JONNY SIVO
Gesandter der Sonne Kyra Packende Abenteuer eines Außerirdischen Wer den Wind sät, wird den Sturm ernten. G...
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JONNY SIVO
Gesandter der Sonne Kyra Packende Abenteuer eines Außerirdischen Wer den Wind sät, wird den Sturm ernten. Gewalt ist nur mit Gewalt zu besiegen. Der Autor Jonny Sivo schildert uns die Gewissenskämpfe eines Priesters, der in das irdische Sonnensystem geschickt wird, um Frieden zu stiften. Zwar stehen ihm Mittel zur Verfügung, wie sie die Wissenschaftler unseres heimatlichen Systems noch nicht erfunden haben. Aber sein Eid verpflichtet ihn, keine Waffe gegen Lebewesen zu erheben. Wird der Priester den kampflustigen Tzabern gewachsen sein? Personen: Ratoon, Kel Storr, Tormoon, Rhodra, Bo-Draka, Tarima, Runa, Pythamus, Rhasor, Rhabu,
Oberpriester auf Tyma IV Raumkapitän-Anwärter Priester aus dem Kyra-System Herrscher des Mars Gelehrter auf Mars seine Frau seine Tochter sein Freund Schleusenwärter dessen Sohn
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DAS BUCH 24. 8. 79 Heute hat mir Dr. Henderson das Buch in meine Kabine gebracht. Ich habe einen solchen Einband noch nie gesehen. Die grünlichen Metalldeckel schillern, wenn das Licht auf sie fällt. Auch die einzelnen Seiten scheinen aus Metall zu bestehen. Es könnte eine dünne Kupferfolie sein, aber man müßte das Material analysieren, um sicherzugehen. Fremdartige Schriftzeichen stehen auf den mattglänzenden Seiten. Hellblau heben sie sich vom Kupferrot der Metallblätter ab. Selbstverständlich fragte ich den Doktor sofort, wo er das Buch gefunden habe. „Auf dem Deimos“, berichtete er mir. Heute morgen leitete er eine Expedition zu diesem Marsmond. Die Kameraden stießen auf eine mit Felsbrocken übersäte Ebene. Ein großer Block schien von Menschenhand bearbeitet zu sein. Er hatte die Form einer Halbkugel und maß ungefähr drei Meter im Durchmesser. Der Doktor ließ diesen eigenartigen Stein untersuchen. Sofort stellten die Kameraden fest, daß sie ein solches Gestein noch nie gesehen hatten. Schwarz, glänzend und fugenlos ließ es sich mit keiner bekannten Art vergleichen. Swen war der Glückliche; er entdeckte die handtellergroße Vertiefung. Als er Sammy Crawford darauf aufmerksam machte, griff der sofort hinein. Im selben Augenblick kam der Stein in Bewegung. Langsam hob er sich vom Boden ab und schwebte, wie von Geisterhänden getragen, in die Höhe. Etwa fünf Meter hoch sei er gestiegen, meint der Doktor, und die anderen haben es inzwischen bestätigt. Zunächst erschraken die Kameraden und traten einige Schritte zurück. Als der Stein aber bewegungslos hängen blieb, wagten 4
sie sich wieder näher heran. Nun entdeckten sie eine quadratische Platte aus gelbem Metall, die der Stein bedeckt hatte. Genau in der Mitte der Metallplatte lag das Buch. Eigenartig, daß dieses Buch das einzige Beweisstück ist, das wir zur Erde mitnehmen werden. Wie ja aus den Eintragungen im Logbuch hervorgeht, sind wir nun über zwei Monate auf dem Mars. Unsere Expedition ist die erste, der die Landung gelungen ist. Wir fanden zahlreiche Spuren einer versunkenen Kultur. Aber unsere Geräte reichen nicht aus, um diese Schätze der Vergangenheit zu heben. Die flachen, fünfeckigen Gebäude sind von Sandschichten bedeckt, die mehrere Meter dick auf den eigentlichen Mauern lagern. Wir würden Jahre brauchen, um die Bauten freizulegen. Zwar haben wir es versucht, aber die Sandstürme arbeiten schneller als wir. Unter dem Datum 11. 8. habe ich einen solchen Sturm geschildert. Es wird uns deshalb niemand tadeln, wenn wir jetzt nur noch warten. Warten auf den Zeitpunkt, da Erde und Mars in günstige Konjunktion zu einander treten. Dann werden wir den Heimflug wagen. Den Marsmond Phobos haben wir am 19. 8. angeflogen und zwei Tage lang erforscht. Diese winzigen Himmelskörper geben uns wirklich keine Rätsel auf. Der 24. 8. war für Deimos vorgesehen. Und hier fanden die Kameraden das Buch. Wegen meines gebrochenen Beines mußte ich im Schiff bleiben, und deshalb kann ich nur niederschreiben, was mir der Doktor und die Kameraden berichtet haben. Etwas Eigenartiges passierte noch, als Sammy den Metallband aufhob. Die steinerne Halbkugel senkte sich augenblicklich auf die gelbe Platte herunter und verdeckte sie wieder. Und dann erstrahlte der Block in irisierendem Licht, das langsam in ein leuchtendes Grün überwechselte. Heller und heller wurde das Gleißen. 5
Die Kameraden und der Doktor taumelten geblendet zurück. Irgend jemand hatte „Strahlung“ gebrüllt, und nun rannte die kleine Gruppe zum Zubringerschiff zurück. Henderson sah sich noch einmal um. Gerade im richtigen Augenblick, wie er mir sagte. Der Stein zerplatzte in ein Feuerwerk von weißleuchtenden Lichtblumen. Dann war der Spuk vorbei. Stein und Platte waren verschwunden. Der Bericht des Doktors hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Lange, einige Stunden schon, sitze ich hier über dieser Eintragung und grübele. Immer wieder wandert mein Blick zu dem kleinen Buch. Haben die Marsbewohner uns eine Nachricht hinterlassen? Wird uns dieses unscheinbare Bändchen helfen, die Geheimnisse des roten Planeten zu lösen? Mein Herz klopft schneller bei diesem Gedanken. Ich nehme das Buch in die Hand. Es fühlt sich kühl und glatt an. Ich muß versuchen, die rätselhaften Zeichen zu entziffern. Sie erinnern in ihrer Form an die Schriftzeichen der Ägypter, die Hieroglyphen. Auch sie schienen einst unübersetzbar, und doch wurden sie entschlüsselt. 25. 8. 79 Elf Stunden habe ich mich intensiv mit den Zeichen befaßt. Schon erkenne ich eine gewisse Regelmäßigkeit. Ich habe verschiedene Kombinationen ausgearbeitet und sie dem kleinen E-Gehirn der Schiffszentrale vorgelegt. Im Augenblick warte ich auf die Auswertung. 28. 8. 79 Es ging schneller als gedacht. Ich muß zugeben, das Glück hat mir geholfen. Zufällig brachte ich den richtigen Ansatz gleich in der ersten Kombinationsgruppe. Dr. Henderson hat dem 6
E-Gehirn die Aufgabe gestellt, auszurechnen, wie lange ich im ungünstigsten Falle an der Übertragung gearbeitet hätte. Das E-Gehirn kam auf sieben Jahre und einige Monate. Nachdem ich den Schlüssel hatte, war die Ausarbeitung nur eine Fleißaufgabe. Jetzt ist die Übersetzung fertig. Ich habe sie, zusammen mit dem Original und einem genauen Bericht über unsere Reise, in eine Kassette aus Parma-Stahl einschmelzen lassen. Für den Fall, daß uns die Rückreise zur Erde versagt bleiben sollte, wird die Nachwelt eines Tages erfahren, was wir alle mit Staunen und Erschütterung gelesen haben. Jonny Carpenter (Chronist) Beglaubigt von: Pat. Inh. Nr. 4 Roy Chambers (Raumkapitän) Dr. med. E. Henderson (Schiffsarzt) * „Sie müssen ihr Ende geahnt haben“, flüsterte Kel Storr und legte das dünne Heft, das er aus den erstarrten Händen des Toten genommen hatte, auf den Tisch zurück. Ehrfürchtig blickte er auf die zusammengesunkene Gestalt im Raumanzug. Überraschend mußte der Tod nach dem Mann und den anderen Besatzungsmitgliedern des Raumschiffs gegriffen haben, denn der Tote saß bequem in seinem Sessel, als habe er eben nur seine Aufzeichnungen durchgelesen. 7
Dunkel gähnte ein großes Loch in der Decke der Kabine und ließ die drohende Schwärze des Weltraums, durchsetzt mit Myriaden von Sternen, erkennen. Ein kürbisgroßer Meteor hatte wahrscheinlich die Hülle des Schiffes durchschlagen. Blitzartig mußte die Katastrophe geschehen sein. Storr untersuchte den Raumanzug des Toten. Dann richtete er sich auf und nickte. Wieder einmal hatten sie eine Mannschaft gefunden, die der kosmischen Strahlung zum Opfer gefallen war. Damals, in den Pionierjähren der Raumfahrt, arbeitete man mit sehr unzulänglichen Mitteln. Die Raumanzüge isolierten die Strahlung zwar kurze Zeit, eigneten sich aber nicht für einen längeren Aufenthalt im freien Weltraum. Ein Trost nur, daß der Strahlentod plötzlich zupackte und die Pioniere der Raumfahrt keine Qualen hatten leiden müssen. Kel Storr kannte die Schwierigkeiten, die die ersten irdischen Raumpioniere einst überwinden mußten, um die tödlichen Weiten des Weltraums zu durcheilen; er las oft die historischen Überlieferungen, die von den ersten Erfolgen bei der Eroberung des Weltalls durch die Erdenmenschen berichteten. Immer wieder hatte er in der Staatsbibliothek in den alten, vergilbten Chroniken geblättert, die von den Leistungen der einstigen Forscher Zeugnis ablegten. Er, Kel Storr, wußte auch um die Geschichte der „Conquerer“, dem ersten Raumschiff, das damals den Mars erreichte. Und nun hatte er das Glück, dieses sagenhafte Flugschiff zu finden … Vor vier Monaten drückte Kel Storr noch die Schulbänke der Raumakademie. Um aber seine Ernennung zum Raumkapitän zu erhalten, mußte er erst eine raumfahrerische oder interplanetarische Tat vollbringen, wobei es seiner Wahl überlassen blieb, was er machen wollte. 8
Dieser „Befähigungsnachweis“ war gleichbedeutend mit den Dissertationen der anderen Fakultäten, beispielsweise der Mediziner oder Juristen. Nur, daß die Raumfahrer meist viel länger brauchten. Kel Storr hatte sich die Aufgabe gestellt, Einzelheiten der Planeten unseres Sonnensystems und ihrer Beziehungen untereinander zu klären, und zwar sollte das Rätsel der Geschehnisse vor dem „Tage Null“ gelöst werden. Am „Tage Null“ begann vor ungefähr dreitausend Jahren die neue irdische Zeitrechnung, nachdem an diesem Tag die gesamte Erdenmenschheit vernichtet worden war … Man schrieb damals den 12. September 1979, gerechnet nach dem alten Kalender, als dessen Ausgangspunkt man die Geburt Christi nahm. An diesem Tage verlor die Erde – ausgelöst durch ein Atomexperiment – ihre Lufthülle. Der Vorgang wickelte sich so rasch ab, daß der größte Teil der Menschheit vernichtet wurde. Nur ungefähr einige tausend Menschen überlebten die Katastrophe. Der Zufall wählte sie aus. Sie saßen im Augenblick der Explosion in U-Bahn-Zügen, arbeiteten in Bergwerken, in Atombunkern oder in anderen unterirdischen Anlagen. Sogar einige Wissenschaftler, die in einer Tiefseekugel den Meeresboden erforscht hatten, wurden gerettet. Diese Überlebenden bildeten den Grundstock der neuen Erdbevölkerung. Selbstverständlich mußten sie tief im Erdinneren hausen, denn es dauerte Jahrzehnte, ehe sich auf der Erde wieder genügend Atmosphäre gebildet hatte, um weiteres Leben auf dem Planeten zu ermöglichen. Dreitausend Jahre waren es jetzt her seit dem „Tage Null“ – und in dieser Zeitspanne hatte die sich rasch vermehrende Erdbevölkerung erneut den Weg zu den Sternen gefunden … Diese Überlegungen gingen Kel Storr durch den Kopf, als er 9
auf die leblose Gestalt Jonny Carpenters, des einstigen Chronisten der „Conquerer“, herabsah. Langsam wandte sich der junge Mann ab. Es galt, das Vermächtnis des Toten zu bergen und das Erbe der Vorfahren anzutreten. Im Tresorraum des Wracks fand sich noch die Kassette aus Parma-Stahl, in die vor dreitausend Jahren ein Mann, ein Mensch der Erde, die entdeckten Geheimnisse einer grauen Vorzeit eingeschmolzen hatte … Jetzt hielt Kel Storr die Dokumente in der Hand. Der Bericht über die damalige Marsexpedition interessierte ihn weniger, denn die Einzelheiten über diese Expedition hatte man zum größten Teil noch während des Aufenthaltes auf dem Mars nach der Erde gefunkt, so daß darüber eine fast lückenlose Aufzeichnung in den Archiven der Staatsbibliothek vorlag. Viel mehr gespannt war er auf den Inhalt des kleinen Metallfolianten, dem tatsächlich die Übersetzung Jonny Carpenters beilag. Mit unbeschreiblicher Spannung begann der angehende Raumkapitän zu lesen … Im Kyra-System Siebenundvierzig Tage und ebensoviele Nächte verbrachte ich betend und fastend am Guru-Nabu, dem Stein der Reinheit. Siebenundvierzig Tage –! Das bedeutete: siebenundvierzig Mal der sengenden Glut des Muttergestirns ausgesetzt zu sein, nur bekleidet mit der „Kybala“, dem Gewand der Suchenden. Das hieß aber auch, siebenundvierzig lange Nächte in eisiger Einsamkeit zuzubringen, ohne Bewegung, ohne auch nur den 10
Kopf zu drehen; nur bedeckt von der dünnen Kybala, deren weitmaschiger Stoff die kalten Nordwinde nicht abhält. Siebenundvierzigmal drehte sich Tyma IV – mein Heimatplanet – auf seiner elliptischen Bahn um die Sonne Kyra … und während dieser Zeit kniete ich am Fuße des gigantischen Monolithen – versunken im Gebet. Getreu dem Ritus, den der 14. Grad der Tymanischen Hierarchie vorschreibt, reinigte ich meine Seele und läuterte meinen Körper, um mich auf die große Aufgabe vorzubereiten. Am achtundvierzigsten Tage, bei Sonnenaufgang, kam Ratoon zu mir in die Einsamkeit. Gütig legte mir der greise Oberpriester die welke Hand auf die Schulter. „Komm, mein Sohn, denn nun hat deine Seele den Pfad der Weisheit betreten. Jetzt bist du würdig, das Werk zu vollbringen.“ Unter unsäglichen Mühen brachte ich es fertig, meinen erschlafften Körper aufzurichten und den Blick zu dem Priester zu wenden. Purpurrot glänzte sein Umhang im Schein der Morgensonne und ließ die hagere Gestalt wie in einer Aura göttlicher Offenbarung erscheinen. Ein Schwindelgefühl durchschauerte meinen geschwächten Organismus, dem ich mich nur mit äußerster Willensanstrengung entziehen konnte. Dann aber spürte ich, wie das Fluidum seines Geistes auf mich überströmte und mir in kurzer Zeit meine alte Spannkraft zurückgab. Hatte ich wirklich siebenundvierzig tymanische Tage und Nächte am Guru-Nabu zugebracht? Ich wußte es in diesem Augenblick nicht mehr! Es war mir, als hätte ich nur kurze Zeit am Fuße des Monolithen gekauert. 11
Die hypnotischen Kräfte Ratoons ließen den Schmerz aus meinen Gliedern schwinden und vermittelten mir das Gefühl schwebender Leichtigkeit. Diese Empfindung aber mischte sich mit der Freude darüber, daß ich nun würdig war, die Hierarchie der Vereinigten Welten zu vertreten und als „Meister des 14. Grades“ die mir übertragenen Aufgaben zu lösen. „Der Rat der Auserwählten erwartet dich, mein Sohn“, vernahm ich wie aus weiter Ferne die tiefe Stimme des Oberpriesters. Leicht berührte er meinen Arm und führte mich zu einer Gleitgondel, die in der Nähe stand. Lautlos schwang sich das schlanke Fahrzeug in die Luft und trug uns schwebend über die Ebenen von Tyma IV. Wir glitten über goldfarbene Felder und dreieckig angelegte Blumenbeete, die von azurblauen Wasseradern durchzogen wurden. Nach einiger Zeit tauchten aus dem Frühnebel die Konturen einer gewaltigen Stadt auf. Der erwachende Morgen tauchte die schlanken Zinnen und Türme in rötliches Licht. Diese Stadt war Xamas, die Regierungsmetropole der Vereinigten Welten. Obgleich ich den Anblick der Hauptstadt, die jetzt aus dem Dunstschleier hervorbrach, schon oft genossen hatte, überwältigte mich der Anblick diesmal besonders; war es doch ein freudiges Ereignis, dem mich die Gleitgondel entgegentrug. Vor siebenundvierzig tymanischen Rotationen hatte mich der Gleiter auf diesem Wege hinweggetragen in die Einsamkeit, zum Stein der Reinheit. Nun kehrte ich zurück – als Geläuterter. Das reichverzierte Schwebeboot setzte sanft vor dem riesigen Sonnentempel auf. Eine unübersehbare Menschenmenge wartete mit Spannung auf unsere Ankunft. Ich erkannte unter den Harrenden die Angehörigen der ver12
schiedenen Volksgruppen. Von allen bewohnten Planeten der Vereinigten Welten waren Mitglieder gekommen, um der Amtseinführung eines Priesters des 14. Grades beizuwohnen. Hier sah man Malker – die Bewohner eines Planeten der Sonne Kaxa – mit ihren malerischen und kunstvoll geknüpften Turbanen, man bemerkte Nadrys, deren schleppende Ohrgehänge ihnen über die Schultern hingen. Tarhuner, die Menschen eines im Erkalten begriffenen Planeten hoben sich mit ihrer schwarzen Kleidung ab von den anderen Trachten, die meist freundliche Farben bevorzugten. Es war ein malerisches Bild, wie man es nicht oft in dem der Einkehr und Besinnung geweihten Xamas zu sehen bekommt. Ratoon verließ als erster die Gondel und stieg langsam die mit Mosaik ausgelegten Stufen zu dem Hauptportal des Sonnentempels empor. Ich folgte ihm mit einigem Abstand. Vor dem hohen Tor, das aus einem Stück grünschillernden Sphongs – Schieferart, die auf dem Planeten Mudra vorkommt – geschnitzt ist, hatten bereits die Priester der unteren Grade und die Abgeordneten der einzelnen Sonnensysteme Aufstellung genommen. Schlagartig verstummten die Gespräche, als sich der oberste Priester jetzt umdrehte und wie segnend die Hände hob, während ich vor dem in der Mitte des Eingangs angebrachten GuruNeba – dem Stein der Erkenntnis – niederkniete. Gewaltig klang die Stimme Platoons über den weiten Platz, tausendfach verstärkt durch die überall eingebauten Schallwerfer. Und doch hörte man aus ihr die Feierlichkeit des Augenblicks, als er sagte: „Als oberster Priester der Tymanischen Hierarchie verleihe ich dir, Bruder Tormoon, die Würden eines Patriarchen des 14. Grades und frage dich: Bist du, Tormoon, bereit, deine ganze Kraft in den Dienst deines Geburtsplaneten Tyma IV und damit 13
in den Dienst der Vereinigten Welten zu stellen? Bist du ferner bereit, die bestehenden kosmischen Gesetze zu achten und nach ihnen zu leben? Wenn du diese Fragen mit ruhigem Gewissen bejahen kannst, so sprich die Eidesformel.“ Obwohl ich nur sehr leise sprach, erschrak ich fast über die Lautstärke, mit der meine Stimme aus den Muscheln der Schallwerfer dröhnte. „Ich, Tormoon, schwöre bei dem Schöpfer des Weltalls, die herrschenden Gesetze des Kosmos zu respektieren und nach ihnen zu leben! Ich gelobe weiterhin als Priester des 14. Grades der Tymanischen Hierarchie mein Leben in den Dienst meiner Heimat Tyma IV und der Vereinigten Welten zu stellen!“ „So erhebe dich denn, mein Sohn, und empfange das Zeichen deiner Würde und deiner Macht! Nütze es weise, wie es unser Glaube befiehlt.“ Ratoon war neben mich getreten und schob den Ärmel meiner Kybala nach oben. Dann spannte er mir einen breiten Metallreif um den linken Unterarm. Kühl und fest schmiegte sich das mattgelb glänzende Material an die Haut an. Unlösbar würde der Reif jetzt mit meinem Körper verbunden sein; nur der Tod konnte die „Lhana“ – das Zeichen meiner Würde und meines Ranges – wieder vom Arm ablösen. Nur der Tod! Aber er ist für die tymanischen Priester kein Vergleichsmaßstab; denn sie sind nicht sterblich. Unter dem Jubel der Volksmenge betrat ich nach Ratoon den Tempel. Das Zentrum des runden Bauwerks bildete eine sternförmige Fläche, von der ringsherum Sitzgelegenheiten terrassenförmig nach oben strebten. Nach uns waren die anderen Priester und Delegierten in das Heiligtum getreten und verteilten sich nun auf die freien Plätze. 14
Einige von ihnen bildeten den „Rat der Auserwählten“. Schweigend warteten Ratoon und ich, bis alle Platz genommen hatten. Erwartungsvoll blickten die Mitglieder des Rats auf den greisen Oberpriester. Endlich begann er zu sprechen: „Meine Brüder! Tormoon, den jüngsten Meister des 14. Grades erwartet eine große Aufgabe. Damit ihr, Brüder, euch ein genaues Bild seiner kommenden Tätigkeit machen könnt, soll Lydros erklären, worum es geht …“ Lydros war der Chefastronom der Vereinigten Welten. Er war Meister des 15. Grades. Er hatte also die höchste Rangstufe erklommen, die ein Tymaner überhaupt erreichen konnte. Es gab nur vier Priester des 15. Grades. Diese waren Xandor, der Physiker; Asamno, der Biologe; Dhelek, der Historiker – und Lydros, der Astronom. Der hagere Wissenschaftler und Priester erhob sich und blickte langsam in die Runde, so, als wollte er jeden einzelnen einer genauen Musterung unterziehen. Dann begann er mit eintöniger und schleppender Stimme zu berichten. Jetzt würde ich also erfahren, welche Aufgabe für mich vorgesehen war. Noch wartete ich auf die Mitteilung, welches Problem ich bewältigen sollte und was mein neuer Wirkungskreis sein würde. Bisher hatte ich nur theoretische Studien treiben können. Ich hatte zwar einige Male Gelegenheit gehabt, benachbarte Planeten zu besuchen, aber ich zweifelte sehr, ob mir das viel nützen würde; denn die erste Prüfungsaufgabe, die ein neugeweihter Meister des 14. Grades vollbringen muß, verlangt meist ungeheuere physische und geistige Kräfte. Mit Spannung folgte ich also den Ausführungen von Lydros, als er erklärte: Am Rande unserer Galaxis, dort, wo die Sonnensysteme spärlicher werden und die Zwischenräume zwischen den Ge15
stirnen größer, zieht eine Sonne ihre Bahn, die in ihrer Größe ungefähr der unsrigen entspricht. Sie hat fast die Ausdehnung wie unsere Kyra. Zehn Planeten umkreisen dieses Muttergestirn. Die Suchstrahlen unserer Raumwellengeräte brachten uns nun die Kunde, daß der dritte und vierte Planet dieses Systems von menschlichen Wesen bewohnt sind – und zwar von Menschen, die uns in Aussehen und Gestalt gleichen. Während nun das Leben auf dem dritten Planeten noch im Zeichen einer gewissen Primitivität steht, haben die Bewohner des vierten die Schwelle zum Weltraum bereits überschritten. Die beiden Monde, die diesen vierten Planeten umkreisen, wurden von den Menschen schon besucht und in Besitz genommen. Der Astronom machte eine kleine Pause und fuhr sich mit beiden Händen über die Stirne. Seine Gesichtszüge zeugten von einer tiefen Nachdenklichkeit, als er wieder das Wort ergriff: „Wir konnten gewisse Anzeichen dafür feststellen, daß die Menschen jenes Systems einen Vorstoß zu dem nächstliegenden Planeten unternommen haben – also in diesem Falle zu dem dritten Planeten. Mit ihrer Technik sind sie natürlich den dort lebenden Menschen weit überlegen! Es besteht die Gefahr, daß die noch rückständigen Rassen des dritten von den technisch überlegenen Bewohnern des vierten Planeten unterdrückt oder versklavt werden. Für diese Annahme sprechen mehrere Gründe, um deren Anführung ich jetzt dich, edler Ratoon, bitten möchte.“ Mit einer kleinen Verneigung vor dem Oberpriester und einem kurzen Nicken, das wahrscheinlich mir gelten sollte, nahm Lydros wieder Platz. Jetzt würde sich zeigen, was der greise Patriarch und Philosoph zu der ganzen Angelegenheit zu sagen hatte. Ein feierlicher Ernst lag in den Mienen des Mannes, der das Geschick von neun Sonnensystemen, mit insgesamt einund16
fünfzig Planeten, davon siebenunddreißig bewohnten, in den Händen hielt. Mit einem vielsagenden Blick musterte er die Mitglieder des Rates der Auserwählten, bevor er zu sprechen begann: „Lydros hat bereits angedeutet, worum es in diesem Fall geht! Wir haben nämlich auch noch festgestellt, daß sich die Menschen dieses Planeten an den Bausteinen des Alls vergriffen haben, mit anderen Worten: sie zerstörten die Kerne der Atome! Unsere Meßgeräte registrierten Kernspaltungen größten Ausmaßes …“ Die weiteren Worte Ratoons erhöhten noch den Eindruck seiner bisherigen Ausführungen, als er leise hinzufügte: „Bei diesen Kernzertrümmerungen handelte es sich keineswegs um Laborversuche, sondern um Bombenexplosionen! Wir haben lange beobachtet, bis wir unwiderlegliche Beweise hatten, daß sie die Atome spalten – und zwar zum Zwecke der Zerstörung. Sie benutzen die den Bausteinen des Alls innewohnenden gewaltigen Energien als barbarisches Vernichtungsmittel.“ Ein minutenlanges Schweigen breitete sich in dem Tempel aus. Endlich wagte Xandor, der Physiker, eine Frage: „Und was gedenkst du zu tun, edler Ratoon?“ Jetzt mußte auch meine Frage beantwortet werden. Instinktiv fühlte ich, daß ich eine nicht geringe Rolle bei den weiteren Plänen des Oberpriesters spielen würde. Ich sollte auch gleich die Bestätigung für die Richtigkeit meiner Vermutungen erhalten, denn der Patriarch legte mir leicht die Hand auf die Schulter und meinte in seiner gütigen Art: „Tormoon, der jüngste Meister des 14. Grades, wird persönlich darüber wachen, daß die Unbesonnenen nicht mehr gegen das kosmische Gesetz verstoßen. Zu diesem Zwecke wird er sich in das gefährdete Sonnensystem begeben.“ 17
* Asamno, der Biologe, hatte mich an der Hand gefaßt und zog mich behutsam hinter sich her. Wir schritten einen langen, schnurgeraden Gang entlang, dessen Wände ein rötliches Dämmerlicht ausstrahlten. Vor wenigen Minuten hatte uns der Transportschacht tief unter die Oberfläche von Tyma IV sinken lassen. In fast schwerelosem Zustand waren unsere Körper in die Dunkelheit geglitten, bis wir am Fuße des runden Schachtes den Gang betraten. Nun standen wir also fünfundzwanzig Kilometer unter der Oberfläche meines Heimatplaneten. Endlich strahlte in der Ferne ein bläuliches Licht. Das Ende des Ganges schien nahe. Das blaue Leuchten mußte das Tor sein; das Tor zu dem „Saal der Unsterblichkeit“. Bald würde mein Leben ewig währen. Dann würde ich ebenfalls ein „Auserwählter“ sein. Ein Vorhang aus dünnen, ultramarinfarbenen Strahlen schloß den Gang ab. Hinter dieser Strahlensperre lag das Reich Asamnos, des Priesters und Auserwählten. Dort mußte auch der Raum sein, in dem der Körper eines Menschen gegen den Tod immun gemacht werden konnte. Mein Führer zog einen kleinen dreieckigen Gegenstand aus der Tasche, den er mit Daumen, Zeige- und Ringfinger an den Kanten faßte. Die Vorderseite des in allen Farben des Spektrums glitzernden Dreiecks hielt er jetzt gegen die Decke, aus der die blauen Sperrstrahlen hervorbrachen. Augenblicklich erlosch der Lichtfluß. Der Weg war frei. Der Gang weitete sich zu einem riesigen, langgestreckten Raum, dessen Seitenwände senkrecht nach oben strebten. Bunte Lichtreflexe traten aus unsichtbaren Öffnungen der 18
domartigen Decke hervor und gaben dem Saal ein festliches Gepräge. Schweigend geleitete mich der Biologe zu einem in der Mitte liegenden, wuchtigen Metallblock, dessen obere Hälfte aus seltsam glitzernden Kristallen zu bestehen schien. Eine kleine Treppe führte dort hinauf. Eigenartig hohl klang die Stimme Asamnos, als er das Schweigen brach: „Entblöße deinen Körper, Bruder Tormoon, und lege dich auf den Urstein!“ Wie im Traum legte ich die Kybala ab und erklomm die kleine Treppe, an deren Ende mich Unsterblichkeit erwarten sollte. Diesen Augenblick hatte ich immer herbeigesehnt! Viele hatten schon vor mir versucht, in den Kreis der „Auserwählten“ aufgenommen zu werden; aber nur wenigen war es gelungen, die schweren Prüfungen zu bestehen, die der Aufnahme in den 14. Grad eines Priesters der Tymanischen Hierarchie vorausgehen … Und erst in dieser Rangstufe erhielt man das Privileg in die Reihe der Unsterblichen eingegliedert zu werden. Bedächtig und langsam legte ich mich auf die kühlen Kristalle, die sofort unter dem Gewicht meines Körpers nachgaben. Ich fühlte, wie ich in die durchsichtige Masse einzusinken begann. Immer tiefer glitt mein Leib in das magische Kristallbett, bis ich plötzlich von der diamantenen Materie fast gänzlich eingeschlossen war. Asamno hatte meine Hände in metallene Klammern gefesselt, so daß ich mich nicht rühren konnte. Meine Zeigefinger berührten einen Knopf. Dies war die letzte Möglichkeit zum Rückzug. Aber ich würde den Knopf nicht drücken, das wußte ich ganz genau. Zu viel hatte ich erdulden müssen, um ein Priester des 14. Grades zu werden. Auch diese letzte Prüfung wollte ich bestehen. 19
Merkwürdigerweise konnte ich in dem gläsernen Sarg atmen, obgleich ich nicht mehr imstande war, meine Glieder zu bewegen. Meine Augen starrten gebannt auf einen leuchtenden Kreis, der sich langsam – als käme er aus der Unendlichkeit – auf mich herabsenkte. Näher und näher schwebte die seltsame Erscheinung, bis der ganze Kristallblock, in dem ich lag, eine einzige Flut weißgelben Lichtes war. Jetzt senkte sich ein Apparat auf mich herab, dessen Spitze genau auf mein Herz zielte. Ich richtete mich auf. Und die Materie des Kristallblockes schien mir keinen Widerstand entgegenzusetzen. Mit starren Augen verfolgte ich den Strahlenbeschuß. Dann fiel ich ermattet zurück. Der Kristallblock schloß mich wieder ein. Ich spürte, wie die Strahlen meinen Körper durchdrangen. Dann hatte ich den Eindruck, als würde mein Blut immer heißer und heißer, bis es plötzlich wie Feuer in den Adern brannte. Schlagartig verschwand das Phänomen wieder. Das Licht erlosch, und der Kristallblock teilte sich. Dabei gab er meine Glieder frei. Langsam wand ich mich aus der gläsernen Materie und stieg die Stufen hinunter zu Asamno, der mich erwartete. An meinem Körper konnte ich keine Veränderung feststellen. Nur mein Denken schien verwandelt, obwohl ich nicht sagen konnte, wie. Eine innere Unruhe hatte von mir Besitz ergriffen, ein Gefühl der Gleichgültigkeit beherrschte mich. „Wie fühlst du dich, Bruder Tormoon?“ fragte der Biologe interessiert, und ich merkte ihm an, daß er gespannt war auf meine Antwort. Es geschah nicht oft, daß ein Tymaner oder ein Bürger der Vereinigten Welten in die Gruppe der Unsterblichen aufgenommen wurde. „Danke“, erwiderte ich leise, und meine Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen. 20
Asamno mußte wohl die Empfindungen nach einer solchen Behandlung kennen, denn er lächelte nur leicht und erklärte: „Der Zustand der Gleichgültigkeit wird bald vorübergehen, Bruder Tormoon. Die lebensspendenden Strahlen haben deine Zellen durchdrungen. In Zukunft braucht dein Körper keine Nahrung mehr, denn die Urstrahlen – die Strahlen aus dem Kosmos – werden deinem Leib und deinem Geist die Energien liefern, die für das Leben die Voraussetzung sind. – Und nun folge mir, Bruder Tormoon, denn Ratoon möchte dich noch vor deiner Reise in das neue System sprechen.“ Wir schritten wieder durch den blauen Strahlenvorhang in den rotbeleuchteten Gang, an dessen Ende uns der Transportschacht nach oben brachte. In der Mitte des Schachtes verlor jeder Körper seine Schwerkraft. Mehr noch, er begann sogar, selbständig zu schweben, so daß wir sachte zur Oberfläche von Tyma IV zurückgetragen wurden. Durch eine Seitentür traten wir in den Tempelraum ein, in dem der Rat der Auserwählten immer noch tagte. Anscheinend hatte man uns jedoch schon erwartet, denn der Oberpriester winkte mir gleich, nach vorne zu kommen. „Mein Sohn, du bist jetzt unsterblich“, nahm er das Wort, wobei er mir die Hand auf die Schulter legte und mir tief in die Augen sah. „Erweise dich des Vertrauens würdig, das dir die Priester der Tymanischen Hierarchie und der Vereinigten Welten entgegenbrachten. Handle nach deiner Überzeugung und nach dem Glauben, dem du die Treue geschworen hast. – Und nun“, wandte er sich an die anderen Priester, „nun wollen wir unserem Bruder Tormoon das Geleit geben.“ Einmütig erhoben sich die Mitglieder des Rates der Auserwählten, die Priester der unteren Grade und die Delegierten. Schweigend folgten sie Ratoon und mir. 21
Wir traten in einen Nebenraum des Tempels, von wo aus uns ein anderer Transportschacht zu dem riesigen Observatorium trug. Dort angekommen, übernahm Lydros die weiteren Vorbereitungen, die nötig waren, um mich zu dem entfernten Sonnensystem am Rande der Galaxis zu bringen. Auf dem freien Platz vor dem gewaltigen Komplex lag eine silberglänzende Halbkugel, in deren Innerem gut fünfzig Personen Platz gefunden hätten. Durch den Eingang, der sich automatisch öffnete, traten Lydros und ich in die geräumige Halbkugel. Ich kannte bereits die Punktion dieser „Raum-Zeit-Transporter“, so daß mir der Astronom nicht mehr viel zu erklären brauchte. Allerdings entdeckte ich auch eine Neuerung in dem Apparat, die er mir erläuterte: „Durch eine besondere Vorrichtung ist es möglich, den Raum-Zeit-Transporter für ein unbewaffnetes Auge unsichtbar zu machen! Ebenso kannst du deinen Körper mit einem lichtbeugenden Energieschirm umgeben, der dich vor unerwünschten Blicken verbirgt.“ Er reichte mir einen kleinen Kristallwürfel, an dessen einer Seitenfläche ein winziger, roter Punkt aufglühte. „Wenn du diesen Kontaktpunkt mit dem Finger bedeckst, wird dein Körper ebenfalls unsichtbar werden.“ Noch einmal trat ich mit Lydros vor die Transporthalbkugel, die alle anderen Priester und Abgeordneten im Kreis umstanden. Ratoon trat vor und reichte mir die Hand. „Möge deine Mission von Erfolg gekrönt sein, mein Sohn! Unsere guten Wünsche begleiten dich.“ Ein letzter Händedruck, dann drehte ich mich um und ging in den Raum-Zeit-Transporter, der für die nächsten Monate oder Jahre – es konnten auch Jahrzehnte, Jahrhunderte werden – mein Heim sein würde. 22
Entschlossen trat ich zu dem Wähltisch und stellte den Kurs ein, nach dem mich die Flughalbkugel durch das Universum tragen würde. Das Robotgehirn verarbeitete die Angaben und erledigte die weiteren Einstellungen. Es dauerte einige Minuten, dann flammte das Reflektionszeichen auf, ein Beweis, daß der Taststrahl bereits den Kontakt mit dem gesuchten Verbindungspunkt gefunden hatte. Zum letztenmal ließ ich meinen Blick durch die Sichtscheiben wandern und musterte die erwartungsvoll dastehenden Priester und Delegierten. Dann hob ich die Augen auf zu der Sonne Kyra, die bisher den Pfad meines Lebens beleuchtet hatte. Würde mich der Glanz der anderen Sonne, unter deren Licht ich eines Tages stehen würde, ebenso erfreuen wie der Schein der Kyra? Oder würde ich Heimweh bekommen – Heimweh nach den Feldern und Wiesen, den Bäumen und Seen meiner tymanischen Heimat? Niemand konnte das im voraus sagen. Mit einer unwilligen Bewegung verscheuchte ich die trüben Gedanken und preßte den indigofarbenen Schalthebel des Auslösers nach unten. Ein schwacher Summton klang auf – dann schien sich der gesamte Raum-Zeit-Transporter in Luft aufzulösen, und mit ihm mein Körper. Meine Reise durch die Weiten des Kosmos hatte begonnen … Die Nova-Formel Langsam nahm das Innere des Raumschiffs wieder Form und Gestalt an. Auch mein Körper wurde sichtbar und materialisierte sich. 23
Der große Sprung durch die Unwirklichkeit der fünften Dimension war geglückt. – Ich trat vor die Sichtscheibe und musterte den Landeplatz. Meine Flughalbkugel lag inmitten einer ausgedehnten Steinwüste. Kalt und wenig anheimelnd erstreckte sich ein Geröllfeld vor mir. Ich hatte den fünften Planeten jenes Sonnensystems am Rande der Galaxis erreicht. Hier sollte ich meine erste Aufgabe erfüllen. Mein Blick wanderte nach oben, wo sich auf einem dunklen Nachthimmel Milliarden von Lichtpunkten abzeichneten: die Sterne. Eines dieser glänzenden Kügelchen mußte die Sonne Kyra sein, auf deren viertem Planeten ich vor kurzem die große Reise, den Flug durch Raum und Zeit, angetreten hatte. Krampfhaft unterdrückte ich das Verlangen, den Richtstrahler meines Raumfunkgeräts auf die Sonnensysteme der Vereinigten Welten zu richten und mit Ratoon oder einem der anderen Priester zu sprechen; denn ich wollte nicht, daß man mir später einmal die Aufnahme des Funkverkehrs als Schwäche auslegen würde. In meiner Eigenschaft als Meister des 14. Grades hatte ich mich nur auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Was ich hier unternahm oder unternehmen würde, um die Völker des vierten Planeten von der verbrecherischen Anwendung der Atomenergie abzubringen, war allein meine Sache. Niemand vermochte mir mehr dazwischenzureden. Meine Entschlüsse blieben allein meinem Gutdünken überlassen. Keiner konnte mir jetzt noch etwas befehlen, aber – keiner würde auch die Verantwortung zu tragen haben! Und diese Verantwortung wog schwer, schwerer, als sie ein Mann allein zu tragen imstande ist; denn auch ein „Auserwähl24
ter“, ein „Unsterblicher“, ist nur ein Mensch – ein organisches Wesen mit Fehlern und Schwächen. Selbst wenn dieser Organismus durch die Kunst einer dreihunderttausend Jahre alten Wissenschaft unsterblich gemacht wurde … Ratoon hatte gewußt, warum er mir ausgerechnet die Lösung dieses Problems als Bewährungsprobe und Beweis meines Könnens überließ. Ich schob die trüben Gedanken von mir und besann mich auf den Zweck meines Hierseins. Hinter dem Horizont machte sich bereits ein fahler Lichtschein bemerkbar, der erste Vorbote des grauenden Morgens. Bald würde ich also das Muttergestirn dieses Systems sehen, das sich hier schon mit rötlichem Leuchten ankündigte. Durch einen Blick auf die Skala meines Außenmeßgerätes stellte ich Temperatur und atmosphärische Beschaffenheit dieses Planeten fest. Zu meiner Überraschung setzte sich die Lufthülle aus annähernd denselben Bestandteilen zusammen wie die von Tyma IV. Ebenso entsprach die Dichte etwa der meines Heimatplaneten. Diese Luft mußte also gut atembar sein! Auch die Temperatur war durchaus erträglich und glich dem mittleren Wärmewert der tymanischen. Ohne zu zögern trat ich ins Freie. Obwohl ich ein Unsterblicher war, unterlag mein Körper den allgemeinen Lebensbedingungen. Ich brauchte zwar keine Nahrung zu mir zu nehmen, aber eine giftige Atmosphäre, Weltraumkälte oder sonstige unnatürliche Einflüsse konnten genauso meinen Tod herbeiführen, wie bei jedem normalen Menschen. Die Sonne hatte jetzt den Horizont erklommen und beleuchtete magisch die Szenerie. Ihre dunkelroten Strahlen zauberten glitzernde Reflexe auf die Außenhaut meines Raum-ZeitTransporters. 25
Nachdem ich einige Schritte gegangen war, stellte ich fest, daß die Anziehungskraft dieses Himmelskörpers die gleiche war wie die von Tyma IV. Ich fragte mich jetzt nur: war dieser Planet bewohnt oder unbewohnt? Die tymanischen Astronomen hatten nichts dergleichen festgestellt. Aber ich wollte ihr Urteil nicht als endgültig ansehen, denn es war immerhin möglich, daß sie verschiedene Tatsachen übersehen hatten – was ja bei der riesigen Entfernung, die zwischen den beiden Sonnensystemen liegt, durchaus zutreffen kann. Da ich hier jedoch nichts Genaueres in Erfahrung bringen konnte – ich stand ja inmitten einer endlosen Steinwüste –, beschloß, ich, mit meinem Flugapparat langsam die Oberfläche der Welteninsel abzufliegen, um dadurch vielleicht etwaige Spuren von Lebewesen zu sichten. Sicherheitshalber schaltete ich den lichtbeugenden Energieschirm ein, bevor ich die Flughalbkugel vom Boden abheben ließ. Jetzt konnte ich wenigstens nicht entdeckt werden … Ungefähr hundert Meter unter mir zog das Land vorbei. Bald kam das Ende der Wüste in Sicht. Das Gelände senkte sich etwas und ging allmählich in fruchtbares Gebiet über. Kleine Rinnsale durchzogen malerische Wiesen und Felder, die durch vereinzelte Bäume erfreulich aufgelockert wirkten. Ich verfolgte den Lauf der Bächlein, welche alle einer bestimmten Richtung zustrebten, sich vereinigten, breiter wurden – um schließlich in einen langgestreckten, klaren See zu münden. An einer Stelle, an der das Seeufer flach auslief, entdeckte ich ein weißes, kubusartiges Bauwerk, dessen schwarzes Dach in seltsamem Kontrast zu dem kalkigen Anstrich des Gemäuers stand. 26
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Ich konnte nicht sagen, warum, aber ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß dieser massive Steinwürfel bewohnt war. Entschlossen nahm ich den Flugapparat tiefer und kreiste über dem ungewöhnlichen Gesteinsblock. Nun war es mir schon möglich, Einzelheiten zu erkennen. Mir fiel auf, daß das Gebäude keine Fenster hatte – sofern man von einigen engen Schlitzen ansah, die wohl eher zur Verteidigung durch Schußwaffen dienten. Meine besondere Aufmerksamkeit fesselte ein violett glänzender Kreis, der sich scharf von der dunklen Schwärze des Flachdaches abzeichnete. Nachdem ich einige Male das rätselhafte Bauwerk umflogen hatte, entschloß ich mich zur Landung. Sanft setzte mein Raum-Zeit-Transporter, etwa hundert Meter von den weißen Mauern entfernt, auf den goldgelben Sand des Strandstreifens auf. Fest umklammerten meine Finger den kleinen Kristallwürfel, den mir Lydros beim Abschied in die Hand gedrückt hatte. Meine Zeigefinger legte sich auf den winzigen, rotglühenden Punkt an der einen Fläche des Kristallkubus. Sofort geschah die Veränderung: mein Körper wurde unsichtbar. Ich konnte plötzlich durch mich hindurchsehen! Zwar fühlte ich meine Glieder, meine Haare, meine Kleidung – aber es war – als griffen meine Hände nach fester Luft. Aus einem kleinen Fach in der Utensilienkammer des Flugapparates nahm ich eine Spezialbrille. Nun konnte ich mich selbst, und auch die Außenhaut des Schiffes, wieder sehen. So ausgerüstet trat ich ins Freie und ging auf das weiße Gebäude zu … Nirgends war eine Tür oder etwas Ähnliches zu entdecken. Jede Seite des Hauses hatte ich bereits abgesucht, ohne auch 28
nur das Geringste zu finden, was Ähnlichkeit mit einem Eingang gehabt hätte. Aber irgendwie mußte man doch in das Gebäude kommen! Mitten im Nachdenken wurde ich durch ein brummendes Geräusch gestört, das näher und näher kam. Das Brummen schien aus der Luft zu kommen. Aufmerksam blickte ich um mich. Da sah ich, wie über den See ein eigenartiges Etwas heranschwebte. Fast hatte ich den Eindruck, als käme dort eine menschliche Gestalt geflogen, die auf dem Kopf eine Art Propeller trug, der das brummende Geräusch verursachte. Der fliegende Körper nahm Richtung auf das Gebäude vor mir. Beim Näherkommen erkannte ich, daß es sich um einen der altmodischen Einmann-Flugapparate handelte, die von verschiedenen Planetenbewohnern benutzt werden, ehe sie das Geheimnis der Aufhebung der Schwerkraft ergründen. Dieses Fluggerät hier bestand nur aus einem primitiven Sitz, der an einen Motor mit Tragschraube montiert war. Der Motor mußte – natürlich ebenfalls nach tymanischen Gesichtspunkten – bereits historisch sein, denn dem Klappern nach zu urteilen schien er auf Verbrennungsbasis zu arbeiten … Überrascht verfolgte ich den Flug des Menschen, der diesen altertümlichen Tragschrauber steuerte. Die Gestalt – ich konnte das Gesicht nicht erkennen, denn der Raumanzug verhüllte es – landete auf dem Flachdach des würfelartigen Bauwerks. Kurz darauf verstummte das Motorengeräusch. Leider konnte ich von meinem Standplatz aus nicht feststellen, was sich jetzt auf dem Dach abspielte. Ich rannte deshalb zu meinem Raum-Zeit-Transporter zurück und startete, um die Vorgänge besser verfolgen zu können. – 29
Als ich jedoch die dunkle Fläche des Daches überblicken konnte, fehlte von dem geheimnisvollen Flieger jede Spur. Es schien, als habe ihn das schwarze Plateau verschluckt. Sollte hier oben der Zugang zu dem ungewöhnlichen Steinkubus sein? Dann war bestimmt in dem violettleuchtenden Kreis der Eingang zu suchen. Ich beschloß, der Sache sofort auf den Grund zu gehen. Vorsichtig ließ ich mein Fluggerät dort oben landen. Ich hatte zwar Mühe, die Transporter-Halbkugel auf der engen Fläche abzusetzen, ohne dabei auf den rätselhaften Kreis zu kommen. Nach einigen Versuchen gelang es mir jedoch, den Apparat genau in eine der vier Ecken abzusetzen, so daß zwischen der Außenhaut des Flugapparates und dem geheimnisvollen Kreis gerade noch ein Stück Zwischenraum blieb. Jetzt würde sich erweisen, ob meine Vermutung richtig war. Kurz entschlossen verließ ich die Maschine und betrat den violetten Kreis. Da geschah es auch schon: ich fuhr mit einer runden Metallscheibe wie in einem Lift nach unten. Nur wenige Sekunden dauerte die Fahrt, dann stoppte die Plattform. Heller Lichtschein blendete mich plötzlich und ließ mich für einen Augenblick meine Umgebung nicht erkennen. Nach kurzer Zeit hatte ich mich jedoch an das Licht gewöhnt und konnte feststellen, daß ich in einem mittelgroßen Raum stand. Meiner Schätzung nach konnte dieses Haus nur einen Raum haben – eben jenen, in dem ich mich augenblicklich aufhielt; denn dieses Hausinnere hatte fast dieselben Ausdehnungen wie das Äußere. Das Zimmer war angefüllt mit seltsamen Apparaten und Geräten, deren Bedeutung ich nur ahnen konnte. Eines stand dabei aber fest: es mußte ein Laboratorium oder etwas Ähnliches sein. Nun sah ich auch die Person, die vor wenigen Minuten dieses Bauwerk betreten hatte. Es war ein Mann. 30
Der Mann starrte wie entgeistert auf die leere Plattform, denn er konnte mich ja nicht sehen, da ich für ihn unsichtbar war. Ich trat leise von der Plattform herunter und stellte mich etwas zur Seite. Es war keine Sekunde zu früh, denn mit einem Kopf schütteln machte er sich an einer Schalttafel zu schaffen. Augenblicklich fuhr der Aufzug wieder nach oben. Jetzt hatte ich Gelegenheit, den Fremden näher zu betrachten. Er trug einen enganliegenden Kombinationsanzug, dessen Kopfhaube er abgenommen hatte. Er mochte etwa in meinem Alter sein. Aus dem bartlosen Gesicht blickten zwei intelligente, hellblaue Augen. Langes, blondes Haar fiel ihm in leichten Locken über die Schultern. Mit seinen schlanken Fingern drehte er nun an einem eigenartigen Gerät. Es mußte eine Art Sichtsprechapparat oder Fernseher sein, denn in der Mitte entdeckte ich einen Bildschirm. Ich hatte mich nicht getäuscht, denn diese Mattscheibe erhellte sich plötzlich und ließ das Gesicht und den Oberkörper eines älteren Mannes aufleuchten. Unverzüglich begann dieser zu sprechen. „Was hast du erreicht, Mädchen?“ – Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben! „Mädchen“ hatte er gesagt. Die Sprache, die er benutzte, war die Hauptsprache der Bewohner des vierten Planeten dieses Sonnensystems, und diese Sprache verstand ich ebenfalls. Denn es war Pflicht eines jeden tymanischen Priesters, mindestens die Hauptsprache eines jeden bewohnten Planeten zu sprechen, den die tymanischen Astronomen katalogisiert hatten. Der dritte und vierte Planet dieses Systems aber war auf den tymanischen Weltkarten längst registriert! Also mußte die schlanke Gestalt dieses Fremden hier – eine Frau sein! 31
Gespannt lauschte ich nun weiter auf die Unterhaltung. Resigniert zuckte das blonde Mädchen vor mir die Schultern und meinte zögernd: „Bis jetzt noch nichts, Vater!“ „Hast du mit Pallus gesprochen? Warum hat er sich bis heute noch nicht gemeldet?“ „Ich konnte ihn nicht mehr sprechen, Vater. Pallus ist tot!“ Ungläubiges Erstaunen malte sich in den Gesichtszügen des alten Mannes. „Tot? Wie konnte das geschehen?!“ Die Stimme des Mädchen wurde um einiges unsicherer: „Rhodra verlangte von ihm die sofortige Durchführung des Experimentes. Als er sich weigerte, ließ ihn der Wahnsinnige den Kauren vorwerfen … Pythamus sagte, er habe einen schnellen Tod gehabt …!“ Mit Entsetzen vernahm ich den Bericht des Mädchens. Bevor ich in dieses Sonnensystem gestartet war, hatte ich mir von dem „Wissensvermittler“ im Observatorium von Lydros sämtliche bekannten Einzelheiten über den dritten und vierten Planeten meines zukünftigen Arbeitsgebietes telepathisch in meinem Gehirn verankern lassen. Deshalb verstand ich auch einigermaßen den Sinn der Worte des Mädchens. Rhodra hieß der Herrscher des vierten Planeten. Die Kauren waren Riesenspinnen, welche eine gewisse Intelligenz besaßen; man hielt sie am Hofe des Herrschers als Wachtiere. Wer aber war dieser Pallus, den man den Ungeheuern vorgeworfen hatte? Ich beschloß insgeheim, der Sache auf den Grund zu gehen, denn ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß diese Angelegenheit mit meiner Aufgabe irgendwie in Zusammenhang stand. Vielleicht bot sich mir gleich hier ein günstiger Ansatzpunkt. Meine Aufmerksamkeit wurde jetzt wieder von dem Mann 32
auf dem Bildschirm in Anspruch genommen, der eine weitere Frage stellte. „Hatte Pallus noch vor seinem Tode Gelegenheit, mit irgend jemandem zu sprechen oder etwas zu hinterlassen?“ „Der letzte, mit dem er sprach, war Pythamus. Ihm gab er auch eine kleine Metallhülse und bat ihn, sie an dich weiterzugeben.“ Der Mann auf dem Sichtschirm wurde auf einmal hellwach. Alle Lethargie war aus seinen Zügen gewichen. „Hat Pythamus die Hülse noch?“ fragte er schnell. „Nein! Er gab sie mir; ich sollte sie an dich weitergeben!“ Der Vater des Mädchens dachte eine Weile nach und fragte dann eindringlich: „Weiß außer Pythamus sonst noch jemand etwas über diese Hülse?“ „Pythamus schwor mir, er wisse genau, daß Pallus sonst mit niemandem gesprochen habe!“ „Dann ist es gut“, schnaufte der Mann hörbar erleichtert auf und interessierte sich dann: „Wo hast du die Hülse augenblicklich?“ Etwas verwundert erwiderte das Mädchen: „Ich habe sie hier bei mir!“ Der Mann stieß noch mal einen erleichterten Seufzer aus, bevor er mit aller Bestimmtheit befahl: „Hör zu, Runa! Geh nicht aus dem Haus, und laß auch niemanden zu dir! Ich werde sofort nach dort kommen und die Hülse abholen. Wer auch immer dich besuchen will – lasse niemanden ins Haus! Noch etwas: beantworte keinen Anruf, ganz egal woher! Hast du verstanden?!“ „Ja, Vater! Aber …“ „Alles Weitere später! Ich starte sofort zu dir.“ Der Bildschirm wurde dunkel. Der andere Teilnehmer hatte abgeschaltet. 33
Runa hieß also das Mädchen. Da ich nun wußte, daß sie eine Frau war, wunderte mich nicht mehr die Schlankheit ihrer Erscheinung. Hätte der Kombinationsanzug nicht ihre Figur so unvorteilhaft bedeckt, wäre es mir bestimmt schon früher aufgefallen, daß Runa kein Mann sein konnte – wie ich zuerst vermutet hatte. Ich mußte jetzt vor allen Dingen versuchen, mit dieser Frau in Kontakt zu kommen. Möglichst noch vor dem Eintreffen ihres Vaters. Aber wie sollte ich das anstellen, ohne sie zu erschrecken? Soeben schlüpfte sie hinter einen Umkleidevorhang. Ich überlegte angestrengt, ob es angebracht sei, ihr zu folgen. Dann verwarf ich jedoch den Gedanken und wartete, bis sie wieder hervorkommen würde. Fast hätte ich vor Überraschung aufgeschrien, als ich sie durch den Vorhang treten sah! Sie hatte sich umgekleidet. Und nun sah ich erst richtig, daß dieses Mädchen eine Schönheit war! Sie trug ein enganliegendes, sandfarbenes Kleid, das ihre Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. Um ihre Taille spannte sich ein breiter, goldener Gürtel, der mit glitzernden Edelsteinen besetzt war. Die schlanken und zierlichen Füße steckten in perlenbesetzten Pantoffeln. Ich war zu überrascht, um im Augenblick etwas unternehmen zu können. Mein Inneres drängte jedoch auf eine Entscheidung! Kurz entschlossen drückte ich auf den Auslöseknopf meines Verwandlungswürfels. Sofort zerfiel der lichtbrechende Energieschirm und machte mich sichtbar. Langsam trat ich auf sie zu und sagte leise: „Ich grüße dich, Runa!“ Entsetzt taumelte das schöne Mädchen einige Schritte zurück 34
und starrte mich mit ihren großen Augen ängstlich an. Endlich hatte sie sich etwas gefangen und flüsterte unsicher: „Wer sind Sie – und wie kommen Sie hier herein?“ Beruhigend sprach ich auf sie ein und bat sie, keine Angst vor mir zu haben. In kurzen Worten erklärte ich ihr dann den Zweck meines Besuches in diesem Sonnensystem. Als ich mit meinem Bericht geendet hatte, herrschte eine Weile Schweigen zwischen uns. Nach einiger Zeit fragte sie zweifelnd: „Sie erwarten wohl, daß ich Ihnen diese hübsche Geschichte glaube?“ „Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben“, versicherte ich und legte meine ganze Überzeugungskraft in die Worte. „Das wird sich erst noch herausstellen müssen“, klang plötzlich eine Stimme hinter mir auf. Überrascht drehte ich mich um. Der Vater des Mädchens war unbemerkt in den Raum getreten und richtete nun einen stockähnlichen Gegenstand auf mich. Ich erkannte sofort, daß es sich dabei um einen Lähmungsstrahler handelte, der auf dem Heimatplaneten dieser Menschen häufig als Abwehrwaffe verwendet wird. Doch gegen diese Lähmungsstrahlen war mein Körper immun – eine Folge des Immortalitätsprozesses, den ich vor meiner Abreise im Labor Asamnos durchgemacht hatte. Als der Vater Runas nun einige Strahlenstöße auf mich abschoß, entlockte mir das nur ein Lächeln. Entgeistert blickte der Mann auf die Waffe in seinen Händen und versuchte noch einmal, einen Energiestoß auf mich zu jagen. Ich hatte jedoch überflüssigerweise den Auslöseknopf meines Verwandlungswürfels gedrückt und entzog mich somit seiner Sicht. Wie irrsinnig blickten die beiden Menschen im Raum umher, ohne auch nur eine Spur von mir zu sehen. 35
Schnell wechselte ich meinen Standort und fragte verbindlich: „Glauben Sie jetzt meine Geschichte?“ Doch der alte Mann wollte sich nicht geschlagen geben. Blindlings feuerte er in die Gegend, in der er mich vermutete. Nachdem ich erneut einige Schritte zur Seite getreten war, versuchte ich ihn zu überzeugen: „Warum wollen Sie mich unbedingt überwältigen? Glauben Sie denn, ich würde Sie hier so ohne weiteres den Strahler benützen lassen, wenn ich etwas Böses gegen Sie im Schilde führte? Es wäre mir doch ein leichtes, Sie zu vernichten; denn ich kann Sie dauernd sehen, während Sie nicht wissen, wo ich bin!“ Meine Worte schienen ihm das Aussichtslose seiner Lage vor Augen zu führen. Mit einer nichtachtenden Geste warf er die Waffe von sich und barg das Gesicht in den Händen. „Was wollen Sie von uns?“ stöhnte er verzweifelt und blickte scheu zwischen den Fingern hindurch um sich. Ich fühlte, daß ich von den beiden nichts mehr zu befürchten hatte und machte mich deshalb sichtbar. Erleichtert atmeten sie auf, als sie meine Gestalt wieder erkennen konnten. Langsam trat ich auf den Mann zu und bot ihm die Rechte zum Gruß. Zögernd nahm er meine Hand und drückte sie. Auch Runa reichte mir ihre schmale Hand, wobei sie mir prüfend in die Augen sah. Jetzt war es an mir, unsicher zu werden; denn als Priester der Tymanischen Hierarchie – und auch während der langen Vorbereitungszeit – hatte ich nie Gelegenheit gehabt, näher mit dem weiblichen Geschlecht in Berührung zu kommen. Deshalb war ich froh, daß mich das Mädchen jetzt bat, ihrem Vater den Zweck meiner Anwesenheit genau zu erläutern. Dadurch konnte ich meine Unsicherheit etwas überbrücken und mich zugleich wieder auf meine Aufgabe konzentrieren. Die beiden Menschen hörten mir aufmerksam zu. Als ich ge36
endet hatte, ergriff der Mann das Wort. Mit wohlklingender Stimme berichtete er: „Ich habe Vertrauen zu Ihnen – und deshalb will ich Ihnen auch unsere Geschichte erzählen. Vielleicht können Sie das Unheil abwenden, das unser Sonnensystem bedroht.“ Er führte mich zu einem kleinen Tischchen, auf dem ein Miniaturmodell dieses Systems aufgebaut war. Dann bat er mich, Platz zu nehmen. Auch Runa und er zogen sich eine Sitzgelegenheit heran. Nachdem wir alle saßen, fuhr er fort: „Mein Name ist Bo-Draka. Einst war ich der Vertraute Rhodras, des Herrschers von Tzab und Eretz. Ich war es solange, bis Rhodra eines Tages ein Auge auf Runa, meine Tochter, warf. Er wollte das heranwachsende Mädchen in die Gruppe seiner Gemahlinnen einreihen. Erst versuchte ich, ihm diesen Plan auszureden. Bald sah ich jedoch, daß es unmöglich war. Endlich ließ sich der Grausame nicht mehr länger hinhalten. Er stellte mich vor die Alternative, entweder die Einwilligung zur Heirat mit Runa zu geben, oder den Kauren vorgeworfen zu werden. Zum Schein ging ich auf sein Angebot ein. Kurz vor der angekündigten Hochzeit gelang es mir, mit meinem Kind zu fliehen. Irgendwie mußte Rhodra jedoch von der Sache Wind bekommen haben, denn als ich an dem vereinbarten Platz meine Frau abholen wollte, warteten dort bereits seine Häscher auf mich. Nur mit Mühe und Not entgingen wir den Schergen und konnten uns auf diesen Planeten durchschlagen, wo uns einige Freunde Asyl gewährten. Vergeblich suchte ich nach Tarima, meiner Frau. Endlich, nach langen Nächten bangen Wartens, gelang es mir, auf Grund meiner Beziehungen, Näheres über sie zu erfahren. Die Nachricht, die ich erhielt, raubte mir fast den Verstand. Ich erfuhr nämlich, daß sie die Stelle einnehmen mußte, die Rhodra unserer Tochter zugedacht hatte.“ 37
In den Augen des Mannes schimmerte es feucht, weil er alte Wunden wieder aufriß. Ich konnte seinen Schmerz verstehen. Die Worte Bo-Drakas bewiesen mir jedoch, daß trotz des technischen Fortschrittes, den sein Volk errungen hatte immer noch Willkür und Bosheit herrschten. Der Herrscher Rhodra gehörte offenbar zu jenem Menschentyp, vor dem Ratoon. der tymanische Oberpriester, immer gewarnt hatte und dem man nach Möglichkeit aus dem Wege gehen sollte. Aber war das so hier möglich? Ich wußte es nicht Aber eines fühlte ich genau: daß mir in diesem Sonnensystem noch allerhand Unangenehmes bevorstehen würde. Es blieb mir jedoch im Augenblick keine Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen, denn Bo-Draka erzählte weiter. „Überall mußten wir uns vor den Spitzeln des Tyrannen in acht nehmen, denn er hatte eine hohe Belohnung auf unsere Köpfe gesetzt. Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als uns ständig verborgen zu halten.“ Durch Zwischenfragen erfuhr ich nun nach und nach die ganzen Vorgänge, die sich in letzter Zeit in dem Machtbereich des grausamen Rhodra abgespielt hatten. Der Vater Runas erwies sich – obgleich er seit langem in der Emigration lebte – als Kenner der Verhältnisse und entwarf mir ein sehr realistisches Bild der Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit. Dabei ergab sich folgendes: Nachdem Bo-Draka geflohen war, wählte Rhodra einen neuen Vertrauten. Dieser war ausgerechnet Pythamus, ein Freund BoDrakas. Diese Tatsache war dem Tyrannen allerdings nicht bekannt, er hätte sonst den jungen Mann wohl kaum an diese Schlüsselstellung gesetzt. 38
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Durch Pythamus erfuhr Bo-Draka nun alles, was am Hofe Rhodras vorging. Selbst über die geheimsten Pläne des Herrschers war er stets informiert. Es war ein gefährliches Spiel, das der Freund des Emigranten spielte; er war sich vollkommen darüber im klaren, daß er bei dem geringsten Verdacht des Tyrannen ein Opfer der Kauren würde. Trotzdem hatte er das Wagnis auf sich genommen, denn auch er haßte Rhodra. Fünfmal hatte Tzab, der Heimatplanet Bo-Drakas, seine Bahn um das Muttergestirn gezogen, als der Herrscher eines Tages dem jungen Pythamus einen anderen Aufgabenkreis zuwies. Und zwar sollte er als Statthalter und Vertreter Rhodras nach Eretz, dem dritten Planeten des Systems, um dort die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Diese Versetzung paßte zwar nicht in die Pläne des jungen Mannes. Um aber keinen Verdacht aufkommen zu lassen, mußte er wohl oder übel den Befehl ausführen. Es war jedoch auch ein Vorteil dabei. Er konnte jetzt öfter mit seinem Freund Bo-Draka zusammenkommen. Unter den tzabischen Wissenschaftlern gab es einen Mann namens Pallus. Ihm gelang eines Tages die erste Kernspaltung. Hier, in diesem Sonnensystem, hatte man nämlich das Geheimnis der Raumfahrt gelöst, ehe man die Kraft des Atoms entdeckte. Die Erfindung von Pallus war deshalb eine Sensation. Rhodra richtete nun dem Wissenschaftler riesige Forschungslaboratorien und Werkstätten ein, um ihm die Weiterarbeit zu erleichtern. Das Forschungszentrum verlegte man nach dem fünften Planeten des Sonnensystems, der bis dahin unbewohnt war. Hier in der Einsamkeit von Telja – wie der Planet in der Tzabsprache genannt wurde – sollte Pallus die entdeckten Energien ausführlich studieren. 40
Auch Pallus war mit dem jungen Pythamus befreundet. Durch dessen Vermittlung durften Runa und ihr Vater in der Forscherkolonie auf Telja leben. Denn der Wissenschaftler konnte sich seine Wissenschaftler aussuchen. Außerdem durfte niemand mehr ohne besondere Erlaubnis den fünften Planeten betreten. Bo-Draka und seine Tochter waren auf Telja sicher, denn niemand auf Tzab wußte, daß die beiden Menschen hier lebten. Es gelang ihnen sogar, Tarima, die Mutter Runas, von ihrem Aufenthalt und der gelungenen Flucht zu verständigen. Obwohl sie nichts unversucht ließen, fand sich jedoch keine Gelegenheit, Tarima zu befreien. Nun saß ich also den beiden Menschen gegenüber. Der Bericht des alten Tzabers hatte mich sehr nachdenklich gestimmt. Ich fühlte aber instinktiv, daß noch etwas kommen mußte. Etwas viel Schlimmeres. – Die Schreckensnachricht ließ auch nicht lange auf sich warten, denn Bo-Draka berichtete weiter: „Pallus machte eines Tages eine Erfindung, die in ihrer Zerstörungskraft ohne Beispiel ist! Er war nämlich imstande, ganze Planeten durch die Kraft des Atoms zu zerstören. Obwohl er nichts von der teuflischen Erfindung nach Tzab meldete, mußte ihn ein Mitarbeiter an den Herrscher verraten haben, denn Pallus wurde plötzlich nach Tzab beordert, um dem Tyrannen zu berichten. Rhodra verlangte von ihm nun eine Tat, die der Wissenschaftler wegen ihrer Gefährlichkeit glatt ablehnte. Der Wahnsinnige wollte nämlich eine zweite Sonne für Tzab. Da die Durchschnittstemperatur dieses Planeten wesentlich niedriger liegt als die von Eretz – was durch den größeren Abstand vom Muttergestirn bedingt ist – wollte der geltungssüchtige Rhodra durch die Anordnung dieses Experimentes seinem Namen Unsterblichkeit verleihen.“ 41
Bo-Draka hing einen Augenblick seinen Gedanken nach, bevor er weitersprach: „Eine irrsinnige Idee hatte sich im Hirn des Tyrannen festgesetzt. Er verlangte von Pallus, dieser sollte den fünften Planeten des Systems, auf dem wir uns gerade befinden, als Trabant um Tzab ziehen lassen. Dann solle auf Telja ein Atombrand entfacht und der Planet in eine künstliche Sonne verwandelt werden. Natürlich lehnte Pallus eine Durchführung des Experimentes ab. Seine Weigerung mußte er mit dem Tode bezahlen, denn Rhodra ließ ihn kurzerhand den Kauren vorwerfen.“ Die Ausführungen Bo-Drakas hatten mich sichtlich erregt. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ein Mensch sich einen derartigen Eingriff in die göttliche Weltordnung erlauben wollte. Dieser Rhodra mußte tatsächlich ein Wahnsinniger sein, wenn er diesen Gedanken überhaupt erwägen konnte, geschweige denn, ihn sogar in die Tat umsetzen wollte. Ich mußte darüber genauestens Bescheid wissen, um das Schlimmste zu verhüten; denn ich sagte mir, daß ein Mensch vom Schlage dieses Rhodra von dieser Idee nicht so leicht abzubringen sei. Er würde unter allen Umständen versuchen, das Experiment durch einen anderen ausführen zu lassen. Ich unterbreitete deshalb dem alten Tzaber meine Befürchtungen. „Sie haben recht, Tormoon“, pflichtete er mir bei. „Diese letzte Nachricht habe ich bekommen, als ich schon auf dem Weg hierher war. Gleich nach dem Tode Pallus’ ließ Rhodra den Mitarbeiter des Ermordeten kommen, der ihn damals verraten hatte, und übertrug ihm die Ausführung des Experimentes. Kama, wie der Verräter heißt, hat jedoch die Pläne nicht – denn diese übergab Pallus kurz vor seinem Tode Pythamus, der sie Runa überließ.“ Der Sprecher machte eine bezeichnende Geste zu seiner schönen Tochter und meinte abschließend: 42
„Und diese Pläne stecken in der kleinen Metallhülse, die Runa mir übergeben sollte – was aber durch Ihr Dazwischentreten bis jetzt verhindert wurde!“ So also standen die Dinge. Ich war tatsächlich im letzten Augenblick in das gefährdete Sonnensystem gekommen. Vielleicht gelang es mir, hier helfend in das Rad der Entwicklung einzugreifen. „Was wollen Sie jetzt mit den Plänen machen?“ fragte ich den alten Mann. Er zögerte eine Weile und meinte dann: „Ich übergebe sie Ihnen! Vielleicht wendet sich dadurch noch alles zum Guten.“ Tormoon rettet Pythamus Wir umkreisten in geringer Höhe den Planeten Telja. Ich hatte den lichtbeugenden Energieschirm eingeschaltet, so daß mein Raum-Zeit-Transporter nicht gesehen werden konnte. Runa und ihren Vater hatte ich mit mir genommen, denn ich wollte die beiden Menschen keiner Gefahr mehr aussetzen. Es war ja sehr leicht möglich, daß man bereits nach ihnen suchte. Kama, der Verräter, hatte dem Herrscher bestimmt von dem Aufenthalt der beiden Gesuchten erzählt – schon, um dadurch noch mehr in der Gunst des Tyrannen zu steigen. Jetzt näherten wir uns dem Forschungszentrum von Telja, dessen Gründer nicht mehr unter den Lebenden weilte. Die kubusartigen Gebäude wurden zahlreicher. Es waren übrigens die Wohnungen, die man für die einstigen Wissenschaftler und Mitarbeiter von Pallus erbaut hatte. Bald kam ein riesiger Komplex in Sicht – die eigentlichen Laboratorien und Werkstätten. Auf dem etwas abseits vom Zentrum liegenden Raumschiff43
hafen standen eine größere Anzahl von Raumraketen verankert. Geschäftige Menschen eilten hin und her. Es hatte den Anschein, als würden diese Schiffe beladen. Bo-Draka schien dasselbe zu vermuten, denn er meinte nachdenklich: „Es sieht so aus, als würden die Forschungsstätten geräumt!“ Bo-Draka hatte wahrscheinlich nicht unrecht mit seiner Vermutung. Jedenfalls trugen die langen Fahrzeugkolonnen, die Material von den Werkhallen zu den Raumschiffen brachten, durchaus dazu bei, den gewonnenen Eindruck zu verstärken. Nachdem wir eine Zeitlang die emsig arbeitenden Menschen beobachtet hatten, wußten wir es genau: das Atomzentrum wurde geräumt! Das hieß also, Rhodra wollte das Experiment durchführen lassen. Aber war der verräterische Kama dazu überhaupt imstande? Ich teilte meine Befürchtung Bo-Draka mit, der mit mir der gleichen Ansicht war. Irgend etwas war hier im Gange. „Was schlagen Sie vor, Tormoon?“ schaltete sich Runa in unsere Unterhaltung ein. Nach einigem Nachdenken erwiderte ich: „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder begeben wir uns direkt in die Höhle des Löwen und versuchen, dort Näheres zu erfahren, oder wir besuchen unseren Pythamus, um von ihm eine Erklärung über die Räumung des Forschungszentrums zu bekommen!“ – „Dann würde ich empfehlen, erst einmal unseren Freund Pythamus zu besuchen. Er kann uns bestimmt sagen, was der Tyrann plant.“ Nun, ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Ich ließ mir den genauen Wohnsitz des Freundes beschreiben und stellte die Daten auf den Skalen meines Wähltisches ein. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann vollzog sich die Wandlung. 44
Der Raum-Zeit-Transporter, die Krönung der tymanischen Wissenschaft, versetzte unsere Körper in kurzer Zeit zu dem dritten Planeten des Sonnensystems … Wir materialisierten uns erneut und standen inmitten einer blühenden Wiese. Durch die Sichtscheiben warf ich einen Blick nach außen. Nicht weit entfernt erhoben sich in der Dämmerung die Umrisse eines Gebäudes. Das mußte der Palast des Pythamus sein – sofern meine Einstellungen richtig gewesen waren. Bo-Draka und Runa blickten ebenfalls nach draußen und bestätigten meine Vermutung. Es war tatsächlich der Wohnsitz ihres Freundes. Die beiden Menschen blickten bewundernd zu mir auf. Sie konnten es nicht fassen, daß man die für ihre Begriffe ungeheure Entfernung zwischen Telja und Eretz in dieser kurzen Zeitspanne überbrücken konnte … Nun tauchte die Frage auf, wie wir uns mit dem Statthalter in Verbindung setzen sollten. Es war nämlich nicht empfehlenswert, daß einer der beiden persönlich in das Gebäude ging, da die letzte Begegnung zwischen Runa und Pythamus schon einige Zeit zurücklag. Ich erklärte deshalb, daß ich als erster den Vizeregenten aufsuchen wolle, um mich von der Ungefährlichkeit eines Besuches zu überzeugen. Es hatte nämlich den Anschein, als müßte man bei dem wahnsinnigen Rhodra mit jeder Möglichkeit rechnen. Ihm war durchaus zuzutrauen, daß er selbst seinen Statthalter Pythamus bespitzeln ließ, oder ihn sogar schon abgesetzt hatte. Bei Rhodra war nichts unmöglich! Meine beiden Begleiter erklärten sich damit einverstanden, daß ich, unterstützt durch meine Unsichtbarkeit, als erster zu Pythamus vordringen sollte. „Nimm dieses Zeichen, dann wird er dir vertrauen, Tor45
moon“, bat mich Bo-Draka und überreichte mir ein kleines, golddurchwirktes Tüchlein, auf dem ein seltsames Wappen mit kleinen Perlen aufgestickt war. Wir hatten, da wir doch die nächste Zeit zusammen sein würden, miteinander die Zeichen der Freundschaft getauscht, so daß wir einander mit dem vertrauten Du anredeten. Nun gab es nichts mehr zu besprechen. Ich drückte den Auslöseknopf meines Verwandlungswürfels und trat ins Freie. Eine würzige Luft umgab mich. Der Planet Eretz strahlte eine Atmosphäre des Friedens aus; aber ich wußte, daß das eine Täuschung war. Denn wo Rhodra seine Hand im Spiele hatte, gab es nur Bosheit und Ungerechtigkeit. Aber konnte man wirklich nur dem Tyrannen die Schuld geben? Waren nicht alle Menschen dieses Teils der Galaxis friedlos? Ich kannte zwar nur Runa und Bo-Draka. Doch mußte ich die beiden nicht erst näher kennenlernen, um mit Bestimmtheit sagen zu können, daß sie anders waren? Unwillig schüttelte ich die trüben Gedanken ab und schritt auf das Gebäude zu. Es war ein mächtiger Flachbau, aus wuchtigen Quadern zusammengefügt. Unbehelligt passierte ich die Postenkette, die vor dem Hauptportal Aufstellung genommen hatte. Ich stieg über eine breite Marmortreppe nach oben, um in die Privatgemächer des Pythamus zu gelangen. Ein breiter Gang tat sich vor mir auf, in den links und rechts Türen einmündeten. Am Ende des Ganges sah ich eine breitere Tür. Dahinter mußte das Wohngemach des Statthalters liegen. Beim Näherkommen hörte ich Stimmengewirr. Dort schien eine erregte Debatte geführt zu werden. Leise schlich ich näher und lauschte an der Tür. Eine unangenehm krächzende Stimme sagte gerade: 46
„Mich interessieren deine Einwände nicht, Pythamus! Der Befehl unseres erhabenen Herrschers sagt eindeutig, daß ich ab heute der neue Statthalter von Eretz bin. Du aber hast dich sofort nach Tzab zu begeben und zur Verfügung des erlauchten Rhodra zu halten!“ Eine Weile herrschte Schweigen, dann sagte eine ruhige, tiefe Stimme: „Und wenn ich nicht gehe?“ Wieder krächzte die andere Stimme: „Dann haben wir Befehl, dich gewaltsam nach Tzab zu schaffen!“ Hier schien ich eben noch im rechten Augenblick gekommen zu sein. Aus der Unterhaltung ergab sich zweifellos, daß man Pythamus seines Postens entheben wollte. Wahrscheinlich hatte der Tyrann von dem doppelten Spiel des Statthalters erfahren. Nun mußte ich unbedingt eingreifen, wollte ich den jungen Tzaber vor den Saugrüsseln der Kauren retten. Leise öffnete ich die Tür und trat in den Raum. Es war ein großes, behaglich eingerichtetes Zimmer. Dicke Teppiche lagen auf dem Boden und dämpften die Schritte. Hinter einem nierenförmigen Schreibtisch saß ein Mann. Er mochte nach der Rechnung der Tzab-Menschen etwa dreißig Jahre alt sein. Aus seinem edlen, von dichtem Haar umrahmten Gesicht blickten zwei braune, intelligente Augen. Dieser Mann mußte Pythamus sein! Vor ihm saß ein brutal aussehender Kerl, der dauernd auf ihn einredete, während an der Wand drei weitere Tzaber aufmerksam das Gespräch, der beiden verfolgten, wobei sie ihre Lähmungsstrahler auf den Mann hinter dem Schreibtisch gerichtet hielten. Überrascht stierte der brutale Kerl auf die sich öffnende Tür. 47
Als er niemanden erblicken konnte, wurde er unsicher und befahl einem der Wächter nachzusehen, ob jemand auf dem Gang stünde. Augenblicklich führte der Mann den Befehl aus. Das war der günstige Zeitpunkt zum Eingreifen! Rasch trat ich hinter Pythamus, umschloß ihn mit beiden Armen, so daß er unsichtbar wurde wie ich. Erschrocken zuckte die Hand des Statthalters über die Tischplatte. Ein eigenartiges Bild! Nur die Hand war zu sehen, die nach einem kleinen Gerät griff. Vielleicht wollte Pythamus Hilfe herbeiholen, denn er streckte die Finger nach einem Apparat aus, der wie eine Nachrichtenanlage aussah. – Ich zog mich sofort zurück, denn der Mann mit der heiseren Stimme mußte gesehen haben, wie die Hand aus dem Nichts nach dem Gerät auf dem Schreibtisch griff. Mit offenem Munde saß er da. Ich machte einen zweiten Versuch, Pythamus zu retten. Ganz nahe beugte ich mich zu seinem Ohr hinunter und flüsterte: „Verhalte dich ganz ruhig, Pythamus! Bo-Draka schickt mich, dir Hilfe zu bringen. Tu, was ich dir sage. Steh auf und tritt vor den Schreibtisch!“ Wenn Pythamus überrascht war, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Ungezwungen erhob er sich und befolgte meine Anweisung. Schnell trat ich hinter ihn und preßte seinen Körper an mich, wobei ich ihm ins Ohr räumte: „Du bist jetzt unsichtbar, wie ich! Halte dich eng an mich gepreßt, dann wird dich niemand mehr sehen. Folge mir zum Ausgang. Unten warten Runa und Bo-Draka.“ Der ungeschlachte Kerl vor dem Schreibtisch starrte jetzt auf den Platz, an dem vor kurzem noch der Statthalter gestanden hatte; ungläubiges Erstaunen zeichnete sich in seinem Gesicht ab. 48
Auch die an der Wand stehenden Posten fuhren sich verblüfft über die Augen. Endlich hatte sich der Brutale von seiner Überraschung erholt und stieß einen irren Schrei aus. In diesem Augenblick kam der dritte Posten ins Zimmer gestürzt und fragte nach dem Grund des Rufes. Ihm ging es jedoch wie den anderen beiden. Auch er blickte ungläubig im Zimmer umher. „Glotzt nicht so dumm!“ fuhr sie der neue Statthalter an. „Schaut lieber, daß ihr den Flüchtenden erwischt! Wenn der Bursche entkommt, werden die Kauren an eurem Körper eine besondere Freude haben!“ Kreidebleich ließen die drei Soldaten die Drohung über sich ergehen. Sie waren unfähig, etwas zu unternehmen. Endlich faßten sie sich und rannten aus dem Zimmer, während der Abgesandte Rhodras alle Winkel des Raumes durchsuchte. Eilig zog ich Pythamus durch die offenstehende Tür, die die beiden Posten in der Eile zu schließen vergessen hatten. Der Brutale hatte in der Zwischenzeit Alarm geschlagen. Im Hause wurde es lebendig. Von überallher kamen Soldaten auf die Gänge gestürzt und fragten nach dem Grund des Alarms. Schnell machte der Ruf „Pythamus ist entflohen!“ die Runde. „Gibt es noch einen anderen Ausweg als den Haupteingang?“ flüsterte ich dem ehemaligen Statthalter ins Ohr. „Dort, durch die zweite Tür links“, gab er ebenso leise zurück. Gerade wollten wir das kurze Wegstück zurücklegen, als zwei andere Soldaten den Gang entlanggerannt kamen. Es hätte nicht viel gefehlt, dann wären sie gegen uns geprallt. Im letzten Augenblick konnte ich Pythamus an die Wand pressen. Langsam, behindert durch unsere zusammengeschlungenen Körper, erreichten wir endlich die Tür und traten ein. 49
Ein schmaler Raum tat sich vor uns auf, in dem als einziger Gegenstand eine überlebensgroße Statue auf einem runden Sockel aus weißem Marmor stand. Diese Plastik konnte nur Rhodra, den Herrscher, darstellen. Ich hatte jetzt aber keine Zeit, mich zu vergewissern, sondern fragte Pythamus, wie er denn aus dem fensterlosen Raum entkommen wolle. Der junge Mann löste sich aus meiner Umarmung und verriegelte die Tür. Dann trat er auf die Statue zu und zog den erhobenen Arm des Standbildes nach unten. Nun geschah etwas Seltsames. Die Statue verschob sich und gab unter dem Sockel einen runden Schacht frei! Rasch bat mich mein Führer, ihm in den Schacht zu folgen. Es war keine Sekunde zu früh, denn man versuchte bereits, in das Zimmer einzudringen. Eine schmale Steigleiter führte nach unten. Der Schacht wurde notdürftig von einigen elektrischen Birnen beleuchtet. 50
Als ich im Innern stand, drehte Pythamus an einem kleinen Stellrad, und ich konnte beobachten, wie sich das Standbild wieder über die Schachtöffnung schob. Nach einigen Metern Abstieg erweiterte sich der Schacht zu einem höhlenartigen Raum, von dem mehrere Seitengänge abzweigten. Ich hatte bereits während des Abstiegs meine Unsichtbarkeit ausgeschaltet, so daß mich Pythamus jetzt betrachten konnte. Aufatmend drückte er mir die Hand und keuchte: „Ich danke dir, Fremder, für deine Hilfe! Aber sag mir, wie kommst du dazu, mich zu retten? Und wie ist es dir möglich, deinen Körper unsichtbar zu machen?“ Ich wollte mich jedoch vorerst nicht weiter auslassen und erklärte ihm deshalb, daß ich ihn mit meiner Geschichte auf später vertrösten müsse. Dann bat ich ihn, weiterzugehen. „Wo warten die Freunde auf uns?“ wollte er wissen. Ich beschrieb ihm den Landeplatz des Raum-Zeit-Transporters. „Dann müssen wir diesen Weg nehmen“, meinte er nur kurz und trat in einen der Gänge. Nach kurzer Zeit spürte ich einen frischen Luftzug. Das Halbdunkel des Ganges lichtete sich zu einem hellerleuchteten Raum, in dem eine Steigleiter zu der Decke führte. „Hier ist der Ausgang zur Wiese, auf dem dein Schiff gelandet ist, Herr!“ kommentierte Pythamus. Er kletterte vor mir die Steigleiter hinauf und machte sich an der Wand zu schaffen. Bald darauf schob sich ein Stück der Decke zur Seite und gab einen Ausgang frei. Es mußte in der Zwischenzeit vollständig dunkel geworden sein, denn ich erblickte einen Ausschnitt des Nachthimmels mit funkelnden Sternen. Rasch erklomm ich die Steigleiter und folgte dem ehemaligen Statthalter ins Freie. 51
Er wartete oben auf mich. „Wo liegt das Schiff?“ fragte er ungeduldig, denn er konnte ja den Raumtransporter nicht sehen, da er von dem lichtbeugenden Energieschutzschirm umgeben wurde. Ich zog meine Sichtbrille über die Augen und blickte um mich. Keine zehn Schritte von uns entfernt zeichneten sich die Konturen des Raumschiffes ab. Pythamus bei der Hand fassend, strebte ich darauf zu. Es gab natürlich eine große Überraschung, als wir in die Flughalbkugel eintraten. Nach der stürmischen Begrüßung hatte ich dann Zeit, mich mit dem geretteten Statthalter zu unterhalten. Aus seinem Munde erfuhr ich nun eine weitere Neuigkeit. Er erzählte mir nämlich, daß Kama, der verräterische Wissenschaftler, dem Herrscher einen eigenen Plan vorgelegt habe, nach dem er Telja in eine Nova verwandeln wollte. Das war auch der Grund, warum der Tyrann Telja bereits räumen ließ. Dieser Kama hatte dem Regenten auch von den Beziehungen zwischen Pythamus und Pallus erzählt. Rhodra hatte daraufhin sofort einen neuen Statthalter für Eretz ernannt und dem früheren befohlen, sich unverzüglich zum Tzab zu begeben. Im Falle einer Weigerung sollte Pythamus mit Waffengewalt zum Regierungsplaneten gebracht werden. Was ihn dort erwartete, hatte er sich bereits beim Auftauchen des neuen Statthalters ausgemalt. Nur durch mein Dazwischentreten entging er dem sicheren Tod im Kaurenzwinger. Dieser Rhodra mußte ja ein wahrer Teufel sein. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, diesen Verbrecher auf die Reise in die Unendlichkeit zu schicken. Dann aber schämte ich mich vor mir selbst. Hatte ich nicht den Tymanischen Eid abgelegt? War ich nicht ein Priester, ein Auserwählter? Hatte ich mein Leben nicht der Güte geweiht? 52
Nein! Niemals durfte ich mit Gewalt in die Geschicke dieses Sonnensystems eingreifen! Ebensowenig ließ es sich mit der Würde eines Meisters des 14. Grades vereinbaren, wenn ich mit Vernichtungsmitteln die Geschehnisse hier zu korrigieren versuchte. Nur mit geistigen Waffen war es mir gestattet, zu kämpfen! Wie hatte doch Ratoon, der Oberpriester, gesagt, als er mir die „Lhana“, das Zeichen meines Grads, um den Arm spannte? „Empfange das Zeichen deiner Würde – und deiner Macht! Nütze es weise, wie es unser Glaube befiehlt.“ Nein! Ich durfte das Oberhaupt der Tymanischen Hierarchie nicht enttäuschen. „Warum bist du so nachdenklich, Tormoon?“ riß mich die sanfte Stimme Runas aus meinen Grübeleien. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich hatte meine Umgebung für Minuten vergessen. Schnell erwiderte ich: „Ich habe mir überlegt, was man tun könnte, um den wahnsinnigen Rhodra von seinem teuflischen Vorhaben abzubringen.“ „Und was willst du tun?“ „Ich werde selbst in den Palast des Herrschers gehen, um zu sehen, wie man ihn behandeln muß“, entgegnete ich ausweichend. Die drei Menschen überließen die Entscheidung ausschließlich mir. Lediglich Bo-Draka bat mich, Tarima, seine Frau, nach Möglichkeit aus der Gewalt des Tyrannen zu befreien. Ich versprach ihm, alles daranzusetzen, um die beiden Eheleute wieder zusammenzuführen. Nachdem alles zwischen uns besprochen war, stellte ich die Flugdaten auf den Skalenscheiben des Wähltisches zusammen. Nach kurzer Zeit konnte ich den Starthebel herunterdrücken. In Sekundenschnelle überbrückte der Raum-Zeit-Transporter die Entfernung zum Tzab, dem vierten Planeten. 53
Pythamus hatte mir die genauen Einzelheiten erklärt, so daß das Schiff in der Nähe der Hauptstadt Tzula landete. Inmitten einer Wüste aus rotbraunem Sand formte sich die Materie unseres Schiffes und ließ auch unsere Körper wieder aus den Schemen der zeitlosen Unwirklichkeit zu festen Gestalten werden. Der Planet Tzab drehte um diese Zeit gerade die Seite, auf der wir gelandet waren, der Sonne zu. Trotzdem zeigte mir mein Außenthermometer an, daß der Planet erheblich kälter war als Telja oder Eretz, was hier auf die größere Entfernung vom Muttergestirn zurückzuführen war. Eretz lag der Sonne näher, deshalb gab es dort viel höhere Temperaturen. Telja war zwar noch weiter entfernt als Tzab, doch besaß dieser Planet eine größere Eigenwärme, weshalb dort die Temperatur immer noch erträglicher war als auf Tzab. In der Ferne blitzten die goldüberzogenen Dächer von Tzula, der tzabischen Metropole. Dort mußte der Palast des Herrschers liegen, in dem alle Fäden zusammenliefen. Da mir der Weg dorthin zum Gehen zu weit erschien, beschloß ich, erst einmal die Stadt zu überfliegen, um einen günstigeren Landeplatz zu finden. Unter dem Schutz des lichtbeugenden Energieschirmes nahm ich die Maschine hoch und steuerte in Richtung der blinkenden Dächer. Bald lagen die ersten Häuser unter mir. Es waren flache, fünfeckige Gebäude, deren leichtgewölbte Dächer alle mit einer goldglänzenden Schicht überzogen waren. Genau im Zentrum der sternförmig angelegten Stadt stand der Herrscherpalast, ein imposantes, rundes Bauwerk, von einer Anzahl schmaler, langgestreckter Anbauten sternförmig eingeschlossen. Gleichsam wie der drohende Schatten einer Riesenspinne, 54
die sprungbereit auf ihr Opfer wartet, bot sich der Palast meinen Augen dar. Das also war die Stätte, in der Rhodra, der Tyrann, seine finsteren Pläne ausheckte. Außerhalb des Komplexes entdeckte ich ein in den Boden eingelassenes Bassin, das mehrmals unterteilt war. Es schien mit einer durchsichtigen Abdeckung versehen zu sein. Da ich mir nicht vorstellen konnte, welchem Zweck dieses Bassin dienen sollte, fragte ich Pythamus danach. „Das ist der Zwinger der Kauren“, klärte er mich auf. „Dort läßt Rhodra die Verurteilten den Ungeheuern vorwerfen.“ Angeekelt sah ich zu der unter uns vorbeiziehenden Arena hinab, wo sich durch die Abdeckscheiben undeutlich die Umrisse einiger unförmiger Klumpen abzeichneten. Das mußten die gefürchteten Kauren sein. „Kennst du den Zugang zu den Privatgemächern des Herrschers?“ wandte ich mich an den früheren Statthalter. Pythamus deutete auf das Rondell des Hauptgebäudes. „Genau im Mittelpunkt des Komplexes. Wer zu ihm vordringen will, muß erst sämtliche Räume des Seitenflügels passieren. Jeder Flügel umfaßt zwölf Zimmer. Wenn man diese zwölf Zimmer durchquert hat, gelangt man auf einen Rundgang, von dem verschiedene Türen ins Innere führen, zu Rhodras Privaträumen.“ Ich fühlte eine gewisse Verärgerung in mir. Warum hatten mich die tymanischen Priester mit so unzulänglichen Mitteln ausgestattet? Ich besaß zwar einen kleinen Raum-Zeit-Transporter und einen Verwandlungswürfel. Das war aber auch alles! Die Einrichtung der Flughalbkugel bestand sonst nur noch aus einem Sende- und Empfangsgerät, um im Notfall mit Tyma IV sprechen zu können. Nur einen Raumanzug hatte man mir sinni55
gerweise noch mitgegeben, damit ich mich bei Bedarf auch auf Planeten ohne Atmosphäre oder in der Kälte des Weltraumes bewegen konnte. Sonst aber hatte man darauf verzichtet, mir weitere technische Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Diaskope, Raumwellengeräte, Taststrahler, Bioinjektoren – keines dieser Geräte hatte man mir überlassen. Wenn ich nur einen einfachen Taststrahler bei mir gehabt hätte, um die Räume des Palastes von hier aus einsehen zu können. Aber nicht einmal dieses einfache Hilfsgerät hatten mir die Meister des 15. Grades zugestanden. Aus eigener Kraft sollte ich den Frieden in diesem Sonnensystem sichern – so verlangten es die Regeln des 14. Grades. Aus eigener Kraft! Resignierend zuckte ich die Achseln. Schwere Zweifel erschütterten in diesem Augenblick mein Selbstvertrauen. Hatte ich überhaupt die Kraft, die mir übertragene Aufgabe zu lösen? Was geschah, wenn ich unterlag? Wenn ich als Gesandter der Auserwählten nach meiner Rückkehr vor den Hohen Rat treten und bekennen mußte: „Ich habe versagt!“ Ich wurde in meiner Hoffnungslosigkeit durch ein helles Zirpen aufgerüttelt, das aus dem Empfänger meines Sprechgerätes tönte. Erschrocken zuckte ich zusammen und schaltete auf Empfang. Der Bildschirm der Sichtscheibe erhellte sich und ließ das Gesicht Ratoons erkennen. Sekundenlang starrten wir uns in die Augen. Dann öffnete der greise Oberpriester den Mund; seine Lippen formten ein paar Worte: „Vertraue auf deine Kraft, mein Sohn!“ Noch einmal drangen seine Augen in meine Seele – dann wurde der Bildschirm blaß. Die Verbindung war unterbrochen. Doch mein Innerstes hatte eine seltsame Wandlung durch56
gemacht! Das Fluidum des Geistes Ratoons war aber Tausende von Lichtjahren durch die Weiten des Universums zu mir gedrungen und hatte mir meine Selbstsicherheit wiedergegeben. Man mußte auf Tyma IV mein Handeln verfolgt und meine Resignation bemerkt haben. Anders war das Eingreifen des Oberpriesters nicht zu erklären. Es war klar ersichtlich, daß ich sehr hoch in seiner Gunst stand, sonst hätte er nicht einen Teil seiner Geisteskraft auf mich übertragen; denn ein Eingreifen des Oberhauptes der Tymanischen Hierarchie verstieß eigentlich gegen die strengen Regeln … Meine neuen Freunde hatten mit Erstaunen den Vorgang verfolgt. Ich übersah jedoch absichtlich ihre fragenden Mienen und setzte zur Landung an. Knapp vor dem Eingang eines Seitenflügels verankerte ich das Schiff. Die Neugier in den Gesichtern meiner Mitfahrer war jetzt einem ängstlichen Ausdruck gewichen. Auch der sonst so forsche Pythamus äußerte Bedenken: „Ist es wirklich notwendig, Tormoon, daß wir hier so nahe neben dem Eingang aufsetzten, noch dazu vor dem Seitenbau, in dem die Frauengemächer liegen? Die Bewachung ist hier nämlich besonders streng! Selbst, wenn das Schiff unsichtbar ist, besteht die Gefahr einer Entdeckung. Es könnte ja jemand versehentlich dagegen stoßen.“ Nun, ich wollte meine Freunde nicht in Angst zurücklassen. Deshalb dirigierte ich den Flugapparat etwas vom Eingang fort. Nun stand der Apparat ungefähr zehn Meter vom Portal entfernt. Das mußte genügen! Ich konnte ja nicht wissen, ob ich nicht gezwungen war, möglichst schnell in den Raum-ZeitTransporter fliehen zu müssen. Nachdem ich meinen drei Begleitern noch einige Verhal57
tungsmaßregeln gegeben hatte, wobei ich ihnen besonders einschärfte, unter keinen Umständen die schützende Hülle des Schiffes zu verlassen, drückte ich meinen Verwandlungswürfel und begab mich nach draußen. Unbehelligt erreichte ich das Tor, zu dem einige breite Steintreppen hinaufführten. Die schwere, metallene Tür mußte durch einen Drehgriff geöffnet werden. Unendlich vorsichtig bediente ich den Öffnungsmechanismus. Der erzene Türflügel schwang auf. Schnell schlüpfte ich durch den Spalt und – prallte entsetzt zurück! Ich blickte in einen kleinen Vorraum, in dem drei gräßliche Ungeheuer träge herumkrochen. Der Anblick dieser Bestien jagte mir einen Schauer über den Rücken. Die Kauren! Jedes dieser ekelerregenden Biester mochte gut einen Meter hoch sein. Aus einem prall aufgedunsenen, graugrünen Leib wuchsen sechs spinnenförmige Beine, die seltsam abgewinkelt waren, so daß diese Gelenke noch über den Körper hinausragten. Am Ende eines jeden Beines aber wucherten drei scharfe rote Krallen, die beim Krabbeln ein widerliches Geräusch verursachten. In einem birnenförmigen Kopf funkelten zwei große, mandelförmige Augen. Unterhalb des Auswuchses stachen zwei armstarke Saugrüssel nach vorne, die sich dauernd in schlangengleichen Bewegungen wiegten. Um die Öffnungen der Rüssel gruppierte sich ein Kranz kleiner scharfer Zähne, die von einem gelblichen Belag überzogen waren. Zum Glück hatten mich die höllischen Kreaturen noch nicht bemerkt, so daß ich schnell die Tür wieder schließen konnte. Vielleicht besaßen sie keinen Geruchssinn und hatten deshalb von einem unsichtbaren Körper keine Witterung aufgenommen? 58
Aufatmend lehnte ich mich gegen die Tür. Der Schreck war mir gewaltig in die Glieder gefahren. Wie leicht hätte ich ein Opfer dieser Kauren werden können. – Langsam ging ich zum Schiff zurück. Ich mußte einen anderen Weg in den Palast finden … Der Tyrann Mit bleichen Gesichtern empfingen mich die drei Tzaber. Sie hatten zwar das Öffnen und Schließen der Tür beobachtet, konnten sich aber keinen Reim darauf machen. Schwer atmend berichtete ich von meinem Erlebnis. Runa konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken und lehnte sich gegen die Schulter ihres Vaters, als wolle sie Schutz suchen. Pythamus aber zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen und meinte dann: „Er hat also jetzt die Ungeheuer schon im Palast! Früher hielt man sie an Ketten im Freien. Rhodra scheint sehr um seine Sicherheit besorgt zu sein!“ „Wie benehmen sich die Ungeheuer ihren Wächtern gegenüber?“ drängte sich mir eine Frage auf. Es war Bo-Draka, der gequält antwortete: „Die Tiere sind gegen eine Art Töne sehr empfindlich. Jeder Wärter ist mit einer flötenähnlichen Pfeife ausgestattet, bei deren Anblasen die Kauren in kataleptische Starre verfallen. In diesem Zustand sind sie vollkommen ungefährlich. Man kann sie sogar berühren …“ Diese Töne zu erzeugen, dürfte kein besonderes Problem sein. Es kam nur darauf an, die richtige Tonhöhe zu finden. Bo-Draka, der über den Umgang mit den Ungeheuern genau Bescheid wußte, klärte mich auf. 59
„Die Töne liegen oberhalb der menschlichen Hörgrenze – gehören also schon zum Ultraschall. Es ist aber unbedingt erforderlich, die genaue Frequenz zu treffen, denn der Tonbereich, auf den die Kauren reagieren, ist sehr eng. Soviel mir bekannt ist, weiß keiner – außer Rhodra – die genaue Schwingungszahl, da der Herrscher die Hypnosepfeifen streng verwahrt und nur für die Dauer des Dienstes an die Wärter verteilt. Anschließend müssen sie die Pfeifen sofort zurückgeben.“ Die Erklärungen des alten Tzabers klangen nicht sehr ermutigend für mich. Ich beschloß aber trotzdem, einen Versuch zu wagen. – Während meiner Lehrzeit besuchte ich auch eine Vortragsreihe über die Zoologie der verschiedenen bekannten Planeten, und darunter gab es auch, eine Vorlesung über die geflügelten Schlangen von Mudra II – dem Planeten, auf dem man den Sphongs, den grünschillernden Schiefer, abbaut. Da diese Schlangen, wegen ihrer Gefährlichkeit dem Menschen gegenüber, sehr gefürchtet sind, mußte man auf Mittel und Wege sinnen, um sich vor den Reptilien beim Abbau des Sphongs zu schützen, die tymanische Religion aber verbietet das Töten eines jeglichen Lebewesens. Deshalb verfiel man auf den Ausweg, die Schlangen nur zu betäuben. Man entdeckte, daß ihr Organismus durch bestimmte Ultraschallwellen in den Zustand hypnotischer Starre verfällt. Die Vorarbeiter in den Schieferbrüchen wurden deshalb mit kleinen Pfeifen ausgestattet, die einen Ton hervorbrachten, der die Schlangen in Starre verfallen ließ. Auf diese Weise war man vor einem Angriff gesichert … In dem Werkzeugfach des Raumtransporters fand ich genügend Material, um mir eine provisorische Pfeife zusammenzubasteln. 60
Bald hatte ich es geschafft und begab mich wieder zu dem Vorraum, in dem die Kauren herumkrochen. Mit überwachen Sinnen öffnete ich das Tor erneut. Kaum einen Meter von der Tür entfernt saß ein Kaur und starrte mit gierigen Augen auf den sich verbreiternden Türspalt. Rasch brachte ich meine Pfeife an die Lippen und blies in das Mundstück. Es war ein seltener Zufall, daß ich gerade die richtige Frequenz getroffen hatte, denn ich konnte sofort die Reaktion der Kreaturen beobachten. Der Körper des mir am nächsten stehenden Kaurs sackte plötzlich in sich zusammen und blieb erstarrt liegen. Vorsichtig blickte ich weiter in den Raum. Aber auch die anderen beiden Ungeheuer waren durch die Ultraschall-Schwingungen gelähmt worden und streckten die Spinnenbeine von sich. Es kostete mich eine nicht geringe Überwindung, über den vor mir liegenden Kaur hinwegzusteigen und den Vorraum zu durchqueren. Sorgsam hatte ich hinter mir wieder die Tür verschlossen, denn ich wollte unter keinen Umständen an einem eventuellen Ausbruch der Blutsauger schuld sein und damit womöglich das Leben unschuldiger Tzaber gefährden. Mit einem scheuen Blick schlich ich an den starr daliegenden Tieren vorbei auf die hintere Tür des Raums zu, wobei ich unentwegt auf meiner Pfeife blies. Diese Tür hatte denselben Öffnungsmechanismus wie die erste, so daß ich ohne Schwierigkeit eintreten konnte. Ich erblickte ein kleineres, leeres Zimmer, in dem keinerlei Einrichtungsgegenstände standen. Auch von hier führte eine Tür weiter, die ich ohne weiteres öffnen konnte. Das nächste Gemach war zweifellos für eine Frau bestimmt, das verrieten die herumliegenden Kissen und Kleider. Der Raum war jedoch leer. 61
Hinter der Tür aber, die zum nächsten Raum führte, vernahm ich Stimmengewirr und helles Frauenlachen. Vorsichtig trat ich ein. In der Mitte des Raumes lag ein kostbarer Teppich, auf dem fünf schöne Mädchen in leichter, durchsichtiger Kleidung ruhten. In der Ecke aber saß eine ältere, herbe Schönheit und blickte sehnsüchtig durch das winzige, vergitterte Fenster. Ihr Blick schien in unendliche Fernen zu schweifen, zu einem unbestimmten Ziel. Eine große Traurigkeit lag in den Gesichtszügen der Frau. Irgendwie schien mir ihr Antlitz seltsam vertraut. Und dann wußte ich es plötzlich: dieses traurige Geschöpf mußte Tarima sein, die entführte Gattin Bo-Drakas. Man konnte unschwer die große Ähnlichkeit zwischen dieser Frau hier und Runa, der schönen Tochter des alten Tzabers, feststellen. Ich sollte auch sofort die Bestätigung für meine Theorie erhalten, denn eines der am Boden lümmelnden Mädchen wandte sich an die Frau mit der Frage: „Warum willst du dich denn nicht zu uns setzen, Tarima? Du kannst durch dein Grübeln doch an deiner Lage nachts ändern! Auch wir sind ja nicht freiwillig hier.“ Doch die Frau lehnte mit einem leisen „Danke!“ ab und blickte wieder durchs Fenster. Bo-Draka wird Augen machen, wenn ich ihm seine Frau mitbringe, dachte ich und schlüpfte ungesehen durch die nächste Tür. Niemand hatte das Öffnen und Schließen der Tür bemerkt, so sehr waren die Mädchen in ihr Gespräch vertieft. Auch den nächsten Raum konnte ich durchqueren, ohne die darin anwesenden Damen auf das Türöffnen und -schließen aufmerksam zu machen? 62
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So passierte ich einen Raum nach dem anderen, bis ich endlich den von Pythamus beschriebenen Rundgang erreichte. Die Türen auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges mußten alle in das Zentrum führen, in dem die Privaträume des Herrschers lagen. Wahllos versuchte ich, die mir gegenüberliegende Tür zu öffnen. Widerstandslos schwang sie auf. Rhodra schien sich innerhalb der Palastmauern sehr sicher zu fühlen. Sehr leise und vorsichtig trat ich in den Raum. Ich erblickte einen prunkvollen Saal, an dessen hinterem Ende ein Podium stand, das von einem blaugoldenen Baldachin überspannt wurde. Ein edelsteinbesetzter Thron war dort aufgebaut, der im Licht der in die Deckensäulen eingebauten Lampen funkelte und gleißte. Auf dem Thron saß der Herrscher und blickte finster auf einen Mann, der gesenkten Hauptes an den Stufen der Empore kniete. Rhodra, dessen Gesichtszüge Bosheit ausdrückten, schien mit dem vor ihm knienden Mann eine Auseinandersetzung zu haben, denn plötzlich verzog er das Gesicht zu einem diabolischen Grinsen und sagte eindringlich: „Ich will Gnade walten lassen und dir eine letzte Frist geben, Kama! Doch merke dir eines: Wenn nach spätestens zwölf Rotationen der Planet Telja nicht als künstliche Sonne den Tzab umkreist, werde ich mich nach einem fähigeren Mann umsehen müssen.“ Das Grinsen des Tyrannen wurde noch teuflischer, als er hämisch hinzufügte: „In diesem Falle hätte ich dann wieder einmal zwanzig Tzab-Kredite gespart, die ich sonst für Kaurenfutter ausgeben müßte.“ Eine herrische Handbewegung – und der Mann konnte gehen. 64
Schleunigst schlich er sich aus dem Blickfeld des Herrschers. Er wußte, daß es von der Gunst des Tyrannen bis zum kategorischen „Meshab!“ – was soviel wie Kaurenzwinger bedeutete – nur ein kleiner Schritt sein konnte und hütete sich deshalb, länger als unbedingt notwendig in der Umgebung Rhodras zu verweilen. Das also war Karna, der Verräter, dessen Machthunger und Geltungsbedürfnis ihn zu Rhodra getrieben hatten. Auch sein Stern schien bereits zu sinken. Als der Wissenschaftler den Saal verlassen hatte, trat ich langsam auf den einsam dasitzenden Regenten zu. Nun konnte ich den Tyrannen einer genauen Musterung unterziehen. Sein hageres Gesicht mit der fliehenden Stirn und tiefliegenden, von buschigen Brauen überschatteten Augen wirkte wahrhaftig nicht vertrauenerweckend. Der kahle Schädel erinnerte an eine Mumie und gab der ganzen Erscheinung etwas Groteskes, was aber keineswegs die Welle von Antipathie, die der Mann ausstrahlte, abmildern konnte. Plötzlich kam Leben in die Gestalt. Die dürren Finger fuhren durch die Luft, wobei er abgerissene Sätze ausstieß, die ab und zu von einem irren Gelächter unterbrochen! wurden. „Haha … sie wollen nicht! Sie glauben, mich dumm machen zu können. Diese Narren! Der Name Rhodra wird unsterblich werden! Diese Feiglinge! Ich werde es ihnen schon zeigen! Noch in tausend Jahren soll man von Rhodra sprechen, von dem größten Tzaber, der je gelebt hat!“ Vorsichtig schritt ich die Stufen zum Thron hinauf und stellte mich neben den Sessel, in dem der Wahnsinnige saß. Ich dämpfte meine Stimme und flüsterte: „Rhodra! Hörst du mich? Ich bin Tormoon, der Gesandte einer fernen Welt. Laß ab von dem wahnsinnigen Plan, den Planeten Telja zu einer künstlichen Sonne zu machen. Mißbrauche nicht die Urkräfte der Natur. Sonst wird man eines Tages in den An65
nalen der Geschichte lesen: Rhodra trägt die Schuld am Untergang von Tzab und Telja.“ Erschrocken zuckte der Angesprochene zusammen und keuchte: „Wer spricht da? Stehen die Toten wieder auf? Wer … wer ruft mich?“ Eindringlich sprach ich weiter: „Befolge meinen Rat, Rhodra! Nur so kannst du das Unglück, das Tzab bedroht, abwenden! Nur dadurch entgehst du dem Untergang!“ Mit einem irrsinnigen Flackern in den kalten Augen wandte er den Kopf in die Richtung, aus der meine Stimme erklang und krächzte heiser: „Jamar, lebt dein Geist noch, obgleich dein Körper schon längst verfault ist? Mich kannst du nicht erschrecken. Zeige dich doch! Zeig dich, wenn du Mut hast!“ Mit einer affenartigen Gewandtheit sprang er plötzlich auf und rannte zu einem Wandschrank, dessen Türen er hastig aufriß. Eine Schalttafel kam darin zum Vorschein, an der er sich zu schaffen machte. Blitzschnell bediente er einige Hebel und Knöpfe. Und da geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Das Licht erlosch urplötzlich! Gleichzeitig hörte man aus der Ferne das Läuten einer Glocke. Wahrscheinlich schlug der Tyrann Alarm. Meine Annahme war richtig, denn gleich darauf vernahm ich das Geräusch von Schritten, die auf den Thronsaal zustrebten. Ich ließ mich dadurch nicht aus der Ruhe bringen, denn die lichtbeugende Energieschicht würde mich jederzeit den Blicken der Häscher entziehen. Sofort bereute ich jedoch meine Leichtfertigkeit, denn im Raum breitete sich plötzlich ein violettes Leuchten aus, das von Sekunde zu Sekunde intensiver wurde. 66
Je heller der violette Schein strahlte, um so mehr erschrak ich, denn die Konturen meines Körpers wurden langsam aber unaufhaltsam erkennbar – bis ich meine Unsichtbarkeit völlig verloren hatte! Die violetten Strahlen mußten den mich umgebenden Energieschirm neutralisiert haben, anders war der Vorgang nicht zu erklären. In diesem Augenblick wurde die Saaltür aufgerissen, und eine Anzahl Bewaffneter stürmte ins Regierungskabinett. Hämisch grinsend stand Rhodra an der Schalttafel und deutete auf mich, wobei er hysterisch ausrief: „Nehmt ihn fest, er ist ein Rebell! Nehmt ihn fest!“ Seine Stimme überschlug sich. Er hüpfte von einem Fuß auf den anderen und rief immer wieder die Worte aus: „Nehmt ihn fest, nehmt ihn fest! Festnehmen!“ Resigniert zuckte ich mit den Schultern, als sich kalt und drohend stählerne Fesseln um meine Handgelenke legten. Minuten später lag ich wie ein Bündel verschnürt auf dem Boden vor dem Thron, auf dem der wahnsinnige Herrscher wieder Platz genommen hatte. Die Angehörigen der Leibwache hatten einen Kordon um den Thron geschlossen, um jede Fluchtmöglichkeit zu verhindern. Aber es wäre mir sowieso unmöglich gewesen, die Fesseln abzustreifen. Bösartig ruhten die Augen des Tyrannen auf mir. Plötzlich erhob er sich mit katzenartiger Geschmeidigkeit und schlich auf mich zu. Ein satanischer Zug breitete sich auf seinem ohnehin nicht schönen Gesicht aus, als er mich brutal in die Seite stieß und zischte: „So, Bursche! Nun wollen wir uns einmal gemütlich unterhalten.“
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In Rhodras Gewalt Die Schilderung des folgenden Verhörs möchte ich mir sparen. Es genügt, wenn ich berichte, daß ich eine Menge Gemeinheiten einstecken mußte. Doch mein Mut war ungebrochen! Trotz der Martern, denen man mich aussetzte, verriet ich die Freunde nicht, denen ich meine Informationen verdankte und die nun mit Bangen auf meine Rückkehr warteten. Nur eine Sorge quälte mich: Hoffentlich begingen die im Raumschiff zurückgebliebenen Tzaber keine Unvorsichtigkeiten, was durch die lange Dauer meiner Abwesenheit sehr leicht möglich sein konnte! Der Raum-Zeit-Transporter war unangreifbar. Selbst bei einer etwaigen Entdeckung war nichts zu befürchten, denn kein Unberufener konnte die Flughalbkugel betreten. Nachdem man mich ungefähr zwei Stunden verhört hatte, zog man mir die Kybala aus und sperrte mich – nur bekleidet mit den dünnen Unterkleidern – in einen verliesartigen Raum. Ein kleines vergittertes Fenster, das knapp unterhalb der Decke eingelassen war, ließ einen fahlen Schimmer rötlichen Lichtes in die Zelle einfallen und hüllte den Raum in dämmriges Halbdunkel. Auf dem Boden lag eine flockige Kunststoffdecke, die meinen Körper gegen die Kälte des Fußbodens schützen sollte, was bei der niedrigen Temperatur dieses Planeten jedoch eine Unmöglichkeit war. Sonst war der Raum kahl und leer. Fröstelnd zog ich meinen gefesselten Körper zusammen und versuchte, meine Lage zu überdenken. Vor allen Dingen mußte ich versuchen, hier herauszukommen. Aber wie? 68
Sämtliche Gegenstände, die ich bei mir gehabt hatte, waren den Schergen in die Hände gefallen. Auch der Verwandlungswürfel. Zum Glück war es ihnen nicht gelungen, die „Lhana“ – das Wahrzeichen meines Ranges – von meinem Unterarm zu lösen; denn nur nach meinem Tode konnte der magische Reif abgezogen werden. Mit der mir anerzogenen Ausdauer versuchte ich, die Handfesseln zu entfernen. Bald mußte ich jedoch einsehen, daß es mir nicht möglich war. Die Metallbänder, die meine Gelenke umspannten, ließen sich ohne fremde Hilfe nicht abstreifen. Ich weiß nicht, wie lange meine verzweifelten Bemühungen währten. Die Zeit hatte für mich jegliche Bedeutung verloren. Der durch das Gitter einfallende Lichtschein hatte bereits der Dunkelheit Platz gemacht, als ich plötzlich ein scharrendes Geräusch an der Zellentür vernahm. Gespannt lauschte ich in die Finsternis. Gleich darauf war ein schwaches Klicken zu hören. Ein blasser Lichtschein huschte geisterhaft über die kahlen Wände, wanderte weiter – und blieb auf mir haften. Angestrengt starrte ich auf die Lichtquelle. Der Strahl schien von einer kleinen Handlampe zu kommen. Nur undeutlich konnte ich die Umrisse einer menschlichen Gestalt erkennen. Unwirklich vernahm ich eine flüsternde Stimme: „Vorsicht, Fremder! Keinen Laut, wenn dir dein Leben lieb ist! Ich werde dir helfen.“ Behende Finger machten sich an meinen Fesseln zu schaffen. Kurz darauf fühlte ich, wie ich meine Glieder wieder bewegen konnte. Dann sagte die Stimme: „Folge mir. Fremder – aber leise, damit uns niemand hört. Es wäre für uns beide das Ende.“ Ich fühlte mich an der Hand gepackt und fortgezogen. 69
Willig ließ ich mich führen. Es ging einen langen Gang entlang, von dem links und rechts Türen abzweigten. Soviel konnte ich jedenfalls im Schein der kleinen Handlampe erkennen. Von meinem Führer und Befreier hatte ich jedoch bisher nur die Umrisse seines Körpers zu sehen bekommen. Vor einer der Türen hielten wir an. Der Unbekannte zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete. Dann wandte er sich mir zu und drängte: „Hier sind deine Sachen! Beeile dich, bald muß der Wächter kommen!“ Das Licht fiel in den Raum und beleuchtete einen Tisch, auf dem fein säuberlich meine Kybala und meine Geräte ausgebreitet lagen. Hastig schlüpfte ich in das Gewand und verstaute meine Utensilien in den weiten Taschen. Zu meiner Freude stellte ich fest, daß ich nun auch die kleine, selbstgebastelte Ultraschallpfeife wieder hatte. Jetzt konnte mir nicht mehr viel passieren. Ungeduldig wartete die dunkle Gestalt und trieb mich zur Eile an. „Los, Fremder, du hast nicht mehr viel Zeit! Geh diesen Gang entlang, dann kommst du ins Freie!“ Mit einer schnellen Bewegung drückte mein Befreier auf einen verborgenen Mechanismus. Ein leises Zischen war zu hören – dann verschob sich plötzlich ein Teil der Wand und ließ eine mannshohe Öffnung erkennen, in die mich der Unbekannte hastig schob. Auf meine Frage, wie ich ihm für die Hilfeleistung danken solle, erwiderte er kurz: „Befreie das Volk von dem Tyrannen – dann schlägt auch für mich die Stunde der Freiheit!“ „Und wer bist du?“ fragte ich noch. 70
Leise, fast wie ein Hauch, drang es an mein Ohr: „Tamanna.“ Dann schloß sich hinter mir die Wand. – Ich war allein. Allein in der Dunkelheit. Opfer der Kauren Vorsichtig tastete ich mich an dem glatten Gemäuer entlang, dabei sorgsam den Boden vor mir befühlend. Ich mochte etwa zweihundert Schritte durch die Finsternis getappt sein, als ich plötzlich ein grünliches Leuchten gewahrte, das aus der Wand zu kommen schien. Je weiter ich vordrang, um so stärker wurde der Lichtschein. Endlich konnte ich meine Umgebung erkennen! Der Gang war zu Ende. Eine glatte Wand verschloß den weiteren Weg. Es war eine sehr massive Mauer, die aus einem einzigen Stein zu bestehen schien, denn man konnte keine Fuge erkennen. Höchstwahrscheinlich mußte hinter dem mächtigen Quader der Ausgang liegen. Vielleicht war dieser glatte Fels sogar das Portal selbst. Aber dann mußte auch irgendwo eine Bedienungsvorrichtung angebracht sein! Ich vermutete nämlich, daß dieser Geheimgang einen Fluchtweg für den Herrscher selbst darstellte. Und Rhodra würde den Ausgang so angelegt haben, daß man das Tor zur Freiheit auch ohne Hilfsmittel benutzen konnte. Sorgsam suchte ich Quadratzentimeter um Quadratzentimeter ab. Endlich fand ich, wonach ich suchte. In der rechten Ecke, etwa zwanzig Zentimeter über dem Boden, bemerkte ich eine Stelle, an der sich das Gestein von dem anderen unterschied. Rauh und körnig fühlte sich dieser Block an. Wie zufällig drückte ich gegen die Platte. 71
Zunächst geschah gar nichts. Dann jedoch schwang der wuchtige Fels wie von Geisterhand bewegt nach außen. Ein eisiger Luftzug wehte mir entgegen, doch entschlossen trat ich in die entstandene Öffnung. Nach wenigen Schritten stand ich im Freien. Und nun sah ich auch, wo ich war. Vor mir lag ein langgestreckter Seitenflügel des Palastes. Der Stein aber, der den Eingang verschlossen hatte, war einer der wuchtigen Quadersteine, die die Freitreppe zum Portal auf beiden Seiten umsäumten. Wahrscheinlich gab es in jedem der Seitentrakte einen solchen Geheimgang, um dem Tyrannen im Notfall eine Anzahl von Fluchtmöglichkeiten zu bieten. Das Wissen um diese Tatsache konnte mir vielleicht später noch einmal von Nutzen sein. Es blieb nun die Frage, auf welcher Seite ich den Palast verlassen hatte. Ich setzte meine Sichtbrille auf, um das Raumschiff zu sehen – konnte jedoch nichts bemerken. Deshalb entschloß ich mich, das Gebäude zu umrunden. Ich mußte dann zwangsläufig auf den zurückgelassenen Raum-Zeit-Transporter stoßen. Vier Seitenflügel hatte ich schon hinter mir gelassen, als ich endlich undeutlich die Umrisse meines Raumschiffes entdeckte. Ich beeilte mich, um das letzte Stück Weg zu nehmen. Dann hatte ich den Raumer erreicht und preßte die Lhana gegen den Öffnungsmechanismus. Nur so war es möglich, in das Innere zu gelangen. Sofort wurde der Eingang frei, und ich konnte eintreten. Runa kam mir entgegen. In ihrem Gesicht spiegelte sich die Angst und das Warten, als sie mich fragte: „Kommst du allein, Tormoon? Hast du meinen Vater und Pythamus nicht getroffen …?“ 72
Ich blieb wie angewurzelt stehen. Umsonst! Sie hatten also gegen meinen ausdrücklichen Befehl das Schiff verlassen, hatten versucht, eigenmächtig in den Palast einzudringen. Die Folgen waren leicht auszudenken. Gefangen und verurteilt! „Warum hast du sie nicht zurückgehalten?“ fragte ich Runa, und in meinen Worten lag ein versteckter Vorwurf. Leise entgegnete das schöne Mädchen, wobei sich ihre Augen mit Tränen füllten: „Du warst zu lange fort, Tormoon, und wir machten uns so große Sorgen um dich!“ Es war also die Sorge um mich, die meine Freunde dazu trieb, in dem Palast nach mir zu suchen. Das blonde Mädchen stand seitlich von mir und hielt den Kopf gesenkt. Ein Schluchzen durchschauerte ihren schlanken Körper. Ihr Mund formte ein paar kurze Worte, die mich noch mehr erschütterten. „Erst Mutter – und nun auch noch mein Vater.“ Sachte legte ich meinen Arm um ihre schmale Schulter und barg ihren Kopf an meiner Brust; sanft strich über die goldblonde Lockenpracht und tröstete sie. „Vergiß deinen Schmerz, Runa! Noch ist nichts erwiesen. Auch deiner Mutter geht es gut – ich habe sie gesehen.“ Langsam hob sie den Kopf und blickte mit ungläubigem Erstaunen auf mich. „Du hast …?“ „Ja!“ Ich wollte noch etwas erwidern, wollte noch einige Worte des Trostes sprechen, um ihre Hoffnung nicht sinken zu lassen, aber ich kam nicht mehr dazu. Denn Runa weitete plötzlich erschrocken die Augen und 73
starrte durch die Sichtscheibe nach außen. Unwillkürlich folgte ich ihrem Blick und – verstummte entsetzt! Die soeben aufgehende Sonne beleuchtete eine schreckliche Szene: Bo-Draka und Pythamus kamen mit gehetzten Sprüngen auf das Schiff zugestürmt – verfolgt von drei Kauren. Die Leiber der Ungeheuer warfen seltsam skurrile Schatten auf den rotbraunen Sandboden. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann mußten die Bestien die beiden Menschen erreicht haben. Dem jungen Pythamus wäre es vielleicht gelungen, das rettende Raumschiff zu erreichen. Aber Bo-Draka schleppte sich nur noch mühsam; er hatte keine Kraft mehr. Ich handelte blitzschnell. Mit einer raschen Bewegung ließ ich den lichtbeugenden Energieschirm, der die Flughalbkugel unsichtbar machte, zusammenfallen; denn ich hatte an den verzweifelten Blicken der Verfolgten gesehen, daß sie nach dem Raumtransporter suchten. Der Anblick des sichtbar gewordenen Schiffes mußte ihnen noch einmal Mut gegeben haben, denn sie holten alles aus ihren erschöpften Körpern heraus. Aber es war bereits zu spät. Während der schnellere Pythamus gerade noch den rettenden Eingang erreichte, strauchelte Bo-Draka und stürzte. In diesem Augenblick stieß Runa einen markerschütternden Schrei aus. Ein Kaur hatte Bo-Draka erreicht. Blitzschnell fuhren die Krallen in den Rücken des alten Mannes. Pythamus drehte sich um, zog seine Strahlwaffe und feuerte. Aber von links kamen die beiden anderen Kauren. „Rette dich, Pythamus“, stöhnte Bo-Draka mit letzter Kraft. Ich suchte nach meiner Ultraschallpfeife, fand sie aber nicht. 74
Hatte ich sie bei der Flucht verloren? – Pythamus rannte wenige Meter vor den Kauren her. Als er in das Schiff taumelte, waren die beiden anderen Ungeheuer nur noch drei Schritte von ihm entfernt. Rasch zog ich den Erschöpften in das Innere und verschloß den Eingang. Es gab ein dumpfes Geräusch, als die beiden Kauren gegen die Außenhaut des Flugapparates prallten. Entsetzt blickte ich auf Bo-Draka und überlegte, wie ich den Freund retten könnte. Doch hier kam jede Hilfe zu spät. Der Kaur hatte den alten Mann getötet. Bo-Draka mußte die übereilte Exkursion mit dem Leben bezahlen … * Runa war beim Anblick des Kampfes zusammengebrochen. Ein Weinkrampf schüttelte die schlanke Gestalt des Mädchens. Im Innern meines Herzens aber nagten die Zweifel. Ich machte mir heftige Vorwürfe! Hatte ich nicht selbst schuld am Tode des Mannes? Warum hatte ich die Männer nicht so eingeschlossen, daß sie keine Möglichkeit hatten, das Schiff zu verlassen? Warum nur? Mußte ich nicht damit rechnen, daß mein Ausbleiben die beiden dazu bewegen würde, auf eigene Faust etwas zu unternehmen? Fragen über Fragen, deren Beantwortung mir schwerfiel – ja, sogar unmöglich wurde; denn ich sah ja die ganze Angelegenheit von meinem Standpunkt aus, ohne die Mentalität dieser Tzaber zu begreifen. Aber ich machte mir nicht allein Vorwürfe. 75
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Auch Pythamus fühlte sich schuldig am Tode des Freundes, denn er war es gewesen, der Bo-Draka überredet hatte, einen Vorstoß in den Palast zu versuchen. Es war ihnen auch tatsächlich gelungen, durch ein kleines Seitenfenster in einen der langgestreckten Anbauten einzusteigen. Sie hatten sogar das Glück, bis in die Frauengemächer vorzudringen. Dort hatte sie dann das Schicksal ereilt. Als BoDraka nämlich Tarima, seine Frau, entdeckte, vergaß er einige Augenblicke lang seine Vorsicht. Die Wiedersehensfreude ließ ihn die Gefahr vergessen. Einer der vor dem Frauengemach postierten Wächter mußte etwas gehört haben und schaute in den Raum, wo er die beiden Eindringlinge entdeckte. Zwar gelang es Pythamus, den Mann zu überwältigen, doch konnte er nicht verhindern, daß der Posten Alarm schlug. Daraufhin entspann sich ein erbittertes Handgemenge mit den neuhinzugekommenen Wächtern. Nur mit Mühe und Not gelang es den beiden Freunden zu fliehen – allerdings ohne Tarima, die einer der Wächter, der Bo-Draka erkannte, sofort vom Schauplatz des Geschehens abdrängte. Als die überraschten Posten feststellten, daß den beiden die Flucht gelingen würde, ließ einer von ihnen kurzerhand die Kauren frei, welche die Flüchtenden verfolgen sollten. Pythamus konnte sich im letzten Augenblick in den Raumtransporter retten. Unseren armen Freund Bo-Draka hatten wir verloren. Und ich mußte wehrlos zusehen. Denn das tymanische Gesetz verbot mir zu töten. Während sich Pythamus um die schluchzende Runa kümmerte, überdachte ich die Lage. Der lichtbeugende Energieschirm hüllte den Raumer jetzt wieder ein, so daß wir vor einer überraschenden Entdeckung geschützt waren. Mitten in meiner Nachdenklichkeit sah ich plötzlich eine 77
große Anzahl von Wächtern aus dem Palast stürmen. Allen voran ging ein vierschrötiger Kerl, der dauernd auf einer spiralförmigen Flöte blies. Es war jedoch kein Ton zu hören. Doch ich wußte auch so, daß es sich um eine der Ultraschallpfeifen handeln mußte, mit welcher man die Kauren betäuben konnte. Gleich darauf sah ich auch schon die Reaktion; die Tiere fielen plötzlich in sich zusammen. Starr und steif lagen sie da. Je zwei der Wärter befestigten nun an den Vorderbeinen jedes Tieres eine starke Kette und schleiften die leblosen Körper in den Vorraum zurück, in dem die Kauren Wache halten sollten. Und noch etwas bemerkte ich, das mich zu größter Wachsamkeit anspornte. Eine Anzahl seltsamer Fahrzeuge kam plötzlich über den Platz gerollt und bildeten einen Kreis um die Stelle, an der die Wächter unser Raumschiff vermuteten. Sie hatten tatsächlich richtig kombiniert, denn der Raum-Zeit-Transporter stand genau im Mittelpunkt des Kreises. Auf diesen Punkt richteten sie nun seltsame Geräte, die eine entfernte Ähnlichkeit mit großen Scheinwerfern hatten. Aus den Blenden dieser Apparate aber begannen violette Strahlenbündel zu fluoreszieren, die von Sekunde zu Sekunde an Intensität zunahmen. Sofort erkannte ich die Gefahr. Es waren dieselben geheimnisvollen Strahlen, die im Regierungssaal des Palastes meinen Körper sichtbar gemacht hatten – die also imstande waren, den lichtbeugenden Energieschirm zu neutralisieren. Anscheinend hatte Rhodra die Konsequenzen aus meinem ersten Auftauchen gezogen haben und ließ deshalb gleich mit diesen Spürgeräten nach uns suchen. Ich muß ehrlich gestehen, daß ich den Tyrannen soviel Intelligenz nicht zugetraut hätte. Ebenso überrascht war ich über die Tatsache, daß es ein Mittel gab, den lichtbeugenden Energie78
schirm zu durchbrechen und unwirksam zu machen. Ich hatte immer angenommen, es würde sich dabei um eine nicht zu überbietende Leistung der tymanischen Wissenschaftler handeln. Es konnte nur noch Sekunden dauern, dann mußten die Konturen des Raumschiffes sichtbar werden. Und dann? Blitzschnell zog ich den Starthebel und jagte das Schiff in die dünne tzabische Atmosphäre. Es geschah gerade im letzten Moment! Denn als sich die Flughalbkugel vom Boden abhob, deuteten die gespannt wartenden Wächter und Soldaten aufgeregt nach oben. Aber wir waren den neutralisierenden Strahlenbündeln entkommen. Nun galt es, ein Asyl für uns zu finden, einen Stützpunkt, von dem aus wir unsere weiteren Operationen starten konnten. Pythamus schlug vor, auf den kleineren der beiden tzabischen Trabanten zu fliegen und von dort aus die Geschehnisse auf dem Planeten zu verfolgen. Ich fand seinen Plan gut und stellte die nötigen Flugdaten auf dem Wähltisch ein. – Kurze Zeit später setzte die Maschine auf einem vulkanischen Geröllfeld auf. Da dieser Mond wegen seiner geringen Größe keine Luftschicht halten konnte, war er von den Tzabern unbeachtet gelassen worden. Er bot auch sonst nichts, was für die Pläne Rhodras interessant gewesen wäre. Die meteorologischen Stationen lagen auf dem zweiten Trabanten, der sich als Stützpunkt besser eignete. Für uns wir jedoch dieser Mond hier wie geschaffen, da wir sowieso nicht die Absicht, hatten, die Flughalbkugel zu verlassen. 79
Untergang Teljas Zwölfmal hatte sich der Planet Tzab seit unserem letzten Abenteuer, bei dem Bo-Draka den Tod fand, um seine Achse gedreht. Während dieser Zeit war ich oft um den Planeten gekreist, um irgendwelche Veränderungen festzustellen. Mit kummervollem Herzen mußte ich zusehen, wie der Tyrann die letzten Vorbereitungen zur Ausführung des wahnsinnigen Unterfangen treffen ließ, ohne daß wir etwas dagegen unternehmen konnten. Sämtliche für das Vorhaben wichtigen Operationsblasen und Raumschiffhäfen wurden abgesperrt. Das allein wäre aber noch nicht das Schlimmste gewesen. Man mußte dort unten auch unsere Schwäche erkannt haben; denn alles, was dem Herrscher nur irgendwie wichtig erschien, wurde Tag und Nacht von dem geheimnisvollen violetten Licht angestrahlt, so daß mir keine Möglichkeit blieb, ungesehen irgendwo einzudringen. Ich mußte mir eingestehen, daß Rhodra auf der ganzen Linie gesiegt hatte. Mit einer gewissen Bitternis dachte ich daran, daß es den tymanischen Priestern ein leichtes sein müßte, mit ihren überlegenen Waffen regulierend in das sich anbahnende Verhängnis einzugreifen. Das aber würde gegen die Grundsätze der Tymanischen Hierarchie verstoßen, wonach jede Einmischung in den Geschichtsablauf fremder Sonnensysteme mit Waffengewalt verboten war. Nur mit geistigen Waffen durfte ein tymanischer Gesandter kämpfen. – Auch wenn seine Bemühungen aussichtslos waren, blieb ihm der Weg der Gewaltanwendung verschlossen. Ich hatte in den vergangenen Tagen aufschlußreiche Gesprä80
che mit Pythamus geführt, wobei ich einige merkwürdige Neuigkeiten erfuhr. Unter anderem fragt ich ihn auch, wer Jamar gewesen sei, dessen Namen der Tyrann in der Erregung ausgestoßen hatte, als ich in meinem unsichtbaren Zustand zu ihm sprach. „Jamar war einst der Freund Rhodras“, erzählte mir der junge Mann. „Das ging solange gut, bis Jamar eines Tages die umwälzende Erfindung machte. Es gelang ihm nämlich, einen kleinen Apparat zu konstruieren, der um einen Körper einen lichtbeugenden Energieschirm anstrahlte, der ähnlich wie dein Verwandlungswürfel arbeitet. Nur war dieser Apparat nicht so vollendet. Diese Erfindung wollte Rhodra, der damals schon von einem skrupellosen Machthunger und Geltungsbedürfnis besessen war, für sich haben. Als sich Jamar weigerte, Rhodra die Erfindung zu überlassen, ermordete ihn dieser kaltblütig, um in den Besitz des kleinen, unscheinbaren Kästchens, das diese erstaunliche Wirkung hervorbringen konnte, zu kommen. Durch diese Erfindung des heimtückisch ermordeten Jamar schuf sich Rhodra seine heutige Machtposition, denn als Unsichtbarer war er imstande, sämtliche politischen Gegner auszuschalten, da er ja deren geheimste Pläne erfuhr, ohne daß sie es gewahr wurden. Diejenigen, die sich seinem Willen widersetzten, ließ er hinrichten, wobei er die Kauren einsetzte. Durch einen Zufall hatte er nämlich das Mittel entdeckt, womit man die Ungeheuer, die damals fast schon ausgestorben waren – nur wenige lebten noch auf einer kleinen Insel im Ozean – in hypnotische Starre versetzen konnte. Damit sich aber niemand unsichtbar machen konnte, ließ Rhodra von den ihm ergebenen Wissenschaftlern ein Abwehrmittel dagegen konstruieren – eben jene violetten Strahlen, die den lichtbeugenden Energieschirm neutralisieren.“ 81
Das also war das Geheimnis der violetten Strahlen. Auch in diesem Teil der Galaxis hatte ein Mensch, ein erfinderischer Geist, vor langen Jahren das Phänomen der Lichtbeugung entdeckt, von dem ich bisher angenommen hatte, daß es nur den tymanischen Priestern bekannt sei. Es war wiederum ein Beweis, daß sich alles im Universum nach einem einzigen Gesetz vollzog. „Was aber geschah mit der Erfindung Jamars?“ fragte ich Pythamus. „Genau kann ich es dir nicht sagen“, erwiderte er zögernd, „denn ich bin auch nur auf Vermutungen und Gerüchte angewiesen, die man sich heimlich zuflüsterte. Fest steht jedoch, daß Rhodra den Apparat nicht mehr in seinem Besitz hat. Er muß ihm abhanden gekommen sein – und zwar soll sich die Tochter eines Raumoffiziers, dessen Leben er auf dem Gewissen hat, an ihm gerächt haben. Sie meldete sich freiwillig für den Harem des Herrschers, und bei einer passenden Gelegenheit ließ sie den Apparat verschwinden.“ „Weißt du, wie dieses Mädchen hieß?“ Gespannt lauschte ich auf seine Antwort. „Sie heißt – Tamanna – und sollte einmal meine Fau werden. Jetzt ist sie die Lieblingsfrau des Tyrannen.“ Auch Pythamus hatte also sein Bündel zu tragen. Nun saßen wir hier auf dem kleinen Trabanten und waren ratlos. Die letzten Tage hatten sehr an unseren Nervenkräften gezehrt. Erst das tragische Ende unseres Freundes Bo-Draka, dann die Erkenntnis absoluter Machtlosigkeit gegenüber den verbrecherischen Plänen des Herrschers – das alles trug dazu bei, uns das Aussichtslose unserer Lage eingehend vor Augen zu führen. Das sonst so frische Gesicht Runas wirkte grau und eingefallen; ihre Augen lagen tief in den Höhlen, überschattet von rot82
geweinten Lidern. Der Gram und der Schmerz waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Das Mädchen tat mir leid. Zu meiner Verwunderung spürte ich aber in meiner Brust auch ein unbekanntes Gefühl, das keinesfalls nur Mitgefühl sein konnte. Es erschien mir vielmehr so, als müsse ich mit Macht die Nähe des Mädchens suchen; ich fühlte mich in immer stärkerem Maße für sie verantwortlich. Ich hatte plötzlich das drängende Verlangen, sie in die Arme zu nehmen, an mich zu drücken, und …? Was wollte ich eigentlich noch? Ich beschloß, über diese seltsamen Wünsche später einmal mit Pythamus zu sprechen, vielleicht konnte er mir Auskunft darüber geben, denn ich wußte nicht, was diese mir völlig fremden Empfindungen bedeuten sollten. Da uns im Augenblick nichts anderes zu tun übrigblieb als zu warten, wollten wir wenigstens den tzabischen Funkverkehr überwachen, was uns glücklicherweise möglich war. Dabei fingen wir eine Meldung auf, die besagte, daß der Beginn des verbrecherischen Experimentes kurz bevorstünde. Rhodra sprach nämlich selbst zu der tzabischen Bevölkerung. In den rosigsten Farben schilderte er das Leben auf dem Planeten nach dem gelungenen Versuch. „Auch wir werden bald die Temperatur auf Tzab haben, wie sie der dritte Planet unseres Sonnensystems aufweisen kann! Dann werden auch bei uns paradiesische Gärten entstehen! Ihr aber sollt sagen können: Das ist das Werk Rhodras, unseres guten Herrschers! Denn nur mir verdankt ihr euren Wohlstand!“ Mit solchen und ähnlichen Ansprachen bereitete der Tyrann das Volk vor. Am Ende seiner Reden aber rief er jedesmal pathetisch aus: „Bald wird euch die neue Sonne scheinen!“ Und dann, eines Tages, hörten wir seine letzte Ansprache. 83
Zum Schluß rief er: „Und nun soll die neue Sonne scheinen, die Sonne, die nur uns Tzabern allein gehört! Beginne dein Werk, Kama!“ Ein gedrücktes Schweigen hatte sich in dem Zentralraum des Raum-Zeit-Transporters ausgebreitet. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Jetzt, in diesen Minuten, saß irgendwo auf dem Tzab der verbrecherische Wissenschaftler Kama und wartete auf den Augenblick, da Tzab und Telja in der vorausberechneten Konjunktion zueinander standen. Und dann? Dann würde er auf einen Knopf drücken und die Atomgewalten auf Telja durch einen Funkimpuls auslösen. Der Plan des Verbrechers sah nämlich vor, durch eine gigantische Atomsprengladung, die man an einem Punkt des Planeten konzentriert hatte, Telja aus seiner Bahn zu drängen und wie ein Raketengeschoß durch den Weltraum zu jagen, bis Tzab ihn schließlich durch seine Anziehungskraft in eine Kreisbahn zwingen würde. Dann sollte eine zweite Atomladung auf Telja eine Kettenreaktion hervorrufen, die ihm zu einer künstlichen Sonne werden ließ. Dieser Narr! Er hatte keine Ahnung, daß er dadurch das Gefüge des ganzen Sonnensystems ins Wanken bringen würde. Ich hatte mehrmals versucht, Telja anzufliegen, um das Sprenglager zu suchen. Hätte ich die spaltbare Materie gefunden, so wäre es leicht gewesen, sie unschädlich zu machen oder wenigstens den Auslösemechanismus zu zerstören. Aber es war mir nicht gelungen! Rhodra hatte besonders dieses Gebiet durch die violetten Strahlen ausleuchten lassen. Jetzt war es zu spät, noch einmal zum Telja zu fliegen, denn 84
ich kannte ja den Plan Kamas nicht genau. Es konnte mir passieren, daß ich mitsamt dem Planeten in die Luft fliegen würde, und damit wäre der ganzen Sache keinesfalls gedient gewesen. In den nächsten Stunden oder Minuten mußte das Verhängnis seinen Lauf nehmen. Angestrengt starrten wir in den blau-schwarzen Weltraum, wo sich zwischen den Millionen hell flimmernder Sterne ein kleiner, leicht grünlich leuchtender Punkt abzeichnete: der Telja. Noch zog er seine Bahn, wie sie ihm der Schöpfer des Kosmos vor undenklicher Zeit vorgeschrieben hatte. Aber bald … Da! Das teuflische Experiment begann. Der Stern blähte sich plötzlich auf, vergrößerte sich, und erstrahlte in blendendweißem Licht. Knapp eine halbe Minute dauerte der Vorgang, dann wurde das Leuchten schwächer, erlosch plötzlich. Die Stelle aber, an der vor kurzem noch der Telja in majestätischer Ruhe seine Bahn um die Sonne gezogen hatte – war leer. Die Materie, die von dem einstmals so freundlichen Planeten noch übriggeblieben war, mußte jetzt auf der früheren Teljabahn ihren Weg durch das Sonnensystem ziehen, als Bruchstücke eines ehemaligen Himmelskörpers – als Asteroidengürtel, so, wie es die für das gesamte Universum gültigen physikalischen Gesetzen vorschrieben. Telja existierte nicht mehr! Menschliche Unvernunft hatte den Planeten zerstört! Neue Verbündete Aus den Tiefen des Raumes zog das Verderben heran. Der Tod raste in Form einer riesigen kosmischen Gaswolke durch die Dunkelheit des Weltraumes. Eine Zusammenballung giftiger, absolut tödlicher Gase, deren Moleküle sich bei zu einer Sphäre 85
lautloser Vernichtung der Geburt eines neuen Himmelskörpers das Randgebiet der Galaxis, vereint haben mußten, jagte durch das All. Unbeirrt schweifte der gigantische Gasball durch das Universum, alles organische Leben, das auf seinem Wege lag, vernichtend, bis er sich einmal in der Unendlichkeit verlieren würde. Ratoon hatte mir eine dementsprechende Nachricht gesandt. Es waren nur ein paar kurze Worte, die der Oberpriester, zu mir sprach: „Der Allgeist sendet die Strafe! Siebzehnmal wird sich der Planet Tzab noch um seine Achse drehen – dann wird seine Bahn die Bahn einer tödlichen kosmischen Gaswolke kreuzen. Wenn er daraus wieder hervortritt, wird alles Leben auf ihm erloschen sein.“ Kein Wort, das an mich gerichtet war, keine Geste des Verständnisses. Nichts weiter, als diese Warnung. Ich hatte zwar versucht, eine Frage an den greisen Patriarchen zu richten – aber man unterbrach auf Tyma IV kurzerhand die Verbindung. Zwar hatte man mir keinerlei Vorwurf gemacht, hatte kein Wort über meine erfolglose Mission verloren – aber ich wußte auch so, daß ich nun in den Augen des Hohen Rats als Unwürdiger galt … gelten mußte! Denn ich hatte die mir auferlegte Prüfung nicht bestanden. Ich war nicht nur nicht imstande gewesen, den Atommißbrauch zu unterbinden – ich hatte nicht einmal die Zerstörung eines Planeten verhindern können. Und das wog wohl am schwersten in den Augen der tymanischen Priester. Als Pythamus von dem drohenden Unheil erfuhr, bedrängte er mich, den Versuch zu unternehmen, Tamanna, seine frühere Braut, und Tarima, die Mutter Runas, vor der drohenden Todesgefahr zu retten. 86
Es blieb mir sowieso nichts anderes zu tun übrig, denn ich fühlte mich den beiden Frauen gegenüber verantwortlich. Tamanna, weil sie mir die Flucht aus dem Palast ermöglicht hatte, und Tarima, weil ich für Runa wenigstens die Mutter retten wollte. Durch die Rundfunksendungen von Tzab erfuhren wir, daß Rhodras Zorn seit dem Mißlingen des Experimentes keine Grenzen mehr kannte. Es verging kein Tag, an dem die Kauren nicht ein neues Opfer bekamen. Den Anfang mußten Kama und seine Mitarbeiter machen; denn der Herrscher hatte sie kurzerhand der Sabotage bezichtigt. Ihnen folgten verschiedene höhere Beamte, die Rhodra wegen Unfähigkeit zum Tode verurteilte, unter ihnen auch Tolem, der letzte Statthalter von Eretz. Ihm gab der Tyrann die Schuld an der Flucht des Pythamus.
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Die Wächter, die Bo-Draka und Pythamus vergeblich verfolgt hatten, wanderten ebenfalls in den Kaurenzwinger. Obwohl die Kauren den Vater Runas noch erwischt hatten, hielt der wahnsinnige Herrscher sein Urteil aufrecht. Als die Meldung durchkam, daß auch Tarima hingerichtet werden sollte, gab es für uns kein Halten mehr. Zum Glück lag Runa während der Durchgabe der Nachricht in einem tiefen Schlaf der Erschöpfung, so daß sie von der Verurteilung ihrer Mutter noch nichts wußte. Wir hüteten uns deshalb sehr, irgend etwas darüber verlauten zu lassen, denn wir wollten die ohnehin schon sehr strapazierten Nerven des Mädchens nicht noch weiteren Belastungen aussetzen. – Pythamus und ich machten uns ernstlich Sorgen um Runa, die seit dem Tode ihres Vaters kaum ein Wort gesprochen hatte. Ich wollte mit dem Raum-Zeit-Transporter wegen der nahen Entfernung keine Entmaterialisierungs-Versetzung mehr vornehmen und flog deshalb in direktem Flug nach dem Tzab. – Als wir in sicherer Höhe über dem Palast kreisten, entdeckten wir sofort, daß Rhodra die Bewachung seines Domizils erheblich verstärkt hatte. Zu unserem Leidwesen sahen wir auch, daß die violetten Strahlenwerfer immer noch in Betrieb waren – ja, man hatte deren Anzahl sogar beträchtlich erhöht. Es bestand also für uns keine Aussicht mehr, im Schutze des lichtbeugenden Energieschirmes an den Palast heranzukommen und in ihn einzudringen. „Ich kenne einen Schleusenwärter“, erzählte mir Pythamus, „von dem wir vielleicht einige Handfeuerwaffen bekommen könnten. Er und sein Sohn bedienen ganz allein die nördlichste Schleuse des Hauptkanals. Beide sind erbitterte – wenn auch heimliche – Gegner des Tyrannen. Sie vermögen vielleicht uns zu helfen.“ 88
Obwohl mein Glaube es verbietet, Entscheidungen mit Waffengewalt herbeizuführen, stimmte ich dem Rat des Freundes zu. Ich hatte nicht die Absicht, im Ernstfall zu schießen. In ungefähr fünftausend Meter Höhe flogen wir den Hauptkanal entlang. Der gewaltige, viele Kilometer breite Kanal wies um diese Jahreszeit keinen sehr hohen Wasserstand auf, ein Zeichen des beginnenden Winters. Nur im Frühjahr, zur Zeit der Schneeschmelze, war er meist bis an den Rand vollgefüllt mit dem lebensspendenden Naß, das er von den beiden Polen bis in die bewohnten Äquatorgebiete führte, von wo aus kleinere Seitenarme die Versorgung des dürstenden Landes übernahmen. Bald hatten wir die letzten menschlichen Ansiedlungen weit hinter uns gelassen. Nur ab und zu tauchte eine der unmittelbar an den Kanalrand gebauten Kontrollstationen auf, in denen die lebenswichtige Versorgungsader überwacht wurde. Endlich kam die imposante Schleuse in Sicht, die den eigentlichen Kanal von dem gigantischen Sammelbecken getrennt hielt. Im Vergleich dazu wirkte das Schleusenhaus mit dem angebauten Maschinen- und Schaltraum winzig. Und doch konnten diese gewaltigen Anlagen von nur zwei Menschen bedient werden. Auf dem freien Platz hinter dem eigentlichen Wohnhaus setzte ich die Flughalbkugel auf. Pythamus trat ins Haus. Ich folgte ihm im Schutze meines Verwandlungswürfels. Gleich nachdem wir die Haustür geöffnet hatten, heulte eine Alarmsirene auf. Es dauerte nicht lange, da kam uns ein kräftig gebauter Mann entgegen, in den Händen einen schweren Vernichtungsstrahler. Überrascht ließ der bullige Tzaber die Waffe sinken und begrüßte den auf ihn zutretenden Pythamus herzlich. 89
„Ich grüße dich, Pythamus. Ich freue mich, dich zu sehen. Wie kommt es, daß ich nichts von deiner Ankunft bemerkt habe? Nicht einmal die Geräusche deiner Flugmaschine haben wir gehört. Rhabu!“ rief er dann laut ins Innere des Hauses, „komm her, wir haben Besuch!“ Nach kurzer Zeit kam ein blonder Jüngling in den Raum gelaufen, stutzte einen Augenblick – und umarmte dann mit einem Freudenschrei den lächelnden Pythamus. Nachdem sich die erste Freude etwas gelegt hatte, erklärte der Freund den beiden Schleusenwärtern den Zweck seines Besuches, wobei er bat, meine Gestalt sichtbar werden zu lassen. Die Mienen der beiden zeigten höchstes Erstaunen, als sich mein Körper ihren Blicken darbot. Bald hatten sie jedoch ihre anfängliche Scheu überwunden und drückten mir die Hände, wobei sie mich ihrer Freundschaft versicherten. Das Gesicht des Vaters legte sich in kummervolle Falten, als ihm Pythamus über die letzten Ereignisse berichtete. „Auch ich fürchte um mein Leben – und genauso ist Rhabu in Gefahr“, bekannte er nach einer Weile des Nachdenkens, „denn es ist nicht ausgeschlossen, daß Rhodra von irgendeiner Seite etwas über unsere Freundschaft erfahren hat!“ „Dann kommt doch mit uns!“ schlug Pythamus vor, wobei er einen Blick auf mich warf. Schweigend nickte ich. Warum sollte ich diese beiden ehrlichen Menschen nicht retten? Selbst wenn sie den Häschern Rhodras entgingen, wäre ihr Schicksal besiegelt gewesen – und zwar durch die allesvernichtende, kosmische Gaswolke, die in siebzehn Tagen die Bahn des Planeten Tzab kreuzen und alles Leben auf ihm vernichten sollte. Außerdem konnten uns die beiden kräftigen Männer vielleicht nützen. 90
Schnell waren die näheren Einzelheiten besprochen. Der Sohn entschuldigte sich für einen Augenblick und kehrte nach wenigen Minuten mit einem kleinen Koffer zurück, in dem er einige Strahlwaffen trug. Es waren die Strahler, die man ihnen zur Verteidigung der Schleuse überlassen hatte. Rhasor, der Vater, verschwand darauf ebenfalls für kurze Zeit und brachte bei seiner Rückkehr einen seltsam geformten Apparat mit. „Haben wir dafür Verwendung?“ fragte er mich und öffnete den Kasten. Und ob wir dafür Verwendung hatten! Es handelte sich nämlich um ein kleines, tragbares Elektronenteleskop. Da die Konzentrattabletten, die Pythamus und Runa bei sich führten, nicht mehr lange reichen würden, erkundigte ich mich bei Rhabu, ob sie vielleicht noch Vorräte hätten. „Selbstverständlich“, beeilte sich der junge Schleusenwärter zu erwidern und brachte eine dicke, runde Kunststoffhülse. „Diese Tabletten dürften für fünf Personen ein Jahr lang reichen!“ Nun, das war mehr als genug, denn ich nahm ja keine Nahrung zu mir. Rhasor und sein Sohn trugen die Gepäckstücke zum RaumZeit-Transporter, wo es zwischen Runa und den beiden ebenfalls eine herzliche Begrüßungsszene gab. Gerade, als Pythamus und ich in das Schiff gehen wollten, näherte sich von Süden her eine tieffliegende Flugmaschine, die genau Kurs auf die Schleuse hielt. „Die Häscher kommen zu spät“, lächelte Pythamus und trat in die Flughalbkugel. Ich folgte ihm schnell und verschloß den Eingang. Wenige Sekunden später jagte unser Flugschiff im Schutze des lichtbeugenden Energieschirmes in entgegengesetzter Richtung den Kanal entlang. 91
* Unter uns lag der Palast. Verspielt huschten die Strahlen der tiefstehenden Sonne über die vergoldeten Flachdächer des Komplexes. In der Nähe des Kaurenzwingers herrschte um diese Zeit reges Leben. Die schaulustige Menge wollte sich die Urteilsvollstreckung an Tarima nicht entgehen lassen – denn selten wurden Frauen den Untieren vorgeworfen. Runa ahnte immer noch nicht, daß ihre Mutter hingerichtet werden sollte. Plötzlich entstand an einem der Seitenflügel eine Bewegung. Eine kleine Menschengruppe verließ den Trakt und strebte in Richtung auf die Arena zu. Ich zog die Maschine etwas tiefer, um besser sehen zu können. Erschreckt preßte Pythamus meinen Arm, denn die in der Mitte der Gruppe gehende Frau war – Tarima. Natürlich hatte auch Runa ihre Mutter erkannt und gesehen, daß sie in Fesseln ging. Blitzschnell hatte das Mädchen den Sachverhalt erfaßt, wollte einen Schrei ausstoßen – aber es wurde nur ein leises Seufzen; eine Ohnmacht erlöste sie von dem quälenden Anblick. Rhasor wußte sofort, um was es ging. „Versuche, neben der Gruppe zu landen, Tormoon!“ schrie er mir zu, und öffnete hastig den kleinen Koffer, riß zwei der Vernichtungsstrahler heraus und drückte seinem Sohn einen davon in die Hand. „Vielleicht gelingt es uns, die Frau zu befreien!“ Ich erfaßte sofort, was er vorhatte und ließ den Raumer tiefer gehen. Knapp hinter dem Rücken der Gruppe fing ich ihn auf und öffnete die Luke. 92
Die über den Platz streichenden violetten Strahlen machten bereits die Konturen der Flughalbkugel sichtbar, doch ich kümmerte mich nicht darum und wartete ab. Rhasor und sein Sohn stürmten aus der Maschine auf die Gruppe zu. Der als Nachhut gehende Begleitposten drehte sich überrascht um. Er zog seinen Strahler und legte auf den Schleusenwärter an. Aber Rhabu war schneller. Ein Häufchen schwelender Asche war alles, was von dem Posten übrigblieb. Vielleicht wären die anderen Begleiter auf den Vorfall gar nicht aufmerksam geworden, wenn in diesem Augenblick nicht eine Alarmsirene aufgeheult hätte. Sie wandten sich um und entdeckten die beiden. Wie auf ein Kommando brachten sie ihre Strahlwaffen in Anschlag. Doch ihr Schicksal war bereits besiegelt! Ehe sich die Finger der Posten um die Abzugshähne krümmen konnten, ließen die beiden ehemaligen Schleusenwärter ihre Strahlwaffen in Tätigkeit treten. Es war das Werk von Sekunden, und sie verdankten ihr Leben nur der Schnelligkeit, mit der sie handelten, denn dieser Übermacht hätten sie unterliegen müssen. Kein einziger Gefangenenwächter überlebte den Kampf. Mit entsetzt aufgerissenen Augen verfolgte Tarima das Geschehen. Und doch glomm in ihren Blicken ein kleiner Hoffnungsschimmer auf. Mehr fallend als gehend taumelte sie in die starken Arme Rhasors, der sie spielend hochhob und mit der leichten Last auf das Schiff zurannte. Es wurde auch höchste Zeit! An einigen Stellen glühte schon der Sand auf – ein Zeichen, daß man mit Fernstrahlern auf die beiden unerschrockenen Männer schoß. Die Einschußstellen rückten den beiden beängstigend nahe. Endlich hatte Rhasor den Raumer erreicht, wo ihm Pythamus die Frau abnahm und sie ins Innere zog. 93
Auch Rhasors Sohn gelangte unverletzt in das schützende Schiff, an dessen Energieschirm die Strahlen wirkungslos abprallten. Nach wenigen Minuten hatten wir die violette Zone passiert – der lichtbeugende Schutzschirm arbeitete jetzt wieder – und nahmen Kurs auf den kleinen Trabanten. Runa hatte das Bewußtsein wiedererlangt und lag weinend im Arm ihrer Mutter. Auch die ältliche, aber immer noch schöne Frau weinte leise vor sich hin. Die Aufregungen der letzten Tage und das unerwartete Wiedersehen hatten die beiden Frauen seelisch zermürbt. Aber noch konnte ja alles gut werden. Ich setzte den Apparat an der Stelle auf, von der wir vor Stunden den Flug nach dem Tzab begonnen hatten. Der Planet drehte uns jetzt gerade die Seite zu, auf der die Hauptstadt Tzula lag. Wir brachten das kleine Elektronenteleskop, das Rhasor mitgenommen hatte, in Position und versuchten, den Palast in das Rohr zu bekommen. Überraschenderweise gelang uns das nach kurzer Zeit. Die Vergrößerung des Gerätes reichte aus, um sogar Einzelheiten erkennen zu lassen. Die schaulustige Menge hatte sich verlaufen, und die Tzaber strebten ihren Behausungen zu. Kurze Zeit später schritt auch Rhodra mit seinem Gefolge in den Palast zurück. Hinter ihm aber ging eine Frau, die sich über die vereitelte Hinrichtung sichtlich zu freuen schien, denn ein leises Lächeln huschte über ihr schönes Gesicht. „Tamanna!“ rief Pythamus heiser. „Dort geht Tamanna!“ Das also war das Mädchen, das mir kürzlich die Flucht aus der Gewalt des Herrschers ermöglichte, dieses Mädchen, das einst die Frau des Pythamus hatte werden sollen.
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Rhodras Wasserspeicher Vierzehnmal hatte sich der Planet Tzab inzwischen um seine eigene Achse gedreht – und noch immer wußten wir nicht, wie wir Tamanna befreien sollten. Pythamus wurde von Sonnenaufgang zu Sonnenaufgang mutloser. Dreimal noch werden die Menschen auf Tzab den Lauf ihres Muttergestirns verfolgen können – dann wird die Bahn des Planeten die der kosmischen Gaswolke schneiden, wenn er aus dem Gasball wieder hervortritt, wird das Leben auf ihm erloschen sein. Als toter Himmelskörper wird er danach seine Reise um das Zentralgestirn machen, nach dem ewigen göttlichen Gesetz der Weltenordnung. „Einen Tag und eine Nacht warten wir noch“, entschied ich, „dann werden wir versuchen, mit Gewalt in den Palast einzudringen und Tamanna zu befreien!“ Dankbar sah mich Pythamus an und machte uns dann einige Vorschläge, was wir unternehmen könnten. Es war jedoch kein hundertprozentig erfolgversprechender Plan dabei, denn der junge Mann ließ sich zuviel von Gefühlen leiten. „Wir werden schon einen Weg finden“, mischte sich da Rhasor in das Gespräch. „Wenn wir an Ort und Stelle sind, läßt sich viel eher etwas unternehmen, weil wir uns dann der Situation anpassen können. Ist das nicht auch deine Meinung, Tormoon?“ Ich mußte ihm zustimmen. Wir konnten von hier aus nicht beurteilen, mit wie vielen Gegnern wir zu rechnen haben, und ein genauer Angriffsplan ließ sich erst nach dem jeweiligen Stand der Dinge fassen. Vorerst wollten wir also noch die von mir vorgeschlagene Frist abwarten. Dann würde man weitersehen, wo sich der beste Ansatzpunkt für unser Vorhaben bot. 95
Träge verflossen die Stunden, viel zu langsam für den ungeduldigen Pythamus und den kampflustigen Rhasor. Ich spürte förmlich, wie die Männer die Entscheidung herbeiwünschten, ja, sich geradezu danach sehnten, eine Lösung zu erzwingen. Und währenddessen zog der Tzab seine Bahn um die Sonne, und drehte sich dabei seinem Verderben entgegen. In Tzula mußte es jetzt Nacht sein. Wenn aber die Finsternis dem Licht des neuen Tages gewichen war, begann die letzte Phase unseres Eingreifens. Endlich war es soweit! Einen letzten Blick warfen wir noch durch das Elektronenteleskop auf die sich im Sonnenlicht spiegelnde tzabische Hauptstadt. Still und verschlafen lag der Palast da, als wäre er soeben aus einem langen Dämmerschlaf erwacht. Aber dieser Eindruck täuschte! Zu gut konnten wir die postierten Strahlenkanonen sehen. Rhodra hatte – durch die Entführung Tarimas gewitzt – die Umgebung des Palastes und den eigentlichen Komplex selbst zu einer waffenstarrenden Festung ausgebaut, deren Kanonenläufe drohend in die dünne Atmosphäre des Planeten stachen. – Tod und Verderben warteten dort unten auf uns. Es war unmöglich, ungesehen bis zum Palast vorzudringen, denn die violetten Strahlen, die allein imstande waren, unsere lichtbeugenden Energieschirme zu neutralisieren, leuchteten jeden Winkel des Geländes und des Palastes ab. Doch da hatte Pythamus den rettenden Einfall. „Die einzige Chance, unbemerkt in den Palast einzudringen, wäre, den unterirdischem Seitenkanal entlangzuschwimmen, der mit dem Hauptkanal verbunden ist, um die Wasserversorgung der Residenz zu gewährleisten.“ Der Gedanke war genial! Möglicherweise konnte man mit 96
dem Raum-Zeit-Transporter, der sich auch zu Unterwasserfahrten eignete, bis zu dem Gebäude gelangen. Es hatte nämlich den Anschein, als wäre der Seitenkanal breit und tief genug. Selbst, wenn der Raumer keinen Platz in der Kanalrinne haben sollte, war der Plan durchführbar; denn ich hatte ja meinen Raumanzug und einen Ersatzanzug. Notfalls konnte man auch aus einer der kleinen Sauerstoffpatronen ein behelfsmäßiges Unterwasser-Atmungsgerät herstellen. In dieser Hinsicht war ich ganz zuversichtlich. Auch der alte Rhasor fand den Plan unseres jungen Freundes ausgezeichnet und erbot sich sogar, das Wagnis allein durchzuführen. Pythamus versprach sich jedoch mehr Erfolg, wenn er selbst die Aufgabe übernahm, da er ja mit den Räumlichkeiten des Palastes besser vertraut war. Ich entschied, daß diese Frage erst geklärt werden sollte, wenn wir angelangt seien. Ohne noch lange Reden zu halten, startete ich. Weit außerhalb der eigentlichen Absperrungen tauchte die Flughalbkugel in den Hauptkanal ein. Glücklicherweise führte der Kanal noch genug Wasser, um den Flugapparat vollständig einsinken zu lassen und zu bedecken. Trotzdem durfte ich nur mit äußerster Vorsicht Fahrt aufnehmen, denn zu starke Wasserbewegungen konnten unsere Anwesenheit verraten. In dieser Situation kam uns ein Wetterumschlag zu Hilfe und erleichterte unser Vorhaben. Ein Sandsturm zog herauf. Mit elementarer Wucht trieb ein orkanartiger Wind gewaltige Wolken des rotbraunen Sandes aus den westlichen Wüstengebieten gegen die Hauptstadt. Bei diesem Toben der Natur mußte unbedingt die Wachsamkeit der Posten nachlassen – sofern sich überhaupt noch ein Mensch im Freien aufhalten konnte. Der Orkan peitschte die Wasser des Kanals und ließ eine sol97
che Wellenbewegung entstehen, daß die von unserem Raumer verursachten Wogen nicht mehr zu bemerken waren. Nach kurzer Zeit hatten wir die Einmündung des Seitenkanals erreicht. Es stellte sich heraus, daß der Flugapparat tatsächlich darin Platz hatte. Es blieben sogar noch einige Meter Spielraum zwischen dem Schiffskörper und den beiden Kanalwänden. Nach meinen Berechnungen mußten wir bald den Einfluß zum Reservoir, von dem aus das Wasser in die Aufbereitungsanlagen gepumpt wurde, erreicht haben. Es galt also, größte Vorsicht walten zu lassen. Ich wagte ein kurzes Auftauchen, um mich zu vergewissern. Tatsächlich hatte ich mich nicht getäuscht, denn knapp vor mir gähnte die dunkle Öffnung des Einflußtunnels. Aber diesen Eingang versperrte ein starkes Metallgatter. Ratlos blickte ich in die Runde. Was nun? „Es gibt eine Möglichkeit, das Gitter zu öffnen“, erklärte uns Pythamus, „aber dazu müßte man in das Innere des Reservoirs gelangen. Soviel ich mich erinnern kann, klafft zwischen dem unteren Teil des Gitters und dem Kanalboden ein schmaler Spalt, durch den ein schlanker Mann hindurchschlüpfen kann. Wenn vielleicht …“ „Ich werde es versuchen!“ unterbrach ihn der forsche Rhabu bestimmt. „Gebt mir einen Raumanzug!“ „Du mußt dich, nachdem du das Gitter passiert hast, nach rechts halten, wo du bald auf eine nach oben führende Steigleiter stoßen wirst. Folge dieser Leiter bis zum Beckenrand. Das dort angebrachte Stellrad mußt du nach links drehen bis zum Anschlag, dann hast du das Gitter geöffnet.“ Hastig streifte sich der junge Tzaber den Raumanzug über. Er schien es kaum erwarten zu können, in das Innere des Wasserspeichers vorzudringen. 98
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Ich ließ ihn durch die Luftschleuse hinaus und konnte beobachten, wie er auf dem glatten Kanalboden vorwärtsstrebte und auf das Gitter zuging. Bald war er meinen Blicken entschwunden. Ich ließ die Flughalbkugel auftauchen und beobachtete das Gitter und die Umgebung des Zuflußtunnels. Es konnte ja immerhin möglich sein, daß ein Beobachter das Hochfahren des Gitters bemerken würde. Pythamus beruhigte mich jedoch: „Dieser Teil der Gegend ist für jeden Tzaber tabu; alles, was mit Wasser zusammenhängt, wird von jedem guten Tzaber gemieden – eine Folge der tiefverwurzelten Verehrung, die man dem lebensspendenden Naß seit Tausenden von Jahren auf unserem Planeten entgegenbringt. Du weißt ja, daß unser Wasser von Generationen zu Generationen rarer wurde.“ Die Worte des Mannes bestätigten sich auch. Niemand war in der Nähe zu sehen. Außerdem tobte immer noch der Sandsturm. Ungeduldig starrte ich auf das massive Gitter. Bis jetzt war noch nichts zu bemerken. Ich beschloß, noch kurze Zeit zu warten und dann wieder aufzutauchen; es war ja immerhin damit zu rechnen, daß Rhabu ins Schiff zurück mußte … Plötzlich kam Leben in die grauschwarzen Gitterstäbe! Langsam und gleichmäßig schob sich das sperrende Gatter nach oben. Knapp über der Wasseroberfläche stand jetzt die unterste Verstrebung still. Dieser Rhabu war ein Teufelskerl! Er hatte das Gitter in eine Stellung gebracht, an der ein zufälliger Beobachter nichts Auffälliges feststellen konnte – und trotzdem war der Weg unter der Wasseroberfläche frei für uns. Schnell ließ ich den Flugapparat auf den Kanalgrund zurück100
sinken. Rhabu konnte jeden Augenblick zurückkommen. Da sah ich auch schon seine Gestalt auf uns zuschwimmen. Kurze Zeit später stand er triefend wieder in unserer Mitte. Alles war glattgegangen. Nun konnten wir mühelos in das Innere des Wasserreservoirs eindringen. In der Mitte des gewaltigen; runden Beckens legte ich den Raum-Zeit-Transporter auf Grund. Jetzt mußten die weiteren Maßnahmen besprochen werden … Das Strafgericht Bewegungslos stand die Flughalbkugel auf einem von mir berechneten Punkt zwischen Tzab und Eretz im All. Das Rohr des kleinen Elektronenteleskops verfolgten den Lauf des roten Planeten. Friedlich umkreisten die beiden Monde die Welteninsel. Noch ging das Leben auf ihr seinen gewohnten Gang. Aber wie lange noch? Nach den Worten des tymanischen Oberpriesters mußte in kurzer Zeit alles Leben erlöschen. So wollte es der unergründliche Wille des Allschöpfers. Niemand konnte an dem göttlichen Beschluß etwas ändern. Nach sieben Zeitstrichen würde sich das Schicksal – an dessen Endpunkt die Vernichtung jeglichen organischen Lebens auf Tzab stehen mußte – vollzogen haben. Pythamus war es gelungen, Tamanna zu befreien. Durch das Wasserversorgungssystem konnte er bis in das Innere des Palastes vordringen und das unmöglich scheinende Werk vollbringen. Nun war das Mädchen, dem auch ich viel – vielleicht sogar mein Leben – zu danken hatte, hier bei uns im Schiff. Pythamus wartete jetzt nur noch darauf, mit dem geliebten Wesen ein neues Leben beginnen zu dürfen. Und für dieses 101
Leben hatte er Eretz, den dritten Planeten des Sonnensystems ausgewählt. Noch sechs Zeitstriche bis zum Untergang. Ein gedrücktes Schweigen herrschte in dem Zentralraum der Flughalbkugel. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Angstvoll hielten sich Runa und ihre Mutter umschlungen, während Pythamus die schlanken Hände Tamannas preßte. Fünf Zeitstriche! Dann hatte der Planet seine siebzehnte Eigenrotation beendet; dann würde seine Bahn die der kosmischen Gaswolke kreuzen. Gespannt hingen die Blicke aller Anwesenden an dem überdimensionalen Bildschirm des Raumwellengerätes. Ich hatte die kleine Sichtscheibe des Elektronenteleskopes mit diesem Bildschirm gekoppelt, so daß jeder hier in der Zentrale die bevorstehende Katastrophe mitverfolgen konnte. Auf dem Planeten selbst schien noch niemand etwas von der kommenden Vernichtung zu ahnen. Nach wie vor strahlte der tzabische Regierungssender sein Programm aus, welches nur ab und zu unterbrochen wurde, um die neuesten Meldungen durchzugeben. Bei diesen Nachrichten handelte es sich meist um die jüngsten Verurteilungen. Dabei erfuhren wir auch, daß man Rhasor und dessen Sohn in Abwesenheit zum Tode verurteilt und auf deren Ergreifung – tot oder lebendig – eine hohe Belohnung ausgesetzt hatte, was den beiden Männern aber nur ein leichtes Lächeln entlockte. Überhaupt schienen sich die beiden mit der veränderten Sachlage am leichtesten abzufinden. Sie fieberten direkt einem neuen Leben entgegen. Für sie existierte der Planet Tzab nicht mehr. Vier Zeitstriche! Rasch näherte sich die dunkelgrüne Flüssigkeitssäule des 102
u-förmigen Zeitmessers dem Scheitelpunkt der Skala, rückte unaufhaltsam auf den nächsten Teilstrich vor, passierte die Dreiermarke – und wanderten auf den zweiten Strich zu. In diesem Augenblick wurde das Programm des Regierungssenders erneut unterbrochen. „Die Astronomen der staatlichen Observatorien haben ein seltsames Phänomen registriert, das in Kürze die Bahn unseres Planeten kreuzen wird“, klang die Stimme des Ansagers auf. „Bis jetzt steht nur fest, daß es sich um eine kosmische Gaswolke handeln muß, über deren Zusammensetzung bereits die ersten Messungen vorgenommen werden. Wir schalten nun um zu dem Mondobservatorium, von wo aus der oberste Chefastronom über die neuesten Meßergebnisse berichten wird.“ Bei den letzten Worten des Sprechers hatte die Flüssigkeitssäule bereits die zweite Zeitmarke erreicht und strebte auf den Nullpunkt zu. Keiner von uns wandte den Blick von dem großen Bildschirm, auf dem sich in seltener Klarheit der Tzab und seine beiden Monde abzeichneten. Eben hatte sich der kleinere der beiden Trabanten unseren Blicken entzogen – er wanderte hinter die Planetenkugel. Aus der Schallmuschel des Empfängers tönte die Stimme des Chefastronomen auf. „Bis zu diesem Augenblick ist es uns immer noch nicht möglich, nähere Einzelheiten über das eigenartige Phänomen bekanntzugeben, da sich die Zusammensetzung der kosmischen Wolke mit den uns bekannten Mitteln nicht analysieren läßt. Es steht jedoch einwandfrei fest, daß sie keine Radioaktivität ausstrahlt. Wahrscheinlich handelt es sich um winzige Staubpartikelchen, die von irgendeinem geborstenen Weltenkörper herrühren, die aber für Menschen völlig ungefährlich sind. Es besteht keinerlei Grund zu irgendwelcher Beunruhigung.“ 103
In diesem Augenblick überstieg die grüne Flüssigkeitssäule den Scheitelpunkt der Skala. Noch konnte man auf dem Bildschirm nichts Außergewöhnliches bemerken. Oder doch? Die sonst klaren Konturen des Planeten und des sichtbaren Trabanten wirkten plötzlich verschwommen. Das ganze Bild trübte sich mit zunehmender Schnelligkeit. Immer dunkler wurde die Stelle, an der vor kurzem noch die rötliche Kugel des Tzab in der Schwärze des Weltraums hing. Nur noch ein fahles Leuchten verriet den verhüllten Planeten. * Zwei tzabische Rotationen und dreiundzwanzig Zeitstriche drehte sich der Planet durch die tödliche Wolke, bis ihn endlich der gewaltige Gasball freigab. Friedlich, als wäre nichts geschehen, zog Tzab auf der vorgeschriebenen Bahn seinen Weg durch das All, beschienen von den wärmenden Strahlen des Muttergestirns. Das Leben auf ihm war erloschen, vernichtet, ausgelöscht – für alle Ewigkeit; oder bis zu dem Tag, an dem eine andere raumfahrende Rasse von dem geläuterten Himmelskörper Besitz ergreifen würde. In direktem Flug jagte ich den Raum-Zeit-Transporter unserem Ziel, dem dritten Planeten entgegen. Noch konnten die Menschen im Schiff nicht begreifen, daß ihre Heimat durch ein unerklärliches Schicksal entvölkert worden war. Aber es gab keinen Zweifel – konnte keinen Zweifel mehr geben – die tzabische Rasse war ausgelöscht aus der Liste der intelligenten Lebewesen, die diesen Teil der Galaxis bewohnten. Nur noch eine winzige, die Rasse erhaltende Minder104
heit, war übriggeblieben: die fünf Tzaber hier im Schiff – und die auf Eretz stationierten Verwaltungsbeamten. Würden es diese Überlebenden verstehen, aus dem Geschehen die Lehren zu ziehen und sich ein neues, besseres Leben aufzubauen? In meinem Herzen nagten die Zweifel. Gleichzeitig fühlte ich die schwere Verantwortung, die ich mir als Meister des 14. Grades aufgebürdet hatte; denn nun würde es an mir liegen, die verbliebenen Menschen des Tzab und die noch unterentwickelten Bewohner von Eretz auf den rechten Weg zu führen. * Vor der Residenz des Statthalters setzte ich die Flughalbkugel auf. Ich beschloß, erst einmal allein – unter dem Schutz meines Verwandlungswürfels – die Lage zu erkunden. Es war wichtig, zu wissen, ob die hier verbliebenen Tzaber von der Katastrophe wußten. Langsam schritt ich auf das Gebäude zu. Durch dasselbe Portal, das ich das letztemal zur Befreiung des Pythamus durchschritten hatte, trat ich in die Residenz. Die nachdenklichen Gesichter der Posten sagten mir jedoch bereits genug! Man schien die Wahrheit schon zu wissen. Vorsichtig machte ich mich auf den Weg ins Obergeschoß. Aus dem Arbeitszimmer des Statthalters drangen Stimmen an mein Ohr. Lauschend blieb ich stehen. Zwei Männer unterhielten sich miteinander. Aus ihren Worten vernahm ich unschwer, daß sie längst erkannt hatten, wie es um Tzab stand. Ohne das Gespräch weiter zu verfolgen, begab ich mich wieder nach draußen. Von diesen Menschen hier war nichts mehr zu befürchten. Das Weitere mußte Pythamus erledigen. 105
Neugierig empfingen mich die Freunde. Leise erzählte ich meine Wahrnehmungen und bat dann den jungen Tzaber um seine Meinung. „Ich. werde selber in die Residenz gehen, um die Angelegenheit zu ordnen. Rhasor soll mich begleiten!“ bestimmte Pythamus. Der ehemalige Schleusenwärter war sofort Feuer und Flamme. Seinen Tatendrang konnte er kaum unterdrücken. Freudig ergriff er seinen Strahler und lächelte unternehmungslustig: „Gehen wir!“ Ich sah, wie die beiden zu den Wachtposten traten, die sofort ihre Waffen in Bereitschaft hielten. Dann sprach Pythamus eindringlich auf die vier Soldaten ein. Endlich rannte einer von ihnen in das Gebäude. Es dauerte nicht lange, da kam er in Begleitung zweier Männer wieder. Der ältere dieser Männer – ein Greis mit schlohweißen Haaren, dessen schmächtige Gestalt ein purpurroter Umhang einhüllte – stutzte einen Augenblick und lief dann mit einer Wendigkeit, die für sein Alter erstaunlich war, auf den abwartend dastehenden Pythamus zu und schloß den Jüngling in seine Arme. Auch der andere, jüngere Mann folgte dem Beispiel des Alten. „Der Ältere ist Barhas, der Nachfolger Tolems, den Rhodra den Kauren vorwerfen ließ. Er begrüßt Pythamus so herzlich, weil er ein ehemaliger Freund seines Vaters ist“, klärte mich Rhabu auf, der, wie ich, gespannt die Szene verfolgte. „Und wer ist der Jüngere?“ interessierte ich mich. „Das ist Rhemus, ein Studienfreund von Pythamus“, schaltete sich Tamanna in das Gespräch ein. Die Männer schritten nun an den salutierenden Posten vorbei auf die Flughalbkugel zu. Ich hob den lichtbeugenden Energieschirm auf, so daß die Ankommenden das Schiff erkennen 106
konnten. Erstaunen malte sich in den Gesichtern der beiden Fremden, als sie plötzlich den Transporter sahen. Pythamus machte uns miteinander bekannt. Nun erfuhr ich, daß die auf Eretz verbliebenen Tzaber tatsächlich vom Tode ihrer Rassegenossen wußten, weil alle Nachrichtenmittel schwiegen – seit der Zeit schwiegen, da der rote Planet die Bahn der kosmischen Wolke gekreuzt hatte. Man hatte mit den hier stationierten Teleskopen zwar den Gasball registriert und auch die letzten Worte des Chefastronomen aufgenommen, die dieser kurz vor der Katastrophe über den Regierungssender sprach. Dann aber verstummten die Apparate. Kein Laut tönte mehr aus den Geräten. Das letzte, was man vernahm, war ein gequältes Stöhnen, das aus dem Munde des Astronomen zu kommen schien. Eine bleierne Stille legte sich über die Geräte, aus denen nur noch ein leises Rauschen drang. Dieses Rauschen aber war der Beweis, daß man auf Tzab den Sender nicht abgeschaltet hatte! Nach wie vor strahlten die Radiowellen durch den Raum – aber es war niemand mehr da, der auf diesen Weilen eine Botschaft durch den Äther schicken konnte. Und nun waren wir gekommen, um die ungeheuere Vermutung der auf Eretz stationierten Tzaber zu bestätigen. * Zweiunddreißig Tage und Nächte lebten wir schon auf Eretz, als in der Dämmerung des erwachenden Morgens ein Raumschiff landete. Es war ein kleines, tzabisches Verbindungsschiff. Vierundsechzig Menschen entstiegen ihm, allen voran Taghor, der ehemalige Chefastronom der staatlichen Observatorien auf dem einen Trabanten. 107
Er und dreiundsechzig weitere Tzaber – der größte Teil davon Wissenschaftler, die zur Zeit der Katastrophe in luftdichten Räumen gearbeitet hatten – waren der kümmerliche Rest von einer Milliarde Menschen. Und selbst diese wenigen dankten ihr Leben einem ausgesprochenen Glücksfall. Die Schrecken des Erlebten spiegelten sich noch in den bleichen Gesichtern dieser bunt zusammengewürfelten Gruppe. Für ihre Rettung war einzig und allein Taghor verantwortlich, der mit dem ihm verbliebenen Verbindungsschiff tagelang alle die Stellen auf Tzab absuchte, an denen er noch Überlebende vermutete. Vierundsechzig – von einer Milliarde. Insgesamt waren es jetzt einhundertundelf Menschen, überwiegend Männer, die den Grundstock der neuen tzabischen Rasse bildeten. Einstimmig wählten sie Pythamus zu ihrem Oberhaupt. Er sollte nach einer neuen Verfassung, die sämtliche Wissenschaftler in langen Diskussionen und Beratungen ausarbeiteten, das neu-aufstrebende Volk regieren. Ich aber setzte meine ganze Redekunst und Überzeugungskraft ein, um den Artikeln dieser Verfassung ein wahrhaft menschliches Gepräge zu geben. Es gelang mir auch. Auf dem fruchtbaren Kontinent – inmitten des dunkelgrünen Meeres – auf dem seit drei tzabischen Sonnenumläufen die Verwaltungsbeamten Rhodras, des ehemaligen Herrschers von Tzab und Eretz, ihr Domizil hatten, entstand das neue Kulturreich. Gewaltige Paläste und Bauten wuchsen aus dem Boden. Prunkvolle Anlagen und mit verschwenderischer Pracht ausgestattete Pavillons erbauten die Emigranten. Dieser Planet war reich. Unermeßliche Schätze edlen Metalls und kostbare Kristalle 108
verschiedenster Färbung schleppten die emsigen Tzaber auf ihr riesiges Inselreich. Nicht immer verschafften sie sich diese Dinge durch eigenen Fleiß. Oft genug wurde ich Zeuge, wie die gutmütigen Bewohner von Eretz zu Materiallieferungen und Tributleistungen gezwungen wurden. Obwohl ich meinen ganzen Einfluß geltend machte, um derartige Übergriffe zu verhindern, war es schon zu spät. Die Habgier hatte von ihnen Besitz ergriffen. Sie fielen den Verlockungen zum Opfer – wie es nach der Beschaffenheit ihres Charakters nicht anders sein konnte. Auch Pythamus war machtlos. Er, der Edeldenkende, mußte sich dem Willen der Habgierigen beugen. Und dann kam jener denkwürdige Tag. Runa und ich schlossen den Bund fürs Leben. Durch diese Handlung trennte ich mich für immer von meiner Heimat, Tymia IV. Hatte ich doch den heiligen Eid geschworen, demzufolge ich mein Leben in den Dienst der Tymanischen Hierarchie und der Vereinigten Welten stellen wollte. Und nun hatte ich diesen Schwur gebrochen. Nacht für Nacht prüfte ich meine Gefühle, bis ich mich zu dem Entschluß durchrang; denn diese Empfindungen waren etwas vollkommen Neuartiges für mich, etwas, das ich noch nie im Herzen gespürt hatte. Und dieses drängende Verlangen, das sich ausschließlich mit Runa beschäftigte, mich förmlich zu dem Mädchen hinzog, nannte Pythamus – Liebe. „Du bist verliebt, Tormoon!“ klärte er mich auf – und ich wußte, daß er recht hatte. Nach den Riten seiner Gesellschaftsordnung legte er unsere Hände ineinander; Runa und ich setzten unsere Unterschriften unter eine Urkunde, wodurch unsere Ehe Rechtskräftigkeit erhielt. 109
In Wirklichkeit jedoch festigte ich unseren Bund nach den ewigen Gesetzen der göttlichen Weltenordnung und den Vorschriften der Tymanischen Religion. Noch jemand schloß an diesem Tag ein Ehebündnis: Tarima, Runas Mutter, und Rhasor, der einstige Schleusenwärter. An diesem denkwürdigen Tag schlug ich einen kleinen Ausflug durch das Inselreich vor. Alle waren dabei! Pythamus und seine Frau Tamanna – die beiden hatten schon lange vor mir 110
geheiratet – kamen ebenfalls mit. Dieselben Menschen, die durch mein damaliges Eingreifen in die Pläne Rhodras zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengeschweißt wurden, fanden sich heute in meinem Raum-Zeit-Transporter zusammen. Über das weite, blühende Land ging unser Flug. Wälder und Felder, Wiesen und kleine, malerische Seen zogen in paradiesischer Schönheit unter uns vorbei. Wie müßten die geretteten Tzaber dankbar sein, hier, in dieser duftenden Pracht, in mildem Klima leben zu dürfen, statt in den rotbraunen, wasserarmen Sandwüsten ihrer ehemaligen Heimat, bedroht von der grausamen Willkür eines unberechenbaren Herrschers. Diese Gedanken durchschwirrten meinen Kopf, als ich die Landschaft unten hinweggleiten sah. Immer weiter flogen wir, bis in der Ferne die blaugrüne Fläche des Meeres auftauchte. Ein Hafen kam in Sicht, in dem gerade eines der schwungvollen Wasserfahrzeuge vor Anker ging. Unwillkürlich kreiste ich mit der Flughalbkugel etwas länger über dem Platz, um beim Löschen der Ladung zuzusehen. Erschreckt zuckte ich zusammen. Was ich dort sah, verschlug mir fast den Atem. Aus dem schlanken Rumpf des Schiffes quoll es hervor: Männer und Frauen, Kinder und Greise. Alle waren mit Seilen zusammengefesselt. Aber diese Menschen waren keine Tzaber. Es waren Bewohner von Eretz. Gutmütige, harmlose Geschöpfe, die jetzt von tzabischen Wächtern brutal zur Eile angetrieben wurden. Was sollte diese neuerliche Ungeheuerlichkeit bedeuten? Fragend blickte ich auf Pythamus, der beim Anblick dieser Szene beschämt den Kopf senkte. 111
„Also doch!“ entrang sich ein tiefer Seufzer seiner Brust. Sollte er am Ende …? Ich wagte nicht, es auszudenken. Mit einer von Gram und Schmerz verschleierten Stimme konnte ich ihn endlich nach der Bedeutung dieses Gewaltaktes fragen. „Sie wollen diese Menschen zur Arbeit zwingen“, stöhnte er verzweifelt, und ich fühlte, daß seine Niedergeschlagenheit echt war. „Ich wollte es verhindern“, resignierte er weiter, „aber sie lachten mach aus und erklärten mir, ich können ja gehen, wenn es mir nicht passe.“ Sklaven! Sie, die mit knapper Not dem Tode entronnen waren, wollten sich hier auf diesem Planeten, der ihnen eine Zuflucht ermöglichte, als Herren über Leben und Tod aufspielen, indem sie die hier lebenden friedlichen Bewohner versklavten. Und ich, der ich ausgesandt war, um in diesem Sonnensystem die Wahrung des Friedens und der Menschlichkeit zu sichern, hatte schmählich versagt. Zornig verfluchte ich in diesem Augenblick die ganze Tymanische Hierarchie, deren Gesetze es verbieten, mit Waffengewalt in die Geschehnisse anderer Systeme einzugreifen. Sahen denn die tymanischen Priester nicht ein, daß unter solchen Umständen nur noch mit Kampf die einfachsten Menschenrechte gesichert werden konnten? Instinktiv fühlte ich, daß die tzabische Veranlagung, das Böse ihres Blutes, der weiteren Entwicklung in diesem Sonnensystem ihren Stempel aufdrücken würde. *
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Dreiundfünfzigmal zog Eretz seit diesem denkwürdigen Tag seine Bahn um die Sonne. Nie mehr hatte ich in der Zwischenzeit den Boden des neuen tzabischen Reiches betreten. Auch die Freunde hatten mit mir damals das Land verlassen. Auf einer kleinen Insel in dem anderen großen Ozean, der den Planeten bedeckt, ließen wir uns nieder. Die dort lebenden, freundlichen Eingeborenen waren von einer tiefen Religiosität und glaubten, in uns ihre langerwarteten Götter zu finden. Damals nahmen wir auch das einzige den Tzabern verbliebene Raumschiff mit uns, um wenigstens die von ihrem neuen Reich weiter entfernten Gebiete des Eretz vor räuberischen Zugriffen zu schützen … Hier, auf diesem einsamen Eiland, fanden wir den wahren Frieden. Nun, nach dreiundfünfzig Sonnenumläufen, vollzog sich eine Wendung meines bisher glücklichen Lebens! Die Seele Runas trat den Weg in die Unendlichkeit an. Auch Tarima, Rhasor und Pythamus lebten nicht mehr. Nicht lange nach Runas Tod aber mußte auch Tamanna, die Gemahlin des verstorbenen Pythamus, die große Reise antreten. Nur noch Rhabu, der Sohn Rhasors, verbrachte als alter Mann den Rest seines Lebens im Kreise seiner Kinder und Enkelkinder. Pythamus und mir war jeglicher Nachwuchs versagt geblieben. Im Schatten eines mächtigen Baumes liegen die Grabhügel meiner Frau und unserer Freunde. Möge der Allgeist ihren suchenden Seelen den Weg durch das Tal der Nebel zeigen.
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Allein Nahezu viertausend Sonnenumläufe verkörperte das Tzabische Reich die Macht auf dem Planeten. Doch das Wesen seiner Bewohner änderte sich nie! – Längst hatten sie wieder den Weg zu den Sternen gefunden – aber sie zogen nicht aus, um freundschaftlichen Kontakt mit anderen denkenden Wesen zu suchen, sondern um zu erobern. Dann griff wiederum die göttliche Allmacht ein. Ein kleiner Weltenkörper kreuzte die Bahn des Eretz und streifte seine Oberfläche. Die Berührung der beiden Himmelskörper geschah genau an jener Stelle, an der das Tzabische Reich lag. Der größte Teil des Landes wurde herausgerissen und in den Weltraum geschleudert. Den Rest aber bedeckten die Wassermassen des Ozeans. Tzabunia war vernichtet – und mit ihm fast die gesamte Oberfläche von Eretz. Die wenigen Überlebenden begannen ein neues Leben – aber sie pflanzten die Keime des Bösen weiter fort. Jene Keime, mit denen die tzabischen Urväter seit viertausend Sonnenumläufen das Blut der ehemals friedliebenden Eretzbewohner verseuchten. Nach den ewigen, unerforschten Gesetzen des Weltalls kreiste Eretz auf seiner Bahn um das Zentralgestirn. Das einstige Reich der Tzaber bildete einen Trabanten, der Eretz umkreiste. Ich hatte es aufgegeben, die Zahl der Rotationen zu zählen. Es interessierte mich nicht mehr, wie viele Sonnenumwanderungen der Planet seit dem Tage hinter sich gebracht hatte, an dem Runa die Augen für immer schloß. Waren es zehntausend? Zwanzigtausend? Hunderttausend? Ich wußte es nicht. Nur noch nach besonderen Ereignissen teilte ich die Abschnitte meines Lebens ein. 114
Ich sah die neuen Völker erstehen, verfolgte ihre Geschichte und ihre Kultur. Viel Gutes – aber noch mehr Böses vollbrachten sie. Es war der Drang ihres Blutes. Je mehr sie sich ausbreiteten, um so gräßlicher und abscheulicher wurden die Methoden, die sie anwandten und ausdachten, um sich gegenseitig zu vernichten. Wie ein roter Faden zogen sich Krieg und Vernichtung durch die Geschichte der Eretzbewohner. Ihre Zunge redet zwiespältig und sagt nicht, was ihr Herz meint. Und wer die Macht besitzt, läßt sie die anderen spüren. Und dann war es wieder einmal soweit. Ihre Wissenschaftler hatten den Weg gefunden, das Gefüge der Urstoffe zusammenbrechen zu lassen, die Atome zu spalten. Bevor die neuentdeckten Energien einer friedlichen Verwendung zugeführt wurden, mußten die entfesselten Gewalten erst nach echt menschlicher Art und Weise zu Vernichtungszwecken ausgenützt werden. Sie erfanden Atombomben, die Zehntausenden von Menschen den Tod brachten und vielen ewiges Siechtum. Immer gewagter wurden ihre Experimente mit den Kräften der Elemente. Während dieser Zeit glückte ihnen der Sprung in den Weltraum. Anstatt nun aber zur Einsicht zu kommen, versuchte jeder, durch die gewonnenen Erkenntnisse die Oberhand über den anderen zu erlangen. Ich sehe ihren Untergang voraus! So, wie einst vor undenklicher Zeit menschliche Gewissenlosigkeit den Planeten Telja vernichtete, der damals zwischen dem heutigen vierten und fünften seine Bahn zog und dessen Bruchstücke immer noch als Asteroiden auf dieser Bahn durch 115
das Sonnensystem rasen, so werden sie auch ihren eigenen Planeten zerstören. Erde nennen sie ihre Heimat jetzt – heilige Erde. Aber wie bei allen anderen Dingen meint auch hier ihr Herz nicht, was ihr Mund sagt. Mir fehlt die Kraft, um noch einmal untätig dem Untergang eines Planeten zuzusehen. Möge mir der Schöpfer verzeihen, wenn ich freiwillig die große Reise antrete und meine Seele auf die Wanderung durch das Tal der Nebel schicke. Auch die tymanischen Priester – besonders Ratoon – bitte ich um Vergebung. Sie machten mich zu einem Auserwählten. Aber ich war zu schwach, um die mir übertragene Aufgabe zu lösen. Sie schenkten mir Unsterblichkeit, aber ich zog es vor, als gewöhnlicher Sterblicher zu leben. Und als letzte Konsequenz dieses Lebens will ich nun wie ein Mensch sterben. Von einem der beiden Trabanten aus, die auch heute noch den Tzab umkreisen, werde ich den Weg in die Unendlichkeit antreten. Die Geschichte meines Lebens aber will ich in das „Buch des Erinnerns“ schreiben, um meine Erlebnisse der Nachwelt zu erhalten. Gleichzeitig soll dieser Bericht eine Mahnung sein an alle, die ihn einst lesen werden: Lernt aus dem Vergangenen und handelt so, wie es die ungeschriebenen Gesetze des Universums verlangen – nur dann seid ihr Menschen. * Mit den Energiestrahlern Rhasors, die ich durch Jahrtausende bewahrte, habe ich die Ruhestätte für meinen Körper in das Gestein des Tzab-Mondes geschmolzen, auf deren Abschlußplatte ich das „Buch des Erinnerns“ legen werde. 116
Eine kleine Halbkugel in der Form meines Raum-ZeitTransporters soll das Buch schützen für diejenigen, die es einmal als mein Vermächtnis an sich nehmen werden. Das Vermächtnis eines Boten aus dem Kyra-System, der es vorzog, das Leben eines Menschen zu führen. Wenn aber meine zukünftigen Erben mein Vermächtnis an sich genommen haben, dann sollen die im Innern der Grabplatte aufgespeicherten Energien für immer die Stelle verschließen, an der mein Körper ruht – bis zu dem Tag, an dem der Schöpfer der Welten alles in den Urzustand zurückführt. Hier endete die Übersetzung. Langsam legte Kel Storr die Blätter aus der Hand. Erschüttert betrachtete er das Büchlein, das ihm Aufklärung gab über das Geschehen vor undenklicher Zeit. Wie viele Rätsel, die seit Generationen die irdischen Wissenschaftler und Forscher beschäftigten, konnten damit gelöst werden. Was bisher nur Vermutungen waren, wurde jetzt durch diese Überlieferung bestätigt. Ein Mensch – ein Wissender – dessen Wiege auf einem fremden Planeten, in einem unbekannten Sonnensystem am Rande der Galaxis, gestanden hatte, sprach hier aus der Ewigkeit zu ihm, legte Zeugnis ab von dem immerwährenden Kreislauf des Werdens und Vergehens, dem jedes Lebewesen im Kosmos unterworfen ist. Kel Storr steuerte den Heimathafen an. Einen genauen Bericht über das Raumschiff „Conquerer“ hatte er schon abgefaßt. Die offizielle Bewerbung war schnell geschrieben, denn hierzu gab es vorgedruckte Formblätter. Nur eine kurze Anmerkung fügte der junge Raumfahrer noch bei. „Durch diese Chronik sind einige Theorien bewiesen“, las einen Tag später der erstaunte Professor der Raumakademie, 117
dem Storrs Arbeit zur Prüfung vorlag, „die seit Jahrhunderten unsere Wissenschaftler beschäftigen. Es hat ein Atlantis gegeben, denn die Insel der geflüchteten Tzaber stimmt mit sämtlichen Beschreibungen des Weltreiches der Atlanter überein. Außerdem hat es in unserem System einen 10. Planeten gegeben. Er zog seine Bahn zwischen Mars und Jupiter, wurde damals Telja genannt und von Rhodra zerstört. Und auch für die Mondausschleuderungstheorie findet sich der Beweis im letzten Kapitel der Chronik. Ich darf noch hinzufügen, daß mit Tzab zweifellos der Mars gemeint ist. Eretz ist unsere Erde, wie der Chronist gegen Ende des Buches selbst schreibt.“ * Zwei Tage nach diesem aufsehenerregenden Fund heftete der Weltpräsident dem Kadetten der Raumakademie Kel Storr die Kokarde eines Raumkapitäns Erster Klasse an die linke Brustseite seiner Uniform und überreichte ihm in einer kleinen Kunststoffrolle eine Urkunde: das Kapitänspatent.
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Als UTOPIA-Zukunftsroman Band 196 erscheint in der kommenden Woche
AMIRO Ein Planet enthüllt sein Geheimnis Hier eine Leseprobe: Von seinem Platz aus konnte Doddes in der Ferne das Raumschiff sehen. Es schimmerte hell im Sonnenlicht. Jeden Abend wurden die Männer, die daran arbeiteten, zum Essen und Schlafen in das Gefängnis zurückgeführt, aber Jacques und Doddes hatten noch nie mit ihnen gesprochen. Das wäre auch ziemlich schwierig gewesen, da keiner von ihnen englisch sprach. Mit ihren sonnenverbrannten Gesichtern und ihren leeren, ausdruckslosen Augen erweckten sie den Eindruck einer stumpfsinnigen Herde. Sie marschierten immer im Gleichschritt. Doddes sagte oft, sie erinnerten ihn an tote, willenlose Roboter. Jetzt, als er gerade durch die flimmernde Sonnenglut hinübersah, marschierte die Herde auf das Haus zu. Zu dieser frühen Stunde war dies mehr als ungewöhnlich. Er rief Jacques herbei. „Da kommt der ganze Zirkus anmarschiert“, berichtete er ihm. „Ich frage mich nur, warum in aller Welt der Vorarbeiter jetzt schon Feierabend geboten hat!“ Jacques schaute der näherkommenden Gruppe entgegen und erwiderte: „Vielleicht ist das Schiff schon fertig.“ Doddes nickte. „Das würde bedeuten, daß – es nicht mehr lange dauert.“ „Wenn wir nur hier ausbrechen könnten …“ 119
Wohl zum hundertsten Male ging sein Blick suchend über den Zaun. „Unmöglich“, sagte Jacques. „Und selbst wenn es uns gelänge, wie kämen wir über die hundert Meilen zur nächsten Stadt? In dieser ebenen Gegend hätte man uns eingefangen, bevor wir außer Hörweite wären.“ „Dann müssen wir wohl ihr Schiff lenken?“ „Wahrscheinlich.“ Doddes zog verdrießlich eine Packung Zigaretten aus der Tasche. „Ich möchte gerne wissen, warum sie sich nicht diese Unkosten erspart haben, indem sie unser Schiff – oder vielmehr Alvars Schiff – benutzten, anstatt ein neues zu bauen.“ „Wahrscheinlich hatten sie es schon vorher. Und außerdem hätten sie uns auf einem staatlichen Flugplatz nicht so leicht an Bord bringen können.“ „Möglich.“ „Aber das ist noch lange kein Grund dazu, den Kopf hängen zu lassen, Harri. Ich habe einen Plan.“ „Einen Fluchtplan?“ „Ja. Das geht aber erst während des Fluges. Laß dich also nicht beunruhigen, bevor nicht …“ Er brach unvermittelt ab, horchte gespannt und starrte dann in die entgegengesetzte Richtung, aus der die Robotersklaven kamen. Auch Doddes hörte es jetzt – das Geräusch einer Düsenmaschine, die in der Luft rasch näherkam. Auch innen im Hause war das Geräusch bemerkt worden. Drei hünenhaft gebaute Männer kamen heraus und wachten sowohl über die beiden Gefangenen, als auch über die näher kommende Maschine. Ihr Aussehen glich dem der gefangenen Sklaven, aber Jacques und Doddes wußten genau, daß sie intelligenter waren als diese Männer. 120
Die Düsenmaschine landete auf der Ebene in geringer Entfernung vom Haus. Zwei Männer tauchten daraus auf, sprangen zu Boden und kamen auf das Gefängnis zu. Ein Wächter öffnete das vordere Tor, das ebenfalls durch Stacheldraht gesichert war. Die anderen zwei entsicherten ihre Waffen, die sie schußbereit im Arm trugen. Jacques und Doddes legten keinen Wert darauf, mit diesem niedlichen Spielzeug nähere Bekanntschaft zu machen. „Jetzt erkenne ich die zwei wieder“, flüsterte Doddes, als die beiden Männer aus der Düsenmaschine durch das Tor kamen. „Ich auch“, gab Jacques zur Antwort. „Es sind die zwei, die uns damals den ‚Mickey Flynn’ zu trinken gaben. Ihr Kommen läßt darauf schließen, daß das Schiff startbereit ist.“ Die zwei Männer hatten dieselbe dunkle Hautfarbe wie alle, die in diesem Haus verkehrten, aber ihre Gesichtszüge waren ganz anders. Man hätte sie fast als gut aussehend bezeichnen können. Auch eine gewisse Intelligenz war ihnen nicht abzusprechen. Als sie durch das Tor traten, winkten sie Jacques und Doddes freundlich zu; dann gingen sie in das Haus. Der Wächter, der sie eingelassen hatte, gab seinem Genossen ein Zeichen, worauf dieser sich auf den Weg machte – nicht in Richtung des Flugzeugs, sondern dem heimkehrenden Arbeitstrupp entgegen. Inzwischen waren die Gefangenen auf fünfzig Meter herangekommen. Auf ein Zeichen der Wache hin ging die ganze Herde, sogar der Vorarbeiter, in Galopp über. Als sie in der Höhe des Tores angelangt war, wurde sie von der Torwache weiter zu dem Flugzeug dirigiert. Innerhalb von wenigen Minuten hatten die Arbeiter das Gepäck ausgeladen und machten sich dann daran, die Maschine näher zum Haus zu schleppen. Eine halbe Stunde später wurden Jacques und Doddes ins Haus gerufen. Die zwei neuangekommenen Männer saßen an einem Tisch in einem Raum, der offenbar als Bibliothek diente. 121
Der eine hielt ihnen eine Packung mit Zigaretten entgegen, der andere bot ihnen Sessel an. „Wurden Sie gut behandelt?“ fragte der erste. „Verpflegung, Zigaretten. Unterkunft?“ Die zwei Freunde konnten sich nicht beklagen. „Gut. Im Grunde genommen könnte diese Behandlung auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden, vorausgesetzt, daß Sie zu einer Zusammenarbeit mit und in der Frage bereit sind, über die wir vor einigen Wochen sprachen. Das Raumschiff ist startbereit, meine Herren, aber Ihre Mithilfe bei der Steuerung ist zunächst noch nicht erforderlich. Vorerst sollen Sie bei der Navigationsberechnung und bei der Bedienung der Maschinen helfen, da das Schiff zu klein ist, um gleichzeitig Mannschaft und Passagiere aufzunehmen. Ihre Dienste an den Kontrollgeräten werden erst gebraucht, wenn wir unser eigentliches Ziel ansteuern – den Planeten Amiro.“ „Wir fliegen also nicht direkt dorthin?“ fragte Doddes. Der andere schüttelte lächelnd den Kopf. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ihr Freund wird noch am Leben sein – wenn wir dort ankommen. Aber zuvor müssen wir auf unserem Planeten landen, um in ein größeres Schiff umzusteigen. Wir beabsichtigen nämlich, Amiro mit unseren eigenen Leuten zu besiedeln, und dazu benötigen wir Maschinen und Ausrüstungen. Wir haben zwar ein Schaff, das eine solche Ladung übernehmen kann. Aber dieses Schiff liegt – auf unserem Planeten.“ „Und dieser Planet ist?“ Der Mann beugte sich vor, immer noch lächelnd. „Wissen Sie den Namen wirklich nicht?“ Jacques nickte. „Mars!“ Der Mann bejahte und Doddes fuhr fort: 122
„Warum wollen Sie uns den kleinen Planeten stehlen? Immerhin stammte Jenks Illiar von der Erde, und wir haben einen Erdbewohner dort zurückgelassen, um unsere Ansprüche zu wahren. Sie auf dem Mars dagegen, mit Ihrem Wohlstand und den Landgewinnen im Weltraum …“ „Aber nicht doch!“ Der Mann hob abwehrend die Hand, „Hier liegt ein grundsätzliches Mißverständnis auf Ihrer Seite vor. Unsere Regierung unternimmt leider nichts, um es richtigzustellen. Dies ändert aber nichts daran, daß auf dem Mars, diesem früher so reichen Planeten, für die Bevölkerung heute ganz andere Verhältnisse herrschen. Und da nicht die Absicht besteht, Sie und Ihre Freunde nach dem Start – der übrigens morgen früh stattfinden wird – je wieder nach der Erde zurückkehren zu lassen, brauche ich Ihnen nicht zu verheimlichen, daß der bewohnbare Raum auf unserem Planeten langsam aber sicher kleiner wird. Dies rührt von einer Erosion her, die unsere Wissenschaftler noch nicht zum Stillstand bringen konnten. Dazu kommt, daß unsere Atmosphäre beängstigend dünn geworden ist, wodurch die Lage noch verschlimmert wird, wenn sich die Bevölkerung auf einem engen Raum zusammendrängen muß. Kurz, wir brauchen einen solchen Planeten wie Amiro, um dieser Notlage abhelfen zu können. Ich will damit nicht sagen, daß unser Planet noch für diese Generation unbewohnbar wird, und vielleicht kann das Problem auch von unseren Wissenschaftlern noch rechtzeitig gelöst werden. Vorläufig aber …“ Er hielt ihnen die offenen Handflächen entgegen und hob vielsagend die Schultern. Jacques fragte: „Und was ist unsere Aufgabe dabei?“ „Ihnen wird ein verantwortungsvoller Posten übertragen. Das ist auch der Grund, warum wir Sie nicht sofort töteten, als Sie in unsere Hände fielen. Mit Hilfe der Karten, die K… an sich nahm, können auch unsere Piloten nach Amiro fliegen. Mit an123
deren Worten, meine Herren: Wenn Sie unser Spiel mitspielen, werden sie nicht das Geringste zu befürchten haben. Es liegt in Ihrer Hand …“
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UTOPIA-Zukunftsroman erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus. Mitglied des Remagener Kreises e. V. Einzelpreis 0,60 DM. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 8. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Verantwortlich für die Herausgabe und Inhalt in Österreich: Eduard Verbik, Alleinvertrieb und -auslieferung in Österreich: Zeitschriftengroßvertrieb Verbik & Pabel KG – alle in Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. L/B: Ge.
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