Frangois Dosse
Geschichte des Strukturalismus Band 2: Die Zeichen der Zeit, 1967-1991 Aus dem Französischen von Stefan ...
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Frangois Dosse
Geschichte des Strukturalismus Band 2: Die Zeichen der Zeit, 1967-1991 Aus dem Französischen von Stefan Barmann
JUNIUS
Die Publikation des vorliegenden Werkes wurde gefördert vom Ministere frangais de, Culture et de la Francophonie.
Junius Verlag GmbH Stresemannstraße 375 22761 Hamburg © der deutschen Ausgabe 1997 by Junius Verlag GmbH © der französischen Ausgabe 1991 by fiditions La Decouverte Alle Rechte vorbehalten Aus dem Französischen von Stefan Barmann Lektorat: Frauke Hamann Umschlaggestaltung: Florian Zietz Satz: Η & G Herstellung, Hamburg Druck: Druckhaus Dresden Printed in Germany 1997 ISBN 3-88506-267-4 1. Auflage Oktober 1997 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dosse, Frangois: Geschichte des Strukturalismus / Fran§ois Dosse [Aus dem Franz. von Stefan Barmann]. - Hamburg : Junius. Einheitssacht.: Histoire du structuralisme
ISBN 3-88506-268-2 Bd. 2. Die Zeichen der Zeit: 1967 - 1991. - 1. Aufl. - 1997 ISBN 3-88506-267-4
Für Florence, Antoine, Chloe und Aurelien
»Der Strukturalismus ist keine Methode, er ist das erwachte und unruhige Be wußtsein des modernen Wissens.« Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge
Inhalt
Einführung
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Teil I: Die ersten Risse Der Chomskysmus: eine neue Grenze ? Derrida oder Der Ultrastrukturalismus Die Derridianische Historizisierung und ihre Durchstreichung
13 30 48
Benveniste: die Ausnahme in Frankreich Wie Kristeva Barthes zu einem neuen Ansatz verhalf Neuer Auftrieb für die Durkheimianer: Pierre Bourdieu
60 74 88
1967/68: überbordende Verlagstätigkeit
100
Strukturalismus und/oder Marxismus Erfolg in den Medien, Sperrfeuer der Kritik
115 128
Teil II: Der Mai 68 und der Strukturalismus oder Das Mißverständnis Nanterre-der-Wahnsinn
135
Sartres Revanche
140
Lacan: »Es sind die Strukturen, die auf die Straße gegangen sind« Die Institutionalisierung: die Eroberung der Universitäten Das Strukturalistische Vincennes Die Zeitschriften gedeihen Das althusserianische Raster erlebt den Durchbruch Das althusserianische Raster erlebt den Zusammenbruch
152 166 176 192 204 222
Teil III: Der Strukturalismus zwischen Szientismus, Ästhetik und-Geschichte Das Phantom der FormaHsierung
236
Von der Trauer um die Literatur zur Lust am Text Philosophie und Struktur: die Figur des Anderen
246 264
Die Versöhnung von Geschichte und Struktur
279
Foucault und die Dekonstruktion der Geschichte: I. Die Archäologie des Wissens Foucault und die Dekonstruktion der Geschichte: IL Überwachen und Strafen Das Goldene Zeitalter der neuen Geschichtsschreibung
288 303 318
Teil IV: Der Niedergang des strukturalistischen Paradigmas Die verlorenen Illusionen: I. Der Gulag-Effekt
329
Die verlorenen Illusionen: IL Die Entkräftung des Szientismus Die verlorenen Illusionen: IIL Die Wiederkehr der Ethik Von der Reproduktion zur Regulierung Ein Mittelweg: der Habitus Spätes Erwachen: die Geographen endecken die Epistemologie . . . . Die Wiederkehr des Verdrängten: das Subjekt Michel Foucault: von der Bio-Macht zur Selbstästhetik Ein autonomes Subjekt Die Rückkehr zur Historizität Der Tod der Meisterdenker Die Krise der universalistischen Modelle und der Rückzug in die Einzeldisziplinen Der Strukturale Naturalismus Die Verarbeitung des Programms
477 485 499
Teil V: Zeit, Raum und Dialogik Klio im Exil
523
Eine Topo-Logik
535
Für eine Dialogik
544
Dank Anmerkungen
553 557
Personenregister
611
337 344 351 366 379 394 410 427 444 459
Einführung
Strukturalismus oder Strukturalismen? Im Rückblick auf den im ersten Band, Das Feld des Zeichens, geschilderten Siegeszug der Strukturalisten, der die fünfziger und sechziger Jahre geprägt hat, scheint deutlich, daß die ses Phänomen eine plurale Wirklichkeit, daß es disziplinare Logiken und Individuen in ihrer jeweiligen Besonderheit und Eigengesetzlichkeit um spannt. Es gleicht weit eher einem bunten Mosaik als einer Schule, auch wenn eine bestimmte Sehweise und ein reger konzeptueller Austausch ein Strukturalistisches Moment erkennen lassen. Denn unstreitig lag Mitte der sechziger Jahre den Unternehmungen Louis Althussers und Michel Foucaults ein Wille zur Einheit zugrunde, mit der die jeweils modernsten Forschungen der Sozialwissenschaften unter dem Kennwort »strukturalistisch« um eine erneuerte Philosophie herum gruppiert werden soll ten. Den Gipfelpunkt hat dieser Ehrgeiz, wie wir gesehen haben, 1966 er reicht. Doch bald schon, ab 1967, zeigen sich Risse, die den oft erkünstelten Charakter der Zusammenschlüsse der ersten Periode offenbaren. Ein jeder geht nun auf Abstand und versucht, die Bezeichnung »strukturalistisch« zu umgehen, oder verwahrt sich gar dagegen, jemals Strukturalist gewesen zu sein. Eine Ausnahme bildet dabei jedoch Claude Levi-Strauss, der unbeirrt von den Wechselfällen der Aktualität seinen Weg weitergeht. Genau zu dem Zeitpunkt, als die Medien die Einheit und den Erfolg des Strukturalismus entdecken und feiern, nehmen also paradoxerweise die Strukturalisten von ebendieser Einheit Abstand, weil sie sie für trijgerisch halten. Die Zeit der Dekonstruktion, der Dispersion, der Ebbe setzt ein. Sie berührt freilich nur an der Oberfläche den Rhythmus der strukturalen For schungen, die sich nach einem anderen Zeitmaß fortsetzen. Der institutio nelle Erfolg des Strukturalismus, dem die Bewegung vom Mai 1968 Vor schub geleistet hat, bedeutet seinerseits eine entscheidende Etappe in der Banalisierung und Assimilierung eines Programms, das das Banner ablegt,
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Einführung
unter dem es als Gegenkultur zum Aufstand gegen die Tradition angetreten war, und sich stillschweigend in die theoretischen Forschungshorizonte der Sozialwissenschaften einreiht.
Teil Ι: Die ersten Risse
Der Chomskysmus: eine neue Grenze?
1967 bringt Nicolas Ruwet im Verlag Plön seine these de doctorat, Introduction α la grammaire generative, heraus. Darin legt er Chomskys Prinzipien dar, die für ihn wie für zahlreiche andere Linguisten Ausdruck eines radika len Bruchs mit der ersten strukturalistischen Periode sind. Geboren 1933, absolviert Nicolas Ruwet seine Grundausbildung in Lüttich, aber der Un terricht, dem ähnlich, den man zur selben Zeit an der Sorbonne erhält, stellt ihn nicht zufrieden. 1959 jedenfalls verläßt er Belgien und geht nach Paris: »Mir schwebte mehr oder weniger die Ethnologie vor, auch interessierte ich mich für die Psychoanalyse. Ursprünglich Musiker, hatte ich schon ei nige linguistische Arbeiten gelesen: Saussure, Trubetzkoy, Jakobson.«^ Nicolas Ruwet steht also von vornherein im Schnittpunkt verschiedener Disziplinen — ein gutes Symptom für die globalisierenden Anforderungen des StrukturaHsmus — und macht sich auf die Suche nach einer strengen Methode, um an dem wissenschaftlichen Abenteuer teilzunehmen, das sich gerade vollzieht. In Paris besucht er, neben den Lehrveranstaltungen von Emile Benveniste am College de France und von Andre Martinet an der Sorbonne, auch Claude Levi-Strauss' Seminar an der Ecole des hautes etudes: »Zum ersten spannenden Ereignis kam es für mich im Seminar von Levi-Strauss, als er einen großen Aufsatz von Roman Jakobson mitbrachte, >Linguistik und Poetik<, der gerade auf englisch erschienen war. Er war begeistert davon und hat praktisch die zwei Unterrichtsstunden darauf verwendet, ihn uns vorzulesen.«^ Wenig später, 1962, tritt Ruwet im Rahmen eines PoetikProgramms in den Fonds national beige de la recherche scientifique (FNRS) ein: »Ich plante eine these über Baudelaire, die ich aber nie ge schrieben habe.« ^ 1963 verfaßt er das Vorwort für den bei Editions de Minuit erschienenen Sammelband Essais de linguistique generale mit Texten Roman Jakobsons, eine der seinerzeit maßgeblichen Veröffentlichungen, und besucht ansonsten mit seinem Freund Lucien Sebag das berühmte Se-
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Die ersten Risse
minar von Lacan. Auf Chomsky stößt er ganz zufällig, als er 1960 mit Lacan, dessen Tochter und ein paar Freunden nach Saint-Tropez fährt, wo der Psychoanalytiker ein Haus gemietet hat: »Ich war allein in dem Raum, der Lacan als Büro diente, und auf dem Schreibtisch lag ein blaues Bändchen aus dem Verlag Mouton herum: Chomskys Syntactic structures. Ich habe es sofort nach den Ferien bestellt und fand es sehr interessant, obgleich ich nichts davon begriff, weil mir noch zu viele Bausteine fehlten.« "^ Trotz die ser Lektüre bleibt Nicolas Ruwet im Fahrwasser von Jakobson und Hjelmslev, und er schreibt einen Artikel für firic de Dampierre, in dem er den Stand der allgemeinen Sprachwissenschaft im Jahre 1964 auslotet — und den Strukturalismus preist. ^
Die Konversion zum Chomskysmus Doch wendet sich das Blatt noch im selben Jahr, als ihm ein Lütticher Freund das gerade erschienene Buch Constituent Structure. Α Study ofContemporary Models of Syntactic Description von Paul Postal leiht. Der Autor stellt darin Chomskys Hauptgedanken vor: »Ich habe es im Zug von Lüt tich nach Paris gelesen und bin am Nordbahnhof als Generativist ausgestie gen. In ein paar Stunden hatte ich die Reise nach Damaskus hinter mich ge bracht. Alles war aus dem Lot. Ich mußte meinen Artikel für £ric de Dampierre fertigschreiben, aber ich glaubte nicht mehr daran.« ^ Drei Jahre lang liest Nicolas Ruwet daraufhin alles über den Generativismus und bereitet seine these vor, die er ursprünglich nicht als Buchveröffentlichung plant, sondern nur zwecks Erhalt eines Diploms als Abschluß eines recht ungewöhnlichen Bildungsgangs, wie die meisten Strukturalisten ihn absol viert haben. Gleichwohl wird diese Arbeit rasch zum Brevier der neuen Ge neration, die sich in den Jahren 1967/68 der Linguistik zuwendet. Bis dahin war Chomsky in Frankreich wenig bekannt. Syntactic Struc tures stammt zwar von 1957, aber erst 1969 erschien das Werk bei Seuil auf französisch. In der Zwischenzeit fand daher die Einführung Chomskys in Frankreich über Nicolas Ruwet statt, der gegenüber der vorangegangenen Periode einen vollständigen Schwenk vollzogen hatte. Bereits im Dezem ber 1966 stellte er in der Nummer IV der Zeitschrift Langages die genera tive Grammatik vor. Ruwet sah mit Chomsky die Möglichkeit gekommen,
Der Chomskysmus: eine neue Grenze?
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über die bislang von Saussure und Jakobson vernachlässigte Syntax zu ar beiten. Auch wenn zwischen Strukturalismus und Generativismus im ge meinsamen Streben nach mehr Wissenschaftlichkeit sehr wohl eine Konti nuität besteht, hat nach Ruwet der Generativismus doch den Vorteil, Wissenschaft im Sinne Poppers als falsifizierbar zu konzipieren: »Der Um bruch besteht in der Möglichkeit, Hypothesen aufzustellen, die falsifizier bar sind. Das hat mich stark beeindruckt.«'' Der Generativismus stellt die Forderung nach einer expliziten, präzisen Theorie, die nach Art eines Al gorithmus funktioniert, dessen Operationen mechanisch anwendbar sind : »Karl Popper hat ja gezeigt, daß es nicht möglich ist, die Wissenschaft auf ein Induktionsprinzip zu gründen.«^ Mit der doppelten Gliederung der Sprache in eine Tiefenstruktur, die der Kompetenz, und eine Oberflächen struktur wird eine doppelte Universalität postuliert: die der vereinbarten Regeln, des Systems, aber auch die »einer bestimmten Anzahl substantiel ler Universalien« ^. Mit dieser Suche nach Universalien wird die strukturalistische Ambition aufgegriffen und weiterzutragen versucht, die ihrerseits sich an dem allgemeinen Prinzip orientiert, das Piaton im Sophistes (262. a-c) formuliert und das bereits »die materielle Grundlage der strukturalen Linguistik« ^° geliefert hat. Piaton behauptet, daß die Untersuchung eines Zeichensystems eine bestimmte — begrenzte — Anzahl von Bedingungen voraussetze: die Ermittelbarkeit von Minimaleinheiten, ihre endliche Zahl, ihre Kombinierbarkeit und schließlich, daß nicht alle Kombinationen mög lich seien. Wenn, wie wir sehen werden, die Bewegung vom Mai 1968 das strukturalistische Paradigma zumeist schwächen wird, so steht der Chomskysmus dagegen mit den Ereignissen am Ende der sechziger Jahre in Gleichklang, in Symbiose — allerdings aufgrund eines seltsamen Mißverständnisses. Zum einen war Chomsky für amerikanische Verhältnisse ein Radikaler, der sich gegen den Vietnamkrieg einsetzte, und erschien in diesem Sinn als der Inbegriff kritischen Vorgehens. Vor allem aber verstanden die Franzosen »generativ« »in der Bedeutung von: was erzeugt, was befruchtet, was be wegt. Man war der statischen Strukturen überdrüssig. Also wurde der Strukturalismus mit einem Konservatismus assoziiert, wobei jedoch der Terminus >generativ< ein rein technischer Begriff ist, der mit alledem gar nichts zu tun hat« ^\ Für Chomsky heißt nämlich generative Grammatik nichts anderes als eine explizite Grammatik, die ein Modell von der Kom-
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Die ersten Risse
petenz der Subjekte erstellt; sie »bedeutet einfach ein explizites Aufzählen mittels Regeln« ^^. Aus einem fruchtbaren Mißverständnis also kam es zur unvermuteten Begegnung der generativen Grammatik mit der Protestge neration, die im Chomskysmus die Möglichkeit sah, Geschichte, Bewe gung und Struktur miteinander zu verbinden. Auch wenn diese Wahrneh mung auf einer Sinnverdrehung beruht, hat durch sie der Generativismus in Frankreich Eingang gefunden.
Die Archäologie des Generativismus Das zweite Mißverständnis rührt daher, daß Chomsky mit seiner Kritik nicht auf den europäischen Strukturalismus abhob, sondern auf den ameri kanischen Strukturalismus Leonard Bloomfields und seiner »distributionalistischen« Schule, der sogenannten »Yale-Schule«, die während der fünfzi ger Jahre in den Vereinigten Staaten die Linguistik beherrschte. Bloomfield, der von den Thesen der behavioristischen Psychologie ausging, vertrat die Ansicht, daß man sich damit begnügen müsse, die Mechanismen der Spra che zu beschreiben und ihre Regelmäßigkeiten hervorzuheben, ohne sich nach der Bedeutung der Aussagen zu fragen. Dieses Vorgehen setzte zwei Operationen voraus: die Zerlegung der Aussagen in unmittelbare Konsti tuenten und ihre Klassifizierung in distributioneller Ordnung. Die ameri kanische Linguistik vor Chomsky ist also im wesentlichen deskriptiv, linear und beruht auf dem Postulat einer Transparenz zwischen den Sprechakten und ihrer Bedeutung. Die Oppositionssysteme, die der amerikanische Strukturalismus ermittelt, gestatten es insbesondere, den Mentalismus zu umgehen. Diese distributionalistische, deskriptive Methode baut im we sentlichen auf dem seit den zwanziger Jahren bestehende Vorhaben auf, die verschiedenen amerikanischen Indianersprachen zu restituieren. Auf dieser Perspektive gründete eine ganze Ethnolinguistik, die sich jenseits des At lantiks und abseits des Saussurismus mit Boas, Sapir und anderen entwikkelt hatte. »Der Bruch, den der Chomskysmus einleitete, erfolgte gegen über der amerikanischen Linguistikschule. Dieser Bruch war offenkundig, aber es gab eine Basis, die niemand abstritt, nämlich die Artikulation. Keine Theorie nahm sich vor, die Struktur der Sätze zu analysieren.« ^^ Fortentwickelt wurde der amerikanische Strukturalismus (oder Distri-
Der Chomskysmus: eine neue Grenze ?
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butionalismus) von Zellig Harris, der die Methode 1951 beschrieben hat.^"^ Er postuliert, wie Bloomfield, die Entsprechung von Bedeutung und Dis tribution und legt die Prinzipien eines Verfahrens fest, das sich auf die Kon stituierung eines repräsentativen und homogenen Corpus stützt, um mit tels sukzessiver Segmentierungen zur Bestimmung der verschiedenen Morpheme und Phoneme einer Sprache zu gelangen. Um an diese Ur sprungsstrukturen heranzukommen, definiert Harris mechanische Re chenregeln und schließt alle Spuren von Subjektivität oder Kontextualität aus: »Funktionsbegriffe, wie zum Beispiel das Subjekt eines Satzes, wur den durch komplexe Distributionsklassen ersetzt.« ^^ Jede Form von Intentionalität eines Sprechers ist folglich aus dem wissenschaftlichen Feld des Distributionalismus verbannt. Damit setzt Harris Bloomfields Logik kon sequent fort und führt den Begriff der Transformation ein, womit eine Un tersuchung der diskursiven Strukturen anhand von Äquivalenzklassen möglich wird. Diese Forschungsrichtung veranlaßt ihn zu einer immer stär keren Formalisierung ^^, die darauf abhebt, die verschiedenen Manifestatio nen der Rede von einer begrenzten Zahl von Elementarphrasen abzuleiten, die mit Hilfe von Basisoperatoren gebildet werden: »Alles beruht bei die sem Modell auf der Assimilation der Bedeutung mit der objektiven Infor mation und auf der Grundentscheidung für eine schwache Stellung der Se mantik.« ^'^
Die Prinzipien des Generativismus Chomsky verdankt dem Distributionalismus von Harris viel und behält den expliziten Charakter dieses Verfahren auch bei, als er bald darauf sei nen Arbeiten am Massachusetts Institute of Technology gemeinsam mit Morris Halle eine neue, »generative« Ausrichtung gibt. Er verwirft die Be schränkungen durch den DistributionaUsmus auf ein Corpus, das die Reich haltigkeit der Sprache nicht ausschöpft. Überdies will er über das rein de skriptive Stadium hinaus zum wichtigeren Stadium der Explizierung gelan gen. Deshalb kündigt er die taxonomischen Methoden auf und begrenzt sein Untersuchungsfeld in einer ersten Phase auf die Syntax, um von dort aus eine unabhängige Theorie, eine gegenüber ihrem spezifischen Gebrauch autonome Grammatik aufzubauen: »Das Endergebnis dieser Untersu-
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Die ersten Risse
chungen sollte eine Theorie der Sprachstruktur sein, in der die beschreiben den Vorrichtungen, die in einzelnen Grammatiken Anwendung finden, dargestellt und abstrakt studiert werden, also ohne besonderen Bezug zu einzelnen Sprachen.« ^^ Diese Grammatik soll die Form eines generativen Mechanismus haben, der vom Aufweis der Möglichkeiten ausgeht und nicht von einem Corpus, das die Grundlage eines induktiven Verfahrens stellt. Mit seinem Formalismus und seiner Abweisung des Sinns steht das ge nerative Verfahren freilich in Kontinuität zum Strukturalismus: »Diese Konzeption der Sprache ist äußerst stark und allgemein. Sollten wir sie übernehmen, so könnten wir vom Sprecher sagen, daß er in seinem Wesen eine Maschine vom betrachteten Typ ist (in der Mathematik bekannt unter dem Begriff des Markow-Prozesses mit endlicher Anzahl von Zustän den).« ^^ Nachdem er 1957 die technischen Voraussetzungen für den Auf bau der generativen Grammatik dargestellt hat, schreibt Chomsky mit den Aspects ofthe Theory of Syntax im Jahre 1965 (die französische Überset zung erscheint 1971 bei Le Seuil) eine philosophische Fortführung, in der er seine Vorgehensweise historisch und theoretisch fundiert. Aus der Feststel lung, daß Kinder ihre Muttersprache mit bemerkenswerter Geschwindig keit erlernen und somit potentiell die Fähigkeit besitzen, jede beliebige Sprache zu erwerben, schließt Chomsky, daß nicht der Umgebungskontext primär bestimmend ist, sondern im Gegenteil in der Sprache waltende uni verselle Gesetze — die Sprachuniversalien. Jeder einzelne besitzt also eine angeborene Sprachkompetenz, die unterschieden werden muß von dem, was er daraus machen wird, das heißt der Sprachperformanz, die im Ge brauch jeder Einzelsprache ausgebildet wird. Der Chomskysche Sprachuniversalismus schließt somit an die Theorie der angeborenen Ideen an und gründet auf der Vorstellung einer Natur des Menschen jenseits kultureller Gegensätze. Dieses Streben nach Universalisierung deckt sich ebenfalls mit dem globalen, an der Schnittstelle von Na tur und Kultur angelegten Programm des Strukturalismus. Ausgangspunkt der Chomskyschen Analyse ist indes nicht mehr die Beschreibung einer Einzelsprache, vielmehr setzt die Untersuchung beim Begriff, beim Konstrukt an, um zum Realen zu gelangen: »Der Gegenstand einer linguisti schen Theorie ist in erster Linie ein idealer Sprecher-Hörer, der in einer völ lig homogenen Sprachgemeinschaft lebt [...].«^°
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Chomsky verankert seine Vorgehensweise historisch in der europäi schen Hnguistischen Tradition, die auf die Grammatik von Port-Royal zu rückgeht. Er stützt sich auf den cartesianischen RationaHsmus des 17. Jahr hunderts, greift die damalige Theorie der angeborenen Ideen, den cartesianischen Substantialismus ^' auf und hofft, ihn mit Hilfe der Genetik fundieren zu können. Insofern teilt er den Ehrgeiz von Levi-Strauss, eines Tages an die mentalen Bereiche heranzukommen: »Es sieht ganz so aus, als habe das sprechende Subjekt [...] ein kohärentes System von Regeln, einen genetischen Code in seine eigene denkende Substanz aufgenommen.« ^^ Zur Stunde der technologischen Moderne könnte diese Primärstruktur nach Chomsky mit Hilfe der Genetik zugänglich werden: »Indem er sich das kognitivistische Programm zu eigen machte, hat Chomsky — und die Cambridge-Schule mit ihm — folgende Setzung übernommen: Eine Idee hat die Struktur einer kodierten Information in einem Computer.« ^^ Chomsky glaubt, daß die Linguistik in dem Stadium, das sie mit dem Ge nerativismus erreicht hat, die Erhebung zur Wissenschaft im Galileischen Wortsinn beanspruchen kann. Er vertritt einen ausgesprochenen Szientismus, und sein Modell stammt aus den Naturwissenschaften. Mit seiner Grundstruktur der Kompetenz bewegt er sich in Richtung »einer Ontologie der Strukturen« ^'^. Nimmt die Unterscheidung Kompetenz/Performanz im Rückgriff auf Saussure die Distinktion langue/parole wieder auf? Fran9oise Gadet sieht eine Kontinuität zum Programm Saussures für im wesentlichen gegeben: »Dies ist ein Kernpunkt, in dem sich seine Auffassungen mit Saussure dekken [...]. Die Kompetenz ist der Saussureschen langue vergleichbar.«^^ Tat sächlich ist zwischen den beiden Begriffspaaren eine starke Ähnlichkeit zu bemerken, die auch durch Chomskys positive Bezugnahme auf Jakobson untermauert wird, selbst wenn er Saussure seit Anfang der sechziger Jahre als Vertreter einer naiven Sprachauffassung hinstellt. Für Nicolas Ruwet bedeutet hingegen die Hervorhebung des schöpferischen Charakters der Sprache bei Chomsky, daß »die Chomskysche Unterscheidung von Kom petenz und Performanz sich radikal gegen die Saussuresche Dichotomie von langue und parole stellt« ^^. Während Saussure die langue als eine ein fache Taxonomie von Elementen definiert und die Kreativität ausschließ lich in der parole ansiedelt, unterteilt Chomsky die Kreativität in zwei Ty pen, die er als regelverändernde und regelgeleitete Kreativität ausweist. Der
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Die ersten Risse
erste Typ gehört der Sprachperformanz, der zweite der Sprachkompetenz an. Nicolas Ruwet macht an diesem Knotenpunkt eine radikale Erneue rung der Reflexion über die Sprache fest, dank der Konzeption nämlich, die eine endlose Anzahl möglicher Sätze postuliert, aus der heraus das spre chende Subjekt nie zuvor vernommene Sätze verstehen oder von sich geben kann. Wenn Chomsky sich auf die alte Vorstellung einer der Historie und des Kontexts entkleideten menschlichen Natur stützt, verwandelt sich freilich der Strukturalismus unmerklich in einen strukturalen Naturalismus. So fin det Chomsky die Struktur in der Natur wieder: »Jede wahre Sozialwissen schaft — oder jede revolutionäre Theorie der Gesellschaftsveränderung — muß auf bestimmte Begriffe von der menschlichen Natur gegründet sein.«^'' Er richtet die Perspektive wieder auf eine kognitive Psychologie aus, in der die Linguistik nur ein Baustein wäre, und kündigt damit das zu künftige Paradigma des Kognitivismus und des neuronalen Menschen an. Im Gegensatz zum Behaviorismus beharrt Chomsky auf der Theorie der angeborenen Ideen und deren genetischer Verwurzelung: »Es ging darum, die allgemeinen Prinzipien als Eigenheiten eines biologischen Gegebenen zu betrachten, das den Spracherwerb ermögUcht.«^^ Dessen ungeachtet bleibt Chomskys Forschungsterrain ein strikt linguistisches, syntaktisches, und die Anregungen, die er aus der Biologie bezieht, spielen lediglich die Rolle einer hauptsächlich methodologischen Analogie, insofern sie auf die Konstituierung eines Dispositivs zielen, mit dem eine universelle Gramma tik möglich wird. Auch wenn Nicolas Ruwet Chomsky die Perspektive verdankt, die ihm seinen Weg nach Damaskus eröffnet und ihn aus dem Schatten des Struktu ralismus heraustreten läßt, sehen doch zahlreiche Linguisten keinen gravie renden Bruch zwischen Strukturalismus und Generativismus: »Für mich ist Chomsky zutiefst Strukturalist. Er ist ein Erbe Saussures« ^^, sagt LouisJean Calvet, für den Saussures Erbe vor allem in der Arbeit über die langue als wissenschaftlicher Gegenstand liegt, der vom Gesellschaftlichen, von den konkreten Situationen in soziologischer ebensosehr wie in psychologi scher Richtung abgeschnitten ist. Von einem heuristischen Standpunkt er kennt Calvet immerhin an, daß Chomsky Fortschritte hinsichtlich der Idee eines Syntaxmodells erzielt habe. Auch für Oswald Ducrot führt Chomsky Saussure weiter: »Ich habe Chomsky nie als Gegensatz zum Strukturalis-
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mus wahrgenommen. Ich sehe nicht ein, inwiefern das Forschen nach ei nem formalen System, das von der Gesamtheit aller Aussagen Rechen schaft geben kann, antistrukturalistisch sein soll. Es stimmt allerdings, daß er aus historischen Gründen eine starke Bedrohung für diejenigen dar stellte, die sich in Frankreich Strukturalisten nannten.« ^° Da Chomsky der Begriff des Subjekts ebenso wie der des Kontexts fremd ist und er seine Po sitionen unter Bezug auf Descartes an das kontinentale Modell angeglie dert hat, scheint er seine generative Grammatik tatsächlich von der euro päischen Strukturalistischen Problematik her zu errichten. Diesbezüglich hat sich dann die Aussagenlinguistik von beiden Strömungen gleicherma ßen abgegrenzt.
Ist der Chomskysmus ein Antistrukturalismus ? Dennoch kam es sofort zu heftigen Spannungen zwischen Chomsky und seinen Schülern und verschiedenen herausragenden Vertretern des Struktu ralismus in Europa, namentlich Andre Martinet. Der hatte immerhin von 1946 bis Juli 1955, fast zehn Jahre also, in den Vereinigten Staaten gelebt und dort eine der großen linguistischen Zeitschriften geleitet, Word, deren Positionen mit dem vorherrschenden Bloomfieldismus radikal gebrochen hatten. Andre Martinet und seiner Zeitschrift hatte nun Chomsky Mitte der fünfziger Jahre seinen ersten Artikel zur Syntax vorgelegt: »Chomsky hatte mir seinen Artikel an die Adresse von Word geschickt. Ich las ihn und sagte sofort: Unmöglich! Mit dieser Ausrichtung geraten wir in den Schla massel. Daraufhin wurde ich als der große Gegner des Chomskysmus ge führt.« ^^ Eine schroffe Polemik begann. Andre Martinet trug schwer daran, von einer neuen Generation, die auf Brüche aus war und sich gegenüber den Gründervätern oft undankbar verhielt, als »antiquiert« abgetan zu werden. In seiner Reaktion neigte er zur energischen Ablehnung jeglicher Erweiterung der strukturalen Methoden, wobei er freilich Gefahr lief, sich in seiner Festung zu verschanzen. Seine Hauptsorge, als er der ChomskyWelle den Rücken zeigte, galt jedoch dem Erhalt des Erbes, als dessen Hü ter er sich sah: »Chomsky begeht den Gipfel der Behauptung α priori, wenn er vorbringt, daß alle Sprachen im Grunde identisch sind und daß es infolgedessen eine Tiefenstruktur gibt.« ^^
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Andre Martinet befindet sich also im Zwiespalt zwischen der humanisti schen Tradition, die ihn als gefährlichen und nichts achtenden Strukturalisten ansieht, und der Entwicklung des Chomskysmus, die er wiederum ausgerechnet im Namen eines humanistischen, rein formaler Sprachkon zeption sich widersetzenden Standpunkts als eine Linguistik von Ingenieu ren bezeichnet. Als großer Nachfahre der Phonologie und der Arbeiten des Prager Kreises »sah Martinet nicht ein, nochmals die Schulbank zu drükken, um eine Ausbildung in Mathematik und Informatik zu erwerben. Eher verließ er Amerika, als einen Weg einzuschlagen, der ihm mißfiel und auf dem er sich fehlgeleitet fühlte. Sicherlich hat er daraus eine gewisse Bitter keit zurückbehalten, zumal er von zwei Seiten angefochten wurde: von den Erweiterern, die die strukturale Methode ausdehnen wollten, und von den jenigen, die sie formalisieren wollten.« ^^ Nach Ansicht von Claude Hagege hat die generative Grammatik zwei fellos einen Bruch vollzogen, den er jedoch insofern negativ bewertet, als damit der Einschnitt gegenüber dem Sozialen radikalisiert wird, um die formalen Modelle in einer »idealen, von allen Störgrößen bereinigten Spra che« ^"^ zu errichten. War die Saussuresche Dichotomie langue/parole eben falls antisoziologischer Natur, so hat Saussure doch vom Denken Durkheims gezehrt, und man kann diese Dichotomie durchaus auch als Durkheims auf den sprachlichen Plan abgebildete Unterscheidung zwi schen dem vom sozialen Verband bestimmten System und dem von der Er findungskraft des Individuums bestimmten System lesen. Dagegen »ist Chomsky dieser soziologischen Überlieferung, die in Frankreich und in Deutschland eine lange Tradition hat, völlig abtrünnig geworden« ^^. Tatsächlich bricht Chomsky mit einer langen Tradition, namentlich der vergleichenden Sprachwissenschaft. Er vermag damit weder Haudricourt zu überzeugen, für den der Generativismus in der Hauptsache negative Auswirkungen hat, noch Todorov, der Jakobson und Benveniste verpflich tet bleibt: »Die ersten Strukturalisten waren in der Vielheit der Sprachen be heimatet und fähig, Beispiele aus dem Sanskrit, aus dem Chinesischen, Persi schen, Deutschen oder Russischen zu zitieren. Chomsky brachte nun die totale, radikale Negierung von alledem, weil er immer über das Englische, also über seine Muttersprache gearbeitet hat. Auch wenn er in seinem Tätigkeits bereich ein guter Spezialist gewesen ist, sein Einfluß war verheerend und hatte eine ganz frappante Verödung des linguistischen Feldes zur Folge.« ^^
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In der Tat hat Chomsky die Beschränkung auf die Muttersprache theo retisch fundiert und sie zur methodologischen Forderung erhoben: Einzig ein Native Speaker der untersuchten Sprache sei imstande, die Grammatikahtät oder NichtgrammatikaHtät eines Satzes zu erkennen. Überdies wurde das Interesse an der Syntax zwar als ein Fortschritt, als die Eröff nung eines bislang vernachlässigten Untersuchungsfeldes wahrgenommen, aber zugleich auch als eine Barriere, da diese Forschung sich so verstand, daß sie andere Herangehensweisen wie die Phonetik oder die Semantik ausschloß. Auch die Theorie der angeborenen Ideen, die Unterscheidung zwischen Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur galt manchen als Rückschritt. Tat sächlich implizierte sie eine — im übrigen ausdrückliche — Rückkehr zur Logik von Port-Royal, der zufolge sich der Gedanke unabhängig von der Sprache bildet, die nur dazu dient, den Gedanken mitzuteilen, zu einer dem Wesen nach instrumentalen Sprachauffassung also, die der Struktura lismus seit Saussure ja gerade angefochten hatte. »Für mich steht fest: Es handelt sich da um eine Ideologie, die der Strukturalismus verurteilt hat, die Idee nämlich, daß es eine denkende menschliche Natur gäbe, eine Es senz des Menschen, ein Apriori. Der Strukturalimus hatte dies nachdrück lich verworfen.« ^^ Die theoretische Basis, die Chomsky mit seinem Begriff der Tiefenstruktur, der menschlichen Natur postuliert, nimmt also faktisch Abstand vom Strukturalismus allgemein, zum Beispiel dem von Benveniste formulierten Grundprinzip: »Der Linguist seinerseits meint, daß ohne Sprache kein Denken existieren kann [...].«^^
Bedeutet der Chomskysmus eine Wiederbelebung des Strukturalismus? Bei allen Verdachtsgründen der Strukturalisten oder Funktionalisten gegen den Chomskyschen Generativismus hat dieser doch unbestreitbar der Lin guistik Ende der sechziger Jahre in Frankreich neuen Auftrieb gegeben. Seine Einführung auf französischem Boden erfolgt dank des Vorzugs, der dem Gedanken der Transformation gewährt wird, und unter dem Namen einer Transformationsgrammatik ist der Generativismus im übrigen zu nächst auch bekannt geworden. Zu den Hauptverbreitern dieses Modells gehört Jean Dubois, der sich
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um seine Anwendung auf die französische Sprache bemüht. Bereits 1965 hat er bestimmte Aspekte von Harris' Distributionalismus angewandt. ^^ Überhaupt widmet der auch in der Reflexion der klassischen Humaniora über die toten Sprachen bewanderte Französisch-Grammatiker Dubois sich frühzeitig den jenseits des Atlantiks gebräuchlichen Modellen: »Bloomfield war meine Lieblingslektüre. Die Amerikaner arbeiteten auch über Sprachen, die sie nicht beherrschten — die amerikanischen Indianer sprachen.« ^^° Die Verbindung erwuchs auch aus Dubois' jahrelanger neuro logischer Arbeit mit dem Arzt Henry Hecaen in der Forschungsabteilung einer Montrealer Klinik und anschließend in Frankreich. Im übrigen tritt Dubois für eine synkretistische Haltung ein, die Methoden des funktionalistischen Strukturalismus, des Distributionalismus und des Generativismus miteinander verquickt: »Der Umstand, daß ich ein Wörterbuch des Ge genwartsfranzösischen erstellte, führte mich dazu, eine halb strukturale, halb transformationelle Methode zu verwenden.« ^' ^ Auf der theoretischen Ebene spiegelt sich gleichsam Jean Dubois' institutionelle Stellung wider, da er sich als Universitätsprofessor in Nanterre, als Herausgeber der Zeit schrift Langages und der gleichnamigen Reihe bei Larousse sowie als akti ves Mitglied der Linguisten der KPF innerhalb des Centre d'fitude et de Recherche Marxiste (GERM) im Kreuzungsfeld verschiedener Strömun gen befindet. Dubois' Interesse am Generativismus führt zum endgültigen Zerwürfnis mit Martinet, der die wachsenden Bezugnahmen auf Chomsky nicht er trägt und darin ein abgekartetes Spiel sieht, das ihm die Geltung streitig machen soll. Dubois dagegen führt den Streit auf die Beziehungen zum Verlagshaus Larousse zurück: »Martinet hatte bei Larousse vorgespro chen, um seine Zeitschrift und seine Reihe zu gründen, dann aber aus Un geschick — denn er ist ein sehr redlicher Mensch — Parallelverhandlungen mit Presses Universitaires de France geführt, ohne es zu sagen, was wie derum der Direktion von Larousse nicht gefiel, zumal Martinet PUF vor zog, weil sie das >universitaire< im Namen führten. Martinet war sehr unge halten, daß wir das Projekt ohne ihn bei Larousse realisierten. Tatsächlich geriet ich in die Situation, die Zeitschrift Langages zu lancieren (1966), ob wohl ich mich keineswegs auf der Höhe Martinets sah.« ^-^ An dieser Welle des Chomskysmus hat eines vor allem Aufmerksamkeit erweckt: die Möglichkeit zu einer Dynamisierung der Strukturen, zu einer
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Versöhnung von Genese und Struktur, auch wenn das nicht in Chomskys Absicht lag. Jedenfalls verhielt es sich so für die gesamte junge Linguisten generation, darunter auch Julia Kristeva: »Ich habe Chomsky mit sehr viel Interesse wahrgenommen, weil sein Modell dynamischer war als das der Phonologie. Ich hatte das Gefühl, daß dies jenem Signifikationsprozeß ent sprechen könnte, den ich im Auge hatte.« '^^ Um diese Dynamisierung vor anzutreiben, greift Julia Kristeva aus der Biologie das Gegensatzpaar von Genotyp und Phänotyp auf und überträgt es, gewendet auf die Artikula tion zwischen Genotext und Phänotext, auf die Linguistik. Mit Hilfe dieser Unterscheidung läßt sich erklären, daß der Text faktisch ein Phänotyp sei, der sich gemäß bestimmten quasi triebhaften Prozessen zu einem Genotyp fügt — was das Untersuchungsfeld einer psychoanalytischen Perspektive öffnet. Julia Kristevas Interesse an Chomsky geht allerdings nicht bis zur Zustimmung zu seinen Thesen, denn sie widerspricht seinen der Theorie der angeborenen Ideen verpflichteten Postulaten, dem Immer-schon-Da seines Sprachbegriffs, der ihr gegenüber einer bestimmten Phänomenolo gie und gegenüber den Freudschen Erkenntnissen im Rückstand scheint: »Bei den Gesprächen, die ich mit ihm hatte, war ich sehr enttäuscht über seine Verachtung für alles, was Stilistik und Poetik betraf. Alle diese Phäno mene sind für ihn nur Zierat.« "^"^
Die ersten Schritte des Kognitivismus Ein weiterer Aspekt des Generativismus, der als entscheidender Fortschritt wahrgenommen wurde, war, daß er seine Hypothesen methodisch über prüfen und sie im Zuge der Verifizierung ihrer Geltung formalisieren konnte, auch wenn man seither durch die Entwicklung ausgeklügelter Datenverarbeitungssysteme in der Formalisierung weitergekommen ist. Chomsky bedeutete in dieser Hinsicht eine wichtige Entwicklungsstufe: »Erstmalig war man in der Lage, die Struktur einer linguistischen Theorie zu bestimmen und die verschiedenen Explizierungsmöglichkeiten, die sie bot, zu berechnen.«'*^ Indem er die Linguistik in eine immer stärkere For malisierung einspannte, schnitt der Chomskysmus sie freilich letzten En des von den anderen Humanwissenschaften ab, während er sich hingegen in den sechziger Jahren zunächst dynamisierend auf die Sprachwissenschaft
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ausgewirkt hatte, die als Pilotwissenschaft der anderen Sozialwissenschaf ten angesehen wurde. Mit ihrer Forderung methodischer Strenge, ihrer auf Explizierung angelegten Reflexion und einer gewissen Weiterführung des Saussureschen Anstoßes in Bezug auf das Verständnis der Sprache und ihrer Funktionsweise hat die generative Grammatik sicherlich bereichernd ge wirkt. Aber man kann sich fragen, ob sich die Generativisten nicht ihr eige nes Grab geschaufelt haben, wenn selbst so ausgefuchste Linguisten wie Frangoise Gadet gestehen, daß die generative Grammatik heute »völlig un lesbar geworden ist« '*^. Nichtsdestoweniger hat der Generativismus ein wissenschaftliches Para digma aufgetan und sich hierin mit seinem kognitivistischen Ansatz die Ausgangsbestrebung des Strukturalismus angeeignet, den Schnitt zwischen Natur und Kultur zu überwinden und sich nach dem Modell der Naturwis senschaften auszurichten. Joelle Proust stieß Mitte der sechziger Jahre auf den Chomskysmus, aber der Bruch vollzog sich erst später, in den siebzi ger Jahren, als sie in Berkeley die großen Entwicklungsjahre der kognitiven Wissenschaften miterlebte: »Damals wurde mir klar, daß ich vieles von dem, was ich gelernt hatte, wieder verlernen und mir auf neue Weise aneig nen mußte.« ^^ Auf der Grundlage der Erforschung der organischen, logi schen, berechenbaren Struktur, die der beobachtbaren Vielfalt der Kultu ren zugrunde liegt, schloß sich Proust damals dem Chomskysmus an. Damit übernahm sie auch Chomskys Begriff der menschlichen Natur, obwohl der von ihrem ersten Lehrmeister Althusser als ideologischer Begriff gebrandmarkt worden war: »Man ist heute genötigt anzuerkennen, daß es universelle Grundlagen in der Kognition gibt; es gibt Dinge, die alle Ange hörigen unserer Spezies teilen und die im übrigen im Prinzip in einer Maschi ne dupliziert werden können. Es gibt keinen Grund zu denken, daß die Ver nunft beim Menschen haltmacht.«'^^ Diese Arbeitshypothese setzt voraus, daß der Vernunftcharakter des Menschen möglicherweise nicht der organi schen Materie, aus der wir gebildet sind, spezifisch ist und daß das, was es einem Gedächtnissystem erlaubt zu denken, das Rechnen über Symbole ist. Von daher zählen einzig die relationeilen Recheneigenschaften, ihr formaler Charakter. Die organische Erscheinungsform kann dabei auf die gleiche Weise variieren, wie verschiedene Computer die Hardware für das gleiche Programm sein können: »Deshalb sagt man, daß es möglicherweise eine Form von funktioneller Äquivalenz zwischen Mensch und Mechanik gibt.« '*^
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Ein weiterer Fortsatz des Chomskysmus, der ihm seinen zeitweiligen Erfolg sichert, liegt in der Anthropologie, namentlich mit Dan Sperbers doppelter Anbindung an den Levi-Straussschen Strukturalismus und an den Chomskysmus. Sperber versucht beide zur Synthese zu bringen, in dem er das Levi-Strausssche Paradigma im Licht der Thesen Chomskys befragt. Er verfaßt auch 1968 den Beitrag über den Strukturalismus in der Anthropologie in dem Sammelband Qu'est-ce que le structuralisme, den Frangois Wahl bei Le Seuil herausgibt. Anhand der Aufarbeitung der bei den Domänen des Strukturalismus, der Verwandtschaftsbeziehungen und der Mythologie, befragt er die strukturalistische Theorie aus einer Perspek tive analog zu Chomskys Einwendung gegen die induktive, deskriptive Ausrichtung der strukturalen Linguistik. Er geht von dem Prinzip aus, daß im Gegensatz zu Levi-Strauss' Behauptung der Strukturalismus keine wis senschaftliche Methode, sondern eine Theorie darstellt und deshalb nach Popperscher Manier als solche überprüft werden muß: »Nachdem Noam Chomsky gezeigt hat, daß der Strukturalismus in der Linguistik eine be sondere Theorie — die er im übrigen für falsch hält — und nicht die Me thode der Wissenschaft ist, müssen wir uns fragen, ob wir es nicht auch in der Anthropologie mit einer — falschen oder richtigen — Theorie zu tun ha ben.« ^o Aufgrund dieser Chomskyschen Problematisierung beharrt Dan Sper ber auf der dem Levi-Straussschen Diskurs innewohnenden Spannung zwi schen dem wissenschaftlichen Ehrgeiz, Zugang zu den mentalen Bereichen zu bekommen, und dem deskriptiven Wissen vom semantischen Raum der Mythen. Dan Sperber spricht zwar Levi-Strauss das große Verdienst zu, die Untersuchung der Mythen aus ihren Kommunikationsbedingungen her ausgelöst und sie als Codes aufgefaßt zu haben. Aber er wirft ihm vor, nicht ganz aus der anthropologischen Tradition herauszukommen, weil er, vor die Notwendigkeit gestellt, die Theorie des Mythensystems zu errichten, auf halbem Wege stehenbleibe. Sperber wendet gegen den Strukturalismus ein, daß dieser fortfahre, die Mythen als einem symbolistischen System zu gehörig zu betrachten. Gewiß bricht Levi-Strauss mit dem Empirismus, wenn er die inneren Zwänge des menschlichen Geistes anführt. Doch laut Dan Sperber geht er nicht so weit, eine wissenschaftliche Methode zu kon struieren, die die beiden Ebenen, die er in seiner Annäherung an die My then selbst erkannt hat, miteinander verknüpft: die Mythen einerseits auf-
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gefaßt als Sprache, die von einer Grammatik hervorgebracht wird, und an dererseits als erzeugt durch die Transformation anderer Mythen. Dan Sper ber führt hier wieder die Chomskysche Unterscheidung des mythischen Denkens als Kompetenz und seiner Ausübung als Performanz ein: »Ich sah also, daß die Transformation der Mythen untereinander, anders als LeviStrauss anzunehmen scheint, keine Grammatik definierte.« ^^ Die von LeviStrauss in Gang gebrachte Revolution kann also nur dann zur Gänze voll zogen werden, wenn man sein Werk zur kognitiven Wissenschaft und nicht zu seinen semiologischen Ambitionen hin rückt: »Das Werk von LeviStrauss führt die Anthropologie zum Studium ihres ersten Gegenstands zu rück: der menschlichen Natur.« ^^ Der Schlüssel für die Errichtung einer wahren anthropologischen Wis senschaft läge also in den Dispositionen des menschlichen Geistes selbst. So bewog der Chomskysmus Dan Sperber, nachdem er bereits von Balandier zu Levi-Strauss übergewechselt war, zu einer zweiten Konversion: »Die generative Grammatik bedeutet eine wissenschaftliche Revolution, die das Strukturalistische Modell als inadäquat und viel zu simpel überführt. Aber die generative Grammatik ist in keiner Weise dazu berufen, sich auf die an deren Disziplinen auszudehnen. Die strukturale Linguistik hat paradoxer weise den Ehrgeiz gehabt, eine umfassendere Disziplin zu begründen, ob wohl ihr Modell noch nicht einmal auf ihrem Ausgangsfeld, der Sprache, funktionierte. Ihre Anmaßung, für den Rest der Welt anzutreten, war ganz und gar fragwürdig.« ^^ Dan Sperber sieht in Chomskys wissenschaftlichem Anspruch die mögliche und notwendige Trennung im Wissen des Anthro pologen zwischen der Ethnographie als Interpretation des Besonderen, die einem literarischen Genre angehört, und einer Ethnologie als möglicher Wissenschaft vom Allgemeinen. In dieser Hinsicht habe Levi-Strauss nicht radikal genug mit der anthropologischen Tradition gebrochen, da er ver sucht habe, beide Bereiche in einer einzigen Disziplin zusammenzuspannen. Nach dem Höhepunkt des strukturalistischen Paradigmas im Jahre 1966 erscheint also der in Frankreich eingebürgerte Chomskysmus seit 1967/68 auf widersprüchliche Weise zugleich als Wiederbelebung des Strukturalis mus und als Verursacher seiner Krise. Die Konfiguration des semiologi schen Feldes wird durch ihn erschüttert, und es kommt zu einem Bruch, der den Augenblick des Jahres 1964 der Vergangenheit zuweist, in dem La-
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can in seinem Seminar einen Vortrag über Chomsky hielt, um dessen theo retische Postulate zu kritisieren. Damals griff Lacan die bereits 1959 von Ja kobson formulierte Kritik wieder auf und warf Chomsky vor, das Subjekt im grammatikalischen Modell einzusperren, wobei er das Sein und dessen Aufspaltung vergessen habe. Diesem grammatikalischen Modell hielt er seine formale Theorie des Signifikanten entgegen. ^'* Bot sich das strukturalistische Modell noch 1964 als Möglichkeit der Vereinheitlichung der Forschungen über die Kommunikation in allen ihren Manifestationen an, so tut sich 1967/68 mit dem Chomskysmus eine Kluft im Kern jener Disziplin auf, die bislang als Pilotwissenschaft dastand — die Linguistik.
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1967 sprechen zwei Neuerscheinungen desselben Autors den Strukturalis mus vom Feld der Philosophie her an: Es handelt sich um Jacques Derridas Werke De la grammatologie und UEcriture et la Difference, die zum glei chen Zeitpunkt erscheinen und Aufruhr in die Struktur bringen. Was die Amerikaner Poststrukturalismus nennen, setzt also schon vor dem Abeb ben des strukturalen Paradigmas, ja zeitgleich zu seinem Triumph ein, denn Jacques Derrida nimmt in diese beiden Publikationen Texte auf, die, wie zum Beispiel der über Jean Rousset, bis 1963 zurückreichen. Jacques Derridas ständiges Anliegen wird es sein, die räumlich-zeitliche Verschiebung zu problematisieren, die er in bezug auf die Texte der klassi schen Philosophie feststellt. Am 15. Juli 1930 im algerischen El-Biar in einem jüdischen Milieu gebo ren, ohne jedoch eine wirkliche jüdische Bildung erhalten zu haben (»Ich verstehe leider nicht Hebräisch. Das Milieu, in dem ich meine algerische Kindheit verbracht habe, war zu sehr kolonisiert, zu sehr entwurzelt« ^), verspürt und kultiviert er gegenüber der Tradition des abendländischen Denkens stets eine gewisse Fremdheit. Gleichwohl wird diese Exteriorität nicht aus einem Anderen heraus, von andernorts her erlebt, sondern aus dem Mangel, einem mit neunzehn Jahren verlassenen Nirgendwo, einem Außerorts, das jeden Ansatz von Fundierung untergräbt: »Die Gebärde, die wiederzufinden sucht, führt weg von sich selbst, sie entfernt sich noch davon. Man muß das Gesetz dieses unüberbrückbaren Abstands formalisieren können. Das ist im großen und ganzen das, woran ich immer arbeite. Identifizierung ist eine Differenz zu sich, eine Differenz mit sich. Also mit sich, ohne sich und vorbehaltlich seiner selbst.«^ So durchlebt Derrida auf der Ebene der Schrift seine persönliche Verlusterfahrung wieder, den Ver lust der Zeit, des Gedächtnisses, der Asche noch, die nach jener Todeser fahrung bleibt: »Es ist die Erfahrung des Vergessens, jedoch des Vergessens des Vergessens, des Vergessens, von dem nichts bleibt.«^ Dieser
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persönliche Werdegang hat Derrida, wie viele Philosophen seiner Genera tion, auf die Spuren Heideggers geführt. Und das Prinzip, das sein ganzes Vorgehen antreibt, das der Dekonstruktion, ist nichts anderes als seine — eine gewisse Verschiebung vornehmende — Übersetzung des Heideggerschen Begriffs der Destruktion.
Derrida als Phänomenologe Doch ehe er sich zum Dekonstrukteur des kritischen Denkens erhebt, das der Strukturalismus repräsentiert, interessiert Derrida sich für die Phäno menologie. Die erste Arbeit, die er veröffentlicht, ist eine Einleitung zu Husserls Ursprung der Geometrie. ^ Wenn die Phänomenologie damals in Mode ist und das Feld der Philosophie fast unumschränkt beherrscht, so erfährt sie in Frankreich eine besondere Ausprägung mit Sartre und MerleauPonty, die sich vor allem für das Gelebte, für das perzeptive Bewußtsein in teressieren. Die Originalität von Derridas Eingriff liegt zunächst darin, daß er nicht von dieser Orientierung ausgeht: In bereits verschobener Manier interessiert er sich vor allem für die Fragen der Objektivität, der Wissen schaft, indem er die Ebene der inneren Beobachtung umgeht und sich eher in der deutschen Tradition der Husserl-Schüler ansiedelt. Wenn er die letzte Begründung der Phänomenologie von dem Rätsel her befragt, das ihr der geometrische Gegenstand stellt, so schließt Derrida daraus nicht auf den Tod des Subjekts, sondern auf seine Eingrenzung auf eine beschränk tere Sphäre. Er spricht von einer Rückstellung des Begründungsprinzips, die »notwendig [ist] für das Erscheinen selber« ^. Derrida umschifft, ausge hend von Husserls Text, die doppelte Klippe des Historizismus und des Objektivismus. Er ortet bereits im Ursprung der Geometrie die innere Sub version der üblichen Rangordnung, die die Schrift der Stimme unterordnet, ein Thema, das hernach durch das ganze Derridasche Dekonstruktionswerk hindurch entfaltet wird. Der Begriff »transzendental« besage die reine Gewißheit jenes Sichhinbewegens zum Ursprung, das sich in einer ur sprünglichen, immer zukünftigen Differenz begreift: »Auch hierin besitzt diese Schrift eine, wie Husserl sagt, >exemplarische Bedeutung[...] <«.^ Dann wendet Derrida, stets ausgehend von der Husserlschen Axiomatik der Logischen Untersuchungen^, seine Reflexion dem Zeichen, der Sprache
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ZU, um Husserls Unterscheidung einer >vor-ausdrücklichen Schicht< (>Anzeichen<) und einer >ausdrücklichen Schicht< (>be-deutendes Zeichen<) der Bewußtseinszustände geltend zu machen. Es gebe also keinen einheitlichen Begriff vom Zeichen, sondern dessen Verdoppelung, So ist für Husserl der Ausdruck ganz und gar (Ent-)Außerung, während die Anzeige auf den Ort des Unwillkürlichen verweist: »Die Sphäre der Anzeige, die außerhalb des so verstandenen Ausdrucks verbleibt, verantwortet das Mißlingen dieses Telos.«^ Man kann demnach nicht auf eine Wahrheit oder auf eine Essenz des Zeichens verweisen, vielmehr besteht die philosophische Aufgabe darin, seine Erscheinungsmöglichkeiten zu beschreiben. Bereits in diesem verhältnismäßig frühen Text Derridas findet sich die Thematik der textuellen Entgrenzung, der Schrift als Abgrund, des wahrhaft kryptischen Uni versums einer Vergangenheit, die nie gegenwärtig gewesen ist: Man müßte »als >normal< und >vor-ursprünglich< denken [...], was Husserl als eine par tikulare, zufällige, abhängige und sekundäre Erfahrung glaubte isolieren zu können: die Erfahrung der Zeichen, die umherirren [...].«^
Den Strukturalismus radikalisieren In dem Augenblick, in dem die Phänomenologie in Frankreich vom Struk turalismus angefochten wird, läuft Derrida Gefahr, auf selten der Tradition zu stehen zu kommen. Nun vollzieht er »eine Radikalisierung der Phäno menologie dergestalt, daß er den strukturalistischen Einspruch überspringt und ihm wieder voraus ist« ^°. Zunächst in der Defensive, wird Derrida rasch zu einer offensiven Position gelangen und beginnen, die strukturali stischen Werke systematisch zu dekonstruieren, indem er in ihnen ebenso viele Spuren eines immer noch zu überwindenden Logozentrismus auf weist. Aufgrund dieser kritischen Arbeit verläßt Derrida die phänomeno logische Perspektive und siedelt sich im Denken Heideggers an, das ihm als Kriegsmaschine der Strukturalismuskritik dient. Dabei bezieht er eine pa radoxe Stellung sowohl innerhalb als auch außerhalb des strukturalistischen Paradigmas. »Derrida ist der erste in Frankreich gewesen, der bestimmte Vorbehalte gegen den Strukturalismus geäußert hat, und die Derridianische Dekonstruktion ist eine Bewegung gewesen, die die Entwicklung des Strukturalismus, wie sie sich weiter hätte ereignen können, beeinträchtigt
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hat.« ^^ Allerdings kann er genausogut als derjenige betrachtet werden, der die Strukturalistische Logik im Sinne einer Entleerung vom Signifikat zum Äußersten treibt, zu einem noch radikaleren Hinterfragen jeglicher Substantifizierung, jeglicher gründenden Essenz. Was dies betrifft, plaziert er sich anfänglich innerhalb des strukturalistischen Reflexionsfeldes, obschon die von ihm vertretene Position kritische Distanz wahrt: »Da wir von der strukturalistischen Fruchtbarkeit zehren, ist es zu früh, unseren Traum zu geißeln.« ^^ Freilich schreiben wir erst das Jahr 1963, und in dieser noch glorreichen Zeit eines vielversprechenden Programms ist Derrida des Lo bes voll für einen Strukturalismus, den er für weitaus mehr hält als eine neue Denkmethode. Denn damals steht der Strukturalismus für ein neues »Wagnis in der Sehweise, [...] eine Veränderung in der Art, Fragen an jeden Gegenstand zu stellen« ^^. Derrida nimmt Bezug auf eine epistemologische Revolution als unhintergehbarer Horizont unserer Zeit und vertritt zugleich die Auffassung, daß der Strukturalismus weder auf einem bloßen Modephänomen beruhen noch zukünftig eine historische Reduktion als Moment des Denkens erlau ben kann: »Der Strukturalismus entzieht sich somit der klassischen Ideen geschichte« ^'^, auch wenn er in einer Periode historischer Veränderung auf bricht, in der die innovative Kraft in das Formbemühen zurückfällt. Darin »ist das Strukturalistische Bewußtsein das Bewußtsein schlechthin als das Denken der Vergangenheit, will sagen der Tatsache überhaupt: Reflexion des Vollbrachten, des Konstituierten, des Konstruierten« ^^. Obwohl Der rida ebenso wie Foucault jederlei Gruppenzugehörigkeit systematisch mei det, kann man doch feststellen, daß er klar den phänomenologischen Hori zont hinter sich läßt und an die Grundannahmen des Strukturalismus anknüpft. Viele strukturalistische Semiologen der sechziger und siebziger Jahre werden sich übrigens von seinen Arbeiten anleiten lassen: »Die Dekonstruktion als Methode war ein anderer Name für eine Vorgehensweise strukturalistischen Typs, die darin besteht, einen komplexen Text zu trans formieren und zu ent-stricken, um ihn auf Lesbarkeiten, Oppositionen, Dysfunktionen zu reduzieren.« ^^ Nach Art der Psychoanalytiker wird Derrida sich mehr auf die Verfehlungen, die Dysfunktionen der Struktur beziehen als auf ihre Regelhaftigkeiten oder Invarianten. Dieses Denken an den Grenzen, das übrigens eine gleichgeartete Literatur aufgreift, radikalisiert die Idee der Strukturalität der Struktur, indem es eine ständige Dezen-
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trierung, eine Verlagerung aus dem Zentrum einführt, so daß es keine au ßerstrukturelle Ordnung mehr gibt. Damit »ist alles Struktur, und alle Strukturalität ist ein unendliches Spiel von Differenzen« ^^. Die Struktur re duziert sich auf das unaufhörliche Spiel von Differenzen, und das Denken tritt in den abgründigen Taumel eines Schreibens ein, das die Dämme bre chen läßt und die disziplinaren Grenzen niederreißt, um zur reinen Schöp fung zu gelangen, der des Schriftstellers, die sich namentlich in der Gestalt des Dichters verwirklicht. Der Durchbruch zu einer Ästhetik, die sich vom Mallarmeschen Pro gramm herleitet, mündet in eine Überlappung von Philosophie und Litera tur. Diese durchzieht dann den philosophischen Problemaufwurf, der sich, ausgehend von einer Reflexion über die verborgene Seite der Literaturge schichte: A. Artaud, G. Bataille, E. Jabes usw., auf dem Terrain der Unentscheidbarkeiten einrichtet. Eine Nähe, die wiederum — radikalisierend — an schließt an die strukturalistische Ausrichtung auf eine Befragung der Sprache jenseits getrennter Gattungen, jenseits der traditionellen Klassifizierungen, also an den Zugang zum Text aufgrund der Eigengesetzlichkeit der Textualität. »Mein primäres Interesse galt wahrscheinlich jener Richtung, in der das literarische Ereignis die Philosophie durchläuft oder über sie hinauszielt.« ^^ Auch wenn Derridas Wegmarken ihn immer mehr auf den Kontinent der Literatur führen und er die epistemologischen Belange hintanstellt für die reine Schöpfung (Glas^"^ ist dafür ein gutes Beispiel), ist er doch zugleich seit 1965 Pädagoge, ein hervorragender Didaktiker der Philosophie als Pro fessor an der ENS. In diesem Bereich hat er die Lektüre philosophischer Texte als erster und am radikalsten umgestaltet anhand neuer Interpreta tionsweisen aus der Linguistik, aus der Psychoanalyse, aus der Ethnologie und aus allen Spitzensektoren der Humanwissenschaften: »Im Grunde ist er ein Professor, der die Lektüre der philosophischen Texte tiefgreifend er neuert hat, der aber seinen Interpretationen hinterherläuft. Sein Bemühen, eine Praxis zu begründen, hat etwas leicht Blindes. Seine Lektüren werfen die Frage auf, was sie stützt.« ^° Durch seine Fähigkeit, sich auf den zu de konstruierenden Text einzulassen, um seinem inneren Webfaden nachzu spüren, war er daher für eine Generation von Philosophen »außerordent lich wirkungsmächtig, inkorporierend durch Einprägung, mit der er den Philosophiestudenten, die zunächst die Rhetorik beherrschen müssen, die vom Professor erwartete Kennermiene ermöglichte« ^l
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Die Dekonstruktion Derridas Strategie ist die der Dekonstruktion in ihrer destruktiv-konstruk tiven Doppelbedeutung; sie eröffnet die Möglichkeit, die Spuren der abendländischen Metaphysik im Denken des anderen wiederzuerkennen, und führt zugleich eine neue Schreibweise ein. Sie privilegiert die Sphäre der Schrift als autonome Sphäre, die, jenseits der Gattungsgrenzen zwi schen Philosophie und Literatur, der Textualität überhaupt angehört. Hierin schließt Derrida an die neue strukturalistische literarische Kritik an, deren szientistischen Kategorien er sich jedoch entzieht, indem er seinen Horizont auf die Erschaffung neuer, unentscheidbarer Konzepte abstellt und sich so »auf das Niveau schöpferischer Tätigkeit« ^^ emporhebt. Damit verwirklicht Derrida den großen Ehrgeiz der meisten Strukturalisten, die auf die Sprache der Sozialwissenschaften zurückgegriffen haben, um ein kreatives literarisches "Werk hervorzubringen. Gleichfalls schließt er an die Formalisten des Jahrhundertbeginns, an die Arbeiten des Prager Kreises an, die bereits versucht hatten, eine Symbiose zwischen Poetik und philo sophischer Reflexion herzustellen. Er steht demnach in einer durch und durch Strukturalistischen Filiation. Die andere Inspirationsquelle Derridas, diesmal auf eigentlich philoso phischem Feld, ist das Werk Heideggers: »Keine meiner Untersuchungen wäre ohne den Ansatz der Heideggerschen Fragestellung möglich gewesen [...], ohne die Beachtung dessen, was Heidegger die Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden, die ontisch-ontologische Differenz, nennt.« ^^ In diesem Sinn bewegt sich das ganze Dekonstruktionswerk am dem Seien den zugewiesenen Sinn direkt in den Fußstapfen Heideggers. Jeder Begriff wird darin abgehandelt bis an die Grenzen seiner Pertinenz, bis zu seiner Erschöpfung und seinem Ausklingen, die das Verschwinden der abendlän dischen Metaphysik simulieren sollen. Der Akt des Dekonstruierens er scheint in all seiner Zweischneidigkeit und wirkt im Kontext der Jahre 1967/68 um so verführerischer, als er »als eine zugleich strukturalistische und antistrukturalistische Geste« ^'^ wahrgenommen wird. In diesem Dop pelsinn hat er eine ganze Generation — mitsamt Tel Quel als deren Inbild — dafür gewinnen können, das strukturalistische Erbe anzunehmen und doch zugleich die Abgeschlossenheit des Systems aufzubrechen und die Öff nung der Struktur zu ermöglichen. Die Dekonstruktion bleibt der Aufwer-
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tung treu, die der Sphäre des Verborgenen, dem Unbewußten gewährt wird, aber vor allem eröffnet sie die Möglichkeit der Pluralisierung, der Dissemination, indem sie die Bezugnahme auf ein Zentrum der Struktur, auf die Einheitlichkeit eines irgend gearteten strukturierenden Prinzips sprengt. Derrida bietet gegenüber der abendländischen Vernunft eine re gelrechte Strategie auf: »Die Strategie der Dekonstruktion ist die List, die noch da zu sprechen erlaubt, wo es >letzten Endes< nichts mehr zu sagen gibt [...].«25 Der Erfolg dieser dekonstruktiven Thesen in den Jahren 1967/68 erklärt sich auch im Zusammenhang des Bruchs mit dem akademischen Wissen der Sorbonne. Ähnlich wie die Linguisten bezüglich der klassischen Litera turgeschichte bietet Derrida den Philosophen eine Kampfstrategie an, die darauf zielt, die Fundamente der an der Sorbonne gelehrten abendländi schen Metaphysik radikal abzutragen: Er schleust in die Philosophietradi tion eine Reihe unentscheidbarer Konzepte ein, die den Zweck haben, ihre Grundlegungen ins Wanken zu bringen und ihre Versehen anzuzeigen. [Die Rede von den Unentscheidbarkeiten meint, daß Derrida das klassische Denken in dilemmatische Situationen führt, die es außer Kraft setzen müs sen. Vgl. V Descombes, Das Selbe und das Andere, a. a. O., S. 164, A. d. Ü.] Der subversive Aspekt dieser Strategie macht es somit möglich, die Grund lagen der bestehenden Institution zu untergraben und den Kampf, den die Strukturalistische Strömung führt, zu radikalisieren, ihre Basis zu erweitern im Zusammenschluß aller kritischen Reflexion — sei sie von Lacan, Foucault, Chomsky oder Althusser —, die im gleichen Zug für das Feld der Phi losophie vereinnahmt wird. Derrida hat außerdem die Herausforderung der neuen Sozialwissen schaften ernst genommen, um mit ihrer Hilfe den Diskurs, die Frageweise der Philosophie anzureichern. Diese Strategie verkündet das Ende der Phi losophie und vereinnahmt gleichzeitig die Errungenschaften der Sozialwis senschaften zum Gewinn der Philosophie, wobei sie sich vereint mit dem, was Derrida schon vor dem Erscheinen von Barthes' Buch eine Lust am Text genannt hat: »Von diesem Moment an erfolgt [...] eine bestimmte Textarbeit, die große Lust bereitet.« ^^ Die verschiedenen binären Paare — Signifikant/Signifikat, Natur/Kultur, Stimme/Schrift, sensibel/intelligibel —, die das Analysewerkzeug des Strukturalismus ausmachten, werden reihum wieder in Frage gestellt, pluralisiert, disseminiert in einem unendli-
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chen Spiel, das den Sinn der Wörter auffaltet, auseinanderbaut, zerlegt und jedes Zauberwort, jede Transzendenz aufs Korn nimmt. Eine ganze Derridianische Sprache entkräftet so die herkömmlichen Gegensätze, indem sie die unentscheidbaren Begriffe spielen läßt — wahre Spiegelfechtereien, die eine neue, karnevaleske Ordnung der Vernunft errichten. Derrida entnimmt diese ambivalenten Begriffe der Tradition und läßt sie wie einen Bumerang auf sie zurückschnellen. Von Piaton übernimmt er den Terminus Pharmakon, das weder das Heilmittel noch das Gift, weder das Gute noch das Böse ist. Von Rousseau übernimmt er das Supplement (Er gänzung, Ersatz und Vervollständigung, Vervollkommnung), das weder ein Mehr noch ein Weniger ist. Von Mallarme bezieht er das Hymen, das weder die Vereinigung noch die Trennung ist. Alle diese Ausdrücke, lauter Dekonstruktionswerkzeuge, haben eines gemeinsam: »Sie alle streichen die Opposition zwischen dem Drinnen und dem Draußen durch.« ^'' Die Schrift setzt also zum Sturm auf den Begriff an, um ihn zu ersetzen durch eine Aussaat, die im Unendlichen aufgeht. Die Dekonstruktion legt sich auf dem philosophischen Feld nicht nur mit der Phänomenologie an, indem sie das Subjekt dezentriert, sondern auch mit der Hegeischen Dialektik, deren Einheits- und Identitätsbegriffe sie auflöst: »Die Negation wird zurück geschraubt auf die zweitrangige Rolle einer Polizei des Wissens [...]. Der Begriff wird zurückgeschraubt auf den Vollzug eines theologischen Gebots.« ^^ Derrida wahrt die Stellung der Philosophie als Königin der Wissenschaften, den Ort, wo die Norm aller Wissensformen sich be stimmt, und legt gleichzeitig eine mögliche Fluchtlinie in die rein literari sche Schöpfungsweise an, die allerdings nicht, wie bei Heidegger, als erlö sendes Ereignis aufgefaßt wird. Seine Abtragungsarbeit radikalisiert die Heideggersche Perspektive, indem sie die Idee eines wiederzufindenden Fundaments entleert und sie ersetzt durch ein schieres Umherirren, das »sich nicht einmal die einkehrende Rast des Seins gönnt« ^^, sondern die Mallarmeschen Randgänge vorzieht. Der Saussuresche Einschnitt hatte be reits den Referenten aus dem Gesichtskreis der Sprache entfernt. Dann ließ Lacan das Signifikat unter den Signifikanten gleiten. Und bei Derrida wird das Signifikat entleert zugunsten einer grenzenlosen Signifikantenkette ohne Abheftungsstelle. So eröffnet er einen spektakulären Umsturz, aus dem heraus er nach einer Körperlichkeit der Schrift sucht.
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Foucault dekonstruieren Wenn Derridas Unternehmen darauf angelegt ist, alles zu dekonstruieren, so beginnt er bei denjenigen, die ihm am nächsten stehen und denen er un terstellt, daß sie wider Willen dem Logozentrismus verhaftet geblieben sind: bei den Strukturalisten. Die erste Zielscheibe von Derridas Attacken ergibt sich aus einem Vatermord, ist doch das Sühneopfer sein früherer Lehrer aus der Rue d'Ulm, Michel Foucault. Mittlerweile Assistent von Jean Wahl an der Sorbonne, wird Derrida mit einem Vortrag am College de Philosophie beauftragt und entscheidet sich für einen Kommentar zu Foucaults Folie et deraison. Der Vortrag findet am 4. März 1963 statt, und Fou cault, der bei der Darbietung seines ehemaligen Schülers anwesend ist, er lebt überrascht einen wahren Fechtgang gegen seine these. Derridas Vortrag wird kurz darauf in der von Jean Wahl herausgegebenen Revue de metaphysique et de morale^° publiziert und später in den 1967 veröffentlichten Sam melband UEcriture et la Difference aufgenommen. Derrida beginnt mit seiner Dekonstruktionsarbeit bei der inneren Ö k o nomie des von ihm studierten Textes. Wie in einem Untersuchungslabor entnimmt er ihm einen winzig kleinen Teil, den er als aussagekräftig für das Gesamte erachtet und an den er sein Skalpell ansetzt. Der ungeheure Arbeitsertrag Foucaults, seine these d'Etat, wird somit nur anhand der Lektüre erfaßt, die uns der Autor zu Descartes' Stellungnahme hinsicht lich des Wahnsinns unterbreitet, das heißt anhand von 3 der 673 Seiten: »[...] ich behaupte, daß die Lektüre Descartes' und des kartesianischen Cogito, die uns hier vorgeschlagen wird, in ihrer Problematik die Totalität dieses Buches von Foucault [...] einschHeßt [...]·«'^^ Daran, daß das Bestrei ten der Gültigkeit der Schlußfolgerungen, die Foucault aus Descartes' erster Meditation zieht, das gesamte Werk betreffen soll, läßt sich die Radikalität einer Kritik ermessen, die doch an ein »in vieler Hinsicht be wundernswertes Buch«^^ adressiert ist. Aber die Stunde der Befreiung ist gekommen und mit ihr die des symbolischen Mordes. Zum ersten kritisiert Derrida als radikaler Strukturalist Foucault dafür, daß er die Subjektidee aufrechterhalten hat. Auch wenn das gewählte Sub jekt die verborgene Seite, die Kehrseite der Geschichte darstelle, begehe Foucault den Fehler, die Idee von einem die Geschichte durchquerenden Subjekt — nämlich des Wahnsinns — zu bewahren, was wiederum »das
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Wahnsinnigste an seinem Vorhaben« ^^ sei. Foucault wird dieser Kritik übrigens Gehör schenken, und sein künftiges archäologisches Projekt wird jeden BHckpunkt tilgen, der von einem irgend gearteten, und sei es einem verdrängten, Subjekt ausgeht. Zum zweiten erklärt Derrida die Idee als Il lusion, sich von einem Anderswo her, das der Wahnsinn wäre, von einem Ort des Exils her außerhalb der Vernunft stellen zu können. »Daß die unüberwindbare, unersetzbare, beherrschende Größe der Ordnung der Ver nunft nicht [...] eine determinierte historische Struktur unter anderen mög lichen Strukturen ist, liegt daran, daß man gegen sie sich nur verwahren kann, indem man sie anruft, daß man gegen sie nur in ihr protestieren kann [...].«^"^ Da, wo Foucault glaubt, eine Revolution vollbracht zu haben, habe er nur ein Kräuseln der Oberfläche erreicht. Foucaults Beweisführung geht von einem anfänglichen »Gewaltstreich« aus, einem Grundentscheid, der als die Bedingung der Geschichte selbst präsentiert wird: dem Entscheid, der dazu geführt hat, den Wahnsinn aus der Welt der Vernunft auszuschlie ßen, bevor man ihn einsperrte. Dieser Gründungsakt des klassischen Zeit alters wird Descartes zugesprochen, der in der ersten Meditation den Trennstrich zwischen zwei einander auf immer fremden Selbstgesprächen gezogen habe. Hierin liegt der große Streitpunkt zwischen Foucault und Derrida, der aus Descartes' Text keinerlei Scherbengericht gegen den Wahnsinn zu ersehen vermag. Ganz im Gegenteil: Für Descartes sei »der Schlafende oder Träumende verrückter [...] als der Irre« ^^. Wenn die Hypo these vom bösen Dämon den totalen Wahnsinn auf den Plan ruft, so ist gleichwohl der Akt des Cogito nicht der Ort der entscheidenden Trennung zwischen Vernunft und Wahnsinn, denn er gilt »sogar, wenn mein Denken durch und durch wahnsinnig ist« ^^. Derrida bestreitet somit die Gültigkeit des binären Paars Vernunft/Wahnsinn (eine Trennung, die es Foucault ge stattet, die verfemte Seite der abendländischen Geschichte bloßzulegen), indem er aufweist, daß die Tatsache der Begründung des Cogito bei Des cartes nicht der Voraussetzung unterworfen ist, den Wahnsinn zu eliminie ren. Derrida ist also der Auffassung, daß Foucault bei seiner Descartes-Lektüre eine erhebliche Sinnwidrigkeit begangen hat, aber seine Kritik zielt in sofern darüber hinaus, als sie die Methode Foucaults in Frage stellt: »Der Strukturalistische Totalitarismus würde hier einen Akt des Einschlusses des Cogito vornehmen, der von gleichem Typ wäre wie der der Gewalttätigkei-
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ten im klassischen Zeitalter.« ^-^ Womit Foucault in die Schranken gewiesen und bezichtigt wird, eine ähnliche Gewalttat begangen zu haben wie die, die er aufzuzeigen vorgibt. Diesen Partherpfeil seines »Schülers« dürfte er verständlicherweise nicht sonderlich geschätzt haben. Trotzdem beantwor tet er die Kampfansage nicht unmittelbar, weder bei dieser Gelegenheit — er bleibt aufmerksam, aber schweigend im Saal — noch 1967, als der Text in UEcriture et la Difference erscheint. Erst 1971 reagiert Foucault in einem Aufsatz, der zunächst in der Zeit schrift Paideia^^ veröffentlicht und anschließend in die 1972 bei Gallimard erschienene Neuausgabe der Histoire de lafolie aufgenommen wird. Auch wenn Foucault Derridas Argumentation als »bemerkenswert« bezeichnet, hält er an seiner Interpretation von Descartes' Text gleichwohl fest. Nach seiner Auffassung gilt Derridas Hypothese nur um den Preis von Auslas sungen, durch die es ihm gelänge, dem Text alle Differenzen zu entziehen, um »den cartesianischen Ausschluß zum Einschluß zu verkehren« ^^. Nun weist Foucault an der Lektüre, die Derrida mit Descartes vornimmt, nicht etwa irgendeine Naivität nach, sondern die Anwendung eines traditionel len Interpretationssystems, dessen Charakteristikum es sei, alles Störende auszuradieren, und dessen letzter Vertreter Derrida sei. Dabei läßt es Fou cault nicht mit einer defensiven Antwort bewenden, sondern beurteilt als Lehrmeister die Arbeit seines Schülers, die er auf eine brillante Stilübung didaktischer Ordnung reduziert: »Ich sage nicht, daß sich in dieser Textualisierung der diskursiven Praktiken eine Metaphysik, die Metaphysik oder ihre Schließung verbirgt. Ich gehe noch sehr viel weiter: Ich sage, daß sie eine kleine Pädagogik ist, eine historisch sehr genau bestimmte Pädagogik, die sich deutlich sichtbar manifestiert. Eine Pädagogik, die dem Schüler beibringt, daß es nichts außerhalb des Textes gibt, sondern daß in ihm, in seinen Absichten, in seinen Leerstellen und seinem Ungesagten die Reserve [Aufschub und Vorrat und Vorbehalt, A.d.Ü.] des Ursprungs herrscht.« ^°
Die Grammatologie 1965 legt Derrida in der Zeitschrift Critique die Grundlagen eines neuen Vorgehens dar, das seinen Teil zum Logie-Effekt der Epoche beisteuert: die Grammatologie. Ein breiteres Publikum erreicht seine These 1967 mit
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der Veröffentlichung von De la grammatologie. Indem er von der Fest stellung ausgeht, daß noch nie das Problem der Sprache so sehr die For schungen auf den verschiedensten Gebieten beherrscht hat, und diese grassierende Inflation zum Anlaß nimmt, als Philosoph zu antworten, unternimmt er einen historischen Aufweis der Verdrängung der Schrift durch die abendländische Zivilisation zugunsten der phone. Die Gramma tologie ist die »Wissenschaft« von der Schrift, die noch an die Metaphysik gefesselt ist und die »dank entschiedener Anstrengungen weltweit die Zei chen zu ihrer Befreiung setzt« "^l Dies verweist also auf einen wissenschaft lichen Anspruch, doch dieser annulliert sich, indem er gestellt wird, da, wenn einmal alle Hindernisse überwunden sein sollten, »eine solche Wis senschaft von der Schrift [...] Gefahr läuft, vielleicht niemals als solche und unter diesem Namen das Tageslicht zu erblicken« ^^. Die Grammatologie definiert sich also nicht als eine Positivität wie andere, neben anderen: »Die Graphematik oder Grammatographie dürften nicht länger als Wissenschaf ten dargestellt werden.« '^^ Derrida schreibt sich bereits in diesen Zwischen raum ein, in dieses innere Spannungsfeld zwischen Schreiben und Wissen schaft, ins Innere dieses Mangelortes, dieser textuellen Leerstelle, in diese unzugängliche zeitliche Verräumlichung, die die Gestalt eines Supplements annimmt, das sich auf immer der Präsenz entzieht: »Die Konstituierung ei ner Wissenschaft oder einer Philosophie der Schrift ist ein notwendiges und schwieriges Unterfangen. Aber ist man einmal bis zu diesen Grenzen vorgestoßen und geht sie unermüdlich immer wieder an, dann muß ein Denken der Spur, der "Differenz [differance] und des Aufschubs einmal auch über den Bereich der episteme hinausreichen.«'^'^ In unaufhörlicher Suche nach dem Eigenen und dem Nahen, nach der Nähe, privilegiert das Abendland seit Piaton die Stimme, die zuungunsten der Schrift als die wahre Essenz, als die Trägerin des Sinns, des Signifikats betrachtet wird. Die ganze Geschichte des Abendlands fädele sich an nichts anderem entlang als der Geschichte dieser Entleerung. Distinktive Einheit, Gegenstand dieser neuen Wissenschaft, die aus dem Phonologismus hinauszugelangen fähig ist, sei das gramma, das Graphem. Derrida greift auf die formalste Linguistik zurück, Hjelmslevs Glossematik: »Für Derrida befreit Hjelmslev den Signifikanten vom Signifikat und ermöglicht eine Schrift, die an die Stelle des lautlichen Signifikanten tritt.« "^^ So kann sich dem phonischen Signifikanten der graphische Signifikant substituieren.
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Angeregt von Hjelmslevs Principes de grammaire generale, koppelt Derrida das phonologistische Prinzip vom Prinzip der Differenz ab und findet in der Glossematik die Grundlagen für eine formelle Wissenschaft von der Sprache (langue). Die Beseitigung des Sinns verdoppelt sich um die Besei tigung des Lauts, und Derrida untermauert seine neue Wissenschaft von der Linguistik her, in einer ausdrücklich Hjelmslevschen Filiation: »Er [Hjelmslev] kritisiert die Idee einer auf natürliche Weise an die lautliche Ausdruckssubstanz gebundenen Sprache.«'^^ Der Bruch, der es erlauben w^ürde, der Schrift den Primat zu gewähren, gehe also auf die Glossematik zurück, die allein die Öffnung zum literarischen Grundelement, dem gramma, ermögliche. Doch Derrida läßt es nicht dabei bewenden, das Erbe des formellsten Zweigs der linguistischen Reflexion anzunehmen, vielmehr zielt er auf ein Jenseits des Strukturalismus und urteilt: »[...] die Glossematik [.,.] muß [...] dennoch mit einem traditionellen Schriftbegriff operieren.«'^'' Er führt die Zeitlichkeit ein, das Seinsverfehlen, die Abwesenheit, aus der heraus die Schrift als Spur, als nicht an die Ursprungsidee gebunden aufgefaßt ist. Die Spur bezieht sich auf das Begreifen der Möglichkeitsbedingungen; sie geht der Existenz der Schrift voraus, sie ist deren Existenzbedingung und ent gleitet jeder Rückführung auf ein Gegenwärtig-Seiendes. Derrida strengt also insofern eine Symbiose zwischen der Glossematik und einem archäo logischen Herangehen an, als sein Horizont nicht in der Wiedergabe des Inhalts der Gedanken liegt, sondern in dem, was sie ermöglicht. Er bezieht als Philosoph Stellung in einer Situation der Äußerlichkeit, der Exzentrierung gegenüber dem abendländischen Denken. Die Grammatologie setzt eine größtmögliche Autonomie der Schrift gegenüber dem Kontext ihrer Genese voraus und nimmt in diesem Sinn vollen Anteil am strukturalistischen Paradigma, das ja auf dem Schnitt mit dem referentiellen Rahmen be ruht. Die Schrift entgeht dem Sprecher wie dem Adressaten und taugt wie jeder wissenschaftliche Gegenstand durch den wiederholbaren, den immer wieder gangbaren Charakter der Lektüre: »Jedes Graphem ist seinem We sen nach testamentarisch.«^^ Derrida befindet, daß der phonologische Strukturalismus seine Grenzen erreicht hat, umgeht indes die generative Grammatik, um an ihrer Stelle eine andere, rein philosophische Überholspur anzulegen: »Derrida [...] will [...] die Grundeinsicht des Strukturalismus noch zuspitzen. [...] Den Struk-
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turalismus im Rücken, kann er den direkten Weg von Husserls früher Be wußtseinsphilosophie zu Heideggers später Sprachphilosophie einschla gen.« "^^ In der Heideggerschen Perspektive verzichtet Derrida auf jede Ontologie. Die Spur, die er ausmacht, verbirgt sich stets sich selbst in einer ständigen Verschleierungsbewegung, die es nicht erlaubt, die Bedeutung (signifiance) festzulegen. Derrida benutzt also die Erträge der Linguistik, um sie auf das Feld der Philosophie zu verlagern, womit er dort einen wis senschaftlichen Ehrgeiz einführt, der einem den Ansprüchen der Wissen schaften stets abholden Heidegger fremd gewesen ist. Im selben Zug aber gibt die Grammatologie sich als mögliche Heideggersche Dekonstruktion der geltenden wissenschaftlichen Normen und als mögliches Hinausgehen über das abgeschlossene Feld der traditionellen Wissenschaftlichkeit zu einer neuen, der logozentristischen und phonologischen Voraussetzungen entledigten wissenschaftlichen Anstrengung. Al lerdings wird die Grammatologie vor allem als Kritik in Kraft treten kön nen, wohingegen sie als Prolegomenon einer neuen Wissenschaft rasch in Vergessenheit gerät. Die Entwicklung der Rationalität soll also nicht über ihre verborgene Seite, den Wahnsinn, ausgehebelt werden, wie Foucault geglaubt hat, sondern von einem Außenpunkt: »Wir möchten jenen Punkt erreichen, der gegenüber der Totalität der logozentrischen Epoche in ge wissem Sinne äußerlich ist.«^°
Das Jenseits des Strukturalismus Diese Konstruktion eines Jenseits des Strukturalismus verläuft über die Kritik ihrer beiden Gründerväter Saussure und Levi-Strauss. Darauf kon zentriert sich Derrida in der Grammatologie, wenn er die phonologischen und logozentrischen Grenzen des frühen Strukturalismus erkundet. Er weist bei Saussure ein Vorgehen nach, das grundlegend im durch sein Spre chen sich selbst gegenwärtigen Subjekt befangen bleibt. Gleichwohl er kennt er in Saussure denjenigen an, dem das Verdienst zukommt, mit der metaphysischen Tradition gebrochen zu haben, indem er den Inhalt des Si gnifikanten und seinen Ausdruck entsubstantialisierte, meint allerdings, daß dieser die Umkehrung nicht zu Ende vollzogen, sondern sie nur ange rissen habe, indem er den Zeichenbegriff als Begründungsbegriff der Lin-
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guistik wiedereinführte, obwohl »die Epoche des Zeichens ihrem Wesen nach theologisch ist« ^^ Die auf das Wort als Sinn- und Lauteinheit zen trierte Saussuresche Reflexion hätte auf eine Analyse der Schrift hinausfüh ren können, doch Saussure habe diese Aussicht versperrt, indem er die Schrift in einer geradezu schädlichen Außenlage angesiedelt habe: »Das Übel der Schrift kommt von außen, hieß es bereits im Phaidros (275 a).« ^^ Piaton hat die Schrift unterdrückt, weil er sie für den Untergang des Ge dächtnisses verantwortlich machte, und Saussure, der im Cours de linguistique generale zeigt, wie wichtig es ist, die der Sprache eigene Funktions weise bewußt zu machen, beginnt mit der Abwertung der Schrift, indem er sie als einfaches Abbild des gesprochenen Wortes vorstellt: »Die Schrift [verschleiert] die Sicht der Sprache; sie ist nicht deren Einkleidung, son dern ihre Verkleidung.«^-^ Es gebe also eine Beziehung der Unterordnung und Abwertung der Schrift im Verhältnis zum Sprechen, die bei Saussure mit der Einbettung seines semiologischen Projekts in eine Psychologie noch verstärkt werde. Nichts rechtfertigt für Derrida Saussures Unterscheidung zwischen sprachlichem Zeichen und graphischem Zeichen. Es bestehe sogar ein inne rer Widerspruch in Saussures Vorhaben, wenn er die These von der Arbitrarität des Zeichens vorbringe und gleichzeitig die Schrift ins Draußen der Sprache, in ihr Vorzimmer oder gar ihr Aussätzigenquartier verbanne. »Die Saussuresche Definition der Schrift als >Abbild< und damit als natürliches Symbol der Sprache muß also gerade im Namen der Arbitrarität des Zei chens abgelehnt werden.« ^"^ Ganz im Gegenteil entgeht die Schrift für Der rida als stets sich selbst verborgene Spur dem Realen; sie ist ihm ebenso fremd wie das Lautbild dem Referenten und dem Subjekt: »Die Dekonstruktion der Präsenz verläuft über die Dekonstruktion des Bewußtseins Für Derrida kommt es demnach darauf an, den in den Mittelpunkt der Strukturalistischen Reflexion gestellten Saussureschen Zeichenbegriff zu dekonstruieren und ihn durch eine Problematisierung der Schrift zu erset zen, wie sie die Grammatologie verficht. Im Kontext fallender Grenzen zwischen allen Disziplinen, die den Menschen zum Gegenstand haben, empfiehlt sich die Grammatologie zur Bündelung der vielfältigen For schungen. Die Grammatologie möchte die für voll genommene und ans Ende ihrer Logik getriebene Verwirklichung eines für die Dekonstruktion
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des Einen und das Verschwinden des Menschen geöffneten strukturalistischen Anspruchs sein: »Sie [die Grammatologie] kann nicht eine der Wis senschaften vom Menschen sein, weil sie von Anfang an die für sie grundle gende Frage nach dem Namen des Menschen stellt.« ^^ Vielmehr nimmt sich diese Wissenschaft also vor, die Humanwissenschaften zu transzendieren, wobei sie keine Begriffe aus deren einzelnen Sektoren mehr einzufüh ren sucht, aber gleichzeitig ihr Programm in Beschlag nimmt. Dieses Vor machtstreben Derridas reproduziert im Grunde die beherrschende Stellung der Philosophie auf dem Feld der Reflexion über den Menschen, und wenn er eher für eine Wissenschaft denn für eine Philosophie eintritt, so soll diese sich nicht zu den anderen schon bestehenden Wissenschaften hinzuzählen, sie beansprucht vielmehr, von jeder Begrenzung oder Abgrenzung befreit zu sein.
Levi-Strauss dekonstruieren Der zweite Großmeister des Strukturalismus, gegen den die Dekonstruktion angeht, ist selbstredend Levi-Strauss, der in Jakobsons phonologischem Modell ein für sämtliche Humanwissenschaften taugliches Wis senschaftsmodell ausgemacht hatte: »Die Phonologie muß für die Sozialwissenschaften die gleiche Rolle des Erneuerers spielen wie zum Beispiel die Kernphysik für die Gesamtheit der exakten Wissenschaften.« ^^ Dementsprechend nimmt Derrida, der den Spuren des Phonologismus nachgeht, naturgemäß Levi-Strauss aufs Korn, und zwar mit der bereits in bezug auf Foucault erprobten Methode: Er entnimmt dem riesigen Werk von Levi-Strauss ein kleines Teilchen — hier die »Schreibstunde« aus den Traurigen Tropen —, um an ihm die Verdrängung der Schrift anzuzeigen. In diesem Text beschreibt Levi-Strauss das Eindringen der Schrift bei den Nambikwara, die das Hereinbrechen von Ausbeutung, Heimtücke und verschiedenen Formen der Knechtung birgt. Diese Betrachtungen von Levi-Strauss liefern Derrida den Beweis, daß der Ethnologe seinen Akt der Dezentrierung des abendländischen Ethnozentrismus nicht besser zu voll ziehen vermocht hat als Saussure. Gewiß, Levi-Strauss gehört jenem arg wöhnischen Zeitalter an, das eine Logik des Spiels unterstellt, um den Be wußtseinsmodellen zu entrinnen, das kein zentrales Signifikat, sondern
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eine Signifikantenkette geltend macht und das aus der traditionellen Di chotomie Natur/Kultur herauszukommen versucht. Deshalb »deckt sich Derridas Projekt offenkundig mit dem Vorhaben von Levi-Strauss, auch wenn es nicht, wie bei diesem, durch eine feierliche Absage an die Aus übung der Philosophie eingeleitet wird« ^^. Beide sieht man auf der gleichen Suche nach den Differenzen zwischen den Mythen, die sich untereinander denken (bei Levi-Strauss), und den Texten, die sich ins intertextuelle Ge webe einschreiben (bei Derrida). In der Nummer 4 der Cahierspour l'analyse^^ merkt Derrida an, daß Levi-Strauss' Sozialanthropologie im Grunde das Denken des 18. Jahrhunderts wiederbelebe, und zwar das von Rous seau, weshalb sie eine ganze Reihe von Kategorien wie die der Genese, der Natur, des Zeichens in sich trüge, die ihren Logozentrismus offenbarten: »Der Strukturalismus bleibt einer Naturphilosophie tributpflichtig.« ^° Dieser Artikel wird in die Grammatologie aufgenommen. Laut Derrida stimmt Levi-Strauss ein okzidentales »mea culpa« an, wenn er der unschul digen Natur voller Güte und Schönheit die abendländische Kultur gegen überstellt, die in eine ideale, durch den ebenso verzerrten Spiegel des abendländischen Gegen-Ethnozentrismus dargestellte Wirklichkeit ein bricht : »Wie immer ist diese Archäologie teleologisch und eschatologisch: Traum nach einer erfüllten und unmittelbaren Präsenz, die die Geschichte abschließt.« ^^ Als Verteidiger des Gebiets der Philosophie, von dem Levi-Strauss sich abgekehrt hat, klagt Derrida den Empirismus der Anthropologie an. LeviStrauss' Kritik an den Bewußtseinsphilosophen setzt er entgegen, daß keiner von ihnen, weder Descartes noch Husserl, die Naivität eines Levi-Strauss besessen hätte, derart voreilig auf die Unschuld und die ur sprüngliche Güte der Nambikwara zu schließen. Für Derrida stellt der Blick, den Levi-Strauss vom Ethnozentrismus befreit glaubt, in Wirklich keit einen umgekehrten Ethnozentrismus dar, getragen von ethisch-politi schen Stellungnahmen, die das Abendland beschuldigen, durch die Schrift Mord am unschuldigen gesprochenen Wort verübt zu haben. So träfe er sich denn mit seinem Lehrmeister Rousseau, der vor der Schrift gewarnt hatte: »Der Mißbrauch der Bücher tötet die Wissenschaft [...]; nicht lesen, sondern sehen muß man [...]; das Lesen ist die wahre Plage der Kindheit.« ^^ Derrida stellt sich also in die Perspektive einer Überwin dung des Levi-Straussschen Strukturalismus: Er übernimmt von ihm für
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die Grammatologie einige weiterhin gültige Orientierungen, vorausge setzt, man entkernt sie vom Rousseauschen Altbestand, an dem LeviStrauss' Wille zum Bruch scheitert und der ihn wieder die alten Begriffs werkzeuge, die alten metaphysischen Dichotomien benutzen läßt, die er hinter sich gelassen zu haben glaubte und die ihn doch einholten. Diese rousseauistischen Voraussetzungen analysiert Derrida, indem er die Stellung, die Spieleinsätze und die Artikulation des Essai sur Ihrigine des langues wiederherstellt/-^ Er erkennt in Rousseaus Text den klassischen Gegensatz zwischen Stimme und Schrift, in dem sich der Gegensatz von Präsenz und Absenz, von Freiheit und Knechtschaft abbildet. Rousseau beschließt seinen Essai mit dem Urteil: »Ich behaupte, daß jede Sprache, mit der man sich dem versammelten Volke nicht verständlich machen kann, eine servile Sprache ist; ein Volk, das eine solche Sprache spricht, kann un möglich frei bleiben.« ^'^ Gegen die sanfte Stimme der Mutter tritt die erbar mungslose Stimme der Schrift. Dieses Umschlagen der Geselligkeit zum Üblen hin rührt aus einem Katastrophenmoment, einer schlichten, kaum wahrnehmbaren Ausgangsverschiebung: »ER, der wollte, daß der Mensch gesellig werde, berührte mit dem Finger die Achse des Erdballs und neigte sie gegen die Achse des Universums. Auf diese leichte Bewegung hin sehe ich das Antlitz der Erde sich wandeln und die Bestimmung des menschli chen Geschlechts sich entscheiden.«^^ Diese leise Bewegung, dieses kleine Zeichen ist nichts anderes als die Hand Gottes, die göttliche Spur. Sie ist es, die das gesellschaftliche Zeitalter und mit ihm das Inzestverbot eröffnet: »Vor dem Fest gab es keinen Inzest, weil es kein Inzestverbot und keine Gesellschaft gab. Nach dem Fest gibt es keinen Inzest mehr, weil er verbo ten ist.«^^ Dieses Verbot ist das Gesetz, das alle Gesetze bestimmt; es ist, wie später bei Levi-Strauss, die Schnittstelle zwischen Natur und Kultur. Nach Derrida beschreibt Rousseau durchaus das Substitut, das die Schrift bezüglich des Ausdrucks, des gesprochenen Wortes, der Präsenz ist. Da er jedoch in der Metaphysik befangen war, konnte Rousseau die Schrift nicht als dem Sprechen endogen und ihm vorausgehend denken: »Der Traum Rousseaus hat darin bestanden, mit Gewalt das Supplement in die Meta physik einzuführen.« ^^ So hat er die Beziehung zwischen dem Leben und dem Tod, zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen dem Signifikan ten und dem Signifikat in einem Äußerlichkeitsverhältnis erhalten, wäh rend Derrida alle diese Grenzlinien zu verschieben beabsichtigt.
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1966 ist Jacques Derrida aus Anlaß eines Kolloquiums an der Johns H o p kins University Baltimore in den Vereinigten Staaten unterwegs, und mit ihm Roland Barthes, Jacques Lacan, Gerard Genette, Jean-Pierre Vernant, Lucien Goldmann, Tzvetan Todorov, Nicolas Ruwet. Das unter dem Ban ner des Strukturalismus angetretene kritische französische Denken steht im Zenit und fasziniert die Amerikaner, die sich fragen, was denn da auf dem alten gallischen Boden vonstatten geht. Jacques Derrida hält einen Vortrag, symptomatisch für seine Doppelposition als Strukturalist, der eine Über windung des Paradigmas in die Wege zu leiten sucht, als Anwalt sowohl des kritischen Denkens wie auch, insofern er dieses für nicht weitgehend genug hält, einer Kritik der Kritik. Mit seiner Mitteilung »La structure, le signe et le jeu dans le discours des sciences humaines« setzt er im Innern der Arbeit von Levi-Strauss an, um deren Dekonstruktion zu vollziehen. Denn er er kennt zwar im Strukturalismus den Auftakt eines maßgeblichen Brucher eignisses an, gedenkt aber, das Spiel der Differenzen zu öffnen, indem er jegliche Bezugnahme auf irgendein Zentrum verneint, das das Spiel der Möglichkeiten abschließen würde. Dabei gilt allerdings: »noch heute stellt eine Struktur, der jegliches Zentrum fehlt, das Undenkbare selbst dar« \ Er wagt sich also an den Kern des strukturalen Denkens heran und wird infol gedessen von den Amerikanern als Poststrukturalist betrachtet. Zunächst sieht Derrida in Levi-Strauss' Mythologica einen durchaus positiven Ver such, sich jeglicher Bezugnahme auf ein Zentrum zu entledigen: »[...] der mytho-logische Diskurs muß selbst mythomorph sein. Er muß die Form dessen haben, worüber er spricht.«^ Betrachtet er demnach Levi-Strauss' Denkweg als eine Öffnung, die sich mit der Arbeit der Dekonstruktion trifft, so wirft er ihm aber seine statische Haltung, die seiner strukturalen Thematik eigene Neutralisierung der Historizität vor.
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Die Strukturen historizisieren: die »differance« Sicherlich hat Levi-Strauss recht gehabt, mit der Geschichte als Kompliz begriff der abendländischen Metaphysik zu brechen; weil er sich aber auf Rousseaus Geschichtsauffassung beruft, läuft er Gefahr, bei einem ganz ebenso klassischen Ahistorizismus anzugelangen. Dies ist ein Hauptaspekt der Kritik Derridas, der damit dem in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre empfundenen Bedürfnis nach Dynamisierung, nach Historizisierung der Strukturen entspricht. Darin liegt der Sinn des Begriffs, den Derrida einführt und über den er am 27. Januar 1968 einen Vortrag in der Societe frangaise de philosophie hält: »La differance«. Die »differance« mit α [im Deutschen teils auch mit »Differänz« wiedergegeben, A. d. Ü.] wird zum wirksamsten Werkzeug der Dekonstruktion durch ihren doppelten Wert des Differierens zum einen im Sinne der Temporisation (»Zeitigung«) — »diese Temporisation [ist] auch Temporalisation und Verräumlichung, Zeit-Werden des Raumes und Raum-Werden der Zeit« ^ — und zum ande ren im zweiten, geläufigeren Sinn von »differieren«, der auf das Nichtiden tische verweist. Derrida verschmilzt diese beiden Definitionen durch das α von differance, um den Begriff der Temporisation einzuführen, der im klas sischen Term der Differenz abwesend ist. Durch seinen doppelten Wert kann die Notion [Derrida unterstreicht ausdrücklich, daß die »differance« weder ein Wort noch ein Begriff sei, sondern eine vorläufige graphische Spur, was mir der Term der Notion mit seinen Konnotationen »Ahnung«, »Kennung« usw. am besten wiederzugeben scheint, A.d.Ü] der »diffe rance« für Derrida auf ideale Weise die Rolle eines unentscheidbaren Terms übernehmen, der jede Illusion des Denkens des Seins systematisch ent schleiern wird, indem er ihm entgegensetzt, was sich in der Gegenwärtigung des Gegenwärtigen nie gegenwärtigt. Diese Notion wird auch in die Wiedereinführung der Bewegung hinüberspielen, die der Struktur fehlte; sie wird sie von innen heraus dynamisieren, indem sie sie in einen unbe grenzten Neueinsatz verkettet. Überdies bietet die »differance« das Bei spiel für eine Notion, deren Neuheit nicht hörbar ist, sondern allein in ihrer graphischen Originalität gegenüber der »difference« mit e liegt, wodurch sie es gestattet, die phonologistischen Ambitionen des Strukturalismus zu schmälern: »[...] entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil [gibt es] keine Lautschrift.« ^
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Dieses Hauptkonzept der Dekonstruktion erlaubt es, Rechenschaft zu geben von den MögHchkeitsbedingungen dessen, was man das Reale nennt, und eben nicht vom Realen selbst; es kann also aus keiner Essenz oder Exi stenz rühren und eröffnet dem dekonstruktorischen Spiel des logos das weiteste Möglichkeitsfeld. Darüber hinaus bringt der Term »differance« Derridas zwiespältige Position zum Strukturalismus bestens zum Aus druck : Für ihn ist es durchaus ein Denken der Differenz, das Levi-Strauss in den primitiven Gesellschaften gefunden hat, doch gleichzeitig will er mit dem α von »differance« dieses Denken radikalisieren, es nicht auf die Klip pen einer empirischen Realität auflaufen lassen. Er hofft, so die ganze abendländische Metaphysik aufzubrechen. Das Konzept der »differance« oder der Spur — als Simulacrum — der Präsenz setzt auch ein literarisches Schreiben um, insbesondere das von Maurice Blanchot, das die Figur des Oxymorons bevorzugt, in der jede Identität in derselben Bewegung ihre ei gene Auswischung birgt. So wie das Sein, das sich bei Heidegger stets dem Seienden entzieht, ist die »differance« die Existenzbedingung der Positivitäten, ohne jemals in ihnen faßbar zu sein. Wiewohl Derrida versichert, daß »das Motiv der dif ferance [...] mit dem statischen, synchronischen, taxonomischen, ahistori schen usw. Begriff der Struktur unvereinbar« ^ sei, siedelt er es doch in Kon tinuität zur Strukturalistischen Ausrichtung an: »Der Begriff der differance entwickelt sogar die im höchsten Maße legitimen grundlegenden Anforde rungen des >Strukturalismus<.« ^ Er geht von der Reflexion über das Zei chen, von der Unterscheidung Signifikant/Signifikat aus, um den Vorgang des Signifizierens aufzuwerten, der bis ins Signifikat hinein in Kraft ist. Er strengt also das Umklappen des Signifikats in die Sphäre des Signifikanten an und macht damit jede Kodifizierung der Sprache unmöglich, um sie im Gegenteil weit für die Sphäre der literarischen Schöpfung zu öffnen: »Sich selbst riskieren beim Nichts-sagen-Wollen, das heißt in das Spiel einsteigen und zuallererst in das Spiel der differance [..,].«^ Zu sagen, daß es nichts mehr zu sagen gibt, das ist der Horizont dieses Suspendierens/Suspenses des Sinns im Dekonstruktivismus. Wenn demnach Derrida eine mögliche Wiedereinführung der Histori zität, der Bewegung anbietet, hängt er gleichwohl keinem traditionellen Geschichtsbegriff an. In diesem Punkt stützt er sich auf Althussers An prangerung des Historizismus, seine Kritik des Hegelianismus. Auch die
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Geschichte ist also zu dekonstruieren, und wenn die totale Geschichte dem illusorischen Charakter eines Mythos, eines Trugs verfällt, so ist sie erfaß bar als plurale, partielle Geschichten: »[Es gibt] nicht eine einzige, eine all gemeine Geschichte, sondern [...] statt dessen Geschichten, die nach ihrem Typ, ihrem Rhythmus und der Art und Weise, wie sie eingeschrieben wer den, verschieden sind, verschobene, differenzierte Geschichten usw.« ^ In ihrer Mehrdimensionalität erlaubt es diese Geschichte, ein Denken der Schrift zu transkribieren, die Struktur für die Bewegung zu öffnen. Doch die Falten der Zeit, die dieses Wissen entrollen, führen in Wirklichkeit in sein Verschwinden, in seine fortschreitende Auswischung. Es ist eine de konstruierte Geschichte, die auf ein ausgeschlossenes Werden hinausgeht; sie ist nur die Entrollung des Simulacrums einer zugleich ungreifbaren und stillstehenden Gegenwart. In diesem Karneval der Zeit gibt es keine Halte stelle und erst recht keinen Übergang von einem Punkt zum anderen. Mit dieser Neigung, nie haltmachende Bewegungen, unendliche Mobilitäten aufzuweisen, führt Derrida in den epochengängigen Morphologismus wie der ein gewisses Maß von Vitalismus ein und relativiert die Tragweite aller philosophischen Begriffe. Dieser absolute Dekonstruktionismus macht insofern jede hermeneutische Lektüre hinfällig, als diese nur möglich ist, wenn man der Interpreta tion Grenzen setzt: »Eine verallgemeinerte Interpretationshaltung ist nicht möglich, es sei denn, man begreift sie in nietzscheanischer Perspektive.«^ Von dem Augenblick an, wo Derrida den Konflikt der Interpretationen für unbeendbar ansieht, stellt er die autonome ontologische Existenz des Tex tes selbst in Frage. In der Art Nietzsches verschiebt er den Originaltext und seinen Inhalt, die das Feld der Erfahrung bilden, auf das Feld der Einbil dungskraft. Dieses Vorgehen setzt die anfängliche Durchstreichung des Textes voraus, der, kaum erstellt, sofort aufgelöst wird: »Die verallgemei nerte Intertextualität, die Kritik der Geschlossenheit des Textes wieder holen nur das Nietzschesche Paradox. Es handelt sich um einen Hyperkritizismus.« ^° Der unbegrenzte Fluß der Ordnung der Dinge läßt jeden Erfassungsversuch ungreifbar und vergeblich werden und spricht damit die originäre Ohnmacht an. Derridas sämtliche, mündliche wie schriftliche Liminarerklärungen »sprechen von der Angst des Achilles, der die Schild kröte nicht einholen kann. Weil man nicht das Wasser anhalten kann, um den Fluß zu fassen zu bekommen, bricht eben die Realität zusammen.« " In
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der Auseinandersetzung der sechziger Jahre zwischen Hermeneutik und Strukturalismus schlägt sich Derrida in diesem Sinn auf die Seite des Struk turalismus, dessen Positionen er hinsichtlich der Entleerung vom Subjekt und vom Referenten erhärtet, denen er gleichzeitig die Mobilität, die Labi lität gibt, die ihnen fehlte.
Freud dekonstruieren Derridas Termini weisen eine große Nähe zum Werk Freuds und zur analy tischen Praxis auf, ohne indes auf die psychoanalytische Theorie zurück zugehen. So läßt das Konzept der Spur an die unwillentlichen Manife stationen des Unbewußten denken, wenngleich es keineswegs auf eine — auch nicht verdrängte — Identität verweist. Gleichwohl gibt es einen Über trag von Kernvorstellungen der Psychoanalyse auf die Graphematik. Zwi schen der gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Analytikers und der Polysemie der Derridaschen Unentscheidbarkeiten liegt ein Terrain des Einvernehmens, der Zusammenarbeit und der möglichen Anknüpfung der Dekonstruktion an die anerkannte Wissenschaftlichkeit des psychoanalyti schen Diskurses: »Was Freud mit der Verdrängung erklärt, wird von Der rida in die allgemeine Ökonomie des Textes wiedereingeschrieben.« ^^ Die Notion der »differance« ist in diesem Zusammenhang als Mittel gedacht, die von Freud ins Auge gefaßten Bahnungskräfte und ihre Einschreibungs modalitäten in stets verschobene, nachträgliche Momente zu berücksichti gen. Abstützen, wenn nicht seinen Weg bahnen muß der Dekonstruktionismus sich also entlang Freud, den Derrida anläßlich eines Vortrags seiner de konstruierenden Lektüre unterzieht, der im Institut de Psychanalyse im Se minar von Andre Green gehalten und 1966 in der Zeitschrift Tel Quel veröffentlicht wird. ^^ Derrida stützt sich auf den Freudschen Bruch, inso weit er die traditionellen Spaltungen zwischen Normalem und Pathologi schem in Frage stellt, und denunziert die Täuschungen des Bewußtseins. Bei Freud findet er eine neue Konzeption der Zeitlichkeit, die es ermög licht, sein Konzept der »differance« in Anschlag zu bringen, und zwar ins besondere durch den Begriff der Nachträglichkeit, der den Ursprung zu rückverweist auf die Supplementarität, auf das, was hernach kommt. Das
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Freudsche Unbewußte entzieht sich der Präsenz des Präsenten, der Derrida nachsetzt; es ist immer schon verschoben, aufgeschoben, aus Differen zen gewoben und steht auf immer in Andersheit zum Bewußtsein. Derrida erweist Freud demnach nachdrückHch seine Reverenz: »Dieses Denken ist gewiß das Einzige, das sich nicht in der Metaphysik oder in der Wissenschaft erschöpft.« ^"^ Insbesondere schreibt er ihm zu, daß er der ein zige sei, der die Schrift nicht verdränge, sondern vielmehr den Schauplatz ihres unendlichen Sichentrollens problematisiere, das sich vollziehe mittels des durch die Bahnbrechung eröffneten Weges, durch die ihr entgegentre tenden Widerstände hindurch. Nichtsdestoweniger zielt Derrida auf ein Jenseits von Freud, da dieser bei seiner Fraktur nicht entschlossen genug zu Werke gegangen sei. Die Freudschen Begriffe seien also durch die Dekonstruktion neu zu besehen, denn »sie gehören alle ohne Ausnahme der Geschichte der Metaphysik an, das heißt dem System logozentrischer Unterdrückung, das organisiert wurde, um den Körper der geschriebenen Spur auszuschließen oder zu er niedrigen« ^^. Derrida bleibt daher nicht beim psychoanalytischen Begriff der Verschiebung stehen, sondern ersetzt ihn durch eine totalere Wieder einfügung des ganzen Außertextlichen (hors-texte): das hors d'ceuvre, den Rand im Innern der textuellen Fädelung, ohne diese auf eine Interpretation einzugrenzen, die einige Elemente der Spur durch Verschiebung zum Nachteil anderer aufwerten und damit ein neues hierarchisches Erklärungs system herstellen würde. Demnach darf die Psychoanalyse sich nicht zur umfassenden Wissenschaft erheben und keinerlei Deutungsprivileg bean spruchen. Da aber ihr hauptsächlicher Analysegegenstand der Traum ist, dessen singulärer Raum keine faßbaren Grenzen zum nichtphonetischen Raum der Schrift aufweist, ist sie unumgänglich dank der Aufmerksamkeit und der Stellung, die sie der Schrift gewährt: »Freud [nimmt] ständig die Schrift, die räumliche Synopsis des Piktogramms, den Rebus, die Hierogly phe und die nicht-phonetische Schrift ganz allgemein zu Hilfe [...].«^^ Mit seinem Interesse an Freud berücksichtigt Derrida die Faszination einer ganzen Generation für die Psychoanalyse und kann gleichzeitig die Philo sophie vor einer Vielzahl potentieller Abwanderungen auf dieses ertragrei che Feld bewahren. Derridas impliziter Freudianismus mußte sein Interesse für Lacan wekken und sollte zu einer überaus heftigen Auseinandersetzung führen, ob-
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wohl ihre theoretische Nähe eigentlich gute Beziehungen hätte erwarten lassen. Wahrscheinlich hat jedoch gerade der allzu geringe Abstand ihr mörderisches Gefecht veranlaßt: »Ich weiß, daß Lacan zeitweilig ein gewis ses väterliches Verhältnis zu Derrida hatte. Er sagte einmal: >Ich habe ihn im Auge.< Er interessierte sich also für seine Arbeit, aber innerhalb einer paternalistischen Beziehung.« ^^ Auch wenn anscheinend ein rein anekdoti scher persönlicher Zwischenfall zum Ausbruch des Streits beigetragen hat, ist die Ursache doch vor allem in der Konfrontation zweier Vormachtbe strebungen zu sehen. Beide verfolgen implizit eine disziplinare Logik, die auf Anfechtung der bestehenden Macht zielt, Derrida auf dem Feld der Philosophie und Lacan auf dem der Psychoanalyse, des weiteren aber auf die Eroberung einer Königsposition für das eigene, erneuerte Fach. Lacan, der den psychoanalytischen Diskurs für den Meisterdiskurs der vier mögli chen Diskurse ausgibt, hält mit seinem imperialistischen und annexionisti schen Gebaren Derrida unter Aufsicht, während der Philosoph umgekehrt keineswegs beabsichtigt, Lacan zu huldigen. Die Konfrontation konnte also nur drastisch ausfallen. Derrida, für den das Dekonstruktionswerk nicht an den Toren des Unbewußten haltmacht, sieht in Freud wie in Marx nur einen, wenngleich privilegierten Moment der abendländischen Metaphysik. »Es war offensichtlich, daß diese beiden furchtbaren Willen nicht miteinander vereinbar waren. Dem einen wie dem anderen eignete ein erschreckendes Machtstreben.« ^^ Ans Tageslicht kommen die zunächst verhaltenen Feindseligkeiten 1971, anläßlich eines Gesprächs, das Derrida Houdebine und Scarpetta für die Zeitschrift Promesse^'^ gewährt. In einer langen Anmerkung erklärt Derrida, weshalb Bezugnahmen auf Lacan in seinen bisherigen Arbeiten ausgeblieben sind, und beklagt die vielfachen Aggressionen und Entwendungen, die ihm von Seiten des Psychoanalytikers zugefügt worden seien. Dabei übt er Kritik an den Lacanschen Positionen, deren Grenzen ihm bereits 1965, bei der Ab fassung der Grammatologie, bewußt geworden seien: »Ich war von der Wichtigkeit der Problematik auf dem Gebiet der Psychoanalyse überzeugt, entdeckte in ihr jedoch auch bestimmte vorrangige Motive, die sie diesseits der kritischen Fragen hielt, die ich im Begriff war aufzunehmen [...].«^° Er stuft nicht nur Lacans Beitrag auf einen einfachen regionalen Kontinent des Wissens zurück, sondern kritisiert ihn radikal, um die Lacansche Fortschrei bung als falschen Schein zu entlarven, den es zu dekonstruieren gelte.
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Derrida bündelt seine Vorwürfe um vier Fragen: Erstens sei Lacan ei nem mit der Wahrheit identifizierten telos des vollen Sprechens verhaftet geblieben; zweitens habe er ohne theoretische Erklärung Begrifflichkeiten von Hegel und Heidegger eingeführt; drittens habe er sich leichthin auf die Saussuresche Linguistik verlassen und dabei, ohne es zu merken, ihren Phonologismus mit übernommen; und wenn viertens Lacans Rückkehr zu Freud positiv zu werten sei, so habe jener doch die von Freud gestellte Frage nach der Schrift nicht vernommen. Darüber hinaus sei der bei Lacan dem Signifikanten eingeräumte Vorrang das Zeichen einer neuen Metaphy sik, die sich nicht zu bekennen wage. Und schließHch sei der Lacansche Stil als »eine Kunst des Ausweichens« ^^ ein gedungener Stil. Dabei läßt es Derrida jedoch nicht bewenden. Ein halbes Jahr später wiederholt er seine Vorbehalte bei einem Vortrag an der Johns Hopkins University, in dem er sich aus Lacans Werk das »Seminaire sur la lettre volee« herausgreift und der 1975 in der Zeitschrift Poetique^^ erscheint. Der rida nimmt bei dieser Gelegenheit die Lektüre wieder auf, die Lacan zu Ed gar Allan Poes Novelle vorschlägt, und erkennt in dem »Seminaire« eine wichtige Fortentwicklung der Kritik, die Lacan gegen den Semantismus führt. Der Brief hat keinerlei Sinn an sich, sein Autor steht abseits (horsjeu), und es zählt nur sein Weg: »Lacan ist also aufmerksam für die Letter, nämlich für die Materialität des Signifikanten.« ^^ Wenn Lacan uns über den Referenten und das Subjekt hinausführt, so führt er die begonnene Bewe gung nicht zu Ende, denn er bringt uns zurück »zu einer Wahrheit, die, sie, sich nicht verliert. Er trägt den Brief zu, zeigt, daß der Brief sich zuträgt hin zu seiner eigenen Statt durch eine eigene Wegstrecke.« ^^ Somit gäbe es eine zugrundeliegende Bestimmung, die den Brief an seinen Platz führen würde. Lacan würde also, wie immer er dazu stehe, eine Hermeneutik ver teidigen, in der die Orte der Weiblichkeit und der Wahrheit das oberste Si gnifikat wären. Was aber in dieser Geschichte vom entwendeten Brief anvi siert sei, die verschleierte Wahrheit dieser Zirkulation der Letter, die an ihrem Bestimmungsort ankommen muß, sei nichts anderes als Marie Bona parte — die Sachwalterin des Werks von Freud, die den Buchstaben seiner Lehre verraten habe: »Die Fiktion manifestiert die Wahrheit: die Manife station, die sich veranschaulicht, indem sie sich entzieht.« ^^ Die Entschleierung der Wahrheit bleibt an die Macht des gesprochenen Wortes gebunden, so daß Lacan für Derrida dem angeprangerten Phonolo-
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gismus verhaftet bleibt. Es überdauere bei ihm »die strukturelle Kompli zenschaft zwischen dem Motiv des Schleiers und dem der Stimme, zwi schen der Wahrheit und dem Phonozentrismus, dem Phallozentrismus und dem Logozentrismus« ^^. Hinter diesen theoretischen Anschuldigungen zielt Derrida freilich auf Lacans Prätention, einen Diskurs zu vertreten, der der Philosophie ein Ende setzt. Kein Erneuerungsversuch wird demnach der Dekonstruktion entgangen sein, und die beiden ertragreichsten vom linguistischen Modell untermauerten Disziplinen, Ethnologie und Psycho analyse, fallen beide der dekonstruktionistischen Kritik zu, die somit Mei sterin des Glasperlenspiels bleibt.
Die Auflösung des Subjekts Gehört Derridas Schreiben keinem kontextuellen Rahmen an, so entzieht es sich auch der Subjektivität. Die Spuren, die es hinterläßt, sind völlig an onym, und keine pragmatische Analyse kann ihnen Rechnung tragen. Wie Foucault und Lacan modifiziert auch Derrida seinen ersten Vornamen: Unter Auswischung von Anklängen seines Herkunftsmilieus, der jüdi schen Gemeinschaft Algeriens, wird »Jackie« umgewandelt in »Jacques«. Doch für Derrida hat das (je), das Bewußtseinsmodell, keine Signifikanz, und diese Dezentrierung radikalisiert die entsprechenden Positionen des Strukturalismus — ein Standpunkt, der Derrida in eine polemische Ausein andersetzung mit der angelsächsischen analytischen Philosophie treten
läßt. Im August 1971 hält Derrida in Montreal auf dem Congres international des societes de philosophie de langue fran5aise, der dem Thema der Kom munikation gewidmet ist, den Vortrag »Signature evenement contexte« — später SEC genannt —, den er ein Jahr darauf in Marges^^ publiziert. Am Ende dieses Textes setzt sich Derrida mit Austins Positionen zu den Performativa auseinander (performatives: eine Aussage ist dann performativ, wenn sie eine Handlung des Sprechers beschreibt und wenn ihre Äußerung im Vollzug dieser Handlung besteht). Derrida insistiert auf den Grenzen ei ner Theorie sprachlichen Handelns, die nicht imstande ist, die Fehlleistun gen, die NichtVerständnisse und ungesagten Bestandteile der Kommunika tion wiederzugeben. Er macht die Abwesenheit des anderen im Vorgang
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des Schreibens geltend: »Ein schriftliches Zeichen tritt hervor in Abwesen heit des Empfängers.« ^^ Die Bedingung von Lesbarkeit ist weder die An wesenheit des anderen noch irgendeine spezifische Mitteilung, sondern die Iterierbarkeit des Geschriebenen. [Derrida bestimmt Iterierbarkeit etymo logisch als die mit der Andersheit übereingehende Wiederholung, A. d. Ü.] Die Schrift, keineswegs Ausdruck eines Kontexts, wird vielmehr als Akt des Bruches bestimmt: »Diese Kraft des Bruches hat ihren Grund in der Verräumlichung, die das schriftliche Zeichen konstituiert: in der Verräumlichung, die es von den anderen Elementen der internen kontextuellen Kette trennt.« ^^ Derrida interessiert sich für den Einspruch der analyti schen Philosophie und für den Fall der performativen Aussage, die laut Austin im Unterschied zur konstativen Aussage nicht von ihrem Referen ten getrennt werden kann. Dem hält Derrida entgegen, daß die Aussage nur intelligibel sein kann, wenn sie einem Code entspricht, wenn sie iterierbar ist, und postuliert deshalb ihre Autonomie gegenüber dem präzisen refe rentiellen Rahmen der gewöhnlichen Rede. [Zum Verständnis — Austin sagt: »Unsere performativen Äußerungen sollen, ob geglückt oder nicht, aufgefaßt werden, als würden sie unter gewöhnlichen Umständen hervor gebracht«, d.h. nicht auf einer Bühne, nicht zitathaft, nicht parasitär (Vgl. J. Derrida, »Signature evenement contexte«, a. a. O., S. 308). Derrida zeigt da gegen, daß Performativa gerade auf eine Art »Zitat« angewiesen sind, wenn sie überhaupt gelingen sollen, und deshalb »rein« nur sind, wenn sie »un rein« sind (vgl. ebenda, S. 308 ff.), A.d.Ü.] Die Transparenz des Sinns ist also nach Derrida im Fall der performativen Aussage ebensosehr ein Trugschluß wie in dem der konstativen. Da alle Iterierbarkeit das Charakteristikum hat, zu differieren und zu differenzieren, folgt daraus das, was Derrida eine »nicht-anwesende Übriggebliebenheit« ^° (restance) nennt. Denn nichts beweise, daß die Bedeutung eines Sprechakts in einem zweiten Gebrauch dieselbe sei, und zwar ebenso wenig für den Leser wie für den Sich-Äußernden, dessen Intention der Äu ßerung nie völlig adäquat sei. Für den Amerikaner John R. Searle hingegen rührt die Flexibilität der Begriffe aus ihren intrinsischen Eigenschaften und erlaubt es, ihre Mobilität in den besonderen Situationen der Alltagssprache zu erfassen. John R. Searle nimmt Derridas Text erst 1977 zur Kenntnis, als dieser auf englisch in der Zeitschrift Glyph erscheint. Daraufhin setzt er zu einer Verteidigung der Prinzipien der Theorie Austins sowie seiner eigenen
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lUokutionstheorie an: Er will »insbesondere die Pertinenz und das Inter esse der fundamentalen Unterscheidung zwischen >seriösen< und >fiktiven< Sprachgebräuchen verteidigen, aber auch den genauen Sinn und die Trag weite solcher Begriffe wie Intentionalität, Wiederholbarkeit, Sinn, Erfolg und Mißerfolg eines illokutorischen Aktes usw. bestimmen« ^^ In seiner Antwort an Derrida bestreitet der Autor der Speech Acts^^ nicht, daß die Iterierbarkeit eine Bedingung der Kommunikation sei, doch gerate sie des halb gar nicht in Konflikt zur Intentionalität, sondern sei vielmehr deren Voraussetzung. In der Debatte kommt es aus Derridas Sicht darauf an, nie mals das Spiel des Signifizierens an einer Subjektivität oder Intentionalität anzuhalten, sondern die grenzenlose Kette der Wiederholungen sich ent rollen zu lassen: »Das Individuum tritt zurück, um der Allgemeinheit des Systems Raum zu geben.« ^^ Die Iterierbarkeit, so wie Derrida sie versteht, wirkt also nicht auf einer beobachtbaren Ebene, nicht auf der des gewöhn lichen Redens, sondern entzieht sich der Empirie und bewegt sich auf einer Metaebene, die erst die Bedingung der Möglichkeit des Redens bildet. Derrida, der unablässig die Unhaltbarkeit der Darlegungen von Saus sure, Foucault, Levi-Strauss, Lacan usw. zu zeigen versucht, schätzt es ge treu seinem scharfrichterlichen Habitus wenig, wenn man seinen Thesen zu widersprechen wagt. So beantwortet er 1977 Searles reply mit einer äußerst schneidenden Polemik über die Sprechakte, in der er seinen Widersacher Searle als SARL (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) bezeichnet: »Der arme Searle hat sich davon nicht mehr erholt. Die Titulierung als SARL hat ihn tief gedemütigt. Dazu muß man sagen, daß Derridas Ironie in den Ver einigten Staaten bei Ideendebatten nicht üblich ist.«-''^ Dieser scheinbar anekdotische Aspekt ist in Wirklichkeit symptomatisch für Derridas Iden tifizierung mit der Königsdisziplin, die er vertritt und von der aus er sämtli che Schläge, einschließlich solcher unter die Gürtellinie, austeilen zu kön nen glaubt, ohne die rote Karte zu riskieren. Dabei hat Searle in seiner Gegenkritik mehrere durchaus diskussionswürdige Einwände und Argu mente aufgeboten: den Gedanken, daß die Iterierbarkeit kein Privileg der Schriftlichkeit sei, daß der scheinbar der Schrift eignende Schnitt zwischen Äußerung und Empfänger nicht mit der Zitathaftigkeit zusammenhänge und schHeßlich daß die Möglichkeit eines von seinem Autor abgeschnitte nen Geschriebenen in keiner Weise den Gedanken der Intentionalität aus schließe. Nach Joelle Prousts Einsicht konnte diese Debatte insofern kei-
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nen Konsens erreichen, als Searles Voraussetzungen auf eine Konfrontation angelegt waren, während die von Derrida sie systematisch zu umgehen ver suchten: »Der zweite, für den >dekonstruktionistischen< Ansatz charakte ristische Verfahrenstyp geht eine Infragestellung der Natur des in dem Aus tausch ins Auge Gefaßten an. Wenn man die Unabhängigkeit der Logik nicht einhält, gibt man dann nicht überhaupt das Terrain eines möglichen Konsenses auf?«^^ Doch über die Form hinaus gründet diese Polemik auch auf historischen Fundamenten. Der Perspektivenunterschied zwischen der analytischen und der kontinentalen Tradition geht auf deren divergierende Quellen Frege und Saussure zurück. Die analytische Philosophie ist österreichisch deutschen Ursprungs und wird im allgemeinen von Frege hergeleitet. Wo Saussure die Ebene der Referenz fallenließ, um die Wissenschaftlichkeit der Linguistik zu begründen, machte Frege die Unterscheidung zwischen Sinn und Referenz bekannt, zwischen der Bedeutung eines Ausdrucks, der eine bestimmte Art und Weise ist, der Referenz Rechnung zu tragen, und dem Objekt, auf den der fragliche Ausdruck verweist. Die Sorge der analyti schen Philosophie war es in dieser Fregeschen Perspektive immer, diese beiden Ebenen auseinanderzuhalten und die Problematik der Referenz bzw. des Referenten nicht aus dem Blick zu verlieren. Hingegen hat sich der Strukturalismus, indem er auf die Positionen Saussures baute und seine Standorte über die Linguistik hinausverlegte, auf der Entleerung dieser Problematik begründet, da er bestritt, daß die Sprache sich auf etwas ande res beziehen könne als auf sich selbst. Die Fregesche Sprachanalyse siedelt sich auf der Ebene eines Denkens der Sprache, der sprachlichen Propositio nen an. Sie postuliert, daß man nur aufgrund einer konkreten Proposition einen Zug im Spiel der Sprache machen kann. In diesem Sinn »ist Derridas Sicht der Lage durch Saussure hindurch vorfregesch. Bei ihm ist stets nur von Wörtern, von ihren Bedeutungen die Rede. Er hat keinerlei wirkliche Theorie der Proposition.« ^^ Der Saussurismus Derridas steht somit in einer Nachfolge, die er zu dekonstruieren beabsichtigte: in der des Strukturalis mus, auch wenn er, insbesondere durch die Einführung der Zeitlichkeit in die Strukturen, dessen Perspektiven verändert hat.
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Daß das strukturalistische Paradigma nach dem Höhepunkt im Jahre 1966 allmählich in eine Krise geraten ist, hängt zusammen mit der Ablösung durch den Generativismus, mit dem Erfolg der dekonstruktionistischen Thesen Derridas, aber auch mit den Fortschritten einer Linguistik der Äu ßerung (des Aussagevorgangs), die bis dahin zurückgedrängt worden war. Auf diesem Gebiet hat fimile Benveniste bis 1968 eine ebenso maßgebliche wie verborgene Rolle gespielt. Er war ein Wegbereiter innerhalb des strukturalistischen Feldes, predigte aber trotz seines allseits anerkannten Rufs zunächst in der Wüste, denn zu diesem Zeitpunkt dachte man die Sprache unter Absehung vom Subjekt. Der in Aleppo geborene sephardische Jude fimile Benveniste war von seinem Vater in die Rabbinerschule von Mar seille gegeben worden und strebte eine theologische Laufbahn an, als Sylvain Levi, der bekannte Indologe des College de France, seine außerge wöhnliche Begabung bemerkt und ihn dem Saussure-Schüler Antoine Meillet vorstellt. Benveniste durchläuft also eine sprachwissenschaftliche Ausbildung in der komparatistischen und zugleich saussurianischen Aus richtung von Antoine Meillet. Nach einem bewegten Werdegang am Rande der offiziellen Institutionen tritt er 1937 ins College de France ein. Mit ihm dringt die strukturale Linguistik zum Gipfel der wissenschaftlichen Legiti mation vor, und als Levi-Strauss den linguistischen Strukturalismus zur Hilfe nimmt, um sein anthropologisches Projekt zu befestigen, beruft er ihn 1960 zum Kodirektor der Zeitschrift L'Homme. Indes ist Benveniste in seiner Position als Professor am College de France keine größere Verbreitung seiner Thesen vergönnt. Die Randlage des College auf dem Feld der Elitenreproduktion sowie der technische Charakter des linguistischen Wissens verurteilen ihn zu einer splendid Iso lation: »In seinen Lehrveranstaltungen saßen nur sehr wenige, vielleicht ein Dutzend Hörer. Erst nach der Veröffentlichung der Problemes de linguistique generale 1966 brachte er es auf etwas mehr, so um die fünfundzwanzig.
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Benveniste war stark kurzsichtig und sah niemanden, wenn er den Saal betrat. Er begab sich geradewegs zu seinem Stuhl und improvisierte mit großem ästhetischem Talent anhand von Notizen« \ berichtet Tzvetan Todorov, der das Vertrauen des Meisters genoß und sich nach dessen Hemiplegie-Anfall um ihn kümmerte. Trotz dieser Isolierung genießt Benveniste so viel Ansehen, daß er die besten Sprachwissenschaftler in seine Veranstaltungen lockt: Oswald Ducrot, Claude Hagege, Jean-Claude Coquet, Marina Yaguello und andere folgen seinem Unterricht. Dennoch bleibt er temperamentbedingt in seinen sozialen Beziehungen sehr verschlossen: »Benveniste war ein Stubenhokker, es fiel ihm sehr schwer, sich mitzuteilen. Ich habe drei Jahre lang seinen Kurs am College de France besucht. Er war überaus schüchtern und distan ziert.« ^ Andre Martinet, der ihm in New York begegnet war, bevor er ihn Frankreich wiedersah, bestätigt diesen Eindruck: »Er kam zu mir nach New York, und wir wurden Kameraden. Ich war der einzige französische Linguist, mit dem Benveniste Kameradschaft schloß, so weit er eben konnte, denn er war hartleibig.« ^
Anerkennung außerhalb des linguistischen Feldes Außer aus seinen Fähigkeiten als Fachmann des Indoeuropäischen und Komparatist vieler alter und neuer Sprachen rührt Benvenistes Bedeutung vor allem daher, daß er mit seinem äußerungsbezogenen Ansatz wieder in den Brennpunkt der Beschäftigung der Sprachwissenschaft rückte, was diese verdrängt hatte: das Subjekt. Dabei schlug er einen anderen Weg ein als die angelsächsische Linguistik, mit der er sich jedoch auseinandersetzte: »Für mich persönlich ist er sicherlich der Sprachwissenschaftler, dem ich am meisten verdanke. Ausschlaggebend war er für mich, als er zeigte, daß das sprachliche System, wenngleich es ein System blieb, die Phänomene der Äußerung in Betracht ziehen mußte.« '^ Eine besonders frühe Ausarbeitung datiert unmittelbar nach dem Krieg: 1946 legt Benveniste etwas dar, was er, im Unterschied etwa zu Ramstedts Forschungsergebnissen über das Ko reanische, für universell hält, nämlich die Untrennbarkeit von Person und Verb, gleich in welcher Sprache: »Insgesamt hat es den Anschein, daß man keine mit einem Verb versehene Sprache kennt, in der die Personenunter-
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schiede sich nicht auf die eine oder andere Weise in den Verbformen be merkbar machen.« ^ Sind die Gebiete der Aussagenlogik und der analytischen Philosophie durch den Strukturalismus überschattet worden, hat Benveniste hingegen einen wiederum sehr frühzeitigen Dialog mit dieser Strömung angebahnt. So verbindet er zehn Jahre nach dem Aufsatz über das Verb seine Untersu chungen mit Charles Morris' Entwurf einer Pragmatik: »Die Aussage, die ich enthält, gehört zu jenem Sprachniveau oder -typus, den Charles Morris pragmatisch nennt, der zusammen mit den Zeichen diejenigen, die sie ge brauchen, einschließt.« ^ Charles Morris wiederum hat mit Carnap zusam mengearbeitet und beabsichtigt, mit der Pragmatik das fehlende Glied in der allgemeinen Wissenschaft von den Zeichen auszufüllen, die bereits eine Syntax in der Logik und in der Semantik besaß, der aber die Beziehung zwischen Zeichen und Interpreten fehlte: »Das Problem, das Morris un mittelbar nach dem Krieg aufgeworfen hat, ist ganz klar: Es geht um die Manipulation der Massen durch die Zeichen und deshalb darum, eine phi losophische Theorie des Handelns aufzustellen.«^ Wegen seines Interesses an der Frage des Subjekts wird Benveniste 1956 auch von Lacan, der um die Bürgschaft eines großen Linguisten bemüht ist, zur Mitwirkung an der ersten Nummer seiner Zeitschrift La Psychanalyse herangezogen. Er verfaßt dort einen Artikel über die Funktion der Sprache in der Freudschen Entdeckung, der aus der Sicht Lacans zur Untermaue rung seiner These dienen soll, daß das Unbewußte wie eine Sprache struk turiert sei: »Die Psychoanalyse [scheint] sich von jeder anderen Disziplin zu unterscheiden. Vor allem dadurch, daß der Analytiker mit dem arbeitet, was der Patient ihm sagt.«^ Gewiß nimmt Benveniste einen kritischen Standpunkt zu der Art ein, mit der Freud eine Analogie zwischen der ge genüber dem Widerspruch unempfindlichen Funktionsweise des Traums und derjenigen zieht, aus der nach Karl Abel die ältesten Sprachen hervor gehen sollen. Die etymologischen Spekulationen Karl Abels sind in Benvenistes Augen haltlos, da für ihn alle Sprache, insofern sie System ist, über haupt nur mit dem Grundprinzip des Widerspruchs funktionieren kann. Doch diese Anfechtung der von Freud verwendeten Quellen zielt in Wirk lichkeit darauf, den Belang von Lacans ahistorischer Position stärker her auszustreichen, die auf dem Vorrang der rhetorischen Figuren, der Tropen fußt: »Das Unbewußte verwendet eine wahre >Rhetorik<, die wie der Stil
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ihre >Figuren< besitzt, und der alte Katalog der Tropen würde ein geeigne tes Inventar für die beiden Register des Ausdrucks liefern.« ^ Unstreitig bie tet der Dialog mit der Psychoanalyse Benveniste die Möglichkeit, seine Po sitionen hinsichtlich der Beachtung der Äußerung geltend zu machen; so schaltet er sich 1958 im Journal de Psychologie ein, um abermals die Thesen Lacans zu untermauern: »In der Sprache und durch die Sprache stellt der Mensch sich als Subjekt hin; weil in Wirklichkeit die Sprache allein, in ihrer Realität, die des Seins ist, den Begriff des >ego< begründet.«'° Entgegen der üblichen Rede vom sprechenden Subjekt, die der Struktu ralismus eliminiert hat, unterscheidet Benveniste das Subjekt der Aussage vom Subjekt der Äußerung. Diese Unterscheidung wird sich jedoch erst mit großer Verspätung bei den Linguisten durchsetzen: »Wir können sa gen, daß die >Äußerung< als auf Benveniste zu beziehendes Theoriegebilde von den französischen Sprachwissenschaftlern vor 1970 kaum oder gar nicht zur Kenntnis genommen wurde.« ^^ Die Berührungspunkte von La cans und Benvenistes Thesen sind nicht zufällig, sondern beruhen sowohl auf dem wechselseitigen Interesse, die Szientifizität ihrer jeweiligen Dis kurse zu befestigen, als auch, darüber hinaus, auf der Bestrebung, ihren je weiligen Wissenskontinent aus der Abhängigkeit von der Geschichte zu lö sen, sei es der Freudsche Philogenetismus beim einen oder die historische Philologie beim anderen. In seinem geschichtlichen Überblick der Ent wicklung in der Linguistik unterscheidet Benveniste drei Phasen: die philo sophische Phase als die der Sprachreflexion der griechischen Denker, die historische Phase, die im 19. Jahrhundert mit der Entdeckung des Sanskrit einsetzte, und schließlich die strukturalistische Phase im 20. Jahrhundert, seit der gilt: »Der positivistische Begriff des Sprach-Faktums wird durch den der Beziehung ersetzt.« ^^ Diese neue, mit der wachsenden Komplexität der Gesellschaft einherge hende Ära öffnet sich auf das weite Feld der Kultur, die für Benveniste wie für Lacan ein symbolisches Phänomen ist (wir erinnern uns, daß Lacans Trilogie RSI — Reales, Symbolisches, Imaginäres — auf die Dominanz des Symbolischen hinausführen soll). Jedoch finden Benvenistes Thesen in den Kreisen der Linguistik nicht das erwünschte Echo, so daß er im Zuge der Anerkennung, die er in psychoanalytischen und philosophischen Kreisen genießt, seine Positionen zum Verhältnis von Subjekt und Sprache be kanntzumachen versucht und sich vermehrt zu diesem Thema äußert.
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Um aus seiner Isolierung herauszukommen, ist Benveniste also auf eine strategische Überschreitung seiner Herkunftsdisziplin angewiesen. So hat er sich in der ersten Nummer von La Psychanalyse zu Wort gemeldet, so ist er seit 1960 Kodirektor der Zeitschrift UHomme, und so schreibt er auch 1963 in der ersten Ausgabe der Etudes philosophiques, in der er die Thesen der analytischen Philosophie zu einem Zeitpunkt vorstellt, als man sie, ins besondere bei den Linguisten, mit Bedacht ignoriert: »Die philosophi schen Interpretationen der Sprache rufen im allgemeinen bei dem Lingui sten eine gewisse Besorgnis hervor.« " Dieser Aufsatz schließt an ein 1962 in Royaumont abgehaltenes Kolloquium zur analytischen Philosophie an, das bei den Linguisten keine rechte Aufmerksamkeit erweckt hatte. Benve niste beschreibt und erörtert darin die Thesen Austins über die Performativa und ihre Absetzung von den Konstativa. Er unterstützt die Stand punkte der Austinschen Pragmatik und unterstreicht ihr Interesse, wobei er daran erinnert, daß er selbst bereits 1958 den Akzent auf die subjektiven Formen der sprachlichen Äußerung und die folgerichtig daraus hervorge hende Unterscheidung des Sprechakts von einer bloßen Information gelegt hatte." Benvenistes Reflexion über das Subjekt in der Sprache ist also keines wegs von außen aufgestülpt und setzt sich — mangels Anklang bei den Lin guisten immer noch eher auf philosophischem Terrain — in ihrem eigenen Rhythmus fort. So reflektiert er 1965 abermals in einer philosophischen Zeitschrift, Diogene, über das Verhältnis von Zeitlichkeit und Subjektivi tät: »Keine der sprachlichen Formen, die subjektive Erfahrung erkennen lassen, ist so reich wie diejenigen, die die Zeit ausdrücken.« ^^ Benveniste unterscheidet hier zwei Zeitbegriffe: die physikalische Zeit als die unendli che lineare Weltzeit und die chronikalische Zeit, die aus Ereignissen gewo ben ist. Beide Zeitlichkeiten sind ihrerseits zweigeteilt in eine objektive Version und eine subjektive Version. Wenn die chronikalische Zeit sich dem Gelebten entzieht, wie steht es dann mit der sprachlichen Zeit? »Das Be sondere an der sprachlichen Zeit ist, daß sie organisch an die Ausübung der gesprochenen Sprache (parole) gebunden ist.« ^^ Deshalb situiert sich die sprachliche Zeit zugleich in einem Präsens, das jedesmal als neuer Moment wiedererfunden wird, und als ein individueller Akt. Sie verweist notwendig auf eine Subjektivität — die des Sprechers — und auf eine Intersubjektivität, insofern die sprachliche Zeitlichkeit den Intelligibilitätsbedingungen des
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Gesprächspartners entsprechen muß. Womit die sprachliche Zeitlichkeit unumgänglich auf den intersubjektiven Austausch bezogen ist: »Die Zeit des Diskurses [...] funktioniert als ein Intersubjektivitätsfaktor.« ^^ Erst 1970 erlebt es Benveniste, daß seine Positionen bei den Linguisten Gehör finden; ein bezeichnendes Symptom dafür ist die Veröffentlichung eines Artikels zum Thema der »Äußerung« in der großen sprachwissen schaftlichen Zeitschrift Langages im besagten Jahr. ^^ Dennoch ist die Partie nur halb gewonnen: Das Subjekt kehrt aus Gründen wieder, die nicht wirklich mit einer der linguistischen Disziplin eigenen Zeitlichkeit zusam menhängen, sondern vielmehr mit den Auswirkungen, die die Mai-'68-Bewegung auf sie gehabt hat, mit den neuen Fragestellungen, die plötzlich in den Humanwissenschaften auftauchten und mit denen das Subjekt, nach dem man es zur Vordertür hinausbefördert hat, durch die Hintertür wieder hereinkommt.
Das verdrängte Subjekt Bis dahin aber ist Benveniste, der Veröffentlichung der Problemes de linguistique generale 1966 durch Gallimard zum Trotz, von den Sprachwis senschaftlern bewußt ignoriert worden. Claudine Normand zeigt dies in einer vergleichenden Studie auf, die sie mit Hilfe eines Glücksfundes erstel len kann, nämlich der Mitschriften von Paul Ricoeurs Unterricht im Stu dienjahr 1966/67 und der von Jean Dubois' Unterricht im selben Jahr. Anhand dieser Mitschriften ermittelt sie, welche Aufmerksamkeit der Philosoph Paul Ricoeur und der Linguist Jean Dubois, beide Professoren in Nanterre, Benveniste eingeräumt haben. ^^ Paradoxes Resultat dieses Ver gleichs: Die Studenten in Nanterre sind über die Problemstellung Benvenistes durch den Philosophen Ricoeur und nicht durch den Linguisten Du bois unterrichtet worden. Claudine Normand schließt daraus, daß »ein Philosoph gerüstet scheint, die Tragweite bestimmter neuer linguistischer Theorien besser und schneller zu erkennen als die Linguisten selber, die viel zu sehr damit beschäftigt sind, ihre traditionellen oder neueren Vorgehens weisen zu bearbeiten, als daß sie sie schon wieder umzukrempeln wün schen« ^°. Über diese Fallstudie hinaus zeigt Claudine Normand in derselben
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Nummer von Langages^^, daß die Linguisten in ihren verschiedenen Publi kationen in den sechziger Jahren jede Bezugnahme auf Benveniste als den Bahnbrecher auf dem Gebiet der Äußerung vermeiden. Trotz des Interes ses, das Oswald Ducrot für Benvenistes Arbeit hegt, zitiert er ihn in seinem Beitrag »Le structuralisme en linguistique« zu dem Gemeinschaftswerk Qu'est-ce que le structuralisme f^^ nicht. Wenn Julia Kristeva (damals Julia Joyau) ihn in ihrem 1969 erschienenen Buch Le langage cet inconnu zitiert, so einzig und allein, um die strukturalistischen Thesen zu untermauern, und ohne jede Bezugnahme auf den Begriff der Äußerung. Auch als Jean Dubois und Luce Irigaray 1966 in Langages Nr. 3 gemeinsam für einen Aufsatz über »Le Verbe et la phrase« zeichnen und sich mit dem Begriff des sprechenden Subjekts auseinandersetzen, gehen sie über Benveniste hin weg. Benveniste ist nicht aus Unkenntnis übergangen worden: Ganz bewußt versperrte die strukturale Linguistik damals den Zugang zum Subjekt. Alle Vertreter des strukturalen Paradigmas haben dies in Kauf genommen, um den Bruch mit dem Psychologismus, mit der Phänomenologie oder der Hermeneutik zu vollziehen. Für Greimas wie für Dubois kam es auf eine Normierung des Subjekts an, das sie als parasitäres Element des zu errich tenden wissenschaftlichen Objekts betrachteten, insofern dieses »einer ob jektivierten Sprache oder standardisierten Sprache« entsprechen mußte, »die man von allen möglicherweise dessen Analyse störenden Elementen entleert hatte« ^^. Eine solche Analyse interessiert sich eben nicht für all das, was in der analytischen Philosophie, bei Benveniste oder bei Ricoeur Be achtung findet, also die Formen des Dialogs und die verschiedenen Äuße rungsmodalitäten des Subjekts. Gemäß dem Formalisierungsmodell Hjelmslevs ermöglicht die Normierung der Sprache die Konstruktion vor schriftsmäßiger Aussagen in der dritten Person und die Entleerung des Zeitmerkmals zugunsten eines bewußt vagen »Damals«, das auf eine ebenso ferne wie undefinierbare Vergangenheit verweist: »Das war das ge naue Gegenteil der Positionen Benvenistes, für den es darauf ankam, das Positionierungsfeld des Subjekts zu erkennen, also die Triade Ich/Hier/ Jetzt, die den Bezugspunkt eines jeden Das-Wort-Ergreifens ausmacht.«^"* Dieser Weg kam erst 1970 zur Geltung, nachdem er lange Zeit von den Strukturalisten verstellt worden war. Bei dieser Negierung spielte auch die Unkenntnis über den Ertrag der gesamten Strömung der analytischen Phi-
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losophie, der großen philosophischen Logiker des Jahrhundertanfangs mit: Gottlob Frege, Bertrand Russell, Rudolf Carnap, Ludwig Wittgen stein wurden in Frankreich ignoriert zugunsten einer anderen philosophi schen Filiation, die aus Deutschland kam und über Nietzsche und Heideg ger verlief. Zwar erscheint 1961 bei Gallimard Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus, findet jedoch nur äußerst schwachen Widerhall, aus genommen ein kleines Einführungswerk von Gilles Gaston-Granger und vor allem die spätere Arbeit von Jacques Bouveresse.^^ Letzterer hat Louis Althusser vorgeworfen, die französische Philosophie dem Einfluß der ana lytischen Philosophie verschlossen zu haben: »Als ich eines Tages mit Althus ser zum Essen verabredet war, begegneten wir Bouveresse, und Althus ser sagte: >Du siehst, Bouveresse grüßt mich nicht einmal, weil er mir vorwirft, ich hätte die Franzosen daran gehindert, die analytische Philoso phie kennenzulernen.< Es stimmt, daß wir sie lange Zeit ignoriert haben.« ^^ Der Wiener Kreis und sein Umfeld, fälschlich »angelsächsische Schule« genannt, wurden seinerzeit als Neopositivisten bezeichnet, was genügte, um die ganze Strömung zu disqualifizieren. Seit Anfang des Jahrhunderts hatte man das Interesse für die Philosophie der Sprache den Psychologen überlassen, deren Wissen bald als ein für allemal durch die Vertreter des Strukturalismus überholt galt. Als nächster — mitten in den sechziger Jahren, also mitten im strukturalistischen Getümmel — hat sich Paul Ricoeur für diese Strömung interes siert, um sie in seine Fiermeneutik einzubeziehen. Daraufhin erklärte man ihn zum Gegner, vor allem die Althusserianer-Lacanianer, die unter Feder führung von Michel Tort in Les Temps Modernes besonders heftig gegen Paul Ricoeurs 1965 veröffentlichtes Werk über Freud zu Felde zogen. ^^ Mi chel Tort stellt Paul Ricoeurs Unternehmen als pädagogischen Faszikel hin, als ein Schulhandbuch des kleinen Freudianers, das Freud indes unterder hand mit äußerlichen, der hermeneutischen Problematik entliehenen Kate gorien behandle. Und diese Philosophie ist es, die als der kritischen und epistemologischen Sorge der Epoche zuwiderlaufend angefochten wird: »Die phänomenologische Epistemologie Paul Ricoeurs ist nur die Rationa lisierung eines ethisch-religiösen Skrupels.« ^^ Die Fiermeneutik wird hier als eine Antiwissenschaft ausgegeben, als eine Phrenologie der Symbole, die keinen anderen Zweck habe als eine »listige Verneinung des Freudianis mus« ^^. Michel Tort weist jeden Versuch einer Archäologie des Subjekts
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zurück, da sie nur in eine imaginäre Höhlenforschung münden könne, die sich darauf beschränke, »den Abgrund ihrer eigenen Verkennung des Sub jekts auszuschlachten« ^°. Denn die Dezentrierung des Subjekts, die Freud vornehme, habe zur Folge, ihm jedes organisierende Zentrum zu entschla gen. Benveniste aber steht eher auf Seiten Ricoeurs als auf selten der Althusserianer-Lacanianer, wenn er die unbewußte Symbolik als unter- und über sprachlich begreift. Um die Verschlossenheit gegenüber den Fragen der analytischen Philo sophie in Frankreich zu erhellen, können noch einige andere Gründe ange führt werden. An erster Stelle rangiert die Radikalität des strukturalistischen Bruches, der seine Identität auf einer Abstellung aller gängigen Überlegungen über das Subjekt begründet hat, ob nun im Bereich der Phi losophie die der Phänomenologie oder in der Literaturgeschichte die der damals überschwappenden psychologistischen Welle. Sodann ist da die Faszination für deutsche Philosophie, die in Frankreich einen posthumen Erfolg erfährt. Ferner muß berücksichtigt werden, daß die Arbeiten zur Logik in der französischen Universität immer randständig waren, und dies womöglich aus historischen Zufallsgründen, weil, wie Canguilhem be merkt, die französischen Logiker tragisch endeten: Jean Cavailles starb, von den Deutschen erschossen, als Widerstandskämpfer im Krieg, und Jac ques Herbrand kam am 27. Juli 1931 bei einem Bergunfall zu Tode. Außer dem Ableben der potentiellen Lehrmeister einer französischen Logikschule kommen auch historische Wurzeln als Erklärungsmöglichkeit in Betracht, weshalb in den angelsächsischen Ländern ein anderer Weg ein geschlagen wurde: »Das geht auf die Position der englischen Mathematiker zum Statut des Symbolischen zurück. Es gibt eine Konfiguration, die ver stehen läßt, warum sich die analytische Philosophie in England entwickelt hat. Sie hängt mit einer bestimmten, quasi ontologischen Haltung zur Na tur der mathematischen Objekte zusammen.« ^^ So wären es also die meta physischen Voraussetzungen der englischen Mathematiker, die dem Auf kommen einer idealistischen Auffassung von einem an sich existierenden Subjekt den Boden bereitet hätten, welche gleichzeitig zur Sprache eine reine Gebrauchsbeziehung, ein nahezu instrumentales Verhältnis aufge wiesen habe. Da die französischen Philosophen damals der abendländi schen Metaphysik den Garaus machten wollten, fanden sie sich denn auch nicht bereit, eine solche Vorgehensweise zu begrüßen.
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Die Abkömmlinge von Benveniste Unter solchen Umständen hatte Benveniste einige Schwierigkeiten, das Subjekt in den theoretischen Horizont der Linguisten einzubringen. Gleichwohl hatte er Schüler, die die Staffel weiterführten und denen, in ei nem günstigeren Kontext, die Einführung der analytischen Philosophie besser geglückt ist. Das gilt namentlich für Oswald Ducrot, der den lingui stischen Teil des Gemeinschaftswerks Qu'est-ce que le structuralisme f ver faßte, das 1968 bei Le Seuil erschien. Die Art und Weise, wie er die analyti sche Philosophie kennenlernte, ist symptomatisch für den Zustand der Unkenntnis und der Geringschätzung, in dem dieser Sektor damals gehal ten wurde. Von seiner Ausbildung her Philosoph, entdeckt Oswald Ducrot den Strukturalismus anläßlich eines Vorbereitungskurses der HEG (Hautes fitudes commerciales = Hochschule für das höhere Management) über diese Frage: »Zum anderen interessierte ich mich sehr für die Mathematik, und ich versuchte, etwas über die Philosophie der Mathematik zu machen. Von da aus kam ich zu der Sparte der Mathematik, die für einen Philo sophen am einfachsten ist: die Logik.«^^ Oswald Ducrot legt dann seinen Interessenschwerpunkt auf die formalen Grammatiken, wie sie in der Chomskyschen Grammatik oft zur Anwendung kamen. 1963 zur Verfertigung einer philosophiegeschichtlichen these über Descartes am CNRS angenommen, muß Oswald Ducrot, wie alle Forscher an diesem Zentrum, Zeitschriften auswerten. Und im Zuge dieser Vorberei tungsarbeit der eigentlichen Forschung, beim bloßen Kompilieren, macht er seine entscheidende Entdeckung: »Wer zuletzt kam, hatte die am wenig sten interessanten Zeitschriften, solche, die alle französischen Philosophen ablehnten, so daß ich mich mit den englischen Zeitschriften zur Sprachphi losophie beauftragt sah. Doch ich war begeistert von diesen Zeitschriften, die mich nicht auf den Strukturalismus, aber auf die Sprachphilosophie brachten.« ^^ Später, Anfang der siebziger Jahre, sollte Oswald Ducrot der jenige sein, der in Frankreich die Pragmatik einführt, wobei er dies keines wegs als Abkehr vom Strukturalismus, sondern als dessen Erweiterung durch eine neue Dimension wertet, wie es die Einführung belegt, die er zur 1972 erschienenen französischen Ausgabe von John R. Searles Speech Acts verfaßt hat. In dieser Einführung spricht Ducrot Saussure das Verdienst zu, den Ge-
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genstand der Linguistik von deren nicht unmittelbar erforschbarer Materie gesondert zu haben, das heißt also die langue als Gegenstand der Sprach wissenschaft in Opposition sowohl zur faculte de langage, der Sprachfähig keit, als auch zur parole, dem Sprechen selbst. Allerdings stimmt Ducrot da nicht mit Saussure überein, wo dieser die parole ganz aus dem Feld der wis senschaftlichen Analyse ausschließen will. Wenn der Weg, der von Saussure zu Austin führt, auf ein neues Feld, nämlich das der performativen Aussa gen hinausläuft, so kann dieses laut Ducrot durchaus in einer gewissen Kontinuität gesehen werden, die es erlaubt, dem strukturalistischen Grundpostulat einfach einen begrenzten Zusatzbereich anzugliedern, der in der Sprache ohnehin nur eine Randstellung einnimmt: »Der Wert der Äußerungen stellt somit zwar die Saussuresche These in Frage, die sprach liche Aktivität und individuelle Initiative in eins setzt, aber er hindert doch nicht daran, diese These zu einem guten Teil aufrechtzuerhalten.« ^'^ Ducrot bleibt im übrigen in einer sehr Saussureschen Tradition, wenn er der sprachlichen Ordnung einen irreduziblen Charakter zuschreibt, der es verbiete, sie auf ein anderes Realitätsniveau zu begründen, und daher einer Erklärungslogik sui generis bedürfe. Seine Analyse bleibt dem Wesen nach struktural insofern, als sie nicht von der empirischen Gegebenheit ausgeht, sondern von einem Konstrukt, von der semantischen Einheit, die er die Be deutung der Aussage nennt. ^^ Die dem Strukturalismus eigene Vorstellung der Geschlossenheit der Sprache in sich selbst wird also von Ducrot wieder aufgenommen, der in dem Reiz, den die Sprachphilosophie auf ihn ausge übt hat, die Reaktivierung des Piatonismus sieht, »das heißt die Idee, daß es, ehe man philosophische Probleme diskutiert, gilt, sich über den Sinn der Wörter zu verständigen, die man gebraucht. Das war das, was ich bei Austin spannend und durch und durch platonisch fand.« ^^ In dieser Hinsicht kann man innerhalb der Sprachphilosophie zwei Strö mungen unterscheiden. Zum einen die von Carnap ausgegangene logische Schule: Im Logischen Aufbau der Welt (1928) setzte dieser sich das Ziel, die bloße Sprachkritik zu überwinden, um zu einer vollendeteren Logik zu ge langen, und ein System protokollarischer Aussagen vorzuweisen, die geteilt werden können, um ein wissenschaftliches Grundcorpus zu bilden. Alles, was nicht den Kompositionsregeln dieses Systems protokollarischer Aus sagen entspricht, wird in den Bereich des Un-Sinns verwiesen, so etwa sämtliche metaphysische Propositionen. Die rein semantische und formali-
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stische Eliminierung der Metaphysik soll also die Möglichkeit der kompositionellen und kombinatorischen Artikulation von Elementen sicherstel len, um einem befriedigenden Tableau der Realität Rechnung zu tragen. Nicht dieser Zweig der Sprachphilosophie hat Oswald Ducrot beeinflußt, sondern derjenige, der innerhalb der Sprache geblieben ist: die Strömung, die Austin und Searle vertreten: »Was mich später von ihnen abbrachte, war, daß nach ihrer Auffassung die Untersuchung der Sprache wahrhaftig eine Lösung der philosophischen Probleme ergab. Das aber glaube ich im mer weniger. Außerdem gestattete es ihnen zufolge die Untersuchung des Sinns der Wörter, zufriedenstellende Begriffe zu finden, um die gewöhnli che Sprache zu beschreiben, was aus meiner Sicht nicht vernünftig ist, denn ich sehe nicht ein, weshalb die Sprache die beste Metasprache für ihre ei gene Beschreibung sein soll.« ^^ Eine weitere Differenz zu Austin und Searle gründet für Oswald Ducrot in deren Auffassung des Subjektbegriffs, den er für allzu einfältig hält. Für ihn ist das Subjekt eine plurale Entität und weit vielfältiger, als die Sprachphilosophen meinen. Wenn also Oswald Ducrot der Pragmatik in Frankreich den Weg berei tet, so stellt er sie doch in eine besondere Perspektive, die vom StrukturaHsmus bestimmt bleibt und deshalb keineswegs der bloße Import einer aus ländischen Strömung ist. Vielmehr bewegt sie sich im Fahrwasser einer französischen Traditionslinie, zurückgehend auf Benveniste, der einen For schungszweig über die Äußerung angeregt hat, in dem seit den siebziger Jahren immer mehr Wissenschaftler arbeiten. In diese Perspektive schrei ben sich auch die Untersuchungen von Catherine Kerbrat-Orecchioni ein, die in der direkten Nachfolge Benvenistes stehen. Insbesondere hat sie eine Arbeit ^^ allen Indizien von Subjektivität in der Sprache gewidmet, sie un tersucht darin über die Deixis hinaus die subjektiven Verben und die lexi kalischen Formen von Subjektivität. Aus dieser Problematisierung der Stellung des Subjekts in der Sprache, der Diskursakte erwuchs eine französische Pragmatik-Schule mit Francis Jacques, Jean-Claude Pariente und Fran9ois Recanati. ^^ Die Pragmatik dieser Schule setzt sich das Ziel, »den Gebrauch der Sprache in der Rede und die spezifischen Kennzeichen, die innerhalb der Sprache deren diskursive Bestimmung belegen« '^^, zu un tersuchen. Zu dieser Strömung kommt noch Antoine Culioli und seine Schule, die sich ebenfalls darum bemüht, eine Theorie der Äußerung zu errichten, die
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auf universell gedachten Tiefenschemata, den sogenannten »Produktions mechanismen« beruht, ein ganzer formaler Apparat der Äußerung, der ein Erbe von Benveniste darstellt. Culioli, Professor an der Abteilung für lin guistische Forschungen in Paris-VII, hat im Alleingang eine ganze Schule beeinflußt, darunter Marina Yaguello, doch haben seinen Arbeiten einen solchen Kniffligkeitsgrad erreicht, daß sie für den Neuling unlesbar und selbst für den Spezialisten schwer zu bewältigen sind. Diese Tiefenfor schung nach Chomskyscher Art postuliert die Existenz dessen, was Culioli als die lexis bezeichnet, die in eine prädikative Beziehung münden: »Es gibt in den gegebenen Sprachen Aussageoperationen, die den Übergang von Tiefenschemata zu Oberflächenschemata ermöglichen, wobei die Aus sageoperationen, wie man sagt, eine Grammatikalisierung erhalten.« "^^ Im Gegensatz zum generativistischen Vorgehen, das von der Oberflächen struktur zur Tiefenstruktur schreitet aufgrund der Einsicht des Mutter sprachlers in die Grammatikalität oder Nichtgrammatikalität der Sätze, mit deren Hilfe er das Feld des Möglichen und des Nichtmöglichen eingrenzen kann, geht Antoine Culioli von einer völlig abstrakten Tiefenebene aus. Er postuliert bestimmte Aussageoperationen (Modalisierung, Aspekt, nomi nale und verbale Determination usw.), die es dem Aussagenden erlauben, die prädikative Beziehung zu organisieren und sie an der Oberfläche in das Ausgesagte münden zu lassen: »Bei Culioli ist die Aussage nicht Teil eines Corpus, sondern sie ist die Attestierung dieser Operationen, die im übrigen abstrakt postuliert werden, im Diskurs. Es gibt Aussagen, die möglicher weise sehr unterschiedliche Formen haben und trotzdem auf dieselben Aussageoperationen verweisen können.« ^^ Mit Antoine Culioli finden wir die Ausgangsbestrebungen des Struktu ralismus wieder: seine formelle Übersetzung, sein Forschen nach Regelmä ßigkeiten, seine bei Invarianten ansetzende Suche nach Universalität und sein Bemühen, über das Einzelne hinauszugelangen, allerdings hier verla gert auf ein neues Feld, das der Äußerung, die infolge der restriktiven Defi nition, mit der Saussure die langue unter Ausschluß der parole zum alleini gen Gegenstand der Linguistik erklärt hatte, anfänglich unberücksichtigt geblieben ist: »Es gibt keine isolierte Aussage; jede Aussage ist eine unter anderen, die der Äußernde aus dem Bündel der möglichen äquivalenten Aussagen herauspickt. Kurzum, jede Aussage gehört zu einer Familie paraphrastischer Transformen; (andererseits) gibt es keine Aussage, die nicht
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moduliert, also nicht ein einzigartiges Phänomen ist.«"^^ In weniger forma lisierter, der Auffassung Benvenistes näherer Perspektive hat auch dessen Nachfolger am College de France, Claude Hagege, den sprechenden Men schen rehabilitiert, der in der Glanzzeit der Struktur zum Schweigen ver dammt gewesen war. Hat der fortschreitende Erfolg der Subjektproblematisierung in der Sprache zum Niedergang des strukturalen Paradigmas beigetragen, oder hat er ihm neuen Auftrieb gegeben, indem er ihm ein zusätzliches For schungsfeld bot ? Laut Marina Yaguello kann die Pragmatik mit demselben Recht für ein dazugehöriges oder ein verwandtes Gebiet angesehen wer den : »Man kann die Auffassung vertreten, daß die Linguistik eine Einheit bildet, daß es eine Theorie der Sprechakte und zugleich eine Sprachtheorie gibt, die beide ineinandergreifen. Man kann aber genausogut die Auffas sung vertreten, daß man sich mit Sprechakten, also mit dem illokutorischen Wert der Aussagen (der dann eintritt, wenn die Äußerung an sich schon eine Flandlung darstellt) befassen kann, ohne sich gleichzeitig damit zu be schäftigen, wie die Aussagen erzeugt werden.«'*'^
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Kaum in Paris angelangt, leitete Julia Kristeva einen Perspektivenwechsel in der Strukturalistischen Semiologie ein. Erst seit Weihnachten 1965 in Frankreich, besuchte sie bald das Seminar von Roland Barthes und hielt dort ein Referat, das für die große Umgestaltung des strukturalistischen Pa radigmas in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre von entscheidender Be deutung sein sollte. Anhand der Arbeit des bis dahin in Frankreich unbe kannten Michail Β achtin stellte sie in Barthes' Kurs die Sichtweise des russischen Postformalismus vor. Später verfaßte sie als Wegbereiterin Bachtins auch die Vorworte zu den bei Le Seuil erschienenen französischen Übersetzungen.^ Nicht zufällig hatte sich Julia Kristeva 1966 Β achtin aus gesucht, denn sie wollte das strukturalistische Verfahren für die Dynamik der Geschichte öffnen, aus der Geschlossenheit des Textes ausbrechen und den Verständnishorizont literarischer Texte ausweiten. Ihr Vorschlag kam insofern gerade recht, als der auf dem Höhepunkt angelangte Strukturalis mus ab 1967 manchen Überwindungs- und Pluralisierungsversuchen aus gesetzt sein sollte. So fand ihr zunächst in Critique veröffentlichtes Referat breiteren Anklang, als es 1969 in Semiotike, recherchespour une semanalyse erschien, zu einem Zeitpunkt mithin, als Derridas Dekonstruktionsthesen, Chomskys generative Grammatik und Benvenistes Linguistik der Äuße rung die ursprünglichen Bestrebungen des Strukturalismus der ersten Peri ode ernstlich zu erschüttern begannen. Mit besonderer Aufmerksamkeit lauschte Roland Barthes den Ausführungen Kristevas. Auf diese ihm neuen Thesen gestützt, sollte er in seinem Werk eine radikale Wende vollziehen: »Interessant an Bachtins Ansatz war, daß er den literarischen Text, ob von Rabelais oder von Dostojewski, zuerst als innertextliche Vielstimmigkeit sah.« ^
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Michail Bachtin Michail Bachtin hält den Dialog der literarischen Texte untereinander für wesentlich: Diese seien durchzogen von früheren Texten, mit denen sie eine ihre Ausgangsstruktur dezentrierende Polyphonie einspielten. Damit erschließt Bachtin die historische Verwobenheit von Texten dem kritischen Studium. Das Postulat der In-sich-Geschlossenheit des Textes, die Abschließung als unabdingbare Voraussetzung für die Freilegung seiner Struktur ist demnach schon im Ansatz bestritten. So rückt Bachtin bei spielsweise Rabelais' Werk in den Zusammenhang der Volkskultur des Mit telalters und der Renaissance. Ähnlich wie bereits Lucien Febvre die These einer radikalen Neuheit Rabelais' angefochten hatte, indem er ihn zur men talen Ausstattung seiner Epoche ins Verhältnis setzte und auf diesem Wege nachwies, daß er kein Atheist gewesen sein konnte, entziffert Bachtin das Rätsel Rabelais, indem er dessen Werk in seine volkstümlichen Quellen und somit in die von ihm verwendeten Kategorien zurückversetzt. Die groteske Komik Rabelais' ist für ihn hauptsächlich inspiriert von der karnevalesken Ausdrucksform, der Sprache der verkehrten Welt, der Parodie des gewöhn lichen Lebens: »Diese halbvergessene und für uns schon in vielem dunkle Sprache [...] ist auch die Sprache Rabelais'.« ^ Bachtin zeigt die irrigen Inter pretationen auf, die in Rabelais den Dichter des Fleisches und des Leibes sahen (Victor Hugo) oder in ihm ein Anzeichen für das bürgerliche Prin zip, das Interesse am Homo oeconomicus erblickten. Sein Stil sei nur zu verstehen, wenn man ihn als Umsetzung einer volkstümlichen Lachkultur auffasse, die Bachtin »grotesken Realismus«'^ nennt. Über die komische Wirkung hinaus ist bei Rabelais eine ganze Kosmogonie ins Werk gesetzt — die Betonung der Leibesöffnungen, Vorwölbungen und Auswüchse ent spricht den Körperteilen, durch die der einzelne mit der Außenwelt ver bunden ist. Sich über die Begrenztheit des Strukturalismus zur Geschichte hin un mittelbar im klaren, unternahm es Julia Kristeva, Bachtin im Sinne einer »Dynamisierung des Strukturalismus« ^ einzusetzen. Der von ihr als grund legend verstandene Dialog zwischen den Texten hätte auch Anstoß dazu geben können, dem Subjekt — als dem zweiten großen Verdrängten des Strukturalismus — Rechnung zu tragen und, wie bei Benveniste, eine um fassende Thematisierung der Intersubjektivität einzuleiten. Doch 1966 war
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man noch nicht soweit, so daß Kristeva den Subjektbegriff aussparte und statt dessen die im weiteren außerordentlich erfolgreiche Neuprägung »Intertextualität« einführte: »In dem Augenblick habe ich dann ein Hilfsmittel entwickelt, das Intertextualität heißt.« ^ Aus den USA erhält Julia Kristeva noch heute Einladungen, auf Kolloquien oder in Aufsätzen zur Vertiefung und Weiterentwicklung dieses Konzepts beizutragen. Michail Bachtin trat für ein Sprachgrenzen übergreifendes Verfahren ein und stützte sich zur Veranschaulichung der polyphonen Verwebung auf Rabelais, Swift und Dostojewski. Dieses Corpus erweiterte Kristeva in ihrem Referat um die modernen Romanautoren des 20. Jahrhunderts, die sie für geeignet für ei nen ähnlichen Ansatz hielt: Joyce, Proust, Kafka — allerdings mit dem Un terschied, daß dabei der Dialog vom fiktional-darstellenden zum inneren Dialog übergegangen ist. Zu der von Kristeva eröffneten intertextuellen Perspektive tritt also eine Ausrichtung hinzu, die den Strukturalismus über Kristevas damalige An nahmen hinaus in den Grundfesten erschüttern wird: die Dialogik (die Kri tik als Dialog, Begegnung zweier Stimmen), auch wenn diese noch als strukturimmanent vorgestellt wird: »Der Dialogismus ist Tiefenstrukturen des Diskurses koextensiv.« ^ Es wäre demnach verfehlt, hierin bereits die Wiederkehr des klassischen Subjekts, des Autorenbegriffs zu sehen. Viel mehr ist Kristeva sorgfältig darauf bedacht, den Autor im Erzählsystem selbst aufzulösen, und konstatiert, insoweit der strukturalistischen Sicht weise treu, daß er »zu einer Anonymität, einer Abwesenheit, einer Leer stelle wird, damit es die Struktur als solche geben kann« ^. Der Autor ist also nichts anderes als die Verkörperung der Leere; er macht dem inter textuellen Dialog Platz, in den er im Erscheinen sich auflöst. Kristeva un terscheidet in ihrem Referat zwei Erzähltypen: die monologische Erzäh lung, die sich auf den beschreibenden, darstellenden, historischen und wissenschaftlichen Modus erstreckt, in dem »das Subjekt die Rolle der 1 (Gott) übernimmt, der es sich im selben Schritt unterwirft« ^, und die dialo gische Erzählung, die sich namentlich in Gestalt des Karnevals, der Menippeischen Satire und des modernen polyphonen Romans äußert. Um die Modernität der Dialogik klarzustellen, weist Kristeva dieses Konzept nicht nur als neue und im Vergleich zum Binarismus ergiebigere Analyseme thode aus, sondern sogar als »Grundlage der geistigen Struktur unserer Epoche« ^°. Die Dialogik ermöglicht eine Wiederaufnahme und Wendung
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des Hegeischen Prinzips der Dialektik, welches UQ in einem nicht-antinomischen Beziehungsbegriff aufgehen läßt. Dieser impliziert keine Aufhe bung, sondern eine aus einem einfachen Funkenschlag (äisruption) rüh rende Harmonie, der den Transformationsprozeß in Gang setzt: »Der Dialogismus situiert die philosophischen Probleme in der Sprache, genauer gesagt in der Sprache als Wechselbeziehung von Texten, als Schreib-LeseVorgang.« ^^ So kann die Literaturwissenschaft mit Hilfe dieses Konzepts Anspruch auf die Führungsposition anmelden, denn es bietet ihr ein Ana lysefeld, das die Philosophie einschließt. Die Öffnung des Textes nicht auf seinen referentiellen Kontext, sondern auf das ihn umgebende textuelle Universum, die Welt früherer, zeitgenössischer oder künftiger Texte er schließt der Analyse neue Perspektiven, zumal für den zeitgenössischen Schriftsteller, der seine Stellung als Autor und Leser dadurch in ein anderes dialektisches Verhältnis bringen kann, daß er seine Lektüre in sein Schrei ben selbst einschließt.
Roland Barthes' Wende Auf dieser von Julia Kristeva eröffneten Bahn wird Roland Barthes, von jeglicher Erneuerung, von der Jugend überhaupt seit je fasziniert, umge hend die Neuausrichtung seiner Arbeit einleiten. Die Ankunft der jungen Bulgarin in seinem Seminar läutet das Ende der szientistischen Ambitionen ein, die er in den Elementen der Semiologie wie auch in Kritik und Wahrheit geltend gemacht hatte. Barthes unterhält mit seinen Studenten ein echtes Verhältnis auf Gegenseitigkeit. Das zeigt sich in der eingehenden Aufmerk samkeit, die er der Rede des Gegenübers zollt, und im Ansporn, den er ihm gibt: »Roland hat für mich eine sehr wichtige Rolle gespielt. Er ist der ein zige, den ich kenne, der andere zu lesen fähig ist, und für einen Professor ist das ungeheuer viel, denn im allgemeinen lesen Professoren sich selbst.« ^^ Auch persönlich schreibt Barthes das Thema der Intertextualität fort und veröffentlicht 1970 S/2, das die Arbeitsergebnisse seines Seminars von 1968/ 1969 an der EPHE aufgreift und im Grunde durch Julia Kristevas Referat von 1966 angeregt wurde. Mit S/2 vollzieht sich die große Wende, in der Barthes sein eigenes Begriffsraster dekonstruiert, um seiner literarischen Eingebung mehr Freiraum zu lassen: Er zeigt sich von seiner unerwarteten Seite.
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Auf die Abhandlung der Methode folgt die Öffnung für die Schriftstellerei, für den Ausdruck der eigenen Feinfühligkeit und für die Unendlich keit und Uneinkreisbarkeit des Sinns: »Roland ist, wie Sollers, in erster Li nie Literat gewesen. Man könnte sagen, er bediente sich der Methoden so, wie es Buddha sagte: >Wenn du den Fluß überqueren willst, trage einen Stoß Holz zusammen, bau dir ein Floß, und wenn du angelangt bist, wirf es zurück in den Fluß.<« ^^ In S/Z nimmt Roland Barthes von Anfang an Ab stand von einem Anspruch, den er fortan für illusorisch hält: »alle Erzäh lungen der Welt [...] aus einer einzigen Struktur herauszulesen«^"*. Dieser Strukturalistische Ehrgeiz war nicht nur überzogen, er krankte auch an ei ner fragwürdigen Perspektive, denn letztlich negierte diese Sisyphusarbeit die Differenzen zwischen den Texten. Das neue Bemühen, die Differenz von einem Mittel der Analyse, als das sie im gängigen Binarismus der Phonologie fungiert, zu einer Finalität zu erheben, läßt Barthes' Beeinflussung nicht nur durch Kristeva, sondern auch durch die ganze Tel-Quel-Gruppe und vor allem Derrida erkennen. Er greift Kristevas Konzept der Intertextualität auf und erklärt noch vor der Veröffentlichung von S/Z gegenüber Raymond Bellour: »Man kann hinsichtlich der Literatur zwar nicht mehr von Intersubjektivität, wohl aber von Intertextualität sprechen« ^^, was exakt Kristevas Worte sind. Und 1970, wenige Jahre später, gibt er, wiederum gegenüber Raymond Bellour, die Namen derer preis, die er seine Leihgeber nennt und in S/Z bewußt nicht erwähnt hatte, um zu verdeutlichen, daß das Werk in seiner Gesamt heit zitathaft ist: »Ich habe die Namen meiner Leihgeber weggelassen (Lacan, Julia Kristeva, Sollers, Derrida, Deleuze, Serres und andere mehr).« ^^ In seinem Bestreben, die Differenzen zu pluralisieren, sie zu verschärfen, sie jenseits des Signifikats in einer Unendlichkeit spielen zu lassen, in der sie sich auflösen und dem »Weiß des Schreibens« weichen, kommt bei Barthes seit S/Z die Derridianische Dekonstruktionsproblematik zum Tragen. Sein seit dieser Umbruchphase anhebender Diskurs fädelt sich erkennbar an Derrida entlang. So übernimmt er auch dessen Kritik am Zeichenbegriff Saussures: »Es gilt nun, den Kampf weiterzutreiben und den Versuch zu unternehmen, nicht die Zeichen — Signifikanten auf der einen Seite, Signifi kate auf der anderen —, sondern die Idee vom Zeichen überhaupt zu zerset zen: eine Operation, die man Semioklasmus nennen könnte.« ^^ Hinter der Absicht, Risse in den abendländischen Diskurs zu treiben und ihn in seinen
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Grundfesten zu erschüttern, steckt natürlich Derridas Inaussichtnahme der Dekonstruktion des abendländischen Logozentrismus. Gleichwohl ist der Horizont nicht derselbe, denn wenn hier wie da vom Schreiben die Rede ist, geht es bei Barthes um das literarische, bei Derrida hingegen um das philosophische Feld. Wenn Barthes indes sagt, daß »das Schreiben des Schriftstellers im wesentlichen mit einem Kriterium der Unbestimmbarkeit zusammenhängt«^^, läßt dies unweigerlich an Derridas Unentscheidbarkeiten denken, welche die Dekonstruktion der abendländischen Metaphy sik bewerkstelligen sollen. Und daß da eine Wende, ein Bruch stattfindet, erkennt Barthes in den von ihm gewährten Gesprächen Ende der sechziger Jahre ganz ausdrücklich an — Gespräche, die er übrigens, um seinen Sinnes wandel zu erklären, in den Jahren 1970/71 vermehrt gesucht hat. Die Gründe, die er für diese Wende ins Feld führt, zeigen abermals Barthes' ungemeine Empfänglichkeit für seine Umgebung: »Die Ursachen für diesen Wandel (denn es handelt sich eher um einen Wandel als um eine Entwicklung) dürften — warum auch nicht? — in der neuesten französi schen Geschichte zu suchen sein, aber auch im Intertextuellen, das heißt in den Texten, die mich umgeben, mich begleiten, mir vorangegangen sind oder mir folgen und mit denen ich selbstverständlich kommuniziere.« ^^ Die Anspielung auf die Ereignisse vom Mai 1968 ist offensichtUch; außerdem braucht Barthes durch die philosophische Bürgschaft der Derridianischen Dekonstruktion sein Bedürfnis nach literarischem Schreiben nicht länger zu verhehlen und kann endlich, befreit von Codes und anderen formalen Systemen, seiner Subjektivität, seiner Differenz freien Lauf lassen. Sein Wunschvorhaben für die siebziger Jahre beschreibt er als Arbeit innerhalb des Signifikanten, das heißt das Schreiben an dem, was er »das Romaneske ohne den Roman« ^° nennt. Die Umsetzung beginnt er in 5/Z, einer nach eigenem Bekunden für sein persönliches Fortkommen sehr wichtigen Ar beit, dank den »Formulatoren«, den Forschern, die ihn umgaben und »von denen ich einiges gelernt habe, die mich aufgeklärt und überzeugt haben« ^^ Der zweite Grund, den Barthes für die Wende angibt, rührt aus dem Unter suchungsgegenstand selbst. Mit S/Z führt Barthes an Balzacs 1830 geschriebener Novelle Sarrasine erstmals eine Mikroanalyse durch. Darin bringt er, um weitestmöglich auf die innere Pluralität der Schreibweise Balzacs einzugehen, fünf Codes ins Spiel. Barthes hat die Ebene der Wahrnehmung und damit zugleich deren
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Gegenstand gewechselt; er geht dem Text in einer ständigen Konfrontation von Schreiben und Lesen Schritt für Schritt nach. Dies ist übrigens sein Hauptanliegen in S/Z', jene neue Form von Schreiben-Lesen zu verwirkli chen, die aus dem Konzept der Intertextualität erwachsen soll. Hier wird der Einfluß Julia Kristevas sichtbar, ihre Öffnung auf einen in Entfaltung begriffenen Prozeß und ihre Ersetzung der Struktur durch die Strukturwerdung (structuration), das »Zurückfinden zu dem, was Julia Kristeva eine Produktivität nennt« ^^. Diesen produktiven Horizont beschreitet Barthes in der Entfaltung eines unendHchen, stets unabschließbaren Schrei ben-Lesens. Die sternartige Auffächerung, die »Bestirnung« des Balzacschen Textes und seine Auflösung in die vorhandenen Sprachen und Codes verdeutlicht mithin Barthes' Vorhaben einer Schreibweise ohne Grenzen, die der Suche nach einem mono- oder multikausalen System, das einer ab geschlossenen Explizierung, einer endgültigen Ausdeutung des Textes stattgäbe, denkbar fernsteht: »Es gibt keine Festsetzung des Textes. Die Lansonianer haben den Text beim Autor und seinen Quellen festgesetzt. Die Intertextualität anonymisiert die Autoren, begreift den Text als unend lich.« ^^ Das Verhältnis aktiv = Autor zu passiv = Leser gilt es nach Barthes da hingehend zu modifizieren, daß der Leser den schreibbaren Text, das heißt einen pluralen Text, der mehrere Stimmen oder Spuren zuläßt, einer Arbeit des Neuschreibens unterzieht. So setzt Barthes bei Sarrasine fünf Codes ein, die dem Text seine Polyphonie zurückgeben. Drei davon entziehen sich dem Zwang der Zeitlichkeit: der semische, der kulturelle und der symboli sche Code, während die beiden anderen: der hermeneutische und der proairetische Code, die Unumkehrbarkeit der Zeit bedingen. So streng in ein strammes Codierungssystem gefügt die Methode scheinen mag, der Bruch mit den Ambitionen der ersten Periode ist nicht weniger radikal, da »es für den pluralen Text keine Erzählstruktur, keine Grammatik und keine Logik der Erzählung geben kann« ^'^, Barthes hat sich mithin gründlich verabschiedet von seinem 1966 in den Communications bekundeten Ehrgeiz der Erforschung der narrativen Strukturen der Erzählung: Interpretation gibt es nach seiner Auffassung nur in der Pluralisierung des Sinns, der Abkehr von der als versperrend er achteten Totalität des Textes, Unterhalb der Strenge der Codes triumphiert die Einfühlung {intuition sensible). Jene bleiben zwar in Gebrauch, doch
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ihre sorgfältige Stufenordnung folgt im Grunde einem Prinzip, das keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit mehr erhebt — dem des Geschmacks: »Es gibt die guten und es gibt die schlechten Codes.« ^^ Kann der proairetische Code, also die Schilderung der Verhaltensweisen, als pseudonatürlich und daher nur scheinbar insignifikant entlarvt werden, so umfaßt der am anderen Ende der Skala liegende, positiv belegte symbolische Code alles, was Barthes intuitiv interessant erschien. Allerdings ist diese Rangordnung der Codes nicht explizit, sondern, wie Barthes sagt: »Diese Hierarchie er richtet sich wie von selbst.« ^^ Zuoberst steht das Symbolische, das aus dem von Barthes erstrebten reinen Signifikanten, dem Nichtlogischen, dem Pluralisierungsvermögen des Textes rührt. Dem symbolischen Code wird demnach in der Analyse des Balzacschen Textes ein so vorrangiger Platz eingeräumt, daß Raymond Bellour daraus das Zeichen für die Verwendung einer tieferliegenden, die Strukturierung des Textes tragenden Produk tionsmatrix herausliest. In Balzacs Novelle steuert das Spiel der drei Symbolismen Gold, Sinn und Sexus die Dynamik des Textes und verweist nacheinander auf Marx, Aristoteles und Freud. Die Handlung ist in der Restaurationzeit angesie delt. Der Autor übt vernichtende Kritik an der neuen Gesinnung des Bür gertums als der mit Hilfe des Goldes an die Macht gelangten Klasse; deren undurchsichtiger Herkunft geht die Dignität des Adels ab, weil ihr eine echte Verwurzelung, das heißt eine Gebietsansässigkeit fehlt. In der zwei ten Hälfte konzentriert sich die Erzählung auf den Kastraten Zambinella. Man erfährt, daß der Bildhauer Sarrasine wegen seiner Liebe zu Zambi nella, den er für eine Frau hielt, ermordet worden ist. Durch Barthes' Ver schiebung auf der Ebene des symbolischen Codes werden die beiden Teile der Erzählung parallel gesetzt: die Satire über die Parvenüs, Besitzer eines aus dem Nichts gekommenen Goldes, und das Thema des Kastraten, das ebenfalls auf das Nichts einer Frau verweist, die keine ist. Wie schon Barthes' Racine-Interpretation entlehnt auch diese Ausle gung vieles dem psychoanalytischen Diskurs, besonders dem Lacans: »Mein Rückgriff auf die psychoanalytische Sprache wie auf alle anderen Idiolekte ist spielerischer, zitathafter Ordnung.« ^^ Indes gehört Lacan mit Kristeva und Derrida zu den großen Anregern von Barthes' Analysen, und die Arbeit am Buchstaben, der sich dem Werk über den Titel S/2 als Motto einschreibt, erklärt sich aus einem ganzen Spiel von Signifikanzen, die sich
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in der unmöglichen Beziehung zwischen SarraZine und Zambinella entfal ten. Als erstes merkt Barthes an, daß man gemäß der französischen O n o mastik »Sarrazine« erwartet, so daß das Ζ wie in einer Falltür verschwun den sei: »Nun ist das Ζ aber der Buchstabe der Verletzung [...], es schneidet wie eine schrägstehende, verbotene Klinge, es streicht durch und zuckt; vom Balzacschen Standpunkt ist dieses Ζ (das im Namen Balzac vor kommt) der Buchstabe der Abweichung [...].«^^ Zudem ist das Ζ das Initial von Zambinella, von dem man weiß, daß er kastriert ist, »so daß Sarrasine durch diesen Orthographiefehler, der inmitten seines Namens, seines Kör pers auftritt, das zambinellische Ζ in seiner wirklichen Natur empfängt, der Verletzung des Mangels. Außerdem stehen S und Ζ im Verhältnis graphi scher Umkehrung: von der Rückseite des Spiegels aus gesehen derselbe Buchstabe: Sarrasine betrachtet in Zambinella seine eigene Kastration.«^^ Man versteht den Genuß, den Barthes beim Anlegen seiner Interpretation empfunden haben muß, einer Interpretation, die es allein durch die Expli zierung ihres Titels S/Z ermöglicht, sowohl die Bedeutsamkeit des Drän gens des Buchstabens im Unbewußten, so wie es sich nach Lacan vollzieht, als auch den Vorrang der graphischen Schrift und deren Verdrängung durch den Phonologismus, wie Derrida sie begreift, ernst zu nehmen und zu gleich zwischen S und Ζ den von Lacan neugedeuteten Saussureschen Bal ken wiedereinzuführen, der einen Schirm, eine wahre Zensur, eine Wand der Halluzination bildet.
Das leere Zeichen: Japan Im Jahr 1970 veröffentlicht Roland Barthes auch Das Reich der Zeichen^^^ einen Text, der der gegenüber der vorangegangenen Periode genommenen Wende Nachdruck verleiht. In diesem Buch, in dem Barthes von seinem Ja pan erzählt, kann er sich völlige Freiheit gewähren und die eigene Schreib form des Fragments wählen. Das Reich der Zeichen bildet den nachtheorizistischen Kontrapunkt zu den vortheorizistischen Mythen des Alltags. Barthes läßt das konzeptuelle Abenteuer hinter sich, und wenn er auf die Zeichen des abendländischen Alltagslebens einen sehr kaustischen, kriti schen Blick geworfen hatte, so sieht er die des Orients mit den Augen der Ximene. Mehr als alles andere — und hier zeigt sich doch eine Kontinuität
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zwischen den beiden Perioden — fasziniert ihn, daß das Japan, das er ent deckt und niederschreibt, ein Japan ist, das sich allen vollen Sinns entledigt hat. Barthes verspürt dort die intensive Lust, erstmals voll und ganz in den Signifikanten einzutreten, endlich aller Signifikate entledigt in einer Welt des leeren Zeichens: entleert vom Sinn und von allen Formen der Verein nahmung, die das Abendland kennt und die er in den Mythen des Alltags angeprangert hat. Allerdings gibt er dabei die kritische Perspektive nicht preis, sondern bedient sich des Orients, um ex negativo mit den westlichen Werten abzurechnen: »Wie viele von uns lehne ich meine Zivilisation zu tiefst ab, ja verabscheue sie. Dieses Buch stellt die unbedingte Forderung nach einer totalen Alterität, die für mich notwendig geworden ist.« ^^ Da die abendländische Wirklichkeit nicht von ihren inneren Widersprüchen aus überwunden werden kann, verwirft Barthes den Grundbestand der westli chen Welt en bloc und setzt ihr, nach binärem Muster, ein Anderswo, eine Utopie entgegen. Man findet hier die strukturalistische Thematik vom Ab schluß der Geschichte und von der schrittweisen Entleerung zunächst des Referenten, dann des Signifikats wieder: »Es gilt bei uns im Westen, in un serer Kultur einen vernichtenden Kampf aufzunehmen, einen historischen Kampf mit dem Signifikat.« ^^ Die innere Reise nach Japan, zu der Barthes 1970 einlädt, bildet demnach die Suche nach dem im Zen satori genannten Wegfall des Sinns ab, um dem unendlichen Spiel der Signifikanten freien Lauf zu lassen. Alles wird noch in den geringsten Einzelheiten des Alltags lebens als Veranschaulichung dieses Zurücktretens von den Zeichen wahr genommen. Das Sprechen ist leer und die Wahrnehmung im wesentlichen graphisch. Die Nahrung zum Beispiel ist dezentriert: Japan weiht der ro hen Speise einen wahren Kult, der so weit reicht, die Küche vor den Augen des gleich Essenden zuzubereiten, »weil es gilt, durch das Schauspiel den Tod dessen, was man feiert, zu heiligen« ^^. Die japanische Nahrung ist durch und durch visuell und hat kein Zentrum, sondern besteht aus vielfäl tigen Fragmenten; sie wird in keiner bestimmten Reihenfolge zu sich ge nommen, sondern gewährt die Freiheit, sie ganz nach eigener Eingebung mit dem Stäbchen aufzunehmen. In Barthes' Japan ist alles Fragmentierung, Pluralisierung, im Gegensatz zum Westen, wo alles sich ordnet, sich strukturiert, sich konzentriert. Das gilt auch für die Kunst. Barthes hält dem westlichen Hang, aus einem vollen
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Subjekt/Sujet heraus Eindrücke in Beschreibungen umzusetzen, den Haiku entgegen, der niemals beschreibt, der kein Subjekt/Sujet hat, son dern eine einfache Kette von Signifikanten ohne Beweisabsicht, eine bloße Spur der Lust am Schreiben ist. Der Haiku dient keinem Gebrauch und er gibt sich keinem Kommentar: »£5 ist dies, es ist so, sagt der Haiku, es ist solches. [...] Aber der Blitz des Haiku erleuchtet, enthüllt nichts.«^'* Was Barthes fasziniert, ist das, was er lange verdrängt hat und doch sein wahres Wesen ausmacht: die Freiheit des Schriftstellers gegenüber dem Schreiben, die Fähigkeit, sich von aller didaktischen, demonstrativen Rede zu lösen, um der Intuition die Möglichkeit zur vollen Selbstäußerung zu geben. Nach einem Umweg über die Linguistik läßt Roland Barthes also 1970 eine Rückkehr zur Literatur erkennen. Ein symptomatischer Werdegang für diese Generation von Strukturalisten überhaupt, die sich der Diskurse der Sozialwissenschaften bediente, ohne sich von ihrer unterdrückten schrift stellerischen Berufung zu verabschieden. Freilich hat dies auch dazu beige tragen, daß »wissenschaftliche« Werke in den sechziger Jahren zu manch großem zeitgenössischem Roman gerieten.
Die Paragramme oder Die maskierte Wiederkehr des Subjekts Mit dem Begriff der Intertextualität hat Julia Kristeva nach Wegen gesucht, die Strukturalistische Geschlossenheit zu überwinden. Sie hat aber auch eine zweite neue Forschungsrichtung erschlossen: die einer subjektiven Dynamik, allerdings nicht im Sinne des klassischen Subjekts, sondern im Verständnis Lacans, als Subjekt des Begehrens. Im bewußten Jahr 1966 ent deckte sie den später so genannten »zweiten Saussure«, den Saussure der Anagramme, aus denen Jean Starobinski soeben einige Auszüge veröffent licht hatte. Sie brachte die Suche nach dem Eigennamen, die sich bei Saus sure unterhalb des erscheinenden Texts vollzieht, in unmittelbaren Zusam menhang mit dem analytischen Verfahren, wie Lacan es formalisiert hatte: »Mir fiel auf, daß das Spiel der Laute und Silben auf denjenigen, der im Schreiben begriffen ist, eine Art Macht ausübt. Diese Macht bewirkt eine gewisse konsonantische und phonische Regelmäßigkeit, Wiederholungen und Alliterationen, die sich in einem Eigennamen festmachen lassen. Und dieser wäre der Eigenname, der dem einzelnen nachgeht und an den er un-
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bewußt, aus sexuellen oder todesbezogenen Gründen, gebunden ist.«^^ Diese Forschung verweist auf eine andere Dynamik, nicht der expliziten, sondern der unbewußten Struktur. In dem programmatischen Text »Pour une semiologie des paragrammes« erläutert Kristeva diese neue Untersuchungsachse. Sie legt die Grundzüge einer neuen Wissenschaft fest, wie sie in diesen Zeiten überhaupt florieren: 1965 die Grammatologie, 1966 die Paragrammatik. Kristeva baut auf der Anagrammforschung Saussures auf, meint aber, dieser sei in die Irre gegan gen. Wenn er jedesmal ein einziges Wort, ein bestimmtes Anagramm ge sucht habe, existiere doch eine ganze unterbödige Kette von Themen, die sich dem erscheinenden Text unterschöben: »Es gibt dieses Beharren von Paralogiken eines anderen als des expliziten Sinns.« ^^ Aus dieser Grundan nahme heraus unterbreitet sie eine neue Lesart von Mallarme und Lautreamont. Das Paragramm ist darin als eine Form von Zerstörung der Schrift des anderen, von Auflösung des gefestigten Sinns definiert: »Nach dem Menschen zerstört das Paragramm den Namen.« ^^ Der Entwurf dieser neuen Untersuchungsachse offenbart einen epochentypischen Szientismus. Kristeva betrachtet die Reminiszenzen im paragrammatischen Raum auf der Basis einer soliden Verbindung von Semantik und Mathematik: »Nur durch die Anstrengung, die Logik der Paragramme auf einem abstrakten Niveau zu erfassen, kann der Vulgärpsychologismus oder -soziologismus überwunden werden.« ^^ Doch unter der Maske des Szientismus verschiebt Kristeva die Frage stellung sinnigerweise auf das bis dahin entwertete Subjekt: Die paragram matische Erkundung geht auf die Logik des Unbewußten ein, auf das, was dieses an Signifikanten »engrammatisch« speichert. Sie zielt auf eine per sönliche Geschichte, die sich aus Erinnerungen, Lektüren, verschiedenen Einprägungen zusammensetzt und sich deshalb auf einer anderen Ebene ansiedelt als die Sprache der Kommunikation, die per Definition die Zahl der benutzten Codes be- und eingrenzt. Auf dem Querweg zwischen den Feldern der Linguistik und der Psy choanalyse, den sie später »Semanalyse« nennt, wendet sich Kristeva, die einstweilen noch auf dem spezifischen Terrain der Literatur bleibt, künftig immer stärker der Psychoanalyse zu. Der von ihr unterbreitete Lektürety pus weist bereits den Vorzug auf, von der Neutralität abzugehen; er läßt Subjektivität zu und tritt in Resonanz zum Unbewußten des Literaturkriti-
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kers. Die neue Geltendmachung der Subjektivität eröffnet den Weg zum li terarischen Schreiben und gibt somit Barthes die wissenschaftliche Ge währleistung, die er braucht, um seine schöpferischen Wünsche auszule ben. Kristeva selbst bleibt im wissenschaftlichem Bereich und findet in der Psychoanalyse das konzeptuelle Raster, dessen sie bedarf, um die Erfor schung des Subjekts, die Entdeckung seiner Existenzweise voranzutrei ben : »Ich fühlte mich ein wenig zu sehr auf dem Prüf stand, als daß ich diese persönliche Subjektivität hätte geltend machen können, zumal Französisch für mich eine Fremdsprache ist.« ^^ Kristeva wird also noch lange am theorizistischen Diskurs festhalten. Später hat sie, um den beiden alternativen Wegen der Analyse Rechnung zu tragen, die Unterscheidung in Semiotik und Symbolik vorgeschlagen. Die Symbolik bezieht sich auf die bloße Denotation des codierten Austauschs, auf dessen einfachen Sinn, während die Semiotik hinausführt auf den »geheimen Kontinent der Sprache, in dem die Düfte, die Farben und die Klänge einander antworten und dabei auf eine Kindheitserfahrung und auf das Unbewußte verweisen« ^^°. Die so definierte Semiotik greift faktisch das 1969 als Semanalyse beschriebene Projekt wieder auf, das sich bereits als eine Kritik des Zeichenbegriffs darstellte und somit in der Lage war, sei nen Gegenstand zu entobjektivieren, ihn von einem Bruch aus zu denken, wobei er sich als »ein von keinem Ursprung oder Ende begrenzter Längs schnitt« '^^ konzipieren läßt. Stützt sich die Semiotik nach Kristeva auf die beiden großen zeitgenössi schen Erneuerungen des Marxismus durch Althusser und des Freudismus durch Lacan, so bezieht sie ihre Adelung aus den zeitlich weit zurücklie genden Wurzeln der abendländischen Kultur: »Ich beziehe mich auf einen Text von Piaton, den Timaios-Oidilo^, in dem er von einer Modalität der Bedeutung spricht, die er dem zuweist, was er chora nennt, ein Gefäß also.«"*^ Piaton nimmt an, daß diese Modalität des Sinns dem Einen, dem Namen vorausgeht, und gibt ihr die natürliche Konnotation eines nähren den, beweglichen Gefäßes. Auf der Grundlage dieses Dialogs will Kristeva einer vorsprachlichen, dem sprachlichen Zeichen vorangehenden Sphäre Rechnung tragen, die eher an das Verhältnis des künftigen sprechenden Wesens zu seiner Mutter gebunden ist: »Ich habe versucht, den Begriff der semiotischen chora einzubringen, der auf eine übersprachliche, archai schere Modalität der Bedeutung verweist.«'^^ So trennt sich Kristeva vom
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absoluten Dekonstruktionismus Derridas, auch wenn sie dessen Kritik des Zeichens entscheidende Anregungen verdankt. Ihre Annäherung an den Diskurs der Psychoanalyse führt sie vielmehr zur Aufnahme einer deuten den Arbeit, das heißt zur Festlegung eines durch die analytische Aufmerk samkeit enthüllten Sinns, einer Wahrheit, und sei sie vorläufig. Durch Erschließung des Feldes der Psychoanalyse und der Subjektivität konnte sich Barthes, w^ie er 1971 bekannte, von bestimmten Zwängen be freien: »Das große Problem besteht — jedenfalls für mich — darin, das Si gnifikat zu durchkreuzen, das Gesetz zu durchkreuzen, den Vater zu durchkreuzen, das Verdrängte zu durchkreuzen. [,..] Überall da, wo es die Möglichkeit zu einer paragrammatischen Arbeit gibt, zu einer bestimmten paragrammatischen Spurenlegung meines eigenen Textes, fühle ich mich wohl. Sollte ich eines Tages tatsächlich die Kritik meiner eigenen Arbeit zu leisten haben, würde ich sie auf den >Paragrammatismus< zentrieren.« '^'^ Ro land Barthes, der Sensor des Strukturalismus mit seinem Gespür für die Sensibilitäten und Bestrebungen der Avantgarde seiner Epoche, nimmt also einen neuen Anlauf, fußend auf der von Kristeva 1966 aufgewiesenen doppelten Neuausrichtung der Arbeit auf Intertextualität und Paragramme. Freilich läßt sich diese Wende nicht auf den alleinigen Einfluß der Kristeva reduzieren. Zu ihrem Verständnis gehört auch, daß Barthes auf li terarischem Feld Benvenistes verschiedentliche Ansätze zur Frage der Äu ßerung aufgreift: »Linguisten, die einem theoretischen Denken nachgehen (Jakobson, Chomsky und Benveniste), werfen das Problem der Äußerung auf und nicht nur das der Aussage.«'*^ Sobald die Linguistik sich der Frage der Äußerung annimmt, begegnet sie, wie bereits bei Benveniste zu beob achten, dem psychoanalytischen Diskurs und damit der Arbeit Lacans. Diese Wende hat daher durchaus mit einem neuen geistigen Klima zu tun, das der Forschung nach dem Subjekt des Begehrens in seinen verschiedenen Ausdrucksweisen Vorrang gewährt. Eine solche Suche macht sich auch in der Literatur bemerkbar, mit Sollers' 1965 erschienenem Roman Drame'^^, der die Reflexion über den Gebrauch der Pronomen, also der Zeichen der Äuße rung zum Thema hat. Abgesehen vom Barthes' Neuansatz günstigen Kon text ist jedoch vor allem der innere Anklang von Gewicht, den die wiederge fundene Subjektivität in ihm auslöst. Sein zurückgenommenes Bestreben kann sich nun entfalten und immer mehr die Intuition über ein befreites Schreiben walten lassen, das immer weniger verbirgt, welche Lust es bereitet.
Neuer Auftrieb für die Durkheimianer: Pierre Bourdieu
War den kaum dem Feld der Philosophie entwachsenen Durkheimianern ihre Emanzipation zu Anfang des Jahrhunderts nur halb geglückt und ihr Unterfangen gescheitert, mit Hilfe des Konzepts der sozialen Morphologie eine von den Soziologen geeinte Sozialwissenschaft zu verwirklichen, so kam ihnen nach dem Krieg der Aufschwung der Sozialwissenschaften für die Institutionalisierung ihrer Disziplin und deren immer festere Veranke rung an der Universität zugute. Dieser institutionelle Erfolg konnte aber das Scheitern im Punkte wissenschaftlicher Legitimierung nicht verschlei ern: Mochten sie auch ihren eigenen Studiengang einrichten, man blickte auf sie herab als Vertreter einer minderen, wenn nicht verächtlichen Diszi plin, besonders seitens der Philosophen und Historiker, aber auch von sel ten jüngerer Disziplinen wie der Anthropologie, deren Ehrgeiz und Strenge die Soziologie zum zweitrangigen Zufluchtsort eines auf eng umrissene und hauptsächlich instrumenteile Gegenstände beschränkten Em pirismus herabzuwürdigen schienen.
Die Kampfansage an die Philosophen Als Pierre Bourdieu das Feld der Soziologie betritt, verleiht er kraft seiner theoretischen Zielsetzungen, seines Vormachtstrebens und seines Hin terfragens der soziologischen Institution selbst der Durkheimschen Un ternehmung neuen Glanz. Möglich wird diese Wiederbelebung der Durkheim-Schule durch Bourdieus Aneignung des strukturalistischen Programms — vorläufig zumindest, denn wie so viele distanziert er sich später vom strukturalistischen Paradigma. In den sechziger Jahren legt Bourdieu eine strukturalistisch-durkheimianische Methode vor, die darauf angelegt ist, die Positionen Durkheims zu erhärten, um ihnen ihre volle Dynamik wiederzugeben und die Voraussetzungen für eine Wiedervereini-
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gung des völlig atomisierten, in eine Vielzahl von Ideologiefamilien zer splitterten Feldes der Soziologie zu schaffen: »Sein Strukturalismus ist eine ungemeine Bereicherung gewesen, er ist das soziologische Großwerk unse rer Zeit.« ^ Nach Art Durkheims sagt Bourdieu den Philosophen den Kampf an: »Wer der Relativität ein wenig entkommen will, [muß] sich des Anspruchs auf absolutes Wissen total entschlagen, sich der Krone des PhilosophenKönigs entledigen.«^ Allerdings gibt er die philosophische Fragestellung nie wirklich auf, so wie er auch eine Trennung zwischen Soziologie und Ethnologie ablehnt. Vielmehr unterhält Bourdieu einen Dialog mit Kant, Heidegger, Wittgenstein und Austin quer durch ein Werk, das sich auf dem soziologischen Feld gerade dadurch auszeichnet, daß es keinen echten Bruch mit dem philosophischen Diskurs vollzieht: »Mir scheint, daß er zur Philosophie immer in der Haltung eines Liebeszerwürfnisses gestanden hat.« ^ Bourdieu fordert also die Philosophie zum Duell auf deren eigenem Terrain, gewappnet mit dem ganzen statistischen Apparat des Soziologen, seinen Methoden, Konzepten und Verifikationsverfahren, mit denen er die Vorzüge des philosophischen wie des wissenschaftlichen Standpunkts auf sich vereinigen kann: »Die Soziologie ist bereits lange aus ihrer Vorge schichte herausgetreten, das heißt aus dem Zeitalter der großen Theorien der Sozialphilosophie [...]. Also: warum nicht sagen, daß da eine Wissen schaft ist, wenn es eine ist?«'* Mit Bourdieu befragt die soziologische Analyse die Position des Phi losophen, indem sie eine Wechselbeziehung zwischen dem Inhalt des Diskurses und der auf dem akademischen Feld eingenommenen institu tionellen Position herstellt. Sie leistet also eine Objektivierung des philosophischen Diskurses durch Untersuchung der Faktoren, die diesen innerhalb seiner Außerungsbedingungen selbst validieren und legitimieren. Kraft ihrer privilegierten Stellung hinsichtlich der Befragung und Bewer tung des Möglichkeitsfeldes ist die Soziologie nach Bourdieu unumgäng lich für die humanwissenschaftlichen Diskurse insgesamt und bietet sich daher als befreiender Horizont an: »Die Soziologie befreit, indem sie von der Illusion der Freiheit befreit.« ^ Sie gibt der Formulierung der überzo gensten Ambitionen statt, um mit Hilfe des strukturalistisch-durkheimianischen Paradigmas die von Durkheim erstrebte Einheit aller Humanwis senschaften zu verwirkhchen. Zu diesem Zweck bereitet Bourdieu dem
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Strukturalismus den Weg auf dem Feld der Soziologie und leistet damit die nicht unproblematische Anwendung eines auf die Aufdeckung des Verbor genen, Verhohlenen, Ungesagten zielenden Paradigmas in einer Disziplin, die durch ihren Untersuchungsgegenstand selbst und durch ihre Methoden das Gesagte, das Zeugnis, das Gespräch, die Statistiken, in einem Wort: die Sphäre des Sichtbaren geltend macht.
Einer, dem ein Wunder geschah Pierre Bourdieu steht zu seinem Untersuchungsgegenstand gleichsam in ei nem Verhältnis radikaler Verleugnung. Seine breit angelegte Systematik dient dazu, die Kraft der Reproduktionsmechanismen, die Schwäche der Mobilität, die Nichtigkeit des Ereignisses und das Beherrschtsein des Ak teurs durch seine Wurzeln aufzuzeigen. Aber der Werdegang des Indivi duums Pierre Bourdieu widerspricht der institutionellen Allmacht, den determinierenden Faktoren, deren unaufhaltsame Kraft er doch enthüllt. Bourdieu ist der lebende Gegenbeweis für seine Thesen, und in diesem Wi derspruch kommt eine Partie, die er mit sich selbst austrägt, zutage, eine geradezu therapeutische Konfrontation zwischen dem Individuum Bour dieu auf dem Gipfel wissenschaftlicher Legitimation und dem Menschen Bourdieu, der seine soziale Herkunft nicht verleugnet hat und in seinem akademischen und mondänen Reüssieren wachsendes Unbehagen ver spürt : »Meine Eingliederung in die soziale Welt, die mir eigentlich immer leichter fallen sollte, wird seltsamerweise immer schwieriger.«^ Bourdieu betrachtet sich als einer, dem ein Wunder geschah, weshalb Edgar Morin ihn polemisch als »bourdivin« [dieu = Gott, divin = göttlich, möglicherweise auch bourdes = Flausen, blauer Dunst, A. d. Ü.] bezeich nete. Sein ganzes Werk erhellt sich aus dem Übergang vom Religiösen (den Wundern) zum Wissenschaftlichen (der Soziologie) als dem Versuch, sei nen ebenso spektakulären wie statistisch unwahrscheinlichen Aufstieg zu rationalisieren: »Ich bin in einer Welt, in der ich nicht sein dürfte. Ich hätte schon vierzig Mal eliminiert werden müssen. Hier am College de France hat es von Leuten meiner Kategorie über zweihundert Jahre hinweg viel leicht ein Prozent gegeben.«'' Dabei handelt es sich durchaus nicht um Prahlerei, denn Bourdieu wuchs in einem ländlich-abgeschiedenen, be-
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herrschten Kleine-Leute-Milieu auf. Geboren wurde er in einem kleinen Dorf im Bearn. Sein Vater, ein niederer Beamter, trat erst spät in den öffent lichen Dienst ein — ein großer Aufstieg, nachdem er seine ersten dreißig Le bensjahre als Sohn eines Kleinpächters verbracht hatte: »Meine Kindheit ist von der Erfahrung der sozialen Ungleichheit, der Beherrschung geprägt.« ^ Von seinen schulischen Erfolgen einmal abgesehen, zeichnet Bourdieu sich zuerst dadurch aus, daß er seiner anfänglichen Revolte treu geblieben ist, während die meisten solcher aus den Volksklassen hervorgegangenen Wunderkinder in ihrer späteren Entwicklung zur Integration neigen, um sich aus ihren Herkunftsverhältnissen zu lösen. Bourdieu absolviert 1950/51 die khagne am Louis-le-Grand und anschließend die ENS in der Rue d'Ulm. Auch wenn ihn diese Philosophenlaufbahn auf den Gipfel der Anerkennung hebt, eine glückliche Periode war dies nicht: »Ich empfand mich als von einer Art Schande gelähmt. Ich fühlte mich ungeheuer schlecht.« ^ Von seiner Arbeitsumgebung, deren Beschäftigungen er müßig findet und deshalb nicht teilen kann, ist er nun ebenso abgeschnitten wie von seinem Herkunftsmilieu, das ihm bei jeder Rückkehr nach Mont-deMarsan unerträglicher und ferner erscheint. Um dieser Andersheit Ausdruck zu geben, wird er nicht den populisti schen, sondern den konzeptuellen Weg einschlagen und versuchen, die Me chanismen der Beherrschung zu beschreiben, das heißt, seine Untersu chungsgegenstände aus der Gesellschaft selbst schöpfen. Nun wurde damals für die khägneux das philosophische Ideal verkörpert durch Jean-Paul Sar tre, die Leitfigur des Existentialismus. Sartre drängte sich als Vorbild gera dezu auf, weil er mit seiner allseitigen, auf literarischem Gebiet wie in der Kritik und im philosophischen Denken talentierten Schaffenstätigkeit das gesamte intellektuelle Feld abdecken konnte. Anfang der fünfziger Jahre galt es unter den Philosophiestudenten der ENS für abgemacht, daß es sich für einen seines Namens würdigen Philosophen »verbot, sich zu einer Anbindung an bestimmte Gegenstände herabzulassen; zumal an all jene, mit denen die Spezialisten der Wissenschaften vom Menschen befaßt sind« ^°. Diesem Idealschema, diesem zugleich »faszinierenden und abstoßenden« " Bild des »totalen« Intellektuellen konnte Bourdieu nichts abgewinnen, er nahm keinen Anteil am geselligen Leben der ficole. Frühzeitig interessierte er sich für eine mehr der epistemologischen Reflexion, der Philosophieund Wissenschaftsgeschichte zugewandte Philosophenschule (Martial
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Gueroult, Jules Vuillemin), die er als möglichen Zufluchtsort ansah. Diesen Philosophen fühlte er sich aufgrund ihrer einfachen, provinziellen Her kunft und ihrer Position als Beherrschten auf dem damaligen intellektuellen und philosophischen Feld nahe. Bourdieu schwebte seinerzeit eine erste Forschungsarbeit über die Phänomenologie des Gefühlslebens vor, die es ihm erlaubt hätte, die philosophische Reflexion auf ein konkretes wissen schaftliches Gebiet anzuwenden: die Biologie. Letzten Endes wandte er sich jedoch der Ethnologie zu, wählte also erneut ein festumrissenes For schungsterrain und eine wissenschaftlich ausgewiesene Methode: »Das neue Prestige, das diese Wissenschaft [die Ethnologie] durch Levi-Strauss gewonnen hatte, hat mir dabei ungemein geholfen.« ^^ Kurz nach Abschluß der ficole normale geht Bourdieu 1957 nach Alge rien, ins Auge des Orkans, mitten in den Krieg. Er wird Assistent an der Universität von Algier und entdeckt im algerischen Volk nicht nur ein Un tersuchungsthema, sondern empfindet auch eine existentielle Nähe, die ihn dazu bewegt, seine Forschungsarbeit zweizuteilen. Auf der einen Seite be richtet Bourdieu als Soziologe von der kolonialen Wirklichkeit der algeri schen Gesellschaft, die den Gegenstand seines ersten Buches, Sociologie de VAlgerie^^ ausmacht. Unter diesem Blickwinkel führt er seine Untersuchun gen über die Lage der algerischen Arbeiter durch. ^"^ Auf der anderen Seite in teressiert er sich in Algerien als Ethnologe für die kabylische Gesellschaft, ihre Ehegepflogenheiten, Verwandtschaftsregeln und symbolischen Systeme. Bourdieu forscht also parallel in zwei Bereichen, zwischen denen er keinen grundsätzlichen Unterschied sieht: »Zu Durkheims Zeiten gab es keine Unterscheidung von Soziologie und Ethnologie.« ^^ Dieses Forschungsfeld und die damit einhergehende Methodologie betrachtet Bourdieu damals übrigens nur als einen zeitweiligen Umweg zur Philosophie, mit der er nie wirklich, es sei denn institutionell, gebrochen hat: »Ich habe mir erst sehr spät eingestanden, Ethnologe zu sein. Ich hatte die Absicht, vorerst Ethno logie zu betreiben und dann zur Philosophie zurückzukehren.« ^^
Bourdieus Strukturalismus Bis Anfang der sechziger Jahre bildet der Strukturalismus den theoreti schen Horizont von Bourdieus Arbeit. Er selbst bezeichnet das Jahr 1963
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als das seiner letztmaligen Tätigkeit »als unbefangener Strukturalist« ^^, verläßt aber gleichwohl nicht die strukturalistische Perspektive: 1969 veröf fentlicht er einen Aufsatz, in dem er die Bedingungen und Modalitäten ei ner Ausweitung der strukturalistischen Methode auf die Soziologie in Aus sicht nimmt. ^^ Sehr viel später und trotz kritischer Absetzung vom strukturalistischen Paradigma gibt Bourdieu eine Ehrenerklärung für eine Methode ab, die die Möglichkeit geschaffen hat, das relationale Denken in die Sozialwissenschaften einzuführen und dadurch positiv mit der substantialistischen Denkweise zu brechen. ^^ Anläßlich einer Sendung über LeviStrauss im Jahr 1988 erkennt Bourdieu an, daß noch in den Feinen Unterschieden^° viele Aspekte einem strukturalen Vorgehen verpflichtet sind, namentlich die Grundlage einer jeden Analyse, die nachweisen will, daß Existieren symbolisch Differieren heißt: »Es gab in den Feinen Unterschie den eine typisch strukturalistische Absicht dahingehend, zu sagen: die Be deutung ist die Differenz.« ^^ Bourdieu bekräftigt also noch 1988, die glei che Denkweise zu haben wie Levi-Strauss, so daß die erkennbaren Unterschiede ihrer Arbeiten weniger vom theoretischen Rahmen herrüh ren, der ihnen gemeinsam ist, als vielmehr von der Beschaffenheit des für den einen ethnologischen, für den anderen soziologischen Terrains. Bei Bourdieu auf eine differenzierte Gesellschaft und mit Rücksicht auf die ver schiedenen — symbolischen, ökonomischen, sozialen usw. — Ebenen ange wandt, zeitigt die gleiche strukturale Methode andere Resultate. Bourdieu hat sein Werk mithin lange innerhalb des strukturalen Paradigmas errich tet : »Allerdings hat es seine Zeit gebraucht, bis ich in der Lage war, mit ge wissen Grundannahmen des Strukturalismus folgenreich zu brechen. [...] Und dann mußte ich gewissermaßen noch ganz aus der Welt der Ethnolo gie heraustreten und Soziologe werden, um mich bisher unterlassenen Fra gen überhaupt stellen zu können.« ^^ Diese Voraussetzungen haben dazu beigetragen, daß Bourdieu seine Analyseobjekte in ein im wesentlichen statisches System von Determina tionen einschloß, in dem Ereignis und Historizität zur Bedeutungslosigkeit reduziert sind: »Das ist ein typisches System, für das es kein Ereignis gibt.«^^ Opposivität in einem einer institutionalisierten Gegenwart einbe schriebenen relationalen Verhältnis geltend machen zu wollen führt zu ei ner Aufwertung der topologischen, räumlichen Determinationen bei Hint anstellung anderer Erwägungen. Diese Methode ermöglicht zwar das
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Offenlegen bestimmter Logiken, läuft infolge der erstrebten Entkernung der Substanz, der Entleerung vom Inhalt der untersuchten Auseinanderset zungen und ihrer Entstehungsgeschichte aber auch leicht auf einen Reduk tionismus hinaus. In einer solchen Logik der Substanzentkernung präsentiert Bourdieu im Homo academicus^'^ den Streit, der 1965 zwischen Barthes und Picard um Racines Werk entbrannt war. Ihm zufolge ist diese neue quereile des anciens et des modernes reduzierbar auf eine faktische Komplizenschaft zwischen den beiden Protagonisten, eine Zirkularität der Argumente der Widersa cher, ein theoretisches Scheingefecht: Es handele sich einfach um ein epistemologisches Paar »zwischen den öffentlich anerkannten Oblaten des Hohenpriesteramts und den [...] modernistisch eingestellten Kleinhäreti kern« ^^, faktisch geeint in einer strukturalen Komplizenschaft. Nichts zu holen also in den Argumenten der Kontrahenten, in der Gegenüberstellung der Methoden, »im Inhalt der jeweiligen Stellungnahmen«^^, denn diese seien nur das gleichförmige Abbild gegensätzlicher Positionen, die auf der einen Seite, auf dem Feld der Literaturwissenschaft, die Sorbonne und auf der anderen, auf dem Feld der Sozialwissenschaften, die E P H E besetze. Hie Barthes und die Außenseiter der Universitätsinstitution, da die kano nisierten Sachwalter der Legitimität und — wie Frederic Deloffre 1968 — zu allem bereiten Verteidiger der Tradition: Beide hätten lediglich, diesmal als Farce, das Gefecht wiederholt, das die »Neue Sorbonne«, also fimile Durkheim, Gustave Lanson und Ernest Lavisse, im ausgehenden 19. Jahr hundert gegen die alte literarische Sorbonne und die ihr eng verbundenen Kritiker führte. Hinter dem zur Geisel genommenen Racine, den man sich wechselseitig streitig mache, sei einfach ein Machtanspruch im Spiel; und der gesellschaftliche Erfolg des Strukturalismus lasse sich nur als Wunder mittel erklären, um den immer zahlreicher werdenden, in neuen Diszipli nen engagierten Professoren und Studenten einen institutionellen Absatz markt zu erschließen, »indem [er] diesen Disziplinen die Möglichkeit eröffnet, sich wieder auf dem Boden der >Wissenschaft< einzurichten« ^''. Die hier von Bourdieu beleuchtete Dimension ist nicht falsch, und sicherHch stand hinter diesem Streit auch ein institutioneller Einsatz. Aber es ist schon sehr reduktionistisch, das Wesen der Auseinandersetzung im Na men einer sozialen Topologie kurzerhand auf ihren sozialen Aspekt zu be grenzen und die von den Protagonisten vorgebrachten Argumente als be-
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deutungslos aus dem Untersuchungsfeld auszuklammern. Damit gelangt man zu einem schieren Strukturspiel von Platzdifferenzen, in dem jede Än derung der Spielregeln, jeder Anlauf irreversibler geschichtlicher Transfor mation nichtig werden muß. Übertragen auf das soziologische Feld, sind demnach bei Bourdieu durchaus die Kennzeichen des Strukturalismus wie derzufinden, sogar dahingehend, daß den Argumenten der Semiologen der sechziger Jahre, die kraft des Strukturalismus einen entscheidenden epistemologischen Schnitt setzen wollten, jede Relevanz abgesprochen wird und sie ihres Inhalts entleert werden. Die gesellschaftlichen Akteure, auch dieje nigen, die sich von sozialen Determinierungen weitestgehend frei dünken, sind nach Bourdieu von Kräften bewegt, von denen sie, ohne sich des sen bewußt zu sein, gehandelt und somit verdinglicht werden. Diese objek tiven Bedingungen der diskursiven Praktiken also sind dem Soziologen zu rekonstruieren aufgegeben, um eine Kausalebene zu erreichen, auf der die Subjekte nicht oder doch nur ihrer Illusionen halber vorkommen. Laut Raymond Boudon »liegt hier eine übertriebene Einschätzung der Zwänge vor und die absurde Vorstellung, die Zwänge kämen aus der sozialen Tota lität und ihrem angeblichen Drang zur Selbstreproduktion« ^^. Mit dieser Position läßt sich Bourdieu auf das Paradox der meisten Strukturalisten ein, die als linke Intellektuelle auf Veränderung hinarbeiten und auf theoretischer Ebene in fortschrittlicher Perspektive kritisches Rüstzeug entwickeln, gleichzeitig jedoch von einem Paradigma eingenom men sind, das alle Veränderungsansätze versperrt und so das Ende der Ge schichte ankündigt, wogegen es freilich die Gewähr für Wissenschaftlich keit und die Aussicht auf Erfassen des als Totalität zu begreifenden verdinglichten Sozialen bietet: »Diese Etappe ist die der Verzweiflung. Sie ist nicht ohne Schönheit. Allerdings rührt diese Verzweiflung eher aus mangelndem Optimismus denn aus wirklichem Vernunftpessimismus.« ^^ So findet sich die Thematik der Abwesenheit des Subjekts auch beim frühen Bourdieu, demjenigen also, der den Strukturalismus in die Soziolo gie eingeführt hat. Das Subjekt wird gehandelt, es ist seinem sozialen Schicksal unterworfen, außerhalb dessen es sich vergeblich in Worten er geht, um sein Scheitern zu tarnen. Die einzige intelligible Mechanik des Sy stems ist die der positiven materiellen Interessen, die aus einem Objektivie rungsprozeß resultieren, durch den sich das Subjekt in einer Wahrheit offenbart, die ihm nicht gehört.
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Die Reproduktionsmechanismen Unmittelbar großen Einfluß erlangt Bourdieu mit einem soziologischen Werk, das er allerdings während der Abfassung als für ihn selbst zweitrangige Arbeit, als der Notwendigkeit gehorchende Kampfschrift ansah, während seine grundlegenderen Beschäftigungen noch auf die Verwandtschaftssy steme, auf die rituellen Systeme, kurz, auf das ethnologische Terrain hin aus gerichtet waren. Da er jedoch die aufkommende, nach seinem Verständnis arg aus der Luft gegriffene Ideologie, die das Studentenmilieu zu einer eige nen sozialen Klasse erklärte, nicht unwidersprochen hinnehmen wollte, be schloß er, als Soziologe eine wissenschaftlich fundierte Sicht zu vermitteln, und veröffentlichte 1964 gemeinsam mit Jean-Claude Passeron Les Heritiers. Bourdieu und Passeron setzen sich mit dem verbrämenden Aspekt von Jules Ferrys egalitärer Rede von der Bildung für alle auseinander, die jedem die gleichen Chancen für die Verwirklichung seiner Möglichkeiten in Aussicht stellt. In diesem Sinne hat die Arbeit, die allerdings eine strukturale Perspek tive insofern einnimmt, als sie zeigt, daß es aus der unerbittlichen Reproduk tionslogik des Systems kein Entrinnen gibt, in der Bewegung vom Mai 1968 als wichtige Waffe der Kritik am Bildungssystem gedient. In der Tat machen Bourdieu und Passeron dingfest, was die Institution hinter ihrer Scheinneu tralität versteckt: ihre Funktion des Reproduzierens der bestehenden gesell schaftlichen Verhältnisse, ihre vornehmliche Rolle als Sortiermaschine. Die Selektion im Namen rein schulischer Kriterien bemäntele, verdunkele näm lich die wahre Selektion, die eine soziale sei: »bei den unterprivilegierten Klassen führt dies ganz einfach zur Eliminierung« ^°. Bei denjenigen, die bis zur Universität gelangen, unterscheiden die Autoren zwei Grundhaltungen zum Wissen: Die Kulturerben unterhielten eine distanzierte Beziehung zum Schulwissen, wohingegen die Kinder des Kleinbürgertums »am stärksten schulisch orientiert« ^^ seien. Vom Strukturalistischen Paradigma geprägt ist diese Sicht des Bildungs wesens insofern, als sie dessen Wahrheit in seiner verborgenen Seite findet, aber auch jede Möglichkeit verneint, ihrer Logik zu entkommen. Bourdieu und Passeron sprechen ein vernichtendes Urteil über jede pädagogische Anstrengung oder Überlegung, die nur dazu diene, die Reproduktions funktion des Unterweisenden zu verschleiern: »Ein in Routine erstarrter Professor erfüllt — auch ohne es zu wollen — [...] seine objektive Funk-
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tion.« ^^ So gibt es denn für die Akteure des Systems keinerlei Freiheit, kei nerlei Handlungsspielraum; und den Ausgeschlossenen bliebe nur die Zu flucht zum Soziologen als einem Therapeuten, der sie, wenn schon nicht heilen, so doch wenigstens über ihren Fall aufklären könnte: »Mangels ei ner Veränderung der Klassifikation der Schlechtklassierten böte er ihnen >die Möglichkeit, ihren Fiabitus ohne Schuldgefühl und ohne Leidensge fühle zu akzeptieren<.« ^^ Jeder an seinem Platz: Unterrichtende wie Unter richtete, was immer ihre Reden inhaltlich bedeuten, wie singulär sie sich auch verhalten, gleich ob ihre Einstellung dem herrschenden Wissen an hängt oder es anficht, werden unerbittlich vereinnahmt von der Reproduk tionsmaschine — eine ausweglose Situation, stärken doch noch die radikal sten Einsprüche die Klassifikationsfähigkeit des Systems: »Kann wirklich übersehen werden, daß die Revolte gegen das Bildungssystem und die Flucht in heterodoxen Enthusiasmus auf Umwegen die Ziele der Universi tät begünstigen?« ^"^ Womit denn alle Ausgänge verriegelt wären. Bemerkenswert an diesem Werk ist, daß es ein Paradox auf die Spitze treibt, in dem sich die grundsätzliche Situation des Strukturalismus in den sechziger Jahren widerspiegelt: Einerseits schafft er die Möglichkeit, das kritische Denken voranzutreiben und seine Waffen zu schleifen, anderer seits entschärft er sie, weil er jede Möglichkeit der Transformation prinzi piell verneint. So wird noch das Aufbegehren gegen den Zwang der Regel als einer der Königswege zu ihrer Verinnerlichung vorgeführt. Daher liefert 1964 die strukturalistische Untersuchung der schulischen und universitären Welt der künftigen Bewegung vom Mai 68 Argumente und leugnet doch im vorhinein wenn nicht deren Möglichkeit, so doch ihre Bedeutung und Tragweite. Das Übergewicht, das dabei der Statik der Klassifikationssy steme zugesprochen wird, läßt erneut die Negierung des Ereignisses, der Geschichte erkennen. Bleibt eine wichtige Errungenschaft auf theoretischer Ebene: die ernst hafte Berücksichtigung des Feldes des Symbolischen und Bourdieus Ab kehr als Soziologe vom marxistischen Ökonomismus, von der mechanisti schen Vulgata. Was diese neue Gewichtung der Superstrukturen betrifft, kommt sein Beitrag der Arbeit der Althusserianer nahe: »Anfangs habe ich mich darüber mit Bourdieu in Lille ein wenig angeschnauzt, denn ich warf ihm vor, dem symbolischen Kapital zuviel Bedeutung einzuräumen. Ich muß anerkennen, daß er recht hatte.« ^^ Wie bei den Althusserianern ist
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freilich auch beim frühen Bourdieu nicht ersichtHch, auf welche Weise sich das Handeln des individuellen oder kollektiven Subjekts in dieses Netz werk unweigerlicher Regeln und Determinierungen einbrächte. Wenn die Althusserianer die Autonomie der Instanzen der Produktionsweise anfüh ren, spricht Bourdieu dementsprechend von der Autonomie des kulturellen Produktionsfeldes, dessen Unterkomplexe von jeweils eigenen Funktions regeln gesteuert würden, woraus wiederum Klassifikationskämpfe inner halb jedes einzelnen Feldes erwüchsen. Mit Hilfe dieses Modells, durch die Postulierung einer Autonomie des symbolischen Feldes und seiner Logik, entkommt Bourdieu dem Mechanismus, jegliche Form von Diskurs auf eine in der Gesamtgesellschaft eingenommene KJassenposition zu bezie hen. Indes hat diese Autonomisierung Grenzen, denn so wie bei den Althusserianern in letzter Instanz das Ökonomische ausschlaggebend bleibt, so vollzieht sich, meint Alain Caille, bei Bourdieu in analoger Schlußfolgerung eine Reduktion auf das Ökonomische, und zwar durch den Begriff des materiellen Interesses, die wahre Matrix seiner Theorie: »So kommt ein verallgemeinerter Ökonomismus in Anschlag, der nicht mehr der substantialistische Ökonomismus ist.« ^^ Bourdieu verwirft den krassen kausalen Ökonomismus und ersetzt ihn durch die Vorstellung von einem Gesamtsystem, das die Dichotomie zwi schen dem Ökonomischen und dem Nichtökonomischen übersteigt. Auf diese Weise können die auf materiellen Interessen beruhenden Motiva tionen ebensogut erfaßt werden wie diejenigen, die scheinbar noch so zweckfreien, ökonomiefernen Tätigkeiten zugrunde liegen. Über ein im wesentlichen analogisches Denken errichtet Bourdieu somit seine eigene Stufenleiter einer »verallgemeinerten politischen Ökonomie« ^^, fußend auf dem ökonomischen Kapital, dem sozialen Kapital und dem symbolischen Kapital, die jeweils Verhältnissen von Komplementarität und Autonomie eingeschrieben sind. Den Klassenkampf, bei Marx Motor der Geschichte, ersetzt Bourdieu somit durch den Kiassifikationskampf als Motor der Lo gik des sozialen Raums. Die historische Dialektik löst sich auf in der Synchronie und der Invarianz der Schichtungen der verschiedenen Felder und des Anlagenspiels, das sie gemäß der similären Logik der materiellen Inter essen ermöglichen: »Das Selbe wird immer das Selbe hervorbringen.«·'^
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Die Pflege des Stils Ein weiteres Kennzeichen der Arbeit Bourdieus ist sein gepflegter Stil, der verrät, daß er der Literatur nicht abgeschworen hat. Bei seinem Entschluß, sich im Bereich der Humanwissenschaften zu äußern, sieht er sich doch zu gleich als Schriftsteller, teilt also das Selbstverständnis der übrigen Strukturalisten: »Was mich bei Bourdieu am meisten interessiert, ist die Arbeit am Text: wie er im Verbergen enthüllt oder im Enthüllen verbirgt. Er geht in erster Linie wie ein Romanschriftsteller vor.« ^^ Wie bei einem Schriftsteller ist das Fundament, der Hauptoperator von Bourdieus Denken die Analo gie. Wie bei einem Romancier umspannt sein Blick auf die Gesellschaft dank eines eigenen Kommentars mehr als das, was die soziologische Er mittlung im Rohzustand ergibt. In dieser Hinsicht dient ihm der wissen schaftliche Diskurs als Plattform, um durch das Erzählen des anderen sich selbst zu erzählen, und sein Werk erschließt sich anhand des Ungesagten, der Randnotizen, Anmerkungen und Motti: »Seine Schriften erinnern un weigerlich an Balzac. Wie sollte man nicht an Rastignac oder Lucien de Rubempre denken, wenn man den Analysen folgt, die zeigen, wie der Erwerb eines gediegenen sozialen und kulturellen Kapitals dem ursprünglichen Mangel an ökonomischem Kapital günstigerweise abzuhelfen vermag ?«'*° Bourdieu führt häufig einen weiteren subjektiven Gesellschaftsanalyti ker an, einen großen Schriftsteller, bei dem Unauslotbarkeit wie Vollkom menheit des Werks wohl aller Versuchung widerraten dürften, sich litera risch mit ihm zu messen, und daher zu Seitenwegen nötigen: Marcel Proust. Auch Flaubert, einen weiteren unbestechlichen Kritiker des Klein bürgertums, stellt Bourdieu des öfteren seinen Texten als Motto voran. Pierre Encreve hingegen rückt Bourdieu wegen seiner Position als enga gierter Philosoph, der die Menschen von ihren Ketten befreien will, eher in die Nähe von Rousseau. Als Schriftsteller und Soziologe, der die Grenzlinien zwischen Ökono mie, Soziologie, Ethnologie und Philosophie verschiebt, gehört Bourdieu vor allem jenem unklassifizierbaren französischen kritischen Denken an, das sich unter dem Sigel und der Methode des strukturalistischen Denkens versammelt hat, wenngleich er sich, wie wir noch sehen werden, in den siebziger und achtziger Jahren zunehmend kritischer von bestimmten Aus richtungen dieser Denkweise distanzieren wird.
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Daß auf das Jahr 1966, in dem der Stern des Strukturalismus im Zenit stand, unmittelbar eine Reihe von Hinterfragungen folgte, heißt noch nicht, daß der Niedergang ersichtlich gewesen wäre — ganz im Gegenteil. Gerade in den Jahren 1967/68 dringt die Stoßwelle in die Medien vor, die nun einem breiteren Publikum die strukturalistischen Rezepte als Entdeckung des Allheilmittels feilbieten. Wer in Paris auf sich hält, wird strukturalistisch und stürzt sich gierig auf ein Phänomen, das offenbar das moderne Denken zu sein und nahezu alle Meisterdenker jener Zeit in schöner Einmütigkeit mitzureißen scheint. Um der Sache die spielerische Seite zu geben, fehlen nur noch die Cabarets, die der existentialistischen Ära den Hauch einer Jazzmelodie gaben, denn daß Ye-ye und Salut les copains wirklich am strukturalen Fest teilnähmen, kann man nicht behaupten. Gekannt hatte man bislang den Erfolg eines Levi-Strauss, Foucault, Lacan, Barthes oder Althusser. Jetzt aber rückt über Einzigkeit und Anlage der einzelnen Werke hinaus der Strukturalismus als solcher in den Blick des Lesepublikums, das sich verblüfft fragt, wie es den Zusammenhang zwi schen allen diesen Autoren hatte übersehen können. Der Strukturalismus triumphiert also zu einem Zeitpunkt, an dem die Fundamente des Gebäudes bereits rissig werden und Bestrebungen im vol len Gange sind, das Phänomen zu überbieten, zu überwinden oder zu radikalisieren. Diese Verschiebung ist einfach Ausdruck des Zeitunterschiedes zwischen Forschung, Kolloquien, Dossiers der Fachzeitschriften einerseits und dem Echo der Presse andererseits. Bezeichnend für das Ende der heroischen Ära und den Beginn einer neuen Periode rückläufiger Erträge, erscheinen nun vermehrt Publikationen, die das Phänomen in einer allge meinen Bestandsaufnahme diagnostizieren, und Sammelbände, die nicht mehr in theoretischer, sondern in didaktischer, aufbereitender, verbreiten der Absicht mit dem Strukturalismus bekanntmachen wollen. Diese Werke tragen freilich kräftig zum Erfolg des Strukturalismus bei, schüren aber
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gleichzeitig bei den Autoren dieser Strömung wachsendes Mißtrauen gegen eine Angelegenheit, die zur flüchtigen Mode zu verkommen droht. So ver wahrt man sich fortan allseits gegen jede strukturalistische Etikettierung, um nicht in den Sog des Rückstroms zu geraten, der in zweifacher Hinsicht absehbar ist: zum einen wegen des ephemeren Charakters von derlei kol lektiver Schwärmerei und zum anderen wegen der immer radikaleren und zahlreicheren Kritiken im strukturalistischen Lager selber.
Alice im Strukturalismusland Seitens der Verleger läuft die Mobilmachung auf vollen Touren. Bei Seghers erscheinen 1967 die Clefspour le structuralisme von Jean-Marie Auzias, der eine Bilanz der verschiedenen Zweige der Bewegung vorlegen will, ein di daktisches (»Dieses Buch richtet sich an den Schullehrer« ^) und apodikti sches Werk (»Der Strukturalismus ist kein Imperialismus! Er versteht sich als Wissenschaft: Er ist es« ^). Ein Ansturm bricht los. Kaum erschienen, ist das Buch vergriffen, auch wenn es Fran9ois Chätelet naserümpfend vor zieht, diese Schlüssel »unter der Fußmatte« ^ zu lassen. Im Verlag Privat publiziert Jean-Baptiste Fages 1967 Comprendre le structuralisme und 1968 Le Structuralisme en proces. Bei den Presses Universitaires de France bittet man den großen Epistemologen und Psycholo genjean Piaget, für die Handbuchreihe Que-sais-je ein Bändchen über den Strukturalismus zu schreiben. Jean Piaget handelt das Phänomen entspre chend den verschiedenen Disziplinen ab, auf die es sich erstreckt. Dabei er innert er an das Alter des Strukturbegriffs und beschreibt dessen Anwen dung in so unterschiedlichen Feldern wie Mathematik, Physik, Biologie, Linguistik, Soziologie usw. Diese Abhandlung der verschiedenen Einsatz bereiche des Strukturbegriffs läßt eine ganze Reihe konzeptueller Fortent wicklungen zutage treten. Die Struktur tauge ersichtlich als wissenschaftli ches Instrument, vorausgesetzt, so Piaget, daß sie andere Methoden nicht ausschließe und bestimmte menschliche und geschichtliche Dimensionen nicht ausradiere. Daher ergreift Piaget Partei für einen genetischen Struktu ralismus, der den Positionen Lucien Goldmanns nahesteht. Seine eigenen Studien zur Psychologie des Kindes sind eine mögliche Veranschaulichung für diese Versöhnung von Geschichte und Struktur. Das für den universitä-
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ren Gebrauch gedachte Lehrbüchlein ist rasch zum Standardwerk über den Strukturalismus geworden, so daß dieser vielfach noch heute mit Jean Piaget identifiziert wird, obgleich dessen Standpunkt ein kritischer war. 1967 erscheint bei Payot Saussures berühmter Cours de linguistique ge nerale {Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft) in der kritischen Ausgabe von Tullio de Mauro, dessen Anmerkungen und Kommentare Louis-Jean Calvet ins Französische übersetzt hat. Der dickleibige Band mit seinem eher trockenen Stoff findet reißenden Absatz, nicht nur bei den Linguisten, Die Rückkehr zu Saussure und das Geraune von der Entdekkung des Steins der Weisen in den Humanwissenschaften bescheren dem Linguisten Andre Martinet in den Jahren 1967/68 an der Sorbonne ein un geahntes Auditorium: »Im Hörsaal Descartes saßen die verschiedensten Leute. Das machte der Reiz des Neuen. So waren damals Michele Cotta und auch eine ganze Reihe von Cineasten bei mir.« ^ Doch das große Verlagsprojekt des Jahres 1968 kommt aus einer Hoch burg der Verbreitung strukturalistischen Gedankenguts, den fiditions du Seuil, und hier von dem Philosophen und Herausgeber Frangois Wahl. Das Projekt geht auf das Strukturalismuswunderjähr 1966 zurück. Fran9ois Wahl, Herausgeber von Lacans Schriften, von Barthes und etwas später auch Derrida, immer bemüht um verlegerische Programmatik und an den Geschehnissen in den Humanwissenschaften so leidenschaftlich interes siert, daß er sogar bedauerte, »keine Gelegenheit gehabt zu haben, Claude Levi-Strauss zu publizieren« ^, übernimmt zu diesem Zeitpunkt die Her ausgabe eines Gemeinschaftswerks, das die Frage Was ist der Strukturalis mus? für den Bereich der Philosophie und der vom Modernisierungsschub getragenen Humanwissenschaften beantworten soll. Dabei liefert Oswald Ducrot den Beitrag zur Linguistik, Dan Sperber den zur Anthropologie, Tzvetan Todorov den zur Poetik und Moustafa Safouan den zur Psycho analyse. Wahl selbst verfaßt den philosophischen Teil. Das Werk ist so er folgreich, daß es seit 1973 noch einmal in Einzelbändchen in der Reihe Points-Seuil vorgelegt wird. ^ Die Designierung des strukturalistischen Phänomens beruht also nicht, wie manche meinten, auf bloßer Medienmache oder reiner Einbildung, sondern steht durchaus im produktiven Kern dieser Strömung selbst. Fran9ois Wahl hat diese umfassende Sichtweise in seiner Einführung klarge stellt: »Wir sagen [...], daß sich unter dem Namen Strukturalismus alle Wis-
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senschaften vom Zeichen, der Zeichensysteme, gruppieren.« ^ Das Phänomen ist also breit angelegt und zielt hoch, denn es bildet nach Frangois Wahl das Modell der Modelle, das den Zugang zur Wissenschaftlichkeit eröffnet: »Wie dem auch sei, wir werden verstanden haben, daß der Strukturalismus eine ernsthafte Sache ist: allem, was sich dem Zeichen verdankt, verleiht er ein Recht auf die Wissenschaft.«^ Dieser Band kündet von der Euphorie und szientistischen Durchdringung, unter der die eroberungsgestimmte Semiologie damals antrat. Fran9ois Wahl räumt heute ein, daß darin eine gewisse »erkenntnistheoretische Naivität lag, über die wir uns nach und nach klar geworden sind. Unsere Überzeugung, daß wir dabei waren, den Schlüssel zu finden, ging mit einer gewissen Verblendung einher.«^
Diesseits und jenseits des Strukturalismus Frangois Wahls Beitrag zu dem Band befaßt sich mit dem Feld der Philoso phie. Er unterscheidet ein Diesseits des Strukturalismus mit Foucault und ein Jenseits mit Lacan und Derrida; einen Zwischenbereich bilden dabei die althusserianisch-lacanianischen Positionen. Mit dieser Auswahl geht er schon nach der Mode, denn er erwähnt mit keinem Wort die Arbeit von Martial Gueroult und von Victor Goldschmidt, deren Lektüren von Pia tons Dialogen und von Descartes er heute gleichwohl für »historisch unüberholbar« ansieht, »dessen bin ich mir absolut sicher« ^°. Da aber deren Beitrag zum philosophischen Strukturalismus sich ganz auf das Feld der Philosophie beschränkt, gegenüber den Sozialwissenschaften verschlossen bleibt und auch vom Publikum nicht zur Kenntnis genommen wird, bleibt er in Wahls Darstellung unberücksichtigt, die indes Foucault und der Un tersuchung seines Begriffs der Episteme viel Platz einräumt. Erkennt Wahl in diesem Begriff eine Spur der strukturalistischen Bestrebungen, so ordnet er Foucault doch eher einer nominalistischen Philosophie zu: Nach seiner Auffassung habe Foucault den von ihm selbst proklamierten Schnitt zur Phänomenologie nicht vollzogen, sondern sei ihr verhaftet geblieben. Wenn er nach dem Sein des Zeichens forsche, das durch seine spezifischen Eigenschaften als Essenz definiert sei, bleibe er in der Filiation MerleauPontys: »Als Phänomenologe, d. h. diesseits des Strukturalismus, das vom Strukturalismus definierte Sein zu suchen ist ein widersprüchliches Vorha-
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ben, das dem Sein keinen anderen Status als den des Restes zugestehen kann: dessen, was übrigbleibt [...].« " Zwar gesteht Wahl Foucault zu, nach einer Organisation des Sehens zu forschen, dies jedoch auf der Ebene des Sehens selbst, als ein Nominalist, der das unmögliche Vorhaben betreibe, zwei inkompatible Modelle, das phänomenologische und das strukturalistische, miteinander zu vereinbaren: »Wir sind hier diesseits des Zeichens, diesseits der Rede, diesseits der Struktur [...].«^^ Foucault hätte seinen Le ser sozusagen nur zum Angeln ans Ufer des Rubikon geführt, ohne ihn zu überqueren: »Gibt es eine Episteme des Strukturalismus? Und woher kommt es, daß Die Ordnung der Dinge zögert, sich darüber zu äußern?« ^^ Wahl macht die Notwendigkeit des Schnitts geltend, damit diese Episteme existiert. Diesen entscheidenden Schnitt situiert er im Werk Althussers, in dessen explizit wissenschaftlichem Projekt: »Eine Reflexion über den Strukturalismus ist untrennbar mit einer Reflexion über die Wissenschaft verbunden [.·.].« ^'^ Foucault, der sich später energisch gegen das Etikett »Strukturalist« ver wahren sollte, siedelte sich damals voll und ganz in diesem Wirkungskreis an und stellte sich seit der Veröffentlichung der Ordnung der Dinge sogar als der Philosoph der großen Brüche in den epistemischen Grundfesten dar. Deshalb war er mit diesem Fortrücken seines philosophischen Vorhabens vom Strukturalistischen Projekt mitnichten einverstanden: »Er war sehr er bost darüber, ja, ich kann Ihnen sagen, daß er anfänglich in Wut geriet.« ^^ Wahl privilegiert in seiner Darstellung des philosophischen Strukturalismus eher lacanianisch-althusserianische Konstruktionen, namentlich die von Alain Badiou und von Jacques-Alain Miller. ^^ Im übrigen vereint er in einem Jenseits des Strukturalismus die beiden Jacques (Derrida und Lacan), jene zwei verfeindeten Brüder, die einander 1968 herzlich verabscheuten und die Frangois Wahl, ihrer beider Verleger, zur Vermeidung von Verwechslungen Jacques und Jacquot nannte. Lacan ermöglicht die Wiedereinführung einer Reflexion über das bislang neutrali sierte Subjekt, das freilich deshalb noch lange nicht seine Fülle zurücker langt. Die Rede ist von einem unterworfenen Subjekt, unfähig, sich wieder als Fundament zu setzen, auf immer gegenüber sich selbst verschoben. Eine doppelte Bewegung blockiert die Rückkehr des Subjekts als Herr sei ner selbst: die Unterordnung der Strukturierung des Subjekts unter die Struktur der Sprache und die der Strukturierung der Sprache unter die
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Strukturen des Signifikanten: »der Buchstabe geht dem Subjekt >voraus< [...] der Buchstabe geht dem Sinn >voraus<« ^''. Bei Derrida begründet sich das Jenseits des StrukturaHsmus aus der von ihm geleisteten Überbordung des philosophischen Diskurses durch dessen Anderes und der aus seiner Notion der Spur erwachsenden Anfechtung des Denkens in Grenzen und Ursprüngen. Denn für Wahl definiert sich der Strukturalismus gerade durch diesen Einschnitt oder diese Abgrenzung: »der Strukturalismus be ginnt, wenn das System der Zeichen uns anderswohin verweist« ^^.
Das Eine und das Vielfältige des Strukturalismus In den vorbereitenden Sitzungen zur Herausgabe dieses Gemeinschafts werks kam keine wirkliche gemeinsame theoretische Ausarbeitung zu stande, zumal die Auffassungen oftmals auseinandergingen. Dan Sperber, der aus Los Angeles zurückkehrte, wo er die Vorlesungen Chomskys ge hört hatte, und der durch seinen Freund Pierre Smith mit Frangois Wahl zusammengebracht worden war, um die Arbeiten Chomskys zu überset zen, wurde mit dem Abschnitt über den StrukturaHsmus in der Anthropo logie beauftragt. Während der Vorbereitungstreffen »gab es nicht viele Dis kussionen, einmal abgesehen davon, daß ich Ducrot dazu drängte, von der generativen Grammatik zu sprechen, die er nicht zu behandeln beabsich tigte« ^^. Tatsächlich stellt Oswald Ducrot, der mit dem linguistischen Teil beauftragt wurde, neben den anderen Strömungen der strukturalen Lin guistik die Grundzüge des Chomskysmus vor, jedoch ohne für seine Diszi plin eine führende Position oder eine Stellung als Pilotwissenschaft zu be anspruchen. Fran9ois Wahl entschied, das Werk mit dem linguistischen Teil einsetzen zu lassen, und unterstrich damit die bahnbrechende Rolle der Linguistik bei der Entfaltung des strukturalistischen Paradigmas: »Ich erin nere mich noch, wie ich Wahl sagte, daß ich keinen Grund sähe, mit der Linguistik anzufangen. Für ihn war das jedoch eine Selbstverständlichkeit, und jede andere Entscheidung wäre ihm skandalös erschienen.« ^° Dan Sperber, der den Strukturalismus in der Anthropologie darstellen soll, hat eine Vorzugsaufgabe, da er von der Arbeit Levi-Strauss' zu berich ten hat, dem er von seinem chomskyschen Standpunkt her allerdings kri tisch gegenübersteht. Wie wir bereits gesehen haben, legt er eine Levi-
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Strauss-Lektüre vor, die all das privilegiert, was die Strukturen des mensch lichen Geistes, die mentalen Bereiche und deren Tiefenstrukturen angeht, die auf Chomskys Kompetenzmodell verweisen. Er wirft Levi-Strauss vor, er sei in diesem Sinne nicht weit genug gegangen, habe in einer wider sprüchlichen Spannung verharrt zwischen einerseits seinem ethnologi schen Ehrgeiz, ein Inventar der kulturellen Variationen zu erstellen, und andererseits dem anthropologischen Ehrgeiz, die der menschlichen Gat tung spezifischen Lernkapazitäten zu bestimmen, die diese Variationen steuern: »Ich persönlich hatte durch die generative Grammatik von vorn herein Vorbehalte gegen den linguistischen Strukturalismus, und als ich ge beten wurde, das Kapitel über den Strukturalismus in der Anthropologie zu schreiben, habe ich es nicht als ein Manifest für den Strukturalismus konzipiert, sondern als ein Kapitel, das durchaus in Teilen kritisch sein sollte.« ^^ Der psychoanalytische Teil, mit dem Moustafa Safouan betraut wurde, schreibt sich in eine strikt Lacansche Filiation ein. Safouan, ägyptischer Philosoph, der durch Lacan zur Psychoanalyse übergewechselt ist, war über zehn Jahre lang bei Lacan in Kontrollanalyse. Der Übersetzer Freuds ins Arabische greift in seinem Beitrag eine Reihe von Themen auf, die La can zwischen 1958 und 1963 in seinen Seminaren in Sainte-Anne ange schnitten hatte. Daraus ergibt sich eine Annäherung an das Unbewußte, die weniger als sonst üblich genetisch, weniger historisch ausfällt als vielmehr räumlich und struktural: »Wenn wir sagen, das Unbewußte sei ein Ort, be stätigen wir nur die Tatsache, daß Freud seine Theorie über dieses Thema als eine >topische< Theorie präsentiert. Gewiß handelt es sich hier um eine Metapher, jedoch eine Metapher, die jenseits all dessen, was unsere Bezie hung zur Welt konstitutiert, bedeutet, daß ein Anderer Ort existiert.« ^^ Die Struktur, welche die Psychoanalyse enthüllt, siedelt nicht in einem ir gend gearteten verborgenen, vergrabenen Sinn, der sich selbst in seiner Präsenz zu offenbaren wäre, sondern sie findet sich dort, wo das Subjekt nicht wußte, in einem Schnitt, »den einzig das Gesetz gegen die (und vor der) Versuchung bewahrt, die den Menschen dazu führt, vergeblich seine erste Geschlossenheit wiederzufinden« ^^. Diese vier Beiträge übernehmen die disziplinaren Unterteilungen und repräsentieren jeweils einen anerkannten und institutionell verankerten Einzelbereich des Wissens. Dazu kommt ein ausführlicher Beitrag, der ein
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zugleich neues und an den historischen Ursprung des Strukturalismus an knüpfendes Feld darstellt: die Poetik. Damit wird Tzvetan Todorov beauf tragt, der in Frankreich die russischen Formalisten eingeführt hat. Er will zeigen, inwieweit das literarische Feld mit Hilfe der strukturalistischen Me thode von Grund auf erneuert werden kann. Den Horizont der Poetik be stimmt er als ein zugleich abstraktes und dem literarischen Feld internes Verfahren, das darauf zielt, die dem jeweiligen Werk zugrundeliegenden allgemeinen Gesetze wiederzugeben. Wie Gerard Genette stellt Tzvetan Todorov die Poetik nicht als eine Tätigkeit dar, die eine interpretative, hermeneutische Haltung ausschließt; vielmehr bildet sie deren notwendige Ergänzung: »Poetik und Interpretation stehen zueinander in einem schlechthin komplementären Verhältnis«^'*, doch nur die Poetik nimmt Anteil am semiotischen Projekt, das als Ankerstelle das Zeichen hat. Sie un terscheidet sich indes von der eigentlichen linguistischen Analyse, deren Wiedergabe des Signifikationsprozesses Todorov zufolge an zwei Be schränkungen krankt: Zum einen vernachlässige sie den spielerischen Cha rakter der Sprache, die Probleme der Konnotation, der Metaphorisierung, und zum anderen »geht sie kaum über die Grenzen des Satzes als der lin guistischen Grundeinheit hinaus« ^^. Auf beiden Ebenen zielt Todorov nicht nur auf die Linguistik als Disziplin, sondern auch auf den Struktura lismus der ersten Periode, dem er die Pluralität, die Polyvalenz entgegen stellt. Der Bulgare Tzvetan Todorov bezieht sich auf dieselbe Inspirations quelle wie seine Landsmännin Julia Kristeva: Michail Bachtin, der auf sein Verhältnis zum strukturalen Modell einen ebenso entscheidenden Einfluß ausgeübt hat: »Es war Bachtin, der als erster eine wirkliche Theorie der intertextuellen Polyvalenz formuliert hat.«^^ Daraus ergibt sich ein ganzes Analyseverfahren, das auf der Dialogik gründet, also einem Denkansatz li terarischer Herkunft, mit dem sich an Jakobsons Initialzündung anknüp fen läßt, der 1919 erklärte: »Gegenstand der Literaturwissenschaft ist nicht die Literatur, sondern die Literalität, das heißt das, was ein gegebenes Werk zu einem literarischen Werk macht.« ^'' Wenn auch die Autoren in diesem Gemeinschaftswerk von den spezifi schen Überlegungen ihres besonderen Forschungsgebiets geleitet wurden, sind doch die möglichen Verbindungslinien leicht zu erkennen, mit deren Hilfe ein globales Wissensnetz anhand des strukturalen Paradigmas artiku-
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liert werden konnte. Es bestand offenkundig ein theoretischer Ehrgeiz, der das Projekt insgesamt beseelte und die damalige Begeisterung für den Strukturalistischen Schlüssel zur Welt begründete. Gleichzeitig macht der Band die Situation einer allgemeinen Semiologie deutlich, die insofern an einem Wendepunkt angelangt ist, als sie von verschiedenen Öffnungs- und Umbruchversuchen durchkreuzt wird, die von innen heraus auf die bevor stehende Auflösung des Paradigmas hinwirken. Doch einstweilen ist davon für das intellektuelle Publikum nichts zu sehen; vielmehr erscheinen die in ternen Widersprüche, die da am Werk sind, als ebenso viele Gründe der Zuversicht in die Ergiebigkeit des neuen Denkens. So hört Frangois Wahl eines Tages auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Bourg-la-Reine, wie ein Philosophielehrer vom Lycee Lakanal sich wundert, daß sein Schüler aus der Abschlußklasse Freud lese, worauf dieser erwidert, das tue er, um Lacan zu verstehen: »Da habe ich mir gesagt: Ich habe es geschafft!« ^^ Ohne daß es ihm wirkHch bewußt war, vollzog dieser Schüler die Rückkehr zu Freud und erfüllte damit den Wunsch Lacans und seines Herausgebers. Wie sollte man da der kollektiven Euphorie widerstehen ?
Die vier Musketiere In den Jahren 1967 und 1968 setzt Levi-Strauss die Veröffentlichung seiner monumentalen Mythologica^'^ fort. Er ist nach wie vor der unbestrittene Meister, das Oberhaupt dieser Strömung, wenngleich er sich von Auswei tungen seiner Methode sorgsam fernhält. Seine Ablehnung ihm möglicher weise lästiger oder gefährlicher Vaterschaften bedeutet aber nicht, daß er im vielfältigen Medienecho nicht vorkäme. Er führt sogar vermehrt Presse gespräche über seine neuerschienenen Bücher, bleibt jedoch streng in den Grenzen der strukturalen Anthropologie und signalisiert damit Abstand vom blühenden spekulativen Strukturalismus. Als wichtiger Vermittler des Strukturalismus im Hinblick auf ein gebildetes Breitenpublikum wirkt da mals Le Nouvel Observateur. Am 25. Januar 1967 widmet das Wochenblatt drei Seiten Levi-Strauss, der im Gespräch mit Guy Dumur die Gelegenheit zu einer Definition des Strukturalismus wahrnimmt, mit der er bestimmte Verwendungen des Paradigmas implizit zurückweist: »Der Strukturalis mus ist keine philosophische Lehre, sondern eine Methode. Er nimmt die
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sozialen Tatsachen aus dem Erfahrungszusammenhang heraus und trans portiert sie ins Laboratorium. Dort versucht er, sie modellhaft darzustellen, wobei er nicht die Terme, sondern stets die Beziehungen zwischen den Termen in Betracht zieht.« ^° Es dürfte klar sein, daß Levi-Strauss mit dieser methodischen Definition auf die Einhaltung eines aus seiner Sicht rein wissenschaftlichen Verfahrens dringt, das sich von ideologischen und spekulativen Anwendungen ab grenzt, denn es geht ihm ja darum, seine Anthropologie der Physik und den Naturwissenschaften anzunähern. Levi-Strauss steht im Begriff, sein Ziel der Institutionalisierung einer aus dem Nichts hervorgetretenen, kei nem bestimmten Studiengang entsprechenden Sozialanthropologie zu er reichen. Der Zulauf ist so groß, »daß wir Bewerbern keine Hoffnung auf Berufsaussichten machen können« ^l Zwar klagt Levi-Strauss über man gelnde Kredite, doch die Zahl der Lehrstühle in Anthropologie ist binnen zwanzig Jahren von fünf auf zwanzig angewachsen (die EPHE mitgezählt), und die Ethnologie ist bei ihrer Eroberung der Universitäten ein gutes Stück vorangekommen, denn sie wird in fünf Provinzfakultäten gelehrt: Lyon, Straßburg, Grenoble, Bordeaux und Aix-en-Provence. Nach der Erfolgsveröffentlichung der Ordnung der Dinge beherrscht in der Philosophie in den Jahren 1967/68 Michel Foucault das Feld. Zwar muß er eine heftige Attacke Sartres hinnehmen, noch vermehrt durch die Veröf fentlichung zweier überaus kritischer Artikel der Sartrianer Michel Amiot und Sylvie Le Bon in den Temps Modernes, erhält aber gewichtigen Zu spruch und Verstärkung, als sich ein Mann einschaltet, der kaum je den Kampfplatz betritt und bei den Philosophen allerhöchstes Ansehen ge nießt : Georges Canguilhem ergreift zu Foucaults Verteidigung die Feder in der Zeitschrift Critique?·^ Humorig zeichnet er das Bild einer Liga zur Ver teidigung der Menschenrechte, die sich zu formieren scheint, um unter der Losung »Humanisten aller Parteien, vereinigt euch« ^^ Foucaults Thesen ei nen Riegel vorzuschieben. Canguilhem betont den großen Schritt nach vorn, den Foucault damit geleistet habe, daß er die in der Wissenschaftsge schichte so häufige Klippe des Anachronismus durch die Begriffe der Episteme und der Archäologie umschiffte. Er ehrt jene andere Geschichts schreibung, deren Corpus die Originaltexte der behandelten Periode bilden und in der die Ereignisse »Begriffe betreffen und nicht Menschen« ^'^. Foucault siedelt er in der Filiation Cavailles' an, weil er auf gleiche Weise
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das Augenmerk vom Bewußtsein auf den Begriff verschoben habe, und sieht in ihm den großen zeitgenössischen Philosophen, der möglicherweise die von Jean Cavailles angestrebte Philosophie des Begriffs verwirklichen würde. Foucault, einer der vier Musketiere der Zeichnung von Maurice Henry ^^, in der man ihn, Lacan, Levi-Strauss und Barthes im Baströckchen dahockend miteinander palavern sieht, ist 1967 ein glücklicher Strukturalist. In dieser Denkgemeinschaft, in der ihn die Presse ansiedelt, fühlt er sich aufgehoben. Das erklärt auch seine Anwandlung von Mißmut beim Erscheinen von Frangois Wahls Buch, in dem dieser ihn in einem An derswo, in einem Diesseits situiert, während er selber sich zu diesem Zeit punkt ganz ausdrücklich als Strukturalist definiert. In einem Gespräch, das er 1967 einer tunesischen Zeitung gibt, unterscheidet er zwei Formen des Strukturalismus: eine fruchtbare Methode, die in verschiedenen Einzelbe reichen des Wissens zur Anwendung kommt, und einen Strukturalismus, der »eine Aktivität ist, anhand deren die nichtspezialisierten Theoretiker sich bemühen, die tatsächlichen Beziehungen zu definieren, wie sie zwi schen dem oder jenem Ereignis unserer Kultur, der oder jener Wissen schaft, diesem praktischen oder jenem theoretischen Bereich existieren können. Anders ausgedrückt: Es handelt sich um eine Art verallgemeiner ten und nicht mehr auf diesen genau umrissenen wissenschaftlichen Be reich bezogenen Strukturalismus.«·^^ Es ist wohlgemerkt der zweitge nannte Strukturalismus, in dem Foucault sich ganz und gar wiedererkennt. Der nämlich ermöglicht es dem Philosophen, seine Spezifizität gegenüber dem im vollen Aufschwung stehenden Gesamtfeld der Sozialwissenschaf ten zu wahren, denn er allein ist dank seines von den verschiedenen beson deren Forschungsterrains zurückgezogenen Standorts fähig, ihre »wissen schaftlichen« Schlußfolgerungen zu bestätigen oder zu entkräften. Auch ein anderer Musketier ist mit der von ihm vollzogenen Rückkehr zur Literatur an einem Wendepunkt seines Werks angelangt: Roland Barthes. Er nähert sich nun den Begriffen der Subjektivität und der histori schen Dynamik an, erklärt aber nichtsdestoweniger 1968 seine tiefe Zu stimmung zu den strukturalistischen Grundprinzipien. Zum einen verfaßt er einen aufsehenerregenden Text, in dem er den »Tod des Autors« verkün det, so daß er die literarische Entsprechung zu Foucaults philosophischer Diagnose vom »Tod des Menschen« liefert. Der Begriff des Autors sei erst
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jüngeren Datums. Die kapitalistische Ideologie, die die Person des Urhe bers dignifiziere, habe sein Aufkommen ins ausgehende Mittelalter zu rückverlegt, Aber diese mythische Gestalt sei in Auflösung begriffen, denn wenn »der Autor in seinen eigenen Tod eintritt, beginnt das Schreiben« ^^. Den Mythos vom Autor hätten zuerst die Surrealisten erschüttert, aber es sei die Linguistik, die damit Ernst mache, da sie »der Zerstörung des Au tors ein wertvolles Analyseinstrument liefert, indem sie zeigt, daß der Aus sagevorgang in Gänze ein leerer Prozeß ist« ^^. An die Stelle des Autors tritt der Skriptur, eine Art außerzeitliches und außerräumliches Wesen, einge schrieben in die Unendlichkeit der Entfaltung des Signifikats, die alle Ent zifferungsversuche des Textes hinfällig macht: »Einem Text einen Autor zu geben heißt, gewaltsam einen Riegel vorzulegen, heißt Macht eines letzt gültigen Signifikats, heißt Abschließung der Schrift.« ^^ Anschließend feiert Barthes fröhlich die Geburt des Lesers aus der Asche des noch rauchenden Leichnams des Autors. Die andere Front, an der Barthes orthodoxe strukturalistische Positio nen wiederholt, betrifft das Verhältnis zur Geschichte: Wenn er sich an sonsten den Begriff der Intertextualität zu eigen macht, der es ihm ermög licht, die Struktur zu dynamisieren, akzeptiert er noch lange keinen Rückfall in einen Historizismus. Seine beiden Artikel von 1968 über »L'effet de reel« [Der Realitäts-Eindruck, A.d.Ü.] und »L'ecriture de l'evenement« [Das Schreiben des Ereignisses, A.d.Ü.] nähern sich der Idee der Transformation, der Dynamik an und beharren zugleich auf der Abwei sung des Historischen. ^^° Denn der Diskurs des Historikers gründe auf ei nem Mythos, auf einer »referentiellen Illusion«, die aus der Umwandlung des »Realen« als Signifikat der Denotation in ein Signifikat der Konnota tion erwachse. "^^ Wenn die Desintegration des Zeichens eine der Aufgaben der Modernität und wenn sie im realistischen Schreiben tatsächlich am Werk ist, so siedelt sie sich in diesem Fall in der falschen, der regressiven Ausrichtung an, die »im Namen einer referentiellen Fülle betrieben wird« ^^. Was den vierten der von Maurice Henry gezeichneten Musketiere des Strukturalistischen Banketts betrifft, Jacques Lacan, so ist der verwundert, sich in so guter Gesellschaft zu befinden: »Ich bin höchstpersönlich zu dem Bottich zugelassen, der da strukturalistisch genannt wird.«'*^ Das hindert ihn freilich nicht, 1968 eine Zeitschrift zu starten, die auf dem strukturalisti-
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sehen Prinzip vom Tod des Autors beruht. Zur Begründung, daß die Arti kel in dieser neuen Zeitschrift Scilicet grundsätzlich unsigniert erscheinen, zitiert Lacan sogar die Mathematiker der Bourbaki-Gruppe. Allerdings en det in der Zeitschrift die Anonymität der wissenschaftlichen Schreibweise beim Namen-des-Vaters, will sagen Lacan: »Unser Eigenname, Lacan, ist dem Programm ununterschlagbar.«"^"^ Einzig Lacan darf mit untilgbarem Namen seine Artikel in der Zeitschrift signieren, und diejenigen, die keinen Beitrag zu diesem Gemeinschaftswerk leisten wollen, »können nicht als meine Schüler anerkannt werden« ^^. Die Sanktion für eventuelle Aufmüp fige ist also klar, und das Projekt ist gut eingefädelt: größtmögliche Auffäl ligkeit für die Rede des Meisters und Anonymität für den Rest, die Masse, die in dem Schlamassel steckt, die Theorie vom Tod des Autors bezahlen zu müssen mit wortreicher Verschweigung, da ihre Signaturen verschwinden im Namen eines in Lacan inkarnierten wissenschaftlichen Über-Ichs, das natürlich Lacans Anderes ist. Eine seriösere Unternehmung kommt 1967 mit der Veröffentlichung des von Jean Laplanche und Jean-Bertrand Pontalis verfaßten Vokabulars der Psychoanalyse zum Abschluß. Diese Analyse des gesamten Begriffsappa rats der Psychoanalyse ist nicht nur ein wertvolles Arbeitsinstrument; sie verwirklicht auch die von Lacan unternommene Rückkehr zu Freud.
Die siebente Kunst Auf seinem Eroberungszug konnte der Strukturalismus seinem weitge spannten Reich mit der siebenten Kunst sogar ein neues Gebiet einverlei ben. 1968 erscheint nämlich ein Werk, mit dem ein neuer Zweig der Semiologie heranwächst, die Essais sur la signification au cinema von Christian Metz'^^, der sich bereits in der programmatischen Nummer der Commu nications von 1966"*^ zu Wort gemeldet hatte. Der Band, der seine in den Jahren 1964 bis 1968 verfaßten Texte versammelt, erweitert die Anwendung der linguistischen Begriffe auf den Bereich der Filmkritik: »Ich wollte der Metapher von der >kinematographischen Sprache< auf den Grund gehen, herausfinden, was sich in ihr verbirgt.« "^^ Christian Metz war von Jugend an ein passionierter Filmliebhaber, doch abgesehen von seiner Tätigkeit als Betreiber von Filmklubs war diese Nei-
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gung lange Zeit folgenlos geblieben. Ansonsten studierte er Linguistik, und »die Idee einer Semiologie des Kinos ist mir in der Zusammenschaltung dieser beiden Quellen gekommen« '*^. So gelangte Metz von der Filmliebhaberei zu einer neuen Herangehensweise an das Kino, auf das er den Begriffsraster anwendet, den er mit seiner »großen Syntagmatik« ausgearbei tet hat: »Objekt meiner intellektuellen Leidenschaft war die linguistische Maschine selbst.« ^° Metz' erste, 1964 verfaßte semiologische Schrift fußt auf der Reaktion gegen eine Filmkritik, die die linguistischen Erneuerungen ignoriert und den semiologischen Errungenschaften fernbleibt; gleichzeitig spricht sie sich nachdrücklich für ein eigenes kinematographisches Zeichensystem aus: »Ich bin dafür vom Saussureschen Begriff der Sprache ausgegangen. [...] Mir schien, daß das Kino vergleichsweise als langage und nicht als langue anzusehen war.« ^^ Indem er sich fast ausschließlich mit Spielfilmen beschäftigte, glaubte Metz damals ein auf den kinematographischen Dis kurs insgesamt anwendbares Modell gefunden zu haben. Seine »große Syn tagmatik« schlägt eine Aufteilung der Filme in autonome Segmente vor, die sich um syntaktische Großtypen bewegen (von denen er 1966 sechs, 1968 acht verzeichnet): erstens die autonome Einstellung (einmalige Einstel lung, die einer Sequenz entspricht), zweitens das parallele Syntagma (Paral lelmontage), drittens das Syntagma der zusammenfassenden Klammerung (undatierte Evokationen), viertens das deskriptive Syntagma (Simultaneitäten), fünftens das alternierte Syntagma, sechstens die Szene im eigentli chen Sinn (Koinzidenz der einheitlichen Verkettung des Signifikanten: was auf der Leinwand geschieht, und der einheitlichen Verkettung des Signifi kats: die Zeitlichkeit der Fiktion), siebtens die Sequenz durch Episoden (die Diskontinuität wird hier zum Konstruktionsprinzip erhoben), achtens die gewöhnliche Sequenz (Disposition in verstreuter Ordnung der Ellip sen) [vgl. C. Metz, Semiologie des Films, a.a.O., S. 171-182, A.d.U.]. Die acht Sequenztypen »haben die Aufgabe, verschiedene Arten von räumlich zeitlichen Beziehungen auszudrücken« ^^, und dieser Code deckt faktisch das klassische Kino von den dreißiger Jahren bis zur nouvelle vague der fünfziger Jahre ab. Diese extreme Formalisierung des kinematographischen Diskurses fin det ihre linguistische Quelle im wesentlichen im Werk Hjelmslevs, dessen Definition des Ausdrucksbegriffs nach Metz sehr treffend die Grundein-
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heit der filmischen »langage« beschreibt, während die Codifizierung einem rein formellen, logischen und relationalen Verfahren gehorcht: »In dem Sinne, wie Hjelmslev ihn verstand (= Inhaltsform + Ausdrucksform) ist ein Code ein Feld von Kommutabilitäten, von signifikanten Differentialitäten. Es kann also mehrere Codes in einem Diskurs geben.« ^^ Am Vorabend des Mai 68 herrscht keine Langeweile im strukturalistischen Frankreich: Alle Augenblicke sprießt aus den Ritzen des Pariser Pflasters eine neue Theorie, die in Ermangelung einer Utopie die Welt noch einmal aus einer Topik errichtet. Die strukturalistische Betriebsamkeit scheint in der Tat den großen Umbruch der Modernität darzustellen, bis ein anderer, diesmal historischer Umbruch eintritt, der an ihren Gewißhei ten rüttelt.
Strukturalismus und/oder Marxismus
In den Jahren 1967/68 kommt es zur Auseinandersetzung zwischen den beiden großen, ihrem Selbstverständnis nach umfassenden Philosophien von universaler Bestimmung, dem Strukturalismus und dem Marxismus. Der Niedergang des Marxismus scheint zwar dem Erfolg des Strukturalis mus Nahrung zu geben, doch könnte nicht im Gegenzug der Marxismus der ausgehenden sechziger Jahre mit Hilfe des Strukturalismus neuen Schwung gewinnen ? Lassen sich die beiden Ansätze miteinander vereinba ren, oder sind sie inkommensurabel ? Die Marxisten können sich nicht länger bedeckt halten: Althussers In tervention und das damit erweckte Echo stehen dem entgegen, und die stürmische Begeisterung für den Strukturalismus verlangt nach einer theo retischen Auseinandersetzung mit den strukturalistischen Positionen. Eine solche Debatte hatte Lucien Sebag bereits vor 1968 mit seiner bei Payot er schienenen Arbeit Marxisme et structuralisme (1964) angestoßen. Ähnlich wie zur gleichen Zeit Althusser ging er daran, mit Hilfe der Errungenschaf ten der Sozialwissenschaften den Marxismus mit der zeitgenössischen Ra tionalität zu versöhnen.
Ein Versöhnungsversuch: Lucien Sebag Forscher am CNRS, von der Ausbildung her Philosoph, war Lucien Sebag wie seine Freunde Alfred Adler, Pierre Clastres und Michel Cartry zur An thropologie übergewechselt. Als Schüler von Levi-Strauss reiste er 1961 für neun Monate nach Paraguay zu den Euyaki-Indianern und nach Bolivien zu den Ayore. Sebag stand im Schnittpunkt aller damaligen modernisti schen Bestrebungen. Als Strukturalist betrachtete er die Idee der Struktur wie sein Lehrmeister Levi-Strauss als rein methodologisches, nicht als spe kulatives Konzept. An der Psychoanalyse interessiert, ging er bei Lacan in
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die Analyse, der zu dem jungen Philosophen, welcher imstande schien, der Vermittlung seiner Thesen manche neuen Wege zu bereiten, privilegierte Beziehungen unterhielt. Als Semiologe nahm Sebag am Seminar von Greimas teil und arbeitete mit diesem an einem Projekt, die strukturale Seman tik für die Erforschung des Unbewußten zu öffnen. Als Marxist war er Mit glied der KPF, zu der er seit 1956 eine zunehmend kritische Position einnahm. Gegen die von der KPF-Führung verbreitete Vulgata schien ihm die Strenge der Humanwissenschaften der geeignete Kontrapunkt. Insbe sondere kritisierte er den vorherrschenden Marxismus wegen des Ökono mismus, mit dem jener das Wirtschaftsleben für eine Realität an sich ansah und ihm eine unmittelbar kausale Rolle zusprach. Sebag erkennt dem Marxismus zunächst das Verdienst zu, sich in Ablö sung vom weitverbreiteten Idealismus um die Untersuchung der objekti ven, zumal ökonomischen Realität zu kümmern. Unter Berufung auf den linguistic turn und die strukturalistischen Thesen hält er ihm jedoch vor, seinen bevorzugten Gegenstand zu sehr fetischisiert und die der ökonomi schen Realität zugrundeliegenden immanenten und sie organisierenden Prinzipien unterschätzt zu haben. Dies gilt besonders für alles, was es ge stattet, die Differenzen zwischen den Gesellschaften zu transzendieren, für »die Schaffung der Sprache, die das Sein der Kultur selbst umschreibt« ^ Gegenüber dem Strukturalismus vertritt Sebag humanistische Positionen, weshalb er ihn als eine Anthropologie betrachtet und bestimmten spekula tiven Fortschreibungen mißtraut: »Der Mensch ist der Erzeuger alles des sen, was menschlich ist, und diese Tautologie schließt aus, daß man aus dem Strukturalismus eine außeranthropologische Theorie des Ursprungs des Sinnes macht.« ^ In Lucien Sebag werden große Hoffnungen gesetzt, er gilt als der Theoretiker, der den Marxismus modernisieren und ihn durch seine Beziehungen zum Strukturalismus in allen seinen Ausprägungen umgestal ten könnte. Aber das Buch, das ein Zusammengehen von Marxismus und Strukturalismus ankündigt, möchte zugleich eine weitere Verbindung be siegeln, nämlich zwischen dem Autor und der Frau, der es gewidmet ist: Judith, der Tochter Lacans. Doch es kommt zu einem so jähen wie uner träglichen Drama: Im Januar 1965 tötet sich Lucien Sebag mit einem Revol verschuß in den Kopf. Auch wenn Lacan seiner Bestürzung darüber Aus druck gab, für Sebags Herausgeber bei Payot, Gerard Mendel, hat der Analytiker gegen seine Obliegenheiten verstoßen: »Sebag wurde zum Ver-
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hängnis, daß Lacan alles miteinander verquickt hat: Privatleben, Öffent lichkeit, Couch, und jeden in die Analyse aufnahm, selbst die größten De pressiven.« ^ So kehrte auch Nicolas Ruwet, der mit Lucien Sebag befreun det war und sich bis dahin für Lacans Thesen interessiert hatte, sich ab von dem Mann, der seinen Freund nicht vor der letzten Verzweiflungstat hatte bewahren können. ^
Die KPF nimmt den Dialog auf Das Projekt einer Auseinandersetzung zwischen dem marxistischen und dem Strukturalistischen Paradigma wurde von der KPF-Führung recht bald aufgegriffen. Ohne Althussers Thesen zu übernehmen, unterstrich das Zentralkomitee bei seiner Tagung im März 1966 in Argenteuil doch die Wichtigkeit des Umbruchs, der in den Humanwissenschaften im Gange war: »Wir dürfen angesichts der Vervielfachung neuer Fragen unsere Aus drucksinstrumente nicht länger veralten lassen: Die philosophischen De batten werden heute auf einem Terrain geführt, auf dem es nicht mehr nur um die Prinzipien geht, sondern auch um die präzisen Wissensformen (Ökonomie, Psychologie, Soziologie, Ethnologie, Linguistik).« ^ Mit Hilfe des Centre d'fitude et de Recherche Marxiste (CERM; Zentrum für marxi stische Studien und Forschungen) sowie der beiden parteieigenen Zeit schriften, der Monatsschrift La Nouvelle Critique und der wöchentlichen Kulturzeitschrift Les Lettres frangaises, schlug die KPF daher eine Politik des Dialogs ein, um ihren Einfluß bei den Intellektuellen zu festigen und dem seit 1956 anhaltenden Aderlaß entgegenzuwirken. So fanden auf Initiative der kommunistischen Intellektuellen im April 1968 und im April 1970 in Cluny zwei Kolloquien zu theoretischen Proble men der Literatur statt. Beide Veranstaltungen, mit denen die Verbindung »der Literatur und der Professoren« ^ besiegelt und ein Strukturalo-Marxismus aus der Taufe gehoben werden sollten, wurden organisiert von La Nouvelle Critique, dem CERM, der Croupe d'etudes et de recherches interdisciplinaires de Vaugirard und von Tel Quel. Die 7e/-Q^e/-Gruppe erschien damals als Inbegriff der Avantgarde, die viele kommunistische Intellektuelle entdeckten: »Dieses Kolloquium in Cluny war unglaublich. Kristeva war die Diva, und die anderen kuschten.
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Es war auch in intellektueller Hinsicht peinlich, dieses Verhältnis mit anzu sehen.«'' Neben Julia Kristeva, die über die strukturale Textanalyse sprach, hielt Philippe Sollers ein Referat über »Les niveaux semantiques d'un texte moderne«, in dem er die materialistische Ankerstelle des Textes im Körper ansiedelte, nicht in dem aus der bloßen »anatomisch-physischen« Beschrei bung des Autors rührenden Körper allerdings, sondern in demjenigen, der sich aus dem zerstückelten Körper, »einem vielfältig signifikanten Kör per« ^ herleitet. Philippe Sollers unterscheidet drei Ebenen der Annäherung an einen Text, eine Tiefen-, eine Zwischen- und eine Oberflächenschicht, die zusammengenommen eine transformationelle Matrix mit drei Funktio nen bilden: die sprachübergreifende, die gnoseologische und die politische. Jean-Louis Baudry sprach auf dem Kolloquium von der Strukturation der Schrift, Marcelin Pleynet über Struktur und Signifikation im Werk von Borges.^ Wie man sieht, gab die 7^/-Q^e/-Gruppe in dieser kollektiven Reflexion theoretisch den Ton an, und zwei Monate nach dem Kolloquium gründete Philippe Sollers, in der Euphorie seiner potentiellen Avantgardistenrolle gegenüber der Partei der »arbeitenden Klasse«, eine Gruppe für Theorie studien, die sich zum Ziel setzte, eine strukturalistisch-marxistische Ge samttheorie zu errichten, und sich einmal wöchentlich in der Rue de Rennes versammelte. Teilnehmer waren neben vielen anderen Barthes, Derrida, Klossowski, und auch »Lacan ließ sich einmal blicken« ^°. Diese Umschichtungen in den Humanwissenschaften führten zu Sam melbewegungen zugunsten der KPF. So trat Catherine Clement, die der Lacanschen ficole Freudienne de Paris (EFP) angehörte, im Herbst 1968 in die KPF ein. Sie war bei La Nouvelle Critique damit beauftragt, vermehrt Treffen zum Thema »Psychoanalyse und Politik« zu organisieren.
Der Strukturalismus auf dem Prüfstand des Rationalismus Anfang 1968 wurden auf Initiative eines anderen marxistischen Organs, der von Victor Leduc herausgegebenen und unter den Auspizien der Union rationaliste stehenden Zeitschrift Raison presente, an der Sorbonne Studien tage zum Thema »Die Strukturen und der Mensch« organisiert, die regen Zuspruch fanden. Der Inhalt wurde wenig später unter dem Titel Structura-
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lisme et marxisme^^ veröffentlicht. Die Veranstalter betrachteten den Struk turalismus als eine Ideologie, die gegen den Marxismus und den Humanis mus gerichtet war; in den Debatten waren indes die Gegner dieser neuen Denkweise ebenso vertreten wie deren Fürsprecher. ^^ Henri Lefebvre warnte vor mißbräuchlichen Ausweitungen des lingui stischen Modells; dem hielt Andre Martinet entgegen, es gebe nicht nur ei nes, sondern im Gegenteil eine Vielzahl linguistischer Modelle. Frangois Bresson sprach sich für eine erweiterte Anwendbarkeit des Generativismus auf andere Bereiche als die natürlichen Sprachen aus. Victor Leduc erörterte das Problem, mit dem sich die Veranstalter des Kolloquiums trugen — ob sie es mit einer bloßen Pariser Mode oder mit einem neuen Typus von Ra tionalität zu tun hätten. Strittig war hauptsächlich der Stellenwert der Struktur gegenüber dem menschlichen Handeln: »Kann es aus einer bestimmten Strukturtheorie heraus, so sie auf alle Ebenen des Realen angewandt würde, überhaupt noch einen Platz für die geschichtUche Initiative der Menschen geben?« ^^ Fran9ois Chätelet machte sich zum Anwalt des StrukturaHsmus, obwohl er die Substantivbildung ablehnte und nur das Epitheton für haltbar hielt: »Kennzeichnend für den Strukturalismus ist, glaube ich, sehr viel mehr eine gemeinsame Geisteshaltung,« ^'^ Er sah in dem Phänomen vor allem eine Emanzipationsmöglichkeit für die Sozialwissenschaften, die sich, schafften sie den Absprung von der seit dem klassischen Zeitalter vorherrschenden Fetischisierung des Subjekts, in ihrer Szientifiziät konstituieren könnten. Der Strukturalismus sei demnach zuvorderst durch eine Absage charakteri siert, die »Absage an den Humanismus« ^^, und seine Anstrengung be stünde darin, sich des Ideologischen zu entledigen, um die Theorie zu be freien. Dieser radikale Schnitt setze die Ausgrenzung des Menschen voraus: »Um diese Sozialwissenschaften in der Aussicht auf Objektivität angehen zu können, ist es notwendig, den Begriff vom Menschen radikal zu eliminieren.«^^ Die Positivität der Sozialwissenschaften muß sich auf dem Verschwinden des Subjekts errichten, so wie sich die wissenschaftliche Physik erst konstituiert hat, als sie mit den Täuschungen der Wahrneh mung brach. Der Philosoph Olivier Revault dAUonnes, Fachgebiet Ästhetik, übri gens ein enger Freund von Frangois Chätelet, teilte dessen Begeisterung für den Strukturalismus nicht uneingeschränkt. Er sah den Strukturbegriff als
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für die Humanwissenschaften unerläßlich an, gemäß der Durkheimschen Perspektive, die ihm sein akademischer Lehrer Charles Lalo, der Großneffe des Komponisten und Professor für Ästhetik an der Sorbonne, im Kursus des Studienjahrs 1943/44 — »Strukturale Analyse des ästhetischen Bewußt seins« — aufgewiesen hatte: »Charles Lalo hat uns gezeigt, daß die ver meintlich rein gefühlsmäßigen, dunklen, spontanen Reaktionen des Sub jekts, das ein Kunstwerk rezipiert, in WirkHchkeit in konstanten und strukturierten Beziehungen zum Gesamtzusammenhang des Seelenlebens und der Gesellschaft stehen.« ^'^ So reagierte Revault d'Allonnes mit seiner Arbeit zur Ästhetik sehr frühzeitig auf den in diesem Bereich gängigen Schwulst, um einen Strukturalismus avant la lettre zu behaupten. Aller dings dürfe diese Orientierung weder in statische Strukturen noch Struktu ren ohne Menschen münden. Am Beispiel der musikalischen Strukturen zeigte er, daß dort jedes System ungleichgewichtige Zonen enthält, mit de nen die Komponisten sich auseinandersetzen, indem sie sie so lange umar beiten, bis das System irreversibel in eine neue Struktur umschlägt. Die möglichen Wege der Freiheit liegen somit in der Erforschung der Strukturgrenzen: »Was mich an Bach fesselt, ist Debussy. [...] Was mich an Debussy fesselt, ist Schönberg, und an Schönberg wiederum ist es Xenakis.« ^^ Die Erkenntnis der Strukturen sei unerläßlich, um die menschlichen Fähigkei ten im Hinblick auf deren Transformation wieder entfalten zu können. Sie sei der Preis der Schöpfung. Gäbe es diese Anstrengung nicht, das Schaffen verurteilte sich selbst zu tödlicher Anpassung an statische Gefüge. Eher skeptisch auf Frangois Chätelets Begeisterung für den Strukturalis mus reagierte auch Jean-Pierre Vernant, selbst wenn er, wie wir sahen, das Modell von Levi-Strauss auf die altgriechische Geschichte übertragen hatte. Jedenfalls erinnerte er Frangois Chätelet bei dieser Gelegenheit an sein er stes Buch, La Naissance de Phistoire, in dem er das komplementäre Verhält nis aufgezeigt hatte, das sich zwischen der Übernahme der Verantwortung einer Gemeinschaft für ihr politisches Schicksal — den demos — und der Geburt eines geschichtlichen Bewußtseins aus der Erkenntnis, daß der Mensch eigentätiger Akteur der Geschichte sein könne, herausgebildet hatte. Gelassen und hellsichtig verkündete Jean-Pierre Vernant: »Ich habe keine Sorge um den Menschen, denn wenn man ihn aus der Vordertür hin auswirft, kommt er durch die Hintertür wieder herein. Man braucht sich nur die Entwicklung der zeitgenössischen Linguistik anzuschauen, um des-
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sen gewahr zu werden.« ^^ Vernants zweite Frage betrifft den Status der Ge schichte innerhalb einer strukturalen Problematik, die in seinen Augen bes ser dem Ethnologen anstünde und die Gefahr laufe, das Ereignis auf eine ir rationale Kontingenz zu reduzieren, in der Art, wie Levi-Strauss das »griechische Wunder« als eine rein zufällige Erscheinung darstelle, die sich ebensogut hätte anderswo zutragen können. Den Historikern lag die Faszination für die Struktur im allgemeinen fern, auch denjenigen, die als Grundlagenforscher beim Kolloquium anwe send waren. Sie bestanden auf der notwendigen Dialektik von Struktur und Dynamik, im Hinblick auf eine Historiographie, die Ernest Labrousse als Wissenschaft von den Veränderungen bezeichnete: »Als Wissenschaft von der Bewegung ist die Geschichte auch Bewußtsein der Bewegung.« ^° Aus der gleichen Auffassung heraus definierte Albert Soboul die Aufgabe des Historikers als Erfassung des Kräftespiels struktur-endogener Transfor mationen. Sein Hauptgegenstand läge demnach in der Untersuchung der Widersprüche, während der Strukturalist eher Nachdruck auf die in der Reproduktion der Struktur zum Tragen kommenden Systeme der Komple mentarität legen würde, »so daß die eigentliche Seele der Geschichte verlo rengeht« ^\ Dagegen zeigte Pierre Vidal-Naquet anhand des archaischen Sparta den Gewinn, der aus dem strukturalistischen Verfahren zu ziehen ist. Durch die Herauskristallisierung oppositiver Paare läßt sich — vorausgesetzt, sie wird in den Rahmen einer Entwicklung gestellt — ein besseres Verständnis der antiken Gesellschaft gewinnen: »In der Sprache von Levi-Strauss würde ich sagen, daß der Hoplit auf selten der Kultur, auf selten des Gekochten steht, während der Angehörige der Krypteia auf selten der Natur, auf selten des Rohen steht.« ^^ Madeleine Reberioux hielt dem Strukturalismus zugute, daß er den Historikern den Weg aus ihrem Eurozentrismus gewiesen und sich damit auch auf den Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe ausge wirkt habe, der seither das Studium einer sei es islamischen, sei es fernöstli chen Kultur einschloß. Bei aller Würdigung hing Madeleine Reberioux al lerdings keiner diskontinuistischen Sicht der Geschichte an.
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Die Wörter gegen die Dinge Konnte sich der Marxismus, wie es schien, durchaus mit einem Quentchen Strukturalismus anfreunden, so hatte es die Arbeit Michel Foucaults als ge wissermaßen spekulative Dimension des Phänomens schwerer: Sie wurde zur Zielscheibe heftiger ELritik von selten der Marxisten, allerdings mit ge wissen feinen Unterschieden. Jacques Milhau sah Anlaß zu uneinge schränkter Exkommunikation: Hatte Foucault nicht das Verbrechen be gangen, Marx zurück ins 19. Jahrhundert zu verweisen ? »Michel Foucaults antihistorisches Vorurteil kann sich nur abgestützt durch eine neonietzscheanische Ideologie aufrechterhalten, die, ob er es merkt oder nicht, nur zu gut den Absichten einer Klasse dient, welche alles Interesse daran hat, die objektiven Wege der Zukunft zu verschleiern.«^-^ Jeannette Colombel erkannte in Foucaults Buch eine augentäuschende Wahl des Verfassers zwi schen Wüste und Wahnsinn, einen »Scharfblick der Verzweiflung, Scharf blick des Gelächters. Made in USA.« ^'^ Bei ihrem Überblick über Foucaults Darlegungen unterstrich sie jedoch auch deren wertvolle Anregungen. Zwei ausführlichere, über den Rahmen einer Besprechung hinausge hende Studien machten Probleme der Methode deutlich. In der Zeitschrift Raison presente war 1967 ein Artikel von Olivier Revault dAllonnes er schienen, der 1970 aus Anlaß der Veröffentlichung von Structuralisme et marxisme noch einmal abgedruckt wurde: »Michel Foucault. Les mots contre les choses«. Revault dAllonnes brandmarkt Foucaults Werk als Kriegsmaschine gegen die historische Untersuchungsmethode und Aus druck technokratischen Verwaltungsdenkens; er denunziert den Überhang der Wörter, der die Dinge verdrängt, die Vorherrschaft der Momentauf nahme und die entschieden relativistische und diskontinuistische Vorge hensweise: »Am meisten hat mich an der Ordnung der Dinge erstaunt, ja fast verblüfft, daß Foucault, den ich als Aktivisten kennengelernt habe, nun behauptet, daß das Subjekt nicht mehr existiere, daß es nur eine kleine Kräuselung auf der Wasseroberfläche sei. Er vermittelt uns bemerkens werte, aber starre Klischees, und er ist deutlich darauf bedacht, sich nicht mit dem aufzuhalten, was innerhalb der epistemischen Räume diese bereits in Frage stellt.« ^^ Die zweite Grundsatzkritik kam von dem Historiker Pierre Vilar und erschien im Juni 1967 in La Nouvelle Critique.^^ Dadurch, daß Foucault
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seine Analyse auf die Abfolge diskursiver Formationen beschränkte, hat er für Pierre Vilar implizit den Referenten beseitigt, kurz, die geschichtliche Realität, die den von ihm gezogenen Schlußfolgerungen widerspreche. Auch Vilar zielt also auf die Unterordnung der Dinge unter die Wörter, die Foucault zu dem etwas vorschnellen Urteil führe, es habe im 16. Jahrhun dert keine politische Ökonomie gegeben. Dem hält Vilar entgegen, daß Elemente einer Makroökonomie des Nationalhaushalts bereits im Spanien des Goldenen Zeitalters vorgelegen hätten, das damals die Wichtigkeit des Produktionsbegriffs entdeckte. Der contador von Burgos, Luis Orty, (1557) hatte sogar handfeste politische Beschlüsse gegen die Beschäftigungslosigkeit gefaßt, was Foucaults epistemischer Konstruktion wider spreche, die politische Ökonomie sei nicht vor dem 19. Jahrhundert prakti ziert worden. Indes standen die marxistischen Intellektuellen den Thesen Foucaults nicht durchweg ablehnend gegenüber. Gewogene Aufnahme fanden diese vor allem in Les Lettres frangaises, wo Pierre Daix sich zu diesem Zeitpunkt zum enthusiastischen Strukturalisten wandelte, gipfelnd 1971 in der Veröf fentlichung von Structuralisme et revolution culturelle.^^ In dieser Zeit schrift führte auch Raymond Bellour am 15. Juni 1966 ein zweites Gespräch mit Michel Foucault, der die Gelegenheit wahrnahm, sich zu einigen Kri tikpunkten zu äußern. So habe er zwischen den Epistemen keineswegs absolute Schnitte, radi kale Diskontinuitäten anlegen wollen, im Gegenteil: »Ich habe die Form selbst des Übergangs von einem Zustand zum anderen deutlich ge macht.« ^^ Dagegen verteidigt Foucault die Autonomie der Diskurse und das Existieren einer formalen Aussagenorganisation, die es wiederherzu stellen gelte — eine Aufgabe, die von den Historikern bislang vernachlässigt worden sei. Er definiert einen Horizont, der allerdings im Formalismus nicht aufgeht, sondern darauf zielt, die diskursive Ebene mit den ihr zu grundeliegenden Praktiken und sozialen und politischen Verhältnissen in Bezug zu setzen: »Dieser Bezug ist es, der mich immer brennend inter essiert hat.«^^ In Entgegnung auf die Kritiken, die Foucaults Arbeit als ahistorisch angriffen, erinnert Raymond Bellour an das letzte Kapitel der Ordnung der Dinge, in dem Michel Foucault der Geschichte einen privilegierten Status einräumt, wie er selbst bestätigt: »Ich wollte die Ar beit eines Historikers tun, indem ich die simultane Funktionsweise der
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Diskurse und die Transformationen zeigte, die von deren sichtbaren Verän derungen Rechenschaft ablegten« ^°, ohne dabei einer sich als Sprache der Sprachen, als Philosophie der Philosophien ausgebenden Historie allzu große Vorrechte zuzubilligen. Dem öffentlichen Protest, der sich im Na men der Geschichte gegen Die Ordnung der Dinge erhoben hat, hält Foucault die tatsächliche Arbeit der Berufshistoriker entgegen, die sein Buch als historisches Werk anerkannt haben — die der Annales-Schule —, und führt das neue Wagnis an, für das »die Bücher von Braudel, Füret und Ri ebet, Le Roy Ladurie« ^^ stehen.
Strukturalismus und Marxismus Auch die große, monatlich erscheinende Theoriezeitschrift der KPF, La Pensee, greift in diese Auseinandersetzung auf höchster Ebene ein: Die Oktobernummer 1967 ist dem Thema »Strukturalismus und Marxismus« gewidmet. Mit dem Philosophen Lucien Seve meldet sich ein offizieller Sprecher, um den theoretischen Standpunkt der Partei darzulegen. Seve führt die strukturale Methode zurück auf eine überholte Epistemologie, wurzelnd in der Krise des Evolutionismus zu Anfang des Jahrhunderts, die eingetreten sei, ehe das dialektische Denken in Frankreich wirklich habe Fuß fassen können. Diese Methode, die eine Epistemologie des Modells, eine Ontologie der Struktur als unbewußter Infrastruktur, einen theoreti schen Antihumanismus sowie die Absage an die Auffassung der Ge schichte als Fortschritt der Menschheit und deren Ersetzung durch die Vielförmigkeit menschlicher Taten impliziere, sei daher im Grunde genom men alt: Sie finde ihre theoretischen Wurzeln bei Saussure (1907-1911), in der kulturgeschichtlichen deutschen Ethnologieschule (Gräbner und Bern hard Ackermann, 1905), der Gestalttheorie (1880-1900) und der Phänome nologie Husserls {Logische Untersuchungen, 1900). Nach Lucien Seve kann man sich daher nicht mit der Trennung zwischen strukturaler Methode (wissenschaftlich) und strukturaler Ideologie (ver werflich) begnügen. Diejenigen, die mit Hilfe dieser Unterscheidung auf die Vereinbarkeit von Dialektik und Struktur hinwirkten, befänden sich im Irrtum. Seve hat hier weniger Althusser im Blick, dessen Thesen die KPFFührung verurteilt hat, als vielmehr Maurice Godelier: »Das Ziel der For-
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schung von M. Godelier [...]: eine strukturale Wissenschaft der Diachro nie.«^^ Für diese Versöhnung gebe Godelier die strukturinterne Rolle des Klassenkampfs als Motor der dialektischen Transformation preis. Für Go delier »ist die Struktur intern, der Motor der Entwicklung aber extern« ^^. Laut Lucien Seve verfehlt Godelier mit der Übernahme der strukturalen Methode aber gerade das Wesentliche des dialektischen Denkens, das darin bestehe, von der Logik der Entwicklung Rechenschaft abzulegen. Nach seiner Auffassung kann es keine theoretische Konstruktion geben, die Strukturale Methode und Dialektik zur Synthese brächte. Auch wenn er der strukturalen Methode unübersehbare Leistungen auf bestimmten Ebenen bescheinigt (»Ein Marxist kann die Gültigkeit der strukturalen Methode neben der dialektischen Methode anerkennen« ^^), bezeichnet der von ihm eröffnete Verbindungsweg eher eine Kampflinie. Doch kann Seve, wie gesagt, die Ergiebigkeit eines Paradigmas nicht leugnen, von dem herausragende Vertreter ihren Beitrag zu diesem Dossier in La Pensee leisten. Marcel Cohen legt einen historischen Überblick über den Gebrauch des Strukturbegriffs in der Sprachwissenschaft sowohl in der kontinentalen Schule wie auch in den Vereinigten Staaten vor. Jean Dubois hält ein Plädoyer für den Strukturalismus in der Linguistik und zeigt, daß dieser von den schädlichsten Ausprägungen der vorangegangenen Metho dologie, »dem Psychologismus, dem überspitzten Mentalismus« ^^, befreit und zur Konstituierung der Linguistik als Wissenschaft beigetragen hat. Jean Dubois erkennt an, daß diese Ausrichtung, indem sie die Anteile des Subjekts heruntergespielt und nicht den Akt der Äußerung, sondern die fertige Aussage betrachtet hat, auf die beiden Probleme Kreativität und Ge schichte prallte, geht aber davon aus, daß Chomsky mit seinem Modell von Kompetenz und Performanz »indirekt die Wiedereinführung des Subjekts erleichtert«-^^, die er für notwendig erachtet. Jean Deschamps stellt die Strukturalistischen Thesen in der Psychoanalyse vor, das heißt die Thesen Lacans. Er beschreibt die jeweilige Rolle der metonymischen und der meta phorischen Figuren in dieser Konzeption, die »eine kohärente Theorie von der Stellung des Unbewußten« ^^ ermögliche. Kritisch vermerkt er, daß diese Vorgehensweise die Dimension des Erlebten entleere, indem sie sie in die Rolle eines unbedeutenden Epiphänomens zurückverweise: Wenn sie solchermaßen Bewußtes und Unbewußtes in zwei unvereinbare Sprachen auftrenne, gebe sie die Freudsche Konzeption der Verdrängung als eines
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dynamischen Vorgangs preis. Andere Beiträge führen einen — kritischen — Dialog mit den Thesen von Levi-Strauss. Alles dies zeigt, wie ernst die KPF die Herausforderung des Strukturalismus an die Adresse des Marxismus nimmt und daß sie die Antwort nicht schuldig bleiben will.
Der Strukturalistische Ausweg aus der Krise des Marxismus In den Jahren 1967 und 1968 nutzen La Nouvelle Critique und Les Lettres frangaises ihre relative Eigenständigkeit gegenüber der KPF-Führung für eine eingehende Behandlung des strukturalistischen Ereignisses. Im März 1968 eröffnet La Nouvelle Critique eine von Christine Buci-Glucksmann moderierte Debatte mit Louis Guilbert und Jean Dubois um die Frage, ob man den Vollzug einer »zweiten linguistischen Revolution« erlebe. So scheint Chomsky für Jean Dubois »wieder Bewegung in eine tote Struktur zu bringen, einen nicht mehr statischen, sondern dynamischen Ansatz ein zuführen« ^^. Antoine Casanova macht in der Nouvelle Critique den neuen Methoden der französischen Historikerschule der Annales Platz. Zahlreiche Histori ker kommen in dieser Reflexion des Verhältnisses von Geschichtsschrei bung und Sozialwissenschaften zu Wort, aus der die Veröffentlichung des Gemeinschaftswerks Aujourd'hui l'histoire^^ hervorgegangen ist. Die Annales-Schule erweist sich hier als Mittelweg zwischen Annahme und Ab lehnung des Strukturalismus, da sie die historische Dialektik bewahren kann, wenn auch ihr Hauptaugenmerk auf der Erforschung der Unterbau ten, der Strukturen liegt. Damit eröffnet sie einen Horizont, an dem Struk turen und Bewegungen miteinander vereinbar und kombinierbar sind. Vor allem hat der Strukturalismus sich in den Lettres frangaises durchge setzt. Pierre Daix und Raymond Bellour machen hier nacheinander mit den verschiedenen Errungenschaften der Sozialwissenschaften bekannt, fimile Benveniste, der sich ungern in den Medien äußert, gewährt Pierre Daix am 24. Juli 1968 ein Gespräch. Er wundert sich über den mißverständlichen wie verspäteten Zuspruch für eine Doktrin, die in der Linguistik bereits vierzig Jahre zählt und dort »für manche bereits überholt« sei. '^° Pierre Daix ist in des zum entschiedensten Verfechter des Strukturalismus geworden: Als Mikel Dufrenne Pour l'Homme'^^ veröffentlicht, worin er den Strukturalis-
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mus auf die Anklagebank bringt, tritt Daix zu dessen Verteidigung vor die Schranken. Mikel Dufrenne prangert in seinem Buch die Eliminierung des Men schen zugunsten des Systems an. Der Strukturalismus steht für ihn im Zu sammenhang mit dem Technokratismus, eine Denkweise, in der der Szientismus des 19. Jahrhunderts wieder auflebe. Für Foucault, schreibt Dufrenne, »ist der Mensch nur Begriff des Menschen, eine schwindende Figur in einem temporären System von Begriffen« '*^. Dem hält Pierre Daix entgegen, daß diese Dezentrierung für die Strukturalisten nichts anderes als eine Entmystifizierung bedeute. Dufrenne stellt die Bausteine des Struktu ralismus zusammen, die auf eine Auflösung des Menschen hinwirken: »Die Ontologie Heideggers, der Strukturalismus Levi-Strauss', die Psychoana lyse Lacans und der Marxismus Althussers treffen sich durchaus in einer bestimmten Thematik, die sich, kurz gesagt, auf die Beseitigung des geleb ten Sinnes und die Auflösung des Menschen erstreckt.« "^^ Die Forderung, die Mikel Dufrenne für den Humanismus geltend macht, verweist nach Pierre Daix zurück auf das, was die Gelehrten im 19. Jahrhundert für Gott beanspruchten, während die Arbeit des Strukturalisten vielmehr darin be stehe, »die Privilegien des Menschen zu ersetzen durch die Erkenntnis sei ner conditio in allen Bedeutungen, die dieses Wort besitzt« '^'^. In dem Bollwerk, das die offizielle marxistische Strömung der KPF ge gen den Strukturalismus zu bilden versucht, entstehen also durch diejeni gen zunehmend Risse, die, wie die Althusserianer, beschlossen haben, sich des Strukturalismus zu bemächtigen, um den Marxismus zu erneuern, oder aber sich dem Strukturalismus anschließen, um vom Marxismus wegzu kommen. Diese Auseinandersetzung, die zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Vorgehensweisen zum Vorschein bringt, wird auch ihre Geschicke aneinander binden: Auf den Siegeszug der Jahre 1967/68 folgt bald ein Niedergang, der den Strukturalismus wie den Marxismus in den Abgrund zieht.
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Zu eben dem Zeitpunkt, an dem der Strukturalismus theoretisch brüchig wurde, triumphierte er in den Medien in Form eines durchaus gastlichen Frühstücks im Freien unter Zunftgenossen in traditioneller Kluft. Ein wah res »Strukturalistisches Lauffeuer« ^ ging in den Jahren 1967/68 um, wie wohl die Strukturalistische Tafelrunde schon aufgehoben war. Doch »hat sie jemals stattgefunden? Die Tischgenossen wollen es nicht gewesen sein.«^ L'Express und Le Nouvel Observateur, die beiden großen Wochenzeit schriften jener Zeit, machen größtmögliches Aufhebens von der Sache, wo bei das Echo in UExpress etwas kritischer ausfällt. Jean-Frangois Kahn glossiert dort den ausgeklügelten Eroberungsfeldzug eines Strukturalis mus, der als Credo Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft und in Levi-Strauss seinen Weisen habe sowie seine eigene Sprache (denkbar schaurig), sein Alphabet (das der Linguistik) und sein Erfolgsbuch {Die Ordnung der Dinge) besitze: »Der Strukturalismus ist die höchste Ent wicklungsstufe des Imperialismus des Wissens.« ^ Auch wenn Frangois Chätelet in La Quinzaine litteraire von seiner Seite aus eher von einer Pseudoschule, von einer künstlichen Einheit spricht, die von skrupellosen Gegnern aufgebaut worden sei, so verfaßt er doch einen langen Artikel zur Beantwortung der Frage: »Oü en est le structuralisme?«, illustriert mit der berühmten Zeichnung von Maurice Henry.'^ Er läßt die verschiedenen Teile der sogenannten strukturalistischen Bewegung Revue passieren und kommt zu dem Schluß, daß darin schwerlich ein ho mogenes Lehrgebäude auszumachen sei, ja »man kann kaum von einer Me thode sprechen« ^. Ein gemeinsames Charakteristikum sieht er indes in der Ablehnung des Empirismus. In Anbetracht der Krise der Ideologien hätten alle diese Autoren die Abhilfe nicht in der Substitution des aus der Ge schichte entschwundenen großen Subjekts (das Proletariat) durch kleine, von der empirischen Soziologie erhobene Fakten gesucht, sondern in der
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Definierung wissenschaftlicher Forschungsmethoden, um zu erkennen, »was man überhaupt als Faktum aufnehmen kann« ^. Nachdem er die Ein heitlichkeit des Strukturalismus geleugnet hat, erkennt Frangois Chätelet freilich über die Unterschiede hinaus seine Existenz an, denn er begrüßt in ihm ein »französisches« Denken, das im Begriff stehe, in disparater Ord nung »die Strenge der theoretischen Zielsetzung« ^ zurückzuerlangen. Le Nouvel Observateur schwingt sich zum besonders wirkungsvollen Unterstützermedium des strukturalistischen Abenteuers auf. Levi-Strauss antwortet auf die Fragen von Guy Dumur, und als die ORTF am 21. Januar 1968 eine Sendung von Michel Treguer über die Ethnologie ausstrahlt, druckt Le Nouvel Observateur die Äußerungen von Levi-Strauss samt sei ner Definition des StrukturaHsmus ab. Ende 1968 gewährt auch Benveniste Guy Dumur ein Gespräch, in dem er sich optimistisch über die Fortent wicklung der Humanwissenschaften insgesamt äußert. Er erblickt in ihnen die Anfangsgründe einer sich konstituierenden großen Anthropologie im Sinne einer allgemeinen Wissenschaft vom Menschen.^ Als Foucault im Nouvel Observateur zwei Bücher von Erwin Panofsky bespricht^, präsen tiert die Redaktion seinen Artikel mit den Worten: »Diese Sprache und diese Methode haben den Strukturalisten Michel Foucault in den Bann ge zogen.« ^° Le Magazine litteraire bringt 1968 einen großen Artikel von Michel Le Bris unter dem Titel »Chef d'oeuvre. Saussure, le pere du structuralisme« und illustriert diesen Bericht über die großen Ausrichtungen des Saussuris mus mit einer Fotoserie, in der die vier Musketiere des Strukturalismus ge meinsam als »die Erben von Saussure« vorgestellt werden. Das Fernsehen ist eher nur am Rande dabei, sorgt aber für das Spitzener eignis, als Gerard Chouchan und Michel Treguer im Studio der ORTF Frangois Jacob, Roman Jakobson, Claude Levi-Strauss und Philippe L'Heritier zu einer Debatte zum Thema »Leben und sprechen« versammeln, die am 19. Februar 1968 ausgestrahlt wird.
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Ist der Strukturalismus die »Religion der Technokraten«? Doch dieses Umsichgreifen des StrukturaHsmus, dieser Siegesreigen, der von den Forschungsinstituten bis in die Redaktionsstuben das Denken ganz auf seine strukturale Außerungsform zu reduzieren scheint, ruft auch einige Bedenken, wenn nicht Entrüstung hervor, ein Gemisch aus theoreti schen Widerlegungen und launigen Anwandlungen gegenüber einem Dis kurs, der, als er sich zur Herrschaft anschickt und jedes Gegenargument zur Ausgeburt schierer Dummheit erklärt, vor dem Übergang vom Theorizismus zu einem gewissen intellektuellen Terrorismus nicht zurück schreckt. Unter den Stimmen, die gegen den Chor des Lobes ansingen, erhebt sich auch die eines Philosophen, der als Chronist beim UExpress wirkt und, für den Bereich der Kultur, Frangois Mitterrands Schattenkabinett angehört: Jean-Frangois Revel. Als Verfasser des polemischen Essays Pourquoi des philosophesf^^ hatte er bereits 1957 radikale Kritik an Levi-Strauss' Werk geübt. Er nahm Anstoß an dessen Formalismus, an seinem überabstrahier ten System, das von soziologischen Erwägungen sukzessive in einen ethno logischen Diskurs hinübergleite und hinter der Beschreibung der Verhal tensweisen die Existenz »eines Geistes- und Empfindungssystems, das sich gar nicht darin befindet« ^^, suggeriere. Als er 1967 den zweiten Band der Mythologica, Vom Honig zur Asche, rezensiert, kennzeichnet Jean-FranςοΪ5 Revel Levi-Strauss als Platoniker auf soziologischem Gelände. Der Schlüssel der Levi-Straussschen Methode liege in dem Postulat, daß das Verborgene die Realität konstituiere, während das gemeinhin die Realität Genannte die Illusion ausmache, deren man sich entschlagen müsse. LeviStrauss »formalisiert, geometrisiert, algebraisiert« ^^ in Gegenrichtung zum Funktionalismus. Kurz darauf bespricht Revel ein Buch des marxistischen Philosophen Henri Lefebvre, in dem dieser die strukturalistische Ideologie als Ausdruck der Machtübernahme der Technokratie angreift. ^^ Zwar teilt Revel die he gelianisch-marxistischen Voraussetzungen der Kritik Henri Lefebvres nicht, hält aber dessen Analogiebildung zwischen strukturalem Denken und der von der Technokratie angebahnten Gesellschaft für durchaus trif tig. So betitelt er seinen Artikel: »La religion des technocrates«.^^ Die pas sive Konsumgesellschaft und die dialoglose Kommunikation der Moderni-
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tat ließen die Macht über die Funktionsgesetze der Gesellschaft in einer Maschine zusammenlaufen, die sich der Kontrolle der einzelnen entziehe und keinen anderen Zweck als ihre eigene Reproduktion habe: »PoHtik ist keine Auseinandersetzung mehr, sondern ein Protokoll.« ^^ Der Struktura lismus wäre somit die Verlängerung einer solchen technokratischen Gesell schaft auf theoretischer Ebene, wahres Opium für die Führungskräfte. Auch im Strukturalismus trifft man auf ein Individuum, das dem Sinn sei ner eigenen Handlungen entgleitet, weil es schon gesprochen wird, ehe es ist. Die Linguistik fungiert dabei mit ihrer Aufhebung der referentiellen Funktion der Sprache als Fundament der Wissenschaft insgesamt. Später beklagt Jean-Frangois Revel »den Tod der Allgemeinbildung« ^^. Er begrüßt zwar den Aufschwung, den die Linguistik zu Jahrhundertbe ginn dank Saussure als dem regelrechten »Galilei dieser Umgestaltung« ^^ genommen hat, bedauert aber, daß die Emanzipation der Humanwissen schaften die Idee der Allgemeinbildung immer ein wenig mehr auflöse und daß jene, um Wissenschaften zu werden, nicht länger human sein können. Anders als diejenigen, die im Strukturalismus den entscheidenden Um schlag zur Wissenschaftlichkeit sehen, erkennt Revel in ihm eher die Ten denz einer jeden philosophischen Doktrin — ihre Fähigkeit, alle Tätigkeits felder einer Epoche mit einer bestimmten Sprache zu überziehen, die rasch »ein Esperanto [wird], in das man jedwede Disziplin übersetzt« ^^. Claude Roy wiederum bekämpft im Nouvel Observateur nicht die vier Musketiere des Strukturalismus, sondern die sinnentstellende Indienstnahme ihres Denkens, das Übergießen »absonderlicher Salate mit einer Strukturalistischen oder logischen Sauce« ^°. Er legt sich mit den falschen Levi-Straussianern und mit den mißratenen Kindern von Althusser an, die auf den Straßen des Quartier latin und besonders in den Cahiers marxistesleninistes eine zumindest merkwürdige Version des Strukturalismus in Umlauf bringen. Was sie von der strukturalen Lektion behalten hätten, sei bloß, daß allein die Relation zwischen den Termen ins Gewicht falle und nicht die Terme selbst. Eine Eingrenzung des Strukturalismus auf dieses Postulat öffne aber sämtlichen Irrungen Tür und Tor, erlaubt sie es doch beispielsweise, die Moskauer Prozesse, ohne daß diese als solche definiert würden, als einen bloßen Term darzustellen, der einem anderen, dem der Diktatur des Proletariats, gegenüberzusetzen ist: »Alice im Wunderland bittet ihre Gesprächspartner ständig, die Bedeutung der Ausdrücke, die sie
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benutzen, zu definieren. Mit dieser Sorge ist es heute nicht mehr weit her. Die DeHrien des PseudostrukturaHsmus in der Hterarischen Kritik und in der poHtischen Theorie führen es zur Genüge vor.«^^ Kritisch, wenngleich unter Anerkennung der strukturalen Methode auf einem umgrenzten Feld, meldet sich 1968 auch Raymond Boudon zu Wort, der das Poppersche Theorem der »Falsifizierbarkeit« als unerläßliches Kri terium für Wissenschaftlichkeit aufgreift. Er läßt die verschiedenen Ver wendungen des Begriffs der Struktur Revue passieren, deren Geltung er anhand ihrer Verifizierbarkeit beurteilt. Nach Boudon kann es also keine allgemeine strukturale Methode geben, sondern nur einzelne Methodolo gien von regionaler Wirksamkeit. Demgemäß stellt er diejenigen, für die der Strukturalismus einfach operationelle Methode ist (Levi-Strauss, Chomsky), gegen diejenigen, für die der Strukturalismus einfach Fluidum ist (Barthes zum Beispiel). Er besteht nachdrücklich auf der »Vieldeutigkeit des gleichen Begriffs« ^^, der keine Rechtfertigung für die Existenz einer einheitlichen Lehre zuläßt. Der Strukturbegriff sei eigentlich eine Samm lung von Homonymen und als solche besonders verschwommen. Legitim sei seine Verwendung bei der Konstruktion verifizierbarer hypothetisch deduktiver Systeme; das gelte für die Faktorenanalyse von C. Spearman, aber auch für die Phonologie bei Jakobson. Letztere kann indirekt die Komplexitätsordnung der Phoneme herleiten: »So können wir bei der Phonologie von Jakobson feststellen, daß die Komplexitätsordnung der Phoneme die gleiche ist wie bestimmte empirische Regelmäßigkeiten, bei spielsweise die Reihenfolge der Erlernung von Phonemen durch ein Kind.«^^ Es gibt also keine wirkliche Spezifizität einer strukturalen Me thode, sondern nur verschiedene Objekte, auf die man eine mehr oder min der experimentelle, verifizierbare Methode anwendet. Boudons Angriff zielt auf jede Suche nach einer Essenz hinter der Struktur, nach einer irgend gearteten Offenbarung der verborgenen Seite der Welt. Doch diese Kriti ken, die das strukturalistische Phänomen einzudämmen, ihm ein paar Schranken zu setzen suchen, bleiben in einem Klima der Euphorie, in dem die unbegrenzten Ambitionen gefeiert werden, die man den Vorkämpfern des Strukturalistischen Denkens unterstellt, weitgehend ungehört.
Teil II: Der Mai 68 und der Strukturalismus oder Das Mißverständnis
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Gelegentlich hat man anläßlich der verschiedenen Formen des Strukturalis mus von »68er-Denken« gesprochen und damit den Gedanken einer ver wandtschaftlichen Beziehung zwischen dem tonangebenden Denken des Moments, dem Strukturalismus, und der Bewegung vom Mai 68 einge führt. Es stimmt gewiß, daß der Strukturalismus sich als kritisches Denken präsentiert und man insofern annehmen kann, daß er mit dem zunächst universitären, dann gesamtgesellschaftlichen Protest des Mai 68 in Ein klang gestanden hat. Aber ist das so sicher ? Das Paradox springt ins Auge: Welcher Zusammenhang kann bestehen zwischen einem Denken, das die Reproduktion der Strukturen, das Spiel der Logiken in ihrer Synchronie geltend macht, und einem Ereignis, das als radikaler Einspruch, als totaler Bruch in einer prosperierenden Konsumgesellschaft auftritt ? Bevor wir diese Frage zu beantworten versuchen, empfiehlt es sich, daran zu erinnern, wie der Strukturalismus in der Fakultät von Nanterre, der Hochburg des studentischen Protests am Vorabend des Mai 68, aufge nommen wurde. Die beiden Persönlichkeiten, die die Gedankenwelt von Nanterre beherrschen, sind für ihre — übrigens unterschiedlich begründe ten — strukturalismusfeindlichen Positionen bekannt.
Touraine und Lefebvre an den Antipoden des Strukturalismus Am lebhaftesten ist der Einspruch, am tiefsten das Unbehagen im Departe ment für Soziologie. Hier findet man den historischen Anführer der Bewe gung, Daniel Cohn-Bendit, sowie zahlreiche Aktivisten aus Gruppen der extremen Linken im Einsatz gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam. Zum immer entschlosseneren Widerspruch gegen die Bombardierungen des vietnamesischen Volkes kommt die Verweigerung der den Soziologie studenten in der Gesellschaft zugedachten Testerfunktion, mit deren Hilfe
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die Herrschaftsakteure und die Fabrikarbeiter selektiert und rekrutiert werden sollen. In dem überfüllten Departement, in dem das Unbehagen von Studenten ohne befriedigende gesellschaftliche Berufsaussichten bro delt, dominiert der Soziologieprofessor Alain Touraine: »Professoraler Kopf der Bewegung war Touraine, der ein angeborenes Gespür für die Masse und ein unleugbares Rednertalent besitzt.« ^ Touraine indes gibt dem Handeln, den Möglichkeiten der Veränderung, der Rolle der Individuen als soziale Kategorien in diesen Transformationen den Vorrang. Er zieht eine Parallele zwischen der Rolle der Studentenbewe gung der sechziger Jahre und der Rolle der Arbeiterbewegung im 19. Jahr hundert, wertet also, entgegen den Bourdieuschen Thesen, die Universität zum entscheidenden Ort der Veränderung auf. Seine Soziologie hat somit nichts mit dem Strukturalismus gemein, und seine Kritik an der französischen Gesellschaft im Namen der notwendigen Modernisierung deckt sich mit ei nem gut Teil der Studentenbewegung als einer wirklichen gesellschaftlichen Bewegung, der er 1968 ein wichtiges Buch widmet: Le Mouvement de mai ou le communisme utopique. ^ In diesem MiHeu von Soziologiestudenten ist man weniger auf Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft von Levi-Strauss erpicht als auf solche Werke wie das der Situationistischen Internationale, De la misere en milieu etudiant, das mit 10 000 verkauften Exemplaren großen Er folg erzielt, wie Die neue Gesellschaft des Spektakels von Guy Debord oder den Traite de savoir-vivre α Pusage desjeunes generations von Raoul Vaneighem, Die zweite große Persönlichkeit auf dem Campus von Nanterre, einer der Tutoren der 68er-Bewegung, ist der Philosoph Henri Lefebvre, der sich genauso gegen den Strukturalismus sperrte. Gegen dessen statische Denk weise, die er in ihrer Suche nach überzeitlichen Invarianten für geschichtsverneinend ansieht, setzt er die Dialektik, die Bewegung. Wie wir gesehen haben, zieht er sogar eine Verbindung zwischen der strukturalen Denk weise und der aufsteigenden Technokratie, die im Zuge ihrer Macht erlangung das Ende der Geschichte behaupte. Henri Lefebvres Lehrtätig keit in Nanterre konzentriert sich auf die Kritik der Gesellschaft in ihren verschiedenen Aspekten. Seine wichtigste Leistung wird es sein, über die rein ökonomisch ausgerichtete Ebene hinauszugehen und in seine Analyse die Erscheinungsformen des Alltagslebens der Bevölkerung einzubeziehen: ihre Lebensumstände, die Stadtlandschaft, die Lebensansichten. »Al les wurde durch den Wolf der Kritik gedreht.« ^
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In seinen Analysen brachte Henri Lefebvre die Konzepte der Form, der Funktion und der Struktur zur Anwendung, ohne eines von ihnen zu be vorrechtigen; den Strukturalisten warf er einseitige Geltendmachung des Strukturgedankens auf Kosten anderer Untersuchungsebenen vor. Zu nächst am CNRS, dann, von 1958 bis 1963, an der Fakultät von Straßburg — dem Geburtsort des Situationismus und der kleinen Schrift De la misere en milieu etudiant —, wird Lefebvre 1964, bei der Gründung der Universi tät, nach Nanterrre berufen. Zu seinen Studenten zählt er zwei Jahre lang einen gewissen Daniel Cohn-Bendit: »Er war etwas älter als die anderen, sehr intelligent. Große Kenner einer Gesellschaft stehen immer außerhalb dieser Gesellschaft. Er hatte außerordentlichen Einfluß. Ich erinnere mich an sein erstes Eingreifen bei einer Versammlung aller an Sozialwissenschaf ten interessierten Studenten, so um den 10. November 1967 herum. Es wa ren sehr viele. Alain Touraine hielt eine Rede, worin er den Studenten er klärte, daß er ihnen sehr wichtige Dinge mitteilen werde. Cohn-Bendit stand auf: >Monsieur Touraine, Sie wollen nicht nur Waggons bauen, Sie wollen sie auch aufs Gleis setzen< — tosendes Gelächter von 1200 Studen ten !«^ Henri Lefebvre steht dem in der Linguistik ansetzenden Denken fremd gegenüber, siedelt sich auch nicht im Umkreis der Positionen der KPF an, aus der er 1956 ausgeschlossen worden ist. Doch als kritischer Marxist verteidigt er das dialektische Denken gegen die verschiedenen Formen des Strukturalis mus : gegen die Bourdieus, den er als einen »positivistischen Soziologen« ^ betrachtet, die Foucaults, »der die kritischen Aspekte aus dem Denken aus klammert« ^, die Althussers, »der den Marxismus starr machte und der Dia lektik ihre ganze Geschmeidigkeit nahm. Althusser hat zum Marxismus das gleiche Verhältnis wie die Thomisten zum Aristotelismus — das einer Klä rung, einer Systematisierung, aber ohne jeden Realitätsbezug.«'^
Eine echte Faszination Die kritische Arbeit Henri Lefebvres wurde in Nanterre von seinen beiden Assistenten Jean Baudrillard und Rene Lourau fortgesetzt. Wie letzterer, seit 1966 in Nanterre, in Erinnerung bringt, habe man durchaus vom Struk turalismus gesprochen, aber nur, um ihn »fröhlich zu begraben«^. Der
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Strukturalismus erschien Lourau als antimodern, als erkaltend, nicht nur vom marxistischen Standpunkt aus, den er damals einnahm, sondern auch gegenüber der Modernität von Crozier oder von Touraine, »die uns dyna mischer schien, auch wenn wir sie kritisierten« ^. Rene Lourau entdeckt den Strukturalismus 1964. Er ist damals Lehrer am Lycee, und Georges Lapassade nimmt ihn zum letzten großen histori schen Kongreß der U N E F (Union nationale des etudiants de France) in Toulouse mit. Dort wird er mit Althussers in der Nouvelle Critique erschie nenem Artikel über die Probleme der Universität bekannt: »Da gab es et was, was uns völlig abwegig vorkam, etwas Aufpasserhaftes an dieser Un terscheidung zwischen der technischen und der sozialen Arbeitsteilung. Er [Althusser] stellte im Grunde genommen die traditionelle autokratische Pädagogik wieder her, die wir zu bekämpfen anfingen.« ^° Zwei Jahre später versammelt sich auf Henri Lefebvres Anwesen in Navarrinx die Gruppe Utopie, die eine Zeitschrift gegründet hatte. Im Laufe ihres zweiwöchigen Arbeitsaufenthalts liest und kommentiert die Gruppe Die Ordnung der Dinge von Michel Foucault, bestürzt über die Verbannung von Marx ins Dunkel des 19. Jahrhunderts: »So viel Unverfrorenheit, den Marxismus als alten Hokuspokus abzutun, ließ uns brüllen.« " Fallen die ersten Reaktionen der Gruppe um Henri Lefebvre auf den Strukturalismus eher abweisend aus, so stellt sich die Wirklichkeit später vielschichtiger dar. In der Tat ist jeder von einzelnen Aspekten der strukturalistischen Erzeugnisse angezogen, auch wenn er ansonsten eine globale Kritik dessen entwickelt, was als Ideologie gilt. So ist Rene Lourau vom lin guistischen Beitrag Jakobsons beeindruckt und von Barthes' Arbeit ange tan; er Hest Levi-Strauss' Werke mit großem Interesse und begibt sich all wöchentlich mit einer Gruppe von Psychologiestudenten der Sorbonne in das Seminar von Lacan. Man kann also nicht von einem wirklichen Zusam menstoß zwischen den Nanterreanern und den Strukturalisten sprechen (»Es war nicht die Schlacht von Fontenoy« ^^), sondern eher von einer syn kretischen Realität, die sich aus widersprüchlichen Überzeugungen zusam mensetzte und zuweilen mit etwas schlechtem Gewissen gelebt wurde: »Da ich Schüler von Lefebvre war, hatte ich den undeutlichen Eindruck, ihn zu hintergehen. Das hat mit einem bestimmten Vaterverhältnis zu tun.« ^^ Diesen Synkretismus trifft man auch bei Jean Baudrillard an, der Assi stent von Henri Lefebvre, aber in den Jahren 1966/67 bei Pierre Bourdieu
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für eine these de troisieme cycle eingeschrieben war und dessen kritische Ar beit der von Barthes sehr nahesteht. In Fortführung von Barthes' unvollen deten Mythen des Alltags greift Baudrillard die kritische Abtragung der Ideologie der Konsumgesellschaft, die sozio-semiologische Perspektive auf und veröffentlicht 1968 Das System derDinge^'^ sowie 1969 einen Artikel in Communications, in dem er die übliche Rede von Bedarf und Gebrauchs wert der Konsumgüter kritisiert und ihn durch deren Zeichenfunktion er setzt. ^^ Auch das Departement für Philosophie wird von zwei Gegnern des Strukturalismus beherrscht, von Vertretern eines phänomenologischen Ansatzes: Paul Ricoeur und Emmanuel Levinas. Was das Departement für Psychologie betrifft, so steht diesem das strukturalistische Paradigma nicht weniger fern als denen für Soziologie und für Philosophie. Zwei der vier dort lehrenden Professoren sind Praktiker in klinischer Sozialpsychologie, umgeben von Assistenten, die über gruppendynamische Erfahrung verfü gen und sich auf überwiegend amerikanische Theoretiker beziehen: Jacob Levy Moreno, Kurt Lewin, Carl Rogers. Didier Anzieu, der damals unter dem Pseudonym fipistemon publiziert, sieht im zunehmenden Protest an der Fakultät von Nanterre sogar eine Ausweitung dieser Gruppendynamik: »Was die Sozialpsychologie als die Dynamik begrenzter Gruppen auffaßte, wurde unversehens zur verallge meinerten Gruppendynamik.« ^^ In den humanwissenschaftlichen Departements von Nanterre hat der Strukturalismus also keine Anhängerschaft gewinnen können. Gleichwohl übte er eine echte Faszination aus und konnte dank Jean Dubois und Ber nard Pottier, die um sich herum eine Keimzelle strukturaler Linguistik auf bauten, entscheidendere Punkte in der Literatur verbuchen. Als die Ereig nisse vom Mai 68 ausbrachen, hatte Jean Dubois gerade bei Larousse seine Transformationsgrammatik des Französischen veröffentlicht und das erste Kolloquium zur generativen Grammatik bestritten. Allerdings reichte dies nicht aus, um die tonangebende Ideologie auf dem Campus von Nanterre auf den Strukturalismus einzuschwören. Kurz darauf waren die Mauern übersät von Inschriften: »Althusser ä rien« [sprich: Althu sert ä rien — Althu taugt nix, A.d.Ü.].
Sartres Revanche
Es ist fünf Uhr, Paris erwacht inmitten der Barrikaden, der auf dem Asphalt verstreut liegenden Bäume. Der Protest ist, nach den Worten von General de Gaulle, nicht zu fassen. In seiner Unvorhersehbarkeit erschüttert er die Macht. In seiner Radikalität breitet er sich über das ganze Land aus und ruft die größte gesellschaftliche Bewegung hervor, die Frankreich je erlebte: zehn Millionen Streikende. Man glaubte Frankreich bewußtlos, eingeschla fen : was für ein Erwachen! Da begrub man fröhlich die Geschichte — man che suchten nach ihren letzten Spuren in den Peripherien, den ländlichen Gebieten der Dritten Welt, welche die Städte einkreisen sollten —, und diese fiel ins Herz der lle de la Cite ein. Für die Jugend mit ihren Forderun gen ein existentiell wichtiges Aufbegehren, bedeutete diese Bewegung für Sartre eine Revanche, die er um so besser auskosten konnte, als man ihn zwei Jahre zuvor meinte begraben zu können, hatte ihn doch Foucault 1966, auf dem Gipfelpunkt des Strukturalismus, als einen guten Philoso phen des 19. Jahrhunderts hingestellt. Wie Epistemon (Didier Anzieu) schreibt: »Der Studentenaufstand vom Mai erlebte an sich selber die Wahr heit der Sartreschen Formel: >Die Gruppe ist der Anfang der Menschheit.<«^ In der Tat, wenn Sartres Analyse der Entfremdung der im Prak tisch-Inerten befangenen Individuen deren Fähigkeit betont, durch Engagement Freiheit zu erkämpfen und durch Bildung fließender Gruppen in eine aus der Serialisierung, aus der Atomisierung hinausführende Dialek tik einzutreten, verhilft sie damit zu einem besseren Verständnis des Auf bruchs der Bewegung vom Mai 68 als die strukturalistische Konzeption, die das Gewicht der strukturalen Ketten, das unterworfene Subjekt und die Selbstregulierung desselben geltend macht. Die Mai-Bewegung vertut sich darin nicht: Der einzige große Intellek tuelle, der inmitten der Ereignisse im großen Hörsaal der Sorbonne spre chen darf, ist Jean-Paul Sartre; mit der Jugend versöhnt, erklärt er über Rundfunk, daß den Jungen nur noch die Gewalt bleibe, um sich in einer
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Gesellschaft auszudrücken, die denjenigen den Dialog verweigere, die mit dem ihnen vorgeführten Erwachsenenmodell nichts zu tun haben wollten. Just am Vortag der berühmten Nacht der Barrikaden vom 10. auf den 11. Mai 1968 erscheint in Le Monde ein von Jean-Paul Sartre, Maurice Blanchot. Andre Gorz, Pierre Klossowski, Jacques Lacan, Henri Lefebvre und Maurice Nadeau unterzeichneter Text, der unmißverständlich für die Stu dentenbewegung Partei ergreift: »Die Solidarität, die wir hier der Bewe gung der Studenten in der Welt zusagen — dieser Bewegung, die plötzlich, ϊη herausragenden Stunden, die sogenannte Wohlstandsgesellschaft er schüttert hat, wie sie sich in der französischen Gesellschaft perfekt verkör pert —, ist zuerst eine Antwort auf die Lügen, mit denen seit Monaten alle politischen Institutionen und Formationen (bis auf wenige Ausnahmen), alle Presse- und Kommunikationsorgane (fast ausnahmslos) diese Bewe gung zu verfälschen, ihren Sinn zu entstellen oder sie sogar ins Lächerliche zu ziehen versuchen.« ^
Eine schöne Überraschung Für alle diejenigen, die von der strukturalistischen Welle überspült worden waren, ist das eine schöne Überraschung! Sie stehen im Einvernehmen mit einer protestierenden Jugend, die die Saiten der Geschichte ins Schwingen bringt und durch ihr Handeln das Walten des Statischen dementiert, in das man sie hatte einsperren wollen. Solches gilt beispielsweise für die frühere Gruppe der Zeitschrift Arguments. ]e^n Duvignaud, der seinerzeit am alten Philosophischen Institut von Tours unterrichtet, macht sich auf nach Paris. Um klarzustellen, daß es sich in erster Linie um ein Fest handelt, baut er zu sammen mit Georges Lapassade auf dem Hof der Sorbonne ein Klavier auf. Zwei Wochen zieht er mit Jean Genet durch die »befreite« Sorbonne und verkündet vor sprachlosen Rängen im großen Auditorium rundweg »das Ende und den Tod des StrukturaHsmus« ^. Da schaut ihn Jean Genet seltsam berührt an: »Es war ihm völlig schnuppe, aber man hatte ihm so viel damit in den Ohren gelegen!«'^ Dann nimmt Jean Duvignaud mit den Schriftstel lern an der »Erstürmung« des Hotel de Massa teil: »Nathalie Sarraute um klammerte meinen Arm, während sie mir sagte: >Duvignaud, meinen Sie, der Sturm aufs Smolny-Institut war so ähnlich ?<«^ Später gibt Jean Duvi-
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gnaud mit Michel Leiris in Censier eines der bekanntesten Schlagworte des Mai 68 aus: »Seien wir realistisch, verlangen wir das Unmögliche!« Auch Edgar Morin fühlt sich in der Bewegung des Mai 68 wie ein Fisch im Wasser. Mit Claude Lefort und Jean-Marie Coudray (Cornelius Castoriadis) schreibt er Mai 68: la breche^, eine Apologie der jugendlichen Kom mune, des Hereinbrechens der Jugend als politisch-sozialer Kraft, die eine gesichtslose, weil tausendgesichtige Revolution anzettelt, über sich hinaus wachsend zu einem Klassenkampf neuen Typs in ihrer Mobilmachung ge gen alle von der aufsteigenden Technokratie errichteten Integrations- und Manipulationsapparate. Die vielnegierte Geschichte hat ihre eigene Negierung negiert, und Epistemon verkündet, der Mai 68 »ist nicht nur der Studentenaufstand in Paris, [...] er hat auch dem Strukturalismus den Totenschein ausgestellt«''. Mikel Dufrenne, der Philosoph, der Pour l'Homme geschrieben hatte, bekräftigt im November: »Mai war die Gewalt der Geschichte in einer Zeit, die sich >geschichtslos< wollte.« ^ Die Eiszeit, deren Triumph Edgar Morin kom men sah, als er 1960 seine eigene Zeitschrift Arguments einstellte, weicht dem Frühling, und auf den Wänden mehren sich Inschriften, die der Phan tasie, der Spontaneität, den verschiedenen Formen des Begehrens Raum geben. Das kollektive Sich-Luft-Machen tobt sich nicht allein an den Bäu men des Quartier latin aus. Die umgekippten Autos bilden nur die Oberflä che, dahinter werden die Codes ins Visier genommen und gesprengt. Das Verdrängte — das Subjekt, das Erlebte — kehrt unübersehbar wieder, und die von der Theorie der Strukturen und Episteme zugunsten der langue eli minierte parole entfaltet sich in einem grenzenlosen Strom.
Die Ratlosigkeit der Strukturalisten Die Erschütterung, die der Mai 68 für das neue strukturalistische Gebäude bedeutet, ist auch an der Ratlosigkeit seiner Gründerväter abzulesen. Algirdas Julien Greimas traf inmitten der Ereignisse am College de France Levi-Strauss, der mit seinem Unmut nicht hinter dem Berg hielt: »Es ist aus! Jedes wissenschaftliche Vorhaben ist um zwanzig Jahre zurückgewor fen.«^ Im übrigen beschloß Levi-Strauss auf sehr de-GauUesche Art, sich angesichts des gefährlichen Klimas aus dem College de France zurückzu-
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ziehen und darauf zu warten, daß er in sein Amt zurückgerufen würde: »Als ich das erste Zähnefletschen wahrnahm, habe ich mich unter Vorwän den nach Hause zurückgezogen und sie sich selbst überlassen. Es gab etwa eine Woche interner Agitation; dann sind sie wiedergekommen und haben mich geholt.« ^° Dem Vater des Strukturalismus galt der Mai 68 als Abstieg zur Hölle, als Ausdruck eines Verfalls der Universität, eines in unvordenk lichen Zeiten eingeleiteten und von Generation zu Generation voranschrei tenden Niedergangs. Er bestätigte ihm lediglich seine pessimistische Auf fassung der Geschichte als einer langen Rückläufigkeit bis zum endgültigen Verschwinden. Algirdas Julien Greimas, der Großmeister der wissenschaftlichsten Semiotik, mußte sich damals auf eine schwere Zeit gefaßt machen. Er teilte völlig Levi-Strauss' Einschätzung, nach der das szientifische Projekt auf zwanzig Jahre hin angeschlagen sei: »Von 1968 bis 1972 war alles in Frage gestellt. Ich weiß nicht, wie ich mein eigenes Seminar habe ertragen kön nen, denn die Durchführung eines wissenschaftlichen Vorhabens schien lachhaft angesichts von Leuten, die mit verbalem Terrorismus alles zur Ideologie erklärten.« " Drei Jahre lang war Greimas in seinem eigenen Se minar über die Sprachwissenschaften zum Schweigen verurteilt und erlebte mit der Zerstreuung der Gruppe, die sich zwischen 1964 und 1968 um ihn gebildet hatte, seinen persönlichen Gang durch die Wüste. Für ihn hat der Mai 68 also eine Katastrophe bedeutet. Levi-Strauss erkannte den Mai 68 als Schlüsseldatum an, als er bei der feierlichen Überreichung des Erasmus-Preises, der ihm 1973 zuerkannt wurde, in Amsterdam erklärte: »Glücklicherweise ist der Strukturalismus seit 1968 nicht mehr in Mode.« ^^ Ihm kam dies gelegen, denn er sah im Strukturalismus nach wie vor eine wissenschaftliche Methode, die sich in den siebziger Jahren unter besseren Bedingungen fortführen ließ als zu ih ren großen Zeiten, und keine Philosophie, keine Spekulation. Die Ebbe er faßte nun aber hauptsächlich diese zweite Komponente des Strukturalis mus, die nie wirklich sein intellektuelles Einverständnis gefunden hatte. Mißbilligend betrachtete Levi-Strauss zumal die ganze Entwicklung zum Dekonstruktivismus sowie die um 1968 vollzogene Pluralisierung der Codes. Er beantwortete S/Z mit einem spitzfindigen Brief an Barthes, in dem er ihm einen anderen möglichen Schlüssel zu Balzacs Novelle signali sierte: den Inzest. Barthes nahm diese Beweisführung ernst und bezeich-
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nete sie als »blendend und überzeugend« ^^, derweil es sich laut LeviStrauss um einen Witz handelte: »5'/2hatte mir mißfallen. Die Kommen tare von Barthes ähnelten mir allzusehr denen von Professor Libellule in Α la maniere de [Racine] von Muller und Reboux". Also habe ich ihm diese paar Seiten im Stil von >ich habe hinzugefügt< geschickt, mit einer Prise Iro nie [...].«^'*
»Die Strukturen gehen nicht auf die Straße« Wenn es also ein »68er-Denken« gibt, so ist es weniger bei den Vertretern des Strukturalismus anzutreffen als vielmehr auf selten seiner Gegner: Jean-Paul Sartre, Edgar Morin, Jean Duvignaud, Claude Lefort, Henri Lefebvre — und natürlich Cornelius Castoriadis. Seine Gruppe Socialisme ou harbarieh-ax den Strukturalismus seit jeher als pseudowissenschaftliche Le gitimationsideologie des Systems angeprangert und die Selbst-Instituierung, die gesellschaftliche Autonomie verteidigt, die es ermöglicht, die To talität des beerbten Systems zu verändern, sei es den Kapitalismus oder die bürokratische Gesellschaft: »Der Mai 68 und die anderen Bewegungen der sechziger Jahre haben den Fortbestand und die Kraft des Autonomiestre bens erwiesen.« ^^ Der Mai 68 erschüttert den Strukturalismus mit solcher Wucht, daß Le Monde im. November desselben Jahres ein großes Dossier zum Thema »Le structuralisme a-t-il ete tue par Mai 68 ?« veröffentlicht, in dem fipistemon (Didier Anzieu), Mikel Dufrenne und Jean Pouillon zu Wort kommen. Letzterer spielt dabei gleichsam Blauhelm. Unter dem Titel »Reconcilier Sartre et Levi-Strauss« räumt er jedem der beiden ein spezifisches und wohlumgrenztes Gebiet ein: dem einen eine ethnologische Methode, dem anderen eine Philosophie, welche sich, da sie nicht auf derselben Ebene lie gen, nicht miteinander konfrontieren oder gegeneinander ausspielen las sen. ^^ Der Mai 1968 kennzeichnet also für manche den Tod des Struktura lismus oder jedenfalls den des »siegreichen Strukturalismus«^'': »Ganz 68 dementiert die strukturale Welt, den strukturalen Menschen.« ^^ Niemand bleibt gänzlich verschont, und der Protest rührt nicht nur an die Wurzeln der strukturalen Theorie, er richtet sich auch gegen manche seiner Repräsentanten, die, obschon sie bislang nur periphere Positionen
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erobert haben, als Mandarine gesehen werden: »Ich erinnere mich an Ver sammlungen des Aktionskomitees über die Sprachwissenschaften, bei de nen die Professoren kein Rederecht hatten. Man hatte die Seminare von Greimas und von Barthes zusammengelegt. Die beiden hatten anwesend zu sein, mußten sich aber damit begnügen, Fragen zu beantworten.« ^^ Eines Tages kommt Catherine Backes-Clement von einer AG (assemblee gene rale, Vollversammlung) in Philosophie und verliest einen drei Seiten langen Antrag, der mit den Worten endet: »Es ist offensichtHch, daß die Struktu ren nicht auf die Straße gehen.« Diese Feststellung, die dem Strukturalis mus die Totenglocke läutete, wird an die Tafel geschrieben und in Greimas' Beisein lebhaft und ausführlich diskutiert. Am nächsten Morgen trifft Greimas, der ja die Geburt der Formel miterlebt hat, auf ein großes, an die Tür geklebtes Plakat, das verkündet: »Barthes sagt: Die Strukturen gehen nicht auf die Straße. Wir sagen: Barthes auch nicht.«^° Indem sich die Be wegung Barthes vornimmt und ihm diese Worte in den Mund legt, obwohl er bei der Diskussion gar nicht anwesend war, greift sie den Strukturalis mus ganz allgemein an, den man als die Wissenschaft der neuen Mandarine, derjenigen von morgen, zu empfinden beginnt. Das ist übrigens die Ein schätzung, die Greimas aus diesem Fall gewinnt: »Barthes ist hier nur ein metonymischer Akteur eines Aktanten namens >Strukturalisten insgesamt<.«^^ Barthes scheint währenddessen vom Protest des Mai 68 tief be troffen. Er entschließt sich sogar zu einem zeitweiligen Exil, um sich vom Schauplatz der Pariser Umtriebe zu entfernen. Als der marokkanische Uni versitätslehrer Zaghloul Morsy ihm vorschlägt, in Rabat zu lehren, »nimmt er die Gelegenheit sofort wahr« ^^. Was Althusser betrifft, so weiß man, wie die Bewegung mit ihm ver fährt : »Althusser ä rien«; denn die Explosion des Mai scheint eher die The sen des jungen Marx zu illustrieren, der das Leiden der Menschheit unter der Entfremdung angeprangert hat. In diametralem Gegensatz zur Ge samtausrichtung des Strukturalistischen Denkens mit seinem Vorrang für die Determiniertheiten aller Art, welche die Stabilität des Systems begrün den sollen, definiert sich eine Mai-Bewegung, die sich aus den Strukturen der Entfremdung befreien zu können glaubt, um den großen Sprung in die Freiheit wahrzumachen: »Das war natürlich eine fromme Illusion, aber trotzdem notwendig, denn diese Veränderungen mußten ins Werk gesetzt werden.« ^^ Auch wenn Roger-Pol Droit 68 zum damaligen Zeitpunkt nicht
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als Aufbegehren gegen die strukturalistischen Thesen erlebte, so scheint ihm doch im nachhinein, daß 68 »in Richtung auf eine Art von Protest, von Kompensation der begrifflichen Einsperrung gelesen w^erden könnte — dessen, was ich als das Sprechgitter bezeichne« ^^. Gewiß war solches den Akteuren des Mai 68 nicht bewußt, aber die Geschehnisse mobilisierten so etwas wie einen Affekt, der der theorizistischen Vergeistigung des Struktu ralismus grundlegend zuwiderlief, weshalb der unaufhaltsame Niedergang des Paradigmas durchaus das Ergebnis der 68er-Ereignisse wäre.
Der Ausbruch des Ereignisses: eine Lektion in Bescheidenheit Die vielfältigen Auswirkungen von 68 haben erneut zutage gefördert, was durch den Strukturalismus verdrängt worden war. An erster Stelle wird wieder die Geschichte thematisiert, auch unter den Linguisten: Die von Jean-Claude Chevalier und Pierre Kuentz vorbereitete Nummer 15 der Zeitschrift Langue frangaise, erschienen 1972, ist zum Beispiel dem Thema »Linguistik und Geschichte« gewidmet. Freilich liegt, wie wir anhand von Julia Kristevas bereits 1966 vorgebrachten Thesen gesehen haben, die Be strebung der Dynamisierung der Strukturen dem Ereignis voraus, das diese Tendenz nur bestärkt, beschleunigt und verbreitert hat. Auf die gleiche Weise sorgen die Ereignisse des Mai 68 seit 1970 für den Erfolg der Befra gungen über das Subjekt, einer Linguistik der Äußerung, der Thesen von Benveniste also. Auch wenn sich seit dem psychoanalytischen Bruch der Begriff des Ich etwas verändert hat (dessen Gespaltenheit sich inzwischen so weit herumgesprochen hatte, daß der Spruch »Das tut mir weh ... ir gendwo« zur Allerweltsformel wurde), so zeichnet sich doch ein neuer Glaube an das — wenn auch gewandelte — Ich ab. Am Schluß von Godards Film Tout va bien sieht man Jane Fonda und Yves Montand in der Morgen röte : der Anfang eines Denkens seiner selbst in der Geschichte, bezeich nend für die neuen Zeittendenzen. Unter dem Einfluß von Labovs Thesen öffnet sich die Untersuchung der Sprache weithin deren sozialer Dimension: Man erlebt die Entstehung und spektakuläre Entfaltung einer »Soziolinguistik«, die den Referenten wieder ins Forschungsfeld des Linguisten rückt. Im Bereich der Gesellschaftswis senschaft tritt eine alternative Soziologie hervor, die mehr auf der Grup-
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pendynamik beruht, wie die Mai-Bewegung sie an den Tag legt, als auf ei nem strukturalen Ansatz. In diesem Sinne sind Georges Lapassades For schungen zur institutionellen Soziologie angelegt, die den Soziologen in den Prozeß einbeziehen: Es geht um »eine Methode, mit der eine Gruppe von Analytikern auf Anfrage einer gesellschaftlichen Organisation in dieser Organisation einen kollektiven Prozeß der Selbstanalyse instituiert« ^^. Un ter dem Schlagwort des Protests gegen die Mandarine entwickelt sich eine ganze Orientierung zu >nicht-direktiver< Pädagogik: »Das alte Verhältnis von Lehrenden und Lernenden wird aufgehoben.« ^^ Der von den Sozial wissenschaften beanspruchte Szientismus wird mit dem änigmatischen Er eignis des Mai 68 auf eine harte Probe gestellt. Daß die Soziologie, deren Studiengegenstand die Funktionsweise der Gesellschaft ist, keinerlei Vor zeichen des Wirbels hat erkennen können, lehrt sie, sich zu bescheiden. Im Departement für Soziologie der Sorbonne wirkt Francine Le Bret 1967/68 als Studentin an einer Erhebung über die Teilnahme der Studenten am poli tischen Leben mit. Daraus geht hervor, daß entgegen dem Durkheimschen Vorverständnis kämpferischer und engagierter Studenten dieses Milieu eher spießig sei — und das am Vorabend des Mai 68! »Es war offensichtlich, daß das Humbug war, daß uns die richtigen Indizien entgingen.«^'' Ein solches Mißverhältnis führt zur Abqualifizierung der Sozialwissen schaften und ihrer Klassifikationsmethoden, die sich mangels der Fähig keit, das Ereignis vorauszusehen, als ungeeignet erwiesen haben. Aller dings ist diese Folgewirkung des Mai 68 zwiespältig, denn betrifft sie einerseits die Sozialwissenschaften, deren Blüte den Aufschwung des Strukturalismus erst ermöglicht hatte, so hat dieser andererseits zu den in den Sozialwissenschaften gebräuchlichen Methoden längst eine kritische Position bezogen. Daher die kritische Aufbereitung der Sozialwissenschaf ten durch das strukturalistische Paradigma, das die Fragestellung auf die Bedingungen verlegt hat, unter denen in den Humanwissenschaften ein wissenschaftlicher Gegenstand zu konstruieren sei.
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Die Satire Der Mai 68 hatte auch eine witzige, spöttische Dimension. Als der Philo soph Clement Rosset 1969 unter dem Pseudonym Roger Cremant Les Matinees structuralistes^^ veröffentlichte, sprang er mit dem Strukturalismus wahrlich nicht zimperlich um. Die Satire sollte großes Aufsehen in Univer sitätskreisen erregen. Sie führt die strukturaÜstische Stil- oder Tonart als Feuerwerk vor, in dem zwei Phasen zu unterscheiden sind: Sprühen und Verglühen. Eine Typologie der verschiedenen Formen des Strukturalismus wird angelegt: der Parvenü-Strukturalismus: Michel Foucault; der preziöse Strukturalismus: Roland Barthes, Jacques Lacan; der ländliche Strukturalismus: Michel Serres; der neopositivistische Strukturalismus: die ENS, Louis Althusser. Die konzeptuellen Vorstöße des Strukturalismus sämtlicher Spielarten werden auf ein paar Binsenwahrheiten zurückgestutzt. So sei Louis Althussers große Entdeckung die der Verschiebung: »Es wäre falsch, umstandslos zu behaupten, daß Beethovens siebte Sinfonie die ökonomische Struktur Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts reproduziert. Zwar reprodu ziert sie sie, jedoch nicht vollständig.«^^ Diese neopositivistische Spielart des Strukturalismus, die bloß eine Reihe von Banalitäten vorbrächte, habe immerhin den Vorzug, keine Kopfschmerzen zu bereiten. Dies sei auch, so der Autor, bei der erholsamen Lektüre des Werks von Pierre Macherey der Fall, der uns auf dreihundert Seiten erkläre, daß die Idee von der Literatur ein Produkt sei wie Karotten, nur eben ein besonderes Produkt. Derlei Lesbarkeit finde sich nicht bei Derrida, dessen Verfahren so be schrieben wird: »Ich schreibe einen ersten Satz, aber eigentlich hätte ich ihn nicht schreiben dürfen. Entschuldigung, ich streiche alles durch und be ginne von neuem. Ich schreibe einen zweiten Satz, doch richtig bedacht, hätte ich auch ihn nicht schreiben dürfen.« ^° Dieser rückläufige Diskurs läßt ein wenig an Fernand Raynauds Sketch über den Verkäufer billiger Ap felsinen denken, der am Ende Fisch verkauft, weil es ihm stinkt. [Der Witz beruht im Französischen auf der Homophonie von >parce que cela sent< (weil es stinkt) und >se lassant< (weil er es leid ist), A.d.Ü.] Der Autor fährt fort mit einer der Lächerlichen Preziösen würdigen Theaterszene, die eine Versammlung der Cahierspour l'analyse an der ENS persifliert. Im Mittelpunkt steht Louis Althusser, verkörpert durch die
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Chefrepetitorin Louise, beflissen umringt von ihren namentlich kaum ver änderten getreuen Eleven, deren beide völlig austauschbare Heroen — und Hätschelkinder — Jacques-Alain Minet (J.-A. Miller) und Jean-Claude Miney Q.-C. Milner) sind. Nun untersteht sich einer der Schüler, Michel Poutreux, ein Referat zu halten. Damit erntet er nichts als Häme und wird als Lügner, als Plagiator usw. hingestellt. Als hingegen Minet/Miney ihren Beitrag verlesen, findet dieser Beifall und allgemeines Lob. Dabei stellt sich heraus, daß der Text von Poutreux haargenau der gleiche ist wie der von Minet/Miney. Louises Reaktion: »Es könnte sein, daß dies nur ein Zufall ist: das unvermutete Zusammentreffen eines signifikanten Insignifikats mit einem insignifikanten Signifikat. Solche merkwürdigen Begegnungen sind mir schon zu Ohren gekommen.« ^^ Die codierte Sprache, ein gewisser Jar gon und Cliquengeist werden also in diesem schmalen Werk, das die Bissig keit des 68er-Geistes wiedergibt, mit Witz aufgespießt.
Mißkredit Der Mai 68 hat bei den Strukturalisten, die von diesem unvermuteten Her einbrechen des geschichtlichen Ereignisses überrumpelt wurden, recht rasch zu bestimmten Umorientierungen geführt. Namentlich Althusser wurde zur Zielscheibe seiner mündig gewordenen Schüler, der Maoisten der Gauche proletarienne. Diese bezeugen Ende 1968 verstärkt einen un widerruflichen Bruch: »Althusser ä rien!«, »Althusser ungleich Volk!«, »Althusser ist vielleicht eingeschlafen, aber die Massenbewegung ist mun ter !« usw. Für die Althusserianer brach eine ungemütliche Zeit an, der ge ballte Unmut schlug ihnen entgegen. Vorgeworfen wurde ihnen sowohl ihr Theorizismus als auch ihr Verbleiben in der KPF, Gewähr für den Revisio nismus und dessen Feindschaft gegenüber den Mao-Gruppen, welche das zum Marsch aufgebrochene Volk zu verkörpern glaubten. Daß mit dem Mai 68 für die Autoren des Buches Das Kapital lesen ein schwieriger Mo ment begann, war unmittelbar deutlich: »1968 war das Jahr, in dem es bald vor Schriften gegen Althusser nur so wimmelte. Ich erinnere mich an Schaufenster von Buchhandlungen, die ganz mit althusserfeindlichen Bü chern und Zeitschriften ausstaffiert waren. Diese Periode war sehr hart, das blanke Gegenteil der Zeit vorher.« ^^ Pierre Macherey, der im Zuge des Er-
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folgs der Althusserschen Thesen 1966 an die Sorbonne berufen worden war, setzte seinen Unterricht fort, wenn auch unter erschwerten Bedingun gen. fitienne Balibar aber, der 1969 nach Vincennes (Paris-VIII) gehen wird, resignierte nach ein paar Monaten vor den wiederholten Sturmangrif fen der Maoisten — vorneweg Andre Glucksmann —, die vermehrt Stör kommandos mit dem Schlachtruf »Balibar-toi« (Bali, verpiß dich) in seine Lehrveranstaltungen schickten — ein Wunsch, der rasch in Erfüllung gehen sollte. Die Althusserianer hatten es also in der Nach-68er-Zeit nicht nur menschlich schwer, sie mußten sich auch auf theoretischer Ebene umstel len: »68 hat uns den Gedanken nahegebracht, daß es auch anderes zu tun gibt, daß Philosophie nicht nur aus Textstudium besteht. Wir haben ver sucht, weniger abstrakt zu arbeiten, mehr ins Konkrete zu gehen.« ^^ Das Janusgesicht des Althusserismus zerbrach an der Klippe des 68er-Ereignisses in eine theorielastige, szientistische Hälfte, die im Dunstkreis der KPF blieb, und eine mit Lacanschem Gedankengut angereicherte Tendenz, die der Idee eines Bruches nachging und den Ereignissen gegenüber aufge schlossen war. Diese zweite Strömung reihte sich in die Bewegung ein und engagierte sich in einem ungebremsten politischen Aktivismus, der sich als Maoismus ausformte. Nur einer der Autoren des Buches Das Kapital lesen hat sich in dieser zweiten Strömung wiedererkannt, und auch dies fernab der Lacanschen Schule: Jacques Ranciere, der die Aufspaltung so kenn zeichnet: »Grob gesagt, handelte es sich für die einen um eine Theorie der Wissenschaft und für die anderen um eine Theorie der Wahrheit.« ^^ So be reiteten die Praxis und die Subjekte des historischen Prozesses den Althusserianern einige Probleme.
Foucault abseits des Wirbels Als die Ereignisse des Mai 68 losbrachen, befand sich Michel Foucault in Tunesien, in Sidi Bou Said, wo er an der Archäologie des Wissens schrieb. Er kehrte Ende Mai für einige Tage nach Paris zurück, wo er gegenüber dem Chefredakteur des Nouvel Observateur, Jean Daniel, angesichts eines vor überziehenden Schwarms von Studenten die Bemerkung machte: »Sie ma chen keine Revolution, sie sind die Revolution.« ^^
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Im Frühjahr 1968 wurden auf Veranlassung des Regimes einige seiner Studenten an der Universität von Tunis verhaftet und gefoltert. Energisch intervenierte Foucault zu ihrer Verteidigung bei den Behörden, beteiligte sich aktiv an der Mobilisierung für die Befreiung der Gefangenen und über ließ den Aktivisten seinen Garten, damit sie dort ihre Flugblätter drucken konnten. Er wurde sogar von Polizisten in Zivil behelligt und auf der Straße nach Sidi Bou Said geschlagen. So erlebte auch Foucault die Studentenun ruhen mit, wobei er sich ganz dem Kampf gegen die Unterdrückung zur Verfügung stellte. Für den bis dahin eher reformerischen Philosophen be deutete dies — seit seinem schon lange zurückHegenden Bruch mit der KPF — einen entscheidenden Sinneswandel: »Dort, in Tunesien, sah ich mich veranlaßt, den Studenten konkrete Hilfe zu leisten [...]. Ich mußte auf ir gendeine Weise in die politische Auseinandersetzung eintreten.« ^^ Im Frühjahr 1968 kam demnach ein veränderter Michel Foucault zum Vorschein, der die Hoffnungen und Kämpfe der Studentengeneration des Mai 68 verkörpern sollte. Von den Ereignissen beeinflußt, nahm Foucault in den bis dahin rein diskursiven Horizont die Praxis wieder auf. Fortan würde er allen Kämpfen, allem Widerstand gegen die verschiedenen For men disziplinarer Machtausübung zur Seite stehen. So rief er am 8. Februar 1971 eine neue Organisation ins Leben, die Groupe d'information sur les prisons (GIP), deren Gründungsmanifest Jean-Marie Domenach und Pierre Vidal-Naquet mit unterzeichnet haben. Er widmete sich mit ganzer Kraft dem Kampf gegen die Haftbedingungen in den französischen Ge fängnissen, funktionierte sogar seine Privatwohnung zu Geschäftsräumen der GIP um und empfing die Familienangehörigen der Häftlinge, um diese verborgene Seite des demokratischen Systems ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Da Foucault im Mai 1968 in Frankreich keinerlei Machtstellung innehatte, entging er dem Aufbegehren gegen die Mandarine, was wie derum die glückliche Osmose mit der Bewegung begünstigte, die er seit seiner Rückkehr nach Paris im Herbst 1968 erlebte. Allerdings bildete er da die Ausnahme inmitten einer Periode, die auf die Strukturalisten insgesamt ersichtlich mit einhelliger Ablehnung reagierte.
Lacan: »Es sind die Strukturen, die auf die Straße gegangen sind«
Mit seinen widersprüchlichen Folgeerscheinungen hat der Wirbel des Mai 68 ~ paradoxerweise — auch für den Erfolg des Strukturalismus gesorgt: Hauptzielscheibe der Bewegung war die Sorbonne als Hochburg der Man darine, des Akademismus und der geschmähten Tradition. In dieser Bezie hung herrschte also völlige Übereinstimmung mit der strukturalistischen Kritik an den klassischen Humaniora. Im Streit der Alten und der Modernen schlug sich die Protestbewegung naturgemäß auf die Seite der Modernen und sicherte dadurch deren Sieg. Die Machtanwärter traten aus ihrer Namenlosigkeit, aus ihrer Randstel lung hervor und nahmen den Platz ein, den die alte Sorbonne hinterlassen hatte. Die Universität modernisierte sich, und aufgrund der Beschleuni gung der historischen Geschehnisse im Mai 68 gewann dabei der Struktura lismus die Partie. Auf höchst paradoxe Weise trat also ein Paradigma, das die Geschichte leugnet, dank ihrer seinen Siegeszug an. Diese widersprüch liche Lage provozierte surrealistisch anmutende Wortgefechte, so am 22. Februar 1969 anläßlich eines Vortrags von Michel Foucault vor der Societe fran9aise de philosophie, wo Lucien Goldmann Jacques Lacan anfuhr: »Sie haben doch gesehen, was 68 mit Ihren Strukturen war. [.,.] Es waren doch wohl die Menschen, die auf die Straße gegangen sind!« Worauf Lacan ver setzt: »Wenn es etwas gibt, was die Mai-Ereignisse beweisen, dann genau das Auf-die-Straße-Gehen der Strukturen!«^ Im Saal befand sich auch Rene Lourau: »Wir waren entsetzt über die Unverfrorenheit der Formulie rung. Ich habe Lucien Goldmann mit dem Auto nach Hause gefahren. Er saß da wie ein k.o. geschlagener Boxer.« ^ Gingen auch die Strukturen nicht auf die Straße, so drangen sie doch gleichsam auf die neuen Lehrstühle vor, zuhauf eingerichtet in einer uni versitären Situation, in der sich das Erneuerungsbedürfnis auch in der Zunahme von Seminaren und einem entsprechend geringeren Anteil an Vorlesungen äußerte. Durch das Zusammengehen des Mai 68 und des
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Strukturalismus, was die Anfechtung der Stellung der traditionellen Hu maniora, klassischer Disziplinen wie Philosophie, Geschichte, Literatur und Psychologie anbelangte, erwies sich das verschiedentliche Für-tot-Erklären des Strukturalismus als doch etwas voreilig: »Ich habe mich geirrt, als ich den Tod des Strukturalismus ankündigte. Er war niemals so stark wie nach dem Mai 68.«^ Die mit dem antiautoritären Kampf einhergehende Anfechtung der Fä cherrangordnung versetzte zumal der Disziplin einen schweren Schlag, die sich als Königin der Wissenschaften verstand: Die Philosophie wurde als obsolet abserviert und sollte seriöseren Forschungen in Anthropologie, Psychoanalyse, Linguistik usw. weichen. »Ich erinnere mich, wie Tresmontant, ein teilhardianischer Philosoph, im Mai nach einer Philosophenver sammlung in der Sorbonne den Jardin du Luxembourg durchquerte; auf der Tagesordnung hatte die Frage gestanden, ob es statthaft sei, sich danach zu fragen, ob es philosophische Probleme gebe.« "^ Auf dem Spielplan stand also die Emanzipation der Humanwissenschaften, die sich freilich nicht vollends vollziehen konnte, weil sie auf den Immobilismus eines Zentral staates bonapartistischer Provenienz und einer in der Tradition festgefahre nen Sorbonne traf: »Eine geschwätzige Revolution läuft Sturm gegen das Geschwätz der Philosophen und legitimiert sich, indem sie sich mit den Tugenden des Begriffs ausstaffiert.«^ Ganz so klar waren die Trennlinien allerdings auch wieder nicht, denn die Strukturalistischen Philosophen hatten sich eingehend auf das Aufkom men der Sozialwissenschaften vorbereitet, indem sie von deren konzeptueller Leistung zehrten — und zwar nicht, um sich auf ihre Klassifikations weisen einzulassen, sondern um ihr eigenes Gebiet zu erneuern und zu bereichern: »Man setzt auf die epistemologische Vernunft, man macht das Rüstzeug der Ratio geltend und leitet parallel zum Prozeß der Modernität den der Dialektik der Vernunft ein, in der jene zum Ausdruck kommt.« ^ Letzten Endes blieb der Gesichtspunkt des Philosophen gewahrt, doch nur in einer kontradiktorischen Spannung, aus der heraus er zur Verneinung seiner Ziele schritt. Die neuen Ziele wurden in Begriffen der Strenge, der Theorie, des epistemologischen Unterbaus gefaßt. Dies war die Vorausset zung für die Teilhabe der philosophischen Arbeit am gängigen New Deal, an der Umverteilung des institutionalisierten Wissens innerhalb der Uni versität. Im Zuge dieser Umorganisierung mußte sich der Philosoph an ein
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bestimmtes Forschungsterrain binden und sein Untersuchungsgebiet so strikt umgrenzen wie ein Linguist oder ein Anthropologe. Mit dieser Kon figuration der intellektuellen Arbeitsteilung war die Sartresche Vorstellung vom Schriftsteller-Philosophen endgültig dahin — Sartres scheinbare Re vanche im Jahre 1968 hatte demnach die dem Strukturalismus günstige Lage auf dem während der sechziger Jahre errichteten philosophischen Feld nicht grundlegend gewendet. Für die Nachwuchsphilosophen bedeutete der Mai 68 also kein Erlö schen des strukturalen Denkens, ganz im Gegenteil. Roger-Pol Droit, der damals, 1968/69, die khdgne am Lycee Louis-le-Grand absolvierte, »hatte — so glaubte er wenigstens — denken gelernt bei Marx in der Lesart von Althusser. EntDenken lernte er dann bei Freud in der Lesart von Lacan.«^ 1969 gab es für einen Philosophen, der »in« sein wollte, kein Heil außerhalb des maoistischen Althusserismus-Lacanismus. Die Herrschaft des Struktu ralismus war zu dieser Zeit unumschränkt, und wer sich nicht in seinem Einzugsbereich ansiedelte, verurteilte sich dazu, gar nicht vorzukommen. Mit dem Theorizismus ging ein verbaler Terrorismus französischer Aus prägung einher: »Die Vorderbühne belegten Begriffsgitter. Er kletterte sie hinauf, als ob alles, was vorausgegangen war, schon in den Mülleimern der Geschichte verweste. Nicht Althusserianer-Lacanianer sein hieß, sich als Untermensch [dt. im Original, A. d. Ü.] zu entlarven. Nicht Lacanianer sein hieß, in Kauf zu nehmen, daß man nur ein Häuflein Dreck war.« ^
Die »Diskursivitätsbegründer« Rückte mit dem Mai 68 das Subjekt wieder ins Problemfeld, so bekräftigte allerdings die Protestbewegung die von den Strukturalisten seit geraumer Zeit betriebene Anfechtung des Autorbegriffs, wenn sie die Universitäts mandarine und ihr psychologisches Pathos aufs Korn nahm, welches für sie der Sphäre des Ideologischen zufiel und folglich den Ausbund der Ruchlo sigkeit darstellte. Daß der Strukturalismus und der Geist des Mai sich in dieser Beziehung entsprechen mochten, hat Michel Foucault, dessen gan zes Werk von der Thematik der Tilgung des Autornamens durchzogen ist, sehr genau verstanden. In seinem schon genannten Vortrag vor der Societe frangaise de philosophie am 22. Februar 1969 ^ stellt er die Frage: »Was ist
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ein Autor?« Foucaults Position bleibt der strukturalistischen Orthodoxie verpflichtet, er übt sogar Selbstkritik an seiner Verwendung von Autorna men in der Ordnung der Dinge: »In Frage steht die Öffnung eines Raumes, in dem das schreibende Subjekt immer wieder verschwindet.« ^° Aufs neue trifft man auf die Thematik einer Intertextualität, die nicht bei einem letz ten Signifikat — wie ein Eigenname ihn darstellen würde — anhalten darf. Mit einer bewundernswerten rhetorischen Wendung wandelt Foucault die uralte Formel, daß das Schreiben Mittel zur Erlangung der Unsterblichkeit sei, dahingehend um, daß es aufgrund seiner Macht, den Autor zu töten, an einen Opferakt gebunden sei: »Das Kennzeichen des Schriftstellers ist nur noch die Einmaligkeit seiner Abwesenheit; er muß die Rolle des Toten im Schreib-Spiel übernehmen.« ^^ Michel Foucault relativiert die abendländische Fetischisierung der Na men literarischer Autoren. Vor dem 17. Jahrhundert zirkulierte der literari sche Diskurs, ohne daß sich die Urheberfrage stellte, wogegen wissen schaftliche Entdeckungen sehr wohl das Siegel ihres Autors trugen. Heute gilt umgekehrt: »Literarische Anonymität ist uns unerträglich.« ^^ Demge genüber erkennt Foucault die Existenz nicht von Autoren, sondern von »Diskursivitätsbegründern«: Marx oder Freud »haben eine unbegrenzte Möglichkeit zum Diskurs geschaffen« ". Diese Diskursivitätsbegründungen implizieren die Legitimität einer Bewegung der »Rückkehr zu« und öffnen die Tür einem mehr denn je historischen Angang der Diskursforma tionen, der die Modalitäten ihrer Existenz zu erkennen geben soll. Foucault kündigt in gewisser Weise einen Zugriff auf das Subjekt an, nicht auf das originäre Subjekt, sondern vielmehr auf seinen Einschaltungspunkt, seine Abhängigkeit und die Bedingungen seines Erscheinens. Es leuchtet ein, in wiefern diese Stellungnahme Foucaults die berühmten »Rückkehren« des Strukturalismus aufzugreifen erlaubt: die Rückkehr zu Saussure bei den Linguisten, die Rückkehr zu Marx bei Althusser, die Rückkehr zu Freud bei Lacan. Letzterer sitzt übrigens im Saal, und dieser Vortrag wird für ihn eine wichtige Rolle spielen. In der Tat findet Lacan in Foucaults Äußerungen eine Anregung, die zur Begründung seiner Theorie der vier Diskurse beitragen wird. Er schaltet sich in die Diskussion ein und antwortet: »Die Rückkehr zu Freud ist et was, was ich als eine Art Fahne auf einem bestimmten Feld benutzt habe, und ich kann Ihnen an dieser Stelle nur danken; Sie haben meiner Erwar-
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tung ganz und gar entsprochen.« ^^ Erstmals sieht Lacan aus philosophi scher Warte die Richtigkeit seines Rückgangs auf Freud bestätigt. Er wird sich auf Foucaults Position zur Funktionalisierung des Autorbegriffes stüt zen und im Rahmen einer Umdefinition der Aufteilung der Wissenschaften abermals in die Offensive gegenüber der Philosophie gehen. Jean AUouch macht auf die zeitliche Übereinstimmung zwischen Fou caults Vortrag und Lacans Konstruktion der vier Diskurse aufmerksam. In dem auf Foucaults Ausführungen unmittelbar folgenden Seminar wieder holt Lacan, diesmal vor seinem eigenen Publikum, daß die Bedeutung, die Foucault der »Rückkehr zu« beigemessen hatte, bei ihm gezündet habe. ^^ Ein weiteres Ereignis beschleunigt Lacans Entwicklung zu einer Theorie der Diskursivität. Lacan veröffentlicht am 26. Juni 1969 das Ausschluß schreiben, das er bereits im März vom Direktor der ENS, Robert Flaceliere, erhalten hat. Darin entzieht ihm dieser den Hörsaal Dussane, wo das berühmte Seminar abgehalten wurde, in welches strömte, wer in Paris auf sich hielt. Aufs neue erfährt Lacan eine Achtung, abermals wird er aus einer — diesmal universitären — Institution verbannt und eines privilegierten Publikums beraubt: der Philosophen. Bei dieser letzten Sitzung seines Seminars am 26. Juni 1969 (»D'un Autre ä l'autre«) reagiert er zunächst mit Häme und bezeichnet Flaceliere als »Flatulenciere« [von: Flatulenz, A.d.Ü.], »Cordeliere« [Knotenschnur/Franziskanernonne, A.d.Ü.], »ne tire pas trop sur la flaceliere« [zieh nicht zu sehr an der Flatulenzschnur, hör auf, mich anzufurzen, vgl. »tirer sur la ficelle« = den Bogen überspannen, A.d.Ü.]. Die Seminarteilnehmer beschließen, das Büro des Direktors zu besetzen: Jean-Jacques Lebel, Antoinette Fouque, Laurence Bataille, Phi lippe Sollers, Julia Kristeva und andere findet man in dem Raum versam melt ^^, der nach zwei Stunden von der Polizei geräumt wird. Schlußendlich wird Lacan an einem nahegelegenen Ort unterkommen, dem Hörsaal der Juristischen Fakultät unweit des Pantheons, wo er seinen Unterricht fort führen kann. Mag dort die Zuhörerschaft auch zahlreicher sein, der Ort ist weniger prestigeträchtig, und Lacans Gefühl der Isolierung — verschärft noch durch den Eindruck, daß Derrida und Althusser sich nicht wirklich ins Zeug ge legt haben, um Flaceliere von seinem Beschluß abzubringen — bestärkt ihn darin, daß ein erneuter und wiederum theoretischer Sturmangriff gegen den universitären Diskurs und die Prätentionen der Philosophie notwendig
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sei. In dieser Hinsicht steht er also mit den Kindern des Mai 68 im Einver nehmen. Bei der ersten Seminarsitzung in der Juristischen Fakultät am 26. November 1969 erwähnt Lacan erstmaHg den »Diskurs« im Sinne seiner späteren Lehre von den vier Diskursen. Er definiert die Existenz eines uni versitären Diskurses, welcher dem »Diskurs des Herren und dem Diskurs der Hysterischen« ^'^ nahesteht. Neben diesen drei Diskursen — dem uni versitären, dem des Herren und dem der Hysterischen — ragt allein der ana lytische Diskurs aus der neurotischen Sphäre heraus und schafft Zugang zu einer gewissen Wahrheit, wodurch sich seine Oberhoheit rechtfertigt. Lacans theoretische Konstruktion fußt in einer Logik der Hegemonie des psychoanalytischen Diskurses — die Vermessenheit dieses Anspruchs kün det von den Schwierigkeiten, die Lacans Psychoanalyse mit ihrer Instituierung und Institutionalisierung hat. Indes gewinnt Lacan, was ihm von sei ner Machtstellung verlorengeht, jedesmal an Publikum dazu. Im Zulauf der Protestierenden verdeutHcht sich die Geisteshaltung der Studenten von 1968: »Für mich war es eine Bewegung gegen die Universität. Man zog über Professoren her, die man im Namen eines anderen Wissens schwach sinnig fand.« ^^
Die Althusser-Lacan-Welle Foucault versuchte im Sturm von 1968, seine Positionen an die des Althusserismus-Lacanismus anzubinden, der in dieser Periode des Protests und des Traditionsbruchs im Schwange war. Rechtfertigt er die für das strukturalistische Vorgehen symptomatischen »Rückkehren zu«, so kommen die Cahiers pour l'analyse als erstes in den Genuß seiner im Sommer 1968 fer tiggestellten neuen Arbeit. Die »Reponse au Cercle d'epistemologie« ^^ weist auf die im folgenden Jahr erscheinende Archäologie des Wissens vor aus. Foucault geht mit seinen Positionen auf die Herausforderung des Mai68-Ereignisses ein und verlagert die Problematik der großen epistemischen Grundmuster auf die Gelenkstellen zwischen der diskursiven Sphäre und den Praktiken, auf die sie sich stützen. Damit unterbreitet er den Althusserianern ein weites Forschungsfeld, auf dem sie aus ihrem Theorizismus her auskommen und die philosophische Arbeit zum Politischen, zur Untersu chung der Einschreibestellen der Macht hin verlagern können.
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Diese Artikulation von Theorie und Praxis hat zuweilen erstaunliche Er gebnisse gezeitigt. So kam Alain Badiou, ein vormaliger Existentialist, der sich 1967 den Althusserschen Positionen angeschlossen hatte, 1969 zu der Auffassung, der Klassenkampf in der Theorie verlaufe über die Anfechtung der Philosophie-iigregiiftow, und versuchte, die Examenskandidaten davon zu überzeugen, die Prüfung nicht anzutreten: »Das ist ein Fall für sich: Wahrscheinlich der brillanteste Kopf, den ich kennengelernt habe, unge mein begabt, mit immenser Kenntnis der Logik und der Mathematik — und führt zugleich einen pervertierten Diskurs, der irgendwann völlig aus dem Gleis gerät« ^°, sagt Jacques Bouveresse, der manche der damals vertretenen Thesen als Ausdruck dessen wertet, was Wittgenstein unter pathologi schen Gesichtspunkten analysiert hatte. Erst im nachhinein fragten sich manche: »Wie konnten wir nur so verrückt sein ? Strukturalisten sein und für die proletarische Kulturrevolution eintreten ?«^^ Einstweilen jedoch wurden solche inneren Spannungen nicht als Widerspruch wahrgenom men, so daß der Strukturalismus Althusserscher Prägung im Nach-Mai ei nen beispiellosen Aufschwung erlebte. In einen ähnlich krassen Widerspruch verwickelte sich die Bewegung, wenn sie einerseits gegen die Idole und den Begriff des Autors zu Felde zog, die von den Strukturalisten jeder Observanz einhellig verworfen wur den, während andererseits die Theoretiker dieses Leichenbegängnisses als Helden auftraten und auch so angesehen wurden. Als Ausgleich für ihre mangelnde institutionelle Verankerung mußten die Strukturalisten sich ver stärkt an eine Öffentlichkeit wenden, der sie immer mehr als Meisterden ker, Daseinsvorbilder, Gurus erschienen. Sie, die den Autor für verwirkt erklärten, wurden fetischisiert als Stars, als die wahren Autoren gewisser maßen, die die intellektuellen Unruhen ihrer Zeit zur Sprache brachten, wogegen man den Diskurs der alteingesessenen Mandarine aufs heftigste bekämpfte. Der Kult um Personen und den sie umgebenden magischen Glanz hat also auf dem Weg von den Mandarinen zu den Samurais nicht wirklich nachgelassen; er bekam nur eine tragische Dimension, wie sie die existentialistische Generation nicht hatte. Diese Tragik rührt daraus, daß das Modell des Intellektuellen, so wie es im 18. Jahrhundert mit Voltaire entstanden und im 19. Jahrhundert durch die Dreyfus-Affäre wiederbelebt worden war und das sich darauf gründete, daß das Einschreiten des Intellektuellen gegen die Kräfte des Irrationalen,
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der Macht und des Geldes mit der historischen Notwendigkeit zusammen fiel, nicht länger annehmbar schien. Für die strukturalistische Generation ging diese Gleichung seit der Erfahrung des Stalinismus nicht mehr auf. Aus diesem Verlust erklärt sich auch der radikale Pessimismus, der dem Strukturalistischen Denken noch in seiner militantesten Ausprägung zu grunde liegt. Das Ergebnis war ein seltsames Gemisch aus Hedonismus und Freisetzung der Kräfte des Begehrens, vereint mit der pessimistisch sten europäischen Denkströmung des beginnenden 20. Jahrhunderts: »Ei gentlich hätte sich das zueinander verhalten müssen wie Feuer und Wasser.« Diese Spannung trat zumeist in einer Strategie des Abschwörens zutage, die dem Strukturalismus neuen Zulauf brachte. Viele hatten einst ihren Glauben in das Subjekt-Stalin und ihre Zuversicht in die Errichtung des Modells der Modelle gesetzt. Durch eine Kur in Strukturen hofften sie, sich ihrer schulmeisterlichen Stellung zu entschlagen, und überschätzten des halb deren Bedeutung. Sie fanden einen Ausweg in der Wissenschaft: »In dieser Haltung steckt eine gehörige Portion masochistischer Selbstbestra fung, ein Aspekt von: Ich bin in die Falle gegangen, also ist es meine intel lektuelle Schuldigkeit, diese Falle anzuzeigen und mich selbst zu denunzie ren.« ^^ Symptomatisch für diese Entwicklung ist der Werdegang von Pierre Daix, der, wie wir gesehen haben, nach 1968 zum Strukturalismus konver tierte und 1971 ein Buch zum Ruhm des Hervortretens der strukturalen Wissenschaft veröffentlichte: »Die strukturale Forschung setzt bei einer Bewegung der menschlichen Gesellschaften an, die uns umgreift und über steigt und deren Bedeutung außerhalb unserer Vorstellungen und unmittel baren Erfahrungen zu suchen ist.« ^'^
Der Drang zur Wissenschaft Der Zusammenhang von 68 und Strukturalismus wurde mithin wesentlich mitbestimmt vom wissenschaftlichen Anspruch der Kinder des Mai. Zwar entstand gelegentlich der Eindruck einer Revolution der Blauäugigen und Sitzenbleiber, aber die Anführer der Bewegung saßen an den höchsten Stel len der Bildungsstätten; mit dem vermittelten Wissen unzufrieden, streb ten sie eine radikale Veränderung sowohl der Inhalte als auch der Lehrme-
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thoden an. In dieser Beziehung hat sich der Übertritt zum strukturalen Pa radigma und dessen Szientismus vollends verwirklicht, selbst wenn einige im Namen der Wissenschaft noch eins draufsetzten und die Veranstaltun gen strukturalistischer Dozenten störten, weil sie diese als immer noch zu ideologiedurchtränkt und als bloße Reproduktion eines schulmeisterlichen Verhältnisses zum Wissen betrachteten. Neben dem Hedonismus bestand also in der Bewegung ein erheblicher Wunsch nach wissenschaftlicher Strenge, der dem Strukturalismus nach 68 eine glückliche Fortsetzung be scherte. Über die inneruniversitären Konflikte hinaus handelte es sich auch um die Reaktion der Intellektuellen der Rue d'Ulm und der geisteswissen schaftlichen Akademiker auf den Prozeß der Technokratisierung, der sie tendenziell in eine zweitrangige Rolle hinter den enarques [Absolventen der ficole nationale d'administration, A.d.Ü.] und den Ingenieuren ab drängte. Ihr Drang zur Wissenschaft mobilisierte gleichsam die Kraft der Verzweiflung, um ihre Ablösung durch die Technokraten abzuwenden: »Ich war verblüfft über die Rationalismuswelle, mit der kurz nach 68 Mas sen von Studenten in Logikkurse geströmt kamen.« ^^ Man sprach nur noch von Epistemologie und Wissenschaftstheorie, deren Erfolg um so überra schender war, als es sich um ein besonders hermetisches Gebiet handelt. Dank der Bewegung vom Mai 1968 und dem durchaus damit einhergehen den Erfolg eines verallgemeinerten Strukturalismus wurde auch die Lin guistik weithin als wissenschaftliche Verfahrensweise anerkannt, so daß »der symbolisch geringwertige Titel des Grammatikers gegen den Titel des Linguisten« ^^ eingetauscht werden konnte. In der unmittelbaren Nach-68er-2eit erreichte das Aufflammen des Szientismus den höchsten Grad. Eine seiner wesentlichen treibenden Kräfte war der formalste Zweig der Linguistik, die Semiotik. 1969 wurde die internationale Zeitschrift Semiotica gegründet, die Thomas A. Sebeok und die Universität von Bloomington herausgaben und deren Pariser Se kretariat Josette Rey-Debove und Julia Kristeva besorgten. Die Linguistik stand weiterhin an der Spitze der Humanwissenschaften, als Pilotwissen schaft, so daß das von Oswald Ducrot und Tzvetan Todorov erarbeitete Dictionnaire des sciences du langage, das 1972 bei Seuil erschien, auf jeden Fall der Nachfrage entsprach, gleich ob eine solche Vorreiterrolle in der Absicht der Autoren lag oder nicht. Das allgemeine Bedürfnis nach Strenge
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führte zum Ausbau der Verbindungen zwischen den verschiedenen Diszi plinen und sorgte für den Erfolg der Interdisziplinarität rund um ein ein heitliches Modell, das auf diese Weise größte Attraktivität bekam. So wechselte Jean-David Nasio, ein argentinischer Psychoanalytiker kleinscher Ausrichtung, 1969 zur Lacan-Schule über. Er arbeitete an der spanischen Übersetzung der Schriften und traf sich aus diesem Anlaß häu fig mit Lacan, dessen Thesen er sich aus althusserianischer Warte aneig nete : »Ich war Marxist-Leninist, politischer Aktivist und suchte in meiner Althusser-Lektüre nach den Grundlagen für eine Kritik an Melanie Klein.« ^'^ Die Sozialisierung oder Demokratisierung in der Lehre der Hu manwissenschaften, ihre massive Einpflanzung und ideologische Macht bereiteten nun dem Erfolg des strukturalistischen Paradigmas den Boden. Denn dieses gab die Gewähr für Wissenschaftlichkeit, deren es zur Durch setzung auf dem universitären Feld bedurfte. Dort mußten Positionen er obert werden, um den Erfolg, der sich nacheinander bei wissenschaftlichen Zeitschriften, Medien und intellektuellem Publikum eingestellt hatte, in eine institutionelle Verankerung umzusetzen. Die neue Architektur der Wissensgebiete fußte also auf einer kollektiven Wissenschaftsbegeisterung. Ein solches Bedürfnis nach Strenge empfand in besonderem Maße die junge Generation, die gleich nach 68 vom lycee in die Vorbereitungsklassen oder an die Universität ging. Marc Abeles, der seine Ausbildung zum Anthropologen in der Schule von Levi-Strauss absol vierte, fand bei Maurice Godelier die Erarbeitung eines wissenschaftlichen Verfahrens, das seinen Bedarf nach Methodik stillte. Im Spiel waren dabei auch politische Überlegungen, entstanden aus der Enttäuschung über die machthabenden Politiker und politischen Kräfte: »Wir sagten uns, das sind Nieten, und vielleicht suchten wir in diesen theoretischen Arbeiten nicht nur Strenge, sondern auch eine haltbare theoretische Ausgangsbasis, um gegen die Schlaffheit der Politikerpolitik anzugehen.« ^^ Andere wollten einfach den allzu abgezirkelten Rabatten der traditio nellen französischen Wissensgärten entkommen — selbst wenn diese er neuert worden waren — und sich auf neuen Feldern wissenschaftlich erpro ben. Einer davon war Marc Vernet, der Neue Literatur studierte und 1968/69 in die ENSET [ficole normale superieure de l'enseignement technique, A. d. Ü.] eintrat: »Ich liebte das Kino und begann, Christian Metz zu lesen. Ich entschied mich für die Wissenschaft, und da ich glaubte, daß die
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Semiologie alles erklären würde, stürzte ich mich auf sie.« ^^ Marc Vernet sollte seinen Studiengang an der ENSET nicht beenden, trotz hervorragen der Lehrer, die bei intensiver Vorbereitung auf die Wettbewerbsprüfung auch die neuen Erkenntnisse der Linguistik in den Unterricht einbezogen: Pierre Kuentz, Antoine Culioli usw. »Ich sagte mir, Literatur ist völlig alt backen. Ich hatte den Eindruck, auf der Welle zu reiten, die alles überfluten würde.« ^° Er ging also an die E P H E , um bei Christian Metz eine thesexxher »Die Phänomene des Bedeutungsaufschubs in amerikanischen Kriminalfil men der vierziger Jahre« zu schreiben, das heißt über den suspense. Infolge dieser Entscheidung lernte er das ganze Feld der strukturalen Forschungen in den verschiedenen Disziplinen kennen. Denn als Marc Vernet beschloß, sich der Semiologie des Films zuzuwenden, war ihm die Arbeit von LeviStrauss noch unbekannt. Ein Freund, Daniel Percheron, empfahl ihm, das Werk des Anthropologen zu lesen, das er mit Begeisterung entdeckte. In seiner eigenen Arbeit fand dies aber einstweilen keinen Niederschlag, bis er sich die Frage stellte, was eigentlich eine Person sei, die unter strukturalem Gesichtspunkt für gewöhnlich dem Erzähler gegenüberstehe. Marc Vernet hatte sein Aha-Erlebnis mit Levi-Strauss' Text »Die Struktur und die Form«, worin dieser Wladimir Propp kritisiert und vorschlägt, die Perso nen nicht anhand ihrer Funktionen, sondern anhand ihrer Attribute zu be handeln: »Mich fasziniert Levi-Strauss' Fähigkeit, vielgestaltige Tex^tensembles auf Strukturen zurückzuführen.« ^^ Durch dieses Verfahren konnte er den rein intuitiven Eindruck der Ähnlichkeit aller in den vierziger Jahren in den USA produzierten Filme wissenschaftlich erhärten. Dabei nahm er selbstverständHch die Arbeit der Linguisten in seinen theoretischen Hori zont auf. Bei seiner Problematisierung der Stellung der Person in der kinematographischen Erzählung entdeckte er Philippe Hamons Überlegungen zur Person in der Literatur. ^^ Auch Lacan gehörte zum analytischen Reper toire der Filmsemiologie, zumal deren Meister, Christian Metz, seine Ar beit in den siebziger Jahren zunehmend auf die Beziehungen von Psycho analyse und Kino ausrichtete. Marc Vernet las also Lacan; insbesondere erweckte seine Aufmerksamkeit der Text »Vom Blick als Objekt klein a« ^^, »weil da das Sehen, der Fetischismus und der Voyeurismus in Frage ste hen« ^^^. Ein umfangreiches Forschungsprogramm streng wissenschaftlicher Ausrichtung legte somit den Grund für den Erfolg des Strukturalismus in der Nach-68er-2eit.
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Die Wunden der Niederlage verarzten Die Begeisterung für den analytischen Diskurs, den, wie Robert Castel kri tisch formulierte, »Psychoanalysmus«, der in der Periode nach 1968 gras sierte und Lacan eine wachsende Hörerschar verschaffte, hatte noch wei tere Gründe. Zwar war Lacan von der Mai-Bewegung ausgepfiffen worden, besonders, als er auf dem Campus von Vincennes auftauchte. Focht man auch gegen den, der in der Manier de GauUes den Vater verkörperte und den man der Verbürgerlichung bezichtigte, so war er gleichwohl auch ein Vater, bei dem man während des Rücklaufs der Bewegung Zuflucht und Hilfe suchte. Als die Mobilisierung abebbte und der Strom der Zeit nach der Flut in sein Bett zurückkehrte, war Lacan derjenige, der die Wunden verarzten konnte, die von der Niederlage, von den verlorenen Illusionen hinsichtlich des ersehnten totalen Bruchs mit der alten Welt zurückgeblie ben waren. Wenn man schon die Welt nicht verändern konnte, so konnte man immer noch sich selbst verändern. Wie Roland Castro, der bei der Be wegung des 22. März dabeigewesen war, nahmen viele den Weg über Lacans Couch, um die der Gesetzesüberschreitung inhärenten Schwierigkei ten und die mit der Idee der Revolution (im etymologischen Sinn: auf denselben Punkt zurückkommen) verbundenen Illusionen zu verstehen: »Jenen, die nach 68 in die Analyse gingen, bedeutete dies eine Art Ret tungsring zu einem Zeitpunkt, als der Maoismus im Niedergang begriffen war: Roland Castro, Catherine Clement, Jacques-Alain Miller.« ^^ Als die Ereignisse abklangen und von den alten Zuständen ereilt wur den, gewannen die Strukturen erneut die Oberhand. Das Scheitern wurde als Ausdruck der unbezwinglichen Macht der Strukturen gedeutet, so daß die Strukturalistische Option doppelt Nahrung fand — durch den Aufbruch der Mai-Ereignisse und durch ihr »Scheitern«, zumindest als globaler und radikaler Bruch. In dieser Situation verkörperte Lacan die Zuflucht; zur Stunde der unmöglichen Revolution gab er den entscheidenden Wink. So konnte er sich im Mai 1970 seinen Schäfchen von der Gauche proletarienne hartnäckig widersetzen, als sie einer Auffüllung ihrer Kasse bedurften (um die sich Roland Castro kümmerte) und eine Abordnung entsandten, die vier Stunden lang erfolglos in Lacans Sprechzimmer argumentierte, um er widert zu bekommen: »Warum sollte ich euch meine Knete geben ? Die Re volution, d » bin ich.« ^^
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Triumph des Ultrastrukturalismus Der Mai 1968 hat somit auf den Strukturalismus widersprüchliche Wirkun gen gehabt: Neues vermengte sich mit Altem, szientistischer Rationalis mus und Antirationalismus gingen eine Verbindung ein, sogar im Denken derselben Autoren. Jedenfalls sollte das 68er-Ereignis theoretisch nicht fol genlos bleiben. Es hat zwar den Strukturalismus weder zum Erlöschen ge bracht noch zum Triumph geführt, aber manche Linien verschoben und Entwicklungen beschleunigt, die seit 1966/67 im Gange waren. Begünstigt hat der Mai vor allem den Erfolg des sogenannten Ultra strukturalismus: Dieser übernahm den Kernbestand der strukturalistischen Orientierungen, öffnete sie aber in Richtung auf eine Pluralisierung, in Richtung unbestimmter, »nomadischer« Begriffe, die zu den herrschen den Denkkategorien des Nach-Mai wurden. Allem, was vor 1968 von innen heraus zur Überwindung des Strukturalismus drängte, ob Generativismus, Theorien der Äußerung, Intertextualität oder Kritik des Logozentrismus, hat der Mai 68 durch seine Beschleunigung des Überbordungspyozesses zum Sieg verholfen — dem also, was Manfred Frank als »Neostrukturalismus« bezeichnet. Die globalisierenden Kategorien wurden nun sämtlich einer dekonstru ierenden Kritik unterzogen und systematisch pluralisiert. Die Kategorie der Kausalität wurde hinterfragt und ersetzt durch die der Peripherie und der vielfach verzweigten Beziehungsmuster ohne ordnendes Zentrum. Schon der Strukturalismus der ersten Periode war ja gegen das Konzept der Kausalität angegangen und hatte ein Denken des Relationalen privilegiert. Der ültrastrukturalismus verschärfte diesen Bruch noch und leitete einen Umschwung in Richtung des Begehrens gegen die Norm, des Vielfältigen gegen das Eine, des Signifikanten gegen das Signifikat, des Anderen gegen das Selbe, der Differenzen gegen das Universale ein. Zerschlagen hat der Mai 1968 vor allem das Konzept von der Geschlos senheit der Struktur. Der Riegel wurde gesprengt, und was einmal ein Punkt war, stellte sich jetzt als Knoten dar: »Die >Struktur< der Neostrukituralisten kennt keine angebbare Begrenzung mehr, sie ist offen, unendlich vielen Transformationen zugänglich [·..]·«^'^ Diese Öffnung und Pluralisie rung hat sich im Strukturalismus nach 68 hauptsächlich in einer Historisie rung bemerkbar gemacht, freilich nicht in der Bedeutung einer Rückkehr
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zu einem Sinn der Geschichte, sondern in der Bedeutung von deren Dekonstruktion im Gefolge von Nietzsche und Heidegger. Von der Ge schichte ereilt, fand der Strukturalismus zu ihr zurück, um sie zu dekon struieren. Aus den Keimen, die dem Strukturalismus entsprossen waren und sich im Zuge von 68 entfalten konnten, sollten auf längere Sicht Kräfte erwach sen, die das strukturale Paradigma untergruben und für seinen unaufhaltsa men Niedergang in den siebziger Jahren sorgten. Der Generativismus, die Linguistik der Äußerung, die Intertextualität, der Dekonstruktivismus usw. sicherten dem Strukturalismus die notwendige Annahme und bewirk ten zugleich seine Auflösung, seine eigene Ausstreichung. Und noch ein — eher struktureller — Faktor sollte sich paradoxerweise im selben Sinne auswirken, nämlich die institutionelle Durchsetzung der Strukturalisten, die seit 1968 mit aller Macht in die Universitäten drängten.
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Bis 1968 waren die Strukturalisten größtenteils Außenseiter geblieben. Der Studentenprotest im Mai, die Modernisierung der Universität und das Ein dringen in die Sorbonne verschafften ihnen den erwünschten Durchbruch in einer universitären Welt, die sie nun massiv besiedelten. Schließlich griff die Strömung auf die Hauptstadt über, und der Strukturalismus faßte auf spektakuläre Weise Fuß, sowohl hinsichtlich der Anzahl der für junge Do zenten der neuen Generation eingerichteten Lehrstühle als auch hinsicht lich der Einrichtung zahlreicher, auf ein strukturalisiertes Wissen ausgeleg ter Lehrdepartements. Hatte sich das 68er-Ereignis auf theoretischer Ebene zwiespältig ausge wirkt, so war dies in institutioneller Hinsicht anders: Der Strukturalismus war der große Nutznießer der Protestbewegung. Die in konzentrischen Kreisen verlaufende Ausbreitung der strukturalistischen Thesen hob somit das Bollwerk der Sorbonne im Zuge einer »Revolution« aus, da ein Wandel durch schrittweise Reformen nicht möglich war. Die augenfälligste Neue rung bestand in der Einrichtung bis dahin nicht existierender Departe ments für allgemeine Sprachwissenschaft an den Universitäten, Linguisten hatte es dort zwar gegeben, allerdings integriert in die Departements für Sprache, also ohne autonome Existenz. Von geringer Zahl, dienten sie als Hilfswissenschaftler für den Erwerb der Fremdsprachen oder der französi schen Grammatik. Das Ministerium setzte unmittelbar nach dem Mai 68 eine Kommission ein, die binnen achtundvierzig Stunden die neuen Studiengänge für die licence de lettres festlegen sollte. Sie umfaßte ein knappes Dutzend Professo ren, darunter Jean Dubois, Andre Martinet und Algirdas Julien Greimas, Andre Martinet wollte unites de valeur [d, h, Seminar- bzw, Vorlesungs scheine, A.d,U.] in allgemeiner Sprachwissenschaft einführen, während sich Jean Dubois eher für unites de valeur in französischer Sprachwissen schaft aussprach: »Ich saß neben der protokollführenden Sekretärin, und
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es herrschte ein ziemliches Durcheinander. Die Vorschläge wurden an die Tafel geschrieben. Die Sekretärin fragte mich, was denn nun sei. Ich sagte ihr: >französische Sprachwissenschaft<. So ging das ans Ministerium, und der Erlaß wurde angenommen.« ^ Andre Martinet, der an der Sorbonne lehrte, bekam im Gefolge von 1968 Verstärkung von jungen Assistenten wie Louis-Jean Calvet, die im Jahr darauf berufen wurden.
Die »Machtergreifung« in Nanterre In Nanterre, wo bereits Jean Dubois und Bernard Pottier lehrten, wurde die Schaffung eines Departements für Linguistik mit Gewalt durchgesetzt: »1968 haben ich und meine Assistenten uns manu militari von den Litera ten getrennt. Wir haben sie aus dem Sekretariat hinausgeworfen, und es kam zu Raufereien.«^ Die Mai-Bewegung verhalf jungen Universitätsleh rern zu einer BHtzkarriere. Der Rekrutierungsbedarf führte zu einer be merkenswerten Verjüngung des Lehrkörpers und eröffnete die verwegen sten Aussichten auf Modernisierung. Der Linguistin Claudine Normand, die 1968 als Lehrerin am lycee tätig war, bot Louis Guilbert im Mai einen Posten als Assistentin an der Universität von Rouen an. Für ihre Entschei dung gewährte er ihr gerade einmal achtundvierzig Stunden Bedenkzeit: »Im Jahr darauf — ab Oktober 1969 — fand ich mich in Nanterre wieder.« ^ Das dortige Departement der Sprachwissenschaft wurde von KPF-Mitgliedern getragen, stand aber allen Strömungen der Linguistik offen und folgte damit der unsektiererischen Haltung Jean Dubois', der die Rekrutierung nicht auf Kommunisten beschränkte. Es ragte allein schon durch seine Größe heraus: 1969 zählte es bereits 22 Lehrstuhlinhaber (eine Zahl, die später auf 27 anstieg). Die Arbeit der Nanterrer richtete sich im wesentlichen auf eine diskurs analytisch und lexikologisch untermauerte Soziolinguistik aus. Die For schungen von Jean Dubois, Jean-Baptiste Marcellesi, Denise Maldidier, Frangoise Gadet und anderen setzten Maßstäbe für interdisziplinäre Un tersuchungen und bereiteten der Zusammenarbeit mit Nanterrer Histori kern wie Regine Robin oder Antoine Prost den Boden. Der Horizont die ser lexikologischen Ausrichtung war theoretisch und politisch zugleich. Wenngleich vom Strukturalismus kommend, suchten diese Linguisten nach
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einem Konnex von Sprache und Gesellschaft (der im klassischen Saussuris mus ja nicht vorkommt) und stellten Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den beiden Ebenen auf. Ihre Arbeit zielte kritisch auf die im hi storischen und politischen Diskurs waltende Ideologie. Neben der stärker französischen Tradition der Lexikologie diente dabei im wesentlichen die distributioneile Methode von Harris als Fundament. Die these von JeanBaptiste Marcellesi über den Kongreß [der Französischen Sektion der Ar beiter-Internationale SFIO, A.d.Ü.] in Tours'^ hat hier für viele Fallstudien das Modell bereitgestellt. Marcellesi vergleicht die Reden der Mehrheit, die den 21 Bedingungen der III. Kommunistischen Internationale zustimmen möchten, mit denen der Minderheit, die sich, mit Leon Blum, für eine Bei behaltung der bisherigen Form aussprach. Er kommt zu dem Schluß, daß 1920 zwischen den beiden Strömungen nur eine inhaltliche, aber noch keine soziolinguistische KJuft auszumachen ist. Unmittelbar vor der Mai-Bewegung, im April 1968, fand in Saint-Cloud ein Kolloquium zur politischen Lexikologie statt: Annie Kriegel analysierte das »Einheits«-Vokabular der Kommunisten in der Volksfront, Denise Maldidier untersuchte anhand von sechs Tageszeitungen das politische Vo kabular während des Algerienkriegs, und Antoine Prost verglich das Voka bular der politischen Gruppierungen im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts, bei den Wahlen von 1881, 1885 und 1889. Im Wirkungskreis von Nanterre wurde dieses lexikologische Arbeitsfeld nach dem Mai 1968 weitergeführt. Daraus gingen eine Ausgabe der Langue frangaise zu »Lin guistik und Gesellschaft« ^ und eine Nummer der Langages zur Untersu chung des »politischen Diskurses«^ hervor, beide erschienen 1971. Aus dieser Perspektive konnte der Unterscheidung zwischen der Aus sage (Inhalt des Diskurses) und der Äußerung (zum Code der Sprache [langue] gehörende Elemente, deren Sinn von jenem abhängt) Rechnung getragen werden, wie sie Jean Dubois und Uriel Weinreich anhand von vier Begriffen definiert hatten: Distanz des Subjekts zu seiner Aussage, Modalisierung (die Markierung, die das Subjekt seiner Aussage verleiht), Span nung (die das Verhältnis des Subjekts zu seinem Gesprächspartner defininiert) und schließlich Transparenz bzw. Opazität des Diskurses. Auf dieser Grundlage analysierte Lucile Courdesses vergleichend die Reden von Leon Blum und Maurice Thorez im Mai 1936.'' Sie erkannte einen deutlichen Ge gensatz zwischen der didaktischen, distanzierten Rede von Maurice Tho-
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rez, in der die Äußerung kaum markiert ist — der Redner spricht im Namen der homogenen Gruppe der Kommunisten, in der keine individuelle Stim mungen vorkommen —, und der Rede von Leon Blum, die auf die Aktanten Bezug nimmt und eine maximale Spannung auf ein konkretes politisches Ziel hin aufweist. Auf den Zeitraum der Französischen Revolution bezo gen, haben die Historikerin Regine Robin und der Linguist Denis Slakta die Beschwerdebücher von 1789 untersucht ^ womit einerseits eine Sozial geschichte nach Art von Regine Robins these über die Vogtei Semur-enAuxois mit der Linguistik zusammengeführt wurde und andererseits die Pragmatik Einzug in die linguistische Arbeit hielt, denn Denis Slakta er forschte die illokutionäre ^ Potentialität des Frageaktes. Frangoise Gadet ih rerseits erkundete die sozialen Abweichungen der Sprache. ^° Die Diskursanalysen machten nicht bei quantitativen lexikalischen Un tersuchungen zur Benutzungsfrequenz der Wörter Halt, sondern versuch ten auch, einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten und seinen verba len Manifestationen herzustellen, so zum Beispiel die bereits genannte Analyse von Denise Maldidier zum politischen Diskurs während des Alge rienkriegs." In dieser Perspektive war die strukturalistische Methode im Sinne des hochgradig politischen Bewußtseins der siebziger Jahre brauch bar, zuweilen mit interessanten Resultaten: So kam etwa Antoine Prost in seiner Analyse der in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts gehaltenen Wahlreden zu dem Schluß, daß Kandidaten der Linken in rechtsgerichteten Wahlkreisen wie Kandidaten der Rechten sprachen — ja zuweilen sogar in linksgerichteten Wahlkreisen.^^ Allzu oft enttäuschen jedoch die Ergeb nisse solcher lexikalischen Studien, weil sie nach langwierigen qualitativen und quantitativen Erhebungen nur die Verifizierung der eingangs geäußer ten Hypothesen des Forschers erbringen.
Schluß mit der Vorherrschaft der Sorbonne Die Strukturale Linguistik drang auch mit Gewalt in die aus dem Mai 68 hervorgegangene, wissenschaftHch-interdisziplinär ausgerichtete, 1970 neu gegründete Universität Paris-VII (Jussieu) vor. Diejenigen Literaten, die mit den Mandarinen der alten Sorbonne haderten und in Vincennes nicht dabeigewesen waren, lehrten nun größtenteils in Paris-VII, wo sie die Lite-
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raturkritik Lansonscher Prägung durch die strukturalistische Kritik ablö sten. Es waren dies in erster Linie junge Assistenten um die Dreißig, aber auch erfahrenere Spezialisten wie Antoine Culioli, der sich für die den ex akten Wissenschaften aufgeschlossene Universität entschied, weil er dort ein Departement für Linguistik einrichten wollte. Die interdisziplinäre Ausrichtung von Paris-VII spiegelte sich auch in ei nem Departement mit der Bezeichnung »Geschichte, Geographie, Gesell schaftswissenschaften« wider: »Ob dies vom Strukturalismus herrührte? Ja, denn sehr reizvoll am Strukturalismus und an der Arbeit von LeviStrauss war ja die phantastische Möglichkeit, von den Bambara zu Chomsky zu gehen, von der Mathematik zur Ethnologie.« ^^ Fachgrenzen sollten zurückstehen, um Spezialisten verschiedener Disziplinen an einem gemeinsamen Unterrichtsprojekt zu beteiligen, namentlich Soziologen wie Pierre Ansart oder Henri Moniot und Historiker wie Michelle Perrot oder Jean Chesneaux. Abgesehen von den Anstrengungen zur Überwindung der traditionellen Grenzen zwischen den Disziplinen, die der Strukturalis mus in Gang gebracht hatte, war der Gruppe allerdings nicht an einer Übernahme seiner theoretischen Ausgangspunkte gelegen. Der Mai 68 hat auch, wenngleich vorerst lediglich in Paris und auch dort nicht überall, der Psychoanalyse zusammen mit anderen Sozialwissen schaften zum Einzug in die Universität verholfen. Jenseits aller Schulstrei tigkeiten wurde damit die aktive Beteiligung der Lacan-Schule an der Strukturalistischen Forschung der sechziger Jahre — Seite an Seite mit Lite raten, Anthropologen und Philosophen — von Erfolg gekrönt. Bis dahin war die Psychoanalyse an der faculte des lettres gelehrt worden, und zwar im Rahmen eines Psychologiestudiums gemäß dem Programm von Daniel Lagache, dem man 1955 an der Sorbonne einen Lehrstuhl für Psychologie eingerichtet hatte. ^'^' Es gab zwar einige Freischärler wie Didier Anzieu in Nanterre oder Juliette Favez-Boutonier, die 1966 in Censier ihr Laboratoire de psychologie clinique aufgebaut hatte, doch blieb die Lage der klinischen Psychologie prekär, da sie keinen eigenständigen Studiengang zusichern konnte: »Entweder ist die Klinik psychologisch und muß ver schwinden, oder sie ist medizinisch und muß der Medizin angegliedert werden.« ^^ Dennoch gelang es Favez-Boutonier, eine Enklave zu bilden und mit Claude Prevost, Jacques Gagey, Pierre Fedida und Anne-Marie Rocheblave vier Assistenten um sich zu scharen. Ungeachtet der mangeln-
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den Gewähr für die Ausbildung in klinischer Psychologie begann sie, Ein schreibungen von Studenten anzunehmen. Infolge des Mai-Protests kon stituierte sich aus diesem Kern sowie einer weiteren Gruppe eine UER [Unite d'enseignement et de recherches, A. d. Ü.] für klinische Humanwis senschaften in Censier, die sich Paris-VII angliederte. Ein weiteres Projekt, entwickelt von dem Linguisten Antoine Culioli und dem Psychoanalytiker Jean Laplanche, sah eine auf Mathematik und Humanwissenschaften ausgerichtete »Versuchsuniversität« vor: »Die Idee bestand darin, zu den Grundlagenwissenschaften zurückzukehren. Anstatt immerzu nach Landeplätzen in der Psychologie zu spähen, faßten wir lie ber eine Versuchsfakultät ins Auge.«*^ Das Projekt kam nicht zustande; statt dessen beteiligte sich Jean Laplanche an der UER für klinische Hu manwissenschaften, die bald mehrere hundert Studenten zählte. 1969/70 gründete er das ausschließlich zur Kommentierung von Freuds Werk be stimmte Laboratoire de psychanalyse et de Psychopathologie. Dieser Durchbruch ins Zentrum einer universite de lettres, in Censier, war nur möglich durch Lacans Positionsverschiebung der Psychoanalyse, durch deren Entmedikalisierung und die Anknüpfungspunkte, die sie in der Linguistik gefunden hatte. Auf dem Hintergrund der Mai-Bewegung konnte diese Verschiebung auch institutionell vollzogen werden. Augenfäl ligstes Beispiel war die Gründung des Departements für Psychoanalyse der Universität von Vincennes, die wir im folgenden Kapitel eingehender ana lysieren werden.
Die Eroberung des College de France . . . und Amerikas Ein Zeichen für die Institutionalisierung des Strukturalismus ist auch der Erfolg, den Michel Foucault 1969 beim Wettstreit um den Einzug ins Col lege de France gegen Paul Ricoeur erzielte. Für Foucaults seit dem Erfolg der Ordnung der Dinge ins Auge gefaßte Kandidatur machte sich Jean Hyppolite stark, der als Unterstützer Georges Dumezil, Jean Vuillemin und Fernand Braudel versammeln konnte. Doch durch Jean Hyppolites Tod am 27. Oktober 1968 wurde das Vorhaben zunächst vertagt und dann von Jules Vuillemin übernommen, denn es galt ja nun, einen vakanten Lehrstuhl zu besetzen. ^^ Drei Kandidaten bewarben sich um den Lehrstuhl
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für Philosophie: Paul Ricoeur, Yvon Beiaval und Michel Foucault. Letzte rer schlug als Bezeichnung für den Lehrstuhl, den er besetzen würde, »Histoire des systemes de pensee« vor, dessen Programm er folgendermaßen umriß: »Zwischen den bereits konstituierten Wissenschaften (deren Ge schichte man häufig aufgezeichnet hat) und den Phänomenen des Meinens (die die Historiker behandeln können) müßte die Geschichte der Denksy steme angesetzt werden«, um »die Erkenntnis, ihre Bedingungen und den Status des erkennenden Subjekts erneut zu befragen« ^^. Neben diesem Projekt hatten die Professoren die Wahl zwischen Paul Ricoeur mit einem Lehrstuhl für die Philosophie des Handelns oder Yvon Beiaval mit einem Lehrstuhl für die Geschichte des rationalen Denkens. Bei sechsundvierzig Votierenden siegte Foucaults Projekt im zweiten Wahl gang mit fünfundzwanzig Stimmen gegen zehn für das von Ricoeur und neun für Beiaval. ^^ Daß in diese kanonische Institution mit ihren unantast baren Ritualen am 2. Dezember 1970 Foucault Einzug hielt, der ketzerische Foucault, der noch nach dem Schwefel der Tränengasbomben roch, die er auf dem Campus von Vincennes abbekommen hatte, läßt sich nur nach vollziehen, wenn man seine Arbeit wieder in den strukturalistischen Zu sammenhang einsetzt, durch den er Georges Dumezil und Claude LeviStrauss in der Legitimation und Konsekration des strukturalen Denkens nachfolgen konnte. Übrigens hätte das Gastmahl der vier Musketiere, Lacan einmal ausge nommen, ein paar Jahre später auch im College de France abgehalten wer den können. 1975 wurden Roland Barthes mit der Wahl in die ehrwürdige Institution, wie Foucault und dank diesem, die höchsten Weihen zuteil. Denn Foucault hatte sich seiner Kandidatur angenommen, die wegen des außeruniversitären Charakters des Bewerbers auf Bedenken stieß: »Jene Stimmen, jene wenigen Stimmen, die man heute etwas außerhalb der Uni versität vernimmt oder zu hören bekommt — glauben Sie, daß sie kein Be standteil unserer heutigen Geschichte sind; und daß sie nicht zu uns gehö ren ?«^° Michel Foucault gewann bei der Entscheidung die Oberhand, und Roland Barthes gehörte nun derselben Institution an wie er selbst, Claude Levi-Strauss, Georges Dumezil, fimile Benveniste und bald darauf Pierre Bourdieu. Somit hatte das College de France den Strukturalismus als star kes und fruchtbares Moment des französischen Denkens anerkannt. Ende der sechziger Jahre hatten die Strukturalisten bereits so große Er-
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folge errungen, daß sie noch jenseits des Atlantiks faszinierten. Bertrand Äugst, ein Berkeley-Professor mit offenem Ohr für die Vorgänge in Frank reich, wollte die Amerikaner an den intellektuellen Auseinandersetzungen teilhaben lassen und gründete am Odeon, im Herzen von Paris, ein Ausbil dungszentrum für amerikanische Studenten, die geworben wurden, ihre einjährige Auslandszeit in Paris zu verbringen. Seit Beginn der siebziger Jahre konnten sich in diesem Zentrum Studenten aus Kalifornien und spä ter aus den gesamten USA mit der strukturalen Semiologie vertraut ma chen. Anfänglich auf Filmsemiologie spezialisiert, fächerte das Zentrum am Odeon seine Aktivitäten später auf und öffnete sich den Sozialwissen schaften insgesamt. Michel Marie war dabei der Pariser Vermittler, der da für sorgte, daß die amerikanischen Studenten die Botschafter der neuen Methoden in den USA wurden. Auf dem amerikanischen Kontinent erfuhr Foucaults Arbeit große Be achtung, insbesondere in Kalifornien, an der Westküste. Derrida hatte ja die Amerikaner bereits 1966 mit seinem Vortrag »Structure, sign and play in the discourse of the human sciences« auf dem Symposium der Johns Hop kins University in Baltimore erobert. Sein Werk gewann so weitreichenden Einfluß, daß er ab 1973 alljährlich an der Universität von Yale ein außeror dentlich vielbesuchtes Seminar abhielt.
Die perversen Auswirkungen des Erfolgs Während der Strukturalismus in den Institutionen ansässig wurde, setzte er zugleich die Eroberung der Medien fort. Auf diesem Sektor erlangte er hö here Weihen, als Roger-Pol Droit 1972 in Le Monde des livres die Leitung des Ressorts »Humanwissenschaften« übernahm. Als Althusserianer-Lacanianer, der er war, machte Droit sich zum Sprachrohr der diversen Fort entwicklungen eines Strukturalismus, der zwar in den siebziger Jahren immer mehr zerfaserte, aber gleichwohl einstweilen das tonangebende Denken blieb: »Ich kam zu einem Zeitpunkt, als die strukturalistische Herrschaft in voller Kraft stand.« ^^ Als 1977 die strukturalistische Welle al lerorten rückläufig war, gab Roger-Pol Droit die Stelle auf, die er indes Ende der achtziger Jahre erneut antrat. »All dies endet um 1975 in der Klerikatur und der Karikatur einer ausgelaugten Welt.« ^^
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Die institutionelle Erstarkung des Strukturalismus nach 1968 hatte näm lich Alain Touraine zufolge die mißliche Konsequenz, daß der Schnitt zwi schen der universitären und der gesellschaftlichen Welt vertieft und damit 68 seines Inhalts, seines Erlebens entleert wurde: »Während der 68er-Diskurs sich der Universität bemächtigt, wird die Lebens weit von 68 aus der Universität vertrieben und findet sich bei den Frauen, zugewanderten Ar beitern und Homos wieder, welche nun die Gruppen stellen, die die Gesell schaft verändern.« ^^ Eine solche Abschließung und Entleerung des Gelebten entspricht übri gens den Strukturalistischen Prinzipien, die gegenüber dem Untersu chungsgegenstand einen epistemologischen, theoretischen, wissenschaftli chen Einschnitt erheischen, um auf diesem Wege aktuelle Geschehnisse theoretisch faßbar zu machen. Daher der große Rückzug der Universitäts welt auf sich selbst, nachdem ihre Anschluß versuche an die Welt der Gesell schaft gescheitert waren. Eroberungen gesellschaftlicher Art sind dem Strukturalismus, vor allem in seiner psychoanalytischen Ausprägung, gleichwohl gutzuschreiben, wie der (freudianische) Psychoanalytiker Gerard Mendel betont: »Lacans Er folg entsprach einem Zeitpunkt, an dem es ein ganzes intellektuelles Pro letariat gab (Sozialarbeiter, Erzieher usw.), dem der noble Weg der Psy choanalyse verschlossen gewesen war.«^"^ Auf die von Lacan verfolgte Orientierung hin wurde der Analytikerberuf weitgehend außerhalb des klassischen medizinischen Ausbildungsgangs zugänglich, wodurch, insbe sondere infolge der Vervielfachung der medizinisch-pädagogischen Insti tute, neue soziale Schichten in die Lücke vordringen konnten. Diese Erwei terung brachte eine verstärkte Vergesellschaftung der Psychoanalyse mit sich, eine Demokratisierung, die durch 68 unstreitig beschleunigt wurde. Doch zur gleichen Zeit, als der Strukturalismus die Macht errang und sich dank des Protests von 68 institutionalisierte, wurde er auch banaler und verlor an kritisch-korrosiver Kraft. Im Erfolg scheinen also bereits An zeichen der zukünftigen Zersplitterung auf, in deren Verlauf ein jeder wie der eine Sonderlogik seiner Disziplin behauptet, weil kein gemeinsamer Kampf mehr zu führen ist und es keinen ausgemachten Gegner, keine sicht bare Zielscheibe mehr gibt. Die kämpferische Phase ist mit dem institutio nellen Triumph abgeschlossen. Sie geht über in eine Periode der Zersplit terung und Auflösung, die wir nachfolgend im einzelnen analysieren werden.
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Diese Entwicklung veranschaulicht nichts besser als die schillernde Ge schichte der Universität von Vincennes.
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Mitten im Wald von Vincennes, neben einem Schießplatz lag das Gelände, das das Verteidigungsministerium der Stadt Paris auf begrenzte Zeit zu rückübertrug, damit dort in aller Eile eine Versuchsuniversität errichtet werden konnte, die mit Beginn des Studienjahres 1968/69 ihre Tore öffnete. Diese neue Universität, Paris-VIII, sollte die Gegen-Sorbonne, ein wahrer Hort der Modernität sein. Es war ihr bestimmt, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und unerprobte Perspektiven der Forschung zu eröffnen. Die Universität von Vincennes erhob die Pluridisziplinarität zu ihrem Glau bensbekenntnis, lehnte anfangs die traditionellen Studiengänge zur Vorbe reitung auf die staatlichen Prüfungen ab, um sich ganz der Entfaltung ihrer Forschungskapazitäten zu widmen. Vorlesungen waren bis auf wenige Ausnahmen verpönt, denn die Rede sollte frei zirkulieren in kleinen, auf »unites de valeur« bezogenen Gruppen, die in kleinen Unterrichtsräumen arbeiteten. Akademismus und Sorbonne-Tradition waren verpönt an dieser Universität, die sich als entschieden zeitgenössisch, modern verstand und den raffiniertesten Technologien sowie den avanciertesten wissenschaftli chen Methoden der Fiumanwissenschaften offenstehen wollte, um die Er neuerung der alten Humaniora zu vollbringen. Weil Modernisierung gleichbedeutend mit Strukturalismus war, sollte Vincennes strukturalistisch werden. Es symbolisierte den institutionellen Triumph dieser bis dahin marginalen Denkströmung, die hier durchs Hauptportal in eine Pariser Universität einzog. Die Innenausstattung war fabelhaft, ein wahres Kronjuwel des abgewirtschafteten gaullistischen Re gimes, das sich ein kleines Spielzeug, ein Aushängeschild gönnte: Alles war mit Teppichboden ausgelegt, und jeder kleine Lehrsaal hatte seinen mit ei nem zentralen Regieraum verschalteten Fernsehapparat; für die Innenar chitektur zeichnete KnoU — das ganze im Grünen, abseits vom Lärm der Stadt, gestört nur von den fernen Schießübungen der Rekruten. Die schärfsten Protestanten der Mai-Bewegung fanden Zuflucht in Vin-
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cennes. Viele Maoisten waren dort zu sehen, die den roten Garden nach hingen und dazu neigten, jenen Mikrokosmos als Nabel der Welt zu be trachten oder die Welt auf das Universitätsgelände zu begrenzen. Die le bendigen Kräfte des 68er-Protests gaben sich ein Stelldichein, tappten in eine umgrenzte, abgedämmte Welt hinein, in der die Agitation sich in aller Freiheit im Schatten der Gesellschaft austoben konnte, da ihr Echo bloß gedämpft an die Ohren der Adressaten drang, die nur zu froh waren, das Übel auf einen Ort im Wald beschränkt zu haben, der es mit einem Sperr gürtel umgab. Nichtsdestoweniger sollte hier eine Generation das Rüst zeug der Kritik erwerben. Am Ende aber bannt die Staatsmacht die Gefahr, die von diesem Brandherd ausgeht, und läßt das Ganze von Bulldozern niederwalzen, um Paris-VIII auf dem flachen Land von Saint-Denis neu zu er richten. Ohnedies ist es schnell vorbei mit dem Projekt der Modernisierung und der Vorzeige-Fakultät, denn die Staatsmacht läßt Vincennes bald am ausgestreckten Arm verhungern und am Rande der Verwahrlosung dahin vegetieren. Ohne ausreichende materielle Mittel, täglichen Beschädigungen ausgesetzt, einem Ansturm von Einschreibungen ausgeliefert, der weit über ihr Fassungsvermögen geht \ verkommt die Anlage von Vincennes bald, in der die Studenten die Decken herausbrechen, um nachzusehen, ob die Polizei womöglich Wanzen eingebaut hat. Trotzdem erhalten alle Betei ligten sie mit ihrem Wunsch auf Fortführung des Versuchs am Leben, liegt allen daran, die einmal eroberten Freiheiten, die Qualität des Austausches und das Recht auf freie Rede, das zu den fundamentalen Errungenschaften des Mai gehört, zu bewahren. Hinter dem Aushängeschild, hinter der Agi tation der geschäftigen Aktivisten und dem betonten Hedonismus der übrigen gibt es auch Alltäglichkeit, unauffällige Arbeit an einer Fakultät, die von allen geisteswissenschaftlichen Universitäten im Lande die mo dernste und wissenschaftlichste sein will und nach internationaler Aus strahlung strebt. Paris ist nicht Frankreich, aber Vincennes könnte die Welt sein.
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Harvard in Paris ? Ein Sinnbild der Modernität, des epistemologischen oder strukturalistischen Denkens — drei Kahlköpfe plaudern miteinander auf dem Campus von Vincennes und freuen sich diebisch, zu dritt unter dem verdutzten Blick der Studenten um den zentralen Teich zu spazieren: der Philosoph Michel Foucault, der Linguist Jean-Claude Chevalier und der Literaturwis senschaftler Pierre Kuentz. Gemeinsam verkörpern sie überdies, wenn auch nicht sie allein, den Erfolg des Strukturalismus, das Ende eines langen Kampfes, der dank der Barrikaden in der Verwirklichung eines phantasti schen Traums mündete: eine mit der Wissenschaft versöhnte geisteswis senschaftliche Universität, in der das strukturale Denken den Vorzugspart hatte. Der Professor, den der Minister für das nationale Bildungswesen als möglichen Dekan von Vincennes kontaktiert hat, ist kein anderer als Jean Dubois, Leiter des strukturalistischen Programms der Linguistik in Nanterre und bei Larousse, für seine unsektiererische Art bekanntes Mitglied der KPR Er willigt ein, sich um die Einrichtung einer sprachwissenschaftli chen Abteilung zu kümmern, sagt aber alles andere ab: »Ich habe acht Tage hin und her überlegt: Auftrag undurchführbar. Ich war in erster Linie ein Mann der Ordnung. Ich habe die Räumlichkeiten besichtigt, sie waren prächtig, aber gleich in den ersten Tagen wurden lastwagenweise Sessel ab transportiert.«^ So ist es der Dekan der Sorbonne, der Anglist Raymond Las Vergnas, der sich um den Aufbau der neuen Universität kümmert. Im Oktober 1968 tritt unter seinem Vorsitz ein rund zwanzig Köpfe zählender Orientierungsausschuß zusammen, darunter Roland Barthes, Jacques Derrida, Jean-Pierre Vernant, Georges Canguilhem und Emmanuel Le Roy Ladurie. Sehr bald wird eine Zwölfergruppe abgestellt, die den »Kooptionskern« bildet, der die Berufung des gesamten Lehrkörpers, der Professoren, Assistenten und wissenschaftlichen Hilfskräfte, in die Hand nehmen soll. Bei der Berufung soll nach Möglichkeit eine gewisse Kohärenz gewahrt bleiben, und dabei bekommt die strukturalistische Strömung Vorrang. Im Bereich der Soziologie sind die beiden Mitglieder des »Kooptionskerns« Jean-Claude Passeron und Robert Castel, die für die zwei Zweige des so ziologischen Strukturalismus stehen: Passeron für die bourdieusche, Castel für die foucaultsche Ausrichtung. Als der Soziologe Georges Lapassade im
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November 1968 bei Gelegenheit einer Generalversammlung in der Sor bonne Robert Castel seinen Wunsch mitteilt, in Vincennes zu unterrichten, muß er sich sagen lassen, daß die Soziologen eine Mannschaft bildeten, die ihren epistemologischen Zusammenhalt wahren müsse: »Später sind auch Jean-Marie Vincent und Serge Mallet, alle beide Soziologen, auf eine Art >Veto< dieses Departements gestoßen.«^ Im Fachbereich Philosophie sorgt Michel Foucault für die Berufungen, in der französischen Literatur Jean-Pierre Richard, in der Linguistik über nehmen diese Aufgabe Jean Dubois, Jean-Claude Chevalier und Maurice Gross. Als große Neuerung verzeichnet die Universität erstmals eine Ab teilung für Psychoanalyse, die der zweite Mann der Lacanschen Organisa tion betreuen soll: Serge Leclaire. Der Plan besteht darin, aus Vincennes ein kleines MIT (Massachusetts Institute of Technology) zu machen, eine Universität nach amerikanischem Vorbild, ein Modell der Modernität, eine Enklave von internationaler Wir kung, die ausdrücklich auf Interdisziplinarität hinarbeitet. Die Verwirkli chung freilich bleibt weit hinter dem Vorbild zurück, zum einen sicherlich aus Mangel an materiellen Mitteln, vor allem aber, weil das Engagement der Lehrkräfte an einer Universität in Frankreich ein ganz anderes ist als in den USA: »In amerikanischen Universitäten sind die Professoren immer zur Stelle; sie arbeiten mit ihren Studenten zusammen, stehen in ständigem Kontakt mit ihnen, haben mit ihnen administrativ betreute gemeinsame Forschungsprogramme.« '^ Nichts dergleichen in Vincennes, auch wenn die Professoren dort mehr Zeit verbringen als anderswo: die Kinderkrankheit dieser Universität ist die Konferentitis. Die tatkräftigsten Professoren sind vor allem in den AGs (Assemblee generale = Vollversammlung), den Ak tionskomitees präsent, und die Querverbindungen zwischen den DiszipHnen, zwischen den Fachleuten bleiben trotz mancher Anläufe letztlich recht dürftig. Was den Austausch mit den Studenten betrifft, die — und das ist schon außergewöhnlich — in den unites de valeur zu Wort kommen, so findet der hauptsächlich in der Cafeteria statt: »Was ist nach kurzer Zeit in Vincennes vom amerikanischen Vorbild übriggeblieben ? Salonlöwentum, Vervielfachung der Gasthörer, Leute, die in den UVs (unites de valeur) her umspazierten, kaum Verbindungen. Das amerikanische Modell war nicht wirklich angewandt worden.« ^ Diese dilettierende Seite läßt sich ermessen an der Zahl der Studenten,
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die, unzufrieden mit dem ihnen vermittelten Wissen, von anderen Univer sitäten nach Vincennes abwandern. Ausgehungert kommen sie in dieser Traumwelt an, wo sie ohne trennende Wände von einem Fachbereich zum anderen hin- und herwechseln können: »Nach 1968 habe ich mich in Vin cennes eingeschrieben. Das hatte den Vorteil, daß man hören konnte, was man wollte. Ich besuchte drei Monate lang den Kurs von Ruwet und ging wieder. Anschließend besuchte ich die Kurse von Deleuze, von Todorov. Ich blieb in der Literatur, wo es ausgezeichnete Professoren wie Pierre Kuentz gab, die vom Wagnis des Strukturalismus geprägt waren. Das brachte frischen Wind. Der Kurs von Deleuze war paradiesisch, und dazu besuchte ich noch das Departement für Psychoanalyse — dort ging für mich die Sonne auf!«^ Für andere Studenten, die kein Abitur hatten und einer Lohnarbeit nachgingen, kam es, viel prosaischer, darauf an, daß sie in Vincennes einen Abendstudiengang ins Auge fassen konnten, denn der Fakultätsbetrieb lief, um auch ihnen die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen zu ermögli chen, bis 22 Uhr abends. Für sie ging also eher der Mond auf. Sie waren Stolz und Legende dieser außergewöhnUchen Universität, wie etwa jener Lieferwagenfahrer, der seine Halts an der Fakultät dazu nutzte, sich im Fachbereich Geschichte einzuschreiben, den Studiengang zu durchlaufen und die agregation zu ergattern. ^ Ist das Vorbild von Vincennes ein amerikanisches, so hält es der militan teste Flügel dort vornehmlich mit Peking und den roten Garden der »Kul turrevolution«. Die Maoisten dominieren die angesagte Ideologie derma ßen, daß die trotzkistische Zelle in der Ligue communiste, in der einige der großen landesweiten Wortführer (wie Henri Weber oder Michel Recanati) zusammenkommen, aus Jux den Namen »Mao-Tse-Tung-Zelle« annimmt.
Die Universität des Generativismus Die Amerikanisierung macht sich vor allem in der Pilotwissenschaft, das heißt in der Linguistik bemerkbar. In dem neuen Departement stehen Fran zösischspezialisten wie Jean Dubois und Jean-Claude Chevalier im Bunde mit Vertretern des amerikanischen Einflusses: Nicolas Ruwet, ein ent schiedener Anhänger von Chomskys generativer Grammatik, und Maurice
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Gross kehren beide aus den USA zurück, vom MIT, wo Maurice Gross, der als Absolvent der ficole polytechnique ursprünglich eine Laufbahn als Rü stungsingenieur vor sich hatte, wegen der Möglichkeiten der Informatik schließlich zur Linguistik umschwenkte. Den beherrschenden Einfluß im linguistischen Departement übte der Generativismus aus, obwohl Maurice Gross eher ein Anhänger von Harris als von Chomsky war. Das war das Modell, das man soeben entdeckt hatte, namentlich dank Nicolas Ruwet, bei dem natürlich vorgefühlt wurde, ob er zum Lehrkörper gehören wollte. Nicolas Ruwet kehrte zum Zeitpunkt des Aufbaus von Vincennes vom MIT zurück. Bei seiner Ankunft im Herbst 1968 erhielt er eine Aufstiegsmöglichkeit im belgischen FNRS, was ihm aus seiner bisherigen unsicheren Lage heraushalf. Im Begriff, Paris, wo ihn nichts mehr festhielt, endgültig zu verlassen, suchte er eines Septembervor mittags Todorov auf. Auch der beklagte sich über den Zeitgeist, denn er war aus Yale zurückgekehrt und lebte seither schlecht und recht von Stipendien. Das Telefon klingelte: am Apparat war Derrida, eines der Mit glieder des Gründungskerns von Vincennes. Er fragte Todorov, ob er ein verstanden sei, an der neuen Universität zu unterrichten, von der er ein idyllisches Bild entwarf. Todorov antwortete, er sei interessiert, und Der rida bat ihn, weitere kompetente Personen anzusprechen und sie von der Versammlung zu unterrichten, die im Laufe des Nachmittags bei Helene Cixous in der Nähe des Place de la Contrescarpe stattfände. Dort begegne ten Todorov und Ruwet Maurice Gross, dessen institutionelle Position ebenfalls prekär war. Der spätbekehrte Polytechniker hatte keinen Litera turstudiengang durchlaufen und verfügte nur über einen alljährlich zu er neuernden Dozentenvertrag an der Universität von Aix. Weil er überdies mit Andre Martinet im Konflikt lag, war ihm die Linguistenlaufbahn in Frankreich verwehrt, weshalb er im Begriff stand, seine Koffer zu packen und nach Texas abzureisen. Ferner fand sich bei Helene Cixous Gerard Ge nette ein, der vor allem wegen seiner Frau anwesend war. Jacques Derrida machte den Zeremonienmeister, und Helene Cixous präsentierte eine gute Stunde lang das Projekt von Vincennes: »Wir sagten uns: Wir sind in einem Tollhaus! Es war so fremd, verglichen mit dem, was man von der Universi tät sonst so kennt. Wir fragten, ob eine linguistische Abteilung in Vin cennes möglich sei. Man antwortete uns, das sei doch selbstverständlich, die Linguistik sei ja der Motor von allem.« ^
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Es ist Jean Dubois, der nun die Dinge in die Hand nimmt, um dieses De partement für Linguistik einzurichten, in dem Nicolas Ruwet eine Dozen tur erster Klasse erhält. Die Linguistik sah sich in Vincennes auf Anhieb mit elf Stellen ausgestattet: »Was beinahe traurig war, denn unter den Leuten, die wir gerne gehabt hätten, bekamen wir in Frankreich keine elf Lingui sten zusammen.«^ Im Jahr darauf bekam das Departement für Linguistik eine weitere Stelle zugeteilt, und Nicolas Ruwet zog dazu einen 24 Jahre jungen Forscher heran, den er am MIT kennengelernt hatte. Bei der Gestal tung des Lehrprogramms hatte man völlig freie Hand: »Wir betrieben hauptsächlich generative Grammatik in der Spielart von Gross oder der von Chomsky; und mit Chevalier gab es auch die Geschichte der Gramma tik.« ^° Die Linguistik hatte den Zenit ihrer Ausstrahlung erreicht, und in An betracht des ungemein schwierigen und technischen Charakters dieses Wissensgebiets hatten die Dozenten eine ausgesprochen zahlreiche Hörer schaft: »Anfangs unterrichtete ich vor einer Hundertschaft von Studen ten.« ^^ Die waren versessen auf Zeitgemäßes, und der Generativismus galt als der letzte Schrei wissenschaftlicher Innovation. Die neue 6 8er-Genera tion traf ihre Wahl nach Maßgabe der WissenschaftUchkeit. Bernard Laks durchlief 1968/69 die hypokhdgne am Lycee Lamartine; sein Philosophie lehrer, Jean-Toussaint Desanti, brachte ihm die Epistemologie und die ma thematischen Wissenschaften nahe. In Literatur unterrichtete Lucette Finas gegen die Institution an: Die Vorbereitung auf die Prüfung interessierte sie nicht, dafür nahm sie Todorov, Barthes, Foucault und Bataille durch. Nach den Februarferien 1969 wandte sie sich an ihre khdgneux: »Die Welt hat sich verändert, ich gehe. Ich gehe an den einzigen Ort, der heute interessant ist: nach Vincennes. Wer mich liebt, der folge mir. Hier weht kein Geist; ich gehe dahin, wo der Geist weht.« ^^ Bernard Laks folgte Lucette Finas und traf somit mitten im Studiengang auf dem Campus von Vincennes ein, wo er eine dreifache licence in Literatur, Linguistik und Informatik in Angriff nahm: »Nach einem Jahr habe ich mich mehr auf die Linguistik konzen triert, denn da war die Wissenschaft.« ^^ Die Faszination für wissenschaftliches Vorgehen, für Axiomatik vertrug sich damals ohne weiteres mit marxistischem Engagement, denn der Mar xismus wurde als Wissenschaft des politischen Handelns verstanden. Eine der charakteristischen Ausrichtungen dieses Departements war die Sozio-
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linguistik, die in der Nach-68er-Zeit einen spektakulären Aufschwung er fuhr. Der Fachmann auf diesem Gebiet war Pierre Encreve, den Maurice Gross zum Unterricht in Phonologie und Soziologie rekrutiert hatte. En creve war Assistent von Martinet gewesen und hatte Gross anvertraut, daß er sich mit diesem überworfen habe, ein Kriterium, das ausreichte, um ge nommen zu werden: »Gross sagte zu ihm: >Ich brauche nicht zu wissen, ob Sie ein guter Phonologe sind oder nicht: Ich stelle Sie ein.< Denn Vincennes sollte eine Kriegsmaschine gegen die Sorbonne und Censier und gegen Martinet sein.« ^'^ Das Modell dieser Soziolinguistik war gleichfalls ein amerikanisches: die Arbeiten von Labov. Für Pierre Encreve ging es dabei nicht um einen Un terbereich der Linguistik, der ein begrenztes Feld wie das des Studiums der Dialekte oder der Wechselbeziehungen zwischen Sozialstruktur und Sprachstruktur bearbeitete, sondern um eine ganz eigene Linguistik, deren Gegenstand die Gesamtheit der Sprache und deren Forschungsparadigma ein variationistischer Generativismus war. Diese Soziolinguistik verfolgte also eine andere Richtung als die der Nanterrer oder die von Marcellesi; sie unterschied sich auch von vielen weiteren Zweigen einer Disziplin, die da mals in voller Entwicklung stand, brachte sie doch allein 1968 mehr Arbei ten hervor als in den sieben Jahren davor: Bernard Laks hat übrigens nicht weniger als vierzehn verschiedene Ausprägungen der Soziolinguistik un terschieden. ^^ Auf das literaturwissenschaftliche Departement blickten die Linguisten eher herab, da es im Prinzip weniger »wissenschaftlich« war; gleichwohl leistete es seinen vollen Beitrag zur strukturalistischen Modernisierung. Schließlich wurde es von den Parteigängern der neuen Kritik gestaltet, die das Literaturstudium auf die Grundlage des strukturalistischen Paradigmas und der linguistischen Techniken stellten. Hier traf man alle diejenigen wie der, die Mitte der sechziger Jahre an den großen Treffen in Straßburg und Besangon teilgenommen hatten. Interdisziplinarität und Modernität wa ren die beiden nährenden Brüste des neuen Departements, an dem Henri Mitterand, Jean-Pierre Richard, Claude Duchet, Jean Levaillant, Pierre Kuentz, Jean Bellemin-Noel und Lucette Finas wirkten. In bewußter Ent grenzung des traditionellen literarischen Feldes schlugen die Literaturwis senschaftler von Vincennes ein weithin interdisziplinäres Verfahren ein, das sich insbesondere der Psychoanalyse und dem Marxismus annäherte. Da-
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mit folgten sie den beiden vom Strukturalismus neu beleuchteten Analyse modellen — dem freudianischen und dem marxistischen —, denen die mei sten Lehrkräfte an diesem Departement verbunden waren: »Das Feld die ser Studien ist grundsätzlich nicht auf die französische Literatur, auch nicht auf die >literarische< Ausdrucksform beschränkt.« ^^
Foucault errichtet in Vincennes ein lacanianisch-althusserianisches Dispositiv Das größte Aufsehen verursachte wohl die Nachricht, daß einer der Stars des Strukturalismus an die Spitze des Departements für Philosophie beru fen worden war: Michel Foucault. Seinerseits für weitere Berufungen zu ständig, sprach er als erstes seinen Freund Gilles Deleuze an, der jedoch aus gesundheitlichen Gründen erst zwei Jahre später nach Vincennes kommen konnte. Michel Serres dagegen willigte sofort ein, Foucault ins Abenteuer von Vincennes zu folgen. Im Herbst 1968 sah sich Foucault auf dem Wege der Cahiers pour l'analyse unter den Althusserianern-Lacanianern an der Rue d'Ulm nach geeigneten Kräfte für Vincennes um. Es gelang ihm, Lacans Tochter Judith Miller zu überzeugen, außerdem Alain Badiou, Jacques Ranciere, Fran5ois Regnault und Jean-Fran9ois Lyotard. Tonangebend würde also ein strukturalistischer Maoismus sein, wobei allerdings andere Berufungen dafür sorgten, daß nicht alles unter der Fuchtel der »Maos« stand: Henri Weber von der Ligue communiste und fitienne Balibar, der zwar Althusserianer, aber KPF-Mitglied war. Damit das Ganze ohne Zu sammenstöße funktionierte, warb Foucault einen Mann der Verständigung an: Frangois Chätelet, der sich vor kurzem zur strukturalistischen Sache bekannt hatte. Über seine Abteilung hinaus kümmerte sich Foucault, wie gesagt, um den Aufbau des Centre experimental von Vincennes überhaupt. Insbeson dere lag ihm daran, die Psychologen auszuschalten zugunsten der Psycho analytiker, die auf diese Weise ein völlig eigenes Departement gründen und über alle damit verbundenen Geldmittel und Berufungen verfügen könn ten. Aber: »Er konnte nicht verhindern, daß die KPF eine Abteilung für Psychologie durchsetzte, so daß infolge der gekürzten Postenzahl eine Aufteilung der Stellen innerhalb einer Abteilung Philosophie/Psychoana-
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lyse vorgenommen werden mußte.« ^^ Von Foucault ins Werk gesetzt, stammte der Einfall für ein solches Departement indes ursprünglich von Derrida. Serge Leclaire würde, mit Lacan als Gewährsmann, die Leitung übernehmen. Allerdings war es zwischen Lacan und Derrida bereits zum offenen Zerwürfnis gekommen, was verhinderte, daß der zweite Star des Strukturalismus, Lacan, mit dem Eintritt ins Studienzentrum von Vin cennes endlich ein solides institutionelles Auskommen fand: »Da Foucault das philosophische Departement übernahm, wäre es normal gewesen, daß Lacan die psychoanalytische Abteilung geleitet hätte, womit aber Derrida nicht einverstanden war.« ^^ Auch wenn Lacan selbst nicht in Vincennes lehrte, hat sich doch seine Schule massiv durchgesetzt, und mit ihr hielt die Psychoanalyse offiziell Einzug an einer geisteswissenschaftlichen Universität: Sämtliche Dozenten waren Mitglied der ficole freudienne de Paris (EFP), und sie gaben nicht weniger als sechzehn Seminare, unter ihnen Serge Leclaire, Michele Montrelay, Frangois Baudry, Rene Tostain, Jacques Nassif, Jean Clavreul, Claude Rabant, Luce Irigaray, Claude Dumezil, Michel de Certeau und der Ehemann von Lacans Tochter, Jacques-Alain Miller. Hier schlug der Puls der Universität von Vincennes, und zwar nicht nur, weil diese Abteilung die prägendste Neuerung der Epoche darstellte. Über den Campus regierte nämlich die Gauche proletarienne, und deren Ortsleitung besorgte die Fa milie Miller: Jacques-Alain, seine Frau Judith, die Philosophie unterrich tete, und sein Bruder Gerard, der sich um die politische Organisation küm merte. Gerard Miller mußte sich gegen die erbitterte Konkurrenz einer anderen maoistischen Bewegung behaupten, die von der Ligue communiste als mao-spontex bezeichnet wurde: das Comite de base pour l'abolition du salariat et la destitution de l'universite (Basiskomitee für die Abschaffung der Lohnarbeit und die Absetzung der Universität), getragen von JeanMarc Salmon, einem unvergleichlichen Redner, der imstande war, über Stunden hinweg das Wort an sich zu reißen und dabei die Aufmerksamkeit und Zustimmung des gesamten Hörsaals 1 zu gewinnen, und von Andre Glucksmann, der seine terrorisierenden Interventionen mehrte, um die »Revisos« und ihresgleichen zu vertreiben. Das Departement für Psychoanalyse besaß eine derartige Ausstrahlung, daß es als permanentes Forum tagte. Groß war die Zahl derer, die, gleich viel ob immatrikuliert oder nicht, wegen der Schönheit des Schauspiels zu
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Besuch kamen, denn es passierte jeden Tag etwas Neues: »Es gab einige denkwürdige Sitzungen. Ich erinnere mich an eine Lehrveranstaltung (falls man sie denn so nennen soll) von recht sympathischem Ungestüm in einem Hörsaal, vor mindestens 800 Leuten. Man hörte es aus allen Ecken brüllen, vor allem erinnere ich mich an eine besonders heftige Intervention von Badiou.« ^^ »Wir hatten Seminare, die Jacques-Alain Miller und Gerard Miller Grauen einjagten, denn sie kamen und fanden das nicht ernsthaft genug. Wir gönnten uns zwanglos ausschweifende Diskussionen vor einem sehr interessanten Publikum, das sich nicht aus Analytikern zusammensetzte, sondern stark politisiert war und kam, um dem Analytiker eins auszuwi schen. Das machte uns Spaß und war sehr anregend.« ^° Der Gipfel des Spektakels wurde erreicht, als sich Lacan am 3. Dezem ber 1969 auf Einladung der philosophischen Abteilung nach Vincennes be gab, um eine Sitzung seines Seminars im Hörsaal 1 abzuhalten, wo sich die radikalsten Protestanten des Campus zusammenquetschten, hocherfreut, sich »den« Lacan kaufen zu können. Die Begegnung war von Dali würdi gem Surrealismus: »J. Lacan {während ein Hund über das Podium läuft, das er einnimmt): Ich werde über meine Muse reden, die von dieser Art ist. Sie ist die einzige mir bekannte Person, die weiß, was sie redet — ich sage nicht, was sie sagt —, denn es ist ja nicht so, daß sie nichts sagt: sie sagt es nicht in Worten, Sie sagt etwas, wenn sie sich ängstigt — das kommt vor —, sie legt ihren Kopf auf meine Knie. Sie weiß, daß ich sterben werde, was auch einige andere Leute wissen. Sie heißt Justine ... — Einwurf: He, was soll das? Er erzählt uns von seinem Hund! — J. Lacan: Es ist meine Hündin, sie ist sehr schön, und Sie hätten sie sprechen gehört [...]. Das einzige, was ihr fehlt ge genüber dem, der herumspaziert, ist, daß sie keine Universität besucht hat.« ^^ Tatsächlich war der Meister auf dem Podium nicht mehr allein. Ein Protestierender war heraufgekommen und hatte begonnen, sich auszuzie hen. Lacan ermunterte ihn durchzuhalten: »Hören Sie, mein Lieber, das habe ich gestern abend schon gesehen, ich war im Open Theater, da war ein Kerl, der machte das auch, aber der hatte ein bißchen mehr Mumm als Sie, der zog sich ratzeputz aus. Also machen Sie nur, aber machen Sie's richtig, fahren Sie, Scheiße nochmal, fort.«^^ Die Anwesenden verlangten vom Meister eine Kritik der Psychoanalyse und des universitären Diskurses, eine regelrechte Selbstkritik ä la Mao. La can indes setzte den Protestierenden auseinander, daß die revolutionäre
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Operation nur im Diskurs des Herrn münden kann: »Wonach Sie als Revo lutionäre sich sehnen, das ist ein Herr und Meister. Sie werden ihn bekom men. [...] Sie spielen die Funktion der Heloten dieses Regimes. Sie wissen nicht mehr, was das heißt? Das Regime führt es Ihnen vor. Es sagt: >Schaut her, wie sie es genießen. < Gut. Das war's. Für heute auf Wiedersehen. Tschüs. Es ist Schluß.« ^^ Die Stunde des Meisters sollte übrigens bald kommen, denn Lacan wur den die Autonomie und Macht immer unerträglicher, die Serge Leclaire in Vincennes erlangt hatte, wo er sich ausgeschlossen fühlte. Serge Leclaire, der das Departement für Psychoanalyse zu einer eigenständigen Abteilung machen wollte, befreit aus der Vormundschaft der Philosophen und in der Lage, eigene unites de valeur zu vergeben, wurde damals von allen Seiten attackiert: Alain Badiou bezichtigte ihn, ein Agent der Konterrevolution zu sein; die EFP desavouierte ihn, einige ihrer Mitglieder erschienen auf dem Campus, um seine »Häresie« zu denunzieren. Auch Lacan schürte das Feuer und ermunterte dazu, Serge Leclaire fallenzulassen: »Wurden wir insgeheim von Lacan manipuliert ? Das ist nicht ausgeschlossen. Jedenfalls haben wir Leclaire das Amt verweigert und drei Jahre ohne Direktor gear beitet.«^"^ Serge Leclaires Nachfolge an der Spitze der Abteilung trat Jean Clavreul an, der sich allerdings damit begnügte, die laufenden Geschäfte zu erledigen, und ansonsten jedem freie Hand ließ. Wenige Jahre noch, und es kam der zweite Akt, die Normalisierung des Departements unter der Knute der EPF-Leitung, das heißt Lacans unter Zwischenschaltung seines Schwiegersohnes. Tatsächlich sah sich JacquesAlain Miller 1974 mit der Leitung der Psychoanalyse-Dozenten in Vin cennes betraut: »Die Ankunft Millers an der Spitze des Fachbereichs be deutete die Gleichschaltung. Lacan erteilte uns den Befehl, uns seinem Willen zu beugen. Man trat den wohlgeordneten Rückzug an.«^^ Roger-Pol Droit ließ die Affäre um diese Machtergreifung in Le Monde ruchbar werden: »Ich habe da ein Wörtchen mitgeredet, als ich meinen Na men unter einen Artikel setzte, der über die Vorbereitung eines Putschs in formierte. Wie bei jedem Putsch waren sie natürlich darauf angewiesen, daß es sich nicht allzu sehr herumsprach. Diese Veröffentlichung acht Tage vor her führte dazu, daß eine AG einberufen wurde, Flugblätter kamen her aus.« ^^ Roger-Pol Droit bezeichnete den Handstreich als Säuberung und brandmarkte die Vichy-Gesinnung des Unternehmens.^'' Tatsächlich hat
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der Putsch einige Wellen geschlagen, wie man an einem von Gilles Deleuze und Jean-Frangois Lyotard unterzeichneten Flugblatt ablesen kann, das eine »stalinistische Operation« denunzierte — bezüglich der Universität et was nie Dagewesenes, denn die Tradition verbietet das unmittelbare Ein greifen von Privatpersonen in die Universität, um dort Absetzungen oder Berufungen vorzunehmen: »Jeder Terrorismus geht mit Wäsche einher, und eine Wäsche des Unbewußten nimmt sich nicht weniger schrecklich und autoritär aus als eine Gehirnwäsche.«^^ Fortan normalisiert vom örtli chen Husäk Jacques-Alain Miller, ging die Abteilung Psychoanalyse in Vincennes für Lacan ihren strikt orthodoxen Gang. 1969 hatte Lacan vor gewarnt: »Sie werden Ihren Meister bekommen.« Die Studenten glaubten naiverweise, er denke dabei an Pompidou, doch es handelte sich durchaus um ihn selbst. Die Vincennessche Psychoanalyse wurde erneut zur Ord nungsstruktur, die über die Unruhen die Oberhand gewann und die Fiierarchie wiederherstellte.
Die Interdisziplinarität In den anderen Fachbereichen von Vincennes verliefen solche Machtkon flikte weniger scharf. Konfrontationen, die man auf dem Feld der Pluridisziplinarität auszutragen gedachte, waren damit jedoch nicht ausgeschlos sen. Erklärtes Ziel war dies im Departement für Geschichte, das mit der Illusion aufräumen wollte, es gäbe eine gesicherte Geschichtswissenschaft, und daher die Frage nach dem Gegenstand der Disziplin aufwarf, die insbe sondere in der Gegenüberstellung ihrer eigenen Methoden mit denen der übrigen sozialwissenschaftlichen Disziplinen geklärt werden sollte. Diese Pluridisziplinarität liegt auch dem innerhalb einer geisteswissen schaftlichen Universität neuen Departement der politischen Ökonomie zu grunde. In die Wege geleitet hatte das Projekt Andre Nicolai, der aber nicht in Vincennes unterrichtete, weil das Departement letztlich nur die beiden ersten Studienjahre sicherstellte, also nicht bis zur licence reichte: »Es do minierten die reinen Literaturstudenten, die darauf aus waren, mit dem Un terricht in Ökonomie ein Alibi der Wissenschaftlichkeit zu bekommen.« ^^ Zu einer Zeit, in der die Ökonometrie und damit die Mathematisierung der Sprache der Ökonomie die Oberhand hatte, bildete eine Abteilung für po-
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litische Ökonomie die Ausnahme. Ausgehend von dem Postulat, daß es eine reine Ökonomie nicht gibt, stand sie historischen, soziologischen, phi losophischen und anthropologischen Denkansätzen offen. Michel Beaud, der das Departement leitete, wollte auf diese Weise wieder an die Tradition der politischen Ökonomie des 18. Jahrhunderts anknüpfen: »Ich denke, wir hatten Recht und waren den anderen voraus.« ^° Gerade wegen der Stu denten, die kamen, um ein paar ökonomische Kenntnisse aufzuschnappen, während sie an einem anderen Departement für die licence immatrikuliert waren, ist ihm eine Zeit fruchtbarer gedankHcher Auseinandersetzung in Erinnerung geblieben: »Sie kamen mit Einwänden an, die sie von Deleuze, Foucault, Poulantzas und anderen bezogen, und zwangen uns zum Lesen und Nachdenken.« ^^ Die andere große erfolgreiche Neuerung von Vincennes war die Einrich tung eines Filmdepartements, das ungeheuren Zuspruch erfuhr: 1200 Stu denten schrieben sich ein, davon mehr als 500 im Hauptfach. Das Departe ment bot zwar eine technische Ausbildung nach dem Muster des I D H E C [Institut des hautes etudes cinematographiques, 1943 gegründete Film hochschule, A.d.Ü.], bezog jedoch eine hauptsächlich filmwissenschaft liche Perspektive und ermöglichte die Entfaltung der im Entstehen begrif fenen Filmsemiotik. Hauptinspirationsquelle der theoretischen Arbeit in Paris-VIII wurde das Werk von Christian Metz. Dessen Methode der Zerlegung in feinstmögliche diskrete Einheiten wandte Michel Marie insbesondere auf Alain Resnais' Film Muriel an: Mit Hilfe der textuellen Analyse konnten die pertinenten Einheiten, die Minimaleinheiten der kinematographischen Sprache ausfindig gemacht werden. Diese Absicht — oder dieses Phantasma — der totalen Beherrschung des Films anhand seiner Durchnumerierung in Sequenz-Phasen hält Marc Vernet für »einen histo risch gültigen, der damaUgen Zeit angemessenen Gedanken, denn man hatte die Filme nicht da, also mußte man so viel wie möglich fotografieren und einen genauen Schnittplan erstellen. Man verfügte damals weder über Kopien noch über Videokassetten.« ^^
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Vincennes, dem Wahnsinn verfallen Der wissenschaftliche Diskurs auf der einen Seite, der wahnwitzige auf der anderen, und mitunter auch noch von denselben Personen verkörpert — so stellt sich die doppelte "Wirklichkeit von Vincennes dar. Deutlich wird dies am besten in dem besonderen Delirium, zu dem sich in den siebziger Jahren die unter den Fittichen von Alain Badiou stehende und von Bernard Sichere betriebene Gruppe Foudre (Blitz) verstieg. Die maoistische Formation ver stand sich als kultureller Eingreiftrupp und schreckte auch vor terroristi schem Gebaren nicht zurück: Auf ihr Konto geht insbesondere das Verbot der Ausstrahlung von Liliana Cavanis Film Der Nachtportier 2ixa dem Uni versitätsgelände. Ihre bevorzugte Zielscheibe jedoch war die — immerhin China sehr bewundernde — Dozentin Maria-Antonietta Macciocchi. Macciocchi arbeitete damals an einem kollektiven Projekt zum Fa schismus : Sie sah sich des Faschismus angeklagt und der Absicht bezich tigt, ihre unite de valeur in eine Brutstätte der Propaganda umwandeln zu wollen, weil sie bestimmte Filme, insbesondere Jud Süß, gezeigt hatte. Der Gipfel vom Wahnwitz ist im März 1976 erreicht, als die Gruppe Fou dre ein Flugblatt mit dem Titel »Boules qui roulent n'emoussent pas masses« [Silbenverdrehung von »Boule qui roule n'amasse pas mousse« (An der rollenden Kugel wächst kein Moos), die in etwa die Bedeutung bekommt: »Was schert's die Massen, wenn Köpfe rollen«, A. d. Ü.]. verteilt: »Schade! Wir werden sie nicht mehr zu Gesicht bekommen, die ruhmrei che Wahrsagerin des Abendlandes, die uns so zum Lachen brachte! [...] Eines Tages glaubte sie, die Lösung gefunden zu haben — warum auf die Wirklichkeit schauen, wenn man eine Glaskugel hat! Gleich ob sie ihre Kugel nach Osten oder nach Westen richtete, sah die vortreffliche Wahrsa gerin einen Schnurrbart aufscheinen, ohne recht zu wissen, war er von Stalin oder von Hitler, immer aber endend in Schimären, die, so sagte sie, im Archipel des Gulag umherschweifen. Eines Tages glaubte sie im Traum einen Fliegenden Holländer vorbeifahren zu sehen und spürte, wie ihr die Tressen des Kommandanten Sollers zu Kopf stiegen; sie beschaute sich ernsthaft im Spiegel, und sie fand sich schön. Das war das Ende; sie be gann zu stottern und brachte alles durcheinander, Marxismus und Psy choanalyse, Mörder und Studenten, Paranoia und Paranoia, Tinte und Sperma, die Barrikaden und die Couch von Herrn Dadoun, den Marquis
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de Sade und die Konzentrationslager, den Faschismus und die marxistisch leninistischen Gruppen.«-'^ Ist Vincennes dem Wahnsinn verfallen? Nun, jenseits der Folklore und eines delirierenden Sich-Austobens des ohnmächtigen Wunsches, ein ab wesendes Volk zu verkörpern, war Vincennes doch in erster Linie die Hochburg des Strukturalismus.
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Das 68er-Ereignis trug auch zur Bildung von in neuen Zeitschriften zusam mentretenden Arbeitskollektiven bei und brachte Bewegung in die beste hende Zeitschriftenlandschaft. Jene Aktivität, deren Bedeutung für die Aufstiegsphase des strukturalen Paradigmas wir bereits erwähnt haben, setzte sich also fort und hielt die theoretische Auseinandersetzung Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre in Gang.
Die Avantgarde: Literaten und Linguisten Das große semiologische Abenteuer war nach wie vor von einer eingehen den sprachwissenschaftlichen und literaturkritischen Tätigkeit gekenn zeichnet. Es gewann, wie wir schon sahen, internationalen Zuschnitt mit der 1969 gegründeten Zeitschrift Semiotica unter Federführung von Tho mas A. Sebeok. Das Redaktionskomitee war mit namhaften Fachleuten aus sieben Ländern besetzt. ^ Josette Rey-Debove und Julia Kristeva fungierten als beigeordnete Redakteurinnen in Paris. Semiotica wurde Organ der As sociation internationale de semiotique, deren Vorsitz £mile Benveniste in nehatte und deren Generalsekretariat wiederum Julia Kristeva besorgte. Ziel war die Verbreitung semiotischer Forschungsergebnisse aus sämtli chen Gebieten, in denen der Zeichenbegriff anerkannt und diskutiert wurde. In der Filiation der Zeitschrift Langages und ebenfalls im Verlag Larousse starteten die Französisch-Linguisten eine neue Zeitschrift unter der Direktion von Jean-Claude Chevalier, Langue frangaise, deren erste Num mer 1969 in einer Auflage von 5000 Exemplaren erschien. ^ Die Gründung geschah auf gemeinsame Initiative der Societe d'etudes de la langue fran9aise (SELF) und des Departements für Allgemeine Sprachwissenschaft der Universität Vincennes: »Wir wollten, wie es im damaligen Jargon hieß,
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Theorie und Praxis miteinander verbinden. [...] In den ersten vier Num mern (Syntax, Lexik, Semantik, Stilistik) sollten vor allem Kenntnisse ver mittelt v/erden.« ^ 1968 hatte Todorov in seinem Beitrag zu dem Gemeinschaftswerk Ein führung in den Strukturalismus die Poetik als einen der Teilbereiche des Strukturalismus definiert. Diesem Ansatz ging im folgenden eine Zeit schrift für Literaturtheorie und -analyse systematisch nach, die Gerard Ge nette, Tzvetan Todorov und Helene Cixous im Verlagshaus Le Seuil ins Le ben riefen: Poetique. Ihre theoretischen Grundannahmen reihten sich strikt in die Strukturalistische und formalistische Denklinie ein. Die Zeitschrift sollte dem Kampf gegen die psychologisierende Kritik dienen und wurde gemacht von in linguistischen Techniken bewanderten Literaturwissen schaftlern aus dem Umkreis Barthes', die sich jedoch in den beginnenden siebziger Jahren aufgrund von dessen Annäherung an die Tel-QuelGruppe und der daraus erwachsenen textualistischen Ideologie von ihm di stanzierten: »Barthes hat an dieser Vorstellung von einem großgeschriebe nen TEXT mitgewirkt, die so etwas wie eine Metaphysik des Textes implizierte, während Genette und ich sehr viel mehr zum Empirischen neigten.« '^ Im übrigen war Poetique rein literarisch ausgerichtet, und es stand außer Frage, die Reflexion unter ein dem Marxismus oder Freudia nismus entstammendes Modell zu stellen. Die formalistischen Vorannah men implizierten eine autonome Untersuchung der literarischen Sprache, unabhängig vom sozialen oder subjektiven Referenten. Insofern blieb man hier der Orientierung der russischen Formalisten vom Anfang des Jahrhun derts treu. Die wissenschaftliche Gesamtperspektive führte gelegentlich zu Aus wüchsen, etwa als Philippe Hamon bei seiner Behandlung des Problems der Person in der Literatur zu der Erkenntnis kam, diese sei ein Zeichenen semble auf einer Seite: »In dieser Richtung haben wir es zu weit getrieben. Es war einer meiner terroristischsten Artikel.«^ Parallel zur Zeitschrift hatte Le Seuil eine von Gerard Genette und Tzvetan Todorov herausgege bene Reihe »Poetique« auf den Markt gebracht, die richtungweisende Werke veröffentlichen sollte. ^ Das Verhältnis von Linguistik und Literatur bildete damals den Brennpunkt zahlreicher Debatten und Forschungen. ^ 1971, also kurz nach dem Start von Poetique, verlegte Larousse die vom Literatur-Departement in Vincennes ausgehende Zeitschrift Litterature.^
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Sie versuchte, einen anderen Forschungsweg einzuschlagen als den forma listischen von Poetique. Die beteiligten Französisch-Literaturwissenschaft1er bildeten keine homogene Gruppe, so daß man beschloß, zur Bereiche rung der literarischen Analyse die verschiedenen Standpunkte nebenein ander zu stellen: »Es gab einen gemeinsamen Kern, vage marxistisch, soziologisierend, mit Leuten, die sich als Poetiker für die Untersuchung der Formen begeisterten, aber zugleich auch für die der Ideologie. Die beiden Meister waren darin auf der einen Seite Benveniste und auf der anderen Althusser.«^ In der Zeitschrift machten sich die neuen Wendungen des strukturalen Paradigmas bemerkbar, das nun an das Subjekt, an die Ge schichte anknüpfen sollte — zu diesem Entwurf einer Versöhnung erschien ein eigenes Themenheft. ^° Das Organ sollte für die offensive Interdisziplinarität der Literaturabteilung von Vincennes stehen, nicht so sehr in der Erarbeitung tatsächlicher gemeinsamer Forschungsprogramme allerdings als in den vielfältigen Interessensschwerpunkten der einzelnen Mitarbeiter. Manche, wie Henri Mitterand und Pierre Kuentz, setzten eher auf die Bei träge der strukturalen Linguistik, andere, wie Claude Duchet, neigten mehr der Soziokritik zu. Hingegen brachte Jean Bellemin-Noel einen psycho analytischen Ansatz in die kritische Arbeit ein, nicht im Hinblick auf die Erforschung des Unbewußten des Autors, sondern auf die Spiegelungen der Phantasmen, die seitens des Lesers bei der Lektüre des Textes hoch kommen: Er nennt dies das Unbewußte des Textes, das auf das Unbe wußte des Lesers verweist. Es existiert also ein Wechselspiel von Produk tion und Rezeption, das Jean Bellemin-Noel als Analysen-Texte bezeichnet und das die literarische Untersuchung zum freudianischen Feld hin öffnet, welches in Verbindung mit der von Althusser beeinflußten marxisierenden Perspektive zu den Angelpunkten der Arbeit von Litterature gehört.
Die Schrift und die Revolution Die Neuausrichtung oder Umbildung des Strukturalismus, die seit 1967 im Gange war und durch den Protest von 68 noch akzentuiert und bestärkt wurde, bekam in der avantgardistischen Zeitschrift Tel Quel ein wirkungs mächtiges Sprachrohr. Derridas Thesen zur Dekonstruktion fanden hier größtes Gehör. Philippe Sollers, Derrida freundschaftlich verbunden, um-
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riß in Wiederaufnahme der verschiedenen Ausdrucksformen des Struktu ralismus aus den unterschiedlichsten Bereichen im Herbst 1967 ein von ihm so betiteltes »Programm«, das Elisabeth Roudinesco später als »flammen des Manifest des intellektuellen Terrorismus«" bezeichnete. Das Pro gramm steckte den Weg zur Revolution ab und sah in der Umwälzung des Schreibens die Vorbedingung für deren Verwirklichung. Die literarische Avantgarde Tel Quel präsentierte sich nämlich als Vorhut der künftigen proletarischen Revolution, weshalb die Zeitschrift es sich — in leninisti scher Manier — schuldig war, ein Programm zu haben, ein »wissenschaftli ches« natürlich. Auf die Mobilisierung der Massen angelegt, bestand dieser zündende Molotowcocktail in einem gelehrten Gebräu aus Thesen von Derrida, Foucault, Lacan und Althusser. Tel Quel empfand sich als Träger aller modernistischen Errungenschaf ten der mit Hilfe des strukturalen Paradigmas runderneuerten Humanwis senschaften und als stark genug, 1968 in der eigenen Reihe bei Seuil eine Theorie d'ensemble^^ zu präsentieren. Diese stellte sich in eine wissen schaftliche Perspektive: »Wir denken, daß das, was man >Literatur< ge nannt hat, einer abgeschlossenen Epoche angehört, die einer im Entstehen begriffenen Wissenschaft weicht, der Wissenschaft von der Schrift.« ^^ Sol lers fügte dem historischen Materialismus einen semantischen Materialis mus hinzu, der die Begriffe der Ur-Spur (archi-trace) bei Jacques Derrida, der epistemischen Einschnitte bei Michel Foucault, der epistemologischen Einschnitte bei Louis Althusser und des gespaltenen Subjekts bei Jacques Lacan mobilisiert. Tel Quel verwirklichte auf symbolischer Ebene die Rolle eines Verbün deten der in den Sozialwissenschaften stattfindenden Modernisierung, zu mal es der Zeitschrift gelang, Hauptpartner der KPF-Intellektuellen und ihres Organs La Nouvelle Critique zu werden. Die Gesamttheorie war also laut ihrer Verfasser dazu bestimmt, die französische Gesellschaft in Brand zu setzen. Nichtsdestoweniger blieb die Perspektive von Tel Quel vor allem eine literarische. Herangezogen werden 1968 — in dem Jahr der Veröffentli chung von Philippe Sollers' Logiques^^ — die Grenztexte, die es gestatten, die historische Linearität und den Begriff der Wahrheit und des Subjekts überhaupt zu unterlaufen. Aus dieser Geisteshaltung problematisiert Sol lers die Werke von Dante, Sade, Mallarme und Bataille als revolutionäre textuelle Brüche, die — gemäß einem Prozeß der Verzehrung, wie er bereits
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in Nombres und Drame am Werk war — nicht wirklich in eine dialektische Überwindung, sondern in ihre eigene Aus Streichung münden. Der Text »brennt auf allen Ebenen, er erscheint nur, um sich auszulöschen« ^^, ganz gemäß der rhetorischen Figur des Suspenses von Sinn und Geschichte: dem Oxymoron. Tel Quelsdh sich als Träger einer »Rotfront der Kunst«, für die Literatur und Revolution »gemeinsame Sache machen« ^^. Diese Front, die unter dem Banner des endlich vom Signifikat befreiten Signifikanten antrat, fand ei nen konkreten und gewissermaßen strukturierten Stützpunkt in ihren Be ziehungen zur KPF. Auf theoretischer Ebene war sie das Organ der Derridianischen Dekonstruktion. In seiner Antwort auf die kritischen Einwände Bernard Pingauds erinnerte Philippe Sollers an einen Text, der das Denken der letzten Jahre erhellt und radikal verändert habe, die Grammatologie von Jacques Derrida: »Kein Denken kommt mehr daran vorbei, sich in bezug auf dieses Ereignis zu situieren.« ^^ Pingaud hatte sich gefragt: »Wohin entwickelt sich Tel Quel}« ^^ Das bot Sollers die Gelegenheit, einige der Kehrtwenden, welche die Zeitschrift seit ihrer Entstehung auf ihren geschlungenen Wegen genommen hatte, neu zu verzeichnen. Im Rückblick betrachtet Sollers das Gründungsjahr 1960 als ästhetisch fundamental zwiespältig, wertet aber das Privileg, das einer im manenten Textpraxis eingeräumt wurde, als richtigen Ansatz. Freilich sei diese Position noch allzu sehr einer Metaphysik verhaftet gewesen, die den Text als Ausdruck wahrnimmt, und habe allzu sehr dazu geneigt, den Posi tivismus des Nouveau roman — die Schreibform, die von der Zeitschrift da mals und bis 1962 vertreten wurde — ernst zu nehmen. Dank des Beitrags der Linguistik sei es danach zu einer Infragestellung des Status des Schrei bens gekommen: »Zu diesem Zeitpunkt war uns die Linguistik in der Tat eine wichtige Hilfe.« ^^ 1964 definierte Tel Quel sich als Avantgarde-Zeitschrift und propagierte ein Schreiben des Bruchs, die skandierende, nichtmetaphorische Schreib weise eines Bataille, Artaud, Sade. Die Kategorien von Autor und Werk ge rieten in Zweifel, und im Gefolge der Thesen Derridas und Althussers rich tete sich die Fragestellung immer stärker auf den Begriff des Schreibens selbst: Anzweiflung des Zeichenbegriffs, Annahme der Literatur als Pro duktion. Als Sollers seine Bilanz über die Orientierungen der Zeitschrift zog,
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Stand diese kurz vor einer radikalen Kehre, in der sie von einem Marxismus russischer zu einem Marxismus chinesischer Tendenz übergehen sollte. Unter dem Eindruck des Mai 68 und des Erfolgs der Gauche proletarienne vollzog sich die Wende in kürzester Zeit. Noch im September 1968 wid mete Tel Quel seine fünfunddreißigste Ausgabe der zeitgenössischen Semiologie in der UdSSR, vorgestellt von Julia Kristeva. Anfang 1969 schwenkte Tel Quel auf den roten Osten des »Großen Steuermanns« und einen vom Vorsitzenden Mao geläuterten stalinistischen Marxismus-Leni nismus um, auch wenn man in der Zeitschrift nach lebhaften Auseinander setzungen beschloß, doch noch mit La Nouvelle Critique 1970 an einem Kolloquium zum Thema »Literatur und Ideologie« in Cluny teilzunehmen. Als bei Tel Quel die »Bewegung Juni 71« ausgerufen wurde, war kein Kom promiß mehr möglich: Die Brücken zu denen, die man als »Revisos«, als »neue Zaren« hinstellte, wurden endgültig abgebrochen. Tel Q^e/kündete nun von der Faszination, die China auf die Intellektu ellen ausübte, und zum Dank wurde eine Abordnung der Zeitschrift (mit Marcelin Pleynet, Philippe Sollers, Julia Kristeva und Roland Barthes) nach China eingeladen: »Wir waren die ersten Schriftsteller, die China besuch ten, mit einer Zeitschrift, die in einer Auflage von 5000 Exemplaren er schien (wobei sich die China-Ausgabe auf 25 000 Exemplare steigerte). Ein Volk von fast einer Milliarde Individuen lud uns ein aufgrund des kleinen Apparats, den Tel Quel darstellte. Wir kamen zurück, und die gesamte Presse stand voll mit unseren Positionen. Das war einfach ungemein effi zient.« ^° Die Chinareise im Jahr 1974 fußte auf der Vorstellung, daß die Verhältnisse durch die »Kulturrevolution« überwunden werden könnten, obwohl diese 1969 beendet war und die KPC erneut ihre volle Macht auf die chinesische Gesellschaft ausübte. Das imaginäre China der Reiseteil nehmer war also von seiner damaligen stalinistischen Wirklichkeit weit ent fernt. Julia Kristeva hat übrigens, wenn auch erst 1988, eingestanden: »Das China dieser Zeit hat mich enttäuscht. Wir sahen nicht die Befreiung, die wir erwartet hatten, sondern sehr viele Zwänge, bis hin zu Mißhandlungen und Mord an mehr oder minder frei Denkenden.« ^^ Tatsächlich hatte sich die Zeitschrift im Parteichinesisch festgefahren und betrieb einen intellektuellen Terrorismus, der noch erheblich dadurch gesteigert wurde, daß sie sich als Organ jenes unbekannten östlichen, aber einen nicht minder wichtigen Teil der Menschheit repräsentierenden Ge-
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sichtskreises ausgab. Tel Quel wollte die Umwälzung nicht mehr nur der französischen Gesellschaft, sondern der Menschheit verkörpern, die vom Land auf die Städte übergreifen soll. Damals stieß eine neue maoistische Generation zu der Zeitschrift. Bernard Sichere zum Beispiel schloß sich nach seiner — für diese Zeit nicht ungewöhnlichen — Überwerfung mit der Institution Schule 1971 dem Maoismus und gleichzeitig Tel Quel 2x1: »Ich kam zu der Zeitschrift infolge eines Konflikts, der an dem lycee, wo ich un terrichtete, mit einigen Eltern von Schülern ausgebrochen war, weil ich in meinen Unterricht Texte von Sade eingeführt hatte — also wegen einer ebensosehr politischen wie literarischen Geschichte.« ^^ So kam es zu Si cheres Begegnung mit Tel Quel, nach eigenem Verständnis Inbegriff des ra dikalsten Einspruchs auf allen Ebenen, der politischen, theoretischen wie literarischen: »Es gab damals einen gänzlichen Überhang der Praxis über die Theorie, der einen Überhang der subjektiven Kräfte über die Anstren gung zur Theoriebildung verriet und der auf dem Feld der Analyse, bei Tel Quel und in den politischen Gruppen einen intellektuellen Terrorismus hervorgerufen hat.«^^ Innerhalb des Mikrokosmos von Tel Quel kann dieser Überhang als der einer Literatur gedeutet werden, der es nicht gelang, zu sich selbst zu fin den, so daß eine Ästhetik auf Umwegen geltend gemacht wurde, die sich in dieser Periode der Krise des Romans und eindringlicher Ideologiekritik nicht beim Namen nennen konnte. Dieser Überhang des Subjektiven führte in Dissense und Brüche, die um so gewaltsamer ausfielen, als sie un ter dem theoretischen Diskurs Leidenschaften und Affekte bemäntelten. So brachte jede Wende der Zeitschrift eine Erneuerung der Mitarbeiter rund um den 7e/-Q^e/-Gründungskern mit sich, aber auch Geächtete un ter den Leidensgenossen. Schon 1967 hatte sich ein Bruderkampf zwischen Tel Quel und JeanPierre Faye entsponnen: »Eines vertrauensseligen Tages habe ich ein paar Worte über die ausgesprochen rechte Position von Tel Quel zum Zeitpunkt des Algerienkriegs fallenlassen, und das hat sehr viel Ärger gegeben, eine wahre Lawine von Wut losgetreten.« ^"^ Die maoistische Wende von Tel Quel schürte erst recht eine heftige Polemik zwischen beiden Parteien, zu mal Jean-Pierre Faye Tel Q^e/verließ, um beim selben Verleger, Seuil, die neue Zeitschrift Change zu gründen, deren Kernmannschaft im Herbst 1967 zusammentrat und 1968 die erste Nummer herausgab. ^^ Der Name
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evoziert ein Schwanken, einen Zwischenraum, ein Changieren zwischen Wissenschaft und Literatur, formaler Kritik und Ideologiekritik. Die Ma cher wollten die Montage der Erzählung untersuchen und so deren Wir kungen im Spiel der Formen herausarbeiten: »Denn dort, in diesem Inter vall — zwischen Aufbau und Abbau — bewegt sich die Kritik.« ^^ Da Change das Schreiben zum Gegenstand hatte, trat das Organ von vornher ein in direkte Konkurrenz zu Tel Quel Jean-Pierre Fayes Zeitschrift siedelte sich in der Nachfolge des Prager Linguistenkreises an, dem übrigens ein Heft gewidmet wurde. Sie erstrebte die Wiedereinführung der Geschichte, der Dynamik in das strukturale Mo dell und stützte sich dabei auf die generative Grammatik Chomskys, auch wenn dies nicht in Chomskys Sinne gewesen sein mag. Jean-Pierre Faye je denfalls hat sie so verstanden und angewandt: An den Anfang stellte er den Begriff der syntaktischen Transformation, die den Übergang zwischen Tie fenstruktur (Kompetenzmodell) und Oberflächenstruktur (Performanzmodell) ermöglicht. Bereits im Namen der Zeitschrift klingt die Vorstel lung von einer Bewegung der Strukturen an; er entstammt einem Gedicht von Jean-Pierre Faye, »das ich auf den Azoren geschrieben habe, in der Tiefe des Atlantiks, in seiner Mitte, praktisch auf halber Strecke zwischen Lissabon und Brasilien. Diese Art Drehscheibe, die das Archipel bildet, war für mich das Zeichen für den Wechsel der Formen.« '^^ Die Idee vom »Wech sel der Formen« fand Faye dann bei Marx wieder, in einem zwecks Ver deutlichung des an die französischen Leser gerichteten Exposes vom Autor zensierten Text, in dem davon die Rede ist, daß der Warenkörper, wenn er in den Austauschprozeß eintritt, im Händewechsel die Form wechselt; er wird Wert: »Dieser Formwechsel ist es, der den Wechsel des Wertes be dingt und vermittelt — eine außergewöhnliche Formel, durch die die Vulgata mit ihrer festbetonierten Basis völlig umgekrempelt wird.« ^^ Auf diese Idee stößt Jean-Pierre Faye dann auch bei Hölderlin, in einer drei Seiten langen Schrift, die aus einem einzigen Satz besteht, in der das gleiche Ver hältnis zwischen dem Wechsel der Form und dem Wechsel der Materie dar gestellt wird. Später schloß sich der Kernmannschaft Mitsou Ronat an, dessen Arbeit über das rule changing in der poetischen Sprache sich mit der Orientierung der Zeitschrift deckte. Ronat bemühte sich darum, die syntaktischen Re geln in Mallarmes Prosa als gegenüber der französischen Transformations-
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grammatik deviante, dissidente Regeln zu erweisen, die jedoch gleichwolil ihre eigene Strenge besitzen: »Da bestand eine Notwendigkeit, die Sprache zu wechseln.« ^^ In der dritten Phase der Geschichte dieser Zeitschrift kon zentrierte man sich beim Thema »Wechsel« auf den Bezug zu dem, was be richtet wird, auf den Akt des Berichtens einer Botschaft. So konnte eine Reflexion über die Geschichte und die Äußerung einbezogen werden, wie sie Faye auch in seiner 1972 erschienenen these^° unternommen hat: »Als springender Punkt in der Analyse der Sprachform — ein den Philosophen und Historikern gemeinsamer Gesichtspunkt — erschien mir der Vorgang, wie die Sprache auf ihre Realität zurückkommt und sie dabei zu einer anderen macht.« ^^
Hochburgen der Auseinandersetzung Als Forschungsstätten, als Orte regionaler Konsensfindungen und zu Brü chen führender Dissensbildungen waren die Zeitschriften in dieser Periode nach wie vor bevorzugte Medien theoretischer Auseinandersetzungen. Die Zeitschrift Esprit, die 1963 bereits ein Gespräch mit Levi-Strauss geführt hatte, legte Michel Foucault 1968 die Frage vor: »Beraubt ein Denken, das in die Geschichte des Geistes die zwingende Kraft des Systems und die Dis kontinuität einführt, eine fortschrittliche politische Intervention nicht jeg licher Grundlage ?«-^^ Foucaults Antwort ging im Eifer des Gefechts ein wenig unter, denn sie erschien mitten im Mai 68; dennoch ist sie von bren nender Aktualität. Foucault kommt auf seinen ausgesprochen problemati schen Begriff der Episteme zurück und rückt ab von der Definition einer großen zugrundeliegenden Theorie, wie sie in der Ordnung der Dinge auf gestellt scheint: An ihre Stelle setzt er die Definition eines Streuungsrau mes, der eine Vielheit stets differenzierter Analysen ermöglicht. Es scheint ganz so, als habe hier Derridas Term der differance auf Foucaults Positionen Einfluß genommen: »die Episteme ist kein allgemeines Stadium der Ver nunft, sondern ein komplexes Verhältnis sukzessiver Verschiebungen« ^^. Damit antwortet Foucault auf die Bezichtigung, er räume in seinem philo sophischen System den Zwangsläufigkeiten den Vorrang ein. Insbesondere bemüht er sich darum, die Kausalbeziehungen, die alle Phänomene zusam menfassen und auf eine Alleinursache beziehen, zu pluralisieren und durch »das polymorphe Bündel der Korrelationen« ^'* zu ersetzen.
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Die von ihm beschriebene Archivarbeit, die ein Vorspiel zu dem in Vor bereitung befindlichen Werk Archäologie des Wissens darstellt, verfolgt nicht das Ziel, Texte zu sammeln, sondern die Regeln ihres Erscheinens, die Bedingungen ihrer Lesbarkeit und ihrer Transformationen zu umreißen. Im Unterschied zur strukturalen Linguistik ist Foucault nicht am Inhalt in sei nen internen Konstruktionsgesetzen interessiert, sondern an den Existenz bedingungen der Aussagen. Bei dieser Gelegenheit distanziert er sich auch vom Etikett des Strukturalisten: »Ist es notwendig, noch zu präzisieren, daß ich nicht bin, was man einen >StrukturaHsten< nennt?« ^^ Was die Frage nach dem Verhältnis zwischen seinem Denken und der politischen Praxis, das heißt die Frage der Fortschrittlichkeit betrifft, so beantwortet Foucault sie mit dem kritischen Charakter seiner Arbeit: »Eine fortschrittliche Poli tik ist eine Politik, die die historischen Bedingungen und die spezifizierten Regeln einer Praktik erkennt.« ^^ La Nouvelle Critique setzte nach 1968 ihre Politik der Öffnung, der Ver breitung der Strukturalistischen Thesen und der besonderen Beziehungen zur 7e/-Q^e/-Gruppe bis 1970 fort. Wie bereits bemerkt, fand im April 1970 in Cluny ein von beiden Gruppen ausgerichtetes Kolloquium zum Verhältnis von Literatur und Ideologien statt, dessen Ergebnisse in La Nouvelle Critique veröffentlicht wurden. Aber bei der Veranstaltung herrschte Krisenstimmung, denn der Osten rötete sich zusehends, und von Peking aus gesehen schien die KPF den Telquelianern von bläßlichem Rosa. Im Oktober 1970 gab Catherine Backes-Clement in La Nouvelle Cri tique ein Dossier zum Thema »Marxismus und Psychoanalyse« heraus, das Beiträge von Antoine Casanova, Andre Green, Serge Leclaire, Bernard Müldworf und Lucien Seve enthielt und nach einer Verbindung zwischen den beiden »Wissenschaften« forschte. Julia Kristeva, die die Intellektuel len der KPF beim ersten zusammen mit La Nouvelle Critique organisierten Kolloquium ungemein beeindruckt hatte, sah sich 1970 in einem großen Aufmacher der Zeitschrift wieder, worin sie ein Gespräch mit Christine Buci-Glucksmann und Jean Peytard über die Thesen ihrer Recherches pour une semanalyse^^ führte. La Nouvelle Critique erörterte und analysierte auch das Werk von LeviStrauss. Catherine Backes-Clement, die bereits 1969 eine Untersuchung der Mythologica vorgelegt hatte, führte das 1973 abgedruckte Gespräch. Darin sprach Levi-Strauss für die marxistische Strömung ermutigende
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Worte: »Ich bin fest davon überzeugt, daß die Basis den Überbau steu ert«·'^, und wies voraus auf die künftigen, hauptsächlich ökologischen Kämpfe. Nach seiner Ansicht war es an der Zeit einzusehen, daß die Vor stellung vom industriellen Fortschritt hinter den Schutz der Umwelt zu rücktreten müsse, deren Verschmutzung zu einem Problem werde, das über das der Beziehungen zwischen den menschlichen Gruppen hinaus greife. Auf dem Feld der Psychoanalyse wurde, wie wir schon sahen, im Herbst 1968 die Zeitschrift Scilicet gegründet, Lacans dogmatische Antwort auf die Gründung der Zeitschrift Vlnconscient durch Piera Aulagnier, Conrad Stein und Jean Clavreul, die es auf acht Ausgaben gebracht hat: »Lacan machte uns schwere Vorwürfe, daß wir Stein genommen hatten, obwohl er seine Tochter zu ihm in die Analyse schickte. Wir haben also diese Zeit schrift herausgegeben, über die Lacan außer sich geraten ist.« ^^ Jean Cla vreul mußte ins Glied zurücktreten, und 1973 war es dann Rene Major, der auf die wechselseitige Abschottung der Schulen reagierte und ein Seminar ins Leben rief, aus dem bald eine Zeitschrift mit dem bezeichnenden Na men Confrontation hervorgehen sollte. Rene Majors Anliegen war es, eine Wiederaufnahme des Theoriedialogs zwischen den vier bestehenden Gruppen zu ermöglichen: »Ich habe versucht, die Trennwände abzubauen, indem ich die Theorien miteinander konfrontierte. «'^° Serge Leclaire stellte in dieser von einem Mitglied des Instituts ins Leben gerufenen Initiative den Gewährsmann der Lacanschen Strömung dar: »Binnen kurzem dräng ten sich die Massen, die Riegel wurden gesprengt, Orthodoxien aller Rich tungen angefochten.«'^^ Das Publikum weitete sich auf Schriftsteller und Philosophen aus, und Rene Major und Jacques Derrida schlössen enge Freundschaft. Der nämlich sah den »Konfrontations«-Effekt auf die Dekonstruktion der Lacan-Schule und die Niederwalzung der absoluten Macht, die Lacan dort ausübte, mit geneigtem Blick. Lacan reagierte übri gens prompt: Der Direktor der Schule, Denis Vasse, wurde seiner Funktio nen entbunden, weil er an einer Sitzung des Confrontation-Semm.2iTs teilge nommen hatte. Eine reine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Ordnung, rief Lacan doch bei Major an, um ihm zu bedeuten: »Machen Sie sich keine Sorgen, Major, das ist bloß eine hauspolitische Frage.«'^^ Die Zeitschriften förderten solche Konfrontationen zwischen den Dis ziplinen und den Fachleuten verschiedener Herkunft und ermöglichten da-
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mit auch die Entstehung einer gemeinsamen Reflexion des Schreibens. Stand für sie in der ersten Phase, vor 1967, die Struktur im Mittelpunkt, so suchten sie in dieser zweiten Phase des strukturalistischen Moments stär ker nach Pluralisierung und Dynamisierung.
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Die Mai-Bewegung rüttelte an den Althusserschen Thesen und ließ die von ihnen ausgehende Denkströmung vorläufig verstummen. Gleichwohl äu ßerte sich der 68er-Protest in Anlehnung an einen marxistischen Diskurs und konnte über Althussers Theorie die Anbindung an den Marxismus mit dem Wunsch nach strukturaler Stringenz vereinbaren. Eine ganze Genera tion sollte daher Althussers Kategorien auf alle Wissensgebiete anwenden, oft freilich, ohne die entscheidenden Werke von 1965, Für Marx und Das Kapital lesen, wirklich zu kennen. Unterdessen brachten die fiditions Maspero 1968 in ihrer Taschenbuchreihe PCM eine Neuausgabe des Buchs Das Kapital lesen heraus, die mit 78 000 verkauften Exemplaren vom Erschei nungsdatum bis 1990 bemerkenswerten Anklang fand. Man betrieb im Grunde unwissentlich Althusserianismus, weil er im Zeitgeist lag: Eine ganze Generation entdeckte paradoxerweise in ihrer politischen Praxis Marx über Althussers Neuauslegung, obwohl dieser doch den berühmten epistemologischen Einschnitt begründet hatte, der, auf rein theoretischer Ebene angesiedelt, dem Handeln, der Praxis nicht hätte ferner sein können.
Die Rückkehr zu Althusser Im Zuge des Mai 1968 fiel der angehende Philosoph Andre Comte-Sponville, damals ein junger Gymnasiast von achtzehn Jahren, vom Glauben ab, verließ die JEC Qeunesse etudiante chretienne, 1929 gegründete katholi sche Oberschüler- und Studentenvereinigung, A.d.Ü.] und trat der »Partei der Arbeiterklasse« bei. Vor der khagne las er in den Ferien Althusser, mit einschneidenden Veränderungen für »mein Verhältnis zur Philosophie, und zwar auf lange Zeit«: »Diese beiden Bücher, Pour Marx und Lire le Capital [...], erschienen mir wie eine überwältigende Offenbarung, in der sich mir gleichsam eine neue Welt auftat.« ^ So wurde Andre Comte-Spon-
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ville, wie viele seiner Generation, zum Marxisten althusserscher Obedienz, und es war vor allem die Strenge Althussers in ihrer tragischen, fast jansenistischen Dimension, die den jungen Philosophen überzeugte: »Er war und ist mein Lehrmeister.«^ Während die studentische Jugend von den althusserianischen Thesen zehrte, blieben Althusser und die Seinen gleichwohl im Hintergrund; erst in den Jahren 1972 bis 1973 traten sie wieder publizistisch in Erscheinung, zu dem Zeitpunkt also, als die klassische Linke sich mit dem »Gemeinsa men Programm« neu formierte und der politische Gauchismus nur noch marginale Bedeutung hatte. Diese Wiedererstarkung vollzog sich mit den kurz aufeinanderfolgenden Veröffentlichungen der Antwort an John Lewis 1972 (Maspero), der Philosophie und spontanen Philosophie der Wissen schaftler 1973 (Maspero) und der Elemente der Selbstkritik 1973 (Hachette). Die Bücher wurden derart beachtet, daß der Philosoph, der in sei ner eigenen Partei, der KPF, als Bilderstürmer galt, 1976 anläßlich des Erscheinens der Positionen (fiditions sociales) endlich offizielle Anerken nung erfuhr. Das Buch enthält Wiederabdrucke mehrerer Artikel, die Althusser zwischen 1964 und 1975 publiziert hatte. Den Weihen innerhalb der KPF gingen übrigens die des neuen Universitätsprofessors Althusser voraus, der im Juni 1975 in Amiens seine these d'Etat verteidigt hatte, eine these sur travaux, das heißt zuerkannt aufgrund seiner bereits geleisteten Arbeit, nachdem er sein erstes, 1949/50 Jankelevitch und Hyppolite vorge legtes Projekt einer these über »Politik und Philosophie im 18. Jahrhun dert« nicht zu Ende geführt hatte. Trotz seiner späten akademischen Weihe sollte Althusser jedoch bis zum Schluß catman an der ENS in der Rue d'Ulm bleiben. Im Zuge des Wiederauflebens des Marxismus unter den Intellektuellen in der Nach-68er-Zeit gewann man erneut Interesse an den Althusserschen Thesen. Zu der Reihe »Theorie« bei Maspero kam 1973, diesmal bei Hachette, die neue, ebenfalls von Althusser herausgegebene Reihe »Analyse« hinzu. Nachdem man Marx anhand der Althusserschen Kategorien gelesen und wiedergelesen hatte, schickte man sich nun an, Althusser mit Hilfe des Buches zu lesen, das Saül Karsz 1974 über ihn veröffentlicht hatte. ^ Dabei handelt es sich zugleich um eine Einführung in die Lektüre des Meisters wie um eine Verteidigung und Preisung seiner Thesen, deren innere Kohärenz der Verfasser aufweist, womit er Althusser im vorhinein vor bereits lautwer-
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denden Kritiken in Schutz nimmt. 1976 widmet die Zeitschrift Dialectiques Ahhusser eine Ausgabe, worin Regine Robin und Jacques Guilhaumou ihm ihren affektiven und intellektuellen Tribut zollen: »Das war für mich der Moment des Aufatmens. [...] Für uns beide eröffnete sich ganz einfach die Möglichkeit, Geschichte zu machen. [,..] Althusser zwang uns dazu, die Texte wiederzulesen.« ^ Nach Auffassung der beiden Historiker hatte er die Bresche geschlagen, durch die sich die Stalinschen Verkrustungen durch brechen ließen und die Tabus der mechanistischen marxistischen Vulgata, die Hemmschwellen des Diskurses ausgeräumt werden konnten. Althussers Thesen wirkten weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Der Althusserianismus hatte sogar lange Zeit eine Wahlheimat in Latein amerika, wo sich der Einspruch gegen die offiziellen moskautreuen KPs meist in seinem Namen vollzog, vor allem in Argentinien. Die 1972 veröf fentlichte Antwort an John Lewis reflektierte polemisch auf die Positionen, die der englische marxistische Philosoph John Lewis im Frühjahr desselben Jahres in der Zeitschrift der britischen KP, Marxism Today, dargelegt hatte. Sie erweckte in den marxistischen Kreisen Englands derart reges Interesse, daß die Philosophengruppe der englischen KP beschloß, eine zweitägige Konferenz über die Texte Althussers abzuhalten. Ein Jahr zuvor war ab seits des offiziellen KP-Milieus in England die philosophische Zeitschrift Theoretical Practice ins Leben gerufen worden, die sich der Althusserschen Positionen annahm.
Die ideologischen Staatsapparate (ISA) Der triumphierende Althusserianismus der siebziger Jahre unterscheidet sich allerdings von dem der Bücher aus den sechziger Jahren. Er reagiert auf das 68er-Ereignis und dessen Kampfansage [»Althusser ä rien«, vgl. das Kapitel »Nanterre-der-Wahnsinn«, A. d. Ü.], indem er sich von der Theorie auf die Analyse verlegt, wie schon der Name der bei Hachette gegründeten Reihe anzeigt. Mit dieser Verschiebung signalisiert Althusser den Wechsel von einem rein theoretischen, spekulativen Gesichtspunkt zu einer Einbe ziehung der »konkreten Analyse einer konkreten Situation«, verläßt sich dabei jedoch keineswegs auf den Empirismus, sondern geht weiter von be grifflichen Kategorien aus. Die marxistische Theorie soll fortan zur Unter-
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suchung der Konjunktur dienen; die Althusserianer verlassen also ihren El fenbeinturm, die reine Auslegung der Marxschen Texte, um sich mit dem Realen zu konfrontieren. In dieser Perspektive umreißt Althusser 1970 mit seinem berühmten Aufsatz »Ideologie und ideologische Staatsapparate«^ ein umfassendes Forschungsprogramm. Er unterscheidet die repressiven Staatsapparate, die ihre Herrschaft mit Gewalt sichern, von den ideologischen Staatsappara ten, die mit Hilfe der Ideologie funktionieren. Letztere (Familie, Parteien, Gewerkschaften, Nachrichtenwesen, Kultur, schulische Einrichtungen, Kirchen) sind dafür verantwortlich, daß die Unterwerfung unter die domi nierende Ideologie, unter die etablierte Ordnung gewahrt bleibt. Wie be reits Gramsci nahegelegt hatte, weist Althusser der Schule eine zentrale strategische Position für die Errichtung des hegemonialen Dispositivs der modernen kapitalistischen Gesellschaft zu: »Faktisch ist die Kirche heute in ihrer Funktion als dominierender Ideologischer Staatsapparat durch die Schule ersetzt worden.«^ Deshalb regt Althusser an, sich vorrangig dem Forschungsfeld Schulwe sen zuzuwenden. Er untersucht also die Ideologie nicht mehr als bloßen Diskurs, sondern als Praxis, was seine Positionen in die Nähe derer Foucaults rückt, der sich 1969 für die Öffnung des Diskursiven auf die nichtdiskursiven Praktiken und deren wechselseitige Verzahnung aussprach. Für beide erhält also die Ideologie wieder eine materielle Existenz: Sie inkarniert sich in institutionellen Orten, in einer Praxis. Althusser gründet sein Vorgehen sogar auf eine Ontologisierung der Ideologie, in der er eine ahistorische Kategorie erblickt: »Die Ideologie hat keine Geschichte.«'' In Umkehrung der Positionen der Vulgata, die in der Ideologie nur einen verzerrenden Auswuchs des Realen sah, betrachtet Althusser sie als eine essentielle Struktur, eine wahre Wesenheit, die das Verhältnis der Menschen zu ihrer Welt zum Ausdruck bringt: »Ich greife den Freudschen Ausdruck Wort für Wort auf und sage: Die Ideologie ist ewig, ebenso wie das Unbewußte ewig ist.« ^ Althusser eröffnet der Strömung, die er vertritt, ein weites Arbeitsfeld. Bereits 1971 analysieren Christian Baudelot und Roger Establet in ihrer Pu blikation UEcole capitaliste en France (Maspero) den im Schulwesen wirk samen Selektionsmodus. Roger Establet, Mitautor des Buchs Das Kapital lesen, hat sich im Gegensatz zur Philosophengruppe der Rue d'Ulm sehr
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bald der Soziologie zugewandt und eine Ausbildung in Statistik absolviert. Unter dem doppelten Impuls von Althusser und Bourdieu (mit Les Heritiers) prüft Roger Establet gemeinsam mit Christian Baudelot die These von den ideologischen Staatsapparaten auf ihre statistische Gültigkeit in der Schule. Die Autoren unterscheiden deutlich zwei Zyklen, einen kurzen und einen langen, welche die Reproduktion der sozialen Arbeitsteilung inner halb der kapitalistischen Produktionsweise ermöglichen: »Mit dieser Ar beit haben wir, indem wir das Modell der ISA auf die statistische Realität anwendeten, zugleich herauszubekommen versucht, inwiefern dieses Mo dell auf das Schulsystem zutraf, was daran verifizierbar war.« ^ Ein umfassenderes Projekt bindet diese Studie in eine geschichtliche Ge samtdarstellung der pädagogischen Ideen ein. In diesem Zusammenhang bringen Dominique Laporte und fitienne Balibars Mutter Renee Balibar 1973 Le Frangais national heraus, und Renee Balibar verfaßt Les Frangais fictifs (beide bei Hachette). Die Bücher erhärten die These, daß die bürger liche Schule ein spezifisches System der Unterrichtssprache geschaffen hat, dessen eigene Geschichte in der Französischen Revolution einsetzt. Mit seiner Definition der ideologischen Staatsapparate hat Althusser also präzi sere, für eine Erklärung des Sozialen offene Forschungsfelder erschlossen, Gewiß hat dieser Begriff zu vielen mechanistischen Anwendungen veran laßt; doch in der Konzeption von Althusser sind die ISA trotz der Bezeich nung »Apparat« in keiner Weise Ausdruck irgendeines Ortes oder Werk zeugs : »Althusser hat versucht, sich auf bestimmte wechselseitig wirksame Prozesse zu beziehen.« ^° Althussers Werk läßt demnach durchaus ein Ein schwenken auf die Untersuchung der institutionellen Praktiken erkennen, einen Willen, vom Theoretischen zur Praxis überzugehen.
Die strukturalistisch-althusserianische Anthropologie Das Althussersche Verfahren leitet vor allem einen Versuch von selten der Anthropologie ein, Marxismus und Strukturalismus zu versöhnen. Bereits vor dem Mai 68 gab es eine aktive Strömung marxistischer Anthropologen: Claude Meillassoux, Maurice Godelier, Emmanuel Terray, Pierre-Philippe Rey. Die meisten von ihnen fanden bei Althusser den theoretischen Rah men für ihre Feldstudien. In der ersten Phase, vor 1968, gaben konzeptuelle
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Auseinandersetzungen in Diskussionen, Debatten und Kolloquien den Ton an. Doch sehr bald schon und namentlich im Nach-Mai erwies sich eine Hinwendung zu Feldstudien, zur Praxis für das Fortkommen als notwen dig : »Da kam das Gefühl auf, daß wir, wenn wir weiter auf einer so schma len theoretischen Grundlage diskutierten, kaum vorankämen, und so ha ben wir uns alle dazu entschlossen, aufs Terrain zu gehen und unsere Erfahrungen zu erweitern.« ^^ Emmanuel Terray, der, wie erinnerlich, 1957 mit Begeisterung Die ele mentaren Strukturen der Verwandtschaft von Levi-Strauss entdeckt hatte, versucht diese wissenschaftliche Strenge mit seinem politischen Engage ment und seiner abseits der in den sechziger Jahren gängigen offiziellen Vulgata liegenden Auffassung von Marxismus in Einklang zu bringen. Die ser Versöhnungsversuch läge durchaus im Bereich des Möglichen, glaubt Terray, der drei für das strukturalistische Denken unüberschreitbare Gren zen ausmacht, die mit Hilfe des Marxismus überwunden werden könn ten. ^^ Zum einen kommt der StrukturaHsmus nicht ohne Philosophie aus, und diejenige, die Levi-Strauss' Arbeit zugrunde liegt, nämlich ein Kantianismus ohne transzendentales Subjekt, der die festgestellten binären Op positionen auf die Strukturen des menschlichen Gehirns bezieht, »war mir wenig geheuer« ^^. Zum zweiten hat bei Levi-Strauss das phonologische Modell deshalb so gut funktioniert, weil er, nach Terray, die Gesellschaft gleichgesetzt hat mit dem Bereich der Repräsentation, der Sprache: »So schrieb ich einmal, er hätte sein Buch 1949 nennen sollen: Die elementaren Strukturen des Diskurses über die Verwandtschaft.«^'* Aufgrund dieses Sachverhalts verbietet es sich der Levi-Strausssche Strukturalismus, das Handeln, die Praxis zu denken. Und weil zum dritten Levi-Strauss die Ge sellschaft als Austausch von Wörtern, Gütern und Frauen definiert, schiebt er zwei Bereiche aus seinem Blickfeld, die stets die blinden Flecken des strukturalen Vorgehens geblieben sind: die Produktion (die auf eine bloße Untersuchung des Austauschs zurückgeschraubt wird) und der Komplex der Machtphänomene: »Nun sind es aber diese beiden Punkte, aus denen heraus sich nach Marx die Veränderung vollzieht, was mich folglich auf den Marxismus zurückbringt. Daher die Idee, eine friedliche Koexistenz, ein Zusammengehen oder eine Zusammenarbeit in die Wege zu leiten.« ^^ Emmanuel Terray will den Marxismus durch die Anwendung der struk turalen Methode wieder mit der zeitgenössischen Rationalität in Einklang
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bringen und, umgekehrt, »den strukturalistischen Apparat durch den Mar xismus mit Dynamik — und nicht etwa mit Dynamit — versehen« ^^. Zu die sem Zweck zieht er Claude Meillassoux' Feldstudie Anthropologie economique des Gouro de Cote d'Ivoire (Mouton, 1964) heran, um sie neu zu sichten mit Hilfe der Althusserschen Kategorien, namentlich der Grundbe griffe des historischen Materialismus, wie Balibar sie in dem Buch Das Ka pitallesen definiert hatte. Terray sieht in Claude Meillassoux' Studie »einen Wendepunkt in der Geschichte der Anthropologie« ^^. Meillassoux hatte sich darin zweierlei vorgenommen: Er wollte zunächst die selbstversor gende Produktionsweise der linearen und segmentären Formationen der Gouro-Gesellschaft beschreiben und dann, in einem zweiten Schritt, den Übergang zum kommerziellen Ackerbau untersuchen. Anhand der Ana lyse der Arbeitsinstrumente, der Produktionstechniken, der aufgewandten Arbeitskraft rekonstruierte Meillassoux den Arbeitsprozeß und die Pro duktionsverhältnisse, in denen er sich vollzog. Er konnte dann, nach Ter ray, zwei Kooperationsformen definieren: eine, die aus der Jagd mit dem Netz entsteht und eine komplexe Zusammenarbeit erfordert, und zum an deren eine einfache Kooperation, die sich auf den Ackerbau gründet. Dem ersten Produktionsverhältnis entspricht das Stammes-Dorf-System, dem zweiten das Liniensystem. In althusserianischen Termini unterscheidet Terray in der von Meillas soux untersuchten sozioökonomischen Formation zwei eng miteinander verbundene Produktionsweisen: auf der einen Seite die komplexe Koope ration, die im Stammes-Dorf-System realisiert wird, das auf dem Kollektiv eigentum der Produktionsmittel, egalitaristisch geregelter Distribution und einer schwach ausgeprägten politisch-rechtlichen Macht von gelegent licher und vorübergehender Natur beruht; auf der anderen Seite die einfa che Kooperation, die im Liniensystem realisiert wird. Auch hier ist das Ei gentum kollektiv, kann aber von einem einzelnen für die Gruppe verwaltet werden. Das Produkt wird nach dem System der »Redistribution« verteilt [nach Karl Polanyi: »Leistungen von der Peripherie zum Zentrum hin, Ga ben vom Zentrum an die Peripherie«, vgl, E. Terray, Zur politischen Ö k o nomie der »primitiven« Gesellschaften, a.a.O., S.138, A.d.Ü.]. Die hier solidere, dauerhaftere Macht üben die jeweils Ältesten aus. Gegen die Vorstellung eines unbedingten und durchgängigen Vorrangs der Verwandt schaftsbeziehungen in den primitiven Gesellschaften vertritt Terray also die
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Ansicht, daß ihre etwaige dominierende Position von ihrer Rolle für die Produktionsverhältnisse abhängt: »[.,.] wir möchten nur daraufhinweisen, daß die hervorragende Stellung der Verwandtschaftsbeziehungen nicht al len primitiven Gesellschaften gemeinsam ist. Sie ist an das Vorhandensein bestimmter Produktionsweisen gebunden.« ^^ Terray findet demnach bei Meillassoux eine Veranschaulichung der Althusserschen These von der Autonomie der Instanzen und den mögli chen Staffelungen zwischen der Vorherrschaft einer Instanz und der öko nomischen Determiniertheit >in letzter Instanz<. Dieser Ansatz erlaubt auch einen Blick in die beiden toten Winkel des Strukturalismus — Produk tion und Politik. Claude Meillassoux hatte seine Feldforschungen jedoch nicht mit althusserianischen Kategorien durchgeführt. Sein erster theoretischer Auf satz über die Deutung der ökonomischen Phänomene in den traditionellen Gesellschaften stammt im übrigen aus dem Jahr 1960, datiert also erheblich früher als die ersten Veröffentlichungen Althussers. Er reagierte natürlich mit Genugtuung auf Terrays Lektüre seiner Arbeit, wenn auch nicht ganz ohne Vorbehalte: »Selbstverständlich freute ich mich, daß Terray meiner Arbeit so viel Bedeutung beimaß, doch hat er sie einer althusserianischen Lesart unterzogen, die Teile dessen, was ich zu zeigen versucht hatte, insbe sondere den historischen Teil und den dialektischen Teil, bis zu einem ge wissen Grad tilgte.« ^^ Er erkennt jedoch an, daß Terray einen zentralen Punkt seines Vorgehens verdeutlicht hat: die Trennung, die es zwischen der verwandtschaftlich genannten sozialen Organisation und dem Schema der Blutsverwandtschaft vorzunehmen gilt, sowie die Umstellung des Ver wandtschaftssystems in bezug auf die Organisation der Arbeit und der Produktion. 1965 ebenfalls zu afrikanischen Ufern — hier zu den Alladian der Elfen beinküste — aufgebrochen, steht auch Marc Auge im Umkreis Althussers. Er erprobt sein Analyseraster auf dem Terrain, wobei er den Levi-Straussschen Strukturalismus, seine bei Georges Balandier erworbene Afrikanistenausbildung und sein Eintreten für den althusserianischen Marxismus miteinander in Einklang zu bringen hofft. Auch er versucht, die Struktur zu dynamisieren und warnt vor der Tilgung der historischen Dimension. Ge gen die Schwärmerei für das Exotische, die damals als Ausfluß der verlore nen Illusionen im Bild des Anderen aufscheint, erinnert Marc Auge daran,
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daß »der anthropologische Diskurs um so weniger unschuldig ist, als er in nerhalb der Geschichte steht, innerhalb der Geschichte der anderen, selbst verständlich« ^°. Freilich wird der Althusserianismus Marc Auges stark ge mildert durch seine literarische Ausbildung, und die Gegenüberstellung begrifflicher Kategorien mit der Realität des Terrains findet sich bei ihm in die Fußnoten verbannt. Marc Auge tritt für eine Anthropologie der Ver söhnung der bis dahin gegensätzlichen Begriffe von Bedeutung und Funk tion, von Symbol und Geschichte ein: »Die anthropologische Revision scheint uns nur von den beiden Schwerpunkten der jüngsten französischen Anthropologie her erfolgen zu können: dem Strukturalismus und dem Marxismus.« ^^ Auch Maurice Godelier beschreitet, wenngleich an Althussers Gruppe nicht beteiligt, den althusserianischen Anthropologen nahegelegene For schungswege und hatte, wie Claude Meillassoux, im übrigen schon vor dem Buch Das Kapital lesen eine marxistische Lektüre der ökonomischen Rationalität aufgenommen. Eingehender noch als andere Anthropologen be müht er sich um eine Symbiose zwischen Marxismus und Strukturalismus: »Ich [...] wende [...] die strukturale Methode an, wenn ich auf Gebiete vor dringe, auf die sich Levi-Strauss nicht begeben hat.«^^ Wie bei den Althusserianern bildet eine erneute Marx-Lektüre Godeliers Arbeitsgrund lage, mit dem Unterschied indes, daß er Marx im Lichte von Levi-Strauss wieder liest. Man stößt bei ihm auf den gleichen Antihegelianismus wie bei Althusser, die gleichen Bezugnahmen auf einen von Bachelard entlehnten Begriff des Einschnitts, dessen es bedarf, um den Empirismus zu überwin den und an die verborgene Logik des Sozialen heranzukommen. Dieser Einschnitt wird gleichfalls in Marxens Werk wahrgenommen: »Im Kapital [...] scheidet sich die ökonomische Wissenschaft radikal von jeder Ideolo gie: Marx hat mit dem jungen Marx nichts mehr zu tun.«^^ Daß 1973 bei Maspero ein dicker Sammelband mit Godeliers seit 1966 erschienenen Auf sätzen erscheint, zeugt von der Vitalität dieses marxistischen Strangs in der Anthropologie: 4950 Exemplare werden von dem Buch verkauft, bevor es 1977 in einer Auflage von 10 000 Exemplaren in der Taschenbuchreihe PCM veröffentlicht wird. Godelier verantwortet im übrigen auch die Herausgabe der Reihe »Bibliotheque d'anthropologie« bei Maspero, neben der von Louis Althusser herausgegebenen Reihe »Theorie«. Godelier sieht sich veranlaßt, gegen die offiziellen Positionen der KPF
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anzugehen, namentlich gegen Luden Seve, der 1967 in der Zeitschrift La Pensee das dialektische Denken gegen die strukturale Methode ausspielt, und antwortet 1970 ebendort auf diese Kritiken. Seine Absicht, strukturales und dialektisches Verfahren zu versöhnen, hindert ihn nicht daran, die Strukturalistischen Thesen nötigenfalls zu kritisieren: »Dennoch kann die Strukturale Analyse — obwohl sie die Geschichte nicht leugnet — nicht mit der Geschichte zusammentreffen, da sie von Anfang an die Analyse der >Form< der Verwandtschaftsverhältnisse von der Analyse ihrer >Funktionen< trennte.«^'* Die große Frage, die Godeliers theoretische Arbeit in Übereinstimmung mit den Althusserianern aufwirft, gilt der Begründung der strukturalen Kausalität, das heißt des Verständnisses der dominierenden Rolle der Ver wandtschaft innerhalb der traditionellen Gesellschaften in Verbindung mit der letztlichen Determinierung durch die ökonomische Instanz. Hier rückt Godelier von der üblichen Auffassung über die Verschränkung von Basis und Überbau ab und behauptet, daß in den primitiven Gesellschaften die ökonomischen Verhältnisse und die Verwandtschaftsbeziehungen einan der nicht äußerlich seien. Spezifisch für diese Gesellschaften sei vielmehr die Tatsache, daß »diese Verwandtschaftsbeziehungen [...] gleichzeitig als politische und ökonomische Beziehungen und ideologische Schemata« ^^ funktionieren, weshalb die Verwandtschaft hier zugleich Basis wie auch Über bau sei. Godelier erhärtet diese These am Beispiel der Jägergesellschaft der Pygmäen in den kongolesischen Waldgebieten, den Mbuti. Er erkennt, daß der Produktionsweise dieser Gemeinschaft, die vom Jagen und Sammeln lebt, drei Zwänge innewohnen: Zerstreuung der Gruppen, notwendige Kooperation der Individuen und ein gewisser Fluß zwischen den einzelnen Horden, um eine verträgliche Verteilung der Menschen und der Ressour cen sicherzustellen. Die Produktionsweise der Mbuti bestimmt also ein System von Zwängen, deren Artikulationen »die allgemeine Struktur der Gesellschaft als solcher« ^^ bilden. Godelier vertritt Positionen, die denen Althussers sehr nahekommen, auch wenn er sich von gewissen Ausrichtungen des Althusserianismus di stanziert: »So manche Schüler Althussers interpretieren seine Theorie der Instanzen als eine Hierarchie von Institutionen (und nicht von Funktionen) und fallen damit in den positivistischen Irrtum zurück, den sie für alle Zei ten theoretisch zu überwinden vorgeben.« ^^ Die Kombination von Marxis-
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mus und Strukturalismus führt Godelier dazu, bei Marx den Gebrauch zweier dem Wesen nach unterschiedlicher Formen des Widerspruchs aus zuweisen : Die eine ist der Struktur der Produktionsverhältnisse selbst in härent und wird als der ursprüngliche Widerspruch aufgefaßt, während in der anderen zwei Strukturtypen, nämlich die Produktionsverhältnisse und die Produktivkräfte, einander gegenüberstehen. Mit Hilfe dieser Unter scheidung kann Godelier die marxistische Methode auf die Untersuchung der traditionellen Gesellschaften einrichten und deren inneren Transforma tionsprozeß erklären: »Die Analyse der Natur der Widersprüche, die durch die Analyse der strukturalen Kausalität eingeleitet wird, muß ihre Fortführung finden in einer regelrechten Theorie vom Ort der Verlagerung der Widersprüche im Zuge der Transformationen einer Produktions weise.«^^ In diesem Sinn rückt Godelier von Levi-Strauss ab, wenn er des sen Reduktion der Geschichtlichkeit auf eine reine Kontingenz bestreitet, so geschehen bei einer Debatte mit Levi-Strauss und Marc Auge, die 1975 von der Zeitschrift UHomme ausgerichtet wurde: »Im Kern kritisiere ich die Huldigung, die Sie in dem Buch Vom Honig zur Asche der Geschichte als irreduzibler Kontingenz erwiesen haben; ich denke, das war eine letz ten Endes negative Huldigung, eine, die sich gegen die Geschichte kehrt 29 e.«
Die althusserianische Soziologie Auch unter den Soziologen hatten Althussers Thesen nach dem Mai 1968 ungemeinen Erfolg. Ein erneuertes Denken über das Politische, über die Repräsentationen auf dem Feld der Politik sollte sich dort auf den Begriff der ideologischen Staatsapparate stützen: »Dieser Aufsatz war lange Zeit mein Kreuz«, erinnert sich Pierre Ansart. »Allenthalben waren diese be rüchtigten ideologischen Staatsapparate! Es ist mir immer noch ein Rätsel, wieso diese Ideen eine derartige Verführungskraft haben konnten.« ^° Pierre Ansart sah sich damals von einer Begeisterungswelle überflutet und versuchte vergebens, sich ihr in Paris-VII (Vincennes) mit einer systemati schen Kritik an Althussers Aufsatz entgegenzustemmen, was jedoch einem Studentenpublikum gründlich mißfiel, das ihn beargwöhnte, kein Marxist zu sein. Pierre Ansart wandte sich gegen das Schema der Reproduktion, das
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auf funktionelle Weise vom Staat bis zu kleinen Einheiten wie etwa der Fa milie hinabreicht; er beharrte vielmehr auf dem Gedanken, daß das Phäno men der Ideologierezeption von Widersprüchen, von Gegensätzen durch setzt, also vielgestaltig ist: »Althussers Schema torpedierte meine Pläne. Ich hatte also allen Grund, dagegen vorzugehen, aber ich predigte in der Wüste.« 31 Der Althussersche Einfluß in der Soziologie kam vor allem in der Arbeit von Nicos Poulantzas zum Tragen, der 1968 bei Maspero Politische Macht und gesellschaftliche Klassen veröffentlichte. Poulantzas, danach Soziolo gieprofessor in Paris-VII, legte einen stark konzeptuellen Ansatz vor, um die Soziologie aus den eingefahrenen Gleisen der Empirie herauszuholen und sie als wissenschaftliche Theorie zu konstituieren: »Der Denkprozeß [...] kann sich genausogut auf abstrakt-formale Objekte richten, die es strenggenommen gar nicht gibt [...]. Dies gilt zum Beispiel für die Produk tionsweise.« ^^ In strenger althusserianischer Orthodoxie, die durch die Definition des Staates als Träger einer globalen Funktion eine leicht gramscische Prägung erhielt, focht Poulantzas gegen zwei verzerrende MarxLesarten zugleich: die historizistische und die ökonomistische. Der Historizismus äußert sich ihm zufolge in zweierlei Gestalt: einem hegelianischen Strang, der die gesellschaftliche Klasse in die Position des Subjekts der Geschichte bringe und von Georg Lukäcs, Lucien Goldmann und Herbert Marcuse vertreten werde, und einem zweiten Strang, der sich auf eine funktionalistische Interpretation von Marx stütze und dessen Re präsentant in Frankreich Pierre Bourdieu sei. Diese Auffassung habe die verderbliche Folge, den Begriff der Klasse an sich, bestimmt durch deren Platz in der Produktionsweise, theoretisch abzuspalten vom Begriff der Kdasse für sich, die sich ihrer Klasseninteressen bewußt ist. Dieser historizistischen Ausrichtung hält Poulantzas Althussers Argument gegen den Hu manismus entgegen, daß die Agenten der Produktion als einfache » Träger der Gesamtheit von Strukturen« ^^ zu betrachten seien. Die zweite verzerrende Marx-Lesart stellt nach Poulantzas der Ökono mismus dar, der die Existenz der gesellschaftlichen Klassen allein auf ihre Realität innerhalb der Produktionsverhältnisse zurückführt. Damit zielt er auf die offizielle Vulgata und ihre Widerspiegelungstheorie: »Die politische oder die ideologische Macht sind also keine einfachen Ausdrucksformen der ökonomischen Macht.« ^'^ Gegen sie führt Poulantzas den von Gramsci
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entlehnten Hegemoniebegriff ins Feld, um der Komplexität des rechtlichpolitischen Staatsapparats und dessen relativer Autonomie gerecht zu wer den. Wie bei Althusser spielt auch bei Poulantzas die ideologische Instanz eine wichtige Rolle, die nicht auf die Maskierung der ökonomischen Domi nanz beschränkt bleibt: Ihre Funktion bestehe vielmehr gerade darin, im Hinblick auf das Erleben der Agenten einen positiven kohärenten Diskurs zu errichten und damit nicht nur das Ökonomische zu verschleiern, son dern vornehmlich die Instanz, die in der Dominanzposition stehe. Poulantzas Verdienst war es, ein neues und sehr viel komplexeres Ver ständnis der Macht zu gewinnen, als es der landläufige Verweis auf einen Staat als Klasseninstrument hergibt. Ähnlich wie Michel Foucault analysiert er die Macht als umfassendes strategisches Feld, ohne dabei jedoch die Auf fassung in Frage zu stellen, daß die Macht um ein Zentrum herum funktio niert. Seine Arbeit fand Anfang der siebziger Jahre auf dem stark frequentier ten Gebiet der Soziopolitik derart ungewöhnlichen Anklang, daß er zum bestvertretenen Soziologen in Rene Louraus und Georges Lapassades 1971 bei Seghers erschienenem Handbuch Clespour la sociologie wurde: »Allent halben warf man uns vor, daß wir Poulantzas in diesem Band enorm viel Platz eingeräumt hätten, aber uns schien das damals nur natürlich.« ^^ Die Auflagen der Politischen Macht und gesellschaftlichen Klassen bestätigen diese Einschätzung, denn nach einer Auflage von 8200 erreichte der Band in der Taschenbuchreihe PCM noch einmal 40 000 Exemplare.
Eine althusserianische Epistemologie Der historische Materialismus althusserscher Version hat sich nicht auf das Feld der Humanwissenschaften beschränkt. Im Bestreben, mit der zeitge nössischen Rationalität ins Benehmen zu kommen, hat er auch eine umfas sende Reflexion über die sogenannten »harten« Wissenschaften entwickelt. Den Hauptrahmen dafür stellte einmal mehr die ENS in der Rue d'Ulm, wo es einen »Philosophiekurs für Wissenschaftler« gab. Aus den Kursen von 1967/68 ging eine Veröffentlichung hervor, die den in der wissen schaftlichen Forschung engagierten Althusserianern zum Brevier werden sollte, die Überlegungen zur Wissenschaftsgeschichte.^^ Michel Pecheux, den wir schon anhand der Althusserschen Konzepte die Diskursanalyse
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definieren sahen, handelt in dieser Arbeit den berühmten Begriff des Ein schnitts ab. Nach dem Vorbild von Althussers Erkenntnis eines epistemologischen Einschnitts im Werk von Marx untersucht Pecheux die Auswir kungen des Galileischen Einschnitts in der Physik und in der Biologie. Er will die Anteile des Ideologischen und des Wissenschaftlichen feststellen, um zu dem Nachweis zu gelangen: »Der Effekt der (ideologischen) Welt anschauungen wird für jeden Zweig der Physik auf dem spezifischen Ni veau seines Einschnitts außer Kraft gesetzt.« ^^ Michel Fichant problematisiert die Idee einer Geschichte der Wissenschaften selbst und betont, »daß Wissenschaftsgeschichte durchaus nichts Selbstverständliches ist«^^. Im Rückgriff auf Foucault gilt seine Frage der Situierung des Ortes, an dem der theoretische Diskurs gehalten wird, des Publikums, für das er vorgesehen ist, und des Platzes, den der Diskurs anerkennt. Einen Großteil seiner Ar beit verwendet Fichant auf eine Kritik der Hindernisse, die der Errichtung des Konzepts einer »Geschichte der Wissenschaften« entgegenstehen und ideologischen Ursprungs sind: daß nämlich die Wissenschaft als Einheit und ihre Entwicklung in einer kontinuierHchen Teleologie gesehen werden, Auffassungen, die in einen Empirismus führen müssen. Im Unterschied zu diesen Grundannahmen befürwortet er eine »Epistemologie der Rekurrenz« ^^. Der Rekurrenzbegriff versteht sich als entscheidender Bruch ge genüber der herkömmlichen Beziehung des Forschers zu seiner wissen schaftlichen Praxis. Freilich ist diese Rekurrenz gemäß den Althusserschen Grundpositionen keine einfache regressive, teleologische Analyse, die ein historisches Kontinuum voraussetzt, sondern sie hat die Eigenheiten des Realen von denen der Erkenntnis zu scheiden. In dieser Perspektive, die durch die französische Epistemologieschule, durch Cavailles, Bachelard, Canguilhem und andere eröffnet wurde, er schließen sich die Althusserianer das Feld der epistemologischen Reflexion. In diesem Zusammenhang publiziert Dominique Lecourt 1972 seine Kritik der Wissenschaftstheorie.'^^ Indes ist diese Arbeit von der Nach-68er-Zeit geprägt und führt im Zuge einer kritischen Begrenzung der Tragweite des Foucaultschen Unterfangens das Primat des Praxisbegriffs wieder ein. Si cherlich erwähnt Foucault in der Archäologie des Wissens die Relevanz der diskursiven Praktiken, geht dabei aber nach Dominique Lecourt nicht weit genug. Die der wissenschaftlichen Tätigkeit eigenen experimentellen Prak tiken lassen sich nicht auf eine Untersuchung der Diskurspraktiken redu-
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zieren. Zudem erübrigt sich mit einer Untersuchung der MögHchkeitsbedingungen eines Diskurses keineswegs eine systematische Untersuchung seiner Produktionsbedingungen. Diese zuweilen konflikthafte Nähe und Zwiesprache zwischen den Foucaultschen und den Althusserschen Arbei ten haben, wie wir noch sehen werden, für ihrer beider epistemologische Wendung eine maßgebHche Rolle gespielt. Der Mathematiker und Althusserianer Pierre Raymond veröffentlicht eine Reihe von Arbeiten, in denen er über die Möglichkeitsbedingungen ei ner Geschichte der Wissenschaften in der Mitte der siebziger Jahre nach denkt. ^^ Darin befragt er auch das Verhältnis der Philosophie zur wissen schaftlichen Produktion. Dieses siedelt er auf der Ebene der Form seiner Funktionsweise an, die getrennt zu betrachten und mit der »gesellschaftli chen Distribution der wissenschaftlichen Kräfte« "^^ zu verknüpfen sei. Pierre Raymond unternimmt den gleichen Versuch, den Michel Fichant schon 1969 angekündigt hat, den Versuch der Errichtung einer Geschichte der Wissenschaften, welche die Vorfrage der wissenschaftlichen Produk tion stellt: »Das Problem einer Geschichte der Wissenschaften besteht genau darin, die gesellschaftliche Distribution der wissenschaftlichen Produktivkräfte und die (philosophischen) Produktionsverhältnisse zu begreifen.« ^^ Nach althusserianischer Manier gliedert Pierre Raymond sei nen Gegenstand der Mathematik in zwei Teile. Er unterscheidet eine Ebene, welche die Rolle der Theorie spielt: das Mathematische, von der Ebene, welche die Realität repräsentiert: das Mathematisierte, wobei die Grenzen sich ständig verschieben. Diese Unterscheidung ist rein funktio nell. Mit ihrer Hilfe sollen das historische Herangehen an das Mathemati sierte und der Zugang zum Kontinent des Mathematischen erneuert wer den. In der von Althusser aufgewiesenen Perspektive hat auf diese Weise ein ganzer Theoriehorizont, der auf die Wirkungsmacht des Bruches baut, eine reichhaltige epistemologische Reflexion hervorgebracht.
Das Streben zur Totalisierung Anfang der siebziger Jahre scheint sich der althusserianische Diskurs also des gesamten Feldes der Humanwissenschaften anzunehmen. Anhand sei ner, so sieht es aus, läßt sich eine Föderation aller Disziplinen, aller regiona-
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len Wissensbestände bewerkstelligen kraft eines Theorieeinsatzes, der eine konzeptuelle Totalisierung in Aussicht stellt, ein Analyseraster, das der Vielgestaltigkeit des Realen jenseits der üblichen Abteilungen Rechnung zu tragen vermag. Diese Übernahme der althusserianischen Begriffe als Raster für die Ana lyse des Realen verdeutlicht sich auch in der Zeitschrift Tel Quel, die sich, wie wir schon sahen, Ende 1968 die Errichtung einer »theorie d'ensemble« vornimmt. Der willkürlichen Aufspaltung zwischen den beiden Gattungen »Roman« und »Poesie« stellt Marcelin Pleynet einen neuen Ansatz zur Textentstehung entgegen, der sich unmittelbar von Althussers drei »Allge meinheiten« herleitet: »Allgemeinheit 1 (abstrakte, bearbeitete Allgemein heit): die Sprache; Allgemeinheit 2 (arbeitende Allgemeinheit, Theorie): Archi-Schrift; Allgemeinheit 3 (Produkt der Arbeit): der Text.«'^'^ Die dia lektische Inbezugsetzung von Theorie und Praxis, wie sie im Umfeld von Tel Quel zu finden ist, verweist nicht nur auf eine Reduktion einer der Terme auf den anderen, sondern auf Althussers Definition der Theorie als spezifische Form der Praxis. Dieser Ansatz gestattet es, eine neue Wissen schaft in Aussicht zu nehmen — die von der Schrift. »Der Text ist zugleich ein Transformationsprozeß, der durch die skripturale Ökonomie überde terminiert ist, und, der Formel Althussers zufolge, eine >Struktur mit viel schichtigen und ungleichen Widersprüchen<.«'^^ Auf literarischem Feld ist auch die Zeitschrift Litterature stark von althusserianischen Positionen geprägt, und als es in einer 1974 erschienenen Ausgabe zum Thema »Histoire/Sujet« darum geht, die beiden toten Win kel des Strukturalismus zu reflektieren, definiert Daniele Sallenave Inter ventionsregeln, die sich im wesentlichen auf die Thesen von Lacan und Althusser stützen. In ihrer Erörterung der konzeptuellen Trias der Litera turanalyse (Formalismus/ Marxismus/Psychoanalyse) faßt sie die Literatur als ideologischen Gegenstand auf, was bedeutet, daß die Einbeziehung eben dieser drei Herangehensweisen unerläßlich ist, um zur Wissenschaft lichkeit zu gelangen: »Der Eingang des Historischen Materialismus (H.M.) und der Analyse der Bildungen des Unbewußten (A.B.U) in die Theorie der literarischen Formen würde die theoretische Aufnahme der Frage nach dem Realen [...], der Frage nach dem Subjekt mögHch machen.« "^^ Sie er blickt im dialektisch-historischen Materialismus die Basis für die Errich tung einer allgemeinen Theorie als Theorie der Produktion des Symboli-
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sehen. Unter dieser Bedingung wären die künstlerischen Praktiken in die Frage nach dem »Modus des Symbolisierens« "^^ einschreibbar. In wörtli cher Übernahme von Althussers Termini stützt sich Daniele Sallenave auf einen marxistischen Begriff von der historischen Zeit vor dem Subjekt, das heißt von einem Prozeß ohne Subjekt, der einer materialistischen Orientie rung zugrunde liegen muß. Dieses Streben zur Totalisierung vermag, wenngleich in geringer Zahl, auch einige Historiker für sich zu gewinnen. Die dem interdisziplinären Dialog mit der Linguistik aufgeschlossene Historikerin Regine Robin erin nert sich, mit welchem Enthusiasmus sie Mitte der sechziger Jahre die Auf sätze von Althusser entdeckte. Sie war damals eine junge Gymnasiallehre rin in Dijon: »Ich hatte den Eindruck, daß etwas Neues passierte und man nicht nur den Marxismus ernst nehmen konnte, sondern auch eine Konzeptualisierung denkbar wurde.« "^^ Doch nur wenige Historiker begaben sich auf diesen gefahrvollen Weg, da sie sich gegenüber dem bei den Althusserianern gängigen Theorizismus und hohen Abstraktionsgrad mit ihrer Ausbildung schlecht gerüstet fühlten. In der Tat ließ sich das Althussersche Begriffsraster auf diesem per Definition komplexen und zwiespältigen Feld nur um den Preis der Eliminierung ganzer Wirklichkeitsbereiche anwen den, die geopfert werden mußten, um die Gültigkeit der Theorie zu erhär ten: »Wir Historiker galten als Bösewichte, weil wir immer auf die Unvollständigkeit der Begriffe zurückverwiesen.«'^^ Pierre Vilar, Professor an der ENS in der Rue d'Ulm, stand Althusser beruflich und privat nahe, denn er vertrat beispielsweise wie dieser einen rigorosen Marxismus und sprach überdies auch auf Althussers Einladung als Historiker in dessen Seminar. Dennoch trugen diese Verbindungen nicht sehr weit, jedenfalls nicht weiter als bis zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Althussers Thesen in dem Beitrag, den Pierre Vilar zu Pierre Noras Veröffentlichung Faire de Phistoire^^ geliefert hat. Darin geht es vornehmlich um zwei miteinander nicht zu vereinbarende Standpunkte: den des Historikers und den des Phi losophen. Um Totalisierung war es auch der Gruppe zu tun, die 1973 die Zeitschrift Dialectiques^^ ins Leben rief. Mit dem Vorhaben, die verschiedenen Felder der Wissenschaften konkret zu erkunden, stand der Gründerkern dieses Organs in der Filiation Jean-Toussaint Desantis und bewegte sich zugleich mit seiner Absicht der Totalisierung, der Verschränkung der verschiedenen
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Ebenen des Wissens in der Nachfolge Althussers. Dialectiques zeichnete sich aus durch hohes konzeptuelles Niveau, Unabhängigkeit von MiHtanz und Verweigerung aller Indienstnahme. Die Zeitschrift gewann lebhaften Zuspruch und baute ohne Verlagsanbindung ein effizientes Vertriebsnetz auf, mit dem sie es auf eine Auflage von zeitweilig über 10 000 Exemplaren brachte. Das Projekt entstand unmittelbar nach 68 in Saint-Cloud, wo sich eine kleine Gruppe von ENS-Studenten zusammenfand: Pierre Jacob, Da vid Kaisergruber und Marc Abeles, die damals alle drei in der KPF waren. Übrigens bekamen sie sofort Ärger mit der Parteiführung, die sie vor ihre höchste Instanz, das Politbüro, bestellte, wo sie sich über die Linie der Zeit schrift zu erklären hatten: »Nur weil wir einen Artikel von Desanti über die Mathematik bei Hegel publiziert hatten. Der Artikel hatte weder im enge ren noch im weiteren Sinne mit Politik zu tun, aber weil Desanti Parteiideo loge gewesen war, machte man sich Sorgen.« ^^ Unter den gelegentlichen Mitarbeitern der Zeitschrift war die Linguistin Claudine Normand, die Althusser in den Jahren 1969/70 entdeckte: Ihre Arbeit über den Saussure schen Einschnitt ist ausgelegt auf eine Verifizierung der auf das linguisti sche Feld angewandten Einschnitt-Hypothese Althussers. Auch Regine Robin hat sich als Historikerin und Linguistin des öfteren in der Zeitschrift aus althusserianischen Positionen heraus zu Wort gemeldet. Ein großangelegter theoretischer Umbruch scheint also den Althusserianismus, der kraft seiner Fähigkeit, Strukturalismus und Marxismus zusammenzuspannen, als Bollwerk der Wissenschaftlichkeit auftritt, zum Verbindungsglied der Humanwissenschaften ausersehen zu haben. Doch so aufsehenerregend sie auch war, so kurzlebig sollte diese Zeit des Tri umphs sein, denn die PluraHsierung des Widerspruchs, die Ersetzung des binären Spiels der Dialektik durch eine komplexe Kombinatorik von In stanzen sollten der Kraft des marxistischen Erklärungsschemas — wie ange reichert durch Althusser auch immer — bald Abbruch tun.
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Widersprüchlicher Effekt des Mai 1968 — der Althusserianismus ist gut da bei, aber den Althusserianern geht es schlecht. Ihnen ist durchaus bewußt, daß das Ereignis mit ihrem Erklärungsschema kollidiert und daß sie die Perspektive ihrer Forschungen zur Überprüfung ihrer Triftigkeit auf die Praxis, auf das Terrain umlenken müssen. Althusser tritt zu diesem Zeit punkt in einen langen Prozeß der Berichtigung, der Selbstkritik ein.
Die Selbstkritiken Seit 1968 nahm Althusser anläßlich einer Neuauflage seines Buchs Das Ka pital lesen in der »Petite CoUection Maspero« kritischen Abstand von der, wie er sagt, »unstreitigen theorizistischen Tendenz«, die in seinem Verhält nis zur Philosophie herrschte. ^ Dieser Theorizismus äußerte sich in seinen Augen in einer allzu engen Nähe zwischen dem über den Begriff des Ein schnitts neu besehenen Marxismus und dem Strukturalismus, die dann zum Quell von Verwechslungen wurde: »Die von uns gebrauchte Termino logie war der >strukturalistischen< in verschiedener Hinsicht zu ähnlich, als daß sich Mißverständnisse hätten vermeiden lassen.« ^ Was einstweilen nur eine diskrete Distanzierung vom Strukturalismus ist, auf den sich gestern noch alle Welt berief, wird rasch zum Hauptge sichtspunkt einer regelrechten Selbstkritik, wie sie der Titel von Althussers 1974 erschienenem Buch Elemente der Selbstkritik (Hachette) verdeutlicht. N u n geht es nicht mehr um einen punktuellen Irrtum, sondern um eine wirkliche Abweichung, und bekanntlich beinhaltet in der marxistischen Strömung der Ausdruck des Abweichlertums die Idee einer unverzeihli chen Verfehlung, die nach Selbstgeißelung verlangt. Die theorizistische Ab weichung wirkte sich dahingehend aus, daß der berühmte Einschnitt als Gegensatz »zwischen DER Wissenschaft und DER Ideologie« ^ dargestellt
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wurde. Ein solches Szenario verrückt die Spieleinsätze auf den reinen Plan des Rationalismus, indem es die Ideologie, die den Platz des Irrtums ange wiesen bekommt, gegen die marxistische Wissenschaft stellt, die den Platz der Wahrheit einnimmt. Diese Position implizierte, die philosophische und politische Problemstellung im Modus der Wissenschaftsgeschichte zu den ken, so daß die Anleihe bei Bachelard hier nicht mehr nur auf metapho rischer, sondern auch auf heuristischer Ebene zum Tragen kommt. Die ser Perspektivenfehler, dieser Theorizismus habe sich in dreierlei Gestalt verkörpert: in einer Theorie der Differenz zwischen Wissenschaft und Ideologie als allgemeine Termini, im Begriff der theoretischen Praxis und schließlich in der These, daß die Philosophie der Ort der Theorie der theoretischen Praxis sei. Im Rückgriff auf die 1965 unternommene Lektüre des Kapitals beklagt Althusser: »Unser >Flirt< mit der strukturalistischen Terminologie hat sicherlich das erlaubte Maß überschritten.«''^ Wenn Althusser schlicht die Mitte der sechziger Jahre gebrauchte Spra che bemängelt, spielt er freilich herunter, was tatsächlich mehr aus einer ganz bewußten Strategie des Zusammenschlusses verschiedener Wissens gebiete um ein gemeinsames institutionelles wie theoretisches Ziel rührte. 1974 nimmt er den Strukturalismus als eine rein französische Besonderheit und als eine philosophische Gelehrtenideologie wahr. Ihrer allgemeinen Tendenz nach sei diese Denkströmung »rationalistisch, mechanistisch, aber vor allem formalistisch«^. Ferner sieht er keinerlei Zusammenhang zwi schen der Entleerung der konkreten Realitäten, wie sie die Idee oder das Ideal des Strukturalismus von einer Produktion des Realen geltend macht, die aus einer Kombinatorik beliebiger Elemente erwüchse, und dem Mar xismus, dessen Begriffe zwar als Abstraktionen definiert sind, jedoch dar auf abzielen, die gesellschaftliche Realität in ihren konkretesten Spieleinsät zen zu erhellen: Marx ist »kein Strukturalist, denn er ist kein Formalist« ^. Allerdings ruht eine solche Einschätzung bekanntlich auf schwanken dem Grund, denn der Strukturalismus hat sich, wenigstens in seiner LeviStraussschen Ausprägung, nie als Formalismus definiert. Levi-Strauss' Kritik an Wladimir Propp belegt im übrigen, daß zwischen den beiden Strömungen, die Althusser mit Bedacht verquickt, unterschieden werden muß. Althussers erstens vereinfachende und zweitens am Wesen der fragli chen Denkströmung vorbeigehende Definition des Strukturalismus ge horcht vor allem dem strategischen Ziel der Verächtlichmachung eines Pa-
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radigmas, das an integrierender Vitalität eingebüßt hat, und erlaubt es zu dem, sich davon freizusprechen, jemals Strukturalist gewesen zu sein: »Wir waren keine Strukturalisten. [...] Wir haben uns einer ungleich stärkeren und kompromittierenderen Leidenschaft schuldig gemacht: wir waren Spinozisten.«^ Anläßlich seiner Polemik gegen den englischen Marxisten John Lewis hatte Althusser schon ein Jahr vor dieser Selbstkritik, 1973, die Abwei chung des Theorizismus eingestanden. Damals hatte er jedoch unbeirrt an seinen dem als bürgerlich hingestellten Humanismus feindlichen Positio nen festgehalten und ihm den theoretischen Antihumanismus des reifen Marx entgegengehalten: »Die Geschichte ist ein Prozeß, und zwar ein Pro zeß ohne Subjekt« ^ — eine bereits 1968 geäußerte Auffassung. ^ Gleichwohl übt Althusser Selbstkritik an einem wesentlichen Punkt, nämlich dem des epistemologischen Einschnitts in Marxens Werk, wonach die Hegeischen philosophischen Kategorien der Entfremdung, der Negation der Negation, nach diesem Einschnitt zugunsten rein wissenschaftlicher Kategorien völ lig verschwunden seien: »J. Lewis antwortet mir, dies sei falsch. Und er hat recht.« ^° Zu erklären sei diese Blindheit aus der theorizistischen Ab weichung, in die Althusser zugibt sich verirrt zu haben, als er Marxens philosophische Revolution mit dem in den Wissenschaften geltenden Re volutionsmodus, der sich in einem rellen epistemologischen Einschnitt aus drückt, gleichsetzte: »Ich habe also die Philosophie nach dem Modell >der< Wissenschaft gedacht [...].«^^ Über diesen selbstkritischen Aspekt hinaus würdigt Emmanuel Terray die Antwort an John Lewis als bedeutendes politisches Ereignis. Nach sei ner Auffassung setzt es die These aller großen Philosophen in die Praxis um, daß Philosophieren darin bestehe, Politik in der Theorie zu machen. Das Buch kommt unstreitig einer Erwartung entgegen, davon zeugt schon die für diese Art Veröffentlichung ausnehmend hohe Auflage von 25 000 Exemplaren. Philosophie sei dem Wesen nach Politik, sie gründe haupt sächlich darauf, die politische Arbeit mit anderen Mitteln fortzusetzen. Althusser »spricht ohne Umschweife von Politik, und sein Eingriff handelt von einem Problem, dessen Lösung in vielerlei Hinsicht für die Zukunft der französischen und internationalen Arbeiterbewegung entscheidend ist: Wie kann man eine marxistische Analyse der Stalin-Periode angehen?«^^ Althusser bemängelt die knappe offizielle Erklärung der Irrtümer des Stall-
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nismus, die Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KPdSU auf der Tri büne abgab und der zufolge die Entgleisung lediglich durch den Personen kult verursacht sei. Eine solche rein juridische und humanistische Erklä rung sei, so Althusser, das Pendant des Ökonomismus, wie er in der UdSSR zur Zeit Stalins und danach gängig gewesen sei. Althusser sieht den Stalinismus und die Abweichung, die dieser dar stellt, »als eine Form der postumen Rache der IL Internationale [...], als ein Wiederhervortreten ihrer Haupttendenz« ^^, die sich in der komplementä ren Doppelgestalt von Humanismus und Ökonomismus verkörpere. Dem hält er die Kategorie vom »Prozeß ohne Subjekt und ohne Ende/Ziel« ent gegen, der auch die Form eines »Prozesses ohne Subjekt und ohne O b jekt« ^'^ annehmen könne, denn er vertritt die Auffassung, daß die Kategorie des Subjekts schHcht aus der bürgerlichen Philosophie herrühre und zu ganz bestimmten strategischen Zwecken ideologischer Beherrschung er funden worden sei. Man wird in dieser Position der Negierung des Subjekts nicht nur eine terminologische Affinität, sondern auch eine paradigmati sche Nähe zum Strukturalismus erkennen. Doch der Prozeß der Selbstkritik steht erst am Anfang. Wenige Jahre später, 1976, kommt Etienne Balibar ein unveröffentlichter Text zur Kenntnis, den Althusser ihm übermittelt hat. Zu diesem Zeitpunkt wird ihm bewußt, daß Althusser von einer unbeschreiblichen Kraft getrieben wurde, die ihn dazu veranlaßte, alles, was er bis dahin aufgebaut hatte, abzureißen und zu zerstören, bis er sich jenes Schweigen auferlegte, in das der zu Lebzeiten begrabene Mann sich fortan hüllen sollte (der Balibar im August 1980 anvertraute: »Ich werde mich nicht umbringen, ich werde Schlimmeres tun. Ich werde zerstören, was ich geschaffen habe, was ich für die anderen bin und für mich selbst« ^^). fitienne Balibar stellt mehrere Ver mutungen an, die den bei Althusser immer offenkundigeren Mechanismus der Zerstörung seiner vorherigen Positionen erklären können; diese Erklä rungsansätze lassen sich im übrigen zusammennehmen. Da gibt es psycho logische Ursachen: Man weiß, daß Althussers seelische Gesundheit so an fällig war, daß er kein Unterrichts jähr in der Rue d'Ulm ohne längeren Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik durchstand. Hinzu kommen poli tische Gründe, die mit der vereinigten Krise des Marxismus, der kommuni stischen Welt und der KPF zusammenhängen, welche Althusser einzudäm men versucht habe — vergebHch, denn er habe keine befriedigende Abhilfe
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bringen können. Bleibt eine weitere, sehr interessante Vermutung, die Bali bar ausführt, nämlich eine philosophische, die sich auf die Derridianische Thematik der Dekonstruktion bezieht; Balibar zeigt, inwiefern Althusser sein eigenes philosophisches System durch die Natur selbst der von ihm an geführten Begriffe dekonstruiert. »Was Althusser zu sagen hatte, konnte nur in Gestalt einer Verneinung, in Gestalt eines im nachhinein außer Kraft gesetzten Diskurses gesagt werden. Letztlich war es ihm aufgegeben, in die Praxis umzusetzen, was Heidegger und Derrida theoretisch beschrieben haben: die kontradiktorische Einheit der Wörter und ihrer Durchstrei chung in der Zeit.« ^^ Balibar betont den von vornherein selbstkritischen Charakter der von Althusser vorgebrachten Begriffe, die in ihrer inneren Spannung ihre eigene Negation schon enthalten, wie dies beispielsweise beim Begriff des theoretischen Antihumanismus der Fall ist. Althussers wichtigstes Vorhaben, die Errichtung einer Wissenschaft, die der Ideologie entkommt, impliziert die ständige Möglichkeit einer Wiederkehr des ver drängten Ideologischen auf dem Feld der Wissenschaft selbst. Es kann also keine Ruhepause geben in diesem unaufhörlichen Kampf, in diesem einer Wissenschaft innewohnenden Konflikt, die es zu befördern gilt und von der man doch weiß, daß sie die Nicht-Wissenschaft, daß sie ihr eigenes Ver löschen, ihre eigene Durchstreichung in sich birgt.
La Legen d'Althusser Einer der Mitautoren des Buchs Das Kapital lesen, Jacques Ranciere, gibt sich indes mit Althussers Selbstkritik nicht zufrieden und bringt 1974 bei Gallimard ein Buch heraus, in dem er die Lehre des Meisters radikal zu rückweist: La Legon d'Althusser. Sein Beitrag von 1965 zu dem Werk Das Kapital lesen war, wie der von Roger Establet und Pierre Macherey, 1968 bei der gekürzten Neuauflage in der »Petite CoUection Maspero« unter drückt worden. Angesichts des Erfolgs beschließt der Verlag 1973, die Texte noch einmal vollständig herauszubringen. Jacques Ranciere wird also benachrichtigt und aufgefordert, seinen Text »Le concept de critique et la critique de l'economie politique. Des manuscrits de 1844 au Capital« durchzusehen und etwaige Änderungen mitzuteilen. Der allerdings kann und will sich nicht mit Details begnügen: Die Bewegung von 1968 hat ihn
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nämlich gegenüber den Althusserschen Positionen sehr kritisch werden lassen. Der Bruch vollzieht sich schon 1968/69, als die Universität von Vincennes gegründet wird, wo Ranciere im Fachbereich Philosophie unter richtet. Als Maoist übt er nun scharfe Kritik an den Kompromissen der Vergangenheit und spielt die Dynamik der »Kulturrevolution« gegen die Restauration eines epistemologischen Akademismus aus, und sei es ein althusserianischer. Aufgrund seines Eindrucks, daß er 1973 nur hinzugezogen wird, um die Illusion eines Fortbestehens der Positionen der Arbeitsgruppe von 1965 zu nähren, schlägt Ranciere vor, seinen Text mit einem langen Vorwort zu ver sehen, um sowohl seine Standpunkte von 1965 in ihren Kontext zu rücken als auch seine kritische Distanz von 1973 zu erläutern: »Mir schien, daß sich da wieder etwas in Gang setzte, als wäre nichts geschehen, und daß es galt, einen gewissen Abstand zu dieser Wiederaufnahme des Althusser schen Diskurses zu markieren. Aber dieser Text ist zensiert worden.« ^'^ Letzten Endes beschließt der Verleger, Das Kapital lesen 1975 ohne jede Änderung neu aufzulegen, gemäß dem 1965 unterzeichneten Vertrag. ^^ Darauf reagiert Jacques Ranciere doppelt: Im November 1973 pubHziert er in den Temps Modernes^'^ das Vorwort, das man ihm bei Maspero verwei gert hat, und 1974 bringt er bei Gallimard La Legon d'Althusser heraus. Er zieht eine überaus negative Bilanz des Althusserianismus, die deshalb so bemerkenswert ist, weil sie von einem vormals zum Urkreis gehörenden Althusserianer der ersten Stunde kommt: »Als Instrument zur Analyse der Gesellschaften und der historischen Bewegungen hat der Althusserianis mus nichts Interessantes hervorgebracht. Er war eher ein Behelf als eine Be reicherung und hat tatsächlich einen Deckel auf sämtliches fallen lassen, was seit Anfang des Jahrhunderts an marxistischem Denken in Deutsch land, Italien, England und den Vereinigten Staaten existieren mochte. Alles dies brach weg, und es blieben nur die großen Autoren, die KPF und wir, will sagen eine grundweg provinzielle Konzeption.« ^° Als Ranciere La Le gon d'Althusser schreibt, ist Althussers Selbstkritik noch nicht erschienen. Ohnedies wird sie Ranciere nicht zufriedenstellen, sieht er doch in ihr einen Abwehrschlag gegen sich mehrende Kritiken, um die Weiterführung eines notdürftig überholten Neoalthusserianismus zu ermöglichen. Rancieres Kritik hingegen ist radikal, sie verfährt in Brüchen und Absa gen: »Der Althusserianismus war auf den Mai-Barrikaden gestorben, zu-
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sammen mit manch anderen Ideen der Vergangenheit.«^^ Gewiß räumt Ranciere ein, daß der Althusserianismus für eine ganze Generation subjek tiv positive Wirkungen gezeitigt hat, insofern er ein bestimmtes Wissen in Umlauf und ins Gespräch brachte: TatsächHch hat sich der Versuch der Synthese einer kritischen Bewegung gegenüber den instituierten Wissens formen und eines neuen Verhältnisses zum Politischen rund um Althusser herausgebildet. Scharf kritisiert Ranciere jedoch die Negierung jeglichen Denkens des Subjekts, das der Althusserianismus als Schreckgespenst auf gebaut habe: »Seit geraumer Zeit schon unterhält man uns mit der Höllen fahrt des Subjekts.« ^^ Ranciere erinnert daran, daß 1973 die gesamte Uni versität lauthals und vielstimmig die Liquidierung des Subjekts verkündete: »Was den Menschen anbetrifft, so gibt es heutzutage keinen hypokhdgneux, der nicht erröten würde, wenn er ihn in einem seiner Aufsätze er wähnte.« ^^ Einen zweiten Angriff führt er aus seinen damals maoistischen Positionen heraus, indem er an das Fundament der Dialektik erinnert: Eins teilt sich in zwei. Er wirft Althusser vor, einen verräterischen Schwenk zur Soziologie Durkheims zu vollziehen, wenn er die Ideologie als ein Phäno men an sich, eine unverrückbare, ahistorische Gegebenheit, eine Invariante darstellt, wohingegen für Ranciere alle Ideologie unweigerlich in den Ein sätzen zwischen den Klassen begriffen ist und daher nur als Klassenideologie aufgefaßt werden kann. Der Kern der Opposition liegt also weniger in Anschuldigungen der Vereinnahmung oder der antigauchistischen Offensive zur Verteidigung des KPF-Apparats und des akademischen Wissens als vielmehr in einer Kritik an Althussers Theorie der Ideologie: »Die Ideologie könnte bei Althusser ohne weiteres das Statut einnehmen, das das klassische metaphy sische Denken dem Staat zuspricht. [...] So wird die Ideologie nicht als Ort einer Teilung angesetzt, sondern als eine durch die Beziehung zu ihrem Re ferenten (dem gesellschaftlichen Ganzen) vereinheitlichte Totalität.« ^"^ So hätte denn Althusser zwei in eins zusammengefaßt und den Begriff des Wi derspruchs mit einem Taschenspielertrick verschwinden lassen, was damals in Rancieres Augen nichts anderes als das klassische Verfahren des Revisio nismus darstellte. In gleicher Weise erlebe man eine Ontologisierung des entscheidenden Begriffs der Produktionsverhältnisse, die »ins Jenseits der Struktur zurückgezogen erscheinen« ^^. Zwischen Ranciere und Althusser kommt es also zum radikalen Bruch.
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Und als Terray in Le Monde das Verdienst der Antwort an John Lewis preist, in der er einen wahren politischen Sprengsatz sieht, entgegnet Ranciere im selben Blatt, daß Althusser im Grunde nur die Grenzen der mit dem KPFApparat verträglichen neuen Orthodoxie bekanntgebe.^^ Er sieht in dem Text einen »Versuch des Flickwerks, der Assimilierung dessen, was in der Zwischenzeit geschehen war, halbherzige Bekenntnisse, mit denen man glauben machen kann, man sage immer noch das gleiche« ^^. Dieser Akt des Bruches findet breiten Widerhall in den Medien, denn er stellt ein entschei dendes Symptom für die Krise dar, die der Althusserismus seit 1968 bei aller Schwärmerei, die er anderwärts verursacht, durchmacht. Er wird Ranciere natürlich übelgenommen, nicht nur von Althusser, sondern auch von dessen Mitstreitern, die indes die »Brillanz« von Rancieres Buch anerkennen. ^^ Etienne Balibar hält dieses Werk heute für die Äußerung eines bestimm ten Kontexts, nämlich der Maoi5ten, die in ihrer Presse, La Cause du peuple, erklärten, die Bourgeoisie stünde am Rande des Zusammenbruchs, die Macht liege auf der Straße und die einzige Schutzmauer, die die Bourgeoi sie noch an der Macht halte, sei die KPF. Da die Arbeiter nach Meinung de rer, die sich Marxisten-Leninisten nannten, Mao nur lieben konnten, mußte es eben in der KPF einen geben, der sich Maos bediente, um die Wachsamkeit der Arbeiterklasse zu täuschen. Dieser eine konnte nur Althusser sein, der als Federführer und großer Manipulator ausgegeben wurde: »Nun wußte Ranciere aber, daß er Althussers Formeln gegen den Strich interpretierte, so etwa die von der >theoretischen Praxis<, mit der nur erklärt werden soll, daß die Theorie selber praktisch ist, ohne ihr deshalb, entgegen Rancieres Behauptung, ein absolutes Vorrecht einzuräumen.«^^ Pierre Macherey schlug stärker noch aufs Gemüt, was er einschätzt als ein »Abschwören im Sinne des Evangeliums, eine religiöse Handlung, in der er um Vergebung seiner Sünden bat. Das Prinzip der ganzen Sache stieß mir gründlich auf.« ^°
Sperrfeuer gegen Althusser Mitte der siebziger Jahre bricht gegen das Wiedererstarken der Althusserianer ein regelrechter Beschuß los. Es hagelt Kritik aus allen politischen und theoretischen Lagern. Der frühere Mitarbeiter von Arguments und
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marxistische Soziologe Pierre FougeyroUas veröffentlicht 1976 das hoch polemische Werk Contre Levi-Strauss, Lacan et Althusser (Savelli). Nach dem er die Jahre zwischen 1961 und 1971 außerhalb Frankreichs an der Uni versität von Dakar verbracht hat, steht Pierre FougeyroUas doch etwas abseits der Unruhen, die sich in Paris zugetragen haben, auch wenn er sich über jeweilige Veröffentlichungen auf dem laufenden gehalten hatte. Bei seiner Rückkehr sitzt er auf Anfrage von Louis-Vincent Thomas in ver schiedenen Prüfungsausschüssen von Paris-V, um dort theses abzuneh men : »Der erste Schock war der Althusserianismus. Sämtliche Kandidaten erzählten mir etwas von den drei Instanzen, von der symptomalen Lektüre. Zwischen dem, was sie vortrugen, und dem, was ich vom Marxismus dachte, lag ein himmelweiter Abgrund! Also regte sich bei mir erster Wi derstand gegen den Althusserianismus.«^^ Pierre FougeyroUas hält den Althusserianismus für ein direktes Resultat des 20. Parteitags der KPdSU, da er sich den streng geregelten und knapp bemessenen Grenzen einer Kri tik am Dogmatismus ohne Umwälzung des Apparates einbeschreibt, einer Gangart, die eine Rückkehr zu den Quellen, zu den Gründervätern Lenin und Marx empfiehlt. In diesem Zusammenhang spiele der Althusserianis mus die Rolle »eines ideologischen Aufputsch- oder spekulativen Beruhi gungsmittels«^^. FougeyroUas bekämpft den Althusserschen Idealismus, der den Marxismus vom Feld der Praxis in die Theorie verlege und damit die Marxsche Perspektive der Veränderung der Welt in eine Transformation der Philosophie verwandle. Darüber hinaus nimmt er die Anleihen bei den Humanwissenschaften und ganz besonders bei der Psychoanalyse aufs Korn, die dazu führten, daß der Marxismus zu einer Spielart des Struktura lismus gemacht und die Dialektik durch »eine Art strukturale Topik« ^^ er setzt werde. Das Spiel der Instanzen, das an die Stelle der historischen Dia lektik tritt, erfordere eine weitere Anleihe bei der Psychoanalyse, den Begriff der Überdeterminierung, und die als theoretische Praxis anvisierte Praxis führe dazu, sich in der Sphäre des Diskursiven und dessen symptomaler Lektüre zu verschanzen. Bei Erscheinen der Antwort an John Lewis unterzieht Daniel Bensa'id, Anführer der 1973 von der Regierung aufgelösten Ligue communiste, Althusser einer vernichtenden Kritik. Vor allem stört er sich an dessen Auf fassung der stalinistischen »Abweichung«, die bei weitem zu zaghaft aus gefallen sei: »In Wirklichkeit hantiert Althusser unter der Maske des Ge-
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lehrten mit den ganzen Tricks eines Scharlatans, mit magischem Abrakada bra. Er tut so, als überflöge er die Geschichte, während er sich doch nur jammervoll an ihr Schlepptau klammert.«^'* Woraus für Daniel Bensaid folgt, daß sich mit Hilfe der Zurückführung der Stalinschen »Abweichung« auf rein theoretische Ursachen, das heißt auf den Einfluß des Ökonomis mus der IL Internationale, mühelos vierzig Jahre Geschichte der Arbeiter bewegung unterschlagen ließen. Und weil der Feind solchermaßen ein Pa piertiger, bloß eine rhetorische Figur (das Begriffspaar Humanismus — Ökonomismus) wäre, bedürfte es eben nur einer simplen Korrektur der »Abweichung« Stalinscher Provenienz, um wieder auf den rechten Weg zu gelangen. Auch aus den Reihen der Trotzkisten in der revolutionären marxisti schen Strömung kommt Kiitik, während die KÜPF Althusser gerade auf den Thron zu heben scheint, indem sie ihn in den Editions sociales publiziert. Als 1969 bei Garnier-Flammarion der erste Band des Kapitals von Karl Marx erschien, der mit einer »Vorbemerkung« Althussers versehen war, nahm dies der marxistische Ökonomist Ernest Mandel, Mitglied der belgi schen Sektion der IV. Internationale, im Jahr darauf zum Anlaß, eine lange Studie zum Vorgang »Althusser berichtigt Marx« ^^ zu verfassen. Abgese hen von einigen pädagogischen Ratschlägen, die Mandel für brauchbar hält, rührt in seinen Augen alles übrige aus einer irrigen Analyse der von Marx vorgebrachten Absichten und Begriffe. Michael Lowy antwortet Althusser auf philosophischer Ebene, indem er Marxens Humanismus verteidigt: »Daß der Humanismus vor Marx ab strakt, bürgerlich usw. gewesen sein mag, bedeutet mitnichten, daß es auf jeden Humanismus zu verzichten gilt.«^^ Wenn Michael Lowy bereits das antihumanistische Postulat in der Lektüre des Marx der Deutschen Ideo logie oder des Achtzehnten Brumaire für unhaltbar erachtet, so verhält es sich nicht anders beim Marx des Kapitals, das Althusser doch in den Stand eines wissenschaftlichen Paradieses erhoben hatte. Nach Michael Lowy entfalten die drei Stufen des marxistischen Humanismus sich im Kapital anhand der Enthüllung der Beziehungen zwischen den Menschen hinter den verdinglichten Kategorien der kapitalistischen Ökonomie, in der Kri tik der Inhumanität des Kapitalismus und schließlich in der Aussicht auf eine sozialistische Gesellschaft als Gesellschaft einer möglichen rationellen Beherrschung der Produktionsverhältnisse durch die Menschen. Auch in
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seiner Definition der beiden Hauptbegriffe »Produktivkräfte« und »Pro duktionsverhältnisse« schaltet Marx den Begriff vom Menschen ein. Die Produktionsverhältnisse werden analysiert als »das bestimmte gesellschaft liche Verhältnis der Menschen selbst, v^^elches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt«-^^^. Zum zweiten weigert sich Michael Lowy, Marx von ethischen Erwägungen, von einer moralischen Absicht in seiner Kritik des Kapitalismus abzutrennen. Denn er erkennt zwei Gefahren: diejenige, im Kapital nur einen »ethisch moti vierten Aufschrei gegen den Kapitalismus zu sehen (eine Tendenz, die M. Rubel vertritt)« ^^, und die spiegelbildliche Gefahr, die jede moralische Di mension verneint, um im Kapital ein rein wissenschaftliches Werk zu se hen. »Es stellt sich die Frage: Im Namen welcher moralischen Werte kriti siert Marx den Kapitalismus ?«^^ Was den künftigen Sozialismus betrifft, so ist nicht die Rede davon, die Idee von einem ewigen Menschen, von einer transhistorischen Essenz zu perpetuieren, sondern einen neuen Menschen hervorzubringen: In diesem Sinne kommt der Marxismus durchaus einem Humanismus gleich, auch wenn er sich vom klassischen Humanismus ab hebt. Von einem anderen Denkhorizont her — hier dem der Zeitschrift Esprit^ die, wie schon beschrieben, einer Auseinandersetzung mit dem strukturalistischen Denken stets Rechnung getragen und immer eine theoretische Ar gumentation auf hohem Niveau aufgeboten hat — antwortet Jean-Marie Domenach auf Althussers Antwort an John Lewis 1974 unter dem vielsa genden Titel »Un marxisme sous vide«'*° [etwa: Ein Marxismus im Va kuum, A.d.Ü.]. Er betrachtet Althusser als Anwalt einer Scholastik, die mangels Entsprechung zur Realität in der abstrakten Theorie, in den Be griffen des Einschnitts und der Abwesenheit des Subjekts ein Schlupfloch findet und auf diese Weise etwaigen Dementis, die einfache Beobachtungen der empirischen Realität liefern könnten, aus dem Weg geht. Jean-Marie Domenach sieht in Althussers Lektüre eine strukturalistische Neuinterpretation von Marx und nicht nur ein paar terminologische Anleihen: »Was hier zählt, ist in Wirklichkeit nicht mehr Marx, sondern die Vorstellung, die Althusser sich durch einen bestimmten Strukturalismus hindurch von Marx macht.« ^^ Domenach bestreitet, daß bei Marx ein theo retischer Antihumanismus zu erblicken sei: »Vom Menschen ist Marx aus gegangen, und zu einer Idee vom Menschen bewegt er sich hin. Freilich
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handelt es sich nicht um die abstrakte Essenz der Menschheit, so wie be stimmte Hberale Denker sie herausdestillieren, sondern um einen in seinen Existenzbedingungen begriffenen >Gattungsmenschen<.«'^^ Er fragt sich, was bei einem solchen in sich geschlossenen deterministischen Denkansatz aus den Massen wird, die da im unerbittlichen Räderwerk der strukturalen Maschine eingekeilt werden: Offenbar müssen sie mit einer bloßen Stati stenrolle VorHeb nehmen. Domenachs Kritik an Althusser schließt an seine umfassendere Auseinandersetzung mit Levi-Strauss im Jahre 1963 und mit Foucault im Jahre 1968 an, in der er Platz und Status der Freiheit auf dem zwingenden Feld der Notwendigkeit geltend gemacht hatte. Gewiß werde es Althusser gelingen, die Doktrin noch eine Weile zu konservieren, so lange sie »sich unter Vakuum hält, doch was wird aus der Praxis ?«'^^ Kraft der Komplexifizierung von Marxens Werk und um den Preis der Errichtung eines strikten, synthetischen, auf Totalisierung angelegten Denksystems hat Althusser den Zeitpunkt des Niedergangs des Marxis mus hinauszögern können. Es war ein flüchtiger Schimmer am Horizont eines Jahrhunderts, in dem der Marxismus einem unheilvollen Schicksal verfallen ist — der Tragödie des Totalitarismus. In diesem Zusammenhang konnte Althussers Bemühung nur vom Rückstrom des Marxismus erfaßt werden, der sich schon auf die Theorie auswirkte, noch ehe er die Gesell schaften, die sich auf seine Prinzipien beriefen, in die Erbenlosigkeit entheß. Das Althussersche Unterfangen ist das umfassendste und ehrgeizigste des spekulativen Strukturalismus gewesen. Die Fortführung der Forschun gen strukturalen Zuschnitts auf anderen, spezifischeren Feldern des Wis sens, namentlich im Bereich der Textwissenschaften, wird durch seine Implosion jedoch einstweilen nicht beeinträchtigt. Auf dem Feld der Philo sophie bereitet sein Zusammenbruch sogar einem historizisierten Struktu ralismus den Weg, wie ihn unter anderen Michel Foucault verkörpert.
Teil III: Der Strukturalismus zwischen Szientismus, Ästhetik und Geschichte
Das Phantom der Formalisierung
Infolge der Anfechtung oder Überbordung des strukturalen Paradigmas sieht man zunehmend von der Bezeichnung »Strukturalist« ab. Ein jeder verwahrt sich dagegen, je am Gastmahl teilgenommen zu haben, und be tont um so stärker die Einzigartigkeit seines Werks, als er tags zuvor noch mit allen Mitteln versucht hat, seine Arbeiten in die kollektive Strömung der Strukturalistischen Erneuerung einzureihen. Manche schlagen den Weg noch hochgradigerer Formalisierung ein, um der Essenz der Struktur auf die Spur zu kommen, während andere eher die Dekonstruktion derselben betreiben und einer mehr und mehr literarischen Inspiration freien Lauf las sen, die immer stärker von den ursprünglichen Kodifizierungsbestrebungen abrückt.
Die Pariser Schule Die erste der beiden Reaktionen, die Formalisierung, läßt sich im Bereich der Linguistik an der Gründung der Pariser Schule ablesen. Diese erinnert nicht zufällig an ihre Vorfahrin, die Prager Schule, und siedelt sich dement sprechend in deren Tradition an: »Pariser Schule und nicht Französische Semiotikschule, denn Paris ist ein Sammelplatz zahlreicher ausländischer Forscher, die sich zu bestimmten gemeinsamen Punkten bekennen.« ^ Ent standen ist die Pariser Schule aus dem internationalen Semiotikverband, der auf eine Idee von Jakobson und Benveniste zurückgeht. Die Vereini gung stützt sich auf die Tradition der russischen Formalisten, auf die Arbei ten der Prager, der Kopenhagener und der Genfer Schule, entspringt also — trotz des Engagements des Oberhaupts der amerikanischen Semiotik, Thomas A. Sebeok — im wesentlichen der europäischen Linguistik. Zu den Zielen des Verbandes gehört es, osteuropäischen Forschern die Möglichkeit zu bieten, sich der jenseits des Eisernen Vorhangs gängigen
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marxistischen Vulgata zu entschlagen und wieder an die intellektuelle Auf bruchstimmung der dreißiger Jahre in Mittel- und Osteuropa anzuknüp fen. Schon der Veranstaltungsort der zweiten Verbandstagung setzt in die ser Hinsicht ein Zeichen, denn sie wird in Warschau abgehalten, und die Polen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Freilich hat diese Versamm lung etwas von einer unhaltbaren Wette, findet sie doch im Sommer 1968 statt, als die sowjetischen Panzer die Tschechoslowakei überrollen — ein ungünstiger Zeitpunkt für die Herstellung fruchtbarer Beziehungen zwi schen Ost und West. Sebeok, der ungarischer Herkunft ist, hielt die Situa tion im übrigen für gefährlich genug, um nicht anzureisen. Im Jahr darauf, 1969, konstituierte sich dann der Cercle semiotique de Paris: »Wir saßen bei Levi-Strauss und diskutierten, wer den Kern der Association fran9aise de semiotique bilden könnte, der sich schließlich mit Benveniste, Barthes, Levi-Strauss und mir [Greimas] konstituierte. Lacan war Levi-Strauss nicht seriös genug, und Foucault erschien als ein Spinner.«^ Unglücklicherweise hatte Benveniste, der zum Vorsitzenden des Kreises ernannt wird, keine Gelegenheit mehr, seiner Forschungsrich tung Nachdruck zu verleihen, da er bald darauf durch einen Schlaganfall eine halbseitige Lähmung erlitt. Der Ausfall Benvenistes und das zuneh mende Desinteresse an der Semiotik, das Barthes bekundete, der sich im mer deutlicher der Literatur zuwandte, hatten zur Folge, daß die Aktivitä ten des Pariser Kreises ganz von Greimas' Seminar abhingen, das im Levi-Strauss unterstehenden Laboratoire d'anthropologie sociale des Col lege de France untergebracht war: »Hätte Benveniste geistig länger über lebt, hätte ein anderes Gleichgewicht bestanden.« ^ So aber sollte in Paris der am stärksten formalistische, der Hjelmslevsche Ansatz vorherrschen. Erinnern wir schließlich daran, daß die Vereinigung sich im selben Jahr eine neue Zeitschrift zulegte, Semiotica, als deren Sekretärin, gemeinsam mit Josette Rey-Debove, Julia Kristeva fungierte: »Benveniste und Jakobson brauchten jemand, der jung und dynamisch war, und baten mich, die Auf gaben des Generalsekretariats zu übernehmen.«'^ In der ersten Nummer der Zeitschrift erinnert Benveniste an den histori schen Ursprung des Konzepts der Semiotik, das ja von Locke und vor allem von dem amerikanischen Philosophen Charles Sanders Peirce (1839-1914) entlehnt ist, dem die Errichtung einer »universellen Algebra der Beziehun gen«^ vorschwebte. Gleichwohl schließt sich Benveniste der Auffassung
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von Peirce nicht an. Im Gegenteil, er sagt sich los von dessen zu unverbind licher Konzeption, daß die Sprache zugleich überall und nirgendwo sei, was, so Benveniste, das große Risiko berge, daß jede Erforschung des Be deutungsvorgangs in den Abgründen der Unendlichkeit versinke, und er setzt ihr das Saussuresche Erbe entgegen: »Das Universum muß irgendwo einen Unterschied zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten zulassen. Daher muß jedes Zeichen in einem Zeichensystem gefaßt und erfaßt wer den. Dies ist die Bedingung des ΒedeutungsVorgangs.« ^ Die Pariser Schule entlehnt also das Konzept der Semiotik von Peirce, bleibt dabei aber dem methodologischen Erbe Saussures treu. Dabei zielt die Unterscheidung zwischen einer Ebene der semantischen Interpretation und einer semiotischen Ebene darauf, das Leben der Zeichen auf die Gesamtheit des sozialen Lebens auszudehnen. Das Saussuresche Verfahren soll also dahingehend systematisiert werden, von der Sprache aus die anderen Zeichensysteme zu untersuchen: »Es ist die Sprache, welche die Gesellschaft enthält. So ver läuft die Beziehung der Interpretanz, die semiotisch ist, umgekehrt zur Be ziehung der Einschachtelung, die soziologisch ist.«'' Demnach wird es die Sprache sein, welche die Funktion des Interpretanten der Gesellschaft übernimmt, gemäß zwei Prinzipien, mit denen verschiedene semiotische Systeme miteinander in Bezug gesetzt werden können: dem Grundsatz der Nicht-Redundanz zwischen Systemen und der Tatsache, daß »es kein transsystematisches Zeichen gibt« ^ Diese semiotische Orientierung deckt aber noch nicht die Bedeutung ab, die Julia Kristeva ihr verleiht, wenn sie unterscheidet zwischen einer sym bolischen Ebene, der Sprache im Sinne der Linguisten als homogener und artikulierter Struktur, und einer semiotischen Ebene, verstanden als die ei nes unbewußten Triebprozesses, der in den Zwischenräumen der Sprache in Gestalt von Spuren des Unentscheidbaren, des Heterogenen faßlich wird. Der Pariser Semiotikkreis stellte sich zunächst als der Zusammenschluß der strukturalen Anthropologie und der Saussure beerbenden Semiotik dar. Levi-Strauss nahm daran teil und beherbergte die Semiotiker im eige nen Laboratoire d'anthropologie sociale. Allerdings sollte er ihnen baldigst kündigen, so daß »Greimas genötigt war, das Büro zu verlassen, das er in der Forschungsstelle am College de France hatte« ^. Wahrscheinlich konnte Levi-Strauss nicht ertragen, daß Greimas die Absicht hatte, die Synthese
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zwischen dem linguistischen Erbe des Saussurismus und der semiotischen Untersuchung der Mythen auf bessere Weise zustande zu bringen als er: »Die tonangebende Rolle der Linguistik, die für viele, auch die Anthropo logen, akzeptabel war, solange sie diskret blieb und Begriffs Werkzeuge lie ferte, wurde unerträglich, als sie sich in ein semiotisches Unternehmen ver wandelte, das den Anspruch hatte, mehrere Felder abzudecken.« ^° Infolge dieses neuerlichen Bruches gewann Greimas noch mehr Gewicht in dieser Schule, die sich nun in einer immer strengeren, aber auch hermeti schen Formalisierung abschottete, deren Modell mehr denn je die exakten Wissenschaften, die Mathematik lieferten. Seit der Veröffentlichung der Strukturalen Semantik war Greimas überzeugt, an den totalen Sinn, an die integrale Bedeutung der Struktur heranzukommen. In einer solchen Konfi guration wird das Zeichen »der transzendentale Ort der >Bedingung der Möglichkeit< von Sinn, Bedeutung und Referenz« ". Nach Greimas kann dieser Ort mit Hilfe des semiotischen Vierecks — als des wahren Sesams eines jeden Zeichensystems — rekonstituiert werden. Dieser Formalisierungstraum steht unter dem Wahrzeichen des Struktura lismus, dem Kristall, dessen niedrige Temperatur die Dispersion der Mole küle verhindert, worauf die Hoffnung gründet, durch Einfrieren der Menschheit auf den Nullpunkt an den transzendentalen Schlüssel ihrer Möglichkeitsbedingungen zu gelangen: »der Wunschtraum des Strukturalisten wäre der Kältetod« ^^. Diese Schule hat zahlreiche semiotische Stu dien zu literarischen Themen erarbeitet; so schrieb Algirdas Julien Greimas über Maupassant ^^, Jacques Geninasca über Gerard de Nerval ^^, Michel Arrive über Alfred Jarry^^, und Jean-Claude Coquet^^ lieferte ein einschlä giges Allgemeinwerk. Doch für den Semiotiker ist die Literatur nichts wei ter als eine Signifikantenpraxis wie alle sonstigen Praxen und genießt daher keine gesonderte Wertschätzung: »Die Literatur als autonomer Diskurs, der seine eigenen Gesetze und seine intrinsische Spezifizität in sich selber birgt, wird nahezu einmütig in Abrede gestellt.« ^'^ »Für die Semiotik exi stiert die Literatur nicht.« ^^ In dieser Perspektive befragt Philippe Hamon den Status der Romanper son, die er vom semiologischen Standpunkt aus auseinandernimmt. Dazu entwickelt er ein kritisches Analyseraster gegenüber dem, was er für die manifeste Spur der humanistischen Ideologie hält. Seine Auflösung des Heldenbegriffs erfolgt in Anwendung bestimmter Begriffe, die dazu
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dienen, eine allgemeine Theorie zu begründen, aus der eine spezifische Semiologie der Person hervorgeht, und »diese zu unterscheiden vom historischen, psychologischen, psychoanalytischen oder soziologischen Ansatz« ^^. Philippe Hamon definiert die Person als eine Art doppelt ar tikuliertes Morphem, artikuliert zum einen durch einen diskontinuierli chen Signifikanten (Ich/mir/mich ... er/Julien Sorel/der junge Mann/unser Held usw.) und zum anderen durch ein gleichfalls diskontinuierliches Si gnifikat (Allomorphe, Amalgamierung, Diskontinuität, Redundanz usw.). Die Bedeutung der Person erscheint nur differentiell, durch ihr Verhältnis zu den anderen Personen des Ausgesagten und nicht durch bloße Anhäu fung von Merkmalen. Die Untersuchung muß daher die pertinenten se mantischen Achsen festlegen und diese in eine Rangordnung zu bringen versuchen: »So sähe man, wie sich durch dieselbe Anzahl semantischer Achsen definierte Klassen von Personentypen herausbilden.« ^° Dieses breite Untersuchungsfeld setzt ein immanentes Herangehen an den literari schen Text voraus, der als Konstrukt und nicht als Gegebenheit aufgefaßt wird. Man untersucht nun die literarischen Erzählungen in ihrer Literarizität, indem man sie von exogenen Bestimmungen abschneidet, sie auf ihre interne Logik eingrenzt und die Analyse auf bestimmte semantische Kate gorien wie die der Isotopie stützt: »Unter Isotopie verstehen wir ein re dundantes Ensemble semantischer Kategorien, das die einheitliche Lektüre der Erzählung ermöglicht.« ^^ Die Entwicklung, die die Analysen der literarischen Semiotik in den sechziger und siebziger Jahren erkennen lassen, überschneidet sich nach Philippe Hamon mit der Entwicklung der Linguistik im selben Zeitraum, in dem man von einer »Linguistik der Zustände zu einer Linguistik der Operationen« ^^ übergeht. Aufgrund dieser Verschiebung konnte man von einer geschlossenen Konzeption, die sich um die Feststellung der Spezifi tät abgeschlossener Systeme bemühte, übergehen zu einem offeneren Er kenntniszugriff auf die Notwendigkeiten der jeweiligen Kommunikations situation. Wie wir schon feststellen konnten, führte diese Entwicklung zur Berücksichtigung des Aussagevorgangs, der verschiedenen interlokutiven Situationen. Das zweite Charakteristikum dieser Periode bildet jedoch die Erweiterung des Untersuchungsfeldes der Semiotik, die über das literari sche Terrain hinausgreift und sich Texten aller Art annimmt: juristischen, biblischen, poHtischen, musikalischen, publizistischen. ^^
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Zumal in der Bibelexegese gewann die Semiotik ausnehmend starken Einfluß, und fraglos hat die Fruchtbarkeit der Arbeiten auf diesem Gebiet dazu beigetragen, dem allgemeinen Rücklauf des Strukturalismus in den ausgehenden siebziger Jahren standzuhalten. Zu den bevorzugten Anwen dungsbereichen des semiotischen Verfahrens zählt auch die musikalische Sprache: »Schon allein die Musik hätte die Hypothese der strukturalistischen Arbeit rechtfertigen können.« ^^ Roland Barthes hat einen Aufsatz über Robert Schumanns Kreisleriana^^ verfaßt, in dem er die Unterschei dung vornimmt zwischen einer ersten Semioiogie, die der rein formalen Ebene entspricht, und einer zweiten Semioiogie, die sich auf dem mehr ge fühlsmäßigen Plan der Signifikanz ansiedelt, wobei diese sich nach Barthes in der Inbezugsetzung der unmittelbaren Töne untereinander offenbart: Konsonanzen, Dissonanzen. Im Unterschied zu Barthes kommt Serge Martin, Verfasser eines Werks zur Musiksemiotik^^, aus einer stärker an Hjelmslev anschließenden Blick richtung zu der Auffassung, daß die Produktion der Signifikanz nicht auf der Ebene der äußeren Form der Tonleitern und ihrer Intervalle, sondern im System selbst zu suchen ist, in der Konfrontation von Dur- und MollTonart. »Für mich vergegenwärtigt das System, was man mit Verweis auf Heidegger das In-der-Welt-Sein nennen könnte; es ist ein Schematismus, der sehr tiefgreifende affektive Wurzeln hat. Was Heidegger über den kan tischen Schematismus sagt, entspricht ganz und gar dem musikalischen Sy stem, das heißt, das System ist eine Struktur im logischen Sinne. Aber diese Struktur verweist im Grunde auf eine tiefe affektive Beziehung zur Welt, die deshalb in der Musik zum Ausdruck kommt.« ^^ Diese abwesende Struktur also, die zugleich wesentlich ist und sich der Entschleierung im Seienden entzieht, hofft die Semiotik in ihrer Signifikanz restituieren zu können. Das Hervortreten des Vorrechts der Struktur läßt sich sogar sehr präzise an dem Bruch festmachen, den die Wiener Schule dadurch einlei tete, daß sie von der tonalen Polarisierung abkam: »Im Gegensatz zu dem, was tonale Musik bedeutete, stellt sich hier die musikalische Sprache mit ih ren formalen Transformationsregeln als erstrangig dar.«^^ Dieser Entwurf einer Theorie der musikalischen Sprache überträgt die drei Hauptaxiome von Hjelmslevs Semiotik auf das Feld der Musik.
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Das Mathema 1970 wird die Bezeichnung »Semiologie« oder »Strukturalismus« von der der Semiotik abgelöst. Anfang der siebziger Jahre wendet sich auch Lacan von der strukturalen Linguistik ab, um mit den topologischen Figuren und dem Mathema eine verstärkte Formalisierung seines Denkens anzubahnen: »Wie sich erweisen wird, geht es, denke ich hier, um die Zurechnung des Strukturalismus, verstanden im Sinne einer Weltanschauung mehr, zu dem Kasperletheater, als das uns die Literaturgeschichte aufgeführt wird. Aber trotz des Ärgers, den sie mir eingetragen hat — und das in der vergnüglich sten Form, war ich doch in bester Gesellschaft —, ist sie vielleicht doch nicht das, worüber ich Anlaß hätte, zufrieden zu sein.« ^^ Wie die anderen Gäste des strukturalistischen Banketts, deren Zugehö rigkeit zur guten Gesellschaft er anerkennt, erhebt Lacan sich von der ab gegessenen Tafel, löst sich von einem fragwürdig gewordenen Etikett und sucht in der Mathematik nach tragfähigeren Ansätzen als die Saussuresche Linguistik, die sich als wackeliges Gerüst erwiesen hat. Er schließt den Levi-Straussschen Begriff des Mythems zusammen mit dem griechischen Wort mathema (Erkenntnis), das zugleich den Stamm von »Mathematik« darstellt. Dadurch hofft er dem noch allzu deskriptiven Verfahren der fort an von ihm so bezeichneten »Linguisterie« endgültig zu entgehen und durch vollständige Formalisierung an jenen reinen Signifikanten, jenes ur sprüngliche Aufklaffen heranzukommen, aus dem heraus sich die Knoten schlingen, die er seit 1972 die Borromäischen nennt. Nachdem er die Ge schicke der Psychoanalyse zeitweilig an die der Sozialwissenschaften ge knüpft hatte, nimmt er nun also Zuflucht zu den exakten Wissenschaften: »Als einzige Nahrung des Einsiedlers in der Wüste blieb nur mehr die Ma thematik.« ^° In seinen Seminaren arbeitet Lacan vermehrt mit topologischen Figuren, mit Graphen und Tori, und hantiert auf dem Podium mit Bindfadenkreisen und Papierbändern, die er zerschneidet, um zu zeigen, daß es bei den Bor romäischen Knoten kein Inneres und kein Äußeres gibt. Die Welt ist für La can Phantasma, sie hat ihren Sitz außerhalb der innerweltlichen Realität, und ihre Einheit ist nur über das zugänglich, was der Diskurs verfehlt. »Die Mathematisierung allein reicht an ein Reales [...], ein Reales, das nichts zu tun hat mit dem, was von der traditionellen Erkenntnis getragen v/orden
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ist, und was nicht das ist, was diese glaubt, Realität, sondern eben Phan tasma.«·'^ Im Versuch, die Totalität des Mangels und sein Einbegriffensein in dem, was ist, zu begreifen, denkt Lacan in einem Raum, aus dem die Ka tegorien des Drinnen und Draußen, des Innerlichen und Äußerlichen so wie jegliche sphärische Topologie eliminiert sind. Vielmehr sucht er sein Modell im Schema der Verschlingung, des Knotens, an dem jeder Versuch der Zentrierung scheitert. Eingetreten in eine Welt reiner Logik, die sich aus der Vorrangstellung eines leeren Symbolischen entfaltet, »versucht Lacan, der Substantifizierung durch den Rekurs auf die Topologie zu entkom men« ^^. Mit der Suche nach dem Mathema gestattet es das Regelsystem, die einer reinen Logik eigene Kombinatorik mehr noch als die Linguistik, den Referenten, den Affekt, das Gelebte auf Abstand zu halten. Manche sehen in Lacans Rekurs auf die topologischen Figuren allerdings nur eine pädagogische Bemühung, die Suche nach einem Weg, die Psy choanalyse zu vermitteln: »Das Mathema hing mit dem Gedanken der Vermittlung zusammen; es ging nicht darum, aus der Psychoanalyse eine Physik zu machen.« ^^ Über das etwaige didaktische Interesse dieser topo logischen Phase hinaus, die freilich manchen entmutigt hat, darf man an nehmen, daß Lacan, als die Tragfähigkeit der Linguistik an ihre Grenzen stieß, sich dagegen gewehrt hat, seine Lektüre des Unbewußten nach Art Derridas vollkommen zu disseminieren: Denn das hätte die Psychoanalyse in eine interpretative Endlosigkeit hineingezogen, in der sie untergegangen wäre. Er zog es vor, mit dem Mathema und den Borromäischen Knoten eine andere Richtung einzuschlagen, die im Gegenteil metaphorisch den Rekurs auf eine aufzudeckende Grundstruktur anzeigen sollte: »Die Deu tung ist nicht für jeden Sinn offen.« ^'* Indem er sich einem mathematisch verstandenen Strukturbegriff annäherte, ging Lacan einen Schritt weiter zur Abstraktion, zur Idee von einem herausgelösten Gegenstand, gebun den an einen besonderen Vorgang der Ideation, aus dem man die allgemei nen Eigenschaften eines Ensembles von Operationen ableiten und den Be reich definieren kann, in dem die beweisbaren Aussagen die Eigenschaften dieser Operationen beschreiben.
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Die Modellbildung Geschieht der Rekurs auf die Mathematik, auf die Modellbildung nur zu metaphorischem Gebrauch, oder stellt er eine heuristisch und operational gedachte Entlehnung dar? Andre Regnier untersucht den Übergang von der Gruppentheorie zum Wilden Denken. ^^ Er analysiert den Gebrauch, den Levi-Strauss in den Mythologica von Begriffen wie »Symmetrie«, »In version«, »Äquivalenz«, »Homologie« oder »Isomorphismus« macht. Diese Entlehnungen entstammen der logisch-mathematischen Sphäre; birgt auch der Gebrauch solcher Metaphern keinerlei Gefahr an sich, so verhält es sich schon anders, wenn diese Begriffe, zum Beispiel der der Transformationsgruppe, in Levi-Strauss' Dispositiv einen zentralen Platz einnehmen: »Der Totemismus schafft eine logische Äquivalenz zwischen einer Gesellschaft natürlicher Arten und einer Welt sozialer Gruppen Levi-Strauss geht nicht nur von einer sehr weitgefaßten Bedeutung der Transformationsklasse aus, er geht auch sehr freizügig damit um und sieht sich im Zuge einer gewissen Willkür der Beweisführung zur Bevorzugung mal dieser, mal jener Relation in der syntagmatischen Kette veranlaßt. So beansprucht er »das Recht [...], unsere Mythen bald hier, bald dort auszu wählen, einen Chaco-Mythos durch eine Guyana-Variante zu beleuchten, einen Ge-Mythos durch sein kolumbianisches Gegenstück« ^^. Andre Re gnier stellt also die Wissenschaftlichkeit der Beweisführung in Abrede, die sich notwendigerweise nichtarbiträre Codes zu eigen machen und die be obachteten Entsprechungen rechtfertigen müßte: »Wenn ein Wesen ein Zeichen ist, gilt es zu verstehen, weshalb dieses Zeichen einen bestimmten Sinn hat und keinen anderen. [...] Letztlich haben die fraglichen >Logiken< eine eher ungefähre Existenz: Es sind den Verbindungen auferlegte Regeln, aber man kennt sie nicht.« ^^ In der Formalisierung der Humanwissenschaf ten liege also eine szientistische Illusion, von der auch Levi-Strauss nicht frei sei. Gilles Gaston-Granger erkennt indes einen Teilerfolg des Gebrauchs formalisierter Verfahren dort an, wo Levi-Strauss die Verwandtschaftsbe ziehungen analysiert. Sein Modell funktioniert auf zweckdienliche Weise und erlaubt uns zu erkennen, auf welche Weise die Allianzen, die Vorschrif ten und die Verbote strukturiert sind. Aber »was ich Levi-Strauss vorwer-
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fen würde, ist sein Versuch, uns zu zeigen, daß die Transformationen des mythischen Denkens eine Relation desselben Typs aufweisen, wie ihn die Algebraiker verstehen. Daran glaube ich eben nicht.« ^^ Freilich hat sich Levi-Strauss weiterhin für die Modellbildung stark gemacht. Von der Ma thematik der Verwandtschaft bis zur logisch-mathematischen Abhandlung der konstitutiven Einheiten der Mythen bekräftigt er — wie hier am Ende des letzten Bandes der Mythologica: Dernackte Mensch — sein Vertrauen in den »Strukturalismus, [der] den Wissenschaften vom Menschen ein epistemologisches Modell unterbreitet, das unvergleichlich stärker ist als jene, über die sie zuvor verfügten« ^^°. Mit der these der Levi-Strauss-Schülerin Frangoise Heritier erlebt die Modellbildung auf dem Forschungsfeld der Verwandtschaftsbeziehungen eine zweite Blüte: »Mein Glück war es, Claude Levi-Strauss zu treffen, den Direktor des Laboratoire d'anthropologie sociale.«'*^ Sie konnte reichhalti ges Material über die Verwandtschaftsverhältnisse in Obervolta auswerten, und sie hat die Genealogien der Bewohner dreier Dörfer im Land der Samo (Burkina Faso) rekonstituiert. Dank Modellbildung und Informatik gelang es ihr, aus dem ethnographischen Material theoretische Verallgemeinerun gen zu erschließen: »Der Computer ist zum unerläßlichen Mittel gewor den, um dahinterzukommen, wie die Heirat in den Gesellschaften wirklich funktioniert.«'^^ Mit Hilfe der Informatik konnte Frangoise Heritier die Funktionsweise einer Gesellschaft mit semikomplexen Verwandtschafts und Allianzstrukturen, genannt Crow-Omaha-System, rekonstruieren: »In Bestätigung von Levi-Strauss' Mutmaßung erweist sich, daß ein semi komplexes System vom Typ Omaha endogam funktioniert wie ein SuperAranda-System, das auf den elementaren Strukturen der Allianz beruht. Die Partnerwahl erfolgt vorzugsweise in der vierten Generation, die auf die Generation desjenigen Ahnen folgt, den zwei Deszendenzlinien innerhalb des Ensembles der Blutsverwandten gemeinsam haben.« "^^ Mit dieser These und ihren durch den Übergang von elementaren zu semikomplexen Strukturen der Verwandtschaft gewonnenen Erkenntnissen zeigt Franqo'ise Heritier die Ergiebigkeit des strukturalistischen Paradigmas in einem bestimmten Bereich der Humanwissenschaften und belegt eben dadurch, daß der Strukturalismus jenseits intellektueller Moden zu konzeptuellem Fortschritt verhilft, auch wenn dieser sich oftmals mit dem Anschein rein ster Formalisierung — jener der mathematischen Sprache — schmückt.
Von der Trauer um die Literatur zur Lust am Text
Zum einen hat der Strukturalismus seine Inspirationsquelle aus den am stärksten formalisierten Zweigen der exakten Wissenschaften bezogen, zum anderen gab er jedoch in einer Zeit des Umbruchs, in der die traditio nelle romaneske Erzählung unübersehbar in der Krise steckte, einer neuen literarischen Empfindungsweise das Geleit. Infolge der Krise der Gattung Roman als gleichsam unantastbarer Ausdrucksform rückten literarische Theorie und Literatur näher zusammen, insbesondere im Nouveau roman. Der neuen Kritik entsprach bald auch eine literarische Avantgarde, die das Kriterium der Modernität verkörperte. Die Grenzen zwischen kritischer und literarischer Tätigkeit verschwammen und wichen dem, was als das wahre Subjekt betrachtet wurde, nämlich der Schrift selbst, der Textualität in ihrer unendlichen Entfaltung. Wie Philippe Hamon schreibt: »Die Frage nach dem Begriff der Literatur zwischen 1960 und 1975 zu stellen heißt, die Geschichte einer Auflösung zu verfassen.« ^ Der strukturalistische Theorie apparat und besonders die linguistischen Verfahren sind stark beteiligt an dem neuen literarischen Wagnis, das sich als Wiederaneignung der Sprache in ihrem eigenen Sein, jenseits der Gattungsgrenzen darstellt.
Die Symbiose von neuer Kritik und Nouveau roman In den Prinzipien des Nouveau roman ist die strukturale Thematik deutlich zu erkennen. Auch hier wird, durch den Ausschluß der klassischen Roman figuren, das Subjekt zurückgestellt, auch hier wird der Raum bevorrechtigt und entfaltet sich quer durch die verschiedenen Konfigurationen der Dinge, die der Blick des Romanciers erfaßt, auch hier herrscht Mißtrauen gegen die Zeitlichkeit in ihrer Dialektik, an deren Stelle ein suspendiertes Tempus, ein gleichfließendes Präsens tritt, das sich in dem Moment auflöst, in dem es sich enthüllt.
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Bereits 1950 hatte Nathalie Sarraute in den Temps Modernes einen Arti kel geschrieben, dessen Titel sie für ein größeres, 1956 bei Gallimard er schienenes Werk übernahm: L'Ere du soupgon. Dieser Titel, Das Zeitalter des Argwohns, bringt die der neuen literarischen Kritik und den Literaten gemeinsame Geisteshaltung aufs beste zum Ausdruck. In einem umfassen deren Sinn entspricht er dem Fortschritt des kritischen Paradigmas, das das ganze strukturale Denken in den Humanwissenschaften antreibt. Nathalie Sarraute konstatiert die Krise des Romans, die wankende Glaubwürdigkeit der Figuren, die die Handlung des Romans tragen. Dem klassischen Ent wurf des Simulakrums, wie es ja die Schilderung möglichst ähnlicher und in ihrer angenommenen Tiefe wahrscheinlicher Figuren durch einen inspirier ten Autor darstellt, setzt sie die handwerkliche Arbeit am gelebten Doku ment entgegen, so wie Michel Tournier sie vertritt — das Schöpfen als Ba stelei nach Art der Ethnologen. Nathalie Sarrautes Buch wird bald zum Symbol für den notwendigen Bruch mit dem klassischen Roman, und das Mißtrauen leitet in diesen kriti schen Zeiten eine erneuerte Beziehung zu den verschiedenen Schreib formen ein. Allerdings bricht Nathalie Sarraute nicht so radikal mit der psychologischen Perspektive des Romans, wie es den Anschein hat. Sie ver schiebt lediglich ihren Blickpunkt, indem sie die Archetypen der Charak tere und Personen dekonstruiert und sich dem zuwendet, was diese im In neren unterschwellig durchwimmelt. Vehikel dessen sind vor allem die Subkonversationen, die Tropismen als undefinierbare Bewegungen unter dem anekdotischen Leitfaden, der nur noch ein Vorwand ist, um psycholo gisch unmittelbar an das unendlich feine Gewebe des Ego heranzukom men. Als Anbahnung des Nouveau roman schreibt sich Das Zeitalter des Argwohns noch in die Linie der Erneuerung des Romanschreibens durch Dostojewski, Proust und Joyce ein. Jedenfalls richtete sich der Nouveau roman auf die Sozialwissenschaften aus, von deren Dezentrierung des Subjekts und Anfechtung des Eurozen trismus er sich anregen ließ — eine Konfiguration, in der anstelle der Suche nach dem Selben die Figur des Anderen trat. Umgekehrt bedienten sich die in ihren jeweiligen Fachgebieten beschäftigten strukturalistischen Forscher ihres Untersuchungsfeldes und ihrer Entdeckungen, um literarische Werke herzustellen. Aus einer ganz neuen Sensibilität erwuchs seinerzeit der Ge danke, daß die Wahrheit außerhalb des Selbst liege und man folglich, um zu
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ihr vorzudringen, niederreißen müsse, was bis dahin als Haupthebel der Erkenntnis gegolten hatte: die Psychologie und die Temporalität, die man seither als deren Verhinderung betrachtete. Der Strukturalismus diente als neue Ästhetik: O b Mondrian in der Malerei, Pierre Boulez in der Musik oder Michel Butor in der Literatur, die Struktur avancierte zur kreativen Methode, zur Keimzelle der Modernität. Die anfangs außerhalb des Schöp ferischen angesiedelte Struktur drang nach und nach in bis dahin für unauslotbar gehaltene Arkane vor. Die Vertreter der neuen strukturalen Kritik beriefen sich dann übrigens auf diese neue Ästhetik und fanden für ihre Forschungen in Mallarme und Valery die Vorläufer, die in gleicher Weise den sprachlichen Bedingungen der literarischen Schöpfung Aufmerksam keit zollten und die Auffassung vertraten, »daß die Literatur nichts anderes ist und sein kann als eine Art Erweiterung und Anwendung gewisser Eigen tümlichkeiten der Sprache« ^. Von bestimmten Sammelbecken wie den fiditions de Minuit — dem Ver lag, in dem Michel Butor, Alain Robbe-Grillet, Marguerite Duras, Claude Simon, Robert Pinget usw. veröffentlichen — oder der Gruppe Tel Quel — in der man neben Philippe Sollers Daniel Roche, Jean-Pierre Faye und den Theoretiker des Nouveau roman, Jean Ricardou, findet — ging eine literari sche Aufbruchbewegung aus. In eben dem Jahr 1955, in dem Levi-Strauss mit den Traurigen Tropen triumphierte, erlangte auch der Nouveau roman die Gunst der Kritik und die Ehre literarischer Auszeichnungen. Alain Robbe-Grillet erhielt 1955 den Prix de la critique für Den Augenzeugen, zwei Jahre später wurde Michel Butor für Paris — Rom oder Die Modi fikation der Prix Renaudot verliehen. Mit mehr als 100000 verkauften Exemplaren gelang es ihm, das breite Publikum zu erreichen. 1958 erhielt Claude Ollier für La Mise en scene den Prix Medicis, und im selben Jahr widmete die Zeitschrift Esprit dem Nouveau roman eine Sonderausgabe. Selbstverständlich hat jeder dieser Autoren seinen eigenen Stil, alle aber las sen die Absicht zu einer neuen Erzählweise erkennen, die Ablehnung der traditionellen Romanformen und die Herausforderung, die es für diese Schriftsteller bedeutet, sich über die scheinbar unüberholbaren Monu mente Proust, Joyce und Kafka hinwegzusetzen. Die neue Generation muß sich also einen anderen, in der Modernität gründenden Weg bahnen. Der Nouveau roman läßt sowohl das tiefe Unbehagen erkennen, nach der Suche nach der verlorenen Zeit schreiben zu müssen, als auch die Suche
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nach Auswegen in der Verrätselung des Textes und im Appell an die Anteil nahme des Lesers, der mit der expliziten Projektion der Subjektivität des Schriftstellers konfrontiert wird. Diese als Avantgarde auftretende kritische Perspektive, die im Artikel von 1950 noch informell erschien, macht Nathalie Sarraute 1964 bei der Taschenbuchneuausgabe des Zeitalters des Arg wohns als kollektives Manifest geltend: »Die meisten der in diesen Aufsät zen angesprochenen Ideen [stellen] einige wesentliche Grundlagen dessen dar, was man heute den >Nouveau Roman< nennt.« ^ 1957 bannt der Fotograf Mario Dondero vor dem Verlagshaus Minuit eine angeregt diskutierende Schar aufs Zelluloid, die für die Leserschaft den versammelten Nouveau roman darstellt. Für diesen Anlaß werden zusam mengerufen: Alain Robbe-Grillet, Claude Simon, Claude Mauriac, der Verleger Jerome Lindon, Robert Pinget, Samuel Beckett, Nathalie Sarraute und Claude Ollier. Die klassische Person verschwindet vom neuen Hori zont des Romans, und das Augenmerk des Autors rückt ins Innere der dis kursiven Sphäre; sein Blick entspringt einem immanenten Verhältnis zur Sprache. Die Realität wird nicht mehr als außen vor der Sprache stehend, sondern als dieser innewohnend betrachtet. Vom beschreibenden Modus der Balzacschen Romanhaltung über die Haltung der Fremde, der Distanz bei Camus begibt man sich nun an die Auflösung der Realität als Vorgege benes und ihre Reduktion auf den Diskurs, den der Schriftsteller über sie führt. Die Bewegung, die auf der Hypothese »Das Wesentliche ist nicht au ßerhalb der Sprache: das Wesentliche ist die Sprache selbst« ^ gründet, tritt im Laufe der sechziger und siebziger Jahre in Symbiose zur strukturalistischen Ausrichtung, deren Analysemodell die Phonologie bildet und die in der Linguistik ihre Pilotwissenschaft gefunden hat. Alain Robbe-Grillet ist sich dieses Zusammentreffens von literarischer Tätigkeit und Entwicklung des Denkens, dieses Übergangs von einer phä nomenologischen zu einer strukturalistischen Vorgehensweise recht früh bewußt. Er macht sich den Entwurf zu eigen, den Borges als die problema tische Ausübung der Literatur umrissen hat: »Ich bin immer mehr davon überzeugt, daß Philosophie und Literatur die gleichen Ziele haben.« ^ 1963 publiziert Alain Robbe-Grillet eine als Manifest angelegte Sammlung sei ner seit 1955 geschriebenen Artikel: Argumente für einen neuen Roman.^ Darin legt er die Prinzipien dar, die er als Autor in seinen eigenen Roma nen, 1953 im Tag zuviel und 1955 im Augenzeugen, angewandt hat und
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seither als literarischer Berater der fiditions de Minuit geltend macht. Er kündigt jene Versöhnung von Kritik und literarischem Schaffen an, die, um zur Modernität zu gelangen, von den neuen Wissensweisen zehren muß, da »die kritischen Bemühungen das künstlerische Schaffen keineswegs steril machen, sondern ihm gerade als Antriebskraft dienen können«''. Der Nouveau roman wird dabei als eine Schule des Blicks präsentiert, und zwar als die des objektiven Romans. Er befördert einen neuartigen Realismus, der die Ketten sprengt, die ihn an das Balzacsche Werk banden. Zwar ist durch aus auch von einer Leidenschaft des Beschreibens die Rede, doch so, daß die Beschreibung von ihren intentionalen Elementen entleert wird, welche bewirken, daß die Welt nur durch die Personen vermittelt existiert: »In die ser künftigen Welt des Romans werden Gebärden und Gegenstände erst >da< sein, bevor sie >etwas< sind.«^ So wie Lacan das — aus dem Sprechen, aus der Signifikantenkette — Zutagetretende betont hat, führt RobbeGrillet gegen den Mythos der Tiefe als essentiellere Ebene die Oberfläche der Dinge ins Feld. Daraus rühren die Wichtigkeit, die dem deskriptiven Verfahren beigemessen wird, und, ganz wie bei den Strukturalisten, die Ablehnung des hermeneutischen Verfahrens und die Unterscheidung zwischen Sinn und Signifikation. Die Revolution des Romans kehrt der Person, in der man einen abgeleb ten Überrest der bürgerlichen Ordnung erblickt, den Rücken. Die Natura lisierung der Person während des vorangegangenen Zeitalters, welches das Apogäum des Individuums anzeigte, gilt von nun an als überholt, da das Zeitalter »der Kenn-Nummern« ^ angebrochen sei. In dieser Verödung äu ßern sich auch die Verzweiflung einer Periode, in der man nach Auschwitz weiterdenken und -schreiben muß, der Drang, sich aus einer Welt des Sei enden zu desengagieren, und die Kritik an der modernen Technologie. Die Hoffnung richtet sich nunmehr auf eine Welt der Formen, aus der sich der Mensch als bloß vorübergehende Verkörperung des unendlichen Spiels der Sprachfalten de-zentriert sieht. Der Schriftsteller hat keine Werte mehr zu vertreten, denn »es gibt [...] nur Werte der Vergangenheit« ^°; vielmehr hat er an einer gleichfließenden Gegenwart teilzunehmen, so wie die Personen im Letzten Jahr in Marienbad, die in einer Welt ohne Vergangenheit leben, in der jede Gebärde, jede Äußerung ihre eigene Auslöschung enthält. In dieser problematischen Ausübung der Literatur scheint erneut die strukturale Thematik auf, die jegliche Erforschung der Genese, der Herkunft ver-
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neint zugunsten einer rein synchronen Verfahrensweise, die sich einem Raum einbeschreibt, dessen interne Logik es zu rekonstruieren gilt: »[...] im modernen Roman [ist] die Zeit von ihrem Zeitcharakter gerade getrennt [...]. Der AugenbHck leugnet die Kontinuität.« " Roland Barthes ist sich sofort darüber im klaren, daß diese neue, als »litterale« — »wörtlich« — bezeichnete Literatur mit den Prinzipien der neuen Kritik übereingeht, die er vorantreiben will, und veröffentlicht bereits 1955 eine sehr lobende Studie über Robbe-Grillets Augenzeugen}^ Auf das lite rarische Werk Robbe-Grillets sowie auf das Theater Brechts wird Barthes sich systematisch stützen, um die »Entkonditionierung des Lesers von der essentialistischen Kunst des bürgerlichen Romans« ^^ in die Wege zu leiten. Der Augenzeuge verwirklicht jenen Nullpunkt der Literatur, den Barthes schon 1953 anstrebte. In dem Roman erscheint ein Reich von lediglich am Blick aufgehangenen Objekten, und diese konstituieren eine entsoziali sierte und entmoralisierte Welt, die bei Robbe-Grillet aus einem »radikalen Formalismus« ^^ erwächst. Diese Annäherung von literarischer Schöpfung und wissenschaftlicher Reflexion bringt einen »Bastard-Typus« hervor, den Barthes als »Schriftsteller-Schreiber« ^^ bezeichnet: Dieser neue Typus verbindet die Aufgaben des Schriftstellers, für den es darauf ankommt, die Welt im Wie-Schreiben aufgehen zu lassen, mit denen des Schreibers, dem es darum zu tun sein muß, eine Erklärung zu geben, und für den die Rede nur Mittel zum Zweck des Beweises ist. Barthes verschiebt auf diese Weise die überlieferten Grenzen und siedelt den neuen Roman und die neue Kritik auf derselben Seite an, nämlich der der schöpferischen Tätigkeit. Diese Neuaufteilung Uefert die konzeptuelle Grundlage für den neuen Bund zwischen Kritiker und Schriftsteller, die alle beide in einer Problematisierung der Schreibphänomene und der ver schiedenen Sprachdispositive begriffen sind. Man erlebt somit eine stän dige Interaktion zwischen der strukturalen Literaturtheorie und der Praxis des Nouveau roman, die sich aus einer ähnlichen Beseitigung des Referen ten und der diversen Figuren des klassischen Humanismus speisen. Der neue Roman entschlägt sich der soziologischen Wahrscheinlichkeit der Er zählung, um dafür die verschiedenen Variationen möglicher Erzählungen abzustecken. Die Symbiose zwischen einer neuen literarischen Schreibweise, dem Nouveau roman, und einer neuen strukturalistischen Literaturkritik wird
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allerdings bei Barthes und Robbe-Grillet darin münden, daß beide zuse hends vom Ziel der Formalisierung und der Errichtung eines objektiven Realismus, einer literalen Literatur abrücken. Wie Barthes sich seit 1967 zur Lust am Text, zu den Biographemen und zur Pluralisierung der Codes hin orientiert, geht Robbe-Grillet von einem objektiven Realismus zu einem subjektiven Realismus über und mißt der Äußerung seiner Subjektivität in seinem Schreiben wachsende Bedeutung bei.^^ Auch er betreibt die Plurali sierung, das grenzenlose Spiel der Spiegel, die Verrätselung der Personen und Intrigen, die Inszenierung autobiographischer Themen, die Vermi schung der Register. Robbe-Grillet wirft Barthes sogar vor, sein Werk 1955 falsch gedeutet zu haben, und pocht auf einen totalen Subjektivismus: »Ich habe nie über etwas anderes gesprochen als über mich.« ^^ Nach RobbeGrillet suchte Barthes verzweifelt nach einem Nullpunkt der Literatur und stieß in seinem Werk auf dessen vermeintliche Verwirklichung: »Mein an gebliches Weiß — das nichts als die Farbe meiner Rüstung war — kam gerade recht, um seinem Diskurs Stoff zu geben. Ich sah mich also zum >objektiven Romancier< erhoben, oder schlimmer noch, zu einem, der versuchte, es zu sein [...].«^^ So wie Levi-Strauss den Mythos aus der Gesamtheit seiner Spielarten gebildet sieht, geht der Nouveau roman in Wiederholungen und Variatio nen vor, anhand deren die verschiedenen Gesetze der Serie ins Spiel kom men, stets gestört freilich durch die Einschaltung des Aleatorischen, das der Erzählung aus einer offenen Struktur heraus wieder auf die Sprünge hilft. Diese neue Perspektive spricht der Literatur eine Autonomie zu: Es obliegt ihr nicht mehr, aufzuzeigen, sich zu engagieren, zu reflektieren, sondern sie gilt durch sich selbst in ihrem eigenen Sichentspinnen. Gleich zeitig vermag sie nach Barthes einer philosophischen Fragestellung zu ent sprechen, die sich insofern verschoben habe, als sie nicht mehr fragt, ob die Welt einen Sinn hat, sondern dies: » hier ist die Welt: gibt es Sinn in ihr ?"[..-] ein Unterfangen, das vielleicht noch keiner Philosophie gelungen ist und das daher wahrhaftig der Literatur eigentümlich war.« ^^ Die Literatur über nähme also Amt und Würden der Philosophie, sie wäre das Bewußtsein von der Irrealität der Sprache selbst, ein wahres Sinnsystem, sobald ihre Ablösung von jeglicher Instrumentalisierung einmal bewerkstelligt wäre. Besonders augenfällig ist diese Verknüpfung von Theorie und Praxis in der Entwicklung von Michel Butor, der aktiv an den epistemologischen
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Fragestellungen der fünfziger Jahre mitwirkte, bevor er 1954 seinen ersten Roman schrieb. ^° Referendar in Philosophie, bereitet Butor 1948 zum Thema »Die Mathematik und die Idee der Notwendigkeit« unter der An leitung von Gaston Bachelard ein diplome d'etudes superieures vor. Später reicht er, betreut von Jean Wahl, die Doktorarbeit »Die Aspekte der Ambiguität in der Literatur und die Idee der Bedeutung« ein. Als er mit dem Ro manschreiben beginnt, behält er den theoretisch-philosophischen Hori zont weiter im Auge und konzipiert den Roman als eine Forschungsarbeit, den Versuch einer Problemstellung. In seinem ersten Roman Passage de Mi lan wirft er zum Beispiel anhand eines siebenstöckigen Pariser Gebäudes das Problem des Raumes auf, und in seinem zweiten Roman Der Zeitplan ist die Zeit die Hauptfigur. 1960 kommt er mit den Essais sur le roman^^ ex plizit auf die Literaturtheorie zurück. Mit der Veröffentlichung von Mohüe^^ im Jahre 1962 führt er seine Dekonstruktion des klassischen Romans fort und setzt innerhalb derselben Erzählung unterschiedliche Stilmittel ein, die mit der Hintereinanderschaltung von Sätzen, Zitaten, Presseauszü gen spielen, mit Collagen, Montageeffekten, über die Seite verstreuten Großbuchstaben usw. Wieder begrüßt Barthes die Revolution, die, nach dem sie die Narration des klassischen Romans dekonstruiert hat, nun ge gen die Idee vom Buch selbst angeht. Michel Butor rührt hier laut Barthes ans Essentielle, wenn er sich an den typographischen Normen vergreift, weil »das einen Angriff auf die materielle Regelmäßigkeit des Werkes un ternehmen, ein Attentat auf die Idee der Literatur begehen heißt« ^^. Mit Mobile legt Michel Butor eine neue Ästhetik vor, die gleich einem Hochwasser über das Flußbett hinausflutet, in dem man die Erzählung gerne fließen sähe, hinaus über die lineare Entwicklung, in der sie immer breiter dahinströmt, jedoch ohne Überraschung, als eine rein quantitative Variation, gegen die Butor eine Ästhetik der Diskontinuität, des Nebeneinanders der Differenzen setzt. Beide Bewegungen, die strukturalistische wie der Nouveau roman, kommen somit in der Aufmerksamkeit für das Schreiben als solches über ein, in dem sie das Mittel sehen, die Waffen der Kritik aufzufahren; Jean Ricardou schlägt hier sogar den Ausdruck »Skripturalismus« ^'^ vor, mit dem die Heraufkunft der Textualität als gemeinsamer Horizont von Sozialwis senschaften und Literatur zu kennzeichnen wäre.
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Der Roman der Humanwissenschaften Die in den Humanwissenschaften engagierten Strukturalisten erlebten diese Annäherung an die Literatur derart eindrücklich, daß sie ihr Werk als Schöpfung und damit als von reger stilistischer Bemühung getragen anleg ten. Die großen Romane jener Zeit waren in der Hauptsache humanwissen schaftliche Werke. Wie erinnerlich, waren die Traurigen Tropen anfangs ein Romanprojekt, und Levi-Strauss hat stets große Aufmerksamkeit für die formale Konstruktion seines (Euvres bekundet, das er als ein musikalisches oder malerisches Werk konzipierte. Die Mythologica sind wie eine musika lische Komposition angelegt. Die Modulationen der verschiedenen ange spielten Motive sind stark von dem angeregt, was man in der Musik »Durchführung« nennt. Der barocke Stil Lacans entfließt in hohem Maße seiner Mitarbeit an der surrealistischen Kunstzeitschrift Le Minotaure, wo er vor dem Krieg unter anderem mit filuard, Reverdy, Picasso, Masson und Dali verkehrte. Auch faszinierte ihn das Werk von Georges Bataille, dessen Frau Sylvia er heira tete. In seinem Schreiben der Grenzen, in seinem Umgang mit einer kaum noch mitteilbaren Fremdheit erkennt man Batailles Willen zur Befreiung wieder, die immer wieder aufs neue unternommene Überschreitung der Ta bus der rationalen Gesellschaft, das Hereinbrechen der Figur des Anderen, des Verfemten der Vernunft, die sich in der Auslöschung des Selbst und sei ner Trugbilder offenbart. Auch in Foucaults Entwicklung hat Bataille ne ben anderen Autoren eine wichtige Rolle gespielt: »Blanchot, Artaud, Ba taille sind für meine Generation sehr bedeutsam gewesen.« ^^ Diese Autoren haben auf literarischer Ebene den Weg gewiesen, der zu beschrei ten war, um die Grenzlinien des Denkens zu verschieben, die Schranken zu überschreiten, an den landläufigen Anschauungen zu rütteln und ihre Bruchstellen zu suchen. Die Vernunft anhand des Wahns, die Medizin an hand des Todes, das Gesetz anhand des Verbrechens, das Strafgesetz aus dem Blickwinkel des Gefängnisses zu befragen, diese Umkehrung der Per spektive wurde in bestimmtem Maße unter dem Schub einer im Bruch ste henden Literatur vollzogen, insbesondere bei Michel Foucault, der dem Werk von Maurice Blanchot sehr viel verdankt. Schon 1955 definierte Blan chot den »literarischen Raum« ^^ als einen grenzenlosen Raum, in dem das Werk einzeln und an sich existiert. Es enthüllt nichts weiter, als daß es ganz
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einfach ist. Maurice Blanchot weist ebenso bestimmt wie der Nouveau roman die Vorstellung einer dialektischen Beziehung zur Zeit zurück: »Die Zeit der Absenz von Zeit ist nicht dialektisch. Was in ihr erscheint, ist die Tatsache, daß nichts erscheint.« ^'^ Michel Foucault würdigt 1966 das Werk Maurice Blanchots.^^ Er er kennt darin eine Literatur des Unpersönlichen, in der er sich selbst wie auch die Strukturale Denkströmung, die für die Literalität eintritt, ganz und gar aufgehoben sieht. »Der Durchbruch zu einem Sprechen, aus dem das Sub jekt ausgeschlossen ist [...], ist heute eine Erfahrung, die sich an recht ver schiedenen Punkten unserer Kultur zeigt.« ^^ Blanchot verwirklicht mit sei nem Schreiben des Draußen, das den Leser wieder vor ein ursprüngliches Aufklaffen stellt, in der Literatur das, was Foucault auf philosophischer Ebene weiterführen möchte. Nicht um einen dialektischen Gebrauch der Negation geht es, sondern darum, das Objekt des Diskurses aus sich selbst hinauszuschleusen, zur anderen Seite des Blicks, in seine Kehrseite, in »das Rieseln und die N o t eines Sprechens, das immer schon begonnen hat« ^°. Diese Blanchot und Foucault gemeinsame kritische Tätigkeit entfaltet sich in Gestalt einer umgestülpten Positivität, eines suspendierten Sinnes, der von seiner Gegenwart abwesend und nur durch seinen Mangel wahrnehm bar ist. Es handelt sich nicht länger darum, nach einem letzten tiefen Sinn zu forschen. Die rhetorische Figur des Oxymorons, deren Wirkung eine kritische wie eine ästhetische ist, kommt sowohl bei Blanchot wie bei Fou cault reichlich zur Anwendung. Dabei erkennt man die strukturalistischen, formalistischen Grundannahmen wieder, die eine Absage an jede instru mentalisierte, gebrauchsmäßige Sprache einschließen. Ganz im Gegensatz zu einer solchen Sprache muß das Werk danach trachten, »sich innerhalb ei ner ihm wesenseigentümlichen Erfahrung zu vollenden« ^^, indem es die von der Gesellschaft transportierten Wertbegriffe und Signifikate zurück weist, um eine Ebene zu erreichen, auf der die Geschichte zurücktritt und der reinen Gegenwart Platz macht. Man bemerkt die Spuren des Nietzscheanismus, auf den sich sowohl Blanchot als auch Foucault in der Zurückweisung der herrschenden Werte wie in der Furcht vor jeder Vereinnahmung berufen, die im Sinne einer möglichen Überwindung dieser Werte eintreten könnte. Daraus resultiert eine doppelte Negation; Negation der Werte und Negation der Negation, die zum häufigen Gebrauch der Figur des Oxymorons veranlaßt: »leere
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Fülle«, »ein Raum ohne Ort«, »die unerfüllte Erfüllung« ^^. Der der Werte entbundene Textualismus, der dem Unternehmen des Nouveau roman und dem des Strukturalismus gemeinsam ist, findet dort eine Inspirations quelle, eine Partikularästhetik. Wie die literarische Avantgarde kann die formalistische Praxis der Philosophie sich zugute halten, daß sie keinen äu ßeren Zweck hat, und sich damit als ein Diskurs vorstellen, der die Versöh nung von Logik und Ästhetik leisten, das heißt die Grenzlinien zwischen Literatur und rationalem Denken verschieben kann. Sobald »das Wesen der Literatur nichts anderes ist als ihre Technik« ^^, wie Roland Barthes schreibt, ist die kritische Tätigkeit des Strukturalisten durch nichts mehr von der schöpferischen Tätigkeit des Schriftstellers getrennt. Dieses Ineinandergreifen macht verständlich, inwiefern die strukturalistischen Arbeiten, auch wenn ihre Autoren dies bestreiten, als romaneske Unternehmungen gelesen werden können. Aber es läßt auch einse hen, wieso manche Strukturalisten, enttäuscht oder ermüdet vom Forschen nach der grundlegenden Struktur, nach dem letztgültigen Code, besonders nach 1968 dazu übergegangen sind, diese zu pluralisieren und ihrer literari schen Eingebung freien Lauf zu lassen.
Die Dissemination des philosophischen Diskurses Wir haben bereits festgestellt, daß Jacques Derrida die Grenzlinien zwischen Philosophie und Fiktion stark in Frage gestellt hat: Seine dekonstruktorische Tätigkeit zielt darauf, anhand der Unentscheidbarkeiten, die die Dämme sprengen und die Dissemination eines freigesetzten Schreibens ermöglichen, die Polysemie des Textes, die Mehrdeutigkeit des Sagens offenzulegen. So lenkt er das Augenmerk des philosophischen Diskurses vorrangig auf die Sprache und führt ihn einer immer stärkeren Ästhetisierung zu. In den sechziger Jahren bestand Derridas Blickrichtung darin, die Spu ren des Logozentrismus, des Phonologismus zu verfolgen, namentlich un ter denjenigen, die sich auf den Strukturalismus beriefen. Im Lauf der Jahre weicht sie einer immer betonteren und von der Lust am Schreiben belebten Ästhetisierung: »Ich versuche in dem, was man die Philosophie nennt, eine gewisse Ökonomie der Lust zu finden. «^'^ Diese Lust ist die der literari schen Erfindung, die im Brennpunkt der Querverbindungen steht, in der
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Grenzüberschreitung selbst. Schon 1972 siedelt Derrida seine textuelle Ar beit außerhalb der etablierten disziplinaren Bezüge an: »Ich würde sagen, daß meine Texte weder in ein >philosophisches< noch in ein >literarisches< Register gehören.« ^^ Diese Dissemination des philosophischen Diskurses, der sich kaum vom literarischen Schreiben abhebt, ist besonders in Glas, erschienen 1974 (Galilee), zu erkennen. Ebenso wie bei Michel Butor stößt man hier auf die Dekonstruktion des Buches als geschlossener Einheit durch Nebenein andersetzung verschiedener Typographien und zusammenstehender, aber inhaltlich unterschiedlicher Spalten. Ohne Anfang, ohne Ende, ohne Geschichte, ohne Personen, erwächst Glas im wesentlichen aus einer Formensuche, die am Wagnis des Nouveau roman teilhat: »Der Regen hat die Zuschauer zerstreut, die in alle Richtungen davonlaufen. Worum geht es überhaupt ? Den Ginster [geriet] seitenlang zu zitieren und zu rezitieren ? Ihn zu interpretieren, aufzuführen wie ein Musikstück ? Über wen mokiert man sich?«^^ Derrida arbeitet an einer Ouvertüre zum Text Jean Genets^^, in der er die Begegnung von Philosophie und Literatur auf die Spitze treibt mit einem Mosaik von getrennten Texten und zu einem regelrechten Puzzle zerlegten, zerhackten Wörtern, in der beispielsweise das Wort gla- abge schnitten ist von seiner zwei Seiten später folgenden Fortsetzung -viaux^^ [Gla glas: Totenglocke, claviaux: Klaviaturen, glaviot: Rotz, A.d.Ü.]. Er vervielfältigt das Nebeneinander spekulativer Betrachtungen, wissen schaftlicher Begriffe und »autobiographischer Fragmente« ^^ in einer Art Selbstanalyse, die den Text zum Prätext nimmt, um die Hauptgegensätze des abendländischen Denkens auszuhebein: »Die Signatur bewahrt nichts von dem ganzen, das sie signiert. Pflanz da den Ginster, die schnoddrige Grabinschrift, das Grabmal ist eine Ginsterpflanze (plante α geriet): die schreibt, das heißt spricht ohne Betonung [...] — Dein Name? — Genet — Plantagenet? — Genet, sag ich. — Und wenn ich eben Plantagenet sagen will? stört's dich?«'^° In dieser neuen diskursiven Ökonomie ist die Struktur eine offene, plurale, geborstene. Der Begriff der Differenz, des Anderen, der die Wurzel für den frühen Strukturalismus und die Forschungen der strukturalen An thropologie gewesen war, wird nun im Sinne der Dissemination der Idee der Struktur selbst arbeiten. Diese Entwicklung ist besonders deutlich bei Gilles Deleuze zu spüren,
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der den Begriff der Differenz gegen die Hegeische Einheit ausspieh, gegen die er ebenfalls den Weg der Ästhetisierung aufbietet: »Die Philosophiege schichte muß, wie uns scheint, eine ganz ähnliche Rolle wie die Collage in einem Gemälde übernehmen.«"*^ Die Differenz und die Wiederholung lö sen das Identische und das Negative des Hegelianismus ab und offenbaren laut Deleuze das Hervortreten der modernen Welt, der Welt des Simulakrums, der Welt eines Neobarock, der für Formerfindungen aufgeschlosse ner ist als für Inhaltsveränderungen. Daraus erwächst eine ganze Rhetorik der Lust, und Deleuze wird nach Art eines Schriftstellers unentwegt Neues schaffen, indem er in seiner Lektüre der Welt neue, zu Begriffen erhobene Ausdrücke ins Spiel bringt. Deleuze wollte vor allem, und in diesem Sinn hat er teil an der strukturalistischen Sensibilität, der Philosophiegeschichte entkommen. Er prangert an ihr eine eminent repressive Funktion an, die jede Kreativität malträtiert: »Sie ist der eigentlich philosophische Ödipus [...], aber vor allem bestand meine Art, heil da rauszukommen, glaube ich, darin, die Philosophiegeschichte als eine Art Arschfickerei zu betrachten, oder, was auf dasselbe hinausläuft, unbefleckte Empfängnis. Ich stellte mir vor, einen Autor von hinten zu nehmen und ihm ein Kind zu machen, das seines, aber trotzdem monströs wäre.« '^^ Dem verpönten Hegelianismus setzt auch Gilles Deleuze eine Pluralisierung, eine Vielfältigkeit entgegen, die über variable, in jeder Richtung und in jeden Sinn zerschneidbare Intensitäten das Schreiben, die Reflexion durchziehen soll. Zudem will er sich nach 68 mit Differenz und Wiederho lung zu einer Bewegung der Struktur hin orientieren: »das Schreiben als ei nen Strom behandeln, nicht als einen Code« ^^. In diesem Willen zur Pluralisierung, der gegenüber dem Einen, gegenüber dem etablierten Denken den Wunschmaschinen Platz machen soll, hat unbestreitbar in hohem Maße der Schock vom Mai 68 nachgewirkt. Wie bei Derrida findet man auch hier ein Vorrecht der Unwahrscheinlichkeiten, der Ungewißheiten, radikaler noch in der Berufung auf den Wunschstrom: »Schreiben ist ein Strom unter anderen, hat keinerlei Privileg im Verhältnis zu den anderen und geht Beziehungen — in Form von Strömung, Gegenströmung oder Wirbel — mit anderen Strömen ein, Strömen von Scheiße, Sperma, Wör tern, Aktionen, Erotik, Geld, Politik etc.« ^'^ In diesen Strömen kommt selt samerweise ein wesentlicher Aspekt des Strukturalismus zum Vorschein, denn man findet nicht die Spur von Subjekt. Die Idee ist die einer funktio-
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nierenden Maschine; das »Ich« weicht dem »Es« der an allen Ecken und Enden verkabelten, verschalteten Wunschmaschine. Die polymorphischen Kodifizierungen und Entkodifizierungen kommen und gehen ohne Rück sicht auf Verluste; sie sind bloße Figuren ohne Wurzeln, unfaßliche Mona den. Der Idee der Abschließung, der Interpretation wird der Prozeß ge macht, als 1972 Kapitalismus und Schizophrenie I erscheint: der Anti-Ödipus (Minuit). Dieses Werk fungiert bald als antistrukturalistische Kriegs maschine und trägt dazu bei, die laufende Dekonstruktion des Paradigmas zu beschleunigen. Sein sofortiger und eindrucksvoller Erfolg ist Symptom für den sich vollziehenden Wandel und Vorzeichen des kommenden Nie dergangs. Der Anti-Ödipus ist in erster Linie die gewaltsame Wiederkehr dessen, was der Lacanismus verdrängt hat. Lacans Rückkehr zu Freud hatte den Signifikanten, das Symbolische, die Konzeption eines von seinen Af fekten entleerten Unbewußten privilegiert. Dagegen erheben Deleuze und Guattari radikalen Einspruch und stellen dem Gesetz des Herren, auf das Lacan großen Wert legte, die notwendige Befreiung der Wunschproduk tion entgegen. Nichtsdestoweniger hat Lacans Werk einige Verdienste, und die Autoren des Anti-Ödipus billigen ihm zu, richtig aufgewiesen zu ha ben, inwiefern das Unbewußte aus einer Vielfalt von Signifikantenketten gewoben ist. Sie erkennen an, daß Lacan eine Öffnung geschaffen hat und diese einen Schizophreniestrom durchläßt, der das Feld der Psychoanalyse zu unterlaufen vermag, zumal dank des Objekts a: »Gleich einer Höllen maschine bricht das Objekt α in das strukturale Gleichgewicht ein: Wunschmaschine.« ^^ Das Buch stößt sich weniger an Lacan als an seinen Schülern und an der Psychoanalyse ganz allgemein. Darin gehen Deleuze und Guattari mit Michel Foucaults sarkastischen Bemerkungen gegen diese Disziplin konform. Sie stützen sich auf Wahnsinn und Gesellschaft, um ein Kontinuitätsverhältnis zwischen der Psychoanalyse und der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts herzustellen, die in deren gemeinsamer Reduktion des Wahnsinns auf einen »elterlichen Komplex« liege sowie in der Wichtigkeit der Figur des Schuldgeständnisses, die sich aus dem Ödipus ergebe: »Folg lich, statt an der wirklichen Befreiung mitzuwirken, ist die Psychoanalyse Teil jenes allgemeinen bürgerlichen Werkes der Repression, das darin be steht, die europäische Menschheit unter dem Joch von Papa-Mama zu be lassen und nie mit diesem Problem zu brechen.« '^^
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Die Psychoanalyse geht laut Deleuze in Reduktionen vor und ebnet den Wunsch systematisch auf ein geschlossenes System von Repräsentationen ein: »Nur setzt die Psychoanalyse [...] den Ödipus ins Quadrat: Ödipus der Übertragung, Ödipus des Ödipus. [...] Es ist eine Invariante der Unter schlagung der Kräfte des Unbewußten.«'^'' Deleuze und Guattari setzen einen Schnitt zwischen dem Kapitalismus, der mit der Psychoanalyse im Bunde steht, und den revolutionären Bewegungen, die den Weg der Schizo-Analyse beschreiten. Wie schon für den Strukturalismus gibt es für sie kein signifikantes Subjekt, keinen Ort, der von irgendeiner Transzen denz anweisbar wäre, sondern nur Prozesse. Diesen Gegensatz übertragen sie metaphorisch auf die Gegenstellung des Baums zum Rhizom, dessen polymorphe Eigenart für eine andere Denkweise stehen kann, für ein operationales Konzept, das ein neues, gleichsam wimmelndes und von allen Kodifizierungen abgebrochenes philosophisches Schreiben befördert. Bei einer solchen Herangehensweise hat der Rekurs auf die Logik keinen Sinn mehr, und selbstredend kehrt ein solches Schreiben sich von den epistemisch-logischen Überlegungen des frühen Strukturalismus ab, um einem disruptiven, nicht gliederbaren Denken nach Belieben der poetischen Ein gebung freien Lauf zu lassen. Deleuze und Guattari kritisieren vor allem den Vater des Strukturalis mus, Levi-Strauss, dessen Bedeutsamkeit gerade für die von Lacan gege bene Definition des Unbewußten wir schon feststellen konnten (Band 1: Das Feld des Zeichens). Sie setzen zwei divergierende Logiken gegeneinan der, die eine verkörpert durch die Wunschmaschine, die andere durch die anorektische Struktur: »Und was wird im besonderen aus dem Unbewuß ten selbst gemacht, wenn nicht, es explizit auf eine leere Form, in der der Wunsch abwesend, aus ihr verbannt ist, zu reduzieren ?«'^^ Gnade findet Levi-Strauss hingegen in den Augen der Autoren bei ihrer Definition der Schizo-Analyse, in der es darum geht, den Stellenwert des Ödipus zu schmälern. Dabei stützen sie sich auf den Referenzmythos des ersten Ban des der Mythologica, Das Rohe und das Gekochte, und folgen Levi-Strauss' Darlegung, nach der der wahre Schuldige an der Geschichte des Inzests von Sohn und Mutter im Grunde der Vater ist, weil er sich rächen wollte. Dafür wird er bestraft und getötet werden: » Ödipus ist zunächst die Idee eines paranoischen Erwachsenen, bevor er ein infantiles neurotisches Gefühl wird« '^^, folgern Deleuze und Guattari.
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Die zur Denkweise erhobene Alterität folgt der antihistorischen Einstel lung des Strukturalismus und substituiert die Geschichte durch eine ganz besondere Aufmerksamkeit für den Raum, eine wahre Kartographie der Struktur als offenes System: »Daher hat jedes Ding seine Geographie, seine Kartographie, sein Diagramm.« ^° Wohingegen die Zeit nicht homogen sein kann, sondern in eine unausweichliche Zerbröselung zurückfällt, weil sie diskontinuierlichen, sie einer kontingenten Zerreißung aussetzenden Pro zessen unterliegt: »Die Denkarten der Differenz lassen die Geschichte auf einen bloßen Oberflächeneffekt zurückfallen.«^^ Die Anfang der siebziger Jahre einsetzende Entwicklung der semiotischen Untersuchungen zur Textualität, zum Konzept des Schreibens erlaubt es auch hier, zu einem Zeitpunkt, da Saussurismus, Chomskysmus, Pragmatik usw. aufeinander treffen, der schöpferisch-poetischen Eingebung stattzugeben und dem ei nen Modell zu entrinnen. Die Pluralisierung auf dem philosophischen Feld geht in der Tat zeitlich einher mit der Vervielfältigung der Modelle und der Konzepte, die sich die semiotischen Projekte zulegen. Die daraus erwachsende Relativierung, die immer wieder hinausgeschobene Aussicht, den endgültigen Schlüssel in die Hand zu bekommen, hat diejenigen, die sich für die ästhetische Abzwei gung entschieden haben, nur noch bestärkt. Letztere zehrt von einer seit den ausgehenden sechziger Jahren spürbaren Krise: »Zum >Zeitalter des Argwohns< der Romanciers selber kommt nun in Verdoppelung eines der Semiotiker.«^^ Diese Krise öffnet eben jenen ein weites Feld des Schrei bens, die die Lust am Text der Trauer um die Literatur vorziehen.
Eine Philosophie des Begehrens Diese Philosophie des Begehrens wird derjenige sich zu eigen machen, bei dem die Spannung zwischen Theorieanstrengung und Affektausdruck im mer schon groß war: Roland Barthes. Er hatte ja bereits, wie wir sahen, mit S/Z und dem Reich der Zeichen eine Pluralisierung der Codes angebahnt und sich einem offenen System der freischweifenden Inspiration ergeben. Diese neue Orientierung bekräftigt er und nimmt ausdrücklich den ästheti schen Weg in Anspruch, als er 1973 ein Buch veröffentlicht, dessen Titel al ler Welt anzeigt, daß ein neues Kapitel aufgeschlagen worden ist. Die Lust
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am Text kehrt sich ab vom Semiologischen Abenteuer. Der Schriftsteller Roland Barthes kann sich nun vom Schreiber Barthes befreien und seine Vorliebe für die Stilistik unverstellter ausspielen. Er kann sich sich selber of fenbaren, ohne sein Sagen hinter dem Gerüst eines theorizistischen Diskur ses verbergen zu müssen. Das Schreiben w'vca nun als Raum der Wollust beansprucht, als Erweis des Begehrens, der Lust. Barthes bekennt sich vollauf zur Subjektivität, ebenso in der Erklärung, seinem eigenen System des Gefallens und Mißfal lens nach zu schreiben, wie hinsichtlich der Reaktionen des Lesers, dessen Urteil von der durchaus persönlichen Lust abhängt, die der gelesene Text in ihm hervorgerufen hat. Der freie Lauf der Lust ist das oberste Mittel zur Entleerung dessen, was Barthes von Anbeginn seiner Forschungen aufs Korn genommen hat — das Signifikat: »[...] was die Lust suspendiert, das ist der signifikante Wert: die (gute) SACHE.« ^^ Gewiß bleibt Barthes eini gen seiner theoretischen Hauptpositionen treu, und er wiederholt, daß der Autor, der Schriftsteller nicht existiert: »Als Institution ist der Autor tot.« ^^ Der Autor hat keine andere Funktion als die eines Spielzeugs, er ist nur ein Gefäß, ein Nullpunkt, er spielt die Rolle des Strohmanns im Bridge. Erneut kommt in diesem Buch auch das Binäre zur Anwendung, um den von Barthes so genannten Text der Lust abzusetzen vom Text der Wollust. Der eine erfüllt, ist sagbar: Text der Lust, der andere ist die Verlusterfah rung, bringt ins Wanken, ist unsagbar: Text der Wollust. Barthes' große philosophische Referenz in dieser Schrift ist dieselbe wie die von Deleuze: Nietzsche. Er ist der Ansatzpunkt, um die auf Stereotypen und alten Meta phern aufgebauten Wahrheiten zu sprengen und das Neue, das Einzigartige freizusetzen. Barthes verwirft die Verwerfung der Lust, die von zweierlei Moralen be werkstelligt wird — der kleinbürgerlichen Moral platter Stereotypen und der Sektenmoral der Strenge: »Unsere Gesellschaft erscheint zugleich als gesetzt und gewalttätig; auf jeden Fall: frigide.«^^ Die Lust am Text geht auf das Grenzenlose hinaus, auf das Sichentspinnen, auf die unausgesetzten Verflechtungen einer schöpferischen Eröffnung, in der das Subjekt sich auflöst, indem es sich offenbart: » Text heißt Gewehe« ^^, doch nicht in dem Sinne, daß man auf seiner Rückseite die Wahrheit suchen müßte, sondern als die Textur, aus der er gemacht ist und in welcher der Sinn aufgeht. Barthes zeichnet seinen eigenen Werdegang nach und erinnert daran, daß er
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zunächst schrieb, weil er an einem Kampf teilzunehmen glaubte, doch daß die Wahrheit des Schreibaktes sich nach und nach in ihrer Nacktheit zu er kennen gab: »Daß man nämlich nur deshalb schreibt, weil man es im Grund gern tut, weil es Spaß macht. Letztlich schreibt man also um des Genießens willen [.·.]·« ^'^ In diesem Bekunden des Hedonismus fehlt gleichwohl nicht der Semiologe Barthes, der seine Reflexion über die Textualität fortführt. Allerdings zeigt die ästhetische Option, für die er sich ausspricht, deutlich die ein schlägige Diskontinuität zwischen dem Barthes der theoretischen Eupho rie von 1966 und dem Barthes von 1973. Dieser Bruch ist mehr als nur eine einzelne Wegmarke, er bekundet vielmehr die Entkräftung des strukturalistischen Programms, die Krise der Jahre 1967/68 und die Suche nach Lö sungen. Die Abzweigung, die Barthes hier genommen hat, kündigt so man che »Wiederkehren« an, die vor allem ab 1975 erneut zum Zuge kommen werden. Einstweilen befragt Barthes, gleich dem von Hegel beschriebenen alten Griechen, der unablässig das Rauschen der Blätter, das Erbeben der Natur befragt, das Erbeben der Sinne »im Horchen auf das Rauschen der Sprache, dieser Sprache, die meine, des modernen Menschen Natur ist« ^^.
Philosophie und Struktur: die Figur des Anderen
Um die Philosophie steht es in diesen Zeiten strukturaler Turbulenzen schlecht. In den sechziger Jahren betreibt man zwar Theorie, Epistemologie, meidet es jedoch tunlichst, sich als Philosoph zu bezeichnen. Die abendländische Vernunft hat einer immer leidenschaftlicheren Suche nach den verschiedenen Figuren des Anderen Platz gemacht. Deshalb ist die Phi losophie keineswegs tot, sie belegt einfach neue, humanwissenschaftliche Forschungsfelder und entdeckt mit Hilfe der Anthropologie den/das Andere(n) im Raum, mit Hilfe der Psychoanalyse den/das Andere(n) des Selbst oder mit Hilfe der historischen Anthropologie den/das Andere(n) in der Zeit. Wie die Generation der fünfziger Jahre wechselt auch die Nach-68erGeneration zu diesen vielversprechenden neuen Forschungen über, deren Erfolge die Philosophie aus der zentralen und beherrschenden Stellung, die sie in den klassischen Humaniora einnahm, zu entlassen scheinen. Den noch hat die Philosophie nichts von ihrem Glanz eingebüßt, denn diese Wiederaneignung der verschiedenen Positivitäten der Humanwissenschaf ten wird im wesentlichen von Philosophen angeführt, die freilich zugleich die gängigen Klassifizierungen und Fachaufteilungen scharf kritisieren. Ei nem bestimmten philosophischen Diskurs allerdings geht es während die ser Konjunktur gar nicht gut.
Die Dialektik des Selben und des Anderen Jacques Bouveresse beklagt an jener Epoche der siebziger Jahre: »Die Wahrheit war nicht mehr von Interesse, die Frage nach dem Wahren mußte ersetzt werden durch die Frage nach dem Richtigen, wie Althusser sagte.« ^ Gleichwohl setzte er seine gegenläufige philosophische Reflexion fort und scheute nicht die Provokation, die seinerzeit obligatorischen philosophi-
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sehen Bezugsgrößen Michel Foucault oder Jacques Derrida außer acht zu lassen, da er Rudolf Carnap, Gottlob Frege, Ludwig Wittgenstein, Bert rand Russell und Willard Van Orman Quine den Vorzug gab. 1973 publi zierte er Poesie und Prosa: Wittgenstein (Minuit), eine Reflexion über das Verhältnis von Wissenschaft, Ethik und Ästhetik: »Das war eine bewußte Provokation, denn es war die Zeit, in der es nachgerade untersagt oder je denfalls völlig unangebracht war, von Ethik zu sprechen. Andere als politi sche oder psychoanalytische Probleme konnte es damals nicht geben.« ^ Jacques Bouveresse situierte sich anderswo, um dem Theorizismus oder auch Terrorismus zu entrinnen, der darin bestand, den philosophischen Diskurs mit zwei Kriegsmaschinen in die Zange zu nehmen, der Psycho analyse und dem Marxismus: »Auf einen Einwand bekam man nie eine in haltliche Antwort, sondern man betrieb die Psychoanalyse des Widerspre chenden oder analysierte seine Klassenposition.« ^ Die Trias Nietzsche/Freud/Marx diente als Lektüreraster und wurde für die Suche nach dem Anderen als der Kehrseite der abendländischen Ver nunft aufgeboten. In dieses Bollwerk der philosophischen Avantgarde spielte auch eine disziplinare Logik hinein, aus der heraus die Psycho analyse und die Anthropologie ihre alte Rivalität zur Philosophie zu Emanzipationsbestrebungen ausbauten, um ihre institutionelle Stellung zu befestigen. Ausgemachter Gegner war die Hermeneutik mit ihrem Ausle gungsverfahren, das auf eine letzte Wahrheit des zu rekonstituierenden Textes baut. Nachdem man diesem philosophischen Verfahren die strukturale Logik als System inhaltsunabhängiger Relationen entgegengesetzt hatte, ging man mehr und mehr zur Preisung grenzenloser Deutbarkeit über. Adorno und Horkheimer hatten bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg über die konflikthafte und dialektische Beziehung zwischen der Vernunft und ihrem Anderen, dem Mythos, nachzudenken begonnen. Die Vernunft mußte sich, um sich herauszubilden, dem überkommenen Schrecken der Mythen entreißen, deren fortschreitende Beherrschung schließhch die Ordnung der Vernunft herstellte. Doch der Kampf geht wei ter, und die Vernunft ist ständig mit ihrem Anderen konfrontiert: »Es han delt sich also um eine Art Natter, die sie an ihrem Busen genährt hat.« ^ Vin cent Descombes hebt jedoch hervor, daß im Begriff des Anderen zwei Bedeutungen verschmolzen werden: die des Anderen als Aliud und die des
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Anderen als Alter ego. Aus dieser Verwirrung erwächst eine Strategie des Mißtrauens, das die Vernunft selbst trifft, die als Spieleinsatz in einem ver allgemeinerten Konflikt verschiedener Kräfte begriffen wird, von dem sie nur augenblicklich die mächtigste ist: »Im Bemühen, die Schwere der mo dernen Konflikte zu erkennen, gelangen wir schließlich zu dem Argwohn, daß die Vernunft (raison) ihren Prozeß allzu leicht gewonnen hat: Keiner hat Recht (raison), es gibt nirgendwo mehr Recht (raison), nur in ein Mächteverhältnis eingebundene Kräfte.«^ Eine solche Dekonstruktion gestattet es, sukzessive den Tod Gottes, des Menschen und der Metaphysik zu begehen und dem dialektischen Vorgang der Überwindung den nihilistischen der Überbordung entgegenzusetzen, bis hinein in eine Stilistik, die mit dem in der philosophischen Argumen tation üblichen Akademismus bricht. Der Philosoph soll seinen Platz der großen und nicht auf die Spezialisten der Humanwissenschaften be schränkten Menge derer überlassen, die die Entdeckung des Anderen aus probieren: »Das sind die >Menschen der Steigerung<, die >Herren< von heute: Außenseiter, experimentierende Maler, Popkünstler, Hippies und Yippies, Parasiten, Verrückte, Eingesperrte. Ihr Leben enthält mehr an In tensität (und weniger an Intention) als tausend Worte eines Berufsphiloso phen: Sie sind Nietzsche viel näher als seine Leser.«^ Es ist eindeutig die Dialektik des Selben und des Anderen, die in diesen Tätigkeitssphären ihr Spiel treibt. Und dies zu einer Zeit, in der man dazu tendierte, der Figur des Selben alle Übel einer parano-repressiven Einstellung anzulasten, während Kreativität und Befreiung vermeintlich auf der anderen Seite stehen. Dieses Kräftespiel reproduziert zum Teil die Legitimitätskrise der Philo sophie gegenüber den Emanzipationsforderungen der sozialwissenschaft lichen Forscher. So hält Raymond Aron Levi-Strauss ein ambivalentes Ver hältnis zur Philosophie vor. Das führe ihn dazu, am wissenschaftlichen Charakter seiner Vorgehensweise festzuhalten, wenn ihn empiristische Ethnologen bezichtigten, Philosophie zu betreiben, ohne jedoch die Wis senschaftlichkeit seiner strukturalen Analyse zu begründen: »Die Antwort würde es erfordern, den epistemologischen Status der strukturalen Analyse herauszuarbeiten — eine Ausarbeitung, der diese sich widersetzt.«'' Wie Aron antwortet auch Paul Ricoeur 1970 auf die Kampfansage der Strukturalisten. Er räumt die Fruchtbarkeit des Erklärungsverfahrens ein, hält es aber nur für eine Stufe im Erkenntnisprozeß: »Das Erklärungsmo-
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dell, das >struktural< genannt wird, schöpft das Feld möglicher Haltungen zu einem Text nicht aus.« ^ Ergänzend verweist Paul Ricoeur auf die Erklä rung, die sich aes Arbeitsinstruments der Linguistik bedient, sowie auf die notwendige Öffnung des Textes, die es mittels der Wiederaneignung seines Sinnes durch das Subjekt ermögliche, zum höheren Stadium der Interpreta tion zu gelangen. Demnach liegt im aktuellen Charakter der Interpretation ein Handeln, eine ΒedeutungsVerfertigung in Hinsicht auf das eigene Selbst begründet: »Der Text hatte nur einen Sinn, das heißt interne Beziehungen, eine Struktur; jetzt hat er eine Bedeutung.«^ Doch diese Versöhnungsver suche verhallten ungehört zu einem Zeitpunkt, an dem die Nabelschnur durchschnitten wurde, welche die verschiedenen sozialen Positivitäten noch an die Philosophie band.
Der/das Andere im Raum Ein Großteil der jungen Generation wanderte weiterhin von der Philo sophie ab, um sich auf das Abenteuer der Humanwissenschaften und die dadurch zu erwartende Begegnung mit dem Terrain einzulassen. Philippe Descola war 1970 an der ENS in Saint-Cloud. Ihm schwebte die Anthropo logie vor; seine Ausbildung in Philosophie betrachtete er lediglich als Pro pädeutik, was seine Kommilitonen »merkten, die mich den Gefiederten nannten« ^°. Er hatte interessiert Maurice Godeliers Rationalität und Irra tionalität in der Ökonomie gelesen, und als dieser als ehemaliger Schüler der £cole eine Vorlesungsreihe hielt, erschien Descola die Anthropologie als der richtige Weg zur wissenschaftlichen Analyse sozialer Realitäten. Nachdem er den schriftlichen Teil der agregation bestanden hatte, fiel Des cola im Mündlichen durch, und die Vorstellung, von neuem anzufangen, schreckte ihn ab: »Ich habe Levi-Strauss aufgesucht und bin nach einjähri gem Praktikum aufs Terrain gegangen.« ^^ Sylvain Auroux, auch er an der ENS in Saint-Cloud, wandte sich beruf lich dem Wissenskontinent der Linguistik zu und scherte damit zwangsläu fig aus der klassischen Philosophenlaufbahn aus. Er kam 1967 an die ficole und leitete dort eine Gruppe für Humanwissenschaften, die Spezialisten zu Vorträgen einlud. Bei einer dieser Gelegenheiten lernte er Oswald Ducrot kennen und entdeckte die Pragmatik. Zwar teilt Auroux den Szientismus
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des damaligen Strukturalismus und seine Ausschließung des Subjekts kei neswegs, glaubt aber dennoch, daß diese szientistische Ideologie zwei ent scheidende und positive Fortschritte gebracht hat: »Zum einen räumte sie auf philosophischer Ebene mit dem transzendentalen Subjekt auf, und zwar endgültig, denke ich. Und zum zweiten führte sie dazu, ein für allemal klarzustellen, daß die Humanwissenschaften sich nicht auf der Ebene des Gelebten errichten.« ^^ Nach bestandener agregation war Auroux Lehrer am lycee von Vernon (Eure), wo er von 1972 bis 1974 Philosophie unter richtete. Er war unzufrieden mit einem philosophischen Wissen, das sich der von einer Gesellschaft aufgeworfenen Probleme insofern nicht anneh men kann, als es »völlig abstrakt ist und auf Mikroprobleme der histori schen Interpretation beschränkt bleibt. Wenn meine Schüler mich fragten, wie ich über die Abtreibung denke, antwortete ich ihnen, dies sei kein phi losophisches Problem. Man weigerte sich, diese Fragen theoretisch anzu gehen.« ^^ Diese Kluft bestärkte Sylvain Auroux darin, die ausgetretenen Pfade der klassischen philosophischen Laufbahn zu verlassen, um sich auf eine einzelne Humanwissenschaft einzulassen, die Linguistik, für die er ein hervorragender Fachmann geworden ist. Die Figur des Anderen der Philosophie als eine im außereuropäischen Raum zu beobachtende und durch das anthropologische Wissen vermit telte Alterität stellte die Philosophie in den siebziger Jahren unverändert vor eine große Herausforderung. Levi-Strauss erklärte 1967: »Die Philoso phen — lange Zeit genossen sie eine Art Privileg, indem man ihnen das Recht zusprach, über alles und bei jeder Gelegenheit zu reden — müssen sich langsam damit abfinden, daß viele Untersuchungen der Philosophie entgleiten.« ^'^ 1973 wurde Levi-Strauss in die Academie fran9aise gewählt, und zwar auf den Stuhl von Henry de Montherland. Diese Wahl bekundete unmiß verständlich den unaufhaltsamen Aufstieg des Strukturalismus: Der bedau ernswerte Fürst Charles Dedeyan, personifiziertes Symbol der klassisch sten Literaturgeschichte, der sich hatte präsentieren wollen, beschloß in Anbetracht dieser Kandidatur klugerweise, sich aus dem Wettbewerb zu rückzuziehen. Obwohl einziger Kandidat, stand Levi-Strauss gleichwohl keine gar so leichte Wahl bevor. Zwar wurde er im ersten Wahlgang aufge nommen, doch nur mit einer schwachen Mehrheit von sechzehn Stimmen bei einem erforderlichen Minimum von vierzehn. Indes läßt der Einzug des
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Spezialisten für die Bororo und Nambikwara in die Academie frangaise den weiten Weg ermessen, den Levi-Strauss seit seinen Anfängen in Säo Paulo in den dreißiger Jahren bis zu den Weihen zurückgelegt hatte, die er erfuhr, als er 1974 unter der Kuppel Platz nahm: »Indem Sie mich heute empfan gen, nehmen Sie erstmals einen Ethnologen bei sich auf.« ^^ Levi-Strauss kreiste die Philosophie weiterhin von zwei Gebieten her ein. Zunächst dem der Kunst, auf die er bei seiner Wahl in die Academie fran9aise so zu sprechen kam: »Es gibt in mir einen Maler und einen Bast ler, die einander abwechseln. [...] Nehmen Sie Traurige Tropen [...]. Wäh rend ich das Buch schrieb, hatte ich das Gefühl, eine Oper zu komponieren. Die Übergänge von der Autobiographie zur Ethnologie entsprechen darin dem Gegensatz zwischen Rezitativen und Arien.« ^^ Gleichzeitig spielte er die wissenschafthche Karte aus, indem er im Jahr seiner Wahl, also 1973, eine zweite Aufsatzsammlung publizierte, Strukturale Anthropologie II (Plön), die den langen Zeitraum von seinem berühmten Text »Rasse und Geschichte« bis zu seinen jüngsten Beiträgen von 1973 umspannt. In diesem Werk führt Levi-Strauss die wissenschaftliche Eignung des Strukturalismus ins Feld, indem er erneut auf seine beiden Lieblingsjagd gründe, die Verwandtschaftsbeziehungen und die Mythen, zurückgreift. Er definiert abermals die wissenschaftlichen Kriterien in den Humanwis senschaften und behauptet, der Linguist und der Ethnologe kämen leichter »mit dem Spezialisten für Gehirnneurologie oder Ethologie«^'' ins Ge spräch als mit Juristen, Ökonomen oder Politologen. Die Umgestaltung wird also eher von selten der harten Wissenschaften erwartet. Levi-Strauss ehrt in diesem Band auch diejenigen, die ihm in der Konstituierung einer strengen Ethnologie vorausgegangen sind — Jean-Jacques Rousseau, Mar cel Mauss, Emile Durkheim —, und beschwört einen verallgemeinerten Humanismus, den nur die zeitgenössische Ethnologie in sich tragen könne, weil sie für eine Aussöhnung zwischen dem Walten des Menschen und dem der Natur eintrete: »[...] die Ethnologie [...] führt [...] den Humanismus in seine dritte Phase.« ^^ Die Strukturale Ethnologie bietet sich demnach als mögliche Überwin dung der Philosophie an, als das oberste, demokratische, universelle Sta dium, mit dem der philosophische Humanismus, ob nun der aristokrati sche und beschränkte Humanismus der Renaissance oder der bürgerliche und rein kaufmännische des 19. Jahrhunderts, der Vergangenheit zuge-
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schlagen werden kann. Diese Überwindung läßt sich jedoch nur bewerk stelligen um den Preis einer De-2entrierung des Menschen in der Natur und der Beendigung seines historischen Voluntarismus, in dem LeviStrauss die Verlängerung jenes vergangenen Humanismus sieht, der alle großen Katastrophen des 19. und des 20. Jahrhunderts in sich trug: »Ich glaube, all die Tragödien, die wir erlebt haben, erst mit dem Kolonialismus, dann mit dem Faschismus und zuletzt mit den Vernichtungslagern, stehen nicht im Gegensatz oder im Widerspruch zu dem angeblichen Humanis mus in der Form, wie wir ihn seit mehreren Jahrhunderten praktizieren, sondern sie sind, möchte ich sagen, fast seine natürliche Folge.« ^^ Levi-Strauss' Erfolg im Jahr 1973 erlaubte es auch, die Bedeutung der damals laut werdenden, immer schärferen Kritiken an seinem Werk herun terzuspielen. So stellten Raoul und Laura Makarius im selben Jahr ihre seit 1967 erschienenen Aufsätze ebenfalls zu einem Band unter dem bewußt provokanten Titel Structuralisme ou ethnologie (Anthropos) zusammen. Für die Autoren ist der Strukturalismus ein Rettungsring, nach dem die Ethnologen gegriffen haben, um dem Niedergang des Funktionalismus zu entrinnen, der seine Geschicke an den verloschenen Kolonialismus ge knüpft hatte. Sie kritisieren, daß den Phänomenen die Realität abgespro chen wird zugunsten der Effizienz der Modelle, die als Transzendentalien funktionieren. Daher laufe der Strukturalismus auf einen Idealismus hin aus: »Im Strukturalismus wird die Erklärungssuche ausgeklammert durch Beseitigung von allem, was mit der konkreten, empirischen Eigenart der Tatsachen zusammenhängt.« ^° Dagegen erkennt das Ehepaar Makarius ein Wechselverhältnis zwischen Verwandtschaftsbeziehungen, Ursprung der Exogamie und Wandel der Produktionsweise im Zuge des Übergangs vom Sammeln zum Jagen: daher eine scharfe Kritik am strukturalen Stand punkt, insoweit dieser den Modus der Verwandtschaftsbeziehungen als überzeitliche Invariante geltend macht. In dieser Kritik an der Entleerung des Gelebten, die der Strukturalismus betreibe, findet sich die bereits be kannte Position Edmund Leachs zu Levi-Strauss wieder. Für Leach näm lich »zeichnet sich normalerweise jeder Komplex unmittelbar beobachteter empirischer Gegebenheiten durch Strukturlosigkeit aus«^^ Somit treten in den siebziger Jahren in Frankreich Anzeichen für Risse und Diversifizierungen in den Paradigmen der Anthropologie auf. Sie sind so deutlich zu bemerken, daß Christian Delacampagne just zur Stunde der
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Wahl Levi-Strauss' in die Academie fran9aise in Le Monde schrieb: »Man könnte auch anführen, daß der Strukturalismus diese offizielle Konsekra tion nötig hatte. Das Erstaunliche ist jedenfalls, daß er sie in dem Augen blick erhalten hat, wo er von allen Seiten mehr und mehr angefochten wird.« Die Kritik an dieser im Namen einer Radikalisierung der strukturalen Techniken vollzogenen Ablösung vom Gegenstand setzt sich in den achtziger Jahren in schärferer Form fort. So sieht Thomas Pavel in dem Ver fahren eine Rückkehr zu vorspinozaischen Praktiken, zu vorkritischen Auslegungstechniken, die somit einen Rückschritt darstellten — selbst ge genüber der humanistischen Philologie des 17. Jahrhunderts, welche die mystische Lesart von der historischen Exegese getrennt hatte. Damit gehe man zurück auf die Prinzipien der Thora-Lektüre durch die Kabbalisten, die in willkürlicher Permutation der phonologischen oder lexikalischen Einheiten verfährt: »Wie bei Levi-Strauss erfriert der sichtbare Text in ei nem mysteriösen Wirrwarr der Bedeutungsströme, die jeweils auf einer ganz anderen Ebene gerechtfertigt sind.«^^
Das Andere an sich Doch nicht nur das Andere der primitiven Gesellschaft schreckt den Philo sophen auf; sondern er erfährt auch Einspruch vom Anderen seiner selbst, von der Lacanschen Psychoanalyse. Schon 1970 führte Lacan, soeben der Rue d'Ulm und damit des philosophischen Elitenzirkels verwiesen, seinen rhetorischen Gegenschlag gegen die Philosophen, die es gewagt hatten, ihm die Anerkennung zu verweigern, und wiederholte damit seine unmit telbar vorausliegende Geste in der IPA, mit der er zum Rebell geworden war. Er macht geltend, daß der Ort der Wahrheit ausschHeßlich in einem der vier möglichen Diskurse angesiedelt ist^^, im analytischen Diskurs nämlich, von dem die drei anderen Diskurse abzweigen: »Das Unbewußte ist das Wissen — und per definitionem ein Wissen, das sich nicht weiß. Al lein der Diskurs vermag das Unbewußte auszusagen [,..].«^'^ Wir haben schon beobachtet, daß Lacan diesen Diskursbegriff von Michel Foucault entlehnt, um ihn allerdings gegen die Philosophie zu kehren. Der erste Dis kurs, der des Herrn, der sich insbesondere auf der politischen Ebene ver wirklicht, verschließt den Zugang zur Sublimation, konfrontiert unmittel-
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bar mit dem Tod und behält vom Ding nur das Objekt (a), wobei er sich gleichzeitig die Illusion des Handelns schafft. Der Diskurs, in dem sich Lacans Anfechtung kristallisiert, ist der Diskurs der Universität, der sich auf der Ebene der Nutzanwendung ansiedelt und die Herrschaft anstrebt. Die ser Diskurs »ist die Kluft, in die das Subjekt sich stürzt aus Pflicht, dem Wissen einen Autor vorzugeben« ^^. Der dritte Diskurs ist der des Hysteri schen, welcher wiederum der des Wissenschaftlers ist: »Die Wissenschaft nimmt ihre Anläufe aus dem Diskurs der Hysterika.«^^ Unter diesen Bedingungen entzieht allein der vierte, der analytische Diskurs sich dem Herrschaftsbegehren und gestattet es, das unbewußte Wissen als einzig signifikantes Wissen an den Platz der Wahrheit zu holen: »Lacan [wird] schHeßlich dazu geführt, philosophischen Diskurs und meta physischen Diskurs zu identifizieren [...].«^^ So situiert Lacan den analy tischen Diskurs als den Diskurs der Diskurse, als den Ort der Wahrheit. Beinahe wäre 1970 durch einen Auftrag von Fran9ois Wahl ein neues sy stematisches und kritisches Wörterbuch der Psychoanalyse zustande ge kommen, ganz Werk und Waffe von Lacans Ecole freudienne, und zwar unter der Ägide von Charles Melman: »Ich sah durchaus, daß dies eine un dankbare Aufgabe werden würde. Mein Gedanke war insofern ganz ein fach, als ich wußte: falls es kein Gemeinschaftswerk der ficole freudienne gäbe, das alle Autoren engagierte, würde es auch keine Ecole freudienne mehr geben. Ich wollte das Schicksal zwingen, denn die ficole war ein Ster nennebel, eine Aneinanderreihung verschiedener Galaxien.« ^^ Indes, der Konkurrent des Laplanche-Pontalis aus dem Hause PUF [dt.: Das Voka bular der Psychoanalyse, Frankfurt/M. 1973, A.d.Ü.] wird nie erscheinen. Nach Art von Levi-Strauss und Barthes spielt Lacan auf zwei Klaviaturen, in unterschiedlichen Registern. Einerseits bezweifelt er, daß die Psychoana lyse sich wie eine Wissenschaft durch Lehre vermitteln läßt, was ihn zu ei nem Mann des Wortes und nicht der Schriftlichkeit macht, zu jemandem, der sich ständig subjektiv in sein Sagen einbindet und die Literatur nicht von seinem analytischen Diskurs abtrennt. Je subjektiver andererseits sein Sprechen wird, desto stärker vermehrt er die Matheme, die Borromäischen Knoten, die Tori, um sich von seinem Pathos freizumachen und es in eine durch Arbeitsübertragung vermittelte wissenschaftliche Perspektive zu stellen: »Die Seminare waren eine kapitale Investition für Lacan, weil es ohne Übertragungsmechanismus kein Wissen gibt.«^^
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Wir haben bereits gesehen, welches Maß an kollektiver Schwärmerei dieser analytische Diskurs, der sich als Ort der Wahrheit gab, bei zahlrei chen Philosophen hervorrief, zumal den althusserianischen, die auf das psychoanalytische Wagnis eingingen. Dieser Sogeffekt kam sogar auf dem Feld der eher skeptischen Ökonomen zum Zuge, als Hubert Brochier sich 1972 der Ecole freudienne anschloß: »Lacan hat viel Interessantes zur Psy choanalyse in Frankreich beigetragen, eine Aufmerksamkeit für das Unbe wußte, eine Art, die Menschen aus der Tiefe heraus — im besten Sinne — zu handhaben. «»^° Allerdings urteilt Hubert Brochier als Fachwissenschaftler der Ökonomie, die den Weg der extremsten mathematischen Formalisierung eingeschlagen hat, negativ über Lacans Formalisierung, ihre Verwen dung zu pädagogischen Zwecken ausgenommen. Wie in der Wirtschafts wissenschaft rühre sie aus einem Bemühen um akademische Achtbarkeit, das jedoch nichts zu greifbaren Erkenntnissen beitrage. Nach seiner Auf fassung steuern das Möbius-Band, die Kleinsche Flasche, die Borromäischen Knoten und all die anderen topologischen Kunstgriffe, die Lacan mit zunehmendem Geschick und Beharren auf der Tafel seines Seminars auf bot, nicht mehr zur Erkenntnis des Unbewußten bei als Walras' Theorie des allgemeinen Gleichgewichts zur Erkenntnis des Funktionierens einer konkreten Wirtschaft: »Man weiß immer noch nicht, wozu sie dient, und wenn man mit ihren Vertretern diskutiert, sagen sie einem, daß sie rein päd agogischen Wert hat.«^^ Auf alle Fälle ist es symptomatisch, daß manche Ökonomen das Bedürfnis empfanden, ihre eigenen Konzepte mit denen der Psychoanalyse zu konfrontieren. Dem Lacanismus, der die Psychoana lyse zum Kernstück der Rationalität in den Humanwissenschaften gemacht hat, kam dabei eine bedeutende Rolle zu.
Der/das Andere in der Zeit Noch eine dritte Figur des Anderen wurde in den siebziger Jahren zum be vorzugten Forschungsgegenstand und stellte eine dritte Herausforderung an den Philosophen dar: der/das Andere in der Zeit. Diese Suche bedingte auch den Ausstieg aus bestimmten unzeitlichen philosophischen Katego rien, um sich, diesmal in einem anthropologisch geprägten Verfahren, mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Dies leistete Jean-Pierre Vernant.
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Auch er kam von der Philosophie, wurde sogar 1948 in die Kommission für Philosophie des CNRS aufgenommen und interessierte sich für die Kate gorie der Arbeit im Platonischen System. Dieser Perspektive nachgehend, entdeckte er die Fragwürdigkeit der Problemstellungen, wie man sie für ge wöhnlich aus heutiger Wirklichkeit heraus anlegt: Gar zu häufig wird eine mentale Ausstattung in anachronistischer Weise auf die Vergangenheit zu rückbezogen. In der Tat mußte Jean-Pierre Vernant feststellen, daß es bei Piaton kein Wort zum Ausdruck der Vorstellung »Arbeit« gibt. Dieses Manko führte ihn zu einer geschichtlichen Wendung seines Verfahrens und zu der Entdeckung, daß vom 8. zum 6. Jahrhundert v. Chr. ein Übergang zwischen zwei geistigen Welten stattgefunden hat, den er in seinem ersten Buch erforschte. ^^ Nachdem Vernant den Ursprung des Arbeitsbegriffs zu suchen begon nen hatte, stieß er vorderhand auf die Allgegenwart des Phänomens der Religion. Als Hellenist wurde er Schüler und Anhänger von Louis Gernet, der eine Anthropologie der griechischen Welt verfaßt hatte, deren umfas sendes Herangehen im Sinne von Marcel Mauss und seiner »totalen sozia len Tatsache« den stets gegenwärtigen theoretischen Anspruch auch seiner Arbeit darstellt. Den zweiten großen Einfluß auf Vernant übte Anfang der fünfziger Jahre Ignace Meyerson, Professor für historische Psychologie, aus, den er seit 1940 kannte und der seine Überlegungen auf den griechi schen Menschen mit seinen Denkkategorien und Gefühlen lenkte, also auf seine — um eine für Lucien Febvre wesentliche Kategorie aufzugreifen — »mentale Ausstattung«. Nachdem Vernant seinen Gegenstand in eine hi storische Perspektive gestellt hatte, versetzte er ihn, wie wir bereits beob achtet haben, Ende der fünfziger Jahre in seiner Lektüre des Hesiodischen Mythos von den Geschlechtern in eine strukturale. Zu diesem Zeitpunkt — wir schreiben das Jahr 1958 — analysierte Ver nant die griechischen Mythen »nach dem Modell, das Levi-Strauss und Dumezil vorgeschlagen hatten. Ich bin also bewußt und aus freien Stücken als Strukturalist vorgegangen.«^^ Diese erste strukturalistische Arbeit über den Mythos von den Geschlechtern ergab sich aus einer Anmerkung über Griechenland, in der Dumezil das Problem der Trifunktionalität ansprach. Der Bezug zu Dumezil hatte große Bedeutung für Vernant, der 1963 mit dessen Hilfe in die Fünfte Sektion der E P H E eintrat und somit die Sechste Sektion, an der er seit 1958 war, verließ. Er pflegte mit Georges Dumezil re-
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gen Austausch über derartige Fragen, Bei einem seiner Besuche hörte JeanPierre Vernant, nachdem er bereits die halbe Etagentreppe hinabgegangen war, daß Dumezil, der ihn bis zur Tür begleitet hatte, ihn zurückrief: »Er sagte mir: >Monsieur Vernant, können Sie noch einmal heraufkommen? Haben Sie ans College de France gedacht? Sie täten gut daran, es sich zu überlegen und Levi-Strauss aufzusuchen, denn wir sind einige, die an Sie denken.< Ich besuchte also Levi-Strauss, der mir sagte: >Kein Problem, ich präsentiere Sie.<«^'* Präsentiert von Levi-Strauss, zieht Jean-Pierre Vernant 1975 ins College de France ein, und damit erlangt ein Zweig des Strukturalismus, die histori sche Anthropologie, die höchste Legitimation. Doch mit Vernant ist Klio keineswegs verbannt, ganz im Gegenteil: Ihn begeistern die Bewegungen, die Übergänge von einem Stadium zum nächsten, denn die von ihm vertre tene historische Psychologie bzw. Anthropologie versteht sich als Wissen schaft der Bewegung und nicht als Bestrebung, die Geschichte in irgendei ner Statik einzuschließen. Zu seinen Hauptbezugspunkten gehört Marx, den er als wahren Ahnherrn des Strukturalismus ansieht, allerdings nicht der Marx von Althusser, der Marx nach dem epistemologischen Schnitt, der Marx des subjektlosen Prozesses, steht doch das Subjekt gerade im Brennpunkt von Vernants Aufmerksamkeit: »Ich habe noch nie so sehr ge lacht wie bei der Lektüre von Althussers Antwort an John Lewis. Die Ver brechen Stalins zu erklären mit den Verwüstungen, die der Humanismus fortwährend verursacht! Es war völlig verrückt!«^^ Im übrigen versucht Vernant, alle Aspekte des Lebens der Griechen zu sammenzudenken, und steht damit im Gegensatz zu einer Tendenz, aus der Wirklichkeit eine bestimmte Kategorie von Phänomenen herauszulö sen, um ihre innere und immanente Logik zu erforschen. In der Nachfolge des globalen Anspruchs, den Louis Gernet stellte, betrachtet er sein bevor zugtes Forschungsgebiet, die Religion, nicht als getrennte Entität, im Ge genteil. So analysiert er die in strukturalen Untersuchungen wenig vertre tene Instanz der politischen Organisation und erforscht deren Entstehung im Zuge der Kleisthenes-Reformen in Athen. An die Stelle der adelsherr schaftlichen Organisation tritt in der neuen Verfaßtheit der Stadt das terri toriale Prinzip: »Das Zentrum vermittelt räumlich die Aspekte der Homo genität und der Gleichheit, nicht mehr die der Differenzierung und der Hierarchie.« ^^ Diesem neuen Raum, der die Polis begründet, entspricht ein
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anderes Verhältnis zur Zeitlichkeit, nämlich die Schaffung einer zivilen Zeit. Diese zweifache Vereinheitlichungsleistung, die der Rivalität von Klassen, Cliquen und Klientelen entgegenwirken soll, welche die Stadt schwächt, bedeutet selbstverständlich einen völligen Umbruch der menta len Kategorien des griechischen Menschen. Die Entstehung der griechi schen Philosophie, der Vernunft resultiert also nicht, wie Levi-Strauss denkt, aus rein kontingenten Phänomenen, sondern ist gewiß eine »Toch ter der Polis« ^^. Im Mai 1973 bot ein Kolloquium über den griechischen Mythos, das in Italien (Urbino) stattfand und das Herangehen des französischen Struktu ralismus mit anderen Ansätzen der Mythendeutung ins Gespräch bringen wollte, Jean-Pierre Vernant die Möglichkeit, seine Sichtweise des Struktu ralismus zu verdeutlichen. Die semiotische Schule von Paris war stark ver treten, namentlich mit Joseph Courtes und Paolo Fabbri. Neben Vernant selbst traten auch andere Vertreter seiner Schule der historischen Anthro pologie auf: Marcel Detienne hielt einen Vortrag zum Thema »Griechi scher Mythos und strukturale Analyse: Kontroversen und Probleme«, Jean-Louis Durand sprach über »Das Ritual des Bauernmords und die My then vom ersten Opfer«, Vernant selbst über den »Prometheusmythos bei Hesiod«. Dies schuf die Gelegenheit zu einer hochrangigen Auseinan dersetzung vor allem mit der italienischen Schule Angelo Breiichs und des britischen empiristischen Strangs von Geoffrey Stephen Kirk. In seiner Schlußrede unterstrich Jean-Pierre Vernant vehement die Kohärenz des Verfahrens seiner Schule, und nach der Versicherung, daß die vorgestellten Fallstudien die Sorgen ausgeräumt haben dürften, die man hinsichtlich der Tendenz zur Entleerung der Geschichte geäußert hatte, berief er sich im weiteren ausdrücklich auf das strukturale Programm: »Der Strukturalis mus ist für uns keine fertige Theorie, keine vorgefaßte Wahrheit, die wir uns von woanders herholen würden, um sie danach auf die griechischen Tatsachen anzuwenden. Gewiß berücksichtigen wir die Perspektivenwech sel, welche mythologische Studien wie die von Levi-Strauss in den letzten Jahren erbracht haben, und überprüfen ihre Gültigkeit in unserem Bereich, ohne jedoch jemals aus den Augen zu verlieren, was für das von uns bear beitete Material spezifisch ist.« ^^ Den scharfen Kritiken an der Einlassung Marcel Detiennes, die geltend machten, daß das griechische Opfer den Jagdritualen entstamme und der Adonismythos einer alten, einst in Grie-
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chenland bestehenden Sammlergesellschaft, hielt Jean-Pierre Vernant eine inständige Verteidigung des strukturalen Verfahrens entgegen: »Ich möchte Kirk eine Frage stellen: Genügt es, eine Rekonstruktion, die ge linde gesagt rein hypothetisch ist, Geschichte zu taufen, um sich schlagartig auf dem Feld der Verständigen, der Sachlichen geschart zu finden? Das Verorten der Opfermythen im Gesamtzusammenhang der griechischen Religion, das Vergleichen mannigfacher Versionen aus verschiedenen Epo chen der gleichen Kultur als ein Versuch, allgemeine Modelle freizulegen und eine systematische Ordnung zutage zu fördern — ist das etwa abenteu erlicher, als munter vom Neolithikum zum Griechenland des 5. Jahrhun derts voranzuschreiten? [...] Meiner Ansicht nach entstammt eine solche Geschichte im besten Fall der Science-fiction, im schlechtesten dem histo rischen Roman.« ^^ Jean-Pierre Vernant machte also Schule, und eine ganze Forschergruppe, darunter Pierre Vidal-Naquet, Marcel Detienne, Nicole Loraux und Frangois Hartog, folgte mit ihren Arbeiten den von ihm gezogenen Bahnen. Aus dieser anthropologischen Forschung an historischem Material ent stand im besonderen das 1979 von Detienne und Vernant herausgegebene Kollektivwerk La cuisine du sacrifice en pays grec (Gallimard). Die Auto ren befragen das Alltagsleben der Griechen und, wie Levi-Strauss, ihre kuli narischen Praktiken. Sie tun dies nicht aus Exotismus, sondern um besser zu verstehen, wie die griechische Gesellschaft funktioniert hat, für die das Opfer ein Werk der Befriedung, der Domestizierung der Gewalt war. In dieser demokratischen Gesellschaft war das Opfer das Werk aller, je doch in den Grenzen der Bürgerschaft, die sich nur auf die männliche Be völkerung erstreckte. Frauen waren von diesem Ritus wie von der Bürger schaft ausgeschlossen. Bemächtigten sie sich der Opferwerkzeuge, dann um sie in mörderische, kastrierende Waffen zu verwandeln. Das Auf schneiden des Fleisches war deshalb Aufgabe des Mannes, der die Stücke seiner Gattin reichte. Die Bedeutung des Opfers gibt demnach besonderen Aufschluß über die griechische Gesellschaft in ihrer inneren Verfaßtheit, und Levi-Strauss erblickte in diesen Arbeiten eine enge Analogie zu seinen eigenen Erkenntnissen über die amerikanischen Mythen: »Die Arbeiten von Jean-Pierre Vernant, Pierre Vidal-Naquet und Marcel De tienne scheinen zu zeigen, daß es in der griechischen Mythologie bestimmte Motive gibt, die fast genau dem amerikanischen Denken entsprechen.« '^°
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Infolge der passionierten Entdeckung der verschiedenen Figuren der Alterität, des Anderen fanden sich drei Herangehensweisen zusammen, um die Kehrseite der abendländischen Vernunft zu erforschen: strukturale An thropologie, historische Anthropologie und Psychoanalyse. Für die Philo sophen bedeutete dies eine maßgebliche Herausforderung.
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Fernand Braudel reagierte bereits 1958 auf die Herausforderung des Struk turalismus, indem er den Diskurs des Historikers der nahezu stillstehenden Geschichte der langen Zeitabläufe zuwandte und gegen Levi-Strauss das Erbe von Marc Blochs und Lucien Febvres Annales aufbot. Die Historiker der Annales-Schule sind demnach vom strukturalistischen Aufruhr nicht unberührt geblieben, zumal die antihistorizistische Haltung des anfängHchen Strukturalismus mit dem einschneidenden Ereignis des Mai 68 brü chig geworden war. Ein weites Forschungsfeld eröffnete sich damit einer durch die Annales bereits erneuerten Geschichtsschreibung, die sich aller dings auf den strukturalen Standpunkt einließ und mehr auf Beständig keiten denn auf Veränderungen schaute, mehr anthropologisch als fakten gläubig verfuhr. Die Historiker, die in den sechziger Jahren aus einem intellektuellen Zeitgeschehen ausgeschlossen waren, das eher dazu heraus forderte, sich für die Vorstöße der Linguisten, Anthropologen und Psycho analytiker zu interessieren, revanchierten sich. Veröffentlichungen der historischen Anthropologie erlebten nun eine Blütezeit und feierten Publikumserfolge. Ins Werk gesetzt wurde die Über nahme des strukturalen Paradigmas und seine Einrichtung auf den historiographischen Diskurs vor allem durch die neue Leitung der Zeitschrift An nales, die Braudel 1969 einer jüngeren Historikergeneration anvertraut hatte (Andre Burguiere, Marc Ferro, Jacques Le Goff, Emmanuel Le Roy Ladurie und Jacques Revel). Diese trat aus dem Gesichtskreis der ökonomi schen Geschichte heraus und wandte sich vermehrt der Untersuchung der Mentalitäten zu.
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Das neue Bündnis 1971 bringt das neue Redaktionskomitee eine Sonderausgabe zum Thema »Geschichte und Struktur« ^ heraus. Der Titel kündet von dem Wunsch, die beiden ehedem wie Feuer und Wasser scheinenden Begriffe in Einklang zu bringen. Wie die Mitarbeit von Claude Levi-Strauss, Maurice Godelier, Dan Sperber, Michel Pecheux und Christian Metz an einem historiographischen Fachorgan zeigt, ist die Zeit der Kämpfe vorbei, vielmehr erlebt man eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen Historikern, An thropologen und Semiologen. So entsteht Anfang der siebziger Jahre ein breites Bündnis zur Durchführung eines ehrgeizigen gemeinsamen For schungsprogramms, das sich tatsächlich für die Dauer des Jahrzehnts als sehr ergiebig erweisen wird. Andre Burguiere, der die Ausgabe präsentiert, entgeht durchaus nicht, daß der Strukturalismus im Gefolge der großen Umwälzung von 1967/68 eine Flaute erlebt und sich damit für die Histori ker die Gelegenheit bietet, den Spieleinsatz einzustreichen. Er vertritt für die Historiker das Programm eines offenen, wohltemperierten Struktura lismus, das den Nachweis erbringen soll, daß diese sich nicht, wie LeviStrauss 1958 kritisierte, mit der Erkenntnis der manifesten Seite der Reali tät begnügen, sondern sich mit demselben Recht wie die Anthropologen die Frage nach dem verborgenen Sinn, dem Unbewußten der kollektiven Praktiken stellen. Fernand Braudel hatte bereits den Begriff der langen Zeitabläufe als Zu gang der Geschichtswissenschaft zur Struktur vorgeschlagen und ihn für eine gemeinsame Sprache aller Sozialwissenschaften in Anschlag gebracht. Andre Burguiere geht noch darüber hinaus und entwirft die Grundzüge des Programms für eine Kulturgeschichte, für eine historische Anthropolo gie, die den Einzug auf das Feld der strukturalen Studien schlechthin er möglichen soll — das des Symbolischen. Auf diesem privilegierten Gebiet wird sich die Leistungsfähigkeit der strukturalen Methode am leichtesten erweisen können. Kurzum, die Annales machen sich 1971 zum Anwalt ei nes Strukturalismus für Historiker. Andre Burguiere schwingt sogar kräftig die Standarte: »Ein bißchen Strukturalismus führt von der Geschichte weg, viel Strukturalismus führt zu ihr zurück.« ^ Hatten einst die Anthropologen die Historiker herausgefordert, so steht Anfang der siebziger Jahre dank der Anthropologisierung des historiographischen Diskurses der Entente
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cordiale offenbar nichts mehr im Wege. Als Gast der Sendung »Les Lundis de l'histoire« auf Kanal France-Culture erkennt Levi-Strauss 1971 in der Diskussion mit Fernand Braudel, Raymond Aron und Emmanuel Le Roy Ladurie an: »Ich habe den Eindruck, wir machen das gleiche: Das große Geschichtsbuch ist ein ethnographischer Essay über die Gesellschaften der Vergangenheit.« ^ Die Historiker ergeben sich den Annehmlichkeiten der »kalten« Ge schichte dauerhafter Zustände, zumal die Historiographie nun ihrerseits der Figur des Anderen gegenüber dem beruhigenden Bild des Selben den Vorzug gibt. Mit der Ausrufung einer strukturalisierten Geschichte, das heißt der Übernahme des strukturalen Modells und der Erhebung der Ge schichtswissenschaft von einer idiographischen zu einer nomothetischen Disziplin, verfolgen die Annales-Historiker das Ziel, jene Föderation der Humanwissenschaften zu verwirklichen, die fimile Durkheim für die So ziologie vorschwebte. Die Strukturale Befruchtung des historiographischen Diskurses bewirkt naturgemäß als erstes eine Verlangsamung der Zeitlichkeit bis zum Quasi stillstand. Man verwirft die Ereignissphäre und erklärt sie zum Epiphänomen oder zum unterhaltenden Beiwerk, um sich ganz dem sich Wiederho lenden, sich Reproduzierenden zu widmen: »Was die Ereignisgeschichte angeht, so führt eine Harmonisierung der Lehren von Braudel und von Labrousse dazu, daß sie an den Rand gedrängt wird oder sogar daß man sich einfach nicht mehr für sie interessiert.«"* Im Zugang auf die Zeitlichkeit konzentriert man sich vornehmlich auf langanhaltende, unbewegte Flä chen, und als Emmanuel Le Roy Ladurie am College de France Braudels Nachfolge antritt, gibt er seiner Inauguralvorlesung den Titel »L'histoire immobile«.^ Der Historiker betreibe Strukturalismus, sei es bewußt, sei es — ähnlich wie bei Molieres Monsieur Jourdain — ohne sein Wissen: »Von Marc Bloch bis Pierre Goubert haben seit beinahe einem halben Jahrhun dert die besten französischen Historiker, die durchweg aufs Systematische hinarbeiten, wissentlich oder auch unwissentlich Strukturalismus betrie ben, was freilich allzu oft verkannt wird.« ^ Le Roy Ladurie hebt bei diesem feierlichen Anlaß seine Bewunderung für die strukturalistischen Methoden hervor, die Levi-Strauss auf die Verwandtschaftsregeln und die Mytholo gien der Neuen Welt angewandt hat. Zwar grenzt er deren Zugkraft auf an dere Breitengrade ein, bezieht aber daraus für den Historiker die Idee, daß
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die Realität von einer kleinen Zahl von Variablen her erfaßt werden muß, indem man Analysemodelle erstellt. Mit einem Ausdruck von Roland Barthes bezeichnet Le Roy Ladurie die Historiker als »Nachhut der Vor hut« '', als Spezialisten für die Zweitverwertung der von den übrigen Sozial wissenschaften erbrachten Vorleistungen, welche sie »schamlos ausplün dern« ^. Dieser Befund ist völlig richtig und beschreibt treffend den zweiten Schub eines gewandelten und von den Historikern vereinnahmten Struktu ralismus. Das von Le Roy Ladurie umrissene Lehrprogramm weist eine ähnlich szientistische Ausrichtung auf wie der Strukturalismus, es ist darauf angelegt, die Historiographie als wissenschaftliche, nomothetische Diszi plin geltend zu machen. Dabei kommt ein langer unbewegter Zeitraum zum Vorschein, der von 1300 bis 1700, vom Spätmittelalter bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts reicht, und zwar anhand eines öko-demographischen Zyklus, der sich in dieser Zeitspanne bei konstant zwanzig Millionen Ein wohnern auf französischem Territorium eingependelt hat. Nach dem von Jakobson entdeckten Nullpunkt der Phonologie, dem Nullpunkt der Verwandtschaft bei Levi-Strauss oder dem Nullpunkt der Literatur bei Barthes entdeckt Le Roy Ladurie den Nullpunkt der Ge schichte: Das »demographische Nullwachstum«^ gewährt dem Historiker Zugang zu den großen stabilen Gleichgewichten. Seine neue Aufgabe hat ihren Schwerpunkt also nicht mehr in den Beschleunigungen und Wand lungen der Geschichte, sondern in den Regulierungskräften, die eine eben mäßige Reproduktion der bestehenden Gleichgewichte bewirken. So betreten etwa mikrobische Wirkkräfte als entscheidende Stabilisierungs faktoren des Ökosystems die Bühne der Geschichte: »Auf viel tiefgreifen dere Weise als im Klassenkampf muß der Motor der Geschichte der Massen in den biologischen Tatsachen gesucht werden, wenigstens in dem Zeit raum, den ich untersuche.« ^° So ist der Mensch ebenso wie in der strukturalen Perspektive aus dem Zentrum gerückt; er sitzt in einer Reuse fest und kann sich nur der Illusion der Wandelbarkeit hingeben. Alles, was mit den großen historischen Brü chen zusammenhängt, ist folglich weniger hoch zu bewerten als die großen Trends, selbst wenn sie aus einer Geschichte ohne Menschen erwachsen." Le Roy Ladurie beendet seine Inauguralvorlesung mit einer optimistischen Bemerkung zur Geschichte, die er im Aufschwung sieht: »Die Geschichte, die ein paar Jahrzehnte lang halb in Ungnade stand und das Aschenputtel
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der Sozialwissenschaften war, nimmt erneut den herausragenden Platz ein, der ihr zukommt. [...] Sie ist einfach zur anderen Seite des Spiegels durchge brochen, um dort statt dem Selben dem Anderen nachzugehen.« ^^ In der Schule der »kalten« Geschichte hatten übrigens schon manche — etwa Frangois Füret — das Antidot aufgetan, das sie brauchten, um sich aus ih rem kommunistischen Engagement zu befreien. In der Strukturalisierung von Geschichte und Bewegung findet sich der Hebel, der aus Marxismus und Dialektik heraushilft und statt dessen zur Wissenschaftlichkeit führt: »Die Geschichte der Trägheitsmomente ist nicht nur eine gute Disziplin, sondern auch ein gutes Therapeutikum gegen eine von der Philosophie der Aufklärung ererbte Sicht der Historizität.« ^^ Die Naturalisierung der Geschichte von Gesellschaften, die, wie die »kalten« Gesellschaften bei Levi-Strauss, statisch geworden sind und reine Reproduktionsmaschinen darstellen, nimmt das strukturale Programm ge gen den im 19. Jahrhundert vorherrschenden historischen Voluntarismus in Anspruch. Angesichts des Zusammenbruchs revolutionärer Perspektiven und restaurativer Verlockungen verebbt die Geschichte im Reglosen, ge rinnt zu einer gleichförmigen, von Vorher und Nachher abgeschnittenen Gegenwart, in der das Selbe und das Andere nebeneinander im Raum ste hen. Diese Stillegung der Zeitlichkeit geht bei manchen mit einer von jedem Entwurf entleerten, schlicht konservativen politischen Position einher: »Im Grunde ist dieser Typus von Geschichte (der der langen Zeitläufe, des Durchschnittsmenschen) eine Historie, deren konservative Ausrichtung ich gerne einräume.« ^'^
Georges Duby und die Dreiteilung Doch zur erkalteten Geschichte als Gegengift zur Philosophie der Aufklä rung greifen vor allem diejenigen, die den Marxismus als Kriegsmaschine im Sinne der in den fünfziger und sechziger Jahren gängigen stalinistischen Vulgata benutzt hatten. Anders verhält es sich mit den Historikern, die die ses historische Engagement nicht eingegangen waren und deshalb keine Dämonen der Vergangenheit auszutreiben brauchen. Auch sie zieht der Strukturalismus in den Bann, doch ohne daß er ihnen als Alternative zum Marxismus erschiene — im Gegenteil.
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Georges Duby zum Beispiel stieß 1937 im Philosophieunterricht auf den Marxismus, den er immer nur als Analyseinstrument, als heuristisches Rüstzeug betrachtete und dessen Bedeutung für seinen Werdegang und seine Arbeit er noch 1980 unterstrichen hat: »Der Marxismus hat tiefen Einfluß auf meine Entwicklung genommen. Ich reagiere zornig auf diejeni gen, die heute, einer Pariser Mode folgend, behaupten, der Marxismus sei für die Historiker meiner Generation belanglos gewesen. Für mich war er sehr wichtig, und ich lege Wert darauf, daß das gesagt wird.« ^^ Indem er Marxismus und Strukturalismus verband, konnte Georges Duby eine Be trachtungsweise vorlegen, die auf Strukturphänomene eingeht und diese mit ihrer diachronischen Entwicklung verknüpft. Auch setzte er sich mit den Arbeiten der Althusserianer auseinander: »Sehr wichtig für mich war aber auch der Moment, in dem ich begann, Althusser und Balibar zu lesen, was mir zu einem besseren Verständnis der Tatsache verhalf, daß in der Epoche, auf die ich spezialisiert bin, die Determinierung durch die Ökono mie im Verhältnis zu anderen Determinierungen zweitrangig sein kann. Das hatte ich schon geahnt.« ^^ Mithin erkannte Duby im Althusserianismus eine mögliche Komplexifizierung des Marxismus. Gleichzeitig spürte Duby wie seine ganze Generation deutlich die Her ausforderung der Anthropologen an die Historiker. Unter dieser neuen Perspektive konnte er von ökonomischen Fragestellungen wie in seiner these über das Mäconnais im 11. bis 12. Jahrhundert^'', in der er die landes herrschaftliche Revolution in der Region um das Kloster von Cluny unter sucht, zu Fragen des Imaginären und des Symbolischen übergehen, ohne diese beiden Ansätze voneinander abzuspalten oder gegeneinander auszu spielen: »Ich versuche, eine Kausalmechanik herauszuhalten. Ich spreche lieber von Wechselbeziehungen als von Ursachen und Wirkungen. Daraus erwächst mein Gedanke, daß alles durch alles bedingt wird und alles alles bedingt. So bin ich auf das Verständnis einer unausweichlichen Globalität gekommen.« ^^ Der mechanistischen Widerspiegelungstheorie hält Duby die Koaleszenz der Ebenen einer Gesellschaft in ihren verschiedenen mate riellen und geistigen Manifestationen entgegen. Und er schlägt den Histori kern ein neues Programm vor, nämlich eine Geschichte der Mentalitäten, die aber nicht von der Sozialgeschichte entbinden, sondern deren entschei dende Pointe sein soll. Das am stärksten strukturalistisch geprägte Werk Georges Dubys, dasje-
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nige, das als die gelungenste Adaptation dieser Methode an die Geschichte gelesen werden kann, sind Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feuda lismus. ^^ Dieses wichtige Buch entstand als einziges ohne Auftrag und ver rät den Einfluß Georges Dumezils: »Ich verdanke Georges Dumezil unge mein viel. Dieses Buch wäre ohne ihn nicht geschrieben worden, aber er ist kein Historiker, sondern Linguist und beschäftigt sich mit der Struktur. Als Sozialhistoriker wollte ich diese Figur in ihren Operationen und Artikula tionen mit dem Konkreten aufgreifen.« ^° Georges Duby übernimmt also das Schema der Trifunktionalität (Herrschaft, Krieg, Fruchtbarkeit) von Georges Dumezil, kehrt aber dessen Behauptung um, daß dieses Schema eine den Indoeuropäern eigene mentale Struktur sei. Für Dumezil war im Anfang der Mythos, während Duby dafürhält, daß die Struktur denkt und die Geschichte lenkt. Er rückt die Entstehung des Mythos im historischen Kontext in den Blick, seine mehr oder weniger große Prägnanz und seine Bedeutung in den gesellschaftHchen Praktiken, in denen er vorkommt. Nun ist aber die Gesellschaft, die er untersucht, von konfliktiven Zonen durchdrungen, die sich verschieben und Weltanschauungen hervorbringen, deren Form oder Natur sich der Notwendigkeit der Konfliktschlichtung anpaßt. In diesem Rahmen spielt das Ideologische eine ganz andere Rolle als die einer bloßen Widerspiegelung der Vorherrschaft des Ökonomi schen. Es produziert Sinn, also soziale Realität und spielt sogar — nach Althussers Terminologie — eine dominante Rolle in der Feudalgesellschaft, da es eine organisatorische Funktion für die Produktionsverhältnisse er füllt. Die ideologische Sphäre stellt in diesem Fall den Ort der Abwesenheit dar — das vollendete Modell des Unvollendeten. Georges Duby rekonstruiert das Auftauchen des trifunktionalen Sche mas in Westeuropa als Ergebnis der feudalen Revolution. Als im 9. Jahr hundert das ausgedehnte karoHngische Reich äußerem Druck ausgesetzt war, vollzog sich eine Umkehrung der ideologischen Werte. Das MiHtär, das bis dahin entlang der Grenzen stationiert war, verlagerte sich in den Mittelpunkt des Gesellschaftskörpers, es löste sich nach innen auf. Der Kö nig verkörperte nicht mehr die Macht des Kriegführens, sondern die des Friedenserhalts. Die politische Macht änderte ihr Objekt, denn sie hatte nun vor internen Turbulenzen zu schützen und die Weihestätten, die Kir chen und Klöster zu verteidigen. Zur gleichen Zeit zerfiel aber die monar chische Obrigkeit und löste sich in zahlreiche Grafschaften und Fürstentü-
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mer auf. Da die weltliche Macht daniederlag, war es für die Geistlichkeit, die Mönche und Kleriker, verlockend, sie zu übernehmen. Die soziale Grenze verschob sich und trennte fortan die Waffenträger von den übrigen. Die Ergebenheit derjenigen, die das Gewicht einer militarisierten Gesell schaft zu tragen hatten, bedurfte der Herstellung eines ideologischen Kon sensus, der noch gefunden werden mußte. Die feudale Revolution benötigte also ein Legitimationssystem, ein wie derum vollendetes weltanschauliches Modell der gesellschaftlichen Ar beitsteilung, der von der Mehrzahl akzeptierten Unterordnung. Nun findet sich zu diesem Zeitpunkt, also um 1205, bei den beiden Bischöfen Gerard de Cambrai und Aldaberon de Laon die Beschreibung eines trifunktionalen Gesellschaftsschemas: »Die einen beten, die anderen führen Krieg, wieder andere arbeiten« (Oratores, Bellatores, Laboratores). Da die politische Macht weggebrochen war, versuchten also die Kleriker, das soziale Gleich gewicht wiederherzustellen, und da stellte sich die dreigliedrige Figur als ir dische Entsprechung zur himmlischen Aufteilung dar. Duby zeigt in aller Deutlichkeit, daß dieses imaginäre Modell es erlaubte, das wirtschaftliche und politische Monopol einer kleinen privilegierten Minderheit zu recht fertigen und in einer dreiteiligen Struktur den grundlegenden Dualismus verschwinden zu lassen, der das System hätte zu Fall bringen können. Das trifunktionale Schema gewährleistete nicht nur die Komplizenschaft der beiden ersten Ordnungen, sondern auch die Vorrangstellung der Geistli chen gegenüber den Laien im Wettstreit um die Einnahme des vakanten Platzes der monarchischen Macht. Blieb dieses Schema auch in einer La tenzphase folgenloses Klerikerwort, so bot es sich Ende des 12. Jahrhun derts den Landesherren und Rittern dazu an, angesichts des Aufstiegs des städtischen Bürgertums die unaufhebbare Unterteilung der französischen Gesellschaft in die drei konstitutiven Ordnungen durchzusetzen. Somit geht das Strukturgefüge der drei Ordnungen rückwirkend vom Ideologischen auf das Gesellschaftliche über — daher die gestalterische Kraft der Ideologie. Und als Philipp der Schöne Anfang des 16. Jahrhun derts die Generalstände einberief, hatte die himmlische Ordnung sich zu ei ner gesellschaftlich-berufsständischen gewandelt: Klerus, Adel und dritter Stand, eine Aufteilung, die sich bis 1789 gehalten hat. Mit dieser Ergründung der Wirksamkeit einer symbolischen Struktur zeigt Duby sowohl, wie es kommt, daß sich eine Gesellschaft nicht aufgrund einer bloßen
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Widerspiegelungsmechanik denken läßt, als auch, daß eine symbolische Struktur im Prozeß ihrer Geschichtswerdung untersucht werden muß: »Das vollendete Modell der drei Ordnungen, das mit dem monarchischen Ideal verknüpft war und die Heeresführer über die anderen stellte, bildete eine Waffe im Streitzug gegen die Verfechter einer neuen Ordnung, welche zum einen die Ketzer und zum anderen die Mönche von Cluny waren.« ^^ Wiedereingesetzt in die Konfliktkonstellation, in der sie aufgetreten ist, stellt die Struktur keine Waffe gegen die Geschichtsschreibung dar, son dern vielmehr den Gegenstand der Verständigung zweier sich anfangs ant agonistisch verhaltender Verfahren.
Foucault und die Dekonstruktion der Geschichte: I. Die Archäologie des Wissens
Als Michel Foucault 1968 in Tunesien die Archäologie des Wissens schreibt, versucht er damit, auf die zahlreichen Einwände gegen die Thesen seines großen Erfolgswerks Die Ordnung der Dinge zu antworten, insbesondere auf die Fragen des Cercle d'epistemologie an der Rue d'Ulm, folglich der neuen althusserianischen Generation, die sich soeben für die politische Pra xis, das Engagement und den Bruch mit dem KP-Apparat entschieden hat. Die große Umwälzung vor und nach dem Mai 68 begünstigt die Zersprengung des Strukturalismus. Michel Foucault sucht mit diesem Werk nach ei ner Möglichkeit, sein Vorgehen zu konzeptualisieren und zugleich von sei nen Strukturalistischen Positionen von gestern abzurücken. Er schlägt einen eigentümlichen Weg ein, indem er eine neue und überraschende Alli anz mit den Historikern der nouvelle histoire, den Nachfahren der Annales vorschlägt. Im Zuge dieser Annäherung siedelt er sich fortan auf dem Ge biet der Geschichtswissenschaftler an und arbeitet mit ihnen zusammen. Freilich sind daraus zahlreiche Mißverständnisse erwachsen, denn Foucault geht die historische Disziplin an wie Canguilhem die Psychologie, das heißt mit dem Ziel, sie in der Art Nietzsches von innen heraus zu dekon struieren.
Die Historisierung des Strukturalismus Foucault selbst legt die Wendungen seines Denkens dar, die ihn von seinen vorangegangenen Arbeiten trennen. Wahnsinn und Gesellschaft betonte zu sehr »ein anonymes [...] Subjekt«, in der Gehurt der Klinik drohte der Rückgriff »auf die strukturale Analyse die Spezifität des gestellten Pro blems [...] zu verbergen«, und in der Ordnung der Dinge »hat das Fehlen ei ner methodologischen Abgrenzung an Analysen in Termini kultureller To talität glauben lassen können« ^ Eben dieser fehlende methodologische
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Rahmen ist nun Gegenstand der Archäologie des Wissens, die ursprünglich in Form eines Vorworts zur Ordnung der Dinge erscheinen sollte: »Canguilhem und Hyppolite rieten Foucault: Nehmen Sie es nicht als Vorwort, Sie können es später entwickeln.«^ Das Werk enthält also durchaus noch Spuren des siegreichen Strukturalismus von 1966, doch zwischen der ersten Version und der Veröffentlichung im Jahr 1969 haben Foucaults Denken und die intellektuelle Konjunktur zahlreiche Richtungswechsel und Umge staltungen durchlaufen. Am auffälligsten ist die Preisgabe des Begriffs der Episteme, der die in der Ordnung der Dinge erörterten Einschnitte zu or ganisieren schien und in der Archäologie des Wissens nicht mehr auftaucht. Es ist aufschlußreich, daß Foucault zur Kennzeichnung seines Verfahrens eine der Geschichtswissenschaft nahestehende Terminologie verwendet, ohne sich als Historiker auszugeben. Er definiert sich als Archäologe und spricht von Genealogie, umkreist also gewissermaßen die historische Dis ziplin und siedelt sich doch außerhalb der Geschichte an, was das zumin dest zwiespältige, häufig zwistige Verhältnis zur Historikerzunft erklärt. Foucaults vornehmlichstes Zielpublikum stellen in den Jahren 1968/69 nämlich die Althusserianer der zweiten Generation dar, die nicht an dem Buch Das Kapital lesen mitgewirkt haben und mehr an der politischen Di mension des philosophischen Engagements interessiert sind als an der De finition eines der zeitgenössischen Rationalität gemeinsamen methodolo gischen Rahmens. Diese Generation (Dominique Lecourt, Benny und Tony Levy, Robert Linhart und andere) steht im Bruch zum Althusserianismus der ersten Stunde: »Wir betrachteten die Gruppe, die an der Publikation Das Kapital lesen mitgearbeitet hatte, als vom StrukturaHsmus kontami niert, was bei uns sehr schlecht angesehen war.« ^ Für diese Aktivisten, die den Schritt hin zum — oft maoistischen — politischen Engagement getan haben, bleibt ein Problem in der Schwebe — das der Praxis, des Praktischen. Nun ist es gerade die große Neuerung der Archäologie des Wissens, daß sie diese Ebene des Praktischen vom Begriff der diskursiven Praxis her in Be tracht zieht. Mit dieser entscheidenden Innovation gelingt es Foucault, das Strukturale Paradigma der bloßen Diskurssphäre zu entwinden und es so dem Marxismus anzunähern. Der Begriff des Praktischen »stellt eine ent schiedene Trennungslinie zwischen den Büchern Archäologie des Wissens und Die Ordnung der Dinge her« "*. In der Tat liegt der Hauptbruch mit dem Strukturalismus in der neuen Behauptung: »Die diskursiven Beziehungen
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sind dem Diskurs nicht innerlich [...].«^ Diese Position bedeutet jedoch nicht, daß Foucault das Feld des Diskurses verließe. Es bleibt der privile gierte Gegenstand, wird aber ins Auge gefaßt als diskursive Praxis, inner halb der Grenzen seiner Existenz, Grenzen, die man gleichwohl nicht in et was dem Diskurs Äußerlichem suchen sollte: »Aber es sind dennoch keine dem Diskurs äußerlichen Beziehungen, die ihn beschränken oder ihm be stimmte Formen auferlegen würden [...]. Sie befinden sich irgendwie an der Grenze des Diskurses [-..]-«^ Foucault rechtfertigt die Historisierung des strukturalen Paradigmas mit dem von den Annales-Histor^kern durchmessenen Weg, die sich ihrer drei traditionellen Götzen Biographie, Ereignis und politische Geschichte radi kal entschlagen haben. Seine Archäologie des Wissens schildert als erstes das große Interesse, das er für diese neue Orientierung der Historiker hegt: »Seit Jahrzehnten richtet sich nun schon die Aufmerksamkeit der Histori ker vorzugsweise auf die langen Perioden, als ob sie sich anschickten, unter den politischen Peripetien und ihren Episoden die festen und schwer zu störenden Gleichgewichte [...] zum Vorschein zu bringen.«^ Diese fast un bewegliche Geschichte fesselt Foucaults Aufmerksamkeit, weshalb er sei ner theoretischen Arbeit die epistemologische Wende voranstellt, die 1929 von den Annales angebahnt wurde. Man mag sich über diese Verbindung zwischen einer Geschichte mit schwachem Gefälle und großen bewegungslosen Sockeln und Foucaults Theorie der Mutationen wundern, die gemäß Bachelards und Canguilhems Epistemologie der Wissenschaften die Diskontinuitäten, die großen änigmatischen Brüche bevorzugt. Es liegt eine Art Paradox darin, den Begriff der epistemologischen Schwellen mit einer erkalteten Geschichte zu unter mauern. Doch diese innere Spannung ist lediglich scheinbar. Foucault sieht eine konvergierende Entwicklung zwischen einerseits der Geschichte des Denkens, der neuen literarischen Kj-itik, der Geschichte der Wissenschaf ten, die immer mehr Brüche und Diskontinuitäten feststellen, und anderer seits der historischen Disziplin, die das Ereignis dem Gewicht der Struktu ren weichen läßt: »Tatsächlich sind es die gleichen Probleme, die sich in beiden Fällen stellten, jedoch haben sie an der Oberfläche unterschiedliche Wirkungen hervorgerufen. Diese Probleme kann man in einem Wort zu sammenfassen als die Infragestellung des Dokuments.«^ Grundsätzlich hat in beiden Bereichen eine Transformation des Doku-
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ments stattgefunden, das von der traditionellen Geschichtsschreibung noch als Gegebenheit betrachtet wurde. Die nouvelle histoire hingegen sieht es als Geschaffenes, das sie organisiert, zerlegt, verteilt und in Serien bringt. Das Dokument ändert seinen Status: Während der Historiker von gestern die Monumente in Dokumente transformierte, ist die Geschichte heutzutage das, »was die Dokumente in Monumente transformiert«^. Im Zuge einer solchen Entwicklung wird der Historiker tendenziell zum Ar chäologen und trifft sich von daher mit Foucaults Projekt einer Archäolo gie des Wissens, die auf einer durchkonstruierten Serienbildung der Er kenntnisse und einer intrinsischen Beschreibung innerhalb dieser Serien beruht. Deshalb sagt Emmanuel Le Roy Ladurie, daß »die Einleitung zur Archäologie des Wissens die erste Definition der >seriellen Geschichte< dar stellt« ^°. Tatsächlich bestimmt Foucault das Programm der Archäologie des Wissens mit ebendiesen Worten: »Künftig ist das Problem das der Konsti tuierung von Serien [...].«^^ Zwischen dem Diskontinuismus, wie er in der Geschichte der Wissenschaften oder der neuen literarischen Kritik am Werke ist, und dem Vorrang, den die Historiker den langen bewegungslo sen Zeitflächen einräumen, besteht also nur an der Oberfläche ein Gegen satz. Hinter ihm verbirgt sich eine Gemeinsamkeit des Denkens und Vor gehens, aus dem heraus die Historiker im übrigen die Diskontinuität vornan stellen: »[...] der Begriff der Diskontinuität nimmt einen bedeuten den Platz in den historischen Disziplinen ein.« ^^ Der Historiker, dessen Aufgabe es gewesen war, Kontinuitäten herzustellen, indem er die Lücken füllte und die Brüche kittete, mißt fortan den Diskontinuitäten heuristi schen Wert zu; sie obliegen einer überlegten Operation, mit deren Hilfe die Analyseebenen bestimmt werden. Die Diskontinuität erlaubt es, die Gren zen des Untersuchungsgegenstands zu umreißen und ihn anhand seiner Schwellen, seiner Bruchstellen zu beschreiben. Schließlich ist sie ein Mittel, nicht mehr eine um ein Zentrum gebündelte globale Geschichte zu kon struieren, sondern das, »was man eine allgemeine Geschichte nennen könnte« ^^, die sich vielmehr als der Raum einer Streuung definiert. Zur Definition der neuen Aufgabe eines Archäologen des Wissens be zieht sich Foucault ausdrücklich auf die Tradition der Annales: »Was Bloch, Febvre und Braudel für die Geschichte als solche gezeigt haben, kann man, glaube ich, auch für die Geschichte der Ideen aufweisen.« ^'^ Aufgrund der neuen Allianz kann Foucault die Alternative zwischen strukturaler Me-
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thode und geschichtlichem Werden überwinden, indem er die neue Ge schichtsschreibung als eine der mögHchen Figuren innerhalb der strukturalistischen Untersuchungen darstellt. Auf dem Feld der Geschichte werden nach Foucault Probleme angeschnitten, die man in der Linguistik, der Eth nologie, der Ökonomie, der Hterarischen Analyse wiederfindet: »Diesen Problemen kann man, wenn man will, durchaus das Kürzel Strukturalismus geben.« ^^ Foucault betrachtet die neue Geschichte als privilegiertes Gebiet für die Umsetzung eines offenen, historisierten Strukturalismus, der bei den Amerikanern Poststrukturalismus heißen wird. Und wirklich bildet diese Historisierung des Strukturalismus in der Strukturalistischen Geschichte seit 1967 eine zweite Phase: »Foucaults Ar chäologie [ist] tatsächlich deutlich unterscheidbar vom taxonomistischen Strukturalismus etwa bei Levi-Strauss.« ^^ Die Reflexion über Struktur und Zeichen ersetzt Foucault durch die Untersuchung von Serie und Ereignis. Doch diese Verlagerung auf die Historie, welche die neuen Historiker der Annales als umstandslosen Beitritt werteten, weil sie in Foucault denjeni gen erblickten, der eine Konzeptualisierung ihrer Praxis leisten könnte, be deutet im Endeffekt nur ein Scheinbündnis. Denn Foucaults Blickrichtung bleibt die des Philosophen, der in der Nachfolge von Nietzsche und Hei degger das Gebiet des Historikers zu dekonstruieren beschließt. Foucault interessiert die diskursive Sphäre und nicht der Referent als nach wie vor bevorrechtigter Gegenstand der Historiker. Foucault versteht sich keinesfalls als Verteidiger irgendeiner Positivität der Geschichtswissenschaft, und sei diese eine neue. Ihm kommt es auf die Öffnung der Strukturen für zeitliche Diskontinuitäten, für Umschwünge an, welche die Verschiebungen innerhalb eines unaufhörlichen Spiels dis kursiver Praktiken regeln. Die allerdings schon bei den neuen Historikern betriebene Dekonstruktion der historischen Disziplin verläuft namentlich über den Verzicht darauf, Kontinuitäten zu erforschen und zwischen den heterogenen Bestandteilen der Realität Synthesen herstellen zu wollen. Ganz im Gegenteil bietet sie eine Perspektive der Pluralisierung und Atomisierung an. Wie Habermas schreibt, verabschiedet diese Konfiguration des Wissens die Hermeneutik, insofern in ihrem theoretischen Horizont das Verstehen nicht mehr vorkommt: »Der Archäologe wird hingegen die gesprächigen Dokumente in stumme Monumente zurückverwandeln, in Gegenstände, die von ihrem Kontext befreit werden müssen, um einer
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Strukturalistischen Beschreibung zugänglich zu werden.« ^^ Was die neuen Historiker als das beste theoretische Grundgerüst für ihre Praxis begreifen werden, ist in Wirklichkeit eine Unternehmung systematischer Destruk tion der historischen Disziplin. So fußen all die Mißverständnisse in den schwierigen Auseinandersetzungen zwischen dem Philosophen und den Fachhistorikern auf einem wahren Quiproquo. De facto nimmt der Streuungsraum der Foucaldischen Archäologie in sofern eine dem Strukturalismus der ersten Periode ähnliche Perspektive ein, als er die Zugrundelegung allzu einfacher Kausalitäten anficht und an ihre Stelle ein allseitiges Beziehungsnetz zwischen den verschiedenen dis kursiven Praktiken setzt. Die Streuung soll aus der Ausweglosigkeit eines Unterfangens hinausführen, das diese Praktiken in einem kohärenten und kausalen Zusammenspiel vereinen will. Der Archäologe wird demnach auch ein Relativist sein, denn es gibt nichts, was sich fundieren ließe. In die sem Sinne bricht Foucault mit dem Szientismus Althussers, dessen theore tischer Horizont stets ein von ideologischen Schlacken bereinigter, als Wis senschaft verstandener historischer Materialismus geblieben ist. Als guter Nietzscheaner unterläuft Foucault mit dem Gesichtspunkt prinzipieller Nichtbegründbarkeit die scheinbar gefestigtesten Überzeugungen und scheinbar legitimsten Wissenschaften. Nachdem er in der Ordnung der Dinge Fallstudien der Philologie, der politischen Ökonomie und der Biologie vorgenommen hatte, nimmt es Michel Foucault, wenn er sich an die Historie begibt, mit einem uralten Wissen auf. Dabei verbleibt er durchaus in der strukturalistischen Abkunft einer Destruktion der Geschichte, allerdings dahingehend verschoben, nicht ihre Existenz zu widerlegen, sondern sich in sie einzuschleusen, um sie von innen heraus zu dekonstruieren: eine Aufgabe, die er über alles Er warten in dieser nietzscheanischen Stunde der beginnenden siebziger Jahre verwirklicht. Da das Wissen nicht begründbar und sein Ursprung nicht auffindbar ist, bleibt die Perspektive im wesentlichen deskriptiv, und Foucault reklamiert für sich einen Titel, der für alle, die im Namen einer konstituierten Wissenschaft sprechen, ehrenrührig ist: »ich bin ein glückli cher Positivist« ^^. Seine Methode klammert jedes Interpretationssystem aus und läßt die diskursiven Praktiken in ihrem Gesagten und Ungesagten, in ihrer Positivität spielen: »Es stimmt, daß ich die Archäologie nie als eine Wissenschaft präsentiert habe, nicht einmal als die erste Grundlage einer
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künftigen Wissenschaft.«^^ Der Archäologe geht wie ein Geologe vor; er begnügt sich damit, die von der Zeit aufgehäuften, übereinandergelagerten Schichten an die Oberfläche des Wissens zu befördern und die Diskonti nuitäten und Brüche freizulegen, die während ihrer Sedimentierung aufge treten sind.
Foucault zielt auf die analytische Philosophie Indes war es der Archäologie des Wissens nicht in erster Linie um einen neuen Bund mit den Historikern der Annales zu tun, sondern um die Kri tik der in der angelsächsischen Welt vorherrschenden analytischen Philoso phie. Zum Zeitpunkt der Abfassung führte Foucault eine eifrige Diskus sion mit dem Leiter der Sektion Philosophie an der Fakultät von Tunis, dem Franzosen Gerard Deledalle, der ein Fachmann der angelsächsischen Philosophie war und ihn im September 1966 zum Unterrichten nach Tune sien geholt hatte. Allerdings liegt diese polemische Absicht, die in der Ord nung der Dinge vorgebrachten Positionen mit einer regelrechten Kritik der Sprachphilosophie zu untermauern, bei der ersten Lektüre keineswegs of fen zutage, und als Dominique Lecourt in La Pensee einen Aufsatz über die Archäologie des Wissens^'^ schrieb, bedankte sich Foucault, gab ihm aber gleichzeitig zu verstehen, daß ihm etwas Wesentliches entgangen sei: »Er sagte zu mir: >Weißt Du, es gibt da etwas, was Du nicht erfaßt hast<, ohne näher darauf einzugehen. Heute weiß ich, was er sagen wollte: Er sprach von der Machtposition, die er gegenüber der analytischen Philosophie er zwingen wollte.« ^^ Sollte die Archäologie des Wissens also eine Kriegsma schine gegen die analytische Philosophie gewesen sein? Die Beziehungen, die Foucault mit Gerard Deledalle unterhielt, und die Aussage von Domi nique Lecourt geben Grund zu dieser Annahme. Nichtsdestoweniger läßt sich vertreten, daß »dieser Widerstand gegen die Intentionalität, den Sinn und den Referenten wahrscheinlich eher die Phänomenologie betrifft, mit deren Tradition Foucault vertraut war, oder einfacher noch die dem StrukturaHsmus feindlich gesinnte Hermeneutik« ^^. Jedenfalls ist der untrennbare Zusammenhang zwischen der Ordnung der Dinge und der Archäologie des Wissens unmittelbar einsichtig. Vorherr schend bleibt die strukturaHstische Tradition in beiden Werken, die sich
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gleichermaßen mit einer Theorie des Subjekts anlegen, auch wenn es in Foucaults Überlegungen einen Umschlag in Richtung einer Historisierung gibt. Fundamental auf dem Spiel steht, wie zur ersten Stunde des Struktura lismus, das Subjekt, dessen Dezentrierung es auf heideggersche Art zu ge währleisten gilt: »[...] was man so stark beweint, ist nicht das Verschwinden der Geschichte, sondern das Verwischen jener Form von Geschichte, die insgeheim, aber völlig, auf die synthetische Aktivität des Subjekts bezogen war [...]; was man beweint, ist der ideologische Gebrauch der Geschichte, durch den man versucht, dem Menschen all das wiederzugeben, was seit mehr als einem Jahrhundert ihm stets entgangen ist.« ^^ Aus demselben Blickwinkel wie in der Ordnung der Dinge rückt Fou cault dem zum König der Schöpfung erhobenen Menschen zu Leibe. Die Archäologie der Humanwissenschaften enthüllt uns die vielfachen narziß tischen Kränkungen, die dem Menschen zugefügt worden sind. Von Kopernikus über Darwin zu Freud ist der Mensch nach und nach seiner illuso rischen Souveränität beraubt worden, und der Archäologe muß diese Entwicklung ernst nehmen. Er darf keine humanistische Anthropologie wiederherstellen, da »der Mensch im Begriff ist, zu verschwinden« ^''^, Der analytischen Philosophie und ihren pragmatischen Forschungen stellt Fou cault eine Autonomisierung der diskursiven Sphäre entgegen, in der die Sprechakte bedeutungslos werden, und konzentriert sich ganz auf das Spiel der Aussagen, die sich innerhalb der diskursiven Formationen entfalten: »Diskursformationen zu untersuchen erfordert eine doppelte Reduktion. Nicht nur muß der Forscher die Wahrheits^ns^^rxioie. des seriösen Sprech akts [...] ausklammern [...], er muß auch dessen Ansprüche auf Bedeutung ausklammern [...].«^^ Wieder findet man die der strukturalen Linguistik eigene und seither klassische Normalisierung des Signifikats und des Signifikanten, die es of fenbar als Voraussetzung herzustellen gilt, um an die Sprache von einem strikt deskriptiven Gesichtspunkt herangehen zu können. Die Beschrei bung der Aussagen und der Aussagefunktion bedingt laut Foucault abso lute Neutralität, womit er zur Äußerung als Akt, im Gegensatz zur ana lytischen Philosophie, die deren Sinn und Wirksamkeit erkundet, eine Außenposition bezieht. Der Archäologe beschränkt sich auf eine Beschrei bung der vorhandenen Aussagen: »Der Archäologe nimmt ernsthafte Sprechakte nicht ernst.« ^^
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Insbesondere versucht er nicht, die diskursiven Logiken in falsche Kon tinuitäten einzufügen, wie dies Biographien tun, sondern die archäologi schen Einschnitte, das Umschlagen einer diskursiven Formation in eine an dere, die Verschiebungen oder Unstimmigkeiten zu orten. Er ist darauf aus, »die Streuung der Diskontinuitäten selbst zu beschreiben«^''. Dieses Bemü hen um Beschreibung innerhalb einer autonomen diskursiven Sphäre schließt durchaus an die strukturale Linguistik und ihre Ausklammerung von Sinn und Referent an: »Der Archäologe behauptet, nicht innerhalb ei nes Intelligibilitäts-Horizonts zu sprechen [...].«^^ Auch sonst gibt es also für Foucault kein Signifizierendes, sei es die Intentionalität des Sprechers, der referentielle Rahmen oder irgendeine verborgene Bedeutung; er geht von der Aussage aus und kehrt zu ihr zurück als einem Moment, der in sei ner Atemporalität zutage gefördert werden muß. Die vom Archäologen verwirklichte Dezentrierung des Subjekts veran laßt Thomas Pavel, eine Parallele zwischen dem Begriffsapparat Foucaults und dem der Distributionalisten wie Harris und seiner Schüler zu ziehen: »Die Ähnlichkeiten kommen vor allem in der Ablehnung mentalistischer Auffassungen zum Tragen. [...] Die Intentionsbegriffe, gegen die Foucault seine Kritik richtet, umfassen die Tradition, die Disziplinen, den Einfluß, die Evolution, die Mentalität, kurzum: alle historischen Formen von Ko härenz und Kontinuität.«^^ Daraus erhellt sich das Aneinandervorbeireden, zu dem es zwischen Foucault und den Historikern kommt: Diese kri tisieren die historische Gültigkeit seiner Thesen und bezichtigen ihn, die Aussagen außerhalb ihres Kontexts und ihrer genauen geschichtlichen Spieleinsätze zu behandeln. Doch nach Foucaults Auffassung gehören Aussage oder diskursive Formation nicht zu den Begriffen empirischen In halts. Sein Vorgehen setzt bei den Grenzen des Diskurses an, um sich auf dessen Möglichkeitsbedingungen zu konzentrieren, und nicht auf der In halts- oder Sinnebene des diskursiven Austauschs, nicht bei seinen konkre ten Propositionen, wie sie die von Foucault für bedeutungslos erachtete analytische Philosophie untersucht.
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Die Archäologie: ein dritter Weg Auch wenn Foucauk seine Aufmerksamkeit ganz auf die Diskursformatio nen konzentriert, läßt er sich gleichwohl nicht auf die linguistischen Me thoden der Sprachbeschreibung ein. Der von ihm definierte Weg der Ar chäologie präsentiert sich als ein möglicher dritter Weg zwischen den Techniken der linguistischen Formalisierung (Semiotik) und der philoso phischen Auslegung (Hermeneutik). Der archäologische Weg verläuft in der Mitte zwischen dem Strukturalismus, dessen theoretisches Rahmen werk er ist, und dem historischen Materialismus. Gilles Deleuze wendet Boulez' musikalisches Urteil über die Welt Weberns auf Foucault an: »Er hat eine neue Dimension geschaffen, die wir diagonale Dimension nennen könnten [...]·*^° Foucault widersetzt sich jeder Reduktion, und um ihr zu entkommen, siedelt sich sein Denken systematisch an den Grenzlinien, den Schwellen, in den Zwischenräumen der Gattungen an. Das zentrale Konzept der Ar chäologie des Wissens, der Diskurs, steht zwischen der Struktur und dem Ereignis; er enthält die Regeln der Sprache, die den vornehmlichen Unter suchungsgegenstand der Linguisten bilden, aber er beschränkt sich nicht darauf, denn er umfaßt auch das, was gesagt wird. »Diskurs« im Foucaultschen Sinne bezeichnet also zugleich die Dimension der Struktur und die des Ereignisses: »einmal allgemeines Gebiet aller Aussagen, dann indivi dualisierbare Gruppe von Aussagen, schließlich regulierte Praxis, die von einer bestimmten Zahl von Aussagen berichtet« ^\ Foucault hält sich inso fern ständig in einer Schwebe, als er sowohl die Abgeschlossenheit des Dis kurses in sich selbst als auch seine Erhellung durch der Sprache äußerliche Elemente zurückweist. Da der Diskurs auf keine andere Ordnung der Dinge verweist, bringt Foucault das Konzept der diskursiven Praxis in Anschlag, mit dem der Zei chenbegriff umgangen werden kann. Dessen ungeachtet gibt er eine auf die diskursive Sphäre gegründete Konzeption der Autonomisierung nicht preis: Er »besteht [...] darauf, daß die entscheidende Rolle bei den von ihm so genannten diskursiven Verhältnissen liegt« ^^. Foucault bleibt also inner halb einer strukturalistischen Auffassung, die auf einem prinzipiellen Ein schnitt zwischen der Sprache und ihrem Referenten gründet; im übrigen teilt er mit dem Strukturalismus den Gedanken, dem Diskurs Vorrang ein-
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zuräumen. Allerdings untersucht er die Diskurse nicht anhand einer lingui stischen Technik, sondern als Philosoph. Er hält sie auf Abstand, verschiebt sie, dreht sie um, studiert sie auf einer anderen Ebene als derjenigen, auf der sie sich zur Geltung bringen. Unter ihrer Oberfläche, die er gleichwohl als Ausgangspunkt nimmt, spielt Foucault die Diskurse gegeneinander aus, um zu erfassen, ob und welche anderen Organisationen sie möglicherweise annehmen können. Foucault hegt unter dem Spiel der Simulakren durchaus die Absicht, die Regeln der diskursiven Praktiken zu beschreiben, wenn er den Zusammenhang zwischen Wörtern und Dingen löst und den Verweis auf den Kontext vermeidet, in dem der Diskurs sich entfaltet. Der Foucaultsche Horizont bleibt in dieser Hinsicht innerhalb der diskursiven Sphäre. Die Aufgabe des Archäologen ist es nicht, die unter den Diskursen liegenden Denkweisen oder Repräsentationen zu definieren, »sondern jene Diskurse selbst, jene Diskurse als bestimmten Regeln gehorchende Prakti ken« ^^. Im Gegensatz zur analytischen Philosophie glaubt die Archäologie nicht an die Signifikanz der Sprechakte und ihre Referenz auf ein Subjekt. Doch im Unterschied zum Linguisten, der die Wiederholbarkeit systematisch fundierter Sprachbauten voraussetzt, faßt Foucault die Aussagen in ihrer Positivität und ihrer Labilität gegenüber der Zeit auf. Der Archäologe muß den Gültigkeitsgrad eines beweglichen Corpus ermessen, das sich alle Au genblicke gemäß seiner Position im diskursiven Raum und dem genauen Zeitpunkt seiner Äußerung verschiebt und wendet. Aus diesen Verschie bungen und Verknüpfungen zwischen verschiedenen Sphären des Diskur ses ergibt sich eine Problematisierung und Hinterfragung der Unterteilung in Wissenschaften, DiszipHnen, konstituierte und ihr eigenes Corpus und spezifisches Regelsystem umschließende Wissensfelder. Der Archäologe ermöglicht vielmehr den Aufweis der Vorherrschaft eines bestimmten dis kursiven Modus quer durch alle Wissensfelder einer gegebenen Epoche. Die Grundeinheit des Archäologen ist die Aussage, aufgefaßt in ihrer Materialität, in ihrer Positivität. Diese Aussage ist ein Zwischending zwi schen der Sprache als System von Regeln einerseits und dem Corpus als tat sächlich ausgesprochenem Diskurs andererseits. Die Aussage entspricht demzufolge nicht der Äußerung im Verständnis der analytischen Philoso phie. Dennoch ist sie nicht in sich geschlossen, denn »eine Aussage bedarf einer Substanz, eines Trägers, eines Orts und eines Datums« ^^^. Anhand der
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Materialität der Aussage beabsichtigt Foucault nicht, eine subjektbezogene Synthese zu zeichnen, sondern vielmehr einen Streuungsraum, der sich aus den vielfältigen Modalitäten der Aussagefunktion ergibt. Was die Aussage fundiert und vereinheitlicht, ist nicht mehr ihre innere Einheit, sondern ist ein Verteilungsgesetz, sind spezifische Konstitutionsregeln, die im wesent lichen auf der Ebene der Beziehung liegen: »Ich habe es also unternom men, Beziehungen zwischen Aussagen zu beschreiben.« ^^ Das Deskriptive bleibt die erste Aufgabe des Archäologen, der kein Kausalitätssystem zwischen Wörtern und Dingen zu errichten hat. Die Aussageregeln sind ebenso unbewußt wie die Episteme, aber ihre Positivität ist stärker historisch geprägt: Sie bezieht sich auf einen bestimmten Raum, eine gegebene Zeit, ein gesellschaftliches, geographisches, ökono misches oder sprachliches Areal. Durch ihr organisches Verhältnis zu der Institution, durch die sie gleichzeitig konstituiert und eingegrenzt wird, schreibt sich die diskursive Praxis stärker in die gesellschaftlichen Realitä ten ein. Daher muß der Archäologe die Gesamtheit der Aussagen in Hin sicht auf ihr Hervorgehen aus derselben diskursiven Formation ermitteln. Nach Foucault bedingt der Aussageraum eine bestimmte Zahl von Regeln, und Gilles Deleuze unterscheidet um die Aussage herum eine Abfolge von drei Kreisen: einen kollateralen, angrenzenden Raum, einen korrelativen Raum, dessen Ordnungsprinzip die Markierung der Plätze und Stand punkte ist, und schließlich einen komplementären Raum als Raum der nichtdiskursiven Praktiken wie der Institutionen, politischen Ereignisse, ökonomischen Prozesse. ^^ Dieser dritte Raum, der bei Foucault keinerlei kausale Ebene bildet, stellt die entscheidende Wendung dar, um aus einem bestimmten Strukturalismus herauszufinden, der an einer geschlossenen Diskursauffassung festhält. Er ist auch die bedeutendste Wende Foucaults sich selbst und seiner frü heren Arbeit gegenüber. Er hat die Episteme bereits ersetzt durch den Be griff der diskursiven Praktiken und nähert sich weiter einem materialisti schen Ansatz, indem er die Beziehungen zwischen diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken in seinen Forschungshorizont aufnimmt, auch wenn es sich nur um einen dritten, lediglich als Blickpunkt gedachten Kreis handelt. Das Ziel des Archäologen besteht darin, anhand der drei Kreise, welche die Aussage bilden, die Bedingungen von deren Wiederholbarkeit zu ermitteln: »Derselbe Raum der Verteilung ist erforderlich, dieselbe
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Streuung der Singularitäten, dieselbe Ordnung der Orte und Plätze, dieselbe Beziehung zu einem institutionalisierten Milieu: all dies bildet für die Aussage eine >Materialität<, die sie wiederholbar macht.« ^^ Doch diese diskursiven Funktionen sind nur transitorische Figuren, vergängliche Sprachformen und kein Ort von Universalien. Damit vereitelt Foucault je den Versuch, seine Perspektive in Gestalt eines Humanismus oder eines Fiistorismus wieder aufzugreifen. Seine Konzeption weist auf das Flüchtige und Vielfältige. Die diskursive Praxis deutet nicht auf ein Subjekt hin, son dern auf die Regeln, denen das Subjekt unterworfen ist. Wie Gilles Deleuze sagt, ist das Verfahren daher wesentlich »topologisch« und nicht typologisch. Es geht um die Ermittlung der verschiedenen Statuten, Plätze, Positio nen, die derjenige innehat, der den Diskurs äußert, so daß dessen Bedeu tung auf einen bestimmten Punkt im Raum zu beziehen ist. Foucault stellt also die Frage nach dem Platz des Sprechers: »Wer spricht? Wer in der Menge aller sprechenden Individuen verfügt begründet über diese Art von Sprache? Wer ist ihr Inhaber?«^^ Das ärztliche Wissen etwa funktioniert nicht auf beliebige Weise und bezieht sich nicht nur auf seine innere Logik. Der Status des Arztes umfaßt Kriterien der Kompetenz. Der Wert des ärzt lichen Handelns hängt ab von demjenigen, der es durchgeführt hat, von sei ner gesellschaftlich anerkannten Qualität, von seinem Platz in der Institu tion. O b Professor oder praktischer Arzt, Interner oder Externer, Doktor oder Sanitätsoffizier — jeder Status entspricht der Aneignung eines beson deren Wissens oder Könnens in einer medizinischen Hierarchie, die gleich zeitig eine soziale Hierarchie ist: »Das ärztliche Wort kann nicht von irgend jemand kommen [...].«^^ Die diskursive Praxis hat ihren Ort durchaus in den nichtdiskursiven Praktiken, die also in den Untersuchungshorizont des Archäologen wiederaufgenommen werden müssen. Als Dominique Lecourt im August 1970 in La Pensee die Archäologie des Wissens besprach, berücksichtigte er ganz besonders diesen Aspekt, den er von seinem marxistischen Standpunkt als entscheidende Weiterentwick lung und punktuelle Abkehr von der Ordnung der Dinge betrachtete. Das Konzept der Praxis, die Herausbildung der Theorie einer diskursiven In stanz, die von den in den Institutionen angelegten Beziehungen struktu riert ist, lassen durchaus an Althusser und die Entwicklung seiner Strö mung zur Praxis denken. Daß Dominique Lecourt dem Werk Foucaults in
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La Pensee breiten Raum zumaß, zeigt seine Absicht, in einem wichtigen Theorieorgan der KPF ernsthaft mit Foucauhs Denken bekanntzumachen und damit gegen die ihm in der Partei entgegengebrachte Ablehnung anzu gehen : »Ich mochte Foucauk sehr, persönHch und als Philosoph. Der Arti kel war ein Versuch, das, was Foucault mit seinen eigenen Worten sagte, in unser Vokabular zu übersetzen — Ideologien, ideologische Staatsappa rate —, und gleichzeitig, wie es damals übHch war, weiterführende Perspek tiven aufzuweisen.« ^^° Dominique Lecourt zeigt sich also erfreut über die Abkehr vom Begriff der Episteme als Eckpfeiler der Ordnung der Dinge (»Foucault [will] sich hier genau von den >strukturalistischen< Aspekten der Episteme be freien« ^^) und über Foucaults Ausrichtung auf einen an den Materialismus anknüpfenden Begriff der diskursiven Praxis. Diese auf die Materialität der diskursiven Ordnung gegründete Konzeption verweist auf die Institutio nen und damit auf Althussers ideologische Staatsapparate. Allerdings be merkt Dominique Lecourt dort eine Lücke, wo Foucault die Aufgabe des Archäologen strikt auf die Beschreibungsebene beschränkt und auf jeden Ansatz von Theoriebildung verzichtet. Seines Erachtens ist Foucault auf halbem Wege stehengeblieben, obwohl er doch mit seinem Begriff der dis kursiven Formation die Möglichkeit geschaffen hatte, die Errichtung einer materialistischen Theorie von der Formation der ideologischen Gegen stände weiterzutreiben. Bis zu einer Bestimmung der Beziehungen zwi schen diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken ist er nicht vorgedrun gen: »sobald die wesentliche Schwierigkeit der >Verbindung< zwischen der Ideologie und den Produktionsverhältnissen auftaucht, fehlt ihm die Reichweite«'^^. Laut Dominique Lecourts althusserianischer Kritik schei tert Foucaults Versuch daran, daß er den Artikulationsmodus, die Ver schränkung zwischen den beiden Instanzen der ideologischen Formation und der gesellschaftlichen Verhältnisse verfehlt. Diese Ebene bleibe bei Foucault ungedacht und verweise notwendig auf die von Althusser formu lierte Perspektive, die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Ideolo gie zu überdenken. Die Archäologie des Wissens erscheint 1969 zu einer Zeit des Umbruchs, in der das strukturalistische Paradigma einen neuen Weg einschlägt, und wirkt mit bei der Anpassung der antihumanistischen Theoriepositionen an den neuen intellektuellen Kontext. Im Zuge der positiven Aufnahme des
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nach der Ordnung der Dinge mit Spannung erwarteten Werks gehen bereits 1969 über 10000 Exemplare weg (11000 Exemplare im ersten Jahr, insge samt 45 000 bis 1987) — für ein hochtheoretisches Buch ein ausgesproche ner Erfolg. Jean-Michel Palmier beschreibt unter dem Titel »Das Sterbege läut der historischen Reflexion: der Tod des Königs« in Le Monde'^^ den theoretischen Werdegang Foucaults. Dieser habe den schönen philosophi schen Traum, der das Wesentliche über die Welt, das Leben, die Moral, Gott und die Geschichte zu sagen vorgab, zunichte gemacht, indem er ihm die minutiöse Lektüre der Vergangenheit durch seine Archäologie entge gengesetzt habe. Frangois Chätelet begrüßt in La Quinzaine litteraire Fou caults Niederreißung der traditionellen Ideengeschichte.'^'^ Regine Robin sieht sich Foucault insofern verpflichtet, als er die notwendige Beziehung zwischen diskursiver und nichtdiskursiver Praxis herstellt, für die sie als ge genüber der Linguistik aufgeschlossene und die Annäherung beider Diszi plinen befürwortende Historikerin besonders empfänglich ist.'^^ Strenger äußert sich Jean Duvignaud, der den Nachdruck auf die Kontinuitäten zwi schen Strukturalismus und Archäologie des Wissens legt, da Foucault »das Selbstbewußtsein im Objektdiskurs auflösen« wolle, also in dem, was in uns, für uns, aber ohne uns spricht und in ein entmenschlichtes Universum mündet. Gewiß bleibt Foucault 1969 seinen antihumanistischen Positionen treu; Hauptziel bleibt es, den Menschen, den Autor, das Subjekt, den Sprecher zu dezentrieren, insofern sie eingetaucht sind in die diskursiven Regularitäten, und ein neues Zeitalter anzukündigen, in dem man, ohne noch ein Ge sicht zu brauchen, würde schreiben können, in voller Ausübung der Frei heit des Schreibens: »Mehr als einer schreibt wahrscheinlich wie ich und hat schließlich kein Gesicht mehr. Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der gleiche bleiben: das ist eine Moral des Per sonenstandes ; sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt, zu schreiben.«"*^ Damit spricht Foucault 1969 aus, daß er zwar weiterhin gegen den Humanismus und jede Subjekttheorie zu Felde zieht, aber die strukturalistische Vereinnahmung ablehnt. Zu einem Zeitpunkt, an dem das strukturalistische Paradigma in der Krise ist, sucht er nach Mitteln und Wegen, sich von sich selbst und seinem vorausgegange nen Werk zu lösen und einen dritten Weg anzubahnen, auf dem sich neue Arbeitsfelder erschließen lassen.
Foucault und die Dekonstruktion der Geschichte: II. Überwachen und Strafen
Rasch gewinnt bei Foucault, der sich bestimmten Thesen Althussers nur zeitweilig angenähert hat, das nietzschesche Dekonstruieren die Oberhand. In der theoretischen Aufarbeitung des frontalen Bruches vom Mai 68 verla gert er sein Interesse auf die Peripherie, den Rand des Systems. Mit dieser neuen Wendung kann er seine politische Praxis in die meist vergessenen äu ßeren Enden des sozialen Systems reinvestieren. Dem Schema der Revolu tion setzt er in der Theorie wie in der Praxis das der Revolte entgegen. Der Einfluß Nietzsches schlägt immer stärker durch, und Foucault erweitert die Dialektik von Diskurs und Macht seiner vorangegangenen Werke um einen dritten Term: den Körper. Diese Trias funktioniert nun in ihren Extremitä ten : Körper und Macht verhalten sich zueinander wie Sein und Nichtsein. Die Freiheit steht gegen den Zwang, das Begehren gegen das Gesetz, die Revolte gegen den Staat, das Vielfältige gegen das Gebündelte, der Schi zophrene gegen den Paranoiker. Die Unterwerfung des Subjekts vollzieht sich über ein drittes GHed. Die Diskursivität gehört zum Feld der Macht, weil ihr das Wissen wesentlich ist.
Von der Archäologie zur Genealogie Die genealogische Wende macht sich 1970/71 auf dreifache Weise bemerk bar. Anläßlich einer Hommage an Jean Hyppolite hält Foucault zunächst auf dem Hintergrund von Nietzsches Verhältnis zur Historie^ einen grundlegenden Vortrag über die Geschichte als Genealogie, als konzertier ter Karneval. Für Foucault steht die Genealogie im Zentrum der Verknüp fung von Körper und Geschichte. Er nimmt sich also vor, sein Augenmerk ganz auf den Körper zu richten, den die Geschichte übergangen hat, ob wohl er ihre Basis ist: »Der Körper: Einschreibefläche der Ereignisse (wäh rend sie von der Sprache markiert und von den Ideen aufgelöst werden).« ^
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So wird Foucault eine regelrechte politische Ökonomie des Körpers ent werfen, den verschiedenen Formen der Unterwerfung nachgehen und die Weisen ihrer Sichtbarkeit offenlegen. In ebendiesem Jahr 1971 sucht Foucault diese vergessenen, verdrängten, eingesperrten Körper auf, um ihnen wieder das Wort zu erteilen: Mit ande ren gründet er die Croupe d'information sur les prisons (Arbeitsgemein schaft zur Information über die Gefängnisse, GIP) und verknüpft damit seine theoretischen Positionen konkret mit seiner politischen Praxis. Doch anläßlich seines Einzugs ins College de France muß Foucault am Anfang je nes Jahrzehnts auch ein Lehrprogramm umreißen. Dies ist der Gegenstand seiner Inauguralvorlesung am 2. Dezember 1970, erschienen unter dem Ti tel Die Ordnung des Diskurses. ^ Er definiert darin ein hybrides Programm, beruhend auf den in der Archäologie des Wissens aufgestellten Regeln, aber unter einer neuen genealogischen Perspektive, die eine merkliche Verschie bung gegenüber der Bestimmung des Archäologen bedeutet. Insbesondere geht es nicht mehr um das Verhältnis von diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken. Foucault privilegiert vielmehr erneut die Ebene des Diskurses, die er diesmal mit dem Körper verknüpft. Sein genealogisches Programm siedelt immer noch auf dem Boden der Geschichte als dem Hauptgegen stand seiner kritischen Analyse. Dabei bewegt sich Foucault ausschließlich innerhalb der diskursiven Sphäre, wobei es ihm darauf ankommt, »dem Diskurs seinen Ereignischarakter« ^ zurückzugeben, den abendländischen Willen zur Wahrheit in Frage zu stellen und die Souveränität des Signifi kanten aufzuheben. Man findet erneut die bereits in der Archäologie des Wissens abgehandelten methodischen Regeln mit der Abfolge der Dis kurse, der Erforschung ihrer Regelmäßigkeit und ihrer Möglichkeitsbedin gungen. Es handelt sich um einen Drehpunkt für Foucault, der sein Pro gramm als kritisches Programm in der Nachfolge der Archäologie vorstellt und andererseits seine künftigen genealogischen Arbeiten ankündigt. Beide Perspektiven ergänzen sich, aber im Laufe des Jahrzehnts wird die eine über die andere die Oberhand gewinnen. So sind die Mitte der siebziger Jahre veröffentlichten Publikationen, Überwachen und Strafen (1975) und Der Wille zum Wissen (1976), von der Genealogie inspiriert: »Der Genealogiker ist ein Diagnostiker, der sich auf die Beziehungen von Macht, Wissen und Körper in der modernen Gesell schaft konzentriert.«^ Foucault bereichert die strukturale Ausgangsper-
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spektive um die Dimension des Körpers, die Konfrontation des Begehrens und des Gesetzes mit den Disziplinarsystemen, bleibt dabei aber bei seiner Verneinung jeder historischen Kontinuität sowie jeder Wertigkeit eines Subjekts, das in einem Spiel steht, in dem anonyme Herrschaftsstrategien gegeneinander antreten, deren Zielscheibe der Körper ist. Das Subjekt ist im Rahmen der Genealogie weder auf individueller noch auf kollektiver Ebene relevant. Es kann nur das Objekt der vielen zentrumslos im sozialen Raum verteilten Kräftedispositive sein. Der Macht-Wissen-Komplex er streckt sich vornehmlich auf eine politische Körpertechnologie, die Dreyfus und Rabinow als »Bio-Macht« bezeichnen. ^ Vom Standpunkt der Ge nealogie hat das Wissen keine objektive oder subjektive Grundlage, so daß man die Wissenschaften daraufhin befragen muß, inwiefern ihre Wahr heitseffekte im wesentlichen Machteffekte sind. Die abendländischen Positivitäten von ihrer Kehrseite, von der Figur des verdrängten Anderen her aufzurollen, das ist das genealogische Programm, das sich entfaltet in der Aufdeckung der unter dem Befreiungsdiskurs der Aufklärung verborgenen Disziplinarprozeduren, des hinter dem Humanis mus schlummernden Terrors, der in der Wissenschaft steckenden Macht. Foucault wahrt also die Perspektive einer scharfen Kritik der abendlän dischen Modernität und der Herrschaft der Vernunft, der er den Karneval der Geschichte entgegensetzt. Dabei dient der allgegenwärtige, gestreute, untermengte und allenthalben wieder auftauchende Machtbegriff als Instrument zur Dekonstruktion der abendländischen Vernunft: »In der Genealogie Foucaults ist >Macht< zunächst ein Synonym für diese reine Strukturalistische Tätigkeit; sie nimmt denselben Platz ein wie bei Derrida die >Differänz<.«'' Nach Habermas setzt Foucault gegen den Kantischen Idealismus eine Verzeitlichung des Apriori, nämlich die der in umgekehrter Form eingesetzten Macht. Die Macht steht nicht mehr in Abhängigkeit zum Wissen, vielmehr unterliegt das Wissen der Herrschaft der Macht, die den Platz einer Gründungskategorie einnimmt und damit kein Subjekt ha ben kann. Die Macht hat demnach eine zweifache Bedeutung, was ver schiedentlich zu Mißverständnissen mit den Historikern Anlaß gab: Einer seits ist sie ein Beschreibungswerkzeug, um die verschiedenen Techniken zur Unterwerfung des Körpers herauszuarbeiten, gleichzeitig aber nimmt sie den Platz einer apriorischen Kategorie ein, mit deren Hilfe eine Ver nunftkritik entfaltet werden kann. In diesem Sinn ist in Foucaults Machtbe-
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griff durchaus eine strukturalistische Kategorie wiederzuerkennen, die Ontologisierung einer nicht auf die empirische Realität rückführbaren Struk tur: »Wenn ich von Macht spreche, geht es nicht darum, eine Instanz zu markieren, die auf schicksalhafte Weise ihr engmaschiges Netz über die In dividuen ausbreitete. Die Macht ist eine Beziehung, kein Ding.«^
Eine Problematisierung der Macht Die Hauptneuorientierung der siebziger Jahre ist die subjektive Betroffen heit Michel Foucaults von seinem theoretischen Untersuchungsgegen stand. Er vollzieht damit eine ähnliche Entwicklung, wie wir sie zum selben Zeitpunkt bei Barthes feststellen konnten. Insbesondere ist diese Implika tion in Foucaults 1975 erschienenem Überwachen und Strafen spürbar. Ge wiß kündigte, wie Daniel Defert anmerkt^, bereits 1961 eine Fußnote in Wahnsinn und Gesellschaft eine Arbeit über die Gefängnisse an. Doch das Werk ist vor allem das Ergebnis von Foucaults Einsatz an den in den siebzi ger Jahren sogenannten »sekundären Grenzen«, bei den peripheren Kämp fen, die an Stelle der fehlgeschlagenen Aushebelung des Zentrums treten. Im Februar 1971 schlagen Daniel Defert und seine maoistischen Genos sen Foucault vor, eine Untersuchungskommission über die Strafvollzugs bedingungen ins Leben zu rufen. Foucault ist nicht nur einverstanden, son dern engagiert sich auch uneingeschränkt in dieser militanten Initiative. Er selbst übernimmt 1971 mit dem Hellenisten Pierre Vidal-Naquet und mit Jean-Marie Domenach, dem Herausgeber der Zeitschrift Esprit, die Lei tung der Arbeitsgemeinschaft zur Information über die Gefängnisse (GIP). Die Anschrift der GIP ist die von Foucault selbst, der die Angehörigen der Gefangenen bei sich empfängt und samstags ab sechzehn Uhr, nach der Be suchszeit, ihre Berichte aufnimmt. Er setzt sich so intensiv für die Sache der Inhaftierten ein, daß er sogar sein Theorieprojekt vertagt, das erst nach die ser militanten Phase erscheinen wird: »Foucaults Idee war, den Häftlingen selbst das Wort zu erteilen. Er hat viel mehr von ihnen besucht als ich. Das war schon eine merkwürdige Mischung, diese Begegnung von Foucaldischem Strukturalismus, 68er-Postmarxismus auf der Suche nach revolutio nären Kräften und evangelischem Christentum, aus der — gemeinsam mit den Maoisten — die Stammtruppe der GIP hervorging.« ^° In diesem Klima
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der Diskussion einer Reform des Strafvollzugssystems und der Proteste in den Haftanstalten, in denen sich die Meutereien häufen, spielt die GIP eine wichtige Rolle. Zahlreiche Intellektuelle treten ihm bei, darunter die Vincenner Jean-Claude Passeron, Robert Castel, Gilles Deleuze, Jacques Ranciere sowie ein unerwarteter Neuling, der sich mit Foucault befreundet und sich vollauf in diesem Kampf engagiert: Fran9ois Mauriacs Sohn Claude Mauriac, damals Journalist beim Figaro. Von 1971 bis 1974 ist Foucault bei allen Aktionen über die Gefängnisse dabei, und die GIP vervielfältigt die Aktionsformen: Demonstrationen, Informationsarbeit und kritische Re flexion der repressiven Praktiken der Macht. Erst nach dieser Phase aktiver Militanz, aber durch sie angereichert, er scheint Überwachen und Strafen. Dieses Werk steht an einer Weggabelung. Es verdeutlicht das in der Archäologie des Wissens erklärte Bestreben, über das Feld des Diskursiven hinauszugreifen, um den Zusammenhang zwi schen diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken herzustellen. Gleichzei tig aber ist es Ausdruck des genealogischen Programms der Erforschung des Körpers als Zielscheibe der Macht und der Ermittlung, wie das Gefäng nis in einem ganz bestimmten Augenblick der abendländischen Geschichte problematisiert werden muß. Foucault untersucht das Gefängnis als eine von mehreren Modalitäten der Machtausübung. Sein Machtverständnis bricht mit der instrumentalistischen Auffassung des Marxismus-Leninismus, es pluralisiert sie. Die Macht hat kein Zentrum mehr, sie zirkuliert, sie ist das wichtigste Beziehungsschema: »In der Epo che des Strukturalismus stand man zwischen Lenins Staat und Revolution und dem Foucault der Reflexion über die Macht.« " Foucault läßt das Poli tische zurückfließen in die erweiterte Definition eines bis an die äußersten Ränder reichenden Machtfeldes, so daß der Staat als den Gesellschaftskör per versorgendes nervliches Zentrum verschwindet. Seine Auffassung er scheint als Antithese zu der von Hobbes im 17. Jahrhundert, der im Leviathan den Staat als das Epizentrum betrachtete. Dagegen will Foucault die Wirklichkeit der bis dahin als Epiphänomene vernachlässigten peripheren Körper wieder zur Geltung bringen. Diese Vorgehensweise birgt den Vor zug, hinter dem Unorganischen und Ungeordneten die Gliederung und Rangfolge einer Ordnung aufzudecken. Allerdings verwässert Foucaults Machtbegriff die politische Dimension, indem er sie ins Unendliche ausstreut. Macht ist keiner Klasse mehr zuzu-
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ordnen, die Zugriff auf sie hätte. Sie zirkuliert in einem Netz zwisclien den einzelnen, funktioniert in von ihnen durchlaufenen Ketten, bevor sie sich wieder in einem Ganzen sammelt. Wenn es keinen Knotenpunkt der Macht gibt, kann es auch keinen Ort des Widerstands gegen diese Macht mehr ge ben. Weil sie allgegenwärtig ist, kann sie nicht gekippt werden, sie ist in je dem einzelnen. Weil alles überall Macht ist, ist sie nirgendwo. Der Wider stand gegen ihre Ausübung wird gegenstandslos. Foucaults Analyse hat das große Verdienst, daß sie zum Auseinanderhalten von Macht und Staat an hält, freilich oft um den Preis, die Existenz eines Staates zu negieren zugun sten eines ausschließlich auf den Körper begrenzten Blicks. Der Körper des Verurteilten ist gefangen zwischen den verschiedenen Signifizierungen der Dispositive der Macht. Von der Bestrafung des Ver brechens zu Zeiten des Schauspiels der Züchtigung mit seinen öffentlichen Martern bis zur Bestrafung durch das Gefängnis, bei der der Verurteilte in den Mittelpunkt des Panopticons gestellt wird, vollzieht sich ein zirkulärer Prozeß zwischen der Mehrung des von der Aufklärung verkörperten Wis sens und der Mehrung der Macht durch die Ausweitung der Disziplinarbe reiche. Foucault nimmt eine Historisierung der Einkerkerungsprozedur vor, indem er die Entstehungsbedingungen des Gefängnisses untersucht. Darüber hinaus zielt er jedoch auf ein Einschließungssystem, das seine Positivität auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Realität einschreibt, in der Schule wie in der Fabrik und in der Kaserne: Ende des 18. Jahrhunderts entsteht ein neuer Raum der Sichtbarkeit. Ein umfassendes System entsteht und schreibt sich in die Realität der konkreten Verhältnisse ein, das Fou cault jedoch nie einem entscheidungsmächtigen Subjekt, einem System von Kausahtäten zuordnet. Die Praxis der Einsperrung scheint sich von außen aufzuzwingen und erst im nachhinein Rechtfertigung zu finden; sie steht im Schnittpunkt ei ner besonderen Diskursordnung und einer Umkehrung des Blicks, eines neuen Modus der Sichtbarkeit. Die Heraufkunft der modernen Gesell schaft gründet, wie bereits Max Weber anmerkte, auf der Selbstdisziplin des Subjekts, und Foucault verfolgt deren Bedingungen in der Vervielfälti gung und Ausweitung der Normierungsmächte, die den einzelnen in allen Bereichen des sozialen Systems belangen. Von einer juridisch-diskursiven Gesellschaft, in der die Regel, das Gesetz von einer gleichmäßig funktio nierenden Macht verkündet wird, findet ein Übergang statt zu einer auf
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Disziplin und disziplinaren Normen beruhenden Gesellschaft. In der abso lutistischen Gesellschaft war das Verbrechen eine Verletzung des Souveräns in Person. Dem Körper des Verbrechers wurde Schmerz zugefügt, um die zeitweilig angetastete Macht des Fürsten wiederherzustellen. Somit hatte die Marter eine eher politische als rechtHche Funktion. Der Körper stand im Zentrum des Dispositivs der Macht: »Der in der Marter befragte Kör per ist Zielscheibe der Züchtigung und Ort der Wahrheitserpressung.« ^^ Der Körper des Verurteilten war in der Tat das Hauptstück des Zeremo niells der öffentlichen Züchtigung. Die Vollstreckungsart verwies auf die Natur des Verbrechens: Man durchbohrte die Zunge der Lästerer, man ver brannte die Unkeuschen, man hackte die Hand ab, die getötet hatte. Die Gerichtsbarkeit wiederholte also das verübte Verbrechen und trieb es durch den Vollzug der Marter und den Tod des Schuldigen aus. Durch die ses Zeremoniell konnte die für einen Moment beeinträchtigte Macht des Souveräns wieder rekonstituiert werden: »Nicht die Gerechtigkeit, son dern die Macht wurde durch die Marter wiederhergestellt.« ^^ Mit der Krise der königlichen Souveränität nimmt das Recht zu strafen einen anderen Charakter an; es ist nicht mehr das Mittel, den Fürsten wie der in seine Autorität einzusetzen, sondern die Gesellschaft zu verteidigen. Dieser neue Ansatz entspricht dem Zeitpunkt, an dem sich die Konzentra tion von der Gesetzwidrigkeit von Körperdelikten auf die von Eigentums delikten verlagert. Man trifft nun ein Justizsystem an, in dem die Diszipli narmacht dazu tendiert, sich unsichtbar zu machen. Umgekehrt soll der Gesellschaftskörper zwecks Überwachung transparent und bis in die letz ten Winkel einsehbar werden. Es errichtet sich ein Disziplinarsystem unter Vermehrung der Gefängnisse, Schulanstalten und Kasernen: »Was sich ab zeichnet, ist [...] ein lückenloseres Durchkämmen des Gesellschaftskör pers.« ^'^ An die Stelle einer hilflosen Macht, die ihren Herrschaftswillen durch die Sensation der körperlichen Martern bekundet, tritt die Allgegen wart der Macht: »Das Recht der Strafe hat sich von der Rache des Souve räns auf die Verteidigung der Gesellschaft verschoben.« ^^ Die Moderne trägt also eine von speziellen, auf ihre gesteigerte Wirksamkeit hin geschaf fenen Institutionen ausgerichtete Kontrolle der Bevölkerung in sich. Laut Foucault ist dies die große Zeit der Einsperrung. Sie betrifft zunächst die sozialen Randschichten: Vagabunden, Bettler, Verrückte, aber auch die Kinder, bei deren Einschulung sich das Modell des Klosters durchsetzt, so-
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wie die Soldaten, die nicht mehr umherziehen, sondern in Kasernen seß haft werden. Das gesamte Gesellschaftssystem stellt sich auf das neue Schema der Sichtbarkeit um. Das Muster für diese neue Disziplinargeseilschaft liefert uns Bentham mit seinem Panopticon, das in den Jahren zwischen 1830 und 1840 zum Modell für den Gefängnisbau wurde: »Das Panopticon ist viel seitig einsetzbar: es dient zur Besserung von Sträflingen, aber auch zur Heilung von Kranken, zur Belehrung von Schülern, zur Überwachung von Wahnsinnigen, zur Beaufsichtigung von Arbeitern, zur Arbeitsbeschaf fung für Bettler und Müßiggänger. Es handelt sich um einen bestimmten Typ der Einpflanzung von Körpern im Raum [...].«^^ Im Zuge der Einrich tung dieser Disziplinargeseilschaft gleitet laut Foucault die Achse der Indi vidualisierung im Gesellschaftskörper nach unten: In der mittelalterlichen Gesellschaft war die Individualisierung am größten an der Spitze, dort, wo die Macht ausgeübt wurde, im Körper des Souveräns selbst; in der Disziplinargesellschaft hingegen wird die Bevölkerung individualisiert, da die Sichtbarkeit alle ihre Taten und Handlungen kenntlich machen soll, wäh rend die Macht zu einer anonymen, rein funktionellen Maschine wird. Somit kehrt Foucault die Perspektive in doppelter Weise um: Zunächst sieht er die Macht nicht mehr von einem negativen Standpunkt, sondern in ihrer Positivität (»In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produ ziert Reales« ^^), vor allem aber wendet er die fortschrittsgewandte Sicht der Geschichte, die in der Aufklärung ein maßgebliches Moment der Be freiung und Mündigwerdung erblickt, das sich mit der Moderne bewahr heitet habe. Er erkennt hinter dieser Emanzipation, hinter dem Walten der Freiheiten das Fortschreiten der Kontrolle über den Körper, die Ausdeh nung der Disziplinarpraktiken, die Verstärkung einer repressiven Gesell schaft: »Der Traum von der vollkommenen Gesellschaft wird von den Ideenhistorikern gern den Philosophen und Rechtsdenkern des 18. Jahr hunderts zugeschrieben. Es gab aber auch ein militärisches Träumen von dieser Gesellschaft.« ^^ Foucault fordert also zu einer regelrechten Umkeh rung der historischen Perspektive auf; das zentrale Objekt seiner Genealo gie ist der Körper, und sein methodischer Ansatz fußt auf den Inflexionen des Blicks, den Modalitäten der Sichtbarkeit. In dieser Hinsicht verfährt ioucault ganz kontinuierlich zu seiner Beschreibung der Bedingungen, welche die Geburt der Klinik ermöglichten, die er zu seiner vornehmlich
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Strukturalistisch inspirierten Periode beschrieben hatte. Es war sein großes Verdienst in dieser Untersuchung der strafenden Vernunft, daß er sich das historische Archiv, die Reformprojekte, die Polizeiakten selbst vornahm und so ein spezifisches Analysecorpus abseits der kanonischen Texte der Philosophiegeschichte erstellte. Seine Untersuchung setzt auf der Ebene des Diskurses und des Sehens an, um ein besseres Verständnis von den ef fektiven Spieleinsätzen der Dispositive der Macht zu gewinnen. Sein Werk hat ein spektakuläres Echo gefunden. Stärker als Wahnsinn und Gesellschaft, das zu zwei verschiedenen Zeitpunkten Erfolg hatte, ent spricht Überwachen und Strafen vollkommen der Geistesverfassung einer Generation, die versucht, »den kleinen Chef«, »den Bullen aus dem Kopf« zu verscheuchen, und überall die Macht am Werke sieht. Weitreichender, als Foucault es beabsichtigte, sind seine Thesen zur Vulgata derjenigen gewor den, die gegen die verschiedenen Formen gesellschaftlicher Durchrasterung kämpften. Eine regelrechte Waffe der Kritik gegen die disziplinaren Prak tiken, dienten Foucaults Thesen als Rüstzeug für die verschiedenen sektoriellen Kämpfe, die zahlreichen Nebenfronten, die eröffnet und wieder zugemacht wurden. Niemals war der Philosoph in solchem Maße das Sprachrohr für die Ideale und Enttäuschungen einer Generation — der von 68. Überwachen und Strafen ist auch ein Echo auf die sich mehrenden Auf stände in den Gefängnissen und bietet einen theoretischen Analyserahmen für diese Kehrseite der modernen Gesellschaft. Wie Jean-Michel Besnier und Jean-Paul Thomas schreiben: »In den siebziger Jahren die Lehren aus 68 ziehen hieß auf die schöne Einfachheit des Kampfes gegen die Staatsge walt verzichten, ohne sich schon von den entschlossen revolutionären Praktiken und Analysen zu verabschieden.« ^^ Kein Wunder also, daß dieses stilistisch blendende Buch mit 8000 verkauften Exemplaren 1975 und 70000 im Jahr 1987 eine eindrucksvolle kommerzielle Karriere machte. ^°
Foucault als Historiker? Foucault hat als Philosoph weithin das Gebiet der Geschichtswissenschaft ler behandelt, aber er ist auch mit ihnen ins Gespräch gekommen. Mit eini gen hat er sogar zusammengearbeitet, namentlich mit den Historikerinnen Michelle Perrot und Arlette Farge, die sich ebenfalls vorrangig von der her-
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kömmlichen Geschichtsschreibung ausgeschlossenen Themen widmen: den Frauen und den Randgruppen. Schon mit seiner ersten VeröffentHchung, seiner these über die Ge schichte des Wahnsinns, trifft sich Foucauk unwillentlich mit den Histori kern. Denn es ist ein Einzelkämpfer der Mentalitätsgeschichte, der, so un wahrscheinlich dies bei seiner rechten, ultrakonservativen, royalistischen Gesinnung auch ist, das Manuskript 1961 bei Plön zur Veröffentlichung empfiehlt: Philippe Aries. Dem Werk wird ein begeisterter Empfang zuteil, besonders seitens der Geschichtswissenschaftler: Robert Mandrou und Fernand Braudel begrüßen die Geburt eines großen Historikers. Indes be ruht die Beziehung zu den Historikern von Anfang an auf einem Mißver ständnis, feiert man doch eine sozialpsychologische Arbeit, die glänzend das mentalitätsgeschichtliche Konzept der Annales illustriere, was aber auf Wahnsinn und Gesellschaft keineswegs zutrifft. Die Historiker sollten spä ter das Gefühl haben, einen ihrer besten Fachgenossen zu verlieren, ob wohl Foucauk nicht vorhatte, sich auf historischem Gebiet als Spezialist für Sozialgeschichte anzusiedeln, und sei diese auch erneuert, sondern als nietzscheanischer Philosoph zu problematisieren, was er als den Karneval der Geschichte betrachtete. Mit Foucaults Aufnahme der epistemologischen Arbeit entstand eine Mauer des Unverständnisses zwischen ihm und den Historikern: »Foucauk war darüber manchmal verbittert. Er empfand es als Zurückweisung. Bevor er am College de France war, soll er auch den Ehrgeiz gehabt haben, an die Ecole des hautes etudes zu kommen. Ich glaube nicht, daß er sich beworben hat, aber er wartete darauf, daß man ihn fragte. Er ist nie gefragt worden.« ^^ Michelle Perrot dagegen ist eine begeisterte Anhängerin von Foucaults Werk. Die aus der Schule von Labrousse mit ihrem Augenmerk für die lan gen Zeitabläufe hervorgegangene Historikerin ist zunächst Spezialistin für die Geschichte der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert und hat sich da nach der feministischen Geschichtsschreibung zugewandt. Sie steht der in terdisziplinären Arbeit sehr aufgeschlossen gegenüber und bietet in der Universität Paris-VII Anfang der siebziger Jahre gemeinsam mit Gerard Delfau einen Seminarschein [unite de valeur) zum Thema »Geschichte und Literatur« an. 1972/73 in einer feministischen Gruppe engagiert, gibt sie im Studienjahr 1973/74 einen Kurs zu der Frage, ob Frauen eine Geschichte haben. ^^ Bei dieser Gelegenheit lädt sie Soziologinnen ein, über die gegen-
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wärtige Lage der Frauen zu sprechen, z. B. Madeleine Guilbert und fivelyne SuUerot. In dieser Gründerzeit der Frauengeschichte Anfang der siebziger Jahre galt es vor allem, eine verschwiegene Wirklichkeit zutage zu fördern, die Geschichte der Vergessenen zu schreiben, das Verdrängte der Ge schichtsschreibung sichtbar zu machen. Man versteht, worin die Begeg nung zwischen Foucault mit seinem Ansatz, den Gefangenen wieder das Wort zu erteilen, und Michelle Perrot mit ihrem parallelen Vorhaben hin sichtlich der Frauen ergiebig sein konnte. Als Überwachen und Strafen er scheint, interessiert Michelle Perrot sich just für die Geschichte des Ge fängnisses im 19. Jahrhundert: »Ich fand dieses Buch großartig.«^^ Ausgehend von dem Text »L'historien et le philosophe« des Historikers Jean Leonard, der sich sehr kritisch zur Foucaultschen Methode äußert, und Foucaults Entgegnung »La poussiere et le nuage«, organisiert Michelle Perrot gemeinsam mit Fran9ois Ewald ein Gespräch zwischen Vertretern ihres Fachs und Foucault: »Mit Ausnahme von Jacques Revel, der das Werk Foucaults sehr gut kannte, und Arlette Farge, die mit ihm zusammenarbei tete, stellten die Historiker Fragen, die an Foucaults Denken vorbeigingen, und er versuchte zu antworten. Aber wir hatten zwei nebeneinander her laufende Diskurse, und als wir mit Fran9ois Ewald vor der Aufnahme sa ßen, sagten wir uns, daß das so nicht publizierbar war.« ■^'^ Man wählte die Lösung, den Ausführungen Foucaults den Vorrang zu geben und die ver schiedenen Einlassungen der Historiker zu einem anonymen Text zu ver schmelzen, das Ganze als Dialog entlang den beiden Ausgangstexten. Dies bildete dann das Material für die Veröffentlichung von L'Impossible Prison^^ (1980), »aber der Dialog hatte nicht wirklich stattgefunden«^^. Foucault legt anläßlich dieser Konfrontation sein Vorgehen dar und ver hehlt nicht, daß es sich grundlegend vom historischen Ansatz unterschei det. Sein Ziel liegt nicht in einer globalen Analyse der Gesellschaft: »Mein Vorhaben unterschied sich von vornherein von dem der Historiker. [...] Mein allgemeines Thema ist nicht die Gesellschaft, sondern der Diskurs von Wahr und Falsch.« ^^ Er wiederholt, daß er auf eine Ereignishaftigkeit hinarbeite, sein Feld aber nicht die Sozialgeschichte sei. Sein Analyseraster setze auf einer anderen Ebene an, der der Diskurspraktiken. Ebendies hält ihm der Historiker Jean Leonard vor, der in Foucaults Studie den ausgiebi gen Gebrauch reflexiver Verben und des Personalpronomens »man« aus macht. Es ist die Rede von Macht, Strategie, Technik, Taktik — »aber man
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weiß nicht, wer die Akteure sind: Wessen Macht? Wessen Strategie?«^^ Foucault übergehe die Rolle der verschiedenen Institutionen bei der Dres sur und Konditionierung des Körpers. Er lasse die verschiedenen gesell schaftlichen Kategorien außer acht. Jean Leonard wirft Foucault vor, seine Leser in eine kafkaeske Welt zu führen: »Das Vokabular der Geometrie verödet die menschliche Gesellschaft; es geht nur um Räume, Linien, Rah men, Segmente, Anordnungen.«^^ Freilich beantwortet Foucault diese Be zichtigung damit, daß dies gar nicht sein Thema sei. Es handele sich weder um eine Studie über die französische Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhun dert noch um eine Geschichte der Gefängnisse von 1760 bis 1840, sondern »um ein Kapitel in der Geschichte der strafenden Vernunft« ^°. Der Dialog ist zum Scheitern verurteilt, denn Foucault durchmißt lediglich als Philo soph ein paar Felder der Geschichte und will dabei hauptsächlich zeigen, daß die umfassende Instanz des Realen, auf die es den Historikern an kommt, ein Trug ist, den es zu entmystifizieren gelte. Foucault hat die Geschichte auf Halbmast gesetzt. Wie die ganze Strukturalistengeneration fragte er sich, wie sie an der Wiege der abendländi schen Zivilisation das Ungeheuer des Nazismus und den stalinistischen Totalitarismus hatte gebären können. Im Kern seiner Geschichtsbeziehung steht unbestreitbar dieses Trauma, das ihn dazu führt, sich nicht mit dem falschen Anschein abzugeben, die Kehrseite aufzudecken und hinter den Proklamationen der Aufklärung die Einrichtung der Unterwerfungsdispo sitive zu erkennen, hinter der Freiheit die große Einsperrung, hinter der Gleichheit die Versklavung der Körper, hinter der Brüderlichkeit die Aus schließung. Foucault trägt eine düstere Vision der Geschichte, eine radikale Kritik der Modernität vor. Gleichwohl hat seine geschichtliche Dekonstruktion einigen Historikern zu gesteigerter Aufmerksamkeit für die Verbegrifflichung, die Problematisierung ihres Gegenstands verholfen: »Für mich spielte dies eine beträchtliche Rolle. Foucault hat mir immer wieder Reflexionsstränge geliefert. Was er in Überwachen und Strafen sagt, hat mir geholfen zu verstehen, was Normierung in der Industriegesellschaft heißt, und genauer zu begreifen, was man die Formation der Arbeiterklasse nennt. Denn wichtig an Foucaults Darlegungen ist, daß Disziplin nicht nur Repression bedeutet, sondern auch Einwilligung, Verinnerlichung der Werte.« ^^ Die Vorliebe für das Archiv wird Foucault veranlassen, historische Ak-
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ten herauszugeben, mit deren Hilfe er die Art und Weise in Szene setzen kann, wie ein Körper als Spieleinsatz der Macht in die Verschlingung meh rerer diskursiver Dispositive geraten kann, die ihn jeweils beanspruchen. Der Justizapparat und der medizinische Apparat machen einander den Wahnsinnigen streitig. Ein Verbrecher wie Pierre Riviere, auf den Foucault in den Annales d'hygiene politique et de medecine legale (1836) stößt, steht im Kreuzungspunkt mehrerer Diskurse unterschiedlicher Herkunft und Funktion, die über ihn als Vorwand gegeneinander antreten, um eine Machtposition, eine Legitimierung der Wissenschaftlichkeit ihrer Stellung nahme zu gewinnen. So wird die Affäre Pierre Riviere von 1836 im Jahr 1973 Gegenstand eines von Foucault und den Mitgliedern seines Seminars kollektiv erarbeiteten Dossiers. ^^ In diesem Dossier konnte Foucault die Einsätze in Beziehung setzen, die im Spiel waren zwischen dem von Pierre Riviere — einem etwa zwanzigjährigen Bauern, der kurz zuvor seine Mut ter, seine Schwester und seinen Bruder umgebracht hatte — selbst verfaßten Bericht und einer Anzahl von juristischen Schriftstücken sowie drei Typen medizinischer Gutachten: des Landarztes, eines städtischen Arztes, der eine große Pflegeanstalt leitete, und der Größen der Psychiatrie und der Gerichtsmedizin. Mit dieser Gegenüberstellung anhand eines konkreten Falles lassen sich die Anfangsgründe der Anwendung psychiatrischer Kon zepte in der Strafjustiz aufzeigen. Der Angeklagte sieht sich im Schnitt punkt verschiedener Taktiken gefangen, die in den Schranken der Gerichts barkeit gegeneinander antreten. Infolge seiner für einen Philosophen eigentümlichen Archiworliebe ver öffentlicht Foucault manche Arbeiten mit Historikern. Nach dem Fall Ri viere publiziert er mit Michelle Perrot eine Einführung in Benthams Panopticon^^ und lernt Arlette Farge kennen, mit der er dann über die Lettres de cachet, die königlichen Einweisungsbefehle in die Bastille, arbeitet: »Meine Begegnung mit Foucault war eigentlich unwahrscheinlich, denn wir arbeiteten überhaupt nicht in derselben Richtung; sie entstand aus dem Material selbst und aus etwas allgemein Verkanntem, seiner Empfänglich keit für das Archiv. Die Ästhetik des Dokuments beeinflußte ihn sehr.«^'^ Aufgrund der Faszination für das Archiv verkehrte sich das übliche Ver hältnis zwischen Historikerin und Philosoph, denn es war Arlette Farge, die Foucault für eine Erläuterung dieser Lettres de cachet gewinnen konnte, während Foucault die Dokumente anfangs nicht mit Kommenta-
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ren beschweren wollte: »Wundersamerweise ließ er sich davon überzeugen und bat mich dann, mit ihm über diese Texte zu arbeiten.« ^^ Die Lettres de cachet waren im Grunde genommen eine alte Entdeckung Foucaults aus der Zeit der Abfassung der Geburt der Klinik. Schon damals faßte er den Entschluß, etwas aus ihnen zu machen. Er hatte zu diesem Ma terial einen starken affektiven Bezug: »Er war der einzige, der mir sagte, daß man auch mit dem Gefühl arbeiten kann. Er hat mir dazu verholfen, daß sich das Gefühl von seiner süßlichen Bedeutung löste und die eines in tellektuellen Rüstzeugs gewann.« ^^ So sollte Foucault zwei Jahre mit der Schülerin von Mandrou und Mentalitätshistorikerin Arlette Farge zusam menarbeiten, die sein Werk erst 1973 durch Überwachen und Strafen ent deckt hatte. Sie bemühte sich damals um die Erforschung von Devianzund Randphänomenen: »Zu jener Zeit sagten wir, daß wir den Unter drückten das Wort erteilten.« ^^ Mit dieser Ausrichtung stand sie im Grunde dem Schwerpunkt von Foucaults Interesse und Engagement recht nahe, weshalb diese Begegnung weniger unwahrscheinlich war, als Farge selbst behauptet. Auch Arlette Farge verlockte ein Denken, das gegen die Linearität anging, vornehmlich den Verlauf der Brüche ergründete, sich dem Problem der Diskontinuitäten zuwandte und damit die Absage an eine Kon zeption ermöglichte, nach der die populäre Kultur von oben nach unten funktionierte: »Ich war zu dieser Zeit sehr daran interessiert, die Frage nach dem Wie an die Frage nach dem Warum zu koppeln. Das hing mit einer sehr handwerklichen Arbeitsmethode zusammen, die ich auch später beibehalten habe und die darin bestand, noch die detailliertesten Funk tionsweisen ans Tageslicht zu befördern in diesem Magma, das man das Soziale nennt.« ^^ Als Ergebnis dieser fruchtbaren Begegnung der Historikerin und des Philosophen erschien 1982 das Gemeinschaftswerk Familiäre Konflikte^^, das aufweist, daß das Sinnbild der königlichen Willkür, des schmähHchsten Absolutismus, mit dessen Hilfe jedermann ohne weiteren Prozeß eingeker kert werden konnte, tatsächlich größtenteils zu privaten Zwecken benutzt wurde, von Vätern oder Gatten, die den König darum ersuchten, einer ka tastrophalen Familiensituation ein Ende zu bereiten. Daß Aberhunderte »auf Befehl des Königs« nach Bicetre, in die Salpetriere oder anderswohin verbracht wurden, geschah de facto zumeist aufgrund von undurchsichti gen Privatangelegenheiten und auf Betreiben der Angehörigen. Foucault
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findet damit neuerlich Gelegenheit, den Anschein der Evidenz zu problematisieren und aufzuzeigen, daß die Machtverhältnisse viel ausgedehnter und komplexer sind als eine durch den Souverän verkörperte einfache in strumenteile Beziehung. Reagierte Foucault laut Arlette Farge sehr empfindlich auf die Meinung der Geschichtswissenschaftler, »mehr als empfindlich, geradezu gepei nigt« '^°, so gelingt ihm mit Überwachen und Strafen ein echter Durchbruch bei den Historikern, der die seit der Archäologie des Wissens, also seit 1969, vollzogene Annäherung an die Annales-Samle. bekräftigt. Die Begegnung entsteht vor allem auf Vermittlung eines Mannes, Pierre Nora, und eines Verlagshauses, Gallimard, und bei diesem Abenteuer kommt Foucault in den vollen Genuß des neuen Eldorados der Historiker.
Das Goldene Zeitalter der neuen Geschichtsschreibung
Nach 1968 waren die Historiker der Annales die großen Nutznießer der Strukturalistischen Welle der sechziger Jahre. In dem Augenblick, als eine Neubewertung des Ereignisses und der Diachronie unausweichlich wurde, konnten sie den Rahm abschöpfen. Sie profitierten vom Abebben, von der Zersplitterung und Implosion des strukturalistischen Paradigmas, das von den Verfechtern der Idee einer offenen, ungreifbaren Struktur von innen heraus überschritten wurde und gleichzeitig einer immer radikaleren Hinterfragung von außen unterlag. Das strukturalistische Abenteuer setzte sich also in gewandelter Form fort und schlug den Weg der Historie ein. Die Historiker, die einem Aufruhr, der ihnen die Empirie vor Augen führte, bislang nur Negatives abgewinnen konnten, da sie ihren Zeitrhyth mus bereits verlangsamt hatten, sprangen nun mit dem Feuereifer und der Siegesgewißheit der Hinterdreingebliebenen auf den fahrenden Zug auf.
Von der Geschichte zu den Geschichten Der fruchtbare Einfluß des Strukturalismus auf das Forschungsfeld der Hi storiker verläuft im wesentlichen über das Werk von Michel Foucault und die privilegierte Beziehung, die er bei Gallimard zu Pierre Nora unterhält. Schon der Titel der 1971 von Nora begonnenen Reihe »La bibliotheque des histoires« hebt die epistemologische Neuausrichtung und die Übernahme des dekonstruktivistischen Programms durch die Historiker hervor. Fou cault war sehr angetan von der Titelfindung für die historische Reihe, die das Gegenstück zur »Bibliotheque des sciences humaines« bildete: »Das Banale wäre gewesen, sie >Bibliotheque de rHistoire< zu nennen. Ich sagte mir, daß >Bibliotheque des histoires< genau dem entsprach, was ich sagen wollte — der Aufsprengung.« ^ Geschichte wird künftig im Plural und klein geschrieben; sie verzichtet
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darauf, ein Syntheseprogramm zu erstellen, um desto besser auf die vielfäl tigen Gegenstände einzugehen, die sich in ihrem nunmehr unbegrenzten Blickfeld anbieten. Der Gedanke pluraler Geschichten entspricht ganz der Definition, die Michel Foucault in der Einleitung zur Archäologie des Wis sens von der Praxis der Geschichtsschreibung gibt. Pierre Nora ist dieser Text schon volfab bekannt: »Er hatte mich dieses erste Kapitel auf die Frage hin durchlesen lassen, wie ich als Historiker darauf reagierte, und sagte mir, daß ich meine Positionen wiederfinden würde.« ^ Pierre Nora verfaßt für die Reihe einen stark von Foucaults Philosophie geprägten Präsentations text. Er übernimmt den Begriff des Monuments, den er als Zugewinn preist: »Wir erleben die AufSprengung der Historie. Neue, von den be nachbarten Humanwissenschaften angeregte Fragestellungen sowie die Ausdehnung eines lange Zeit das Privileg Europas gebliebenen Geschichts bewußtseins auf die ganze Welt haben den Fragebogen, den die Historiker der Vergangenheit vorlegen, gewaltig erweitert. [...] Die Geschichte hat ihre Methoden, ihre Einteilungen und ihre Gegenstände gewechselt.« Die Mehrung neuer Gegenstände und die Ausweitung des Territoriums des Hi storikers deuten auf einen Triumph der Geschichtswissenschaft hin. Pierre Nora erinnert sich, mit Foucault herzlich über dieses kleine Manifest zur Aufsprengung der Historie gelacht zu haben, vor allem als sie erfuhren, daß Braudel angesichts des Textes geschäumt hatte. Pierre Nora wollte seiner Reihe sogar einen Manifestband, ein kleines Grundlagenwerk voranstellen, das die von der voranzutreibenden neuen Geschichte vertretenen Positionen zusammenfassen sollte. Er sprach Mi chel Foucault, Frangois Füret und Emmanuel Le Roy Ladurie darauf an: »Wir versuchten damals, gemeinsam darüber nachzudenken, wohin die Geschichte sich entwickelte. Mein Gedanke war, die Probleme zu erörtern, die dabei zutage traten.«^ Dieses Unternehmen sollte unerwartet umfang reich werden. Es fiel gerade in die Zeit, als Jacques Le Goff sich Gallimard annäherte. Da Pierre Nora einen Kreis um sich brauchte, delegierte er das Projekt nach und nach an Jacques Le Goff, der sich mit derartiger Begeiste rung ans Werk machte, daß aus der Idee eines Manifestbändchens drei von Jacques Le Goff und Pierre Nora gemeinsam herausgegebene dickleibige Bände der Reihe »Bibliotheque des histoires« wurden: Faire de l'histoire. Zu Ende geführt hat die Arbeit allerdings mehr oder minder Nora, denn Le Goff wollte seit seiner Wahl zum Präsidenten der Sechsten Sektion der
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EPHE im Jahr 1972 nicht mehr mit dem Verlagshaus Galiimard verflochten sein. Was 1974 erscheint, ist also eine enorme Bestandsaufnahme, eine Charta der neuen Geschichte. ^ Der Augenblick der Gegenoffensive ist gekommen, denn nachdem sich die Historiker in der Zeit, als die aufkeimenden neuen Humanwissenschaften alle Aufmerksamkeit für sich beanspruchten, weg geduckt haben, wollen sie sich jetzt die ertragreichen Orientierungen der Freischärler zunutze zu machen. Von ihnen übernehmen sie die Methoden zur Erneuerung einer Geschichte, die für die weitestmögliche Ausdehnung ihres Experimentierfeldes mit dem Verzicht auf ihre Einheit bezahlen muß. Die Historiker antworten hier auf die Herausforderung der Sozialwissen schaften ganz allgemein sowie auf die des Strukturalismus der zweiten Ge neration, des Dekonstruktivismus: »Auf das Feld, das ihr [der Geschichte] als zeitliches Erklärungssystem von Gesellschaften allein gehörte, dringen andere, nicht deutlich umrissene Wissenschaften vor, von denen aufgeso gen und aufgelöst zu werden sie Gefahr läuft.« ^ Nach Auffassung der Au toren dieser Trilogie besteht die Rettung für die Historiographie darin, daß sie von ihrem Globalitätsanspruch zurücktritt und, mit Foucaults Worten, eine allgemeine Geschichte, die Geschichte eines Streuungsraums voran treibt. Diese Aufsplitterung stellt notwendig das Hegeische Gebäude in Frage, auf dem der historiographische Diskurs im allgemeinen beruhte, und be dingt die Dezentrierung dessen, was sein Feld einte: der Mensch als indivi duelles oder kollektives Subjekt der Geschichte. Dieses Aus-dem-Zentrum-Rücken des Menschen knüpft thematisch an die strukturaÜstischen Schriften an, die den Tod des Menschen und die Bedeutungslosigkeit des Subjekts verkündet haben. Damit kann der Historiker, wie der Linguist oder der Anthropologe, einen sich insofern als wissenschaftlich präsentie renden Diskurs geltend machen, als er die für eine quantitative Geschichts schreibung am schlechtesten handhabbare Variable an den Rand drängt. So gibt Emmanuel Le Roy Ladurie dem vierten Teil seines Territoire de l'historien / d e n Titel »L'histoire sans les hommes«. ^ Im Gegensatz zur ersten An«ii/es-Generation, für die Geschichte nicht anders als menschlich und an thropologisch zu begreifen war, kommt Le Roy Ladurie anhand seiner historischen Untersuchung des Klimas seit dem Jahr 1000 zu dem Schluß, es bedeute »eine Beschneidung des Historikers, ihn lediglich zum Fach-
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mann für die Menschheit zu machen« ^. Diese Dezentrierung hat über die Einzeluntersuchung hinaus durchaus wesentliches Gewicht: Le Roy Ladurie bezeichnet sie als kopernikanische Revolution in der Geschichtswissen schaft. Der Historiker beurteilt nun die Ergiebigkeit seines Standpunkts nach Maßgabe dieser Exzentrierung, durch die er Anspruch auf Wissen schaftlichkeit zu erheben vermag. Ein gewisser Positivismus macht sich breit, übereinstimmend mit Foucaults Position, aus einer vornehmlich deskriptiven Archiv-Perspektive eher nach dem Wie als nach dem Warum zu fragen. Diese Nähe zu den The sen Foucaults ist allerdings kein Zeichen für ein Vertrauensverhältnis zwi schen ihm und den Historikern: »Foucault begeisterte sich für die Ge schichte, und gleichzeitig hielt er die Historiker für Dummköpfe, die sich nicht fragen, was sie tun.«^ Übrigens verursachte der Beitrag Pierre Vilars zu Faire de l'histoire, in dem dieser Die Ordnung der Dinge heftig angreift, einen Eklat: »Foucault hat in umfangreichen Werken eine Methode verall gemeinert, die mehr ihre Unzulänglichkeiten bezeugt und weniger ihre Tugenden. Es beginnt mit autoritären Hypothesen. Es folgt die Beweis führung, und schon stößt man an den Punkten, wo man sich einigermaßen auskennt, auf durcheinandergebrachte Daten, gedeutelte Texte, derart grobe Unkenntnisse, daß man sie für gewollt halten muß, und allerlei Ge schichtsklitterungen.« ^ In Anspielung auf Althussers Äußerungen über Michelet und dessen »Delirien« meint Pierre Vilar, alles in allem müsse der Historiker, der zwischen zwei Delirien stünde, sich für das von Michelet entscheiden. Ein harter Angang, wie man sieht, und Foucaults Reaktion läßt nicht auf sich warten: »Nichtsahnend nehme ich [Pierre Nora] den Hörer ab und vernehme die eisige Stimme Foucaults, dem ich ein Exemplar von Faire de l'histoire geschickt hatte. Er wettert los: >Ich glaubte, wir wä ren auf der gleichen Wellenlänge, und das erste, wofür Sie verantwortlich zeichnen, ist eine Beleidigung meiner Tätigkeit, eine Kriegserklärung. Ich verstehe in dem Fall nicht, weshalb Sie mein Herausgeber sind.< Ich schlage also mit zitternden Händen das Buch auf und entdecke die Stelle, die mir die Sprache verschlägt und die Le Goff und mir entgangen war.« ^° Foucault verlangt die Streichung dieser Stelle in der zweiten Auflage und droht, an dernfalls Gallimard zu verlassen. Pierre Nora begibt sich also zu Pierre Vi lar: »Nora suchte mich auf. Er war am Boden zerstört. Foucault ist ein gro ßer Schriftsteller, ein Mann von großem Talent, aber in punkto historischer
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Rekonstruktion spreche ich ihm jede Ernsthaftigkeit ab.« " Die Angelegen heit verkomplizierte sich noch, denn Pierre Vilar sollte Pierre Nora zum Eintritt in die ficole des hautes etudes verhelfen, und zum Zeitpunkt der nächsten Auflage lag Vilars Frau im Sterben. Pierre Nora verzichtete dar auf, ihm Ungelegenheiten zu bereiten. Die ursprüngliche Fassung wurde beibehalten, zumal Foucaults Zorn mit der Zeit verraucht war. Indes zeigt dieser Zusammenstoß, welch heikles Verhältnis Foucault zur Historikerzunft hatte, die sich seine Thesen dennoch weithin zu eigen ge macht hat. Von ebendiesem dekonstruktiven Blickpunkt aus handelt es sich auch nicht mehr darum, die vielfachen Gegenstände der Geschichtsschrei bung zu einem rationalen Gesamtbild zusammenzubinden. Michel de Certeau vertritt in seiner Definition der Geschichtsschreibung die Auffassung, daß die Historiographie den zentralen Platz verloren habe, den sie im 19. Jahrhundert innehatte, und »nicht mehr die totalisierende Funktion aus übt, die darin bestand, an die Philosophie mit ihrer sinnsprechenden Rolle anzuknüpfen« ^^. Pierre Nora räumt in seiner Präsentation der drei Bände Faire de l'histoire im Nouvel Οbservateur ein, daß zwischen dem Horizont der geschichtlichen Disziplin zu Zeiten von Bloch, Febvre, Braudel und dem der sechziger Jahre ein Wandel eingetreten sei: »Der Begriff der tota len Geschichte scheint mir heute problematisch zu sein. Wir erleben eine zerbröselte, eklektische Geschichte, ausgedehnt auf Merkwürdigkeiten, denen man sich nicht verweigern darf.« ^^ Die von der seriellen Zeitauffas sung grundierte Pluralisierung heterogener Zeitlichkeiten verweist die Idee der Globalität in eine metaphysische Vergangenheit: »Die Zeit ist nicht mehr homogen und hat keine globale Bedeutung mehr.« ^^ Laut Jacques Revel muß die Historiographie dem Verlust der totalen Geschichte nicht nachtrauern; er erblickt in der Fragmentierung des historischen Wissens das Indiz für einen neuen wissenschaftlichen Raum: »Im Horizont steht keine totale Geschichte mehr, sondern die total durchgegliederte Kon struktion von Gegenständen.« ^^ Die Konstruktion des historischen Bereichs vollzieht sich über die Dekonstruktion der historiographischen Praxis. Es ist der Zeitpunkt, da man glaubt, mit Hilfe des Computers gelange der Historiker zur Wissenschaft lichkeit. Alle möglichen Gegenstände der Wirtschafts-, Sozial- oder Kul turgeschichte werden gezählt: die Menge des produzierten Getreides, die Geburten, Hochzeiten und Todesfälle, wie oft die Jungfrau in den Testa-
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menten angerufen und wieviel in einer bestimmten Gegend gestohlen wird. Man zeichnet Kurven, ermittelt die Grenzwerte und Umschlagspunkte: »Vielleicht gibt es wissenschaftliche Geschichte nur da, wo sie quantifizier bar ist.« ^^ Im Jahr des Starts der »Bibliotheque des histoires« erscheint bei Seuil ein Theoriewerk über den historiographischen Diskurs, das sich ebenfalls der dekonstruktiven Perspektive verschreibt: Comment on ecrit l'histoire von Paul Veyne. Stark von Foucaults Thesen beeinflußt, verweist auch er die Bewußtseinsmodelle und die Illusionen der Globalität in die Metaphysik zurück. In aristotelischer Auffassung gehört für ihn die Geschichte zur sublunaren Welt der Unordnung und des Zufalls und darf sich deshalb keine nomothetischen Ansprüche anmaßen. Sie kann nur das Wie wieder geben, das Geschehene beschreiben, nicht aber eine Erklärung des Warum geben. Ihr Feld hat keine Grenzen: »Alles ist geschichtlich, aber es gibt nur partielle Geschichten.«^^ Der Historiker kann nur Positivist sein, denn seine Disziplin ist idiographisch. Alles übrige existiert lediglich durch fal sche Kontinuitäten und trügerische Rekonstruktionen: »Die Geschichte großgeschrieben existiert nicht — es existieren nur >Geschichten von ...<.« '^ Die Nähe zu Foucaults Thesen ist so groß, daß Paul Veyne in die 1978 er scheinende Taschenbuch-Neuausgabe seines Werks einen wichtigen Zu satztext aufnimmt: »Foucault revolutionne l'histoire«. Darin legt er als Historiker die praktische Nutzbarkeit der Foucaultschen Methode dar: »Foucault ist der vollendete Historiker, ist die Vollendung der Historie. Daß dieser Philosoph einer der sehr großen Historiker unserer Zeit ist, daran zweifelt niemand [...]. Er ist der erste vollständig positivistische Hi storiker.« *^ Als Spezialist für antike Geschichte nennt Paul Veyne das Beispiel der Einstellung der Gladiatorenkämpfe im Zeitalter der christlichen Kaiser. Er bestreitet die Gültigkeit der Erklärungen, die auf die Humanisierung der Macht, auf die Auswirkungen der Christianisierung verweisen, und stellt ihnen einen Ansatz entgegen, der sich nach Foucaultschem Rezept auf der Ebene der Praxis der politischen Macht ansiedelt. Die Kaiser hatten näm lich eine andere, väterliche Machtpraxis angenommen, die nicht mehr mit der Existenz der Gladiatoren vereinbar war. In der Beschreibung der Prak tiken selbst lassen sich also Erklärungsquellen auftun; »Foucault hat keine neue Instanz mit dem Namen >Praktik< entdeckt, die bislang unbekannt
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gewesen wäre: Er hat die Anstrengung unternommen, die Praktik der Menschen zu sehen, wie sie wirklich ist. Er spricht von nichts anderem als jeder Historiker, nämlich von dem, was die Leute tun [...].«^° Foucaults großes Verdienst besteht laut Paul Veyne darin, uns zu zeigen, daß die Wör ter verführen, daß sie an die Natürlichkeit der Dinge glauben lassen. Wie Nietzsche greift er auf Invarianten zurück, um die Rationalismen auf- und sie durch eine Genealogie abzulösen: »Doch was die Sexualität, die Macht, den Staat, den Wahnsinn und manches andere angeht, so bleibt es dabei: Wahrheit kann es hier genausowenig wie Irrtum geben, weil sie nicht exi stieren; es ist weder Wahrheit noch Irrtum möglich hinsichtlich der Ver dauung und der Fortpflanzung der Zentauren.« ^^ Was Paul Veyne vor allem verlockt, ist Foucaults strukturalistische Ausrichtung, die einer Autonomisierung des Diskurses offensteht, der keine Realität aufdeckt und sich ab seits des Referenten hält. Vorrang hat in diesem theoretischen Dispositiv der Kern des strukturalen Denkens selbst, das relationale Schema: »Die Philosophie Foucaults ist keine Philosophie des Diskurses, sondern eine Philosophie der Relation. Denn >Relation< ist der Name für das, was man als >Struktur< bezeichnet hat.«^^ Paul Veyne beschließt seine Verteidigung der Foucaultschen Methode mit der Feststellung, daß die Frage, ob Foucault Historiker ist, hinfällig sei, denn die Geschichte stelle für ihn einen falschen natürlichen Gegenstand dar.
Die Historiker übernehmen die Stafette Seit der Wende der Jahre 1968/69 kommt es in Ablösung der psychoanaly tischen und anthropologischen Publikationen zu einer erklecklichen Aus dehnung der neuen Historie. Nicht daß die Arbeiten der Historiker nicht veröffentlicht worden wären — aber nun erleben sie ihren massiven Durch bruch beim Publikum. Die Verlagsgeschichte der Jahre 1968/69 ist in dieser Hinsicht aufschlußreich. Fayard startet die Reihe »Histoire sans frontieres«, herausgegeben von Frangois Füret und Denis Riebet. Flammarion bringt drei neue Reihen gleichzeitig heraus: zum einen Fernand Braudels »Bibliotheque scientifique«; zum zweiten die Reihe »science«, in der von ihrem wissenschaftlichen Apparat erleichterte Doktorarbeiten ediert wer den, etwa die these von Pierre Goubert über das Beauvaisis (1968), die von
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Jean Bouvier über den Credit lyonnais und die von Emmanuel Le Roy Ladurie über den Languedoc (1969); zum dritten gibt die von Marc Ferro her ausgegebene Reihe »Questions d'histoire« Gelegenheit, historische Pro bleme nicht in den Grenzen der Chronologie, sondern von den Problemen der Gegenwart her anzugehen. Albin Michel legt in »L'evolution de l'humanite« die großen klassischen Texte neu auf, so etwa La societe feodale von Marc Bloch oder Le Probleme de Vincroyance au XVIe siede von Lucien Febvre. Die Gründerväter der Annales wQraen also dem breiten Publikum zugänglich. Plön startet die von Philippe Aries und Robert Mandrou her ausgegebene Reihe »Civilisations et mentalites«. Bei Gallimard beginnt, wie wir schon sahen, Pierre Nora seine »Bibliotheque des histoires«, die ei nes der bedeutendsten Sammelbecken der neuen historischen Schreibweise bilden wird. 1974 ist die Zahl historischer Buchveröffentlichungen sechs mal so hoch wie 1964. Die Schlüsselstellung nehmen dabei vor allem die Vertreter der AnnalesSox^it ein, zumal sie in Verlagen publiziert werden, die ihren Erfolg illustrieren: Gallimard, Le Seuil und Flammarion. Diese in den siebziger Jahren aufflammende Geschichtsbegeisterung äh nelt dem Interesse, das in den sechziger Jahren die Anthropologie weckte. Es geht noch immer um die Entdeckung der Figur des Anderen, allerdings nicht an entlegenen Orten, sondern innerhalb der abendländischen Zivili sation selbst, in den Tiefen der Vergangenheit. Das historische Augenmerk dieser Periode gilt der Kulturgeschichte, der Untersuchung der Mentalitä ten. Es sieht über die Ereignisse hinweg auf die Dauerhaftigkeiten, den sich wiederholenden Kalender der Alltagsverrichtungen, deren Pulsschlag auf die biologischen oder familiären Äußerungen der menschlichen Existenz reduziert wird: Geburt, Taufe, Heirat, Tod. Der spektakulärste Erfolg die ser gelehrsamen und anthropologisierten Geschichte ist Emmanuel Le Roy Laduries Werk Montaillou — Ein Dorf vor dem Inquisitor vorbehalten, das 1975 erscheint und das dafür, daß ihr Verfasser ein Universitätshistoriker ist, die außerordentliche Auflage von 300000 Exemplaren erreicht. Die Zeitschrift Annales widmet in diesem Zeitraum einen zunehmenden Teil ihrer Artikel der Mentalitätsgeschichte. ^^ Diese Anthropologisierung des historischen Diskurses, die von den soziographischen Studien weg und vom Hundertsten ins Tausendste führt, gewährleistet den Erfolg der Ar beiten zur Sexualität Qean-Louis Flandrin, Jean-Paul Aron), zum Tod (Mi chel Vovelle, Philippe Aries, Pierre Chaunu), zur Familie (Jean-Louis Flan-
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drin, Philippe Aries), zur Angst Qean Delumeau) usw. Tendenziell er streckt sich diese Mentalitätenebene auf das gesamte soziale Feld, dem sie die Vorstellung von der Beständigkeit der menschlichen Natur unterlegt, Dies ist die letzte Manifestation der Vitalität des strukturalen Paradigmas, das fortan einen unausweichlichen Niedergang erlebt, der nicht minder spektakulär ist als sein Erfolg.
Teil IV: Der Niedergang des Strukturalistischen Paradigmas
Die verlorenen Illusionen : I. Der Gulag-Effekt
Mitte der siebziger Jahre wendete sich das Blatt, und der Strukturalismus, ohnehin seit 1967 vielfachen Pluralisierungs-, Öffnungs- und Überbordungsversuchen ausgesetzt, wurde von der Welle fortgeschwemmt. Dies mal schlug die Stunde der Ebbe unwiderruflich, was freilich keineswegs den Status quo ante bedeutete, denn ein Großteil des Programms war in die Wissensbestände eingegangen und benötigte keine Medienvermittlung mehr, um sich zu verbreiten. Verursacht hat diesen Niedergang das Zusam menspiel mehrerer, dem strukturalen Denken im wesentlichen äußerlicher Erschütterungen. Als erste und spektakulärste war da die von den Enthül lungen Solschenizyns ausgelöste politische Schockwelle. Informationen über die totalitäre Wirklichkeit des Sowjetsystems gab es zwar nicht erst seit Solschenizyn. Schon in den zwanziger Jahren hatte Trotzki die StalinDiktatur angeprangert, gefolgt von zahlreichen Zeugnissen, die über die Prozesse und die Lager berichteten, bis hin zu Warlam Schalamows Ge schichten aus Kolyma, die in Frankreich 1969 in einer gekürzten Ausgabe erschienen. Doch eine eigentümliche Blindheit, gepaart mit dem — insbesondere durch Althusser verkörperten — Bemühen, die Theorie des Sozialismus ohne Rücksicht auf seine Wirklichkeit zu denken, unterband eine wirkliche Reflexion darüber, welche historischen Lehren aus der finsteren sowjeti schen Erfahrung zu ziehen wären. Die Revolte des Mai 68 und ihr weithin vom reinsten Marxismus entlehnter Diskurs verwehrten es, alle Konse quenzen aus der Erkenntnis der totalitären Wirklichkeit zu ziehen, die im August 1968 durch den Einmarsch in die Tschechoslowakei aufs neue spek takulär bestätigt wurde.
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Der Niedergang des strukturalistischen Paradigmas
Die Versöhnung mit den demokratischen Werten Als die französische Übersetzung des Archipel Gulag erschien, sah die Lage schon anders aus, und die Zeit für einen größtmögHchen Widerhall war reif. 1974 lag der Gauchismus danieder; die klassische französische Linke schritt zwar voran, aber im Rahmen eines politischen Systems, mit dem sie sich 1972 durch die Unterzeichnung des »Gemeinsamen Pro gramms« ausgesöhnt hatte. Jene, die Licht am Ende des Tunnels sahen, wurden bald durch die ersten Auswirkungen der Wirtschaftskrise eines Besseren belehrt. Diese kündeten von einem erheblichen Konjunkturrück gang: Die »trente glorieuses« waren vorbei, und eine lange Phase der Stag flation, der Rezession und Umstrukturierung begann. Kein Vorabend einer Revolution war mehr in Sicht, und keine hoffnungsfrohe Morgendämme rung zeigte einen Ausweg aus der Krise. Als die Arbeitslosigkeit zunahm, die revolutionären Hoffnungen schwanden und der Club of Rome vom »Nullwachstum« sprach, war der »Gulag-Effekt« durchschlagend. An ihm erwies sich, daß man Marx zwar nicht für den Gulag haftbar machen kann, wie manche es eilfertig versuchten (demnach wären Jesus die Exzesse der Inquisition anzulasten), den Marxismus aber auch nicht ohne die unheilvol len konkreten Begleiterscheinungen denken kann, die er in der Geschichte der Menschheit gehabt hat. Die Krise reichte tief, und die Berufung auf Ausrutscher, auf die Auswüchse des Personenkults oder den bloßen Über hang von Bürokraten genügte nicht, um das System zu retten. Zudem begünstigte 1975 das Ende des Vietnamkriegs, der weltweit ei nen Teil der Jugend radikalisiert hatte, eine Neueinschätzung der Werte eu ropäischer Demokratien: Immer mehr kam eine neue binäre Logik zum Zuge, die Demokratie gegen Totalitarismus setzte. Unter diesen Umstän den spielte der Gulag-Effekt eine entscheidende und als solche anerkannte Rolle, auch für diejenigen, die sich nicht erst seit 1974 gegen das System er hoben und engagiert hatten wie Claude Lefort mit seiner Gruppe Socialisme ou Barbarie: »Auf ein Buch wie dieses [...] hat eine kleine Schar von uns schon lange gewartet.« ^ Allmählich drehten sich die Kämpfe zunehmend um die Verteidigung der Menschenrechte, die bis dahin eher als Formalia gegolten hatten. Die enorme Summe des kollektiven Gedächtnisses, die Solschenizyn von 1958 bis 1967 zusammengetragen hatte, machte derlei Ausflüchte nunmehr un-
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möglich. Und der Westen, der den im Februar 1974 aus der UdSSR ver bannten Autor des Archipel Gulag aufgenommen hatte, schenkte jetzt den Stimmen der Dissidenten Gehör, die in der Psychiatrie einsaßen, weil sie die Achtung der Menschenrechte gefordert hatten, Stimmen, die immer noch unter Schwierigkeiten von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs herüberdrangen wie die von Wladimir Bukowski und Leonid Pliuschtsch. Je zahlreicher diese Dissidenten in den Westen kamen und je bekannter die von ihnen erlebten Greuel wurden, desto weiter ging es mit dem Marxis mus abwärts. Als 1977 die Taten der Pol-Pot-Revolution in Kambodscha durch die Nachrichten gingen, entkräftete dies das Tabula-rasa-Denken: Zwei von neun Millionen Männern und Frauen waren in ihrem Namen sy stematisch vernichtet worden. »Wenn man nicht mehr die Idee von der Überwindung hat, bewegt man sich vom kritischen Bewußtsein fort.« ^ Mit dem Rückzug des Marxismus entfiel das globale Analyseinstrument der Gesellschaft und der Geschichte. Von dieser Erschütterung blieb der Strukturalismus nicht verschont, da er sich auch über seine marxistische Variante hinaus als Inbegriff des kriti schen Denkens, als das kritische Paradigma überhaupt dargestellt hatte: bestritt er doch seit langem die wissenschaftliche Geltung der Beobachtung des Sichtbaren, des klar Zutageliegenden, um sein Augenmerk auf die im Verborgenen wirkenden globalen Logiken zu lenken. Der Gulag zeigte freilich, daß man nur hören, lesen und hinschauen mußte, um zu verstehen — im Gegensatz zu einer mit wissenschaftlichem Anspruch auftretenden Begriffsspekulation, die dazu beigetragen hatte, die wahren Geschehnisse der Tragödie und die objektive Komplizenschaft derer zu vernebeln, wel che die Folterer unterstützten. Fatal für die strukturalistische Ideologie war diese Entwicklung auch deshalb, weil die Botschaft der Dissidenten in der Verteidigung der Men schenrechte und eines bestimmten Humanismus lag: Gerade diese Werte hatte die strukturalistische Methode ausgeklammert, da sie auf dem Weg des Zugangs zur Wissenschaft vom Subjekt abzusehen gedachte. Die Wie derkehr des Verdrängten geschah also in diesem Fall über den Osten. Sie zwang auch die Radikalsten, sich öffentlich einige Fragen zu stellen: »Ich erlebte Derrida an der Rue d'Ulm, nachdem er in der Tschechoslowakei festgenommen worden war. Er gestand in seinem Seminar, daß er in großer Verlegenheit sei, denn nachdem er sein Leben als Philosoph damit ver-
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bracht hatte, den Humanismus zu dekonstruieren und zu behaupten, daß die Idee des Autors, der Verantwortung nicht existiere, fand er sich plötz lich nackt auf einem tschechoslowakischen Polizeirevier wieder und mußte einräumen, daß er genötigt war, dies als schwerwiegenden Eingriff in die Menschenrechte zu betrachten. An diesem Tag bewies Derrida große Hell sichtigkeit und sagte, er befinde sich in einer sehr absonderlichen geistigen Lage. Er schlug dann die Kategorie des intellektuellen Barock vor, weil sich nach seiner Meinung die beiden Ebenen nicht überschnitten. Aber man kann nicht ewig im Barock stehenbleiben.« ^ Aus diesem für die neue Situation der Intellektuellen symptomatischen Paradox heraus haben viele den gordischen Knoten durchschlagen, um sich den neuen Anforderungen der politischen Realität — insbesondere im Osten — zu stellen. Und es wurden derer immer mehr im Laufe eines Jahr zehnts, das in Polen mit dem Erfolg der Gewerkschaft Solidarnosc im Au gust 1980 und der Verhängung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski im Dezember 1981 endete. Aus dem neuen Frontverlauf der Kämpfe, die im Namen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geführt wurden, zogen viele den Schluß, daß man unmöglich zwei einander widersprechende Dis kurse führen konnte. Allmählich söhnten sich die Intellektuellen mit bestimmten westlichen Werten aus, die sie bis dahin als pure ideologische Verbrämungen betrach tet hatten. Die Werte der Demokratie ließen sich schwerer ironisieren, und die Dekonstruktion der Apparate dieser Demokratie mußte im Hinblick auf ihre Positivität neu beurteilt werden. Der organische Intellektuelle war schon seit langem tot — jetzt erlitt der hyperkritische Intellektuelle eine Schlappe. So nimmt es nicht wunder, daß danach vom »Schweigen der In tellektuellen« die Rede war, einem Schweigen, das nach 1981 noch tiefer wurde. Einigen verschlug es zeitweilig ganz die Sprache. Aufsehen erregte bei spielsweise der Fall des Ressortleiters für Humanwissenschaften bei Le Monde, Roger-Pol Droits, der 1977 von einem Tag auf den anderen von sämtlichen Aufgaben zurücktrat: »Er ist gegangen. >Er< hat sich aufge löst.«"* Roger-Pol Droit verließ Le Monde und gab die Reihe »Dialogue« auf, die er bei Flammarion angeregt hatte und für die bereits Werke von Ro man Jakobson, Noam Chomsky und Gilles Deleuze eingeplant waren. Ein Projekt mit Foücault, das er in Vorbereitung hatte, ließ er fallen: »Ich habe
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alles hingeworfen.«^ Er erlebte mühselige Tage am lycee von Berck-surMer, wo er die Abschlußklassen unterrichtete. Sieben Jahre lang unterzog er sich einer Radikalkur, veröffentlichte keine Zeile und las nur Autoren aus der Zeit vor Shakespeare: »Ich hatte diese Periode der sechziger und siebzi ger Jahre als etwas Terrorisierendes erlebt. Ich brauchte lange, um zu be greifen (und dafür mußte ich fort), daß Denken etwas ungemein Lustvolles, Spielerisches, Stärkendes, Fröhliches sein konnte, während ich in meiner strukturalen Kinderstube nur mitbekommen hatte, daß es sehr solide, streng, abstrakt und kalt zu sein hatte, daß alles möglicherweise Fleischli che nicht denkbar war.«^ Später fand Roger-Pol Droit zunächst gelegent lich, dann regelmäßig zu Le Monde zurück, allerdings mit einem anderen Schwerpunkt: Er untersucht die Ausschließung des Ostens im westlichen Denken.
Die »neuen« Philosophen Den Weg des Ausbrechens und der einsamen Meditation haben die »neuen« Philosophen nicht eingeschlagen. Vielmehr setzten sie die Medien massiv dafür ein, vor breitestmöglichem Publikum das Stück einer Austrei bung aufzuführen — meistens ihr maoistisches Engagement in der Gauche proletarienne (GP) betreffend. Jetzt, da die revolutionäre Eschatologie im Sterben lag, legte eine ganze Generation ihre 6 8 er-Vergangenheit ab und suchte in einer gemeinsamen Anwandlung den Beichtstuhl auf, um sich von ihren Sünden zu entlasten: »Diese verzogenen Kinder, diese zurückgeblie benen großen Bengel wollten die Revolution jetzt gleich, nicht wahr? Und weil sie nicht gekommen ist, stampfen sie mit den Füßen. [...] Arme verirrte Kätzchen«^, meint Pierre Viansson-Ponte mitleidsvoll. Mao-Bewunderer wie Andre Glucksmann, Christian Jambet, Guy Lardreau, Bernard-Henri Levy und Jean-Paul Dolle, Großmeister der mystischen Übereinstimmung mit dem »großen Steuermann«, die alle Nichtradikalen terrorisiert hatten, verfielen nun auf den diskreten Charme des Liberalismus. Allenthalben machten sie mit großem Getöse von sich reden, was freilich — abgesehen von der Kritik, die sie bald etwa von Gilles Deleuze, Frangois Aubral und Xavier Delcourt^ erfuhren — wiederum nur ein Zeichen für die Agonie der Hoffnung war, die ihre Generation gehegt hatte. Der Gulag-Effekt schlug
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hier unmittelbar durch. Bereits 1975 schrieb Glucksmann Köchin und Men schenfresser. ^ Darin erfuhr man, daß der Gulag bei Piaton angelegt sei. 1976 bestellten die Nouvelles litteraires bei Bernard-Henri Levy ein Dossier über die »neue Philosophie«, dessen Ausführung sowohl vom Kollektiv charakter der Bewegung kündete als auch von ihrem Willen, zum neuen Meinungsführer aufzusteigen. Mit Essays wie der rasch zum Bestseller avancierten Barbarei mit menschlichem Gesicht^° von Bernard-Henri Levy und Romanen wie Les Declasses oder Les Annees Manches von Jean-Fran9ois Bizot" wurde der Buchmarkt doppelt bestückt. Dieser neue philosophische Diskurs brandmarkte den Mai 68 als Inbild des Bösen, hinter dem sich der Herr verstecke. Jean-Pierre Dantec warnte dünnhäutig vor den »Gefahren der Sonne« ^^ und kritisierte »den Brand«, der sich nicht allein bei Marx finde, sondern in der Idee der Revolution mit ihrer »angeborenen Neigung zum Terror« ^^ überhaupt. Michel Le Bris, ein weiterer ehemaliger Aktivist des Maoismus, entschloß sich zur Selbstgei ßelung: »Was ist der Mai 68 im Grunde gewesen? Eine Auflehnung des Sohnes gegen den Papa.« ^'^ Bernard-Henri Levy sieht im Mai 68 die fahle und fade Abenddämmerung des 20. Jahrhunderts: »Wir erleben das Ende der Geschichte, weil wir in der Umlaufbahn des fortgesetzten Kapitalismus leben.« ^^ Eine verwaiste Generation schrie ihre Verzweiflung heraus, aber sie bereitete auch ihrer Versöhnung mit den Werten der Gesellschaft den Boden, aus der sie stammte. In aller Schärfe zeichnen sich an ihr die Ver werfungen ab, die der Gulag-Effekt gezeitigt hat. Freilich zeigt ihre nicht minder gewaltsame Denkweise die gleiche Neigung, den Bogen besserer Verständlichkeit halber in die andere Richtung zu überspannen, wie dies schon Althusser empfohlen hatte. Auf dieser Ebene gibt es durchaus Kon tinuitäten zur abgestreiften strukturalistischen Vergangenheit. Man be diente sich noch geflissentlicher der öffentlichen Debatte und der allseiti gen Präsenz in den Medien als Ausweis für die Richtigkeit der eigenen Thesen, und man zog sich ebenso von der Wirklichkeit zurück. Da sich diese als enttäuschend erwiesen hatte, blieb nur noch der Diskurs, und zwar nicht irgendein beliebiger, sondern der des Herrn. Wer widersprach, den zieh man um so heftiger aller Übel des Totalitarismus, als man selbst noch kurz zuvor das Mao-Denken zur verbindlichen Grundlage aller Erkenntnis erklärt hatte: »Jegliche Kritik an der neuen Philosophie galt als Apologie der Zensur und des intellektuellen Gulags.« ^^
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Jacques Bouveresse zieht zwischen der Epoche des triumphierenden StrukturaHsmus und den neuen Philosophen dahingehend eine Verbindungshnie, daß beide gleichermaßen intellektuellen Terrorismus betreiben, sektie rerisch auftreten und auf zynische Weise Presse und Werbestrategien in Dienst nehmen. Im Unterschied zur gängigen Meinung, die diese Entwick lung den Medien angelastet hat, bestimmen für Jacques Bouveresse nicht soziologische Gründe, sondern der Verlauf des philosophischen Diskurses selbst diese Medienverwertung. Sie rühre daher, daß die Philosophen in den sechziger Jahren »der Tendenz, in Termini von Macht, Beherrschung, Kräfteverhältnissen, Einflußkämpfen, Strategie, Opportunität und Effi zienz und auf keinen Fall in denen von Wahrheit und Falschheit zu den ken« ^^, Vorschub leisteten. Einmal abgesehen von den Zielen, welche die neuen Philosophen mit ih rer Botschaft verfolgen, trifft man erneut auf die Zuflucht zum Diskurs, freilich unter beiläufiger Preisgabe der szientistischen Perspektive: »Ich sage: Das Reale ist nichts als Diskurs.«^^ Nach der maoistischen Mystik versöhnt man sich wieder mit der Metaphysik. Aber man huldigt einer Re ligion ohne Gott, einem Glauben, der keinen Gegenstand verehrt, es sei denn das Seinsverfehlen oder denjenigen, der es vertritt, LACAN: »Das Zeitalter IST lacanianisch.« ^^ Es galt, behaupten die Autoren von UAnge, sich zwischen Stalin und Jeanne dAre zu entscheiden: Sie wählten Jeanne d Are und bekamen so den Segen von Maurice Clavel. Die Schrecknisse der Welt haben sie enttäuscht und zum Marsch in die christliche Abteilung be wogen. Der Glaube lenkt weiterhin ihre Schritte, aber auf welchem Weg ? Fran5ois Maspero, der für derlei leidenschaftliche Anwandlungen wenig Verständnis aufbringt, antwortet: »Das ist nun die neue Rechte. Vor zehn Jahren waren sie die Kinder von Marx und Coca-Cola. Heute bleibt nur noch Coca-Cola.« ^° Tatsächlich zeitigt die neue Philosophie oftmals kurz schlüssiges Clip-Denken in Form von Parolen wie »Ohne Marx keine Re volution, ohne Marxismus keine Lager« ^^ oder »Der Gulag entstand 1844« ^^. In Wirklichkeit läßt sich die Historie natürlich nicht auf die bloße Ideenproduktion zurückführen, es sei denn, man läse die Menschheitsge schichte auf die verkürzteste und vereinfachendste Weise. Doch die Hybris, die Vermessenheit, die diese Weltanschauung und ihr rückwärtsgewandtes Abtragungswerk an den Tag legten, begleitete und beschleunigte ein tiefer reichendes Phänomen, eine ernsthafte Kenntnisnahme der Umwälzungen,
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die sich in den Ländern des Ostens anbahnten. Dafür zahlte man den hohen Preis der tatsächlichen Zerstörung aller Analysemodelle. Der Dekonstruktion folgte übergangslos der Zerfall.
Die verlorenen Illusionen: IL Die Entkräftung des Szientismus
1975 erschien ein Überblick über den Strukturalismus in allen seinen Teil bereichen, der die Pracht der Revolution structurale^ feierte und sie als Morgenröte der Modernität vorstellte. Doch da brach über dieses Denken im Grunde schon die Nacht herein, und es steuerte unaufhaltsam auf ein Begräbnis erster Klasse zu, zumal was seine Ambition betraf, mit einer ge meinsamen Methode die Einheit aller Humanwissenschaften zu begrün den. Überall trat man den Rückzug an, und zwar derart ungeordnet, daß daraus nur ein desillusionierter Eklektizismus erwachsen konnte. War dies Ausdruck des Scheiterns einer Philosophie oder wissenschaftHchen Me thode, oder war es eher das Ende einer Bewegung intensiver Vergesell schaftung der Humanwissenschaften, die in ihren ideologischen Bedeutun gen abklang, um ihre wissenschaftlichen Positionen desto sicherer zu befestigen ?
Der plötzliche Tod des Althusserianismus Der Althusserianismus hatte den weitreichendsten Versuch unternommen, eine die Humanwissenschaften umfassende Philosophie zu begründen. Im Namen des historischen Materialismus war es Althussers Ehrgeiz gewesen, die verschiedenen Positivitäten der Sozialwissenschaften auf ihre Geltung zu überprüfen. Nun erlebte der Althusserianismus zwar keinen wirklichen Niedergang, wohl aber einen plötzlichen Tod, der so spektakulär und durchschlagend war wie sein Erfolg. Im Mai 68 tat der Generalsekretär der CGT, Georges Seguy, den berühmten Ausspruch: »Cohn-Bendit? Wer ist das ?« Schon seit 1975 konnten die Studenten die Formel auf Althusser um münzen, obwohl seine Orientierungen bislang bei Forschungsarbeiten aus schlaggebend gewesen waren. In Paris-VII betreute Pierre Ansart die these von Saül Kartz über Althusser: »Die einzige wirklich seriöse Arbeit, die ich
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ZU dieser Frage zu beaufsichtigen hatte. Doch als ein Prüfungsausschuß ge bildet werden mußte, war niemand mehr da. Zwei, drei Jahre lang sprach man von nichts anderem als den ISA [ideologischen Staatsapparaten, A.d.Ü.], und im vierten Jahr war es völlig vorbei damit!« ^ Andre Nicolai bestätigt, daß der Umbruch von 1975 entscheidende Aus wirkungen auf die Wirtschaftswissenschaften in Nanterre hatte. Zu diesem Zeitpunkt wurde die gesamte, im wesentlichen althusserianisch geprägte Strukturalistisch-marxistische Reflexion vom Rückzug in die MikroÖkono mie und von der Wiederkehr der Neoklassiker und des Marginalismus ins Aus gedrängt: »Nanterre blieb bis 1975 stark in Aufruhr, aber von da an hatte man gefühlsmäßig die Nase voll von den Studentenunruhen und in tellektuell die Nase voll von der althusserianischen Dogmatik. [...] 1975 war es also vorbei.«^ Emmanuel Terrays Bilanz des althusserianischen Strukturalo-Marxismus in der Anthropologie fällt »insgesamt mäßig« '* aus. Zum einen genießt die Aussicht auf Wissenschaftlichkeit nicht mehr den Nimbus, den sie in den sechziger Jahren hatte, zudem sind die erzielten Resultate bescheiden geblieben. Zwar haben marxistische Strukturalisten wie Godelier es ermög licht, bestimmte Konzepte der ökonomischen Anthropologie umzufor men und den alten Widerspruch zwischen Formalisten und Substantialisten zu überwinden, doch davon wurde die Anthropologie nur partiell berührt; und solche zentralen Begriffe wie der der Produktionsweise, mit deren Hilfe Analysemodelle der primitiven Gesellschaften vorgelegt werden soll ten, enttäuschten, da sie lediglich zur Typologisierung der beobachteten gesellschaftlichen Vielfalt taugten: »Wir sind der funktionalistischen Erklä rung verpflichtet geblieben, besonders hinsichtlich des Verhältnisses zwi schen Basis und Überbau.«^ Zum anderen hatten die althusserianischen Anthropologen gehofft, den Zusammenhang zwischen Theorie und politi scher Praxis zu begründen. Doch die Verschmelzung von politischem En gagement mit professioneller Feldarbeit entpuppte sich bald als Blendwerk. Mit dem Abklingen der Althusser-Welle sank um 1975 auch die Hoffnung auf eine einheitliche Humanwissenschaft. Als der Ehrgeiz auf Globalisierung dahinschwand, verschloß sich die Universität, und die Disziplinen besannen sich auf sich selbst und ihre spe zifischen Traditionen. Theoretischer Erneuerung und Transdisziplinarität günstig war das universitäre Umfeld nach 1968, als junge Lehrkräfte anhand
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neuer, querer Laufbahnprofile eingestellt wurden. Mitte der siebziger Jahre dagegen war es mit der Verjüngungskur von 1968 vorbei, und die Universi tät erneuerte ihr Personal nicht mehr. Es begann eine Periode der Knapp heit, der Beschränkung der Berufungen, der Haushaltsrationalisierung. Dieses Stelleneinfrieren begleitete und beschleunigte den Rückzug von der Theorie. Wer sich fortan im Schoß der Universität niederlassen wollte, mußte sein Karriereprofil auf den jeweiligen innerdisziplinären Kanon abstimmen und für seine these ein möglichst konsensfähiges Thema wählen: »Ich habe da mals mitbekommen, wie junge Forscher sich auf den Trampelpfad fader, farbloser, abgeschmackter Themen begaben, um ja keine Wellen zu schla gen, um jede ideologische oder historische Implikation zu meiden.«^ War Innovationsfähigkeit in den sechziger Jahren durchaus ein Trumpf, um sich einen Platz an der Universität zu verschaffen, so wurde seit 1975 die Norm tauglichkeit zum Einstellungskriterium. Jene, die sich unter der strukturalistischen Welle weggeduckt hatten, konnten erneut das Haupt erheben in der Annahme, das Zwischenspiel sei beendet und sie könnten guten Ge wissens zu den vorübergehend in Vergessenheit geratenen kanonisierten Werten ihres Fachs zurückkehren.
Sieg des Eklektizismus Überdies wird das Globalisierungsstreben in einer immer stärker mediatisierten Gesellschaft, in der die Ereignisse den »Nachrichten« weichen müs sen, abgelöst vom Eklektizismus. Eine auf die Mehrheit zielende Sprache, die sich deshalb aus Prinzip auf allseits anerkannte Stereotypen beschränkt, überflutet die mächtigen Kommunikationsmittel und verstärkt die Serialisierung der Gesellschaft in immer isoliertere, wie der Psychoanalytiker Gerard Mendel sagt, »zugehörigkeitslose« Individuen. Durch diese Ent wicklung entzieht sich jeder Versuch der Globalisierung des Universums und der Kommunikationsapparate der Kontrolle der Intellektuellen und wird illusorisch: »Ein freudianischer Diskurs würde in den Medien nicht durchgehen, was aber durchgehen kann, ist das, was ein freudianisches Ver ständnis zu programmieren vermag.«'' Einen besonders scharfen BHck für das Umschlagen der intellektuellen
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Konjunktur bewies Pierre Nora, der bei Gallimard eine Schlüsselrolle für den Aufschwung des Strukturalismus gespielt hatte. Ihm war klar, daß sich das Blatt gewendet hatte. In Anbetracht des Scheiterns der Globalisie rungsbestrebungen rief er eine neue Zeitschrift ins Leben, die 1980 im fran zösischen Geistesleben ein Ereignis bedeutete: Le Debat. Die Zeitschrift wollte nicht mehr das Vehikel eines Denksystems, einer vereinheitlichen den Methode sein, sondern, bescheidener, ein Ort des Dialogs, ein Sam melbecken der Ideen: »Le Debat hat kein System durchzusetzen, keine Botschaft auszugeben und auch keine letzten Erklärungen zu liefern.« ^ Le Debat stellte sich in eine Perspektive der Öffnung. Die Zeitschrift ging auf Abstand zur strukturalistischen Konjunktur und pflegte statt dessen die breitestgefächerte eklektische Gegenüberstellung von Standpunkten, ohne irgendeiner Analysemethode Vorrang zu geben. Unter der Überschrift »Was können die Intellektuellen leisten?« konsta tierte Nora, daß die Schwerpunktverschiebung von der Literatur zu den Hu manwissenschaften möglicherweise in Umkehr begriffen sei. Die Bilanz falle insofern positiv aus, als die Humanwissenschaften begreiflich machen konnten, daß man eine andere Sprache spricht als die, welche man zu spre chen glaubt, und die Einsicht beförderten, daß man die Beweggründe seines Handelns nicht kennt und daß ihr Endpunkt, ihr Ergebnis dem ur sprünglichen Vorhaben entgleitet. Dennoch erforderten die Umstände eine neue Beziehung zum Wissen, denn »gerade im Schutz der kritischen Funktion gedeiht die politische Unverantwortlichkeit der Intellektuellen« ^. Infolge dieser Neuorientierung, die mit dem strukturalistischen Para digma und dessen Selbstverständnis als kritischem Analyseraster radikal brach, entzweiten sich auch Pierre Nora und Michel Foucault. Der Struktu ralismus hatte vor allem Persönlichkeiten hervorgebracht, die als Gurus, als Meisterdenker galten, aber keine wirkliche Schule des Denkens: »Nora sah genau, daß Foucault außerhalb seiner eigenen Bücher keine Schule hatte [...]. Foucault war der Meinung, daß man sich bei Gallimard nichts aus ihm machte, und das betraf nicht speziell Nora, sondern die Tatsache, daß von dort keine Anfragen kamen, obwohl er voller Projekte steckte und sich gern aktiv um Herausgabe und Abwicklung gekümmert hätte.« ^° Daß Pierre Nora Marcel Gauchet zum Chefredakteur der Zeitschrift be stimmte, konnte angesichts dessen überaus kritischer Haltung zu Foucaults Werk die Distanz nur vergrößern.
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Die Gründung von Debat bekundete die Versöhnung der Intellektuellen mit den Werten der westlichen Gesellschaft, eine Neubeurteilung von De mokratie und Aufklärung sowie ein schrittweises Übertreten zur AronStrömung. Die Zeitschrift stellte fest, daß sich die Modelle der Überwin dung erschöpft hatten, ob nun hinsichtlich einer Zukunft, die fortan aus enttäuschter Hoffnung ein progressives oder revolutionäres Morgen aus schloß, oder, auf wissenschaftlicher Ebene, hinsichtlich einer von ideologi schen Störfaktoren befreiten Stringenz. Es war die Zeit für ein weiches, be wegliches, labiles Denken, das die verlorenen Illusionen des Szientismus der sechziger Jahre erkennen ließ. Bezeichnend ist auch, daß der Untertitel von Debat »Geschichte, Politik, Gesellschaft« aufführt, insofern nämlich, als sich die Wissenschaften, die zur Sternstunde des Strukturalismus eine wegweisende Rolle spielten — Anthropologie, Linguistik, Psychoanaly se —, 1980 sämtlich in einer Situation der Krise, des Abebbens, der Zersplit terung und theoretischen Ratlosigkeit befanden.
Vom Anderen zum Selben: vom Unbewußten zum Bewußten Die Anthropologie, die nach der Figur des Anderen fragte, entsprach nicht länger den Bedürfnissen einer westlichen Gesellschaft, die sich fortan mehr nach der Figur des Selben erkundigte, nach ihrer Vergangenheit und ihren Werten. Überdies gingen der Anthropologie, die sich ihre Ausdrucksfor men stets von anderen Disziplinen geborgt hatte (im 19. Jahrhundert von der Biologie, als sie die Gesellschaft als Organismus auffaßte, im 20. Jahr hundert von der strukturalen Linguistik), mit dem Abflauen des Struktura lismus die Modelle aus. Dadurch kamen Horizonte zum Vorschein, die in der strukturalen Periode unbeachtet geblieben waren, wie der des Politi schen, an dem sich zeigte, daß der anfängliche Ehrgeiz auf Globalisierung nicht verwirklicht worden war: Für Marc Abeles äußerte sich hier die »Ver geltung des Alltags« ^^ Den Anthropologen stellten sich neue Fragen, etwa zur Beherrschung der jüngeren durch die älteren Geschwister, zum Geschlechterverhältnis, zur Sklaverei, zu den politischen Machtmechanismen in ihrer institutionel len und symbolischen Doppelrealität. Im Bewußtsein dieser neuen Heraus forderungen standen die Anthropologen eine schwere konzeptionelle
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Krise durch, ehe sie sich neuen Modellen wie der Topologie oder der Kata strophentheorie zuwandten. Einstweilen entwickelte sich die Anthropolo gie tendenziell wieder zur Ethnographie, zur reinen Feldbeschreibung ohne kohärentes Kategorienraster: »Der Anthropologe lebt von der suk zessiven Einfuhr von Modellen. Diese leiten die Forschungen — im Bachelardschen Sinn des Wortes — und sind eine Zeitlang fruchtbar, danach müs sen sie ersetzt werden. In einer solchen Krise stehen wir gerade.« ^^ Indes ist man mit Hilfe der verwendeten Modellbildungen in jeder Etappe zu neuen Entdeckungen vorgestoßen. Die Versuche zur Begrün dung der Anthropologie als Wissenschaft waren also nicht vergeblich; sie haben unhintergehbare Errungenschaften hinterlassen. Allerdings schaff ten sie es nicht, die Anthropologie ein für allemal in eine harte Wissenschaft zu verwandeln, vielleicht weil »sich jenseits der Kombinatoriken und der Formalismen kein Mensch einstellte« ^^. Im übrigen mußte sich die strukturale Anthropologie den Vorwurf des Kulturrelativismus gefallen lassen, der der Versöhnung der Intellektuellen mit den Werten der eigenen Gesell schaft im Wege stand. Auch der von Michel Foucaults Freund Robert Castel 1973 gebrand markte »Psychoanalysmus« ^'^ klang Mitte der siebziger Jahre ab. Immer mehr Schüler Lacans kehren sich vom Meister und seinen topologischen Fi guren ab, noch bevor der die Auflösung seiner Schule bekanntgibt. Das gemeinsame Abebben von Anthropologie und Psychoanalyse läßt den Wunsch erkennen, die Bewußtseinsmodelle wieder in den Problem kreis aufzunehmen und nicht mehr ausschließlich das Unbewußte als Ort der Wahrheit zu werten, ob nun im individuellen Maßstab oder in dem der kollektiven sozialen Praktiken. Die Linguistik wiederum wirkte nicht länger als Antriebskraft der So zialwissenschaften wie in der Glanzzeit des Strukturalismus und zog sich in die einmal erreichten institutionellen Stellungen zurück. Die Zeitschrift Langages, deren Auflage bei durchschnittlich 3000-3500 Exemplaren gele gen hatte, bekam ein Absinken der Verkaufsziffer auf 1800-2000 Exem plare zu spüren, so daß Jean Dubois 1986 sogar ihre Einstellung gewünscht haben soll. Dieser Bedeutungsverlust im Verlagsbereich wie in der intellek tuellen Ausstrahlung auf das gesamte Feld der Sozialwissenschaften ging einher mit einer Verlagerung der Nutzanwendung des linguistischen Mo dells in die Industriestrukturen, in die »Sprachindustrien«.
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Die Linguistik hatte also ihren Einfluß nicht verloren, sie war nur abge wandert ins Innere der Industriegesellschaft und gehorchte dort der Nach frage nach Computerprogrammen, nach Synthesesprachen: »Die Lingui stik hat unendlich höhere Macht als vordem, aber es ist keine Verlagsmacht mehr, sie liegt vielmehr auf industriellem Gebiet.« ^^ Diese Ingenieurs linguistik in großen wissenschaftlichen Forschungsstätten wie der unter Leitung von Maurice Gross, in der auch Jean Dubois arbeitet, veränderte notwendig das Verhältnis zwischen Subjektivität, Originalität und Erstel lung der Programme, das sich gegenüber früher umgekehrt hat: »Heute kann ich nicht arbeiten — und keiner, nicht einmal der Direktor des Insti tuts kann es —, ohne der Analysemethode des gesamten Laboratoriums zu entsprechen. Es ist ein echtes Wissenschaftslabor, und man muß einer Me thodologie Folge leisten, die es einem nicht erlaubt, ganz man selbst zu sein.« '^ Ein Teil der Linguistik hat also den Weg zur wissenschaftlichen Operationalität geschafft, dabei jedoch auf die Rolle als modellbildende Drehscheibe der Humanwissenschaften verzichtet. Dieser Rückzug beglei tet das allgemeine Verebben des strukturalen Paradigmas. Daraus erwächst das neue Paradox einer Linguistik, die sich zu einer Zeit, in der der Szientis mus, nachdem er die vermessensten Ambitionen genährt hatte, im Schwin den begriffen scheint, weniger mit Ideologie und mehr mit operationaler Methodologie befaßt.
Die verlorenen Illusionen : III. Die Wiederkehr der Ethik
Der Strukturalismus bildete einen Versuch der Emanzipation von der Phi losophie, deren nahes Ende man im Namen der Wissenschaft, der Theorie unablässig ausrief. Doch mit dem Abebben des Strukturalismus kehrte die vermeintlich abgesetzte Philosophie in ihre angestammte zentrale Stellung zurück. Die Zeitschrift Critique erschien 1987 unter der Überschrift: »La Philosophie malgre tout« (Die Philosophie trotz alledem) und prophezeite »La fin de la fin de la philosophie« (Das Ende vom Ende der Philosophie). ^ Die Praxis der Vermeidung mancher spezifisch philosophischer Fragen durch Verlagerung auf das Terrain der Sozialwissenschaften hatte glauben lassen, daß mit dem Strukturalismus ethische und metaphysische Fragestel lungen endgültig als erledigt angesehen werden konnten. Doch seit dem Umbruch Mitte der siebziger Jahre sollten gerade diese Fragen das franzö sische Geistesleben dauerhaft bestimmen. Einer solchen ethischen Suche widmete sich auch Andre Comte-Sponville, ein seinem Materialismus und seiner ursprünglichen Anhängerschaft zu Althusser treugebliebener Philo soph. Er begab sich auf die Suche nach einer Weisheit, nach einer Lebens kunst, die er als ethischen Materialismus bezeichnet. Wenn er Althussers und Levi-Strauss' subjektloses Denken mit der buddhistischen AnattaLehre vereinigt, scheint Comte-Sponville den Weg für eine Ethik des Selbst ohne Ich zu bereiten, die von allem übersteigerten Ehrgeiz auf Befreiung der Menschheit von ihren Ketten entbunden ist.
Die Ethik der Verantwortung Sei es, weil man sich der Grenzen des Szientismus in den Humanwissen schaften bewußt geworden ist oder weil die Frage der Menschenrechte wie derkehrt, jedenfalls wird die Ethik erneut zu einem Hauptproblem erho ben, allerdings unter einer veränderten Wesensbestimmung: »Durch den
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Tod des Strukturalismus kommt es zur Geburt eines neuen Typs des Intel lektuellen, dessen Ethik, um Arons Kategorien aufzugreifen, nicht mehr die der Gesinnung, sondern die der Verantwortung ist.«^ Seither gilt wie der der Imperativ der »konkreten Analyse der konkreten Situation«, mit dem Risiko des Empirismus zwar, der es jedoch zumindest erlaubt, das Ziel mit den zu seiner Erreichung verwendeten Mitteln zu konfrontieren und die Veränderlichkeit der Situationen in Zeit und Raum differenzierter zu beurteilen. Fortan wollen die Intellektuellen vermeiden, sich blenden zu lassen, wie im Falle der UdSSR, die für viele die historische Vorhut der Menschheit verkörperte, und später im Fall der Ersatz-Avantgarden wie China und Kuba. Das letzte öffentliche Aufflackern der Gesinnungsethik könnte man auf 1978 datieren, als Michel Foucault, den der Nouvel Observateur in den Iran gesandt hatte, die iranische Revolution beschrieb. Beeindruckt von der An fechtung der westlichen Werte, sah er in dieser Revolution eine Bewegung, mit der wieder an eine positive politische Spiritualität angeknüpft werden konnte: »Die Situation im Iran scheint an einem großen Streit zwischen zwei Personen mit traditionellen Wappenschildern aufgehangen: dem Kö nig und dem Heiligen, dem bewaffneten Souverän und dem mittellosen Verbannten, dem Despoten und ihm gegenüber, vom Volk bejubelt, dem Menschen, der sich mit bloßen Händen erhebt.« ^ Man weiß heute, in wel chem Maße aus dieser islamischen Regierung, die Foucault als Befreiung, wahre Schwelle des Neuen, Verkörperung des Widerstands gegen die Un terdrückung darstellte, eine das gestürzte Regime an Brutalität übertref fende Diktatur geworden ist. Derlei Verirrungen, die nach 1975 unange bracht erschienen und nur noch vereinzelt auftauchten, aber in der Periode davor weithin Zustimmung fanden, können als das Ergebnis einer hyper kritischen Position gegenüber der Demokratie und ihren Institutionen ge lesen werden. Liegt die Aufgabe des Intellektuellen in der Ausübung solcher Kritik, so erfordert sie zur Vermeidung mancher politischer Delirien die Einsicht, daß Demokratie nicht selbstverständlich genug ist, als daß man ihre Errun genschaften vergessen dürfte, um desto besser für ein Andernorts zu schwärmen: »Das Problem besteht nicht darin, die Demokratie zu kritisie ren, sondern sie nicht grundsätzlich in Frage zu stellen.« ^' Die Philosophie des Mißtrauens hatte die Grundfesten der Demokratie
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abtragen wollen, indem sie deren Kehrseite, deren Ungesagtheiten an zeigte; doch sie verkehrte sich rasch in ihr Gegenteil und wich einer Phase des laschen Ökumenismus und der frömmelnden, kritikunfähigen Naivi tät. Der Umbruch der siebziger Jahre brachte also eine entgegengesetzte Haltung hervor, die freilich ebenso unbefriedigend war — hier wie dort blieb die Klarheit auf der Strecke.
Die Wiederkehr des Religiösen Mit der sogenannten neuen Philosophie, gesammelt und geheiligt von Maurice Clavel, beginnt eine Neulegitimierung des Religiösen, das man für historisch überlebt gehalten hatte, und zwar insbesondere bei den maoistischen Bewegungen, wo etliche den »großen Steuermann« gegen Gott ein wechseln. So auch 1975 Philippe Nemo ^, der die vier Diskurse wieder auf greift, die Lacan in seinem Seminar von 1970 definiert hatte, sie jedoch so umschichtet, daß die Position des Diskurses des Herrn aufgewertet wird. Wenn seine Rede noch in lacanianischer Tradition steht, so vor allem des halb, um ihr nach oben, zur Transzendenz hin zu entweichen: »Der Mensch als Seele ist der Zeitgenosse der Transzendenz, die durch ihn hin durchgeht: er ist der Sohn Gottes.« ^ Schon der Titel des Werks, UHomme structural, offenbart die Absicht des Autors, Strukturdenken und Tran szendenzdenken miteinander zu vereinbaren, wobei die Transzendenz nicht mehr in einem Anderswo gesucht werden soll, sondern im Innern des strukturalen Menschen selbst. Nach dem Krieg hatte Vladimir Jankelevitch die moralische Verpflich tung auf der Ebene des rationalen Willens absolut gesetzt, wobei er an strebte, sie in ihrer Immanenz und in ihrer Universalität zu begründen.'' Dieser unklassifizierbare Philosoph, der, auf dem Höhepunkt der struktu ralistischen Welle fast in Vergessenheit geraten, sein Leben der Moralfor schung und der metaphysischen Reflexion widmete, sieht sein Streben aus gerechnet in seinem Todesjahr, 1985, von Erfolg gekrönt und seine Fragestellung von der ganzen intellektuellen Welt aufgenommen. Ein weiterer Philosoph steht nun kraft einer Philosophie, die auf der Sorge um die Ethik gründet, im Rampenlicht der philosophischen Szene: Emmanuel Levinas. Bereits in den dreißiger Jahren Wegbereiter Husserls in
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Frankreich, blieb auch er abseits des strukturalistischen Aufruhrs, um mit der Wiederkehr der Frage des Subjekts und der intersubjektiven Beziehung abermals ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Wie die Strukturalisten fragt Emmanuel Levinas nach den Grundlagen des Gehorsams vor dem Gesetz, doch verlegt er sie auf die Ebene der Ethik: »Alles beginnt mit dem Recht des anderen und mit meiner unendlichen Verpflichtung in seiner Hinsicht.« ^ Levinas stützt sich auf die Phänomenologie, um die unaufhebbare Andersheit zu situieren, die das Selbe vom Anderen trennt, und be gründet aus ihrem Verhältnis die Mitanwesenheit der Ethik: »Meine Weise, den Sinn des Menschlichen zu verstehen, beginnt nicht mit dem Gedanken an die Sorge, welche die Menschen für die Orte tragen, wo es ihnen am Sein-um-zu-Sein liegt. Ich denke vor allem an das Für-den-Anderen.«^ Es ist die Entdeckung der Konzentrationslager, die das Denken von Jankelevitch und von Levinas bewegt. Beide haben versucht, den Weg zu einer vorläufigen Moral, zu einem Denken der Beziehung zum Anderen zu eb nen. Levinas hat der zeitgenössischen Reflexion über die Dialogik vorgear beitet, die sich auf den Begriff der Interaktion stützt und zu eben dem Zeit punkt wiedergekehrt ist, als die Ideologien in die Krise gerieten und man sich der historischen Desaster bewußt wurde, die globalitätsbegründete Systeme angerichtet hatten: »Das Denken einer vorläufigen Moral, das bei Descartes eine untergeordnete Aufgabe im Projekt der Naturbeherrschung war, wird zu einem maßgeblichen Einsatz bei den Zeitgenossen, die den Behelf der vorläufigen Moral zu einem eigenständigen Projekt umfor men.« ^° Das zweite Symptom für die neuerdings dem Ethischen eingeräumte Wichtigkeit bildet die späte, aber spektakuläre Anerkennung des bedeu tenden Werks von Paul Ricoeur. Er war einer der Hauptgegenredner der Thesen von Levi-Strauss in den Debatten der Zeitschrift Esprit seit 1963, dessen allgemeiner Theorie der Beziehungen er eine allgemeine Theorie der Interpretation entgegenstellte. 1969 unterlag er bei seiner Kandidatur am College de France Michel Foucault. Er, der eine Hermeneutik verkörperte, mit der der siegreiche Strukturalismus radikal zu brechen gedachte, war sei nerzeit ein um so störenderer Widersacher, als er aus einer unantastbaren Position des Dialogs und der Öffnung heraus alle Errungenschaften der Humanwissenschaften in seine philosophische Perspektive miteinbezog. 1965 veröffentHchte Ricoeur bereits seinen Freud-Essay Die Interpreta-
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tion^^, worin er eine reflektierende Wiederaufnahme von Freuds Werk un ternahm, indem er die psychoanalytische Betrachtungsweise in eine Ar chäologie des Subjekts einband. 1969 versammelte er seine Aufsätze in dem Buch Der Konflikt der Interpretationen^·^, wo er sich hauptsächlich einer hermeneutischen Sprachreflexion annahm. Ohne dem semiologischen An satz das epistemologische Fundament streitig zu machen, sprach Ricoeur dem linguistischen Modell jegliche Form von Absolutierung ab und faßte bereits dessen Überwindung ins Auge, indem er zeigte, daß die Sprache über die Taxonomie hinaus ein Sagen ist. Weiter gedieh seine Arbeit über die Sprache und Auseinandersetzung mit den strukturalistischen Thesen insbesondere in seiner Kritik am Axiom der Sprachimmanenz in La Metaphore vive. ^^ Als die Strukturalistische Welle abflaut, läßt sich das Fundamentale an den Orientierungen der Philosophie Ricoeurs besser ermessen: Gegen die Strömung seiner Zeit wußte er die verworfenen Dimensionen des Subjekts, der Handlung, des Referenten, der Ethik aufrechtzuerhalten und griff gleichwohl die positiven Aspekte der semiologischen Tätigkeit auf. Weil er die Geschlossenheit der Sprache in sich ablehnte, hat er stets die Dimension des menschlichen Handelns berücksichtigt, wobei er seine Arbeit in Ergän zung zur Semiologie sah.^"^ Daher ist er heute besser als jeder andere in der Lage, der Welle standzuhalten, welche die gesamte Reflexion der sechziger Jahre ins Nichts zurückspült, und zugleich die Wende zu leisten, die sich im Kern in der derzeitigen Wiederkehr der Ethik vollzieht. Dies erreicht er, in dem er die vielfältigen Dimensionen des Subjekts erkundet. Zwischen dem Idealismus des Cartesischen Cogito und den Dekonstruktionspraktiken hat er einen dritten Weg geschaffen, der über eine Neuinterpretation der Dialektik des Selben und des Anderen verläuft. ^^ Nach seinem Erfolg im Ausland, in den USA, wo er in Chicago lehrte, in Deutschland, Italien, Ja pan und andernorts, sieht Paul Ricoeur sich endlich auch in Frankreich anerkannt und gerühmt. Im Juli 1991 erscheint eine Esprit-Sondernummer über sein Werk, in Cerisy wird ihm ein Kolloquium gewidmet ^^, Le Seuil publiziert unter dem Titel Lectures sukzessive drei Bände mit seinen ver streut erschienenen Schriften: Vorwörter, Kommentare, Aufsätze, und seine Trilogie über die Zeitlichkeit kommt 1991 als Taschenbuch heraus. ^^ All dies verdeutlicht Paul Ricoeurs Stellung als der große zeitgenössische Philosoph im Zentrum der Öffentlichkeit.
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Die Rückkehr zur Philosophie Ein weiteres und eher spätes Symptom der Rückkehr zur Philosophie fin det sich im Werdegang von JuHen Freund — einem der Wegbereiter Max Webers in Frankreich —, der das Feld der im strengen Sinne philosophi schen Erkundungen verlassen hatte, um sich sozialwissenschaftlichen Fra gen zu widmen. ^^ Später allerdings wandte er sich von der Sozialforschung wieder ab, kehrte zurück zu einer philosophischen Philosophie^'^ und sprach sich für eine Neubegründung der Philosophie als spezifischem Diskurs aus, die er seit Nietzsches Kritik dahinsiechen sieht: »Man könnte diesem Werk den Titel >Gegen Nietzsche< geben.« ^° Damit versucht er zugleich, die Mo ral zu retten, die zur Stunde, da das postmodernistische Feuerwerk zu zün den scheint, im Untergang begriffen ist. Julien Freund verleugnet seinen Abstecher ins Gebiet der Sozialwissenschaften durchaus nicht: »Dieser lange Rundgang durch die Sozialwissenschaften ist in vieler Hinsicht nutz bringend gewesen.« ^^ Doch er stellt auch fest, daß diese die Philosophie nicht ersetzen können. Er befürwortet eine Rückkehr zur vom Postmoder nismus verworfenen Unterscheidung zwischen Wahrem und Falschem und Gutem und Bösem, hält also die metaphysische Befragung für fundamen tal : »Die Reflexion über die Essenz ist kein unverbindliches Spiel [...], denn sie besteht in einer gleichzeitigen Anstrengung der Identifizierung und der Differenzierung der Begriffe, ohne die man der Verwirrung anheimfiele.« ^^ Die Rückkehr zur Philosophie vollzieht sich auch über den Blick ins Ausland, auf die analytische Philosophie, deren Thematisierung in Frank reich die Strukturalistische Konjunktur verbaut hatte, da sie es nicht zuließ, das Subjekt in das Feld der Problemstellungen einzubeziehen. Erleichtert wird dieser Durchbruch natürlich durch das Abebben des Strukturalismus, aber auch durch die Entdeckung der Arbeiten von Wittgenstein, die vor al lem Jacques Bouveresse zu verdanken ist.^^ Mitte der achtziger Jahre be klagt dieser die Tendenz der Philosophen, sich in der Negation ihrer Identi tät zu gefallen. ^'^ Er konfrontiert die angelsächsische Praxis der Philosophie als argumentativer Disziplin mit deren literarischem Status in Frankreich, der allzuoft zur Gleichgültigkeit gegenüber Inhalt wie Argumentation ver leite. Der dekonstruktiven oder ultrastrukturalistischen Philosophie hält er die Forderung der Klarheit entgegen, mit der Wittgenstein die Spezifität der Philosophie definiert und sie vom Geist der Wissenschaft und ihrer
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Zeitgenossenschaft unterscheidet: »Die neuen Dionysier von heute wie derholen immer noch, daß wir unbedingt der Herrschaft der Logik, der Vernunft und der Wissenschaft ein Ende setzen müssen.« ^^ Auf die Posi tionen Freges und Wittgensteins gestützt, denkt auch Bouveresse, daß man sich von einem moraHschen Urteil nicht entbinden und die menschliche Verantwortung nicht leugnen kann. Die Verneinung dieser Dimension beruht auf dem, was Popper den »nai ven Monismus« nennt: »Die Art von Erhellung über sich selbst, die der einzelne noch so bemerkenswerten Entdeckungen der Humanwissen schaften verdankt, löst kein einziges ethisches oder politisches Problem.« ^^ So heile die Psychoanalyse, die in dieser Hinsicht am weitesten gegangen sei, den Menschen ebensowenig vom religiösen Glauben wie der Marxis mus. Dabei kennzeichnete die strukturalistische Periode der Vorrang, den sie den verschiedenen psychologischen, soziologischen und kulturellen Determinismen einräumte. Sie neigte dazu, den vernünftigen Menschen zu ersetzen durch den psychologischen Menschen, ein reicheres und zugleich gefährlicheres und unsteteres Geschöpf, meint Jacques Bouveresse, der Wittgenstein für den letzten der großen Philosophen hält: Sein »asketi scher, distanzierter und implizit ironischer >Realismus< erinnert unmittel bar an die Haltung mancher Gelehrter der Antike [...], welche darin be steht, so wenig wie möglich Abhängigkeit hinzunehmen und zu versuchen, bezüglich der Bedürfnisse und der von ihnen auferlegten Genugtuungen größtmögliche Freiheit zu erwerben« ^^.
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Bei den Ökonomen fand der entscheidende Umbruch 1973 statt. Bis dahin hatten die »trente glorieuses«, wie Jean Fourastier sie nennt (Jean Chesneaux spricht hingegen von den »trente honteuses«, den dreißig Schand jahren), dem Westen zu einem spektakulären Nachkriegswirtschaftswachs tum verholfen. Mit der Krise änderte sich schlagartig die Lage, die optimistischen Prognosen zerschlugen sich, die klassischen Erklärungsmu ster versagten, und die Βewältigungsversuche erwiesen sich als von zweifel hafter Wirksamkeit. Die Krise erschütterte somit auch die althusserianischen Schemata, die auf der Reproduktion fußen: Offenkundig ist diese allzu erheblichen Dys funktionen ausgesetzt, als daß sie ohne Einbeziehung von Bewegungen und Widersprüchen zu begreifen wäre. Ebenso traf die Krise die neoklassi schen Ökonomen, die ihre Konzeption vom nahezu reibungslosen Spiel des Marktes, seit den fünfziger Jahren ihr zentrales Analyseparadigma, in Frage stellen mußten. Die Grundannahme eines allgemeinen Gleichge wichts war durch die Krise hinfällig geworden, so daß exogene Elemente zugelassen werden mußten. Die strukturalistische Ökonomieschule orien tierte sich um und ging allmählich von der Reproduktion zur Regulierung über. Diese Richtung erwuchs unter anderem aus dem Keynesianismus: »Die Keynesianer des Südens nennen sich Strukturalisten. Die CEPAL [Commission ficonomique pour l'Amerique latine, A. d. Ü.] spricht von strukturalistischer Inflations- oder Entwicklungsanalyse.« ^ Die Ausbreitung des Keynesianismus in Frankreich wurde durch den Einfluß der Durkheimschen Thesen auf die Ökonomen begünstigt. Sie fußte also auf dem Gedan ken, daß es eines durchkonstruierten Analysegegenstands bedarf, daß reine Modelle aufgestellt werden müssen, um die ökonomische Wirklichkeit an hand von Strukturen untersuchen zu können, die das Verhalten der ver schiedenen Wirkkräfte herleitbar und damit formalisierbar machen.
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Vor allem hat jedoch der Althusserianismus zur Einführung des struktu ralistischen Rasters in die Ökonomie beigetragen. Die sogenannte ecole de la regulation (insbesondere Michel Aglietta, Hugues Bertrand, Robert Boyer, Benjamin Coriat, Alain Lipietz, Jacques Mistral, Carlos Ominami) entsprang nämlich der Denkströmung des strukturalistischen Marxismus und zugleich einer kritischen Absetzung von den Althusserschen Thesen: »Wir Regulationisten sind gewissermaßen rebellische Söhne Althussers.« ^ Alain Lipietz kam durch Althusser auf Marx, über den er 1972 sein Di plome d'fitudes Superieures verfaßte. ^ Mitte der siebziger Jahre mit der Krise konfrontiert, mußte er bestimmte Grundannahmen berichtigen, um die Entwicklung der Wirtschaftslage verstehen zu können. Wie andere, die sich später in der Regulierungs-Schule organisierten, strich er den wider sprüchlichen Charakter der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse heraus, die folgerichtig einfachen Reproduktionsmechanismen im Wege stehen. Ferner erkannte er, daß der Althusserianismus, sofern er sich auf ei nen Prozeß ohne Subjekt gründet, einen blinden Fleck aufweist. Die Regulationisten standen vor der Notwendigkeit, das Subjekt mit seinen quer durch die institutionellen Rahmenbedingungen hindurch ver laufenden Vorstellungen und Strategien wieder in die Reproduktionsme chanismen einzuführen. Indes erkennt Alain Lipietz dem Althusserianis mus das historische Verdienst zu, mit einem erstarrten Marxismus aufgeräumt und mitgeholfen zu haben, »den Mythos des Hauptwider spruchs und die messianische Revolutionserwartung aus der zwingenden Wirkung des im Widerspruch von Proletariat und Bourgeoisie verinnerlichten Widerspruchs von Produktivkräften und Produktionsverhältnis sen« ^ umzustoßen. Althusser hat den ökonomizistischen Determinismus ausgehebelt und mit seinem Konzept der Produktionsweise als einer in drei Instanzen gegliederten Struktur das Werkzeug für eine komplexere Ana lyse bereitgestellt. Dadurch hat er den Abschied von der gängigen Vulgata ermöglicht. Allerdings wird der Althusserianismus den Anforderungen der Regulationisten nicht mehr gerecht, wenn er Begriffe einführt, die eine im wesentlichen statische Realität beschreiben, und er es im Namen des Kampfes gegen den Historizismus und den Evolutionismus verwehrt, die Modalitäten des Übergangs und der Veränderung zu berücksichtigen. Die Produktionsweise ist bei den Althusserianern hauptsächlich durch ihre Topik bestimmt, durch die von ihr geleistete Reproduktion der Plätze
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innerhalb der Struktur — nicht in der Zeit, sondern im Rahmen eines Plans und einer Logik der Verschiebung auf demselben. Die Regulierungstheorie definiert sich im wesentlichen aus einer Kritik an diesen Beschränkungen: »Verwerfung von Widerspruch und Subjekt: diese beiden Ausblendungen scheinen für den klassischen Althusserianismus der Preis für das Hervor treten des Reproduktionsbegriffs zu sein.«^ Der Regulationismus schreitet also über den Althusserianismus hinaus, um die Krise denken zu können und nachzuweisen, daß die Reproduktion nicht selbstläufig ist. Zwar kann sie über einen langen Zeitraum — wie den der Wirtschaftswunder]ahre — anhalten, aber nichtsdestoweniger akkumu liert sie Widersprüche, die schließlich zusammenkommen und in eine Krise münden. Gleichwohl erinnert Lipietz an seine Verpflichtung gegenüber Althusser, der, wie seinerzeit Hegel, allzuoft als »toter Hund« gehandelt wird: »Diejenigen, die heutzutage Althusser >vergessen<, >vergessen< leider in Wirklichkeit Marx, die Existenz von Ausbeutungsstrukturen, das Ge wicht der gesellschaftlichen Verhältnisse.«^ Michel Aglietta reiste zu Beginn der siebziger Jahre in die USA, um die Ursachen des dortigen Wachstums zu erforschen. Insbesondere interes sierte ihn, auf welche Weise der Staat Krisenfaktoren in den Griff bekom men könnte: »Für diese Arbeit habe ich mein Feld verlegt und bin in die USA gegangen.« '^ Aglietta versuchte, ausgehend von der amerikanischen Wirtschaft, die vermittelnden Faktoren ausfindig zu machen, aus denen erhellt, daß es nicht ausreicht, die Logik des Staates und die des Marktes aneinanderzukoppeln, um eine Gesamtstruktur herauszubekommen. Er begab sich also — und dies stellt die große Eigenleistung der regulationistischen Schule dar — an die Erforschung der Formen vermittelnder institutioneller Beziehun gen, deren Wirksamkeit von den Keynesianern unter rein instrumentellem Aspekt gesehen wurde, während die Vertreter der allgemeinen Gleichge wichtstheorie sie ganz verwarfen, weil sie darin Ausprägungen irrelevanter exogener Elemente erblickten. Michel Aglietta bezog somit die in der Ausgangsaxiomatik unberück sichtigt gebliebene Ebene der Institutionen in das Zusammenspiel von ökonomischer und sozialer Struktur ein: »Das war die erste Bedingung. Die zweite fußte auf der Annahme, daß nicht nur Individuen, sondern auch gesellschaftliche Gruppen zur Wirkung kommen.« ^ Er nahm also diejeni-
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gen aus dem Verhalten der Akteure erwachsenden RationaHtäten in den Horizont des ökonomischen Denkens auf, die nicht als Handlungen von einzelnen Individuen, sondern von Gruppen zu verstehen sind. Diese Logi ken lassen gleichgeordnete Ebenen erkennen, aber auch Widersprüche und Interessenskonflikte, die fortwährend Bewegung in die Struktur bringen. Es versteht sich von selbst, daß sich Agliettas Untersuchungsgegenstand im Zuge der Krise von 1973 verschob. Als seine Studie erschien, hatte er darin neben dem Wachstum auch die Krise berücksichtigt.^ Er siedelte seinen regulationistischen Ansatz in theoretischer Nähe zum Althusserianismus an. Nach Fertigstellung des Buches »zeigte [ich es] Althusser und Balibar. Sie konnten es unterschreiben, fanden sich in der Herangehensweise ge troffen.« ^° Wie Alain Lipietz hatte auch Michel Aglietta sich das epistemologische Modell des Althusserianismus zu eigen gemacht. Insbesondere übernahm er den Gedanken, die Probleme in Begriffen der Überdeterminierung zu stellen, und die Betrachtung der Strukturen als gegliederte Tota litäten. Vor seiner USA-Reise hatte er übrigens zusammen mit Philippe Herzog auf der Grundlage von Althussers Frageschema die Probleme des Wachstums erforscht, wobei er dessen Gedanken der Zwischenformen und Verschränkungen auf die Ökonomie übertrug. Überhaupt ist die strukturalistische Konjunktur der ausgehenden sechziger Jahre in Michel Agliettas Arbeitsorientierungen eingeflossen, denn er versuchte zudem zu begreifen, wie innerhalb des gleichen strukturellen Rahmens das Vielgestaltige funk tionieren kann, wieso die Regulierungsprozesse verschiedenartig, komplex sein und sich doch in dasselbe kapitalistische System einschreiben können. Dadurch konnte auch das Problem der unterschiedlichen nationalen Wege aufgeworfen werden: »Wir suchten solche Referenzarbeiten, die versuch ten, das allen diesen Gesellschaften Gemeinsame zu begreifen. Wesentlich war also die Idee der Gesellschaftsformationen und der Querverbindungen zwischen ihnen.« " Im Zuge dieser Dialektisierung des Singulären und des Universellen wurde Aglietta auf das Werk von Georges Dumezil aufmerksam, »weil er die bestimmende Rolle der Repräsentationen hervorhob« ^^ und damit die Möglichkeit schuf, über Systeme unterschiedlicher Doktrinen hinweg ein und dieselbe Form der Legitimität zu erkennen, die dem Ideologischen zu gehört und der gemeinsame Grundbestand dieser Gesellschaften ist. Auch Foucault hat Aglietta beeinflußt, »weil er nach den Institutionen fragte und
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Antworten anbot« ". Besonders interessierte ihn Foucaults Aufmerksam keit für die Mikro-Mächte, seine Blickverschiebung vom Zentrum zu den Peripherien, seine Auffahung der Macht in vielgestaltige Mächte, welche durchaus dem Bemühen der Regulationisten entspricht, den intermediären institutionellen Körpern auf die Spur zu kommen. Daneben hat es Foucault ermöglicht, von der »fundamentalistischen Auffassung des Marxismus« ^'^ abzurücken und den Modus des reibungslosen Wachstums als auf ein Sy stem der Verträglichkeit, der Konzertierung der Interessen von Kapitali sten und Lohnempfängern gegründet zu begreifen, welche bis dahin stets in ihrem irreduziblen Antagonismus dargestellt worden waren: »Später habe ich dies in der Form darzulegen versucht, daß auf der globalen Ebene der Makroökonomie ein Anstieg des Reallohns und der Beschäftigung mit dem Anstieg der Profitrate vereinbar ist.« ^^ Im Schnittpunkt der verschiedenen Strömungen des strukturalen Den kens ließ sich Aglietta auch von Bourdieu anregen, dessen Methode er schon 1963 bei einigen Vorträgen an der ßcole Polytechnique schätzenlernte. In der Tat liegt die soziologische Dimension im Gesichtskreis der Beschäf tigung mit der Regulierung, da diese ja die Verträglichkeit zwischen a priori divergierenden Klasseninteressen zu begreifen versucht: daher Agliettas Interesse an der Restrukturierung gesellschaftlicher Gruppen durch Inte gration in die Arbeitnehmerschaft innerhalb eines Staates, der die soziale Absicherung, das Bildungssystem und den Zugang zum Konsum ausbaut und auf diese Weise die gesellschaftlichen Gruppen über eine Umstellung des Regelsystems selbst umgeschichtet hat. Die verschiedenen Einflüsse, aus denen sich der Regulationismus gespeist hat, scheinen disparat, laufen aber in Wirklichkeit zusammen, denn sie gehören »derselben Ideenfamilie an, de ren Ziel es war, die Gesellschaft auf ihre Feinstrukturen hin zu besehen« ^^. Die Ökonomie stand als einzige solchermaßen formalisierte Sozialwis senschaft modellbildend am Ausgangspunkt des strukturalen Paradigmas — nun findet man sie am Ankunftspunkt wieder, wo ihr die Auswirkungen der epistemologischen Umbrüche der sechziger Jahre zugute kommen, die mit den Regulationisten eine neue, dynamische Schule hervorbringen konnten. Die Regulationisten haben einen Großteil des strukturalen Pro gramms übernommen, freilich unter bestimmten Bedingungen, beispiels weise der Dynamisierung der Strukturen und der Wiedereinbeziehung der ökonomischen Akteure, der Menschen.
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Die Wiedereinführung der Geschichte und der Akteure Die Regulierungsschule steht im Schnittpunkt dreier Heterodoxien: Er stens beerbt sie einen »althusserisierten« Marxismus, zweitens berücksich tigt sie, an Keynes anknüpfend, die effektive gesamtwirtschaftliche Nach frage, faßt das Geld als Institution auf und betrachtet die Arbeit nicht als Markt, sondern als Ertrag, und drittens tritt sie in die Fußstapfen des Insti tutionalismus. Diese Genealogie ergibt sich aus dem 1986 erschienenen kurzen Essay ^'^ von Robert Boyer, einem der Gründer der Reguherungsschule. Eine solche Schrift war um so notwendiger geworden, als die regulationistische Schule sich international auszubreiten begann und sich zu nehmend in verschiedene Ausrichtungen spaltete, zumal zwischen der sogenannten Schule von Grenoble unter der Ägide von Gerard Destanne de Bernis und dem GREEC ^^, die häufig den Positionen der KPF nahe stand, und der Schule von Paris rund um das CEPREMAP ^^. Robert Boyer räumt von vornherein den »vermischten« Charakter der regulationistischen Lehre ein, die sich neuen Verhältnissen und Problemen anpassen muß. Sie unterscheidet sich von den Doktrinen der Selbstregulierung des Marktes durch ihre Aufgeschlossenheit für gesellschaftliche und histori sche Vorgänge. Dabei gilt es herauszufinden, wodurch zeitlich stabile Zustände begrün det sind. Robert Boyer definiert den regulationistischen Ansatz anhand von vier Hauptmerkmalen: erstens eine gewisse Treue zu den Fragen der marxistischen Analyse und ihrem Anspruch, die gesellschaftlichen Verhält nisse aus ganzheitlicher Sicht zu untersuchen, zweitens die Anerkennung tendenzieller Gesetze, die eine gewisse Kritik an den strukturalistischen Schemata mit ihrer Festsetzung der Zeit sowie an der Theorie des staatsmo nopolistischen Kapitalismus impliziert, drittens die Berücksichtigung insti tutioneller Formen als Derivate entweder des Handelsertrags oder der Beziehung von Kapital und Arbeit und schließlich das Interesse für die Kaleckische Makroökonomie, die den Prozeß der Kapitalakkumulation untersucht. Unter der Maßgabe der Akkumulation ergeben sich die Untersuchungs kriterien für die Regulierungsweisen hauptsächlich aus fünf Institutionen (Geld, Konkurrenzformen, Lohnertrag, Staat, Art der Eingliederung in die Weltwirtschaft), die allesamt gleichermaßen zeitlich wie räumlich variabel
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sind. Diese Regulierungsweisen definieren auch die spezifischen Entwick lungsmöglichkeiten. Es geht also um das ambitionierte Unterfangen, das Wechselspiel zwi schen dem Ökonomischen und dem Sozialen anhand konkreter Situatio nen zu erfassen, die wieder in eine dynamische Perspektive gestellt werden. Geleistet werden soll eine »Untersuchung der Transformation der gesell schaftlichen Verhältnisse, die neue ökonomische wie auch nichtökonomi sche Formen schafft, Formen, die in Strukturen organisiert sind und eine determinierende Struktur reproduzieren — die Reproduktionsweise« ^°. Der Althussersche Ansatz mit seinen Begriffen der Produktionsweise, der Instanzen und der Überdeterminierung wird konfrontiert mit der Hi storizität, mit der Geschichte mittlerer und langer Zeitabläufe. Dies erklärt das vorrangige Interesse am Dialog mit den Historikern, zumal mit Fer nand Braudel, das der Ausstieg aus dem Strukturalismus mit sich bringt: »Die Arbeiten Braudels sind nützlich für die Ökonomen, die davon ausge hen, daß das historische Material für die Entfaltung der ökonomischen Wissenschaft von grundlegender Bedeutung ist.«^^ Dies gilt für die Regu lierungsschule, die in ihrer ganzheitlichen, anthropologischen Auffassung wirtschaftlicher Abläufe die Geschichtlichkeit sowohl heuristisch wie auch hinsichtlich des Ausgangsmaterials der begrifflichen Analyse einbezieht. Sie bemüht sich, die verknöcherten mechanistischen Systeme zu durchbre chen, etwa die vorbestimmten Entwicklungsstufen in der marxistischen Vulgata, die sich ausschließlich auf den Stand der Produktivkräfte stützt. Genauso greifen die Regulationisten jedoch die Vorstellung von der Perma nenz der Reproduktionsmechanismen an, auf die ein streng strukturalistischer Ansatz aufbaut: »Mit der Bezugnahme auf verschiedene Akkumula tionsregime erübrigt sich die Bildung von Invarianten, wie sie in der strukturahstisch beeinflußten marxistischen Literatur häufig betrieben wird.«^^ Die zweite große Öffnung haben die Regulationisten damit bewirkt, daß sie zwischen gesamtgesellschaftlicher Logik und der Strategienlogik gesellschaftlicher Gruppen unterschieden haben. Der Ausgangsgedanke der Gesamtkohärenz entbindet nicht von der »Notwendigkeit, die Ver mittlungen zu verdeutlichen, die über die kollektiven und individuellen Verhaltensweisen bestimmen« ^^. Die Regulationisten ermöglichen also die Wiederkehr des Subjekts, ohne sich allerdings für einen methodologischen
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Individualismus stark zu machen, wie ihn die ihren Bestrebungen sehr fern stehende MikroÖkonomie vertritt. Es handelt sich hier nicht darum, das in dividuelle Verhalten zu formalisieren, in eine Gleichung einzubringen, son dern um die Wiedereinführung von Akteuren in Gestalt von Gruppen, von sozialen Kategorien als Träger mehr oder minder bewußter institutioneller oder verhaltensmäßiger Strategien. Diese Akteure, die das zentrale Augen merk der regulationistischen Analyse bilden, werden insbesondere anhand der Lohnentwicklung untersucht, die zur maßgeblichen Instanz langfristi ger Entwicklungsveränderungen geworden ist. In der Tat liegt den Regulierungsmechanismen das Lohneinkommen zu grunde, mit dessen Hilfe auch neue Einschnitte im Akkumulationsregime erkannt werden können. Michel Aglietta hatte bereits 1974 in seiner these aufgezeigt, wie sehr das amerikanische Nachkriegswachstum auf der allge meinen Durchsetzung des Fordschen Systems fußte, das heißt auf einem Akkumulationsregime, das auf Produktionssteigerung und Massenkon sum, auf Zugang der Lohnempfänger zum American way of life ausgerich tet war.^"^ So wurde das Taylorsystem der Zwischenkriegszeit abgelöst durch das besser regulierte des Fordismus, der seinerseits seit dem Ende der sechziger Jahre eine an sinkenden Produktionsgewinnen ablesbare ent scheidende Krise durchmachte. Schule machte Michel Agliettas Arbeit 1975, als der strukturalistische Marxismus althusserianischer Prägung nicht mehr griff: »1975/76 stellte Aglietta seine these in einem langen Seminar zur Diskussion, auf dem dann die Arbeiten einer Gruppe des CEPREMAP aufbauen sollten.« ^^ Die Regulationisten analysierten mit ihrer zugleich mehrdimensionalen und auf die Krise des Arbeitsertrags abhebenden Erklärung die Krisenfaktoren am einleuchtendsten. ^^ Auch die Rolle des Geldes haben die Regulationisten neu beleuchtet. Michel Aglietta und Alain Lipietz kritisierten die Unterschätzung der Be deutung des Geldes im traditionellen Marxismus und die Leugnung des wi dersprüchlichen Charakters des Handelsgewinns im Althusserianismus: »Beim Handelstausch, beim Lohnaufkommen geht es gerade darum, Ar beitszeit abzugewinnen, Mehrarbeit abzupressen.«^'' Abermals verschob Aglietta seinen Ausgangspunkt, als er das Geld nicht mehr als einen Regulierungsmodus unter anderen, sondern als irreduzibles, unerläßliches Phänomen auffaßte: »Die Wirtschaftswissenschaft fragt
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nicht nach dem Wesen monetärer Phänomene.« ^^ Er streitet gegen ein Po stulat, das nach seiner Auffassung die durch das Geld bewirkten Phäno mene von Wirrnis, Gewalt, Willkür, Macht und Kompromissen verdeckt: das Postulat der Werttheorie mit ihren beiden Spielarten, dem Tauschwert und dem Gebrauchswert. »Wir arbeiteten die Prozesse durch, aber mit dem Geld kam ich nicht mehr zurecht, denn wir gelangten zum Kern der Dinge, sobald wir das Geld als Grundinstitution der Ökonomie definierten und davon ausgingen, daß diese Institution nicht anhand der Marktlogik denk bar war. Das brachte mich dazu, das Problem der Vergesellschaftung der Erträge gesondert, mit Hilfe einer anderen Logik als der des Wertes zu un tersuchen, in der dann das Geld zum Grundertrag wurde.« ^^ Diese Neube gründung der Rolle des Geldes beinhaltete die kritische Überprüfung des Neokeynesianismus der Nachkriegszeit, der davon ausging, daß der Staat die Geldströme durch zentrale Steuerung nach Belieben regeln könne. Ebenso wiesen Michel Aglietta und Andre Orlean die tradierte liberale Auffassung eines — so Jacques Rueff — »stillen Geldes« als des großen Stummen der endogenen Marktgesetze zurück. Aufgrund dieser doppelten Unzufriedenheit erkannten sie die Notwen digkeit »einer qualitativen Geldtheorie« ^°. Dabei lag die Möglichkeit eines Strukturalistischen Vorgehens mittels der Theorie des Geldkreislaufs nahe. Die Autoren räumen ein, daß diese einen Fortschritt gegenüber dem natu ralistischen Standpunkt darstellt, unterstreichen aber als ihren Hauptnach teil, daß sie Institutionen als Gegebenheiten postuliert und sich infolgedes sen nur der Beschreibung einer unverrückbaren Reproduktion widmet: »Für den Strukturalismus ist jede gesellschaftliche Organisationsweise völ lig durch ihre Regeln bestimmt. Sie bezweckt nichts anderes als ihre Selbst erhaltung.« ^^ Über die Dualität, die Ambivalenz des Geldes können die Regulierungs theoretiker die Spannung zwischen Logiken individueller Initiativen und solchen der Systemkoordination erfassen: »Man kann sagen, daß wir damit dem Strukturalismus entkommen, weil wir diese Spannung als gewisserma ßen irreduzibel aufrechterhalten.« ^^ Im Zuge dieser theoretischen Umstel lung stoßen die Autoren auf das Werk von Rene Girard, »mit dessen Hilfe sich der allgemeine Charakter der Gewalt und dessen Grundlagen offenle gen lassen. Daraus ergeben sich einige erhellende Ähnlichkeiten zwischen der Ordnung des Handels und der Ordnung des Opfers.« ^^ Die Analyse
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des Geldes als vornehmlicher Gegenstand der Ökonomie wird also einer globalen anthropologischen Perspektive untergeordnet, in der das Haben als Metonymie des Seins erscheint. Sie fußt auf einer dreigliedrigen Bezie hung, in der, dem mimetischen Schema Rene Girards folgend, Subjekt, Objekt und Widersacher gegeneinanderstehen. Damit kann der Handels ertrag wieder einen konfliktiven, kontradiktorischen Charakter in sich tra gen, ohne daß Aglietta sich deshalb einem methodologischen Individualis mus anschließen müßte.
Eine Erneuerung aus der höheren Verwaltung, am Rande der Universität Die althusserianisch-strukturalistische Filiation, aus der die Regulierungs theorie hervorgegangen ist, hebt sich in einem Punkt deutlich von den übri gen Humanwissenschaften ab: Sie berührt die Universität nur am Rande, während sie im Kern der höheren Staatsverwaltung massiv vertreten ist. In Ablösung der »Developpementisten« der Nachkriegszeit, die nach neokeynesianischem Wirtschaftsmodell die Planwirtschaft ä la frangaise ein führten, kommen diese neuen Wirtschaftsingenieure von den Grandes ficoles (hauptsächlich der ficole Polytechnique, aber auch der ficole natio nale des ponts et chaussees oder der ficole nationale superieure des mines de Paris) und haben sich statt für den Privatsektor für den öffentlichen Dienst entschieden: »Wie ich schon sagte, waren wir die widerspenstigen Söhne Althussers, aber zugleich die von Pierre Masse, dem großen Plan kommissar der sechziger Jahre.« ^"^ Die Regulationisten sind mehrheitlich Polytechniker: Michel Aglietta, Hugues Bertrand, Robert Boyer, Alain Lipietz, Jacques Mistral. Sie arbeiten in der Verwaltung, im INSEE (Institut National de la Statistique et des fitudes ficonomiques), im Plankommissa riat, im CEPREMAP. Weitab von den Kernbereichen des Geisteslebens, sind sie von der Interdisziplinarität, vom Dialog mit anderen Fachbereichen etwas abgeschnit ten, so daß deren Erschließung eher aus autodidaktischer Anstrengung denn aus verbindenden Strukturen erwächst. Beispielsweise stieß der Poly techniker Michel Aglietta mit vierzig Jahren auf das Werk von Rene Girard, anhand dessen er seine Theorie der geldimmanenten Gewalt vorlegen
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konnte. Marc Guillaume, ebenfalls Absolvent der ficole Polytechnique, konnte das dort vermittelte Wissen nicht zufriedenstellen: »Die Ausbil dung eines Ingenieurs in Frankreich ist von gutem w^issenschaftlichem und technischem Niveau und ziemlich umfassend, aber sie ist ein stures Ein trichtern bar allen sozialen Wissens. Auf diesem Gebiet herrscht völliges Banausentum.« ^^ Marc Guillaume ergänzte seine Ingenieursausbildung um eine Qualifikation zum Wirtschaftswissenschaftler, bestand 1968 die agregation und beschäftigt sich erst seither mit den laufenden Auseinanderset zungen um die strukturalistischen Ideen, die Frankfurter Schule, Herbert Marcuse usw. In den Wirtschaftsforschungsinstituten werden vermehrt Verträge mit dem CORDES ^^ geschlossen. In diesen Teams, die in der Arbeit an ökonometrischen Modellen Marx und Keynes miteinander verbinden wollen, ist der althusserianische Marxismus besonders stark vertreten. Zudem »ist der Althusserianismus als Strukturalismus bestens geeignet, einen für die Ver waltung annehmbaren Marxismus zu betreiben — er ist so geschliffen und formvollendet«^''. So schreibt Bernard Guibert am INSEE eine großange legte Arbeit über die französische Wirtschaft, die für einen ganzen Verwal tungsbereich zur amtlichen Richtlinie erhoben wird.^^ Infolge der Not wendigkeiten staatlicher Planung und Prognose hat die Untersuchung der Regulierungsweisen im Inneren der französischen Administration Fuß gefaßt: »In den Jahren 1966-1968 stießen wir an die Grenzen des Inter pretationsmodells dieser Praktiken« ^^, denn die aus den angelsächsischen Ländern übernommenen Ökonometriemodelle, die auf den sektoriellen Bereich zugeschnitten waren, erwiesen sich aus der Sicht von Forschern wie Robert Boyer, Michel Aglietta oder Philippe Herzog bei der Erfor schung staatlicher Strukturlenkung als unzulänglich. »An dieser Stelle setzte eine Reflexion ein, die Probleme strukturalistischen Typs benann te« ^^° und von der herkömmlichen Dichotomie zwischen einer untenliegen den Marktebene und einem darüber angesiedelten Niveau staatlicher Be einflussung der großen Bewegungen Abstand nahm. Das Ziel bestand vielmehr gerade darin, die Wechselwirkung zwischen den beiden Niveaus zu begreifen. So erwuchs diese Analyserichtung als letzter Sproß der struk turalistischen Öffnung mitten aus den Problemen, die sich in der Verwal tung stellten. Die Auseinandersetzung der Ökonomen mit den strukturalistischen
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Anregungen kam also nicht aus der Universität, wo die späte Anerkennung einer eigenberechtigten Wirtschaftswissenschaft und die Abkapselung von den Geisteswissenschaften zu Verspätungen, Trägheiten, ja mitunter Ver kümmerungen des Denkens geführt hat: »Keynes wurde an der Universität erst Anfang der sechziger Jahre gelehrt. In den Fünfzigern war er noch un bekannt.«'^^ Innovation und Modernität fanden sich demnach nicht beim orthodoxen universitären Establishment, sondern im Verborgenen bei sol chen Freischärlern wie Frangois Perroux am ISEA. ^-^ Erst in der nach 1968 ausgebildeten Generation finden die andernorts geleisteten Theoriearbeiten ihren Niederschlag an der französischen Uni versität und erwerben akademische Kräfte eine der Ausbildung in angel sächsischen Ländern entsprechende technische Kompetenz. Dies ver schärft die Vorherrschaft der Marginalisten an den französischen Universitäten, wirkt sich aber auch, dank einer zweiten Generation, in ein zelnen Fällen befruchtend auf die Arbeiten der Regulationisten aus. An den Universitäten überwiegt in der Ökonomie das Streben nach ei ner »harten«, formalisierbaren Wissenschaft. Da Wissenschaftlichkeit ma thematischen Kriterien unterliegt, ist mit Interdisziplinarität kaum Staat zu machen. Überdies gibt es in Frankreich, anders als in Amerika, keine Ver bindung zwischen Wirtschafts- und Politikwissenschaft. In den USA hat die Politikwissenschaft einen hohen Stellenwert, sie untersucht in hochtheoretisierter und eng an die Ökonomie geknüpfter Form die Strategien der Macht: »Die Vorstellung, daß politische Regime als Regulierungswei sen zu betrachten sind, hat sich in den USA entwickelt und ging von poli tikwissenschaftlichen Begriffen aus: Kompromiß, Strategie, akzeptierte Regeln. [...] Ich mache von dieser Literatur regen Gebrauch.«'^^ Einige von der herrschenden Lehre abweichende universitäre Wissen schaftler gewinnen einen gewissen — allerdings keinen entscheidenden — Einfluß, werden aber bald vom allgemeinen Rückstrom des Strukturalis mus um 1975 überrollt. So setzt sich allenthalben der Neomarginalismus durch, der kaum Raum für andere Strömungen läßt. Hubert Brochier bestreitet eine eindeutige Trennung der Ökonomie von den übrigen Humanwissenschaften. Als Professor an der Universität von Dauphine eröffnete er sein Seminar 1969 mit Barthes' Werk über Baudril lard. Anhand ökonometrischer Modelle konnte er das Verhältnis von Ein kommensniveaus und Konsumtypen, Preisniveaus und Verbrauch bezif-
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fern und die Notwendigkeit aufzeigen, gesellschaftliche Gruppen und Ka tegorien, aber auch andere Variablen wie Wohnsituation oder Ideologie in Betracht zu ziehen. Doch schon bald mußte Hubert Brochier einsehen, daß er sich darin getäuscht hatte, daß Dauphine eine sozialwissenschaftliche Universität sein könnte, während es doch darum ging, eine leistungsstarke Business-School, eine Hochschule für Praktiker aufzubauen: »Die großen ideologischen Freisetzungen während der Jahre 1965 bis 1975 ließen etwas nach. Da habe ich mich der Epistemologie der Wirtschaftswissenschaft zu gewandt.«'*'^ Einen weiteren Stützpunkt andersdenkender Ökonomen bildet der von Michel Beaud geleitete Fachbereich Politische Ökonomie an der Universi tät von Vincennes. Allerdings vergibt dieses Departement, wie wir gesehen haben, keine licence, dient also eher zur ergänzenden Ausbildung für an dere Fachbereiche denn als Ausbildungsstätte von Berufsökonomen und hat daher von vornherein eine begrenzte Wirkung. Diese wenigen im Universitätsgefüge versprengten Freischärler hatten übrigens bereits früher von Regulierung gesprochen. So untergliederte Henri Bartoli seinen Kurs »Systeme und Strukturen« im Studienjahr 1960/61 in einen ersten Teil über die Strukturen und einen zweiten über die Regulie rungen. Andre Nicolai, der den Fachbereich Politische Ökonomie in Vin cennes gegründet hatte, aber in Nanterre geblieben war und der an der Grundlegung einer allgemeinen ökonomischen Anthropologie arbeitete, schrieb 1962 für die Revue economique den Artikel »Die Inflation als Regu lierung« ^'^, in dem er nachwies, wie sich durch die inflationistischen Pro zesse hindurch Rollen reproduzieren. Diesen Ansatz bezog er unmittelbar aus dem Strukturalismus in der Anthropologie, der ihn dazu führte, das In flationsphänomen nicht mehr als Ausdruck der Dysfunktionen des Sy stems zu werten, sondern sich die Frage nach seiner Positivität als Repro duktionsmechanismus zu stellen: »In dieser Rollenreproduktion über die Regulierungsprozesse liegt sicher Levi-Strauss' stärkster Einfluß auf meine Arbeit.«''^^ Andre Nicolai sieht mit gewissem Bedauern, daß die Regulationisten eine der seinen ähnliche Orientierung zu einem Zeitpunkt geltend machten, als sie nicht verstanden werden konnte: »Die Regulationisten stellen gewissermaßen eine Rache im nachhinein dar.«''^^ Was er nach 1968 an der Universität erlebte, war eher die Ablehnung von Keynes und Marx, die Rückkehr zur puren Ökonomie mit einer unumschränkten Vorherr-
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Schaft des Neomarginalismus: »Jeglicher strukturale Gesichtspunkt wurde über Bord geworfen, man ging von einem vollkommenen Markt aus.«'^^ Zwischen den Verfechtern des Neoklassizismus, einer formalisierten und in sich geschlossenen Ökonomie einerseits und einer ultradeterministi schen Richtung andererseits in die Zange genommen, predigte Andre Ni colai in der Wüste: Für einen dritten Weg zwischen diesen beiden Strö mungen gab es damals keinen Raum. Auf dem Hintergrund der rückläufigen Konjunktur des strukturalisti schen Marxismus wird ab 1975 die Theorie vom allgemeinen Gleichgewicht zum Zentralparadigma der universitären Wirtschaftswissenschaft. Unor thodoxe Wissenschaftler versuchen, sich außerhalb der traditionellen Insti tutionen Gehör zu verschaffen. Einige von ihnen finden in der vom Verlag Frangois Maspero edierten Zeitschrift Critiques de l'economiepolitique zu sammen (Alain Azouvi, Hugues Bertrand, Robert Boyer, Bernard Gui bert, Pierre Salama, Bruno Theret). Andere arbeiten am Bulletin du MA USS'^^ mit, das der Soziologe Alain Caille herausgibt. Insbesondere ist hier der an der Universität Paris-I tätige Ökonom Jerome Lallement zu nennen, der zunächst althusserianische Thesen vertrat, dann zu dem Urteil kam, daß sie in Sackgassen führten und schließlich »zu Staub zerfielen« ^°. Nach seiner Abwendung vom strukturalistischen Marxismus ließ er sich von 1969 bis 1974 vor allem von Michel Foucaults Ordnung der Dinge dazu anregen, die Evolution des ökonomischen Denkens in Begriffen der Simultaneität und der Episteme zu überdenken: »Die Idee der Episteme war eine Inspirationsquelle, die mich sehr ans Arbeiten gebracht hat,«^^ Ferner be zieht Lallement sich in dieser neuen Lesart auf den Zeichenbegriff Saussurescher Provenienz. Er konstatiert einen Umschlag der politischen Öko nomie zur Zeit Saussures und Prousts, mit dem das Denken in eine neue Episteme eintritt, so wie Foucault sie definiert: »Diese Episteme des Zei chens funktioniert wie Saussures Schnitt zwischen Signifikant und Signifi kat. Dabei ist in der Ökonomie der Signifikant der Preis und das Signifikat die Nutzbarkeit, oder auch der Signifikant ist der Markt und das Signifikat das Individuum.« ^^ Seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts ist die politische Ökonomie somit in eine Zeichenökonomie umgeschlagen, kon stituiert sich als eine Semiologie und bringt nicht mehr die Realität selbst, den Referenten zum Ausdruck. Abschließend erörtert Jerome Lallement in seiner these die Unfähigkeit der Ökonomen, die Realität selbst zu erfassen:
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Diese liege nämlich stets außerhalb ihrer Domäne, wie sich aus der Defini tion der Epistemologie ihres Wissens selbst ergebe. Lallement verteidigt seine archäologische Herangehensweise gegen die traditionellen Geschich ten des Denkens und rückt Foucaults Positionen in die Nähe derer von Thomas S. Kuhn: »Beide sind Relativisten; beide lehnen die Idee von einer unverrückbaren, endgültigen Wahrheit ab, die da schweigend ihrer allmäh lichen Enthüllung harre.« ^^ Er gibt dem Foucaultschen Paradigma den Vor zug, da es sich den Human Wissenschaften zuwende und, anders als Kuhn, nicht bei einer Soziologie der Wissenschaftsgemeinde haltmache, sondern auf den Erkenntnisakt selbst ziele. Auch wenn einige unorthodoxe Denker an der Universität zu finden sind, so stehen sie inmitten der Marginalisten immer mehr auf verlorenem Posten.
Ein Mittelweg: der Habitus
Im Jahr 1975, eben als der Strukturalismus sich im Geist einer neuen Zeit aufzulösen scheint, gründet Pierre Bourdieu die Zeitschrift Actes de la recherche en sciences sociales, für die er als Herausgeber verantwortlich zeich net und die den wissenschaftlichen Ehrgeiz des strukturalistischen Pro gramms fortschreibt: »Der Diskurs der Wissenschaft kann nur denjenigen entzaubernd vorkommen, die eine verzauberte Sicht von der sozialen Welt haben.« ^ Wie in seinen bisherigen Arbeiten auch führt Bourdieu das strukturalistische Erbe fort, aber er nimmt eine Kurskorrektur vor und rückt in einigen Punkten vom strukturalistischen Paradigma ab. In einer scharfen Kritik am strukturalistischen Marxismus althusserscher Prägung attackiert er das philosophische Aristokratentum und die völlige Negierung der in der Gesellschaft Handelnden, die auf die Anwendung von Regelsystemen reduziert werden: »Ich wollte, wenn Sie so wollen, die leibhaftigen Ak teure wieder ins Spiel bringen, die durch Levi-Strauss und die Strukturalisten, zumal Althusser, dadurch eskamotiert worden waren, daß man sie zu Epiphänomenen der Struktur erklärt hatte.« ^ Von Anfang an nimmt Bourdieu in den Actes £tienne Balibar aufs Korn — stellvertretend für die gesamte althusserianische Strömung. Diese Invektive folgt seiner durkheimschen Position und seinem Bestreben, die Einheit der Sozialwissenschaften über eine von der philosophischen Vormund schaft emanzipierte Soziologie zu verwirklichen. Heftig attackiert er Bali bars Ehrgeiz, sich zum »Hüter der wahren Lehre« ^ des Marxismus aufzu werfen und darüber hinaus den Herrscherstandpunkt des Philosophen einzunehmen, der im Namen der Wissenschaft zu sprechen erheischt, in dem er seine theoretische Praxis als wissenschaftliche Praxis qualifiziert und somit die konkurrierenden Sozialwissenschaften per Anschluß oder Ausschluß ausschaltet. Bourdieu sieht darin lediglich eine berufsständische Verteidigung der mit der angestammten Legitimation des philosophischen Diskurses verbundenen Vorrechte, durch die man sich zum Richter über die
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Kriterien von Wissenschaftlichkeit erheben und als jederlei Abweichung oder Rückfall anprangernder Tempelwächter auftreten kann: »Die Prie sterschaft stellt den Sündenkatalog auf.«'^ Bourdieu bezichtigt die Althusserianer eines quasi metaphysischen Apriori, mit dem sie sich anmaßen, das Ereignis aus der Essenz herzuleiten: Diese ontologisierte Sicht der sozialen Welt laufe auf die Errichtung einer »Theodizee des Theologen« ^ hinaus. Fünfzehn Jahre danach meint fitienne Balibar, daß die Schärfe dieser Pole mik in erster Linie die dem akademischen Feld eigenen Gesetzmäßigkeiten vor Augen führe, wie Bourdieu selbst sie im Homo academicus^ eingehend untersucht hat: »Ob er merkt, in welchem Maße dies auf ihn selbst an wendbar ist?«'' Dieser durkheimsche Ehrgeiz ist übrigens bei Bourdieu nichts Neues, sondern reicht bis in die beginnenden sechziger Jahre zurück.
Der Strukturalismus oder Wie man von ihm loskommt Symptomatisch für die Schwächung des strukturalistischen Paradigmas sind hingegen Bourdieus kritische Wendung gegen das strukturale Repro duktionsschema und sein Vorhaben, dem Subjekt in den engen Grenzen seiner Bedingtheit Platz zu verschaffen. Er weist Althussers hierarchisierte Darstellung der sich in Basis und Überbau gliedernden Instanzen der Pro duktionsweise zurück und setzt sich zugleich von Levi-Strauss ab, der seine Vorgehensweise wesentHch angeregt hatte. Statt dessen errichtet er einen Analyseapparat, der auf den Begriffen vor allem des Habitus, aber auch des praktischen Sinns und der Strategie fußt, welche erweisen sollen, daß die Handlung kein bloß automatischer Vollzug einer Regel ist. Mit Hilfe dieser Wendung versucht Bourdieu, den Sackgassen zu entkommen, in die die Strukturalistische Tradition mündet: »Wesentlich ist, daß Levi-Strauss, seit jeher [...] in der Alternative Subjektivismus vs. Objektivismus [...] befan gen, Versuche zur Überwindung dieser Dichotomien lediglich als neuerli ches Abgleiten in den Subjektivismus wahrzunehmen vermag.« ^ Bourdieu begründet die Verschiebung seines Paradigmas mit der Entwicklung der Linguistik seit den ausgehenden sechziger Jahren. Bourdieu, der das Geschehen außerhalb des eigentlichen Feldes der So ziologie stets aufmerksam verfolgt hat und darin dem verbindenden und globalisierenden Anspruch des Strukturalismus treu geblieben ist, macht
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sich Chomskys Bruch in seiner französischen Lesart zu eigen. Er stützt sich also im wesentlichen auf eine gewisse Verschleifung der generativen Grammatik mit dem genetischen Gedanken, der auf einen Entwicklungs oder Transformationsprozeß verweist. Damals sagt er, er würde sich »wahr scheinlich als genetischen Strukturalisten definieren« ^, und leitet eine »neue« Orientierung ein, die nicht an die bereits in den Anfangsjahren des Struk turalismus von Wissenschaftlern wie Piaget oder Goldmann betriebene Richtung anknüpft, sondern an Chomskys Beitrag in jüngerer Zeit. Bereits 1972 hat te Bourdieu seinen Entwurf einer Theorie derPraxis^° mit einem ChomskyZitat eröffnet. Dieser Einfluß der Chomskyschen Linguistik verdankt sich in hohem Maße der Zusammenarbeit mit dem Soziolinguisten Encreve, aus der ein sich ergänzendes gemeinsames Paradigma hervorgegangen ist. Wäh rend Encreve das Chomskysche Denkmodell um Bourdieus Begriffe des Feldes und des Habitus bereichert, hofft Bourdieu, den Aporien des Saus sureschen UrStrukturalismus durch eine Chomskys Kompetenz- und Performanzmodellen äquivalente Unterscheidung zu entkommen anhand sei nes Begriffs des Habitus, der ein System erworbener, über das soziale System eingeprägter Dispositionen bezeichnet. Er funktioniert zugleich als »eine Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix« ^^. Da der Habitus begriff eine Veräußerlichung der Verinnerlichung ermöglicht, können Kom petenz und Performanz dialektisch gefaßt und die Reproduktionsme chanismen rekonstruiert, aber auch die örtlich und zeitlich variierenden Strategien der Akteure des Systems eingesehen werden. Wie das Kompetenz modell generiert der Habitus Praktiken, ein System von Performanzen: »Nicht zuletzt ging es mir darum, mich vom mechanistischen Ansatz ebenso bei Saussure [...] wie im Strukturalismus kritisch abzusetzen. Hierin Chomsky nahestehend [...], bei dem ich das gleiche Bemühen spürte, der Praxis eine aktive, schöpferische Dimension zuzuschreiben [...].«^^ Als Soziologe setzt Bourdieu die Kompetenzen in den durch soziale Er fahrung erworbenen Dispositionen an und nicht in einer ontologisch oder biologisch begründeten Theorie der angeborenen Ideen. Seine Struktur bleibt fundamental soziologisch als hier und jetzt vorhanden, inkarniert, inkorporiert in einer Praxis und in den sozialen Repräsentationen. In die sem Sinn stützt sich Bourdieus Aneignung Chomskys auf eine Lesart, die mit der gerade durch ihren Asoziologismus gekennzeichneten Ausrichtung Chomskys selbst nicht viel zu tun hat. ^^
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Der zweite Einfluß in Bourdieus Versuch, dem Objektivismus des an fänglichen Strukturalismus zu entgehen, kommt aus der analytischen Phi losophie, Mit ihrer Hilfe kann nämlich dem Subjekt eine andere Stellung als in der metaphysischen Tradition zuerkannt werden, weil sie nicht mehr nur über die instituierten Sprachregeln, sondern über die Sprechakte selbst nachdenkt: »Wenn man Austin, der sicherlich zu den von mir am meisten bewunderten Philosophen zählt, wirklich läse, würde man bemerken, daß er das, was ich in der Debatte über die Performativa wieder zur Sprache bringen wollte, bereits gesagt oder angedeutet hat.« ^'^ Über die Analyse der Sprechakte kann Bourdieu den von Saussure ausgeklammerten Referenten, die konkrete gesellschaftliche Situation wieder ins Spiel bringen, ebenso das Sprechen, die im ausschließlichen Bemühen um die eigentlichen Sprachregeln zurückgestellte parole. Auch Wittgenstein hat durch seine Beschäftigung mit dem Feld der Not wendigkeit, mit der instituierten Welt der Regeln, Bourdieus Paradigmen wechsel den Weg gewiesen. Wittgensteins Antwort, daß die Notwendig keit nicht auf einer Übereinstimmung der instituierten Regeln mit einer natürlichen Wirklichkeit beruhe, sondern vielmehr einem Zusammenspiel menschlicher Praktiken entspreche und daher ihren Ursprung in der Insti tution der Menschen selbst finde, erlaubt Bourdieu die Konstruktion seiner Theorie des Habitus. Diese versucht dem doppelten Erfordernis nachzu kommen, die Notwendigkeit der Praxis des Subjekts als solche und als aus einem ihr äußerlichen Ursprung rührende zu denken. Bourdieu greift Witt gensteins Frage nach der pragmatischen Dimension der menschlichen Tä tigkeiten auf, die Frage danach, was geschieht, wenn ein Individuum einer Regel folgt. Zur Beantwortung dieser fundamentalen Frage bietet sich der Begriff des Habitus an. Der Begriff des Habitus geht auf Aristoteles zurück und wurde von Thomas von Aquin und später von der soziologischen Strömung von We ber bis Durkheim aufgegriffen. In der aristotelischen Tradition gehört der Habitus zum Bewußtsein und untersteht insofern den Handhabungen und Maßgaben des menschlichen Willens. Bourdieu hingegen will aus seiner völligen Neudefinition des Habitus ein Paradigma gewinnen, das den Re kurs auf den Gegensatz von Bewußtem und Unbewußtem umgeht: Mit ihm läßt sich von Strategien sprechen, jedoch im Sinne von Intentionalitäten ohne Intention. Bourdieus Analyse hat also eher die Möglichkeitsbe-
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dingungen der Praktiken im Blick als die Untersuchung der Praktiken selbst, was nicht heißt, daß er sich einer historischen Vorgehensweise an schlösse — »ohne in die Anekdote ohne Hand und Fuß der Ereignis-Ge schichte zurückzufallen« ^^. Sie hält sich somit nach wie vor an die strukturalistische Ausgangsorientierung, ihren Synchronismus und den Vorrang, den sie den strukturierenden Entitäten vor den Praktiken einräumt, ihre nomothetische Bestimmung. Konträr zu Levi-Strauss' Vorwurf, Bourdieu führe den Subjektivismus, den Irrationalismus wieder ein und sage sich demnach vom wissenschaftlichen Programm los, dem sich der Strukturalis mus verpflichtet hatte, steht in Bourdieus Ansatz dem wiedereingeführten Subjekt die Strategie nicht zur freien Wahl, und ebensowenig hat es mit dem Cartesischen Subjekt viel zu tun. Es ist nur der Kreuzungspunkt hete rogener kausaler Serien, von denen es bespielt wird: »Das Subjekt [ist] nicht das instantane Ego eines gleichsam singulären Cogito [...], sondern die individuelle Spur einer ganzen kollektiven Geschichte.« ^^ Demzufolge sind die objektiven Strukturen völlig unabhängig vom Bewußtsein der Ak teure, von denen sie allerdings verinnerlicht und durch die sie in neuerlicher Veräußerlichung zu ihrer vollen Wirksamkeit gebracht werden. Im Gegensatz zu Levi-Strauss' Subjektivismus-Kritik hält Raymond Βoudon Bourdieu vor, mit seiner Auslegung des Habitusbegriffs eine rein funktionalistische und organizistische Darstellung der sozialen Reproduk tion auf die Spitze zu treiben. Nach Boudons Ansicht ist die Autonomie des Subjekts bei Bourdieu bloß illusorisch: »Folglich ist es überhaupt keine Autonomie, weil der einzelne lediglich die Autonomie hat, sich Illusionen zu machen.« ^^ Bourdieu postuliert Zwänge, so daß man nach Raymond Boudon »in teufelskreisartige Denkweisen zurückfällt. Einerseits wird den Zwängen übertriebene Bedeutung zugemessen, und andererseits herrscht die absurde Vorstellung, sie rührten aus der sozialen Totalität und dem an geblichen Selbstreproduktionsdrang dieser Totalität. Alles dies ist pure Phantasmagorie.« ^^ Wenn Bourdieu versucht, Objektivismus und Subjektivismus zu ent kommen, bezieht er eine Perspektive der permanenten Spannung zwischen diesen beiden Polen und setzt sich der Ablehnung sowohl der Strukturalisten wie Levi-Strauss als auch der Vertreter eines methodologischen Indivi dualismus wie Boudon aus. Sein Spielraum zur Versöhnung des struktu ralistischen Vermächtnisses und der Problemstellung der Praktiken der
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Akteure ist also äußerst begrenzt: »Zwischen das System der objektiven Regelmäßigkeiten und das System der unmittelbar beobachtbaren Verhal tensweisen schaltet sich stets ein Vermittelndes, nämlich der Habitus als geometrischer Ort der Determinierungen, und zwar der Bestimmung der gelebten Wahrscheinlichkeiten und Erwartungen, der objektiven Zukunft und des subjektiven Vorhabens.« ^^ Bourdieu verzichtet nicht auf den Be griff eines methodologischen Determinismus, sondern erhebt ihn zum Prinzip des Berufssoziologen ^°, der sein Sehrohr oberhalb der Praktiken der Akteure aufbauen muß. Aber er integriert das Gelebte der Wahrneh mungen und der Strategien wieder in ein Analysemodell, das ihrer entleert worden war: »Dem Konzept des Habitus fällt die Rolle zu, eine Antwort auf das Problem vom Status des Subjekts zu geben.« ^^ 1982 tritt Bourdieu in den erlauchten Kreis des College de France ein, das mit Hilfe von Benveniste, Dumezil, Levi-Strauss, Barthes, Foucault, Duby und Vernant zu einer Hochburg der strukturalistischen Innovation geworden ist. »Eine Vorlesung — und sei sie inaugural — sollte man halten können, ohne sich fragen zu müssen, mit welchem Recht dies geschieht: die Institution ist dafür da, diese Frage abzuwenden wie auch die Beklem mung, die mit dem Charakter von Willkür und Beliebigkeit, der in allem Anfang sich in Erinnerung ruft, notwendig einhergeht. Als Ritus der Auf nahme und Einweisung vollzieht die Inauguralvorlesung, interceptio, sym bolisch jenen Akt der Delegation, durch den der neue Lehrer ermächtigt wird, mit Autorität zu sprechen, durch den dessen Worte zu legitimer Rede erhoben werden, gehalten von dem, der dazu befugt ist.« ^^ Bourdieu nutzt also die Gelegenheit, um die Frage nach der Position des Gelehrten zu stel len, der in einer Logik engagiert ist, die über ihn hinausgreift und ganz der Institution zugehört. Er geht dem von Foucault aufgewiesenen Problem der etablierten Verbindung von Wissen und Macht nach sowie der Not wendigkeit, die Orte des diskursiven Dispositivs zu bestimmen.
Soziologie und Ästhetik Drei Jahre vor seinem Eintritt ins College de France, seiner höchsten Bestä tigung also, bringt Bourdieu eine umfangreiche Studie zur Sozialkritik der Urteilskraft heraus: Die feinen Unterschiede. ^^ In dieser minuziösen Un-
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tersuchung der Geschmäcker und kulturellen Repräsentationen bekräftigt er die seit Mitte der siebziger Jahre angebahnte Wende, die veranschaulicht, was Habitus konkret sein kann. Er vertritt hier eine aktivere Auffassung von der Rolle der sozialen Akteure als in der Reproduction. Mag das Spiel der Strategienpluralisierung auch komplexer sein, so rührt Bourdieu hier doch an ein weit stärkeres Tabu als das der Institution Schule, indem er sich auf ein Gebiet wagt, das vorwiegend zur Privatsphäre zählt, in den Bereich der unhinterfragten »Geschmäcker und Farben« und des als jenseits der so ziologischen Determinierungen stehend geltenden Kulturschaffens: »Die Soziologie befindet sich hier auf dem eigentlichen Boden der Verleugnung des Sozialen.« ^'^ Bourdieu versucht nun nachzuweisen, inwiefern dieser Bereich der kulturellen Geschmäcker an der Art teilhat, wie die dominie rende Kdasse ihre Sichtweisen aufzwingt und die Legitimität ihrer Ge schmäcker über ein kunstvolles Dispositiv von Geschmacksdistinktionen begründet. Der gesamte Kulturbereich im weitesten, ethnologischen Sinn des Ausdrucks, der die Sitten und Gebräuche der je einzelnen umfaßt, wird dann zum Spieleinsatz der KJasse, zum Mittel, ein Machtverhältnis, eine Beziehung der Herrschaft über den anderen geltend zu machen, zumal wenn dieser in einer angrenzenden sozialen Situation steht. Bourdieu über nimmt vom Marxismus den grundlegenden Begriff des Kapitals, belegt da mit jedoch das kulturelle und symbolische Feld und nicht mehr nur das Ge biet der ökonomischen Aktivitäten, Bourdieu faßt den Klassenkampf neu als Kampf um die Klassifizierung. Deren Operator ist die Distinktion des kulturellen Urteils zwischen den verschiedenen sozialen Akteuren, die im Wettbewerb um die Erlangung seltener Güter stehen. Bourdieu nimmt also eine genaue Klassifizierung vor, die die sozialen Hierarchisierungen der Kulturgüter zutage fördert, besehen unter dem Ge sichtspunkt ihrer Klassifizierungstauglichkeit. Er betrachtet seine umfas sende Studie über die Spielarten der Vorlieben und Abneigungen als Erhel lung des Legitimationsprozesses der Klassenherrschaft und gibt damit eine Antwort und Kritik der Kantschen Position zur Ästhetik, der Kritik der Urteilskraft. Bourdieu verfolgt also ausdrücklich die Auseinandersetzung des Soziologen mit der Philosophie. Er hält seine Position für fundierter als die des Philosophen, weil sie sich auf wissenschaftliches, statistisches Mate rial stützt. Der König Soziologe, um einen Ausdruck von Jacques Ranciere aufzugreifen, glaubt, das traditionelle Herangehen an das Kunstwerk als ei-
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gentliche und rein ästhetische Erfindung überwinden zu können. Laut Bourdieu begibt die »Wesensanalyse der ästhetischen Einstellung [...] sich der Chance, deren ausschließliche raison d'etre wiederherzustellen — den historischen Grund, auf dem die Institution in ihrer Notwendigkeit und Willkürlichkeit beruht« ^^, Da er das Kunstwerk nur auf der Ebene seiner Klassifizierungsfunktion betrachtet, verweist Bourdieu die Idee des Schö nen auf »die professionelle Ideologie derer, die sich gerne >Schöpfer< nen nen« ^^. Jede ästhetische Kennzeichnung der künstlerischen Werte wäre also nach Bourdieu lediglich eine Form der Verleugnung der dem etablier ten Klassifikationsmodus der Geschmäcker inkorporierten gesellschaftli chen Verhältnisse. Bourdieu möchte demnach Petula Clarks Songs keinen anderen Wert beimessen als den Werken von Strawinsky, Hamlet nicht mehr ästhetische Qualität zuschreiben als einer Boulevardkomödie, Bachs Goldberg-Varia tionen nicht anders betrachten als die Lieder von Sheila: Unterscheidungs merkmal ist einzig das, was die Klassenhabitus auseinanderdividiert und es den einen gestattet, ein gesellschaftlich legitimiertes, also höherstehendes Bildungskapital geltend zu machen, ohne daß diese Überlegenheit durch ästhetische Kriterien untermauert werden könnte. Bourdieu hat sich um die Erweiterung des Klassenbegriffs verdient ge macht, der bei ihm nicht ausschließlich mit dem Besitz der Produktions mittel zusammenhängt, sondern sich auf den gesamten Bereich des Symbo lischen erstreckt, in dem die Gewalt der Beherrschung ebensosehr, wenn nicht sogar stärker zur Ausübung kommt: Sie vollzieht sich völlig unsicht bar, durch Verleugnung der Konditionierungsprozesse und erleichtert de ren Beherrschung. Bourdieu öffnet mit seinem Begriff des Habitus als Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Praktiken, als »strukturierende, die Praxis wie deren Wahrnehmung organisierende Struktur« ^^, dem ins Stocken gerate nen Strukturalistischen Marxismus die Tür zum bisher unerforschten Feld der Kultur. Er unterscheidet innerhalb der herrschenden Klasse anhand des Besitzes des ökonomischen bzw. des kulturellen Kapitals zwei Hierarchisierungsprinzipien, die »eine chiastische Struktur«^^ bilden: Die Untertei lung läßt nämlich erkennen, daß das ökonomische Kapital der Fraktionen der herrschenden Klasse, die über das größte kulturelle Kapital verfügen (der Intellektuellen), sich umgekehrt proportional zum kulturellen Kapital
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derer verhält, die an ökonomischem Kapital reicher sind (der Unterneh mer) ; sie verdeutlicht also zwei kulturell und ökonomisch kreuzweise an geordnete Habitus und erhellt damit eine andere Beziehung zur Kultur. Bourdieus Analysen stützen sich stets auf einen sorgfältigen statistischen Apparat, aber auch auf treffende ethnologische Beschreibungen der mate riellen Kultur der französischen Gesellschaft, so etwa, wenn der Soziologe das ungezwungene Drauflosessen der einfachen Leute gegen die Einhal tung der Formen in der Bourgeoisie und die asketische Haltung der Profes soren gegen die Luxusliebe der Freiberufler absetzt oder die Feingefühl er fordernde Verwendung von Tempotaschentüchern im städtischen Milieu mit dem ländlichen Gebrauch des Stofftaschentuchs vergleicht, in das man kräftig und laut hineinschneuzt. Bourdieus scharfe Beobachtungsgabe wird ergänzt durch seinen literari schen Sinn, eine fast Proustsche Genauigkeit und hellsichtige Schärfe, wenn er beispielsweise konstatiert: »Der Kleinbürger ist ein Proletarier, der sich klein macht, um Bürger zu werden.« ^^ Gleichwohl ist diese Untersuchung der gesellschaftlichen Bedingungen der Urteilskraft sehr enggeführt, wenn sie künstlerische Schöpfungen um die Dimension des Bruchs beschneidet und sie allein auf ihre soziale Distinktionsfunktion verkürzt. Mit dieser funktionellen Reduktion des kulturellen Feldes hat Bourdieu heftige Kritik auf sich gezogen: »Es scheint ganz so, daß hinter diesen Fi nessen noch ein auf New Look getrimmtes Gespenst des Schdanowismus spukt.« ^° Die Erweiterung der Definition der sozialen Klasse von einem Sein an sich zu einem wahrgenommenen Sein bringe eine Verdinglichung des Kunstwerks, seine Reduktion auf einen bloß ideologischen Spieleinsatz mit sich. Sie offenbare die Grenzen von Bourdieus Versuch, das strukturalistische Paradigma zu verlassen: Seine kritische Analyse nehme den Weg über die Negation der Autonomie des Ästhetischen, damit er sein Klassifi zierungssystem aufstellen und eine kohärente Hierarchisierung aufzeigen könne. In diesem synchronischen Spiel der Positionsbestimmung der je weiligen Kategorien im sozialen Raum wird abermals, in einer sehr struktu ralistischen Tradition, der Referent — hier die Kunst — in seiner Spezifität verneint. Stilistisch lehnen sich Die Feinen Unterschiede an die literarischen Er kundungen des Nouveau roman an, in dem die Linearität der Erzählung gebrochen und durch die Vielheit der Stimmen ersetzt wird. So wirft Bour-
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dieu die traditionelle Form des distanzierten Spezialistenberichts um. Theoretische Kommentare fügt er zusammen mit der direkten oder indi rekten Rede des rohen Gesprächsdokuments, Fotografien und statistischen Tafeln. Dieses formal heterogene und verschiedenen Kategorien angehö rende Material durchdringt sich wechselseitig und ordnet sich zu einer von Bourdieu sorgfältig ausgearbeiteten polyphonen Komposition: »Das In teressanteste an den Feinen Unterschieden war für mich die Umwälzung der Form. [...] Stilistisch ist es ein Buch der Avantgarde, das heißt, ich habe fünf oder sechs normalerweise inkompatible Sprachen miteinander kombi niert.«-'^ Aus der Verschränkung des Gelebten und des Begriffs erwächst ein gleichermaßen soziologisches wie literarisches Werk. Es verdeutlicht einmal mehr die schwierige, ambivalente Haltung Bourdieus wie der ge samten Strukturalistengeneration zur Literatur, ihr Bestreben, auf dem Umweg der Sozialwissenschaften ein literarisches Werk zu vollbringen. Im übrigen nimmt Bourdieu ständig Bezug auf Gustave Flaubert oder Marcel Proust, was die Gattungsunterschiede verwischt und eine der Haupterrungenschaften der strukturalen Kritik veranschaulicht: die Untrennbarkeit von Form und Inhalt. Die Schreibweise im stilistischen Sinne ist hier wesentliches Instrument für das Denken einer konstruierten Reali tät. Das Werk wird bei seinem Erscheinen 1979 in Le Monde auf zwei Seiten besprochen. Thomas Ferenczi erkennt in Bourdieus Analyse einen »ent scheidenden Bruch« und Pierre Encreve eine »befreiende Wirkung«, ver gleichbar Jean-Jacques Rousseaus Bemühung, die Ketten zu sprengen, in denen die Menschheit liegt: »Es ist eine den Philosophen aller Zeiten gemeinsame Manie — schrieb Rousseau — zu verleugnen, was ist, und zu erklären, was nicht ist. Die feinen Unterschiede ist ein Buch, das gegen dieses Unterfangen der Wirklichkeitsverleugnung verfaßt wurde.« ^^ Das Monde-Oossier ist insgesamt des Lobes voll, bis auf zwei kritischere Bei träge von Jacques Laurent: »Eine von der Geschichte abgeschnittene Ge sellschaft«, und Frangois Chätelet, der sich fragt: »Wo bleibt die Kunst?« Chätelet konstatiert treffend den Mangel dieser enormen soziologischen Arbeit: »Fragen nach der Kunst lassen sich nur von oben, vom philosophi schen und historischen Verständnis her neu formulieren, und nicht von un ten, von den soziologischen Klassifizierungen her.« ^^ Ungeachtet der in seiner Behandlung des Ästhetischen zu findenden Be-
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grenzungen hat Bourdieu seine Komplexifizierungsbemühungen fortge setzt, um den Fallstricken einer mechanistischen oder finalistischen Philo sophie zu entkommen. Ihr setzt er seinen Begriff des Habitus entgegen, der sich grundlegend von dem auf einer vertikalen Basis-Überbau-Konzeption beruhenden Apparatbegriff der Althusserianer unterscheidet. Bourdieus Begriff eröffnet den Zugang zu einer reichhaltigeren Wirklichkeit von Ge wohnheiten, Bedürfnissen, Gebräuchen und Neigungen, die sich in einen dreidimensionalen Raum aufgliedert: Die Auswertung des ökonomischen, bildungsmäßigen, kulturellen usw. Kapitals ergibt die vertikale Dimension, die Opposition von ökonomischem und kulturellem Kapital innerhalb des selben Feldes die strukturale Dimension; bleibt schließlich die Dimension des Kurvenverlaufs, mit der wieder Bewegung in die Struktur gebracht und die jeweilige Anciennität des Besitzes von ökonomischem bzw. kulturellem Kapital wiedergegeben werden kann. Aus der organischen Verflechtung dieser drei Dimensionen läßt sich dann ein Habitus bestimmen.
Die Praxis und ihr Sinn Ein Jahr nach Veröffentlichung der empirischen Studie über Die feinen Un terschiede liefert Bourdieu mit dem Sozialen Sinn^^ deren theoretisches Rahmenwerk nach. Diese Arbeit bekräftigt auf theoretischer Ebene seine Kritik am strukturalistischen Paradigma, zumal an der Autonomisierung des Diskurses gegenüber der Situation, in die er sich einschreibt, an der Ausklammerung des Sprechens und seiner Verkürzung auf einen bloßen Sprachregelvollzug: »Es ließe sich mühelos nachweisen, daß alle Vorausset zungen — und alle späteren Schwierigkeiten — aller Strukturalismen sich aus derlei ursprünglicher Spaltung zwischen der Sprache und ihrer Realisie rung im Sprechen, d.h. in der Praxis [...] ergeben [...].«^^ Die beschriebene Position läuft darauf hinaus, den Forscher strikt außerhalb seines Gegen stands zu sehen, wogegen für Bourdieu der Analytiker als Subjekt der Wis senschaft auch organischer Teil ihres Objekts ist. Der Klassifizierende ist selber klassifizierbar; er nimmt einen Standort ein, und dagegen ein Modell anzuführen, in dem er »den Platz eines Leibnizschen Gottes [innehätte], der den objektiven Sinn der Praktiken schwarz auf weiß besitzt« •'^, wäre il lusionär.
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Bourdieu kritisiert auch diejenigen, die vom strukturalistischen Aus gangsmodell abgewichen sind, indem sie es um neue Elemente bereichert und für den Kontext geöffnet haben, weil sie den beobachteten Abwand lungen, den Ausnahmen von der Regel Rechnung tragen wollten, wie er selbst sie in der Kabylei sehen konnte, sich dabei aber ein radikales Hinter fragen der objektivistischen Denkweise erspart haben. Bourdieu legt also eine radikale Kritik dieser Sichtweise vor, um den Irr tümern einer Konzeption entgegenzutreten, die auf einem wurzellosen, von jedem konditionierenden System abgekoppelten Subjekt basiert. Somit wendet sich der Begriff des praktischen Sinns gleichermaßen gegen den strukturalistischen Panlogismus wie gegen den allein auf die Vorstellungs welt gegründeten Intuitionismus: »Diese Theorie der Praxis oder, besser, des praktischen Sinns definiert sich in erster Linie gegen die Philosophie des Subjekts und der Welt als Vorstellung, als Repräsentation.«^^ Anstelle des Regelbegriffs setzt Bourdieu den des praktischen Sinns, und LeviStrauss' Verwandtschaftsregeln werden zu Heiratsstrategien und gesell schaftlichen Gebrauchsweisen der Verwandtschaft. Er unternimmt also durchaus den Versuch, den sozialen Akteuren eine aktivere Rolle beizu messen, wahrt aber vom strukturalistischen Ansatz das Postulat des kultu rell Arbiträren, des symbolischen Universums, mit dessen Hilfe er diese Dimension ganz auf ihre soziale Ebene zurückführen kann. In einer sol chen Herangehensweise bleibt die Konzeption des Ästhetischen einer strukturalen Blickrichtung auf die Transposition von Geschmäckern ver pflichtet, die sich, den Regulationsweisen der Distinktionsschemata fol gend, unaufhörlich umpolen. Das Instrument, mit dem Bourdieu der Alternative Subjektivismus ver sus Objektivismus entgeht und die Praxis denkt, ist die Spiel-Metapher: »Der Habitus als >Spiel-Sinn< ist das zur zweiten Natur gewordene, inkor porierte soziale Spiel.« ^^ Aus der N o t eine Tugend machend, läßt sich mit dem Habitus das Notwendige mit dem Wünschenswerten in Einklang bringen und Abschied nehmen von der kollektiven Geschichte und dem Traum der großen revolutionären Endzeiten. Er bildet »das wahre soziolo gische Äquivalent zum Freudschen Ödipus« ^^. Als Produkt des Habitus setzt das Bourdieusche Subjekt nach Alain Caille implizit eine Trauerarbeit voraus, die sich proportional zur Uner fülltheit der sozialen Anerkennung in Form des ökonomischen und kultu-
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rellen Kapitals verhält, womit »das Subjekt nichts anderes wäre als die Summe seiner Verzichtleistungen« '^°, das heißt ein völlig auf die eigentums relevanten äußeren Zwänge reduziertes Wesen, ein Umkehrbild des Sartreschen Subjekts. Überdies, so Jacques Ranciere, lassen die Ergebnisse der für Die feinen Unterschiede durchgeführten Erhebungen enttäuschenderweise lediglich erkennen, »was der Soziologe bereits wußte« '^^, insofern der Bereich des Ästhetischen auf ein Distanzproblem zurückgeführt wird, hier auf die Geschmacksurteile, die dazu dienen, sich vom Ethos der einfachen Leute abzuheben. Der Soziologe verbleibe in einer einfachen Logik der Plätze, wenn er die Reduktion des ästhetischen Inhalts betreibe, wie er im Homo academicus^-^ die Inhalte der intellektuellen Auseinandersetzungen weggekürzt habe. In dieser soziologischen Untersuchung der Universitä ten wird das Feld scharf eingegrenzt durch die Beschneidung von seiner Geschichte, seinen Lehrinhalten und seiner politisch-sozialen Umgebung, um die verschiedenen miteinander verschränkten und zugleich im Konflikt stehenden Habitus herauslösen zu können. Das System der Zwänge, das laut Bourdieu die solchermaßen objekti vierten Positionsergreifungen, Laufbahnen und Werke der Akademiker er hellt, liegt in der Logik des Feldes selbst. In dieser Hinsicht arbeitet Bour dieu an seiner eigenen Objektivierung als integralem Teil der akademischen Welt. Auf diesem Gebiet kann er gewiß zu einer besseren Kenntnis seiner selbst und der auf ihm lastenden Zwänge gelangen und den eigenen Werde gang problematisieren. Doch wenn er 1989 enorme sechshundert Seiten über die Noblesse d'Etat vorlegt, um gelehrsam nachzuweisen, daß die Grandes ficoles dazu dienen, die Eliten der Nation zu reproduzieren, wird die Erschöpfung eines Paradigmas deutlich, das verdienstvollerweise, aber letztlich erfolglos einen dritten Weg zwischen Objektivismus und Subjek tivismus zu bahnen versucht. Es fällt in die Reproduktionsmechanismen zurück, in denen die Akteure geisterhaft das Wohlfunktionieren der von ih nen bedienten Strukturen besorgen.
spätes Erwachen: die Geographen entdecken die Epistemologie
In den großen Auseinandersetzungen der sechziger Jahre um das strukturahstische Paradigma vermißt man eine Disziplin, die ihren festen Platz unter den Sozialwissenschaften innehat und zu Beginn des Jahrhunderts sogar eine Sternstunde erlebte: die Geographie. Dieses Fernbleiben ist um so er staunlicher, als wir gesehen haben, wie sehr der Strukturalismus gegenüber dem genetischen einem räumlichen Beziehungsbegriff den Vorzug gab. Anstelle der Diachronie trat die Synchronie; nach der Erforschung der Ur sprünge ließ man einen kartographischen Effekt zum Zuge kommen, und die Aufmerksamkeit verlagerte sich auf die verschiedenen Umkehrungen, die der Blick vollzogen hat. Erstaunlich also, daß die Geographie nicht im Brennpunkt der Reflexion der sechziger Jahre anzutreffen ist.
Der lange Schlaf einer Disziplin ohne Gegenstand Zu diesem Zeitpunkt dämmerte die Geographie in einem langen Schlaf, taub gegenüber einer Fragestellung, die sie aus ihrer Benommenheit hätte reißen müssen, und stumm in besonders gesprächigen Zeiten. Diese lange Abwesenheit hat mehrere Gründe. Zuvorderst definierte sich die geogra phische Disziplin in den sechziger Jahren immer noch als eine Wissenschaft von den Beziehungen zwischen der Natur und der Kultur, zwischen den Elementen der Geomorphologie, der Klimatologie usw. und jenen Ele menten, die aus der menschlichen Auswertung der natürlichen Bedingun gen rühren. Der strukturalistische Ehrgeiz, die Humanwissenschaften ganz auf die Kultur zu gründen, modellhaft dargestellt durch die Regeln der Sprache, gilt als dem Anliegen des Geographen fremd, der die Einheit sei ner Disziplin ganz im Gegenteil aus der Wechselbeziehung zwischen Natur und Kultur begründet: »Die Geographen meinten also, diese Sache ginge sie nichts an.« ^
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Man kann sogar davon ausgehen, daß die Geographen einem Paradigma mißtrauten, das ihre Disziplin zu erschüttern drohte. Auch wenn sie nicht die einzige Humanwissenschaft war, die zwischen Natur und Kultur pen delte (das taten auch die Psychologie oder die Anthropologie), so verwei gerte allein sie sich einer etwaigen Einteilung entlang diesen beiden Gebie ten ihres Wissens. Der zweite Grund für die Abwesenheit der Geographie rührt aus ihrer Geschichte, denn im großen und ganzen sonnte sie sich in den sechziger Jahren derart selbstgewiß im Glanz ihrer Vergangenheit, daß sie zuneh mend ins Hintertreffen geriet. Gewiß, ihre besonders ruhmreiche Stern stunde war unbestritten. Sie hatte sich nach der Niederlage von 1870 der Rückeroberung von Elsaß-Lothringen angenommen und sich Ernest Lavisses nationaler Schlachtengeschichte in Hinsicht auf die Rechtmäßigkeit der Ansprüche des französischen Vaterlands verschrieben. Mit dem Tableau geographique de la France von Paul Vidal de la Blache eröffnete da mals die große Histoire de France von Ernest Lavisse. ^ Nachdem der Krieg vorbei und Elsaß-Lothringen wiedererlangt war, machte die Vidalsche Geographie Schule, wobei sie sich der patriotischen Perspektive entledigte und sich vom Zugriff des Staates befreite. Sie ent schlug sich des Politischen und der Politik und zog hinaus ins Grüne. Mit Gewinn entdeckte sie ein gastliches, in seiner regionalen Vielfalt schillern des Frankreich des Hinterlandes wieder. In den zwanziger Jahren arbeitete diese Geographie an der Erstellung regionaler Monographien: Sie wandelte sich zur Historie, und der Historiker wurde zum Geographen. Es war das Goldene Zeitalter der französischen Geographieschule, die auf alle Sozial wissenschaften und die Geographengemeinschaft weltweit ausstrahlte. Beim internationalen Geographiekongreß 1931 in Paris feierte die fran zösische Geographieschule Triumphe und wurde von Fachkollegen aus al ler Welt in ihrer Überlegenheit bestätigt. Der Abgeordnete der italienischen Regierung, General Vacchelli, erklärte auf der Eröffnungssitzung: »Um mich auf die während der vergangenen fünfzig oder sechzig Jahre geleistete Arbeit zu beschränken: es sind insbesondere die französischen Geogra phen, die in Europa die modernen Ideen der Geomorphologie eingeführt und weiterentwickelt haben, und vornehmlich in Frankreich hat die Hu mangeographie neue Richtlinien bekommen.«^ Die führenden Köpfe die ser Schule waren damals Albert Demangeon und Emmanuel de Martonne.
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Doch die Geographen Heßen sich ihren Erfolg von den Historikern ab spenstig machen. Lucien Febvre hatte die Zugkraft dieser Monographien sofort begriffen. Er verteidigte Vidal de la Blache lebhaft gegen die deut sche Geographieschule Ratzeis und die Offensive der Soziologen der Durkheimschule im Jahre 1922. ^ Als er mit Marc Bloch 1929 die Zeitschrift Annales d'histoire economique et sociale gründete, nahm er Albert Demangeon ins Redaktionskomitee auf. Diese neue französische Geschichtsschule richtete sich im wesentlichen am Vidalschen Paradigma aus. ^ Dieweil die Geographen ihre Geschicke mit denen der neuen Historiker verbanden, begaben sie sich ihrer eigenen Dynamik, von der ausnahmslos die Histori ker profitieren sollten. Die großen Regionalmonographien nach dem Zweiten Weltkrieg und in den sechziger Jahren wurden von Historikern wie Emmanuel Le Roy Ladurie, Pierre Goubert und Georges Duby verfaßt. Obwohl die Institutio nalisierung der geographischen Disziplin in den fünfziger und sechziger Jahren voranschritt, blieb sie strukturell an die Geschichte gebunden. Ihrer Lebenskraft beraubt, verwaltete sie nur noch das Vidalsche Erbe mit sei nem Naturalismus, seiner Bevorzugung der Dauerhaftigkeiten, seiner ein zelmonographischen Auslegung und seinem Bemühen, sich als Hterarisches Genre zu erhalten. Das Hauptaugenmerk der französischen Geographie studien blieb auf das Regionale, die Untersuchung einzelner Landschaften gerichtet. Die Geographen hatten noch nicht alle Konsequenzen aus dem Untergang des Determinismus gezogen; sie arbeiteten vor allem an der Er stellung von Plänen und begnügten sich im Namen einer Idealsynthese mit dem Aufreihen von Faktoren wie Bodenprofil, Klima, Bevölkerung und urbanen Netzen, alles dies in Monographien, die kaum auf Problemstellun gen, sondern lediglich auf Vollständigkeit angelegt waren. Diese tradi tionelle Geographie sollte eine Verbindung mit einem Marxschen Ansatz eingehen, der nach dem Krieg im Zuge des Erfolgs kommunistischer Geo graphen wie Pierre George oder Jean Dresch an der Sorbonne und Jean Tricart an der Universität von Straßburg zum Durchbruch kam. Geprägt von der traditionellen Geographie und befangen im Empirismus, gelang es ih nen jedoch nicht, ihre Disziplin aufzurütteln und sie einer epistemologischen Befragung ihrer Grundlagen oder einem interdisziplinären Theorie dialog zu öffnen. Zumal Kalter Krieg und Stalinismus wenig geeignet waren, die Enklave der kommunistischen Geographen aufzubrechen, die
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sich im Elfenbeinturm einer doppelten Gewißheit eingemauert hatten: zum einen im historischen Materialismus, zum anderen in einem empiri schen, auf die großen Arbeiten der Vergangenheit gestützten Wissen, zu schweigen von manchen schdanowistischen Traditionen wie jener, in die Jean Tricart verfiel, als er der bürgerlichen Geomorphologie seiner Vorgän ger die marxistische Geomorphologie entgegensetzte. ^ Es gab einige verhaltene, rasch aufgegebene Debattenversuche wie das Kolloquium kommunistischer Geographen am 28. und 29. Juni 1953'' in Ivry, doch die ersehnte epistemologische Revolution fand nicht statt. Auch die bei Pierre George, Bernard Kayser und Raymond Dugrand ausgebilde ten Studenten vermochten keine Berge zu versetzen und das sehr regional und peripher gebliebene, im Universitäts- und Intellektuellenmilieu der sechziger Jahre verachtete geographische Wissen zu verändern. Die Bedeutung der Geographie schwand um so schneller, als sie im Zuge beschleunigter Modernisierung ihren Hauptgegenstand verlor — das länd liche Frankreich. Es galt, einen Weg der Rettung zu finden, und einige Geo graphen ergriffen in der Öffnung zum Ausland die Chance, ihr Fach zu er neuern: »Bis 1968 waren die meisten Kollegen davon überzeugt, daß es außerhalb Frankreichs keine nennenswerte Geographie gebe.« ^ Schließlich wurden jedoch Kontakte zwischen französischen und angelsächsischen Geographien geknüpft, vor allem dank frankophoner Geographen aus der Schweiz, Kanada und Belgien. Bei der Verbreitung der später so genannten »Neuen Geographie« hat Paul Claval eine wichtige Rolle gespielt.^ Diese neue Geographie bricht mit dem Deskriptivismus ihrer Vorgän gergeneration. Sie versteht sich nicht länger als literarisches Genre, sondern will sich ihre Sporen als Wissenschaft verdienen. Sie wendet sich den öko nomischen und gesellschaftlichen Disziplinen zu, welche auf dem Wege ei ner Konzeptualisierung des Raumes weiter fortgeschritten waren, die nun zum Hauptforschungsgegenstand wurde. Aus diesem Bemühen um Wis senschaftlichkeit versuchten die Geographen fortan, sich auf quantifiziertes Material, auf solide statistische Quellen zu stützen und setzten hinsichtlich der Erneuerung ihrer Disziplin großes Vertrauen in die quantitativen Tech niken : »Der Neopositivismus, der in den Sozialwissenschaften in Mode ist, ersetzt also den Positivismus des beginnenden Jahrhunderts.« ^° Die haupt sächlich auf eine ländliche und bäuerliche Welt konzentrierte Vidalsche Geographie hatte sich durch die Entwicklung der Gesellschaft überlebt.
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Folglich richteten die neuen Geographen ihre Untersuchungsmethoden auf eine urban und mobil gewordene, beschleunigtem Wandel unterliegende Welt ein. Der Beschreibung und dem Sinn des Konkreten, des Sichtbaren setzten sie die Notwendigkeit entgegen, das Ungesagte, Implizite, Verbor gene zu sondieren: »Kein Geograph beschränkt sich noch auf die sichtba ren Aspekte der Realität.« " Aus dieser Umorientierung, mit der die Geographie — was sie bislang abgelehnt hatte — unter den Gesellschaftswissenschaften Platz nahm, sollte in den siebziger Jahren die allmähliche Erneuerung der Disziplin erwach sen. Zwar hatte Pierre Gourou bereits 1960 als Tropengeograph am Aben teuer der Strukturalistischen Anthropologie teilgenommen und neben Levi-Strauss an der Zeitschrift UHomme mitgewirkt, bildete damit jedoch die Ausnahme von der Regel. Im wesentlichen war die Geographie von den Sozialwissenschaften abgeschnitten geblieben. Ihren Gegenstand hatte sie an die nouvelle histoire verloren; geblieben war eine orientierungslose In stitution, die krampfhaft an sich festhielt, da die geringste Anfechtung ihr ein plötzliches Ende bereitet hätte.
Spätes Erwachen Anfang des Jahrzehnts erwachte die Geographie allmählich aus ihrem Schlaf. Die Öffnung zur Mathematik sollte nach und nach Fragen der Epi stemologie aufwerfen. 1971 beschlossen junge südwestfranzösische Geo graphen angesichts der Unzulänglichkeit ihrer Ausbildung in Mathematik und Informatik, ihre Kenntnisse auszutauschen. Sie gründeten eine Ar beitsgruppe, die sich das wahrlich französische Patronym »groupe Dupont« zulegte und sicherlich nie so berühmt sein würde wie die BourbakiGruppe, deren Arbeit zur Quantifizierung indes bald in eine theoretische Reflexion in Termini mathematischer Formalisierung mündete. Dann »ging es nach und nach um Epistemologie« ^^. Weil sich die Gruppe in der Haupt stadt der vormaligen Grafschaft zu Venasque [heute: Departement Vaucluse, A.d.Ü.] versammelte, hießen diese Geographen bald »les Dupont dAvignon«. 1972 wurde in BesanQon das erste Kolloquium zur angewand ten Mathematik in der Geographie abgehalten, es erschien ein einschlägiges Theoriewerk^^, und es wurde eine neue Zeitschrift ins Leben gerufen:
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L'Espace geographique. Ihr Name bekundet die Bestrebung der neuen Geo graphie, mit Hilfe des Raumkonzepts unter den Sozialwissenschaften an sässig zu werden. Ein deutliches Zeichen für diese Option, die mit der Unentschlossenheit einer zwischen Natur- und Humanwissenschaften schwankenden Geogra phie Schluß machte, war gesetzt, als der Philosoph Frangois Chätelet 1973 den letzten Band seiner Geschichte der Philosophie herausgab, welcher der Philosophie der Sozialwissenschaften gewidmet ist. Mit der Heranziehung Yves Lacostes wies er der Geographie einen Platz neben der Psychologie, der Soziologie, der Ethnologie, der Geschichte und der Linguistik an. »Die Befreiung aus der Enklave setzte ein mit dem ausgezeichneten Artikel von Lacoste, der in Chätelets Enzyklopädie erschien.« ^'^ Yves Lacoste macht keinen Hehl aus der Krise des traditionellen Geo graphiediskurses, dessen Unfähigkeit zu theoretischer Reflexion und stu rem Stolz auf die Wahrung einer bewußt bodenständigen Geisteshaltung unter sorgfältiger Umgehung von jederlei Abstraktion. Er stellt fest, daß die Praxis der Geographen ihrem einheitlichen Selbstentwurf insofern nicht mehr entspreche, als die einen sich auf physische Geographie speziali sieren, während die anderen den Weg einer Humangeographie einschlagen, ohne daß dieser Widerspruch, der »den trügerischen Charakter des Pro jekts einer einheitlichen Geographie« ^^ enthüllt, thematisiert würde. Er spottet über die triste Erbsenzählerei, das simple, immer nach demselben Schema abgeleierte Auflisten des sogenannten geographischen Synthese wissens. Vom Geographen, der im Schnittpunkt verschiedener Disziplinen steht, wird nur verlangt, deren Daten auszuwerten, ohne daß er sich nach ihrer Gültigkeit zu fragen hätte. Der Befund läßt eine so gähnende Theorie leere sichtbar werden, daß man sich fragen mag, ob eine Disziplin, die ihren Gegenstand eingebüßt hat und ohne Methode dasteht, nicht möglicher weise abtreten sollte: »Die Geographie ist in Zeiten eingetreten, in denen es kracht.« ^^ Lacoste vertritt die Ansicht, daß der nötige Ruck nicht allein mit einer mathematischen Formalisierung des geographischen Wissens zu bewerk stelligen sei, die Geographen also nicht umhinkämen, ihre Begriffe auf dem von Bachelard vertretenen epistemologischen Modell zu errichten: »Man muß nachdenken, um zu messen, und nicht messen, um nachzudenken.« ^■^ Lacoste sieht die Perspektive der Geographie darin, die methodische Un-
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tersuchung der Räume auf die Funktionen zurückzubeziehen, die der Staatsapparat in ihnen ausübt. Dabei erinnert er an die Rolle, die im 19. Jahrhundert die deutschen Geographen für die Geopolitik spielten: Daß sie unter Hitler ihren Höhepunkt erreichte, führte zu ihrer Diskreditierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Er spricht sich dafür aus, verschiedene Stufen der Begriffsbildung zu bestimmen, ehe man darangeht, sie miteinander zu verknüpfen, und ferner, den Raum als reales Objekt vom Raum als Er kenntnisobjekt zu unterscheiden. In diesem Punkt wie auch hinsichtlich des notwendigen Zusammenhangs von Theorie und politischer Praxis ist Lacostes epistemologische Hauptreferenz Althusser, den er ausdrücklich zitiert ^^ und der offenkundig das epistemologische Modell für das Denken oder Überdenken des Raumes bereitstellt. Die Geographie ist also der letzte Kontinent, der durch die Althusserschule beeinflußt wurde. Die Modernisierungsströmung, fortan »Geopoint« genannt, geht die sen Überlegungen zur Geographie gemeinsam nach und tritt 1976 an der Universität von Genf zu ihrem ersten Kolloquium zusammen; das Thema lautet »Theorien und Geographie«. ^^ Das Milieu der Geographen beginnt sich demnach in den siebziger Jahren zu regen, wenngleich man nicht glau ben darf, daß die gesamte Disziplin den Weg der Erneuerung einschlägt. Jacques Levy erinnert sich, daß ihm der Prüfungsausschuß bei seiner agregation in Geographie im Jahre 1974 vorwarf, er habe die Karte nicht genü gend zum Singen gebracht, er sei nicht lyrisch genug gewesen. Den Termi nus »Struktur« hört er zum erstenmal 1975 in einem Oberseminar, das akademische Außenseiter an der für Geographen unüblichen Universität Paris-VII gaben: »Das Seminar stand unter der Überschrift: >Structures, systemes et processus<. Wir gaben ihm den Namen: >Strukturen und Gedöns<, womit wir ausdrücken wollten, daß es um abstrakte und unkontrol lierbare Dinge ging. Geleitet wurde es von Fran9ois Durand-D astes und Roger Brunet.« ^° Mehr als der Strukturalismus, der zu diesem Zeitpunkt in Agonie lag, breitete sich bei den Geographen eine Welle der Systemtheorie aus, zumal nachdem in Frankreich die General Systems theory erschienen 21
war. '^^ Wiederzufinden ist darin das Immanenzprinzip des Strukturalismus so wie die Idee der wechselseitigen Abhängigkeit der Elemente und der Not wendigkeit, sie aus einer umfassenden Gesamtlogik heraus zu begreifen. Doch im Unterschied zum Strukturalismus stammt hier das Modell aus den
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Naturwissenschaften und nicht mehr aus den Humanwissenschaften bzw. der Linguistik. Es geht aus von dem Postulat einer komplexen Wirklichkeit, die kein Herauspräparieren einer begrenzten Variablenzahl zuläßt, zwingt also dazu, der Gesamtheit der zueinander in Beziehung stehenden Mecha nismen Rechnung zu tragen. Das Modell bildeten dabei die thermodynamischen Gesetze. Die Systemtheorie bietet den Vorteil eines Paradigmas, mit dem die Wechselbeziehungen, die Wirkungen und Rückwirkungen er forscht werden können, so daß der gängige Deskriptivismus der traditio nellen Geographenzunft überwindbar wird. Überdies kann durch ihre Grundannahme, daß alles mit allem zusammenhängt, der einheitliche Cha rakter der Geographie gewahrt bleiben. Unter anderem hat die System theorie die Beschäftigung mit dem Ökosystem, der Ökologie bewirkt: »Da waren die Geographen ganz in ihrem Element, wenigstens diejenigen, die davon ausgingen, daß ihre Disziplin etwas mit der Natur zu tun hatte.« ^^ Da die Systemtheorie auf dem Modell der Kybernetik aufbaut, hat sie indes ebensowenig wie der Strukturalismus zu einer Analyse der Dyna mik geführt.
Herodote In diesem aufnahmebereiten Klima unternimmt Yves Lacoste 1976 einen doppelten Vorstoß, mit dem er den Professoren der traditionellen Geo graphie gehörig Dampf macht. Er veröffentlicht La geographie, ςα sert, d'abord, α faire la guerre^^ und lanciert bei Maspero die neue Zeitschrift Herodote^^, deren Untertitel »Strategies, geographies, ideologies« bereits den Bruch mit der Vergangenheit anzeigt. Lacostes Zielscheibe ist die de skriptive Aufzählung der universitären Geographie. Ihr hält er den nutz kräftigen Gebrauch des Raumes durch die gesellschaftlichen und politisch militärischen Mächte entgegen und die Manipulation derjenigen, die Strategien ausgeliefert sind, deren Begleitumstände sie nicht kennen. Es geht ihm vor allem darum, die verborgenen Raumstrategien sichtbar zu machen und aufzuzeigen, wie verschiedene Raumkomplexe in nicht wahr genommenen Zusammenhängen miteinander verflochten sind. Lacoste erinnert an den militärischen Ursprung der Anwendung des Wissens vom Raum, die Generalstabskarten, und eröffnet die ergiebige
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Perspektive einer Rehabilitierung der bis dahin verpönten Geopolitik. Von kritischer Warte unternimmt er eine Entmystifizierung, die echtes strategi sches Wissen entw^ickeln und es denen zurückübereignen soll, die den ver schiedenen Beherrschungsweisen des sozialen Raumes unterliegen. Diese in der Vidalschen Geographie traditionell unterschlagene politische Di mension müsse wieder der Untersuchungshorizont des Geographen wer den, um die Krisen- und Spannungszonen wahrzunehmen, zu analysieren und verständlich zu machen. Gegen den von Vidal geltend gemachten Vor rang dauerhafter Erscheinungen, die sich um den Begriff einer Landschaft außerhalb des Politischen drehen, setzt Lacoste dementsprechend die Not wendigkeit, die aus der Modernisierung mit ihren Phänomenen beschleu nigter Raumtransformation entstandenen Turbulenzen zu verstehen, kurzum: eine Geographie der Kj-ise, in der Erscheinungen wie Abbau der Biosphäre, Abnahme der Ernährungsmöglichkeiten, Bevölkerungsexplo sion, Verstopfung der Städte, Verschärfung der Ungleichheiten und Gegen überstellung der Mächte ihren Ausdruck finden. Die Analyse dieser Phänomene erfordert einen differenzierten Blick, der sich nach dem zwischen dem Lokalen und dem Planetären anvisierten Maßstab richtet. Sie mündet in eine Makrogeographie der Territorien, die über die in Frankreich mächtige Tradition der regionalen Monographie hin ausgeht. Herodote steht also im Brennpunkt der politischen Frage, wendet sich aber auch den Artikulationen des sozialen Raumes zu. Lacoste will die Raumlogiken nachzeichnen, die von den modernen Generalstäben, also von den großen multinationalen Firmen manipuliert werden, will ihre Netzwerke, die Verknüpfung ihrer Montagestätten, die Standorte ihrer subunternehmerischen Produktionszentren kartographisch erfassen, um die der ökonomischen Ausbeutung zugrundeliegenden Logiken zu rekonstruieren. Im Zuge der Wiederbelebungsmaßnahmen für eine erschöpfte Geogra phie plant er sein Projekt im Rahmen aktiver Zusammenarbeit mit anderen Sozialwissenschaften, die der neuen Reflexion über den Raum Nahrung geben sollen. So setzt die Diskussionsrunde von Herodote sich nicht nur aus Geographen zusammen, sondern auch aus Ethnologen, Urbanisten, Philosophen und Journalisten. Herodote macht sich also das kritische Pro jekt des zur Neige gehenden strukturalistischen Paradigmas zu eigen, des sen neu besehene Strategien den dritten Term im Titel der Zeitschrift auf schlüsseln sollen — die Ideologien.
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Auch hier erkennt man einen gewissen Einfluß Althussers, eine Über gangsstelle zur epistemologischen Reflexion dessen, was den geographi schen Diskurs begründet. Die erste Nummer der Zeitschrift enthält sogar einen spannenden, mit Bezugnahmen auf Christian Metz, Algirdas Julien Greimas und andere Semiotiker angereicherten Beitrag über den Begriff der Landschaft. ^^ Der zweite Niederschlag des Strukturalismus auf die geographische Disziplin verläuft über den Einfluß, den Foucault auf die Mannschaft von Herodote ausgeübt hat. Sie sieht im Werk des Philosophen eine Reflexion über den Blick, über die im Raum entfalteten Dispositive und Logiken und lädt ihn ein, sich in der ersten Ausgabe den Fragen der Geographen zu stellen: »Die Arbeit, die Sie unternommen haben, trifft (und speist) zu großen Teilen die Reflexion, die wir in der Geographie auf allgemeinere Weise über die Raumideologien und -Strategien angefangen haben. Als wir die Geographie befragten, sind wir einigen Begriffen begeg net: Wissen, Macht, Wissenschaft, Diskursformation, Blick, Episteme, und Ihre Archäologie hat zur Orientierung unseres Nachdenkens beigetra gen.«^^ Lacoste, der der besagten von Pierre George ausgebildeten Geogra phengeneration angehört, konnte sich aus dem marxistisch angehauchten Ökonomizismus einer im wesentlichen deskriptiven Geographie lösen. Der kollektive Kontext der Universität von Vincennes nach 1968 und das dortige strukturalistisch-marxistische Umfeld, in dem die Geographie für einen Theorie-Dialog mit Frangois Chätelet, Michel Foucault und den Althusserianern der verschiedenen Departements des strukturalistischen Vincennes geöffnet werden konnte, trugen dazu bei. Es war an der Zeit, daß die Geographie aufwachte, ehe die Bagger die letzten Spuren der Um triebe jener Zeit niederwalzten.
EspacesTemips Das zweite Symptom für das Erwachen der Geographie ist der Streit, den eine Handvoll protestierender junger Geographen an der Sektion HistoireGeographie der ENSET^^ gegen die traditionelle Geographie vom Zaun bricht. Diese jungen Wissenschaftler spielen gewissermaßen in engerem und mehr am Rande gelegenem Rahmen die Schlacht gegen die klassischen
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Humaniora nach, welche die Alteren zwischen 1966 und 1968 an der Sor bonne im Namen der Wissenschaft geführt hatten. Abermals mit Verzöge rung erleben so auch die Geographen den Einspruch junger Forscher, die nach dem Vorbild der Generation der sechziger Jahre mehr wissenschaftli che Strenge wünschen und mit dem ihnen vorgesetzten Wissen unzufrie den sind. Dennoch prädestiniert nichts die ENSET von Cachan zu einem Ort der Agitation oder der Innovation. Es verdankt sich also einer Summe von Zufällen, daß dort eine Zeitschrift ihren Lauf nimmt, die bald treibende Kraft einer anderen Geographie wird: EspacesTemps. Ausgangspunkt war ein bescheidenes Mitteilungsblatt der Sektion Histoire-Geographie der ENSET, gedacht als simpler Ausdruck der Gesellig keit, wie die Geographen sie während ihrer Geländeexkursionen im ge meinsamen Leben und Arbeiten pflegten. Aber das Vierteljahresbulletin sprengte sofort den hergebrachten Rahmen und bekundete Unzufrieden heit mit dem vermittelten geographischen Wissen: »Als Christian Grataloup und ich die agregation durchliefen, war uns die Geographie verleidet, und wir suchten nach einer Gelegenheit, das auf die eine oder andere Weise kundzutun.« ^^ Das erste dieser Bulletins erschien im Oktober 1975 als EspacesTemps.^^ Das Echo übertönte sofort die Schlichtheit des ursprünglichen Vorhabens, denn Maurice Le Lannou widmete ihm seine Kolumne in Le Monde unter dem provokanten Titel: »Geographen gegen die Geographie«.^° Freilich stimmte er keine Lobrede auf die jungen Bilderstürmer an, sondern em pörte sich über deren »Schrankenlosigkeit«, wenngleich er ihnen »ein Körnchen Wahrheit« zubilligte. Der Leiter der beschaulichen Sektion Histoire-Geographie der ENSET, Albert Plet, bekam es angesichts solchen Aufsehens mit der Angst zu tun. Um Gegenmaßnahmen von selten der institutionellen Geographie vorzu beugen, faßte er bei der Lektüre der Beiträge für die zweite Nummer von EspacesTemps, auch in Anbetracht der dort enthaltenen heftigen Kritik an dem unter Federführung von Pierre George erschienenen Dictionnaire de la geographie, einen einschneidenden Beschluß. Er alarmierte die Direktion der ENSET, und schlußendlich wurde die bereits gedruckte Nummer nicht zum Erscheinen freigegeben. Der inkriminierte Artikel, »Le dictionnaire d'une geographie«, betrachtete das von Pierre George herausgegebene Werk als Abbild des Zustands der geographischen Disziplin: ein gelehrtes
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Konglomerat von Anekdoten, Gelehrsamkeit, Empirismus und Theorieva kuum : »Das Dictionnaire hofft, seine wissenschaftliche Dürftigkeit durch die Fülle von Fach- oder Fremdwörtern wettzumachen. Einem Buch, ei nem Stoff, der einem zumindest beigebracht hat, was ein Miombowald und ein Ignimbrit ist, kann man das nicht verargen. So muß das für dieses Werk charakteristische verallgemeinerte Sammelsurium als ein Hindernis und eine Maske betrachtet werden. [...] Wie die Massen oft unzählige Einsam keiten verstecken, kann die Fülle der Materialien ihr inneres Nichts verber31
gen.« Von der ENSET blockiert, hatte die Zeitschrift das beste Sprungbrett gefunden, um den begrenzten Rahmen eines akademischen Mitteilungs blattes zu verlassen: Ihr blieb gar nichts anderes übrig. Die Mitarbeiter lie fen von Pontius zu Pilatus, sammelten zahlreiche Unterschriften für eine Protestpetition und gewannen wichtige Unterstützer wie Milton Santos. Nach Abschluß eines Kompromisses konnte EspacesTemps letztlich wieder erscheinen, nicht mehr als Sektionsbulletin der ENSET, sondern als unab hängige Zeitschrift. Nun wurde eine Linie definiert, die die Grundlage für ein 1976 in der vierten Nummer veröffentlichtes Manifest abgab: »Die Geographie den ken; die Geschichte reflektieren; in den Unterricht eingreifen; die Sozial wissenschaften befragen.«-^^ Das ganze ist deutlich darauf angelegt, die Geographie am Wagnis der Sozialwissenschaften zu beteiligen, und zwar über die Untersuchung des Begriffs des sozialen Raumes, der zum Eckpfei ler des Unternehmens geworden ist: »Wir wollen, daß die Erforschung der sozialen Zeit und des sozialen Raumes an ihrem rechtmäßigen Platz teil nimmt an der gegenwärtigen Bewegung der Sozialwissenschaften.«^^ Die Autoren der Zeitschrift beabsichtigen also, das geographische Wissen aus seiner Enklave herauszuholen, um es für die von den benachbarten Sozial wissenschaften geleisteten Weiterentwicklungen zu öffnen. Sie wollen sich im Schnittpunkt der verschiedenen Disziplinen ansiedeln und halten dafür einen Umweg über eine epistemologische, theoretische Reflexion für unab dingbar: »Indem wir uns für die bislang der Geographie so fernstehende Philosophie interessieren, wollen wir erkennen, was eine Wissenschaft ist.«^'^ In diesem für notwendig befundenen Umweg hört man die epistemologisch-strukturalistischen Fragestellungen der sechziger Jahre, namentlich
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den Einfluß Althussers nachklingen. EspaceTemps bezieht sich ausdrück lich auf den Marxismus als »summarischen Leitfaden für die wissenschaftli che Praxis« ^^, und diese Referenz soll das geographische Wissen von sei nem ideologischen Inhalt befreien, um die Geographie fest als Wissenschaft zu verankern. In dieser neubegründeten Perspektive erkennt man die Arbeit wieder, die die Althusserianer in den sechziger Jahren bezüglich der Verschiebung der Fächergrenzen und der Kritik des falschen Scheins angestoßen hatten. So sollte die Wissenschaft, die Theorie hervortreten, nachdem der epistemologische Einschnitt verwirklicht wurde, den man bereits im Werk von Marx bemerkt hatte und den auch die Geographen von EspacesTemps aus findig zu machen hofften, freilich innerhalb der geographischen Disziplin. Althusser hat also auch hier großen Einfluß ausgeübt, selbst wenn wir in der Zeit der Selbstkritik seines Theorizismus stehen: »Für mich ist Althus ser eine Vermittlung zur französischen Epistemologie gewesen: Bachelard, Canguilhem und sogar Durkheim.« ^^ Diese Dimension des notwendigen Umwegs gegenüber dem Objekt, das Erfordernis seiner rigorosen Kon struktion hat die jungen Geographen inspiriert, die sich zu Parteigängern einer Interdisziplinarität machten, an der ihr eigenes Fach teilhaben sollte. Es ging dabei nicht um eine laue Interdisziplinarität nach Art eines »Bot tichs«, wie Lacan sich ausdrückte, aus dem jeder herausfischen kann, was ihm paßt: »Wir haben Jaures' Formel zur Frage von Patriotismus und In ternationalismus angewandt. Ein bißchen Interdisziplinarität führt von den Disziplinen weg, viel führt zu ihnen zurück. Von Interesse ist an ihr der konfliktive Charakter.«^^ Was EspacesTemps von der althusserianischen Ausrichtung unterscheidet, ist die Absicht, Geographie nicht nur »zu den ken«, sondern sie auch zu betreiben, die Auseinandersetzung mit dem Ter rain zu suchen, wogegen Althusser sich auf seine Position des über den Dingen stehenden kritischen Philosophen zurückzog und den Sozialwis senschaften eine untergeordnete Stellung zumaß, da sie nach seiner Ansicht unfähig waren, innerhalb ihres Wissenscorpus einen epistemologischen Einschnitt zu vollziehen. Doch die Bezugnahme auf althusserianische Posi tionen, sei es über die Texte von Althusser, fitienne Balibar oder über die von Michel Pecheux oder Pierre Raymond ^^, lenkt die theoretischen Schritte der Zeitschrift EspacesTemps auf ihrer schwierigen Suche nach ei nem eigenen Gegenstand der Geographie. Er wird definiert als »sozialer
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Raum«, der den Prüfstein jeder Studie bilden soll, und zwar aus einer sich vornehmlich als »wissenschaftlich« verstehenden Perspektive, im Unter schied zu Herodote, wo man der Kategorie der Wissenschaft eine mit »den Raum denken können« umschriebene Ordnung vorzieht.
Die graphische Formalisierung: die Chorematik Erneuert wurde das geographische Wissen auch durch eine weitere Filiation, die unmittelbarer dem strukturalistischen Aufruhr der sechziger Jahre entstammt: die Reflexion und Praxis des Einsatzes der Graphik in der Geographie. Auf diesem Kerngebiet der Kartographie, der Darstellung der verschiedenen Formen des Realen, war Jacques Bertin tätig, Direktor des Laboratoire de graphique an der EHESS. Er saß mithin in den sechziger Jahren mitten im Zentrum der Humanwissenschaften, in einer Hochburg der strukturalen Reflexion über die Schreibweisen. 1967 veröffentlichte er Semiologie graphique?^ Bertin betrachtet in diesem programmatischen Werk die graphische Darstellung als Zeichentranskription, woraus er ablei tet, »daß die graphische Darstellung ein Teil der Semiologie ist, der Wissen schaft, die von allen Zeichensystemen handelt« ^^°. Jacques Bertins bereits 1967 unternommener Versuch, die Geographie am Gesamtkomplex semiologischer Reflexionen zu beteiligen, wurde an gesichts der abgeschotteten Lage der Geographie einstweilen kaum ver standen. Aufgegriffen haben ihn vor allem Historiker wie Pierre Chaunu oder Fernand Braudel. Bertin spricht sich für eine Formalisierung des gra phischen Diskurses mittels strikter Trennung von Inhalt (Information) und Behälter (die Mittel des graphischen Systems) aus. Gleich den Literatursemiotikern oder wie Christian Metz in seiner großen Syntagmatik des narrativen Kinos legt Bertin eine auf acht begrenzte Zahl relevanter Variablen fest, die auf zwei verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. Er faßt somit die Graphik als eine dem Modell der strukturalen Linguistik gemäße Sprache auf. Das Bild ist wie eine Struktur konzipiert und konstruiert. Aus dieser Überlegung erwächst die Praxis einer eher analytischen als deskriptiven Kartographie, die an der EHESS als Dienstleistungsbetrieb für die Sozial wissenschaften funktioniert, aber keine eigenen Ideen und Problemstellun-
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gen hervorbringt. Der technische Prozeß hat die Schöpfung, die Theorie ereilt. Bertin predigte während der sechziger Jahre in der Wüste, aber seine Ansätze wurden von Roger Brunet aufgenommen und systematisiert, der diese Denkachse 1980'*^ neu begründete. Er entfaltete den Begriff des Chorems als geographisches Gegenstück zum Begriff des Phonems in der Lin guistik, mithin der kleinsten distinktiven Einheit, mittels derer sich die gra phische Sprache anhand elementarer Raumstrukturen beschreiben läßt: »Hier liegt zweifelsohne der Endpunkt eines langen Annäherungsprozes ses in der Geographie, der darauf hinausläuft, ihre idiographische Seite (die beschriebenen sozialen Räume) mit ihrer nomothetischen Seite (Erstellung allgemeiner Organisationsprinzipien für die Räume der Gesellschaft) zu verbinden.« "^^ Daran, daß das weite Feld der chorematischen Karten ebenso unbegrenzt ist wie das der gleichnamigen Grammatik, läßt sich ersehen, wie wenig die Geographen, die im nachhinein den Weg der strukturalen Formalisierung gegangen sind, deren Fruchtbarkeit noch ausgeschöpft ha ben.
Die Wiederkehr des Verdrängten: das Subjekt
Dialogik und Pragmatik Das Subjekt war aus der Problemstellung der Humanwissenschaften aus geblendet worden, nicht zuletzt infolge einer linguistischen Schule, die ihm mit Blick auf die eigene Begründung als Wissenschaft die Relevanz ab sprach. In den sechziger Jahren jedoch bezieht eben diese Linguistik das Verdrängte wieder zunehmend in ihr Untersuchungsfeld ein. Diese Rück kehr in den Kernbereich einer Disziplin, die nach wie vor großes Ansehen genießt, beschleunigt den Prozeß der erneuten Thematisierung von Sub jekt und Individuum. Wir erinnern uns, daß Julia Kristeva schon 1966 in Barthes' Seminar über das Werk Michail Bachtins referierte und dabei den Gedanken von Intertextualität und Dialogik einführte. An diese Vermittlung knüpfte später Tzvetan Todorov an, wiederum ein Semiologe bulgarischer Herkunft also, der seine Positionen nach einer systematischen Auseinandersetzung mit Bachtin Ende der siebziger Jahre von Grund auf veränderte. Anlaß war ein Studienvorhaben, das Bachtins Arbeiten, die in Frankreich nur in verstreu ten Übersetzungen vorlagen und deshalb begrifflich unscharf wirkten, in einen einheitlichen Zusammenhang zurückführen sollte. Das Werk er schien 1981 ^: »Ich [Todorov] hatte die bescheidene Absicht, einen Hilfstext zu schreiben, eine Art Einführung in Bachtins Denken, das mich jedoch in dem Maße, wie ich es zum Zweck meiner Darstellung näher kennenlernte, tiefgreifend beeinflußte.«^ Es fällt auf, daß der Prozeß der Einbeziehung und Verwandlung des Lesers, den Bachtin erlebte, als er das Werk Dosto jewskis untersuchte, sich nun in Todorovs Β achtin-Lektüre wiederholt. Aus diesem Phänomen der Interaktivität zwischen Untersuchungsobjekt und -Subjekt leitet sich das Konzept der Dialogik her, das zu einer entschie denen Absage an die bis dahin im Strukturalismus gepflegte Distanzierung und Normierung des sprachlichen Gegenstands führte.
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Fortan ist es nämlich der Dialog von Leser und Autor, der den Sinn her stellt und damit dem Feld der literarischen Untersuchung oder der Ideolo giekritik einen viel weiteren Horizont erschließt, als es die bloße Entziffe rung der inneren Kohärenz eines Textes leisten kann. Auf Bachtin gestützt, rückt Todorov den Inhalt des Sagens und seine Rezeption durch den Leser wieder ins Licht, es geht nicht mehr nur um die verschiedenen Produk tionsweisen von Sinn. Es gilt, die Spieleinsätze des Sinns zu erkennen, und über sie kann allein die Dialogik Auskunft geben. Daß Todorov mit dem Formalismus der er sten Periode brach und sich um eine erneute Reflexion des Subjekts und des Sinns bemühte, hängt entscheidend mit seinem politischen Werdegang zu sammen. Die Faszination, die er in den sechziger Jahren für den Formalis mus empfand, war im wesentlichen eine Gegenreaktion auf die in seinem Heimatland Bulgarien praktizierte literarische Ereignisgeschichte, die in keiner Weise auf die Texte selbst einging: »In dieser Lage schien es mir not wendig, auszugleichen, woran es am meisten fehlte, und den Finger auf den blinden Fleck der Literaturstudien zu legen.« ^ Noch dazu herrschte im Kontext des Stalinismus ein erdrückend starrer ideologischer Dogmatis mus, der die Lesart literarischer Texte bestimmte und dem Todorov zu ent kommen suchte, indem er sich ins Innere des Textes, in seine grammati schen Kategorien und Rhythmen flüchtete, in ein Gebiet also, das sich dem bleiernen ideologischen Zugriff weitestgehend entzog. Das Bedürfnis, sich von Politik und Ideologie fernzuhalten, wandelte sich rasch, als Todorov in Frankreich heimisch wurde, die französische Staatsbürgerschaft annahm und sich auf eine andere, demokratische Wirk lichkeit einstellte: »Um die Jahre 1978-1980 herum begann ich zu entdekken, daß man den Lauf der Dinge beeinflussen konnte, und diese Entdekkung eines anderen Verhältnisses zum Politischen ließ mich spüren, daß ein Perspektivenwechsel fällig war.«'^ Todorov bestreitet die wichtigen Errun genschaften einer Denkweise keineswegs, die zu einer deutlicheren Lektüre des Textes und einer besseren Erkenntnis seiner Konstruktion verholfen hat, sieht in ihr aber keinen Selbstzweck, sondern lediglich ein Instrument, um den Inhalt, den Bedeutungsvorgang selbst aufzuschlüsseln. Da in den Humanwissenschaften der Forscher fundamental in seinen Gegenstand verwickelt ist, gilt es für Todorov, diese Implikation fortan zum Ausgangspunkt zu machen. Er leistet dies, indem er sich unter dem
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Einfluß der Thesen Bachtins zur Dialogik seit den ausgehenden siebziger Jahren mit der Vielheit der Kulturen, der Einheit der menschlichen Spezies und der Alterität befaßt. Zwei Bücher sind daraus hervorgegangen, erschienen 1982 und 1989 ^, in denen Todorov einerseits einen Dialog mit der Wahrnehmung der Andersheit aufnimmt, so wie sie in der französischen Literatur tradiert ist, und an dererseits, sich selbst einbeziehend, der Eroberung Amerikas nachspürt: »Ich will von der Entdeckung des anderen durch das Ich sprechen.«^ Die Bedeutung dieser Eroberung ist nur als intersubjektive Realität faßbar. Sie enthüllt sich in der Unfähigkeit der Abendländer, hinter Amerika die Ame rikaner zu entdecken, was sowohl aus einer Offenbarung der Alterität als auch aus deren Verweigerung rührt. Die indianische Kommunikations weise wiederum, in der die Beziehung zur Welt aus einem ganzen System von Zeichen heraus begriffen wird und die Kommunikation zwischen sich und der Welt mehr gilt als die zwischenmenschliche Verständigung, »ist für das entstellte Bild verantwortlich, das sich die Indianer [...] von den Spa niern machen« ^. Die Spanier, so Todorov, waren vor allem deshalb sieg reich, weil die Bevorzugung der zwischenmenschlichen Kommunikation sie überlegen machte; doch es war ein bitterer Sieg, teuer erkauft mit der Preisgabe einer wesentlichen Dimension — der Beziehung zur Welt — in der abendländischen Zivilisation: »Was der Europäer auf der einen Seite ge wann, verlor er auf der anderen; indem er sich mit dem, worin er überlegen war, auf der ganzen Welt durchsetzte, erstickte er in sich selbst die Fähig keit, sich in die Welt zu integrieren.« ^ Todorov rekonstruiert die minuziöse Eroberungsstrategie Cortez', die nicht so sehr auf Beraubung des anderen angelegt war als vielmehr darauf, diesen zu verstehen, um ihn besser beherrschen und das, was er repräsen tiert, zerstören zu können. So gewann Cortez ein gutes Verständnis der Aztekengesellschaft und eine gute Beherrschung ihres Zeichensystems. Und dank dieser Kenntnisse gelang ihm an der Spitze einer Handvoll Er oberer die Kontrolle über das größte Reich Mittelamerikas. Allerdings kehrt Todorov nicht zu einer traditionellen Historie, einer reinen Ereignisgeschichte der Eroberung zurück. Er hält an der Perspektive fest, symbolische Systeme anhand einer Reflexion über das Zeichen zu un tersuchen, anhand einer Semiotik, die er jedoch in ihren kontextuellen und dialogischen Rahmen zurückversetzt: »Das Semiotische kann nicht außer-
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halb der Beziehung zum anderen gedacht werden.«^ Im Horizont dieser Reflexion leistet Todorov einen Beitrag zu dem ethischen Anspruch (dem die Texte und die Geschichte nur das Trägermaterial liefern), ein neues Zeitalter einzuleiten: das Zeitalter einer Kommunikation zwischen den Menschen, in dem der seit Menschengedenken bestehende konfliktive Ant agonismus zwischen dem Selben und dem Anderen überwunden und das Fundament für eine neue Harmonie gelegt werden könnte: »Ich bin, auch wenn dies prätentiös und komisch klingen mag, auf der Suche nach einer Art Weisheit.« ^° Deshalb macht Todorov fortan gegen die Außerkraftsetzung der Di mension des »Ich« seine Individualität geltend, um sich in vergangene Er zählungen der Literatur- und Ideengeschichte hineinzuversetzen und mit ihnen den Dialog zu führen, von dem er sich die Hervorbringung der er strebten Harmonie erwartet. Todorovs radikale Kehrtwende schließt in großen Teilen an die hermeneutischen Positionen Paul Ricceurs an, der doch in den sechziger Jahren als der Gegner des Strukturalismus gegolten hatte.
Die Rückwirkung der Literatur auf die Linguistik Das aus der Literaturwissenschaft entstandene Konzept der Dialogik dringt nun auf das Feld der Linguistik vor und dient dort als operationales Instrument. Dies ist ein deutlicher Hinweis, daß sich ein Umbruch voll zieht, denn bislang hatte umgekehrt die Linguistik das Denken der neuen literarischen Kritik bereichert. So setzt der Sprachwissenschaftler Oswald Ducrot den Begriff in seiner pragmatischen Untersuchung der Sprechakte ein: »Man kann sogar beobachten, daß sich zwischen dem Feld der Lin guistik und dem literarischen Feld eine Art Symbiose vollzieht.« " Bereits in Les Mots du discours^^ hat Ducrot die Rolle der argumentativen Konnektoren analysiert, der kleinen Spracheinheiten, die bestimmte argumentative Positionen induzieren und damit Druck auf den Gesprächspartner aus üben. In ähnlicher Perspektive schreibt er Le Dire et le Dit^^, worin er Bachtins polyphonische Konzeptionen aus spezifisch linguistischer Warte be nutzt. ^"^ Im Unterschied zu Todorov faßt Ducrot seinen pragmatischen Sprachansatz jedoch nicht als Bruch mit seinen an Saussure anküpfenden
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Strukturalistischen Positionen auf: »Mir scheint, mit dem, was ich tue, bin ich ganz und gar Strukturalist. Wenn ich eine integrierte Pragmatik auf stelle, dann soll sie ebenso struktural sein wie die Syntax oder die Phonologie, die in den fünfziger Jahren betrieben wurde.« ^^ Die Pragmatik er schließt also durchaus den bis dahin ignorierten Horizont des Subjekts, doch bleibt dieses prinzipiell eine den sprachlichen Konventionen interne formale Abstraktion. Die Theorie der Äußerung in der Filiation Benvenistes erlebt ihren Auf schwung in den achtziger Jahren. Sie räumt dem Subjekt wieder einen be deutenderen Platz in der linguistischen Reflexion ein. So war Michelle Per rot, Historikerin in Paris-VII, als sie im Prüfungsausschuß saß, vor dem Marina Yaguello ihre these über weibliche Sprache verteidigte ^^, erstaunt und erfreut über diese Entwicklung der Linguistik, insbesondere über die aus den Gattungsfragen hervorgehende Einbeziehung der Äußerung und die Berücksichtigung der Vielfalt sprachlicher Praktiken: »Ich merkte, daß es eine ganz andere Linguistik gab, die überhaupt nicht mehr jene war, die ich kennengelernt hatte.« ^'^ Hochformalisierte Forschungen wie die von Maurice Gross führen ebenfalls zu erstaunlichen Ergebnissen. So ergibt die systematische Aus wertung der Eigenschaften von achttausend französischen Verben nach Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens in einem bestimmten Kontext, daß trotz Beschränkung auf etwa hundert mögliche Konstruktionen keines der untersuchten Verben den anderen vergleichbar ist: »Es wird einem fast schwindlig bei der Feststellung, daß unser Gehirn fähig ist, mit Tausenden von Wörtern zu arbeiten, die derselben syntaktischen Klasse angehören, nämlich Verben, deren Eigenschaften dabei so beschaffen sind, daß jedes Verb in der Praxis einmalig ist.« ^^ Diese Erkenntnis erschüttert die Idee der Struktur mit den dazugehörigen Vorstellungen von Klassen und Ersetzun gen auf der paradigmatischen Achse von Grund auf. Denn wenn man von einem Vergleich von Eigenschaften ausgeht, begibt man sich in den Bereich des Heterogenen, womit die Verallgemeinerbarkeit überhaupt in Frage steht. Sogar im Chomskyschen Generativismus fragt man sich heute — so Ni colas Ruwet —, ob nicht auf dem Feld der Syntaxforschung dem Subjekt und dem Sinn eine unabkömmliche Stellung zugesprochen werden müs sen: »Es gibt bei Chomsky etwas, was mich seit zehn Jahren stört, und das
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betrifft die Verbindung der formalen Syntax mit den Problemen der Bedeu tung.« ^^ Ruwet verläßt sich demnach zur Regelung der Probleme, welche die Syntax aufwirft, nicht mehr auf die angeborenen Prozesse der Hirn strukturen : »Wir haben es mit sehr viel subtileren Vorgängen zu tun, für die es notwendig ist, die Bedeutung einzubeziehen, und das sind Fragen der Pragmatik.« ^° So arbeitet Ruwet an Problemen, bei denen die Frage des Subjekts in vorderster Linie steht, zum Beispiel über die Unterscheidung zwischen dem Subjekt des Bewußtseins und den verschiedenen Subjekten, die in ei ner Aussage impliziert sind, zwischen dem, der spricht, und dem, von dem man spricht. Das bedeutet etwa für den Gebrauch des Pronomens »en« in dem Satz: »Pierre pense que Marie en est amoureuse«, daß die Liebe, die Marie empfindet, sich in diesem Fall nicht auf Pierre beziehen läßt: »Das liegt daran, daß Elemente wie >en< nicht auf das bewußte Subjekt verweisen können, also nicht auf das Subjekt der Aussage, in der dieses >en< steht, das einen Bewußtseinsinhalt ausdrückt. Man kann keine Grammatik des >en< machen, ohne dem Rechnung zu tragen. Seit zehn Jahren ist dies eine der großen Schwierigkeiten der generativen Grammatik.« ^^ Der Erfolg der Forschungen zur Äußerung ist sogar in den harten Semiotik-Kern der Pariser Greimas-Schule vorgedrungen. Blieb Greimas da von zunächst unbeeindruckt, so zürnte er doch über die Kränkung, die ihm Jean-Claude Coquet zufügte, einer seiner treuen Schüler, der von Anbe ginn die Pariser Schule organisiert hatte. Der veröffentlichte nämlich 1987 eine Nummer der Actes semiotiques, in der er Greimas zwar wesentliche Verdienste bei der Begründung einer »objektbezogenen« Semiotik zuer kannte, gleichzeitig aber die Vorzüge einer anderen Semiotik »in der Linie von Benveniste« pries, die er als »subjektbezogen« bezeichnete.^^ Greimas, Fierausgeber der Zeitschrift, ließ diese lieber eingehen, als mit seiner Auto rität eine Forschungsrichtung zu decken, die er immer noch der Metaphy sik zuordnete. Dementsprechend schrumpfte denn auch die Truppe der Greimasschen Semiotiker. Jean-Claude Coquet erinnert in dieser Ausgabe an die Grundlagen der objektbezogenen Semiotik, wie sie Algirdas Julien Greimas und Joseph Courtes 1979 definierten^^, die durch das »il« der dritten Person verkörpert wird, das gewissermaßen ihr Emblem darstellt. Diese Semiotik sei, »wie das Pferd«, so Greimas, »eine der größten Eroberungen des Menschen« ^""^
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geworden. Das Subjekt hat darin keinen besonderen Status mehr. Es stellt nur noch einen Operator von Transformationen dar, während »in einer >subjektbezogenen Semiotik< jede Rede zentriert ist«^^. Nimmt man dies für gegeben an, dann lädt mithin Benvenistes Arbeit dazu ein, das Aktantenschema der objektbezogenen Semiotik zu überprüfen. ^^ Jean-Claude Coquet würdigt den entscheidenden Beitrag völlig neu, den Benveniste zur Arbeit des Semiotikers geleistet hat, indem er die Instanzen der Rede be stimmte und diversifizierte und bereits in den Nachkriegs jähren nach dem Subjekt in Verknüpfung mit einer Handlung fragte, besonders in einem 1948 erschienenen Werk.^^ Coquet nennt die Bedingungen für eine großan gelegte Wende, wenn er schlußfolgert: »Hjelmslev und Greimas haben den Grundentwurf für eine allgemeine semiotische Theorie erarbeitet. Die Be deutsamkeit ihres Werkes hat eine Weile lang alle Versuche zur Errichtung einer Semiotik der Rede überschattet. Durch Benveniste und dank der Tat sache, daß seine Vorschlage — vor allem seit 1970 — allmählich bei den For schern Berücksichtigung fanden, wurde eine >subjektbezogene< Semiotik erst möglich und hat sich dann konstituieren können.« ^^
Die InterSubjektivität Im Lichte der Intersubjektivität, der Dialogik werden auch die Grenzen deutlich, an die das strukturale Verfahren Martial Gueroults im Bereich der Philosophiegeschichte stößt. Gueroult hatte eine Auslegungsmethode für philosophische Texte entwickelt, in der diese zur Hervorhebung ihrer Ko härenz und inneren Architektur als selbstgenügsame Einheiten, als von ih rem Kontext, von jeder äußeren Einstreuung gesonderte Gebilde behandelt werden. Nun kann aber ein Ansatz, der auf derlei Reduktion fußt, zu schwer wiegenden Interpretationsfehlern führen. Einen solchen sieht Alexis Philonenko in Gueroults Analyse von Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre}'^ Er hält Gueroult vor, Hegels Fichte-Deutung fortzu schreiben und Fichte des unhaltbaren Idealismus zu zeihen. Gueroult nimmt diese Schrift Fichtes für in sich geschlossen an und sieht einen Wi derspruch zwischen dem ontologischen Idealismus, den Fichte im ersten, theoretischen Teil der Wissenschaftslehre aufstelle, in dem er die Welt auf
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das Ich, das Denken, das allmächtige Bewußtsein reduziere, und einem zweiten, praktischen Teil, in dem er die Welt als Horizont der Tathandlung begreife, was die Idee der Wirklichkeit der Welt und damit ein auf ihre Äu ßerlichkeit gegründetes Bewußtsein voraussetze. Daraus schließt er auf Fichtes strukturelle Unfähigkeit, die Tätigkeit des praktischen Idealismus in seinen theoretischen Grundlagen zu fundieren. Philonenko hebt nun Gueroults Analyse aus den Angeln, indem er zeigt, daß der erste Grundsatz der Wissenschaftslehre nach Fichte nicht die Darlegung der Wahrheit ist, son dern die in den Irrtum gehüllte Wahrheit behandelt. Sie ist die erste tran szendentale Täuschung, die der Philosoph gerade dekonstruieren muß, um die Wahrheit zu erreichen. Die verschiedenen Bewußtseinszustände entfließen also nach Fichte keinem mit täuschender Macht ausgestatteten Ich, sondern im Gegenteil dessen Dekonstruktion. Philonenko gelangt zu einer anderen Wahrnehmung von Fichtes Absichten, weil er gegen das von Gueroult postulierte Prinzip der In-sich-Geschlossenheit des Textes verstößt und die Wissenschaftslehre durch andere Texte Fichtes erhellen kann. Er erweitert also das Corpus und gelangt damit zu einer Kohärenz, die nicht mehr die jenige der strikt systematischen Abhandlung ist, wie Gueroult sie versteht. Die Differenz zwischen den Interpretationen rührt demnach vornehm lich aus der Idee der Geschlossenheit des Textes, die Gueroult verficht, weil für ihn die philosophischen Gegenstände nur aus sich selbst existieren und jeder Inanspruchnahme von außen verschlossen sind, während aber das Verständnis von Fichtes Philosophie eine dialogische Beziehung zu seinem Werk bedingt. Denn ebendies fordere Fichte als Grundlage seines Vorge hens : »In der Vorrede zur Wissenschaftslehre schreibt Fichte, daß deren Verständnis das >Vermögen der Freiheit der Innern Anschauung< voraus setze. Das läßt sich auf verschiedene Art deuten, aber es heißt zunächst ein mal, daß die Lektüre keine tote oder rein ästhetische Lektüre ist und daß man dem beschriebenen Vorgang der Geltendmachung, dann der Dekon struktion und schließHch der Rekonstruktion der Wahrheit nicht folgen kann, ohne gleichzeitig selbst verändert zu werden.« ^° Die in diesem philo sophischen Durchgang nach und nach enthüllte Wahrheit muß sich also der Leser, der Philosophiehistoriker wieder zu eigen machen. Sie ist eine nie abgeschlossene Erringung, die auf die Unbegrenztheit der Interpretation und auf eine Beziehung der Interpersonalität, der InterSubjektivität hinaus führt.
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Auch Joelle Proust, die durchaus an der Ergiebigkeit der strukturalen Methode festhält, zumal in ihrer Betonung der Strenge, Buchstäblichkeit und Textualität, und das von Gueroult, Goldschmidt, Bachelard und Canguilhem in der Geschichte der Philosophie und der Wissenschaften voran getriebene Diskontinuitätsdenken für stichhaltig und fruchtbar erachtet, sieht deren Grenzen dort, wo es um die Verknüpfung der Systeme unter einander geht: »Wenn man verstehen möchte, weshalb ein Philosoph sich für einen anderen Philosophen interessiert, muß man wohl oder übel von der Vorstellung abkommen, daß jedes System eine in sich geschlossene Entität mit eigenen Bedeutungen sein soll.« ^^ Joelle Proust rollt das Problem der Filiationen in der Geschichte der Logik neu auf. Sie geht von der Hypo these aus, daß Texte auch Strukturierungen anderen Typs haben als die jenigen, die man mit Hilfe der strukturalen Analyse herausbekommt. Auf dieser anderen Artikulationsebene sind transsystematische Fragen und Strukturierungen zu erkennen, die auf eine Kommunikation zwischen den Systemen verweisen. Erneut öffnet Proust somit das Untersuchungsfeld für die Historizität der Texte, die sie auf eine im wesentlichen identische kognitive Realität be zieht, welche das Fundament für eine Art transtextueller Realität bildet: »Wenn es Sinn hat, das Schöne bei Piaton mit dem Schönen bei einem Zeit genossen von heute zu vergleichen, dann muß gelten, daß es so etwas wie eine den beiden Begriffen gemeinsam zugrundeliegende Struktur gibt.« ^^ Um an diese heranzukommen, spricht sie sich dafür aus, Gueroults Idee der Geschlossenheit und das Diskontinuitätsdenken der Epistemologie der Wissenschaften zu überwinden und ein neues Konzept einzuführen: das der komparativen Topik. Auf eine erste Stufe, die Erfassung der formalen Organisation des philosophischen Werkes, muß daher eine zweite Stufe folgen, nämlich die der Interpretation, »die darin besteht, sich der topi schen Bedingungen der Intertextualität anzunehmen« ^^. In dieser Perspek tive lassen sich die Texte und die Systeme untereinander in einen Dialog bringen, so daß die jeweiligen Einzigartigkeiten, aber auch die jeweils mit geführten strukturalen Invarianten klar werden. Sie führt also auch hier, auf dem Gebiet der philosophischen Wahrheitssuche, in eine Dialogik: »Die komparative Topik hat die sehr weitreichende Absicht, mit daran zu erin nern, daß die Geschichte der Philosophie kein Mausoleum ist.« ^'*
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Roland Barthes: die Lüste an sich Die Wiederkehr des Subjekts hilft Roland Barthes aus dem Theoriegehäuse hinaus, das ihn an der freien Entfaltung seiner Lust am Schreiben hinderte. Barthes macht dem Zwiespalt zwischen Wissenschaftler und Schriftsteller, in dem er sich bislang befunden hatte, ein Ende und entscheidet sich ein deutig für den künstlerischen Weg. Nachdem er 1973 die Lust am Text ver teidigt hatte, geht er nun einen weiteren Schritt in Richtung auf Subjektivierung seiner Schreibweise und nimmt sich selbst zum Gegenstand. Diese nichtlineare Autobiographie, eine Sammlung partieller und verstreuter Auskünfte, entzieht sich den gewohnten Kanons der Gattung. Er ersetzt sie durch »Biographeme«. Auch wenn er in der Form einer gewissen Dekonstruktion treu bleibt, künden die Rückbesinnung auf sich selbst, die Darlegung der eigenen Gefühle und Erinnerungen und die Schilderung der ihm Nahestehenden von der unübersehbaren Wiederkehr des Verdrängten, und dies bei einem Autor, der zu den entschiedensten Theoretikern der Ir relevanz dieser Analyseebene gehört hat. Mit diesen »Biographemen« werden auch die Fluchtlinien eines romanesken Schreibens gezogen, zu dem Barthes noch nicht ganz steht. Bei an derer Gelegenheit hat er sich schon über die Bedeutung jedweden biogra phischen Unterfangens geäußert: »Jede Biographie ist ein Roman, der seinen Namen nicht zu nennen wagt.«^^ Als 1975 Roland Barthes par Ro land Barthes erscheint, weicht mithin der Schreiber dem Schriftsteller. Zwar stellt sich das Subjekt Barthes in der dritten Person dar, in der Form des »er«, die Abstand zwischen dem Schreibenden und seinem Gegenstand wahrt. Aber er gibt wesentliche Bruchstücke seiner selbst zu erkennen, er vertraut sich seinen Lesern an, läßt sich auf die intersubjektive Kommuni kation ein, die eher ein Quell der Liebe denn der Strukturen ist. Im übrigen fragt er sich: »Wer ist schon noch Strukturalist?« ^^ Gewiß enthüllt Barthes nur einen Teil von sich: seine Krankheit, die Kur, das Sanatorium, seine Schullaufbahn. Das Subjekt, das hier durchschimmern soll, versteht sich eher als Sprach-Effekt denn als Bezugnahme auf eine außertextliche Natur. Es soll einen Barthes-Effekt erzeugen, ein bewegliches Bild, eine poly phone Quelle vielfacher Kompositionen und Rekompositionen, ein paar Fingerzeige nur auf eine Partitur, die vor allem frei sein will, offen für die Unbegrenztheit der Interpretationen.
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Das Subjekt Barthes gibt sich vornehmlich in der fotografischen Belich tung seines Körpers zu erkennen, aber auch im Licht, das er auf dessen Ma nifestationen fallen läßt, etwa in der Migräne: »Die soziale Aufteilung geht durch meinen Körper: mein Körper selber ist gesellschaftlich.« ^^ Der Kör per spielt die Rolle eines ungreifbaren, vielförmigen, polymorphen »ManaWorts«; er ist der Signifikant, der den Platz jeden Signifikats einnimmt. Bei dieser Gelegenheit erinnert Barthes daran, daß Corpus auch Körper meint. Das Subjekt, das hier kraft der Aufmerksamkeit für seine körperlichen Ma nifestationen wiederkehrt, bekundet eine neue Phase in Barthes' Werde gang, in dem er selbst vier Werkphasen unterscheidet ^^: die soziale Mytho logie, die Semiologie sowie die Textualität machen in den Jahren von 1973 bis 1975 der Moralität Platz, deren Anreger Nietzsche ist: »Immer an Nietzsche denken« -^^. Als das Werk erscheint, überblendet Maurice Nadaud den Doppelbe lichtungseffekt, verwischt die von den »Biographemen« angedeuteten Spu ren zusätzlich, indem er Barthes bittet, in der Zeitschrift La Quinzaine litteraire selber über sein Buch zu berichten, unter der Überschrift: »Barthes hoch drei«.''^° Das Werk wird zum Ereignis, weil es dem Publikum manche signifikanten Charakterzüge des meisthofierten Teilnehmers am struktura listischen Abenteuer liefert, der zugleich bezüglich der eigenen Person der wortkargste seiner Zunft war, aber es ist auch und vor allem das Symptom für eine radikale Wende, die 1975 die Intellektuellen von den Gestaden der Wissenschaftlichkeit weggeführt und sie einer Selbsterkundung angenähert hat. Vor allem in dieser Hinsicht erregt Barthes' Publikation Aufsehen. Jacques Bersani schreibt eine zweiseitige Besprechung in Le Monde, in der er sich fragt: »Wo steht Barthes?« und schlüssig antwortet: »Bei sich selbst«.'^^ Das Überwechseln zur Literatur, zum Anspruch des Subjektiven und die Abkehr vom szientifischen Ehrgeiz der Humanwissenschaften sind endlich vollzogen, als Barthes 1977 die Fragmente einer Sprache der Liebe veröffentlicht. Zwar geht das Buch aus einem Seminar hervor, das er an der Ecole pratique des hautes etudes zum Thema der Liebe hielt und in dem er mit Goethes Werther den archetypischen Text der Liebe als Leidenschaft zum Ausgangspunkt nahm. Doch über die zwei Jahre währende universi täre Auseinandersetzung hinaus interessierte sich Barthes vornehmlich für die Projektion seiner eigenen Subjektivität auf seinen Gegenstand und die
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Rückwirkung dieses Gegenstandes auf ihn selbst: »Es passierte mir sogar, daß ich Personen, die aus meinem Leben stammten, mit den Figuren des Weri/^erverwechselte.«'^^ Aufgrund dieser persönlichen Erfahrung, die bei allen Seminarteilnehmern tendenziell ähnlich aussah, kam Barthes von dem Gedanken ab, eine Abhandlung über den Liebesdiskurs herauszugeben, und beschloß, zur Subjektivität des Sagens zu stehen und selber den »Dis kurs eines liebenden Subjekts [zu verfassen]. Es gab eine Kehrtwende«, und infolgedessen kein Buch über den Liebesdiskurs.'^^ Das Subjekt hat so mit die Oberhand gewonnen, und es ist ausdrücklich von einem bestimm ten Subjekt die Rede, das kein anderes ist als Barthes selbst. Diesmal läßt er sich auf die Ichform ein, selbst wenn dieses »Ich« offenkundig eine Kom position, eine Montage darstellt, die nicht als Ausdruck Roland Barthes' al lein aufzufassen ist, aber doch stark sein Gepräge trägt, ganz wie im Ro manschreiben, auf das Barthes sich nun beruft: »Das zwischen dem Autor und dem Leser in Szene gesetzte Verhältnis ist von diesem romanesken Typ.«'^'* Indes bleibt er seiner Vorliebe für eine fragmentierte Schreibweise treu und erhebt keineswegs den Anspruch, an die Ordnung des linearen Er zählens einer Liebesgeschichte anzuknüpfen. In dieser Wende äußert sich Barthes' Rückkehr zur Literatur, die er übri gens bei der Bekanntgabe seines Lehrprogramms bekräftigt: »Was die Lehrveranstaltungen angeht, werde ich auf im strengen Sinne literarische Stoffe zurückkommen.« '^^ Mit dieser neuen Vereinigung des Semiologen und des Schriftstellers tritt der herbeigesehnte Erfolg ein, kommt die Lie besgeschichte zwischen Barthes und seinen Lesern, die alle Diplome der Welt aufwiegt, zum Höhepunkt. Weit über den kleinen Kreis der Akademi ker hinaus erreicht Barthes diesmal ein breites Publikum, wie die Verkaufs zahlen des sofort zum Bestseller gewordenen Werks belegen. Die Startauf lage von 15 000 Exemplaren ist rasch vergriffen. Allein 1977 erlebt das Buch sieben Neuauflagen mit insgesamt 79 000 Exemplaren und erreicht 1989 die Rekordzahl von 177000 Exemplaren.'*^ Das ist ungewöhnlich viel auf dem Gebiet der Humanwissenschaften und bei einem Werk, das nicht als Ta schenbuch erschienen ist, und es bestätigt nach vielen Umwegen Barthes' Eintreten in die Literatur. Im selben Jahr, 1977, wird Roland Barthes in das College de France auf genommen und erlebt damit neben seiner literarischen auch seine institu tionelle Anerkennung. Am 7. Januar hält er seine Inauguralvorlesung vor
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der dichtgedrängten Pariser Prominenz. Wie zur Erinnerung an sich selbst, an den kritischen Antrieb seines gesamten Werks, an sein immer wieder be tontes Grauen vor den verschiedenen Formen sozialen Verklebens und der Verhaftung in kleinbürgerlichen Klischees, sicherlich aber auch, um sich gleichzeitig gegen jede Identifizierung mit einer — wenn auch ruhmreichen — Institution zu verwahren, gibt er von diesem hohen Ort seine berühmte Formel aus: »[...] die Sprache als Performanz aller Rede ist weder reaktio när noch progressiv; sie ist ganz einfach faschistisch, denn Faschismus heißt nicht am Sagen hindern, er heißt zum Sagen zwingen.«'^^ Wohl ist spürbar, daß Barthes genötigt ist, eine solche Schockformel zu erfinden, damit man ihm die Preisgabe seines in den sechziger Jahren formulierten wissenschaftlichen Ehrgeizes abnimmt, den er nun mit einer Radikalisie rung seiner Positionen auf dem Feld der Ideologie wettmacht. Gleichwohl ist sein Publikum bewegt und erfreut über die endlich erfolgte Inthronisie rung dessen, der bislang seine Bahnen durch die Randbezirke gezogen hat: »Im Hörsaal, in dem alle seine >Familien< vertreten sind, haben manche Tränen in den Augen, empfinden sehr intensiv, etwas Außerordentliches mitzuerleben; die Gefühle seiner Freunde zeugen von den menschlichen Qualitäten Barthes', dessen Freude von allen geteilt wurde.«'^^ Wenig später entscheidet sich auch Julia Kristeva für die Literatur und die Rückkehr zu sich. 1990 veröffentlicht sie mit Les Samourai's'^^ ihren er sten Roman, der aus der Sicht einer der Hauptakteurinnen vom strukturali stischen Abenteuer der sechziger Jahre erzählt. Der Titel läßt natürlich an die existentialistische Generation denken, die diesem Unternehmen vor ausging, und an deren Schilderung durch Simone de Beauvoir 1954 in den Mandarins von Paris. Er erhebt also implizit den Anspruch, daß die Truppe um Tel-Queldie Nachfolge dessen angetreten hat, was nach dem Krieg Les Temps Modernes geleistet hatten. Gleichzeitig besteht aber ein bemerkens werter Unterschied zwischen der Bezugnahme auf die chinesischen Ge lehrten und der Berufung auf die japanischen Krieger: Hier zeigt sich eine Dramaturgie, die die Euphorie des existentialistischen Engagements einge büßt hat. Diese Intellektuellen treibt das Ringen um den Sinn des Lebens bis in den Tod; kaltblickend unter der Leidenschaft, bilden sie eine desillusionierte Generation, die nicht mehr glaubt, daß die Hölle die anderen sind, sondern daß sie in jedem einzelnen zu Hause ist. Julia Kristeva hat diese biographische Wende bereits 1983 in der von Phi-
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lippe Sollers herausgegebenen Zeitschrift Ulnfini eingeleitet: In »Me moire« besinnt sie sich zurück auf sich selbst seit ihrer Ankunft in Paris im Winter 1965 und erweist zugleich Simone de Beauvoir ihre Reverenz. Doch seither hat sich das Subjekt gewandelt, und dementsprechend verdoppelt sich Julia Kristeva in ihrem Roman: Sie ist Olga Morena, deren leiden schaftliche und problematische Beziehung mit Philippe Sollers in gewisser Weise an Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre erinnert; aber sie ist auch die Psychoanalytikerin Joelle Cabarus. Das zurückgekehrte Subjekt ist mithin nicht mehr dasselbe; es verzichtet auf die Transparenz, zu der der Existentialismus zu gelangen glaubte; es ist ein gespaltenes, sich selbst fremdes Sein, das da denkt, wo es nicht ist, und sich dort findet, wo es nicht denkt — ein Subjekt, gewandelt durch die Psychoanalyse.
Die Affekte und die Körpersäfte Auch auf dem Feld der Psychoanalyse findet der Körper mit seinen Äuße rungen wieder vermehrt Berücksichtigung. So löst sich Andre Green Mitte der siebziger Jahre von den Lacanschen Positionen, die er einmal geteilt hat, und kritisiert sie im Namen einer wesentlichen Dimension der Analyse — des Affekts. Ausschlaggebend war für ihn die Begegnung mit dem briti schen Psychoanalytiker Wilfried Bion, einem unorthodoxen Kleinianer, der sich auf die Behandlung von Psychosen spezialisiert hat. Green über zeugt bei Bion, daß hier nicht mehr der Signifikant im Vordergrund steht, sondern die emotionale Erfahrung. Green hat sich aus der strukturalen Pe riode das Interesse am interdisziplinären Dialog mit Anthropologen, Phi losophen und Linguisten bewahrt, stellt es nun aber in eine neue Perspek tive, nämlich der Verknüpfung zwischen dem Körperlichen und dem Textlichen: »Heute interessieren mich Wissenschaftler wie Fran5oise Heritier-Auge oder die Hellenisten Nicole Loraux und Marcel Detienne, denn der Körper gewinnt wieder stark an Gewicht. Es genügt allerdings nicht, Flüssigkeiten wie Blut oder Sperma in einen Graphen einzutragen. Es ist ja deutlich zu sehen, wieviele semantische Dimensionen sie mit sich füh ren.« ^° Auf Seiten der Anthropologie wiederum führt man mit der Psychoana lyse einen fruchtbaren Dialog über die Repräsentation der Stofflichkeit des
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Körpers und seiner Säfte, knüpft also vermehrt an die Materialität der Dinge, an den Körperreferenten an: »Darin liegt die Möglichkeit einer Überwindung des Strukturalismus in Richtung auf mehr Materialismus.« ^^ Tendierte das strukturalistische Paradigma dazu, den Inhalt zugunsten des Spiels der Formen seiner Substanz zu entleeren und die Dimension der Affekte auszusparen, so werden diese nun wieder zu einem wichtigen For schungsthema. Heute erhoffen sich viele Forscher von inhaltlichen Pro blemstellungen eine Erneuerung, einen Aufschwung des anthropologi schen Denkens, weil es so einen anderen Weg als den des Kognitivismus einschlagen kann: »In die Formprobleme wieder inhaltliche Fragestellun gen einzuführen scheint mir von grundlegender Wichtigkeit, und die An thropologie ist dafür nicht schlecht gewappnet.« ^^ Die gesamte humorale Dimension des Körpers, die man zugunsten einer bereinigten Symbolik ausgeklammert hatte, wird also zunehmend wesent lich, sowohl im individuellen Maßstab der Selbsterforschung als auch in den humanwissenschaftlichen Fachdisziplinen. Nachdem man den implizi ten, verborgenen Logiken des Sozialen den Vorrang gegeben hat, steht heute eher das Explizite, die Beobachtung, die besondere ethnographische Erfahrung im Mittelpunkt. Dieser neue Analyseblickwinkel bedeutet nicht notwendig, daß die formalen Modelle und die Probleme des Inhalts als antinomisch zu betrachten wären, zumal der Strukturalismus die unüberholbare Einsicht befördert hat, daß man nie rohe Tatsachen beobachtet: Tatsachen sind immer konstruiert. Für Marc Auge obliegt es nun dem An thropologen, die implizite Anthropologie der von ihm untersuchten Ge sellschaften zu erhellen, deren erste Symbolisierung der Körper ist: »Alles geht aus von einer Repräsentation des Menschen, des menschlichen Kör pers. Diese Gesellschaften haben in etwa das gleiche Verhältnis zu ihrer An thropologie wie wir zu unserer Medizin, sie sind auf ähnliche Weise von ihr durchdrungen.«^^ Daher darf der Forscher seine Beobachtungen nicht zu einem rein logischen System glätten, sondern muß vielmehr den einmaligen symbolischen Aussagen jeder Gesellschaft Aufmerksamkeit schenken. Denn diese enthüllen etwas Wesentliches über die effektiven Lösungen, welche die beobachteten Gesellschaften zur Bewältigung der Fragen fin den, die sie selbst an sich stellen. Eine solche Orientierung bedingt ein an deres Verhältnis zwischen Informant und Analytiker. Dieser muß das ihm Mitgeteilte wörtlich nehmen, damit er die Stellung der Weitergabe, der
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Vererbung, des Austauschs so rekonstruieren kann, wie die untersuchten symbolischen Systeme selbst sie betrachten. Diese Entwicklung zu einer stärkeren Berücksichtigung der Subjektivation, zu einer immer eingehenderen Aufmerksamkeit für die verschiedenen körperspezifischen Umgangsweisen tritt auch im Werk Michel Foucaults deutlich zutage.
Michel Foucault: von der Bio-Macht zur Selbstästhetik
Im Lauf der siebziger Jahre entwickelte sich Foucaults Position zur Rolle des Intellektuellen weiter und paßte sich den Geboten der Stunde an. Zuvor hatte er die Modernität mit der neuen Figur des »spezifischen Intellektuel len« bestimmt, der auf das Universale verzichtet, um sich jeweils im einzel nen für die Aufbrüche am Rand der Systeme einzusetzen, und der sich folg lich nicht mehr, ob im Namen des Menschen und seiner Rechte oder des Proletariats, zum universellen Bewußtsein oder Gewissen erhebt, sondern ausschließlich in seinem eigenen Namen spricht. Die Gründung des GIP im Jahr 1971 kommt dieser Definition nach. Doch sollte Michel Foucault unter dem Eindruck aktueller Umwälzun gen in der Praxis allmählich wieder an die Figur anknüpfen, von der er sich losgesagt hatte — an die des globalen Intellektuellen, der für die Werte der Demokratie streitet. Im Zuge dieser Entwicklung konnten Sartre und Fou cault, die bislang in konträrer Richtung engagiert waren, wieder zusam menkommen. Die iranische Episode bedeutete hier zwar einen Mißgriff, war aber nur von kurzer Dauer.
Der Kampf u m die Menschenrechte In den ausgehenden siebziger und beginnenden achtziger Jahren galt Fou caults Kampf somit den Menschenrechten. Denn im Osten hatte sich un verkennbar eine Front aufgetan: der Widerstand der dissidenten Intellek tuellen gegen den Machtapparat Breschnews. Beim Parisbesuch des sowjetischen Staatsoberhaupts im Juni 1977 war Foucault es, der die Zu sammenkunft der französischen Intellektuellen mit den sowjetischen Dis sidenten in die Wege leitete. Er organisierte die Begegnung im Theätre Recamier, und die Einladung trug auch die Unterschrift Sartres, der trotz seiner schlechten körperlichen Verfassung neben Foucault im Saal war. Der
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Zeitpunkt war gekommen, die internationale Öffentlichkeit an die Verlet zung der Menschenrechte in der UdSSR, an den Einsatz psychiatrischer Kliniken zu politischen Zwecken zu erinnern, indem man die Opfer dieser Politik zusammenrief: Leonid Pliuschtsch, Andrei Sinjawski, Andrei Amalrik und Wladimir Bukowski. Ebenso nahm Foucault an den innerfranzösischen Kämpfen gegen Men schenrechtsverletzungen teil, etwa anläßlich der Auslieferung des RAFVerteidigers Klaus Croissant im Jahr 1977. Auch hier legte er sich ins Zeug und protestierte, gleich als er von der bevorstehenden Abschiebung des Anwalts erfuhr, mit einer kleinen Gruppe vor dem Sante-Gefängnis. Au ßerdem rief er gemeinsam mit weiteren Persönlichkeiten, darunter aber mals Jean-Paul Sartre, zu einer Demonstration auf. Die Affäre Croissant bezeichnet einen Einschnitt, denn Foucault argumentierte ausschließlich für die Wahrung der Verteidigungsrechte des Anwalts Croissant, ohne in irgendeiner Weise für die terroristischen Praktiken der Baader-Gruppe ein zustehen. Mit dieser Position ging er deutlich auf kritische Distanz zu sei nem Engagement früherer Tage und bekundete streitbar seine Solidarität mit den Werten der Demokratie, die bislang als Inbegriff der Verbrämung gegolten hatten. Gilles Deleuze, der langjährige Freund, begriff sehr genau die Bedeu tung dieser Kehrtwende: Die beiden sollten einander nicht mehr wiederse hen bis zur Aufbahrung Michel Foucaults in der Salpetriere 1984, einem Augenblick großer Gefühle, in dem Gilles Deleuze seinem Freund eine letzte Ehrenbezeigung erwies. Foucaults Eingriffe vollzogen sich in den neuen Kämpfen, in denen es auf die Solidarität mit den universalen Grund sätzen der Menschenrechte ankam. 1978 engagierte sich Foucault mit Bernard Kouchner für die Unterstüt zung der Boat people und saß bei der Pressekonferenz im Hotel Lutetia abermals mit Sartre auf dem Podium. Bei einer erneuten Pressekonferenz »gegen die Piraterie« in Genf verlas er eine Erklärung, die seinen radikalen Überzeugungswechsel zur Universalität der Menschenrechte dokumen tiert: »Es gibt eine internationale Bürgerschaft, die ihre Rechte und Pflich ten hat und sich dafür einsetzt, jedem Machtmißbrauch entgegenzutreten, von wem er auch ausgehen mag und welches auch seine Opfer sein mö gen.« ^ Foucaults tätiger Humanismus führte ihn zu einer faktischen Aus söhnung mit Sartres Verständnis des intellektuellen Engagements. Dies
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wurde abermals deutlich, als er mit Simone Signoret und Bernard Kouch ner nach Polen reiste, um dort den Untergrundkampf von Solidarnosc zu unterstützen, zu einer Zeit, als selbst das Wort »Solidarität« verfemt war.
Die Antwort des Philosophen an den Psychoanalytiker Foucault lag immer daran, aus den Anforderungen der Zeit heraus Praxis und Theorie miteinander zu verbinden, und so kam er nicht umhin, seine philosophische Position auf sein neues praktisches Engagement einzurich ten. Im Zuge der 68er-Bewegung hatte er bereits den Blickwinkel seiner Analyse von den Epistemen auf die diskursiven Praktiken verlagert. Dies mal fordert ihm das Zeitgeschehen ab, etwas zum Problem zu erheben, was er bis dahin umgangen und unterbewertet, ja aus seinem philosophischen Feld hatte verschwinden lassen: das Subjekt. Man ermißt also, welchen Weg Michel Foucault durchlaufen hat, der noch in den sechziger Jahren den drei Sozialwissenschaften Linguistik, Anthropologie und Psychoanalyse die große Aufgabe zuerkannt hatte, unser Mittelalter zu überwinden und uns in Auflösung ebendieses Subjekts in das neue strukturale Zeitalter der Philosophie des Begriffs eintreten zu lassen. Nun reintegriert er nicht nur das Subjekt in seine theoretische Arbeit, sondern schneidet auch ein Pro blem an, das ihn besonders beschäftigt: die Sexualität. Als Foucault 1976 mit dem Willen zum Wissen den ersten Band einer künftigen Geschichte der Sexualität, Sexualität und Wahrheit, veröffentlicht, beschreitet er ein weites Feld. Denn nicht allein das Subjekt kehrt hier wieder, sondern auch das Individuum Foucault in seinem tiefsten Innern. Sein Wille zum Wissen, der erneut das Material der Historie zum Ge genstand nimmt, richtet sich auf den Nachweis, daß man das Subjekt von seinem Begehren und von seiner sexuellen Identität entbinden kann, so daß belegt wäre, daß man nicht ist, was man begehrt: »Das Charakteristikum der Homosexualität ist gerade die Entschränkung von Subjekt und Begeh ren und der Aufbau einer Kultur der Freundschaft.« ^ Das Forschungsob jekt der Sexualität konfrontiert Foucault aufs neue mit dem Kontinent der Psychoanalyse, der ihn stets fasziniert, aber nie ganz eingenommen hat. Zählte in der Ordnung der Dinge die Psychoanalyse zu den drei Diszipli nen, auf denen die neue Episteme der Modernität beruhen sollte, so macht
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Foucault im Willen zum Wissen die psychoanalytische DiszipHn zum Ge genstand, allerdings um ihrem Vormachtanspruch entgegenzutreten. Er zieht eine historische Verbindungslinie vom Beichtstuhl zur Couch und mokiert sich über diejenigen, die ihre Ohren vermieten. Diesmal behandelt er die Psychoanalyse nicht mehr als potentielle Wissenschaft, sondern überschüttet sie mit Spott, als wollte er sich gegen sie verwahren. Mit seiner Geschichte der Sexualität verfolgt er zwei Vorhaben: Einerseits will er auf das reagieren, was sein Schüler Robert Castel den »Psychoanalysmus« nennt, der sich in den siebziger Jahren aller Wissensgebiete bemächtigt, und sich als Philosoph gegen diese Überflutung wenden; zum zweiten will er die abendländische Gesellschaft von ihrer Identifikation mit einem ge wissen Sexualismus befreien, den die Psychoanalyse aufrechterhält, und an seine Stelle eine Strategie setzen, welche die Homosexualität als den richti gen Ansatz für die Entstehung einer Kultur der Freundschaft geltend ma chen soll. Dieses doppelte Projekt impliziert eine Konfrontation mit Lacan, der mit seiner Theorie der vier Diskurse den deutlichsten Hegemonieanspruch stellt: »Man wird [...] nichts von Sexualität und Wahrheit begreifen, sofern man nicht anerkennt, daß es bei Foucault zwar keine Auslegung von Lacan, aber doch eine Auseinandersetzung mit Lacan gibt.« ^ Lacan wird zwar nie zitiert, doch schließlich war es Foucault, der 1969 die Existenz eines Psy choanalyse-Departements lacanscher Ausrichtung an der Universität Vincennes ermöglichte. Da Foucault mit der Sexualität auf dem privilegierten Feld der Psychoanalyse forscht, muß er ein rein philosophisches Pro gramm vorlegen, das nachweist, daß sich die Psychoanalyse auch auf dem von ihr selbst gewählten Gebiet umgehen läßt. Sein Verleger Pierre Nora bestätigt, daß es sich um eine Herausforderung Lacans handelte: »Ich er innere mich, daß er in meinem Büro mit dem Fuß aufstampfte: >Ich habe keine einzige Idee, lieber Pierre, mir fällt nichts ein. Ich komme zur Sexua lität, wo die Schlacht schon geschlagen ist, alles ist gesagt.< Eines schönen Tages bringt er mir das Manuskript und sagt: >Sie werden sehen, die ein zige Idee, die ich hatte, war, Lacan eins zu versetzen und genau das Gegen teil von dem zu behaupten, was man für gewöhnlich sagt.<«'^ Auch wenn man hier ganz den alten Foucault mit seiner durchgängigen Strategie wieder erkennt, von sich selbst abzurücken und an unerwarteter Stelle wieder auf zutauchen, um die Treue seiner Anhänger zu ermessen, geht es in dieser
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Auseinandersetzung offenbar um mehr als ein Katz-und-Maus-Spiel. Foucaults Beweggründe liegen, so scheint es, viel tiefer. Die Opposition zu Lacan, die nötig ist, um einen anderen Diskurs über die Sexualität als den analytischen zu befördern, entspricht sowohl einem existentiellen als auch einem institutionellen Spieleinsatz. Dabei hält Franqois Ewald Foucaults Verhältnis zu Lacan keineswegs für feindselig, und was Foucault zu Nora gesagt habe, sei eine der zahlreichen Spiegelfechte reien gewesen, mit denen er sich seiner Gesprächspartner entledigt habe, um nicht auf ihre Fragen antworten zu müssen: »Foucaults Verhältnis zu Lacan ist weniger polemisch, als man glaubt. Foucault ist sehr empfänglich für die Lacansche Askese, die er eher als der seinen ähnlich denn als alterna tiv ansieht.« ^ Laut Ewald hat es Foucault nicht auf Lacan abgesehen, son dern auf die allumfassende Sexualisierung, auf jene Obsession der siebziger Jahre, die das Individuum mit seiner Sexualität identifiziert. Er versucht, sich von der Psychoanalyse zu befreien und die von ihr aufgestellte Glei chung von Identität und Begehren zu problematisieren: »Er trifft sich so gar mit Lacan, was die Probleme der Ethik anbelangt, das heißt, er würde die Psychoanalyse in dem Maße hochachten, wie sie eine Ethik begründete. Gerade darum war es aber Lacan zu tun. Ebenso trifft er ihn in seinem Be mühen, die Psychoanalyse von der Medizin abzulösen.«*'
Die Bio-Macht Foucault überprüft die Repressionshypothese auf der Basis der diskursiven Sphäre, der er diesmal seine ganze Aufmerksamkeit widmet, um herauszu arbeiten, was sie historisch ausmacht. Er rückt also ab vom Begriff der Praktik und konzentriert sich ganz auf die Fülle des Sagens im Bereich der Sexualität: »Die Geschichte der Sexualität [...] muß in erster Linie vom Ge sichtspunkt einer Geschichte der Diskurse angegangen werden.« ^ Er tritt den Thesen entgegen, nach denen die Gesellschaft seit dem klassischen Zeitalter immer repressiver geworden sei, und zeigt, daß keineswegs eine fortschreitende Verknappung der Diskurse über den Sex erlebt wurde: Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts sei »die >Diskursivierung< des Sexes nicht einem Restriktionsprozeß, sondern im Gegenteil einem Mechanismus zu nehmenden Anreizes unterworfen gewesen« ^.
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Weit davon entfernt, die Sexualität zu unterdrücken, hat das Abendland sie nach Foucaults Auffassung ins Zentrum eines Dispositivs der Wahr heitsproduktion gestellt. Der Sex sei zum Knotenpunkt der Transparenz des Abendlandes geworden. Dieser Befund, der die Repressionshypothese umstülpt, ist nur möglich, wenn man sich »in einer allgemeinen Ökonomie der Diskurse über den Sex« ^ ansiedelt. Noch den Thesen aus Überwachen und Strafen nahe, setzt Foucault seine Analyse der Einschreibeweisen der Macht auf den Körper fort in einer Analytik der »Bio-Macht«, beginnt aber gleichzeitig eine Geschichte der Subjektivität, die von den Termini »Gesetz« und »Macht« abrückt und eine noch zu vollziehende Wende an kündigt. Die »Bio-Macht« als kohärente politische Technologie erschien im 17. Jahrhundert: »Foucault vergleicht den Einzug der neuen Modalität po litischer Rationalität mit der galileischen Wende in der Physik.« ^° Diese »Bio-Macht« konstituiert sich um zwei Pole: die politische Verwaltung der menschlichen Spezies anhand nicht mehr juridischer, sondern neuer, wis senschaftlicher Kategorien und die Herstellung von Körpertechnologien, Disziplinarpraktiken, deren vornehmliches Objekt zur Gestaltung fügsa mer Körper die Sexualität sein wird: »Sex wurde zur Konstruktion, vermit tels derer die Macht die Lebenskraft der Körper mit jener der Art verband. Sexualität und die ihr verHehene Bedeutung wurden zum entscheidenden Medium, durch das sich die Bio-Macht verbreitete.« " Foucaults erste Zielscheibe ist die Psychoanalyse, insofern sie den Beichtstuhl ablöst und den Sünder nun auf die Couch zitiert. Sie sei der raf finierteste Ausdruck einer Macht, die ihre Funktion verändert habe. Wäh rend sie im Zeitalter der Monarchie darin bestand, in den Tod zu stoßen (Lettres de cachet, Zepter, Martern) und leben zu lassen, hat die bürgerHche Moderne der Macht eine neue Funktion gegeben: leben zu machen und sterben zu lassen; sie muß »das Leben in ihre Regie« ^^ nehmen. Statt die Se xualität zu verbergen, schreibt das Bürgertum sie auf seine Fahnen; sie ist ihm in der Behauptung seiner Machtberechtigung das symbolische Äquiva lent zum aristokratischen Blut. Ein ganzer Diskurs über den Sex wird zum privilegierten Gegenstand einer Macht, die es übernimmt, ihn im Namen der Geburtenbeschränkung, der Kontrolle der Sexualität der Kinder und Heranwachsenden, der Psychiatrisierung der perversen Lüste zu verwalten. In der Vergesellschaftung des Fortpflanzungsverhaltens äußert sich eine verbesserte Kontrolle und vermehrte Herrschaft über die Bevölkerung.
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Eine ganze Bio-Macht etabliert sich demnach, mit der sich die Gesell schaft durchrastem läßt: Sie »entwischt der juridischen Repräsentation der Macht und dringt unter dem Schutz des Gesetzes vor« ^^. Auf der Suche nach Auswegen aus dem Strukturalismus entwirft Foucault ein Programm, dessen erster Titel, Der Wille zum Wissen, ausdrücklich auf Nietzsche ver weist und für das er auf dem Buchrücken fünf weitere Bände ankündigt. ^'^ In einem entschieden nominalistischen Verfahren rückt Foucault von der Untersuchung der Praktiken oder von einer institutionellen Betrachtung der Macht ab. Auch ist es ihm nicht darum zu tun, die historische Soziolo gie eines Verbots zu verfassen, sondern vielmehr »die politische Geschichte einer >Wahrheits<-Produktion« ^^. Die Macht, die er bereits in Überwachen und Strafen pluralisiert hatte, wird nicht mehr als Einsperrungsmaschine, als Ort einer Repressionsstrategie gesehen, sondern im Gegenteil als im pulsgebender Pol einer »Wahrheits«-Produktion, deren Verbotsseite nur der Ausdruck ihrer Grenzen sei. Foucaults Wende, mit der er sich von einer rein negativen Machtauffassung löst, hängt mit einem neuen Verhältnis zum Politischen zusammen, das in diesen Zeiten schwindender Revolu tionsaussichten entsteht. Es handelt sich noch nicht um eine Versöhnung mit der Macht, aber um deren Vermeidung, um die Suche nach einem Weg außerhalb des Gesetzes, außerhalb der verallgemeinerten Geständnispra xis. Das Buch wird ein großer Publikumserfolg: Allein im Erscheinungsjahr 1976 ist zusätzlich zu den 22 000 Exemplaren der Startauflage eine ebenso hohe zweite Auflage fällig ^^, 1989 erreicht das Buch annähernd 100000 Exemplare und steht damit in etwa der Ordnung der Dinge gleich. Die Presse ist ihm insgesamt gewogen, aber in den Foucault nahestehenden Mi lieus, für die der Kampf gegen die sexuelle Repression von entscheidender Bedeutung ist, fällt die Aufnahme zurückhaltender aus. Foucault wollte überraschen, und das ist besser gelungen, als er selbst erwartet hatte. Freilich stößt er. auf verständliche Kritik von selten der Frauen, die mitten im Emanzipationskampf stehen, und der Psychoanalyti ker, welche die Wissenschaftlichkeit ihrer Disziplin verteidigen, der Fou cault nur die regionale und umstandsbedingte Rolle einer Fortsetzung der christlichen Pastoral beimessen will. Dagegen künden die Arbeiten der Hi storiker, die um diese Zeit die Mentalitäten und das Verhalten zu Tod, Sex und Eigentum erforschen, sämtlich vom Fortbestand der Repressionsdis-
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positive. Jean-Paul Aron und Roger Kempf holen jedenfalls mit dem Sittli chen Verfall. Bourgeoisie und Sexualität in Frankreich zum Gegenschlag aus. Im Unterschied zu Foucault sehen sie die Werte, in deren Namen das Bürgertum die Macht erobert hat, vom alten aristokratischen Modell der Geburt und der Ehre durchdrungen, und so trete die bürgerliche Klasse für eine strenge Unterdrückung ein: »Ihre Ehre werden die Moral und die Tu gend sein.« ^'^ Das Bürgertum leistet nach Auffassung der Autoren die dop pelte Akkumulation des Kapitals und des Spermas, dessen Vergeudung es zu verhindern gelte — daher die Obsession von den verheerenden Folgen der Onanie, daher die übersteigerte Medikalisierung der Sexualität. Diese Kluft zwischen der historischen Betrachtungsweise und Foucaults These ergibt sich schon aus den Postulaten des genealogischen Verfahrens, das sich ganz auf die diskursive Ebene beschränkt. Außer diesem unmögli chen Dialog und den feindseligen Reaktionen ist zudem ein Bändchen von Jean Baudrillard zu erwähnen. Er gedenkt in der Negierung des Referenten noch weiter zu gehen und behauptet, daß der Sex wie der Mensch wie das Gesellschaftliche nur eine Zeit hätten, und die sei im Schwinden begriffen: Foucaults gewiß bewunderungswürdige Schilderung sei also die einer Welt und einer Epoche, die dem Ende entgegengehe. Allein schon der von Bau drillard gewählte Titel ist eine Provokation, möchte er doch Foucault ver gessen^^ machen. Foucaults Lächeln erstarrt: »Mein Problem wäre es wohl eher, mich Baudrillards zu erinnern.« ^^ Die sich mehrende Kritik und die verlegenen Einwände seiner Freunde gegen seine Thesen zur Sexualität verunsichern Foucault so sehr, daß er das gesamte fertig auf seinem Schreibtisch liegende Arbeitsprogramm fallenläßt und den zweiten Band erst 1984 veröffentlicht, also nach sieben Jahren Schweigen, und das auf völlig neuer Grundlage: »Foucault macht die bittere Erfahrung, falsch ge lesen, falsch verstanden worden zu sein. Und vielleicht auch nicht oder zu wenig geliebt zu werden. >Wissen Sie, warum man schreibt ?< hatte er ein stens Francine Pariente gefragt, als sie seine Assistentin in Clermond-Ferrand war. >Um geliebt zu werden.<«^° Michel Foucault erlebt eine persönliche Krise, die ihn dem zutreibt, was ihn im Tiefsten bewegt: einer Beschäftigung, die nicht mehr auf die Kon frontation von Sexualität und Macht, sondern auf die von Sexualität und Ethik abhebt. Die Krise nötigt ihn, sich verstärkt der Errichtung einer hi storischen Ontologie des Subjekts in seinen Beziehungen zur Moral zuzu-
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wenden, um auf die Fragen, die er sich selbst als Individuum stellt — Fragen von Michel Foucault an Michel Foucault —, die von seiner historischen Er kundung erhoffte Antwort zu finden.
Die Herrschaft über sich Indem Foucault sein ursprüngliches Arbeitsprogramm nach und nach fal lenläßt, deutet er eine Änderung seiner Blickrichtung an. Er gibt die Per spektive der Bio-Macht, mithin die des Subjekts als den verschiedenen Machtmodalitäten unterworfenes auf und ersetzt sie durch eine Problematisierung des Subjekts selbst, zunächst (seit 1978) innerhalb eines Denkens der Herrschaft als solcher, danach in einer Reflexion der Herrschaft über sich. Er akzentuiert also den Rückgang auf das Subjekt, von dem seine Faszi nation für Japan zeugt, das er 1978 mit Daniel Defert bereist hat — ähnlich derjenigen, die Barthes empfunden haben muß. Bei einem Aufenthalt in ei nem Zen-Kloster widmet sich Foucault »mit großer Spannung, mit großer Intensität« ^^ den spirituellen Übungen. Wie Barthes locken ihn eine Kultur und eine Religion, die das Signifikat, die Identifikation mit einem Inhalt ausblenden, um dem Signifikanten freien Lauf zu lassen und dem Handeln den Vorrang vor dem Sein zu geben. Die Titel seiner Lehrveranstaltungen am College de France lassen erken nen, welche radikale Kehrtwendung Foucault vollzieht, auch wenn sie bis 1984 durch keine Veröffentlichung abgestützt wird. Das Studienjahr 1980/81 ist dem Thema »Subjektivität und Wahrheit« gewidmet, das dar auffolgende der »Hermeneutik des Subjekts«, und 1982/83 lehrt er über »Die Herrschaft über sich und die anderen«. Diese Rückkehr zu sich selbst scheint aus einer doppelten Bewegung zu rühren: aus Foucaults neuer Beziehung zum Politischen, aber auch aus einem persönlichen Notstand, denn er wußte sich schwer getroffen und verurteilt von seiner Krankheit. Wie Paul Veyne sagt, der Foucault in den letzten Jahren sehr nahestand und ihn bei seiner Erkundung der griechisch-römischen Welt anleitete, »wußte er sehr früh, welche Krank heit er hatte und daß diese Krankheit absolut ausweglos war [...]. Seine letz ten Bücher zur Ethik waren Bücher der spirituellen Übung im christHchen
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oder stoischen Sinne des Wortes.« ^^ An Aids erkrankt, verbarg Foucault dies seinen Freunden und sogar sich selbst: Im November 1983 notierte er laut Paul Veyne in seinem intimen Tagebuch, daß er von seiner Aidserkran kung wußte, seine Hysterie erlaube ihm aber, es zu vergessen. Foucault äußert sich bei Erscheinen des zweiten Bandes von Sexualität und Wahrheit ausführlich zu den Gründen seines Schweigens und antwor tet gleichzeitig auf die Kritik, die beim Erscheinen des Willens zum Wissen laut wurde. Freilich legt er sein Vorgehen nur offen, um dessen tiefste Be weggründe besser zu verbergen — was seiner intellektuellen Relevanz kei nen Abbruch tut. Seine Erklärung sagt nur die Hälfte, wenn er seine letzten Veröffentlichungen mit dem verbindet, was sein ganzes Werk durchzieht: ein tastendes Forschen nach der Geschichte der Wahrheit. Er glaubt nun, daß sein im Willen zum Wissen geäußertes Vorhaben, das heißt die Unter suchung der Bio-Macht im Zeitraum vom 16. bis 19. Jahrhundert, auf eine Aporie gestoßen ist und keine Antwort auf das Wesentliche erlaubt: »Ich merkte, daß das nicht funktionierte; es blieb ein wichtiges Problem übrig: Weshalb hatten wir aus der Sexualität eine moralische Erfahrung ge macht?« ^^ Diese Frage erfordert einen Umweg, auf dem die vorchristlichen Wurzeln einer als moralische Erfahrung gelebten Sexualität erhellt werden müssen. Die Perspektive verkehrt sich und schafft die Möglichkeit, »sich von sich selber zu lösen« ■^^, Die Problematisierung der Herrschaft über die anderen wendet sich zur Problematisierung der Herrschaft über sich selbst; Foucault analysiert die Verfahren, mit denen sich das Subjekt als solches konstituiert. Nicht anders als im Willen zum Wissen lehnt er es in seinen beiden letzten Werken frei lich ab, über die Materie der Praktiken und historischen Vorstellungen, der Vorschriftencodes und der Verbote Rechenschaft abzulegen: »Meine Ab sicht war nicht, eine Geschichte der sexuellen Verhalten und Praktiken [...] zu rekonstruieren.« ^^ Deshalb hält Foucault die Kritiken der Historiker einmal mehr für unbe gründet, da sie an seinem Projekt vorbeizielten, eine Hermeneutik des Be gehrens zu errichten, »eine Geschichte des Denkens — im Gegensatz zur Geschichte der Verhaltensweisen oder Vorstellungen« ^^. Denen, die ihm den Fortbestand und die anhaltende Wirksamkeit der repressiven Codes entgegenhalten, erklärt er seine Gründe, »statt einer von den Verboten aus gehenden Geschichte der Moralsysteme eine von den Selbstpraktiken aus-
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gehende Geschichte der ethischen Problematisierungen zu schreiben« ^^. Und genau diese Perspektive der Problematisierung bezeugt für ihn die Kohärenz seines gesamten Werkes — von der Arbeit über den Wahnsinn bis zu der über die Ethik.
Die Selbstethik Neu ist allerdings das Objekt dieser Problematisierung: das Subjekt in sei ner Beziehung zur Ethik. Auf diesem klassischen Gebiet der Philosophie kehrt Foucault abermals die Blickrichtung um, indem er die Moral von der Ethik sondert. Nicht mehr bei den von außen aufgezwungenen Vorschrif tensystemen der Moral, bei denen ein begehrendes Subjekt gegen einen re pressiven Code steht, setzt er an, sondern er versucht, vermittels der Pro blematisierung seiner eigenen Existenz in einer Selbstethik und -ästhetik zu erfassen, auf welche Weisen das Subjekt produziert wird. Foucault vertei digt gleichwohl keine substantielle oder universelle Auffassung vom Sub jekt, sondern rekonstruiert es in der Einmaligkeit seiner Erfahrung, welche »die Problematisierung selbst ist. Sie betrifft die Tatsache, aus einer leben digen Materie, der Materie der Bedürfnisse und Begehren heraus Formen zu erschaffen, durch die diese Materie gelebt, gedacht und selbstverständ lich beherrscht — was aber nicht mehr heißt: unterdrückt — werden kann.« ^^ Nachdem Foucault bereits die überlieferte Auffassung der Macht als Ort der Kontrolle und Repression umgekehrt und gezeigt hat, inwiefern sie in Wirklichkeit ein Ort der Produktion war, entkoppelt er nun auf die gleiche Weise die Kunst des Selbst von jedem System moralischer Gesetzgebung. Da er eine relative Unabhängigkeit dieser beiden Ebenen postuliert, darf man nicht mehr hoffen, ethische Fragen durch Aufbegehren gegen die Codes der Moral und durch Aufhebung der von ihr erlassenen Verbote zu lösen. So besteht durchaus eine gewisse Kontinuität zum ursprünglichen Forschungsvorhaben, das Foucault übrigens 1984 selbst beschrieben hat: »Meine Absicht war es [...], eine Geschichte der verschiedenen Verfahren zu entwerfen, durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden.« ^^ Folglich hat Foucault die Macht nur deshalb zum Gegenstand genommen, um die Praktiken der Subjektkonstitution besser zu begreifen.
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So wie er ein Philosoph der Gegenwart, der Aktualität sein wollte, aus der er die Gegenstände seiner Problemstellungen schöpfte, beansprucht Fou cault in den achtziger Jahren — auf freilich immer noch verhüllte Weise — ein autobiographisches Verhältnis zu den Fragen, die er sich stellt: »Wann immer ich eine theoretische Arbeit unternommen habe, ging sie von Ele menten meiner eigenen Erfahrung aus.« ^° Aus der subjektiven Wahrnehmung der Krise, der Verwerfungen des Systems heraus muß der Philosoph sich situieren und einschalten. Dabei handelt es sich keineswegs um einen Rückzug auf sich selbst, wie Pierre Macherey zeigt ^\ sondern darum, die Möglichkeitsbedingungen der Aus übung der Freiheit innerhalb einer Struktur zu denken. Denken heißt also, sich an die Schwellen, die Grenzverläufe der Denksysteme zu begeben, um deren Linien zu verrücken. Dies führt uns zurück zu der persönlichen Tra gödie, die Foucault in den Verheerungen erlebte, die die Arbeit des Todes an seinem eigenen Körper anrichtete: »Im Gehrauch der Lüste habe ich zu zeigen versucht, daß es eine zunehmende Spannung zwischen Lust und Gesundheit gibt.«^^ Foucaults Äußerungen verraten den autobiographi schen Horizont, der hier den Umweg über die philosophische Problematisierung nimmt und damit eine Arbeit von sich über sich erlaubt, eine Reak tion auf die Krankheit, die ihn betrifft, aber zugleich die Marginalität, in der die Homosexualität gehalten wird, auf unerträgliche Weise wiederholt, wenn Foucault sich für eine »postkonventionelle Moral« ^^ ausspricht. Nach ihren Fundamenten forschte er außerhalb der Gebote der christlichen Pastoral, in der Ethik der antiken Welt, die er als Ästhetik der Existenz auf faßte und damit als Lektion darin, wie die Menschen »aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen« ^^.
Die aphrodisia Foucault, der sich bislang vornehmlich in einer Welt der Archive bewegt hat, in der er die großen kanonischen Texte der Geschichte des Denkens gern beiseite ließ und Schriften bevorzugte, die, wie Benthams Panopticon, mit einer sozialen Praxis zusammenhängen, beschäftigt sich auf dieser Reise in die Antike mit den großen Autoren, deren Texte diesmal sein Ar chiv bilden. Hier zeigt sich mithin eine Verschiebung: der Verzicht auf die
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Erfassung der Episteme einer Epoche anhand eines mittleren Archivs und zweifellos auch der Wunsch, mit den bekanntesten Philosophen des Alter tums Zwiesprache zu halten. Foucault nimmt die Sicht eines heidnischen, dionysischen Altertums ohne Glauben, Gesetz und Tabus von ihrer Kehrseite. Er beleuchtet statt dessen eine griechisch-römische Antike, in der die Ausübung der Sexualität in eine oftmals sehr rigide Askese eingelassen ist, die in gewissem Sinn die Grundlage der christlichen Askese bildet. Gleichwohl läßt sich hier kein kontinuierlicher Zusammenhang herstellen, da die jeweils anzutreffenden Themen nicht dieselbe Wertigkeit haben. Während der christliche Vor schriftenkodex Anspruch auf universelle Gültigkeit erhebt, stellt sich die antike Moral nicht als ein zu verallgemeinernder Kodex dar, nicht einmal innerhalb der eigenen Gesellschaft. Für die Griechen besteht der Hauptge gensatz in den aphrodtsia zwischen den aktiven Akteuren und den passiven Akteuren, das heißt den Frauen, Knaben und Sklaven. Homosexualität wird hier nicht unterdrückt, wenn man in den Beziehungen zum anderen aktiv ist. Diese Aufteilung begründet die Ethik einer auf der Männlichkeit fußen den Gesellschaft. Das tugendhafte Verhalten im Gebrauch der Lüste ist le diglich einer Kaste, der der freien Männer zugedacht. Es impliziert eine Be herrschung des Körpers, der Triebe. Die Unterteilung verläuft weit eher zwischen der Mäßigung und der Ausschweifung, zwischen der hybris (der »Maßlosigkeit«) und der dike (dem »Gleichgewicht«) als zwischen der ei nen oder anderen Art von Sexualität. Neben der Selbstbeherrschung ist »die Mäßigkeit [...] im vollen Sinn eine Mannestugend« ^^. Seine Lüste zu tilgen bildet ein Mittel, sich als freier Mann zu konstituieren und es zu blei ben, heißt vermeiden, ihr Sklave zu werden. Im alten Griechenland bindet die Heirat die beiden Ehegatten nicht in eine sexuell monogame Beziehung ein. Die Reflexion über die Ehe ist verbunden mit einer Reflexion über das Hauswesen, den oikos. Man findet bei Xenophon die beiden sich ergänzen den Rollen des Mannes, der draußen arbeitet, und der Frau, deren Raum sich innerhalb des Hauswesens entfaltet. Die dem Ehemann empfohlene Treue rührt nicht aus der Forderung einer monogamen Beziehung. Was im Sinne des neuzeitlichen Moralkodexes häufig als Zeichen der Ausschwei fung erscheint, die Liebe zu den Knaben, ist im Gegenteil der zentrale Gegenstand der Reflexion über die aphrodtsia. Im Gegensatz zur landläufi-
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gen Sicht »haben sie [die Griechen] ihr gegenüber die strengsten Forderun gen gestellt« ^^. Die sexuelle Betätigung steht also im Zentrum einer wahren »Ästhetik der Existenz«, die allerdings einer privilegierten Minderheit der Bevölkerung, den freien männlichen Erwachsenen, vorbehalten bleibt. Diese den Selbstbezug privilegierende Sichtweise hat indes Pierre Hadot kritisiert.^'' Er greift den von Foucault als Belegstelle angegebenen Brief XXIII von Seneca auf, in dem es um die Freude geht, die man an sich selbst findet, und zwar »im besseren Teil seiner selbst«-^^, bezieht aber diese Freude nicht auf eine bloß den Individuationsprozeß betreffende Harmo nie, sondern auf eine Spannung des Selbst zur Transzendenz hin, hin zur Überschreitung seiner Einzelheit. Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Ganzen bleibt für die Stoiker und die Platoniker das Wesentliche, so daß der Sinn jener Übungen der Selbstbeherrschung in der Teilhabe am kosmi schen Ganzen liegt. Mit der Beschreibung, die Foucault von den Selbst praktiken gibt, jenen Praktiken, in denen sich das Subjekt allem ihm Äu ßerlichen entreißt, um Herr seiner selbst zu werden, ist Pierre Hadot einverstanden, denkt aber, »daß diese Bewegung der Verinnerlichung un trennbar solidarisch ist mit einer anderen Bewegung, bei der man sich auf eine höhere psychische Stufe erhebt, auf der man einen anderen Typus von Veräußerlichung wiederfindet« ^^. Die Althistorikerin Maria Daraki ist der Ansicht, daß Foucault zwei ver schiedene Modelle miteinander vermengt: das des Bürgers, der Herrschaft über sich erlangen muß, weil er durch die isonomische Gesellschaft, durch seine Beteiligung an den Hoplitenformationen zur Verteidigung der Polis gefordert ist, und das der zweiten Figur der griechischen Antike, des Rei nen, des Entsagenden, des »göttHchen« Menschen: »Er hält das Recht des Maßvollen zum Gebrauch der Lüste fest und fügt dem die Überlegenheit hinzu, die allein der Enthaltsame genießt.« ^^° Mit der Anwendung der seriellen Methode, wie er sie selbst in der Ar chäologie des Wissens theoretisch entworfen hätte, neige Foucault dazu, so Maria Daraki, das antike Griechenland nur aus dem BHckwinkel des Homo sexualis zu entziffern: Er bewerte diese Dimension über und mache sie zum Schlüssel für das Verständnis dieser Epoche, während das, was unter halb der sexuellen Verhaltensweisen im Spiel sei, grundlegend an das Reli giöse und Politische gebunden bleibe. Diese Überbewertung trete vor allem dann zutage, wenn Foucault die Gründe für die Unruhe der hellenistischen
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Epoche, die zu einer Selbstbezüglichkeit führte, in einer Pathologisierung der Sexualität sehe. Maria Daraki konstatiert in den Texten das Gegenteil. Es sei dies umgekehrt eine der seltenen Befreiungen, die der Zusammen bruch der zivilen Welt gestiftet habe.
Eine Stilistik des Selbst Mit dem dritten Band von Sexualität und Wahrheit, Die Sorge um sich, be gibt sich Foucault ins 2. Jahrhundert n. Chr. Er entdeckt hier eine offensicht liche Wende der ethischen Reflexion zu einer Verstärkung der Kodizes, die mit einer Krise der Subjektivierung in der römischen Welt zusammenhängt. Die Herausbildung zum Subjekt findet sich nicht mehr in die Zwecke der Gemeinschaft eingebettet wie im 4. Jahrhundert v. Chr. Vielmehr wird, wie der Titel anzeigt, die Sorge um sich, die Selbstbeherrschung zum Zweck an sich. Das Subjekt konstituiert sich nun vollends als solches, und man erlebt eine »intensivere Problematisierung der aphrodisia«^^, die sich in einer ge steigerten Verfeinerung der Prozeduren äußert, durch die das Subjekt sich selbst in Besitz nimmt — all dies vor dem Hintergrund wachsenden Arg wohns gegenüber den mit dem Gebrauch der Lüste verbundenen Gefahren. Die Heirat wird aufgewertet und geht nun mit strengeren ehelichen Ver pflichtungen einher. Diese striktere Ethik entfließt indes keiner Verstär kung des Moralkodexes, sondern der zunehmenden Aufmerksamkeit für sich selbst, die gleichwohl nicht in die Vereinzelung führt. Die Sorge um sich ist den vergemeinschaftlichenden Praktiken gegenüber aufgeschlossen. Diese Ethik wendet sich an die gesamte führende Klasse Roms, die ein um fangreiches Ritual körperlicher und geistiger Askese zu befolgen hat. Sie muß eine strenge Diät einhalten, körperlicher Ertüchtigung nachgehen und bestimmte Zeiten der Meditation, der Lektüre, dem Memorieren des Ge lernten widmen: »Sich um sich kümmern ist keine Sinekure.«'*^ Foucault bemüht sich, über den Anschein, der Anlaß zu voreiligen Vergleichen mit den christlichen Praktiken geben könnte, hinauszugehen und die Einzigar tigkeit der römischen Welt zu ergründen. Wenn er auf die Praktik der Ge wissensprüfung zu sprechen kommt, ist er darauf bedacht, sie nicht mit der Absicht gleichzusetzen, dem Subjekt Schuldgefühle einzujagen, sondern bezieht sie auf die Suche nach Weisheit.
Michel Foucault: von der Bio-Macht zur Selbstästhetik
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In der Sorge um sich setzt Foucault die immer bangere Problematisierung des Selbst in eine engere Beziehung zu dem Umschwung, den das Rö mische Reich politisch wie sozial vollzieht. Der Niedergang der zunächst von den hellenistischen Monarchien, dann vom Römischen Reich ersetzten Stadtstaaten hat das lokale Leben nicht ausgelöscht. Allerdings gestalten sich die Bedingungen der Machtausübung komplexer, und die Administra tion ist infolge der riesigen Dimension des Reiches allgegenwärtig gewor den. Die zugeteilten Ämter verleihen zwar eine gewisse Macht, aber nach Ermessen des Fürsten, denn sie sind widerruflich. In diesem neuen politi schen Spiel wird die Situation der führenden Klasse prekärer. Der Spiel raum zwischen der realen Machtausübung und ihrer Rolle als Transmis sionsriemen einer von anderswoher betriebenen Verwaltungsmaschine ist schwer zu bestimmen: »[...] die Konstitution seiner selbst als ethisches Subjekt seiner eigenen Handlungen wird problematischer.«"^^ Das Herr schen über die anderen verläuft deshalb über die Selbstbeherrschung, wie Plutarch erklärt. Die Anfälligkeit der Machtpositionen führt zu einer Destabilisierung des Selbst, die eine Verstärkung des asketischen Kodexes er heischt. Die neue Stilistik der Existenz äußert sich vornehmlich in einer Doktrin des sexuellen Monopols innerhalb der Ehegemeinschaft, und die sexuellen Beziehungen werden ausschließlich dem Zweck des Fortpflanzungsaktes im Rahmen einer rein ehelichen Ethik der Existenz unterstellt. In dieser Zeit des Umbruchs wird die Knabenliebe zwar faktisch fortgesetzt, verliert aber zugunsten der Ehebeziehung an Interesse: »[...] die päderastische Zu wendung [findet sich] abgewertet.« "^"^ Foucault sieht diese ethische Wende nicht als bloße Widerspiegelung der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, wie man sie oft aufge faßt hat, sondern innerhalb einer Darlegung der Sorge um sich, die dann neue Praktiken hervorbringt, wenn der Kontext problematisch wird: »Eher muß man wohl an eine Krise des Subjekts oder richtiger der Subjektivierung denken: an eine Schwierigkeit in der Art und Weise, wie das Indi viduum sich als moralisches Subjekt seiner Verhaltensweisen konstituieren kann, und an Anstrengungen, um in der Wendung auf sich das zu finden, was es ihm erlaubt, sich Regeln zu unterwerfen und seiner Existenz Ziele zu geben.« "^^ Man kann also das Verhältnis des Subjekts zu sich selbst und den anderen aus dem Inneren des Subjekts begreifen, das deshalb gerade
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kein Gefäß ihm äußerlicher Transformationen ist. Anhand dieser Autonomisierung, die das Verdienst hat, radikal mit der dünnen Widerspiegelungs theorie zu brechen, will Foucault vor allem zeigen, inwieweit jedes System, ob nun das der griechischen, der römischen oder einer anderen Gesell schaft, willkürlich ist. Sie zu beschreiben dient nicht der Nachzeichnung ih rer Geschichte, sondern als Prätext für das wahre Ziel, das dem ganzen Un ternehmen zugrunde liegt, nämlich das Subjekt von seinem Begehren zu entbinden, es zu befreien, und sich selbst zu befreien von jeder Form der Schuld auf diesem Gebiet, um zur Aussöhnung mit sich selbst zu gelangen. Die fortschreitende Pathologisierung der Sexualität, die vermehrte Schuldzuweisung, die durch die christliche Patristik vollendet wurde, die Angst, die sich der sexuellen Praktiken bemächtigt und in die Monogamie zurückfließt: dieser ganze Krisenkontext führt uns wieder zu dem, womit sich Foucault seit der Entdeckung seiner Homosexualität abmüht. Der Umweg über Griechenland und über Rom verweist also in weiten Teilen auf das Ungesagte des Individuums Foucault, auf seine verzweifelte und dringliche Suche nach einer Ethik, nach einer spirituellen Askese, die der nahenden Ablösung von seinem Körper Ausgleich zu bringen vermag, nach einer Befreiung von der todbringenden Schuld, die ihn bewohnt, und einer letzten Aussöhnung mit sich selbst. Wahrhaftig, das Subjekt ist wie dergekehrt.
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Daß Barthes, Todorov oder Foucault sich seit Mitte der siebziger Jahre zu einer Problematisierung des Subjekts hinentwickelt haben, kündet von ei ner Tiefenströmung, die die Sozialwissenschaften weit von den Ufern weg treibt, an denen sie ihre Wissenschaftlichkeit hofften verankern zu können: denen des Systems, der Struktur. Das Verdrängte, das Subjekt, um das man geglaubt hatte herumzukommen, ist sichtlich wiedergekehrt. Unter ver schiedenen Namen und als Träger ebenso verschiedener Methodologien beanspruchen die Individuen, die Handelnden, die Akteure die Aufmerk samkeit zu einem Zeitpunkt, an dem die Strukturen am theoretischen H o rizont verblassen. Die bemerkenswerteste Entwicklung macht die Soziologie durch, deren Entstehung in Frankreich zum Teil doch gerade als Reaktion auf die Philo sophie der Aufklärung zu verstehen ist. Nach Robert A. Nisbet ^ sind die wahren Ahnherren der Soziologie nicht Rousseau, Montesquieu oder Hobbes, sondern Burke, Maistre und Bonald, die gegen die individualisti sche Ideologie des Jahrhunderts der Aufklärung die erweiterten Strukturen von Gesellschaftlichkeit ins Feld geführt haben: die Dorfgemeinschaft und ihr hierarchisches System. Auguste Comte und £mile Durkheim erkannten den eigentlichen Ge genstand der Soziologie dort, wo sie über den Begriff des Individuums hin ausgeht, der in die Metaphysik und nicht in die Wissenschaft gehöre. Nach Comte dringt der positive Geist nur unter der Bedingung zum Wissen schaftlichen vor, daß man sich von vornherein auf die Ebene der von endo genen Gesetzen bewegten sozialen Realität begibt. Das Individuum gilt als das Hindernis schlechthin für die Herausbildung des positiven Geistes. Für Durkheim, der diese neue soziologische Wissenschaft in Frankreich be gründet hat, existiert das Individuum einzig als integrierender Bestandteil des Gemeinwesens. Und dieses gehorcht einer unabhängigen Wirklichkeit, die auf der individuellen Ebene nicht zu erfassen ist.
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Der methodologische Individualismus Gegen diese hoÜstische Ausrichtung, die konstitutiv für die Grundregeln der soziologischen Methode schien, definiert sich der methodologische In dividualismus, der zumal in Frankreich seit Mitte der siebziger Jahre von Raymond Boudon entwickelt wurde. Diese Strömung hat um so durch schlagenderen Erfolg, als sie auf radikaler Kritik an zwei im Niedergang stehenden holistischen Paradigmen basiert: Marxismus und Strukturalis mus. Die Konjunktur ist ihr also günstig, und Raymond Boudon holt die Soziologie der deutschen Ahnherren vom Anfang des Jahrhunderts wieder hervor. Seinem Dictionnaire critique de la sociologie stellt er ein Zitat von Max Weber voran. Die Soziologie, heißt es darin, könne nur aus den Hand lungen eines, mehrerer oder vieler Einzelindividuen hervorgehen. Deshalb sei es ihr aufgegeben, sich streng »individualistische« Methoden zu eigen zu machen.^ Der Ausdruck »Individualismus« ist hier nicht in seinem ethi schen Sinn zu verstehen, auch nicht in der gängigen Bedeutung von Auto nomie, die den Individuen in der Gesellschaft gewährt wird, sondern me thodologisch, als Gegensatz zum Holismus: »Um irgendeine soziale Erscheinung zu erklären, [.,.] ist es unerläßlich, die Motivationen der be troffenen Individuen zu rekonstruieren [...] und diese Erscheinung als das Ergebnis der Aggregation der von diesen Motivationen vorgegebenen indi viduellen Verhaltensweisen aufzufassen.« ^ Der zweite, durch Raymond Boudon in Frankreich eingeführte deut sche Ahnherr der Methode ist Georg Simmel, von dem Boudon 1982 bei PUF einen Band zur Soziologie und Erkenntnistheorie herausgegeben und 1985, ebenfalls bei PUF, Die Probleme der Geschichtsphilosophie übersetzt hat. Im Anschluß an die heftige Polemik, die seinerzeit zwischen Simmel und Durkheim entbrannt war, stellt Boudon nun die Positionen desjenigen vor, dessen Argumente nur über die Kritik bekannt waren, die die französi sche Soziologieschule gegen den wesentlich »psychologistischen« Ansatz vorgebracht hatte. Simmel hatte eine grundlegende Unterscheidung getrof fen zwischen der Interpretation der historischen Gegebenheiten, die dann zum Zuge kommt, wenn man die großen Tendenzen auseinanderlegt, und der Erklärung, die diese Gegebenheiten auf die individuellen Ursachen zu rückbezieht, welche aber in einem kontextuellen Rahmen stehen, der ledig lich partielle Schlußfolgerungen erlaubt und keine Verallgemeinerungen,
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die immer nur mißbräuchlich sein können. Simmel fordert also dazu auf, die individuellen Motivationen in Betracht zu ziehen: Für eine vollkom mene Erkenntnis müsse angenommen werden, daß es nur Individuen gibt. "^ Der methodologische Individualismus, wie ihn Simmel nahelegte, ver zichtet auf die Suche nach allgemeinen Gesetzen von universeller Bestim mung. Boudon wendet sich gegen jede essentialistische Perspektive, die den auf dem Individuum lastenden Zwängen oder Determinismen den Vorrang einräumt. Gegen sie macht er den umgekehrten Weg geltend, der bei allen Erklärungen sozialer Phänomene von der Untersuchung der individuellen Verhaltensweisen ausgeht. Doch eine solche Perspektivenverkehrung klärt nicht das Problem des unvermeidlichen Übergangs vom Einzelnen zum Verallgemeinerbaren, vom Individuellen zum Kollektiven. Der methodologische Individualismus übernimmt von Simmel den Ge danken, daß ein gesellschaftliches Phänomen nur als Wirkung der Aggrega tion individueller Interessen und Verhaltensweisen aufgefaßt werden kann. Deshalb kann sich der Soziologe nicht mit reinem Beschreiben begnügen, sondern muß auch »Idealtypen« konstruieren, die auf der Bildung eines Modells der möglichen und realisierbaren Aggregationen zwischen Indivi duen beruhen. Gerade in der Konstruktion seines Gegenstandes tritt der methodologische Individualismus »in einen radikalen Gegensatz zu einer strukturalen Inspiration« ^. Indem er sich an den individuellen Verhaltens weisen und Handlungen festmacht, befragt er die Wahlen der einzelnen, über die er Hypothesen formuliert, und setzt damit einen breiten Freiraum der sozialen Akteure bzw. Subjekte voraus. Die individuahstische Methode floriert vor allem in den USA während der siebziger und achtziger Jahre, im Zusammenhang mit dem Paradigma des H o m o oeconomicus. Mit ihrer Hilfe kann sich der Soziologe überdies mit dem Ökonomen identifizieren und wie er das rationale Handeln der gesellschaftlichen Akteure anhand von Idealt3φen formalisieren. Für Ray mond Boudon indes unterscheidet sich der methodologische Individualis mus dennoch von dieser Ausrichtung. Boudon macht sich Paretos Kritik zu eigen, der zufolge der Homo sociologicus als Überwindung des Homo oeconomicus anzusehen ist, ohne sich allerdings seiner Unterteilung in logi sche und unlogische Handlungen anzuschließen. Die Rekonstruktion der sozialen Praktiken soll durch die Analyse des Systems der Interaktion ^ ermögHcht werden. Diese Methode deutet mithin
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auf »eine Soziologie des Singulären« ^, welche die Logiken des Sozialen in nerhalb kontextueller Situationen untersucht und abstrakt-holistische Be griffe wie »Gesellschaft«, »Nation« und sogar »Klasse« ausschließt (letzte rer hat im Dictionnaire critique de la sociologie nicht einmal einen Eintrag). Der Erfolg dieses Paradigmas hängt auch mit der Entwicklung der Gesell schaft zusammen, die eine nie gekannte Krise der holistischen Identitäts muster erlebt und auf ihrer Schleuderbahn die einzelnen anbindungslos sich selbst überläßt. Ferner findet sich hier das neugewonnene Interesse für liberale Thesen am theoretischen Horizont einer Methode wieder, welche die »Überlegenheit der liberalen Ideologie« ^ postuliert.
Die Spiele des Ego Die Spiele des Ego haben das Spiel der Strukturen abgelöst. In allen Diszi plinen spürt man der persönlichen Einbindung, der Art und Weise der eige nen Impliziertheit in den Gegenstand der Untersuchung nach, die manch mal nichts anderes ist als das »Ich«, das die »(Selbst-)Bewegtheiten des Ich« ^ befragt. Auf den Spuren von Benveniste interessiert sich der strukturalistische Sprachwissenschaftler Philippe Lejeune für die Äußerung. Er de finiert den autobiographischen Pakt als Versprechen auf Durchschaubarkeit. Somit schlägt er den Weg der guten alten Ich-Erinnerung ein und arbeitet über die Autobiographie, die der anderen und die seine: »Man kann sich selbst nicht entkommen.« ^° Diese neue Übung der Rückkehr zu sich selbst hat sogar einer der her ausragenden Vertreter der strukturalistisch-marxistischen Anthropologie althusserscher Prägung unternommen: Emmanuel Terray^^ erhellt seinen beruflichen wie kämpferischen Einsatz aus der seit früher Kindheit ständig erlebten Begegnung mit der Figur des Verräters, verkörpert durch seinen Vater, der in Vichy hohe Verwaltungsfunktionen innehatte. Als elfjähriges Kind empfand er tiefes Unbehagen in dem Internat, in dem ihn seine Eltern 1946 untergebracht hatten. Dort schlug die patriotische Stimmung hohe Wellen: »Ich fühlte mich von diesem Enthusiasmus ausgeschlossen: daran teilzuhaben hätte geheißen, meinen Vater zu verleugnen.« ^^ In seinem ver läßlich skrupulösen Sinn für Redlichkeit zieht Terray eine notwendige Ver bindung zwischen der Art, wie er sein Leben als ein offenes und bedeu-
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tungsschweres Buch betrachtet hatte, und seiner Daseinsangst, die ihn in eine Vergangenheit zurückführte, die er nicht verleugnen konnte, was für ihn hieß, darauf zu »verzichten, mich in meiner Eigenart zu behaupten« ^^. Terray hat seinen — auch widersprüchlichen — Begeisterungen nie abge schworen: Sartre, Levi-Strauss, Althusser. Er, der sich mit der Figur des Verräters auseinandersetzen mußte, wurde nie zum Renegaten jener Sache, für die er gestritten hatte. In der Ethnologie suchte er den Kampf, den sein Vater nicht geführt hatte. Ihr widmete er sich hingebungsvoll und verband darin minutiöse Feldstudien mit theoretischen Auseinandersetzungen und streitbarem Kampf gegen den Kolonialismus. Er tritt heute nicht als Vor sänger des wiederkehrenden Optimismus der Aufklärung auf, weil »dieser in den Knochenhaufen von Auschwitz und unter den Ruinen von Hiro shima gestorben ist und jeder Versuch, ihn wiederzubeleben, nur Hohn und Beleidigung wäre« ^'*. Die autobiographische Erzählung schildert sei nen Lebensweg, durchwoben von einer zugleich persönlichen und kollekti ven Geschichte, an der die Triebfedern für den aufrechten Gang des Autors erkennbar werden. Dieser Rückgang auf sich wird zum kollektiven Phänomen, das der Hi storiker Nora an der eigenen Zunft erprobt hat. Er sieht in ihr 1985 sogar eine neue Gattung für ein neues Zeitalter des historischen Bewußtseins hervortre ten: die Geschichte in Ichform. Der Historiker steht nun voll für seine Situa tion als in die Gegenwart investiertes Subjekt ein und tritt nicht mehr hinter eine vorgeblich wissenschaftliche Neutralität zurück: »Die Offenlegung oder Analyse der existentiellen Einbezogenheit führt keineswegs von einer klaren Erforschung weg, sondern wird zum Instrument und Hebel des Ver ständnisses.« ^^ Auf den Annehmlichkeiten des Ich basiert auch ein von Nora ediertes Buch. Es versammelt die Geschichten in Ichform einiger Historiker, die hier eine bei anderen erprobte Methode auf sich selbst anwenden, um »das Band zwischen der Geschichte, die man gemacht hat, und der Ge schichte, die einen gemacht hat, zu erklären« ^^. Gleichwohl führt die Sorge um sich nicht in die »egoistoire«, in ein egoistisches Geschichtsbild also, son dern läßt die großen Topoi des historischen Bewußtseins einer Generation hervortreten. Diese Erzählungen öffnen sich auf und ranken sich um die Zu gehörigkeit zu einer Gelehrtengemeinschaft, zu einer bestimmten Art der Problematisierung der Zeit. An ihnen erweist sich die Eigenart der Antwor ten, die verschiedene Persönlichkeiten auf ähnliche Situationen geben.
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Der schöne Schein der Biographie Die Gattung der Biographie, die man in der Folge der Durkheimschule für alle Zeiten begraben wähnte, kehrt auch in der Soziologie wieder, nämlich von selten des Flügels, der aus dem Protestpotential der 68er erwächst. Es handelt sich um den »automatischen Effekt des Berufsanfangs einer Gene ration von Soziologen, die ihre Ausbildung ebensosehr der Erfahrung der Militanz wie der Universitätslehre verdankte« ^^. Diese Neuankömmlinge betreten ab der zweiten Hälfte der siebziger Jahre das Feld der Soziologie. Das Zusammentreffen zweier Faktoren — der Verwandlung des politischen Gauchismus in einen Gauchismus der Gegenkultur und der Ernüchterung infolge der Wirkungslosigkeit des strukturalistisch-marxistischen Modells — führt in die Gefilde des Gelebten, der »wahren Geschichten«, der »hiesi gen Menschen«. Man legt, wie dies in den siebziger Jahren in der Liberation hieß, seine Eingeweide auf den Tisch. Immer mehr Reihen erscheinen, in denen einzelne Stimmen zu Wort kommen: »Temoigner«, »Temoignages«, »Temoins«, »Elles-memes«, »En direct« usw. »Ich gehöre zu den Soziolo gen, die auf der Grundlage von Lebensberichten arbeiten, das heißt, die ge wöhnlichen Leuten dabei zuhören, wie sie — natürlich auf ihre Weise — die Geschichte ihres Lebens erzählen.« ^^ Auch die Historiker huldigen wieder dem schönen Schein der Biogra phie. Diese war zwar aus bestimmten traditionellen historischen Darstel lungen nie ganz verschwunden, die sich damit ein breites Publikum bewah ren konnten, aber in den achtziger Jahren — und dieses Phänomen ist schon erstaunlicher — macht sie sich ausgerechnet in der AnnalesSchxAQ geltend, die den Tod dieses geschichtlichen Genres theoretisch begründet und be siegelt hatte. Man sieht also mit gewisser Verwunderung, daß einer der her ausragenden Vertreter dieser Schule, Emmanuel Le Roy Ladurie, der Hi storiker der »stillstehenden Geschichte«, in seiner 1987 bei Hachette erschienenen Histoire de France die Könige Revue passieren läßt, die das Haus Frankreich aufgebaut haben. Der biographische Psychologismus ge winnt die Oberhand, so daß Le Roy Ladurie nunmehr die »Herzenstiefen« Heinrichs IL ^^ ergründen und über die gutbeleumdeten Helden der Nation eine insgesamt positive Bilanz vorlegen kann. Marc Ferro, ebenfalls im Herausgeberkomitee der Zeitschrift Annales, veröffentlicht 1987 eine große Petain-Biographie. ^° Als einer der Getreuen von Braudel widmet er
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ihm dieses Buch, in dem gleichwohl keine von des Meisters Lehren Nieder schlag gefunden hat. Entlang der Dokumente, die das Gewebe seines Werks bilden, erwähnt der Autor jede pikante Einzelheit der Seelenzustände Marschall Petains und folgt damit dem Schema der traditionellen biographischen Geschichtsschreibung. Das gilt allerdings nicht für alle Bio graphien: So haben Georges Duby und Yves Sassier die ihren als wahre Röntgenaufnahmen der mittelalterlichen Welt angelegt. ^^ Es hat sich also ein beachtlicher Umbruch vollzogen: Ferro erinnert 1989 daran, das noch kurz zuvor ein großes internationales Kolloquium über die Revolution von 1905 stattfand, bei dem keiner der dreißig Teilneh mer über Nikolaus IL referierte. Ebenso hatte es zuvor ein Kolloquium über die Vichy-Regierung gegeben, ohne daß man auf Petain zu sprechen gekommen wäre: »Diese Kolloquien waren zum einen von der Sorbonne, zum anderen von der Fondation nationale des sciences politiques organi siert worden.« ^^ Die beiden Beispiele belegen, wie sehr die Biographie auch über die Grenzen der Annales-Schule hinaus als minderwertiges Genre ver schrien war. Durch die Durkheim-Tradition, deren Banner die Annales wieder hochhielten, galt die biographische Perspektive lange Zeit als un würdiges Betätigungsfeld für einen ernsthaften, wissenschaftlichen Histo riker. Marc Ferro macht sich indes heute zum Anwalt dieses Genres: »Diesen Teil der Geschichtsanalyse preiszugeben ist eine Bequemlichkeitslösung.« ^^ Auch bei den Ethnologen kehrt wieder Subjektivität ein. So hat Marc Auge mit La traversee du Luxembourg^'^ die Grundlagen für die neue Gat tung des Ethnoromans geschaffen. Darin wird die Perspektive umgekehrt: Der Ethnologe ist nicht mehr Subjekt des ethnologischen Blicks, sondern dessen Objekt in der Erzählung einer alltäglichen Erfahrung. Aufbauend auf der interaktionistischen Strömung, wie sie das Werk Erving Goffmans repräsentiert, entsteht in den sechziger Jahren in den USA eine weniger literarisch orientierte Forschungsrichtung, die in den achtzi ger Jahren in Frankreich bekannt wird: die Ethnomethodologie, deren Grundlagenwerk Harold Garfinkel verfaßt hat. ^^ Sie will analysieren, wie die sozialen Akteure eine soziale Situation herstellen. Im Kern dieses Para digmas steht somit das kommunikative Handeln zwischen den sozialen Akteuren. Der Begriff der sozialen Tatsache wird dynamisiert durch den unendlichen Prozeß, in dem die gesellschaftlich Handelnden ihre Verhal tensweisen einnehmen. Der Ethnosoziologe muß sich völlig auf diese so-
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zialen Praktiken einlassen, um deren Dynamik rekonstruieren zu können: »Das ist eine vollständige Umkehrung. Für die Ethnomethodologie gibt es nur Menschen, Akteure, die ihre Methoden täglich neu erfinden. Für sie ist dies die totale Subversion durch permanente Erfindung des Alltags.« ^^ Georges Lapassade, der in Paris-VIII lehrt, gehört zu den Verfechtern die ser neuen Forschungsrichtung, ^^
Die humanistische Geographie Selbst in der Geographie ist die Wiederkehr des Subjekts spürbar, in einem Randbereich zwar, der sich jedoch ausweitet und wiederum aus den USA, von der amerikanischen Westküste kommt. Das, was die Angelsachsen als humanistische Geographie bezeichnen, wird vor allem von einigen franko phonen Schweizern vertreten, die für die Erneuerung des geographischen Diskurses eine tatkräftige Rolle gespielt haben wie Claude Raffestin, Pro fessor an der Universität Genf, oder Jean-Bernard Racine, Professor an der Universität Lausanne. Sie gehen davon aus, daß der Geograph sich vor nehmlich mit dem Gebiet der menschlichen Vorstellungen beschäftigen muß. Das sehen sie als eigentlichen Gegenstand der geographischen Wis senschaften an, die sich von den Naturwissenschaften emanzipieren sollen, um den affektiven Phänomenen und den Werten, durch die die menschli chen Handlungen organisiert werden, besser gerecht zu werden. Nach Auffassung dieser Forscher hat die Geographie zu Unrecht in den sechziger Jahren die ökonomische Wissenschaft zum Hauptbezugspunkt erhoben und ihre Modellbildungen ganz auf den Homo oeonomicus ge gründet: »In dem Raum, den der Geograph erforscht, äußert sich nicht nur das Lebensprojekt aller Gesellschaften — bestehen, sich schützen, überle ben —, sondern äußern sich auch ihre Bestrebungen, ihre Glaubensvorstel lungen, das Innerste ihrer Kultur.« ^^ Im Unterschied zur Entwicklung der anderen Disziplinen, die sich von den semiologischen Überlegungen der strukturalistischen Phase abwen den, öffnet sich die Geographie als Nachzügler gerade einer solchen Refle xion und bezieht sich mit ihrer Neubewertung der Sphäre der Vorstellun gen auf Roland Barthes. Indem sie die semantische Aufladung ihrer Gegenstände erkennt, ist
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diese Geographie, die sich gern mit einem PaHmpsest vergleicht, »selbstver ständlich auch, nach dem Ausdruck von Jacques Ruffie, ein Semantid« ^^. Damit tut sich ein weites Feld der Auseinandersetzung mit dem Subjekt im Verhältnis zu seinem Raum auf, die Perspektive einer Geographie der For men und der Vorstellungen, verbunden mit einer Geographie der Bezie hungen in der gelebten Erfahrung. Claude Raffestin möchte der Geogra phie sogar eine Ontologie geben, um zu verhindern, daß sie weiter in die Zerstückelung abgleitet und zur Hilfswissenschaft verkommt. Er stellt Überlegungen hinsichtlich einer Theorie der »Geographizität« an, die ei nen Paradigmenwechsel vollziehen und den Raum neu bedenken muß, in dem sie die Verortung als Modus der menschlichen Existenz und ihrer Be stimmung ansetzt: »Doch man läuft Gefahr, in die gleichen Irrtümer zu verfallen, wenn man sich den Aufwand sparen will, eine Ontologie der Geographie aufzustellen.« -^°
Der soziale Akteur Bei der allseitigen Wiederkehr des Akteurs darf man denjenigen nicht un terschlagen, der gegen alle Mode auf dem Gebiet der Soziologie bahnbre chend wirkte: Alain Touraine. Er hatte den Mut, Thesen, die dem sozialen Akteur den größtmögHchen Stellenwert beilegten, zu einem Zeitpunkt auszusprechen, als der Strukturalismus in der Pariser Öffentlichkeit trium phierte und es zum guten Ton gehörte, diese Untersuchungsebene als irre levant und unwissenschaftlich zu betrachten. Schon Mitte der sechziger Jahre, im Brennpunkt der größten strukturalistischen Begeisterung, stellte er seine Fallstudien ^^ auf eine theoretische Grundlage, die den Gegenstand der Soziologie in Termini sozialen Handelns und gesellschaftlicher Bewe gungen definiert: »Die Fortschritte, die seit einem Jahrhundert gemacht worden sind, waren direkt an die Entdeckung des der Soziologie eigenen Gegenstandes gebunden.« ^^ Touraines Paradigma setzt bei den Wandlungen an, mit denen die Gesell schaft von einem industriellen in einen postindustriellen Zustand um schlägt. Dieses Umschlagen liegt dem Übergang von einem im wesentli chen ökonomischen Paradigma zu einem soziokulturellen Paradigma zugrunde, das den Sinn integriert, den die sozialen Akteure ihren Praktiken
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geben. Letztgenannte Ebene sei sogar der spezifisch eigene Gegenstand der Soziologie. Eine solche Analyse bezieht die Akteure in das Untersuchungs feld ein und bevorzugt die sozialen Dynamiken — im Unterschied zum Strukturalismus, der die Statik und die Phänomene der Reproduktion gel tend machte. Während der strukturale Ansatz dazu tendierte, die Relevanz der Ge schichte zu verneinen und den Transformationsprozessen nicht Rechnung tragen zu können, stellt Touraine die Historizität in den Mittelpunkt seiner Analysemethode, ohne jedoch wieder an einen teleologischen Geschichts entwurf anzuknüpfen. Er sieht sie als ein Konzept, das zu erfassen erlaubt, wie eine Gesellschaft aus ihrer konfliktiven Realität heraus auf sich selbst wirkt. Für Touraine existiert durchaus ein Gegensatz zwischen Herrschen den und Beherrschten, in dem die Geschichte auf dem Spiel steht. Im Rah men der postindustriellen Gesellschaft reduziert sich dieser Antagonismus jedoch nicht allein auf die Stellung der sozialen Akteure innerhalb der Pro duktionsverhältnisse. Den Hauptwiderstand gegen die technokratische Beherrschung leistet vielmehr der kulturelle Bereich, und auf dieser Ebene kann auch die Sozio logie ein Bollwerk gegen die verschiedenen Formen der Enteignung und die daraus resultierende Passivität bilden und so zur Wiedergeburt des so zialen Akteurs beitragen. ^^ Wie in der strukturalistischen Ära nicht recht verstanden wurde, bezieht Touraine im Grunde eine vermittelnde Position zwischen Akteur und Sy stem, indem er der Verabsolutierung der Strukturen ebenso widerspricht wie jener der Subjekte. Der Streit zwischen Holisten und Individualisten geht für ihn an der Sache vorbei, denn die wirkliche Aufgabe müsse bei der Verschränkung des Akteurs mit dem System ansetzen, in dem er handelt und gehandelt wird: ein vermittelnder Standpunkt, der sich, wie allzu häu fig in Frankreich, nur schwer Gehör verschaffen kann.
Humanismus und Individualismus Die Strukturale Ära war bestimmt vom spinozistischen Angang der Text lektüre. Dieser entwertete das Subjekt und erlaubte es, sich in einem ab strakten Universellen, in einer subjektlosen Äußerung einzurichten. Nicht
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nach der Wahrheit des Textes wurde gefragt. Die Forscher hatten darzule gen, was der Text enthielt, und sonst nichts: »Diese spinozistische Phase ist im Abschluß begriffen.« ^^ Mit der Neuzuwendung zum Sinn und der Tat sache, daß man sich seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr ausschließlich mit dessen Instrumentarium befaßt hat, rückt das Subjekt in den Dispositi ven des Denkens erneut an eine zentrale Stelle. Die Bedeutung wird nicht mehr auf das Zeichen reduziert, der Autor nicht mehr auf den Skriptor, und gleichwohl kehrt man nicht zurück zum Kult eines obersten, in unum schränkter Souveränität thronenden Subjekts. Die derzeitige Entwicklung beinhaltet keineswegs eine Vergöttlichung des Menschen. Vielmehr stellt sich das Problem, das Subjekt nach den Entdeckungen des Unbewußten und der historischen und sozialen Determinierungen neu zu denken, ohne sich diesen zu verschließen: »Niemand würde heute mehr von einem noumenalen, die Geschichte transzendierenden, sich selbst durchsichtigen Subjekt ausgehen, das seine Gedanken und Handlungen vollkommen beherrschte.«^^ Die Derridasche Kritik am Humanismus beruht auf der Überzeugung, daß dessen Denken ein Denken der Essenz sei. In diesem Punkt stehe es in soweit in Zusammenhang mit dem Nazismus, als diese Ideologie eine Es senz des Menschen postulierte, die durch den Arier verkörpert wurde: »In des ist der Humanismus eben nicht notwendig ein Denken der Essenz. Das ist ein grundlegendes Fehlverständnis.« ^^ Wenn die Philosophen des Humanismus die Menschlichkeit des Men schen geltend machen, so behaupten sie vielmehr, daß, falls es eine Eigen heit des Menschen im Unterschied zu den Tieren oder zu den Dingen gibt, diese gerade darin besteht, keine Essenz zu haben. Sartre reiht sich mit der berühmten Demonstration, die er in seinem Buch Das Sein und das Nichts vornimmt, in diese Filiation ein, wenn er den Existentialismus als einen Humanismus definiert und zeigt, daß im Unterschied zu einem Brieföffner beim Menschen, etwa dem Kellner eines Cafes, die Existenz der Essenz vorausgeht. Sartre schließt also an die lange Tradition der humanistischen Philosophie an: »Es gibt einen sehr schönen Satz von Fichte: >Das Tier ist, was es ist, der Mensch allein ist nichts.< Ebenso bei Kant: >Der Mensch wird Mensch erst durch die Erziehung<.« ^'^ Alain Renauts Definition des Humanismus fußt auf einem Subjektge danken, der die Begriffe der Autonomie und der Verantwortung betont, im
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Gegensatz zu einem Individuumgedanken, der die Unabhängigkeit her vorhebt. Der Individualismus bildet folglich nicht den Horizont des mo dernen Humanismus, sondern lediglich einen seiner historischen Mo mente, in dem er sich auflöst. Während die beiden Begriffe gewöhnlich für gleichgeordnet angesehen werden, zerstört der Individualismus, der die Allmächtigkeit des Ego behauptet, in Wirklichkeit die Grundlagen der Au tonomie, die dem Humanismus eigen ist. Die moderne Lesart des Indivi dualismusgedankens tritt laut Renaut bei Leibniz zutage: »Das wirklich inaugurale und auslösende Moment ist unzweideutig in der Leibnizschen Monadologie auszumachen.«^^ Von diesem entscheidenden Moment an entfaltete sich eine ganze Philosophie des Individuums und löste das Sub jekt und seine Autonomie schrittweise auf. Hegel und Heidegger haben diesen Umschlag als Fundament der modernen Philosophie übernommen. Nietzsche führt dieses Denken an seine Grenzen, indem er mit dem Zeitalter der Monadologien zu brechen gedenkt. Aber »er enthüllt doch nur deren wahren Sinn: daß sie, in der Entkräftung des Prinzips der Sub jektivität und der Werte der Autonomie, die tiefe Verschiebung begleitet haben, zu der es mitten in der Neuzeit gekommen ist« ^^. Nietzsche ver stärkt die Bewegung des Individuums zu totaler Unabhängigkeit außerhalb aller sozialen Zwänge. Diese Strebung führt das Individuum dazu, die Idee von der Universalität der Wahrheit zu zerbrechen und die neuzeitliche Herrschaft der Vernunft als Hindernis für die Behauptung seiner individu ellen Differenz und Einzigartigkeit anzusehen. Alain Renaut hingegen ist überzeugt, daß das Subjekt vielmehr aus einer Artikulation um das Auto nomieprinzip neu gedacht werden müsse, was »keinerlei Rückschritt hinter die Haupterrungenschaften des zeitgenössischen Denkens« ^^° impliziere. Der auf ein autonomes Subjekt gegründete Humanismus leugnet die Alterität, die Differenz durchaus nicht, aber er treibt sie auch nicht in eine Verabsolutierung, die darauf hinausliefe, »die Menschen in ihrer Kultur einzusperren« "^^ Er sieht vor, den Stellenwert der Differenzen auf dem Hintergrund der Identitäten zu denken, aus dem heraus sie sich manifestie ren. Er knüpft somit an den Ehrgeiz der ersten Strukturalistengeneration an, wie sie Levi-Strauss verkörperte, der sich vornahm, das Allgemeine un ter dem Besonderen und die Transparenz der — nicht von einer postulierten Essenz hergeleiteten — menschlichen Existenz unter der Vielfalt ihrer irreduziblen Modalitäten wiederzufinden.
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Ebendiese Irreduzibilität bildet indes für Louis Dumont den Kern des Gegensatzes, den er zwischen der holistischen indischen und der individuahstischen westHchen Gesellschaft wahrnimmt. Die beiden Ideologien stehen bei ihm in einer binären Opposition, einem absoluten Widerspruch. Folglich kann es — außer als Außerungsform des Todestriebs — in der indi viduellen Gesellschaft keinen Holismus und in der holistischen Gesell schaft keinen Individualismus geben. Louis Dumont widmete seine anthro pologische Arbeit seit 1948 zunächst der Erforschung der indischen Zivilisation, die er als die des Homo hierarchicus '^^ definiert. Als holistische Ideologie, die das Individuum der sozialen Totalität unterordnet, ent spricht sie dem Prinzip einer hierarchischen Gesellschaft, die auf Entsa gung und auf einer durch das Kastensystem verkörperten wechselseitigen Abhängigkeit zwischen den Menschen beruht. Zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung über Indien beschreibt Louis Dumont die Rückseite des Spiegels, die westliche Zivilisation, als eine Ideologie, die sich Term für Term den indischen Werten entgegensetzen läßt. Homo aequalis^^ untersucht die neuzeitliche Erfindung des Individu ums in der westlichen Gesellschaft, die sich vom ontologischen Vorrang des Sozialen, der kollektiven Ordnung und ihrer Prägnanz für das Individuum und seine Singularität lossagt. Diese Emanzipation korreliert mit der Ge burt des Ökonomischen als von den Ebenen des Politischen und des Reli giösen sich ablösender Kategorie. Die Sakralisierung des beweglichen Reichtums befreite von althergebrachten Traditionen und ermöglichte es dem einzelnen, sich als Subjekt seiner eigenen Geschichtlichkeit zu definie ren, das von den Überlieferungen befreit, aber über das Ideal des Egalitarismus an das Soziale zurückgebunden ist. Das 1977 erschienene Werk, das die anthropologischen Wurzeln für die Einmaligkeit der westlichen Moderne hauptsächlich in deren Individualis mus sieht, begleitet auf theoretischer Ebene die Bewegung, die sich seit 1975 in der Gesellschaft vollzieht: den Rückzug in die Privatsphäre, das Abebben aller kollektivistischen Eschatologien und den Sieg des Zeitalters der Leere. '^'^ Im Falle Indiens wie des Westens unterliegt die Gesellschaft einer star ken ideologischen Struktur, die den sozialen Zusammenhalt organisiert: im Okzident der des Einzelnen-in-der-Welt und im Orient der des Einzelnenaußerhalb-der-Welt. Der Übergang von der einen zur anderen ist das Er-
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gebnis einer langen Genese, die Louis Dumont nachzeichnet/^ Die stoische Phase der Weltentbundenheit wird durch den christlichen Dualis mus abgelöst: Das Christentum wertet zwar die Welt ab, erhebt aber gleichzeitig das Individuum zu unendlichem Wert; es gestattet somit, die Negierung der irdischen Welt zu relativieren, und schafft »einen beachtli chen Spielraum für die meisten weltlichen Geschäfte« '^^, Mit der Konver sion Kaiser Konstantins zum Christentum im 4. Jahrhundert und der Ent fremdung Byzanz seit dem 8. Jahrhundert, die im 13. Jahrhundert in der Besiegelung des morgenländischen Schismas gipfelt, verstärkt sich jeweils das Engagement der Christen-in-der-Welt. Die Reformation im 16. Jahr hundert und vor allem deren calvinistische Ausprägung vollenden diesen Prozeß, durch den das Schicksal der einzelnen nicht mehr der Kirche unter stellt ist, da die Auserwählten bis in alle Ewigkeit in einer direkten, durch keinerlei Institution vermittelten Beziehung zu einem allmächtigen Gott stehen: »Mit Calvin ist die den Staat umgreifende Kirche als holistische In stitution verschwunden.« '^'^ Den äußersten Ausläufer dieses ideologischen Umbruchs, der auf den individuellen Werten eine neue Ordnung begrün det, markiert die Erklärung der Menschenrechte von 1789, der Kulmina tionspunkt jenes langen Prozesses, an dessen Ausgang das prometheische Projekt eines die Natur bemeisternden Individuums formuliert werden kann.
Ein gespaltenes und geschichtlich determiniertes Subjekt Der siegreich auftrumpfende Individualismus gelangt in den achtziger Jah ren im postmodernen Denken zur äußersten Ausprägung. Es ergeht sich im Ephemeren und verleiht dem monadischen Charakter des einzelnen Nach druck, in dem es bloß ein vernetztes Teilchen sieht. Wie Baudrillard: »Es gibt nur noch eine Art Relais oder Terminal. Das Individuum aber existiert nicht. Es handelt sich um so etwas wie eine halluzinatorische Wiederkehr, die kompensationshalber auftritt. Doch entspricht dies vielleicht tatsäch lich einem Funktionsmechanismus: die Menschen funktionieren so wie Atome, wie Teilchen in Molekülen.« '^^ Baudrillard beschreibt den Sieg des Individuums als Negierung des Subjekts, das jede Autonomie und Verant wortung verloren habe und lediglich relevant sei durch die Schaltkreise, die
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es animieren. Das Individuum ist nur noch ein Ort, an dem sich eine Syn these vollzieht, eine selbstgesteuerte Prothese in einem auf dem Simulakrum beruhenden System: »Man mag es eine Kultur nennen, aber es ist keine Kultur der Handlungen mehr. Es ist eine Kultur der Operationen.« "^^ Anhand von Renauts Unterscheidung zwischen Subjekt und Individuum wird begreiflich, wie sehr sich der Postmodernismus in eine Denktradition des Individualismus einreiht, die dem Subjektgedanken gänzlich entgegen steht. Freilich wird auch ein Denken des Subjekts die verschiedenen Formen seiner Konditionierung und Unterwerfung mitzubehandeln haben. Beson ders aufgrund der von Lacan neubesehenen Erkenntnisse Freuds kann das Subjekt nicht mehr als unteilbare und sich selbst durchsichtige Entität ge dacht werden, sondern muß als gespaltene und opake WirkHchkeit gelten. Lacans Beitrag bleibt hier fundamental: »Das Problem des Subjekts steht be reits im Zentrum seiner Dialektik des Begehrens.« ^° Man kann also nicht das Subjekt berufen, ohne es zu begründen, und dabei vergessen, daß es über die Objekte seines Begehrens hinausgespannt und fundamental dem Signifikan ten unterworfen ist: »Alle jene, die sagen: Das Subjekt? Das Subjekt?, so wie de Gaulle über Lecanuet spottend sagte: Europa! Europa!, erscheinen mir lächerlich, denn das ist eine völlig undurchdachte Äußerung.« ^^ Hier hat Wahl diejenigen im Blick, die ihre Rückkehr zum Subjekt auf die Negierung seiner fundamentalen Teilung, seiner gespaltenen Struktur stützen und umstandslos für die noumenale Konzeption eines vollen Subjekts eintreten: »Die Zukunft des Subjekts liegt nicht, wie man uns (wieder) glauben machen möchte, im Ministerium des Innern.« ^^ Im übrigen läßt sich das Subjekt nicht ohne Berücksichtigung des histo rischen Kontexts denken, der es bestimmt. Daran erinnert Jean-Pierre Vernant in seiner Polemik mit Didier Anzieu über die Welt der antiken Grie chen. ^^ Vernant zeigt, daß kein Traum, welcher der gesellschaftHchen Realität äußerlich entgegenstünde, Gegenstand der Tragödie ist, sondern daß diese eine zugleich genaue und vieldeutige Emanation der gesellschaft lichen Auffassung der Polis im 5. vorchristlichen Jahrhundert bildet. In Anzieus auf der Ödipus-Phantasmatik beruhenden Neulektüre der gesamten griechischen Mythologie vermag er keinen Reflex der Bedeutung der grie chischen Tragödie zu erkennen: »Der Hellenist erkennt die Sagen, die ihm vertraut sind, nicht wieder. Sie haben ihr Gesicht, ihre besonderen Kenn zeichen, ihr spezifisches Anwendungsgebiet verloren.« ^"^
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Vernant leugnet allerdings nicht, daß die anal)^ische Lesart Verdeutli chungen bewirken kann, solange sie mit einer soliden hellenistischen Sach kenntnis einhergeht: »Ich sage nur, daß es keine psychoanalytische Lektüre der Tragödie gibt, so wie ich sage, daß es keine marxistische Lektüre der Tragödie gibt. Das Verständnis der Tragödie kann durch die intellektuellen Optionen erleichtert, aber auch verhindert werden.« ^^ Aufgrund der Berührungspunkte von Vernants Forschungsgebiet mit der Psychoanalyse lag es nahe, daß die schwelende Debatte sich erneut ent zünden würde. Dies geschah, auf weniger polemische Weise, mit Pierre Kahn, der in den sechziger Jahren an der Sorbonne bei Vernant studiert hatte und unterdessen Psychoanalytiker geworden war. Kahn hatte sich während des Algerienkriegs von Vernant ferngehalten, der damals in der KPF als verpönt galt, deren junge Aktivistengarde — Philippe Robrieux, Jean Schalit, Pierre Kahn und andere — aufgeboten wurde, um ihn zu isolie ren und ihm an der Sorbonne das Wort zu verbieten. Doch die Zeit der Ex kommunikationen ist vorbei. Längst haben alle das Mutterhaus verlassen, als Pierre Kahn bei seiner Lektüre von Vernants Werk La Mort dans les yeux^^ erfreut feststellt, daß der Verfasser in ständiger Nähe zur Psycho analyse steht. Also schreibt er ihm und bittet ihn zu erläutern, was nach sei ner Einschätzung den Ansatz der historischen Anthropologie noch von dem der Psychoanalyse trenne. Dem Schreiben liegt ein Fragebogen bei, den Vernant beantwortet. ^'^ Vernant erinnert daran, daß der Historiker sein Interpretationsmodell nur aufgrund von Archetypen errichten kann. Dabei muß er jedoch den Einzelfall berücksichtigen und sein Modell anhand der verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Dokumentationselemente konstruieren, um sie »zu einem signifikativen Ensemble« ^^ zu verknüpfen. Dies bedeutet zu mal, nicht von einer anachronischen Auffassung des Individuums auszuge hen, sondern von derjenigen der untersuchten Zivilisation. Nun ist aber das Subjekt im alten Griechenland nicht das Subjekt der Moderne: »Die Erfah rung von sich ist nicht nach innen orientiert, sondern nach außen. Das Indi viduum sucht und findet sich in anderen.« ^^ Das Bewußtsein von sich ver läuft in jener Zeit nicht über eine Innenschau, sondern über das dem Subjekt Äußere: Es handelt sich um die Erfassung eines »Er« und noch nicht um die eines »Ich«. Der Zugang zum Subjekt darf also nicht über transhistorische Kategorien erfolgen, sondern muß in jedem Einzelfall dar-
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auf abgestimmt werden, welche Bedeutung dieses im genauen historischen Kontext hat. Wie ganz allgemein die Arbeiten der strukturalen Periode zeigt also auch Vernants Werk die Unsinnigkeit einer umstandslosen Rück kehr zu einem noumenalen Subjekt, durch die dessen historische Bedingt heit ausgelöscht würde. Auch Ludwig Wittgenstein kann zu einem Subjektbegriff beitragen, der mit den Erkenntnissen der Humanwissenschaften vereinbar ist, insofern er die Auffassung vertritt, »daß man einen Subjektbegriff zu verwenden das Recht hat, ohne zu einer philosophischen Theorie verpflichtet zu sein, die diesen begründet« ^°. Wittgenstein hat den Sozialwissenschaften durchaus keine Vorrechte zugebilligt. Und doch läßt sich für die Einbeziehung ihrer Errungenschaften auf ihn zurückgreifen, wenn er postuliert, daß es keine eigentlich philosophischen Probleme gebe, sondern lediglich philosophi sche Schwierigkeiten, die sich insbesondere dadurch lösen lassen, daß die im alltäglichen Sprachgebrauch angehäuften Mißverständnisse und Fehl deutungen ausgeräumt werden.
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Seit Mitte der siebziger Jahre wird der Historizismus nicht mehr, wie noch zur hohen Zeit des Strukturalismus, als Verfehlung geahndet. Der Histori ker Pierre Vilar erinnert sich, daß Nicos Poulantzas ihm einst vorgeworfen habe, »in den Historizismus zu verfallen. Ich sagte ihm: >Ich brauche nicht in ihn zu verfallen, ich bin darin und akzeptiere das<.« ^ Aber als ein Ge schichtswissenschaftler, der den Dialog mit dem Strukturalismus aufnahm, ohne den Vorrang historischer Veränderungen einzuschränken, bildete er damals eher die Ausnahme. Ins Auge sticht vor allem die Wiederkehr der Historizität in der Disziplin, die ihr jede Relevanz abgesprochen hatte: Linguistik und Semiotik. So war bezeichnenderweise von dem Werk Wla dimir Propps, auf welchem das 1966 in der achten Nummer von Communi cations entfaltete ambitiöse strukturalistische Programm fußte, 1965 in Frankreich nur der erste Teil, Morphologie du conte, in Übersetzung er schienen, während der in der UdSSR bereits 1946 veröffentlichte zweite Teil mit dem aufschlußreichen Titel Les Racines historiques du conte merveilleux erst 1983 herauskam. In einer Zeit, in der die historische Perspek tive abgelehnt wurde, hatte man diese zweite, am geschichtlichen Webfa den aufgezogene Hälfte einfach unter den Tisch fallen lassen. Die Tilgung der historischen Dimension aus Propps Werk ist um so überraschender, als das Buch im Brennpunkt zahlreicher Auseinanderset zungen stand und einer ganzen Generation die Grundlage dafür lieferte, Modeile der Erzählung auszuarbeiten. Andererseits sah Propp in seiner Morphologie eine Vorarbeit für das Hauptwerk, das die Entstehung des russischen Märchens zeitlich beleuchtet. Der zweite Band jedenfalls läßt eine evolutionistische Konzeption erkennen: »Vor allem ist Propps These von der Lehre des Evolutionismus durchdrungen.«^ Bei aller Kritik, die sich an Propps zweitem Werk und an den Zugeständnissen üben läßt, die er der damals in der Sowjetunion gängigen Lesart machen mußte, ist es doch unglaublich, daß die französischen Intellektuellen ein derart zentrales Werk
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nicht zur Gänze aus eigener Anschauung beurteilen konnten und eine nochmalige Konjunktur im Jahr 1983 abwarten mußten, ehe sie sich eine fundierte Meinung zu bilden vermochten. Freilich verweist diese Rückkehr des historischen Blickwinkels nicht auf die Geschichtsschreibung vor der strukturalistischen Phase. So wie die Auffassung des Subjekts nicht mehr hinter die Entdeckungen des zeitge nössischen Denkens zurückfallen kann, koinzidiert die hier in Rede ste hende Historizität mit der Krise einer als Fortschritt verstandenen Ge schichte. Vom strukturalistischen Neuland aus kann die Menschheit nicht mehr nach dem Schema ihrer vorausliegenden Existenz gedacht werden, und auch nicht nach dem von Entwicklungsstadien, die sie auf eine von Mal zu Mal höhere Stufe ihrer Verwirklichung hinaufführen. Das strukturale Denken hat die Vorstellung von der Äquivalenz der menschlichen Gattung seit ihrem Bestehen endgültig durchgesetzt. Sie hat sich so sehr eingebür gert, daß sie nicht einmal mehr Erwähnung findet. Dafür hatte man aber den Preis bezahlt, radikal mit jeder Idee von Historizität zu brechen. Sie tritt nun wieder in den Horizont und relativiert die Tragweite der synchronischen Modelle.
Ein Bedürfnis nach Geschichte So führte Sylvain Auroux die diachronische Dimension wieder ein und kombinierte die Beschreibung eines Systems mit der Erforschung der Filiationen. In der Semiotique des encyclopedistes^ umreißt er einleitend den von ihm so genannten »historischen Relativismus«, aus dem heraus er die Frage aufwerfen kann, wie ein System sich verändert. Später wendet er sich einer historischen Untersuchung der Semiotik, der Sprachwissenschaft und der philosophischen Begriffe zu. Claudine Normand veranstaltete 1980 in Nanterre ein Kolloquium zur Geschichte der Wissenschaften: »Les sciences humaines: quelle histoire?« Dabei schien es ihr notwendig, den Aufbruch der vergangenen Jahre mit den Mitteln der Historie zu bilanzieren. Dieses Bedürfnis reicht einmal mehr in die Mitte der siebziger Jahre zurück: »Ich habe dieses Kolloquium stellvertretend für eine Arbeitsgruppe vorbereitet, die 1976 gegründet wurde; viele Philosophen waren dabei.«'*
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In den achtziger Jahren riefen die Soziologen Bernard-Pierre Lecuyer und Benjamin Matalon von der EHESS [£cole des Hautes fitudes en Sciences Sociales] ein interdisziplinäres Unternehmen ins Leben, die Societe frangaise pour l'histoire des sciences de Thomme, die unter histori scher Fragestellung zahlreiche Vertreter aller Disziplinen aus den Sozial wissenschaften zusammenführte. Der Bereich der Poetik öffnet sich ebenfalls der Historizität. So erkennt Philippe Hamon, ohne etwas von seiner strukturalen Ausgangsambition zurückzunehmen, daß es darauf ankommt, die erzählerischen Beschrei bungstechniken in eine historische Perspektive zu rücken. Er zeigt, daß die Beschreibung einem strukturalen Zwang unterliegt, nämlich eine Beobach terperson einzusetzen, die innehält und die Welt auf ihre Beschreibung hin betrachtet. ^ Hamon gelangt zu einer geschichtlichen Periodisierung, an der sich erweist, daß in bestimmten Epochen keine Beschreibungen vorkom men, weil diese eine bestimmte — damals nicht vorhandene — Vorstellung von der Einzigkeit des Individuums voraussetzen. Hierin trifft er sich mit der Erkenntnis der Mentalitätsgeschichte, daß der seit Beginn der Neuzeit einsetzende Prozeß der Individuation nur allmählich fortschreitet, um sich im 19. Jahrhundert voll zu entfalten — dem Zeitalter also, in dem im realisti schen Roman die Beschreibungstechniken am ausgiebigsten gediehen. Im Bereich der Poetik, der Untersuchung der Literarizität der Literatur, öffnet auch Gerard Genette den Text auf seine historische Dimension. Dazu bedient er sich des Begriffs der »Transtextualität«, den er als all das definiert, was einen Text »in eine manifeste oder geheime Beziehung zu an deren Texten bringt« ^. Das Konzept erbringt, trotz seiner Beschränkung auf den Bereich der Literatur, reichhaltigen geschichtlichen Aufschluß. Ge nettes Konzept der Transtextualität reicht über den in den sechziger Jahren von Julia Kristeva eingeführten Begriff der Intertextualitat hinaus, da es von der »Kopräsenz« mehrerer Texte in einem ausgeht und deren Typolo gie spezifiziert. So bezeichnet die »Architextualität« das gänzlich implizite, stumme Verhältnis zwischen einem vorausgehenden Text, dem »Hypotext«, und einem späteren Text, dem »Hypertext«. Der Hypotext braucht nicht einmal greifbar zu sein, er bedarf keiner Materialisierung als Zitat oder Paratext, denn er definiert das Verhältnis zwischen allen vorausliegen den Texten, die zur Genese des neuen Textes beigetragen haben mögen. So mit erstreckt sich dieser Begriff auf die gesamte Literaturgeschichte, die er
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de facto aus ihrer Verbannung in eine bedeutsame Position zurückholt: »Es gibt kein Hterarisches Werk, das nicht, in einem bestimmten Maß und je nach Lektüre, an ein anderes erinnert: in diesem Sinn sind alle Werke Hy pertexte.« ^ Mit der Architextualität schließt Gerard Genette an den Strukturalismus an und verschiebt doch zugleich dessen Blickrichtung. Er gewinnt auf diese Weise einige Kategorien zurück, deren Relevanz in den sechziger Jahren ge leugnet worden war. ^ Die Architextualität definiert sich durchaus noch im mer als Ausdruck der Literarizität der Literatur, öffnet jedoch das Feld der literarischen Reflexion den Diskursarten, den Außerungsmodi, den litera rischen Gattungen, aus denen der jeweils besondere Text hervorgeht. Die Architextualität verschiebt somit die Arbeit des Kritikers von der strukturalen Beschreibung auf die Erforschung von Modellen, Diskursarten und Argumentationstypen. Diese Modellvorstellung muß der Variation der Gattungen innerhalb ihrer geschichtlichen Bedingungen Rechnung tragen, impliziert also eine neue enge Anbindung an die Historie. Dieser Anstoß für eine erneuerte Reflexion des Gattungsbegriffs verlief über die Wieder entdeckung der klassischen Rhetorik. So bezieht sich Gerard Genette in der Definition des neuen Forschungsfeldes wiederholt auf Aristoteles. Mit seinen Recherchen schließt er an eine abendländische Poetik an, die sich seit Piaton und Aristoteles darum bemüht hat, eine Reihe von Kategorien in ei nem vereinheitlichten System aufzustellen, welches die Erscheinungswei sen der Literatur insgesamt umfaßt: »Die drei Hauptarten wurden schon von Piaton und Aristoteles nach ihrer >Nachahmungsweise< (oder der >Darbietung<) unterschieden [...].«^ Radikaler noch vollzieht ein mit Gerard Genette befreundeter Poetologe die Öffnung auf das historische Feld: Tzvetan Todorov erweitert nicht nur seine Perspektive auf das Geschichtliche, sondern blickt über die Grenzen des Literarischen hinaus ins Gebiet der Ideologien. Auch Todorov tritt für eine, hier von Β achtin entlehnte, Transtextualität ein. Mit diesem Begriff kann er die Auffassung der russischen Formalisten überwinden, der zu folge die poetische Sprache rein autotelisch, das heißt autonom, von der praktischen Rede abgeschnitten sei und damit keine andere als eine endo gene, von jeder geschichtlichen Bedingtheit abstrahierte Berechtigung habe. Todorov gibt der Literatur ihre Kommunikationsfunktion zurück und damit auch ihr besonderes Vermögen zur Mitteilung von Werten, von
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Weltanschauungen: »Daß die Literatur keine Widerspiegelung einer äuße ren Ideologie ist, beweist nicht, daß sie keinerlei Bezug zur Ideologie hat: Sie spiegelt die Ideologie nicht wieder, sie ist eine.« ^°
Die genetische Kritik Wissenschaftler wie Lucien Goldmann, die sich der Preisgabe des histori schen Gesichtspunkts widersetzten und eine genetische Dimension geltend machten, haben schließlich in den achtziger Jahren Gehör gefunden. 1982 wurde das ITEM (Institut des textes et manuscrits modernes) gegründet. Hier hat sich eine wachsende Gruppe von Literaturwissenschaftlern zu sammengefunden, die literarische Texte auf ihre innere und äußere Genese untersucht. Diese Einrichtung gruppierte sich um den Germanisten Louis Hay, der als Linguist an der Universität von Besangon in den sechziger Jahren tat kräftig bei den strukturalistischen Umbrüchen mitgemischt hatte. Zur Ge schichte kam er zufällig: »Ich schrieb eine these über Heinrich Heine, als ich das Glück hatte, den Großteil der mehr oder weniger über die ganze Welt verstreuten Handschriften ausfindig zu machen.« " Daraufhin wandte sich Louis Hay an die französische Regierung, und er konnte General de Gaulle davon überzeugen, die Manuskripte zu erwerben. Als diese dann in der Bibliotheque nationale eintrafen, fand sich kein Germanist, der sie zu klassifizieren imstande war, und so geriet Louis Hay unversehens an eine Arbeit, die sich zur Vollzeitbeschäftigung auswuchs und deretwegen er 1968 von der Sorbonne an das CNRS abgestellt wurde. Eine kleine Equipe scharte sich um Hay, und seither nimmt eine neue Forschungsrichtung ihren Aufschwung. Sie erwächst aus der Faszination eines Literaturhistorikers für die Schätze, die er in der Bibliotheque natio nale entdeckte, aus der Auseinandersetzung mit den Handschriften selbst. Allerdings liegt diese Hinwendung zur Geschichte auch in einer Zeit be gründet, in der bereits »eine gewisse Ermüdung des rein formalen Struktu ralismus« ^^ festzustellen ist. Die genetische Kritik steht teils in Kontinuität, teils im Bruch zum Strukturalismus. Insofern sie den Transformationen, den Abwandlungen, der Geschichtlichkeit Rechnung trägt, bricht ihre Per spektive aus dem streng geschlossenen, formalen Verständnis des Struktu-
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ralismus aus. Zugleich aber schließt sie an einen Hauptaspekt des Struktu ralismus an, nämlich die Literaturstudien, insbesondere durch Erarbeitung eines Textbegriffs, auf eine objektivere Grundlage zu stellen: »Anstelle der Beschäftigung mit Mensch und Werk die Untersuchung des Textes setzen und diesen als wissenschaftlichen Gegenstand auffassen, den man erst ein mal als solchen zu erforschen hat: das ist die Bestrebung, von der wir aus gegangen sind.« ^^ Louis Hay hat Schule gemacht, und angeschlossen haben sich ihm eben diejenigen, die in den sechziger Jahren die Literaturwissen schaft erneuerten. So finden sich unter den Mitgliedern des ITEM Jean Bellemin-Noel, Jean Levaillant, Henri Mitterand und Raymonde DebrayGenette. Zur Vorgeschichte des ITEM gehört auch, daß sich 1974 eine Arbeits gruppe zu Proust und eine andere zu Zola zusammenfanden und gemein sam das CAM (Centre d'analyse des manuscrits modernes) gründeten: »Das war insofern ein kleines Ereignis, als sich Vertreter der deutschen Phi lologie und Vertreter der französischen Philologie zusammensetzten, um eine gemeinsame Problemstellung zu behandeln.« ^^ Auf andere Autoren spezialisierte Gruppen schlössen sich der neuen Einrichtung an, so daß man an einem guten halben Dutzend Textcorpora arbeitete, die Werke von Nerval, Flaubert, Zola, Valery, Proust, Joyce und Sartre auf ihre Genese und Struktur untersuchte. 1976 wurde Aragon auf diese Forschungen auf merksam, und er vermachte seine Handschriften sowie die von Elsa Triolet dem CAM, das dann 1982 im ITEM aufging. Diese Untereinrichtung des CNRS arbeitet auf mehreren Ebenen. Die Textgenetik geht einer »dritten Dimension« des gedruckten Textes nach, das heißt dem Prozeß seiner Erarbeitung und der Dynamik der Verschrift lichung. Sie befaßt sich mit der materialen Beschaffenheit der Texte und ih rer Vorstufen, Schmierzettel und Notate, und klassifiziert diese nach be stimmten Indizien. Dies ist die »codikologische« Ebene der Analyse, die Untersuchung der Schriftträger und Schreibwerkzeuge. Tinten werden kli nisch untersucht, Wasserzeichen betaradiographisch analysiert. Mittels Da tenverarbeitung können umfangreiche Corpora ausgewertet und die Er gebnisse strukturiert und formalisiert werden. Außerdem werden kritische Ausgaben vorbereitet, durch die die interessierte Öffentlichkeit in den Ge nuß der gewonnenen Erkenntnisse kommt. In einem dritten Schritt setzt man sich theoretisch mit den Problemen der Edition sowie der Erneuerung
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der Literaturuntersuchung auseinander. 1979 veröffentlicht Louis Hay seine programmatischen Essais de critique genetique^^, in denen sich zahl reiche Fachleute, Poetologen, Psychoanalytiker, Sozialforscher, zur Hand schrift äußern: »Unterdessen hat sich so etwas wie eine Umkehrung er eignet, weil der Gegenstand jetzt eine eigenständige Theoriereflexion hervorbringt, die schon Rückwirkungen auf andere Disziplinen und krea tive Tätigkeiten gehabt hat.« ^^ Die Forschungen zielen nun über den Rah men der Literaturwissenschaften hinaus auf Fragen des Schreibens selbst, die zugleich kognitive Probleme ansprechen und die Neurologen, Neuropsychologen und Paläographen betreffen. Auch in diesem zweiten Aspekt schließen die Forschergruppen an die Strukturalistische Periode an, an die Bemühung, die literarische Kritik aus ihrer Enklave zu holen und sie mit anderen, oft vorher nicht in Betracht gezogenen Disziplinen kommunizie ren zu lassen: »Als wir mit dem Studium der Literatur begannen, haben wir keinen Augenblick lang an die Neurologie gedacht.« ^^ Die genetische Kri tik erweitert das Textverständnis, indem sie die Prozesse der Arbeit am Text wiedergibt. Damit steht sie in der Fortsetzung des strukturalistischen Umbruchs, der ja immer darauf aus war, in einem Text neben der bloß li nearen andere wirksame Logiken aufzuweisen.
Die Wiederkehr der Literaturgeschichte Überall ist bei den Literaturwissenschaftlern die Wiedereinführung einer historischen Perspektive festzustellen. Anne Roche und Gerard Delfau um reißen 1974 ein entsprechendes Projekt. ^^ Über die klassische Literaturge schichte nach Art von Gustave Lanson äußern sie sich ebenso unzufrieden wie über »die kurzsichtige Fokussierung auf den schieren Text«; deshalb wollen sie die »Geschichte als Senklot einsetzen« ^^. Die hier beschriebene Wiederkehr der Historizität entspricht freilich keineswegs der Widerspie gelungstheorie, in deren Verständnis die Verbindung Geschichte-und-Literatur (der Diskurs) ein nahezu unverzerrtes Abbild der Geschichte (der historischen Realität) ergibt. Vielmehr befürworten die Autoren die Kon struktion einer Theorie der Vermittlungen — eine Perspektive, wie sie ei nige Jahre später auch Genevieve Idt umreißt. ^° Diese Theorie bezieht den linguistischen Begriff des situativen Kontexts, die materiellen Produk-
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tions- und Rezeptionsbedingungen von Diskursen, die Institutionen, von denen die diskursiven Praktiken gesteuert werden, die Gesprächspartner, das Publikum der literarischen Botschaft mit ein; sie schlägt also einen Bo gen zur Sozial-, aber auch zur Kulturgeschichte, denn die Botschaft der be treffenden Epoche soll auf ihre Codehierarchie und deren implizite oder explizite Bezugnahmen auf vorausgegangene Botschaften untersucht wer den. So ist keine Rede davon, die Errungenschaften der strukturalistischen Periode zu verwerfen, sondern sie mit der geschichtlichen Ebene zu ver knüpfen und die Reflexion der Form für deren Spieleinsätze, Träger und Inhalte zu öffnen: »Unsere stets geschichtsbezogene Ausgangshypothese mag vielleicht paradoxal erscheinen, weil sie die Wichtigkeit der Formen betont, denn historisches und formalistisches Verfahren werden einander nun einmal traditionell entgegengesetzt.« ^^ Zurück zur Historizität findet die Literaturkritik auch über die andere Seite des Schreibens, in der Erforschung des Lesens. Die Frage gilt heute vermehrt der Ästhetik der Literaturrezeption. Anknüpfend an die For schungswege, die Umberto Eco im Offenen Kunstwerk aufgewiesen hat, das seit 1965 in französischer Übersetzung vorliegt, interessiert man sich aus weiterhin strukturalistischem Blickwinkel für die Faktoren, die den Er wartungshorizont, die Lektürehypothesen des Lesers strukturieren. So spricht nichts gegen ein Einvernehmen zwischen Historiker und Literatur wissenschaftler, wie man es bei Roger Chartier und Philippe Lejeune beob achten kann: Die Rezeptionsästhetik muß sich mit ihren verschiedenen Modellbildungen zum Verhältnis von Lesen und Schreiben auf die hetero gene Konfiguration der Sozialgeschichte einlassen. Aber nicht nur die erneute Berücksichtigung der Chronologie bedeutet einen Umbruch, sondern auch und vor allem die neuerliche Anerkennung des Referenten, der im Zuge der Konstituierung der Linguistik als Wissen schaft des Zeichens beseitigt worden war: »Der Referent muß wieder Ein gang finden.« ^^ Dieser Referent hat zwei Dimensionen: eine soziologische, folglich meßbare, und eine existentielle, also spürbare. Diese doppelte Di mension, die im Namen der Immanenz und In-sich-Geschlossenheit des Textes lange Zeit verpönt war, kommt in der Rehistorisierung der Litera turkritik erneut zum Tragen. Die Wiederkehr der Historizität im Umgang mit der Literatur bekundet sich am augenfälligsten in der Attacke neuer editorischer Unternehmungen
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gegen den berühmten Lagarde et Michard aus dem Verlag Bordas, der bis dahin unumschränkt das Unterrichtswesen beherrschte — wobei allerhand auf dem Spiel steht, denn schließlich bestimmen solche Werke den Zugang der nachwachsenden Generationen zur Literatur. Dieses Schulbuch, das die Jugend seit 1948 in einer wohl eher trügeri schen Vertrautheit mit den »großen« literarischen Werken und den »gro ßen« Autoren wiegte, beruht auf dem altbewährten Rezept der chronolo gisch geordneten Blütenlese. 1985 erschien es zwar in leicht erneuerter Gestalt, hatte aber ansonsten die Prüfungen der Zeit recht unbeschadet überstanden und war mit nahezu sechzig Prozent noch 1988 Marktfüh rer. ^^ Allerdings verfinsterten sich die Zeiten für das kanonische Werk, als die Strukturalistische Welle hochschwappte. Damals wurde es zumeist un ter den Antiquitäten abgelegt, denn die Revolte der sechziger Jahre und das wissenschaftliche Programm, für das sie sich starkmachte, richteten sich ja gerade gegen die Konzeption »Mensch und Werk« und das Prinzip der Lektüre ausgewählter Häppchen wie im Lagarde et Michard. Daß dieser alte Wälzer erneut Staat macht, ist ein unmißverständliches Anzeichen für die Ebbe des strukturalen Paradigmas und die Wiederkehr der Historizität. Hat man sich der Modernisierung des Literaturunterrichts vollends entschlagen? Besieht man die Konkurrenten, die dem Lagarde et Michard den Rang ablaufen wollen, so kann keineswegs von schierem Rückzug in die traditionelle Literaturgeschichte die Rede sein. Zwar be treibt man wieder Literaturgeschichte, doch stark geprägt von den struktu ralistischen Entwicklungen der sechziger Jahre. ^"^ Die Herausgeber dieser Neuerscheinungen waren freilich genötigt, ihre Theoriepositionen zu entschärfen, zumal die Ablehnung des Auswahlprin zips und der Relevanz biographischer bzw. chronologischer Darstellungen sich hier kaum aufrechterhalten ließ. Magnard probierte es 1983 mit einer alphabetischen Reihenfolge, kehrte aber zur traditionellen Methode zu rück, als er feststellte, daß die meisten Schüler »Corneille oder Racine nicht zeitlich einordnen konnten« ^^. Hinsichtlich der Werkauswahl »sind in etwa alle von den Lehrern erwarteten großen Texte vertreten« ^^. Freilich kommt man den schweren Geschützen eines Lagarde et Mi chard nicht mit der Armbrust bei. In dieser Hinsicht gebührt die Palme dem 3200 Seiten starken Fünf-Bände-Opus, das Henri Mitterand bei Na than herausgegeben hat. Wie erinnerlich, zählt Henri Mitterand zu den
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Strukturalistischen Erneuerern der sechziger Jahre, und davon sind die von ihm edierten Werke deutHch geprägt. Zwar hat das klassische Programm sich durchgesetzt, doch die Darstellung folgt einem modernen strukturalen Gedanken, vorderhand in dem Bemühen, kanonisierte und marginal ge bliebene Texte in einen Dialog treten zu lassen: »Wir haben zu zeigen ver sucht, daß innerhalb einer literarischen Periode verschiedene Stufen, ver schiedene Register zu unterscheiden sind.« ^^ Zudem stellt am Ende jedes Kapitels ein Text aus dem Kreis der neuen Kritik deren Position zum Thema vor. So setzen Barthes, Todorov, Greimas, Genette, Starobinski, Cixous und andere in diesem Handbuch gewissermaßen die Signale. »Da es 120 Kapitel gibt, liegen dementsprechend 120 schöne Seiten mit moderner Kritik und Theorie vor.«^^ Die linguistischen Beiträge wurden in den di daktischen Apparat aufgenommen, wobei der Schwerpunkt auf Problemen der Rhetorik liegt. Strukturalistisch geprägt ist für Henri Mitterand auch die pyramidenförmige Gesamtkonzeption der einzelnen Bände: »Es ist ein pädagogischer Strukturalismus.« ^^ Gegenüber dieser Einschätzung ist frei lich Skepsis angebracht, denn mag auch keiner bezweifeln, daß der Her ausgeber des 3200-Seiten-Werks über diese globale Übersicht verfügt, so dürften es die Pennäler damit schon schwerer haben, auch wenn diese Enzyklopädie als wunderbarer funktionaler Apparat ausgelegt ist. Daß jemand wie Alain Boissinot als Angehöriger der sehr modern ein gestellten AFEF (Association frangaise des enseignants de Frangais), die aus dem Mai-Protest hervorgegangen ist und sich für die Erneuerung der Lehrmittel einsetzt, in der von Xavier Darcos bei Hachette herausgegebe nen Handbuchreihe am Band zum 20. Jahrhundert mitgewirkt hat, ist ebenfalls symptomatisch für das Bestreben, theoretische Entwicklungen des Strukturalismus zu verwerten und gleichzeitig der Nachfrage nach klassischeren Werken zu entsprechen. Aus vornehmlich methodologischer Perspektive, die Gattungsdifferenzierungen mit Hilfe der strukturalistischen Reflexion zu erhellen sucht, kommen auch hier abwechselnd Moder nität und Tradition zum Zuge. Das strukturale Bemühen, den Schreibakt zu objektivieren, wirkt darin nach: »Nicht auf stillschweigendes kulturelles Einverständnis setzen, sondern auf Objektivierung des Wissens und seiner Verbreitung: das ist das Ziel demokratischen Unterrichts.« ^°
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Die Wiederkehr des Ereignisses Nicht allein die Pilotwissenschaften, sprich die Linguistik und die Litera turwissenschaft, sondern die Sozialwissenschaften allgemein entdecken in dieser Periode die Geschichtlichkeit, die Bedeutung des Ereignisses, die Unordnung hinter der Ordnung wieder. Die Naturwissenschaften, die sich das Strukturale Paradigma zum Vorbild genommen hatten, steuern zu die sem Paradigmenwechsel der Humanwissenschaften abermals wesentliche Erkenntnisse bei. Thema der Communications-Ansguit von 1972 ist das Ereignis, das Ed gar Morin wieder zur Geltung kommen sieht. Nahe legen dies umwälzende wissenschaftliche Entdeckungen wie die astronomische Annahme eines Urknalls (»Big Bang«) vor fünfzehn Milliarden Jahren, ein Urereignis, das ein in ständiger Entwicklung und Ausdehnung befindliches Universum hervorbrachte: »Der Kosmos scheint zugleich Universum und Ereignis zu sein.« ^^ Die Geschichte, die als unwissenschaftliche Dimension verworfen worden war, kehrt paradoxerweise auf dem Wege der harten Wissenschaf ten zurück — anhand solcher Begriffe wie der Irreversibilität, der mögli chen Rationalität des Chaos oder der Unvorhersehbarkeit. In die gleiche Richtung entwickelten sich in den sechziger Jahren die Genetik, die Infor matik, die Techniken der künstlichen Intelligenz und einige mathematische Theorien wie die von Rene Thom. Dessen Hauptwerk, Stabilite structurelle et morphogenese^^, blieb 1972 bei seinem Erscheinen in Frankreich zu nächst unbeachtet. Doch 1974 kam eine Taschenbuchausgabe der Modeies mathematiques de la morphogenese heraus, die seine Thesen bekannt machte, so daß sie auch auf das Paradigma der Humanwissenschaften zu wirken begannen. ^^ Die Humanwissenschaften hatten ja im Bemühen um eine wissenschaft liche Modellbildung die Unordnung als Störfaktor ausgeklammert. Dieses Comtesche Postulat sind sie nun angesichts der mathematischen Theorie Rene Thoms grundlegend zu überprüfen genötigt. Arbeiten in differentiel1er Topologie haben Thom zu einer Mathematik der kritischen Phänomene und einer qualitativen Theorie zur Interpretation natürlicher Formen ge bracht, die er Katastrophentheorie nennt. Mit ihrer Hilfe lassen sich äußerst diverse Phänomene der Optik, der Thermodynamik oder der Hydrodyna mik in einem einheitlichen theoretischen Rahmen erfassen. Als Instrument
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zur Beschreibung unvorhersehbarer Phänomene kommt die Katastrophen theorie rasch in den Sozialwissenschaften zur Anwendung. Sie bestimmt das Akzidens, den Unfall, als das relevanteste Element in der Entwicklung eines Systems, da es die bislang geltende Beschreibungsweise des Systems außer Kraft setzt und zu überdenken erfordert. Wenig später, 1979, erlangt das bei Gallimard erschienene Buch La Nouvelle Alliance von Ilya Prigogine und Isabelle Stengers noch durchschla genderen Erfolg außerhalb der Fachkreise. Ihre Definition einer Ther modynamik der irreversiblen Prozesse verstärkt die Rehabilitierung der Bewegung, der Diskontinuitäten, der Geschichtlichkeit. Wenn die allermodernsten Wissenschaften die fundamentale Tragweite des Ereignisses aner kennen, so geht es nicht an, daß die Sozialwissenschaften sie länger ignorie ren — derartige Entdeckungen tragen gewissermaßen das Erlöschen des Strukturalistischen Paradigmas mit seiner Bevorrechtigung der Synchronie und der Permanenz sowie seiner Ausklammerung der Ereignishaftigkeit schon in sich. Die Historizität hält also erneut auf dem Feld der Human wissenschaften Einzug, wie wir dies bereits bei einem Teil der Ökonomen in der Regulationsschule beobachten konnten. Marc Guillaume, der als Ökonom an der Ecole polytechnique lehrt, ver faßt 1978 eine Eloge du desordre. ^'^ In Reaktion auf das von ihm so gesehene Weltbild der Ordnung bei Levi-Strauss errichtet er ein Modell, das sich an Georges Batailles Idee anlehnt, daß die Welt dem Prinzip des Überschusses der Energieproduktion unterliege. Für Bataille müssen die traditionellen Gesellschaften diesen für sie bedrohlichen Überschuß in kleinen Mengen verausgaben, um ihre Ordnung aufrechtzuerhalten. Die moderne Gesell schaft hingegen hat nach Bataille eine Wende durchlaufen und verausgabt ihren Energieüberschuß nicht mehr, sondern akkumuliert und kristallisiert ihn, bis es zu von Mal zu Mal gewaltsameren Krisen kommt, die ihr ein von Kriegen und immer verheerenderen Zerstörungen bestimmtes Schicksal bereiten: »Ausgehend von dieser apokalyptischen Vision habe ich mir, als ich über das Thema der Bürokratie arbeitete, gedacht, daß sich in der Un ordnung ein großartiges Mittel sehen ließe, die fatalen Fälligkeiten abzu wenden oder aufzuschieben. Unordnung kann in einer solchen Perspektive als ein positiver Übergang betrachtet werden.« ^^ Die Rückkehr zum historischen Diskurs geht auch mit einem stilisti schen Wandel zu literarischer Lesbarkeit einher. Zu den bemerkenswerte-
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sten Konversionen gehört hier die von EHsabeth Roudinesco, die bis dahin als Anhängerin eines besonders hermetischen Lacanismus-Akhusserianismus bekannt war. Ihre VeröffentHchung La Bataille de cent ans. Histoire de la psychanalyse en France^^ ist in zweierlei Hinsicht ein Ereignis. Zum ei nen bricht die Autorin mit dem Ahistorizismus ihres Lehrmeisters Lacan: »Diese Geschichte wurde gegen Lacan geschrieben, um nachzuweisen, daß eine Geschichte überhaupt möglich war und daß man zugleich Lacan eine Geschichte zurückgeben konnte, obwohl er sein Leben damit zugebracht hatte, sich zu enthistorisieren. Das war die Wette.« ^'' Selbstverständlich stellt diese Geschichte die Vergangenheit nicht der Vergessenheit anheim. Sie spricht Lacan, der als ihr wahrer Held auftritt, die Hauptrolle zu. Dabei übernimmt Roudinesco viel von Canguilhem und von Foucault: »Der erste Band bildet eine Geschichte der Wissenschaften nach Art von Canguil hem.«^^ Zum anderen hat sich ein Stilwandel vollzogen: Die Autorin ent wirft fast romanhaft farbenfrohe Porträts, die unterdessen zum Klassiker geworden sind: »Ich habe Personen porträtiert, und ich habe Anleihen bei der Literatur gemacht.« ^^ Daß hier gleichzeitig die Geschichte der Wissen schaften und die Literatur belehnt werden, verdeutlicht das zweipolige Spannungsverhältnis, in dem die Humanwissenschaften stehen. Und zeit typisch ist wiederum die Lust am Schreiben, die Lust am Text, die Elisabeth Roudinesco entfaltet, ebenso wie ihr Bemühen um die Historisierung eines Fachs, das sich bis dahin diesem Typ der geistigen Konstruktion zu entzie hen schien. Ebenfalls auf dem Gebiet der Psychoanalyse, in einem anderen Bereich jedoch, beleuchtet Gerard Mendel Freud neu, indem er dessen theoretische Aussagen in ihren historischen Entstehenszeitläuften verortet. Er zeigt bei spielsweise, daß die beiden biologischen Grundsockel, auf denen Freud die psychoanalytische Theorie aufbauen wollte — das Postulat der Erblichkeit erworbener psychischer Charaktere und das Postulat einer von Geburt an manifesten sexuellen Chemie —, heute von der Biologie als Verirrungen be trachtet werden und faktisch auf einer historisch überholten Auffassung beruhen: »Die Freudsche Biologie spannt somit zwei Anachronismen zu sammen : einen psychischen Neolamarckismus und einen sexuellen Neovitalismus.«'^° Freud neu zu besehen heißt nicht, die Bedeutsamkeit seiner Entdeckung zu relativieren, sondern das unbegrenzte Feld zu eröffnen, auf dem sie in ständiger Korrelation zur geschichtlichen Entwicklung des Men-
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sehen, des Gesellschaftlichen und der Wissenschaften neu begründet wer den muß. Diese Wiederkehr der Historizität und der Reflexion der Zeitlichkeit mit ihren verschiedenen Rhythmen und Diskontinuitäten hat auch, wie wir gesehen haben (vgl. das Kapitel »Das Goldene Zeitalter der neuen Ge schichtsschreibung«), den Historikern der Annales-SamXe. ein Goldenes Zeitalter beschert. Doch gleichzeitig hat die Wiederkehr des Ereignisses dazu geführt, daß das von Durkheim geprägte strukturalistische Paradigma dieser Geschichtsschule in die Krise geriet, ja sie hat sogar deren Grundaus richtungen in Frage gestellt."*^ Das Editorial der ^»w^/e5-Ausgabe zu die sem Thema erkennt an, daß die Beziehungen zwischen Geschichte und So zialwissenschaften an »einem kritischen Wendepunkt« '*^ stehen, und läutet der Vergangenheit die Totenglocke: Trotz der außerordentlichen Ergiebig keit der Forschungen ist hier eine schwere Identitätskrise zu erkennen. Die Festsetzung der Zeitlichkeit, die Erforschung der Invarianten entspricht nicht mehr der zeitgenössischen Sensibilität, und Georges Duby räumt 1987 ein: »Wir stehen an einem Ende. [...] Ich spüre eine Erschöpfung.«"^^ Braudels Nachfahren schlägt die Stunde der Zerstreuung. Manche entschei den sich für die Sonntagspredigt und verkünden die Apokalypse wie Pierre Chaunu, andere wie Frangois Füret sondieren die Horizonte der Begriffs und Politikgeschichte. Pierre Nora befragt Les Lieux de memoire, die Orte der historischen Repräsentation. Wieder andere finden zu den Wonnen ei ner Histoire de France (Hachette) zurück, in der das ehrwürdige Haus Frankreich aufersteht — ein postumer Sieg des alten Meisters Lavisse, des geschichtskundlichen Gegenstücks zum Lagarde et Michard. Angesichts solcher Versprengung stellt die aus dem strukturalistischen Paradigma her vorgegangene Annales-^chxAt fest: »Die Aufmerksamkeit, die das Ereignis hervorruft, und die Wiederkehr eines gewissen Historizismus signalisieren heute, daß die Ausgangsannahme allmählich ihre Wirksamkeit verliert.« '*'* Die Erben der Historiographie der langen Zeitabläufe räumen ein, daß diese die Prozesse vergessen lassen konnte, durch die das Neue entsteht. So zieht der Rückstrom des strukturalistischen Paradigmas auch den histori schen Diskurs in die Krise, der sich von dessen Aufschwung gespeist hatte. Er beendet die Herrschaft der Historiker — die in der Entwicklung des Strukturalismus die Anthropologen abgelöst hatten — paradoxerweise zu einem Zeitpunkt, an dem die Geschichte ihrerseits den Diskurs der übrigen
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Humanwissenschaften befruchtet: ein merkwürdiges Wechselspiel, das die bequeme Lösung, wieder zu den alten Traditionen zurückzukehren, Histo rikern wie Literaturwissenschaftlern gleichermaßen zur Versuchung wer den läßt.
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Anfang der achtziger Jahre läutet den Meisterdenkern der sechziger Jahre die Totenglocke. Der Tod ereilt manche der Vergötterten mitten in der Ar beit, oft auf dem Gipfel ihres Ruhms, bei unvollendetem Werk. Einer ver waisten Generation, die sich schon mit dem Verlust ihrer Illusionen hat ab finden müssen, ist Trauerarbeit im Hinblick auf die Personen aufgegeben, die das Denken in seiner anspruchsvollsten Form verkörpert hatten. Wo einst ein ehrgeiziges Programm war, das Berge versetzen sollte, sieht man nun einen wahren Trauerzug umgehen, der die Heroen von gestern zu ihrer letzten Ruhestatt geleitet. Gleichwohl sind es nicht die gehäuften Todesfälle, die den Untergang des Strukturalistischen Paradigmas verursachen, denn dieses befindet sich bereits seit 1975 in einer Phase unaufhaltsamen Zerfalls. Seither haben sich die Helden der strukturalistischen Saga von den programmatischen Bestre bungen der sechziger Jahre immer weiter wegentwickelt. Mit ihrem Fort gang hat sich das Abschiednehmen von diesem strukturalistischen Moment allerdings beschleunigt.
Roland Barthes' Tod Am 25. Oktober 1977 tritt ein, was Roland Barthes gefürchtet hat: Seine Mutter Henriette, die wahre Gefährtin seines Daseins, die er nie verlassen hat, stirbt. Sein Freund Greimas macht sich Sorgen und antwortet ihm auf die Nachricht, die er in New York erhält: »Roland, was soll denn jetzt aus Ihnen werden?«^ Tatsächlich ist dieser Tod für Barthes eine Katastrophe, die seine Lust, zu schreiben und zu leben, jäh unterhöhlt: »Denn was ich verloren habe, ist nicht eine GESTALT (die MUTTER), sondern ein We sen, und nicht nur ein Wesen, sondern eine Qualität (eine Seele): nicht das Unentbehrliche, sondern das UnersetzHche. Ich konnte ohne die MUT-
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TER leben (das tun wir alle früher oder später); doch das Leben, das mir noch blieb, würde mit Gewißheit und bis ans Ende unqualiftzierbar (ohne Qualität) sein.« ^ Barthes gerät in eine tiefe, existentielle Krise des Begehrens, wiewohl er nach dem Publikumserfolg seiner Fragmente einer Sprache der Liehe auf dem Gipfel seiner Bekanntheit steht. Zumal er, allerdings in weniger gün stigem Klima als zur Zeit der Polemik mit Picard, einen neuen Angriff seitens der Sorbonne hinnehmen muß, als Rene Pommier sein stilistisch ungemein bissiges Assez decodP veröffentlicht. Gleichzeitig wird er zum Helden eines eher drolligen als bösartigen Pastiches, Le Roland-Barthes Sanspeine (Roland Barthes leicht gemacht)."^ Darin schlüsseln die Autoren Barthes' Diskurs wie in einem Kursus für eine neue Sprache auf, deren Wortschatz nur begrenzt französischen Ursprungs wäre. Im Stil eines Schulbuchs bietet es Konversationselemente, Kurzfassun gen, Übungen und Regeln — eine Textgymnastik, um direkt auf R.B. zu denken und ihn ins Französische zu »übersetzen«: »1 — Wie sagst Du Dich aus? Französisch: Wie ist Ihr Name.-* [...]; 3 — Welche >Stipulation< verrie gelt, schließt, organisiert, gliedert die Ökonomie Deiner Pragma als die Verbergung und/oder die Ausbeutung Deiner Ek-sistenz? Französisch: Was machen Sie im Leben?; 4 — (Ich) gebe kleine Code-Teilchen von mir. Französisch: Ich bin Schreibkraft.«^ Man kann darüber lachen und hat es herzlich getan, aber Barthes war tief getroffen. Nicht, daß er keinen Sinn für Humor gehabt hätte, aber die Parodie kam zur falschen Zeit. Leidge prüft vom Tod seiner Mutter, war Barthes nicht nach Lachen zumute: Ihm erschien diese Publikation als Zeichen eines noch nicht ausgestandenen Kampfes, den er würde fortführen müssen, obgleich ihm nicht mehr der Sinn danach stand. Indessen fand er noch die Kraft, Jean Daniel aufzusuchen und ihn um eine Chronik im Nouvel Observateur zu bitten, die dieser ihm gerne ge währte und die er von Dezember 1978 bis März 1979 führte. Doch damit enttäuschte er seine treu ergebene Leserschaft. Die bissige Kritik der My then des Alltags fehlte, weniger weil Barthes sein Talent eingebüßt hätte, sondern weil die Zeiten sich geändert hatten und das kritische Paradigma von Jahr zu Jahr stärker verebbte. In dieser Krise des Begehrens gab es nur noch eine echte Triebfeder des Schreibens: Barthes nannte sie in einem Ge spräch, das er vier Tage vor seinem verhängnisvollen Unfall im Nouvel Oh-
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servateur führte: »Es ist ganz einfach eine Art zu kämpfen, das Gefühl von Tod und völliger Auslöschung zu beherrschen.«^ Nach einem Essen mit Fran9ois Mitterrand, bei dem auch Jack Lang, Jacques Berque, Daniel Delorme, Pierre Henry und Rolf Lieberman zuge gen waren, w^urde Barthes beim Überqueren der Rue des ficoles von einem Wäschereiwagen angefahren. Nachdem er sofort in die Salpetriere eingelie fert worden war, klang die Mitteilung der Agence France-Presse eher beru higend; es hieß, der Zustand des Schriftstellers gebe keinen Anlaß zur Sorge. Dennoch schien Barthes die Lebensenergie verloren zu haben, deren es bedurft hätte, um seinen letzten Kampf zu bestehen, den gegen den Tod: »Er hatte nichts Schlimmes, ein leichtes Schädeltrauma, und hat sich im Krankenhaus sterben lassen.«^ Der Gerichtsmediziner, der am 26. März 1980 den Tod feststellte, kam zu dem Befund, daß der Unfall zwar nicht die direkte Todesursache gewesen war, aber Lungenkomplikationen zur Folge hatte, wobei Barthes in diesem Bereich seit langer Zeit geschwächt war. War es eine medizinische Ursache? Eine psychologische Ursache? Keiner weiß es genau. Ohnedies können solche Gründe nicht die Lücke füllen, die durch den Tod des beliebtesten Heros der strukturalistischen Saga entstan den ist. Barthes hat zahlreiche Schüler, aber keine wirkliche Schule hinter lassen. Das »System Barthes«, wie es Louis-Jean Calvet nennt, rührt mehr aus einer Art des Blicks als aus einer Theorie. Barthes ging eher durch den Strukturalismus hindurch, um seine literarischen Intuitionen zu verteidi gen, als daß er ihn als wissenschaftlichen Zweck aufgefaßt hätte. Es war vor allem ein Mensch mit seinen Empfindungen und einem einzigartigen Blick auf die Welt, den man in jenem Jahr 1980 unwiederbringlich verloren hatte: »Eine schöpferische Stimme, die Stimme, von der ich mir am ehesten noch nie Gehörtes erwartete, war verstummt, und die Welt erschien mir mit ei nem Mal banal: Barthes würde sich nie wieder zu allen möglichen Themen äußern.«^
Einspruch gegen Lacan Und noch eine große Kultfigur ihrer Zeit trat 1980 ab: Jacques Lacan. Doch anders als bei Barthes war dies sowohl in der gesamten Disziplin der Psy choanalyse als auch in der vom Meister begründeten Schule mit erheblichen
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Turbulenzen verbunden. Nachdem er seine Rückkehr zu Freud in den fünfziger Jahren auf die Saussuresche Linguistik gestützt hatte, löste sich Lacan in den letzten Jahren unter dem Eindruck der nachlassenden struk turalistischen Konjunktur von dieser Nahtstelle und orientierte sich immer stärker zur Topologie, den Knoten, den Tori hin. In seinem Seminar über Jakobson, das er im Dezember 1972 hielt, unter schied er zwischen dem Zuständigkeitsbereich der linguistischen Disziplin, der den Sprachwissenschaftlern vorbehalten ist, und einem mit einem Neo logismus »Linguisterie« genannten Gebiet, das nicht mehr den Anspruch erhebt, die Wissenschaftlichkeit des analytischen Diskurses zu begründen wie noch zur Zeit der Rede von Rom: »Mein Sagen, daß das Unbewußte strukturiert ist wie eine Sprache, ist nicht vom Feld der Linguistik.« ^ Dieser Ausflug in die Topologie hat viele Intellektuelle verstört, die bis dahin gerade der Lacan fasziniert hatte, der es schaffte, die Psychoanalyse im Kern der Humanwissenschaften, im Schnittpunkt der großen Theorie debatten anzusiedeln und dazu noch der Philosophie auf deren eigenem Gebiet, der Reflexion über das Subjekt, Fragen aufzugeben. Mit dem Nie dergang des Strukturalismus seit der Mitte der siebziger Jahre war auch für Lacan der Zeitpunkt gekommen, an dem radikale Einsprüche laut wurden, die an seinem schönen Lehrgebäude rüttelten. Gewiß hatten schon 1972 Gilles Deleuze und Felix Guattari mit dem Anti-Ödipus und etwas später, 1976, Foucault mit dem Willen zum Wissen die Grundlagen des Lacanismus angegriffen und damit eine wachsende Abkehr seitens der Philoso phen erkennen lassen. Doch die Anfechtung nahm eine bedrohlichere Wendung, als sie aus der Lacan-Schule, der ßcole freudienne de Paris (EFP) selbst kam. Dies trat ein, als Fran^ois Roustang 1976 Un destin si funeste veröffentlichte und darin eine Psychoanalyse brandmarkt, die »zu einer Religion, zur einzigen heute im Westen möglichen Religion zu werden droht« ^°. Die wissenschaftliche Konstruktion der Trilogie Symbolisches, Imaginäres und Reales verweist nach seiner Auffassung auf die dreifaltige Theologie, der Name-des-Vaters auf Christus und der Rückgriff auf die Schrift auf die christliche Überliefe rung. Ganz besonders in dem zentralen Moment der Analyse, welches die Übertragungsbeziehung bildet, sieht er eine solche faktische Religiosität am Werk. Zwar beruht bei Freud die analytische Beziehung durchaus auf der Übertragung, verfolgt aber das Ziel, sie aufzulösen, während Lacan auf
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die Verewigung der Übertragung hinspiele. Auf diese Weise habe er seine Schüler in einem Verhähnis völliger Abhängigkeit halten können, von der die Theoretisierung der Arbeitsübertragung oder die Praxis in Lacans Zeit schrift Scilicet kündeten, daß allein der Meister das Recht hatte, seine Arti kel mit seinem Eigennamen zu unterzeichnen: » Un destin si funeste löste, vermittelt durch Confrontation, in der EFP heftigen Trubel aus, und der Autor feierte dort einen riesigen Triumph, Dazu muß man sagen, daß er eine schon vorhandene Krise sinnfällig machte, die durch das Mathema ein geleitet worden war.« ^^ Charles Melman führt in der Zeitschrift der ficole freudienne de Paris, Ornicarf, im Namen des Meisters den Gegenangriff gegen das, was er ei nen »unredlichen Schmaus« ^^ nennt, und bezichtigt Roustang, er habe, ge stützt auf einen Druckfehler in den Schriften^ >dessein< (Absicht) mit >destin< (Schicksal) verwechselt. Darauf reagiert wiederum Derrida, indem er Melman als Briefträger bezeichnet: »In der englischen Sprache [...] heißt >Briefträger< mailman.« ^^ Wenig später geriet eine wesentliche Praxis der EFP ins Zentrum der schulinternen Auseinandersetzungen: die passe. Im Januar 1978 fanden in Deauville Studientage zu dieser Praxis statt. Lacan nahm daran im wesentli chen schweigend teil und kam zu dem Befund, daß die diskutierte Proze dur gescheitert sei: »Ich [Jean Clavreul] habe kritische Positionen zur passe bezogen, aber mit Sicherheit nicht so sehr wie Lacan, als er selber in Deau ville erklärte, daß die passe ein völliger Fehlschlag sei.« ^'^ Die passe war von Lacan als die Stelle eingerichtet worden, an der die Gültigkeit einer Lehr analyse bewertet wird; doch de facto sah sich dieser Prüfungsausschuß vollkommen von seinen Zielen abgebracht, denn die Anwärter unternah men bei dieser Gelegenheit die Apologie ihrer Lehranalyse, anstatt ihre Probleme zu erörtern. Die Reden verfehlten also völlig ihre Funktion: »Die Leute lösten sich weder von ihrem Analytiker noch selbstredend vom Aus schuß. Das machte das Ganze zu einer ziemlich künstlichen Übung.« ^^ Diese Krise einer Praxis, die sich in ihren eigenen Schlingen verfing, ermög lichte es Jacques-Alain Miller, der in Vincennes eine sichere Stellung hatte, die alte Lacansche Garde auszustechen: »Der Weg der Macht stand fortan einem anderen lacanianischen Nachwuchs und demjenigen ihrer Vertreter offen, der sich am festesten im Serail eingerichtet hatte: Jacques-Alain Mil ler.« ^^
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Die Lacan-Schule fiel somit in den ausgehenden siebziger Jahren inter nen Streitigkeiten und theoretischer Ratlosigkeit anheim und trat deshalb die Flucht nach vorn an, zum Mathema. Im Schatten des Altmeisters tobte ein Erbfolgekrieg mit verheerenden Folgen. In diesem Klima erschien das Pamphlet des jungen Philosophen Fran9ois Georges, UEffet 'yau depoele, das den Lacanismus als eine der großen Mystifikationen des Jahrhunderts verspottet. ^^ Nach Art des Roland-Barthes sans peine parodiert Frangois George die lacanisierte Redeweise, die längst ein Ausbund des konventio nellsten Snobismus geworden sei und sich, wie ein bestimmter Marxismus, hinter einem Jargon verbarrikadiere. Der Autor kritisiert die Manipulatio nen des Gurus Lacan (»Lacan nimmt im Grunde die Pose des Zauberers ein« ^^) und schickt die Bonmots des Meisters in verdrehter, stichelnder Form an den Absender zurück, wobei er die Regeln des der Lacanschule so teuren Wortspiels einhält. Gewiß, es handelt sich nicht um eine Analyse der Doktrin, aber Frangois George nimmt Lacan beim Wort, wie etwa, als dieser dem geblendeten Par terre seines Seminars einen Elefanten vorführte, einfach indem er die Voka bel »Elefant« evozierte: »Einen Elefanten in seiner Abwesenheit zu zeigen definiert fürwahr recht gut seine Kunst, die man, um ihrem Stil nicht ab trünnig zu werden, als die der trompe [Rüssel, Ohrtrompete, Trug, A.d.Ü.] bezeichnen könnte.« ^^ Frangois Georges sarkastische Ausführungen tref fen sich mit Roustangs Kritik, wenn er hervorhebt, daß der Mensch bei La can zu einem religiösen Entwurf entleert wird, der mit dem Körper und sei nen Säften nichts zu tun hat. Das Affektive ist bei Lacan eine Zote und der Körper »nur ein Residuum« ^°. Was das längsgestrichene (barre) Subjekt $ anlangt, so evoziert es für den Analytiker den Dollar und für den Analysan den den vom Gärtner mit dem Spaten entzweigeschnittenen Regenwurm, eine Geste, die derjenige wiederholt, der angeblich weiß, da er die Skandie rung ausübt und seinen Klienten mit der Einschärfung, »Leine zu ziehen« (se barrer), zum Abbruch der Sitzung ermahnt. Lacans berühmtes und ach so geheimnisvolles Objekt klein (a) ist für Fran9ois George nur ein kleiner Haufen Notdurft, ein belangloses empirisches Stück Scheiße: »Dieses kleine a oder große Geschäft deckt dann eben alles ab, was mit dem Körper zusammenhängt.«^^ Mit der Entleerung des Körpers und der Anbetung des Signifikanten — der nie antwortet, weil es unter der Nummer des abso luten Anderen keinen Teilnehmer gibt — habe Lacan versucht, eine neue
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Religion zu gründen, indem »er den Mythos des Kreuzes durch den des Balkens ersetzte« ^^. Ein schwerer Angriff also. Der Erfolg des Buches ent spricht denn auch dem humoristischen Talent des Autors, der ein der Lacanschule wohlbekanntes Register benutzt: den Kalauer. Freilich verhält sich dieses Buch zum Lacanismus wie der Truppenkasper zur Politik; es verfehlt den Beitrag, den Lacan geleistet hat, aber darauf hebt es auch gar nicht ab. Das Echo auf das Pamphlet ist jedenfalls symptomatisch für den Krisenzustand und den Mißkredit, in den die Lacan-Schule zu geraten be ginnt. In Le Monde begrüßte Roland Jaccard das Werk Frangois Georges mit einer Lobeshymne: »Lacan hat mit seinem Seminar lange Zeit die Leicht gläubigen, Einfaltspinsel und Snobs angezogen [...]. Nachdem er die fran zösische Psychoanalyse aus der drohenden Medikalisierung und aus der Mittelmäßigkeit, in der sie stagnierte, hatte retten wollen, gelang ihm bin nen weniger Jahre der Gewaltstreich, sie — durch die selbstmörderische Praxis der auf ein paar Minuten verkürzten Sitzungen — sowohl auf der kli nischen als auch auf der intellektuellen Ebene in Verruf zu bringen.« ^^ Die ser Standpunkt fand allerdings keine ungeteilte Zustimmung, und so mel deten sich bei Le Monde, deren Mitarbeiter eher für ihre Zurückhaltung als für ihre Polemik bekannt sind, zahlreiche empörte Leser zu Wort. Die Zei tung veröffentlichte Ausschnitte aus einigen dieser Zuschriften und räumte vor allem Serge Leclaire eine ganze Seite ein, der unter dem Titel »Die von Jacques Lacan animierte Bewegung« ^'^ einen großen Teil seines Beitrags für den Kongreß über das Unbewußte abdruckte, der im Oktober 1979 in Tiflis stattfand. Darin zeichnete er die von Lacan bewirkte Erneuerung der Psychoanalyse nach. Doch die Explosivkraft von Frangois Georges Invektive ist damit noch nicht verpufft, stimmt doch Jean-Paul Enthoven Ende Oktober unter dem provokanten Titel »Für eine letzte Ehrenbezeigung an den Genossen Lacan« ^^ im Nouvel Observateur eine neuerliche Lobrede an. Enthoven vertritt die Ansicht, die Satire geschehe Lacan recht, denn seine Vorliebe für Tropen (tropes) und seine Verachtung der Eingeweide (tripes) hätten die Institution der Lächerlichkeit preisgegeben und einem Meister den Weg gebahnt, der sich alle Rechte herausnimmt, um den Man gel zu beheben, den er an die Schaltstelle seines Diskurses gesetzt hat: »Er ist gewissermaßen zum Gegenwert des >Mangels< geworden, der im Lacanschen Volk wie Papiergeld zirkuHert.« ^^
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Einige Kritiker treffen zwar durchaus wunde Punkte, laufen dabei aber bedauerlicherweise Gefahr, die Ablehnung der Psychoanalyse überhaupt zu befördern und den entscheidenden Beitrag Lacans vergessen zu machen. Man sollte aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Genau dieses Ri siko besteht nämlich, und deshalb geht Serge Leclaire mit diesem Unterfan gen streng ins Gericht: »Der frische Wind, den es zu bringen vorgibt, riecht nach Faschismus.« ^^ Freilich baut sich Leclaire auch nicht als Gralshüter auf; er bleibt zwar Lacanianer, doch in aller Unabhängigkeit. Er erkennt an, daß auf den von Lacan bereiteten Wegen einiges hinderlich ist. Auch wendet er sich zuneh mend gegen die topologische Entwicklung der Schule, die er 1977 in einem Text offen kritisiert, mit dem sich Jacques-Alain Miller nicht abfinden würde, L'Empire des mots morts: »Es wäre wünschenswert, daß das Mathema seine gezwungene Würde verlöre und seinem graffitischen Wert freien Lauf ließe.« ^^ Serge Leclaire arbeitete zu dieser Zeit mit Antoinette Fouque an einem Seminarprojekt an der Ecole freudienne de Paris. Nach dem er es Lacan zur Autorisierung zugesandt hatte, sah er, Lacanianer der ersten Stunde und Statthalter des Lacanismus, sich zensiert: »Es kommt nicht in Frage, daß Sie das Seminar, dessen Ankündigung mir Simatos übermittelt hat, an der EFP abhalten.« ^^ Daraufhin beschloß er gemeinsam mit Antoinette Fouque, aus Anlaß ei nes Festes der ficole freudienne in Lille eine satirische Erwiderung zu ver fassen. In Form eines theatralischen Einakters mit Figuren aus der Schule der Frauen, der den Titel »Pas de deux« trug, wurde sie zu Beginn des Fe stes aufgeführt. Sie schließt mit den Worten: »Hier die Wahrheit untersage ich.« 30 Leclaire stimmt mit Lacan überein, wenn er dem Signifikanten, dem Symbolischen hohe Bedeutung beimißt; aber er stellt sich gegen die (nach dem Tod des Meisters noch gesteigerte) Entwicklung, in der die Vorherr schaft des Signifikanten dazu führt, das Imaginäre auf eine dämonische Di mension zu verkürzen: »Die Hegemonie des Signifikanten, der alles regle mentiert, mündet in einen Totalitarismus. Es gibt da etwas, was ich nicht unterschreiben kann und was der Wiederkehr des Religiösen den Weg be reitet.« 3^ Nun gibt die Entleerung des Imaginären dem Analytiker ein har tes Problem auf, denn er arbeitet zwar mit dem Signifikanten, um festzu stellen, wie der Patient das Reale ausgebootet, wie er es umschlichen hat —
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seine Hypothesen aber gewinnt er aus dem Imaginären des Analysierten. Hinzu kommt, daß der Analytiker neben der gesagten Rede, neben dem Sprechen den Zusammenhang des Geschehens rekonstruieren muß, das in der Verbalisierung nicht vorkommt. Immerhin hat Lacan diese Dimension seit Beginn, insbesondere vom Spiegelstadium an, als wesentliche Größe aufgenommen; daß er dann einen immer stärker formalisierbaren, wissen schaftlichen Diskurs der Analyse anstrebte, hat aber dazu geführt, sie wie der herunterzuspielen: »Als Lacan seine Theorie der Knoten aufstellte, hat er dies, denke ich, hauptsächlich als Reaktion auf seine Schüler getan, die zu der Ansicht neigten, daß das Imaginäre, die Affekte eine Art Epiphänomen der Sprachstruktur seien, ein Epiphänomen ohne Belang, Das Imaginäre in einem besonderen Knoten anzulegen war eine MögHchkeit, die Autonomie zu kennzeichnen, die den Strukturen des Imaginären zukommt.« ^^
Die »dit-solution« Vor dem Krisenhintergrund prallen 1979 in der ficole freudienne de Paris die gegensätzlichen Strömungen aufeinander. Fran9oise Dolto und andere mehr gehen, Meister Lacan, krebskrank, wird immer mehr zum Schatten seiner selbst und fällt Clanstreitigkeiten zum Opfer, die er nicht länger un ter Kontrolle hat. Unter dem Eindruck des Auseinanderfallens gibt Lacan am 5. Januar 1980 die Auflösung der ficole freudienne de Paris bekannt, So wie de Gaulle eines Tages das Rassemblement du Peuple Fran9ais [die RPF ist der letzten Endes gescheiterte Versuch de GauUes, nach dem Zwei ten Weltkrieg eine politische Organisation jenseits des etablierten Parteien systems zu schaffen, A. d, Ü,] fallengelassen hat, verzichtet Lacan auf seine »Chose«. Diese Autoritätshandlung oder, wenn man so will, dieser Akt von Autoritarismus besiegelt den Sieg Jacques-Alain Millers, der nach So lange Falade sogar der Verfasser des berühmten Handschreibens ist, das die Auflösung besagt (dit-solution): »Lacan konnte nicht mehr schreiben. Es wurde beschlossen, daß Miller den Brief verfassen und Lacan ihn korrigie ren sollte.« ^^ Lacan rechtfertigt die Aufkündigung mit dem Scheitern der Schule: »Ich habe keine Schule mehr. Ich habe sie auf dem Stützpunkt (immer Archimedes) errichtet, den ich dem Sandkorn meiner Äußerung entnahm. Jetzt
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habe ich einen Haufen — einen Haufen Leute, die wollen, daß ich sie nehme. Ich werde daraus kein Ganzes machen. Ganz und gar nicht. [...] Da her wird es wohl nötig sein, daß ich etwas Neues beginne, denn diese Schule habe ich verpatzt.« ^""^ Dieser Beschluß verletzt sämtliche institutio nellen Regeln. Überdies birgt dieses Edikt seitens seiner Schüler die Ver pflichtung zu einer neuen Huldigungserklärung an den Meister: Sie müs sen in einer schriftlichen Einzelbewerbung den Wunsch bezeugen, ihren Weg unter dessen Autorität fortzusetzen. 28 Mitglieder protestieren sofort unter Berufung auf das Vereinsgesetz von 1901 gegen dieses Edikt und beantragen eine einstweilige Verfügung gegen Lacan. ^^ Doch gegenüber einer Institution, die ihre Legitimität nie wirklich auf geltendes Recht, sondern auf das Charisma ihres Leiters ge gründet hat, ist die juristische Schlacht von vornherein verloren. JacquesAlain Miller, der als ehemaliges Maoistenoberhaupt darin geübt war, de mokratische Prinzipien ob ihres formalen Charakters zu denunzieren, hatte am 10. November 1980 die Antwort an die Protestierenden schon vorformuliert: »Die ficole freudienne ist von Lacan aufgebaut worden und nur von Lacan; sie beruht einzig und allein auf der Grundlage seiner Lehre. [...] Die Position Lacans geht nicht aus unserer Gruppe und ihren Voten hervor, vielmehr erwächst unsere Praxis aus der seinen.« ^^ Wie man sieht, ist Miller im wesentlichen der Doktrin der proletarischen Demokratie treu geblieben, deren Legitimität sich einzig von der Person Stalins herleitete. Das Schicksal der versprengten Truppen der Schule hängt also ganz al lein von Lacan ab. Er erhält an die tausend Briefe von Kandidaten, die bereit sind, das Abenteuer mit ihm fortzuführen, dreihundert davon aus der EFP. Im Vollbewußtsein dieser Unterstützung und legitimiert durch ein Refe rendum, das seine Erwartungen übertrifft, gründet Lacan im Februar die Cause freudienne: »Das Miller-Sendschreiben an die Tausend wird von den Opponenten bald zu >Mille-errent< (>Tausend irren<) umbuchstabiert, während die Befürworter der neuen Sache jene wiederum als >Referendisten<, >ausgemachte Fälscher< und >Klettollegen< schmähen, die es einfach nicht fertigbrächten, sich zu >entschulen<.« ^^ Was als ernsthaftes wissen schaftliches Bestreben begonnen hatte, endet in einem Klima der Häme, das nur ins Scheitern führen kann, Der Gipfel des Gespötts ist erreicht, als Louis Althusser, der große Vor denker der strukturalen Erneuerung des Marxismus, der dem Interesse an
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Lacan in der KPF den "Weg geebnet hatte, am 15. März 1980 eine von den Befürwortern der Auflösung einberufene Versammlung der EPF besucht. 308 geladene Mitglieder sind anwesend, als Althusser erscheint, den die jungen Türsteher am Eingang der Salle Onyx des Hotel PLM Saint-Jacques nicht erkennen: »Als er nach seiner Einladungskarte gefragt wird, antwor tet er spornstreichs: Jawohl, in der Tat, ich bin vorgeladen von der Libido und dem Heiligen Geist. Und jeder weiß längst, daß der Heilige Geist die Libido ist. Dazu kommt, sage ich euch in Wahrheit, daß der Heilige Geist dabei nichts zu geigen hat.<«^^ Lacan empfängt seine Anhänger mit der Verkündung der großen Neuigkeit: Er steigt endlich in den Rang eines Si gnifikanten, des »Label Lacan« auf, bringt aber den Anwesenden in Erin nerung, daß »la belle Lacan« nur das geben kann, was sie hat. Sobald die Ansprache beendet ist, erhebt sich Althusser und ergreift das Wort: »Er er geht sich in einer eintönigen Rede, in der er den Meister als einen großarti gen und erbärmlichen Harlekin schildert. Er betont, daß die Analytiker sich in wirre Diskurse verwickelten, etwa so wie eine Frau, die Linsen ver liest, während gerade der Krieg ausbricht.« ^^ Auch Althusser steht 1980 mitten in der Krise. Er brennt nieder, was er einst verehrte. In Auflösung seiner selbst tilgt er seine Aussagen von gestern: Seine Absage an Lacan ge hört offenbar zur Selbstverleugnung und Abstreitung all dessen, was er für andere dargestellt hatte — eine Entwicklung, die sich von seinen Selbstkriti ken bis in das tragische Jahr 1980 verfolgen läßt.
Tout fout Lacan: Lacans Abgang Mit dem Tod der Meisterdenker wird das Scheitern zur Bedrängnis. Lacan stirbt am 9. September 1981 mit achtzig Jahren an den Folgen eines Darm tumors. Die Nachricht wird allseits als großes Ereignis wahrgenommen und auf der Titelseite von Le Monde bekanntgegeben: In diesem Artikel kommt Christian Delacampagne zu dem Befund, daß nur wenige Denker in diesem Jahrhundert zu solchem Ruhm gelangt seien und aus Lacans Bot schaft die zentrale Lehre zu ziehen bleibe, daß eine Praxis ohne Theorie blind, eine von der Praxis abgeschnittene Theorie aber nur »leeres Gerede und aufgeblasener Jargon ist. Lacan selbst — muß man es noch sagen — hat es verstanden, das eine nie vom anderen zu trennen. Aus diesem Grund
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wird sein Werk noch lange Interesse wecken.« '*° Mit dem Tod Lacans, dem Fortgang des Einzigen, wird ein weiteres Stück des strukturalistischen Pro gramms beerdigt. Zurück bleiben orientierungslose Schüler, die eine regel rechte Diaspora bilden. Nachdem der Meister seinem Schwiegersohn Jacques-Alain Miller die Macht abgetreten hatte, setzte er ihn auch als seinen Erben ein. Miller wird Lacans Testamentsvollstrecker und ist als einziger befugt, seine Vorträge zu publizieren. Charles Melman, der den Erben um so besser kennt, als dieser sein Analytiker war, sagt sarkastisch: »Das ist ein hübsches Wort, Testa mentsvollstrecker : er vollstreckt!«'^^ Charles Melman, der in Lacans Denken das sprengendste und befreiend ste Werk unserer Zeit verehrt, verzweifelt daran, »zu sehen, wie daraus ein Unterdrückungsapparat gemacht wird, mit dem die Leute zu untertäni gen Schülern erzogen werden, die in Verneigung vor dem Hohepriester, der da als die Reinkarnation des Meisters daherkommt, vor sich hinbrüten und wiederholen, was er gesagt hat; und das funktioniert!«"*^ In der Tat darf man »Le Seminaire«, nachdem der Mann des Wortes gegangen ist, ohne weiteres »Le C'est Miller« nennen. So zersplittert auf der einen Seite die Lacansche Bewegung, und die mei sten Statthalter des Lacanismus gewinnen ihre Unabhängigkeit zurück. Und auf der anderen Seite wirbt Jacques-Alain Miller für die Cause freudienne (ECF) und rührt nach Kräften die Lacan-Werbetrommel. Für sol cherlei massenwirksames Proselytenmacherei der Avantgarde kommen Miller die Fähigkeiten zugute, die er in den Zeiten der Gauche proletarienne erworben hat. Die psychoanalytische Kolonisierung, die nach maoistischem Vorbild das Land erobert, um die Stadt einzukesseln, schreitet zügig voran. Latein amerika ist ein besonders wichtiges, wenn auch nicht das einzige Zielge biet; die Strategie ist weltumspannend: »Man sprach einmal von TurboProfessoren, heute hat man Turbo-Analytiker, die alle Ecken Frankreichs und das gesamte Ausland abklappern, um die frohe Botschaft zu verkün den. Es sind wahre Handlungsreisende der Psychoanalyse.« ^^ Zurück blei ben jeweils städtische Vorsitzende, denen in aller Eile die lokale Vertretung der Reichskontore übertragen wurde. Um zu überleben, mußte die Struk tur der Institution den Gesetzen des Marktes, dem Gesetz des Clips, der be schleunigten Rotation der Menschen, Waren und Ideen angepaßt werden.
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Die Statthalter des Lacanismus allerdings haben überwiegend beschlos sen, ihren Weg außerhalb dieser Institution zu machen, in der sie Lacans Lehre nicht mehr wiedererkennen. Mitte der achtziger Jahre zählt Eli sabeth Roudinesco nicht weniger als dreizehn aus der Generalkrise von 1980/81 entstandene Gruppierungen, nicht mitgerechnet die Einzelperso nen, die sich keiner Gruppe mehr angeschlossen haben, wie Fran9oise Dolto, Jenny Aubry, Michele Montrelay, Serge Leclaire oder Pierre Legendre: »Ich kann der Art von Institution, wie die >Cause< sie darstellt, nicht zustimmen, aber historisch gesehen erwächst aus ihrer Gründung mein na türliches Umfeld.« ^'^ Ein weiterer Statthalter des Lacanismus, Moustafa Safouan, arbeitet zunächst weiter an der Seite von Jacques-Alain Miller in Delenda, gerät aber bald in Konflikt mit ihm und beschließt auszusteigen: »Ich hatte nichts für die Zerreißproben übrig, die aus der Abwesenheit ei nes Chefs entstanden, ich hoffte auf einen anderen Weg, aber man folgte mir nicht.« "^^ Jean Clavreul, noch ein Statthalter, der nie mit Lacan gebro chen hat und im Herbst 1979 noch jede Woche mit ihm dinierte, bezieht seit der Auflösung im Januar 1981 deutlich Position gegen Miller. Auch Claude Dumezil und Claude Conte verlassen die Institution, die in ihren Augen nicht mehr die Lehre ihres Meisters vertritt. In diesen Zerwürfnissen mischen sich eine Vielzahl intellektueller und affektiver Ursachen, aus denen sich eine schwere kollektive Identitätskrise speist. Von den Aufspaltungen in der tatkräftigsten Institution der Psycho analyse abgesehen, verschwindet der psychoanalytische Diskurs vom gei stigen Horizont, ein Diskurs, der noch in den sechziger Jahren im Zentrum der humanwissenschaftlichen Forschungen gestanden hatte.
Der zweifache Tod Althussers Noch vor dem Schamanen Lacan ereilt die Tragödie Louis Althusser, einen weiteren großen Lehrmeister seiner Zeit, der eine Generation von Philoso phen ausgebildet und den Strukturalismus entscheidend vorangebracht hat, indem er das Epizentrum des linguistischen Erdbebens in die Philoso phie hineinverlegte und diese zur Richterin über den Wissenschaftlichkeitsgrad der Humanwissenschaften erhob. Am 16. November 1980 wird seine Frau Helene in jener Wohnung der
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ficole normale in der Rue d'Ulm, in der er seit seiner Heimkehr aus dem Krieg lebte, tot aufgefunden. Der Philosoph beschuldigt sich selbst, sie er drosselt zu haben, was die Autopsie bestätigt. Althusser wird sofort ins Hopital Sainte-Anne überstellt. Sein Zustand erlaubt es dem Richter Guy Joly nicht, ihn des vorsätzlichen Mordes anzuklagen, und am 23. Januar 1981 ergeht aufgrund des psychiatrischen Gutachtens der Beschluß, das Verfahren einzustellen, da Althusser wegen geistiger Umnachtung zum Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähig gewesen sei. Die geistige Gesundheit Althussers ist immer schon angegriffen gewe sen. Er litt an einer manisch-depressiven Psychose, die ihn regelmäßig von seiner Lehrtätigkeit abhielt, hatte eine Elektroschockbehandlung durchge macht und eine zwölf Jahre dauernde Narko-Analyse unternommen. An der Tat, die das Leben seiner Frau beendete, erweisen sich demnach vor al lem die Grenzen dieser Art von psychiatrischer Behandlung und nicht, wie manche es gerne hätten, Folgewirkungen des epistemologischen Ein schnitts. Sein Freund K.S. Karol berichtet, daß Althusser Anfang Juli 1980 erneut in eine Depression verfallen war, schwerwiegender noch als die vor ausgegangenen. Die Reise des Paars in den Süden hatte keine wirkliche Ge nesung gebracht: »Er empfing so gut wie niemanden, las nichts, sprach we nig und erwog, in die Klinik zurückzugehen. Sein Zustand hatte sich am Vorabend des letzten Wochenendes so sehr verschlechtert, daß Helene be schloß, die Verabredungen, die sie für ihn getroffen hatte, abzusagen.« '^^ Im November 1980 stirbt so auch Althusser, selbst wenn ihm noch einige Jahre unter den Lebenden beschieden sind. Fortan ist er ein lebender Leichnam, ein Denker, den man für seine Taten und Gedanken für unzurechnungsfä hig erklärt hat, verurteilt zur Abgeschiedenheit, zu einem Überleben ab seits der Welt, alleine mit einer kleinen Schar von Getreuen. Zwar verbietet es sich, diese Tragödie mit dem Schicksal des althusserianischen Denkens in Zusammenhang zu bringen, dennoch muß man fest stellen, daß, unbesehen persönlicher Umstände, die althusserianische Strö mung stärker als andere in einem Spannungsfeld der Verzweiflung stand, das einige ihrer Vertreter zur äußersten Konsequenz des Selbstmords trieb: »Erstaunlich ist eher, daß es nicht noch mehr Tote gegeben hat« '^^, stellt Pierre Macherey fest. Er schreibt diese Tragödien dem Klima antimarxisti scher Gewalt zu, das über die Pariser Intellektuellen ebenso geschwind her einbrach, wie diese in den sechziger Jahren die Althussersche Erneuerung
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des Marxismus begrüßt hatten. Die Heroen von gestern und ihre Wegge fährten wurden mit Schandmalen belegt; einige haben das nicht verkraftet. Doch die Atmosphäre der Ablehnung und Beargwöhnung ist nicht die Al leinursache. Zu berücksichtigen ist auch die tiefe Krise, die der Verlust der Orientierungen nach sich zog, auf die die geistig-soziale Identität sich gründete. Insbesondere einige Althusserianer haben solche tragischen Schicksale erfahren. Nicos Poulantzas, Professor für Soziologie in Vincennes, stürzte sich 1981 aus dem Fenster: »Es war der Zeitpunkt, als der antimarxistische Diskurs zu greifen begann. Das war für ihn sehr schwer zu ertragen, es hat ihn zerrüttet.« '^^ Alain Touraine führt andere Gründe an. Er glaubt, daß Poulantzas, den er in der letzten Zeit häufig gesehen hatte, Vincennes nicht mehr aushielt: »Er bat mich, ihn an der EHESS aufzunehmen. Er wandelte sein schlechtes Gewissen in Selbstzerstörung um. Auch bei Althusser gab es so etwas.« '^^ Im Jahr darauf nahm sich der althusserianische Linguist Michel Pecheux das Leben. Laut Claudine Normand, die ihn kannte und schätzte, »spielte neben anderen Gründen sicherlich das Bewußtsein einer theoretischen Ausweglosigkeit und eine sehr große politische Enttäuschung hinein. Diese Menschen waren derart von der Allmacht der Theorie überzeugt, daß sie über solche Anfechtungen nicht hinweggekommen sind.« ^° Am 22. Oktober 1990, zehn Jahre nach Althussers dramatischem Ver stummen, stirbt der nun zweiundsiebzigj ährige Philosoph in der geriatrischen Anstalt von La Verriere ein zweites Mal — an Herzversagen. Ein gro ßes Aufgebot seiner ehemaligen Philosophiestudenten erweist ihm die letzte Ehre. In Le Monde verabschiedet Andre Comte-Sponville den »ge brochenen Meister«: »Es ist zu früh, Bilanz zu ziehen. Zu sehr hat der Mei ster uns geprägt.« ^^ Und Christian Delacampagne siedelt Althussers Werk in der Ahnenreihe von Marx und Spinoza an. Etienne Balibar spricht bei Louis Althussers Beisetzung am 25. Oktober 1990 die letzten Geleitworte. Er rühmt Althussers einmalige Fähigkeit des Zuhörens, der Einbeziehung des anderen in die eigene Arbeit: »Deshalb bin ich, der ich wie eine ganze Generation alles, wenn nicht von ihm, so doch wenigstens dank seiner ge lernt habe, nicht der Auffassung, daß die Bezeichnung >Meister< gut auf ihn paßt.« ^^ Angesichts der komatösen Lage des Marxismus gibt es zwar man nigfache Ehrenbezeigungen für den Menschen, den Pädagogen, den Freund Althusser, aber das Scheitern seines Unternehmens, den Marxis-
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mus zu erneuern, ist offenkundig. Doch kann es denn anders sein ? Das Un ternehmen ist mit der größten Strenge und Redlichkeit betrieben worden, und doch mag man sich mit Robert Maggiori fragen, ob »er, indem er aus dem Marxismus eine Wissenschaft machen und den Humanismus ausschahen wölke, indem er die ethischen Forderungen überging, nicht viel leicht daran mitgewirkt hat, den Marxismus dadurch zu töten, daß er ihn zu retten versuchte« ^^. Abermals eine List der Vernunft — womöglich eine postume Revanche der Dialektik gegen den Begriff des epistemologischen Einschnitts.
Der Fortgang Foucaults Die beginnenden achtziger Jahre hatten tatsächlich für die Heroen der strukturalistischen Saga etwas Fatales. So wurde am 25. Juni 1984 überra schend gemeldet, daß Michel Foucault mit 57 Jahren mitten in der Abfas sung von Sexualität und Wahrheit gestorben war: an Aids, wie später be kannt wurde. Mit Foucault tritt die Verkörperung der politischen Hoffnungen und theoretischen Bestrebungen einer Generation ab. Er war weder Oberhaupt einer Schule, noch hielt er das Terrain einer besonderen Disziplin besetzt, weitaus mehr als das — sein Genie bewegte sich stets im Brennpunkt seiner Epoche: Strukturalist in den sechziger Jahren, erschien er in den achtziger Jahren als Individualist. Foucaults außerordentlicher Scharfblick ver schwand aus der intellektuellen Landschaft in einem Moment, in dem er noch immer im Mittelpunkt des Zeitgeschehens stand, denn er versuchte, mit Hilfe einer neuen Problemstellung die Aporien des strukturalistischen Programms zu überwinden — wobei er, was immer er behauptet haben mag, eine von dessen Hauptgestalten geblieben war. Auch er, der uner reichte Kritiker konfektionierter Denkweisen und Vorurteile, ließ eine rat lose Menge von Getreuen zurück, heimatlose Hinterbliebene erst recht, weil sie keiner besonderen Zunft angehörten. Die Nachricht von seinem Tod wurde der Bedeutung der Person ent sprechend gewürdigt, wobei die Todesursache der Presse noch nicht be kannt war. Le Monde brachte neben einem großen Aufmacher auf der Ti telseite zwei ganze Seiten über den verstorbenen Philosophen. Pierre
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Bourdieu ehrte denjenigen, der die »Lust am Wissen« ^"^ mitzuteilen ver mocht hatte. Roger-Pol Droit zeigte sich betroffen vom Fortgang eines un bedingten Relativisten im Sinne Nietzsches: Das paradoxale Werk Foucaults kümmerte sich nicht um Klassifikationen, sondern entzog sich in ständigen Sprüngen der Festschreibung, erschien stets an unerwarteter Stelle, um das Gesicht des Autors hinter seinen diskursiven Streif zügen ver schwinden zu lassen. Bertrand Poirot-Delpech sah bei Foucault »eine As kese des Irregehens«. Paul Veyne, Roland Jaccard, Philippe Boucher und Georges Kiejman zeichneten den Werdegang des Kämpfers, des aktiven Bürgers Foucault nach, der zum Symbol des Widerstands gegen alle Appa rate der Einsperrung geworden war. Ein ganzseitiges Foto des Philosophen erschien auf dem Titelblatt von Liberation, dazu eine neutrale Überschrift, die dennoch die verhaltene Trauer um den Verlust eines unersetzlichen Weggefährten am besten zum Ausdruck brachte: »Foucault ist tot«. Sergejuly ehrte den »Minenräumer für morgen« ^^ und entbot seinen Gruß dem Mann, der die Veränderungen der Denkweisen vorauszuahnen und so der Zukunft vorzuarbeiten gewußt hatte. Robert Maggiori notierte die makabre Ironie, daß Foucaults Tod zu sammenfiel mit dem Erscheinen seiner letzten Bücher, in denen er einen neuen Gebrauch der Lüste empfiehlt und dazu einlädt, die Existenz zum Kunstwerk zu machen. Liberation, die Zeitung, in der Foucault oftmals das Wort ergriffen hat, veröffentlichte bald darauf auch ein Dossier über den Denker, das neben einer großen Biographie ^^ Ehrungen von Frangois Ewald, Andre Glucksmann, Robert Maggiori, Roger Chartier, Gerard Fromanger und FranQoise-Edmonde Morin enthielt, die Foucaults Inter ventionen in ihrem Reichtum und ihrer Vielfalt nachzeichneten. Im Nouvel Observateur widmet sein Freund Jean Daniel den Leitartikel der »Leidenschaft von Michel Foucault« ^^, und Georges Dumezil be schwört in einem Artikel den »glücklichen Menschen«, der ihn »bar nicht nur der Zierden des Lebens: sondern bar seiner eigentlichen Substanz« ^^ zurückgelassen hat. Roger Chartier erinnert an Foucaults Wegmarken auf dem Gebiet der Historie, und Pierre Nora, sein Verleger, spricht von »un seren Foucault-Jahren«: »Foucault gestorben: Es gibt keinen Intellektuel len in diesem Land, der sich von diesen Worten nicht selber im Kopf und im Herzen betroffen fühlte. [...] Dieser Tod ist ein wenig der unsere, gleichsam letztes Geläut für das, was wir mit ihm durchlebt haben.« ^^
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So sieht Pierre Nora in diesem Fortgang das Zeichen eines Abschlusses. Und es ist in der Tat ein großer Moment des Denkens an einem Morgen im Juni 1984, als im Hof des Krankenhauses Salpetriere eine kleine Schar an dächtig einem Fragment aus dem Vorwort zum Gehrauch der Lüste lauscht, gelesen von Gilles Deleuze, dem versöhnten Freund, als letzte Ehrung für Foucault.
Die Krise der universalistischen Modelle und der Rückzug in die Einzeldisziplinen
Seit Mitte der siebziger Jahre verfällt der Kredit für universalistische Pro jekte. Diese Krise hatte sowohl für den Strukturalismus wie auch für den Marxismus zerstörerische Folgen: »Ich [Algirdas Julien Greimas] sage mit einem gewissen Spott, daß ich der letzte Marxist bin.« ^ Der Tendenz nach besinnen sich die einzelnen Disziplinen auf ihre Besitzstände, Traditionen, Ahnherren und Gewißheiten zurück, in denen ihre theoretische und insti tutionelle Identität ruht. Der Verzicht auf den Universalismus geht mit ei ner Aufsplitterung der Einzelwissenschaften einher: Der interdisziplinäre Ehrgeiz, der den strukturalistischen Zeitraum prägte, ist rückläufig. Seither traut man sich kaum mehr in die streng gehüteten Gebiete ande rer Disziplinen hinein, und die Grenzüberschreitungen, die in den sechzi ger Jahren Inbegriff des Modernen waren, sind, da sie der Einkehr der Dis ziplinen zuwiderlaufen, in der wissenschaftlichen Praxis immer weniger genehm. Zu diesem allgemeinen Rückzug trägt auch maßgeblich eine Konjunktur bei, die historisch vom Verlust der Illusionen und soziologisch vom Stel lenmangel und der Glaubwürdigkeitskrise der Universitäten geprägt ist: »Hier hat sich eine historische Illusion unserer Generation erledigt: die Idee nämlich, daß die Werkzeuge des Denkens auch die Waffen der Kritik sein könnten, so daß das Denken der Wirklichkeit und deren Veränderung in derselben geschichtlichen Bewegung zusammenträfen. Diese Vorstel lung hat sich zerschlagen, und mit dieser Selbstvorspiegelung, diesem kulti vierten Narzißmus war es ein für allemal vorbei, wenngleich dies deshalb schmerzhaft war, weil einige ihr Leben darauf verwandt hatten.« ^ Aus die sem Rückzug mag eine Selbstbefragung entstehen, welche die relevanten Ebenen und die Grenzen einer wissenschaftlichen Perspektive neu vermes sen kann, die sich der in den sechziger Jahren florierenden Verabsolutierun gen und Mythen entledigt hat. Aber er kann genausogut im Eklektizismus enden, in einer schieren Aufreihung der Standpunkte, Paradigmen und Ge-
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genstände, die von der Herstellung signifikanter Wechselbeziehungen völ lig absieht.
Strukturalismus und Marxismus auf dem Rückzug Ein Werk von Claude Meillassoux ^ wird 1976 zum Zankapfel zwischen Strukturalisten und Marxisten. Es kommt zu einer ausnehmend heftigen Polemik, deren Protagonisten freilich verkennen, daß sowohl das eine wie das andere Paradigma dem Niedergang zustreben. Nach Meillassoux' Er kenntnissen gibt es eine gesellschaftliche Grundeinheit, die sich durch un terschiedliche Produktionsweisen hindurchzieht. Er nennt sie »häusliche Gemeinschaft«. Sie gewährleiste die Reproduktion in verschiedenerlei Form, Aus dieser Einheit leitet er nun die Verwandtschaftsbeziehungen in den traditionellen afrikanischen Gesellschaften ab: »Die Produktions- und Reproduktionsverhältnisse erschienen uns als das Substrat juridisch-ideo logischer Verwandtschaftsbeziehungen.«'^ Diese Relativierung des zentra len Stellenwerts des Inzestverbots und der elementaren Strukturen der Verwandtschaft, so wie sie Levi-Strauss untersucht hat, trägt ihm eine über aus harsche Antwort in der von Levi-Strauss gegründeten Zeitschrift UHomme ein. Sie stammt von Alfred Adler, und ihr Titel lautet: »Der Ethnomarxismus: hin zu einem neuen Obskurantismus?« Ebenso radikale Kritik übt auch der marxistisch-strukturalistische Anthropologe Pierre Bonte, der sich hier auf den Standpunkt Godeliers stellt. ^ Adler reagiert also scharf auf die Infragestellung des universalen Charak ters des Inzestverbots, in dem Meillassoux einen ideologisch ausgeprägten Moralbegriff sieht, der an die Beherrschung der Reproduktionsmechanis men in den häuslichen Gesellschaften gebunden ist. Er unterscheidet in die ser Hinsicht die Jäger und Sammler von den Ackerbauwirtschaften. »Das deutlichste, was seine Ausführungen erkennen lassen, nachdem er in allen Stücken eine Öko-Polit-Fiction fabriziert hat, ist, daß er in einer unbe schreiblichen Verwirrung alles darin aufgehen läßt: Verwandtschaft, Bräu che, Überzeugungen, Religion, Magie und sonstiges mehr.« ^ In der nachfolgenden Ausgabe von UHomme wird ein noch härterer Ton angeschlagen: Claude Meillassoux antwortet seinen Widersachern un ter dem provokanten Titel »Fahrenheit 450,5«. Er fragt sich, was mit den
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Büchern, die etablierte Lehren in Frage stellen, geschähe, wenn die Recht denkenden anstelle von Stiften Fackeln hätten, mit denen sie diese einer fi nalen Kritik unterzögen. Alfred Adler erwidert ihm: »Ich kann ihn beruhi gen, keine Brandfackel bedroht sein Buch, das allenfalls verdient, eins gewischt zu bekommen. [...] Mit der Zeit hat sein historischer Materialis mus womöglich ein wenig Staub angesetzt.«^ In diesem Zusammenprall ist im Grunde die Frage nach der Vereinbar keit des Strukturalistischen und des marxistischen Paradigmas gestellt, die zwar von unterschiedlichen Hypothesen und Modellbildungen ausgehen, dabei aber beide totalisierenden Charakter haben. Doch jenseits dieser Po lemik kommt die Anstrengung einer universellen Methode am theoreti schen Horizont immer weniger vor. Die Zeitschrift UHomme legt 1986 eine Bestandsaufnahme der Anthro pologie vor. ^ Wie Jean Pouillon erläutert, handelt es sich nicht um eine Schlußbilanz, die ja im allgemeinen erst bei einem Konkurs fällig werde, während die Anthropologie nach wie vor sehr rege und fruchtbar sei, auch wenn sie nicht mehr als Schmelztiegel für die Erneuerung der Sozialwissen schaften aufgefaßt werde (den sie, gemeinsam mit der Psychoanalyse, zu Strukturalistischen Zeiten bildete, in denen das Ungesagte und das Unbe wußte als Schlüssel zur Realität erschienen). Überdies kommt es zu einer Aufsplitterung des anthropologischen Feldes, und zwar in der Vielheit der konstitutiven Gegenstände wie in der Vielfalt der Methoden. Mehrere Au toren der Ausgabe — Nicole Sindzingre, Carmen Bernand und Jean-Pierre Digard — konstatieren eine Parzellierung, die mit den verschiedenartigen Problemstellungen der jeweiligen Forschungsterrains zusammenhängt. Die Anthropologie ist also immer noch quicklebendig, aber sie begreift sich nicht mehr als global in anderen Disziplinen anwendbare Denkweise. Sie ist nicht mehr so optimistisch zu glauben, daß sich um ihre Modellbildung herum rasch wissenschaftliche Anschlüsse vollziehen würden. Die theore tische Diversität lehrt die Bescheidenheit, zu präziser ethnographischer Terrainbeschreibung zurückzukehren, ohne gleichwohl der theoretischen Dimension zu entsagen, denn, wie Jean Pouillon in Erinnerung ruft: »das Universale wird im Einzelnen entdeckt« ^. So beschäftigt sich die Anthro pologie mit sich selbst und problematisiert ihre Paradigmen und Gegen stände. Damit geht eine Rückbesinnung auf die eigene Historie einher. Dies ist das Hauptanliegen der 1986 ins Leben gerufenen Zeitschrift Gradhiva,
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die sich als Organ für die Geschichte und die Archive der Anthropologie vorstellt. ^°
Die Philosophie löst sich von den Humanwissenschaften Noch augenfälliger ist die Rückbesinnung auf eher facheigene Fragen bei den Philosophen. Francine Le Bret, Philosophielehrerin an der JacquesPrevert-Schule in Boulogne-Billancourt, konstatiert besorgt den Rückzug auf die Tradition: »Das ist eindeutig ein Desengagement. Indem man sich mit der Ewigkeit beschäftigt, verbietet man sich die Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Eine von den Humanwissenschaften und den Wissen schaften ganz allgemein abgeschnittene Philosophie betreiben zu wollen ist ein zusätzlicher Rückschritt. Die Philosophie entwickelt sich tendenziell zu dem zurück, was sie zur Zeit der III. Republik war.« " Die philosophi sche Disziplin hält es hier wie die Humanwissenschaften, die sich in ihre Regionalitäten zurückziehen und sich mit dieser fachlichen Abgrenzung von der triumphalen Herausforderung verabschieden, die sie in den sechzi ger Jahren formuliert hatten. Unter dem Eindruck der Bedrohung durch die Haby-Reform gründen die Philosophen 1975 auf Anregung von Jacques Derrida die Interessensvertretung GREPH.^^ Der Philosophieunterricht in der Schule hängt in hohem Maße von den Abiturprüfungsthemen ab. Hier ist nun eine deutli che Verengung der Themenauswahl festzustellen. Das Dreigestirn Nietz sche/Marx/Freud entfällt zusehends. Nur wenige Themen betreffen die Psychoanalyse, gegen die man eine Bewußtseinsphilosophie aufbietet. Überhaupt werden die Humanwissenschaften umstandslos als nichtphilo sophisch ausgeschieden. In den Richtlinien der Generalinspektion, welche die zu behandelnden Themen festlegt, rät man zur Beschäftigung mit Bergson anstatt mit Freud, mit Hobbes anstelle von Marx und mit Alain statt mit Bachelard. Die Lehrbücher für die Abschlußklasse sind zwar breit gefä chert und berücksichtigen mit Texten von Foucault oder Levi-Strauss die Moderne, doch in solch umfangreichen Enzyklopädien zählt der Stoff, der später als Abiturthema dient. Und in dieser Hinsicht ist der Umschwung offensichtlich: »Von 1972 bis 1980 ist der Anteil wissenschaftlicher Abitur themen von 19,8 % auf 12,6 % zurückgegangen; gleichzeitig ist der Anteil
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der Autoren aus der Epistemologie und den Naturwissenschaften von 10,6% auf 1,1% geschrumpft, der von Autoren aus dem Bereich der Hu manwissenschaften von 7,4% auf 2,2% und schließlich der von Autoren des 20. Jahrhunderts von 32,9% auf 18,1%.« ^^ Das Abrücken von den Humanwissenschaften und von den epistemologischen Überlegungen, welche die strukturalistische Periode prägten, springt demnach ins Auge. Das Werk von Levi-Strauss, von dem man im Jahr 1972 den Abiturienten vier Texte vorgelegt hat, kommt immer weniger vor. Das Dreigestirn Marx/Freud/Levi-Strauss, das 1972 mit 6,6% und 1975 mit 9% der vorgeschlagenen Texte vertreten war, war es 1978 nur noch mit 3 % und 1987 mit lediglich 1,2%. Im Gegenzug gewinnen die klas sischen Autoren stetig an Gewicht. Die Triade Platon/Descartes/Kant steigt von 12,3% 1972 auf 17,1% 1975, auf 17,3% im Jahr 1985 und erreicht 1987 23,3%.14
Francine Le Bret, die Mitte der achtziger Jahre an Zusammenkünften des PAF (Plan academique de formation) zum Thema des Einsatzes der Humanwissenschaften im Philosophieunterricht teilgenommen hat, be richtet von der Entwicklung: »Ich nahm an einer Diskussion teil, in der man behauptete, man könne sehr gut einen Kurs über das Unbewußte hal ten, ohne von Freud reden zu müssen, ja ohne einen Text von ihm zu le sen.« 1^ Den Lehrern wird geraten, im Unterricht das Unbewußte anhand von französischen Neokantianern wie Pierre Janet zu behandeln und Freud zu umgehen. Der Rückzug ins Fachinnere birgt also erhebliche Regressionsrisiken, zumal wenn es gelingt, die Lehrer davon zu überzeugen, daß die Philoso phie sich auf eine begrenzte Anzahl von Fragen der Philosophia perennis und ein schmales Corpus kanonisierter Autoren beschränke. Verstärkend kommt hinzu, daß viele Sekundarlehrer ein »mea culpa« anstimmen, weil sie meinen, sie hätten sich in unphilosophischen Problemen verlaufen und des Positivismus schuldig gemacht. So droht denn ein umstandsloser Rück marsch in die Tradition, der eine Periode der Erneuerung unterschlägt, als wäre nichts gewesen: »Heute herrscht die Tendenz vor, die Humanwissen schaften aus dem Gesichtskreis des Philosophieunterrichts auszusondern. Man bringt es fertig, den Leuten weiszumachen, das sei keine Philoso phie.« 1^ Die vermeintlich »toten Hunde« Marx und Freud hinter sich las send, tut die Philosophie so, als könne sie ihre ursprüngliche Reinheit wie-
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dererlangen und alle äußeren Störfaktoren abstreifen. Und in den Medien erschallt der Ruf nach einem Großreinemachen, dessen es bedürfe, damit die Philosophie unter den Humaniora wiedergeboren werde. Einspruch gegen diesen Einschnitt erhebt ein Philosoph, der sich in ei ner großangelegten enzyklopädischen Arbeit mit den philosophischen Be griffen und der Geschichte der sprachwissenschaftlichen Ideen befaßt hat: Sylvain Auroux.^'^ Er betrachtet die Einschränkung des philosophischen Feldes als Verstümmelung und tritt für eine Erneuerung der Philosophie ein, die zwar die Einheit des Wissens zu wahren sucht, aber es dem Philo sophen gleichzeitig ermöglicht, sein Denken auf den wissenschaftlichen Entdeckungen der Moderne, der er angehört, aufzubauen. Sylvain Auroux hatte, wie wir schon sahen, den klassischen Bereich der Philosophie verlassen, um Kenntnisse im Bereich der Epistemologie der Sprachwissenschaften zu erwerben. Dieses Feld, das an der Schnittstelle von technischem Wissen und philosophischer Problematisierung liegt, be tritt er wohlgemerkt als Philosoph. Er warnt vor der Idee eines Einschnitts zwischen einer zu ihren Ursprüngen zurückkehrenden Philosophie und dem ihr angeblich äußerlichen Gebiet der Wissenschaften allgemein: »Es wäre unsinnig, das philosophische Unternehmen noch einmal von vorne aufrollen zu wollen. Ein Fluß fließt nie zu seiner Quelle zurück, aber er kann auch tote Arme haben: Die Weisheit gebietet es, versumpfte Gewäs ser auszutrocknen.« ^^ Die Rückkehr zu einer »philosophischen Philosophie« birgt folglich manche Risiken von Verdunkelung und Regression. Aber sie verrät auch, daß das nahe Ende der Philosophie, welches den außerphilosophischen Fragestellungen Platz bereiten sollte, in den strukturalistischen Jahren künstlich herbeigeredet worden war. An den aktuellen Erscheinungen zeigt sich das Scheitern eines auf Universalität ausgelegten Programms und die Vermessenheit seines Anspruchs: »Mich verblüfft, daß sich der Nach Strukturalismus durch eine Rückkehr zum Philosophischen auszeichnet, eine Rückkehr zu dem, was am philosophischen Vorgehen nach den oder jenseits der Verfahren der Dekonstrukteure praktikabel ist.« ^^
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Die Gefahr fachlicher Inseln Nicht allein in der Philosophie ist diese Bewegung der Einkehr in den acht ziger Jahren wahrzunehmen, sondern allenthalben. Pierre Ansart, Pro fessor für Soziologie in Paris-VII, bedauert die Abkapselung einzelner Fachinseln und daß niemand nach der Legitimation der geltenden Unter teilungen fragt. In den sechziger Jahren hatten sich die Studenten dagegen einen eigensinnigen Weg in die Interdisziplinarität gebahnt, der sich für sie als fruchtbar erwies: »Heute nehmen sich die kleinen Gemeinden als si chere Orte aus. Als Präsident des G N U (Conseil national des universites — nationale Berufungskommission) in Soziologie sehe ich genau, wie es dann bei den Berufungen zugeht.« ^° Die Parzellierung, das Fehlen eines globalen Anspruchs und einer aufs Universale zielenden Bemühung wirken sich auch dahingehend verderblich auf die Studenten aus, daß sie durch die eingekapselten Fachterminologien, die sie sich aneignen, kommunikationsunfähig werden. Nach dreijährigem Studium haben sie allerlei Vokabularien erlernt, aber keine Sprache: »Es gibt Studenten, die technisch kundig sind, aber bei der Interpretation sieht es schon ganz anders aus: Da ist ihre Ausrüstung vollkommen zusammen gestückelt.« ^^ Auch beklagt Ansart bei aller kritischen Einstellung gegen über dem strukturalen Paradigma die strikt empirische Machart der heute eingereichten Arbeiten, denen jede epistemologische Überlegung abgehe. Er hält es für verhängnisvoll, daß den jungen Studenten das Werk von LeviStrauss vollkommen unbekannt ist: »Von Levi-Strauss haben sie überhaupt keine Ahnung. Da spreche ich das bei meinen Studenten im vierten Jahr an und muß mit ihnen bei Null anfangen. Das stimmt doch traurig.« ^^ Wir haben an anderer Stelle gesehen, wie sich die Literaturwissenschaft1er, nachdem sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf eine alle Schreibphäno mene umfassende Textualität konzentriert hatten, in ihr angestammtes Ge biet zurückzogen. Und die Historiker sieht man wieder dem diskreten Charme der Lavisseschen Geschichtsschreibung frönen, einer reinen Ereig nisberichterstattung, die keinen Konnex mit einem System oder einer kau salen Struktur mehr eingehen will. Diese Formen der Rückkehr sind charakteristische Folgen der Identi tätskrise der Humanwissenschaften, welche den Anspruch erhoben hatten, ihre Universalität auf den Diskurs der Wissenschaft, der Theorie zu grün-
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den. Eine Zeitlang stellte das strukturalistische Programm diesen Diskurs dar und vermochte die Humanwissenschaften zu erschüttern. Man sollte deshalb über dessen Talmi keinesfalls die Juwelen vergessen.
Der Strukturale Naturalismus
Als Verheißung einer allgemeinen Semiologie neigt sich das strukturale Pa radigma seinem Ende zu, aber es überlebt in gewandelter Form und in ei nem neuen Bündnis. Sich unter die Naturwissenschaften einzureihen — dieser in den fünfziger Jahren von Levi-Strauss geäußerte Ehrgeiz wird in einer zweiten Phase des Strukturalismus zum Programm erhoben, in der man von der Linguistik als Pilotwissenschaft absieht und sie durch die Bio logie ersetzt. In der ersten Phase drückte sich der innere Zwiespalt der Hu manwissenschaften, die zwischen den Humaniora und den sogenannten exakten Wissenschaften standen, in einer strengen Methode aus, die sich als struktural im Sinne eines Analyserasters der Wirklichkeit verstand.
Die Struktur in der Natur In der zweiten Phase findet offenkundig eine Verschiebung statt: Die Struktur wird nicht mehr nur als Methode zur Rekonstruktion von Bedeu tung angesehen, sondern in der Natur selbst gefunden. Man hofft, den Dualismus Natur versus Kultur dadurch zu überwinden, daß man in den Hirnzonen und ihren Funktionsweisen eine natürliche strukturale Realität entdeckt, von der die gleichnamige Methode dann nur die kulturelle Ver längerung wäre. Besonders auffällig ist diese Entwicklung bei Levi-Strauss, der ja in Frankreich mit dem Strukturalismus die weitreichendsten wissenschaftli chen Pläne verband. Heute hat er in manchen seiner Ambitionen, die Funktionsweise des menschlichen Geistes auf dem Wege einer strukturalen Sozialanthropologie erkennen zu können, zurückgesteckt. Er glaubt zwar durchaus, daß diese Disziplin einen wichtigen Teilbetrag dazu geleistet hat, erkennt aber an, daß die Anthropologen »nicht die einzigen sind und daß sicherlich nicht sie, sondern die Neurologen über den Schlüssel des Pro-
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blems verfügen« ^ Die Antworten auf die Fragen, die er sich in den Elemen taren Strukturen der Verwandtschaft stellte, werden also überwiegend auf Seiten der Biologie und da insbesondere der Genetik gesucht, und sie sollen jene Grenze zwischen Natur- und Humanwissenschaften aufheben, auf deren Überwindung er seit je hingewirkt hat. Die Anthropologie arbeitete stets mit Paradigmentransfers, und so hat Levi-Strauss das phonologische Modell ins anthropologische Untersuchungsfeld eingeführt. Unterdessen ist er sehr viel empfänglicher für die Fortschritte des Kognitivismus oder für Rene Thoms Katastrophentheorie. In diesen konzeptuellen Vorstößen sieht er die Möglichkeit, seinen Strukturalismus auf eine naturalistische Philosophie umzuorientieren, gemäß der »das Modell dem Körper, das heißt dem genetischen Code, bereits einbeschrieben ist« ^. Dieser zweite Levi-Strauss nähert sich Goethes Theorien zur wissen schaftlichen Beobachtung der Naturerscheinungen, dem Goethe also, der sich mit den Farben und mit der Struktur der Pflanzen auseinandergesetzt hat. Goethe ging vom Postulat eines Substratmodells aus, durch welches bedingt die Verschiedenheit der Wahrnehmungen zustande kommt, eine Verschiedenheit, auf die man überall trifft, die aber in der Wirklichkeit nicht existiert. In seinen Forschungen über die Natur der Farbe wider sprach Goethe der Auffassung Newtons: »Goethe stellt dem Newtonschen Experiment die Auffassung entgegen, daß jede Farbwahrnehmung aus einer Interaktion zwischen den physischen Erscheinungen und dem Auge entsteht.« ^ Der Levi-Strausssche Strukturalismus dieser Periode tendiert zu einem ontologischen Strukturalismus bzw. integralen strukturalen Realismus. Aus dieser Perspektive definiert Levi-Strauss 1983 seine Bestandsaufnahme der amerikanischen Mythologie: »Die Mythen spiegeln sich wechselseitig im Sinn von Achsen wider, die aufzulisten möglich ist. Um sich dieses Phä nomen zu vergegenwärtigen, ist man also genötigt zu postulieren, daß die mentalen Operationen Gesetzen gehorchen, in dem Sinne, wie man von Gesetzen der Körperwelt spricht.«"^ Bei dieser Gelegenheit kommt er auf den alten metaphysischen Dualismus zwischen Ideellem und Realem, Ab straktem und Konkretem zu sprechen, gegen den er geltend macht, daß die Gegebenheiten des Bewußtseins, insofern sie »bereits von den Sinnesorga nen und dem Gehirn [...] codiert« ^ sind, auf halbem Wege zwischen diesen beiden Polen stehen. Er postuliert eine Isomorphie zwischen den physika-
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lisch-chemischen Prozessen, auf denen die Operationen der Codierung be ruhen, und den Verfahren, denen der Verstand bei der Decodierung folgt. In all seiner Ausgeklügeltheit, in seinen extremsten Anstrengungen der Formalisierung deckt der Strukturalismus also nach Levi-Strauss lediglich die Tiefengesetze der Natur wieder auf. Er läßt die Mechanismen, die dem Körper entstammen, in der Logik der intellektuellen Rekonstitution zutage treten und knüpft somit an einen radikalen Materialismus an, da nur dieser mit dem szientifischen Wissen in Einklang zu bringen sei. So sind beim spä ten Levi-Strauss Realität und Struktur einander vollkommen adäquat, weil die Struktur der Ausdruck des Wirklichen selbst ist: Sie steht zu ihm in ei nem Verhältnis integraler Homologie. Dieser naturalistische Plan war be reits in den Elementaren Strukturen der Verwandtschaft angelegt; damals lag jedoch die Betonung mehr auf der methodologischen, epistemologischen Dimension seines Strukturalismus. Stärker trat er unter dem Einfluß der Thesen Rene Thoms und seiner Schüler hervor: »Dieser >zweite< Strukturalismus — denn der >erste< schien instrumentaler zu sein — erweist sich, da er auf das verborgene Wirkliche (homologe Strukturen von Geist, Körper und Dingen) setzt, als im Grunde vergleichbar mit den beunruhi genden >Semiophysiken< eines Rene Thom oder seines Schülers Jean Petitot-Cocorda [...] und verweist auf die Identität ihres Logos-Substrats.«^ Jean Petitot-Cocorda zeigt in der Tat, daß alle großen Strukturalisten Realisten sind, also die Struktur als integrierenden Bestandteil des Realen betrachten und die Identität des Erkennenden und des Erkennbaren postuHeren. ^ Petitot trifft sich mit den Absichten Levi-Strauss', denn dieser will die »weiche« anthropologische Wissenschaft »härter« machen und jener die »harte« Wissenschaft »weicher«. Beide hoffen, eine Synergie in Gang zu setzen, mit deren Hilfe sich der bis heute bestehende Dualismus zwi schen Humanwissenschaften und exakten Wissenschaften überwinden läßt.
Strukturaler Naturalismus und kultureller Differentialismus Parallel zur zunehmenden Naturalisierung des Strukturalismus vollzieht Levi-Strauss eine Bewegung in anscheinend umgekehrter Richtung und vertritt differentialistische Thesen zur Kultur, wie bereits 1971 in dem Vor-
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trag über Rasse und Kultur^ zu erkennen, der seine Überlegungen von 1952 aus Rasse und Geschichte unter allerdings deutlich verändertem Gesichts punkt wieder aufnimmt. Zunächst bewegt sich sein Beitrag streng auf der kulturellen Ebene als dem einzig passenden Unterscheidungsniveau. Später aber stellt Levi-Strauss zur Verblüffung der UNESCO-Abgeordneten (die ihm daraufhin vorwerfen, den Bock zum Gärtner zu machen) fest: »Mit dem Auftritt der Populationsgenetik hat sich jedoch eine [...] Kehrtwen dung auf der anthropologischen Szene vollzogen« ^, die mehrere theoreti sche Implikationen habe. Indem er somit die kulturellen Haltungen natura lisiert, erkennt er es für rechtens an, daß eine Gesellschaft sich über die anderen stellen und sich in ihrem eigenen Wertsystem einschließen darf. Diese Inkommensurabilität »kann sogar den Preis darstellen, der dafür ent richtet werden muß, daß die Wertsysteme jeder geistigen FamiHe oder Ge meinschaft bewahrt werden« ^°. Dieser kulturelle Differentialismus darf deshalb nach Levi-Strauss' Auf fassung nicht bekämpft werden, denn er trage die Grundlagen für eine mögliche Entfaltung der Kultur überhaupt in sich. Im übrigen könne der antirassistische Kampf nicht mit den Waffen der Kulturkritik Vorlieb neh men, da der Grundschlüssel auf genetischer Ebene zu finden sei. In diesem Sinne fordert Levi-Strauss zur »Zusammenarbeit zwischen Genetikern und Ethnologen« " auf. Gleichwohl räumt er ein, daß eine Verständigung zwi schen den Kulturen notwendig ist, und bestreitet, zwischen seinen beiden Mitteilungen für die U N E S C O — 1952 und 1971 — die Position gewechselt zu haben: »Tatsächlich habe ich in Rasse und Geschichte beide Dinge ge sagt, nur hat man bloß die Hälfte behalten. Ich empfand das Bedürfnis, die Aufmerksamkeit auf die abgewandte Seite des Mondes zu lenken. Denn in Rasse und Geschichte sprach ich von jenem Optimum an Diversität, das für die menschlichen Gesellschaften unentbehrlich ist.« ^^ Doch die auf eine Naturalisierung des strukturalen Paradigmas hinauslaufende Verschiebung zwischen den beiden Texten ist nicht zu übersehen. Wie Pierre-Andre Taguieff bemerkt, gibt es Anlaß zur Besorgnis über die möglichen Auswir kungen dieser Position, die ethnozentrische Haltungen als der menschli chen Spezies konsubstantiell betrachtet und sie für universelle Einheiten, regelrechte Aprioris der menschlichen Kondition ausgibt: »Wenn der Eth nologe solche kollektiven Haltungen und Neigungen wie die Selbstabschließung, die Selbstbevorzugung und den Widerstand gegen die anderen
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>naturalisiert<, bereitet er dem Ethnozentrismus und der Fremdenfeind lichkeit ein legitimes Fundament.« ^^ Als feste Größe zieht sich vom frühem bis zum späten Levi-Strauss der theoretische Antihumanismus des strukturalistischen Paradigmas durch, mit dem er die Erblast eines abendländischen Humanismus anprangert, der keine Menschlichkeit zu begründen imstande sei. Ihm stellt er den naturali stischen Ansatz vom »Menschen als Lebewesen« ^'^ entgegen, im Unter schied zum Menschen als moralisches Wesen in seiner ethischen Dimen sion. Getreu der ethnologischen Tradition gibt der späte Levi-Strauss den Differenzen vor der Universalität und der Verwurzelung vor der Entwur zelung den Vorzug: »Bei Levi-Strauss ist der Abdruck zweier verschiede ner Typen des Universalismus zu erkennen. Der eine, den er vorbehaltlos akzeptiert, betrifft die biopsychologische Identität der Spezies. [...] Auf der anderen Seite findet man den schlechten oder vielmehr falschen Universa lismus, nämlich denjenigen, der keine Differenzen anerkennen will und der ein voluntaristisches — und damit unvermeidlich vereinheitlichendes — Projekt darstellt.« ^^ Levi-Strauss baut seine Position auf einer Naturalisie rung des Menschen auf und erhebt diese zur einzigen wissenschaftlichen Ebene, die an das Universale anzuknüpfen erlaubt: Das Universale exi stiert, aber nur auf der biologischen, genetischen Ebene. Die Fundamente der menschlichen Kultur aus ihrem physikalisch-chemischen Substrat zu erklären, diesen strukturalen Plan verfolgte Levi-Strauss schon in seinen er sten Arbeiten, doch der Beitrag des Kognitivismus eröffnet geeignetere Aussichten auf Verwirklichung dieses Ziels als das phonologische Modell der frühen Phase.
Der Kognitivismus: ein radikaler Naturalismus In der Naturalisierung des strukturalen Paradigmas geht Dan Sperber noch über Levi-Strauss hinaus. Schon 1968 erkannte er nur einen Teil von LeviStrauss' Werk als wissenschaftlich an, und zwar denjenigen, der auf die Hirnzonen, auf den menschlichen Verstand zielte. Mit dieser Neulektüre der Levi-Straussschen Entdeckungen schließt er an den Chomskyschen Generativismus an. Seit den Chomsky zu verdankenden Erneuerungen muß laut Sperber der Stand der strukturalistischen Forschungsmodelle als
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überholt gelten, da diese zu simpel seien, als daß sie operational sein könn ten. Überdies seien sie mit ihrem Ehrgeiz, sich auf alle Wissensfelder über tragen zu lassen, zu weit gegangen: »Keiner wird in der Linguistik noch Strukturalistische Modelle vorbringen. Als Theorie ist es damit radikal vor bei.« ^^ Dan Sperber spricht sich für eine radikale Trennung zwischen der empi rischen bzw. literarischen Komponente der Arbeit des Ethnologen und sei ner wissenschaftlichen Tätigkeit aus: »Unter dem Namen >Ethnologie< hausen nämlich zwei sehr verschiedene Wissenschaften zusammen, die durch nichts zu einer monogamen Beziehung prädisponiert waren [...].«^^ Nach seiner Auffassung ist die Ethnographie als interpretative Gattung, als idiographische Disziplin im Sinne der Geschichtsschreibung und Betrach tung des Besonderen zu trennen von einer Ethnologie als strenger Wissen schaft, deren wirklicher Gegenstand die menschliche Natur in ihrer Allge meinheit ist. Das, was den wissenschaftlichen Charakter der Ethnologie zu erhärten erlaube, so Sperber, sei in einem Verbund von Generativismus und Kogni tivismus zu suchen. Als überzeugter Naturalist hält er es nicht für ange bracht, sich die Sozialwissenschaften zu erschleichen, um sie in die Natur wissenschaften, so wie sie existieren, zu versetzen, vielmehr gelte es, den Bereich der Naturwissenschaften zu erweitern und damit ihren Charakter zu verändern: »An dem Tag, an dem man der Physik die Biologie hinzu fügte, waren die Naturwissenschaften nicht mehr ganz dieselben.« ^^ Der Entwicklung der kognitiven Wissenschaften aufgeschlossen, die er für »die große intellektuelle Bewegung der Nachkriegszeit« ^^ hält, hofft Sperber, daß die von Psychologie, Neurologie und Automatentheorie aus gegangene Erneuerung einem Teil der Sozialwissenschaften Zugang zur Wissenschaftlichkeit verschaffen könnte. Diese Transformation setzt einen radikal materialistischen Ansatz voraus, also die Grundannahme, daß es keine anderen als natürliche Ursachen gibt. Die Analyse geht von dem Einen aus, das die Materie ist: »Es gibt Struk turen im Gehirn, und zwar meiner Meinung nach sehr viel mehr, als LeviStrauss denkt. Die Hirnstruktur ist ein äußerst bedeutender Faktor, der sich stark auf den Inhalt der Kulturen auswirkt.« ^° Das zweite Postulat geht auf Popper zurück und besagt, daß jede wissenschaftliche Theorie so expli zit wie möglich sein, das heißt ihre Hypothesen überprüfen können muß.
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Um allem mechanischen Reduktionismus zu entgehen, ergänzt Sperber: »Die Kulturen werden nicht durch die Zwänge des Gehirns hervorge bracht, sondern durch Populationen von Millionen von Gehirnen in einer komplexen Umwelt.« ^^ Wenn Levi-Strauss davon ausgeht, daß die Struktur der symbolischen Systeme von den universellen menschlichen Fähigkeiten bestimmt wird und daß die Untersuchung der Mythen Aufschlüsse über den menschlichen Verstand erwarten läßt, so hat er in dieser Hinsicht einen Schritt hin zu einer rationalistischen, materialistischen Position vollzogen. Sperber wirft ihm jedoch vor, nicht über die entscheidende Schwelle hin auszugehen und der Idee verhaftet zu bleiben, daß die Mythen Bedeutun gen transportierten: »Paradoxerweise kann man nun sagen, daß eines sei ner größten Verdienste darin besteht, die Erforschung der Mythen [...] von der Sorge um Bedeutung befreit zu haben.« ^^ Sperber heißt also in LeviStrauss' Strukturalismus die ontologische, die naturalistische Seite gut und kritisiert die methodologische, semiologische Seite, die nach seiner Auffas sung der literarischen Gattung zufällt. Der Kognitivismus kommt wie der Generativismus aus Amerika, und Sperber ist zuversichtlich, die anthropologische Wissenschaft mit diesem neuen Paradigma »erhärten« zu können: »Alle echten wissenschaftlichen Erkenntnisse entstehen im Rahmen einer materialistischen Ontologie.«^^ Dieses Paradigma entstammt nicht empirischer Forschung, sondern rein lo gischer Erkenntnis und geht auf den Mathematiker Alan Turing zurück, dem es 1936 darzulegen gelang, wie Materie denken kann. Es soll helfen, die Mauern zwischen Human- und Naturwissenschaften niederzureißen. Die NaturaHsierung der sozialwissenschaftlichen Paradigmen vollzieht sich auf dem Weg einer kognitivistischen Neudefinition des Begriffs der Vor stellung. Anthropologie ist dann im wesentlichen Psychologie; folgerichtig tritt Sperber dafür ein, »das Verfahren von Levi-Strauss zu entsemiologisieren« ^'*. Diese Zerlegung soll in zwei Phasen verlaufen: Erstens gelte es, sich auf die Entdeckungen der Neurowissenschaften zu stützen, durch die die mentalen Phänomene zugänglich werden, und zweitens müßten die soziokulturellen Tatsachen am Modell einer »Epidemiologie der Vorstellun gen« ^^ untersucht werden, das nicht die Vorstellungen selbst (sie gehören zur ersten Ebene), sondern deren Distribution zum Gegenstand hat. Die Erklärung der Verkettungs- und Transformationsprozesse rührt also glei cherweise aus psychologischen wie ökologischen Faktoren,
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Allerdings kann man sich mit Luden Scubla fragen, ob es wirklich operational ist, eine soziale Realität allein unter dem Gesichtspunkt der menta len Bereiche zu untersuchen, denn eine Fülle von Bedeutungen, Vorstellun gen und Regeln entzieht sich einer Erklärung auf dieser Ebene. Scubla sieht wenigstens zwei Gründe, weshalb diese Identifizierung der Kulturanthro pologie mit der Untersuchung der mentalen Strukturen und kognitiven Prozesse abzulehnen ist^^: Erstens verbiete es die Autonomie des Symboli schen, diese Ebene dem Niveau der mentalen Vorstellungen zuzuschlagen, und zweitens übergehe dieses Analyseschema die technische Dimension der kulturellen Phänomene. Das kognitivistische Paradigma, in dem Disziplinen verschiedenen Ur sprungs zusammentreffen (die Erforschung künstlicher Intelligenz, die psychologische Richtung, die sich in den sechziger Jahren in den USA als Reaktion auf den Behaviorismus entwickelt hat, die Neurowissenschaften usw.), hat auch eine linguistische Wurzel. In der Tat nahm Noam Chomsky insofern direkten und gewichtigen Einfluß auf das Hervortreten und die Entwicklung der kognitiven Wissenschaften, als er der Tiefenstruktur, das heißt einem vom Performanzmodell gesonderten Kompetenzmodell nach ging. Wie der Anthropologe Dan Sperber erblicken die generativistischen Linguisten einen wissenschaftlichen Status im Bereich des Kognitivismus und verweisen das deskriptive Verfahren vom Feld der Wissenschaft, um sich auf die ontologische Frage nach der menschlichen Natur zu konzen trieren : »Marxismus und Strukturalismus haben sich dem entzogen, indem sie sich mit einem reinen Beschreibungsprogramm ausstatteten.«^'' Nach Auffassung der Chomskyaner werden Saussures Unterscheidun gen durch das neue wissenschaftHche Gebot hinfällig: »Die von Saussure stammenden Begriffe sind nicht mehr sonderlich brauchbar.« ^^ Die Unter scheidung von Signifikant und Signifikat, die Betrachtung der Metapher in paradigmatischer Hinsicht und selbst die Trennung von Syntagmatik und Paradigmatik spielen, so Nicolas Ruwet, in der zeitgenössischen Linguistik nur mehr eine sehr begrenzte, wenn nicht unbedeutende Rolle. Erheblich für die Erklärung einer Metapher ist vielmehr, sie auf eine Kette komplexer Operationen zurückzubeziehen. Seit der vergleichenden Grammatik, die wegen ihrer bekannten Strenge als den Naturwissenschaften am nächsten gilt, ist die Linguistik in der Konstellation der kognitiven Wissenschaften besonders gut aufgehoben.
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Zu den wichtigsten Zirkeln für die Entwicklung der kognitiven Wissen schaften zählt in Frankreich das CREA (Centre de recherche d'epistemologie appliquee — Forschungszentrum für angewandte Epistemologie) an der Ecole polytechnique. Sein Leiter, Jean-Pierre Dupuy^^, tritt für eine fachübergreifende Komplexitätsforschung ein und legt eine neue System theorie vor, die den gemeinsamen Rahmen für die Modellbildung auf den Pioniergebieten der modernen Wissenschaft definiert. Er betreut die Ar beit einer vielköpfigen Forschergruppe, darunter Dan Sperber, Daniel Andler, Fran9ois Recanati und Pierre Jacob. Gegenüber dem reduktionistischen Ansatz von einst geht Jean-Pierre Dupuy von einer irreduziblen Komplexität aus. Ferner stellt er, im Unterschied zur vorherigen Tendenz, die der Invarianz das Primat zusprach, das enge Verhältnis zwischen Reali tät und Unordnung in den Vordergrund: »Zu den wichtigsten Kapiteln ge hört in der heutigen Physik die Untersuchung ungeordneter Systeme.« ^° Mit dieser ganz neuen Dynamik können die Physiker, die sich der Erfor schung komplexer Systeme widmen, die Biologie, Neurobiologie und künstliche Intelligenz einbeziehen. Diese Art des Forschens wertet die bis dahin als unwissenschaftlich geltende Idee der Autonomie auf, die aller dings nicht mit Beherrschbarkeit verwechselt werden darf: »Diese Auto nomie steht in Synergie zu dem, was man traditionell als Heteronomie be zeichnet, durch die sie stets zerstört werden kann.«^^ Die von Dupuy geleitete Forschergruppe des CREA geht davon aus, daß der Strukturalis mus in eine Sackgasse geführt habe. Daher bedürfe die Naturalisierung der Sozialwissenschaften der Neubegründung aus dem Kognitivismus, dem sich immerhin zwölf der dreißig MitgHeder zurechnen: »Mein Gedanke war — und Edgar Morin ist mir darin vorangegangen —, daß die Sozialwis senschaften einen Neuanfang machen mußten, indem sie sich auf die Er kenntnisse der Wissenschaften von der Natur und vom Leben stützen.« ^^ Die neue Reflexion des Subjekts setzt mithin in der Quantenmechanik, in der Thermodynamik ungleichgewichtiger Zustände, in der Kybernetik und in den Informationswissenschaften an, und nicht in bloßer Rückbesinnung auf die traditionelle oder behavioristische Psychologie: »Wir können nicht mehr den Menschen geltend machen, aber wir können nach seiner Spur forschen.« ^^ Gegründet wurde dieses Zentrum Anfang 1981 von Jean-Marie Dome nach, und zwar unter der Bezeichnung »Centre de recherche d'epistemolo-
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gie et autonomie«. Das letzte Wort, das bedeutete, daß die sozialwissen schaftliche Forschung sich im Rahmen einer Untersuchung des Selbstbe stimmungsvermögens des Menschen verstand, ohne die ihm auferlegten Determinierungen zu leugnen, hätte in einer Zeit, in der »autonome« An archisten am Rande der Straßendemonstrationen Schaufensterscheiben und Autos demolierten, mit Autonomie als politischem Kampfbegriff ver wechselt werden können. Daher wurde beschlossen, das Zentrum umzu benennen. Domenach sieht den Strukturalismus aus dem Vorhaben des 19. Jahr hunderts münden, alle Wissenschaften in eine einzige zurückzuführen, ein Bestreben, in dem die Anstrengungen von Auguste Comte, Durkheim und Levi-Strauss sich treffen: »In meinen Augen markiert der Strukturalismus die Mündung, also das Ende dieser Utopie.« ^"^ Allerdings greift der Kogni tivismus diese Ambition in wesentlichen Teilen auf, indem er Verfahrensbe griffe aus den Naturwissenschaften übernimmt und sie den Sozialwissen schaften dienstbar macht. In diesem Sinne will er auch weiterhin eine Brücke zwischen dem Natürlichen und dem Sozialen schlagen. Anders als dem Strukturalismus geht es jedoch Domenach weniger um die Aufhebung des Einschnitts zwischen Natur und Kultur als um eine selbstreferentielle Dialektik: »Die Kultur ist der Motor der Durchdringung des Menschen durch die Natur und der Natur durch den Menschen. Eine Frage treibt mich immer noch um: Wie kommt es, daß die Welt immer mehr den Kon zepten gleicht, denen wir den Vorzug geben ? All diesen Themen der Kom plexität entspricht eine Welt, die in religiöse Minderheiten zerfällt, sich libanisiert, sich balkanisiert.« ^^ Unter diesem Gesichtspunkt greift das binäre Modell, die strukturale Dualität nicht mehr. An seine Stelle tritt das Denken in Paradoxien, das der zunehmenden Komplexität besser gerecht werden will, »denn es ist in der Lage, die Gegensätze auf verschiedenen Ebenen zu halten« ^^. Der Erfolg des Kognitivismus zieht auch eine Strömung der Philosophie mit sich, was — in Frankreich ein absolutes Novum — gemeinsame For schungsprogramme mit Wissenschaftlern ermöglicht. Diese philosophi sche Richtung kommt hauptsächlich aus den angelsächsischen Ländern: Es ist die analytische Philosophie, die sich schon lange für die Grammatik des Denkens interessiert. In Frankreich entwickeln sich derartige — freilich noch seltene — Forschungen im Rahmen des CREA, das als »Freistatt der
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analytischen Philosophie in Frankreich« ^^ gilt. Dort arbeitet die Philoso phin Joelle Proust. Sie beklagt, daß diese Tätigkeit auf dem Feld der franzö sischen Philosophie immer noch zu sehr am Rande steht, da man sich fast ausschließlich mit Fragen der Philosophiegeschichte beschäftigt und »die Entwicklung der lebendigen Philosophie verpaßt« ^^. Unterdessen hat der CNRS 1988 eine Untersuchung über das von den kognitiven Disziplinen repräsentierte neue Forschungsfeld begonnen. Im Juli 1989 reichte Jean-Pierre Changeux seinen Bericht beim Forschungsmi nisterium ein, das die Förderung der kognitiven Wissenschaften zusagte. Dennoch besteht nach wie vor eine erhebliche Kluft zur angelsächsischen Welt. In der analytischen Philosophie wird die unter dem strukturalen Para digma verdrängte Reflexion des Subjekts wieder zu einem privilegierten Untersuchungsgegenstand — freilich nicht das Subjekt der traditionellen Psychologie. Das Subjekt gilt nicht als Festung der Nicht-Wissenschaft, als Raum der Freiheit, wo, von objektivierenden Systemen unbehelligt, der Sinn gedeiht. Ganz im Gegenteil, es wird den materialistischen Ausgangspostulaten entsprechend naturalisiert und als Ort von explizierbaren Re geln betrachtet: »Es gibt heute hochspannende Arbeiten über das Sehen, über die Sprache, über das Verstehen und Denken, die uns etliche Bausteine zum informatischen Aspekt der mentalen Aktivitäten liefern.« ^^ Diese Verbindung von Erforschung künstlicher Intelligenz und Philoso phie läßt sich sogar auf historische Vorläufer zurückbeziehen. So gibt Hu bert Dreyfus zu bedenken, daß die Philosophie Kants der künstlichen In telligenz den Boden bereitet habe.'*° Auch Joelle Proust erkennt in der Untersuchung der Möglichkeitsbedingungen der symbolischen Tätigkeit, die den theoretischen Horizont der kognitiven Wissenschaften darstellt, eine Wiederaufnahme des Kantschen Projekts: »Kants transzendentale Untersuchung hat ihr das erste Beispiel geliefert.« "^^ Paul Ricoeur sagte schon in den sechziger Jahren über Levi-Strauss, dieser vertrete einen Kantianismus ohne transzendentales Subjekt. Die Ambitionen des strukturalen Projekts scheinen sich also in einem gewissen Sinne im kognitiven Projekt auf anderer Grundlage fortzusetzen.
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Der neuronale Mensch? Zu den wichtigsten Fundamenten dieser NaturaHsierung des Denkens, die sich in der strukturalen Frühphase auf einer im wesentlichen kulturellen Basis, nämlich in den Regeln der Sprache zu befestigen suchte, zählen die in jüngster Zeit erzielten Fortschritte der Neurowissenschaften. Mit seiner 1983 veröffentlichten Schrift UHomme neuronaV'^ gehört Jean-Pierre Changeux, Professor am College de France und Leiter des Laboratoriums für molekulare Neurobiologie am Institut Pasteur, zu deren bekanntesten Vertretern in Frankreich. Als Neurobiologe sieht er in allen geistigen Akti vitäten, sowohl reflektierender als auch emotioneller Art, das alleinige Er gebnis der Nervenströme. Um die Denktätigkeit zu verstehen, bedarf es deshalb einer epistemologischen Kehrtwendung. Es soll nicht mehr gelten, daß die Natur durch den menschlichen Geist transformiert wird und seinen Wahrnehmungsmustern unterliegt, vielmehr sei der menschliche Geist als reiner und ausschließlicher Ausdruck der Naturgesetze zu betrachten: »Der zerebrale Apparat ist eine Neuronenschaltung, und unser Problem besteht fortan darin, die Zellmechanismen zu erforschen, die den Über gang von einer Schicht zur anderen ermöglichen.« "^^ Damit kann das kom plexe psychische Wirken auf die neuronale Architektur des Gehirns zu rückgeführt und durch ihre Kenntnis erklärt werden. Jedes der zehn Milliarden Neuronen ist mit hunderttausend weiteren verbunden. So ist denn ein umgemein vielschichtiges Netz in Bewegung und bewirkt dendri tische Ekstasen, axonale Orgasmen, Hirnrindenexplosionen, bionische Beschleunigungen und biochemische Erschütterungen. Dieser Apparat ist zwar ebenso komplex wie in seinen Assoziationsmöglichkeiten unbe grenzt, aber Changeux ist gleichwohl zuversichtlich, jedem neuronalen Netz einen bestimmten mentalen Gegenstand zuordnen zu können. Er vertritt also eine Wissenschaft, die es für möglich hält, das Rätsel des Be wußtseins und des Denkens überhaupt zu lösen, welches — so seine Wider rede gegen den Mathematiker Alain Connes — lediglich »der Ausdruck ei nes besonderen Zustands der Materie« '''^ sei. Man begreift die Herausforderung, die dies für die Humanwissenschaf ten bedeutet, die ihr Gebäude gerade in Widerspruch zum biologischen Reduktionismus an der Schnittstelle von Natur und Kultur errichtet hat ten, beispielsweise die verschiedenen Strömungen der Psychologie und
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vor allem die Psychoanalyse. Ihr läuft Changeux' Schlußfolgerung: »der Mensch hat fortan nichts mehr mit dem Geist zu tun, es genügt ihm, ein neuronaler Mensch zu sein« ^^, grundweg zuwider. Die Neuinterpretation aller mentalen Tätigkeiten auf der Basis des Körpers stellt eine Kampfan sage von Seiten der materialistischen Ontologie dar, und die Psychoanalyti ker haben gegen diese physikalistische und reduktionistische Sichtweise am meisten einzuwenden. So bestreitet der Psychoanalytiker Andre Green die Triftigkeit von Changeux' Thesen, die er als »völlig unannehmbar«'^^ bezeichnet. Er er kennt die Bedeutung der neuronalen Ebene an, gibt hier allerdings der These des Neuroendokrinologen Jean-Didier Vincent'^'' den Vorzug. Es ist seit langem bekannt, daß die von den endokrinen Drüsen abgesonderten Hormone am Wachstum des einzelnen und an seinen elementaren Bedürf nissen beteiligt sind. Vincent erweitert nun ihren Einflußbereich auf die menschlichen Gefühlsregungen. Allerdings »behauptet er nie, daß die Liebe nur ein Produkt von Hormonen sei« ^^. Mit Changeux hingegen bleibe man, so Andre Green, »auf gewisse Weise dem Strukturalismus verhaftet« ^'^. Auch Changeux hat den Ehrgeiz, die komplexe Wirklichkeit auf ein einfaches System zurückzuführen, auf eine begrenzte Anzahl von Variablen, die man nur miteinander verschalten muß. Dies hat für die Neurowissenschaften den Vorteil, daß sie mit greifba ren und nachweisbaren Vorgängen hantieren, durch die auf die Homogeni tät des Menschen geschlossen werden kann: »Die Frage der Komplexität, der Heterogenität hingegen zwingt dazu, mehrere Kommunikations- und Diffusionssysteme in Betracht zu ziehen. Es gibt Systeme, die durch neuro nalen Kontakt funktionieren, und solche, die per Hormondiffusion funk tionieren. Das ist nicht dasselbe. Noch komplexer wird dies dadurch, daß auf der Ebene des synaptischen Kontakts chemische Transmitter auftre ten.« ^° Andre Green hält an der Konstruktion eines autonomen Feldes der Psychoanalyse fest, die Reduktionismen in jeder Form standhält: ob in der Vergangenheit der Ausblendung der Affekte, mit der das Unbewußte auf die Spiele der Sprache reduziert werden sollte, oder heute dem Ansinnen, das Unbewußte durch Reduktion auf ein Spiel der Neuronen zu naturali sieren. In periodischen Abständen den Engführungen szientistischer Unter nehmungen ausgesetzt, haben es die Humanwissenschaften sicherlich
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schwer, ihre Spezifität und Autonomie zu behaupten. Der strukturale Naturahsmus erscheint in dieser Hinsicht als die VerwirkHchung des Vorha bens, den Menschen in der Materie aufzulösen. Er bietet somit keine end gültige Antwort auf das Problem der Komplexität des psychischen Wirkens, denn die kann nur unter Berücksichtigung der »Heterogenität des Signifikanten« ^^ erfolgen.
Die Verarbeitung des Programms
Auch wenn der Strukturalismus seit 1975 immer mehr vom Theoriehori zont verschwindet, wäre es verfehlt, aus dem Abklingen des Medienrum mels, den er in den sechziger Jahren genoß, zu schließen, er läge danieder und es bedürfe nur eines »Großreinemachens«, um eine abgelebte Vergan genheit vom Tisch zu fegen. Richtig ist, daß das strukturale Paradigma durch weitgreifende Umbrüche umgestaltet oder kräftig erschüttert wurde. Hochfliegende Ambitionen sind nicht mehr gefragt, Bescheidenheit steht an, und unter dem doppelten Gebot einer veränderten historischen Situa tion und wissenschaftlicher Weiterentwicklungen werden neue Bündnisse geschlossen. Aber es bleiben wesentliche Zugewinne. Um sie richtig einzuschätzen, gilt es zu unterscheiden zwischen der umstandsbedingten wissenschaftli chen Antwort auf eine bestimmte, mittlerweile überwundene Phase und den unentbehrlichen Fortschritten, die dank dem theoretischen Aufbruch in der strukturalistischen Periode verwirklicht wurden. "Wie die Geschichte eines einzelnen Menschen folgt ein sich durchsetzendes Paradigma seinem zeitlichen Fluß, durch den es zum Höhepunkt geführt wird, dann eine Phase nachlassender Leistungen erlebt, um schließlich in das Bett einer langsamen und leisen Geschichte einzumünden. Man sollte also nicht glau ben, daß die ganze Aufregung umsonst gewesen und das entfachte Feuer werk nur Blendung gewesen sei.
Eine bleibende geistige Einstellung Was bleibt, ist eine besonders ergiebige Epoche, reich an Erkenntnissen, die unsere Weltanschauung und unsere Wahrnehmungsmuster dauerhaft ver ändert haben. Diese Dimension gehört definitionsgemäß nicht zur Ord nung der Sensationen, sondern hängt mit den Funktionen des »Verdauens« zusammen, mit dem Verarbeitungsprozeß in der Entwicklung der Sozial-
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Wissenschaften. Insofern muß eine Rückkehr zum Strukturalismus der von Lenin bezogenen Empfehlung Althussers entraten, die da lautet, daß man auf die Extreme hindenken müsse. Ganz im Gegenteil, die einseitige Kon zentration auf die bloßen Strukturen oder aber auf das bloße Individuum hat die verderbliche Folge, das Wesentliche, nämlich die Wechselwirkung zwischen den beiden, gar nicht zu erfassen. Man schert sich nicht darum, die Leistungen der vorausgegangenen Periode zu würdigen, sondern beläßt sie bewußt in einer Grauzone, um sie desto einfacher dem Vergessen zu überantworten und sich ungehinderter in die Gegenrichtung aufzumachen, dies dann aber freilich mit dem gleichen intellektuellen Terrorismus wie sei nerzeit. Deshalb steht, mit Marc Guillaume, zu hoffen, daß wir, »wie aus den ex akten Wissenschaften vertraut, in das geologische Zeitalter der Sozialwis senschaften« ^ eintreten können. In dieser Hinsicht hätten die Sozialwis senschaften mit dem Strukturalismus die erste Schicht seit Auguste Comte abgelagert, was schon gar nicht so schlecht sei. Und wenn man die strukturalistische Tätigkeit in den achtziger Jahren abseits von Modephänomenen untersucht, wird man gewahr, daß sie sich aktiv fortsetzt und noch immer zahlreiche Arbeiten aller Disziplinen anregt: »Es ist ein Phänomen, das sich in mehreren Stufen abspielt«^, wie Marcel Gauchet sagt. In der Tat muß man beim strukturalistischen Phänomen differenzieren zwischen der Faszination für ein Programm, das die Humanwissenschaften zu vereinheitlichen verheißt, und den einschlägigen Methodologien, die in den einzelnen Disziplinen, je nach deren eigenem Gegenstand und ihrer Position in der Universitäts- und Forschungslandschaft, an diese Erwar tung angeschlossen haben. Dazu gehören dann auch die Konkurrenz erscheinungen, das Ringen um leadership, zeitweilige Vorherrschaften, Pilotpositionen und taktische Bündnisse, die sich im Umfeld der Auseinan dersetzung zwischen den klassischen Geisteswissenschaften und den So zialwissenschaften, zwischen Modernität und Tradition in den Universitä ten entzündeten. So gesehen, deckt sich der Strukturalismus kraft des Kampfes, den er verkörperte, mit der gesamten französischen Geistesge schichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: »Es gibt einen struktura listischen Geist, der mir eine dauerhafte Errungenschaft zu sein scheint und der sich für mich mit dem in diesem Jahrhundert erworbenen Wissen über schneidet. Mit lokalen Fehlschlägen oder der Entkräftung der Strukturali-
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stischen Modelle, so wie sie in den Einzeldisziplinen funktioniert haben, hat er nichts zu tun.« ^ Auf diffuse, aber tiefgreifende Weise ist die intellektuelle Arbeit der Ge genwart von einem Bemühen um Strenge, von einem Erfassenwollen signi fikativer Einheiten bestimmt, an dem sich die Verarbeitung einer strukturalen Anforderung erweist — selbst bei denjenigen, die es für nötig halten, diese Periode von sich zu weisen und ihren endgültigen Tod auszurufen. Dies gilt auch für die nachgeborene Generation, die, zuweilen nicht einmal über die Bedeutung der Bezeichnung »Strukturalist« im Bilde, nach Art von Molieres Monsieur Jourdain unwissentlich Strukturalismus betreibt. Wiewohl er den Auffassungen, die der Strukturalismus vertreten hat, sehr kritisch gegenübersteht, erkennt Marcel Gauchet an, daß »dadurch, daß eine Anforderung strukturalen Typs eingeführt worden ist, heute niemand mehr einen Text, gleich welcher Art, so liest wie zuvor. In dem Gedanken, Kohärenzen zu rekonstruieren, wurde überall an signifikanten Totalitäten gearbeitet.« '* Auch Edgar Morin kämpfte von Anfang an gegen den Erfolg des Struk turalismus, den er in seinem unsinnigen Anspruch, den Menschen in vor geblich wissenschaftlichen Kategorien aufzulösen, für einen Schwindel hielt. Trotzdem spricht er dem strukturalistisch-epistemischen Paradigma in dreierlei Hinsicht Verdienste zu: die Betonung des Strukturgedankens, die radikale Kritik des abendländischen Logos und schließlich die Einset zung des Symbolischen als maßgeblicher Instanz. ^ So verflüchtigen sich die Moden, die ja wiederum einen bevorzugten Untersuchungsgegenstand der Strukturalisten bildeten, aber der Strukturalismus selbst bleibt für viele ein bedeutsamer theoretischer Horizont. Der Psychoanalytiker Jean AUouch votiert für den Fortbestand dessen, was manche begraben zu haben vermeinten: »Mir leuchtet nicht ein, wie man etwas anderes als Strukturalist sein könnte. Ich bleibe unbedingt Strukturalist, weil man das Subjekt vom Gesichtspunkt der Psychoanalyse nur als Struktur denken kann. Wenn es keine Struktur des Subjekts gibt, kann es auch keine Klinik geben.« ^ Die praktische Seite des Strukturalismus erklärt auch, weshalb sich der Linguistik heute durch die Entwicklung der »Sprachindustrien«, der Infor matik und der Expertensysteme ein so bedeutender Absatzmarkt bietet. So gesehen zeigt der Übergang von der klassischen akademischen Ausbil-
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dung, also den Geisteswissenschaften, zur Ausbildung von Ingenieuren, die dann bei IBM arbeiten, die wahre Bedeutung des Gefechts, das in den sechziger Jahren unter dem Banner der strukturalen Modernität geführt wurde. Auf dem Spiel stand der Zugang der Geisteswissenschaftler zur operationalen Wissenschaft, zu den Spitzentechnologien der modernen Gesell schaft, und dieser Herausforderung hatte der Strukturalismus sich gestellt. Sylvain Auroux ist sogar der Auffassung, man müsse in Richtung mathe matischer Formalisierung noch weiter voranschreiten, und sieht in der Gründung des Verbunds MAS (Mathematiques et sciences humaines), auch wenn dieser den Erwartungen einstweilen noch nicht entspricht, den richtigen Weg dazu. Auf die Zeit des Umsturzes der traditionellen Geistes wissenschaften, die davon geprägt war, daß man die alten Methoden zer trümmern wollte und ein starkes Bedürfnis nach Theorie hatte, folgt eine pragmatischere Zeit der Methodenanwendung und des Aufbaus neuer operationaler Systeme: »Jetzt stellen sich echte Probleme, etwa in der Art: Entwickelt mir ein Wörterbuch, das ein orthographisches Kontrollpro gramm für Sekretärinnen enthält; dabei fragt man sich dann, welche Wör terstruktur man zugrunde legen soll.«^ Hier besteht ein Generationen bruch. Den Kampf, den die strukturalistische Generation der sechziger Jahre geführt hat, betrachtet die neue Generation als beendet, weil sie die Aufhebung der Tradition für gesichert hält. Folglich kann sie die Forschung auf neue, nunmehr den modernen Technologien integrierte Ziele ausrich ten. Von manchen Ambitionen ist man freilich abgekommen. Die stärkste szientistische Strömung des Strukturalismus, die Greimassche Semiotik, die, ganz auf das semiotische Viereck gestellt, die Wahrheit des Sinns jeder Rede aufzudecken erstrebte, hat sich heute als linguistischer Zweig in die Gefilde der Semiotik des Religionsdiskurses zurückgezogen. Die Wissenschaft, welche die Semiotik zu sein wünscht, verträgt sich gut mit religiösen Exegesen: »Es gibt in Frankreich keinen Pastor, der die Se miotik nicht kennt, denn diese Leute haben noch ein wenig Glauben be wahrt, und sie akzeptieren die Spielregel, daß man nicht vom Referenten spricht.« ^ So überstand in Quebec nur eine Arbeitsgruppe zur Analyse der Evangelientexte die Ebbe der semiotischen Reflexion. Der frühere Direktor der Jesuitenzeitschrift Etudes, Paul Valadier,
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spricht dem Strukturalismus das große Verdienst zu, »eine neue Auslegung der biblischen Texte« ^ eingeführt zu haben. Im Zuge der strukturalen Welle der Jahre 1960 bis 1965 wurden auch die Texte der Bibel dekonstruiert. Valadier erinnert sich, daß er seinerzeit an einem Kongreß von Moraltheolo gen und Exegeten teilnahm, der die semiotische Betrachtung der Heiligen Schrift zum Thema hatte. Wie in den anderen Forschungszweigen schien das historizistische Modell, das den Text systematisch auf einen zeitlich und räumlich genau bestimmten kulturellen Zusammenhang zurückzubeziehen versuchte, sich erschöpft zu haben. Diese Methode tendierte dazu, die Erklärung des Textes mechanistisch auf sein Herkunftsmilieu zu redu zieren: »Der Strukturalismus hat zu dem Bewußtsein beigetragen, daß man es mit einer Erzählung zu tun hat, die als solche gilt.« ^° Durch die Aufmerksamkeit für die Erzählung konnte der Erfindungs reichtum, konnten die vielfachen Variationen derselben Episoden des Le bens Christi in der Schilderung von Matthäus, Markus oder Lukas rekon stituiert werden. Allerdings stellt Paul Valadier heute einen gewissen Verschleiß dieses Modells fest, das tendenziell immer wieder die gleichen Resultate zeitigt. Gleichwohl werden die semiotisch-strukturalistischen Bi belstudien fortgeführt, insbesondere in der Arbeitsgruppe von Louis Pa nier an der katholischen Fakultät von Lyon."
Frangoise Heritier-Auge: jenseits von Levi-Strauss »Ein künftig unverzichtbares Werk« titelte Le Monde, als 1983 Der Blick aus der Ferne erschien. ^^ Tatsächlich betrifft das Abflauen der strukturalistischen Mode nicht den Meister und Initiator dieser Denkrichtung, von der das anthropologische Fach sich großenteils nach wie vor inspiriert. Das Laboratoire d'anthropologie sociale führt die Arbeit von Levi-Strauss in un mittelbarem Bezug auf sein Werk weiter. Die nachwachsende Forscherge neration hat die Verfahren, die Methoden und die Anregungen von Levi-Strauss verinnerlicht, auch wenn deren modernisierte Version sich stärker der kognitiven Anthropologie angleicht — eine Tendenz, die, wie wir gesehen haben, Levi-Strauss' eigener Entwicklung zu einem naturalisti schen Strukturalismus entspricht. In Frangoise Heritier-Auge, die 1982 die Leitung des Laboratoire d'an-
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thropologie sociale übernimmt, hat Levi-Strauss eine überaus talentierte Nachfolgerin gefunden. 1984 erhält sie einen Lehrstuhl für vergleichende Studien der afrikanischen Gesellschaften am College de France. Ihre Arbeit über die Regeln der Verwandtschaft, der Allianz und der Filiation in den Omaha-Systemen schreibt sich in die direkte Verlängerungslinie des Struk turalismus von Levi-Strauss ein.^^ Ihre Inauguralvorlesung läßt gleichv/ohl erkennen, daß sie sich nicht mit der Verwaltung des Nachlasses begnügt, sondern diesen immer wieder um neue Orientierungen und Problemstellungen bereichert, die das wissen schaftliche Interesse neu beleben. So hält sie den Gegensatz zwischen der Statik der Strukturen und der Kontingenz der historischen Umbrüche für nicht mehr relevant: »Jedes System haushaltet bei aller Durchgliederung mit Öffnungen, undeutlichen Rändern und Ritzen, die der unter dem Hub der Geschichte sich vollziehenden Erneuerung Zugriff gewährt.« ^^ Außer dem nimmt sie nicht mehr nur die kulturellen Einheiten, sondern die Ge sellschaft in ihrer Gesamtheit in den Blick, zumal die afrikanischen Gesell schaften die drei Ordnungen (die metereologische, die biologische und die soziale) in einen unentwirrbaren Zusammenhang, in eine signifikante Globalität einbinden. Grundsätzlich bleibt Fran9oise Heritier-Auge dort dem Geist von LeviStrauss treu, wo sie zwei anthropologische Denkweisen einander als antinomisch gegenüberstellt: Die erste bezieht die unkommunizierbare Diversität der mannigfaltigen menschlichen Kulturen auf Universalien zurück, in denen sich diese Diversität auflöst, während die zweite, der sie selbst ver pflichtet ist, »die variable phänomenologische Gegebenheit der Gesell schaften mit einigen wenigen invarianten Grundmechanismen assoziiert, die diese Gegebenheit ordnen und ihr ihren Sinn verleihen« ^^. Von Levi-Strauss weicht Fran9oise Heritier-Auge vor allem darin ab, daß sie dem Körper und seinen Säften in der Untersuchung der symboli schen Repräsentation einen zentralen Stellenwert zumißt. Sie verweigert sich kulturalistischen und relativistischen Auffassungen; vielmehr reiht sie ihre Forschungen in das strukturale Unternehmen ein, um nachzuweisen, daß der menschliche Geist eigene Invarianten hat, die eine universelle Grammatik ergeben könnten. Dabei hängt sie allerdings keiner neuronalen Konzeption des menschlichen Geistes an, sondern erforscht, jenseits sozia ler und kultureller Unterschiede, seine Funktionsweise anhand arachai-
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scher Themata, die dem Körper und der Geschlechterdifferenz einbe schrieben sind: »Ich denke, daß es eine Einheit des menschHchen Geistes gibt, daß die Möglichkeiten beschränkt sind und daß der menschliche Geist der Beobachtung zugänglich ist.« ^^ Die Grammatik, die sie rekonstituieren will, ist universell ausgelegt und versucht damit den Levi-Straussschen Rahmen zu überschreiten, der, vor allem in den Mythologica, im wesentli chen an den Kulturraum der amerikanischen Indianer gebunden war. Die zweite Wendung gegenüber Levi-Strauss ist nun, von der Eigenheit des Menschen als Körper auszugehen und anzunehmen, daß von ihm sich alle Repräsentationssysteme herleiten. So »ist das AUerelementarste, auf das die menschliche Intelligenz stößt, der Unterschied der Geschlechter« ^'^. Diese Opposition macht deutlich, daß nicht alle Möglichkeiten von Ver wandtschaftsbeziehungen verwirklicht sind, denn es wäre ja denkbar, daß bestimmte (nirgendwo anzutreffende) Systeme in dem fundamentalen Paar von Bruder und Schwester eine Machtüberlegenheit der Frau über den Mann einführten: »Es gibt also eine Invariante in allen Gesellschaften der Welt, nämlich die der männlichen Dominanz.« ^^ Frangoise Heritier-Auge nennt dies die differentielle Valenz der Geschlechter, durch die sich die Wahl bestimmter Verwandtschaftssysteme sowie deren Verankerung im Körper, in dem ans Soziale angegliederten Biologischen verstehen läßt. Bei ihrer Begegnung mit dem Land der Samo in Burkina Faso (früher Obervolta) stieß Frangoise Heritier auf ein Verwandtschaftssystem, das ihr widersinnig vorkam: »Ich stand davor wie der Ochs vorm Berg« ^^ — bis ihr klar wurde, daß sie es im Grunde mit den klassischen Regeln semikomple xer Allianzsysteme zu tun hatte. Daraufhin führte sie eine minutiöse Erhe bung in einer Reihe von Samo-Dörfern durch, holte vielfältige Auskünfte ein, verglich sie und erstellte auf diese Weise Genealogien. Darüber hinaus konstruierte sie mit Hilfe ihrer Informanten, mit denen sie alle vorstellba ren familiären Verbindungen erörterte, das Verwandtschafts- und das Alli anzsystem. Diese Arbeit der Erhebung auf dem Terrain ist nicht gerade leicht, denn »selbst der bewandertste Mensch der Welt ist nicht imstande, gleich auf die Frage zu antworten: >Wie nennen Sie die Tochter der Tochter der Schwester des Vaters Ihrer Mutter, und sind Sie berechtigt, sie zu heira ten ?< Das muß man sich erst einmal an einem Schema vergegenwärtigen.« ^° Also erfand sie simple Möglichkeiten der Symbolisierung, mit denen sie Diagramme über acht bis zehn Generationen anfertigen konnte: Kleine
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Muscheln standen für das weibliche Geschlecht, Kiesel oder Glasscherben für das männliche, und Stäbchen oder Streichhölzer stellten die Beziehun gen, die Filiationen dar. Dadurch gelang es, das Feld der Möglichkeiten zu bestimmen und die Ränder zu erkennen, an denen man die Grenze über schreitet, das Feld verläßt. Im zweiten Schritt der Analyse wurde das Material in eine elektronische Datenverarbeitung eingespeist. So ließ sich feststellen, daß die gebräuchli chen Praktiken zum Omaha-System gehören, nach dem zwei vom selben Paar gezeugte Individuen gleichen Geschlechts identisch sind, aber sobald sie verschiedenen Geschlechts sind, in absoluter Differenz zueinander ste hen. Die differentielle Valenz der Geschlechtszugehörigkeit spielt also eine erhebliche Rolle, denn wenn das männliche Kind eines Paares davon aus geht, daß der Bruder seines Vaters auch sein Vater und die Schwester seiner Mutter auch seine Mutter ist, so wird ein Mädchen, gleich ob älter oder jünger, immer als eine Tochter ihres Bruders betrachtet: »Sie gehört der nachfolgenden Generation an, so daß die ersten Reisenden, die auf die ame rikanischen Indianer stießen und mitbekamen, daß neunzigjährige Männer ein fünfjähriges Mädchen als ihre Mutter anredeten, sich sagten: Das müs sen schon Wilde sein, die da keinen Unterschied machen.« ^^ Vom Feld der Verwandtschaft ging Fran9oise Heritier-Auge dazu über, die Körperflüssigkeiten in ihrem Verhältnis zum Sozialen zu untersuchen und über die Eigenheit einer bestimmten Gesellschaft hinaus die Kohären zen der Denksysteme im strukturalen Maßstab zu begreifen. So sucht sie nach den Grundlagen einer auf das anthropologische Feld anwendbaren universellen Grammatik, indem sie den Körper und die auf die Opposition Fruchtbarkeit versus Sterilität bezogenen Fragen zum Ausgangspunkt nimmt. In Anbetracht der Tatsache, daß der menschliche Geist mittels As soziationen funktioniert, entlehnt Frangoise Heritier-Auge aus der Biolo gie die Metapher der autostrukturierten Ketten: »Wenn man Fruchtbarkeit denkt, denkt man notwendig Sterilität. Wenn man Fruchtbarkeit und Steri lität gegeneinanderhält, denkt man Sexualität, was einen dazu führt, an die Körperflüssigkeiten zu denken, an Milch, Sperma, Blut. Der Gedanke ist der, daß diese Begriffe durch sich selbst strukturierende Ketten funktionie ren.«^^ Im allgemeinen findet man alle Elemente der Kette wieder, gele gentlich mag einmal ein einzelnes fehlen, und manche spielen vielleicht die Rolle einer Drehscheibe, die sich auf mehrere Richtungen öffnet oder in be-
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sonderen Schlaufen mündet: »Auf diese Weise beschreibt man Anamorphosen, aber zugleich auch Tomographien, also Schnitte, und Verlaufs netze, anhand deren ein Begriffsfeld als die Gesamtheit der WahlmögHchkeiten umrissen werden kann.«^^ Der Levi-Strausssche Strukturalismus trägt also immer noch Früchte, auch wenn man eine deutliche Wendung zu Themen feststellt, in denen das in der Frühphase Verdrängte und Beiseitegestellte wieder zum Zuge kom men kann. So etwa der Referent Körper bei Frangoise Heritier-Auge und der Referent Natur bei Philippe Descola, ebenfalls ein Schüler von LeviStrauss, der 1983 seine these verteidigte und kurze Zeit später veröffent lichte. ^'^ Er erforscht den Symbolismus und die Praxis in der Ökologie einer Jivaro-Gruppe des äquatorialen Amazonasgebiets, der Achuar, deren ver schiedene Formen der Vergesellschaftung der Natur er untersucht. Seine Perspektive knüpft an Levi-Strauss' Projekt an, den Einschnitt zwischen Natur und Kultur, Realem und Symbolischem, Mythologie und Technologie zu überwinden. In dieser vergleichenden Anthropologie zu den Formen der Naturvergesellschaftung, zu den Systemen der Repräsen tation der Natur, verschiebt Philippe Descola allerdings den Levi-Straussschen Blickpunkt »und stellt die heuristisch freilich sehr fruchtbare Idee ei ner absoluten Unterscheidung von Natur und Kultur in Frage« ^^. Die Analyse der konkreten Jivaro-Gesellschaft läßt erkennen, daß die von die ser Bevölkerung gebrauchten Unterscheidungen über sehr verschiedene Bahnen verlaufen und sich nicht systematisch um die Trennung zwischen den Menschen auf der einen und der Natur auf der anderen Seite anordnen. Descola stellt die Natur wieder in den Mittelpunkt der Analyse, wäh rend sie bei Levi-Strauss nur die Nebenrolle eines Repertoires, eines Lexi kons natürlicher Gegenstände innehat, aus dem die Menschengruppen eine begrenzte Auswahl signifikanter Elemente beziehen. Die Natur hat dabei den Status eines Gefäßes, eines in die Ferne gerückten, auf eine passive Rolle beschränkten Referenten: »Die Natur spielt in diesem Fall eine sehr untergeordnete Rolle, wogegen die menschliche Natur, die Struktur der Sprachen und des Geistes, folglich die Struktur des Gehirns sich zur Natur wie eine auf sie gerichtete Gießkanne verhält.« ^^ Die Rückkehr der heimi schen Natur wie des Körpers als signifikante Pole verdeutlichen den Weg, der seit den Ausgangspostulaten zurückgelegt wurde — hatten sie doch den referentiellen Bereich, der als dem Zeichen äußerlich galt, ausgeklammert.
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Neue semiologische Ansätze Das semiologische Programm ist zwar heute nicht mehr so ambitioniert wie 1966, wird aber nichtsdestoweniger weitergeführt, ja erschHeßt neue Gebiete, die sich seiner Anwendung vormals zu sperren schienen. So rückt Philippe Hamon die Gattung der Beschreibung, die man als noch zu defi nierenden Gegenstand hintangestellt hatte, wieder ins Feld der Analyse und damit vom »methodologischen Nullpunkt« ^^ fort. Über die Aneig nung des deskriptiven Genres in seinen verschiedenen Formen (Chrono graphie, Topographie, Prosopographie, Ethopöie, Prosopopöie) hinaus analysiert Hamon die Entwicklung des historischen Status, den die Be schreibung innehatte. Bis zum Mittelalter gehörte sie »im wesentlichen zur Deixis, die in der Tat die systematische Beschreibung verlangt, insbeson dere in Gestalt der Lobrede auf bestimmte gesellschaftlich privilegierte Per sonen, Orte, Momente des Jahres, Monumente oder Gegenstände« ^^. Für die Literatur galt es damals das Deskriptive zu meiden, das streng auf ge sellschaftliche Funktionalität ausgerichtet war und einem genau bestimm ten Zweck zu genügen hatte. Die Beschreibung wurde also in der Literatur als echte Gefahr wahrgenommen, gegen die man angehen mußte, weil sie die Einheit des literarischen Werks bedrohte. Erst im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert löste sich das Deskriptive aus seiner Abhängigkeit von anderen Textverfahren. Nun bil dete sich eine neue Ästhetik rund um die Trilogie von Person, Dekorum und Leser, »in der die Beschreibung gewissermaßen zum tonalen Operator wurde, der innerhalb einer globalen Ästhetik der Homogenität die Auf nahme des Textes durch den Leser lenkte« ^^. Philippe Hamon untersucht hier das Feld der Möglichkeiten literarischer Ausdrucksformen nicht nur um seiner inneren Struktur willen, sondern auch als Teil einer besonderen, zu historisierenden Episteme. Auch an dieser Stelle trägt die Verarbeitung des strukturalistischen Programms dem referentiellen bzw. kontextuellen Rahmen Rechnung, der durchaus auf die Existenz einer historischen Ethik schließen läßt, die einer sich wandelnden Ästhetik den Boden bereitete. Die Saussureschen Unterscheidungen und die phonologischen Arbeiten des Prager Kreises, von Jakobson und Trubetzkoy, bilden für viele weiter hin die Voraussetzungen für wissenschaftliches Arbeiten in der Linguistik. Auch wenn Bernard Laks den Chomskysmus als Inbegriff der Wissen-
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Schaft betrachtet, sieht er keineswegs vom strukturalistischen Paradigma in seiner Kontinuität ab, sondern hält es für notwendig, dieses Erbe ins wis senschaftlich stärkere Paradigma Chomskys aufzunehmen. Wie viele an dere hat auch er sich die grundlegenden Postulate zu eigen gemacht und er kennt die maßgebliche Rolle der Ahnherren und Wegbereiter an, obgleich er von bestimmten Leitvorstellungen jener Epoche durchaus Abstand nimmt. Nicolas Ruwet hat sich damit auseinandergesetzt, weshalb die Hoffnun gen, die man in die Zusammenarbeit von Linguisten und Literaturwissen schaftlern setzte, verfrüht gewesen sind. Er stellt fest, daß Roman Jakobson als derjenige, der die unbedachtetsten Erwartungen verkörperte, an den daraus erwachsenen Desillusionierungen nicht unschuldig gewesen ist. Das Programm, das er in Linguistik und Poetik entwarf, war, so Ruwet, ver nünftig, aber »die Art, wie Jakobson es formulierte, mußte zu Mißver ständnissen führen« ^°. Dafür sieht er vier Gründe: erstens den Stil Jakob sons selbst, der unterschiedslos mit als Behauptungen auftretenden Hypothesen und Autoritätsargumenten in der Funktion von Beweisgrün den hantiert. Zum zweiten habe seine Definition der poetischen Funktion der Sprache (die er als »die Einstellung auf die BOTSCHAFT als solche, die Ausrichtung auf die Botschaft um ihrer selbst willen« ^^ kennzeichnet) denkbar vielen Verwechslungen über das Wesen der Botschaft Raum gege ben: Ist es der Inhalt oder die Form? Überdies habe sie zu der absurden Vorstellung geführt, daß die poetische Sprache sich selbst die eigene Refe renz sei. Was den Gebrauch der Tropen angeht, beging Jakobson laut Ru wet den Fehler, das Gebiet der Dichtung auf eine binäre Opposition zu rückzuführen, in der »er die Metapher dem Äquivalenzprinzip und die Metonymie dem Kontiguitätsprinzip gleichsetzt« ^^. Drittens habe Jakob son die Bedeutung der Syntax unterschätzt, die als Rückgrat der poetischen Sprache das bevorzugte Arbeitsgebiet der Chomskyaner darstellt. SchließHch erkennt Ruwet eine Kluft zwischen Jakobsons theoretischen Aussagen und ihren praktischen Anwendungen: »Oftmals ist die Praxis der Theorie voraus, sind die konkreten Beschreibungen ergiebiger als die expliziten theoretischen Aussagen. Zugespitzt möchte ich sagen, daß es sich bei Ja kobson umgekehrt verhält, zumindest in der Poetik,« ^^ Im Bereich der Kinematographie schreibt sich die filmsemiologische Forschung in der von Christian Metz eröffneten Perspektive an den Uni-
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versitäten fort. Sie erregt zwar nicht so viel Aufsehen wie das Tagesgeschäft der Rezension und trägt auch nicht mehr die Hoffnungen der sechziger Jahre, bildet aber nichtsdestoweniger eine wichtige Dimension der Film analyse. Auch auf diesem Forschungsgebiet zeichnet sich nach der Über nahme des strukturalen Rasters eine gewisse Entwicklung ab. So hält Marc Vernet die Bedeutung für strukturell organisiert, geht aber ansonsten da von aus, daß bei filmischen Erzählungen die ideologische Komponente zu berücksichtigen sei, damit die Struktur für einen Zuschauer funktioniere: »Das Packende, das Pathos rührt im wesentlichen aus den Wertkonflikten, jedenfalls weit mehr als aus der Sentimentalität.« ^'^ Während die traditionelle Filmkritik dazu neigt, die Erneuerung des Ki nogenres im Zeitraffer-Rhythmus der aufeinanderfolgenden Cineasten und als Ausdruck sich verändernder geschichtlicher Situationen zu sehen, privilegiert Marc Vernet die Permanenzen. Im amerikanischen Kino sieht er einen fortdauernden Mythos, der von einer Bevölkerung vollzogen wird, die ihre zutiefst religiös verankerte und hieraus mit einem überdauernden Wertesystem ausgestattete Ideologie in ihn hineinversetzt. In den narrativen Schilderungen der amerikanischen Filme bildet sich nach seinem Ver ständnis eine immer wieder gleiche und sich durch die verschiedenen Film genres hindurchziehende Spannung ab, nämlich der Widerspruch zwischen dem Einheitsbemühen und der Wirklichkeit einer jungen föderalen Ein wanderernation. Das amerikanische Kino fungiert in dieser Hinsicht als »Gründungsmythos der amerikanischen Nation« — so der Titel des 1976 im Verlag Maspero erschienenen Buches von filise Marienstras. Dieses Kino unterscheidet sich weniger nach Perioden, sondern formuliert jeweils auf der Leinwand den Ehrgeiz, die schwierige Aufgabe, ein kontinentgro ßes Gebiet beisammenzuhalten. Es ermöglicht die Integration einer Bevöl kerung, die sich von den aktiven Zentren des amerikanischen Kulturlebens wie New York, Chicago oder San Francisco als ausgeschlossen oder abge sondert erleben mag. »Deshalb sehe ich keine Unterschiede zwischen We stern und Krimi.« ^^ Beide Male dreht es sich um die Spannung zwischen lokaler und bundes staatlicher Gewalt, um die schwierige Aufteilung der Machtbefugnisse zwischen diesen beiden Ebenen. Der Western inszeniert einen Konflikt zwischen dem allgemeinen System, das sich rund um die Eisenbahn organi siert, und der lokalen Logik örtlicher Gruppenzusammengehörigkeit. Der
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Krimi setzt den Privatdetektiv gegen das FBI, das heißt, er wirft das Pro blem der notwendigen Verzahnung der Logik des Nachbarschaftsschutzes mit jener der Aufrechterhaltung der nationalen Ordnung auf: »Ich bin ver blüfft über die Fortdauer der Formen, die Fortdauer der Strukturen. Wenn die Amerikaner sagen, daß der HoUywoodfilm sich zwischen 1917 und 1960 nicht verändert hat, stimme ich dem vollauf zu.« ^^ Ein solcher Ansatz bleibt den strukturalistischen Grundannahmen ver bunden und hält den Zusammenhang zwischen Werk und Regisseur für ir relevant. Analysen dieser Art laufen mithin dem biographischen Verfahren des zeitgenössischen Diskurses über das Kino zuwider. Denn in der Tat scheint dem Leser der Eindruck leichter zu fallen, er kenne das Gesamt werk eines Cineasten: »Es gibt bei einem Filmfan dieses sehr fetischistische Gefühl, des Objekts in Gestalt eines Buches habhaft zu werden, während er normalerweise einen Objektverlust, eine Unzugänglichkeit empfindet, was übrigens einen Teil des Reizes ausmacht.« ^^ Die Filmsemiologie wird also fortgeführt, auch wenn sie weniger laut auftritt, eher unter der Oberfläche wirkt und keinen umfassenden An spruch mehr erhebt. Sie hat sich von dem Glauben gelöst, sie sei ein groß artiger Allzweckapparat, eine Art Allroundroboter, dem man nur alles ein zugeben brauchte, um den universalen Sinn herauszubekommen. Diese Semiologie sah sich genötigt, den Referenten einzuführen, sei es in Gestalt der Ideologie bei Marc Vernet, sei es in jener der Psychoanalyse bei Chri stian Metz, der von der Untersuchung der Erzählstrukturen des Films zur Erforschung der Metapsychologie des Zuschauers übergegangen ist: »Ich bin von der Botschaft zum Empfänger weitergeschritten.« ^^ Über Moden hinaus haben diese semiologischen Arbeiten das Verständnis der Kinema tographie erheblich erweitert und zur Verbreitung mancher Analyseinstru mente beigetragen, die sich seither die meisten Filmkritiker angeeignet ha ben. So geht heute jedermann davon aus, daß der Film codiert ist, selbst dann, wenn er den Film, den er rezensieren soll, nicht systematisch unter sucht. Indes, »vor zehn Jahren war diese Vorstellung weit weniger, ja kaum anerkannt« ^^.
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Frangois Ewald und das Erbe Foucaults Foucault hat keine Schule und keine Orthodoxie zurückgelassen, aber er hat eine Generation so nachhaltig geprägt, daß etliche sich auf seine ergiebi gen Denkbeiträge berufen, ohne sich zu seinem Werk hagiographisch zu verhalten. In diesem Sinne gründeten dreißig Universitätslehrer, die in Ver bindung mit Michel Foucault gearbeitet hatten, am 31. Mai 1986 einen Ver ein, um unter Vorsitz von Frangois Ewald ein Michel-Foucault-Zentrum ins Leben zu rufen. Dieses Zentrum will zum Kreuzungspunkt aller über Foucault verfaßten oder von seinem Werk inspirierten Arbeiten werden und versucht, aus dem verfügbaren Material ein möglichst umfassendes Ar chiv zusammenzutragen.'^'^ Vom 9. bis 11. Januar 1988 tagte im Theätre du Rond-Point ein internationales Kolloquium, an dem rund dreißig Forscher aus verschiedenen Ländern mitwirkten. Die Texte wurden anschließend im Verlag Le Seuil veröffentlicht. '^^ Das Kolloquium brachte die Vieldeutigkeit von Foucaults Werk zutage und zeigte es in seinen mannigfaltigen Beleuch tungen, so daß es aus verschiedenen — zustimmenden oder kritischen — Blickwinkeln auf seine ethischen und politischen Konsequenzen hin beur teilt und damit in der Geschichte der Philosophie resituiert werden konnte. Die Foucaultschen Maßgaben dynamisieren also weiterhin das Denken und haben bei Frangois Ewald, dessen Arbeit über das Recht sich deutHch auf die von Foucault geleistete Dekonstruktion bezieht, eine Fortschrei bung gefunden. Der Verfasser von UEtat-Providence'^^ hat sich die Philo sophie des Rechts vorgenommen, deren Evidenzen er auf eben die Weise destabilisieren will, in der Foucault mit dem psychiatrischen Diskurs ins Gericht gegangen war. Fran9ois Ewald macht gegen die Rechtsphilosophie die Idee geltend, daß das Recht nicht als solches, sondern allein kraft der Rechtspraktiken existiert. Die gebräuchlichen Begriffe sind nach seiner Auffassung nur die Reflexe dieser Praktiken, deren Genealogie es nachzugehen gilt. Er wendet die Foucaultsche Historisierung auf das Recht an, was bedeutet, die Einheit des Gegenstandes zu sprengen und zu beobachten, wie er innerhalb seines Streuungsraumes in seiner Pluralität, seiner Zersplitterung funktioniert: »Etwas zu reduzieren, es zu verallgemeinern ist immer falsch. Bei den Rechtsphilosophen spielt sich immer alles über Gleichsetzungen ab.«'^^ Ewald tritt wie Foucault für einen Positivismus ein, der nicht von den juri-
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dischen Theorien, sondern von den Praktiken ausgeht. Die zweite an Foucault anschheßende Umwälzung ist nun, daß das Recht im Sinne Ewalds, das heißt im wesentlichen das Zivilrecht, nicht wirklich auf der Bestrafung gründet, sondern auf der Verteilung von Geldsummen. Daher ist es weni ger aufgrund seines repressiven Charakters als vielmehr in seiner Positivität zu begreifen: »Ein weiteres ganz und gar Foucaultsches Problem ist die Art und Weise, wie sich eine Objektivität, eine Wissenschaft, ein Wissen kon stituiert, das als wahr gelten wird.«'*'^ Auf dem Gebiet des Rechts ist Ewald mit jener Dialektisierung von Macht und Wissen konfrontiert, die sich durch Foucaults gesamtes Werk zieht und hier einen außerordentlichen heuristischen Wert hat. Denn ein ju ristisches Urteil ist dadurch gekennzeichnet, daß seine Gültigkeit auf seiner Objektivität beruht und nicht auf willkürlichen Beschlüssen. Diese Objek tivität jedoch wandelt sich und muß folglich — abermals in der Weise, wie Foucault verfuhr — vergeschichtlicht werden: »Das Recht ist ein sehr Foucaultscher Gegenstand, weil es gleichzeitig ein ganz und gar historischer Gegenstand ist.« ^^ Das Recht verändert sich fortwährend, und das französische Bürgerliche Gesetzbuch, von dem man gerne annimmt, daß es seit 1804 unverändert geblieben sei, enthält heute so gut wie keinen Artikel mehr, der noch der selbe wäre wie zur Zeit seiner Abfassung. Demnach obliegt es dem For scher, die Rechtspraktiken in ihrer Verschiedenheit präzis aufeinander zu beziehen, indem er sie historisiert. Auch an dieser Stelle findet man Fou cault wieder, für den »das Recht eine Technik ist« ^^. Anstatt das Recht von einer grundlegenden Axiomatik her zu besehen, die auf die juristischen Praktiken schließen ließe, muß vielmehr das umgekehrte Verfahren ange wandt werden. Dieses Verfahren enthüllt die Heterogenität dieser Prakti ken und die Abschottung jedes einzelnen Juristen auf seinem Fachgebiet: »Die juristischen Praktiker haben es in ihrer Praxis nie mit dem Recht zu tun.«'^^ Der Fachmann für Versicherungsrecht kennt sich in der Regel aus schließlich auf diesem Gebiet aus, und der Spezialist für Verfassungsrecht versteht nichts vom Zivilrecht. Man sieht also, wie sehr sowohl in der O b jektwahl als auch in den Forschungsmethoden die Foucaultschen Maßga ben bei Frangois Ewald weiterwirken.
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Die epistemologische Filiation Auch die Nachfolge Gilles Gaston-Grangers auf Foucaults Lehrstuhl für Vergleichende Epistemologie am College de France ^^ spricht für die Konti nuität der epistemischen Problemstellung, die in den Zeiten des triumphie renden Strukturalismus den Ton angab. Gaston-Granger schreibt seine Forschungen in die Filiation ein, die von seinem Lehrmeister Gueroult über Hyppolite bis Foucault verläuft. Allerdings geht er in der Historisierung der Wissensweisen nicht so weit wie Foucault, was er schon in der Betitelung seines Lehrstuhls zu erkennen gibt, die den Terminus »Geschichte« nicht mehr enthält: »Die Philosophie der Wissenschaften, wie ich sie be reits seit langem zu praktizieren versucht habe, legt keinen Nachdruck auf die Geschichte.« ^'^ Er nimmt einen weniger relativistischen Standpunkt ein als Foucault und unterscheidet, darin Kuhn folgend, zwei Regime der Ent wicklung des Wissens: das der Vergesellschaftung, in dem zahlreiche Para digmen in Konkurrenz zueinander stehen (dies ist das Stadium der Vorwissenschaftlichkeit, die noch stark unter dem Einfluß des Ideologischen steht), und ein zweites Regime, das einen Bruch impliziert, von dem an die Erkenntnis wirklich wissenschaftlich wird. Getreu der Lehre von Bachelard und Foucault privilegiert Granger somit die Diskontinuitäten (»Die we sentliche Tatsache ist der Bruch« ^°). Diese Feststellung heißt für ihn jedoch nicht, daß es keinen kumulativen Fortschritt der Wissenschaften gäbe, so daß folglich das dem Bruch vorausgehende Wissen durchaus im späteren Stadium der neuen wissenschaftlichen Sprache verwendet werden kann: »Es sind diese immer wiederkehrenden Aufsprengungen der theoretischen Systeme, die den wahren Fortschritt möglich machen.« ^^ So gibt es also durchaus Kontinuitäten und keine geheimnisvollen Um stürze gleichsam schwereloser epistemischer Sockel, die verhinderten, die vor den Brüchen bewerkstelligten Fortschritte zu erkennen. Laut GastonGranger muß der Epistemologe ferner das Verhältnis zwischen der Er kenntnis und ihren exogenen Faktoren in zwei Regime unterscheiden: ein erstes Stadium der Vorwissenschaftlichkeit, in dem der Kontext eine erheb liche Rolle spielt, und ein zweites der konstituierten wissenschaftlichen Er kenntnis nach dem epistemologischen Bruch, ein Stadium, in dem »die exogenen Determinanten nicht länger die Antriebskraft der inneren Ent wicklung darstellen« ^^.
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Granger verweigert sich der falschen Ahernative zwischen Kontinuismus und Diskontinuismus und definiert die Arbeit des Epistemologen als die Ermittlung der dynamischen Ungleichgewichte, da nur diese es erlaubt, die kreative Erfindung der Wissenschaft mit dem vorausliegenden Tätig keitsfeld zu vereinbaren, dem sie sich einbeschreibt.
Die liberale Filiation Die Verarbeitung des strukturalen Programms hat eine weitere Variante in der liberalen Strömung, hauptsächlich vertreten von Jean-Marie Benoist, dem Autor der Revolution structurale. Seine Arbeiten sind in vielfacher Hinsicht wesentlich vom Strukturalismus inspiriert. Dieses Erbe bestimmt somit auch den Kerngedanken der Reihe, die er bis zu seinem Tod im Juli 1990 bei PUF herausgab und deren Titel »Croisees« (Kreuzwege) auf einen transdisziplinären Ansatz und eine vorwiegend epistemologische Bestre bung hinweist. So schließt das 1982 in dieser Reihe erschienene Werk von Gerard Holton, UInvention scientifique, an die durch Bachelard und durch den Strukturalismus eröffnete Reflexion an. Holton betont als Physiker und Wissenschaftshistoriker die fundamentale Rolle der Themata in der wissenschaftlichen Kreativität, das heißt der theoretischen Bilder, die einer nicht auf empirische Beobachtung rückführbaren wissenschaftlichen Tä tigkeit zugrunde liegen. In einem anderen Register illustriert auch John Rajchmans in derselben Reihe erschienenes Werk Foucault ou la liherte de savoir die Ergiebigkeit der strukturalistischen Periode und die Fortsetzung der Polemik gegen alle Formen des Positivismus: »Es handelt sich um eine Erforschung der grundlegenden Ausprägungen des Imaginären und der Episteme, der epistemologischen Konfigurationen in ihrem Reichtum, dort wo sie noch nicht von einem positivistischen Über-Ich zur Ordnung geru fen oder bereinigt wurden — und dies verdanke ich der strukturalen Ein sicht.« ^^ Doch Jean-Marie Benoist hat sich nicht auf den Bereich der Epistemologie beschränkt, sondern betrachtet den Strukturalismus auch als ein durch aus fruchtbares heuristisches Werkzeug auf dem Gebiet der politischen Philosophie. So schlägt er in den Werkzeugen der Freiheit^^ vor, die Grund lagen der freien Stadt, der auf dem Gesellschaftsvertrag und der Gewalten-
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teilung beruhenden Zivilgesellschaft zu erforschen, um den Weg für die Ablösung des »Verwaltungsstaats« durch den »Bürgerstaat« zu bereiten. Dieses Unterfangen einer Kritik der liberalen Vernunft greift im wesentli chen auf einen Kantianismus ohne transzendentales Subjekt zurück. Es geht darum, die multipolare Gesamtheit einer Zivilgesellschaft zu denken, in der der Libertäre mit dem Liberalen im Gespräch ist: »Der Strukturalis mus hilft uns in doppelter Weise, die Fragen des Unbewußten der Politik und der Überdeterminierung bestimmter Schemata oder Gebilde, die es zu >entideologisieren<, zu >entontologisieren< gilt, gedanklich besser in den Griff zu bekommen.« ^^ Am Ende seines Lebens hat Jean-Marie Benoist dem strukturalen Ver ständnis mit der Konfliktforschung, der Erforschung von Verteidigung und Strategie, ein neues Anwendungsgebiet aufgetan, das der zunehmenden Relativierung des Frontbegriffs durch vorwiegend im Symbolischen und in den sogenannten indirekten Strategien wirkenden Verfahren Rechnung trägt. Denn die höchste Kriegskunst besteht in der kampflosen Unterwer fung des Feindes. Es kommt hier darauf an, die Abschreckungstheorie als einen Komplex wechselseitiger Abhängigkeiten zu sehen und sie in ihrer »strukturalen Vielfalt« ^^ zu beleuchten.
Die marxistische Filiation Auch die marxistische Ausrichtung läßt sich weiterhin von der strukturalen Methode anregen, und Maurice Godelier bildet dafür in seinem Versuch, die beiden Verfahren zu vereinbaren, ein gutes Beispiel. Zu Althussers The sen in einem Verhältnis kritischer Nähe stehend, ist er nie für eine mechani stische Betrachtung des Marxismus eingetreten. Er zieht immer mehr eine Tilgung der Grenze zwischen dem Materiellen und dem Ideellen in Be tracht : »in den materiellen Verhältnissen des Menschen zur Natur ist ein ideeller Teil enthalten« ^'^. Eine solche Konzeption bricht mit dem einfachen Kausalismus, wie er im marxistischen Denken gang und gäbe ist, und öffnet die anthropologi sche Forschung für die Ökonomie, die gesellschaftlichen Produktionsver hältnisse als eine Dimension, die dem Levi-Straussschen Strukturalismus abgeht. Godelier bezieht sich auf Marx in der Idee der gesellschaftlichen
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Totalität und der Dynamik der Reproduktion, aber auch in seinem Bemü hen um die Untersuchung der »Hierarchie der Zwänge und der Funktio nen«, welche »die Reproduktion [der Gesellschaftsypen] ermöglichen«^^. Bei Godelier ist die Umwelt mehr als eine Ansammlung von Zwängen und Techniken, weil sie sich ebenso durch ihre imaginären Anteile definiert. Er vertritt eine erweiterte Auffassung von den Produktivkräften, die den strukturalen Horizont des Denkens und der Sprache als wesentliche Di mensionen mit umschließt. So hat also Levi-Strauss' Erforschung der Verwandtschaftsbeziehungen und des Symbolischen dazu geführt, daß die marxistische Anthropologie, so wie Godelier sie versteht, auf die Bedeutung des Ideellen im Materiellen und seinen maßgeblichen Einfluß auf die gängigen Verhaltensnormen und Werturteile eingeht, indem sie diese nicht mehr als einfache Widerspiege lungen des Realen, sondern als aktive Deutungen in der Reproduktion des Realen begreift. Der vielfältige Gebrauch, den Disziplinen mit ganz unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen und ideologisch völlig gegensätzlich ausge richtete Forscher von der strukturalen Methode machen, beweist, daß über der pompösen Beerdigung des Strukturalismus nicht vergessen werden sollte, in welchem Umfang eine im wesentlichen bereits vollzogene Revolu tion untergründig fruchtbar fortwirkt.
Die systemtheoretische Fortschreibung Die gegenwärtigen Annäherungen rund um die Idee einer Systemtheorie als einer von den Theorien der Selbstorganisation ausgehenden Wissen schaft der Systeme korrelieren in gewissem Sinne mit dem Strukturalismus, der während der sechziger Jahre den Ton angab. Denn obwohl sich das neue Paradigma merklich fortbewegt hat, lassen sich einige Gemeinsamkei ten ausmachen. Zunächst definiert sich die Systemtheorie, wie der Struktu ralismus, durch ihr Projekt und nicht durch ihren Gegenstand. Ferner schließt auch sie an die modernsten Entwicklungen der Wissenschaften an und vertritt einen interdisziplinären, mehrdimensionalen Ansatz, der die Grenzen verrückt. An die Stelle des strukturalen Dreiecks Linguistik, An thropologie und Psychoanalyse ist eine Konstellation aus Kommunika-
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tions-, Informations-, Computer-, Kognitions- und Organisationswissen schaften getreten. In beiden Fällen von maßgeblichem Einfluß war das ky bernetische Modell mit seinem Gedanken der in der Funktion der Struktur liegenden Selbstregulierung, des weiteren mit der Verknüpfung natürlicher und künstlicher Systeme mit ihren Konzepten der funktionellen Black box sowie mit zielgerichteten Verhaltensweisen und Subsystemen. Die 1948 von dem Mathematiker Norbert Wiener beschriebene Kybernetik zog also in die Biologie, die Elektronik, die Ökonomie, die Psychologie ein und wirkte dort modellbildend. Im Strukturalismus wie später in der System theorie findet man das globalistische Postulat, daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, sowie den Zug ins Universelle. Die Wissenschaft von den Systemen kann also bis zu einem gewissen Grad als Doppelresultat der beiden Gründungsparadigmen Kybernetik und Strukturalismus ange sehen werden. ^^ Allerdings sind einige erhebliche Verschiebungen eingetreten, so daß die Wissenschaft von den Systemen sich nicht auf eine Wiederaufnahme des strukturalistischen Erbes verkürzen läßt. Der Vorrang, den man in Zeiten des Strukturalismus der Ordnung und ihrer Reproduktion, das heißt der Invarianz zusprach, ist allmählich den Emergenztheorien, den Theorien vom Entstehen der Ordnung aus dem Geräusch, aus dem Chaos gewichen. Diese neuen Ausrichtungen sind weit davon entfernt, den Menschen zu verdinglichen, ihn auf den Status eines zur Obduktion freigegebenen Leichnams zu reduzieren, damit er zum Objekt der Wissenschaft werden kann, im Gegenteil: Sie erlauben es, auf die entscheidenden Begriffe von Autonomie bzw. Interaktion oder Dialog der biologischen, anthropologi schen und sozialen Ebene einzugehen. Joel de Rosnay bezeichnet die syste mische Revolution als die Heraufkunft einer neuen Kultur. ^° Der systemi sche Ansatz bringt sogar ein neues Konzept in Anschlag: Nach dem Mikroskop für das unendlich KJeine und dem Teleskop für das unendlich Große muß man sich des Makroskops als Werkzeug für das unendlich Komplexe bedienen. Mit seiner Hilfe lassen sich die Einzelheiten herausfil tern und das vergrößern, was die verschiedenen Instanzen der Realität ver bindet: »Es gibt einen gemeinsamen Ansatz, mit dem die organisierte Komplexität besser verstanden und beschrieben werden kann.«^^ Tatsäch lich tauchen wir in den Arbeiten dieser Wissenschaftler wieder in ein »hei ßes« Universum aus Ereignissen, Irreversibilitäten und Rauch ein, das von
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den kristallinischen Bestrebungen des Strukturalismus und seiner »kalten« Zeitlichkeit himmelweit entfernt ist. Die Filiation von Comte über Durkheim bis hin zum Strukturalismus mit ihrer Verdinglichung des Beobachters, ihrer Negierung der Subjektivi tät, ihrer Einengung der Analyse auf die dem ausgewählten Modell eigenen Variablen, ihrer Eingrenzung der Gesetze zu reinen Resultanten der Mo dellkonstanten: alles dies wird heute stark erschüttert durch die Entdekkungen der Wissenschaftler, die den Akzent umgekehrt auf unvorherseh bare und irreversible Emergenzprozesse strukturierter Gebilde legen. So hat der Nobelpreisträger für Chemie, Ilya Prigogine, eine Theorie der »dissipativen Strukturen« entwickelt, mit deren Hilfe die Erschaffung der Ord nung aus dem Ungeordneten verstanden werden kann: »Zu den grundle genden Entdeckungen der letzten Jahre gehört die der Instabilität der Elementarteilchen«^^. Die Ebenen der klassischen Physik pluralisieren sich, und das Aleatorische spielt eine immer größere Rolle. In dieser neuen Betrachtung der Materie erlangt die Zeitlichkeit, die der wissenschaftliche Verstand als Störfaktor wahrnahm, wieder ihre zentrale Bedeutung im dialogischen Prozeß zwischen Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft: »Gestern berichtete uns die Wissenschaft von den immer währenden Gesetzen. Heute berichtet sie uns von der Geschichte des Uni versums oder der Materie — von daher die unverkennbare Annäherung an die Humanwissenschaften.«^^ Die erste, in den fünfziger Jahren im Um kreis von Heinz von Foerster entwickelte Theorie der selbstorganisieren den Systeme wurde 1972 von dem Biologen und Philosophen Henri Atlan aufgegriffen, auf lebende Systeme angewandt und weithin bekannt ge macht. ^'^ Er popularisierte das Prinzip des organisierenden Zufalls in Ge stalt der Ordnung aus dem Geräusch. Der zweite tiefe Bruch mit dem Strukturalismus besteht darin, daß die Systemtheorie das Subjekt in ihre Konstellation reintegriert. Der Beobach ter ist völlig in seine Beobachtung eingebunden. Edgar Morin definiert diese Dimension sogar als essentiell. Dies bedeutet zwar nicht, daß man je der Form von Objektivität zu entsagen hätte, wohl aber allerlei szientistischen Illusionen. Der Wissenschaftler thront nicht außerhalb der Welt, er ist völlig in dem Feld verankert, dessen Modell er errichtet, und die Wissen schaft, für die er eintritt, ist untrennbar mit dem Bewußtsein verbunden. ^^ Am weitesten bei dieser Wiedereinführung des Subjekts geht sogar ein
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Physiker, Bernard d'Espagnat. Er nimmt nämlich an, daß die Vorstellung einer unabhängig vom beobachtenden Menschen gegebenen Realität des Universums im Lichte der jüngsten Erkenntnisse nicht mehr haltbar sei: »Nach meiner Auffassung gibt es eine wahre Objektivität, die jedoch schwach ist. Genau dies nenne ich die Intersubjektivität.« ^^ Wiederkehr des Subjekts, Wiederkehr der Historizität, Wiederkehr des Sinnes ? Die sogenannten »harten« Wissenschaften auf dem Wege der »Er weichung« bieten den Humanwissenschaften ganz andere Orientierungen als die der strukturalen Belle fipoque. Gerade die »harten« Wissenschaften, die als heuristisches Modell für bestimmte Entleerungen im Bereich der Humanwissenschaften gedient haben, bilden heute in der Perspektive einer globalen Wissenschaft vom Menschen die Grundlage zu deren Rehabilitie rung.
Teil V: Zeit, Raum und Dialogik
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Der Strukturalismus hat die Muse der Geschichte zeitweilig von seinem Feld verbannt, um mit der klassischen Philologie zu brechen, die sich im wesentlichen auf historisch-etymologische Erklärungen berief. Der Vor rang der Synchronie entsprach der Erforschung der sprachinternen Logik, zumal infolge der Fortschritte, die durch Saussure in der Beschreibung der Sprache erzielt worden waren, neues Interesse an den gesprochenen, den le benden Sprachen erwachte. Denn bis dahin hatten die Linguisten an ge schriebenen Texten, an toten, historisch belegten Sprachen gearbeitet, an Sprachzuständen also, die deren komparative Untersuchung und diachro nische Einordnung erlaubten. Die historische Entwurzelung war der Preis, den die Linguistik entrich ten mußte, um sich als eine Methode zu konstituieren, mit der die zeitge nössischen Regionalsprachen sowie die Dialekte, Mundarten und anderen gesprochenen Sprachen der kolonisierten, vor allem der afrikanischen Welt erforschbar wurden. Die Radikalität und Fruchtbarkeit dieses Bruchs dien ten anschließend als Ausgangsmodell für die szientifische Konstitution der Sozialwissenschaften. Das beginnende 20. Jahrhundert kehrte sich also vom Historizismus des 19. Jahrhunderts ab, und das Denken der Zeit geriet in eine Krise, die das Denken des Menschen in verschiedenen Bereichen erfaßte. Zudem ver stärkte sich das Phänomen des Rückzugs aus der Historizität durch die Verwerfungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts im Zuge einer mit jeder Stufe tieferen Entzauberung der Welt.
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Das Ende der Geschichte ? Anstelle der Geschichtsphilosophie erscheint am Horizont der Moderne die Wissenschaft in ihrer doppelten Spielart der Wissenschaft von der Na tur und vom Menschen — als wäre Hegels Analyse wahr geworden, die das Ende der Geschichte ankündigte: »Das heißt nicht, daß die Geschichte zum Stillstand gekommen ist, sondern daß wir in einen langen, vielleicht Jahrtausende währenden Prozeß der Beendigung der Geschichte eingetre ten sind.« ^ Entsprechend der Stillegung einer Zeit, die sich nur noch in ei ner unendlichen Gegenwart entfaltet, brachte der Strukturalismus — über die Entwicklung einer mehr auf die Synchronie als auf die Diachronie ge eichten Methode hinaus — lediglich diesen Zustand historischer Schwerelo sigkeit zum Ausdruck. Es ist also nur natürlich, daß der linguistische Struk turalismus tönenden Widerhall in einem spekulativen Strukturalismus fand, der neben allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen auch in das phi losophische Denken hineinreichte. In dieser Hinsicht ist eine Wechselbe ziehung erkennbar zwischen einem Denken, das die Invarianten privile giert, und einer Gesellschaft, in der die Brüche nicht mehr Teil einer möglichen oder wünschenswerten Entwicklung sind: »Ich wüßte nicht, was sonst geschehen könnte als das, was die Französische Revolution und der deutsche Idealismus gefordert haben: Freiheit, Gleichheit und Brüder lichkeit für alle Menschen auf der Erde.«^ Die ganze Ereignisgeschichte des 20. Jahrhunderts scheint sich in diese Filiation einzureihen, ohne aber bezüglich dieser gründenden Prinzipien signifikative Neuerungen mit sich zu bringen. Sie bietet nichts als einen Strom von Katastrophen, an dem der geschichtlich verkörperte Vernunftoptimismus des 19. Jahrhun derts zunehmend zerreißt und jede Teleologie, sei sie restaurativ oder re volutionär, zerbricht. Der Geschichtsprozeß kann nicht mehr als axiologisch ausgerichtet ge dacht werden. Gegenüber den Traumatisierungen, die das 20. Jahrhundert erfuhr, hat der Strukturalismus keine Teleologie der Dekadenz hervorge bracht, durch die er den Fortschrittsglauben der vorausliegenden Periode hätte ersetzen können. Nach Auffassung der Strukturalisten begründet das Wissen überhaupt keinen Sinn der Geschichte mehr. In diesem Punkt greifen sie die Lehre Spinozas auf, der jegliche Vorstellung von einem Sinn der Geschichte zurückgewiesen hatte: »Die Gründe, derenthalben
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Althusser Spinoza bewundert, finde ich bestechend. Der beste Grund, Spinozist zu sein, ist, daß es keinen Sinn der Geschichte gibt.«^ Bei LeviStrauss allerdings geht das Negierungsverhältnis zur Historizität einher mit der Idee ihrer fortschreitenden Degeneration und eines immer stärke ren Zerfalls der gesellschaftlichen Bindeglieder und Vermittlungsnetze. Diese sowohl heuristisch wie politisch begründete Krise der Geschichte hat den Erfolg einer Denkströmung ermögHcht, die der Stabilität, dem Un wandelbaren und der Erforschung der Invarianten den Vorzug gab, wes halb das, was sich zunächst als eine bloße Analysemethode darstellte, rasch in eine Weltanschauung überging. So erstarrte die Geschichte in der ersten Phase des Strukturalismus im strukturalen Kristall. Der entwickelte sich al lerdings weiter: Nachdem er zugunsten der Fixierung seines Gegenstands die Signifikanz der Geschichte radikal beseitigt hat, trägt er in seiner zwei ten Phase der Historizität Rechnung, um sie desto besser von innen heraus zu dekonstruieren. Dieser Aufgabe haben sich vor allem Foucault aus nietzschescher und Derrida aus heideggerscher Sicht angenommen. In der ersten Phase hatten Levi-Strauss und Piaget den Strukturalismus als Instru ment der Emanzipation von einer Philosophie konzipiert, die sich als um fassender Diskurs gab und insofern die Singularität und die Autonomie der wissenschaftlichen Forschungsfelder — des psychologischen bei Piaget und des anthropologischen bei Levi-Strauss — auflöste. Aber sie wurden bald von den Philosophen eingeholt, die sich der Herausforderung stellten und sich dieses Programm zu eigen machten, indem sie die epistemologischen Positionen in philosophische Ansätze umwandelten. Die Geschichte, die bis dahin als Feld der Möglichkeiten erschien, wird nun als Abschluß, wenn nicht gar, in einer heideggerschen Perspektive, als fortschreitende Seinsver gessenheit erlebt.
Der Comtismus der Sozialwissenschaften Klio hat sich zurückgezogen, ist dem Ehrgeiz der Sozialwissenschaften ge wichen, sich als dritter Diskurs zwischen Geistes- und Naturwissenschaf ten zu behaupten. Damit folgten sie der Lehre Auguste Comtes, der ihnen die Rolle der Aufklärer des neuen positivistischen Zeitalters zusprach und für den sich der Fortschritt, im philosophischen Sinn, nur als Fortschritt
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der Ordnung verwirklicht. Daraus erwuchs ein Argwohn gegen alle Ele mente der Unordnung, welche störend in die Gleichgewichte eingreifen könnten. Auf diese Weise wurde die »kalte« Gesellschaft zum Inbegriff des Idealobjekts, wie der Mythos, der per Definition keine Modifikationen zu läßt. Allerdings hat, so Levi-Strauss, die Rede vom Gegensatz zwischen »kalten« und »warmen« Gesellschaften viele Mißverständnisse bewirkt: »Das sind Begriffe von rein heuristischem Wert. Das Kalte hat immer und überall viel Warmes und das Warme viel Kaltes an sich. Zweitens handelt es sich dabei nicht um intrinsische Eigenschaften der Gesellschaften, sondern um Unterscheidungen, die sich eher auf die Art und Weise beziehen, wie die Gesellschaften sich selber denken.«'* Die Sozialwissenschaften, die nach einem Wort von Henri Atlan im Spannungsfeld zwischen dem Kristall und dem Rauch stehen, haben dem Kristall den Vorzug gegeben, das heißt der Struktur gegenüber dem Rauch, der Unstruktur, dem Informellen. So wie die Biologen bei der Untersu chung einer lebenden Zelle unter dem Mikroskop zwischen Gespenst und Leichnam operieren, haben die Humanwissenschaften die Untersuchung des toten Menschen gewählt. Man seziert den Menschen wie eine Leiche, obwohl er eher auf der Seite des Gespensts, der Bewegung, des Ungreifba ren steht: »Es gibt ein sehr hübsches Wort von George Steiner: >Ein Baum hat Wurzeln, ein Mensch hat Beine.< Darin liegt das ganze Problem.« ^ Den strukturalen Gegenstand bildeten jedoch vorzugsweise kleine, in sich geschlossene Gesellschaften wie die der Bororo. Diese Gesellschaft hat, der Levi-Straussschen Beschreibung zufolge, einen äußerst komplexen Mechanismus eingerichtet, um sich gegen den Wandel zu wehren, jegliche Form der Heteronomie abzuweisen und in völliger Unabhängigkeit zu le ben, und ist deshalb bis in alle Ewigkeit festgelegt. Unbestreitbar lieferte dieser Gesellschaftstypus das Paradigma für die Definition des anthropolo gischen Verfahrens und kam gleichzeitig einer Generation entgegen, die der marxistischen Teleologie dringend zu entkommen wünschte. Diese Sichtweise einer beruhigten Zeit entsprach der linguistischen Ent wicklung, die Diachronie zugunsten der Synchronie zu negieren: »Ich habe die Geschichte geleugnet. Sobald man synchronische Strukturen betrach tet, werden sie dominant.«^ Das strukturale Paradigma enthält also einen konstitutiven Antihistorizismus, der sich auf anderen Wegen mit den Posi tionen Karl Poppers trifft (der eine »strenge Widerlegung des Historizis-
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mus« in Angriff nimmt) ^, insofern auch dieser vorschlägt, die Sozialwis senschaften von der Vormundschaft der Historie zu befreien, und jede Möglichkeit einer Theoriegeschichte leugnet. Diese Negierung hat bestimmte mechanisch anmutende genetische Kau salitäten ins Wanken gebracht, indem sie die Komplexität der synchronischen Organisationen erschloß und dazu verhalf, über das rein deskriptive Untersuchungsniveau hinauszugelangen. In dieser Hinsicht hatte die Ge genreaktion auf den im 19. Jahrhundert herrschenden Historizismus ihr Gutes, unter der Voraussetzung freilich, nach vollzogenem Einschnitt den Sinn für die Bewegung der Struktur zurückzugewinnen.
Der Lacansche Ahistorizismus Der Freudianismus in der überarbeiteten Fassung von Lacan hat seinen hi storischen Ballast abgeworfen, um der Psychoanalyse zum Status der Wis senschaft zu verhelfen. Die Geschichte ist für Lacan die »Chose [...], die ich verabscheue, aus den besten Gründen«*. Indes hatte Lacan 1945, als er noch unter dem Einfluß von Kojeves Hegel-Lektüre stand, die Zeitlichkeit reflektiert. In Form des im selben Jahr verfaßten Aufsatzes »Die logische Zeit und die Assertion der antizipierten Gewißheit« fand diese Reflexion Eingang in seine Schriften. Lacan rekonstruiert den essentiellen Wert der Zeitlichkeit anhand des Apologs von den drei Gefangenen. Gemäß dieser Fabel beschHeßt ein Ge fängnisdirektor, drei ausgesuchte Gefangene vorführen zu lassen und den jenigen von ihnen, der sich durch seine logische Findigkeit vor den anderen auszeichnet, freizulassen. Der Gefängnisdirektor hat fünf Scheiben, wovon drei weiß und zwei schwarz sind, und befestigt eine davon auf dem Rücken jedes Gefangenen. Der erste der Häftlinge, der die Farbe der Scheibe, die er auf dem Rücken trägt, logisch erschließt, kommt in den Genuß der Freilas sung. Nachdem er die logischen Hypothesen, welche die Gefangenen tref fen können, erörtert hat, stellt Lacan den Vorrang »der zeitlichen und nicht der räumlichen Struktur des logischen Prozesses«^ fest. Er sieht die Zeit lichkeit auf ganz und gar hegelsche Weise in drei Phasen strukturiert: den Augenblick, die Zeit zum Begreifen und den Moment des Schließens, in ih ren sukzessiven Modulationen. Die ZeitHchkeit ist hier doppelt entschei-
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dend, zum einen als notwendige Aufeinanderfolge von Momenten: »Das Sehen erledigt sich in einem Augenblick, wie Lacan sagt, es ist synchronisch, ist die Struktur. Die zweite Phase ist die Zeit, die bei Aristoteles der Meditation entspricht. Sie ermöglicht es bereits, die Zeit der anderen in Be tracht zu ziehen, ohne daß sie die Zeit der anderen wäre. Um zum Ent schluß zu gelangen, bedarf es eines Einschnitts, einer antizipierten Ent scheidung, denn die Zeit drängt und die anderen sind da.« ^° Zweitens ist die Zeitlichkeit präsent als der Grund, der über die Dringlichkeit der über stürzten Handlung des Subjekts entscheidet, das »wegen der zeitlichen Spannung, mit der er [der Akt des Schließens] subjektiv aufgeladen ist, seine Gewißheit antizipiert« ^^ Doch sehr bald sollte Lacan zur Untermauerung des psychoanalytischen Diskurses von Hegel zu Heidegger und von der Dialektik zum phonologischen und levi-straussschen Strukturalismus übergehen, in diesem Zuge den privilegierten Status, den er der Historizität einräumte, widerrufen und insbesondere jeder Vorstellung entraten, daß in der Geschichte irgend ein Sinn auszumachen sei. Diese Zurückweisung ist für einen Analytiker einigermaßen paradoxal, denn sein Untersuchungsgegenstand, das Unbe wußte, »impliziert die Geschichte« ^^. Als Prüfung des Realen, als Eröff nung von Möglichkeiten ist die analytische Praxis von der Geschichtlich keit durchwirkt und bildet für das Subjekt ein Ereignis. Die Struktur der geschichtlichen Welt, so wie Lacan sie auffaßt, definiert sich durch vier Exi stenzmodi, vier Diskurse, deren Logik auf eine Revolution verweist, im etymologischen Sinn der Zirkularität des Übergangs von einem Diskurs modus zu einem anderen. Nun sind aber diese Diskurse im wesentlichen ihrer kontextuellen Bedingungen entzogen. Der Diskurs des Herrn hat als metaphysischer Diskurs per Definition keine Geschichte. Der hysterische Diskurs, der Diskurs der Wissenschaft, hält die Geschichte für eine Illu sion. Der universitäre, das heißt der philosophische, präziser der hermeneutische Diskurs ist ein »Diskurs, der aufs neue die Geschichte verneint, indem er die Fülle in den Ursprung versetzt, die, wenn es bestens läuft, wiedererlangt wird ein jedes Mal durch einen jeden großen Autor, die, wenn es sehr schlecht läuft, zur verlorenen Fülle wird in einem unwiderruf lichen Niedergang« ^^. Allein der vierte, der analytische Diskurs kann, da er als einziger fähig ist, das Unbewußte auszusagen, als Handlung geschicht lich sein, freilich unter der Bedingung, daß der Psychoanalytiker »dem
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Realen [...] die Diskurse unterwirft, die er auf den Schritt der Synchronie des Gesagten bringt« ^^. Er verweist also nur auf einen reinen, enthistori sierten Signifikanten. Wenn es bei Lacan eine Zeitlichkeit gibt, so erstreckt sie sich eher auf eine tragische, heideggerianische Auffassung der Historizität als Ge schichte des Verlusts des Gegenstandes, als immer tiefere Verlorenheit des Seins im Seienden oder des Subjekts des Begehrens im Verhältnis zum er sten Signifikanten. Diese Temporalität verweist weniger auf eine singulare Geschichte des Subjekts als vielmehr auf einen ursprünglichen Mangel, der für die menschliche Spezies grundlegend und spezifisch ist, auf ein Unbewußtes der Sprache oder der topologischen Figuren, deren Realität überindividuell wäre. In diesem Sinne trifft sich Lacan mit den Positionen des frühen Levi-Strauss zu den mentalen Bereichen als entleiblichten Kom binatoriken. Gewiß hat es eine solche Position ermöglicht, mit einem be stimmten Psychologismus zu brechen und die Fundamente der Psychoana lyse solider zu befestigen, dies freilich unter der Bedingung, das Werden nicht vom Horizont auszuschließen. Nun ist aber dem Lacanschen Sub jekt, eingesperrt in der Struktur, keine andere Zukunft beschieden als die bloße Wiederholung der Vergangenheit in einem synchronischen Univer sum: »Es bleibt eine leere, wirkungslose, rein abstrakte Zeit.« ^^ Elisabeth Roudinesco, einst überzeugte Lacanianerin, hat sich hinsicht lich des Problems, das seine Negation der Geschichte aufwirft, von ihm ab gewandt. Das Modell der vier Diskurse in seiner Zirkularität verhinderte »die Historisierung der von Lacan als ein Ganzes vorgebrachten Be griffe« ^^. Diese Enthistorisierung machte es möglich, von den Begriffen Lacans auf Freud zurückzukommen. So konnten die Lacanianer den Lauf der Geschichte umkehren, indem sie bei Freud die Theorie des Signifikanten oder die Trilogie Reales/Symbolisches/Imaginäres ausfindig machen woll ten. Auf diese Tendenz, die Psychoanalyse außerhalb ihres Kontexts zu be trachten, reagierte Elisabeth Roudinesco mit ihrer Histoire de la psychanalyse, die verdeutlicht, wieso der Lacan von 1936 nicht der von 1950 oder von 1970 ist. Durch das Einrücken in die Geschichte können die Paradig menströme zwischen den Wissensfeldern verfolgt und kann die Tragweite der für zeitlos ausgegebenen Begriffe relativiert werden, da nämlich nun das Subjekt Lacan als ihr Hauptdurchgangsort erkennbar wird. Rene Major enthüllt seinerseits das stark umstandsgeprägte Ungesagte
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bezüglich der historischen Wahrnehmung des Freudianismus und der Stel lung Lacans in der Geschichte der Psychoanalyse, und zwar anhand der analogen Struktur im Seminar über Ε.Λ. Poes »Der entwendete Brief« (1955) und dem in derselben Periode verfaßten Aufsatz Die Ausrichtung der Kur (1953). In beiden Fällen praktiziert Lacan eine neutralisierende Aus schließung der Erzählerposition, über die bereits Derrida im Facteur der Wahrheit seine Kritik entwickelt hatte. So wie Lacan den Interpreten an die Stelle setzt, die Dupin im Entwende ten Brief annimmt, plaziert er den Analytiker bei der Ausrichtung der Kur in eine Außensituation. Rene Major merkt an, daß Poes Erzählung keine aus dem Geschehen hinausragende Position zuläßt und Lacan de facto dazu geführt wurde, sich mit einem ihrer Protagonisten zu identifizieren: »Ich habe zu zeigen versucht, daß der Interpret nur interpretieren konnte, in dem er der Reihe nach die verschiedenen Standpunkte einnahm und sich in jeden der Protagonisten hineinversetzte. [...] Ich sprach von Dislokution der Erzählung, der Stellung des Erzählers oder des Interpreten.« ^'^ Die Entschleierung, die Rene Major hier vornimmt, verläuft über die Wiedereinführung des historischen Kontexts, der bei der Ausarbeitung der Theorie eine bedeutende Rolle spielte. ^^ Lacan hatte durch die strukturalistische Perspektive versucht, die dem zirkulären Spiel der Letter zugrun deliegenden wahren Einsätze zu bemänteln. Doch indem diese verhüllt, enthüllt sie gleichzeitig die homologe Struktur, die Rene Major in der Dekonstruktion des Lacanschen Textes aus der Einsicht rekonstruiert, daß, wenn Dupin den Brief findet, obwohl alle Indizien unter umgekehrtem Vorzeichen stehen, es etwas geben muß, was ihm dies ermöglicht. Der Schlüssel liegt darin, daß zwischen dem Minister D und ihm sich eine Frau befindet, so wie in eben jenen fünfziger Jahren bei der Kommentierung von Freuds Werk eine Frau zwischen Lacan und Nacht steht, nämlich Marie Bonaparte, die offizielle Sachwalterin des Freudschen Buchstabens, die in Frankreich als einzige zu seiner Auslegung befugt ist: »Die Analogie zwi schen den Ereignissen des wirklichen Lebens, einer Reihe von hintergrün digen Lektüren und einer Theorie der analytischen Kur ist wahrscheinlich das, was mit der Schreibweise Edgar Poes und seinen drei Erzählungen am >analogischsten< ist.« ^^ Auf diese Weise zeigt Rene Major, wie das, was aus dem strukturalen Raster beseitigt wurde, wiedergewonnen werden kann. Dank der Histori-
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sierung des Textverfahrens bringt er das unter dem sperrenden Balken ver borgene Signifikat wieder zum Vorschein, das durch jenen von der Signifi kantenkette abgetrennt wurde. Wenn also Lacan behauptet, daß der Brief, selbst wenn er abgefangen worden sein mag, immer an seinem Bestim mungsort ankommt, so will er damit eigentlich andeuten, daß die Freudsche Lehre in sich selbst die Möglichkeit findet, aus der Asche aufzuerste hen, in der sie unter der sterilisierenden Autorität von Marie Bonaparte erstickte.
Eine nichtteleologische Historizität Daß die Wiedereinführung der Geschichtlichkeit notwendig wird, bedeu tet keineswegs die Rückkehr zum Historizismus des 19. Jahrhunderts. Diese Geschichte kann infolge des strukturalen Einschnitts nicht mehr te leologisch sein und muß aufs Universale bezogen bleiben. Die Einsichten des Strukturalismus haben die Grenzen des Historizismus erkennen lassen und erwiesen, daß man nicht mehr in den Kategorien von einst denken kann. Die Erkenntnis der Alterität ermöglicht es, das wissenschaftliche Wissen zu relativieren und wieder in seinen historischen Kontext einzuset zen. Um das Abgleiten in schieren Relativismus zu vermeiden, muß der Realität, damit ein wissenschaftliches Vorgehen überhaupt möglich wird, freilich eine gewisse Stabilität zugedacht werden, und das impliziert die Wiederkehr des Referenten. So bestimmt Sylvain Auroux die Aufgabe der historischen Epistemologie der Sprachwissenschaften als die Errichtung einer »wahren Theorie der richtigen data«^°. Darunter versteht er nicht die einfache Aufreihung und Beschreibung der data, sondern die Rekonstruktion komplexer Hypothe sennetze und die Erarbeitung von Propositionen mit Wahrheitswert, die bestimmten Erkenntnisfeldern zugeordnet werden können. Die synchronische Untersuchung der Systeme und ihrer Verknüpfungen erscheint nun deutlich als ein erster Moment, ein Stadium auf dem Weg zu einem ins Hi storische gewendeten strukturalistischen Denken: »Die Untersuchung der Systeme dürfte eine Voraussetzung für die Untersuchung ihrer Transfor mationen sein. Solange wir uns jedoch darauf beschränken, werden wir keine sehr deutlichen Vorstellungen davon bekommen, was die Produktion
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von Erkenntnissen ist.« ^^ Diese Zweiphasigkeit des Vorgehens erlaubt es, die falsche Alternative zwischen teleologischem Kontinuismus und relati vistischem Diskontinuismus zu umgehen. Auf diese Weise können der Statismus des frühen Strukturalismus und der Diskontinuismus des Neostrukturalismus überwunden und die Erträge der strukturalen Methode beibehalten werden, ohne die endogenen und exoge nen Logiken wegzulassen, die an der Transformation des Systems arbeiten. So wird es möglich, in einem qualitativen Sprung Neues zu schaffen und da bei einen guten Teil des alten Systems in einer neuen Organisation zu bewah ren. Für diese Orientierung tritt Patrick Tort in seiner Kritik der Raison classificatoire^^ ein, wenn er sowohl der wissenschaftlichen Entwicklung und den ihren Innovationen innewohnenden Brüchen Rechnung trägt als auch ihrer notwendigen Verknüpfung mit den externen Phänomenen, die die Gleichgewichte in Frage stellen. Als Vertreter eines heuristischen Modells, das die historische Dynamik zu rekonstruieren vermag, schlägt Tort als zen tralen Begriff den des Spieleinsatzes in seiner Verknüpfung mit verschiede nen antagonistischen Strategien vor. Er macht keine reglosen diskursiven Sockel aus wie Foucault, sondern Perioden diskursiver Krisen, die innere Unvereinbarkeiten offenbaren. Diese Spannungen liegen einerseits in den in neren Widersprüchen der diskursiven Einheiten, sind aber auch in äußere Spieleinsätze investiert wie: »die Krise des Fixismus bei Agassiz, die Krise der Ausgezeichnetheit der >Herrschaft des Menschen< bei de Quatrefages, die >transformistische< Subversion, die bei Adanson dem großen taxonomischen Projekt der >natürlichen Methode< ein Ende machte, der äußere Kon flikt und die inneren Inkohärenzen der Klassifikationen in den Wissenschaf ten von Comte und Spencer, der Konflikt zwischen der Hegeischen und der Darwinschen Welt in der evolutionistischen Linguistik Schleichers.«^-^
Von der ausgesetzten Zeit zur wiedergefundenen Zeit Unter solcher Perspektive kann die Geschichte nicht auf die Rolle einer äu ßerlichen Kontingenz reduziert werden wie bei Levi-Strauss, der erklärt, daß sich der Übergang von der Mythologie zur Philosophie in Griechen land überall hätte ereignen können und im Grunde ein rein zufälliges Wun der gewesen sei.
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Die anthropologische Schule Jean-Pierre Vernants hat vielmehr nachge wiesen, daß dieser Umbruch homologe Beziehungen zwischen der Entste hung des philosophischen Diskurses und der Errichtung der Gemeinschaft der Gleichen erkennen läßt: Beide tauchten in dem Moment auf, als eine Zivilnorm erarbeitet wurde, die radikal mit der Geschlechterabstammung brach. Die Negierung der Historizität oder ihre Reduktion auf eine reine Kontingenz führt also dazu, daß man wesentliche Zusammenhänge zwi schen verschiedenen Ebenen nicht wahrnimmt. Nach Maurice Godelier war diese Verneinung dennoch notwendig, um den Historizismus des 19. Jahrhunderts mit seinen vielsträngigen Herkunftsforschungen nach FamiHe, Staat, Eigentum usw. zu sprengen. Aus dieser Falle galt es sich ein für allemal zu befreien: »Man setzt die Genese nicht vor die Struktur. Die klas sische Methode der Wissenschaft besagt, zuerst die Struktur des Gegen stands zu untersuchen, ehe man seinen Ursprung begreift.« ^"^ Das aber ist nur die erste Stufe eines Vorgehens, das anschließend den Wandel in seinem Schöpfungs- und Innovationsvermögen wie in seinen Manifestationen be greifen muß, die übrigens häufig den Sinn haben, die bestehende Struktur durch Anpassung zu erhalten. Vor nicht allzu langer Zeit erkannte man, daß es, um das Identische zu bewahren, um die Struktur zu reproduzieren, ständigen Wandels bedarf. Wie wir schon gesehen haben, beziehen die Ma thematiker, Physiker und Biologen die Zeitvariable zunehmend in ihr Ana lysefeld, in ihre Gleichungen ein. Die Spitze der Wissenschaft bildet heute in den USA, mit raffiniertestem mathematisch-logisch-symbolischem Auf wand und Unterstützung durch leistungsstarke Informatik, die »Chaosfor schung«, die Entzifferung des Chaos, in dem man die Hauptfigur des Uni versums erblickt. Die dynamische Deutung der Dinge löst also heute der Tendenz nach die strukturale Statik ab — zur Genugtuung von Georges Balandier, der sich stets für eine dynamisch ausgerichtete Anthropologie und Soziologie eingesetzt hat. ^^ Es ist in der Tat symptomatisch, aus der Feder des Biologen Philippe Kourilsky Äußerungen zu lesen, die sich ebensogut auf die jüngste Ent wicklung der Humanwissenschaften hätten beziehen lassen können: »Fakt ist, daß die Molekularbiologie bis auf den heutigen Tag vornehmlich stati sche Darstellungen benutzt. Ich meine, daß sie dynamische Darstellungen einbeziehen sollte.« ^^ Diesen Ausschluß der Geschichte im Strukturalismus der Humanwis-
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senschaften haben in den siebziger Jahren einige, auch Gerard Genette, als eine »vorläufige Einklammerung, eine methodische Aussetzung«^'' be trachtet. Auch Genette spricht sich für einen Übergang zur zweiten Stufe des Verfahrens, das heißt die Berücksichtigung der Geschichtlichkeit aus, hält aber gleichwohl nichts von einer Rückkehr zum traditionellen Historizismus. So unterscheidet er einerseits die Literaturgeschichte als einfache Folge von Monographien und andererseits die Literaturgeschichte, wie sie Gustave Lanson zu Beginn des Jahrhunderts definierte, nämlich als eine Rekonstruktion der gesellschaftlichen Bedingungen der literarischen Pro duktion und Rezeption, ein Programm, das unverwirklicht geblieben ist, für das sich aber im folgenden Lucien Febvre 1941 und Roland Β arthes 1960 eingesetzt haben. Eine dritte Dimension der Literaturgeschichte trat mit der Untersu chung der literarischen Werke als historische Dokumente, als Illustrationen der Empfindsamkeiten einer Epoche hervor: Sie wurde insbesondere von Lucien Goldmann betrieben. Gerard Genette wirft diesem Typ der Ge schichtsschreibung allerdings vor, daß er auf unzulängliche Weise mit der klassischen Vorstellung der Widerspiegelung arbeitet und die Literatur zwar durchmißt, ihr aber äußerlich bleibt. Er spricht sich folglich für eine andere Form der Historizität aus, »deren erster (und letzter) Gegenstand die Literatur wäre: eine Geschichte der Literatur an sich und für sich selbst genommen« ^^. Das Werk und der Autor werden als zu singulare Gegen stände eingestuft, als daß sie einer solchen Geschichte dienen könnten, die sich nicht als Wissenschaft von den Sukzessionen, sondern als Wissen schaft von den Transformationen versteht. Gerard Genette bleibt also der Strukturalistischen Orientierung treu, indem er den Gegenstand dieser neuen Literaturgeschichte vornehmlich in den Variationen der Formen sieht, das heißt in den rhetorischen Codes, den Erzähltechniken, den poe tischen Strukturen. »Diese Geschichte bleibt im wesentlichen noch zu schreiben.« ^^ Deshalb muß das Vorurteil überwunden werden, daß synchronische und diachronische Analyse in unvereinbarem Gegensatz zueinander stünden. Gerard Genette verteidigt die Konzeption einer »strukturalen Ge schichte«, die er im übrigen als die einzig triftige Geschichte definiert. Erst auf einer zweiten Stufe der Analyse läßt sie sich auf relevante Weise mit der allgemeinen Geschichte in Zusammenhang bringen.
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Der Strukturalismus ist von der Historizität abgerückt, um die Entfaltung synchronischer Studien zu ermöglichen. Während dieser ganzen Periode erlebt man einen radikalen Richtungswechsel des Blicks, der bis dahin der Grundtendenz nach die Dialektik der Zeit und die Erforschung der Ur sprünge privilegiert hat und sich nun der Entdeckung der räumlichen Logi ken, den vielfältigen Spielen von Positionen und der Erkundung der Schwellen möglicher Raumbeziehungen zuwendet. Die ausgiebig verwendete geographische Terminologie, die das »Drin nen«, das »Draußen«, den »Horizont«, die »Schwellen« oder »Grenzen« bestimmt, eröffnet ein quasi theatralisches Szenenbild, dessen sich Roland Barthes auf großartige Weise zur Analyse des Racineschen Theaters zu be dienen wußte. Gleichwohl ist die strukturalistische Landschaft nicht die des Geographen: Sie ist per Definition Inhalts- und sinnleer. Sie beruht, LeviStrauss zufolge, allein auf der Position der Elemente, aus denen sich die Struktur zusammensetzt. Dieses rein abstrakte Universum, in dem keine konkreten Orte vorkommen, ist »ein eigentlich struktureller, das heißt topologischer Raum« \ Bei Michel Foucault, Roland Barthes oder Claude Levi-Strauss an den geographischen Diskurs angelehnt, nimmt die Kombinatorik der räumli chen Logiken bei Jacques Lacan eine eher mathematische, von Frege ange regte Form an. Lacan versucht, die Psychoanalyse in den Stand der Wissen schaft zu erheben, indem er sich, etwa durch die Handhabung des Möbius-Bands, der differentiellen Topologie annähert. In der Tat inspiriert sich Lacan von dem durch Riemann gegründeten Zweig der Mathernatik, der sich vornimmt, durch die Erforschung der Eigenschaften der invarian ten geometrischen Figuren den Begriff von Grenzen und Kontinuitäten zu fundieren.
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Der Platz des Mangels Die Strukturalistische Topologie benimmt dem Raum bewußt seine tran szendentalen Inhalte, um an ihre Stelle eine Logik der Orte und ihrer Kom binationsmöglichkeiten zu setzen. Die Elemente der Struktur verlieren jeden Eigen-Sinn und erhalten ihre Bedeutung allein durch ihr kombinato risches Spiel. Die Verschiebung, die der Strukturalismus hier vornimmt, er laubt den Übergang von der Beobachtung zum Feld ihrer Möglichkeitsbe dingungen, deren signifikante Logik es zu rekonstruieren gilt, ohne daß diese jemals greifbar, sichtbar oder auf irgendein Objekt reduzierbar wäre. Die Struktur ist das Seinsverfehlen, das Loch, das Aufklaffen oder die Chose, der erste Signifikant, der dem Blick nie gewärtige Nullpunkt, das sich dem Seienden entziehende Sein, die reine Virtualität, Der Strukturalis mus ersetzt die Phänomenalität durch eine strukturale kantische Noumenalität, deren Logik er nicht in der vertikalen Tiefe einer unmöglichen Ge nese nachgeht, sondern in der Horizontalität vielfacher Möglichkeiten, die von bestimmten Operatoren des verallgemeinerten Tausches belebt wer den, beispielsweise dem Phonem, dem Inzestverbot, dem Objekt (a). Die Strukturale Logik errichtet sich in der Verräumlichung. Jedoch: »Die Verräumlichung bedeutet nichts, kein Seiendes, keine entfernte Präsenz; sie ist der Index eines irreduziblen Draußen und gleichzeitig der einer Bewegung, einer Verschiebung, die eine irreduzible Andersheit anzeigt.«^ Der Raum des Strukturalismus ist ein Raum des Draußen, ein nicht auf seine Aktualisierung reduzibles Anderswo, er ist eine Differenzierungsma trix, von der nur die Sekundäreffekte faßlich sind. So leuchtet ein, weshalb während der großen strukturalistischen Woge das Unbewußte in seiner lin guistischen, anthropologischen oder psychoanalytischen Ausführung den Vorrang hatte. Aus einem in seiner ursprünglichen Undifferenziertheit auf gefaßten Unbewußten entfalten sich die strukturalen Logiken und legiti miert sich die Suche nach einer strukturalen Kausalität bei Althusser, einer metonymischen Kausalität bei Jacques-Alain Miller oder einem binären Sy stem von Differenzen bei Jakobson oder Levi-Strauss. »Die Strukturen sind unbewußt«^, und dieser Mangel, dieses Unfaßliche, diese differance im Sinne Derridas findet sich auf einmal ins Zentrum des strukturalen Raums projiziert. Wie wir bei allen Strukturalisten gesehen haben, gilt: »Kein Strukturalis-
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mus ohne diesen Nullpunkt.«'* Sei es der Nullpunkt der Phonologie, der Verwandtschaft, des Mythos oder der Symbolik — von dieser Nullposition geht die strukturale Analyse aus. Und weil sie nie mit einer besonderen Identität zu identifizieren ist, bedingt sie die Möglichkeit der Entfaltung der seriellen Logik des Strukturalismus überhaupt. Aus dieser anfänglichen Leere kann sich ein Denken des Raumes mit sei nen Schwellen, Falten und Verbindungsstellen entwickeln, das eine Bezie hung zwischen der Struktur und ihrer Aktualisierung zugrunde legt und nicht mehr den Übergang von einer Struktur zu einer anderen, einem Mo ment zu einem anderen: »In unserer heutigen Zeit kann man nur noch in der Leere des verschwundenen Menschen denken. Diese Leere stellt kein Manko her, sie schreibt keine auszufüllende Lücke vor. Sie ist nichts mehr und nichts weniger als die Entfaltung eines Raums, in dem es schließlich möglich ist, zu denken.« ^ In diesem von jedem anfänglichen Inhalt entleer ten Raum ist jede Relevanz der Forschung nach einem Ur-Sinn zugunsten der unendlichen Logiken des Zeichens ausgeschlossen.
Die Foucaultsche Geologie: eine Kunst des Blicks Es ist bezeichnend, daß Yves Lacoste in der ersten Ausgabe der 1976 von ihm gegründeten geographischen Zeitschrift Herodote Michel Foucault einlud, auf die Fragen des Redaktionskomitees zu antworten. Verständli cherweise hat eine oftmals als Nullpunkt des Denkens hingestellte Geogra phie ein strategisches Interesse, die Autorität Michel Foucaults aufzubie ten. Doch diese Begegnung erklärt sich vor allem daraus, daß man in Foucaults Werk eine Geographizität im umfassenden Sinn erkannte, die mit einigen ihrer wichtigsten Konzepte eine Öffnung zur Geopolitik mög lich machte. Die Zeitschrift Herodote vermerkt in dieser Hinsicht bei Fou cault eine Fülle von räumlichen Metaphern — »Positionen«, »Verschiebun gen«, »Ort«, »Feld« — oder spezifisch geographischen Metaphern — »Territorium«, »Gebiet«, »Boden«, »Horizont«, »Archipel«, »Geopoli tik«, »Region«, »Landschaft«. Was die Mitarbeiter jedoch verwundert, ist, daß Foucault, wenn er sich in seinen Analysen auf bestimmte Kulturberei che bezieht, diese nicht genau begründet, sie nicht wirklich umgrenzt. Foucault antwortet zunächst ein wenig defensiv, aus Angst, von den
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Geographen vereinnahmt zu werden. Er unterstreicht, daß die fraglichen Begriffe eher dem juridisch-politischen, ökonomisch-juristischen, militäri schen Bereich entstammen, erkennt aber bereitwillig an, daß seine Arbeiten stark von räumlichen Metaphern geprägt sind: »Man hat mir diese räumli chen Obsessionen oft genug vorgehalten, und sie haben mich in der Tat verfolgt.«^ Foucault macht deutlich, wieso er an der Anfechtung des Pri mats der Zeit teilhat: weil dieser auf das individuelle Bewußtsein verweist. Durch den Schwenk zur Räumlichkeit hingegen kann man das Subjekt um gehen und sich auf die Ebene der Machtbeziehungen begeben, wobei die Referenz auf Intentionalitäten aller Art wegfällt und der Blickwinkel der Analyse sich auf die im diskursiven Raum greifbaren Effekte der Macht richtet. Eine Zeitschrift wie Herodote, die eine bis dahin von der Geographie übergangene Geopolitik befördern will, kann sich glücklich schätzen, daß ein Philosoph wie Foucault sich nicht damit begnügt, geographische Be griffe als Metaphern einzusetzen, sondern daß diese zu regelrechten Ana lyseinstrumenten werden. Etwa dann, wenn Foucault in Überwachen und Strafen das Panopticon von Bentham als soziales Modell vorstellt: »Sie kommen im Schlußkapitel sogar auf die >imaginäre Geopolitik< der Ge fängnisstadt zu sprechen [...].«^ Foucault hatte in seinen Arbeiten von An beginn eine auf den Begriffen der Strategie und Taktik beruhende Dialektik zwischen Wissen und Macht geltend gemacht. Die Begegnung mit Geogra phen, die betonen, daß die Geographie »als erstes zur Kriegsführung dient«, konnte nur fruchtbar sein, und die disziplinaren Schranken fallen ein weiteres Mal, als Foucault seinen Gesprächspartnern gesteht: »Ich merke, daß die Probleme, die Sie bezügHch der Geographie aufwerfen, für mich wesentlich sind [...]. Die Geographie muß deutlich im Kern meiner Beschäftigung stehen.« ^ Da Foucault in der Tat die Spiele des Blicks privilegiert, verfolgt er ein ähnliches Verfahren wie der Geologe, der sich bemüht, anhand einer in ho rizontalen Schnitten angelegten Analyse die Diskordanzen, Lücken und Abgrenzungen zwischen den verschiedenen stratigraphischen Schichten zu erfassen. Die Fundamente der Foucaultschen Archäologie scheinen also durchaus in einer diskursiven Geologie verankert. So wie der Geologe die Determinanten der topographischen Organisation des Terrains untersucht, geht Foucault zu seinen Forschungsgegenständen kein unmittelbares Ver-
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hältnis ein, sondern beleuchtet ihre Möglichkeitsbedingungen. Die Klinik, das Gefängnis, der Wahnsinn oder die Sexualität sind daher für ihn keine Gegenstände, deren Geschichte und Organisation es aufzurollen gälte, sondern Mittel, um die Bedingungen zu begreifen, unter denen diese Ge genstände denkbar sind, und zwar nicht aus einer transzendentalen Tiefe heraus, sondern in der Befragung der Distributionen, die den Ursprung des Sichtbaren und des Unsichtbaren bilden, »auf der Ebene der Sprache« ^. Die Erkundung gilt also den verschiedenen Distributionen in den Beziehungen zwischen Signifikant und Signifikat. Spiele der Räume, Spiele der Blicke — das Interesse der Medizin schlägt plötzlich von den Symptomen zu den Organen um: »[...] die klinische Er fahrung [...] rüstet [...] sich zur Erkundung eines neuen Raums: des be rührbaren Raums des Leibes [...].«^° Bichat und die radikale Transforma tion der medizinischen Beobachtungsformen setzen bei der Umkehrung der Formen der Sichtbarkeit an: »Was grundsätzlich unsichtbar war, öffnet sich plötzlich der Klarheit des Blicks [...].«" Nun kann das AnatomischKlinische entstehen und die Krankheit aus der Metaphysik des Bösen her ausgelöst werden. Abermals fungiert das Spiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit im Raum des Strafvollzugs als Hauptoperator. In der Tat bietet es sich gesamtgesellschaftlich für alle Disziplinarpraktiken an. Das Gefäng nis entsteht aus der Sorge, einen als transparent verstandenen sozialen Raum zu durchmustern. Die Disziplinarmacht zwingt »den von ihr Unter worfenen die Sichtbarkeit« ^^ auf. Der maximalen Individualisierung und Sichtbarkeit auf dem Höhepunkt des Ancien regime, als die Macht sich im dem Verurteilten auferlegten Akt der Marter zur Schau stellt, folgt in der Moderne eine ganz andere Konfi guration, in der die Individualisierung und die Sichtbarkeit abnehmen: Zur gleichen Zeit, als die Macht sich funktionalisiert, wird sie anonym und un sichtbar. Das Modell bildet das Panopticon, mit dessen Hilfe man vom zen tralen Turm aus sehen kann, ohne gesehen zu werden, und das somit viel fältig einsetzbar ist: »Es handelt sich um einen bestimmten Typ der Einpflanzung von Körpern im Raum [...].«^^ Schon anhand des Gemäldes von Velasquez, auf das Foucault in der Ordnung der Dinge zurückgriff, ließ sich die Bedeutung ablesen, die er dem Blick und der unendlichen Vertau schung von Betrachter und Modell, von Subjekt und Objekt beilegte. Alles spielt sich auf der Oberfläche der Leinwand des Malers ab, ein reines Spiel
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der Falten und Einschläge der Motive, die in einem endlichen Raum ange ordnet sind. Als Stratigraph der Diskursivität in ihren Diskontinuitäten belehnte Foucault auch das Vokabular der Geologie. In der Ordnung der Dinge ist die Rede von »Erosion«, »Strand«, »Decke«, »Erdstoß«, »Schicht«: »[...] dadurch geben wir ihre [d. h. der abendländischen Kultur, A.d.Ü.] Brüche, ihre Instabilität und ihre Lücken unserem schweigenden und auf naive Weise unbeweglichen Boden wieder. Von neuem gerät unter unseren Schritten diese Oberfläche in Unruhe.« ^'^ Schon der Begriff der Episteme findet seine Entsprechung in der Betrachtungsweise des Geologen, ist sie doch als ein ausgedehnter transversaler Sockel gedacht, der sich nicht ent wickeln, sondern nur durch Erschütterungen abkippen oder einer anderen Schicht weichen kann, die sich über die erste legt und sich sedimentiert. Im übrigen ist erinnerlich, daß Levi-Strauss ihn zum Hauptwegbereiter der Anthropologie gemacht hatte, als er sich in den Traurigen Tropen zu »drei Lehrmeisterinnen« bekannte: Marx, Freud und die Geologie. Freilich han delt es sich für Foucault, anders als für Levi-Strauss, nicht darum, die Kul tur zu naturalisieren, sondern ein genetisches, historisches Verfahren durch eine horizontale, synchronische, räumliche Orientierung zu ersetzen.
Die Spiele des Drinnen und des Draußen Die Spiele des Drinnen und des Draußen und die Kombinatorik verschie dener Orte im Raum finden erneut Aufmerksamkeit. So bestimmt JeanPierre Vernant den Raum der alten Griechen in einer Spannung zwischen zwei Polen: Hestia, die das Drinnen, den Rückzug der Menschengruppe auf sich selbst repräsentiert, und Hermes, das Draußen, die Mobilität, die Öffnung. Diese räumliche Bipolarität organisiert den Gegensatz von Männlichkeit und Weiblichkeit und liefert ein Modell der Arbeitsteilung. Hestia steht für die autarken, endogamen Werte, denn »auf der Ebene der ökonomischen Aktivitäten repräsentiert die Frau die Vermögensbildung, der Mann den Erwerb« ^^. Auch die Racinesche Anthropologie, die Roland Barthes herausarbeitet, ist im wesentlichen räumlich. Auf der Bühne des Racineschen Theaters er kennt Barthes eine topographische Logik, die sich in ein Zentrum, Periphe-
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rien und ein abseits der Bühne liegendes Draußen gliedert. Ins Bühnenab seits ist die Geschichte verwiesen, während die Tragödie sich im sichtbaren Bühnenraum entfaltet: »Das Draußen [...] enthält drei Räume: den des To des, den der Flucht und den des Ereignisses.« ^^ Die tragische Einheit von Zeit und Raum ist räumlich festgelegt durch die Konturen dessen, was den Zuschauern der Tragödie unmittelbar zugänglich ist. Es ist sogar die eigent liche Definition des tragischen Helden, in diesem Bühnenraum einge schlossen zu sein: »Derjenige, der nicht hinaus kann, ohne zu sterben: seine Grenze ist sein Vorrecht, die Gefangenschaft seine Auszeichnung.« ^^ Das geschichtliche Ereignis tritt in den Hintergrund, wird nach draußen gedrängt; es kommt nur kraft der auf der Bühne gesprochenen Worte vor. In die Ferne gerückt, verliert es an Wirksamkeit und läßt auf diese Weise die unentrinnbare tragische Logik des Kampfes zwischen Licht und Schatten zur Entfaltung kommen, und dies in einem im wesentlichen räumlich blei benden Rahmen: »Der tragische Konflikt ist eine Raumkrise.« ^^ Diese Abschließung ist es, die das Gewicht der Geschichte relativiert und die Zeit in eine stillstehende Zeit verwandelt. Die Zeitlichkeit kann sich nur innerhalb eines Wiederholungszwangs bewegen, denn es gibt keine Möglichkeit dia lektischer Überwindung, um aus der in ihrer räumHchen AbschHeßung be fangenen tragischen Welt hinauszugelangen. Barthes begreift das Tragische als eine antimythische Szenographie: Es tendiert dazu, die Vermittlungen, die der Mythos bereithält, auf Null zu reduzieren, um den Konflikt in sei ner ganzen Brutalität, seiner zerreißenden Offenheit übrigzulassen. Diese Logik des Raumes reizt Barthes auch an der Schreibweise RobbeGrillets. Abermals kann hier allein die Sehkraft eine Ästhetik erzeugen: »Die Schreibweise Robbe-Grillets hat kein Alibi, keine Dichte und keine Tiefe: Sie bleibt an der Oberfläche des Objekts.«^^ Nur der optische Ab lauf sei real für Robbe-Grillet, dessen ganze Kunst darin liege, den Dingen — heideggersch gesprochen — ein »Dasein« zu geben und ihnen jedes »Etwas-Sein« zu nehmen. In Robbe-Grillets Nouveau roman sollen die Objekte nur in »räumlicher, situativer, keinesfalls analogischer« ^° Form qualifiziert sein. So gründet sich der Nouveau roman auf die Oberfläche, um die Idee der Innerlichkeit zu unterdrücken und die zirkuläre Logik der Dinge sich im Raum entfalten zu lassen. Dieser von allen strukturalistischen Arbeiten weithin entfalteten TopoLogik hatte bereits Levi-Strauss den Vorzug gegeben. Die elementaren
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Strukturen der Verwandtschaft sind auf präzise Weise dem Raumdispositiv der primitiven Gesellschaften einbeschrieben, und als Levi-Strauss in den Traurigen Tropen die ländliche Ordnung der Bororo rekonstruierte, inter essierte er sich besonders für die hochentwickelte Organisation des Dorfes, in dem die Bevölkerung auf beide Seiten eines Diameters verteilt ist, der sie in zwei Gruppen trennt: die Gera und die Tugare. Diese Unterteilung legt die Verwandtschaftsbeziehungen genau fest, denn ein jeder gehört immer zur Hälfte seiner Mutter und kann nur ein Glied der anderen Hälfte heira ten: »Wenn meine Mutter Gera ist, bin ich es ebenfalls, und meine Frau wird Tugare sein.«^^ Alles organisiert sich in der Bororo-Bevölkerung an hand dieser in einer binären Struktur gefaßten Abschließung. Die gleiche Abschließung findet sich auch in Levi-Strauss' Zugang zur Mythologie. Seine Metapher für den Sinn seiner ausgedehnten Ermittlung in den Mythologica ist symptomatisch für den Vorrang des Raumes, spricht er doch von den »Stücken eines Puzzles« ^^, das es zusammenzusetzen gelte. Levi-Strauss geht davon aus, daß die Mythen, unabhängig von dem Kulturraum, den er erkundet, alle das gleiche ausdrücken — »weil die Erde der Mythologie rund ist«^^. Denn er postuHert, daß es über die Verschie denheit der sozialen Gemeinschaften hinaus eine zweifache ursprüngliche Einheit zu entdecken gebe: die Einheit des Systems und die Einheit der Botschaft.
Der neuronale Topos Daß Levi-Strauss vorrangig in großen synchronischen Querschnitten, in topoi vorgeht, entspricht seiner Absicht, die Kultur zu naturalisieren. Überhaupt ist es ja die Hauptbestrebung des strukturalistischen Projekts, wiederzuvereinen, was sich in der Evolution des abendländischen Denkens voneinander abgespalten hat: die Sphäre des Sensiblen und die des IntelHgiblen. In Verweigerung dieser Scheidung hat sich Levi-Strauss von seiner Herkunftsdisziplin, der Philosophie, abgewandt und in der Anthropologie nach Mitteln und Wegen gesucht, den willkürlichen Charakter einer sol chen Zerschneidung der Welt aufzuzeigen, indem er immer wieder genau an der Naht von Natur und Kultur ansetzte: »der Strukturalismus [...] ver söhnt Leibliches und Seelisches, Natur und Mensch, Welt und Geist« ^^.
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An dieser Grenze, an diesem Übergang zwischen Natur und Kultur sieht Levi-Strauss eine binäre Logik hervortreten, die mit den ersten For men der SymboHsierung übereinstimmt. Eben dieser Übergang äußert sich im Totemismus, und Levi-Strauss sieht im totemischen Gebrauch der na türlichen Arten tierischer oder pflanzlicher Herkunft eher den Ausdruck von Wahlen, die im Hinblick darauf getroffen wurden, ob sie zu denken ge ben können. Er geht so weit, »eine Strukturähnlichkeit zwischen dem menschlichen Denken bei der Arbeit und dem menschlichen Gegenstand, auf den es sich richtet« ^^, zu postulieren. Und diese Homologie kann der Strukturalismus herausarbeiten. Getragen von der jüngeren Entwicklung der Naturwissenschaften und von den Fortschritten der kognitiven Wissenschaften, hat sich Levi-Strauss immer mehr in Richtung einer Naturalisierung des strukturalen Rasters be wegt. Am Ende war er der Auffassung, daß der Schlüssel in einer dem menschlichen Gehirn innewohnenden Topologie zu finden sei. So muß wohl die Biologie die Antwort auf das Rätsel Hefern, das die Entfaltung der Humanwissenschaften aufgeworfen hat, und die Levi-Strauss' gesamtes Werk durchziehende Spannung zwischen einer als Lektüreraster der Welt verstandenen strukturalen Methode und dem Erwartungshorizont auflö sen, letzten Endes an die Strukturgesetze der Natur heranzukommen. Der Levi-Strausssche Strukturalismus, dessen Ausgangsprogramm darauf zielte, die Kultur zu entnaturalisieren und sich von der somatischen An thropologie abzusetzen, verkehrt sich also durch eine merkwürdige List der Vernunft in sein Gegenteil. Im Zuge einer Naturalisierung der Kultur soll deren letztgültiger Aufschluß dem neuronalen topos zufallen.
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Das Subjekt als das Verdrängte des Strukturalismus kehrte mit um so grö ßerer Wucht wieder, als man sich seiner zwanzig Jahre lang geglaubt hatte entledigen zu können. Dadurch, daß das Subjekt in steter Spannung zwischen Vergötterung und Auflösung stand, war es in der ihm eigenen Komplexität — Autonomie einerseits und es bedingende Netze von Ab hängigkeiten andererseits — nur schwer wieder ins Feld des Denkens einzubeziehen. Gegenüber der lange Zeit als unausweichlich hingestellten Alter native zwischen einem allmächtigen Subjekt und dem Tod desselben hat sich indes eine eigene Strömung der zeitgenössischen Reflexion herausge bildet, die um das Paradigma der Dialogik, des kommunikativen Handelns kreist und als Gesellschaftsentwurf wie als sozialwissenschaftliches Para digma reelle Emanzipationsaussichten verkörpert.
Von der Intertextualität zur Dialogik Wie erinnerlich, hatten Julia Kristeva und Tzvetan Todorov die Konzeption Michail Bachtins in die Literaturkritik eingeführt, die ihren Hauptgegen stand in der Intertextualität und in einer dialogischen Betrachtung der Lite ratur sah. Infolge dieser neuen Ausrichtung konnte man die Bezugnahme auf den Autor, der man zunächst die Pertinenz abgesprochen hatte, nach und nach wieder zur Geltung bringen. Die Normalisierung, die vollstän dige Objektivierung des literarischen Schöpfers, seine Umwandlung in ein bloßes Objekt von Prozessen und Prozeduren hatte dazu geführt, eine fun damentale Dimension zu übergehen: Der Schriftsteller ist ein Subjekt und richtet sich an andere in einem kommunikativen Vorgehen, ohne das sein Werk keinen Sinn hätte. Im Kontext der beginnenden achtziger Jahre inspiriert sich Todorov in seinen kritischen Studien direkt von Β achtin und betrachtet die dialogische
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Ebene als wesentliche Vermittlung zwischen der ersten Phase der Analyse, die in der Feststellung der Gegebenheiten besteht, und der letzten Phase, dem In-Bezug-Setzen zu den soziologischen und psychologischen Mecha nismen. Zwischen diesen beiden Stufen »liegt die spezifischste und wich tigste Tätigkeit des Kritikers und Forschers in den Humanwissenschaften: die Interpretation als Dialog« ^ Mit der Dialogik tritt nicht nur eine neue Methode der Literaturkritik an die Stelle der ausschließlichen Aufmerksamkeit für die Schreibverfahren, sondern es findet auch eine wesentliche Dimension dessen Berücksichti gung, was die Spezifität der Humanwissenschaften gegenüber den Natur wissenschaften begründet — die menschliche Freiheit und die Ausübung dieser Freiheit durch die Interpretation. In der Polyphonie der Stimmen von Autor, Lektor und Kritiker kann diese Freiheit einen Ausübungsort finden: nicht von den Werken, »sondern mit den Werken«^ zu sprechen. Ebendies verwirklicht auch Gerard Genette mit seinem Begriff der Transtextualität, der eine wechselseitige Inbezugsetzung zwischen dem Text und dem breiteren kulturellen Kontext voraussetzt, welcher ihn auf der Ebene der Kontiguität wie der Diachronie umgibt. Ein Text ist also an gereichert mit allen den Texten, die ihm vorangehen. Nun schreitet man jedoch in diesem Bereich recht rasch von einem Ansatz, der den Text auf Spuren intertextueller Wirkungen untersucht, zu einem eher suggestiven, intuitiven Ansatz weiter, in dem der Leser den Text mit seinen eigenen Fra gestellungen und Gefühlsregungen konfrontiert. In dieser Spannung siedelt sich die jüngste Arbeit Genettes an, die auf das strukturale Programm nicht verzichtet, ihm aber einen neuen, dialogischen Impuls gibt. Der im literarischen Bereich entstandene Begriff der Dialogik sollte sich auch auf etlichen anderen Gebieten befruchtend auswirken, an erster Stelle in der Linguistik. Die nach dem angelsächsischen Modell gebildete franzö sische Pragmatikschule hat sich diese Vorgehensweise durchweg zu eigen gemacht und damit in Frankreich die Entwicklung einer dort bislang unbe kannten Sprachphilosophie ermöglicht. So begibt sich Francis Jacques^ daran, den Begriff der Dialogik zu erneuern, ein Begriff, der so alt ist wie der Anbeginn der Philosophie, denn schon Piaton hatte seine Anwendung in der Unterweisung der Philosophie gerühmt. Er greift damit aber keines wegs auf ein Verfahren zurück, das den Erkenntnissen des zeitgenössischen Denkens nicht Rechnung trüge; vielmehr setzt er an im heutigen Polyzen-
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trismus, in der definitiven Absage an eine invariante Universalitätskatego rie, die durch die Erfahrung der Differenz und der Inkommensurabilität widerlegt vi^urde. Aber er kritisiert das postmoderne Hochjubeln unverbundener Archipele, das nur in neuen vergoldeten Käfigen münden kann, und verficht »die Idee einer zugleich sprachlichen und kommunikativen Rationalität für ein Zeitalter, das die Gewißheit eines einzigen logos verlo ren hat« ^. Claude Hagege, Professor am College de France, steht als Schüler von Benveniste in einer besonders ausgeprägten linguistischen Tradition. Er schließt an die komparatistische Linie Jakobsons und Martinets an und legt seinem theoretischen Vorhaben die »Vorstellung von einer Wechselwir kung (Interaktion), die wir hier dialogisch nennen, [...] zugrunde«^. Er macht geltend, daß die Linguistik so sehr von Formalismen gebannt gewe sen sei, daß sie das Historische und Gesellschaftliche entleert und das Menschliche in eine von jeder Bedeutung abgeschnittene Abstraktion um gewandelt habe. Vom dialogischen Menschen verspricht sich Hagege folg lich die notwendige Entsperrung der Linguistik: »Als ständig neues Pro dukt einer Dialektik der Zwänge, über deren zukünftige Formen man nichts weiß, und der Freiheiten, deren Ausmaß von seiner Reaktion auf Herausforderungen in seinem Umkreis abhängt, liefert der dialogische Mensch durch seine Beschaffenheit selbst einige Anhaltspunkte für einen Diskurs, der einzig und allein über seine wahre Natur und nicht über das geführt werden sollte, was er zu sein scheint.« ^ Die Einsicht in die Wichtig keit der dialogischen Dimension der Sprache gewann Hagege im wesentli chen aus seinen Feldstudien: »Diese Erkenntnis kam mir ganz klar auf dem Terrain. Ich begriff, daß man, wenn man nicht das in den Mittelpunkt stellt, was in einem Individuum in einer interdialogischen Situation vorgeht, acht zig Prozent der Sprache preisgibt.« ^ Wenn man von Universalien ausgeht, so handelt es sich Hagege zufolge nicht um ein paar formale Abstraktionen, die freilich als begünstigende Voraussetzungen für die Entwicklung der Linguistik nutzbar sind. Die wahren Universalien sind, wie Untersuchun gen an wilden Kindern zeigen, »die am Dialog beteiligten Umstände«^. Hagege reiht also die Untersuchung der Sprache in die soziale Sphäre ein und befürwortet eine Soziolinguistik, die sich kritisch von Chomskys Abschließung von der Gesellschaft absetzt. Nach Hageges Auffassung ist es nicht die Aufgabe des Linguisten, ge-
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maß der Manier Chomskys in einem Kompetenzmodell nach einer univer salen natürlichen Ordnung zu forschen, sondern er soll zum Historiker werden, um in der Strukturierung der Sprachen die Entwicklungsstufen zu erfassen. Freilich bedeutet diese Rückkehr zur Geschichtlichkeit kein Zu rückgreifen auf eine Theorie der Widerspiegelung. Denn hier ist an das zu erinnern, was Hagege »das Prinzip der doppelten Strukturierung« ^ nennt: Einerseits sprechen die Sprachen die Welt und erschaffen sie damit neu, in dem sie durch Abstraktionen Kategorien bilden, andererseits ordnen sie sich selbst in ihrer Synchronie. Dieses Moment der inneren Strukturierung »organisiert die Sprache selbst auf mehreren Ebenen in Netzen aus aufein ander bezogenen Elementen« ^°. Aus dieser doppelten Strukturierung her aus bildet sich die Autonomie der Sprachen als sinnproduzierende Mo delle: »Das macht sie zu Begriffsquellen und Klassifizierungsprinzipien. Und eben dadurch entsteht eine wissenschaftstheoretische Grenze zwi schen der Sprachwissenschaft und den Naturwissenschaften [..·].« ^^ Wiewohl er sich als Schüler von Martinet und Benveniste in einer strukturalistischen Filiation ansiedelt, nimmt Hagege Abstand von dem grund legenden Schnitt, den Saussure zwischen langue und parole vollzogen hat, weil er darin schlechthin die Bedingung für die Wissenschaftlichkeit der modernen Linguistik erblickte: Sie sollte sich des Kontingenten, des Singulären, also des Gesprochenen entledigen, um sich an die Regelhaftigkeiten und Universalien der Sprache zu heften. Hagege hält diese Unterscheidung für unbegründet und die durch sie geschaffene Alternative für falsch: »Wenn man die Sprache zu sehr vom Sprechen abgrenzt, wie es — in beiden Fällen bis ins Extrem — die klassischen Strukturalisten, die der Sprache den Vorrang geben, und die Pragmatiker tun, die das Sprechen untersuchen, dann mißachtet man entweder die Zwänge, die die Sprache uns auferlegt, oder aber die dialogische Beziehung beim Sprechen.« ^^ Im Horizont dieser Dialogik steht das Subjekt, über das man sowohl in Erfahrung bringen will, wodurch es bedingt wird, als auch, was seinen Anteil an Freiheit begründet. Kein allmächtiges Subjekt, sondern jenes, das als ein Aussagender auftreten kann und dessen Konstruktion das Produkt der Dialektik zwischen den Zwängen und den Freiheiten ist, die es mit der Sprache verbinden. Gerade indem man von dieser Dialektisierung zwischen strukturaler Notwendig keit und menschlicher Freiheit ausgeht, die sich je nach historischem Mo ment wandelt, kann man die Vielheit der Botschaften, ihre kontextabhän-
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gige Variabilität wiederherstellen und so an ihre verborgenen Bedeutungen herankommen, die durch die Intertextualität freigesetzt werden: »Derje nige, der diese undurchsichtigen Texte kodiert, ist der >reale< Teilnehmer am Sprachereignis; er entziffert sie auch, denn er ist [...] ein geübter Entzif ferer von versteckten Botschaften [...].«^^ Hagege läßt mithin das Subjekt wieder in den Horizont einer Linguistik eintreten, die sich darum bemüht, die strukturalen Erkenntnisse zu bewahren, und damit beiträgt zur Versöh nung lange Zeit für antinomisch ausgegebener Termini: Bewegung und Struktur, Geschichte und Invarianz. Gewiß gibt es Verschiebungen und Asymmetrien zwischen der sozialen und der sprachlichen Zeit, dabei ist je doch nicht zu vergessen: »Die Variation ist [...] der Sprache inhärent.«^"* Subjekt und Geschichte sind unverkennbar zurückgekehrt, und die Dialo gik kündigt ein Paradigma an, das einen Bruch gegenüber dem strukturalistischen Moment darstellt, auch wenn sie sich weniger in einer Bewegung radikaler Zurückweisung als vielmehr in einer Perspektive der Überwin dung ansiedelt. Das dialogische Paradigma ist nicht nur als operative Technik für die Be rufslinguisten von Bedeutung, es steht auch im theoretischen Horizont ei ner Philosophie — der des heutigen Erben der Frankfurter Schule, der von Jürgen Habermas. Habermas kritisiert die postmodernen Thesen und den ihnen zugrundeliegenden Nihilismus, greift dabei jedoch nicht auf eine Konzeption vom allmächtigen Subjekt zurück, sondern entwirft die mögli chen Bahnen für eine kommunikative Rationalität als Fundament einer Theorie des Gesellschaftlichen.^^ Der Philosoph hat nach Habermas die Aufgabe, die Mittel zu finden, mit denen das soziale Band neu geknüpft und die zunehmende Aufspaltung zwischen Individuum und System, zwi schen Kontrolle des Wissenschaftsbetriebs und demokratischer Willensbil dung vermieden werden kann, indem man zurückfindet zu den Zielsetzun gen der Demokratie und einer authentischen Kommunikation, die unter den Mitgliedern der Gesellschaft auf der Grundlage der Rationalität wie derherzustellen ist. Dieser Wunsch auf Aussöhnung der Universalität der Vernunft und des demokratischen Ideals erfordert ein neuerliches Anknüp fen an den Plan der Aufklärung und die Ideale der Französischen Revolu tion, die in zweihundert Jahren deutscher Philosophie ausgehöhlt worden sind. Das moderne Denken muß das Ideal eines moralischen Universalis mus aufgreifen und es nicht mehr auf das Trugbild eines vollbewußten Sub-
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jekts als Herr seiner selbst gründen, sondern auf die Beziehung wechselsei tiger Verständigung zwischen den Individuen, den Kulturen, den Differen zen: »[...] Normen [müssen] unter Bedingungen, die alle Motive außer dem der kooperativen Wahrheitssuche neutralisieren, grundsätzlich auch die rational motivierte Zustimmung aller Betroffenen finden können.« ^^ Das Paradigma der Dialogik mußte dem französischen Soziologen Ed gar Morin gelegen kommen, der ein Strukturalismusgegner der ersten Stunde war und sich stets um die Entwicklung einer Methode bemüht hat, mit der anscheinend Zerstreutes in Kommunikation zu bringen ist. Kom munikation bedeutet für ihn nicht Reduktion oder Vereinigung innerhalb einer gemeinsamen Wissenschaft, in der Biologie, Psychologie, Soziologie und Anthropologie einen Verbund eingehen. Für Morin kommt es darauf an, notwendig zusammengehörige Gebiete, die eine unteilbare und kom plexe Wirklichkeit bilden, miteinander kommunizieren zu lassen. In einer solchen Perspektive erscheint die Dialogik als ein besonders geeignetes In strument, deren Verschränkung zu denken, und sie stellt zugleich eine Weltsicht bereit, mit der Reduktionismen in jeder Form ausgeschlossen werden können: »Das Universum bildet, entfaltet, zerstört sich und schrei tet voran durch die Dialogik.« ^^ Darüber hinaus birgt das Konzept der Dia logik für Edgar Morin den Vorzug, mehr auf die Komplementarität der widersprüchlichen Entitäten zu setzen als auf deren irreduzible Gegensätz lichkeit : »Mit diesem Konzept konnte ich es vermeiden, von Dialektik zu sprechen.« ^^ Mit der Dialogik kann er die Reflexion über den Widerspruch weiterführen, ohne davon auszugehen, daß aus dem Zerbrechen der Ein heit notwendig eine Überwindung folgen muß. Vielmehr geht er von dem Postulat aus, daß diese Einheit aus der Dualität, aus dem Zusammenschluß zweier einander logisch heterogener Prinzipien hervorgehen kann. Morin wehrt sich gegen die Trennung von Natur- und Humanwissen schaften und versucht deshalb, zwischen diesen beiden Bereichen Brücken zu schlagen, um sie in ihren Verbindungen zu begreifen. Bestärkt in seiner Verweigerung des Schubladendenkens und des Reduktionismus auf ein paar der Wirklichkeit extrahierte formalisierte Variablen, in seinem im Schnittpunkt von Biologie und Sozialwissenschaften ansetzenden Vorha ben wurde Morin auch dadurch, daß er im Gefolge des Mai 68 auf Einla dung von Jacques Robin in der »Gruppe der zehn« mitarbeitete, einem Zu sammenschluß von Kybernetikern, Biologen und Medizinern. 1969 wurde
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Morin ins Salt Institute of Biological Studies eingeladen, das dem von Jacob Bronowski geleiteten Department for Human Affairs angeschlossen ist, und nahm dies zum Anlaß, die gesellschaftliche Bedeutung der Biologie zu vermessen. Mithin ist es für ihn unvorstellbar, das vom Strukturalismus ge feierte Verschwinden des Menschen aus einer Position seiner Vergöttli chung zu kritisieren. Ihm kommt es vielmehr darauf an, angesichts einer polyzentrischen, komplexen Welt, die durch Unordnung und unaufhörli chen Wandel angetrieben wird, auf die »humanistische Einschreibung in den unvollendeten Prozeß der Menschwerdung« ^^ hin zu denken.
Der Sinn und das Zeichen Wie Paul Ricoeur zeigt ^°, stand die Geschichte des Denkens immer in einer Spannung und in einem Wechselspiel zwischen den Theorien des Sinns und den Theorien des Zeichens. Schon Piaton hatte im Kratylos seine beiden Protagonisten, die Heraklit-Schüler Hermogenes und Kratylos, gleicher maßen widerlegt — denjenigen, für den der Ursprung der Wörter in einer Übereinkunft liegt, und denjenigen, der glaubt, daß sie ihre Bedeutung aus einem noch immer bestehenden Band mit der Natur haben. Der Strukturalismus sei eine Gegenreaktion auf Husserls Phänomenolo gie gewesen, die den Gebrauch der Zeichen in Abhängigkeit von den Logi ken des Sinns gesetzt hatte. Der Strukturalismus vollzieht somit eine ent scheidende Kehrtwende, mit der er den Begriff des Sinns erneut der Herrschaft des Zeichens unterstellt. Hierin knüpft er an die alte aristoteli sche Tradition an, die dem Begriff der Form den Vorrang gegeben hatte und im Mittelalter mit der Entwicklung der Rhetorik, der Logik, des Nomina lismus einen nachhaltigen Sieg errang, der sich später in der Grammatik von Port-Royal fortsetzte — eine Filiation, auf die Chomsky sich ausdrück lich berufen hat. Mit der Zerstreuung des Strukturalismus zeigt sich nun im Gegenzug ein Wiedererstarken des Sinns. Der Erfolg eines Buches wie George Steiners Von realer Gegenwart^^ ist symptomatisch für eine auf Sinn erpichte Epo che, die bereit ist, der semiologischen Forschung, der neuen Kritik ein für allemal den Rücken zu kehren, um einen direkten Zugang zum Kunstwerk, zur Gefühlsregung wiederzufinden. Das zurückschwingende Pendel zeigt
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vorerst nur das Heraufdämmern einer neuen Epoche an, doch es besteht gleichzeitig das Risiko eines ungemeinen Rückfalls, sofern dieser Um schwung mit der Negierung all der zuvor geleisteten Aufklärungsarbeit be zahlt werden soll. Sicherlich beschreibt George Steiner treffend den Mangel und die Unzufriedenheit, die alle bisherigen Versuche der Formalisierung des Kunstwerks hinterlassen haben, indem sie zwecks ungebundenerer Entfaltung der unbewußten Logiken des Zeichens alle Hinsichtnahmen auf den Sinn oder auf den Inhalt in Klammern setzten. Es muß aber beängsti gen, wenn ihm eine Republik vorschwebt, »aus der Rezensenten und Kriti ker verbannt würden« ^^ und in der jeder Kommentar der Werke verboten wäre, da diese sich selbst genügten: »Der Baum stirbt unter dem gierigen Gewicht der Kletterpflanzen.«^^ Hinter diesem Gegenausschlag wird eine elitäre Haltung sichtbar, die den demokratischen Vertrag aufkündigt, den der Strukturalismus beför dern wollte. George Steiner zieht es vor, die Massen vor den Fernsehserien oder dem »Glücksrad« sitzen zu lassen, während eine Elite sich in aller Ruhe an Aischylos im Originaltext erfreut und dabei ein Unmittelbarkeitsverhältnis einnimmt, wie allein sie es zu erwerben vermag. Die Rückkehr zum Sinn ist gewiß notwendig, eine bestimmte Kritik an Verwechslungen des Logisch-Mathematischen und der Kunst ist gewiß berechtigt, aber es ist bedauerlich, wenn das Denken in so übertriebenem Maße ausschlägt, daß es alles Vorausgegangene ins Nichts befördert. Damit die bemerkenswerten Fortschritte, die ein Paradigma wahrge macht hat, das man strukturalistisch oder kritisch nennen mag, im laufen den Strom der fünf Sinne nicht untergehen, gibt es nur eines — eine Dialog beziehung zwischen den beiden Ebenen des Sinns zu befördern, so wie Paul Ricoeur sie definiert: der explikativen Ebene, in der das innere Spiel der strukturalen Zusammenhänge des Textes zum Zuge kommt, und der interpretativen Ebene, die per Definition für die Bezugnahme auf den Sinn und für ein Außersprachliches aufgeschlossen bleibt. Diese beiden Ebenen, die semiologische und die deutende, schließen sich freilich nicht aus, wie Gerard Genette bereits in den sechziger Jahren zu bedenken gab, sondern ergänzen einander. Die interpretative oder hermeneutische Ebene kann die Perspektive der kritischen Arbeit stets offenlassen. Sie fördert neue Impulse, die sich in ei ner über räumliche und zeitliche Distanzen hinausreichenden Intersubjek-
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tivität äußern. Mit ihr kann eine dialogische Verständigung zwischen Wel ten vorangetrieben werden, die sich nicht in eine Isolatensituation hinein ziehen lassen wollen. Dialog als Möglichkeit, in der Ära des Relativen das Universelle zu leben, Dialog als Äußerung der Vernunft im Zeitalter des wiedererstarkenden Fundamentalismus — ein solches sowohl gesellschaft liches als auch wissenschaftliches Programm muß einen Weg aus dem Strukturalismus bahnen, ohne zu vergessen, daß er es war, der uns klarge macht hat, daß Verständigung sich selbst nie vollständig transparent ist. Sollte man sich wieder dieser Illusion hingeben, so wäre das der schnellste Weg zu Fahrenheit 451.
Dank
Ich danke allen, die so freundlich waren, in Gesprächen Auskunft zu geben, die alle schriftlich erfaßt worden sind. Ihr Beitrag war maßgeblich und hat eine der Grundlagen für die Erstellung dieses Kapitels der französischen Geistesgeschichte geliefert: Marc Abeles, Alfred Adler, Michel Aglietta, Jean Allouch, Pierre Ansart, Michel Arrive, Marc Auge, Sylvain Auroux, Kostas Axelos, Georges Balandier, fitienne Balibar, Henri Bartoli, Michel Beaud, Daniel Becquemont, Jean-Marie Benoist, Alain Boissinot, Raymond Boudon, Jacques Bouveresse, Claude Bremond, Hubert Brochier, Louis-Jean Calvet, JeanClaude Chevalier, Jean Clavreul, Claude Conte, Jean-Claude Coquet, Ma ria Daraki, Jean-Toussaint Desanti, Philippe Descola, Vincent Descombes, Jean-Marie Domenach. Joel Dor, Daniel Dory, Roger-Pol Droit, Jean Dubois, Georges Duby, Oswald Ducrot, Claude Dumezil, Jean Duvignaud, Roger Establet, Frangois Ewald, Arlette Farge, Jean-Pierre Faye, Pierre FougeyroUas, Fran5oise Gadet, Marcel Gauchet, Gerard Genette, JeanChristophe Goddard, Maurice Godelier, Gilles Gaston-Granger, Wladimir Granoff, Andre Green, Algirdas Julien Greimas, Marc Guillaume, Claude Hagege, Philippe Hamon, Andre-Georges Haudricourt, Louis Hay, Paul Henry, Frangoise Heritier-Auge, Jacques Hoarau, Michel Izard, Jean-Luc Jamard, Jean Jamin, Julia Kristeva, Bernard Laks, Jerome Lallement, Jean Laplanche, Francine Le Bret, Serge Leclaire, Dominique Lecourt, Henri Lefebvre, Pierre Legendre, Gennie Lemoine, Claude Levi-Strauss, Jacques Levy, Alain Lipietz, Rene Lourau, Pierre Macherey, Rene Major, Serge Martin, Andre Martinet, Claude Meillassoux, Charles Melman, Gerard Mendel, Henri Mitterand, Juan-David Nasio, Andre Nicolai", Pierre Nora, Claudine Normand, Bertrand Ogilvie, Michelle Perrot, Marcelin Pleynet, Jean Pouillon, Joelle Proust, Jacques Ranciere, Alain Renaut, Olivier Revault dAllonnes, Elisabeth Roudinesco, Nicolas Ruwet, Moustafa Safouan, Georges-Elia Sarfati, Bernard Sichere, Dan Sperber, Joseph Sumpf,
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Emmanuel Terray, Tzvetan Todorov, Alain Touraine, Paul Valadier, JeanPierre Vernant, Marc Vernet, Serge Viderman, Pierre Vilar, Frangois Wahl, Marina Yaguello. Andere Persönlichkeiten habe ich angesprochen, konnte ihnen jedoch nicht begegnen: Didier Anzieu, Alain Badiou, Christian Baudelot, Jean Baudrillard, Pierre Bourdieu, Georges Canguilhem, Cornelius Castoriadis, Helene Cixous, Serge Cottet, Antoine Culioli, Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Louis Dumont, Julien Freund, Luce Irigaray, Francis Jacques, Christian Jambet, Catherine Kaenbrat-Orecchioni, Victor Karady, SergeChristophe Kolm, Claude Lefort, Philippe Lejeune, Emmanuel Levinas, Jean-Frangois Lyotard, Gerard Miller, Jacques-Alain Miller, Jean-Claude Milner, Edgar Morin, Therese Parisot, Jean-Claude Passeron, Jean-Bert rand Pontalis, Paul Ricoeur, Jacqueline de Romilly, Frangois Roustang, Mi chel Serres, Louis-Vincent Thomas. Ich danke außerdem all jenen, die sich der anstrengenden Aufgabe un terzogen haben, dieses Manuskript durchzusehen, und mir mit ihren Anre gungen und Berichtigungen sehr nützliche Hilfen gegeben haben, so daß ich dieses Unternehmen zu einem glücklichen Ende führen konnte: Daniel und Trudi Becquemont, Jean-Michel Besnier, Alain Boissinot, Rene Gelly, Francois Geze, Thierry Paquot und Pierre Vidal-Naquet. Schließlich danke ich für ihre Auskünfte über die Auflagen einiger Bü cher: Monique Lulin bei den fiditions du Seuil, Pierre Nora bei den Editions Gallimard und Christine Silva bei den fiditions La Decouverte.
Anhang
Teil Ι: Die ersten Risse
Der Chomskysmus: eine neue Grenze ? 1 Nicolas Ruwet, Gespräch mit dem Verfasser. 2 Ebenda. 3 Ebenda. 4 Ebenda. 5 Nicolas Ruwet, »Lalinguistique generale aujourd'hui«, in: Archives europeennes de sociologie, Bd. V, Paris 1964. 6 Nicolas Ruwet, Gespräch mit dem Verfasser. 7 Ebenda. 8 Nicolas Ruwet, Introduction ä la grammaire generative, Paris 1967, S. 12. 9 Ebenda, S. 357. 10 J.-C. Milner, Introduction ä une science du langage, Paris 1989, S. 492. 11 Nicolas Ruwet, Gespräch mit dem Verfasser. 12 N. Ruwet, Introduction ä la grammaire generative, a.a.O., S. 33. 13 Marina Yaguello, Gespräch mit dem Verfasser. 14 Z. S. Harris, Methods in Structural Linguistics, Chicago 1951. 15 T. Pavel, Le Mirage linguistique, Paris 1988, S. 120. 16 Z. S. Harris, Mathematical Structures of Language, New York 1968. 17 C. Fuchs/P. le Goffic, Initiation aux problemes des linguistiques contemporaines, Paris 1985, S. 36. 18 N. Chomsky, Structures syntaxiques (1957), Paris 1979; dt.: Strukturen der Syntax, Den Haag, Paris 1974, S. 13. 19 Ebenda, S. 23. 20 N. Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, Frankfurt/M. 1973, S. 13. 21 N. Chomsky, La Linguistique cartesienne, Paris 1969 (Cartesian Linguistics, 1966). 22 N. Chomsky, »De quelques constantes de la theorie linguistique«, in: Diogene, 1965, Nr. 51, S. 14. 23 J.-C. Milner, Introduction ä une science du langage, a.a.O., S. 145. 24 J.-M. Benoist, La Revolution structurale, Paris (1975) 1980, S. 149. 25 F. Gadet, DRLAV, Revue de linguistique, Nr. 40, 1989, S. 15. 26 N. Ruwet, Introduction ä la grammaire generative, a. a. O., S. 50. 27 N. Chomsky, Dialogues avec Mitsou Ronat, Paris 1977, S. 87. 28 Ebenda, S. 122. 29 Louis-Jean Calvet, Gespräch mit dem Verfasser. 30 Oswald Ducrot, Gespräch mit dem Verfasser. 31 Andre Martinet, Gespräch mit dem Verfasser.
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Anmerkungen zu S. 21-31
32 Ebenda. 33 Jean-Claude Chevalier, Gespräch mit dem Verfasser. 34 C. Hagege, Der dialogische Mensch. Sprache, Weltbild, Gesellschaft, Reinbek 1987, S. 290. 35 Claude Hagege, Gespräch mit dem Verfasser. 36 Tzvetan Todorov, Gespräch mit dem Verfasser. 37 Serge Martin, Gespräch mit dem Verfasser. 38 fi. Benveniste, »Coup d'oeil sur le developpement de la linguistique«, Paris 1965, wieder abgedruckt in: ders., Problemes de linguistique generale I, Paris (1972) 1986; dt.: »Kurzer Abriß der Entwicklung in der Linguistik«, in: ders., Probleme der all gemeinen Sprachwissenschaft, München 1974, S. 36. 39 J. Dubois, Grammaire structurale du frangais: Nom et pronom, Bd. I, Paris 1965. 40 Jean Dubois, Gespräch mit dem Verfasser. 41 Ebenda. 42 Ebenda. 43 Julia Kristeva, Gespräch mit dem Verfasser. 44 Ebenda. 45 Sylvain Auroux, Gespräch mit dem Verfasser. 46 Frangoise Gadet, Gespräch mit dem Verfasser. 47 Joelle Proust, Gespräch mit dem Verfasser. 48 Ebenda. 49 Ebenda. 50 D. Sperber, »Le structuralisme en anthropologie«, in: F. Wahl, Qu'est-ce que le structuralisme, Paris (1968) 1973; dt.: »Der Strukturalismus in der Anthropologie«, in: F. Wahl (Hg.), Einführung in den StrukturaUsmus, Frankfurt/M. (1973) 1981, S. 182. 51 D. Sperber, »Le structuralisme en anthropologie«, a.a.O., S. 114. 52 Ebenda, S. 255. 53 Dan Sperber, Gespräch mit dem Verfasser. 54 J. Lacan, »Problemes cruciaux de lapsychanalyse«, Sitzung vom 2. Dezember 1964.
Derrida oder Der Ultrastrukturalismus 1 J. Derrida, Gespräch mit C. Descamps, in: Le Monde, 31. Januar 1982; dt. in: P. Engelmann (Hg.), Philosophien: Gespräche mit M. Foucault..., Graz/Wien 1985, S. 55. 2 J. Derrida, Gespräch mit F. Ewald, in: Magazine litteraire, März 1991, S. 18. 3 J. Derrida, Gespräch mit D. Cahen, »Le bon plaisir« de France-Culture, 22. März 1986, abgedruckt in: Digraphe, Nr. 42, Dezember 1987. 4 E. Husserl, L'Origine de la geometrie, Paris 1962; dt.: J. Derrida, Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie, München 1987. 5 Ebenda, S. 183 (Fußnote). 6 Ebenda, S. 203. 7 E. Husserl, Logische Untersuchungen, Halle a.d.S. (1900) 1928.
Anmerkungen zu S. 32-42
559
8 J. Derrida, La Voix et le Phenomene, Paris, 1967; dt: Die Stimme und das Phäno men, Frankfurt/M. 1979, S. 89. 9 Ebenda, S. 164 f. 10 Vincent Descombes, Gespräch mit dem Verfasser. 11 Rene Major, Gespräch mit dem Verfasser. 12 J. Derrida, »Force et signification«, in: Critique, Nr. 193-194, Juni-Juli 1963, wieder abgedruckt in: ders., L'ßcriture et la Difference, Paris 1967; dt.: »Kraft und Bedeu tung«, in: ders.. Die Schrift und die Differenz, Frankfurt/M. (1972) 1992, S. 11. 13 Ebenda, S. 9. 14 Ebenda, S. 11. 15 Ebenda, S. 12. 16 Phihppe Hamon, Gespräch mit dem Verfasser. 17 M. Frank, Was ist NeostrukturaUsmus ? Frankfurt/M. 1984, S. 85. 18 J. Derrida, Gespräch mit C. Descamps, a.a.O., S. 53. 19 J. Derrida, Glas, Paris 1974. 20 Jacques Ranciere, Gespräch mit dem Verfasser. 21 Jacques Hoarau, Gespräch mit dem Verfasser. 22 J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt/M. 1985, S. 226. 23 J. Derrida, Positions, Paris 1972; dt.: »Implikationen. Gespräch mit Henri Ronse«, in: ders., Positionen, Graz/Wien 1986, S. 43. 24 J. Derrida, Gespräch mit D. Cahen, a. a. O. 25 V. Descombes, Das Selbe und das Andere, Frankfurt/M. 1981, S. 164. 26 J. Derrida, Positionen, a.a.O., S. 38f. 27 S. Kofman, Derrida lesen, Wien 1987, S. 33. 28 C. Ruby, Les Archipels de la difference, Paris 1990, S. 30. 29 Jean-Marie Benoist, Gespräch mit dem Verfasser. 30 J. Derrida, »Cogito et histoire de la folie«, in: Revue de metaphysique et de morale, Nr. 4, Oktober-Dezember 1963; dt.: ders.. Die Schrift und die Differenz, a.a.O. 31 Ebenda, S. 54. 32 Ebenda, S. 53. 33 Ebenda, S. 58. 34 Ebenda, S. 61. 35 Ebenda, S. 82. 36 Ebenda, S. 89. 37 Ebenda, S. 92. 38 M. Foucault, »Mon corps, ce papier, ce feu«, in: Paideia, September 1971. 39 Ebenda, in: ders., L'Histoire de la folie, Paris 1972, Anhang II, S. 599. 40 Ebenda, S. 602. 41 J. Derrida, De la grammatologie, Paris 1967; dt.: Grammatologie, Frankfurt/M. (1974)1983, S. 13 f. 42 Ebenda, S. 14. 43 Ebenda, S. 130. 44 Ebenda, S. 169 f. 45 Serge Martin, Gespräch mit dem Verfasser. 46 J. Derrida, Grammatologie, a.a.O., S. 101. 47 Ebenda, S. 105.
560
Anmerkungen zu S. 42-52
48 Ebenda, S. 120. 49 J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, a. a. O., S. 196 f. 50 J. Derrida, Grammatologie, a. a. O., S. 279. 51 Ebenda, S. 28. 52 Ebenda, S. 61. 53 F. de Saussure, Grundlagen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 2. Aufl., Berlin 1967, S. 35; zit. nach: J. Derrida, Grammatologie, a. a. O., S. 62. 54 J. Derrida, Grammatologie, a. a. O., S. 79. 55 Ebenda, S. 123. 56 Ebenda, S. 148. 57 C. Levi-Strauss, Strukturale Anthropologie, Frankfurt/M. 1967, S. 45. 58 E. Delruelle, Claude Levi-Strauss et la philosophie, Paris 1989, S. 109. 59 J. Derrida, »Levi-Strauss dans le XVIIIe siecle«, in: Cahiers pour l'analyse, Nr. 4, September-Oktober 1966. 60 Ebenda, S. 114. 61 J. Derrida, Grammatologie, a. a. O., S. 202. 62 J.-J. Rousseau, Emile oder Über die Erziehung; zit. nach: J. Derrida, Grammatolo gie, a.a.O., S. 233. 63 J. Derrida, Grammatologie, a.a.O., S. 283-458. 64 J.-J. Rousseau, Essai sur Ibrigine des langues, Kapitel XX; zit. nach: J. Derrida, Grammatologie, a.a.O., S. 288. 65 Ebenda, S. 439. 66 J. Derrida, Grammatologie, a. a. O., S. 451. 67 Ebenda, S. 540.
Die Derridianische Historizisierung und ihre Durchstreichung 1 J. Derrida, »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«, in: ders.. Die Schrift und die Differenz, a.a.O., S. 422. 2 Ebenda, S. 433. 3 J. Derrida, »La differance«, 27. Januar 1968, in: ders., Tel Quel, Theorie d'ensemble, Paris(1968) 1980; dt.: »Die differance«, in: ders., Randgänge der Philosophie, Wien 1988, S. 34. 4 Ebenda, S. 31. 5 J. Derrida, »Semiologie und Grammatologie. Gespräch mit Julia Kristeva«, in: ders., Positionen, a. a. O., S. 68. 6 Ebenda, S. 69. 7 J. Derrida, »Implikationen. Gespräch mit Henri Ronse«, in: ders., Positionen, a.a.O., S. 50. 8 Ebenda, S. 116 f. 9 Jacques Hoarau, Gespräch mit dem Verfasser. 10 Ebenda. 11 Ebenda. 12 S. Kofman, Derrida lesen, a. a. O., S. 92. 13 J. Derrida, »Freud et la scene de l'ecriture«, in: Tel Quel, Nr. 26, 1966; wiederabge-
Anmerkungen zu S. 53-62
561
druckt in: ders., L'ficriture et la Difference, a. a. O.; dt.: »Freud und der Schauplatz der Schrift«, in: ders., Die Schrift und die Differenz, a.a.O., S. 302-350. 14 Ebenda, S. 324. 15 Ebenda, S. 303. 16 Ebenda, S. 331. 17 Jacques Bouveresse, Gespräch mit dem Verfasser. 18 Ebenda. 19 J. Derrida, Gespräch mit J.-L. Houdebine und G. Scarpetta, in: Promesse, 17. Juli 1971, wieder abgedruckt in: ders., Positionen, a.a.O. 20 Ebenda, S. 160, Anm. 46. 21 Ebenda, S. 162. 22 J. Derrida, »Le facteur de verite, in: Poetique, Nr. 21, 1975; wieder abgedruckt in: ders., La Carte postale, Paris 1980; dt.: »Der Facteur der Wahrheit«, in: ders.. Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits, Berlin 1982, S. 183-281. 23 Ebenda, S. 199. 24 Ebenda, S. 211. 25 Ebenda, S. 247. 26 Ebenda, S. 262. 27 J. Derrida, »Signature evenement contexte«, in: Marges, Paris 1972; dt.: »Signatur Ereignis Kontext«, in: ders., Randgänge der Philosophie, a. a. O., S. 291-314. 28 Ebenda, S. 297. 29 Ebenda, S. 300. 30 Ebenda, S. 301. 31 J. Proust, Nachwort zu: John R. Searle, Pour reiterer les differences, Paris 1991, S. 25. 32 J.R. Searle, Speech Acts, Cambridge 1969, dt.: Sprechakte: ein sprachphilosophi scher Essay, Frankfurt/M. 1979. 33 M. Frank, Was ist Neostrukturalismus ?, a. a. O., S. 530. 34 Joelle Proust, Gespräch mit dem Verfasser. 35 J. Proust, Nachwort zu: John R. Searle, Pour reiterer les differences, a. a. O., S. 31. 36 Jacques Bouveresse, Gespräch mit dem Verfasser.
Benveniste: die Ausnahme in Frankreich 1 2 3 4 5
Tzvetan Todorov, Gespräch mit dem Verfasser. Marina Yaguello, Gespräch mit dem Verfasser. Andre Martinet, Gespräch mit dem Verfasser. Oswald Ducrot, Gespräch mit dem Verfasser. i,. Benveniste, »Structure des relations de personne dans le verbe«, in: Bulletin de la Societe de linguistique, Paris 1946; wieder abgedruckt in: ders., Problemes de linguistique generale I, a. a. O.; dt.: »Die Struktur der Personenbeziehungen im Verb«, in: ders., Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, a.a.O., S. 254. 6 fi. Benveniste, »La nature des pronoms«, Auszug aus: For Roman Jakobson, Den Haag 1956; dt.: »Die Natur der Pronomen«, in: ders., Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft«, a.a.O., S. 280.
562
Anmerkungen zu S. 62-70
7 Claudine Normand, Gespräch mit dem Verfasser. 8 £. Benveniste, »Remarques sur la fonction du langage dans la decouverte freudienne«, in: La Psychanalyse, I, 1956; wieder abgedruckt in: ders., Problemes de Hnguistique generale I, a. a. O., dt.: »Bemerkungen zur Funktion der Sprache in der Freudschen Entdeckung«, in: ders., Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, a.a.O., S. 91. 9 Ebenda, S. 105. 10 £. Benveniste, »De la subjectivite dans le langage«, in: Journal de psychologie, JuliSeptember 1958, dt.: »Über die Subjektivität in der Sprache«, in: ders., Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, a. a. O., S. 289. 11 C. Normand, »Le sujet dans la langue«, in: Langages, Nr. 77, März 1985, S. 9. 12 £. Benveniste, »Coup d'oeil sur le developpement de la Hnguistique«, Paris 1963; dt.: »Kurzer Abriß der Entwicklung in der Linguistik«, in: ders., Probleme der all gemeinen Sprachwissenschaft, a.a.O., S. 32. 13 £. Benveniste, »La philosophie analytique et le langage«, in: Les Etudes philosophiques, Nr. 1, Januar-März 1963; dt.: »Die analytische Philosophie und die Spra che«, in: ders., Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, a.a.O., S. 297. 14 fi. Benveniste, »Über die Subjektivität in der Sprache«, a.a.O., S. 301. 15 £. Benveniste, »Le langage et l'experience humaine«, in: Diogene, Nr. 51, Juli-Sep tember 1965, S. 3-13; wieder abgedruckt in: ders., Problemes de linguistique gene rale 2, Paris (1974) 1985, S. 69. 16 Ebenda, S. 73. 17 Ebenda, S. 77. 18 £. Benveniste, »L'appareil formel de l'enonciation«, in: Langages, Nr. 17, März 1970, S. 12-18. 19 C. Normand, »Linguistique et philosophie«, in: Langages, Nr. 77, März 1985, S. 33-42. 20 Ebenda, S. 42. 21 C. Normand, »Le sujet dans la langue«, in: Langages, Nr. 77, a.a.O. 22 O. Ducrot, »Le structuralisme en linguistique«; in: F. Wahl (Hg.), Einführung in den Strukturalismus, a. a. O. 23 Jean-Claude Choquet, Gespräch mit dem Verfasser. 24 Ebenda. 25 J. Bouveresse, Wittgenstein: la rime et la raison, Paris 1973; dt.: Poesie und Prosa. Wittgenstein über Wissenschaft, Ethik und Ästhetik, Düsseldorf/Bonn 1994; Le Mythe de l'interiorite, Paris 1976. 26 Claudine Normand, Gespräch mit dem Verfasser. 27 P. Ricoeur, Die Interpretation: ein Versuch über Freud, Frankfurt/M. 1993. 28 M. Tort, »De l'interpretation ou la machine hermeneutique«, in: Les Temps Mo dernes, Nr. 237; Februar-März 1966, S. 1470. 29 Ebenda, S. 1479. 30 Ebenda, S. 1491. 31 Paul Henry, Gespräch mit dem Verfasser. 32 Oswald Ducrot, Gespräch mit dem Verfasser. 33 Ebenda. 34 O. Ducrot, Einleitung zu: J.R. Searle, Les Actes de langage, »De Saussure ä la philo sophie du langage«, Paris 1972, S. 13.
Anmerkungen zu S. 70-79
563
35 O. Ducrot, »Structuralisme, enonciation et semantique«, in: Poetique, Nr. 33, Fe bruar 1978; wieder abgedruckt in: ders., Le Dire et le Dit, Paris 1984, S. 82. 36 Oswald Ducrot, Gespräch mit dem Verfasser. 37 Ebenda. 38 C. Kerbrat-Orecchioni, L'finonciation de la subjectivite dans le langage, Lyon 1980. 39 F. Jacques, Dialogiques. Recherches logiques sur le dialogue, Paris (1979) 1985; J.-C. Pariente, Le langage et l'Individuel, Paris 1973; F. Recanati, La Transparence et l'finonciation, Paris 1979; ders., Les finonces performatifs, Paris 1981. 40 A.-M. Diller, F. Recanati, »Lapragmatique«, in: Langue frangaise, Nr. 42, Mai 1979, S. 3. 41 Marina Yaguello, Gespräch mit dem Verfasser. 42 Ebenda. 43 A. Culioli, »Sur quelques contradictions en linguistique«, in: Communications, Nr. 20, S. 86. 44 Marina Yaguello, Gespräch mit dem Verfasser.
Wie Kristeva Barthes zu einem neuen Ansatz verhalf 1 M. Bachtin, Problemy poetiki Dostoevskogo, Moskau 1963 (frz. 1970); dt.: Pro bleme der Poetik Dostoevskijs, München 1971. Ders., Tvorcestvo Fransua Rable, Moskau 1965 (frz. Ausgabe 1970); dt.: Rabelais und seine Welt, Frankfurt/M. 1987. 2 Julia Kristeva, Gespräch mit dem Verfasser. 3 M. Bachtin, Rabelais und seine Welt, Frankfurt/M. (1987) 1995, S. 61. 4 Ebenda, S. 69. 5 J. Kristeva, »Le mot, le dialogue et le roman« (1966), wieder abgedruckt in: Semiotike, Recherches pour une semanalyse, Paris (1969) 1978, S. 83. 6 Julia Kristeva, Gespräch mit dem Verfasser. 7 J. Kristeva, »Le mot, le dialogue et le roman«, a. a. O., S. 94. 8 Ebenda, S. 95. 9 Ebenda, S. 97. 10 Ebenda, S. 112. 11 Ebenda, S. 111. 12 Julia Kristeva, Gespräch mit dem Verfasser. 13 Frangois Wahl, Gespräch mit dem Verfasser. 14 R. Barthes, S/Z, Paris 1970; dt.: S/Z, Frankfurt/M. (1976) 1987, S. 7. 15 R. Barthes, Gespräch mit R. Bellour, in: Les Lettres frangaises, 2. März 1967, S. 13. 16 R. Barthes, Gespräch mit R. Bellour, in: Les Lettres frangaises, 20. Mai 1970, wieder abgedruckt in: ders., Le Grain de la voix, Paris, 1981. [dt.: Die Rauheit der Stimme, als es 1126 seit 1993 bei Suhrkamp angekündigt, Erscheinungsdatum unbestimmt, A.d.Ü.] 17 Ebenda, S. 84. 18 R. Barthes, »L'Express va plus loin ... avec R. Barthes«, in: L'Express, 31. Mai 1970, wieder abgedruckt in: ders., Le Grain de la voix, a.a.O., S. 103. 19 R. Barthes, aufgeschrieben von Stephen Heath, in: Sign of Times, 1971, wieder ab gedruckt in: ders., Le Grain de la voix, a. a. O., S. 123.
564
Anmerkungen zu S. 79-89
20 R. Barthes, S/Z, a.a.O., S. 9. 21 R. Barthes, aufgeschrieben von S. Heath, a. a. O., S. 128. 22 R. Barthes, Gespräch mit R. Bellour, 20. Mai 1970, in: Le Grain de la voix, a.a.O., S. 73. 23 R. Barthes, »Oceaniques«, FR3, November 1970-Mai 1971, Wiederausstrahlung: 8. Februar 1988. 24 R. Barthes, S/Z, a.a.O., S. 10. [Vgl. dazu: »Der Code ist eine Perspektive aus Zita ten, eine Luftspiegelung aus Strukuren«; ebenda, S. 25, A.d.Ü.] 25 Claude Bremond, Gespräch mit dem Verfasser. 26 R. Barthes, Gespräch mit R. Bellour, 20. Mai 1970, in: ders., Le Grain de la voix, a.a.O., S. 75. 27 Ebenda, S. 77. 28 R. Barthes, S/Z, a. a. O., S. 110. 29 Ebenda, S. 110. 30 R. Barthes, Das Reich der Zeichen, Frankfurt/M. 1981. 31 R. Barthes, Gespräch mit R. Bellour, 20. Mai 1970, in: ders., Le Grain de la voix, a.a.O., S. 82. 32 Ebenda, S. 84. 33 R. Barthes, Das Reich der Zeichen, a. a. O., S. 34 [Übersetzung leicht modifiziert, A.d.Ü.]. 34 Ebenda, S. 114 f. 35 Julia Kristeva, Gespräch mit dem Verfasser. 36 Ebenda. 37 J. Kristeva, »Pour une semiologie des paragrammes« (1966), wieder abgedruckt in: Semiotike, a.a.O., S. 134. 38 Ebenda, S. 146. 39 Julia Kristeva, Gespräch mit dem Verfasser. 40 J. Kristeva, »Le bon plaisir«, France-Culture, 10. Dezember 1988. 41 J. Kristeva, Semiotike, a. a. O., S. 27. 42 J. Kristeva, »Le bon plaisir«, a. a. O. 43 Ebenda. 44 R. Barthes, aufgeschrieben von S. Heath, in: ders., Le Grain de la voix, a.a.O., S. 137. 45 R. Barthes, Gespräch mit Georges Charbonnier, France-Culture, Oktober 1967, Wiederholung: 25. November 1988. 46 P. Sollers, Drame, Paris 1965.
Neuer Auftrieb für die Durkheimianer: Pierre Bourdieu 1 Pierre Ansart, Gespräch mit dem Verfasser. 2 P. Bourdieu, Choses dites, Paris 1987; dt.: Rede und Antwort, Frankfurt/M. 1992, S. 46. 3 J. Derrida, »Le bon plaisir de P. Bourdieu«, France-Culture, 23. Juni 1990. 4 P. Bourdieu, Questions de socioiogie, Paris 1980; dt.: Soziologische Fragen, Frank furt/M. 1993, S. 19 und 2L
Anmerkungen zu S. 89-98
565
5 P. Bourdieu, Choses dites, a. a. O., S. 26 [in der deutschen Ausgabe gekürzt, A.d.Ü.]. 6 P. Bourdieu, »Le bon plaisir«, France-Culture, 23. Juni 1990. 7 Ebenda. 8 Ebenda. 9 Ebenda. 10 P. Bourdieu, Les enjeux philosophiques des annees 50, Paris 1989, S. 18. 11 Ebenda, S. 20. 12 P. Bourdieu, Rede und Antwort, a.a.O., S. 22. 13 P. Bourdieu, Sociologie de lAlgerie, Paris (1958) 1961. 14 P. Bourdieu (in Zusammenarbeit mit A. Darbel, J.P. Rivet, C. Seibel), Travail et travailleurs en Algerie, Paris 1964. 15 P. Bourdieu, »Le bon plaisir«, a.a.O. 16 Ebenda. 17 P. Bourdieu, Le Sens pratique, Paris 1980; dt.: Sozialer Sinn, Frankfurt/M. 1987. Es handelt sich um Βourdieus Beitrag, »La maison kabyle ou le monde renverse«, in: fichanges et Communications, Melanges offerts ä Claude Levi-Strauss ä l'occasion de son 60e anniversaire, Paris 1970; dt.: »Das Haus oder die verkehrte Welt«, in: ders.. Sozialer Sinn, a. a. O. 18 P. Bourdieu, »Structuralism and Theory of Sociological Knowledge«, in: Social Re search, XXXV [laut dt. Ausgabe des Sozialen Sinns: Nr. 34, A.d.Ü.], 4, Winter 1969, S. 681-706; dt.: »Strukturalismus und soziologische Wissenschaftstheorie«, in: ders.. Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt/M. 1970, S. 7-41. 19 P. Bourdieu, Sozialer Sinn, a. a. O., S. 12. 20 P. Bourdieu, La Distinction, Paris 1979; dt.: Die feinen Unterschiede, Frankfurt/M. 1987. 21 P. Bourdieu, »Oceaniques«, FR 3, 31. Oktober 1988. 22 P. Bourdieu, Rede und Antwort, a. a. O., S. 27. 23 Jacques Ranciere, Gespräch mit dem Verfasser. 24 P. Bourdieu, Homo academicus, Paris 1984; dt.: Homo academicus, Frankfurt/M. 1988. (Zum Inhalt dieser Auseinandersetzung siehe Band I: Das Feld des Zeichens, S. 327-334.) 25 Ebenda, S. 190. 26 Ebenda, S. 193. 27 Ebenda, S. 204. 28 Raymond Boudon, Gespräch mit dem Verfasser. 29 A. Caille, Critique de Bourdieu, Lausanne 1987, S. 11. 30 P. Bourdieu, J.-C. Passeron, Les Heritiers, Paris 1964; dt.: Die Illusion der Chan cengleichheit, Stuttgart 1971, S. 19-91, hier S. 20. 31 Ebenda, S. 41. 32 Ebenda, S. 61. 33 J. Ranciere, Le Philosophe et ses pauvres, Paris 1983, S. 259; das Zitat stammt aus: P. Bourdieu, Soziologische Fragen, a.a.O., S. 41. 34 P. Bourdieu, J.-C. Passeron, Die Illusion der Chancengleichheit, a.a.O., S. 61. 35 Andre Nicolai, Gespräch mit dem Verfasser. 36 A. Caille, Critique de Bourdieu, a.a.O., S. 64.
566
37 38 39 40
Anmerkungen zu S. 98-108
Ebenda, S. 24. Ebenda, S. 5. P. Encreve, »Le bon plaisir«, France-Culture, 23. Juni 1990. A. Caille, Critique de Bourdieu, a. a. O., S. 7.
1967/68: überbordende Verlagstätigkeit 1 2 3 4 5 6
J.-M. Auzias, Clefs pour le structuralisme, Paris 1967, S. 9. Ebenda, S. 10. F. Chätelet, La Quinzaine litteraire, 1.-15. Januar 1968. Andre Martinet, Gespräch mit dem Verfasser. Frangois Wahl, Gespräch mit dem Verfasser. O. Ducrot, Le Structuralisme en linguistique, 1973, 39000 Exemplare; M. Safouan, Le Structuralisme en psychanalyse, 49 000 Exemplare; D. Sperber, Le Structuralisme en anthropologie, 25000 Exemplare; F. Wahl, Philosophie, 36000 Exemplare; T. Todorov, Poetique, 21000 Exemplare (jeweils bis 1990). 7 F. Wahl, Einführung, in: ders. (Hg.), Einführung in den Strukturalismus, a.a.O., S.U. 8 Ebenda, S. 12. 9 Frangois Wahl, Gespräch mit dem Verfasser. 10 Ebenda. 11 F. Wahl, Die Philosophie diesseits und jenseits des Strukturalismus, in: ders. (Hg.), Einführung in den Strukturalismus, a. a. O., S. 342. 12 Ebenda, S. 368. 13 Ebenda, S. 395. 14 Ebenda, S. 396. 15 Fran§ois Wahl, Gespräch mit dem Verfasser. 16 A. Badiou, »Le (re)commencement du materialisme dialectique«, in: Critique, Nr. 240, Mai 1967; J.-A. Miller, »La suture«, in: Cahiers pourl'analyse, Nr. 1,1966, und »Action de la structure«, in: Cahiers pour l'analyse, Nr. 9, 1968. 17 F. Wahl, Die Philosophie diesseits und jenseits des Strukturalismus, in: ders. (Hg.), Einführung in den Strukturalismus, a. a. O., S. 413. 18 Ebenda, S. 454. 19 Dan Sperber, Gespräch mit dem Verfasser. 20 Oswald Ducrot, Gespräch mit dem Verfasser. 21 Dan Sperber, Gespräch mit dem Verfasser. 22 M. Safouan, Die Struktur in der Psychoanalyse, in: F. Wahl, Einführung in den Strukturalismus, a.a.O., S. 259f. 23 Ebenda, S. 311. 24 Tzvetan Todorov, Qu'est-ce que le structuralisme?, in: Poetique, Paris (1968) 1973, S. 21. [Die Neuausgabe wurde offensichtlich überarbeitet bzw. erweitert, A.d.Ü.] 25 Ebenda, S. 33. 26 Ebenda, S. 44. 27 R.Jakobson, zit. nach: T. Todorov, ebenda, S. 106. 28 Frangois Wahl, Gespräch mit dem Verfasser.
Anmerkungen zu S. 108-117
567
29 C. Levi-Strauss, Du miel aux cendres, Paris 1967; dt.: Vom Honig zur Asche, Frankfurt/M. 1972; L'Origine des manieres de table, Paris 1968; dt.: Der Ursprung der Tischsitten, Frankfurt/M. 1973. 30 C. Levi-Strauss, in: LeNouvel Observateur, 25. Januar 1967, S. 32. 31 Ebenda. 32 G. Canguilhem, »Mort de l'homme ou epuisement du cogito«, in: Critique, Juli 1967. 33 Ebenda, S. 600. 34 Ebenda, S. 607. 35 M. Henry, Zeichnung in: La Quinzaine litteraire, 1.-15. Juli 1967, S. 19. 36 M. Foucault, La Presse de Tunis, 2. April 1967 [zit. nach: D. Eribon, M. Foucault. Eine Biographie, Frankfurt/M. 1991, S. 260 f, A.d.Ü.]. 37 R. Barthes, »La mort de l'auteur«, Paris 1968, wieder abgedruckt in: Le Bruissement de la langue, Paris 1984, S. 61. 38 Ebenda, S. 63. 39 Ebenda, S. 65. 40 R. Barthes, »L'effet de reel« und »L'ecriture de l'evenement«, in: Communications, 1968. 41 R. Barthes, »L'effet de reel«, a.a.O., S. 174. 42 Ebenda. 43 J. Lacan, in: Scilicet, Nr. 1,1968, S. 4. [Baquet = Bottich, Wortspiel Lacans mit banquet = Gastmahl, Gelage; mit Bezug auf Piatons Gastmahl = frz. Le banquet, A.d.Ü.] 44 Ebenda, S. 7. 45 Ebenda, S. 11. 46 C. Metz, Essais sur la signification au cinema, Paris 1968. 47 C. Metz, »La grande syntagmatique du film narratif«, in: Communications, Nr. 8, 1966; dt. eingegangen und erweitert in: ders., Semiologie des Films, München 1972. 48 C. Metz, Gespräch mit R. Bellour, in: Semiotica, IV, 1, 1971, wieder abgedruckt in: R. Bellour, Le Livre des autres, 10/18, 1978, S. 240. 49 C. Metz, Gespräch mit Marc Vernet und Daniel Percheron, in: ^a, Cinema, Mai 1975, S. 24. 50 Ebenda, S. 26. 51 C. Metz, Gespräch mit R. Bellour, a. a. O., S. 242. 52 C. Metz, Gespräch mit R. Bellour, a. a. O., S. 256. 53 Ebenda, S. 266.
Strukturalismus und/oder Marxism^us 1 L. Sebag, Marxisme et structuralisme, Paris 1964; dt.: Marxismus und Strukturalis mus, Frankfurt/M. 1967, S. 151. 2 Ebenda, S. 157. 3 Gerard Mendel, Gespräch mit dem Verfasser. 4 Wir haben im ersten Band, Das Feld des Zeichens, bei Greimas eine ähnliche Reak tion beschrieben, vgl. S. 308 f.
568
5 6 7 8
Anmerkungen zu S. 117-125
LaNouvelle Critique, Januar 1967, »Questions nouvelles ... Techniques nouvelles«. J.-P. Aron, Les Modernes, Paris 1984, S. 287. J. Verdes-Leroux, Le Reveil des somnambules, Paris 1987, S. 125, Gespräch 72. P. Sollers, »Niveau semantique d'un texte moderne«, in: Tel Quel, Theorie d'ensemble, Paris (1968) 1980, S. 278. 9 Wir entnehmen diese Informationen: E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, Paris 1986, S. 541. 10 Ebenda. 11 J.-M. Auzias (Hg.), Structuralisme et marxisme, Paris 1970. 12 22. Februar 1968: »Sprachwissenschaften und Humanwissenschaften« mit Rene Zazzo, Frangois Bresson, Antoine Culioli, Henri Lefebvre, Andre Martinet; 23. Fe bruar: »Soziale Struktur und Geschichte« mit Ernest Labrousse, Lucien Goldmann, Andre Martinet, Albert Soboul, Pierre Vidal-Naquet, Madeleine Reberioux; 27. Februar: »Objektivität und Historizität des wissenschaftlichen Denkens« mit Yves Galifret, Georges Canguilhem, Ernest Kahane, Noel Mouland, Evry Schatzmann, Jean-Pierre Vigier, Jacques Roger; 28. Februar: »System und Freiheit« mit Victor Leduc, Jean-Marie Auzias, Frangois Chätelet, Mikel Dufrenne, Olivier Revault d Allonnes, Jean-Pierre Vernant. 13 V. Leduc, in: J.-M. Auzias (Hg.), Structuralisme et marxisme, a.a.O., S. 270. 14 F. Chätelet, ebenda, S. 272. 15 Ebenda, S. 272. 16 Ebenda, S. 275. 17 Olivier Revault d'Allonnes, Gespräch mit dem Verfasser. 18 O. Revault dAllonnes, in: J.-M. Auzias, Structuralisme et marxisme, a. a. O., S. 291. 19 J.-R Vernant, ebenda, S. 306. 20 E. Labrousse, ebenda, S. 153. 21 A. Soboul, ebenda, S. 172. 22 P. Vidal-Naquet, ebenda, S. 180. [Hopliten waren die schwerbewaffneten Soldaten, die die Phalanx bildeten, während die Krypteia eine Geheimpolizei war, deren An gehörige nachts ausschwärmten, um die Heloten zu töten, A.d.Ü.] 23 J. Milhau, in: Cahiers du communisme, Februar 1968. 24 J. Colombel, in: La Nouvelle Critique, Nr. 4, Mai 1967, S. 8-13. 25 Olivier Revault dAUonnes, Gespräch mit dem Verfasser. 26 P. Vilar, »Pas d'economie politique ä l'äge classique«, in: LaNouvelle Critique, Juni 1967. 27 P. Daix, Structuralisme et revolution culturelle, Paris 1971. 28 M. Foucault, Gespräch mit R. Bellour, in: Les Lettres fran§aises, 15. Juni 1967. 29 Ebenda. 30 Ebenda. 31 Ebenda. 32 L. Seve, »Methode structurale et methode dialectique«, in: La Pensee, Nr. 135, Ok tober 1967, S. 69. 33 Ebenda, S. 72. 34 L Seve, ebenda, wieder abgedruckt in: Structuralisme et dialectique, Paris 1984, S. 64. 35 J. Dubois, »Structuralisme et linguistique«, in: La Pensee, Nr. 135, Oktober 1967, S. 25.
Anmerkungen zu S. 125-132
569
36 Ebenda, S. 28. 37 J. Deschamps, »Psychanalyse et structuralisme«, in: La Pensee, Nr. 135, Oktober 1967, S. 148. 38 J. Dubois, »Une deuxieme revolution linguistique?, in: La Nouvelle Critique, Nr. 12, März 1968. 39 Aujourd'hui l'histoire, Paris 1974. 40 fi. Benveniste, Gespräch mit P. Daix, in: Les Lettres frangaises, 24.-30. Juli 1968; wieder abgedruckt in: Problemes de linguistique generale 2, a.a.O., S. 16. 41 M. Dufrenne, Pour l'Homme, Paris 1967. 42 Ebenda, S. 42. 43 Ebenda, S. 10. 44 P. Daix, in: Les Lettres frangaises, 27. März 1968.
Erfolg in den Medien, Sperrfeuer der Kritik 1 C. Clement, Vies et legendes de Jacques Lacan, Paris (1981) 1985, S. 180. 2 A.-S. Perriaux, Le structuralisme en France: 1958-1968, DEA unter der Betreuung von J. JuUiard, EHESS, September 1987. 3 J.-F. Kahn, »La minutieuse conquete du structuralisme«, in: L'Express, 21. August 1967. 4 F. Chätelet, in: La Quinzaine litteraire, 1.-15. Juli 1967.
5 Ebenda, S. 18. 6 Ebenda, S. 19. 7 Ebenda. 8 ß. Benveniste, Gespräch mit G. Dumur, in: Le Nouvel Observateur, 20. November 1968, wieder abgedruckt in: Problemes de linguistique generale 2, a.a.O., S. 38. 9 E. Panofsky, Essais d'iconographie, Paris 1967; Architecture gothique et pensee scolastique, Paris 1967; dt: Studien zur Ikonologie, Köln 1980; Gotische Architek tur und Scholastik, Köln 1989. 10 Kopfzeile zum Artikel von: M. Foucault, »Les mots et les Images«, in: Le Nouvel Observateur, Nr. 154, 25. Oktober 1967. 11 J.-F. Revel, Pourquoi des philosophes?, Paris 1957. 12 Ebenda, Auflage 1964, S. 144. 13 J.-F. Revel, »Le miel et le tabac«, in: L'Express, 13.-19. Februar 1967, S. 69. 14 H. Lefebvre, Position: contre les technocrates, Paris 1967. 15 J.-F. Revel, in: L'Express, 10.-16. JuU 1967, S. 59. 16 Ebenda. 17 J.-F. Revel, in: L'Express, 25.-31. März 1968, S. 123. 18 Ebenda. 19 J.-F. Revel, »Structures ä travers les äges«, in: L'Express, 29. April, S. 105. 20 C. Roy, »Alice au pays de la logique«, in: Le Nouvel Observateur, 22. März 1967. 21 Ebenda, S. 35. 22 R. Boudon, Α quoi sert la notion de structure?, Paris 1968; dt.: Strukturalismus — Methode und Kritik, Düsseldorf 1973, S. 14. 23 Ebenda, S. 133.
Teil II: Der Mai 68 und der Strukturalismus oder Das Mißverständnis
Nanterre-der-Wahnsinn 1 Joseph Sumpf, Gespräch mit dem Verfasser. 2 A. Touraine, Le Mouvement de mai ou le communisme utopique, Paris 1968. 3 Henri Lefebvre, Gespräch mit dem Verfasser. 4 Ebenda. 5 Ebenda. 6 Ebenda. 7 Ebenda. 8 Rene Lourau, Gespräch mit dem Verfasser. 9 Ebenda. 10 Ebenda. 11 Ebenda. 12 Ebenda. 13 Ebenda. 14 J. Baudrillard, Le Systeme des Objets, Paris 1968; dt.: Das System der Dinge: über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen, Frankfurt/M. 1991. 15 J. Baudrillard, »Fonction-signe et logique de classe«, in: Communications, Nr. 13, 1969; wieder abgedruckt in: ders., Pour une critique de l'economie politique du signe, Paris (1972) 1982. 16 fipistemon, Ces idees qui ont ebranle la France, Paris 1968, S. 33.
Sartres Revanche 1 fipistemon, Ces idees qui ont ebranle la France, a.a.O., S. 83. 2 Le Monde, 10. Mai 1968. 3 Jean Duvignaud, Gespräch mit dem Verfasser. 4 Ebenda. 5 Ebenda. 6 E. Morin, C. Lefort, J.-M. Coudray, Mai 68: la breche, Paris 1968. 7 fipistemon, Ces idees qui ont ebranle la France, a. a. O., S. 31. 8 M. Dufrenne, in: Le Monde, 30. November 1968. 9 Äußerung von Levi-Strauss, berichtet von Algirdas Julien Greimas, Gespräch mit dem Verfasser. 10 C. Levi-Strauss/D. Eribon, Das Nahe und das Ferne. Eine Autobiographie in Ge sprächen, Frankfurt/M. 1989, S. 119.
Anmerkungen zu S. 143-153
571
11 Algirdas Julien Greimas, Gespräch mit dem Verfasser. 12 C. Levi-Strauss, in: Le Monde, 1. Juni 1973. 13 R. Barthes, Gespräch mit R. Bellour, 20. Mai 1970, in: Le Grain de la voix, a.a.O., S. 79. 14 C. Levi-Strauss/D. Eribon, Das Nahe und das Ferne, a.a.O., S. 111. " Anm. H.-H. Henschen: Paul Reboux und Ch. Muller, Α la maniere de ... (1908) — Literaturpar odien berühmter Autoren. 15 C. Castoriadis, in: Pouvoir, Nr. 39, 1986, S. 114. 16 J. Pouillon, in: Le Monde, 30. November 1968. 17 Michel Arrive, Gespräch mit dem Verfasser. 18 Georges Balandier, Gespräch mit dem Verfasser. 19 Louis-Jean Calvet, Gespräch mit dem Verfasser. 20 Diese Anekdote berichtet: L.-J. Calvet, Roland Barthes, Frankfurt/M. 1993, S. 233f. 21 A. J. Greimas, »Sur l'histoire evenementielle et l'histoire fondamentale«, dt. in: R. Koselleck/W.D. Stempel (Hg.), Geschichte, Ereignis und Erzählung, München 1973, S. 139-153, hier S. 141. 22 L.-J. Calvet, Roland Barthes, a.a.O., S. 239. 23 Serge Martin, Gespräch mit dem Verfasser. 24 Roger-Pol Droit, Gespräch mit dem Verfasser. 25 G. Lapassade, Groupes, organisations et institutions, Paris 1967, S. 200; dt.: Grup pen, Organisationen, Institutionen, Stuttgart 1972 [in der dt. Ausgabe nicht enthal ten, A.d.Ü.]. 26 Ebenda, S. 186 [in der dt. Ausgabe nicht enthalten, A.d.Ü.]. 27 Francine Le Bret, Gespräch mit dem Verfasser. 28 R. Cremant, Les Matinees structuralistes, Paris 1969. 29 Ebenda, S. 27. 30 Ebenda, S. 32. 31 Ebenda, S. 88. 32 Pierre Macherey, Gespräch mit dem Verfasser. 33 Ebenda. 34 Jacques Ranciere, Gespräch mit dem Verfasser. 35 M. Foucault, zit. nach: D. Eribon, Michel Foucault. Eine Biographie, a. a. O., S. 273. 36 Ebenda, S. 277.
Lacan: »Es sind die Strukturen, die auf die Straße gegangen sind« 1 J. Lacan anläßlich von Foucaults Vortrag: »Qu'est-ce qu'un auteur?«, 22. Februar 1969, abgedruckt in: Littoral, Nr. 9, Juni 1983, S. 31 [z.T. zit. nach: D. Eribon, Mi chel Foucault, a.a.O., S. 298]. 2 Rene Lourau, Gespräch mit dem Verfasser. 3 Jean Duvignaud, Gespräch mit dem Verfasser. 4 M. Perrot, in: Mai 68 et les sciences sociales, in: Cahiers IHTP, Nr. 11, April 1989, S. 62. 5 O. Mongin, ebenda, S. 22.
572
Anmerkungen zu S. 153-167
6 Ebenda, S. 23. 7 R.-P. Droit, »Curriculum vitae et cogitarum«, in: Liberte de l'esprit, Nr. 17, Winter 1988, La Manufacture, S. 18. 8 Ebenda, S. 18. 9 M. Foucault, »Was ist ein Autor?«, in: ders., Schriften zur Literatur, München 1974, erneut: Frankfurt/M. 1988, S. 7-31 [ohne die Diskussion, A.d.Ü.]. 10 Ebenda, S. 11. 11 Ebenda, S. 12. 12 Ebenda, S. 19. 13 Ebenda, S. 24. 14 J. Lacan, in: Littoral, Nr. 9, Juni 1983, S. 31. 15 J. Lacan, Seminar: »D'un Autre ä l'autre«, Februar 1969, zit. nach: J. Allouch, »Les trois petits points du retour ä ... «, in: Littoral, Nr. 9, Juni 1983, S. 35. 16 E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a. a. O., S. 543. 17 J. Allouch, »Les trois petits points du retour a ...«, a.a.O., S. 59. 18 Elisabeth Roudinesco, Gespräch mit dem Verfasser. 19 M. Foucault, »Reponse au Cercle d'epistemologie«, in: Cahiers pour l'analyse, Nr. 9, Sommer 1968. 20 Jacques Bouveresse, Gespräch mit dem Verfasser. 21 Bernard Sichere, Gespräch mit dem Verfasser. 22 Marcel Gauchet, Gespräch mit dem Verfasser. 23 Alain Touraine, Gespräch mit dem Verfasser. 24 P. Daix, Structuralisme et revolution culturelle, a. a. O., S. 109. 25 H. Le Bras, in: Le Debat, Mai-August 1988, S. 63. 26 J.-C. Chevalier/F. Encreve, in: Langue frangaise, September 1984, S. 101. 27 Jean-David Nasio, Gespräch mit dem Verfasser. 28 Marc Abeles, Gespräch mit dem Verfasser. 29 Marc Vernet, Gespräch mit dem Verfasser. 30 Ebenda. 31 Ebenda. 32 P. Hamon, »Pour un Statut semiologique du personnage«, in: Litterature, Nr. 6, Mai 1972. 33 J. Lacan, »Du regard comme objet a«, in: ders., Le Seminaire, Livre XL. Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse (1963-1964), Paris 1973; dt.: »Vom Blick als Objekt klein a«, in: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Ölten 1978. 34 Marc Vernet, Gespräch mit dem Verfasser. 35 Jean Clavreul, Gespräch mit dem Verfasser. 36 J. Lacan, zit. nach: H. Hamon/P. Rotman, Generation 11, Paris 1988, S. 182. 37 M. Frank, Was ist Neostrukturahsmus ? Frankfurt/M. 1984, S. 37.
Die Institutionalisierung: die Eroberung der Universitäten 1 Jean Dubois, Gespräch mit dem Verfasser. 2 Ebenda. 3 Claudine Normand, Gespräch mit dem Verfasser.
Anmerkungen zu S. 168-182
573
4 5 6 7 8 9
J.-B. Marcellesi, Le Congres de Tours, Paris 1971. Langue frangaise, Nr. 9, »Linguistique et societe«, Februar 1971. Langages, Nr. 23, »Le discours politique«, September 1971. L. Courdesses, in: Langue frangaise, Nr. 9, »Linguistique et societe«, Februar 1971. R. Robin, D. Slakta, ebenda. Eine Unterscheidung, die J.-L. Austin bei seiner Definition der Sprechakte einge führt hat, die er dreigUedrig unterteik in den lokutorischen Akt (Kombination von Lauten), den iliokutorischen Akt (der Akt, den die Äußerung des Satzes repräsen tiert) und den perlokutorischen Akt (die entfernteren Ziele der Äußerung). 10 F. Gadet, in: Langue fran^aise, Nr. 9, »Linguistique et societe«, Februar 1971. 11 D. Maldidier, Langages, Nr. 23, September 1971. 12 A. Prost, Vocabulaire des proclamations electorales de 1881,1885 et 1889, Paris 1974. 13 Pierre Ansart, Gespräch mit dem Verfasser. 14 E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a. a. O., S. 552. 15 Ebenda, S. 553. 16 Jean Laplanche, Gespräch mit dem Verfasser. 17 Wir beziehen diese Informationen von: D. Eribon, Michel Foucault, a.a.O., S. 301 ff. 18 M. Foucault, Titres et Travaux, Broschüre zur Kandidatur am College de France, Pa ris 1969, S. 9. Zit. nach: D. Eribon, Michel Foucault, a.a.O., S. 307. 19 Ebenda, S. 310. 20 M. Foucault, unveröffentlichter Text, zit. nach: D. Eribon, Michel Foucault, a. a. O., S. 135. 21 Roger-Pol Droit, Gespräch mit dem Verfasser. 22 Alain Touraine, Gespräch mit dem Verfasser. 23 Ebenda. 24 Gerard Mendel, Gespräch mit dem Verfasser.
Das Strukturalistische Vincennes 1 Ausgelegt war die Fakultät für 7500 Studenten bei einer geplanten Fläche von 30 000 m^, nahm aber schon 1969/70 8200 Studenten auf nur 16 000 m^ auf (auf einen Stu denten entfielen also ganze 2 m^). 2 Jean Dubois, Gespräch mit dem Verfasser. 3 G. Lapassade, in: M. Debeauvais (Hg.), L'Universite ouverte: Les dossiers de Vin cennes, Grenoble 1976, S. 219. 4 Bernard Laks, Gespräch^lit dem Verfasser. 5 Ebenda. 6 Elisabeth Roudinesco, Gespräch mit dem Verfasser. 7 So berichtet Jean Bouvier. 8 Nicolas Ruwet, Gespräch mit dem Verfasser. 9 Ebenda. 10 Ebenda. 11 Ebenda. 12 Lucette Finas, zit. nach: Bernard Laks, Gespräch mit dem Verfasser.
374
Anmerkungen zu S. 182-193
13 Bernard Laks, Gespräch mit dem Verfasser. 14 Ebenda. 15 B. Laks, »Le champ de la sociolinguistique frangaise de 1968 ä 1983«, in: Langue frangaise, Nr. 63, September 1984. 16 L'Universite ouverte: Les dossiers de Vincennes, a.a.O., S. 116. 17 Serge Leclaire, Gespräch mit dem Verfasser. 18 Ebenda. 19 Ebenda. 20 Claude Dumezil, Gespräch mit dem Verfasser. 21 Seminar von J. Lacan, 3. Dezember 1969, Vincennes, Auszüge aus einem Bericht von Bernard Merigot, in: L'Universite ouverte: Les dossiers de Vincennes, a.a.O., S. 267. 22 Zit. nach: E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a.a. O., S. 561. 23 Seminar von J. Lacan, 3. Dezember 1969, a. a. O., S. 271. 24 Claude Dumezil, Gespräch mit dem Verfasser. 25 Ebenda. 26 Roger-Pol Droit, Gespräch mit dem Verfasser. 27 R.-P. Droit, in: Le Monde, 15. September 1974. 28 G. Deleuze, J.-F. Lyotard, Flugblatt, ausgegeben im Dezember 1974, wieder abge druckt in: L'Universite ouverte: Les dossiers de Vincennes, a.a.O., S. 272. 29 Andre Nicolai, Gespräch mit dem Verfasser. 30 Michel Beaud, Gespräch mit dem Verfasser. 31 Ebenda. 32 Marc Vernet, Gespräch mit dem Verfasser. 33 Flugblatt, ausgegeben im März 1976, unterzeichnet: PCC. Jacques Prevert, Croupe Foudre d'intervention culturelle, 4. März 1976, in: L'Universite ouverte: Les dos siers de Vincennes, a.a.O., S. 275f.
Die Zeitschriften gedeihen 1 Redaktionskomitee von Semiotica: R. Barthes (Frankreich), U. Eco (Italien), J.-M. Lotman (UdSSR), J. Pelc (Polen), N. Ruwet (Belgien), M. Schapiro (USA), H. Sailu (BRD). 2 Langue frangaise Nr. 1, Februar 1969, Generalsekretär: J.-C. Chevalier; Direktions rat: M. Arrive, J.-C. Chevalier, J. Dubois, L. Guilbert, P. Kuentz, R. Lagane, A. Lerond, H. Meschonnic, H. Mitterand, C. Muller, J. Peytard, J. Pinchon, A. Rey. Hinzu kommen ab der zweiten Nummer M. Gross und N. Ruwet. 3 J.-C. Chevalier, in: J.-C. Chevalier, P. Encreve, Langue frangaise, Nr. 63, September 1984, S. 98. 4 Tzvetan Todorov, Gespräch mit dem Verfasser. 5 Philippe Hamon, Gespräch mit dem Verfasser. 6 Sammlung »Poetique«: A. JoUes, Formes simples; R.Jakobson, Questions de poetique; T. Todorov, Introduction ä la litterature fantastique usw. 7 Langue fran^aise, Nr. 3, »La stylistique«, 1969; »La description linguistique des textes litteraires«, September 1970; Langages, Nr. 12, »Linguistique et litterature«
Anmerkungen zu S. 193-202
575
(Artikel von R. Barthes, G. Genette, N. Ruwet, T. Todorov, J. Kristeva), 1969; Langages, Nr. 13, »Linguistique du discours«, 1969. 8 Litterature, Nr. 1, Redaktionskomitee: J. Bellemin-Noel, C. Duchet, R Kuentz, J. Levaillant, H. Mitterand; Generalsekretär: J. Levaillant. 9 Henri Mitterand, Gespräch mit dem Verfasser. 10 Litterature, Nr. 13, »Histoire/Sujet«, Februar 1974, mit Artikeln von D. Sallenave, A. Roche und G. Delfau, £. Balibar und R Macherey, F. Sfez, J. Jaffre, G. Benrekassa, M. Marini, R Albouy und J. Levaillant. 11 E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a. a. O., S. 533. 12 Tel Quel: Theorie d'ensemble, Paris 1968. 13 R Sollers, »ficriture et revolution«, ebenda, S. 72. 14 R Sollers, Logiques, Paris 1968. 15 P. Sollers, »Ecriture et revolution«, in: Tel Quel: Theorie d'ensemble, Paris (1968) 1980, S. 75. 16 Ebenda, S. 81. 17 Ebenda, »Le reflexe de reduction«, S. 303. 18 »Oü va Tel Quel?«, in: La Quinzaine litteraire, Januar 1968. 19 P. Sollers, »Le reflexe de reduction«, in: Tel Quel: Theorie d'ensemble, a.a.O., S. 298. 20 Marcelin Pleynet, Gespräch mit dem Verfasser. 21 J. Kristeva, »Le bon plaisir«, a. a. O. 22 Bernard Sichere, Gespräch mit dem Verfasser. 23 Ebenda. 24 Jean-Pierre Faye, Gespräch mit dem Verfasser. 25 Change, Nr. 1, 1968. Kollektiv: J.-R Faye, J.-C. Montel, J. Paris, L. Robel, M. Roche, J. Roubaud, J.-N. Vuarnet. 26 Change, »Liminaire«, Nr. 1, 1968. 27 Jean-Pierre Faye, Gespräch mit dem Verfasser. 28 Ebenda. [Vgl. dazu: K. Marx, Das Kapital, Kap. 1, »Ware und Geld«, und Kap. 2, »Der Austauschprozeß«, A.d.Ü.] 29 Ebenda. 30 J.-R Faye, Langages totalitaires, Paris 1972; dt.: Totalitäre Sprachen. Kritik der narrativen Vernunft; Kritik der narrativen Ökonomie, Frankfurt/M. 1977. 31 Jean-Pierre Faye, Gespräch mit dem Verfasser. 32 Esprit, Mai 1968, S. 850-874. 33 M. Foucault, »Reponse ä une question«, ebenda, S. 854. 34 Ebenda, S. 858. 35 Ebenda, S. 860. 36 Ebenda, S. 871. 37 LaNouvelle Critique, Nr. 38, 1970: »Litterature, semiotique, marxisme«. 38 C. Levi-Strauss, Gespräch mit C. Backes-Clement, in: LaNouvelle Critique, Nr. 61, Februar 1973, S. 27-36. 39 Jean Clavreul, Gespräch mit dem Verfasser. 40 Rene Major, Gespräch mit dem Verfasser. 41 E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a.a.O., S. 607. 42 J. Lacan, dem Verfasser mitgeteilt von Rene Major.
576
Anmerkungen zu S. 204-214
Das althusserianische Raster erlebt den Durchbruch 1 A. Comte-Sponville, »Une education philosophique«, in: La Liberte de l'esprit, Nr. 17, Winter 1988, S. 174. 2 Ebenda, S. 177. 3 S. Karsz, Theorie etpolitique: Louis Althusser, Paris 1974; dt.: Theorie und PoHtik, Louis Akhusser, Frankfurt/M. 1976. 4 R.Robin,J. Guilhaumou, »L'identiteretrouvee«,in:Diaiectiques,Nr. 15-16,1976, S. 38. 5 L. Akhusser, »Ideologie et appareils ideologiques d'fitat«, in: La Pensee, Nr. 151, Juni 1970, wieder abgedruckt in: ders., Positions, Paris 1976, S. 67-125; dt.: Ideolo gie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie, Ham burg/West-Berlin 1977. 6 Ebenda, S. 130. 7 Ebenda, S. 131. 8 Ebenda, S. 133. 9 Roger Establet, Gespräch mit dem Verfasser. 10 Georges-filia Sarfati, Gespräch mit dem Verfasser. 11 Emmanuel Terray, Gespräch mit dem Verfasser. 12 E. Terray, Seminaire de Michel Izard, Laboratoire d'anthropologie sociale, 5. Januar 1989. 13 Ebenda. 14 Ebenda. 15 Ebenda. 16 Ebenda. 17 E. Terray, Le Marxisme devant les societes primitives, Paris (1969) 1979; dt.: Zur po litischen Ökonomie der »primitiven« Gesellschaften. Zwei Studien, Frankfurt/M. 1974, S. 95. 18 Ebenda, S. 141 f. 19 Claude Meillassoux, Gespräch mit dem Verfasser. 20 Marc Auge, Symbole, fonction, histoire, Paris 1979, S. 18. 21 Ebenda, S. 206. 22 M. Godelier, L'Ideel et le Materiel, Paris 1984; dt.: Natur, Arbeit, Geschichte. Zu ei ner universalgeschichtlichen Theorie der Wirtschaftsformen, Hamburg 1990, S. 33. 23 M. Godelier, »Systeme, structure et contradiction dans Le Capital«, in: Les Temps Modernes, November 1966, wieder abgedruckt in: ders., Horizon: trajets marxistes en anthropologie, Bd. 2, Paris (1973) 1977; dt.: »System, Struktur und Wider spruch im Kapital«, in: ders.. Ökonomische Anthropologie. Untersuchungen zum Begriff der sozialen Struktur primitiver Gesellschaften, Reinbek 1973, S. 156. 24 M. Godelier, Ökonomische Anthropologie, a. a. O., S. 65. 25 Ebenda, S. 121. 26 Ebenda, S. 71. 27 M. Godelier, Horizon: trajets marxistes en anthropologie, Bd. 1, S. 160, Anm. 30 [in der dt. Ausgabe nicht vorhanden, A.d.Ü.]. 28 R Bonte, in: La Pensee, Nr. 187, Juni 1976, S. 85. 29 M. Godelier, »Anthropologie — Histoire — Ideologie«, in: L'Homme, Juli-Dezem ber 1975, S. 180.
Anmerkungen zu S. 214-223
577
30 Pierre Ansart, Gespräch mit dem Verfasser. 31 Ebenda. 32 N. Poulantzas, Pouvoir politique et classes sociales, Paris 1968; dt.: Politische Macht und gesellschaftUche Klassen, Frankfurt/M. 1975, S. 11. 33 Ebenda, S. 62. 34 Ebenda, S. 116. 35 Rene Lourau, Gespräch mit dem Verfasser. 36 M. Fichant/M. Pecheux, Sur l'histoire des sciences, Paris 1969; dt.: Überlegungen zur Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt/M. 1977. 37 M. Pecheux, ebenda, S. 27. 38 M. Fichant, ebenda, S. 44. 39 Ebenda, S. 80. 40 D. Lecourt, Pour une critique de l'epistemologie, Paris 1972; dt.: Kritik der Wissen schaftstheorie. Marxismus und Epistemologie (Bachelard, Canguilhem, Foucault), Berlin 1975. 41 P. Raymond, Le Passage au materialisme, Paris 1973; ders.. De la combinatoire aux probabilites, Paris 1975; ders., L'Histoire des Sciences, Paris 1975; ders., Materia lisme dialectique et Logique, Paris 1977. Außerdem gibt er bei Frangois Maspero die Reihe »Algorithme« heraus, in der unter anderem 1976 La Theorie desjeux: une po litique imaginaire von Michel Plön erscheint. 42 P. Raymond, L'Histoire et les Sciences, Paris (1975) 1978, S. 11. 43 Ebenda, S. 53. 44 M. Pleynet, in: Tel Quel, Theorie d'ensemble, a.a.O., S. 102. 45 P. Sollers, »£criture et revolution«, ebenda, S. 78. 46 D. Sallenave, »Regles d'intervention(s), in: Litterature, Nr. 13, Februar 1974, S. 7. 47 Ebenda, S. 12. 48 R. Robin, »Fabrique des sciences sociales«, Gespräch mit Espaces Temps Nr. 47-48, 1991. 49 Ebenda. 50 P. Vilar, »Histoire marxiste, histoire en construction«, in: J. Le Goff, P. Nora (Hg.), Faire de l'histoire, Paris 1974, Bd. 1, S. 169-209. 51 Dialectiques, Nr. 1-2, 1973; Herausgeber: D. Kaisergruber; Mitarbeiter: B. Avakian-Ryng, M. Abeles, D. Kaisergruber, J.-C. Chaumette, Y. Mancel, S. Ouvrard, C.-A.Ryng,J.-L.Piel. 52 Marc Abeles, Gespräch mit dem Verfasser.
Das althusserianische Raster erlebt den Zusammenbruch 1 L. Althusser hatten diesen Prozeß der Selbstkritik bereits im Vorwort der 1967 er schienenen italienischen Ausgabe von Lire le Capital eingeleitet. 2 L. Althusser, Das Kapital lesen, Reinbek 1972, S. 7. 3 L. Althusser, Clements d'autocritique, Paris 1974; dt.: Elemente der Selbstkritik, Berlin 1975, S. 54. 4 Ebenda, S. 64. 5 Ebenda, S. 67.
578
Anmerkungen zu S. 223-232
6 Ebenda, S. 68. 7 Ebenda, S. 70. 8 L. Althusser, Reponse ä John Lewis, Paris 1973, S. 31; dt. in: H. Arenz, J. Bischoff, U. Jaeggi (Hg.), Was ist revolutionärer Marxismus ? Kontroverse über Grundfragen marxistischer Theorie zwischen Louis Althusser und John Lewis, Berlin 1973, S. 35-71 und 89-109, hier S. 50. 9 L. Althusser, »Marx et Lenine devant Hegel«, 1968, veröffentlicht in: ders., Lenine et la Philosophie, Paris 1969 (die Auflage dieses Buches erreichte 25 000 Exemplare, zu denen 13 000 Exemplare in der Reihe Petite CoUection Maspero (PCM) seit 1972 hinzuzurechnen sind); dt. in: ders., Lenin und die Philosophie, Reinbek 1974. 10 L. Althusser, Antwort an John Lewis, a. a. O., S. 64, 11 Ebenda, S. 67. 12 E. Terray, in: Le Monde, 17. August 1973. 13 L. Althusser, Antwort an John Lewis, a. a. O., S. 106. 14 Ebenda, S. 91. 15 fi. Balibar, »Tais-toi encore, Althusser!«, in: Les TempsModernes, Dezember 1988, S. 3; wieder abgedruckt in: ders., £crits pour Althusser, Paris 1991. 16 Ebenda, S. 9. 17 Jacques Ranciere, Gespräch mit dem Verfasser. 18 Maspero, vierbändige Ausgabe in der Reihe PCM: Lire le Capital, Bd. 1: L. Althus ser, £. Balibar; Bd. 2: L. Althusser, £. Balibar; Bd. 3: J. Ranciere; Bd. 4: R. Establet, P. Macherey. 19 J. Ranciere, »Mode d'emploi pour une reedition de Lire le Capital«, in: Les Temps Modernes, November 1973, S. 788-807. 20 Jacques Ranciere, Gespräch mit dem Verfasser. 21 J. Ranciere, La Εεςοη dAlthusser, Paris 1974, S. 10. 22 Ebenda, S. 43. 23 Ebenda, S. 159. 24 Ebenda, S. 237 f. 25 Ebenda, S. 235. 26 J. Ranciere, in: Le Monde, 12. September 1973. 27 Jacques Ranciere, Gespräch mit dem Verfasser. 28 Sowohl Pierre Macherey wie Etienne Balibar haben im Gespräch mit dem Verfasser dieses Wort gebraucht. 29 fitienne Balibar, Gespräch mit dem Verfasser. 30 Pierre Macherey, Gespräch mit dem Verfasser. 31 Pierre FougeyroUas, Gespräch mit dem Verfasser. 32 P. FougeyroUas, Contre Levi-Strauss, Lacan et Althusser, Paris 1976, S. 141. 33 Ebenda, S. 115. 34 D. Bensaid, in: Rouge, August 1973, wieder abgedruckt in: Le Monde, 17. August 1973. 35 E. Mandel, »Althusser corrige Marx«, in: La Quatrieme Internationale, Januar 1970. 36 M. Lowy, »L'humanisme historiciste de Marx ou relire Le Capital«, in: L'Homme et laSociet6,JuHl970, S. 112. 37 K. Marx, Das Kapital, Bd. I, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1968, S. 86.
Anmerkungen zu S. 232-233
579
38 M. Lowy, L'Homme et k Societe, Juli 1970, S. 117. 39 Ebenda. 40 J.-M. Domenach, »Un marxisme sous vide«, in: Esprit, Januar 1974, S. 111-125. 41 Ebenda, S. 112. 42 Ebenda, S. 118. 43 Ebenda, S. 124.
Teil III: Der Strukturalismus zwischen Szientismus, Ästhetik und Geschichte
Das Phantom der Formalisierung 1 Jean-Claude Coquet, Gespräch mit dem Verfasser. 2 Algirdas JuUen Greimas, Gespräch mit dem Verfasser. 3 Jean-Claude Coquet, Gespräch mit dem Verfasser. 4 Julia Kristeva, Gespräch mit dem Verfasser. 5 C. S. Peirce, Values in auniverse of chance, in: Selected writings of Charles S. Peirce (1839-1914), hrsg. von P.W. Wiener, Stanford 1958, S. 389. 6 E. Benveniste, »Semiologie de la langue«, in: Semiotica, 1969,1 und 2; wieder abge druckt in: ders., Problemes de linguistique generale, Bd. 2, a.a.O., S. 45. 7 Ebenda, S. 61. 8 Ebenda, S. 53. 9 Jean-Claude Coquet, Gespräch mit dem Verfasser. 10 Ebenda. 11 M. Frank, Was ist Neostrukturalismus?, a.a.O., S. 282. 12 Ebenda, S. 65. 13 A. J. Greimas, Maupassant: la semiotique du texte, Paris 1975. 14 J. Geninasca, Les Chimeres de Nerval, discours critique et discours poetique, Paris 1973. 15 M. Arrive, Les Langages de Jarry. Essai de semiotique litteraire, Paris 1972. 16 J.-C. Coquet, Semiotique litteraire, Paris 1973. 17 A. J. Greimas, Essais de semiotique poetique, Paris 1971, S. 6. 18 J. Kristeva, Semiotike, a.a.O., S. 41. 19 P. Hamon, »Pour un Statut semiologique du personnage«, a.a.O., S. 110. 20 Ebenda, S. 100. 21 A. J. Greimas, Du Sens. Essais semiologiques, Paris 1970, S. 188. 22 P. Hamon, »Litterature«, in: B. Pottier (Hg.), Les Sciences du langage en France au XXe siecle, Paris 1980, S. 302. 23 A. J. Greimas (Hg.), Analyse semiotique d'un discours juridique, Paris 1971; F. Ra stier, Ideologie et theorie des signes, Paris 1972; N. Ruwet, Langage, Musique, Poesie, Paris 1972; R. Barthes, Systeme de la mode, Paris 1967 (dt.: Die Sprache der Mode, Frankfurt/M. 1985); C. Metz, Langage et cinema, Paris 1971 (dt.: Sprache und Film, Frankfurt/M. 1973); Langages, Nr. 22: »Semiotique narrative, recits bibliques«, 1971; L. Marin, Semiotique de la passion, Paris 1971 (dt.: Semiotik der Passionsgeschichte, München 1976); ders., Analyse structurale et exegese biblique, Neufchätel 1972; Re vue de science religieuse, Sondernummer, »Analyses linguistiques en theologie«, Ja nuar-März 1973; Esprit, Sondernummer, »Lire l'ficriture«, 1973.
Anmerkungen zu S. 241-251
581
24 Serge Martin, Gespräch mit dem Verfasser. 25 R. Barthes, »Rash«, in: Langue, discours, societe. Hommage ä Benveniste, Paris 1975; dt.: »Rasch«, in: ders., Was singt in mir, der ich höre in einem Körper das Lied, BerHn 1979. Erneut in: ders.. Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, Frankfurt/M. 1990. 26 S. Martin, Le langage musical. Semiotique des systemes, Paris 1975. 27 Serge Martin, Gespräch mit dem Verfasser. 28 S. Martin, Le langage musical. Semiotique des systemes, a.a.O., S. 26. 29 J. Lacan, in: SciUcet, Nr. 4, 1973 S. 40, Anm. 1. 30 C. Clement, Vies et legendes de Lacan, Paris (1981) 1986, S. 35. 31 J. Lacan, Encore. Das Seminar. Buch XX, Weinheim, Berlin 1986, S. 141. 32 F. Roustang, Lacan, Paris 1986, S. 92. 33 Paul Henry, Gespräch mit dem Verfasser. 34 J. Lacan, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, a. a. O., S. 263. 35 A. Regnier, »L'Homme et la Societe«, in: Anthropos, Nr. 7, März 1968, S. 201-213. 36 C. Levi-Strauss, Das wilde Denken, Frankfurt/M. 1968, S. 124. 37 C. Levi-Strauss, Das Rohe und das Gekochte, Frankfurt/M. 1971, S. 20. 38 A. Regnier, »L'Homme et la Societe«, a.a.O., S. 212f. 39 Gilles Gaston-Granger, Gespräch mit dem Verfasser. 40 C. Levi-Strauss, Der nackte Mensch, Frankfurt/M. 1975, S. 808. 41 F. Heritier-Auge, L'Exercice de la parente, Paris 1981, S. 8. 42 Ebenda, S. 9. 43 Ebenda, S. 122.
Von der Trauer um die Literatur zur Lust am Text 1 P. Hamon, »Litterature«, a. a. O., S. 307. 2 P. Valery, »Über den Unterricht in Poetik am College de France«, in: ders., CEuvres, Bd. 1, Paris 1988; dt.: Zur Theorie der Dichtkunst, Frankfurt/M. 1987, S. 199. 3 N. Sarraute, L'Ere du soupgon, Paris 1964; dt.: Das Zeitalter des Argwohns. Essays über den Roman, Köln 1963; erneut als: Das Zeitalter des Mißtrauens, Frankfurt/M. 1975, S. 10 f. 4 J. Ricardou, Que peut la litterature?, Paris 1965, S. 52. 5 A. Robbe-Grillet, Les Enjeux philosophiques des annees cinquante, Paris 1989, S. 28. 6 A. Robbe-Grillet, Pour un nouveau roman, Paris 1963; dt.: Argumente für einen neuen Roman, München 1965. 7 Ebenda, S. 11. 8 Ebenda, S. 21. 9 Ebenda, S. 29. 10 Ebenda, S. 93. 11 Ebenda, S. 105 f. 12 R. Barthes, »Litterature litterale«, in: Critique, 1955, wieder abgedruckt in: ders., Essais critiques, Paris (1964) 1971. 13 Ebenda, S. 70.
582
Anmerkungen zu S. 251-257
14 Ebenda, S. 69. 15 R. Barthes, »Ecrivains et ficrivants«, in: Arguments, 1960, dt.: »Schriftsteller und Schreiber«, in: ders., Literatur oder Geschichte, Frankfurt/M. 1969, S. 52. 16 A. Robbe-Grillet, Le miroir qui revient, Paris 1984; dt.: Der wiederkehrende Spie gel, Frankfurt/M. 1986; Angelique, Paris 1987; dt.: Angelique oder die Verzaube rung, Frankfurt/M. 1989. 17 A. Robbe-Grillet, Der wiederkehrende Spiegel, a.a,0., S. 9. 18 Ebenda, S. 37. 19 R. Barthes, »La litterature aujourd'hui«, in: Tel Quel, Nr. 7, 1961, wieder abge druckt in: ders., Essais critiques, a.a.O., S. 160; dt.: »Literatur heute«, in: ders., Li teratur oder Geschichte, a. a. O., S. 76 f. 20 M. Butor, Passage de Milan, Paris 1954; dt.: Paris — Passage de Milan, Frankfurt/M. 1967. 21 M. Butor, »Essais sur le roman«, in: ders., Repertoire I, Paris 1960; dt.: Repertoire 2. Probleme des Romans, München 1968; Kreuzfahrten durch die moderne Literatur, Frankfurt/M. 1984; Die Alchemie und ihre Sprache: Essays zur Kunst und Litera tur, Frankfurt/M. 1984. 22 M. Butor, Mobile, Paris 1962; dt.: Orte, Frankfurt/M. 1966. 23 R. Barthes, »Litterature et discontinu«, in: Critique, 1962, wieder abgedruckt in; ders., Essais critiques, a.a.O., S. 176; dt.: »Literatur und Diskontinuität«, in: ders., Literatur oder Geschichte, a.a.O., S. 86. 24 J. Ricardou, »Textes mis en scene«, in: La Quinzaine litteraire, 1.-15. November 1967. 25 M. Foucault, Gespräch in Löwen, 7. Mai 1981, »Oceaniques«, FR 3, Ausstrahlung am 13. November 1988. 26 M. Blanchot, L'Espace Htteraire, Paris 1955; zum Teil dt. in: ders.. Das Unzerstör bare, München, Wien 1991. 27 M. Blanchot, Folio, in: ders., L'Espace litteraire, a.a.O., S. 26 [der Essay »La soHtude essentielle«, dem das Zitat entstammt, wurde in die deutsche Sammlung nicht aufgenommen, A.d.Ü.]. 28 M. Foucault, »La pensee du dehors«, in: Critique, Juni 1966, S. 523-546; dt.: »Das Denken des Draußen«, in: ders., Schriften zur Literatur, a.a.O., S. 130-156. 29 Ebenda, S. 133. 30 Ebenda, S. 136. 31 M. Blanchot, Le livre ä venir, Paris 1959; dt.: Der Gesang der Sirenen, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1982, S. 276. 32 Ebenda, S. 19, 113, 198. 33 R. Barthes, »La reponse de Kafka«, France-Observateur, 1960, wieder abgedruckt in: ders., Essais critiques, a.a.O., S. 140. 34 J. Derrida, Gespräch mit D. Cahen, a. a. O., S. 14. 35 J. Derrida, Gespräch mit J.-L Houdebine und G. Scarpetta, in: ders., Positionen, a.a.O., S. 138. 36 J. Derrida, Glas, a.a.O., S. 135. 37 J. Genet, »Ce qui est reste d'un Rembrandt dechire en petits carres bien reguliers, et foutu aux chiottes« [Was geblieben ist von einem in ganz regelmäßige kleine Vier ecke gerissenen und ins Klo geschmissenen Rembrandt, A.d.Ü.], in: Tel Quel, Nr. 29, 1967.
Anmerkungen zu S. 257-267
583
38 J. Derrida, Glas, a.a.O., S. 166 und 168. 39 P. Bougon, »Genet recompose«, in: Magazine litteraire, März 1991, S. 47. 40 J. Derrida, Glas, a.a.O., S. 48f. 41 G. Deleuze, Difference et Repetition, Paris 1969; dt.: Differenz und Wiederholung, München 1992, S. 14. 42 G. Deleuze, in: M. Cressole, Deleuze, Paris 1973, wieder abgedruckt in: ders., Pourparlers, Paris 1990; dt.: Unterhandlungen: 1972-1990, Frankfurt/M. 1993, S.14f. 43 Ebenda, S. 17. 44 Ebenda, S. 18. 45 G. Deleuze/F. Guattari, L'Anti-CEdipe, Paris 1972; dt.: Anti-Ödipus, Frankfurt/M. 1974, S. 108 f. 46 Ebenda, S. 63. 47 G. Deleuze, »Entretien sur L'Anti-CEdipe«, mit C. Backes-Clement, in: LArc, Nr. 49, 1972; dt. in: ders., Unterhandlungen, a.a.O., S. 30. 48 G. Deleuze/F. Guattari, Anti-Ödipus, a.a.O., S. 239. 49 Ebenda, S. 353. 50 G. Deleuze, Gespräch mit C. Descamps, D. Eribon, R. Maggiori, in: Liberation, 23. Oktober 1989; dt. in: ders., Unterhandlungen, a.a.O., S. 53. 51 C. Ruby, Les Archipels de la difference, a.a.O., S. 107. 52 P. Hamon, »Litterature«, a.a.O., S. 297. 53 R. Barthes, Le Plaisir du texte, Paris 1973; dt.: Die Lust am Text, Frankfurt/M. 1974, S. 95. 54 Ebenda, S. 43. 55 Ebenda, S. 69. 56 Ebenda, S. 94. 57 R. Barthes, »Radioscopie«, 17. Februar 1975, France-Inter, zit. nach: L.-J. Calvet, Roland Barthes. Eine Biographie, Frankfurt/M. 1993, S. 288. 58 R. Barthes, »Vers une esthetique sans entraves« (1975), wieder abgedruckt in: ders., Le Bruissement de la langue, Paris 1984, S. 96.
Philosophie und Struktur: die Figur des Anderen 1 Jacques Bouveresse, Gespräch mit dem Verfasser. 2 Ebenda. 3 Ebenda. 4 Jacques Hoarau, Gespräch mit dem Verfasser. 5 V. Descombes, La Philosophie par gros temps, Paris 1989, S. 139. 6 J-F. Lyotard, »Notes sur le retour et le Kapital«, in: Nietzsche aujourd'hui?, Referat auf dem Colloque de Cerisy, 10/18, Bd. 1, 1973; dt.: »Bemerkungen über die Wie derkehr und das Kapital«, in: ders., Intensitäten, Berlin o.J., S. 32. 7 R. Aron, »Le paradoxe du meme et de l'autre«, in: Melanges offerts ä Claude LeviStrauss, Paris 1970, S. 952. 8 P. Ricceur, Du texte ä l'action Paris (1970) 1986, S. 147. 9 Ebenda, S. 153.
584
Anmerkungen zu S. 267-280
10 Philippe Descola, Gespräch mit dem Verfasser. 11 Ebenda. 12 Sylvain Auroux, Gespräch mit dem Verfasser. 13 Ebenda. 14 C. Levi-Strauss, Gespräch mit R. Bellour, in: Les Lettres frangaises, Nr. 1165,12. Ja nuar 1967; dt. in: ders., Mythos und Bedeutung, Frankfurt/M. 1980, S. 125. 15 C. Levi-Strauss, »Le discours du recipiendaire«, in: Le Monde, 28. Juni 1974. 16 C. Levi-Strauss, »Gespräch mit J.-L. de Rambures, in: Le Monde, 21. Juni 1974. 17 C. Levi-Strauss, »Wissenschaftliche Kriterien in den Sozial- und Humanwissen schaften«, in: ders., Strukturale Anthropologie II, Frankfurt/M. 1975, S. 344. 18 C. Levi-Strauss, »Antvs^orten auf Umfragen«, in: ders., Strukturale Anthropologie II, a.a.O., S. 306. 19 C. Levi-Strauss, Gespräch mit J.-M. Benoist, in: Le Monde, 21. Januar 1979; dt. in: ders., Mythos und Bedeutung, a.a.O., S. 247. 20 R. und L. Makarius, Structuralisme ou ethnologie, Paris 1973, S. 11. 21 E. Leach, Les Systemes politiques des hautes terres de Birmanie, Paris 1972, S. XIII; engl. Orig.: Political Systems of Highland Burma, London 1954. 22 T. Pavel, Le Mirage Unguistique, a.a.O., S. 58. 23 J. Lacan, Radiophonie. Television, Weinheim 1988. 24 A. Juranville, Lacan et la philosophie, Paris (1984) 1988; dt.: Lacan und die Philoso phie, München (1985) 1990, S. 436. 25 J. Lacan, Radiophonie. Television, a. a. O., S. 47. 26 Ebenda, S. 39. 27 A. Juranville, Lacan und die Philosophie, a. a. O., S. 457. 28 Charles Melman, Gespräch mit dem Verfasser. 29 Bernard Sichere, Gespräch mit dem Verfasser. 30 Hubert Brochier, Gespräch mit dem Verfasser. 31 Ebenda. 32 J.-P. Vernant, Les Origines de la pensee grecque, Paris 1962; dt.: Die Entstehung des griechischen Denkens, Frankfurt/M. 1982. 33 J.-P. Vernant, Gespräch mit Judith Miller, in: L'Äne, Januar/März 1987. 34 Jean-Pierre Vernant, Gespräch mit dem Verfasser. 35 Ebenda. 36 J.-P. Vernant, Mythe et pensee chez les Grecs, Bd. 1, Paris (1965) 1971, S. 209. 37 Ebenda, Bd. 2, S. 124. 38 J.-P. Vernant, II Mito greco, Atti del convegno internazionale, Edizioni de l'ateneobizoni, 1973, »Intervento conclusivo«, S. 397-400. 39 Ebenda. 40 C. Levi-Strauss, Gespräch mit R. Bellour, 1972; dt. in: ders., Mythos und Bedeu tung, a.a.O. S. 181.
Die Versöhnung von Geschichte und Struktur 1 Annales, Nr. 3-4, Mai-August 1971, »Histoire et Structure«. 2 A. Burguiere, in: Annales, Nr. 3-4, a.a.O., S. VII.
Anmerkungen zu S. 281-293
585
3 C. Levi-Strauss, »Les Lundis de l'histoire«, France-Culture, 25. Januar 1971. 4 K. Pomian, La Nouvelle Histoire, Paris 1978, S. 543 f. 5 E. Le Roy Ladurie, »L'histoire immobile«, Inauguralvorlesung am College de France, 30. November 1973, wieder abgedruckt in: ders., Le Territoire de l'historien, Bd. 2, Paris 1978, S. 7-34. 6 Ebenda, S. 11. 7 Ebenda, S. 13. 8 Ebenda. 9 Ebenda, S. 16. 10 Ebenda, S. 9. 11 Siehe F. Dosse, L'Histoire en miettes, Paris 1987. 12 E. Le Roy Ladurie, »L'histoire immobile«, a.a.O., S. 34. 13 F. Füret, L'Historien entre l'ethnologue et le futurologue, CoUoque international de Venise, Paris 1971. 14 Ebenda, S. 61. 15 Georges Duby, Gespräch mit dem Verfasser, in: Vendredi, 4. Januar 1980. 16 G. Duby, Dialogues, mit G. Lardreau, Paris 1980; dt.: Geschichte und Geschichts wissenschaft. Dialoge, Frankfurt/M. 1982, S. 113. 17 G. Duby, La Societe aux Xle et Xlle siecles dans la region maconnaise, Paris 1953. 18 Georges Duby, Gespräch mit dem Verfasser. 19 G. Duby, Les Trois Ordres ou L'Imaginaire du feodaHsme, Paris 1978; dt.: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt/M. 1981. 20 Georges Duby, Gespräch mit dem Verfasser. 21 G. Duby, in: Dialectiques, Nr. 10-11, 1975, S. 122.
Foucault und die Dekonstruktion der Geschichte: L Die Archäologie des Wissens 1 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a. a. O., S. 29. 2 Dominique Lecourt, Gespräch mit dem Verfasser. 3 Ebenda. 4 D. Lecourt, Kritik der Wissenschaftstheorie, a. a. O., S. 87. 5 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a. a. O., S. 69. 6 Ebenda, S. 70. 7 Ebenda, S. 9. 8 Ebenda, S. 13 f. 9 Ebenda, S. 15. 10 E. Le Roy Ladurie, France-Culture, 10. JuH 1969. 11 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a.a.O., S. 16. 12 Ebenda, S. 17. 13 Ebenda, S. 19. 14 M. Foucault, in: Le Monde, 3. Mai 1969. 15 M. Foucault, Archäologie des Wissens, S. 21. 16 M. Frank, Was ist Neostrukturalismus?, a.a.O., S. 223. 17 J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, a. a. O., S. 294.
586
Anmerkungen zu S. 293-305
18 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a. a. O., S. 182. 19 Ebenda, S. 294. 20 D. Lecourt, »Sur l'archeologie du savoir (A propos de Michel Foucault)«, in: La Pensee, Nr. 152, August 1970; wieder abgedruckt in: ders., Kritik der Wissen schaftstheorie, a.a.O., S. 77-105. 21 Dominique Lecourt, Gespräch mit dem Verfasser. 22 Jean-Michel Besnier, kritische Anmerkung gegenüber dem Verfasser. 23 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a. a. O., S. 26. 24 M. Foucault, Die Ordnung der Dinge, a. a. O., S. 461. 25 H.-L. Dreyfus/F. Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Weinheim 1994, S. 73. 26 Ebenda, S. 96. 27 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a. a. O., S. 249. 28 H.-L. Dreyfus/P. Rabinow, Michel Foucault, a.a.O., S. 112. 29 T. Pavel, Le Mirage linguistique, a.a.O., S. 131. 30 G. Deleuze, »Ein neuer Archivar«, in: ders., Foucault, Frankfurt/M. 1987, S. 36. 31 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a.a.O., S. 116. 32 H.-L. Dreyfus/P. Rabinow, Michel Foucault, a.a.O., S. 87. 33 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a.a.O., S. 198. 34 Ebenda, S. 147. 35 Ebenda, S. 48. 36 G. Deleuze, »Ein neuer Archivar«, a. a. O., S. 14-21. 37 Ebenda, S. 21. 38 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a.a.O., S. 75. 39 Ebenda, S. 76. 40 Dominique Lecourt, Gespräch mit dem Verfasser. 41 D. Lecourt, Kritik der Wissenschaftstheorie, a. a. O., S. 79. 42 Ebenda, S. 98. 43 J.-M. Palmier, in: Le Monde, 3. Mai 1969. 44 F. Chätelet, in: La Quinzaine Utteraire, Nr. 72, 1.-15. Mai 1969. 45 R. Robin, Histoire et linguistique, Paris 1973. 46 M. Foucault, Archäologie des Wissens, a. a. O., S. 30.
Foucault und die Dekonstruktion der Geschichte: IL Überwachen und Strafen 1 M. Foucault, »Nietzsche, lagenealogie, l'histore «, in: Hommage äHyppolite, Paris 1971. 2 Ebenda, S. 154. 3 M. Foucault, L'Ordre du discours, Paris 1971; dt.: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1977. 4 Ebenda, S. 35. 5 H.-L. Dreyfus/P. Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, a. a. O., S. 134. 6 Ebenda, S. 156 ff.
Anmerkungen zu S. 305-317
587
7 J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, a. a. O., S. 300. 8 M. Foucault, »Oceaniques«, Gespräch in Löwen, a.a.O. 9 D. Defert, France-Culture, 7. JuH 1988. 10 Jean-Marie Domenach, Gespräch mit dem Verfasser. 11 Daniel Becquemont, Gespräch mit dem Verfasser. 12 M. Foucault, Überwachen und Strafen, Frankfurt/M. (1977) 1994, S. 57. 13 Ebenda, S. 65. 14 Ebenda, S. 99. 15 Ebenda, S. 115. 16 Ebenda, S. 264. 17 Ebenda, S. 250. 18 Ebenda, S. 218. 19 J.-M. Besnier/J.-P. Thomas, Chronique des idees d'aujourd'hui, Paris 1987, S. 46. 20 Diese Auskünfte erteilte Pierre Nora. 21 Michelle Perrot, Gespräch mit dem Verfasser. 22 Diese Kollektivarbeit bildet die Grundlage für: M. Perrot/G. Duby (Hg.), Histoire des femmes, Paris 1991; dt.: Geschichte der Frauen, Frankfurt/M. 1993-1995. 23 Michelle Perrot, Gespräch mit dem Verfasser. 24 Ebenda. 25 L'Impossible Prison, recherches sur le Systeme penitentiaire au XIXe siecle, zusam mengestellt von M. Perrot, Paris 1980. 26 Michelle Perrot, Gespräch mit dem Verfasser. 27 M. Foucault, L'Impossible Prison, a.a.O., S. 55. 28 J. Leonard, ebenda, S. 14. 29 Ebenda, S. 15. 30 M. Foucault, ebenda, S. 33. 31 Michelle Perrot, Gespräch mit dem Verfasser. 32 M. Foucault, Moi, Pierre Riviere, ayant egorge ma mere, ma soeur, mon frere ..., Pa ris 1973; dt.: Der Fall Riviere. Materialien zum Verhältnis von Psychiatrie und Straf justiz, Frankfurt/M. 1975. Autoren: B. Barret-Kriegel, G. Burlet-Torvic, R. Castel, J. Favret, A. Fontana, M. Foucault, G. Legee, P. Moulin, J.-P. Peter, P. Riot und M. Saison. 33 J. Β entkam, Le Panoptique, Paris 1977. 34 Arlette Farge, Gespräch mit dem Verfasser. 35 Ebenda. 36 Ebenda. 37 Ebenda. 38 Ebenda. 39 A. Farge, M. Foucault, Le desordre des familles, Paris 1982; dt.: Familiäre Kon flikte: Die »Lettres de cachet«, Frankfurt/M. 1989. 40 Arlette Farge, Gespräch mit dem Verfasser.
588
Anmerkungen zu S. 318-325
Das Goldene Zeitalter der neuen Geschichtsschreibung 1 2 3 4
Pierre Nora, Gespräch mit dem Verfasser. Ebenda. Ebenda. Faire de l'histoire, 3 Bände: Nouveaux problemes, Nouvelles approches, Noveaux objets, a. a. O. 5 J. Le Goff, P. Nora, Faire de l'histoire, a. a. O., Bd. 1, S. XL 6 E. Le Roy Ladurie, Territoire de l'historien I, Paris 1973, S. 423. 7 E. Le Roy Ladurie, Histoire du cHmat depuis l'an 1000, Paris 1967. 8 Pierre Nora, Gespräch mit dem Verfasser. 9 P. Vilar, »Histoire marxiste, histoire en construction«, in: Faire de l'histoire, Bd. 1, a.a.O., S. 188. 10 Pierre Nora, Gespräch mit dem Verfasser. 11 Pierre Vilar, Gespräch mit dem Verfasser. 12 M. de Certeau, »L'operation historique«, in: Faire de l'histoire, Bd. 1, a.a.O., S. 28. 13 P. Nora, in: Le Nouvel Observateur, 7. Mai 1974. 14 K. Pomian, L'Ordre du temps, Paris 1984, S. 94. 15 J. Revel, »Braudel dans tous ses etats«, Gespräch mit EspacesTemps, Nr. 34-35, De zember 1986. 16 E, Le Roy Ladurie, Territoire de l'historien I, a. a. O., S. 20. 17 P. Veyne, Comment on ecrit l'histoire, Paris 1971; dt.: Geschichtsschreibung — und was sie nicht ist, Frankfurt/M. 1990. 18 Ebenda. 19 P. Veyne, »Foucault revolutionne l'histoire«, in: ders., Comment on ecrit l'histoire, Paris 1978; dt.: Foucault: die Revolutionierung der Geschichte, Frankfurt/M. 1992, S.7f. 20 Ebenda, S. 26 f. 21 Ebenda, S. 65. 22 Ebenda, S. 67. 23 F. Dosse, L'Histoire en miettes, a. a. O.: Der Anteil kulturgeschichtlicher Artikel in der Zeitschrift steigt von 22,4 % im Zeitraum 1957-1969 auf 32,8 % im Zeitraum 1969-1976.
Teil IV: Der Niedergang des Strukturalistischen Paradigmas
Die verlorenen Illusionen : I. Der Guiag-Effekt 1 C. Lefort, »Soljenitsyne«, in: Textures, 13, 1975; wieder abgedruckt in: ders., Un homme en trop. Essai sur l'Archipel du Goulag, Paris 1975. 2 Marcel Gauchet, Gespräch mit dem Verfasser. 3 Alain Renaut, Gespräch mit dem Verfasser. 4 R.-P. Droit, in: La Liberte de l'esprit, a.a. O., S. 24. 5 Roger-Pol Droit, Gespräch mit dem Verfasser. 6 Ebenda. 7 P. Viansson-Ponte, in: J. Paugam, Generation perdue, Paris 1977, S. 15f. 8 F. Aubral/X. Delcourt, Contre la nouvelle philosophie, Paris 1977; und G. Deleuze, Α propos des nouveaux philosophes, Paris 1977. 9 A. Glucksmann, La cuisiniere et le mangeur d'hommes, Paris 1975; dt.: Köchin und Menschenfresser. Über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentra tionslager, Berlin 1976. 10 B.-H. Levy, La Barbarie ä visage humain, Paris 1977; dt.: Die Barbarei mit menschli chem Gesicht, Reinbek 1978. 11 J.-F. Bizot, Les Declasses, Paris 1976; Les Annees blanches, Paris 1979. 12 J.-P. Le Dantec, Les Dangers du soleil, Paris 1978. 13 Ebenda, S. 279. 14 M. Le Bris, in: Generation perdue, a.a.O., S. 81. 15 J. Paugam, Gespräch mit Bernard-Henri Levy, in: ders., Generation perdue, a. a. O., S. 171. 16 J. Bouveresse, Le Philosophe chez les autophages, Paris 1984, S. 44. 17 Ebenda, S. 89. 18 G. Lardreau/C. Jambet, LAnge, Paris 1976, S. 18. 19 Ebenda, S. 71. 20 F. Maspero, in: Le Nouvel Observateur, 27. September 1976. 21 B.-H. Levy, in: Le Nouvel Observateur, 30. Juni 1975. 22 M. Clavel, in: Le Nouvel Observateur, 23. März 1975.
590
Anmerkungen zu S. 337-348
Die verlorenen Illusionen: IL Die Entkräftung des Szientismus 1 2 3 4
J.-M. Benoist, La Revolution structurale, a.a.O. Pierre Ansart, Gespräch mit dem Verfasser. Andre Nicolai, Gespräch mit dem Verfasser. E. Terray, Seminaire de Michel Izard, Laboratoire d'anthropologie sociale, College de France, 12. Januar 1989. 5 Ebenda. 6 Philippe Hamon, Gespräch mit dem Verfasser. 7 Marcelin Pleynet, Gespräch mit dem Verfasser. 8 Le Debat, N r 1, Editorial, Mai 1980, Herausgeber: P. Nora. 9 P. Nora, »Que peuvent les intellectuels?«, Le Debat, Nr. 1, Mai 1980, S. 17. 10 Frangois Ewald, Gespräch mit dem Verfasser. 11 M. Abeles, »L'anthropologie dans le desert«, in: Politique-Hebdo, Nr. 286, 24. Ok tober 1977. 12 Emmanuel Terray, Gespräch mit dem Verfasser. 13 M. Abeles, »L'anthropologue dans le desert«, a. a. O. 14 R. Castel, Le Psychanalysme, Paris 1973; dt.: Psychoanalyse und gesellschaftliche Macht, Kronberg 1976. 15 Jean Dubois, Gespräch mit dem Verfasser. 16 Ebenda.
Die verlorenen Illusionen: III. Die Wiederkehr der Ethik 1 Critique, Sonderheft Februar 1978, mit Beiträgen von J. Bouveresse, F. Chätelet, E. Martineau, V. Descombes, J. Ranciere. 2 Alain Renaut, Gespräch mit dem Verfasser. 3 M. Foucault, »A quoi revent les Iraniens?«, in: Le Nouvel Observateur, 16. Oktober 1978. 4 Jacques Bouveresse, Gespräch mit dem Verfasser. 5 P. Nemo, L'Homme structural, Paris 1975. 6 Ebenda, S. 234. 7 V. Jankelevitch, L'Austerite et la Vie morale, Paris 1956; ders., Le Paradoxe de la vie morale, Paris 1981. 8 E. Levinas, Du sacre au saint, Paris 1977, S. 20. 9 E. Levinas, »A quoi pensent les philosophes?«, in: Autrement, Nr. 102, November 1988, S. 58. 10 Georges-filia Sarfati, Gespräch mit dem Verfasser. 11 P. Ricoeur, Die Interpretation: ein Versuch über Freud, Frankfurt/M. 1993. 12 P. Ricoeur, Le Conflit des interpretations, Paris 1969; dt.: Der Konflikt der Interpre tationen, 2 Bde., München 1973/74. 13 P. Ricoeur, La Metaphore vive, Paris 1975; dt.: Die lebendige Metapher, München 1986.
Anmerkungen zu S. 348-355
591
14 P. Ricoeur, Du texte ä l'action, a. a. O. 15 P. Ricoeur, Soi-Meme comme un Autre, Paris 1990; dt.: Das Selbst als ein Anderer, München 1995. 16 P. Ricoeur, Les Metamorphoses de la rasion hermeneutique; Texte zum Kolloquium in Cerisy-la-Salle, l.-ll. August 1988, Paris 1991. 17 P. Ricoeur, Temps et recit, I. Temps et recit (1983), IL La configuration dans le recit de fiction (1984), III. Le Temps raconte (1985), Paris; dt.: Zeit und Erzählung, Bd. I: Zeit und historische Erzählung, München 1988, Bd. II: Zeit und literarische Erzäh lung, München 1989; Bd. III: Die Erzählte Zeit, München 1991. 18 J. Freund, Les Theories des sciences humaines, Paris 1973; Qu'est-ce que la politique?, Paris 1978; dt.: Politikbegriffe, Göttingen 1982; La Sociologie de Max "We ber, Paris 1983; Sociologie du conflit, Paris 1983. 19 J. Freund, Philosophie philosophique, Paris 1990. 20 Ebenda, S. 12. 21 Ebenda, S. 53. 22 Ebenda, S. 108. 23 J. Bouveresse, Poesie und Prosa: Wittgenstein über Wissenschaft, Ethik und Ästhe tik, a. a. O.; Le Mythe de l'interiorite, a. a. O. 24 J. Bouveresse, Le Philosophe chez les autophages, a. a. O. 25 Ebenda, S. 71 f. 26 Ebenda, S. 96. 27 Ebenda, S. 166.
Von der Reproduktion zur Regulierung 1 Alain Lipietz, Gespräch mit dem Verfasser. 2 A. Lipietz, »De l'althusserisme ä la theorie de la regulation«, CEPREMAP, Vortrag auf dem Forum: The Althusserian Legacy, Stony brook, SUNY, 23.-24. September 1988. 3 A. Lipietz, Sur les pratiques et les concepts prospectifs du materialisme historique, DES, Paris-I. 4 A. Lipietz, »De l'althusserisme ä la theorie de la regulation«, a.a.O., S. 12. 5 Ebenda, S. 33. 6 Ebenda, S. 49. 7 Michel Aglietta, Gespräch mit dem Verfasser. 8 Ebenda. 9 M. Aglietta, Regulation et crises du capitalisme. L'experience des £tats-Unis, Paris 1976. 10 Michel Aglietta, Gespräch mit dem Verfasser. 11 Ebenda. 12 Ebenda. 13 Ebenda. 14 Ebenda. 15 Ebenda. 16 Ebenda.
592
Anmerkungen zu S. 356-364
17 R. Boyer, La Theorie de la regulation: une analyse critique, Paris 1986. 18 GREEC, Crise et Regulation, Grenoble 1981. 19 CEPREMAP: Centre d'etudes prospectives d'economie mathematique appliquees ä la planification. 20 M. Aglietta, Regulation et crises du capitalisme, a. a. O., S. 14. 21 M. Aglietta, »Braudel dans tous ses etats«, in: EspacesTemps, Nr. 34-35, 1987. 22 R. Boyer, La Theorie de la regulation, a. a. O., S. 47. 23 Ebenda, S. 43. 24 M. Aglietta, Accumulation et regulation du capitalisme en longue periode. Exemple des fitats-Unis (1870Ί970), Diss., Paris-L 25 A. Lipietz, »La trame, la chaine, et la regulation: un outil pour les sciences sociales«, CEPREMAP, Intervention au coUoque international sur la theorie de la regulation, Barcelona, 16.-17. Juni 1988, S. 2. Die von Alain Lipietz erwähnte Gruppenarbeit er schien 1977: Approches de l'inflation: l'exemple fran9ais, Bericht für den CORDES (siehe Anm. 36) von J.-P. Benassy, R. Boyer, R.-M. Gelpi, A. Lipietz, J. Mistral, J. Munoz, C. Ominami. 26 Siehe insbesondere: B. Coriat, LAtelier et le chronometre. Essai sur le taylorisme, Paris 1979. 27 A. Lipietz, Le Monde enchante. De la valeur ä l'envol inflationniste, Paris 1983, S. 14 f. 28 M. Aglietta/A. Orlean, La Violence de la monnaie, Paris 1982, S. 12. 29 Michel Aglietta, Gespräch mit dem Verfasser. 30 M. Aglietta/A. Orlean, La Violence de la monnaie, a. a. O., S. 15. 31 Ebenda, S. 17. 32 Michel Aglietta, Gespräch mit dem Verfasser. 33 M. Aglietta/A. Orlean, La Violence de la monnaie, a.a.O., S. 21. 34 Alain Lipietz, Gespräch mit dem Verfasser. 35 Marc Guillaume, Gespräch mit dem Verfasser. 36 CORDES: Comite d'organisation des recherches appliquees sur le developpement economique et social (Organisationsausschuß für angewandte Forschungen zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung). 37 Alain Lipietz, Gespräch mit dem Verfasser. 38 B. Guibert, La Mutation industrielle de la France, du traite de Rome ä la crise petrohere, »Les coUections de ITNSEE«, November 1975, La Documentation frangaise. 39 Michel Aglietta, Gespräch mit dem Verfasser. 40 Ebenda. 41 Ebenda. 42 ISEA: Institut de science economique appliquee (Institut für angewandte Wirt schaftswissenschaft), gegründet 1944 von Fran9ois Perroux. 43 Michel Aglietta, Gespräch mit dem Verfasser. 44 Hubert Brochier, Gespräch mit dem Verfasser. 45 A. Nicolai, »L'inflation comme regulation«, in: Revue economique, Nr. 4, Juli 1961, S. 522-547. 46 Andre Nicolai, Gespräch mit dem Verfasser. 47 Ebenda. 48 Ebenda.
Anmerkungen zu S. 364-373
593
49 MAUSS: Mouvement anti-utilitariste dans les sciences sociales (Antiutilitaristische Bewegung in den Sozialwissenschaften). 50 Jerome Lallement, Gespräch mit dem Verfasser. 51 Ebenda. 52 Ebenda. 53 J. Lallement, »Histoire de la pensee ou archeologie du savoir?«, in: Modele economique et science sociale, (Economia, Cahiers de l'ISEA, Serie P.E., Nr. 2,1984, S. 91.
Ein Mittelweg: der Habitus 1 P. Bourdieu, Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 1, Januar 1975, S. 2. 2 P. Bourdieu, Rede und Antwort, a.a.O., S. 28. 3 P. Bourdieu, »La lecture de Marx«, Actes de la recherche en sciences sociales, November 1975, S. 69; zu fi. Balibar: »Sur la dialectique historique. Quelques re marques critiques ä propos de Lire le Capital«, in: La Pensee, Nr. 170, August 1973, S. 27-47. 4 P. Bourdieux, »La lecture de Marx«, a. a. O., S. 70. 5 Ebenda, S. 73. 6 P. Bourdieu, Homo academicus, a.a.O. 7 fitienne Balibar, Gespräch mit dem Verfasser. 8 P. Bourdieu, Rede und Antwort, a.a.O., S. 82. 9 Ebenda, S. 31. 10 P. Bourdieu, Esquisse d'une theorie de la pratique, Vorwort zu: Trois etudes d'ethnologie kabyle, Paris 1972; dt.: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologi schen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1976. 11 Ebenda, S. 169. 12 P. Bourdieu, Rede und Antwort, a.a.O., S. 30. 13 Siehe das Kapitel »Der Chomskysmus: eine neue Grenze?« 14 P. Bourdieu, Choses dites, a. a. O., S. 40 [in der deutschen Ausgabe gekürzt, A.d.Ü.]. 15 P. Bourdieu, Rede und Antwort, a.a.O., S. 64. 16 Ebenda, S. 116 f. 17 Raymond Boudon, Gespräch mit dem Verfasser. 18 Ebenda. 19 P. Bourdieu, zit. nach: P. Ansart, Les sociologies contemporaines, Paris 1990, S. 42. 20 P. Bourdieu/J.-C. Passeron/J.-C. Chamboredon, Le Metier de sociologue, Paris (1968) 1983; dt.: Soziologie als Beruf, Berlin, New York 1991 21 P. Ansart, Les Sociologies contemporaines, Paris 1990, S. 241. 22 P. Bourdieu, Legon sur la Ιεςοη, Paris 1982; dt.: Sozialer Raum und »Klassen«. Leςοη sur la legon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, S. 49. 23 P. Bourdieu, Die feinen Unterschiede, a.a.O. 24 Ebenda, S. 31. 25 Ebenda, S. 58. 26 Ebenda, S. 768. 27 Ebenda, S. 279. 28 Ebenda, S. 198.
394
Anmerkungen zu S. 374-384
29 Ebenda, S. 530. 30 J.-P. Enthoven, »La comedie humaine selon Bourdieu«, in: Le Nouvel Observateur, 5. November 1979. 31 P. Bourdieu, »Le Bon Plaisir«, Gespräch mit P. Casanova, France-Culture, 23. Juni 1990. 32 P. Encreve, in: Le Monde, 12. Oktober 1979. 33 F. Chätelet, ebenda. 34 P. Bourdieu, Sozialer Sinn, a. a. O. 35 Ebenda, S. 62. 36 Ebenda. 37 P. Bourdieu, Gespräch mit D. Eribon, in: Le Monde Dimanche, 4. Mai 1980, wieder abgedruckt in: ders., Soziologische Fragen, a.a.O., S. 73. 38 P. Bourdieu, Rede und Antwort, a.a.O., S. 84. 39 A. Caille, Gritique de Bourdieu, a. a. O., S. 126. 40 Ebenda, S. 132. 41 J. Ranciere, Le Philosophe et ses pauvres, a. a. O., S. 271. 42 Siehe das Kapitel »Neuer Auftrieb für die Durkheimianer: Pierre Bourdieu«.
Spätes Erwachen: die Geographen entdecken die Epistemologie 1 Daniel Dory, Gespräch mit dem Verfasser. 2 P. Vidal de la Blache, Tableau geographique de la France, Paris 1911. 3 General Vacchelli, zit. nach: P. Pinchemel, La Recherche geographique frangaise, Comite national fran^ais de geographie, 1984, S. 11. 4 L. Febvre, La Terre et l'evolution humaine, Paris 1922. 5 Siehe F. Dosse, L'Histoire en miettes, a. a. O. 6 J. Tricart, »Premier essai sur la geomorphologie et la pensee marxiste«, in: La Pen see, Nr. 47, März-April 1963, S. 62-72. 7 Siehe J. Suret-Canale, »Geographe, marxiste«, in: EspacesTemps, Espace/Marxisme, Nr. 18-19-20,1981, S. 15. 8 P. Claval, »Contemporary Human Geography in France«, in: Progress in Geography, Nr. 7, S. 250-279. 9 P. Claval, La Nouvelle Geographie, »Que sais-je?«, Nr. 1693, Paris 1977. 10 P. Claval, »Mutations et permanences«, in: EspacesTemps, Nr. 40-41, »Geographie, etat des lieux. Debat transatlantique«, 1989. 11 R. Brunet, 1972, zit. nach: P. Pinchemel, La Recherche geographique frangaise, a. a. O., 1984, S. 16. 12 C. Grataloup, in: EspacesTemps, Nr. 4, 1976, S. 49. 13 La Pensee geographique contemporaine, Melanges offerts au professeur A. Meynier, Paris 1972. 14 Jacques Levy, Gespräch mit dem Verfasser. 15 Y. Lacoste, »La Geographie«, in: F. Chätelet, Histoire de la philosophie. La philosophie des sciences sociales, Paris 1973, S. 247; dt. »Die Geographie«, in: F. Chätelet, Geschichte der Philosophie, Bd. VIT: Die Philosophie der Sozialwissenschaften, Frankfurt/M. 1975, S. 235.
Anmerkungen zu S. 384-395
595
16 A. Meynier, Histoire de la pensee geographique en France, Paris 1969. 17 G. Bachelard, La Formation de l'esprit scientifique, Paris 1938; dt.: Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes. Beitrag zu einer Psychoanalyse der objektiven Erkennt nis, Frankfurt/M. 1987, S. 309. 18 Y. Lacoste, »Die Geographie«, a.a.O., S. 269. 19 Im Brennpunkt des Kolloquiums standen vier Vorträge: S. Gregory, »Theorie geo graphique et methodologie statistique«; C. Tricot, »Les mathematiques en geographie: recherche d'une structure descriptive coherente«; C. Raffestin, »Problematiques et explication en geographie«; J.-B. Racine, »Discours ideologique et discours geographique: un nouveau debat«. 20 Jacques Levy, Gespräch mit dem Verfasser. 21 L. von Bertalanffy, Theorie generale des systemes, Paris 1973. 22 Daniel Dory, Gespräch mit dem Verfasser. 23 Y. Lacoste, La geographie, ga sert, d'abord, ä faire la guerre, Paris 1976. 24 Herodote; Herausgeber: Y. Lacoste, Redaktionssekretariat: M. Abherve, O. Ber nard, J.-M. Brabant, B. Giblin, M. Ronai. 25 M. Ronai, »Paysages«, in: Herodote, Nr. 1,1976. 26 »Questions ä Michel Foucault sur la geographie«, in: Herodote, Nr. 1, 1976, S. 71. 27 ENSET: £cole normale superieure de l'enseignement technique. 28 Jacques Levy, Gespräch mit dem Verfasser. 29 EspacesTemps, Nr. 1, Redaktionskomitee: J.-P. Burdy, A. Bidaud, C. Grataloup, M. Hours, B. Judic, J. Levy, Y. Levy-Piarroux, J.-L. Margolin, J.-F. Martini, C. Virole. 30 M. Le Lannou, »Des geographes contre la geographie«, in: Le Monde, 8.-9. Februar 1976. 31 J. Levy, in: EspacesTemps, Nr. 2, 1976, S. 22. 32 Manifeste, in: EspacesTemps, Nr. 4,1976, S. 3. 33 Ebenda, S. 5. 34 Ebenda, S. 7. 35 Ebenda, S. 8. 36 Jacques Levy, Gespräch mit dem Verfassser. 37 Ebenda. 38 P. Raymond, Le Passage au materialisme, a.a.O.; Materialisme dialectique et logique, a. a. O. 39 J. Bertin, Semiologie graphique, Paris 1967. 40 Ebenda, S. 8. 41 R. Brunet, »La composition des modeles dans l'analyse spatiale«, in: L'Espace geo graphique Nr. 4, 1980. 42 C. Grataloup, »L'explorateur et le missionnaire«, in: L'Homme et la Societe, Nr. 95-96, 1990, S. 14.
Die Wiederkehr des Verdrängten: das Subjekt 1 T. Todorov, M. Bachtin, Le principe dialogique, Paris 1981. 2 Tzvetan Todorov, Gespräch mit dem Verfasser.
3 Ebenda.
^96
Anmerkungen zu S. 395-404
4 Ebenda. 5 T. Todorov, La Conquete de l'Amerique, Paris 1982; dt.: Die Eroberung Amerikas, Frankfurt/M. 1985; ders., Nous et les autres, Paris 1989. 6 T. Todorov, Die Eroberung Amerikas, a.a. O., S. 11. 7 Ebenda, S. 94. 8 Ebenda, S. 120. 9 Ebenda, S. 190. 10 Tzvetan Todorov, Gespräch mit dem Verfasser. 11 Alain Boissinot, Gespräch mit dem Verfasser. 12 O. Ducrot, Les Mots du discours, Paris 1980. 13 O. Ducrot, Le Dire et le Dit, a. a. O. 14 Insbesondere: O. Ducrot, »Esquisse d'une theorie polyphonique de l'enonciation«, in: ebenda, S. 171-233. 15 Oswald Ducrot, Gespräch mit dem Verfasser. 16 M. Yaguello, Les Mots et les Femmes, Paris (1978) 1987. 17 Michelle Perrot, Gespräch mit dem Verfasser. 18 Marina Yaguello, Gespräch mit dem Verfasser. 19 Nicolas Ruwet, Gespräch mit dem Verfasser. 20 Ebenda. 21 Ebenda. 22 J.-C. Coquet, »Linguistique et semiologie«, in: Actes semiotiques, IX, 88, 1987. 23 A. J. Greimas/J. Courtes, Semiotique. Dictionnaire raisonne de la theorie du langage, Paris 1979. 24 A. J. Greimas, zit. nach: »Biobibhographie«, Recueil d'hommages pour A. J. Greimas, Amsterdam 1985, S. LXVIII. 25 J.-C. Coquet, »Linguistique et semiologie«, a.a.O., S. 13. 26 J.-C. Coquet, Le Discours et son sujet, Paris 1984. 27 E. Benveniste, Noms d'agent et noms d'action en indo-europeen, Paris 1948. 28 J.-C. Coquet, »Linguistique et semiologie«, a.a.O., S. 20. 29 M. Gueroult, fitudes sur Fichte, Paris 1977; A. Philonenko, L'OEuvre de Fichte, Pa ris 1984. 30 Jean-Christophe Goddard, Gespräch mit dem Verfasser. jJ.G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), Hamburg 1979, S. 8, A.d.Ü.]. 31 Joelle Proust, Gespräch mit dem Verfasser. 32 Ebenda. 33 J. Proust, »Problemes d'histoire de la philosophie: l'idee de topique comparative«, in: Bulletin de la societe frangaise de philosophie, Juli-September 1988, S. 92. 34 Ebenda, S. 98. 35 R. Barthes, in: Tel Quel, Nr. 47, 1971, S. 89. 36 R. Barthes, Roland Barthes par Roland Barthes, Paris 1975, S. 121; dt.: Über mich selbst, München 1978, S. 128. 37 Ebenda, S. 135. 38 Ebenda, S. 158. 39 Ebenda, S. 174. 40 R. Barthes, »Barthes puissance trois«, in: La Quinzaine litteraire, 1.-15. März 1975. 41 J. Bersani, in: Le Monde, 14. Februar 1975.
Anmerkungen zu S. 405-416
597
42 R. Barthes, aufgezeichnet von J. Henric, in: Art-Press, Mai 1977; wieder abge druckt in: R. Barthes, Le Grain de la voix, a.a.O., S. 266. 43 Ebenda. 44 Ebenda, S. 267. 45 Ebenda, S. 270. 46 Wir übernehmen diese Daten von: L.-J. Calvet, Roland Barthes, a.a.O., S. 304. 47 R. Barthes, Legon/Lektion. Antrittsvorlesung im College de France, Frankfurt/M. 1980, S. 19. 48 L.-J. Calvet, Roland Barthes, a.a.O., S. 300. 49 J. Kristeva, Les Samourais, Paris 1990. 50 Andre Green, Gespräch mit dem Verfasser. 51 Marc Auge, Gespräch mit dem Verfasser. 52 Ebenda. 53 Ebenda.
Michel Foucault: von der Bio-Macht zur Selbstästhetik 1 Text in: Liberation, 30. Juni 1984 [zit. nach: D. Eribon, Michel Foucault, a.a.O., S. 400; A.d.Ü.]. 2 Frangois Ewald, Gespräch mit dem Verfasser. 3 J.-A. Miller, in: Michel Foucault, philosophe, Paris 1989; dt.: »Michel Foucault und die Psychoanalyse«, in: F. Ewald/B. Waidenfels (Hg.), Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Frankfurt/M. 1991, S. 71. 4 Pierre Nora, Gespräch mit dem Verfasser. 5 Fran§ois Ewald, Gespräch mit dem Verfasser. 6 Ebenda. 7 M. Foucault, La Volonte de savoir, Paris 1976; dt.: Der Wille zum Wissen, Frank furt/M. 1977, S. 88. 8 Ebenda, S. 23. 9 Ebenda, S. 21. 10 H.-L. Dreyfus/P. Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Her meneutik, a. a. O., S. 163. 11 Ebenda, S. 170. 12 M. Foucault, Der Wille zum Wissen, a.a.O., S. 164 [Übersetzung berichtigt, A.d.Ü.]. 13 H.-L. Dreyfus/P. Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Her meneutik, a. a. O., S. 217 [Übersetzung in Angleichung an den frz. Wortlaut modifi ziert, A.d.Ü.]. 14 »Demnächst erscheinen: 2. Fleisch und Körper; 3. Der Kinderkreuzzug; 4. Die Frau, die Mutter und die Hysterikerin; 5. Die Perversen; 6. Populationen und Rasse.« 15 M. Foucault, in: Le Nouvel Observateur, 12. März 1977. 16 Angaben von Pierre Nora. Erinnern wir zum Vergleich an die Auflagen im Erschei nungsjahr der ^rcÄiio/ogie i/e5 Wissens 1969: 11000, und von Überwachen und Stra fen 1975: 8000 und 20000 Exemplare.
598
Anmerkungen zu S. 417-428
17 J.-P. Aron/R. Kempf, Le Penis ou la Demoralisation de l'Occident, Paris 1977; dt.: Der sittliche Verfall. Bourgeoisie und Sexualität in Frankreich, Frankfurt/M. 1982. 18 J. Baudrillard, Oublier Foucault, Paris 1977; dt.: Foucault vergessen, Frankfurt/M. 1982. 19 M. Foucault, zit. nach: D. Eribon, Michel Foucault, a.a.O., S. 394. 20 Ebenda, S. 395. 21 D. Defert, France-Culture, 7. JuH 1988. 22 R Veyne, France-Culture, 2. JuU 1988. 23 M. Foucault, in: Les Nouvelles litteraires, Gespräch, 8. Juni 1984. 24 M. Foucault, L'usage des plaisirs, Paris 1984; dt.: Der Gebrauch der Lüste, Frank furt/M. 1989, S. 15. 25 Ebenda, S. 9. 26 Ebenda, S. 18. 27 Ebenda, S. 21. 28 C. Jambet, France-Culture, 7. JuH 1988. 29 M. Foucault, »Das Subjekt und die Macht«, in: H.-L. Dreyfus/P. Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, a.a.O., S. 243. 30 M. Foucault, in: Liberation, 30. Mai 1981. 31 P. Macherey, »A quoi pensent les philosophes«, in: Autrement, S. 92-103. 32 M. Foucault, Gespräch, in: Le Nouvel Observateur, 1. Juni 1984. 33 R. Rochlitz, »Esthetique de l'existence«, in: Michel Foucault, philosophe, a.a.O., S. 296 [in der dt. Ausgabe nicht enthalten, A.d.Ü.]. 34 M. Foucault, Der Gebrauch der Lüste, a.a.O., S. 18. 35 Ebenda, S. 110. 36 Ebenda, S. 309. 37 P. Hadot, »Überlegungen zum Begriff der >Selbstkultur<«, in: F. Ewald, B. Waiden fels (Hg.), Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, a.a.O., S. 219-228. 38 Ebenda, S. 220. 39 Ebenda, S. 226. 40 M. Daraki, »Le voyage en Grece de M. Foucault, in: Esprit, April 1985, wieder ab gedruckt in: Y. Bertherat, Traversees du XXe siecle, Paris 1988, S. 280. 41 M. Foucault, Le Souci de soi, Paris 1984; dt.: Die Sorge um sich, Frankfurt/M. 1986, S. 55. 42 Ebenda, S. 71. 43 Ebenda, S. 115. 44 Ebenda, S. 255. 45 Ebenda, S. 129.
Ein autonomes Subjekt 1 R.-A. Nisbet, La Tradition sociologique, Paris 1985; engl. Orig.: The sociological Tradition, London 1967. 2 R. Boudon/F. Bourricaud, Dictionnaire critique de la sociologie, Paris 1982, S. V. 3 R. Boudon, »Individualisme et holisme dans les sciences sociales«, in: P. Birnbaum/ J. Leca (Hg.), Sur l'individualisme. Theories et methodes, Paris 1986, S. 46.
Anmerkungen zu S. 429-437
599
4 G. Simmel, Sociologie et epistemologie, Paris 1981. 5 P. Ansart, Les Sociologies contemporaines, a. a. O., S. 89. 6 Siehe E. Goffman, Les Rites d'interaction, Paris (1967) 1974; dt.: Interaktionsri tuale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt/M. 1971. 7 P. Ansart, Les Sociologies contemporaines, a.a.O., S. 285. 8 R. Boudon, L'Ideologie ou l'Origine des idees regues, Paris 1986, S. 287. 9 Dossier »Je et Moi. Les emois du Je. Questions sur l'individualisme«, in: Espaces Temps, Nr. 37, 1988 [der Titel spielt damit, daß »emoi« (»innere Unruhe«, »Be wegtheit«) genauso klingt wie »et moi« (»und ich«), A.d.Ü.]. 10 P. Lejeune, Moi Aussi, Paris 1986, S. 33. Siehe auch: ders., Le Pacte autobiographique, Paris 1975; dt.: Der autobiographische Pakt, Frankfurt/M. 1994; ders., Je est un autre. L'autobiographie, de la litterature aux medias, Paris 1980. 11 E. Terray, Lettres ä la fugitive, Paris 1988. 12 Ebenda, S. 19. 13 Ebenda, S. 33. 14 Ebenda, S. 182. 15 P. Nora, »L'ego-histoire«, in: Le Debat, Nr. 37, November 1985, S. 118. 16 P. Nora (Hg.), Essais d'ego-histoire, Paris 1987; dt.: Leben mit der Geschichte. Vier Selbstbeschreibungen, Frankfurt/M. 1989, S. 9. 17 G. Mauger, »Mai 68 et les sciences sociales«, in: Les Cahiers de l'IHTP, Nr. 11, April 1989, CNRS, S. 91. 18 D. Bertaux, »Je et Moi, les emois du Je«, a.a.O., S. 20. Autor von: Histoires de vie ou Recits de pratiques? Methodologie de l'approche biographique en sociologie, Convention CORDES, März 1976. 19 E. Le Roy Ladurie, Histoire de France, Bd. 2, Paris 1987, S. 168. 20 M. Ferro, Petain, Paris 1987. 21 G. Duby, Guillaume le marechal, Paris 1984; dt.: Guillaume le Marechal oder der beste aller Ritter, Frankfurt/M. 1986; Y. Sassier, Hugues Capet, Paris 1987. 22 M. Ferro, »La biographie, cette handicapee de l'histoire«, in: Magazine litteraire, Nr. 264, April 1989, S. 85. 23 Ebenda, S. 86. 24 M. Auge, La Traversee du Luxembourg, Paris 1985. 25 H. Garfinkel, Studies in Ethnomethodology, London 1967. 26 Rene Lourau, Gespräch mit dem Verfasser. 27 Siehe A. Coulon, L'Ethnomethodologie, »Que sais-je?«, Paris 1987. 28 J.-B. Racine, »Geographie, etat des lieux«, in: EspacesTemps, Nr. 40-41,1989, S. 38. 29 Ebenda, S. 39. 30 C. Raffestin, ebenda, S. 30. 31 A. Touraine, L'fivolution du travail ouvrier chez Renault, Paris 1955; ders. (mit O. Ragazzi), Ouvriers d'origine agricole, Paris 1961. 32 A. Touraine, Sociologie de l'action, Paris 1965; dt.: Soziologie als Handlungswis senschaft, Darmstadt 1974, S. 9. 33 A. Touraine, Le Retour de l'acteur, Paris 1984. 34 Tzvetan Todorov, Gespräch mit dem Verfasser. 35 Alain Renaut, Gespräch mit dem Verfasser.
36 Ebenda.
600
Anmerkungen zu S. 437-447
2)7 Ebenda. 38 A. Renaut, L'£re de Tindividu, Paris 1989, S. 31. 39 Ebenda, S. 221. 40 Ebenda, S. 296. 41 Alain Renaut, Gespräch mit dem Verfasser. 42 L. Dumont, Homo hierarchicus, Le Systeme des castes et ses implications, Paris 1967; dt.: Gesellschaft in Indien. Die Soziologie des Kastenwesens, Wien 1976. 43 L. Dumont, Homo aequalis, Paris 1977. 44 G. Lipovetsky, L'£re du vide, Paris 1983. 45 L. Dumont, Essais sur l'individualisme: Une perspective anthropologique sur l'ideologie moderne, Paris 1983. 46 Ebenda, S. 46. 47 Ebenda, S. 67. 48 J. Baudrillard, Gespräch mit F. Ewald, in: Magazine litteraire, Nr. 264, April 1989, S. 19. 49 Ebenda, S. 20. 50 FranQois Wahl, Gespräch mit dem Verfasser. 51 Ebenda. 52 F. Wahl, in: Le Nouvel Observateur, 13. Juni 1986. 53 D. Anzieu, in: Les Temps modernes, Nr. 245, Oktober 1966, S. 675-715; Antwort von J.-P. Vernant: »CEdipe sans complexes«, in: Raison presente, Nr. 4, 1967, S. 320, wieder abgedruckt in: ders., CEdipe et ses mythes, Complexe (1967), S. 1-22, 1988. 54 J.-P. Vernant, Mythe et tragedie en Grece ancienne, Bd. 1, Paris (1972) 1986; ders., CEdipe et ses mythes, a. a. O., S. 8. 55 Jean-Pierre Vernant, Gespräch mit dem Verfasser. 56 J.-P. Vernant, La Mort dans les yeux, Paris 1985. 57 J.-P. Vernant, »D'une Illusion des illusions«, in: Εspaces. Journal des psychanalistes, Frühjahr 1986, S. 75-83. 58 Ebenda, S. 79. 59 Ebenda, S. 82. 60 Jacques Bouveresse, Gespräch mit dem Verfasser.
Die Rückkehr zur Historizität 1 Pierre Vilar, Gespräch mit dem Verfasser. 2 W. Propp, Les Racines historiques du conte merveilleux, Vorwort von D. Fabre und J.-C. Schmitt, Paris 1983, S. XII; dt.: Die historischen Wurzeln des Zaubermär chens, München 1974. 3 S. Auroux, La Semiotique des encyclopedistes, Paris 1979. 4 Claudine Normand, Gespräch mit dem Verfasser. 5 P. Hamon, Analyse du descriptif, Paris 1981. 6 G. Genette, Palimpsestes, Paris 1982; dt.: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt/M. 1993, S. 9. 7 Ebenda, S. 20.
Anmerkungen zu S. 447-457
601
8 G. Genette, Introduction ä l'architexte, Paris 1979; dt.: Einführung in den Architext, Stuttgart 1990. 9 Ebenda, S. 9. 10 T. Todorov, Critique de la critique, Paris 1984, S. 189. 11 Louis Hay, Gespräch mit dem Verfasser. 12 Ebenda. 13 Ebenda. 14 Ebenda. 15 L. Hay, Essais de critique genetique, Paris 1979. 16 Louis Hay, Gespräch mit dem Verfasser. 17 Ebenda. 18 A. Roche/G. Delfau, »Histoire-et-litterature: unprojet«, in: Litterature, Nr. 13, Fe bruar 1974. 19 Ebenda, S. 16. 20 G. Idt, »Pour une histoire litteraire tout de meme«, in: Poetique, Nr. 30, April 1977, S. 167-174. 21 A. Roche/G. Delfau, »Histoire-et-litterature: un projet«, a.a.O., S. 21. 22 P. Barberis, in: Le D6bat, März 1985, S. 184-186. 23 T. Billard, in: Le Monde, 8. September 1988. 24 Textes et Contextes, von C. Biet, J.-P. Brighelli und J.-L. Rispail; Perspectives et Confrontations, von X. Darcos, B. Tartayre, B. Agard, M.-F. Boireau und A. Boissinot; Litterature, hrsg. von H. Mitterand; Itineraires litteraires, hrsg. von G. Decote. 25 J.-P. BrigheUi, zit. nach: T. Billard, in: Le Monde, 8. September 1988. 26 Henri Mitterand, Gespräch mit dem Verfasser. 27 Ebenda. 28 Ebenda. 29 Ebenda. 30 Alain Boissinot, Gespräch mit dem Verfasser. 31 E. Morin, in: Communications, Nr. 18, 1972, S. 6. 32 R. Thom, Stabilite structurelle et morphogenese, Paris 1972. 33 R. Thom, Modeies mathematiques de la morphogenese, Paris 1974. 34 M. Guillaume, filoge du desordre, Paris 1978. 35 M. Guillaume, Gespräch mit dem Verfasser. 36 E. Roudinesco, La Bataille de cent ans. Histoire de la psychanalyse en France, Paris 1982. 37 Elisabeth Roudinesco, Gespräch mit dem Verfasser. 38 Ebenda. 39 Ebenda. 40 G. Mendel, La Psychanalyse revisitee, Paris 1988, S. 10. 41 F. Dosse, L'Histoire en miettes, a.a.O. 42 Annales, ESC, März-April 1988. 43 G. Duby, in: Magazine litteraire, Nr. 248, Dezember 1987. 44 Annales, ESC, November-Dezember 1989, Editorial: »Histoire et sciences sociales. Tentons l'experience«, S. 1318.
602
Anmerkungen zu S. 459-469
Der Tod der Meisterdenker 1 A. J. Greimas, zit. nach: L.-J. Calvet, Roland Barthes, a.a.O., S. 310. 2 R. Barthes, La Chambre claire. Cahiers du cinema, Paris 1980; dt.: Die helle Kam mer, Frankfurt/M. 1989, S. 85. 3 R. Pommier, Assez decode, Paris 1978. 4 M.-A. Burnier/P. Rambaud, Le Roland-Barthes sans peine, Paris 1978. 5 Ebenda, S. 17 f. 6 R. Barthes, Gespräch mit P. Brooks, in: Le Nouvel Observateur, 14. April 1980. 7 Louis-Jean Calvet, Gespräch mit dem Verfasser. 8 O. Burgelin, zit. nach: L.-J. Calvet, Roland Barthes, a.a.O., S. 362. 9 J. Lacan, Encore. Das Seminar Buch XX, Weinheim, Berlin 1986, S. 20. 10 F. Roustang, Un destin si funeste, Paris 1976, S. 41. 11 E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a.a.O., S. 636. 12 C. Melman, in: Ornicar?, Nr. 10, 1977. 13 J. Derrida, Die Postkarte, a.a.O., S. 303. 14 Jean Clavreul, Gespräch mit dem Verfasser. 15 Ebenda. 16 E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a.a.O., S. 641. 17 F. George, L'Effet 'yau de poele, Paris 1979. 18 Ebenda, S. 49. 19Ebenda, S. 48f. 20 Ebenda, S. 52. 21 Ebenda, S. 54. 22 Ebenda, S. 87. 23 R. Jaccard, in: Le Monde, 21. September 1979. 24 S. Leclaire, in: Le Monde, 2. Oktober 1979. 25 J.-R Enthoven, in: Le Nouvel Observateur, 20. Oktober 1979. 26 Ebenda. 27 S. Leclaire, 7. November 1979, in: Rompre les charmes, Paris 1977, S. 204. 28 S. Leclaire, »L'Empire des mots morts«, in: Rompre les charmes, a.a.O., S. 196. 29 J. Lacan, 15. September 1977, zit. nach: S. Leclaire, ebenda, S. 197. 30 S. Leclaire, »L'empire des mots morts«, a.a.O., S. 200. 31 Serge Leclaire, Gespräch mit dem Verfasser. 32 Jean Clavreul, Gespräch mit dem Verfasser. 33 S. Falade, zit. nach: E. Roudinesco, Histoire de la Psychanalyse, Bd. 2, a.a.O., S. 654. 34 J. Lacan, Text des Seminars vom 15. Januar 1980, veröffentlicht in: Le Monde, 26. Ja nuar 1980. 35 Unter den Unterzeichnern: Michele Montrelay, Frangois Roustang, Michel de Certeau, Claude Rabant, Xavier Audouard, Anne Levallois, Themouraz Abdoucheli, Lucien Melese und Radmilla Zygouris. 36 J.-A. Miller, zit. nach: J. Nobecourt, in: Le Monde, 11. Januar 1980. 37 E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a. a. O., S. 658. 38 L. Althusser, zit. nach: E. Roudinesco, ebenda, S. 659f. 39 E. Roudinesco, Histoire de la psychanalyse, Bd. 2, a.a.O., S. 600.
Anmerkungen zu S. 470-482
603
40 C. Delacampagne, in: Le Monde, 11. September 1981. 41 Charles Melman, Gespräch mit dem Verfasser. 42 Ebenda. 43 Joel Dor, Gespräch mit dem Verfasser. 44 Serge Leclaire, Gespräch mit dem Verfasser. 45 Moustafa Safouan, Gespräch mit dem Verfasser. 46 K.S. Karol, in: Le Nouvel Observateur, 24. November 1980. 47 Pierre Macherey, Gespräch mit dem Verfasser. 48 Ebenda. 49 Alain Touraine, Gespräch mit dem Verfasser. 50 Claudine Normand, Gespräch mit dem Verfasser. 51 A. Comte-Sponville, in: Le Monde, 24. Oktober 1990. 52 t. Balibar, £crits pour Althusser, a.a.O., S. 120f. 53 R. Maggiori, in: Liberation, 24. Oktober 1990. 54 P. Bourdieu, in: Le Monde, 27. Juni 1984. 55 S. July, in: Liberation, 26. Juni 1984. 56 Liberation, 30. Juni/1. Juh 1984. 57 J. Daniel, in: Le Nouvel Observateur, 29. Juni 1984. 58 G. Dumezil, in: Le Nouvel Observateur, 29. Juni 1984, zit. nach: D. Eribon, Michel Foucault, a.a.O., S. 477. 59 P. Nora, in: Le Nouvel Observateur, 29. Juni 1984.
Die Krise der universalistischen Modelle und der Rückzug in die Einzeldisziplinen 1 2 3 4 5
Algirdas Julien Greimas, Gespräch mit dem Verfasser. Maurice Godelier, Gespräch mit dem Verfasser. C. Meillassoux, Femmes, greniers, capitaux, Paris 1975. Ebenda, S. 77. P. Bonte, »Marxisme et anthropologie: les malheurs d'un empiriste«, in: L'Homme, Oktober-Dezember 1976. 6 A. Adler, »L'ethnomarxisme: vers un nouvel obscuratisme?«, in: L'Homme, Okto ber-Dezember 1976, S. 126. 7 A. Adler, in: L'Homme, Januar-März 1977, S. 129. 8 L'Homme, Anthropologie: etat des lieux, Paris 1986. 9 J. Pouillon, in: L'Homme, Anthropologie, a.a.O., S. 21. 10 Gradhiva, Nr. 1, 1986; Herausgeberkomitee: M. Izard, J. Jamin, M. Leiris. 11 Francine Le Bret, Gespräch mit dem Verfasser. 12 GREPH: Groupe de recherches sur l'enseignement de la philosophie (Forschungs gruppe für den Philosophieunterricht). 13 L. Pinto, Les Philosophes entre le lycee et l'avant-garde, Paris 1987, S. 157. 14 Die Statistik erstellte der Verfasser anhand der Abiturthemen. 15 Francine Le Bret, Gespräch mit dem Verfasser. 16 Ebenda. 17 S. Auroux, La Semiotique des encyclopedistes, a.a.O. Herausgeber von Band 2 der Encyclopedie philosophique universelle: Les notions philosophiques, Paris 1990.
604
18 19 20 21 22
Anmerkungen zu S. 482-493
S. Auroux, Barbarie et Philosophie, Paris 1990, S. 23. Roger-Pol Droit, Gespräch mit dem Verfasser. Pierre Ansart, Gespräch mit dem Verfasser. Ebenda. Ebenda.
Der Strukturale Naturalismus 1 Claude Levi-Strauss, Gespräch mit dem Verfasser. 2 Jean-Luc Jamard, Gespräch mit dem Verfasser. 3 C. Severi, in: Les Idees de l'anthropologie, Paris 1988, S. 131. 4 C. Levi-Strauss, »Strukturalismus und Ökologie«, in: ders.. Der Blick aus der Ferne, a.a.O., S. 169. 5 Ebenda, S. 183. 6 J.-L. Jamard, »Parmenide, Heraclite et l'anthropologie franςaise«, in: Gradhiva, Nr. 7, Winter 1989, S. 48. 7 J. Petitot-Cocorda, Morphogenese du sens, Bd. 1: Pour un schematisme de la structure, Paris 1985. 8 C. Levi-Strauss, »Rasse und Kultur«, in: ders.. Der Blick aus der Ferne, a. a. O. 9 Ebenda, S. 37. 10 Vorwort, in: C. Levi-Strauss, Der Blick aus der Ferne, a.a.O., S. 14. 11 »Rasse und Kultur«, in: C. Levi-Strauss, Der Blick aus der Ferne, a.a.O., S. 46. 12 Claude Levi-Strauss, Gespräch mit dem Verfasser. 13 P.-A. Taguieff, La Force du prejuge, Paris 1988, S. 247. 14 C. Levi-Strauss, »Reflexionen über die Freiheit«, in: ders., Der Blick aus der Ferne, a.a.O., S. 405. 15 T. Todorov, Nous et les autres, a. a. O., S. 94. 16 Dan Sperber, Gespräch mit dem Verfasser. 17 D. Sperber, Le Savoir des anthropologues, Paris 1982; dt.: Das Wissen des Ethnolo gen, Frankfurt/M., New York 1989, S. 22. 18 Dan Sperber, Gespräch mit dem Verfasser. 19 Ebenda. 20 Ebenda. 21 Ebenda. 22 D. Sperber, Das Wissen des Ethnologen, a.a.O., S. 139f. 23 D. Sperber, »Les sciences cognitives, les sciences sociales et le materialisme«, in: Le Debat, Nr. 47, November-Dezember 1987, S. 104. 24 Ebenda, S. 112. 25 Ebenda, S. 113. 26 L. Scubla, »Diversite des cultures et invariants transculturels«, in: La Revue du MAUSS, Nr. 1, 3. Trimester 1988, S. 105. 27 Bernard Laks, Gespräch mit dem Verfasser. 28 Nicolas Ruwet, Gespräch mit dem Verfasser. 29 J.-P. Dupuy, Ordres et desordres. Essai sur un nouveau paradigme, Paris 1982. 30 J.-P. Dupuy, in: G. Pessis-Pasternak, Faut-il bruler Descartes?, Paris 1991, S. 107.
Anmerkungen zu S. 493-504
605
31 Ebenda, S. 113. 32 Jean-Marie Domenach, Gespräch mit dem Verfasser. 33 Ebenda. 34 Ebenda. 35 Ebenda. 36 Ebenda. 37 Joelle Proust, Gespräch mit dem Verfasser. 38 Ebenda. 39 Ebenda. 40 H.L. Dreyfus, InteUigence artificielle, mythes et Umites, Paris 1984; dt.: Was Com puter nicht können: Die Grenzen künstUcher InteUigenz, Frankfurt/M. 1989. 41 J. Proust, »L'intelligence artificielle comme philosophie«, in: Le Debat, Nr. 47, No vember-Dezember 1987, S. 91. 42 J.-P. Changeux, L'Homme neuronal, Paris 1983. 43 Zit. nach: J.-F. Dortier in: Sciences humaines, Nr. 4, Juni-Juh 1989, S. 7. 44 J.-P. Changeux/A. Connes, Matiere ä pensee, Paris 1989. 45 J.-P. Changeux, L'Homme neuronal, a.a.O., S. 237. 46 Andre Green, Gespräch mit dem Verfasser. 47 J.-D. Vincent, Biologie des passions, Paris 1986. 48 J.-F. Dortier, in: Sciences humaines, Nr. 4, Juni-Juli 1989, S. 7. 49 Andre Green, Gespräch mit dem Verfasser. 50 Ebenda. 51 Ebenda.
Die Verarbeitung des Programms 1 2 3 4 5
Marc Guillaume, Gespräch mit dem Verfasser. Marcel Gauchet, Gespräch mit dem Verfasser. Ebenda. Ebenda. E. Morin, »Ce qui a change dans la vie intellectuelle frangaise«, in: Le Debat, Mai 1986, S. 72-84. 6 Jean Allouch, Gespräch mit dem Verfasser. 7 Sylvain Auroux, Gespräch mit dem Verfasser. 8 Algirdas Julien Greimas, Gespräch mit dem Verfasser. 9 Paul Valadier, Gespräch mit dem Verfasser. 10 Ebenda. 11 L. Panier, ficriture, foi, revelation: le Statut de l'ficriture dans la revelation, Lyon 1973; ders., Recit et commentaires de la tentation du Christ au desert: approche semiotique du discours interpretatif, Paris 1974. 12 J. Meunier, »Les reussites et les patiences de Claude Levi-Strauss«, in: Le Monde, 27. Mai 1983. 13 F. Heritier-Auge, L'Exercice de la parente, Paris 1981. 14 F. Heritier-Auge, Legon inaugurale au College de France, Paris 1984, S. 30. 15 Ebenda, S. 32.
606
Anmerkungen zu S. 505-515
16 Frangoise Heritier-Auge, Gespräch mit dem Verfasser. 17 Ebenda. 18 Ebenda. 19 Ebenda. 20 Ebenda. 21 Ebenda. 22 Ebenda. 23 Ebenda. 24 R Descola, La Nature domestique, Paris 1986. 25 Philippe Descola, Gespräch mit dem Verfasser. 26 Ebenda. 27 P. Hamon, Introduction ä l'analyse du descriptif, a. a. O., S. 7. 28 Ebenda, S. 9. 29 Ebenda, S. 20. 30 N. Ruwet, »R. Jakobson, Linguistique et Poetique, vingt-cinq ans apres«, in: M. Dominicy, Les Souci des apparences, Brüssel 1989, S. 12. 31 R. Jakobson, »Linguistique et Poetique«, in: ders., Essais de linguistique generale, Paris 1963, S. 218, dt.: »Linguistik und Poetik«, in: Poetik: ausgewählte Aufsätze 1921-1971, Frankfurt/M. 1979, S. 83-121, hier S. 92. 32 N. Ruwet, »R. Jakobson, Linguistique et Poetique, vingt-cinq ans apres«, a.a.O., S. 14. 33 Ebenda, S. 18. 34 Marc Vernet, Gespräch mit dem Verfasser. 35 Ebenda. 36 Ebenda. 37 Ebenda. 38 C. Metz, Gespräch mit D. Percheron und M. Vernet, a.a.O., S. 37. 39 Ebenda, S. 40. 40 Das Foucault-Archiv befindet sich in der Bibliotheque du Saulchoir, 43 bis, rue de la Glaciere, 75013 Paris. 41 Michel Foucault philosophe, Paris 1989; dt. (Teilausgabe): F. Ewald (Hg.), Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Frankfurt/M. 1991. 42 F. Ewald, L'fitat-Providence, Paris 1986. 43 Frangois Ewald, Gespräch mit dem Verfasser. 44 Ebenda. 45 Ebenda. 46 Ebenda. 47 Ebenda. 48 Siehe Bd. 1: Das Feld des Zeichens. 49 G. Gaston-Granger, Legon inaugurale au College de France, 6. März 1987, S. 7. 50 Ebenda, S. 14. 51 Ebenda, S. 15. 52 Ebenda, S. 16. 53 Jean-Marie Benoist, Gespräch mit dem Verfasser. 54 J.-M. Benoist, Les Outils de ia liberte, Paris 1985; dt.: Die Werkzeuge der Freiheit: von der MögHchkeit einer liberalen PoHtik, München 1988.
Anmerkungen zu S. 516-520
607
55 Jean-Marie Benoist, Gespräch mit dem Verfasser. 56 Ebenda. 57 M. Godelier, Natur, Arbeit, Geschichte. Zu einer universalgeschichtUchen Theorie der Wirtschaftsformen, a. a. O., S. 22. 58 Ebenda, S. 40. 59 J-L. Le Moigne, La Science des systemes, science de l'artificiel, Paris 1984. 60 J. de Rosnay, Le Macroscope, Paris 1975. 61 Ebenda, S. 85. 62 L Prigogine, Gespräch, in: G. Pessis-Pasternak, Faut-il brüler Descartes?, a.a.O., S. 33. 63 Ebenda, S. 37. 64 H. Atlan, L'Organisation biologique et la theorie de l'information, Paris 1972. 65 E. Morin, Science avec conscience, Paris 1982. 66 B. dΈspagnat, Gespräch, in: G. Pessis-Pasternak, Faut-il bruler Descartes ?, a. a. O., S. 119.
Teil V: Zeit, Raum und Dialogik
Klio im Exil 1 Kostas Axelos, Gespräch mit dem Verfasser. 2 Ebenda. 3 fitienne Balibar, Gespräch mit dem Verfasser. 4 Claude Levi-Strauss, Gespräch mit dem Verfasser. 5 Serge Viderman, Gespräch mit dem Verfasser. 6 Jean Dubois, Gespräch mit dem Verfasser. 7 K. Popper, Das Elend des Historizismus, Tübingen 1987, S. XL 8 J. Lacan, Encore. Das Seminar. Buch XX, a. a. O., S. 50. 9 J. Lacan, »Die logische Zeit und die Assertion der antizipierten Gewißheit«, in: ders., Schriften III, Ölten 1980, S. 109. 10 Gennie Lemoine, Gespräch mit dem Verfasser. 11 J. Lacan, »Die logische Zeit und die Assertion der antizipierten Gewißheit«, a. a. O., S. 116. 12 A. Juranville, Lacan und die Philosophie, a. a. O., S. 561. 13 Ebenda, S. 599. 14 J. Lacan, Radiophonie. Television, a.a.O., S. 46. 15 Serge Viderman, Gespräch mit dem Verfasser. 16 Elisabeth Roudinesco, Gespräch mit dem Verfasser. 17 Rene Major, Gespräch mit dem Verfasser. 18 R. Major, »La parabole de la lettre volee«, in: ßtudes freudiennes, Nr. 30, Oktober 1987. 19 Ebenda, S. 125. 20 S. Auroux, La Semiotique des encyclopedistes, a.a.O., S. 11. 21 Ebenda, S. 17. 22 P. Tort, La Raison classificatoire, Paris 1989. 23 P. Tort, Gespräch mit Bertrand Mertz, in: Critique communiste, September 1989, S. 24. 24 Maurice Godelier, Gespräch mit dem Verfasser. 25 G. Balandier, Le Desordre. filoge du mouvement, Paris 1988. 26 P. Kourilsky, Debatte mit J.-F. Lyotard, J.-C. Pecker, J. Petitot und K. Pomian, ge führt von M. Arvonny, Ε Bott und Roger-Pol Droit, in: Le Monde, 15. April 1988. 27 G. Genette, »Poetique et histoire«, in: Figures III, Paris 1972, S. 13. 28 Ebenda, S. 17. 29 Ebenda, S. 18.
Anmerkungen zu S. 535-546
609
Eine Topo-Logik 1 G. Deleuze, »Woran erkennt man den Strukturalismus?«, in: F. Chätelet (Hg.), Ge schichte der Philosophie, Bd. VIII: Das XX. Jahrhundert, a. a. O., S. 274. 2 J. Derrida, Gespräch mit J.-L. Houdebine und Guy Scarpetta, in: ders., Positionen, a.a.O., S. 152. 3 G. Deleuze, »Woran erkennt man den Strukturalismus?«, a.a.O., S. 285. 4 Ebenda, S. 293. 5 M. Foucault, Die Ordnung der Dinge, a.a.O., S. 412. 6 M. Foucault, in: Herodote, Nr. 1, 1976, S. 71-85. 7 »Questions ä M. Foucault«, ebenda. 8 M. Foucault, ebenda. 9 M. Foucault, Naissance de la clinique, Paris (1963) 1972; dt.: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, (München 1973) Frankfurt/M. 1988, S. 9. 10 Ebenda, S. 136. 11 Ebenda, S. 206. 12 M. Foucault, Überwachen und Strafen, a.a.O., S. 241. 13 Ebenda, S. 264. 14 M. Foucault, Die Ordnung der Dinge, a.a.O., S. 28. 15 J.-R Vernant, Mythe et Pensee chez les Grecs, Bd. 1, a.a.O., S. 153. 16 R. Barthes, Sur Racine, Paris 1963, S. 11. 17 Ebenda, S. 14. 18 Ebenda, S. 30. 19 R. Barthes, »Litterature objective«, in: Critique, 1954, wieder abgedruckt in: ders., Essais critiques, a. a. O., S. 30. 20 Ebenda, S. 33. 21 C. Levi-Strauss, Tristes Tropiques, Paris 1955; dt.: Traurige Tropen, Frankfurt/M. 1978, S. 213. 22 C. Levi-Strauss, Vom Honig zur Asche, a. a. O., S. 506. 23 Ebenda, S. 255. 24 C. Levi-Strauss, »Strukturalismus und Ökologie«, in: ders.. Der Blick aus der Ferne, a. a. O., S. 184. 25 C. Levi-Strauss, Le Totemisme aujourd'hui, Paris 1962; Das Ende des Totemismus, Frankfurt/M. 1965, S. 119.
Für eine Dialogik 1 T. Todorov, Critique de la critique, a. a. O., S. 103. 2 Ebenda, S. 185. 3 F. Jacques, Difference et subjectivite, Paris 1982; L'Espace logique de l'interlocution, Paris 1985. 4 F. Jacques, »Entre conflit et dialogue?«, in: Α quoi pensent les philosophes?, in: Autrement, Nr. 102, November 1988. 5 C. Hagege, Der dialogische Mensch. Sprache — Weltbild — Gesellschaft, a.a.O., S. 10.
610
Anmerkungen zu S. 546-551
6 Ebenda, S. 312. 7 Claude Hagege, Gespräch mit dem Verfasser. 8 C. Hagege, Der dialogische Mensch, a.a.O., S. 70. 9 Ebenda, S. 135. 10 Ebenda. 11 Ebenda. 12 Ebenda, S. 244. 13 Ebenda, S. 243. 14 Ebenda, S. 290. 15 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/M. 1981; ders., Der philosophische Diskurs der Moderne, a. a. O. 16 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt/M. 1981, S. 40. 17 E. Morin, »Ce qui a change dans la vie intellectuelle frangaise«, a. a. O., S. 72-84. 18 E. Morin, von der Zeitschrift Sciences humaines veranstalteter Vortrag, Auxerre, 9. November 1991. 19 E. Morin, »Ce qui a change dans la vie intellectuelle frangaise«, a. a. O., S. 72-84. 20 P. Ricoeur, Artikel »Signe« in: Encyclopaedia universalis. Corpus, Bd. 20, 1989, S. 1075-1079. 21 G. Steiner, Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt?, München 1990. 22 Ebenda, S. 16. 23 Ebenda, S. 70.
Personenregister
Abel, Karl 62 Abeles, Marc 161, 221, 341 Ackermann, Bernhard 124 Adanson 532 Adler, Alfred 115, 478 f. Adorno, Theodor W. 265 Agassiz, Louis 532 Aglietta, Michel 352 ff., 358 ff. Alain 480 AUouch, Jean 156, 501 Althusser, Helene 471 f. Althusser, Louis 9, 26, 36, 50, 67, 100, 104, 115, 117, 124,127, 131,137 ff., 145, 148 f., 154 ff., 195 f., 204 ff., 211 ff., 222 ff., 264, 275, 284, 293, 300, 303, 321, 329, 337 f., 344, 352 ff., 357, 360, 366 f., 385, 388, 391,431,468 f., 471 ff., 500, 516, 525, 536 Amalrik, Andrei 411 Amiot, Michel 109 Andler, Daniel 493 Ansart, Pierre 170, 214, 337, 483 Anzieu, Didier 139 f., 144, 170, 441 Aragon, Louis 449 Aries, Philippe 312, 325 f. Aristoteles 81, 369, 447 Aron, Jean-Paul 325, 417 Aron, Raymond 266, 281 Arrive, Michel 239 Artaud, Antonin 34, 196, 254 Atlan, Henri 519, 526 Aubral, Frangois 333 Aubry, Jenny 471 Auge, Marc 211 f., 214, 408, 433 Äugst, Bertrand 173 Aulagnier, Piera 202 Auroux, Sylvain 267 f., 445, 482, 502, 531
Austin, John L. 56 f., 64, 70 f., 89, 369 Auzias, Jean-Marie 101 Azouvi, Alain 364 Bach, Johann Sebastian 120, 373 Bachelard, Gaston 212, 217, 223, 253, 290, 391, 402, 480, 514 f. Bachtin, Michail 74, 76, 107, 394, 396, 447,544 Backes-Clement, Catherine 118, 145,163, 201 f. Badiou, Alain 104, 158, 184, 187, 190 Balandier, Georges 28, 211, 533 BaUbar, fitienne 150,184, 208, 210, 225 f., 229, 284, 354, 366 f., 391, 473 Balibar, Renee 208 Balzac, Honore de 79 ff., 99, 143, 249 Barthes, Henriette 459 Barthes, Roland, 36, 48, 74, 77 ff., 86 f., 94, 100, 102, 110 f., 118, 132, 139, 143 ff., 148, 172, 178, 182, 193, 197, 237, 241, 251 ff., 256, 261 ff., 272, 282, 306, 362, 371, 394, 403 ff., 418, 427, 434, 453, 459 ff., 534 f., 540 f. Bartoli, Henri 363 Bataille, Georges 34,182, 195 f., 254, 455 Bataille, Laurence 156 Bataille, Sylvia 254 Baudelaire, Charles 15 Baudelot, Christian 207 f. Baudrillard, Jean 137 ff., 362, 417, 440 Baudry, Frangois 118, 185 Baudry, Jean-Louis 118 Beaud, Michel 189, 363 Beauvoir, Simone de 406 f. Beckett, Samuel 249 Beethoven, Ludwig van 148 Beiaval, Yvon 172
612
Personenregister
Bellemin-Noel, Jean 183, 194, 449 Bellour, Raymond 78, 81, 123, 126 Benoist, Jean-Marie 515 f. Bensaid, Daniel 230 f. Bentham, Jeremy 310, 315, 421, 538 Benveniste, fimile 13, 22, 60, 62 ff., 71, 74 ff., 87, 126, 172, 192, 236 f., 371, 400, 546 f. Bergson, Henri 480 Bernand, Carmen 479 Bernis, Gerard Destanne de 356 Berque, Jacques 461 Bersani, Jacques 404 Bertin, Jacques 392 f. Bertrand, Hugues 352, 360, 364 Besnier, Jean-Michel 311 Bion, Wilfried 407 Bizot, Jean-Fran§ois 334 Blanchot, Maurice 50, 141, 254 f. Bloch, Marc 279, 281, 291, 322, 325, 381 Bloomfield, Leonard 16 f., 24 Blum, Leon 168 f. Boas, Franz 16 Boissinot, Alain 453 Bonald, Vicomte de 427 Bonaparte, Marie 530 f. Bonte, Pierre 478 Borges, Jorge Luis 249 Boucher, Philippe 475 Boudon, Raymond 95, 132, 370, 428 f. Bukowski, Wladimir 331, 411 Boulez, Pierre 248, 297 Bourbaki, Nicolas 383 Bourdieu, Pierre 88 ff., 137 f., 172, 208, 215, 355, 366 ff., 474 f. Bouveresse, Jacques 67, 158, 264 f., 335, 349 f. Bouvier, Jean 325 Boyer, Robert 352, 356, 360 f., 364 Braudel, Fernand 124, 171, 279 ff., 291, 312, 319, 322, 324, 357, 391, 432 Brecht, Bertold 251 Breiich, Angelo 276 Breschnew, Leonid 410 Bresson, Frangois 119 Brochier, Hubert 273, 362 f.
Bronowski, Jacob 550 Brunet, Roger 385, 393 Buci-Glucksmann, Christine 126, 201 Burguiere, Andre 279 f. Burke, Edmund 427 Butor, Michel 248, 252 f., 257 Caille, Alain 98, 364, 377 Calvet, Louis-Jean 20, 102, 167, 461 Calvin, Johannes 440 Cambrai, Gerard de 286 Camus, Albert 249 Canguilhem, Georges 68, 109, 178, 217, 288 ff., 391, 402, 456 Carnap, Rudolf 62, 67, 70, 265 Cartry, Michel 115 Casanova, Antoine 126, 201 Castel, Robert 163, 178 f., 307, 342, 413 Castoriadis, Cornelius 142, 144 Castro, Roland 163 Cavailles, Jean 68, 109 f., 217 Cavani, Liliana 190 Certeau, Michel de 185, 322 Changeux, Jean-Pierre 495 ff. Chartier, Roger 451, 475 Chätelet, Fran§ois 101, 119 f., 128 f., 184, 302, 375, 384,388 Chaunu, Pierre 325, 391, 457 Chesneaux, Jean 70, 351 Chevaher, Jean-Claude 146, 178 ff., 182, 192 Chomsky, Noam 13 ff., 36, 69, 72, 74, 87, 105 f., 125 f., 132, 170, 180 ff., 199, 332, 368, 398, 489, 492, 509, 546 f. Chouchan, Gerard 129 Chruschtschow, Nikita 225 Cixous, Helene 181, 193, 453 Clark, Petula 373 Clastres, Pierre 115 Claval, Paul 382 Clavel, Maurice 335, 346 Clavreul, Jean 185, 187, 202, 463, 471 Cohen, Marcel 125 Cohn-Bendit, Daniel 135, 137, 337 Colombel, Jeannette 122 Comte, Auguste 427, 494, 500, 519, 525, 532
Personenregister
Comte-Sponville, Andre 204 f., 344, 473 Connes, Alain 496 Conte, Claude 471 Coquet, Jean-Claude 61, 239, 399 f. Corneille, Pierre 452 Coriat, Benjamin 352 Cortez, Hernando 396 Cotta, Michele 102 Coudray, Jean-Marie: siehe Castoriadis, Cornelius Courdesses, Lucile 168 Courtes, Joseph 276, 399 Cremant, Roger: siehe Rosset, Clement Croissant, Klaus 411 Crozier, Michel 138 Cuholi, Antoine 71 f., 162, 170 f. Daix, Pierre 123, 126 f., 159 Dali, Salvador 188, 254 Dampierre, Eric de 14 Daniel, Jean 150, 460, 475 Dante, Alighieri 185 Dantec, Jean-Pierre 334 Daraki, Maria 423 f. Darcos, Xavier 453 Darwin, Charles 295, 532 Debord, Guy 136 Debussy, Claude 120 Debray-Genette, Raymonde 449 Defert, Daniel 306, 418 Delacampagne, Christian 270, 469, 473 Delcourt, Xavier 333 Deledalle, Gerard 294 Deleuze, Gilles 78,180,184,188f., 257 ff., 262, 297, 299 f., 307, 332 f., 411, 462, 476 Delfau, Gerard 312, 450 Deloffre, Frederic 94 Delorme, Daniele 461 Delumeau, Jean 326 Demangeon, Albert 380 f. Derrida, Jacques 30 ff., 74, 78 f., 81 f., 87, 102 ff., 118,148,156,173,178,181,185, 194 ff., 200, 202, 226, 243, 256 ff., 265, 305, 331 f., 437,463,480, 525, 530,536 Desanti, Jean-Toussaint 182, 220 f. Descartes, Rene 21, 38 ff., 69, 103, 481
613
Deschamps, Jean 125 Descola, Philippe 267, 507 Descombes, Vincent 36, 265 Detienne, Marcel 276 f., 407 Digard, Jean-Pierre 479 Dolle, Jean-Paul 333 Dolto, Frangoise 467, 471 Domenach, Jean-Marie 151, 232 f., 306, 493 Dondero, Mario 249 Dostojewski, Fjodor M. 74, 76, 247, 394 Dresch, Jean 381 Dreyfus, Alfred 158 Dreyfus, Hubert L. 305, 495 Droit, Roger-Pol 145, 154, 173, 187, 332 f., 475 Dubois, Jean 23 f., 65 f., 125 f., 139, 167 ff., 178 ff., 182, 342 f. Duby, Georges 283 ff., 371, 381, 433, 457 Duchet, Claude 183, 194 Ducrot, Oswald 20, 61, 66, 69 ff., 102, 105, 160, 267, 397 Dufrenne, Mikel 126 f., 142, 144 Dugrand, Raymond 382 Dumέzil, Claude 185, 274, 371, 471, 475 Dumezil, Georges 285, 354 Dumont, Louis 439 f. Dumur, Guy 108, 129 Dupuy, Jean-Pierre 493 Durand, Jean-Louis 276, 385 Durand-Dastes, Frangois 385 Duras, Maguerite 248 Durkheim, fimile 22, 89, 92, 94, 228, 269, 281, 369, 391, 427 f., 457, 494, 519 Duvignaud, Jean 141 f., 144, 302 Eco, Umberto 451 filuard, Paul 254 Encreve, Pierre 99, 183, 368, 375 Enthoven, Jean-Paul 465 fipistemon: siehe Anzieu, Didier Espagnat, Bernard de 520 Establet, Roger 207 f., 226 Ewald, Frangois 313, 414, 475, 512 f. Fabbri, Paul 276 Fages, Jean-Baptiste 101 Falade, Solange 467
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Personenregister
Farge, Arlette 311, 313, 315 ff. Favez-Boutonier, Juliette 170 f. Faye, Jean-Pierre 198 ff., 248 Febvre, Luden 75, 274, 279, 291, 322, 325, 381, 534 Fedida, Pierre 170 Ferenczi, Thomas 375 Ferro, Marc 279, 325, 432 f. Ferry, Jules 96 Fichant, Michel 217 f. Fichte, Johann Gottlieb 400 f., 437 Finas, Lucette 182 f. Flaceliere, Robert 156 Flandrin, Jean-Louis 325 f. Flaubert, Gustave 99, 375, 449 Foerster, Heinz von 519 Foucault, Michel 6, 9, 33, 36, 38 ff., 43, 56, 58,100,103 f., 109,122 ff., 127,129, 137 f., 140, 148, 150 ff., 154 ff., 171 ff., 178 f., 182,184 f., 189,195,200 f., 216 f., 233, 254 f., 259, 265, 271, 288 ff., 332, 340, 342, 345, 347, 354 f., 364 f., 371, 388, 409 ff., 456, 462, 474 f., 480, 512 ff., 525, 535, 537 ff. FougeyroUas, Pierre 230 Fouque, Antoinette 156, 466 Fourastier, Jean 351 Frank, Manfred 164 Frege, Gottlob Friedrich Ludvv^ig 59, 67, 265,350 Freud, Sigmund 52 ff., 62 f., 67 f., 81,106, 108,112,154 ff., 171, 259, 265, 295, 347 f., 441, 456, 462, 480 f., 529 f., 540 Freund, Julien 349 Fromanger, Gerard 475 Füret, Frangois 124, 283, 319, 324, 457 Gadet, Frangoise 19, 26, 167, 169 Gagey, Jacques 170 Galilei, Galileo 131 Garfinkel, Harold 433 Gaston-Granger, Gilles 67, 244, 514 Gauchet, Marcel 340, 500 f. Gaulle, Charles de 140,163, 441, 448, 467 Genet, Jean 141, 257 Genette, Gerard 48, 107, 181, 193, 446 f., 453, 534, 545, 551
Geninasca, Jacques 239 George, Frangois 464 f. George, Pierre 381 f., 388 f. Gernet, Louis 274 f. Girard, Ren6 359 f. Glucksmann, Andre 50, 185, 333 f., 475 Godard, Jean-Luc 146 GodeHer, Maurice 124 f., 161, 208, 212 ff., 267, 280, 338, 478, 516 f., 532 Goethe, Johann Wolfgang von 404, 486 Goffman, Erving 433 Goldmann, Luden 48, 101 f., 152, 215, 368,448, 534 Goldschmidt, Victor 103, 402 Gorz, Andre 141 Goubert, Pierre 281, 324, 381 Gourou, Pierre 383 Gräbner 124 Gramsci, Antonio 215 f. Grataloup, Christian 389 Green, Andre 52, 201, 407, 497 Greimas, Algirdas Julien 66, 142 f., 145, 166, 237 ff., 388, 399 f., 453, 459, 477 Gross, Maurice 179 ff., 343, 398 Guattari, Felix 259 f., 462 Gueroult, Martial 91 f., 103, 400 ff., 514 Guibert, Bernard 361, 364 Guilbert, Louis 126, 167 Guilbert, Madeleine 313 Guilhaumou, Jacques 206 Guillaume, Marc 361, 455, 500 Habermas, Jürgen 292, 305, 548 Haby, Rene 480 Hadot, Pierre 423 Hagege, Claude 22, 61, 73, 546 ff. Halle, Maurice 17 Hamon, Philippe 162, 193, 239 f., 246, 446,508 Harris, Zellig 17, 24, 168, 181, 296 Hartog, Fran9ois 277 Haudricourt, Andre-Georges 22 Hay, Louis 448 ff. Hecaen, Henry 24 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 37, 55, 77, 221, 263, 353, 400, 438, 524, 528, 532
Personenregister
Heidegger, Martin 31 f., 35, 37, 43, 50,55, 67, 89,127,165,226,241,292,438, 528 Heine, Heinrich 448 Heinrich IL 432 Henry, Maurice 110 f., 128 Henry, Pierre 461 Herbrand, Jacques 68 Heritier-Auge, Frangoise 245, 407, 503 ff. Herzog, Philippe 354, 361 Hitler, Adolf 385 Hjelmslev, Louis 14, 41 f., 66, 113 f., 237, 241, 400 Hobbes, Thomas 307, 427, 480 Hölderhn, Friedrich 199 Holton, Gerard 515 Horkheimer, Max 265 Hugo, Victor 75 Husserl, Edmund 31 f., 43, 46, 124, 346, 550 Hyppolite, Jean 170, 205, 289, 303 Irigaray, Luce 66, 185 Jabes, Edmond 34 Jaccard, Roland 465, 475 Jacob, Fran§ois 129 Jacob, Pierre 221, 493 Jacques, Francis 71, 545 Jakobson, Roman 13 ff., 19,22,29,45, 87, 107,129,132,138,236 f., 282, 332,462, 508 f., 536, 546 Jambet, Christian 333 Janet, Pierre 481 Jankelevitch, Vladimir 205, 346 f. Jarry, Alfred 239 Jaruzelski, Wojciech 332 Jaures, Jean 391 Jeanne d'Arc 335 Jesus 462, 503 Joly, Guy 471 Joyce, James 76, 247, 449 July, Serge 475 Kafka, Franz 76, 248 Kahn, Jean-Frangois 128 Kahn, Pierre 442 Kaisergruber, David 221 Kant, Immanuel 89, 437, 495
615
Karol,K.S.472 Kartz, Saül 205, 337 Kayser, Bernard 382 Kempf, Roger 417 Kerbrat-Orecchioni, Catherine 71 Keynes, John Maynard 361 ff. Kiejman, Georges 475 Kirk, Geoffrey Stephen 276 Klein, Melanie 161 Kleisthenes 275 Klossowski, Pierre 118, 141 Kojeve, Alexandre 527 Konstantin L, der Große 440 Kopernikus, Nikolaus 295 Kouchner, Bernard 411 f. Kourilsky, Philippe 533 Kriegel, Annie 168 Kristeva, JuUa 25, 66, 74 ff., 84 ff., 107, 117 f., 146, 156, 160, 192, 197, 201, 237 f., 394, 406 f., 446, 544 Kuentz, Pierre 146,162,178,180,183,194 Kuhn, Thomas S.365, 514 Labov, WiUiam 146, 183 Labrousse, Ernest 121, 281, 312 Lacan, Jacques 14, 29, 36 f., 48, 53 ff., 58, 62 f., 82, 84, 86 f., 100,102 ff., 106,108, 110 ff., 115 ff., 127, 138, 141, 148, 152, 154 ff., 161 ff., 170 ff., 174, 184 ff., 195, 202, 219, 237, 242 f., 250, 254, 259 f., 271 ff., 335, 342, 346, 391, 413 f., 441, 456, 461 ff., 527 ff., 535 Lacan, Judith (siehe auch: Miller, Judith) 116 Lacoste, Yves 384 ff., 537 Lagache, Daniel 170 Laks, Bernard 182 f., 508 Lallement, Jerome 364 f. Lalo, Charles 120 Lang, Jack 461 Lanson, Gustave 94, 450, 534 Laon, Aldaberon de 286 Lapassade, Georges 138, 141, 147, 178 f., 216, 434 Laplanche, Jean 112, 171 Laporte, Dominique 208 Lardreau, Guy 333
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Personenregister
Las Vergnas, Raymond 178 Laurent, Jacques 375 Lautreamont, Conte de 85 Lavisse, Ernest 94, 380 Leach, Edmund 270 Lebel, Jean-Jacques 156 Le Bon, Sylvie 109 Le Bret, Francine 147, 480 f. Le Bris, Michel 129, 334 Lecanuet, Jean 441 Leclaire, Serge 179, 185 f., 201 f., 465 f., 471 Lecourt, Dominique 217, 289, 294, 300 f. Lecuyer, Bernard-Pierre 446 Leduc, Victor 118 f. Lefebvre, Henri 119, 130, 135 ff., 141, 144 Lefort, Claude 142, 144, 330 Legendre, Pierre 471 Le Goff, Jacques 279, 319, 321 Leibniz, Gottfried Wilhelm 438 Leiris, Michel 142 Lejeune, Philippe 451 Le Lannou, Maurice 389 Lenin, Wladimir Iljitsch 230, 307, 500 Leonard, Jean 313 f. Le Roy Ladurie, Emmanuel 124,178,279, 281 f., 291, 319 ff., 325, 381, 432 Levaillant, Jean 183, 449 Levi, Sylvain 60 Levinas, Emmanuel 139, 346 f. Levi-Strauss, Claude 9, 13, 19, 27 f., 43, 45 ff., 58, 92 ff., 100, 102, 105 f., 108 ff., 115,120 f., 126 ff., 132,136,138,142 ff., 161 f., 170, 200 f., 209, 211, 214, 223, 233, 237 ff., 244 f., 248, 252, 254, 260, 266 ff., 274 ff., 279 ff., 292, 344, 347, 363, 366 f., 370 f., 377, 383, 431, 438, 455, 478, 480 f., 483, 485 ff., 494 f., 503 ff., 507, 516 f., 525 f., 529, 532, 535 f., 540 ff. Levy, Benny 289 Levy, Bernard-Henri 333 f. Levy, Jacques 385 Levy, Tony 289 Lewin, Kurt 139 Lewis, John 206, 224, 233
L'Heritier, Philippe 129 Lieberman, Rolf 461 Lindon, Jerome 249 Linhart, Robert 289 Lipietz, Alain 352 ff., 358, 360 Locke, John 237 Loraux, Nicole 277, 407 Lourau, Rene 137 f., 152, 216 Lowy, Michael 231 f. Lukacs, Georg 215 Lyotard, Jean-Frangois 184, 188 Macciocchi, Maria-Antonietta 190 Macherey, Pierre 184 ff., 226, 229, 421, 471 Maggiori, Robert 474 f. Maistre, Joseph de 427 Major, Ren6 202, 529 f. Makarius, Laura 270 Makarius, Raoul 270 Maldidier, Denise 167 ff. Mallarme, Stephane 37, 85, 195, 199 Mallet, Serge 179 Mandel, Ernest 231 Mandrou, Robert 312, 316, 325 Mao Tse-Tung 186,197, 229, 333 Marcellesi, Jean-Baptiste 167 f., 183 Marcuse, Herbert 215, 361 Marie, Michel 173, 189 Marienstras, filise 510 Markow, Andrej Andrej ewitsch 18 Martin, Serge 241 Martinet, Andre 13, 21 f., 24, 61, 102, 119, 166 f., 181, 183, 546 f. Martonne, Emmanuel de 380 Marx, Karl 54, 81,98,122,138,145,154 f., 199, 204 f., 207, 212, 214 f., 217, 223 f., 230 ff., 265, 275, 330, 334, 352 f., 361, 363, 391, 473, 480 f., 516, 540 Maspero, Frangois 335, 364 Masse, Pierre 360 Masson, Andre 254 Matalon, Benjamin 446 Maupassant, Guy de 239 Mauriac, Claude 249, 307 Mauriac, Frangois 307 Mauro, TuUio de 102
Personenregister
Mauss, Marcel 269, 274 Meillassoux, Claude 208 ff., 478 Meillet, Antoine 60 Melman, Charles 272, 463, 470 Mendel, Gerard 116, 174, 339, 456 Merleau-Ponty, Maurice 31, 103 f. Metz, Christian 112, f., 161 f., 189, 280, 388, 392, 509, 511 Meyerson, Ignace 274 Michelet, Jules 321 Milhau, Jacques 122 Miller, Gerard 185 f. Miller, Jacques-Alain 104, 149, 163, 185 ff., 463, 466 ff., 470 f., 536 Miller, Judith (siehe auch: Lacan, Judith) 116, 184 f. Mistral, Jacques 352, 360 Mitterand, Henri 183, 194, 449, 452 f Mitterrand, Fran9ois 130, 461 Mondrian, Piet 248 Moniot, Henri 170 Montand, Yves 146 Montesquieu, Charles de 427 Montherland, Henri de 268 Montrelay, Michele 185, 471 Moreno, Jacob Levy 139 Morin, Edgar 90, 142, 144, 454, 493, 501, 519, 549, 550 Morin, Frangoise-Edmonde 475 Morris, Charles 62 Morsy, Zaghloul 145 Müldworf, Bernard 201 Muller, Charles 144 Nacht, Sacha 530 Nadeau, Maurice 141, 404 Nasio, Juan-David 161 Nassif, Jacques 185 Nemo, Philippe 346 Nerval, Gerard de 239, 449 Newton, Isaac 486 Nicolai, Andre 188, 338, 363 f. Nietzsche, Friedrich 51, 67, 165, 262, 265 f., 288, 292, 303, 324, 349, 404, 416, 438,475, 480 Nikolaus IL 433 Nisbet, Robert A. 427
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Nora, Pierre 317 ff., 321 f., 325, 340, 413 f., 431, 457, 475 f. Normand, Claudine 65, 167, 221, 445, 473 OUier, Claude 248 f. Ominami, Carlos 352 Orlean, Andre 359 Orty, Luis 123 Palmier, Jean-Michel 302 Panier, Louis 503 Panofsky, Erwin 129 Pareto, Vilfredo 429 Pariente, Francine 417 Pariente, Jean-Claude 71 Passeron, Jean-Claude 96, 178, 307 Pavel, Thomas 271, 296 Pecheux, Michel 216 f., 280, 391, 473 Peirce, Charles Sanders 237 f. Percheron, Daniel 162 Perrot, Michelle 170, 311 f., 315, 398 Perroux, Frangois 362 Petain, Philippe 432 f. Petitot-Cocorda, Jean 487 Peytard, Jean 201 Philipp der Schöne 286 Philonenko, Alexis 400 f. Piaget, Jean 101 f., 368, 525 Picard, Raymond 94, 391, 460 Picasso, Pablo 254 Pingaud, Bernard 196 Finget, Robert 248 f. Piaton 15, 37, 41, 44, 86, 103, 334, 402, 447, 480,545,550 Plet, Albert 389 Pleynet, Marcelin 118, 197 Pliuschtsch, Leonid 331, 411 Plutarch 425 Poe, Edgar Allan 55, 530 Poirot-Delpech, Bertrand 475 Polanyi, Karl 210 Pol Pot 331 Pommier, Rene 460 PontaHs, Jean-Bertrand 112 Popper, Karl 15, 132, 490, 526 Postal, Paul 14 Pottier, Bernard 139, 167
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Personenregister
Pouillon, Jean 144, 479 Poukntzas, Nicos 189, 215 f., 444, 473 Prevost, Claude 170 Prigogine, Ilya 455, 519 Propp, Wladimir 162, 223, 444 Prost, Antoine 167 ff. Proust, Joelle 26, 58, 402, 495 Proust, Marcel 76, 99, 247 f., 364, 375, 449 Quatrefages, Armand de 532 Quine, Willard Van Orman 265 Rabant, Claude 185 Rabelais, Frangois 75 f., Rabinow, Paul 305 Racine, Jean-Bernard 94, 434, 452 Raffestin, Claude 434 f. Rajchman, John 515 Ramstedt, G.J. 61 Ranciere, Jacques 150, 184, 226 ff., 307, 372, 378 Ratzel, Friedrich 381 Raymond, Pierre 218 Raynaud, Fernand 148 Reberioux, Madeleine 121 Recanati, Frangois 71, 493 Recanati, Michel 180 Regnault, Frangois 184 Regnier, Andre 244 Renaut, Alain 437 f., 441 Resnais, Alain 189 Revault dAUonnes, Olivier 119 f., 122 Revel, Jacques 130 f., 279, 313, 322 Reverdy, Pierre 254 Rey, Pierre-Philippe 208 Rey-Debove, Josette 160, 192, 237 Ricardou, Jean 248, 253 Richard, Jean-Pierre 179, 183 Riebet, Denis 124, 324 Ricur, Paul 65 ff. 139, 171 f., 266 f., 347 f., 397, 495, 550 f. Riviere, Pierre 315 Robbe-GriUet, Alain 248 ff., 541 Robin, Jacques 302, 549 Robin, Regine 167 f., 206, 220 f. Robrieux, Philippe 442 Roche, Anne 450
Roche, Daniel 248 Rocheblave, Anne-Marie 170 Rogers, Carl 139 Ronat, Mitsou 199 f. Rosset, Clement 148 Rosnay, Joel de 518 Roudinesco, EHsabeth 195, 456, 471, 529 Rousseau, Jean-Jacques 37, 46 f., 49, 99, 269, 375, 428 Rousset, Jean 30 Roustang, Frangois 462 ff. Roy, Claude 131 Rubel, M. 232 Rueff, Jacques 359 Ruffie, Jacques 435 Russell, Bertrand 67, 265 Ruwet, Nicolas 13 ff., 19 f., 48, 117, 180 ff., 398 f., 492, 509 Sade, Marquis de 195 f., 198 Safouan, Moustafa 102, 106, 471 Salama, Pierre 364 Sallenave, Daniele 219 f. Salmon, Jean-Marc 185 Santos, Milton 390 Sapir, J. David 16 Sarraute, Nathahe 141, 247, 249 Sartre, Jean-Paul 31, 91, 109, 140 f., 144, 154, 407, 410 f., 431, 437, 449 Sassier, Yves 433 Saussure, Ferdinand de 13, 15, 19 f., 22, 37,43 ff., 55, 58 f., 69 f., 72,78, 84,102, 124, 129, 131, 155, 238, 364, 368, 462, 492, 547 Scarpetta, Guy 54 Schalamow, Warlam 329 Schallt, Jean 442 Schleicher, Auguste 532 Schönberg, Arnold 120 Schumann, Robert 241 Scubla, Lucien 492 Searle, John R. 57 ff., 69, 71 Sebag, Lucien 13, 115 ff. Sebeok, Thomas A. 160, 192, 236 f. Seguy, Georges 337 Seneca 423 Serres, Michel 78, 148, 184
Personenregister
Seve, Luden 124 f., 201, 213 Shakespeare, William 333 Sichere, Bernard 190, 198 Signoret, Simone 412 Simatos, Christian 466 Simmel, Georg 428 f. Simon, Claude 248 f. Sindzingre, Nicole 479 Sinjawski, Andrei 410 Slakta, Dennis 169 Smith, Pierre 105 Soboul, Albert 121 Sollers, Philippe 78, 87, 118, 156, 194 ff., 248, 406 f. Solschenizyn, Alexander 329 f. Spearman, Charles Edward 132 Sperber, Dan 11 f., 102, 105, 280, 489 ff. Spencer, Herbert 532 Spinoza, Baruch 473, 525 Stalin, Josef 159, 225, 275, 329, 335, 468 Starobinski, Jean 84, 453 Stein, Conrad 202 Steiner, Georg 526, 550 f. Stengers, Isabelle 455 Strawinsky, Igor 373 SuUerot, fiveline 313 Swift, Jonathan 76 Taguieff, Pierre-Andre 488 Terray, Emmanuel 208 ff., 224, 229, 338, 430 f. Theret, Bruno 364 Thom, Rene 454, 486 f. Thomas, Jean-Paul 311 Thomas, Louis-Vincent 230 Thomas von Aquin 369 Thorez, Maurice 168 Todorov, Tzvetan 22, 48, 61, 102, 107, 160, 180 ff., 193, 394 ff., 427, 447, 453, 544 Tort, Michel 67 Tort, Patrick 532 Tostain, Rene 185
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Touraine, Alain 135 ff., 174, 435 f., 473 Tournier, Michel 247 Treguer, Michel 129 Tresmontant 153 Tricart, Jean 381 f. Triolet, Elsa 449 Trotzki, Leo 329 Trubetzkoy, Nikolaus S.13, 508 Turing, Alan 491 VachelH, General 380 Valadier, Paul 502 f. Valery, Paul 449 Vaneighem, Raoul 136 Vasse, Denis 202 Vernant, Jean-Pierre 48, 120 f., 178, 273 ff., 371, 441 ff., 533, 540 Vernet, Marc 161 f., 189, 510 f. Veyne, Paul 323 f., 418 f., 475 Viansson-Ponte, Pierre 333 Vidal de la Blache, Paul 380 ff. Vidal-Naquet, Pierre 121, 151, 277, 306 Vilar, Pierre 122 f., 220, 321 f., 444 Vincent, Jean-Didier 497 Vincent, Jean-Marie 179 Vokaire 158 Vovelle, Michel 325 Vuillemin, Jules 92, 171 Wahl, Frangois 27, 38, 102 ff., 108, 110, 171, 441 Wahl, Jean 253 Walras, Leon 273 Weber, Henri 180, 184 Weber, Max 308, 349, 369, 428 Webern, Anton 297 Weinreich, Uriel 168 Wiener, Norbert 518 Wittgenstein, Ludwig 67, 89, 158, 265, 349 f., 369, 442 Xenakis, lannis 120 Xenophon 422 Yaguello, Marina 61, 72 f., 398 Zola, fimile 449