Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament
Begründet von Günther Bornkamm und Gerhard von Rad Herausg...
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Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament
Begründet von Günther Bornkamm und Gerhard von Rad Herausgegeben von Cilliers Breytenbach, Bernd Janowski, Reinhard G. Kratz und Hermann Lichtenberger
118. Band Miriam von Nordheim Geboren von der Morgenröte?
Neukirchener Verlag
Miriam von Nordheim
Geboren von der Morgenröte? Psalm 110 in Tradition, Redaktion und Rezeption
2008
Neukirchener Verlag
©2008 Neukirchener Verlag Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, N e u k i r c h e n - V l u y n Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Kurt Wolff, Düsseldorf Satz u n d Druckvorlage: Miriam von Nordheim Gesamtherstellung: H u b e r t & Co. Printed in Germany ISBN 9 7 8 - 3 - 7 8 8 7 - 2 2 7 6 - 0 ISSN 0512-1582
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Z u s t i m m u n g des Verlags unzulässig u n d strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen u n d die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Fiir Johannes
Vorwort
Schone Ode! deren Plan für uns nicht versteckt seyn dürfte. (Johann Gottfried von Herder; Vom Geist der Ebräischen Poesie. Zweiter Theil; Dessau 1783; S.410)
Der von Johann Gottfried von Herder als ״Schöne Ode!" bezeichnete Psalm 110 gibt der alttestamentlichen Forschung seit jeher Rätsel auf. Spricht dieser Psalm von einem König, der von der Morgenröte geboren wird, oder ist hier die Rede vom ״Tau seiner Jugend"? Wird der König als ein ״präexistentes Wesen" vor dem Morgenstern gezeugt? Ist Ps 110 eine Messiasverheißung? Oder hat Ps 110 seinen Bestimmungsort ״lediglich" in der Legitimation der Hasmonäerherrschaft? Kommt hier womöglich noch ein alter vorexilischer Inthronisationsritus zur Sprache? Diesen und darüber hinausgehenden Fragen möchte sich die vorliegende Arbeit widmen. Eine literarische Analyse von Psalm 110 leitet die Arbeit ein, die sowohl einen ״Ersttext", seine Übersetzungen ins Griechische, Syrische, Aramäische und Lateinische sowie den raasoretischen Text mit der jeweiligen theologischen Intention wahrzunehmen versucht. So wird der Psalm als einzelner Text wie auch in seinen Redaktions- und Rezeptionsstufen analysiert. Ein Ausblick in christliche und jüdische Rezeption des Psalms schließt die Arbeit ab. Die vorliegende Arbeit wurde am Fachbereich Ev. Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main 2007 als Dissertation angenommen und für die Veröffentlichung punktuell überarbeitet. Mein ganz herzlicher Dank geht zuerst an meinen Betreuer und Doktorvater Prof. Dr. Markus Witte. Er gab mir zu jeder Zeit die Möglichkeit, (exegetische) Fragen zu stellen und über meine Arbeit zu diskutieren. Durch ihn habe ich schließlich die Liebe zu philologischer Arbeit und zu religionsgeschichtlichen Fragestellungen entdeckt. Darüber hinaus hat er mich als Lehrbeauftragte und wissenschaftliche Mitarbeiterin gefordert. Des Weiteren möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Francesca Albertini herzlich bedanken, da sie bereit war, das Zweitgutachten zu übernehmen. Für das dritte Gutachten sowie für viele hilfreiche und weiterführende Anregungen danke ich sehr herzlich Herrn Prof. Dr. Reinhard G. Kratz. Ich freue mich und bin ihm
Vili
Vorwort
und Herrn Prof. Dr. Bernd Janowski sehr dankbar, dass meine Arbeit in die Reihe ״Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament" aufgenommen wurde. Dass der Gegenstand meiner Arbeit ein Königspsalm ist, verdanke ich nicht zuletzt Herrn Prof. Dr. Manfred Oeming, der mein Interesse für die Königspsalmen durch ein Seminar an der Universität Heidelberg geweckt hatte, sodass ich dies zum Spezialgebiet im Fach Altes Testament in der mündlichen Prüfung des 1. Kirchlichen Examens der EKHN erhob. Der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gebührt ebenfalls mein Dank, die mich durch ein Stipendium der Hessischen Lutherstiftung gefördert hat. Unter den vielen Menschen, die mich in den Jahren der Entstehung dieser Arbeit begleitet haben, gilt mein herzlicher Dank zuerst meinen Eltern Ingrid und Eckhard von Nordheim. Sie förderten mich im Studium, gaben mir während der Promotionszeit einerseits ein Diskussionsforum, um meine Ergebnisse durchzuspielen, andererseits investierten sie viel Zeit und Mühe in das Korrekturlesen dieser Arbeit. Für Korrekturarbeiten, die Möglichkeit zum Diskutieren und für Nachfragen bezüglich hebräischer Grammatik und nicht zuletzt für den persönlichen Rückhalt in der Zeit der Promotion danke ich meinem Verlobten Johannes F. Diehl. Für all diese Dinge sei ihm dieses Buch gewidmet. Für Korrekturarbeit habe ich ebenfalls meiner Kollegin Frau Daniela Opel herzlich zu danken. Dass wir zu zweit als Doktorandinnen im Alten Testament tätig waren, hat mir viel Spaß gemacht und auch Trost in schwierigeren Zeiten gegeben. Für Hilfestellungen beim Lesen französischer Texte danke ich herzlich Frau Nina Kolbe, in Bezug auf italienische Werke meinem Onkel Herrn Dr. Joachim von Nordheim. Gerade in der Anfangszeit meiner Dissertation suchte ich oft Rat in grammatischen Fragen bei Herrn Kevin Trompelt - auch ihm sei herzlich gedankt. Ebenso habe ich mich gefreut, in Herrn Amitai BarKol einen jüdischen Gesprächspartner zu haben, an den ich meine Fragen zu Ps 110 im Siddur richten konnte. Es hat mit sehr geholfen, die Ergebnisse meiner Arbeit von Zeit zu Zeit vorstellen und diskutieren zu dürfen. Für diese Möglichkeit danke ich herzlich zum einen der alttestamentlichen Sozietät der Universitäten Franfurt und Mainz sowie der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, zum andern dem Rhein-Main-ExegetenTreffen. Am Schluss, aber deswegen nicht weniger herzlich, geht mein Dank an Herrn Dr. Volker Hampel für die zahlreichen wertvollen Hinweise zur Drucklegung. Bad Soden a. Taunus, im November 2007
Miriam von Nordheim
Inhalt
Vorwort
VII
1
Einleitung
2 2.1 2.2 2.3
Darstellung der Forschungsgeschichte Zu Psalm 110 Die Gattung ״Königspsalmen" Fazit
1 5 5 18 21
Hauptteil A: Literarische Analyse 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Die masoretische Gestalt von Psalm 110 Der masoretische Text Beobachtungen zum Sprach- und Motivschatz Beobachtungen zur Poetologie Gliederung und Aufbau des masoretischen Textes Übersetzung des masoretischen Textes Auswertung
4
Traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Psalm 110 Die ״prophetische" Einleitungsformel Erhöhungsmotive des Königs Zur Rechten sitzen/sein Feinde als Fußschemel Herrscherstab/Stab der Macht Theologische Motive Der Gottesberg/Zion JHWH hat geschworen und es wird ihn nicht reuen Tag des Zorns Gottes Kampfmotivik Motiv und Bedeutung von: Motiv und Bedeutung von ״Melchisedek" Motiv und Bedeutung von V.7: ״Aus einem Bach am Weg wird er (daraufhin) trinken, deshalb wird er den Kopf erheben"
4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 4.5 4.6 4.7
23 23 33 35 40 43 44 47 48 53 54 57 60 64 64 67 73 76 80 91 99
Inhalt
4.8
Zusammenfassung
112
5 5.1 5.2 5.3
Schlussfolgerungen der literarischen Analyse Literarkritische Entscheidungen Vergleichende Darstellung von Psalm 110 mit Jes 14 Synoptischer Vergleich von Psalm 110 mit ausgewählten Liedern Gliederung und Übersetzung von Psalm 110* Text und Gliederung von Psalm 110* Übersetzung von Psalm 110* Gattung und ״Sitz im Leben" von Psalm 110* Entstehungssituation von Psalm 110
117 117 119
5.4 5.4.1 5.4.2 5.5 5.6
123 127 127 130 130 134
Hauptteil B: Innerbiblische Exegese 6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.4
Vorüberlegungen zur innerbiblischen Exegese Redaktionsstufe 1: Psalm 110 im Kontext des hebräischen Psalters Kurze Hinfuhrung zur sogenannten ״Psalterexegese" Psalm 110 und seine Stellung im 5. Psalmbuch Die Arbeitshypothese zur kanonischen Psalmenauslegung nach N. Lohfmk Fazit Die Psalmen 89 und 132 Redaktionsstufe 2: Psalm 110 im Kontext der hebräischen Bibel Ps 110 und die Nathanweissagung Das neue Thema: ״JHWH wird es nicht reuen" Fazit Redaktionsstufe 3: Die masoretische Punktation Auswertung
143 145 145 146 149 155 156 157 157 158 163 165 168
Hauptteil C: Rezeption und jüdische Auslegung von Psalm 110 7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6
Die antiken Bibelübersetzungen Die LXX-Übersetzung von Psalm 110 Einleitung Der Text Aufbau und Gliederung εκ; γαστρός προ εωσφόρου έξεγέννησά σε Verknüpfung mit anderen Texten in der LXX Auswertung
171 171 171 172 180 183 185 193
Inhalt
7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.5 8 8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4 8.1.5 8.1.6 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.3
9 9.1 9.2 9.2.1
XI
Die aramäische Übersetzung von Psalm 110 im Targum Einleitung Der Text Auswertung Die syrische Übersetzung von Psalm 110 in der Peschitta Einleitung Der Text Auswertung Die lateinischen Versionen von Psalm 110 Einleitung Die Texte Auswertung Die Intentionen der antiken Bibelübersetzungen ein Fazit Psalm 110 im Kontext jüdischer Schriften in hellenistisch-römischer Zeit Die hasmonäische Rezeption von Psalm 110 in Jerusalem Religionsgeschichtliche Einordnung I Makk 14,41 f. AssMos 6,1 Jub 32,1 TestLev 8 und 18 Auswertung Psalm 110 und die in Qumran gefundenen Schriften Genesis-Apokryphon Kol. XXII 4QAmram 11 QMelch TestLev und die ״Worte Levis" (aramäischer Levi) in Qumran Auswertung Alttestamentliche Königstexte in qumranischen Schriften Psalm 110 und sein motivgeschichtliches Umfeld in nicht-kanonischer Literatur aus hellenistischrömischer Zeit - ein Fazit Rezeption und Auslegung von Psalm 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüdischer Tradition Einleitung Leitfrage 1: An wen richtet sich Psalm 110? Im babylonischen Talmud
197 197 198 204 206 206 206 209 210 210 211 216 217 221 221 221 224 227 229 230 234 235 237 238 240 264 265 267 272 275 275 278 278
XII
9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.3.5 9.4 10
Inhalt
In den Midraschim Bei Saadja Gaon Bei Jefet ben Eli Bei den hochmittelalterlichen Grammatikern Leitfrage 2: Wie wird mit dem Motiv der göttlichen Geburt im ursprünglichen Vers 3 umgegangen? Im Jerusalemer Talmud In den Midraschim Bei Saadja Gaon Bei Jefet ben Eli Bei den hochmittelalterlichen Grammatikern Auswertung
280 284 284 285 287 287 288 290 290 291 293
Ausblick: Psalm 110 und seine Wirkung im Neuen Testament
299
11
Schlussinterpretation
307
12
Literatur
311
Stellenregister (Auswahl) Namen- und Sachregister (Auswahl)
331 339
1 Einleitung
״Dieser wunderbare Psalm, welcher von dem wahren Melchisedek oder Hohepriester - König, von Seinen Feinden, Seinem Volk und Seinem Siege handelt, ist nicht nur durch die tiefen Enthüllungen aus den Geheimnissen der Ewigkeit, durch die hohe Erhabenheit des prophetisch-messianischen Schaublicks, sondern auch durch die eigenthümliche, das innerste Wesen des Herrn kennzeichnende Verbindung des König- und Priesterthums in Seiner Person einzig in seiner Art und deshalb, wie Luther sagt, ,der rechte, hohe Hauptpsalm von unserm lieben Herrn Jesu Christo.'1״ Diese Hochschätzung von Psalm 110 hat ihren Grund darin, dass er im Laufe der Jahrhunderte zu einem Fundament der Christologie geworden ist. Ps 110 wird am häufigsten unter den alttestamentlichen Belegen im Neuen Testament zitiert oder es wird auf ihn angespielt er war ״für die Entwicklung der späteren Messiaserwartung ausschlaggebend".2 Das Apostolische Glaubensbekenntnis enthält eine Anspielung auf Ps 110,1 in Form des Bekenntnisses, Jesus sitze zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. So berühmt dieser Psalm geworden ist, so schwer verständlich sind einzelne Passagen in ihrem Wortlaut. In seiner masoretischen Form wirft Ps 110 große Fragen auf. Er wird in älterer wie jüngerer Forschung als unverständlich bezeichnet, sodass Willy Stärk zu Beginn des letzten Jahrhunderts folgende Formulierung fand: „Ps. 110 entzieht sich leider wegen seiner dunklen Sprache und der vielen Verderbnisse im Text dem vollen Verständnis."3 Auch Joachim Schaper stellte 1998 hinsichtlich der Übersetzung von V.3 fest: „Das verstehe, wer will."4 Dieses Unverständnis hat zur Folge, dass V.3 des masoretischen Textes, wie er in der BHS abgedruckt ist, stets nach anderen Text-
1 2 3 4
E. Taube, Praktische Auslegung der Psalmen, 670. H. Seebass, Herrscherverheißungen, 86. W. Stärk, Lyrik, 236. J. Schaper, Der Septuaginta-Psalter, 173.
2
1 Einleitung
zeugen oder durch eine seltene Übersetzungsvariante der verwendeten Vokabeln geändert wird. Aber nicht nur die literarische Analyse des Psalms ist problematisch, es ist zudem in der alttestamentlichen Forschung umstritten, welchen König der Verfasser mit diesem Psalm beschreiben wollte. Ist Ps 110 Teil eines vorexilischen Krönungshymnus und besingt er die Inthronisation Davids, Salomos oder Josaphats, rühmt der Autor einen bestimmten Herrscher aus der Hasmonäerdynastie, oder ist Ps 110 zu den sogenannten messianischen Herrscherweissagungen zu zählen? In der Wirkungsgeschichte des Psalms sind nicht nur eine Interpretation von V.3 und ein spezifisches Verständnis hinsichtlich des Adressaten greifbar - im Gegenteil. Unterschiedliche Wahrnehmungen des Psalms stehen zeitweise nebeneinander, sodass im Folgenden weder von dem einen ״Urtext" beziehungsweise „Ersttext" gesprochen wird noch von der einen jüdischen Auslegung im Mittelalter. Die Masoreten ihrerseits versahen eine Textversion aus mehreren Handschriften mit ihrem Punkt- und Akzentsystem - es war dasjenige Manuskript, das sie für das einzig wahre, zumindest fiir das theologisch relevanteste hielten. Trotzdem wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen, eine Entwicklungslinie von einem möglicherweise ursprünglichen hebräischen Konsonantentext bis zu der masoretischen Gestalt von Ps 110 nachzuzeichnen, auch wenn diese Linie nicht geradlinig verläuft. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt somit nicht nur auf der Rekonstruktion eines ursprünglichen Psalmtextes und seiner EntstehungsSituation, sondern im Besonderen auch auf der Fragestellung, welche theologischen Intentionen mit der Tradierung und Interpretation des Psalms verbunden waren. Es wird sich zeigen, dass bestimmte theologische Aspekte des Psalms intensiver als andere weitergegeben worden sind. Zunächst war Ps 110 ein einzelnes Lied mit einer spezifischen Aussage. Mit der Aufnahme in die hebräische Bibel änderte sich seine Aussagerichtung insofern, als er nun mit anderen Texten korrespondiert. Dementsprechend ist eine andere Verständnisebene des Psalms innerhalb der griechischen Bibel greifbar, da er hier wiederum durch Begriffe und Leitworte mit anderen Texten verknüpft ist. Schließlich wurde die Form und Aussage von Ps 110 verändert, als die Masoreten ihn mit Punktation und Akzenten versahen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, nicht nur die kurz angezeigten verschiedenen Stufen festzustellen, die als Redaktionen verstanden werden, sondern ebenso, ihre spezifische theologische Intention aufzudecken. In der Forschung wurde besonders die masoretische Arbeit in diesem Punkt vernachlässigt, da man sich zumeist darauf beschränkt, den ״ursprünglichen" Text zu rekonstruieren. Im Rahmen der innerbiblischen Exegese (Hauptteil B; Kap. 6), zu der auch die masoretische Bearbeitung zählt, sollen die verschiedenen
3 1 Einleitung
Redaktionsstufen und theologischen Veränderungen herausgearbeitet werden. Dieser Untersuchung liegt eine ausführliche literarische Analyse (Hauptteil A; Kap. 3) ebenso zugrunde wie eine breite traditions- und motivgeschichtliche Betrachtung (Kap. 4). Nach dem Versuch einer Rekonstruktion eines möglicherweise ursprünglichen Psalmtextes samt seiner Entstehungs Situation sowie einer Gattungszuweisung (Kap. 5) und einer innerbiblischen Exegese sollen im Hauptteil C die Rezeption und Auslegung von Ps 110 untersucht werden, wobei sich die Analyse der spätantiken und mittelalterlichen Auslegung auf die jüdische Tradition beschränkt. Unter Rezeption sind hier zum einen die Bibelübersetzungen ins Griechische, Aramäische, Lateinische und Syrische zu subsumieren, daran anschließend wird zum andern untersucht, auf welche Weise Psalm 110 im Kontext der Schriften hellenistisch-römischen Zeit wahrgenommen wurde. Dabei zeigt sich vor allem, dass Ps 110 gerade in den letzten zwei vorchristlichen Jahrhunderten wie zu Jesu Zeiten eine wichtige Rolle in unterschiedlichen religiösen Gruppierungen gespielt hat. Den Schluss der Arbeit bildet ein kurzer Ausblick auf die neutestamentlichen Aufnahmen von Ps 110, sodass sich eine Entwicklung von einem eigenständigen Königslied hin zu einem - wie Luther sagt ״Hauptpsalm von unserm lieben Herrn Jesu Christo" - im Laufe einiger Jahrhunderte nachvollziehen lässt.
2 Darstellung der Forschungsgeschichte
2.1 Zu Psalm 110 Ein Blick auf die Forschungsgeschichte von Ps 110 lässt schnell erkennen, dass bei seiner Auslegung viele unterschiedliche Schwerpunkte gebildet und ebenso unterschiedliche Ergebnisse erreicht wurden. Nach Erhard S. Gerstenberger hat dies seinen Grund darin, dass der Text zumindest partiell als ״obskur" wahrgenommen wird: Er weise einerseits Korruptionen auf, andererseits habe er unverständliche Anspielungen auf mythische, rituelle und theologische Details zum Inhalt.5 Aufgrund der häufig konstatierten Textkorruptionen liegen die Probleme der Exegese von Ps 110 1.) in der Rekonstruktion eines möglicherweise ursprünglichen Psalmtextes, 2.) in der Übersetzung und 3.) in der Gliederung. Des Weiteren fordern gerade die genannten Anspielungen Gerstenbergers stets neue Datierungsversuche heraus, sodass - sowohl im Bereich der literarischen Analyse als auch in der Frage der Datierung - eine Vielfalt von Ergebnissen zu finden ist. Auch ist die Rolle von Ps 110 in der nicht-kanonischen jüdischen Literatur in der sogenannten zwischentestamentlichen Zeit nicht unumstritten. Um dem großen Interesse an Ps 110 in seinen verschiedenen Ausprägungen gerecht zu werden, soll die Forschungsgeschichte synchron wie diachron dargestellt werden. Unter Berücksichtigung der Kriterien „Übersetzung/Struktur", „altorientalische außerbiblische Parallelen", „Datierung", „Verknüpfung mit anderen biblischen Texten", „Ps 110 in der nichtkanonischen jüdischen Literatur aus hellenistischer und römischer Zeit sowie in rabbinischen Schriften und in seiner Septuaginta-Version", „Psalm 110 im Neuen Testament" und schließlich „Psalm 110 in der Komposition des 5. Psalmbuches" wird sich herausstellen, wie in den unterschiedlichen Epochen der Auslegungsgeschichte stets andere Aspekte dieses Psalms im Vordergrund standen und verschiedene Methoden primär zur Exegese herangezogen worden sind.
5
Vgl. E.S. Gerstenberger, Psalms. Part 2, 264.
6
2 Darstellung der Forschungsgeschichte
Übersetzung/Struktur Der scheinbar schwierige - von Hermann Hupfeld als ״merkwürdig"6, von Emil Taube als „durch die tiefen Enthüllungen aus den Geheimnissen der Ewigkeit [...] einzig"7 bezeichnete - Text von Ps 110 unterliegt seit Jahrzehnten in alttestamentlicher Forschung dem Interesse, eine neue Übersetzung, Rekonstruktion eines „Urtextes" und eine Gliederung desselben anzubieten. Theodor H. Gaster setzte im Jahr 1937 mit seinem Aufsatz über Ps 110 einen der Anfangspunkte in der neueren Diskussion um die exakte Übersetzung einschließlich ihrer Interpretation.8 Nach ihm folgten reichlich Analysen des Psalms, dass Rudolf Kilian 1990 bemerkte, zu Ps 110 sei schon so viel Verschiedenes geäußert worden, „so daß eine weitere anfragende Vermutung keinerlei Schaden anrichten kann."9 Die Spanne der Ergebnisse zu Struktur und Sprache des Psalms reicht von der Aussage Bernhard Duhms, dass sich in den Versen 5-7 nur noch „ein Gebröckel von allerlei Sätzen"10 finde, bis hin zu Leo Krinetzkis Bezeichnung von Ps 110 als ein formvollendetes Gedicht11 oder von Gianfranco Ravasi, der formuliert: „il Sal 110 merita quindi di essere collocato nella Iinea dei testi gloriosi dell'antica poesia ebraica"12. Hinsichtlich der Frage, ob oder welches Metrum Ps 110 zugrunde liegt, sind die Ansätze ähnlich mannigfaltig. Während Erhard S. Gerstenberger den fragmentarischen Charakter des Psalms unterstrich und keine metrische Analyse vornahm, erkannten Hans-Joachim Kraus, Klaus Seybold und Leo Krinetzki ein rhythmisches Muster - die festgestellten Muster variieren jedoch. Uneinigkeit in der alttestamentlichen Forschung herrscht ebenfalls in Bezug auf die Übersetzung und die Frage, ob der Konsonantenbestand oder die masoretische Punktation anders zu verstehen sein müsse oder nicht. Während Gary A. Rendsburg unter der Prämisse arbeitete, dass er in die masoretische Form von Ps 110, sei es in den Konsonantenbestand, die Vokalisation oder die Akzentsetzung, nicht eingreife13, änderte Mitchell Dahood beispielsweise in fast jedem Vers den masoretischen Text ab oder wählte seltenere Wiedergaben einzelner Begriffe. 14 Hans Möller sah 1980 die Notwendigkeit einer Glättung des 6
H. Hupfeld, Die Psalmen, 173. E. Taube, Praktische Auslegung der Psalmen, 670. 8 T.H. Gaster, Psalm 110. 9 R. Kilian, Der „Tau" in Ps 110, 3 - ein Mißverständnis?, 417. 10 B. Duhm, Die Psalmen, 400. 11 L. Krinetzki, Ps 110(109), 113. 12 G. Ravasi, II libro dei Salmi, 266. 13 G. Rendsburg, Psalm CX 3B, 549. 14 Vgl. M. Dahood, Psalms III, 113: „The hypothesis that the psalmist employed no vowel letters improves the sense in vss. 2 (rdh = rädähu), 6 (y'danneh for MT yädin ba-), 7 (manhil for MT minnahal; ysth = y£sitehü; r's = rö'so) [...]. A study 7
2.1 Zu Psalm 110
7
Textbestands in den Versen 5-7, indem er statt אדניdie Lesart אדניvorschlug. Maurice Gilbert und Stephen Pisano stellten hingegen im gleichen Jahr in den Versen 5-7 einen durchgehend zusammenhängenden Text ohne ersichtlichen und zu korrigierenden Bruch fest, da ein Sprecherwechsel gerade in alten Texten nicht wundere.15 William P. Brown widmete sich 1998 lediglich der Übersetzung von V.3b und gelangte zu folgendem Verständnis: ״In holy splendor, out of the womb, towards the dawn go forth! Like (the) dew, I have begotten you." 16 Brown widersprechend, gelangte Gary R. Rendsburg 1999 zu folgender Wiedergabe von V.3b: ״In the manifestation of holiness, With the rain of dawn, Yours is the dew of your youth."17 Fokussiert allein auf das Wort שלin V.3, schlug Rudolf Kilian 1990 vor, es unter der Berücksichtigung ägyptischer Quellen nicht als ״Tau", sondern als ״Duft" wiederzugeben.18 Claus Schedl befürwortete zu V.7 eine alternative Punktation.19 Lucas Kunz konzentrierte sich auf die Akzentsetzung der Masoreten und versuchte, diese für Übersetzung und Struktur nutzbar zu machen.20 Die Vorschläge zur Struktur von Ps 110 weisen ähnlich viele Varianten wie die Übersetzungsmöglichkeiten auf. Ausschlaggebend ist hierbei meist die Frage, ob es sich um zwei oder drei Gottesreden handelt. 1988 veröffentlichte Willem van der Meer eine ausführliche Strukturanalyse zu Ps 110, in der er zu dem Schluss kam, dass sich Ps 110 durch zwei Gottesreden (Beginn in V.l und V.4) in zwei Teile untergliedern lasse.21 Hans-Joachim Kraus erkannte indessen in V.3 zusätzlieh eine Gottesrede, sodass er für eine Dreiteilung des Psalms plädierte. Pierre Auffret beschäftigte sich literarisch gleich zweimal mit der Struktur dieses Psalms. Seine 1982 durchgeführte Gliederung korrigierte er rund zwanzig Jahre später und gelangte schließlich zu dem Schluss, dass sich Ps 110 in vier Einheiten (V.l-2; 3; 4; 5-7) unterteilen ließe, die sowohl in sich selbst eine Struktur als auch Parallelen zu den anderen Einheiten aufweisen.22
of the psalm's vocabulary and style within the Northwest Semitic ambience brings to light new words in vss. 1 ('ad, 'seat'), 2 (slh, 'to forge'), 3 ('ammekä, 'your Strong One'), 7 (derek, 'throne')". 15 H. Möller, Der Textzusammenhang in Ps 110; M. Gilbert u. S. Pisano, Psalm 110 (109), 5-7, 347. 16 W. P. Brown, A royal performance, 96. 17 G.Rendsburg, Psalm CX3B, 551. !8 R. Kilian, Der „Tau" in Ps 110, 3 - ein Mißverständnis?, 419. 19 C. Schedl, Aus dem Bache am Wege: manhïl bad.derekyfsitëhû. 20 L. Kunz, Psalm 110 in masoretischer Deutung. 21 W. van der Meer, Psalm 110: A Psalm of Rehabilitation?, 233. 22 P. Auffret, Note sur la structure littéraire du Psaume CX; u. ders.; Il est seigneur sur les nations.
8
2 Darstellung der Forschungsgeschichte
Es fallt auf, dass vor allem hinsichtlich der Übersetzung von V.3 und des Textzusammenhangs der Vv.5-7 die alttestamentliche Forschung von einer opinio communis weit entfernt ist. Ebenso herrschen über die Struktur wie über das Metrum des Psalms Uneinigkeit. Daher soll eine ausfuhrliche literarische Analyse von Ps 110 die Grundlage dieser Arbeit bilden. Bei den Versuchen, eine Struktur in Ps 110 zu bestimmen, wurde bisher vor allem auf die Gottesreden und auf einzelne Themen oder sich wiederholende Wörter geachtet sowie auf den Sprecher und Adressaten, zu wenig aber oder gar nicht auf die syntaktische Struktur der Satzarten. Diese Herangehensweise wird der Gliederung der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt. Altorientalische außerbiblische Parallelen Lorenz Dürr beschäftigte sich bereits 1929 mit altorientalischen Parallelen zu Ps 110. Er wollte zeigen, dass in der altorientalischen Königsideologie beziehungsweise im Königsritus Paralleltexte zu Ps 110 existieren.23 1937 führte Theodor H. Gaster diese Überlegungen fort und erklärte, dass Ps 110 ein Formular eines vorisraelitischen Krönungsrituals darstelle.24 Helen G. Jejferson vermerkte 1954, dass es sich wahrscheinlich um einen sehr alten Text mit kanaanäischen Parallelen handele.25 Der Schwerpunkt des Psalm-Kommentars von Hans-Joachim Kraus von 1960 lag bei Verweisen auf Texte der altorientalischen Königsideologie. 1972 beschrieb Klaus Homburg ״Psalm 110! im Rahmen des judäischen Krönungszeremoniells", bevor Geo Widengren 1976 einen wegweisenden, heute noch häufig zitierten Aufsatz veröffentlichte: ,,Psalm 110 und das sakrale Königtum in Israel".26 Er konstatierte, es könne als gesichert gelten, dass dieser Psalm zum Königsritual bei der Krönung des israelitischen Königs in Jerusalem gehört habe. Weiterhin unternahm er den Versuch, den Zusammenhang von Ps 110 mit der Stellung des israelitischen Königs als sakraler Person zu klären, wobei die Verbindung mit der vorisraelitischen, rein kanaanäischen Königsideologie besonders betont wurde. In der Forschung wird im Allgemeinen nicht mehr angezweifelt, dass zu Ps 110 altorientalische Parallelen existieren, jedoch sind die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen interessant: Wo manche Forscher 23
L. Dürr, Psalm 110 im Lichte der neueren altorientalischen Forschung, 5: ״So glaube ich denn auch Ps. 110 auf Grund des jetzt vorliegenden altorientalischen Materials diesen seinen Sitz im Leben des Königs anweisen zu können, indem ich ihn als K r ö n u n g s p s a l m , vorgetragen vom Propheten am Tage der Thronbesteigung zum feierlichen Akte der Thronerhebung und der Krönung des neuen Königs, naherhin als direkten Begleittext zu diesem Akte oder als K r ö n u n g s rituale auffasse." 24 T.H. Gaster, Psalm 110,37.41. 25 H.G. Jefferson, Is Psalm 110 Canaanite?, 156. 26 K. Homburg, Psalm 110! im Rahmen des judäischen Krönungszeremoniells; G. Widengren, Psalm 110 und das sakrale Königtum in Israel.
2.1 Zu Psalm 110
9
die Parallelen in Ägypten suchten, orientierten sich andere primär an den Texten aus Ugarit oder an assyrischen Texten. Innerhalb der ״ägyptischen" Forschung sind beispielsweise Jean de Savignac, Rudolf Kilian und Klaus Koch zu nennen.27 Kilian (1999) fuhrt erstmalig das Phänomen der „relecture" ausdrücklich zu Ps 110 ein. Seiner Ansicht nach handele es sich bei Ps 110 um ein altes ägyptisches Königslied, das seine erste relecture durch die jerusalemischen Hoftheo logen erfuhr, die zweite nach dem Tod Serubbabels. Nach dem Untergang der davidischen Dynastie sei Ps 110 als Zeugnis messianischer Prophetie gelesen worden.28 2002 lieferte Koch einen Beitrag zu Ps 110 und dessen Verbindung zu Ägypten, in dem er - wie Kilian - auf zahlreiche ägyptische Mythen und Rituale hinwies, denen Ps 110 ähnlich zu sein scheint. In den letzten Jahren verlagerte sich das Interesse an Paralleltexten zu den Königspsalmen in den assyrischen Bereich. Martin Arneth beispielsweise verglich Ps 72 mit assyrischen Vorlagen.29 Zu Ps 110 veröffentlichte John W. Hilber 2003 einen Aufsatz mit dem Titel „Psalm CX in the light of Assyrian prophecies", in dem er ähnliche Motivik von assyrischen Orakeln und ihre Relevanz für die Interpretation und Datierung von Ps 110 hervorhob. Auf der Basis dieser Ähnlichkeiten könne Ps 110 als kultische Prophetie zur Thronbesteigung aus monarchischer Zeit beschrieben werden.30 Des Weiteren wurde Ps 110 durch Oswald Loretz im Zusammenhang mit seinen Forschungen zu Ugarit behandelt.31 Allgemein hält Loretz hinsichtlich der neueren Psalmenforschung fest, dass poetologischen, philologischen und religionsgeschichtlichen Studien, die AltsyrienKanaan und das Zweistromland einbeziehen, eine durch nichts ersetzbare Bedeutung fiir die Erforschung des Psalters zukommt.32 Die Frage, die sich bezüglich der altorientalischen Motivik stellt, ist jedoch, inwiefern diese Verwandtschaft von Ps 110 zu außerbiblischen altorientalischen Königsideologien einen Ansatzpunkt für seine Datierung bildet. Handelt es sich tatsächlich um einen solch alten Text original aus der judäischen Königszeit - oder könnten nicht bewusst altorientalische Königsmotive in späterer Zeit aufgenommen und messianisiert oder auf einzelne Personen persischer, hellenistischer oder römischer Zeit übertragen worden sein? 27
J. de Savignac, Psaume CX à l'aide de la littérature Égyptienne; R. Kilian, Relecture in Psalm 110; K. Koch, Der König als Sohn Gottes. 28 R. Kilian, Relecture in Psalm 110, 250.252f. 29 M. Arneth, Psalm 72 in seinen altorientalischen Kontexten. 30 J.W. Hilber, Psalm CX in the light of Assyrian prophecies (vgl. z.B. 353.366). 31 Z.B. O. Loretz, Die Psalmen IL Beitrag der Ugarit-Texte zum Verständnis von Kolometrie und Textologie der Psalmen. 32 O. Loretz, Psalmstudien, 7.
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2 Darstellung der
Forschungsgeschichte
Datierung Obwohl Ps 110 um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert ״nahezu unangefochten" 33 als nachexilisches Dokument galt, wandte sich Hermann Hupfeld in seinem Psalm-Kommentar ausdrücklich gegen eine makkabäische Datierung wie auch gegen eine ursprünglich messianische Interpretation. Franz Delitzsch ging einen eigenen Weg hinsichtlich der Datierungsfrage, da er zwar diesen Psalm als einen prophetischen Spruch an David auffasste, die Aussage aber sei prophetisch-messianisch, indem Ps 110 8v Ttve׳up1ax1 (Mt 22,43) an David ergangen sei, als Aussage Davids über den verheißenen künftigen Christus. 34 Hingegen votierte Bernhard Duhm 1922: ״Daß der Angeredete der Hasmonäer Simon ist, geht aus dem Inhalt von V.l-4, besonders aber auch aus dem von BiCKELL entdeckten Umstände hervor, daß diese Verse ein Akrostichon mit dem Namen שמעןsind; das שב, mit dem das Orakel beginnt, liefert den ersten Buchstaben. [...] Daß Ps 110!.4 sich auf Simon bezieht, beweist nicht bloß das Akrostichon, sondern mehr noch der Umstand, daß dies Gedicht auf niemand so gut paßt wie auf ihn." 35 Mitte des 20. Jh.s wurde wiederum eine vorexilische Abfassung vertreten. Theodoor C. Vriezen36 stellte 1944 fest, dass es sich bei Ps 110 um den Teil einer vorexi״ lischen Thronbesteigung handeln müsse, spätestens aber seit dem 1945 erschienenen Aufsatz von E.R. Hardy ״The Date of Psalm 110" wurde mehrheitlich in der alttestamentlichen Forschung die Ansicht vertreten, Ps 110 sei ein vorexilisches Orakel an den König, meist im Zusammenhang einer Inthronisationsfeier. Hardy datierte den Psalm in die frühe Königszeit und sprach sich gegen eine Ansetzung in die makkabäische Epoche aus, da es zum einen keine Prophetie mehr gegeben habe (und V. 1 diese Terminologie aufnehme) und zum andern, weil es in dieser Zeit nicht üblich gewesen sei, den heiligen Namen zu benutzen. 37 1954 gab es durch Edward J. Kissane noch einen Beitrag, der Ps 110 von vorneherein messianisch (und somit ״spät", außerhalb einer Inthronisationsfeier) interpretierte: ״There is no doubt, therefore, that the traditional Interpretation of the Psalm, which takes it to refer directly to the Messiah, is the correct one." 38 In seinem Psalm-Kommentar stellte jedoch Hans-Joachim Kraus (1960) im Blick auf die damalige Forschungssituation fest, dass die Periode, in der man Ps 110 in der Makkabäerzeit ansetzte (Bernhard Duhm) und noch die Meinung vertrat, der Verfasser des Liedes habe aufgrund einer Lektüre von Gen 14 sein Gedicht entworfen (Friedrich Baethgen), heute über33
H. Donner, Der verläßliche Prophet, 219. Vgl. Fz. Delitzsch, Biblischer Commentar über die Psalmen, vierte Überarb. Aufl., 725. 35 B. Duhm, Die Psalmen, 398.400. 36 T.C. Vriezen, Psalm 110,85. 37 E.R. Hardy, The Date of Psalm 110, 385f. 38 E. Kissane, The Interpretation of Psalm 110, 113. 34
2.1 Zu Psalm 110
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wunden und fast schon vergessen sei. ״Daß der Psalm einen festlichen Akt aus ältester Zeit spiegelt und uralte Traditionen enthält, wird heute fast allgemein anerkannt. Die Frage ist nur, um welchen Festakt es sich handelt".39 1965 setzte aber - um mit Herbert Donner zu sprechen ״eine zögerliche Renaissance der makkabäischen Deutung"40 unter anderem durch Marco Treves41 ein, der Ps 110 anhand des Akrostichons "שמען אים״zu datieren versuchte - allein Simon sei die angeredete Person. Dem widersprachen zunächst John-Westerdale Bowker (1967) und Georg Sauer (1968), indem sie darlegten, dass hier weder ein Akrostichon vorliege, noch der Psalm in den Kontext der makkabäischen Epoche gehöre.42 Stefan Schreiner versuchte 1977 eine Art Kompromiss: Der Bearbeiter des Psalms folge hier treu seiner Vorläge, dem alten Königslied, und Ps 110 sei wie Sach 6,9-15 so überarbeitet worden, dass der nun vorliegende Text als (wenigstens) nachträgliche Legitimationsurkunde des Geschichtlich-Gewordenen gewertet werden wolle.43 Um eine späte Datierung zu legitimieren, führte Gillis Gerleman 1981 eine neue Variante der Interpretation von Psalm 110 in die alttestamentliche Forschung ein: Bei dem ״Angesprochenen" dieses Psalms handele es sich um Juda. Ps 110 beschreibe also in V.l, dass Juda zur Macht und Herrscherstellung emporsteigen würde; V.3 läge die Geschichte von Juda und Thamar (Gen 38) zugrunde. Nach der feierlichen Zusage der Priesterwürde (V.4) würden die kriegerischen Leistungen Judas bei der Landnahme rühmend bedacht (V.5f.)· Als Schlussvignette erscheine in symbolischer Verkleidung eine für die Zukunft des Judastammes entscheidende Begebenheit (V.7), indem Juda einen Häuptling emporkommen lasse.44 Diesen Emporkömmling sah Gerleman in der Herrscherdynastie der Hasmonäer, auf die seines Erachtens Ps 110 gedichtet wurde. Anfang der 90er Jahre des 20. Jh.s verstärkte sich abermals die Datierung in die vorexilische Zeit. Wie bereits oben erwähnt, stellte Rudolf Kilian (1999) die ägyptische Vorlage des Psalms in den Vordergrund und machte die Methode der ״relecture" für diesen Psalm geltend. Zudem konstatierte Thijs Booij 1991, dass einerseits das beschriebene königliche Priestertum und andererseits die Art der Legitimation des Königs - durch einen göttlichen Schwur - auf einen frühen Abschnitt der monarchischen Periode als Abfassungszeit schließen lassen.45 Herbert Donner belebte 1994 mit seinem Aufsatz ״Der verläßliche Prophet" wiederum die Diskussion um eine mögliche hasmonäische Ab39
H.-J. Kraus, Die Psalmen IL, 929. H. Donner, Der verläßliche Prophet, 219. 41 M. Treves, Two acrostic Psalms. 42 J.W. Bowker, Psalm CX, 31 ff. u. G. Sauer, Die aKpoöTixLÖec Psalm II und CX. 43 S. Schreiner, Psalm CX und die Investitur des Hohenpriesters, 220. 44 G. Gerleman, Psalm CX, 16ff. 45 Vgl. T. Booij, Psalm CX, 406. 40
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2 Darstellung der
Forschungsgeschichte
fassungszeit, indem er Ps 110 mithilfe von I Makk 14,41 auf den Hohepriester Simon als Adressaten von Ps 110 deutete.46 2000 stellte Barry C. Davis47 fest, dass es sich hier ausschließlich um einen messianischen Text handele und es definitiv kein ״Royal Psalm" sei. Klaus Seybold legte in seinem Psalm-Kommentar 1996 einen seiner Schwerpunkte auf die Darstellung des Psalms als Teil vorexilischer Jerusalemer Königsideologie, während Erhard S. Gerstenherger 2002 ihn wiederum innerhalb der exilischen/nachexilischen messianischen Erwartung lokalisierte. Ist Ps 110 nun ein Königspsalm, der historische Ereignisse zeitnah beschreibt oder der alte Motive in nachexilischer Zeit bewusst aufnimmt? Um diese Frage zu beantworten, sollen sowohl die Gattung der Königspsalmen näher beleuchtet als auch die im Psalm vorkommenden Motive untersucht und seine Verbindung zu anderen biblischen und außerbiblischen Texten dargestellt werden. Beziehungen von Psalm 110 zu inner- und außerbiblischen Texten Als erster Bezugspunkt dient bei intertextuellen48 Untersuchungen von Ps 110 die Abraham-Geschichte von Gen 14, da an dieser Stelle ebenfalls die Figur des Melchisedek eine Rolle spielt. Dies machte HaroldHenry Rowley in seinem Aufsatz von 1950 ״Melchizedek and Zadok (Gen 14 und Ps 110)" zum Thema. Rowley stellte fest, dass Ps 110 aus einer Zeit komme, in der Gen 14 bereits die Funktion einer ätiologischen Geschichte innehatte, und dass Ps 110 mit dieser Geschichte eng verbunden sei. Wie Abram das Priestertum Melchisedeks anerkannt habe, so habe David das Priestertum Zadoks anerkannt. Die Person Zadoks sei die Verbindung zwischen Gen 14 und Ps 110.49 Jehuda Elitzur kam 1985 zu dem Schluss, dass die angesprochene Person in Ps 110 Joschaphat sein müsse, da vor allem V.7 auf die Joschaphat-Perikope in II Reg 3 anspiele.50 Gerade in den letzten Jahren hat die Person Melchisedeks erneut Interesse geweckt. 1993 widmete sich Theo de Kruijf diesem Thema, wobei er das bisher wenig beachtete Testament des Levi als Anspielung auf Melchisedek und Ps 110 heranzog.51 1996 analysierte Philip J. Nel die MelchisedekTradition von Gen 14, Ps 110, 1 lQMelch sowie des Hebräerbriefs und folgerte, dass Ps 110 die älteste Version dieser Tradition darstelle.52 Im Jahr 2000 untersuchte Martin McNamara die Figur des Melchi46
H. Donner, Der verläßliche Prophet, 218ff. B.C. Davis, Is Psalm 110 a messianic Psalm? 48 Der Begriff ״intertextueU" bezeichnet in dieser Arbeit nicht mehr als eine - wie auch immer festzulegende - Relation zwischen zwei oder mehr Texten. 49 H.H. Rowley, Melchizedek and Zadok, 468.470.472. 50 .60 . ד ר כ ו של מלכיצדק. אליצו־ר.י 51 T. de Kruijf, The Priest-King Melchizedek. 52 P J . Nel, Psalm 110 and the Melchizedek Tradition. 47
2.1 Zu Psalm 110
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sedek vom Targum (hier kommt der Name ״Melchisedek" allerdings gar nicht vor) über die rabbinische bis hin zur altchristlichen Literatur und widmete sich dabei ebenfalls Ps 11O.53 Einen anderen Schwerpunkt der Beschäftigung mit Melchisedek wählte Jakob J. Petuchowski54 1957. Er stellte fest, dass Ps 110 durch die Verknüpfung mit dem Melchisedek-Motiv zur Legitimation des Herrschaftsregimes der Hasmonäer benutzt wurde. Edward J. Kissane hob 1954 Ps 110 auf den Boden der Nathanweissagung. Aufgrund dieser Tatsache zog Kissane die Schlussfolgerung, dass der Psalm von Beginn an messianisch angelegt war.55 Einen eher ausgefallenen Versuch zur textübergreifenden Lektüre unternahm Hans Joachim Stoebe 1959, indem er versuchte, das priesterliche Kolorit von Ps 110 mithilfe von 1 Sam 21 zu verstehen.56 1 960 machte es sich Raymond J. Tournay zur Aufgabe, primär innerbiblische Parallelen aufzuzeigen. Er hielt fest, dass Psalm 110 sprachliche Kontakte zu Kohelet und zum Chronistischen Geschichtswerk aufweise, in deren Entstehungszeit auch Ps 110 falle. Es handele sich nicht um ein archaisches Gedicht, da weder das Wort „König", noch „Salbung", noch „Thron" in ihm vorkommen, sondern um eine absichtliche Archaisierung, die vom priesterlichen Zirkel Jerusalems ausging, der sich an der Theologie Kohelets orientierte.57 Nicht nur innerhalb der hebräischen Bibel, sondern auch in der Septuaginta und der sogenannten zwischentestamentlichen Literatur wurden intertextuelle Beziehungen von Ps 110 analysiert, so auch in qumranischen und rabbinisehen Schriften. Eberhard Bons zeigte 2003 markante Motive in Ps 109LXX auf. Er vertrat die These, dass - deutlicher als der MT - die Septuaginta Bezüge zwischen Ps 2 und Ps 109LXX herstelle, ja es scheine, dass sie stellenweise Ps 109LXX an Ps 2 anpasse. Gerade die Gemeinsamkeiten zwischen Ps 2 und Ps 109LXX würden sich dazu eignen, im NT in christologische Argumentationen eingeflochten zu werden.58 Joachim Schaper sah in 109,3LXX die Präexistenz der Messiasgestalt beschrieben (1998)59, ebenso wie bereits Fausto Parente 197360. Dieser konstatierte sogar, dass bereits die hebräische Vorlage der LXX eine messianische präexistente Figur in diesem Psalm beschreibt. Für Ariane Cordes (2006) hingegen stellt die messianische Interpretation 53 54 55 56 57 58 59 60
M. McNamara, Melchizedek. J.J. Petuchowski, The controversia! figure of Melchizedek. E. Kissane, The Interpretation o f P s 110, 110.113. H.J. Stoebe, Erwägungen zu Ps. 110. R. Tournay, Le Psaume CX. E. Bons, Die Septuaginta-Version von Psalm 110 (109 LXX), 141ff. J. Schaper, Der Septuaginta-Psalter. F. Parente, Προ εωσφόρου έξεγέννησά σε.
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2 Darstellung der
Forschungsgeschichte
von Ps 109LXX eine Spekulation dar - eine dahingehende bewusste theologische Exegese des Übersetzers sei nicht ablesbar.61 Vinzenz Hamp spezialisierte sich 1974 bei seinem Vergleich zwischen masoretischem Text und LXX auf Ps 110,4b, wobei er ebenso darauf hinwies, dass eine messianische Deutung bereits in der Septuaginta nicht beweisbar sei.62 Michael Tilly stellte 2003 heraus, dass der in hebräischer Sprache überlieferte Ps 110 in hellenistisch-jüdischer Literatur nicht messianisch interpretiert wurde, sondern zumeist die Legitimation königlicher bzw. hoherpriesterl icher Autorität im Vordergrund gestanden habe. Nach Tilly ist weiter nicht nur zu fragen, welche unterschiedlichen Interpretationen und Applikationen Psalm 110 in der religiösen Literatur des antiken Judentums erfahren habe und inwieweit sein messianisches Verständnis bereits im jüdischen Psalmengebrauch implizit enthalten sei, sondern auch, welche sozialen und religiösen Strömungen innerhalb des antiken Judentums ihn mit einer spezifischen Sinngebung versahen und worin die theologische Leistungsfähigkeit dieser spezifischen Sinngebung bestanden habe. 63 1994 zog Herbert Donner I Makk 14 als Interpretationskontext heran. Nach Hermann L. Strack u. Paul Billerbecifi^ (1928) skizzierte auch Gerhard Bodendorfer in einem Aufsatz die rabbinische Auslegung von Ps 110 in Talmudim, Midraschim und Targum, wobei er, im Gegensatz zu Strack/Billerbeck65, die anti-christliche Tendenzen in jüdischer Auslegung vermuteten, die Wichtigkeit von Abraham als Vorbild des Glaubens in den Vordergrund rückte.66 Im Bereich der Psalmen-Kommentare widmete sich Gianfranco Ravasi am ausführlichsten anderen Interpretationskontexten. Er nahm zum einen die Untersuchungen Strack/Billerbecks im Hinblick auf die Auslegung von Ps 110 im rabbinischen Schrifttum auf, zum andern stellte er kurz die Figur des Melchisedek in Qumran dar - dazu zitierte er eine Passage aus llQMelch schließlich beschäftigte er sich in seinem Schlusskapitel mit der neutestamentlichen Rezeption von Ps 110.
Vor dem Hintergrund der Vielfalt von intertextuellen Bezügen von Ps 110 mit biblischen und außerbiblischen Texten gilt es, über die Feststellung dieser Bezüge hinauszugehen und zu fragen, mit welchen Texten dieser Psalm in welcher Zeit korrespondiert und welche theo61
A. Cordes, Spricht Ps 109 LXX von einem Messias, 260. V. Hamp, Ps 110, 4b und die Septuaginta, 526ff. 63 M. Tilly, Psalm 110 zwischen hebräischer Bibel und Neuem Testament, 149f.l65. 64 H. Strack u. P. Billerbeck, Der 110. Psalm. 65 H. Strack u. P. Billerbeck sehen in der Deutung von Ps 110 auf Abraham durch R. Ismael christentumsfeindliche Tendenzen, vgl. H. Strack u. P. Billerbeck, Der 110. Psalm, 459f. 66 Vgl. G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 266. 62
2.1 Zu Psalm 110
15
logischen Interpretationen dadurch frei werden. Welche Rolle spielt beispielsweise das Melchisedek-Motiv für die Interpretation von Ps 110 vor allem im Bezug auf die nichtkanonischen Schriften aus hellenistischer Zeit? Ein weiterer Schwerpunkt wird auf der Beschäftigung mit der LXX-Version und der Frage liegen, ob durch die LXX Ps 110 ״messianisiert" worden ist und welche Bezüge zu anderen Textstellen sich finden lassen. Neue Interpretationsräume werden ebenfalls durch Bezugnahmen auf Ps 110 (bzw. Ps 109LXX) im neutestamentlichen Schrifttum geschaffen, die in der Forschung schon eine breite Analyse erfahren haben und somit in dieser Arbeit marginalen Charakter haben werden. Psalm 110 im Neuen Testament David M. Hay67 verfasste 1973 eine der wenigen Gesamtdarstellungen von Ps 110 mit dem Schwerpunkt auf der christlichen Rezeption, wobei er auch knapp die LXX-Ubersetzung, die Qumranfunde, die rabbinische und die sogenannte zwischentestamentliche Literatur analysierte. 1982 war Terrance Callan einer der ersten, die sich ausschließlich mit den Bezügen zwischen Ps 110 und dem Neuen Testament beschäftigten. In seinem Aufsatz „Psalm 110:1 and the origin of the expectation that Jesus will come again", in dem er auch rabbinische Literatur heranzog, kam er zu der Schlussfolgerung: „I have argued that Ps 110:1 played a crucial role in the development of the expectation that Jesus would come again."68 In den 90er Jahren erschienen vor allem durch Martin Hengel und Gerhard Dautzenberg richtungsweisende Aufsätze zur Aufnahme von Ps 110 im NT. Hengel konstatierte, dass aus Ps 110,1 ״eine offensichtliche Grundaussage der Christologie" stamme. ״Meine Frage ist, wie die Urgemeinde beharrlich die ungeheuerliche Aussage wagen konnte, daß der gekreuzigte Messias Jesus von Nazareth nicht nur durch Gott von den Toten auferweckt [...], sondern unmittelbar zu seiner Rechten, d.h. zu seinem Throngenossen, erhöht worden sei."69 2 001 beschäftigte sich David R. Anderson in einer Monographie zum Thema ״The king-priest of Psalm 110 in Hebrews" mit der Aufnahme von Ps 110 im Hebräerbrief.71·1 Lukas Bormann verfasste 2003 den Aufsatz ,JPsalm 110 im Dialog mit dem Neuen Testament" und leistete damit einen Beitrag zur Intertextualitätsdebatte. Gerade Ps 110,1 mit seinen vielfachen Anspielungen im NT - nach Bormann ist dies kein pars-pro-toto- Prinzip - biete hierzu ein großes Potential. Jesus werde durch die intertextuelle Beziehung zwischen Ps 110,1 und NT in den himmlischen (Thron-) Raum Gottes integriert 67 68 69 70
D.M. Hay, Glory at the Right Hand. T. Callan, Psalm 110,1 and the origin of the expectation, 635f. M. Hengel, ״Setze Dich zu meiner Rechten!", 120. D.R. Anderson, The king-priest of Psalm 110 in Hebrews.
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2 Darstellung der Forschungsgeschichte
und habe Anteil an dem Machtpotential Gottes, das sich in Gericht und Rettung erweise. 71 Als einer der wenigen neuzeitlichen Kommentatoren beschäftigte sich Gianfranco Ravasi mit der christlichen Interpretation des Psalms. Er hob innerhalb der Kommentarschreiber am deutlichsten hervor, dass Ps 110 verschiedene Ebenen der Rezitation durchlaufen habe. Er hielt fest, dass der Text seinen ursprünglichen historischen Sinn im Laufe der Jahrhunderte verloren und einen anderen hermeneutisehen Sinn erhalten habe. Tatsächlich hätte niemand den Text als Krönungstext in einer Zeit rezitiert, in der es kein Königtum mehr gab, sondern Ps 110 habe indessen einen messianischen Aspekt erhalten. Deshalb ist es für Ravasi wichtig, sich breiter mit der Rezeption in rabbinischen Schriften wie im Christentum zu beschäftigen. 72 Psalm 110 in der Komposition des 5. Psalmbuches Dieser Aspekt der Psalmenforschung - oder besser: der Psalterforschung - hat seinen Schwerpunkt im ausgehenden 20. Jh. sowie zu Beginn des neuen Jahrtausends. Der Fokus dieses Vorgehens liegt auf der Fragestellung, ob nicht neben der Einzelpsalmexegese auch eine ״Psalterexegese" notwendig sei. Als bekannteste Vertreter dieses Ansatzes in neuerer Zeit sind Erich Zenger und Frank-Lothar Hossfeld zu nennen. E. Zenger stellte die These auf, es gehe „vielmehr um die Frage, ob über die jedem Psalm ureigene und spezifische Sprach- und Sinngestalt hinaus ihm noch eine weitere Bedeutungsdimension durch seine im Psalmenbuch gegebene Positionierung zukommt und ob das Buch als Ganzes eine Programmatik hat, die mit bloßer Betrachtung der Einzeltexte eben nicht erfaßt werden kann." 73 Dass die Psalmen durch Stichworte miteinander verknüpft sind, wird nicht mehr bezweifelt - zumal schon Franz Delitzsch in seinen „Symbolae" (1846) und in seinem Kommentar viele Stich Wortverkettungen von benachbarten Psalmen aufgezeigt hatte. 74 Hermann Gunkel bemerkte indessen, dass „einfache klare Gründe für die Anordnung der Psalmen nicht nachzuweisen sind". 75 Erst in neuerer Zeit wurde die Arbeit von Delitzsch wieder positiv gewürdigt und aufgegriffen. So bemühten sich Christoph Barth, Matthias Miliard und Gerald H. Wilson, dazu bewusste Kompositionen im Psalter aufzudecken. 76 In Bezug auf Ps 110 und den hinteren Teil des Psalters ist hier unter anderem die Arbeit von Klaus Koenen zu nennen, in der er in den Pss 90-110 eine bewusst 71
L. Bormann, Psalm 110 im Dialog mit dem Neuen Testament, 204. Vgl. G. Ravasi, II Ubro dei Salmi, 266. 73 E. Zenger, Der Psalter als Buch, 12. 74 Fz. Delitzsch, Symbolae ad psalmos. 75 H. Gunkel, Einleitung in die Psalmen, 435. 76 C. Barth, Concatenatio im ersten Buch des Psalters; M. Millard, Die Komposition des Psalters; G.H. Wilson, The Editing of the Hebrew Psalter. 72
2.1 Zu Psalm 110
17
konzipierte Komposition darzustellen versuchte.77 Erhard S. Gerstenberger hingegen sprach sich dezidiert gegen ein solches Interpretationskonzept der Psalmen aus, da dieses Konzept die Gefahr berge, durch unser ״rückproj!zierendes theologisches Interesse"78 die Situation der damaligen Zeit nicht korrekt zu erfassen. Im Bereich der Königspsalmen und ihrer Stellung in einer jeweiligen Komposition haben in jüngerer Zeit Wilson und Markus Säur gearbeitet.79 So formulierte Saur als ein Ziel seiner Dissertation, einen Beitrag zur Diskussion um die Komposition des Psalters aus der Perspektive der Königspsalmen zu leisten.80 In Bezug auf Ps 110 wird innerhalb der innerbiblischen Exegese die Konzeption der Psalterexegese zu prüfen sein, um festzustellen, ob und gegebenenfalls an welchen Stellen sich durch die Stellung von Ps 110 im 5. Psalmenbuch neue Sinnräume für den zu untersuchenden Psalm erschließen lassen. Zielsetzung Angesichts der skizzierten Forschungslage zu Ps 110 stellt sich die Aufgabe, eine Gesamtdarstellung von Ps 110 in Bezug auf seinen oft als ״unverständlich" eingestuften masoretischen Text, seine Entstehungsgeschichte, seine Paralleltexte und intertextuellen Bezugspunkte, seine LXX-Gestalt und seine Rezeptionsgeschichte zu erarbeiten. Ulrike Bail hat richtig erkannt, dass das intertextuelle Potential der Psalmen darin besteht, ״dass sie im Laufe ihrer Entstehung als einzelne Psalmen und der kanonischen Endfassung als Psalter viele Bedeutungen in sich aufgenommen haben, vielstimmig lesbar waren und sind."81 Diese Stellungnahme ist im Blick auf Ps 110 dahingehend zu präzisieren, dass Ps 110 nicht nur innerhalb des Psalters seine Bedeutung geändert hat, sondern dass zusätzlich durch die Übersetzungen in LXX, Targum, Peschitta und Vulgata sowie durch rabbinische und christliche Aufnahmen neue und andersartige Interpretationsspielräume geschaffen worden sind, die in dieser Arbeit eingehend analysiert werden sollen. Um der These von Gerald H. Wilson und Markus Saur nachgehen zu können, ob Ps 110 als ein Königspsalm eine besondere Rolle und Aufgabe im Psalter zukomme, wird eine Darstellung der Forschungsge-
77 78 79 80 81
K. Koenen, Jahwe wird kommen. E.S. Gerstenberger, Der Psalter als Buch und Sammlung, 8. G.H. Wilson, The use of the Royal Psalms; M. Saur, Die Königspsalmen. M. Saur, Die Königspsalmen, 1. U. Bail, Psalm 110, 121.
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2 Darstellung der Forschungsgeschichte
schichte hinsichtlich der Gattung ״Königspsalmen" vorangehen. ״Fundamentally, what is a royal psalm?"82 2.2 Die Gattung ״Königspsalmen" Hermann Gunkel hielt 1914 über die Königspsalmen fest: ״Es gibt in der biblischen Sammlung der Psalmen eine Reihe von Liedern, gewöhnlich ,Königspsalmen' genannt. Welche einzelnen Gedichte dazu zu rechnen sind, ist streitig. Noch streitiger ist ihre Auffassung." 83 In der Tat sind einige Punkte in Bezug auf die Königspsalmen bis heute in der Forschung umstritten. Es ist sowohl unklar, welche Psalmen überhaupt zu dieser Gattung zu zählen sind, da sich keine Kriterien zur Einordnung durch äußere strukturelle Merkmale aufstellen lassen, als auch, wann diese Psalmen verfasst wurden, auf welche Größen (realer oder messianischer König oder auch als Kollektiv) sie gedichtet worden sind oder welchen ״Sitz im Leben" sie haben. Im Folgenden wird eine kurze Darstellung der Forschungsgeschichte über die ״Gattungsdefinition Königspsalmen" geliefert.84 Mit Johann Gottfried von Herder und seinem Werk ״Vom Geist der Ebräischen Poesie" (1783) findet sich schon früh eine Einordnung von Ps 2 und 110 in die Reihe der ״Königspsalmen", wobei diese Gruppe nicht explizit definiert wird.85 Es werden Beispiele für hebräische Poesie vorgestellt, übersetzt und erklärt. Als einer der ersten Exegeten gruppierte Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1811/21823) die Psalmen gemäß ihrer Form und ihrem Inhalt. In seinem Psalm-Kommentar hielt er eine Klassifizierung ״Königspsalmen" fest, gab jedoch keine näheren Charakteristika zur Einteilung in diese Psalmgruppe an.86 Franz Delitzsch (1867/41883) hingegen teilte die Psalmen weniger nach ihrem Inhalt als nach ihrer theologischen Aussagerichtung in folgende fünf Psalm-Gruppen ein: 1. unmittelbar eschatologisch-messianisch; 2. typisch-messianisch; 3. typisch-prophetisch messianisch; 4. mittelbar eschatologischmessianisch; 5. eschatologisch-jehovisch.87
82
S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, 66. H. Gunkel, Die Königspsalmen, 42. 84 Zu diesem Forschungsüberblick verweise ich zusätzlich auf die Darstellung der Forschungsgeschichte bei S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, sowie bei R.G. Haney, Text and Concept Analysis in Royal Psalms. 85 J.G. von Herder, Vom Geist der Ebräischen Poesie, 383ff. 86 Vgl. W.M.L. de Wette, Commentar über die Psalmen, 3 f. 87 Vgl. Fz. Delitzsch, Biblischer Commentar über die Psalmen, 56ff. 83
2.2 Die Gattung ״Königspsalmen "
19
Bernhard Duhm (1922) indessen favorisierte die zeitliche Ordnung der Psalmen in Gruppen der vormakkabäischen Psalmen, Psalmen aus der Zeit der makkabäischen Kämpfe etc.88 Hermann Gunkel (1933) definierte die Königspsalmen als solche Lieder, die ihre innere Einheit dadurch haben, „daß sie sämtlich von Königen handeln" 8 9 , hielt dagegen aber auch fest, dass Königspsalmen also nicht eine eigentliche, in sich geschlossene „Gattung" seien, sondern sie bestünden aus einer ganzen Reihe von Gattungen, die je nach den verschiedenen Anlässen auf den ersten Blick unterschieden werden könnten. Unter den Königsliedem gebe es einige, die mit den Liedern des Volkes zusammengestellt werden müssten: die Königsdanklieder mit den Dankliedern des Volkes, die Klagelieder des Königs, denen ein Orakel folge, mit denen des Volkes, denen auch die göttliche Antwort erwidert werde. Ferner gebe es auch Königslieder, die mit der Gattung des einzelnen Privatmannes verwandt seien, sowie auch das Danklied des Herrschers mit dem Danklied eines Einzelnen verwandt sei. Noch häufiger seien diejenigen Stellen, wo Dichtungen des Einzelnen Sätze enthalten, die sich eigentlich nur im Munde von Königen verstehen ließen.90 Auch Sigmund Mowinckel hielt 1961 in Bezug auf die Königspsalmen in ähnlicher Weise fest, dass man diese verschiedenen anderen Gattungen zuordnen müsse, begründete aber seine These durch die kultische Wirklichkeit der Psalmen: „Wenn man von den Königspsalmen im AT spricht, so will man nicht diesen Namen als Bezeichnung einer eigenen literarischen Gattung aufgefaßt haben. Die betreffenden Psalmen umfassen vielmehr fast alle literarischen Gattungen der Psalmdichtung: individuelle Klagepsalmen [...], Dankpsalmen [...], öffentliche Klagepsalmen [...], Orakelpsalmen (Ps. 2; 45; 72; 110; 132), Bettags- und Festliturgien [...], Gelübdepsalmen (Ps. 101), Segenspsalmen (Ps. 72). Was ihnen gemeinsam ist, ist das sachliche Moment, daß sie sich alle in irgendeiner Weise mit dem Könige Israels beschäftigen. Hier haben wir es mit den Psalmen als kultischen Gattungen und nach ihrer verschiedenen kultischen Verwendung zu tun." 91 Durch diese Interpretation gelangte Mowinckel zu erheblich mehr Königspsalmen als Gunkel. Schon bei Gerhard von Rad (1940/41) sind kaum Einschränkungen in der Charakteristik der Königspsalmen zu erkennen, obwohl er durchaus anmerkte, dass das Verständnis der Königspsalmen noch an allerlei Unklarheiten leide.92 Die genannten Unklarheiten bezog er auf das Problem der Deutung und Datierung der Königspsalmen. Er erkannte 88 89 90 91 92
Vgl. B. Duhm, Die Psalmen, XXff. H. Gunkel, Einleitung in die Psalmen, 140. H. Gunkel, Einleitung in die Psalmen, 146f. S. Mowinckel, Psalmenstudien, 78. G. von Rad, Erwägungen zu den Königspsalmen, 216.
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2 Darstellung der
Forschungsgeschichte
dennoch diese Gattung an, rückte diese Psalmen sämtlich in die Nähe von messianischen Weissagungen 93 und sprach ihnen eine universale Perspektive zu: ״Die Sänger der Königspsalmen reden also viel mehr von dem göttlichen Urbild des Königtumes als von seiner geschichtlichen Erscheinung. Oder besser gesagt: von jenem göttlichen Urbild, das vor ihrem prophetischen Geiste stand, reden sie das geschichtliche Königtum an." 94 1989 vertrat Joachim Becker eine kollektive Deutung der Königspsalmen. Ihm war es hierbei wichtig zu begründen, wonach die Idee des Königtums kollektivierend in exilisch/nachexilischer Zeit auf das Volk übertragen worden sei. Er reflektierte dabei aber nicht, dass es ein Problem mit der Gattung ״Königspsalmen" geben könnte. 95 Gegen Ende des letzten Jh.s kamen wiederum Zweifel an der Gattung ״Königspsalmen" auf. Während Klaus Seybold Einschränkungen vornahm, dass die sogenannten Königspsalmen nur insofern eine ״Gattung" bildeten, als sie sich auf das sogenannte Königsritual und den Königskult an den Reichsheiligtümern beziehen und sich eigentlich einer Klassifizierung entziehen würden, 96 ordnete Georg Fohrer die Königspsalmen sämtlich anderen Gattungen zu. Seines Erachtens seien in erster Linie für die Erfassung und Bestimmung der Liedgattungen formale, literarisch-stilistische Merkmale und nur aushilfsweise der Inhalt der Psalmen maßgeblich. Demnach würden sich drei grundlegende Gattungen mit jeweils mehreren Unterarten ergeben, nämlich Hymnen oder Loblieder, Klagelieder und Danklieder. Es sei keine eigene Gattung von Königspsalmen anzunehmen. 97 Erhard S. Gerstenherger (1991) unterteilte die Königspsalmen in mehrere Untergruppen. Seiner Ansicht nach gehören die Pss 18; 89 und 144 zu der Gruppe Klage und Dank und Pss 20 und 21 zum Bereich der Fürbitte. Als Krönungshymnen seien Pss 2; 110 und eventuell auch 72 anzusehen; Ps 45 sei ein Hochzeitslied. 98 Scott R.A. Starbuck gelangte in seiner Dissertation 1999 über die sogenannten Königspsalmen nach einer ausführlichen Forschungsgeschichte zu einer überzeugenden eigenen Definition dieser Gattung: ״The RPss are psalms whose concern is the Institution of Israelite kingship. Their protagonist is an unspecified king; hence he is a typological representative of the 'office' of the Institution."99 So 93
G. von Rad, Erwägungen zu den Königspsalmen, 222: ״Gewiß darf man die Königspsalmen nicht einfach mit den messianischen Weissagungen zusammenwerfen; sie stellen zwei verschiedene Traditionsströme dar, jene sind gebundener, diese ihren prophetischen Trägern entsprechend freier." 94 G. von Rad, Erwägungen zu den Königspsalmen, 219. 95 J. Becker, Die kollektive Deutung der Königspsalmen. 96 K. Seybold, Die Psalmen: eine Einführung, 98. 97 G. Fohrer, Psalmen, 2.5. 98 E.S. Gerstenberger, Psalms. Part 1, 19. 99 S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, 102.
2.3 Fazit
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widersprach er der These, dass der ״Sitz im Leben" der Königspsalmen zwingend im Kult zu sehen ist. Trotz dieser Feststellung über eine gemeinsame Charakteristik der Königspsalmen warnte er zu Recht davor, von einer zusammengehörigen Gruppe zu sprechen; denn sie seien alle äußerst unterschiedlich.100 Die 2004 erschienene Dissertation zu den Königspsalmen und deren Stellung im Psalter von Markus Saur legt ihren Schwerpunkt darauf, ״aufgrund der genauen Analyse dieser Prozesse die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Königspsalmen zu erfassen und damit ihre theologische Position zu bestimmen."101 In Bezug auf die Königspsalmen in gattungsspezifischer Sicht formulierte Saur vorsichtig, dass diese Psalmen keine Gattung im Sinne der Formgeschichte darstellen würden, sodass er den Begriff ״Psalmengrappe" bevorzuge.102 Zudem verfolgte Saur die These, dass die Königspsalmen sich zwischen der altorientalischen Königsideologie und dem Aufkommen messianischer Hoffnungen bewegen würden und dass sie Ergebnis eines literarischen Prozesses seien.103 2.3 Fazit Aus der Übersicht über die Forschungsgeschichte bleibt als Fazit zu ziehen, dass eine Einteilung der Psalmen unter Benutzung der ״Gattungsbezeichnung Königspsalmen" schwierig ist, da es ihnen an literarischen gattungstypischen Merkmalen fehlt. S.R.A. Starbuck ist in dieser Hinsicht zuzustimmen, dass es zwar ״Königspsalmen" gibt (unter seiner oben genannten Definition), aber diese durchaus individuellen Charakter haben. Sie handeln zwar allesamt von einem nicht identifizierten König, einem Protagonisten, haben aber einen unterschiedlichen ״Sitz im Leben" und einen unterschiedlichen theologischen Schwerpunkt. Vor diesem Hintergrund ist es also zu vermeiden, von der enggefuhrten Gattung der ״Königspsalmen" zu sprechen, durchaus aber zuzugestehen, dass es Königslieder im Psalter gibt, die aber auch anderen Gattungen wie Hymnen, Danklieder eines Einzelnen oder anderen zugeordnet werden können. Im Folgenden wird deshalb mit M. Saur von der Gruppe der Königspsalmen, von den sogenannten Königspsalmen oder von Königs Hedem gesprochen und das Wort ״Gattung" in diesem Zusammenhang gemieden. Obgleich die Königslieder keine geschlossene Gattung bilden, soll hier auch unter100
S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, 206f. M. Saur, Die Königspsalmen, 1. Auch G.H. Wilson sah (1986) einen theologischen Zusammenhang der Königspsalmen, nämlich darin, dass sie an Nahtstellen (״seams") im hebräischen Psalter zu finden seien (vgl. G.H. Wilson, The use of the the Royal Psalms). 102 M. Saur, Die Königspsalmen, 24. 103 M. Saur, Die Königspsalmen, 21. 101
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2 Darstellung der Forschungsgeschichte
sucht werden, ob für Ps 110 Korrespondenzen zu anderen Königsliedern auszumachen sind, ob die Stellung von Ps 110 innerhalb des Psalters einer Schaltstelle gleichkommt und ob Ps 110 durch seine Position eine Veränderung in seiner theologischen Aussage erfahrt.
Hauptteil A: Literarische Analyse
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110 Wie der Überblick über die Forschungslage zu Ps 110 bereits gezeigt hat, verläuft die Diskussion vor allem hinsichtlich der Struktur, der Übersetzung und der Metrik sehr kontrovers. Das Defizit der bisher erbrachten Beiträge zu Ps 110 besteht darin, dass sie sich meist in nur einer Arbeitsweise (metrische oder kolometrische, syntaktische oder Akzent orientierte Analyse und andere) dem Text näherten. Deshalb werden innerhalb dieses Kapitels der vorliegenden Arbeit mehrere Methodenschritte durchgeführt, die eine Übersetzung des masoretischen Textes zum Ziel haben. In dieser literarischen Analyse wird also der masoretische Text untersucht, gegliedert und übersetzt. Sprachliche und syntaktische Besonderheiten werden erörtert, jedoch nicht geändert, da nicht nur ein möglicherweise ursprünglicher Psalmtext sondern auch die Textentstehung bis zum vorliegenden masoretischen Text dargestellt werden soll. Mögliche redaktionelle Eingriffe werden vermerkt und an späterer Stelle ausfuhrlich untersucht. 3.1 Der masoretische Text 104 ל ך ן ד מזמור1 נאם יהוה ו ל א ד נ י ש ב ל י מ ע י :עד־אשית איביף ה ד ם לר?ליך :איביך
ךב$ב
מטה־עזף־ י ש ל ח י ה ו ד מציון ירדה2 ך ב ת ב י ו ם ח י ל ף3 עקוןז3
: ל ך ת י ך: ב ה ך ך י ־ ק ך ש מ ר ח ם מ ש ח ר 'לף־ ט ל נ ש ב ע יהרה ו ו ל א ינחם4 :אתה־כהן לעולם על־תברתי מלבי־צךק :יום־אפו מלכים5 אדני על־ימץן! מחץ5 : ידיין ב כ ו י ם מ ל א ג ר ו ת מ ח ץ ר א ש ע ל ־ א ר ץ ר ב ה6 : תח ע ל ־ כ ן ; ר י ס ך א ש: מ נ ח ל ב ד ר ך יק7
104
Auf der Basis des Codex Leningradensis B19 A (L).
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3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
Textbeobachtungen und Erläuterungen zur Übersetzung: V.l: מזמורbezeichnet ein zu Instrumentenbegleitung gesungenes Lied 105 , das im religiösen Bereich mit ״Psalm" wiedergegeben wird. Die Überschrift als Ganze weist zwei Übersetzungsmöglichkeiten auf: 1.) ist es möglich, hier David als Verfasser zu verstehen. In der Überschrift einen umschriebenen Genitiv zu sehen und sie mit ״ein Psalm Davids" zu übersetzen, wäre allerdings zum einen durch die Satzstellung ungewöhnlich und so eher מץמור לדודzu erwarten. Zum andern stellt die Überschrift nach masoretische! ־Punktation keine Genitiv-Verbindung dar, da לח־רeinen trennenden Reb"1a יträgt. Bei vorliegender Satzteilfolge und Akzentuierung ist es eher möglich, מזמורals Epexegese zu dem vor לח־דausgelassenen Gattungsbegriff zu betrachten: Dies ist eine Dichtung von (oder: in Bezug auf) David und zwar ein Psalm.106 2.) ist es ebenso möglich, aufgrund der SatzStellung ״Für David, ein Psalm" zu übersetzen. Beide letztgenannten Varianten werden auch durch die masoretische AkzentSetzung gestützt. Ein besonderes Kennzeichen von Ps 110 ist seine prophetische Einleitungsformel. Dabei ist auffallig, dass יהוד zumeist den Schluss einer prophetischen Redeeinheit markiert. 107 In dem Ausdruck הדם לרגליךliegt ein umschriebener Genitiv vor, der mit ״ein Schemel deiner Füße" oder ״ein Schemel für deine Füße" wiedergegeben werden kann. In jedem Fall handelt es sich um ״einen Schemel", der im Hebräischen indeterminiert ist. Syntaktisch fallt auf, dass Ps 110 ebenso wie Ps 72 durch eine Folge von Imperativ und Imperfekt 108 eröffnet wird. Durch die Stellung des Imperfekts ( )אשיתnach der Konjunktion עד־wird eine - definitiv - eintretende Handlung geschildert. 109
105
Vgl. HALAT, Art.: .536 ,מזמור 106 Vgl. Gesenius/Kautzsch/Bergsträsser, § 129c. 107 Sehr häufig begegnet נאם יהוהin den Prophetenbüchern, dort vor allem bei Jeremia (über 150 Mal). Diese Formel kommt aber auch außerhalb der Prophetenbücher in Gen 22,16; Num 14,28; I Sam 2,30; II Reg 9,26; 19,33; 22,19 vor. Zwei weitere Stellen weisen ebenfalls keine Schiussstellung der Formel auf: Jes 56,8 und Sach 12,1, wobei in Jes 56,8 נאם אדני יהוהzwar den Versanfang bildet, der Vers an sich aber den Schluss eines Redeabschnittes darstellt. Bei Sach 12,1 liegt in נאם יהוהwie in Ps 110,1 der Beginn einer Gottesrede vor. 108 Trotz der Diskussion um die Begriffe ״Imperfekt" und ״Perfekt" zur Bezeichnung der hebräischen Verbformen behalte ich die im 19. Jh. von Heinrich Ewald in die Hebraistik eingeführten Begriffe bei, ohne eine Entscheidung zu treffen, ob das hebräische Verbalsystem eher ein Aspekt- oder Tempussystem ist (vgl. zur Diskussion u.a. J.F. Diehl, Hebräisches Imperfekt, 23-27). 109 D. Michel, Tempora und Satzstellung, 175.
3.1 Der masoretische Text
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V.2: Durch die Satzstellung Objekt - finîtes Verb - Subjekt wird der ״Stab deiner Macht^firrtgiE)" in diesem Fall besonders betont. 110 In der Wurzel rdh liegt ein gemeinsemitischer111 Herrschaftsterminus vor, so auch in der neu-assyrischen Königstitulatur, in der redû die universale und umfassende Leitungsfunktion des königlichen Herrschers ausdrückt. Ein religiöser Sprachgebrauch im strengen Sinn ist bei rdh nicht anzunehmen, da Gott weder Subjekt noch Objekt ist. 112 Ob רדהnun eine Friedens- oder Gewaltherrschaft eines Königs/Volkes über ein anderes Volk beschreibt, ist, biblisch betrachtet, zwar nicht eindeutig113 - zieht man allerdings die Vv.5-7 zur Interpretation von V.2 mit heran, so ist hier ein gewalttätiges Herrschen über die Feinde zu vermuten, von denen der König umgeben ist. E. Jenni erklärt ?קרב als ״Lokalisation in einer Personenmenge"114, sodass der König inmitten der Feinde agiert. Durch diese Lokalisierung des Königs in der Mitte von Feinden könnte auf eine Fremdherrschaft geschlössen werden, die das israelitisch/judäische Volk regiert. V.3: Die Schwierigkeit, diesen Vers zu übersetzen, zeigt sich vor allem in der Fülle von Übersetzungsmöglichkeiten, die in der alttestamentlichen Forschung und in den verschiedenen BibelÜbersetzungen geboten werden.115 V.3 besteht im masoretischen Text aus vier Nominalsätzen: ע?זך ; ד ב ת ביום ח י ל ך/ ביהךרי־קךש/ מךלום מ ש ח ד/ ל ך ך \ ־: ל ך ט ל.
Nominalsätze drücken im Hebräischen einen Zustand und keine Handlung aus. Folgen mehrere Nominalsätze aufeinander, so wird eine Entsprechung von (zuständlichen) Aussagen behauptet. 116 Es handelt sich folglich - syntaktisch betrachtet - im gesamten V.3 um eine Zustandsbeschreibung. Der erste Teil von V.3 bietet zu diesem Aspekt keine Schwierigkeit, da ״das Freiwillig-Sein des Volkes" durchaus einen Zustand am Tag der Macht des Königs beschreibt. Ebenso unproblematisch verhält es sich mit בהךרי־קךש. Dies ist eine ״nominale Mitteilung", bei der das Mubtada fehlt, und es stellt somit einen einpoligen Nominalsatz 117 dar. Diese nominale Mitteilung kann sich nach masoretischer Akzentuierung nicht weiterhin auf das Volk beziehen, da חילךmit einem "Ôlê wejôrëd versehen ist. Dieser Akzent stellt in poetischen Texten einen stärkeren Trenner dar als der Atnach.118 110
W. Groß, Die Satzteilfolge im Verbalsatz, 90ff. H.-J. Zobel, Art. .351 ,רדה 112 H.-J. Zobel, Art.: .355 ,רדה 113 Vgl. auch U. Neumarm-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen, 222. 114 E. Jenni, Die Präposition Beth, 221. 115 Vgl. U. Bail, Psalm 110, 103 u. G. Ravasi, II libro dei Salmi, 269. 116 Vgl. D. Michel, Tempora und Satzstellung, 185. 117 Vgl. D. Michel, Grundlegung einer hebräischen Syntax II; 159. 118 Vgl. P. Joüon u. T. Muraoka, A Grammar of biblical Hebrew, § 15h. 111
37 3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
So liegt es nahe, בהךךי־קךשauf den König zu beziehen, der im Schlussteil durch das לךnoch einmal eigens angesprochen wird. Die ״nominale Mitteilung", die nun folgt, ist aber schwerlich eine Zustandsbeschreibung:מרחם משח ר. Durch die Stellung des Atnachs steht חר: מרחם מקebenfalls als ein einpoliger Nominalsatz isoliert in V.3. Im Grunde läge auch hier eine ZustandsbeSchreibung vor, doch das ״Sein/Kommen aus dem Mutterleib" ist zeitgleich mit der ״Freiwilligkeit des Volkes" kaum verstandlieh. Ebenso verhält es sich mit der Aussage ״du hast den Tau deiner Jugend". Auch dies ist im eigentlichen Sinn keine Zustandsbeschreibung. Alle vier Nominalsätze miteinander in Entsprechung zueinander zu setzen, wirkt kaum verständlich. Es stellt sich die Frage, ob in V.3b ursprünglich ein Nominalsatz vorgelegen hat. Viele Handschriften - wie beispielsweise die hebräischen Spalten der Hexapla des Origenes, die Septuaginta und die Peschitta - bezeugen schließlich an dieser Stelle einen Verbalsatz, indem sie ל ד ת י ך: als ילז־תיךlesen. Wie diese Varianten ihrerseits Ps 110 interpretieren, sei vorerst zurückgestellt. Die erste Schwierigkeit in der Wortwahl von V.3 bietet das seitene נדבת. In der Forschung ist umstritten, ob es in der Bedeutung ״Dankopfer" oder ״Freiwilligkeit" zu verstehen ist. Als Vergleichstext kann Jdc 5,2.9 dienen: בפרע פרעות בישראל בהתנדב עם ברכו ידוה2 לבי לחוקקי ישראל המתנדבים בעם ברכו יהוד9
Hier stellt sich das Volk freiwillig an die Seite der Führer Israels. Wie in Ps 110 kommen sowohl עםals auch die Wurzel נדבvor, daneben ist auch der Kontext kriegerisch. Durch diese Parallele gestützt, ist in Ps 110,3 נדבתebenfalls mit ״Freiwilligkeit (des Volkes)" zu übersetzen. Dass in V.3 die Übersetzung von ״heiligem Schmuck" - und nicht ״im Glanz des Heiligtums" - bevorzugt wird, lässt sich einerseits mit der ähnlichen Constructus-Verbindung in den Pss 29,2 und 96,9 (I Chr 16,29 par.) begründen, in denen בדדרת־קדש vorkommt. Auch hier ist wie bei der Verwendung des ״Fußschemels" in V. 1 zu bemerken, dass es zwar weitere Stellen mit einer Constructus-Verbindung aus denselben Wörtern gibt, die Verbindung allerdings variiert. In den Pss 29 und 96 stehen die Göttersöhne beziehungsweise die Völker in heiligem Schmuck, um sich vor JHWH niederzuwerfen. Von einer Proskynese wird in Ps 110 jedoch nicht gesprochen. Andererseits ist auf einen weiteren sogenannten Königspsalm (Ps 21) hinzuweisen. In Ps 21,6 wird von der Pracht des Königs gesprochen, sodass es nahe liegt, dass auch in Ps 110 der König in Pracht gehüllt war.
3.1 Der masoretische Text
27
In בהךרי־קךשliegt eine ungewöhnliche, aber grammatisch nicht unmögliche Plural-Endung vor. Es fällt auf, dass hier nicht, wie in Ps 29,2, die eher als regulär erachtete Constructus-Verbindung בהדרת־־קדשsteht, sondern dass eine Maskulin-Endung vorliegt. Obwohl הדרfeminin ist, kann auch dieses Wort eine maskuline Endung haben, da feminine Plural-Endungen sprachgeschichtlieh meist das Konkrete (Nomen unitatis), während maskuline das Allgemeine (Nomen collectivum) bezeichnen.119 So ist es durchaus möglich, dass der Autor über eine große Menge von ״Schmuck" (Collectivum) und nicht über viele einzelne Schmuckstücke eine Aussage treffen will. Aus diesem Grunde liegt hier keine Notwendigkeit vor, den Text in ( בהררי־קדשauf heiligen Bergen) zu ändern, wie es häufig in der Forschung geschieht.120 Die Vokalisation von משחרist ungewöhnlich. Die Masoreten vokalisieren das Wort als Nominalbildung des Verbs שחר. Diese Art der Nominalbildung beschreibt einen Ort (wie z.B. )מנדל oder den Gegenstand einer Handlung (beispielsweise 121( מכתבdas ist hier allerdings nicht der Fall. Zu der Wurzel s.h.r ()שחר existieren im biblischen Hebräisch drei verschiedene Bedeutungen: שחרI kommt als Verb nur in Hi 30,30 vor und heißt ״schwarz werden". Das Adjektiv ״schwarz" ist häufiger.122 שחר II begegnet (bis auf Prov 11,27) stets im Picel und bedeutet ״auf etwas aus sein, suchen nach". שחרIII impliziert vermutlich die Aussage von (״weg)zaubern; weggezaubert machen", so in Jes 47,11. 123 Eine Nominalbildung dieser Aussagen erscheint wenig sinnvoll, da weder ״das Schwarze" einen Ort oder Gegenstand darstellt noch ״der/die/das Suchende/Gesuchte" oder das ״Weggezauberte". ״Jemand, der etwas sucht" würde eine Partizipialform erfordern, nicht aber eine Miqtal-Bildung. Die Nominalbildung משחרist lediglich im masoretischen Text bezeugt, während andere wichtige Textzeugen (die Septuaginta, die hebräischen Spalten in der Hexapla des Origenes, Theodotion, die Peschitta124) משחרlesen und somit hier die ״Morgenröte" beschreiben. Dieses Phänomen der eigenwilligen Punktation des 119
Vgl. D. Michel, Grundlegung einer hebräischen Syntax, 34ff. Vgl. L.C. Allen, Psalm 110, 79f.; auch H.-J. Kraus, Die Psalmen II, 926f.; L. Krinetzki, Ps 110(109), I I I u.ö. 121 Yg! p joüon u. T. Muraoka, A Grammar of biblical Hebrew, § 88Ld. 122 Lev 13,31.37; Cant 1,5; 5,11; Sach 6,2.6. 123 So HALAT, Art.: 1358 ,שחרf. 124 In der Leidener Ausgabe der Peschitta ist allerdings nicht direkt das Phänomen der ״Morgenröte" im Text erkennbar, doch scheint sich die Vokalisation von משחרin der syrischen Wiedergabe zu verbergen (vgl. dazu Kapitel 7.3 Die syrische Übersetzung von Psalm 110 in der Peschitta, S. 206ff). Ähnlich verhält es sich mit dem Theodotion-Text. 120
28
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
MT soll an späterer Stelle weiter analysiert werden. So, wie diese Vokabel im masoretischen Text begegnet, muss sie wörtlieh als ״das Schwarze" übersetzt werden.125 Welche Bedeutung damit intendiert ist, wird innerhalb der innerbiblischen Exegese erläutert werden. Des Weiteren ist es nicht erforderlich, in der Constructus-Verbindung מרחם משחרeine Dittographie anzunehmen.126 Ohne eine Änderung im Konsonantenbestand vorzunehmen, bleiben zwei Möglichkeiten in der grammatischen Analyse dieser Constructus-Verbindung. Einerseits ist es möglich, dass der Autor hier mit einem doppelten מןein Stilmittel (Alliteration, Anapher) schaffen wollte. Dazu könnte man Ps 22,11 als Parallele heranziehen; denn dort heißt es: קליף השלכתי מרחם מבטן אמי אלי אתה: Auch hier fallt die Konstruktion mit einem doppelten מןins Auge. Der Unterschied liegt allerdings in der Stellung des Atnachs. So ist dies hier nicht als eine Art Anapher anzusehen, sondern als synonymer Parallelismus: Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoß her, von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott. Eine andere Parallele mit doppeltem מןist in Prov 8,23 zu sehen: מעולם נסכתי מראש מקדמי־ארץ. Von Ewigkeit her war ich eingesetzt, von Anfang an, von den Urzeiten der Erde. Die zweite grammatische Möglichkeit ist die Annahme eines enklitischen Mems, wie dies von P. Joüon/T. Muraoka 127 und H. Hummel 128 vertreten wird. Das Phänomen eines enklitischen Mems kommt meist in Genitiv-Verbindungen (so auch im Ugaritischen129) vor. Joüon/Muraoka nennen in Ubereinstimmung mit Hummel folgende Stellen, an denen dieses Phänomen in der BHS zu finden sei: Gen 14,6 ;בהררם שעירNum 21,14 ואת־הבחלים ;ארנוןPs 18,16 ( אפיקי מיםvgl. II Sam 22,16 )אפקי יםsowie Ps 110,3 )מרחמם שחר =( מרחם משחר. Wichtig für die vorliegende Analyse ist die Tatsache, dass damit auch in einem sogenannten Königspsalm ein enklitisches Mem zu finden ist, ähnlich zu Ps 110,3 auch in proklitischer Stellung, wie es die masoretische Gestalt darbietet.
125 Die Lesart ״Morgenröte" impliziert folglich eine Änderung des MT, sodass U. Bail nicht zugestimmt werden kann: ״Wörtlich übersetzt, und das heißt in diesem Fall, ohne Veränderung des masoretischen Textes lautet dieser Versteil: In heiligem Schmuck aus dem Schoß der Morgenröte ist dir der Tau deiner Jugend." U. Bail, Psalm 110, 102. 126 So Th.C. Vriezen, Psalm 110, 82 und H.-J. Kraus, Die Psalmen II, 927. Sie halten das zweite mem fur eine Dittographie; so auch D.A. Robertson, Linguistic evidence, 106. 127 P. Joüon u. T. Muraoka, A Grammar of Biblical Hebrew, § 129«. 128 H. Hummel, Enclitic Mem in Early Northwest Semitic, 98. 129 Vgl. J. Tropper, Ugaritische Grammatik, 825ff.
3.1 Der masoretische Text
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Die Punktation von ילדתיךist in dieser Form als Nomen unter den wichtigen Textzeugen lediglich im masoretischen Text bezeugt. Die Septuaginta, die hebräischen Spalten der Hexapla des Origenes, die Peschitta und viele hebräische Handschriften130 hingegen sehen hier ein Verb: ״Ich habe dich geboren". Wenn die masoretische Punktation in der Übersetzung berücksichtigt wird, dann bildet der letzte Teil dieses Verses eine Constructus-Verbindung und ist - wie folgt - zu übersetzen: ״Du hast den Tau deiner Jugend/Kindheit." Die Wendung לך טלbirgt allerdings gewisse Schwierigkeiten in der Übersetzung. Dass die Septuaginta beide Wörter scheinbar weglässt, wird in einem eigenen Kapitel untersucht; ebenso das Motiv des Taues. Wird ילדתיךnicht als Nomen, sondern als Verb (״ich habe dich geboren") aufgefasst, so ist לך טלnicht Teil einer Constructus-Verbindung, wie dies die Masoreten intendierten (״für dich Tau deiner Jugend/Kindheit"). An dieser Stelle sei lediglich auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten des Lamed im biblischen Hebräisch hingewiesen. Die zu fällende Entscheidung an dieser Stelle ist, ob es sich um ein Lamed ascricptionis handelt, das die Zugehörigkeit von Dingen zu Personen kennzeichnet131, oder aber, ob hier ein Lamed revaluationis als spezifizierende ReIdentifikation13- vorliegt. So wäre im ersten Fall zu übersetzen: ״für dich ist Tau" oder im letztgenannten Fall ״nämlich: Du als Tau" oder: ״nämlich: Du der Tau". V.4: Gemäß der Tempusfolge ist die Handlung des ולא ינחםdie ne־ gierte Folge von133.נשבעיהוה In dem Ausspruch אתה־כהן לעולםliegt eine deklarative Ernennung 134 der angesprochenen Person vor. Ein Problem stellt allerdings die Wortfolge dar; denn in anderen nominalen Deklarativen folgt das Pronomen der Statusbezeichnung, so z.B. in Ps 2,7 בני אתהoder in Jes 41,9 und 49,3 עבדי אתה. In Ps 110,4 liegt der Fall genau anders, wie auch in II Sam 3,12. 130
Die Handschriften, die ילדתיךgenui te lesen, sind bei de Rossi wie folgt verzeichnet. Ken. 2, 17, 30, 31, 36, 41, 89, 102, 121, 130, 171, 176, 180, 192, 203, 204, 207, 208, 209, 210, 213, 215, 219, 227, 239, 242, 251, 252, 319, 330, 399, 400, 402, 403, 404, 423, 425, 437, 444, 455, 456, 477, 495, 496, 497, 520, 539, 546, 559, 572, 587, 598, 601, 602, 606, 625, 638, 639, 646. 131 Vgl. E. Jenni, Die Präposition Lamed, 69. Dieser Kategorie ordnet E. Jenni dieses ל ך ט לzu. 132 Vgl. E. Jenni, Die Präposition Lamed, 46. Hier sind Beispiele aufgezählt, aber nicht Ps 110,3. Ich halte es aber dennoch für eine Möglichkeit, die später berücksichtigt wird. 133 Vgl. D. Michel, Tempora und Satzstellung, 129ff. 134 A. Wagner, Sprechakte und Sprechaktanalyse, 148ff. Vgl. auch zum Folgenden.
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3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
In על־־ךבךתיliegt ein sogenanntes Chirek compaginis vor. 135 Dieses grammatische Phänomen tritt an das nomen regens in der Constructus-Verbindung heran. Zudem findet sich das Chirek compaginis an einigen Partikeln, wie 138לתי-ז136,מבי137, בלתיund oder חניאל. Außerhalb des st. cstr. steht das Chirek compaginis nur ״in Partizipialformen im sichtlichen Streben nach voller tönenden Formen."140 Nach Präpositionen steht in hebräischen Texten eigentlich der Genitiv, so auch in diesem Fall, wenn er sich auch als solcher nicht immer durch eine besondere Endung auszeichnet.141 Nach D.A. Robertson liegt an dieser Stelle statt eines Genitivs eine besondere Betonung vor; in der Übersetzung ändere sich allerdings nichts. Des Weiteren wäre diese Endung ein Zeichen für einen alten Text.142 Ob in diesen Texten eine althebräische Sprach־ form vorliegt oder ob bewusst eine archaisierende Sprache vom Autor verwendet wurde, ist allerdings nicht feststellbar. Hinsichtlich der Übersetzung ist der ausfuhrlichen Untersuchung V. Hamps zu der Wendung ךתי2 על־ךzu folgen und mit ״in Nachahmung" von Melchisedek wiederzugeben. i43 Zu dieser Stelle sei des Weiteren mit Hamp auf Ps 45,5 verwiesen - einen anderen sogenannten Königspsalm - , der in vergleichbarer Weise (nur ohne Chirek compaginis) die Wendung על־דברbenutzt: wegen der Wahrheit oder: für die Sache der Wahrheit. S. Schreiner wendet sich ausdrücklich gegen die Annahme einer alten Genitiv-Endung, und übersetzt diese Stelle mit ״um meinetwillen".144 Er gelangt zu dem Schluss, dass das Yod das 135
Dies ist ein Yod, das meist betont und an den status constructus angefügt ist, um dessen enge Verbindung mit dem folgenden Genitiv zu unterstreichen, und das vermutlich auf die alte Genitiv-Endung „i" zurückgeht. Vgl. O. Grether, Hebräische Grammatik, 160. Vgl. auch Gesenius/Kautzsch/Bergsträsser, §90 u. P. Joüon u. T. Muraoka, Α Grammar of Biblical Hebrew, § 93/. Dtn 1,36; 4,12; Jos 11,13; I Reg 3,18; 12,20; Ps 18,32. Jdc 5,14; Jes 46,3; Ps 44,11.19; 45,9; 68,32; 74,22; 78,2.42; 88,10; Hi 6,16; 7,6; 9,3.25; 11,9; 12,22; 14,11; 15,22.30; 16,16; 18,17; 20,4; 28,4; 30,30; 31,7; 33,18.23.30; Mi 7,12. 138 Gen 21,26; 43,3.5; 47,18; Ex 22,19; Num 11,6; 21,35; 32,12; Dtn 3,3; Jos 8,22; 10,33; 11,8.19; Jdc 7,14; I Sam 20,26; II Reg 10,11; Jes 10,4; 14,6; Am 3,3.4; Hi 14,12; Dan 11,18. 139 Jes 47,8.10; Zeph 2,15. ' 4 0 Z.B. in Jes 22,16; Mi 7,14; Ps 101,5; 113,5-7; 114,8. Zu diesem ganzen Abschnitt vgl. Gesenius/Kautzsch/Bergsträsser, § 90 l. 141 E. König hat in Ps 110,4 diese „alte" Kasus-Endung erkannt und noch weitere Beispiele angeführt. Vgl. E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik, 279. 142 D.A. Robertson, Linguistic evidence, 76. 143 Vgl. V. Hamp, Ps 110,4b und die Septuaginta, 522. 1 44 Vgl. S. Schreiner, Psalm CX und die Investitur des Hohenpriesters, 221.
3.1 Der masoretische Text
31
Suffix der 1. Ps. Sg sei und sich auf JHWH beziehe. Problematisch an dieser These ist, dass eine Vergleichspartikel zu Melchisedek fehlt. Eine andere Lösung schlägt S.R.A. Starbuck vor. Er sieht in der Verbindung על־דברתיdas - korrupte - königliche Epitheton baal dibrötay ״Lord of My Command".145 In dem ugaritischen Namen 'amrb'l ״Command of Ba'al" wäre ein vergleichbarer Titel zu sehen, ebenso wie in dem ägyptischen Epitheton auf Ramses III ״Bacal with His Sword" und ״Lord of Truth". So gelangt Starbuck zu folgender Übersetzung von V.4: "Yahweh has sworn and he will not disavow: 'You are 'Priest Eternal', 'Lord of My Command', King of RighteousnessV'146 Dieser Vorschlag birgt allerdings das Problem, dass einerseits ein Eingriff in den Konsonantenbestand notwendig ist (Starbuck ergänzt ein ב, um בעל דברתיlesen zu können), der nicht auf der Grundlage anderer Textzeugen erfolgt. Andererseits gibt es für die Wendung בעל דברתיkeine biblische Parallele. Die von Starbuck angeführte Dtn-Stelle (Dtn 33,3) weist zwar die Vokabel דברתauf, die aber weder in Kombination mit בעלgebraucht noch als Epitheton verwendet wird. V.5: Ein Fragment aus der Kairoer Geniza wie auch andere HandSchriften bezeugen ״JHWH" anstatt אדני, was inhaltlich richtig ist. Doch ist an dieser Stelle die Gottesbezeichnung אדניbewusst gewählt, um auf V. 1 zurückzuweisen und durch die Aufnahme von אדניmit geänderter Punktation einen Perspektivenwechsel von Gott auf den König einzuleiten. In V.l ist ״mein Herr" an Gottes rechter Seite, in V.5 ist Gott, der HERR, an der rechten Seite des Königs. Die Frage nach dem Subjekt in den Versen 5-7 wird an späterer Stelle diskutiert werden. Syntaktisch betrachtet, beschreibt ein Nominalsatz vor einem Verbalsatz einen Zustand, der zur Zeit der eintretenden Handlung des Verbalsatzes noch andauert.147 Somit wäre es möglich V.5 wiederzugeben mit: ״Der HERR ist an deiner Rechten Seite und nun/von da aus schlägt er am Tag seines Zorns Könige." מחץstellt eine definitive Tat JHWHs dar, unklar ist allerdings die Zeitstufe, sodass kontextuell entschieden werden muss: Geht man davon aus, dass der ״Tag seines Zorns"/iS8־DVS eine zukünftige evtl. eschatologische Aussage ist, so ist eine präsentisch/futurische Übersetzung notwendig: Er zerschlägt Könige. Bezieht sich ביוט־אפוauf eine vergangene Tat JHWHs in der Geschichte Israels/Judas, muss vergangen übersetzt werden. V.6: Durch den Imperfekt-Anschluss wird eine Folge von V.5 beschrieben, sodass יז־ין בגויםim Handlungsverlauf die Folge von 145 146 147
S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, 155. S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, 156. D. Michel, Tempora und Satzstellung, 184.
32
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
מחץ מלכיםdarstellt. Doch sind beide Verse durch einen Silluq und Sof iPasuq getrennt. Wie auch zu V.l legt sich zu dieser Wendung ein Vergleich mit Ps 72,If. nahe, da in Ps 72 vom König(ssohn) ausgesagt wird, dass er sein Volk in Gerechtigkeit richten soll. In Ps 72 heißt es: : אלהים משפטיך למלך תן וצדקתך לבךמלך1 ידץ עמך בצדק2 Gott, gib deine Rechts Satzungen dem König und deine Gerechtigkeit dem Königssohn, damit er dein Volk richten wird in Gerechtigkeit Auch hier ist mit ידיןder König gemeint, der mit Gottes Hilfe richten soll, nur das Objekt ist das eigene Volk. Demgegenüber könnte Ps 110 die Aussage noch übertreffen, da der König von JHWH dazu aufgerufen ist, sogar unter den Fremdvölkern zu richten. Der folgende Nominalsatz stellt zudem eine Erläuterung zu diesem Verbalsatz dar, womit das Richten unter den Völkern näher beschrieben wird: ״damit er richten wird unter den (Fremd-)Völkern, (Täler) füllend mit toten Körpern". Dass das Subjekt des Nominalsatzes der König ist, legt eine Parallel stelle aus dem Siegeslied auf Thutmose III. nahe, das - wie später darzustellen ist - viele Parallelen zu Ps 110 aufweist. Es spricht Amun-Re zu Thutmose III.: Ich zeige ihnen Deine Majestät als wilden Löwen, wie du sie zu Leichen machst in ihren Tälern. *48 Aquila, Symmachus und Hieronymus lesen in Ps 110,6 anstatt ףות-$ (״tote Körper") ״( גאיותTäler") in Kombination mit מלא. Vermutlich liegt hier aber eine Ellipse vor, da in dem zitierten Siegeslied auf Thutmose III. Täler mit Leichen gefüllt werden. L. Krinetzki entscheidet sich für גאותals ursprüngliche Textbasis und übersetzt somit ״umstrahlt von Hoheit". Er konstatiert, dass sich diese Lesart von selbst als die einzig mögliche empfehle, ״zumal sie einen sehr guten Sinn ergibt"149. Das allein ist kein ausreichender Grund für eine Textkorrektur.
148 149
J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, 526, Z. 70f. L. Krinetzki, Ps 110 (109), 112.
3.2 Beobachtungen zum Sprach- und Motivschatz
33
Grammatisch betrachtet, kann מלאsowohl Partizip Qal 150 , ein Verbaladjektiv, sein als auch Qal 3. Pers. Pf. Dass es sich aber bei מלא גוירתum einen Nominal- und nicht Verbalsatz handelt, wird durch die Syntax der Verse 5-1 gestützt, denn es liegt zweimal die parallele Abfolge Nominalsatz - Perfekt Imperfekt (bzw. x-Imperfekt) vor, Die perfektische folgende Aussage expliziert die Aussage über das Richten der (Fremd-)Völker und das Füllen der Täler mit toten Körpern: Es wird nochmal zusammengefasst, dass der König andere Könige auf der Erde besiegt. Mit ראשist nicht zwingend der ״Kopf von vielen Menschen" gemeint, sondern speziell die ״Köpfe von anderen Königen", datfin auch die Bedeutung von einem ״Kopf, der die Krone trägt", haben kann. Das Bezugswort von ה: רבist nicht deutlich erkennbar. Da ארץin der hebräischen Bibel als ״weite/große Erde" im Singular nicht in Kombination mit רבהauftritt151 und der Kopf ( )ראשnicht weiblich ist, bleibt nur eine Bezugsmöglichkeit offen: רבהist hier ein Adverb, das מחץnäher beschreibt: Er zerschlägt reichlich die Köpfe anderer Könige. Als Adverb wird רבהauch im Psalter verwendet (Ps 62,3; 78,15: hier ebenfalls am Schluss des Verses), sodass diese Übersetzung zu bevorzugen ist. V.7: Dieser Vers beginnt mit einer Inversion durch ein imperfektisches Prädikat. Wenn eine solche Inversion einem Verbalsatz mit perfektischem Prädikat folgt (so der Schluss von V.6), wird dadurch einer Aussage ein gewisser Abschluss gegeben.152 Das ״Trinken aus dem Bach" und das ״Erheben des Kopfes" sind somit die Folge des מחץaus V.6c und als Schluss beziehungsweise als Abgesang des Psalms zu verstehen. 3.2 Beobachtungen zum Sprach- und Motivschatz Es lassen sich folgende Phänomene beobachten: 1. Es ist kein hapax legomenon vorhanden, insofern, als eine bestimmte Wurzel lediglich in Ps 110 vorkommt. In ihrer Zusammenstellung und ihrer Position im Satz sind allerdings einige Constructus-Verbindungen in der hebräischen Bibel einzigartig. Diese sind: 150 Diese Partizip-Bildung ist eine Ausnahme, vgl. P. Joüon u. T. Muraoka, A Grammar of Biblical Hebrew, §78/. Ein Beispiel hierfür ist Jer 23,24: הלוא את־־השמלם ןארדהאךץ אני מלא. 151 Im Plural gibt es die Kombination einmal in Jer 28,8: אל־ארצות רבותsowie in 11QT 59,2 ( )ויבזרום בארצות רבותund lQpHab VI,8 ( . ( ר ב ו ת 152 yg] d Michel, Tempora und Satzstellung, 186f.
ר י ב ארצות
34
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
נאם יהוהam Satzanfang153 ( עמך נדבתbeide Wurzeln kommen in Jdc 5 vor, dort ist נדבallerdings ein Verb) ( בהךרי־קךשIn Ps 29,2 und 96,9 begegnet: 154
דזדם לרכליך על־דברתי 156 מרחם משחר Nur an dieser Stelle sind in den Psalmen die Wörter גויות, ( מטהin der Bedeutung ״Stab"), die Anrede לאתיund der Name מלכי־צךק vorhanden. Während 157 כויותgesamtbiblisch eine seltene Vokabel ist, begegnen מטהund אדניsehr häufig im Pentateuch. Das Motiv vom Füllen ״mit toten Körpern" findet sich, wenn nicht biblisch, so aber außerbiblisch in einem poetischen Text - im Siegeslied von Thutmose III., das später ausführlich dargestellt werden wird. Der מטה~עזfindet sich zwar nicht im Psalter, dafür aber biblisch außerhalb des Psalters in poetischen Texten (Ez 19 und Jer 48). Die Wurzel נחםsteht vermehrt im Psalter, hat jedoch verschiedene Bedeutungsnuancen. Oft wird mit dieser Wurzel in den Psalmen ausgedrückt, dass jemand getröstet wird oder dass Gott Mitleid hat. Letzteres zeigt sich z.B. in Ps 106,45: Hier zeigt JHWH Mitleid mit seinem Volk und gedenkt an seine בריתtrotz des unrechten Verhaltens des Volkes. In Ps 90,13 meint נחםentweder ״eine Strafe zurücknehmen" oder ״Mitleid empfinden". Die Bedeutung der Wurzel נחםist in Ps 110 jedoch eine andere158, da es hier um eine Tat JHWHs geht, die er selbst nicht bereuen wird. In poetisehen Texten zeigt sich somit keine vergleichbare Verwendung dieser Wurzel, wie auch die außerbiblische Untersuchung zeigen wird. In dem poetischen Text Num 23,19 wird sogar gegenteilig behauptet, Gott sei kein Menschenkind, dass er etwas bereute. Alle übrigen Vokabeln sind als häufiges Psalmvokabular zu beschreiben:ימין,עז,חיל,שית,ציון, הדר, לעולם, עם, מלכיםund .איב Vergleiche mit Sonne und Mond wie auch mit der Morgenröte und dem Tau sind gängige Motive: In Ps 72,5.6.17 finden sich ״Sonne", ״Mond" und ״Tau/Regen"; in Ps 89,37f. ״Sonne und Mond"; in Ps 133,3 die Wendung כטל־חרמון. In Ps 57,9 und 108,3 155
2.
3.
4. 5.
153
Vgl. dazu Kapitel 4.1 Die ״prophetische" Einleitungsformel, S. 48ff. 154 vgl. dazu die Analyse dieser Wendung im Kapitel 4.2.2 Feinde als Fußschemel, S. 57ff. 155 Sonst gibt es diese Verbindung nur in Hi 5,8 in der Bedeutung ״Sache" und in Koh 3,18 und 8,2 als ״wegen". 156 Eine ausführliche Untersuchung dazu steht im Kapitel 4.5 Motiv und Bedeutung von מרחם משחר ל ך ט ל ילדתיך, S. 80ff. 157 In der Bedeutung ״toter Körper" nur Jdc 14,8f.; I Sam 31,10.12 und Nah 3,3 sowie in Sir 49,15. 158 Vgl. H. Simian-Yofre, Art.: 375 ,נחם.
35
3.3 Beobachtungen zur Poetologie
begegnet die bildhafte Beschreibung ״ich will die Morgenröte wecken" ()אעירה שחר, in Ps 139,9 die Metapher ״Flügel der Morgenröte" .כנפי־שחר 6. Auch die Hyperbel der Geringschätzung159, dass die Feinde unter die Füße gelegt werden, ist nicht untypisch für die Sprache der Psalmen: Ps 8,7: ;כל שתה תחת־רגליוPs 18,39: ;יפלו תחת רגליPs 47,4: ולאמי• תחת רגלינו. Vom ״Fußschemel" wird in Ps 99,5 und 132,7 ( )להדם רגליוgesprochen. 3.3 Beobachtungen zur Poetologie H.-J. Kraus hält treffend zu Ps 110 fest: „Die Schwierigkeiten beginnen bereits in der Beurteilung des Metrums." 160 Dementsprechend gibt es in der Forschung zu Ps 110 verschiedene Thesen zu einem dem Psalm zugrunde liegenden metrischen System. Um die Gegensätzlichkeit der Ergebnisse darzustellen, sind hier drei Varianten tabellarisch wiedergegeben.161 Vers Überschrift Vers 1 Vers 2 Vers 3 Vers 4 Vers 5 Vers 6 Vers 7
Metrum nach Kraus
Metrum nach Seybold
Metrum nach Krinetzki
3+2 2+2 2+3+3 2+2 2+2+3 2+2 2+2 2+2 3+3 2+2 3+2
3+ viermal 2+2+2
3+2 3+2 2+3+3 2+2 2+3 2+2 3+2 3+3 2+2 2+2 3+3
3+ viermal 2+2+2
Diese drei Beispiele verdeutlichen die Schwierigkeit, ein eindeutiges Metrum festzustellen. Alle drei Exegeten gehen mit dem Vorverständnis, dass hier ein einheitliches Metrum vorliegen müsse, an die Ana-
159
Vgl. E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik, 71f. H.-J. Kraus, Psalmen II, 928. 161 Weitere Thesen zum metrischen Muster von Ps 110 finden sich bei: G. Ravasi, Il libro dei Salmi, 259. Zum Folgenden vgl. H.-J. Kraus, Psalmen II, 928; K. Seybold, Die Psalmen, 437ff. u. L. Krinetzki, Ps 110 (109), 113. 160
36
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
lyse dieses Psalms und ändern dementsprechend den masoretischen Text. So rekonstruiert Kraus die Verse 5 und 6 wie folgt 162 : Vers 5: Vers 6:
אדני על־ימינך מחץ מלכים ביוס־אפו ידין בגויות מלא גאיות מחץ ראש על־ארץ ר ב ה
Krinetzki ist inkonsequent im Umgang mit den Maqqef-Verbindungen. In V.l wird עד־אשיתeinzeln als zwei Hebungen gezählt, während in V.4b על־דברתי־eine Hebung darstelle. Auch die Zählung von V.5 wäre damit uneinheitlich. Zudem stützt Krinetzki sich auf die Lesart der Septuaginta in V.3, die so nicht im masoretischen Text bezeugt ist. Im Anschluss an diese Darstellung soll eine eigene metrische Analyse dieses Psalms durchgeführt und ausgewertet werden 163 : Vers 1: 3+2 3(2)+2 Vers 2: 2(1 )+3+3 Vers 3: 2+2 2( I)+2+3 Vers 4: 2+2 3(2)+4(2) Vers 5: 3(2)+4(3) Vers 6: 2+2 2+3(2) Vers 7: 3+4(3)
So, wie Ps 110 im masoretischen Text begegnet, ist kein zugrunde liegendes metrisches System erkennbar, da die Stichen in ihrer Länge zu unterschiedlich sind. Die Verse 5 und 7 enthalten jeweils einen Stichos mit vier Wörtern, die Verse 2 und 3 enthalten frei schwebende Trikola. Den Psalm in ein metrisches Muster zu zwängen und aufgrund dessen Textänderungen und Umstellungen am masoretischen Text vorzunehmen, ist der falsche Weg. Einzelne Verse könnten durchaus als metrisch aufgefasst werden, wie z.B. V.6 164 - das bleibt allerdings ohne nähere Anhaltspunkte nicht zu beweisen. 162 H.-J. Kraus, Psalmen II, 926f. Darüber hinaus ist seine Auffassung von Vers 7 als ein 3+2 Metrum für mich nicht einsichtig. 163 In Klammern stehen Varianten der Maqqef-Verbindungen, ob diese als ein oder zwei Hebungen zu lesen sind. 164 K. Seybold, Poetik der Psalmen, 124: ״eine Untergliederung bei den (2+2) + (2+2) ist häufig."
37
3.3 Beobachtungen zur Poetologie
Eine kolometrische Analyse ergibt folgendes Bild: 1.1. 1.2.
L Überschrift:
Bikolon:
1.3.
Bikolon:
2.1.
Bikolon:
2.2. 3.1.
Monokolon: Bikolon:
3.2.
Monokolon: Bikolon:
4.1.
Bikolon:
4.2.
Bikolon:
5.1.
Bikolon:
6.1.
Trikolon:
7.1.
Bikolon:
ל ד ו ד מזמור אם יהוד לאדני: שב לימיני עד־־אשית איביך ה ד ם לרגליך מטה־עזך ישלח יהוה מציון ר ד ה ב ק ר ב איביך עמך נ ד ב ת ביום ח י ל ך בהדרי־קדש מרחם משחר ל ך ט ל ילדתיך נשבע יהוה ולא ינחם אתה־כהן לעולם על־דברתי מלכי־־צדק אדני על־ימינך מחץ ביום־אפו מלכים ידין בנוים מלא גויות מחץ ראש על־ארץ ר ב ה מנחל ב ד ר ך ישתה על־־כן ירים ראש
9 12 8 11 9 6 13 12 7 8 8 8 10 8 7 11 14 11 15 9 8 14 12 11
Auch an dieser Analyse wird deutlich, dass hier kein Psalm übergreifender Rhythmus vorliegt. Wenn man von einer idealen Kolon-Länge, die zwischen 10-16 Konsonanten variiert, ausgeht, dann liegen einige Verse außerhalb des Schemas. Zudem weisen Monokola auf eine Störung im Rhythmus hin, sodass in den Versen 2 und 3 kein durchgehend metrisches Muster vorhanden ist. Ebenso ist das Trikolon in V.6 auffallig, da Trikola sonst meist einen Abschluss markieren. Zu einem ähnlichen Ergebnis - dass in Ps 110 kein einheitlicher Rhythmus zugrunde liegt - gelangt auch O. Loretz.165 Er fuhrt ebenfalls eine kolometrische Analyse von Ps 110 durch und stellt Störungen im Rhythmus fest. Loretz allerdings kommt zu folgenden Schlussfolgerungen auf dem Boden seiner kolometrischen Untersuchung:166
165
O. Loretz, Die Psalmen II, 162ff. Seine kolometrische Analyse weicht allerdings an manchen Punkten von der oben dargestellten ab. 166 Vgl. ebd.
58
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
• נאם יהוה לאדניsei eine sekundäre Einleitung der folgenden Rede. ® Zu שב לימיני עדfehle ein paralleles Kolon, wie auch zu אשית הרם ® sei eine ergänzende Glosse, weil es das Kolon überfülle. ® עמך נדבת ביום חילך בהדרי־קדשsei eine messianische Glosse. • V.7 sei eine ״Glosse, die nachträglich noch auf das Tun des Messias hinweist."167 Nachdem sich gezeigt hat, dass in Ps 110 kein einheitliches rhythmisches Muster erkennbar ist, sind zwei Interpretationen möglich: Entweder lässt Ps 110 ein erhebliches Textwachstum erkennen, das diese Störungen in der Rhythmik hervorgerufen hat (wie dies beispielsweise O. Loretz vermutet), oder Ps 110 ist kein poetischer Text. Um letztere Möglichkeit zu prüfen, soll Ps 110 nun anhand der von W.G.E. Watson aufgelisteten Kriterien168 für poetische Texte untersucht werden. Watson teilt die Kennzeichen für Poesie in vier Gruppen ein: Broad, Structural, devices concerned with sound (wordplay and rhyme) and negative criteria (absence of components). Zu Gruppe 1 (״Broad") werden Phänomene wie ungewöhnliches Vokabular wie auch Satzteilfolge, die Ellipse, eine besondere Kürze der Sätze, Archaismen und Symmetrie gezählt - in Ps 110 lassen sich all diese Phänomene nachweisen. Wie bereits oben analysiert, enthält Ps 110 seltenes Vokabular, besonders in Form der Constructus-Verbindungen. Ungewöhnliche Wortstellungen liegen durch die Hyperbata in den Vv.5 und 6 vor ( מלבים... מחץund רבה... )מחץ ראש. Diese Verse sind zudem symmetrisch aufgebaut. Auch in V.4 steht der deklarative Sprechakt in ungewöhnlicher Satzteilfolge. V.3 ist eine AnSammlung von Kurzsätzen, bei dem einmal das Mubtada ausgelassen ist (Ellipse). Ebenso möglich ist die Annahme, dass in der Formulierung מלא גויותdie ״Täler" ausgelassen wurden (wie dies im Siegeslied von Thutmose III. belegt ist) und somit eine Ellipse vorliegt. Ein Archaismus liegt in dem Chirek compaginis in V.4 vor (sowohl in על־דברתיals auch in )מלכי־צדק, eine weitere archaisierende Form könnte ein enklitisches Mem in V.3 ( )מרחם משחרdarstellen. Zu den Strukturmerkmalen (bei Watson bilden sie die zweite Gruppe) ist festzustellen, dass sowohl parallel als auch chiastisch konstruierte Sätze vorhanden sind. Die Vv.l und 2 sind chiastisch aufgebaut: Imperativ - Imperfekt//x-Imperfekt - Imperativ. Falls in V.3 ילדתיךnach der LXX in ein Verb geändert wird, ist auch dieser Vers in sich chiastisch konstruiert: Nominalsatz - x-Perfekt//Perfekt - Nominalsatz. Die Vv.5 und 6 sind sowohl durch die gleiche Vokabel מחץ und einem folgenden Hyperbaton ( מחץund מלכים, מחץ ראשund )רבה
167 168
O. Loretz, Die Psalmen II, 164. W.G.E. Watson, Classical Hebrew Poetry, 46ff.
3.3 Beobachtungen zur Poetologie
39
parallel hintereinandergestellt als auch durch die Satzfolge der Vv.5-7. Hier liegt folgendes Muster vor: Nominalsatz - Perfekt - Imperfekt//Nominalsatz - Perfekt - x-Imperfekt - x-Imperfekt. Das Wortpaar in Form von ״Morgenröte und Tau" existiert zwar nicht im masoretischen, in einem unvokalisierten Text hingegen schon. Bin klassischer Auf- und Abgesang ist nicht festzustellen. In V. 1 ist zweimal ein Homoioteleuton zu erkennen: לימיני...לאדני לרגליך...איביך Schließlich ist anzumerken, dass sich in Ps 110 - außer in V.4aß keine prosaischen Elemente wie Relativ-Pronomen, Artikel, nota accusativi und ein Waw als syndetischer Satzanschluss finden lassen. Letzteres liegt allerdings in V.4aß vor. Nach diesen ersten Annäherungen an Ps 110 in seiner masoretischen Form ist festzuhalten, dass der Psalm überwiegend aus Vokabeln besteht, die in biblischen Liedern, meist in Psalmen aber auch in Jdc 5 und Jer 48 beispielsweise, vorhanden sind. Der Psalm beinhaltet einige seltenere Wendungen, die in ihrer Motivik jedoch auch in anderen Liedern zu finden sind (״Feinde fallen unter die Füße", ״ein freiwilliges Volk", ״in heiligem Schmuck", ״Täler mit toten Körpern füllen"). Auffallig ist das hapax legomenon in masoretischer Punktation ()משחר, das in anderen Lesarten nicht bezeugt ist. ילךתיךist in gleicher Weise auffällig, da erstens ein Nominalsatz an dieser Stelle schwer verständlieh ist, zweitens wichtige Textzeugen hier eine Verbform belegen, drittens dieses Wort lediglich noch ein zweites Mal in der hebräischen Bibel bezeugt ist, aber nicht in einem poetischen Text. Ein weiteres ungewöhnliches Phänomen bildet V.4aß, da hier zum einen ein prosaisches Element vorhanden ist (ein Waw als syndetischer Satzanschluss), zum anderen ist נחםsonst nicht in poetischen Texten in der Bedeutung ״eine Tat bereuen (oder auch nicht-bereuen)" zu finden. Die poetologischen Untersuchungen haben gezeigt, dass zwar kein Psalm übergreifender Rhythmus vorliegt (einige Kola sind ״zu kurz", andere ״zu lang", es gibt mehrere Monokola), aber sonstige Kennzeichen von Poesie wie Wortstellung und ähnliches in hohem Maße vorliegen. Ob hier nun ein Fragment vorliegt169 und Ps 110 deshalb keinen Rhythmus aufweist, oder ob er einen vollständigen, aber unrhythmischen Text darstellt, wird anhand der folgenden Gliederung untersucht. 169
So E.S. Gerstenberger, Psalms, Part 2, 266: „The psalm looks fragmentary, no doubt."
40
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
3.4 Gliederung und Aufbau des masoretischen Textes Gerade in Bezug auf die Struktur des Textes existiert in der Forschung eine Fülle verschiedener Auffassungen. Nach W. van der Meer 170 lässt sich Ps 110 in zwei Lieder gliedern, die in der originalen Version fünf, in der aktualisierten Form sechs Strophen beinhalten. Die Strophen würden sich dadurch auszeichnen, dass sie innerhalb ihrer selbst Rückbezüge enthielten, aber sich zu den anderen Strophen hin abgrenzten. Diese Abgrenzung beziehungsweise die gesamte Struktur des Psalms werde durch den Gottesnamen, Subjektwechsel und die tautologische Präsenz des Suffixes der 2. Pers. Sg. geprägt. Dem Ansatz van der Meers, den Gottesnamen als Strukturhilfe zu sehen, ist auf der Basis des masoretischen Textes nicht zu folgen, da van der Meer die These aufstellt, dass V.7b sich ursprünglich direkt an V.5 angeschlössen habe 171 . Auch seine postulierten Rückbezüge innerhalb der Strophen selbst sind nicht eindeutig nachvollziehbar, wie die Verbindung von ימיןund 172 רגלoder der Parallelismus zwischen נדבתund 173 ילדתיך. Unter Zuhilfenahme der Akzentsetzung, vor allem mit Blick auf die trennenden Akzente, wird die Gliederung nun am masoretischen Text durchgeführt. Bei der masoretischen Akzentsetzung fallt auf, dass die Verse 1 und 4 exakt dieselbe Reihenfolge von Akzenten aufweisen. Ebenso zeigen die Verse 3aß.b und 7 eine auffallend ähnliche Akzentfolge. Diese Konstellation könnte den Anschein erwecken, dass die Masoreten hier einen zweigeteilten Psalm wahrnehmen174, in dem beide Teile jeweils dieselbe Anfangs- und Schlusssequenz vorweisen, indem die Verse 1 und 4 sowie 3aß.b und 7 parallel mit Akzenten versehen werden.· Deshalb wird in nachfolgender Tabelle Ps 110 in dieser Parallelität der Akzente dargestellt.
170 w v a n der Meer, Psalm 110: A Psalm of Rehabilitation? 171 W. van der Meer, Psalm 110: A Psalm of Rehabilitation?, 231 f. 172 Vgl. W. van der Meer, Psalm 110: A Psalm of Rehabilitation?, 211. 173 W. van der Meer, Psalm 110: A Psalm of Rehabilitation?, 217f.: ״Both words could be used as designations of military units." 174 Unter anderen nehmen auch S. Schreiner (Ps CX und die Investitur des Hohepriesters, 218), K. Seybold (Die Psalmen, 136-140), G. Ravasi (11 libro dei Salmi, 274) und E.S. Gerstenberger (Psalms. Part 2, 263 [mit Überschrift eigentlich dreigeteilt]) einen zweiteiligen Aufbau des Psalms an, verfolgen diesen Weg aber nicht aufgrund der masoretischen Akzentsetzung.
3.4 Gliederung und Aufbau des masoretischen Textes V.l
Überschrift
41 ן 1 ;
לך!ד מזמור
Redeeinleitung JHWHs
i נאם יהרה
ני^בע יהוה ו
לאדני
ולא לנחם
Hauptaussage / Rede JHWHs
שב לימינן
אתה־כהן לעולם
Zweigliedriger Anhang: 1)
עד־אשית איביד
על־ךבךתי
הדם
:מלבי־צךק
j Überleitung
V.4
לרגליה
1
V.3 (ab aß)
j j
!!
Beschreibung d. Königs
י! בהדרי־־קדש
Beschreibung d. Königs
חר5מרדום מק
Beschreibung d. Königs
לד
Beschreibung d. Königs
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Die Masoreten stellen jeweils zwei Anfangs- und Schlusssequenzen heraus und verdeutlichen dadurch, welche Verse zusammen gelesen werden müssen, denn auf die einleitende Gottesrede in den Versen 1 und 4 folgt jeweils im nächsten Vers erst eine Handlung / Rede Gottes (V.2 und 5), im folgenden Vers handelt der König (V.3aa und 6). In masoretischer Lesart liegt keine dritte Gottesrede in Vers 3 vor, wie dies beispielsweise in der Septuaginta-Version der Fall ist. So lösen die Masoreten die Subjektfrage der Verse 5-7 durch ihre Akzentsetzung. Das Subjekt wechselt von JHWH auf den König am Übergang von V.5 zu V.6, da beide Psalmteile denselben Aufbau haben: V. 1 V.2 V.3a V.3b
Gottesrede Gottesrede bzw. Gott handelt Königsbeschreibung bzw. der König handelt Königsbeschreibung bzw. der König handelt
V.4 V.5 V.6 V.7
42
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
So wird der masoretische Text durch trennende Akzente in 2 x 15 Abschnitte eingeteilt (zuzüglich der Überschrift), wobei die Vermutung nahe liegt, dass die beiden Teile des Psalms parallel gelesen werden sollen. Bewusst wurde die Frage nach dem Subjekt der Verse 5-7 nicht im Übersetzungsteil, sondern im Bereich der Gliederung des Psalms zu klären versucht, da, grammatisch betrachtet, sowohl ״Gott" als auch der ״König" Subjekt der Verse 5-7 sein können. Gesamtbiblisch wird מחץsowohl mit ״Gott" als Subjekt wie auch mit handelnden menschliehen Personen verwendet175; ebenso liegt der Fall bei ידין. Dies allein gibt also keinen Aufschluss. Dass aber ein Subjektwechsel vorliegt, ist anzunehmen, da im Alten Testament die Vorstellung, dass JHWH Wasser aus einem Bach trinkt, nicht existiert.176 Zweimal ist im Psalter zwar die Rede davon, dass JHWH etwas trinkt. In Ps 50,13 ist das ״Trinken JHWHs" Teil einer rhetorischen Frage, ob er das Blut von Böcken trinken könne. Es ist hier jedoch nicht die Rede davon, dass JHWH selbst auf einem Weg geht und aus einem Bach trinkt. Ebenso wenig hat Ps 110,7 etwa mit Ps 78,65 gemein, da Gott beschrieben wird, der sich verhält wie einer, der Wein getrunken hätte. Auch dieser Vergleich erbringt kein ähnliches Motiv zu der Möglichkeit, dass JHWH auf einem Weg geht, sich zu einem Bach niederbeugt und trinkt. JHWH kann also als ״trinkend" beschrieben werden, was in mythischer Rede zwar denkbar, an dieser Stelle jedoch nicht überzeugend wirkt: Warum sollte JHWH aus einem Bach trinken?177 Vorweg sollte die Prämisse stehen, dass der Text - genauer die Verse 5-7 - so, wie er im MT begegnet, keine textlich durcheinandergeratene Einheit mit JHWH als Subjekt ist, wie H.-J. Kraus und R. Kilian dies annehmen.178 H. Möller widmet sich dem Subjektproblem der Verse 5-7 und hält dazu fest, dass sich dann ein glatter Textzusammenhang in Ps 110 ergebe, wenn man אדניin V.5 nicht auf Gott, sondern auf den König beziehe.179 Nach der Analyse von M. Gilbert und S. Pisano ist V.5 - wie folgt - zu verstehen: ״The Lord is at your right hand. He (the king) will crush kings on the day of His wrath." 180 Diese Lösung beinhaltet die Schwierigkeit, dass die 3. Person in diesem Vers einmal auf den König (in )מחץund einmal auf Gott (in )אפוgedeutet wird.
175
Hab 3,13; Ps 68,22; Dtn 33,11 - Gott ist Subjekt; Num 24,17; Jdc 5,26; II Sam 22,39; Ps 18,39 = ein Mensch ist Subjekt. 176 Womit aber nicht gesagt ist, dass diese Vorstellung im antiken Israel/Juda nicht existiert haben könnte. 177 Motivik und Aussage von Vers 7 werden in Kapitel 4.7 Motiv und Bedeutung von V.7: „Aus einem Bach am Weg wird er (daraufhin) trinken, deshalb wird er den Kopf erheben", S. 99ff., besprochen. 178 S.o. u. vgl. R. Kilian, Relecture in Psalm 110, 244. 179 Vgl. H. Möller, Der Textzusammenhang in Ps 110, 287-289. 1 »o m. Gilbert u. S. Pisano, Psalm 110 (109), 5-7, 355.
3.4 Gliederung und Auföau des masoretischen Textes
43
Dass ein solcher Wechsel innerhalb eines Verses ohne nähere Subjektkennzeichnung stattfinden soll, wäre ungewöhnlich. Die Verse 5b und 6b sind auffallend ähnlich konstruiert. Ihnen liegt das gleiche Verb am Beginn des Satzes zugrunde, zudem sind beide Verse als Hyperbaton verfasst. Ein Hyperbaton ist dies insofern, als in der Mitte des Satzes jeweils eine adverbiale Bestimmung der Zeit oder des Ortes zu finden ist. In V.5 bildet מחץ מלכיםdie gesperrte SatzStellung des Hyperbatons, in V.6 ist dies in מחץ רבהzu sehen, da רבה hier ein Adverb ist. 181 Damit die handelnde ״Person" nochmals unterstrichen wird, führt der Autor zu dem ersten מחץnoch ביום־אפדein, da sich der Ausdruck ״Tag seines Zorns" vermutlich auf Gott bezieht. 182 Der zweite מחץ-Satz fügt die adverbiale Bestimmung ״auf der Erde" ein. Dies könnte in Parallelität zu V.5 ein Zeichen dafür sein, dass hier ein Mensch auf der Erde handelt. So könnten die Verse 5b und 6b nicht eine Dublette gelesen, sondern als bewusste Formulierung dazu verwendet werden, um eine Parallelität von Gott und dem König auszudrücken: Beide werden Könige schlagen. 183 Als Vergleich sei dazu Ps 18 herangezogen, zu dem K.-P. Adam schreibt: ״Königlicher Beter und JHWH haben dieselbe Handlungsrolle und Ausrüstung. Die BeSchreibung der königlichen Gestalt des Psalmbeters verweist auf die Beschreibung des zum Kampf nahenden JHWH in Ps 18,8-16 und in anderen Texten. Königlicher Beter und zum Kampf nahender JHWH sind zum Teil wörtlich gleich beschrieben." 184 Dementsprechend ist in V.5 JHWH der Agens, während in V.6 der König die Hauptperson ist. V.7 ist fortführend eine Beschreibung des Königs. Dies wird sowohl durch die parallele Konstruktion der Vv.5b und 6b nahe gelegt, als auch durch die Akzentsetzung der Masoreten unterstrichen.
3.5 Übersetzung des masoretischen Textes Die Übersetzung ist auch hier in masoretischer Akzentuierung dargestellt:
181 182 183 184
Vgl. Kapitel 3.1 Der masoretische Text, S. 23ff. Vgl. Kapitel 4.3.3 Tag des Zorns Gottes, S. 73ff. Vgl. Kapitel 4.4 Kampfmotivik, S. 76ff. K.-P. Adam, Der königliche Held, 124.
44
3 Die masoretische Gestalt von Psalm 110
1 In Bezug auf David, ein Psalm. Spruch JHWHs zu meinem Herrn: Sitz zu meiner Reüiten, bis ich deine Feinde lege ! als einen Schemel deiner Füße. 2 1Den Stab deiner Macht 1 wird JHWH ausstrecken
!
vom Zion her;
!
Herrsche in der Mitte deiner Feinde!
3 Dein Volk ist Freiwilligkeit am Tag deiner Macht, (Du bist) in heiligen Schmuck, (Du bist) aus dem Mutterleib der/des Schwarzen, du hast den Tau deiner Jugend/Kindheit.
! JHWH redet 4 JHWH redet | JHWH edet\־ JHWH ,edet r JffllH/elet \ JHWH 5 handelt \ JHWH | handelt 1 JHWH \ handelt Königsbe6 schreibung Königsbeschreibung Königsbeschreibung Königsbeschreibung Königsbe7 schreibung Königsbeschreibung Königsbeschreibung | Königsbeschreibung
JHWH hat geschworen, und er wird es nicht bereuen: Du bist Priester in Ewigkeit in Nachahmung Melchisedeks. Der HERR ist an deiner rechten Seite, er zerschlägt am Tag seines Zorns Könige, damit er richten wird unter den (Fremd-) Völkern. Er füllt (Täler mit) toten Körpern. Er zerschlägt Köpfe auf der Erde reichlich. Aus einem Bach am Weg wird er (daraufhin) | trinken, j deshalb ! wird er den Kopf erheben. J
3.6 Auswertung Die Frage, ob hier ein Fragment vorliegt, da der Psalm zwar typisches Liedvokabular und poetische Kennzeichen trägt, aber nicht metrisch lesbar ist, lässt sich aufgrund der Akzentsetzung beantworten: In masoretischer Punktation ist Ps 110 nicht fragmentarisch. Die Gliederung zeigt, dass hier ein wohl konstruierter Psalm vorliegt, der Bezüge von hinteren zu vorderen Abschnitten aufweist, ebenso wie sich ähnelnde Satzkonstruktionen und Chiasmen. Die Masoreten gliederten Ps 110 in zwei Teile, die jeweils als Gottesrede eingeleitet werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich aber nun die Frage nach der Poesie: Kann man von Ps 110 als poetischem Text reden oder nicht? Ihm liegt kein einheitlicher Rhythmus zugrunde, dagegen besitzt er typisches Liedvokabular, poetische Satzkonstruktionen und Stilmittel.
3.6 Auswertung
45
Da sich Ps 110 nicht als ein Lied mit metrischem Muster ausweist, das lediglich ein oder zwei Text- beziehungsweise Rhythmus Störungen beinhaltet, legt sich der Schluss nahe, den Psalm nicht aufgrund eines metrischen Systems zu ändern, sondern ihn als nicht-metrisch aufzufassen. Zumindest liegt ihm kein Muster zugrunde, das anderen Psalmen der hebräischen Bibel ähnelt. Trotzdem ist dieser Psalm mit zahlreichen Stilmitteln, poetischem Vokabular und ungewöhnlichen Satzteilfolgen ausgestattet, sodass es sich anbietet, hier von einem poetisierenden Text zu sprechen. Dieser Begriff soll zum einen die Abgrenzung gegen metrische Systeme verdeutlichen, zum andern einen Text beschreiben, der durch poetische Stilmittel sprachlich geformt ist. Als auffallige Phänomene des masoretischen Textes erwiesen sich vor allem die Vokabeln משחרund ילדתיך, deren Übersetzung unverständlieh erscheint. Da andere Lesarten den gleichen Konsonantenbestand, aber eine andere Punktation in diesen Wörtern sahen, stellt sich fol־ gende Frage: Was beabsichtigten die Masoreten mit dieser Punktation? Diese Fragestellung wird als roter Faden die nächsten Kapitel begleiten. Des Weiteren fiel der Ausdruck ולא ינחםauf, da sowohl die Verwendung des Waws als syndetischer Anschluss als auch die Wurzel נחםnicht typisch für poetische Texte sind. An dieser Stelle ist ebenfalls noch ungeklärt, ob es sich in der Überschrift um einen Psalm für David handelt, oder ob David als Verfasser stilisiert wird. Diese vier Auffälligkeiten ( 1 מ ש ח ר, ילללסיך schrift) werden vor allem im Kapitel der innerbiblischen Exegese auf ihren möglichen redaktionellen Charakter untersucht, darüber hinaus wird innerhalb der Rezeptionen der Fokus auf diese Phänomene gelenkt.
זם
לא י?'ל
4 Traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
Wie der Forschungsüberblick zu Beginn gezeigt hat, sind gerade zu Datierung und ״Sitz im Leben" viele unterschiedliche Meinungen laut geworden. Ausschlaggebend für die verschiedenartigen Datierungsversuche ist meist die Beurteilung der Widerspiegelung altorientalischer Königsideologie in Ps 110. Dass hier altorientalische Königsmotive vorhanden sind, wurde bereits in mehreren Arbeiten nachgewiesen, sei es im Vergleich mit ägyptischen, ugaritischen oder assyrisehen Texten. Die Frage, die sich hier stellt, ist aber nicht, ob sich altorientalische Motivik in Ps 110 findet, sondern wie, wann und auf welchem Hintergrund diese verarbeitet und eingearbeitet worden ist. Allein die Aufnahme von altorientalischem Material sagt wenig über die Datierung und den ״Sitz im Leben" des jeweiligen Psalms aus. Mit Blick auf den zu Beginn dieser Arbeit geleisteten Forschungsüberblick zur Gattung ״Königspsalmen" wird nun untersucht, ob es möglich ist, überhaupt von einer solchen Gattung zu sprechen. Was sind Königspsalmen? Sind sie ״Reflex historischer Ereignisse oder kultischen Geschehens oder aber weder das eine noch das andere, sondern Ausdruck eschatologischer Erwartung? Damit verbinden sich Datierungsdifferenzen ein und desselben Psalms von mehr als acht Jahrhunderten."185 Um die Gattungsfrage von Ps 110 zu klären, gegebenenfalls diesen zu datieren und zu lokalisieren, ist es sinnvoll, zunächst eine traditionsgeschichtliche Analyse der einzelnen Motive von Ps 110 durchzuführen. Dabei werden folgende Formeln und Motive untersucht: • Die ״prophetische" Einleitungsformel • ״Erhöhungsmotive des Königs" (״Zur Rechten sitzen/sein"; ״Feinde als Fußschemel", ״Heirscherstab/Stab der Macht") • ״Theologische Motive" (״der Gottesberg/״Zion", ״JHWH hat geschworen und es wird ihn nicht reuen", ״Tag des Zorns Gottes" • ״Kampfmotivik" • מרחם משחר ל ך ט ל י ל ד ת י ך ״ •Melchisedek" • ״Aus einem Bach am Weg wird er (daraufhin) trinken, deshalb wird er den Kopf erheben."
185
E. Otto, Politische Theologie in den Königspsalmen, 33.
48
4 Traditionsgeschichtliche
Untersuchung zu Psalm 110
Die Motive werden zunächst innerbiblisch analysiert, anschließend mit vorderorientalischen und griechischen Parallelen verglichen. 4.1 Die ״prophetische" Einleitungsformel Innerbiblische Untersuchung: Die Formel נאם יהרהkommt über 250 Mal in der hebräischen Bibel vor. Quantitativ betrachtet, sticht dabei das Jeremiabuch heraus; dort erscheint נאם יהוהüber 150 Mal. Diese Formel begegnet jedoch auch außerhalb des corpus propheticum, so in Gen 22,16; Num 14,28; I Sam 2,30; II Reg 9,26; 19,33; 22,19 und II Chr 34,27. Im Psalter ist נאם יהוהin Ps 110 einmalig. Auffallig ist, dass mir נאםsonst meist den Schluss einer prophetischen Redeeinheit markiert oder in deren Mitte steht. Dass eine direkte Rede mit נאםeingeleitet wird, gibt es an wenigen Stellen (vgl. innerhalb der Bileam-Perikope Num 24,3f.l5f. נאם בלעםbzw. נאם הנברsowie נאם ;שמעwie auch II Sam 23,1 ;נאם דור בךישיPs 36,2 נאם־פשעund Prov 30,1 )נאם הגבר. Nur in Ps 110 und in Sach 12,1 ist es hingegen in der hebräischen Bibel der Fall, dass der Spruch JHWHs eine Rede einleitet.186 Eine ausführliche Untersuchung zu נאם יהוהhat Friedrich Baumgärtel (1961) vorgenommen. Er kam zu dem Ergebnis, dass mit נאם יהוהnie eine konkrete Anweisung verbunden sei, da Befehle in konkreter Situation mit כה אמר יהוהeingeleitet und nicht durch den ״Spruch JHWHs" abgeschlossen würden: ״Wenn der Gottesspruch eine konkrete Anweisung, einen ganz speziellen Befehl an den Propheten oder an das Volk enthält, dann wird er mit כה אמר י׳eingeleitet. Grundsatzlieh kommt dann ein נ׳ י׳im Verlauf des Gottesspruchs nicht ins Spiel. Und dort, wo ein Gottesspruch - ohne daß er besonders eingeleitet ist - ein נ׳ י׳enthält oder mit נ׳ י׳schließt, ist sein Inhalt niemals ein konkreter Befehl. נ׳ י׳hat also nichts zu tun mit Befehls- und Anweisungsinhalten."187 Ansonsten sei נאם יהוהaber mit allem verbunden, was die Propheten zu künden haben: Gerichtsdrohungen, Verheißungen, Tadel und Mahnungen. 188 Hinsichtlich dieser Einleitung zu Ps 110 fallt somit zum einen auf, dass die Formel am Beginn und nicht am Schluss einer Gottesrede positioniert ist. Zum andern ist der Inhalt dieser kurzen Rede ein konkreter Befehl, der an die königliche Person ergeht.
186
In Jes 56,8 findet sich נאם אדני יהרהzwar am Anfang des Verses, doch bildet Vers 8 als Ganzer das Ende bzw. die Mitte einer Redeeinheit. 187 F. Baumgärtel, Die Formel ne'umJahwe, 284f 188 vgl. F. Baumgärtel, Die Formel n^um Jahwe, 287.
tl
4.1 Die,,prophetische
" Einleitungsformel
49
Außerbiblische Parallelen: Die Kombination vom ״Spruch einer Gottheit" und einem Imperativ am Beginn einer Gottesrede an einen König lässt sich hingegen außerbiblisch nachweisen. So zeigt nicht nur die Einleitungsformel Ähnlichkeit mit dem ״Spruch JHWHs" aus Ps 110, zudem findet sich des Öfteren im Anfangsteil neu-as syrischer Orakel die Nennung des Adressaten kombiniert mit einem Imperativ. Der Adressat muss nicht direkt angesprochen werden, sondern es ist in assyrischen Orakeln ebenso der Adressat im Dativ belegt:189 a-bat di5 sä URXJ.arba-U a׳na m ai-i7/r-PAB-AS MAN KUR-a?-rar The word of Istar ofArbela to Esarhaddon, king of Assyria190
Der meist der Nennung des Adressaten folgende Imperativ ist häufig eine Beruhigungsformel (so beispielsweise in SAA 9 1.1; 1.2; 2.3), in 3.2 aber findet sich auch eine andere Aufforderung im Eingangsteil, nämlich die Aufforderung zum Zuhören: {si׳ta-am]-me-a DUMU.MES K\JR-as-s1!r Listen, ()Assyrians!191
In Ägypten deutet eine dem "נאם ידזוה״aus Ps 110 ähnliche Redeeinleitung auf die Regierung von Amenhotep III. (ca. 1413-1377 v.Chr.) hin: Words spoken by Amon-Re, King of the Gods: My son, of my body, my beloved, Neb-maat-Re, My living image, whom my body created, Whom Mut, Mistress of Ishru in Thebes, the Lady of the Nine Bows, bore to me, And (she) nursed thee as the Sole Lord of the people192
Ebenso erhält Thutmose III. einen Gotteszuspruch, der mit einer entsprechenden Redeeinleitung versehen ist: Gesprochen von AMUN-RE, dem Herrn von Karnak: Sei mir willkommen, der du jubelst beim Anblick meiner Schönheit, 189
Vgl. S. Parpola, Assyrian Prophecies, LXV. SAA 9 3.4, Z. 33f. J.W. Hilber weist in seinem Aufsatz ebenfalls auf einige assyrische Parallelen zu dieser Art Einleitungsformel hin: „The introductory formula marking Psalm cx as a prophetic oracle is supported by the numerous similarities to Assyrian prophecies: 1) introductory formula 'word of DN to Esarhaddon' (SAA 9 3.4 ii 33-34; 3.5 iii 16-17)." (J.W. Hilber, Psalm CX in the light of Assyrian prophecies, 355). 191 SAA 9 3.2, Z. 27. 192 ANET, 376. 190
50
4 Traditionsgeschichtliche
Untersuchung zu Psalm 110
mein Sohn, mein Schützer, Men-cheper-re, der ewig lebtß93
Auch in hellenistischer Zeit finden sich ähnliche Text- und Liedanfange, die zwar nicht zwingend mit einer wörtlichen Rede des Zeus beginnen, aber doch den großen Gott Zeus in der ersten Zeile preisen, bevor der weltliche Herrscher beschrieben wird. Dass griechische Siegeslieder und Hymnen auf weltliche Herrscher mit Zeus beginnen, wird zum Standard in der Lyrik gezählt.194 So heißt beispielsweise die erste Zeile von Theokrits Enkomion auf Ptolemaios II. Philadelphos (308-246 v.Chr.; König seit 285 v.Chr.): ' Εκ Διός άρχώμεσ^α και ές Δία λήγετε Μοΐσαι Mit Zeus wollen wir beginnen und bei Zeus hört auf, Musen195
Erst anschließend wird König Ptolemaios, der hier zu Ehrende, genannt. Auch bei einem Siegeslied von Kallimachus auf Berenike II. (die Ehefrau von Ptolemaios III. Euergetes; sie lebte von ca. 272 bis 221 v.Chr.) wird zuallererst Zeus gedankt.196 Bei all diesen Parallelen handelt es sich um huldigende Anreden an den König, die ihm Unterstützung der Götter zusichern. Das entspricht der Intention von Ps 110. Fazit: Die Untersuchungen zu נאם יהוהhaben ergeben, dass es sich bei dieser Formel am Anfang von Ps 110 um eine Singularität in der hebräischen Bibel handelt, da sie 1) zu Beginn einer Gottesrede steht und 2) mit einem konkreten Befehl verbunden ist. נאם יהוהverweist somit eher auf parallele Formulierungen in außerbiblischen Texten und Inschriften. So begegnen beispielsweise in neu-assyrischen Orakeln sowohl ähnliehe Redeeinleitungen als auch ein Imperativ nach der Nennung des Adressaten, wie dies ebenso in Ps 110 vorliegt:נאם יהרה לאדני שב לימיני. Daneben sind in Ägypten zahlreiche Inschriften belegt, die mit dem ״Spruch einer Gottheit" eine direkte Rede an den König einleiten. Dies findet sich ebenfalls im Siegeslied auf Thutmose III. - eine Inschrift, die gleich mehrere Motive mit Ps 110 gemein hat. 193 J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, 524. Vgl. auch M. Lichtheim; Ancient Egyptian Literature, 35. Diese Stele wird im Folgenden noch von Interesse sein, da sie einige verwandte Motive zu Ps 110 beinhaltet. Sie berichtet unter anderem von Amun-Re, der ״Feinde" unter den Füßen des Königs ausbreitet, von dem König, der majestätisch als ״Lord of Light" erscheint, der andere Völker zerschlägt, der als ״shooting Star" beschrieben wird, der Leichen aufhäuft in feindlichen Tälern. 194 vgl. R. Hunter, Theocritus. Encomium of Ptolemy Philadelphus, 97. 195 Griechischerund deutscher Text nach Theokrit, Gedichte, 128 bzw. 129 Z.l. 196 F. Nisetich, The poems of Callimachus, 131.
4.1 Die ״prophetische"
Einleitungsformel
51
Die Einleitungsformel von Ps 110 besitzt ihre Parallelen in der Art und Weise ihrer Verwendung demnach eher in außerbiblischen Gottesreden, die an Könige gerichtet sind - in der hebräischen Bibel kommt die Verwendung von נאם שמע אמרי־אלaus Num 24,16 Ps 110 am nächsten. Aufgrund der Einleitungsformel wird oft vermutet, dass Ps 110 die Form eines prophetischen Heilsorakels habe. 197 Dies soll im folgenden Exkurs geprüft werden. Ps 110 als prophetisches Heilsorakel? Zunächst ist allgemein in Bezug auf die Charakterisierung von ״Prophetischem in den Psalmen" mit H. Gunkel/J. Begrich festzustellen, dass sich ״Prophetisches in den Psalmen" dadurch auszeichne, dass meistens eine Endhoffhung ausgedrückt werde durch Redewendungen wie ״es kommt eine Zeit", ״diese Zeit ist nahe", ״die Stunde ist bereits gekommen", ״JHWH kommt selber". In alledem sei JHWH einzig und allein der Handelnde; Menschen würden diese Hoffnung nicht herbeifuhren. Außerdem würde eine jubelnde Grundstimmung beschrieben, Freude über die Wiederherstellung der Stadt Jerusalem und des Volkes Israel.198 Vergleicht man nun diese Charakterisierungen mit Ps 110, fällt auf, dass nichts davon in diesem Psalm vorkommt. 199 Zudem ist Gott nicht der allein Handelnde; seine große Macht, die Übergabe des Herrscherstabes von ihm an den König und seine Taten gegen die Feinde sind zwar Grundlage für die Macht des Königs, doch handelt der König auch selbst. Vom König wird ebenfalls gesagt, dass er die Feinde schlagen werde. Das jubelnde Volk wird in Ps 110 nicht beschrieben, lediglich insofern, als es an der Seite des Königs kämpfen wird. Außer der Einleitungsformel נא• יהוהweist folglich nichts auf einen prophetischen Charakter des Psalms hin. Bei Ps 110 handelt es sich weder deutlich um Prophetie noch um die Form eines Orakels. Nach Gunkel/Begrich ergehen Königsorakel auf Anfragen des Königs und sind ״fast sämtlich in Prosa gehalten" 200 , oder es wird von ihnen nur erzählt. Dazu wird verwiesen auf I Sam 14,41 a.b; 14,42a.b; 23-,2a.b; 23,12a.b; II Sam 2,1 (Frage und Antwort zweimal); 5,19a.b; 5,23a.23b-24; 24,10.l2ff; 24,17.18; I Reg 14,5.12; 22,6.7.1 lf; 22,15; 22,16.17; II Reg 1,2.6; 6,33; 7,1; 22,11-14.15-20; Jer 38,14.17f.; 38,19.20-22.201 In Ps 110 wird nicht davon berichtet, dass ein Prophet befragt und ein Orakel eingeholt worden wäre. Zwar ist Ps 110 ein nicht-metrischer Text, doch ist es ange197 In Kommentaren wie in Aufsätzen zu Ps 110 ist zu lesen, dass es sich bei diesem Psalm um ein prophetisches (Heils-)Orakel handele. So stellen es beispielsweise A. Caquot, Remarques sur le Psaume CX, 3; A. Weiser, Die Psalmen II, 477, und M. Gilbert u. S. Pisano, Psalm 110(109), 5-7, 356, dar. Ähnlich sieht es auch K. Seybold, der durch die •M-Formel den Charakter dieses Spruchs als ein Seher- oder Orakelwort bestimmt. Die Formel gehöre „zum Repertoire des Offenbarungsmittlers, der eine Audition (,Raunung') weitergibt. Es ist an einen Hofpropheten zu denken." (K. Seybold, Die Psalmen, 438). 198 H. Gunkel, Einleitung in die Psalmen, 330ff. 199 Welche Aussage das Motiv „Tag seines Zorns" innerhalb von Ps 110 hat und ob dieses prophetisch, eschatologisch oder ganz anders verstanden werden muss, wird später erläutert (s. Kapitel 4.3.3 Tag des Zorns Gottes, S. 73ff.). 200 H. Gunkel, Einleitung in die Psalmen, 146. 201 Vgl. ebd.
634Traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Psalm 110 messener, ihn statt als Prosa als ״poetisieiend" zu betrachten, sodass kein Vergleich zu den von Gunkel und Beglich genannten Stellen von Königsorakeln zu ziehen möglich ist. Ps 110 als ein priesterliches Heilsorakel zu beschreiben, wirft ebenfalls Probleme auf, da - nach J. Begrich - das priesterliche Heilsorakel wie folgt zu charakterisieren ist: „Das Orakel beginnt gewöhnlich mit den Worten ,furchte dich nicht'. [...] An zweiter Stelle folgt die Bezeichnung des Angeredeten. Fehlt sie, so schließt sich unmittelbar ein begründender Satz an, der mit kl eingeleitet wird, sich aber auch ohne besondere Kausalpartikel anfügen kann. Er enthält eine Versicherung der hilfreichen Nähe Jahwes. In diesem Falle bildet das Pronomen der 1. Person das Subjekt und eine nominale Aussage der Nähe das Prädikat, vgl. Jes 41 iQ ,denn ich bin mit dir' [...] Auf solchen Satz folgt eine an den Beter gerichtete Aussage Jahwes, welche ausspricht, daß Jahwe erhört hat, und weiter ausfuhrt, worin die Erhörung im einzelnen besteht." 202 Zudem bestehe ein enger Zusammenhang zwischen dem Klagelied des Einzelnen und dem priesterlichen Heilsorakel. Das Orakel sei nichts anderes als die gewährende Antwort auf das Klagelied. 203 Diesen Aspekt des Heilsorakels verneint hingegen R. Kilian. Seiner Ansicht nach ist der „Sitz im Leben" von Heilsorakeln in Volksklageliedern, Klageliturgien oder prophetischen Liturgien zu sehen - nicht in individuellen Klageliedern. 204 Ein Heilsorakel kann nach H. Schulte auch an den König als einzelne Person ergangen sein, doch gaben die Propheten solche Zukunftsansagen meist in Bezug auf das Schicksal des ganzen Volkes oder Landes oder auf den König als dessen Repräsentanten. 205 Bei der Anwendung dieser Charakteristika auf Ps 110 fallt auf, dass es sich hier nicht um ein priesterliches Heilsorakel handelt, ob man nun der Definition von J. Begrich aufgrund von Deuterojesaja oder R. Kilian folgt. Die entscheidenden Argumente ergeben sich daraus, dass erstens die sonst konstitutive Beruhigungsformel 206 nicht vorhanden ist: Es wird im gesamten Psalm nicht auf die Furcht des Königs in der Bedrängung durch Feinde angespielt. Zweitens wird nicht berichtet, dass der König zuvor ein Klagelied angestimmt hätte, sodass der Psalm keine Antwort auf eine Klage darstellt. Zwar sagt JHWH in einer Ich-Rede dem König Beistand zu, dass er dessen Feinde besiegen werde, doch fehlt hier ein besonderer Ausdruck der Nähe JHWHs durch ein Personalpronomen. Darüber hinaus gibt Ps 110 keinen Hinweis darauf, dass JHWH den König erhört habe und deshalb nun 202
J. Beglich, Das priesterliche Heilsorakel, 82ff. 203 Vgl. J. Begrich, Das priesterliche Heilsorakel, 87.91. Auch wenn Begrich in späteren Jahren seine Charakteristika der Heilsorakel ausweitet - und diese Ausweitungen geschehen nach D. Michel (Deuterojesaja, 513) um den Preis genauerer Gattungsmerkmale - , so bleibt immer noch die Verwandtschaft von Heilsorakeln zu Klageliedern obligatorisch für die Bestimmung jener Gattung. 204 Vgl. R. Kilian, Ps 22 und das priesterliche Heilsorakel, 88. 205 Vgl. H. Schulte, Persönliche Heilsorakel, 257f. 206 So auch bei der Beschreibung der Charakteristika von Heilsorakeln durch Westermann: „Nur diese Texte, in deren Mitte der Heilszuspruch [sc. Fürchte dich nicht!] und die nominale und perfektische Begründung enthalten sind, gehören eindeutig zur Gattung des Heilsorakels." (vgl. C. Westermarm, Das Heilswort bei Deuterojesaja, 365; vgl. auch D. Michel, Deuterojesaja, 513).
4.2 Erhöhungsmotive des Königs
53
handele. Drittens betreffen die Zukunftsansagen dieses Textes primär den König selbst und dies nicht nur als Repräsentanten des Volkes. Das Volk wird lediglich als freiwillig kämpfend in Vers 3 dargestellt - es wird keine Aussage dahingehend getroffen, dass es in Frieden und Gerechtigkeit noch in Freude leben wird. Ps 110 bietet demnach weder einen typisch prophetischen Inhalt, noch ist er in Prosa geschrieben, noch ergeht er als Antwort auf Anfragen des Königs. Es wird auch keine Entscheidungshilfe gefordert. Für ein Heilsorakel fehlen ihm vor allem die Beruhigungsformel und die Gestaltung des Psalms als Antwort auf Not oder Klage des Königs. Daher empfiehlt es sich nicht, Ps 110 als prophetisches (Heils-) Orakel zu bezeichnen, obwohl es in seinem Eingangsteil Parallelen zu neu-assyrisehen Orakeln aufweist. Die genannten Parallelen (Einleitungsformel, Adressat und folgender Imperativ) sind mit einem Bericht über die Zukunft die einzigen Gemeinsamkeiten mit Ps 110. In Ps 110 fehlt hingegen die meist obligatorische Beruhigungsformel, ebenso wenig finden sich eine Selbst-Identifikation der Gottheit, ein Bericht über die Vergangenheit, eine Gebetsaufforderung und kultische Gebote. 207
In Bezug auf den Beginn von Ps 110 ist festzustellen, dass hier Ähnlichkeiten zu außerbiblischen Gottesansprachen an den König existieren. Die Vermutung liegt nahe, dass der Verfasser des Psalms sich an außerbiblische Gottesreden anpasst und das נאם יהוהals ״Aufmerksamkeitskennzeichen und Bedeutsamkeitsanzeige"208 benutzt. Durch die prophetische Formel נאם יהרהwird die Aufmerksamkeit gebündelt und die Wichtigkeit der folgenden Aussagen hervorgehoben: ״Daß sich weitere prophetische Aspekte im Inhalt des Psalms nicht finden lassen - auch semantisch gibt es keine Anhaltspunkte für einen typisch prophetischen Sprachgebrauch - läßt die funktionelle Verwendung der Formel נאם יהוהals Aufmerksamkeitskennzeichen und Bedeutsamkeitsanzeige um so deutlicher hervortreten."209 Diese Art der Verwendung ähnelt in der hebräischen Bibel der Bileam-Prophetie in Num 24, die ebenfalls ein poetisches Stück über einen israelitischen Herrscher nach sich zieht. Hier ist allerdings nicht JHWH Subjekt, und der Herr־ scher wird deutlicher eschatologisch beschrieben, als dies in Ps 110 greifbar ist. 4.2 Erhöhungsmotive des Königs Vor allem in den ersten beiden Versen von Ps 110 wird das Bild eines erhabenen Herrschers projiziert. Es werden drei Szenen dargestellt, die die Mächtigkeit des Königs beschreiben: Der Herrscher sitzt zur Rechten JHWHs (als ehrenvoller Repräsentant), die Feinde liegen unter seinen Füßen (Unterdrückung), und sein Stab wird vom Zion her 207
Die genannten Bausteine fur neu-assyrische Orakel hat S. Parpola zusammengestellt; vgl. S. Parpola, Assyrian Prophecies, LXIVff. 208 A. Doeker, Funktion der Gottesrede, 110. 209 A. Doeker, Funktion der Gottesrede, 109f.
65 4Traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
ausgestreckt (Herrschaft).210 Diese Motive - das Sein ״zur Rechten", die ״Feinde als Fußschemel" und ״der Herrscherstab" - sollen im Folgenden untersucht werden. 4.2.1 Zur Rechten sitzen/sein Innerbihlische Untersuchung: Das Motiv ״sich zur Rechten befinden" oder ״die rechte Hand Gottes" ist keine Seltenheit innerhalb des Psalters,211 aber auch außerhalb des Psalters findet sich der Ausdruck ימיןin der Bedeutung ״rechts" oft verbunden mit Kraft, Macht oder Ehre. 212 Biblisch betrachtet, wird deutlich, dass die ״Rechte" meist den Vorzug erhält.213 Obgleich ״die Rechte" in prosaischer wie in poetischer Literatur der hebräischen Bibei zu finden ist, soll der Fokus hier in erster Linie auf poetischen Texten liegen: In Ex 15 wird der rechte Arm Gottes als Unterstützung und Sicherheit für Mose und das Volk Israel genannt; Jes 63,12 nimmt diese Stelle auf, und spricht so ebenfalls innerhalb eines Büß- und Bittgebets des Volkes von Gottes rechtem Arm im Sinne von Hilfe und Unterstätzung. In dem sogenannten Königspsalm 45,10 sitzt die Braut dem König zur Rechten. Es ist deutlich, dass der Ausdruck ״rechts" sowohl ein Bild des Schutzes (Ex 15 und Jes 63) als auch ein Bild der Ehre und der Macht bietet. Obwohl das Wort ימייןin Jes 14 nicht vorkommt, ist ein Vergleich auch an dieser Stelle - wie später zu weiteren Motiven - sinnvoll. In diesem Spottlied macht sich der Dichter über den gefallenen König von Babel lustig, der sich anmaßte, zu sein wie (ein) Gott. In Jes 14,13 heißt es: השמים אעלה ממעל לכוכבי־אל ארים כסאי ואשב בהר־־מועד בירכתי צפון Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über den Sternen Eis will ich meinen Thron errichten, und ich will sitzen auf dem Berg der Versammlung am äußersten Norden.
Hier wird gesagt, dass der König von Babel sich selbst seinen Thron auf den Götterberg stellen wollte - in Ps 110 hingegen wird der König von JHWH gebeten, neben ihm Platz zu nehmen. Es wäre möglich, dass der Dichter von Ps 110 das Spottlied von Jes 14 als bewussten Kontrast im Blick hatte, da dieses Lied noch weitere Parallelstellen gerade als Kontrapunkte - zu Ps 110 aufweist, wie den Herrscherstab, 214 den Gottesberg und vor allem den .בךשחר
21
° Vgl. T. Booij, Psalm CX, 397. Z. B. Ps 16,8.11; 20,7; 44,4; 48,11; 89,14.26.43; 118,15.16 u. ö. 212 Z. B.Ex 15, 6; I Reg 2,19 u. ö. 213 Vgl. H.-J. Fabry, Art. .660 ,ימין 214 S. Kapitel 5.2 Vergleichende Darstellung von Ps 110 mit Jes 14, S. 119ff. 211
4.2 Erhöhungsmotive des Königs
55
Außerbiblische Parallelen: In Texten, Bildern und Statuen des Alten Orients ist ebenfalls diese ehrenvolle Bedeutung von ,,rechts" präsent. Nach den Untersuchungen M. Görgs ist die Vorstellung der Rechten Gottes ״nämlich zunächst und exklusiv aus der Konstellation Hochgott und Pharao heraus zu deuten und in der mythologischen Dimension der ursprünglichen Sinnbeziehung zu verankern."215 Das Sitzen des Königs neben dem Schöpfergott selbst sei ein Bild für die einzigartige Erwählung. O. Keel gibt als ägyptisches Beispiel für das Sitzen zur Rechten aus Ps 110 das folgende Bild an: Hier sitzt der Pharao Horemhab (18. Dynastie; ca. 1335-1310 v.Chr.) mit porträthaften Zügen dargestellt zur Rechten des Königsgottes Horns. 236
Im ugaritischen Ba al-Zyklus ist die rechte Seite der Gottheit - in dem Fall die Rechte Bacals - ebenfalls ein Ehrenplatz. Über Kothar waHasis wird gesagt: 46 [...] tcdb . ksu 47 w yttb . Ivtnn . aliyn 48 b'l. [...] ' A throne is set up and he is seated at the right hand of Mightiest BaaV-V 215
M. Görg, Thronen zur Rechten Gottes, 76f. Bild und Text vgl. 0 . Keel, Bildsymbolik, 240.247. 217 Nach KTU2 1.4 V 46-48. Englische Übersetzung nach S.B. Parker, Ugaritic Narrative Poetry, 131. 216
67 4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
Auch in hellenistischer Zeit beschreibt die rechte Seite die Ehrenseite. So schreibt Kallimachus über Apollo: δύναται γάρ, έπε ι Διί δεξιός ήσται. 2 1 8 denn er ist imstande, da er zur Rechten des Zeus sitzt.
In Theokrits Enkomion auf Ptolemaios II. Philadelphos ist zwar nicht von dem Ausdruck ״des Sitzens zur Rechten" die Rede, aber der genaue Platz des Throns ist ebenso von großer Bedeutung und ausfuhrlieh beschrieben: Dem König sei ein goldener Thron im Haus des Zeus erbaut, und dieser Thron stehe neben dem des Alexander; gegenüber sei der Thron des Herakles. Durch diese genaue Positionierung des königlichen Throns wird Ptolemaios nicht nur hohe Ehre zuteil, sondem er wird in diese Götter- und Heldengeschichte eingebettet: [...] οί χρΰσεος θρόνος εν Διός ο'ικω δέδμηται ־παρά δ' αΰτόν Αλέξανδρος φίλα ειδώς έδριάει, Πέρσαισι βαρύς ΰεός αίολομίιρας. άντια δ' Ήρακλήος εδρα κενταυροφόνοιο *ίδρυται σ τ ε ρ ε ο ί τετυγμένα έξ άδάμαντος־ Und ihm ist ein goldener Thron im Haus des Zeus erbaut. Neben ihm sitzt Alexander, freundlich den Anschein habend, den Persern ein schwerer Gott, mit blinkendem Leibgurt Gegenüber ist der Sitz des Herakles, des Kentaurentöters, errichtet, aus hartem Stahl gearbeitet.2^
Ebenso wird in hellenistischer Zeit in jüdischen Schriften die Rechte Gottes als Ehrenplatz verstanden. Im Testament Hiobs (XXXIII, 3) spricht Hiob davon, dass sein Thron im Überirdischen sei, ״und seine Herrlichkeit und Pracht sind zur Rechten des Vaters" 220 . Ob das Motiv der Rechten Gottes hier unabhängig vorkommt, oder ob die Wendung εκ δεξιών auf Ps 109,1 LXX anspielt, muss offen bleiben.221 Fazit: Die Untersuchung der Verwendung von ימיןzeigt, dass mit ״rechts" oft Ehre, Kraft oder Macht oder auch Gottes Schutz/Sicherheit verbunden ist, und dass es sich hierbei meist um bildliche Sprache handelt. Mit dem Sitzen zur Rechten Gottes wird ״die Position des Königs theologisch qualifiziert: seine Herrschaft geht von Jahwe aus und wird von diesem legitimiert. Mit seiner Thronbesteigung im Palast übernimmt er den Platz zur Rechten als den Herrschersitz und damit die Statthalter-
218
Griechischer Text nach The LCL, Callimachus, 50 Z.29. Griechischer und deutscher Text nach B. Effe, Theokrit, Gedichte, 128 bzw. 129 Z. 17-21. 220 B. Schaller, Das Testament Hiobs, 353. 221 So B. Schaller, ebd. 219
4.2 Erhöhungsmotive des Königs
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schalt Jahwes." 222 Der Ehrenplatz wird dem angesprochenen König in Ps 110 durch eine Aufforderung JHWHs verliehen. Als Kontrapunkt zu diesem Motiv ist das Lied in Jes 14 anzusehen, in dem geschildert wird, dass sich der babylonische König eigenmächtig auf den Gottesberg setzt und schließlich fällt. Diese Beispiele verdeutlichen, dass das Sitzen zur Rechten ein gängiges Motiv des Alten Orients war. Es ist häufig in Bildern und Statuen wie auch in Texten veranschaulicht. In der hebräischen Bibel ist allerdings das Sitzen zur Rechten als Ehrenplatz nur in Ps 45; 80 und I Reg 2,19 zu finden, als Anmaßung eines Thrones im Himmel zudem in Jes 14,13. Auch in der Zeit der ptolemäischen Herrschaft in Ägypten ist die Nennung des Königsthrons im Haus des Zeus neben Alexander und gegenüber von Herakles ein Ausdruck von großer Ehre. 4.2.2 Feinde als Fußschemel Innerbiblische Untersuchung: Sprachlich betrachtet, ist der Ausdruck ״Fußschemel" in Ps 110 kein hapax legomenon, vgl. I Chr 28,2 ( ;)להדם רגלי אלהינוJes 66,1 (הדם ;)דגליThr 2,1 ( ;)הדבר־דנליוPs 99,5 ( )להדם רגליוund 132,7 ()להדם רגליו. An diesen Stellen sind es jedoch nicht wie in Ps 110 die Feinde, die als Fußschemel dienen sollen, sondern entweder Zion/ Israel (Thr 2,1), die Erde (Jes 66,1) oder der Tempel (I Chr 28,2) stellen diesen Fußschemel dar. All diese Bibelstellen außer Ps 110 beschreiben den ״Fußschemel" positiv und als Gott zugehörig, während in Ps 110 die Rolle des Fußschemels wenig ehrenvoll ist: Die Feinde werden zum Abstellen der Füße des Königs benutzt. Dies ist ein klares Bild von menschlicher Überlegenheit. Nach dem biblischen Befund lässt sich folglich sagen, dass der ״Fußschemel" in Ps 110,1 einzigartig verwendet wird. 223 Diese Singularität schlägt sich auch in der grammatischen Form nieder: In Ps 110,1 ist die Rede von ״einem Schemel deiner Füße". Dazu ist nicht auschlaggebend, ob diese Wendung dativisch (״ein Schemel für deine Füße") oder genitivisch (״ein Schemel deiner Füße") verstanden wird - in jedem Falle ist der Schemel indeterminiert. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, dass der Autor den Fußschemel bewusst unbestimmt beschrieben hat, weil der bestimmte Fußschemel in der hebräischen Bibel Gott zugehörig ist, in Form von Israel, Zion oder des Tempels. Ps 110 greift hier also nicht die Traditionslinie des הדם רגליםauf, die an den genannten Stellen in der hebräisehen Bibel vorhanden ist. Dem Motiv der Feinde als Fußschemel 222
K. Homburg, Psalm 110! im Rahmen des judäischen Krönungszeremoniells,
245. 223
Wie dies auch F. Gössmann, „Scabellum pedum tuorum", 52, feststellt״. „In luce huius traditionis, sive litterariae sive archaeologicae, ,scabellum' in Ps 110, 2 singulari quadam emphasi efferri dicendum est."
58
4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
kommt Jos 10,24 am nächsten, da Josua die Männer Israels auffordert, ihre Füße auf den Nacken von eben besiegten Königen zu stellen (שימו )את־רנליכם על־צוארי המלכים האלה. Eine größere innerbiblische Verwandtschaft als zu den Belegstellen des Fußschemels in Ps 110,1 besteht zu dem Ausdruck, dass die Feinde unter die Füße fallen. Diese Redewendung findet sich nicht selten in der hebräischen Bibel, so zum Beispiel in Ps 18,39 = II Sam 22,39 ( ;)יפלו תחת רגליPs 45,6 (עמים )תחתיך יפלוund Ps 47,4 ()ולאמים תחת רגלינו. Auch in prosaischer Literatur, wie etwa in I Reg 5,17, ist dieses Motiv präsent: David konnte dem Namen JHWHs kein Haus bauen, weil er mit den Völkern ringsherum Krieg führte, bis JHWH sie gab תחת כפות רגלד. U. Neumann-Gorsolke beschreibt diese Wendung des ״unter die Füße Fallens" als ein Syntagma, das nicht ein historisch verifizierbares Kriegsgeschehen schildert, sondern in die Sieges- und Herrschaftstopik gehört, welche die Stellung des Königs/ des Volkes über besiegte beziehungsweise unterworfene Feinde beschreibt.224 In genau diese Sieges- und Herrschaftstopik ist das Motiv der Feinde als Fußschemel des Königs von Ps 110,1 einzuordnen, mit einer möglichen Modifikation, dass in Ps 110 die Feinde ״schon von JHWH überwältigt sind, sodass das Bild des Schemels im Gegensatz zur Kampfschilderung in 2Sam 22 (par. Ps 18) statisch wirkt. Gerade dadurch bringt das Motiv die dominante Stellung des Königs gegenüber den Feinden zum Ausdruck." 225 Außerbiblische Parallelen: Die Feinde als Fußschemel des Königs sind als Motiv für Unterdrückung sowohl literarisch als auch ikonographisch in den Ländern des Alten Orients bekannt. In Ägypten ist literarisch noch kein schriftlicher Ausdruck belegt, aber Darstellungen der Feinde als Fußschemel des Pharao sind umso häufiger und treten vor allem im Neuen Reich zutage. 226 M. Metzger weist hierzu auf ein Fresko im Grabe des Kenamun von Schech Abd el-Kurna hin, auf dem der junge Amenophobis IL auf dem Schoß seiner Amme sitzend dargestellt ist. ״Dem künftigen König dienen zwei Reihen von knieenden Gefangenen mit auf dem Rücken gefesselten Händen als Fußschemel, wobei seine Füße auf den Köpfen der oberen Reihen ruhen [...]. Unterworfene Feinde als figürliehe Dekoration erscheinen ferner am Fußschemel bei Amenophobis III. [...] und Tutanchamun [...J." 22 ?
224 225 226 227
Vgl. U. Neumann-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen, 98. U. Neumann-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen, 99. Vgl. H.-J. Fabry; Art.: • T i , 351f. M. Metzger, Königsthron und Gottesthron, 92.
4.2 Erhöhungsmotive des Königs
59
Bei O. Keel ist zu Ps 110,1b folgendes Bild zu sehen:
Hier sind die neun traditionellen Feindvölker als Fußschemel dargestelltes Auf schriftlicher Ebene wird das Motiv der Feinde unter den Füßen des Pharao zwar nicht als Fußschemel bezeichnet, aber ähnlich beschrieben, so z.B. im Siegeslied auf Thutmose III., in dem Amun-Re spricht, dass er die Herrscher anderer Völker unter den Füßen des Pharaos in ihren eigenen Ländern ausbreiten werde: Ich lasse die, die sich gegen dich empören unter deine Sandalen fallen und dich die Streitenden und ,Krummherzigen' zertreten^
Als literarischen Beleg für das Motiv lassen sich vor allem assyrische Beispiele anfuhren: 230 Dementsprechend berichtet Tukulti-Ninurta I. (um 1230) über seinen militärischen Sieg über Kastilias IV. von Babylon! en folgendes: 61 qa-ti ik-sud kisäd be-lu- ti-sü ^ 62 ki-ma gal-tap-pi i-na sepemQS-ja 22
8 Text und Bild vgl. O. Keel, Bildsymbolik, 231.233. J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, 524. 230 Bei U. Neumann-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen, 99-120, ist eine ausführliche Analyse dieses ״Fußmotivs" in altorientalischen Texten und Bildern nachzulesen. 229
60
4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110 61 Auf seinen Herrennacken 62 wie auf einen Schemel trat ich mit meinen Füßen23'
Auch in phönizischen Inschriften ist das ״Legen der Feinde unter die Füße" präsent, so beispielsweise in Karatepe in Bezug auf den Herrscher Azitawada (diese Wendung ist ebenfalls mit der Wurzel + תחתgebildet):
שית
(י17)ואנך אזתוד שתנם ת ח ת פעם Ich aber, 'ZTWD, legte sie unter meine Füße?32
Fazit: Der Ausdruck des ״Fußschemels" in Ps 110 ist biblisch, in der Verwendung allerdings nicht mit biblischen Stellen vergleichbar. In den zu vergleichenden biblischen Texten ״gehört" der Fußschemel stets JHWH und nicht dem König. Es ist denkbar, dass sich der Dichter des Psalms durch den umschriebenen Genitiv233 von den anderen Belegstellen abgrenzte. Eine traditionsgeschichtliche Verbindung zu dem Ausdruck ״unter die Füße fallen" erscheint sinnvoll, der vor allem in den Psalmen, aber auch in I Reg 5,17 als Siegesmotiv verwendet wird. Die ״Feinde als Fußschemel des Königs" sind vor allem in außerbibIi sehen Texten und Abbildungen vorhanden, sodass an dieser Stelle wiederum von einer Aufnahme altorientalischer Königsideologie in Ps 110 gesprochen werden kann. 4.2.3 Herrscherstab/Stab der Macht
Innerbiblische Untersuchung: Das Zepter als Symbol der Macht des Königs ist ein geläufiges Motiv sowohl in biblischen und außerbiblischen altorientalischen Texten und Bildern als auch in anderen antiken Kulturen. G. Widengren zieht hierbei einen Vergleich zu den beiden Stellen innerhalb der Königspsalmen: Ps 2,9 und 45,7. Ps 2,9 betone den Sieg des israelitischen Königs über die umliegenden Völker, in den Königspsalmen ein gewohnliches Thema. Ps 45,7 hebe hervor, dass das Zepter Ausdruck für das Rechtsbewusstsein und die Gerechtigkeit des Königs sei, es sei ein 234 שבט מישר Anschließend bringt Widengren altori spiele, in denen von einem gerechten Zepter die Rede ist. Doch ist ein gerechtes Zepter in Ps 110 gemeint? Mit keinem Wort fällt eine Andeutung in diese Richtung. Dass es sich hier um eine Königsinsignie 235
E. Weidner, Die Inschriften Tukulti-Ninurtas I., Inschrift 5, 12. Einen Hinweis auf diese Stelle gibt H.~J. Fabry, Art.: • i r j , 350. 232 Phönizischer Text aus KAI 26 A (I), 16f. (der Text stammt nach KAI aus dem ausgehenden 8. Jh. v.Chr.); Übersetzung aus H. Donner u. W. Röllig, KAI II, 36. 233 Vgl. Kapitel 3.1 Der masoretische Text, S. 23ff. 234 G. Widengren, Psalm 110 und das sakrale Königtum in Israel, 191.
4.2 Erhöhungsmotive des Königs
61
handelt, ist klar, das Wortfeld ״Gerechtigkeit" ist hier jedoch ausgespart. Damit, dass das Zepter in den Königspsalmen kein unbekanntes Thema ist, hat Widengren sicher recht, allerdings handelt es sich in Ps 2,9 und 45,7 nicht um einen מטה־עזך. Ps 2,9 spricht von einem שבט ברזל, Ps 45,7 von einem שבט מישר שבט מלכותך. G.R. Driver 235 bemerkt ebenfalls, dass der Ausdruck מטה עזךhier fremd erscheint, sodass er zu einer anderen Übersetzungsvariante greift: Hier könne nicht von einem Zepter die Rede sein, und das Suffix müsse als Objekt und nicht possessiv verstanden werden. ״Consequently מטה עזך ישלחmay legitimately be translated ,he will Stretch out (i.e. offer, give) a staff of authority (or mighty weapon ) to thee'." 236 Dass hier nicht von einer Königsinsignie die Rede sein soll, ist, angesichts der Existenz anderer Parallelen zu biblischen und außerbiblischen Königsliedern, wenig überzeugend. Biblisch wird von einem מטה־עזlediglich an vier weiteren Stellen ge~ sprachen: Jer 48,17 ( )איכה נשבר מטה־עז מקל תפארהund Ez 19,11.12.14. Bei Ez 19 handelt es sich um ein Klagelied, in dem es am Schluss heißt: ולא־היה בה מטה־עז שבט למשול. Jer 48,17 ist Teil eines GerichtsWortes gegen Moab. Der Herrscherstab Moabs wird zerbrochen. Das Motiv des מטה־עזfindet sich sowohl in Ez 19 als auch in Jer 48 in poetischen Texten. A. Doeker stellt diesbezüglich fest, dass an diesen Stellen vom Zerbrechen der Insignie gesprochen werde und Ps 110 möglicherweise gerade diese Terminologie aufgreife, ״um in Erinnerung an das Exil die kommende ungebrochene Herrschaft deutlich zu machen. Diese Deutung setzt allerdings eine Datierung des Psalms voraus, die den Text zeitlich nach der Entstehung der Prophetentexte v e r o r t e t . " 2 3 7 Die Satzteilfolge von V.2 unterstützt die These Doekers, da der Herrscherstab durch die Position an vorderster Stelle besonders betont ist. Der Terminus könnte gerade deshalb zu Beginn des Verses stehen, um so seine Bedeutung zu unterstreichen und dadurch auszudrücken, dass dieser Herrscherstab eben nicht zerbrochen ist, sondern von JHWH vom Zion her gesandt wird. Eine weitere Parallele in dieser Richtung könnte auch in dem Spottlied von Jes 14 zu sehen sein. Hier wurde der Herrscherstab des Königs von Babel durch JHWH zerbrochen. Als Lexeme werden sowohl מטהals auch שבטverwendet; zusätzlich ist JHWH die handelnde Person. In Jes 14,5 zerbricht JHWH den Stab - in Ps 110,2 verleiht JHWH den Herrscherstab. Hier ist eine antonyme Verwendung zu dem Motiv aus Ps 110,2 zu finden, da in Jes 14,5 JHWH den Herrscherstab des Königs, der die Völker schlug und die Fremdvölker im Zorn beherrscht ( )רדהhatte, zerbricht. In Ps 110,2 findet sich dieselbe Wortkombination: JHWH sendet den Stab
235 236 237
Vgl. G.R. Driver, Psalm CX, 17*f G.R. Driver, Psalm CX, 18*. A. Doeker, Funktion der Gottesrede, 104.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
der Macht und gibt den Befehl, dass der König unter den Fremd Völkern herrschen soll. Außerbiblische Parallelen: Zu allen Zeiten eines Königreichs im Orient war es möglich und gängig, den Herrscher mit einem Stab oder Zepter als Königsinsignie darzustellen, sodass sich parallele Motive in Ugarit, Assyrien, Ägypten, Phönizien und in den hellenistischen Reichen finden lassen. Als parallele Ausdrücke im Alten Orient verweisen G. Widengren und S.R.A. Starbuck unter anderem auf Assyrien, Babylonien, Ugarit und Phönizien.238 In KTU2 1.6 VI 29 heißt es: ht. mtptk = das Zepter deiner Herrschaft. Beim Krönungshymnus des Assurbanipal wird, wie in Ps 110, dem König von einer Gottheit das Zepter verliehen. Die ersten drei Zeilen dieses Hymnus lauten (in englischer Übersetzung): d UTU LUGAL AN-e u KI.TIM a-na SIPA-u\t kib-r)at erbe-tim lis-si-ka UD.MES-Äa MU.AN.NA.MES-,fo &as-sur na-d[in]- GIS.PA-A]־ö' lu-ur-rik ina GIR.2-Ät7 KUR-fa? [0] ru-up-pis May Samas, king of heaven and earth, elevate you to shepherdship over the four [regionjs! May Assur, who gafveyjou [the scepter], lengthen your days andyearsl Spread your land wide at your feetß39
Ebenso ist in sumerischer Literatur von einem Zepter zu lesen, das vom Himmel her verliehen wird. 240 Auch in Phönizien ist ein Herrscherstab als ein Stab der Gerichtsbarkeit in Form einer Inschrift auf dem AhTröm-Sarkophag belegt: htr.mspth = der Stab seiner Gerichtsbarkeit.241 Nicht nur zur Blütezeit der Sumerer und von Ugarit wird die Macht des Königs unter anderem durch das Zepter demonstriert, auch später, beispielsweise innerhalb der Diadochenreiche, dient das Zepter als Ausdruck königlicher Erhabenheit und göttlichen Status. W. Cheshire hat die Motivik des Zepters von Arsinoe II. Philadelphos untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass auf ptolemäi sehen Münzprägungen die Herrscherin Arsinoe II. Philadelphos mit einem ״charakteristischen 238
G. Widengren, Psalm 110 und das sakrale Königtum in Israel, 191 ff. u. S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, 145. 239 SAA 3, 26: VAT 13831 Z.l-3. 240 vgl. "The Eridu Genesis" in: W.W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture. Vol. 1, 514. Siehe auch W.W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture. Vol. 1, 553, die Verleihung eines Zepters durch Enlil. 241 Transliteration und Übersetzung nach R.G. Lehmann, Dynastensarkophage, 38.
4.2 Erhöhungsmotive des Königs
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Szepter" dargestellt sei. Gemeinsam mit dem Schleier und dem Widderhorn bilde es die „charakteristische ikonographische Ausstattung der vergöttlichten Arsinoe II. Philadelphos."242 Diese vergöttlichte Darstellung werde durch die Verschmelzung ägyptischer und griechischer Motive erreicht.243
Wie auch die Abbildung zeigt, bestehe dieses „charakteristische" Zepter aus einem ovalen Aufsatz, an dessen unterem Rand man zwei dünne, blütenblattähnliche Spitzen erkennen könne. „Ein Szepter mit einer fast identisch gebildeten Spitze [...] findet sich häufig auf spätklassischen und hellenistischen Münzbildern des Zeus." 244 Durch das kleine, hinter dem Ohr erscheinende Widderhorn werde der jeweilige Herrscher als Kind des Amun gekennzeichnet. Der Schleier wiederum sei ein Kennzeichen der Hera. 245 Fazit: Diese kurze Untersuchung des Motivs des Herrscherstabes hat ergeben, dass der Stab als Königsinsignie ein gängiges Motiv im Alten Orient zu verschiedenen Zeiten war. In hellenistischer Zeit tritt das Phänomen auf, dass auf Münzprägungen der Arsinoe II. Philadelphos ägyptische und griechische Zepter-Motive miteinander verschmelzen. Die hebräische Wortwahl ist in Ps 110 aber beachtenswert: Der verwendete hebräische Ausdruck erscheint zwar auf den ersten Blick ungewöhnlich, da sonst in den Königspsalmen meist שבטals Zepter verwendet wird, doch wird seine Verwendung plausibel, wenn man vor allem das Klagelied aus Ez 19, Jer 48 und das Spottlied aus Jes 14 zur Interpretation heranzieht. Der sonst gebrochene Herrscherstab wird 242 Cheshire, Deutung eines Szepters, 105. 243 Vg^ Cheshire, Deutung eines Szepters, llOf. Die Abbildung ist von Tafel IVa. 244 Yg] w Cheshire, Deutung eines Szepters, 105. 245 Vgl. W. Cheshire, Deutung eines Szepters, 107ff.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
nun als mächtiger Stab dem König zugesagt und von JHWH ausgesandt. Auch das Possessivsuffix ist folgerichtig und als solches zu übersetzen, da von einem Herrscherstab gesprochen wird, der bei anderen Herrschern als zerbrochen beschrieben wird: Dein Herrscherstab ist nicht zerbrochen, sondern wird von JHWH gesandt. Auffällig ist weiterhin, dass in Ps 110 die Königsinsignie nicht mit dem Wortfeld ״Gerechtigkeit" oder „gerechte Herrschaft" verbunden ist, wie dies in Ps 45 der Fall ist. Somit legt sich nahe, von verschiedenen Nuancen in den Bedeutungen der Herrscherstäbe - einerseits in Ps 110 und andererseits in Ps 2 und 45 - auszugehen. 4.3 Theologische Motive 4.3.1 Der Gottesberg/Zion Innerbiblische Untersuchung: Analysiert man das Vorkommen des Begriffs ״Zion" in der hebräischen Bibel, so erhält man folgendes Bild: Der ״Zion" spielt im corpus propheticum (vor allem bei Jesaja) und im Psalter eine große Rolle - er fehlt hingegen im Bereich von Gen - I Sam sowie bei Esr, Neh und Ez. In erzählender nicht-prophetischer Literatur wird der Zion nur selten erwähnt, z.B. als Gebetseinleitung in I Reg 8,1 (par. II Chr 5,2): Dort wird dezidiert Jerusalem, die Stadt Davids, als Zion bezeichnet. In den Psalmen wird vom Zion oft als Wohnstätte oder heiligem Ort Gottes gesprochen - so in Ps 2,6; 9,12; 14,7; 50,2; 53,7; 74,2; 76,3; 78,68; 84,8; 99,2; 132,13. In den Klageliedern tritt vermehrt die Personifikation des ״Zion" als Tochter auf, wie auch in der HerrscherWeissagung von Sach 9,9f. und in den Psalmen 9; 48; 97. Dass der Zion der Ausgangspunkt von Tora ist, wird in Jes 2 Ii Mi 4 gesagt dieser Gedanke fehlt im Großen und Ganzen im Psalter, obwohl der ״Zion" als Stätte Gottes des gerechten Richters (vgl. Ps 9) und Jerusalem als Ort vom ״Thronen zum Gerichfc^ttfi^ "כסאותbeschrieben werden kann (Ps 122,5). Gerade innerhalb des Psalters tritt die Vielseitigkeit hervor, mit weleher der Begriff ״Zion" verwendet wird, sodass C. Körting dies als ״Weite des Topos Zion" bezeichnen kann. 246 Dieser Topos könne in einzelnen Psalmen Bedeutungsnuancen annehmen und andere ausblenden. Es sei der Kontext, der den Gehalt vorgebe, und kein ausgereiftes theologisches Konzept. Konstanten seien in der Rede vom Zion aber dennoch vorhanden. Obwohl das Motiv des Gottesberges schon früh in der Religionsgeschichte Israels und Judas verankert sei, sei die Zionstheologie der Psalmen nachexilisch: ״Zion ist für das Volk Israel 246
Vgl. C. Körting, Zion in den Psalmen, 2211
4.3 Theologische Motive
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eine Konstante, die das Exil und Zerstörungen überdauert hat. [...] Zion eröffnet die Perspektive in eschatologische Dimensionen und er ist eine Brücke in die eigene Vergangenheit."247 Nach dieser kurzen Bestandsaufnahme stellt sich die Frage, welche Konnotation das Motiv „Zion" in Ps 110,2 trägt. Im Blick auf den gesamten Psalm ergibt sich, dass der „Zion" insofern weder in Gerichts- noch in Heilsvorstellungen eingebunden ist, als keine Drohung gegen Jerusalem oder den Zion ausgesprochen und ebenso wenig der Zion mit Gerechtigkeit, Recht oder Frieden verbunden wird. Es ist zwar die Rede von anderen Völkern und Königen, die von Gott und dem König zerschlagen werden, aber es handelt sich nicht um ein Völkerkampfmotiv, da nichts von einem Ansturm gegen Zion gesagt wird. Zudem wird von „Zion" nicht als Tochter oder in anderer Personifikation gesprochen. Auch weist die Verwendung von „Zion" in Ps 110 Unterschiede zu den Wallfahrtsliedern auf, da diese eine andere Herrschaftsform beschreiben, die von Zion ausgeht. Ps 110 spricht vom Zerschlagen der Könige, nicht von Segen, Kinderreichtum und Nahrung. 248 Der „Zion" ist in Ps 110 die Stätte Gottes, ohne dass explizit von einer JHWH-Königsherrschaft oder von seinem Heiligtum die Rede ist. Ebenso bleibt Jerusalem als Gottesstadt unerwähnt. Die deutlichste Parallele zu Ps 110 findet sich in Ps 2,6: JHWH salbt den König auf dem Zion, dem Berg seiner Heiligkeit. Zusätzlich zu den Stellen der Zionstheologie im Psalter sei wiederum auf das Spottlied auf den König von Babel (Jes 14) hingewiesen, denn auch hier begegnet das Motiv des Gottesberges - es ist allerdings nicht der Zion, sondern der Zaphon, der Berg am äußersten Norden. Dem König von Babel wird anmaßendes Verhalten vorgeworfen, insofern, als er zum Himmel hinaufsteigen, hoch über den Sternen Eis seinen Thron errichten und auf dem Berg der Versammlung im äußersten Norden sitzen wollte. Die Bezeichnung des Berges als „äußerster Norden" weist auf den Zaphon hin, der als Sitz Bacals verehrt wurde. 249 Auch bei Jes 14,13 sind die drei Elemente Gottheit, König und Gottesberg wie bei den Pss 2 und 110 miteinander verbunden, nur hier in einer Schilderung des arroganten Verhaltens des Königs, dass er sich selbst auf den Gottesberg begeben hätte. Ps 110 vertritt dazu - wie auch bei dem Motiv des zur Rechten Sitzens, dem Herrscherstab und dem „Sohn der Morgenröte"250 - die gegenteilige Darstellung: Der König wird von JHWH mit Macht versehen, er eignet sie sich nicht selbst an. Diese Macht geht vom Gottesberg, dem Zion, aus.
247 C. Körting, Zion in den Psalmen, 228. 248 Vgl c Körting, Zion in den Psalmen, 216. 249 Vgl. auch R. Rendtorff, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2, 151. 250 S. Kapitel 5.2 Vergleichende Darstellung von Ps 110 mit Jes 14, S. 119ff.
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Außerbiblische Parallelen zum Gottesberg: Vor allem in Ugarit ist der Gottesberg der Sitz der Götter. Als Textbeispiele seien die Geschichte um Kirta und ein Lied über Bacal angeführt. In der Geschichte um Kirta heißt es (in der Übersetzung von S.B. Parker): Bacal's mountain will weep for you, father ~ Mount Saphon, the holy domain25]
Das Lied über Bacal beginnt mit (Übersetzung nach TU AT): 1 Ba'al thront wie ein Berg-sbta, Haddub lag[ert] 2 wie ein Bär inmitten seines göttlichen Berges Saphon, inmitten 3 des Berges des SiegesI252
O. Loretz hält fest, dass der siegreiche Kampf Ba'als gegen seine Feinde zu dem Ergebnis gefuhrt habe, dass auch er - ähnlich den anderen Göttern - einen Palast auf seinem heiligen Berg Saphon erhalten habe. Schöpfung und Fruchtbarkeit seien erst gesichert, wenn der Regenspender und Sieger über die Chaosmächte in seinem Palast inthronisiert sei. 253 0. Loretz vermutet weiter, dass die Aspekte der Wohnorte von El und Bacal in Ugarit innerhalb der Bibel auf JHWHs Wohnort in Jerusalem übertragen würden. 254 Daneben wird in den Mythen Griechenlands von einem Berg - dem Olymp - gesprochen, auf dem sich die Götter versammeln. In der Ilias beispielsweise wird der Olymp häufig als Wohnsitz der Götter beschrieben: άλλοι μεν γαρ πάντες δσοι ύεοί είσ5 έν Όλτίμπω, σοι τ' έπιπείϋονται και δεδμήμεσΟα έκαστος, 2 5 5 Denn alle anderen Götter aber, die auf dem Olymp sind, gehorchen dir, und wir geben den Bitten nach, ein jeder.
Bei Theokrit ist der Olymp auch genannt, aber nicht weiter expliziert. Die Unsterblichen werden dort am Schluss des Enkomions als Könige des Olymp bezeichnet.256 Fazit: Als Resümee lässt sich über die Zionstheologie in Ps 110 festhalten, dass der ״Zion" hier vordergründig die Bedeutung des ״Berges 251
S.B. Parker, Ugaritic Narrative Poetry, 35. Lied über Ba'al, TUAT Band II - Lieferung 6, 821. 253 O. Loretz, Ugarit und die Bibel, 159. 254 Vgl. O. Loretz, Ugarit und die Bibel, 159f. 255 Homer, Ilias, 5. Gesang Z. 877. 25 6 Vgl. Theokrit, Gedichte, 134ff. Z.132f. 252
4.3 Theologische Motive
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JHWHs" hat. Explizit werden keine weiteren theologischen Konzepte um den Zion entfaltet. Er ähnelt in seiner Bedeutung dem Zaphon als „Berg Ba als" und dem Olymp als „Berg und Sitz der griechischen Götter". Die deutlichste biblische Parallele zu Ps 110,2 findet sich in Ps 2,6, da auch dort die Einsetzung des Königs durch JHWH mit dem Zion verbunden wird. Der Zion ist in Ps 110,2 die Stätte JHWHs, von der JHWH den Herrscherstab des Königs aussendet - es findet sich keine Anspielung auf Gerechtigkeit, Völkerkampf oder -wallfahrt sowie Schalom. Als antonyme Parallelstelle bietet sich wiederum Jes 14 an, da dort auch der König von Babel auf dem Gottesberg sitzt - er hat sich jedoch eigenmächtig dorthin begeben. Inwiefern allerdings implizit zusätzliche theologische Bedeutungsnuancen des Zion in Ps 110,2 mitklingen, ist nicht klar. C. Körting beschreibt die Funktion des Zion in Ps 110 als eine Argumentation auf zwei Ebenen: „Ps 110 argumentiert somit auf der vertikalen wie auch auf der horizontalen Ebene, weshalb Zion und nur Zion das Herrschaftszentrum dieses Priesterkönigs sein kann. Auf der vertikalen Ebene ist es die Gegenwart Gottes auf Zion, die auch den König an diesen Ort bindet. Die Horizontale ist die Geschichte Israels mit seinem Gott. Sie zeigt, daß Gott diesen Ort erwählt und seinen Herrscher dort eingesetzt hat, verankert in der Frühzeit und gültig für die Ewigkeit."257 Durch die Nennung des Zion kann Ps 110 so gelesen werden, dass er an die Geschichte des Volkes Israel und vermutlich an die damit verbundenen Hoffnungskonzepte anknüpft, die die Zionstheologie in den Psalmen der nachexilischen Zeit vertritt - explizit formuliert ist dies allerdings nicht. 4.3.2 JHWH hat geschworen und es wird ihn nicht reuen JHWH hat geschworen - innerhiblische Untersuchung: Einerseits wird das Schwören JHWHs in der hebräischen Bibel als positive Zusage verwendet und mit den Erzvätern und/oder der Landverheißung in Verbindung gebracht.258 In Bezug auf David ist der Schwur JHWHs ebenfalls positiv konnotiert, so in II Sam 3,9 und den Pss 89 und 132, dass JHWH (einst) dem David (ewiges) Königtum
257
C. Körting, Zion in den Psalmen, 212. So in Gen 22,16; 24,7; 26,3; 50,24; Ex 13,5.11; 32,13; 33,1; Num 11,12; 14,16.23; 32,10.11; Dtn 1,8.34.35; 2,14; 4,31; 6,10.18.23; 7,8.12.13; 8,1.18; 9,5; 10,11; 11,9.21; 13,18; 19,8; 26,3; 28,9; 29,12; 30,20; 31,7.20.21.23; 34,4; Jos 1,6; 5,6; 21,43.44; Jdc 2,1; Jos 1,6; 21,43f.; Jdc 2,1; Jer 11,5; 32,22; Mi 7,20. Der Schwur JHWHs kann sich auch auf die Väterverheißung beziehen und zum Ausdruck bringen, dass JHWH sich bei der ersten Exodus-Generation nicht an den Schwur halten werde, den er den Vätern gegeben hatte. 258
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geschworen hat. 259 In Jes 54,9 ist vom Schwur JHWHs an Noah die Rede, der auf das ganze Volk Israel übertragen wird. In dem bereits mehrmals zitierten Kapitel 14 im Buch Jesaja wird ebenfalls von einem Schwur JHWHs berichtet. Dieser steht direkt im Anschluss an das Spottlied auf den babylonischen König und hat die Vernichtung Babels zum Inhalt (so auch Jer 51,14). In Jes 62,8 schwört JHWH, dass die Fremdherrschaft bald ein Ende haben werde. In Ez 16,8 wird der ״Bund" JHWHs mit Jerusalem durch einen Schwur gekennzeichnet. Andererseits schwört JHWH den Adressaten Negatives zu, wie in Jos 5,6; Jdc 2,15; Jer 22,5; 44,26; 49,13; Am 4,2; 6,8; 8,7 und Ps 95,11, wo dem Volk beziehungsweise dem Hause Eli (I Sam 3,14) der Niedergang angesagt wird. Eine Stelle mit ähnlichem Textverständnis wie Ps 110 ist biblisch schwer zu fassen, obwohl das Motiv, dass JHWH einen Schwur leistet, mehrfach vorkommt. Da die Psalmen 89 und 132 von einem Schwur JHWHs an König David berichten und auch in Ps 110 der Schwur an den König gerichtet ist, werden diese Stellen im Folgenden untersucht. Die anderen Belege für das Schwören JHWHs sind in Bezug auf das Textverständnis von Ps 110 weniger relevant, da es in Ps 110 weder um die Erzväter noch um die (einstige) Landverheißung noch um einen Schwur negativen Inhalts geht. Das Thema „JHWH hat geschworen" ist eines der zentralen Themen in den Königsliedern 89 und 132. Nach G. Giesen ist dieser Verheißungseid an keiner Stelle ein Primärbeleg für eine eidliche Zusage JHWHs, vielmehr stellt er „eine nachträgliche Interpretation dar, durch die eine ursprünglich uneidlich gegebene Zusage JHWHs verschärfend zu einer durch einen Schwur abgesicherten Verheißung umgedeutet wird." 260 Diese These wird durch die Beobachtung gestützt, dass sich innerhalb der Nathanverheißung in II Sam 7 das Motiv des Schwörens nicht findet. Die genannten Psalmen stellen eine (spätere) Auseinandersetzung mit der Nathanverheißung dar, wie dies im Folgenden erläutert werden wird. Diese ist somit ebenfalls als Interpretament für die Auslegung von Ps 110 anzusehen. Bei Ps 89 handelt es sich zwar nach der Einteilung H. Gunkels um einen Königspsalm, doch kann man darüber hinaus T. Veijola zustimmen, den Psalm als Ganzen als Volksklagelied zu bezeichnen, da auch der Königsteil kollektivierend als Klage zu verstehen sei. 261 Im Anschluss an das Gotteslob wird die Verheißung des ewigen Königtums an David zum Thema des Psalms. Der Rückbezug von Ps 89 auf 259
Im Psalter tritt die Wurzel שבעim Nif'al noch an folgenden Stellen auf: Ps 15,4; 24,4; 63,12; 95,11; 102,9; 119,106. Diese Stellen haben allerdings andere Bedeutungen bzw. motivische Schwerpunkte als Ps 110,4. 260 G. Giesen, Die Wurzel ״ שבעschwören", 332. 261 Vgl. T. Veijola, Verheissung in der Krise, 174f.
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die Nathanverheißung wird ״zum einen durch die Verbalwurzeln כון (vgl. II Sam 7,13.16.26) und ( בנהvgl. II Sam 7,11.27) und zum anderen durch die Stichworte כסאund ( זרעvgl. II Sam 7,12) hergestellt. Die doppelte Bestandszusage für Nachkommenschaft und Thron Davids entspricht dem Inhalt der Nathanverheißung, deren Leitwort בית in Ps 89 durch זרעund כסאrepräsentiert wird." 262 Diese Verheißung ist Grund zur Klage für den Beter: Der Beter stellt - Gott anklagend fest, dass Gott seinen Gesalbten verworfen, den Bund gebrochen und die Krone seines Knechtes entweiht hat. Die Feinde triumphieren - der Thron des Gesalbten ist mit Schande bedeckt, obgleich Gott David, seinem Knechte, vorzeiten geschworen hat: Bis in Ewigkeit werde ich dein Geschlecht aufrichten und ich werde bauen - Generation für Generation - deinen Thron. Nach M. Pietsch greift der Psalm ״angesichts der Infragestellung der (Nathan-) Verheißung auf diese selbst zurück, um ihre Gültigkeit zu bestätigen." 263 Der Überschrift, der Form und seiner Stellung im Psalter nach handelt es sich bei Ps 132 um ein Wallfahrtslied, in dem ״alles zusammengefaßt [ist], was zur Bedeutung des Zion aus Geschichte und Gegenwart zu sagen war, so daß er geradezu ein Kompendium der Ziontheologie genannt werden kann." 264 In ihm ist zweimal vom Schwur JHWHs die Rede, und, wie in der Nathanweissagung, sind Königs- und Zionstheologie hier eng miteinander verwoben. Die Ladeerzählung bildet den ersten Teil des Psalms, an den sich die Verheißung des ewigen Königtums an David anschließt und den thematischen Schwerpunkt des Psalms und somit den eigentlichen Gegenstand der Bitte des Psalmisten darstellt. 265 Eine Erklärung JHWHs, dass er sich den Zion als Wohnstätte erwählt hat und dort David mächtig werden lässt, steht am Schluss des Psalms. M. Pietsch beschreibt folglich das Zentrum von Ps 132 als ״eine aktualisierende Neuinterpretation der Nathanverheißung." 266 In Bezug auf den Schwur JHWHs in den beiden eben beschriebenen Königspsalmen hielt G. Giesen fest, dass die zeitliche Ansetzung dieses Verheißungseides 267 in die nachexilische Zeit weise. Der Eid JHWHs erfahre gerade in der nachexilischen Zeit eine SchwerpunktVerlagerung: Während der exilischen Epoche sei der Eid JHWHs fast ausnahmslos auf das Heilsgut des verheißenen Landes hin ausgerichtet gewesen, in der nachexilischen Zeit würden doch eher Hoffnungen auf ein neues Königtum geweckt, an dessen Spitze schließlich ein david redivivus erwartet werde. 268 G. Giesen ist zuzustimmen, dass der 262
M. Pietsch, »Dieser ist der Sproß Davids...«, I I I . M. Pietsch, »Dieser ist der Sproß Davids...«, 122. 64 Vgl. K. Seybold, Die Wallfahrtspsalmen, 66. 265 Vgl. M. Pietsch, »Dieser ist der Sproß Davids...«, 125. 266 m Pietsch, »Dieser ist der Sproß Davids...«, 137. 267 Vgl. G. Giesen, Die Wurzel ״ שבעschwören", 332. 268 Vgl. G. Giesen, Die Wurzel ״ שבעschwören", 371. 263
2
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
Schwur JHWHs unterschiedliche Schwerpunkte ausbildet, doch bietet sich statt einer zeitlichen Einteilung eher eine Kategorisierung anhand der verschiedenen biblischen Bücher an, da auch im Dtn exilische/nachexilische Redaktionsschichten vorhanden sind, in denen sich trotzdem der Schwur auf das versprochene Land hin ausrichtet. So ist festzuhalten, dass in den Psalmen - ausgenommen ist hier Ps 95,11 die Vorstellung eines david redivivus erkennbar ist, in den Geschichtsbüchern hingegen ist der Schwur JHWHs primär auf die Landverheißung hin ausgerichtet. Diese Aussageabsicht des Schwures JHWHs hinsichtlich eines david redivivus verbirgt sich auch in PsSal 17,4 - dieses Lied stammt vermutlich aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert und setzt die Eroberung Jerusalems durch Pompejus 63 v.Chr. voraus. 269 Hier wird mit dem Ausdruck, dass JHWH einst geschworen hat, wiederum auf die Nathanweissagung angespielt. Es heißt: Du, Herr, erwähltest David zum König über Israel, und du schworst ihm für seinen Samen in Ewigkeit, daß sein Königtum vor dir nicht aufhöre.
Außerbiblische Parallelen: Dass Gottheiten einen Schwur leisten, kommt in den Texten des Alten Orients häufig vor. In der Eridu Genesis wird das Motiv des Schwörens von Göttern gleich mehrmals erwähnt: An, Enlil, Enki, and Ninhursaga had the gods of heaven and earth [swear] by the names An and Enlil. Ziusudra's Vision of the Gods Assembling At that time Ziusudra was king and lustration priest. [-] [As he] stood there regularly day after day something that was not a dream was appearing: conversation] a swearing (of) oaths by heaven and earth, [a touching of throats] [...] End of Enki's Speech "You here have sworn by the life's breath of heaven the life's breath of earth that he verily is allied with you yourself; you there, An and Enlil, have sworn by the life's breath of heaven, 269
Vgl. S. Holm-Nielsen, Die Psalmen Salomos, 51. Folgende Übersetzung ist von S. 97f.
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the life's breath of earth, that he is allied with all of you." 2 7 0
Im Enuma Elisch wird auf Tafel VI von einer Versammlung der Götter erzählt: 95 Es versammelten sich die großen Götter, sie machten das Schicksal Marduks erhaben und verbeugten sich. Sie sprachen einen Fluch über sich selbst aus schworen mit Wasser und Öl und legten ihre Hand an die Kehle. Sie gewährten ihm das Recht auf Königsherrschaft über die Götter271
Im Gilgamesch-Epos wird in Zeile 15ff. von einem Schwur berichtet: [Es schjwor ihr Vater Anu, ihr Ratgeber, Held Enlil, ihr Thronträger Ninurta, ihr Kanalinspektor Ennugia?•12
Bei Homer ist das Schwören eines Eides kein gängiges Motiv, Kallimachus beschreibt hingegen in einer Hymne an den Gott Apollo, dass dieser immer redlich seinen Eid halte: a.el Ö' ei'optcog XitöXXüjv. 273 Apollo ist immer seinem Eid treu.
Fazit: Es ist durchaus ein übliches Motiv in der hebräischen Bibel, dass JHWH schwört. Auch dass JHWH einen Schwur gegenüber dem König leistet, ist in Ps 110 nicht singulär. In den Pss 89 und 132 wird durch das Schwören JHWHs an David der Bezug zur Nathanverheißung in II Sam 7 deutlich gemacht, doch ist der Inhalt des Schwures in Ps 110 einzigartig. In Ps 89 wird der Schwur JHWHs an David Grund zur Klage, sodass das gesamte Lied als Klage zu verstehen ist - ganz im Gegensatz zu Ps 110. In Ps 132 ist der Schwur JHWHs der Grund zur Wallfahrt an den Zion und für großen Jubel. In Ps 132 wird zwar, wie in Ps 110, der Zion als Wohnstätte JHWHs betrachtet, doch ist die Rolle des Zion in jenem Psalm die zentrale Aussage, während in Ps 110 der Zion eher marginal Erwähnung findet, ohne dass er als Sitz JHWHs näher beschrieben wäre, auch nicht als Wohnort der Lade oder als Grund und Ziel einer Wallfahrt. In Ps 110 hat der Schwur JHWHs die ewige Priesterschaft des Königs zum Inhalt.274 Die Verwendung 270
The Eridu Genesis; in: W.W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture. Vol. 1, 514f. 271 TUAT Band Iii - Lieferung 4, 594. 272 TUAT Band III-Lieferung 4, 729. 273 Griechischer Text nach LCL, Callimachus, 54 Z. 68. 274 Obgleich hier keine deutliche Gemeinsamkeit zwischen den Pss 89, 110 und 132 in Bezug auf den Inhalt des Schwures festgestellt werden kann, so bleibt doch
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dieses Verheißungseides könnte auf eine Entstehung in nachexilischer Zeit schließen lassen, so, wie dies auch in PsSal 17 und Ps 132 deutlieh ist, da sich der Schwur JHWHs nicht auf ein verheißenes Land, sondern eher auf einen (neuen) König richtet. Daher liegt die Vermutung nahe, dass auch in Ps 110 an einen david redivivus zu denken ist. Der Vergleich mit außerbiblischen Texten zeigt, dass auch in altorientalischer und hellenistischer Literatur eine Gottheit einen Schwur leisten kann. Es stellt sich die Frage, ob sich der Autor von Ps 110 mit der Aussage, dass JHWH schwört, (lediglich) im Bereich altorientalischer Motivik bewegt, oder ob er damit auch auf die Nathanweissagung zurückgreift. Der Name ״David" steht nicht in unmittelbarer Nähe des Schwures, wie dies in den Ps 89 und 132 der Fall ist, aber die Überschrift spricht von einem Psalm in Bezug auf/für/von David. Um dieses Problem zu klären, muss untersucht werden, ob die Überschrift sekundär ist. Dies wird im Anschluss an Kapitel 5.6 Entstehungssituation von Psalm 110 geklärt. Und JHWH wird es nicht reuen Zu Beginn dieser Arbeit wurde bereits festgestellt, dass V.4aß zwei Auffälligkeiten beinhaltet: 1) stellt das Reuen JHWHs kein typisch poetisches Motiv des hebräischen Psalters dar; 275 2) findet sich in Form der Konjunktion ו- ausnahmsweise - ein Element prosaischer Rede. Die Auffälligkeit des ״Nicht-Reuens" JHWHs an dieser Stelle wird zudem dadurch unterstrichen, dass sich hierzu kein biblischer Vergleichstext findet. An zwei Stellen in der hebräischen Bibel wird berichtet, dass es JHWH reut - einmal hinsichtlich der Erschaffung des Menschen (Gen 6,6f.), zum andern, dass er Saul zum König gemacht hat (I Sam 15,1 f f ) . Doch sprechen diese Texte nicht davon, dass JHWH eine Tat von sich nicht bereuen wird. Dass JHWH überhaupt etwas bereuen kann, vor allem hinsichtlich König oder Königtum, verweist auf die Saul-David-Geschichte, in der JHWH sagt, dass er es bereut hat, Saul zum König gemacht zu haben (I Sam 15,11 aa.35b): נחמתי כי־המלכתי את־שאול ל מ ל ך11 Ich bereue, dass ich Saul zum König gemacht habe. ויחרה נחם כי־המליך את־שאול על־־ישראל35 Und JHWH bereute, dass er Saul zum König über Israel gemacht hatte.
Hierbei handelt es sich nicht um poetische Texte. Dies ist insofern auffällig, als sich die anderen parallel verwendeten Motive in poetischen interessant, dass a)le drei Psalmen einen Schwur Jahwes an den König (David) beschreiben. Die Aufeinanderfolge und die Stellung dieser drei Psalmen im Psalter werden in Hauptteil B „Innerbiblische Exegese" untersucht. 275 Vgl. Kapitel 3.2 Beobachtungen zum Sprach- und Motivschatz, S. 33f.
4.3 Theologische Motive
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Texten der hebräischen Bibel nachweisen lassen. 276 Wenn JHWH das Subjekt zu einer positiven Konnotation von נחםin einem poetischen Text darstellt, dann ist er derjenige, der den Psalmbeter tröstet. Somit liegt hier eine andere Bedeutung von נחםvor. Ebenso wenig ist ein Paralleltext aus altorientalischer oder griechischhellenistischer Literatur zu finden, der eine Kombination von einem göttlichen Schwur mit der Zusage einer Nicht-Reue beschreibt. Es legt sich folglich nahe, diese Wendung später redaktionsgeschichtlich zu untersuchen. 4.3.3 Tag des Zorns Gottes Innerbiblische Untersuchung: Der Tag des Zorns Gottes wird häufig mit den Vokabeln יוםund אף beschrieben, daneben tritt auch der Ausdruck יום זעםin Ez 22,24 oder ( יום חרון אפוJes 13,13). Zu der Wortkombination יום אףgibt es vor allem Vergleichstexte in Thr 1,12; 2,1 und 2,21. An diesen Stellen ist der Tag des Zorns allerdings bereits eingetroffen, und das Exil Israels war die Folge. Von einer Niederlage Israels ist in Ps 110 nicht die Rede - daher soll nach weiteren Texten mit diesem Thema gesucht werden. ״Zorn" kann im Hebräischen durch verschiedene Vokabeln ausgedrückt werden, wobei אףdas häufigste Lexem für ״Zorn" in der hebräischen Bibel darstellt und in fast allen ihren Teilen belegt ist. 277 Es kann eine menschliche oder eine göttliche Tat beziehungsweise Reaktion ausdrücken, wobei אףmit dem Subjekt Gott weit häufiger belegt ist. In den Sprüchen ist durchweg von menschlichem אףdie Rede (Prov 15,1; 21,14; 29,22; 30,33 und öfter). In der Tora sowie in den anderen Geschichtsbüchern handelt es sich bei אףeinerseits um eine menschliche (Gen 44,18; Ex 11,8; I Sam 22,34 u.ö.), andererseits um eine göttliche Angelegenheit (Ex 32). In Hi 20,28 wird vom Tag des Zorns Gottes über die Gottlosen gesprochen.
Im vorliegenden Zusammenhang sind die Stellen von Bedeutung, in denen Gott das Subjekt des Zornes ist und sich der Zorn gegen FremdVölker richtet. In den Psalmen stellt Gott das Subjekt von Zorn dar. 278 In Ps 2 trifft Gottes Zorn die Völker, die über seinen Gesalbten spotten, ebenso in Ps 21,10, wo die Feinde Objekt des Zorns sind. Beides sind ebenso Königslieder wie Ps 110. Desgleichen ist in prophetischer Literatur der Zorn fast immer eine Reaktion Gottes (eine Ausnahme bildet Jes 7,4). Obwohl Zeph den ״Tag des Zorns Gottes" in den ersten beiden Kapiteln zum Thema hat, ist dieses Prophetenbuch als Interpretationshilfe 276
Vgl. dazu Kapitel 4 Traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Psalm 110, S. 47ff. 277 Vgl. E.Johnson, Art.: ־ps, 381. 278 Z. B. Ps 2,5.12; 18,16; 21,10; 27,9; 30,6; 77,10; 78,21.31; u.ö., außer in 37,8; 55,3 und 124,3. Ps 138,7 ist textkritisch unklar.
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für Ps 110 nicht geeignet, da sich dort der Zorn Gottes nicht gegen fremde, feindliche Völker richtet. Innerhalb des corpus propheticum sind die zwei aufeinanderfolgenden Kapitel 13 und 14 des Jesaja-Buches aufschlussreich, da erstens in Jes 13,13 mit וביום חרון אפוeine Ps 110 vergleichbare Wendung vorliegt. Das ganze Kapitel hat den Zorn JHWHs zum Thema als Gerieht an Babel. Zweitens handelt es sich bei diesem Kapitel um einen poetischen Text - auch die anderen bisher festgestellten Bezüge von Ps 110 zu anderen Texten sind in poetischen Stücken zu finden. Das Lexem אףkommt ebenso in Jes 14,6 vor; hier werden die Völker im Zorn geschlagen, allerdings ist der gefallene König von Babel das Subjekt des Zorns. Das ganze Lied beschreibt den König aber in mythischer Übertreibung279 und seine Anmaßung, zu sein wie ein Gott, sodass hier die Vokabel אףnicht zwingend als menschliche Gemütsregung verstanden werden muss, sondern eher als Ausdruck für seine Anmaßung, wie ein Gott zu handeln. Außerbiblische Parallelen: Nach U. Berges lassen sich die Belege vom Zorn der Götter im altorientalischen Raum, die Vergleichspunkte mit den Stellen vom Zorn JHWHs im AT aufweisen, in vier Kategorien unterteilen: a) der die Menschheit zu vernichten suchende Zorn b) der in die Geschichte der Völker eingreifende Zorn c) der Tempelstädte samt Heiligtümer zerstörende Zorn d) der den Einzelnen in Todesnot stürzende Zorn. 280
Hinsichtlich der Verwendung des Zorns JHWHs in Ps 110 wird die Kategorie b) von Interesse sein. So ist auf der Babel-Stele Nabonids zu lesen : Gemäß dem Zorn des Gottes verfahr er mit dem Lande, seinen Groll löste er nicht. Der Fürst Marduk schlug 21 Jahre in Baltila seinen Wohnsitz auf. Da waren die Tage erfüllt, der Termin war gekommen. Es beruhigte sich der Zorn des Königs der Götter, des Herrn der Herren. Er gedachte Esagilas und Babels, des Sitzes seiner Herrschaft. Den König von Subartu, der infolge des Zornes Marduks die Zerstörung des Landes bewirkt hatte, erschlug sein leiblicher Sohn mit der Waffe m
279 Vgl. dazu H. Wildberger, Jesaja. 2. Teilband, 544: Schon zu Beginn des Spottliedes ״wird die Vorstellungswelt des Mythos heraufbeschworen, weil gewöhnliche Begriffe für das Ungeheuerliche, wovon zu reden ist, nicht aussagekräftig genug sind." 280 Vgl. U. Berges, Der Zorn Gottes, 309.330. 281 X U A T B a n c ! i _ Lieferung 4, 407.
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4.3 Theologische Motive
In einem Lied auf Amun-Re heißt es: Jauchzen dir, Amun-Re! Der den Arm Ausspannende, Herr der Kraft, stark im Angriff, Zorniger mit wütendem Herzen, der seine Feinde zurücktreibt.282
Fazit: Die biblisch verwandten Textstellen zum Motiv ״Tag des Zorns Gottes" lassen sich am deutlichsten in den Königsliedem Ps 2 und 21 erkennen sowie in Jes 13/14. Die anderen Stellen kommen als Vergleich nicht in Frage, da entweder der Tag des Zorns schon eingetroffen ist (so in den Klageliedern) oder sich nicht gegen Fremdvölker richtet (Zephanja und andere Stellen aus der prophetischen Literatur, sowie Hiob) oder nicht Gott das Subjekt ist (so teilweise in den Geschichtsbüchern und in den Sprüchen). Ps 110 lehnt sich auch bei diesem Motiv an andere biblische Königsund Siegeslieder an und will Gottes Zorn, der sich gegenüber FremdVölkern entlädt, deutlich machen. אףhat, obwohl es nicht eindeutig aus dem Text hervorgeht, aufgrund seiner Parallelstellen in den Pss 2 und 21 sowie Jes 13/14 JHWH (beziehungsweise hier )אדניals Subjekt. Auch außerbiblische Texte legen JHWH als Subjekt des Zorns nahe. Zudem ist אדניdas letztgenannte Subjekt. Aber nicht nur diese alttestamentlichen Querverweise unterstreichen, dass es sich um den Tag von JHWHs Zorn handelt - dies wird ebenso durch die parallele Konstruktion der Verse 5 und 6 suggeriert: : א ת י על־ימי;ך מחץ ביום״אפו לולבים5 : ידין' בנוים מלא ?רות מחץ ר״אש על־ארץ רבד6 Die Verse 5b und 6b sind vom Dichter ähnlich gestaltet. In V.5 wird von der kämpferischen Tat JHWHs berichtet, gekennzeichnet durch den ״Tag seines Zorns". In V.6 wird mit derselben Vokabel מחץdie Tat des Königs beschrieben. Dies wird daran deutlich, dass parallel zum ״Tag seines Zorns" auch hier eine attributive Bestimmung eingeschoben ist. ,Auf der Erde" wird als Kennzeichen dafür verwendet, dass es sich bei dem reichlichen Zerschlagen von Köpfen um eine Tat auf der Erde, und nicht von Gott, sondern vom König, handelt. Hinzu kommt, dass diese parallele Darstellung des kämpfenden Gottes und kämpfenden Königs in Ps 110 keinen Einzelfall darstellt. Dies wird im folgenden Unterkapitel ״Kampfmotivik" näher erläutert. So lässt sich feststellen, dass das ״Zerschlagen der Köpfe" am Tag seines Zorns in V.5b eine Tat JHWHs darstellt, parallel dazu in V.6b ״das Zerschlagen von Köpfen" auf der Erde eine Tat des Königs.
282
XUAT Band n
- Lieferung 6, 862.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
Ob es sich bei dem ״Zerschlagen der Könige am Tag seines Zorns" um eine präsentisch/futurische oder eschatologische Tat JHWHs handelt, ist nicht klar ersichtlich. Auch in den Parallelstellen ist der ״Tag des Zorns" nicht eindeutig zeitlich zu bestimmen. In Ps 2 wird אזmit einer Imperfekt-Form verwendet, um den Zeitpunkt des Zorns zu beschreiben, ebenso findet sich in Ps 21 ein Imperfekt: באפו יבעלם. In Jes 13 wird vom Tag des Zorns JHWHs in einer Vision gegen Babel berichtet, die ebenfalls mit Imperfekten konstruiert ist. Dieses Kapitel ist der Auftakt zum Triumphlied über den gefallenen König von Babel. Dass der König von Babel fällt, ist ein futurisches, nicht aber eschatologisches Ereignis. In den außerbiblischen Vergleichstexten ist der Zorn der Gottheit ebenfalls kein endzeitliches Geschehen. So berichtet die Babel-Stele Nabonids vom Zorn Marduks, der bereits gegen ein Volk gewirkt habe. Die Vermutung liegt nahe, dass auch in Ps 110 keine eschatologische Tat Gottes durch den ״Tag seines Zorns" beschrieben wird. 4.4 Kampfmotivik Ausgangspunkt dieser Analyse sind die obigen Ergebnisse, dass einerseits in masoretischer Darbietung in den Versen 5-7 ein Subjektwechsei erfolgt, andererseits die Verse 5b und 6b auffallend ähnlich konstruiert sind.283 Zuerst wird die Tat JHWHs beschrieben, der Könige zerschlägt, anschließend wird gesagt, dass der König Köpfe auf der Erde reichlich zerschlägt. Dieser Wechsel von göttlicher und königlieber Ebene gerade innerhalb von Kampfmotivik ist sowohl in biblischen als auch außerbiblischen Texten präsent, wie dies K.-P. Adam anhand von Ps 18, auch einem Königslied, herausgearbeitet hat. Innerbiblische Untersuchung: Das Verb מחץ, das im vorliegenden Fall die Parallelisierung von kämpfendem Gott und kämpfendem König intendiert, kommt nur in poetischen Texten - hierbei besonders in Hymnen und ähnlichen Gattungen - vor und wird in seinem theologischen Gebrauch durch das Subjekt bestimmt. Das Subjekt ist immer Gott oder sein Volk. 284 Bei letzterem, mit Israel oder seinem König als Handlungsträger, steht מחץ in Num 24,8.17; Jdc 5,26; Ps 18,39 (= II Sam 22,39). Es ist auffällig, dass in diesen Texten bereits Beziehungen zu Ps 110 festgestellt wurden. Große Ähnlichkeit besteht bezüglich Vokabular und Motivik zu dem Königslied in Psalm 18. Gott unterwirft für den König die Völker (V.48): וידבר עמים תחתי. Der König zerschlägt ״sie", dass sie unter seine Füße fallen (V.39): אמחצם ולא־יכלו קום יפלו תחת רגלי. Die These 283 Vgl Kapitel 3.4 Gliederung und Aufbau des masoretischen Textes, S. 40ff. 284 Vgl. A. Schäkel, Art.: 812 ,מחץ.
4.4 Kampfinotivik
77
K.-P. Adams ist zu unterstützen, dass hier JHWH wie auch der irdische König als königlicher Held im Kampf handeln. 285 Zur Aussage von K.~P. Adam, dass nur vom Beter von Ps 18 (II Sam 22), vom künftigen davidischen König in Num 24,17 und von Jael Jdc 5,26 gesagt werde, dass sie (wie JHWH) die Feinde niederschlagen ( )מחץwürden 286 , muss Ps 110,5-7 ergänzt werden. Auch hier kämpfen Gott und König heldenhaft gegen andere Könige und Völker. Dass eine Art ״Parallelisierung" des (davidischen) Königs mit JHWH in den Psalmen stattfinden kann, zeigt nicht nur die Motivik des Kampfes, sondern auch die ehrenvolle Beschreibung des Königs mit Attributen, die sonst JHWH zugedacht sind. So finden sich im Königslied von Ps 21 die Lexeme כבוד, הוד והדד, die an dieser Stelle nicht JHWH, sondern den König beschreiben. ״Es sind Begriffe, die Jahwes Nähe, ihn selbst, auf herrscherlich-machtvolle und herrlichprachtvolle Weise anzeigen, woran der König überreichen Anteil bekommt." 287 Die Parallelität von König und JHWH zeigt sich in Ps 110 somit zum einen darin, dass der König den Platz neben JHWH zugewiesen bekommt (V.l), zum andern, dass beide im Kampf gegen andere Völker scheinbar ebenso nebeneinander agieren (Vv.5+6). Außerbiblische Parallelen: K.-P. Adam verweist in seiner Untersuchung der Vokabel מחץauf außerbiblische altorientalische Texte. Auch in ugaritischen Texten beschreibe rnhs die Götter Ba c al und Anat in königlicher Handlungsrolle. Ebenso sei mit mahäsu dieses Lexem (mit breiterem BedeutungsSpektrum) im Akkadischen gut belegt. 288 Als Beispiel für eine motivisch parallele Gestaltung von Gott und König im Kampf zieht Adam die altorientalische Theologie der Ninurta-Überlieferung aus sumerischer Zeit heran, in der sich eine Typisierung des Kampfes des irdischen Königs und der Gottheit finden lasse. 289 Zu den ugaritischen, akkadischen und sumerischen Beispielen lässt sich auch das ägyptische Siegeslied auf Thutmose III. hinzufugen. Dort werden Amun-Re und der König ebenfalls ähnlich parallel stilisiert. Amun-Re spricht zu Beginn jeder Strophe davon, dass er selbst gekommen sei, um den König die Feinde unterwerfen zu lassen: Ich bin gekommen, dich zertreten zu lassen die Fürsten des Libanon,
[...] Ich bin gekommen, dich zertreten zu lassen die Bewohner Asiens, [-J 285
K.-P. Adam, Der königliche Held, 107. Vgl. ebd. 287 H. Spieckermann, Heilsgegenwart, 214. 288 Vgl. K.-P. Adam, Der königliche Held, 108. 289 Vgl. K.־P. Adam, Der königliche Held, 16ff. 286
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110 Ich bin gekommen, dich das Ostland zertreten zu lassen, [:.] Ich bin gekommen, dich das Westland zertreten zu lassen, [...] Ich bin gekommen, dich zertreten zu lassen, die in ihren ,Körben' sind, [...] Ich bin gekommen, dich die Inselbewohner zertreten zu lassen, [•••] Ich bin gekommen, dich die Libyer zertreten zu lassen; [•••] Ich bin gekommen, dich die Enden der Erde zertreten zu lassen, [...] Ich bin gekommen, dich zertreten zu lassen, die am Anfang der Erde wohnen, [...] Ich bin gekommen, dich die nubischen Troglodyten zertreten zu lassen, !־
j290
In jedem Fall agieren in diesem Lied Gottheit und König gegen die Feinde des Landes. Gerade in letzterem Motiv ist eine deutliche Parallele zu Ps 110 im Vokabular zu erkennen, da davon berichtet wird, dass der König die Feinde zu ״Leichen macht" in ihren Tälern - ähnlich wie in Ps 110,6. Dieser Befund unterstützt erstens die Annahme, dass in V.6 der König bereits Subjekt ist. Zweitens ist es wahrscheinlich, dass ״die Täler" in V.6 elliptisch ausgelassen sind. Vor dem Hintergrund dieses ägyptischen Siegesliedes intendiert Ps 110,6 die Bedeutung, dass der König Täler mit toten Körpern füllt. 291 Auch in hellenistischer Literatur findet sich die Parallelisierung von der Gottheit und dem König im Kampf, da auch zu der Zeit der Ptolemäerherrschaft ״Tapferkeit und militärische Klugheit, dazu der Besitz oder zumindest der Anspruch auf ein angemessenes Herrschaftsgebiet [...] conditiones sine quibus non" 292 waren. So beschreibt Kallimachus in der Hymne auf Apollo den gemeinsamen Kampf von Ptolemaios III. Euergetes - sein Name ist allerdings nicht direkt genannt und Apollo: δς μάχεται μακάρεσσιν, εμω βασιλήι μάχοιχο־ όστις εμω βασιλήι και Απόλλων ι μάχοιχο. 2 9 3 Er, der mit den Seligen kämpft, möge mit meinem König kämpfen. Der, der mit meinem König ist, möge auch mit Apollo kämpfen. 290
J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, 525f. Aquila, Symmachus und Hieronymus lesen auch anstatt ( גויותLeichen) גאיות (Täler) in Kombination mit .מלא 292 Ygi <3 Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 223. 293 Griechischer Text nach LCL, Callimachus, 50 Z. 26f. An dieser Stelle gibt der Herausgeber den Hinweis, dass mit dem König hier Ptolemaios III. Euergetes gemeint sei. 291
4.4 Kampfmotivik
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Bei Theokrit findet gleich zu Beginn des Siegesliedes auf Ptolemaios II. Philadelphos eine Art Parallelisierung von Zeus und König statt, ohne allerdings einen Kampf zu beschreiben. Hier wird erst Zeus als Bester unter den Unsterblichen genannt, bei dem man beginnen und aufhören soll. Darauf folgt die Phrase: άνδρών ö' aii Πτολεμαίος ένί πρώτο ισι λεγέσΟω και π־ύματος και μέσσος ״ο γάρ προφερέστατος άνδρών. Unter den Menschen hingegen soll Ptolemaios bei den Ersten genannt werden und zuletzt und in der Mitte; denn er ist der Hervorragendste unter den Menschen.294
G. Weber hält darüber hinaus fest, dass dieses Siegeslied als Ganzes durch einen ständigen Wechsel zwischen der menschlichen und der göttlichen Ebene gekennzeichnet sei. 295 Fazit: מחץist einerseits ein gemeinsemitischer Ausdruck für eine königliche Kampfmotivik, bei der vor allem Gottheit oder König Subjekt sein können. Interessant ist, dass es sich bei den biblischen Parallelstellen in dem Gebrauch von מחץmit Volk oder König als Subjekt nur um (militärische) Lieder handelt. In der Analyse zu Ps 110,5-7 ist insbesondere ein Vergleich mit Ps 18 zu ziehen, da daran deutlich ist, dass der kämpfende Gott und der kämpfende König parallel beschrieben werden können. Somit verstärkt sich die Annahme, dass von V.5 zu V.6 das Subjekt von Gott zum König wechselt. Diese These wird durch den gleichen Sachverhalt im Siegeslied auf Thutmose III. unterstützt. Auch hier agieren Gottheit und König gemeinsam, um Feinde niederzuwerfen; der König häuft Leichen in den Tälern auf. Ebenso gibt es eine parallele Darstellung von Gottheit und König im Kampf gegen Feinde in frühhellenistischer Literatur. Da der militärische Erfolg für die ptolemäischen Herrscher wichtig war, geht es in ptolemäischer Dichtung ״um den Zuschnitt auf die Person des Königs als Krieger, militärischer Führer und Herrscher über ein Land, das es zu verteidigen gilt; dabei war eine Tendenz zur Verbindung dieses Aspektes mit dem mythologischen Reservoir zu beobachten; sie äußerte sich als Schutz, Begünstigung und Parallelisierung mit Aktionen des jeweiligen Gottes." 296
294 295 296
Griechischer und deutscher Text nach B. Effe, Theokrit, 128 bzw. 129 Z.3-4. G. Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 219. G. Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 302.
80
4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
4.5 Motiv und Bedeutung von: מרחם משחר לך טל ילדתיך Aufgrund des textkritischen Befunds zu V.3 ist dieses Motiv in seinem hebräischen Konsonantenbestand zitiert. Die Septuaginta, die hebräischen Spalten in der Hexapla des Origenes, Theodotion und die Peschitta297 bestätigen zwar den Konsonantenbestand der Worte משחר und ילדתיך, lesen aber weder die Punktation משחדnoch \לךתיףFolgt man der masoretischen Punktation, so ist משחרein hapax legomenon. Weicht man von dieser Lesart ab und ändert die Verbindung in das Motiv ״aus dem Mutterleib der Morgenröte", so erhält man einen Bezug zu einer weiteren Belegstelle: In Jes 14,12 wird der König von Babel als ךשחר3 היללbezeichnet. Auch das Wort ילדתיךhat lediglich eine weitere Parallele, ob man diesen Begriff als לדת: (״Jugend/Kindheit") punktiert (so Koh 11,9f.) oder als Motiv, dass Gott geboren/gezeugt hat (vgl. Ps 2,7), versteht. טלhingegen kommt mehrmals in der hebräischen Bibel vor, 298 doch in Kombination mit dem Pronomen לist es einzigartig. Aufgrund der zahlreichen Textzeugen, die in dieser hebräischen Textzeile die ״Morgenröte" und ein Verb des Gebärens/Zeugens erkennen, und wegen des negativen Befundes von משחרin der hebräischen Bibel (bis auf Ps 110,3), wird im Folgenden dem Motiv der שחרund nicht des משחרnachgegangen. שחר Innerbiblische Untersuchung: In der hebräischen Bibel wird von der ״Morgenröte" entweder determiniert oder indeterminiert gesprochen. An den Stellen, an denen die ״Morgenröte" determiniert ist, wird diese meist als Zeitbegriff benutzt, so beispielsweise in Gen 19,15a: וכמו השחר עלה ויאיצו המלאכים בלוט ל א מ ר Und als die Morgenröte aufging, da drängten die Engel Lot und sagten
Oder auch in Jos 6,15a: Und es geschah am siebten Tag, da luden sie auf beim Aufgang der Morgenröte ( )כעלות השחרund umrundeten die Stadt in dieser Art sieben Mal.
Bei Vergleichen taucht sowohl die indeterminierte als auch die determinierte Form von שחרauf zuzüglich der Vergleichspartikel In 297
Zur Peschitta vgl. Kapitel 7.3 Die s}Tische Übersetzung von Psalm 110 in der Peschitta, S. 206ff. 29 « Gen 27,28.39; Ex 16,13.14; Num 11,9; Dtn 32,2; 33,13.28; Jdc 6,37.38.39.40; II Sam 1,21; 17,12; I Reg 17,1; Hi 29,19; 38,28; Ps 133,3; Prov 3,20; 19,12; Cant 5,2; Jes 18,4; 26,19; Hos 6,4; 13,3; 14,6; Mi 5,6; Hag 1,10; Sach 8,12; sowie aramäisch: „Tau des Himmels" in Dan 4,12.20.22.30; 5,21.
4.5 Motiv und Bedeutung von: מרחם משחר לך טל ״לרחיך
81
Jes 58,8aa heißt es: Dann wird dein Licht wie die Morgenröte ()כשחר hervorbrechen. In Hos 6,3 a steht dagegen: Las st uns erkennen, lasst uns nachjagen der Erkenntnis JHWHs! Sicher wie die Morgenröte ist sein Hervortreten ()כשחר נכון מוצאו. Auch in Joel 2,2 und Cant 6,10 wird die indeterminierte Morgenröte zum Vergleich herangezogen. An den Stellen, an denen שחרindeterminiert im Text vorkommt, schimmert die Vorstellung durch, dass die ״Morgenröte" eine Person sein könnte. 299 In den Psalmen wird bildlich davon geredet, dass der Beter die Morgenröte wecken (Pss 57,9; 108,3) oder dass er auf den Flügeln der Morgenröte fliegen möchte (Ps 139,9). Zudem heißt es in Am 4,13, dass Gott שחרerschaffen hat. Auch in Hi 38,12ff. ist die ״Morgenröte" personifiziert, wenn es innerhalb der Gottesrede heißt, dass שחרeinen Ort innehabe und die Enden der Erden ergreife, um die Gottlosen herauszuschütteln. Nach G. Fuchs ist an dieser Stelle noch eine alte Vorstellung der Gottheit שחרspürbar, deren Macht aber in diesem Text beschränkt wurde und sie lediglich als ״Diener JHWhs" agiert.300 Des Weiteren wird die Annahme einer ״Person / Gottheit Morgenröte" im Hiobbuch noch durch die Aussage gestützt, die ״Morgenröte" habe Wimpern (Hi 3,9; 41,10). Am deutlichsten ist die Personifikation der ״Morgenröte" - außer in Ps 110 - in Jes 14,12. Hier wird der König als gefallener Helel bezeichnet, als Sohn der Morgenröte. Diese Stelle ist für die Interpretation von Ps 110 insofern wichtig, als auch dort die Morgenröte als Mutter gesehen wird. Auch in den oben genannten Vergleichen, in denen die ״Morgenröte" indeterminiert im Text steht, ist die Vorstellung einer personifizierten Größe nicht ausgeschlossen.301 Es ist demnach festzustellen, dass es bei den determinierten Formen der ״Morgenröte" keine Parallele zu Ps 110,3 gibt. שחרist hier weder eine Zeitangabe noch ein Vergleich. Hingegen beinhalten die indeterminierten Stellen eine Ähnlichkeit zu Ps 110,3, da dort von einer personifizierten ״Morgenröte" gesprochen, wobei die Stelle in Jes 14,12 die größte Verwandtschaft besitzt. Sowohl in Jes 14,12 als auch in Ps 110,3 ist die Morgenröte die Mutter des Königs. Hier schimmert 299
Außer vermutlich in Jes 8,20: ״Hin zur Weisung und zur Offenbarung! Wenn sie nicht nach diesem Wort sprechen, dann gibt es für sie keine Morgenröte (אץ־לו )שחר." Zu den Stellen, an denen Schachar personifiziert auftritt, siehe auch F. Stolz, Strukturen und Figuren, 21 Off. 300 Vgl. G. Fuchs, Mythos und Hiobdichtung, 202. 301 Es ist zunächst zweckmäßig, die Unterscheidung zwischen personifizierter und nicht-personifizierter Morgenröte vorzunehmen und nicht im gleichen Schritt Spuren einer Gottheit שחרzu verfolgen. An welcher Stelle die ״Person" Morgenröte eine Gottheit darstellt und an welcher Stelle sie lediglich poetische Diktion ist, ist nicht so leicht zu beurteilen. In HALAT, Art.: שחרI, 1362, ist hingegen zu lesen: ״Spuren der einstigen 11611:^00 ־שחרliegen wohl in ה י ל ל ב ך ש ח רJs 1412, כנפי־שחרPs 1399 u. עפעפי שחרHi 3 9 4110 vor [...]. Das gottheitliche Wesen mag bes. bei Js 1412 durchschimmern, während es sich bei Ps 139g und Hi 3g 41 !0 mehr um poetische Diktion handeln wird."
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
eine mythische Vorstellung des Königtums durch, auch wenn in Jes 14,12 die Anrede als Sohn der Morgenröte als Anmaßung dargestellt wird. Den babylonischen König als Sohn der שחרzu bezeichnen, klingt innerhalb des Spottliedes anmaßend und ironisch, ebenso wie die Beschreibung, dass er sich selbst auf den höchsten Berg gesetzt habe. Wenn man das Motiv des ״Königs als Sohn der "שחרgemeinsam mit den Motiven des ״Sitzens zur Rechten" und das ״Sitzen auf dem Gottesberg" in Ps 110 und Jes 14 interpretiert, ergibt sich, dass Ps 110 auch an dieser Stelle eine gegenteilige - positive - Darstellung zu dem Spottlied in Jes 14 beschreibt. Eine Parallele innerhalb des Psalters liegt nicht vor. Außerbiblische Parallelen: In ugaritischer Mythologie begegnet die Vorstellung, dass Schachar gemeinsam mit Schalem von El gezeugt wurde. 302 Beide, Schachar und Schalem, sind in ugaritischer Mythologie Gottheiten und direkte Nachkommen des Höchsten aller Götter - El. Sie symbolisieren ein kraftvolles neues Leben, das mit dem Bild der heiligen Hochzeit verknüpft ist. 303 Dass Schalem als eine besondere Art des Höchsten Gottes aufgefasst werden könne, wie Widengren dies annimmt, wird aus den vorliegenden keilschriftlichen Texten aus Ugarit aber nicht deutlich.304 Schachar und Schalem sind in Ugarit männliche Gottheiten, während in der biblischen Vorstellungswelt Schachar weiblich ist - שחרist grammatisch aber eine männliche Form. Die Weiblichkeit von ״Schachar" wird vor allem an dem Vergleich der Braut mit der Schönheit der Schachar im Hohenlied deutlich: Wer ist sie, die sich erhebt wie Schachar? (Cant 6,10)
Auch in der griechischen Mythologie ist die Morgenröte Eos eine weibliche Gottheit. Nach Homer ist sie von großer Schönheit305 und hat verschiedene Kinder von verschiedenen Liebhabern. Einer ihrer Söhne ist Heosphoros. Er scheint später, wie auch der Sohn Phaeton, mit dem Morgenstern identifiziert worden zu sein; ursprünglich kannte die griechische Mythologie keine Venus-Gottheit.306 Vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden, dass die ״Morgenröte" als Gottheit sowohl in ugaritischer als auch in griechischer My302
Vgl. Die Geburtslegende von Schachar und Schalem in W.W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture. Vol. 1, 281. 303 Vgl. H.B. Huffmon, Art.: Shalem, 756. 304 G. Widengren; Psalm 110 und das sakrale Königtum in Israel, 195: „Wir haben gesehen, daß Sahar in den RS-Texten mit Salem in Verbindung gebracht wird, der als eine spezielle Form des höchsten Gottes 'El ( Eljön aufgefaßt werden kann, vielleicht den Abendwind personifizierend, aber faktisch mit ihm identisch." 305 vgl. Homer, Ilias, 9. Gesang Z. 707: „καλή (5οδοδάκ;τυλος ηώς". 306 Vgl. W. Heimpel, A Catalog of Near Eastern Venus Deities, 11.
4.5 Motiv und Bedeutung von: מרחם משחר לך טל ״לרחיך
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thologie bekannt war. In Ugarit war Schachar ein männlicher Gott, der meist gemeinsam mit seinem Bruder Schalem genannt wird, während in Griechenland die Morgenröte Eos eine weibliche Gottheit von großer Schönheit war. Dass in Ugarit ״Schachar" männlich war, muss nicht die Verwandtschaft von Ps 110,3 zu der Gottheit ״Morgenröte" ausschließen. Es ist einerseits denkbar, dass in Ps 110 nicht ugaritischer, sondern griechischer Einfluss vorliegt. Andererseits war es möglich, dass eine Gottheit in den verschiedenen Ländern des Alten Orients im Geschlecht unterschiedlich betrachtet werden konnte - dies zeigt das Beispiel des Morgensterns.307 Die Venus war in allen vorderorientalischen Ländern der Antike eine Gottheit - nur wurde sie in einem Land als Gott, in einem anderen als Göttin verehrt. So stellt W. Heimpel fest, dass die sumerische Venus-Gottheit weiblich war, die semitischen Venus-Gottheiten hingegen männlich. Die ursprüngliche akkadische Venus-Gottheit Ishtar hat ihr Geschlecht unter sumerischem Einfluss gewechselt. In Babylonien wurde im Norden der Morgenstern als männliche, im Süden der Abendstern als weibliche Gottheit verehrt. 308 Das Geschlecht von Schachar kann also ebenfalls in verschiedenen Ländern und ihren mythologischen Vorstellungen unterschiedlich gewesen sein. Auch biblisch ist nicht klar, ob es sich in Jes 14,12 um eine männliche oder weibliche Gottheit handelt, da hier die Rede von בן־שחרist. Der Herkunftsnachweis ״Sohn von" wird sonst meist benutzt, um die Abstammung väterlicherseits aufzuzeigen.309 J.W. McKay stellte zum Gebrauch von שחרin biblischen Texten fest, dass die ״Gottheit Schachar" biblisch lediglich ein wenig mehr als ein bloßes Naturphänomen, die Morgenröte, darstelle. Der Mythos aber über einen Sohn von ihr wurde in Israel aufgenommen, und die Schachar lebte mit mehreren Facetten ihres griechischen Pendants Eos in Israel weiter. 310 Dadurch, dass in Ps 110,3 von einer weiblichen Gottheit gesprochen wird, die einen Sohn gebiert, ist im Anschluss an die Untersuchung McKays zu vermuten, den Ausdruck eher als ein Ge־ genstück zur griechischen Eos als zum ugaritischen ״Schachar" zu betrachten.
307
Auch sind verschiedene Geschlechter für die Sonnengottheit im Alten Orient belegt. Das altkleinasiatische Pantheon kannte beispielsweise neben dem mannliehen Sonnengott des Himmels eine weitere Sonnengöttin, ״die als weibliche oder aber bisexuell gedachte - Sonnengöttin der Erde [...] zu den chthonischen Gottheiten gehörte." (B. Janowski, Rettungsgewißheit, 99). 308 Vgl. W. Heimpel, A Catalog of Near Eastern Venus Deities, 22. 309 Z.B. in II Sam 23,1: ;דוד בךי־שיJona 1,1: יונה בךאמתיusw. 310 J.W. McKay, Helel and the Dawn-Goddess, 464.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
טל Innerbiblische Untersuchung: Der Begriff ״Tau" wird biblisch vor allem als - lebensnotwendige Gabe Gottes gesehen. In Gen 27,28 segnet Isaak seinen Sohn Jakob mit den Worten, dass Gott ihm stets genug vom Tau des Himmels (מטל )השמייםgeben möge. In I Reg 17,1 wird eine Dürreperiode angekündigt, in der weder Tau noch Regen fällt. Des Weiteren wird der ״Tau" als Hyperbel für Quantität benutzt und veranschaulicht den geheimnisvollen Ursprung und zugleich die Massenhaftigkeit erfreulicher Er־ scheinungen.311 Als Beispiel hierfür seien Dtn 32,2a und II Sam 17,12a genannt: Dtn 32,2a: Wie Regen träufle meine Lehre, es riesele wie Tau meine Rede ()תזל כ ט ל אמרתי II Sam 17,12a: Und wenn wir zu ihm kommen an einem der Orte, an denen er sich hefindet, dann werden wir uns niederlassen auf ihm wie der Tau, der auf den Erdboden fällt ()כאשר יפל ה ט ל על־האדמה.
In Hi 38,28 bezeichnet sich JHWH als Vater beziehungsweise Zeuger der Tautropfen ()מי־־הוליר אנלי־־טל, trotzdem ist der ״Tau" hier nicht personifiziert. Es handelt sich hier um eine schöpfungstheologische Aussage: JHWH ist der Schöpfer des Regens, des Taues und der gesamten Natur. Auch in Jes 26,19 ist von der Zugehörigkeit des Taues zu JHWH die Rede: Der Tau der Lichter ist dein Tau ()כי טל אורת טלך. Mit diesem Teilsatz wird die Vorstellung begründet, dass Tote wieder auferstehen können, denn der Tau JHWHs besitzt lebenspendende Kraft. 312 In Ps 110,3 geht es indes nicht um eine lebensnotwendige Gabe oder um die lebenspendende Kraft JHWHs, auch nicht um eine erfreuliche Erscheinung in großer Masse. Die Übersetzung von לך טלals ״für dich ist Tau" ist dem biblischen Verständnis fremd, da ein Mensch den ״Tau" nicht besitzen, sondern nur nutzen kann. A ußerbiblische Parallelen: Der ״Tau" beziehungsweise die ״Tallay" ist in ugaritischer Mythologie eine Tochter Ba'als. 313
311
Vgl. E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik, 96. Vgl. H. Wildberger, Jesaja. 2. Teilband, 996. 313 J.F. Healey, Art.: Dew, 249f.: „Ugaritic //has generated a derivative epithet, a femine noun-formation, tly (Tallay), meaning 'Dewy One', which is the title of one of Baal's [sic] daughters. [...] In Ugaritic tradition dew and rain come from the god Ba'al [...] and the daughters of Ba'al seem to represent types of mist or dew." 312
4.5 Motiv und Bedeutung von: מרחם משחר לך טל ״לרחיך
85
In Ägypten wird der ״Tau" in der Geburts legende der Pharaonin Hatschepsut erwähnt: Es sprach nun die Königsfrau und Königsmutter Ph-ms zu der Majestät dieses herrlichen Gottes, Amon des Herrn der Throne der beiden Länder: ״Mein Herr, wie gross ist doch dein Ruhm [...]. Herrlich ist es, dein Angesicht zu sehen. Du hast meine Majestät erfüllt mit deiner Herrlichkeit [,..]. Dein Tau [...] ist in allen meinen Gliedern" nachdem die Majestät dieses Gottes alles, was er wollte, mit ihr getan hatte. Es sprach Amon, der Herr der Throne der beiden Länder, zu ihr: ״Hnmtfmn H3t-spswt ist der Name dieses deines Sohnes, den ich in fdeinen] Leib gepflanzt [...] habe. "314
Hier ist durch den „Tau" des Amun die göttliche Zeugung der Hatschepsut bildlich beschrieben. Diese Zeugung geschieht, indem der Gott Amun der Königsmutter seinen „Tau" zukommen lässt und sie somit seinen „Tau" in sich trägt. So wird die Königin nicht direkt als „Tau" bezeichnet, doch ist sie das Produkt des göttlichen Taues. Amun gab seinen Tau, sie entstand aus seinem Tau. Fazit: Innerbiblisch betrachtet, ist die Vorstellung von „Tau Sein" oder „Tau Haben" nicht belegt, ebenso wenig wie eine Personifikation des „Taues". In der Umwelt des antiken Israel/Juda hingegen war der Tau eine Gottheit, ein Kind des Ba al oder aber in ägyptischer Mythologie der göttliche Samen, aus dem der Pharao geboren wurde. Blickt man auf Ps 109LXX, so ist kein Lexem mehr für „Tau" im Text enthalten. Welche Vorstellung hat den LXX-Übersetzer des Psalms dazu veranlasst, die Worte ba ~[b „scheinbar" nicht wiederzugeben? Die LXX-Version von Ps 110,3: Zunächst ist zu betonen, dass der Septuaginta-Übersetzer von Ps 110 sehr genau gearbeitet hat. 315 Alle hebräischen Wortspiele und Stilmittel finden sich ebenso oder ähnlich im Septuaginta-Psalm, nur fallt auf, dass der Übersetzer So ~\b nicht Wort für Wort aus seiner hebräischen Vorlage übersetzt hat. Ps 110,3c lautet in der griechischen Bibel: έκ γαστρός π ρ ο έίοσφόρου έξεγέννησά σε. Aus dem Mutterleib vor dem Morgenstern habe ich Dich (heraus-)geboren.
Zu der ersten Beobachtung, dass hier die Begriffe Sa ~f? nicht erscheinen, reiht sich eine zweite: Es wird nicht von der Morgen röte, sondern vom Morgenstern gesprochen. Der Begriff εωσφόρος verwundert in Ps 109LXX einerseits insofern, als der LXX-Übersetzer in ־inüö nicht 314 315
K. Sethe, Urkunden der 18. Dynastie, 102. Vgl. Kapitel 7.1 Die LXX-Übersetzung von Psalm 110, S. 171ff.
97
4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
die Punktation vermutet, die der MT wiedergibt. Es ist zu anzunehmen, dass der Übersetzer משחרund nicht משחרwiedergibt. Andererseits jedoch benutzt er nicht das Standardäquivalent für ״die Morgenröte". So übersetzen viele Forscher diesen Begriff mit ״Morgenstern", einige mit ״Dämmerung" oder ״dawn". J. Schaper hält zu diesem Problem richtig fest: ״εωσφόρος clearly has the very specific meaning of'Bringer of the morn', 'the Moraing-star'. Interpreting it as 'dawn' misses the point". 316 Auf die Frage, warum die LXX εωσφόρος als Äquivalent und nicht beispielshalber εως oder όρθρος wählt, antwortet Schaper: ״Mir scheint, daß es sich hier um eine אל תקרא- Lesung des hapax legomenons משחרals משחרhandelt. Mit Hilfe der אל תקרא- Technik gelang es den Übersetzern, in einem schwer verständlichen Text Sinn zu stiften." 317 Es ist Schaper zuzustimmen, dass der Übersetzer wohl nicht משחרsondern מן+ שחר wiedergibt - dies wäre im Sinne dieser rabbinischen Technik, da Änderungen in der Punktation durchaus möglich sind, um dem Text einen Sinn zu geben. 318 Das erklärt jedoch nicht, warum der Übersetzer εωσφόρος statt εως oder ορΦρος 319 wählte. Wie oben bereits erwähnt, wird Heosphoros unter anderem mit dem Morgenstern identifiziert. Er ist der Sohn der Göttin Eos, also der Sohn der ״Morgenröte". Warum gibt der Übersetzer hier ״Morgenstern" und nicht ״Morgenröte" wieder? Der Übersetzer hat den ״Tau" aus seinen Kenntnissen altorientalischer Mythologie als ein Kind des Bacal und somit als das Kind einer Gottheit erkannt. Daher übersetzt er V.3c ohne Auslassung, wenn er den Tau als Sohn der Gottheit gleich mit dem Namen des Sohnes ״Heosphoros" wiedergibt. Der König wird im hebräischen Text als ״Tau" ־bezeichnet, da ״Tau" in Anlehnung an die ugaritische ״Tallay" als ein Terminus für göttliche Abstammung verstanden werden kann. So findet sich im hebräischen Text die Konstellation in V.3, dass JHWH, die höchste Gottheit, gemeinsam mit der Göttin ,,Morgenröte" ein Kind zeugt. Dieses Kind ist der König, der als Tau angeredet wird. In griechischem Denken ist nicht der ״Tau" ein Kind der ״Morgenröte", sondern - unter anderem - der Morgenstern, der Heosphoros. Aus diesem Zusammenhang heraus braucht die LXX den hebräischen Ausdruck טלnicht eigens zu übersetzen, da sie diesen in dem Namen Heosphoros bereits berücksichtigt hat. Auch in Jes 14,12 wird in der LXX der Name ״Heosphoros" verwendet. Im Hebräischen wird der König von Babel angeredet mit הילל
316
J. Schaper, Eschatology in the Greek Psalter, 102. J. Schaper, Der Septuaginta-Psalter, 173. 318 Vgl. A. Arzi, Art.: AL TIKREI, 776. 319 So in Gen 19,15; 32,27; Jos 6,15; Jdc 19,25; I Sara 9,26; Hos 6,3; 10,15; Joel 2,2; Am 4,13; Ps 56,9LXX; 107,3LXX; 138,9LXX; Cant 6,10; Neh 4,15. 317
87
4.5 Motiv und Bedeutung von: מרחם משחר לך טל ״לרחיך
"ΊΠϊτρ. Helel ist der Morgenstern, „the shining one" 320 . An dieser Stelle zieht der LXX-Übersetzer ebenfalls diese hebräische Verbindung im Griechischen zu dem Namen „Heosphoros" zusammen, ohne eigens zu erklären, dass er der Sohn der Eos sei. Es heißt in Jes 14,12LXX: πώς έςέπεσεν έκ xo׳C ουρανού ο εωσφόρος ο π ρ ω ί ανατέλλων; Wie ist herausgefallen aus dem Himmel der Heosphoros, der früh Aufgehende?
Auch hier ist klar, dass der Heosphoros der Morgenstern ist, der als Sohn der „Morgenröte" angesehen wird. Dementsprechend lässt sich vermuten, dass in der hebräischen Vorlage des LXX-Übersetzers die Wendung Sa |־־S vorhanden war, darüber hinaus ist festzustellen, dass - entgegen der Angabe im textkritischen Apparat von BHS und BHK - der Übersetzer dieses Psalms den Ausdruck Sa -\b nicht weggelassen, sondern berücksichtigt hat. Der „Tau" ist in der Ubersetzimg als „Heosphoros" impliziert, da der „Heosphoros" ebenso das Kind der Morgenröte beschreibt wie der „Tau" dies im Hebräischen Text darstellt. Für "\b wird allerdings im Griechischen προ verwendet.321 Wenn nun Ps 109,3LXX und der entsprechende hebräische Konsonantentext gegenübergestellt werden, lässt sich abschließend feststellen, dass lediglich die Begriffe πρό und ~\b keine eindeutige Entsprechung aufweisen: μετά σοι ή αρχή έν ήμερα της δυνάμεώς σου έν ταις λαμπρότησιν των άγιων״ έκ γαστρός πρό έωσφόρου έξ εγέννησά σε.
עמך נדבות ביום חילך בהדרי־קדש מרחם3! 3 מן+רחם לד ^שחר+טל מן ילדתיך
Das griechische Jtpo ist für gewöhnlich die Übersetzung eines zeitliehen oder räumlichen לפני. Somit wundert diese Übertragung des לך an dieser Stelle und lässt sich nur als exegetische Interpretation und nicht wortwörtliche Übertragung erklären, die im Kapitel 7.1.4 (8k 320
J.W. McKay, Helel and the Dawn-Goddess, 453. Dieses Jtpö ist nicht die Übersetzung eines - möglichen - doppelten ]D, da ein p zu Beginn dieses Teilverses in dem Wort fhc vorliegt, das andere ]0 erscheint in e^£Y£WT|oä. Die Problematik dieser Wiedergabe ist ausführlich im Kapitel 7.1.4, S. 183ff., behandelt.
321
99 4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
γαστρός προ εωσφόρου έξεγέννησά σε.) ausführlich untersucht wird. ילדתיך Dieser Begriff der ״Jugend/Kindheit" findet sich biblisch lediglich in Koh 11,10b, und zwar zum einem im Kontext, dass ein Jüngling sich seiner Jugend freuen solle, zum andern, dass Kindheit und Jugend als הבלbezeichnet werden. Hier liegt keine Parallelität zu der Vorstellungswelt von Ps 110 vor. In außerbiblischen Texten wird zwar gelegentlich von der Jugend eines Königs oder einer Gottheit gesprochen322, aber eine Verbindung mit dem Lexem ״Tau" gibt es nicht. Fazit: Da sowohl der ״Tau" als auch die ״Jugend" keine motivgeschichtliehen biblischen Parallelen aufzuweisen haben, ist es wahrscheinlich, dass hier ursprünglich ein Bezug auf ein außerbiblisches Motiv vorliegt und, im Fall von ילדתיךund משחר, dass ein ursprünglicher Psalmtext mit einer anderen Punktation gelesen werden sollte. In altorientalischer Vorstellung rückte der König ״in die Nähe der Götter. Dieser war ein Sohn der Gottheit und eine besondere Schöpfung der Götter, mit einer übermenschlichen Vollkommenheit ausgestattet."323 Der König ist somit von göttlicher Abstammung. Des Weiteren galt die ״Morgenröte" als Gottheit, und der ״Tau" war ein Kind Ba'als. Die Vorstellung, dass der König von göttlicher Abstammung ist, liegt auch in Ps 110,3 vor. Hier wird vom König gesagt, dass er aus dem Mutterleib der ״Morgenröte" stamme. Übersetzt man ילדתיךals Verb in Anlehnung an die LXX-Version, wird die göttliche Abstammung noch deutlicher: JHWH zeugte den König, und die ״Morgenröte" gebar ihn. Diese Annahme einer göttlichen Abstammung des Königs wird durch die Kennzeichnung des Königs als ״Tau" unterstrichen. Der König - hier schließe ich mich der Meinung G. Widengrens an soll ״selbst durch den Tau symbolisiert worden sein." 324 Diese Interpretation ist auch grammatisch möglich: Das Lamed kann nicht nur als Dativ-Partikel gebraucht werden oder die Übersetzung ״für" beinhalten. Es kann ebenso ein direktes Objekt mit diesem proklitischen Partikel bezeichnet werden.325 Die biblischen Texte, in denen das 322
Z.B. heißt es in dem sumerischen Lied zum Ritus der Heiligen Hochzeit der Göttin Inanna mit König iddindagan von Isin (ca. 1974-1954 v.Chr.): „Sie ist mächtig, sie ist fürstlich, sie ist großgewachsen, sie ist überragend an Jugendlichkeit." TUAT Band II - Lieferung 5, 667 u. ähnlich auch 672. 323 O. Loretz, Ugarit und die Bibel, 204. 324 G. Widengren, Psalm 110 und das sakrale Königtum in Israel, 195. 325 E. Jenni, Präposition Lamed, 130: „Es steht zweifellos fest, daß die Präposition b im späten biblischen Hebräisch bisweilen das direkte Objekt bezeichnen kann."
4.5 Motiv und Bedeutung von: מרחם משחר לך טל ״לרחיך
89
Lamed diese Funktion trägt, sind ausschließlich nachexilisch. E. Jenni spricht bei dieser Verwendung des Lamed von einem Aramaismus.326 Durch die Beobachtung, dass der ״König", selbst als ״Tau" angesprochen, das direkte Objekt dieses Teilverses darstellt, liegt es nahe, Ps 73,18a zum Vergleich heranzuziehen. Dort heißt es: אך בחלקות תשית למר. Auch hier ist das Lamed mit einem Suffix eines Personalpronomens verbunden, und diese Verbindung stellt das direkte Objekt dar: Du hast sie gestellt. In I Chr 29,22 327 steht das Lamed ebenfalls am direkten Objekt - der Zusammenhang ähnelt dem aus Ps 110,3, da es sich um die Einsetzung des Königs und des Hohenpriesters handelt: וימליכו שנית לשלמה ב ך ד ו י ד וימשחו ליהוה לנביד ולצדוק ל כ ה ן Und sie machten zum zweiten Mal Salomo, den Sohn Davids, zum König und salbten (ihn) zum Fürsten für JHWH und Zadok zum Priester.
Wenn nun das Lamed das direkte Objekt kennzeichnen kann, dann liegt es nahe, Ps 110,3c anhand seines Konsonantenbestands wie folgt zu übersetzen: Aus dem Mutterleib der Morgenröte habe ich Dich - Dich (als/den) Tau — gezeugt.
Somit findet sich in Ps 110,3c die altorientalische Vorstellung der göttlichen Abstammung des Königs, die durch die Motive des Zeugens JHWHs mit der Gottheit ״Morgenröte" als Mutter, und durch die Namensbezeichnung ״Tau" als Kind eines Gottes unterstrichen wird. Um zu dieser Interpretation von Ps 110,3c zu gelangen, muss allerdings eine andere Punktation als die der Masoreten angenommen werden. Aus der Nominalbildung משחרwird משחרund aus ילדתיךwird ילךהיך. Diese Änderung in der Punktation legen Septuaginta, theodotion, Peschitta und die hebräischen Spalten der Hexapla des Origenes nahe, sodass zu vermuten ist, dass diese Vokalisation den ursprüngliehen Text repräsentiert. Warum aber punktierten die Masoreten so, wie es in der BHS zu lesen ist? Dieser Frage soll im Hauptteil B Innerbiblischen Exegese nachgegangen werden. In der geänderten Form liegt Ps 110 ganz auf der Linie der anderen sogenannten Königspsalmen. Er beinhaltet die Überzeugung, dass das Königtum mit der göttlichen Welt verbunden ist und dass die Herrschaftsinsignien des Jerusalemer Königs ihre Würde und Wirkung aus ihrer göttlichen Herkunft beziehen. Dass der König in den Psalmen 2, 45 und 110 ״zur Sphäre des Göttlichen gerechnet wird, ist eine im 326 Yg! £ Jenni, Die Präposition Lamed, 130f. 327 Ygj dazu ebenfalls E. Jenni, Präposition Lamed, 130. E. Jenni zählt allerdings nicht Ps 110,3 zu dieser Kategorie.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
Ersten Testament seltene, aber doch nicht einmalige Aussage." 328 Mit der vorgeschlagenen Punktation ist die Nähe zu Ps 2,7 deutlich; dennoch soll auf den Unterschied hingewiesen werden, dass in Ps 2,7 zusätzlich היוםsteht, das in Ps 110 nicht vorhanden ist. Durch dieses zeitliche Attribut, dass der König heute gezeugt wird, ist in Ps 2 ein ״Tag feierlicher Verkündigung [beschrieben]. In liturgischem Zusammenhang bezeichnet haj-jom den Tag unmittelbarer Gottesnähe (Ps 95,7b.8; Dtn 5,1-3). ,Jetzt, in diesem feierlichen Moment der Thronbesteigung vollzieht sich die Geburt'." 329 In Ps 110,3 fehlt diese Art ״zeitliches Attribut"; somit ist lediglich der König als Sohn JHWHs beschrieben, den JHWH - vorzeiten - gezeugt hat. Die Vorstellung, dass der König in seinem Wesen gottähnlich war, zumindest der Gestalt, dass er den Göttern näher war als der Rest der Menschheit, war in den Ländern des Alten Orients üblich. In Ägypten findet sich beispielsweise in der Person Echnatons eine Art Gottkönigtum; in Mesopotamien wird der König von den Göttern in besonderer Weise hervorgehoben und geschaffen. 330 Die Vorstellung des Gottkönigtums fand auch nach dem Untergang des ägyptischen Reiches kein Ende - im Gegenteil. Mit dem Siegeszug Alexanders des Großen durch Ägypten tritt auch Alexander selbst in die Tradition der Vergöttlichung der Pharaonen ein. ״Für die Ägypter war der neue Pharao naturgemäß der Sohn des Amun, während für die Griechen das Vater-Sohn-Verhältnis in dieser konkreten Form eine bahnbrechende Neuerung darstellte."331 Alexander wurde nun nicht nur als Sohn des Amun-Re verherrlicht, sondern er erhielt ebenfalls Attribute von und Identifikationen mit griechischen Göttern.332 So ist die Vorstellung der göttlichen Abstammung des Königs ein altorientalisches Motiv, das auch noch in hellenistischer Zeit tradiert wurde.
328
M. Dietrich u. W. Dietrich, Zwischen Gott und Volk, 241. K. Koch, Der König als Sohn Gottes, 12. 330 Vgl. M. Dietrich u. W. Dietrich, Zwischen Gott und Volk, 233ff. 331 G. Grimm, Vergöttlichung Alexanders, 108. 332 G. Grimm, Vergöttlichung Alexanders, 104f: „Neben der Zeus-Apotheose [...! lassen sich ferner Beispiele einer Deifizierung des Makedonen als Helios, Dionysos, Osiris und Ammon nachweisen. [...] Das Verständnis dieser auf den ersten Blick heterogenen Vergöttlichungen erschließt sich durch die Analyse der Ammon-Apotheose, denn der Makedone steht in seiner Erscheinungsform als Ammon in einer langen Vergöttlichungstradition ägyptischer Könige und bildet somit ein Bindeglied zwischen dem pharaonischen und dem griechisch-römischen Ägypten." 329
4.6 Motiv und Bedeutung von ״Melchisedek"
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4.6 Motiv und Bedeutung von ״Melchisedek" Dass es sich in V.4b tatsächlich um den Namen „Melchisedek" und nicht etwa um „einen gerechten König" handelt, wie dies unter anderem T.H. Gaster annimmt 333 , geht in erster Linie aus grammatischer Sicht hervor: pHS^^D ist eine Constructus-Verbindung mit zwei Substantiven, sodass nicht von einem „lawful king" die Rede sein kann. Möglich wäre die Übersetzung „König von Gerechtigkeit" (das Yod wäre somit als Chirek compaginis aufzufassen) oder: „mein König ist Gerechtigkeit" (dies wäre ein eigener Nominalsatz, wobei das Yod ein Possessivsuffix darstellt), doch bergen diese Varianten inhaltliche Schwierigkeiten. Der deklarative Akt „Du bist Priester in Ewigkeit" ist besser zu verstehen, wenn als Handlungsvorbild des gerade ernannten Priesters auch ein (ehemaliger) Priester (und nicht ein „König von Gerechtigkeit") genannt wird. Das heißt, wenn man die Constructus-Verbindung als Namen „Melchisedek" versteht, liegt eine Aussage über das doppelte Amt des Angeredeten vor: Der König in Ps 110 soll zugleich ein Priester in Ewigkeit sein in Nachahmung von Melchisedek, weil Melchisedek nach Gen 14 König und zugleich Priester von Salem war. Literargeschichtliche Überlegungen: In der hebräischen Bibel finden sich lediglich zwei Stellen, an denen „Melchisedek" genannt wird: Ps 110,4 und Gen 14,18-20. An letzter Stelle wird gesagt, dass Melchisedek, der König von Salem und Priester des höchsten Gottes, Abram nach seiner Schlacht Brot und Wein herausbringt. Melchisedek segnet Abram und spricht: Gesegnet ist Abram dem höchsten Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat! Und gesegnet ist der höchste Gott, der deine Bedränger in deine Hand ausgeliefert hat! - Und er gab ihm den Zehnten von allem. Auf die Frage, wie das literarische und traditionsgeschichtliche Verhältnis von Ps 110 und Gen 14 zu verstehen ist, gibt es drei Antwortmöglichkeiten: 1. Gen 14 ist der ältere Text, der dem Dichter von Ps 110 als Vorlage diente. 2. Gen 14 ist jünger als Ps 110 und nimmt diesen auf. 3. Der „Priesterkönig" ist Traditionsgut, auf das beide Stellen unabhängig voneinander zugreifen. P.J. Nel konstatiert, dass Gen 14,18-20 nur dann sinnvoll sei, wenn die Tradition von Ps 110 der Genesis-Stelle vorangehe. So will Nel Ps 110 als die älteste und am meisten authentische Version der MelchisedekTradition darstellen. Diese Tradition sei Teil der Theologumena des El-Elyon-Kults, wobei das Motiv des Herrschens über die Feinde als paradigmatisches Element des El-Elyon-Kults angesehen wird, das sich ebenfalls in Ps 110 widerspiegele.334 Die Annahme, dass das Mel333 334
T.H. Gaster, Psalm 110, 40.43. P.J. Nel, Psalm 110 and the Melchizedek Tradition, 7ff.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
chisedek-Motiv so eng an den El-Elyon-Kult geknüpft gewesen und Ps 110 vor Gen 14 entstanden ist, ist problematisch, da einerseits der Gottesname in Ps 110 nicht El Elyon ist - diese Gottesbezeichnung wird in Gen 14, nicht aber in Ps 110 genannt. Andererseits ist das Motiv des Herrschens über Feinde nicht speziell im El-Elyon-Kult zu verorten, wenn überhaupt dezidierte Aussagen über diesen Kult zu treffen möglich ist. H.H. Rowley versteht das literarische Verhältnis der beiden Texte genau entgegengesetzt: ״It would therefore appear that Ps 110 comes from the age when Gen 14 still had significance as an aetiological story, and that it is connected closely with it." 335 Die Frage, welcher Text in der vorliegenden literarischen Form der ältere ist, lässt sich nur schwer beantworten. Die Namensnennung von Melchisedek in Ps 110,4 ohne nähere Erläuterung deutet allerdings daraufhin, dass der Dichter eine Melchisedek-Tradition kannte. Schließlich wird nicht erklärt, wer dieser Melchisedek war und wie er wirkte. Ob diese Tradition nun identisch ist mit der literarischen Gestalt des Textes von Gen 14 und/oder eine Figur beschreibt, um die sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte immer mehr Erzählungen rankten, ist schwer zu beurteilen. Nach F. Manzi trägt der Melchisedek in Gen 14 und Ps 110 eine Art „Interpretationsgepäck" mit sich, das die Qumran-Autoren und auch der Autor des Hebräerbriefs kannten. 336 So ist es durchaus wahrscheinlich, dass dieses Traditionsgut um Melchisedek bereits in persischer und hellenistischer Zeit existierte. Traditionen um Melchisedek: Traditionslinien in literarischer Gestalt sind von Melchisedek zwar bis einschließlich der frühhellenistischen Epoche nicht greifbar, doch deutet unter anderem das Werk des slavischen Henochs darauf hin, dass die Figur des Melchisedek eine immer größer werdende Bedeutung erfuhr. Der slavische Henoch, der vermutlich erst nach der Zeitenwende verfasst wurde 337 und deutliche Spuren christlicher Bearbeitung zeigt, beschreibt die Geburtslegende von Melchisedek. Sopanimas Empfängnis von Melchisedek ist übernatürlich, auch die Geburt selbst ist unwirklich. Als Dreijähriger wird Melchisedek aus dem Leib einer Toten als Neffe Noahs geboren. Er trägt das Siegel des Priestertums auf seiner Brust, „lebt als Gast im Hause seines Adoptivvaters Nir und kehrt nach der bedeutungsvollen Frist von 40 Tagen wieder zu Gott zurück." Der Engel Michael setzt ihn schließlich ins Paradies. C. Böttrich stellt fest, dass der Melchisedekknabe des 2Hen mit dem Priesterkönig von Gen 14 nichts gemeinsam hat außer dem Namen. Die Namensgleichheit erfolge aber trotzdem gezielt, da „Melchisedek" eine Chiffre für die Dauer und Legitimation des Priestertums sei. „Der Name ,Melchisedek' ist unter allen möglichen alttestamentlichen Namen derjenige, der ,Priestertum' auf dichteste und zugleich auf offenste Weise assoziiert." 338 Die Art und Weise, wie der Melchi335
H.H. Rowley, Melchizedek and Zadok, 468. Diese These wird später noch einmal aufgegriffen. Vgl. F. Manzi, Melchisedek, 29.261. 337 C. Böttrich, Das slavische Henochbuch, 812. 338 Den ganzen Abschnitt vgl. C. Böttrich, Biblische Figuren, im Druck. 336
4.6 Motiv und Bedeutung von ״Melchisedek"
93
sedek aus dem 2Hen und aus Gen 34 zusammenhängen, beschreibt C. Böttrich als der platonischen Urbild-Abbild-Relation ähnlich: Der göttliche Melchisedek aus 2Hen stellt somit das Urbild dar, das der biblische Melchisedek abbildet. Ein anderes Beispiel für eine breite Tradition und Hochschätzung des Melchisedek bietet ein hellenistisches Synagogengebet. In AposCon 7.39,2-4 wird Melchisedek in eine Reihe glorifizierter Heiliger aufgenommen: Es wird von Set, Enosch, Henoch, Noah, Abraham und seinen Nachkommen, Melchisedek, Hiob, Mose, Josua, Kaleb und Pinhas gesprochen. 339 Bei Epiphanius ist schließlich im 4. Jh. n.Chr. von einer Häresie der sogenannten Melchisedekianer zu lesen, Epiphanius schreibt unter anderem, dass als Eltern von Melchisedek Herakles und Astarte angesehen werden: ״Κ α ι γάρ παρά τισι του Μελχισεδέκ (76) ό πατήρ τε και ή μήτηρ έμφέρεται ־ουκ εχει δέ κατά τάς ρητάς Γραφάς και ένδ iatf έτους. Εΐττον δέ τίνες Ήρακλαν καλεΐσθαι αΰτοΰ πατέρα, μητέρα δέ Ασταρώύ, την και Αστερίαν." 3 4 0 Innerhalb der Nag Hammadi Schriften existiert, wie auch unter den Funden von Qumran 341 , ein Melchisedek-Dokument. Diese Nag-Hammadi-Schrift (NHC IX, 1) ist koptisch und ca. in die Mitte des 4. Jh.s n.Chr. zu datieren. Der Text bietet zwei dem Melchisedek widerfahrenen Offenbarungen sowie ein Zwischenstück. Als Mittler der Offenbarungen fungiert zum einen Gamaliel, zum andern werden ״Brüder" genannt. ״Der Zwischenakt handelt von der durch eine Taufe erfolgenden Bekehrung des Priesters Melchisedek zum wahren Priestertum, das Gott nicht Tiere durch Schlachtung, sondern andere Menschen durch die weitergeübte und weitergegeben Taufe darbringt. [...] Der ,getaufte Täufer' Melchisedek wird verstanden als der Vorläufer Jesu Christi." 342 Insgesamt ist diese Schrift ein christiich-gnostischer Text, der dem Sethianismus zuzuordnen ist. Er bietet eine ausgeprägte Christologie. Es ist davon auszugehen, dass der Verfasser sowohl den Hebräerbrief kannte als auch jüdische Melchisedek-Legenden wie die des slHen. 343 Es ist zu beobachten, dass für Melchisedek eine Reihe von Traditionen belegt sind, die sich nicht in biblischen Text finden. Allgemein kann man sagen, dass vor allem solche Figuren weiterentwickelt werden, ״die sich im Rahmen der Urgeschichte als Träger einer universalen Religiosität eignen" 344 . So werden sie zu Trägem modifizierter, aktualisierter oder ausdifferenzierter religiöser Identität. Und ״gerade im narrativen Gewand, in der Anschaulichkeit konkreter Gestalten, lassen sich die Themen der Zeit griffiger und wirksamer darstellen als durch halachische Diskussionen." 345
Auf der Basis der verschiedenen Traditionslinien, die sich im Laufe der Zeit um Melchisedek angelagert haben, ist es denkbar, dass bereits vor der Niederschrift des slavischen Henoch Traditionen um Melchi339 Abgedruckt in OTP II, 687. Eine Positionierung von Melchisedek hinter Abraham und vor Hiob findet sich auch in AposCon 8.12.6-27. 340 Epiphanius, Haer. LV, B. Der Hinweis auf diese Stelle stammt aus D.E. Aune, Art.: Heracles, 404. 341 llQMelch wird an späterer Stelle eigens analysiert. Es wird untersucht, ob oder inwiefern der ״Melchisedek" von Ps 110 und der aus llQMelch zu identifizieren sind (vgl. Kapitel 8.2.3 1 lQMelch, S. 240ff.). 342 H.-M. Schenke, Nag Hammadi deutsch, 475. 343 Dieser Abschnitt über Melchisedek (NHC IX. 1) ist angelehnt an H.-M. Schenke, Nag Hammadi deutsch, 474ff. 344 C. Böttrich, Biblische Figuren, im Druck. 345 Den ganzen Abschnitt vgl. ebd.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
sedek existierten, sodass nicht zwingend eine direkte literarische Abhängigkeit von Ps 110 und Gen 14 konstatiert werden muss. Welches theologische Konzept steht aber hinter der Namensnennung in Ps 110,4b? Warum greift der Autor auf eine Tradition von Melchisedek zurück? Hierzu wendet J. Elitzur (nach den Worten Stracks) ein, dass ein Gewicht auf dem Monotheismus liegen könnte, da Melchisedek genau wie Abraham, biblisch betrachtet, einen monotheistischen Glauben hatte. 346 Einen anderen Vorschlag macht M. Rehm: ״Durch die Art und Weise, wie der Verfasser des Ps das Priestertum erwähnt, vor allem durch die Berufung auf das nichtisraelitische Vorbild wird deutlich, daß auch ihm die Übertragung dieses Amtes auf einen Davididen, der nicht aus der Familie Aarons entstammte, als außergewöhnlicher Vorzug erschien. Er teilte den Standpunkt der späteren Zeit, die aber zugleich sehr bezeichnende Ausnahmen kennt." 347 Ähnlich sieht auch M.J. Paul diesen Rückgriff akzentuiert: ״The meaning is: You are priest not by descent but by oath, as the case with Melchizedek."348 Die skizzierten Positionen bergen allerdings einige Probleme: Es ist schwierig, von einem monotheistischen Text zu sprechen - wie Elitzur dies als Grund für die Anspielung auf Melchisedek befürwortet, wenn davon ausgegangen wird, und das legt sich nahe, dass in einem ursprünglichen Psalmtext von der Geburt des Königs aus dem Mutterleib der (Gottheit) ״Morgenröte" die Rede ist. Dass in einem solch mythischen Psalmtext ein besonderer Akzent auf den monotheistischen Glauben gelegt wird, ist nicht überzeugend. Die Annahme, in Ps 110 durch die Nennung Melchisedeks eine Legitimierung eines NichtAaroniden als Priester zu sehen, steht ebenso auf wackeligem Grund, denn für einen das priesterliche Amt begründenden Vers wird das Priestertum des Königs zu wenig beschrieben und ausgeschmückt. Die auf Vers 4 folgenden Taten sind die eines Königs, nicht eines Priesters. Die Antwort auf die Frage, warum der Verfasser in Ps 110,4 auf Melchisedek rekurriert, ist auf einer anderen Ebene zu suchen - so bietet sich auch hier ein Vergleich mit außerbiblischen Texten an. Da es sich bei Melchisedek um einen Priesterkönig handelt, soll zuerst der Fokus auf diese Art der Ämterhäufung gelenkt werden. Der (altorientalische) König als Priester Es ist in der Welt des Alten Orients nicht ungewöhnlich, dass dem herrschenden König auch das Priestertum von Gott gegeben wird. So heißt es in der Zeit von Tukulti-Ninurta I (um 1230 v.Chr.) in einem Gebet eines Krönungsrituals (in englischer Übersetzung): 346
347 348
:60 . ד ר כ ו של מלכיצדק, אליצוד.י ״. מונותיאיסט כאברהםSTRACK מ ל כ י צ ד ק הוא כ ד ב ר י.״כללו של דבר M. Rehm, Der königliche Messias, 327. M.J. Paul, The order of Melchizedek, 209.
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4.6 Motiv und Bedeutung von ״Melchisedek" May Assur and Ninlil, the lords of your crown, set your crown on your head for a hundred years'. May your foot in Ekur and your hands stretched toward the breast of Assur, your god, be agreeable! May your priesthood and the priesthood of your sons be agreeable to Assur, your god! With your straight scepter widen your land! May Assur give you authority, obedience, concord, justice and peace ß49
In einem Lied auf den Herrscher Assurbanipal (672-639/630 v.Chr.) wird dieser besungen als: m
dizy~i«r-DÜ-A iXj.sä-an-gu-ü-ku-nu [...] das-sur LUGAL-iw-^ii ku-ru-ub [...] Assurbanipal is your high priest [...] Assur, bless his kingshipß50
Auch in Phönizien kann sich der Herrscher als Priester und König ausweisen: Ich, TBNT, Priester der 'Astart, König der
Sidonier^1
Es ist deutlich, dass der König im Alten Orient als Repräsentant des Staates eine Person mit sakralen Pflichten und Funktionen war. 352 Das Priestertum des Königs ist in Ps 110 somit nicht einzigartig, auffällig ist allerdings die Vorbildfunktion, die der genannte Priesterkönigs Melchisedek für den König darstellt: Der König soll sein Priesteramt in Nachahmung Melchisedeks ausüben. Die Vorbildfunktion einer historischen Figur Der König soll nach V.4 sein Priestertum ausüben, wie es vorzeiten der Priesterkönig Melchisedek tat. Der Dichter von Ps 110 zieht somit einen Vergleich zwischen der im Jetzt angesprochenen Person (dem König) und einer ״historischen" oder „mythischen" Gestalt aus der Vorgeschichte „Israels". In ägyptischen Texten werden Könige einerseits mit dem Vater, der ebenfalls als König und als direkter Vorgänger geherrscht hat, verglichen. Es gibt den sogenannten ancestral spirit, da im Alten Orient das Königtum im Regelfall vom Vater auf den Sohn überging. Der neu eingesetzte König soll ebenso „göttlich" handeln wie sein Vater zuvor,
349 W.W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture. Vol. 1,472. 550 SAA 3, 16, ABRT 1 9, Z. 4f. 351 Aus: KAI 13 Z.l. Der Hinweis auf diese Steile stammt aus J. Reiling, Art.: Melchizedek, 560. 352 Vgl. M. Hutter, Religionen in der Umwelt I, 104. Hutter bezieht sich an dieser Steile nur auf den babylonischen König; diese Aussage ist aber allgemein für den altorientalischen König zutreffend.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
wie es in einem ägyptischen Pyramidentext (in englischer Übersetzung) heißt: Thou standest (as king), O Pepi, supported (avenged), equipped as a god, equipped with the aspect of Osiris, on the throne of Him who commands the Westerners. And thou doest what he was accustomed to do, among the spirits, the Imperishable Stars. Thy son stands (as king) on thy throne, equipped with thy aspect, and does what thou wert formerly accustomed to do at the head of the living, by order of Re the Great God^353
Es handelt sich hier allerdings nicht um ein Sieges- oder Thronbesteigungslied, sondern um einen Totentext des Königs Pepi (6. Dynastie; ca. 2340 v.Chr.), dessen Herrschaft nach seinem Tod auf seinen Sohn übertragen worden war. Der Sohn ist mit den Eigenschaften des Vaters ausgestattet und handelt nach der Anweisung (oder im Auftrag) des Re. Andererseits gibt es in Ägypten die Vorstellung, dass der König ein Ebenbild des Amun-Re ist. Auf diesen Vergleich rekurriert J. de Savignac in seiner Auslegung von Ps HO. 354 In dem Siegeslied auf Thutmose III. heißt es (in der Übersetzung von J. Assmann): Ich zeige ihnen Deine Majestät als Herrn der Strahlen, so daß du leuchtest in ihren Gesichtern als mein Ebenbild!355
Hier liegt allerdings keine Handlungsaufforderung vor, in der Form, dass der König wie Amun-Re herrschen solle. Aus dem Blickpunkt dieser beiden ägyptischen Texte ergibt sich, dass entweder der Vater, der bereits in göttlicher Weise agierte, dem König als ein Handlungsvorbild vorangestellt oder dass der König als Ebenbild von Amun-Re bezeichnet wurde. In Ps 110 wird allerdings Melchisedek als Ideal des Königs dargestellt - er ist eine (mythische) Figur eines Priesterkönigs, der weder als direkter Vorfahr des Königs noch als Gottheit angesehen wurde. In ägyptischer Literatur ist zwar im Hohenpriester Imhotep 356 eine mythische Figur als Muster von
353
Pyr. 752-64 aus: H. Frankfort, Kingship and the Gods, 113. J. de Savignac, Interpretation du Psaume CX, 128. 355 J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, 525. 356 K. Koch, Geschichte der ägyptischen Religion, 455: ״Imhotep war ursprünglich eine historische Gestalt. Als Hoherpriester von On hatte er die erste Pyramide erbaut, die berühmte Stufenpyramide in Saqqara. Seit dieser Zeit war er als ein Muster von Weisheit und Gerechtigkeit berühmt; er hatte, so schien es, in besonderer Weise Maat auf Erden verwirklicht. [Er steigt später] zu einem Wesen halbgöttlichen Ursprungs auf, das der Gott Ptah mit einer menschlichen Mutter gezeugt hatte". 354
4.6 Motiv und Bedeutung von ״Melchisedek"
97
Weisheit und Gerechtigkeit greifbar, die verherrlicht wurde, doch diente Imhotep nicht als ein Handlungsvorbild in Königsliedern. Blickt man über Ägypten in andere Länder des Alten Orients hinaus, so existiert auch hier in Königsliedern keine weitere Person als ein Handlungsvorbild für den König. Es gibt zwar die Vorstellung von ״Helden" - doch wird entweder der König selbst als ״Held" bezeichnet, 357 oder die Helden dienen nicht als direkte Vorbilder für den König in poetischer Literatur.358 In Königsliedern finden sich außer dem König und den Gottheiten keine weiteren Nennungen von als Helden bezeichneten Personen. In ptolemäischer Zeit sind indes in Königsliedern auch andere Vorbilder - außer dem Vater und der Gottheit - für den König präsent. In einer Mischung aus griechischer und altorientalischer Gedankenwelt beschreiben die Enkomien von Theokrit und Kallimachus Herakles als mythisches Idol und als Vorfahr des Königs. So wird in einem Lobgedicht Theokrits auf Ptolemaios IL Philadelphos die Abstammung des Königs auf Herakles zurückgeführt: αμψω γαρ προγονός σφιν ό καρτερος Ήρακλείδας άμφόχεροι δ' άριϋμεΌνται ές εσχατον Ήρακλήα. Ihrer beider Vorfahre ist ja der starke Herakles-Sohn, und beide führen ihre Abstammung letztlich auf Herakles zurück,359
Herakles war zwar kein Priester, doch erscheint er in zahlreichen lokalen Mythen als Begründer einer königlichen Dynastie und mit einer Vielzahl von Kulten - seit hellenistischer Zeit kommt ihm auch die Rolle eines Beschützers in allen möglichen Gefahren zu. 360 In diesem Enkomion dient Herakles als ״model par excellence", der sich durch seine Tapferkeit einen Platz im Himmel verdient hatte.361 Auch Kallimachus bedient sich für seine Dichtungen der Figur des Herakles. Er behandelt ״diverse Aspekte der traditionellen Heraklesmythologie, besonders aber ,ausgefallene4 Versionen unter aitiologischen Gesichtspunkten."302 Herakles galt in seiner Tapferkeit als berühmter Vorfahr der politisch höhergestellten Familien - darin bildete das Herrschergeschlecht der Ptolemäer keine Ausnahme.363 Um die eigene hohe Position zu un357 So wird vor allem Sulgi in Königshymnen bezeichnet: ״ich bin ein Held", vgl. W. Heimpel, Art.: Held, 289. 358 Die bekanntesten literarischen Figuren eines Helden sind in der erzählenden Literatur Gilgames und Sargon, vgl. W. Heimpel, Art.: Held, 293. 359 Griechischer und deutscher Text nach B. Effe, Theokrit, 128 bzw. 129 Z.26f 360 Vgl. F. Graf, Art.: Herakles, 390f. 361 Vgl. R. Hunter, Theocritus. Encomium of Ptolemy Philadelphus, 116. 362 g Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 348. 363 Yg| r Hunter, Theocritus. Encomium of Ptolemy Philadelphus, 12.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
terstreichen, stellten sich diese höhergestellten Familien mit Herakles auf eine Stufe. So wird in den genannten Enkomien zwar nicht gesagt, dass der König nach Art des Herakles handeln solle. Dadurch aber, dass der König beispielsweise neben Herakles sitzt, wird suggeriert, dass der König sich bereits so edel und tapfer wie Herakles verhalten habe. Nach diesen Überlegungen lässt sich folgern, dass in Ps 110 nicht wie in älteren ägyptischen Texten der Vater des Königs als Idol fungiert. In dieser Hinsicht zeigt Ps 110 mit diesen Schriften keine Gemeinsamkeit. Vielmehr ergreift der Autor eine Figur aus der (mythischen) Vorgeschichte Israels, um sie dem König voranzustellen, wie dies auch in ptolemäischen Enkomien durchgeführt wird. Fazit: Es ist zunächst festzuhalten, dass in Ps 110,4b pns0'־I?n ein Name ist, und dass hier auf die Tradition eines Priesterkönigs ״Melchisedek" zurückgegriffen wird. Altorientalische Parallelen lassen sich zwar hinsichtlich des Aspekts finden, dass altorientalische Könige zugleich Priester waren - sie verweisen allerdings nur auf den Vater als Handlungsvorbild für den König oder auf Amun-Re direkt, nicht aber auf ein „historisches" oder „mythisches" Idol. Es legt sich hingegen ein Vergleich mit frühhellenistischer Dichtung nahe, in der die Figur des Herakles als Vorfahr des Königs stilisiert wird, um dem König entsprechenden Glanz zu verleihen. Da der Autor von Ps 110 aber ein Lied auf den König mit theologischem Hintergrund verfasste, griff er statt auf eine pagane Figur wie Herakles auf eine biblische priesterliche zurück. Der Schritt von einem Vergleich des Königs mit Herakles und einem mit Melchisedek ist nicht so groß, wie es auf den ersten Blick scheint: In hellenistisch-römischer Zeit bildete sich eine Tradition heraus, in der Herakles und Astarte die Eltern von Melchisedek waren. 364 Ebenso wie Herakles reiches Traditionsgut um seine Person angehäuft hat, so hat Melchisedek über Gen 14 hinaus in nachexilischer Zeit ein immer größer werdendes „Interpretationsgepäck" mit sich getragen, wie dies zum Beispiel im slavischen Henoch ausgeprägt zu lesen ist. Durch diesen großen pool an außerbiblischen Traditionen um biblische Figuren gerade in hellenistischer Zeit ist eine eindeutige literarische Abhängigkeit zwischen Ps 110 und Gen 14 nicht zu beweisen. Ferner wäre es allerdings möglich, das Motiv des Priester-Seins in Ewigkeit als bewusst konstruierte parallele Antonymität zu Jes 14 aufzufassen, wie dies bei vielen Motiven von Ps 110 zu vermuten ist. 365
364
So ist dies bei Epiphanius Haer. LV, B zu lesen. 365 vgl. dazu Kapitel 5.2 Vergleichende Darstellung von Psalm 110 mit Jes 14, S. 119ff.
4.7 Motiv und Bedeutung von V. 7
99
In Jes 14,14 wird dem babylonischen König vorgeworfen, er habe sich mit ״Elyon" gleichzusetzen versucht, während in Ps 110,4 (vor dem Hintergrund von Gen 14 gelesen) der König dem Elyon ein Priester in Ewigkeit sein soll. Es soll ein Priesterkönigtum für „Elyon" sein, wie dies Melchisedek ausübte. Ausgehend von dieser Vermutung wäre dem Autor von Ps 110 eine Kenntnis von Gen 14 zu unterstellen. 4.7 Motiv und Bedeutung von V.7: ,Aus einem Bach am Weg wird er (daraufhin) trinken, deshalb wird er den Kopf erheben." Zu V.7 gibt es in der Forschung verschiedene Möglichkeiten der Interpretation. Die Schwierigkeiten bestehen dabei nicht primär in der grammatischen Analyse des Verses, wie dies in V.3 der Fall ist, sondern in der Frage, welche Bedeutung V.7 zukommt. Grammatische Analyse: Mit V.7 liegt ein grammatisch vollständiger Satz vor, der aus zwei Nebensätzen besteht, die von V.6 abhängig sind. V.7 ist ein imperfektischer Verbalsatz, der auf ein Perfekt folgt. Als solcher ist er abhängig und kann kein selbständiger Hauptsatz sein.366 V.7a beginnt mit einer adverbialen Bestimmung des Ortes. Diese Ortsangabe besteht aus zwei Teilen, wobei der erste Teil indeterminiert und der zweite determiniert ist. Es handelt sich hier also um irgendeinen Bach an dem Weg. Zudem ist durch die Satzteilfolge der Bach besonders betont.367 Dass in der Poesie Determinationen fehlen, aber dennoch zu übersetzen sind, ist üblich.368 Es fällt allerdings auf, dass in den ersten beiden Worten von V.7a eines determiniert und eines indeterminiert ist, sodass vielleicht hier ein bewusster Kontrast vorliegt, der auch in der Übersetzung berücksichtigt werden sollte. Den letzten Teil dieses Hauptsatzes bildet ein finites Verb in der dritten Person Sg. maskulin. Der folgende Nebensatz ist durch eine Konjunktion angeschlossen und beinhaltet ein finites Verb, ebenfalls in der dritten Person Singular maskulin, und ein Objekt. Das Objekt ist nicht determiniert. Das Subjekt ist weder im Haupt- noch im Nebensatz explizit genannt. Das letztgenannte Subjekt ist Gott in V.5a. Die durchgeführte Gliederung des Psalms zeigt jedoch als Ergebnis, dass ein Subjektwechsel in masoretischer Darbietung von V.5 zu V.6 stattfindet.369 Wie oben bereits dargestellt, ist auch ohne Berücksichtigung der masoretischen Akzentsetzung ein Subjektwechsel von JHWH auf den König in den Versen
366
Vgl. D. Michel, Tempora und Satzstellung, 183. Vgl. dazu W. Groß, Die Satzteilfolge im Verbalsatz, 147. 368 P. Joüon u. T. Muraoka, A Grammar of Biblical Hebrew, §3d. 369 Vgl Kapitel 3.4 Gliederung und Aufbau des masoretischen Textes, S. 40ff. 367
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
5-7 anzunehmen, sodass in V.7 in jedem Fall der König die handelnde Person ist. Forschungslage: Um V.7 zu interpretieren, werden in der Forschung, trotz der scheinbar verständlichen grammatischen Konstruktion, Konjekturen vorgenommen. Einen Forschungsüberblick zu konjekturalen Eingriffen bei V.7 mit kritischer Würdigung findet sich bei J. Becker 370 , sodass hier lediglich Claus Schedi als ein Vertreter herausgegriffen wird. C. Schedi371 (1961) versucht, durch textkritische Erwägungen den Vers verständlicher zu machen. So hält er מנחלfür ein defektiv geschriebenes Partizip Hif c il = jemandem etwas zu Besitz geben, als Erbe übergeben. Dieser Vers würde somit von Landverteilung und Huldigung sprechen, ״nicht aber von irgendeinem Königsritual noch von einer Szene aus einer Schlacht."372 דרךsei nicht irgendein Weg, der an einem Bach vorbeifuhrt, sondern vielmehr ein geprägter Terminus. Schedi fasst diesen Terminus heilsgeschichtlich auf: ״Der" Weg sei der Weg des Exodus. ״Der Weg soll aber nicht im Weglosen enden, er will ein Ziel, die Landnahme und das Erbe." 373 Schedi sieht in dem Begriff דרךdas Werk des Deuteronomisten, der den Weg der zwölf Stämme von der Knechtschaft Ägyptens bis zur Landnahme theologisch aufgearbeitet und das Allerweltswort ״Weg" mit heilsgeschichtlichem Sinn erfüllt habe. Auch in ישתהnimmt Schedi eine defektive Schreibung wahr, und zwar die des Wortes ישיתהו. Damit gelangt er zu der Übersetzung: ״Auf dem Wege (d. i. bei der Landnahme) setzt er ihn zum Erbvollstrecker ein." 374 Die Kritik an dieser Position lässt sich in zwei Punkte unterteilen: eine Untersuchung der defektiven Verbformen und des Terminus דרך. In V.7 liegt kein Grund vor, die Punktation zu ändern, obwohl Schedls Annahme eines defektiv geschriebenen Hif ils der Wurzel בחלmöglich ist.375 Ebenso kommen in den sogenannten Königspsalmen defektiv geschriebene Hifil-Formen vor, so z.B. in Ps 18,51: מגדל. Die Wurzel שיתals ein defektiv geschriebenes Hif il zu betrachten, ist hingegen problematischer. Zwar gibt es biblisch eine defektive Schreibweise von שית- in I Reg 11,34: אשתנו- , die Annahme aber, dass das Schlusswaw als Suffix für die dritte Person nicht geschrieben werde, ist nicht überzeugend. Weder in den sogenannten Königspsalmen noch in poetischen Stücken wie in Ex 15, Gen 49, Dtn 33, II Sam 22 und in dem oft zitierten Spottlied aus Jes 14 findet sich eine solche Form, in 370 Vgl. J. Becker, Zur Deutung von Ps 110:7, 17-24. 371 C. Schedl, Aus dem Bache am Wege. 372 C. Schedl, Aus dem Bache am Wege, 292. 373 Ebd. 374 C. Schedl, Aus dem Bache am Wege, 295. 375 So steht in Ez 46,18 ינחל. Dort wird allerdings nicht die partizipiale Form verwendet, sondern ein finites Verb.
4.7 Motiv und Bedeutung von V. 7
101
der ein Waw als Suffix der dritten Person am Schluss durch ein qibbus ersetzt wird. Dadurch, dass zwar in מנחלeine defektive Verbform gelesen werden könnte, in ישתהhingegen nicht, ist es nicht mehr möglich, nach Schedl eine ״Einsetzung als Erbvollstrecker" in V.7 auszumachen. Es handelt sich hier tatsächlich um die Bedeutung ״trinken". Während auf der einen Seite die Annahme Schedls von defektiven Verbformen in V.7 nicht unterstützt werden kann, sind auf der anderen Seite seine Beobachtungen zu dem Lexem דרךzu unterstreichen. Es ist darauf zu achten, dass in V.7 nicht von irgendeinem Weg die Rede ist. Die Form ist determiniert: Es wird von dem Weg gesprochen. Gegen seine Deutung des ״Weges" als Exodus-Motiv aber sprechen folgende Gründe: Das Volk Israel wird nicht explizit angesprochen, außer in V.3 im freiwilligen zur Seite Stehen für den König. Entweder ist JHWH der Agens innerhalb des Psalms oder der König. Israel erhält keine Anweisungen, auch wandert es nicht durch die Wüste. JHWH als Führender durch das Schilfmeer wie durch die Wüste bleibt unerwähnt. J. Becker hingegen versteht דרךin der militärischen Bedeutung ״Heereszug". Becker konstatiert, dass es nicht ״am Weg" heißen könne, sondern von einem Heereszug die Rede sein müsse, sodass er zu der Übersetzung ״auf dem Wege" bzw. ״unterwegs" gelangt.376 Des Weiteren legt er seiner Interpretation die Prämisse zugrunde, dass in Vv.5-7 ein und dasselbe Subjekt, nämlich Jahwe selbst, handelnd auftritt. 377 Auf der Basis dieser Annahmen geht Becker davon aus, dass es sich um ״Blut Trinken" handele und dass das Objekt ״Blut" elliptisch ausgelassen worden sei. 378 ״Jahwe, der allein in V 5-7 der Handelnde ist, wird in inhaltlicher Parallele zu den Leichen und zerschmetterten Schädeln mit einem Blutbad und dem Trinken von Blut in Verbindung gebracht."379 Becker fuhrt einige Parallelstellen (am deutlichsten sind darunter Jes 15,9; 63,6b; Ez 32,6) an, in denen es um Flüsse aus Blut geht, sowie einige andere Stellen, in denen das Trinken von Blut thematisiert wird (Jes 49,26; Sach 9,15; Num 23,24). Beide Gedanken gibt es biblisch zweifelsohne. Gerade in der von Becker angeführten Numeri-Stelle ist vom Trinken des Blutes von Erschlagenen die Rede (Num 23,24). Eine eindeutige Parallelstelle zu Ps 110,7 ist Num 23,24 jedoch nicht, da nicht Gott deijenige ist, der das Blut von Erschlagenen trinkt, sondern der Löwe, der das Volk symbolisiert. Auch sind hier nicht die Lexeme כחלund דרךvertreten. Es fehlt biblisch die Parallele, dass JHWH auf einem Weg geht, sich zu einem Bach niederbeugt und trinkt.380 Dass es sich in V.7 um JHWH handelt, 376 377 378 379 380
J. Becker, Zur Deutung von Ps 110:7, 26. J. Becker, Zur Deutung von Ps 110:7, 25. Vgl. J. Becker, Zur Deutung von Ps 110:7, 30. J. Becker, Zur Deutung von Ps 110:7, 24. Vgl. dazu S. 42f.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
der das Blut von Erschlagenen trinkt, ist weder durch Parallelstellen noch durch den Aufbau von Ps 110 gedeckt. Es ist Becker jedoch zuzustimmen, dass es sich bei דרךum einen Heeres-/Feldzug handelt. Das legt besonders der kriegerische Kontext der Vv.5 und 6 nahe. Zu diesem Ergebnis gelangt auch M. Zehnder in seiner Untersuchung zur Wegmetaphorik im AT. 381 Er schreibt, dass ד ר ךals Feldzug fünfmal im Alten Testament vorkomme (Jdc 4,9; I Sam 15,18.20; II Sam 11,10 und Ps 110,7). Die vorliegende Bedeutung lasse sich aber ebenfalls als semantische Spezialisierung der Bedeutungsfarbung ,Reise/Bewegung' verstehen: Zur Bedeutung ,Reise/Bewegung' trete die Komponente ״militärisch". Dabei handele es sich immer um einen von JHWH befohlenen Heereszug. Vor diesem Hintergrund gelangt Zehnder zu dem Schluss, dass in Ps 110,7 ebenfalls eine göttliche AnWeisung beziehungsweise Tat vorliege. Zehnder versteht daher den Psalm als eine Beschreibung des Messias. Im Akkadischen 382 und Ägyptischen 383 hingegen sei das Weg-Lexem für einen Feldzug häufig gebraucht, ohne dass ein konkreter göttlicher Befehl voraus geht. Dass der Messias die handelnde Person von V.7 ist, ergibt sich nicht zwingend aus der Analyse zu דרך, da gerade in akkadischen und ägyptischen Texten דרךhäufig für einen Heereszug gebraucht wird. 384 So lässt sich daraus folgern, dass die Verwendung von דרךan dieser Stelle im Alten Testament einzigartig ist, da einerseits die Bedeutung ״Feldzug" sonst nicht in poetischen Texten vorkommt, andererseits der Feldzug nicht von JHWH befohlen ist. Darüber hinaus liegt keine Anspielung auf den Exodus vor. Die zu bevorzugende Interpretation zu Herkunft und Bedeutung dieses Lexems findet sich im Vergleich mit den anderen altorientalischen Texten, die (sehr) häufig ein Weg-Lexem als Feldzug verwenden. Der Autor von Ps 110 benutzt in V.7 eine typische Verwendung des Begriffs ״Weg" des Alten Orients. Der einzig ähnliche alttestamentliche Gebrauch von דרךkömite in II Sam 11,10 vorliegen, wo von einem Feldzug gesprochen wird, an dem Uria teilgenommen hat. In der alttestamentlichen Forschung ist nicht nur die Bedeutung des דרךumstritten, es herrscht ebenso Uneinigkeit darüber, wie der בחלin V.7 zu identifizieren ist. Die These, dass es sich bei dem בחלin V.7 um die Gihonquelle handelt, vertritt vor allem G. Widengren. Er fasst V.7 als rituelle Anweisung in einem Krönungsritual auf. Dadurch, dass in I Reg 1 der König hinunter zum Bach Gihon gefuhrt und dort vom Priester Sadok zum 381
Vgl. M.P. Zehnder, Wegmetaphorik, 318. Vgl. M.P. Zehnder, Wegmetaphorik, 194. 383 Vgl. M.P. Zehnder, Wegmetaphorik, 262f. 384 Eine ausführliche Untersuchung, ob Ps 110 den Messias beschreibt, findet sich in Hauptteil B Innerbiblische Exegese. 382
4.7 Motiv und Bedeutung von V. 7
103
König gesalbt wurde, liege es nahe, sich vorzustellen, dass der genannte Bach die Gihonquelle sei.385 Ebenso weist H.-J. Kraus daraufhin, dass es sich in V.7 um einen sakramentalen Akt an der Gihonquelle, dem Lebensquell, handele.386 Gegen diese Annahme können mehrere Argumente vorgebracht werden. Zunächst legt sich nahe, auf den Unterschied hinzuweisen, dass es sich beim Gihon um eine Quelle und nicht um einen Fluss/Bach handelt, wie es auch R. Tournay formulierte: ״II est important de remarquer que le psaume ne parle pas d'une source ou d'un etang, mais d'un torrent."387 In ״symbolischer Überhöhung" ist es zwar möglieh, dass die Quelle ״Gihon" mit großen Flüssen gleichgesetzt und mit כהרbezeichnet wird 388 , doch fallt zudem auf, dass der Name ״Gihon" biblisch nie gemeinsam mit der Bezeichnung נחלbezeugt ist. Ein weiteres Argument gegen einen Bezug zum israelitischen Krönungsritual ist die Tatsache, dass in V.7 nicht von einer Salbung gesprochen wird. Der König selbst trinkt aus dem Bach - dazu gibt es keine Parallele in den Beschreibungen der Königssalbungen in den Königebüchern, auch nicht in der von Widengren angeführten Stelle I Reg 1. Dort heißt es inV.38bf.: וילכו אתו על־גחון38 ויקה צדוק הכהן את־קרן השמן מ ך ה א ה ל וימשח את־שלמה ויתקעו בשופר39 .ויאמרו כל־העם יחי ה מ ל ך שלמה Und sie führten ihn zum Gihon. Und Zadok, der Priester, nahm das Olhorn aus dem Zelt und salbte Salomo, und sie bliesen in das Schofar, und das ganze Volk sprach: ״Es lebe der König - Salomo!"
Hier wird die Salbung Salomos durch den Priester an der Gihonquelle beschrieben, die aus mehreren Elementen besteht: Die handelnde Person ist ein Priester, es wird Öl gebraucht, das Schofar wird geblasen und am Schluss steht die Akklamation des Volkes. Dies alles fehlt in Ps 110 - gleichzeitig fehlen die verwendeten Lexeme aus Ps 110 in der Beschreibung aus I Reg 1: שתה, דרךund בחל. Weiterhin würde der Ablauf Schwierigkeiten bereiten, wenn Ps 110 von einer Königssalbung sprechen würde. Kraus hat selbst bemerkt, ״daß es unmöglich ist, aus Ps 110 in chronologischer Folge den Ablauf des Krönungsrituals zu rekonstruieren."389 Eine mögliche Anspielung auf ein Salbungsritual 385
Vgl. G. Widengren, Psalm 110 und das sakrale Königtum in Israel, 212. H.-J. Kraus, Die Psalmen II, 936. 387 R. Tournay, Le Psaume CX, 34. 388 Vgl. M. Witte, Die biblische Urgeschichte, 266: ״Für Gen 2,13 bedeutet dies, daß die Erwähnung des Bachs Gichon neben den Strömen Nil, Tigris und Euphrat nicht zwangsläufig eine Identifikation mit einem diesen drei ebenbürtigen Fluß verlangt, sondern daß der Begriff נהרhier in einer symbolischen Überhöhung auf die Gichonquelle angewendet wird." 389 H.-J. Kraus, Die Psalmen II, 936. 386
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
würde sich wahrscheinlich nicht am Schluss des Krönungspsalms finden, sondern vor den Zusagen für den König. Anhand dieser Beobachtung lässt sich sagen, dass V.7 als Zitat aus einem Krönungszeremoniell unwahrscheinlich ist. Ps 110,7 zeigt keine Übereinstimmungen mit einer solchen sakramentalen Schilderung in I Reg 1. Ob es sich hier trotzdem um die Gihonquelle handelt, ist nicht deutlich. Auch das Motiv des Tempelstroms wird in der Forschung mit V.7 in Verbindung gebracht. R. Toumay vertritt die These, Ps 110,7 sei abhängig vom Tempelstrommotiv. Seine Auslegung beruht auf mehreren Annahmen: Zunächst stellt er fest, dass der Psalm durch eine sehr bildhafte Sprache geprägt sei, sodass auch V.7b als eine Metapher zu verstehen sei. Wenn nun V.7b metaphorisch verstanden werde, müsse auch V.7a als Metapher zu interpretieren sein.390 Dieses Bild sei abhängig von der Vorstellung des Tempelstroms in Ez 47 391 , ebenso, wie auch Ps 36 und Jer 31,9 auf diese Stelle zurückgreifen. Zudem sei im ganzen Psalm JHWH der Handelnde, sodass auch in V.7 von einer göttlichen Intervention die Rede sein müsse. Der ״prince" sei also messianisch zu verstehen.392 Auch der Karäer Jefet ben Eli sieht in seinem frühmittelalterlichen Psalmen-Kommentar in Ps 110,7 messianisches Gedankengut in Verbindung mit dem Gottesstrom. Er bemerkt, dass es sich um einen Bach handelt, der aus dem Haus des Ewigen herauskommt und quer über den Weg führt, sodass die Leute aus ihm trinken. Dazu kombiniert er diese Stelle mit Ps 27,6 und bemerkt weiter, dass in jener Zeit Israel sein Haupt über alle Völker der Welt erheben wird. Das Ganze impliziere eine Herrschaft des Friedens.393 Dass es sich in Ps 110 um ein von vorneherein als messianische Weissagung verfasstes Lied handelt, ist vor allem aus einem Grund schwer vorstellbar: Es fehlt das Motiv des 394. שלוםGanz im Gegenteil wird in Ps 110 ein militärischer Herrscher geschildert, der Feinde zerschlägt.
390
Vgl. R. Tournay, Le Psaume CX, 34. R. Tournay, Le Psaume CX, 36: ״Remarquons le parallélisme de situation: le torrent sort à la droite du Temple où Dieu a son trône; le Messie siège à la droite du trône de Dieu, à Sion. S'il n'est pas dit explicitement que le nahal où s'abreuve surabondamment le Messie est celui dont parlent Ezéchiel et les écrits qui en dépendent, on ne peut manquer d'y penser, et ce rapprochement éclaire singulièrement le dernier verset du Ps. CX, en assurant sa parfaite cohérence avec tout ce qui précède." 392 Vgl. R. Tournay, Le Psaume CX, 34f. 393 Vg[. y Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, 327f. 639f. 394 Das ״Leben in "שלוםist zumindest in den Herrscherweissagungen Jes 9,1-6a; 11,1-8; Mi 5,l-4a und Sach 9,9f. nach H. Seebass ״der kleinste gemeinsame Nenner" (H. Seebass, Herrscherverheißungen im Alten Testament, 79). 391
4.7 Motiv und Bedeutung von V. 7
105
Es wird nicht davon gesprochen, dass dadurch Gerechtigkeit und Frieden eintrete.395 Für die Annahme, Ps 110 stelle einen Bezug zur Tempelquelle in Ez 47 und Ps 36 her, fehlt das Motiv des Tempels in Ps 110. In V.7 wird nicht der Tempel, sondern ein Heereszug erwähnt. In V.2 ist zwar der Zion genannt, aber ohne, dass an den Tempel erinnert wird. Wie von C. Körting bereits erläutert, steht Ps 110 vor allem in der Zionstheologie Ps 132 entgegen. In Ps 132 geht es um den Zion als Wohnung JHWHs, die David baut, in Verbindung mit der Ladegeschichte, in Ps 110 gerade nicht. In Ps 110 ist der Zion der Gottesberg, wie auch der Zaphon der Berg Bacals ist, ohne dass der Tempel als seine Wohnung angeredet ist. Zudem wird auch in Ez 47 nicht aus dem Gottesström getrunken. In Ez 47 ist die Fruchtbarkeitssymbolik das zentrale Motiv, da der בחלso mächtig ist, dass er viele Fische und fruchtebringende Bäume hervorrufen wird. Von dieser Motivik ist in Ps 110 nicht die Rede. In Ps 36 tränkt JHWH die Menschensöhne aus der Tempelquelle und soll die Gottlosen verwerfen. Dieses Theologumenon ist aber Ps 110 völlig fremd. Ps 110,7 ist (syntaktisch) abhängig von dem militärischen Erfolg über die Feinde, der in den Versen zuvor beschrieben wird. So liegt es nahe, dass, gerade im Anschluss an die Beschreibung militärischer Taten, ein Bild des Triumphes den Psalm beschließt anstatt die Nennung der Tempelquelle. In Bezug auf Ez 47 und Ps 36 ist festzuhalten, dass diese Stellen keinen Einfluss auf Ps 110,7 zeigen, da die zentralen Vorstellungskomplexe - Tempel, Fruchtbarkeit und Gottlose - in Ps 110 nicht vorhanden sind. Zudem fehlt in Ez 47 der Akt des Trinkens, der in Ps 110,7 beschrieben ist. Darüber hinaus macht das Fehlen des sonst konstitutiven שלוםin Ps 110,7 eine messianische Intention des Verfassers unwahrscheinlich. Eine weitere Variante der Interpretation hat Andrea Doeker vorgelegt, die in Ps 110,7 den König als Propheten beschrieben sieht. Ihre Auslegung beruht auf einer biblischen Analyse der verwendeten zentralen Wörter, nach der sie zu dem Schluss gelangt, dass die Abfolge der Lexeme בחל, דרךund שתהnur noch in II Reg 3 beim Feldzug des Elischa gegen Juda und Moab vorkomme. Die Einspielung dieser Begriffe in Ps 110,7 knüpfe daran an, sodass der Regent in die Traditionslinie Elischas gestellt und damit als Prophet gewertet werde. 396 Eine Schwierigkeit bietet diese Interpretation insofern, als die zentralen Begriffe nicht in aufeinander folgenden Versen vorkommen. Daher ist ein direkter Bezug oder bewusste Anspielung schwer nachweisbar.
395
Diese Thematik wird später noch einmal aufgenommen. S. Kapitel 6.2 Redaktionsstufe 2: Psalm 110 im Kontext der hebräischen Bibel, S. 157ff. 396 A. Doeker, Funktion der Gottesrede, 107.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
In II Reg 3,16bf. heißt es: עשה הנחל הזה גבים גבים16 כי־כה אמר יהרה לא־תראו רוח ולא־תראו נשם והנחל ההוא ימלא מים ושתיתם17 .אתם ומקניכם ובהמתכם Macht in diesem Wadi/Tal Grube für Grube! Denn so spricht JHWH: Ihr werdet weder den Wind sehen noch den Regen, aber dieses Wadi/Tal wird voll werden mit Wasser. Dann werdet ihr trinken — ihr, eure Herde und euer Vieh.
In II Reg 3,20 ist schließlich erst von einem Weg die Rede, der auch im Gegensatz zu Ps 110,7 indeterminiert ist: והנה־מים באים מדרך אדום ותמלא הארץ את־המים. Dass es sich in Ps 110,7 um einen bestimmten Weg handelt, ist zu beachten, da sonst in poetischen Texten eher die Determination fehlt, als dass sie geschrieben wird. Dies ist meines Erachtens kein Zufall. Während in Ps 110,7 der Weg bestimmt und der Bach unbestimmt ist, liegt in II Reg 3 das Gegenteil vor: Es wird von dem הנחל ההואgesprochen, sowie von מדרךund nicht מךהדרך. Dagegen spricht ebenfalls, dass der angenommene Vergleichstext von II Reg 3 nicht poetisch ist. Dies kann freilich nicht als schwerwiegendes Argument vorgebracht werden, doch ist es auffällig, da ansonsten die Texte mit Parallelen zu Ps 110 (vor allem Jes 14; aber auch Num 24; Jdc 5; Jer 48; Ez 19; Ps 2; 18; 20; 45; 89; 132) in der Poesie zu finden sind, sodass zu Ps 110 festzustellen ist, dass sich der Autor primär an anderen Königs- und Siegesliedern in Bezug auf den Aufbau des Psalms orientiert, wie auch deren Motivik aufnimmt. Dass hier ein Motiv von Freiheit oder Befreiung vorliege, wird von K. Seybold und R. Kilian stark betont. Seybold hält fest, dass V.7 nicht als Ritus, sondern als Zeichen der Befreiung zu verstehen sei. Die Wasserleitungen und Kanäle zur Stadt seien wieder offen, und man könne wieder aufrecht stehen.397 Kilian begründet seine Annahme vom Motiv der ״Freiheit" beziehungsweise des ״Lebens" in V.7 auf der Basis einer ägyptischen Parallele. ״Im ägyptischen Vorstellungsbereich ist das Haupterheben ein Zeichen des Lebens. Wer das Haupt erhebt, der lebt. Er ist aus dem Bereich des Schlafes wie des Todes erwacht und beginnt ein erneuertes, ein gestärktes Leben " 3 9 8 Überzeugend ist die Interpretation, dass das ״Haupt Erheben" ein Zeichen für Leben oder Freiheit ist, insofern, als die Geschichte des Volkes Israel oft von Fremdherrschaft oder Exil gezeichnet war. So wäre es denkbar, dass am Schluss eines Königsliedes der Wunsch nach Freiheit formuliert wird. Wie oben bereits gezeigt, liegen auch sonst viele Motive aus dem ägyptischen Raum vor, sodass eine Parallele hier 397 398
K. Seybold, Die Psalmen, 439f. R. Kilian, Relecture in Psalm 110, 247.
4.7 Motiv und Bedeutung von V. 7
107
nicht verwundert. Ob es sich hier allerdings um ein erneuertes und ge־ stärktes Leben handelt, wie dies in dem ägyptischen Beispiel der Fall ist, wird nicht ausdrücklich beschrieben. Fazit: Wie die kurze Darstellung der unterschiedlichen Interpretationen in der Forschung gezeigt hat, ist Y.7 trotz seiner einfachen grammatischen Konstruktion mit erheblichen Verständnisschwierigkeiten behaftet. Zweierlei macht ein Blick auf die dargestellten Positionen deutlich: Die V.7 vorangehenden Verse 5 und 6 haben einen militärischen bzw. kämpferischen Inhalt, sodass דרךin der Bedeutung ״Heereszug" zu verstehen ist. Zugleich ist in V.7b - ״den Kopf Erheben" - ein Bild des Triumphes, der Freiheit oder zumindest ein Bild des Lebens zu sehen. Wenn in V.7b das Kopf erheben ein Zeichen von Freiheit ist, dann ist V.7a ein Verbindungsstück zwischen dem militärischen Sieg des Königs in V.6 und seiner Freiheit in V.7b, das die militärische Koraponente des Heereszugs beinhaltet. Analyse von V. 7: בחלist biblisch zumeist mit Eigennamen verbunden, so z.B. mit Kidron, Arnon, Jabbok etc., nie aber mit dem Namen Gihon 399 . Wenn kein Eigenname folgt, ist es auch üblich, dass der Bach näher beschrieben wird, wie es in Dtn 9,21 der Fall ist: ״der vom Berg fließt". Die Tatsache, dass der Bach weder Namen noch nähere Beschreibung aufweist, spricht dafür, dass der Bach hier bewusst nicht identifiziert werden soll. Es wird gesagt, dass der König aus irgendeinem Bach am Weg trinken wird. Wenn nun kein konkreter Bach gemeint ist, liegt die Annahme nahe, dass es sich hierbei um ein Bild handelt, das beschrieben wird. Auch die anderen alttestamentlichen Stellen, an denen בחל ohne Namen oder nähere Beschreibung vorkommt, sind Bilder, die sowohl etwas Positives (z.B. Jes 66,12; Ps 36,9) als auch etwas Negatives (beispielsweise Jer 47,2) beschreiben können. Für die Interpretation, die der Targum vornimmt, ist die Stelle des נחלin Prov 18,4 zu berücksichtigen, da dort der Vergleich gezogen wird, dass die Worte aus dem Mund eines Mannes wie tiefe Wasser sind und die Quelle der Weisheit ein sprudelnder Bach ist. Es ist möglich, dass der TargumÜbersetzer in Korrelation mit dieser Stelle zu seiner Variante von V.7 gelangt ist: ״Er" erhält aus dem Mund des Propheten Weisheit/Lehre. Der Targum wird später eigens erläutert werden - hier sei festgehalten, dass der ״Bach" indeterminiert oft ein Bild impliziert. Was aber sagt das Bild aus, bei dem ein König am Ende einer Schlacht - es ist schließlich der letzte Vers - aus einem Bach trinken wird? 399
An einer Stelle wird zwar Gihon mit נחלverbunden, aber es wird gesagt, dass der Gihon im Tal בנחלliegt (II Chr 33,14). Der Gihon selbst wird nicht als ״Bach" bezeichnet.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
Schließlich bleibt zu beachten, dass der Bach hier eine besondere Rolle spielt, da er durch die Satzteilfolge betont ist. Wie oben dargestellt, sind bereits einige Annahmen zu biblischen Parallelen als Verstehenshilfen zu Ps 110,7 geäußert worden, eine jedoch wurde in der neueren Forschung übersehen: II Reg 19,24 // Jes 37,25. Es handelt sich um ein Lied, das den Feldzug Sanheribs beschreibt. Am Ende seines Feldzuges kann sich Sanherib einen Triumphzug durch die besiegten Gebiete nicht nehmen lassen - so zumindest lautet die Anklage gegen ihn. Er fällt die schönsten Zedern des Libanon, trinkt fremde Wasser (אני קרתי )ושתיתי מים זריםund lässt alle Ströme Ägyptens vertrocknen. Mit dem Trinken fremder Wasser ״will gesagt werden, daß Sanherib sich rühmt, in fremden Landen das so kostbare Grundwasser anzubohren und für seine Zwecke zu gebrauchen, was natürlich bildhaft zu verstehen ist: Er zehrt von den Gütern der Völker und scheut sich nicht, selbst das nach seinem Belieben zu verwenden, was für diese lebensnotwendig ist." 400 Das Trinken fremder Wasser ist somit ein Bild der Überlegenheit über ein besiegtes Volk. Auch in einer ägyptischen Prophezeiung lässt sich dieses Motiv an־ satzweise finden. In einer Prophezeiung eines Priesters unter König Snefra heißt es: Die Tiere der Wüste werden aus dem Strome Ägyptens Wasser trinken und sich kühlen auf ihren Sandbänken, da niemand sie fortjagt. Dieses Land wird in Verwirrung (?) sein, und niemand weiß, was geschehen wird,401
Das Wasser Trinken stellt hier ebenfalls ein Zeichen von Überlegenheit dar. Selbst die Tiere trinken das so wertvolle Wasser der Ägypter, und die Ägypter sind nicht stark genug, ihr eigenes Terrain zu beschützen und zurückzuschlagen. Der Aspekt des Trinkens fremder Wasser als provokativer Akt ist hier allerdings nicht vorhanden. Auch der jüdische Gelehrte Saadja Gaon zog bereits im frühen Mittelalter eine Verbindungslinie zwischen Ps 110,7 und II Reg 19,24 // Jes 37,25, allerdings basierte diese auf der Annahme, dass in Ps 110 Abraham die angesprochene Person sei. 402 So gelangte Saadja zu einer anderen Interpretation: Die Feinde Abrahams waren so groß, dass ihr Heer die Flüsse austrocknen konnte; trotzdem hebt Gott die Würde Abrahams, d.h. er verhilft ihm zum Sieg. Während sich vorliegende Interpretation auf den Teil des zitierten Verses stützt, in dem Sanherib als Provokation und Zeichen der Überlegenheit fremde Wasser trinkt, liegt bei Saadja das Hauptaugenmerk auf dem zweiten Teil des Verses: 400
H. Wildberger, Jesaja. 3. Teilband, 1432. Aus: H. Greßmann, Altorientalische Texte zum Alten Testament, 47. 402 Zu diesem Abschnitt über Saadja vgl. F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, 32 Bf. Eine ausführliche Darstellung der jüdischen Auslegung von Ps 110 findet sich in Kapitel 9 Rezeption und Auslegung von Psalm 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüdischer Tradition, S. 275ff. 401
4.7 Motiv und Bedeutung von V. 7
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״Ich habe gegraben und getrunken die fremden Wasser und werde austrocknen mit meinen Fußsohlen alle Flüsse Ägyptens." Den Gedanken, dass die Feinde Abrahams diejenigen sind, die die Flüsse austrocknen können, entnimmt Saadja der Talmud-Stelle bSan 95b. Hier wird ein Vergleich zwischen der Heeresgröße Sanheribs und der der Feinde Abrahams in Gen 14 gezogen, indem die Größe des Heeres von Sanherib aufgezählt und anschließend gesagt wird, dass ״sie" ebenso gegen Abraham anrückten ()וכן באו על אברהם. In Gen 14 werden schließlich vier Könige erwähnt, gegen die Abraham kämpfte. Der Gedanke, dass große Heere Flüsse auszutrocknen vermögen, wird in der Gemara in bSan 95b und bei Raschi zu dieser Stelle erklärt: Wenn die Pferde und auch Fußsoldaten durch einen Bach hindurchziehen, dann trinken sie auch aus ihm. Ein Heer müsste also riesig sein, wenn der Nil nach einem Durchzug des Heeres nicht mehr existieren würde. In Anlehnung an Saadja ist tatsächlich II Reg 19,24 // Jes 37,25 als das Interpretament zum Verständnis von Ps 110,7 zu sehen, allerdings ohne Gen 14 mit heranzuziehen. Dafür, dass es sich bei dem ״Lied Sanheribs" um einen Text mit deutlichem Bezug zu Ps 110 handelt, spricht die Tatsache, dass es sich bei II Reg 19,24 // Jes 37,25 nicht nur um einen poetischen Text, sondern sogar um ein Königs- beziehungsweise Siegeslied handelt. Zudem weist es in der Motivik des Trinkens von Wasser und in der Anmaßung, auf einen hohen Berg (= Gottesberg) zu fahren, gleiche Motivik zu Ps 110 auf. Viele der anderen Vergleichstexte zu Ps 110 finden sich in alttestamentlichen Siegesliedern: das ״sich freiwillig stellende Volk" in Jdc 5,2.9, die Kampfmotivik in Ps 18, der ״zerbrochene Herrscherstab" als Kontrapunkt in dem Klagelied in Ez 19, Jer 48 und Jes 14, der ״Sohn der Schachar" im Spottlied von Jes 14 und aus dem Bileamspruch in Num 24, dass ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen und die Schläfen der Moabiter zerschmettern wird. In diese Aufzählung reiht sich nun das Siegeslied Sanheribs ein. In Ps 110,7 geht es um die Überlegenheit über ein besiegtes Volk - dies ist das Bild, welches das Trinken aus irgendeinem Bach aussagen will. Es geht um die Tat des Wasser Trinkens aus fremden Gewässern, das heißt aus einem Gewässer, das nicht in Israel liegt. Deshalb ist נחלentgegen der üblichen Verwendung im Alten Testament indeterminiert und nicht lokalisiert. Dass der Kontext dieses Trinkens militärisch ist, geht auch aus den vorangegangenen Versen und aus der Vokabel דרךhervor. Das Bild vom ״Kopf Erheben" schließt somit den militärischen Triumph ab. Eine biblische Parallele für diesen Ausdruck kommt allerdings nicht vor. רוםim Hif il ist eine typische Psaltervokabel und hat meist Gott als handelndes Subjekt. In Ps 3,4 erhebt Gott den Kopf des Beters. In Ps 75,5f. erhebt Gott den קרןdes Beters, wie auch in Ps 89,18, 92,11 und in 148,14. In Ps 66,7 sollen sich hingegen die Widerspenstigen nicht erheben. In Ps 89,20 erhöht Gott einen Erwählten aus
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
dem Volk, in 1 Sam 2,10 den קרןseines Gesalbten, in 89,43 die Rechte seiner Bedränger. In Ps 113,7 // I Sam 2,8 erhebt Gott den Elenden aus dem Schmutz. Fast alle diese Vorkommen beschreiben JHWH als Akteur (abgesehen von Ps 66,7), während in V.7b der König selbst seinen Kopf erhebt als Zeichen des Triumphes am Ende der siegreichen Schlacht. Außerbiblische Parallelen: R. Kilian hat zu V.7 bemerkt, dass im ägyptischen Vorstellungsbereich das Haupt Erheben ein Zeichen des Lebens sei. ״Wer das Haupt erhebt, der lebt. Er ist aus dem Bereich des Schlafes wie des Todes erwacht und beginnt ein erneuertes, ein gestärktes Leben. [...] Bei den Toten ist es häufig eine Gottheit (Re oder Schu), die die Stütze ergreift, das Haupt des Toten erhebt und ihn so zu neuem Leben erweckt." 403 Zuzustimmen ist Kilian in dem Punkt, dass das Haupt Erheben ein Zeichen des Lebens ist. Der König hat die Schlacht überlebt. Die Vorstellung, dass er aus dem Bereich des Schlafes oder des Todes erwacht ist, ist in Ps 110 aber nicht präsent. In einem sumerischen Text findet sich die Beschreibung, wie der Gott Enlil den Kopf des Königs Shulgi erhebt: The immutable scepter of Nanna he placed in his hand, Upon a royal seat, which may not be overthrown, he let him raise (his) head heavenward.404
In einer sumerischen Hymne auf Lipiteschtar von Isin (ca. 1934-1924 v.Chr.) wird gleich in der ersten Zeile des Liedes der König besungen, der stolz sein Haupt erhebt: Lipiteschtar, König, der (stolz) das Haupt erhebt, Fürst des
Hochsitzes.^
Hier wird deutlich, dass das Haupt Erheben nicht zwingend mit einer vorherigen Notsituation verbunden sein muss. Es kann lediglich ein Zeichen von königlichem Stolz sein, der durch die Gottheit vermittelt wird. Fazit: Als Ergebnis der Interpretation von V.7 bleibt festzuhalten, dass sowohl das Motiv des ״Trinkens aus einem Bach" als auch das des ״Weges" aus dem militärischen Bereich stammen. Während in V.6 der Kampf geschildert wird, beschreibt V.7 das Ende der Schlacht. Das ״Trinken aus einem Bach am Weg" oder auch ״das Trinken fremder Wasser" ist ein feindlicher, provokativer Akt als Zeichen der Über403 404 405
R. Kilian, Relecture in Psalm 110, 247. W.W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture. Vol. 1, 553. TUAT II, Religiöse Texte: Lieder und Gebete I, 681.
4.7 Motiv und Bedeutung von V. 7
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legenheit über das besiegte Volk, ״der Weg" ist der Feldzug, das ״Kopf Erheben" ist Zeichen des abschließenden Triumphes. Auffallig ist, dass die untersuchten Motive von V.7 größeren Anklang an außerbiblische altorientalische Texte haben als an biblische. Ein WegLexem in der Bedeutung des Feldzuges ist im Akkadischen und Ägyptischen weit häufiger als im Hebräischen. Ebenso wird das ״Kopf Erheben" nicht typisch alttestamentlich verwendet. Weiterhin fehlt der Bezug von Gott zu seinem Volk. Deshalb ist es nicht möglich, in V.7 das Exodus-Motiv zu entdecken. Der einzige biblische Bezugspunkt zu Ps 110,7 ist in II Reg 19,24 // Jes 37,25 erkennbar: Auch hier handelt es sich um ein Siegeslied, in dem der Triumph am Ende eines Krieges durch das ״Wasser Trinken" ausgedrückt wird. Im entfernten Sinne ist K. Seybold zuzustimmen, der V.7 als Bild von Freiheit deutet. Im Ge~ gensatz aber zur Ansicht Seybolds, dass es sich eventuell um eine eigene belagerte Stadt handelt, soll hier die These vertreten werden, dass in Ps 110,7 ein Feldzug in einem fremden Gebiet beschrieben wird, da es sich bei dem Trinken - analog zum Sanherib-Lied - um fremdes Wasser handelt und diese Handlung somit als ein provokativer Akt im Zuge des Triumphes zu verstehen ist. Von daher ist die Freiheit ein־ deutiger mit militärischem Triumph verbunden, als das wohl bei Seybolds Interpretation der Fall ist. Die Annahme, dass V.7 den Teil eines königlichen Festritus darstellt, ist nicht zu vertreten. V.7 steht bewusst am Schluss des Psalms und bildet den triumphalen Abschluss, sodass hier keine asyndetische Aneinanderreihung von Botschaften, Traditionen oder Riten vorliegt.406 Vielmehr bildet V.7 den Schluss einer gezielten Anordnung. Ein Beispiel aus der Wirkungsgeschichte soll die These von V.7 als bewussten Abschluss des Psalms unterstützen. Die Vv.6 und 7 im Zusammenhang des Siddurs Im Siddur werden lediglich die Vv.6 und 7 von Ps 110 innerhalb des Gebets אב״ "הרחמיםgesungen. Dies ist ein Teil des Schacharit-Schabbats. Das Gebet אב הרחמיםwird nach der Tora-Lesung gesungen, nicht jedoch an Feiertagen und am Rosch Chodesch, da der Text zu traurig ist. Das Zitat aus Ps 110 bildet hierbei den Schluss von insgesamt fünf Bibelstelien, die alle um das Thema des verfolgten Israels und Gottes Rache dafür an den Fremdvölkern kreisen. Diese sind: Dtn 32,43: Bringt, ihr Fremdvölker, sein Volk zum Jauchzen; denn er wird das Blut seiner Knechte rächen. Er wird Vergeltung üben an seinen Feinden und sühnen sein Land, sein Volk! Und durch deine Knechte, die Propheten, steht geschrieben: Joel 4,21: Dann werde ich (sie) ungestraft lassen. Ihr Blut aber will ich nicht ungestraft lassen, während JHWH auf dem Zion wohnt. Und in den heiligen Schriften wird gesagt: 406
Vgl. z.B. H.-J. Kraus, Die Psalmen II, 936.
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4 Traditions geschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
Ps 79,10: Wozu sagen die Völker: ״Wo ist ihr Gott?" Lass unter den Völkern vor unseren Augen bekannt werden die Rache des Blutes deiner Knechte, das vergossen ist. Und es wird gesagt: Ps 9,13: Denn der, der ihr Blut fordert, gedenkt ihrer und vergisst nicht das Geschrei der Elenden. Und es wird gesagt: Ps 110,6.7: 6 Dann wird er richten unter den Völkern. Er füllt (Täler mit) toten Körpern auf, er zerschlägt Köpfe auf der Erde reichlich. 7 Daraufhin wird er aus einem Bach am Weg trinken, deshalb wird er den Kopf erheben. Das gemeinsame Thema dieser zitierten Verse sind das verfolgte Volk Israel und die Rache, die Gott an den verfolgenden Völkern vornehmen wird. Auch hier steht Ps 110,7 am Schluss, und das ist kein Zufall. Wie in Ps 110 stehen die brutalen Bilder (hier von Blut und Rache) vorweg, und es endet mit dem Trinken aus einem Bach und dem Erheben des Kopfes. Hier wird eher ein Bild von Unterdrückung mit anschließender Freiheit entworfen; Wer aus einem Bach trinken und danach seinen Kopf heben kann, ohne dass ihm Feinde in den Rücken gefallen sind, der lebt und ist frei. Es steht an dieser Stelle die Hoffnung, dass die Verfolgung des Volkes Israel ein Ende haben wird und dass es dann möglich ist, in Freiheit zu leben. Auch hier ist der Zusammenhang eindeutig kriegerisch: Es ist kein Krönungsritual, es wird weder vom ״Tempelstrom" noch vom ״Blut Trinken" gesprochen noch von einer Prophetie. Der Bedeutungsschwerpunkt verlagert sich allerdings etwas: Während Ps 110 von einem König handelt, der mächtig ist und fremde Länder erobert, wird hier der Akzent auf die momentane Verfolgung gelegt. Das Motiv der Verfolgung kommt in Ps 110 nicht vor, ebenso wenig wie die Vorstellung, dass Gott den Elenden helfen wird.
4.8 Zusammenfassung Zu den verwendeten Traditionen und zur Motivik in Ps 110 ist Folgendes hervorzuheben: 1. Ps 110 weist eine hohe Übereinstimmung bezüglich der Motivik mit Texten oder Darstellungen aus der Umwelt des antiken Israel/Juda auf; hierbei sticht besonders die Verwandtschaft zu dem Siegeslied auf Thutmose III. hervor. 2. Ps 110 weist diverse Übereinstimmungen in der Motivik mit griechischen Texten auf, mit den Schriften Homers einerseits, andererseits mit den alexandrinischen Liedern von Theokrit und Kallimachus aus der Zeit der Ptolemäerherrschaft. Die deutlichste Parallele stellt die Vorbildfunktion des Herakles dar, der die Rolle des Melchisedek in Ps 110 entspricht. Daneben sind die ähnlich verwendeten Motive des Gottesberges, der ״Morgenröte" als anthropomorphe Gottheit, das zur Rechten Sitzen des
4.8 Zusammenfassung
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Königs neben Zeus und die parallele Schilderung von Apollo und dem ptolemäischen König im Kampf zu nennen. 3. Ps 110 weist eine hohe Übereinstimmung in Motivik und Vokabular innerhalb des Alten Testaments vor allem oder fast aus־ schließlich mit poetischen Texten auf, dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Spottlied auf den gefallenen König von Babel in Jes 14. Ebenso zeigen das Siegeslied auf Sanherib eine parallele Motivik zu V.7, das Deborahlied zum Beginn von V.3, die Bileam-Prophetie zu der Einleitung in V.l wie zu den Vokabeln מחץund ;רדהwie auch die sogenannten Königspsalmen im Allgemeinen. 4. An zwei Punkten finden sich Indizien für die Annahme später redaktioneller Eingriffe in den Text. Zum einen stellt die Punktierung der Masoreten in V.3c eine andere Interpretation als die ursprüngliche Geburt des Königs als Kind von JHWH und der ״Morgenröte" dar. Zum andern legt sich nahe, das Motiv des ״Nicht Reuens" JHWHs in V.4aß als Einfügung zu betrachten, da keine Parallelstellen in poetischen Stücken in oder außerhalb der Bibel nachweisbar sind. Hinzu kommt, dass sich hier ein einzelnes prosaisches Element findet. Wie in zahlreichen Beiträgen zur Analyse von Ps 110 bereits herausgearbeitet wurde, bewegt sich der Dichter von Ps 110 im Bereich altorientalischer Motivik. Bei seiner Verwendung von anderen KönigsHedem beschränkt er sich nicht auf die Traditionen einer Kultur, sondem greift auf biblisches wie außerbiblisches altorientalisches und frühhellenistisches - genauer gesagt alexandrinisches - Gut zurück. Bekannte Mythen und Siegeslieder der Umwelt des antiken Israel/ Juda finden ihre Anspielungen in Ps 110, nur ist in Ps 110 weder Bacal noch Amun-Re noch Zeus die den König unterstützende Gottheit, sondem JHWH. So findet sich altorientalisches Gedankengut in Ps 1 1 0 Israel/Juda war schließlich Teil der Welt des Alten Orients. Die Bedeutungen und Traditionen der einzelnen Motive aber sind nicht nur identisch mit denen der ägyptischen Siegeslieder, sondern die einzelnen Motive sind ebenso Teil der Theologie der Hebräischen Bibel. Diese Kombination aus altorientalischer außerbiblischer Motivik und alttestamentlicher Theologie in Ps 110 lässt sich an der Verwendung des Motivs der ״Feinde als Fußschemel" erkennen. Dafür, dass die Feinde des Königs als Schemel seiner Füße dargestellt werden, gibt es gerade in der ägyptischen Ikonographie des Neuen Reiches zahlreiche Beispiele. In Ps 110 wird dieses Motiv ebenfalls verwendet, aber bewusst indeterminiert von ״einem Schemel deiner Füße" gesprochen, da im Gegensatz zur weiteren alttestamentlichen Verwendung dieses Bildes der Fußschemel Gott zugehörig ist. Der Fußschemel ist sonst eine Darstellung der Erde, des Zion oder Israels und vor allem positiv konnotiert. Der Autor von Ps 110 musste daher einen Unterschied
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4 Traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Psalm 110
schaffen, um dieses Motiv einzuarbeiten und den Fußschemel mit den Feinden des Königs verbinden zu können. Er tat dies, indem er die Genitiv-Verbindung umschrieb. Ähnlich arbeitete der Autor bei בהדרי־קדש. Auch hier liegt zwar in den Psalmen eine Constructus-Verbindung aus denselben Wörtern ( )בהדרת־קדשvor, aber der status constructus beziehungsweise das grammatische Geschlecht des ersten Wortes ist anders gewählt. In den Psalmen wird in heiligem Schmuck JHWH angebetet - in Ps 110 ist dies nicht der Fall, sodass hier der Verfasser einen Unterschied markiert, vermutlich in Anlehnung an ägyptische Motivik des Siegesliedes auf Thutmose III.; seine Majestät lässt Amun-Re in jeder Strophe erstrahlen. Noch ein anderes Beispiel sei zu dieser Art der Integration von Motiven genannt: das Motiv des Herrscherstabes. In den anderen sogenannten Königspsalmen ist der Herrscherstab mit שבטwiedergegeben, während in Ps 110 die UmSchreibung מטה־עזךbegegnet. Es ist denkbar, dass der Autor gerade keine Verbindung zu den Psalmen 2 und 45 schaffen wollte, denn die Aussage dieser Psalmen ist eine andere als die von Ps 110. In Ps 45 ist das Zepter ein gerechtes ( )מישרZepter, in Ps 2 ist der שבטein Zeichen von Macht über die Feinde. In Ps 110 hingegen wird gesagt, dass der Herrscherstab vom Zion ausgehen wird, damit der König inmitten der Feinde herrschen kann. Es geht darum, dass der Herrscherstab (nun wieder) aufgerichtet werden soll. Er liegt nicht zerbrochen am Boden, wie Jer 48,17; Ez 19,11-14 und vor allem das Spottlied in Jes 14 dies ausdrücken, die als Parallelen zur Analyse herangezogen wurden, sondern es wird ein König kommen, der wieder in Israel herrschen wird. So wird das Zepter des Königs nicht als שבט, sondern als מטה wiedergegeben. Ein weiteres typisch altorientalisches Motiv liegt in der Nennung des Gottesberges vor. In biblischen Texten ist dies der Zion (oder auch der Sinai/Horeb, ebenso der Zaphon), in ugaritischen Texten der Zaphon, in griechischen der Olymp. Trotz seiner Nennung kommt dem Zion hier zumindest explizit keine zusätzliche theologische Bedeutung zu, insofern, als er sonst das Ziel von Völkerwallfahrt oder -kämpf oder den Grund für Klage oder Lob darstellt. Es ist der Ort JHWHs, denn JHWH wird vom Zion aus den Stab der Herrschaft senden. Auch hier könnte biblisch Jes 14 als eine Art ״Deutefolie" gedient haben, da der Berg des äußersten Nordens als Gottesberg genannt wird, aber auch im Psalter allgemein findet sich die Vorstellung des Zion als Ort JHWHs. Die Mitte von Ps 110 stellt ein charakteristisches Bild des altorientalischen Herrscherkults dar: in Form des in masoretischer Schreibweise so schwer - aber nicht unmöglich - verständlichen V.3. Dass der König von einer Gottheit oder einem Götterpaar geboren wird, ist typisch für altorientalische Königsideologie. Um zu diesem Bild zu gelangen, ist es notwendig, aufgrund der Septuaginta Änderungen an der masoretischen Punktation vorzunehmen: Der König ist von JHWH gezeugt worden und erhält die Bezeichnung Tau. Der Tau als Königs-
4.8 Zusammenfassung
115
attribut hat in der hebräischen Bibel kein Pendant, in Ugarit aber ist die Tallay (der Tau) eine Tochter des Bacal. In Ägypten entsteht Hatschepsut aus dem göttlichen Tau. Die Vorstellung, dass JHWH den König gezeugt hat, findet sich biblisch ebenfalls in Ps 2. Dass der König der Sohn der ״Morgenröte" ist, ist in Jes 14 präsent. Was als typisch israelitisches Phänomen auf den ersten Blick auffallt, ist die Vorbildfunktion des Melchisedek. Melchisedek ist eine Figur aus der ״Vorgeschichte" Israels/Judas. Aber auch an dieser Stelle sind parallele Texte aus der Umwelt Israels anzuführen. In hellenistischen Dichtungen, vor allem von Kallimachus und Theokrit, wird dem König ebenso ein großer Vorfahr vorangestellt - Herakles. Gerade in der genannten hellenistischen Dichtung werden kämpfender Gott und kämpfender Herrscher gegenübergestellt, wie dies in Ps 110 die Verse 5 und 6 umsetzen. In V.7 wird dann von einem Siegeszug durch ein fremdes Land gesprochen. Die Eroberung von feindlichem Gebiet ist ebenfalls in altorientalischer Literatur und in frühhellenistischer Dichtung häufig präsent. Ungewöhnlich und stilistisch nicht übereinstimmend mit den anderen biblischen Belegstellen aus den Prophetenbüchern ist die Einleitungsformel נאם יהוה. Da diese Verwendung am Anfang einer Gottesrede, biblisch betrachtet, ungewöhnlich ist, könnte dies eine Übertragung von ägyptischen oder assyrischen Redeeinleitungen in Form von ״Gesprachen von XY" darstellen. Num 24 könnte hier ebenso als Vorlage gedient haben, da auch in diesem Text eine Rede mit נאםeingeleitet wird - es ist aber nicht ausdrücklich eine Rede JHWHs.
5 Schlussfolgerungen der literarischen Analyse
5.1 Literarkxitische Entscheidungen Am Ende der literarischen Analyse ist es nun möglich, literarkxitische Entscheidungen zu treffen: Der Konsonantentext von Ps 110 erweist sich im Großen und Ganzen als einheitlich - lediglich die Wendung ולא ינחםzeigt einige Auffälligkeiten. Innerhalb der Beobachtungen zum Sprach- und Motivschatz des Psalms wurde festgestellt, dass die Benutzung von נחםauf nicht-poetisehe Texte außerhalb des Psalters verweist. Die Wurzel בחםist zwar im Psalter nicht einzigartig, das Motiv aber, dass Gott eine seiner früheren Taten nicht bereut, ist nur in Ps 110,4 vorhanden.407 Dass JHWH etwas bereut, hat keine Parallele in poetischen Texten der hebräischen Bibel, eher im Gegenteil: Innerhalb des zweiten Bileam-Spruchs wird in Num 23,19 dezidiert gesagt, dass Gott kein Mensch sei, der lügt und Taten bereut. Darüber hinaus wird נחםim Psalter durchweg als ״trösten" und nicht als ״reuen" verstanden. Dass JHWH überhaupt etwas bereuen kann, vor allem hinsichtlich König oder Königtum, verweist auf die Saul-David-Geschichte, in der JHWH sagt, dass er es bereut hat, Saul zum König gemacht zu haben (I Sam 15,1 laa.35b): נחמתי כי־המלכתי אהדשאול ל מ ל ך11 Ich bereue, dass ich Saul zum König gemacht habe. ויהוה נחם כי־המליך את־שאול על־ישראל35 Und JHWH bereute, dass er Saul zum König über Israel gemacht hatte.
Während die anderen Motive ihre biblischen Parallelstellen alle in poetischen Texten haben, weist das Motiv der Reue JHWHs auf einen prosaischen Text aus den Königsgeschichten zurück. Die anderen tragenden Worte des Psalms haben ihre Parallelen in Liedtexten, in und außerhalb des Psalters. Auch in der traditionsgeschichtlichen Untersuchung des Psalms fallt auf, dass es zwar außerbiblisch die VorStellung gibt, dass eine Gottheit zürnt - das ist sogar recht häufig der Fall das Motiv hingegen, dass sie einen Schwur nicht bereuen wird, findet sich nicht in außerbiblischen Texten. Zudem ist der syndetische 407
Am nächsten verwandt in dieser Hinsicht ist Ps 106,45. Dort reut es Gott, dass er über sein Volk Feinde hat herrschen lassen.
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5 Schlussfolgerungen
der liierarischen
Analyse
Satzanschluss als Kennzeichen prosaischer Texte auffällig, da der Psalm sonst viele poetische Kennzeichen, wie eine ungewöhnliche Wortstellung, eine Alliteration, Ellipse, Hyperbata, oder Bildsprache im Allgemeinen, Chiasmus oder Reim, aufweist und auf prosaische Merkmale (Artikel, nota accusativi, waw als syndetischer Satzanschluss) verzichtet. Darüber hinaus ist in Vers 4a von den genannten Poesie kennzeichnenden Stilmitteln nichts zu linden - man könnte lediglich im Gegenüber von ״schwören" und ״nicht reuen" einen Parallelismus entdecken. Ein viertes und letztes Argument für die Beurteilung von ולא ינחםals redaktionellen Zusatz liegt in der Struktur des Psalms. Ps 110 ist so aufgebaut, dass die finiten Verben oft in einer Art Chiasmus stehen. Teil 1 ist nach dem Schema imperativ - (x)~Imperfekt//x-Imperfekt imperativ aufgebaut. Teil 2, um den es hierbei geht, folgt dem Schema Nominalsatz mit zeitlichem Attribut und einer Chabarerweiterung - xPerfekt//Perfekt - Nominalsatz mit zeitlichem Attribut und einer Chabarerweiterung. Ein weiteres fmites Verb sprengt die kunstvoll angelegte Mitte des Psalms. Es legt sich nahe, außer in V.4 noch eine zweite Art der Redaktion in Ps 110 zu vermuten. Es wurden drei Auffälligkeiten im masoretischen Text bemerkt (משחר, לדתיך:, )ולא ינחם, die ihrerseits keine Parallelen in biblischen Sieges ״oder Triumphiiedern oder in außerbiblischen Königsliedern haben. Während die Wendung ולא ינחםsich, wie oben gezeigt, als redaktionelle Erweiterung erweist408, die sich nicht in parallelen poetischen Texten findet, ergibt sich für משחרund ילדתיך, dass beide Begriffe relevante Parallelstellen aufweisen, nur nicht in masoretischer Punktation. ילדתיךals Verb gelesen (״ich habe dich geboren/ gezeugt") ist durch altorientalische Parallelen bestens belegt: Dass die oberste Gottheit den König zeugt, ist im Alten Orient eine gängige Vorstellung. Die Punktation ילךתיךlegen auch die LXX, Peschitta, die hebräischen Spalten der Hexapla des Origenes und zahlreiche hebräische Handschriften nahe. Ebenso gut bezeugt ist die Lesart משחר ״aus der Morgenröte" statt משחר. Zu der Motivik der Morgenröte existieren parallele Vorstellungen gerade in außerbiblischen Texten. Die Morgenröte Schachar stellt eine Gottheit im Alten Orient dar, ebenso die Eos in griechischer Mythologie. Dass ein König als Sohn der Schachar bezeichnet wird, ist sogar biblisch in Jes 14,12 belegt. Hier wird der König von Babel als הלל בךשחרbezeichnet. Dadurch, dass beide Formen ( משחרund )ילדתיךmit einer vom masoretischen Text abweichenden Punktation sowohl Parallelen vorzuweisen haben als auch keine Schwierigkeiten hinsichtlich der hebräischen Grammatik bieten und zudem von anderen zahlreichen wichtigen Textzeugen belegt sind, legt es sich nahe, die masoretische Punktation an dieser 408
Die dahinter stehende theologische Intention des Redaktors wird in Hauptteil B: Innerbiblische Exegese behandelt.
119
5.2 Vergleichende Darstellung von Ps 110 mit Jes 14
Stelle als Redaktion zu betrachten. Die Intention dieser Redaktion wird ebenso wie die der Hinzufugung ולא ינחםim folgenden Hauptteil diskutiert. Obwohl in der alttestamentlichen Forschung nahezu allgemein anerkannt ist, Psalm-Überschriften als sekundär den Psalmen hinzugefügt anzusehen409, sollte auch dies bei Ps 110 untersucht werden - dieser Frage wird im Anschluss an Kapitel 5.6 Entstehungssituation von Psalm 110 nachgegangen. 5.2 Vergleichende Darstellung von Psalm 110 mit Jes 14 Jes 14 (MT) 410
Ps 110
4
Und dann wirst du diese Spottverse über den König von Babel anstimmen und wirst sagen:
5
״Zerbrochen hat JHWH den Stab der Gottlosen, das Zepter der Herrschenden,
Den Stab deiner Macht wird JHWH vom Zion her ausstrecken
6
das schlug die Völker in Wut - ein Schlag ohne Aufhören, das beherrschte in Zorn die (Fremd-)Völker, es wurde zur Jagd aufgerufen ohne Zurückhaltung. 411
JHWH ist an deiner Rechten. Er zerschlägt am Tag seines Zorns Könige,
7
Die ganze Erde ruht sich aus, ist still, (jetzt) brechen sie in Jubel aus.
8
Auch die Zypressen freuen sich über dich und die Zedern des Libanon: ,Seit du liegst, kam keiner herauf, der uns fällt.'
9
Die Scheol unten erzittert vor dir, deinem Kommen entgegen, er erweckt für dich Totengeister, alle Anführer der Erde, er lasst aufstehen von ihren Thronen alle Könige der (Fremd-)Völker. 412
409 Vgl jy[_ Leuenberger, Konzeptionen des Königtum Gottes, 35. 410 Die Parallelen zwischen beiden Texten sind kursiv gesetzt. 411 MT liest hier ein Hof al: ״Es wurde zur Jagd aufgerufen ohne Zurückhaltung". lQIs 3 bezeugt hier wohl eine Pi c el-Form ()מרדף: ״Es jagte ohne Zurückhaltung". 412 Diese Stelle bietet im MT eine interessante Abweichung zur Jesaja-Rolle: In lQIs a sind alle Verbformen weiblich: רגזה, רה.. עund הקימה. Der masoretische Text hingegen sieht ein männliches Subjekt hinter dem ״Aufwecken" und ״Aufstehen Lassen", das nicht benannt wird. Die meisten Kommentare (wie z.B. BK u. ATD) sehen hier einen masoretischen Punktierungsfehler und verstehen die beiden letzt genannten Verben als Infinitive, die weiterhin die ״Scheol" zum Handlungsträger haben. Im HThK.AT z.St. wird die Scheol zugleich als Ort und als ״eine Art
120 10
5 Schlussfolgerungen Sie alle werden antworten und dann werden sie zu dir sagen: ״Auch du wurdest schwach gemacht 413 wie wir, mit uns bist du gleichgesetzt worden.
der liierarischen
Analyse
[damit] er richten wird unter den (Fremd-) Völkern.
11
Dein Stolz wurde zur Scheol hinuntergebracht im Klang deiner Harfen, unter dir wird zum Lager ausgebreitet werden die Made und deine Decke über den Wurm.
In heiligem Schmuck
12
Wie bist du aus dem Himmel gefallen, HeIel, Sohn der Schachar, du wirst in Stücke geschlagen für die Erde, Sieger über die (Fremd-)Völker!
aus dem Mutterleib der Schachar habe ich dich - dich den Tau - gezeugt.
13
Und du hast gesprochen in deinem Herzen: ,Zum Himmel will ich aufsteigen, über den Sternen Eis will ich meinen Thron errichten. Und ich will sitzen auf dem Versammlungsberg am äußersten Norden.
Spruch JHWHs zu meinem Herrn: ״Sitz zu meiner Rechten, Den Stab deiner Macht wird JHWH vom Zion her ausstrecken
14
Ich will hinaufsteigen zu den Höhen der Wolke, ich will gleich sein dem Höchsten!'
15
Aber zur Scheol wirst du gebracht werden, zur äußersten Zisterne.
16
Deine Blicke werden auf uns fallen, auf uns werden sie schauen: Das ist der Mann, der die Erde in Erregung versetzt hat, der erschüttert hat die Königreiche,
17
der den Erdkreis zur Wüste machte und seine Städte zerstörte. Er eröffnete seinen Gefangenen keinen Weg nach Hause.
18
Alle Könige der (Fremd-)Völker - sie alle liegen in Herrlichkeit jeder in seinem Haus.
19
Du aber wurdest hingeworfen weg von deinem Begräbnis wie ein verabscheuter Spross, bekleidet mit Getöteten, vom Schwert Durchbohrte, die zu den Steinen der Zisterne hinabgefahren sind, wie ein zertretener Leichnam.
Er füllt (Täler mit) toten Körpern,
Personifikation im Sinne eines Herrschers mit der Verfügungsgewalt über die Schatten" gesehen (W.A.M. Beuken, Jesaja, 86). M. E. liegt jedoch mit Blick auf den Qumran-Text die Vermutung nahe, dass die Masoreten hier keinen ״Fehler" gemacht, sondern eine Interpretation vollzogen haben: Ihrer Auffassung nach ist Gott derjenige, der in der Scheol handelt - die Scheol kann nicht selbst als Person Handlungen vollziehen. 413 MT liest hier ein Pu'al, während die Jesaja-Rolle das Verb im Aktiv (rrrrbn) versteht: ״Du bist schwach geworden".
121
5.2 Vergleichende Darstellung von Ps 110 mit Jes 14 20
21
Du wirst dich nicht mit ihnen im Grab vereinigen, denn du hast dein Land vernichtet, dein Volk hast du getötet. Man wird nie mehr das Geschlecht des Bösen nennen.
Dein Volk ist Freiwilligkeit am Tag deiner Macht.
Richtet her für seine Söhne den Schlachtplatz wegen der Sünde ihrer Väter, sodass sie nicht aufstehen, das Land in Besitz nehmen und das Angesicht des Erdkreises mit Städten füllen werden.
Aus einem Bach am Weg wird er (daraufhin) trinken, deshalb wird er den Kopf erheben.
i-.-r
Nach Wildberger lässt sich dieser Maschal von Jes 14 in fünf Abschnitte einteilen: Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt
I (4b-8): II (9-11): III (12-15): IV (16-17):
Abschnitt V (18-20):
Das Ende des Königs wird ״beklagt". Empfang und Geschick im Totenreich Der Sturz des Himmelsstürmers Vergegenwärtigung der Gedanken derer, die vor der Leiche des Frevlers stehen kein ordentliches Weilen in der Scheol, keine Nachkommen 4 ' 4
Es fällt auf, dass sich diese fünf Abschnitte in fast identischer Reihenfolge ebenso in Ps 110 finden. So lässt sich aufgrund der Gegenüberstellung von Jes 14,4b-21 und Ps 110 folgendes Ergebnis festhalten: Alle oben genannten Abschnitte des Spottliedes von Jes 14 sind auch — in antonymer Parallelität - in Ps 110 präsent. Dafür lassen sich folgende Beobachtungen anfuhren: Die Reihenfolge der Abschnitte ist bis auf den Anfang identisch lediglich die ersten beiden sind chiastisch. Während der Maschal mit dem von JHWH zerbrochenen Herrscherstab einsetzt (Abschnitt I), folgt dieser in Ps 110 erst in Vers 2 nach der Aufforderung zu Beginn, der König solle sich zur Rechten JHWHs setzen. In Jes 14,9-11 wird als zweiter Abschnitt des Liedes die Anmaßung des babylonischen Königs geschildert, so sein zu wollen wie der höchste Gott - diese Aussage gipfelt noch einmal in Vers 14. Der König errichtet sich eigens seinen Thron im Himmel und setzt sich zudem auf den Gottesberg Zaphon. In Ps 110 hingegen wird der König von JHWH gebeten, sich neben ihn zu setzen. Der Gottesberg Zion ist der Sitz JHWHs, der von dort aus dem König seine Macht verleiht. Die Überheblichkeit des babylonischen Königs wird bestraft, indem ״sein Stolz" zur Scheol hinabgebracht wird. Der israelitische/judäische König aus Ps 110 hingegen steht in heiligem Schmuck. Dieser wird 414
Vgl. H. Wildberger, Jesaja II, 541.
122
5 Schlussfolgerungen
der liierarischen
Analyse
von seinem Volk geachtet, das ihm freiwillig zur Seite steht, jener aber hat sein eigenes Volk vernichtet (V.20). Es wird über den babylonischen König gespottet, dass er den מיםnun gleich sei, während in Ps 110 JHWH andere Könige besiegt, damit der König unter den גריםriehten wird. Die Mitte beider Lieder (Abschnitt III bei Jes 14,12; Ps 110,3) bildet die Beschreibung der Könige als Söhne der Morgenröte. In Ps 110 ist dies eine hohe Auszeichnung, mit der der König versehen wird: er ist der Sohn von JHWH und einer weiteren Gottheit, der Morgenröte. Er stammt also direkt von göttlichen Gefilden ab. In Jes 14,12 hingegen fallt der Sohn der Morgenröte aus den himmlischen Sphären heraus und stürzt in die Scheol. Im vierten Abschnitt (Jes 14,16-17) wird die ohne Grab hingeworfene Leiche des babylonischen Königs beschrieben. In Ps 110 füllt der israelitische/judäische König ganze Täler mit den Leichnamen fremder Herrscher auf, während der König von Babel selbst zu den aufgehäuften Leichnamen zählt, denn er ist mit anderen Leichnamen ״bekleidet". Während Ps 110 daraufhin mit dem Bild eines triumphierenden Königs endet, wird über den König von Babel gesagt, dass sein Geschlecht komplett ausgerottet und keiner sich in Zukunft an ihn erinnern wird (Abschnitt V). Mit Ausnahme von Ps 110,4 sind alle Motive aus Ps 110 in Jes 14,4b21 in antonymer Weise präsent. Dieses Fehlen könnte durch zwei Beobachtungen erklärt werden: 1) Dass JHWH einen Schwur leistet, findet sich direkt im Anschluss an das Spottlied (V.24). Der Verfasser von Ps 110 könnte dies mit im Blick gehabt haben. 2) Das Motiv des Priester-Seins in Ewigkeit kann ebenso eine parallele Antonymität in Jes 14 und Ps 110 aufweisen; nur muss der Autor von Ps 110 Gen 14 bereits gekannt haben. In Jes 14,14 wird dem babylonischen König vorgeworfen, er habe sich mit ״Elyon" gleichzusetzen versucht, während in Ps 110,4 (vor dem Hintergrund von Gen 14 gelesen) der König dem Elyon ein Priester in Ewigkeit sein soll. Er soll ein Priesterkönigtum für ״Elyon" verkörpern, wie Melchisedek dies ausübte. Durch diese hohe Ähnlichkeit beider Texte ist davon auszugehen, dass dem Autor von Ps 110 das Spottlied aus Jes 14 bereits vorgelegen hat.
5.3 Synoptischer Vergleich von Ps 110 mit ausgewählten
Liedern
123
5.3 Synoptischer Vergleich von Psalm 110 mit ausgewählten Liedern In der traditions- und motivgeschichtlichen Untersuchung wurden vier Dichtungen häufiger als andere als Paralleltexte herangezogen, sodass diese jetzt synoptisch dargestellt werden. 415 Psalm 110 In Bezug auf David: ein Psalm
Jes 14 משלüber den König von Babel
Spruch JHWHs zu meinem Herrn:
״Sitz zu meiner Rechten,
bis ich deine Feinde zu einem Schemel deiner Füße mache."
Thutmose III.
Gesprochen von Amun-Re
״Zum Himmel will ich hinaufsteigen, über den Sternen Eis will ich meinen Thron errichten." (antonym) ״Du wirst in Stücke geschlagen, Sieger über die (Fremd-) Völker!" (antonym)
Apollo sitzt zur Rechten des Zeus; über Ptolemaios: Neben ihm sitzt Alexander, [,..] gegenüber ist der Sitz des Herakles
(Ägypt. Ikonographie)
״Ich lasse die sich gegen dich empören unter deine Sandalen fallen."
Alexandrinisch Mit Zeus wollen wir beginnen [...], unter den Menschen hingegen soll Ptolemaios bei den Ersten genannt werden. 416
Num 24,16: Spruch d. Hörers der Rede Gottes
״Ich setze dich ein auf den Thron des HORUS."
(Ägypt. Ikonographie)
415
Biblisch
Ps 18,39: ״Ich werde sie zerschmettern, sodass sie nicht aufstehen können. Sie werden unter meine Füße fallen."
Die ausschlaggebenden Vergleichsstellen sind fett gedruckt. Die ägyptischen Parallelen sind zitiert nach J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete. 416 Theokrit, Gedichte, 128 bzw. 129 Z. 3-3. Auch im Lobgedicht auf Apollo von Kallimachus wird Apollo gleich zu Beginn genannt (Z.l).
124
5 Schlussfolgerungen
Den Stab deiner Macht wird JHWH ausstrecken
Zerbrochen hat JHWH den Stab der Gottlosen, das Zepter der Herrschenden, (antonym)
vom Zion her
[ ״...] und ich will sitzen auf dem Versammlungsberg im äußersten Norden." Das [seil. Zepter] beherrschte ( ) ר ד הim Zorn die (Fremd-) Völker Denn du hast dein Land vernichtet, dein Volk hast du getötet.
״Herrsche ( )רדהin der Mitte deiner Feinde!" Dein Volk ist FreiWilligkeit
am Tag deiner Macht.
Analyse
Ez 19,11־ 14; Jer 48,17: Wie ist zerbrochen der Stab der Macht, d. Stecken von Schmuck? (antonym) Num 24,17: Ein Zepter ()שבטvon Israel aus
Num 24,19: Er wird herrschen ()רדהvon Jakob aus. J d c 5,2: Während sich das Volk freiwillig stellt, lobt JHWH!
In heiligem Schmuck
Dein Stolz wurde zur Scheol hinunter gebracht, (antonym)
Ich zeige ihnen Deine Majestät...
aus dem Mutterleib der Morgenröte habe ich dich - den Tau - gezeugt. 418
Wie bist du vom Himmel gefallen, Helel, Sohn der Morgenröte!
... als funkelnden Stern
417
der liierarischen
Ps 21,6b: הוד והדר legst du auf ihn [seil, den König],
Golden ist die Tunika von Apollo u. golden ist sein Mantel [...]: Auch sind golden seine Sandalen. 417
Nach LCL, Callimachus, 50 Z. 32ff. Auf diese Stelle wurde bisher noch nicht eingegangen. 418 Zu dieser Übersetzung s. S. 89.
5.3 Synoptischer Vergleich von Ps 110 mit ausgewählten
Liedern
Apollo ist immer seinem Eid treu.
JHWH hat geschworen und wird es nicht reuen
—
—
Nur in Prosa: I Sam 15,11.35
״Du bist Priester in Ewigkeit in Nachahmung Melchisedeks."
JHWH ist an deiner Rechten Er zerschlägt am Tag seines Zorns Könige, [damit] er richten wird unter d. (Fremd)״ Völkern (•־,־n). Er lullt (Täler mit) toten Körpern,
er zerschlägt Köpfe auf der Erde reichlich.
125
—
Uber Ptolemaios: Ihrer beider Vorfahre ist der starke Herakles-Nachkomme; beide fuhren ihre Abstammung auf Herakles zurück. Das [seil. Zepter] beherrscht in Zorn die (Fremd)־-Völker (•,13)
Ich bin gekommen, um zu veranlassen, dass du...
Du aber wurdest hingeworfen weg von deinem Begräbnis wie ein verabscheuter Spross, bekleidet mit Getöteten... (antonym)
wie du sie zu Leichen machst in ihren Tälern
Ps 2: JHWH spricht die anderen Könige an in seinem Zorn; Ps 21: JHWH wird die Feinde in seinem Zorn verschlingen.
Num 24,17: Er zerschlägt ( )מחץdie Schläfen der Moabiter.
Er, der mit den Seligen kämpft, möge mit meinem König kämpfen. Der, der mit meinem König ist, möge auch mit Apollo kämpfen.
126 Aus einem Bach am Weg wird er (daraufhin) trinken, deshalb wird er den Kopf erheben.
5 Schlussfolgerungen Richtet her für seine Söhne den Schlachtplatz. Ich werde aus״ rotten Babel, Name und Rest, Nachkomme und Kind... (antonym)
der liierarischen
Analyse
Jes 37 (par. II Reg 19): Ich grub und trank fremde Wasser.
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Es ist deutlich zu erkennen, dass jedes Motiv aus Ps 110 - außer der Aussage, dass JHWH einen Schwur nicht bereuen wird - eine Parallele hat. Besonders deutlich tritt hierbei das Spottlied aus Jes 14 hervor, aber auch das Siegeslied auf Thutmose III. und die alexandrinisehen Enkomien weisen mehrere Übereinstimmungen auf. Ebenso gibt es verwandte Motive in biblischen Sieges- beziehungsweise Königsliedern (Num 24; Jdc 5; II Reg 19; Ps 18; Ps 21). Aus dem Blickwinkel der untersuchten Motivik von Ps 110 ergibt sich demnach Folgendes: Der Dichter von Ps 110 bewegt sich in der Motivik des Alten Orients. Er verwendet die gleichen Motive, wie sie in Siegesbzw. Königsliedern vorkommen. Diese verwandten Lieder sind nicht nur Werke einer bestimmten Epoche, sondern sie reichen von Dichtungen aus dem 2. Jt. v.Chr. (wie das Siegeslied auf Thutmose III. von der poetischen Stele in Karnak) bis zu Werken aus hellenistischer Zeit (die Enkomien von Theokrit und Kallimachus). Zudem bewegt sich der Dichter sprachlich innerhalb der biblischen Sieges- und Königslieder. Dadurch, dass im משל auf den König von Babel in Jes 14 auffallend häufig antonyme Motivik zu finden ist, legt sich der Schluss nahe, dass dieses Lied dem Dichter von Ps 110 bereits vorgelegen hat. Nun lässt sich als Ergebnis zusammenfassen, dass es sich bei Ps 110 um ein Lied militärischen - nicht prophetischen - Inhalts handelt, eine genauere Gattungsbestimmung wird im Anschluss an dieses Kapitel folgen. Durch die Auslegung von V.7 ist deutlich geworden, dass es hier nicht um eine Königssalbung an der Gihonquelle geht, auch nicht um eine messianische Weissagung oder um eine prophetische Tat. Es liegen keine Kennzeichen dafür vor, dass hier tatsächlich ein altorientalisches Inthronisationsritual übernommen wurde, das noch rekonstruierbar wäre. V.7 beschreibt den Triumphzug des siegreichen Königs. Ver-
5.4 Gliederung und Übersetzung von Psalm 110*
127
mutlich wird aber nicht der heilige Krieg beschrieben, wie H.-J. Stoebe dies annimmt. Als zentrale Interpretationshilfe verweist er auf Jdc 5,2. 419 Stoebe ist insofern recht zu geben, als in Ps 110 etwas spezifisch Israelitisches über den Charakter des Königtums ausgesagt wird, ebenso, dass Ps 110 eine Hoffnung, Wunsch oder Forderung sein soll, das alte sakrale ״Führertum" wiederherzustellen, und dass die Kriege des Volkes Israel auf freiwilliger Basis gefuhrt werden sollen (vgl. Ps 110,3 mit Jdc 5,2). Dafür, dass hier dieser Krieg ein heiliger Krieg ist, findet sich allerdings kein Anhaltspunkt. Stoebe verweist dazu auf die Geschichte Davids und das Essen der Schaubrote - dieser Text hat jedoch mit Ps 110 wenig gemeinsam. Hingegen soll die zentrale FestStellung Stoebes hervorgehoben werden, dass hier das Königtum und nicht ein bestimmter König beschrieben wird. Es ist nicht möglich, die angedeuteten Orte und Menschen konkret zu deuten. Der König hat keinen Namen und keinen historischen Anhaltspunkt, der Bach ist nicht die Gihonquelle und der Thron zur Rechten steht nicht an einem bestimmten Platz im Tempel. Hier liegen Metaphern vor und es geht um das Königtum an sich, beziehungsweise um eine Hoffnung auf einen oder auch eine Forderung nach einem König. Vor dem Hintergrund, dass Orte und Personen gerade nicht namentlich erwähnt werden, lässt sich Ps 110 der Kategorie ״Königspsalmen" zuordnen, wie S.R.A. Starbuck sie beschreibt: ״The RPss are psalras whose concern is the Institution of Israelite kingship. Their protagonist is an unspecified king; hence he is a typological representative of the 'office' of the Institution." 420
Folglich stellen sich nun die Fragen, in welcher Zeit dieses Lied mit seinem ״unspecified king" als Adressat mit seinen deutlichen Parallelen zu Jes 14 und zu anderen biblischen Siegesiiedern, zu Königsdichtungen aus dem Alten Orient und zu alexandrinischen Siegesiiedern gedichtet wurde und in welche Gattung es letztendlich zuzüglich zu der Kategorie Königspsalmen einzuordnen ist. 5.4 Gliederung und Übersetzung von Psalm 110* 5.4.1 Text und Gliederung von Psalm 110* Es wurden drei Auffälligkeiten im masoretischen Text bemerkt (,משחר ילד־תיך, )ולא ינחם, die ihrerseits keine Parallelen in biblischen Siegesoder Triumphliedern oder in außerbiblischen Königsliedern haben. Mit Blick auf die Gliederung und Übersetzung von einem möglicherweise 419 420
H.-J. Stoebe, Erwägungen zu Ps. 110, 185f. S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, 102.
128
5 Schlussfolgerungen der liierarischen Analyse
ursprünglichen Ps 110* ergibt sich daher, dass • n r ולאals redaktionelle Erweiterung hier nicht berücksichtigt wird, und dass die Vokabeln משחרund ילדתיךin folgender Punktation übersetzt werden: משחד und ילךתיף. In folgender Gliederung sind in der mittleren Spalte syntaktisch zusammengehörige Unterabschnitte durch verschiedene Schreibweisen (fett, kursiv, Kapitälchen) hervorgehoben: Vi
V2
V3
V4
ל ד ו ד מזמור
Überschrift
Teil 1, Überschrift Teil 1 Teil 1 Teil 1
באם״יהודילאדניNominalsatz שב לימיניimperativ עד־־אשית איביךx-Imperfekt ה ד ם לרגליך
Einleitender NS JHWH spricht JHWH spricht
מטה־עזך ישלחx-ïmperfekt יהוד מציון ר ד ה ב ק ר ב איב״Imperativ
Perspektivenwechsel, JHWH in der 3. Ps. JHWH spricht
Teil 1
Einleitender NS
Teil 2
JHWH spricht
Teil 2, Mitte
Perspektivenwechsel, JHWH in der 3. Ps. JHWH spricht
Teil 2, Mitte Teil 2
Einleitender NS Sprecher, Gott ist Subjekt
Teil 3 Teil 3
Perspektivenwechsel, König ist Subjekt Sprecher, König ist Subjekt Sprecher, König ist Subjekt
Teil 3
עמך נ ד ב ת ביוםNominalsatz חילך בהדרי־קדשx-Perfekt מרחם משחר ל ך ט ל ילדתיך נשבע ידוה
Perfekt
אתה־כהן לעולםNominalsatz על־דברתי מלכי־צדק V5
אדני על־ימינךNOMINALSATZ מחץ ביומ־אפוPERFEKT מלכים
V6
ידין בגויםIMPERFEKT מלא כויותNOMINALSATZ מחץ ראש על־ארץPERFEKT רבה
V7
Sprecher
מנחל ב ד ר ך ישתהX-LMPERFEKT
Sprecher, König ist Subjekt
על־כן ירים ראשX-LMPERFEKT
Sprecher, König ist Subjekt
Teil 1
Teil 3 Teil 3 Teil 3 Schluss, Triumph Teil 3 Schluss, Triumph
Die Punktation der Masoreten in V.3c ( ילדתיךstatt )ילךתיךund die Auslassung eines fmiten Verbs ( )ינחםverändern die Gliederung des Psalms. Nun lässt sich der Psalm in drei Teile gliedern. Die Verben beziehungsweise die Satzkonstruktionen geben zusammenhängende
5.4 Gliederung und Übersetzung von Psalm 110*
129
Sinneinheiten an, sodass man zu einem dreigeteilten Psalm gelangt, dessen Teile alle annähernd gleich lang sind 421 : Alle Teile enthalten sechs Einheiten mit etwa der gleichen Anzahl von Wörtern: Teil 1 beinhaltet 20 Wörter, Teil 2 ebenfalls, Teil 3 zählt 23 Wörter 4 2 2 Teil eins (Vv.1-2) ist mithilfe von vier Verben konstruiert, die chiastisch angeordnet sind: Nach der Überschrift und einem einleitenden Nominalsatz folgen auf einen imperativ und ein x-Imperfekt, ein xImperfekt und ein Imperativ. Zwischen diesen beiden Einheiten findet ein Wechsel in der Sprecherrolle statt. Während V.l eine Gottesrede bietet, wird V.2a von einem außen stehenden Sprecher gesprochen. Teil zwei (Vv.3-4) besteht aus zwei Nominalsätzen und zwei fmiten Verben im Perfekt, die insgesamt chiastisch aufgebaut sind. Die perfektischen Sätze stellen sowohl die Mitte von Teil 2 als auch die Mitte des gesamten Psalms dar. Wenn man deren Inhalt betrachtet, ist deutlich, warum diese Sätze in der Mitte stehen: Es handelt sich um eine Gottesrede, die die Gottessohnschaft des Königs benennt, und einen Schwur JHWHs an den König. Umrahmt ist diese Mitte durch zwei Nominalsätze, die Zusagen an den König darstellen. Durch die Punktation der Masoreten wurde aus einem ursprünglichen Verb ein suffigiertes Nomen ()ילדתיך, was in einer syntaktischen Gliederung seine Auswirkung zeigt. Teil drei (Vv.5-7) lässt sich in zwei Einheiten einteilen, die beide durch die gleiche Satzkonstruktion eingeleitet werden. Teil 3 besteht insgesamt aus fünf Sätzen mit finiten Verben und zwei Nominalsätzen. Zu Beginn von V.5 spielt der Autor mit der Aussage aus V.l und dreht diese um: Nun ist Gott zur Rechten des Königs. Den Vv.5b und 6b liegt das gleiche Verb als Beginn des Satzes zugrunde und eine ähnliehe Satzkonstruktion, wie es oben bereits dargelegt wurde.423 Diese beiden Sätze stehen jeweils in der Mitte von zwei kleineren Einheiten. Einheit eins besteht aus einem Nominalsatz (״Der HERR ist an deiner Rechten"), dann folgt der bereits dargestellte Satz mit Hyperbaton, (״er schlägt am Tag seines Zorns Könige") und schließt mit einem Imperfekt (V.6aa) als Folgehandlung von V.5b (״damit er richten wird unter den [Fremd-] Völkern"). Einheit zwei ist symmetrisch dazu aufgebaut: Sie beginnt mit einem Nominalsatz (״er füllt [Täler mit] toten Körpern"), dann folgt der zweite Satz mit Hyperbaton (״er
421
Als dreigeteilten Psalm sehen ihn ebenfalls u. a. A. Doeker, Funktion der Gottesrede, 102 u. R.G. Haney, Text and concept Analysis, 114f. Doeker teilt Ps 110 allerdings in die drei Strophen Vv. 1-3; 4; 5-7 ein. Haney sieht in der Überschrift einen eigenen Teil, die anderen beiden Teile sind nach zwei vermuteten Jahwe-Orakeln eingeteilt: Vv. laß-3 und 4-7. 422 Bei dieser Zählung wurden alle Wörter gezählt und der Maqqef unbeachtet gelassen. Zählt man die Wörter mit Maqqef als eines, so erhält man folgendes Bild: Teil 1 = 1 8 Wörter; Teil 2 = 16 Wörter; Teil 3 = 19 Wörter. 423 Vgl Kapitel 3.4 Gliederung und Aufbau des masoretischen Textes, S. 40ff.
130
5 Schlussfolgerungen
der liierarischen
Analyse
schlägt Köpfe auf der Erde reichlich") und schließt diesmal mit zwei x-Imperfekten als Folgehandlung aus V.6b (״Er wird daraufhin aus einem Bach am Weg trinken, deshalb wird er den Kopf erheben"). Ein weiteres Wortspiel findet innerhalb der zweiten Einheit von Teil 3 statt, indem der König in V.7b seinen eigenen Kopf hebt, während er andere vorher zerschlagen hat. Diese Rekonstruktion eines vermutlich ursprünglichen Ps 110* fährt nun zu folgender Übersetzung: 5.4.2 Übersetzung von Psalm 110* 1. In Bezug auf David: ein Psalm. Spruch JHWHs zu meinem Herrn: Sitz zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zu einem Schemel deiner Füße mache/ lege. 2. Den Stab deiner Macht wird JHWH vom Zion her ausstrecken; Herrsche in der Mitte deiner Feinde! 3. Dein Volk ist Freiwilligkeit am Tag deiner Macht. In heiligem Schmuck, aus dem Mutterleib der Morgenröte habe ich dich - dich den Tau - gezeugt. 4. JHWH hat geschworen: Du bist Priester in Ewigkeit in Nachahmung Melchisedeks. 5. JHWH ist an deiner Rechten. Er zerschlägt am Tag seines Zorns Könige, 6. [damit] er richten wird unter den (Fremd-)Völkern, er füllt (Täler mit) toten Körpern. Er zerschlägt Köpfe auf der Erde reichlich. 7. Aus einem Bach am Weg wird er (daraufhin) trinken, deshalb wird er den Kopf erheben. 5.5 Gattung und ״Sitz im Leben" von Psalm 110* Im ersten Kapitel wurde bereits festgestellt, dass es schwer zu beurteilen ist, ob Ps 110 überhaupt in poetischer Sprache gehalten ist, oder ob man es hier mit einem Text in Prosa zu tun hat. Dem Psalm liegt zwar kein einheitlicher Rhythmus zugrunde, er enthält jedoch typisches Psalmvokabular und weist viele poetische Merkmale auf. Der Text lässt sich anhand seiner Syntax in drei gleich lange Teile gliedern. Dadurch ist es unwahrscheinlich, dass es sich bei Ps 110 um eine Art Fragment handelt, das Teile in poetischer Sprache aufweist. Es bietet sich an, von Ps 110 als poetisierendem Text zu sprechen.
5.5 Gattung und ״Sitz im Leben" von Psalm 110*
131
Grundlegend für die folgende Gattungszuweisung von Ps 110 ist ebenso wie die sprachliche Analyse das Ergebnis der traditionsgeschichtlichen Untersuchung, wonach deutlich ist, dass Ps 110 keine eigenen Motive entwickelt, sondern große Ähnlichkeiten mit poetisehen Texten der hebräischen Bibel und mit außerbiblischen vorderorientalischen Texten hat. Als ein Fazit der traditionsgeschichtlichen Beobachtungen ist zu ziehen, dass Ps 110 keinen bestimmten König beschreibt, auch keinen konkreten Fluss/Bach oder Ort der Herrschaft. Anspielungen auf geschichtliche Ereignisse finden nicht statt, lediglich der Name Melchisedek ist als Vorbild für den König genannt. Auffallig ist des Weiteren, dass Ps 110 biblisch die meisten ÜbereinStimmungen mit Motiven in ״militärischen" Liedern aufweist - innerhalb und außerhalb des Psalters. Gerade innerhalb des Psalters gibt es motivische Übereinstimmungen mit den anderen sogenannten Königspsalmen, obwohl kein Königspsalm eine identische Aussage beinhaltet - lediglich einzelne Motive entsprechen sich. Außerhalb des Psalters fallt die hohe Kongruenz in der Motivik mit dem Spottlied auf den König von Babel in Jes 14 auf, die jedoch häufig nicht synonym sondern antonym ist; aber auch die Bileam-Prophetie in Num 24, das Deborahlied in Jdc 5 und das Lied auf Sanherib in Jes 37 // II Reg 19 zeigen gewisse Verwandtschaftsgrade. S.R.A. Starbuck hält über seine oben zitierte Definition von Königspsalmen als eine Beschreibung des Königs als typologischen Protagonisten hinausgehend fest, dass der ״Sitz im Leben" der Königspsalmen nicht zwingend im Kult zu sehen sei; und er warnt - zu Recht - davor, von einer zusammengehörigen Gruppe der Königspsalmen zu sprechen, da alle sehr unterschiedlich seien. 424 Nach diesen Untersuchungen ist die Definition Starbucks ebenso auf Ps 110 anzuwenden und zu konstatieren, dass Ps 110 einen König beschreibt, der typologisch zu verstehen ist und demnach die ״Institution Königtum" vertritt. Insofern ist er mit den anderen sogenannten Königspsalmen verwandt. Trotz dieser Nähe ist er in seiner Aussage und spezifischen Form singulär. Es gibt keine literarischen Merkmale, keinen einheitlichen Aufoder Abgesang, keine zentralen Vokabeln. Auch wenn jeder sögenannte Königspsalm von einem König spricht - sogar der ״König" wird nicht mit einheitlicher Titulatur angesprochen so haben alle unterschiedliche Inhalte. Von daher ist es notwendig, Ps 110 zusätzlich einer anderen Gattung zuzuordnen, beziehungsweise seine Spezifika herauszuarbeiten. Dass es sich bei Ps 110 um kein prophetisches Orakel handelt, wurde bereits erläutert. Außer der Einleitungsformel נאם יהרהweist nichts auf einen prophetischen Charakter des Psalms hin. Die Formel hat (lediglieh) die Funktion eines Aufmerksamkeitskennzeichens und repräsen424
S.R.A. Starbuck, Court Oracles in the Psalms, 206f.
132
5 Schlussfolgerungen
der liierarischen
Analyse
tiert die Übernahme altorientalischer Redeeinleitungen. Ps 110 zeigt keinen prophetischen Inhalt, sodass der Sprecher nicht als Hofprophet anzusehen ist. K. Koenen erkennt in Ps 110 einen Bezug zur Vergangenheit in Form eines aus der Vergangenheit zitierten Gotteswortes mit ätiologischer Funktion: ״Weil dem König von Jahwe einst Überlegenheit zugesagt wurde, können der Psalmist und im weiteren Sinne auch die Jerusalemer Theologie die Überlegenheit des Königs preisen, selbst wenn diese Überlegenheit empirisch nicht erfahrbar ist. [...] Die in Ps 110 zitierten Worte sind gegenwartsbezogene Einsetzungsworte. Durch sie wurde der König zu dem, was er ist." 425 Koenen definiert die Funktion der Ätiologie als ein Gotteswort, das eine bleibend gültige Aussage formuliere und deswegen direkt auf die Gegenwart bezogen werden könne. Bei dieser Ätiologie werde ein Wort zitiert, weil es an einem Anfangspunkt gesprochen wurde und es sich bei ihm um ein Gründungswort handele. Während das Wort von Ps 90 JHWH am Anfang der Menschheitsgeschichte zu den Menschen gesprochen habe, seien die Worte von 110 und 132 am Anfang der Davidischen Dynastie beziehungsweise bei der Einsetzung der einzelnen Davididen geredet worden. Auf diese Anfangsworte blicke man zurück, um einen vergangenen, gegenwärtigen oder künftigen Sachverhalt erklären zu wollen. In Ps 110 handele es sich um eine ideologische Realität.426 Das Problem bei der Annahme, Ps 110 sei eine Ätiologie, liegt darin, dass es sich nur dann um eine Gründungszusage handeln kann, wenn man Vers 4a als Bezug auf die Nathanverheißung in II Sam 7 oder auf ihre Rezeption in den Pss 89 und 132 versteht. Dies ist allerdings ohne Vers 4b nicht klar ersichtlich. In Bezug auf den „Sitz im Leben" wird Ps 110 unter anderem von K. Homburg als eine Art „Zeremonialtext" 427 zur Inthronisation charakterisiert. Doch zieht man im altorientalischen Vergleich andere Krönungstexte heran, stellt man fest, dass sie viele Unterschiede in Form und Inhalt aufweisen. In der Krönungshymne Assurbanipals beispielsweise428 wird davon gesprochen, dass er Beredsamkeit, Verständnis, Wahrheit und Gerechtigkeit als Geschenk erhalten solle; Eintracht und Frieden soll in Assyrien einziehen. Diese Gedanken gibt es in Ps 110 nicht. Ebenso wenig existiert die Vorstellung, dass sich das ganze Land über die Thronbesteigung des Königs erfreut, wie diese z.B. im Thronbesteigungshymnus von Merenptah429 vorliegt: Dieser beginnt mit dem Gedanken, dass sich das ganze Land freuen 425
K. Koenen, Gottesworte in den Psalmen, 36. 426 Vg[. K. Koenen, Gottesworte in den Psalmen, 69f. 427 Vgl. K. Homburg, Psalm 110! im Rahmen des judäischen Krönungszeremonieiis, 243 u. ö. 428 SAAIII,VAT 13831 8. 429 J. Assmarm, Ägyptische Hymnen und Gebete, 536.
5.5 Gattung und ,,Sitz im Leben " von Psalm 110*
133
soll, denn die gute Zeit ist gekommen. In Ps 110 hingegen ist weder von Jubel und Freude noch von der Krönung an sich noch von Geschenken und Huldigungen aller Art noch von gerechter Herrschaft die Rede. Gerade die Auslegung von Vers 7 hat gezeigt, dass es sich bei Ps 110 um keinen Inthroni sationsritus handelt. In Vers 7 wird nicht auf die Salbung an der Gihonquelle angespielt, ebenso wenig sind andere Riten deutlich zu erkennen. Um die Gattung von Ps 110 bestimmen zu können, seien nochmals kurz die grundlegenden Ergebnisse zusammengefasst: « Ps 110 ist - seiner Form nach - im Psalter singulär. Auch wenn immer wieder auf eine Verwandtschaft zu Ps 2 aufmerksam gemacht wird, haben beide Psalmen doch einen unterschiedlichen Wortschatz und unterschiedliche theologische Schwerpunkte. So ist bei Ps 2 der Inthronisationsakt durch die Formulierung des ״heute" klar zu erkennen. Die Zeugung des Königs als Sohn Gottes ist gleichzeitig seine Einsetzung als König. Des Weiteren regiert in Ps 2 der König mit dem שבט, in Ps 110 erhält der König den מטה. ® Ps 110 hat die größten Ähnlichkeiten in der hebräischen Bibel mit Jes 14, dem Spottlied auf den gefallenen König von Babel. Ebenso sind kleinere Bezüge zur Bileam-Prophetie in Num 24, zum Deborahlied in Jdc 5, zum Siegeslied in Jes 37 // II Reg 19 und zu manchen sogenannten Königspsalmen zu erkennen. Dies alles sind Siegeslieder auf heldenhafte Anführer oder große Könige oder aber Spottlieder auf ihre Niederlage. • Ps 110 hat ebenfalls große Ähnlichkeit mit dem Siegeslied auf Thutmose 111.430 ® Ps 110 zeigt gerade in der Funktion der Nennung Melchisedeks und der parallelen Schilderung eines Kampfes einer Gottheit und des Königs eine klare Verwandtschaft zu den alexandrinischen Hymnen und Enkomien der Ptolemäerzeit von Theokrit und Kallimachus. ® Es wird keine historische Tat oder Person beschrieben, sodass dieser Psalm eine Typologie abbildet. Da Ps 110 Anlehnungen an biblische, außerbiblische altorientalische und alexandrinische Siegeslieder zeigt, liegt es nahe, Ps 110 ebenfalls als Siegeslied oder Enkomion zu bezeichnen. Die Gattung des Enkomion entsteht in der Zeit der Ptolemäerherrschaft in Alexandria. Seine Hauptvertreter sind Theokrit und Kallimachus. G. Weber charakterisiert die Gattung Enkomion folgendermaßen:
430
Dies hat auch de Savignac dargestellt (Essai D'Interpretation du Psaume CX, 107-135).
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5 Schlussfolgerungen
der liierarischen
Analyse
״Im Unterschied zum Hymnos bezieht sich das Enkomion ursprünglich nicht auf einen Gott oder Heros, sondern auf einen - durch hervorragende Eigenschaften gekennzeichneten - Menschen, oft einen Herrscher, und entstammt nicht dem Bereich des Götterkultes. In Form und Inhalt kommt es dem ptolemäischen Herrscherkult entgegen und findet seitens der Hofdichter Verwendung, wobei formal und in der Diktion die Grenze zum Hymnos verschwimmen kann." 431
Es ist möglich, Ps 110 ebenfalls dieser Charakteristik zuzuordnen. Von daher lässt sich zur Gattungsbestimmung von Ps 110 sagen, dass er sowohl biblisch in die Reihe der typologisch gehaltenen Königspsalmen gehört als auch als Enkomion auf einen david redivivus gestaltet ist. Ps 110 spricht zwar von keinem explizit genannten König, ist aber ein Siegeslied auf einen (kommenden) davidischen Herrscher. Dies verdeutlicht der Vergleich mit den alexandrinischen Enkomien: Dort wird zu Beginn der Name des zu Preisenden genannt. In Ps 110 ist somit die Überschrift nicht als Autorenangabe ״von David" zu verstehen, sondern ebenfalls als Hinweis auf die Bezugsperson: Ein Psalm auf einen (neuen) David. 5.6 Entstehungssituation von Psalm 110 Durch das verwendete altorientalische Material lässt sich ein terminus post quem vermuten: Ps 110 ist nach den altorientalischen Liedern gedichtet worden, auf die Bezug genommen wird. Es wird nicht nur allgemeines Formelgut tradiert, sondern zumindest auf das Siegeslied von Thutmose III. klar Bezug genommen, da Ps 110,6 als Ellipse zu lesen ist, die nur vor dem Hintergrund des ägyptischen Liedes ihren Sinn erhält: Der König füllt Täler mit toten Körpern. Daraus lässt sich aber gleichzeitig nicht der Schluss ziehen, dass Ps 110 in derselben Zeit wie die oben dargestellten altorientalischen Lieder gedichtet worden wäre, so, wie J.W. Hilber dies beispielsweise folgert: ״Since Psalm cx conforms to a pattern used in the real monarchic situation of seventh century Assyria, it is reasonable to place the psalm in a similar monarchic setting, thus supporting the arguments adduced for a preexilic date."432 Älteres Material kann auch später durchaus noch als Vorlage benutzt werden, wofür Ps 104 und seine Bezugnahme auf den Echnaton-Hymnus ein Beispiel darstellt. Zwischen beiden Texten sind deutliche Parallelen zu erkennen, sodass eine literarische Abhängigkeit zwischen ihnen anzunehmen ist. Ps 104 greift auf den Echnaton-Hymnus aus der Amarnazeit zurück, der - eventuell vermittelt durch die
431 432
G. Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 113. J.W. Hilber, Psalm CX in the light of Assyrian prophecies, 366.
J. 6 Entstehungssituation
von Psalm 110
135
phönizische Kultur - in Israel in nachexilischer Zeit modifiziert wird. 433 Ebenso weisen die hebräischen grammatischen Formen von Ps 110 (das möglicherweise enklitische Mem und das Chirek compaginis) lediglich auf einen frühen terminus post quem hin. Die Sieges- und Königslieder, auf die Ps 110 anspielen könnte, enthalten ebenfalls ein enklitisches Mem 434 oder ein Chirek compaginis435, so könnte der Dichter von Ps 110 aus diesen Vorlagen die grammatischen Endungen übernommen und/oder den Psalm bewusst archaisiert haben. Das Phänomen einer archaisierenden Sprache ist beispielsweise in der frühhellenistischen Zeit keine Seltenheit. Die Dichter am ptolemäischen Königshof haben ebenfalls sprachlich auf älteres literarisches Gut zurückgegriffen und so bewusst eine ״alte" Sprachform für ihre Siegeslieder gewählt. Dementsprechend hält G. Weber nach einer eingehenden Analyse der alexandrinischen Dichtungen aus frühhellenistischer Zeit fest, dass vor allem Homer, Hesiod und Hipponax Modelle des Dichtens darstellten, ״die bezüglich Sprache, Genera und Metren in Anspruch genommen wurden; Zustimmung oder Ablehnung waren gefordert."4315 Dieses gängige Verfahren stelle Reminiszenzen an frühere oder auch zeitgenössische Autoren in gleicher und veränderter Form in neue Kontexte.437 Hinsichtlich der grammatischen Phänomene beinhaltet Ps 110 nicht nur archaische Formen - die Verwendung des Lamed als Kennzeichnung des direkten Objekts in Vers 3 weist auf eine Datierung in die Zeit nach dem babylonischen Exil hin. Auch hinter der Formulierung בקרב איביךin V.2 könnte auf eine Zeit nach dem Exil angespielt werden, in der Israel von fremden Völkern umgeben war, beziehungsweise in der das jüdische Volk unter Fremdherrschaft lebte. Zieht man weitere Psalmen zum Verständnis des Schwörens JHWHs in V.4 heran, so zeigt sich auch in dieser Formulierung ein Hinweis auf die nachexilische Zeit, da auch in den nachexilischen Psalmen 132 und PsSal 17,4 der Schwur JHWHs auf David (ein david redivivus) bezogen wird. Zwei weitere Formulierungen aus Ps 110 können ebenfalls als Datierungshilfe herangezogen werden: Die Art der Bezugnahme auf die Motive von Herrscherstab und Fußschemel legen nahe, dass ihre Paralleltexte schon schriftlich vorgelegen haben könnten; denn von diesen Stellen grenzt sich der Autor bewusst ab oder - stärker noch - will das gegenteilige Verständnis erwirken. Hinsichtlich des Herrscherstabes wird betont, dass dieser nicht zerbrochen ist, und des 433
Dazu vgl. z.B. O. Keel u. S. Schroer, Schöpfung, 166; oder E. von Nordheim, Die Selbstbehauptung Israels, 183f. 434 Z.B. in Ps 18,16. 435 Z.B. in Jes 14,6. 436 G. Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 186. 437 Vgl. G. Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 187. Vgl. auch R. Hunter, Theocritus. Encomium of Ptolemy Philadelphus, 53.
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5 Schlussfolgerungen
der liierarischen
Analyse
einen Fußschemels, dass er nicht als Besitz Gottes hervorgehoben wird. Ps 110 als Ganzes betrachtet, verwendet eine auffallend antonyme Motivik zu Jes 14, sodass anzunehmen ist, dass dieses Spottlied dem Autor von Ps 110 bereits vorgelegen hat. Zudem wird das Verständnis von V.7 erheblich klarer, wenn das Siegeslied von Sanherib in Jes 37 // II Reg 19 dem Leser vertraut ist. Die Nennung der Person ״Melchisedek" in V.4 lässt ebenso vermuten, dass auch in dieser Hinsicht bereits Texte mit einer Tradition um Melchisedek existiert haben, als der Autor Ps 110 verfasste. Weiterhin ist auffällig, dass die ״prophetische" Einleitungsformel in Ps 110 den typischen Auftakt altorientalischer Siegeslieder, nicht aber eine prophetische Rede JHWHs wiedergibt. Aus dieser Tatsache könnte man den Schluss ziehen, dass Ps 110 zu einer Zeit gedichtet worden ist, in der keine Schriftprophetie neu verfasst, sondern lediglich auf die ftunge) Bileam-Prophetie in Num 24,16ff. 438 (und/oder auf neu-assyrische Orakel sowie ägyptische Redeeinleitungen) rekurriert wurde. Dieses Phänomen spricht für die hellenistische Zeit, doch gab es noch Redaktionsstufen in den prophetischen Werken.439 Diese Art der prophetischen Einleitungsformel war dem Autor zwar bekannt, aber im Sinne der prophetischen biblischen Texte (ausgenommen Num 24) benutzte er diese in anderem Zusammenhang. Ein weiterer terminus post quem ist in der verwendeten Gattung des Psalms zu sehen. Obiger Analyse zufolge handelt es sich bei Ps 110 um ein Enkomion, wie es im vorherigen Kapitel dargestellt wurde. Das griechische Enkomion, mit dem Ps 110 einige wichtige Merkmale gemein hat, entsteht in Alexandria am Hof der ersten drei Ptolemäerherrscher vor allem durch Theokrit und Kallimachus. Sowohl die Werke Homers als auch das altorientalische Kulturgut erleben in dieser Zeit eine zweite Blüte. Alexander wurde nach der Eroberung Ägyptens und seiner Krönung nach ägyptischem Ritus im Ptah-Tempel zu Memphis ״zum Nachfolger der Pharaonen und zum Sohn des obersten Gottes Amun-Re." 440 So vermischten sich langsam griechisches Denken und ägyptische Kultur. Diese Vermischung beider Kulturen stellt - wie oben erwähnt - beispielsweise auch W. Cheshire am Zepter der Arsinoe II. Philadelphos heraus. Der griechische beziehungsweise hellenistische Herrscher konnte sich ״nahtlos in uralte orientalische Herrschaftskonzepte hineinstellen, nach denen der König der ,rechte Arm' eines zentralen, ja des Gottes war - wie etwa des Marduk von Babylon. Diese Form von Gottesgnadentum, die in Ägypten sogar in der Identifizierung des Pharao mit dem Sohn des höchsten Gottes, AmunRe, und der Vorstellung von im König wirksamen göttlichen Kräften 438
Dieser Teil der Bileamsprüche gehört der literargeschichtlich jüngsten Schicht an, vgl. M. Witte, Der Segen Bileams, 203. 439 O.H. Steck, Der Abschluß der Prophetie. 440 G. Grimm, Die Vergöttlichung Alexanders, 103.
J. 6 Entstehungssituation
von Psalm 110
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gegipfelt hatte, eröffnete den hellenistischen Herrschern neue Perspektiven." 441 So ist auch die Figur der „Morgenröte" in Ps 110 zu verstehen: Als Gottheit früherer Zeit wird sie in den Psalm zu Legitimationszwecken aufgenommen. Dass sie als „Mutter" des Königs verstanden wird, deutet daraufhin, dass hier nicht ugaritisches, sondern griechisches Denken seinen Einfluss zeigt, da in altorientalischer Zeit die „Morgenröte" eine männliche Gottheit, bei Homer aber eine weibliche war. Für die Datierung des Psalms weist somit ebenso die Figur der weiblichen „Morgenröte" auf eine griechische Umwelt und - mindestens - in hellenistische Zeit. Warum in hellenistischer Zeit auf alte Mythen zurückgegriffen wurde, erklärt P. Bing im Zusammenhang mit dem Enkomion von Theokrit: Nach der Eroberung des Vorderen Orients durch Alexander wurde ein neues Weltbild mit vielen neuen Kulturen geschaffen. Die Konfrontation mit dem Neuen erschien wie ein Bruch, und Gegenwart beziehungsweise Zukunft wurde von den Menschen als unsicher wahrgenommen. So orientierte man sich stark an der Vergangenheit.442 Auch biblisch betrachtet, ist eine mythische Redeweise von Gott nicht nur in vorexilischer Zeit präsent. So findet sich auch - und gerade - in den nachexilischen Psalmen 136, 146 und 148 beispielsweise eine solche mythische Art, von Gott zu sprechen. Deshalb ist C. Petersen in seiner Analyse zum Mythos im Alten Testament gerade auch mit Blick auf Ps 110 zuzustimmen, dass zur alttestamentlichen Theologie ebenso ein „ungeschichtliches" Reden von Gott gehört: „Gott ist nicht nur ein Gott der Geschichte."443 Die Beschreibung der „Morgenröte" als ein göttliches Wesen, das den König gebiert, muss daher nicht in eine frühe, vorexilische Zeit gehören. Vielmehr ist ein solches mythisches, ungeschichtliches Reden von Gott in einer Zeit denkbar, in der der monotheistische Glauben bereits konsolidiert ist. Im Prozess des gesellschaftlichen Wandels in hellenistischer Zeit kam der höfischen Dichtung eine wichtige Funktion zu, „indem sie den jeweiligen Herrscher überhaupt, dazu seine Familie und Genealogie, wesentliche Aspekte und Faktoren der Herrschaft thematisierte; dadurch bewegte sich der Dichter im Raum der Politik, zumal er Inhalte vermittelte, die für den Herrscher, die Polis oder die Monarchie identitätsstiftend sein konnten. Seine Dichtung ist damit jedoch nicht von vornherein in den Dienst der Politik, etwa der Legitimierung von Herrschaft gestellt."444 So bildete sich eine Tradition der Herrscher-Enkomiastik aus, die vor allem in Alexandria beheimatet war. Dort war auch die größte jüdische Diaspora-Gemeinde zuhause, die vermutlich die Entwicklungen am 441 442 443 444
H.-J. Gehrke, Geschichte des Hellenismus, 51f. P. Bing, The Well-Read Muse, 144. C. Petersen, Mythos im Alten Testament, 265. G. Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 35.
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5 Schlussfolgerungen
der liierarischen
Analyse
ptolemäischen Königshof verfolgte, an dem der König durch altorientalischen Herrscherkult in Szene gesetzt und verehrt wurde. Im Zuge der Ausbildung dieser literarischen Gattung können jüdische Dichter ebenfalls ein Herrscherlied auf ihren König geschrieben haben - sehnsüchtig nach dem Zion mit einem eigenen Herrscher, den es zu dieser Zeit nicht gab. Da der kulturelle Austausch zwischen Alexandria und Jerusalem sehr hoch war, ist ein genauer Entstehungsort von Ps 110 schwer auszumachen. Das Enkomion Ps 110 wurde folglich in der Hoffnung auf einen eigenen fiktiven König geschrieben. Dass es sich bei diesem König und zugleich (Hohen-)priester von Ps 110 um eine reale Person handeln müsse, gibt der Text nicht her. Auch bei den griechischen Schriften der frühhellenistischen Zeit ist eine genaue Zuschreibung zu historischen Ereignissen nicht immer möglich. Ein Gedicht kann ebenso eine literarische Fiktion sein. G. Weber betont, dass auch in hellenistischer Zeit zwar für den Kult gedichtet wurde; dieser vordergründig durch den Kult geprägten Dichtung konnte jedoch auch ein fiktionaler Charakter zukommen.445 Deshalb ist der historisierende Ansatz, zu fragen, aufweichen konkreten Herrscher Ps 110 gedichtet sein könnte, der auch gleichzeitig Hoherpriester war, zur Untersuchung der Entstehungszeit nicht adäquat.446 Die Gattung ״Enkomion" entsteht in griechischer Sprache in Alexandria zur Zeit der ersten drei Ptolemäerkönige, sodass dies ebenso eine mögliche Entstehungszeit für Ps 110 darstellt. Die Abfassung von Ps 110 ist nicht zwingend in dieselbe Zeit zu datieren, aber es ist zu bedenken, dass die Zeit der Hasmonäerherrschaft als Entstehungszeit ihre Probleme aufwirft: So wäre bei der Annahme einer hasmonäischen Abfassungszeit zu fragen, ob dann Ps 110 nicht auf einen konkreten Herrscher - vermutlich Simon II. oder Alexander Jannai - gedichtet worden wäre. In den griechischen Enkomien wird selbstverständlich der Name des zu Ehrenden genannt447, in Ps 110 fehlt dieser, beziehungsweise ist Ps 110 auf „einen David hin" zu lesen. Eine konkrete Namensnennung fehlt, weil es keinen realen jüdischen König gab. Des Weiteren sei in Bezug auf die These von M. Treves448, dass Ps 110 aufgrund des Akrostichons hasmonäischer Abfassung zuzuordnen sei, auf die Gegenargumentation von J.W. Bowker verwiesen: "in order to make the acrostic begin with the superscription to the psalm 445
Vgl. G. Weber, Dichtung und höfische Gesellschaft, 337. So vor allem Schreiner: „Gibt es einen Ort in der Geschichte bzw. Religionsgeschichte Israels, an dem der Gedanke einer Einsetzung in König- und Priesteramt gleichzeitig sinnvoll lokalisiert werden kann?" S. Schreiner, Psalm CX und die Investitur des Hohenpriesters, 218f. 447 Dies ist nicht nur in den alexandrinischen Enkomien von Theokrit und Kallimachus der Fall, sondern ebenfalls in der biblischen Tradition der Septuaginta, im Väterlob von Sir 44-50. 448 M. Treves, Two acrostic Psalms. 446
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נאם יהרה לאדניis omitted, yet the heading to the second part of the Psalm [...] has to be included".449 Ferner gibt es biblisch keine anderen Beispiele für ein Akrostichon dieser Art; in den Psalmen sind lediglich alphabetische Akrostichen überliefert: ״Es wird nach dem Ausgeführten dabei bleiben müssen, daß Beispiele für ein Namens-Akrostichon in der Literatur des Alten Testaments sehr fragwürdiger Art sind und daß es nicht angezeigt ist, sie zum Kriterium irgendeiner Art bei der Näherbestimmung eines literarischen Erzeugnisses zu machen." 450 Auch mit Blick auf die Religionsgeschichte, die an anderer Stelle noch detaillierter dargestellt werden soll, legen sich Zweifel an einer hasmonäischen Abfassung des Psalms nahe. Obwohl bei josephus zu lesen ist 451 , dass der Bruch zwischen Johannes Hyrkan und den Pharisäern um das rechtmäßige Amt des Hohenpriesters entstand, legt es sich nahe, das rechtmäßige Königsamt als Streitpunkt zwischen beiden Parteien anzunehmen. Durch die Pharisäer entwickelte sich mehr und mehr der individuelle Bezug von Mensch zu Gott, sodass sich der Synagogengottesdienst festigte und der Dienst am Tempel eher individuell als durch einen Hohenpriester vollzogen stattfand. Durch R. Deines wurde in neuerer Zeit die Wellhausensche These zu Recht wieder gestützt, dass für das Verständnis des pharisäischen ,Erfolges' die Verknüpfung wichtig ist, ״der Entstehung des Pharisäismus mit dem aufkommenden Individualismus der hellenistischen Kultur, der sich als persönliche Entscheidung zu einer bestimmten Frömmigkeitsform äußert. Sein Verdienst war es, in einer kosmopolitisch und individualistisch werdenden Welt das nationale, an das Volk gebundene religiöse Erbe des Judentums zu bewahren."452 Diese Individualität ist z.B. daran zu erkennen, dass den Pharisäern der individuelle Dienst am Tempel wichtig war, z.B. die Abgabe des Zehnten oder das persönliche Gebet. Hier konnte der Einzelne seinen Gehorsam gegenüber Gott bewähren. Der Ort aber, um den Weg zur Tora wieder zu betonen, war für die Pharisäer in erster Linie die Synagoge, in der sie auch die hebräische Sprache aufrechterhielten. Sollten sich also die Pharisäer wirklieh mit den Hasmonäern um das rechtmäßige Hohenpriesteramt gestritten haben oder doch nicht - seit Alexander Jannai - um die Anmaßung der Hasmonäer, rechtmäßige Könige auf dem Davidsthron zu sein? ״Die Pharisäer wollen die alte Verfassung hergestellt wissen, 449
J.W. Bowker, Psalm CX, 31. G. Sauer, Die ακροστιχίδες Psalm II und CX, 264. 451 In Ant 13. Buch, 10. Kapitel beschreibt Josephus eine Szene bei einem Gastmahl, das Johannes Hyrkan für die Pharisäer ausrichtete, dass Eieazar Johannes Hyrkan aufgefordert habe, auf das Amt als Hohepriester zu verzichten: ״ευς δέ ־ας των κατακειμένων Έ λ ε ά ζ α ρ ο ς ονομα, κ:ακ:οήι3ης ών φύσει και στάσεί χαίρων, 'έπεί,' φησίν, 'ήξίωσας γνώναι τήν άλήΰειαν, ει ύέλεις είναι δίκαιος, τήν άρχιερωσύνην α π ό ρ ο υ , και μόνον άρκειτίυ σοι τό αρχειν του λασυ.' " 452 R. Deines, Die Pharisäer, 546. 450
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5 Schlussfolgerungen
der liierarischen
Analyse
Gott soll König sein, der Hohepriester in erster Linie Hoherpriester und nebenbei überhaupt der Vorsteher des Volks. Thatsächlich kann das nur bedeuten: sie wünschen die Fremdherrschaft, damit der kirchliche Charakter der Theokratie unverfälscht bleibe."453 Hätten dann die Hasmonäer nicht einen Text zu ihrer Legitimation abfassen sollen, in dem ihnen das Königtum von Gott zugesprochen und somit legitimiert wird und nicht das Priesterturn! Simon II. wurde von den Juden zum Hohenpriester gewählt, und er übertrug das Amt in der Nachfolge auf seinen Sohn. Infolgedessen waren seine Familienangehörigen Priester von Geburt an, aber sie usurpierten den Davidsthron; in Ps 110,4 aber wird das Priestertum zugesprochen, nicht das Königtum. Zudem wäre, wie erwähnt, verwunderlich, wenn der König in diesem Lied, das auf ihn gedichtet worden ist, nicht namentlich genannt und beschrieben worden wäre. Darüber hinaus gibt gerade die Auseinandersetzung mit den Pharisäern zu bedenken, warum, wenn Ps 110 von Hasmonäern verfasst worden ist, dieser seinen Weg in den Kanon gefunden hat. 454 Im Anschluss an diese Untersuchung stellt sich die Frage, ob Ps 110, wenn er in hellenistischer und somit eigener herrscherloser Zeit gedichtet worden ist, von vorneherein als messianischer Psalm intendiert war. In diesem Psalm wird voller Hoffnung ein König besungen, der bald kommen und dementsprechend herrschen wird. Die Überschrift weist auf einen kommenden David. Obwohl die alttestamentliche Forschung mehrheitlich davon ausgeht, dass Psalm-Überschriften sekundäre Zufugungen darstellen455, macht eine hellenistische Abfassung des Psalms die gegenteilige Meinung für Ps 110 stark. Meist wird davon gesprochen, dass diese Art der Überschrift wohl im Zuge einer Davidisierung des Psalters entstanden und den einzelnen Psalmen zugefügt worden sei. Nach der ausfuhrlichen Arbeit M. Kleers zu den Davidsüberschriften im Psalter begann die sogenannte Davidisierung des Psalters vermutlich im Exil, wobei David dem in der Diaspora lebenden Volk in vielen Texten als Identifikationsfigur diente. Zu Beginn dieser Davidisierung sei David noch nicht als Autor der Psalmen dargestellt worden, sondern zunächst nur als Identifikationsfigur: Die Psalmen seien auf David hin zu lesen. Erst ab dem 5. Jh. v.Chr. sei David als Psalmenautor angesehen worden. Das vierte und fünfte Psalmbuch würden dann den Blick auf einen neuen, nicht näher spezifizierten eschatologischen David lenken.456 Kleer ist in seiner Unter453
J. Wellhausen, Die Pharisäer und die Sadducäer, 100. Dies hat J. Petuchowski, The controversial figure of Melchizedek, 135, thematisiert: ״After all, it was precisely that group of Pharisaic-rabbinic scholars, which had broken with the Hasmonean dynasty, which, in the last analysis, was responsible for the inclusion of books into the canon of the Scriptures." 455 Vgl. M. Leuenberger, Konzeptionen des Königtum Gottes, 35. 456 Vgl. diesen Abschnitt: M. Kleer, Der liebliche Sänger. 454
J. 6 Entstehungssituation
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suchung zu der These gelangt, dass die Überschrift ״ לדודmit ,auf David hin', ,in bezug auf David' oder ,hinsichtlich Davids' zu übersetzen und die Notiz im Sinn einer Leseanweisung oder Interpretationshilfe zu verstehen" 457 sei. ״Für die Überschriftennotiz לדודin Ps 110 ergibt sich folglich die Bedeutung: ,im Blick auf (den neuen) David (zu lesen)'." 458 Falls jedoch die Davidisierung des Psalters tatsächlieh während der von Kleer so bezeichneten ״Identitätskrise des Exils" durchgeführt wurde, dann knüpft Ps 110 vermutlich bewusst an schon vorhandene Davids traditionell an. Dafür, dass die Überschrift von Beginn an Teil des Psalms war, spricht auch das Ergebnis der Gliederung. 459 Wenn der Psalm ursprünglich in Bezug auf einen neuen David zu lesen ist, dann ist es durchaus möglich, dass sich auch der Schwur von JHWH in einem vermuteten ״Ersttext" auf einen david redivivus bezieht und so die Tradition der Nathanweissagung aufnimmt. So deutlich wie bei den Pss 89 und 132 ist dies allerdings nicht. Ob dieser David eschatologisch oder irdisch-zukünftig ist, hängt nun davon ab, ob Ps 110 im einzelnen oder im Zusammenhang des fünften Psalmbuches betrachtet wird. Als Einzelpsalm gelesen hat Ps 110 keinen eschatologischen Charakter.
457 458 459
M. Kleer, Der liebliche Sänger, 80. M. Kleer, Der liebliche Sänger, 123. Vgl. Kapitel 5.4 Gliederung und Übersetzung von Psalm 110*, S. 127ff.
Hauptteil B: Innerbiblische Exegese
6 Vorüberlegungen zur innerbiblischen Exegese Durch Textüberlieferungen und Übersetzungen werden Interpretationen frei, ebenso durch die Aufnahme in bestimmte Textcorpora, durch Glossen selbstverständlich und schließlich auch durch die Punktation und Akzentuierung der Masoreten. All diese Stadien interpretieren und verändern den sogenannten Ersttext und können unter dem Oberbegriff der ״innerbiblischen Exegese" subsumiert werden. So weist R.G. Kratz zu Recht daraufhin, dass innerbiblische Exegese und Redaktionsgeschichte der biblischen Bücher eins sind. 460 In diesem Sinne soll eine redaktionsgeschichtliche Analyse von Ps 110 erstellt werden: Die Textentstehung von Ps 110 wird aufgrund der Ergebnisse der vorherigen Kapitel, die durch biblische und außerbiblische Zeugen gewonnen werden konnten, nachgezeichnet. Aber nicht nur die Textwerdung, sondern auch die Intention der Änderungen soll herausgearbeitet werden. Im Folgenden werden drei verschiedene Stufen der Textentstehung benannt und untersucht, wobei die letzte Stufe die Arbeit der Masoreten darstellt. Als Annahme einer redaktionellen Arbeit ließ sich bisher festhalten, dass es in Ps 110 einen literarischen Zusatz gibt: ולא ינחם. Dafür, an dieser Stelle die Arbeit eines Redaktors zu sehen, wurden vier Argumente genannt: Erstens ist ein Waw als syndetischer Satzanschluss untypisch für den poetischen Stil. Zweitens verweist die Benutzung von נחםauf nicht-poetische Texte außerhalb des Psalters.461 Drittens enthält der Psalm viele poetische Kennzeichen, in Vers 4a ist aber von alledem nichts zu finden - man könnte lediglich im Gegenüber von ״schwören" und ״nicht-reuen" einen Parallelismus entdecken. Ein viertes Argument für die Beurteilung von ולא ינחםals redaktionellen Zusatz liegt in der Struktur des Psalms. 460
R.G. Kratz, Innerbiblische Exegese, 69. Die Wurzel נחםist zwar im Psalter nicht einzigartig, das Motiv aber, dass Gott eine seiner früheren Taten nicht bereut, ist nur in Ps 110,4 vorhanden. Am nächsten verwandt in dieser Hinsicht ist Ps 106,45. Dort reut es Gott, dass er über sein Volk Feinde hat herrschen lassen. In dem poetischen Text Num 23,19 findet sich zwar die Wurzel נחם, doch wird das ״Bereuen" deutlich als eine menschliche Tat dargestellt: Gott ist kein Mensch, dass er etwas bereuen könnte.
461
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6 Voriiberlegungen zur innerbiblischen
Exegese
Des Weiteren stellte sich bei einem Vergleich von masoretischem Text und Ps 109LXX heraus, dass in V.3 Unterschiede vorhanden sind, die vermutlich in einer abweichenden Punktation von ילדתיךund משחר ihren Ursprung haben. In der traditionsgeschichtlichen Untersuchung wurde die These aufgestellt, dass die LXX hier mit ihrer Lesart von ילךתיףvermutlich den ältesten hebräischen Text wiedergibt, den die Masoreten nicht weiter tradierten. Die anfanglichen Beobachtungen zum masoretischen Text haben ebenfalls ergeben, dass aus syntaktischen Gründen schwerlich in ילדתיךein Nomen gesehen werden kann. Auch die traditionsgeschichtliche Untersuchung ergab, dass das Motiv einer göttlichen Abstammung zum Standardrepertoire von Königsliedern gehört, das in masoretischer Lesart nicht vorhanden ist. Weshalb also änderten die Masoreten die Punktation und somit die Aussage des Psalms an dieser Stelle? Auch ihre Akzentsetzung interpretiert den Psalm auf ihre eigene Weise, wie dies im ersten Kapitel dargestellt wurde - auf sie wird nochmals zurückgegriffen. In diesem Kapitel wird dementsprechend sowohl die redaktionsgeschichtliche Überlegung verfolgt, warum in Vers 4aß ולא ינחם redaktionell ergänzt wurde, als auch die Frage, warum die Masoreten diese Punktation und Akzentuierung gewählt haben, wie sie heute vorliegt. Zusätzlich ist zu untersuchen, welche Auswirkung die Aufnahme von Ps 110 in den hebräischen Psalter und in die hebräische Bibel auf seine jeweilige theologische Aussage hatte. Wurden theologische Intentionen des Psalms - außer durch literarische Hinzufügungen - auch durch die Zusammenstellung mit anderen Texten frei? Als Redaktionsstufe 1 ist im Folgenden die Position von Ps 110 im hebräischen Psalter bezeichnet. Wie die Darstellung der Forschungsgeschichte zu Beginn gezeigt hat, ist gerade die Forschung der letzten Jahre durch die Schlagworte ״Psalterexegese" und ״Intertextualität" bestimmt, sodass auch an dieser Stelle die Methoden der Psalterexegese an Ps 110 und seinem Umfeld durchgeführt werden sollen. Vorweg soll eine kurze Einführung in die sogenannte Psalterexegese stehen, damit anschließend die Frage, ob Ps 110 einer Sinnänderung unterliegt, indem er mit den umliegenden Psalmen korrespondiert, geklärt werden kann. Unter Redaktionsstufe 2 wird die Aufnahme von Ps 110 in das Textcorpus der hebräischen Bibel stehen. Im Vordergrund stehen hierbei die Nathanweissagung in II Sam 7 sowie die gesamte Davidsgeschichte. Zudem wird der redaktionelle Zusatz des Motivs von der ״Nicht-Reue JHWHs" im Gebilde der hebräischen Bibel beleuchtet, da dieser vermutlich erst nach der Aufnahme von Ps 110 in den Psalter im Zusammenhang der Psalter übergreifenden gesamtbiblischen Redaktion - hinzugefügt wurde. Redaktionsstufe 3 bildet schließlich die masoretische Bearbeitung des Psalms.
6.2 Redakt ions stufe 2
145
6.1 Redaktionsstufe 1: Psalm 110 im Kontext des hebräischen Psalters 6.1.1 Kurze Hinfuhrung zur sogenannten ״Psalterexegese" Nach M. Leuenberger ״hat die historisch-kritische Erforschung der atl. Psalmen in den vergangenen zwei Dekaden einen tief greifenden )Paradigmen Wechsel < [...] durchlebt: Die >klassische<, seit W.M.L. de Wette und zumal H. Gunkel primär formgeschichtlich und am Einzeltext orientierte Psalmenexegese wurde durch die neuere, kompositionskritische, redaktionsgeschichtliche und buchweit arbeitende Psalterexegese erweitert (nicht etwa ersetzt)."462 Die Anordnung des Psalters und deren theologische Interpretation sind hierbei von großem Interesse. Bereits Franz Delitzsch hatte dokumentiert, nach welchen Kriterien der Psalter aufgebaut ist: Er sei geordnet nach der homogeneitas externa, das heißt chronologisch (ordo chronologicus), nach Autoren (auctores), nach der Liedart (genus carminum) sowie nach der homogeneitas vel analogia interna.463 Unter Letzterem weist Delitzsch Stichwortverkettungen zwischen den einzelnen Psalmen nach. Diese Herausarbeitung von verbindenden Stichwörtern zwischen den Psalmen wird in der Psalterexegese wieder aufgegriffen. Zusätzlich werden ״tacit Indications of Purposeful Editorial Activity" 464 in den Psalmen gesucht. Die Annahme, dass es weitere Kompositionstheorien zur Anordnung des Psalters gegeben habe zuzüglich zu den Stichwortverbindungen, stellt in der heutigen Forschung oft die Ausgangsthese dar, so beispielsweise bei E. Zenger: ״These 1: Bei kanonischer Auslegung sind die Beziehungen eines Psalms zu seinen Nachbarpsalmen zu beachten. " 465 Verwandtschaft müsse nicht nur festgestellt, sondern auch für die Interpretation relevant gemacht werden. 466 Eine ähnliche Betrachtung des Psalters beschreibt K. Koenen zu Beginn seines Buches über die Komposition von Ps 90-110: ״Von der Annahme, daß die Psalmen nach Stichwortübereinstimmungen angeordnet sind, ist es nur ein kleiner Schritt zu der These, daß es sich bei der Zusammenstellung der Psalmen - zumindest zum Teil - um wohldurchdachte Kompositionen handelt. Die Verbindung der Psalmen erscheint bei diesem Ansatz nicht als eine äußerliche, von Sammlern mehr oder weniger mechanisch vollzogene, sondern als eine inhaltlich gewichtige. Die Psalmen sind so aneinandergereiht, daß sie sich gegenseitig beleuchten und ergänzen, ja daß sie eine neue Aussage zum Ausdruck bringen und damit Sinnaspekte zu462
M. Leuenberger, Konzeptionen des Königtums, V. Vgl. Fz. Delitzsch, Symbolae ad psalmos, 45. 464 G.H. Wilson, The Editing of the Hebrew Psalter, 10. 465 E. Zenger, Was wird anders bei kanonischer Psalmenauslegung?, 399. 466 vgl. E. Zenger, Was wird anders bei kanonischer Psalmenauslegung?, 400.
463
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Exegese
tage fördern, die die Psalmen als Einzelpsalmen nicht hatten. Die Zusammenstellung mit anderen Psalmen bietet also - sieht man von möglichen früheren Fortschreibungen ab - den ältesten Kommentar eines Psalms."467 Erfuhr Ps 110 eine Sinnänderung, indem er in den Psalter zwischen den Psalmen 109 und 111 verortet wurde? 6.1.2 Psalm 110 und seine Stellung im 5. Psalmbuch M. Saur erarbeitete 2004 in einer Analyse der Königspsalmen ihre Funktion innerhalb des Psalters und wollte damit einen Beitrag zur Diskussion um die Komposition des Psalters aus der Perspektive der Königspsalmen leisten.468 Saur konstatiert, dass die Königspsalmen den Psalter nicht nur innerhalb einzelner Abschnitte prägen, sondern in seiner Gesamtstruktur.469 Die Königspsalmen würden jeweils den Abschluss einer Bittfolge bilden, zum Lob überleiten und demnach als Antwort auf die vorangehenden Psalmbitten dienen. Somit wäre die Stellung von Ps 110 zwischen dem Bittpsalm Ps 109 und den lobenden Akrosticha Ps U l f und die damit verbundene Funktion des Königspsalms am Übergang von der Bitte bzw. Klage zum Lob „offensichtlich keine Besonderheit von Ps 110, sondern ein Kennzeichen der theologischen Strategie der Kompositoren der Königspsalmen innerhalb des letzten Teils des Psalters: Ps 110 bildet innerhalb des fünften Psalmbuches zusammen mit Ps 132 und Ps 144 ein das Lob Jahwes begründendes hermeneutisches Netz von Königspsalmen."470 Die Königspsalmen würden also durch ihre Positionierung vor dem Lob JHWHs zum Fundament des Lobens; „die in den Königspsalmen zum Ausdruck gebrachte protomessianische Erwartung geht über in das Lob Jahwes, so daß die protomessianisehen Vorstellungen zur Begründungsfigur des derart modifizierten theokratischen Denkens werden."471 Saur sieht des Weiteren in der Beziehung zwischen den Königspsalmen und dem restlichen 5. Psalmbuch die Konfrontation von protomessianischer und theokratischer Theologie - eine Struktur, die er auch innerhalb von Ps 110 selbst auszumachen versucht.472 Die wichtige Stellung von Ps 110 betont auch K. Koenen, der in ihm den Abschluss und somit einen Höhepunkt des Kompositionsbogens 90-110 sieht. Er möchte in seiner Arbeit 473 zeigen, „daß wir es bei 467 K. Koenen, Jahwe wird kommen, 22. 468 Vgl. M. Saur, Die Königspsalmen, 1. 469 Vgl. M. Saur, Die Königspsalmen, 295. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch G.H. Wilson, The use of the Royal Psalms. 470 M. Saur, Die Königspsalmen, 320. 471 Ebd. 472 Vgl. M. Saur, Die Königspsalmen, 222. 473 K. Koenen, Jahwe wird kommen.
6.2 Redakt ions stufe 2
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Ps 90-110 mit einer planvoll angelegten Komposition zu tun haben, die mit Ps 90-101 und Ps 102-110 aus zwei aufbaugleichen, parallelen Durchgängen besteht, welche jeweils einen Weg von der Klage zur Ankündigung einer heilvollen Zukunft beschreiben."474 Koenen sieht seine These, dass Ps 101 und 110 den Schluss zweier Sammlungen bilden, darin bestätigt, ״daß Königslieder auch anderenorts am Ende von Sammlungen belegt sind". 475 Gegenteilig bestimmt nun M. Miliard für Ps 110 nicht die Schluss-, sondern die Anfangs- bzw. Mittelposition und nimmt 110-112 als formgeschichtliche Mittelposition am Wendepunkt zwischen Klage und Lob an. Er gelangt zu der These, dass sich an den Anfangs- und Schlusspositionen der Psalmgruppen durchweg Weisheitspsalmen oder Psalmen zur Motivation einer Wallfahrt beziehungsweise ZionsKönigspsalmen finden. Er stellt weiterhin fest, dass beide Psalmtypen auch die Mittelposition in einer Psalmgruppe einnehmen könnten, ״und zwar sowohl eine Mittelposition, was die Zahl der Psalmen der Gruppe angeht [. ]״oder eine formgeschichtliche Mittelposition am Wendepunkt zwischen Klage und Lob (z.B. Psalm 110-112 im Kompositionsbogen Psalm 107-118)."476 M. Leuenberger sieht in den Pss 108-110 eine Komposition, die ״aus Einzelpsalmen ohne substantielle redaktionelle Erweiterungen zusammenge stellt"477 wurde. ״Sowohl 108-110 als auch 111-118 führen die Buch IV prägende Jhwh-König-Konzeption fort, wobei 108-110 programmatisch die (depotenzierte) Königskonzeption in Jhwhs Königtum integrieren"478. Ps 110 eindeutig einer planvoll angelegten Psalmen-Komposition zuzuschreiben, erscheint schwierig, da allen skizzierten Vorschlägen zur bewussten Positionierung von Ps 110 begründete Beobachtungen zugrunde liegen. Dass Ps 110 den Anfang der Psalmengruppe 110-112 bildet, ist allerdings nicht überzeugend, da Ps 110 mit den folgenden Zwillingspsalmen zu wenig gemein hat, um eine Gruppe zu bilden. Aufgrund der Überschriften, die sowohl David als auch dieselbe Liedkategorie ( )מזמורenthalten, ist es wahrscheinlich, mit R.G. Kratz 479 einen kleinen Davidspsalter in 108-110 anzunehmen. Dieser kleine Davidspsalter bildet die Mitte des Schemas Toda - David - Halleluja, das kennzeichnend für das vierte und fünfte Psalmenbuch ist. Hinsichtlich 474
K. Koenen, Jahwe wird kommen, 8. Vgl. K. Koenen, Jahwe wird kommen, 111. 476 M. Miliard, Die Komposition des Psalters, 172. 477 M. Leuenberger, Konzeptionen des Königtums, 368. 478 M. Leuenberger, Konzeptionen des Königtums, 369. 479 Vgl. R.G. Kratz, Die Tora Davids, 297f. Einen kleinen Davidspsalter an dieser Stelle nehmen beispielsweise auch M. Leuenberger, Konzeptionen des Königtums, und E. Zenger, Komposition und Theologie, an. 475
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6 Voriiberlegungen zur innerbiblischen
Exegese
Ps 110 ist Leuenberger zu wiedersprechen, der ebenfalls an dieser Stelle für die Zusammengehörigkeit der Psalmen 108-110 votiert, da hier keine Vorstellung eines depotenzierten Königtums zu erkennen ist. Zu der Annahme eines solchen depotenzierten Königtums gelangt man nur, wenn die Verse 5 und 6 auf JHWH hin gelesen werden. Dies ist aber, wie bereits beschrieben, weder in einem (möglicherweise) ursprünglichen Text noch in der masoretischen Gestalt des Psalms intendiert. Der in Ps 110 beschriebene König hat - ganz im Gegenteil zu einer depotenzierten Autorität - erhebliche Macht, sodass er spiegelbildlich zu JHWH seine Feinde auf der Erde besiegt und triumphierend aus einem Bach am Weg trinken wird als Zeichen seines Sieges. Für die These, dass Ps 110 den Schlusspsalm der Sammlung 101-110 bildet, wie Koenen dies vermutet, tritt der Buchschiuss in Ps 106 als Problem auf, wenn eine Gruppenzuweisung auf der Basis von Endtextexegese erfolgt. Kratz weist darauf hin, dass man es ״bei Ps 1 und vermutlich auch bei den Doxologien mit kontextgebundenen Neuformulierungen zu tun [hat], die eigens dafür in den Psalter eingeschrieben wurden, um der Gesamtkomposition ein bestimmtes redaktionelles Profil zu geben."480 Eine Komposition anzunehmen, die eine Schlussdoxologie unbeachtet lässt, obwohl diese so gewichtig für die Gesamtkomposition des Psalters sind, ist demnach schwierig, obgleich C. Levin auch darauf hinweist, dass die Abgrenzung zwischen dem vierten und dem fünften Psalmenbuch nur wegen der Menge der Psalmen eine Zäsur bilde.481 Nach Kratz ist der Psalter ״mit den Doxologien selbst als eine Art Liturgie gestaltet, bei der der Leser nicht nur auf Tora und Kult verwiesen wird, sondern das Lesen des Psalters als solches zum torakonformen liturgischen Vorgang wird." 482 Um mit Koenen eine planvoll angelegte Komposition der Psalmen 90-110 annehmen 483 und gleichzeitig die Wichtigkeit der Buchschlüsse anerkennen zu können, sollten explizit verschiedene redaktionelle Schichten beschrieben und zuerst für sich analysiert werden. Dann stellt sich natürlich die Frage, warum im Zuge der Endredaktion eine planvolle Komposition mit einem Buchschiuss unterbrochen wird, oder ob dieser Schluss lediglich aus quantitativen Gründen an dieser Stelle seinen Platz fand. Eine weitere Schwierigkeit der These Koenens liegt in seiner Methode, eine ständige Subjektunterlegung in den aufeinander
480
R.G. Kratz, Die Tora Davids, 306. C. Levin, Die Entstehung der Büchereinteilung, 89: ״Während die Abgrenzung der ersten drei Bücher des Psalters sammlungsgeschichtliche Gründe hat, haben das vierte und fünfte Buch kein Eigengewicht." 482 R.G. Kratz, Die Tora Davids, 311. 483 Nach K. Koenen stammt Ps 106,1-3 aus der Hand eines Kompositors, der dadurch eine Brücke zwischen Ps 105 und Ps 107 herstellen wollte. Damit sei Ps 106 nicht als Ende einer Sammlung zu betrachten (vgl. K. Koenen, Jahwe wird kommen, 47). 481
6.2 Redakt ionsstufe 2
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folgenden Psalmen anzunehmen - dieses Verfahren wird später problematisiert. Zusammenfassend sei festgehalten, dass Ps 110 am Schluss des klei״ nen Davidspsalters zu sehen ist, was sich vor allem aus den Überschriften schließen lässt. Des Weiteren steht Ps 110 zwischen einer Klage und einem Lob JHWHs, obgleich diese Aussage mit Blick auf die Pss 89 und 132 zu erweitern ist. Thematisch bilden diese drei Psalmen eine Einheit im Bezug auf die Nathanweissagung in IT Sam 7 484 , die in Ps 89 eine Klage und in Ps 110 einen Höhepunkt aufweist, der in eine Motivation zur Wallfahrt in Ps 132 mündet. Mit Blick auf die Pss 89 und 132 ist es nun möglich, Ps 110 als ein ״Fundament des Lobens" (so Saur) beziehungsweise der Wallfahrt in Ps 132 zu betrachten. Meines Erachtens trägt Ps 110 durch seine Positionierung an dieser Stelle im fünften Psalmbuch nicht zu einer theokratisehen Interpretation dieses Buches bei, da Ps 110 sowohl theokratische als auch machtvolle Königsaussagen über einen menschlichen König innehat. Eine deutliche Vormachtstellung der Theokratie in Ps 110 ist weder in seiner ursprünglichen Fassung noch durch seine Aufnahme in den hebräischen Psalter vorhanden. Im Zusammenhang der Psalterexegese ist über eine planvolle Positionierung von Ps 110 hinaus zu fragen, ob Ps 110 durch seine Stellung im Psalter eine Sinnänderung erhält - dazu wird ein Aufsatz von N. Lohfmk als Arbeitshypothese herangezogen. 6.1.3 Die Arbeitshypothese zur kanonischen Psalmenauslegung nach N. Lohfmk N. Lohfink konstatiert, dass der Psalter ein einziger Meditationstext gewesen sei,485 und stellt anschließend die Frage, ob die Endredaktion des Psalmenbuches den Psalter nicht gar zu diesem Zwecke geschaffen habe und ob dieser Zweck nicht seine Form mitbestimme. Dafür spreche das Phänomen der Stichwortverkettung der Psalmen, da man dadurch von einem zum nächsten Psalm als Meditationshilfe weitergeleitet würde. 486 Die nächste Frage, die dabei auftrete, sei, ״ob nicht die psalmenverkettende Endredaktion durch die Zuordnung einzelner Psalmen zu Nachbarpsalmen zumindest in einzelnen Fällen auch deren direkten Sinn abgewandelt hat." 487 Lohfink gibt hier Beispiele für dialogische Dramatisierung (Ps 137/138), Interpénétration der Aspekte und für neue Subjektunterlegung. 484 485 486 487
Dies ist das Thema des nächsten Kapitels. N. Lohfmk, Psalmengebet und Psalterredaktion, 6. N. Lohfmk, Psalmengebet und Psalterredaktion, 7. N. Lohfink, Psalmengebet und Psalterredaktion, 13
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6 Voriiberlegungen zur innerbiblischen Exegese
Diese drei Phänomene werden von Lohfink als Möglichkeiten aufgezeigt - es wird aber nicht grundsätzlich die Schaffung neuer Sinnräume durch die Komposition eingefordert. Gibt es sprachliche Verbindungen/Weiterleitungen Nachbarpsalmen 108, 109 und 111+112?
zwischen
den
® Zur homogeneitas externa Die Pss 108-110 sind nach der Bezugsperson ״David" geordnet und weisen die gleiche beziehungsweise ähnliche Liedkategorie auf: Überschriften:
Ps 108 Ps 109 Ps 110
שיר מזמור ל ד ו ד למנצח ל ד ו ר מזמור ל ד ו ד מזמור
® Zur homogeneitas interna hat Fz. Delitzsch folgende StichwortVerkettungen herausgearbeitet 488 : Ps 107,1: Ps 108,4.5: 108,4: 109,30: 109,31: 110,1: 110,5: 110,6: 111,6:
הודו ליהוה כי־־טוב כי לעולם חסדו כי־גדול מעל״שמים ח ס ד ך..אודך בעמים יהוה אודך בעמים יהרה ואזמרך בלאמים אודה יהוה מאר בפי ובתוך רבים אהללנו כי־יעמד לימין אביון שב לימיני אדניעל־ימינך ידץבנוים לתת להם נחלת נדם
Zu ergänzen sind: - Auch in Ps 108,7 liegt eine sprachliche Verbindung mit dem Lexem ״rechts" vor:הושיעה ינדנך וענני - Ps 108 und 110 weisen eine sprachliche Übereinstimmung in der Wurzel שחרauf, obwohl sie im masoretischen Text nicht die gleiche inhaltliche Füllung haben: Ps 108,3: Ps 110,3:
אעירה שחר מ ר ח ם משחר
Zu negieren sind: - K. Koenen nennt als Stichwortverknüpfung zwischen Ps 108 und Ps 110: קךב י י109,18.22; 110,2; אדוןfür Jahwe 109,21; 110,5." 489 Dies sind aber keine seltenen, Bedeutung tragenden Begriffe, an denen man eine bewusste Wiederaufnahme oder Verknüpfung feststellen kann, da es sich bei קרבum eine Prä488 Ygi p z Delitzsch, Symbolae ad psalmos, 63. K. Koenen, Jahwe wird kommen, 109.
489
6.2 Redakt ionsstufe 2
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Position und bei אדוןum eine Gottesbezeichnung handelt, die ca. 50x im Psalter belegt ist. Im letzten Psalmbuch sind beide Vokabeln zwar selten, aber dennoch häufiger Bestandteil der hebräischen Bibel. - Auch die von E. Zenger beobachtete Stichwortverkettung um den Begriff רשעwirft Zweifel auf, da Zenger eine Verbindung zwischen den Pss III und 112 und den Pss 108-110 durch das Thema des רשעsieht, das in Ps 113-118 (und in 120-137, mit Ausnahme von 129,4) fehle. 490 Es fehlt jedoch auch in den Pss 108, 110 und 111 - es ist lediglich in Ps 109, 2.6.7 vorhanden. - Daneben stellt Zenger als Gemeinsamkeit von Ps 108 und 110 fest, dass die Orakel beider Psalmen im Heiligtum gesprochen werden und dass sich beide Gott ״thronend" vorstellen491. Von dem ״Gottesorakel" in Ps 110 wird dagegen nicht gesagt, dass es im Heiligtum gesprochen wurde. Auch wenn Ps 110 als Inthronisationspsalm betrachtet wird, so ist der Ort einer Thronbesteigung der Palast und nicht das Heiligtum. Des Weiteren wird in Ps 108 von JHWH nicht als dem Thronenden geredet. - M. Leuenberger sieht in den Psalmen 108-110 ein ״lockeres Stichwort- und Themageflecht rund um die Begriffe Dank, Gnade, Rettung des >David< vor (völkerweiten) Feinden"492. In Ps 110 sind jedoch weder Dank noch Gnade fassbar. Das Thema der ״Rettung vor Feinden" ist eine Interpretation, die nur schwer im ursprünglichen und im kanonisierten Psalm zu erkennen ist beschrieben sind lediglich ein kämpfender Gott und ein kämpfender König. Bei der Annahme, dass die Pss 108-110 die Feindthematik gemeinsam haben, ist zu beachten, dass es sich um verschiedene Lexeme für die ״Feinde" handelt: In Ps 108,14 sind es die צרינו, während in Ps 109 der רשעund in 110 die איביך genannt werden. Mit Blick auf die Stichwortverbindungen kann abschließend festgehalten werden, dass Ps 110 verknüpfende Wörter nach vorne und hinten aufweist, wenn auch in der Forschung keine Übereinstimmung hinsichtlich der verbindenden Wörter und Themen vorhanden ist. Die Verknüpfungen innerhalb des kleinen Davidspsalters sind stärker als die zwischen 110 und den folgenden Zwillingspsalmen. Liegt hei den Pss um 110 eine dialogische Dramatisierung vor? Das von Lohfmk selbst angeführte Beispiel von Ps 137 zu 138 ist mit 109 beziehungsweise 110 insofern vergleichbar, als auch hier eine Klage den Anfang bildet und der folgende Psalm Lob oder Hoffnung 490 Vgl. E. Zenger, Komposition und Theologie, 108. 491 E. Zenger, Komposition und Theologie, 107. 492 M. Leuenberger, Konzeptionen des Königtums, 289.
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ausspricht. Daher ist es ebenso möglich, bei Ps 109 und 110 von einer Dramatisierung sprechen, wobei nicht außer Acht gelassen werden soll, dass diese Dramatisierung nicht nur im direkten Umfeld, sondern möglicherweise auch gerade in der Steigerung von Ps 89 über 110 zu 132 zu sehen sein kann. Für Ps 110 ist es durchaus möglich, als Folge von Klagepsalmen eine Art Höhepunkt oder Dramatisierung anzunehmen, klar zu beweisen ist das allerdings nicht. Existiert in diesem Bereich eine Interpénétration der Aspekte? Unter Interpénétration der Aspekte ist zu verstehen, dass die verschiedenen Situationen und Subjekte von hintereinander geschalteten Psalmen durch ihre Stellung miteinander in Beziehung gesetzt werden. Es sind keine disparaten Größen mehr. ״Schon allein die Verkettung der drei ersten Psalmen bewirkt in dem, der den Psalter als ganzen meditierend vor sich her murmelt, so etwas wie eine Aufsprengung der Einzelaussage, wie ein schwebendes Verschwimmen der einzelnen Versteh ensebenen."493 Auf Ps 110 übertragen, ist es denkbar, dass dieser Psalm - als Folge von 109 gelesen - die auch ursprünglich in diesem Psalm vorhandene Hoffnung auf einen neuen König noch stärker zutage treten lässt. Ein Hoffnungstext wirkt auf eine Schilderung der Not durchaus noch intensiver. Saur stellt zudem mit Blick auf den nachfolgenden Psalm fest, dass die Verbindung von Ps 110 und l l l f . dadurch eine besondere Note erhält, ״daß das in Ps 110 thematisierte Königtum aufgrund der Verbindung mit den folgenden Tora- und Lobpsalmen als vom Lob Jahwes getragene und fundierte Größe erscheint; die priesterliche Funktion des Königs scheint nicht nur innerhalb von Ps 110 selber, sondern auch innerhalb seines Kontextes durch: Der König hat als Priester das Lob Jahwes in besonderer Weise anzustimmen und innerhalb seines Volkes zu pflegen" 494 . Dies ist ebenso eine interessante und mögliche, aber nicht zu beweisende Aussage. Nach E. Zenger kommt der Sammlung der Pss 108-110 die Funktion einer Antwort auf die weisheitliche Schlussfrage in Ps 107,42f. zu. 495 Ps 108 gebe wiederum das Thema für den kleinen Davidspsalter an. 496 Die Annahme E. Zengers, dass Psalmen in Anfangs Stellung einer Gruppe die Funktion ״Programm" oder ״Thema" erhalten, und den Psalmen am Schluss einer Sammlung die Funktion ״Kommentar" oder ״Antwort" zukommt, ist schwer beweisbar, da es dafür keine Anhaltspunkte im Text gibt, wann ein Psalm diese Funktion innehat und wann nicht. Warum beispielsweise ist Ps 120 nach Zenger kein Programm, obwohl er zu Beginn des Wallfahrtspsalters steht? Auch sollte wohl 493
N. Lohfmk, Psalmengebet und Psalterredaktion, 12. M. Saur, Die Königspsalmen, 319f. 495 E. Zenger, Komposition und Theologie, 108. 4% Vgl. E. Zenger, Komposition und Theologie, 107. 494
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Ps 137 mit seinen drastischen Schlusssätzen (V.8f.. ־Tochter Babel, du Verwüsterini Glücklich, der dir vergilt dein Tun, das du uns angetan hast. 9 Glücklich, der deine Kinder ergreift und sie am Felsen zerschmettertf) nicht als ״Kommentar" zu den Zionspsalmen Pss 120-136 gelesen werden. Natürlich wird JHWH gepriesen, dass er das Volk Israel von seinen Bedrängern errettete, doch ist es schwierig, aufgrund des Gotteslobs dazu aufzurufen, die Kinder Babels zu zerschmettern. Die Konsequenz aus der Rettung vor den Feinden ist die Wallfahrt zum Zion, die Feinde sind bereits geschlagen. So ist es ebenso problematisch, in dem Danklied von Ps 108 eindeutig das Programm zu Klage und Königslied zu erkennen, zumal hier verschiedene Gattungen, Themen und Wortfelder vorliegen. Betrachtet man im Vergleich dazu beispielsweise die Abfolge der Pss 135 und 136, ist ein solches Phänomen von Frage und Antwort denkbar, da Ps 136 Bezug auf Ps 135 nimmt, was an Gattung, Aufbau und Vokabular deutlich wird. Diese problematisierte Kompositionsthese trägt durchaus - nur nicht soweit, wie sie beansprucht wird. Liegt eine Subjektunterlegung vor? Von einigen alttestamentlichen Forschern, deren Ansatz im Folgenden dargestellt wird, wird postuliert, dass eine Subjektunterlegung von einem Psalm zum nächsten dann geschieht, wenn der Psalter als „ein Ganzes" gelesen wird. Ein Subjekt könne mit in den nächsten Psalm hineingenommen werden, sodass der folgende Psalm einen anderen Charakter und eine neue Interpretation durch dieses andere Subjekt erhalte. G.H. Wilson weist den beiden Davidspsaltern im 5. Psalmbuch eine besondere Stellung zu: „Their placement at beginning and end implies purposeful editorial arrangement."497 Wilson stellt als These auf, dass diese Gruppierungen als Ganze die Intention verfolgen, David als ein Modell als Antwort auf die vorausgehenden Psalmen zu präsentieren. So liest Wilson die Pss 107-110 allesamt in Bezug auf David498: In Ps 107 sei David bereits als „wise man" präsent. Seine Bereitwilligkeit, ein Lob auf JHWH zu singen, während er inmitten anderer Nationen (108,3) weilt, werde zum Paradigma. David verzweifele nicht im Angesicht seiner Feinde, sondern fahre fort, auf die unerschütterliche Liebe von JHWH zu bauen, der an der rechten Hand des Armen steht, 497
G.H. Wilson, The Editing of the Hebrew Psalter, 221. Dass an dieser Stelle im fünften Psalmbuch eine durchdachte Komposition vorliege und die angesprochene Person in den Pss 108-110 David sei, ist nicht nur eine Erkenntnis der jüngeren Forschung. Beispielsweise wies Samson Raphael Hirsch in seinem Psalm-Kommentar darauf hin, dass David in Ps 109 und Ps 110 der Adressat sei, diese Psalmen aber in einem großen Kontrast zueinander stünden. Zudem sei es „nicht absichtslos" gewesen, dass diese Psalmen ihre „Stelle unmittelbar vor diesen Ps. 111 gefunden" haben. Vgl. S.R. Hirsch, Die Psalmen, 186ff. 498
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um ihn von denen zu schützen, die ihn zum Tod (109,26-31) verurteilen würden. Das Vertrauen Davids werde schließlich mit göttlichem Schutz bestätigt, während er seine Verleumder konfrontiere (110).499 K. Koenen sieht als Subjekt von Ps 110 den ״Armen" aus Ps 109. Koenen postuliert, dass im Anschluss an Ps 109 Ps 110 in ganz neuem Licht erscheine. Ps 109 ״endet mit dem hymnischen Lobpreis, daß Jahwe ,zur Rechten des Armen' [...] steht. Ps 110 wird von der Zusage eröffnet: ,Setz dich zu meiner Rechten!' [...] Diese Verbindung ist kaum Zufall! Liest man 110 nun im Licht der Schlußzeile von 109, so gilt der Psalm, ohne daß man sich zu plastisch ausmalen darf, wer rechts und wer links von wem ist, nicht mehr dem König, sondern dem Armen von 109. An diesen von Feinden verfolgten Armen, der in seiner Not zu Jahwe geschrieen und auf dessen machtvolle Hilfe vertraut hat, sind die Sieges-Zusagen von 110 jetzt gerichtet."500 Der Königspsalm sei durch seinen Kontext in königsloser Zeit auf die Armen und damit auf die leidenden Gerechten - übertragen und so in gewisser Weise ״demokratisiert" worden. Nicht die Feinde des Königs, sondern die der Gerechten würden von JHWH vernichtet werden.501 Bei diesen Armen beziehungsweise Leidenden handelt es sich laut Koenen ״um eine innerisraelitische Partikulargruppe. Es sind die Gerechten, die Frommen, die Knechte Jahwes, die ihren als Frevler bezeichneten Feinden ohnmächtig ausgeliefert sind." 502 M. Leuenberger erkennt, wie auch Wilson, David als angesprochene Person in Ps 110. Er vertritt allerdings die modifizierte These, dass auf der Ebene der Komposition die Beter der Psalmensammlungen sich mit dem ״David" aus der Überschrift לדודidentifizieren. ״In 108-110 erscheint >David< demnach in (armen)kollektivierender >V01ks<-perspektive als Identifikationsfigur für den Beter/Leser des Psalters."503 E. Zenger konstatiert mit Blick auf das Subjekt von Ps 110 Folgendes: ״Von der Komposition her ergibt sich als Leseregie, in dem אישvon Ps 112 den in Ps 110 von JHWH an seine Seite berufenen König zu sehen." 504 Dieser אישentspreche in seinem Handeln dem in Ps 111 gefei״ erten JHWH. Bei dem Modell von E. Ballhorn wird eine zweifache Möglichkeit gegeben, das Subjekt von Ps 110 zu verstehen. ״Aus dem angefeindeten und angeklagten Beter wird der königliche Beter, der zur Rechten Gottes sitzt. Der Arme aus Ps 109 wird in Ps 110 als König inthronisiert. Oder umgekehrt: dem siegreichen König David aus Ps 110 geht als Vorgeschichte seine Bedrängnis durch die Feinde voran." 505 499 500 501 502 503 504 505
Diesen Abschnitt vgl. G.H. Wilson, The Editing of the Hebrew Psalter, 221. K. Koenen, Jahwe wird kommen, 108. Vgl. K. Koenen, Jahwe wird kommen, 109. K. Koenen, Jahwe wird kommen, 129f. M. Leuenberger, Konzeptionen des Königtums, 290. Vgl. E. Zenger, Komposition und Theologie, 108. E. Ballhorn, Zum Telos des Psalters, 156.
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6.1.4 Fazit Ist die in Ps 110 angesprochene Person nun der weise David, ein Kollektiv für die Leidenden oder der König, von dem auch in Ps 112 die Rede ist? Oder kann er in doppelter Hinsicht verstanden werden? Dass bei Ps 110 in seinem Kontext eine Stichwortverknüpfung vorliegt, ist nicht zu bestreiten. Erhält aber der Psalm einen neuen Horizont, einen anderen Sinn, als er ursprünglich innehatte? Durch die Stellung nach einem Klagepsalm, der auch mit der gleichen Motivik aufhört mit der Ps 110 beginnt, könnte man eine Interpénétration der Aspekte erkennen. Durch die vorangehende Klage kommt die Hoffnung auf einen König noch stärker zur Geltung, als wenn der Psalm isoliert betrachtet wird. Auch könnte Ps 110 nach einer Klage und vor einem Gotteslob zu einer Art Fundament des Lobens werden, obwohl mit diesem Gedankengang vorsichtig umgegangen werden muss. Es ließe sich daraus leicht der Rückschluss ziehen, dass man Gott erst zu loben hat, wenn der neue König eingetroffen ist. Dies entspricht aber nicht der Theologie dieser Psalmen. Die Theorie der Subjektunterlegung ist bezüglich dieses Psalms nicht ausreichend beweisbar. Welches Subjekt der einzelne Beter in den Psalmen wahrnimmt, ist schwer zu definieren. Dies wird auch dadurch deutlich, dass in der alttestamentlichen Forschung - nach jeweils begründeter Argumentation - unterschiedliche Subjekte von Ps 110 bestimmt werden. Es ist ebenso möglich, dass die Psalmen assoziativ miteinander verbunden waren, sodass sie als ein ״so, wie auch x, so ist dies auch bei y der Fall" verstanden werden müssen. Um dies zu konkretisieren, kann als Beispiel die Zitatabfolge im Midrasch Tehillim zu Ps 110 angeführt werden. Hier wird der Kampf Abrahams in Gen 14 näher beleuchtet: ״Und wer führte alle diese Kriege? Der Heilige, geb. sei er! denn er sprach zu ihm: Setze dich zu meiner Rechten, ich führe die Kriege für dich. Es ist aber hier nicht erklärt. Wer hat es erklärt? David. Spruch des Ewigen an meinen Herrn: Setze dich zu meiner Rechten. Und so spricht er zum Messias: ״Und gegründet wird auf Liebe sein Thron und er sitzet darauf in Wahrheit im Zelte Davids (Jes 16,5). "506
In diesem Midrasch-Abschnitt werden zwei Bibelstellen hintereinander geschaltet (Ps 110,1 und Jes 16,5). Jes 16,5 folgt auf Ps 110,1, weil beide Stellen miteinander verglichen beziehungsweise zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen: Es heißt, dass David in Ps 110 eine Rede JHWHs an Abraham wiedergibt, in der JHWH spricht, dass er selbst für Abraham die Kriege führen wird, während Abraham zu sei506
Text aus A. Wünsche, Midrasch Tehillim, 139. Diese Stelle und andere rabbinische Rezeptionen von Ps 110 werden im Schlusskapitel näher betrachtet werden.
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ner Rechten sitzt. Genau so, wie JHWH zu Abraham durch David gesprochen hat, so spricht er auch zum Messias in Jes 16,5, dass er auf einem Thron sitzen wird. Hier werden zwei Bibelstellen über eine gleiche Vokabel ( = ישבsitzen) und ein gemeinsames Subjekt (JHWH) miteinander kombiniert, doch sind die Adressaten dieser Zitate zwei unterschiedliche Personen: in Ps 110 spricht JHWH zu Abraham, in Jes 16 zum Messias. Daraus folgt nicht, dass Ps 110 messianisch zu verstehen ist - ebenso wenig, dass der Messias mit Abraham zu identifizieren ist. Diese rabbinische Methode des assoziativen Aneinanderreihens von Bibelstellen ist auch in der Abfolge der Psalmen 109-110 denkbar: So, wie JHWH dem Armen versprochen hat, dass er zu seiner Rechten steht, so wird auch ein König zur Rechten JHWHs sitzen. 507 Subjekt ist hierbei JHWH, die Vokabel des Assoziierens ist ימין, und die Adressaten sind zwei unterschiedliche Personen. So ist der These, dass der Psalter planvoll angeordnet sei, nicht zu widersprechen, nur findet keine Subjektunterlegung von Ps 109 zu Ps 110 statt. Die Möglichkeit, dass an manchen Stellen des Psalters durch überlegt gestaltete Aufeinanderfolge von Psalmen neue Sinnraume konstituiert werden können, ist nicht grundsätzlich auszuschließen, nur ist dies für Ps 110 zu bestreiten. Mit A.R. Müller sehe ich an dieser Stelle ein großes Problem der sogenannten Psalterexegese, da das wesentliche Merkmal, das gefordert wird, nicht ist, ״dass an einzelnen Stellen ein Psalm auf seinen Nachbarpsalm verweist, sondern dass grundsätzlich die Psalmen so zusammengestellt sind, dass sie das immer tun." 508 6.1.5 Die Psalmen 89 und 132 Bisher wurde Ps 110 nur im direkten Umfeld seiner Nachbarpsalmen nicht aber im Kontext des gesamten Psalters betrachtet. Es legt sich aber nahe, die beiden ihm thematisch verwandten Psalmen 89 und 132 mit ins Blickfeld zu nehmen. Der Ausdruck ״Gott hat geschworen" bildet mit seinen Ausfuhrungen in beiden Psalmen ein Leitmotiv und spiegelt die Tradition der Nathanverheißung wider, wie dies bereits in der traditionsgeschichtlichen Untersuchung dargestellt wurde. Zu Ps 89 hält M. Pietsch fest, dass der Psalm angesichts der Infragestellung der (Nathan-)Verheißung auf diese selbst zurückgreife, um ihre Gültigkeit zu bestätigen. Ps 132 stelle indessen eine aktualisierende NeuInterpretation der Nathanverheißung dar. 509 Beide Psalmen beinhalten demnach - wie auch Ps 110 - das Motiv des Schwurs JHWHs in Be 507
Ob dies ein zukünftiger oder ein historisch zu verstehender König ist, wird im Folgenden analysiert werden, im Zuge der Aufnahme von Ps 110 in den Psalter. 508 A.R. Müller, Der Psalter- eine Anthologie, 124. 509 M. Pietsch, »Dieser ist der Sproß Davids...«, 122.137.
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zug auf David (so die Überschrift in Ps 110) oder auf das davidische Königtum. So lassen sich die Pss 89, 110 und 132 durch das Motiv des Schwurs miteinander verbinden. Wenn Ps 89 und 132 durch eben diesen Schwur JHWHs auf die Nathanverheißung zurückgreifen, um diese infrage zu stellen oder neu zu interpretieren, so ist das bei Ps 110 ebenso der Fall,wenn Ps 110 im Kontext des Psalters gelesen wird. Dadurch erhält auch Ps 110 einen Bezug zu Ii Sam 7, den der Psalm, als Einzelpsalm betrachtet, noch nicht innehatte. Es entsteht eine Motivlinie durch die Psalmen 89, 110 und 132, die sich mit der Verheißung des davidischen Königtums auseinandersetzt. Das Volksklagelied von Ps 89 bildet den Anfang, die Zusage der Verheißung in Ps 110 den Höhepunkt, der Aufruf zur Wallfahrt in Ps 132 den Schluss. Ps 78 soll dabei nicht außer Acht gelassen werden, der ebenfalls von der Erwählung Davids spricht, der aber nicht zu den Königsliedern, sondern zu den sogenannten Geschichtspsalmen gezählt wird. So bietet Ps 78 keine Auseinandersetzung mit der Tradition der Nathanweissagung, sondern nennt Davids Erwählung kurz aber prägnant in den letzten drei Versen. Das Thema ״Gott hat geschworen" kommt in Ps 78 nicht vor. Nach M. Witte 510 macht der Autor des Psalms durch dieses Fehlen des Schwurs deutlich, dass er die davidische Zeit für beendet ansieht. Aber durch die Tatsache, dass nach Ps 78 noch drei weitere Psalmen folgen, die auf die Erfüllung der Davidsverheißung pochen, könnte Ps 78 durchaus als Auftakt einer konstatierten Traditionslinie gesehen werden: In Ps 78 wird die davidische Zeit als beendet betrachtet, in Ps 89 wird in königsloser Zeit die Erfüllung der Davidsverheißung eingefordert, in Ps 110 wird sie als erfüllt und in Ps 132 als Grund zur Wallfahrt angesehen. Durch eben diese Verbindung der Psalmen 89 und 132 zu II Sam 7 stellt auch Ps 110 mithilfe von Vers 4a sowohl zu den beiden Psalmen als auch zu der Nathanweissagung beziehungsweise zur Saul-DavidGeschichte eine Verbindung her, sodass es sich anbietet, Ps 110 und seine Positionierung in der hebräischen Bibel und im Besonderen hinsichtlich der Davidsgeschichte näher zu beleuchten. 6.2 Redaktionsstufe 2: Psalm 110 im Kontext der hebräischen Bibel 6.2.1 Ps 110 und die Nathanweissagung Was bewirkt der Redaktor inhaltlich durch eine Verknüpfung mit der Nathanweissagung? Bei einer durchgängigen Lektüre der Bibel von der Genesis an begegnen dem Leser - mit Blick auf das Königtum zuerst die Königsgeschickten mit dem Versprechen Gottes an David in II Sam 7, dann die YJSmgspsalmen. Die Psalmen 89; 110 und 132 re510
M. Witte, From Exodus to David, 39.
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kurrieren auf diesen Text, indem sie entweder die Verheißung in Frage stellen (vgl. Ps 89) oder auf Erfüllung pochen. 511 Ps 110 so gelesen, steht innerhalb der hebräischen Bibel in einer Linie von Verheißung und Erfüllung: Es wird die Erfüllung der Verheißung von II Sam 7 zugesagt und diese insofern noch verstärkt, als Gott diese Zusage nicht bereuen wird - diese Stärkung des Versprechens schafft ein Redaktor durch den Zusatz von Vers 4aß, was nun detaillierter dargestellt wird. 6.2.2 Das neue Thema: ״JHWH wird es nicht reuen" Befund von נחםin der hebräischen Bibel: Wie zu Beginn in der Analyse der masoretischen Form von Ps 110 festgestellt, gibt es in biblischen Liedern kein Pendant zur Verwendung der Wurzel נחם, die der in Ps 110 gleich käme. Auch die Untersuchung von außerbiblischen Texten ergab hinsichtlich der Aussage, dass eine Gottheit ihren Schwur an einem Menschen nicht bereuen wird, keine Parallelen. Die Wurzel נחםkann im Allgemeinen mehrere Bedeutungen tragen. Diese Spanne reicht von positiven Konnotationen wie Mitleid oder Trost spenden bis hin zu der negativen Bedeutung Rache üben, sodass ein und dieselbe Wurzel sowohl Rache und Erbarmen als auch Trost und Reue ausdrücken kann. 512 Im Zusammenhang der Analyse von Ps 110 ergeben sich aus den Stellen, in denen von der Reue Gottes über eine Tat oder ein Werk von ihm die Rede ist, die entscheidenden Pa~ rallelen - die Bibelstellen, in denen von Rache, Mitleid oder Trost die Rede ist, fallen in diesem Zusammenhang nicht ins Gewicht, da dies nicht der Intention von Ps 110 entspricht. ״Zweimal spricht das Alte Testament davon, daß Jahwe ein Heilswerk - die Erschaffung des Menschen (Gen 6, 6 f.), die Wahl Sauls zum König (ISam 15, 11. 35) - nachträglich gereut und er es daraufhin vernichtet bzw. rückgängig gemacht habe." 513 Die übrigen Stellen mit Gott als Subjekt handeln von seinem Bedauern oder Nicht-Bedauern im Hinblick auf eine Bestrafung 514 , sodass diese Stellen hier nicht beachtet werden. In Bezug aus Ps 110 legt sich nahe, die Stelle um das Königtum Sauls näher zu beleuchten. In I Sam 15,1 laa.35b heißt es: נחמתי כי־המלכתי את״שאול ל מ ל ך11 Ich bereue, dass ich Saul zum König gemacht habe. ויהוה נחם כי־המליך את־שאול עליישראל35 Und JHWH bereute, dass er Saul zum König über Israel gemacht hatte. 511 Vgl. G. von Rad, Erwägungen zu den Königspsalmen, 218: ״Die Königspsalmen umstehen den Ort, an dem Gott ein Fundament in die Geschichte gelegt hat, sie feiern diesen Ort und pochen auf die Fülle seiner Verheißungen." 512 Vgl. J. Jeremias, Die Reue Gottes, 16. 513 J. Jeremias, Die Reue Gottes, 19. 514 H.Simian-Yofre, Art.: Dm, 370.
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Hier liegt - außer in Ps 110 - die einzige Kombination der Einsetzung eines Königs durch JHWH mit anschließender Reue JHWHs vor, sodass diese Stelle als Referenzstelle zu Ps 110 betrachtet werden kann. In Ps 110 wird diese Tat und Reue JHWHs ins Positive verkehrt: JHWH setzt einen neuen David ein und wird diese Tat nicht bereuen. Durch die Zusammensetzung der Nicht-Reue JHWHs mit dem Schwur, erhält dieser Vers nun einen deutlichen Bezug zur NathanWeissagung in II Sam 7,15: וחסרי לא־יסור ממנו כאשר הסרתי מעם שאול אשר הסרתי מלפניך Und meine Huld wird nicht von ihm weichen, wie ich sie von Saul habe weichen lassen vor dir.
JHWH hat einmal einen König erwählt und wieder verworfen - das wird nicht ein zweites Mal geschehen. ״Was unter Saul geschah, soll ein einmaliges Ereignis bleiben." 515 JHWH bereut, dass er Saul erwählt hat, sodass er die Erwählung des nächsten Königs sogar auf dessen Nachkommen ausweitet. Obwohl sich David kleinere und größere Verfehlungen erlaubt hat, sagt ihm JHWH die ewige Treue zu. Durch das Schwören und Nicht-Reuen JHWHs in Ps 110 - und dies steht unter der Überschrift ״in Bezug auf David" - wird die Verheißung an David wiederholt. Diese Wiederholung ist kein Einzelfall im Psalter, denn auch in den Psalmen 89 und 132 wird das Thema der NathanWeissagung aufgegriffen, modifiziert und interpretiert. In II Sam 7 wird die ewige Treue versprochen (im Gegensatz zur Saul-Perikope), in Ps 89 eingefordert, in Ps 110 definitiv zugesagt, sodass sie in Ps 132 zum Grund zur Wallfahrt zum Zion werden kann. Dass es Gott nicht reuen wird, einst einen Schwur gegenüber dem Davidshaus geleistet zu haben, ist im Psalter allerdings ein neues Thema. E. Kissane macht die möglichen Bezüge von Ps 110 zur Nathanverheißung zur Grundaussage seines Aufsatzes. Er konstatiert, dass Ps 110,14 eine poetische Wiedergabe der Nathanverheißung sei, die sich mit den zukünftigen Ruhmestaten der davidischen Herrschaft befasse. 516 Nur stellen die ersten von Kissane genannten Motive (״that the Messiah will reign as God's representative and by His aid, and that his reign will be glorious" 517 ) nicht zwingend eine Berufung auf die Nathanweissagung dar. Sie haben eher den Charakter allgemein gültiger Königsaussagen, wie sie in altorientalischen Königstexten üblich waren. Auch in V.3 - der Interpretation Kissanes zufolge ist hier von der königlichen Geburt des Messias die Rede 518 - ist kein expliziter Rückgriff auf II Sam 7 zu erkennen. Der Bezug zur Nathanweissagung liegt erst dann deutlich vor, wenn in V.4 das Motiv des Schwörens im 515 516 517 518
J. Jeremias, Die E. Kissane, The E. Kissane, The E. Kissane, The
Reue Gottes, 35. interpretation of Psalm 110, 113. interpretation of Psalm 110, 107. interpretation of Psalm 110, 108.
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Kontext des Psalters gelesen und mit dem Motiv der Unmöglichkeit der Reue verbunden wird. JHWH gibt dem König eine feste Bestandszusage und wird diese nicht bereuen - eben in Gegensatz zur Erwählung Sauls und im Rückblick auf die Zusage an David. Ohne das Motiv der Nicht-Reue ist ein Bezug zur Nathanweissagung möglich, aber nicht eindeutig. Aus den Überlegungen zu Ps 110 im Kontext der hebräischen Bibel ergibt sich demnach, dass der Psalm in seiner ursprünglichen Fassung als Einzeltext keinen expliziten Bezug zu II Sam 7 beinhaltet, auf der Ebene der Redaktion hingegen schon. Inwiefern ändert der Zusatz Vers 4aß den Charakter des Psalms? Ohne Vers 4aß zeigt Ps 110 keine direkten Bezüge zu Ereignissen in der Geschichte Israels oder zur momentanen Situation des Beters: Es wird kein konkreter Krieg beschrieben, keine Rettung aus den Händen namhafter Feinde, keine Tat Gottes in der Geschichte Israels - der Psalm wirkt unbestimmt. An diesem ״unbestimmten" Charakter ändern auch die beiden erwähnten Namen „David" und Melchisedek" nichts, da der Beter auf diese Personen nur in einer Art Anspielung auf frühere „goldene" Zeiten zurückgreift. David und Melchisedek haben typologische Vorbildfunktionen inne, wie dies bereits in der traditionsgeschichtlichen Untersuchung festgestellt wurde. An diesem Charakter des Psalms mit seinen typologischen Protagonisten könnten auch die Bemühungen in der Forschung scheitern, hierin eine Anspielung auf einen konkreten historischen König ausmachen zu wollen, auf den dieses Lied gedichtet worden sei. Einzig sicher ist, dass der Psalmdichter die Figuren David und Melchisedek kannte. Mit Vers 4aß entsteht redaktionell ein Bezug zur Geschichte Israels. Das Lied ist nach wie vor keinem historischen König zuzuweisen, es wird jedoch deutlicher, dass es nicht nur irgendeinen König zu irgendeiner Zeit beschreibt, sondern ein Text ist, an den konkrete Hoffnungen geknüpft sind. Es wird die Hoffnung ausgesprochen, dass JHWH sich einen König erwählen wird, den er nicht so wie Saul verwerfen, sondern dass sich JHWH an seine Zusagen an das Davidshaus erinnern wird. „Der Rückblick auf diese früheren Zusagen soll Gott zum Einschreiten bewegen."519 K. Koenen bemerkt, dass das künftige Heil in dem Anfangsgeschehen begründet sei. „Die Zukunft wird aus der Vergangenheit abgeleitet, und der Blick in die Vergangenheit gibt den Betern die Gewißheit, daß Jahwe ihre Bitten erfüllen wird." 520 Was der Grundtext von Ps 110 als Einzelpsalm implizit zum Ausdruck brachte, wird nun intensiver, indem an die Zusage Gottes an König David erinnert wird 51 9
K. Koenen, Gottesworte in den Psalmen, 47. Vgl. K. Koenen, Gottesworte in den Psalmen, 47f. (hier in Bezug auf Ps 89; 132).
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Hinsichtlich der Tatsache, dass auf redaktioneller Ebene ein Bezug zur Geschichte Israels hergestellt wird, ist Ps 110 kein Einzelfall. Zu einer solchen ״Israelitisierang" gibt es zahlreiche Analogien im Psalter. So erfährt beispielsweise Ps 29 durch die spätere Hinzufügung der Vv.1011 eine interpretatio israelitica, indem JHWH mit seinem Volk verbunden wird. Auch bei Ps 47 wird durch die Vv.4-5 die Nationalgeschichte in redaktioneller Arbeit in den Mythos eingetragen.521 Ps 110 in seiner in der hebräischen Bibel vorliegenden Form rekurriert auf die Nathanweissagung. Auf dieser Redaktionsstufe ist es möglich, Ps 110,4 als ätiologisches Gotteswort zu betrachten.522 Ps 110 in der hebräischen Bibel gelesen, blickt auf die Nathan weis sagung als Gründungswort zurück und proklamiert einen neuen David als König, der (bald) kommen wird. Diese Ätiologie ist aber nur innerhalb der hebräischen Bibel - als Kontext - und mit dem Zusatz von Vers 4aß, der eine Verknüpfung zur Saul-David-Geschichte herstellt, enthalten, nicht jedoch in einem ״Ersttext". Ob dieser neue David von vorneherein als messianische Figur in Ps 110 enthalten war, soll nun kurz diskutiert werden. Ps 110 und die Annahme einer ursprünglichen messianischen Interpretation Es gibt Forscher, die Ps 110 von vorneherein als messianisch verstehen, das heißt, dass Ps 110 mit der Absicht gedichtet worden sei, in der angesprochenen Person den Messias zu sehen. So beschreibt dies etwa E. Kissane, der keinen Zweifel daran sieht, dass der Adressat v.a. der Verse 1-4 der Messias sei. 523 Hierzu stützt er sich auf seine These, dass in Ps 110 eine deutliche Bezugnahme auf die Nathanweissagung erkennbar sei und dieser Psalm somit die Erfüllung dieser Verheißung darstelle. B.C. Davis versucht eine messianische Abfassung aus der kompositionellen Lage des Psalms einerseits und aus der historischen Situation andererseits zu erklären. Ps 110 (The God of Deliverance) sei zum einen der Angelpunkt zwischen Pss 107-109 (Plea for Deliverance) und Pss 111-113 (Praise for Deliverance).524 Zum andern könne Ps 110 gar kein Königspsalm sein, sondern müsse messianisch interpretiert werden, weil kein irdischer König jemals zur Rechten Gottes gesessen habe, kein irdischer König je ein Priester in Ewigkeit und zudem in der Lage gewesen sei, die Völker auf die Art zu richten, wie es in Ps 110 521
So beschreibt dies R.G. Kratz, Reste hebräischen Heidentums, 14.19. Zur näheren Definition vgl. K. Koenen, Gottesworte in den Psalmen, 69. 523 ״There is no doubt, therefore, that the traditional interpretation of the Psalm, which takes it to refer directly to the Messiah, is the correct one." E. Kissane, The interpretation of Psalm 110, 113. 524 Vgl. B.C. Davis, Is Psalm 110 a messianic Psalm?, 168. 522
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beschrieben werde. 525 So gelangt Davis zu folgendem Schluss: ״Furthermore the content of the psalm shows that it is purely messianic, in contrast to many other psalms. Also Ps 110 contributes much to an understanding of messianic prophecy, having been recognized by the authors of the New Testament as a messianic psalm." 526 G.R. Driver sieht in diesem Psalm zwar ein Krönungsritual, das aber den judäischen König als einen messianischen präsentiere. Die Kampfszenen seien in Bezug auf ״the final victory" auszulegen. 527 Gegen alle drei Ansichten erheben sich Bedenken: ® Wenn Vers 4aß nach den obigen Ausfuhrungen als redaktionell betrachtet wird, scheidet ein ursprünglicher Bezug zur NathanWeissagung aus. Dass eine Gottheit schwört, ist altorientalisch weit verbreitet. Dass JHWH aber einem König ewige Herrschaft zusagt und diesen Schwur nicht bereuen wird, stellt einen Bezug zur Saul-David-Geschichte her. ® Davis' Einwände, kein irdischer König habe je solche Macht und Stellung innegehabt, wie es Ps 110 beschreibt, sind richtig, nur war diese Art der Königsbeschreibung im Alten Orient üblieh. Auch wenn kein irdischer König diese großartige Macht je besessen hatte, spricht nichts dagegen, ihm diese zuzusagen. Es ist ebenso möglich, diese Zusagen als Hoffhungstext zu lesen, der nicht messianisch sein muss. • Es deutet nichts darauf hin, dass die beschriebenen Kämpfe von einem endzeitlichen Kampf erzählen. Es wird gängige Kriegs״ terminologie verwendet. Auch die Rede vom ״Tag seines Zorns" weist nicht zwingend auf einen endzeitlichen Charakter des Textes hin, da die anderen sogenannten Königspsalmen ebenso nicht eschatologisch vom Zorn JHWHs sprechen können. ® Das entscheidende Argument gegen eine ursprünglich messianische Abfassung des Psalms ergibt sich aus der Tatsache, dass sich Ps 110 nur schwer in die sogenannten messianischen Weissagungen der hebräischen Bibel einreihen lässt. Nach H. Seebaß liege ein deutlicher Unterschied zwischen Ps 110 und den Herrscherweissagungen (Jes 9,l-6a; 11,1-8; Mi 5,l-4a; Sach 9,9f.) darin, dass sich in den genannten Herrscherweissagungen der erwartete Herrscher nicht durch militärische Taten profiliere, sondern dass die Ankündigung von Erlösung und Heil vorherrsehe. ״Alle Weissagungen kündigen ein herrscherlich geordnetes Staatswesen an, dessen wichtigste Funktion nicht die Verteidigung oder Eroberung, sondern das Leben in שלוםist, sei es des 525
Vgl. B.C. Davis, Is Psalm 110 a messianic Psalm?, 171f. B.C. Davis, Is Psalm 110 a messianic Psalm?, 173. 527 Vgl. G.R. Driver, Psalm CX, 28*. 526
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Gottesvolkes, sei es der ganzen Welt." 528 Gegenteilig dazu wird in Ps 110 nicht vom שלוםgesprochen, auch nicht von einem Herrschen in Gerechtigkeit, sondern es wird die militärische Stärke des Königs hervorgehoben, und JHWH steht dem König im Kampf bei. Dass aber Ps 110 im Kontext der hebräischen Bibel messianisch verstanden wird, ist vorstellbar. Dieses Phänomen stellt einen der Gründe dar, der es verständlich macht, warum ein sogenannter Königspsalm in königsloser Zeit in die hebräische Bibel aufgenommen wurde. Warum würde ein Königslied sonst tradiert, wenn er nicht auch messianisch oder zumindest zukünftig lesbar wäre? Wie bereits festgestellt, rückt der Psalm durch den Bezug zu II Sam 7 in die Nähe der messianischen Weissagungen, indem er eine Zusage der Verheißung darstellt. Weiterhin ist die Aufnahme der Dynastiezusage ein nächster Schritt zur messianischen Interpretation; denn ״Königssalbung und Dynastiezusage bilden die Voraussetzung und die Grundlage für die Ausprägung und Entwicklung messianischer Vorstellungen im Alten Testament. Ohne die Salbung als Einsetzungsritual des Königs wäre es nie zur Bildung des Titels משיח יהוהgekommen und ohne die überlieferten göttlichen Verheißungen an David hätten sich nach dem Untergang des Königtums auf Dauer keine Erwartungen mit diesem verbunden."529 Die Königssalbung ist in Ps 110 nicht eigens erzählt, zumindest nicht in Form der Wurzel משח. Der Text spricht aber unverkennbar von/zu einer königlichen Person, wie es auch in dem Kapitel über die Motivik des Psalms deutlich geworden ist. Somit ist in Ps 110 sowohl der Gedanke der Königssalbung als auch der der Dynastiezusage vorhanden und eine Nähe zu einem messianischen Verständnis greifbar. 6.2.3 Fazit Allgemein über die sogenannten Königspsalmen hielt G. von Rad fest: ״Die Königspsalmen gehören nun in eine Tradition ganz bestimmter religiöser Vorstellungen und Erwartungen, die - soweit wir sehen von der Nathanweissagung II Sam 7 eröffnet und in Bewegung gesetzt wird. [...] Es wäre also methodisch falsch, wenn wir die Erwartungen, die in den Königspsalmen an den Gesalbten und gerade an diesen Thron geknüpft sind, einfach dem weiten Feld der menschlichen Wunschträume zuweisen wollten."530 An dieser Stelle soll die These von Rads hinsichtlich Ps 110 modifiziert werden: So, wie sich Ps 110 im hinteren Teil des Psalters präsentiert, rekurriert er auf die Nathanweissagung von II Sam 7, wie dies 528 52 9 530
H. Seebass, Herrscherverheißungen, 79f. E.-J. Waschke, Der Gesalbte, 75f. G. von Rad, Erwägungen zu den Königspsalmen, 217.
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auch die Pss 89 und 132 tun. Der Bezug zu II Sam 7 war aber im ursprünglichen Psalm nicht vorhanden. Das Thema, dass Gott seinen Schwur, den er geleistet hat, nicht bereuen wird, wird erst redaktionell eingespielt, indem ein Redaktor literarisch feinfühlig das Motiv des ״Schwörens" mit der ״Nicht-Reue" zu einem Parallelismus verbindet. Dadurch entsteht ebenso der Bezug zu den Pss 89 und 132. Dass Gott seine Entscheidung, David das ewige Königtum verheißen zu haben, nicht bereut, ist ein Novum im Psalter. Während in Ps 89 der Beter in Form eines Volksklageliedes Gott anklagt, wo denn das verheißene Königtum Davids sei und um dieses bittet, findet sich in Ps 110,4a eine Bestätigung: Gott reut es nicht, diese Zusage gemacht zu haben. In Ps 132 ist die Verheißung an David Grund zur Wallfahrt und des Lobens Gottes in seiner Wohnstätte auf dem Zion. Indem also der Redaktor hier eine Verbindung zu den Pss 89 und 132 herstellte und den Psalm in die Tradition der Nathanweissagung rückte, schuf er nicht nur eine Traditionslinie gerade im hinteren Teil des Psalters, sondern erstellte darüber hinaus einen Kontrast oder auch Steigerung. Ps 110 steht innerhalb der Traditionslinie von II Sam 7 zwischen einer Anklage Gottes durch den Beter (Ps 89) und einer Motivation zur Wallfahrt zum Zion (Ps 132). Es ist möglich, Ps 110 gerade durch den Zusatz ולא ינחםals einen Höhepunkt zwischen Ps 89 und 132 anzusehen, der die Hoffnung ausdrückt, dass bald ein König - wie David - kommen werde. Dieser wird die Feinde besiegen, Israel wird dann zum Zion wandern und Gott loben können. Durch dieses verbindende Element in Form von Vers 4aß und seiner Stellung in der hebräischen Bibel erhält der Psalm eine andere Form. Ohne Vers 4aß handelt es sich um ein namenloses Enkomion, das der Art eines Formulars gleicht, ohne konkrete historische Anhaltspunkte. Durch die Zufugung dieses Halbverses in seiner Aufnahme in die hebräische Bibel stellt Ps 110 eine Rückbesinnung auf die Geschichte Israels dar 531 , wie dies auch in anderen Psalmen geschieht, vor allem in den sogenannten Geschichtspsalmen, beispielsweise Ps 78. Die ErZählung der Geschichte Israels wird in Ps 78,3 mit den Worten eingeleitet, dass den Söhnen nichts verschwiegen werden solle, was die Väter bereits erzählten: von dem Ruhm JHWHs, seiner Macht und seiner Wunder. Es folgt eine Darstellung der Geschichte Israels vom Exodus an bis zur Erwählung des Stammes Judas und Davids. In kurzer Darstellung wird auch in Ps 110 die eigene Geschichte im Angesieht der momentanen Situation reflektiert. Ps 110 steht in einer Linie von Verheißung und Zusage von Erfüllung des davidischen Königtums und entfernt sich von der altorientalischen Königsideologie im Allge 531
Vgl. auch W. van der Meer, Psalm 110: A Psalm of Rehabilitation?, 223. Auch er sieht in Ps 110,4 eine Verbindung zu den Pss 89 und 132 und hält fest, „that Ps 110, 4 like Ps 89 and 132 makes reference to the past".
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raeinen. Die altorientalische Königsideologie kennt keine Reue der Gottheit angesichts einer Königswahl - auch wird die Geschichte des Volkes weniger reflektiert. Natürlich stellt bereits die Nennung Namen David und Melchisedek in Ps 110 eine Rückbesinnung auf die Geschichte Israels dar, jedoch mit einem anderen Zweck. Während der Redaktor durch Vers 4aß Gott zum Einschreiten bewegen und ihn an sein früheres Versprechen erinnern will, dienen die Namensnennungen als eine Art Vorbild 532 für den kommenden König. Auch mit den genannten Namen behält der Psalm seinen unbestimmten Charakter, der aber durch die Hinzufügung von Vers 4aß aufgesprengt und in die Linie von der Verheißung an David und der Zusage von Erfüllung aufgenommen wird. Durch diese Linie von Verheißung und Zusage wird dem Leser nahe gelegt, Ps 110 als eine messianische Hoffnung zu verstehen, die dann unter anderem im Neuen Testament fortgeführt wird. Eine messianische Deutung innerhalb der hebräischen Bibel würde vor allem erklären, warum ein Königspsalm ohne konkret genannten König überhaupt in den Psalter aufgenommen worden ist. Die messianische Hoffnung wird weiterhin dadurch vertieft, dass der Psalm in die Reihe der Davids-Psalmen aufgenommen wurde. Ps 110 ist in Bezug auf das davidische Königtum zu lesen, auf den Stamm Israels, aus dem der Messias kommen wird. Doch darf man ״die Königspsalmen nicht einfach mit den messianischen Weissagungen zusammenwerfen; sie stellen zwei verschiedene Traditionsströme dar, jene sind gebundener, diese ihren prophetischen Trägern entsprechend freier." 533 6.3 Redaktionsstufe 3: Die masoretische Punktation Die größte Schwierigkeit in der Übersetzung von Ps 110 bietet seit jeher Vers 3, da sowohl die Punktation von ילדתיךals auch die von משחר Probleme bereitet. Wie anfangs bereits festgestellt, handelt es sich bei Letzterem um eine Art Wortbildung, die einen Ort (vgl. מנדל, )משכב oder den Gegenstand einer Handlung ( )משפטbeschreibt. Folglich müsste es sich hier um einen Ort des schwarz Werdens handeln oder um das Schwarze als einen Gegenstand einer Handlung. Diese Nominalbildung der Wurzel שחרist lediglich im masoretischen Text bezeugt, während die anderen Textzeugen (die Septuaginta, die hebräischen Spalten in der Hexapla des Origenes, Theodotion sowie die Peschitta534) משחרlesen und somit - in ihrer je eigenen Art und Weise 535 - die ״Morgenröte" beschreiben. Ebenso verhält es sich mit 532 533 534 535
Vgl. Kapitel 4.6 Motiv und Bedeutung von „Melchisedek", S. 91ff. G. von Rad, Erwägungen zu den Königspsalmen, 222. Vgl. S. 27, Anm. 123. Vgl. dazu Kapitel 7 Die antiken Bibelübersetzungen, S. 171 ff.
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6 Voriiberlegungen zur innerbiblischen Exegese
der Punktation von ילדתיך. Nur der masoretische Text erkennt in diesem Wort ein Nomen, die Septuaginta, der hebräische Origenes, die Peschitta und über 50 hebräische Handschriften536 hingegen sehen hier ein Verb: ״Ich habe dich geboren". Wie kommt es bei den Masoreten zu dieser Version von Ps 110? Hier soll die These vertreten werden, dass die Masoreten ein theologisches Motiv hatten, anders zu punktieren als es die Septuaginta und die anderen Versionen bezeugen. Die Masoreten haben durchaus erkannt, dass in diesem Vers die Geburt des Königs durch JHWH aus dem Mutterleib der Göttin ״Morgenröte" beschrieben wird, doch wollten sie diese polytheistische und den König vergöttlichende Aussage nicht (mehr) vertreten. Dass anti-polytheistische Änderungen durch die Hand der Masoreten erfolgt sind, ist am deutlichsten an der Ersetzung des theophoren Namenselements כעלdurch בשתsichtbar.537 Im Judentum des frühen Mittelalters gab es keine anderen Götter neben oder auch nur unter JHWH. Ebenso wenig existierte in dieser Zeit die Vorstellung eines Menschen von göttlicher Geburt; auch der Messias war nach den Weissagungen der hebräischen Bibel menschlicher Abstammung. Doch haben sich gerade in den Psalmen noch ״Reste hebräischen Heidentums" erhalten, wie dies in neuerer Zeit unter anderem R.G. Kratz aufzeigt. Sie seien alte Überlieferungen, die noch nicht vom biblischen Ideal [des einen Gottes und des einen Volkes] affiziert, aber trotzdem in biblische Traditionen eingegangen seien.538 In einigen Psalmen würden diese Reste durch Zusätze auf dem Boden des monotheistischen JHWH-Glaubens ergänzt. In Ps 110 liegt nun der Fall vor, dass kein literarischer Zusatz den Rest des heidnischen Glaubens modifizierte, sondern die Punktation der Masoreten. Diese ״heidnische Beschreibung Gottes" geht zwar nicht auf eine alte vorexilische Überlieferung zurück, sondern auf eine mythische Redeweise aus hellenistischer Zeit, aber gerade in dieser Art, von Gott zu reden, sahen die Masoreten einen Ausdruck ״hebräischen Heidentums", den sie durch eine andere Punktation entfernten. Also änderten die Masoreten den Sinn des Textes an dieser Stelle und wandelten die zwei entscheidenden Worte ab. In der hebräischen Bibel gibt es die Zusammenstellung von "ילדות״ und der Wurzel שחרnur ein weiteres Mal (in Koh 11,10b), sodass die Vermutung nahe liegt, dass die Masoreten Koh 11,10b als eine Art ״Deutefolie" benutzt und Ps 110 an diese Stelle angeglichen haben. In Koh 11,10b heißt es: : כי־ה^לדות והשחרות ה ב ל Denn die Kindheit und das schwarze (Haar) sind Nichtigkeit.
536
S. Kapitel 7.3 Die syrische Übersetzung von Psalm 110 in der Peschitta, S. 206ff. 537 Vgl. dazu Ε. Τον, Der Text der hebräischen Bibel, 222ff. 53S vgl. R.G. Kratz, Reste hebräischen Heidentums, 64.
6.2 Redakt ions stufe 2
167
Das ״Schwarze" meint hier das schwarze Haar und ist ein Zeichen der Jugend, insofern, als in der Jugend das Haar noch schwarz, im Alter hingegen grau ist. הילדותhingegen bezeichnet hier nicht das Lebensalter, sondern ״eine geistig-moralische Qualität, was aber kaum dem ursprünglichen Sinn entspricht." 5 3 9 Somit liegt in Koh 11,10 kein Hendiadyoin für Kindheit/Jugend vor, da die erste Bezeichnung hier die geistige Jugend meint, שגזרותindessen die körperliche. שלזחתist ebenso eine Nominalbildung der Wurzel שחרI, wie dies auch מקזחר sein kann. Dadurch, dass grammatisch zwar die Bildung חר$ מmöglieh, aber inhaltlich in Ps 110 als Ort oder Gegenstand nicht sinnvoll ist, wird deutlich, dass dies nicht der Grundbestand war. Warum sonst hat jeder andere Textzeuge, Kommentator und Interpret dieses Wort in משחרabgeändert? Näher untersucht wurde allerdings die masoretische Nominalbildung bei den Kommentatoren und Interpreten selten, sondem lediglich geändert. Meines Erachtens intendierten die Masoreten wohl in Ps 110,3 - mit Bezug auf Koh 11,10 - ebenso zwei Ausdrucksformen von Kindheit/Jugend, um die Göttlichkeit der ״Morgenröte" wie auch die göttliche Geburt des menschlichen Königs zu umgehen. Darauf, dass שחרin der hebräischen Bibel in ihren Lesarten oft ungewohnlich ist, weist auch J.W. McKay hin. Es sei unwahrscheinlich, dass der MT an all den Stellen korrupt sei, an denen ״Schachar" als ein personifiziertes Wesen auftrete. Es sei hingegen eher denkbar, dass sich die Übersetzer entweder bewusst gewesen wären, dass es sich bei ״Schachar" um eine Gottheit handelt, die auch in ihrer paganen Erscheinung wahrgenommen werden sollte, oder dass die Gottheit ״Schachar" schon so blass gewesen sei, dass jedes Vorkommen in bibüschen Texten selbstverständlich als eine Zeitangabe oder ein Naturphänomen gedeutet wurde. 540 In Bezug auf Ps 110 ist der erste dargestellte Grund zu befürworten schließlich war die Vorstellung einer Gottheit ״Morgenröte" noch weit in die nachchristliche Zeit durch die griechische Eos und die römische Aurora präsent. Es ist nur bedingt vorstellbar, dass im frühen Mittelalter diese heidnischen Gottheiten unbekannt waren. Weiterhin ist zu bedenken, dass die ״Morgenröte" von den Masoreten nicht als Zeitbegriff verstanden worden ist, da so keine Notwendigkeit bestanden hätte, die Punktation zu ״berichtigen". Durch die masoretische Punktation änderte sich die Aussage, dass der Adressat des Psalms von einem Götterpaar gezeugt worden ist. Der messianische Charakter des Psalms wird aber auch in dieser Punktation beibehalten, vielleicht sogar nochmals bewusst impliziert: Schließlich wird hier der König mit zwei Attributen für Jugendlichkeit beziehungsweise Kindheit beschrieben; zusätzlich wird die Metapher 539 540
HALAT, Art.: .1362 ,שחר J.W. McKay, Helel and the Dawn-Goddess, 459.
168
6 Voriiberlegungen zur innerbiblischen
Exegese
des Taues benutzt, die einen Anfang symbolisieren kann - in der Herrscherverheißung von Jes 9,5 steht ebenfalls, dass der neue, kommende König ein Kind sein wird ־i^541.(3׳־־ Der masoretische Text von Ps 110,3 ist - im Anschluss an diese Analyse - demnach wie folgt zu übersetzen: Dein Volk ist freiwillig am Tag deiner Macht, in heiligem Schmuck (bist du), aus dem Mutterleib der Jugend besitzt du den Tau deiner Kindheit. Durch den Wegfall des Verbs in Vers 3 ergibt sich eine neue Gliederung des Psalms, der sich jetzt in zwei Teile durch zwei Gottesreden auszeichnet. Teil eins wird mit dem Spruch JHWHs eingeleitet, Teil zwei mit dem Schwur JHWHs. Es fallt auf, dass beide Teile des Psalms (ohne Beachtung der Überschrift) die gleiche Anzahl von Akzenten aufweisen. Für einen poetischen Text aber setzten die Masoreten die trennenden Akzente in einem ungewöhnlichen Abstand. Mit dieser gleichen Anzahl von Trennern wollten die Masoreten die Zweigliedrigkeit des Psalms unterstreichen, die sie durch die Änderung eines Verbs in ein Nomen geschaffen hatten.542 6.4 Auswertung Indem Ps 110 mit anderen hebräischen Psalmen zusammengestellt, in die hebräische Bibel aufgenommen und durch einen redaktionellen Zusatz erweitert worden ist, wurde seine Form leicht verändert: Der ursprünglich mit ״unbestimmtem" Charakter als Enkomion abgefasste Text wurde durch einen Bezug zur „Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk" ergänzt. Durch die Stellung zwischen den beiden Psalmen über die Nathan weis sagung und schließlich durch die Hinzufügung von Vers 4aß nimmt Ps 110 die Verheißung des ewigen davidischen Königtums auf und steht nun in einem Zusammenhang, der von II Sam 7 bis zu den Pss 89, 110 und 132 reicht. Die Dynastiezusage wird in Ps 110 mit der Aussage kombiniert, dass Gott es nicht reuen wird, das ewige Königtum dem Volk Israel verheißen zu haben. Im Spiegel der Saul-David-Geschichte ist besonders deutlich, dass hier auf die Daviddynastie angespielt wird. Ps 110 gelangt so innerhalb der 541
Es könnte vermutet werden, dass diese Interpretation auf einen menschlichen, nicht göttlichen Messias, eine Abgrenzung gegen eine christliche Vereinnahmung dieses Textes darstellt. 542 Diese Gliederung wurde zu Beginn der Arbeit vorgeliihrt.
6.4 Auswertung
169
hebräischen Bibel in das Schema von Verheißung und Erfüllung: Die Erfüllung der Nathanweissagung wird zugesagt, sodass die Zuversicht auf einen kommenden König deutlich hervortritt. Durch den Bezug zu II Sam 7 und durch die Erweiterung, dass es Gott nicht bereuen wird, wird die Hoffnung auf einen kommenden König verstärkt. Dieser König kann nun durchaus messianisch verstanden werden, weil Ps 110 durch den Rekurs auf die Nathanweissagung in späterer Zeit in die Nähe der messianischen Weissagungen rückt. Königssalbung und Dynastiezusage bilden schließlich die Grundlage messianischer Theologien in der hebräischen Bibel. Dieses messianische Interpretationspotential greift die LXX auf und festigt es auf ihre Weise, sodass Ps 110 schließlich in christlichem Verständnis auf Jesus Christus hin gelesen werden konnte. 543 Mittels der Stellung direkt hinter einem Klagepsalm wird Ps 110 als Hoffnungstext noch gesteigert. Somit könnte Ps 110 als Kontrast oder Steigerung beziehungsweise Höhepunkt sowohl zu den Pss 89 und 132 als auch zu seinen direkten Nachbarpsalmen betrachtet werden. Eine direkte Antwort auf Ps 109 bildet Ps 110 jedoch nicht. Ps 110 als Wendepunkt zwischen Klage und Lob anzusehen, ist durchaus möglich, einerseits in seinem direkten Umfeld, wie es in alttestamentlicher Forschung bereits vermehrt gesehen wurde, andererseits in dem größeren Zusammenhang von Ps 89 und Ps 132. Ps 110 bildet auf der Traditionslinie um die Nathan weis sagung einen Höhepunkt nach der Klage in Ps 89; diese Linie mündet schließlich in das Lob Gottes von Ps 132. Eine direkte Antwort ist Ps 110 allerdings auch hier nicht trotz des gleichen Themas, weil der Kompositionsbogen zu weit gespannt ist. Dass Ps 110 allein durch seine Stellung im Psalter noch ein neues Thema hinzugewinnt, ist nach obiger Analyse der Erkenntnisse der Psalterexegese zu verneinen. Es findet keine nachweisbare Subjektunterlegung in Ps 110 statt, wenn dieser im Zusammenhang mit seinen Nachbarpsalmen gelesen wird. Eine Intensivierung des Hoffnungsthemas hingegen ist durch eine gegenseitige Beeinflussung der Aspekte Klage - Lob/Hoffnung denkbar. Eine deutliche Änderung erfährt Ps 110 durch die Punktation und Akzentsetzung der Masoreten im frühen Mittelalter. Der Psalm behält zwar seinen messianischen Charakter, den er durch den redaktionellen Zusatz in Vers 4aß und seiner Stellung in der hebräischen Bibel erhalten hat, aber der kommende König wird als rein menschliche Größe verstanden. Die göttliche Geburt und die Göttin ״Morgenröte" sind im Gegensatz zu einem ursprünglichen Text nicht mehr enthalten - hingegen wird die Jugendlichkeit des Königs betont. Es lässt sich also eine innerbiblische Exegese von Ps 110 beobachten, die vor allem die angesprochene Person in dem Psalm verändert. Im 543
Dies wird weiter unten eigens behandelt.
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6 Voriiberlegungen zur innerbiblischen
Exegese
vermuteten ״Ersttext" ist der angesprochene König von fiktiver Natur, der sich in eine Reihe mit anderen altorientalischen Königen stellt. Er ist halb menschlich, halb göttlich, er wird von Gott unterstützt, sodass er alle seine Feinde besiegen wird. Zudem wird er ewig herrschen. Dieser beschriebene König erhält durch den Zusatz, „dass es JHWH nicht bereuen wird", einen Bezug zur Geschichte Israels/Judas. Hier ist demnach von einem König die Rede, der aus dem Hause Davids kommt und den JHWH niemals verwerfen wird, wie er es einst zusagte. Durch die Verortung von Ps 110 in der hebräischen Bibel rückt dieser König in die Nähe der messianischen Verheißungen. Im frühen Mittelalter wird diesem König in Ps 110 die göttliche Geburt schließlich aberkannt, ohne dass er aber seinen messianischen Charakter verliert.
Hauptteil C: Rezeption und jüdische Auslegung von Ps 110
7 Die antiken B ibelübersetzungen Da eine Übersetzung immer auch eine Interpretation beinhaltet - R. Hanhart benennt für die Bedeutung der Septuaginta-Übersetzung die drei Intentionen Bewahrung, Aktualisierung und Interpretation544 werden die Übersetzungen von Ps 110 unter dem Kapitel der Rezeption behandelt. In diesem Zusammenhang stellen sich die Fragen, wie sich Ps 110 in den Übersetzungen zu seiner hebräischen Vorlage verhält, welche Beziehungen vor allem in der LXX zwischen Ps 109 und anderen alttestamentlichen Texten bestehen und welche Rückschlüsse sich daraus für das Verständnis dieses Psalms ergeben.545 Zusätzlich interessiert die Fragestellung, inwiefern sich in den Versionen von Psalm 110 eigene Theologien bemerkbar machen. So ist beispielsweise zur LXX-Übersetzung zu fragen, inwiefern sich in ihr das hellenistische Judentum in seiner Zeit widerspiegelt. Denn, obwohl die Septuaginta ״in einem für eine Übersetzung in die Sprache des Hellenismus denkbar hohen Maß den Geist des Alten Testaments" aus [strömt] und in einem denkbar geringen Maß den hellenistischen Geist der untergehenden Antike"546, soll ebenso der hellenistische Geist dieser Psalm-Übersetzung einer genauen Untersuchung unterzogen werden. In diesem Zusammenhang ist auch der Gesichtspunkt zu bedenken, ob die Septuaginta und die aramäische, syrische und die lateinischen Versionen Ps 110 ״messianisiert" haben. 7.1 Die LXX-Übersetzung von Psalm 110 7.1.1 Einleitung E. Tov sieht in der Übersetzungstechnik der Septuaginta im Allgemeinen zwei verschiedene Methoden: "free" and "literal". Während es biblische Bücher gibt, die ״frei" übersetzt beziehungsweise sogar pa544
R. Hanhart, Studien zur Septuaginta, 70f. So fragt auch E. Bons speziell zu Ps 109LXX (Die Septuaginta-Version von Psalm 110(109 LXX), 123. 546 R. Hanhart, Studien zur Septuaginta, 19. 545
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7 Die antiken
Bibelübersetzungen
raphrasiert werden, wie Jesaja oder Hiob, unterliegt der Psalter einer wörtlichen (״literal") Übersetzungstechnik.547 J. Schaper formuliert, dass man es im Psalter über weite Strecken „mit einer ,unauffälligen' Übersetzung zu tun [hat], die sich eng an den in Gestalt des MT überlieferten Text anschließt."548 Ähnlich spricht auch F. Siegert von Interpretationen, die meist den Charakter von behutsamen „Interpretamenten" jedoch nie den Charakter von Glossen oder Erweiterungen haben, sondern den einer interpretierenden Wortwahl.549 A. Aejmelaeus hat zum Problem der Psalter-Übersetzung bemerkt, dass hier der Übersetzer vor ganz besondere Probleme gestellt wurde, da im Psalter viel intensiver theologische und existentielle Themen behandelt werden als in den anderen biblischen Büchern. „Dem Übersetzer muß ständig die Frage durch den Kopf gegangen sein: Was kann ein Mensch, was soll ein Mensch vor Gott sagen? In seiner Übersetzung ist das Bedürfnis oft deutlich spürbar, den Text so zu formulieren, daß man ihn beten kann. Oberflächlich betrachtet ist der griechische Psalter jedoch von einer entgegengesetzten Bemühung geprägt, nämlich von der wortwörtlichen Wiedergabe des Originals."550 Sprachlich betrachtet, haben die Psalmen „eine sehr einheitliche Sprache, stark hebraisierend und völlig frei von allen typisch-griechischen Dichtervokabeln".551 7.1.2 Der Text Τω Δαυίδ ψαλμός. 1 Είπεν ό κύριος τω κυρίω μου Κάύου έκ δεξιών μου, εως αν τους εχθρούς σου ύποπόδιον των ποδών σου. 2 ράβδον δυνάμεώς σου έξαποστελεΐ κύριος έκ Σιων, και κατακυρίευε έν μέσω τών έχύρών σου. 3 μετά σου ή αρχή έν ήμερα της δυνάμεώς σου έν ταΐς λαμπρότησιν τών ά γ ι ω ν έκ γαστρός προ έωσφόρου έξεγέννησά σε. 4 ώμοσεν κύριος και ου μεταμεληύήσεται Συ εΐ ιερεύς εις τόν αιώνα κατά τήν τάξιν Μελχισεδεκ. 5 κύριος έκ δεξιών σου συνέύλασεν έν ήμερα οργής αυτού βασιλείς· 6 κρινεΐέν τοις εθνεσιν, πληρώσει πτώματα, συνύλάσει κεφαλάς έπί γης πολλών. 7 έκ χειμάρρου έν όδώ πίεται־ διά τούτο υψώσει κεφαλήν. 547
Vgl. Ε. Τον, The text-critical use of the Septuagint, 63. J. Schaper, Der Septuaginta-Psalter, 168. 549 Vgl. F. Siegert, Zwischen hebräischer Bibel und Altem Testament, 311. 550 A. Aejmelaeus, Übersetzungstechnik, 16. 551 F. Siegert, Zwischen hebräischer Bibel und Altem Testament, 75.
548
7.1 Die LXX-Übersetzung
von Psalm 110
173
Übersetzung: 1
2 3
4 5 6 7
Für David, ein Psalm. Der Herr hat gesprochen zu meinem Herrn: ״Sitz an meiner rechten Seite, bis ich gelegt habe deine Feinde zu einem Schemel deiner Füße!" Den Stab deiner Macht wird der Herr aussenden vom Zion her und (so) sei (du) Herr in der Mitte deiner Feinde! Mit dir (ist) die Herrschaft am Tag deiner Macht im Glanz der Heiligen. Aus dem Mutterleib vor dem Morgenstern habe ich dich geboren. Der Herr hat geschworen, und er wird nicht Reue empfinden, du bist Priester in Ewigkeit gemäß der Ordnung Melehisedeks. Der Herr an deiner rechten Seite hat am Tag seines Zorns Könige zertreten (oder: zertritt am Tag seines Zorns Könige). Er wird richten unter den Völkern, er wird [Täler] anfüllen mit Gefallenen, er wird zertreten die Köpfe vieler auf der Erde. Aus dem Wadi am Weg wird er trinken, dadurch wird er den Kopf erheben.
Beobachtungen zum Text: V.l: Während die Überschrift im hebräischen Text nicht eindeutig dativisch verstanden werden kann - es ist durchaus möglich, darin einen umschriebenen Genitiv zu sehen, obwohl dies durch die Wortstellung eher unwahrscheinlich ist - , wird die Überschrift in der Septuaginta hier, wie bei den anderen Davidspsalmen, als Dativ wiedergegeben: für David, ein Psalm. Trotz des Dativs wurde unter der Überschrift, wenn man die Wirkungsgeschichte betrachtet, zumeist die Autorenangabe verstanden. 552 Der ״Spruch JHWHs" kommt als Einleitung nur an dieser Stelle im Psalter vor; in Ps 35LXX wird נאם־פשעam Satzanfang mit Φησιν ό παράνομος wiedergegeben. Ebenso wird in der Bileam-Perikope נאם בלעםbeziehungsweise נאם שמעmit φησίν übersetzt. In den Prophetenbüchern hat die Redewendung נאם Sach 12,1 - an der Stelle, an der ebenfalls eine Rede Gottes mit נאם יהוהeingeleitet wird. Im Jeremiabuch tritt daneben auch die Wiedergabe mit φησίν, vereinzelt auch mit είπεν (Jer 1,19; 27.30.401.XX; 30.27LXX; 34.8LXX; 3 7.8 LXX; 38.1 LXX; 41.5LXX; auch in Jes 56,8 und 66,17 sowie in I Sam 2,30). In Ps 36 und in der Bileam-Perikope liegt demnach das Verb φάναι zugrunde, während - vorwiegend - in den Prophetenbüchern sowie in Ps 109LXX eine Form von λέγειν verwendet wird. In Ps 109LXX wird das Verb allerdings im Aorist wiedergegeben (είπεν); an den anderen Belegstellen wird für נאםmeist das Präsens verwendet, ob von φάναι oder von λέγειν. 552
Vgl. F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament, 320.
174
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
An dieser Stelle wird der Gottesname im Gegensatz zum Rest des Psalms mit Artikel wiedergegeben. Die Nennung des ״Kyrios" ohne Artikel ist in der LXX nicht ungewöhnlich (vgl. Ps 1,6; 2,7; 17.3LXX), sodass anzunehmen ist, dass in Ps 109,1 LXX der Artikel vor den Gottesnamen gesetzt wurde, um die Abgrenzung zu dem anderen ״Kyrios" deutlich zu machen.553 ύποπόδιον τών ποδών σου: Ε. Bons macht an dieser Stelle auf den Unterschied zwischen Dativ (Hebr.) und Genitiv im Griechischen aufmerksam und bemerkt, dass anstatt einer dativischen Wiedergabe der Übersetzer das Stilmittel des Homoioteleutons wählt. 554 Zwar liegt hier ein Homoioteleuton in τών ποδών und τών έχύρών vor (wie auch im Hebräischen in איביך/)לרנליך, nur stellt dies keine Abweichung gegenüber dem hebräischen Text dar. Der Übersetzer sah in der Verbindung הדם לרגליךeinen umschriebenen genitivischen Ausdruck {״ein Schemel deiner Füße" und nicht den Dativ ״ein Schemel für deine Füße"), sodass er folgerichtig auch im Griechischen den Genitiv wählte. Die Form אשיתaus der hebräischen Vorlage wird mit einem Konjunktiv Aorist übersetzt. Der Konjunktiv fällt allerdings nicht weiter ins Gewicht, da die Relativ-Partikel εως + αν eine Konjunktiv-Form nach sich ziehen, die in der Übersetzung aber keine Berücksichtigung findet. Die Vokabeln für ( איבό εχθρός) und ( הדם לרגליךύποπόδιον τών ποδών) werden durch ihre jeweiligen Standardäquivalente wiedergegeben.555 Für שיתkennen die Übersetzer mehrere Varianten, wobei eine Form von βάλλω oder τίΰημι bevorzugt wird, sodass man auch hier von der Verwendung des Standardäquivalents sprechen kann. V.2: ή ράβδος wird als Äquivalent für mehrere hebräische Ausdrücke (ממה, שבט,מקל, משענה, in Est 4.11: 5,2: 8,4 für שרביתund in Jes 11,1 einmal für )חפרverwendet. Da מטה, שבטund מקל häufig mit dem griechischen Wort ή ράβδος wiedergegeben werden 556 , lässt sich nur schwer von einem Standardäquivalent 553
Vgl. C. Breytenbach, Das Markusevangelium, Psalm 110,1 und 118,22f., 209. Vgl. E. Bons, Die Septuaginta-Version von Psalm 110 (109 LXX), 129. 555 Ausnahmen bilden hier Ps 131,7: εις τόν τόπον, ου έστησαν οί πόδες αΰτοΰ und I Chr 28,2: π ο δ ώ ν κυρίου ήμών. 556 Für מ ט הwird ή ράβδος an folgenden Stellen verwendet: Gen 38,18.25; Ex 4,2ff.; Ex 7,9ff.; Ex 8 , l f f ; Ex 10,13; Ex 17,5ff.; Num 17,17ff.; Num 20,8ff; Nah 1,13; Jes 9,3, 28,27; Ez 7,10; 19,1 l f f ; für שבטin Ex 21,20; Lev 27,32; II Sam 7,14; 23,21; I Chr 11,23; Ps 2,9; 23,4; 45,7; 74,2; 89,33; 125,3; Prov 10,13; 23,13f.; Hi 9,34; Mi 4,14; Jes 9,3; 10,15.24; Lam 3,1; Ez 20,37; für מקלin Gen 30,37ff.; 32,11; Num 22,27; I Sam 17,34; Hos 4,12; Sach 11,7.10; 14,1 l ; E z 39,9. 554
7.1 Die LXX-Übersetzung
von Psalm 110
175
sprechen. Dies wird besonders in Jes 9,3 deutlich, wo für שבט und מטהgleichermaßen ή ράβδος verwendet wird. Für עזund חילbenutzt die LXX in gleicher Weise ή δύναμις. F. Siegert hält hinsichtlich des Wortfeldes ״Macht, Stärke" fest, dass hier einer Vielfalt hebräischer Ausdrücke eine ebensolche im Griechischen gegenüber steht, ohne dass auf der einen oder anderen Seite eine Terminologie daraus geworden wäre (mit geringen Ausnahmen). Nach Siegert sind für ״ עזGewalt" 27 Übersetzungsvokabeln nachgewiesen, von denen nicht wenige eine glatte .Ersetzung darstellen würden, besonders in den LXXPsalmen, in denen mancherlei Härte im Reden von Gott vermieden würde: So verweist Siegert beispielsweise auf αΐνος in Ps 8,3; άγιωσύνη in Ps 96(95),6 sowie auf άγιασμα in Ps 132 (131),8.557 Im LXX-Psalter ist es durchaus üblich, dass sowohl עזals auch חילmit ή δύναμις wiedergegeben werden, ebenso 558 צבאund .גבורה Für das hebräische ישלחfindet sich im Griechischen eine futurische Form. Der Übersetzer fügt ein και vor dem Imperativ ein, ״um den Übergang vom Fut. in V.2a zum Imp. κατακυρίευε in V.2b herzustellen."559 Es ist E. Bons recht zu geben, dass es sich hier um ein καί consecutivum handelt560: und (so) sei (du) Herr in der Mitte deiner Feinde! κατακυριεύω: Dieser Ausdruck wird nur an wenigen Stellen in der Septuaginta benutzt (Gen 1,28; 9,1; Num 21,24; 32,22.29; I Makk 15,30; Ps 9,26.31; 18,14; 48,15; 71,8; 118,133; Sir 17,4G; Jer 3,14; Dan 11,39). κατακυριεύω wird als Äquivalent für mehrere hebräische Wörter verwendet, es handelt sich aber stets um ein menschliches ״Herrschaft-Ausüben".561 So stellt κατακυριεύω in diesem Punkt eine genaue Wiedergabe des hebräischen רדהdar, bei dem, wie oben erläutert, nie Gott sondem stets der Mensch Subjekt ist. Darüber hinaus eröffnet diese Wortwahl ein Wortspiel, das im hebräischen Text nicht möglich 557
Vgl. F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament, 219. 558 öiWanig steht 1.) für ח י לin Ps 18,33.40; 33,16f.; 49,7; 59,12; 60,14; 84,8; 108,14; 118,15f.; 136,15. 2.) für עזin Ps Ps 21,2.14; 30,8; 46,2; 59,17; 63,3; 68,29.34ff; 74,13; 77,15; 89,11; 93,1; 138,3; 150,1. 3.) für צ ב אin Ps 24,10; 33,6; 44,10; 46,12; 48,9; 59,6; 60,12; 68,12f.; 69,7; 80,5.8.15.20; 84,2.4.9.13; 89,9; 103,21; 108,12. 4.) für גבורהin Ps 21,14; 54,3; 145,4. 559 E. Bons, Septuaginta Deutsch, im Druck. 560 Ebd. 561 Eine Ausnahme stellt Ps 118,133LXX dar, da das Subjekt hier in erster Linie ״das Unrecht" ist, aber durchaus auch personifiziert gesehen werden kann. Des Weiteren bildet Jer 3,14 eine Ausnahme, da dort KoaaicupieiJü) in einer Gottesrede verwendet wird. Die Form von Kaxa1cup1e׳üü) stellt aber hier die Übersetzung des hebräischen Verbs בעלתיdar - somit impliziert auch der hebräische Text ein eher menschliches Herrschen Gottes.
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7 Die antiken
Bibelübersetzungen
ist. E. Bons stellt fest, dass dieses Verb auf den Kyrios aus Vers 1 zurückverweist. ״Genauer gesagt: Der κύριος übt genau die Funktion aus, die sich aus diesem Titel ergibt, nämlich seine Herrschaft auszuüben."562 Durch die sonstige Verwendung von κατακυριεύω ist deutlich, dass der zweite Kyrios hier angesprachen ist. κατακυριεύω scheint ein Neologismus in der Septuaginta zu sein.563 V.3: Der Übersetzer gibt mit μετά σού die Vokalisation von עמךstatt עמךwieder. Auffällig ist das Wort ή αρχή (im MT: )נךבתzu Beginn des dritten Verses, wobei zu erkennen ist, dass der Übersetzer hier weder das Standardäquivalent für die Bedeutung ״freiwillig sein" oder ״Freiwilligkeit" benutzt noch eine Übersetzung im Sinne der Opferterminologie (Dankopfer) intendiert. Für נדבob im Sinne von ״freiwillig sein" oder ״freiwillig opfern" - werden in der Septuaginta meist Formen von εκούσιος gebraucht.564 Wenn man davon ausgeht, dass dem Übersetzer ein hebräischer Konsonantentext vorgelegen hat, wie er im Codex Leningradensis erhalten ist, legt sich die Vermutung nahe, dass der Übersetzer עמך נדבתgelesen hat. נדבתwäre ein hapax legomenon565 - grammatisch ist eine solche Substantivbildung analog zu dem ״Edlen, Fürsten" נדיבallerdings möglich.566 Es ist somit denkbar, dass der Übersetzer entweder in נדבתeine andere Substantivbildung von נדיב, dem ״Fürsten" oder ״Herrscher", erkannte, sodass es ihm möglich war, נדיבותals ״HerrSchaft" zu lesen und dementsprechend ins Griechische zu übertragen. Es wäre ebenso möglich, dass dem Übersetzer eine von
562
E. Bons, Die Septuaginta-Version von Psalm 110 (109 LXX), 130. κατακυριεύω begegnet auch in ApkMos 14,2; TestJud 15,5; TestDan 3,2; TestNaph 8,6 und TestBenj 3,3. Die Vokabel hat an diesen Stellen zwar nicht immer einen menschlichen Herrscher zum Subjekt, doch ist auch nie Gott derjenige, der herrscht. In der ApkMos ist der Tod Subjekt des Herrschens, im TestJud sind es die Frauen, in TestDan herrscht der Zorn, in TestNaph sind wilde Tiere das Subjekt und in TestBenj ist es die Trübsal. Diese Werke (ApkMos und TestXII) sind vermutlich nach der LXX abgefasst worden. 564 So in Num 15,3; Jdc 5,2; Ps 53,8LXX; Esr 1,4; Ps 67,10LXX u. ö. Es können aber auch seltenere Wendungen gebraucht werden, wie z.B. in Hos 14,5 (αγαπήσω αυτούς) όμολόγως oder in II Chr 35,8 άπάρχομαι. Bei letzterer Stelle ist interessant, dass sich auch hier eine Form von αρχω findet. Vom Kontext her ist allerdings - im Gegensatz zu Ps 109,3LXX - eine Spende oder ein Opfer intendiert. 565 נדיבותist in Jes 32,8 als Plural-Bildung zu נדיבהbelegt, das hier allerdings eher mit ״Edles" übersetzt werden kann. 566 Vgl. auch מלכות, ילדות, ע ב ד ו תu.a. Diese Substantivbildungen auf -ut sind schließlich im mischnischen Hebräischen sehr häufig (vgl. dazu Joüon/Muraoka, §88/, 265). 563
7.1 Die LXX-Übersetzung
von Psalm 110
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der Vorlage des Codex Leningradensis abweichende Handschrift vorlag. חילist wie עזmit δΰναμις übersetzt.567 Die Wendung έν ταΊς λαμπρότησιν των αγίων dient der Übersetzung von בהדרי־קדש. Der ungewöhnliche Plural von הדר wird mit dem ebenso ungewöhnlichen Plural von λαμπρότης übersetzt. הדרzeigt eine Fülle von Übersetzungsmöglichkeiten im Psalter (ή δόξα in Ps 20,6; 149,9LXX. ή τιμή in Ps 8.6LXX. ή ευπρέπεια in Ps 103,1; ή μεγαλοπρέπεια in Ps 28,4; 110,3; 144,5.12LXX; ή ώραιότης in Ps 95.6l.XX). aber nur an dieser Stelle ist λαμπρότης als Äquivalent gewählt. Durch diese Wahl ist die Entscheidung getroffen, הדרals ״etwas Leuchtendes, Glanz" zu interpretieren, weniger als ״Schmuck". Die Vokabel λαμπρότης begegnet im LXX-Psalter noch in Ps 89,17 (και εστω ή λαμπρότης κυρίου του ύεοΰ ημών εφ 'ήμας), außerhalb des Psalters in Jes 60,3; Dan 12,3 (Th) (ή λαμπρότης του στερεώματος) und Bar 4,24 (λαμπρότητος του αιωνίου) und 5,3. Alle Formen stehen im Singular, das dazugehörige Bezugswort ist unterschiedlich. In Ps 89LXX und den BaruchStellen wird vom Glanz Gottes gesprochen, in Jes 60 ist es der Glanz des erwählten Volkes, während in Dan 12,3 (Th) ״die Einsichtigen" strahlen. קדשist im Griechischen im Plural wiedergegeben. Ob unter dieser Wiedergabe das ״Heiligtum" oder ״die Heiligen" zu verstehen sind, wird später untersucht. Im LXX-Psalter wird ״das Heiligtum" meist mit τό αγιον im Singular übersetzt568 oder durch άγιαστήριον (Ps 72,17; 73,7LXX) bzw. άγιασμα (Ps 77,69; 95.6LXX) ausgedrückt. Für רחםsteht im Psalter meist μήτρα, γαστήρ wird für בטןverwendet, ή γαστήρ kann allerdings inhaltlich auch den Mutterleib bezeichnen, nicht nur den Bauch, vgl. Ps 21.10LXX. Das Vorkommen des εωσφόρος ist - wie oben bereits erläutert - in zweierlei Hinsicht auffällig: Der Übersetzer gibt einerseits nicht die Vokalisation משחרwieder, sondern erkennt משחרin seiner hebräischen Vorlage. Andererseits verwendet er nicht das Standardäquivalent für שחר- sonst wird שחרvor allem mit ό 567 v g l dazu die Analyse zu Vers 2. 568 So im LXX-Psalter an folgenden Stellen: 19,3 (Hilfe aus dem Heiligtum); 59,8 (Gott hat geredet in seinem Heiligtum) = 107,8; 62,3 (im Heiligtum); 67,18.25 (ins Heiligtum einziehen); 76,14 (Gott, im Heiligtum ist dein Weg); 88,36 (Gott hat in seinem Heiligtum geschworen). Eine Pluralform findet sich in Ps 73,3; 150,1LXX - auf diese Stellen wird später eingegangen. Zudem wird in Ps 133,2LXX der Plural verwendet. Hier legt es sich allerdings nahe, diesen Plural als „Heiligtum", zumindest aber als „heilige Bezirke" (so A. Pietersma, Translation of the Septuagint, 134: „In the night time lift up your hands to the holy precincts and praise the Lord.") zu verstehen.
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δρύρος übertragen,569 seltener treten daneben έωΰχνός (Jon 4,7; Ps 21,1) und ό πρώ'ιμος (Jes 58,8) auf. Diese Äquivalente sind Bezeichnungen für das ״Morgenrot", εωσφόρος hingegen ist der ״Morgenstern".570 έιογίγνομαι: Der Übersetzer versucht, mit einer WortneuSchöpfung ein vermutetes doppeltes 571 מןwiederzugeben, um sich dem Stilmittel der Alliteration bzw. Anapher anzupassen. Dieses Stilmittel steht im Griechischen allerdings an einer anderen Stelle als im Hebräischen - im Codex Leningradensis weisen die Worte מרחםund משחרeine Alliteration in Form von ( מ)ןauf, im griechischen Text steht das Äquivalent έκ: dagegen vor dem Mutterleib (wie auch im hebräischen Text) und proklitisch vor dem Verb, sodass ein Verb mit der Bedeutung ״/zeraws-geboren" entsteht. Zudem liest der Übersetzer statt ילד־תיךwohl ילד־תיף. Das Nominalsatzgebilde von Vers 3, das im Μ Τ bezeugt ist, existiert in der Septuaginta somit nur in der ersten Hälfte des Verses. Auch dieser Teil bedarf an späterer Stelle einer ausführliehen Analyse. V.4: Während der Übersetzer den Ausdruck des ״Schwörens" mit dem Standardäquivalent δμνυμι wiedergibt, wird ״nicht reuen" durch ein Wort übersetzt, das sonst innerhalb des LXX-Psalters nur in Ps 105,45 vorkommt: μεταμέλω (im Passiv). Die anderen Psalmen (22,4; 68,21; 70,21; 76,3; 85,17; 89,13; 118,52.76.82; 134.14LXX) weisen eine Form von παρακαλέω für נחםauf und sprechen aus der Perspektive des Beters, meist im Sinne, dass er getröstet werde. Bei Ps 105 und 109LXX wird dagegen von Gott ausgesagt, dass es ihn reut bzw. niemals reuen wird. 572 Während im Hebräischen נחםalso entweder auf den Beter bezogen sein kann, der getröstet wird, oder auf Gott, den etwas reut, existieren dafür im Griechischen zwei unterschiedliche Lexeme (παρακαλέω und μεταμέλω). Im vorliegenden Fall verwendet der Übersetzer das Standardäquivalent für נחםin der Bedeutung ״Gott bereut". כחןwird mit dem Standardäquivalent ίερεΰς übersetzt. Im hebräischen Text ist durch die Bezeichnung des Königs als Priester nach der Art ״eines "מלכי־צרקzunächst offengehalten, ob hier tatsächlich der Name ״Melchisedek" oder auch die
569
Stellenangaben dazu vgl. S. 86, Anm. 318. Diese Übersetzung wurde bereits im Kapitel 4.5, S. 80ff., ausführlich untersucht. שחרwurde zudem als εωσφόρος an folgenden Stellen übertragen: Hi 3,9; 38,12; 41,10. 571 In der Strukturanalyse legte sich die Vermutung nahe, dass es sich hier um ein enklitisches מhandelt. 572 So auch in I Sam 15,11.35. 570
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Bezeichnung ״König der Gerechtigkeit" vorliegt.573 Im griechischen Text ist dies nun eindeutig als Name ״Melchisedek" zu identifizieren. V.5: Das מחץaus der hebräischen Vorlage wird mit einer Form von οννϋλάω im Aorist übersetzt. Während das hebräische מחץpräsentisch/füturisch übersetzt werden muss, ist diese Wiedergabe hier grammatisch eher unwahrscheinlich, da ein gnomischer Aorist nur innerhalb allgemeiner (zeitlich indifferenter) Feststellungen und zudem nicht mehr im Griechisch der LXX verwendet wird. 574 Eine solche feststellende Aussage liegt hier nicht vor. Betrachtet man allerdings den Kontext der einzelnen Verse, so wird mithilfe des Aorists in V.4 deutlich eine vergangene Handlung berichtet (Gott hat geschworen), in Vers 5 hingegen erwartet der Leser - wie im hebräischen Text - ein Präsens oder Futur. Wie in der hebräischen Satzfolge wäre es auch hier wahrscheinlicher, dass V.6 die (unmittelbare) Folge von V.5 darstellt: Gott zerschlägt Könige, damit dann der König richten wird. Von daher legt der Kontext nahe, den Aorist συνέύλασεν präsentisch zu übersetzen. Warum der Übersetzer hier und in V. 1 eine Aorist-Form gewählt hat, wird im nächsten Kapitel näher beleuchtet. Stilistisch erkennt der Übersetzer das Hyperbaton in seiner hebräischen Vorlage und gibt es durch die Satzteilfolge συνέύλασεν ... βασιλείς wieder. V.6: Die Verbformen von V.6 werden im Futur wiedergegeben, obwohl im hebräischen Text מחץim Perfekt steht (wie im Vers davor), מלאein Partizip575 und ידיןImperfekt ist. Die Stilmittel, die im hebräischen Text des Codex Leningradensis vorhanden sind, finden sich ebenso in Ps 109.6LXX: Die Mitte des Verses beinhaltet eine Ellipse, da das Objekt fehlt, was eigentlich angefüllt wird. 576 Zudem erkennt der Übersetzer im hinteren Teil des Verses ein Hyperbaton und gibt es mit κεφαλάς ... πολλών wieder. Der Bezug ist jedoch hier ein anderer: In der LXX werden nun ״viele Köpfe" zerschlagen, während sich im hebräischen Text die Übersetzung nahe legt, 573
Zu diesem Problem wurde in der traditionsgeschichtlichen Untersuchung Stellung genommen (vgl. Kap. 4.6. Motiv und Bedeutung von „Melchisedek"). 574 vgl. E. Schwyzer, Griechische Grammatik, 285f. 575 Von der Form her kann es auch 3. Ps. m. Perfekt sein, ich vermute aber aufgrund der syntaktischen Gliederung, dass es sich hier um ein Partizip handelt (vgl. Kapitel 3.1 Der masoretische Text, S. 23ff.). 576 Diese elliptische Auslassung bietet vermutlich auch die hebräische Vorlage. Sinngemäß und auf der Basis des Siegesliedes auf Thutmose III. sind „Täler" zu ergänzen. A. Pietersma, Translation of the Septuagint, 113, übersetzt an dieser Stelle: „he will execute judgment among the nations, make full that which has fallen" und merkt an, dass hier evtl. ״with corpses" zu ergänzen ist.
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dass der König ״reichlich zerschlägt". Diese Abweichung von einem Adverb zu einem Adjektiv zieht allerdings keine Veränderung im Sinn des Satzes nach sich. Sinngemäß richtig, aber abweichend von der hebräischen Grammatik, gibt der Übersetzer das im Singular stehende ראש mit dem Plural wieder. V.7: Hier werden ausschließlich Standardäquivalente benutzt. Die Verben stehen im Futur - eine übliche Übersetzung des hebräischen Imperfekts. Auswertung: Der Übersetzer hat den Psalm textnah gemäß seiner hebräischen Vorläge ins Griechische übertragen. Dies wird vor allem durch das Bemühen, grammatische Phänomene wie den Reim, die Anapher oder die Satzteilfolge im Allgemeinen zu übertragen, deutlich. Es werden häufig Standardäquivalente verwendet oder Ausdrücke gewählt, die das handelnde Subjekt deutlicher hervortreten lassen (so κατακυριεύω für menschliches Herrschen, [ού] μεταμέλω für das [Nicht-JReuen Gottes), diese Übersetzungsvarianten ändern aber nicht die Intention und Aussageabsicht ihrer hebräischen Vorlage. Als Besonderheiten hinsichtlich der Übersetzung stellen sich jedoch folgende Wendungen dar: 1. Die Wiedergabe von נאםals fmites Verb im Aorist. 2. Der Tempuswechsel von V.5 auf V.6, obwohl einerseits im Codex Leningradensis die gleiche Verbform benutzt wird. Andererseits wirkt im Kontext eine Aorist-Form unverständlich. 3. Die Wiedergabe von Vers 3. Letzt genannter Vers birgt gleich mehrere Schwierigkeiten, von denen eine bereits innerhalb der traditionsgeschichtlichen Untersuchung erläutert wurde (das Vorkommen des Morgensterns statt der Morgenröte). Es bleibt aber noch die Frage offen, warum der Übersetzer eine Präposition als Äquivalent für לךwählt (oder ob dem Übersetzer hier eine andere hebräische Version vorlag). Zudem fallt der Anfang dieses Verses auf, da die Aussage ״mit ihm ist Herrschaft" eine andere Intention als der MT bietet (״dein Volk ist Freiwilligkeit"). Auch weicht der Versteil έν ταΐς λαμπρότησιν τών αγίων (mit anschließender Interpunktion) durch den Plural ״der Heiligen" von dem Standardäquivalent für קדשab. 7.1.3 Aufbau und Gliederung Die Gliederung von Ps 109LXX, beziehungsweise die Frage nach den Subjekten der einzelnen Verse, verdient eine ausfuhrliche Betrachtung,
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da im Gegensatz zum MT Vers 3 eine wörtliche Rede enthält und keine attributive Beschreibung des ״Königs" darstellt. Verwirrend erscheint der griechische Text dadurch, dass beide ״Personen" mit κύριος bezeichnet werden. Es stellt sich die Frage, an welcher Stelle welcher κύριος spricht und welcher angesprochen ist. 577 Zudem sollen die ungewöhnlichen Aorist-Formen der Vv.l (είπεν) und 5 (συνέΦλασεν für מחץ, im Gegensatz zu V.6, in dem συνύλάσει für מחץsteht) näher beleuchtet werden. E. Bons präferiert hinsichtlich der Delimitation der Reden und Identifizierung der Sprecher578 im ersten Teil des Psalms die Möglichkeit, dass ein anonymer Sprecher mit είπεν eine Redeeinleitung vortrage, anschließend mit Beginn der wörtlichen Rede die Gesprächsleitung an den erstgenannten κύριος abgebe. In V.2 setze dann derselbe κύριος seine Rede von V.lb fort, spreche von sich selbst jedoch in der 3. Pers. Sg., ״um schließlich in V.3c zur 1. Pers. Sg. zurückzukehren. Trotz dieser Verschiedenheit in der Formulierung wäre den V.lb-3 gemeinsam, dass sie alle an den zweiten κύριος adressiert sind." 579 In Bezug auf letztere Annahme, dass in den ersten drei Versen die angeredete Person der zweite κύριος sei, ist Bons zuzustimmen, doch bietet sich auch eine andere Verteilung der Sprecherrollen an: Es besteht die Möglichkeit eines Wechselgesangs, der in kurzen Sätzen erfolgt. Es ist nicht notwendig, ganze Versblöcke einem Sprecher zuzuordnen; der Sprecher kann von Halbvers zu Halbvers ein anderer sein. In V.l kommt nach der Überschrift ein anonymer Sprecher zu Wort, der auch in den Passagen redet, in denen in der 3. Person gesprochen wird. Der anonyme Sprecher erteilt in V.lb dem erstgenannten κύριος das Wort. Das Gleiche geschieht jeweils in den Versen 2b, 3b und 4b: Auf eine Redeeinleitung des anonymen Sprechers folgt eine wörtliche Rede des erstgenannten κύριος (Gott). Während V.3 im Codex Leningradensis aus einem Nominalsatzgebilde besteht, beinhaltet Ps 109,3LXX abweichend vom hebräischen Text eine Interpunktion und ein finites Verb am Schluss. Im ersten Teil des Verses findet sich ebenfalls ein Nominalsatz, der eine Beschreibung des Königs durch dem Sprecher darstellt, im zweiten Teil folgt nun ein Verbalsatz, den Gott an den ״König" richtet. Somit stellt sich der Aufbau des ersten Teils von Ps 109LXX wie folgt dar:
577
Zum besseren Verständnis wird im Folgenden für den erstgenannten κύριος die Bezeichnung „Gott", für den zweiten κύριος „König" gebraucht. 578 E. Bons, Die Septuaginta-Version von Psalm 110, 126. 579 E. Bons, Die Septuaginta-Version von Psalm 110, 126f.
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Sprecher: Für David, ein Psalm. Es hat Gott zu meinem ״König" gesprochen: Gott: ״Sitz an meiner rechten Seite, bis ich gelegt habe deine Feinde zu einem Schemel deiner Füße!" Sprecher: Den Stab deiner Macht (der ״König" ist angesprachen) wird Gott senden vom Zion her/aus, Gott: ״Und (so) sei (du) Herr in der Mitte deiner Feinde!" Sprecher: Mit dir (der ״König" ist angesprochen) ist die Herrschaft am Tag deiner Macht im Glanz der Heiligen. Gott: ״Aus dem Mutterleib vor dem Morgenstern habe ich dich geboren." Sprecher: Gott hat geschworen und er wird nicht Reue empfmden, Gott: ״Du bist Priester in Ewigkeit gemäß der Ordnung Melchisedeks."
Nach diesen Versen folgt ein inhaltlicher Einschnitt: Vers 4 endet mit einer Einsetzung des ״Königs", nun folgt die Beschreibung von daraus resultierenden Taten Gottes und des Königs. Die Art des Wechselgesangs wird beibehalten in der Form, dass der Sprecher zuerst von den Taten Gottes berichtet, daran anschließend spricht er von den zukünftigen Taten des ״Königs". Diesen Wechsel macht der LXX-Übersetzer zum einen durch einen Tempus Wechsel deutlich: Gottes Handlungen werden im Aorist beschrieben, die des ״Königs" im Futur, obwohl sich im hebräischen Text des Codex Leningradensis zweimal die identische Verbform findet ()מחץ. Zum andern findet sich nach V.5 eine Interpunktion. 580 Somit stellt sich der zweite Teil des Psalms wie folgt dar: 5 6
7
Sprecher. Gott - an deiner rechten Seite - hat am Tag seines Zorns Könige zertreten (inhaltlich besser präsentisch zu Übersetzen: Gott [...] zertritt am Tag seines Zorns Könige). Sprecher: Er (״König") wird richten unter den Völkern, er wird [Täler] anfüllen mit Gefallenen, er wird zertreten die Köpfe vieler auf der Erde. Sprecher: Aus dem Wadi am Weg wird er trinken, dadurch wird er den Kopf erheben.
Der Adressaten-Wechsel, der sich durch die Tempusformen AoristFutur ausdrückt, erklärt auch das Phänomen, dass in V. 1 נאםmit einer sonst ungewöhnlichen Aorist-Form wiedergegeben wird. Gleich zu Beginn soll durch dieses Tempus Gott als Akteur vorgestellt werden, wie dies in den folgenden Versen durchgeführt wird. 580
Es ist allerdings nicht klar, wie alt die Interpunktionen sind - sie könnten auch bei einem späteren Abschreiben hinzugekommen sein.
7.1 Die LXX-Übersetzung
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So lässt sich der Psalm in zwei große Abschnitte gliedern. In Teil I beinhaltet jeder Vers zudem in seiner Mikrostruktur die Rede eines Sprechers und eine Rede Gottes. Nach Vers 4 erfolgt ein Einschnitt, denn in den folgenden Versen 5-7 kommt nur noch der Sprecher zu Wort - aber auch hier ist ein Wechsel impliziert. Erst werden in Vers 5 Gottes Taten aufgezählt, dann - durch fUturische Verbformen und einer Interpunktion markiert - wird der Blick auf den König gerichtet. 7.1.4 έκ γαστρός προ εωσφόρου έξεγέννησά σε Es wurde bereits analysiert, warum der Übersetzer das griechische εωσφόρος, den Morgenstern, anstatt das in den Psalmen übliche ορφρος für das Morgenrot wählt.581 Er erkennt das Mutter-Sohn-Verhältnis in Form von ״Morgenröte und Tau" im hebräischen Text und gibt dies im Namen ״έωσφόρος/Morgenstern" wieder, der in griechischer Mythologie der Sohn der ״Morgenröte" ist. So waren vermutlich die Worte לך טלTeil der hebräischen Vorlage des LXXÜbersetzers und wurden in der Wiedergabe berücksichtigt und nicht weggelassen, sondern durch ein Namensäquivalent ersetzt. Damit repräsentiert die LXX eine hebräische Vorlage, die im Konsonantentext dem MT gleicht - bis auf das Äquivalent πρό für לך. Zwei Erklärungen sind für diese Abweichung möglich: Einerseits könnte die LXX eine andere hebräische Vorlage gehabt haben, als sie der Codex Leningradensis präsentiert, andererseits besteht die Möglichkeit, dass der LXX-Übersetzer hier eine Änderung vornahm, die entweder interpretativ und exegetisch motiviert zu verstehen ist oder eine Änderung aufgrund von Verständnisschwierigkeiten darstellt. So stellt sich zunächst die Frage, ob Verständnisschwierigkeiten, dass ein ״König" ״aus dem Mutterleib der Morgenröte" geboren wird, für eine Wiedergabe des zeitlichen oder räumlichen πρό ausschlaggebend waren. Zur Beantwortung dieser Frage bietet sich an, den Blick auf den ersten Teil von Vers 3 zu richten: Dieser Teil ist ebenfalls durch das Gebilde von Nominalsätzen mit hermeneutischen Problemen behaftet, doch ändert der Übersetzer dort nicht die Syntax, was zum besseren Verstehen beitragen könnte; er fügt kein finites Verb hinzu. So liegt es nahe, dass auch der zweite Teil von Vers 3 keine VerständnisSchwierigkeiten beinhaltete, die der Grund für eine präpositionale Wiedergabe des לךwaren - er hätte ihn auch wortwörtlich übertragen können. Vielmehr sollte hier von einer exegetisch motivierten Übersetzung gesprochen werden, die ein theologisches Ziel mit dieser Verwendung der Präposition πρό verfolgt. Die Präposition πρό steht meist für טרם oder קדםoder für das räumliche ״vor dem Angesicht von XY" ()לפני.
581
S. o. S. 85ff.
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Wie unter anderem bei M. Hengel 582 zu lesen ist, habe hier wohl der Präexistenzgedanke Ausdruck gefunden: Der ״König" wurde von Gott aus einem Mutterleib geboren, noch vor dem εωσφόρος, das heißt, noch bevor Gott den Heosphoros erschuf. Hengel schreibt weiter, dass es für den Präexistenz-Gedanken um die Zeitenwende vielerlei jüdische Beispiele gibt (so in den Bilderreden des äthiopischen Henoch oder die Vorstellung der präexistenten Weisheit). Es sei eine typisch jüdische ״heilsgeschichtliche" Vorstellungsform und nicht etwa eine hellenistische.583 F. Parente geht noch über die Ansicht hinaus, dass in der LXX die Präexistenz eines Königs Einzug gehalten hätte, indem er versucht darzulegen, dass dieses messianische Gedankengut eines präexistenten Menschensohnes bereits in der hebräischen Vorlage des LXX-Übersetzers vorhanden war. Hieronymus und die Masoreten hätten dies allerdings nicht erkannt.584 Hinsichtlich deutscher ÜberSetzungen des LXX-Textes sei an dieser Stelle angemerkt, dass auch der Zusatz ״noch" eine Interpretation darstellt, die im griechischen Text nicht vorhanden ist. Von der Textbasis her kann jedoch nicht entschieden werden, ob der König zeitlich vor dem Morgenstern geboren wird oder räumlich im Angesicht dessen. Sucht man nach Parallelstellen, so rückt das Königslied Ps 71 LXX ins Blickfeld, das ein Beispiel für ein räumlich verstandenes πρό vertritt: V.5
:ייראוך עט־שנזש ולפני י ר ח ד ו ר רורים Sie werden dich fürchten mit der Sonne und vor dem Mond Generation für Generation. και συμπαραμενεΐ τω ήλίω και π ρ ό της σελήνης γενεάς γενεών
V.17
לפני־שמש ינון שמו Vor der Sonne wird sein Name bleiben προ του ηλίου διαμενεΐ τό δνομα αΰτοΰ
Hier wird die Position des Königs im Angesicht der Gestirne beschrieben, die als Ganze eine Ewigkeitsaussage darstellt: Man wird sich immer an den König erinnern - sein Name bleibt in Erinnerung, solange die Sonne existiert. Betrachtet man Ps 109LXX vor dem Hintergrund dieses anderen Königsliedes, so besteht die Möglichkeit, Ps 109,3LXX ebenfalls als räumliche Aussage zu verstehen. JHWH zeugt den König im Angesicht seiner Schöpfung, die in Form des Morgensterns dargestellt ist.
582 v g L μ Hengel, Präexistenz bei Paulus?, 51 lf. So auch bei J. Schaper, Der Septuaginta-Psalter, 177. 583 Vgl. M. Hengel, Präexistenz bei Paulus?, 507. 584 F. Parente, Πρό εωσφόρου έξεγέννησά σε, 199.
7.1 Die LXX-Übersetzung
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Doch warum wählt der Übersetzer überhaupt die Präposition πρό? Die entscheidenden Überlegungen hinsichtlich dieser Fragestellung ergeben sich aus dem theologischen Konzept des Übersetzers: Wie oben bereits erläutert, nimmt der Übersetzer in der Nennung der ״Morgenröte" und des „Taues" die Bezeichnungen paganer Gottheiten der Welt des Alten Orients wahr. Gemäß seinem theologischen Verständnis ist JHWH der einzige Gott, sodass er andere pagane Gottheiten aus dem Text zu eliminieren versucht. Als Beispiel einer solchen Praxis fuhrt N. Fernändez Marcos unter anderem Jes 37,38 an. 585 Dort wird der assyrische Gott Nisroch im hebräischen Text mit dem Gottesepitheton • , n^X (beziehungsweise im Kontext rr6K) versehen. Da diese Bezeichnung jedoch an anderen Stellen JHWH impliziert, verwendet der Übersetzer statt des Standardäquivalents Φεός für DTT^K hier (Νασαραχ τον) παταχρον αύτοΰ (in anderen Handschriften auch: παταρχον, πατραρχον, πατριαρχην). Vor dem Hintergrund dieser exegetisch motivierten Praxis der LXX-Übersetzer an anderen Stellen ist es durchaus denkbar, dass in Ps 109,3LXX die „Gottheit Morgenröte" zu einem Gestirn degradiert wird. Dies geschieht nicht auf der Basis einer Namensänderung der Gottheit, sondern durch die Wahl der Präposition: Der König wird nicht durch die „Morgenröte" geboren, sondern vor dem Morgenstern. Die hebräische Präposition ]0 wird an anderer Stelle mit έκ (beziehungsweise proklitisch angefügt: έξεγέννησα) wiedergegeben, das Wort ?'[־־wird durch πρό ersetzt. So impliziert der Text zwar noch eine göttliche Zeugung des Königs, aber diese Zeugung und Geburt geschieht einzig durch JHWH selbst - der König wird nicht aus dem Mutterleib „der Morgenröte" geboren. Grundlegend für diese Schlussfolgerung ist somit die These, dass das πρό räumlich und als interpretative Änderung des Übersetzers aufzulösen ist und verstanden werden muss, ohne dass hier ein Präexistenzgedanke durch die Arbeit des Übersetzers Einzug gehalten hätte. Die Autoren des Neuen Testaments konnten hier jedoch ohne Weiteres einen Motivkomplex erkennen, an den sie ihre eigenen Gedanken zur Präexistenz anhängen und auf Jesus Christus beziehen konnten. Im Anschluss an diese Untersuchung bietet sich eine Untersuchung an, ob - da der Präexistenzgedanke ursprünglich wohl nicht in diesem Psalm vorhanden war - die Korrespondenz von Ps 109LXX zu anderen Texten der LXX eine messianische Interpretation eröffnet. 7.1.5 Verknüpfung mit anderen Texten in der LXX Im Anschluss an die Beobachtungen zum griechischen Text der I .XXVersion ließ sich feststellen, dass der Übersetzer seine hebräische 585 ν Fernandez Marcos, Septuagint in Context, 31 If.
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Vorlage sehr textnah wiedergegeben hat. Vers 3 allerdings bietet Abweichungen vom hebräischen Text (in Gestalt des Codex Leningradensis). Dadurch, dass Vers 3 teilweise andere Wortbedeutungen als der hebräische Konsonantenbestand erkennen lässt, eröffnen sich andere Verknüpfungen, als sie der hebräische Text des Codex Leningradensis besitzt. Zu Beginn soll eine Betrachtung von Ps 109LXX in seinem Verhältnis zu Ps 2LXX stehen, da in der Forschung häufig behauptet wird, dass sich diese zwei Psalmen unter anderem durch eine enge Zusammengehörigkeit in der LXX auszeichnen. So hält E. Bons dazu fest: ״Deutlicher als der MT stellt die LXX Bezüge zwischen Ps 2 und Ps 109 her, ja es scheint, dass sie stellenweise Ps 109 an Ps 2 anpasst."586 Diese These gilt es im Folgenden zu überprüfen. Des Weiteren sollen die beiden Melchisedek-Perikopen in der Septuaginta näher beleuchtet werden, da vor allem in jüdischer Tradition und Forschung mehrfach auf die enge Verbindung zwischen Gen 14 und Ps 110 aufmerksam gemacht wurde. Eröffnet die LXX eine engere Korrespondenz zu Gen 14, als dies der hebräische Psalm vermuten lässt? Schließlich blieb innerhalb der Beobachtungen zur Septuaginta-Variante dieses Psalms die Frage offen, warum der Übersetzer das Äquivalent λαμπρότης und die Pluralform των άγιων verwendet. Dies soll mit Blick auf seine Parallelen - vor allem im Psalter - untersucht werden. Als letzter Punkt soll der Überlegung nachgegangen werden, inwiefern durch die Wiedergabe ע?ךstatt wie die masoretische Punktation lautet, Korrespondenzen zu anderen Bibelstellen geschaffen werden. Während sich im hebräischen Text durch עמך נדבתeine Verbindung zum Deborahlied in Jdc 5 ergibt, wird im griechischen Text dem ״König" die ״άρχή" zugesprochen. Demnach werden am Schluss dieses Kapitels Stellen untersucht, in denen ebenfalls einem König die Herrschaft zugesagt wird. Ps 109 LXX in seinem Verhältnis zu Ps 2LXX: E. Bons hält tabellarisch587 vier Anpassungen fest: Ps 2 V.7: Κύριος είπεν π ρ ο ς με Υιός μου ε "ι σΰ, εγώ σήμερον γεγέννηκά σε
Ps 109 V.1 Είπεν 0 κύριος τ ώ κυρίω μου V.4 Συ ίΓιερεύς V.3 έκ γαστρός π ρ ό εωσφόρου έξε νέννησά σε V.2: ράβδον δυνάμεως σου V.9: ποιμανεΐς αυτούς έν ράβδω έξαποστελεΐ κύριος εκ Σιων σιδηρά Die Unterschiede zum MT sind kursiv gedruckt. 586
E. Bons, Die Septuagintaversion von Ps 110 (109 LXX), 141. 587 Folgende Tabelle wurde aus E. Bons, Die Septuagintaversion von Ps 110 (109 LXX), 141 entnommen.
7.1 Die LXX-Übersetzung
von Psalm 110
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Folgende Beobachtungen sprechen allerdings gegen die Ergebnisse von E. Bons: Zu Zeile 1 wurde bereits in der Gliederung des Psalms festgestellt, warum der Übersetzer hier die Aorist-Form wählt: Er teilt den gesamten Text in zwei zeitliche Ebenen ein, welche die Handlungsebenen von Gott und dem ״König" darstellen - der Aorist steht somit für eine Handlung Gottes. So könnte in V.l das Übersetzungsäquivalent εϋτεν für נאםandere Gründe aufweisen, als eine Verknüpfung mit Ps 2 herzustellen. Auch ist in Vers 4 (hier in Zeile 2) keine deutliche Anpassung von Ps 109 an Ps 2 zu erkennen, da es sich um eine standardisierte Auflösung eines hebräischen Nominalsatzes durch das Hilfsverb ״sein" handelt. Zudem ähneln sich in der syntaktischen Konstruktion bereits die hebräischen Texte durch die Nominalsätze בני ( אתהPs 2,7) und ( אתה כהןPs 110,4) mit dem Personalpronomen der zweiten Person. In Vers 3 ist aus zwei Gründen ebenfalls nicht von einer Anpassung an Ps 2 zu sprechen. Erstens gibt der Übersetzer den hebräischen Konsonantenbestand, wie er sich auch im Codex Leningradensis findet, wieder, der - wie bereits oben dargestellt - vermutlieh die ursprüngliche Intention von Ps 110 abbildet. Dies bezeugen auch zahlreiche andere (oben aufgelistete) Textvarianten. Zweitens stellt sich das Problem, dass in Ps 2 und Ps 109LXX zwar das gleiche Verb, nicht aber die gleiche grammatische Form verwendet wird. Wenn der Übersetzer beide Psalmen hätte aneinander angleichen wollen, so wäre dies leicht durch eine identische Wiedergabe möglich gewesen. In Ps 2,7 liegt jedoch im Griechischen das Perfekt vor, in Ps 109.3 LXX hingegen eine Aorist-Form, die durch eine Präposition zu einem hapax legomenon kombiniert wurde. Schließlich ist in Bezug auf V.2 (hier Zeile 4 in der Tabelle) zu bemerken, dass sowohl שבטwie מטהim LXX-Psalter mit ράβδος wiedergegeben werden können. So ist dies nicht eindeutig als Besonderheit der Psalmen 2 und 109 zu werten. So bleibt als Fazit bezüglich Ps 109 und Ps 2LXX festzuhalten, dass hier keine bewusste Angleichung durch den Übersetzer stattgefunden hat. Beide Psalmen ähneln sich auch in ihrer hebräischen Version. Ps 109 LXX und sein Verhältnis zu Gen 14LXX: Gen 14,20a MT: אשר־מגן צ ר י ך ב י ד ך Gen 14,20aLXX: δς παρέδωκεν τους έχφροΰς σου υποχείριους σοι. Ps 109,lbLXX: εως αν ϋ ώ τους έχφροΰς σου ύ π ο π ό δ ι ο ν τών π ο δ ώ ν σου.
Τ. de Kruijf 588 vergleicht Ps 109LXX und Gen 14LXX miteinander und weist auf eine mögliche Angleichung hin. Die Texte seien in der LXX ״verbally much closer" 589 als im MT. Wenn nun ein Leser der 588 589
T. de Kruijf, The Priest-King Melchizedek. T. de Kruijf, The Priest-King Melchizedek, 396.
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Bibelübersetzungen
LXX beide Texte als zusammengehörig wahrnimmt, könnte Melchisedek als eine Figur mit gut gewählten Eigenschaften erscheinen. So sei er sowohl ein Krieger im Dienst Gottes, als auch ein Symbol für Gerechtigkeit und Frieden.590 Dass ein Leser der LXX einen Zusammenhang der Texte aus Gen 14 und Ps 109 wahrnehmen kann, ist unbestritten. Das legt sich vor allem durch die Verwendung des Namens Melchisedek nahe. Die Frage ist allerdings, ob der LXX-Übersetzer von Ps 109 seinen Text an Gen 14 angleicht. Dies lässt sich nur schwer bejahen, da sowohl in Gen 14 als auch in Ps 109 Standardäquivalente verwendet als auch hebräische Wortstellungen übernommen werden. Dadurch kann weder von einer deutlichen Angleichung noch von einem engeren Bezug beider Texte zueinander, als dies im MT der Fall ist, gesprochen werden. Die Wendung εν ταΤς λαμπρότησιν των άγιων und ihre Parallelen: Dass in Ps 109 LXX λαμπρότης in einer nicht üblichen Pluralform591 wiedergegeben wird, hat seinen Ursprung sicherlich in dem Bestreben, die hebräische Vorlage exakt zu übersetzen. An dieser Genitiv-Verbindung verwundern folglich nicht der ״plurale Glanz", sondern eher das Äquivalent für הדרund die Übersetzung von קרשim Plural. הדר weist eine Fülle von Übersetzungsmöglichkeiten im Psalter auf, aber nur an dieser Stelle ist es mit λαμπρότης wiedergegeben. Im hebräischen Gebrauch stellt הדרeinen Ausdruck von ״Königswürde" dar, die Gott oder dem König zu eigen sind. Seltener können ein Mensch oder die Natur הדרbesitzen, auch eine Stadt kann damit ausgezeichnet werden.592 Von der Bedeutung der ״Königswürde" rückt die LXX ab, da nicht das Standardäquivalent von הדרim Psalter - ή μεγαλοπρέπεια (Erhabenheit, Majestät Gottes) - benutzt wird. Auch distanziert sich der Übersetzer von der Möglichkeit בהדרת־קדש. Dies wird von Menschen (bzw. )בני אליםausgesagt, die, ״in heiligem Schmuck" gehüllt, Gott anbeten - dies ist hier ebenso nicht der Fall. Im Psalter gibt es lediglich eine weitere Stelle, an der von der λαμπρότης Gottes geredet wird (Ps 89,17LXX), doch fallt diese in vorliegender Analyse nicht ins Gewicht, da das dazugehörige GenitivObjekt in Ps 109 LXX nicht Gott ist. Hier erhält der ״König" am Tag seiner Macht die Herrschaft im ״Glanz der Heiligen". Ebenso verhält es sich mit Bar 4,24 und 5,3, da auch hier vom ״Glanz Gottes" die Rede ist. In Jes 60,3 und Dan 12,3 (Th) allerdings stehen das Volk Israel beziehungsweise Jerusalem oder die ״Einsichtigen" im Glanz, sodass diese Stellen einen möglichen Bezugspunkt zu Ps 109,3LXX darstellen. » 0 Vgl. T. de Kruijf, The Priest-King Melchizedek, 397. 591 Im Sg. steht Xa|1Jtp0TT)5 in Jes 60,3; Ps 89,17LXX; Dan 12,3 (Th); Bar 4,24; 5,3. 592 Vgl. G. Warmuth, Art.: 359 ,הדר.
7.1 Die LXX-Übersetzung
189
von Psalm 110
Da anschließend eine Interpunktion folgt, kann sich der ״Glanz der Heiligen" nur auf den ersten Teil des Verses beziehen. Unklar ist allerdings, was sich hinter diesem ״Glanz der Heiligen" verbirgt. Dazu sollen zunächst der Begriff קדשund seine Wiedergabe mit τών αγίων beleuchtet werden. Es wird untersucht, ob dieser Genitivplural als ״Tempel/Heiligtum" verstanden werden soll,593 oder ob damit ״die Heiligen" gemeint sind. Vorweg ist zu bemerken, dass im Psalter für ״das Heiligtum" meist τό αγιον im Singular verwendet wird. 594 Des Weiteren scheidet die Annahme einer defektiven Schreibung קדשם aus, da das מvom Übersetzer klar als zu רחםgehörig erkannt und durch έκ wiedergegeben wird. Es wurde somit nicht קדשם רחםgelesen, sondern deutlich zwischen קדשund מרחםgetrennt. Zum besseren Verständnis gilt es, andere Stellen des LXX-Psalters, an denen von ״den Heiligen" gesprochen wird, heranzuziehen. Dabei fällt zunächst Ps 73,3LXX auf, da auch hier das hebräische בקדשdurch den griechischen Genitivplural wiedergegeben ist: Ps 74,3: כ ל ־ ה ר ע אויב ב ק ד ש Alles hat der Feind verwüstet im Heiligtum.
Ps 73.3LXX: δσα έπονηρεΰσατο ό εχθρός έν τοις άγίοις σου. wie der Feind böse handelte unter deinen Heiligen
Der Übersetzer fügt ein Possessivpronomen hinzu und macht so deutlieh, dass ״die Heiligen" Gott zugehörig sind. In diesem Psalm ist es möglich, den Genitivplural als Ausdruck für die ״Heiligen" - Angehörige des Gottesvolkes - zu verstehen. Dieser Psalm weist einige parallel verwendete Ausdrücke zu Ps 109LXX auf, von denen in V.14 die Wendung σύ συνέύλασας τάς κεφαλάς του δράκοντος (du hast zertreten die Köpfe des Drachen) am deutlichsten ist. Daneben finden sich ebenfalls die Äquivalente für den ״Herrscherstab" (V.2: ράβδος), die ״Macht" (V.13: έν τη δυνάμει σου), die ״Rechte" (V.ll: τήν δεξιάν σου) und das Motiv des Zion (V.2). Auch in Ps 150,1 LXX ist es möglich, im verwendeten Plural (έν τοις άγίοις αύτοΰ für )בקדשוeine Abweichung gegenüber dem Psalmvers im MT festzustellen und darin statt ״des Heiligtums" die ״Heiligen" zu verstehen: ה ל ל ו יה :ה ל ל ו ־ א ל בקדשו ה ל ל ו ה ו ברקיע עזו
593
So z.B. Α. van der Kooij, Septuagint of Psalms, 240f. u. A. Cordes, Ps 109 LXX, 259. 594 S.o. S. 177, Anm. 567.
190 Halleluja! Lobt Gott in seinem Heiligtum, Macht!
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
lobt ihn in der Feste
Αλληλούια. Αινείτε ι ό ν Φεόν εν τοις άγίοις αυτου, αινείτε αυτόν έν στερεώματι δυνάμεως αΰτοΰ״ Halleluja! Lobt Gott unter seinen Heiligen,595 lobt ihn im/unter Firmament seiner Macht!
seiner
dem
An einer weiteren Stelle im Psalter (Ps 82,4LXX) wird ebenso von ״den Heiligen" als Angehörigen des Gottesvolkes gesprochen - hier liegt allerdings nicht קדשin der hebräischen Fassung vor: Ps 83,4: ע ל ־ ע מ ך יערימו סוד ויתיעצו על־צפוניך Gegen dein Volk halten sie eine listige Besprechung ab, und sie beraten sich gegen deine Schutzbefohlenen.
Ps 82.4LXX: επί τον λαόν σου κατεπανουργεΰσαντο γνώμην και έβουλεΰσαντο κατά των άγιων σου״ Gegen dein Volk trafen sie böse eine Entscheidung und berieten sich gegen deine Heiligen.596
Aus diesen Psalmstellen geht hervor, dass durch die Verwendung von άγιος im Plural das Volk Israel dargestellt werden kann. So ist es auch in Ps 109LXX denkbar, dass der König im ״Glanz des Volkes" und nicht im ״Glanz des Heiligtums" steht (im Genitiv-Plural ist allerdings nicht eindeutig, ob es sich um eine maskuline oder neutrische Form handelt), zumal sich zu der Verwendung ״Glanz des Heiligtums" keine Parallelstellen ergeben haben. Dass sich aber der ״Glanz" auf das (eschatologische) Volk Israel beziehungsweise auf Jerusalem in eschatologischer Zeit beziehen kann, steht in Jes 60,3 und Dan (Th) 12,3: Jes 60,3: και πορεΰσονται βασιλείς τ φ φωτί σου και ε$νη τη λαμπρότητί σου Und es werden Könige in/zu deinem Licht reisen und Völker in/zu deinem Glanz.
595 Ähnlich übersetzt auch A. Pietersma, Translation of the Septuagint, 147: „Praise God among his saints". Anders hingegen Brenton, Septuagint with Apocrypha, z. St.: „Praise God in his holy places". 596 Ähnlich übersetzt auch A. Pietersma, Translation of the Septuagint, 82: „they conspired against your saints."
7.1 Die LXX-Übersetzung von Psalm 110
191
Dan 12,3 (Th): και oi συνιέντες έκλάμψουσιν ώς ή λαμπρότης του στερεώματος και από τών δικαίων τών πολλών ώς οί αστέρες εις τους αιώνας και ετι. Und die Einsichtigen werden herausleuchten wie der Glanz des Firmaments und einige von den vielen Gerechten wie die Sterne in den Ewigkeiten und noch immer.
Im Jesaja-Text wird Jerusalem erleuchtet vom Licht JHWHs, in dem die Könige reisen. Die Völker reisen im Glanz Jerusalems. In Dan (Th) sind es die Einsichtigen, die leuchten werden. Beide Texte stehen in einem eschatologischen Zusammenhang.597 Aufgrund der dargestellten Belege lässt sich festhalten, dass in den Stellen im Psalter, bei denen der Plural τά αγια belegt ist, es möglich ist, statt des ״Heiligtums" ״die Heiligen (Israels)" im Text zu erkennen - in diesem Sinne könnten die Stellen Ps 73,3; 82,4; 150,! LXX verstanden werden. 598 Aufgrund dieser Parallelen empfiehlt es sich, Ps 109,3LXX ebenfalls so zu verstehen, dass der König im Glanz des Volkes Israel steht. Die Verwendung des Äquivalents ή λαμπρότης weist auf einen endzeitlichen Kontext, da in Jes 60,3 und Dan 12,3 (Th) Jerusalem beziehungsweise Angehörige des Volkes Israel in eschatologischer Zeit mit dem Attribut ״Glanz" versehen werden. Dadurch öffnet sich auch in Ps 109LXX möglicherweise eine Tür zu einer eschatologischen Interpretation. Die Wendung: μετά σοϋ ή άρχή εν ήμερα της δυνάμεώς σου Dieser Versanfang hat einen anderen Inhalt als der masoretische Text, denn in der LXX-Version wird ״dem König" die Herrschaft am Tag seiner Macht zugesprochen. Wenn man davon ausgeht, dass dem Übersetzer ein Konsonantentext vorgelegen hat, der ebenso im Codex Leningradensis erhalten ist, legt sich die Vermutung nahe, dass der Übersetzer עמף ?לבנתgelesen hat. נדבתwäre ein hapax legomenon grammatisch ist eine solche Substantivbildung analog zu dem ״Edlen, Fürsten" נדיבallerdings möglich.599 Dadurch, dass in Ps 109 LXX nicht mehr von der ״Freiwilligkeit des Volkes" sondern von der ״Herrschaft des Königs" die Rede ist, korrespondiert der Psalm mit anderen Texten als die hebräische Version. 597
Auf diese Daniel-Stelle hat auch J. Schaper hingewiesen. Er sieht ebenfalls den eschatologischen Charakter dieser Stelle, thematisiert aber nicht, wer seiner Meinung nach unter den ״Heiligen" verstanden werden muss (vgl. J. Schaper, Der Septuaginta-Psalter, 174). 598 Darüber hinaus auch in Ps 21,4 und 67,36LXX. 599 Vgl. auch מלכות, ילדות, עבדותu.a. Diese Substantivbildungen auf -ut sind schließlich im mischnischen Hebräischen sehr häufig (vgl. dazu Joüon/Muraoka, § 8 8 7 , 265).
192
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
So ist ein erster Vergleichstext, in dem einem Herrscher die αρχή zugesprochen wird, Jes 9,3.5f.: 3 διότι άφήρηται ό ζυγός ό έ π ' α υ τ ώ ν κείμενος και ή ρ ά β δ ο ς ή επί τοΰ τραχήλου α υ τ ώ ν την γαρ ράβδον τών απαιτούντων διεσκέδασεν κύριος [...] 5 υιός και εδόθη ήμΐν, ου ή άρχή έγενήφη επί τοΰ ώμου αύτοΰ [...] 6 μεγάλη ή άρχή αύτοΰ, και της ειρήνης αύτοΰ ούκ εστίν δ ρ ι ο ν επί τον ΰρόνον Δαυίδ και την βασιλείαν αύτοΰ κατορΦώσαι αυτήν και άντιλαβέσύαι αύτής έν δικαιοσύνη και έν κρίματι α π ό τοΰ νΰν και εις τον α'ιώνα χ ρ ό ν ο ν 3 Deshalb wird das Joch weggerissen, das auf ihnen liegt, und der Stab, der auf ihrem Nacken ist. Den Stab der Unterdrücker nämlich hat der Herr zerbrochen. [...] 5 Ein Sohn ist uns gegeben, dessen Herrschaft ist auf seiner Schulter. [...] 6 Groß ist seine Herrschaft, und sein Frieden wird keine Grenze haben auf dem Thron Davids und auf seiner Königsherrschaft, um sie aufzurichten, und sie wird unterstützt durch Gerechtigkeit und Recht von nun an bis in Ewigkeit.
Zu diesem Text sollen zwei Beobachtungen festgehalten werden: Erstens begegnet hier die Vokabel ή ράβδος, und zwar als Übersetzung von מטהund שבט. Hier ist ράβδος ein deutliches Bild für einen Herrscherstab, jedoch ist an dieser Stelle an die Fremdherrschaft gedacht. Zweitens wird dem zukünftigen ״messianischen" Herrscher als erste ״Eigenschaft/Gabe" ή άρχή verliehen - dann erst folgen die bekannten Thronnamen, ״άρχή" stellt hier die Übersetzung von משרה dar. Auch in zwei weiteren eschatologisch bzw. messianisch ausgerichteten Texten wird die Herrschaft verliehen: Mi 4,8 und Dan 7,14 (Th). In Mi 4,8 wird der ״Tochter Zion" in einer Verheißung über das kommende Friedensreich zugesagt, dass sie ihre alte Herrschaft wiedererlangen werde. Dies wird am Ende der Tage geschehen. Mit ״άρχή" wird hier das hebräische ממשלהübersetzt. Des Weiteren begegnet in Dan 7,14 (Th) das Motiv des Übergebens der Herrschaft (και αύτω έδό19η ή άρχή και ή τιμή και ή βασιλεία). Das aramäische שלטןwird mit ״άρχή" wiedergegeben. Auch hier bildet die ״Herrschaft" die erste Zusage an einen ״messianischen" zukünftigen Herrscher wie in Jes 9. Diese Textstelle ist insofern interessant, als sie eine intertextuelle Beziehung zu Ps 110 bietet, die sowohl im NT wie im Midrasch zu finden ist.600 Es zeigt sich, dass die Verleihung der άρχή in eschatologischen Kontexten beheimatet ist, in denen in Jes 9 und Dan 7,14 (Th) eine messianische Figur das zentrale Thema ist. Dadurch könnte auch in Ps 109LXX eine messianische Interpretation suggeriert werden. 600
Beide Stellen werden später eigens erläutert.
7.1 Die LXX-Übersetzung
von Psalm 110
193
Folgerung: Ps 109 LXX stellt zu anderen biblischen Texten Verbindungslinien her, als dies in der hebräischen Bibel zu beobachten ist. Während im hebräischen Ps 2 und in Ps 110* im MT dasselbe Wort ()ילדתיך verwendet wird, gebraucht der LXX-Übersetzer zwei verschiedene Tempora, obwohl beide einen vergangenen Zustand beschreiben. In Ps 2 wird das Perfekt verwendet, in Ps 109 hingegen eine Aorist-Form, die zusätzlich ein hapax legomenon darstellt. Es ist folglich festzustellen, dass zu Ps 2 keine intensivere Bindung in der LXX vorhanden ist als im MT, ebenso verhält es sich mit den Texten aus Ps 109LXX und Gen 14. Durch die Wahl von apxn in Vers 3 öffnet sich allerdings ein möglicher weiterer Interpretationsraum: In den sogenannten messianischen Weissagungen von Jes 9 und Dan 7,12f. (Th) wird dem ״König" bzw. ״dem, der kommt" ebenfalls die ap/T! verliehen - so könnte hier ein Zusammenhang hergestellt werden. Einen eschatologischen Charakter könnte der Psalm durch die Übersetzung ״im Glanz der Heiligen" erhalten haben. Sowohl der ״Glanz" wird innerhalb der LXX mit dem Volk Israel in Verbindung gebracht, als auch die Bezeichnung der ״Heiligen" für Israel. Durch die Beziehung von Ps 109.3 LXX (vor allem) mit Ps 73LXX legt sich der Schluss nahe, dass der König im Glanz seines Volkes Israel steht. Durch die hohe Übereinstimmung an gleichem Vokabular mit Ps 73LXX könnte Ps 109LXX als Gegenpol erscheinen: Nach einer Klage des Volkes in der Diaspora, nachdem die Feinde unter den Heiligen gewütet haben, wird den Heiligen ein ״messianischer Herrscher" in die Mitte gestellt. So ist zusammenzufassen, dass sowohl das Motiv der ״Heiligen" als das Volk Israel als auch das Übergeben der Herrschaft einen eschatologischen bzw. messianischen, zumindest aber zukünftigen Charakter intendieren kann. 7.1.6 Auswertung Wie verhält sich Ps 109LXX zu seiner hebräischen Vorlage, und wie lassen sich die drei Intentionen Bewahrung, Aktualisierung und Interpretation in diesem Zusammenhang erkennen? Um diese Fragen zusammenfassend zu beantworten, soll zunächst geklärt werden, wann es sich tatsächlich um eine theologische Interpretation handelt und nicht um eine bloße Übertragung ins Griechische. 1. Prämisse: Um eine theologische Interpretation handelt es sich, wenn der Übersetzer mehr oder anderes bietet, ״als aufgrund seiner grammatischen und lexikalischen Analyse des Originals erwartet werden kann - und dies in einem theologischen Zusammenhang." 601 601
A. Aejmelaeus, Übersetzungstechnik, 10.
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7 Die antiken
Bibelübersetzungen
2. Prämisse: ״Von theologischer Interpretation kann keine Rede sein, wenn der Übersetzer Wort für Wort übersetzt und dabei Standardäquivalente verwendet, auch nicht, wenn dadurch eine Bedeutungsdifferenz entsteht oder eine ursprünglich nicht vorhandene Bedeutungsalternative festgelegt wird" 602 . 3. Prämisse: Bei Verständnisschwierigkeiten muss zuerst gefragt werden, ob die interpretative Übersetzung durch die Schwierigkeit der Passage bedingt ist oder der Übersetzer bewusst eine Wahl zwischen einer rein linguistischen Repräsentation und der darüber hinausgehenden interpretativen Wiedergabe getroffen hat. 603 Aufgrund der oben aufgestellten Prämissen soll folgenden zwei Phänomenen keine Interpretation durch den Übersetzer unterstellt werden: 1. Dass חילund עזmit derselben Vokabel ״δήναμις" wiedergegeben werden, ist eine Übersetzung durch Standardäquivalente. Somit ist den Aussagen von E. Bons und J. Schaper nicht zuzustimmen, die beide hier eine bewusste Vereinheitlichung und Verschmelzung der semantischen Felder der hebräischen Vokabeln חילund עזsehen.604 Diese Annahme trifft auf die LXX-Übersetzung im Allgemeinen und nicht nur auf Ps 109LXX zu. 2. Bei der Benutzung von ή ράβδος für מטהliegt ebenfalls das Standardäquivalent vor. In erster Linie ist hier somit weder eine Interpretation noch eine Angleichung erfolgt. Es lassen sich in Ps 109LXX aber folgende Phänomene und Interpretationsleistungen erkennen: Die Bewahrung des hebräischen Textes und Gedankenguts ist in der LXX-Übersetzung von Ps 110 vor allem darin erkennbar, dass der Übersetzer sich bemüht, die hebräische Grammatik sowie die Stilmittel exakt wiederzugeben. Die Beobachtungen am Text haben gezeigt, wie korrekt der Übersetzer arbeitete, seine hebräische Vorlage - einschließlich grammatischer Eigenarten und Stilmittel - ins Griechische zu übertragen. Er gab einen hebräischen Konsonantentext wieder, der 602
A. Aejmelaeus, Übersetzungstechnik, 11. Vgl. A. Aejmelaeus, Übersetzungstechnik, 14. 604 E. Bons gelangt zu dem Schluss, dass die vereinheitlichende Übersetzung der beiden unterschiedlichen hebräischen Substantive nahelege, dass die im Stab symbolisierte und dem irdischen K׳üp105 übergebene ÖTJva!115 an einem Tag zum Ausdruck kommt, an dem der König seine Herrschaft über die Feinde erlange (vgl. E. Bons, Die Septuaginta-Version von Psalm 110 [109 LXX], 131f.) Schaper konstatiert, dass hier Stivaixic; für einen Erweis, eine Manifestation göttlicher Macht stehe. ״Die Übersetzer kombinierten gleichsam die semantischen Felder beider Termini der Vorlage (עז/ )חילund bewirkten damit eine innovative Umformung und Anwendung des öwaiaig-Begriffs." J. Schaper, Der SeptuagintaPsalter, 174f. 603
7.1 Die LXX-Übersetzung
von Psalm 110
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sich auch im Codex Leningradensis findet, mit Ausnahme der Hinzufugung eines Kai in Vers 2 und der Wiedergabe ״Jtpo" in Vers 3. Diese genaue Übertragung hebräischer Grammatik wird an Vers 2 deutlich, indem der Übersetzer הדם לרגליךals umschriebenen Genitiv versteht und diese indeterminierte Verbindung ebenso ins Griechische überträgt. Demnach übersetzt er den ״Fußschemel" auch im Griechischen ohne Artikel, sodass eine reine Genitiv- und keine DativVerbindung entsteht. Des Weiteren ist das Bemühen um eine exakte grammatische Wiedergabe der hebräischen Vorlage auch in der Übertragung der Stilmittel zu erkennen: Die Verse 5 und 6 beinhalten auch im Griechischen zwei Hyperbata und eine Ellipse, hinzu kommt eine Anapher durch ein doppeltes EK in Vers 3, wobei hier die Stellung im Vergleich mit dem hebräischen Text variiert. Der Übersetzer erkennt zwar ein doppeltes מןals Alliteration bzw. Anapher, versetzt eines der doppelten Äquivalente £K aber an eine andere Stelle, nämlich proklitisch an das Verb. Das Stilmittel bleibt auch im griechischen Text erhalten, die Wortreihenfolge dagegen wird aufgegeben. Eine wörtliche Übertragung des hebräischen Textes ist auch in der ungewöhnlichen Pluralform בהדריzu erkennen, die im Griechischen ebenso ungewöhnlieh im Plural steht (ev Tat; kxnJtpoT^cav). Eine andere Interpretation besteht allerdings hinsichtlich des hebräischen Textes von V.3a: Hier handelt es sich nicht um ״heiligen Schmuck", sondern um den ״Glanz der Heiligen", in dem der Herrscher steht. Die im masoretischen Text ähnlichen Constructus-Verbindungen in den Pss 29,2 und 96,9 werden durch andere Äquivalente wiedergegeben. Auf syntaktischer Ebene ist die Nähe zum hebräischen Konsonantentext Ps 110* daran deutlich, dass der griechische Übersetzer versucht, das Nominalsatzgebilde aus Vers 3a aufrechtzuerhalten, da auch im Griechischen eine finite Verbform fehlt. Hinsichtlich des Verhältnisses von Ps 109LXX zu seiner hebräischen Vorlage lässt sich zudem feststellen, dass dem LXX-Übersetzer bereits die redaktionelle Zufugung in Vers 4a ( )ולא ינחםvorgelegen hat. Trotz einer textnahen Wiedergabe ist in Ps 109LXX eine Aktualisierung spürbar. Der Übersetzer erkennt in den Namen ״Morgenröte" und ״Tau" ein Mutter-Kind-Verhältnis und überträgt dies in einen Namen aus der griechischen Mythologie. Es wird nicht mehr vom Tau, dem Kind der ״Morgenröte" gesprochen, sondern stattdessen vom Heosphoros, der zwar ein Sohn der ״Morgenröte"/Eos ist, diese Tatsache wird aber nicht mehr eigens erwähnt. Nach I.L. Seeligmann tritt durch den Namen ״Heosphoros" ein Element der hellenistischen Welt zutage, da in Alexandria der Heosphoros zwar nicht als eigener Gott verehrt wurde, er aber eine wichtige Rolle in der Alexander-Prozession spielte.605 Zu dieser Aktualisierung im Bereich der Mythologie reiht 605 Vgl. I.L. Seeligmann, The Septuagint Version of Isaiah, 265. Seeligmann trifft diese Aussage allerdings mit Blick auf Jes 14,12, nicht in bezüglich Ps 110.
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sich im selben Vers eine Interpretation durch den Übersetzer: Lediglich durch die Wiedergabe des ]־b durch das griechische πρό wird aus der Geburt des Königs durch die ״Morgenröte" eine Geburt vor dem Morgenstern. Aus theologischer Motivation heraus wird die Präposition geändert, um so die Nennung einer weiteren Gottheit in diesem Psalm zu umgehen (die „Morgenröte"). Nach Ansicht des Übersetzers gibt es kein Götterpantheon, sondern nur JHWH als einzigen Gott. Eine weitere behutsame Interpretation findet sich in der Verwendung der Zeitformen und Äquivalente. Die Verben stehen entweder im Aorist und beschreiben das Agieren Gottes oder stehen im Futur, wobei sie ab V.6 das Handeln des „Königs" intendieren. Auch durch die Wahl der Äquivalente setzt der Übersetzer Akzente auf zwei verschiedenen Ebenen: In V.2 wird dem „König" der Auftrag erteilt, er solle herrschen. Hierbei handelt es sich nicht nur um ein Wortspiel, sondern darüber hinaus wird durch die Vokabel κατακυριεύω nur menschliches Handeln ausgedrückt. Der „menschliche König" soll herrschen! Umgekehrt verhält es sich mit V.4: Der Übersetzer benutzt hier μεταμελέομαι, um zu verdeutlichen, dass Gott es nicht reuen wird. Durch die verwendeten Zeitformen rückt das Handeln des „Königs" allerdings in die Zukunft, sodass ein messianisches Verständnis dieses Psalms nahe liegt. Ein messianisches Verständnis wird zudem dadurch gefordert, dass zum einen sowohl JHWH als auch der „König" mit κύριος tituliert werden, zum andern dem „König" in V.3 die Herrschaft verliehen wird, wie dies auch bei Jes 9 und Dan 7 (Th) dem „König" wie dem „Menschensohn" zuteil wird. Ein Präexistenzgedanke ist allerdings nicht durch den Übersetzer intendiert. Durch diese Verlagerungen der „königlichen" Taten in die Zukunft erhält der „Tag deiner Macht" Züge einer Gerichtsvorstellung, während im hebräischen Text von V.3 mit „dem Tag deiner Macht" vermutlich der Regierungsantritt eines Königs angesprochen wird. Durch die zukünftige Aussage in den Vv.6 und 7 lässt sich der „Tag seiner Macht" aus V.3 mit einem zukünftigen Gericht assoziieren. Dafür spricht auch die Wendung, dass der „König" im Glanz der Heiligen stehe. An anderen Stellen, an denen unter „den Heiligen" das Volk Israel verstanden wird, ist der Zusammenhang oft eschatologisch. Die Taten, die der kommende (messianische) Herrscher in der Zukunft ausüben wird sie werden in Vers 6 und 7 beschrieben - , sind hingegen exakte Übersetzungen des hebräischen Konsonantentextes ohne Interpretationsleistung. Dadurch ist es nicht möglich anzunehmen, dass der Übersetzer hier Merkmale des Gerichtstages herausgearbeitet habe. 606 Diese messianisierte Form des Psalms gewinnt im Laufe der Jahrhunderte an Bedeutung und erhält schließlich Einzug in die Schriften des Neuen Testaments. Nach J. Schaper liegt der Psalm sogar an der Wurzel der
606
So J. Schaper, Der Septuaginta-Psalter, 174f.
7.2 Die aramäische Übersetzung von Psalm 110 im Targum
197
Präexistenzvorstellungen, die die paulinische Christologie prägen.607 Diese Präexistenzvorstellung ist zwar nicht von dem LXX-Ubersetzer intendiert, stellt aber einen Motivkomplex dar, an den neutestamentliehe Autoren ihre theologische Überzeugung des präexistenten Christus anhängen konnten. An Ps 109 LXX sind die von R. Hanhart beschriebenen theologischen Bemühungen um Bewahrung, Aktualisierung und Interpretation klar zu fassen. Die Leistung des LXX-Übersetzers von Ps 110 liegt besonders darin, dass er - obwohl er seine hebräische Vorlage sehr textnah übersetzt - einen Psalm schafft, den ein gläubiger Jude in der damaligen hellenistischen Zeit beten kann. 608 Durch kaum erkennbare Änderangen wird JHWH zum einzigen Gott - im hebräischen Konsonantentext ist ihm noch die ״Gottheit Morgenröte" zur Seite gestellt. 7.2 Die aramäische Übersetzung von Psalm 110 im Targum 7.2.1 Einleitung Allgemein ist eine Datierung bei Targum-Texten schwierig, da der aramäische Bibeltext schon früh mündlich in den Gottesdiensten verwendet wurde. 609 Auch als Komposition betrachtet, ist der Targum Tehillim kaum datierbar: ״A very tentative suggestion would be fourth to six Century C. E., but this is little more than guesswork."610 Ebenso ist die weitere Untersuchung zur Targum-Übersetzung von Ps 110 vor einige Schwierigkeiten gestellt, insofern, als zu dem 5. Psalmbuch bis heute noch keine textkritische Edition erarbeitet worden ist. Die Textgrundlage für diese Arbeit wurde aus Mikra'ot Gedolot (מקראות גדולות611 ) entnommen, deren Textgrundlage wiederum die Pariser Handschrift Bibliothèque Nationale Héb. 110 bildet, die durch die Herausgeber mit den Handschriften Paris Bibliothèque Nationale Héb. 17/1 und 114 sowie Breslau M 1160 abgeglichen wurde. 607
Vgl. J. Schaper, Der Septuaginta-Psalter, 177. 608 Vgl. die Aussage von A. Aejmelaeus, Übersetzungstechnik, 16: „Dem Übersetzer muß ständig die Frage durch den Kopf gegangen sein: Was kann ein Mensch, was soll ein Mensch vor Gott sagen? In seiner Übersetzung ist das Bedürfnis oft deutlich spürbar, den Text so zu formulieren, daß man ihn beten kann. Oberflächlich betrachtet ist der griechische Psalter jedoch von einer entgegengesetzten Bemühung geprägt, nämlich von der wortwörtlichen Wiedergabe des Originals." 609
Vgl. E. Würthwein, Text, 91. D.M. Stec, The Targum of Psalms, 2; vgl. auch zum folgenden Abschnitt. 611 Mikra'ot Gedolot Haketer. A revised and augmented scientific edition of ,Mikra'ot Gedolot'. Based on the Aleppo Codex and early Medieval MSS. Psalms 1+2, ed. by Menachem Cohen, Bar Ilan University, Ramat Gan, Israel 2003.
610
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In Bezug auf seine Arbeitsweise ist der Psalmentargum als sehr textorientiert zu betrachten, wobei dennoch einige Erklärungen der bloßen Übertragung ins Aramäische hinzugefügt werden. So ergänzt der Übersetzer Subjekte oder Objekte, wenn ihm der hebräische Text nicht eindeutig scheint. Spezifischer ist zur Übersetzungstechnik zu sagen, dass im Blick auf JHWH der Versuch unternommen wird, Anthropomorphismen zu umgehen.612 So werden theologische Termini eingefährt, wie dies auch bei der Übersetzung von Ps 110 zu erkennen ist: Es wird beispielsweise von der Schechina und der Memra JHWHs gesprachen, wobei Memra meist im Zusammenhang des Verhältnisses von Gott und den Menschen benutzt wird, wenn auf die Distanz zwischen beiden Wert gelegt wird. Schechina hingegen wird oft als Äquivalent für Gottes Angesicht verwendet, wenn es um die Präsenz Gottes geht. Zudem gibt es die Möglichkeit einer etymologischen Assoziation, sodass andere Bedeutungen der vorkommenden Wurzel gewählt werden können. Auch kann eine andere Vokalisation bevorzugt oder eine Metathesis durchgeführt werden. Einer der thematischen Schwerpunkte liegt beim Targum Tehillim auf dem Gebiet des Gesetzes und der Lehre. Während das Wort ״Tora" in der hebräischen Bibel knapp über 30x im Psalter vorkommt613 - und da überwiegend in Ps 119-, gibt es 94 Belegstellen im TgPss. 614 Darüber hinaus zeigt der TgPss Interesse an Gebeten, Prophetie, Engel und Dämonen, an der Gegenüberstellung des רשעmit dem צדיק, an Wundern, am Exil, am Tempel und der Priesterschaft, an der Gemeinschaft Israels, dem Messias und an Referenzen zu historischen Figuren. 7.2.2 Der Text אמר ץ במימריה למתן לי רבנותא חולף דיתיבית לאולפן אורלית : נוסח אחר:ימירה'ואורייך עד דאשווי בעלי ך ב ב ך כ ב י ש לריגלך אמר יי במימריה למנאה ;תי ריבון על יעןךאל בדים אמר לי אוריך לשאול דמן'שיבט בנימן עד־ די יסתלק מןיעלמא ומן ב ת ר בז־־ין החסין ':מלכותא ואשך בעליי ד ב ב ך כביען לריגלך : חוטרא ךעושנך י ^ ד ר מימרא ר ץ מציון'ותהי ך ך י במצע בעלי ד ב ב ך 'עמך בית ישראל ךמתנךבין לאורייתא ביום אגחותך קו־בא תסתיייע עמהון בשיבהורי קודשא ־חמין דאלהא יסתרהבון ל ך חיך ניחתות :טלא יתיבון לרוחצן תו ז לךתך 612
Vgl. hier und zum Folgenden D.M. Stec, The Targum of Psalms, 12. Ps 1,2; 19,8; 37,31; 78,1.5.10; 89,31; 94,12; 105,45; 119,1.18.29.34.44.51. 53.55.61.70.72.77.85.92.97.109.113.126.136.142.150.153.163.165.174. 614 Dass die Tora für den Psalter eine wichtige Größe ist, wird nicht erst im Targum Tehillim deutlich. Es finden sich bereits Tendenzen des Psalters hin zu einem „höchst komplexen theologischen Tora-Konzept" in verschiedenen Redaktionsschichten durch Voranstellung von Ps 1 und durch Einfügungen der Doxologien (vgl. R.G. Kratz, Die Tora Davids, 309). 613
7.2 Die aramäische Übersetzung von Psalm 110 im Targum
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קיים י; במימריה ולא יתוב דאת מתמבי ל ת י א לעלמא דאתי בגלל :זכותאדהוית מליךיזכאי :מינך מחא ביום רוגזיה מלכ־א:: ^כינתא די; על איתמנא לדיינא עלעמי ז א מלי אךעא גושמין דדשיעין קטילין מחא :י מלכ;א על ארעאיסניאין לחדא#ךי :אוךחא אולפן יקבל ?!טול היכנא יזקוף רישא3 מפם ?בייא Übersetzung: 1. Es redete JHWH in seiner Memra, um mir die Herrschaft zu geben, während ich sitze für das Studium des Gesetzes an seiner Rechten, und: ״Warte, bis ich deine Feinde zu einem Schemel für deinen Fuß mache." Eine andere Lesart (hat folgendes): Es redete JHWH in seiner Memra, um mich als Herrscher über Israel einzusetzen; er sagte wirklich zu mir: ״Warte auf Saul, aus dem Stamm Benjamin, bis er sich zurückzieht aus der Welt, und danach nun wirst du das Königtum in Besitz nehmen, und ich mache deine Feinde zu einem Schemel für deinen Fuß." 2. Den Stab deiner Macht wird die Memra JHWHs senden von Zion aus. So herrsche in der Mitte deiner Feinde! 3. Dein Volk, das Haus Israel, meldet sich freiwillig für das/gelobt dem Gesetz. Am Tag des Kriegführens wirst du ihnen helfen. In heiligem Glanz beeilt sich die Barmherzigkeit Gottes (und kommt) zu dir wie das Herabsteigen des Taues. Dein Geschlecht wird in Sicherheit wohnen. 4. JHWH hat geschworen in seiner Memra und er wird nicht umkehren, dass du eingesetzt bist als Oberer in Ewigkeit/für die Welt, die kommt, der Gerechtigkeit wegen, weil du ein gerechter König warst. 5. Die Schechina JHWHs ist an deiner Rechten. Er schlägt am Tag seines Zorns die Könige. 6. Er setzt sich selbst ein zum Richter über die Völker. Er füllt das Land mit Körpern von getöteten Gottlosen. Er schlägt Köpfe von sehr vielen Königen. 7. Aus dem Mund des Propheten wird er am Weg (die) Lehre erhalten, deswegen wird er den Kopf erheben.
Beobachtungen zum Text: V.l: Der Targum verzichtet auf eine Überschrift, sodass nicht von vorneherein deutlich ist, wer angesprochen wird oder wer als Verfasser des Psalms anzusehen ist. Zu Beginn bietet der Targum zwei unterschiedliche Lesarten. Wählt man die zweite Variante 615 zur Interpretation von Vers 1, so ist deutlich, dass dieser als Davidspsalm zu verstehen ist, da David als Nachfolger von Saul angesprochen wird. Hier fügt der Übersetzer einige Erklärungen ein, um den vorliegenden Text näher zu beleuchten. So wird zuerst der Grund angegeben, warum JHWH mit der angesprochenen Person redet: um mich als Herrscher über ganz Israel einzusetzen. Der erste Herrscher über ganz Israel ist, bib615
In der Polyglotte von Walton ist die Reihenfolge der beiden Auslegungen umgekehrt.
200
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
lisch betrachtet, David, sodass David hier in der Ich-Perspektive redet. Als Nächstes ist zu beobachten, dass der Übersetzer in שב ein defektiv geschriebenes שובerkennt und diese Stelle mit dem Targum Onkelos zu Num 22,19 kombiniert, wo שובmit ארך (warten) übersetzt wird. 616 Dass hier auf Saul rekurriert wird, entnimmt der Targum-Übersetzer dem Wort ימין, wobei er dies nicht als das Lexem ,,rechts" versteht, sondern darin Saul, den Benjaminiten (I Sam 9,1: )ויהי־איש מבךי_מין, erkennt.617 Die Einsetzung Davids als Herrscher über Israel und die Aussage, dass er das Königtum besitzen werde (und nicht Saul), könnte eine Referenz auf I Sam 13,13f. darstellen. Dass die Feinde zum Fußschemel gemacht werden, ist schließlich ohne Zusatz die Wiedergabe von Vers lb. In der Polyglotte von B. Walton ist zu dieser Variante von Vers 1 noch eine andere Lesart erhalten: תוב ואורך לשאול דמן שבטא דבנ;מן ע ד ד מ ו ת ארום לית מלכותא ?ןכןךבא אדזברתה Geh zurück und warte auf Saul, aus dem Stamm Benjamin, bis er stirbt, weil es keinen Anteil an der kommenden Herrschaft gibt.
Die Vokabel אחבחתהbirgt ein Übersetzungsproblem, da dies ein Infinitiv (Haf cl) und somit nicht klar ist, wer als Subjekt fungiert. Die ״kommende Herrschaft" kann so entweder auf Saul bezogen werden, dass dieser keinen Anteil an der kommenden Herrschaft habe, oder auf David. Die Bearbeiter des Psalmentargums der Aramaic Bible 618 sehen hier David als Subjekt - es könnte auch eine andere Handschrift zugrunde liegen - und übersetzen wie folgt: Return and wait for Saul, who is of the tribe of Benjamin, until he dies; for you are not associated with the kingdom that is near.
Inhaltlich liegt jedoch ein Bezug auf Saul näher; denn David ist biblisch eine ewige Herrschaft zugesprochen worden (II Sam 7), während Saul verworfen wurde. Schließlich spricht die hebräische Bibel davon, dass ein Erlöser/Messias für Israel aus dem Stamm Davids kommen wird (z.B. in Jes 11), sodass er endzeitlieh nicht nur Anteil an der Herrschaft hat, sondern sie mit begründet.
616 617 618
Vgl. G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 264. Diese Erklärung gibt ebenso der Midrasch Tehillim. D.M. Stec, The Targum of Psalms, 202.
7.2 Die aramäische Übersetzung von Psalm 110 im Targum
201
Die andere Variante von V.l nennt keine Namen aus der Geschichte Israels, doch bezieht sich nach H. Strack/P. Billerbeck auch diese Version auf David. 619 Dies wird zwar nicht explizit ausgesagt, ist aber aus der Bibelstellen-Kombination, auf der diese Auslegung beruht, ersichtlich. In der vierten Auslegung des Midrasch Tehillim zu Ps 110,1 wird dieses Verständnis ausfuhrlicher hergeleitet, da die entsprechenden Bibelstellen aufgeführt werden, die im Targum im Hintergrund zu stehen scheinen: Ps 110,1:
|שב[ לימיני
Jes 16,5:
והוכן בחסד כסא ו[ישב| עליו!באמת| באהל דוד
Ps 19,10:
|משפטי־־יהוה |אמת
Prov 23,23:
|אמת| קנה ואל־תמכד
Ps 110,1 wird mithilfe dreier Textstellen näher erläutert. Jes 16,5 wird durch die Vokabel ״sitzen" herangezogen. Diese Stelle verknüpft das ״Sitzen" mit dem Lexem ״Wahrheit". In Jes 16,5 heißt es, dass ״er" auf dem Thron in Wahrheit sitzen wird, im Zelt Davids. Die ״Wahrheit" wird durch Ps 19,10 näher als die ״Rechtssatzungen JHWHs" identifiziert. Diese Wahrheit darf man nicht verkaufen (so Prov 23,23), sondern man soll in ihr bleiben. Aus diesen Stellen kombiniert der Targumist, dass David in Ps 110,1 an der Rechten Gottes thront und in der Weisung/Tora liest. V.2: Statt JHWH ist die Memra JHWHs hier das Subjekt, von dem aus der Herrscherstab gesandt wird. Wie in der LXX findet sich vor dem Imperativ eine zusätzliche Form ()ותהי, die auch hier als ein consecutivum übersetzt werden kann, um einen Übergang zwischen Futur und Imperativ zu schaffen. 620 V.3: Der Targumist fügt gerade zu V.3 einige Erläuterungen hinzu, um den Sinn zu verdeutlichen. Eine Gegenüberstellung von Ps 110,3 in der hebräischen Bibel und dem Targum soll die Zusätze und möglichen Bezüge zu anderen Bibelstellen deutlich machen: Hebr. Bibel
Targum
עמך ונהבת
בית ישו־אל
Weiterer Schriftbezug I Makk 2,42: 0 דמתנדבין| ןלאוךיתא TCP VÖM-Cp
619
Vgl. H. Strack u. P. Billerbeck, Der 110. Psalm, 456. 6 20 Vgl. dazu Kapitel 7.1.2 Der Text (der LXX), S. 172ff.
eKouaia^ÖM
202
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
Im ersten Teil von V.3 erklärt der Targumist, dass es sich bei ״deinem Volk" um das Haus Israel handelt. Dies stellt eine erklärende Glosse ohne direkten Schriftbezug dar. Zur Deutung von ״Freiwilligkeit" hingegen wird eine weitere Stelle als Verstehenshintergrund mit herangezogen: In I Makk 2,42 wird die Gruppe der Chasidim beschrieben, dass sie ״dem Gesetz freiwillig wären." Hebr. Bibel !|ביום| ]הילד
Targum
Weiterer Schriftbezug
[ביום אגהותך קרבא תסרדיע שמהון
Jer 23,6: בימיו |תושע יהודה וישראל |ישכן_לבתח
Einen möglichen Verbindungstext, aufgrund dessen ein Analogieschluss durchgeführt sein könnte, um zu der Lesart des Targums zu gelangen, stellt die Herrscherweissagung in Jer 23,5f. dar: Es heißt, dass Gott für/hinsichtlich David ( )להודeinen gerechten Spross hervorkommen lassen will, der als König herrscht, Einsicht hat und Recht und Gerechtigkeit im Lande tut. In seinen Tagen wird Juda geholfen, und Jerusalem wird sicher wohnen. Die Bezugsperson ist auch in Jer 23,5f. ein kommender König, der Juda helfen wird (beziehungsweise, dass durch ihn Juda geholfen wird). Dass Israel in Sicherheit wohnen wird, fmdet sich ebenfalls im Targum am Ende von Vers 3. Dort steht geschrieben, dass ״deine Nachkommen" in Sicherheit wohnen werden. Der Schlüssel, durch den eine Verbindung zwischen Ps 110 und Jer 23,5f. möglich ist, liegt einerseits in der Nennung Davids und der Form der Texte als einer Herrscherweissagung, andererseits beginnen beide Verse (Ps 110,3 und Jer 23,6) mit einer Form aus ב+ יום. Dadurch können beide Verse durch einen Analogieschluss verbunden und die Aussagen zusammengezogen werden: Am Tag des Kriegführens wirst du ihnen helfen — das Objekt ist weiterhin das Haus Israel. Hebr. Bibel EH3
בהררי
Targum
Weiterer Schriftbezug
[ץודשא11|בשיבהוךי
Hier handelt es sich um eine Übertragung der hebräischen Wendung ins Aramäische ohne Ergänzung seitens des Targumisten.
203
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Hebr. Bibel
Targum
!]מרחם! (משחר
לליא$רחמי ן[ ך
Weiterer Schriftbezug
ןיסתךהבון Das hebräische Wort מרחםwird in ( רחמיןErbarmen) geändert. Diese Änderung erfolgt aufgrund derselben Wurzel רחם, sodass sich lediglich die Bedeutung verschiebt. Dass es sich um das Erbarmen Gottes handelt, wird durch eine erklärende Glosse ergänzt, die zwischen רחמיןund יסתרחבוןeingeschoben ist. In dem Wort משחרerkennt der Targumist ein Partizip Pi'el der Wurzel es mit dem Ausdruck für sie [seil. ]רחמיןwerden sich beeilen יסתרהבוןals finites Verb auf. Hebr. Bibel @ 59
Targum
Weiterer Schriftbezug
היך נלןתות
Durch die zwei kurzen Worte, die wörtlich übersetzt ״für dich Tau" bedeuten, sieht sich der Targumist herausgefordert, diese zu einem sinnvollen Satz zu erweitern. Er schiebt erklärende Wörter ohne weiteren Schriftbezug ein und gelangt zu der Aussage, dass sich die Barmherzigkeit Gottes beeilt und zu dir kommt wie das Herabsteigen des Taues. Hebr. Bibel !ילדתיך
Targum 3_!יתמןלריחצ
Weiterer Schriftbezug Jer 23,6:
Um das hebräische Wort ילדתיךzu erklären, ändert der Targumist zunächst den Gebrauch der Wurzel ילדin תולךתך. Danach greift er auf Jer 23,6 zurück - die Stelle, die bereits zu Beginn des Verses als Verstehenshintergrund gedient hat. Anhand von Jer 23,6 fügt er ein, dass Israel in Sicherheit wohnen wird. ״Dein Geschlecht" entspricht inhaltlich dem ״Haus Israel" vom Beginn des Verses, sodass durch die Vokabel ״Israel" ein Analogieschluss durchgeführt werden kann. So werden Anfang und Ende von Vers 3 mithilfe von Jer 23,6 zu sinnvollen Aussagesätzen über die kommende Herrschaft des Königs ergänzt. V.4: Wie in V.2 ist auch hier die Memra JHWHs Subjekt. Während der erste Teil dieses Verses annähernd wörtlich ins Aramäische übertragen wurde, finden sich im zweiten Teil einige Varianten 621
Vgl. M. Jastrow, Dictionary of the Targumira, שחרIII, 1551.
204
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
zum hebräischen Text. Zum einen wird hier nicht das Wort כהן für Priester verwendet, sondern רבא, was auf eine andere Funktion hinweist. Nach H. Strack/P. Billerbeck stellt dies eher eine Verallgemeinerung dar, um den Psalm nach wie vor auf David beziehen zu können.622 Anschließend wird durch den kleinen Zusatz דאתיdem Psalm ein endzeitlicher Charakter verliehen, da von der kommenden Welt oder kommenden Ewigkeit gesprochen wird. Schließlich wird der hebräische מלכי־צדקnicht als Name, sondern als ״gerechter König" verstanden. Dass die angesprochene Person ״gerecht" ist, wird gleich zweimal behauptet (durch בנלל זמתאsowie )דהוית ?!ליך זכאי. V.5: Hier ist die Schechina JHWHs das handelnde Subjekt des ersten Teils des Verses. Der zweite Teil beginnt mit einer maskulinen Form ()מחא, sodass - wie im hebräischen Text - nicht klar ist, wer die handelnde Person ist. Der Rest des Verses ist eine wörtliehe Übertragung des hebräischen Textes. V.6: Wiederum liegt eine maskuline Verbform in איתמנאvor. So ist hier ebenfalls nicht deutlich, wer das Subjekt ist. Da sonst auf eine anthropomorphe Darstellung JHWHs komplett verzichtet wird, ist zu vermuten, dass der angesprochene König das Subjekt darstellt. Zusätzlich zum hebräischen Text werden die toten Körper noch genauer verifiziert: es handelt sich um getötete Gottlose. V.7: Nur der zweite Teil des Verses ist eine wortgetreue Wiedergabe des hebräischen Psalms. Der erste Teil erhält eine weisheitliche Prägung. Für diese Interpretation ist vermutlich die Stelle des נחלin Prov 18,4 zu berücksichtigen, da dort der Vergleich gezogen wird, dass die Worte aus dem Mund eines Mannes wie tiefe Wasser sind und die Quelle der Weisheit ein sprudelnder Bach ist. Durch einen Analogieschluss ist es dem Targum-Übersetzer möglich, zu seiner Variante von V.7 zu gelangen. 7.2.3 Auswertung Einige Themenschwerpunkte des Targum Tehillim im Allgemeinen finden sich auch im Targum zu Ps 110. Dementsprechend wird der Versuch deutlich, eine anthropomorphe Redeweise von JHWH zu umgehen. So handelt entweder die Memra JHWHs - und zwar an den Stellen, an denen ein Verhältnis zwischen Gott und dem König beschrieben wird - , oder die Schechina JHWHs ist die Akteurin. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass auch hier die Tora in den Psalm Einzug erhält, obwohl diese weder in der hebräischen noch in der griechischen Fassung des Psalms vorhanden ist. Zudem werden zusätzlich ״die
622
H. Strack u. P. Billerbeck, der 110. Psalm, 461.
7.2 Die aramäische Übersetzung von Psalm 110 im Targum
205
Gottlosen", deren Leichname das Land füllen werden, als Objekte in V.6 in den Psalm eingetragen. Wie schwer V.3 zu verstehen ist, zeigen die zahlreichen zusätzlichen Erklärungen des Targumisten, um den Psalm verständlich zu machen. So kombiniert der Targumist diesen Vers möglicherweise mit I Makk 2,42 und Jer 23,6 mithilfe des Analogieschlusses und erhält dadurch einen sinnvollen Text, der den dritten Vers in vier einzelne Sätze unterteilt: Dein Volk, das Haus Israel, meldet sich freiwillig für das Gesetz. Am Tag des Kriegführens wirst du ihnen helfen. In heiligem Glanz beeilt sich die Barmherzigkeit Gottes (und kommt) zu dir wie das Herabsteigen des Taues. Dein Geschlecht wird in Sicherheit wohnen.
Die entscheidenden Worte für die Annahme einer göttlichen Geburt des angesprochenen Königs im vermuteten Ps 110* sind hier nicht mehr vorhanden. Aus dem ״Mutterleib der Morgenröte" wird das ״Erbarmen Gottes, das sich beeilt"; aus dem Ausdruck ״ich habe dich geboren" wird die Fassung ״dein Geschlecht". Diese Änderungen geschahen nicht willkürlich, sondern auf der Basis entweder derselben Wurzel ( רחםund )ילדoder eines Analogieschlusses, das heißt unter Hinzunahme einer weiteren Bibelstelle aufgrund desselben Begriffs (״freiwillig sein" in I Makk 2,42; ישראלsowie ב+ יוםin der HerrscherWeissagung von Jer 23,6). Im Targum zu Ps 110,3 findet sich somit keine Geburtsmetaphorik jeglicher Art mehr. Insgesamt wird dieser Psalm auf David hin ausgelegt wird 623 , was in jüdischer Interpretation nicht Konsens ist. 624 Der Übersetzer erkennt die Reminiszenz an Saul, die durch den Zusatz in V.4b gegeben ist, und stellt sie durch seine Deutung des ימיןnoch deutlicher heraus, als dies im hebräischen Text der Fall ist. Obwohl David angesprochen wird, hält der Targumist die Blickrichtung der Interpretation offen. Ist dies der historische David, der darauf wartet, endlich nach Saul seine Herrschaft anzutreten, oder handelt es sich um einen david redivivus oder einen unbenannten König, der auf den Beginn der kommenden ״eschatologischen" Herrschaft wartet? Durch die Änderung in V.4 vom Namen Melchisedek hin zu dem rechtschaffenen König - wird die Basis einer Interpretation auf Abraham augenscheinlich hinweg genommen. Hingegen bergen die Vv.3 und 4 eine latente eschatologische Komponente, da davon gesprochen wird, dass David für die 623
In der einen Variante von V. 1 war dies durch den Bezug zu Saul deutlich, in der anderen wurde der Adressat nicht klar benannt. 624 Oft wird Ps 110 als Lied über Abraham im Kontext von Gen 14 verstanden (vgl. Kapitel 9 Rezeption und Auslegung von Psalm 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüdischer Tradition, S. 275ff.).
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Bibelübersetzungen
kommende Welt eingesetzt wird, das Volk sich für das Gesetz entscheidet, der König am Tag des Kriegfuhrens Israel helfen wird, die Barmherzigkeit JHWHs herniederkommt und die Nachkommen in Sicherheit wohnen werden. Hier wird ein Bogen von der geschichtlichen Darstellung Davids hin zu einer endzeitlichen geschlagen. Betrachtet man den Targumtext als Ganzes, so ist deutlich, dass sich die Auseinandersetzung, die der Psalm zwischen dem König und fremden Völkern beziehungsweise umgebenden Feinden beschreibt, nun um eine innerisraelitische Diskussion erweitert hat, da es zudem um die Einhaltung des Gesetzes und die Niederschlagung von Gottlosen geht, ebenso wie um den Kampf gegen fremde Könige. Es ist möglich, dass deshalb zwei Varianten zu Beginn des Targums stehen, um eine geschichtliche und eine eschatologische Tür zu öffnen. Dies muss sich jedoch nicht ausschließen - der Targumist könnte auch beide Ebenen in diesem Psalm gesehen und ausgelegt haben. Der Psalm ist nun ein Konglomerat aus einem Königs- und einem Gesetzespsalm mit weisheitlichem Schluss. 7.3 Die syrische Übersetzung von Psalm 110 in der Peschitta 7.3.1 Einleitung Eine Datierung der Peschitta ist schwierig. Nach P.B. Dirksen gibt es keine sichere Antwort auf die Frage, wo und wann die Peschitta entstand, ob sie ursprünglich eine jüdische oder christliche Übersetzung war, welches Verhältnis zwischen dem Text der Peschitta und der Targumtradition besteht und sogar, welches die genaue Bedeutung des Namens ist.625 Inwiefern Ps 110 in Peschitta und Targum voneinander abhängen, wird eines der zu beantwortenden Fragen dieses Kapitels sein. 7.3.2 Der Text Syrisch626:
625
1
.) \ , ~ 7 1
נ^ •_נ7נ/\A 1 ה^ב,מגר
r C . ^ מ ב ר
2
.^״OjCT) rCi^In הדx * r^>Tr>\ דK T ^ c u a •t/\ .~ר־ \ \תר־ו ^)BIJCI
חמגר
Vgl. P.B. Dirksen, Peshitta, 468. Textgrundlage: Vetus Testamentum Syriace iuxta simplicem syrorum versionem. Ex auctoritate societatis ad studia librorum veteris testamenti provehenda, ed. Institutum Peshittonianum Leidense. Pars II. Liber Psalraorum, Leiden 1980. 626
7.3 Die syrische Version von Psalm 110 in der Peschitta 3
.rC\ röio . 1 ר ־V « ר. נד ז rc*\ ^ ! ל ד רrtlx:1a_o )'נבבהגר
4
rda \ \\חך
5
7
207
מנדרין a m ^uiK'n
י ץ ״. י ד. \ \ KLJמכד .Ks V51 0_0יתז-מב<ז ידר^א .rC-^irila r ^ n l j J ^ p ^ ff T , דx i a m s u i Q .rf^x_\ oc^WJ ^ o r n r •ן ד0_• ^ ר l־C1m.A\pn
Übersetzung: 1 2 3
4
5 6
7
Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setz dich an meine Rechte, bis ich lege deine Feinde als einen Schemel für deine Füße. Den Stab deiner Macht wird der Herr senden von Zion aus. Und er wird herrschen über deine Feinde. Dein Volk ist das ruhmreiche am Tag der Macht. Im Glanz der Heiligkeit vom Mutterleib an. In der Frühe / Am Anfang habe ich dich, Kind, geboren. Der Herr hat geschworen und er wird den Schwur nicht brechen. Du bist Priester in Ewigkeit nach Art des Melchisedek. Der Herr ist an deiner Rechten. Er zerschmettert am Tag seines Zorns Könige. Er wird richten die Völker, und er wird auffüllen [Täler mit] toten Körpern, er wird schlagen den Kopf der vielen auf der Erde. Und aus dem Bach am Weg wird er trinken, deshalb wird sein Kopf erhoben werden.
Beobachtungen zum Text: V. 1: Dieser Vers stellt eine wortgetreue Übersetzung des hebräischen Psalms dar. Der letzte Versteil (״deine Feinde als einen Schemel für deine Füße ") zeigt den gleichen Konsonantenbestand wie der Targum. V.2: Der Vers ist dem Targum sehr ähnlich. Er beginnt ebenfalls mit derselben Wendung für ״den Stab deiner Macht wird aussenden" sowie wiederum für die ״Feinde". Die schwierige Satzfolge in Form eines Imperativs nach einem Imperfekt löst der PeschittaÜbersetzer dadurch, dass er die zweite Vershälfte zu einem Verbalsatz im Imperfekt auflöst. Wie LXX und Targum wird hier ein ״und" bezeugt, doch ist dies im Gegensatz zu den genannten Varianten nicht konsekutiv als Verbindung zwischen Futur und Imperativ gebraucht. Statt der Formulierung ״inmitten" bevorzugt die Peschitta die Präposition ״über".
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7 Die antiken
Bibelübersetzungen
V.3: Der hebräische Nominalsatz ״Dein Volk ist Freiwilligkeit" wird in die Aussage Dein Volk ist das ruhmreiche transferiert. Es ist auch möglich, im unpunktierten Text bei dir zu lesen, doch dem Sinn nach ist es wahrscheinlicher, dass das Volk als ruhmreich beschrieben wird. Im Gegensatz zum hebräischen Text trägt der ״Tag der Macht" kein Suffix. Während der erste Teil des Verses noch eher eine wörtliche Übertragung vom Hebräischen in das Syrische anzeigt, auch wenn das Volk hier eher ״ruhmreich" als ״freiwillig" dargestellt ist und ein Suffix fehlt, erfährt der Psalm im zweiten Teil eine vom hebräischen Text deutlich abweichende Interpretation. In der syrischen Version ist ״der Mutterleib" nicht Teil einer Genetiv-Verbindung, da nach diesem Lexem eine Interpunktion folgt. Der Angesprochene ist im Glanz der Heiligkeit vom Mutterleib an. Daran schließt der nächste Gedanke an: Am Anfang/In der Frühe habe ich dich, Kind, geboren. Das Phänomen der ״Morgenröte" ist im syrischen Text nicht erkennbar, doch scheint sich die Vokalisation von משחרin der syrischen Wiedergäbe zu verbergen. Der Übersetzer hat allerdings nicht שחרals ״Morgenröte" beibehalten, sondern die Wendung in mn qdym aufgelöst. Die Präposition mn kann im Syrischen die Bedeutungen von, ohne, als, mit, nachdem tragen und bezeichnet im Wesentlichen die Trennung und den Ausgangspunkt; darunter kann sie auch als Zeitangabe - beispielsweise ״am Abend" - benutzt werden. 627 Die feststehende Wendung mn qdym kann im Deutsehen mit vorher, früher, in der Frühe oder auch wie A. Vogel dies vorschlägt mit am Anfang wiedergegeben werden.628 Vermutlich sah der Peschitta-Übersetzer im hebräischen Text tatsächlich מן+ שחר, also die Morgenröte, verstand sie als eine Zeitangabe und verwendete dafür das dementsprechende syrische Äquivalent. Wie auch die LXX liest die Peschitta im Schlusswort des Verses das Verb ״ich habe dich geboren". Während לךwörtlich übertragen scheint, existiert das Wort ״Tau" in dieser syrischen Version nicht mehr, die Konsonanten tl allerdings schon. Durch Hinzufugung zweier Grapheme an das vorhandene tl ist es im Syrischen möglich, aus dem Wort ״Tau" das Wort ״Kind, Knabe" i/y zu konstruieren.629 Da das Alaph den status emphaticus auszeichnet, muss lediglich ein y zugefügt werden.
627 Vgl. C. Brockelmann, Syrische Grammatik, §204. 628 A. Vogel plädiert hier für die Übersetzung a prineipio statt in der Frühe (A. Vogel, Studien, 357). 629 Vgl. Kapitel 4.5 Motiv und Bedeutung von: מרחם משחר ל ך ט ל י ל ד ת י ך, S. 80ff.
7.3 Die syrische Version von Psalm 110 in der Peschitta
209
V.4: In der ersten Hälfte ist dieser Vers eine wörtliche Übertragung des hebräischen Psalmtextes. Im Gegensatz zum Targum wird im zweiten Teil der Name Melchisedek beibehalten. V.5: Es bestehen hier keine Abweichungen vom hebräischen Text. Der Ausdruck ״Tag seines Zorns" ist dem Targum sehr ähnlich. V.6: Der Peschitta-Übersetzer gibt Wort für Wort den hebräischen Psalmtext wieder - somit beinhaltet auch die syrische Version eine Ellipse, denn es ist nicht klar, was mit toten Körpern gefüllt wird. Im zweiten Versteil wird als Teil der Genitiv-Verbindung auf den Kopf bezogen. V.7: Im Gegensatz zum Targum bleibt der Peschitta-Übersetzer bei der hebräischen Vorlage und gibt den Text Wort für Wort wieder. Er ergänzt lediglich ein Possessivsuffix und gibt das letzte Verb im Passiv wieder 630 - dies allerdings verändert nicht den Sinn des Verses. 7.3.3 Auswertung Insgesamt ist zu beobachten, dass die Peschitta dem Targum im Vokabular an einigen Stellen sehr ähnlich ist. Sie setzt aber gerade bei den im Verständnis problematischen Stellen andere Schwerpunkte. Durch das ähnliche Vokabular ist zu vermuten, dass dem Übersetzer ins Syrisehe eine Targum-Version vorgelegen hat. Zum Konsonantenbestand des hebräischen Psalmtextes, wie er sich auch im MT findet, sind in der Peschitta kaum Unterschiede auszumachen. Die Übersetzung von Vers 3 wird jedoch durch eigene Gedanken zur Interpretation gelenkt. Zu Beginn werden zwei Aussagen gegenüber der hebräischen Vorlage geändert: Der Übersetzer spricht vom ruhmreichen Volk und vom Tag der Macht ohne Possessivsuffix. Somit ist nicht eindeutig, wer an einem bestimmten Tag an die Machtkommt - es könnte ebenso der Tag des Herrn sein. Somit erhielte die Peschitta-Übersetzung eine eschatologische Note. Diese Annahme wird durch die Änderung von ״Tau" zu ״Kind" noch unterstrichen: Im Aramäischen stellt טל־אnicht nur eine Bezeichnung für ״Kind, junger Mann" dar, sondern heißt ebenso ״Lamm" oder ״Knecht". Mit dieser Doppelbedeutung wird טליאals Messiasbezeichnung verwendet.63 5 J. Jeremias vermutet, dass hinter der neutestamentlichen Wendung Jesus als Lamm Gottes (o a|Avö<; xo0׳ £0$׳u) ein aramäisches טל;א ז־אלהאim Sinne von עבד יהוהzugrunde liegt, sodass ursprünglich von Jesus als dem Gottesknecht die Rede war. 632 So könnte der Peschitta-Übersetzer im Ausdruck טל ילדתיך einen Aramaismus gesehen und diesen in messianischer Ausrichtung 630 631 632
Dazu vgl. I. Carbajosa, Las Caracteristicas, 348. Vgl. B. Gärtner, als Messiasbezeichnung. J. Jeremias, Art.: äfjvog, apT)v, apviov, 343.
210
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
weiter tradiert haben. 633 Dementsprechend könnte man vermuten, dass die Peschitta Psalm 110 als eine Aussage über den Messias versteht. Daraus lässt sich aber nicht zwingend schlussfolgern, dass der Übersetzer christlich war, denn auch im Targum zu Ps 118 findet sich fcrbB als Messiasbezeichnung.634 Dieser Begriff war auch im jüdischen Sprachgebrauch messianisch ausgerichtet. Wenn man V.3 in diesem messianischen Zusammenhang liest, so weist die Aussage in der Frühe/am Anfang auf eine präexistente Zeugung des Messias hin. Dass der Peschitta-Psalter auch an anderen Stellen eine Tendenz zur Messianisierung hat, stellt I. Carbajosa am Beispiel von Ps 121 dar. Dort wird statt von ״Hilfe" vom „Helfer" gesprochen.635 Auch die allgemeine Tendenz des Peschitta-Psalters, polytheistische Aussagen zu vermeiden636, findet sich in Ps 110. Es existiert kein Götterpaar in Form von JHWH und der „Morgenröte", die den König zur Welt bringen. Die Nennung der Morgenröte wird als Zeitangabe aufgefasst. 7.4 Die lateinischen Versionen von Psalm 110 7.4.1 Einleitung In diesem Kapitel sollen zwei lateinische Versionen von Ps 110 untersucht werden. Dabei handelt es sich zum einen um den Psalmtext aus dem Psalterium Gallicanum, der die Psalmen mit der LXX als Vorlage wiedergibt.637 Dies stellt die erste offizielle römische Ausgabe der Vulgata dar, die im Wesentlichen eine nach der 5. Kolumne der Hexapla revidierte Vetus Latina ist. Zum andern wird die Übersetzung des Hieronymus aus dem Hebräischen zur Analyse herangezogen, die er etwa Ende des 4. Jh.s n.Chr. anfertigte. Abgedruckt sind beide Versionen in der Bibelausgabe Biblia Sacra luxta Vulgatam Versionem, die Robert Weber herausgegeben hat.
633
Diese Deutung des Peschitta-Übersetzers stellt keine „falsche" Deutung von dar, wie A. Vogel sich ausdrückt. Es liegt viel eher ein interpretierendes Moment vor (vgl. A. Vogel, Studien, 357). Nach I. Carbajosa, Las Caracteristicas, 382, ist das y erst im Zuge der Tradierung des Peschitta-Textes eingefügt worden. Carbajosa vermutet, dass die ursprüngliche Peschitta-Übersetzung noch KAX, „Tau" beinhaltete. Die These, dass sich Änderungen erst im Zuge der PeschittaTradierang ergaben, trifft nach Carbajosa nicht nur auf Ps 110, sondern allgemein auf die meisten Abweichungen im Peschitta-Psalter zu (I. Carbajosa, Las Caracteristicas, 396: „En efecto, la mayoria de los casos [los mäs claros] se deben situar en el proceso de transmisiön textual y no en el momento de la traducciön."). 634 Vgl. B. Gärtner, K^tD als Messiasbezeichnung. 635 Vgl. I. Carbajosa, Las Caracteristicas, 394. 636 Vgl. I. Carbajosa, Las Caracteristicas, 393f. 637 Vgl. zum Folgenden E. Würthwein, Text, 106f.
7.4 Die lateinischen Versionen von Psalm 110 96 7.4.2
Die
Texte638
V. Iuxta LXX 1 David Psalmus Dixit Dominus Domino meo sede a dextris meis donec ponam inimicos tuos scabillum pedum tuorum 2 virgam virtutis tuae emittet Dominus ex Sion dominare in medio inimicorum tuorum 3 tecum principium in die virtutis tuae in splendoribus sanctorum ex utero ante luciferum genui te 4 iuravit Dominus et non paenitebit eum tu es sacerdos in aeternum secundum ordinem Melchisedech 5 Dominus a dextris tuis confregit in die irae suae reges 6 iudicabit in nationibus implebit cadavera conquassabit capita in terra multorum 7 de torrente in via bibet propterea exaltabit caput
Iuxta Hebr. David Canticum Dixit Dominus Domino meo sede a dextris meis donec ponam inimicos tuos scabillum pedum tuorum virgam fortitudinis tuae emittet Dominus ex Sion dominare in medio inimicorum tuorum populi tui spontanei erunt in die fortitudinis tuae in montibus sanctis quasi de vulva orietur tibi ros adulescentiae tuae iuravit Dominus et non paenitebit eum tu es sacerdos in aeternum secundum ordinem Melchisedech Dominus ad dexteram tuam percussit in die furoris sui reges iudicabit in gentibus implebit valles percutiet caput in terra multa de torrente in via bibet propterea exaltabit caput
Die Übersetzungen:
638
V.
Iuxta LXX
Iuxta Hebr.
1
Psalm Davids Der Herr hat zu meinem Herrn gesprochen: Sitz an meiner Rechten, (solange) bis ich lege deine Feinde als Schemel deiner Füße.
Lied Davids Der Herr hat zu meinem Herrn gesprochen: Sitz an meiner Rechten, (solange) bis ich lege deine Feinde als Schemel deiner Füße.
2
Den Stab deiner Kraft wird der Herr ausschicken von Zion, sei Herr in der Mitte deiner Feinde!
Den Stab deiner Stärke wird der Herr ausschicken von Zion, sei Herr in der Mitte deiner Feinde!
Textgrundlage: Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Versionem, Stuttgart 5 2007.
212
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
3
Mit dir ist die Herrschaft am Tag deiner Kraft. In Glanz der Heiligen, aus dem Mutterleib vor dem Morgenstern habe ich dich gezeugt.
Dein Volk wird freiwillig sein am Tag deiner Stärke. Auf heiligen Bergen wird dir gleichwie von einer Gebärmutter der Tau deiner Jugend geboren.
4
Geschworen hat der Herr und er wird es nicht bereuen: Du bist Priester in Ewigkeit gemäß der Ordnung Melchisedeks.
Geschworen hat der Herr und er wird es nicht bereuen: Du bist Priester in Ewigkeit gemäß der Ordnung Melchisedeks.
5
Der Herr an deiner Rechten hat zunichte gemacht am Tag seines Zorns Könige.
Der Herr bei deiner Rechten hat geschlagen am Tag seines Zorns Könige.
6
Er wird richten unter den Nationen, er wird Kadaver anhäufen, er wird erschüttern Köpfe der vielen im Land
Er wird richten unter den Völkern, er wird Täler anfüllen, er wird schlagen den Kopf auf dem weiten Land.
7
Aus einem Bach am Weg wird er trinken, deshalb wird er den Kopf erheben.
Aus einem Bach am Weg wird er trinken, deshalb wird er den Kopf erheben.
Beobachtungen zu den Texten: V.l: Hinsichtlich der Überschrift unterscheiden sich beide lateinischen Versionen in der Übersetzung von מזמור. Während die Version iuxta Hebr. sowohl für מזמורals auch für שירdas Äquivalent canticum benutzt 639 , überträgt die Version iuxta LXX die unterschiedlichen Worte auch ins Lateinische. So wird für מזמורpsalmus, für שירcanticum benutzt. Es ist allerdings kein erheblicher Bedeutungsunterschied zwischen psalmus und canticum zu erkennen. Der Nominalsatz im Hebräischen ( )נאם יהוהwird in beiden Versionen als Verbalsatz mit perfektischen Prädikat (dixit) aufgelöst. Dadurch entsteht eine Alliteration der ersten drei Wörter. Durch die Präposition donec machen beide lateinischen Versionen das Sitzen zur Rechten als einer Warteposition deutlicher als der hebräische Text. Der König sitzt zwar zur Rechten Gottes, aber nur solange, bis Gott die Feinde zu dessen Fußschemel gemacht hat. Die Präposition donec kennzeichnet die (momentane) Nebensatzhandlung, die das Geschehen des Haupt639
An den Stellen, an denen in einer Psalmüberschrift sowohl שירals auch מזמור vorkommen, übersetzt Hieronymus mit psalmus cantici (so in Ps 29 (30); 65 (66); 66 (67); 67 (68); 74 (75); 75 (76); 86 (87) und 91 (92). Das Äquivalent psalmus verwendet er für ;נגינהso in Ps 4 ( בנגינות מזמורmit in psalmis canticum)·, 54 (55) und 61 (62).
7.4 Die lateinischen Versionen von Psalm 110
213
satzes abbricht, und steht bei finaler Nebenbedeutung im Sinn von ״damit unterdessen" (besonders bei Verben des Wartens) mit Konjunktiv Präsens.640 Der König soll demnach solange an der Rechten Gottes sitzen, bis dieser die Feinde zum Fußschemel gemacht hat. Danach verlässt der König die rechte Seite, da die Handlung des Hauptsatzes abbricht. Dass in V.5 von Gott an der Rechten des Königs die Rede ist, stellt somit keine Hürde mehr im Verständnis von Ps 110 dar. Der König sitzt lediglich in V. 1 zur Rechten Gottes, zum eigentlichen Herrschen verlässt er diesen Platz. V.2: Die beiden Versionen geben das hebräische עזdurch zwei verschiedene Vokabeln wieder: Die lateinische Version iuxta LXX bevorzugt virtus, während die Version iuxta Hebr. fortitudo verwendet. Somit legt die Übersetzung aus dem Griechischen mehr Wert auf die Tugendhaftigkeit des Königs, denn virtus beschreibt ״alles, was den Mann in körperlicher und geistiger Hinsieht ziert und adelt" 641 . So erhält diese Übersetzung noch eine zusätzliche Alliteration in virgam virtutis. Die Version iuxta Hebr. stellt durch fortitudo mehr die Tüchtigkeit und Tapferkeit des Herrschers in den Vordergrund. Durch die Wahl von dominare als Äquivalent für רדהwird ein ähnliches Wortspiel wie in der Septuaginta durch κύριος und κατακυριεύω aufgebaut. Diese Art Wortspiel existiert im hebräischen Text nicht. Die Wortwahl kann sich sowohl an die LXX-Version als auch direkt an den hebräischen Text aus Gen 1,28 angelehnt haben. Auch hier wird der Imperativ von רדהmit einer Form von dominare wiedergegeben. Im Psalter kennt Hieronymus beim Übersetzen des hebräischen רדהallerdings noch andere Möglichkeiten: In Ps 71,8 wählt er ebenfalls dominare, in Ps 48,15 hingegen eine Form von subiecere (dies impliziert eher die Bedeutung von ״Unterwerfen" als bloßes ״Herrschen"), in Ps 67,28 wird das Partizip von דרהmit continens wiedergegeben. Da es sich in Ps 109 (110) jedoch um ein Herrschen ohne Unterwerfung und ohne die Bedeutung ״Zusammenhalten" (so continere) handelt, ist dominare hier die geeignete Vokabel. Kontextlos betrachtet, ist die Form dominare doppeldeutig. Es ist möglich, sie als Infinitiv aktiv aufzufassen und mit ״um zu bezähmen" zu übersetzen. Damit wäre Gott der Akteur des Herrschens unter den Feinden. Als aktive Form ist dominare aber weit weniger belegt als das Deponens dominari. So handelt es sich wie im hebräischen Text um einen Imperativ (passiv) des Deponens dominari: ״Bemächtige Dich (der Herrschaft) / sei 640
Vgl. H. Rubenbauer u. J.B. Hofmann, Lateinische Grammatik, §258,3. » K.E. Georges, Wörterbuch II, Sp. 3514.
64
214
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
Herr in der Mitte deiner Feinde!" Auch im Licht von Gen 1,28 betrachtet, da dort ebenfalls רדהim Imperativ steht, ist die zweite Übersetzungsvariante vorzuziehen, denn auch in Gen 1,28 wird der Imperativ von dominare passivisch gebildet. Es heißt: dominamini piscibus maris ״herrscht über die Fische des Meeres!". Im Gegensatz zu dominare ist die Form dominamini eindeutig als Imperativ zu übersetzen, da sie zudem das letzte Glied einer Imperativ-Kette darstellt. V.3: In diesem Vers sind die Unterschiede zwischen beiden lateinischen Versionen am deutlichsten. Die lateinische Version iuxta LXX übersetzt wortgetreu den griechischen Text. Auch hier wird wiederum virtus verwendet, wie auch die LXX beide hebräischen Wörter עזund חילmit derselben Vokabel übersetzt (δύναμις). Der letzte Teil des Verses zeigt ebenfalls keine wesentlichen Unterschiede zum griechischen Text: Der König wird aus dem Mutterleib vor dem Morgenstern gezeugt. Wie das griechische πρό kann das lateinische ante als Raum- oder Zeitangabe verstanden werden 642 , sodass auch hier nicht eindeutig ist, ob dem König eine präexistente Zeugung zugesagt wird. Lucifer ist eine wörtliche Übertragung von εωσφόρος. Beide Formen sind Komposita von ferre bzw. φορέω ״tragen, bringen" und beschreiben den Morgenstern als ״Bringer des Lichts" bzw. ״der Morgenröte". Hieronymus gibt in der Übersetzung des hebräischen Psalms den Beginn des Verses ebenfalls Wort für Wort wieder (populi tui spontanei), doch setzt er durch das folgende erunt die Aussage deutlicher, als das der hebräische Nominalsatz anzeigen kann, in die Zukunft. Obwohl sich im hebräischen Text zwei unterschiedliehe Ausdrücke für ״Kraft" ( עזund )חילfinden, verwendet Hieronymus wie in Vers Ifortitudo. Im Folgenden finden sich drei Abweichungen vom hebräischen Konsonantentext. Erstens liest Hieronymus als Vorlage seiner Version iuxta Hebr. im hebräischen Text הרריstatt הדריund gibt dies mit in montibus sanetis wieder. Zweitens wird die Vergleichsvokabel quasi zugefügt. Drittens scheint Hieronymus in der Konsonantenfolge משחרdie Vokabel משברzu lesen. Dies wäre ein defektiv geschriebenes Partizip Hif il von ( = שברzur Geburt) durchbrechen lassen643 und würde die lateinische Wahl von orietur erklären. לךwird als Dativ ״für dich/dir" verstanden.
642 ygi Rubenbauer u. J.B. Hofmann, Lateinische Grammatik, § 158,3. So wäre eine räumliche Aussage in Form von ante oculos habere ״vor Augen haben" ebenso wie eine zeitliche ante urbem conditam ״vor Stadtgründung" möglich. 643 Vgl. HALAT, שבר, Bd. IV, 1305.
7.4 Die lateinischen Versionen von Psalm 110
215
V.4: Beide lateinischen Versionen bieten hier einen identischen Vers. Es gibt keine wesentlichen Unterschiede zum hebräischen wie zum griechischen Text. Der Nominalsatz im Hebräischen wird durch die Zufügung von es in einen Verbalsatz aufgelöst. Die Formel על־־דברתיwird durch secundum ordinem wiedergegeben. Das Wort secundum ist hier ein adverbiell erstarrter Akkusativ mit dem Inhalt von secundus ״folgend", der mit ״längs, gemäß" oder ״nächst" übersetzt wird. 644 V.5: Bei diesem Vers unterscheiden sich beide lateinischen Texte zum einen in der Wahl zweier Äquivalente, zum andern in der Benutzung von Ablativ und Akkusativ. In der Version iuxta LXX wird der Ablativ a dextris tuis verwendet, während in der Version iuxta Hebr. der Akkusativ ad dexteram tuam steht. Es besteht aber kein wesentlicher Bedeutungsunterschied. Die Version iuxta LXX übersetzt den zweiten Teil des Verses mit confregit in die irae suae reges. Durch die Verwendung der Vokabel confringo wird ein starkes ״Zunichtemachen" als Tat Gottes geschildert. Das Wort ira beschreibt zusätzlich den Zorn als innere Aufwallung des Gemüts. Hieronymus wählt in seiner Version iuxta Hebr. für מחץdie Vokabel percutio, was die Bedeutung von einem heftigen Schlagen beinhaltet. Mit furor beschreibt er weniger den Zorn, sondern eher eine Raserei vor Wut, eine Wut des Kämpfenden 645 . Die Satzteilfolge des Hyperbaton behalten beide lateinischen Texte bei. V.6: Gleich zu Beginn unterscheiden sich beide Versionen in der Wortwahl für גוים, wobei der Unterschied zwischen natio und gens nicht von relevanter Bedeutung für die Aussage von Ps 110 ist - beides beschreibt den ״Volksstamm" oder das ״Geschlecht". Die Version iuxta LXX übersetzt getreu nach griechischer Vorläge und gelangt zu der Aussage, dass ״er" Leichen auffüllt. So ist hier die Ellipse, wie sie auch im hebräischen Text vorhanden ist, gewahrt. Demgegenüber übersetzt Hieronymus ein hebräisches גאיותund gelangt dadurch zu der Aussage, dass ״er" Täler füllt. In dieser Variante fehlt allerdings ein Objekt, womit die Täler gefüllt werden sollen. So bildet dieser Vers ebenso eine Ellipse wie auch der hebräische, nur dass im Hebräischen die Angabe der ״Täler" fehlt, die sinngemäß durch die Parallelstelle im Siegeslied von Thutmose III. ergänzt werden muss. Auch in diesem Vers variieren die beiden lateinischen Texte in der Wortwahl. Hieronymus verwendet wie im hebräischen Text dasselbe Lexem aus V.5 ( מחץbzw. percutio) noch einmal, doch 644 Vgl. H. Rubenbauer u. J.B. Hofmann, Lateinische Grammatik, § 158,21. 645 Vgl. K.E. Georges, Wörterbuch I, Sp. 2887.
216
7 Die antiken
Bibelübersetzungen
er gebraucht im Gegensatz zum hebräischen Text zwei unterschiedliche Zeiten. V.5 beschreibt eine vergangene, V.6 hingegen eine zukünftige Handlung. Die Version iuxta LXX weicht an dieser Stelle von der LXX-Vorlage ab und setzt ein anderes Lexem als in V.5 (die LXX hat zweimal eine Form von <xuv$Xäca) an diese Stelle. So spricht dieser Text hier von conquassabit ״er wird erschüttern", in V.5 hingegen von confregit ״er hat zunichtegemacht". V.7: Wie im griechischen Text sind die Verb-Formen in beiden lateinischen Versionen futurisch wiedergegeben. 7.4.3 Auswertung Bei beiden lateinischen Versionen ist einerseits das Bemühen um wortgetreue Übersetzung wahrzunehmen - das wird vor allem an der Einhaltung der Satzteilfolge deutlich. Andererseits streben die Übersetzer auch nach einer Interpretation. Beide Varianten weisen dieselben Zeitstufen in den Verbformen auf wie die LXX. Wie in Bezug auf die LXX-Übersetzung bereits erläutert, dienen in den Versen 5-7 die Verbformen der Vergangenheit zur Beschreibung der Handlung Gottes, die zukünftigen Formen verweisen auf den König. Ebenso kann die Wahl der Zeitformen in beiden lateinischen Versionen gedeutet werden. So handelt in V.5 Gott, ab V.6 der König. Obwohl die lateinische Version iuxta LXX versucht, wortwörtlich ihre griechische Vorlage wiederzugeben, zeigt sie eine eigene Interpretation in den Versen 5 und 6. Obgleich die LXX zweimal dasselbe Lexem a׳uvdA.äü) wählt, weist diese lateinische Übersetzung einmal confregit, einmal conquassabit auf. Ersteres beschreibt eine viel gewaltigere Tat - es ist ein völliges Zunichtemachen - als Letzteres. Dadurch kann zusätzlich der Subjektwechsel von Gott in V.5 auf den König als handelnde Person in V.6 unterstrichen werden, da Gott um einiges kraftvoller seine Vernichtungsabsicht zur Geltung bringen kann, als Menschen dazu imstande sind. Die deutlichste Abweichung der lateinischen Versionen untereinander besteht in der Wiedergabe von V.3. Während die Version iuxta LXX wortgetreu den griechischen Text abbildet, zeigt sich Hieronymus bemüht, aus der schwierigen hebräischen Vorlage einen vollständigen und mit Sinn gefüllten lateinischen Satz zu konstruieren mit so wenig korrigierenden Eingriffen in den Text wie möglich. Hieronymus nimmt zwei Abweichungen (im Gegensatz zum Konsonantentext des Codex Leningradensis) in Bezug auf die hebräischen Konsonanten vor: Erstens wird aus der ungewöhnlichen Pluralform הדריdurch die Lesung von רstatt דdie räumliche Aussage ״auf den heiligen Bergen". Um diese Naturmetapher zu unterstreichen, fügt er zudem quasi als Vergleichsvokabel ein. Zweitens liest er in dem חin משחרein ב, so
7.5 Fazit
217
dass hier wie oben dargestellt auch die Geburtsmetaphorik Einzug erhält. Im Unterschied zur LXX geschieht dies aber nicht durch eine andere Lesung von ילדתיך, sondern durch משברstatt משחר. So erhält Hieronymus einen vollständigen metaphorisch zu verstehenden Satz: Auf heiligen Bergen wird dir gleichwie von einer Gebärmutter der Tau deiner Jugend geboren. An V.3 wird somit deutlich, dass das Wort משחרschon früh Verständnisschwierigkeiten verursacht hat. Hieronymus kann in seiner theologischen Überzeugung in diesem für das Christentum so wichtig gewordenen Psalm kein Götterpaar J11W H -Morgenröte erkennen, das den königlichen Messias zeugt und gebiert. So muss seiner Ansicht nach V.3 eine Metapher beinhalten, ohne Anwesenheit der Gottheit ״Morgenröte". Ebenso wie das Wort משחרschon früh in der Wirkungsgeschichte des Psalms für Verständnisprobleme gesorgt hat, ist zu erkennen, dass die Lesart ״Tau deiner Jugend" für טל ילדתיךbereits relativ früh als Auslegung galt, statt hier ein Verb der Zeugung anzunehmen, wie es noch in der LXX-Version vorhanden ist. Obwohl die lateinische Version iuxta LXX eine wortwörtliche ÜberSetzung der LXX bietet, eröffnet sich in V.3 durch das Wort lucifer ein zusätzlicher Interpretationsraum. ״Lucifer" ist in der Wirkungsgeschichte immer deutlicher zum bösen Gegenpart Gottes geworden. Ist es nicht auch möglich, dass hier eine Dualismus-Vorstellung von Gut und Böse angedeutet wird? Wird der ״königliche Messias" hier zeitlich vor dem ״Bösen" geboren? Zumindest konnte ein mittelallerlicher Leser diesen Text so deuten, in seiner Abfassungszeit galt Lucifer jedoch noch nicht als Teufelsfigur. 646 7.5 Die Intentionen der antiken Bibelübersetzungen - ein Fazit Allgemein lässt sich über alle behandelten Bibelübersetzungen sagen, dass ein Bestreben festzustellen ist, so nah wie möglich den hebräischen Konsonantenbestand wiederzugeben (die lateinische Version iuxta LXX nur mittels der LXX). Trotz allem ist in jeder Übersetzung eine theologische Tendenz zu spüren. Während die LXX und die Peschitta eine mehr oder weniger klare Neigung zu messianischer Auslegung zeigen, orientiert sich der Targumist an Gesetz und weisheitlicher Theologie. Vgl. A. Felber, Art.: Teufel, Sp. 181. „Luzifer [..] ist in der Antike zunächst Bez. für den Morgenstern (Venus) und später auch für Götter. [...] Durch die Verknüpfung von Jes 14, 12 [...] mit Lk 10, 18 wird Luzifer seit dem 4. Jh. (Hier.comm. Is. 10,34) mit dem Satan gleichgesetzt und wirkt so ins MA." 646
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7 Die antiken
Bibelübersetzungen
Die unterschiedlichste Wiedergabe in den Übersetzungen ist die von Vers 3. Daran ist zu erkennen, mit welchen Problemen dieser Vers von Beginn an behaftet war. So steht und fallt die Interpretation und gesamte Ausrichtung von Ps 110 mit dem Verständnis von V.3, genauer gesagt mit dem Verständnis von מרחם משחר לך טל ילדתיך. Es zeigt sich, dass kein Übersetzer die theologische Auffassung vertreten konnte, dass ein König - ob messianisch oder nicht - von JHWH und der Morgenröte geboren werden kann. Mit wenigen Eingriffen in den hebräischen Text versuchten die Übersetzer, Vers 3 in dieser Hinsicht zu ändern, wobei sie alle einen anderen Weg einschlugen.647 Es bietet sich eine vergleichende Analyse der einzelnen Gedanken in Vers 3 an: Zur Geburtsmetaphorik: Sowohl die LXX (ebenso die Vulgata Version iuxta LXX) als auch die Peschitta lesen ילדתיךals Verb: Ich habe dich geboren. Beide Versionen sind auch messianisch ausgerichtet, sodass hier von der Geburt des Messias die Rede ist. Eine ״Muttergottheit Morgenröte", wie sie in einen! ״Ersttext" von Ps 110* beschrieben wird, ist jedoch nicht mehr vorhanden. Die LXX konstruiert durch den Wandel in der Präposition die Vorstellung, dass der angesprochene König vor dem Morgenstern geboren wird. Die Peschitta sieht in der Morgenröte eine Zeitangabe und übersetzt sie mit ״in der Frühe/am Anfang". Die lateinische Version iuxta Hebr. intendiert zwar ebenfalls eine Geburtsmetaphorik, nur nicht über die Vokabel ילדתיך. Hieronymus liest wie schließlich der masoretische Text ילדתיךals suffigiertes Nomen ״deine Jugend". Das zeigt, dass diese Interpretation nicht erst durch die Masoreten ins Leben gerufen wurde, sondern schon in der alten Kirche Verwendung fand. משחרdeutet Hieronymus als משבר, um weiterhin eine Geburtsmetaphorik aufrecht erhalten zu können. Nur wird hierbei der Tau in den Bergen gleichwie aus einer Gebärmutter geboren. In der TargumÜbersetzung ist in Vers 3 keine Rede von einer Geburt. Der Targumist fügt gerade diesem Vers einige Erklärungen hinzu, da ihm dieser wohl unverständlich scheint. So wird durch eine andere Deutung der Wurzel ילדeine Aussage über die ״Nachkommenschaft" gemacht. Hinter dem Lexem משחרwird nicht mehr die Morgenröte verstanden, sondern es wird als Verb der Wurzel ״ שחרstreben nach, sich beeilen" gedeutet. Somit findet sich im Targum weder in ילדתיךnoch in משחרdie Vorstellung einer Geburt oder einer ״Mutter". Der Tau: Dass mit dem Begriff ״Tau" der König selbst angesprochen ist, wie dies wohl ein ״Ersttext" von Ps 110* aussagte, findet sich in keiner der analysierten Übersetzungen. 647
Nur die Vulgata Version iuxta LXX zeigt dieselbe Wiedergabe wie die LXX.
7.5 Fazit
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Der LXX-Übersetzer zieht das Mutter-Kind-Verhältnis Morgenröte und Tau zu dem griechischen Namen Eosphoros zusammen. So ist der viel getroffenen Aussage, die LXX habe bc ־jb weggelassen, nicht zuzustimmen. Doch ändert der Übersetzer die Aussage, dass der König von der Morgenröte als Tau geboren wird. Das widerspricht dem damaligen Messiasverständnis. Der Targumist und Hieronymus verwenden zwar das Lexem ״Tau", nicht aber als Königsbezeichnung. Im Targum steht der Vergleich, dass das Erbarmen Gottes herbeieilt wie der Tau, in der Vulgata Version iuxta Hebr. wird der „Tau" zum Substantiv in passivem Gebrauch: „Der Tau der Jugend wird dir geboren." Die Vorstellung, dass mit „Tau" in diesem Versteil der König direkt angesprochen ist, bewahrt die Peschitta-Übersetzung, nur entfernt sie sich von der Wortbedeutung „Tau". Der Peschitta-Übersetzer trägt hier nun deutlich einen messianischen Gedanken in den Psalm ein, da X'bs eine Messiasbezeichnung darstellt. In der aramäischen Sprache, von der das Syrische abhängig ist, kann icbD mit „Lamm" oder ,junger Mann, Knecht" wiedergegeben werden. Im Anschluss an diese Auslegung der Peschitta zu Psalm 110 gilt es zu überlegen, ob diese Übersetzung nicht mit in den Blick genommen werden muss, wenn die Frage diskutiert wird, wie die neutestamentliche Bezeichnung von Jesus als Lamm Gottes entstanden ist. Ist die syrische Übersetzung von Ps 110 nach der Entstehung des Johannes-Evangeliums anzusetzen, so könnte man vermuten, dass der Übersetzer dieses Evangelium und die Deutung Christi als Lamm Gottes kannte. Wenn aber die PeschittaVersion von Ps 110 vor den johanneischen Schriften zu verorten ist, so wäre es möglich, dass Ps 110 eine wesentliche Rolle in der Ausbildung des Theologumenons vom Sohn Gottes als Lamm Gottes zukommt. Das Mutter-Kind-Verhältnis mit der Morgenröte als Muttergottheit wirkte in keiner Übersetzung nach.
8 Psalm 110 im Kontext jüdischer Schriften in hellenistisch-römischer Zeit
Diesem Kapitel werden zwei verschiedene Thesen zugrunde gelegt, die es zu überprüfen gilt. Die erste These ist von D.M. Hay aufgestellt und von vielen Forschern aufgegriffen worden, wonach konstatiert wird, dass die Hasmonäer, falls sie Ps 110 nicht eigens verfasst haben sollten, diesen wenigstens benutzt hätten, um ihre Ziele und Ansprüche zu verteidigen. 648 Ist es richtig, dass die Hasmonäer sich auf Ps 110 stützten? Falls diese Annahme stimmen sollte, dass die Hasmonäer Ps 110 zu der Legitimation ihrer Ämterhäufung herangezogen haben, ist in der zweiten Hälfte dieses Kapitels die These von F.F. Bruce in Bezug auf die Qumran-Schriften zu untersuchen: "If the Hasmonaeans used this psalm to support their own high-priestly Claims, that in itself might account for its nonappearance among the Qumran testimonia."649 Stimmt es, dass in den Schriftrollen von Qumran keine Rezeption von Ps 110 zu finden ist?
8.1 Die hasmonäische Rezeption von Psalm 110 in Jerusalem Im Folgenden soll demnach überprüft werden, ob die These, dass Ps 110 tatsächlich von den Hasmonäern zur Legitimation ihres doppelten Amtes verwendet wurde, ihre Richtigkeit hat. Eine kurze Darstellung der (religions-)geschichtlichen Verhältnisse wird den Anfang bilden, bevor die einzelnen Quellentexte, die von Hay als Begründung seiner These aufgelistet sind 650 , untersucht werden. 8.1.1 Religionsgeschichtliche Einordnung Nach dem Tod Alexanders des Großen nahm nach I Makk 1,9 die Schlechtigkeit immer mehr zu auf der Erde. Die Hellenisierung von 648
D.M. Hay, Glory at the Right Hand, 24: „While the Hasmoneans probably did not compose the psalm, they probably did use it to defend their claims to priestly and royal prerogatives. It was suitable for that purpose, possibly more suitable than any other scriptural passage." 649 F.F. Bruce, The epistle to the Hebrews, 125. 650 Diese sind: I Makk 14,41; AssMos 6,1; Jub 32,1; TestLev 8 und 18.
222
8 Ps 110 im Kontext jiid. Schriften in hellenistisch-römischer
Zeit
religiösem Kult und Kultur wurde vorangetrieben und gipfelte in der Herrschaftszeit des Antiochus IV. (175-164 v.Chr.). Er ״hellenisierte" Land und Religion in der Form, dass er die Darbringung von Opfern, den Besitz von Tora-Rollen, die Beschneidung und die Einhaltung des Schabbats unter Todesstrafe stellte (vgl. I Makk l,42ff.). Dies rief nun zwei unterschiedliche Reaktionen aufseiten derer hervor, die sich nach wie vor an den Gesetzen JHWHs orientierten. Einerseits flüchteten viele religiöse Juden entweder in die Nachbarländer, in abgelegene Gebirgsgegenden oder in die Wüste Juda. Andererseits führte es zum Widerstand, zum Aufstand der Makkabäer (oder auch Hasmonäer genannt) unter der Führung von Mattathias Makkabäus 168/7 v.Chr. Diesem Widerstand schlössen sich Tausende an, sodass er zum Erfolg führte und nun eine Zeit der hasmonäischen Herrschaft in Juda folgte. Bereits zu Beginn dieses Aufstandes ״begegnen wir der ,Versammlung der Frommen' (συναγωγή Άσιδαίων = עדת חסידיםoder vielleicht auch 1 קהל חסידים.Makk. 2, 42) als einer festumri Partei, die sich zum gemeinsamen Kampf um die Erhaltung des jüdischen Glaubens mit Mattathias und seinen Söhnen zusammenschloß."651 Diese ״Frommen" wurden für die Religion des Judentums unter anderem insofern bedeutsam, als sie die gemeinsame Wurzel der beiden bedeutendsten religiösen Gruppen des nachbiblischen Judentums bildeten, der Essener und der Pharisäer.652 Nach dem Erfolg des Makkabäer-Au f stands wurde die alte jüdische Ordnung unter zadolcidischer Herrschaft nicht wiederhergestellt. Trotz allem trieben nun die machthabenden Makkabäer eine Hellenisierung voran, sodass sich die Erben des makkabäischen Aufstandes um ihre wahren Ziele betrogen sahen.653 ״Die hasmonäische Ämterhäufung mochte für einen Teil der Kritiker während der Zeit akuter Bedrohung noch akzeptabel gewesen sein, aber nach den Erfolgs- und Friedensjähren Johannes Hyrkans erhoffte man sich eine Normalisierung."654 Seit dem Vorgänger von Johannes Hyrkan, Simon II., vereinigte sich das Amt des Herrschers mit dem des Hohenpriesters, das Simon II. durch Akklamation des Volkes (so die Darstellung in I Makk 14) erhielt. Dadurch ergaben sich zusätzlich Spannungen, sodass sich in Jerusalem das Judentum in (mindestens) eine anti-hasmonäische (Pharisäer) und in eine pro-hasmonäische Richtung (Sadduzäer) aufsplittete. Diese Spannungen entluden sich nun zu einem erheblichen Teil in Auseinandersetzungen um die Legitimität des herrschenden Hauses. Bei Josephus ist überliefert, dass die Pharisäer dem herrschenden Johannes Hyrkan vorwarfen, dass er nicht von einem Stamm abstammte, der das Regieren als König oder Hoherpriester erlaubte, da 651
M. Hengel, Judentum und Hellenismus, 319. Vgl. M. Hengel, Judentum und Hellenismus, 321. 653 Vgl L i Levine, Judaism and Hellenism in Antiquity, 40ff. 654 J. Maier, Zwischen den Testamenten, 158f. 652
8.1 Die hasmonäische Rezeption von Ps 110
223
seine Mutter eine Kriegsgefangene gewesen sei. 655 Da man davon ausging, dass kriegsgefangene Frauen vergewaltigt wurden, konnte sich demgemäß niemand sicher sein, ob Johannes Hyrkan tatsächlich dem Stamm Levi oder Juda zugehörte oder nicht. Bei Josephus ist weiter zu lesen, dass der Streit zwischen Johannes Hyrkan und den Pharisäern über das legitime Hohenpriesteramt entfacht wurde - Zweifel an dieser Darstellung wurden bereits oben erwähnt.656 In der Forschung ist der Zeitpunkt des sogenannten Braches zwischen dem König/Hohenpriester und den Pharisäern umstritten. Meist wird davon ausgegangen, dass es noch unter Hyrkan selbst dazu kam. Johannes Hyrkan stützte sich vermutlich mit der Zeit primär auf die priesterlich-aristokratische Eliteschicht, die Sadduzäer. Zur Entstehungsgeschichte der Essener gibt es in der Forschung verschiedene Theorien, die F. Garcia Martinez in zwei grundsätzliche Hypothesen zusammenfasst und ihnen seine eigene entgegenstellt.657 Die erste Theorie identifiziere die Gemeinschaft von Qumran mit den Essenern und vermute die Ursprünge dieser Bewegung bei den Chasidim der makkabäischen Zeit. Die Essener von Qumran seien somit ein palästinisches Phänomen, das Ergebnis einer Frontstellung gegen die Hellenisierung.658 Ein Streit um das Hohenpriesteramt im 2. Jh. könnte der Anlass gewesen sein, dass sich ein entmachteter Hohepriester mit einer Gruppierung, die unabhängig von ihm schon vorher als Chasidim existierte (vgl. CD I, 9), verbündete, Jerusalem verließ und als ״Lehrer der Gerechtigkeit" diese neue Gemeinschaft formte. 659 Die andere Theorie unterscheidet zwischen den Essenern und der Qumran-Gruppierung und postuliert babylonische Ursprünge für die Essener. Innerhalb der Essener kam es schließlich zum Schisma, sodass die Qumran-Gruppe mit dem ״Lehrer der Gerechtigkeit" an ihrer Spitze entstand.660 F. Garcia Martinez geht mit seiner These einen Mittelweg. Seiner Ansicht nach sind die Essener ein palästinisches Phänomen, die aber bereits vor der antiochenischen Krise entstanden seien und ihre Wurzeln in einer apokalyptischen Tradition des 3. Jh.s v.Chr. hätten. Auch in dieser These wird die Annahme eines Schismas innerhalb der Essener vertreten, das zur Entstehung der Qumran-Grappierung führte. 661 Im Blick auf die verschiedenen religiös-politischen Strömungen bleibt zusammenzufassen, dass spätestens ab Mitte/Ende des 2. Jahrhunderts v.Chr. in Juda drei große ״Religions-Parteien" existiert haben: 1. die 655
Vgl. Vgl. 657 Vgl. 658 Vgl 659 Vgl. 660 vgl. 661 vgl. 656
Ant 13. Buch, 10. Kapitel. Kapitel 5.6 Entstehungssituation von Psalm 110, S. 134ff. F. Garcia Martinez, People of the Dead Sea Scrolls, 77f. p Garcia Martinez, People of the Dead Sea Scrolls, 77. G. Theißen u. A. Merz, Der historische Jesus, 132. F. Garcia Martinez, People of the Dead Sea Scrolls, 77. F. Garcia Martinez, People of the Dead Sea Scrolls, 86.
224
8 Ps 110 im Kontext jiid. Schriften in hellenistisch-römischer
Zeit
Sadduzäer, auf die sich das herrschende Hasmonäerhaus stützte, und die 2. von den Pharisäern vermutlich wegen des Königsamtes der Hasmonäer und wegen anderer religiöser Unstimmigkeiten, vor allem im Bezug auf die rechte Einhaltung der Tora, angegriffen wurden. Es ist möglich, dass in einem Teil der Essener eine weitere anti-hasmonäische Gruppierung zu sehen ist, von denen sich manche mit den Sadduzäern um die Legitimität des amtierenden Hohenpriesters stritten.662 8.1.2 IMakk 14,41f. 41 και δτι οί Ιουδαίοι και οί ιερείς ευδόκησαν τοΰ εΐναι αυτών Σιμονα ήγοΰμενον και άρχιερέα εις τον αιώνα εως τοΰ άναστήναι προφήτη ν πιστόν 42 και τοΰ είναι έπ'αυτών στρατηγόν [...] 41 Darum haben die Juden und die Priester eingewilligt, dass Simon ihr Führender und Hoherpriester in Ewigkeit sei, so lange, bis ein glaubhafter Prophet aufstehen werde, 42 und dass er ihr Stratege sei
Literaturgeschichtliche Einordnung: Der Name des I Makk nimmt den Beinamen des Judas auf, der den oben bereits beschriebenen makkabäischen Aufstand gegen die seleukidischen Herrscher anführte. Dieser Beiname wurde bald auch auf seine gemeinsam mit ihm kämpfenden Brüder ausgedehnt, sodass er zur Familienbezeichnung wurde. 663 Zur Arbeitsweise des Autors von I Makk bemerkt Schunck, dass dieser sich an die Stilform der Judasvita anlehnte, indem er auch in die Darstellung der Ereignisse ein poetisches Stück einarbeitete und Anklänge an die Schriften der Hebräischen Bibel einstreute.664 Vor allem diese vom Verfasser eingetragenen beziehungsweise von ihm überarbeiteten Abschnitte würden deutlich machen, ״daß er ein der Familie der Makkabäer treu ergebener, national gesinnter und zugleich dem jüdischen Gesetz fest verbundener Jude war; vielleicht darf man in ihm sogar den Hofchronisten der Makkabäer erblicken."665 Das Werk wurde vermutlich während der Herrschaft des Johannes Hyrkan verfasst, des Sohnes und Nachfolgers des Simon, doch noch vor dessen endgültigem Bruch mit den Pharisäern, d.h. um 120 v.Chr. 666 662
Dass aber nicht alle Essener in Auseinandersetzung mit den Herrschenden in Jerusalem standen, zeigt u.a. das Glückwunsch-Schreiben in 4Q448, das vermutlich an Alexander Jannai gerichtet ist (vgl. DJD 11,412). 663 Vgl. K.-D. Schunck, 1. Makkabäerbuch, 289. 664 Vgl. K.-D. Schunck, 1. Makkabäerbuch, 292. Zur Verwendung der biblischen Schriften in I Makk vgl. z.B. R. Egger-Wenzel, The Testament of Mattathias to His Sons, 148. 665 K.-D. Schunck, 1. Makkabäerbuch, 292. 666 Vgl. ebd.
8.1 Die hasmonäische Rezeption von Ps 110
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Analyse: Da der hasmonäische Herrscher Simon nicht mit der nachexilischen Hohenpriesterfamilie verwandt war und somit keine familiäre Verbindung zu den Zadokiden vorzuweisen hatte, zeigte H. Donner zu Recht zwei Möglichkeiten auf, wie diesem ״genealogischen Defizit" seinerzeit Abhilfe geleistet werden konnte: ״entweder durch eine sanfte hierarchische Korrektur oder - weitaus wirksamer - durch eine direkte göttliche Legitimation, die die Hohepriesterwürde für Simon als gottgewollt und unwidersprechlich deklarierte."667 So vermutet Donner, dass diese direkte göttliche Legitimation durch die Rede eines Propheten in Ps 110,4 stilisiert wurde. Ps 110 wurde nach Donner mit Blick auf Simon verfasst, um dessen königliche und priesterliche Würde, wie sie in I Makk 14,41 beschrieben ist, zu legitimieren. Während Donner die direkte göttliche Legitimation aus I Makk 14,41b ableitet, nämlich aus der ״Erwartung eines Propheten, der den Gotteswillen in Gestalt eines Gottesspruches vortragen würde" 668 , ist eine andere alttestamentliche Anspielung hingegen deutlicher: Nicht nur in Ps 110,4 wird das ewige Priestertum durch Gott verliehen, sondern auch in Num 25,12f. an Pinhas. Durch seinen Eifer erhielt Pinhas die Zusage des Bundes des Friedens und des ewigen Priestertums: :לכן אמר הנני נתן לו את־בריתי שלום והיתה לו ולזרעו אחריו ב ר י ת כהנת עולם ת ח ת אשר קנא לאלהיו ויכפר על־בני ישראל: Daher sprich: Siehe, ich gebe ihm meinen ״Bund" des Friedens. Dann wird ihm und seinem Samen nach ihm ein ״Bund" von ewiger Priesterschaft gehören, weil er für seinen Gott geeifert und für die Söhne Israels Sühne erwirkt hat.
Der Eifer des Pinhas wird bereits in I Makk 2,54 hervorgehoben und Pinhas selbst in die Reihe der ״Väter" aufgenommen. Ebenso stellt Sir 45,28-32 die Heldenhaftigkeit des Pinhas heraus, der sich aus Gottesfurcht voller Eifer für den Herrn einsetzte und deswegen am ״Bund" des Friedens anteil hatte, damit er und seine Nachkommen das Hohepriesteramt für immer ausüben sollten. In I Chr 9,20 wird Pinhas zudem das Attribut נגירbeziehungsweise f|Y01)|xev0<; zuteil. Es ist demnach ebenso möglich, dass I Makk 14,41 nicht Ps 110,4 zitiert, wie H. Donner dies vermutet, sondern auf die Tat des Pinhas anspielt, der das ewige Priesteramt durch Eifer für Gott zugesprochen bekam. Schließlich geht Vers 41 eine glorreiche Schilderung voraus, durch die deutlich werden soll, dass Simon ein guter Herrscher ist. So ist in I Makk 14,13 ff. zu lesen, dass die Könige von Syrien keinen Schaden mehr anrichten konnten, Simon im Land Recht sprach, alle 667 668
H. Donner, Der verläßliche Prophet, 216f. H. Donner, Der verläßliche Prophet, 217.
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Armen gegen Gewalt schützte, alles Unrecht bestrafte, die Gottlosen vernichtete und dem Heiligtum neuen Glanz gab. So gelesen, ist die ewige Priesterwürde in V.41 der Dank und die Auszeichnung für Simons gute Taten, wie sie vorzeiten Pinhas zuteil wurde. Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Bezugspunkt zu alttestamentlichen Schriften für den Autor des I Makk vorwiegend in den Geschichtsbüchern, ausgenommen Levitikus669, liegt, seltener in den Psalmen. Die Autoritätsperson der pro-hasmonäischen Partei, der wohl der Autor nahestand, war nicht David, sondern eher Levi, Aaron oder Mose. 670 So verknüpft der Verfasser von I Makk 14,41f. Simon mit Mose und seiner Zeit: Mose war der Anführer und Prophet schlechthin, Priester in Ewigkeit waren zu seiner Zeit Aaron und Pinhas. Die Zusage des Hohenpriestertums schließt hier mit einer Anspielung auf Dtn 34,10, durch die der Autor Simon in die altehrwürdige Ämtertrias des Königs, Priesters und Propheten hebt - die Wichtigkeit dieser drei Ämter spiegelt sich beispielsweise in der Abfolge von Königs-, Priester- und Prophetengesetz in Dtn 17 und 18 wider - und so die hohe Position des Simon durch Anspielung auf alttestamentliche Referenzstellen betont. Die Anmaßung aber, dass Simon mit Mose gleichgestellt wäre, ist durch den Verweis auf Dtn 34,10 weniger hoch, da es heißt, dass Simon nur solange ״herrsche", bis ein glaubhafter Prophet (wie Mose) aufstehen würde. Die Hasmonäer sollten solange legitime Verwalter Israels sein, bis ein Prophet wie Mose kommen wird. Folgerung: Es ist möglich, dass in der Wendung άρχιερέα εις τον αιώνα eine Anspielung auf Ps 110 vorliegt, um der Herrschaft des Hasmonäers Simon besondere Autorität zu verleihen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass I Makk 14,41 die Tradition des Pinhas aus Num 25,12f. und I Chr 9,20 aufnimmt, der durch seinen Eifer für Gott das ewige Priestertum erlangte. Aufgrund dieser Analyse kann nicht ausdrücklich der These zugestimmt werden, dass die Hasmonäer Ps 110 zu ihrer Ämterlegitimation herangezogen haben. 669
Vgl. R. Egger-Wenzel, The Testament of Mattathias to His Sons, 148. V. Aptowitzer versucht, aus rabbinischen Quellen und pseudepigraphischen Schriften einen Argumentationsgang in der Diskussion um das rechtmäßige Königs- und Priesteramt der Hasmonäer nachzuzeichnen. Demzufolge versuchten die Sadduzäer zweimal, David als illegitim zu erklären (vgl. V. Aptowitzer, Parteipolitik der Hasmonäerzeit, 34). Als eine zentrale Belegstelle für Davids Illegitimität als König zieht Aptowitzer einerseits bYev 76b-77a heran. Andererseits verweist er auf die Schilderung bei Josephus, dass Johannes Hyrkan das Grab Davids geplündert hatte (Ant 13. Buch, 8. Kapitel, 4). Zudem ging die hasmonäische Argumentation „zunächst von der Tatsache aus, daß der erste Führer und Herrscher in Israel ein Angehöriger des Stammes Levi war - Mose. Von Mose ging das Recht der Herrschaft auf die Söhne seines Bruders Aharon über, deren Nachkommen die Hasmonäer sind." (V. Aptowitzer, Parteipolitik der Hasmonäerzeit, 56f.). 670
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8.1.3 AssMos 6,1 Tunc exurgent illis reges imperantes et in sacerdotes summi Dei vocabuntur. Facient facientes impietatem ab sancto sanctitatis. 671 Dann werden sich die Könige als Herrscher über jene erheben und man wird sie zu Priestern des Höchsten Gottes berufen; doch sie werden Gottlosigkeit verüben vom Allerheiligsten aus.
Literatur geschichtliche Einordnung: Eine Abfassung der AssMos nur wenig nach 6 n.Chr. ist höchst wahrscheinlich, aber ein Entstehungskreis schwerlich auszumachen. Es werden viele Gruppierungen angegriffen, unter anderem die Hohenpriester-Könige der Hasmonäer (6,1), die hellenisierende sadduzäische Priesterschaft (5,3f.), aber auch der frühe Pharisäismus (5,5f.). Wenig überzeugend ist eine Autorschaft der Samaritaner, ebenso der Zeloten oder der Qumran-Gemeinde. 672 Von ihren formalen Kennzeichen her und durch die Intention des Inhalts ist die vorliegende Schrift unter die Gattung der ״Testamente" einzuordnen. 673 Analyse: In diesem Text ist die Rede von Königen, die zu ihrem Amt als König gleichzeitig das Priesteramt für den Höchsten Gott - das hebräische Synonym würde אל עליוןlauten - ausüben. Mit dieser Beschreibung von Königen als Priester trifft der Autor des Textes in aller Wahrscheinlichkeit eine Aussage über das Haus der Hasmonäer. Die vermutete Anspielung auf Ps 110 liegt darin, dass hier die Könige als Priester des Höchsten Gottes - אל עליון- bezeichnet werden. Wenn D.M. Hay diese Stelle als Zitat von Ps 110 versteht, so fasst er anscheinend die Melchisedek-Perikope von Gen 14 als Bindeglied zwischen der AssMos und Ps 110 auf. Der Gott Melchisedeks in Gen 14 ist אל עליון. Sofern Ps 110 von derselben Melchisedek-Figur wie Gen 14 spricht, ist folglich auch in Ps 110 Melchisedek Priester des Höchsten Gottes, ohne dass dies explizit genannt wird. Folgendes gibt es hierbei zu bedenken: Wenn Könige beschrieben werden, die zugleich das Priesteramt ausüben, liegt nicht zwingend eine Anspielung auf Ps 110, sondern eher direkt auf das Herrscherhaus der Hasmonäer vor. Diese waren Könige oder zumindest ״königliche" Herrscher und zugleich Hohepriester, seit Simon durch Volksbeschluss 141 v.Chr. zum Hohenpriester erklärt wurde. Sodann bedarf die Titulatur des Höchsten Gottes - אל עליון- genauerer Betrachtung. Die BeZeichnung JHWHs als ״höchsten Gott" oder auch ״Gott des
671 672 673
Lat. Text aus: J. Tromp, The assumption of Moses, 14. Vgl. E. Brandenburger, Apokalypse. Himmelfahrt Moses, 59ff. So E. v. Nordheim, Die Lehre der Alten. 1, 206.
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Himmels" 674 ist nicht selten, vor allem im Alten Testament wird עליון häufig als Gottesepitheton verwendet675, wobei zusätzlich noch aramäische Belege des Danielbuches sowie hebräische und griechische Belege aus der deuterokanonischen Literatur, den Pseudepigraphen, der Qumran-Literatur und der Diaspora zu nennen sind. Inhaltlich ist der Begriff mit dem Aspekt der Herrschaft und mit Unvergleichlichkeitsaussagen gefüllt. Vor allem in hellenistischer Zeit begegnet das Phänomen, ״daß der Titel עליוןin seinem griechischen Äquivalent ih|)L010c; als Zeusepitheton auftritt und gerade in den Texten der Diaspora verwendet wird." 676 Während der hellenistischen Reform ist zu beobachten, dass mit dem Motiv ״Gott als Höchster" beziehungsweise ״Gott des Himmels" die theologische Möglichkeit besteht, ״den Kult des Himmelsgottes im Jerusalemer Tempel als nicht heidnisch und von außen aufgezwungen zu interpretieren und gleichzeitig die heftige Ablehnung dieses Kultes zu verstehen. Von daher ist es auch verständlich, daß die Bezeichnung JHWHs als ,Gott des Himmels' auch während und nach der Makkabäerzeit nicht unmöglich geworden war." 677 Gerade die Verbindung von Monotheismus und mythischer Redeweise (z.B. die Vorstellung vom Thronrat, die ebenfalls mit der Vorstellung Gott als des Höchsten korrespondiert) tritt in nachexilischer Zeit hervor. Die Benutzung des Titels ״der Höchste" für JHWH könnte demnach durchaus nicht als bloßes Zitat aufgefasst werden, sondern eine Unterstreichung der theologischen Überzeugung sein, dass JHWH wirklich der höchste Gott und der Gott des Himmels ist. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im hellenistischen Schrifttum die Bezeichnung ״der Höchste" zur ״gängigen Bezeichnung für den Gott der Juden wird." 678 Durch dieses in hellenistischer Zeit häufig verwendete Gottesepitheton wird deutlich, dass es sich bei der Nennung ״Gott als der Höchste" nicht um eine Anspielung auf Ps 110 handeln muss. Folgerung: Als Schlussfolgerung bleibt festzuhalten, dass weder die Ämterhäufung König und Hoherpriester, noch die Nennung des Höchsten Gottes auf ein Zitat des Psalms 110 hinweisen. Eine Anspielung auf diesen in AssMos ist möglich, aber nicht zu beweisen. Dass die Hasmonäer Ps 110 als Legitimationstext ihrer Herrschaft benutzt haben, ist hieraus nicht zu belegen. 674
Zur äquivalenten Benutzung beider Gottestitel vgl. H. Niehr, Der höchste Gott, 62f. 675 JHWH als עליון: Ps 7,18; 9,3; 47,3; 83,19; 97,9; (auch 91,9; 92,2); אל עליון: Gen 14,18.19.20.22; Ps 78,35; (auch Ps 77,11; 78,17; 107,11); אלהים עליון: Ps 57,3; 78,56; (auch Ps 46,5; 91,1);דעת עליון: Num 24,16;חסד עליון: Ps 21,8. 676 H. Niehr, Der höchste Gott, 64. 677 H. Niehr, Der höchste Gott, 58. ™ So H.-J. Zobel, Art.: 151 ,עליון.
8.1 Die hasmonäische Rezeption von Ps 110
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8.1.4 J u b 32,1679 Und er blieb in dieser Nacht in Bethel. Und Levi träumte, dass sie ihn gesetzt und gemacht hätten zum Priester[amt] des höchsten Gottes, ihn und seine Söhne in Ewigkeit.
Literatur geschichtliche Einordnung: ״Das Jub versteht sich als die Wiedergabe der Sinaioffenbarung an Mose. Sein Ziel ist es, die Gewißheit der noch ausstehenden Verheißung einzuschärfen und die Gebote frei von Irrtum so zu lehren, daß mit der Gerechtigkeit derer, die umkehren und die Gebote suchen, die erwartete Heilszeit kommen kann." 680 In der neueren Forschung ist man übereingekommen, dass das Jub der Versuch ist, die durch den Hellenismus bedrohte Identität des Volkes durch Rückgriff auf Vätertraditionen wiederherzustellen.681 Mithilfe dieses Buches würde der Reformwille von Anti-Hellenisten gestärkt. Die Träger seien eine antihellenistische priesterliche restaurative Reformgruppe, die sowohl mit den Chasidim als auch mit der QumranGruppe in enger historischer Verbindung stünden. Nach der älteren These von R. Meyer (1938) und auch von V. Aptowitzer (1927) ist das Jub zusammen mit den TestXIIPatr ein Dokument levitischer Emanzipationsbestrebungen. Diese seien von hasmonäischen Parteigängern entfaltet worden, um den (levitischen) Hasmonäern eine Legitimationsgrundlage zu schaffen. Hierbei ist aber zu beachten, dass Priester und Leviten im Jub sehr wohl unterschieden werden (XXX 18), dass sich im zeitgenössischen Judentum ebenso die Priester auf Levi zurückführten, dass einzelne Levitengruppen auch durchaus negativ beurteilt werden und dass demnach Jub in erster Linie die Priesterherrschaft legitimiert (ohne die Leviten freilich auszuschließen). Diese Betonung der Priester findet sich vor allem in der Gemeinde von Qumran. 682 ״Für die Frage nach der Datierung bahnt sich in der neueren Forschung ein gewisser Konsens an, nach dem das Buch zwischen 167 und 140 v. Chr. entstanden ist." 683 Der Form nach gehört das Jub wohl zu den erzählenden Midraschim.684
679
Vollständig ist das Buch nur in äthiopischer Sprache erhalten, das aber auf einer hebräischen oder aramäischen Vorlage basiert. Ich verzichte auf eine eigene Übersetzung und schließe mich der Übersetzung K. Bergers, Das Buch der Jubiläen, an. 680 IC. Berger, Das Buch der Jubiläen, 279. 681 Vgl. K. Berger, Das Buch der Jubiläen, 298. 682 K. Berger, Das Buch der Jubiläen, 299. 683 K. Berger, Das Buch der Jubiläen, 299f. 684 Vgl. IC. Berger, Das Buch der Jubiläen, 285.
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Analyse: Die Verbindung von Levi als Priester des Höchsten Gottes in Ewigkeit ist dem Gedankengut von Ps 110 sehr ähnlich. אל עליוןsteht zwar nicht in Ps 110, doch wird Melchisedek in Gen 14 als Priester desselben beschrieben. Dass aber die Bezeichnung JHWHs als ״der Höchste" nicht genügt, um hier eine Anspielung auf Ps 110 zu erkennen, wurde oben bereits dargestellt.685 In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, ob die Verbindung des Gottestitels עליוןmit der Ewigkeitsaussage des Priestertums für Levi und seine Söhne ausreichend ist, einen Einfluss seitens Ps 110 an dieser Stelle anzunehmen - aber auch für das Motiv des ewigen Priestertums ist nicht zwingend Ps 110 als Vorlage anzusehen, wie dies bereits in der Analyse zu I Makk 14,41 dargestellt wurde. Pinhas wurde ebenfalls das ewige Priestertum zugesprochen. Folgerung: Jub 32,1 stellt keine unumstrittene Referenz an Ps 110 dar - zum einen, weil der Gottestitel ״der Höchste" ein häufiges Gottesepitheton in hellenistischer Zeit ist, zum andern, weil ebenso die Ewigkeitszusage in Bezug auf Levis Priestertum ein nicht einmaliges Gedankengut darstellt. Schließlich ist daraufhinzuweisen, dass Jub 32,1 keine Beziehung zu der Hasmonäerherrschaft herstellt. Wie bezüglich der Form von Jub festgestellt worden ist, handelt es sich hier vermutlich um ein Dolcument, das von einer anti-hellenistischen Refonngruppe verfasst worden ist. Diese Stelle als einen ״Beweis" anführen zu wollen, dass die Hasmonäer sich auf Ps 110 beriefen, ist also nicht möglich, da es sich beim Jub um ein awft'-hasmonäisches Dokument handelt. 8.1.5 TestLev 8 und 18686 Kapitel 8: 2
και εΐδον επτά ά ν ΰ ρ ώ π ο υ ς
έν έσΰήτι λευιοτ), λέγοντας
μοι־
Άναστας ενδυσαι τήν στολήν της ίερατείας και τον στέφανον της δικαιοσύνης και τό λόγιον της συνέσεως και τόν ποδήρη της άληΰείας και τό πέταλον της πίστεως και τήν μίτραν τοΰ σημείου και τό έφούδ της προφητείας. 3 και εις έκαστος αυτών έκαστον βαστάζοντες έπέΰηκάν μοι και ε ί π α ν Χ π ό τοΰ νυν γίνου εις Ιερέα κυρίου, συ και τό σπέρμα σου εως αιώνος. 4 και ό π ρ ώ τ ο ς ήλειψέ με έλαίω άγίω, και έδωκέ μοι ράβδον κρίσεως. 5 ό δεύτερος ελουσέ με ΰδατι καΰαρω, και έψώμισέ με αρτον και οΐνον, άγια άγιων, και περιέΰηκέ μοι στολήν άγίαν και ενδοξον. 685 Vgl. Kapitel 8.1.3 AssMos 6,1, S. 227ff. 686 Griechischer Text aus: M. de Jonge, The Testaments of the twelve Patriarchs. A critical Edition of the Greek Text. Übersetzung nach J. Becker, Die Testamente der zwölf Patriarchen.
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6 ό τρίτος βυσσίνην με περιέβαλεν όμοίαν έφούδ. 7 ό τέταρτος ζώνην μοι περιέΰηκεν όμοίαν π ο ρ φ υ ρ ά . 8 ό πέμπτος κλάδον μοι έλαίας εδωκε πιότητος. 9 ό έκτος στέφανόν μοι τη κεφαλή περιέΰηκεν. 10 ό έβδομος διάδημα μοι περιέβηκεν ίερατείας. και έπλήρωοαν τάς χεΐράς μου ύυμιάματος, ώστε ίερατεύειν με κυρίω. 2 Und ich schaute sieben Menschen, weiß gekleidet. Sie sagten zu mir: ״Auf, leg das Priestergewand an und den Kranz der Gerechtigkeit und den Brustschmuck der Einsicht und die Robe der Wahrheit und das Diadem der Treue und die Mithra des Zeichens687 und das Ephod zur Weissagung. " 3 Undjeder von ihnen trug (etwas) herbei. Dann legten sie es mir an und sprachen: „ Von jetzt an sei ein Priester, du und dein Same bis in Ewigkeit! " 4 Und der erste salbte mich mit heiligem Öl und gab mir einen Stab des Gerichts.688 J Und der zweite wusch mich mit reinem Wasser und speiste mich mit Brot und Wein, dem Allerheiligsten, und kleidete mich in ein heiliges und herrliches Gewand. 6 Der dritte kleidete mich mit einem Leinenkleid, ähnlich dem Schulterkleid. 7 Der vierte legte mir einen Gürtel um, (in der Farbe) ähnlich dem Purpur. 8 Der fünfte gab mir einen Zweig des fetten Ölbaumes. 9 Der sechste legte mir einen Kranz auf das Haupt. 10 Der siebte setzte mir ein Diadem des Priestertums auf. Und sie füllten meine Hände mit Weihrauch, damit ich vor dem Herrn den Priesterdienst versehe.
Kapitel 18, 2.3a.8.12: 2 τότε έγερεΐ κύριος ιερέα καινόν, φ πάντες οί λόγοι κυρίου άποκαλυφΰήσονται ־και αυτός ποιήσει κρίσιν άληβείας επί της γης έν πλήιϊει ήμερων. 3 και άνατελεΐ αστρον αύτοΰ έν ο ύ ρ α ν ώ ώς βασιλεύς, φ ω τ ί ζ ω ν φως γνώσεως ώ ς έν ήλίω ημέρας•[...] 8 αυτός δώσει τήν μεγαλωσΰνην κυρίου τοΊς υ ΐ ο ΐ ς αύτοΰ έν άληΰεία εις τον αιώνα ״και ουκ έσται διαδοχή α ΰ τ ώ εις γενεάς και γενεάς έως τοΰ αιώνος. 12 και ό Βελιάρ δεΰήσεται υ π ' α ύ τ ο ΰ , και δώσει έξουσίαν τοις τέκνοις αύτοΰ τοΰ π α τ ε ΐ ν επί τά πονηρά πνεύματα.
687
J. Becker übersetzt hier: ״Mithra fürs Haupt" (Die Testamente der zwölf Patriarchen, 52). An dieser Stelle folge ich der von de Jonge vorgeschlagenen Lesart, die von einer Familie griechischer Handschriften ö, sowie der armenischen Handschrift A" bezeugt ist, da innerhalb der Aufzählung die ״Mithra des Zeichens" kongruent ist. Es wird immer ein Gegenstand mit einer Tugend/Gabe aufgezählt, sodass ״Mithra fürs Haupt" außerhalb dieser Reihung stehen würde. 688 Dass der Stab ein Stab des Gerichts sei, ist nicht in allen Handschriften vorhanden, zumindest aber in der griechischen Handschriften-Familie ö und in armenischen Handschriften. J. Becker, Die Testamente der zwölf Patriarchen, gibt nur den ״Stab" wieder.
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2 Dann wird der Herr einen neuen Priester erwecken, dem alle Worte des Herrn offenbart werden. Und er (selbst) wird ein Gericht der Wahrheit auf Erden halten in der Fülle von Tagen. 3 Und sein Stern wird am Himmel aufgehen wie ein König, leuchtend als Licht der Erkenntnis, wie durch die Sonne ein Tag (erleuchtet wird). [...] 8 Er (selbst) wird die Majestät des Herrn seinen Söhnen geben in Wahrheit bis in Ewigkeit. Und er wird keinen Nachfolger haben für alle Geschlechter bis in Ewigkeit. 12 Und (der) Beliar wird von ihm gebunden werden, und er wird seinen Kindern Macht geben, auf die bösen Geister zu treten.
Literaturgeschichtliche Einordnung: Das TestLev ist Teil der Testamente der zwölf Patriarchen und weist die typischen Gattungsmerkmale der Testamentsform auf. Darunter sind unter anderem der Anfangs- und der Schlussrahmen zu nennen, letzterer mit Tod, Altersangabe und Bestattung des Patriarchen. Der Mittelteil besitzt Rückblicke auf die Vergangenheit sowie einige Zukunftsansagen. Das TestLev hat neben dem TestJuda den größten Umfang innerhalb der TestXIIPatr. J. Becker ist der Ansicht, dass der Verfasser der Grundschrift der TestXIIPatr. - somit auch des TestLev - seinen theologischen Ort in der hellenistischen Synagoge habe. Der Verfasser ״wendet sich anonym an ganz Israel und leiht sich Autorität, indem er fingiert die Jakobssöhne reden läßt. Sie geben ihr ,Testament'. Damit wird der Anspruch erhoben, daß das, was man in den TestXII findet, seit Anfang und für alle Zeit für Israel gilt." 689 Da häufig in der Forschung vermutet wird, dass die Grundschrift der TestXIIPatr. dem essenischen Schrifttum nahesteht, legt Becker Wert darauf, die gravierenden Unterschiede zum essenischen Schrifttum zu betonen. Trotz großer Nähe an einigen theologischen Punkten (zum Beispiel hinsichtlich der Dualismus-Vorstellung) stehen einer nahen Zuordnung der TestXII zum essenischen Schrifttum einige Beobachtungen entgegen, gerade auch in der dualistischen Vorstellung und der Heilserwartung durch die Vermittlung Levis und Judas. Zudem würden die TestXII nirgends auch nur einen versteckten Hinweis auf den Lehrer der Gerechtigkeit oder sonst ein geschichtliches Ereignis, das für die Qumran-Gemeinde spezifisch ist, zeigen.690 Analyse: Im TestLev sind deutliche Anspielungen auf Ps 110 sichtbar. In Kapitel 8,3 heißt es, dass Levi und sein Same von nun an Priester sein sollen. In Verbindung mit den folgenden Versen stellt dieser Satz eine Aufnahme von Ps 110,4 dar, weil auch die folgenden Sätze Motivik von Ps 110 beinhalten: Der erste der sieben Gestalten salbt Levi mit 689
J. Becker, Die Testamente der zwölf Patriarchen, 27. 690 vgl. J. Becker, Die Testamente der zwölf Patriarchen, 26.
8.1 Die hasmonäische Rezeption von Ps 110
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heiligem Öl und gibt ihm einen Stab. Das Motiv des Stabes als Herrscherstab begegnet ebenfalls in Ps 110,2 - in wörtlicher Übereinstimmung mit Ps 109LXX. Der zweite der sieben Gestalten speist Levi mit Brot und Wein und kleidet ihn in ein herrliches Gewand. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Ausdruck ״Brot und Wein" ein christlicher Einschub sei.691 Das Herausbringen von Brot und Wein ist vielmehr als Teil der Melchisedek-Perikope von Gen 14 zu sehen. Mit Brot und Wein wird in TestLev 8 Melchisedek stilisiert, der in Ps 110,4 im Zusammenhang mit dem ewigen Priesteramt genannt wird. Ob auch das Einkleiden in ein herrliches Gewand eine Anspielung auf Vers 3 darstellt, ist schwer zu entscheiden, da ein ״herrliches Gewand" nur im hebräischen Ps 110, nicht aber in seiner LXX-Gestalt vorkommt. G. Widengren weist zu Recht darauf hin, dass Levi bis auf drei Accessoires die hohenpriesterlichen Insignien zukommen, die anderen drei aber (Stab, Zweig des fetten Ölbaums, purpurner Gürtel) sind königlicher Art. 692 Dadurch, dass die vermuteten Anklänge an Ps 110 (ewiges Priestertum, Herrscherstab, Brot und Wein, eventuell das herrliche Gewand) direkt aufeinanderfolgen, ist eine christliche Interpolation auszuschließen und Allusionen auf Ps 110 anzunehmen. In Kapitel 18 hingegen, das von D.M. Hay ebenfalls ausdrücklich als Anspielung auf Ps 110 ausgewiesen ist, finden sich keine deutlichen Aufnahmen von Ps 110. Keine der von Hay genannten Stellen zeigt eine wörtliche Übereinstimmung mit dem griechischen Psalmtext der LXX, außer einer Ewigkeitsaussage in V.8. Auch die Motivik ist nur entfernt mit der des Psalms verwandt: In Ps 110 richtet der König unter den (Fremd-) Völkern, im TestLev hält ein zukünftiger Priester ein Gericht der Wahrheit. Dass sein Stern aufgehen wird wie der eines Königs hat keine Parallele in Ps 110, sondern in Num 24,27. In Ps 109LXX ist zwar von dem Morgenstern die Rede, der Angesprochene ist aber bereits König und wurde vor dem εωσφόρος gezeugt. Folgerung: In Kapitel 8 liegen eindeutige Anspielungen auf Ps 110 vor. Es werden nicht nur ״ewiges Priesteramt", ״Herrscherstab" und ״Brot und Wein" (sowie das ״herrliche Gewand") genannt - diese Motive folgen auch direkt hintereinander. Es ist möglich, hier eine pro-hasmonäische Bearbeitung zu sehen, da dem Priester Levi königliche Attribute zu691
Wie es de Jonge und T.W. Manson annehmen. M. de Jonge, The Testaments of the twelve Patriarchs. A Study of their Text, 44: "The expression otyta cr/icm׳ occurs several times in the LXX, for example in connection with the parts of the offerings which had to be eaten by the priests, but together with bread and wine the term can hardly be explained otherwise than as denoting the elements of the Christian Eucharist." Vgl. auch T.W. Manson, Miscellanea apocalyptica III. Test. XII Patr.: Levi viii, 59-61. 692 Vgl. G. Widengren, Royal ideology, 205ff.
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8 Ps 110 im Kontext jiid. Schriften in hellenistisch-römischer
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kommen: Levi wird als Hoherpriester und König gezeichnet. Wie in der religionsgeschichtlichen Einleitung bereits dargelegt, war in der hasmonäischen Zeit die Betonung der Stellung Levis wichtig, weil die Pro-Hasmonäer die Zusammengehörigkeit von König- und Priestertum auf der Basis seiner Person begründeten. Die Verbindung beider Ämter in der Person Levis war für die hasmonäischen Parteigänger ein zentrales Anliegen, um sich gegen die Anfeindungen seitens der Pharisäer und der sogenannten Qumran-Essener zu behaupten. So klar die Anspielungen in Kapitel 8 zu sehen sind, so sehr ist die These einer Anspielung auf Ps 110 in Kapitel 18 zu verneinen. Im Anschluss an seine Analyse zum TestLev stellt G. Widengren die Frage: ״Who is then the Hasmonaean ruler to whom the author alludes?693 Widengren beantwortet seine Frage dahingehend, dass die Bezugsperson des TestLev wahrscheinlich Johannes Hyrkanus sei. Möglicherweise kann aber auch Alexander Jannai gemeint sein, denn dieser nahm offiziell den Königstitel an. Unter ihm scheint der Legitimationsdruck der Hasmonäer am größten gewesen zu sein, weil vermutlich - kurz zuvor während der Herrschaft seines Vaters - der Bruch mit den Pharisäern erfolgt war. Die Pharisäer waren keine unerhebliche und kleine Partei innerhalb des jüdischen Volkes. Um ihrer Kritik an der Rechtmäßigkeit des Königsthrons standzuhalten, waren Alexander Jannai und seine Nachfolger gezwungen, ihre göttliche und geschichtlich bedingte Legitimation als Könige herauszustellen und stark zu machen. 8.1.6 Auswertung In diesem Kapitel wurde die These untersucht, ob Ps 110 ein Legitimationstext der Hasmonäer und ihrer Parteigänger (Sadduzäer) war. Die Analyse der aufgeführten Stellen (I Makk; AssMos; Jub und TestLev) hat ergeben, dass lediglich im TestLev 8 eine nachweisbare Anspielung auf Ps 110 vorliegt. Die entscheidenden Argumente für diese Annahme ergeben sich aus Vokabular, Motivik und aus der Stellung der Anspielungen: Im TestLev wird in drei Versen hintereinander ein Bezug zu Ps 110 hergestellt. Die anderen Textstellen sind in der Frage, ob Ps 110 als Legitimationstext der Hasmonäerherrschaft anzusehen ist, als irrelevant zu betrachten, da die Gottesbezeichnung als ״der Höchste" ebenso wenig beweiskräftig ist wie das Motiv des ewigen Priesteramtes oder die bloße Verbindung von König- und Priesteramt. Im Zuge der in Jerusalem herrschenden Auseinandersetzung zwischen Pharisäern und Sadduzäern in der Hasmonäerzeit mussten die hasmonäischen Parteigänger Levi gegenüber Juda herausstellen, da ihr König aus dem Stamm Levi und nicht aus dem ״verheißenen" Stamm Juda 693
G. Widengren, Royal ideology, 212.
8.2 Ps 110 und die in Qumran gefundenen
Schriften
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kam. Zu dieser Herausstellung der Position Levis werden nun im TestLev Bibelstellen herangezogen, unter anderem (nicht ausschließlich 694 ) auch Ps 110, die einen Priester mit königlichen und militärischen Attributen versehen. Der Kerngedanke ist, dass ״schon der Stammvater Levi [...] zum Priestertum berufen und mit all den Attributen ausgestattet worden [sei], die das Priestertum in historischer Zeit, mit Recht oder Unrecht, für sich in Anspruch nahm: Lehrtätigkeit, Richteramt und weltliche Herrschaft." 695 All diese Ämter führte ebenfalls der hasmonäische König aus. Die Frage, ob die Hasmonäer nun Ps 110 als Legitimationstext ihrer Herrschaft benutzt haben, kann anhand des TestLev mit ״Ja" beantwortet werden. Ein explizites und deutliches Zitat aus diesem Psalm gibt es allerdings in keiner Schrift - lediglich durch Anspielungen in der vermutlich hasmonäisch redigierten Version des TestLev ist eine Benutzung von Ps 110 zur Legitimation des Hasmonäer-Hauses zu finden. Eine makkabäische Entstehung von Ps 110 ist aber, wie bereits dargestellt696, auszuschließen. Der Aussage von D.M. Hay, dass die Hasmonäer Ps 110 vielleicht zur Verteidigung ihrer priesterlichen und königlichen Ziele benutzt haben, ist zuzustimmen, wobei eine Einschränkung der Beweisstellen auf TestLev 8 vorgenommen werden sollte. 8.2 Psalm 110 und die in Qumran gefundenen Schriften Rezeptionsgeschichtlich sind die Funde von Qumran von großer Bedeutung - für die Analyse von Ps 110 ist die Lage allerdings schwieriger, da bisher keine Fragmente dieses Psalms in Qumran gefunden worden sind. 697 Bezüglich der Qumran-Funde haben sich bereits einige Forscher698 bemüht, die Schriftrollen in Textgruppen oder Cluster zu sortieren. Ohne die Schriften verschiedenen Autoren zuordnen zu wollen, wird dieser Arbeit die Annahme zugrunde gelegt, dass in 4QAmram und in 11 QMelch (die Texte, die eingehender untersucht werden) eine ähnliche, deshalb vergleichbare theologische Richtung vorhanden ist, 694
Bezüge finden sich in der Beschreibung der priesterlichen Kleider vor allem zu Ex 28. 695 V. Aptowitzer, Parteipolitik der Hasmonäerzeit, 141. 696 S. Kapitel 5.6 Entstehungssituation von Psalm 110, S. 134ff. 697 Aufgrund der neueren archäologischen Erkenntnisse über Qumran und Infragestellungen durch J. Zangenberg - ob die Essener nun identisch mit den Bewohnern von Qumran gewesen seien und wie eng die Konvergenz zwischen Texten und Ruine anzusehen sei (vgl. J. Zangenberg, Qumran und Archäologie, 271 ff.) - , wird im Folgenden nicht von Qumran-Essenern, sondern von der ״essenischen Gemeinde" die Rede sein. 698 U.a. D. Dimant und E. Tov.
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8 Ps 110 im Kontext jiid. Schriften in hellenistisch-römischer
Zeit
ebenso in 4Q280 und 4Q286. Der zu behandelnde Text aus dem GenAp ist vermutlich einer anderen Textgruppe zuzuordnen. So wird hinsichtlich der theologischen Richtung von 4QAmram, llQMelch, 4Q280 und 4Q286 von ״essenisch" gesprochen. Gerade die hauptsächlich zu untersuchenden Schriften 4QAmram und 1 lQMelch scheinen durchaus essenisches Gedankengut widerzuspiegeln (wie auch die „großen" Schriften: Kriegsrolle, Tempelrolle, Gemeinderegel oder einige biblische Auslegungen). Aufgrund der Tatsache, dass vermutlich bei weitem nicht alle Texte der essenischen Gemeinde erhalten geblieben sind, soll die Frage gestellt werden, ob - wenn auch Ps 110 selbst nicht gefunden worden ist - sein Vokabular und seine Motivik in den Schriftrollen von Qumran von Bedeutung waren. An dieser Stelle gibt es nun verschiedene Schwerpunkte: Erstens fällt die Beschäftigung mit der Person Melchisedek ins Gewicht. So ist im Psalm-Kommentar von K. Seybold zu lesen, dass das Melchisedek-Motiv aus Ps 110,4 im Jubiläenbuch, in der Kriegsrolle, in 4QAmram sowie in llQMelch eine Nachgeschichte erfahren habe. 699 Doch wird in diesen Schriften tatsächlich auf Ps 110,4 angespielt? Ist der in den Texten von Qumran oft genannte und beschriebene Melchisedek700 derselbe Priesterkönig wie in den alttestamentlichen Quellen, oder liegt hier - vor allem in 11 QMelch - eine andere Traditionslinie vor? Diese Fragestellung gilt es zu untersuchen. Falls die Beantwortung negativ ausfällt, insofern, als der Malki Zedek von Qumran und der Melchisedek von Ps 110 keine identischen Figuren sind, ist in Qumran keine Rezeption von Ps 110 anzunehmen - weder in einer Art textueller Beeinflussung noch gar Abhängigkeit.701 Zweitens legt sich eine Untersuchung des Testamentes des Levi nahe, da im vorhergehenden Kapitel festgestellt wurde, dass das TestLev auf Ps 110 Bezug nimmt. Ist das auch in der aramäischen Version von Qumran der Fall? Am Schluss dieses Kapitels wird im Zusammenhang der Königslieder im Allgemeinen noch ein weiterer Gesichtspunkt zu untersuchen sein: 699
Vgl. K. Seybold, Die Psalmen, 438. Ich werde im Weiteren innerhalb der qumranischen Schriften statt von ״Melchisedek" von ״Malki Zedek" sprechen, da dies die Umschrift des hebräischen Namens ist und so Verwechslungen vermieden werden sollen. 701 In den Schriften von Qumran scheint außer dem Namen ״Malki Zedek" keine auffallend identische Motivik zu Ps 110 zu existieren, sodass dies als die einzig mögliche Verknüpfung analysiert wird. Obgleich in 4Q298 von den בני שחרdie Rede ist, stellt diese Formulierung vermutlich keine Anspielung auf Ps 110,3 dar. Die ״Söhne des Morgenrots" werden in Qumran mit dem Streben nach Gerechtigkeit, Wahrheit und dem Leben verbunden - diese Aussagen finden sich nicht in Ps 110. In CD XIII, 14f. sind die בני שחרvermutlich zu בני שחתzu konjizieren (vgl. auch J. Maier, Qumran-Essener, 27). 700
8.2 Ps 110 und die in Qumran gefundenen Schriften
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Wurden überhaupt Königstexte in der essenischen Gemeinde aufgenommen? Falls ja, unterlagen sie einer Uminterpretation? 8.2.1 Genesis-Apokryphon Kol. XXII7«2 ושמע מ ל ך סודם די אתיב אכרם כול שביתא... 12 וכול בזתא וסלק למודעה ואתה לשלם היא ידושלם ואבדם שרא בעמק13 שוא והוא עמק מלכא בקעת בית כ ד מ א ומלכיצדק מלכא דשלם אנפק14 מאכל ומשתה ל א ב ד ם ולכול אנשא הי עמה והוא הוא כהן לאל עליון ו ב ר ך15 ל א ב ד ם ואמר כ ר י ך אכרם לאל עליון מ ר ה שמיא וארעא וכריך אל עליון16 די סגר שנאיך ב י ד ך ויהב ל ה מעשר מן כול נכסיא די מ ל ך עילם וחברוה־17 12 Und der König von Sodom hörte, dass Abram alle Gefangenen 13 und alle Beute zurückschickte, und er ging ihm entgegen und kam nach Salem, das ist Jerusalem. Und Abram schlug ein Lager auf im Tal 14 Schaveh, und das ist das Tal des Königs der Ebene von Bet-(ha)Kerem. Und Malki Zedek, der König von Salem, brachte 15 (etwas) zu essen und zu trinken heraus für Abram und für jeden Mann, der mit ihm war. Und dieser war Priester des höchsten Gottes und er segnete 16 Abram und sprach: Gesegnet sei Abram dem höchsten Gott, dem Herrn des Himmels und der Erde, und gesegnet sei der höchste Gott, 17 der eingeschlossen hat deine Feinde in deiner Hand. Und er gab ihm den Zehnten von allem, was er angesammelt hatte vom König von Elam und von dessen Gefährten.
Literaturgeschichtliche Einordnung: Die genauere Bestimmung der literarischen Gattung des GenesisApokryphons ist umstritten. Es enthält Elemente, die dem Targum und dem Midrasch703 ähnlich sind - nach M.R. Lehmann repräsentiert es vermutlich ״the oldest prototype of both available to us." 704 Das Genesis-Apokryphon gleicht einer Nacherzählung - durchaus mit Ausschmückungen - , die allerdings keine typischen Methoden des Midrasch anwendet und mit dem thematisch orientierten Midrasch zu Genesis wahrscheinlich gar nichts zu tun hat. 705 Obwohl es dem Targum und Midrasch ähnliche Passagen beinhaltet, stellt das GenAp ein Werk dar, das J.A. Fitzmyer beschreibt als ״free reworking of Genesis stories, a re-telling of the tales of patriarchs (Lamech, Noah, Abram)." 706 Es weise zudem Beziehungen zur sogenannten zwischentestamentlichen Literatur auf, zum Beispiel zum 1. Henoch und dem Jubiläenbuch. Höchstwahrscheinlich stamme es aus vor-essenischer
702
Aramäischer Text aus: J.A. Fitzmyer, The Genesis Apocryphon, 108. Eine Erläuterung des Begriffes „Midrasch" findet sich innerhalb der Formanalyse zu llQMelch. 704 M.R. Lehmann, 1 Q Genesis Apocryphon, 251. 705 Vgl. H. Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, 172. 706 J.A. Fitzmyer, The Genesis Apocryphon, 20. 703
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8 Ps 110 im Kontext jiid. Schriften in hellenistisch-römischer
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Zeit und wurde von der essenischen Gemeinde verwendet.707 Wie C.A. Evans gelangt auch J.A. Fitzmyer zu dem Schluss, dass es sich bei dem Genesis-Apokryphon um die literarische Gattung ״rewritten bible" handelt, ״a broad category that includes targum, midrash, and rewritten biblical narratives."708 Analyse: GenAp XXII, 12-16 ist eine Erzählung, wie sie ähnlich in Gen 14 begegnet. Hier wie dort wird das Zusammentreffen von Abram mit Melchisedelc beschrieben. Im GenAp wird die Gegend des Treffens näher beschrieben, vor allem wird Salem mit Jerusalem identifiziert. In Gen 14 bringt Melchisedek Abram Brot und Wein heraus, im GenAp ist es ״etwas zu essen und zu trinken". In beiden Texten ist Melchisedek sowohl König von Salem als auch Priester des Höchsten Gottes und spricht einen Segensspruch über Abram und einen über den Höchsten Gott. In Gen 14 gibt ihm Abram dafür den Zehnten von allem, im GenAp wird dieses ״alles" näher beschrieben als ״alles, was er von dem König von Elam und dessen Gefährten angesammelt hatte". 709 Folgerung: GenAp XXII, 12-16 ist dem Text aus Gen 14 sehr ähnlich. Die wenigen Abweichungen beziehungsweise Ergänzungen zu Gen 14 weisen keinen Einfluss seitens Ps 110 auf. Es sind lediglich Näherbestimmungen bis auf die Tatsache, dass aus ״Brot und Wein" die Oberbegriffe ״zu essen und zu trinken" werden. Zudem ist keine spezifische essenische Theologie erkennbar, auch nicht in methodischer Hinsicht. Es scheint schlicht eine Nacherzählung zu sein, die vermutlich vor-essenisch ist. 8.2.2 4QAmram 4Q544, Frag. I 7 1 0 [חזית... 9 ( דילגה...)( והא תריך דאנין עלי ואמרין...) בחזוי הזוה הי חלמא10 תגר ר ב ושאלת אנון אנתון מן די כדן מש)לטין עלי ואמד־ן לי, ואחדץ ע ל11 (אבחנה )כן ש(ליטין ושליטין על כול בני אדם ואמרו לי במן מננא אנת)ה בעה12 (לאשתלטה והא נטלת עיני וחזית ) ד י \ והר( מנהון הזוה חשל) כ פ ( ת ן ) ו כ ו ל ( ל ) ב ( ושה צבענין והשיך חשוך13 (...)אנפוהי וה העכן ומכסה בלבוש-( בחזוה ואנפ...) ( ל...) ואחרנא חזית (והא14 ( ל...) ל ח ד ה ומעל עינוהי15 ,
707 Vgl. J.A. Fitzmyer, The Genesis Apocryphon, 20.24. 708 C.A. Evans, The Genesis Apocryphon and the rewritten Bible, 154. Vgl. auch J.A. Fitzmyer, The Genesis Apocryphon, 20. 709 Einen ausführlichen Vergleich zwischen der Gen 14; 15; 17 und dem GenAp bietet B. Ziemer, Abram - Abraham. 710 Aramäischer Text aus: E. Puech, Qumran Grotte 4.
8.2 Ps 110 und die in Qumran gefundenen Schriften
239
Frag. 2 )מ( שלט עליך עירא( דן מן הוא ואמר לי הדן מ)תקרא ( ואמרת מראי מא של)טן...) (ומלכי רשע חש( יכה וכל ע ב ד ה ח)ש( ין־ ובהסיבה הוא ד ) ב ר )אנ(תה חזה והוא משלט על כול חשוכה ואנה ה י ר א וכו)ל: מן מ(צליא ע ד ארעיא אנה שליט על כ ו ל
11 12 13 14 15 16
Frag. 3 711 ... על כול בני נהו(רא אשלטת ושאלתה )ו(אמר־ ל ה מה א)נון שמהתך...) 1 (... ומלכי צדק... מיכאל... וא(מר לי תלתה שמה)ן2 9 [und ich sah] 10 in meinem Traumgesicht — das Gesicht, ein Traum — [...] und siehe, da waren zwei, die einen Rechtsstreit über mich führten und sie sprachen [...] sein Eigentum 11 Und sie hielten über mich eine große Gerichtsversammlung ab. Und ich fragte sie: ״Wer seid ihr, die ihr so Macht habt über mich? " und sie sagten mir: ״Wir 12 sind so mächtig und haben Macht über alle Menschen. " Und sie sagten zu mir: ״Durch welchen von uns willst du beherrscht werden?" Ich hob meine Augen auf und sah, 13 dass einer von ihnen ein Angesicht hatte wie eine gehäutete Schlange, und alles, was er trug, war bunt, und sehr finster war sein Gesicht. 14 Und den anderen sah ich an und siehe, [...] durch sein Aussehen, und sein Gesicht war lachend, und verhüllt war er in seinem Gewand 15 sehr [...] über seinen Augen 11 ״Ich habe Macht über dich. " 12 Wer ist dieser [Engel]? Und er sagte zu mir: ״Dieser wird gerufen [...] 13 Und Malki Rescha [...]". Und ich sprach: ״Mein Herr, was ist das für eine Herrschaft? " 14 Es ist finster, und sein ganzes Tun ist finster. Und in der Finsternis ist er das, 15 was du gesehen hast. Er hat Macht über die ganze Finsternis und ich 16 von den Geretteten bis zu den Irdischen, und ich habe Macht über das ganze Licht und alles [...] 1 Über alle Söhne des Lichts wurde ich ermächtigt." Und ich fragte ihn und sagte zu ihm: ״Was sind deine Namen? Und er sagte zu mir: ״Drei Namen habe ich: Michael und Malki Zedek... "
Literaturgeschichtliche Einordnung: Aufgrund formaler Ähnlichkeiten zu den TestXIIPatr. ist anzunehmen, dass es sich auch bei den Visionen des Amram um die Gattung Testament handelt. 712 Diese Gattung besitzt einen weisheitlichen GrundCharakter und ist verwandt mit der weisheitlichen Lehr- und Mahnrede. Von ihr ist sie hauptsächlich durch die spezielle Situation, die An711
Aramäischer Text aus: K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer,
212. 712
So E. v. Nordheim, Die Lehre der Alten. 1, 117.
240
8 Ps 110 im Kontext jiid. Schriften in hellenistisch-römischer
Zeit
Siedlung in der Sterbestunde, die der Gattung eine besondere Autorität verleihen soll, unterschieden.713 Analyse: In seiner Vision sieht Amram zwei machtvolle Gestalten mit gottähnlichen Eigenschaften: Beide sind imstande, über alle Menschen zu herrschen. Eine dieser Gestalten ist Malki Rescha, der als dunkel und König der Frevler beschrieben wird. Der andere hingegen erscheint hell und als Herrscher über das ganze Licht. Wenn man K. Beyers Übersetzung und Ergänzung714 von Fragment 3 folgt, dann hat letztere Gestalt drei Namen: Michael und Malki Zedek werden als ein und dieselbe Person bezeichnet; der dritte Name ist nicht erhalten. Malki Zedek und Michael, wohl der Erzengel, sind die Namen des Herrschers über das Licht und über die Söhne des Lichts. Die helle Gestalt - Malki Zedek - weist keinerlei Eigenschaften des biblischen Bildes von Melchisedek auf. Beide ״Personen" - der biblische Melchisedek wie der Herrscher über das Licht aus 4QAmram sind zwar „Herrscher", doch ist die Art des Herrschens verschieden. In Gen 14 ist Melchisedek König und Priester. Als König herrscht er wohl unter den Menschen in Salem - seinem Volk. In 4QAmram ist Malki Zedek ein Geistwesen, das die Herrschaft über die Menschen des Lichts innehat. Er regiert - eigenmächtig wie es scheint - vom Himmel her. Das macht auch die Identifikation Malki Zedeks mit dem Erzengel Michael deutlich:715 Diese Herrschaft ist nicht irdisch, im Gegensatz zu einer Königsherrschaft. In Ps 110 wird der Angesprochene zwar an die Seite Gottes gerückt, doch ist auch in dem Psalm von einer irdischen Königsherrschaft die Rede, nicht von einem Regieren über die Menschen vom Himmel aus. Zudem wird in 4QAmram nicht von priesterlichen Aufgaben gesprochen, die im „Alten Testament" unweigerlich zu Melchisedek dazugehören. Folgerung: Es bleibt festzuhalten, dass der hier beschriebene Malki Zedek keine Eigenschaften mit dem biblischen Melchisedek gemein hat, sodass an dieser Stelle kein Einfluss seitens Ps 110 besteht. 8.2.3 1 lQMelch 716 Der Text ist tabellarisch wiedergegeben, um die Bibelzitate und die biblischen Referenztexte zu verdeutlichen. Der Text ohne Markierung 713
Vgl. E. v. Nordheim, Die Lehre der Alten. 1, 239. K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, 212. 715 Dazu sei auf den Exkurs „Michael und Malki Zedek" von S. 259f. verwiesen. 716 Aramäischer Text aus: F. Garcia Martinez, E.J.C. Tigchelaar u. A.S. van der Woude, Qumran Cave 11. 714
241
8.2 Ps 110 und die in Qumran ge-fundenen Schriften
beinhaltet Zitate der hebräischen Bibel, der umrahmte Text stellt die jeweilige Auslegung (Pescher) dazu dar. Konsonantentext d. BHS
Text des llQMelch
Stellen
) (...מ על)(... בשנת היובל הזאת תשבו איש אל־אחזתו
(...) Levל ואשר אמר 25,בשנת היובל )הזואת תשובו איש אל 13אחוזתו ועליו אמר וז(ה
וזה ד ב ר השמטה שמוט כל־בעל משה ידו אשר ישה ברעהו לא יגש את־רעהו ואת אהיו כ־־קרא שמטה ליהוה
) Dtnדבר השמטה( שמוט 15,2כול בעל משה יד אשר ישה) ברעהו לוא ינוש את רעהו ואת אחיו כיא קרא (שמטה
לקרא לשברם דרור
Jesלא)ל |פשרו (לאחרית הימים על| ] 61,1השבויים אשר ) (...ואשרו |מוריחמה החבאו וסתר)ו( ומנחלת! )מלכי צדק כי)א (...והמה נחל)ת| !מלכי צ( דק אשח
לקרא לשברם דדור
! Jesישיבמה אליהמה וקרא לחמה[ [דרור! 6 1 , 1לעזוב להמה )משא (כול[ ]עוונותיהמה[ וו)כן יהי(ה ה ד ב ר הזה! |בשבוע היובל הראישון^חר| |תש)עה| ןה(יובלים וי)ום הכפתורים ה)וא(ה| !ס)וף (ה)יו(בל העשירי! ]לכפר בו ע ל כול בני)אור ו(אנש)י| | ג ו ר ל מל^כי (צדק||(...ם| |עלי)המ(ה חת ) (...ל)5י( כ)ול| ^ש(ותמה כיא|
לקרא שנת־רצון ליהוה כי אני יהוה אהב משפט עד בליעל יליץ משפט ופי רשעים יבלע־און
Jes
יא־
״ •״.·.
•נ
״ נ י
;1 61,2ולצב)איו ע(ם קדושי א ל לממשלת! Jesומשפט! כאשר כתוב ;61,8
Prov 19, 28
אלהים נצב בעדת־אל בקרב אלהים ישפט
Psעליו בשירי דויד אשר אמר אלוהים ;) 82,1נ(צב בע)דת אל (בקורב אלוהים Ps 7,8ישפוט ועליו אמ)ר ו(עלי)ה(
ועליה למרום שובה יהוה ידין עמים עד־מתי תשפטו־עול ופני רשעים תשאו־סלה
Ps 7,8למרום שובה אל ידין עמים ואשר 9; Psא)מר עד מתי ת( שפוטו עוול ופני 82,2רשע)י( ם תש)או ס( לה
8 Ps 110 im Kontext jiid. Schriften in hellenistisch-römischer Zeit הנה על־ההרים רגלי מבשר משמיע שלום חגי יהורה חגיך שלמי נדריך כי לא יוסיף עור לעבור-בך בליעל כ ל ה נכרת
! Nahפשרו על בלייעל ועל רוחי גורילה | 2,1אש)ר (...ים בסורמה מחוקי אל |ל)הרשיע(!
Jes
רוח כהה ויום נקם לאלהינו רוח כהה
)?( 61,3
^
Jesומלבי צדק יקום נקם משפטי א)ל| 61,2.3וביום ההוא ה יצי(ל)מה מיד ( ב ל י ע ל ומיד בול ר)וחי גורלו([
וקרא להם אילי הצדק
! Jesובעזרו כול אלי ) ה צ ד ק וה(ואה| | 61,3א)שר ··(.כול בני אליוהפ)••!(.
מדדנאוו על־ההרים רגלי מבשר משמיע שלום מבשר טוב משמיע ישועה אמר לציון מ ל ך אלהיך
] Jesהזואת הואה יום ה)שלום[ א( שר 52,7אמר) ...ביד ישע( יה הנביא אשר אמר ) מה (נאוו
מה־נאוו על־ההרים רגלי מבשר משמיע שלום מבשר טוב משמיע ישועה אמר לציון מ ל ך אלהיך
Jesעל הרים רגל)י( מבש)ר מ(שמיע 52,7שלום מב)שר טוב משמיע ישוע(ה )א(ומר ל צ י ו ן ) מ ל ך (אלוהיך !פשרו ההרים) המה( הנביאי)• ](המה א) (...מ) (...לכול )(...
ער־משיה נגיר שבעים שבעה מבשר טוב משמיע ישועה
[ Danוהמבשר הו)אה (משיה הרו)ח(| ; 9,25כאשר אמר דנ)יאל עליו ער משיח Jesנגיד שבועים שבעה ומבשר( 52,7
מבשר טוב משמיע ישועה
Jesטוב משמי)ע ישועה (הואה הכתוב 52,7עליו אשר )(...
לנחם כל־אבלים
Jesלנח)ם( ה)אבלים פשרו 61,2 ז(שכילמה בכול קצי הע)ולם| ]באמת למ) (,..מה א)(... |)(...ר הוסרה מבליעל ותשיס (...)1נק)•••(
אמר לציון מלך אלהיך
(...) Jesבמשפט)י( אל{ כאשר כתוב 52,7עליו) אומר לצי(ון מ ל ך אלוהיך )צי(ון ה)יאה(1 | ע ד ת כול! ב ד הצהק המה ( מקימ)י( ]הברית הסרים מלכת) )1בד(רך העם| 1ואל)ו(היך הואה!
242
8.2 Ps 110 und die in Qumran ge-fundenen Schriften 25
מלכי צרק אשר יצי(ל)מה!!מי(ד...) Lev ]בליעל ואשר אמר והעברתמה שו)פר25,9 ב ( כ ו ל )א(רץ Jer 6,1620
243 והעברת שופר תרועה ב ח ד ש השבעי בעשור ל ח ד ש ביום הכפרים תעבירו שופר בכל־ארצכם כ ה אמר יהוה עמדו על־דרכים וראו ושאלו לנתבות עולם אי־זה ד ר ך הטוב ולכו־בה ומצאו מרגוע :לנפשכם ויאמרו לא נלך והקמתי עליכם צפים הקשיבו לקול שופר ויאמרו לא
נקשיב: לכן שמעו הגוים ורעי ע ד ה :את־אשר־בם שמעו הארץ הנה אנכי מביא רעה אל־העם הזה פרי מהשבותם כי ע ל ־ ד ב ר י לא :הקשיבו ותורתי וימאסו־בה למה־זה לי לבונה משבא תבוא וקנה הטוב מארץ מרחק עלותיכם לא לרצון וזבחים לא־ערבו לי: 2 Darüber sprach er: ״In diesem Jubeljahr wird ein jeder zu seinem Erbteil zurückkehren "; und über dieses sprach er: 3 ״Und das ist die Art der Rückgabe: Jeder Eigentümer, der etwas seinem Nächsten verliehen hat, der soll es vergessen und nicht dreist werden gegen seinen Nächsten und gegen seinen Bruder, denn man hat die Rückgabe ausgerufen 4 für Gott. " Die Auslegung ist folgende: Das gilt in Bezug auf die letzten Tage über die Gefangenen, die [...]. 5 Ihre Lehrer verstecken sich und sind im Geheimen tätig und von dem Erbe Malki Zedeks: denn [...] sie sind das Erbe Malki Zedeks, der 6 sie zu den Ihren umkehren lässt und ihnen Erlösung zuruft, um sie loszulassen, trägt er für sie alle ihre Sünden. Und diese Sache wird geschehen 7 in der ersten Woche des Jubeljahres, nach neun Jubeljahren, und der Versöhnungstag ist das Ende des zehnten Jubeljahres, dass alle Söhne des Lichts 8 an diesem Tag sühnen und alle Männer des Loses Malki Zedeks [...] gemäß ihrer Taten; denn 9 das ist das Ende des Gnadenjahres des Malki Zedek und seines Heeres und mit der Heiligkeit Gottes, seiner Regierung durch Rechtssatzungen. Wie darüber geschrieben steht 10 in den Liedern Davids: ״Gott steht im Gottesrat und richtet unter den Göttern. " Und darüber wird gesagt: 11 ״Über sie throne in der Höhe! Gott wird die Völker richten. " Und es wird gesagt: ״Bis wann werdet ihr mit Unrecht richten und die Angesichter der Frevler ertragen? "
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8 Ps 110 im Kontext jiid. Schriften in hellenistisch-römischer
Zeit
12 Das ist die Auslegung: In Bezug auf Belial und seine Schicksalsgeister, die [...] abweichen werden vom Gesetz Gottes, um zu freveln. 13 Und Malki Zedek wird aufstehen und Rache üben anhand der RechtsSatzungen Gottes. Und an diesem Tag wird er sie retten aus der Hand BeHals und aus der Hand aller seiner Schicksalsgeister. 14 Und mit seiner Hilfe werden alle Götter der Gerechtigkeit und dieser [...] alle Gottessöhne [...]. 15 Dies wird der Tag des Friedens sein, über den der Prophet Jesaja gesagt hat: ״Wie schön 16 sind auf den Bergen die Füße des Boten, der den Frieden verkündet, des Boten, der Gutes verkündet und Heil. Er spricht zu Zion: König ist dein Gott!" 17 Und dies ist die Auslegung: Die Berge sind die Propheten f...] 18 und der Bote ist der Geist-Gesalbte, über den Daniel spricht: ״Bis ein Gesalbter, ein Fürst, kommt, sind es sieben Wochen. " Und über den Boten, 19 der Gutes und Heil verkündet, steht geschrieben: 20 ״um die Trauernden zu trösten. " Dies ist die Auslegung: Um sie zu verstehen in allen Enden der Welt 21 in Wahrheit [...] 22 weicht ab von Belial und kehrt zurück [...]. 23 In den Rechtssatzungen Gottes, über die man sagt: Er spricht zu Zion: König ist dein Gott. Zion ist 24 der Rat aller Söhne der Gerechtigkeit. Sie richten den Bund auf und weichen ab vom Weg des Volkes. Und dein Gott ist 25 [...] Malki Zedek, der sie rette aus der Hand Belials, über den man sagt: ״Ihr sollt die Posaune blasen lassen auf der ganzen Erde. "
Literaturgeschichtliche Einordnung: C. Berner hält in Bezug auf die Entstehungszeit dieses Dokuments fest: ״Die Charakteristika der Schrift legen eine Datierung des Manuskripts um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. nahe; aus formalen und inhaltliehen Gründen ist davon auszugehen, daß das Werk bereits im ausgehenden 2. Jh. v.Chr. im Kreis der Qumrangruppierung entstand."717 Im Blick auf die Form dieses Schriftstücks ist in der Qumran-Forschung umstritten, ob es sich eher allgemein um einen Midrasch (so A.S. van der Woude 718 ) oder um einen Pescher (so J. Carmignac719) handelt. Was ist ein Midrasch, was ein Pescher? ״Midrasch" ist ein Oberbegriff, bei dem es sich - allgemein gesprochen - um Auslegung der Bibel handelt. Der Terminus ״Midrasch" leitet sich von der Wurzel ״ ד ר שsuchen, fragen, auch: erforschen" ab und besagt an sich nicht eine bestimmte Methode, sondern ״a type of literature, oral or written, which has its starting point in a fixed, canonical text, considered the revealed word of God by the midrashist and his audience, and in which this original verse is explicitly cited or clearly alluded to." 7 2 0 Der Midrasch intendiert zwei verschiedene Zielrichtungen der 7,7 718 719
™
C. Berner, Jahre, Jahrwochen und Jubiläen, 430. A.S. van der Woude, Melchisedek als himmlische Erlösergestalt, 354-373. J. Carmignac, Le document de Qumran sur Melkisédeq, 343-378. G. Porton, Midrash, 112.
8.2 Ps 110 und die in Qumran ge-fundenen Schriften
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Auslegung, verschiedene Methoden und verschiedene Untergattungen. Die eine Zielrichtung ist halakhisch, das heißt religionsgesetzlich bindend, die zweite haggadisch, d.h. religiös erbaulich. 72 ' Der Midrasch weist im Allgemeinen auch zwei verschiedene Methoden der Textauslegung auf. Zum einen gibt es die Auslegung ( פרשניparschani), wobei eine biblische Passage Vers für Vers kommentiert wird. Die Zielrichtung dieser Methode ist meist halakhisch. Zum anderen gibt es die Vorgehensweise ( דרשניdarschani), wobei ein Thema analysiert wird. Diese Methode findet sich beispielsweise meist in Homilien. Die Homilie ist eine Gattung des Midrasch, ebenso wie das Gleichnis oder auch die Petichta/Peticha. Die Petichta ist das Proömium einer Predigt oder auch eine eigene Kurzpredigt, auf jeden Fall eine Auslegung in der Öffentlichkeit. Sie beginnt mit einem Zitat, das meistens aus den Ketubim aber auch aus den hinteren Propheten stammt (פסוק )רחוק, und schließt mit einem Tora-Vers ()פסוק קרוב. Der Tora-Vers ist die jeweilige Pentateuchlesung des Synagogengottesdienstes, somit das Thema der Predigt. 722 Durchaus üblich innerhalb der Petichta sind kleinere oder größere AbSchweifungen vom Thema, die wichtige Seitenarme der Predigt bilden. Die Bezeichnung ״Midrasch" wird im Grunde erst seit der Zeit der Tannaiten verwendet, also nach der Zeit der essenischen Gemeinde, da sich die Texte zwar in der Methodik ähneln, aber doch Unterschiede im Anspruch haben. In den QumranSchriften wird nicht nur den Schriftworten Offenbarung und Wahrheit beigemessen, sondern auch der Auslegung. Diese Tatsache unterscheidet die klassischen Midraschim von den meisten vorrabbinischen Schriften, die oft (zu Unrecht) als Midrasch bezeichnet werden. Aufgrund der ähnlichen Methodik aber des unterschiedlichen Anspruches wird im Folgenden die Unterscheidung ״vorrabbinischer Midrasch" für die Schriften aus essenischer Zeit und ״rabbinischer Midrasch" für tannaitische und spätere Schriften verwendet. Der Pescher ist eine Untergattung des vorrabbinischen Midrasch 723 und ist ein Bibelkommentar, der - abgesehen von einigen Psalmen - nahezu ausschließlich prophetische Texte bespricht. Innerhalb des Peschers wird die Methode פרשני (parschani) angewandt. Die Pescharim ״zitieren jeweils ein Stück des fortlaufenden Bibeltextes, von dem sie mit dem Stichwort ,seine Auslegung' (pischro) oder ähnlich zum Kommentar überleiten. Von daher hat man diesen Texten den Namen Pescher gegeben, um damit die besondere Art der Bibelauslegung in Qumran zu bezeichnen." 724 J. Frankel charakterisiert die Pescharim als kontinuierliche Kommentare zu einem Buch der Bibel, wobei der Ausleger weitere ״Geheimnisse" des Bibeltextes offenbaren will. 725 Nach J. Carmignac gibt es innerhalb des Peschers die zwei verschiedenen Arbeitsformen ״fortlaufend" und ״thematisch". 726 Wie aber oben bereits erörtert, treffen die Methoden - systematisch oder thematisch auf den Midrasch im Allgemeinen zu, nicht nur auf die Pescharim. Der Pescher von Qumran hat mit dem rabbinischen Midrasch die klare Scheidung des Textes in zwei Ebenen, hier Bibel - dort Auslegung, gemeinsam. Was ihn aber vom rabbinischen Midrasch unterscheidet, ist der in Qumran vertretene Anspruch, dass auch
721 722 723 724 725
726
Näheres dazu bei G. Stemberger, Midrasch, 24. Vgl. G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, 242f. Vgl. G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, 234. G. Stemberger, Midrasch, 18. : 476 , ד ר כ י האגרה והמדרש, פרנקל.י ״ה״פשרים״ הם ה ד ר ש ה ה ר צ ו פ ה של ס פ ר מן המקרא אשר ב ה מגלה הפושר את , תוכנם של סודות א ל ה קשור ל ד ב ר י ימי העולם.הסודות הטמונים בכתובים הסתומים ״.ובעיקר ל ד ב ר י ימיה של הערה J. Carmignac, Le document de Qumran sur Melkisedeq, 360ff.
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der Kommentar auf Offenbarung beruhe. 727 Frankel kann die Qumran-Schriften somit als Vorstufe zu den rabbinischen Schriften bezeichnen, die bereits Zeichen der rabbinischen Auslegung tragen. 728
Nach dieser Begriffserläuterung stellt sich nun die Frage: Um welche Form der Auslegung handelt es sich bei 11 QMelch? Untersuchung von llQMelch nach Elementen eines Midrasch und/oder eines Peschers: Trotz der Vokabel פשרוlässt sich 11 QMelch nicht in die Reihe der typischen Pescharim einreihen, da hier nicht eine biblische Passage Vers für Vers ausgelegt, sondern ein Thema unter Hinzunahme unterschiedlicher und nicht fortlaufender Bibelstellen analysiert wird. Es bietet sich nicht an, hier von einem thematischen Pescher zu sprechen, da die von Carmignac vorgeschlagenen verschiedenen Vorgehensweisen des Peschers (systematisch und thematisch) auf den Midrasch im Allgemeinen zutreffen und keine Charakterisierung eines Peschers im Besonderen darstellen. Hier soll die These aufgestellt werden, dass es sich bei llQMelch um einen vorrabbinischen Midrasch handelt, welcher der rabbinischen Petichta im Aufbau ähnlich ist, nicht jedoch im Anspruch auf Offenbarang. Die Deutungen des Bibeltextes erscheinen in llQMelch durchaus religiös bindend zu sein. Das Thema ( )פסוק קרובist der Schlussvers, der aus der Tora entnommen ist, der Ausgangsvers ( )פסוק רחוקist durch den korrupten Textbeginn nicht sicher rekonstruierbar, aber es ist durchaus möglich, Jes 61,1 als solchen zu vermuten. Die Vorgehensweise ist dementsprechend דרשני, da auf ein bestimmtes Thema hin ausgelegt wird. Zudem entwickelt der Text Seitenarme in der Auslegung, die vor allem Malki Zedek und Belial näher charakterisieren. Während die ״klassische" rabbinische Petichta allerdings in ihrem Aufbau auch auf Zitate der frühen rabbinischen Gelehrten zurückgreifen und in den Argumentationsgang einflechten kann, ist das bei 11 QMelch nicht der Fall. Der Disput, ob es sich um einen Midrasch oder einen Pescher handelt, ist hier nicht angemessen. Es ist zwar nicht falsch, llQMelch als ״thematischen Midrasch" zu bezeichnen,729, aber es muss ergänzt werden, dass es sich a) um einen vorrabbinischen Midrasch handelt und b) die genaue Gattung beziehungsweise die angewandte Methodik mit der Bezeichnung ״Midrasch" noch nicht hinreichend geklärt ist. Midrasch ist der Oberbegriff, die Gattung ähnelt der rabbinischen ״Petichta".
727 728
Vgl. G. Stemberger, Midrasch, 19.
.475f.. ד ר כ י האגרה והמדרש, פרנקל.י So z.B. A. Steudel, Midrasch zur Eschatologie, 182. Auch A. Steudel verwendet mit Vorsicht den Ausdruck ״thematischer Midrasch". 729
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Die Auslegungsmethode von llQMelch: J. Heinemann charakterisiert die Auslegungsmethode der Petichta wie folgt: Das besondere Kennzeichen der Petichta besteht nicht allein in der Form, sondern auch in dem Talent des Auslegers zu reimen. Er ״reimt" von Gedanke zu Gedanke, bis er schließlich zu dem gewünschten Thema der Predigt gelangt, das am Schluss steht. Dieses ״Reimen" oder auch Aufreihen verschiedener (Bibel-)Stellen hintereinander geschieht durch verbindende Wortspiele, Benutzung ähnlich klingender Töne, Assoziationen von Wörtern oder Gedanken.730 Im Zuge dieser Aufreihung werden dann die Aussagen der verschiedenen Bibelstellen vereinheitlicht. Einer der Gründe, warum der Ausgangsvers ( )פסוק רחוקaus den Ketubim oder den hinteren Propheten entnommen wird, ist, dass die Verse gerade aus der Weisheitsliteratur einen kurzen und prägnanten Gedanken innerhalb eines Verses formulieren können.731 G. Brooke 732 vertritt die Ansicht, dass in diesem Text die Methode der gezera schawa angewandt wird. Die gezera schawa stellt eine Überleitung zwischen zwei Textstellen her, indem sie die Bedeutung zweier gleicher Ausdrücke - die in beiden Texten vorkommen - vereinheitlicht. Die Besonderheiten des eigenen Textzusammenhangs werden bewusst ignoriert.733 So werden also zwei oder mehr Textstellen miteinander verknüpft, die mindestens eine identische Vokabel beziehungsweise auch nur Wurzel oder Bedeutung aufweisen. Die Inhalte dieser Textstellen werden dann aufeinander bezogen, obwohl die Texte ursprünglich in ihrem Kontext eine völlig unterschiedliche Bedeutung, Gattung und ״Sitz im Leben" hatten. So entsteht eine andersartige Textinterpretation. Ob nun in llQMelch die Auslegungsmethode der gezera schawa angewandt oder lediglich die Charakteristika der Petichta zu erkennen sind, ist nicht klar zu klären, da gerade die gezera schawa sehr der von Heinemann dargestellten Charakterisierung einer Petichta ähnelt. Die Auslegung von 1 lQMelch verläuft in jedem Fall in drei Schritten: 1) wird eine Bibelstelle angeführt. 2) wird durch Assoziation, Wort730
:13 , דרשות בציבור בתקופת התלמוד. היינמן.י ״ייחודה של הפתיחתא אינו ב צ ר הצורני ב ל ב ד אלא גם בכשרונו של הדרשן ״לחרוז״ ניצול צלילים, תוך שימוש במשחקי מלים,מעניין לעניין ע ד שהוא מגיע אל הנושא המבוקש ״.דומים ואסוציאציות של מלים או של רעיונות וכיוצא באלו 7 3 1 Vgl . :14 . דרשות בציבור בתקופת התלמוד. היינמן. , כגון משלי. ובייחוד מספרי ההכמה,״אחת הסיבות ל ה ע ד פ ת פסוקי פתיחה מן הכתובים שפסוקים אלו מביעים ל ר ו ב רעיון, היא,( תהילים )או גם מן הנביאים האחרונים,איוב ״... ב ע ל משמעות כ ל ל י ת בניסוח ק צ ר וקולע 732 G. Brooke, Exegesis at Qumran, 319ff. 733 Yg! j Bergman, Gezera schawa mahi?, 139: : ״יש ע ל כן ל ה ג ד י ר גזירה שווה כ ך ותוך ה ת ע ל מ ו ת מכוונת, מתוך רצון ל ה א ח ד ת ההוראה.ה ח ל ת דין בעניין א ח ד ע ל עניין אחר ״.מן השוני והייתור י שבשני העניינים
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spiel oder identische Vokabeln eine Verknüpfung zu mindestens einer weiteren Bibelstelle hergestellt. 3) werden ihre Bedeutungen vereinheitlicht. Die jeweilige Auslegung der Bibelstellen - eingeleitet durch die Vokabel פשרו- führt keine eigenen Theologumena ein, sondern beschränkt sich auf Zusammenführung der biblischen Stellen, um so zu neuer Interpretation zu gelangen. In llQMelch haben allerdings noch mehr Bibelstellen auf die Auslegung Einfluss als die, die wörtlich zitiert sind. Dazu wird die These aufgestellt und im Folgenden gezeigt, dass sowohl der Kontext des wörtlichen Zitats eine wichtige Rolle in der Zusammenführung der Bibelstellen spielt als auch vier Stellen der hebräischen Bibel, an denen das Adjektiv בליעלverwendet wird. 734 Für die essenische Theologie war ״Belial" der böse Gegenpart schlechthin. So liegt es nahe, dass erstens hinter dem alttestamentlich gebrauchten Adjektiv בליעלbei den Essenern eine personifizierte Größe gedacht wurde und zweitens, dass die Mitglieder der essenischen Gemeinde diese für ihre Theologie relevanten Bibelstellen auswendig kannten, sodass sie nicht eigens zitiert werden mussten. Im Folgenden werden in der Analyse von 1 lQMelch die für die jeweilige Auslegung wesentlichen Bibelstellen angeführt und die verknüpfenden Ausdrücke umrahmt. Die alttestamentlichen Belial-Stellen, auf die Bezug genommen wird, werden als ״Interpretamente" bezeichnet. Unterstrichen sind diejenigen Elemente, die für den jeweiligen nachfolgenden Pescher von Bedeutung sind. Analyse: Wie oben bereits festgestellt, steht das Thema dieses Dokuments am Schluss. Obwohl zu Beginn Lev 25,13 sowie Dtn 15,2 wörtlich zitiert werden, ist das Ziel dieses Textes, auf Lev 25,9 hinzuführen und diesen Vers auszulegen. Es ist aber zu beachten, dass die beiden anfangs zitierten Tora-Stellen nicht ursprünglich dieses Schriftstück eingeleitet hatten, wie am leider unleserlichen aber erhaltenen oberen Teil des Dokuments sichtbar ist. Überlegenswert ist die Annahme, dass, da auf Jes 61,1 häufig vor allem im Anfangsteil zurückgegriffen wird, dieser Text auch wörtlich zu Beginn des Dokuments zitiert worden ist. Falls 11 QMelch einer der Petichta ähnlichen Gattung zuzuordnen ist, würde sich Jes 61,1 als Einleitung empfehlen, da in diesem Vers kurz und prägnant - wie dies von einem פסוק רחוקgefordert - eine Hoffnungsbotschaft ausgesprochen wird. Das Thema dieser Kurzpredigt lautet:
734
Prov 6,12f.; 19,28; Nah 2,1. Bei Jer 6,16-19 handelt es sich nicht wortwörtlich um Belial, doch werden dort die für ihn „typischen" Charaktereigenschaften genannt.
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Thema:
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Lev 25,9*: ״Da sollst du das Schofar blasen lassen durch euer ganzes Land am zehnten Tage des siebenten Monats, am Versöhnungstag."
Die Frage, nach der sich die ganze Auslegung richtet, ist somit, was am Versöhnungstag geschehen wird. llQMelch lässt sich in vier Abschnitte einteilen, die jeweils mit ein bis drei Zitaten aus der hebräischen Bibel beginnen und mit einer Auslegung enden. Die Übergänge von einer Auslegung zum nächsten Bibelzitat sind allerdings fließend, das heißt, das Ende einer Auslegung kann wiederum schon auf das nächste Bibelzitat Bezug nehmen. Abschnitt eins: Die für die Auslegung relevanten Bibelstellen sind folgende: Jes 61,1 (vermutlich zitiert): רוח אדני יחוח עלי יען משח יחוח אתי לבשר ענוים שלחני לחבש לנשברי־לב לקרא שנת־רצון ליחוח ויום נקם.לקרא! לשבוים ]דרוח ולאסורים פקח־קוח .לאלהינו לנחם כל־אבלים Vers 8: כי אני יהוה אהב משפט Lev 25,10 (Kontext des folgenden Zitates): וקרשתם את שנת החמשים שנה ]וקראתם דרור! בארץ לכל־ישביה יובל היא תהיה :[לכם ושבתם |איש אל־אחזתו| ואיש אל־משפחתו [תשבו Lev 25,13 (Zitat): הזאת |תשבו איש אל־אחזתו:בשנת היובל Dtn 15,9 (Kontext des folgenden Zitates): שנת־השבע שנת!השמטה:השמד לך פךיהיה דבר עם־לבבך בליעל לאמר קרבה : האביון ולא תתן לו וקרא עליך אל־יהוה והיה בך חטא1ו|רעה| עינך ב|אחיד Dtn 15,2 (Zitat): וזה דבר השמטה ממוט כל־בעל משה ירו אשר ישה ברעהו לא ינש את־רעהו ואת־||אחיו|| כי־קרא שמטה ליהוה Interpretament: Prov 6,12f.: .ארם בליעל איש און הולך עקשות פה .קרץ בעינו מלל ברנלו מרה באצבעתיו Die Auslegungsmethode der Petichta und auch die Berücksichtigung des Kontextes lassen sich am ersten Abschnitt herausarbeiten: Den An-
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fangsvers bildet Jes 61,1, da aus diesem fast alle Theologumena der folgenden Auslegung enthalten sind. Auf diesen Vers wird auch im gesamten Dokument Bezug genommen. Er beinhaltet - wie eine Petichta dies fordert - einen prägnanten Gedanken innerhalb eines Verses und bildet so einen schönen Predigtanfang: Der Geist des HERRN JHWH ist auf mir, weil JHWH mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, um die Elenden durch gute Botschaft zu erfreuen, um die zerbrochenen Herzen zu verbinden, um den Gefangenen die Freilassung und den Gebundenen die Öffnung des Kerkers zuzurufen. Des Weiteren werden noch zwei Bibelstellen direkt zitiert, eine aus Lev 25, die andere aus Dtn 15. Es soll im Folgenden versucht werden, Überleitungen zwischen den verschiedenen Zitaten aufzudecken und zu beweisen, dass kein Zitat losgelöst vom restlichen Text steht. Anhand der Überleitungen werden nun die Wortspiele und das Reimen des Auslegers dargestellt. Die Überleitung zwischen den ersten beiden zitierten Bibeltexten - Jes 61,1 und Lev 25,13 - bildet der Ausdruck = קרא דרורErlösung zurufen. Diese Redefigur findet sich in Lev 25,10, also im Kontext und nicht in der zitierten Textstelle, und trägt die Bedeutung von ״Freilassung" im Zusammenhang mit dem Erlassjahr. In Jes 61 dagegen ist die ״Freilassung" eine Erlösung in eschatologischer Zeit. Beide Bedeutungen werden in der Auslegung vereinheitlicht und so in die Interpretation eingeflochten. Von Lev 25,10 zu Vers 13 ist der Übergang deutlich: Im Jubeljahr geht ein jeder zu seinem Erbteil zurück. Das nächste Zitat stammt aus Dtn 15,2. Zwischen den Levitikus-Stellen und Dtn 15,2 ist der Übergang vermutlich inhaltlich so zu betrachten, dass es an beiden Stellen um ״zurückgehen" bzw. ״zurückgeben" geht, aber auch eine Jahresangabe wird genannt. Die Jahresangabe könnte insofern eine Verbindung darstellen, als das siebte Jahr in Dtn 15,9 auch das Jahr der Rückgabe genannt wird. Da das fünfzigste Jahr das Jubeljahr ist (das Jahr, das auf die Versiebenfachung des Siebentjahres folgt), könnte auch das eine Überleitung darstellen. Das wäre ein typisches rabbinisches Zahlenspiel; aber das Zitat aus dem Dtn eröffnet noch eine zweiten Bezugspunkt: Im Vordergrund steht zwar Dtn 15,2, da diese Stelle eigens zitiert ist. Es ist aber zu beachten, dass dies die gegenteilige Darstellung von Dtn 15,9 ist, wobei es sich um ״Belial" handelt. Ein Mensch mit der Bezeichnung ״Belial" gibt im Erlassjahr seinem Nächsten nichts zurück. So können die drei genannten Bibelverse hintereinander in Beziehung gesetzt werden: Jes 61,1; Lev 25,13 und Dtn 15,2. Hier sind alle in der Auslegung vorkommenden Theologumena vorhanden, welche die Auslegung nur noch vereinheitlicht und zusammenführt. Ein Gedanke, der in der Auslegung vorkommt, fehlt allerdings noch: Die Anhänger
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des Malki Zedek lehren im Geheimen, beziehungsweise leise. Diese Aussage ist nur zu verstehen, wenn zusätzlich eine weitere BelialStelle in Betracht gezogen wird. Als Interpretament dieses Abschnitts dienen somit ebenso die Verse von Prov 6,12f., welche die Lehrenden des ״Belial" beschreiben und deren Gegenteil, die Lehrenden des Malki Zedek, darstellen. ״Ein Mensch Belial (ist) ein Mann des Frevels, der wandelt mit trügerischem Mund, winkt mit seinen Augen, gibt Zeichen mit seinen Füßen und lehrt mit seinen Fingern." Das heißt, dass ein Mensch mit der Charakterisierung ״belial" lautstark lehrt, sich bemerkbar macht. Das Gegenteil dazu wäre das Lehren im Geheimen, wie es hier von den Anhängern Malki Zedeks geschrieben steht. Durch Zusammenführung der einzelnen Inhalte dieser Bibelstellen kann der Ausleger nun zu seiner Schlussfolgerung gelangen: Die Gefangenen sind das Erbe Malki Zedeks. נחלהund אחוזהsind hier fast gleichwertig zu verstehen. Malki Zedek ruft ihnen am Ende der Tage Erlösung zu, lässt sie zurückkehren (vermutlich korrespondieren auch die Begriffe ״Rückgabe" und ״zurückgehen lassen" miteinander) und trägt ihre Sünden. Das alles geschieht am Versöhnungstag. Der Versöhnungstag ist das Ende des Gnadenjahres Malki Zedeks. Malki Zedek regiert durch משפט. Dass die Anhänger Malki Zedeks im Geheimen lehren, lässt sich nur mithilfe von Prov 6,12f. erklären. So kreist dieser erste Abschnitt um das Thema ״Malki Zedeks Taten am Versöhnungstag". Methodisch sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass die zitierten Bibelstellen eine neue Interpretation erhalten. Die Tora-Stellen beschreiben im biblischen Kontext definitiv keine eschatologische Tat, sondern eine gegenwärtige; das Erlassjahr soll wirklich unter den Menschen durchgeführt werden. Es ist kein göttlicher, sondern eher ein ״sakraler" Akt - Gott zu Ehren. Hier sieht man deutlich, wie es ebenso im Verlauf des behandelten Dokuments der Fall ist, dass Bibeltexte durch das Hintereinanderschalten verschiedener Zitate auch inhaltlich miteinander verbunden werden, obwohl ihr ursprünglicher Inhalt, ״Sitz im Leben" und ihre Form unterschiedlich waren. Abschnitt zwei: Es folgen drei Psalmzitate, die nicht nur im folgenden Abschnitt, sondem auch am Ende des Dokuments ihre Aufnahmen finden. Die Frage ist, worin die Verbindung der Psalmzitate zum vorangehenden Pescher besteht. Der vorangehende Abschnitt schließt mit dem Gedanken, dass Malki Zedek mithilfe von Rechtssatzungen regiert. Der Kontext von Jes 61,1 (vgl. Jes 61,8) spricht davon, dass Gott die Rechtssatzung liebt. Dieser Gedanke könnte also noch aus der Anfangsstelle resultieren. Der folgende zweite Pescher wird allerdings auf Belial hin ausge-
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legt. Warum? Die Antwort liegt in Prov 19,28. Dieser Text stellt unzitiert den Übergang und das Interpretament dar: Interpretament:
Prov 19,28: : ע ד ב ל י ע ל י ל י ץ מ ש פ ט ופי ר ש ע י ם י ב ל ע ־ א ו ן
Damit ergeben sich folgende Überleitungen: Jes 61,8 (Kontext des vermuteten ersten Zitats im vorigen Abschnitt):
בי אני י ה ו ה א ה ב מ ש פ ט
Prov 19,28 (Interpretament): r — 1 ופי:!ליץ משפט1 ב ל ־ ע ל5-1עך |רשעים| י ב ל ע ־ א ו ן
Ps 82,1 (Zitat): [ א ל ב ק ר ב א ל ה י ם ]ישפט+ א ל ה י ם נ צ ב ב ] ע ד
Ps 7,7f. (Kontext des folgenden Zitats): : משפט| צ ר ת1 ס ו מ ה י ה ו ה ב א פ ך הנשא ב ע ב ר ו ת צ ו ר ר י ו ע ו ר ה א ל י ו|ערת| ל א מ י ם ת ס ו ב ב ך
Ps 7,8-9 (Zitat): ו ע ל י ה ל מ ד ו ם ש ו ב ה י ה ו ה |ידין| ע מ י ם
Ps 7,1 Off. (Kontext des vorhergehenden Zitats): : יגמר־נא ר ע ר ש ע י ם ותכונן צ ד י ק ו ב ח ן ל ב ו ת ו כ ל י ו ת א ל ה ־ ם צ ד י ק : מגני ע ל ־ א ל ה ־ ם מושיע י ש ר י ־ ל ב א ל ה ־ ם ]שופט[ צ ד י ק
Ps 82,2 (Zitat): רשעים| ת ש א ו ־ ס ל ה11 תשפטו|יעול ופני1 ע ד ־ מ ת י
Ps 82,4ff. (Kontext des vorhergehenden Zitats): : רשעים|| ה צ י ל ו1 פ ל ט ו ־ ד ל ואביון ס י ד4 : ל א י ר ע ו ו ל א יבינו ב ח ש כ ה י ת ה ל כ ו ימוטו כ ל ־ מ ו ס ד י א ר ץ5 : א נ י ־ א מ ר ת י א ל ה י ם א ת ם ובני עליון כ ל כ ם6 י ק ו מ ח א ל ה י ם [שפטה[ ה א ר ץ8
Hier erscheinen die Leitvokabeln des vorangehenden und des folgenden Abschnittes: ערbzw. עדה, בליעל, die Wurzel שפטund die
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. רשעיםBelial und die Frevler werden in Verbindung gebracht. Die Auslegung besagt nun, dass Belial und seine Anhänger von Gottes Rechtssatzungen abgewichen sind, um Böses zu tun - sie spotten sozusagen über das Recht. Malki Zedek wird sie dafür richten gemäß Gottes Rechtssatzungen. In der Endzeit wird Malki Zedek die Menschen aus Belials Hand und aus der seiner Gefährten retten, und es wird ein Tag des Friedens sein. Das Thema des zweiten Abschnittes ist also das Gegenüber von Malki Zedek und Belial. Abschnitt drei: Es folgt ein Zitat aus Deuterojesaja (Jes 52,7), das eine Überleitung zum vorhergehenden Pescher insofern darstellt, als hier ביום ההואnäher beschrieben wird, mit dem der zweite Abschnitt endete. In diesem Abschnitt wird gezeigt, dass dieser Tag ein Tag des Friedens sein wird. Jes 52,7 wird wörtlich zitiert - dies geschieht wieder nicht willkürlich: Erstens findet sich im Kontext des zitierten Textes (Jes 52,6) die Formel ביום ההוא. Zweitens ist Nah 2,1 - eine weitere Belial-Stelle - zur Interpretation heranzuziehen, da dadurch deutlich wird, dass dort Belial - von dem im Abschnitt vorher die Rede war - mit dem Motiv der Füße der Freudenboten auf den Bergen verbunden wird. Diese Stelle wird nicht in llQMelch zitiert, stellt jedoch die Verbindung beider Stellen dar. So erhält man die Überleitung vom Thema des vorangegangenen Abschnittes - das Gegenüber von Belial und Malki Zedek hin zur Aussage über den Freudenboten. Nun wird Jes 52,7 allegorisch ausgelegt. Das Thema scheint ״der Tag des Friedens" zu sein, leider ist dieser Abschnitt verderbt. Die Berge werden mit den Propheten gleichgesetzt, und der מבשרist der משיה הרוה. Derjenige, der die freudige Botschaft in Jes 61,1 überbringt, bezeichnet sich selbst als gesalbt und gesandt - auf ihm liegt die רוח אדני. Auch in Jes 52,7ff. wird eine Freudenbotschaft überbracht. Somit ist der Übergang von מבשרzu משיחstringent - durch Dan 9,25 über Jes 61,1 und Jes 52,7. Auslegung des vorhergehenden Abschnitts: (...)|פשרועל בלייעל וביום ההואה יצילמה מיד בליעל Nah 2,1 (Interpretament): על־ההרים רגלי מבשר משמיע שלום[ חגי יהודה חגיך שלמי נדריך1| הנה :כי לא יוסיף עוד לעבר־בך בליעל] בלה נכרת 735
Dass es sich bei ערund ע ר הum zwei Lexeme von unterschiedlichen Wurzeln und Bedeutungen handelt, ist bei dieser Auslegungsmethode kein Hindernis. Das Aneinanderreihen verschiedener Bibelstellen kann sowohl aufgrund gleicher Begriffe geschehen als auch durch verbindende Wortspiele, Benutzung ähnlich klingender Töne, Assoziationen von Wörtern oder Gedanken (vgl. S. 247).
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Jes 52,6 (Kontext des folgenden Zitats): :לכן ירע עמי שמי לכן |ב יום ההוא[ כי־אני־הוא המדבר הנני Jes 52,7 (Zitat): מה־נאוו על־ההרים רנלי מבשר משמיע שלום מבשר טוב משמיע ישועה אמר לציון מלך אלהיך Jes 61,1 (Rückgriff auf den Beginn des Dokuments und Vorgriff auf den nächsten :(פשר רוח אדני יהוה עלי יען משח יהוה אתי ||לבשר|| ענוים שלחני Abschnitt vier: Diese letzte Auslegung führt auf den Schlussvers hin. Die Wurzel שכל stellt die Verbindung zwischen den relevanten Texten Jes 52 (der vorergehende Pescher) und Dan 9,25 (das folgende Bibelzitat) her. Zwischen den Zitaten der Daniel- und der Jesaja-Stelle (Jes 61,2) ist der Kontext die entscheidende Verbindung. Noch aus Jes 52 werden für die Auslegung die Theologumena ״die Enden der Erde" und ״Hilfe Gottes" entnommen. Aus Jes 61,8 stammen die Begriffe der RechtsS a t z u n g , der Wahrheit und des Bundes. Jes 52,10bf. (Kontext des Zitats aus dem vorhergehenden :(פשר :וראו כל־אפסי־ארץ את ישועת אלהינו סורו סורוצאו משם טמא אל־תגעו11 הנה!ישכיל־ עבדי ירום ונשא וגבה מאד13: Dan 9,25 (Kontext des folgenden Zitats): ותדע רת־שכל! מן־מצא דבר להשיב ולבנות ירושלם Dan 9,25 (Zitat): עד־ משיח נגיר שבעים שבעה Jes 61,1 (Kontext des folgenden Zitates und des Anfangszitats): רוח ארני יהוה עלי יען משח יהוה אתי Jes 61,2: לנחם כל־אבלים Jes 61,8 (Kontext des vorhergehenden Zitats): כי אני יהוה אהב משפט שנא גזל בעולה ונתתי פעלתם באמת וברית עולם אכרות :להם Das Thema hier sind die Geschehnisse und die Beteiligten am Versöhnungstag. Es wird von der Erkenntnis am Ende der Welt gesprochen,
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dass dann in Wahrheil gerichtet wird und dass man von Belial abweichen und zu Gottes Rechtssatzungen zurückkehren soll. Zion wird zum Rat aller Söhne der Gerechtigkeit - dies stellt einen Rückgriff auf die Psalmzitate dar. Die Söhne der Gerechtigkeit richten den ״Bund" auf und weichen vom Weg des Volkes ab. ״Dein Gott" ist [...] Malki Zedek, der sie aus der Hand Belials rettet. So wird - obwohl der Text an dieser Stelle stark fragmentarisch ist - vermutlich Malki Zedek mit ״deinem Gott" identifiziert (da auch an dieser Stelle davon gesprochen wird, dass er sie aus der Hand Belials rettet - das war an anderer Stelle eine Beschreibung Malki Zedeks). Nun greift der Verfasser auf den oben zitierten Ps 82,1 zurück, indem er den Gedanken vom ״Rat der Söhne der Gerechtigkeit" aufnimmt. Die Söhne der Gerechtigkeit werden mit ( בריתJes 61,8) und dem Motiv des Zurückweichens (Jes 52,11) verknüpft. Ps 82,4 wird nicht zitiert, doch angedeutet: מיד רשעים הצילו. Damit wird wiederum eine Gleichsetzung von Belial und den Frevlern vollzogen. Eine zentrale Aussage dieses Dokuments steht am Schluss: Malki Zedek wird aufgrund der Jesaja-Stelle zum göttlichen Wesen erklärt, das im Rat der Götter sitzt (Ps 82,1). ״König ist dein Gott" meint demnach, der König der Gerechtigkeit ist dein Gott. Wie auch schon oben geschehen, wird uminterpretiert: Das ursprüngliche Gnadenjahr Gottes (Jes 61,2) wird zum Gnadenjahr Malki Zedeks. Die oben gestellte Frage, was am Versöhnungstag passiert, kann nun beantwortet werden: Am Versöhnungstag werden die Abweichler gerichtet und die Söhne der Gerechtigkeit aus der Hand Belials befreit. Wie Malki Zedek und Belial charakterisiert werden und welche Rolle sie spielen, wurde in den vorangegangenen Abschnitten erklärt. Die Charakterisierungen stellen die nicht zu vernachlässigenden ״Seitenarme der Auslegung" dar, vor allem dass Maliii Zedek ״vergöttlicht" wird, indem er als אלהיםbezeichnet wird, ist zu beachten. Am Ende dieses Abschnittes steht nun das eigentliche Thema. Auch hier gibt es Wortverknüpfungen, die es mit dem letzten Pescher verbinden. Diese Überleitung stellt Jer 6,16-19 dar: כ ה א מ ר י ה ו ה ע מ ד ו ע ל ־ ד ר כ י ם וראו ושאלו ל נ ת ב ו ת ע ו ל ם אי־זה ד ר ך ה ט ו ב16 :ו ל כ ו ־ ב ד ומצאו מרגוע לנפשכם ויאמרו ל א נלך : ו ה ק מ ת י ע ל י כ ם צ פ י ם ה ק ש י ב ו ל ק ו ל ]שופר] ויאמרו ל א נקשיב17 : ל כ ן ש מ ע ו הגוים ו ד ע י ע ד ה א ת ־ א ש ר ־ ב ם18 שמעי ה א ר ץ ה נ ה אנכי ]מביא רעה[ א ל ־ ה ע ם ה ז ה ]פרי מהשבותם[ כ י ע ל ־ ד ב ר י ל א19 :הקשיבו ותורתי וימאסו־בה
Lev 25,9: ו ה ע ב ר ת ]שופר[ ת ר ו ע ה ב ח ד ש ה ש ב ע י ב ע ש ו ר ל ח ר ש ב י ו ם ה כ פ ר י ם ת ע ב י ר ו ש ו פ ר :בכל־ארצכם
Die Jeremia-Stelle bietet eine Art Zusammenfassung der relevanten Vokabeln und vor allem auch des Inhalts: Die Uberleitung vom
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Schluss des letzten Peschers zur Jeremia-Stelle ist in der Charakterisierung der Anhänger Belials zu sehen. Von ihnen sagt die Auslegung, dass sie den falschen Weg verfolgen und dass der Malki Zedek die Gerechten unter ihnen aus der Hand Belials retten wird. Jer 6,16-19 bietet eine nähere Beschreibung derjenigen, die den falschen Weg eingeschlagen haben. Hier heißt es, dass die Menschen fragen sollen, welches der richtige Weg sei, und dass man auf diesem wandeln solle. Doch viele Menschen wollen nicht den richtigen Weg einschlagen. Zu diesen spricht Gott, dass er Wächter über sie gesetzt habe und dass sie dringend auf den Hall des Schofars achten sollen! Aber diese Mensehen wollen nicht zuhören. So spricht Gott: Ich will Unheil über dieses Volk bringen. Das ist die Frucht ihrer Gedanken. Inhaltliche Bezüge zu 1 lQMelch sind hier eindeutig zu erkennen. Auch zentrale Vokabeln stimmen überein: הרך הטוב: קוםim Hifil; רצון;הארץ ;עדה. Interessant ist, dass das Adjektiv בליעלhier nicht verwendet wird, dass sich aber zwei typische Charakterisierungen für Belial finden: מביא רעהund 4. מ ח ש ב ו ת םפריQ 2 8 0 und 4Q286 sind hier ranzuziehen, die im Folgenden als Exkurs dargestellt werden sollen. Diese Beschreibungen weisen allesamt auf Belial hin. Malki Rescha und Belial Mit 4Q286 ist eine Verfluchung Belials und seiner Anhänger belegt. Interessant ist, dass sich in 4Q280 ebenfalls eine Verfluchung findet, die mit ähnlichem Vokabular arbeitet, wobei jedoch Malki Rescha Gegenstand der Verfluchung ist. So soll hier kurz untersucht werden, ob in den Qumran-Schriften eine Gleichsetzung und/oder Identifikation von Malki Rescha und Belial stattfindet. Dies ist schwer zu beurteilen, da lediglich zwei bisher gefundene Texte von Malki Rescha handeln. Im oben bereits dargestellten Dokument 4QAmram findet er Erwähnung, die entsprechende Stelle aber, an der über seine/n Namen gesprochen wird, ist verderbt. Der zweite Text ist eben genannte Verfluchung in 4Q280. 4Q280 Frag. 2: 736 ( והוסיפו... )ויבדילהו אל ( ל ר ע ה מתוך בני הא)ור בהסוגו מאחריו1 ( אד( רד אתה מלכי רשע בכול מח)שבות יצר אשמתכה יתנכה... )ואמרו2 ( אל לזעוה ביר נוקמי נקם לוא יחויכה אל )ב(קוראכה )ישא פני אפו3 ( ל כ ה לזעמה ולוא יהיה ל כ ה שלו)ם( בפי כול אוחזי אבו)ת ארור אתה4 ( לאין שרית וזעום אתה לאין פליטה וארורים עוש)י מחשבות רשעתמה5 ( על התורה ועל... )ומ(קימי מזמתכה ב ל ב ב מ ה לזום על ברית א ל ) ול6 ( ) ד ב ר ( י כול חחי אט)תו וכ(ול המואס לבוא )בברית אל ל ל כ ת בשרירות7 1 [Gott wird ihn trennen] wegen des Bösen aus der Mitte der Söhne d[es Lichts wegen seines Abfalls von ihm. ... Und sie fügen hinzu 2 und sagen: ... ״Verjflucht seist du, Malki Rescha, für alle Absichten deines schuldigen Triebes. Es wird dich] 3 Gott geben als Gegenstand des Schreckens in die Hand derer, die Rache üben. Gott wird Dir nicht gnädig sein, [wenn] du hinausschreist. [Er wird das Angesicht seines Zorns] 736
Hebräischer Text aus: E. Chazon, Qumran Cave 4.
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8.2 Ps 110 und die in Qumran ge-fundenen Schriften 4 auf Dich in Unwillen erheben, damit Du keinen Fried [en] haben wirst im Munde aller, die an (den) Vätern festhalten. [Verflucht seist Du], 5 und es gibt keinen Rest. Und verdammt seist du ohne Flüchtling. Und verflucht seien alle, die [frevlerische Absichten ausführen] 6 und jene, die einen bösen Plan [schmiejden in ihren Herzen, gegen den ״Bund" Gottes Böses zu planen [und gegen ... und gegen die Tora und gegen] 7 [die Worte] aller, die seine Wahr[heit] sehen, und [al]le, die verachten, zu kommen [in den ״Bund" Gottes, um (lieber) in Verstocktheit (des Herzens) zu gehen] 4Q286 Frag. 7 Kol. 2: 737 ( ואחר יזעם)ו( את בליעל...) 1 ואת כול גורל אשמתו וענו ואמרו ארור )ב( ליעל ב)מ( חשבת משטמתו2 וזעום הוא במשרת אשמתו וארורים כול רו)חי גו(רלו במחשבת רשעמח3 וזעומים המה במחשבות נדת )ט(מאתמה כיא) המה גור(ל חושך ופקודתמח4 ( וארור ה ר ע ) ע בכול קצי( ממשלותיו וזעומים...) לשחת עולמים אמן אמן5 (... כול בני בלי)על( בכול עונות מעמדמה ע ד תומם ה ) ל ע ד אמן אמן6 ו)חוסיפו ואמרו ארור אתה מלא( ך השחת ורו)ח האב(דון בכו)ל( מחשבות7 יצר ( א)שמתכה ובכול מזמות תוע(בה ועצת רשע)תכה וז(עום אתה במ)מש(ל)ת8 )עולתכה וכמשרת רשעתכה ואשמתכ(ה עם כול ג)אולי שאו(ל וע)ם חרפות9 שח( ת )ועם כל( מות כ ל ה ל)אין שרית בלוא סלי(חות באף ע ב ר ת )א( ל )לכול עדי10 (עולמי( ם אמן א)מן (...)
1 [...] Dann sollen [sie] Belial verurteilen 2 und sein ganzes schuldiges Los. Sie antworten und sagen: ״Verflucht sei [Be]lial wegen seiner böswilligen [Ab]sicht, 3 und verdammt sei er wegen seiner schuldigen Herrschaft. Und verflucht seien alle Gei[ster seines Lojses wegen ihrer frevlerischen Absicht, 4 und verdammt seien sie wegen ihrer Absichten des Abscheulichen der [Unjreinheit. Denn [sie sind das L]os der Finsternis, und ihre Strafe 5 ist die Grube der Ewigkeit. Amen. Amen. [...] Und verflucht sei der Frevßer während aller Zeiten] seiner Herrschaft, und verdammt 6 seien alle Söhne Beli[als] während all ihrer Perioden des Dienstes bis zu ihrer Vernicht[ung. Amen. Amen. ...] 7 Und [sie fügen hinzu und sagen: ״Verflucht seist Du Engjel der Grube und Gei[st Abba]dons wegen all[er] Absichten deines schuldigen 8 T[riebes und wegen aller Pläne des Grjäuels und wegen des Rats [deines] Frevels. [Und vjerdammt seist Du wegen der He[rrsch]aft 9 [ deiner Verkehrtheit und wegen des Dienstes deines Frevels und deiner Schul]d mit allen Verunreinigten der Scheol] und mi[t Verschmähten der Grujbe 10 [und mit allen] sich Schämenden [und es wird keinen Rest geben: denn es gibt keine Verjgebung im großen Zorn Gottes[ für alle Zeugen der Ewig]keit. Amen, Am[en. ... ] Im ersten Text ist nicht klar, ob es sich bei Malki Rescha um ein irdisches Wesen handelt. Es wird gesagt, dass Malki Rescha aus der Mitte der Söhne des Lichts abgesondert wurde und in die Hand derer gegeben wird, die Rache üben. Die 737
Hebräischer Text aus: E. Eshel, Qumran Cave 4.
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״Söhne des Lichts" sprechen eher für eine menschliche Gestalt, indessen benennt die Gemeindeordnung auch Engel als Teil der Gemeinschaft. Der zweite Text ist dreigeteilt: Es werden drei verschiedene Verfluchungen ausgesprochen. Die erste Verfluchung richtet sich gegen Belial und seine Schicksalsgeister. Die zweite Verfluchung geht gegen den Frevler und gegen die Söhne Belials. Die dritte Verfluchung trifft den Engel der Grube sowie den Geist Abbadons und diejenigen, die böse Absichten ausführen. Ist dies nun eine dreigliedrige Verfluchung Belials, oder werden hier verschiedene ״Wesen" mit einem Fluch belegt? Wenn man weitere Texte aus Qumran heranzieht, so wird deutlich, dass Belial auch als ״Engel der Finsternis" (מ ל א ך חושך 1QS 111,13 - IV,14) 738 oder als ״Geist" bezeichnet werden kann (1QS III,17b 19A: An dieser Stelle wird gesagt, dass Gott zwei Geister über die Menschheit gesetzt hat). Zudem wird in den Qumran-Schriften stets nur von einem ״bösen Wesen" mit seiner Gefolgschaft/Los gesprochen. Bei der Analyse von 4QAmram wurde bereits festgestellt, dass der ״böse Geist/Engel" drei verschiedene Namen trägt. Daraus ist möglich zu folgern, dass bei der vorliegenden Verfluchung nur Belial und seine Anhänger die Objekte des Fluches sind. Geht man demnach davon aus, dass Text 1 eine Verfluchung gegen Malki Rescha und Text 2 drei Verfluchungen gegen Belial beinhaltet, so ist das verwendete Vokabular auffallend ähnlich: -
Malki Rescha und Belial werden verflucht: בכול מחשבות יצר אשמתכה. Es wird gesagt, dass es keinen Rest geben wird: לאין שרית. Zudem werden in Text 2 die Schicksalsgeister, die stets Belial zugeordnet sind, mit der Finsternis in Verbindung gebracht, wie auch Malki Rescha in 4QAmram der Engel der Finsternis ist. Ebenso fällt der Dualismus der Namensgebung Malki Zedek und Malki Rescha auf (vor allem durch 4QAmram), der nicht zufallig ist.
Zur Verdeutlichung soll das dualistische Weltbild tabellarisch dargestellt werden: Gott erschafft zwei Geister Gut Malki Zedek / Michael / „guter Engel" Engelschar Lehrer der Gerechtigkeit Söhne des Lichts, Söhne Zadoks
A
A A A
Böse Malki Rescha / Engel der Grube / Belial / „böser Engel" Schicksalsgeister Frevelpriester Söhne der Finsternis, Frevler
Als Resultat ist festzuhalten, dass es wahrscheinlich ist, in Malki Rescha und Belial zwei verschiedene Bezeichnungen eines Wesens zu sehen. Somit ist es möglich, in beiden Texten, die von Malki Rescha handeln (4QAmram und 4Q280 mit 4Q286), von einer Identifikation Malki Reschas mit Belial zu sprechen. 738
Auch G. Baumbach hat u.a. bereits festgestellt, dass „die Ausdrücke Belial und Finstemisengel miteinander ausgetauscht werden können. [...] Damit wird die Deutung nahegelegt, daß es sich bei dem Finsternisengel nicht um einen besonderen Dämon neben Belial, sondern nur um eine andere Bezeichnung für ihn handelt." G. Baumbach, Qumran und das Johannes-Evangelium, 16.
8.2 Ps 110 und die in Qumran ge-fundenen Schriften
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In diesem Zusammenhang ist allerdings zu bedenken, dass zum einen die entscheidende Stelle in 4QAmram verderbt, zum andern die Textbasis bezüglich der ״Person" Malki Rescha sehr dünn ist. Schließlich wird Belial innerhalb der qumranischen Schriften zu unterschiedlich charakterisiert, als dass man zu einem eindeutigen „Bild" von ihm gelangen könnte. So wird von „Belial" beispielsweise in der Kriegsrolle als einer überirdischen, widergöttlichen Macht gesprochen, während der Begriff in den Hodajoth als Abstraktum im Sinne von „Nichtigkeit" verwendet wird. Die Gemeinderegel steht mit ihrem Gebrauch in der Mitte. 739 In Bezug auf Belial und auch auf andere typisch „qumranische" Bezeichnungen und Terminologien ist H.W. Huppenbauer recht zu geben, dass man sich vom Glauben frei machen müsse, „daß innerhalb der gleichen Zeitspanne alle Schreiber und Verfasser, die in der Qumrangemeinde gewirkt haben, dieselbe Terminologie aufgewiesen hätten. [...] Verschiedene Verfasser werden auch verschiedene Lieblingsausdrücke verwendet haben." 740 Michael und Malki Zedek Ob Malki Zedek in llQMelch mit Michael identifiziert wird 741 (so wie es in 4QAmram geschieht), ist nicht eindeutig zu belegen. In der Kriegsrolle tritt Michael als Führer des Gottesvolkes in einem dualistischen Endkampf auf. Van der Woude folgert daraus, dass Michael und Melchisedek in llQMelch wie in späterer mittelalterlicher jüdischer Tradition miteinander identifiziert worden seien, da im Talmud Babli Michael nicht nur fürstliche beziehungsweise königliche, sondern zugleich auch priesterliche Aufgaben zukommen. Nach P. von der Osten-Sacken lässt die Deutung van der Woudes aber offen, „warum Melchisedek überhaupt an die Stelle Michaels tritt, wenn diese im Spätjudentum vertraute Gestalt nach spätjüdischer Vorstellung bereits priesterliche Funktionen ausübte." Es sei vielmehr zu fragen, ob hier nicht eine Ersetzung Michaels durch Melchisedek vorliege, die ihren Grund dann darin hätte, dass man Melchisedek, von Hause aus König und Priester des höchsten Gottes, eher als den ursprünglich mit einem Kriegsamt versehenen Michael zum mittlerischen Priesterdienst autorisiert sah. 742 In dem behandelten essenischen Gedankengut - gerade in 4QAmram 743 - findet eine Identifikation statt. Durch die Feststellung, dass Michael und Malki Zedek zwei Namen ein und derselben Person sind, erhält Malki Zedek die Charakteristika von Michael (Anführer des Gottesvolkes beim Kampf und Fürbitter für die Frommen), wird infolgedessen um einiges wichtiger und ersetzt Michael somit fast. Es bietet sich in diesem Zusammenhang an, eher den Terminus „Zurücksetzung" statt „Ersetzung" zu bevorzugen. Durch die Identifikation wird die Position Malki Zedeks gestärkt und Michael in den Hintergrund gerückt. Michael bleibt in den qumranischen Schriften vorhanden - zum Beispiel in den Worten des Erzengels Michael in 4Q529 in denen er als Erzengel auftritt, doch scheint Malki Zedek die entscheidendere Rolle als Herrscher des Lichts und Gegner Belials zuzukommen. Malki Zedek hat zwar weniger Belegstellen in den Schriftrollen von Qumran vorzuweisen als Michael, wird aber an diesen wenigen Stellen sehr ausführlich beschrieben.
739
Vgl. P. von der Osten-Sacken, Gott und Belial, 73f. H.W. Huppenbauer, Belial in den Qumrantexten, 89. 741 So A.S. van der Woude, Melchisedek als himmlische Erlösergestalt, 372. 742 P. von der Osten-Sacken, Gott und Belial, 209. 743 Eine Stelle, die van der Woude leider unerwähnt lässt. Dieser Text war ihm vielleicht noch nicht zugänglich. 740
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Interessant ist die Wirkungsgeschichte von Malki Zedek und Michael in Christlicher und jüdischer Tradition - gerade van der Woude und von der Osten-Sacken haben auf die spätjüdische Traditionen hingewiesen. Im babylonischen Talmud wird von Michael nur wie folgt gesprochen: 744 An drei Stellen ist er Hohepriester am himmlischen Altar, auf dem er opfert 745 ; er ist Fürbeter für die Frommen 746 , und er ist größer als die anderen Engel 747 . Dabei fällt Folgendes auf: Dass Michael höher steht als die anderen Engel, wird in der Gemara selbst hergeleitet. Das Amt Michaels als Fürbeter für die Frommen ist aus Dan 12,1 ersichtlich. Dass er aber eine priesterliche Funktion innehatte, wird im Talmud nicht hergeleitet beziehungsweise erklärt, weder in der Gemara noch bei Raschi noch in den Tosaphot. 748 Dabei ist es im Talmud üblich, problematische bzw. sich nicht selbst erklärende Stellen zu erläutern. Die Mischna wird durch die Gemara, Raschi und die Tosaphot mithilfe von vernunftmäßigen oder biblischen Argumenten wie auch durch Verweise auf andere Mischnajot erklärt. Michael wird allerdings hier ohne weitere Erklärung als שר הגדולbezeichnet. Folglich handelt es sich um eine alte Traditionslinie, die im Judentum bekannt war und somit keiner Erläuterung bedarf. Liegt hier vielleicht essenischer Einfluss in rabbinischer Theologie vor? Somit ist van der Woude prinzipiell zuzustimmen, seine These aber zu modifizieren: In essenischer Theologie findet eine Identifikation Malki Zedeks mit Michael statt, die zur Zurückdrängung Michaels und zur Stärkung der Position Malki Zedeks führt. Die Wertschätzung Melchisedeks/Malki Zedeks erfährt im rabbinisehen Judentum, wie es im Talmud spürbar ist, scheinbar keine Rezeption, Michael hingegen behält die Eigenschaften, die ihm in den Schriften Qumrans zugesprochen wurden: Wenn er mit Malki Zedek gleichgesetzt wird, dann hat er auch dessen hohenpriesterlichen Funktionen inne. Die unterschiedlichen Traditionen des Malki Zedeks aus dem Genesis-Apokryphon und aus den Visionen des Amram werden miteinander verknüpft, sodass der Herrscher über das Licht, der auch zugleich Michael ist, dieselbe priesterliche Person aus dem GenesisApokryphon ist. Möglicherweise ist im Talmud essenische Theologie spürbar. Die These von P. von der Osten-Sacken kann ebenso leicht modifiziert aufgenommen werden: Michael wird in der Relevanz durch Malki Zedek fast ersetzt, nur hat diese Tradition im rabbinischen Judentum keine Rezeption erfahren. Die Rabbinen, die zum Großteil aus der pharisäischen Richtung und nicht von der essenischen Theologie her kamen, stärkten wiederum die Position Michaels und griffen die Tradition Melchisedeks nicht auf. Somit scheint mir die Frage nach dem ״Warum" - die von der Osten-Sacken an van der Woude richtete - geklärt zu sein: Im Talmud wird nur der biblische Melchisedek genannt, der keine Eigenschaften mit dem in den Schriftrollen Qumrans beschriebenen teilt. 749 744
Die Stellen aus bBB, bBM und bHul werden nicht berücksichtigt, da sie im vorliegenden Zusammenhang irrelevant sind. So wird ebenfalls ein Zitat aus dem Danielbuch im Traktat Yoma, in welchem Michael genannt wird, nicht berücksichtigt. 745 bHag 12b; bZev 62a und bMen 110a. 746 bYom 77a. 747 bYom 37a und bBer 4b. 748 In den Tosaphot (bMen 110a) wird zwar an einer Stelle folgender Satz erläutert: ומיכאל שר הגדול עומד ומקריב עליו קרבן. Es wird aber in diesem Zusammenhang nur das Opfer, das Michael darbringt, erklärt, nicht die Rolle Michaels als Hohepriester. 749 In bNed 32b wird Ps 110 direkt zitiert, und zwar die Verse 1 und 4. In bBB 14b wird Melchisedek als einer von zehn Schriftstellern genannt, die mit David gemeinsam die Psalmen komponierten.
8.2 Ps 110 und die in Qumran ge-fundenen Schriften
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Folgerung: Nach diesen Überlegungen legt sich der Schluss nahe, dass es sich bei llQMelch um einen vorrabbinischen Midrasch handelt, welcher der Gattung einer Petichta in seiner methodischen Vorgehensweise ähnelt. Der auszulegende Vers steht am Schluss: Demnach wird in diesem Dokument beschrieben, was am Versöhnungstag passieren wird. Das Gegenüber von Gut und Böse in Form von Malki Zedek und Belial und ihre Charakterisierungen stellen wichtige Seitenarme der Auslegung dar. Diese Beschreibungen erfolgen durch Vereinheitlichung ausgewählter Bibelstellen, die teilweise wörtlich zitiert, teilweise auch vorausgesetzt werden. Dass Malki Zedek (vermutlich) durch die BeZeichnung אלהיך־als ein göttliches Wesen identifiziert wird, ist zwar nicht die Schlüsselstelle des Textes, aber doch eine beachtenswerte Aussage. Trotzdem ist die Feststellung von F. Manzi, der in 1 lQMelch den מלכי צדקals Titel für JHWH annimmt, sodass bei JHWH das Attribut des Königs der Gerechtigkeit hervorgehoben werde 750 , mit Vorsicht zu betrachten. Malki Zedek wird zwar zu einem göttlichen Wesen erhoben, doch JHWH kommt an dieser Stelle nicht zur Sprache. Ist Malki Zedek nun aber dieselbe Figur wie in Gen 14 und/oder Ps 110? D.R. Anderson formuliert seine These in Bezug auf eine mögliche Abhängigkeit von 1 lQMelch zu Gen 14 wie folgt: ״There are no references to Abraham or the Genesis account at all. [...] The contrast between the Melchizedek of this document and the Melchizedek of Genesis is so striking that some have wondered if the two are actually the same figure."751
Zu der Frage, ob dieses Dokument den alttestamentlichen Priesterkönig Melchisedek darstellt (und somit auch auf Ps 110 basiert) oder ob der Kontrast zwischen 1 lQMelch und Gen 14/Ps 110 in der Tat zu groß ist, wie Anderson es ausdrückt, werden in der Forschung zwei gegensätzliche Haltungen eingenommen. Einerseits versucht P.J. Kobelski, Indizien für eine Beeinflussung von llQMelch seitens Ps 110 zu begründen. So konstatiert er beispielsweise, dass auch Melchisedek neben dem König in Ps 110,1-2 angesprachen wird. 752 Dass in den ersten zwei Versen von Ps 110 Melchisedek der Angesprochene ist, ist aber nicht zu beweisen. Ge750
F. Manzi, Melchisedek, 262: ״Infine, in llQMelch, מ ל כ י צ ד קe un mero titolo, che viene attribuito a JHWH, esprimendo etimologicamente (,Re di Giustizia') l'esercizio del suo potere regale nel giudizio universale dell' ultimo giubileo della storia umana." 751 D.R. Anderson, The king-priest of Psalm 110 in Hebrews, 209. 752 P.J. Kobelski, Melchizedek and Melchiresa, 53f.
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genteilig wäre zu bedenken, dass dies auf der sprachlichen Ebene nicht möglich ist, da in Ps 110 nicht steht: Du, Melchisedek, bist Priester in Ewigkeit. Stattdessen wird gesagt: Du bist Priester nach der Ordnung/wegen Melchisedek(s). Somit stehen die ersten zwei Verse in keiner Abhängigkeit von der Figur Melchisedek. Eine weitere Beeinflussung des Psalms auf das Qumran-Dokument würde sich laut Kobelski in Ps 110,1 und der im Text vollzogenen Interpretation von Jes 52,7 finden. Dabei liegt aber der wesentliche Unterschied darin, dass in Ps 110 der König neben Gott sitzt, während in llQMelch Malki Zedek, also der König der Gerechtigkeit, selbst als göttliches Wesen gekennzeichnet wird. Dies stellt keine Gemeinsamkeit, sondern einen Unterschied dar. Dass der Angesprochene in Ps 110 die Feinde richtet, wird ebenfalls als Parallele betrachtet. Es besteht allerdings der Unterschied, dass im biblischen Text die Feinde, im qumranischen Dokument die Frevler gerichtet werden. Schließlich beinhaltet Ps 110 keine vergleichbaren Motive hinsichtlich der wesentlichen Eigenschaften, die den in Qumran beschriebenen Malki Zedek charakterisieren - das Auftreten in der Endzeit, das Tragen aller menschlichen Sünden und die Darstellung als Gegenpart des Belial in einem dualistischen Weltbild. Somit ist der Aussage Kobelskis: ״These similarities between Psalm 110 and 1 lQMelch are too numerous and too basic to the Interpretation of each document to be coincidental"753 nicht zuzustimmen. Andererseits plädiert F.L. Horton für eine nicht-alttestamentliche Tradition in llQMelch. Er hält fest: The "figure of Melchizedek as a divine redeemer which emerges in the 1 lQMelchizedek, the doctrine of the Melchizedekians, the doctrine of Hierakas, and the Pistis Sophia has no grounding that we can find in the Old Testament sources themselves, and we must turn to other sources to find the origins of that figure."754 Die Art und Weise, wie die Figur des Malki Zedek in llQMelch beschrieben wird, habe keine Übereinstimmung mit den überlieferten alttestamentlichen Texten, weder mit Gen 14 noch mit Ps 110, vor allem aber fehle in den Schriften Qumrans die wichtige Charakteristik der Priesterschaft Melchisedeks. Horton hat richtig erkannt, dass sich die Charakteristika des biblischen Melchisedek und die des Malki Zedek von 11 QMelch unterscheiden, ebenso die Vorstellungswelt oder die literarische Gattung. Die Annahme aber, dass in llQMelch nicht-alttestamentliche Traditionen zugrunde liegen, ist so nicht haltbar. Schließlich wird der Malki Zedek anhand von Bibelzitaten beschrieben. Demnach soll hier die These aufgestellt werden, dass in diesem essenischen Dokument anhand von Zitaten aus der hebräischen Bibel - ohne Rückgriff auf Ps 110 und Gen 14 - neuartige Typologien von Malki Zedek und Belial geschaffen werden. Hier liegt keine andere Tradition zugrunde - hier 753 754
P.J. Kobelski, Melchizedek and Melchiresa, 54. F.L. Horton, The Melchizedek Tradition, 53.
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entsteht eine neue. Zu Beginn des Dokuments werden dem Malki Zedek diverse Taten und Eigenschaften zugeschrieben: Die ״Gefangenen" sind sein Erbteil, er ruft ihnen Erlösung zu, er trägt ihre Sünden. Anschließend erhält der Malki Zedek Eigenschaften, die sonst Gott zustehen: das Gnadenjahr Malki Zedeks (anstatt Gottes), er besitzt ein Heer, er regiert durch die Rechtssatzungen (die sonst Gott zugehörig sind) und er wird anhand ihrer Rache nehmen (dies wird in Jes 61 von Gott ausgesagt). Im unteren Teil der Schrift wird nun die Gleichsetzung von Gott und König direkt durch das Jesaja-Zitat vollzogen: König ist dein Gott. Weiter wird gesagt, dass dein Gott Malki Zedek ist.755 Zion wird zum Rat der Söhne der Gerechtigkeit, die den Bund aufrichten und vom Weg des gemeinen Volkes abweichen. Zion ist also nicht mehr lokal mit Jerusalem verbunden, sondern wird personalisiert zum Kollektiv der „Söhne der Gerechtigkeit". Alle Taten und Eigenschaften des Malki Zedek sind der hebräischen Bibel entnommen und auf diesen übertragen worden. Malki Zedek ist ein Gesalbter, dem göttliche Eigenschaften zukommen, der am Ende der Tage - welches der Versöhnungstag ist - kommen wird, um zu richten, die Sünden der Menschen zu tragen und die Menschheit aus der Hand Belials zu befreien. Die Herkunft des Namens Malki Zedek bleibt ungeklärt. Ob er einen Rückgriff auf Gen 14 oder Ps 110 darstellt, dieser Figur aber andere Eigenschaften zugeschrieben werden, oder ob der Name schlicht eine Zusammensetzung der Leitbegriffe „König" und „Gerechtigkeit" darstellt, kann nicht erklärt werden. All diese Herleitungen passieren ohne Rückgriff auf Ps 110. Somit liegt hier keine Nachgeschichte des Psalms vor. 756 Auch Belial erfährt eine Charakterisierung, die aber in diesem Dokument etwas kürzer ausfallt. Das Alte Testament selbst verwendet den adjektivischen Ausdruck b'^bl. So müssen keine neuartigen Charakteristika hergeleitet werden, sondern das Adjektiv wird lediglich substantiviert. Die Herleitung der Figur Belials geschieht in llQMelch durch Gleichsetzung einiger Stellen aus der Hebräischen Bibel, in denen der adjektivische Ausdruck bv*bzi gebraucht wird. Diese Charakteristika des Belial werden auch in anderen Qumran-Schriften aufgenommen: Das Motiv, dass „ein Engel" die Kinder des Lichts aus der Hand/Macht Belials retten wird, findet sich noch in 4Q177 Fragm. 12 und 13. Dass der Weg/Rat/Plan Belials falsch ist, zeigen beispielsweise die drei Fallen Belials in CD IV; auch 4Q177 Fragm. 12 und 13; in 4QMMT Abschnitt C; die Verfluchung Belials und seiner 755
Diese Zeile ist verderbt, aber vermutlich zu ergänzen, dass es sich bei „deinem Gott" um Malki Zedek handelt, da er als Retter aus der Hand Belials beschrieben wird - so wird Malki Zedek schon weiter oben charakterisiert. 756 \y} e di e s k Seybold in seinem Psalm-Kommentar konstatiert hat (s. Anm. 631).
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Schicksalsgeister in 4Q286 Fragm. 7. Durch eine Zusammenschau der Texte 4QAmram, 4Q280 und 4Q286 ist es zudem möglich, Belial und Malki Rescha als zwei Namen für ein und dieselbe Figur zu verstehen, sowie dies bei Michael und Malki Zedek in 4QAmram der Fall ist. Abschließend ist zu llQMelch zu sagen, dass dieses Dokument sehr wahrscheinlich essenischen Ursprungs ist, da es typisch essenische Theologie enthält. Die zentralen Theologumena der Essener-Gemeinde, beispielsweise Bund, Fürst und Naherwartung, sind hier erläutert und in Beziehung gesetzt. Hinzu kommt eine Umdeutung des ״Zion" als Kollektiv der Söhne Zadoks, da die Essener sich bewusst von Jerusalem und dem Tempel mit seiner Dienerschaft und somit von „Zion" als Ort distanziert hatten. Ferner ist das gesamte Dokument markant Art eschatologisch ausgerichtet. 8.2.4 TestLev und die „Worte Levis" (aramäischer Levi 757 ) in Qumran In beiden Texten geht es darum, dass Levi seine Söhne um sich versammelt und seine Abschiedsrede hält. Diese beinhaltet biographische Angaben, ein Gebet mit anschließender Vision vom geöffneten Himmel, eine Erzählung, wie Levi bei seinem Vater ist und mit ihm über die Beschneidung der Söhne Emors berät, eine Vision von sieben Männern, eine Unterweisung Levis in das Priesteramt durch Isaak, Toledot, eine Paränese und prophetische Weissagungen sowie einen Schluss. Diese Punkte sind - wie auch der Aufbau - in der griechischen und der aramäischen Form gleich. Beide Schriften haben dieselben Kapitel, doch sind diese teilweise unterschiedlich gefüllt. Textmengen und Textschwerpunkte differieren. In den „Worten Levis" von Qumran wird beispielsweise das Eingangsgebet stärker ausgeschmückt und zugleich betont, dass Levi sich reinwusch. Auch die Unterweisung Isaaks bezüglich der Ausübung des Priesteramts ist in der qumranischen Schrift länger und spezifischer. Dagegen fehlt in der aramäischen Version innerhalb der Erzählung von der Vision vom geöffneten Himmel die Szene, dass Levi durch einen Engel Schwert und Schild überreicht bekommt, damit er für seine Schwester Dina Rache nehmen kann. Zudem ist die Vision mit den sieben Männern im griechischen TestLev ausführlicher gehalten. Im TestLev wird Levi unter anderem ein Stab überreicht und Brot und Wein herausgebracht in Anspielung auf Ps 110, wie oben bereits dargestellt758. Hinzu kommt zum einen, dass Levi drei Amtsgewalten zugesprochen werden, zum andern die Zusage, dass aus seinem Stamm Priester, Richter und Schriftgelehrte kommen werden. Diese Angaben fehlen in den aramäischen 757 758
Textgrundlage: K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, 188-209. S. Kapitel 8.1.5 TestLev 8 und 18, S. 230ff.
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Worten Levis. In dem qumranischen Dokument wird hingegen gesagt, dass das Amt des Priesters höher ist als das des Schwertes: [מלכות כהנותא דבא מן מלכות ]חרבא. Dieser Ausspruch fehlt im griechischen TestLev. In den Worten Levis, die in Qumran gefunden worden sind, fehlen zentrale Textpassagen, die im TestLev betont werden. In dem qumranischen Text hingegen werden die priesterliche Funktion und Reinheit betont. Levi wird hier nicht vom Engel zum Kampf aufgefordert, erhält auch nicht den Herrscherstab oder die drei Amtsgewalten. Die Passage im TestLev, in der auf Ps 110 Bezug genommen wird, fehlt. Obwohl dieser Text nur fragmentarisch erhalten ist, legt es sich nahe, den Wegfall der militärischen Passagen und die Ausschmückung der Durchführang des Priesteramts nicht für zufällig zu halten. Hier könnte ein anderes Verständnis von Levis Priestertum vorliegen als bei den Verfassern/Redaktoren des TestLev, die in Jerusalem anzusiedeln waren. Inwiefern beide Schriften voneinander abhängig waren, kann hier nicht geklärt werden. 759 Dadurch, dass in den Worten Levis von Qumran der entscheidende Textabschnitt aus dem achten Kapitel fehlt, in dem im TestLev auf Ps 110 Bezug genommen wird, kann festgehalten werden, dass man auch innerhalb der ״Worte Levis" von Qumran keine Rezeption von Ps 110 nachweisen kann. 8.2.5 Auswertung Ps 110 hat keinen nachweisbaren Einfluss auf die in Qumran gefundenen Schriften ausgeübt. Es wurden Texte untersucht, die den Namen ״Malki Zedek" enthalten, da dieser Name in der Forschung eine Schlüsselrolle bei der Frage nach der Rezeption von Ps 110 spielt. Doch auch hier ist der Befund negativ: Die Erzählung von Malki Zedek im Genesis-Apokryphon (GenAp XXII) ist eine Nacherzählung von Gen 14 ohne Einfluss seitens Ps 110, die Vision des Amram (4QAmram) und die sogenannte Melchisedek-Rolle (llQMelch) beschreiben einen Malki Zedek, der mit Ps 110 keine Eigenschaften gemeinsam hat. Es ist F. Manzi recht zu geben, der eine ausführliche Untersuchung der biblischen Melchisedek-Figur mit dem Malki Zedek aus Qumran durchführte, dass die menschliche Gestalt des Malki Zedek aus dem Genesis-Apokryphon nicht mit der aus llQMelch zu
759
Die Schwierigkeiten bezüglich der gegenseitigen Abhängigkeit beider Schriften voneinander stellte bereits M. de Jonge, The Testament of Levi and "Aramaic Levi", 379, heraus: „We shall admit that very little is known (and can be known) with certainty about the possible intermediate stages between Ar. Levi and T. Levi."
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identifizieren ist.760 Nach obiger Analyse entwerfen 4QAmram und llQMelch sogar ein eigenes neues Malki Zedek-Bild, wobei 4QAmram die Identifikation Malki Zedeks mit dem Erzengel Michael durchführt, während llQMelch aus Bibelzitaten Person und Wirken Malki Zedeks herleitet und beschreibt. In 1 lQMelch werden durch die Form einer Petichta mit ihrer speziellen Methode (ähnlich der gezera schawa) und der alttestamentlichen Belial-Stellen als Interpretamente eigene Typologien von Malki Zedek und Belial entworfen, die allerdings ihrerseits auf Bibelzitaten beruhen. Der Verfasser von 1 lQMelch greift weder auf biblische Melchisedek-Traditionen zurück noch löst er sich ganz von der biblischen Quelle: Er entwickelt eigene Charakteristika mithilfe von Zitaten aus der hebräischen Bibel. Es ist zu vermuten, dass die Visionen des Amram auf die in 11 QMelch beschriebene Gestalt zurückgreifen, seine Eigenschaften weiter ausmalen und durch die Gattung des Testaments Malki Zedek nochmals größere Autorität verleihen. Dass Malki Zedek hier eine göttliche Gestalt ist, muss nicht eigens hergeleitet werden, stattdessen wird kurz seine Rolle der Herrschaft am Ende der Tage beschrieben. Er wird zudem mit dem Heeresführer Michael identifiziert. Wirkungsgeschichtlich betrachtet, wird deutlich, dass Michael durch die Identifikation in jüdischer Tradition die priesterlichen Eigenschaften beibehalten hat. Der ״qumranische" Malki Zedek erfuhr hingegen im Talmud keine Aufnahme. Auch nach der Analyse der aramäischen Version des Testaments des Levi, wie es in Qumran gefunden wurde, bleibt der Befund von Zitaten oder Anspielungen von Ps 110 in qumranischen Schriften negativ: Die ausschlaggebenden Stellen, an denen im griechischen Text auf Ps 110 Bezug genommen wird, fehlen in den aramäischen Worten Levis. Obgleich der aramäische Text nur fragmentarisch erhalten ist, ist es wahrscheinlich, dass diese Stellen bewusst nicht rezipiert worden sind. F. Manzi gelangt zu dem Schluss, dass zwar die Autoren von 4QAmram und llQMelch eine vom biblischen Bild differenzierte Malki Zedek-Figur darstellen, den biblischen Melchisedek aber durchaus kennen. Der biblische Melchisedek trage schon lange eine Art ״Interpretationsgepäck" (״bagaglio di interpretazioni") mit sich, als die Qumrantexte wie auch der Hebräerbrief geschrieben wurden. Dieses Gepäck habe sowohl im historisch-politischen Sinn wie auch im messianisch-eschatologischen Sinn ״relecturen" erfahren.761 Es ist anzunehmen, dass die Figur des Melchisedek eine immer größer werdende Rezeption erfuhr mit gleichzeitiger Anlagerung verschiedener Geschichten - dies wurde bereits oben in einem Exkurs kurz vorge-
760
F. Manzi, Melchisedek, 101: ״Non è corretto, perô, utilizzare la medesima defmizione né per il personaggio umano di lQapGen xxii 13-17 né per il Re di Giustizia di 1 lQMelch, coïncidente con JHWH stesso." 761 Vgl. F. Manzi, Melchisedek, 29.261.
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267
Eine direkte Abhängigkeit der qumranischen von der biblischen Melchisedek-Figur ist nicht nachweisbar, aber eine Kenntnis der biblischen Figur und ihr Traditionsgut im Sinne der Untersuchung von F. Manzi sind denkbar. Ein Zitat oder eine direkte Wiederaufnahme von Ps 110 ist aber dennoch auszuschließen. Der These von F.F. Bruce 763 , die zu Beginn dieses Kapitels stand, kann nun im Anschluss zugestimmt werden: Es ist durchaus möglich, dass die Essener bewusst Ps 110 mieden, ihn nicht zitierten oder andeuteten, da ihre politischen und religiösen Gegner in Jerusalem mit seiner Hilfe ihre Herrschaft zu legitimieren versuchten. stellt.762
Eine Frage zum Verhältnis der Essener und Ps 110 ist schon gestellt worden, aber bisher offen geblieben: Zeigt die essenische Theologie überhaupt Interesse an Texten aus dem traditions- und motivgeschichtlichen Umfeld von Ps 110? Inwiefern wurden ״Königstexte" aufgenommen und verarbeitet? 8.2.6 Alttestamentliche Königstexte in qumranischen Schriften Beispielhaft sollen zwei zentrale „Königstexte" der Schriftrollen von Qumran besprochen werden - 4Q174 und ein Auszug aus der Tempelrolle - , um zu sehen, wie mit anderen Texten in essenischer Theologie umgegangen wird, in denen in der hebräischen Bibel das irdische Königtum verherrlicht wird. Von den anderen sogenannten Königspsalmen sind wie Ps 110 bisher drei ebenfalls nicht in den Schriftrollen von Qumran gefunden worden: Ps 20; 21 und 72. 764 Auch diese Psalmen repräsentieren Königslieder, die den König besingen und ihm die Unterstützung Gottes zusagen. Die Königspsalmen 18 und 89 erfahren hingegen eine vergleichsweise große Rezeption, zu bedenken ist hier allerdings, dass Ps 18 mehrheitlich eine Klage eines Einzelnen darstellt, Ps 89 ein Gotteslob und eine Auseinandersetzung mit dem untergegangenen Königtum bietet.
762
Vgl. dazu den Exkurs von S. 92f. Traditionen um Melchisedek. F.F. Bruce, The epistle to the Hebrews, 125: "If the Hasmoneans used this psalm to support their own high-priestly claims, that in itself might account for its nonappearance among the Qumran testimonia." 764 Vgl. P.W. Flint, The Dead Sea Psalms Scrolls, 48. 763
268
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4Q174 (4QMidrEschat)765
Form: Bei diesem Text handelt es sich nach A. Steudel um einen sogenannten thematischen Midrasch mit Parallelen zu den (frühen) Pescharim.766 4״QMidrEschat ist in seiner besonderen formalen Ausprägung das ein zige überlieferte Werk dieser Art innerhalb der Qumranfunde. Zahlreiche Parallelen zeigen aber auch, daß es sich bei 4QMidrEschat um einen ,echten' Qumrantext handelt. Das Werk repräsentiert also einen Ausschnitt des breiten Spektrums literarischer Produktionen der Essener selbst, deren Existenz über einen Zeitraum von etwa zwei Jahrhunderten anzunehmen ist." 767 Inhalt: Da die Person des Königs den Fokus dieser Untersuchung bildet, wird von 4Q174 lediglich Kolumne 1 analysiert, weil es sich hierbei primär um die Aufnahme zentraler alttestamentlicher Königstexte handelt. Den Hauptteil dieses Abschnittes bildet die Auslegung der NathanW e i s s a g u n g von II Sam 7, zu der aber auch die Psalmstellen 89,23; 1,1 und 2,1 herangezogen werden, ebenso die Prophetenworte Am 9,11, Jes 8,11 und Ez 44,10 sowie Ex 15,17-18. Durch den Schwerpunkt auf der Nathanweissagung und durch die Hinzunahme der beiden sog. Königspsalmen 2 und 89 bildet somit die Beschreibung des von Gott versprochenen ewigen Königtums, seines Gesalbten und seiner Feinde das Thema des Textes. Eine Übertragung dieser zentralen Begriffe in die essenische Theologie ist deutlich zu erkennen: Gleich in der ersten (erhaltenen) Zeile ist der zeitliche Rahmen vorgegeben, in der sich die folgende Auslegung befindet: Die Bibelstellen werden auf die Zeit ב א ח ר י ת הימיםbezogen. Die Feinde werden spezifiziert und als Söhne Belials gekennzeichnet. Dies wird in der Auslegung zu II Sam 7,11 durch eine Parallelsetzung durchgeführt - es heißt in Zeile 7/8768: והניחוחי ל כ ה מכול אויביבה אשר יניח ל ה מ ה מכול בני בליעל Und ich werde dir Ruhe geben von all deinen Feinden, das heißt, er wird ihnen Ruhe geben von allen Söhnen Belials.
765 Nach A. Steudel, Midrasch zur Eschatologie, 192, ist die Bezeichnung 4QMidrEschat für 4Q174 wohl am besten geeignet, da es sich hierbei am zutreffendsten um einen Midrasch über das Ende der Tage handelt. Ansonsten ist diese Schrift auch bekannt als 4QFlor. 766 So A. Steudel, Midrasch zur Eschatologie, 191. Zur Schwierigkeit des Begriffs „thematischer Midrasch" s. Kapitel 8.2.3 llQMelch, S. 240ff. 767 A. Steudel, Midrasch zur Eschatologie, 193. 768 Textgrundlage: J.M. Allegro, Qumrân Cave 4, 53.
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Die zentrale Verheißung in II Sam 7 von JHWH an David und seine Nachkommen wird ebenfalls umgedeutet - sowohl zeitlich als auch personell. Der Same/Spross Davids wird an die Seite des Tora-Auslegers gestellt. Auf die Textstelle ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein folgt die Auslegung: הואה צ מ ח דויד העומד עם דורש התורה אשר יקים בציון באחרית הימים Das ist der Same/Spross Davids, der steht mit dem Ausleger der Tora, den er auf dem Zion am Ende der Tage aufstehen lassen wird.
Die Verheißung an David wird so in die Endzeit verlegt (oder in der Endzeit als erfüllt betrachtet), und zwar an den Zion und an eine zweite Person ״mit-verheißen", den Ausleger der Tora. Aus dem Schluss von Kolumne 1 wird deutlich, dass der Gesalbte als Kollektiv für Israel verstanden wird, somit als Kollektiv fiir den Jahad. Ps 2,1 wird zitiert ( ״Wozu verschwören sich die Völker und machen die Nationen vergebliche Pläne? Die Könige der Erde stellen sich hin, die Fürsten haben sich verbündet gegen den HERRN und seinen Gesalbten") und erhält die Deutung, dass die Könige der Völker sich verschwören und vergebliche Pläne gegen die Erwählten Israels in den letzten Tagen schmieden werden. Auch hier ist die zeitliche Verortung wieder eschatologisch. Fazit: Die biblische Konstellation, dass in II Sam 7 JHWH eine Verheißung an das irdische Königtum Davids ausspricht, wird hier personell und zeitlich umgedeutet. Erst am Ende der Tage wird das ewige Königtum Davids anbrechen. Der Spross Davids wird nicht mehr nur als weltlich regierender König verstanden, sondern es wird auch seine Stellung neben dem Ausleger der Tora beschrieben. Eine ״weltliche" KönigsIdeologie im Jetzt und Diesseits gibt es in dieser Schrift trotz der Zitate zweier Königslieder und II Sam 7 nicht. Die Tempelrolle (1 lQT a ); Kol. 56; 57 und 5 9 ^ י Form: J. Maier beschreibt die sogenannte Tempelrolle als einen kunstvoll komponierten Text, ״dessen verarbeitete Einzelquellen gezielt in einen Gesamtzusammenhang gestellt worden sind, also ein Buch ergeben, das nicht einfach kompiliert, sondern nach bestimmten, nachvollziehbaren sachlichen Gesichtspunkten aufgebaut worden ist." 770 Die ״Tempelrolle" ist eine der längsten Schriften der in Qumran gefunde769
Textgrundlage: F. Garcia Martinez u. E.J.C. Tigchelaar, The Dead Sea Scrolls Study Edition II, 1276ff. 770 J. Maier, Die Tempelrolle, 8.
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nen Schriftrollen mit mehreren Fragmenten und Kolumnen. Vor allem die Kolumnen 56 und 57 beschäftigen sich mit dem Königsrecht und der Heeresordnung - sie sollen im Folgenden näher untersucht werden. Die Basis dieses Königsrechts ist Dtn 17,14-20, im Vergleich aber zu MT gibt es in der Tempelrolle Zusätze, Auslassungen und Ersetzungen, die vermutlich exegetisch motiviert sind.771 Für die Datierung der Endredaktion der gesamten Tempelrolle hält Maier die vormakkabäische Zeit für möglich, ״während der Auseinandersetzungen um die neue Linie seit dem Machtwechsel von 198 v. Chr., als eine zadokidische Linie versuchte, alles ihrer besonderen kultkalendarischen Konzeption zu unterwerfen."772 Inhalt: Wie erwähnt, steht das Königsgesetz von Dtn 17 im Zentrum des Königsgesetzes der Tempelrolle, obwohl es nicht die Basis für jede einzelne Auslegung und Sektion darstellt. ״For this reason we designated Deuteronomy 17 as the 'underlying' text. Each section of the King's Law is based, rather, on a text which provides the ground for the author's interpretation."773 In der Tempelrolle wie im biblischen Text darf der König weder viele Frauen noch viel Geld besitzen. Hinzu kommt, dass der König nicht allein entscheiden darf, wenn es um einen Kampf geht. Die Entscheidung fällt er gemeinsam mit 12 Fürsten, 12 Priestern und 12 Leviten. Darüber hinaus kann der König nicht in den Kampf ziehen, ohne vorher den Hohenpriester mit den Urim und Tummim befragt zu haben. Kol. 59 beschreibt schließlich - wie in einem sogenannten Königspsalm - den König, da der König ewig auf dem Thron sitzen und über seine Feinde herrschen wird. Das ist hier aber an eine Bedingung geknüpft: Wenn der König mit Augen und Herz fremdgeht in den Geboten des Herrn, wird er keine Nachkommen auf dem Thron haben. Wenn er aber aufrecht handelt, dann wird seine Nachkommenschaft ewig auf dem Thron sitzen, und er wird über seine Feinde herrschen. Folgerung: Zwei wesentliche Unterschiede zu den Königsvorstellungen in der hebräischen Bibel sind in diesem Text zu sehen: Zum einen wird dem König ein Teil seiner Macht genommen, indem er verpflichtet ist, sich bei militärischen Entscheidungen Rat einzuholen, zum anderen liegt ein Unterschied in der Bedingung, an die das (ewige) Königtum geknüpft ist. Der König wird nur Nachkommen auf seinem Thron haben, wenn er aufrecht und somit gesetzestreu handelt. In den alttestamentlichen Texten wie II Sam 7 sind so deutlich keine Bedingungen an den 771 772 773
Vgl. D.D. Swanson, The Temple Scroll, 117. J. Maier, Die Tempelrolle, 51. D.D. Swanson, The Temple Scroll, 168.
8.2 Ps 110 und die in Qumran ge-fundenen Schriften
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König genannt. Ebenso erscheint in diesen biblischen Texten nicht das Amt des Hohenpriesters, wie es in der Tempelrolle mit dem König gemeinsam genannt wird. Der Hohepriester stellt hier einen wichtigen Berater des Königs dar, bei dem der König Einverständnisse einholen muss. Die Königsposition ist hier somit als schwächer anzusehen, als das aus den biblischen Texten Dtn 17 und II Sam 7 bekannt ist. Auswertung: Diese Beispieltexte haben gezeigt, dass eine essenische Theologie die alttestamentlichen Traditionen um das Königtum nicht ignoriert. Die theologischen Bedeutungen der heiligen Orte Juda, Zion und Jerusalem werden beibehalten, nur können sie eine andere Interpretation erhalten, wie dies bereits in der Analyse zu 11 QMelch deutlich wurde. Dort wurde beispielsweise der Ort ״Zion" zum „Rat der Söhne Gottes" (Zeile 23 f.) umgedeutet. In 4QMidrEschat wurde trotz (oder vielmehr: durch) Auslegung alttestamentlicher Bibelstellen eine neue Verstehensdimension geschaffen, indem Zusagen an das biblische irdische Königtum in die Endzeit verlegt werden und der Gesalbte als Jahad zu verstehen ist. In der Tempelrolle scheint der beschriebene König zwar ein irdischer König zu sein, allerdings ist auch hier der Unterschied zu alttestamentlichen Königstexten deutlich, da die Verheißung des ewigen Königtums von II Sam 7 mit einer Bedingung verknüpft wird: Nur, wenn der Throninhaber auf Gottes Wegen wandelt, wird sein Königtum ewigen Bestand haben. Wessen Ohren und Herzen fremdgehen, der verliert den Thron. Die essenische Theologie ist - wie bereits die dtr Geschichtstheologie - der Ansicht, dass das bisherige Königtum durch Ungehorsam gegenüber dem Gesetz untergegangen ist, weil die Könige gegen Gott gemurrt h a b e n . 7 7 4 f?jn König kann nur ewig bestehen, wenn er reinen Herzens ist. Wenn ein König aber schließlich auf dem Thron sitzt, dann wird seine Macht eingeschränkter sein, als dies in biblischen Quellen zu lesen ist. Er ist verpflichtet, den Hohenpriester und andere Priester und Leviten um Rat zu fragen, wenn es um militärische Entscheidungen geht. Eine wirklich klare theologische Linie in Bezug auf die Königsvorstellungen in den Schriftrollen von Qumran auszumachen, bleibt jedoch schwierig, da die analysierten Texte in verschiedenen Zeiten entstanden, sodass die Autoren und die theologische Basis von 11 QMelch, 4QMidrEschat und der Tempelrolle nicht identisch sind. Deutlich ist aber, dass mit der Königstradition in den Schriftrollen von Qumran „anders" und „vorsichtiger" umgegangen wird, als dies in der 774
Das wird z.B. in der Damaskusschrift deutlich, da es in 3,4ff. heißt, dass die Söhne Jakobs vom rechten Weg abkamen und sie murrten. Da wurde Gott zornig über sie und ihre Söhne gingen deshalb unter, ihre Könige wurden deshalb vernichtet.
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biblischen und teilweise in der nichtkanonischen jüdischen Literatur aus hellenistisch-römischer Zeit der Fall ist. Es finden personelle und zeitliche Umdeutungen statt. Neben den eben dargestellten Texten existieren aber ebenso Schriften, die dem Königtum durchaus unkritischer und wohl gesonnen gegenüber stehen, wie dies zum Beispiel in 4QMMT zu lesen ist. Von einer bewussten Nichtaufnahme der Psalmen 20, 21 und 72 zu sprechen ist möglich, aber keineswegs sicher anzunehmen, da auch andere Psalmen bisher nicht in Qumran gefunden worden sind. Gerade aus den ersten drei Psalmbüchern ״fehlen" nicht nur drei, sondern 19 Psalmen. Der Befund der letzten beiden Psalmbücher sieht dagegen anders aus - hier sind lediglich fünf Psalmen der hebräischen Bibel nicht vorhanden.775 Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Funde aus Qumran lediglich fragmentarisch sind. 8.3 Psalm 110 und sein motivgeschichtliches Umfeld in nichtkanonischer Literatur aus hellenistisch-römischer Zeit - ein Fazit Die Antwort auf die Frage, warum Ps 110 diesen negativen Befund in den Schriften von Qumran aufweist, könnte einen Hinweis auf die religionsgeschichtliche Situation im 2. und 1. Jh. v.Chr. geben: Vermutlich gab es zwischen einigen Essenern und dem herrschenden Haus in Jerusalem Spannungen. Diese politischen und religiösen Gegner der Essener benutzten Ps 110, um ihr Königtum zu legitimieren. Dies geht vor allem aus dem TestLev hervor, in dem Levi das Priestertum auf alle Zeit erhält - ausgestattet mit königlichen Insignien. Levi wird hier mithilfe von Ps 110 als Priesterkönig dargestellt, so, wie die herrschenden Hasmonäer ihren Regenten vom Stamm Levis herausstellten. Da eine aramäische Form des TestLev aber auch in einer Höhle Qumrans gefunden wurde, mit gleichem Aufbau aber mit anderer theologischer Füllung, konnte festgestellt werden, dass die entsprechenden Anspielungen auf Ps 110 fehlten, wie auch die militärischen Attribute Levis und seine militärischen Aufgaben. Während der Verfasser oder Redaktor des TestLev Levi mit Schild und Schwert ausrüstete sowie mit Herrscherstab und anderen königlichen Attributen, um die Stellung von Levi als Priester und Feldherr zu festigen, gestaltete die essenische Theologie Levi vornehmlich als Priester. An dieser Stelle ist also auch eine essenische Uminterpretation wahrnehmbar, wie sie ebenfalls im ganzen motivgeschichtlichen Rahmen des Königtums vorgenommen wurde. Nicht nur die priesterlichen Aufgaben wurden in Qumran betont, die Königstraditionen fanden ebenfalls Erwähnung - letztere allerdings mit Einschränkungen. Aufgrund der untersuchten Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit ist anzunehmen, dass Ps 110 eine 775
Vgl. P.W. Flint, The Dead Sea Psalms Scrolls, 48.
8.3 Fazit
273
wichtige Rolle in der Identifikation der einzelnen religiös-politischen Gruppierungen spielte: Auf der einen Seite diente Ps 110 zur Unterstützung der politischen Position, auf der anderen Seite wurde er (daraufhin) nicht rezipiert. Wie die religionsgeschichtliche Einordnung zeigte, stellte die essenische Gemeinde nicht eine alleinige politische und theologische Gegnerschaft zum hasmonäischen Herrscherhaus dar. Auch die Pharisäer befanden sich im Widerstand. Demgemäß soll nun die Rezeption und Auslegung von Ps 110 in der mündlichen Tora 776 und im Targum untersucht werden als auch daran anschließend beispielhaft jüdische und karäische Exegese im Mittelalter.
776
Die Tradition der mündlichen Tora ist sicherlich nicht vollständig als pharisäische Entwicklung zu betrachten, doch wirkte diese Richtung am stärksten auf Talmud und Midrasch ein. Alle zu befragenden Quellen sind allerdings nachchristlich anzusetzen, sodass lediglich die pharisäische Tradition, nicht aber das pharisäische Engagement zur Zeit der Hasmonäerherrschaft Gegenstand der Betrachtung ist.
9 Rezeption und Auslegung von Psalm 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüdischer Tradition
9.1 Einleitung Die Darstellung von Ps 110 in jüdischer Rezeption ist in der Forschung im Wesentlichen durch zwei Aufsätze bestimmt: Sowohl H. Strack/P. Billerbeck ( 1 9 2 8 ) 7 7 7 als auch G. Bodendorfer ( 1 9 9 9 ) 7 7 8 haben Ps 110 in Targum und mündlicher Tora untersucht. Die vorliegende Analyse hat ebenso die Rezeption von Ps 110 in Talmud und Midrasch zum Gegenstand, wird jedoch um ausgewählte jüdische Kommentare des Früh- und Hochmittelalters e r w e i t e r t . 7 7 9 So werden unter ״Rezeption und Auslegung" hier sowohl Zitate von Ps 110 in Talmud und Midrasch als auch die Psalm-Kommentare von Saadja Gaon, vom Karäer Jefet ben Eli 780 und von den Rabbinen Raschi, Ibn Esra, Radak und Menachem haMeiri subsumiert. Im Anschluss an die Betrachtung des ״Werdegangs" von Ps 110 vom masoretischen Text zurück zu einem möglicherweise ursprünglichen Ps 110* über die LXX-Version und die Rezeptionsgeschichte in der sogenannten zwischentestamentlichen Zeit ist festzustellen, dass der wesentliche Schwerpunkt des jeweiligen Auslegers beziehungsweise Tradenten auf der Frage liegt, wer angesprochen und ob diese Person von göttlicher Abstammung sei. Die Verse 1 und 3 treten dabei besonders hervor, sodass auch in diesem abschließenden Kapitel über die jüdische Rezeption und Auslegung die jüdischen Quellen anhand von den zwei folgenden Leitfragen untersucht werden: 1. An wen richtet sich der Psalm? Ist die angesprochene Person ein anonymer König, David (messianisch oder historisch) oder Abraham?
777 H. Strack u. P. Billerbeck, Der 110. Psalm. 778 G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes. 779 Eine Analyse des Targumtextes zu Ps 110 ist oben als eigenes Kapitel dargestellt (vgl. Kapitel 7.2 Die aramäische Übersetzung von Psalm 110 im Targum, S. 197ff.). 780 Zu Saadja Gaon und Jefet ben Eli gibt es ebenfalls eine einschlägige Untersuchung in Bezug auf ihre Auslegung der Königspsalmen, in: F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung. Diesem Werk werden im Folgenden die deutschen Übersetzungen beider Psalmkommentatoren entnommen.
276
9 Ps 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüd.
Tradition
2. Was geschieht mit der ursprünglichen göttlichen Zeugung des Königs in Vers 3? Dazu sollen vor allem die beiden ausschlaggebenden Begriffe משחרund ילדתיךbetrachtet werden. Ziel ist es, eine Entwicklungslinie im Verständnis der Ausleger / Tradenten zu diesem Psalm herauszuarbeiten, sodass die einzelnen Werke zunächst chronologisch dargestellt und untersucht werden. Zur besseren Orientierung vor allem der zeitlichen Abfolge der einzelnen Quellen steht zu Beginn eine kurze Einführung in die verwendeten Werke und zu den genannten Autoren. Des Weiteren soll zu der These Stellung genommen werden, dass in der Auslegung zu Ps 110 in jüdischer Tradition eine anti-christliche Polemik zu finden sei. Schließlich bildet Ps 110 eine wichtige Grundlage neutestamentlicher Christologie, die vor allem im 1 lebräerbrief entfaltet wird, der desgleichen in den Evangelien eine tragende Rolle zukommt. J. Petuchowski hält innerhalb der Analyse der später zu besprechenden Talmud-Stelle bNed 32b mit Blick auf den Hebräerbrief fest: ״there can be no doubt that R. Ishmael's reference to Melchizedek is polemical."781 Ebenso ist bei Strack/Billerbeck zu lesen, dass Rabbi Ismael in bNed 32b Ps 1 10 ausschließlich aus christentumsfeindlichen Gründen auf Abraham deutet. 782 Auch trage Raschis Psalm-Kommentar (nach der Einleitung von Mikra'ot Gedolot) erheblich zu der jüdisch-christlichen Polemik bei. 783 Kurze Einführung zu den mittelalterlichen Autoren: Saadja Gaon784 Sein eigentlicher Name lautet Saadja ben Josef al-Faiyüml. Er lebte von 892-942 und war ein großer Gaon sowie der Rektor der jüdischen Akademie von Sura. Saadja war als ״Philologe, Exeget, Polemiker und Philosoph eine der herausragendsten Gestalten des Judentums im 10. Jh." 785 Er schrieb unter anderem eine Psalmenübersetzung ins Ära781
J. Petuchowski, The controversial figure of Melchizedek, 129. H. Strack u. P. Billerbeck, Der 110. Psalm, 460: In bNed 32b hat Rabbi Ismael ״die traditionelle messianische Deutung unseres Psalms ausschließlich aus christentumsfeindlichen Tendenzen aufgegeben u. durch die Deutung auf Abraham ersetzt [...]. Welches Mittel, den Schriftbeweis der Christen für Jesu Messianität zu entkräften, konnte denn auch wirksamer sein als die Entgegnung jüdischerseits, daß die Christen sich für ihre Zwecke auf alttestamentliche Stellen beriefen, die gar nicht vom Messias handelten?" 783 Mikra'ot Gedolot Haketer, :יא הפולמוס היהודי־נוצרי הוא מן הגורמים החשובים ל ה ב נ ת פירושו של רש״י ל ס פ ר תחלים. 784 Nach F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung. Auch die Übersetzungen des Psalms und sein Kommentar sind im Folgenden an dieses Werk angelehnt. 785 R. Leicht, Art.: Saadja Gaon, 709. 782
9.1 Einleitung
277
bische mit Kommentar - letzterer fiel gerade zu Ps 110 besonders ausfiihrlich aus. Jefet ben Elf 86 Er stammte aus dem irakischen Basra, lebte und wirkte aber in der zweiten Hälfte des 10. Jh.s in Jerusalem. Er übersetzte und kommentierte wahrscheinlich zwischen 960 und 990 die gesamte hebräische Bibel in arabischer Sprache. Er gehörte den Karäern, einer jüdischen Strömung seit der Mitte des 8. Jh.s, an, die Talmud und Midrasch ablehnten. F. Eißler schreibt zur Blütezeit der Karäer: ״Ein entscheidender Anstoß für die Karäer, sich geistig und organisatorisch konzentriert zu formieren und damit jene Blüte einzuleiten, war der Generalangriff auf das Karäertum im frühen 10. Jahrhundert durch Saadja ben Josef, den Rektor der Akademie von Sura. [...] Jefet ben Eli, der mit den Ehrentiteln המלמד הגדול, der große Lehrer' und משכיל הגולה, der Gelehrte (Lehrer) des Exils' belegt wurde, gehört zu den Großen dieser Epoche." 787 Hochmittelalterliche Grammatiker und Kommentatoren788 Raschi, mit vollem Namen רבי שלמה יצחק־, lebte von 1040-1105. Er erklärte die Mischna und die Gemara des babylonischen Talmuds und kommentierte die hebräische Bibel. Beide Werke und sein eigenes Lehrhaus in Troyes machten ihn wohl zum bekanntesten jüdischen Exegeten des Hochmittelalters. Rabbi Abraham Ibn Esra ( )רבי אברהם אבן עזראlebte von 1089-1164 und wirkte vor allem in Spanien. Er schrieb ebenfalls einen BibelKommentar und verfasste zwei Kommentare zum Psalter. Den ersten schrieb er in Spanien, den zweiten in Frankreich. Radak, mit vollem Namen רבי דוד קמחי, lebte von 1160-1235 in der Provence. Er war ein berühmter Grammatiker und Kommentator der hebräischen Bibel. Der ״Wortsinn" ( )פשטist die wichtigste Basis seines Kommentars. Rabbi Menachem ben Salomo, gewöhnlich Meiri genannt, lebte von 1249-1316 ebenfalls in der Provence. Er schrieb Kommentare zum Talmud sowie zum Psalmen- und Sprüchebuch.
786 Nach F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung. Auch die Übersetzungen des Psalms und sein Kommentar sind im Folgenden an dieses Werk angelehnt. 787 p Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, 26. 788 Die folgenden Daten sind dem Werk Mikra'ot G e dolot entnommen.
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9 Ps 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüd. Tradition
9.2 Leitfrage 1: An wen richtet sich Psalm 110? 9.2.1 Im babylonischen Talmud Die Gemara in bNed 32b beschreibt, wie das Priesteramt von Melchisedek auf Abraham übergegangen ist, indem die Bibelstellen Gen 14 und Ps 110,1.4 miteinander verknüpft werden. Es heißt: Rabbi Sacharja sagte im Namen von Rabbi Ismael 789 : Der Heilige, gepriesen sei er, wollte die Priesterschaft aus Sem hervorgehen lassen, denn es heißt: Und er war Priester dem El Elyon׳, als er [sc. Melchisedek] aber den Segen Abrahams dem Segen ״Gottes" vorangehen ließ, ließ er [sc. Gott] sie [sc. die Priesterschaft] aus Abraham hervorgehen; denn es heißt: Und er segnete ihn und sprach: Gesegnet sei Abram dem El Elyon, dem Schöpfer von Himmel und Erde, und gepriesen sei El Elyon. Abraham sprach zu ihm [sc. zu Melchisedek]: Lässt man denn den Segen des Knechtes dem Segen seines Schöpfers vorangehen? Da gab er sie Abraham, denn es heißt: Spruch G'ttes zu meinem Herrn: Sitz an meiner Rechten, bis ich deine Feinde als einen Schemel für deine Füße setze. Und anschließend steht geschrieben: G 'tt hat geschworen und wird es nicht bereuen: Du bist Priester in Ewigkeit על ד ב ר ת י מ ל כ י צ ד ק, [sc. diese Wendung bedeutet:] wegen des Wortes von Melchisedek ()על דיבורו של מ ל כ י צדק. Deshalb steht geschrieben: und er war Priester dem El Elyon; er war Priester, seine Nachkommen aber waren keine Priester.
In diesem Text werden mehrere Bibelstellen miteinander kombiniert, nur zwei Perikopen werden jedoch direkt zitiert (Gen 14 und Ps 110). Als Ausgangspunkt ist dabei die Tradition zu sehen, die in Melchisedek einen Nachkommen von Sem, dem Sohn Noahs, sieht, dem Gott die Priesterschaft verleihen wollte. Melchisedek war bereits Priester, aber er beging den Fehler, zuerst Abraham und dann Gott zu segnen. Diesem Fehler folgte als Strafe der Verlust der Priesterschaft. Die Priesterschaft ging daraufhin auf Abraham über, sodass in Ps 110 - gemäß der Gemara - ohne Weiteres Abraham als angesprochene Person zu identifizieren und die Wendung על דברתי מלכי צדקmit wegen des Wortes von Melchisedek verstanden werden muss, da Melchisedek in der falsehen Reihenfolge segnete. Ps 110 wird dementsprechend geschichtlich und nicht zukünftig messianisch verstanden. An diesem ersten Beispiel sei auf die rabbinische Methode hingewiesen, dass gerade die Psalmen dazu herangezogen werden, historische Zusammenhänge zu erläutern.790 So ist an diesem Beispiel wie auch an anderen noch zu behandelnden Texten deutlich, dass Ps 110 zur Erlau789 Rabbi Ismael zitiert ebenso in BerR 46 Ps 110 und legt diesen auf Abraham hin aus. 790 Vgl. auch G. Bodendorfer, Historisierung, 230: „Die Historisierung aufgrund der Psalmen ermöglicht Konkretisierung und Erläuterung anderer biblischer Texte und stellt diese in einen bestimmten Kontext."
9.2 An •wen richtet sich der Psalm?
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terung und weiterer Ausmalung der Szene von Abrahams Kampf gegen die vier Großkönige in Gen 14 herangezogen wird. Die Aussage dieser Talmudstelle wurde Rabbi Ismael, der 135 n.Chr. gestorben ist, in den Mund gelegt. In bBB 14b-15a wird aufgelistet, wer welche biblischen Bücher, Geschichten und Psalmen verfasst haben soll. Mose wird als Autor von "seinem Buch (")ספרו, von der Passage um Bileam und von Hiob betrachtet. Josua soll ebenfalls ״sein Buch" sowie die letzten acht Verse des Pentateuch, Samuel neben ״seinem Buch" Richter und Ruth geschrieben haben. Von David wird gesagt, dass er den Psalter mithilfe von zehn Ältesten ( )עשרה זקניםverfasst habe. Welche Psalmen die einzelnen Ältesten geschrieben haben sollen, wird von Raschi näher erläutert: Adam schrieb Ps 139, Melchisedek Ps 110, indem er direkt Abraham ansprach, Abraham komponierte Ps 89, Mose die Psalmen 90-100, Heman Ps 88, Jedutun Ps 39, Asaf Ps 83, und drei Söhne des Korach dichteten die Pss 42-49. Auch in dieser Perikope wird Ps 110 mit Gen 14 in Verbindung gebracht, sodass eindeutig der Psalm an Abraham adressiert ist. Die Annähme, Abraham sei der Adressat, suggeriert wiederum, dass Ps 110 nicht messianisch gedeutet wurde, da Abraham keine messianische Figur im Judentum ist. bSan 108b Die Gemara zitiert den Amoräer R. Ghana bar Levai, der die Bibelstellen Ps 110, Gen 14 und Jes 41 miteinander kombiniert. Er sagt, dass der große Sem ( )שם רבאden Knecht Abrahams, Elieser, gefragt hätte, was sie unternahmen, als die Könige des Ostens und des Westens gegen sie anrückten. Elieser sagte, dass Gott Abraham zu seiner Rechten setzte (Ps 110,1), und sie dann anschließend Staub und Spreu, die zu Waffen wurden, auf die Feinde warfen (Jes 41,2). Die Verknüpfung derselben Bibelstellen findet sich ebenfalls im Midrasch Tehillim, nur wird dies dort nicht als Gespräch zwischen Sem und Elieser stilisiert. Die häufige Kombination dieser drei Bibelstellen - sie ist beispielsweise ebenso in der Mechilta des Rabbi Ismael (zu Ex 15,7) präsent - wundert nicht, da Jes 41,2-13 die Synagogenlesung zu Gen 14 ist. 791 Es wird hier auf ״historische" Geschichtsereignisse angespielt, die zwar so nicht in der Bibel berichtet werden, aber durchaus in die biblisch erzählte Zeit gehören. Die in diesem Fall biblisch erzählte Zeit ist 791
Vgl. G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 253. Seit wann die Perikope aus Jes 41 als Haftara zu Gen 14 dient, ist nicht klar zu bestimmen. Die Haftara an sich ist bereits im Neuen Testament belegt, jedoch erst spät nach einem Zyklus geregelt worden, vgl. dazu G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, 240.
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der Kampf Abrahams in Gen 14. In diese Zeit werden nun Ps 110, der aber zukünftige Elemente in den Versen 5-7 in sich trägt, und der Gerichtstext von Jes 41 einschließlich einer Erwählung Israels mit hineingenommen. Abraham wird in Jes 41,8 als Chiffre für das Volk Israel gebraucht, sodass die erzählte Zeit zwar nach wie vor der Kampf Abrahams gegen die vier Großkönige ist, der Text aber nun zusätzlich eine eschatologische Auslegungskomponente beinhaltet. Dies ist für das rabbinische Zeitverständnis nicht ungewöhnlich. Als messianischer Text ist bSan 108b dadurch aber nicht zu bezeichnen. In bSan 108b liegt folglich wiederum ein Bezug von Ps 110 zu Abraham vor, wobei die entscheidende theologische Aussage in der unbedingten ״Treue Gottes zu Abraham als dessen Schild, der sich in Gefahrensituationen bewährt" 792 , liegt. Zu den Belegstellen von Ps 110 im babylonischen Talmud lässt sich feststellen, dass Ps 110 als ein Lied über Abraham hinsichtlich seiner Begegnung mit Melchisedek in Gen 14 verstanden wird. Es trägt hier in erster Linie keinen zukünftigen Charakter, sondern ist in der Zeit des Kampfes gegen die Großkönige historisierend gedacht. Möglich ist aber auch ein eschatologisches Verständnis. 9.2.2 In den Midraschim Der Midrasch Tehillim793 legt lediglich Vers 1 aus 794 und kennt dazu fünf verschiedene Deutungen. Die ersten vier sehen Abraham als angesprochene und handelnde Person in Ps 110. Zu diesen Interpretationen werden in den ersten drei Deutungen Gen 14 und Jes 41,2-13, schließlich noch Jes 16.5. Ps 19,10 und Prov 23,23 im vierten Abschnitt herangezogen. In der zweiten Deutung wird - wie schon in bSan 108b - vom Kampf Abrahams gegen die Könige erzählt, in dem er Staub und Spreu warf, die zu Waffen wurden. Abschnitt vier spricht von Abrahams Bedenken, dass er doch Gerechte getötet haben könne. Dies wird insofern mit Ps 110,1 792
G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 258. Der Midrasch Tehillim ist ein Auslegungsmidrasch. ״Die Q u e l l e n , aus denen der Midrasch Tehillim geschöpft hat, sind Mischna, Thosephtha, Mechiltha, Sifre, Talmud Jeruschalmi, Bereschith r., Pesikta des Rab Kahana, Tanchuma, Pirke de Rabbi Elieser und Targum Onkelos. Die Entlehnungen sind theils wörtlich, theils nur dem Sinne nach." Thematisch betrachtet ist im Midrasch Tehillim die Sehnsucht spürbar ״nach einer Erlösung, nach einer Zeit, wo die Vergewaltigung ein Ende haben und eine neue glorreiche Epoche, ein beglückender Zustand anheben wird, der allen Gemüthern für die überstandenen Qualen Trost und Erquickung bringt. Kurz, die Auslegung wird messianisch." A. Wünsche, Midrasch Tehillim, Vllf. 794 Dies ist nicht ungewöhnlich. Der Midrasch Tehillim bietet keine durchgehende Kommentierung, sodass es nur wenige Psalmen gibt, die vollständig gedeutet wurden; vgl. A. Wünsche, Midrasch Tehillim, VII. 793
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beantwortet, als Gott und nicht er selbst seine Kriege geführt habe. ״Erst jetzt wird assoziativ Jes 16,5 zitiert und auf den Messias gedeutet." 795 Wer sich allerdings hinter dem Messias verbirgt, wird hier nicht deutlich. Es heißt 796 : Und wer führte alle diese Kriege? Der Heilige, geb. sei er! denn er sprach zu ihm: Setze dich zu m e i n e r R e c h t e n , ich führe die Kriege für dich. Es ist aber hier nicht erklärt. Wer hat es erklärt? David. S p r u c h des E w i g e n an m e i n e n H e r r n : Setze dich zu m e i n e r R e c h t e n . Und so spricht er zum Messias: ״Und gegründet wird auf Liebe sein Thron und er sitzet darauf in Wahrheit im Zelte Davids" (Jes 16,5).
David habe als Autor von Ps 110 in eben diesem Psalm erklärt, dass Gott die Kriege Abrahams führte. Und genauso, wie JHWH zu Abraham gesprochen hat, so spricht er auch zum Messias. Dieser werde in Wahrheit auf dem Thron sitzen. Weiter heißt es, dass dem Messias die Aufgabe zukomme, in der Tora zu lesen, während Gott Kriege führt. Diese assoziative Verbindung geschieht über zwei Bibelstellen, die miteinander über eine gleiche Vokabel ( = ישבsitzen) und ein gemeinsames Subjekt (JHWH) kombiniert werden, doch sind die Adressaten dieser Zitate zwei unterschiedliche Personen: In Ps 110 spricht JHWH zu Abraham, in Jes 16 zum Messias. Eine ähnliche Aussage begegnet auch, wie oben dargestellt, im Targum in einer Variante zu Vers 1. Die andere Variante dieses Verses die explizite Nennung Davids und Sauls - war wohl die Grundlage der fünften Auslegung von Rabbi Jehuda ben Schallum (um ca. 370) 797 : Nach R. Schallum dem Leviten sprach David also: Der Heilige, geb. sei er! sprach: Gott gedachte mich als Herr und König über Israel zur Zeit zu setzen, wo er den Propheten Samuel sandte, mich zu salben, wie es heisst: ״Fülle dein Horn mit Oel" (I Sam 16, 1), als er aber sah, dass eine Herrschaft die andere auch nicht um ein Haarbreit berühre, sprach er: Setze dich zu m e i n e r R e c h t e n d.i. warte auf Saul, den Sohn des Kisch den Mann Jemini, denn noch gehört ihm die Stunde (d.i. denn noch hat er Zeit), und nach dem Tode Sauls sollst du regieren. Ich s e t z e d e i n e F e i n d e als S c h e m e l d e i n e r F ü s s e . Unter שב, sitze, ist nichts anderes als המתן, warte, zu verstehen, wie es heisst: ״Sitzet ( )שבוdoch hier" (Num 22, 19). Der Targumist übersetzt: אוריכו, verweilet.
In den fünf verschiedenen Deutungen zu Ps 110,1 schließen somit die ersten drei auf Abraham als angesprochene historisch verstandene Person. Da aber auch hier eine Kombination mit Jes 41 vorliegt, ist ebenso eine eschatologische Ausrichtung wahrnehmbar, wie dies bei bSan 108b anzunehmen ist. Die vierte Deutung schafft nun einen 795 796 797
G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 263f. Übersetzung aus A. Wünsche, Midrasch Tehillim, 139. Übersetzung nach A. Wünsche, Midrasch Tehillim, 139.
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Übergang von dem Bericht des Kampfes zur Auslegung auf den Messias hin. Wer allerdings der Messias ist und wie der Zusammenhang zu Ps 110 aussieht, ist nur assoziativ wahrzunehmen. Klar anschaulich hingegen ist der Bezug der fünften Auslegung zu Vers 1 auf David, die auf dem Targum beruht. Weitere Bezüge zu Ps 110 liegen innerhalb der Auslegungen zu den Psalmen 2; 9; 18 und 111 vor. Im Midrasch zu Ps 2 findet sich ein kollektives Verständnis von Ps 110, indem dort Israel angesprochen ist. Es heißt: Den Beschluss des Herrn will ich kundtun. Er sprach zu mir: Mein Sohn bist du. (Ps 2,7). Über die Kinder Israels wird kundgetan, dass sie Söhne sind, (und zwar) in der Verordnung der Tora, in der Verordnung der Propheten und in der Verordnung der Schriften. In der Verordnung der Tora steht geschrieben: So spricht der Herr: Israel ist mein erstgeborener Sohn (Ex 4,22). In der Verordnung der Propheten steht geschrieben: Seht, mein Knecht hat Erfolg, er wird groß sein und hoch erhaben (Jes 52,13), und weiter steht geschrieben: Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen (Jes 42,1). In der Verordnung der Schriften steht geschrieben: Sitz an meiner Rechten, bis ich lege deine Feinde als Schemel für deine Füße (Ps 110,1), und weiter steht geschrieben: Ich sah in den nächtlichen Visionen: Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem, der alt an Tagen war, und wurde vor ihn geführt. Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen (Dan 7,13-14).
In diesem Abschnitt werden sowohl die Exodusgruppe, der Gottesknecht als auch der Menschensohn des Danielbuches mit Israel identifiziert. Schließlich wird Israel selbst zur Rechten Gottes gesetzt.798 Im Midrasch zu Ps 18 wird nun eindeutig auf den Messias als einzelne Person Bezug genommen, obwohl ״die Auslegung maßgeblich an Abraham orientiert"799 ist. Dort sagt R. Judan im Namen des R. Hama: In der künftigen Zeit wird der Heilige, gepriesen sei Er, den König Messias zu seiner Rechten sitzen lassen, wie es heißt: Sitz an meiner Rechten (Ps 110,1); und Abraham zu seiner Linken. Da wird Abrahams Gesicht bleich werden und er zu Ihm sagen: ״Mein Enkel sitzt zur Rechten und ich zur Linken!" Darauf wird der Heilige, gepriesen sei Er, ihn trösten und sagen: Dein Enkel sitzt zu meiner Rechten, ich aber zu deiner Rechten: Der Herr ist an deiner Rechten (Ps 110,5). (So tritt ein:) (Du gabst mir deine Hilfe zum Schild, Deine Rechte stützt mich;) Du neigst Dich mir zu und machst mich groß (Ps 18,36).
798 799
Vgl. auch G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 263. Ebd.
9.2 An•wenrichtet sich der Psalm?
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Hier kommen der Messias und Abraham als Akteure vor, die beide neben Gott sitzen, ״Abraham aber steht erneut im Zentrum. Er sitzt jetzt da, wo Gott sitzen sollte. In kaum überbietbarer Größe übernimmt er Gottes Funktion, während Gott an Abrahams Ehrenplatz zur Rechten sitzt. Die Aussage über den Messias steht daher auch nicht für sich, sondern gehört in die Auslegung von der großen Ehre Abrahams hinein." 800 Eine deutliche messianische Auffassung von Ps 110, dieses Mal von Vers 2, findet sich in BerR 85,als Auslegung zu Gen 38,18.802 e s heißt: Und er sprach: Was ist das Pfand usw.? Und sie sprach: Deinen Siegelring, deine Schnur und deinen Stab usw. Es sprach R. Chunja: In ihr blitzte der heilige Geist auf. Dein Siegelring ist das Königtum wie gesagt wird: Wenn auch Konja, der Sohn Jojakims, der König von Juda, ein Siegelring usw. (Jer 22,24). Deine Schnur ist der Sanhedrin, wie gesagt wird: Sie sollen an die Quaste des Zipfels eine Schnur aus violettem Purpur setzen (Num 15,38), und dein Stab ist der König Messias ()מלך המשיח, wie gesagt wird: Den Stab deiner Macht wird JHWH senden von Zion aus (Ps 110,2).
In dieser Geschichte wird das Pfand allegorisch gedeutet und mit Jer 22,24 (zum Siegelring), Num 15,38 (zum Tallit und dem Sanhedrin) und mit Ps 110,2 (Stab als Zepter des Königtums) verbunden. In der deutschen Übersetzung von A. Wünsche803 findet sich noch ein Hinweis, dass der Stab mit der messianischen Weissagung in Jes 11,1 korrespondiere. R. Chunja sehe demnach eine Assoziation in dem Wort ״Stab" und ״Stamm", sodass der Stab von Ps 110,2 in der messianischen Weissagung von Jes 11,1 wiedererkannt werde. Midrasch Tanchuma804. ־TanB Gen 14,16 und Gen 18 Auch hier wird in der Abraham-Perikope zur Schlacht mit den vier Königen in Gen 14 Abraham als angesprochene Person in Ps 110 800
G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 263. Beim Midrasch Genesis Rabba handelt es sich um einen Auslegungsmidrasch zur Genesis, wobei der Autor mit den Inhalten von Mischna, Tosefta, halachischen Midraschim und Targumim wohl vertraut gewesen ist. Vermutlich lag seine Endredaktion in etwa zeitgleich mit der des Jerusalemer Talmuds, wohl in der ersten Hälfte des 5. Jh.s. (Angaben siehe G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch). 802 H. Strack u. P. Billerbeck verweisen hierzu noch auf eine andere messianische Deutung, die sich aber ebenfalls auf Vers 2 bezieht (eine Auslegung durch R. Levi um 300, die in WaR 24 zu finden ist). 803 Vgl. Midrasch Bereschit Rabba (Bibliotheca Rabbinica) zur Stelle. 804 Die Tanchumaliteratur gehört zu den homiletischen Midraschim des Pentateuchs. Die Entstehungszeit ist auch hier umstritten, evtl. ist eine Zeit um 400 n.Chr. anzunehmen. (Angaben s. G. Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch). 801
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Tradition
konstatiert: Als der König von Sodom Abraham sah, setzte ihn Gott an seine Rechte, wie es in Ps 110,1 geschrieben steht. Ebenso wird in der Auslegung zur Abrahamserzählung in Gen 18 Ps 110 zitiert, insofern, als Abraham doch vor seinem Zelt sitzen bleiben und nicht aufstehen solle. Abraham sei alt und dürfe sitzen bleiben, wie es in Ps 110 über ihn heißt: Sitz zu meiner Rechten! Beide Auslegungen beschreiben Ps 110 in einem geschichtlich konstruierten Kontext, der biblisch so nicht erzählt wird, der aber die biblische Erzählzeit beansprucht. Der Adressat von Ps 110 ist hierbei Abraham. In der Midraschliteratur begegnen unterschiedliche Wahrnehmungen des Adressaten von Ps 110. Es tritt vermehrt die geschichtlich konstruierte Deutung auf Abraham in Kombination mit Gen 14 wie auch mit Jes 41 auf. Daneben existiert eine Deutung auf den historischen David in der fünften Deutung des Midrasch zu Ps 110, ebenso wie eine im Bereich der Identifizierung des Adressaten unklare Assoziation von Jes 16 zu Ps 110. Im Midrasch zu Ps 2 wird Israel zu der Person, die zur Rechten JHWHs sitzt. Vers 2 erhält als einziger Vers eine deutliehe messianische Interpretation in BerR. 9.2.3 Bei Saadja Gaon Saadja identifiziert ebenfalls die angesprochene Person in Ps 110,1 als den biblisch bekannten Abraham und bezieht diesen Psalm auf dessen Triumph aus Gen 14,15. So deutet er Vers 4 gleich der Talmudstelle bNed 32b, dass Abraham wegen des Wortes von Melchisedek Priester in Ewigkeit wäre. ״Positives Gegenbeispiel ist David, wozu Saadja auf die Abfolge der Beracha gegenüber Abigajil in 1 Sam 25,32f verweist." 805 Saadja versteht die Blickrichtung des Autors von Ps 110 somit als rückwärtsgewandt, der den triumphierenden Abraham besingt. 9.2.4 Bei Jefet ben Eli Jefet ben Eli ״verlegt diesen Psalm insgesamt in die messianische Zeit, wenn er als Sprecher die Israeliten der ,Generation der Rettung' voraussetzt. Diese eschatologische Zuordnung bestätigt sich ihmzufolge durch die Stellung des Psalms innerhalb des Psalters, die auf die Tätigkeit des Redaktors (mudauwin) zurückgeführt wird und im Fall von Ps 110 diesen mit dem vorausgehenden Fluchpsalm kontrastiert."806 So wird mit אדניin Vers 1 der Messias angeredet, der nicht explizit ein david redivivus, sondern ein nicht näher mit Namen bezeichneter Erlö805 806
F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, 321 f. F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, 300.
9.2 An •wen richtet sich der Psalm?
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ser ist. F. Eißler hält dies für ״eine gewagte Identifizierung, wird sie vom karäischen Exegeten ohne ein Wort zuviel sachlich durch zwei Bibelstellen gestützt, die zunächst schlicht die Bezeichnung des Königs mit אדון,Herr' belegen (lKön 1,11 David; lKön 22,17 par. 2Chr 18,16 in der Prophetie Micha ben Jimla). Der Bezug speziell auf den König Messias ergibt sich aus den Gesamtentwurf."807 Durch die Parallelstelle aus dem 1. Königebuch, in der David angesprochen ist, wird deutlich, dass ein kommender Messias ein Davidide sein wird gemäß jüdischer Tradition. Konsequent in messianischer Richtung interpretierend, übersetzt Jefet ben Eli in Vers 4 auch nicht den Namen ״Melchisedek", sondern808: Der Ewige hat geschworen •und nimmt es nicht zurück: Du bist Führer für den Verlauf der Ewigkeit, gemäß meinem Wort mein König - die Gerechtigkeit!
Gemeint ist hier, dass der König die Gerechtigkeit verwirklicht, wie dies auch in Jes 11,5 vom Messias ausgesagt wird. Für Jefet ben Eli stellt Ps 110 eine messianische Weissagung auf einen kommenden davidischen König Messias dar, der Gerechtigkeit mit sich bringen wird. 9.2.5 Bei den hochmittelalterlichen Grammatikern Obwohl den jüdischen Grammatikern und Bibelauslegern wie Radak, Ibn Esra und Rabbi Menachem haMeiri die Auslegung "רבותינו״bekannt ist, entscheiden sie sich für eine Auslegung auf David hin. Lediglich Raschi bevorzugt eine Deutung auf Abraham, kennt aber auch die Möglichkeit, Ps 110 auf David hin auszulegen. Raschi schließt aus dem Dialog zwischen den Hethitern und Abraham in Gen 23,6.11.15, in dem die Hethiter Abraham mit ״mein Herr" anreden, dass Abraham auch in Ps 110 derjenige sei, der als ״mein Herr" angeredet werde. So wird Ps 110 mit der biblischen Abrahamserzählung verknüpft und in die dort erzählte Zeit hineingezogen. Abraham soll nach Raschis Auslegung von Ps 110 in der Oase Kadesch warten der Bezug wird über Dtn 1,46 hergestellt: Setzt euch viele Tage nach Kadesch; und auch die vier Krieg fuhrenden Großkönige in Gen 14 plündern unter anderem Kadesch - , bis JHWH seine Feinde, die vier Großkönige Amrafel, Arjoch, Kedor-Laomer und Tidal zum Schemel für seine Füße macht. מטהversteht Raschi unter Bezug auf Ps 105,16 als ״Vorrat", sodass der Vorrat der Stärke von JHWH aus Zion ge807 808
637.
F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, 302. Übersetzung nach F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung,
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schickt wird, was durch Melchisedek, den König von Salem, geschieht, der Abraham und seinen Männern Brot und Wein zur Stärkung bringt. Die Männer, die Abraham zusammenruft, um seinen Neffen Lot zu retten, werden nach Raschi in Vers 3 mit עמך נדבותbeschrieben. Ibn Esra hingegen versteht Ps 110 unter Bezug auf II Sam 21,17 als Gesang der Männer Davids auf ihren Herrn. Dementsprechend spricht JHWH zu David: ״Setz Dich in mein Haus und diene mir und ziehe nicht mit den Männern in den Krieg. Die Rechte JHWHs wird für dich Krieg führen." Die Männer Davids sollen mithilfe von JHWH für David, ihren Herrn, Krieg führen, während David Tempeldienst leistet und den Zehnten nimmt, wie auch Melchisedek von Abraham den Zehnten nahm. So erhält Vers 4b eine beispielhafte Deutung. Ps 110 wird somit Teil der biblischen David-Geschichte. Radak ist der Ansicht, dass Ps 110 aufgrund des Wortsinns ()דרך הפשט auf David hin auszulegen, genauer als בעבורDavid zu verstehen sei. Diese Deutung erhält Radak, indem er das לin der Überschrift grammatisch näher beleuchtet. Unter Berufung auf Gen 20,13 könne diese Präposition auch als ״wegen" oder ״in Bezug a u f verstanden werden. Dort bittet Abraham seine Frau Sara, dass sie ״über" bzw. ״wegen" ihm sagen soll, sie sei seine Schwester: אמרי־לי אחי הוא Sag in Bezug auf mich: Mein Bruder ist er.
So muss nach Radak die Überschrift zu Ps 110 als ״ein Psalm in Bezug auf David" verstanden werden. Als weitere Vergleichsstelle für diese Psalm-Interpretation legt Radak II Sam 5 zugrunde und kann so den Psalm als Lied des Volkes auf den Beginn der Herrschaft Davids über ganz Israel beziehen. Die in Ps 110 noch anonymen Feinde sind nun explizit die Philister. Zum Priester in Ewigkeit wird David wegen seiner Rechtschaffenheit als König ernannt (II Sam 8,15). Am Schluss der Auslegung zu Ps 110 folgt ein längerer Epilog, dass die Christen diesen Psalm auf Jesus hin auslegen würden, dass dies aber nicht richtig sein könne. Radak fügt einige Erklärungen an, dass die christliche These klare Auslegungsfehler beinhalte.809 Er versucht, diese Fehler nach und nach aufzudecken und folgert sinngemäß: ״Und behaupten sie nicht, dass unser Schrifttext Zeugnis für sie ist? Wenn dem so ist, dann sollen sie auch an das Zeugnis glauben! (Und es ernst nehmen und es nicht nach ihrem Dafürhalten abändern)." 809
Beispielsweise würden die Christen in נאם יי לארוניVater und Sohn erkennen oder in Vers 3 ע?זךstatt ע?זףlesen.
9.3 Wie wird mit dem Motiv der göttlichen Geburt in V.3 umgegangen?
287
Rabbi Menachem haMeiri bezieht ebenfalls aufgrund der Überschrift Ps 110 auf David, argumentiert allerdings nicht grammatisch. Im Gegensatz zu Radak sieht er in David weiterhin den Autor und den Spreeher der Psalmen, stehend auf einem Podium vor dem Altar. Auf einem Podium aber redet man nicht von sich in der ersten Person, sondem in der dritten. So kann David gleichzeitig der Dichter, Vorträger und angesprochene Person sein. Dieser Vortrag Davids spiegele die Prophezeiung JHWHs an David wider. Der Psalm bezieht sich nach R. Menachem haMeiri ebenso auf den Beginn der Davidsherrschaft, wie dies auch Radak vermutete. Auch hier finde sich der Gedanke, dass David, weil er sich als ein gerechter König erwiesen habe, zum Priester in Ewigkeit berufen werde. Neu ist bei R. Menachem haMeiri die eschatologische Komponente in den Versen 5-7, die sich ausschließlich auf JHWH beziehen. Während der erste Teil des Psalms Aussagen über den geschichtlichen David treffen würde, handele Teil 2 von dem Ende der Tage, an dem JHWH eine endzeitliche Schlacht führen werde. 810 Den genannten Auslegern des hohen Mittelalters sind bereits einige Deutungsmöglichkeiten von Ps 110 bekannt. Raschi schließt sich als einziger den im babylonischen Talmud zitierten Rabbinen an, während die anderen Ausleger mithilfe unterschiedlicher biblischer Vergleichsstellen zu der Annahme gelangen, David sei in Ps 110 angesprochen. 9.3 Leitfrage 2: Wie wird mit dem Motiv der göttlichen Geburt im ursprünglichen Vers 3 umgegangen? 9.3.1 Im Jerusalemer Talmud Im Traktat Berachot des Jerusalemer Talmuds (yBer V,2,9b) heißt es: R. Jaaqob aus dem Dorf Chanan (sagte) im Namen des Resch Laqisch: In der Stunde, als dein Urahn Abraham meinen Willen tat, habe ich ihm geschworen, dass ich seinen Söhnen den Tau nie vorenthalten werde. Womit ist dies begründet? ל ך ט ל י ל ד ו ת ךund gleich darauf steht geschrieben: G'tt hat geschworen, und es wird ihn nicht reuen.
Wiederum wird vorausgesetzt, dass Abraham in Ps 110 angesprochen ist, da Ps 110 als Rede JHWHs an Abraham stilisiert wird. Wie im Targum wird in ילדותךein Synonym für die Nachkommenschaft gesehen - die Konsonanten werden (bis auf ein fehlendes יund ein וals plene-Schreibung) beibehalten, während der Targum in תו לך תךändert. Der Tau wird als segensreiche Gabe aufgefasst, wie dies zum Beispiel 810
Am Schluss bemerkt R. Menachem haMeiri, dass es durchaus noch andere Auslegungsmöglichkeiten gibt, die er schließlich aufzählt.
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9 Ps 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüd. Tradition
in Gen 27,28 der Fall ist. משחרist nicht Teil dieser Passage, sondern lediglich die Zusage JHWHs an Abraham, dass er seinen Segen nie von Abrahams Nachkommen nehmen werde. So fehlt auch hier der Gedanke einer göttlichen Geburt des menschliehen Königs. 9.3.2 In den Midraschim Der Midrasch zu Ps 110 beschäftigt sich nur mit Vers 1, Vers 3 kommt hingegen in der Auslegung zur Abrahamsgeschichte vor und wird somit in BerR zitiert, ebenso wie in der Tanchumaliteratur811. In den beiden letztgenannten Midraschim steht das Zitat Ps 110,3 in der Auslegung zu der Parascha לך לך, sodass die Beziehung zwischen Gen 12,1 zu Ps 110,3 über das in beiden Texten ״ungewöhnliche" לךverläuft. BerR 39,8 (zu Gen 12,1): Im Midrasch zu Gen 12,1 folgt innerhalb der Untersuchung, warum zweimal hintereinander לך לךgeschrieben steht, eine Bezugnahme auf Ps 110,3 - wiederum wird eine Abraham-Perikope mit Ps 110 in Verbindung gebracht, nur diesmal nicht über die Figur Melchisedek, sondem mithilfe eines Analogieschlusses über das erklämngsbedürftige לךin beiden Texten. Gen 12, Ps 110,3 und die Vorstellung, dass Abraham eine Bewährungsprobe im Feuerofen besteht, werden miteinander zu einem Text verschmolzen. R. Nechemja soll hinsichtlich dem ersten לךbemerkt haben, dass Gott Abraham nach Haran gehen ließ, nachdem er den ״Bund" mit ihm geschlössen hatte, wie es heißt: ביום חילך.דבור: עמך. Zur Erklärung wird gesagt: עמך הייתי בשעה שנידבתה לשמי לירד לכבשן אש. Mit dir war ich in der Stunde, als du dich freiwillig hingabst, für meinen Namen in den Feuerofen zu steigen.812 An dem Tag, an dem Abraham alle Heere und Völker versammelte, wurde er vom Schmuck der Welt (von Osten her) von Gott geheiligt. מרחם משחרwird im Folgenden gedeutet als מרחמו שלעולם שיחרתיך לי: Vom Schoß der Ewigkeit/der Welt aus habe ich dich für mich gesucht. So ist klar, dass hier die Bedeutung der Wurzel 811 TanB Gen 27,28 wird hier nicht berücksichtigt, da dort nur der Anfang von Vers 3 ausgelegt wird, nicht aber שחרund .ילדתיך 812 Ähnlich übersetzt auch G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 256. A. Wünsche, Midrasch Bereschit Rabba, hingegen gibt das ע מ ךmit ״dein Volk" wieder. Dass Abraham eine Bewährungsprobe im Feuerofen überstehen musste, ״wird zum Standardrepertoire der jüdischen Abrahamserzählungen" (G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 256). So steht dies beispielsweise bei Pseudo-Philo, LibAnt 5,15ff. Diese Legende wird aus Gen 11,31 abgeleitet, indem die Stadt אורin Chaldäa als ״Feuer der Chaldäer" interpretiert wird; vgl. Art.: אור III; HALAT I, 24.
9.3 Wie wird mit dem Motiv der göttlichen Geburt in V.3 umgegangen?
289
שחרII verwendet wird, was ״suchen", ״streben nach" beinhaltet. לך טל ילדתיךwird verstanden, als dass Abrahams Sünden verflogen sind wie der Tau, und er wie Tau ein Segen ist. Auf ילדתיךwird nicht näher eingegangen, aber deutlich als deine Jugend/Kindheit begriffen, weil auf Abrahams Jugendsünden als Götzendiener angespielt wird. Durch die Wortwahl ״suchen" für משחרist eine Erwählung intendiert, wie dies später bei Jefet ben Eli weiter ausgemalt wird. Doch ist die angesprochene Person ein nicht-messianischer Abraham. Abraham wird als ein Erwählter dargestellt, aber ohne dass ihm eine göttliche Geburt bescheinigt wird, doch erhält er das besondere Attribut, dass ihn Gott schon ״vom Anbeginn der Welt" ausgesucht hat. Der Tau hat hier die doppelte Bedeutung von Segen und Vergänglichkeit (von Sünden). Midrasch Tanchuma TanB Gen 12,1 Ebenfalls innerhalb der Parascha לך לךfindet sich eine ähnliche Auslegung von R. Jehoschua ben Qarcha.813 Auch hier wird versucht, das zweifache לךin Gen 12,1 zu erklären. Die Doppelung bedeute, dass Gott Abraham in früher Jugend / Kindheit - mit drei Jahren - für sich ausgesucht habe. Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, wird Gen 12,1 mit Ps 110,3, Gen 25,7 und Gen 26,5 kombiniert. In Bezug auf Ps 110,3 heißt das, dass משחר und לךzusammen interpretiert werden (ich habe dich gesucht) und dann nochmals das לךin Bezug auf ( טלdu hast den Tau deiner Tugend/Kindheit). So wird auch in Ps 110,3 das לךdoppelt gedeutet und man erhält dadurch einen Zusammenhang mit Gen 12,1. Schließlich wird in TanB Gen 12,1 die Frage gestellt, was denn der ״Tau deiner Jugend/Kindheit" intendieren würde. Als Antwort heißt es, dass der ״Tau der Jugend/Kindheit Abrahams" das Alter von drei Jahren impliziert. Dieses Alter wird durch Gematrie errechnet: Abraham starb mit 175 Jahren (Gen 25,7), und Abraham hörte auf die Stimme Gottes (Gen 26,5). Gen 26,5 beginnt mit dem Wort עקב, was den Zahlenwert 172 ergibt. Wenn man nun 172 von 175, dem Alter seines Todes, subtrahiert, so erhält man die Zahl drei, die den ״Tau der Jugend / Kindheit" widerspiegeln soll. Aus dem Blickwinkel der vorliegenden Untersuchung betrachtet, lässt sich also feststellen, dass משחרvon der Bedeutung ״suchen" her interpretiert wird und ילדתיךals Nomen ״deine Jugend/Kindheit" bestehen bleibt, wie es auch im masoretischen Text belegt ist. In diesen beiden Stellen der Midraschliteratur wird ילדתיךdurchgehend als ״deine Jugend/Kindheit" und משחרals Verb verstanden. Folglieh wird nicht von einer göttlichen Geburt gesprochen, aber es wird eine Art Erwählung Abrahams ״vorzeiten" intendiert. 813
R. Jehoschua ben Qarcha zitiert Ps 110 auch noch in BerR 55. Dort stellt er die Überlegenheit Abrahams gegenüber Mose heraus.
290
9 Ps 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüd. Tradition
9.3.3 Bei Saadja Gaon Saadja gibt Ps 110,3 wie folgt wieder 814 : Und dein Volk wird erhaben/herrlich sein am Tage, da dein Heer einziehen wird in das Land, in dem das Heiligtum ist, und von der Tiefe des schwarzen Stromes wird dir sein, dass du darin die Lose deiner Kinder wirfst.
Offensichtlich liegt dieser Interpretation noch eine weitere Bedeutung der Wurzel שחרzugrunde, die bis jetzt keine Erwähnung fand. Weiterhin bleibt die angesprochene Person Abraham und so kann in Bezug auf die Abrahamsgeschichten der Genesis auch hier eine Landverheißung ausgesprochen werden. F. Eißler verweist zu dieser Auslegung auf Gen 15,18, ״da hier der ,Strom Ägyptens' genannt ist, mit dem Saadja משחרidentifiziert. Möglich wird dies durch die Lesung משחר ,vom Schihor an', die nun weder auf die Erwählung ( שחרII) noch auf die Dunkelheit ( שחרI) noch freilich auf die Morgenröte ( )שחר- abzielt, sondern den ägyptischen Ausdruck für ein Gewässer, ,Schihor', ins Auge fasst [...]. Konsequent ist רחםganz als Bild zu fassen, das Saadja nach dem Beispiel Ijob 38,8 mit hadtd ,Tiefe, Grund' überträgt. טלhat für Saadja nichts mit dem Tau zu tun, er interpretiert es von טול H1. ,weithin werfen' sowie ילרותיךals elliptischen Hinweis auf den Landbesitz der abrahamitischen Nachkommen." 815 Diese ganz neuartige Variante des Verständnisses von Ps 110,3 hat ebenfalls nichts mit dem Motiv einer göttlichen Geburt aus der ״Morgenröte" gemein. Es wird stattdessen das Theologumenon der abrahamitischen Landverheißung - ebenso wie die Verheißung eines großen (״erhabenen") Volkes in Vers 3 a - in den Psalm eingetragen. 9.3.4 Bei Jefet ben Eli Die Übersetzung von Vers 3 lautet bei Jefet ben Eli 816 : Dein Volk [bringt dar] freiwillige Gaben am Tag deines Heeres in der Pracht des Heiligtums; vom Mutterleib an Erwählter - durch dich der Tau deiner Jugend!
Diese Übersetzung ähnelt stark dem masoretischen Text - die Unterschiede bestehen lediglich in der Wahl der Bedeutung von שחרII
814
Übersetzung nach F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung,
308. 815 816
308.
F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, 317. Übersetzung nach F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung,
9.3 Wie wird mit dem Motiv der göttlichen Geburt in V.3 umgegangen?
291
(suchen, übertragen dann: erwählen) und der Übersetzung von לךals Mittel zum Zweck: ״durch dich" statt ״für dich". Nach Eißler zielt עמך נדבותauf ״die durch besondere Leistungen der Toratreue und Gottesliebe ausgezeichneten Karäer, die den eschatologischen universalen Gehorsam der Menschheit gegenwärtig schon zeichenhaft praktizieren, um das Kommen des Messias vorzubereiten."817 Wenn der Messias kommt, wird durch ihn der Tau seiner Jugend kommen. Der Tau ist hier wiederum ein Bild des Segens. Was aber spezifisch der Tau seiner Jugend ist, wird nicht näher entfaltet, nur, dass dies wohl mit einer messianischen Erscheinung zu tun hat. Somit liegt hier ein messianisches Verständnis der angesprochenen Person, nicht aber eine göttliche Geburt oder Zeugung vor. 9.3.5 Bei den hochmittelalterlichen Grammatikern Raschi versteht Vers 3, wie den gesamten Psalm, als auslegende Ergänzung zu Gen 14. Abraham sammelt Leute um sich, die freiwillig für ihn kämpfen werden. Das alles kann nur dank seines heiligen Glanzes geschehen, den er schon im Leib seiner Mutter innehatte. Mit drei Jahren dann erkannte ihn sein Schöpfer. Seit Abraham aus dem Mutterleib kam ( מרחםwird interpretiert als )משנפלת מן הרחם, führte er ein aufrechtes Leben mit vorbildlichem religiösem Verhalten. Die Tatsache, dass hier ein vorbildliches religiöses Verhalten intendiert ist, erschließt Raschi aus dem Wort משחר, das er als משחיריןliest. Dazu beruft er sich auf bBes 35b. Dort wird eine Diskussion zwischen Rabbinen aufgezeigt, die das Wort משיליןaus der Mischna verschieden interpretieren: Es wird einmal als משיליןgelesen, ein anderes Mal als משחירין, eine dritte Variante heißt מנשירין. Diese Talmud-Stelle bespricht das richtige Tragen von Schläfenlocken, sodass Raschi daher den Bezug von משחרüber משחיריןzu religiösem Verhalten herstellen kann. Wie Abraham in seiner Jugend/Kindheit ( )ילדותךbereits auf den richtigen Wegen ging, so werden sie ihm ( )לךauch jetzt entgegenkommen. Wie Tau ( )כטלwird es sein: angenehm und ruhig. Hier wird die Vorstellung ״Abraham als Vorbild im Glauben" besonders deutlich. Bereits in seiner Jugend ging er stets die richtigen Wege, vor allem in religiösen Belangen, was die Aussage über die Schläfenlocken repräsentieren soll. Abraham wird früh von seinem Schöpfer erkannt - diese Herleitung ist bereits aus TanB zu Gen 12,1 bekannt - , aber er wird nicht von ihm gezeugt, ebenso wenig von der ״Morgenröte". משחרwird hier zu einem Verb, vermutlich ״schwärzen".
817
F. Eißler, Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, 311.
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9 Ps 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüd. Tradition
Ibn Esra versteht den ״Tau" als Ausdruck für Quantität und die ״Morgenröte" als Zeitangabe. Das entspricht den üblichen biblischen Verwendungsweisen. Die ״Morgenröte" wird oft als Begriff der Zeit benutzt, der Tau ist meist eine Mengenangabe oder ein Bild für Segen. Eingeleitet wird Ps 110 durch נדבת, das für ( גשם נדבותPs 68,10) stehe, und so bedeute Vers 3: Wenn es notwendig sein wird, Krieg zu fuhren, dann wird dein Volk zu dir kommen an diesem Tag wie ein reichlicher Regen ()גשם נדבות. Vom Aufgang der Morgenröte werden sie kommen wie Tau, an den du dich gewöhnt hattest, ihn zu sehen in deiner Jugend/Kindheit, als du das Kleinvieh hütetest.
Für Radak ist die ״Morgenröte" ebenfalls ein zeitliches Attribut, der ״Tau" - im Gegensatz zu Ibn Esra - ein Zeichen des Segens. Zudem wird die Geburt (das Kommen aus dem Mutterleib) mit der ״Morgenröte" parallelisiert, sowie der Segen mit dem Tau. Nach Radak wird durch das Bild der ״Morgenröte" gemeinsam mit dem ״Tau" eine Gleichzeitigkeit ausgedrückt: Am selben Tag, an dem du aus dem Mutterleib geboren wurdest, wurdest du zur Königsherrschaft bestimmt und gesegnet; denn auch die Morgenröte bringt gleichzeitig den Tau mit sich, der ein Zeichen für Segen ist. Geburt und Segen sind somit an einem Tag geschehen - wie auch die Morgenröte an demselben Tag den Tau mit sich bringt. Auf ילדתיךwird zwar nicht näher eingegangen, aber um Missverständnisse zu vermeiden, punktiert Radak dieses Wort nach masoretischer Weise. In dieser Auslegung ist eine Geburtsmetaphorik vorhanden: David war seit dem Tag seiner Geburt für das Königtum bestimmt und gesegnet. Von einer göttlichen Zeugung aber ist nichts enthalten. Rabbi Menachem haMeiri: Sein Bezugspunkt ist der Beginn der Davidsherrschaft, sodass noch einmal durch מרחם משחדeine Anfangsmetaphorik zum Ausdruck kommt. So wird in Vers 3 David zugesichert, dass ihm ein ״freiwilliges Herz" zukommt, wenn die Zeit naht, in der ein Heer aufgestellt werden muss. Er ist beim Volk beliebt. So angenehm wie seine Jugend/Kindheit war, so angenehm soll auch seine Herrschaft werden. Auch Rabbi Menachem haMeiri hält durch Punktierung fest, dass ״unsere Lesart" ילךתיךist und somit kein Verb der Zeugung darstellt. Bei Ibn Esra, Radak und R. Menachem haMeiri wird die ״Morgenröte" als zeitliches Attribut aufgefasst. Zu ילדתיךwird bei Radak und R. Menachem haMeiri ausdrücklich die Lesart ילדתיךpunktiert, sodass beide - wie auch die anderen Ausleger - hier ״deine Jugend/ Kindheit" erkennen. Bei Radak ist indessen immer noch eine Geburtsmetaphorik wahrzunehmen - diese ist aber nicht göttlicher Art.
9.4 Auswertung
293
9.4 Auswertung Folgt man H. Strack/P. Billerbeek, so ist eine chronologische Entwicklungslinie in der Auffassung des Adressaten von Ps 110 auszumachen. Es zeige sich, dass die alte Synagoge bis zum Jahre 250 n.Chr. lediglich die Auslegung des Psalms auf Abraham kenne; dann trete die messianische Deutung hervor, getragen von bedeutenden Autoritäten jener Zeit. Daneben bestehe die Auslegung auf Abraham entweder selbständig fort, oder sie würde mit der messianischen Erklärung verquickt. Noch später erscheine die Deutung auf David.818 Eine solche Chronologie innerhalb der Auslegung von Ps 110 auszumachen, ist freilich schwieriger, als von Strack/Billerbeck vermutet, da die Namen der Rabbinen sich nicht für Datierungszwecke eignen.819 Talmud und Midrasch bedienen sich nicht bekannter Rabbinernamen, um eine historische Abfolge der Aussprüche darzustellen. Es geht vielmehr um Autoritäten, denen Aussagen zur Legitimierung des richtigen Kultes in den Mund gelegt werden. ״Therefore we should ask questions of a religious rather than of a historical character."820 Vorliegende Untersuchung wurde hinsichtlich zweier Leitfragen durchgeführt, wobei die erste sich um die Identität der angesprochenen Person bemühte: Ist der Adressat von Ps 110 in jüdischer Auslegung Abraham, David oder ein anonymer König? Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Blickrichtung des Psalmisten. Einige Ausleger verstehen Ps 110 als ein Lied, das in der Abraham- oder Davidgeschichte geschichtlich verankert ist. Andere hingegen nehmen in Ps 110 eine eschato logische - beziehungsweise messianische - Aussage wahr. In manchen Texten sind beide Richtungen lesbar. Als namhafte Adressaten werden von den Auslegern entweder Abraham oder David genannt. Obwohl beide geschichtliche Charaktere darstellen, bleibt zu untersuchen, ob es sich hierbei um die biblischen oder um wiederkehrende zukünftige Personen handelt. Des Weiteren war zu klären, wie in jüdischer Rezeption und Auslegung mit der ursprünglichen göttlichen Geburt des Königs durch JHWH und der ״Morgenröte" in Vers 3 umgegangen wurde. Allein innerhalb der mündlichen Tora sind deutliche Unterschiede in der Auffassung von Ps 110 auszumachen. Obgleich Talmud wie Midrasch mehrheitlich Abraham als Adressaten verstehen, lassen sich doch unterschiedliche Abraham-Bilder erschließen. Im Talmud finden sich - im Gegensatz zur Midraschliteratur - eher nüchterne Bibel818
Vgl. H. Strack u. P. Billerbeck, Der 110. Psalm, 458. Vgl. dazu J. Neusner, Reading and Believing, 44: Es sei ein häufiger Fehler in der Analyse von Midraschim, ״to claim of exact chronological or historical accurancy". 820 J. Neusner, Reading and Believing, 119. 819
294
9 Ps 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüd. Tradition
Stellenverknüpfungen und somit ein geschichtlich konstruiertes Abraham-Verständnis. In bNed 32b wird die Auslegung R. Ismael in den Mund gelegt, der Gen 14 mit Ps 110 über die Figur des Melchisedek verbindet. Somit wird Ps 110 in der Abrahamserzählung geschichtlich verankert und stellt eine Gottesrede an Abraham dar. Die beiden Talmudim (bSan 108b sowie yBer V,2,9b) beschreiben ebenso den geschichtlich konstruierten Abraham einerseits im Kampf gegen die Könige aus Gen 14, andererseits innerhalb eines Segens von JHWH an Jakob. Aber es sollte beachtet werden, dass neben diese geschichtliche Konstruktion auch eine eschatologische Komponente tritt, wenn Jes 41 in die Interpretation mit hineingenommen wird. In BerR (ähnlich auch in TanB) in Parascha לך לךist zwar ebenfalls Abraham mit Ps 110 verknüpft, doch erscheint hier ein leicht anderes Abraham-Bild: In einer für den Midrasch typischen Art wird die zu besprechende Bibelstelle ausgeschmückt und mit außerbiblischen Traditionen verbunden, so beispielsweise mit der Bewährungsprobe Abrahams im Feuerofen. Durch die Auslegung von משחרwird von der Erwählung Abrahams von Ewigkeit her gesprochen, sodass hier nicht mehr nur die biblische Figur ,Abraham" beschrieben wird, sondern eine in der Wirkungsgeschichte weiter ausgemalte. Vom Erwählungsgedanken zu einer messianischen Auslegung ist es nur ein kleiner Schritt, obwohl Abraham nicht der erwartete jüdische Messias ist. G. Oberhänsli stellt in ihrer Untersuchung zu biblischen Figuren in der rabbinischen Literatur den besonderen Charakter Abrahams heraus. Sie beschreibt seine Position in den Midraschim unter anderem als ״Drehscheibe. Er setzt die Massstäbe, an denen die andern biblischen Helden gemessen werden."821 Abraham sei sowohl ein ״mustergültiger Prüfungsabsolvent" wie auch der ״numinose Wegbereiter Israels". Sogar die Schechina gestehe ihm große Ehre zu, sie steht vor ihm, während er sitzt.822 Während im Talmud folglich mehrheitlich geschichtlich konstruierte Abraham-Bilder zu Ps 110 vorliegen - verbunden mit anderen Bibelstellen, nicht aber mit weiterem außerbiblischen Traditionsgut ist eine prägnante Schlussfolgerung bezüglich der Midraschliteratur nicht so eindeutig. Die Midraschim bergen in sich verschiedene Arten der Auslegung, sodass allein in der Deutung zu Ps 110,1 im Midrasch Tehillim eine Entwicklungslinie nachzuzeichnen möglich ist. Die Deutungen eins bis drei folgen dem talmudischen Beispiel aus bSan 108b (obwohl nicht klar ist, ob die Midrasch- oder Talmudstelle früher anzusetzen ist) und kombinieren den geschichtlichen Abraham aus Gen 14 und Ps 110 mit Jes 41. In der v ierten Deutung wird eine Beziehung zwischen Abraham, David und dem Messias hergestellt. Die fünfte Auslegung bezieht sich auf David - ob rückblickend geschiehtlieh konstruiert oder vorausblickend endzeitlich-messianisch wird 821 822
G. Oberhänsli, Biblische Figuren, 359. Vgl. G. Oberhänsli, Biblische Figuren, 353.355.359.
9.4 Auswertung
295
nicht spezifiziert. Da der Midrasch Tehillim an sich nach A. Wünsche eine messianische Tendenz besitzt823 und die fünfte Auslegung im Anschluss an eine messianische Deutung steht, ist es auch hier möglieh, eine Erwartung des davidischen Messias in Ps 110 zu entdecken. Der Midrasch Tehillim kennt jedoch noch weitere Verwendungen von Ps 110: Ps 18 gibt eine Unterhaltung Abrahams mit JHWH wieder. Unter Zuhilfenahme von Ps 110 wird hier von Abraham gesagt, dass er eine solch hohe Stellung innehabe, dass JHWH ihm zur Rechten sitze, während der Messias zur Rechten JHWHs throne. Eine Auslegung zum Pfand Tamars (in BerR 85,9 als Auslegung zu Gen 38,18) gibt eine eindeutig messianische Auslegung von Ps 110. Diese Deutung verläuft aber nicht etwa über Vers 3 und einer göttlichen Zeugung, sondern über Vers 2, den Herrscherstab. Es ist festzuhalten, dass die Midraschliteratur um ein vielfaltiges Verständnis von Ps 110 weiß und dass die Tendenz einer Entwicklung von Abraham zu einem messianischen Davidbild erkennbar ist. Bei den Psalm-Kommentatoren verzweigt sich die Auslegung in zwei Richtungen: Saadja Gaon deutet Ps 110 geschichtlich auf Abraham und fügt noch eine Nachkommen- und Landverheißung in Vers 3 hinzu. Kurz nach ihm interpretiert der Karäer Jefet ben Eli Ps 110 auf den kommenden Messias. In Anbetracht der Tatsache, dass Jefet ben Eli sich schwerer Vorwürfe seitens Saadjas zu erwehren versuchte, ist hier vielleicht bewusst eine gegensätzliche Interpretation gewählt. Jefet vertritt ein jüdisches Messias-Bild, insofern, als auch innerhalb einer messianischen Deutung keine Gottessohnschaft zu finden ist. משחרist zwar der Terminus für die messianische Auslegung - er ist ein Erwählter - , aber er ist nicht von JHWH gezeugt oder von der ״Morgenröte" geboren worden. Auch die Tanchumal iteratur erkennt hier eine Art Erwählung, was aber eher ein frühes Suchen JHWHs nach Abraham darstellt. Bei allen anderen Auslegungen - außer bei der Raschis wird die שחרzu einem Attribut der Zeit. Ps 110 als Ganzen sieht Raschi wie auch Saadja und bNed 32b als eine Ergänzung zu Gen 14 an, während Ibn Esra, Radak und R. Menachem haMeiri David als angesprochene Person erkennen. Diese vier mittelalterlichen Auslegungen (die von Raschi eingeschlossen) sind unmessianisch, wobei jedoch R. Menachem haMeiri als einziger dem Targum zu folgen scheint824 und die Verse 5-7 als eine endzeitliche Darstellung ansieht. Diese fällt bei ihm durch den Ausdruck אחרית הימיםdeutlicher eschatologisch aus als die eher versteckten Formulierungen des Targums. So lässt sich im Blick auf die Entwicklung der Auslegung von Ps 110 in der mündlichen Tora sagen, dass zunächst auf Abraham hin ausgelegt wurde, wobei die Funktion und Rolle Abrahams jedoch unter823
Vgl. die Einleitung zu diesem Kapitel. 824 vgl. Kapitel 7.2 Die aramäische Übersetzung von Psalm 110 im Targum, S. 197fF.
296
9 Ps 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüd. Tradition
schiedlich ist. Sie ist nicht messianisch, obgleich von einer Erwählung sowie von dem Thronen zu JHWHs Linken als auch als einem Vorbild im Glauben durch die Bewährungsprobe im Feuerofen gesprochen wird. Zu der eindeutig messianischen Auslegung von Ps 110 in BerR ist zu sagen, dass diese interessanterweise über Vers 2 verläuft, der in christlicher Rezeption kaum eine tragende Rolle spielt. Im Targum und bei manchen mittelalterlichen Kommentatoren wird David als Adressat und handelnde Person des Psalms betrachtet. In jüdischer Auslegung zu Ps 110 finden sich also zwei Adressaten: Abraham und David. Dass R. Ismael Ps 110 auf Abraham hin auslegt, verstehen H. Strack/P. Billerbeck als anti-christliche Tendenz. Wie ist das zu begründen? Strack/Billerbeck gehen davon aus, dass im ersten nachchristlichen Jahrhundert Ps 110 auch vom pharisäischen Judentum noch als eine Aussage über den kommenden Messias verstanden wurde. Dies wird an Mt 22,41 ff. (par.) festgemacht: 41 Συνηγμένων δέ τών Φαρισαίων έπηρώτηοεν αυτούς ό Ί η σ ο ΰ ς 42 λέγων ־τί ύ μ ΐ ν δοκεΐ περι τοΰ χριστού; τίνος υιός έστιν; λέγουσιν αυτώ ״τοΰ Δαυίδ. 43 λέγει αΰτοΐς· π ώ ς συν Δαυίδ έν πνεΰματι καλεί αυτόν κΰριον λέγων 4 4 εΐπεν κύριος τω κυρίω τους έχϋρούς σον ύποκάτω
μον κάϋου τών ποδών
έκ δεξιών σου;
μου,
έως αν
ύώ
45 εί ο׳βν Δαυίδ καλεΐ αυτόν κΰριον, π ώ ς υιός αΰτοΰ έστιν; 46 και ουδείς έδΰνατο άποκριΰήναι αύτω λόγον ουδέ έτόλμησέν τις άπ' έκείνης της ημέρας έπερωτησαί αυτόν οΰκέτι. 41 Als die Pharisäer sich versammelt hatten, fragte Jesus sie und sagte: 42 ״Was denkt ihr über den Christus? Wessen Sohn ist er? " Sie antworteten ihm: „Davids. " 43 Er fragte sie: „ Wie nun kann David ihn durch den Geist ,Herr' nennen, wenn er sagt: 44 ,Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde unter deine Füße lege'? 45 Wenn nun David ihn ,Herr' nennt, wie ist er dann sein Sohn? " 46 Und niemand konnte ihm ein Wort antworten, auch wagte niemand von dem Tage an, ihn nochmal zu fragen.
Nach Strack/Billerbeck wird in dieser Passage ausgedrückt, dass für beide Seiten feststeht, dass in Ps 110 der Messias gemeint sei: Nur „die Folgerung, die Jesus aus dem Herrsein des Messias David gegenüber gezogen wissen will, lehnt die Gegenseite schweigend ab." 825 Eine andere neutestamentliche Bibelstelle (Mk 14,61 ff. par.) zeigt noch deutlicher den auch im Judentum so verstandenen messianischen Charakter von Ps 110: die Perikope von Jesus vor dem Hohen Rat. Auf die Frage des Hohenpriesters, ob Jesus der Christus sei, der Sohn des 825
Vgl. H. Strack u. P. Billerbeck, Der 110. Psalm, 452.
9.4 Auswertung
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Hochgelobten, antwortet Jesus mit einer Kombination zweier alttestamentlicher Bibelstellen - Ps 110,1 und Dan 7,13, zuzüglich vermutlich Ps 80,18: Jesus spricht von sich, dass er es sei, und dass sie den Menschensohn sehen werden, der sitzt an der Rechten Gottes und kommt mit den Wolken des Himmels. Anschließend verurteilt der Hohe Rat Jesus aufgrund von Blasphemie.826 In dieser Darstellung ist deutlich, dass der Hohe Rat sofort erkennt, dass Jesus sich mithilfe beider Bibelstellen als Messias ausweist - denn gerade im Mk-Ev wird an den meisten Stellen eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Menschensohn und Jesus hergestellt.827 Daraus ist zu schließen, dass auch dem Hohen Rat beide Stellen als messianische Weissagungen bekannt waren. Ps 110 ist somit in der Zeit Jesu im Judentum als eine messianische Aussage verstanden worden - zumindest suggeriert das der Autor des Mk-Evangeliums. Strack/Billerbeck vetreten die These, dass diese messianische Deutung des Psalms durch R. Ismael ״ausschließlich aus christentumsfeindlichen Tendenzen aufgegeben u. durch die Deutung auf Abraham ersetzt" 828 wurde. Dem hält G. Bodendorfer entgegen, dass ein Bezug auf Abraham keine bewusste Abhebung vom Christentum sei: ״Mit dieser Ansicht würde man die spezifischen Interessen der jüdischen Psalmeninterpretation schlicht nicht wahrnehmen wollen. Die rabbinische Deutung des Psalms war nämlich von ganz anderen Interessen geleitet. Sie vermochte mit Hilfe des Psalms und seiner primären Deutung auf Abraham dem jüdischen Volk gleich auf mehrfache Weise Wichtiges zu sagen."829 Abraham ist schließlich das Vorbild im Glauben, der Wegbereiter Israels, sogar als Metapher für Israel zu verstehen. In der Tat sind in den Textstellen, in denen der Psalm auf Abraham hin ausgelegt wird, keine expliziten Worte gegen das Christentum zu finden, nur außerhalb dieser Belege solle sich R. Ismael extrem christenfeindlich verhalten haben, sodass Strack/Billerbeck auch in dieser Aussage eine Polemik entdecken. Dass sich R. Ismael in seinen Aussagen gegen Christen wendet, ist denkbar - nur ist es historisch nicht 826
״Worin die Blasphemie, die der Hohepriester konstatiert, in seiner Sicht, der Sicht unseres Textes bzw. im Horizont zeitgenössischer Interpretation des mosaischen Gesetzes bestand, ist umstritten. [...] Überlegt werden kann, ob Jesus mit dem Hinweis auf den Menschensohn implizit eine Gottesvision beansprucht [...] und deshalb der Blasphemie bezichtigt wird. Ferner ist zu erwägen, daß Jesus mit seinem prophetischen Drohwort (vgl. seine Verspottung als Prophet V. 65) in exklusiver Weise göttlich-pneumatische Autorität beansprucht, was auch den Blasphemievorwurf rechtfertigen kann." R. Pesch, Das Markusevangelium, 440. 827 P. Müller, Zwischen dem Gekommenen und dem Kommenden, 151. In Mk 14,62 werde diese Verbindung dann ausdrücklich formuliert. ״Es handelt sich bei Markus nicht um eine korporative Aussage oder um einen Hinweis auf eine andere Gestalt. Der Menschensohn ist Jesus." 828 H. Strack u. P. Billerbeck, Der 110. Psalm, 460. 829 G. Bodendorfer, Abraham zur Rechten Gottes, 265.
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9 Ps 110 in spätantiker und mittelalterlicher jüd. Tradition
zu belegen, dass die Zitate R. Ismaels auch tatsächlich Zitate von ihm sind. Talmudstellen dienen nicht dazu, historische Rückschlüsse zu ziehen. Es ist natürlich möglich, dass die christenfeindliche Tendenz von R. Ismael bekannt war und ihm deshalb diese Auslegung von Ps 110 auf Abraham in den Mund gelegt wurde. Doch das ist nicht mehr als eine Spekulation. Von Saadja hingegen ist bekannt, dass er sich einen theologischen Kampf mit den Karäern lieferte, und dass er auch tatsächlich der Autor seiner Schriften ist. In seiner Auseinandersetzung mit den Karäern beruft sich Saadja auf die Auslegung von ״R. Ismael" - ebenso findet sich ein Rekurs dieser Art bei Raschi, dessen Psalm-Kommentar eine anti-christliche Tendenz innehaben soll.830 Gerade Saadja und Raschi beziehen sich wieder - entgegen anderer Tendenzen - auf eine in erster Linie geschichtlich konstruierte Deutung von Ps 110 auf Abraham und Gen 14. Deutlich ausgesprochen ist eine Anfeindung gegen die christliche Tradition im Kommentar von Radak. Dieser bezieht Ps 110 allerdings auf David und verweist im Anschluss explizit auf den unmessianischen Charakter des Psalms und auf die Auslegungsfehler der Christen. Mit Blick auf die Midraschliteratur ist G. Bodendorfer recht zu geben, da hier die wichtige theologische Funktion Abrahams mithilfe von weiterem außerbiblischen Traditionsgut deutlicher herausgestellt wird. Abraham erscheint in weitaus höherer Position als dass dies das biblische Bild bietet. JHWH lässt Abraham Ehre zukommen, weil Abraham von Kindheit an religiös vorbildlich handelte. Nach diesen Untersuchungen ist es wahrscheinlich anzunehmen, dass Ps 110 einerseits eine entscheidende Rolle in religiösen Legitimierungsfragen gespielt hat, andererseits, dass er ein Fundament in der Tradition um den herausragenden Charakter Abrahams bildete. Wenn nun Ps 110 in der Religionsgeschichte eine wesentliche Rolle in Identifikation und Legitimation gespielt hat, so muss über die Analyse von Strack/Billerbeck hinaus gefragt werden, woher die Pharisäer ihre messianische Interpretation von Ps 110 genommen haben. Möglich wäre, dass auch sie ihren Messianismus als Gegenpol zu ihren politischen Gegnern begründet haben - den Hasmonäern. Dieses Herrschergeschlecht vereinnahmte Ps 110 vermutlich als ihren Legitimationstext. Die eine Seite der politischen Gegnerschaft - die essenische Gemeinschaft - ignorierte diesen Psalm, die andere Seite - die Pharisäer - deuteten ihn auf den kommenden Messias. Für das Christentum wird Ps 110 zu einem Bezugspunkt für Jesus als Messias, was im Folgenden als Ausblick dargestellt wird. Manifestiert wird schließlich der Bezug von Ps 110 auf Jesus, den Christus, im Apostolischen Glaubensbekenntnis. 830
S.o. S. 276, Anm. 782.
10 Ausblick: Ps 110 und seine Wirkung im Neuen Testament
D.M. Hay hält zu der Wirkung von Ps 110 im frühen Christentum fest, dass der Psalm regelmäßig dazu verwendet wurde, um die Ehre Christi zu bestätigen - und dies geschah auf vielfachem Wege. 831 Die Verwendung von Ps 110 in frühchristlichen Schriften ist sowohl quantitativ als auch qualitativ hoch anzusiedeln. Obgleich Ps 110 - insbesondere der erste Vers - eine beeindruckende Nachwirkung im Neuen Testament zeigt, insofern, als aus ihm ״eine offensichtliche Grundaussage der Christologie stammt" 832 , soll hier abschließend nur eine kurze schlaglichtartige Verortung des Psalms im Neuen Testament vorgenommen und nicht die volle Vielfalt der unterschiedlichen neutestamentlichen Interpretationswege dargestellt werden. 833 Ps 110 (Ps 109LXX) stellt den am häufigsten zitierten oder angespielten Text des Alten Testaments im Neuen Testament dar - allerdings werden lediglich die Verse 1 und 4 rezipiert, wobei V.4 nur im Hebräerbrief seine Aufnahme gefunden hat. Vers 1 begegnet hingegen in Evangelien wie Briefen, ebenso in der Apostelgeschichte, mit Ausnahme des Corpus Johanneum. Über das Fehlen von Ps 110 in den johanneischen Schriften schreibt Hengel, dass die johanneische Christologie diesen Text hinter sich gelassen habe, aber auf seinen Voraussetzungen gründe. ״Bei ihr ist die Einheit von Vater und Sohn über das anschaulich anthropomorphe Bild von der Throngemeinschaft hinausgewachsen."834 Bei der Rezeption von Ps 110 in den übrigen neutestamentlichen Schriften überwiegen Anspielungen auf Vers 1, vor allem auf das Sitzen zur Rechten, während direkte Zitate seltener sind. L. Bormann hielt diesbezüglich fest, dass das Zitieren des ersten Verses nicht als pars-pro-toto-Zitation zu verstehen sei, sondern dass die ״intertextuelle Beziehung der neutestamentlichen Folgetexte zu ihrem 831
D . M . Hay, Glory at the Right Hand, 51. M. Hengel, ״Setze Dich zu meiner Rechten!", 120. 833 Es sei an dieser Stelle auf weiterführende Literatur verwiesen: D.R. Anderson, The king-priest of Psalm 110 in Hebrews; L. Bormann, Ps 110 im Dialog mit dem Neuen Testament; C. Breytenbach, Das Markusevangelium, Psalm 110,1 und 118,22f.; T. Callan, Psalm 110,1 and the origin of the expectation; G. Dautzenberg, Psalm 110 im Neuen Testament; D.M. Hay, Glory at the Right Hand; M. Hengel, ״Setze Dich zu meiner Rechten"; sowie: Psalm 110 und die Erhöhung des Auferstandenen zur Rechten Gottes; u.a. 834 M. Hengel, Psalm 110 und die Erhöhung, 72. 832
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10 Ps 110 und seine Wirkung im NT
Referenztext Ps 110,1 [...] auf den direkten Kontext des Zitats oder der Allusion, wenn nicht sogar auf den im Wortlaut angeführten Text eingeschränkt [bleibt]."835 Das würde bedeuten, dass nicht der gesamte Psalm von großer Wichtigkeit war, sondern im Speziellen Vers 1 ein geprägtes Theologumenon darstellte. Diese Ansicht trägt allerdings die Schwierigkeit in sich, dass an den Texten selbst nicht feststellbar ist, ob nur der erste Vers oder der gesamte Psalm von Bedeutung ist. Aufgrund der Popularität von Ps 110, die man zum einen an der Häufigkeit der Rezeption im NT sieht, zum andern religionsgeschichtlich in der Hasmonäerzeit greifen kann, oder die auch am „abgeschliffenen W o r t s c h a t z " 8 3 6 in I Kor 15 deutlich ist, ist es schwer vorstellbar, dass nur auf Vers 1 Bezug genommen wird, während der ganze Psalmtext dem Leser präsent ist. Der Leser denkt - gerade, weil auch der erste Vers und nicht einer aus dem Hauptteil oder Schluss zitiert wird - den ganzen Psalm vermutlich mit. Welchen Textbereich die einzelnen Autoren mit Zitaten oder Anspielungen auf Vers 1 speziell intendiert haben, ist nicht nachweisbar. Drei neutestamentliche Bibelstellen werden im Folgenden kurz besprochen, bei denen Ps 110 in seiner Aufnahme und Aussage unterschiedliche theologische Schwerpunkte hat. 837 Da im letzten Kapitel die Perikope aus den synoptischen Evangelien „Jesus vor dem Hohen Rat" bereits kurz dargestellt wurde, werden hier Texte aus den Briefen und der Apostelgeschichte behandelt. Befund: I K o r 15.251:.־ 25 δ ε ι γαρ αυτόν βασιλεΰειν αχρι ου ü f j π ά ν τ α ς τους έχϋρονς τους πόδας αΰτοΰ. 26 έσχατος έχφρός καταργείται ό Μ ν α τ ο ς ־ 25 Denn er muss König sein, bis er alle Feinde unter seine Füße legt. 26 Als letzter Feind wird der Tod weggetan.
υπό
Der 1. Korintherbrief stellt das wohl früheste Zeugnis einer Aufnahme von Ps 110 im NT dar. In der Perikope I Kor 15,20-28 findet sich ein leicht abgewandeltes Zitat von Ps 110,1 in Kombination mit Ps 8,7 in der Mitte des Auferstehungskapitels. In diesem Abschnitt begründet Paulus „die universale Perspektive und das endzeitliche Ziel der Auferstehung Christi, die die ganze Geschichte und Welt betrifft und in die umfassende Herrschaft Gottes und Heilsvollendung einbezieht."838 Während M. Hengel die Ansicht vertritt, dass es sich bei V.25 um ei835
L. Bormann, Ps 110 im Dialog, 194. Dies wird im Folgenden behandelt. 837 Eine Auflistung aller Zitate und Anspielungen auf Ps 110 im Neuen Testament gibt D.M. Hay, Glory at the Right Hand, 163ff. 838 W. Schräge, Der erste Brief an die Korinther, 152. 836
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nen abgeschliffenen Sprachgebrauch von Ps 110,1 handelt, was auf den längst eingeführten Gebrauch beider Psalmen (Ps 8 und 110) hinweise 839 , stellt W. Schräge die Frage, ob Paulus hier nicht eher auf eine urchristliche Tradition als direkt auf den Psalm selbst zurückgreife. 840 Dafür könne die Veränderung von ύποπόδιον των ποδών der LXX in ύπό τους πόδας sprechen. Das Spezifische der Bezugnahme an dieser Stelle sei aber, dass es sich sonst bei der Aufnahme von Ps 110,1 um Aussagen über den Erhöhten und seine himmlische Würde zur Rechten Gottes handelt oder der ganze Vers zitiert wird, hier allerdings habe Paulus stattdessen das βασιλεύειν akzentuiert. Es sei demnach kein tatenloses Thronen, sondern ein aktives Herrschen Christi.84! In I Kor 15,25f. wird gesagt, dass Christus König sein müsse, bis er alle Feinde unter seine Füße legt - es ist allerdings nicht eindeutig, wer das Subjekt dieser Aussage darstellt. Mit W. Schräge ist aufgrund des Kontextes davon auszugehen, dass Christus alles unter seine eigenen Füße wirft, bevor er die Herrschaft an Gott übergibt. Gott ist aber derjenige, der den Tod besiegt - für diese Ausführung wird im folgenden Vers das passivum divinum verwendet.842 Die Formulierung des Königseins Christi, bis alle Feinde besiegt sind, spricht für ein universales Herrschen Christi, wobei von personellen Feinden abstrahiert wird, sodass Ps 110 in einem nachösterlichen eschatologischen Kontext erscheint. Letztendlich wird Ps 110,1 in I Kor 15 dazu benutzt, um die messianische Autorität von Christus zu transportieren.843 Act 2,30-36: 30 προφήτης ούν , υπάρχων και είδώς δτι δ ρ κ φ ώμοσεν αύτω ό ύεός εκ καρπού της όσφύος αύτοΰ καΰίσαι επί τόν ϋρόνον αύτοΰ, 31 π ρ ο ' β ώ ν έλάλησεν περί της αναστάσεως τοΰ Χριστού δτι ούτε έγκατελείφ$η εις άδην ούτε ή σάρξ αύτοΰ ειδεν διαφ#οράν. 32 τούτον τόν Ί η σ ο ύ ν άνέστησεν ό ϋεός, ού πάντες ημείς έσμεν μάρτυρες־ 33 τη δεξιά ούν τοΰ #εοΰ ύ־ψω$είς, τήν τε έπαγγελίαν τοΰ πνεύματος τοΰ άγιου λαβών π α ρ ά τοΰ πατρός, έξέχεεν τοΰτο δ ύμεΐς [και] βλέπετε και άκούετε. 34 ού γάρ Δαυίδ άνέβη εις τούς ουρανούς, λέγει δε αύτός־ είπεν [ό] κύριος τω κυρίω μον κάϋου εκ δεξιών μου, 35 εως αν ϋώ τούς έχΰρούς σον ύποπόδιον των ποδών σου.
839 840 841 842 843
M. Hengel, Psalm 110 und die Erhöhung, 55. W. Schräge, Der erste Brief an die Korinther, 155. W. Schräge, Der erste Brief an die Korinther, 155.176. W. Schräge, Der erste Brief an die Korinther, 177f. So D.R. Anderson, The king-priest of Psalm 110 in Hebrews, 108.
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36 ασφαλώς ούν γινωσκέτω π α ς οίκος 'Ισραήλ οτι και κΰριον αΰτόν και χριστόν έποίησεν ό ι)εός, τοΰτον τόν Ί η σ ο ΰ ν δν ύμεΐς έσταυρώσατε. 30 Als er nun ein Prophet war und wusste, dass ihm Gott einen Eid geschworen hatte, dass eine Frucht seiner Lende auf seinem Thron sitzen sollte, 31 da sprach er vorausschauend von der Auferstehung des Christus, dass er weder dem Hades überlassen ist noch sein Fleisch die Verwesung gesehen hat. 32 Diesen Jesus hat Gott auferweckt; alle sind wir seine Zeugen. 33 Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes durch den Vater empfangen hat, hat er das ausgegossen, was ihr seht und hört. 34 Denn nicht David ist in den Himmel aufgefahren; er selbst aber sagt: ״Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, 35 bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße!" 36 Das ganze Haus Israel soll nun sicher erkennen, dass Gott ihn zum Herrn und Christus gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt.
G. Dautzenberg hält fest, dass dieser Teil der Pfmgstrede des Petrus ״näherhin zu dem argumentierenden Abschnitt (2,29-36) des christologischen Hauptteils (2,22-36)" gehört.844 Ps 110,1 erscheint hier als direktes und als solches ausgewiesenes Zitat in wörtlicher Übereinstimmung mit der LXX. Der Verfasser der Act verlegt die Entstehungssituation von Ps 110 in die Davidsgeschichte und verbindet Davidstraditionen aus den Psalmen mit II Sam 7. David habe Ps 110 vorausschauend auf Jesus hin geschrieben. Er wusste bereits in seiner Zeit, dass ein Höherer als er selbst kommen werde, dessen Leib nach dem Tod nicht verwese. So wird eine Verbindung zwischen der göttlichen Zusage, dass die Nachkommen Davids ewig auf dem Thron sitzen werden, und der Auferstehung Christi geschaffen. Doch wird die Davidstradition an dieser Stelle verändert. L. Bormann spricht - allerdings nicht in Bezug auf Act, sondern auf die Frage nach der Davidssohnschaft in den Evangelien - von einer Sinnoperation in der Davidsüberlieferung, „d.h. der Verweis ruft nicht einfach eine im Prä- oder Referenztext gespeicherte Information ab, sondern verändert die unmittelbare Sinnperzeption des Prätextes."845 Durch diese Sinnoperation würden die Psalmen endgültig iur eine jesuanisch-christologische Interpretation geöffnet. 846 Überträgt man diese These auf die Verwendung von Ps 110 in Act 2, so wird die Davidstradition hier insofern geändert, als Davids prophetischer und nicht königlicher Charakter im Vordergrund steht. David erhält zwar den ehrenvollen Titel „Prophet", doch steht er nicht mehr im Vordergrund, da er von einem Höheren spricht, der da kommen 844 845 846
G. Dautzenberg, Psalm 110 im Neuen Testament. 79f. L. Bormarm, Ps 110 im Dialog, 196. L. Bormann, Ps 110 im Dialog, 197.
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wird. Die Nathanweissagung ist somit in erster Linie keine Aussage über David, sondern über Christus; desgleichen werden einige Davidspsalmen interpretiert. Ps 110,1 wird aber nicht nur mit der Davidsüberlieferung verbunden, er wird zudem mit dem Theologumenon der Erhöhung kombiniert, um die Himmelfahrt Christi näher zu beschreiben, sowie mit der Vorstellung, er habe den Geist ausgegossen. In dieser Ansprache des Petrus an die Gemeinde wird Ps 110 folglich dazu benutzt, um zu zeigen, dass sich die alttestamentlichen Verheißungen Gottes an das davidische Königshaus erfüllt haben. Jesus wird als der Messias ausgewiesen - den aber das Haus Israel nicht erkannt hat. Im Gegensatz zu der oben angezeigten Stelle im ersten Korintherbrief wird hier nicht von der Herrschaft Christi gesprochen. Der Akzent liegt stattdessen auf der Himmelfahrt Christi mit der anschließenden Ausgießung des Geistes durch ihn. Hebr 5,5-10: 5 Ούτως και ό Χριστός οΰχ εαυτόν έδόξασεν γεγηιϊήναι άρχιερέα αλλ'ό λαλήσας προς α υ τ ό ν υιός μου εΐού, εγώ σήμερον γεγέννηκά σε׳ 6 καϋώς και έν έτέρω λέγει ׳σύ Ιερεύς εις τον αιώνα κατά τήν τάξιν Μελχισέδεκ, 7 δς έν ταΐς ήμέραις της σαρκός αΰτοΰ δεήσεις τε και ίκετηρίας πρός τον δυνάμενον σφζειν αυτόν έκ θανάτου μετά κραυγής ίσχυρας και δακρύων προσενέγκας και εισακουσθείς ά π ό τής ενλαβείας, 8 καίπερ ων υιός, έμαΦεν ά φ ' ώ ν έπαύεν τήν ύπακοήν, 9 καΐ τελειωθείς έγένετο πάσιν τοΊς ΰπακοΰουσιν αΰτω αίτιος σωτηρίας αιωνίου, 10 προσαγορευΰείς υ π ό τοΰ Φεοΰ άρχιερεΰς κατά τήν τάξιν Μελχισέδεκ. 5 So hat sich auch der Christus nicht selbst verherrlicht, um ein Hoherpriester zu werden, sondern der, der zu ihm gesagt hat: ״Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt. " 6 Wie er auch an einer anderen Stelle sagt: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. " 7 Er hat in den Tagen seines Fleisches Gebete und Flehen dem, der ihn vom Tod erretten kann, mit starkem Geschrei und Tränen dargebracht, und er ist erhört worden wegen der Gottesfurcht. 8 Obgleich er Sohn war, lernte er den Gehorsam dadurch, dass er gelitten hat, 9 und als Vollendeter ist er für alle, die ihm gehorchen, zum Urheber ewiger Rettung geworden, 10 und von Gott wurde er begrüßt als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.
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Nach D.R. Anderson gelten Zitate und Anspielungen auf Ps 110,4 im Hebräerbrief als ״cornerstone of high priestly Christology"847, sodass hier lediglich ein Beleg aus diesem Brief zur Analyse herausgegriffen wird. An dieser Stelle wird Christus als Hohepriester zunächst durch zwei Psalmzitate (Ps 2,7 und 109.4LXX) beschrieben: Christus ist der Sohn Gottes und ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. So wird Christus als ein alttestamentlicher Hohepriester zum Dienst für Gott stilisiert, der Gaben und Opfer für die Sünden darbringt und für die Unwissenden Verständnis zeigt. Nur besteht im Sein Christi als Hohepriester der Unterschied, dass er ״für das eschatologische Sühnehandeln des Sohnes und seine bleibende Heilswirkung"848 steht. Durch die Voranstellung von Ps 2,7 wird betont, dass das Priester-Sein Christi aus dem Sohn-Sein hervorgeht.849 Dass Christus als Sohn Gottes König und Priester ist, ist dem Hebr besonders wichtig.850 Ps 110,4 wird in diesem Text im Zusammenhang mit dem Kreuzesgeschehen gedeutet. Christus bringt ein Opfer dar, nicht tagtäglich wie die Leviten, sondern ein für allemal. Durch den Rekurs auf Ps 110 wird in diesem Text weder die Würde noch das aktive oder passive Herrschen Christi beschrieben, stattdessen wird aus Ps 110 die Komponente des Priester-Seins Christi entnommen. Christus wird aber nicht nur als Priester, sondern als Hohepriester stilisiert, sodass auch die Referenz des Melchisedek als Hohepriester erscheint. So findet auch hier eine Sinnoperation des alttestamentlichen Textes statt, in Form einer Veränderung der Figur Melchisedek aus Gen 14. Verbunden wird das Sein Christi als Hohepriester mit dem Leiden am Kreuz. Fazit: Die kurze Sichtung dieser neutestamentlichen Belege zeigt Folgendes: 1) stellt Ps 110 sich als ein prominenter Text in neutestamentlicher Zeit dar. Ob Paulus im 1 Kor nun auf eine Tradition oder auf die LXXVersion des Psalms zurückgreift, die bereits derart gängig war, dass man nicht wortwörtlich zitieren und die Phrase als direktes Zitat ausweisen musste, ist hinsichtlich der Popularität von Ps 110 in paulinischer Zeit nicht relevant: Beide Varianten weisen Ps 110 als einen bekannten Text aus. Zudem lässt sich feststellen, dass Ps 110 aus der LXX und nicht aus der hebräischen Bibel zitiert wurde, wie dies beispielsweise in Act 2,34 und Hebr 5,6 deutlich ist. Die Autoren der neutestamentlichen Schriften griffen somit den messianischen Charakter der LXX-Version von Ps 110 auf und verankerten den Psalm so
847 848 849 850
D.R. Anderson, The king-priest of Psalm 110 in Hebrews, 288. C.-P. Marz, Hebraerbrief, 40. Vgl. ebd. Vgl. D.R. Anderson, The king-priest of Psalm 110 in Hebrews, 285f.
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im Neuen Testament. Durch das Zitieren der LXX wird Ps 109LXX zu einem Überträger des Kyrios-Titels auf Jesus Christus hin. 851 2) finden sich Aufnahmen von Ps 110 in zentralen Textabschnitten der neutestamentlichen Schriften. Als Beispiele dafür stehen die behandelten Stellen ״Jesus vor dem Hohen Rat" in den synoptischen Evangelien, das Auferstehungskapitel in I Kor 15, die Pfingstrede des Petrus in der Apostelgeschichte sowie der gesamte Hebräerbrief, von dem hier nur ein Auszug aus dem 5. Kapitel gestreift wurde. 3) liegen die theologischen Schwerpunkte bei den behandelten Stellen auf unterschiedlichem Terrain. Während sich Jesus in Mk 14 durch das Zitat aus Ps 110,1 als der Sohn des Hochgelobten ausweist, beschreibt I Kor 15 ein nachösterliches eschatologisches Herrschen Christi. Dieses Herrschen ist kein passives Thronen zur Rechten, sondern aktives König-Sein. In Act 2 und Hebr 5 erscheinen manche alttestamentliche Stellen durch das Zitieren von Ps 110 in einem anderen Licht. So wird in Act 2 die Davidstradition auf Jesus Christus hin ausgeweitet, und David selbst erscheint als Prophet. In Hebr 5 wird Melchisedek aus Gen 14 zum Hohepriester, nach dessen Ordnung Jesus Christus nun zum Hohenpriester stilisiert wird. Während der theologische Akzent in Act 2 auf der Himmelfahrt Christi mit der anschließenden Ausgießung des Geistes durch Christus liegt, hat Hebr 5 das Kreuzesgeschehen als das einmalige Opfer Christi zum Thema. Schon nach dieser kurzen Sichtung legt sich nahe, von Ps 110 als einer Grundlegung neutestamentlicher Christologie zu sprechen. Der Psalm bildet einen Legitimationstext für die Herausstellung Jesu als Messias, für seine Glorifizierung, seine Erhöhung und für sein einmaliges Sühneopfer. Die Zeugung Jesu durch Gott, den Vater, steht nicht im Vordergrund der Verwendung von Ps 110 innerhalb neutestamentlicher Christologie. Vers 3 wird weder zitiert noch wird auf ihn angespielt, obwohl hier die Gottessohnschaft impliziert ist. Trotz allem wird durch die Hebr-Stelle durch die Verbindung mit Ps 2,7 deutlich die Sohnschaft Christi herausgestellt. Es wird auf das nachösterliche Geschehen Wert gelegt und Ps 110 in die Eschatologie verlagert. Das Kreuzesgeschehen, Christi Himmelfahrt, seine Erhöhung zur Rechten und das Besiegen des Feindes ״Tod" werden mithilfe von Ps 110 beschrieben. Durch diesen Schwerpunkt der Rezeption in nachösterlichen Passagen erfährt Ps 110 aus Sicht der neutestamentlichen Schriften eine Sinnverschiebung: Vor allem das ״Sitzen zur Rechten" und das Herrschen des in Ps 110 beschriebenen Königs werden nicht mehr als ein Welt immanentes sondern als ein eschatologisches Ereignis verstanden.
851 Vgl. T. Callan, Psalm 110,1 and the origin, 636: ״The use of the title 'Lord' in Ps 110:1 was an important factor in the application of that title to Jesus in an eschatological sense."
11 Schlussinterpretation
Ist Ps 110 nun historisch oder messianisch zu lesen, geht es um ״den Tau deiner Jugend" oder um die Geburt des Königs ״aus dem Mutterleib der Morgenröte"? Die Antwort ist: Ja - sowohl als auch. So hat der Text in seiner theologischen Auslegung mehrfach Sinnverschiebungen erfahren. Der Verfasser schrieb Ps 110 als Pendant zu den alexandrinischen Enkomien auf die Ptolemäerkönige. Während Theokrit einen realen König (Ptolemaios II. Philadelphos) mit seinem Enkomion beschreiben konnte, blieb es bei dem jüdischen Verfasser bei einem Gesang auf einen fiktiven eigenen Herrscher. Beide Autoren zogen zu ihrem Werk Motivik und Sprachgebrauch aus älterer Zeit heran, in der Form, dass das Enkomion auf Ptolemaios homerische Sprachformen in Anspruch nahm, Ps 110 seine Parallelen in biblischen Liedern, allen voran in Jes 14, hat. So, wie das Siegeslied auf Ptolemaios Herakles als königliches Idol beschreibt, so verwendet der Verfasser das Melchisedek-Motiv. Ps 110 beschreibt die Hoffnung auf einen eigenen israelitischen König in königsloser Zeit. Durch die Überschrift, dass der Psalm auf einen ״neuen" David hin zu lesen sei, wird lose an die israelitische Geschichte angeknüpft. Erst mit seiner Aufnahme in die hebräische Bibel lässt sich Ps 110 deutlich in der Davidsgeschichte verankern. Ein Leser der hebräischen Bibel kann Ps 110 nun vor dem Hintergrund von II Sam 7 wie auch der gesamten David- und Saulgeschichte und im Zusammenhang des Psalters verstehen. So wird in Ps 89 die Erfüllung der Nathanweissagung eingefordert, und es wird festgestellt, dass JHWH einst David ewiges Königtum geschworen, es aber nicht gehalten hatte, sodass bei der weiteren Bibcllektüre eine Spur hin zu dem Schwur JHWHs in Ps 110 gelegt ist. Der Leser der hebräischen Bibel kennt also die Verheißung des ewigen Königtums an David und die Klage über diese Verheißung in königsloser Zeit. Durch das Motiv des Schwörens JHWHs erhält Ps 110 den Charakter der Zusage des ewigen Königtum Davids, die durch den redaktionellen Einschub. dass JHWH (diesmal) nicht (wie bei Saul) bereuen wird, noch verstärkt wird. Da das davidische Herrscherhaus in der hebräischen Bibel mit einem kommenden Friedensherrscher verbunden ist, schwingt in Ps 110 ein messianisches Verständnis in diesem Kontext mit.
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11
Schlussinterpretation
Deutlicher wird das messianische Verständnis im Textzusammenhang der Septuaginta. Die Septuaginta aktualisiert und interpretiert ihre hebräische Vorlage des Psalms. Dies geschieht aber nicht durch Abweichungen von Standardäquivalenten oder Satzkonstruktionen, durch Hinzufügungen oder Auslassungen, sondern durch eine behutsame, textnahe Übersetzungstechnik. So überträgt der Übersetzer altorientalische Motivik in griechische Mythologie und nennt den Sohn der ״Morgenröte" gleich bei seinem griechischen Namen „Heosphoros". Während im hebräischen Text der König als „Tau" bezeichnet und als Kind der „Morgenröte" beschrieben wird, fasst die Septuaginta dieses Mutter-Kind-Verhältnis in dem griechischen Namen „Heosphoros" zusammen, da dieser in griechischer Mythologie das Kind der „Morgenröte" war. Nur teilt der Übersetzer nicht die theologische Ansicht, dass die „Morgenröte" die Mutter des Königs darstellte. Dieser Eingriff in das theologische Verständnis des Psalms geschieht lediglich durch eine vom hebräischen Text abweichende Präposition: Das hebräische *]b wird mit dem griechischen πρό wiedergegeben. Der König wird folglich zwar von JHWH geboren, aber nicht mehr mit der „Morgenröte", sondern vor dem Morgenstern. So lässt sich mit A. Aejmelaeus auch in Bezug auf Ps 109LXX sagen, dass in der Übersetzung das Bedürfnis deutlich spürbar ist, den Text so zu formulieren, dass man ihn beten kann 852 - es existiert kein Götterpaar JHWH„Morgenröte" mehr. Hinzu kommt, dass der messianische Charakter des Psalms in der Septuaginta dadurch stärker betont wird, dass die Handlungen des Herrschers - deutlicher als dies das hebräische Verbalsystem ausdrücken kann - in die Zukunft verlegt werden. Darüber hinaus entstehen durch den Beginn von V.3 Korrespondenzen zu anderen Textstellen, als sie die hebräische Version besitzt, die zusätzlich eine messianische Auslegung von Ps 110 suggerieren: Es wird „die Herrschaft" verliehen, wie dies auch in anderen I lerrscherweissagungen (Jes 9,5f.; Mi 4,8; Dan 7,13f. [Th]) geschieht. Ps 109LXX wird daneben auch zu einem Transporteur des icupiog-Titels, den die Christen später Jesus zuerkannten. Das Phänomen, dass der Übersetzer textnah arbeitete und trotzdem seine eigene theologische Interpretation vollführte, ist in der LXX nicht singulär - auch in der Peschitta und der Vulgata iuxta Hebr. ist eben diese textnahe, aber durchaus interpretative Übersetzungstechnik sichtbar. Eine vom hebräischen Text abweichende Wiedergabe lässt sich bei allen Versionen in Vers 3 entdecken. Dieser Vers bietet seit jeher Verständnisschwierigkeiten, da er im „Ersttext" ein Götterpaar beschreibt, das den König zeugt. Diese theologische Aussage findet sich weder in LXX. Peschitta. Targum. Vulgata noch im masoretischen Text, denn keine dieser Bibelübersetzungen teilt ein solches theologisches Verständnis. Während in der LXX die Aussage getroffen ;2
Vgl. A. Aejmelaeus, Übersetzungstechnik, 16. S.o. 168.
309 11
Schlussinterpretation
wird, JHWH habe den König vor dem Morgenstern gezeugt, gibt Hiernonymus in der Vulgata iuxta Hebr. V.3 als Naturmetapher wieder (Auf heiligen Bergen wird dir gleichwie von einer Gebärmutter der Tau deiner Jugend geboren). Im Targum stehen hingegen der König und sein Volk Israel im Zentrum des Verses, denn der Targumist sah in V.3 keine Geburtsmetaphorik sondern eine Zusage, dass ״Israel" in Sicherheit wohnen wird. Ebenso wie die LXX - aber weniger eindeutig könnte die Peschitta Ps 110 trotz textnaher Wiedergabe messianisiert haben, indem im syrischen Text der König mit einer aramäischen Messias-Bezeichnung (rfyJ) versehen wird, statt hier vom „Tau" zu sprechen. Durch diesen Titel rückt die Peschitta-Version von Ps 110 in die Nähe johanneischer Christologie. Die Nennung der „Morgenröte" wird hier als Zeitangabe verstanden. Betrachtet man nun die Auslegungsgeschichte des Psalms ab dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert, so fallt auf, dass die Hasmonäer Ps 110 nicht als messianische Weissagung verstanden haben. In ihren Augen war Ps 110 ein Gesang auf einen realen König - ihren König, sodass im Testament des Levi der hasmonäische Monarch mit Insignien aus Ps 110 versehen wird. Obgleich Ps 110 in der sogenannten zwischentestamentlichen Literatur - außer im TestLev - nicht ausdrücklich mit den herrschenden Hasmonäern in Verbindung gebracht wird, legt sich die Vermutung nahe, dass er als Legitimationstext für die Hasmonäer benutzt wurde. Das provozierte verschiedene Reaktionen in der theologischen (und politischen) Gegnerschaft: Eine essenische Gruppierung auf der einen Seite tradierte Ps 110 gar nicht - weder im Originaltext noch in einer Auslegung. Sie sahen zwar an ihrer Spitze auch einen Malki Zedek, er war jedoch nicht dieselbe Figur wie der Priesterkönig aus Ps 110. Dieser essenische Malki Zedek war der Herrscher am Ende der Tage, am Versöhnungstag. Beschrieben wird diese Figur, vor allem in 11 QMelch, durch alttestamentliche Bibelzitate, aber gerade nicht mithilfe von Ps 110 oder Gen 14. Auf der anderen Seite rezipierten die schriftgelehrten Gruppen des Judentums vermutlich den messianischen und eben nicht den historischen Charakter von Ps 110. Zumindest legen dies die Autoren der neutestamentlichen Schriften nahe, wie es in Mk 14,62 (par.) deutlich wird. Ein Zeugnis aus vorchristlicher Zeit ist allerdings bei den jüdischen Schriftgelehrten nicht greifbar. Diese messianische Auslegung, die nicht nur durch die Pharisäer, sondern vor allem durch die Septuaginta transportiert wurde, nahmen anschließend christliche Autoren auf. Ps 110 in der christlichen Bibel gelesen, stellt nun eine messianische Weissagung auf die Herrschaft des Hohenpriesters Christus dar - insbesondere beschreibt dies der Hebräerbrief. Für einen mittelalterlichen Bibelleser musste gerade die „Gottheit Morgenröte" in Vers 3 befremdlich wirken. Dementsprechend „ent-
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Schlussinterpretation
fernten" die Masoreten durch ihre Punktation und Akzentsetzung die Gottessohnschalt und das Götterpaar JHWH - „Morgenröte", sodass dieser „Rest hebräischen Heidentums"853 in punktierter Fassung des hebräischen Textes nicht mehr vorhanden war. Damit änderten die Masoreten aber nicht zwingend die messianische Ausrichtung. Schließlich betont die masoretische Lesart die Jugendlichkeit des kommenden Königs durch einen zweifachen Ausdruck der Kindheit (auch wenn ihre Punktation schwer verständlich wirkt) - die Kindlichkeit des kommenden Herrschers ist mit Blick auf Jes 9,5 nicht ungewöhnlich. Gegen die messianische Deutung von Ps 110 positionierten sich unter anderem Saadja Gaon und Raschi. Auf die Auslegung im babylonischen Talmud verweisend, sahen sie Ps 110 als eine nähere Schilderung der Abraham-Erzählung aus Gen 14. Die Karäer untermauerten wiederum die messianische Ausrichtung des Psalms. Da Saadja mit den Karäern in einer theologischen Auseinandersetzung stand, ist es möglich, dass Ps 110 gerade deshalb eine unterschiedliche Interpretation erfahren hat. Wie schon zu Zeiten der Hasmonäer wurde ein Teil des theologischen Streits auf dem Boden der Deutung von Ps 110 ausgetragen. Radak äußerte sich schließlich explizit durch seine Exegese von Ps 110 gegen die christliche Interpretation, indem er den Psalm auf David bezog und den Christen ihre Auslegungsfehler vorführte. Ob der Psalm nun einen realen Herrscher beschreibt oder eine messianische Hoffnung zum Ausdruck bringt, ob der König von JHWH aus dem Mutterleib der „Morgenröte" geboren oder ob ihm der Tau seiner Jugend zugesprochen wird - es hat alles seine Spur in der Wirkungsgeschichte hinterlassen. Und Ps 110 hat eine beachtliche Wirkungsgeschichte vorzuweisen. So ist er durch häufige Zitation im Neuen Testament zum „rechten, hohen Hauptpsalm von unsertn lieben Herrn Jesu Christo" 854 geworden. Die Hauptaussage aber des ursprünglichen Psalms - die Geburt des Königs in Vers 3 - erfährt eine geringe Rezeption. Dies hat vermutlich in der mythologischen Sprache seinen Grund, die den Tradenten spätestens ab dem 2. Jh. v.Chr. fremd geworden zu sein scheint.
853 Yg[ R G. Kratz, Reste hebräischen Heidentums. S.o. S. 1.
854
12 Literatur
1.
Textausgaben
a)
Masoretischer Text
Biblia Hebraica; hg. v. R. Kittel; editionem tertiam denuo elaboratam ad fmem perduxerunt editionem septimam auxerunt et emendaverunt A. Alt et O. Eissfeldt; Stuttgart 1937 Biblia Hebraica Stuttgartensia; hg. v. K. Elliger u. W. Rudolph; Stuttgart 4 1990 b)
Griechische Übersetzung
Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interprétés; hg. v. A. Rahlfs; Stuttgart 1935/79 Brenton, L.C.L.; The Septuagint with Apocrypha: Greek and English; Peabody/ Mass. 10 2003 c)
Lateinische Übersetzung
Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem; hg. v. R. Weber; Stuttgart 5 2007 d)
Syrische Übersetzung
Vetus Testamentum Syriace iuxta simplicem syrorum versionem. Ex auctoritate societatis ad studia librorum veteris testamenti provehenda; ed. Institutum Peshittonianum Leidense. Pars II. Liber Psalmorum; Leiden 1980 e)
Neues Testament
Novum Testamentum Graece; post Eb. et. Erw. Nestle; hg. v. K. Aland; 27. neu bearb. Aufl. [1979] 7. rev. Druck; Stuttgart 1993 f)
Texte aus der altorientalisehen Umwelt
Assmann, J.; Ägyptische Hymnen und Gebete. Übersetzt, kommentiert und eingeleitet; OBO Sonderband; Freiburg/Schweiz - Göttingen 2 1999 Dietrich, M., Loretz, O. u. Sanmartin, J.; The Cuneiform Alphabetic Texts from Ugarit, Ras Ibn Hani and Other Places (KTU: second, enlarged edition);
312
Literatur
Abhandlungen zur Literatur Alt-Syrien-Palästinas und Mesopotamiens 8; Münster 1995 Donner, H. u. Röllig, W.; Kanaanäische und aramäische Inschriften (KAI). Bd. I; Wiesbaden 5 2002 Donner, H. u. Röllig, W.; Kanaanäische und aramäische Inschriften (KAI). Bd. II; Wiesbaden 2 1968 Frankfort, H.; Kingship and the Gods. A Study of Ancient Near Eastern Religion as the Integration of Society and Nature; Chicago 1978 Greßmann, H. (Hg.); Altorientalische Texte zum Alten Testament; Berlin u. Leipzig 2 1970 Hallo, W.W. (Hg.); Canonical Compositions from Biblical World; The Context of Scripture. Vol. 1; Leiden - New York - Köln 1997 Kaiser, O. (Hg); Texte aus der Umwelt des Alten Testaments; Gütersloh 1982ff. Lehmann, R.G.; Dynastensarkophage mit szenischen Reliefs aus Byblos und Zypern. Teil 1.2. Die Inschrift(en) des Ahlröm-Sarkophags und die Schachtinschrift des Grabes V in Jbeil (Byblos); Forschungen zur phönizischpunischen und zyprischen Plastik. Sepulkral- und Votivdenkmäler als Zeugnisse kultureller Identitäten und Affinitäten. Bd.: II. 1.2.; Mainz 2005 Lichtheim, M.; The New Kingdom; Ancient Egyptian Literature. A Book of Readings. Vol. II; Berkeley - Los Angeles - London 1976 Livingston, A. (Hg.); Court Poetry and literary Miscellanea; SAA. Vol. Ill; Helsinki 1989 Parker, S.B.; Ugaritic Narrative Poetry; SBL. Writings from the Ancient World Series 9; Atlanta/Georgia 1997 Parpola, S. (Hg.); Assyrian Prophecies; SAA. Vol. IX; Helsinki 1997 Pritchard, J.B. (Hg.); Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament (ANET); Third Edition with Supplement; Princeton 1969 Sethe, K.; Urkunden aus der 18. Dynastie. Übersetzung zu den Heften 1-4. Bearbeitet und übersetzt von Kurt Sethe; Urkunden des Ägyptischen Altertums; hg. v. Steindorff, G.; IV. Abt. Urkunden der 18. Dynastie; Neudruck der Ausgabe von 1914; Berlin 1984 Weidner, E.; Die Inschriften Tukulti-Ninurtas I. und seiner Nachfolger; Archiv für Orientforschung Beih. 12; Neudruck v. 1959; Osnabrück 1970 g)
Texte aus der klassischen Antike
Homer: Ilias. Griechisch - deutsch; hg. v. Schwartz, E.; Darmstadt 1994 Odyssee. Griechisch - deutsch; hg. v. Schwartz, E.; Darmstadt 1994 Kallimachus: Callimachus. Hymns and Epigrams. Lycophron. Aratus; hg. v. Page, T.E. u.a.; LCL 129; Cambridge 1960 Nisetich, F.; The poems of Callimachus; Oxford 2001 Theokrit: Theokrit. Gedichte. Griechisch - deutsch; hg. v. Effe, B.; Sammlung Tusculum; Darmstadt 1999
Literatur
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Jüdische Schriften der hellenistischen und römischen Zeit
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Literatur
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Rabbinische Texte
Midraschim: Midrash Bereshit Rabba. Critical edition with notes and commentary; hg. v. Theodor, J. u. Albeck, C.; Jerusalem 1965 Der Midrasch Bereschit Rabba; in: Bibliotheca Rabbinica. Zum ersten Male ins Dt. übertr. von August Wünsche 1; Neudr. Hildesheim 1993 Wünsche, A.; Midrasch Tehillim oder haggadische Erklärung der Psalmen. Nach der Textausgabe von Salomon Buber. Zum ersten Male ins Deutsche übersetzt und mit Noten und Quellenangaben versehen. Erster Band; Trier 1892 Bietenhard, H.; Midrasch Tanhuma B. R. Tanhuma über die Tora, genannt Midrasch Jelammedenu. Bd. I; JudChr 5; Bern u.a. 1980 Townsend, J.T.; Midrash Tanhuma. Translated into English with Introduction, Indices, and Brief Notes (S. Buber Recension). Vol. I. Genesis; Hoboken/ NJ 1989
Literatur
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Frühchristliche Texte und Verwandtes
Epiphanius: ΕΠΙΦΑΝΙΟΥ; TA ΣΟΖΟΜΕΝΑ ΠΑΝΤΑ; PG 41; Paris 1863 Melchisedek (NHC IX,1): Schenke, H.-M. u.a. (Hgg.); Nag Hammadi deutsch. Studienausgabe. Eingeleitet und übersetzt von Mitgliedern des Berliner Arbeitskreises für KoptischGnostische Schriften; Berlin - New York 2007
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Literatur Hilfsmittel und Sekundärliteratur
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Literatur
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Literatur
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Stellenregister (Auswahl)
Biblische Texte
Exodus
Genesis
4,22 11. 8 15 15.7 15,17-18 32
1,28 LXX 175 I,28 Vg 214 2,13 103 6,6t 72, 158 9,1 LXX 175 II,31 288 12,1 288f., 291 14 12, 91f., 98f., 109, 122, 155, 186, 205, 227, 230, 233, 238, 240, 261 ff., 278ff., 283, 291, 294f., 304, 309f. 14 LXX 193 14,6 28 14,15 284 14,18-20 91 14,20 187 14,20 LXX 187 15,18 290 18 284 19,15 80 19.15 LXX 86 20,13 286 22.16 24,48 23.6 285 23,11 285 23,15 285 25.7 289 26,5 289 27,28 80, 84, 288 32,27 LXX 86 38,18 283,295 44,18 73 49 100
282 73 54, 100 279 268 73
Levitikus 13,31 13.37 25.9 25.10 25.13
27 27 243, 248f., 255 249f. 241, 248ff.
Numeri 14.28 24, 48 15,3 LXX 176 15.38 283 21.1 4 28 21,24 LXX 175 22, 19 200, 281 23,19 34, 117, 143 23,24 101 24 53, 106, 109, 115, 126,131, 133 24,3f. 48 24. 8 76 24.15 f. 48 24.1 6 51, 123 24,16ff. 136 24.17 42, 76f., 124f. 24,27 233 25,12f. 225f., 32,22 LXX 175 32.29 175
332
Register
Deuteronomium 1,46 5,1-3 9,21 15,2 15.9 17 17,14-20 32.2 32,43 33 33.3 34.10
285 90 107 241, 248ff. 249f. 271 270 80, 84 Ill 100 31 226
Josua 5,6 6,15 6,15 LXX 10.24
68 80 86 58
25,32f. 31,10 31,12
284 34 34
11 Samuel 3,9 7
67 68f., 71, 132, 149, 157, 159f., 163f,, 168, 200, 268-271, 302, 307 7,11 268 7,15 159 8,15 286 11,10 102 17,12 80, 84 21,17 286 22 77, 100 22,16 28 22,39 42, 58, 76 23,1 48 I Könige
Richter 2,15 68 4,9 102 5 ....34,39,106,126,131,133,186 5,2 26, 109, 124, 127 5,2 LXX 176 5.9 26, 109 5,26 42, 76f. 14,8f. 34 19.25 LXX 86 I Samuel 2,8 2.10 2,30 2,30 LXX 3,14 9,1 9,26 LXX 13.131'. 15,Iff 15.11 15,18 15,20 15,35 22,34
110 110 24, 48 173 68 200 86 200 72 72, 117, 125, 158 102 102 72, 117, 125, 158 73
I I,38f. II,3 4 17,1 2.1 9 5,17 8,1
102, 104 103 100 80, 84 57 58,60 64
II Könige 3 3,16f. 3.2 0 9,26 19 19,24 19,33 22,19
12, 105f. 106 106 24, 48 126, 131, 133 108f., I l l 24,48 24,48
Jesaja 8,11 8,20
9 LXX 9,1-6 9,3 LXX 9,5
268 81
192f., 196 104, 162 192 168,310
Stellen 9,5f. 308 9,5f. LXX 192 11.1-8 104, 162 11,1 283 11.1 LXX 174 11,5 285 13 76 13,13 73f. 14 54, 57, 63, 67, 98, 100,106, 109, 114, 119, 123, 126, 131, 133, 136,307 14.5 61 14.6 74, 135 14,12 80-83, 86, 118 14.12 LXX 87 14.13 54,57,65 14.14 99 15,9 101 16 284 16.5 155,201,2801 26,19 80, 84 37 126, 131, 133 37.25 108f., 111 37,38 LXX 185 41 279,281,284,294 41.2-13 279f. 41.2 279 41.8 280 42,1 282 47,11 27 49.26 101 52,10bf. 254 52.6 253, 254 52.7 242, 253f., 262 52.11 255 52,13 282 54.9 68 56.8 24, 48 56,8 LXX 173 58,8 81 58,8 LXX 178 60.3 LXX 177, 188, 190f. 61.1 241, 246, 248-251, 253f. 61.2 241 f., 254f. 61.3 242 61,8 241, 249, 25lf., 254f. 62,8 68 63,6 101 63.12 54 66,1 57
66.12
107
66,17 LXX
173
Jeremia 1,19 LXX 3,14 LXX 6,16-20 6,16-19 22.5 22,24 23,5f. 23.6 23,24 27,30 LXX 27,40 LXX 28. 8 30,27 LXX 31. 9 34,8 LXX 37,8 LXX 38.1 LXX 41.5 LXX 44,26 47. 2 48 48.1 7 49.1 3 51.1 4
173 175 243 248, 255f. 68 283 202 202f., 205 33 173 173 33 173 104 173 173 173 173 68 107 34,39, 63, 106, 109 61, 114, 124 68 68
Ezechiel 16,8 19 19,11-14 19.11 19.1 2 19.1 4 22,24 32. 6 44.10 46.1 8 47
68 34,63, 106, 109 114, 124 61 61 61 73 101 268 100 104, 105
Hosea 6,3 6,3 LXX 10.15 LXX 14,5 LXX
81 86 86 176
334
Register
Joel 2,2 2,2 LXX 4,21
81 86 111
Arnos 4.2 4,13 4,13 LXX 6,8
8,7 9,11
68 81 86 68
68 268
Jona 4.7 LXX
178
Micha 4.8 4,8 LXX 5,1-4
308 192 104, 162
Nahum 2.1
242, 248, 253
3.3
34
Sacharja 6.2 6,6 9,9f. 9,15 12,1 Psalmen
27 27 64,104,162 101 24,48
1,1 268 1,6 LXX 174 2 13, 18ff.,64,73, 76, 89, 106, 114, 125, 133,268, 282, 284 2 LXX 186f., 193 2,1 268f. 2.5 73 2.6 64f., 67 2.7 29, 80, 90, 282, 304 2,7 LXX 174
2,9 60f. 2,12 73 3,4 109 7,7f. 252 7,8-9 241,252 7,1 Off. 252 8,7 35,300 9 64,282 9.1 2 64 9.1 3 112 9,26 LXX 175 9,31 LXX 175 14. 7 64 15,4 68 17,3 LXX 174 18 20, 43, 76f., 79, 106, 109, 126, 267,282, 295 18,14 LXX 175 18,16 28, 73, 135 18,36 282 18,39 35,42,58,76,123 18,51 100 19.3 LXX 177 19,10 201,280 20 20, 106, 267, 272 21 20, 76f., 125f., 267, 272 21.1 LXX 178 21.4 LXX 191 21,6 26, 124 21.1 0 73 22.11 28 24.4 68 27,6 104 27,9 73 29 161 29.2 26f., 34 30,6 73 35 LXX 173 36 104f. 36,2 48 36. 9 107 37.8 73 39 279 45 19f., 57, 64, 89, 106, 114 45. 5 30 45. 6 58 45.7 60f. 45.1 0 54 47 161 47,4 35, 58
Stellen 48 64 48,15 LXX 175 48,15 Vg. iuxta Hebr 213 50.2 64 50.13 42 53.7 64 55.3 73 56,9 LXX 86 57.9 34,81 59.8 LXX 177 62,3 33 62,3 LXX 177 63,12 68 66.7 109,110 67.10 LXX 176 67,18 LXX 177 67,25 LXX 177 67,28 Vg. iuxta Hebr 213 67,36 LXX 191 68,10 292 71 LXX 184 71.8 LXX 175 71,8 Vg. iuxta Hebr 213 72 19, 20, 24, 267, 272 72.1 f. 32 72.5 34 72.6 34 72,17 34 72,17 LXX 177 73 LXX 193 73,3 LXX 177, 189, 191 73.7 LXX 177 74.2 64 75,5f. 109 76.3 64 76.14 LXX 177 77,10 73 77,69 LXX 177 78 157 78,3 164 78.15 33 78,21 73 78,31 73 78,65 42 78,68 64 79,10 112 80 57 82.1 241,252,255 82.2 241, 252 82,4ff. 252
82,4 255 82.4 LXX 190f. 83 279 84.8 64 88 279 88,36 LXX 177 89 20, 611,111,106,132, 141, 149, 152, 156f., 159, 164, 168f., 267f., 279, 307 89.17 LXX 177, 188 89.1 8 109 89,20 109 89,23 268 89,37f. 34 89,43 110 90-110 145f., 148 90-100 279 90 132 90,13 34 92,11 109 95,6 LXX 177 95,7f. 90 95,11 68,70 96.9 26, 34 97 64 99,2 64 99.5 35, 57 101 19 102,9 68 104 134 105,16 285 105,45 LXX 178 106 148 106,45 34, 117, 143 107,1 150 107,3 LXX 86 107,8 LXX 177 107,42f. 152 107-11 8 147 10 8 153 108,3 34,81, 150 108.4!'. 150 108,7 150 108-110 147, 150ff., 154 109 146, 152, 154,156, 169 109,30f. 150 110-112 147 II IL 146 III 282 111,6 150
336
Register
112 154 113,7 110 118,133 LXX 175 119,106 68 120 152 121 210 122,5 64 124,3 73 131,7 LXX 174 132 19, 67ff., 7If., 105f., 132, 135, 141, 149, 152, 156f., 159, 164, 168f. 132,7 35,57 132,13 64 133,3 34, 80 136 153 137 149, 151, 153 138,7 73 138,9 LXX 86 139 279 139,9 35, 81 144 20 150,1 LXX 177, 189, 191 Hiob 3,9 3,9 LXX 5,8 20,28 30,30 38,8 38,12ff. 38,12 LXX 38,28 41,10 41,10 LXX
81 178 34 73 27 290 81 178 80, 84 81 178
Sprüche 6,12f. 8,23 11.27 15,1 18,4 19.28 21,14 23,23 29,22 30,1
248f., 251 28 27 73 107,204 241,248,252 73 201,280 73 48
30,33
73
Hoheslied I,5 5.11 6,10 6.10 LXX
27 27 8If. 86
Kohelet 3,18 8,2 II,9f . 11,10
34 34 80 88, 166f.
Klagelieder 1.1 2 2.1 2,21
73 57,73 73
Esther 4.11 LXX 5.2 LXX 8,4 LXX
174 174 174
Daniel 7 (Th) 7,13-14 7,12f. (Th) 7.13 7,13f. (Th) 7.14 (Th) ... 9,25 11,39 LXX 12,1 12,3 (Th) ...
196 282 193 297 308 192 .... 242, 253f. 175 260 177, 188, 191
Esra 1,4 LXX
176
Nehemia 4,15 LXX
86
Stellen I Chronik 9,20 16,29 28,2 28,2 LXX
225f. 26 57 174
II Chronik
SAA SAA SAA SAA
3, 16, 3, 26, 9 3.2, 9 3.4,
ABRT 1 9, Z. 4f. VAT 13831 Z.l-3 Z. 27 Z. 33f.
95 62 49 49
Texte aus der klassischen Antike Homer, Ilias, 5. Gesang Z. 877 .... 66 Homer, Ilias, 9. Gesang Z. 707 .... 82
5,2 33,14 34,27 35,8 LXX
64 107 48 176
Kallimachus, Hymne auf Apollo 56, 71,78, 123f. Theokrit, Lobgedicht auf Ptolemaios 50, 56, 66, 79, 97, 123, 134ff.
Matthäus-Evangelium 22,41ff.
296
Jüdische Schriften der hellenistischen u n d römischen Zeit
Markus-Evangelium 14 14.61 ff.
305 296
14.62
309
Apostelgeschichte 2 2,30-36
305 301
2,34
304
I
I
Makkabäerbuch
1,9
221 222 222 225 224, 226 225, 226, 230 175 201 f., 205, 222 225
l,42ff. 14 14,13ff. 14,41 f. 14,41 15,30 2,42 2,54
Korintherbrief Apokalypse des Mose
15
305 14,2
15,25f.
176
300,301 Hellenistisches
Synagogengebet
Hebräerbrief AposCon 7.39,2-4 5 5,5-10 5,6
305 303 304
Texte aus der altorientalischen Umwelt
Himmelfahrt 6,1
93
des Mose 227
Baruch KAI 13 Z.l KAI 26 A (I), 16f.
95 60
KTU 2 1.4 V 46-48 KTU 2 1.6 VI 29
55 62
4,24 5,3
177, 188 177, 188
Register
338 Josephus Ant 13. Buch, 8. Kapitel
226
Ant 13. Buch, 10. Kapitel .. 139, 223 Jubiläenbuch 32,1
229f.
Pseudo-Philo LibAnt 5,15ff. Psalmen
288
4Q177 263 4Q280 236, 256, 258, 264 4Q286 236, 256ff., 264 4Q298 236 4Q448 224 4Q529 259 4QAmram 235, 238, 240, 258f., 264ff. 4QMidrEschat 267f., 271 4QMMT 263,272 I lQMelch 93, 235, 240, 246ff., 253, 256, 259, 261-266, 271, 309 II QT a LVI; LVII; LIX 269
Salomos 11QT LIX,2
17
33
72 Rabbinische Texte
17,4
70, 135 Talmudim
Jesus Sirach 17,4G
175
44-50 45,28-32 49,15 Testamente der zwölf TestLev 8 TestLev 18 TestJud 15,5 TestDan 3,2 TestNaph 8,6 TestBenj 3,3 Testament
138 225 Patriarchen 34 230, 233ff. 230, 234 176 176 176 176
bBB 14b-15a 279 bBB 14b 260 bBer 4b 260 bBes 35b 291 bHag 12b 260 bMen 110a 260 bNed 32b . 260, 276, 278, 284, 294f. bSan 95b 109 bSan 108b 279, 2 8 0 , 2 8 1 , 2 9 4 bYev 76b-77a 226 bYom 37a 260 bYom 77a 260 bZev 62a 260 yBer V,2,9b 287, 294
Hiobs
XXXIII, 3
56
Texte aus Qumran CD I, 9 CD IV CD XIII, 14f. lQGenAp XXII 1 QGenAp XXII, 12-16 lQIs a lQpHab VI,8 1QS 111,13-IV,14 1QS III,17b - 19A
223 263 236 265 23 7f. 119 33 258 258
Midraschim BerR 39,8 BerR 46 BerR 55 BerR 85,9 WaR 24 TanB Gen 12,1 TanB Gen 14,16 TanB Gen 18
288 278 289 283, 295 283 289 283 283
Frühchristliche Texte Epiphanius Haer. LV, B
93, 98
Namens- und Sachregister (Auswahl)
Alexander .. 56f., 90, 123, 136f., 195 Amun-Re 32,49f., 59, 75, 77, 90, 96, 98, 113, 123, 136 An 70 Anat 77 Apollo 56, 71, 78, 113, 123ff. Arsinoe II. Philadelphos .... 62f., 136 Assurbanipal 62, 95 Baal 31,55, 65f., 77, 84ff., 105, 115 Beiial 244, 246, 248, 250f., 253, 255-259, 261ff., 266 Elyon 82, 91 f., 99, 122,227f., 230, 278 Enki 70 Enkomion 50, 56, 97f., 126, 133f., 136ff., 164, 168,307 Enlil 62, 70f., 110 Enuma Eliseh 71 Eos 82f., 86f., 118,167,195 Essener/essenisch 222ff., 232, 234-238, 245, 248, 259f., 262, 264, 267f., 27Iff., 298, 309 Gilgameseh 71, 97 Hasmonäer/hasmonäisch .... 10f., 13, 138f., 221 f., 224- 230, 233ff., 272f., 298, 309f. Hatschepsut 85, 115 Heosphoros/ecoocpöpog .... 82, 85ff., 177f., 183f., 195,214, 233,308 Herakles 5 6 , 5 7 , 9 3 , 9 7 , 9 8 , 112, 115, 123, 125,307 Hohepriester 96, 138ff., 222ff., 2211, 234, 260, 270f., 297, 303ff. Homer 71,82, 135, 137 Horns 55, 123 Jerusalem 8, 51, 64ff., 68, 138, 188, 190f., 202, 221-224, 234, 237f., 263ff., 267, 271 f., 277
Johannes Hyrkan .... 139, 222ff., 226 Kallimachus 50, 56, 71, 78, 97, 112, 115, 123, 126, 133, 136, 138 Königsideologie 8, 12, 21, 47, 60, 114, 164f., 269 Königspsalmen/Königslieder 9, 12, 17-21, 47, 60, 63, 69, 73, 89, 100, 113f., 126f., 131, 133ff., 146f., 157f., 162f., 165, 236, 267ff., 275 Levi 12, 223, 226, 229f., 232-236, 264ff., 272, 309 Marduk 74,136 Melchisedek 12-15, 30f., 47, 91-96, 98f., 112, 115, 122, 131, 136, 160, 165, 178, 186, 188, 205, 207, 209, 227, 230, 233, 236, 238, 240, 259-262, 265£, 278f£, 284ff., 288, 294, 304f., 307 - Malki Zedek 236f., 239f., 243f., 246, 251, 253, 255f., 258-266, 309 Messias/messianisch 9f., 13 ff., 18,21,38, 102, 104, 140, 155f., 159, 161ff, 165f., 168ff, 192f., 196, 198, 200, 209f., 217f., 266, 275£, 279-285, 289, 291, 294ff, 298, 303, 305, 307, 309 Morgenröte/Schachar/־inE> 27£, 34f., 39, 65, 80-89, 94, 109, 112f., 115, 118, 120, 122, 124, 130, 137, 150, 165ff, 169, 177£, 180, 183, 185, 195, 197, 205, 208, 210, 214, 217ff., 290293,295,307-310 Nathanweissagung 13,68-72, 132, 141, 144, 149, 156f., 159164, 168f., 268, 303, 307
340 Ninurta 71, 77 Pescher 241, 244ff., 248, 251, 253ff. Pharao 55, 58f., 85, 90, 136 Pharisäer/pharisäisch 139f., 222ff., 234, 260, 273, 296, 298, 309 Pinhas 93, 225f., 230 Ptolemäer/ptolemäisch 57, 62, 78f., 97f., 112f., 133ff., 138 Ptolemaios 50, 56, 78f., 97, 123, 125,307 Ptolemaios II. Philadelphos 50, 56, 79, 97, 307 Sanherib ... 108f., I l l , 113, 131, 136 Schalem 82f. Siegeslied 32, 34, 38, 50, 59, 77, 79, 96, 109, 11 Iff., 126, 133f., 136,215,307 Simon 10, 12, 138, 140,222, 224 ־227
Register Tau
7, 26, 28f., 34, 39, 44, 80, 84-89, 114, 120, 124, 130, 168, 183, 195, 203, 208ff, 212, 217ff., 287, 289-292, 307-310 Theokrit 66, 79, 97, 112, 115, 126, 133, 136ff., 307 Thutmose III 32, 34, 38, 49f., 59, 77, 79, 96, 112, 114, 123, 126, 133f., 179,215 Tora 64, 73, 111, 139, 148, 152, 198, 201, 204, 222, 224, 245f., 248, 251, 257, 269, 273, 275, 28If., 293,295 Ugarit 9, 62, 66, 82f., 115 Zeus ... 50, 56f., 63, 79, 90, 113, 123 Zion 44,47,53,57,61,64-67, 69, 71, 105, 111, 113f., 119ff., 124, 130, 138, 153, 159, 164, 173, 182, 189, 192, 199, 207, 211, 244, 255, 263f., 269, 271, 283,285 Zionstheologie 64-67, 69, 105