. Gewöhnlich verdiente ich ungefähr sechshundert Peseten
an einem Kilo Kif. Aber manchmal war in der ganzen Stadt praktisch kein Kif zu bekommen.
Ich hatte nichts zu verkaufen und mußte mich woanders danach umsehen.
Einmal fuhr ich mit dem Rad runter nach Emsallah und wollte zu einem Mann, der mir ab und
zu was verkaufte. Vor seinem Haus sah ich eine Menge Neugierige stehen, und dann sah ich
35
Männer von der Regie des Tabacs. Ich stieg ab und blieb stehen. Sie schleppten vier Säcke voll Kif heraus, jeder hundert Kilo schwer. Und dann noch zweihundert Kilo Tabak. Dem Mann und seinem Bruder legten sie Handschellen an. Sie verhafteten auch noch zwei Männer, die bei ihnen waren. Sie verfrachteten die Männer und den Kif und den Tabak in ihren Kastenwagen und fuhren weg. Die Männer taten mir leid. Jedem blühten fünf Jahre Gefängnis. Um den Kif und den Tabak tat es mir auch leid, denn das wurde alles verbrannt. Ich fuhr nach Tchar ej Jdid zu einem anderen Mann. Er sagte, sein Kif wäre nicht besonders gut, aber besser als nichts. Und der Tabak? fragte ich. Er sagte, es wäre das beste, was er kriegen konnte. Im Moment ist kein guter Kif und auch kein guter Tabak zu bekommen, sagte er. Egal, wie sie's anstellen, ob mit Lkw oder per Esel oder auf dem Fahrrad- die Gendarmen halten sie an und finden es. Er wollte hundertfünfzig Peseten für das Kilo, und ich kaufte fünf Kilo, und dann noch anderthalb Kilo Tabak. Ich verstaute alles in meiner Badetasche, die ich mir hinten aufs Fahrrad klemmte, und dann fuhr ich los. Nach einer Weile merkte ich, daß mir ein Auto mit zwei Männern folgte. Egal in welche Straße ich einbog, der Wagen war immer hinter mir. Mein Herz fing an zu klopfen. Ich war sicher, daß sie von der Regie des Tabacs waren. Ich bog links ab und sauste eine abschüssige Straße hinunter, und der Wagen folgte mir. Ich hielt Ausschau nach einer Seitengasse, die zu schmal für das Auto war, aber breit genug für ein Fahrrad. Ich radelte weiter, und die zwei im Auto blieben hinter nur. Ich kam nach Val Flores und hatte noch immer keine Seitengasse entdeckt. Dann sah ich einen Pfad, der runter zum Fluß führte. Den nahm ich. Ich trat in die Pedale und hängte das Auto ab und fuhr weiter, bis ich hinter dem Armenhaus war. Von dort gings runter zur Bäckerei. Ich stieg ab, gab die Badetasche dem Bäcker, fuhr anschließend eine halbe Stunde durch die Gegend und dann wieder zurück zur Bäckerei. Der Bäcker hatte inzwischen die beiden Säckchen mit Kif und Tabak aus der Badetasche genommen und statt dessen einen kleinen Sack voll Brotreste hineingetan. Er gab mir die Tasche, ich schnallte sie hinten aufs Fahrrad und fuhr zum Cafe. Ich steige gerade vor dem Cafe vom Rad, da kommt das Auto mit den zwei Männern angefahrert. Ich gehe auf den Eingang zu, da schreien sie schon: Hiergeblieben! Ich dreh den Kopf und schau zu ihnen hin, aber ich gehe weiter. Wieder schreien sie was. Ich reagiere nicht, gehe ins Cafe und setze mich hin. Sie kommen gleich hinter mir rein, und einer greift nach meiner Tasche. Ich reiße sie ihm weg und sage: Nehmen Sie die Hände weg! Was wollen Sie mit meiner Tasche? Wer sind Sie? Da zeigt er mir seinen Ausweis von der Regie des Tabacs. Er greift wieder nach der Tasche. Was haben Sie da drin? Nichts. Lassen Sie mal sehen. Wozu? Der Qahouaji kommt her und sagt zu mir: Gib sie ihm, Mehdi. Laß ihn nur nachsehen. Also gebe ich ihm die Tasche. Er macht sie auf und sieht das Brot, und die zwei schauen sich verdattert an. Dieses Mal haben Sie Glück gehabt, sagt er. Nächstes Mal vielleicht nicht mehr. Wenn das passiert, könnt ihr mich ohne Wasser rasieren, sag ich zu ihm. Werden wir auch, sagt er, und sie gehen hinaus. Und ich bin sehr erleichtert. Ich fuhr zurück zum Bäcker, gab ihm das Brot und fuhr mit meinem Kif und Tabak nach Hause. In der nächsten Zeit blieb ich von Ärger verschont und dachte nicht mehr an die Rögie des Tabacs. Aziz und ich versuchten, einen Vorrat von Kif anzulegen, damit wir unsere Kunden weiter beliefern konnten, wenn es mal keinen zu kaufen gab. Nach ein oder zwei Monaten hatten wir ungefähr hundertfünfund-zwanzig Kilo beisammen. Wir hatten es aus Beni Guerfat 36
heraufgebracht, und es war alles bei mir zu Hause.
Eines Nachmittags saß ich mit Aziz und einigen Freunden im Cafe. Sie spielten Karten, und
ich schnitt den Kif zurecht, als die Männer hereinkamen.
Ich hatte alles ausgebreitet vor mir liegen und war so mit meiner Arbeit beschäftigt, daß ich
sie zuerst gar nicht bemerkte.
Sie lachten und schauten auf mich herunter. Ich starrte sie nur an.
Sie nahmen mir alles weg und wickelten es in Zeitungspapier. Während sie damit zu tun
hatten, verdrückte sich Aziz nach draußen und schwang sich auf sein Motorrad. Es waren
diesmal vier Männer, und als sie mit mir ins Auto stiegen, sagten sie: So, und jetzt fahren wir
zu Ihnen nach Hause.
Als ich das hörte, blieb mir fast das Herz stehen.
Na gut, sagte ich.
Sie fuhren zu mir nach Hause, und zwei von ihnen gingen mit mir rein. Mein Bruder war da,
und als er mein bleiches Gesicht sah, flüsterte er mir zu: Keine Sorge, Aziz hat alles
mitgenommen.
Da war mir ein bißchen wohler.
Die beiden Männer suchten überall - unter den Betten, in den Truhen und Schränken.
Schließlich gingen sie hinaus zu den anderen und sagten ihnen, daß sie nichts finden konnten.
Es gab einen Streit, und diesmal kamen alle vier herein und durchsuchten alles noch einmal.
In jedem Zimmer ließen sie die herausgerissenen Sachen auf dem Boden liegen, und
schließlich gaben sie auf.
Los, mitkommen, sagten sie zu mir.
Ich gehe hier nicht weg, bevor Sie alles wieder da hintun, wo es war, sagte ich.
Sie legten alles wieder zurück, dann ging ich mit ihnen hinaus zum Wagen und sie fuhren
mich ins Büro.
Was? rief der Franzose. Ihr habt ihn schon wieder?
Sie wickelten den Kif und Tabak aus dem Zeitungspapier, das Schneidebrett, das Messer und
das Sieb.
Ich sehe, ihr habt diesmal sein Handwerkszeug, sagte der Franzose. Dann wandte er sich an
mich und hielt mir einen Vortrag: Daß ich noch zu jung wäre, um Kif zu rauchen; daß ich
meine Gesundheit ruinieren und verrückt werden und alle möglichen Krankheiten bekommen
würde.
Als er fertig war, sagte ich: Von Kif wird man nicht verrückt. Es ruiniert einem auch nicht die
Gesundheit. Wenn man gut ißt und genug schläft, tut es einem überhaupt nichts. Aber wenn
man kein Geld hat, dann wird man verrückt und ruiniert sich die Gesundheit.
Das reicht! schrie er.
Das hören sie nie gern, wenn einer von Armut redet.
Wenn Ihnen meine Ansichten nicht passen, dann sag ich eben nichts mehr. Reden Sie doch.
Wissen Sie, was wir mit Ihnen machen können? Wir können Ihnen fünf Jahre Gefängnis
aufbrummen!
Dazu haben Sie kein Recht, sagte ich. Nicht einen Tag können Sie mich ins Gefängnis
stecken. Ich rauche Kif, und ab und zu kaufe ich mir ein Büschel und schneide es und rauche
es. Ich handle nicht damit. Ein Büschel reicht mir für drei oder vier Tage. Warum schnappen
Sie sich nicht die Männer, die damit handeln? Sie bestrafen die, die Ihnen eigentlich egal sein
sollten. Und die, die eine Strafe verdient hätten, lassen Sie laufen.
Wen denn, zum Beispiel? sagte der Franzose.
Na Diebe und Mörder und Säufer. Die verhaften Sie nicht. Statt dessen verfolgen Sie Leute
wie mich, die bloß in Cafes sitzen, keinen Lärm machen, keinem was tun und sich nur um
ihren eigenen Kram kümmern.
Einer der Moslems sah mich an und sagte: Du hörst dich wohl gern reden, wie?
Lassen Sie ihn, sagte der Franzose. Und zu mir: Reden Sie weiter.
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Wenn ich's tue, hab ich euch alle gegen mich, sagte ich.
Reden Sie nur, sagte er.
Ich trinke keinen Alkohol, sagte ich. Außerdem bin ich arg nervös. Ich rauche Kif, damit ich
ruhiger werde. Wenn ich Kif geraucht habe, und es kommt einer und will Streit mit mir
anfangen, geh ich überhaupt nicht darauf ein. Ich weiß nicht mal, ob ich sitze oder stehe.
Wenn mich jemand schlägt, spüre ich nichts. Es ist also ganz ausgeschlossen, daß ich einem
weh tue. Ich rauche nur Kif und verhalte mich ruhig. Sie sollten sich die Männer greifen, die
tonnenweise Kif haben, nicht bloß ein oder zwei Büschel.
Der Franzose wollte wissen, ob ich ihm zeigen könnte, wo die Männer wohnen, die
tonnenweise Kif haben. Ich sagte, es täte mir leid, aber ich wüßte ihre Adressen nicht.
Ich lebe davon, daß mir andere einen Gefallen tun, sagte ich. Wenn ein Freund ein Büschel
Kif kauft, dann kauft er mir auch eins. Ab und zu mal.
Der Franzose schaute mich nur an. Wiegen Sie den Kif, sagte er zu seinen Männern, und sie
wogen ihn. Es sind zweihundertzehn Gramm, sagten sie.
Wiegen Sie den Tabak.
Hundertzwanzig Gramm, sagten sie.
Er wandte sich an mich und fragte: Wissen Sie, wieviel das bedeutet?
Nein. Wieviel?
Zweihundertzehn Gramm Kif bedeutet viertausend-zweihundert Peseten, und hundertzwanzig
Gramm Tabak bedeutet sechstausend Peseten. Macht zusammen zehn-tausendzweihundert
Peseten. Runden wir's auf zehntausend ab.
Das kann ich nicht zahlen, sagte ich. Aber ich mach Ihnen einen Vorschlag.
Und der wäre?
Ich kann es zahlen, wenn Sie mir einen Job geben und ich jeden Monat ein bißchen abzahlen
kann. Wenn ich alles gezahlt habe, können Sie mich wieder entlassen.
Jaja, sagte er. Verstehe. Sie sind ein blitzgescheiter junger Mann, nicht?
Vous etes tres intelligent, monsier. Tres intelligent. Er war wütend, aber ich alberte weiter herum. Jeder, der essen und auf zwei Beinen gehen
kann und in der Welt zurechtkommt, ist intelligent, sagte ich. Sogar ein Esel ist. intelligent.
Ein paar von den Moslems lachten. // se fiche de ma gueule, beschwerte sich der Franzose.
Ist doch wahr! sagte ich zu ihnen. Wenn ein Esel nicht intelligent wäre, wie könnte er dann
wissen, daß arrah bedeutet: Geh zu, und cho: Bleib stehn? Woher sollte er den Unterschied
wissen?
Das stimmt, sagte einer der Moslems. Und ein anderer sagte zu ihm: Du spinnst.
Die beiden stritten sich. Der Franzose runzelte die Stirn. Er schrie die beiden an, und sie
waren still. Also, sagte er zu mir, das letzte Mal hatten Sie Glück, aber diesmal müssen Sie
bezahlen.
Das letzte Mal wollten sie nur sehen, was in dem Sack in meiner Badetasche war, sagte ich zu
ihm.
Und was war darin?
Nur Brotreste. Die nehme ich zum Angeln. Manchmal esse ich sie auch. Weil ich keine Arbeit
habe. Ich sitze bloß im Cafe. Und meine Freunde sind gut zu mir. Jeder hilft mir ein bißchen.
Schließlich führten sie mich in einen Raum und sperrten mich ein. Zweieinhalb Stunden saß
ich da. Dann kamen sie und brachten mich wieder zu dem Franzosen.
Ich habe es mir überlegt, sagte er. Sie tun mir leid. Sie können gehen.
Tun Sie mir einen Gefallen, sagte ich.
Was denn?
Behalten Sie den Kif und den Tabak, aber geben Sie mir das Brett und das Messer wieder.
Auf keinen Fall! Was denken Sie denn!
Aber der Mann, der sie mir gegeben hat, ist tot. Das Brett und das Messer bedeuten mir mehr
als alles auf der Welt.
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Er sah mich stirnrunzelnd an. Und vor den Moslems, die dabeistanden, sagte er: Genug. Das
reicht. Nehmen Sie alles wieder mit.
Ich wickelte alles ein. Kif, Tabak, Brett, Sieb und Messer. Ich bedankte mich bei ihm.
Verschwinden Sie! sagte er.
Ich ging zurück ins Cafe. Dort saßen sie alle mit traurigen Mienen herum. Als sie mich sahen,
sprangen sie auf.
Was war?
Ich packte die Sachen aus und zeigte sie ihnen. Es ist alles da, sagte ich. Ich stieg auf die
Bühne der Musiker und bestellte mir beim Qahouaji ein Glas Tee. Dann fing ich an, den Kif
zu schneiden.
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»Hay tres cosas con las que no se puede bromar.
El mär, el gobierno y elfuego. Tres cosas.
Sijuegas con elfuego ie vas a quemar. Sijuegas
con el gobierno te vas a ir a la carcel.
Sijuegas con el mär te vas a ahogar.«
Brief aus Tanger »Les Deux Noirs« nannten sie uns nach vier Tagen in der Medina. Unermüdlich hatten wir unsere Kreise durch die schmalen Gassen gezogen; gelegentlich suchten wir Ruhe in einem der halbdunklen Cafes, in denen alte Männer verstohlen ihre Sebsis anzündeten und die Luft erfüllt war vom süßen Rauch des Kif. »Les Deux Noirs«, die beiden Schwarzen. Winter in Afrika. Wir waren die einzigen Ungläubigen, die alles sehen wollten, tausendundeine Nacht fotografierten, die nichts kaufen, verkaufen, vergessen wollten. Die schwarzen Mäntel, nach denen sie uns benannt hatten, streiften vorbei an den weißgetünchten Mauern der alten Häuser, von denen die Farbe abblättert. Überall ausgestreckte Hände, in die wir Asche streuten. Tand-ya, die weiße Stadt, die Schöne. Die verwischten Schatten von schwarz und weiß entsprachen unserem geistigen Zustand. Dem Bewußtsein, eine Balance aufrecht erhalten zu müssen, zwischen der alten und der neuen Welt, zwischen Tradition und Genzeitalter. Von Tag zu Tag wurde unsere Haut staubiger,schmutziger, verschmolzen wir mehr mit dem Rhythmus der Stadt. Einmal fuhren wir hinaus, um die restliche Asche über dem Meer zu verstreuen, dorthin, wo Atlantik und Mittelmeer ineinanderfließen und Delphine die Fähre zwischen Tanger und Algeciras begleiten. Als ich die Hand öffnete, stob der Wind hinein und trieb mir die Asche in die Augen, schwarz wie Kohl, mit dem die Frauen sich die Augen schminken. Unergründliche Augen, so fremd und geheimnisvoll wie die Welt, in der wir unseren toten Freund vermuteten. Im Morgengrauen stand ich auf der Terrasse des Hauses und lauschte dem verzweifelten, bedrohlichen Ruf des Muezzins über den Dächern der Stadt. 40
Wir ahnten mehr als daß wir sahen, ließen uns treiben von einem Instinkt, der uns ebenso zielsicher zum »El Muniria« führte, wo el hombre invisible sein unsterbliches einsames Ritual zelebriert hatte wie zu dem unscheinbaren Mietshaus auf dem Alten Berg, wo wir Mrabet zum ersten Mal begegneten. Wir lernten schnell: kein Marokkaner sagt dir hier die Wahrheit, nicht weil die zu langweilig wäre, sondern weil es zu gefährlich ist, allzuviel von sich preiszugeben. Nie wirst du auf deine direkte Frage eine direkte Antwort erhalten und so mußten auch wir uns der Zeremonie der Selbstaufgabe unterwerfen, ehe Mohammed seine skeptische Verachtung Fremden, Ungläubigen, Journalisten gegenüber aufgab, seine verletzte Ehre beschwor, uns Verständnis abverlangte für eine Art zu denken, die auf jahrtausendealter Überlieferung beruht und die wir kaum verstehen, wenn wir nicht lernen, zu hören. Mohammed Mrabet kann weder lesen noch schreiben. Er sitzt auf seinem Lieblingsplatz neben dem prasselnden Feuer in Paul Bowles' kleiner, immer halbdunkler Wohnung und schaut in unsere Seelen. »Früher war ich Fischer und habe auch gut davon gelebt, aber als ich eines Tages von der Guardia Civil (so nennt man hier den Hammerhai) angegriffen wurde, wußte ich: das war ein Zeichen. Es gibt drei Sachen auf der Welt, die verstehen keinen Spaß. Das Meer, die Regierung und das Feuer. Wenn du mit dem Feuer spielst, wirst du verbrennen. Wenn du mit der Regierung spielst, wanderst du ins Kittchen. Wenn du mit dem Meer spielst, wirst du ertrinken.« Wir haben ein wenig den Eindruck, er trauert den alten Zeiten nach; heute kann er nicht mehr ins Wasser, sein krankes Bein würde im kalten Meer absterben. Er durchbohrt uns mit einem Blick, der unser ganzes Dilemma auf einen einzigen glühenden Punkt konzentriert und läßt das Streichholz über der kleinen Pfeife aufflackern »Allah ist groß, er sei gepriesen. Ich bin Marokkaner und ich verstehe mein Land und weiß, wie es sein sollte, die Magie. Ich bin Moslem, ich schreibe nichts über Frauen, ich trinke keinen Alkohol, gehe nicht in Bars, um mir die Frauen anzuschauen. Das interessiert mich nicht. Ich habe eine Frau und Kinder, große Kinder. Das andere, das ist nicht mein Leben, denn ich bin Moslem. Und ich komme aus einer Familie von Moslems. Als ich die Augen öffnete, sah ich meine Eltern und Großeltern - lächelnde Moslems. Ein Mensch ohne Religion zählt nicht für uns. Ein Fußabtreter ist sauberer als ein Gottloser, denn einen Fußab-streifer kann man wenigstens ausschütteln.« Es ist schwer, sein Alter auszumachen. Manchmal ist er neunzehn und manchmal neunzig, aber was spielt d'as für eine Rolle, Zahlen sind Statuen, Erscheinungen einer phänomenalen Welt. Sie tragen Schleier und verbergen die vielen Wahrheiten, die es gibt. Hier gelten andere Regeln. Die Sprache Mohammeds ist ein Labyrinth wie die tausen Gassen der Medina verlockend, aber gefährlich. Ohne Führer verliert man sich in Andeutungen und falsch verstandenen Anspielungen. Seine Kultur läßt sich mit unserem begrenzten, rationalen Denken nicht verstehen. Der einzige Weg hinein ist sich einfühlen, nicht denken, sonst bleibt man von dem, was man sieht, geblendet und dringt in die tieferen Geheimnisse nicht ein. Daher wäre es auch töricht, eine Geschichte so zu erzählen, wie sie ist, denn keiner würde sie glauben und sie wäre ohnehin nur ein Trugbild, ein Schleier, der vorbeiweht. »Eine Zunge erzählt tausend Wahrheiten, aber ihr wollt immer nur eine sehen.« Mohammed weiß, wovon er redet. Wie gesagt, er kann nicht lesen und nicht schreiben, aber er kann reden. Seine Stories führen uns in eine andere Welt, in der Wirklichkeit und Phantasie nicht Gegensätze sind, sondern eine Einheit bilden. In eine Welt, in der Gastfreundlichkeit Gesetz ist, älter als der Koran. Paul Bowles, sein väterlicher Freund, der seit fast fünfzig Jahren in Tanger lebt, hat seine Geschichten auf Band aufgenommern und ins Englische übertragen. Bowles über Mrabet: »Er stammt aus einer armen Familie im Rif, ich glaube, sie waren vier-undzwanzig Kinder. Er hatte nie die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen, obwohl seine Eltern später nach Tanger gezogen sind. Dafür lernte er die Suren des Korans. Er war in Amerika, aber es hat ihm nicht gefallen.« Beide lachen. Wir sprechen über Medissi, der vor vielen Jahren in Ksar El Kebir Amok lief und Ungläubige oder Touristen abschlachtete und jetzt in anderer Gestalt wieder im Soc-co Chico sein 41
Unwesen treibt, über Sidi Ahmed Meknef-sef, den sagenhaften Teemacher des »Tausendundeine Nacht«, über schwarze Magie und vergiftete Speisen. Als der Muezzin draußen in der Dämmerung zum Gebet ruft, mahnend, wachen wir auf aus einem Traum. Wie in Trance verlassen das Haus und gehen zu Fuß den alten Berg hinunter in die Stadt. Die Geschäftigkeit der Nacht legt sich sanft über die dunklen Gassen. Wir folgen den Spuren der Kapuzenmänner ins Ungewisse und ehe wir uns versehen, sind wir selber Teil der Geschichte. Les Deux Noirs
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Anmerkungen
Das Röhricht Daß der Ehemann seine Frau nicht aus dem Haus läßt und die Einkäufe selbst besorgt ist noch heute oft zu beobachten. Mrabets Großvater tötete eine seiner Frauen, weil sie-obwohl vollständig bekleidet-an die offene Haustür gegangen war und auf die Straße geschaut hatte. Das Kif-Feld Dies ist der Kommentar eines Rif-Bewohners über die Charaktereigenschaften seines traditionellen Feindes, des Djibli. Die gewalttätigsten Auseinandersetzungen in meinem Viertel von Tanger ereignen sich zwischen Großfamilien von Rifis und Djebala. Auch die Frauen und Kinder beteiligen sich daran. Möbelstücke werden aus Fenstern geschleudert, und Ziegelsteine prasseln von den Dächern. Der Doktor aus dem Chemel Das Wort chemel bedeutet «links», wird aber auch als Bezeichnung für die Himmelsrichtung Osten verwendet. (In Medina hat man, wenn man sich Mekka zuwendet, den Osten zur Linken.) In Marokko bezieht sich chemel auf das Rif-Gebirge. Ein Nchaioui ist ein gewöhnlich stark psycho-pathischer Mensch, dessen Abhängigkeit von Cannabis so groß ist, daß er praktisch den ganzen Tag mit der Zubereitung und dem Verzehr der Droge zubringt. Er gehört zu den gängigsten Figuren im Repertoire der Geschichtenerzähler und ist wahrscheinlich eine moderne Variante des Abu Nowas aus Tausendundene Nacht, der von Cannabis nicht genug bekommen konnte und enorme Mengen vertrug. Manchmal wird er auch Hacheichi genannt. Hassan und die Aghrebia Aghrebia sind ziemlich harte Plätzchen. Sie sind ein Gebäck wie jedes andere und haben keinerlei sonstige Wirkung. Bei Hochzeiten oder bei der Namensfeier für ein Kind, das eine Woche alt ist, bekommt üblicherweise jeder Gast eines. Si Mokhtars Rezept weicht allerdings von dem allgemein verwendeten ab: Zutaten: ½ 2 5 ½ ½ ½ ½
Kilo Kharouah-Bohnen Kilo Weizenmehl Eier Pfund grüne getrocknete und in einem Mörser zerstoßene Mandeln Pfund gehackte Walnüsse Pfund Zucker Pfund ranzige Schafsbutter
Kharouah-Bohnen kochen, bis das Wasser sich schwarz verfärbt. Dies kann mehr als eine Stunde dauern, und evtl. muß noch Wasser nachgegossen werden. Bohnen aus dem Wasser nehmen und in einer Pfanne unter ständigem Rütteln erhitzen, bis sie vollkommen getrocknet sind; dann in einem Mörser zu Mehl zerstoßen. Weizenmehl, Zucker und Eier zugeben und vermischen. Zu den Mandeln und Walnüssen eine Handvoll Sesamkerne hinzugeben, eine Muskatnuß hineinreiben und die Mixtur in die Teigmasse einrühren. Jetzt das schwarze Wasser zugießen und den Teig gründlich kneten. Die ranzige Schafsbutter auf beide Handflächen verteilen und leicht in den Teig einreihen. Den Teig mit Zucker bestreuen und in Streifen schneiden. Die Streifen würfeln, und die Würfel zu Kugeln formen. Die Kugeln eine halbe Stunde bei großer Hitze backen. Die See auf der Straße Qoqa sind die getrockneten, zu Pulver zerstoßenen Samen des Schlafmohns. Manche Raucher mischen das Pulver in ihren Kif, weil es angeblich die Wirkung verstärkt. Die Datura-Blüten Freunden einen Streich zu spielen, indem man ihnen Blüten der rhaita (Datura) heimlich ins Essen oder in die Getränke mischt, ist ein allgemein praktizierter Unfug.
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