H. G. FRANCISCO
SCIENCE-FICTION-ROMAN
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H. G. FRANCISCO
SCIENCE-FICTION-ROMAN
Inhalt Ein seltsamer Fund Impulse aus der Unendlichkeit Die Verwandlung Signale aus dem All Die neuen Lebewesen Das Tagebuch des Todes Die Zerstörung Fremde Psycho-Strahlen Eine unangreifbare Macht Gefährliche Freunde Die Zentrale der Außerirdischen Entscheidung im Labor Die kosmische Prüfung
Ein seltsamer Fund
„Hier ist es, Vater!" William Rydall schien die Worte seines Sohnes nicht gehört zu haben. Er trat nicht auf die Bremse und machte auch keine Anstalten, von der Straße abzubiegen. Erst als der Wagen an der Einmündung zu einem Feldweg vorbei war, reagierte der Wissenschaftler. Er bremste und zog das Steuer gleichzeitig nach rechts. Der Wagen rutschte mit kreischenden Reifen an den Straßenrand und streifte einen Begrenzungsstein. Rydall schob seinen Hut, der aussah, als sei er einige Male mit dem Wagen darüber hinweggefahren, in den Nacken. Ärgerlich schüttelte er den Kopf. „Ich hätte mir doch den Ford kaufen sollen", sagte er. „Verdammte Karre. Außerdem sind nirgendwo die Straßen schiechter ausgeschildert als hier in Florida." Er schlug mit der Hand gegen das Steuerrad, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr zurück, ohne vorher in den Spiegel zu sehen. Es krachte vernehmlich, als er gegen den Wagen prallte, der inzwischen hinter ihm angehalten hatte. Erschrocken trat er auf die Bremse. „Hast du denn nicht gesehen, daß der Wagen hinter dir war?" fragte sein sechzehnjähriger Sohn Bert, der auf dem Rücksitz saß. „Nein", murmelte der Biologe zerstreut. „Ich habe ihn weder gehört noch gesehen. Der dämliche Kerl hätte sich ruhig bemerkbar machen können. Und was soll das auch? Sich einfach hinter mich zu stellen. Mitten auf der Straße." Er stieg aus und ging zu dem Fahrer des anderen Wagens hin. Dieser winkte ab, bevor Rydall noch etwas gesagt hatte. Er verhielt sich so, wie die meisten Amerikaner sich in solchen' Situationen verhalten. Er sagte: „Es ist ja nichts passiert." „Hm", machte Rydall, drehte sich um, stieg wieder ein und wartete, bis der andere Autofahrer zurückgesetzt hatte und an ihm vorbeigefahren war. Ohne das geringste Schuldgefühl blickte er ihm nach. Er war fest davon überzeugt, daß er selbst nichts falsch gemacht hatte. „Autofahrer gibt es", sagte er seufzend, während er in den Feldweg fuhr. „Eigentlich ist es ein Wunder, daß nicht noch viel mehr passiert." Bert, sein Sohn, schwieg sich aus. Er war nicht besonders gesprächig, und er wußte, daß es wenig Sinn hatte, seinem Vater zu widersprechen. William Rydall lenkte den Wagen über den Feldweg, der an einer Orangenplantage entlangführte, zu einem Hügel hin, auf dem ein Gerüst errichtet worden war. Vor dem Hügel parkten einige Lastwagen und ein Cadiliac. Am Gerüst standen einige Männer und Frauen und diskutierten miteinander. „Da ist ja Dr. Monroe", sagte Bert. „Du kennst ihn?" fragte Rydall erstaunt. „Aber natürlich", antwortete der Junge. Er lächelte. „Dr. Monroe war doch einmal bei uns zum Essen." Rydall trat auf die Bremse. Gleichzeitig drehte er sich um und nickte bestätigend. „Tatsächlich", sagte er. „Das hatte ich vergessen." Krachend stieß der Wagen gegen die Stoßfänger des Cadillacs. Rydall flog nach vorn, wurde jedoch von den Sicherheitsgurten aufgefangen. Er fluchte leise vor sich hin, löste die Gurte und stieg aus. Der Archäologe Dr. Forster Monroe kam ihm grinsend entgegen. „Bill", sagte er, wie alle Freunde von William Rydall. „Ich habe gehört, daß du kommst." „Gehört? Wieso?" fragte Rydall verwirrt. Er reichte Dr. Monroe die Hand. Dieser zeigte auf die Autos.
„Allerhand Krach hat es ja gemacht", sagte er. „Die Stoßstange ist verbeult. Aber das macht nichts. Sie ist ja dazu da, größere Schäden zu verhindern." „Ich bringe das in Ordnung. Meine Versicherung zahlt das." „Laß doch den Unsinn", sagte Dr. Monroe. „Die Schuld liegt allein bei mir. Ich wußte, daß du kommst, also hätte ich meinen Wagen irgendwo da hinten parken sollen, wo er vor dir sicher ist." William Rydall lächelte verstört. Er blinzelte in die Sonne. „Es tut mir wirklich leid", sagte er. „Bert hat mich abgelenkt." „Sicher", entgegnete der Archäologe ironisch. Er kannte den Biologen schon lange, und er wußte, daß Rydall niemals zugeben würde, daß er ein miserabler Autofahrer war. Er führte ihn zum Hügel, nachdem er auch Bert begrüßt hatte und stellte ihn seinen Mitarbeitern vor. Als Rydall auf dem Hügel stand, sah er, daß Dr. Monroe mit seinen Helfern einen großen Teil des Hügels abgetragen und einen Brunnen freigelegt hatte. „Der Brunnen hatte einen schweren Holzdeckel", erklärte der Archäologe. „Darüber lagen Steine und Schutt. Sie haben verhindert, daß der Deckel vermodert und eingestürzt ist. Zum Glück." „Du hast etwas von einem Fund gesagt, der mich interessieren müßte", bemerkte Rydall. „Was ist das für ein Fund?" „Wir wissen es noch nicht genau", antwortete Dr. Monroe. „Wir vermuten, daß es die konservierten Überreste eines Menschen oder Tieres sind. Vielleicht ein Kopf oder so etwas." William Rydall konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. „Du weißt es nicht genau?" fragte er. „Hättest du nicht warten können, bis du dieses Objekt ausgegraben hast?" „Das ist bald soweit", erwiderte der Archäologe. „Ich dachte, es würde dich interessieren, wie wir es herausholen. Und dann wollte ich einen Spezialisten dabeihaben, wenn wir soweit sind, damit wir keinen Fehler machen." Er führte Rydall zur Fundstelle. Sie lag mehrere Meter unter der Hügelkuppe. Hier hatte Dr. Monroe mit seinen Helfern den oberen Teil eines Brunnenschachtes freigelegt und darüber ein Gerüst mit einem Kran errichtet. Rydall beugte sich über den Brunnen und blickte in die Tiefe. Etwa zehn Meter unter ihm arbeiteten zwei Archäologen im Schein von mehreren Lampen. Sie kauerten auf Brettern, die von Seilen gehalten wurden und trugen behutsam Schlammschichten ab. „Mit Hilfe der modernen Schichtenfotografie haben wir den Brunnen durchsucht. Wir konnten also mit Hilfe von Strahlen und von Ultraschall schon vorher feststellen, was sich im Bodenschlamm befindet. So wissen wir, daß da unten einige Werkzeuge liegen, die wahrscheinlich von den ersten Siedlern Amerikas stammen." „Du meinst die Indianer?" „Ich meine die Urbewohner Amerikas", sagte Dr. Monroe. „Dann ist dieser Brunnen mehrere tausend Jahre alt?" „Vermutlich mehr als 6000 Jahre." „Dann wäre das Objekt, das mich interessieren soll, auch so alt?" Der Archäologe schüttelte den Kopf. „Das steht noch nicht fest", entgegnete er. „Es kann später in den Brunnen gefallen sein. Bei den Werkzeugen haben wir die Formen, weil es sich hier um sehr harte Gegenstände handelt. Diese reflektieren die Strahlung viel besser als ein weiches Objekt." „Hm, dann müssen wir wohl abwarten." Rydall verzog das Gesicht. „Ganz traue ich deiner Schichtenfotografie ohnehin nicht." „Warum nicht? Das ist doch eine ganz einfache, zuverlässige Sache. Wir stellen die Ultraschallund Strahlengeräte beispielsweise auf eine Tiefe von exakt zwei Metern ein. Die Strahlen reflektieren
dann von allen Objekten in diesem Bereich, von einem mehr, von anderen weniger. Daraus ergibt sich ein Bild. Dieses speisen wir in einen Computer ein und dringen dann einige Millimeter weiter in den Boden mit unseren Strahlen ein, um das nächste Bild zu machen. Nach einiger Zeit gibt der Computer Auskunft darüber, was wir da unten finden werden. So etwas gibt es auch in der Medizin und da kennst du dich doch aus." „Hm — ja", antwortete Rydall zögernd.
Einer der Helfer im Brunnen gab Dr. Monroe ein Zeichen.
„Wir sind soweit", rief er.
„Ich muß nach unten", sagte der Biologe erregt. „Geht das?"
„Natürlich. Ich habe dich ja rufen lassen, damit du uns da unten hilfst." Der Archäologe nahm ein
Seil auf, das mit einer Schlaufe versehen war. „Unser Fahrstuhl ist allerdings nicht sehr komfortabel." Rydall hatte keine Einwände. Er stieg auf den Brunnenrand, setzte seinen Fuß in die Schlaufe und ließ sich im Schacht herab. Die beiden Wissenschaftler, die auf dem Grund des Brunnens gearbeitet hatten, halfen ihm, auf eines der Bretter zu steigen. Rydall kniete sich hin und beugte sich über das, was die beiden Männer freigelegt hatten. Er konnte nichts erkennen, da noch eine zähe Schlammschicht an dem Objekt klebte, das als Halbkugel aus dem Untergrund ragte. Er bewegte das Objekt vorsichtig mit den Händen und stellte fest, daß es locker saß. „Wir können es herausheben", sagte er. „Es ist fest genug. Es zerbricht nicht. Haben Sie Einwände?" „Versuchen Sie es nur", riet ihm einer der beiden Männer. „Die Objekte, die uns interessieren, liegen noch etwa einen halben Meter tiefer. Sie können also nichts zerstören." William Rydall zögerte. Er untersuchte den rätselhaften Fund noch etwas sorgfältiger als zuvor und fand seine erste Feststellung bestätigt. Vorsichtig löste er das Objekt aus dem Schlamm heraus und legte es in eine Schale. Dann kehrte er nach oben zurück. Monroe holte inzwischen die Schale zusammen mit einigen anderen Gegenständen an einem anderen Seil nach oben. „Wirst du das Ding gleich hier untersuchen?" fragte er.
„Wir werden den Schlamm abspülen", antwortete Rydall. „Ich will wissen, was es ist."
„Wir haben den Schlamm untersucht", erklärte Monroe. „Auf Grund seiner Zusammensetzung
müßte er eigentlich alles bestens konserviert haben, was im Brunnen steckt." „Jedenfalls ist es ein Glück, daß der Brunnen nicht ganz ausgetrocknet ist", erwiderte Rydall. Die anderen Assistenten des Archäologen kamen heran, um den Fund zu begutachten. Einer von ihnen brachte einen Eimer Wasser, so daß Rydall damit beginnen konnte, den Schlamm abzuspülen. Er ging behutsam vor und schüttete immer nur einen kleinen Becher Wasser auf das Objekt. „Das ist ein Ohr", rief einer der Helfer Monroes nach einiger Zeit. „Man sieht es deutlich." Tatsächlich zeichnete sich ein menschliches Ohr im Schlamm ab. „Kein Zweifel", sagte Rydall erregt. „Es handelt sich um einen menschlichen Kopf. Wissen Sie, was das bedeutet? Dieser Fund ist von einer einmaligen, wissenschaftlichen Bedeutung, wenn sich bestätigt, daß er tatsächlich über 6000 Jahre alt ist." Er ging nun noch vorsichtiger vor und befreite nach und nach den ganzen Kopf vom Schlamm. Es war der Kopf eines Mannes. „Ich schätze, daß dieser Mann ungefähr vierzig Jahre alt gewesen ist, als er starb", sagte Rydall. „Das Gesicht hat wenig Falten, zeigt aber schon Spuren der Alterung." „Der Kopf ist unglaublich gut erhalten", bemerkte Monroe. „Noch besser als ich erwartet habe. Es sieht aus, als ob der Mann schläft. Das Gesicht ist entspannt." „Es ist frei von Furcht", stimmte Rydall zu. „Der Mann ist nicht in Angst gestorben, sondern sogar mit einer gewissen Freude."
„Das ist richtig", sagte ein(-r der Assistenten, ein rothaariger, grobschlächtiger Mann. „Er lächelt ein wenig." „Aber wo ist der Körper?" fragte ein anderer Assistent. „Jedenfalls nicht im Brunnen", erwiderte Monroe. „Wer weiß, wie der Mann gestorben ist? Vielleicht hat man ihn ermordet und nur seinen Kopf in den Brunnen geworfen, während man den Körper verscharrt oder verbrannt hat? Wir werden das vielleicht noch klären können, wenn wir unsere Arbeit fortsetzen." Seine Mitarbeiter verstanden den Wink. Sie ließen Rydall und Monroe allein. „Ich nehme den Kopf mit", sagte der Biologe. „Ich werde ihn im Labor eingehend untersuchen." „Warte noch einen Moment", bat der Archäologe. „Bitte, spüle den Schlamm aus den Lippen heraus." „Das kann später geschehen." „Nein, jetzt. Mir ist da nämlich etwas aufgefallen. Sieh doch die Zähne. Ich möchte sie deutlicher sehen." Bert Rydall, der sich bisher abseits gehalten hatte, weil er sich für die Archäologen und ihre Arbeit nicht interessierte, kam mit einigen Apfelsinen, die er aus der Plantage geholt hatte, hinzu. Für seine sechzehn Jahre war er nicht besonders groß. Er trug das blonde Haar lang bis fast auf die Schultern. Sehr zum Leidwesen seines Vaters, dem es nicht gelungen war, ihn davon zu überzeugen, daß kurz geschnittenes Haar viel praktischer und angenehmer ist. Bert hatte eine besonders gute Auffassungsgabe und war ein scharfer Beobachter. Er hatte die letzten Worte des Archäologen gehört. Der ungewöhnliche Fund weckte nun auch sein Interesse. Ihm lief ein Schauer über den Rücken, als er den Kopf sah. „Was ist das denn?" fragte er überrascht. „Ein Indianer?" „Der Mann hat die Merkmale eines Indianers, ist aber dennoch sicherlich keiner gewesen", erwiderte sein Vater. „Die Form der Nase und der Wangenknochen paßt ebensowenig zu einem Indianer wie der Hinterkopf" Er spülte die Lippen frei. Der Schlamm floß heraus. Bert schrie auf. „Sieh doch die Zähne, Dad!" rief er. Die beiden Wissenschaftler beugten sich über den Kopf. Der Anblick, der sich ihnen bot, verschlug ihnen die Sprache. „Das ist kein Mensch", sagte Bert. „Kein Mensch hat solche Zähne." „Bert hat recht", sagte Monroe. „Er hat nicht vier Schneidezähne, sondern nur einen, der fast zwei Zentimeter breit ist." „Er ist noch breiter", bemerkte Rydall, der vor Erregung kaum sprechen konnte. „Er ist fast drei Zentimeter breit. Ich werde das zu Hause genau nachmessen. Und hier, die Eckzähne. Sie scheinen auch viel größer zu sein als beim Menschen." „Nun sagst du auch schon, daß es kein Mensch ist." Rydall blickte Monroe überrascht an. „Na und? Habe ich nicht recht? Dies ist kein Mensch, jedenfalls kein Mensch von der Erde, denn noch niemals sind die Überreste eines Menschen gefunden worden, der ein solches Gebiß hat." William Rydall fuhr sich nervös mit der Hand über den Kopf und stieß seinen verbeulten Hut herunter. Er hob ihn nicht wieder auf, was er unter anderen Umständen mit absoluter Sicherheit getan hätte. Bert blickte ihn verwundert an und nahm den Hut für ihn auf. Sein Vater nahm den Hut entgegen und setzte ihn sich wieder auf, ohne dagegen zu protestieren. Bert hatte es noch niemals erlebt, daß sein Vater es zuließ, daß jemand außer ihm seinen Hut anfaßte. Dieses zerbeulte und mit Fettflecken versehene Monstrum war so etwas wie ein Talisman für ihn.
Rydall hatte es zwar noch nie zugegeben, aber Bert war fest davon überzeugt, .daß sein Vater fürchtete, alles Glück werde ihn verlassen, wenn er diesen Hut nicht trug. Rydall war gewöhnlich ein ruhiger, ausgeglichener Mann. So fiebernd vor Erregung wie jetzt hatte Bert ihn noch nie erlebt. Forster Monroe schüttelte skeptisch lächelnd den Kopf. Er hob die Hände. „William, William", rief er. „Das ist doch nicht dein Ernst. Woher, um Himmels willen, sollte der Kopf kommen? Du glaubst doch wohl nicht an solche Ammenmärchen, wie sie zur Zeit überall erzählt werden?" „Ich bin bisher davon überzeugt gewesen, daß die Erde noch niemals von Außerirdischen besucht worden ist", entgegnete Rydall ernst. Er zeigte auf den Kopf. „Dies ist der erste Beweis dafür, daß sie doch schon mal hier gewesen sein müssen. Forster, dies ist der Kopf eines Außerirdischen. Eine andere Möglichkeit besteht nicht!" „Ich glaube es einfach nicht." „Ich werde den Kopf eingehend untersuchen und dann einen Bericht veröffentlichen", erklärte der Biologe. „Ich bin überzeugt davon, daß ich auf weitere anatomische Abweichungen stoßen werde. Dann wirst auch du zugeben müssen, daß dieser Kopf zu einem Mann gehört hat, der von den Sternen zu uns gekommen ist." Dr. Forster Monroe blieb skeptisch, aber er sah ein, daß es zur Zeit keinen Sinn gehabt hätte, den Freund davon überzeugen zu wollen, daß er sich irrte. Der Archäologe glaubte trotz der seltsamen Zähne nicht daran, daß es nicht der Kopf eines Menschen von der Erde war, der vor ihm lag. Er hatte bei Ausgrabungen schon manche Überraschung erlebt. Und oft war behauptet worden, dieses oder jenes, was er gefunden hatte, sei der Beweis dafür, daß Außerirdische auf der Erde gewesen seien. jedesmal hatte sich herausgestellt, daß dies nicht stimmte. „Also gut", sagte er. „Ich warte deinen Bericht ab. Hoffentlich hast du dich bald wieder so weit abgekühlt, daß du zu nüchterner, wissenschaftlicher Arbeit fähig bist." „Keine Sorge", erwiderte Rydall gereizt. „Das bin ich stets." Er ging zu seinem Wagen und holte einen Plastikkasten aus dem Kofferraum. Er legte den Kopf in den mit Schaumstoff ausgelegten Behälter und verstaute ihn so im Kofferraum, daß er während der Fahrt nicht beschädigt werden konnte. Danach wusch er sich die Hände und sprühte sie mit einem desinfizierenden Mittel ab, um alle Mikroorganismen zu töten, die möglicherweise daran haftengeblleben waren. „Komm, Bert", sagte er. „Wir verschwinden und lassen die Herren Archäologen in Ruhe weiterarbeiten. Hoffentlich stoßen sie nicht auf eine Waffe des Außerirdischen oder einen anderen Beweis dafür, daß ich recht habe." Monroe ließ sich nicht provozieren. Er lächelte ruhig. „Vergiß nicht, den Rückwärtsgang einzulegen", riet er, „sonst gibt es doch noch eine Beule." William Rydall preßte erbittert die Lippen zusammen. Er kurbelte das Fenster herunter und schrie: „Du brauchst mir keine Belehrungen zu erteilen! Du nicht!" Er ließ die Kupplung los. Der Wagen ruckte nach vorn und prallte krachend gegen den Cadillac. „Mistkarre", brüllte Rydall wütend. „Hätte ich mir doch nur den Ford gekauft." Er legte den Rückwärtsgang ein, wendete und fuhr los. Dr. Forster Monroe blickte ihm lächelnd nach. An der Stoßstange des Cadillacs befand sich nun eine zweite Beule, aber auch die störte den Archäologen nicht. Er verübelte Rydall nicht, daß dieser den Schaden angerichtet hatte. Er kannte den Biologen als liebenswerten Wissenschaftler, der jedoch hin und wieder so geistesabwesend war, daß er nicht mehr wußte, was er tat. „Im Grunde genommen dürfte man dich gar nicht ans Steuer lassen", sagte er vor sich hin. „Du
bringst es noch mal fertig und fährst mit deinem Wagen ins Wasser, weil du glaubst, in einem Motorboot zu sitzen." Bert Rydall dachte lange über das nach, was er gehört hatte. Ihm lagen allerlei Fragen auf der Zunge, aber er stellte sie zunächst nicht, weil er wußte, wie leicht sich sein Vater ablenken ließ. Als sie sich jedoch der Universitätsstadt Tampa näherten, hielt er es nicht mehr aus. „Wieso glaubt Dr. Monroe eigentlich nicht daran, daß der Kopf zu einem Außerirdischen gehört?" fragte er. „Ist das denn wirklich so ausgeschlossen?" „Für mich nicht", entgegnete Rydall, der an einer Ampel hielt. Mit dieser Antwort war Bert nicht zufrieden. „Wieso denn?" fragte er weiter. „Ich verstehe das nicht. Warum meint er, daß so etwas unmöglich ist?" „Er ist ein alter Querkopf", erklärte der Biologe. „Und er hat keine Phantasie. Er kann sich nicht vorstellen, daß Wesen von anderen Welten den Abgrund zwischen den Sternen überwinden. Vergiß nicht, bis Proxima Centauri, dem der Erde am nächsten gelegene Fixstern, beträgt die Entfernung rund 4,3 Lichtjahre. Das bedeutet, daß ein Raumschiff bis dorthin und zurück fast neun Jahre lang unterwegs wäre, wenn es die ganze Strecke mit Lichtgeschwindigkeit fliegen würde. Es muß jedoch beschleunigen und am Ende der Reise wieder verzögern. Das heißt, mit den Raumschiffen, die wir uns vorstellen können, würde eine Raumfahrt bis zu diesem Sonnensystem mehr als zehn Jahre dauern. Aber Proxima Centauri hat wahrscheinlich gar keine Planeten, auf denen es Leben wie bei uns auf der Erde gibt. Es wäre also ziemlich sinnlos, dieses Sonnensystem anzufliegen. Darüber hinaus schließt es sich ohnehin aus, die Lichtgeschwindigkeit anzustreben, weil die Zeitverschiebung dann zu groß wird. Während im Raumschiff nur etwa zehn Jahre verstreichen, vergehen auf der Erde mehr als fünfzig Jahre. Und welcher Raumfahrer würde wohl an so einer Expedition teilnehmen? Vermutlich niemand." „Hm", machte Bert, dem nicht alles völlig klar war. Er konnte jedoch vorläufig keine weiteren Fragen stellen, weil die Ampel mittlerweile auf Grün umgeschaltet hatte und einige Autofahrer hinter ihnen ärgerlich hupten. Bevor Rydall anfahren konnte, sprang die Ampel wieder auf Rot um. Bert befürchtete, daß es Ärger mit den anderen Autofahrern geben würde, doch Rydall hatte nun einmal mit Erklärungen begonnen, und er dachte nicht daran, mittendrin damit aufzuhören. „Dabei ist durchaus denkbar", fuhr Rydall unbeirrt fort, „daß fremde Intelligenzen, die uns um Tausende von Jahren in der Entwicklung voraus sind, eine Raumfahrttechnologie entwickelt haben, die wir mit den Erkenntnissen unserer Naturwissenschaften nicht erfassen können und die nicht an die Bedingungen des Einsteinschen Kontinuums gebunden sind." „Das Einsteinsche Kontinuum?" fragte Bert und krauste unsicher die Stirn. „Was ist das denn nun schon wieder?" „Von Einstein hast du bestimmt schon mal gehört?" „Na klar. Der hat so ziemlich alles berechnet, was es über das Universum zu berechnen gab." Bert war sich zwar nicht ganz sicher, daß das richtig war, aber er fand seine Formulierung recht gut. „Sehr gut", lobte sein Vater. „Das Einsteinsche Kontinuum beschreibt das Universum als Ganzes, so wie wir es kennen." „Aha", machte Bert und glättete seine Stirn wieder. „Nun ist es möglich, daß Einstein eben doch nicht das Ganze erfaßt hat, daß dieses Universum doch noch anders, komplizierter und vielschichtiger ist. Fremde Intelligenzen könnten das herausgefunden und für ihre Raumfahrt genutzt haben. Man darf so etwas nicht grundsätzlich ausschließen. Das gleiche gilt natürlich auch für Wesen von fernen Planeten", fuhr er fort, wobei er sich umdrehte und den Arm an der Rückenlehne abstützte. „Dr. Monroe kann sich nicht vorstellen, daß diese solche
Strapazen vielleicht doch auf sich nehmen." „Vielleicht haben sie andere Raumschiffe", bemerkte Bert. „Auch das kann er sich nicht vorstellen", erklärte der Biologe. „Monroe ist ein nüchtern denkender Wissenschaftler. Er weiß, daß sich ein Raumschiff nicht schneller bewegen kann als das Licht. Daher ist er davon überzeugt, daß wir nie Besucher von den Sternen gehabt haben und nie welche haben werden." „Die Ampel ist grün", sagte Bert. Die Autofahrer hinter ihnen hupten wütend. „Du mußt weiterfahren", sagte Bert nervös. „Die sollen sich nicht so aufregen", erwiderte Rydall gelassen. „Das bißchen Zeit werden sie wohl noch haben. Verstehst du, was ich meine? Möglicherweise gibt es Intelligenzen im Kosmos, die Raumschiffe besitzen, die schneller als das Licht sind." Einer der Autofahrer erschien plötzlich neben ihnen. Er riß die Fahrertür auf. „Schlafen Sie?" brüllte er. „Wieso fahren Sie nicht weiter?" „Da haben Sie eigentlich recht", sagte Rydall. Er legte den Gang ein und fuhr los. Dabei übersah er, daß die Ampel schon wieder umgesprungen war. Mit knapper Not entging er einem Unfall. „Die fahren wie die Wilden", sagte er kopfschüttelnd. „Ich gaube, wenn uns die überlegenen Intelligenzen von den Sternen beobachten könnten, sie würden uns nicht besonders hoch einstufen. Vermutlich würden sie glauben, wir hätten alle vor, Selbstmord am Steuer zu begehen." Um jegliches Risiko zu vermeiden, verzichtete Bert auf weitere Fragen, bis sein Vater endlich vor ihrem Haus hielt. „Du hast gesagt, daß die Fremden möglicherweise schneller als das Licht fliegen", meinte er dann. „Vorher hast du aber gesagt, daß so etwas gar nicht geht." William Rydall seufzte und schob sich den Hut ins Genick. „So ist es, mein Sohn. Es geht nicht. Jedenfalls nicht mit den Methoden, die wir entwickelt haben. Und mit unseren Naturgesetzen ist so etwas auch nicht vereinbar. Wir sollten uns aber darüber klar sein, daß wir herzlich wenig wissen. Jeden Tag entdecken die Wissenschaftler irgend etwas Neues. Warum sollten sie nicht eines Tages herausfinden, daß man die Lichtgeschwindigkeit unter bestimmten Umständen doch überschreiten kann?" Rydall stieg aus, öffnete den Kofferraum und holte den kostbaren Fund daraus hervor. Bert stellte noch einige Fragen, doch der Biologe war so in Gedanken vertieft, daß er ihn nicht hörte. Er trug den Kopf ins Haus.
Impulse aus der Unendlichkeit
Als William Rydall allein in seinem Labor war, das er im Keller seines Hauses eingerichtet hatte, stürzte er sich in seine Arbeit. Er vergaß alles um sich herum und konzentrierte sich ausschließlich darauf, den Fund zu untersuchen. Die Haut des Toten war lederartig und fest. Da die natürlichen Konservierungsmittel, die im Brunnenwasser und im Schlamm vorhanden waren, sie im Laufe der Jahrtausende durchdrungen hatten, war nicht mehr festzustellen, wie die Haut in ihrem ursprünglichen Zustand gewesen war. Lediglich der physiologische Aufbau war unverändert geblieben. Diesen zu untersuchen, genügte Rydall vorläufig jedoch vollauf. Sein Verdacht erhärtete sich. Die innere Struktur der Haut war anders als beim Menschen. Damit
war jedoch noch nicht der Beweis erbracht, daß es tatsächlich der Kopf eines Extra-Terrestriers war. Rydall entnahm dem Kopf einige Proben und schickte diese an die Universität von Tampa zur radioaktiven Altersbestimmung. Er wollte sich nicht auf das verlassen, was Monroe ihm gesagt hatte, sondern genau wissen, wie alt der Kopf war. Danach untersuchte er den Kopf mit Hilfe der Strahlentechnik und erhielt eine Reihe von Aufnahmen, die ihm zeigten, wie es im Inneren des Schädels aussah. Beim Knochenaufbau gab es keine entscheidenden Unterschiede zum Menschen der Erde. Das innere Ohr war jedoch völlig anders aufgebaut. Es hatte so gut wie keine Ähnlichkeit mit dem Ohr des Menschen. Rydall entschloß sich dazu, den Schädel zu öffnen, nachdem er einige Tage lang daran gearbeitet und alle anderen Untersuchungsmöglichkeiten ausgeschöpft hatte. In dieser Zeit war er für Alice, seine Frau, und für Bert nicht erreichbar. Er erschien nur einige Male in der Wohnung, um etwas zu sich zu nehmen, sich zu waschen oder einige Dinge zu bestellen, die er benötigte. Ansprechbar war er jedoch nicht. Alice, die als wissenschaftliche Assistentin an der Universität von Tampa arbeitete, kannte ihren Mann lange genug. Sie war eine einfühlsame Frau, die Verständnis für die wissenschaftliche Besessenheit ihres Mannes hatte. Sie hatte jahrelang als seine Assistentin gearbeitet, doch hatte sich diese Zusammenarbeit nicht bewährt. Beide hatten gespürt, daß sie sich dabei nicht nähergekommen waren, sondern sich entfremdeten, da beide abweichende Vorstellungen über Methoden und Arbeitsweisen hatten. Berts Mutter war vor .Jahren bei einem Flugzeugunglück umgekommen. Alice war die zweite Frau Rydalls. Sie war dunkelhaarig und hatte freundliche, braune Augen. Geschickt verstand sie es, Rydall zu lenken und ihm die Verantwortung für viele Dinge abzunehmen, die ihn nur unnötig belasten würden. Sie wußte, daß sie einen Mann mit fast genialen Eigenschaften hatte, und sie akzeptierte seine Schwächen. Nur hin und wieder erschien sie im Laboratorium ihres Mannes, das er als Privatunternehmer führte. Er hatte stets genügend Forschungsaufträge, die ihm von den großen Konzernen des Landes erteilt wurden. In seinem Labor hatte er schon manche wissenschaftliche Lösung erarbeitet, die den großen Forschungslaboratorien der Konzerne verschlossen geblieben war. „Verrennst du dich auch nicht?" fragte sie ihn, als er ihr berichtet hatte, welche anatomischen Abweichungen er . gefunden hatte. „Vergiß nicht, daß es bisher nicht einen einzigen anerkannten Beweis für solche Überlegungen gibt." „Er liegt hier", erwiderte Rydall. „Und er wird anerkannt werden." Er nahm den Kaffee entgegen, den seine Frau ihm gebracht hatte, trank ihn jedoch nicht aus. „Laß ihn nicht kalt werden", bat sie und verließ den Raum. Sie merkte, daß sie ihren Mann nur abgelenkt hätte, wenn sie jetzt mit ihm diskutiert hätte. Rydall lief ihr jedoch wenig später nach. „Ist die Post noch nicht da?" rief er. „Warte! Ich sehe eben nach", erwiderte sie. Er kehrte an den Untersuchungstisch zurück und begann damit, den Schädel zu öffnen. Er führte einen Schnitt über die kahle Schädeldecke hinweg von Ohr zu Ohr und setzte dann eine feine Säge an, um damit die Knochen durchzutrennen. Rydall trug Handschuhe und eine Atemmaske, um sich vor Mikroorganismen zu schützen, die möglicherweise im Schädel verborgen waren. Er glaubte zwar nicht, daß eine Gefahr bestand, wollte jedoch jegliches Risiko ausschalten. Als er die Schädeldecke durchgesägt hatte, kehrte Alice zu ihm zurück. „Hier ist ein Brief von der Uni", verkündete sie. „Wahrscheinlich die Altersbestimmung." „Danke." Er nahm den Brief entgegen. Alice wartete kurz, doch als sie merkte, daß er den Brief
nicht öffnen wollte, verließ sie das Labor. Rydalls Blick fiel auf den Kaffee. Er nahm die Tasse auf und trank einen Schluck. Dabei entschloß er sich, den Brief zu öffnen und die Arbeit am Schädel kurz zu unterbrechen. Da es ihm nicht gelang, den Umschlag aufzureißen, streifte er die Schutzhandschuhe ab. Die mit Hilfe der Radiocarbonmethode durchgeführte Altersbestimmung ergab ein Alter von 6600 Jahren. Damit bestätigte sich, was Forster Monroe, der Archäologe, gesagt hatte. Nachdenklich nahm Rydall die Säge wieder auf, an der allerlei Zell- und Knochenreste hafteten. Dann erst bemerkte er, daß er die Handschuhe nicht wieder angezogen hatte. Er holte es nach, versäumte es jedoch, die Hände zu säubern. Rydall trennte nun den Schädel in geduldiger Kleinarbeit in zwei Hälften. Dabei ging er so vorsichtig vor, daß sich der Schädel wieder zusammensetzen ließ, ohne daß eine äußere Verletzung erkennbar war. Überraschenderweise war das Gehirn noch gut erhalten. Es war zwar wesentlich geschrumpft, aber nicht eingetrocknet und zerfallen. Auch hier, so glaubte Rydall, hatte die besondere Zusammensetzung des Brunnenwassers für eine Konservierung gesorgt. Und nun endlich erhielt Rydall den lange gesuchten, eindeutigen Beweis. Das Gehirn des Toten war völlig anders aufgebaut als das Gehirn des Menschen oder das anderer Primaten. Es gab auch keine Ähnlichkeit mit dem Gehirn von anderen Lebewesen der Erde. Das zeigte sich besonders bei der Untersuchung unter dem Elektronenmikroskop. Bei zwanzigtausendfacher Vergrößerung zeichnete sich die Struktur der Nervenbahnen deutlich auf dem farbigen Bildschirm des Gerätes ab. Doch nicht nur das. William Rydall entdeckte auch einige bizarre Gebilde, die er augenblicklich als Mikroorganismen identifizierte. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn. Ihm wurde bewußt, daß er einen schweren Fehler gemacht hatte. Er hatte in seinem wissenschaftlichen Eifer nur daran gedacht, sich mit einem Minimalschutz zu versehen. Der Gedanke, daß der Kopf außerirdische Bakterien oder Viren enthalten könne, war ihm nicht gekommen. Dabei lag diese Gefahr auf der Hand. Er hätte sofort daran denken müssen, als er erkannt hatte, daß der Fremde möglicherweise nicht von der Erde stammte. Jetzt bestand die Möglichkeit, daß er Mikroorganismen freigesetzt hatte, gegen die es keine Abwehrmittel gab. Die gesamte Menschheit war bedroht. Rydall holte in aller Eile nach, was er längst hätte tun müssen. Er desinfizierte das gesamte Laboratorium und versiegelte alles in luftdichten Plastikbehältern, was er dem Kopf entnommen hatte. Anschließend sterilisierte er die Behälter. Dann bestrahlte er den Kopf, um auch ihn völlig keimfrei zu machen. Nun hätte er eigentlich seine Frau verständigen müssen. Er hatte den Hörer des Haustelefons auch schon abgenommen, aber er drückte den Rufknopf nicht, sondern legte nachdenklich wieder auf. Die Wahrscheinlichkeit, daß Alice sich infiziert hatte, war äußerst gering. Auch bestand für Monroe und seine Helfer keine akute Gefahr. Ebensowenig für Bert. Nur er selbst war gefährdet, weil er den Kopf geöffnet und damit den verseuchten Bereich freigelegt hatte. Bert Rydall versuchte, die Labortür zu öffnen. Überrascht stellte er fest, daß sie verschlossen war. Er klopfte dagegen. „Daddy?" rief er. „Ist alles in Ordnung?"
„Natürlich", antwortete dieser durch die Tür. „Störe mich, bitte, nicht. Ich habe zu tun."
„Du mußt etwas essen."
„Ich habe keinen Hunger."
„Sei vernünftig, Dad", sagte Bert. „Mama sagt, daß du seit vierundzwanzig Stunden nichts zu dir
genommen hast. Wenn du nichts ißt, kannst du bald überhaupt nicht mehr arbeiten." „Laß mich in Ruhe", erwiderte er gereizt. „Ich habe wirklich zu tun." Bert stutzte. Einen derartigen Ton war er von seinem Vater nicht gewohnt. Rydall verlor selten einmal die Nerven, aber selbst dann war er zumindest ihm und Alice gegenüber immer höflich. „Mach die Tür auf, Dad", bat er. „Bitte!" Einige Sekunden verstrichen. Schritte näherten sich ihm. Dann glitt die Schiebetür zur Seite. Der Wissenschaftler stand vor Bert. Er war größer als sein Sohn. Aber nicht mehr viel. Das blonde Haar fiel ihm in die Stirn. Seine blauen Augen erschienen Bert matt und glanzlos, und die vollen Lippen waren blutleer. Rydall sah erschöpft aus. „Du hast mir versprochen, daß alles seine Grenzen hat", sagte Bert. „Auch deine Arbeit. Du wolltest nie so weit gehen, daß du auf Schlaf, vernünftiges Essen und ein bißchen Zeit für mich verzichtest." Rydall zuckte mit den Schultern, als sei ihm das alles egal.
„Der Fund ist so einmalig, daß ich seine Geheimnisse einfach lösen muß. Ich kann nicht aufhören,
weil zu befürchten ist, daß ein Verfall des Gewebes einsetzt. „So etwas kann man verhindern." „Ja, natürlich", antwortete er nervös. „Wir wollen nicht darüber diskutieren. Ich brauche Ruhe. Das ist alles." Er blickte Bert bittend an und schob die Tür zu. Enttäuscht wandte sein Sohn sich ab. Er hatte erwartet, daß er mehr erfahren würde. Ihm fiel ein, daß er vergessen hatte, ihn etwas zu fragen. Er klopfte erneut an die Tür. „Ja doch. Was ist denn?" fragte Rydall ärgerlich.
„Du wolltest mir noch sagen, ob es wirklich der Kopf eines Außerirdischen ist."
William Rydall lachte dunkel durch die geschlossene Tür.
„So ein Unsinn", erwiderte er. „Natürlich nicht. Woher sollte so ein Kopf wohl kommen?"
„Du hast gestern noch etwas anderes gesagt", erinnerte er ihn.
„Na schön", antwortete der Wissenschaftler mürrisch. „Man kann sich irren."
Bert Rydall ließ es dabei bewenden. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, den Vater noch länger mit
Fragen zu bedrängen. Er war nicht bereit, darauf zu antworten und fühlte sich in seiner Arbeit nur noch mehr gestört. Bert nahm sich vor, der Mutter den verabredeten „Gute-Nacht-Tip" zu geben. Er wußte, daß sie ihrem Mann dabei ein leichtes Schlafmittel in den Kaffee schmuggelte. Das hatte sie schon öfter getan, wenn er kein Ende bei seiner Arbeit fand. Als Bert in die Küche kam, klingelte das Haustelefon. Er nahm ab, bevor seine Mutter es tun konnte und meldete sich. „Ich habe es mir anders überlegt", sagte Rydall. „Ich möchte doch etwas essen." „Okay, Daddy", erwiderte Bert erfreut. „Ma macht dir ein Steak." „Kein Steak", bat er. „Ich möchte Fisch. Gebratenen Fisch." Bevor Bert Fragen stellen konnte, legte er auf. Bert glaubte, sich verhört zu haben. Er drückte den Rufknopf. Rydall meldete sich nicht. „Er will Fisch", sagte Bert. „Fisch?" Sie lachte. „Das glaubst du doch selber nicht."
„Doch, doch. Er sagte gebratenen Fisch. Er will kein Steak. Er hat ausdrücklich Fisch verlangt." „Du schwindelst!" „Ich schwöre! Er hat wirklich Fisch gesagt und nichts anderes. Du kannst ihn ja fragen." „Das tue ich auch." Sie nahm den Hörer ab und drückte den Knopf, doch Rydall meldete sich nicht. Schließlich legte sie seufzend wieder auf. „Also gut. Er soll seinen Fisch haben." Verwirrt schüttelte Bert den Kopf. Für ihn war der Gedanke, sein Vater könne Fisch anrühren, ebenso absurd wie für seine Mutter. Bert wußte, daß seinem Vater schon schlecht wurde, wenn ihm Fischgeruch in die Nase stieg. Er war fest davon überzeugt, daß er niemals Fisch über die Lippen bringen würde, ohne sich anschließend übergeben zu müssen. Bis zu diesem Tag hätte Bert tausend Eide darauf geschworen, daß es so war. Das hätte Alice Rydall auch getan. Sie hatte oft genug versucht, ihren Mann dazu zu veranlassen, Fisch wenigstens einmal zu probieren. Er hatte stets abgelehnt. Und nun verlangte er von sich aus gebratenen Fisch. Sie wußte nicht,was sie davon halten sollte. Sie versuchte abermals, ihn telefonisch zu erreichen, doch er nahm den Hörer nicht ab. Da kam ihr der Gedanke, Bert wolle ihr einen Streich spielen. Sie sagte nichts, sondern besorgte den Fisch, bereitete ihn zu und schickte Bert damit ins Labor. Nun mußte sich ja zeigen, ob er geschwindelt oder die Wahrheit gesagt hatte. Rydall öffnete sofort, als Bert klopfte. „Der Fisch", sagte der Junge unsicher. Der Wissenschaftler nahm ihm den Teller aus den Händen. Seine Augen wirkten lebhafter als zuvor, und er hatte den Eindruck, daß er fast gierig auf den Fisch blickte. „Danke", sagte er mit heiserer Stimme. „Wirklich nett von dir!" Er verschloß die Tür wieder, bevor Bert Fragen stellen konnte. Dabei drängten sich ihm Tausende auf die Lippen. Bert wachte mitten in der Nacht auf, weil irgendwo im Haus eine Tür ging. Er vernahm Schritte. Er fuhr aus dem Bett, schlüpfte in seine Hausschuhe, verließ sein Zimmer und trat an das Geländer der Treppe heran, die nach unten führte. Sein Vater kam gerade aus der Küche. Er hielt ein großes Stück Käse und eine Bierflasche in den Händen. „Hallo, Dad", sagte Bert. Rydall blickte nicht auf. Er schien ihn nicht gehört zu haben. Bert fand, daß er schlecht aussah. Er hatte sich einige Tage lang nicht rasiert. „Dad", rief er erneut. Sein Vater beachtete ihn nicht. Er biß von dem Käse ab, trank einen Schluck Bier und ging aus dem Haus. Bert blickte ihm sorgenvoll nach. Voller Unruhe fragte er sich, was geschehen war. Er hatte seinen Vater niemals zuvor Käse essen oder Bier trinken sehen. Und er erinnerte sich nicht daran, daß er jemals ohne seinen zerknautschten Hut ins Freie gegangen wäre. Die Garagentür quietschte. Bert eilte die Treppe hinunter. Er wollte seinen Vater fragen, wohin er so spät in der Nacht noch fahren wollte. Als er die Haustür öffnete, rollte der Wagen mit aufgeblendeten Lichtern an ihm vorbei. „Vater", rief Bert. Er eilte dem Wagen einige Schritte nach, doch auch jetzt beachtete Rydall ihn nicht. Er fuhr rückwärts auf die Straße hinaus und beschleunigte dann so scharf, daß sich die Reifen kreischend auf dem Asphalt drehten.
Bert rieb sich die Augen. Er war nun nicht mehr ganz sicher, daß er wirklich wach war. Er schüttelte den Kopf und kehrte ins Haus zurück. Es zog ihn ins Bett. Als er jedoch den Fuß auf die erste Stufe der Treppe gesetzt hatte, fiel sein Blick auf die offene Tür zur Kellertreppe. Einem unwiderstehlichen Zwang folgend, drehte er sich um und ging zu ihr hin. Er horchte. Im Labor war alles ruhig. Verwundert fragte er sich, ob er etwas anderes erwartet hatte. Sein Vater hatte das Haus verlassen, also mußte es im Keller still sein. Langsam und zögernd ging er die Kellertreppe hinunter. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und irgend etwas schnürte ihm die Kehle zu. Dennoch kehrte er nicht um, sondern stieg Stufe um Stufe hinunter, bis er vor der offenen Tür zum Labor stand. Alles sah so aus wie gewöhnlich. Bert war schon oft in diesen Räumen gewesen, aber stets nur in Begleitung seines Vaters. Allein durfte er sich hier nicht aufhalten. Doch jetzt schien ihm, daß er berechtigt war, sich ein wenig umzusehen. Irgend etwas hatte seinen Vater verändert, und er wollte wissen, was. Er betrat das Labor mit dem Gefühl, beobachtet zu werden. Der Kopf aus dem Brunnen lag in einem Vakuumbehälter mit transparenten Wänden mitten im Labor. Er war so sauber, als habe er nie im Schlamm auf dem Grund eines Brunnens gelegen. Die Haut war dunkelbraun und sah aus wie gegerbtes Leder. Die Augen lagen tief in den Höhlen und waren nicht deutlich zu erkennen. Für einen Moment erschien es Bert, als wären sie offen und blickten ihn forschend an, doch dann merkte er, daß er sich geirrt hatte. Nirgendwo lag Papier herum. Das war auffallend, denn sonst herrschte hier immer eine gewisse Unordnung. Rydall liebte es, überall Zettel zu haben, um sich sofort Notizen machen zu können, wenn er es für notwendig hielt, ohne seinen jeweiligen Arbeitsplatz verlassen zu müssen. Auf einem Stuhl stand der Teller, von dem Rydall gegessen hatte. Es war das einzige Anzeichen dafür, daß ein Mensch tagelang hier gewesen war. „Bert!" Der Junge fuhr herum. Alice Rydall stand vor ihm. Sie blickte ihn zornig an. „Wieso treibst du dich mitten in der Nacht im Labor herum?" fragte sie. „Du hast hier nichts zu suchen!" „Ich habe Vater gesehen", antwortete er stammelnd. „Er ist weggefahren. Er war so anders als sonst." „Er ist so, wie er immer war", behauptete sie und gab ihm mit einer energischen Geste zu verstehen, daß er das Labor verlassen sollte. „Er hat seinen Hut nicht mitgenommen. Er hat Käse gegessen und Bier aus der Flasche getrunken", erklärte er. In ihren dunklen Augen blitzte es auf. Sie wurde blaß. „Du hast dich bestimmt getäuscht", sagte sie nervös. „Oder du hast geträumt. Das wird es sein. Du hast geträumt." Obwohl sie nicht seine leibliche Mutter war, respektierte und liebte er sie. Er fand, daß sie sehr kameradschaftlich war. Ihm imponierte, daß sie nie versuchte, ihren Willen bei ihm durchzusetzen. Vielmehr bemühte sie sich stets, ihn zu überzeugen. Und wenn sie schon mal Anordnungen traf, die er zu befolgen hatte, dann waren sie sinnvoll. Jetzt war sie anders als sonst. Sie wollte ihn aus dem Labor vertreiben. Sie wollte nicht, daß er noch mehr entdeckte, was ungewöhnlich war. Schützend stellte sie sich vor ihren Mann und verschloß die Augen vor der Wirklichkeit. Warum fragte sie nicht, warum der Vater sich plötzlich so verändert
hatte? Hatte sie Angst vor einer entsetzlichen Antwort? „Na schön", sagte er. Er wollte sich ihr nicht widersetzen, weil er fühlte, daß er ihr damit weh getan hätte. „Vielleicht habe ich geträumt. Jedenfalls gehe ich jetzt ins Bett." „Das möchte ich dir auch geraten haben", erwiderte sie. Er kehrte in sein Zimmer zurück, konnte aber nicht schlafen. Immer wieder fragte er sich, wohin der Vater mitten in der Nacht gefahren und was im Labor geschehen war. Gegen fünf Uhr fuhr der Wagen in die Garage. Die Haustür ging. Bert schlüpfte aus dem Bett und horchte an der Tür. Er hörte die Stufen der Kellertreppe knarren und dann schloß sich die Schiebetür. Der Vater war ins Laboratorium zurückgekehrt. Brauchte er keinen Schlaf, oder wollte er im Labor schlafen? Wider Erwarten erschien Rydall an diesem Morgen am Frühstückstisch. Er hatte geduscht, sich rasiert und frische Kleidung angezogen. Er wirkte ausgeglichen und fast heiter. Da Alice fürchtete, diese angenehme Stimmung zu zerstören, verzichtete sie darauf, Fragen zu stellen. Bert nahm nicht soviel Rücksicht. „Du hast mich überhaupt nicht gesehen, obwohl ich direkt neben dir stand", sagte er vorwurfsvoll. „Wenn ich noch einen Schritt weiter aus der Tür gekommen wäre, hättest du mich überfahren." Die Augen Rydalls verdunkelten sich. „Das tut mir leid", ewiderte er. „Ich habe dich wirklich nicht gesehen." „Wohin bist du gefahren?" fragte Bert, obwohl Alice ihn unter dem Tisch anstieß. „Ich habe etwas bestellt", antwortete der Wissenschaftler zögernd. „Eine ganze Menge sogar." „Wieso? Was hast du bestellt? Und wieso mitten in der Nacht?" erkundigte sich Alice, die nun auch nicht mehr schweigen wollte. „Es war gegen zwei Uhr, als du weggefahren bist." „Ich weiß", antwortete er freundlich. „Mr. Jorgenson, den ich besuchte, hat es mir auch auf ziemlich rabiate Weise erklärt." Rydall lachte in sich hinein. Seine Augen blitzten belustigt auf. „Erst wollte er mich hinauswerfen, als ich ihm jedoch klargemacht habe, was ich alles bei ihm kaufen will, wurde er zugänglicher." „Ich kenne keinen Mr. Jorgenson", erwiderte Alice gereizt. „Und was, um Himmels willen, hast du alles bestellt? Willst du nicht endlich einmal deutlicher werden?" Jetzt zeigte sich, wie groß die Nervenbelastung der letzten Tage für sie gewesen war. Sie hatte sich nicht mehr voll in der Gewalt. Ihre Stimme klang spitz und Tränen stiegen ihr in die Augen. William Rydall reagierte jedoch völlig anders als erhofft. Sein Gesicht wurde verschlossen. Er schob den Toast und die Milch von sich, stand auf und verließ wortlos das Zimmer, ohne auf Alice zu achten, die ihn zurückhalten wollte. Er holte aus der Bibliothek einen Stapel Papierbögen und zog sich ins Laboratorium zurück. Alice sah ein, daß sie sich mit ihrem Mann nicht verständigen konnte. Sie hielt es im Haus nicht mehr aus. Nachdem sie Bert zur Schule gebracht hatte, fuhr sie zu dem alten Brunnen hinaus, an dem Dr. Monroe mit seinem Team arbeitete. Sie hoffte, mit ihm über Rydall sprechen zu können. Der Archäologe kam ihr entgegen, als er sie mit ihrem Volkswagen kommen sah. Er war freundlich wie immer, doch sie spürte, daß er ein wenig verstimmt war. „Du hast schon lange darauf gewartet, daß ich mich hier sehen lasse", sagte sie. Er blickte sie überrascht an. „Du? Nein, auf dich habe ich nicht gewartet. Auf Bill, natürlich. Warum läßt er sich nicht sehen? Warum berichtet er nichts über den Fund? Er kann sich doch denken, daß mich seine Analysen interessieren."
„Er hat mir auch nichts gesagt", erklärte sie niedergeschlagen. Forster Monroe glaubte, sich verhört zu haben, doch sie bestätigte ihre Aussage und fuhr fort: „Er ist wie ausgewechselt. Ich kenne ihn nicht wieder. Er hat einige von seinen Marotten abgelegt. Er ißt zum Beispiel Fisch und Käse, was er vorher nie getan hat. Und er hat es heute nacht fertiggebracht, rückwärts aus der Garage auf die Straße zu fahren, ohne irgendwo anzustoßen. Du weißt, daß er das sonst fast nie schafft." Monroe lachte. Er legte seinen Arm um die Schulter der jungen Frau. „Nun willst du mich doch wohl hoffentlich nicht fragen, ob das alles etwas mit dem Kopf zu tun hat, den wir hier im Brunnen gefunden haben?" Er blickte sie forschend an. „Alice, das kann nicht dein Ernst sein! Du bist doch nicht irgendein verdrehtes Weibsbild, sondern eine Wissenschaftlerin. Du glaubst doch nicht an Spukgeschichten?" „Irgendeinen Grund muß es doch haben, daß er so anders ist", rief sie verzweifelt. „Seit der Kopf. . ." „Halt", unterbrach er energisch. „So geht es nicht!" Er führte sie zu einem Tisch und einigen Stühlen, die er hatte aufstellen lassen. Sie setzten sich. „Ich weiß auch nicht, woran es liegt, daß Bill sich verändert hat", sagte er dann. „Ich weiß jedoch mit absoluter Sicherheit, daß es nichts mit dem Kopf zu tun hat. Bitte, komme mir nicht mit der Frage, der Kopf könne außerirdischen Ursprungs sein. Er ist es bestimmt nicht, auch wenn es hier und da Abweichungen gibt. Wenn es sie gibt, dann liegen Mutationen vor, Veränderungen der Erbmasse, nichts anderes!" „Er hat etwas bestellt. Er sagte, es sei eine ganze Menge. Vielleicht Maschinen?" Sie blickte den Archäologen hilfesuchend an. „Ob sie etwas mit dem Kopf zu tun haben?" „Auf keinen Fall", erwiderte er überzeugt. „Alice, ich werde mit Bill reden. Beruhige dich erst einmal und fahre nach Hause. Ich komme heute abend vorbei. Okay?" „Ich danke dir, Forster", erwiderte sie zaghaft lächelnd. „Jetzt ist mir schon ein wenig besser."
Die Verwandlung
Als Alice nach Haus kam, parkten drei Lastwagen vor der Tür, und ein weiterer hielt unmittelbar hinter ihr. Der Fahrer dieses Wagens stieg aus und winkte ihr zu. „He, Madam", rief er. „Ich suche das Haus von Dr. Rydall. Ist das hier richtig?" „Das ist richtig", erwiderte sie und blickte erschrocken auf die Lastwagen. „Was bringen Sie denn?" „Die Antennenanlage", antwortete der Fahrer zurückhaltend und ging weiter zum Haus. Er schien nicht überrascht zu sein, als sie ihm folgte. „Habe ich richtig gehört?" fragte Alice. „Antennen? Was für Antennen?" „Dr. Rydall hat sie bestellt. Fragen Sie den doch. Ich habe keine Ahnung. Ich bin nur der Fahrer." Er klingelte an der offenen Tür. Bevor Alice gegen seine Unverfrorenheit protestieren konnte, kam William Rydall mit zwei Technikern aus dem Haus: „Bill", rief sie, „kannst du mir erklären, was das alles soll? Was ist hier los?" „Später", bat er. „Ich werde dir alles erklären, Liebes." Damit ließ er sie stehen. Zusammen mit den Technikern ging er zu den Lastwagen und begann, große Kisten und Kartons abzuladen und in den Keller zu bringen. Alice stellte fest, daß er neben den Laborräumen zwei weitere Räume in Anspruch genommen hatte, so daß für sie und ihren Haushalt nur noch ein winziger Kellerraum übrigblieb. Sie wollte aufbegehren. Als sie jedoch sah, mit
welchem Eifer und welcher Konzentration er arbeitete und wie energisch er alle ihm überflüssig erscheinenden Fragen und Bemerkungen der Lastwagenfahrer und Techniker zurückwies, resignierte sie. Sie zog sich in den Wohnraum zurück, von dem aus sie eine gute Aussicht auf die Tampa Bay hatte. Das Haus Rydalls lag etwas außerhalb von Tampa. Es war keiner jener Kunststoffbungalows, wie sie in Fabriken vorgefertigt und dann in wenigen Tagen aufgestellt wurden, sondern ein gemauertes Haus. Es war schon vor mehr als fünfzig Jahren errichtet worden, entsprach aber immer noch allen modernen Anforderungen, zumal William Rydall stets für Erneuerungen und Verbesserungen gesorgt hatte. Im Haus ging das seltsame Treiben weiter. Einige Male versuchte Alice, doch noch etwas herauszubekommen, aber vergeblich. Die Männer, die Rydall das Material brachten, wußten nicht, was er bauen wollte, und Rydall selbst wich ihr aus, wenn er sie sah, oder er schwieg. Den ganzen folgenden Tag erschienen die Lastwagen und brachten Maschinen aller Art, bis die Kellerräume bis in den letzten Winkel damit gefüllt waren. Alice fand heraus, daß sich ihr gemeinsames Bankkonto entsprechend geleert hatte. Dr. Monroe erschien, wie versprochen. Doch auch ihm gab Rydall keine Erklärung. Er führte ihn zwar in das Labor und zeigte ihm den Kopf, behauptete jedoch, ihn noch nicht ausreichend untersucht zu haben. „Du willst mir weismachen, daß du dich noch nicht damit beschäftigt hast?" fragte der Archäologe. „Bill, das kann doch nicht wahr sein? Erst behauptest du, dies sei ein außerirdisches Wesen und jetzt..." „Unsinn", unterbrach ihn Rydall heftig. „Natürlich ist es kein Außerirdischer. Ich dachte wirklich, du könntest einen Scherz von einer wissenschaftlichen Aussage unterscheiden!" Monroe preßte die Lippen zusammen und schwieg. Die schroffe Antwort des Freundes befremdete ihn. „Ich habe wahnsinnig viel zu tun", fuhr Rydall fort. „Du würdest mir daher einen großen Gefallen tun, wenn du mich allein lassen würdest. Alice wird dir sicherlich gern noch eine Tasse Kaffee machen." „Danke", erwiderte Monroe knapp. Er nickte Rydall grüßend zu und verließ das Labor. Alice erwartete ihn am Ende der Treppe. Fragend blickte sie ihn an, doch er schüttelte nur enttäuscht den Kopf. Er wollte zu seinem Wagen gehen, doch sie hielt ihn auf. „Bitte, Forster", sagte sie, „benimm du dich nicht auch noch so. Hast du wirklich keine Ahnung, was da geschieht?" „Nein", erwiderte er. „Bill schweigt sich aus." „Wir müssen etwas tun!" erklärte sie entschlossen. „Das sehe ich mir nicht mehr länger an. Ich will wissen, was los ist." „Du kannst ihn nicht zwingen." Eine Stahltür schlug krachend zu. Alice fuhr herum und eilte zur Kellertreppe. Sie lief einige Stufen hinab, dann blickte sie bestürzt auf eine Tür, die vorher noch nicht dagewesen war. Sie hämmerte mit den Fäusten dagegen. „Bill", rief sie. „Öffne! Mach auf!" Wider Erwarten glitt die Tür zur Seite. William Rydall trat seiner Frau entgegen. „Was ist denn, Liebling?" fragte er ungeduldig. „Warum störst du mich?" „Ich muß mit dir reden", sagte sie. „Jetzt und hier! Ich warte keine Sekunde länger!" Er schüttelte den Kopf und erwiderte: „Nein. Du erfährst alles, was du wissen mußt, aber erst in einigen Tagen: Bis dahin mußt du dich gedulden!"
„Moment mal, Bill", sagte Monroe „so geht es doch nicht!" „Misch du dich nicht ein", brüllte der Biologe erregt. Seine Augen funkelten. Er ballte die Hände zu Fäusten, als wolle er sich auf den Archäologen stürzen. „Bill! Hast du den Verstand verloren?" rief Alice. Sie stellte sich zwischen die beiden Männer. „Behandelt man so einen Freund?" Die Augen Rydalls verdunkelten sich. Er ließ die Fäuste sinken, blickte zu Boden und murmelte: „Entschuldige, Forster. Es tut mir leid. Vielleicht können wir in Ruhe darüber reden?" „Du meinst — jetzt?" Monroe schien völlig überrascht zu sein. Er bemerkte das eigenartige Glitzern in den Augen des Biologen nicht. Auch fiel ihm dessen verstecktes Lächeln nicht auf. „Also gut. Ich bin einverstanden." „Geh, bitte, nach oben, Alice", bat Rydall. „Wir sehen uns später." Alice war erleichtert. Sie glaubte, daß nun alles gut sei, da ihr Mann bereit war, offen mit dem Freund zu reden und ihm zu erklären, welche Absichten er verfolgte. Sie wollte ihre Arme um Rydall legen und ihn küssen, doch er wies sie schroff zurück und duldete nicht, daß sie ihn berührte. „Komm!" sagte er befehlend zu Monroe. Die schwere Stahltür schloß sich hinter den beiden. Alice wußte nun überhaupt nicht mehr, was sie von ihrem Mann halten sollte. Als sie die Kellertreppe hinaufstieg, kam Bert ihr entgegen. Er sah, daß sie Tränen in den Augen hatte. „Was ist los?" fragte er. „Warum weinst du?" Sie schüttelte nur den Kopf und wollte in ihr Zimmer laufen, um allein zu sein. Doch Bert hielt sie am Arm fest. „Du warst bei Vater", sagte er. Es war eine Feststellung, der sie nicht widersprechen konnte. Sie nickte. „Was ist passiert? Habt ihr euch gezankt?" „Nein, nein", antwortete sie leise. „Es ist alles in Ordnung." „Oder-durftest du ihn auch nicht berühren?" Ihre Augen weiteten sich. Erst jetzt schien sie Bert zu sehen. „Ich wollte ihm gestern die Hand geben", erklärte Bert. „Er hat es nicht zugelassen. Ich durfte ihn nicht berühren." „Na, endlich", sagte William Rydall erleichtert, als sich das Stahlschott hinter Monroe schloß. „Ich befürchtete schon, sie würde uns überhaupt nicht mehr allein lassen." „Was ist mit dir los, Bill?" fragte der Archäologe. Er folgte Rydall, der sich zwischen den aufgestellten Maschinen und Kontrollgeräten hindurchschlängelte, ins eigentliche Labor. „So kannst du doch nicht mit Alice umgehen." „Nur keine Aufregung", entgegnete der Biologe. „Alles hat seinen Grund. Möchtest du einen Kaffee?" „Nein, danke." William Rydall stand an der Kaffeemaschine und füllte zwei Tassen Kaffee ab. Er nahm sie auf und hielt eine Tasse Monroe hin. „Tu mir einen Gefallen, Forster", bat er. „Trink. Es schmeckt mir besser in Gesellschaft." „Na, schön." Der Archäologe nahm den Kaffee entgegen. Er wartete zunächst ab, doch Rydall machte keine Anstalten, ihm irgend etwas zu erklären. Ruhig schlürfte er die heiße Flüssigkeit. Da Monroe meinte, daß er vorläufig doch nichts hören würde, trank er seine Tasse ebenfalls aus. Er merkte nicht, daß Rydall ihn dabei aufmerksam beobachtete. „Der Kaffee riecht ein bißchen — hm — medizinisch", sagte er. „Das hat nichts zu bedeuten", erwiderte Rydall. Er setzte seine Tasse ab. „Und jetzt will ich dir
erklären, was hier geschieht." „Auf einmal?" fragte der Archäologe argwöhnisch. „Erst tust du so geheimnisvoll und jetzt willst du mir alles erläutern?" „Du wirst bald wissen, warum", sagte der Biologe. „Also, hör zu! Alle Maschinen, die ich hier aufgestellt habe, sind im Grunde genommen funktechnische Einrichtungen, auch wenn einige gar nicht danach aussehen. Die Turbine da drüben gehört ebenso dazu wie dieser elektronische Gleichrichter, der Kontrollrechner ebenso wie der Modulkontraktor." „Ich habe keine Ahnung, wovon du überhaupt sprichst." „Ich baue eine Hyperfunkanlage", eröffnete ihm Rydall. „Eine Hyperfunkanlage", wiederholte Monroe ironisch. „Aha! Damit ist ja alles gesagt." „Verstehst du denn wirklich nicht?" fragte Rydall. „Ich baue eine Funkstation, die mit überlichtschnellen Impulsen arbeitet. In wenigen Tagen schon kann ich mich mit Wesen aus dem Universum unterhalten, die wahrscheinlich mehr als siebzig Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Die Anlage wird mit zigtausendfacher Lichtgeschwindigkeit arbeiten. Das bedeutet, daß ich keinerlei Zeitverlust habe. Ich werde mich also mit jenen Fremden unterhalten können, als ob sie nur wenige Kilometer von hier entfernt wären." „Aber sonst bist du gesund, ja?" Dr. Forster Monroe war davon überzeugt, daß William Rydall den Verstand verloren hatte. Das Gesicht des Biologen verzerrte sich. „Warte nur ab", schrie er. „Es dauert nicht lange, dann weißt du alles, ohne mich fragen zu müssen. Dann bist du einer von uns!" Monroe erbleichte. Diese Worte bestätigten ihm, daß Rydall in ärztliche Behandlung gehörte. Er glaubte, ihn beruhigen zu müssen, und das meinte er am besten dadurch erreichen zu können, daß er ihn über seine Arbeit befragte. „Nun mal langsam", sagte er. „Du behauptest also, mit diesen Geräten hier über Lichtjahre hinweg mit einem Sternenvolk in Verbindung treten zu können." „Das kann ich", erwiderte Rydall, der augenblicklich ausgeglichener wirkte. „Natürlich darfst du dir das nicht so vorstellen, daß ich gleich eine Bildfunkverbindung erhalte mit hervorragenden Fernsehbildern und einer klar verständlichen Sprache. Nein, dafür ist diese Anlage zu schwach. Wir werden vorläufig kaum mehr als eine Art Morsezeichen austauschen können. Aus diesen müssen wir eine gemeinsame Sprache entwickeln. Die Kommunikation mit einem Volk, das sich völlig unabhängig von uns entwickelt hat und das, viele Lichtjahre von uns entfernt ist, dürfte äußerst schwierig sein. Vielleicht ist sie sogar unmöglich. Wer könnte das jetzt schon sagen? Aber versuchen muß ich es!" „Das hört sich alles ganz vernünftig an", gab Monroe überrascht zu. „Woher hast du deine Informationen?" William Rydall fuhr herum und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Behälter, in dem der Kopf aus dem Brunnen lag. Als sich die Stahltür zwei Tage später öffnete, glaubte Alice, nun endlich zu erfahren, was im Hause gespielt wurde. Sie eilte zur Treppe. Rydall und der Archäologe kamen ihr entgegen. Monroe musterte sie mit unsteten Blicken. „Ihr habt euch aber Zeit gelassen", sagte sie in gezwungen scherzhaftem Ton. „Habt ihr überhaupt keinen Hunger gehabt?" „Wir hatten zu arbeiten", erwiderte der Archäologe. „Entschuldige, bitte." Er versuchte, an ihr vorbeizukommen, doch Alice wich nicht zurück. Ihr Gesicht verschloß sich. Sie schüttelte den Kopf.
„Nein", sagte sie. „So nicht! Was auch immer da unten geschieht, ich will wissen, was es ist!" „Du wirst es erfahren, Alice", versprach Rydall, doch sie wollte sich nicht abwimmeln lassen. „Ich lasse euch nicht durch", erklärte sie. „Oder ich werde die Polizei verständigen!" Rydall und der Archäologe blickten sich verblüfft an und begannen schallend zu lachen. Ihre Heiterkeit verwirrte Alice derart, daß sie den Weg freigab. Die beiden Männer verließen lachend das Haus und stiegen in den Wagen, der vor dem Haus parkte. Rydall setzte sich ans Steuer. Er fuhr scharf, aber auffallend sicher, von der Zufahrt auf die Straße und jagte mit aufheulendem Motor davon. Alice blickte ihnen nach. Dann lief sie zum Stahlschott hinunter und versuchte, es zu öffnen. Es gelang ihr nicht. Als sie wieder nach oben kam, wartete Bert auf sie. „Jetzt ist Dr. Monroe genauso wie Dad", sagte er. „Ihr Lachen klang so gekünstelt. Es war nicht echt." Der Junge saß auf der Treppe, die zu den oberen Räumen führte. Er stützte sich mit den Armen auf den Knien ab. Sein schmales Gesicht war ernst und von Sorgen gezeichnet. Traurig blickte er Alice an. „Seit er den Kopf gefunden hat, hat er keine zehn Worte mit mir gewechselt", stellte er anklagend fest. „Ich kann es nicht ändern, Bert. Wirklich nicht." „Wir müssen zur Polizei gehen." „Das ist doch Unsinn", erwiderte sie. „Was sollen wir denen denn sagen? Daß Dad plötzlich Fisch mag? Oder daß er Bier trinkt? Oder daß er besser Auto fährt als vorher?" „Wir sollten erzählen, wie es von Anfang an war. Sie müssen uns glauben, daß etwas nicht in Ordnung ist. Sie müssen die Maschinen da unten untersuchen." „Bert, wir leben in einem freien Land. Jeder kann Maschinen kaufen, soviel er will, wenn es nicht gerade Panzer oder Raketen sind." „Was willst du denn tun?" fragte er ratlos. „Willst du immer nur zusehen? Wir wissen genau, daß etwas nicht stimmt. Warum willst du nicht mit jemandem darüber reden, bevor es zu spät ist?" Rydall und Dr. Monroe kehrten mit dem Wagen zurück. Bei ihnen waren vier Männer. Sie waren jung und sahen intelligent aus. Sie trugen Arbeitskittel, wie sie von Technikern bei der Arbeit bevorzugt werden. Rydall führte sie ins Haus und zur Kellertreppe, ohne Alice zu beachten. Diese hatte den Eindruck, daß er sich so schnell wie möglich mit ihnen zurückziehen wollte. „William", rief sie. „Warte einen Augenblick!" Er schloß das Stahlschott auf und verschwand mit den Männern, während sich ihr Dr. Monroe entgegenstellte. Er lächelte freundlich, ließ aber gleichzeitig erkennen, daß er sie nicht durchlassen würde. Alice Rydall und Bert saßen im Büro eines FBI-Beamten. Ein Schild auf seinem Schreibtisch wies ihn als „Earl Dymock" aus. Er war groß und muskulös, hatte ein kantig wirkendes Gesicht mit auffallend hellen Augen, einem festen Kinn und einem streng wirkenden Mund. Hin und wieder hob er die rechte Augenbraue, wenn ihm eine Aussage unklar oder unglaubwürdig erschien. Er hatte schlanke Hände, die während des ganzen Gesprächs auf dem Tisch ruhten. „Habe ein wenig Geduld. Du wirst alles erfahren, Alice, hat er gesagt", berichtete Alice. „Aber ich weiß weniger, denn zuvor. Mein Mann und Dr. Monroe verschwanden mit den vier Männern im Keller." „Er schloß sich mit den Männern ein?" fragte Dymock. „Allerdings", erklärte Alice. „Nach drei Tagen kamen sie wieder heraus, ohne daß einer von ihnen einen Bissen zu sich genommen hätte. Die
vier Fremden waren verändert. Sie verhielten sich so wie mein Mann und wie Dr. Monroe. Ihr Blick war unstet. Sie wirkten, als hätten sie etwas zu verbergen. Und einer von ihnen fuhr ins Zentrum von Tampa, um einige Portionen Bratfisch aus einem Schnellimbiß zu holen." „Hm", machte Dymock. Er schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Bert spürte, daß der Agent gern mit ihm gesprochen hätte, und es drängte ihn auch, das Geschehen so zu schildern, wie er es sah. Es widerstrebte ihm jedoch, seiner Mutter ins Wort zu fallen oder sich aufzudrängen. Er wartete darauf, daß Dymock ihn ansprechen würde. Leider vergeblich. „Und dann?" fragte der Agent. „Dann räumte mein Mann die Bibliothek und zwei weitere Räume im Erdgeschoß aus, die er als Büro benutzt hat. Weitere Lastwagen fuhren vor und brachten Maschinen, die in diesen Räumen installiert wurden. Handwerker haben inzwischen -Stahltüren eingesetzt. Ich habe versucht, mit meinem Mann zu reden und mich gegen diese Maßnahmen zu wehren, aber es war vergeblich. Ich kann mich mit meinem Mann nicht mehr verständigen. Er sieht durch mich hindurch und tut, als ob er mich nicht hört. Bei Dr. Monroe ist es ähnlich. Dabei war er vorher so etwas wie ein väterlicher Freund für mich und auch für Bert." Earl Dymock zuckte mit den Schultern. „Das alles ist nicht verboten", erwiderte er. „Vielleicht sollten Sie zu einem Scheidungsanwalt gehen. Er kann Ihnen besser helfen als ich. „Aber darum geht es doch gar nicht", rief Alice verzweifelt. „Verstehen Sie denn nicht? In meinem Hause geschieht etwas, was vielleicht gefährlich ist. Sie müssen etwas tun, denn in einigen Tagen ist es vielleicht schon zu spät." Der Beamte schüttelte den Kopf. „Es tut mir aufrichtig leid, Mrs. Rydall", sagte er. „Solange kein Verstoß gegen die Gesetze der Vereinigten Staaten vorliegt, können wir nichts unternehmen."
Signale aus dem All
William Rydall beugte sich über die Tastatur des Hyperfunksenders. Mahnend hob er eine Hand. „Ruhe, bitte", sagte er. Dr. Monroe und die vier Techniker standen hinter ihm. Gebannt blickten sie auf die Monitorschirme und Oszillographen. Alle Instrumente zeigten an, daß der Sender voll funktionsfähig war. Der Biologe drückte eine Taste. Im gleichen Augenblick schlängelten sich ständig wechselnde Lichtkurven über die runden Schirme der Oszillographen. Auf den Monitorschirmen blitzte es rhythmisch auf. Das vom Computer vorprogrammierte Hyperfunkgerät sendete in Rafferimpulsen die Botschaft Rydalls. Enggebündelte, unsichtbare Energiespiralen jagten mit einer Geschwindigkeit, die tausendfach höher als die des Lichtes war, in die Unendlichkeit hinaus. William Rydall wiederholte die Sendung, die nur wenige Sekunden dauerte, zwanzigmal, wobei er die nach seinen Anweisungen gefertigten Spezialantennen langsam schwenkte, so daß der hochenergetische Hyperfunk-Richtstrahl über ein weites Raumgebiet verstreut wurde. „Ich bin sicher, daß wir unser Ziel erreichen", sagte Rydall. „Der Funkspruch wird gehört werden." „Wer weiß, ob sie noch leben?" bemerkte Monroe. „Vergiß nicht, es sind mehr als 6600 Jahre unserer Zeitrechnung vergangen." „Ich bezweifle, daß diese Rechnung richtig ist", entgegnete der Biologe.
„Die Altersbestimmung nach der Methode des radioaktiven Zerfalls ist unbestechlich", erklärte der Archäologe. „Auf diesem Gebiet bin ich Fachmann." „Und doch ist es möglich, daß du dich irrst. Es ist sogar wahrscheinlich." „Das mußt du mir erklären", forderte Monroe. „Gern. Natürlicher Kohlenstoff enthält das radioaktive Nuclid14C. Es entsteht dadurch, daß Neutronen aus der Höhenstrahlung auf atmosphärischen Stickstoff einwirken." „Das brauchst du mir wirklich nicht mehr auseinanderzusetzen", protestierte Monroe. „Das ist mir längst klar." „Ich muß dennoch etwas weiter ausholen, damit du verstehst, was ich meine. Sei also, bitte, ein wenig geduldig." Rydall lächelte. „Nun hat sich im Laufe der Erdgeschichte bekanntlich ein Gleichgewicht zwischen dem radioaktiven Zerfall von 14C und seiner Neubildung aus Stickstoff eingestellt. Daher ist der Gehalt an radioaktivem Kohlendioxid gleichbleibend. Die Pflanzen nehmen bei der Assimilation Kohlendioxid auf, und zwar radioaktives und inaktives. Tiere, die sich von Pflanzen ernähren, bauen den Kohlenstoff in ihr Gewebe ein. Die Relation von radioaktivem und inaktivem Kohlenstoff bleibt die gleiche wie in der Atmosphäre, jedenfalls solange das Tier lebt. Stirbt das Tier, endet der Stoffwechsel. Der Gehalt an 14C sinkt infolge des radioaktiven Zerfalls, während der nicht-aktive Teil unverändert bleibt." „Ja, doch, ja", bemerkte Monroe ungeduldig. „Ich weiß." „Stellt man nun fest, wie hoch die Radioaktivität in tierischen Überresten, in Holz oder Kohle ist, kann man berechnen, wieviel Zeit vergangen ist, seit der Kohlenstoff als Kohlendioxid in der Atmosphäre gebunden worden ist", fuhr Rydall unbeeindruckt fort. „Ja und?" fragte der Archäologe. „Das ist ein alter Hut. Was hat das mit uns zu tun?" „Der Kopf hatte vielleicht schon keinen Stoffwechsel mehr, als er auf die Erde kam. Das Wesen, dem dieser Kopf gehörte, muß sich keineswegs von Pflanzen und Tieren der Erde ernährt haben. Es kann Nahrungsmittel aus dem Kosmos mitgebracht haben. Folglich ist völlig offen, ob der Gehalt an '4C überhaupt mit dem in der irdischen Atmosphäre verglichen werden darf. Man müßte Vergleiche mit der Heimatwelt dieses Wesens anstellen. Dann erst kann man das wahre Alter bestimmen." „Hm, das ist richtig", gab Monroe zu. Er wollte noch mehr zu diesem Problem sagen, doch plötzlich zuckten Lichtblitze auf den Monitorschirmen auf, und das automatische Aufzeichnungsgerät schaltete sich ein. „Sie antworten", rief Rydall. Er sprang vor Erregung auf. „Seht doch. Sie antworten, wie ich es gesagt habe. Die Hyperfunkanlage funktioniert." Er fuhr herum und blickte die anderen mit leuchtenden Augen an. „Wißt ihr, was das bedeutet? Ist euch das wirklich klar? Wir sprechen mit den Nachfahren jenes Mannes dort." Er zeigte auf den Kopf in dem transparenten Behälter. Als William Rydall einige Stunden später aus dem Laboratorium in die Küche kam, flackerte in Alice noch einmal die Hoffnung auf, alles könnte gut werden. „Bill", sagte sie. „Sieht man dich auch mal wieder?" Er lächelte zurückhaltend und strich sich mit den Fingern über das unrasierte Kinn. „Wir haben einen Bärenhunger", eröffnete er ihr. „Bitte, bringe uns etwas. Außerdem möchte ich mich rasieren." „Gern", erwiderte sie. „Was möchtest du haben? Fisch?" „Sicher. Was sonst?" Alice stellte fest, daß ihre Frage ihn wirklich überrascht hatte. „Nicht nur ich. Die anderen auch." „Die anderen werde ich nur versorgen, wenn du endlich aufrichtig zu mir bist." Rydall antwortete
ihr nicht, sondern drehte sich um und verließ die Küche. Zehn Minuten später kam er zurück. Er hatte geduscht und sich rasiert. „Ist das Essen fertig?" fragte er. „Für dich, ja." Wortlos wandte er sich ab und ging in den Keller. Alice eilte ihm nach, doch die Stahltür schloß sich hinter ihm, bevor sie etwas sagen konnte. Kurz darauf bemerkte sie, daß er aus dem Keller heraus einige Telefongespräche führte. Sie setzte sich in die Küche, stellte das Essen warm und wartete, daß er kommen würde. Doch er kam nicht. Als Bert aus der Schule zurückkehrte, fuhren drei Personenwagen vor, und zehn junge Männer näherten sich dem Haus. Zwei der Techniker stiegen aus dem Keller herauf. Sie öffneten die Tür, ohne Alice oder Bert zu beachten. „Kommt herein", sagte einer von ihnen. Alice beobachtete bestürzt, daß die Neuankömmlinge Speisencontainer ins Labor brachten. Ihre Weigerung; etwas für die Helfer Rydalls zu tun, hatte also überhaupt nichts genützt. „Wieso kommen die gleich mit zehn Mann, um Dad und den fünf anderen da unten was zu essen zu bringen?" fragte Bert. Alice blickte mit leeren Augen auf das Stahlschott, das sich hinter den Männern geschlossen hatte. Sie antwortete nicht, weil sie nicht wußte, was sie sagen sollte. Das Haustelefon klingelte. Bert nahm den Hörer ab und meldete sich. „Es ist Dad", sagte er dann. „Er will dich sprechen." Alice nahm den Hörer entgegen. „Hör zu", sagte William Rydall mit schwerer Stimme, die ihr fremd vorkam. „Liebes, ich meine es wirklich gut mit dir. Bitte, verlasse zusammen mit Bert das Haus. Fahre zu deinem Vater." „Bill", rief sie entsetzt, „du kannst doch nicht . . ." „Glaube mir", versetzte er mühsam, „es ist besser so. Bitte, frage mich nicht. Geh!" „Ich gehe nicht ohne eine Erklärung", erwiderte sie hartnäckig. „Auf keinen Fall!" „Bitte, bitte", sagte er, und sie hatte das Gefühl, daß er weinte und kaum in der Lage war, diese Worte über die Lippen zu bringen. „Geh! In einigen Tagen wirst du begreifen." Er legte auf. „Was wollte er?" fragte Bert, der neben ihr stand. Er fühlte, daß die Belastung für sie nahezu unerträglich wurde. „Er will, daß wir zu meinem Vater fahren und für einige Zeit dort bleiben", antwortete sie zögernd. Sie blickte ihn forschend an. „Er scheint in Not zu sein." „Glaubst du, daß die anderen ihn dazu zwingen, so etwas zu verlangen?" „Ich kann es mir nicht vorstellen." Alice schwankte zwischen dem Verlangen, ihrem Mann zu helfen und vor dem Unheimlichen die Flucht zu ergreifen, hin und her. Sie lief zu der Stahltür vor den Kellerräumen und klopfte dagegen, bis Rydall endlich öffnete. Sein Gesicht war maskenhaft starr. „Geh endlich", forderte er mit tonloser Stimme und schloß die Tür wieder. „Also schön", sagte Alice zornig. „Dann verschwinde ich eben. Glaube nur nicht, daß ich wiederkomme!" Sie eilte die Treppe hinauf, unterrichtete Bert von ihrem Entschluß und befahl ihm, alles zusammenzupacken, was er mitnehmen wollte. Er widersetzte sich ihr nicht, da es ihm ebensowenig wie ihr gelungen war, sich mit seinem Vater zu verständigen. Außerdem hoffte er, dem Druck in der Schule für einige Zeit zu entweichen. Er verstaute seine Sachen in einem Koffer und schleppte diesen nach unten. Er hatte ihn kaum in den Wagen gelegt, als Alice erschien. Auch sie hatte nur einen Koffer. Sie setzte sich hinter das Steuer und befahl ihm, einzusteigen.
„Ich möchte ganz gern noch mal mit ihm reden", sagte Bert. „Das kommt nicht in Frage! Los! Einsteigen!" Sie war so energisch, daß er jeden Widerstand aufgab.
Die neuen Lebewesen
„Kein Zweifel", sagte William Rydall etwa zwei Stunden nach der Abfahrt seiner Frau und seines Sohnes. „Sie haben uns verstanden." Er meinte jedoch nicht Alice oder Bert, sondern jene fremden Intelligenzen, die er über Hyperfunk angesprochen zu haben glaubte. Auf eine Frage, die er gestellt hatte, lief Sekunden später eine Antwort ein. „Phantastisch", sagte Monroe. „Das Ergebnis ist weitaus besser, als ich gedacht habe. Nicht wir müssen das Problem lösen, wie wir uns miteinander verständigen können; sie haben es bereits für uns getan." Tatsächlich erschien auf den Monitorschirmen der Kommunikationswand ein Code, den Rydall direkt in den Hauptcomputer eingeben konnte, der dem Hyperfunkgerät angeschlossen war. Dieser Code war von den Fremden übermittelt worden. „Es gibt also tatsächlich eine Geschwindigkeit, die höher als die des Lichts ist", sagte Forster Monroe nachdenklich. „Ich hätte es nie für möglich gehalten." „Vorsicht", widersprach Rydall. „So einfach ist das nicht. Es gibt eine funktechnische Verbindung zwischen kosmischen Räumen, die eine Verständigung ohne meßbaren Zeitverlust ermöglicht." „Das sagte ich ja." „Hyperfunk bedeutet nicht, daß sich eine Impulswellenfront mit zigtausendfacher Lichtgeschwindigkeit durch das Universum bewegt. Per Hyperfunk brechen wir vielmehr das Einsteinsche Kontinuum auf und überbrücken auf diese Weise Zeit und Raum, so daß das, was wir unter Entfernungen verstehen, unwesentlich wird." „Allmählich dämmert es mir." „Dieses Hyperfunkgerät sendet sozusagen an dieser Stelle in eine andere Dimension, in der Entfernungen keine Rolle spielen. Es sorgt gleichzeitig dafür, daß die Hyperfunkwellen am Zielpunkt wieder in das Einsteinsche Kontinuum eintreten." „Hoppla", sagte Forster Monroe überrascht. „Wenn ich dich richtig verstanden habe, kann man unsere Sendung also nur in einer bestimmten Entfernung von der Erde auffangen." „Richtig. In einer Entfernung von etwa 60 bis 70 Lichtjahren." „Das würde bedeuten, daß jemand, der näher bei uns ist, sie nicht empfangen könnte?" „Richtig. Ich kann mir aber vorstellen, daß es auch Hyperfunkgeräte gibt, die dafür sorgen, daß sozusagen unterwegs ständig ein Teil der Impulswellenfront freigegeben wird, so daß die Sendung auf der gesamten Strecke hörbar ist." Rydall sprach leise und ohne Modulation. Er schien Schwierigkeiten zu haben, die Sätze zu formulieren. „Und dieses Wissen hast du alles aus dem Kopf?" fragte Monroe. „Das kann ich nicht eindeutig beantworten", erwiderte der Biologe. „Ich kann nur vermuten. Ich habe mich mit Mikroorganismen infiziert. Das steht fest. Das Wissen ist von ihnen auf mich übergegangen. Ich muß also annehmen, daß die Fremden dieses Wissen in den Verband der Mikroorganismen einprogrammiert haben, so wie man mit Eisenspänen auch Informationen auf ein Tonband prägen kann."
„Du hast mich infiziert", stellte Monroe leidenschaftslos fest, „aber auf mich sind kaum Informationen übergegangen." „Das ist auch gar nicht notwendig. Es genügt, wenn ich weiß, wie man den Hyperfunksender und den Empfänger dazu baut." Monroe nickte zustimmend und verzichtete auf weitere Fragen. Er blickte auf die Monitorschirme. Auf diesen erschienen in englischer Sprache abgefaßte Anweisungen an William Rydall und seine Helfer. Sie waren angefüllt mit technischen Zeichnungen und mathematischen Formeln. Die Hyperfunksendung der Fremden aus der Unendlichkeit lief zwei volle Stunden. Dann endlich waren alle Informationen eingelaufen, die Rydall für seine weitere Arbeit im Dienste der Fremden benötigte. Das Haus veränderte sich unaufhaltsam weiter. War es in den Jahren zuvor eine anspruchsvolle Privat-Forschungsanstalt gewesen, so wurde es nun zu einer Fabrikationsstätte. Jacob Jonas beobachtete das geschäftige Treiben auf dem Nachbargrundstück mit wachsender Verwunderung. Er hatte ein gutes Verhältnis zu William Rydall, mit dem er hin und wieder Billard spielte. Viele Probleme hatten sie gemeinsam besprochen. Daher wunderte es Jonas, daß Rydall von den geradezu umwälzenden Ereignissen vorher nichts verraten hatte. „Ich schau mal rüber", sagte der Schiffsmakler. „Bill soll mir erklären, was bei ihm los ist." "Laß ihn doch", entgegnete seine Frau. „Er wird schon wissen, weshalb er sich ausschweigt." Suzan Jonas hatte keinen so guten Kontakt mit Rydall. Er war ihr zu intellektuell, und es fiel ihr schwer, seinen oft verblüffenden Gedankengängen zu folgen. Jacob Jonas überging die Bemerkung seiner Frau. Er verließ sein Haus durch den Vordereingang und blickte zum Haus Rydalls hinüber. Es war etwa zweihundert Meter von ihm entfernt und stand auf einer kleinen Anhöhe. Ein lichtes Wäldchen lag zwischen den beiden Grundstücken. Während Jacob Jonas über einen schmalen Pfad zu dem Haus Rydalls ging, sah er einige Schwertransporter, die große Container brachten und vor dem Haus abluden. Der Biologe hatte eine Wand seines Hauses herausgerissen, weil einige Maschinen so groß waren, daß er sie auf andere Weise nicht ins Haus hätte bringen können. Kopfschüttelnd blieb der Schiffsmakler neben den Containern stehen, als Rydall aus dem Haus kam. Jonas sah sofort, daß der Wissenschaftler sich verändert hatte. Seine Züge waren hart geworden. „Bill", rief er. „Was, zum Teufel, ist hier los? Willst du eine Fabrik bauen?" Rydall lachte freudlos. Mit kalten Augen blickte er den Nachbarn an. Jacob jonas fühlte sich abgestoßen. Er bereute, daß er gekommen war, und er überlegte schon, ob er umkehren sollte, als sich das Gesicht Rydalls wieder ein wenig erhellte. „Komm ins Haus, Jacob", bat der Biologe. „Ich möchte dir etwas zeigen. Es wird dich interessieren." Die Neugier siegte. Er folgte Rydall ins Haus, das kaum noch wiederzuerkennen war. Überall standen Maschinen und Apparaturen herum. Techniker arbeiteten daran, sie aufzubauen und in Betrieb zu nehmen. Durch ein großes Loch im Fußboden führte ein Bündel von Kabeln zu den Kellerräumen hinab. „Meine Güte", sagte jonas überrascht. „Hättest du dir dafür nicht irgendwo eine Halle mieten können? Bei der augenblicklichen Wirtschaftsflaute kannst du doch überall eine billig bekommen. Das wäre allemal preiswerter gewesen, als dieses schöne Haus zu ruinieren. Wozu das alles?" „Ich zeige es dir. Komm! Hier entlang!" Er ging seinem Gast voraus in den ehemaligen Wohnsalon, den größten Raum des Hauses. Hier stand eine Reihe von transparenten Behältern, die untereinander
mit verschiedenen, unterschiedlich gefärbten Schläuchen und einer Reihe von Kabeln verbunden waren. In den Behältern befand sich eine gelblich-trübe Flüssigkeit. „Was ist das?" fragte Jacob jonas. Er stellte fest, daß Rydall auch einen Computer aufgestellt hatte. Die Magnetspulen mit den Informationen bewegten sich ständig. Gleichzeitig geschah etwas in den Behältern. Jonas sah sich jedoch außerstande, genau zu sagen, was da passierte. „Das ist eine Anlage, die Leben schafft", erklärte Rydall. „Und dazu baust du dein ganzes Haus um?" fragte Jonas enttäuscht. Er hatte weitaus mehr erwartet. „Ich dachte, du machst hier irgend etwas Weltbewegendes." „Was ich hier mache, wird das Leben auf der Erde grundlegend verändern", erwiderte der Wissenschaftler. „Ich meinte nicht, daß ich primitives "Leben in der Retorte entstehen lasse. Nein, hier geschieht weitaus mehr. Aus biologischen Grundsubstanzen, die zunächst zu einem Zellbrei zurückentwickelt werden, entstehen neue Geschöpfe, hochentwickelte Lebewesen." Jacob Jonas erbleichte. „Willst du mir wirklich sagen, daß du in diesen Gefäßen Tiere entstehen läßt, wie es sie bisher noch gar nicht auf der Erde gibt?" „Du kommst der Wahrheit ziemlich nahe." „Wieso ziemlich? Sind es keine Tiere?" „Nein", erwiderte Rydall gelassen. „Es wäre falsch, sie Tiere zu nennen. Sie sind intelligent." „Meinst du künstliche Menschen? Androiden?" Jonas lachte unsicher. „Du willst mich verkohlen. Du weißt, daß ich leichtgläubig bin, und du machst dich lustig über mich. Woher weißt du, daß diese Geschöpfe intelligent werden, wenn sie fertig sind?" „Weil ich mit ihnen zusammenarbeite", erklärte der Biologe. „Die wissenschaftlichen Anweisungen für meine Arbeit kommen direkt von ihnen." „Wo sind sie? Warum zeigst du sie mir nicht, wenn sie hier sind?" „Sie sind nicht hier. Sie geben die Anweisungen über Funk." Rydall gab ihm einen Wink. „Komm! Einer von ihnen ist bald fertig. Du sollst ihn sehen." Er führte Jonas zu einem Behälter, der am Fenster stand. Die Flüssigkeit darin war nicht mehr gelblich-trüb, sondern fast farblos und klar. Darin schwamm ein rotes Gallertbällchen. Es war etwa so groß wie ein Golfball. Aus ihm wuchsen fortwährend armartige Gebilde hervor, die sich wie suchend bewegten. „Das Ding soll intelligent sein?" fragte der Makler verblüfft. „Das glaube ich nicht. Es ist eine Art Qualle. Wo hast du sie her?" „Ich sagte dir doch, daß es hier im Laboratorium entstanden ist", entgegnete Rydall. „Du kannst mir ruhig glauben. Dieses Wesen hat zwar einen recht einfachen biologischen Aufbau, aber es lebt und es ist intelligent. Es ist die biologische Projektion eines Lebewesens, das ursprünglich so ausgesehen hat wie wir." „Warum hat es jetzt keine menschliche Erscheinungsform mehr?" fragte Jonas, der immer noch nicht wußte, ob er dem Biologen glauben durfte. „Wer gibt schon seinen Körper auf, um in so einem Ding zu leben?" William Rydall wandte sich ihm zu und blickte ihn forschend an. Seine Augen funkelten kalt. „Möchtest du es wirklich wissen?" fragte er. „Aber ja doch", antwortete Jonas arglos. „Deshalb bin ich ja hier. Oder glaubst du wirklich, ich werde gehen, ohne erschöpfend informiert worden zu sein?" „Also gut", stimmte Rydall zu. „Ich respektiere deinen Willen." Er hob den Deckel des Gefäßes ab und griff mit der bloßen Hand in die Nährflüssigkeit. Er hob das Gallertwesen heraus und wandte sich Jacob Jonas zu. Dieser beugte sich neugierig nach vorn, um das
rote Wesen besser sehen zu können. Blitzschnell drückte Rydall es ihm an die Wange. Der Makler fuhr aufschreiend zurück. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Bill!" rief er. „Was, zum Teufel, soll das?" Er versuchte, das künstliche Geschöpf abzureißen, aber es glitt ihm durch die Finger, ohne daß er es halten konnte. Es drang in die Haut ein und verschwand darin. Jacob Jonas stand hochaufgerichtet vor dem Biologen. Die Arme sanken ihm nach unten. Seine Lippen zuckten. Er atmete keuchend, und er schwankte, als könne er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Rydall führte ihn zu einem Hocker, und er setzte sich. Einige Minuten verstrichen. In dieser Zeit kamen mehr und mehr Helfer Rydalls in das Labor. Sie alle beobachteten den Schiffsmakler. Keiner stellte eine Frage. Alle schienen zu wissen, was geschehen war. Am Abend dieses Tages klingelte in dem Haus von Alices Vater in der Stadt, sechseinhalb Autostunden nördlich von Tampa, das Telefon. Bert Rydall nahm den Hörer ab und meldete sich. „Bei Morgan", sagte er. „Bist du es, Bert?" fragte eine bekannte Stimme. „Hier ist Suzan Jonas. Kann ich deine Mutter mal sprechen?" „Es ist Mrs. Jonas." Bert wandte sich zu seiner Mutter um. Alice, die mit ihrem Vater vor dem Fernsehgerät saß, stand beunruhigt auf. Sie ahnte, daß irgend etwas geschehen sein mußte. Ihre Stimme schwankte leicht, als sie den Hörer in der Hand hielt. „Suzan? Was ist passiert? Und woher weißt du überhaupt, wo ich bin?" „Bill hat es mir gesagt", erwiderte sie. Alice hatte den Eindruck, daß Suzan Jonas außerordentlich erregt war. Ihre Stimme klang ganz anders als sonst. Sie war schrill und ließ eine gewisse Hysterie erkennen. „Hör zu, Alice! Jacob ist zu euch rübergegangen. Das war vor fünf Stunden. Er ist nicht zurückgekommen. Ich habe bei euch angerufen und nach ihm gefragt. Bill hat behauptet, Jacob sei nicht bei ihm gewesen." „Vielleicht war er wirklich nicht da?" „Alice! Ich habe beobachtet, daß er ins Haus gegangen ist. Er hat mit jemandem gesprochen. Mit wem, weiß ich nicht, aber es könnte Bill gewesen sein. Und jetzt tut Bill so, als habe er Jacob nicht gesehen." „Was soll ich dazu sagen, Suzan? Ich weiß von nichts."
„Was geht bei euch überhaupt vor? Da stimmt doch etwas nicht."
„Ich weiß es selbst nicht, Suzan. Wirklich nicht."
Suzan Jonas schwieg fast eine Minute lang. Während dieser Zeit überlegte Alice, was in Tampa
geschehen sein konnte. Sie hatte Angst um ihren Mann. „Was soll ich tun, Alice?" fragte Mrs. Jonas. „Ich muß doch etwas tun. Jacob kann nicht einfach so verschwinden." „Geh zu Bill!" „Nein, Alice. Das werde ich nicht tun. Euer Haus ist mir unheimlich geworden. Ich habe Angst. . ." Alice faßte einen Entschluß. „Suzan", sagte sie, „es gibt nur eine einzige Möglichkeit. Geh zur Polizei und erstatte Vermißtenanzeige. Verlange, daß sie das Haus untersuchen. Sie sollen es umkrempeln von oben bis unten, bis sie Jacob gefunden haben." Alice redete noch weiter auf ihre Nachbarin ein, bis diese ihr versprach, die Polizei einzuschalten. Einen Einwand hatte sie allerdings noch. „Vielleicht ist es noch zu früh, Alice", sagte sie unsicher. „Vielleicht kommt Jacob ja noch."
„Es ist nicht zu früh, sondern vielleicht schon zu spät." „Also gut", erwiderte Mrs. Jonas. „Ich gebe dir dann Bescheid, wie es ausgegangen ist." Alice legte auf. Hilfesuchend blickte sie ihren Vater an. „Ich fahre zurück", sagte sie. „Ich komme mit!" Bert war sofort Feuer und Flamme. Er spürte, daß es etwas zu erleben gab und das wollte er sich nicht entgehen lassen. „Ihr bleibt beide hier", erklärte Mr. Morgan. „Dein Mann hat sich auf wissenschaftliche Experimente eingelassen, die nicht in Ordnung sind. Davon bin ich überzeugt. Vielleicht sind sie sogar ungesetzlich. Auf jeden Fall sind sie gefährlich. Deshalb werde ich nicht zulassen, daß ihr nach Tampa fahrt. Auf keinen Fall." Andrew Morgan war ein Mann, der sich durchzusetzen wußte. Nur einmal in seinem Leben war er nicht energisch genug gewesen und hatte verhindert, daß Alice ihren Willen durchsetzte. Das war, als sie sich für William Rydall entschieden hatte. Mit ihm verstand sich Morgan nicht. Für ihn war Rydall ein komischer Kauz, der sich mit völlig überflüssigen und unverständlichen Dingen befaßte. Daß es Rydall dabei gelungen war, ein beträchtliches Vermögen zu verdienen, ignorierte Morgan. Er war ein einfacher Mann, der einen bescheidenen Textilienhandel betrieb und keine rechte Vorstellung von der Arbeit eines Wissenschaftlers hatte. Wenn er behauptete, daß William Rydall sich auf gefährliche Experimente eingelassen hatte, dann wußte er selbst nicht so genau, was er eigentlich damit meinte. Er trat Alice jedoch so entschlossen gegenüber, daß sie nachgab, zumal sie sich daran erinnerte, daß Rydall darauf bestanden hatte, daß sie das Haus verließ. „Also gut", sagte sie. „Ich bleibe. Jedenfalls fürs erste." „Schade", murmelte Bert enttäuscht. „Ich hätte gern gesehen, was Dad anstellt. Und außerdem wüßte ich gern, was Mrs. Jonas erreicht." „Das ist eine klare Sache", sagte Lieutenant Bayliss. „Sie haben eine Vermißtenanzeige erstattet, und Sie haben uns einen Tip gegeben, wo wir Ihren Mann finden. Es ist selbstverständlich, daß wir unter diesen Umständen eingreifen." Suzan Jonas atmete erleichtert auf. Bis zu diesem Augenblick hatte sie gefürchtet, die Polizisten würden ihr nicht glauben. Doch nun schlich sich bei ihr auch ein Gefühl des Unbehagens ein. Sie wurde sich dessen bewußt, was es bedeutete, daß sie Anzeige gegen Rydall erstattet hatte. Sollte er unschuldig sein, mußte sie mit unangenehmen Folgen rechnen. „Was soll ich tun?" fragte sie. „Fahren Sie nach Hause", bat Bayliss. „Von dort aus können Sie ja verfolgen, was geschieht. Wenn wir Ihren Mann gefunden haben, bringen wir ihn zu Ihnen." „Und wenn Sie ihn nicht finden?" fragte sie zaghaft. „Wir unterrichten Sie auf jeden Fall", versprach er ihr und geleitete sie aus dem Büro. Er war ein großer, sympathischer Mann mit lebhaften, blauen Augen, die in einem seltsamen Kontrast zu seinen pechschwarzen Haaren standen. Er war ruhig und überlegen, so daß sie das Gefühl hatte, daß sie ihm alles anvertrauen durfte und daß er ihr vorbehaltlos glaubte. Tatsächlich hielt Bayliss die Angaben für richtig. Er war jedoch davon überzeugt, daß kein Verbrechen vorlag. Doch das sagte er ihr nicht. Er rief zwei Beamte zu sich und stieg mit ihnen in den Wagen. Dabei beobachtete er, daß Suzan Jonas sich in ein anderes Fahrzeug setzte und wartete. Als er startete, fuhr sie hinter ihm her, doch das war nicht weiter verwunderlich, da sie beide das gleiche Ziel hatten. Als Bayliss das Haus Rydalls erreichte, blieb er zunächst im Wagen sitzen. Auf Grund des
Berichtes von Suzan Jonas hatte er geschäftiges Treiben auf dem Grundstück Rydalls erwartet, doch was er jetzt sah, überstieg alles, was er sich hatte vorstellen können. „Ich möchte wissen, warum hier noch niemand eingegriffen hat", sagte er zu den beiden Sergeanten, die mit ihm im Wagen saßen. Rydall hatte überall in den Bäumen um das Haus herum Scheinwerfer anbringen lassen. Sie beleuchteten das Haus und seine nähere Umgebung taghell. Ein Bulldozer beseitigte ein Wäldchen hinter dem Haus. Eine Baukolonne stellte vorfabrizierte Wände auf. Offenbar plante Rydall, eine Halle hinter dem Haus zu errichten. Lastwagen transportierten Container heran. Bayliss zählte zwölf dieser großen Behälter, die darauf warteten, entladen zu werden. Überraschenderweise hatten sich keine Neugierigen eingefunden, die das geschäftige Treiben beobachteten. Die Straßen in dieser Gegend waren menschenleer. Niemand schien sich an dem Lärm zu stören. Bayliss ging mit den beiden Sergeanten zum Haupteingang des Hauses und rief einen der Männer heran, die die Wände aufstellten. „Wo finde ich Mr. Rydall?" fragte er. „Kommen Sie", bat der Mann freundlich, „ich bringe Sie zu ihm!" Er führte die drei Polizisten in das Haus. Bayliss fand, daß Mrs. Jonas nicht übertrieben hatte. Im Gegenteil. Sie hatte das unglaubliche Geschehen offenbar selbst noch nicht voll erfaßt. „Er ist im biologischen Labor", erklärte der Mann, der Bayliss führte. „Hier ist es!" Er öffnete eine Tür. Bayliss blickte in einen hellen Raum, in dem sich zahlreiche Behälter befanden. Bei diesen Behältern standen einige Männer herum und sprachen miteinander. Sie wandten sich den Polizisten zu, als diese eintraten. „Vermutlich wollen Sie zu mir", sagte ein blonder Mann. Er kam auf Bayliss zu. „Mein Name ist Rydall." „Ich komme wegen Mr. Jonas. Ist er hier?" Rydall nickte. Er winkte einen der Männer zu sich heran. „Das ist Mr. Jonas", erklärte er. Bayliss blickte den Mann prüfend an. Er erkannte ihn wieder. Suzan jonas hatte ihm ein Foto von ihrem Mann gezeigt. „Sie sind freiwillig hier, Mr. Jonas?" fragte Bayliss. Der Makler lächelte. „Natürlich", antwortete er. „Bill, sei so nett und zeige dem Herrn, was du hier machst. Sicherlich interessiert er sich auch für das, was in den Behältern entsteht." „Für mich ist besonders wichtig, daß ich mit einem Polizisten darüber reden kann", sagte Rydall. Lieutenant Bayliss spürte die Gefahr, ohne sie definieren zu können. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre davongelaufen. Er wußte, daß etwas nicht stimmte. Die Männer um Rydall waren eigenartig. In ihren Blicken war etwas Fremdes und Bedrohliches. „Bevor wir dazu kommen, möchte ich die Bauanträge und die Genehmigungen sehen", sagte Bayliss. „Wer hat Ihnen erlaubt, mitten in einer Wohngegend einen derartigen Betrieb aufzuziehen?" „Das hat alles seine Ordnung", erwiderte Rydall gelassen. „Einer meiner Freunde wird die Papiere holen. Währenddessen möchte ich Ihnen etwas zeigen. Kommen Sie, bitte!" Die Stimme Rydalls übte einen fast hypnotischen Zwang auf Bayliss aus. Er folgte dem Wissenschaftler zu einem Behälter mit einer fast klaren Flüssigkeit. Darin schwamm ein rotes Wesen mit armartigen Auswüchsen. Zur gleichen Zeit telefonierte Alice Rydall wieder mit ihrer Nachbarin Suzan Jonas. „Ich glaube, es war eine gute Idee, die Polizei einzuschalten", sagte Suzan Jonas. „Ich bin jetzt beruhigt. Dieser Lieutenant Bayliss ist jetzt drüben im Haus und spricht mit Bill." „Es wird alles gut werden", entgegnete Alice Rydall, ohne wirklich davon überzeugt zu sein, daß
die Gefahr überstanden war. „Das glaube ich auch. Dieser Bayliss gefällt mir. Er macht einen so zuverlässigen Eindruck." Die beiden Frauen sprachen noch eine Weile über William Rydall und seine Forschungsarbeiten. Sie kamen zu dem Schluß, daß er eine ungemein wichtige Entdeckung gemacht haben mußte. „Du wirst sehen, Suzan", sagte Alice, „einige Tage noch, dann wird Bill uns überraschen. Vielleicht ist auch Jacob mit von der Partie." „Warte mal", bat Suzan. „Es klingelt. Es ist Lieutenant Bayliss. Er wird mir sagen wollen, wo Jacob ist. Bleib am Apparat. Ich bin gleich wieder da." Alice hörte, daß sie den Hörer ablegte und sich entfernte. Die Tür ging und setzte dabei ein chinesisches Glasspiel in Bewegung. Ein Mann sprach. Die Tür schloß sich wieder. Suzan antwortete. Die Stimmen entfernten sich, so daß Alice sie kaum noch hören konnte. Dann schrie Suzan auf, doch es schien, als würde der Schrei sogleich wieder erstickt. Atemlos horchte Alice. Etwa zwei Minuten verstrichen, ohne daß jemand sprach. Dann näherten sich Schritte. Suzan nahm den Hörer auf. „Was ist los, Suzan?" rief Alice. „Was ist denn passiert?" „Wieso? Was sollte passiert sein?" fragte Suzan Jonas mit tonloser Stimme. „Wo ist Jacob?" „Was geht dich das an?" „Suzan!" Suzan Jonas legte auf. Alice tippte die Gabel ihres Telefons mehrfach herunter, weil sie glaubte, die Verbindung sei von anderer Seite unterbrochen worden. Dann wählte sie die Nummer von Jonas, doch die Nachbarin meldete sich nicht mehr. Ratlos legte sie auf und setzte sich. „Jetzt fahren wir doch zurück! Stimmt's?" fragte Bert, der das Telefongespräch-verfolgt hatte. Er war allein mit Alice im Zimmer. „Wir fahren zurück", bestätigte sie. „Ich muß wissen, was mit Suzan passiert ist."
Das Tagebuch des Todes
William Rydall fühlte, daß er sein Ich mehr und mehr verlor. Anfänglich war er sich dessen nicht bewußt gewesen. Später hatte er gemerkt, daß er sich bei der Untersuchung des Gehirns in dem gefundenen Kopf infiziert hatte. Etwas Fremdes war in ihm erwacht, das von Stunde zu Stunde stärker geworden war, ohne daß er sich dagegen hätte wehren können. Nur einmal hatte er sich mit aller Kraft gegen das andere gestemmt. Das war gewesen, als er verhindert hatte, daß Alice und Bert auch infiziert wurden. Als er durchgesetzt hatte, daß sie die Stadt verließen. Danach hatte er getan, was das Fremde in ihm verlangte. Die wissenschaftliche Neugier hatte ihn getrieben. Sein Forscherdrang war übermächtig geworden. Er wollte wissen, was da aus der Unendlichkeit des Universums über 6000 ,Jahre hinweg zu ihm gekommen war. Er wollte wissen, wohin der Weg führte, den er — unfreiwillig eingeschlagen hatte. Er war fasziniert gewesen, als er das synthetische Lebewesen gesehen hatte, das in der Retorte entstanden war. Zugleich hatte er aber auch Furcht empfunden. Doch das hatte ihn nicht daran gehindert, in den Behälter zu greifen und das gallertartige Wesen zu berühren. Unmittelbar darauf hatte sich alles verändert. Sein Ich war weit in den Hintergrund getreten und
hatte nun so gut wie keinen Einfluß mehr, während der Fremde, der aus den unbekannten Tiefen des Universums stammte, zu einer kraftvollen Persönlichkeit in ihm erwachte, seinen Körper und seinen Geist übernahm. William Rydall war kaum mehr als ein Beobachter im Hintergrund. Das neue Ich hieß Cirghan. In den ersten Stunden seines neuen Lebens war Cirghan kaum dazu fähig, sich auf die veränderte Situation einzustellen. Er zog sich in einen Raum zurück, der noch nicht mit Maschinen gefüllt war, um zu sich selbst zu finden. Er wußte, daß die anderen während dieser Zeit die Arbeiten vorantreiben würden. Er hatte sie mit den kosmischen Viren infiziert und damit das Programm zumindest teilweise auf sie übertragen. Keiner seiner Mitarbeiter verfügte noch über seinen freien Willen. Cirghan legte sich auf eine Couch und schloß die Augen. Seine Gedanken gingen zurück in eine längst vergangene Zeit und zu der fernen Welt, von der er gekommen war. Er erinnerte sich daran, daß alles am dritten Tag des Monats Cordhu angefangen hatte. Der Planet Eyla, auf dem er gelebt hatte, erschien so deutlich vor seinem geistigen Auge, daß er sogar glaubte, den Wind in seinem Gesicht zu spüren.
Von Süden her wehte ein lauer Wind. Er trieb die gelben Pollen der Gräser über das Land und brachte den Duft der Steppenblüten mit sich. Ich stieß die Tür zur Terrasse meines Hauses auf und atmete tief durch. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so wohl gefühlt, wie an diesem Morgen. Der Frühling war angebrochen. Der Himmel war klar und grün wie das Gras unten am Fluß. Die Sonne hatte einen gelblichen Schimmer, doch das Grün überwog. Ein Schwarm Südlandvögel zog über das Haus hinweg. Ich hörte die zirpenden Schreie der Tiere, von denen es heißt, sie seien vom Aussterben bedroht. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es so war. Aus dem Arbeitszimmer ertönte die Stimme einer Nachrichtensprecherin. Sie berichtete über meine biophysikalischen Experimente und teilte mit, daß ich — Cirghan — von einer Expertenkommission für die höchste wissenschaftliche Auszeichnung, den EYLA-Preis, vorgeschlagen worden war. Sie berichtete aber auch von den wütenden Protesten meiner Konkurrenten, die behaupteten, meine Arbeiten stellten eine lebensbedrohende Gefahr für die Bevölkerung von Eyla dar. „Hast du das gehört?" fragte mich Cir. Ich hatte nicht bemerkt, daß sie auf die Terrasse gekommen war. „Sie zerreißen sich mal wieder, weil sie dir den Erfolg nicht gönnen." Sie sah atemberaubend schön aus in ihrem knöchellangen Kleid, das ihren Körper wie ein lebendes Gespinst umschmeichelte. Ich zog sie in die Arme. „Laß sie nur", erwiderte ich. „Sie können mich nicht mehr aufhalten. Ich stehe dicht vor dem Abschluß. Heute werden wir den Verband der Mikroorganismen, der in der Biomasse eingelagert ist, mit dem Computerprogramm organisieren." „Das bedeutet, daß die Mikroorganismen zusammen mit der Biomasse einen lebenden Computer bilden?" fragte sie. „So ist es doch?" „Eine neue Intelligenz entsteht", antwortete ich. „Du weißt, daß wir nur in vier Dimensionen denken können. Der größte Teil der kosmischen Naturgesetze bleibt uns verborgen. Wir sehen die Wahrheit, können aber nicht in sie eindringen, weil die Natur uns Grenzen gesetzt hat." „Deine Gegner sagen, diese Grenzen solltest du beachten." „Sie sind Kleingeister, die sich vor der Wahrheit fürchten. Nein. Wenn wir selbst nicht bis in die
fünfte Dimension vordringen können, dann müssen wir eine Intelligenz schaffen, die dazu fähig ist. Und das ist der neue Bio-Computer, der heute Wirklichkeit wird. Er wird unser Sklave sein und uns den Kosmos erschließen." „Und es ist keine Gefahr dabei?" fragte sie unsicher.
„Glaubst du auch schon, was meine Gegner behaupten?" fragte ich.
„Nein. Ich vertraue dir", antwortete sie. „Du wirst nichts tun, was Eyla gefährdet. Bestimmt nicht."
Ich stand vor dem Bio-Computer im zentralen Eyla-Forschungsinstitut, das sich mitten in der größten Stadt des Planeten erhob. Ungefähr hundert Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt waren bei mir. Wir alle beobachteten, was sich hinter den transparenten Scheiben in dem gigantischen BioBehälter tat. Das von uns geschaffene künstliche Gehirn, das aus einem Ur-Plasma gezüchtet worden war, hatte sich mit einem Verband von programmierten Mikroorganismen vereinigt. „Ich verstehe das alles nicht", sagte Osgant zu mir. Er war wissenschaftlicher Journalist. „Sie haben eine neue Intelligenz geschaffen. Besteht denn nicht die Gefahr, daß diese Intelligenz sich über uns erhebt und uns alle versklavt?" „Ich bitte Sie", erwiderte ich ein wenig unwillig. „Gerade von Ihnen hätte ich eine solche Frage nicht erwartet. Die Gefahr ist nicht größer als bei einem anderen Computer auch. Das Ding hier ist ein Idiot, wenn Sie so wollen. Ohne Informationen, die wir ihm geben, kann es weniger als ein ungeborenes Kind. Wir haben es daher voll in der Hand und können es nach unserem Willen lenken." „Sie benutzen also Mikroorganismen, Viren, als Informationsspeicher." „Das ist nicht die ganze Wahrheit. Ich benutze Viren. Das stimmt. Aber ich nehme nicht sie als Informationsspeicher, sondern die Zellkerne. Die Viren haben für uns unschätzbare Vorteile, da sie nur aus einem Typ von Nukleinsäure und aus einem antigenen Protein bestehen und sich ausschließlich in lebenden Wirtszellen vermehren. Sie sind also einfach in ihrem Aufbau und vervielfachen sich selbst. Das bedeutet, daß unser Bio-Computer seine Leistungskapazität aus sich heraus ständig steigert, ohne daß wir dazu etwas tun müßten." „Und es ist wirklich keine Gefahr dabei?" fragte er. „Nein", erwiderte ich und schüttelte den Kopf. „Solange der Bio-Computer von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen ist, kann nichts passieren." „Was ist, wenn der Behälter undicht wird und Viren ins Freie gelangen?" „Auch dann besteht keine Gefahr, weil wir unempfindlich, immun gegen diesen Typ Virus sind. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen. Dieses größte wissenschaftliche Experiment, das jemals auf Eyla stattgefunden hat, ist völlig ungefährlich."
Die Alarmsirenen schillten. Ich eilte aus meinem Arbeitszimmer. Als ich die Treppe erreichte, die nach unten in den Computersaal führte, sah ich, daß einige Männer fluchtartig davonrannten. An der transparenten Panzerwand des Bio-Computers klebte ein rundes Ding.
Meine Feinde bekämpften mich nicht mehr nur mit Worten. Sie wollten mein Lebenswerk mit einer Bombe vernichten! Ich raste die Stufen der Treppe hinunter. Doch ich kam zu spät. Die Bombe explodierte. Die Druckwelle schleuderte mich zu Boden. Ich prallte mit dem Kopf gegen das Treppengeländer und kam erst nach einiger Zeit wieder zu mir, als meine Assistenten versuchten, die ausfließende Biomasse mit einem Dämmschaum abzudecken. Die Explosion hatte ein riesiges Loch in die Panzerwand gerissen. Der Bio-Computer war vernichtet worden. Was sich jetzt pulsierend aus der Öffnung drängte, war zwar noch eine lebende Masse, doch sie war ohne Intelligenz. Daran bestand für mich kein Zweifel. Intelligenz war nur unter ganz bestimmten Bedingungen im Behälter entstanden und konnte nur erhalten werden, wenn diese Bedingungen gewahrt wurden. Druck, Sauerstoffversorgung, ph-Werte und elektrische Stimulation mußten stimmen. Die in flammendem Rot leuchtenden Kontrolltafeln zeigten mir allzu deutlich an, daß nun nichts mehr davon so war, wie es hätte sein müssen. Ich mußte wieder ganz von vorn anfangen. „Es hat keinen Sinn", sagte ich niedergeschlagen. „Vernichtet die Masse. Sie ist nichts mehr wert."
Siebzehn Tage waren seit dem Attentat vergangen. Jetzt schien festzustehen, daß es uns nicht gelungen war, die gesamte Biomasse zu vernichten. Ich befand mich weit außerhalb der Hauptstadt in einem Wäldchen. Einer meiner Assistenten führte mich zu einem kristallinen Gebilde, das an einem Baum klebte. Es schimmerte, als sei es innen mit einer Lichtquelle versehen. Es war rund wie ein Ball. Coda, einer meiner Assistenten, schnitt es mit einem Messer von der Rinde ab. „Fünfzig davon haben wir gefunden", erklärte er. „Nur hier in diesem Wald." Er legte den Kristallball auf einen Stein und zerschmetterte ihn mit einem Hammer. Er zersprang in unzählige Einzelteile. Aus dem Inneren aber quoll eine graue, lebende Masse hervor. Sie verteilte sich über den Stein, bildete Auswüchse und schien fliehen zu wollen. Sie starb jedoch rasch ab. Offenbar war sie außerhalb der Kristallkugel nicht lebensfähig. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ich wandte mich ab und sah mich um. Ich stand unter vertrockneten Bäumen, an denen verdorrtes Laub hing. Der Boden unter meinen Füßen war staubig und tot. Nirgendwo in meiner Nähe schien es noch etwas Lebendes zu geben. Kein Insekt kroch über die Erde. Kein Reptil zeigte sich auf den Ästen der Bäume, und die Vögel schienen diesen toten Wald zu meiden. Meine Assistenten und ich schützten uns mit geschlossenen Anzügen und Absorbermasken, welche unsere Atemluft filterten und alle Mikroorganismen abtöteten. „Es ist der gleiche Typ Virus, den wir für den Bio-Computer verwendet haben", erklärte Coda. „Er ist allerdings leicht mutiert. Dennoch gibt es keinen Zweifel. Diese Dinger hier haben ihren Ursprung in unserem Computer." Er brauchte nichts mehr zu sagen. Ich wußte, was geschehen war. Bei dem Bombenattentat war es den programmierten, den intelligenten Viren gelungen, ins Freie durchzubrechen. Wir hätten das gesamte Forschungsinstitut abbrennen müssen. Vielleicht hätten wir dann eine Katastrophe verhindert. Jetzt war es, so fürchtete ich, zu spät. Die Viren verbreiteten sich über das Land und
bildeten neue Formen, gegen die wir nichts ausrichten konnten. Wir hatten es versucht. Wir hatten ganze Wälder abgebrannt, um nachher feststellen zu müssen, daß unter der Asche Kristallkugeln verborgen waren, die völlig unbeschädigt waren.
Wie betäubt blickte ich auf Regierungspräsident Affanat, der mir gegenüber am Tisch saß und mich ansah, als sei ich ein Massenmörder. Nur ein Tag war vergangen, aber die Kristallkugeln mit den Viren darin hatten sich über einen ganzen Kontinent verbreitet. „Und nicht nur das", fuhr Affanat fort. „Taucher haben sogar schon in den Meeren diese Kugeln gefunden. Der Sauerstoffgehalt der Luft sinkt im gleichen Maße, wie die Virenkugeln sich vermehren. Sie vernichten das Leben überall auf Eyla." „Für uns steht fest, daß wir verloren sind", sagte Bargan, der Wissenschaftsminister. Er war ein alter Mann, der jedoch über eine nach wie vor überragende Intelligenz verfügte. Er war einer der wenigen Männer, die ich aufrichtig verehrte. „Es war der entscheidende Fehler, daß wir unsere wissenschaftliche Arbeit fast ausschließlich auf den biologischen Sektor ausgerichtet haben. Wir haben geglaubt, unsere Zivilisation allein auf Bio-Technik aufbauen zu können. Dabei haben wir entscheidende Gefahren übersehen." „Aber, Bargan", begann ich, doch er unterbrach mich mit einer energischen Geste. „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf", betonte er. „Wir alle haben diesen Fehler begangen. Die Ansätze dafür liegen Generationen zurück. Irgendwann aber mußte es zu einer solchen Katastrophe kommen." „Was können wir tun?" fragte der Präsident. „Es gibt nur eine Möglichkeit", erklärte Bargan. „Wir müssen uns in subplanetarische Anlagen zurückziehen und uns dort einrichten. Wir sind in der Lage, einige Millionen Eylabewohner für einige Jahrtausende in einen Bioschlaf zu versetzen. Die wissenschaftlichen Grundlagen dafür sind erarbeitet. Wenn wir unsere industriellen Kapazitäten nutzen, dann können wir diesen Plan verwirklichen." Ich war entsetzt. Ich wollte die Wahrheit noch nicht sehen. „Aber wir haben doch noch nicht verloren", erwiderte ich. „Noch haben wir eine Chance, die Ausbreitung der Kristalle über den ganzen Planeten zu verhindern." „Nein", sagte Bargan unerbittlich. „Es ist zu spät. Wir werden nur überleben, wenn wir konsequent handeln. Unser Planet ist verloren. Vielleicht können wir in einigen tausend Jahren wieder an die Oberfläche kommen." Schonungslos deckte er auf, welche Entwicklung der Planet nehmen würde, ohne daß wir etwas dagegen tun konnten. Die Kristalle mit den Viren breiteten sich aus. Es waren Gebilde an der Grenze des Lebens, die gleichwohl einen hohen Sauerstoffbedarf hatten. Sie entzogen ihrer Umgebung den Sauerstoff mit rasender Geschwindigkeit. Was auch immer in ihre Nähe geriet und Sauerstoff enthielt, verlor diesen. Alles Leben starb ab, und der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre sank ständig. Daher zeichnete sich ab, daß wir schon in einigen Tagen alle ersticken würden, wenn wir an der Oberfläche blieben. „In einigen Wochen ist ganz Eyla von einem dichten Teppich dieser Kristallgebilde bedeckt. Er wird dann ein Planet ohne Sauerstoffanteil in der Atmosphäre sein", schloß der
Wissenschaftsminister. „Es hat keinen Sinn, gegen die Kristalle zu kämpfen, weil wir keine Chance haben, diesen Kampf zu gewinnen. Wir müssen ausweichen und mit Hilfe unserer Technik überleben." Damit waren die Würfel gefallen. Wir zogen uns zurück. Auf Eyla gab es zahlreiche Höhlen, die groß genug waren, einige Tausende von uns aufzunehmen. Ich begann meine Arbeit in einer Höhle, in der sogar mehr als eine Million' Eylaner Platz hatten. In fieberhafter Eile schafften wir alles in die Höhle, was wir benötigten — von Nahrungsmitteln bis hin zu industriellen Fertigungsanlagen, von Haushaltsgeräten bis zu Kernkraftwerken. Niemals zuvor hatten alle Eylaner so entschlossen zusammengearbeitet. Die alles bedrohende Gefahr verdrängte Uneinigkeiten und kleinliche Streitereien.
„Glücklicherweise haben wir uns geirrt", sagte Bargan. „Wir haben Glück gehabt, denn die Kristalle haben sich nicht so schnell und radikal verbreitet, wie wir annehmen mußten. Dadurch haben wir Zeit gewonnen." Zwölf Wochen waren vergangen. In dieser Zeit hatten sich alle Eylaner in Höhlen zurückgezogen und sich hier eingerichtet. Die Eingänge waren versiegelt worden, so daß die Kristalle uns nicht folgen konnten. Hätten sich die Kristalle so rasend schnell vermehrt wie am Anfang der Katastrophe, dann hätte nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung überlebt. So aber hatte es kaum Verluste gegeben. Der Wissenschaftsminister und ich standen am Eingang einer Halle, in der wir die Tiefschlafmaschinen aufgebaut hatten. Wir beobachteten, wie Männer, Frauen und Kinder sich in die Behälter legten, in denen sie die Jahrtausende schlafend überleben sollten. Nicht alle waren bereit, sich diesen Maschinen anzuvertrauen. Sie wollten lieber in den Höhlen für die Schlafenden arbeiten und die Maschinen bis zu ihrem Tode überwachen. Das war gut so. Wir brauchten Männer und Frauen für diese Aufgabe, da wir die Schlafmaschinen zumindest in der Zeit nicht sich selbst überlassen durften. „Sie sehen nicht gerade so aus, als seien Sie mit Ihrem Werk zufrieden", sagte Bargan. „Das bin ich auch nicht", gab ich zu. „Ich glaube nicht daran, daß wir das Problem wirklich auf diese Weise lösen können." Die Schlafmaschinen waren komplizierte Gebilde. Jede war mit medizinischen Überwachungs- und Versorgungsanlagen versehen. Die Schlafenden wurden darin angeschnallt, so daß sie bewegt werden konnten. Das mußte sein, da sich sonst die Gelenke im Laufe der Zeit festsetzen würden, so daß sie schließlich nicht mehr funktionierten. Was aber half es uns, wenn wir zwar überlebten, uns dann aber nicht mehr aus den Anlagen erheben konnten? „An welche Lösung denken Sie?" fragte Bargan mich. „Ich habe eine Idee", erwiderte ich. „Wir müssen die Hyperfunktechnik weiterentwickeln. Wenn sich meine Vorstellungen verwirklichen lassen, werden wir eine Lösung erarbeiten, die weitaus besser ist als das hier." Ich zeigte auf die Schlafmaschinen, die im Licht der Deckenscheinwerfer standen. Ein erheblicher Prozentsatz der Anlagen war bereits belegt. Die Männer, Frauen und Kinder schliefen darin. Ihr Stoffwechsel wurde auf einen Bruchteil der Normalwerte reduziert. Das bedeutete, daß ihr Sauerstoffbedarf äußerst niedrig war. Das hieß aber auch, daß die Kinder nicht mehr wuchsen. Sie würden auch in einigen tausend Jahren noch Kinder sein.
Spezialheber nahmen die Schlafbehälter auf, wenn alle Maßnahmen eingeleitet waren und stapelten sie an der Wand übereinander. Danach schob sich von der Seite her ein schwarzer Vorhang vor die Behälter und schirmte sie gegen das störende Licht ab. Ein stetes Summen erfüllte den Raum. Es stammte von den Versorgungsmaschinen für die Schlafanlagen.
„Ein Leben auf der Oberfläche ist nicht mehr möglich", sagte Wissenschaftsminister Bargan. „Eyla ist ein toter Planet. Ein Glück nur, daß wir alles erzeugen können, was wir benötigen." Er blickte mich fragend an. Wir befanden uns in einem Zelt, das am Rande der Höhle errichtet worden war. Eine Glühbirne spendete ihr trübes Licht. Schweigend brachte eine meiner Assistentinnen zwei Tassen mit einer heißen Suppe. „Sie wollten mir sagen, welchen Plan Sie entwickelt haben", erinnerte er mich. „Das habe ich nicht vergessen", antwortete ich zögernd. „Ich habe jedoch gewisse ethische Bedenken." „Sprechen Sie offen", forderte er mich auf. „Wir müssen den Plan ja nicht akzeptieren, wenn er uns nicht gefällt. Wir müssen ihn jedoch kennen." „Also schön", begann ich. „Vorausschicken muß ich, daß wir nach meinen Berechnungen nur etwa drei Prozent der Bevölkerung mit Hilfe der Tiefschlafmaschinen retten können. Die anderen werden im Laufe der Jahrhunderte sterben." Bargan war sichtlich schockiert. Damit hatte er nicht gerechnet. Die Ergebnisse, die ich zusammen mit einigen anderen Wissenschaftlern erarbeitet hatte, waren jedoch unbestechlich. Sie hatten uns klargemacht, daß wir Eylaner wahrscheinlich aussterben würden, denn niemand konnte sagen, ob die restlichen drei Prozent auch wirklich wieder aus dem todesähnlichen Schlaf erwachen würden. Vielleicht überstanden sie ihn und fanden dann Bedingungen auf Eyla vor, die ein weiteres Überleben unmöglich machten. Vielleicht wurden die Höhlen im Laufe der Zeit aber auch durch planetarische Beben zerstört. „Fahren Sie fort", bat der Wissenschaftsminister mich. „Unsere Computertechnik ist so weit fortgeschritten, daß wir die gesamte Molekularstruktur eines Gehirns auf einer Magnetspule speichern können", erklärte ich. „Das ist mir bekannt." „Wir können alle Informationen über ein Gehirn sammeln und dieses Gehirn später wieder in einer Retorte rekonstruieren." „Nur das Gehirn! Nicht mehr", gab er zu bedenken. „Eben nicht", erwiderte ich. „Wenn Sie alle Informationen über den Aufbau eines Gehirns haben und dieses Gehirn mit Hilfe eben dieser Informationen neu entstehen lassen können, dann haben Sie nicht nur das Gehirn, sondern die ganze Persönlichkeit. Sie haben das darin gesammelte Wissen, alle Fähigkeiten, den Charakter — eben alles." Er brauchte einige Zeit, um diese Tatsache, die in seinen Augen eine Ungeheuerlichkeit war, zu fassen. „Wollen Sie damit sagen, daß Sie die Gehirnstrukturen von allen Eylanern in Computern aufzeichnen können und auf diese Weise alle Eylaner als Persönlichkeiten in Computern zu speichern vermögen?"
Ich gestikulierte bestätigend. „Wollen Sie damit andeuten, daß Sie alle Eylaner sterben lassen wollen, um sie später irgendwann einmal mit Hilfe der Computer wieder zu erwecken?" „Nur ihre Gehirne." „Was nützen Gehirne ohne Körper?" rief Bargan entsetzt. „Es werden andere Gehirne sein. Sie werden biologisch anders aufgebaut sein und dennoch alles enthalten, was ursprünglich darin gewesen ist. Sie werden nicht in Körpern leben, wie wir sie haben. Sie werden Symbionten sein, also in fremden Körpern weiterleben!" „Symbionten", sagte er verständnislos. „Auf Eyla gibt es in einigen hundert oder tausend Jahren keine Lebewesen mehr, mit denen sie zusammen leben können. Schon jetzt ist der Planet tot und daran wird sich auch nichts ändern." „Ich denke nicht an Lebewesen auf diesem Planeten, sondern auf einem ganz anderen Planeten irgendwo in der Galaxis." Er schüttelte den Kopf. „Wie wollen Sie denn die Gehirne dorthin bringen?" fragte er. „Das ist doch unmöglich." „Ich muß nicht die Gehirne dorthin bringen. Es genügt, wenn ich die Informationen aus den Computern abrufe und sie per Hyperfunk abstrahle. Die Hyperfunkimpulse werden von einer Computergegenstation aufgefangen. Diese lenkt dann die Produktionsprozesse, bei denen die Symbionten entstehen. So und nur so kann unser Volk überleben. Anders nicht."
„Zeit spielt überhaupt keine Rolle", erläuterte ich. „Die im Computer gespeicherten Informationen leben nicht. Sie haben heute aufgehört zu leben, und sie werden vielleicht erst in Jahrtausenden wieder erwachen!" Wir standen vor dem Hauptcomputer der riesigen Anlage, die wir in den letzten vier Monaten in harter Arbeit errichtet hatten. In einem Spezialgerät zeichnete ein Strahlenmeßgerät die komplizierten Strukturen der Gehirne der Schlafenden auf. Diese glitten in ihren Tiefschlafbehältern über eine Bandstraße durch die Aufzeichnungskammer. „Jetzt haben sie eine doppelte Chance", fuhr ich fort. „Funktioniert die Computermethode wider Erwarten nicht, dann überleben sie vielleicht in den Schlafkammern." „Wenn sie überleben, dann könnten sie also zweimal existieren?" fragte Bargan. „Selbstverständlich", antwortete ich. „Unbegrenzt häufig, denn die Computerbänder werden ja nicht gelöscht, wenn die Informationen abgerufen werden. Wir könnten, wenn wir mehrere bewohnbare Planeten finden, auf mehreren Welten eine Bevölkerung aus den gleichen Persönlichkeiten entstehen lassen. Wir wollen jedoch zufrieden sein, wenn wir nur eine einzige Welt entdecken, auf der wir existieren können." „Und wie finden wir eine solche Welt?" fragte er. „Wollen Sie Raumschiffe bauen und mit ihnen suchen?" „Das ist unmöglich", erwiderte ich. „Wir könnten Jahrtausende lang ohne jeden Erfolg suchen. Außerdem haben wir keine Raumfahrttechnik. Niemand hat sich dafür interessiert." „Was werden Sie dann tun?" „Wir haben die Hyperfunktechnik weiterentwickelt, so daß wir mit ihr kosmische Entfernungen überwinden können. Wir sind jetzt in der Lage, ein Objekt zu entmaterialisieren und als
Impulswellenfront abzustrahlen. Die Impulswellenfront enthält Informationen für die Rematerialisation. Das bedeutet, daß das Objekt am Zielpunkt wieder materialisiert. Wir werden also ein Objekt abstrahlen, das alle Informationen über unsere Computer- und Hyperfunktechnik enthält. Fremde Wesen auf fernen Planeten werden Maschinen bauen, mit denen sie die Computerinformationen abrufen und daraus die Symbionten entstehen lassen können." „Wann beginnen Sie?" fragte Bargan. „In einer Woche", antwortete ich.
Ich sah gleich, daß etwas nicht stimmte, als Bargan in die Halle kam. Sein Gesicht war düster. Er preßte die Lippen fest zusammen und sagte zunächst kein Wort. „Fertig", flüsterte ich meinen Assistenten zu und drückte eine Taste am Hauptcomputer. Ich tat, als sei Bargan nicht vorhanden. Unser wissenschaftliches Experiment stand vor dem Abschluß. Einige Meter von mir entfernt stand unter den mächtigen Ovalstrahlern ein transparenter Kasten. Von beiden Seiten her beleuchteten Scheinwerfer das Objekt, das ich in den Kosmos abstrahlen wollte. Ich hatte eine Virenkolonie in das Objekt eingepflanzt, die alle notwendigen Informationen für das fremde Wesen im Kosmos enthielt. Dabei war ich wiederum nach der bewährten Bio-Computertechnik vorgegangen, mit der wir schon so viel Erfolg erzielt hatten. Die uns aber auch zum Verhängnis geworden war. „Schluß", sagte Bargan. „Schalten Sie den Computer ab." Ich beachtete ihn nicht. Ich blickte auf den Kopf, der sich in dem Behälter befand. Meine Ahnungen hatten mich also nicht getrogen. Bargan legte mir die Hände auf die Schultern. „Ich verbiete Ihnen, dieses Experiment fortzuführen", sagte er energisch. „Die Regierung ist nicht damit einverstanden, daß Sie den Kopf eines Toten als Trägerobjekt nehmen." „Der Mann ist vor einer Stunde gestorben", antwortete ich. „Wir haben den Kopf abgetrennt und präpariert. Er wird in Jahrtausenden nicht vergehen. Und das ist schließlich wichtig." „Die Regierung stößt sich gerade an der Tatsache, daß Sie einen Kopf gewählt haben", erklärte Bargan. „Sie verbietet Ihnen, den Kopf abzustrahlen." „Es tut mir leid", antwortete ich gelassen. „Es ist zu spät. Das Experiment ist angelaufen. Ich kann es nicht mehr aufhalten." Ich drückte eine weitere Taste, bevor er es verhindern konnte. Heulend nahmen die Ovalstrahler ihre Arbeit auf. Sie durchleuchteten den Kopf des Toten und erfaßten jedes Atom bis in seine feinste Struktur hinein. Die aufgenommenen Informationen wanderten in den Computer, der dem Hyperfunkgerät angeschlossen war. „Zerschlagen Sie den Behälter!" schrie der Wissenschaftsminister. Niemand befolgte seinen Befehl. Meine Assistenten stellten sich schützend vor den Behälter mit dem Kopf. Rote Lichter flammten auf. Maschinen dröhnten. Auf den zahlreichen Kontrollschirmen des Computers erschienen die Zahlenwerte für die verschiedenen Arbeitsprozesse. „Sie dürfen es nicht tun", sagte Bargan. „Die Regierung hat es verboten." „Das ist mir egal", erklärte ich und legte einen Hebel um. Die Maschinen brüllten auf. Der Boden erzitterte unter unseren Füßen. Der Kopf verschwand von einer Sekunde zur anderen, als sei er nie in dem Behälter gewesen.
Ich schaltete die Maschinen aus.
„Das hätten Sie nicht tun dürfen", sagte Bargan leise. „Sie werden es noch bereuen."
„Davon bin ich nicht überzeugt", entgegnete ich. „Die Impulswellenfront jagt jetzt in die
Unendlichkeit hinaus. In der Nähe einer Sonne, die mehr als siebzig Lichtjahre von uns entfernt ist, wird der Kopf rematerialisieren. Das wird in der Atmosphäre eines Planeten sein, wenn da einer ist und dicht über dem Boden. Und dann heißt es warten." Bargan erschauerte. Ich sah,wie er sich schüttelte.
„Vielleicht findet ein wildes Tier den Kopf und frißt ihn auf."
„Das kann passieren", sagte ich kühl. „Vielleicht aber auch ein intelligentes Wesen. Wenn das der
Fall ist, vollzieht sich alles so, wie wir es geplant haben." „Und wenn nicht?" „Darauf habe ich keine Antwort. Was erwarten Sie denn von mir? Ich wollte mehrere tausend Objekte abstrahlen, weil die Erfolgsaussichten dann wesentlich besser wären. Sie wollten mir nicht einmal diesen einen Versuch erlauben." Er senkte den Blick und ging einige Schritte im Labor auf und ab. Dann fragte er: „Warum schicken Sie keinen Mann hinaus? Ich meine, warum nicht ein lebendes Objekt?" „Weil dieser Mann nach unseren Berechnungen nicht lebend ankommen würde." Ich bemühte mich in den folgenden Stunden und Tagen immer wieder, die Regierung umzustimmen. Schließlich genehmigte man mir zehn weitere Abstrahlungen. Bedingung war jedoch, daß die Virenkulturen mit den Informationen in einen Stahlbehälter gelegt wurden. Ich erklärte mich damit einverstanden, weil ich unsere Chancen verbessern wollte. Die Objekte wurden abgestrahlt. Damit war diese Phase der Entwicklung abgeschlossen. Wir konnten nur noch auf das Ergebnis warten. Es konnte sein, daß eine schnelle Antwort kam. Es konnte jedoch auch sein, daß die Falle erst in einigen Jahrtausenden zuschnappte. Eine Falle war es, die wir aufgestellt hatten. Und das war auch der Grund für den Widerstand der Regierung gegen weitere Abstrahlungen. Ich wandte mich den Tiefschlafeinrichtungen zu, um sie noch weiter zu verbessern.
Die Zerstörung
Das seltsame Glitzern in den Augen meines Assistenten Throp hätte mich warnen müssen. Doch ich war so in meine Arbeiten vertieft, daß ich nicht darauf reagiert hatte. Als es zu spät war, machte ich mir heftige Vorwürfe. Ich kannte Throp erst seit einem Jahr, seit jenem Tag, an dem der Regierungspräsident mir eröffnet hatte, daß die Kristalle mit den Viren sich explosionsartig über den ganzen Planeten verbreiteten. Damals hatte ich bereits den Eindruck gehabt, daß Throp mir zugeteilt worden war, um mich zu beobachten. Er war ein Agent des Präsidenten. Das wurde mir in dem Moment klar, als das Hauptschott des Labors aufflog. Ich fuhr herum und setzte zu einem wütenden Protest an. Doch die Worte blieben mir im Halse stecken, als ich die Männer in den schwarzen Kombinationen sah. Sie hielten Schnellschußwaffen in den Händen und zielten auf mich.. „Keine Bewegung!" befahl Throp. „Wir schießen sofort, wenn Sie sich wehren."
Ich blickte ihn fassungslos an und begriff überhaupt nichts. Was sollte diese törichte Aktion? Ich war Wissenschaftler und hatte nicht das geringste Interesse an Politik. Ich hob die Hände. „Das Gerät ist es", erklärte Throp und zeigte auf den Ovalstrahler, mit dem wir ein Objekt ohne Zeitverlust über kosmische Entfernungen transportieren konnten. „Was soll das?" fragte ich atemlos. „Was versprechen Sie sich davon? Dieses Gerät zu zerstören ist völlig sinnlos!" Throp ließ sich nicht zurückhalten. Die Uniformierten traten an den Strahler heran und legten einen Brandsatz hinein. Ich stürzte mich auf sie und versuchte, die Bombe aus dem Gerät zu entfernen. Sie trieben mich mit Kolbenschlägen zurück. Throp zündete die Bombe. Ein weißglühender Feuerball wuchs im Labor aus dem Gerät auf, und die Hitze zwang uns, den Raum zu verlassen. „Sie sind ein Narr", rief ich keuchend. „Glauben Sie denn wirklich, daß Sie damit weitere Experimente verhindern können?" Throp blickte mich kaltlächelnd an. „Allerdings", erwiderte er. „Wir vernichten sämtliche Unterlagen, die es über diese Technik gibt." Die Hitze hatte nachgelassen. Zwei Uniformierte kehrten in den Raum zurück und hantierten am Hauptcomputer herum. Sie löschten alle wissenschaftlichen Unterlagen über die Hyperfunktechnik und die Geräte, die daraus abgeleitet waren. Ich stand in ohnmächtigem Zorn dabei und konnte es nicht verhindern. Als Regierungspräsident Affanat den Raum betrat, eilte ich ihm entgegen und protestierte. „Schweigen Sie!" befahl er. „Sie hätten sich vorher überlegen sollen, was Sie tun." Endlich begriff ich und wandte mich Throp zu. Zwei Sicherheitsbeamte standen bei ihm. Sie richteten ihre Schnellschußwaffen auf mich, um mich von einem Angriff auf den Assistenten abzuhalten. „Throp hat uns berichtet, daß Sie insgeheim noch einmal zehn Objekte abstrahlen wollten", erklärte Affanat. „Ich bin froh, daß wir Ihnen zuvorgekommen sind." „Ich habe an dem Gerät gearbeitet", gab ich zu. „Ich hätte jedoch keine Abstrahlungen vorgenommen, ohne Sie vorher zu fragen." „Sie werden keine Genehmigung von mir bekommen." Ich drehte mich um und zeigte auf die Kontrollanzeigen eines Computers, der ausschließlich die Tiefschlafbehälter zu überwachen hatte. „Wir haben uns geirrt", sagte ich. „Irgend etwas ist nicht in Ordnung. In einem Jahr sind über zehn Prozent der Schlafenden gestorben, und es gelingt uns nicht, den Tod von weiteren zehn Prozent in den kommenden Monaten zu verhindern. Das zeichnet sich jetzt schon ab. Wir müssen etwas tun, wenn wir eine Katastrophe verhindern wollen." „Dann tun Sie etwas", entgegnete er. „Arbeiten Sie an den Schlafgeräten, aber versuchen Sie nicht, noch einmal etwas abzustrahlen." „Warum nicht?" fragte ich verzweifelt. „Nur so können wir überleben." „Wenn dieser Teil Ihres Planes gelingt, dann müssen wir eine Symbiose mit anderen Intelligenzen eingehen", erklärte er. „Das würde bedeuten, daß wir nur überleben können, wenn wir ein anderes Volk versklaven. Auf diese Weise aber wollen wir nicht überleben." Er drehte sich um und wollte gehen. „Und ich werde doch wieder einen Ovalstrahler bauen", schrie ich ihm erzürnt nach. „Niemand wird das verhindern." Er fuhr herum. „Das können Sie nicht. Sämtliche Unterlagen sind vernichtet." Ich lachte ihm ins Gesicht und tippte mir an die Stirn.
„Sie sind hier verankert", eröffnete ich ihm. „Dieses Wissen kann mir niemand nehmen." „Doch", erwiderte er kalt und abweisend. „Mit einer Kugel." Er hob die rechte Hand und deutete auf mich. Wie erstarrt stand ich vor ihm. Eine umfassende Lähmung überfiel mich, als ich erkannte, was er gemeint hatte. Ich wollte etwas sagen. Ich wollte ihm meine Verachtung ins Gesicht schreien, als mich die Geschoßgarbe in den Rücken traf. Ich spürte keine Schmerzen, sondern nur harte Schläge, die mich zu Boden warfen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Mit weit aufgerissenen Augen blickte ich auf den Präsidenten, der zusammen mit den Uniformierten das Laboratorium verließ. Ich sah, daß meine Assistenten zu mir kamen und fühlte, wie sie mich aufhoben. „Schnell", sagte Garte. „Wir müssen sein Gehirn aufzeichnen." Jetzt wußte ich, daß ich sterben würde. Aber ich konnte mich auf meine Freunde verlassen. Sie wollten mir ein zweites Leben schenken. Wenn mein Plan gelang, würde ich irgendwann als Symbiont auf einer anderen Welt erwachen und in einem intelligenten Lebewesen weiterleben. Es wurde dunkel um mich, aber ich verfolgte noch, daß sie mich in das Aufzeichnungsgerät legten. Ich hatte keine Angst mehr. Ich fühlte mich leicht. Ich starb. Die nächsten darauffolgenden Eindrücke gewann ich als Symbiont mit den Sinnen von William Rydall auf der Erde. Mein Plan war aufgegangen. Gab es aber noch Tiefschläfer auf Eyla? Das würde ich wahrscheinlich nie erfahren. Alles, was ich wußte, war, daß etwa 6600 Jahre irdischer Zeitrechnung seit meinem „Tode" auf Eyla verstrichen waren und daß der Hauptcomputer dort noch existierte. Von ihm waren alle Informationen über mein Ich zur Erde übermittelt worden. Ich spürte den Widerstand William Rydalls in mir, und ich wußte, daß Präsident Affanat recht gehabt hatte. Nach meiner Methode konnten wir nur überleben, wenn wir andere Intelligenzen versklavten. Der Stärkere mußte sich durchsetzen. Ich war stärker als der Erdmensch, der Terraner, und die anderen, die mit mir zur Erde gekommen waren, waren es auch. Ich hatte keine Skrupel. Ich lebte. Das war entscheidend. Vielleicht konnte ich später einmal, wenn die Lage sich stabilisiert hatte, die Persönlichkeit Rydalls in mir erwachen lassen. Vielleicht kam ich mit ihm zu einer Art Zusammenarbeit? Wer konnte das wissen? In der Aufbauphase jedenfalls konnte ich mir keine Ablenkung leisten. Ich mußte hart und konsequent sein.
Fremde Psycho-Strahlen Alice Rydall saß bereits im Wagen, als zwei Männer die Auffahrt zu dem Grundstück ihres Elternhauses heraufkamen. Sie klopften an das Fenster an der Fahrerseite. Sie öffnete die Tür. „Sie sind Mrs. Rydall?" fragte einer von ihnen. „Allerdings", antwortete sie. „Und wer sind Sie?" „Wir sind von der militärischen Abwehr", sagten beide fast gleichzeitig und zeigten ihr die Ausweise. Bert beugte sich weit zu seiner Mutter herüber, um einen Blick auf die Ausweise der Männer werfen zu können. „Wir müssen Sie sprechen." Alice stieg aus. Bert wartete noch ab. Er war einerseits enttäuscht, daß sich die Abfahrt verzögerte, auf der anderen Seite war er fasziniert von der Begegnung mit den beiden Männern, die von einer so
wichtigen militärischen Stelle kamen. Ein weiterer Mann kam die Auffahrt herauf. Obwohl es schon dunkel war und Alice nur wenig sehen konnte, erkannte sie ihn. Es war Earl Dymock, der FBI-Beamte mit den auffallend hellen Augen und dem kantigen Kinn. Er begrüßte sie mit einem Lächeln und wartete höflich, bis Alice ihn und die anderen beiden Männer ins Haus bat. „Wir haben Ihren Mann beobachtet", eröffnete Dymock ihr, als sie im Salon saßen. „Wir sind besorgt." Alice atmete auf. Offenbar war man jetzt endlich bereit, sich intensiv mit Rydall zu beschäftigen. „Sie hatten recht. Irgend etwas stimmt nicht mit Ihrem Mann. Wir haben versucht, die örtlichen Polizeibehörden einzuschalten, aber das ist uns nicht gelungen. Ihr Mann hat sie so in der Hand, daß mit ihnen keine Zusammenarbeit mehr möglich ist." „Wie bitte?" fragte sie verdutzt. „Wollen Sie behaupten, daß Bill die Polizei in Tampa beherrscht?" „Nicht nur dort. Auch in den umliegenden Orten, in St. Petersburg, Clearwater und Lakeland ebenfalls. Seine Nachbarn gehen nicht mehr zur Arbeit, sondern halten sich nur noch bei ihm auf. Ihre Kontakte mit Verwandten und Bekannten sind abgebrochen. Wir möchten, daß Sie uns noch einmal alles ganz genau erzählen, was Sie erlebt haben." Und Alice berichtete. Die große Maschinerie des FBI setzte sich in Bewegung. Zwei Stunden später fuhr der Beamte mit Alice in Richtung Tampa. „Passen Sie auf', sagte Earl Dymock. „Gleich werden Sie eine Überraschung erleben." Der Wagen rollte auf der Bundesstraße 92 durch Plant City. Alice beobachtete einige Männer, die offensichtlich betrunken in einem Gartenrestaurant saßen. Bert blickte nur nach vorn. Er fieberte der Begegnung mit seinem Vater entgegen. „Wieso? Was für eine Überraschung?" fragte Alice. „Es wäre keine, wenn ich Ihnen vorher sagen würde, was Sie erwartet. Denken Sie daran, daß Sie Ihrem Mann helfen wollen. Sie sind entschlossen, dem Treiben ein Ende zu bereiten!" „Natürlich bin ich das", erklärte sie. „Weshalb fragen Sie?" „Vergessen Sie nicht, weshalb wir nach Tampa fahren. Denken Sie immer wieder daran. Ganz bewußt." Seine Stimme klang beschwörend. „Das ist nicht nötig. Ich weiß, was ich will." Sie blickte auf das Tonbandgerät im Fond. Es war eingeschaltet und zeichnete ihr Gespräch auf. Alice wußte nicht, was das sollte, aber sie protestierte nicht dagegen. Dymock wird schon seine Gründe dafür haben, dachte sie. „Ich möchte zum Baden", sagte Bert plötzlich. „Ich bin ewig lange nicht mehr Schwimmen gewesen." „Ich schlage vor, daß wir irgendwo eine Kleinigkeit trinken", bemerkte Alice. „Ich habe Durst. Es ist so heiß." Earl Dymock trat auf die Bremse und hielt am Straßenrand. Fragend blickte er Alice an. „Wohin wollen Sie?" fragte er. „Ich weiß es nicht", antwortete sie und machte einen völlig ratlosen Eindruck. Sie krauste die Stirn und überlegte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Sagen Sie doch, wohin wir wollen. Ich habe es vergessen." Dymock hielt das Tonbandgerät an, spulte das Band zurück und schaltete auf „Start". „. . . keine, wenn ich Ihnen vorher sagen würde, was Sie erwartet. Denken Sie daran, daß Sie Ihrem Mann helfen wollen. Sie sind entschlossen, dem Treiben ein Ende zu bereiten", tönte es aus dem Lautsprecher. Dymock hielt das Band an. „Nun?" fragte er. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden", sagte sie verzweifelt. „Wieso will ich meinem Mann helfen? Braucht er denn Hilfe?"
„Haben Sie es vergessen? Deshalb sind wir hier." „Wir haben nie davon gesprochen", sagte Bert überzeugt. "Laß uns doch endlich zum Schwimmen fahren." Dymock startete den Wagen, wendete und fuhr zurück. Als sie etwa fünfhundert Meter weit gekommen waren, legte Alice ihm die Hand auf den Arm. „Moment mal", sagte sie heftig. „Wir sind doch falsch. Warum fahren wir nicht nach Tampa?" Dymock fuhr auf einen Parkplatz. „Sie haben alles vergessen", stellte er fest, doch weder Alice noch Bert wußten, was er meinte. Er stellte den Wagen so ab, daß sie in Richtung Tampa sehen konnten. Dann streckte er den Arm aus. „Da vorn ist irgend etwas, das uns geistig beeinflußt. Deshalb hatte ich das Tonbandgerät eingeschaltet. Wenn man einen bestimmten Punkt überschreitet, vergißt man, weshalb man nach Tampa will. Das trifft aber nur zu, wenn man sozusagen mit feindlicher Absicht zu William Rydall will. Ich vermute, daß er um Tampa herum eine Art energetischen Psychoschirm errichtet hat, der seine Feinde ausschaltet, bevor sie in seine Nähe kommen." Alice schüttelte den Kopf. „Unmöglich", protestierte sie. „Bill ist Biologe. Auf diesem Gebiet ist er eine wissenschaftliche Kapazität, auf anderen Gebieten weiß er nicht Bescheid. Er könnte nie ein elektronisches Gerät bauen." „Er kann noch nicht einmal ein Bügeleisen reparieren", verkündete Bert triumphierend. „Von diesen Dingen hat er keine Ahnung." „Er hat Männer und Frauen um sich geschart, unter denen durchaus Wissenschaftler oder Techniker von hohem Rang sein können", gab Dymock zu bedenken. „Er muß durchaus nicht alles selbst machen." „Fahren Sie noch einmal los", bat Alice. „Ich glaube Ihnen nicht." Dymock schaltete das Tonbandgerät wieder auf Aufnahme und wechselte einige erklärende Worte mit Alice und Bert. Dann fuhr er los, bis sich der Beruhigungseffekt wieder einstellte. Der FBI-Agent, der wesentlich besser geschult und vorbereitet war als Alice und Bert, behielt die Kontrolle über sich, zumal er sich nicht ausschließlich auf Rydall konzentrierte. Alice und Bert aber vergaßen wiederum völlig, weshalb sie nach Tampa wollten. Dymock bewies es ihnen anhand der Tonbandaufzeichnung. Earl Dymock heftete einen Zettel an das Armaturenbrett. Darauf stand: William Rydall. „Glauben Sie wirklich, daß so etwas notwendig ist?" fragte Alice belustigt. Obwohl Dymock ihr gerade zuvor bewiesen hatte, wie das unsichtbare Energiefeld wirkte, konnte sie sich nicht vorstellen, daß sie wirklich alles vergessen würde, was sie sich vorgenommen hatte. Der Effekt des Unbekannten war zu phantastisch, als daß sie sich so schnell damit hätte abfinden können. „Wir werden sehen", erwiderte er gleichmütig und fuhr los. In schneller Fahrt überschritten sie die unsichtbare Grenze. Und wiederum verlor Alice das Ziel aus den Augen. Sie dachte an vielerlei, nur nicht an ihren Mann William Rydall. Das änderte sich auch nicht, als sie auf den Zettel am Armaturenbrett blickte. Der Name Rydall sagte ihr so gut wie nichts. Flüchtig tauchte die Erinnerung an ihren Mann in ihr auf, dann aber schweiften ihre Gedanken wieder ab. „Versuchen Sie, sich zu konzentrieren", sagte Dymock. „Sie müssen!" Er tippte mit dem Finger gegen den Zettel. Alice gab sich Mühe, nur an ihren Mann, an das Haus und an das, was dort geschah, zu denken. Es gelang ihr nur für einige Sekunden. Der FBI-Agent blickte über die Schulter zurück zu dem blonden Bert, der auf der Rückbank saß. Der Junge machte einen ruhigen und entspannten Eindruck. „Woran denkst du?" fragte Dymock.
„An meinen Vater", antwortete Bert. Der FBI-Beamte glaubte ihm nicht. Mit einem unbestimmbaren Laut wandte er sich wieder um und blickte nach vorn. Gerade noch rechtzeitig, denn aus einer Seitenstraße schoß ein weißer Lincoln hervor. Dymock bremste. Die Reifen kreischten. Dymock gab die Räder wieder frei, riß den Wagen herum und führte ihn knapp an dem Lincoln vorbei. Dabei sah er, daß in dem anderen Wagen zwei Männer und zwei Frauen saßen, die sich ausschütten wollten vor Lachen. Einer von ihnen hielt eine Flasche in der Hand. Dymock glaubte, erkennen zu können, daß es eine Whiskyflasche war. Der Lincoln raste weiter, als sei nichts geschehen. „Wollen Sie sich den Mann nicht schnappen?" fragte Alice, die bleich vor Schreck war. „Der ist doch betrunken." Dymock schüttelte den Kopf. Er beschleunigte. Alice preßte die Lippen zusammen und lehnte sich trotzig in ihrem Sessel zurück. Sie konnte nicht verstehen, daß ein Polizist einen derartigen Vorfall einfach überging. Hätte Dymock nicht zumindest über Funk eine Meldung an die örtliche Polizei machen können? Sie vermied es, den FBI-Beamten anzusehen und blickte nach rechts zum Bürgersteig hinaus. Dabei fragte sie sich verwundert, was sie eigentlich in Tampa wollte. Als es ihr nicht gleich einfiel, wandte sie sich den Passanten auf dem Bürgersteig zu. Sie boten ein ungewöhnliches Bild. Es schien, als befinde sich die Bevölkerung von Tampa in ausgelassener Stimmung. Alice beobachtete einige Männer und Frauen, die lachend und singend vor einem Lokal tanzten. Etwa fünfzig Meter weiter hockten sieben Männer und eine Frau auf dem Bürgersteig und blickten voller Bewunderung auf ein paar Blumen, die am Straßenrand in einer Betonschale wuchsen. „Was ist hier los?" fragte Bert. „Ist hier ein Volksfest?" Er beugte sich nach vorn, um Dymock über die Schulter blicken zu können. Mitten auf der Straße hatten einige Männer ein Feuer entzündet. Auf einem Stahlgerüst darüber drehte sich ein Hammel. Zwei Frauen leiteten die Autos in eine Seitenstraße um. Dymock antwortete nicht auf die Frage des Jungen. Er konzentrierte sich völlig auf den Verkehr. Die Fahrer in den anderen Wagen schienen sämtliche Verkehrsregeln vergessen zu haben. Sie drängten sich links und rechts an den Autos vor ihnen vorbei, fuhren mit weit überhöhter Geschwindigkeit und ignorierten die Schilder einer Vorfahrtsstraße. Dymock sah, daß sich die Autos in der Vorfahrtsstraße stauten. Eingekeilt von zwei anderen Wagen fuhr er weiter und atmete erleichtert auf, als es ihm gelungen war, diese Gefahrensituation heil zu überstehen. Wenig später bog er in eine Seitenstraße ein, in der kaum Verkehr herrschte. Er tastete sich von Kreuzung zu Kreuzung voran, bis er in eine stille Villengegend geriet. Alice und Bert wurden unruhig. „Wir sind gleich zu Hause", sagte Bert. Dymock bog erneut ein und kam in eine Straße, die aussah, als gehöre sie zu einem Fabrikgelände. Alice schlug stöhnend die Hände vor das Gesicht. Von dem Haus, in dem sie vor kurzem gewohnt hatte, war so gut wie nichts mehr zu erkennen. Maschinen türmten sich bis zu einer Höhe von zwanzig Metern auf. Überall standen Container herum. Gabelstapler transportierten Güter verschiedenster Art auf einem zerstörten Gelände herum, das ehemals ein gepflegter Park gewesen war. Alice öffnete die Tür. Bevor Dymock sie daran hindern konnte, war sie ausgestiegen. Sie eilte auf eine Gruppe von Arbeitern zu, die einen Stahlmast errichteten. Der FBI-Beamte rannte hinter ihr her, holte sie ein und packte sie am Arm. „Ich will zu meinem Mann", rief Alice. „Lassen Sie mich los!"
„Sie wissen also, weshalb Sie hier sind?" fragte er. Sie blickte ihn mit flammenden Augen an. „Natürlich", erwiderte sie. Ihr Widerstand erlahmte. Sie senkte den Kopf. „Ich glaube es jedenfalls." „Sie wollen zu Ihrem Mann? Zu William Rydall?" Die Arbeiter wurden aufmerksam. Sie kamen auf sie zu. Dymock führte Alice zum Wagen zurück. Die Arbeiter gingen schneller. Sie versuchten, den Wagen zu erreichen, bevor er startete. Dymock erkannte die Gefahr. Er stieß Alice in den Fond, lief um den Wagen herum und setzte sich hinter das Steuer. Einer der Arbeiter erreichte ihn. Er riß die Tür wieder auf. Dymock stieß ihm die linke Faust in den Leib und startete. Die Räder drehten kreischend durch. Der Wagen schoß nach vorn, durchbrach einen Kistenstapel, wendete auf einem weitgehend zerstörten Rasenstück und raste dann an einem Container vorbei auf die Straße zurück. Dymock jagte auf die Kreuzung zu, als sich von dorther ein Impala näherte. „Passen Sie auf!" schrie Bert. „Sie haben Waffen!" Dymock sah, daß die Scheiben des Impalas nach unten glitten. Er drückte den Gashebel voll durch. Ein Gewehrlauf richtete sich auf ihn und dann prallten die Fahrzeuge auch schon krachend gegeneinander. Dymocks Wagen streifte den Impala am vorderen Kotflügel, rutschte am Blech entlang und drehte sich mit dem Heck, so daß die Wagen fast parallel nebeneinander standen. Dymock sah, daß einer der beiden Männer bewußtlos in den Sicherheitsgurten hing. Der andere sprang auf der Beifahrerseite heraus und lief um den Wagen herum, wobei er ein Gewehr im Anschlag hielt. Dymock stieß die Tür auf und duckte sich. Ein Schuß peitschte. Die Kugel durchschlug das Seitenfenster neben dem FBI-Agenten und bohrte sich in die Polster. Dymock warf sich auf den Angreifer und schlug ihm mit einer geschickten Bewegung die Waffe aus der Hand. Dabei prallte er mit dem Schützen zusammen. Dieser rutschte aus, kippte nach hinten und schlug mit dem Kopf auf den Kotflügel. Er stürzte zu Boden und blieb in eigenartig verdrehter Haltung liegen. „Sie haben ihn getötet", rief Alice anklagend. Sie war aus dem Wagen gestiegen und blickte entsetzt auf den Sterbenden. Dymock drehte sich um. Er sah, daß die Arbeiter sich ihnen näherten. Ihnen folgten vier Männer, die mit Gewehren bewaffnet waren. „Ins Auto! Schnell!" schrie er, doch Alice Rydall bewegte sich nicht von der Stelle. Wie gelähmt blickte sie auf den Boden. Dymock ging zu ihr. Und dann sah er, was sie in maßlosen Schrecken versetzt hatte. Aus dem Hals des Toten kroch ein gallertartiges Wesen hervor. Es war etwa so groß wie ein Golfball und streckte suchend armartige Gebilde nach allen Seiten aus. Zögernd tastete es sich über den Asphalt. Earl Dymock faßte sich als erster. Er zerrte Alice mit sich in den Wagen und stieß sie auf den Rücksitz zu Bert. Dann setzte er sich ans Steuer und fuhr los. Schüsse peitschten auf. Bert und Alice duckten sich, als die Kugeln das hintere Fenster durchschlugen und Scherben auf sie herabregneten. Dymock raste mit so hoher Geschwindigkeit um die nächste Ecke herum, daß der Wagen umzukippen drohte. Er fing ihn jedoch wieder ab und jagte mit hoher Beschleunigung davon. Immer wieder blickte er in den Rückspiegel, doch niemand folgte ihnen. Einige Straßenzüge später hielt er an. „Fahren Sie weiter! Bitte!" rief Alice ihm zu. „Wir steigen aus", entschied der Agent. Vor ihnen parkte ein Cadillac. Dymock lief zu ihm hin, öffnete ihn und wartete, bis Alice und Bert bei ihm waren.
„Sie können den Wagen doch nicht einfach stehlen", sagte sie. „Darauf kommt es jetzt nicht mehr an", entgegnete er. „Es geht um mehr als nur ein Auto. Um viel mehr! Steigen Sie endlich ein!" Zögernd gehorchte Alice, während Bert keine Bedenken hatte. Er hatte längst begriffen, daß es für sie zu gefährlich gewesen wäre, weiterhin den zerschossenen Dienstwagen des Agenten zu benutzen. Sie mußten damit rechnen, daß es überall Helfer der heimtückischen Schützen gab, die leicht über Funk verständigt werden konnten. Hatte Dymock nicht gesagt, daß sie sich sogar vor der Polizei hüten mußten? Der Agent fuhr los, nachdem er den Starter kurzgeschlossen hatte. Wenig später kamen ihnen vier Streifenwagen mit heulenden Sirenen entgegen. Sie rasten an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. „Haben Sie gesehen, was ihm aus dem Hals gekommen ist?" fragte Alice zitternd, als sie Tampa hinter sich gelassen hatten. Sie näherten sich der Strahlengrenze. „Allerdings", erwiderte er knapp. „Es war ein Symbiont", stellte sie fest. Sie blickte Dymock an. „Ist Ihnen klar, was das bedeutet? Nicht nur dieser Mann lebt mit einem solchen Wesen zusammen, alle tun es." Dymock antwortete nicht. Er spähte nach vorn, weil er befürchtete, durch eine Straßensperre aufgehalten zu werden. Doch die Straße war frei. Niemand hielt sie auf. Sie verließen den Strahlenbereich, der ihren Willen beeinflußte. Alice atmete hörbar auf. Sie preßte die Hände vor das Gesicht. „Seltsam", sagte sie. „Ich erinnere mich an alles. Das war vorher nicht so, als ich zum erstenmal in den Strahlenbereich kam. Ich weiß, daß ich zeitweilig völlig vergessen habe, zu meinem Mann zu gehen. Nur als ich sah, was er aus dem Haus gemacht hat, wußte ich wieder alles." „Das war der Schock", stellte er fest. „Er war stärker als die Strahlen." Sie blickte zurück und erschauerte. „Was geschieht dort in Tampa?" fragte sie. „Was hat das alles zu bedeuten?"
Eine unangreifbare Macht
„Allmählich wird klar, was in Tampa geschieht", sagte Dr. Herman Solman. „Wir stehen einer Ungeheuerlichkeit gegenüber." Der Wissenschaftler saß an einem Schreibtisch, vor dem weitere Tische aufgestellt worden waren. Hier hatten Earl Dymock, zehn andere Männer, von denen Alice vermutete, daß sie ebenfalls zum FBI gehörten, fünf hohe Offiziere und Alice Platz genommen. Alice Rydall wunderte sich, daß sie und auch Bert zu dieser Konferenz eingeladen worden waren. Sie hatte keine Erklärung dafür, daß man sie daran teilnehmen ließ. Sie sagte sich, daß sie dabei war, weil sie die Ehefrau des Mannes war, der im Mittelpunkt des Geschehens stand. War das aber auch ein Motiv dafür, Bert zuzulassen? Voller Unruhe blickte sie ihren Sohn an, der sich kein Wort entgehen ließ. Dies war ein einmaliges Erlebnis für ihn, und er wollte es bis zur Neige auskosten. Dabei war er trotz der Ereignisse in Tampa davon überzeugt, daß sein Vater nicht wirklich bedroht war. Das tatsächliche Ausmaß der Gefahr sah er noch nicht so deutlich wie die Erwachsenen. „Entschuldigen Sie", sagte Alice. „Mir ist durchaus noch nicht klar, was das alles zu bedeuten hat." „Tampa befindet sich in den Händen einer außerirdischen Macht", erwiderte Dr. Solman. „Daran besteht kein Zweifel mehr. Angefangen hat alles mit dem Kopf aus dem Brunnen. Aus ihm hat Ihr Mann Informationen gewonnen. Mit Hilfe dieser Informationen hat er eine Reihe von Maschinen
gebaut und so Verbindung zu einem anderen Planeten aufgenommen. Wir haben das Haus und die Maschinen von Flugzeugen und von Satelliten aus überwacht und angemessen." Der Wissenschaftler wies auf eine Reihe von großformatigen Fotos, die einer seiner Helfer an der Wand aufgehängt hatte. Auf ihnen waren die verschiedenen Bauphasen am Haus Rydalls deutlich zu erkennen. „Wir vermuten nun, daß im Haus eine Art Transmitter steht, über den Rydall laufend Außerirdische zur Erde holt", fuhr Solman fort. „Die Extra-Terrestrier, Lebewesen, die allein nicht existieren können. Sie sind Symbionten, und gerade das macht sie so gefährlich, weil kein Mensch dem anderen ansehen kann, ob er noch frei oder schon von einem Außerirdischen besetzt ist." „Wir müßten versuchen, einen Symbionten in die Hand zu bekommen", schlug Dymock vor. „Wir müssen mit ihnen reden!" „Ich glaube, man kann doch sehen, ob sie frei sind oder nicht", bemerkte Bert. Er erntete jedoch nur einen verweisenden Blick von Dr. Solman. Keiner der Erwachsenen hielt es für nötig, ihn zu befragen. Alle glaubten, er wolle sich nur wichtig machen. „Das wird Ihre Aufgabe sein, Mr. Dymock", sagte Solman. „Fahren Sie mit wenigstens drei Helfern nach Tampa und entführen Sie einen von ihnen!" Das Telefon vor ihm klingelte. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Alice beobachtete ihn. Er war weißhaarig und hatte ein schmales Gelehrtengesicht. Ein etwas ungepflegt wirkender Bart bedeckte sein Kinn. Solman machte sich ein paar Notizen. Dann zuckte er zusammen. Er wurde bleich bis an die Lippen. „Was sagen Sie?" fragte er. „Bis Lake City?" Sein Gesprächspartner bestätigte offenbar, denn Solman fluchte leise und legte auf. Er wandte sich an die Konferenzteilnehmer. „Es ist nicht zu fassen", sagte er. „Der Strahlengürtel, der die Fremden schützt, reicht nun schon bis Lake City, und er schiebt sich ständig weiter voran. Wir müssen damit rechnen, daß er Tallahassee in etwa einer Stunde erreicht. Wir müssen dieses Quartier räumen. Ich schlage vor, daß wir uns bis Atlanta zurückziehen." „Sie wollen Florida einfach aufgeben?" fragte einer der Offiziere erregt. „Ich bestehe darauf, daß wir endlich zum Gegenangriff übergehen!" „Colonel Fox", sagte Solman ruhig, „können Sie mir erklären, womit Sie angreifen wollen? Wollen Sie Tampa mit allen darin lebenden Menschen vernichten?" „Wir schleusen einige tausend zivil gekleidete Soldaten nach Florida ein. Sie sollen bis zum Haus Rydalls vordringen und die gesamten Anlagen dort vernichten", erwiderte der Offizier. „Damit ist nichts erreicht", stellte Dymock fest. „Darüber hinaus dürfte kein einziger der Soldaten überhaupt bis zum Haus kommen. Die Strahlenglocke, die über Florida liegt, sorgt dafür, daß alle ihre Befehle vergessen, die in das Gebiet eindringen. — Haben Sie den Flugverkehr einstellen lassen?" fragte Dymock. „Das ist vor einer Stunde geschehen, nachdem Sie Ihren Bericht abgegeben haben", erwiderte der Wissenschaftler, der die gesamten Untersuchungen über das Geschehen in Tampa geleitet und durchgeführt hatte. Niemand hatte Alice erklärt, welche Funktion Solman innerhalb des FBI ausübte, sie war jedoch davon überzeugt, daß er einen besonders hohen Rang einnahm. „Wir müssen uns darüber klar sein, daß diese Maßnahme viel zu spät getroffen worden ist", sagte Colonel Fox. Er war ein noch junger Mann mit pechschwarzem Haar und einer scharf gebogenen Nase. Er hatte ein hohlwangiges, asketisch wirkendes Gesicht. „Wir müssen davon ausgehen, daß die Symbionten Florida mit dem Flugzeug verlassen haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit richten sie
nun schon überall in den Vereinigten Staaten und vielleicht auch in anderen Teilen der Welt Stützpunkte ein, von denen aus sie ihre Macht erweitern." Alice dachte über diese Worte nach und erkannte bestürzt, daß Colonel Fox recht hatte. Viel zu spät war entdeckt worden, daß das Geschehen um Rydall mit außerirdischen Symbionten zusammenhing. Daher hatte man auch nicht rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten können. Sie erschauerte bei dem Gedanken, daß überall auf der Welt Außerirdische Fuß faßten. Fox sprach aus, was sie dachte. „Wenn wir nicht sofort energisch gegen die Fremden vorgehen, ist es mit der Menschheit in einigen Wochen zu Ende. Es wird keine freien Menschen mehr geben, sondern nur noch Sklaven der Symbionten." „Colonel Fox hat recht", sagte einer der anderen Offiziere. Vor ihm stand ein Schild, auf dem „Raleigh" stand. „Wir haben keine andere Wahl. So hart es auch klingt, wir müssen Florida dem Erdboden gleichmachen." „Sie wollen Atombomben einsetzen?" fragte Solman. „Es geht nicht darum, was ich will", erwiderte Raleigh. „Es geht um die Menschheit. Noch haben wir die Chance, das Problem radikal zu lösen. In einigen Stunden schon kann es zu spät sein." „Sie töten damit Hunderttausende von unschuldigen Menschen", protestierte Alice. „Das sind keine Menschen mehr", erklärte Fox abweisend. „Woher wissen Sie das?" rief Alice leidenschaftlich. „Es ist doch sehr wahrscheinlich, daß die Menschen ihre eigene Persönlichkeit zurückgewinnen, wenn der Symbiont sie verläßt." „Das ist eine Theorie, die durch nichts begründet ist", entgegnete Fox. „Ich verstehe, daß Sie das Leben Ihres Mannes retten möchten, es geht aber nicht nur um Ihren Mann, sondern um die gesamte Menschheit." „Ich muß Sie enttäuschen, Colonel", sagte Dr. Solman kühl. „Wir können es uns nicht leisten, Atombomben über Florida abzuwerfen. Nach unseren Untersuchungsergebnissen birgt die Maschinerie Rydalls ein derartig hohes Energiepotential, daß wir die gesamten Vereinigten Staaten vernichten würden, wenn wir mit nuklearen Waffen angreifen." „Das müssen Sie mir erst einmal beweisen, bevor ich akzeptiere", sagte Fox. „Ich kann dem General nicht ohne einen stichhaltigen Beweis gegenübertreten." Dr. Solman schob ihm wortlos einen Aktenordner hin. Der Offizier nahm ihn auf und überflog die ersten Seiten. Er wurde um eine Nuance blasser und reichte den Ordner an Raleigh weiter. „Glauben Sie mir jetzt?" fragte der Wissenschaftler. Fox nickte nur. „Wir könnten versuchen, einige Helikopter auf dem Grundstück Rydalls zu landen, um direkt im Zentrum der Invasoren anzugreifen", schlug Dymock vor. Er hob abwehrend die Hände, als die Offiziere zu einem Protest ansetzten. „Ich weiß, daß die Einsatztruppen dem Strahlenfeld ausgesetzt wären. Vielleicht läßt sich dessen Wirkung aber begegnen, wenn wir ständig per Funk mit unseren Leuten in Verbindung bleiben und sie an ihre Aufgabe erinnern." „Eine gute Idee", entgegnete Fox. „Wenn wir eine Funkverbindung haben, neutralisieren wir die Wirkung des Strahlenfeldes. Haben Sie noch weitere Vorschläge?" Als sich niemand meldete, erhob sich Fox und packte die Papiere, die er vor sich ausgebreitet gehabt hatte, zusammen. „Ich werde mit dem General darüber sprechen", erklärte er. „Sie werden dann über die Entscheidung informiert." Vier Stunden später saßen Alice und Bert Rydall zusammen mit Earl Dymock in einem kleinen Raum in einer Kaserne von Atlanta vor einem Fernsehgerät. Obwohl es bereits dämmerte, war Tampa
deutlich zu erkennen. „Die Bilder kommen von einem Flugzeug, das in etwa zehntausend Meter Höhe fliegt", kommentierte Dymock. „Es bewegt sich also außerhalb der Strahlenglocke, die nur bis in eine Höhe von etwa siebentausend Metern reicht, horizontal aber eine wesentlich größere Ausdehnung hat." Alice und Bert Rydall antworteten nicht. Die Frau schwieg, weil sie sich allzu sehr um ihren Mann sorgte, sie fürchtete die Schießerei, bei der die Landungstruppen keinen der von Symbionten befallenen Männer und Frauen verschonen würden. Bert dagegen war viel zu aufgeregt, um etwas sagen zu können. Er wartete darauf, daß die Helikopter endlich auf dem Bildschirm erscheinen würden. Lieber noch als in diesem Raum hätte er bei den Offizieren und Wissenschaftlern gesessen, die sich in einen größeren Raum zurückgezogen hatten. Das war ihm jedoch nicht erlaubt worden. Colonel Fox hatte Dymock zu verstehen gegeben, daß es militärische Geheimnisse gab, die unter allen Umständen gewahrt werden mußten. „Es geht los", sagte Dymock, als zwölf Helikopter im Bild erschienen. Sie näherten sich dem südwestlichen Stadtrand von Tampa, an dem das Haus Rydalls stand. Das Bild wechselte, so daß nur noch das Stadtviertel mit dem Haus Rydalls zu sehen war. Die Helikopter landeten. Deutlich war zu erkennen, daß bewaffnete Männer aus dem Haus Rydalls hervorkamen und hinter Containern Stellung bezogen. Die Soldaten sprangen aus den Maschinen, als diese aufgesetzt hatten und griffen das Haus und die Anlagen in der Umgebung an. Dymock hatte den Ton herabgedreht, so daß kaum etwas zu hören war. Doch jetzt steigerten die Einsatzoffiziere in der Überwachungsmaschine ihre Stimmen. Sie schrien den Soldaten immer die gleichen Befehle zu. „Das wär's", sagte Dymock befriedigt, als er sah, daß die Männer Rydalls sich fluchtartig ins Haus zurückzogen und die Soldaten die Gebäude stürmten. Ein Teil der Truppen bezog vor der Anlage Stellung, um von außen nachdrängende Hilfskräfte abzufangen. Alle anderen verschwanden nach und nach im Haus, so daß von den kämpferischen Auseinandersetzungen nichts zu sehen war. Fast zehn Minuten verstrichen. Nichts schien zu geschehen. Dymock drehte den Ton auf. Die Einsatzoffiziere gaben die Befehle in immer größeren Abständen. Ihren Stimmen war anzuhören, daß sie unsicher wurden. „Da kommt einer heraus", rief Bert. Doch nicht nur ein Soldat verließ das Haus, sondern etwa fünfzig. Sie traten nach und nach ins Freie. Alle hatten ihre Helme und Waffen abgelegt. Die Soldaten, die draußen Stellung bezogen hatten, ließen ihre Waffen fallen, nahmen die Helme ab und gingen ins Haus. „Eine totale Niederlage", sagte Dymock mit tonloser Stimme. „Sie haben alle erwischt." Das Bild erlosch. Die Tür öffnete sich und das Licht ging an. Colonel Fox betrat den Raum. Sein Gesicht war fahl. „Sie haben es gesehen?" fragte er. „Allerdings", erwiderte Dymock und nickte. „Schlimmer hätte es nicht ausgehen können." „Die Lage ist hoffnungslos", stellte der Offizier fest. „Ich glaube nicht, daß wir noch etwas tun können." Er setzte sich auf einen Stuhl neben der Tür. „Ich weiß nicht, wie so etwas möglich war", sagte er. „Es sind noch nicht einmal Schüsse gefallen." Die Beratungsrunde unter der Leitung von Dr. Herman Solman versammelte sich knapp dreißig Minuten später erneut. Auch Earl Dymock, Alice und Bert Rydall waren wieder dabei. Alice hatte sich geweigert, sich von Bert zu trennen. Dr. Solman hatte als unabdingbar angesehen, daß sie an dem Gespräch teilnahm, da sie sich wie kein anderer in Tampa auskannte, und so hatte Bert den Raum
wieder betreten können. „Uns bleibt keine andere Wahl", eröffnete Fox das Gespräch. „Wir müssen jetzt mit aller Härte vorgehen. Rücksicht auf die vielleicht noch freien Menschen in Florida können und dürfen wir nicht mehr nehmen. Uns bleibt keine Zeit mehr. In etwa einer Stunde treffen die Oberbefehlshaber der Streitkräfte hier ein. Sie sind bereits auf dem Wege hierher. Bis dahin aber kann es schon zu spät sein. Wir kommen mit konventionellen Mitteln nicht mehr aus." „Was haben Sie vor?" unterbrach ihn Dr. Solman. „Eine Radikallösung", erwiderte Fox. „Das ist auch das, was das Verteidigungsministerium fordert." „Was bezeichnen Sie als Radikallösung?" fragte Solman. „Wir müssen die Neutronenwaffe einsetzen. Auf diese Weise können wir das von den Invasoren erfaßte Gebiet völlig entvölkern, so daß kein Außerirdischer überlebt. Das ist der Vorschlag, den der General empfiehlt", antwortete Fox. „Die Neutronenwaffe vernichtet alles Leben in einem begrenzten Bereich von etwa zweihundert Metern Durchmesser, ohne Sachen zu beschädigen. Das bedeutet, daß die geheimnisvolle Maschinerie in Tampa dadurch nicht zur Explosion gebracht wird." Dr. Solman schüttelte den Kopf. „Das ist ein gewaltiger Irrtum", entgegnete er. „Durch nichts läßt sich beweisen, daß diese Maschinen, deren Technik uns völlig fremd ist, nicht gerade durch die Neutronenwaffe und ihre Wirkung explodieren. Die Fremden sind uns technisch-wissenschaftlich weit überlegen. Daran gibt es keinen Zweifel. Es wäre geradezu selbstmörderisch, sie mit solchen Waffen anzugreifen. Darüber sollte sich auch das Oberkommando klar sein." Earl Dymock hob den Arm. Dr. Solman erteilte ihm das Wort. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, kommt es in erster Linie darauf an, jene Maschine auszuschalten, die die Invasoren zur Erde bringt. Danach wollen Sie vermutlich Verhandlungen mit den Fremden aufnehmen." „Völlig richtig", bestätigte der Konferenzleiter. „Der ständige Machtzuwachs der Invasoren muß beendet werden. Das ist nur in Tampa im Hause von Rydall zu erreichen. Danach können wir die Fremden unter Druck setzen und eine Lösung ohne Gewaltanwendung erzwingen." „Es gibt meiner Meinung nach nur eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen", erklärte der FBIAgent. „Wir gehen davon aus, daß William Rydall die führende Persönlichkeit ist. Genauer — es ist der Symbiont, der ihn befallen hat. Nun wissen wir von Mrs. Rydall und ihrem Sohn, daß Rydall es nicht zugelassen hat, daß sie ihn berühren. Das ist der eindeutige Beweis dafür, daß die Persönlichkeit William Rydalls nicht völlig ohne Einfluß auf den Symbionten ist. Er wollte damit verhindern, daß seine Frau und sein Sohn ebenfalls verseucht werden." „Das ist richtig." Solman nickte. „Gut", fuhr Dymock fort. „Dann gibt es nur zwei Personen, die bis zu Rydall und den geheimnisvollen Anlagen vordringen können, um hier die notwendigen Zerstörungen anzurichten. Mrs. Rydall und Bert, ihr Sohn. Sie haben nichts zu befürchten. Rydall wird sie beschützen." Die Konferenzteilnehmer reagierten mit betroffenem Schweigen auf diesen Vorschlag, der ihnen unannehmbar erschien. Fox war es, der nach fast zwei Minuten als erster wieder Worte fand. „Auf so etwas werden wir uns auf gar keinen Fall einlassen", sagte er energisch. „Wir werden nicht die Sicherheit und das Leben einer Frau und das eines Kindes riskieren, wo es die Aufgabe der Militärs wäre, ein Problem zu lösen." „Machen Sie sich nicht lächerlich, Colonel", erwiderte Alice Rydall heftig. „Sie wollen Hunderttausende von Frauen und Kindern mit der Neutronenwaffe töten. Was zählt da mein Leben?" „Sie haben keine Stimme in dieser Konferenz", wies er sie in scharfem Ton zurück.
„Mäßigen Sie sich", entgegnete Solman. „Mrs. Rydall hat völlig recht, auch dann, wenn sie offiziell keine Stimme hat. Ich pflichte Mr. Dymock bei. Mrs. Rydall und Bert haben als einzige eine reelle Chance, bis zu Rydall vorzudringen. Allerdings werde ich mich nur mit ihrem Einsatz einverstanden erklären, wenn sie sich freiwillig dazu bereiterklären." „Ich gehe", sagte Alice spontan. „Ich auch", fügte Bert hinzu. „Auf keinen Fall", erwiderte Alice heftig. „Ich gehe allein! Bert bleibt hier!" Bert legte ihr besänftigend die Hand auf den Arm. „Verstehst du denn nicht?" fragte er. „Zusammen haben wir eine doppelte Chance. Wenn du allein gehst, sind die Aussichten wesentlich schlechter. Mich greift man so leicht nicht an. Du allein hast es schwerer." Alice senkte den Kopf und überlegte. Die anderen Konferenzteilnehmer schwiegen. „Also gut", sagte sie schließlich leise. „Ich nehme Bert mit." „Sie sollten wissen, daß wir Ihnen nur eine Frist von maximal vierundzwanzig Stunden geben können", erklärte Colonel Fox. „Danach greifen wir an." „In vierundzwanzig Stunden kann sie es nicht schaffen", wandte Solman ein. „Sie braucht wenigstens zwei Tage." Fox wehrte sich heftig gegen diese Bedingungen, mußte jedoch am Ende einlenken, weil die anderen Konferenzteilnehmer sich gegen ihn aussprachen. „Wir werden das gesamte Gebiet umstellen", erklärte Fox danach. „Sämtliche Straßen werden gesperrt. Wir befinden uns im Kriegszustand, und unser Feind kann ruhig wissen, daß wir es so sehen. Sobald Sie in Florida sind, machen wir die Grenze dicht." Abermals widersetzten sich die anderen seinem Beschluß, doch dieses Mal gab Fox nicht nach. Er blieb bei seiner Ansicht, daß nur so verhindert werden konnte, daß die Invasoren sich noch weiter ausbreiteten. „Auch von See her wird Florida hermetisch abgeriegelt", fuhr er fort. „Jedes Schiff, das Florida verlassen will, wird zurückgeschickt oder versenkt." Er blickte Alice mit kalten Augen an. „Und Ihnen würde ich raten, sich zu beeilen", sagte er, „denn von jetzt an läuft die Uhr unerbittlich weiter. Sie haben nur noch siebenundvierzig Stunden und dreiundfünfzig Minuten. Sie sollten aufbrechen, wenn Sie es schaffen wollen!" Alice Rydall antwortete nicht. Sie erhob sich und verließ zusammen mit Bert und Earl Dymock den Raum.
Gefährliche Freunde
„Ich komme mit Ihnen", sagte Earl Dymock, als ein Hubschrauber ihn, Alice Rydall und Bert absetzte. Die Maschine war am Rande einer Lichtung an der Bundesstraße 441 gelandet. Sie stieg sofort wieder auf, als Dymock, Alice und Bert den zerbeulten Wagen erreicht hatten, der am Straßenrand parkte. Zwei Polizisten in Lederjacken erwarteten sie am Wagen. Es war ein zwei Jahre alter Ford. „Mein Name ist Ousterhout", sagte der ältere von ihnen und rückte seine Brille zurecht. „Wir haben den Wagen für Sie vorbereitet und zwei Zusatztanks eingebaut. Damit kommen Sie bis Tampa. Haben Sie die Hörgeräte eingeschaltet?"
„Es ist alles in Ordnung", entgegnete Dymock. „Besten Dank." „Wir wünschen Ihnen viel Glück", sagte der andere Polizist, ein dunkelhäutiger, massiger Mann, der einen Kaugummi kaute. In den Büschen am Straßenrand raschelte es. Eine dunkle Gestalt eilte auf sie zu. Earl Dymock griff nach seiner Waffe. Die beiden Stadtpolizisten fuhren herum. „Stehenbleiben!" rief der FBI-Agent. „Nicht schießen", antwortete eine männliche Stimme. Ein Handscheinwerfer blitzte auf und beleuchtete einen hochgewachsenen, blonden Mann, der eine umfangreiche Fotoausrüstung mit sich führte. „Ich bin Reporter Jay Fieling vom Chronicle. Ich bin froh, daß ich Sie noch erwischt habe." Mit einer verblüffenden Selbstsicherheit ging er zu dem für Dymock vorbereiteten Ford und öffnete eine der hinteren Türen. Bevor er jedoch einsteigen konnte, hielt ihn der FBI-Agent fest. „Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen", sagte er. „Sie begleiten uns nicht! Und Sie werden uns auch nicht folgen! Wenn man Sie erwischt, sind wir verloren." „Machen Sie sich keine Sorgen", sagte Ousterhout und packte den Reporter am Kragen. „Wir nehmen ihn mit in die Stadt. Er kann eine Reportage über das Stadtgefängnis und seine Inneneinrichtung schreiben." „Woher wußte er überhaupt, daß wir uns hier treffen wollten?" fragte Dymock. „Der Kerl folgt mir häufig", erwiderte Ousterhout abwiegelnd. „Niemand hat etwas verraten. Sie haben den Rücken frei." „Danke", sagte Dymock und stieg in den Ford. Er gab Alice und Bert mit einem Wink zu verstehen, daß sie sich beeilen sollten. Er wollte allen weiteren möglichen Komplikationen aus dem Weg gehen und diese Gegend verlassen haben, bevor sich ihm jemand an die Fersen heften konnte. Er sah, daß Ousterhout dem Reporter Handschellen anlegte und zu einem Streifenwagen führte, der etwa fünfzig Meter weiter am Straßenrand parkte. Er fuhr los. Der Wagen hatte einen starken Motor, der eine hohe Geschwindigkeit zuließ. Dymock wußte, daß er keine Kontrollen zu befürchten hatte. Die Straße war frei bis hin zu dem von den Invasoren besetzten Gebiet. „Machen Sie es sich bequem", riet er Alice. „Bis Tampa ist es weit. Schlafen Sie ruhig ein wenig, wenn Sie können." „Ihre Aufgabe ist es, nach Tampa zu fahren", tönte es aus dem winzigen Lautsprecher in ihrem linken Ohr. „Vergessen Sie es nicht! Sie sollen nach Tampa fahren und die Maschinen Rydalls abstellen!" Alice richtete sich verschlafen auf. Der Wagen stand auf einem Parkplatz. Es war schon hell. Dennoch war nicht viel zu erkennen, da dichter Nebel den Wagen umgab. Neben ihr schlief Bert, aber auch er wurde jetzt wach. Alice vermutete, daß er ebenfalls durch die mahnende Stimme geweckt worden war. Earl Dymock war nicht auf seinem Platz. Beunruhigt sah sie sich um. Hatte er sie allein gelassen? Sie griff sich an den Kopf und massierte die Schläfen. Die Stimme, die sie ständig daran erinnerte, daß sie nach Tampa fahren sollte, störte sie. Es fiel ihr so schwer, sich auf Tampa zu konzentrieren. Sobald die Stimme schwieg, vergaß sie wieder, was sie eigentlich wollte. Doch allmählich wurde der Wille stärker, an das zu denken, was wesentlich war. Sie stieß die Tür auf und stieg aus. „Mr. Dymock!" rief sie und wiederholte den Namen noch zweimal. .Schritte näherten sich ihr, und sie bereute bereits, daß sie sich bemerkbar gemacht hatte. Sie lief um den Wagen herum und öffnete die Tür auf der Fahrerseite, als sich eine hochgewachsene Gestalt aus dem Nebel löste. „Sie sind wach, Mrs. Rydall?" Sie atmete auf. Es war Earl Dymock, und alles schien in Ordnung zu sein. Sie wollte etwas sagen,
wartete jedoch noch etwas damit, weil zwei Lastwagen mit röhrenden Motoren am Parkplatz vorbeifuhren. Sie rasten mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch den Nebel, obwohl die Fahrer unmöglich weiter als etwa fünfzig Meter sehen konnten. „Wo sind wir?" fragte Alice.
„Bis Dade City sind es noch zwei oder drei Kilometer."
„Warum halten wir hier?" erkundigte sich Bert durch das offene Fenster.
„Wir haben Glück gehabt", antwortete der FBI-Agent. „Es ist etwas passiert, womit ich überhaupt
nicht gerechnet habe. Wir haben Linksverkehr." „Linksverkehr"? fragte Alice verblüfft. „Aber das ist unmöglich." „Es ist eine Tatsache", erwiderte Dymock. „Ich bin vorhin nur ganz knapp einem Zusammenprall mit einem anderen Wagen entgangen. Deshalb bin ich auf den Parkplatz gefahren. Ich habe mich an die Straße gestellt und beobachtet. Wir haben wirklich Linksverkehr. Verstehen Sie, was für eine raffinierte Falle das für alle Gegner der Invasoren ist, die in dieses Gebiet einzudringen versuchen? Wir hätten uns fast verraten." Alice hatte Mühe, seinen Gedankengängen zu folgen. Sie mußte sich immer wieder zur Konzentration zwingen. Die Stimme in ihrem Ohr half ihr dabei. Sie machte ihr bewußt, daß sie sich in einer Region befand, in der sie durch eine unbekannte Strahlenart geistig beeinflußt wurde. „Sie meinen also, daß auf dem Heimatplaneten der Fremden Linksverkehr geherrscht hat?" fragte Bert. „Warum sind sie dann nicht von Anfang an auch hier links gefahren?" „Zunächst waren sie nur wenige. Sie wären sofort aufgefallen, wenn sie das getan hätten. Jetzt gibt es vermutlich nur noch Menschen in Florida, die mit einem Symbionten leben. Die Fremden sind eindeutig in der Überzahl. Sie bestimmen, was gemacht wird, und wer sich nicht so verhält wie sie, wird schnell entdeckt." Er setzte sich in den Wagen und startete, als auch Alice eingestiegen war. Der Nebel lichtete sich. Dymock fuhr auf die Straße und tastete sich auf der linken Straße vorsichtig voran. Er fürchtete ständig, daß ihm ein Fahrzeug auf seiner Seite entgegenkommen würde, doch wenig später bestätigte sich, was er herausgefunden hatte. Vier Personenwagen rasten mit aufgeblendeten Lichtern auf der Gegenfahrbahn an ihnen vorbei. „Sie fahren zu langsam", stellte Bert fest. „Das fällt auf."
„Schneller zu fahren wäre unverantwortlich", erwiderte Dymock.
Die ersten Häuser von Dade City tauchten auf. Der Verkehr nahm zu.
„Ich habe Hunger", sagte Bert. „Können wir nicht irgendwo etwas essen?"
„Warum nicht?" Dymock blickte sich um. Es war wenige Minuten nach acht Uhr. Die Restaurants
schienen bereits geöffnet zu haben. Er hielt am Straßenrand. Zwei Autos kamen ihnen entgegen. Sie fuhren auf gleicher Höhe nebeneinander. Mit brüllenden Motoren verschwanden sie im Nebel. Als Dymock ausstieg, hörte er es krachen und es blitzte feuerrot auf. „Das mußte ja so kommen", sagte er. „Sie fahren wie die Wahnsinnigen."
„Sie sind übermütig", bemerkte Alice, während sie ein Restaurant betraten. „Sie haben einen
Planeten gefunden, auf dem sie leben können, und nun toben sie sich aus." Das Restaurant war leer. Dymock durchsuchte die Räume. „Hier ist seit Tagen niemand gewesen", stellte er fest. „Bedienen wir uns selbst." Er öffnete einen der Kühlschränke und fand, daß noch ausreichend Vorräte für sie vorhanden waren. Er stellte die Kaffeemaschine und den Toaster an und bereitete ein Frühstück zu, obwohl Alice ihm die Arbeit abnehmen wollte. Er bestand darauf, daß sie und Bert sich an einen der Tische setzten. Als sie das Frühstück verzehrten, betraten ein dunkelhaariger Mann und eine blonde Frau das Restaurant. Sie blieben an der Tür stehen und blickten lächelnd zu ihnen herüber.
Alice sank die Hand mit der Kaffeetasse auf den Tisch. Sie wollte etwas sagen, doch die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Die beiden unerwarteten Besucher gingen durch den Gastraum in die Küche und kehrten mit einigen vollen Bierflaschen daraus zurück. Vergnügt winkten sie Bert und Alice zu und verließen das Restaurant wieder. „Wer war das?" fragte Dymock. „Frühere Nachbarn von uns", erwiderte Alice beklommen. „Mr. und Mrs. Simons. Seltsam, daß sie nicht mit uns gesprochen haben. Wir haben uns früher so gut verstanden." „Es waren nicht mehr die Simons", erklärte Dymock. „Verstehen Sie denn nicht? Die Simons schlummern vielleicht noch in ihnen, aber mehr auch nicht." „Es waren Fremde. Ich habe es genau gesehen", sagte Bert. Er war so aufgeregt, daß er keinen Bissen herunterbrachte. Earl Dymock lächelte über den Eifer des Jungen, ging aber nicht auf seine Worte ein. „Wir verschwinden", entschied er. „Je schneller, desto besser." „Ich habe aber noch Hunger", protestierte Bert. „Dann nimm dir etwas mit", sagte der Agent. ,;Los, raus hier, bevor die mit Verstärkung wiederkommen." Als sie das Restaurant verließen, standen Mr. und Mrs. Simons nur wenige Schritte vom Eingang entfernt an einem Wagen. Sie tranken Bier. Dymock drängte Alice und Bert unauffällig zur Elle. Mr. Simons — oder der Eylaner, der jetzt in seinem Körper lebte löste sich von dem Wagen und näherte sich ihnen. Er sagte etwas in einer zwitschernden, völlig fremd klingenden Sprache und hob ihnen dabei die Flasche entgegen. „Nein, danke. Ich möchte nichts trinken", würgte Alice hervor. Sie sprang förmlich in den Wagen und schlug die Tür hinter sich zu. Dymock startete den Motor und fuhr los, obwohl Mr. Simons versuchte, die Tür neben Alice zu öffnen. Er reihte sich in den Verkehr ein, blieb zunächst auf der Hauptstraße, flüchtete dann jedoch in eine enge Seitenstraße, als er im Rückspiegel beobachtete, daß Mr. und Mrs. Simons ihnen folgten. Da er einen günstigen Zeitpunkt für dieses Manöver gewählt hatte, gelang es ihm, sie abzuschütteln. „Was war das für eine Sprache?" fragte Bert. „So etwas habe ich noch nie gehört. Sie etwa, Mr. Dymock?" Der Agent schüttelte den Kopf. „Fahren Sie nach Tampa!" dröhnte es in seinen Ohren. „Fahren Sie nach Tampa! Stellen Sie die Maschinen ab!" „Es muß die Sprache der Fremden gewesen sein", sagte Bert. „Wie sollen wir uns mit ihnen verständigen? Das ist doch unmöglich!" Earl Dymock kehrte nach einem großen Umweg wieder auf die Bundesstraße 301 zurück, die nach Tampa führte. Hier herrschte ein geradezu chaotischer Verkehr, der durch verunglückte und teilweise ausgebrannte Fahrzeuge so behindert wurde, daß sie über weite Strecken nur Schrittempo fahren konnten. Dymock hatte nichts dagegen einzuwenden, da er sich dabei erheblich wohler fühlte als bei überhöhter Geschwindigkeit. Er schaltete das Radio ein, weil er hoffte, darauf Informationen gewinnen zu können. Eine fremdartige Musik ertönte. Sie war voller Dissonanzen, die so unerträglich waren, daß er sogleich einen anderen Sender suchte. Doch nur auf einem Sender konnte er etwas empfangen. Alle anderen schienen außer Betrieb zu sein. „Sehen Sie doch", rief Bert, als sie an einer Tankstelle vorbeifuhren. „Alle bedienen sich selbst und keiner bezahlt."
„Sie plündern", sagte Dymock. „Keiner arbeitet mehr. Sie vergnügen sich alle nur noch." „Alles wird zusammenbrechen", bemerkte Alice. „So geht es nicht weiter." „Sie werden sich organisieren", meinte Dymock. „Sie sind äußerst intelligent. Daher wissen sie auch, daß sie nur über eine begrenzte Zeit hinweg plündern können." Sie erreichten den nördlichen Stadtrand von Tampa. Vor einer Straßenkreuzung mußten sie anhalten, weil niemand sich um die Lichtzeichen kümmerte und die Kreuzung restlos verstopft war. Ein junger Mann versuchte, die Stauung wieder aufzulösen. Aus einer Hofausfahrt schoß ein Lastwagen hervor. Der Fahrer bemerkte offenbar zu spät, daß die Straße nicht frei war. Er riß den Laster noch zur Seite, brachte ihn aber nicht an dem Wagen Dyrnocks vorbei. Krachend bohrte er sich in das Heck des Fords. Einer der Zusatztanks zerbarst, und explosionsartig breiteten sich die Flammen aus. Dymock, Alice und Bert, die unverletzt geblieben waren, stießen die Türen auf und sprangen aus dem Wagen. In seiner instinktiven Angst rannte Bert etwa vierzig Meter weit. Dann erst drehte er sich um. Dymock und Alice waren verschwunden. Direkt neben dem brennenden Ford standen Mr. und Mrs. Simons. Bert beobachtete das Geschehen um den brennenden Wagen aus sicherer Entfernung. Er hatte sich in ein leeres Haus zurückgezogen und im Obergeschoß einen idealen Aussichtspunkt gefunden. Von hier aus konnte er alles überblicken, ohne selbst gesehen zu werden. Er erwartete, daß Dymock oder seine Mutter in der Nähe des Unfallortes erscheinen würden, doch er wurde enttäuscht. Beide hatten offenbar die Gefahr erkannt, die durch Mr. und Mrs. Simons bestand. Sie waren, ebenso wie er, geflüchtet. Verzweifelt überlegte Bert, was er nun tun sollte. Dabei war ihm die Stimme in seinem Ohr eine nicht unbeträchtliche Hilfe, da sie ihn ständig an Tampa und an das Haus seines Vaters erinnerte. Er befand sich in der Stadt, war jedoch noch viele Kilometer von dem Haus entfernt.. Er erinnerte sich daran, daß man ihm befohlen hatte, ein Signal zu geben, sobald er Tampa erreicht hatte. Das galt ebenso für Dymock und seine Mutter. Bert knöpfte sein Hemd auf und legte einen winzigen Sender frei, der an einem Gürtel unter seiner Kleidung befestigt war. Er riß das Siegel ab und betätigte einen Hebel, der sich darunter befand. Einige Minuten lang wiederholte er das Signal immer wieder, bis die Stimme in seinem Ohr wechselte: „Es ist gut, Bert! Wir wissen, wo du bist!" Erleichtert atmete er auf. Jetzt fühlte er sich nicht mehr so allein wie zuvor. Er schaltete den Sender aus. „Geh sofort woanders hin!" befahl ihm die Stimme. „Du darfst nicht dort bleiben, wo du jetzt bist! Die Fremden könnten dich ebenfalls angepeilt haben. Verfolge dein Ziel weiter! Du weißt doch noch, was dein Ziel ist? Bert, du mußt zum Haus deines Vaters gehen! Das Haus deines Vaters ist das Ziel!" Bert wußte, daß diese Sendung über einen Zerhacker erfolgte. Die Worte des Verbindungsoffiziers wurden von einem elektronischen Zusatzgerät in zahllose Einzelbruchstücke zerlegt, diese wurden durcheinandergewürfelt und in dieser Form abgestrahlt. Erst im Empfangsgerät im Ohr wurden sie wieder in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt. Das hatte zur Folge, daß niemand die Sendung abhören und verstehen konnte, der den Zerhackercode nicht kannte. Bert verließ das Haus. Für ihn war von entscheidender Bedeutung, daß er Dymock und seine Mutter wiederfand. Er traute sich nicht zu, allein bis zu seinem Elternhaus vorzudringen und dort die Maschinen zu zerstören. Er wußte überhaupt nicht, wie er dabei hätte vorgehen müssen.
Sobald er auf der Straße war, hatte er das Gefühl, von allen angestarrt zu werden. Er brachte es nicht fertig, ruhig auf der Stelle stehenzubleiben und sich umzusehen. Er schritt eilig aus und suchte dabei nach Dymock und seiner Mutter. Auf der Straße herrschte ein turbulenter Verkehr. Fast jeder Fahrer hupte in der Hoffnung, sich damit Platz verschaffen zu können. Bert gewann den Eindruck, daß die Fremden eine geradezu unsinnige Begeisterung für das Autofahren entwickelten. Sie benahmen sich, als ob sie besessen seien. Karambolagen mit anderen Fahrzeugen störten sie nicht, sondern schienen ihr Vergnügen nur noch zu steigern. Die Passanten auf den Bürgersteigen beobachteten die Autos mit sichtlichem Vergnügen. Niemand schien einer wichtigen Tätigkeit nachzugehen. Die Restaurants, in denen Spielautomaten standen, waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Ebenso jene, in denen alkoholische Getränke ausgeschenkt wurden. Bert entfernte sich ungefähr einen Kilometer weit von der Stelle, an der Dymocks Ford in Flammen aufgegangen war. Dann entdeckte er ein Spielzeuggeschäft. Es war weitgehend von Kindern geplündert worden. Bert wollte schon vorbeigehen, als er plötzlich Schüsse hörte. Er blieb stehen. Etwa hundert Meter von ihm entfernt floh ein Mann aus einem Haus. Er war nur mit einem Hemd und einer Hose bekleidet. Zwei Männer folgten ihm. „Stehenbleiben", riefen sie ihm zu. Bert sah, daß das Gesicht des Flüchtenden von Angst gezeichnet war. Und er bemerkte auch, daß er das Merkmal der von Symbionten besetzten Menschen nicht trug. Denn das war es, was er den Erwachsenen zu erklären versucht hatte. Die von Außerirdischen besetzten Menschen konnte man erkennen. Aber sie hatten .ja nicht auf ihn gehört! Der Flüchtende war einer der letzten freien Menschen in Florida. Die Fremden hatten ihn aus seinem Versteck geholt und wollten ihn mit einem Symbionten versehen. Sie feuerten ihre Gewehre ab. Der Mann lief weiter. Die Kugeln hatten ihn verfehlt. Er rannte auf die Ecke eines Gebäudes zu. Nur wenige Schritte noch, dann war er in vorläufiger Sicherheit. Er erreichte die Ecke, als abermals zwei Schüsse peitschten. Dieses Mal hatten die Schützen besser gezielt. Der Mann brach zusammen. Bert eilte in das Spielzeuggeschäft. Er zitterte am ganzen Körper vor Angst. Er war sich darüber klar, daß die Fremden ihn früher oder später ebenfalls jagen würden, um ihn mit einem Symbionten zu versehen. Er sah sich im Geschäft um. Fast alle Regale waren leer. Spielzeuge waren kaum noch vorhanden. Aber die suchte er auch nicht. Er interessierte sich nur für einen Schrank, in dem Malstifte und Tintenfässer standen. Die Türen waren aufgebrochen, doch von dem Inhalt war kaum etwas entwendet worden. In aller Eile suchte Bert nach roten Filzstiften. Er fand sie schließlich in zahlreichen Farbnuancen unter einem Stapel von Buntstiften. Er suchte einen Filzstift heraus, von dem er glaubte, daß er die richtige Farbe hatte und probierte ihn an seinem Unterschenkel aus. Er stellte fest, daß die Farbe nicht echt aussah, und er nahm einen anderen Filzstift. Dieser war endlich der richtige. Er schob den Strumpf über die Farbstriche an seinem Bein, so daß sie niemand mehr sehen konnte. Nun malte er sich sorgfältig ein kleeblattähnliches Gebilde seitlich an den Hals. Er machte das Zeichen dicht über der Schulter, so daß es weitgehend vom Hemdkragen bedeckt wurde und nur zu sehen war, wenn der Kragen verrutschte. Danach fühlte er sich wohler. „Geh zu Rydalls Haus! Zerstöre die Maschinen! Bert, warum gehst du nicht weiter?" hallte es in seinem Ohr.
Bert verließ das Geschäft. Die Angst war nicht mehr so groß wie zuvor. Er sah, daß die Fremden den Verletzten weggeschleppt hatten. Alles war wie zuvor. Die Autos jagten mit einem atemberaubenden Tempo durch die Straßen der Stadt, daß die Fußgänger nur wenig Chancen hatten, die Straße zu überqueren. Auf den Bürgersteigen drängten sich die Passanten tatenlos herum. Bert schob sich durch die Menge, bis er das ausgebrannte Auto Dymocks sah. Niemand hatte es zur Seite geschoben. Es stand noch an der gleichen Stelle. Immer wieder stieß ein vorbeifahrendes Auto krachend dagegen, so daß das Wrack einem Auto immer unähnlicher wurde. Dymock und seine Mutter waren nirgendwo zu sehen. „Warum gehst du zurück, Bert? Du mußt zu Rydalls Haus gehen!" Er drehte sich um und ging in die geforderte Richtung, ohne zunächst zu wissen warum. Das Strahlenfeld schien übermächtig zu werden. Die Worte des Offiziers, der zu ihm sprach, schienen aus immer größerer Entfernung zu kommen. An einer Straßenkreuzung blieb Bert unschlüssig stehen. Mußte er nicht in dieser Gegend bleiben, bis er Dymock und seine Mutter gefunden hatte? Sie suchten ihn doch bestimmt auch. Er wünschte, er hätte den Offizier fragen können. „Wir befinden uns in einem Flugzeug hoch über dir, Bert. Wir wissen genau, wo du bist. Geh weiter! Geh weiter! Suchst du Dymock und deine Mutter?" Bert erspähte eine Lücke und rannte los. Ein rotes Auto raste hupend heran. Der Fahrer beschleunigte, statt zu bremsen. Mit einem Satz brachte Bert sich auf der anderen Straßenseite in Sicherheit. Er schickte einige Schimpfwörter hinter dem rücksichtslosen Autofahrer her und eilte weiter. Er fühlte sich von Minute zu Minute sicherer in der Menge. Niemand schien ihn zu beachten. Niemand schien zu erkennen, daß er ein freier Mensch war. Als er an der nächsten Straßenkreuzung abermals durch eine Lücke rannte und mit einem Satz in die Menschenmauer auf der anderen Seite sprang, packte ihn eine harte Männerhand und riß ihn herum. Bert schrie vor Schreck auf. Er wollte sich losreißen. Da erkannte er, daß er Dymock gegenüberstand. „Das wurde aber Zeit, Kleiner", sagte der FBI-Agent lachend. Bert fiel ein Stein vom Herzen. Vor Erleichterung stiegen ihm die Tränen in die Augen. „Komm", sagte Dymock. „Ich bringe dich zu deiner ... zu Alice." Bett blickte kurz zu ihm hoch, als sie einen kleinen Park durchquerten. Offenbar wollte Dymock nicht, daß die anderen in der Nähe hörten, daß er von seiner Mutter sprach. „Gut so, Bert! Weiter! Immer weiter in Richtung von Rydalls Haus", lobte die Stimme in seinem Ohr. Der Junge stutzte. Warum sprach der Einsatzoffizier nur zu ihm? Warum nannte er nur seinen Namen? Oder benutzten die Offiziere nun drei verschiedene Kanäle, so daß sie zu jedem von ihnen gesondert sprechen konnten? Er wollte Dymock fragen, doch einige Männer drängten sich um sie, die ihn hätten hören können. So schwieg Bert und folgte dem Agenten in ein Gartenrestaurant am Rande des Parks. An einem der Tische saß seine Mutter. Er wollte zu ihr laufen, doch Dymock legte ihm die Hand auf die Schulter und hielt ihn fest. Er ging ruhig weiter. Er sagte sich, daß Dymock kein Aufsehen erregen wollte. Vor Alice stand ein Glas mit Whisky auf dem Tisch. „Hallo, da bist du ja", sagte sie mit schwerer Zunge. Bert setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl. Ihm fiel auf, daß ihre Blicke unstet waren. Sie wirkte
verändert. Wieder wollte er etwas sagen, aber eine unbestimmbare Furcht verschloß ihm die Lippen. „Fast wärst du uns entwischt", fuhr sie fort. Dymock, der sich für einige Sekunden entfernt hatte; kehrte mit einem großen Whiskyglas zurück. Er ließ sich schwer auf einen Stuhl Bert gegenüber sinken. Er grinste vage. Er hob das Glas an die Lippen und trank es auf einen Zug aus. Als er es absetzte, verschob sich sein Kragen. Deutlich konnte Bert ein rotes Mal in seiner Halsbeuge sehen, das einem Kleeblatt glich. Die Blätter waren nur etwas schmaler und länger als bei einem normalen Kleeblatt. Die Zeichnung sah so aus wie jene, die er sich selbst an den Hals gemalt hatte. Er begriff sofort, was geschehen war. Dymock war den Außerirdischen in die Hände gefallen. Sie hatten ihn überrumpelt und mit einem Symbionten versehen. Der Mann, der ihm am Tisch gegenüber saß, war nicht mehr Earl Dymock, der FBI-Agent. Es war ein Fremder, ein Wesen von den Sternen, dessen wichtigstes Ziel es sein mußte, die Zerstörung der Maschinen zu verhindern. Bert hatte schon lange gewußt, daß die Symbionten sich durch dieses rote Mal verrieten. Er hatte stets eine besonders gute Beobachtungsgabe gehabt. Er sah vieles, was anderen entging und prägte es sich ein. Zitternd vor Schreck blickte er seine Mutter an. War sie auch von den Außerirdischen übernommen worden? War sie auch zu seinem Feind geworden? Worauf wartete Dymock noch? Hatte er jemanden verständigt, der einen Symbionten holte? Wollte er ihn damit versehen? Bert griff sich vorsichtig an den Kragen. Seine Muskeln verkrampften sich so, daß er die Hand kaum ruhig halten konnte. Wie zufällig verschob er den Kragen und kratzte sich am Hals. Dabei blickte er verstohlen zu Dymock hinüber. Er beobachtete, daß dessen Augen sich überrascht weiteten. Dymock wandte sich Alice zu, als wolle er sie etwas fragen. Alice schob sich das Haar in den Nacken zurück und blickte über die Schulter hinweg zum Ausgang des Restaurants hinüber. Sie trägt das Zeichen! schrie es in Bert. „Ich muß mal verschwinden", murmelte er. „Wo ist es?" Dymock zeigte lässig mit dem Daumen über die Schulter auf eine Tür. Bert stand auf, drehte sich um und ging auf die Tür zu. Über der Bar befand sich ein Spiegel. Er blickte zufällig hinein und bemerkte, daß Dymock ihn mit verengten Augen beobachtete. Er erkannte, daß der ehemalige FBI-Agent mißtrauisch geworden war. Auf der Tür, die Dymock ihm bezeichnet hatte, stand Privat. Die Tür, die er suchte, befand sich links von ihm. Bert erfaßte, daß Dymock ihn in eine Falle schicken wollte. Er blieb stehen, schüttelte den Kopf, drehte sich mit einem gequälten lächeln zu Dymock um und zeigte auf die richtige Tür. Dymock grinste, als sei alles in Ordnung. Bert ging auf die Toilettentür zu. Er wußte, daß Dymock ihn nicht aus den Augen ließ. Jeder Schritt wurde zur Qual. Ihm war, als ob sich die Augen aller anderen Frauen und Männer im Restaurant auf ihn richteten. Er erreichte die Tür, öffnete sie und betrat die Herrentoilette. Direkt gegenüber der Tür befand sich ein kleines Fenster. Es war gerade groß genug für ihn. Bert stürzte sich förmlich darauf, riß den Riegel zur Seite, stieß es auf und kletterte hindurch. Er schlug es von außen wieder zu. Er befand sich im Freien, in einem Gebüsch. In panischer Angst flüchtete er in den Park hinaus. Er rannte, so schnell wie er konnte, bis er eine
Straße erreichte, auf der sich viele Menschen bewegten. Er wurde sich dessen bewußt, daß er nicht auffallen durfte, und er zwang sich, ruhig und langsam zu gehen.
Die Zentrale der Außerirdischen
„Was ist passiert, Bert? Antworte uns! Antworte! Warum hast du dich von Dymock und deiner Mutter getrennt? Gehören sie jetzt zu den anderen? Antworte, Bert! Wir müssen es wissen!" Immer wieder klangen diese Worte in ihm auf, während er noch mit dem Schock kämpfte, den er erlitten hatte. Die Angst machte ihm die Kehle eng. Immer wieder sah er sich um, während er durch die leerer werdenden Straßen eilte. Einige Male glaubte er, Dymock oder seine Mutter gesehen zu haben, doch stets zeigte sich, daß er sich geirrt hatte. Die Entdeckung, daß Dymock und seine Mutter von den Außerirdischen überwältigt und übernommen worden waren, hatte eine seltsame Wirkung. Bert, der schon vorher nicht so stark auf den Strahlenschirm der Fremden reagiert hatte, zeigte sich nun in steigendem Maße dagegen immun. Er konnte klarer denken und behielt genau im Auge, was er wollte. Er zögerte mit seiner Antwort an den Einsatzoffizier, weil er wußte, welche Folge sie haben würde. Der Offizier würde die Funkverbindung zu Dymock und seiner Mutter abbrechen. Er würde ihnen keine Befehle mehr erteilen, um ihnen durch sie keine Informationen zu geben. Würden sie ihnen dadurch aber nicht auch verraten, daß er wußte, wie er sie einzustufen hatte? Bert zog sich in ein Gebüsch zurück, das einen Park umsäumte. Aus sicherem Versteck heraus beobachtete er die Umgebung, in der sich nur wenig Menschen bewegten. Er hätte fast aufgeschrien, als Dymock und seine Mutter plötzlich mit einem Wagen an ihm vorbeifuhren. Sie hätten ihn entdeckt, wenn er auf der Straße geblieben wäre. „Antworte, Bert! Wir wissen genau, wo du bist! Wir wissen auch, daß Dymock und deine Mutter dich verfolgen. Wir haben euch auf den Beobachtungsschirm." Bert sah in Gedanken die Beobachtungsschirme vor sich. Auf ihnen leuchteten drei Punkte auf. Jeder Punkt bezeichnete einen von ihnen. Zwei Punkte bewegten sich dicht nebeneinander an dem dritten vorbei. Er hatte solche Schirme schon einmal in der Universität gesehen. Er wußte, daß der Einsatzoffizier die Wahrheit sagte. Bert schob die Hand unter sein Hemd und betätigte den Hebel des Funkgerätes. „So ist es gut", antwortete der Offizier. „Von jetzt an können wir dir helfen. Wir werden dich warnen, wenn Dymock und Mrs. Rydall in deine Nähe kommen." Bert fühlte sich unendlich erleichtert. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Er machte sich Vorwürfe, weil er so lange gezögert hatte, das Signal zu geben. Er kroch aus dem Gebüsch und eilte weiter. Einige Autos fuhren an ihm vorbei, aber er widerstand der Versuchung, in ein Versteck zu flüchten. Als er nur noch etwa einen Kilometer vom Haus seines Vaters entfernt war, trat plötzlich aus einem Hauseingang eine Frau auf ihn zu, packte ihn am Arm und riß ihn herum. Sie sprach mit der zwitschernden Sprache der Fremden auf ihn ein. Bert blickte sie schreckerstarrt an. Er brachte kein Wort über die Lippen. Sie riß ihm den Kragen zur Seite, prüfte das rote Mal und gab ihm einen Stoß. Sie war zufrieden. Gleichgültig wandte sie sich ab und ging ins Haus zurück, während Bert mit zitternden Knien weiterlief. Ihm wurde schlecht, und er blieb nach etwa hundert Metern unter einer Buche stehen, um sich auszuruhen.
„Du machst deine Sache gut, Bert! Du darfst jetzt nicht schwach werden! Bis zum Haus ist es jetzt nicht mehr weit." Er wäre am liebsten umgekehrt und irgendwohin gelaufen, wo er keine Angst zu haben brauchte. Er bereute, daß er sich dazu entschlossen hatte, mitzugehen. Allmählich wurde ihm klar, warum die Militärs und Abwehrspezialisten der Regierung auch ihn zu den Konferenzen zugelassen hatten. Fraglos hatten sie von Anfang an die Möglichkeit eingeschlossen, ihn und seine Mutter in das von den Außerirdischen besetzte Gebiet zu schicken. Sie hatten diesen Plan viel, viel früher gefaßt, als sie zugeben wollten. Auch Dymock hatte nicht die Wahrheit gesagt. Er hatte die Meldung, die seine Mutter und er bei ihm im FBI-Büro gemacht hatten, ganz offensichtlich viel ernster genommen als sie geglaubt hatten. Während er sie mit nichtssagenden Worten weggeschickt hatte, hatte er bereits Untersuchungen eingeleitet. Bert spürte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Er hatte das Gefühl, nichts als ein Spielball jener Männer zu sein, deren Beruf es war, sich mit der Verteidigung des Landes zu befassen. „Bert, sei ein braver Junge! Geh weiter, aber schlage einen Bogen nach Süden! Dymock und deine Mutter warten auf der Ostseite des Hauses auf dich. Geh jetzt los, Bert! Die Zeit wird knapp!" Ich will nicht! hätte er ihnen am liebsten zugerufen. Warum ausgerechnet ich? Warum nicht ein anderer? Es war, als könnten sie seine Gedanken lesen. „Niemand außer dir kann es tun! Nur du kannst in das Haus gehen, weil du der Sohn von Rydall bist. Verstehst du, Bert? Es gibt außer dir keinen Menschen auf der Erde, der diese Aufgabe übernehmen könnte. Sieh doch! Die Erwachsenen haben es nicht geschafft. Sie haben versagt, weil sie Erwachsene sind. Du aber bist fast noch ein Kind. Dich wird niemand so leicht angreifen wie einen Erwachsenen. Und du bist das Kind von Rydall!" Bert löste sich aus seinem Versteck. Er überquerte die Straße im Laufschritt und drang in den Garten einer Villa ein, die offensichtlich nicht mehr bewohnt wurde. Die Fenster waren zerschlagen worden, und irgend jemand hatte die Haustür herausgebrochen. Er lief hinter dem Haus entlang und bog nach Süden ab. Dann eilte er von Garten zu Garten weiter, bis er das Haus seines Vaters sehen konnte. Viel war allerdings nicht mehr. zu erkennen, denn das meiste wurde von Maschinen und aufgetürmten Containern verdeckt. „So ist es gut, Bert! Dymock und Mrs. Rydall sind noch immer auf der Ostseite. Geh weiter!" Mit klopfendem Herzen beobachtete Bert einige mit Gewehren und Revolvern bewaffnete Männer, die um das Haus patrouillierten. Sie sahen nicht so aus, als hätten sie Skrupel, auf einen Menschen zu schießen. „Geh weiter, Bert! Du bist der Sohn Rydalls! Das gibt dir Vorteile!" Der Junge gehorchte. Er kletterte über einen Zaun und stand danach auf der Straße, die ihn vom Grundstück seines Vaters trennte. Die Wachen blieben stehen und blickten zu ihm herüber. Er steckte beide Hände in die Hosentaschen, weil er so verbergen konnte, wie unruhig sie waren, und ging auf die Männer zu. Keiner von ihnen brachte seine Waffe in Anschlag. Sie fürchteten sich nicht vor ihm, da sie sich ihm weit überlegen wußten. Fünf Meter von ihnen entfernt blieb er stehen. Er bewegte die Lippen, als wolle er etwas sagen und brachte schließlich ein paar quietschende und zwitschernde Laute über die Lippen. Er brach ab, räusperte sich und hüstelte. Dann wiederholte er seinen Sprechversuch. Einer der Männer lachte. Er sagte etwas in der zwitschernden Sprache der Fremden. „Er kann es noch nicht", stellte einer der anderen fest. „Er beherrscht den Körper noch nicht gut
genug." „He", bemerkte der erste dieses Mal in englischer Sprache. „Den kenne ich. Ich habe sein Bild im Haus gesehen." „Rydall ist mein Vater", würgte Bert hervor. „Rydall?" fragte der Wächter. „Du meinst, Cirghan?" Bert nickte nur. Er hoffte, daß der eine Name zum anderen paßte. Die Männer diskutierten in der zwitschernden Sprache miteinander, dann trat einer von ihnen an Bert heran und bog ihm den Kragen zur Seite. Er begutachtete das rote Zeichen, hielt es für echt und ließ den Jungen passieren. Bert ging betont langsam an den Männern vorbei. Er sagte sich, daß allzu große, Eile gefährlich war. „Du hast es geschafft!" klang es in seinem Ohr auf. „Gleich bist du im Haus! Wir haben dich mit der Kamera beobachtet. Gut gemacht, Bert!" Die Worte taten ihm gut. Sie verringerten die Angst ein wenig, und sie vertrieben die Gedanken an Dymock und seine Mutter, die irgendwo in der Nähe auf ihn lauerten. Er wunderte sich, daß sie noch nicht zu den Wachen gegangen waren und vor ihm gewarnt hatten. Dann sagte er sich, daß sie vielleicht doch noch ein wenig Widerstand gegen die Fremden leisteten und ihm auf diese Weise in der entscheidenden Phase seines Einsatzes halfen. Unangefochten erreichte er das Haus. Auch am Eingang stand ein Wächter, dieser hatte offensichtlich beobachtet, daß der Junge bereits kontrolliert worden war. Er gab ihm mit einem Wink zu verstehen, daß er das Haus betreten durfte. Bert erkannte so gut wie nichts mehr wieder. Mauern waren eingerissen und durch Maschinen ersetzt worden. Überall herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander von Apparaturen, Kabeln, Rohren, Kisten und Kästen. Dennoch war es auffallend sauber. Nirgendwo lag Schutt herum. Die Helfer seines Vaters hatten allen Abfall aus dem Haus entfernt. Die Treppe nach oben existierte nicht mehr. An ihre Stelle war eine geheimnisvoll schimmernde Säule aus einem Material, wie Bert es nie zuvor gesehen hatte, getreten. An ihr leuchteten Instrumente und Lichter in wechselndem Rhythmus auf. Da Bert es von früher her gewohnt war, seinen Vater in den unteren Laborräumen vorzufinden, wandte er sich dorthin. Er stieg über einige Rohre hinweg und näherte sich der Treppe, als sich ihm gegenüber eine Tür öffnete. Dr. Forster Monroe trat heraus. Er bemerkte ihn, lächelte flüchtig und winkte ihm wie einem alten Bekannten zu. Ohne Verdacht zu schöpfen, durchquerte er den Raum und verschwand dort, wo früher die Küche gewesen war. Bert erschauerte, als er ihn in der zwitschernden Sprache der Fremden reden hörte. Es war ein beängstigendes Erlebnis für ihn, den Mann, der ihm früher ein väterlicher Freund gewesen war, so zu erleben. Bei allen anderen hatte ihn die Sprache der Außerirdischen nicht so erschreckt wie bei ihm. Jemand stieß ihn zur Seite und drängte sich an ihm vorbei. Bert fuhr zusammen. Er kannte den Mann nicht. Er drehte sich um und eilte die Treppe hinab. „Wir haben eine gute Nachricht für dich, Bert", klang es in ihm auf. „Dymock und Mrs. Rydall fahren ins Stadtzentrum zurück. Offenbar nehmen sie an, daß du dich dort noch irgendwo versteckst. Du kannst also ganz ruhig sein!" Das Stahlschott zum Labor glitt zur Seite. Bert sah den Kopf, den Dr. Monroe und sein Vater im Brunnen gefunden hatten und der, wie er nun wußte, am Anfang der Invasion gestanden hatte. Er hatte das Gefühl, daß ihn die Augen, die unter den Brauen im Dunkeln lagen, musterten. Das Gesicht schien zu leben. Täuschte er sich? Oder öffneten sich die Lippen noch etwas weiter?
Ein Schatten glitt über das Gesicht des Außerirdischen. Bert zuckte zusammen. Sein Vater stand vor ihm und blickte ihn scharf an. Er sah verändert aus. Das freundliche Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Die Augen lagen tief in den Höhlen, und in der Mundgegend hatten sich scharfe Falten gebildet, die ihn streng und abweisend aussehen ließen. Bert erinnerte sich an den erfolgreichen Versuch, den er bei den Wachen angestellt hatte. Er kräuselte die Lippen, bewegte sie zuckend und brachte ein paar zwitschernde Laute hervor. Dann ließ er seufzend die Schultern sinken. „Ich ... kann ... es noch nicht", erklärte er mit schwerer Stimme, als sei es für ihn ebenso schwer, die englische Sprache zu benutzen wie jene fremde. Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Mannes, der einmal sein Vater gewesen war, als noch kein Symbiont in ihm gelebt hatte. Es sah jedoch nicht freundlich aus, sondern glich einer Grimasse der Verzweiflung. „Es dauert zu lange", brach es aus Rydall hervor. „Warum dauert es nur so lange, bis wir die Körper voll beherrschen? Sie wehren sich zu sehr." „Erkennst du mich?" fragte Bert, wobei er wieder so tat, als falle es ihm unendlich schwer, klar zu sprechen. „Allerdings", erwiderte Rydall. „Du bist der Sohn von ihm. Es ist gut, daß du jetzt zu uns gehörst. Du kannst mir helfen. Willst du?" „Gern", erwiderte der Junge, während es ihm kalt über den Rücken lief. Für Rydall schien damit alles klar zu sein. Bert war für ihn ein Mitarbeiter wie alle anderen auch. Er verzichtete darauf, ihn zu prüfen. Tatsächlich spürte der Eylaner Cirghan, daß der Widerstand der Persönlichkeit William Rydalls gegen ihn fast schlagartig nachließ. Er schloß daraus, daß Rydall zufrieden über die Entwicklung war. „Wir haben riesige Erfolge", berichtete er und wandte sich um. Er ging in den Computer- und Hyperfunkteil des Raumes. „Stunde um Stunde kommen Tausende zu uns. Der Computer auf Eyla funktioniert einwandfrei. Und doch scheint uns ein Fehler unterlaufen zu sein. Ich selbst spüre, daß mir etwas fehlt. Und allen anderen scheint auch etwas zu fehlen." Er setzte sich in einen Sessel und blickte müde auf die Kontrollanzeigen des Computers. „Wir haben den physiologischen Aufbau der Gehirne bis in die feinste atomare Struktur hinein aufgezeichnet. Wir haben die chemischen Gegebenheiten ebenso erfaßt wie die elektrischen, das medizinische Bild ebenso wie das pharmakologische. Und doch fehlt etwas. Wie ist das möglich. Verstehst du das?" Bert zuckte mit den Schultern. Er wußte nicht, was er dazu sagen sollte, zumal er nur wenig von dem verstanden hatte, was Rydall gesagt hatte. „Du weißt, daß wir die Gehirne erfaßt und aufgezeichnet haben, um sie in dem vollkommensten Computer zu speichern, der jemals gebaut worden ist", fuhr Rydall niedergeschlagen fort. „Von dort rufen wir die Daten nun laufend ab. Kontrollen haben ergeben, daß sie absolut richtig übertragen und hier aufgefangen werden." Bert begriff plötzlich, daß sich Colonel Fox, Dr. Solman und alle anderen gründlich geirrt hatten. Niemand hatte damit gerechnet, daß die Außerirdischen erst hier auf der Erde in Retorten entstanden. Nur das konnte es bedeuten, was Rydall ihm eröffnet hatte. „Wir haben alles tausendfach überprüft", erklärte Cirghan weiter. „Auch die sich anschließende Maschinerie ist perfekt. Die Gehirne entstehen exakt nach den einlaufenden Impulsen in den
Zuchtbehältern. Es gibt nicht den geringsten Unterschied zwischen Computer-Aufzeichnung und gezüchteten Hirnen. Und doch fehlt etwas." „Vielleicht ist es die Seele?" fragte Bert. Rydall fuhr auf, als habe ihn ein Peitschenhieb getroffen. „Wovon redest du?" rief er. „Ist es nicht möglich?" Bert hatte plötzlich keine Angst mehr. „Vielleicht kann man alles aufzeichnen und alles danach herstellen nur nicht die Seele?" Rydall preßte die Lippen zusammen. Er schüttelte den Kopf und gab ein paar zwitschernde Laute von sich. Er sprang auf und eilte einige Schritte auf und ab. Er ballte die Hände zu Fäusten. „Manchmal möchte ich alles zerstören", sagte er verzweifelt. „Vielleicht hat sich doch irgendwo ein Fehler eingeschlichen", versetzte Bert. „Warum schaltest du nicht einfach ab und suchst in Ruhe noch einmal danach?" „Du meinst, ich soll die Hyperkomverbindung unterbrechen?" Rydall fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das geht nicht! Wir brauchen ständig neue Eylaner auf diesem Planeten. Wir müssen fortlaufend weitere Menschen übernehmen, sonst fallen die anderen über uns her und vernichten unser Werk." „Das kann ich nicht beurteilen", erwiderte Bert leise. Er beobachtete, daß Rydalls Hände sich auf einen großen, roten Hebel legten, der durch ein Stahlband gesichert wurde. Die unbewußt erfolgte Bewegung verriet ihm, daß dies das Zentralschaltungssystem des Computers sein mußte. Rydall wandte sich vom Computer ab. „Wir machen weiter", erklärte er mit harter Stimme. „Kann ich irgendwo schlafen?" fragte Bert. „Ich bin so müde, daß ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann. Und — hast du etwas zu essen für mich?" Wortlos ging Rydall zu einem Schrank, öffnete ihn, nahm eine Konserve und warf sie Bert zu. Dieser fing sie auf, legte sie aber rasch zur Seite, als habe er sich die Finger daran verbrannt. „Willst du sie nicht?" fragte Rydall überrascht. Bert schüttelte den Kopf und preßte die Lippen zusammen. Rydall kam zu ihm, blickte auf die Dose, stöhnte leise auf und sagte: „Entschuldige, ich habe nicht gesehen, daß es Fleisch ist." Er kehrte zum Schrank zurück und gab Bert dieses Mal eine Fischkonserve. Bert nahm sie entgegen und öffnete sie. Er glaubte nicht, daß Rydall ihm absichtlich eine Falle gestellt hatte, aber er wußte, daß er sich selbst entlarvt hätte, wenn er das Fleisch gegessen hätte. „Du kannst hier schlafen", sagte Rydall und öffnete eine Seitentür. Dahinter befand sich eine winzige Koje mit einer Matratze darin. „Danke", entgegnete Bert und kroch hinein. Die Tür schloß sich hinter ihm, doch das störte ihn nicht. Er hatte festgestellt, daß er sie auch von innen öffnen konnte. Erleichtert ließ er sich auf die Matratze sinken. Er war froh, daß er endlich allein war. „Achtung, Bert, hörst du mich?" klang es in ihm auf, „Bert, es könnte gefährlich werden! Dymock und Mrs. Rydall kehren aus der Stadt zurück. Du mußt etwas tun, Bert! Du darfst nicht länger zögern, sonst könnte es zu spät sein." Mit dem winzigen Funkgerät signalisierte er, daß er verstanden hatte.
Entscheidung im Labor
Bert horchte.
Sein Vater hantierte noch immer im Labor herum. Die mahnende Stimme des Einsatzoffiziers klang in ihm auf. Bert wünschte, er hätte sie zum Schweigen bringen können. Doch das durfte er nicht. Er mußte sie noch für einige Zeit ertragen. Ihm blieb keine andere Wahl, wenn er nicht alles zerstören wollte. Endlich wurde es still im Labor. Schritte entfernten sich. Eine Stahltür fiel ins Schloß. Vorsichtig öffnete Bert die Tür seiner Ruhekammer, in die sich, wie es den Anschein hatte, Rydall sonst zurückzuziehen pflegte. Er spähte durch einen Spalt nach draußen. Er hatte sich nicht getäuscht. Das Labor war leer. Bert öffnete die Tür ganz und stieg aus der Kammer. Er hörte erregte Stimmen. Einige der Fremden sprachen in ihrer zwitschernden Sprache, einige sprachen englisch. Bert erkannte die Stimme Dymocks. „Dymock ist im Haus, Bert", rief ihm der Einsatzoffizier zu. „Du mußt etwas tun! Egal wie! Du mußt etwas tun!" Bert blickte auf die Rohre und die Kabel, die von einem Computer zur Decke hinaufführten. Er sah, daß sie in einem großen Loch verschwanden. Durch diese Öffnung hallten die Stimmen der anderen herab. Bert lief zum Hauptcomputer. Er zerrte an dem großen Hebel, den Rydall ihm unbeabsichtigt gezeigt hatte. Er ließ sich nicht bewegen. Bert versuchte, das Sicherheitsband abzureißen, doch es war so fest, daß es seinen Kräften widerstand. Verzweifelt lief Bert im Labor hin und her. Er suchte nach einer Zange, und er erinnerte sich daran, daß er irgendwo eine gesehen hatte, als er das Labor betreten hatte. Er kehrte zum Eingangsschott zurück. Schritte näherten sich ihm. Am Schott befand sich ein Riegel, mit dem es von innen versperrt werden konnte. Er legte ihn hastig um. Fast im gleichen Moment warf sich jemand gegen die Stahltür und versuchte, sie zu öffnen. „Brecht sie auf!" schrie Dymock, dessen Stimme er deutlich erkannte, obwohl der Fremde in ihm sichtlich Mühe hatte, diese Worte zu formulieren. Bert blickte sich um. Schritt für Schritt vollzog er den Weg nach, den er kurz zuvor zusammen mit Rydall gegangen war. Und plötzlich entdeckte er die Zange. Sie lag in einer halboffenen Lade. Er nahm sie heraus, rannte zum Computer, trennte das Sicherheitsband durch und riß den Hebel herum. Damit unterbrach er die Hyperfunkverbindung zu der Welt der Fremden. Bert drückte wahllos einige Tasten, ohne zu wissen, ob er damit einen Schaden anrichtete oder nicht. Dann kletterte er auf die Schaltkonsole des Computers und zog sich an den Kabeln hoch, die zur Decke hinaufführten. Er hangelte sich mühsam höher und höher, während die Fremden die Stahltür aufzubrechen versuchten. Es gelang ihm, sich mitten zwischen den Kabeln und Rohren durch die Öffnung in der Decke zu schieben. Ängstlich sah er sich um. In der Halle hielt sich niemand auf. Nun zog er sich entschlossen hoch und stieg aus dem Loch. Gleichzeitig gab unter ihm das Stahlschott nach. Die Männer stürzten sich in den Laborraum. Bert hörte eine Tür gehen. Schritte näherten sich, und eine Alarmsirene heulte auf. Er rannte blindlings auf eine offene Tür zu und floh hindurch in einen anderen Laborraum, in dem zahlreiche transparente Behälter mit teils trüben, teils klaren Flüssigkeiten standen. Er sah, daß sich in den Behältern mit klaren Flüssigkeiten rote Wesen bewegten, die etwa so groß waren wie ein Golfball. Sie bildeten ständig fadenartige Gebilde aus. Bert begriff. Dies waren die Symbionten. Dies waren die Fremden, die seine Eltern überfallen und übernommen hatten. Auch hier gab es einen Computer, der mit einem Haupthebel versehen war. Bert eilte zu ihm hin
und riß das Sicherungsband ab, das hier nur aus Plastik war und ihm kaum Widerstand bot. Er wollte den Hebel bereits umlegen, als sein Blick auf die zahlreichen Tasten und Schaltknöpfe fiel. Warum den Computer erst ausschalten und dann die Tasten drücken? fragte er sich. Er lief an der Schaltkonsole entlang und betätigte die Schaltungen. Eine zweite Sirene heulte auf. Die Flüssigkeiten verfärbten sich. Einige Symbionten starben. Aus einem Seitenteil des Computers schossen krachend Blitze hervor. Bert kehrte zum Haupthebel zurück und legte ihn um. Im gleichen Augenblick erschienen Rydall, Dymock und etwa zwanzig andere Fremde in der Tür. Sie blickten ihn haßerfüllt an. Dymock hielt ein Messer in der Hand. „Tötet ihn", forderte er. „Bringt ihn um!" „Das hilft euch gar nichts", rief Bert mit zitternder Stimme. Er wich vor den Männern zurück. „Hört mich an! Das hilft euch nichts! In einigen Stunden wird man Bomben über Florida werfen und dann ist alles aus für euch!" „Ich töte ihn", erklärte Dymock und lief auf ihn zu. Bert flüchtete um einen der Behälter herum. Seine Augen weiteten sich vor Schrecken. „Nein, nicht!" befahl Rydall. Er genoß die größte Autorität von allen. Dymock wich augenblicklich von Bert zurück, und die anderen Männer blieben ruhig stehen. „Was hast du uns zu sagen?" Bert schob seine Hand unter das Hemd und gab das verabredete Zeichen an den Einsatzoffizier. „Du hast den Computer ausgeschaltet, Bert? Phantastisch! Gib ihnen jetzt das Empfangsgerät!" Bert neigte sich zur Seite und holte vorsichtig das Funkgerät aus seinem Gehörgang hervor. Es ließ sich überraschend leicht lösen. Er ging einige Schritte auf Rydall zu und legte es vor ihm auf einen der Behälter. „Sie müssen es sich ins Ohr stecken", erklärte er. Es war ihm ungewohnt, seinen Vater so anzusprechen, aber er brachte es nicht fertig, diesen Mann zu duzen, solange er wußte, daß er nur so aussah wie sein Vater, tatsächlich aber ein Außerirdischer war. Cirghan-Rydall nahm das winzige Gerät auf und schob es sich ins Ohr. In diesem Moment gab Bert ein Funkzeichen, so daß der Einsatzoffizier hoch über ihnen im Flugzeug wußte, daß er sprechen konnte. „Ich freue mich, daß Sie vernünftig sind", sagte der Offizier. „Sie sollten wissen, daß es nur zwei Möglichkeiten für Sie gibt. Entweder arbeiten Sie mit uns zusammen, oder Sie sterben! Wir sind entschlossen, Sie alle zu vernichten, wenn Sie weiterhin versuchen, Ihr Einflußgebiet auszudehnen. Ich fordere Sie auf, unverzüglich mit uns Verhandlungen aufzunehmen. Wir werden uns nicht versklaven lassen, sondern eher mit allen Vernichtungsmitteln, die uns zur Verfügung stehen, zuschlagen. Sagen Sie Bert, daß Sie verhandeln werden! Er kann mich informieren." Cirghan-Rydall nahm das Funkgerät aus dem Ohr und legte es auf einem Behälter ab. Nachdenklich blickte er Bert an. „Stimmt es, daß sie uns vernichten wollen?" fragte er leise. „Es stimmt!" „Wir verhandeln", entschied Cirghan-Rydall. „Ich habe ihn darum gebeten, und er hat es getan", berichtete Bert. „Es war ganz einfach." Er befand sich mitten unter hohen Militärs und Wissenschaftlern, die sich in einem Zelt in der Nähe der Stadt Tallahassee an einem Flugplatz versammelt hatten. Neben ihm saßen seine Mutter Alice und der FBI-Agent Earl Dymock. An einem Sondertisch hatten die Eylaner unter der Führung von Cirghan-Rydall Platz genommen. „Und was geschah dann?" fragte Dr. Solman.
„Mr. Dymock hielt seinen Arm über einen der Behälter, der noch funktionierte, und das rote Wesen kam durch die Haut aus seinem Arm hervor. Es fiel in den Behälter. Ebenso war es bei meiner Mutter." „Wie fühlen Sie sich, Mr. Dymock?" „Ich bin völlig okay", antwortete der Agent. „Da ist nichts mehr in mir, was nicht da sein sollte." „Ich fühle mich wohl", erklärte Alice, als der Wissenschaftler sie ansah. „Ich erinnere mich nur noch vage an das, was geschehen ist." „Dann können wir davon ausgehen, daß alle Menschen sich wieder vollkommen erholen, sobald der Symbiont sie verlassen hat?" fragte Solman: „Das ist richtig", erwiderte Cirghan-Rydall. Er war zusammen mit Bert, Alice, Dymock und mehreren seiner Helfer in einem Flugzeug von Tampa herübergekommen. Die Maschine war ihm von Colonel Fox geschickt worden. Inzwischen hatte er einen ehrlichen und umfassenden Bericht über das Geschehen auf seinem Heimatplaneten abgegeben. Er hatte nichts beschönigt, aber auch sehr deutlich zu erkennen gegeben, daß er nicht bereit war, sein Volk sterben zu lassen. „Auf der Erde ist kein Platz für beide Völker", eröffnete ihm nun Dr. Solman. „Wir haben Verständnis für Ihre Situation, sind aber nicht bereit, die Erde mit Ihnen zu teilen." „Sie wollen es auf einen Kampf ankommen lassen?" fragte Cirghan-Rydall bestürzt. „Nein, auch das nicht. Aber wir besitzen etwas, das Sie in Ihrer Zeit auf Ihrem Planeten nicht hatten. Wir haben eine gut entwickelte Raumfahrtindustrie. Wir sind in der Lage, Ihnen einige Raumschiffe zu bauen, mit denen Sie dieses Sonnensystem verlassen können!" „Sie verlangen also, daß wir auf die Suche nach einer Welt gehen, auf der wir leben können?" „Eine andere Möglichkeit gibt es nicht." Cirghan-Rydall schüttelte betrübt den Kopf. „Warum lassen Sie uns nicht hier auf der Erde bleiben? Wir müssen ja nicht menschliche Körper als Gastkörper wählen, wir könnten beispielsweise auch in Affen leben. Wir hätten alle Voraussetzungen, die wir benötigen, ohne die Menschen zu belästigen." „Wir haben schon genügend Probleme mit den Menschen auf der Erde", erwiderte Solman. „Wir werden auf gar keinen Fall dulden, daß sich die Eylaner hier ansiedeln. Nein, Ihr Weg führt zu den Sternen zurück. Wir werden Ihnen Raumschiffe bauen, die nahezu Lichtgeschwindigkeit erreichen." „Wir könnten die Beschleunigung nicht ertragen", wandte der Eylaner ein. „Das ist kein Problem", entgegnete Solman. „Sie werden in Flüssigkeitsbehältern reisen und darin mühelos die Beschleunigungsphasen überstehen." „Das kann ich mir. nicht vorstellen." „Ich werde es Ihnen anhand eines kleinen Experimentes beweisen, das ich vorbereitet habe. Ich habe bereits mit Ihrer Skepsis gerechnet." Dr. Solman nahm von einem Assistenten ein Glas entgegen, in dem ein Ei im Wasser schwamm. Er stellte es auf den Tisch und nahm eine Schale und ein zweites Ei in Empfang. „Sehen Sie, wenn ich dieses Ei in die Schale fallen lasse, zerbricht es." Er ließ das Ei fallen und fing es mit der Schale auf. Es zerbrach, wie er gesagt hatte. Nun nahm er das Glasgefäß mit dem Ei darin. „Hier wird das Ei durch das Wasser geschützt. Die Flüssigkeit mindert die Beschleunigung. Passen Sie auf!" Er ließ das Glas fallen. Es fiel auf den Steinboden und zerbarst. Die Flüssigkeit spritzte nach allen Seiten davon. Das Ei aber blieb unversehrt. Der Assistent hob es auf und fegte die Scherben zur Seite. „Denken Sie an die Zeitverschiebung", sagte Cirghan-Rydall. „Zeit spielt für Sie keine Rolle. Sie existieren als Computeraufzeichnung auf Eyla und können von
dort jederzeit abgerufen werden. Das haben Sie mir soeben selbst erklärt. Für Sie kommt es daher darauf an, daß im Raumschiff ein Computer mitreist, der eine geeignete Welt für Sie ausfindig macht, Kontakt mit darauf vorhandenen, nichtintelligenten Lebewesen herstellt und dann eigenständig neue Gehirne in der Retorte wachsen läßt. Der Computer braucht einen beweglichen Helfer, also einen Roboter, der die Symbiose zustande bringt. Das alles gilt nur für den Fall, daß die hier auf der Erde entstandenen Gehirne die Reise nicht überleben." „Die Reise und die Suche kann Jahrtausende dauern", gab Cirghan-Rydall zu bedenken. „Sie haben Ihren Planeten Eyla unbewohnbar gemacht", entgegnete Solman hart und unerbittlich. „Dafür haben Sie die Verantwortung zu tragen. Nicht wir." Der Eylaner zuckte zusammen und senkte beschämt den Kopf. „Sie haben recht", erwiderte er. „Ich bin undankbar. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, uns alle unter großen Opfern für Ihre eigene Bevölkerung zu vernichten. Sie haben es nicht getan. Sie wollen uns helfen. Dafür danke ich Ihnen." „Sie sind also einverstanden?" fragte Colonel Fox. „Wir sind einverstanden." Nun begann die amerikanische Raumfahrtbehörde in enger Zusammenarbeit mit dem Militär und den Eylanern damit, den verwegenen Plan zu verwirklichen. Mehrere Saturnraketen waren aus dem nicht voll ausgeschöpften Mondprogramm der siebziger Jahre noch vorhanden. Diese bildeten die Basis der aus drei Raumschiffen bestehenden Flotte, welche die Reise zu den Sternen antreten sollte. In aller Eile wurden die Raumschiffteile aufbereitet. Auch gab es genügend Computer auf der Erde, die von den Eylanern genutzt werden konnten. Wieder bewiesen die Eylaner unter der Führung von Cirghan-Rydall außerordentliches Organisationstalent. Sie bewältigten die schwere Aufgabe in wenigen Wochen. In dieser Zeit schirmte das Militär Florida hermetisch ab. Kein Eylaner durfte das Gebiet ohne Genehmigung verlassen. Die Eylaner ihrerseits bewiesen, daß sie es ehrlich meinten. Einige von ihnen, die Florida schon vorher verlassen hatten, um in anderen Städten Amerikas Unterstationen als Basis der weiteren Ausbreitung einzurichten, kehrten nach Florida zurück. Die Bevölkerung der ganzen Welt beobachtete das Geschehen um die Außerirdischen voller Spannung und Argwohn. Immer wieder brachen Zweifel daran auf, daß das Problem wirklich bewältigt worden war. Rücksichtslose Journalisten schürten die Angst in der Bevölkerung und malten das Gespenst der totalen Versklavung an die Wand. Sie schrieben gefälschte Berichte, in denen behauptet wurde, Symbionten hätten versucht, sich heimlich irgendwo in der Welt einzurichten. Sie verfaßten diese Berichte, weil sie wußten, daß sich mit der Angst ein gutes Geschäft machen läßt. Je näher der Starttermin für die Eylaner rückte, desto angespannter wurde die Stimmung in der Bevölkerung. Es kam in verschiedenen Städten der Welt zu Verzweiflungstaten und Angstausbrüchen. Regierungen wurden gestürzt, weil die Bevölkerung argwöhnte, sie wollten mit den Eylanern zusammenarbeiten und sie auf der Erde zurückhalten. Wenige Tage vor dem Start der Raumschiffe steigerte sich die Angst in vielen Teilen der Welt bis zur Hysterie. Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehanstalten berichteten fortlaufend über die Startvorbereitungen. Nun kamen die Eylaner in den Genuß eines geheimen amerikanischen Regierungsprogramms. Am Rande der Allegheny-Mountains war eine zehn Kilometer lange, schräg in den Himmel gerichtete Röhre entstanden. In dieser luftleer gepumpten Röhre sollten die Raumschiffe nacheinander berührungsfrei und elektromagnetisch auf eine Geschwindigkeit von rund zwölf Kilometern in der
Sekunde beschleunigt werden. Diese Geschwindigkeit reichte aus, die Raumschiffe durch die Luftschichten der Erde zu treiben und sie aus der Anziehungskraft der Erde zu befreien. Das Rohr wurde von Tausenden von supraleitenden Magneten umgeben, deren Polung von Magnet zu Magnet wechselte. Die Saturnraketen mußten daher mit einer Reihe von dazu passend geformten Elektromagneten umgeben werden, die mit einem Computer gekoppelt wurden, damit sie durch eine automatische Umpolung für den genügenden Vortrieb sorgen konnten. Die Saturnraketen entsprechend umzubauen nahm die meiste Zeit in Anspruch. Die Elektromagnete wurden über sogenannte Konduktoren mit Energie versorgt. Diese berührungsfreien Energieleiter stellten die Verbindung zwischen der im Rohr verlegten Stromleitung mit dem Raumschiff her. Die Energie sprang in Form von Funkenschlag über, wobei sich als vorteilhaft erwies, daß die Röhre luftleer gepumpt worden war, um jegliche Reibungsverluste auszuschalten. Bert und Alice Rydall durften dabei sein, als das erste Raumschiff startete. Sie standen in der Nähe einer Schleuse im Tunnel, durch die man in das Raumschiff gehen konnte. Sie warteten. Mit ihnen warteten etwa tausend Journalisten und Reporter aus aller Welt. Von den Wissenschaftlern und Militärs war nichts zu sehen. Sie hielten sich in Unterständen auf, von denen aus der Start des Raumschiffes EYLA 1 und der der folgenden überwacht wurde. Earl Dymock stand hinter Alice und Bert. Dieser blickte an der gewaltigen Röhre entlang. Sie sah grau aus und wurde von schwarzen Ringen umgeben, in denen die riesigen Elektromagnete steckten. Da die Kraft der Magnete von allen Seiten gleichzeitig auf das Raumschiff einwirkte, schwebte dieses in der Röhre. Aber das konnte Bert nicht erkennen. Die Röhre stieg an einem langgestreckten Hügel empor und war über die gesamte Länge zu übersehen. Plötzlich blinkte an der Schleuse ein Licht. „Er kommt", rief Bert. Die Kameras der Reporter begannen zu surren. Das Schott an der Schleuse öffnete sich. William Rydall und Dr. Forster Monroe kamen heraus. Blitzlichter flammten auf. Rücksichtslos drängten sich die Fotoreporter nach vorn. „Er sieht müde aus", stellte Alice fest. Sie ging auf ihren Mann zu. Die Front der Reporter teilte sich wie von selbst. Dicht vor Rydall blieb Alice stehen. Sie blickte ihn forschend an. Der Biologe sah wieder so aus, wie sie ihn kannte. Überall in seinem Gesicht schien sich ein winziges Lächeln zu verstecken. Unübersehbar war aber auch die Müdigkeit in dem Gesicht. „Ich glaube, ich habe seit Wochen nicht mehr geschlafen", sagte Rydall und zog Alice und Bert an sich. Die Schleuse schloß sich. „Es geht los", sagte Dr. Monroe. „Der Symbiont glitt aus mir heraus und fiel in einen Behälter. In der Nähe ist ein Schimpanse. Er schwimmt in einem Raumanzug in einem Wassertank. Cirghan wird eine Symbiose mit dem Affen eingehen, sobald die Beschleunigungsphasen abgeschlossen sind. Er wird sich melden," berichtete Rydall. Aus mehreren Lautsprechern hallte die Stimme eines Offiziers. Der Countdown begann. Die Menge verstummte. Plötzlich erzitterte der Boden unter ihren Füßen. Ein lautes Summen ertönte, das sich rasend schnell entfernte. Und dann schoß plötzlich die Rakete aus der zehn Kilometer entfernten Röhre hervor. Bert sah, daß Trümmerstücke aus der Verschlußkappe der Röhre davonwirbelten. Wenig später sprengte das Raumschiff alle Teile ab, die nun nicht mehr benötigt wurden — darunter sämtliche Elektromagneten. In rasender Geschwindigkeit verschwand das Schiff im wolkenlosen
Himmel. „Die Raketentreibsätze werden erst eingeschaltet, wenn das Raumschiff außerhalb der Mondbahn ist", sagte Dymock. „Dann wird es immer weiter beschleunigt, bis es sich der Lichtgeschwindigkeit nähert. Viel Glück, Cirghan!" Rydall fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. „Ja", sagte er erschöpft. „Sie haben recht, wir wollen ihm und seinem Volk viel Glück wünschen." "Laßt uns jetzt fahren", bat Alice. „Wohin? Nach Tampa?" „Nein, noch nicht", erwiderte sie. „Die anderen beiden Raumschiffe müssen erst gestartet sein. Alle Eylaner müssen die Erde verlassen haben, dann erst können wir nach Tampa zurückkehren. Wir fahren in den Norden, um uns zu erholen." Die anderen Raumschiffe folgten der EYLA I planmäßig. Alle acht Tage konnte eines abgeschossen werden, bis auch der letzte Eylaner die Erde verlassen hatte. Mit unendlicher Erleichterung nahm die Bevölkerung der Welt zur Kenntnis, daß die Gefahr durch die Außerirdischen behoben war. Überall auf der Welt begannen ausgelassene Feste. Die Menschheit feierte ihre neugewonnene Freiheit.
Die kosmische Prüfung
William Rydall fuhr erschrocken hoch, als es an der Tür seines Hotelzimmers klopfte.
„Was gibt es denn?" fragte er verschlafen. Er blickte zur Uhr. Es war schon fast Mitternacht.
„Ich bin es, Colonel Fox", antwortete eine energische Stimme.
Alice, die neben ihm schlief, zog sich die Decke über den Kopf. William Rydall stand auf und ging
zur Tür. Er öffnete. Müde blickte er den Colonel an. „Was ist denn los?" fragte er. „Entschuldigen Sie die Störung, Mr. Rydall", sagte der Offizier. „Wir müssen Sie unbedingt sprechen. Bitte, begleiten Sie mich nach Washington." „Sind Sie verrückt? Ich habe Urlaub, und den benötige ich dringend." „Es geht um alles", sagte Fox bedeutungsvoll. „Sie dürfen der Regierung Ihre Hilfe nicht versagen." Rydall erschrak. Hatten doch nicht alle Eylaner die Erde verlassen, obwohl sie es versprochen hatten? Ging alles wieder von vorn los? „Also gut. Ich komme. In fünf Minuten bin ich unten." Colonel Fox atmete auf und kehrte in die Hotelhalle zurück. William Rydall hielt Wort. Er erschien wenig später in der Halle. Er sah frisch aus, trug einen alten, zerknitterten Anzug und hatte seinen geliebten Hut auf, der so aussah, als sei er einige Male mit dem Auto darüber hinweggefahren. „Nehmen wir meinen Wagen?" fragte der Biologe. „Ich habe einen ganz neuen Ford Lincoln. Ich habe ihn erst seit heute." „Lieber nicht", entgegnete der Offizier, der von den verheerenden Fahrkünsten des Biologen gehört hatte. „Außerdem bin ich mit einem Helikopter da. Das geht schneller." Sie verließen die Halle und gingen zu einem etwa hundert Meter entfernten Hubschrauberlandeplatz hinüber, auf dem die Maschine wartete. Wenig später waren sie in der Luft und näherten sich Washington mit hoher Geschwindigkeit. „Was ist überhaupt los?" fragte Rydall. „Wollen Sie es mir nicht endlich sagen?"
Colonel Fox zögerte.
„Machen Sie sich nicht lächerlich", sagte der Biologe. „In spätestens einer Stunde weiß ich es sowieso. Also, heraus damit." „Ein Raumschiff nähert sich der Erde", berichtete der Offizier. „Die Eylaner kehren zurück?" fragte Rydall bestürzt. „Nein, sie sind es nicht. Das Raumschiff hat eine ganz andere Form als die Schiffe, die wir zur Verfügung gestellt hatten. Es sieht aus wie ein Rad mit vier Speichen." „Es ist also eindeutig ein Raumschiff, das von den Sternen kommt?" fragte Rydall atemlos. „Wir haben es über Radar exakt angemessen", erklärte der Offizier. „Es ist ein Sternenschiff. Daran gibt es keinen Zweifel. Und es sendet pausenlos Funksignale, die wir nicht entschlüsseln können." William Rydall blickte nachdenklich zu den Fenstern hinaus. Der Helikopter hatte Washington bereits erreicht. Auf dem Landeplatz für Hubschrauber neben dem Weißen Haus senkte er sich herab. „Ist der Präsident da?" fragte Rydall. „Wahrscheinlich." „Warum haben Sie mich gerufen?" erkundigte sich der Biologe. „Ich verstehe das nicht. Was habe ich mit diesem Raumschiff zu tun?" „Sie wissen mehr als jeder andere über die Eylaner. Sie haben am längsten von allen in Symbiose mit einem Eylaner gelebt. Sie haben die Hyperfunkgeräte erarbeitet, als Sie noch unter dem Einfluß der eylanischen Viren gestanden haben. Sie haben die Hyperfunksignale aufgefangen und im Computer entschlüsselt und verarbeitet. Daher richtet sich unsere ganze Hoffnung auf Sie." „Ich verstehe", entgegnete Rydall. „Sie glauben also, mir könnte irgend etwas bekannt vorkommen?" „So ist es." „Dann vermuten Sie also doch einen Zusammenhang zwischen den Eylanern und diesem Raumschiff." „Ist er wirklich auszuschließen?" „Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben." Der Helikopter landete. Die Tür öffnete sich. Hilfreiche Hände streckten sich dem Biologen entgegen. Er kletterte aus der Maschine und eilte geduckt unter den kreisenden Flügelblättern hindurch. William Rydall wollte sich umsehen, um sich ein wenig über das Weiße Haus zu informieren, das er noch nie zuvor besucht hatte. Aber dafür blieb ihm keine Zeit. Mehrere Offiziere führten ihn in aller Eile zu einem Gebäude und über zahlreiche Gänge und Treppen bis in einen großen Raum, in dem etwa einhundert militärisch gekleidete Männer versammelt waren. Rydall sah Ortungsschirme aller Art, eine wandhohe Karte der Vereinigten Staaten von Amerika und eine bildliche Darstellung des Sonnensystems mit den verschiedenen Planeten auf einer riesigen Glasscheibe. An ihr zeichneten drei Offiziere die ständig wechselnde Position des fremden Raumschiffes auf. Rydall erkannte, daß es die Mondbahn bereits passiert hatte. Es war höchstens noch zweihunderttausend Kilometer von der Erde entfernt. „Bitte", sagte Fox und führte Rydall zu einem Computer. „Hier finden Sie alles, was Sie benötigen. Versuchen Sie, die Funksprüche zu entschlüsseln und zu übersetzen. Vielleicht gibt es ja wirklich Parallelen zwischen den Eylanern und diesem Raumschiff, so unwahrscheinlich das auch sein mag. Wir müssen jedoch jede nur erdenkliche Chance nutzen." Als William Rydall sich über die Aufzeichnungen beugte, hörte er die Stimme von Vier-SterneGeneral James Nethercott, dem Vorgesetzten von Colonel Fox. „Uns bleibt keine Wahl", sagte der General mit erhobener Stimme. „Wir müssen dieses Raumschiff vernichten. Wir dürfen nicht zulassen, daß es auf der Erde landet und damit eine neue Katastrophe einleitet."
„Ich glaube nicht an eine Gefahr", entgegnete ein anderer Offizier. „Die Fremden würden nicht pausenlos funken, wenn sie vorhätten, uns anzugreifen." „Was würden Sie tun, wenn Sie sich einem Unbekannten nähern, von dem Sie nicht wissen, wie er reagieren wird?" fragte eine dunkle Stimme. William Rydall drehte sich um. Er erkannte, daß es der Präsident der Vereinigten Staaten war, der sprach. „Sie würden pausenlos reden, um den anderen zu beruhigen. Und das würden Sie gerade dann tun, wenn Sie vorhaben, ihn zu überrumpeln. Wie sollten Sie sonst nahe genug an ihn herankommen? Für mich sind die pausenlosen Funksprüche ein Beweis der Bedrohung." „Wo wird das Schiff landen?" fragte General Nethercott. „Läßt sich das schon berechnen?" „Auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten", antwortete einer der Ortungsoffiziere. „Entfernung nur noch 40 000 Kilometer." „Vernichten", sagte General Nethercott. „Wir müssen es vernichten. Wenn wir es nicht tun und das Schiff landet, bricht eine Panik unter der Bevölkerung aus. Warum sollten wir das Risiko eingehen, dieses Mal einer außerirdischen Macht zu unterliegen?" „Sie haben recht", entgegnete der Präsident, der ebenso wie die anderen noch unter dem Schock der gerade überstandenen Gefahr stand. „Wir haben noch einmal Glück gehabt. Alles ist gut abgelaufen. Wir wissen nicht, was jetzt kommt. Das Schiff wird vernichtet!" Er blickte sich in der Reihe seiner Mitarbeiter und Offiziere um. Kein Widerspruch erhob sich. William Rydall blickte den Präsidenten an. Er wollte ihm zurufen: Tun Sie es nicht! Aber kein Laut kam über seine Lippen. Es war, als ob eine fremde Macht ihn daran hinderte, etwas zu sagen. „Schießen Sie das Raumschiff ab!" befahl der Präsident. „Verstanden, Sir", antwortete Nethercott. Er ging zusammen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu einer Schaltanlage. Rydall konnte nicht sehen, was sie dort machten, weil die Mauer der Offiziere ihm die Sicht versperrte. Er beobachtete jedoch auf einem Radarschirm, daß sie in ihrer Angst vor einer Katastrophe angriffen. Drei Objekte stiegen auf und näherten sich dem fremden Raumschiff. Dieses versuchte auszuweichen, schaffte es jedoch nicht. Die vier Objekte vereinigten sich und lösten sich auf. „Geschafft", sagte Colonel Fox. „Länger durften wir nicht warten. Der Schuß hat uns vor vielen Problemen bewahrt." Der Computer begann zu ticken. Ein schmales Papierband kroch aus einem Spalt. Gleichzeitig erschien auf einem der Bildschirme eine Schrift. „Der Computer bringt die Übersetzung der Funksprüche", rief Rydall, der als erster erkannte, was geschah. „Die Übersetzung!" Die Offiziere drängten sich um ihn. Auch der Präsident kam. Er stand direkt hinter William Rydall, als dieser las: „Wir kommen in Frieden! Wir kommen in Frieden, um der Menschheit unsere Gratulation zu überbringen. Sie hat eine große, kosmische Prüfung bestanden, weil es ihr gelungen ist, bereits ihr erstes interstellares Problem mit friedlichen Mitteln zu lösen. Sie hat die Eylaner nicht vernichtet, sondern ihnen geholfen, eine neue Welt zu finden. Wir werden dafür sorgen, daß die Eylaner Erfolg bei ihrer Sache haben werden. Wir gratulieren! Die Menschheit hat bewiesen, daß sie die nächste Phase ihrer Entwicklung erreicht hat. Das Universum öffnet sich ihr."