Freiheit und Prädetermination unter dem Auspiz der prästabilierten Harmonie Leibniz und Fichte in der Perspektive
Fic...
119 downloads
1267 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Freiheit und Prädetermination unter dem Auspiz der prästabilierten Harmonie Leibniz und Fichte in der Perspektive
Fichte-Studien-Supplementa Band 21 im Auftrage der Internationalen Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft herausgegeben von Helmut Girndt (Duisburg) Wolfgang Janke (Wuppertal) Wolfgang H. Schrader (†) (Siegen) Hartmut Traub (Mülheim a. d. Ruhr)
Katja V. Taver
Freiheit und Prädetermination unter dem Auspiz der prästabilierten Harmonie Leibniz und Fichte in der Perspektive
Amsterdam - New York, NY 2006
Fichte-Studien-Supplementa Die Supplementa zu den Fichte-Studien präsentieren Forschungen zur Geschichte und Systematik der Transzendentalphilosophie. Es werden in diesem Rahmen umfangreichere Untersuchungen veröffentlicht, z.B. Monographien, Dissertationen und Habilitationsschriften, die dem Verständnis der Transzendentalphilosophie dienen oder ihre Erneuerung und Weiterentwicklung voranbringen können.
Die Reproduktion der broncierten Leibniz Büste: ©„Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek“, „Niedersächsische Landesbibliothek Hannover“ Typographie und Satz: Holger Ostwald (Duisburg) The paper on which this book is printed meets the requirements of “ISO 9706:1994, Information and documentation - Paper for documents Requirements for permanence”. ISBN-10: 90-420-2097-0 ISBN-13: 978-90-420-2097-9 ©Editions Rodopi B.V., Amsterdam-New York, NY 2006 Printed in The Netherlands
Inhalt Vorwort .................................................................................................... 1 Einführung ............................................................................................... 3 1. Ich und Freiheit bei Fichte .................................................................. 11 1.1. Das überfliegende Räsonnement im SSL 1798 – Fichtes frühe Leibniz-Rezeption .................................................................................. 13 1.2. Das Vernunftwesen und die Natur ................................................................... 21 1.3. Vernunft und Trieb .......................................................................................... 34 1.4. Theoretische und praktische Vernunft ............................................................. 49 1.5. Der Ort der Freiheit .......................................................................................... 59 1.6. Freiheit und Notwendigkeit. Grenzen der transzendentalen Freiheit ............... 67 1.7. Das handelnde und erkennende Individuum .................................................... 77
2. Ich und Freiheit bei Leibniz .............................................................. 85 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 2.7. 2.8. 2.9. 2.10.
Die Seelenmonade ........................................................................................... 87 Die Eigenschaften der Seelenmonade .............................................................. 93 Das Phaenomenon bene fundatum ................................................................... 96 Die apperzipierende Monade ......................................................................... 101 Die Individualität ........................................................................................... 109 Die eingeborenen Ideen ................................................................................. 113 Die prästabilierte Harmonie von Leib und Seele ........................................... 121 Die petites Perceptions und der psychophysische Expressionismus .............. 127 Das Sein in Gott ............................................................................................. 136 Das Ich und seine Notion ............................................................................... 142 2.11.1. Metaphysische und hypothetische Notwendigkeit ............................. 147 2.11.2. Die Freiheit ........................................................................................ 153 2.11.3. Die Notion, die Freiheit und das faule Sophisma ............................... 160
3. Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes ..................................... 167 3.1. Die Autokreation............................................................................................. 169 3.2. Mögliche Welten ............................................................................................ 182
Inhalt
4. Leibnizens Position der Harmonie ................................................... 189 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6.
Leibnizens prästabilierte Harmonie von Geist und Körper ........................... Leibnizens prästabilierte Harmonie als Intersubjektivität ............................. Das vernünftige Ich im intermonadischen Kontext ....................................... Zusammenfassender Überblick zu Leibniz ................................................... Das Geisterreich ............................................................................................ Abschliessende Betrachtungen zu Leibniz ....................................................
5.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant ............................... 241
5.1 5.2. 5.3. 5.4. 5.5.
Der Ursprung der Freiheit in der Interpersonalität ........................................ Der Andere als Möglichkeit und Limes ........................................................ Die Freiheit des Genius ................................................................................. Die Freiheit der Einbildungskraft .................................................................. Die Darstellung der WL 1801/02 als Konstruktion des Ich ........................... 5.5.1. Das absolute Wissen ............................................................................ 5.5.2. Wissen und Freiheit ............................................................................. 5.6. 2. Teil zur WL 1801/02 – Die Einarbeitung der Leibnizschen Harmonie .....
6.
191 198 207 217 223 232
243 252 257 263 273 273 284 293
Fazit ............................................................................................................. 333
6.1. Die prästabilierte Harmonie der Gesellschaft bei Leibniz und bei Fichte ..... 335 6.2. Leibniz und der späte Fichte: Gott, Ich und Freiheit ..................................... 357 6.3. Das Ich und seine Freiheit ............................................................................. 364
Nachwort ............................................................................................. 377 Literaturverzeichnis.............................................................................. 383 1. 2. 3. 4. 5.
Quellen und Siglen ........................................................................................ 1.1. Leibniz ................................................................................................... 1.2. Fichte ...................................................................................................... Sekundäre Quellen ........................................................................................ Sekundärliteratur zu Leibniz ......................................................................... Sekundärliteratur zu Fichte ........................................................................... Weitere Literatur ...........................................................................................
385 385 386 387 390 394 397
Namensregister .................................................................................... 399 Sachregister ......................................................................................... 409
Vorwort
Ich möchte hier Herrn Professor Henning Ottmann – inzwischen längst wieder am Geschwister–Scholl–Institut für Politische Wissenschaft in München, meinen späten Dank abstatten: Während ich in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an meiner Promotionsarbeit über Fichte saß, konnte ich bei Henning Ottmann praktisch ein Studium nachholen. Seine Lehrveranstaltung über Fichtes »Grundlage des Naturrechts« und den »geschloßnen Handelsstaat« machte mich mit Texten vertraut, die ich ohne ihn kaum gelesen hätte und vermittelte mir Kenntnisse, die mir später äußerst hilfreich waren. Auch gab es manch fröhliches, gedankenreiches Gespräch, das mir stets irgendwelche Weisheiten vermittelte. Danken möchte ich auch Herrn Professor Marco Ivaldo von der »Università degli Studi di Napoli Federico II« in Neapel, Haupt der Italienischen Fichte – Schule, dessen kluge Briefe es mir erleichterten, die Arbeit am vorliegenden Buch durchzuhalten und es schließlich trotz widriger Umstände abzuschließen. Schließlich sei noch gedankt Herrn Professor Hubertus Busche von der Fern-Universität Hagen, welcher sich bereit gefunden hatte, die im Alleingang entstandene Arbeit einer kritischen Lektüre zu unterziehen und mir wertvolle Hinweise zu geben. Und unvergessen bleibt Professor Wolfgang H. Schrader, welcher mit seinem wohlwollenden Interesse meine ersten Schritte zu Leibniz begleitete. Gedankt sei auch Herrn Dr. Hart-
2
Vorwort
mut Traub, welcher die beendete Arbeit schließlich sicher in den Hafen führte. Herrn Professor Klaus Hammacher sei herzlich gedankt dafür, daß er mir das Bild von J.G. Fichte für das Cover zur Verfügung stellte; mein Dank geht auch an Herrn Professor Breger und das Leibniz Archiv in Hannover für das Foto der Büste Leibnizens von Johann Gottlieb Schmidt. Katja V. Taver Basel, Mai 2006
Einführung
In seiner Einführung in den Text »La condition postmoderne« charakterisiert Lyotard die Postmoderne mit den knappen Worten: »En simplifiant à l’extrême, on tient pour <<postmoderne>> l’incrédulité à l’égard des métarécits. Celle-ci est sans doute un effet du progrès des sciences; mais ce progrès à son tour la suppose.«1 Eines nach dem anderen haben von Aristoteles zu Husserl die Philosopheme als Einzelwissenschaften sich von der Philosophie, die zu Platons und des Aristoteles Zeiten der Inbegriff der Wissenschaftlichkeit war, da sie vom Mythos sich abgeschottet hatte, – wenn Platon auch die Kraft mythischer Rede noch bewusst war – sich abgespaltet. Von Bacon und Descartes über Newton zu Hume führt der Hauptstrang, welcher Kants Kritik der reinen Vernunft zugrunde liegt. Goethe unternahm einen letzten großen Versuch – sei es mit der Urpflanze, sei es mit der Farbenlehre – Kunst mit Wissenschaft und Philosophie zu einer Einheit zu bringen.2 In der KdrV knüpft Kant an an die Kategorie der Kausalität, so wie Hume sie bestritten, Newton sie gestützt hatte und un1 Jean-François Lyotard: La condition postmoderne, Paris 1979, p. 7. 2 Einen modernen – postmodernen – Versuch, Philosophie mit ihren Schwestern, der Kunst und der Wissenschaft, unter Einen Aspekt zu bringen, unternahmen Gilles Deleuze und Félix Guattari mit ihrer Untersuchung: »Was ist Philosophie?«. (1991), Frankfurt a.M. 2000.
4
Einführung
termauert so ein mechanistisches Weltbild. Kant unternimmt es, vom Standpunkt reiner Vernunft, und d. h. vom Standpunkt rein verstandesmäßigen Denkens und vernünftiger Sinnlichkeit, der stets subjektiven Anschauung von Raum und Zeit, alle bisherige Metaphysik ins Reich leerer Spekulation zu verbannen, indem er die ›kopernikanische‹ Wende vollzieht. – Kopernikus ließ die Erde sich um die Sonne, also das Subjekt sich um das Objekt drehen, wo Kant das Objekt, die Welt, vom Standpunkt der Erkenntnismittel des Menschen, Anschauung, Einbildungskraft und Verstand erkennen, also ebenfalls das Subjekt sich um das Objekt drehen ließ. Eine neue Perspektive bringt erst die Ort/Impuls-Messung der Quantenphysik: Das Subjekt muss seine Meßmethoden nach den Objekt richten, welches sich in dem Aspekt zeigt, den die Messung nicht anvisiert. Doch hat der Kantsche Weg – wie die auf Kant folgende Entwicklung erwies – man denke an die Experimente Faradays – sich als ungeheuer fruchtbar erwiesen. Wie verhängnisvoll aber auch Kants Stärkung des vernünftigen Subjekts sein konnte, zeigt nicht zuletzt sich im naturfeindlichen Denken Fichtes, aber auch ganzer Generationen nach Kant. Fichte beweist, daß nach Kant eine Metaphysik noch und wieder möglich ist. Doch nicht Fichtes mit der Ethik eng verwobene Metaphysik, die erst im 21. Jahrhundert aktuell wird, hat sich durchgesetzt, sondern seine gegenüber Kant gesteigerte Abqualifizierung der Natur. Der »Humanismus« des entfesselten Massenindividuums treibt Raubbau in der Natur, so wie schon Mussolini Italiens Wälder abholzen, ganze Landstriche veröden ließ. Die Menschheit – zum Subjekt entfesselt – zieht sich den Boden unter den Füßen weg, auf dem sie steht, um sehend – »après moi le déluge« – wie der Vorgänger des guillotinierten Louis XVI sagte, in den Abgrund zu stürzen. Die Schnelllebigkeit der gegenwärtigen Generation nimmt keine Rücksicht auf die Bedürfnisse kommender Generationen, sondern nimmt und konsumiert, was immer sie haben kann. An der darstellenden Kunst lässt sich verfolgen, wie seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Natur dem Menschen stets fremder wird: mit den Impressionisten wird die Natur zum reinen Eindruck, die Expressionisten stellen subjektive Gestimmheiten dar, die folgende abstrakte Kunst die Einsamkeit des Denkens. Eine schmale Strömung innerhalb der Kunst weiß noch um die Natur oder sucht ein neues Transzendentes in der Abstraktion. Nachdem die Psychologie versucht hat, dem Inneren des Menschen auf die Spur zu kommen, wetzen jetzt die Naturwissenschaften das Seziermesser. Die angewandte Ethik boomt. Der Mensch selbst ist machbar geworden. Doch die Ethik ohne Metaphysik ist ein hölzernes Eisen; denn wir bedürfen der Rückbesinnung.
Einführung
5
Eine Rückbesinnung im Augenblick des Übergangs in eine Welt der tausend Möglichkeiten, in der somit die Möglichkeiten aufs Äußerste reduziert sind, versucht die vorliegende Arbeit. Zwei schwer zugängliche, aber oft ähnlich denkende Philosophen sollen auf ihre Philosopheme – Metaphysik und Ethik sowie die von beiden Denkern zuerst thematisierte Interpersonalität – befragt und in ihrer Stellung zu einem Absoluten angelichtet werden. Beide Denker haben ein System hinterlassen: Fichte mit den verschiedenen Fassungen der Wissenschaftslehre ein in sich geschlossenes System, Leibniz, der Mathematiker, baut auf einem Axiomensystem auf, wie Hilbert es schildert: »D. Hilbert wendet sich gegen die Auffassung, aus der Wahrheit der Axiome folge, daß sie einander nicht widersprechen, mit der programmatischen Erklärung: »Wenn sich die willkürlich gesetzten Axiome nicht einander widersprechen mit sämtlichen Folgen, so sind sie wahr, so existieren die durch die Axiome definierten Dinge.«3 Auf einem Axiomensystem – und nicht wie Fichte auf einem obersten Grundsatz – aufruhend, hat Leibniz durchaus ein offenes System hinterlassen, verzettelt in zahlreichen Schriften, welche Edition und Darstellung des Leibnizschen Systems erschweren. Hubertus Busche verweist in seiner Einleitung in seine Interpretation Leibnizens auf 15'000 Briefe und 75'000 hinterlassene wissenschaftliche Schriftstücke. Oft deutet Leibniz in seinen zahlreichen philosophischen Briefen nur an, zu welchen Schlussfolgerungen im Augenblick sein Weg ihn veranlasst hat. Bei Fichte liegt das Problem, nachdem Reinhard Lauth und seine Mitarbeiter mit der kritischen Gesamt-Ausgabe das Fichtesche Werk weitestgehend zugänglich gemacht haben, in der Schwierigkeit der Fichteschen Sprache und in Fichtes ständig wechselnder Terminologie. Die späte Edition der verschiedenen Fassungen von Fichtes Wissenschaftslehre kommt in einem Augenblick, da Fichtes Denken eine neue Aktualität gewonnen hat, auch wenn wir sein abschätziges Urteil über die Natur – der Leibnizschen Ansicht diametral entgegengesetzt –, nicht teilen. Beiden Denkern ist in ihrer Frage nach dem Absoluten und dem interpersonal gefassten Menschen im Zeitalter nach dem Nihilismus und auf dem Weg zu einer Weltgesellschaft eine neue Aktualität zuzusprechen. So stellt sich die Frage, wie nach der Postmoderne ein neuer Métarécit möglich sein könne, welcher auch die im 20. Jahrhundert neu gewonnenen physikalischen Erkenntnisse integriert. Leibniz, der Denker des Rationalismus, musste sich mit einem neuen mechanistischen Weltbild, totenstarr wie ein Uhrwerk, auseinandersetzen, Fichte schrieb nicht 3
HWP Ritter, Bd. I, S. 784.
Einführung
6
nur nach Kant, Spinoza und Rousseau, sondern auch nach der Terreur und während der Freiheitskriege. Wenn wir nicht die Geschichte des abendländischen Denkens angesichts der Erkenntnisse moderner Naturwissenschaften über Bord werfen und in die reine Historizität verbannen wollen, so müssen wir prüfen, was aus der Vergangenheit von großen Denkern Gefundene wir retten können, indem sich uns am Prüfstein moderner Wissenschaftlichkeit der Kern der großen Systeme als auch noch für uns Verbindliches herausschält. Die moderne Evolutionslehre, die seit Darwin gemachten Entdeckungen in der Entwicklung von Mensch und Natur sind keine Argumente gegen eine Schöpfung; denn es ist nicht einzusehen, weshalb das Absolute, den bestmöglichen Weg mit den bestmöglichen Naturgesetzen wählend, nicht imstande gewesen sein sollte, zu schaffen, was der moderne Mensch erkennt. So sucht die vorliegende Arbeit angesichts der modernen Physik und Biologie ein Absolutes – in den monotheistischen Religionen als Gott verstanden – zu retten. Daß der Mythos der Genesis, wie alle Schöpfungsmythen, wissenschaftlich nicht haltbar ist, ist kein Argument dagegen, daß wirklich eine Schöpfung stattgefunden habe, nachdem eine schöpferische Kraft und Weisheit sich ex nihilo ins Sein kontrahierte, in eins in der Urexplosion als Licht und Ton zuerst sich manifestierend und so Raum und Zeit kreierend. Ein Grollen muss das Universum erfüllt haben. »Weil das präetablierte Lichtreich dieses nach Existenz drängenden mundus possibilis in der Tat »etwas mehr als eine Hypothese«, nämlich eine mystisch theologische Deutung des Kosmos war, nannte Leibniz es vorsichtig das System der Monaden« (...). Daß es sich um die Lichter vom ersten Licht dreht, hat er auch den drängendsten Briefpartnern nur angedeutet. Die Verklärung, ja Sakralisierung des Weltmechanismus, auf die Leibniz’ verborgene Lichtmetaphysik hinausläuft, war mit der frühen Systemmechanik der Ätherhypothese schon vorweggenommen worden.«4 Tatsächlich begann es mit Licht und glühenden Temperaturen und hören wir noch heute das Hintergrundrauschen. Anders als Leibniz tendiert Fichte dazu, zwar eine Evolution, aber keine Schöpfung zu supponieren, da der Mensch als Logos die Erscheinungsform eines unvorstellbaren Absoluten ist, das nicht nicht sein kann, dessen esse aber im actus des handelnden Menschen sich äußert. Es gibt nur das Eine Leben, das in der Reflexion und dem Tun des sittlichen Menschen sich äußert. Doch bedarf Jahwe als die geistigste Essenz des Absoluten Christi und des Menschen, um sein Selbst zu finden.
4
Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum, S. 503.
Einführung
7
Am Ende der Arbeitsgesellschaft, im Zeitalter der Globalisierung und neuer Migrationen stellt erneut sich die Frage nach einer harmonischen Weltordnung, vor der schon Leibniz nach dem dreißigjährigen Krieg und Fichte nach der Terreur und während der Freiheitskriege gestanden haben. Es gilt auch, der Opfer totalitärer Regime im Gang des 20. Jahrhunderts zu gedenken. Die Notwendigkeit einer friedlichen, aber nicht egalitären Gesellschaft wechselseitiger Anerkennung gibt den Vorstellungen von Interpersonalität in einem Rechtsstaat und von der harmonischen Struktur einer Gesellschaft neue Aktualität. Leibniz hatte sich bemüht, die verschiedenen christlichen Religionen miteinander zu versöhnen. Eine Weltgesellschaft muss jeweils an den eigenen Lehren und überkommenen Religionen festhalten können, bei Anerkennung der Überzeugungen anderer Ethnien. Aber einzig die Anerkennung eines Absoluten, das gleich dem weißen Strahl Newtons sich am Prisma der Realität in zahllose gleich reale Farben spaltet, kann die Gleichwertigkeit und Würde des Menschenantlitzes garantieren, unbesehen von Farbe, Rasse, Geschlecht, Religion. Dem Konsumismus ist die Rolle des Götzendienstes zuzusprechen, eines Götzendienstes, der im Begriff ist, den ganzen Erdball sich dienstbar zu machen. Der Mensch wird beherrscht von Waren und Gütern, die er sich nicht aneignet, sondern die ihn versklaven. Er selbst ist Handelsware und riskiert, daß die Stammzellen- und Genomforschung ihm im kleinen hilft, im großen jedoch zur manipulierbaren Sache macht. Fichtes Forderung der Freiheit für jedermann, die ihren Limes nur findet an der Freiheit und Würde des Anderen, und die bewertet wird nach dem Maß ihrer Kreativität, ist ein unaufgebbares Postulat. Neu hinzugekommen ist die Freizügigkeit und äußere Mobilität, die gefordert wird, auf daß möglichst Viele ein menschenwürdiges Auskommen und Leben finden mögen. Hat schon Fichte sich für Pestalozzis Idee einer Volksbildung begeistert5, so geht es jetzt darum, den Kindern der Migranten eine nach Möglichkeit gute Schulbildung zukommen zu lassen, damit sie – von zu Hause nicht gefördert – wenn sie sich auf den Arbeitsmarkt begeben, mehr sind und haben als bloß die Kraft ihrer Arme und den frustrierten Hunger nach Statussymbolen. Heimat ist nicht nur die Sprache, Heimat ist auch Wissen und Können, sind alle Werkzeuge – und Werkzeug ist auch die Sprache, auf die wir angewiesen sind, um auf dieser Welt unser Auskommen zu finden. Dies umso mehr, als Fichte zum notwendigen Eigentum 5
Vgl. die »Reden an die deutsche Nation,« insb. die II. Rede.
8
Einführung
die gewohnte Umgebung zählt. Insofern ist der moderne Mensch depossediert. Statt der vertrauten Scholle, deren er verlustig gegangen ist, bedarf er einer soliden Grundausbildung, die ihm Wechsel der Umgebung – sei es über Grenzen, sei es über Tätigkeiten – ermöglicht. Der moderne Mensch wird durch die ständig neu sich strukturierenden Gesellschaften gezwungen – gehöre er nun zu den migrierenden Unterschichten oder übe er eine leitende Tätigkeit aus – innerlich und äußerlich mobil zu sein. Er kann nicht mit Bestimmtheit hoffen, da einen Arbeitsplatz zu finden, wo er seine Kindheit verbrachte und eine Ausbildung genoss. Aber wollen wir nicht eine Gemeinschaft von zum Tode Verurteilten sein, so muss der Mensch seine Würde aus dem Wissen um ein von der jeweiligen Kultur unabhängigen Absoluten schöpfen, dem primär er für sein sittliches Handeln verantwortlich ist, auch wenn Sittlichkeit je schon ein menschliches Gegenüber fordert, das ebenso aus dem Absoluten lebt. China, der kommenden Großmacht, drohen sämtliche Probleme der Vermassung und des Konsumismus. Nur wenn ein jeder der alten Lehren gedenkt, die in einem Wissen um ein ursprünglich Eines gründen, kann China – im Hinblick auf ein Absolutes und im Rückblick auf die eigene Kultur – sich neu strukturieren. Neue Solidaritäten scheinen sich zu bilden, und ob im Zeitalter des entfesselten Materialismus und des Massenindividuums das Subjekt endgültig untergeht oder ob der Menschheit die moralische Kraft erwachsen wird, aus dem Gedanken der eigenen Traditionen und eines Absoluten, dem alle Völker sich verdanken, harmonische Weltgesellschaften erwachsen zu lassen, neue Formen der Republik zu finden, welche die heutigen Ochlokratien ablösen, ist offen. Von der Zukunft her rechtfertigt sich der Rückblick auf Leibniz und Fichte. Beide Denker betrachteten sich als Vorkämpfer der Freiheit, ohne in und eben wegen ihrer Radikalität die Prädetermination ausblenden zu können. Beide sahen sie das Subjekt oder die Monade als gesellschaftliches, in Interpersonalität eingepasstes Wesen, beide sahen sie das Vernunftwesen als schaffend, sei es Kunst, sei es an einer sittlichen, auf ein Absolutes ausgerichteten Welt, sei es schlicht Güter für das Leben der Gesellschaft herstellend. Und Leibniz als erster dachte das »Moy« als sich, Gott und Welt reflektierende Monade, wo der späte Fichte die Freiheit des Subjekts in der hellsichtigen Reflexion des sittlichen Menschen verwirklicht sah. Der Rückblick auf das Denken dieser beiden Männer lässt uns vielleicht auch wieder die vergessene mögliche Größe des Menschen sehen und uns neue Werte zur Bewältigung unserer Welt finden, die sich vor nie zuvor gestellte Fragen und Probleme gestellt sieht, wo der Mensch
Einführung
9
doch derselbe geblieben ist. Die Zukunft ist mit vager Hoffnung auf die dem Menschen verliehene Vernunft und mit viel Skepsis zu erwarten.
This page intentionally left blank
1. Ich und Freiheit bei Fichte
This page intentionally left blank
1.1. Das überfliegende Räsonnement im SSL 1798 – Fichtes frühe LeibnizRezeption Wird Fichtes Denkposition ins Auge gefasst, so erinnert man sich der Namen Kants, Spinozas und Schellings. Erst die neuere Forschung beginnt, sich der Rolle Leibnizens in Fichtes Denken anzunehmen. 1996 hatte Reinhard Lauth auf das Desiderat hingewiesen1, 2000 erschien Marco Ivaldos bahnbrechendes Werk: »Fichte e Leibniz. La comprensione trascendentale della monadologia.« Das Buch von Marco Ivaldo befasst sich primär mit der Leibniz-Rezeption des frühen Fichte bis zum Kulminationspunkt der Wissenschaftslehre von 1801/02, in deren zweiten Teil Fichte es unternimmt, Leibnizens Monadenlehre für die Transzendentalphilosophie, insbesondere für das 1801/02 im Zentrum stehende absolute Wissen fruchtbar zu machen: Es ergibt sich eine transzendentalphilosophische Monadenlehre, ohne dass der Name Leibnizens je genannt würde. Obwohl, worauf Marco Ivaldo auch verweist, die Begriffe »Monade« und »Harmonie« sich finden.2 Tatsächlich zieht Leibnizens Denken sich wie ein roter Faden durch Fichtes Werk, und zwar bis in die Spätzeit, wenn auch das Zentrum dieser Rezeption, insb. was die prästabilierte Harmonie anbelangt, die WL 1801/02 ist. Denn was Fichte 1801/02 seinem System zugrunde legt, ist eben Leibnizens Theorie einer prästabilierten Harmonie. Früh- und Spät1
Reinhard Lauth: Leibniz im Verständnis Fichtes. In: Kant-Studien 1996, 87. Jg. S.
418 ff. 2 Marco Ivaldo, Fichte e Leibniz. La comprensione trascendentale della monadolologia, Milano 2000, insb. S. 271. Ivaldo schreibt: »deve venir richiamato che nell’Esposizione del 1801-1802 Leibniz non viene mai, come tale, nominato. Vengono però espressamente usati i termini che gli sono caratteristici, quali »monade«, oppure »armonia« (»armonizzante«), oppure »mondo migliore«, cosa che induce a ritenere (...) che Leibniz è un interlocutore ideale che Fichte ha effettivamente in mente allorché elabora questa Esposizione.«
14
Ich und Freiheit bei Fichte
werk Fichtes bringen eine Verschiebung in Richtung auf die Frage nach Freiheit und Prädetermination. Joachim Widmann und Marco Ivaldo zitieren beide eine Stelle Fichtes, welche dessen inniges Verhältnis zu dem sonst im Vergleich mit Kant und Spinoza nur selten erwähnten Denker ausdrückt. Sie findet sich in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre von 1797: »Leibniz konnte auch überzeugt seyn; denn wohlverstanden – und warum sollte er sich nicht selbst wohlverstanden haben? – hat er recht. Lässt höchste Leichtigkeit und Freiheit des Geistes Ueberzeugung vermuthen: lässt die Gewandtheit, seine Denkart allen Formen anzupassen, sie auf alle Theile des menschlichen Wissens ungezwungen anzuwenden, alle erregten Zweifel mit Leichtigkeit zu zerstreuen, und überhaupt sein System mehr als Instrument, denn als Object zu brauchen: lässt Unbefangenheit, Frölichkeit, und guter Muth im Leben, auf Einigkeit mit sich selbst schliessen; so war vielleicht Leibniz überzeugt, und der einzige Ueberzeugte in der Geschichte der Philosophie.3 Wenig später, zur Ostermesse 1798 erscheint das System der Sittenlehre. Es bringt einen Versuch Fichtes, im Sinne von Leibniz Freiheit und Prädestination in einer prästabilierten Harmonie zu verbinden. Dieser gescheiterte Versuch soll hier dargelegte werden. Fichte selbst wird in einem Schreiben an Reinhold vom September 1800 sich zu diesem Scheitern äußern wie folgt: »So habe ich in meiner Bestimmung des Menschen das überfliegende Räsonnement, meine Sittenlehre S. 300 ff. h. zurückgenommen, sowie schon vor 1 1/2 Jahre auf dem Katheder.«4
Beim »überfliegenden Räsonnement« im SSL dürfte Fichte angeknüpft haben an die Frage, die schon in der Grundlage des Naturrechts von 1796 Ausgangspunkt gewesen war: Wie können unterschiedliche freie Vernunftwesen miteinander leben? Aus dem nicht naturwissenschaftlichen Ansatz Fichtes ergibt sich, dass nicht die Kategorie der Kausalität, sondern diejenige der Wechselwirkung im Zentrum steht: vernünftige Wesen beeinflussen sich wechselseitig, und so hält Fichte in der Zweiten Einleitung in die Wissenschafts3 GA I,4; 265. J. Widmann in: Erneuerung der Transzendentalphie.. Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag, hrsg. vVon Klaus Hammacher und Albert Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979. Vgl. M. Ivaldo, op. cit. S. 48. 4 GA III, 4; 314.
Ich und Freiheit bei Fichte
15
lehre von 1797 fest: »nur die Wechselwirkung mit dem Zöglinge, nicht Einwirkung auf ihn« sei das pädagogische Ideal.5 Angenommen, es gibt eine Gemeinschaft vernünftiger Wesen, so ist eine gegenseitige Beeinflussung, eine Wechselwirkung der Vernunftwesen untereinander, nicht wegzudenken. Wir müssen von anderen vernünftigen Wesen wissen und mit ihnen im Austausch stehen, um selbst zur Vernunft zu kommen. Das Kind, welches Klavierunterricht erhält, wird in der Regel diesen darum erhalten, weil seine Eltern Musik kennen und lieben. Und es kann einen großen Pianisten, den es hört, nur darum als solchen erkennen, wenn es tatsächlich musikalisch ist. Doch ist es Sache einer hypothetisch angenommenen Prädestination, ob das Kind den großen Pianisten in einem Moment seines Lebens erlebt, da es sich auf dieses Erlebnis hin dazu entscheidet, nicht weiter Klavier zu üben, da es dazu zu unbegabt sei, oder ob es beschließt, auch es wolle ein derart herrlicher Pianist werden und so sein künftiges Leben bestimmt. Es gibt so Lebensläufe, welche Fichtes Behauptung »die Prädetermination kann nicht wegfallen«, zu erhärten scheinen. Alle hatten wir schon Begegnungen, die uns schicksalhaft dünkten, und sei es nur die mit dem Partner oder einem Jugendfreund. Ohne Wechselwirkung mit anderen Vernunftwesen – wie sie Reinhard Lauth als »Andetermination« bezeichnet – kämen wir nicht zur Vernunft, ohne die Auseinandersetzung mit den Werken anderer Maler, fände der Maler seine Kunst nicht. Fichte sieht richtig, wenn er lehrt, dass wir, was wir sind, weitgehend der Kultur und Gesellschaft verdanken, in der uns das Auge aufging. Insofern ist Fichte beizustimmen, wenn er sagt, dass ohne Prädetermination »die Wechselwirkung vernünftiger Wesen, sonach die vernünftigen Wesen überhaupt, nicht erklärbar« sei.6 Ein anderes Modell, nüchterner als das des SSL 1798, entwirft Fichte in der WL 1801/02: der Mensch muß stets in einem gewissen Verhältniß leben, wobei es unwichtig ist, wie dies nun beschaffen sei, welche Umgebung es sei, wenn es bloß eine menschliche Umgebung ist. Aber sobald ich mich in menschlicher Umgebung finde, gibt es auch Wechselwirkungen, Andeterminationen, gibt es Begegnungen, die ich als schicksalhaft erleben kann, denn sie wirken prägend auf meine Vernunft und mein Sehen, ja meine Identität schlechthin, so daß ich, je nach Umgebung, in 5 GA I,4; 259. Vgl. GWL, Wechseltun und –Leiden, insb. GA I,2;298. Eindeutig der Einfluss von Leibniz in GA I,2; 308.: »Warum wird denn überhaupt Tätigkeit gesetzt? Diese Frage muß nicht wieder durch den Satz der Wechselbestimmung, sondern durch den höhern Satz des Grundes beantwortet werden.« 6 SSL 1798, GA I,5; 206.
16
Ich und Freiheit bei Fichte
welcher ich aufwachse, eine andere Identität habe; denn auch wenn es einen Ich-Kern gibt, ist das Ich weitgehend plastisch und formbar durch die frühe Umgebung, in welcher es schließlich sein Auge öffnet. So wie es für jedes Ich mehrere mögliche »Verhältnisse« gibt, so gibt es stets eine Anzahl möglicher prädestinierter Handlungen, »aus der ich auswählen kann; die Möglichkeit und Wirklichkeit aller ist prädestiniert: aber gar nicht, dass gerade die, die ich wähle, an die ganze Reihe, die bis jetzt meine Individualität ausmacht, an (die Handlungen – KVT) A.B.C. sich anfügen sollen, und so ins Unendliche.«7 »Nun wird, unserer Voraussetzung nach, das von meiner Freiheit ausgeschlossene, zwar nicht durch wirkliche Individuen, aber doch durch mögliche, gleichsam in Besitz genommen; und ich bestimme auch unter dieser Voraussetzung, durch jede Handlung meine Individualität weiter.«8 Meine Freiheit ist von Natur und durch Geist begrenzt. Von Natur habe ich bestimmte Anlagen, die meinen Geist bestimmen. Dieser bestimmt sich, indem er reflektiert, also nur sein kann, indem er an Grenzen stößt, die ihn zu sich zurückführen. Die absolute Grenze aber ist alter Ego, den ich als Vernunftwesen notwendig mir vorstellen muss. Der Andere ist auch ein Ich, hat auch natürliche Anlagen, und diese stellen für meine Freiheit sowohl Grenze wie Möglichkeit dar. Je mehr das Ich seiner Möglichkeiten und seiner durch Natur und andere Iche gegebenen Grenzen sich seiner bewusst wird, desto stärker entwickelt sich seine Individualität, die in Selbsterfahrung sich wird. Im Schlußwort der Vorlesung über die Bestimmung des Gelehrten von 1794 betont Fichte: »Erwähle Dir eine deiner besten Ueberzeugung nach Deine Kräfte hinlänglich ausfüllende bestimmte Aufgabe. Was im Umkreise dieser Aufgabe liegt, das mußt Du auf jede Gefahr hin, u. mit jeder Aufopferung thun.«9 Ich bin gleichsam eine in ihre Umgebung eingepasste Zelle: nur mein Zellkern ist als Zellkern das Ich, welches ich nicht begreifen kann, und welches nur in sich selbst und in sich geschlossen von Handlung zu Handlung, von Reflexion zu Reflexion sich in sich weiterentwickelt, stets mehr sich selbst wird und in diesem Prozess stets mehr die Eine Vernunft repräsentiert. 1804 wird Fichte im XVI. Vortrag von einem »in sich geschlossenen Singulum« sprechen. Wir müssen somit auch die im SSL postulierte Prädetermination als Spiel mit Möglichkeiten betrachten. Dies lässt ihren Gedanken plausib7 GA I,5; 206. 8 GA I,5; 202. 9 Von den Pflichten des Gelehrten: Schlußwort der Vorlesung über die Bestimmung des Gelehrten. GA II,3; 343 ff.
Ich und Freiheit bei Fichte
17
ler erscheinen. Doch lässt dieser Determinismus, so wie im folgenden Zitat er sich ausdrückt, und welcher denjenigen von Leibniz noch überflügelt, skeptisch: »Meine freien Handlungen sind sonach allerdings vorherbestimmt (...) die Prädetermination kann nicht wegfallen.«10 Fichtes anschließende Frage: »Wie kann nun die Freiheit dabei bestehen?« und seine Ausführung zur zwecks der Wechselwirkung vernünftiger Wesen notwendigen Prädetermination: »die Freiheit kann eben so wenig wegfallen. Dann hörten die vernünftigen Wesen selbst auf zu seyn«11, verweisen auf eine Aporie. Eine Aufdröselung des Textes wird erweisen, dass sich beim »überfliegenden Räsonnement« weder die Prädetermination noch die Freiheit retten lassen. Wir werden das Problem auch bei Leibniz angehen, von dessen Standpunkt aus die Verschränkung von Freiheit des Selbstbewusstseins und Prädeterminiertheit des Sets von in die Existenz drängenden Essenzen im Geiste Gottes sich eher retten ließ. Fichte wird erst sehr viel später, nochmals auf Leibniz zurückgreifend, das Problem in einem neuen Ansatz lösen. Im »überfliegenden Raisonnement« liegt der Fehler primär bei der Einführung des Apriori: »Es sind für mich (...) a priori bestimmt alle Einflüsse freier Wesen (...) A priori ist keine Zeit und keine Zeitfolge: kein Nacheinander; sondern alles zugleich. (...) Sonach ist gar nicht bestimmt, daß ich die Ereignisse so und so in der Zeit auf einander folgen lasse (...) Was ich erfahren werde, ist bestimmt, nicht von wem. Die andern außer mir bleiben frei.«12 Doch nie mehr, nicht einmal in der weitgehend Leibniz vom transzendentalphilosophischen Standpunkt her rekonstruierenden WL 1801/02 wird Fichte Leibnizen so nahe stehen – ja diesem praktisch deckungsgleich sein –, wie in den vorliegenden Ausführungen des SSL 1798: »Meine Behauptung ist also die: »es sind alle freien Handlungen von Ewigkeit her, d. i. außer aller Zeit durch die Vernunft prädestinirt: und jedes freie Individuum ist in Rücksicht der Wahrnehmung mit diesen Handlungen in Harmonie gesetzt. Es liegt für die gesammte Vernunft ein unendliches Mannichfaltiges von Freiheit und Wahrnehmung da: alle Individuen theilen sich gleichsam darein. Aber die Zeitfolge und der Zeitinhalt ist nicht prädestinirt (...) d. h. die Zeit, in welcher etwas geschehen wird, und die Thäter, sind nicht prädestinirt.«13
10 11 12 13
GA I,5; 206. Ebd. GA I,5; 206. Ebd. GA I,5; 206. GA I,5; 207.
18
Ich und Freiheit bei Fichte
Marco Ivaldo führt den Umstand, dass Fichte dem Individuum, das die Handlungen A.B.C. vollzogen hat, »wieder eine Unendlichkeit von prädestinierten Handlungen« zubilligt, darauf zurück, daß ich wählend die Freiheit habe, mich moralisch zu bessern: Es soll Sache meiner Freiheit sein, welche Handlung aus den möglichen und mir als möglich prädestinierten Handlungen ich auswähle. Es hängt ab von meiner Freiheit und freien Wahl, ob ich den eingeschlagenen Weg, der als solcher prädestiniert ist, fortsetze, oder ob ich den Sprung der Freiheit vollziehe und mich auf einen ganz anderen, ebenfalls als möglich prädestinierten Weg begebe.14 Meine Aufgabe in Welt steht fest. Über welche Wege ich sie vollziehe oder ob ich versage, hängt von mir und dem mir Begegnenden ab. In der WL 1801/02 wird Fichte auf die Möglichkeit der Besserung, nicht des verlorenen Verbrechers, aber des Sinnenmenschen hinweisen und schreiben: »es muß doch noch nicht ganz unmöglich seyn, dass du dich zu den Ideen erhebst, da dich Gott noch in dem ErscheinungsSysteme der Intelligenzen duldet.«15 Welche der in mir angelegten Möglichkeiten ich wähle, ist Sache meiner Freiheit; welche unterschiedlichen Möglichkeiten mir zur Wahl gegeben sind, ist Freiheit und Gesetz Gottes. Nur das starke Individuum kann den Sprung über den Hiat der Freiheit tätigen, doch legt Gott im Menschen die Kraft an, den Sprung in die höhere Freiheit und Sittlichkeit zu vollziehen. Es ergibt sich hieraus – analog dem bei Leibniz Ausgeführten –, dass ich in meinem Bewußtsein frei bin, dass jedoch alle Handlungen anderer Iche, die mich berühren, prädestiniert sind, so wie für diese auch alle meine Handlungen, die auf sie einwirken, vorherbestimmt sind. Es ergäbe sich eine harmonische Wechselwirkung der Individuen untereinander, welche die Eine Vernunft – bei Leibniz der christliche Gott – von Anbeginn harmonisch geregelt hat. Fichte fürchtet in den frühen Jahren die Konsequenz dieser seiner Theorie, welche noch abgründiger als Leibniz die Prädestination betont, wo doch unter dem Einfluss Kants und der Ideen der Französischen Revolution in seinem Denken die Idee der Freiheit, auf die ja selbst Leibniz nicht verzichten wollte, im Zentrum steht. Daß die Freiheit darin liege, daß der Zeitpunkt, in welchem mir X begegnen wird, nicht festgelegt ist, ist unhaltbar. Denn sowohl X wie Y 14 Vgl. M. Ivaldo: Fichte e Leibniz, S. 150 f.: »Quale individuo io diventi in relazione agli altri, scegliendo dalla totalità delle azioni possibili predeterminate quelle che da un certo momento mi caraterizzano, dipende dalla mia libertà nel tempo (...) Posso diventare moralmente migliore perché è cosa della mia libertà determinare quale serie di azioni, predeterminate come possibili, entreranno di fatto a costituire il mio »essere« questo individuo.« 15 GA II,6; 319.
Ich und Freiheit bei Fichte
19
sind in den Zeitpunkten t1, t2 oder t3 nicht derselbe, unwandelbare Mensch. Die Begegnung mit Y kann X zum Zeitpunkt t1 prägend berühren, während sie zum Zeitpunkt t3 folgenlos bleibt. Und ob X zum Zeitpunkt t2 einem Kunst- oder einem Flachmaler begegnet, kann existentielle Folgen haben, denn er wird vielleicht dem Flachmaler ein Glas Bier spendieren, während der Kunstmaler ihn beeinflussen wird. Eben das, was Fichte als belanglos bezeichnet, d. h. Zeit und Täter, ist von existentieller Bedeutung. Wenn X aus bescheidenen Verhältnissen stammt, sich jedoch emporgearbeitet hat, ist nicht belanglos, ob Y zum Zeitpunkt t1 ihn zu einem opulenten Mahl einlädt oder Z Jahre später zum Zeitpunkt t2 oder t3. Fichte beschließt den oben zitierten Absatz mit der Feststellung: »Prädetermination und Freiheit sind vollkommen vereinigt« – man möchte beifügen: im Scheitern. Denn es ist Fichtes Intention, zugleich festzuhalten an der von Kant verkündeten »Autonomie des Willens, als alleiniges Prinzip aller moralischen Gesetze und den ihnen gemäßen Pflichten.«16 In Fichtes Modell bin ich bestimmt, aber habe keine Bestimmung, denn es ist belanglos, ob ich in t1 oder Y in t2 auf Z einwirken, und dies obwohl ich in t1 und in t2 nicht derselbe Mensch mit derselben Vergangenheit und denselben Erfahrungen bin, so wie dies auch für Y und Z gilt. Ich bin nicht auf Grund bestimmter persönlicher Gegebenheiten bestimmt, zum Zeitpunkt tn auf Z zu stoßen, weder, was einen Einfluß von Z auf mich, noch was meinen Einfluss auf Z anbelangt. Die Prädetermination in Fichtes Modell vergewaltigt die Freiheit, die Freiheit macht die Prädetermination impotent. Die Wechselwirkung zwischen Individuen, um deren Harmonie willen Fichte sich in das Gedankenabenteuer stürzte, würde eben einen bestimmten Zeitpunkt und einen bestimmten Täter voraussetzen, so daß – analog dem Entwurf von Leibniz – Freiheit und Prädetermination sich wechselseitig stützen. Den Abschnitt beschließend, schlägt Fichte offene Türen ein: »Kein Mensch in der Welt kann anders handeln, als er handelt, ob er gleich vielleicht schlecht handelt, da er einmal dieser Mensch ist; nichts ist 16 I. Kant, KpV, A 59; I,1, § 8, Lehrsatz IV. Und »Also drückt das moralische Gesetz nichts anderes aus als die Autonomie der reinen praktischen Vernunft, d. i. der Freiheit, und diese ist selbst die formale Bedingung aller Maximen, unter der sie allein mit dem obersten praktischen Gesetze zusammenstimmen können.« Ebenda. 1788, S. 59. In Kant, I. Werke in 6 Bänden, hrsg. Von W. Weischedel, Bd. IV, S. 144. Kant argumentiert, als ob es keinen Gott und kein Absolutes gäbe, so dass Sittlichkeit rein menschliche Pflicht und Verantwortung ist. Fichte möchte sowohl seinen ihn zu Kants Freiheitslehre ziehenden Instinkten gerecht werden, wie auch jenseits des als ob im Gefolge von Leibniz eine prädestinierte Interaktion der Individuen postulieren. Erst in seinem Spätwerk wird Fichte eine zwischen Kants und Leibnizens Position vermittelnde Lösung finden.
20
Ich und Freiheit bei Fichte
wahrer, und diese Behauptung ist sogar nur ein identischer Satz. Aber er sollte eben nicht dieser Mensch seyn, und es sollte überhaupt kein solcher Mensch in der Welt seyn.«17 – Sowohl schon Leibniz als vor allem der Kant der »Anthropologie« hatten den Menschen als für seinen Charakter verantwortlich bezeichnet.18 Fichtes »überfliegendes Räsonnement« stellt einen bewundernden Versuch dar, Leibnizens »prästabilierte Harmonie« für das eigene Denken fruchtbar zu machen; doch muss auf dieser Stufe, 1798, das Experiment als weitgehend gescheitert gelten. Denn im Entwurf Gottes liegt ein Spiel mit Variablen, dessen der späte Fichte, in Versöhnung mit Leibniz, gewahr werden wird. Menschliche Freiheit und göttliche Prädetermination treffen und vereinigen sich in der Tradition Leibnizens und Kants beim späten Fichte.
17 GA I,5; 207. 18 Immanuel Kant: Werke, hrsg. Von W. Weischedel, Frankfurt a.M. 1964, Bd. VI, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 635 ff. (B 267 ff., A 269 ff.) Ebenso Leibniz, s. obenunten...
1.2. Das Vernunftwesen und die Natur In seinen »Sätze zur Erläuterung des Wesens der Thiere« unternimmt Fichte einen seiner frühen Versuche zur Situierung des Menschen in der Natur1. Zwei mögliche Grundansichten ergeben sich: a) Der Mensch ist Natur und ein Natürliches auch noch in der aus Natur und Freiheit sich zusammensetzenden frei bestimmbaren Artikulation und ist qua Intelligenz auch ein Übernatürliches. Zur Natur speziell des Menschen, welcher von diesem her sich versteht, gehört das Denken, welches Fichte daher als eine Naturmacht bezeichnet.2 Und so wie das Kunstprodukt nach seinem Entstehen Freiheitsprodukt, nach seinem Sein Natur ist, so gilt diese Ambivalenz auch für den artikulierten menschlichen Leib: »Der articulirte Leib ist Natur, er ist also auf diesem Gesichtspunct, dem gemeinen Gesichtspunct allem Bewustseyn vorausgesezt, er ist ein Theil der Natur, denn auser ihm ist der meinige ja auch da, und Objecte auch nach dem obigen. Dieser Körper ist Natur, Theil der Natur (...) er ist derjenige Theil der Körperwelt, der durch den bloßen Willen des Vernunftwesens in Bewegung gesezt wird«.3 1 GA II,5; 417. 2 J. G. Fichte: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen I, 1809-1811, »Einleitung in die Philosophie« von 1810: »wo sich denn zeigen mögte, daß das Denken selbst eine Naturmacht, und nicht (...) ein Spiegel der Dinge sey, sondern die ganze Außenwelt selbst sich aus dem Denken ergebe.« 3 WLnmK S.235, Hamburg 1982. S. auch WLnmK S. 239: »zuförderst in artikulirten Leibern greift Natur und Freiheit in einander, vermittelst der Freiheit des INDIVIDUUMS und so wirkt die ganze Freiheit in die ganze Natur; umgekehrt die Natur bringt erst artikulirte Leiber hervor, und producirt auf dem gemeinen Gesichtspuncte Vernunftmöglichkeit, und greift ins Reich vernünftiger Wesen ein.«
22
Ich und Freiheit bei Fichte
b) Die Intelligenz des Menschen ist bloß eine »höhere Potenz (Äußerung) der Natur«; diese letztere Ansicht ist nach Fichtes Überzeugung durch die Transzendentalphilosophie widerlegt: Fichte nimmt hier einen Gedanken seiner Grundlage des NR erneut auf: Um der Freiheit willen ist im Menschen die Naturkraft nicht zu Ende gegangen: der Mensch ist nicht eine Vollendung der Natur, sondern an ihm bricht sich die Natur.4 Er ist nicht nur Subjekt, er ist auch Person. Zum Heraustreten des Menschen aus dem rein Kreatürlichen legt André Leroi-Gourhan dar: »Die reflektierte Intelligenz, die den Zusammenhang zwischen den Erscheinungen nicht nur ergreift, sondern ihn auch in einem symbolischen Schema nach außen zu wenden vermag, ist mit Sicherheit die späteste Errungenschaft der Wirbeltiere, und erst auf dem Niveau der Anthropinen ist sie vorstellbar. Sie setzt eine Gehirnorganisation voraus, deren Ursprung mit der Befreiung der Hand zusammenfällt (...) Die archäologischen Spuren dieser die technische Motorizität übersteigenden Aktivitäten sind im frühen Quartär nur schwer zu fassen, in der Epoche der Paläanthropinen jedoch stoßen wir auf die ersten Zeugnisse. Es handelt sich um die ältesten Äußerungen ästhetisch-religiöser Art, und man könnte sie in zwei Gruppen klassifizieren: in solche, die von Reaktionen auf den Tod zeugen, und in solche, die für Reaktionen auf ungewöhnliche Formen 5 stehen.«
Der Sprung des Menschen aus der Tierheit erweist sich als primär sein bewusstes zum Tode Sein und aus diesem zum Tode Sein heraus ein intellektuelles Erfassen der Welt in ihren rhythmischen Formen. Vor LeroiGourhan und nach Herder und Fichte erarbeitet sich Arnold Gehlen: »die Natur hat dem Menschen eine Sonderstellung angewiesen, oder anders gesagt, sie hat im Menschen eine sonst nicht vorhandene, noch nie ausprobierte Richtung der Entwicklung eingeschlagen (...) Wir wollen also ein System einleuchtender, wechselseitiger Beziehungen aller wesentlichen Merkmale des Menschen herstellen, vom aufrechten Gang bis zur Moral, sozusagen, denn alle diese Merkmale bilden ein System, indem sie sich gegenseitig voraussetzen«.6
4 GAI,3; 379. 5 André Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. Frankfurt 1988, S. 140. 6 Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Studienausgabe, Wiesbaden 1986, S.17.
Ich und Freiheit bei Fichte
23
Schon Gehlen schreibt: »Das Denken, Vorstellen und Phantasieren ruht, wie sich zeigen wird, auf einem breiten Unterbau »sensomotorischer« Funktionen, die über Hand, Auge und Sprache laufen.«7 Auch Tiere können – so wenn sie zum Schlachten transportiert werden – Todesangst verspüren; doch einzig der Mensch »ist zum Tode«.8 In seiner Vorlesung »Platners Aphorismen Teil I,«9 hält Fichte fest: »Das Thier folgt nur der Natur: der Mensch nur der Freiheit.« – Bewegt sich das Tier, so bewegt es sich kraft seiner Natur; bewegt aus eigenem Antrieb sich der Mensch, so geschieht dies aus Freiheit. Der Mensch handelt auch aus Freiheit, wenn er rein triebhaft handelt; denn der menschliche Trieb ist stets ein spezifisch menschlicher Trieb10, also durch Freiheit präformiert. Denn die Welt des Menschen ist eine Welt der Freiheit; nur so ist sie eine menschliche Welt: »Die Welt der Freiheit hat keine Zwangsgesetze: nur Gesetze der Freiheit. – Es lässt sich da nichts berechnen, vorhersehen.«11 Zu den Gesetzen der Freiheit schreibt Fichte im »SSL«: »Wenn du dich frei denkst, bist du genöthigt, deine Freiheit unter ein Gesetz zu denken; und wenn du dieses Gesetz denkst, bist du genöthigt, dich frei zu denken; denn es wird in ihm deine Freiheit vorausgesetzt, und dasselbe kündigt sich an, als ein Gesetz für die Freiheit.«12 Die Welt der Geschichte und der Politik muss – anders als die traditionellen Naturwissenschaften – stets mit Imponderabilien rechnen, denn sie ist eine von Menschen gemachte Welt. Auch, wo er Beute seiner Triebe ist, ist der Mensch nicht instinktgebunden, unterliegt sein Wesen nicht den Gesetzen der Mechanik. Und die Gesetze der Psyche müssen für nicht Vorhergesehenes offen sein. Einzig der Mensch aber kann viehisch sein. Die Wissenschaftslehre analysiert den Menschen nur als freies, reflektierendes Vernunftwesen; schon bloße Ge-
7 Ebenda, S. 19. Gehlen führt S. 20 kurz aus: »die übertierische Struktur des menschlichen Leibes erscheint schon in enger biologischer Fassung im Vergleich zum Tier als paradox und hebt sich dadurch ab.« Dies erinnert an Nietzsches »Grosse Vernunft des Leibes«, an die vor allem Volker Gerhardt und Gerhardt folgend, Annemarie Pieper im letzten Jahrhundert wieder angeknüpft haben. 8 Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1963, S. 252: »Im Sein zum Tode verhält sich das Dasein zu ihm selbst als einem ausgezeichneten Seinkönnen.« 9 GA II,4; 278. 10 Er ist die Kraft der Intelligenz. Beim späten Fichte wird der Trieb zum »Urschema, Schema primum«. (WL 1810, GA II,11; 308: »Nun ist ja noch ein anderes höheres Schema, das Urschema, nicht Produkt der Erscheinung selbst, sondern Wesen, u. Wurzel derselben; u. Produkt des unmittelbaren Erscheinens Gottes.« 11 GA II,4; 278. 12 System der Sittenlehre. GA I,5; 64.
24
Ich und Freiheit bei Fichte
dankenassoziationen werden in die durch Fichte von der Philosophie abgeschottete Psychologie verbannt.13 Fichte fragt nach der Vernunft der Tiere und stellt fest, sie hätten kein Vernunftsystem; auch stellt uns sich die Frage, nicht wie Tiere an sich seien, sondern wie wir sie denken müssen: Vernunftwesen haben mir gegenüber Rechte, ich ihnen gegenüber Pflichten. Fichte schließt, dass beide Aspekte bei Tieren nicht gegeben seien, somit sind Tiere keine Vernunftwesen.14 Zum »Begriff des Thiers« führt Fichte aus: »Die Vorwelt trug auch auf die für uns leblose organisirte Natur Leben, u ein Analogon von Vft. über. Hierüber ist die Vft. weiter gerükt – wenn nun dieser alte jetzt aufstünde, u. so hartnäkig sich berufte – wir würden ihn auslachen.-. Wer steht uns dafür, dass nicht etwa eine Zeit kommen wird, wo wir eben so lächerlich seyn würden. Also es folgt nicht.«15 Dass die Griechen die Welt beseelten, dass es Fluss- und Waldnymphen gab, ist für Fichte Grund, zwar im Gefolge Kants die Tiere als Organismen zu behandeln, ihnen jedoch dennoch im Gefolge des Cartesius jegliche Vernunft abzusprechen. Dass höher entwickelten Tieren doch wohl Selbstgefühl und mitunter sogar Denken zugesprochen werden muss, ist – post Fichte – eine Erkenntnis der Moderne. Und dass ihnen – eben wegen ihrer Wehrlosigkeit – fundamentale Rechte und Ansprüche auf Schutz uns gegenüber zustehen, sind moderne Erkenntnisse eines Menschen, der mit Entsetzen sich mit einer tödlichen Macht gegenüber der Natur, die doch heilig ist, ausgestattet sieht. Nur schwer besinnt der Mensch sich der eigenen Kreatürlichkeit, welche ihn als Vernunftwesen auch zur Solidarität mit aller Kreatur verpflichtet. 16 13 So etwa die »Einleitung in die Philosophie« von 1810, Studienausgabe Bd. I, 1809-1811, S.201. Ging Leibniz im Sinne einer psychologia rationalis vom Individuum und dessen Psyche aus, so knüpft Fichte einzig an Vernunft und Freiheit an, denen ein weiter nicht interessierendes Individuum zugrunde liegt. 14 GA II,4; 272. 15 GA II,4; 275. 16 Hierzu Helmut Girndt in »Über den Umgang mit der empfindungsfähigen Natur nach J. G. Fichte« in TrPS, Hamburg 1989, S. 134-146, hier insb. S. 135: »Ob wir Verpflichtungen auch unvernünftigen, somit rechtsunfähigen und moralisch unzurechenbaren Lebewesen gegenüber haben, diese Frage gibt jedenfalls einen Sinn, wenn mit Recht behauptet werden darf, unvernünftige Lebewesen seien empfindungsfähig und daher in der Lage, Qualen zu erleiden.« Girndt akzeptiert zwar die Lehre von der Determiniertheit der Tiere, verweist jedoch darauf, dass sie wie wir empfindende Lebewesen sind, als solche Recht auf Anerkennung haben, was Girndt aus Fichtes eigener Anerkennungslehre deduziert. (Ebenda, S. 145). Weiter als Girndt – und vielleicht leicht übers Ziel schießend –, wird Paola Cavalieri gehen. In »Die Frage nach den Tieren.
Ich und Freiheit bei Fichte
25
Fichte stellt fest, die Intelligenz lege jedem Atom in der Natur Trieb bei als ein Streben, außer sich zu wirken.17 Nur durch dieses Setzen und Realisieren des Triebes überhaupt entsteht der Intelligenz eine Natur. Der Mensch erkennt die Natur außer sich als Trieb, weil er der Natur in sich als Triebs bewußt ist.18 Fichte nennt diesen Trieb, der – getreu der alten Entelecheia – die Natur des Atoms ausmache, »seine chemische Natur«19 und rückt hiermit in die Nähe de facto von Leibniz und der Biologie. Denn die mit Materie behaftete Leibnizsche Monade ließe sich verstehen als Zelle mit Zellkern. Fichte sieht ein einseitiges, kausales Wirken der Kräfte von Anziehung und Abstoßung beim Entstehen von Mineralien. Chemische Wechselbeziehungen hingegen gelten bei der organischen Natur. Deren einfachste Form erblickt Fichte in der Pflanze, welche einer Wechselwirkung von Kräften sich verdankt: dem sich Durchdringen von Leben, Wachstum, Blüte. Die Blüte ist die höchste organische Form des Sich-Durchdringens: Mit ihr erlischt die Entwicklungskraft, die Wechselwirkung auch der Pflanze mit der übrigen Welt, es bleibt der Same.20 Der Same wird durch Entwicklungsmomente der Natur so wie Wärme, Feuchtigkeit, neu geweckt. Die Natur ist ein »ewiger Kreis «.21 Nebst der organischen, perpendikularen Zeit des Menschen und des Weltalls haben wir also in der organischen Natur und im Lauf der PlaFür eine erweiterte Theorie der Menschenrechte«, Erlangen 2002, führt Cavalieri aus, dass es Menschen gibt, die nicht fähig sind, intentional zu handeln, während es durchaus Intentionalität von Tieren gibt, und sie kommt so zum Schluss, Es »gehören zu den Wesen, die eine erweiterte Theorie der Menschenrechte mit einbeziehen müsste, zweifellos die Säugetiere und die Vögel und wahrscheinlich Wirbeltiere im allgemeinen.« Ebenda, S. 155. Ähnlich wie Cavalieri u.a. argumentiert in dem primär den Primaten gewidmeten Band »Die Würde der Tiere«, hrsg. von Martin Liechti, in seinem Aufsatz »Rechtliche Anerkennung der Personalität von Schimpansen und Bonobos« Steven Wise: »Irgendwann erreicht man einen Punkt, an dem der Widerspruch zwischen der rechtlichen Dinglichkeit eines geistig komplexen Schimpansen oder anderen Primaten und der juristisch anerkannten Personalität eines geistig schwer behinderten Menschen oder eines Kindes, das ohne Hirn geboren wurde, nicht mehr verteidigt werden kann.« (Ebenda, S. 211.) So verweist denn abschließend auch H. Girndt in seinem Essay auf den Religionsphilosophen, entgegen dem Ethiker, Fichte: »Was ich rund um mich erblicke, ist Mir verwandt; es ist alles belebt und beseelt, und blickt aus hellen Geister-Augen mich an und redet mit Geister-Tönen an mein Herz.« (Ebendort, S. 146). 17 Vgl. GA II,5; 423. 18 Das erste Erwachen von Bewußtsein läuft über die noch ungesonderten, vage als Mangel schmerzenden Triebe: Hunger, Durst, Sexualität, Unbehagen nach dem sich Ankoten. Erst das schon entwickeltere Kleinkind lernt über die Zuwendung der Pflegeperson, seine Triebe zu sondern. 19 GA II,5; 423. 20 GA II, 5; 425 f. 21 GA II,5; 426.
26
Ich und Freiheit bei Fichte
neten den ewigen Kreislauf der Zeit. Kreis und Linie beschreiben gleichermaßen adäquat das Urphänomen der Zeit. Indem wir älter werden, ziehen wir eine Linie: doch dieser perpendikularen Zeit entspricht der Kreislauf der Jahreszeiten. Nur unter Menschen kann der Mensch Mensch sein: Um zu leben und zu überleben bedarf er anderer Menschen. »Er bedarf der freien Hülfe der Menschen, u würde, ohne dieselbe, bald nach seiner Geburt, umkommen.«22 Dem Tier sagt sein Instinkt, dass es beim Muttertier Nahrung findet. – Der menschliche Säugling ist zur Gänze hilflos und abhängig von der Fürsorge ausgewachsener Vernunftwesen außer ihm. »Wie er den Leib der Mutter verlassen hat, zieht die Natur die Hand ab von ihm u wirft ihn gleichsam hin.«23 Der Mensch ist von Natur verurteilt zur Freiheit. Kein Instinkt sagt ihm, was er tun solle, und entwickelt er Instinkte, so sind dies nicht Naturinstinkte wie beim Tier, sondern geistige Instinkte, die er kraft Erfahrung und besonnener Einübung in Verhaltensmuster erworben hat.24 Anders als die Tierwelt ist der Mensch »nicht der Zögling der Natur«, so dass gilt: »Ist er ein Thier, so ist er ein äusserst unvollkommenes Thier, u gerade darum ist er kein Thier.«25 Der Mensch als Frühgeburt wird in noch embryonalem Stadium der Natur entrissen und dem Gesetz der Freiheit unterstellt. Freie Vernunftwesen müssen ihn umsorgen, auf dass er lebensfähig und mit dem Wesen der Vernunft vertraut werde. Der Trieb nach Selbsttätigkeit des Kindes ist die in ihm erwachende Möglichkeit von Freiheit. Indem Ver22 GA I,3; 381. 23 Ebenda, GA I,3; 381. 24 Wobei es sich – je nach Lebensführung – durchaus um negative oder bloße Fluchtinstinkte handeln kann. 25 Ebenda, GA I,3; 381. In der Nachfolge von Herder und Fichte wird Arnold Gehlen schreiben: »Der Mensch ist das handelnde Wesen. Er ist in einem noch näher zu bestimmenden Sinne nicht »festgestellt«, d.h. er ist sich selbst noch Aufgabe – er ist, kann man auch sagen: das stellungnehmende Wesen. Die Akte seines Stellungnehmens nach außen nennen wir Handlungen, und gerade insofern er sich selbst noch Aufgabe ist, nimmt er auch zu sich selbst Stellung und »macht sich zu etwas«. A. Gehlen: Der Mensch: seine Natur und seine Stellung in der Welt, Studienausgabe, Wiesbaden 1986, S. 32. Und eine Seite weiter: »Nur von dem Gedanken eines handelnden, nicht festgestellten Wesens her bekommt man die Physis des Menschen überhaupt in den Blick, und niemals lässt die Definition als »Geistwesen« allein einen Zusammenhang gerade dieser Leibesbeschaffenheit mit dem, was man unter Vernunft oder Geist zu verstehen pflegt, sichtbar werden. Morphologisch ist nämlich der Mensch (...) hauptsächlich durch Mängel bestimmt. «Ebenda, S. 33. Vgl. Johann Gottfried Herder, Sämtliche Werke Bd.V. Hildesheim 1967, S. 1-148:« Abhandlung über den Ursprung der Sprache«, 1772, insb. 2. Abschnitt, S. 26 ff.. Vgl. auch Bd. XIII, Anhang, S. 446 ff.
Ich und Freiheit bei Fichte
27
nunftwesen das Kind lehren, wie es sich verhalten solle, und während es ein Verhalten überhaupt lernt, sich des eigenen Körpers und der Sprache bemächtigend, lernt es im Widerspruchsgeist des Trotzalters, dass es sich auch anders verhalten könne, dass es stets mehrere Aktionsmöglichkeiten gibt. Bevor das Heranwachsende zur Vernunft und transzendentalen Freiheit aufgefordert wird, entdeckt es schon die mögliche Willkürfreiheit. Keine Natur lehrt den jungen Menschen Überlebensstrategien und naturgemäßes Verhalten: Der Mensch ist verurteilt zum Geist. Nur geistige Wesen vermögen die transzendentale Freiheit lebend zu verwirklichen, sei es, dass die Geistigkeit in ihnen Natur ist wie beim Künstler, sei es, dass sie in der Vernunft des Wissenschaftlers und des Philosophen sich äußere, in dessen Forschen und Fragen schrittweise sich verwirklicht.26 Vom Künstler lässt sich sagen, dass in ihm Freiheit und Natur in eins fallen, doch gilt hier das Wort Reinhard Lauths: »Nun hat das Wort Natur eine ganz andere Bedeutung, wenn von menschlichen Wesen, als wenn von bewusstlosen Naturerzeugnissen die Rede ist.«27 Der Mensch ist kraft eigener Natur Teil der organischen Natur, steht kraft seines Logos der Natur entgegen. Und seine Natur ist unnatürlich.28 So betont auch Marco Ivaldo, dass die Befriedigung ein und desselben Triebes rein als Faktum qualitativ bei Mensch und Tier nicht dasselbe bedeute.29 Fichtes Sicht der Tiere fällt – nach Kant30 – hinter diejenige Leibnizens zurück: Leibniz, welcher in dieser Frage sich radikal von Descartes 26 Leibniz nahm noch an, daß der Großteil der Menschheit rein empirisch lebe, wie die Tiere, unfähig zur Reflexion und zum »Moy«. Mon. §§ 28 und 29, G VI, 611 f. 27 R. Lauth: Die transzendentale Naturlehre Fichtes, S. 152. GA II,5; 70. 28 Schiller beschreibt 1795 in »Über naive und sentimentalische Dichtung« wie das Sein in und angesichts von Natur uns zu uns selbst führt: »Die Gegenstände der Natur sind, was wir waren: sie sind, was wir wieder werden sollen.« Natur ist uns Vorbild; denn von ihr gilt: »Natur in dieser Betrachtungsart ist uns nichts anderes als das freiwillige Dasein, das Bestehen der Dinge durch sich selbst, die Existenz nach eignen und unabänderlichen Gesetzen.« (Schillers sämtliche Werke, Säkular-Ausgabe, Bd. 12,2; 162 ff.) Ob Schiller weit von Kants ästhetischer Urteilskraft abdriftet, wenn er in der Liebe zum Naturschönen eine moralische Eigenschaft sieht, sei – mit einem Blick auf Kants Persönlichkeit – dahingestellt. 29 M. Ivaldo in Libertà e ragione. L’etica di Fichte, S. 184: »La soddisfazione di un impulso materialmente identico è qualitativamente diversa già nel suo accadere fattuale nell’uomo e nell’animale.« 30 Kant führte im IX. Kapitel seiner Ethik-Vorlesung von 1782 »Von den Pflichten gegen Tiere und Geister« aus: »Weil die Tiere ein Analogon der Menschheit sind, so beobachten wir Pflichten gegen die Menschheit, wenn wir sie gegen Analoga derselben beobachten, und dadurch befördern wir unsere Pflichten gegen die Menschheit. Wenn z.E. ein Hund seinem Herrn sehr lange treu gedient hat, so ist das ein Analogon des Verdienstes, deswegen muß ich es belohnen und den Hund, wenn er nicht mehr dienen kann, bis an sein Ende erhalten. Denn dadurch befördere ich meine Pflicht gegen die Menschheit, wo ich solches zu tun schuldig bin.« (Immanuel Kant: Eine Vorlesung über Ethik. Hrsg. von Gerd Gerhardt, Frankfurt a.M. 1990, S. 256. )
28
Ich und Freiheit bei Fichte
absetzt, billigt den Tieren und selbst den Pflanzen eine Seele zu, den höheren Tieren auch Gedächtnis und etwas wie empirische Vernunft. Denken wir an die Gegenwart, so dünkt uns Leibniz hier moderner als Fichte, und so kann Max Scheler ausführen: »Jedoch findet sich bereits im pflanzlichen Dasein das Urphänomen des Ausdrucks, eine gewisse Physiognomik ihrer Innenzustände, der Zuständlichkeiten des Gefühlsdrangs als des Innenseins ihres Lebens, wie matt, kraftvoll, üppig, arm.«31 Fichtes sich frei bewegende Organismen erinnern wieder an die Maschinen des Cartesius: Fichte anerkennt keine Seele ohne Vernunft, sieht in der Natur kein Bewusstsein ohne Selbstbewusstsein, sieht kein Selbstgefühl bei höheren Tieren. »Das Bewegende des Tieres ist stets das, was seinen Naturtrieb determiniert, in diesem Fall: was sein organisches Streben zur Bewegung determiniert,« führt Reinhard Lauth aus.32 »Das Thier folgt nur der Natur: der Mensch nur der Freiheit.«33 Der Handwerker, welcher, obwohl hungrig, beschließt, erst seine Arbeit zu beenden, statt sofort zu essen, verwirklicht Freiheit; aber wem gehorcht der Hund, welcher aus Trauer um seinen toten Herrn das Fressen verweigert? – Darum vielleicht muss Fichte zugestehen, »dass die Meynung, die Thiere haben Vernunft, so ziemlich allgemein ist.«34 Reinhard Lauth führt, anknüpfend an Fichte, aus: »Andererseits ist schon das Tier vor der Pflanze dadurch ausgezeichnet, dass es auf Grund der Artikulation prinzipiell befähigt ist, in mehrere Richtungen angezogen zu werden und sich zu bewegen, wenn es selbst auch notwendig der stärkeren Anziehung unterliegt. Diese Artikulation erweist sich nun beim Menschen als geeignetes Instrument eines »Verstattens« seitens der Vernunft, die bestimmen kann, ob und in welcher Richtung die Bewegung erfolgt, gleichgültig, welcher Trieb in actu der stärkere ist.«35
31 Max Scheler: »Die Stellung des Menschen im Kosmos«, Bern und München 1966, S. 15. 32 R. Lauth: Die transz. Naturlehre Fichtes, S 126. 33 GA II,4; 278. 34 GA IV,1; 507. Es stellt sich die Frage, ob Seele sich nicht in der Leiblichkeit ausdrücke, so dass wir nicht lebende Kadaver, sondern beseelte Leiber sind. – Und wie erklärt sich, dass auch nach den Griechen wir Schönheit noch als Glück verheissend empfinden? Noch immer dünkt uns Schönheit Ausdruck des Guten. Dass Schöne zieht uns in seinen Bann – seine Atmosphäre, wie Gernot Böhme sagt. Die Trennung verliefe zwischen Geist und Vernunft einerseits, beseelter Leiblichkeit andererseits. 35 R. Lauth: Die transz. Naturlehre Fichtes, S. 144.
Ich und Freiheit bei Fichte
29
Der Mensch kann in einem gewissen Zeitmoment das Bedürfnis nach Befriedigung unterschiedlicher Triebe haben; aber als Vernunftwesen kann er in relativer Freiheit entscheiden, welcher Handlungstendenz er nachgibt, und welche Neigung er unterdrückt. Er kann auch, der Freiheit und dem Sittengesetz gehorchend, eine sich ihm aufdrängende Handlung auf später verschieben, obwohl ihr sofortiger Vollzug ihm Genuss bereiten würde, weil er glaubt, dies seinem Gewissen oder der Vernunft schuldig zu sein.36 Hatte Leibniz in der Tradition der Stoa aus der Vorstellung eines Überschwappens der Leidenschaften, welches einzig den Menschen daran hinderte, vernünftig und somit sittlich zu handeln, gemeint, ein Handlungsaufschub sei ausreichend, um den Menschen im rein moralischen Sinne gut handeln zu lassen, da alles Übel aus den Emotionen komme, so konnte diese Einstellung nach Kants KpV und der von Kant vertretenen Überzeugung einer grundsätzlichen Bosheit des Menschen nicht mehr greifen; denn den bloßen Klugheitsregeln, welche mich vom sofortigen Handeln abhalten, eignet keinerlei sittlicher Wert. Nur der aus der Gewissensschwankung heraus nicht sofort Handelnde wird möglicherweise nach dem sittlichen Gebot handeln. Das Tier, das gegenüber der Pflanze »durch organische Eigenbewegung ausgezeichnet ist«37, hat zweckmäßige Bewegung, d.h. es bewegt sich nur nach den Gegenständen, die seiner Erhaltung dienen, und entfernt sich von denen, die ihm Gefahr drohen.38 Max Scheler wird hierzu in Bezug auf die Pflanze ausführen: »da sie die Nahrung, deren sie bedarf, im allgemeinen aus anorganischem Material selbst bereitet, das überall in gewissem Maße vorhanden ist, hat sie es ja auch nicht nötig, sich wie das Tier an bestimmte Orte zu begeben, um Nahrung zu finden.«39 Das Tier 36 In der Wertung dieses Aufschubs weicht Fichte von Leibniz ab. Fichte betont, dass es sich hier keineswegs um Sittlichkeit, sondern um bloße Klugheit handle: »Werde ich mir bloß der formalen Freiheit bewusst, so erhalte ich, als Intelligenz, dadurch zuförderst das Vermögen, die Befriedigung der Natur aufzuschieben; und (...) erhalte ich zugleich das Vermögen, auf den Naturtrieb in den verschiedenen Ansichten, unter denen er jetzt sich mir darbietet, zu reflectiren, und unter den mehrern möglichen Befriedigungen desselben zu wählen. (...) Ich wähle mit völliger Willensfreiheit, denn ich wähle mit dem Bewußtseyn der Selbstbestimmung; aber ich opfere den Genuss keineswegs der Sittlichkeit, ich opfere ihn bloß einem andern Genusse auf.«(SSL, GA I,5; 151). Hier ersetzt Taktik die Strategie sittlichen Wollens, nimmt Fichte gegen Leibniz die Kantsche Unterscheidung von Sittlichkeit und Klugheit auf. Einzig Unabhängigkeit und Selbständigkeit aus der Freiheit an Gott gilt Fichte als das höchste Gut; (vgl.GA I,5; 191). Leibniz hatte noch nicht zwischen Sittlichkeit und Überwindung der Leidenschaften aus Abwägung zwischen möglichen Genüssen geschieden. 37 R. Lauth: Die transz. Naturlehre Fichtes, S. 126. 38 GA IV,1; 391. 39 Max Scheler, op.cit. S. 14.
30
Ich und Freiheit bei Fichte
andererseits pflegt instinktiv zu wissen, was ihm von Nutzen, was von Schaden ist; der Mensch hingegen ist hier meist von Natur instinktlos: er hat die göttliche Freiheit des Irrtums und ist daher lernfähig. Reinhard Lauth hält fest, Fichte zitierend: »Das Thier ist da, um {im Falle des biologischen Anthropos} den freien Geist in der Sinnenwelt zu tragen, und mit ihr zu verbinden«40, dann nämlich, wenn das Ich als Sinnenwesen in die Sinnenwelt eingreift, um in ihr seine Gesichte zu verwirklichen. Max Scheler verweist darauf, dass »die Pflanze keiner aktiven Anpassung an die tote und lebendige Umwelt fähig ist« und dies dürfte erklären, weshalb wir die Pflanze, welche ihre Nahrung der anorganischen Natur verdankt, nicht zu den Lebewesen oder Kreaturen zählen.41 Das Phänomen von Leben stellt die Brücke dar zwischen Flora und toter Natur einerseits und dem Vernunftwesen andererseits. Freies Leben begegnet dem Menschen zuerst im freien Tier, erst auf einer höheren Stufe im Vernunftwesen. Menschliche Freiheit lässt sich zwar nicht verbergen, ist als solche jedoch auch nicht sichtbar: Unmittelbar dem Menschen sichtbar sind Freiheit und Unfreiheit des Tieres. In dessen Bewegungen und Verhalten erlebt zuerst er Freiheit. Selbst Natur, ist das Tier der Vermittler zwischen Geist und Natur; denn im Instinkt des Tieres ist der Geist in die Natur gebannt. So ist das Tier uns verwandt und dennoch das absolute aliud.- So gering der Überschuss an Materie über die Antimaterieteilchen ist42, so gering ist die Abweichung des Erbguts des Menschen von dem des Schimpansen: die Schöpfung ruht auf des Messers Schneide. Gegen die Theorien eines nur graduellen Unterschiedes zwischen Mensch und den übrigen Primaten, insbesondere dem Schimpansen, ließe mit Fichte sich argumentieren: »Allein Vernunft und Thierheit sind sich absolut entgegen gesetzt, nicht etwa nur bloß dem Grade nach verschieden, wie man glaubt. Vernunft entsteht durch einen Sprung, durch ein Wunder.43 Für jeden Menschen bedeutet seine Geburt einen Sprung ins Nichts. Unausgetragen, noch embryonal, stößt der Mutterleib ihn hinaus in eine Welt, die für ihn fremd und schon fertig ist; der ursprüngliche Sprung, der Riss aus der Geborgenheit ist die Geburt eines auf eine Welt noch nicht Vorbereiteten, der Beginn einer Geschichte, die ihre Vorge40 Grundlage NR 1796; GA I,3; 381. Vgl. R. Lauth: »Die transz. Naturlehre«, S. 144f. 41 Max Scheler, op.cit. S. 16 42 S. unter anderen »Vom Anfang der Welt«, hrsg. von J. Andretsch u K. Mainzer, München 1989; hier J. Andretsch: »Das inflationäre Universum«, S. 93 ff., insb. S. 96: »Das extrem geringfügige Überwiegen von Materie über Antimaterie im Frühzustand.«. 43 GA IV,1; 300.
Ich und Freiheit bei Fichte
31
schichte nicht kennt, mit dieser jedoch als Fremdem konfrontiert werden wird. Ein unfertiger Embryo soll sich seiner selbst bemächtigen, soll die eigene Geschichte in Harmonie bringen mit der von ihm nicht mitgestalteten Vorgeschichte, soll eine eigene Geschichte verwirklichen als eine Geschichte der Freiheit in Synchronie mit der Geschichte der Verhältnisse, in die er geboren wird. So ist sein Dasein früher als sein So-Sein. Die Natur verweigert sich dem Menschen, indem sie ihn in die Freiheit katapultiert, er ist die Schöpfungswunde.44 Und jeder Freiheitsakt, den in der Folge wir vollziehen, ist ein derartiger Sprung über den Hiat, ein sich Losreißen aus der Natur und sich Hineinkatapultieren in das Jenseits von Freiheit, in Angst und Geist. Erst die Einübung in die gewählte und erworbene höhere Freiheitsstufe bringt mit sich Gewohnheit und Routine, unerwünschte Bindungen und damit ein neues Gefühl von Unfreiheit, welches zuletzt, um als der Mensch, zu welchem man sich gemacht hat, zu überleben, zu einem neuen Sprung in eine höhere Freiheit zwingt, so dass gewissermaßen der Mensch in seiner Suche nach seiner Freiheit, die ihm auch sein Soll offenbart, jedesmal neu sich häutet. In jedem Menschen lebt ein gebürtliches Urwissen von Freiheit und in eins von Verlorenheit, welche den Humus menschlicher Religiosität bilden. Ob der erste, das Faktum von Leben bejahende Sprung aus dem Uterus in die Existenz sich wiederholen wird, hängt auch davon ab, ob die Andetermination zur Vernunft gelingt, ob der Jugendliche bereit ist, das kulturelle Erbe, in das hinein er geboren wurde, zu übernehmen und es sich assimilierend oder es negierend, weiterzutragen; denn Vernunft und Kunst sind Bedingungen der Freiheit. Der von Fichte thematisierte Akt der Aufforderung soll beim Aufgeforderten einen Willensakt aus freier Wahl bewirken, in welchem eine Möglichkeit verwirklicht, andere ausgeschlossen werden. Im Sinn des omne determinatio est negatio schreibt Fichte daher: »Diese Aufgabe sich selbst zu beschränken ist von einer andern Seite angesehen eine Auffoderung zu einer freien Thätigkeit.«45 In eben dem Augenblick, in dem ich die 44 Jean-Paul Sartre: L’Être et le Néant, Paris 1943, S. 34: »L’être est. L’être est en soi. L’être est ce qu’il est.« Ebenda, S.494: »Je suis condamné à exister pour toujours par delà mon essence, par delà les mobiles et les motifs de mon acte: je suis condamné à être libre (...) la réalité humaine est un être dans lequel il y va de sa liberté dans son être parce qu’il tente perpétuellement de refuser de la reconnaître.« Vgl. Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 1963, S. 42: »Das Sein ist es, darum es diesem Seienden je selbst geht. (...) Das Wesen des Daseins liegt in seiner Existenz. (...) Alles So-Sein dieses Seienden ist primär Sein. Daher drückt der Titel »Dasein«, mit dem wir dieses Seiende bezeichnen, nicht sein Wesen aus, wie Tisch, Haus, Baum, sondern das Sein.« 45 GA IV,2; 178.
32
Ich und Freiheit bei Fichte
Aufforderung begreife als Aufforderung zu einer freien Tätigkeit, setze ich mich als frei und handle46, und bestimme mich zu eben dem vernünftigen Individuum, welches sich als ein dieses oder jenes Tuendes bestimmt: ich bin eben derjenige, welcher sich dazu entschlossen hat, dies oder jenes zu tun oder nicht zu tun, denn es gilt: »Wirksamkeit und bestimmte Erkenntniß, bedingen einander wechselseitig, und füllen dieselbe Sphäre aus«.47 Hier liegt der Anfang von Bewusstsein und Selbstbewusstsein; in eins erkenne ich mich als frei und als aus Freiheit wollend. Von nun an ist der Aufgeforderte ein individuelles Vernunftwesen: »Nemlich meine INDIVIDUALITÄT geht heraus aus der Masse des ganzen Vernunftreichs.«48 Auf Grund meines artikulierten und zur Verwirklichung von Vernunftzwecken fähigen Leibes bin ich als Mensch individuierbar.49 Aber erst nachdem Erziehung mich in den Stand gestellt hat, bewusst frei zu handeln und meine Wahl zu treffen, bin ich ein bestimmtes Individuum, nämlich dasjenige, das so und nicht anders wählt.50 Fichte fasst Freiheit weitestgehend als Wahlfreiheit und als Freiheit der Reflexion.51 Als weite46 Dass mit der ursprünglichen Aufforderung die Erziehung durch Eltern und Lehrer gemeint ist, ergibt sich klar aus dem Zweiten Teil der GNR, dem »Angewandten Naturrecht«: »Die Eltern wollen das Wohlseyn ihres Kindes; sie werden sonach seine Freiheit ihm lassen. – Aber mancher Gebrauch derselben würde seiner Erziehung nachtheilig seyn, welche ihr Zweck gleichfalls ist. Sie werden sonach beide Zwecke vereinigen, und die Freiheit des Kindes so beschränken, daß der Gebrauch derselben seine Erhaltung nicht in Gefahr bringe. Dies aber ist der erste Begriff der Erziehung. Die Eltern werden ihr Kind erziehen; dies folgt aus der Liebe zu ihm, und aus der Sorge für seine Erhaltung.« (GA I,4; 140). 47 Grundlage des NR, GAI,3; 406. 48 GA IV,2; 179. (WLnm) 49 Einen artikulierten Leib betrachten wir automatisch als den Körper eines Vernunftwesens; und schon eine rein körperliche Behinderung erweckt in uns instinktiv Zweifel an der Vernunft des Behinderten; erst die eigene Vernunft läßt uns diesen Zweifel verdammen. 50 GA II,11; 53: »Ich wollte da eine logische Untersuchung...« (1807). Anm.: »Wenn die Freiheit der Wahl sich als Bedingung der Sichtbarkeit der absoluten Freiheit nachweisen ließe, so wäre für die Sichtbarkeit überhaupt etwas gewonnen.-.(...) das ganze vorstellen damit als solches sich mache nur in der Mannigfaltigkeit, u. Freiheit der Wahl.« S. auch SSL 1798, etwa GA I,5; 165 f.: »Durch diese Reflexion reißt sich das Individuum los vom Naturtriebe (...) erhält dadurch für sich selbst das Vermögen, die Selbstbestimmung aufzuschieben; und mit diesem Vermögen zwischen mehrern Arten, den Naturtrieb zu befriedigen, eine Auswahl zu treffen: welche Mehrheit eben durch die Reflexion und den Aufschub des Entschlusses entsteht.« – Hier scheint Fichte an Leibnizens Nouveaux Essais anzuknüpfen. 51 Zur Reflexibilität s. K. V. Taver: »Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1810. Versuch einer Exegese«, Amsterdam, Atlanta 1999, S. 192: »Das göttliche Leben äußert sich demnach nach Fichtes Worten im reflexiblen Charakter des Sehens, dem Sein von Reflexibilität, in welchem die Erscheinung schematisierend der eigenen Freiheit und in der Auflösung des triebhaft Starren in ihr durch die Reflexion des eigenen Bildcharakters inne wird.« Zur Wahlfreiheit etwa GA II, 11; 53 (Ich wollte da eine logische Untersuchung ... 1807). »Wenn die Freiheit der Wahl sich als Bedingung der Sichtbarkeit der absoluten Freiheit nachweisen liesse, so wäre für die Sichtbarkeit überhaupt etwas gewonnen.-. (...) das ganze vorstellen damit als solches sich
Ich und Freiheit bei Fichte
33
re Freiheit wäre zu erwähnen diejenige, dass für mich meine Zukunft nicht festgelegt ist: Ich weiß nicht im voraus, wie in einer bestimmten Situation in einer nicht näher bestimmten Zukunft ich handeln werde; nur innert Grenzen kann für eine unbekannte Zukunft ich einstehen.
mache nur in der Mannigfaltigkeit, u. Freiheit der Wahl.« Vgl. auch u.a. SSL 1798, etwa I,5; 165 f.: »Durch diese Reflexion reisst sich (...) das Individuum los vom Naturtriebe (...) erhält dadurch für sich selbst das Vermögen, die Selbstbestimmung aufzuschieben; und mit diesem Vermögen zwischen mehrern Arten, den Naturtrieb zu befriedigen, eine Auswahl zu treffen: welche Mehrheit eben durch die Reflexion und den Aufschub des Entschlusses entsteht. – In diesem Sinne hatte auch schon Leibniz in den Nouveaux Essais argumentiert.
1.3. Vernunft und Trieb Vom Künstler, welcher seit seiner Entlassung in die Bohème und schon seit der Romantischen Vereinheitlichung von Kunst und Philosophie bei Hölderlin, Novalis, Runge und Caspar David Friedrich etwa als Paradigma von Freiheit gilt1, meint Fichte: »Ästhetischer Sinn ist nicht Tugend (...) 1 So verweist Klaus Hammacher auf die Studie Paul Böckmanns, wonach der Freundeskreis Schelling – Hölderlin – Hegel sich intensiv mit Jacobis Spinozabuch auseinandergesetzt hat, Hölderlin mit Spinoza vertraut war: Klaus Hammacher: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, München 1969, S. 63 f. Anm. Hölderlin, von November 1794 bis Mai 1795 Student in Jena, schrieb Mitte November 1794 an seinen Freund Neuffer: »Die Nähe der wahrhaft grossen Geister, und auch die Nähe wahrhaft großer selbsttätiger mutiger Herzen schlägt mich nieder und erhebt mich wechselweise (...) Fichte ist jetzt die Seele von Jena. Und gottlob! daß er’s ist. Einen Mann von solcher Tiefe und Energie des Geistes kenn ich sonst nicht. (...) Ich hör ihn alle Tage. Sprech’ ihn zuweilen.« (Fichte im Gespräch, Bd. I, hrsg. von Ericht Fuchs mit R.Lauth u.a., Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, Nr. 190; Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 6, hrsg. von Adolf Beck, Stuttgart 1954, S.139 f.) Im dichterischen Werk von Novalis (Novalis, Schriften Bd. I, »Das dichterische Werk«, Darmstadt 1966, S. 469) findet sich das an Caspar David Friedrich sich inspirierende Gedicht: »Ans Kloster in Ruinen« und in Band 2 von Hardenbergs Schriften »Das philosophische Werk I«, S. 29 ff. schreibt der Herausgeber Hans-Joachim Mähl betreffend die Studien Hardenbergs von 1795/96: »Im Archiv der Familie von Hardenberg in Oberwiederstedt fand sich unter Novalis’ nachgelassenen Papieren eine Anzahl von Manuskripten, zusammen etwa 500 Seiten verschiedenen Formats, die eine kritische Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie, besonders mit Fichte, Kant und Hemsterhuis, enthielten.« Mähl führt aus, daß Novalis schon 1792-93 sich ernsthaft mit Philosophie, insb. Kants Ethik befasste und daß Hardenberg im Mai 1793 zusammen mit Hölderlin Fichten persönlich kennen lernte. Novalis setzte sich intensiv mit Fichtes Denken auseinander und Mähl vermutet, daß Novalis die frühen Schriften Fichtes unmittelbar nach ihrem Erscheinen gelesen hat. Vielleicht nur über das Denken lassen sich die Bilder Caspar David Friedrichs erschließen; so sind auch die zahlreichen, den Blick auf die Natur verweisenden Rückenfiguren Friedrichs zutiefst reflektiert: Sie stellen die Trennung von Mensch und der in ihrer Freiheit fremden Natur dar; die romantische Deutsche Tracht verweist auf die zeitliche Bedingtheit der dargestellten Menschen und den Prozesscharakter des scheinbar Statischen. Und Natur – das sind bei Friedrich nicht Früchte und Blumen, sondern das ist die durch Kunst vermittelte Landschaft. In Friedrichs Abendbildern, die stets doch auch das Licht zeigen, spiegelt sich die Hoffnung der Restaurationszeit. Friedrich malt nicht Bauern und Jäger, sondern den demagogischen Bürger, der von den Fürsten um die Früchte der Freiheitskrie-
Ich und Freiheit bei Fichte
35
Aber er ist Vorbereitung zur Tugend, er bereitet ihr den Boden, und wenn die Moralität eintritt, so findet sie die halbe Arbeit, die Befreiung aus den Banden der Sinnlichkeit, schon vollendet.«2 Der Künstler, welcher nicht dem Erfolg beim Publikum, dessen Geschmack er ja erst prägen soll, sondern seinem Genius folgt, ist notwendig frei. Und immer wieder – vielleicht bei jedem Werk, sicher bei jeder Neuentwicklung – muss er den Sprung in die Freiheit und zu sich selbst wagen. Der Preis – oft – ist Einsamkeit, nicht nur als äußere Isolierung, sondern als innere Einsamkeit, in der jedoch die Verantwortung des Künstlers erst sich bildet; denn immer wieder bricht der Schaffende Brücken ab, um nach seinen von Werk zu Werk neu sich bildenden eigenen Regeln zu schaffen, wo Andere in sich verharren, nur Wenige als ihm gleich empfindend, in der Rezeption ihm folgen3. Fichte ist zu ausgewogen, um mit dem Gros der Kantianer – aber entgegen Kant – zu glauben, nötig gewesen sei bloß die Kenntnis des Sittengesetzes und Kant habe notwendig die Welt verbessert4. – Nur der Sittliche kann durch Kenntnis der Sittenlehre in sich gefestigt werden, weiß Fichte. In der WLnmK hält er fest: »Juridische Welt muss vor der moralischen vorge geprellt wurde, und dem die Natur Gegenstand von Erkenntnis ist. Ein weiteres Hauptmotiv Friedrichs ist das in den immergrünen Fichten und die halb zerfallenen Abteien, so: »Klosterfriedhof im Schnee« von 1817/19 oder etwa »Der Winter. (Mönch im Schnee« von 1808 und die »Abtei im Eichwald« von 1809 und »Winterlandschaft mit Kirche« von 1811. (Vgl. etwa Berthold Hinz, Hans Joachim Kunst u.a. : »Bürgerliche Revolution und Romantik. Natur und Gesellschaft bei Caspar David Friedrich«, Giessen 1976; Josef Leo Koerner: »Caspar David Friedrich. Landschaft und Subjekt.« München 1998 (Englisch 1990). Helmut Börsch-Supan und Karl Jähnig: »Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmässige Zeichnungen.« München 1974/75. Zu Hölderlin die noch immer Maß setzende Monographie von Johannes Hoffmeister: Hölderlin und die Philosophie, Leipzig 1942. Hoffmeister verweist auf die Rolle Schellings bei Hölderlins philosophischem Bemühen und auf die gemeinsame Schöpferkraft von Dichtung und originärer Philosophie, die beide mit Sprache arbeiten. 2 GA I,5; 308. 3 Vgl. in diesem Sinne, an Lyotard anknüpfend, Neil Levy: »Being Up-To-Date. Foucault, Sartre, and Postmodernity. New York 2001.: »Modernism in art, for instance, refers neither to a style nor to a collection of disparate styles, but to the sum of past attempts artists have made stylistically and formally to contest their predecessors. Postmodernism refers solely to all present and future attempts to contest these received modernisms (...) Postmodern art follows the logic of the future perfect.« Vielleicht ließe seit Giotto und den großen Künstlern der Renaissance sich sagen, daß im Abendland noch jede große Kunst bevor sie modern wurde, postmodern war.. 4 Dennoch glaubt Fichte an mögliche Besserung: »halte ich jemanden für einen unverbesserlichen Bösewicht, so liegt die unmoralische Denkart eben darin, daß ich ihn dafür halte. Denn es ist mir durch das Sittengesetz schlechthin aufgegeben, ihn zur Moralität mitzubilden, und an seiner Besserung arbeiten zu helfen.« (GA I,5; 248). S. auch GA I,5; 274 f. Auch Marco Ivaldo verweist anläßlich derartiger Passagen darauf, daß Fichte das radikal Böse nicht fasst: »Das Problem des Bösen bei Fichte«, Fichte-Studien Bd. 3, S. 154-169.
36
Ich und Freiheit bei Fichte
hergehen.«5 Bevor der Mensch sittlich ist, muss er nach dem Gemeinsinn rechtlich sein, bevor er seine private Ehre hat, muss ihm innerhalb des republikanischen Gemeinwesens Würde zugesprochen werden – Würde ist das, was dem innerhalb des Rechtes freien Mitbürger als solchem notwendig zuzubilligen ist6. Die Autonomie des Rechts wird begründet in der transzendentalen Rechtslehre, aber seine moralische Rechtfertigung ist ein Thema der transzendentalen Sittenlehre.7 Tatsächlich ist es eine sittliche Forderung, dass Recht sei, und dass gerechtes Recht sei, ja auch, dass – wie die Römische aequitas dies kannte – wo die Sittlichkeit es fordert, die Billigkeit dem Rechte vorangehe. Denn dass Recht sei, und dass dieses Recht einen Rechtsstaat begründe, der mehr ist als eine bloße Massendemokratie8, ist eine sittliche Forderung. Sie knüpft an das schon Kantsche Wissen an, daß der Mensch grundsätzlich böse, feige und schwach ist und nicht vermag, aus eigenem Antrieb sittlich zu handeln9. Die einzige Möglichkeit einer 5 WLnmK S. 242. 6 Charles Taylor: »Wieviel Gemeinschaft braucht die Demokratie? Aufsätze zur politischen Philosophie«, Frankfurt a.M. 2002, S. 280 f.: »Demnach bezog das moderne Identitätsparadigma seine Bedeutung aus dem so verstandenen Übergang von »Ehre« zu »Würde« (...) Als Adligem zum Beispiel erschienen mir die Grundlagen meiner Ehre völlig selbstverständlich und unanfechtbar, so daß mich allein die Angehörigen meines Standes (...) für ehrenhaft oder unehrenhaft erklären könnten. In der Ära der egalitären Würde entfallen beide Grenzen. Zunächst können prinzipiell alle über meine Qualitäten als würdiger Mensch befinden (...) Die Kriterien wahrer Würde liegen keineswegs auf der Hand, sondern müssen unablässig diskutiert und neu vereinbart werden.« 7 Marco Ivaldo: Libertà e ragione. L’etica di Fichte, S. 153: »Non si può dire però che Fichte separi completamente diritto e morale, ma riceve da quest’ultima »una nuova sanzione per la coscienza« (GA I,3;320). Per vivere in società con altri esseri simili a lui l’essere razionale finito deve necessariamente limitare la propria libertà mediante il pensiero della libertà pratica altrui, ossia istituire un rapporto giuridico al funzionamento operativo del quale è sufficiente l’ottemperanza delle regole che lo pongono in essere.« 8 Charles Taylor verweist in seinem Buch »Wieviel Gemeinschaft braucht die Demokratie?«, Frankfurt a.M. 2002, auf die Tradition der »civil society«, nämlich ein Netz selbständiger, vom Staat unabhängiger Vereinigungen, die die Bürger in gemeinsam interessierenden Dingen miteinander verbanden und die durch ihre blosse Existenz oder Aktivität Auswirkungen auf die Politik haben konnten.« Ebenda, S. 64. In der »civil society« ist der Bürger nicht ein atomisiertes Individuum, das gegenüber einem kafkaesken Regierungsapparat stets seiner Ohnmacht sich bewusst ist. Vgl. ebenda S. 125 ff. 9 In der Schrift über die »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« thematisiert Kant ausführlich das Böse in der menschlichen Natur: Kant erwähnt auch einen »natürlichen Hang des Menschen zum Bösen« und führt aus: »die Bösartigkeit (vitiositas, pravitas), oder, wenn man lieber will, die Verderbtheit (corruptio) des menschlichen Herzens, ist der Hang der Willkür zu Maximen, die Triebfeder aus dem moralischen Gesetz andern (nicht moralischen) nachzusetzen. Sie kann auch die Verkehrtheit (perversitas) des menschlichen Herzens heißen«. (Werkausgabe von W. Weischedel, Bd. VIII, S. 676 f.) Wie Kant auch in der »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht« ausführt, ist der Mensch für seinen Charakter verantwortlich. Unter-
Ich und Freiheit bei Fichte
37
Gemeinsamkeit freier Vernunftwesen – und nur Vernunftwesen vermögen, wider die Vernunft zu verstoßen – ist die rechtlich geordnete wechselseitige Anerkennung des Rechtes auf Leben, Eigentum und Freiheit, in einem Staat, also die Menschenrechte.10 Kant hatte das Böse tiefer erfasst als Fichte, welcher sich zu sehr auf eine der Verwirklichung widerstrebende Rechtssicherheit und eine sittlich begründete Rechtskultur verließ: »wird jedwede innere Versuchung, zur Ungerechtigkeit gegen Andre, durch das sichere Bewußtseyn, dass dabei nichts, als unausbleibliche Strafe und Verlust zu erwarten sey, gleich in der Geburt erdrückt, so kommt es ganz aus der Gewohnheit eines solchen Volkes, ungerechte Gedanken sich auch nur einfallen zu lassen, oder sie in der mindesten Äußerung zu zeigen: Alle erscheinen als tugendhaft (...) das Andenken an die Drohung des Gesetzes ist zur Sitte geworden, und macht es zur Sitte, keinem ungerechten Gedanken den Ausbruch zu verstatten.«11
In Würde und Sicherheit leben zu können, setzt Eigentum voraus, und einzig Eigentum vermag dem Menschen in der heutigen Gesellschaft den Weg in die Freiheit zu ebnen12, so wie es als Faustkeil einst schon das Menschsein ermöglichte.13 Derjenige, welcher als Naturgenie, Künstler scheidet Kant in der Religionsschrift »das gute oder böse Herz« (Ebenda, S., 676), so hängt es von natürlichen Anlagen ab, ob der Mensch sich einen sittlichen Charakter zulegen wird oder nicht. 10 Vgl. Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, 1793, GA I,1; 180: »So ist es z.B. ewige, menschliche und göttliche Wahrheit, daß es unveräußerliche Menschenrechte giebt, daß die Denkfreiheit darunter gehört (...) Von solchen moralischen Wahrheiten findet gar keine Ausnahme statt.« 11 Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, GA I,8; 366. Vgl. auch ebenda S. 367: »Es wäre (der Regierung – KVT) vorzustellen, daß so viele Achtung auch das Bestreben verdiene, durchaus keinen Unschuldigen zu verurtheilen (...) dennoch das entgegengesetzte, durchaus keine Schuldigen unentdeckt, und unbestraft zu lassen, eine nicht weniger bedeutende Aufgabe also sey.« Tatsache jedoch ist, dass eine unbedingte Rechtssicherheit sich nicht verwirklichen lässt: Bei jeglicher Art Kriminalität gibt es eine Dunkelziffer nicht geahndeter Delikte. Und als Kain seinen Bruder Abel erschlug, hatte er kein Vorbild. Und das Morden setzte sich fort. Heute mögen Bilder und Computerspiele die Phantasie – vor allem Jugendlicher – anregen, doch ist zu sehr das Gewaltpotential tiefer in der Gesellschaft verwurzelt, als dass man nur das Fernsehen dafür verantwortlich machen könnte. Die Neurose unserer Gesellschaft äußert sich in Kriminalität. Das Bürgertum ist weitgehend ratlos und korrupt, und die egalitäre Demokratie lässt die Menschen als das erscheinen, als was schon Kant sie sah: dumm, böse und feige. 12 So zitiert Johann Braun in seinem Buch: Freiheit, Gleichheit, Eigentum. Grundfragen des Rechts im Lichte der Philosophie J .G. Fichtes, Tübingen 1991, S. 16, die »Freiburger Thesen« der Liberalen von 1971: »Freiheit braucht Eigentum. Eigentum schafft Freiheit. Es ist Mittel zum Zwecke der Wahrung und Mehrung menschlicher Freiheit, nicht Selbstzweck.« 13 Nachdem Fichte schon in der Grundlage des Naturrechts vom 1796 den Menschen als Person, und d.h. als über Eigentum verfügendes Rechtssubjekt gefasst hatte, bezeichnet
38
Ich und Freiheit bei Fichte
oder kraft Vernunfterziehung sittlich ist, bedarf der Gesetze des Rechtsstaates nicht, doch geben sie ihm einen relativen Schutz, und er wird in ihrem Rahmen – soweit der Rechtsstaat Realität ist – nach eigenem Gutdünken sein Leben gestalten14, als Künstler auch den Staat und dessen Institutionen als potentielle Auftraggeber in Erwägung ziehen15, der Unverer in der Rechtslehre von 1812 den Gesellschaftsvertrag schlicht als »Eigenthumsvertrag«; dieser muss jeglicher Regelung staatlicher Macht, welche seine Durchsetzung bezweckt, voraus gehen: »die persönliche Freiheit des Menschen ist dem Inhalte nach, nicht ein Gegenstand des Vertragens: darüber hat die Natur uns geschieden. Aber- wohlgemerkt, nur dadurch daß der einzelne den Rechtsvertrag überhaupt, u. zuförderst den Eigenthumsvertrag abschließt, erhält er jene persönliche Freiheit, als Recht, andere verbindend, indem er nur durch diese Äusserung seines Willens in ein Rechtssystem tritt. Er hat sie drum, in der Rechtsform lediglich durch den Vertrag. (…) Obwohl drum eine Lehre von der Freiheit des Menschen allenthalben hin in die Anthropologie gehören würde, und nicht in die Rechtslehre: so gehört doch die Lehre von den persönlichen Rechten des Menschen als solchen, inwiefern dadurch andere verbunden werden, allerdings in die Rechtslehre.« (GA II,13; 208f.). Höchstes Ziel des Eigentumsvertrags ist die Rechtssicherheit des freien Bürgers:« Um ihre Rechts willen können nur alle in Vereinigung eine solche Macht wollen, weil jeder sieht, dass er nur unter dieser Bedingung sicher ist.« (GA II,13; 211). Der Staatsmacht ist jedoch nur zu gehorchen, insoweit sie ein Ort persönlicher Freiheit, und d.h. ein Rechtsstaat ist: »Jedem muss drum nach Befriedigung seiner eigenen Nothdurft, und Erfüllung seiner BürgerPflichten noch Freiheit übrig bleiben für frei zu entwerfende Zwecke (eigentlich zunächst für freie Bildung, u., Bildung zur Freiheit) ist das absolut persönliche Recht, das kein Vertrag verletzen darf, für dessen Sicherung vielmehr der ganze Rechtsvertrag ist.(...) Wem dies nicht geworden, dem ist gar kein Recht geworden, und er ist andern nicht zu Recht verbindlich. Die Verfassung, in der er steht, ist auch keine Rechtsverfassung, sondern eine blosse Zwangsanstalt.«(GA II,13; 224). In der Grundlage des Naturrechts postuliert Fichte einen Eigentumsbegriff, der uns postmodernen Modernen fremd geworden ist, so wie wir uns selbst fremd geworden sind: «Die Person hat das Recht zu fordern, daß in dem ganzen Bezirk der ihr bekannten Welt alles bleibe, wie sie dasselbe erkannt hat, weil sie sich in ihrer Wirksamkeit nach ihrer Erkenntniß richtet und sogleich desorientiert, und dem Laufe ihrer Kausalität aufgehalten wird, oder ganz andere Resultate, als die beabsichtigten, erfolgen sieht, sobald eine Veränderung darinn vorfällt.« (GA I,3; 407). Dass vor dem Zeitalter der Industrialisierung und Technisierung, damit der Mobilisierung des Menschen, dieser meist eine ihm vertraute Umgebung hatte, die ihm ein Zuhause und eine Heimat war, dies betrachtet Fichte als das urtümliche Eigentum des Menschen. Es war – ähnlich wie bei den Tieren – ein Revier, ein verlängertes Organ des Menschen. Heute – im Zeitalter der Technologie – sind wir allesamt depossediert. Inmitten Geld, Gütern und Konsumrausch hat das Individuum kein Zentrum mehr, ist es depossediert. Hans Sedlmayr schrieb vom »Verlust der Mitte«, Wolfgang Welsch vom Rhizom, Hannah Arendt von sich hochrangelnden Job Holdern ohne Ich, aber auch Adorno vom heimatlosen Intellektuellen der Moderne. Heute erinnert das Wort ›Heimat‹ bloß noch mit fadem Beigeschmack an Heimatfilme. 14 Unerwähnt bleibt hier der Konflikt zwischen Künstler und kafkaeskem Staat. 15 Gegen Museumskunst und den öffentlichen Kunstbetrieb wandte sich der Land Art-Künstler Robert Smithson (1938-1973) unter dem Titel »Kulturbeschränkung«: »Kulturbeschränkung findet statt, wenn ein Kurator eine Kunstausstellung thematisch eingrenzt, statt die Künstler zu bitten, ihre eigenen Grenzen zu setzen (...). Selbst noch ein beleuchteter leerer weißer Raum bedeutet eine Unterwerfung unter das Neutrale. Kunstwerke, die in derartigen Räumen betrachtet werden, scheinen eine Art ästhetische Rekonvaleszenz durchzumachen...« (Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. II, S. 1167. Hrsg. von Charles Harrison und Paul Wood, deutsche Fassung von Sebastian Zeidler, Ostfildern-Ruit 1998.)
Ich und Freiheit bei Fichte
39
nünftige – und Verbrechen ist der triumphierende Aberwitz – wird von den Gesetzen des neu zu postulierenden, nicht verwirklichten, Rechtsstaates in die Schranken gewiesen, soweit nicht eben der fehlerhafte Staat Irrsinn erst provoziert. Wie auch Marco Ivaldo ausführt16, ist der Rechtsstaat in seiner Legalität eine moralische Forderung; denn da jeder Anspruch hat »nur auf die Legalität des anderen, keinesweges auf seine Moralität«, ist Legalität sittlich gesollt.17 Im 18. Jahrhundert wurde die Evolutionstheorie virulent18, und Reinhard Lauth hebt die Zitate der Textstellen hervor, in welchen Fichte die Entwicklung der organischen Natur aus dem Anorganischen sowie die Entwicklung der Zweigeschlechtlichkeit darlegt.19 Fichte versucht hierbei auch, die Einmaligkeit und Notwendigkeit der Welt darzulegen: »Liegen in der Natur gewisse Kräfte, so kann sie sich nur einmal concentriren, u. ist dieses geschehen, so sind sie dann nicht mehr im Chaos.«20 Ein nicht übersehbarer Aspekt des Chaos sind Ordnungen. Gilles Deleuze und Félix Guattari haben dargelegt, wie Kunst, Wissenschaft und Philosophie geordnete Ebenen bilden, unter welchen das Chaos wütet21. Noch immer will in der fragilen Balance die Antimaterie über die Materie triumphieren. Aber hat das Leben sich unter bestimmten, sich als im Prinzip konstant erweisenden Rahmenbedingungen zu einer bestimmten Ordnung geformt, ist zu erwarten, dass angesichts der Kraft des Seienden die weitere Entwicklung nicht Natur, sondern Kultur sein werde; dass diese sich nicht wiederum gegen die Natur kehre und so die eigenen Voraussetzungen negiere und aufhebe, kann nur Hoffnung auf das Göttliche in der menschlichen Vernunft erwarten lassen. Und dieses Göttliche konnte nur ein Mal sich kontrahieren und explodieren. »Also die Natur erzeugt ein Menschenpaar, denn sie ist eine. Es wäre sonderbar, wenn sie an mehreren Orten auf dieselbe Weise wirken sollte. Soll eine Schöpfung zu Stande kommen, so muss die Natur ihre ganze Kraft auf diesen Punkt richten. Kant nennt dieses Muthmassung, allein deutlich gedacht, ist es durch Vernunft nothwendig. Mehrere erste Paare von jeder Art Thiere oder Pflanzen anzunehmen, heisst mehrere Na16 a.a.O. Libertà e ragione, S.153. 17 GNR, GA I,3; 425. 18 S. Erasmus Darwin: Zoonomia or the laws of organic life, London 1794. (Deutsch 1795-1799). 19 R. Lauth: Die transz. Naturlehre, S. 136 ff. 20 Vorlesung über Logik und Metaphysik, SS 1797, (GA IV,1; 410). 21 Gilles Deleuze und Félix Guattari: »Was ist Philosophie?«. Frankfurt a.M. 2000, S. 21 ff., insb. S. 43 ff.
40
Ich und Freiheit bei Fichte
turen annehmen. Die Arbeit u. die Kunst der Natur war nun zu Ende, denn durch die Natur wird Vernunft nie hervorgebracht. Man sagt hier: die Menschen waren ursprünglich blosse Thiere gewesen, nach u. nach aber durch mehrere Generationen hindurch wären sie Menschen geworden. Allein Vernunft und Thierheit sind sich absolut entgegengesetzt, nicht etwann blos dem Grade nach verschieden, wie man glaubt. Vernunft entsteht durch einen Sprung, durch ein Wunder. Thier bleibt Thier.« 22 Entgegen Fichte und mit Fichte wäre zu erinnern hier an Stanley Kubricks Film »Odyssee 2000«: die künftigen Menschen lebten in Rudeln. Und hinzuweisen wäre auch auf Barnett Newman, welcher in seinem Aufsatz sagt: »Der erste Mensch war ein Künstler«: er schrie vor Entsetzen über sich und schuf aus Lehm ein Idol23. Nur noch als historisch vermögen wir Fichtes Aussage zu lesen: »Der Mann wird vorzüglich als Mensch betrachtet, nicht deswegen weil Männer die Urkunde verfertigt, sondern weil der Mann das articulirende u. das Weib das organisirende ist.«24 Als Möglichkeit zu evaluieren ist, dass ein Weib, im Akt des Gebärens den Urschrei ausgestossen hat, und dass dieser von den nahen Männchen des Rudels angstvoll und staunend aufgenommen und erschreckt wieder ausgestossen worden sei: Ein Rudel hätte so gemeinsam den Sprung vom Tier zum Menschsein vollzogen; wo das Rudel in der Folge auf andere Rudel stiess, wurde wie ein Signal geschrien. Wenn das andere Rudel staunend den Schrei aufnahm und antwortete, schuf auch es den Sprung zur Menschwerdung. Wo es anders und nicht reagierte, bleib es beim Primaten.25 Es entstand so ein Hiatus in der Natur: die in ihrem Leiden stumme Natur einerseits, andererseits Wesen, welche den Sprung zu Bewusstsein und Sprache vollzogen hatten. So wie einerseits gilt: »Thier bleibt Thier«26, so gilt andererseits: »die Vernunft kann nur durch Vernunft erzeugt werden. Dass sich also ein höheres Wesen entschloss, sich diesen 22 GA IV,1; 300. 23 Barnett Newman (1905-1970), »Der erste Mensch war ein Künstler«, in: Charles Harrison und Paul Wood, Deutsch von Sebastian Zeidler: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, 1998, S. 693 ff. 24 GA IV,1; 300. 25 Zu erwähnen wären hier noch der homo erectus, dessen Hirn etwa zwei Drittel so groß war wie das menschliche des homo sapiens und der Neanderthaler, dessen Hirn durchschnittlich grösser war als das unsrige, der anspruchsvolle Werkzeuge herstellte und komplexe Kulturen sowie wohl eine rudimentäre Sprache entwickelte. Die Natur geht den kürzest möglichen, aber nicht nur einen Weg. Es ist ein Spiel mit Möglichkeiten.Während rund 100000 Jahren waren homo sapiens, homo erectus und der Neanderthaler zeitgleich. (Vgl. etwa Steven Wise: Rechtliche Anerkennung der Personalität von Schimpansen und Bonobos, in: Martin Liechti (Hg.): Die Würde des Tieres, S. 210.) 26 Ebenda, GA IV,1; 300.
Ich und Freiheit bei Fichte
41
ersten Menschen mitzutheilen, ist ein erstes, also ein Wunder.«27 Im Akt ihrer Kontraktion sehnte die allmächtige Gottheit sich nach der Expansion außer sich und da sie sich in Welt entwarf, wusste sie schon die Freude des Organischen und dessen Überstieg in die Vernunft und die Freiheit der Reflexion und des sich wollenden Geistes, in welchem sie sich wiederfindet. Fichtes Stellung zu einem transzendenten Gott erscheint als zwiespältig. Zum einen negiert Fichte eine Schöpfung und sieht er das Eine Leben verwirklicht überall da, wo Vernunft zu sich selbst kommt, zum anderen greift er wiederholt auf einen bewusstseinstranszendenten Gott zurück, so, wenn es um die Erziehung des ersten Menschenpaares geht: Hier fühlt Fichte sich veranlasst, auf die Genesis zurückzugreifen.28 Zu Recht hebt Reinhard Lauth den folgenden Satz aus Fichtes »Sätze zur Erläuterung des Wesens der Thiere« hervor: »Vielmehr ist im Menschen, soweit er Natur ist, die Naturkraft selbst, um der Freiheit Willen, nicht zu Ende gegangen; auf den confinen der Natur u. Vernft. liegt etwas, das die Natur besser könnte.«29 Mit dem ersten sich selbst hörenden Schrei des Menschen war in der Natur etwas geschehen, hat sie einen Riss bekommen, der nicht mehr heilen sollte. Die Natur wurde depotenziert, der Mensch zur Wehrlosigkeit des Geistes gegenüber jeglicher Unbill und zur Gesetzmässigkeiten erkennenden List der Vernunft verurteilt. Leibniz entdeckt und erkennt zwar die Reflexion; aber anders als Fichte definiert er den Menschen als solchen noch nicht durch die Reflexibilität seines Denkens. Die Reflexion ist vorbehalten einer sich mit Wissenschaften und Philosophie beschäftigenden kreativen intellektuellen Minderheit; die meisten Menschen reflektieren laut Leibniz jedoch nicht, sondern handeln sei es aus Leidenschaft, sei es auf Grund empirischen, und d.h. von Fall zu Fall ohne die Richtlinie der Vernunft nach Gutdünken handelnden Denkens.30 Das Ich ist bei Leibniz ein Wechselspiel von Tätigkeit und 27 GA IV,1; 301. 28 Vgl. etwa SSL 1798. GA I,5; 187: »der heilige ist nur Einer« und Grundlage NR von 1796, GA I,3; 347 ff.: »wer erzog denn das erste Menschenpaar? Erzogen mussten sie werden (...) ein Mensch konnte sie nicht erziehen, da sie die ersten Menschen seyn sollten. Also ist es nothwendig, dass sie ein anderes vernünftiges Wesen erzog, das kein Mensch war (...) Ein Geist nahm sich ihrer an, ganz so, wie es eine alte ehrwürdige Urkunde vorstellt.« 29 R. Lauth: Die transz. Naturlehre, S. 145; GA II,5; 422. 30 Vgl. Mon. § 28; G VI, 611. Zur Zirbeldrüse des Descartes, welche schon dessen Zeitgenossen ratlos liess, vgl. Anm. 39-44 zu S. 51 ff. von Klaus Hammachers Ausgabe der Passions de l’Ame (Die Leidenschaften der Seele), Hamburg 1984. Vgl. R. Lauth: Descartes’ Konzeption des Systems der Philosophie, Stuttagrt, Bad Canstatt 1998, u. a. etwa S. 208. Nur im em-
42
Ich und Freiheit bei Fichte
Leiden: herrscht in mir eindeutige Klarheit und Gewissheit, so bin ich die tätige Monade, welche auf Welt einwirkt: sind meine Gedanken und Empfindungen unklar, unbestimmt und verworren, so bin ich leidend, so wirken andere, in sich klare Monaden auf mich ein.31 Fichte konzipiert das Ich in seiner Selbstbestimmung als reine Tätigkeit. Selbst wo das Ich leidend ist, weil es unter dem Eindruck eines Nicht-Ich steht, ist es noch – wenn auch verminderte – Tätigkeit: Wo mein Auge auf einen Gegenstand stößt, der sein Gesichtsfeld begrenzt, da bildet die produktive Einbildungskraft den Gegenstand hin, bin ich also sowohl leidend als tätig. Und wo ein Anderer zu mir spricht, »leihe ich ihm mein Ohr«, höre ich hin und bilde im Akt des Zuhörens in mir seine Worte so nach, dass ich ihn höre und verstehe. Auch hier entspricht dem Leiden – dem Eingriff in meine Sphäre – eine Tätigkeit (das aktive Nachbilden der Laute und Sätze des Anderen im Akte des Hinhörens).32 pirischen Denken könnte eine »Zirbeldrüse« mitspielen, nicht jedoch in der transzendentalen Reflexion. 31 S. DM § XV; G IV, 440 f. Vgl. GWL: »es müste demnach angenommen werden, dass jener Anstoss nicht ohne Zuthun des Ich vorhanden wäre, sondern dass er eben auf die Thätigkeit desselben im Setzen seiner selbst, geschähe; dass gleichsam seine weiter hinaus strebende Thätigkeit in sich selbst zurückgetrieben, (reflektirt) würde«(GA I,2; 356). Der (durch das setzen des Ich nicht gesezte) Anstoss geschieht auf das Ich, insofern es thätig ist, und er ist demnach nur insofern ein Anstoss als es thätig ist, seine Möglichkeit wird durch die Thätigkeit des Ich bedingt; keine Thätigkeit des Ich, kein Anstoss« (GA I,2; 356 ff.). Fichtes Bild des Ich differiert hier stark vom mechanistischen Bild Leibnizens: Bei Leibniz ist die Seelenmonade tätig, insofern ihre Vernunft in ihr und so in Welt dominiert; sie ist leidend, insofern sie unvernünftig ist und so andere Monaden auf sie einwirken können: Das Ich ist als Substanz gefasst. Fichte hingegen fasst das Ich auch als subjektives Subjekt-Objekt, das als solches stets Tätigkeit ist: Es vermag angestossen, bzw. von einem Du andeterminiert zu werden nur, insofern es tätig ist. Die Tätigkeit kann reduziert, nie jedoch ganz aufgehoben werden, da eben das Ich stets auch Subjekt ist. Dass das Ich nie reines Leiden sein kann, sondern dass stets die Thätigkeit erhalten bleibt, ergibt sich aus folgender Stelle: »Das Ich bestimmt durch die Tätigkeit sein Leiden; oder durch Leiden seine Thätigkeit. Dann wäre es in einem und demselben Zustande thätig und leidend zugleich.« (GA I,2; 295).«Demnach wird, durch das Setzen eines Quantums der Thätigkeit, durch Entgegensetzung desselben gegen die Thätigkeit nicht insofern sie Thätigkeit überhaupt, sondern insofern sie alle Thätigkeit ist, ein Leiden gesezt; d. i. jenes Quantum Thätigkeit, als solches wird selbst als Leiden gesezt; und als solches bestimmt.« (GA I,2; 297). Nur insofern das Ich tätig ist, kann es sich als leidend, erlebend begreifen. Auch, wo es in sich ein Leiden oder Erleben sich entgegensetzt, bleibt die Tätigkeit erhalten. Das Ich ist nur insofern leidend, als es sich dem Erleben öffnet, sich in sich ein mögliches Leiden entgegensetzt. Dem entsprechend betont Fichte nochmals im praktischen Teil der GWL: »Das Ich ist schlechthin thätig, und bloß thätig – das ist die absolute Voraussetzung. Aus dieser wird zuförderst ein Leiden des Nicht-Ich, insofern dasselbe das Ich als Intelligenz bestimmen soll, gefolgert; die diesem Leiden entgegengesezte Thätigkeit wird in das absolute Ich gesezt, als bestimmte Thätigkeit, als gerade diejenige Thätigkeit, durch welche das Nicht-Ich bestimmt wird. So wird demnach aus der absoluten Thätigkeit des Ich eine gewisse bestimmte Thätigkeit desselben gefolgert.« (GA I,2; 388). 32 GA I,3; 367 f.: »Es gehört sonach zur Wahrnehmung der hier geforderten Einwirkung folgendes. Die Person muss der Einwirkung stille halten, sich ihr hingeben, sie muss die in
Ich und Freiheit bei Fichte
43
Der späte Fichte wird lehren, dass das Ich = Reflexibilität und dass erst Reflexibilität = Ich. Der frühe Fichte steht noch unmittelbar unter dem Eindruck von Leibniz und arbeitet mit den Begriffen von Tätigkeit und Leiden, wobei das Ich schlechthin als Tätigkeit gefasst wird. »Was im Ich, von dem Punkte an, da es ein Ich wurde, und nur wirklich ein Ich bleibt, vorkommen werde, ist nicht vorher bestimmt, und ist schlechterdings unbestimmbar. Es gibt kein Gesetz, nach welchem freie Selbstbestimmungen erfolgten, und sich vorhersehen liessen; weil sie abhangen von der Bestimmung der Intelligenz, diese aber als solche schlechthin frei, lautere reine Thätigkeit ist.«33 Dass schon Leibniz das Ich nicht nur als mechanistische Balance von Tätigkeit und Leiden, sondern dass er es als bestimmt durch Tätigkeit fasst, führt Christia Mercer aus.34 Das Leibnizsche Modell steht im Prinzip jedoch auch der Transzendentalphilosophie insofern entgegen, als diese keinen Schöpfergott kennt, in welchem die Existenzen als Essenzen vorgegeben gewesen wären und in ihrem Dasein Entscheid Gottes sind. Nach dem Fichteschen Modell ist der Mensch auch frei an Gott und dies heißt in einer Formulierung der Wissenschaftslehre von 1801/02, auch gegenüber Gott35. Fichte kennt keine absolute Vorhersicht Gottes, da dieser als moralische Weltordnung bloss das Ich durch dessen sittliche Aufgabe in Welt individuieren will, nicht jedoch bestimmen kann, ob das Ich seinem Soll gerecht werden oder versagen wird. Wir können Vernunft und Individualität entwickeln oder Rohstoff bleiben, indem wir je dem stärksten Naturtrieb folgen: die Verantwortung liegt bei uns. Der Trieb als solcher eignet mir insofern ich Natur bin, und er ist meine Grundlage oder Urkonstruktion, insofern ich Geist bin. Er hat »zum ihrem Organ hervorgebrachte Modifikation nicht aufheben. Sie könnte dies durch ihren blossen Willen, und muss, wenn es nicht geschehen soll, die Freiheit ihres Willens beschränken. Ferner, sie muss die in ihr hervorgebrachte Modifikation ihres Organs innerlich mit Freiheit nachbilden. Es ist gesagt, eine mögliche Aeusserung ihrer Freiheit ist aufgehoben. Dies heisst keinesweges, es ist überhaupt die Thätigkeit nach irgend einer Richtung und zu einem gewissen Zwecke ihr unmöglich gemacht, sondern nur, es ist etwas, das sie selbst hervorzubringen vermag, in ihr hervorgebracht, aber so, dass sie es nicht ihrer eigenen Wirksamkeit, sondern der Wirksamkeit eines Wesens ausser ihr zuschreiben muss. (...) es wird nicht gehört, wenn nicht innerlich die Töne nachgeahmt werden durch dasselbe Organ, durch welches im Sprechen dieselben Töne hervorgebracht werden.« 33 SSL 1798, (GA I,5; 128). 34 S. etwa Christia Mercer: Leibniz’s Metaphysics. It’s origines and development, Cambridge University Press 2001, S. 223: »The perfection, unity, and self-sufficiency of mind is based in its activity (...). Not only does the mightiness of mind, mean that they can neither be destroyed nor created by natural means, it also is supposed to imply that they are indefatigable.« 35 GA II,6; 322: »(...) denn selbst das Ewige, selbst die Gottheit, muß die Freiheit nicht gefangen halten.«
44
Ich und Freiheit bei Fichte
Objecte Naturdinge, um dieselben entweder unmittelbar mit mir zu vereinigen (wie Speise oder Trank); oder sie in ein gewisses Verhältnis mit mir zu setzen (freie Luft, weite Aussicht, heiteres Wetter u. dergl.)«.36 Ob der Durst mich nach Wein, Bier oder einem Glas Tee gelüsten lässt, ist schon eine erste Äusserung persönlicher Freiheit; denn für meine Ess- und Trinkgewohnheiten bin ich verantwortlich wie weitgehend dafür, in welchen Atmosphären mir wohl ist; denn dies hängt zusammen mit meinem Charakter, für den ich nicht bloß schon bei Kant, sondern auch bei Leibniz verantwortlich bin.37 Auch steht zwischen dem Trieb als vagem sich Sehnen und dem Begehren des Besonderen stets schon eine Reflexion.38 Was ich mit mir zu vereinigen strebe, ist notwendig im Raum, so wie notwendig auch ich im Raume bin als Naturprodukt und Materie: »und zwar nach dem obigen organisirte Materie, die ein bestimmtes Ganze ausmacht. Mein Leib.«39 Mein Leib ist, wie Fichte schon in der GNR ausgeführt hat, ein artikulierter Leib. Wie Arnold Gehlen in der Folge von Herder und Fichte dargelegt hat, beherrsche ich, anders als jedes Tier kurz nach seiner Geburt, als neugeborener Mensch meinen Leib noch nicht. Erst im Verlauf der frühen Jahre und in den Spielen der Kindheit bemächtigt das Menschenjunge sich seines Leibes, wird dieser ihm zum freien Werkzeug.40 Erst indem der spielende Mensch auf Widerstand stößt, wird er sich seines Leibes als Werkzeugs für seinen Willen bewusst, ergreift er ihn als ihm eigen. Das Kind, welches einen eigenen Freiraum hat, in welchem es doch auf Widerstand stößt – etwa indem es beim Rennen umfällt und sich das Knie aufschlägt oder durch ein klares »Nein« der Erzieher – lernt reflexives Denken. Das Ichbewusstsein erwacht in der spielerischen 36 SSL. GA I,5; 122. 37 Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, hrsg. von W. Weischedel, Frankfurt a.M. 1964, Bd. VI, S. 636 f. (A 270, B 268). Gernot Böhme: Atmosphäre, Frankfurt a.M. 1995, insb. S. 66 ff. Leibniz, NE II, XXI, § 35; G V174. H.H. Holz Bd. III,1, S. 337 ff. 38 Ebenda (GA I,5;122). 39 GA I,5; 123: »Denn es gibt keine Vereinigung des Räumlichen und kein Verhältnis desselben, außer zu dem, was gleichfalls im Raume ist.« 40 A. Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Wiesbaden 1986 (Studienausgabe). S. 205 ff.: »Zwei Leistungen, die im Spiel aufgebaut werden, sind schon immer bemerkt worden. Die erste ist die Bewegungsschulung, also das Bewegungsspiel. Darin wird die Mannigfaltigkeit und Plastizität des eigenen Bewegungskönnens entdeckt und herausgearbeitet. (...) es ist wichtig, dass gerade die Schwierigkeiten einen Reiz haben und daß meist nur so lange die Spielfreude dauert.« »Das Zweite ist die Seite der Bekanntschaft mit den Dingen. In der Kommunikation nach außen werden wahllos begegnende Dinge in die eignen Bewegungen hineingezogen und die Entdeckungen an ihnen übernommen.« (S. 206). »Beim Menschen (...) bedeutet Spiel (...) den Aufbau, das Aufbrechen und lustvolle Erleben von Phantasieinteressen, also Prozessen der Kommunikationsphantasie, und vor allem: das Bewußtwerden solcher Interessen, die wesentlich unstabil und wechselnd sind.« (S. 207).
Ich und Freiheit bei Fichte
45
Auseinandersetzung mit Welt. Die Balletteuse lernt im Körpertraining die eigenen Emotionen beherrschen. Wir benötigen die Vernunft des Leibes zur Stärkung des psychischen Ich und zur Entwicklung von Sittlichkeit und Vernunft des Intellekts. Erleben ist nicht etwas rein Psychisches, sondern verläuft auch über den Leib. Joseph Weizenbaum legt dar, wie wichtig es ist, daß das Kind nicht nur im Fernseher exotische Tiere sieht und »kennen lernt«, sondern dass es einen eigenen Hasen hat, für den es verantwortlich ist.41 Je mehr sich mir durch blossen Knopfdruck virtuelle Welten erschliessen, desto mehr verliere ich jegliches Realitätsgefühl, desto mehr werde ich selbst zu einem bloß virtuellen Ich – bzw. virtuellen Ichen – ohne Persona. Das Erlebnis der Körperbeherrschung in der Artikulation ist eine wichtige Voraussetzung geistiger Freiheit. Deren Voraussetzung ist auch, dass ich auf meine Natur und meinen Trieb reflektiere, nicht blind ihm folge oder ebenso blind ihn unterdrücke. In der Reflexion finde ich mich als frei gegenüber meinem Trieb, den ich als eigene Natur akzeptieren kann, ob ich ihm nun folge oder einem anderen eigenen Trieb die Triebkraft belasse. Erst der Triebkomplex lässt mich als Ich mich finden und als Ich mich setzen, welches als Ich sich will. Indem ich mich als Ich gesetzt habe, bin ich bei mir selbst, kann ich über meinen Naturtrieb reflektieren und über ihn entscheiden, kann ich Triebe in mir schwächen oder stärken. Ohne Triebe – der Kraft, welche der späte Fichte als das »Urschema« bezeichnen wird – gäbe es nichts, was ins Bewusstsein drängte und also auch kein Ich: »Irgend eines muß sich der Mensch deutlich bewußt werden, wenn er überhaupt Bewußtseyn haben, und wirklich ein Vernunftwesen seyn soll. Am ersten in der Zeit wird er sich des Naturtriebes bewußt (...) er ist frei für eine Intelligenz außer ihm, für sich selbst aber (...) auf diesem Standpunkte lediglich Thier. Es ist zu erwarten, dass er über sich selbst in diesem Zustande reflectiren werde. Er erhebt sich dann über sich selbst, und tritt auf eine höhere Stufe.«42 Fichte geht im Zusammenhang von Trieb und Freiheit ein auf Leibnizens Theorie einer prästabilierten Harmonie von Leib und Seele: »Dass die Natur von ihrer Seite irgend etwas so beschränke und bestimme wie meine Natur seyn soll, lässt sich begreifen; dass die Intelligenz von der ihrigen sich eine Vorstellung bilde, und sie auf gewisse Weise bestimme, lässt sich gleichfalls einsehen: nicht aber, wie beide in ihrem gegenseitig unabhängigen Handeln übereinstimmen, und auf dasselbe kommen sollten; indem ja weder die 41 J. Weizenbaum: Computermacht und Gesellschaft, Frankfurt.a.M. 2001, S. 73. 42 SSL, GA I,5; 165 f.
46
Ich und Freiheit bei Fichte Intelligenz der Natur, noch die Natur der Intelligenz das Gesetz giebt. Die erste Behauptung würde einen Idealismus, die zweite einen Materialismus begründen. Auf nichts lässt sich ein die Hypothese der prästabilirten Harmonie innerhalb des Leib-Seele-Problems, wie sie gewöhnlich genommen wird; aber es bleibt auch nach ihr die Frage eben so unbeantwortet, als sie es vorher war.«43
Ohne den göttlichen Uhrmacher, den Leibniz annahm, lässt das Modell der prästabilierten Harmonie sich nicht halten. Da Fichte im Rahmen der Wissenschaftslehre einen transzendenten Schöpfergott leugnet, – denn Gott erscheint als Wort – kann er auch keine prästabilierte Harmonie zwischen Geist und Körper annehmen: – Das Eine Leben als die Geist und Natur durchwaltende Kraft findet bei Fichte Ausdruck einzig in der Sittlichkeit als einem geistigen Phänomen. Die Intelligenz bedarf der Natur, und dies hat schon Leibniz gesehen, wenn er selbst den Engeln einen Leib zusprach. Unsere unser Denken tragenden Emotionen und Empfindungen wären nicht möglich ohne Leiblichkeit: Um reflektieren zu können, muss ich meinen Körper erleben. So schrieb Leibniz an die Königin Sophie Charlotte: »je crois que même les pensées le plus abstraites sont representées par quelque traces dans le cerveau, (...) comme je crois que de même les mouvemens du corps les moins volontaires, ne laissent pas de faire des impressions sur l’ame, quoyque on ne les remarque point«.44
Der Computer kann nicht denken, weil er keine individuellen Leibempfindungen und Emotionen hat. Und reine Natur ohne Intelligenz ist keine menschliche und vielleicht auch keine göttliche Natur. Die menschliche Natur ist stets spezifisch menschliche Natur, Trieb eines vernünftigen Wesens oder viehisch. Denn wo der Trieb ins Bewusstsein gelangt, ist er schon reflektierter Trieb, nicht mehr bloß vages Sehnen. Schon Shaftesbury hat auf die Reflexibilität des Gefühls hingewiesen.45 Die unterste Reflexionsstufe ist das den Trieb ins Bewusstsein hebende Gefühl: »Das (reflectirende) Ich muss sich selbst als Ich finden; es muss sich selbst gleichsam gegeben werden.«46 Das reflektierende Ich 43 GA I,5; 127. 44 Um die Jahrhundertwende G VI, 514. 45 S. Angelica Baum: Selbstgefühl und reflektierte Neigung. Ethik und Aesthetik bei Shaftesbury, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 158 und 185 insb. 46 GA I,5; 194.
Ich und Freiheit bei Fichte
47
reflektiert sein sich fühlendes Fühlen, welches ein sich Fühlen des Triebes ist. Das Ich reflektiert auf sein Gefühlsleben, in dem es sich stets schon findet: Ich weiss mit Bestimmtheit, dass ich Zahnschmerzen habe, dass ich mich hungrig fühle, dass ich mich leer oder voll Tatendrang fühle. Die Triebe, deren in den alternierenden Gefühlen ich mir bewusst werde, sind für mich als Freiheitswesen ein objektiv in mir Gegebenes, worauf ich mich einlassen kann oder auch nicht; erst diese innere Distanz zu mir selbst qua Freiheitswesen, lässt »mich das eigentliche freie und selbstständige Ich« sein47, das durch alle Wirrnisse der äußeren und inneren Welt ich zu sein bemüht bin. Ich kann aus Freiheit mich dazu entschließen, das Sehnen zu befriedigen und meinem Trieb nachzugeben oder mich aus dem Trieb nach Selbsttätigkeit um meine Gefühle nicht zu kümmern und einer anderen, vernunftbezogenen Tendenz zu folgen, welche ebenfalls in einem Gefühl sich als möglich erwiesen hat. Das Primäre ist der im Gefühl reflektierte Naturtrieb; an ihn knüpft die Freiheit an: »Das erstere ist ein blosses Treiben der Natur, deren Kausalität gerade bei dem Triebe, den ich als meinen Trieb setze, zu Ende ist: das letztere aus der Selbstbestimmung erfolgende ist eigentlich mein Treiben, in mir als freiem Wesen begründet. Es wird in der Erfahrung zutreffen, heisst: ich fühle es als Tendenz der Natur zur Kausalität auf sich selbst.«48
Denn indem ich nach außen handle, kann ich stets nur auf Natur handeln, Natur modifizieren und tue ich dies mit der Kraft meines Triebes, welcher über meinen Leib sich in Handlung umsetzt. In dem Moment, da ich meines Triebes mir bewusst werde, ist er nicht mehr Leib, sondern Psyche; ich handle mit der Kraft des Triebes durch die Vernunft: »der Trieb ist eine innere sich selbst zur Kausalität bestimmende Kraft«49, wobei gilt: »Kraftgefühl ist das Princip alles Lebens; ist der Uebergang vom Tode zum Leben.«50. Da stets alternierende Gefühle gegeben sind51, ist es meine
47 GA I,5; 194. 48 GA I,5; 195. 49 GWL, GA I,2; 422. 50 GA I,2; 425. M. Ivaldo schreibt in op. cit. 1992, S. 180 f. : »nessun impulso dell’io è tale senza coscienza basica immediata di esso, cioè senza sentimento. In altri termini (...) l’impulso che costituisce l’io si annuncia alla riflessione primaria spontanea dell’io stesso in e come sensazione di un bisogno, o, più precisamente, come una brama (Sehnen) fondamentale e (a livello basilare) non ancora determinata da un oggetto specifico.« Das Ich ist ursprünglich reiner Trieb: Das Bewusstsein des Säuglings besteht in unbestimmten Triebregungen. Das Kleinkind entwickelt über die Bezugsperson – meist die Mutter – eine Beziehung zur Objektwelt über das
48
Ich und Freiheit bei Fichte
Wahl, ob ich diesem oder jenem Trieb folge: Es ist dies Freiheit als Wahlfreiheit. Indem ich jedoch wähle, wähle ich mich selbst nach dem Bild, das ich von mir habe. Das Urbild hingegen ist ein Verhältnis, dasjenige zwischen meinem System von Naturtrieben und meinem Trieb nach Selbsttätigkeit; indem ich nie wähle, sondern stets dem Impuls folge, werde ich zum Vieh. Der Naturtrieb setzt einen Leib voraus; denn nur in und aus und auf Materie kann er wirken: »Der Naturtrieb geht aus auf etwas materiales, lediglich der Materie willen (...) der reine Trieb auf absolute Unabhängigkeit des Handelnden, als eines solchen, von jenem Triebe; auf Freiheit um der Freiheit willen.«52 Die Würde des Menschen besteht darin, dass er von seinen Trieben unabhängig ist und so für sich verantwortlich. Der reine Trieb ist ein geistiger Trieb, welcher das Materiale der sinnlichen Triebstruktur voraussetzt als dasjenige, wovon er sich abschotten und wodurch in der Auseinandersetzung er sich werden kann. Er ist die der Vernunft als einem Geistigen innewohnende ursprüngliche Kraft, die sie trägt und ließe vielleicht sich bezeichnen als das, was Nietzsche im Agon der Triebe als Willen zur Macht bezeichnen wird.
nächststehende Objekt der eigenen Glieder, an Hand derer es lernt, seine Triebe zu identifizieren: Sie werden zu Gefühltem. 51 GWL, GA I,2; 446 ff. 52 GA I,5; 139.
1.4. Theoretische und praktische Vernunft1 »Alles Bewusstseyn ist nur durch Selbstbewusstseyn möglich«2 Das Bewusstsein eines Ich ist notwendig Selbstbewusstsein: sonst wäre es weder Bewusstsein eines Ich, noch wäre ein Ich, noch wäre ein Ich, das über das Nicht-Ich zu sich findet. Das Ich findet sich in der Reflexion, deren in der intellektuellen Anschauung es sich bewusst ist. Auch wenn Leibniz von der Reflexion und vom Moy spricht, tut er dies auf Grund intellektueller Anschauung3. Höheren Tieren ist wohl ein Daseinsgefühl zuzusprechen und eine wie auch immer geartete Weise des Denkens; doch geht ihnen – wie wohl auch den meisten Menschen – die intellektuelle Anschauung ab und hiermit die Freiheit der Reflexion. Zuzusprechen ist höheren Tieren wohl ein dem Gefühl sich verdankendes, untrennbar an dieses gekoppeltes empirisches Denken. Vielleicht wäre festzustellen, dass beim Menschen zwar das Gefühl das Denken auslöst, beide jedoch nicht in eins fallen: zwischen Gefühl und Denken ist ein Hiatus der Freiheit.
1 Die folgenden Ausführungen stützen primär sich ab auf Luigi Pareyson: Fichte, Il sistema della libertà. Milano 1976. ed. Mursia. Der Text geht aus von der WL nova methodo, in: Hans Jacob, Hrsg.: Johann Gottlieb Fichte. Nachgelassene Schriften (NS), Bd. II, Schriften aus den Jahren 1790-1800. (einziger publizierter Band). Berlin 1937, Junker und Dünnhaupt. Er wird nach der GA zitiert. 2 WLnm,. GA IV,2; 195.Vgl. GA IV,2; 198: »Selbstbewußtseyn und alles übrige Bewußtseyn ist eins.« L. Pareyson S. 298. Vgl. Kant: »:Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Anm. zu § 46: »Wäre die Vorstellung der Apperzeption, das Ich, ein Begriff, wodurch irgend etwas gedacht würde, so würde es auch als Prädikat von andern Dingen gebraucht werden können, oder solche Prädikate in sich enthalten. Nun ist es nichts mehr als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidentis) steht.« Weischedel-Werkausgabe, Bd. III, S. 205, Wiesbaden 1958). Erst im Akt der Reflexion entsteht mir ein Ich. 3 Mon.§ 30, GVI, 612.
50
Ich und Freiheit bei Fichte
»Alles Bewusstseyn ist nur durch Selbstbewusstseyn möglich. Das Bewusstseyn meiner selbst ist nur durch wollen möglich, das wollen setzt einen Zweckbegriff voraus«, und d. h. ein Entwerfen des Gewollten, dem ein objektiv Gegebenes entsprechen muss, sei es nun in der Welt der inneren und äusseren Objekte ein Vorgegebenes, das doch stets nur über die produktive Einbildungskraft als zu erschaffendes Objekt Hingesehenes ist.4 Alles Denken ist Denken eines Wollens insofern, als alles Denken und Wollen ein Sich-Wollen voraussetzt.5 »Denn nach § 1 ist Bewusstseyn ein sich selbst I D E A L I T E R setzen: EIN SEHEN, und zwar EIN SICH sehen.« In dieser Bemerkung liegt der Grund aller Irrthümer anderer philosophischer Systeme, selbst des Kantischen. Sie betrachten das ICH als einen SPIEGEL, in welchem ein Bild sich abspiegelt; nun aber sieht bei ihnen der Spiegel nicht selbst, es wird daher ein 2ter SPIEGEL für jenen SPIEGEL erfordert u.s.f. Dadurch aber wird das Anschauen nicht erklärt, sondern nur ein ABSPIEGELN. Das ICH in der WISS-Lehre hingegen ist kein Spiegel, sondern ein Auge; es ist ein sich ABSPIEGELNDER SPIEGEL[,] ist Bild von Sich; durch sein eigenes Sehen wird das Auge (die INTELLIGENZ) sich selbst zum Bilde.«6
Das Auge spiegelt sich in sich selbst, weiß im Akt des Sehens sich als ein Hinsehendes und steht so für das Selbstbewusstsein. Leibniz sieht das Ich als einen Spiegel, welcher von seiner Perspektive her die Welt widerspiegelt7; um jedoch Bewusstsein zu werden, bedarf der Spiegel eines Spiegels, der sich in ihm spiegelt und so ins Un4 NS, 534, WLnm GA IV,2 § 16, L.Pareyson. 298. 5 Wie M. Ivaldo feststellt, handelt es sich hier um einen Zirkelschluß: »il concetto di fine rende possibile la coscienza dell’agire; ma l’agire, possibilizzando sentimento e impulso, cioè coscienza dell’oggetto, rende possibile la costituzione del concetto di fine.« (Ivaldo: Libertà e ragione. Op. cit. S. 105. Ausführlicher schreibt Ivaldo S. 104: »La coscienza dell’agire però non è possibile se non come coscienza della libertà, e coscienza della libertà non si dà se non per la mediazione di un concetto di fine dell’agire, concetto che è sintersi di libertà e intelligenza, specificazione riflettente dell’attività reale, passaggio della libertà del determinabile al determinato.«) Schon Franz Bader hatte in TRS 1989 zu Fichtes Lehre vom prädeliberativen Willen festgehalten: »Der Wille ist also als prädeliberativer Wille Übergang zur Selbstaffektion, zur Selbstbestimmung des Ich durch und für sich selbst.« Bader folgert aus GA IV,2; 140, »dass die Bedingtheit des empirischen Ichwillens durch den absoluten prädeliberativen Ichwillen eine konstitutive sein muß, keine in einem vorausgesetzten zeitlichen Prozeß erfolgende.« (Ebenda S.224). Fichte spricht hier – besonders in der WLnm – dem Ich jenen sich wollenden prädeliberativen Willen zu, den Leibniz den in Gottes wissendem Wollen in die Existenz drängenden Essenzen zugebilligt hatte. 6 GA IV,2; 48 f. 7 Mon. §§ 30 und 63, G VI, 612 und 617 f.
Ich und Freiheit bei Fichte
51
endliche, es sei denn, der im Spiegel sich spiegelnde Spiegel sei das absolute Bewusstsein. Der Spiegel erklärt auch nicht das Anschauen und Hinschauen der Dinge als eine Tätigkeit eines seiner bewussten und gestimmten Ich: in der Spiegel-Metapher ist das Ich eine passive Oberfläche. Das Ich ist jedoch kein Spiegel, ist nicht passiv: vielmehr schaut das Auge aus seinem je individuellen Gesichtspunkt und aus seinen Gegebenheiten heraus in einem bestimmten Raumzeitpunkt die Dinge hin und sieht sich in ihnen, denn es selbst ist kein Objekt, sondern Subjekt, und seine persönliche Perspektive ist ein in den Dingen sich selbst sehen u dies im Auge Gottes. Entgegen der Ansicht Fichtes dürfte Leibniz sich dessen schon bewusst gewesen sein: Das »Moy« ist ein sich in sich spiegelnder Spiegel, ein sich sehendes Auge. Der Unendlichkeit Leibnizscher Perspektiven entspricht die Unendlichkeit Gottes. Fichte hingegen sieht in Gott ein unendliches in sich geschlossenes Sein, dessen Erscheinungsweisen, die Individuen, an Zahl unendlich, als Vernunftwesen je das nur Eine Sein sind. Luigi Pareyson schreibt: »L’intelligenza non è tale se non ha per oggetto la libertà, e la libertà non è tale se non è consapevole di sé mediante l’intelligenza.«8 Das Verstehen versteht nicht, wo es nicht Freiheit versteht, und Freiheit ist nur, und ist nur dort wirklich, wo über die Intelligenz sie sich als Freiheit erfasst und versteht und weiss. Sich begreifen von Freiheit ist auch ein Erfassen eigener Möglichkeiten und Grenzen und damit ein sich als frei hervorbringen und wollen, und zwar ein Wollen, welches als Freiheit sich versteht. »Anzitutto non c’è intelligenza senza libertà: la coscienza non è che coscienza della libertà. La libertà è il »fondamento« dell’intelligenza; l’intelligenza è il »prodotto« della libertà. (...)Perciò il fondamento di ogni coscienza reale è la libertà.«9 Es gibt kein Verstehen ohne Freiheit und erst das Sein von Freiheit ermöglicht den Akt des Verstehens. Bewusstsein als ein Akt des Seiner-selbst-Bewusstseins ist notwendig Bewusstsein von Freiheit. Denn ich bin ein Feld von Möglichkeiten, welches innerhalb von Möglichkeiten und Grenzen die eigene Wirklichkeit bestimmt. Schon das Kind fühlt in sich einen unbestimmten Drang und lernt erst in der Interaktion mit der Außenwelt, ob es Hunger, Durst hat, Zuwendung oder Reinlichkeit wünscht. Nur im Akt freien mich-Wollens habe ich Bewusstsein 8 Pareyson S. 313. 9 Ebenda, S. 313. Pareyson kann auf der Doppelbedeutung von »coscienza« – sowohl Bewusstsein wie Gewissen – spielen. Richtiges Bewusstsein setzt Freiheit voraus, Freiheit ist Voraussetzung und Folge von Gewissen und Sittlichkeit.
52
Ich und Freiheit bei Fichte
als Bewusstsein meiner als Individuums und Vernunftwesens, und mich als solches setzen kann ich nur in Freiheit. Der dieser Feststellung zugrunde liegende Text Fichtes lautet: »Nichts ist, es sey denn im Bewusstseyn, war der Satz von dem wir ausgiengen. Dieses aber ist nicht ohne Freiheit, also ist Freiheit der Standpunkt aller Philosophien, wie Kant anderswo richtig bemerkte, aber in s. System nicht andeutete.«10 Nur ein Denken, das in all seiner Gebundenheit zugleich in sich frei ist, vermag sich den Weg in die Philosophie zu bahnen.11 Denn Philosophie geht aus von der Würde des Menschen; diese jedoch bedarf, um zu sein und sich zu behaupten, der Freiheit, sowohl ökonomisch wie politisch wie metaphysisch und handelnd in der Interaktion mit anderen Menschen. Das Ich-Subjekt meint sich frei, wo es deliberiert; doch im Akt des Deliberierens ist es an tausend Abhängigkeiten gebunden, von tausend Abhängigkeiten hin- und hergeworfen.12 Erst im handelnden Entschluss ist das Ich frei, erst, wo es gemäß seiner eigenen Wahl handelt, findet es sich als freies Ich in einer freien Welt. Das Deliberieren ist bloß der Boden, von dem aus das Ich den Sprung in die Freiheit vollzieht, und es vollzieht ihn im Schauen und Denken der Einbildungskraft. Der späte Fichte verlegt die Freiheit in die Reflexion: Reflexibilität ist der Urgrund des Ich-Seins. Äußere Freiheit kann gedacht werden als Grund der inneren, Reflexibilität in sich bedingenden 10 GA IV,2; 45. S. ebenda Anm. 16. Vgl. KpV: »Der Begriff der Freiheit, sofern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen, Vernunft aus.« Kant, KpV, Vorrede A4-A5, hrsg. von W. Weischedel, Frankfurt a.M. 1964, Bd. IV, S. 107 f. 11 Das Wollen und freie Sich-Wollen ist Apix und Anfang jeder Theorie, und »Wollen«, schreibt Fichte im SSL, »ist ein absolut freies Übergehen von Unbestimmtheit zur Bestimmtheit.«(GAI,5; 147). Die WLnm stellt das Wollen ins Zentrum ihrer Ausführungen, beruht auf Gedanken, welche Fichte auch 1798 im SSL thematisiert und die auch schon in der schon im Aufbau Kant noch näher stehenden GWL unüberhörbar anklingen. (Vgl. Vorwort zu den WLnova methodo in GA IV,2; 5 f.) Wille ist, wie Ivaldo ausführt, gegenüber dem ihn tragenden Trieb reflektiertes Sich-Wissen und Zielgerichtetheit. (M. Ivaldo, op. cit. 1992, S. 194). In ihm aktualisiert sich die Freiheit des Bewusstseins. Das Denken flieht sich aus Angst vor der Zertrümmerung der empirischen Welt und sucht sich aus Wahrhaftigkeit und Willen zur Freiheit. 12 WL1801/02, GA II,6; 301 f.: » solange ich mich frei nannte (deliberirte) hatte ich kein freies Seyn, sondern hielt die Kette des Seyns für mich, und das ganze Universum des Wissens an, war unentschlossen und ließ alle Welt unentschlossen.« Ebenso die WLnmK und die WLnm (GA IV,2; 113 f.): »der Begriff des Handelns ist im DELIBERIREN noch schwebend, ist auf kein bestimmtes HANDELN noch fixirt, denn das entgegen gesezte ist noch nicht aufgegeben, ist auch noch möglich. In diesem Schweben erscheint uns also der Begrif des HANDELNS, in sofern wir noch nicht entschloßen sind.« (Vgl. Franz Bader, op. cit. S. 214.) S. auch K. Hammmacher in René Descatres: Die Leidenschaften der Seele, Einleitung S. XLIV: »Denn der Zweifel sollte ausdrücklich nicht auf die praktische Entscheidung im Handeln ausgedehnt werden (…), weil die Zwänge des Lebens meist keinen Aufschub des Handelns verstatten, der so eintreten könnte.« Französisch-Deutsch, Hamburg 1996 (Meiner).
Ich und Freiheit bei Fichte
53
Freiheit; doch ist sie nicht unabdingbar schon oder noch gegeben: Boethius dachte in der Gefangenschaft wie Gramsci, und die rein innere Freiheit kann Bedingung sein für die Revolution, welche politische Freiheit verwirklichen will. So ist notwendig der Philosoph innerlich frei und weiß um die Möglichkeit zumindest, von äußerer Freiheit. Anzulichten wäre noch, dass das Aktionsfeld der Freiheit in der experimentierenden Reflexion weiter reicht, denn im Tun: Ich muss alles denken, was ich tue, aber ich darf nicht alles tun, was ich denke und denken soll, um wissend um die Welt, dem äußeren Handeln sittliche Grenzen zu setzen, so wie natürlich sie gegeben sind, wenn ich auf andere Vernunftwesen oder deren Kunstprodukte stoße. Anschließend führt Fichte aus: »Wir müssen etwas haben, das in Beziehung auf dieses ideale unmittelbares Objekt ist weil sonst jene ideale Thätigkeit leere Idee ist – u. dieses ist die Freiheit, das MACHEN – das ANSCHAUENDE – die ganze ICHHEIT. Denn das Ich sezt sich selbst hat 2 Bedeutungen, eine IDEALE u. eine REALE, welche beyde im Begrif des Ich vereint sind. Kein IDEALES sich setzen ohne ein REALES selbst AFFICIREN oder sich selbst beschränken – keine Freiheit ohne Selbstanschauung.«13 Will ich meiner als eines Ich bewusst sein, muss ich handeln, und in diesem Handeln mir zusehen. Und jedes bestimmte Handeln schliesst alle anderen möglichen Handlungen aus. Nur indem ich handle, ein Bestimmtes tue und alles Mögliche andere nicht tue und in diesem konkreten Handeln mich selbst affiziere, kann ich als Ich mich fassen und mich sehen als aus eigenem bewussten Antrieb oder unwillentlich handelnd. Jegliche Handlung, die ich vollziehe, ist eine determinatio meines Ich. Indem ich so mich determiniere, erschaffe ich mir ein Ich mit einer bestimmten Individualität. So individuiert sich auch das Kind im Spracherwerb: es lernt, daß dieses Objekt ein Tisch, dass jenes Objekt eine Blume ist; nichts anderes, als, was einen konkreten Tisch darstellt, kann somit ein Tisch sein, und das Kind ist ein Wesen, das weiß, dass dieses Objekt einen Tisch, jenes eine Blume darstellt. Dieses Wissen determiniert es als ein Individuum, welches weiß, was ein Tisch und was eine Blume ist. So führt Fichte aus: »Nach dem Grundsatze der BESTIMMBARKEIT ist ein REALES HANDELN nicht zu setzen, ohne ein REALES oder PRAKTISCHES Vermögen. REALE u. IDEALE Thätigkeit sind durch einander bedingt und bestimmt, d.h. eine ist nicht ohne die andere (bedingt) – das was die eine sey, lässt sich nicht begreifen, ohne die andere (bestimmt). In diesem Akte der Freiheit wird das Ich sich selbst Objekt, es 13 GA IV,2; 46.
54
Ich und Freiheit bei Fichte
entsteht ein wirkliches Bewusstseyn (...) Die Freiheit sonach ist der höchste Grund, und diese erste Bedingung alles SEYNS u. alles Bewußtseyns.«14 Indem ich so und nicht anders handle, gestalte ich mich, indem ich Welt gestalte; ich sehe mein Handeln und seine Folgen und bin mir somit in der Anschauung Objekt, werde mir zu einem bestimmten Individuum, das als Intelligenz ich zu Vernunft und Freiheit zu bestimmen suche. Denken lässt sich alles; doch je weiter ich denke, desto mehr muss ich mein Tun einschränken, mich zu eben dem bestimmten Tun bestimmen, das ich in der Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten als richtig und durchführbar erachte. Ich kann mich jedoch nur zur Freiheit richtigen Handelns bestimmen, wenn in mir schon ein Wissen von Freiheit ist; die Möglichkeit empirisch freier Handlung muss mir bewusst sein, damit ich zur Vernunft mich bestimmen kann: damit ich diese Möglichkeit konkret habe, bedarf es der Aufforderung als Andetermination zur Vernunft als reflektierter Sittlichkeit. Das Ich ist allgemein ein Bestimmbares, welches im Entwerfen des Zweckbegriffs sich bestimmt. Das bestimmbare Ich lässt in seinem Deliberieren sich leiten von der Einbildungskraft, welche die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten mit Hilfe der Urteilkskraft erwägt und zu einem Zweckbegriff zusammenfasst, der mich als Bestimmtes auf das Nicht-Ich als Bestimmbares handeln lässt. Die Einbildungskraft vereinigt, fasst zusammen, sieht Kompatibles, spielt mit Möglichkeiten; die Urteilskraft wägt ab, analysiert mit Hilfe des Verstandes das Bilderspiel und entscheidet.15 Vernunft ist nicht möglich ohne Freiheit: Vernunft beruht auf einer Wahl im Augenblick der Aufforderung und dem Entschluss, nicht der momentanen Laune zu folgen, die Eingebung des Augenblicks als richtig befolgen oder als Fehlzündung verwerfen zu können, nicht jede Leidenschaft auszuleben, sondern eigene Leidenschaften, welche destruktiv sein können, zu kanalisieren und in innere Kraft umzuwandeln, mit welcher sich Widerständen trotzen lässt und Fehlschläge und Hindernisse sich be14 GA IV,2; 46 f. Schon die Tathandlung der GWL setzt die Einheit von denkendem Sich-Wollen, sich setzen als Sich-Setzen. Im Akt des denkenden Sich-Wollens ist das Ich absolut frei, begründet es jene Freiheit, deren es zur Selbstgründung im Sittengesetz bedarf. 15 GWL, GA I,2; 373 ff. und 381. Vgl. KdrV: »so zeigt sich, daß zwar der Verstand einer Belehrung und Ausrüstung durch Regeln fähig, Urteilskraft aber ein besonderes Talent sei, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will.« (B 172, Riga 1787, A 133, Riga 1781.) Anm. B173: »Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen.« Immanuel Kant, Werkausgabe von W. Weischedel, Bd. II, S. 184, Wiesbaden 1956. Das Werkzeug, dessen die Urteilskraft sich bedient ist das Vorstellungsvermögen oder die Phantasie als Erscheinungsweisen der Einbildungskraft.
Ich und Freiheit bei Fichte
55
wältigen lassen. Nur in Freiheit lassen sich stimmige Bilder von Ich und Welt entwerfen; im Zeitalter des entfesselten Subjektivismus ohne Subjekte bedeutet dies das Paradoxon, dass das Sein (die Welt, die Materie) über das Bewusstsein dominiert, dass die Identität des Individuums sich zersplittert in die sich wandelnden Personae des Job-Holders.16 Ohne Intelligenz gibt es auch keine menschliche Freiheit, da die Möglichkeit eines sinnhaften Lebensentwurfs und diejenige vernünftiger Selbstbestimmung dann fehlen: »ICH handle Frey, d.h. ich entwerfe MIR SELBSTTHAETIG EINEN BEGRIF MEINER HANDLUNG. Es muss also bey einer freyen Handlung jedesmahl der Begrif eines ZWECKES zum Grunde liegen«.17 Freiheit der Handlung setzt Handlungsalternativen voraus: Habe ich keine Wahlmöglichkeit, so handle ich auch nicht frei. Dass gegebene Alternativen mir bewusst seien, dass ich nach Zwecken sinnvoll handeln könne, setzt Intelligenz und Wissen voraus. Um zu tun, muss ich wissen, was ich tue, und d.h. ich muss einen angesichts möglicher Objekte frei entworfenen Zweckbegriff haben. Dem entsprechen die Ausführungen von Luigi Pareyson: »determinarsi a qualcosa significa proporsi un fine, e per proporsi un fine bisogna avere un concetto di fine è necessario progettarlo, e progettare concetti di fine è atto d’intelligenza, sì che la libertà dev’essere necessariamente intelligente, altrimenti non è nemmeno libertà.«18 Sich zu etwas entschließen, heißt, sich einen Zweck setzen, und einen Zweckbegriff kann nur eine freie Intelligenz entwerfen. Pareyson greift Fichtes Gedanken auf: »Libertà e intelligenza sono dunque in determinazione reciproca, ma tale determinazione reciproca è autodeterminazione dell’io, cioè identità dell’io come soggetto-oggetto«: »Sonach wird dem Anschauenden das Subjekt des PRAKTISCHEN Vermögens zugleich zu einem Vermögen der BEGRIFFE, so wie umgekehrt das Vermögen einer INTELLIGENZ nothwendig praktisch seyn muss. Beydes ist unzertrennlich. Eines lässt sich ohne das andere nicht denken. Die IDENTITAET ist sonach der wahre Charakter des ICH.«19 Das Ich muss in sich einstimmig sein, auf dass es legitim danach streben könne, die Welt sich gleich – und d.h. vernünftig und frei – machen zu können. Normativ betrachtet, ist jedes menschliche Tun ein Handeln, und d.h. ein Wirken nach Begriffen. Wir handeln nach dem Maß unserer Erkenntnis 16 Als ein Analogon zu Fichtes Aufforderung liesse sich im peculium sehen, welches der römische Haussohn im Akt der Entlassung aus der väterlichen Gewalt zur Selbstverwaltung erhielt. 17 GA IV,2; 48. 18 Pareyson S. 313. 19 GA IV,2; 47.
56
Ich und Freiheit bei Fichte
und d.h., das praktische Vermögen ist nicht ein schlechthinniges Wollen, sondern ein Wollen von etwas, und dieses Etwas muss begrifflich Erfassbares und sittlich zu Rechtfertigendes sein. – Dies selbst, wo das Wollen instinktiv ist: In der Reflexion läßt der Instinkt sich klären. Praxis und Denken sind so notwendig eins, so wie das Intelligieren des eigenen Handelns notwendig praktisch ist: sonst vermöchte ich nicht, mich selbst zu beurteilen, noch die Folgen meiner Handlungen in Welt. Es ergibt sich so, dass das Anschauende, Intelligierende notwendig Urteilskraft ist. In ihr beruht die Identität des Ich; denn in ihr sind Praxis und Theorie vereint. So wiederholt Fichte sinngemäß an anderer Stelle der WLnm: »daraus, dass das ICH Subjekt u. Objekt zugleich ist, aus diesem ersten höchsten Satze geht alles übrige hervor.«20 Dem Rationalismus von Leibniz entgegen ist Fichtes Wertung des Gefühls. Fichte führt die Gefühle auf den Trieb zurück, der dem Ich ursprünglich prägend innewohnt, und erklärt: »Da durch die Freyheit gewählt werden soll, so muss es ein MANNIGFALTIGES von GEFUEHLEN geben, welches nur durch seine Beziehung auf das gleichfalls ursprünglich vorhandene System der GEFUEHLE überhaupt unterschieden seyn kann.«21 Tatsächlich ist ohne die auf dem Triebsystem beruhenden Gefühle und Emotionen auch kein Denken und Handeln möglich. Dass wir als Vernunftwesen denken, bedingt, dass wir als Individuen fühlen und anschauen. Daß wir überhaupt wählen und wollen können, setzt voraus das Mannigfaltige von Gefühlen und Emotionen: »der Stoff für die Wahl der Freiheit«22 sind die Gefühle. In der Anschauung unserer Gefühle verstehen wir, was wir als gut oder schlecht, schön oder hässlich, begehrenswert oder zu fliehen empfinden und entschließen wir uns denkend zur Handlung oder deren Unterlassung. Es ist die Einheit unseres Wollens, welche uns Einheit in die Mannigfaltigkeit unserer Gefühle bringen lässt und die Ausrichtung unseres Vorstellungsvermögens bestimmt.23 20 GA IV,2: 39. 21 GA IV,2; 67. 22 GA IV,2; 67. Die Hemmung des als Ich sich setzenden Ich durch ein Nicht-Ich bewirkt im Ich ein Gefühl. Das Gefühl ist so Äußerung des Gegenstrebens des Objekts (GWL, GA I,2; 401.). GA I,2; 401: »Es ist (...) ein Gefühl vorhanden; dies ist eine Beschränkung des Triebes; und wenn es sich als ein bestimmtes, von andern Gefühlen zu unterscheidendes Gefühl sollte setzen lassen, wovon wir freilich hier die Möglichkeit noch nicht einsehen, die Beschränkung eines bestimmten, von andern Trieben zu unterscheidenden Triebes.« Gefühle sind der unterste, stetig gegebene Ausdruck einer Triebhemmung. das sich fühlende Gefühl bildet die unterste, noch sinnliche Reflexionsstufe. Das affizierte Bewußtsein reflektiert notwendig. 23 Vgl. Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewusstsein, Köln 1986, S.264. Vgl. ebenda S. 264: »Die Intelligenz als solche konstituiert sich aus dem Prozeß der Bewußtwer-
Ich und Freiheit bei Fichte
57
»Perciò la libertà è cosciente, e l’intelligenza è coscienza della libertà, soltanto se la libertà è limitata, o »vincolata«: la vincolatezza è condizione della coscienza della libertà, del progetto del concetto di fine, del determinarsi a qualcosa, dell’azione reale.«
Nur die gebundene Freiheit – sei es an das Sittengesetz, sei es an innere Kunstregeln – kann als Freiheit sich wissen und als Verantwortung; sie kann gebunden sein an die Vernunft, an das Kunstwollen, an Gott, oder eben schlicht an das Gewissen: »Das HANDELN {oder Uebergehen zu dem Bestimmten zum Etwas} kann aber nicht angeschaut werden, wenn die Freiheit nicht gebunden ist, – Dies heisst aber nicht so viel, dass die Freiheit dadurch aufgehoben werde – (...) Thätigkeit muss auch die GEBUNDENE Freiheit immer seyn.« Um das BESTIMMBARE von dem Bten genauer zu unterscheiden u. zu bestimmen, kann blos das HANDELN angeschaut werden (das Bare nicht). Allein auch dieses ist nicht möglich wenn die Freyheit nicht gebunden ist.« 24
Erst in der Bindung wird aus Willkür erlebte Freiheit, nur indem ich aus Freiheit eine Idee verwirkliche, erlebe ich, wie ich vom Bestimmbaren ein Bestimmtes werde, individualisiere ich mich. Das Handeln der gebundenen Freiheit ist so principium individuationis meiner Person: »Das ICH sieht sich nur im Handeln – durchs Handeln wird die Freiheit dem ICH anschaubar; denn nur durch das Ueberwinden des Widerstandes ist das Handeln frey u. werden wir uns. Freyheit (uns) bewusst.,«25
Nur indem wir handeln und auf unser Handeln reflektieren, können wir uns als eben dieses freien Wesens uns bewusst werden, können wir als freie Wesen uns hinterfragen nach Vernünftigkeit und Richtigkeit unserer Einstellung und unseres Handelns.26 In der Zweiten Einleitung in die WL von 1798 stellt Fichte fest:
dung des Wollens des Ich, der zugleich ein Prozeß der Begriffsbildung im Hinblick auf einen gewollten Zweck ist.« 24 GA IV,2; 51 f. 25 GA IV,2; 52. 26 Ich als dieses bestimmte Individuum verstehe mich als mein Handeln; ein anderes Ich, für welches ich ein Nicht-Ich bin, nimmt mich wahr als einen artikulierten Leib und vermutet, ich sei ein Vernunftwesen seinesgleichen.
58
Ich und Freiheit bei Fichte »Nur durch dieses Medium des Sittengesetzes erblicke ich mich, und erblicke ich mich dadurch, so erblicke ich mich notwendig als selbsttättig.«27
Fichte erläutert in diesem Passus: »dadurch also, dass der Freiheit sich ein Widerstand entgegensezt, u. dass sie ihn überwindet kommt diese ins ICH«.28 Nicht jeder empfindet notwendig dasselbe in gleichem Masse als Widerstand: was wir als Hindernis empfinden, kann von Individuum zu Individuum unterschiedlich sein und unterschiedlich gewichtet werden, denn es hängt u.a. von der Beschaffenheit der Freiheit und dem individuellen Ziel ab. Dies gilt zumindest in Normalzeiten in freiheitlichen Republiken. Was uns Widerstand ist, hängt ab von der körperlichen Konstitution, von Gewohnheiten und Üblichkeiten, von geistigen Einstellungen, vom Lebensentwurf. Meine Freiheit ist nicht notwendig und immer auch des Anderen – qua Individuum – Freiheit; die beiden Freiheiten können nebeneinander bestehen, in Wechselwirkung treten und auch antagonistisch sein oder sich wechselseitig ignorieren. Des Anderen Freiheit ist jedoch nur zu respektieren, wenn es sich ebenfalls um eine gebundene Freiheit handelt und sei sie auch bloß wie beim Künstler an die inneren Regeln der Kunst und des Genies gebunden, und er meine Freiheit anerkennt und das dieser entspringende Recht, nach meinen Bedürfnissen so zu leben, dass ich niemandes Freiheit und Leben schade. Fichte drückt dies in der sittlichen Wende aus, indem er in der WL 1804 seit dem XVIII. Vortrag nicht mehr von Ich sondern von der Gemeinsamkeit des »Wir« spricht. Wir, die wir in der Wissenschaftslehre stehen, bilden eine Kirche.
27 Zweite Einleitung des Versuchs einer Darstellung der WL 1797/98 GA I,4; 219. 28 GA IV,2; 52. Jedes Hemmnis, welches meine Freiheit in den Griff bekommt, bedeutet ein Stück Welterschließung und Weltaneignung. In der konkreten Auseinandersetzung mit Welt werde ich mich, indem mir Welt wird.
1.5. Der Ort der Freiheit Fichte wirft die Frage auf: »Warum stelle ich mir etwas vor? wodurch komme ich zu einer Vorstellung?« und antwortet: »weil ich mich als HANDELND finde. Das ICH sezt sich selbst als handelnd – als ABSOLUT frey. Er erblickt die Welt in sich. Seine IDEALE Thätigkeit ist nicht ohne REALE.«1 Das Ich stellt anschauend und denkend sich eben die Welt vor, auf die es handelt und die es handelnd verwirklicht als seiend seine Welt; jegliches Handeln modifiziert die Welt, die mein Bewusstsein ausmacht und damit mich selbst, und im Handeln werde ich mir meiner bewusst als eines Handelnden. Die äußerliche Sinnenwelt ist hier abgeleitet aus dem Wollen des Selbstbewusstseins. Die Welt ist das, was in mir, in meinem Bewusstsein ist und in dem, welcher ich sein und werden will: indem ich handle, verändere ich die Welt meines Bewusstseins. Yoga etwa wäre eine Praxis, in der ich nicht handle, mir meiner nicht bewusst werde: Ich und Welt sind gleichermaßen aufgehoben. Eine wahre Welt setzt ein moralisches Bewusstsein voraus. Indem das gebundene Ich um seine Ziele und Ideale kämpft, fühlt es seine Kraft, denkt es sich als absolut frei, verantwortlich nur Gott und dem eigenen Gewissen. Indem das Ich sich seine Ideale wählt – und dies können auch die Ideale der Gesellschaft sein, in der es lebt – und so sich bindet, trägt es in deren schrittweisen Verwirklichung eine Welt in sich, deren es in seinem Handeln, bei welchem es jene auch erweitert, auch bewusst wird. Auch über Rückschläge realisiert es Weltvertrauen, indem es darüber reflektiert, neues Wissen aufbaut, neue Strategien entwickelt und Selbstvertrauen ausbaut. Denn handelnd schafft es sich und Welt, sich in Welt, eröffnen sich seinem Denken Schritt für Schritt neue Perspektiven. – Dies ist kein Plädoyer für blinden Aktionismus: jedes wahrhafte Handeln 1
GA IV,2; 54.
Ich und Freiheit bei Fichte
60
verdankt sich einem Nichthandeln, jeder wahre neue Gedanke erwächst aus einer Unzahl bloß skizzierter, ungedachter oder abgetöteter falscher Gedanken. Auch Nichthandeln kann auf einen neue Welten eröffnenden Entschluss zurückgehen. Denken und Tun, beide unter dem Begriff des Handelns zusammengefasst, stehen in einem unauflöslichen dialektischen Verhältnis. Auch Handeln qua Denken kann experimentell sein, ein Spiel mit eigenen und der Welt Möglichkeiten, eine Schulung für den Ernstfall des Gewissens. Indem ich den Zweckbegriff entwerfe, werde ich von einem Bestimmbaren zu einem Bestimmten: »Er entsteht durch die MATERIALE Freiheit, oder durch die Freiheit der Wahl, die man daher die IDEALE Thätigkeit des praktischen Vermögens nennen könnte.«2 Daß wir wählen können, ist der Kulminationspunkt unserer Subjektivität, die hier in Welt und Objektivität umschlägt. Dass in eins wir wählen müssen, ist die Undurchführbarkeit des Eskapismus. Wollen wir eine Identität haben und so ein Ich sein, so müssen wir wählen. Wer sich der Verantwortung der Wahl entzieht, ist kein Ich, sondern ein Stück Lava.3 Daß ich Zweckbegriffe entwerfen kann, macht die Gesichte, die ich von mir und Welt habe, zur verwirklichbaren Realität, gibt mir und Welt erst den Charakter eines Realen. Sich nicht als Bestimmbares durch den Entwurf von Zweckbegriffen zu einem Bestimmten schaffen, würde zu einem gänzlichen Wirklichkeitsverslust und Verlust der Identität führen. Nur wo Wahlmöglichkeiten gegeben sind und wahrgenommen werden, gewinnt die Welt Konturen, kann das Ich erstarken: »soll ich frey wählen, so muss ich ein Mannigfaltiges haben. Mannigfaltigkeit ist aber Entgegensetzbarkeit – soll demnach ein Bewusstseyn statt finden so muss in diesem Mannigfaltigen nicht alles entgegengesezt seyn – sonst ists nichts.«4 Dem einen Bewusstsein steht die Mannigfaltigkeit des Gefühlten als seine Grundlage entgegen: gäbe es nur ein Gefühl, so gäbe es auch kein Bewusstsein; und die gleichzeitige Mannigfaltigkeit von Gefühltem – stets ja ein Sich-Fühlen des Fühlenden – erhebt das Bewusstsein in die Kraft des Daseinsgefühls und des Denkens. Auch vermag erst die als Entgegensetzungen erlebte Mannigfaltigkeit von Gefühlsobjekten dem Bewusstsein verschiedene Etwas vorstellbar zu machen und ihm so Kraftgefühl und die Freiheit der Wahl des Zweckbegriffs zu erschließen.
2 3 4
GA IV,2; 58. GA I,2; 326 Anm.: »Der ist kein Ich, sondern »ein Stück Lava im Monde.« Ebenda, GA IV,2; 58.
Ich und Freiheit bei Fichte
61
Damit ein Ich sei, ist das totale Objekt, das Nicht-Ich von Welt erforderlich, und dies bedeutet, eine unendliche Mannigfaltigkeit von NichtIch-Erscheinungen: Nur ein Ich kann Welt haben, und nur in einer Welt ist ein Ich und d.h. Selbstbewusstsein möglich.5 So entspricht der Vielzahl virtueller Welten in der gegenwärtigen Medienwelt die Zersplitterung des Ich in verschiedene Iche ohne Einheitsstruktur. Mit anderen Worten: an Stelle des Baumes entsteht das Rhizom. Voraussetzung eines nach außen strebenden Selbst ist das Streben des Triebes; das Bild, nach welchem das Ich seine Nachkonstruktion verwirklicht, ist niedergelegt in der Triebstruktur. Die Grenzen, auf die das Streben im Objekt stößt, ermöglichen dem Ich Bewusstheit und Freiheit. Sein Wollen als ein Innen präzisiert sich, indem es auf die Sinnenwelt als ein vorgegebenes Außen handelt. Das Alternieren der Gefühle ist der Urgrund allen Bewusstseins, den wir mit den Tieren teilen. Fichte expliziert hier: »denn das Bewustseyn hebt ja an bey dem Gefühle, als Veränderung unseres Zustandes. Und auf diese Veränderung wird das ursprüngliche Wollen bezogen gleichsam als schon bekannt, als schon ursprünglich das nicht erst werdend – als auf der andern Seite liegend. Sonach entsteht dieses REINE WOLLEN nicht erst durch das denken, sondern es ist und muss schon daseyn vor allem Denken.« Die Bewusstsein aufbauenden Gefühle und unbestimmten Triebe des Kindes äußern sich – vor allem Anschauen und Denken – als Wollungen. Vor allem Denken ist das sich als Wollen wollende Wollen, der Lebensinstinkt, der sich auch bezeichnen ließe als das prädeliberative Wollen des sich als Leben affirmierenden Ich. In all seiner Ohnmacht ist das Kleinkind reine Kraft, reiner Trieb. Ohne Kraft kein Leben. Wir beobachten, dass auch psychische Kraft sich als leibliches Kraftgefühl äußert: »Kraftgefühl ist das Princip alles Lebens«, lehrt Fichte in der GWL6, ein Gedanke, der sich schon in Weiterentwicklung des Aristotelischen Telos bei Leibniz findet, wie Karen Gloy hervorhebt: »Es zeichnet die Leibnizische Substanz aus, dass sie nicht nur Kraft hat, d.h. das bloße Vermögen zu wirken, das gegebenenfalls aktualisiert werden kann, sondern, dass sie Kraft ist und somit als unentwegte Aktivität auftritt.«7 5 Hier knüpft Heidegger an: »Dasein ist Seiendes, das sich in seinem Sein verstehend zu diesem Sein verhält. Damit ist der formale Begriff von Existenz angezeigt. Dasein existiert.« Vgl. Sein und Zeit, S. 52. Ebenda S.59: »das In-der-Welt-Sein (ist – KVT) eine Grundverfassung des Daseins.« 6 Diese Vorwegnahme des Willens zur Macht in GA I,2; 425. 7 Karen Gloy: Das Verständnis der Natur, Bd. 2, S. 50.
Ich und Freiheit bei Fichte
62
Mittels der Einbildungskraft faßt die Intelligenz die Mannigfaltigkeit des Gegebenen in der Anschauung zu einem einheitlichen Bild. Die Bildungskraft ordnet die Gefühle zu Anschauungsbildern in Zeit und Raum. Sie kann dies, weil ihr als reproduktiver Einbildungskraft die Kraft der Erinnerung und des Gedächtnisses eignet. Ohne Erinnerung und sich dank der reproduktiven Einbildungskraft erinnerndes Gedächtnis vermöchte die Intelligenz nicht, Begriffe zu bilden und durchzuhalten, noch zweckgerichtet zu handeln und Handlungsstrategien zu entwerfen. Geistige Substanz kann nicht existieren ohne einen Körper. Will ich Materie erkennen, muss ich selbst Materie sein, meine Leiblichkeit ermöglicht mir meinen Geist, über sie läuft meine Erkenntnisfähigkeit. Aus dieser Einsicht heraus schreibt Fichte: »Jedes Objekt erhält seinen Ort im RAUME in Beziehung auf das Vorstellende, und außer dieser Beziehung ist keine Ortsbestimmung möglich –, aber das, wodurch ein anderes im Raume bestimmt werden soll, muss selbst in ihm seyn. Das Vernunftwesen sezt sonach sich selbst in den Raum als praktisches strebendes Wesen. Dieses innerlich gefühlte, und bey dem mit dem Gefühl nothwendig vereinigten Anschauen des Objekts in die Form der Anschauung aufgenommene Streben ist der ursprüngliche (und mittelbare) Maaßstab für alle Ortsbestimmung. Es ist nicht möglich, etwas im Raum zu setzen – ohne sich selbst darinn zu finden; aber es ist nicht möglich sich selbst darinn zu finden, außer indem man ein Objekt darein sezt.«8
Nur weil ich einen Leib habe und nur in Relation mit anderen Körpern kann ich meinen Ort im Raum bestimmen. Das Vernunftwesen begreift sich als seiend in einem Raum, indem es über sich hinausstrebt und in diesem Streben auf die Widerständigkeit der Objekte stößt. Indem das Ich die widerständige Materie idealiter sich vorstellt, kann es in seinem Streben die Objekte sich vorstellen, gewinnt es ein Bild von sich als seiend in einem Raum. Nur im Bezug auf die ein Koordinatennetz aufspannenden anderen Körper kann das Ich als Leiblichkeit in einem Raum sich finden und in diesem in die Zeit agieren; Vorstellungen, geistiges Leben, Ichheit sind nur möglich in einem materiellen Raum. Das ursprüngliche Absolute war geistigmaterielle Energeia und musste in Raum sich explodieren, um als Materie die eigene Geistigkeit zu wahren. Die Energiemasse musste Licht und Materie werden, ihre Allmacht in die werdende Raumzeit schleu8
GA IV,2; 113.
Ich und Freiheit bei Fichte
63
dernd, um die eigene Geistigkeit zu verwirklichen. Der Urgeist war nur möglich in der Materie. Damit das Ich handelnd und wollend sich konstituieren könne, muss es Raum ausfüllende Materie inmitten von Raum und Materie sein. Erst seine Urlebendigkeit als Trieb ermöglicht ihm die geistige Schau. Raum und Materie sind die materielle Freiheit des Ich, sind die Form seiner Anschauung, so dass gilt: »Das ICH wird sonach sich selbst zum Raume und Materie, in wiefern es begränzt und strebend ist; denn im Raume ist nur Materie, ist also das ICH selbst im Raume seiner praktischen Thätigkeit nach, so ist es also auch MATERIELL.«9 Die praktische Tätigkeit des Ich als ein in Welt sich realisierendes Wollen und damit seine geistige Existenz gründet in der Materie. Der Geist kann erkennen, doch nur die Materie kann wollen, und nur wollend kann ich erkennen. »Das innere ist das, was man die Seele, und das äussere das, was man den Leib nennt, und in dem Verhältnis, in welches wir beyde jetzt eben gesezt haben, soll die Seele den Leib in Bewegung setzen und dirigiren; transcendental angesehen, sind sie einzeln betrachtet dasselbe von verschiedenen Seiten 1.) Die Seele ist das ursprüngliche durch den innern Sinn versinnlicht und 2.) der Leib ist eben das, ursprünglich durch beyde, so wohl durch den innern als durch den äussern Sinn versinnlicht.«10
Die Seele ist in der Zeit, der Leib ist im Raum. Der Raum jedoch ist Raumzeit, in welcher der Leib durch Empfindung und Wahrnehmung, die Seele durch bloße Empfindung versinnlicht werden. Mein Leib ist die einzige Materie, die ich empfinden kann, ohne sie wahrzunehmen. Meine seelischen Vorgänge empfinde ich, doch entziehen sich meine Seele und mein Geist der Wahrnehmung. Primär für den späten Fichte wird gelten, dass einzig durch das Reflektieren ich meiner in der intellektuellen Anschauung gewahr und als frei gewahr werden kann. Schon Günter Schulte hat auf die Nähe des Existentialismus des 20. Jahrhunderts zum Denken Fichtes hingewiesen. In Erinnerung an Sartre sei folgende Stelle aus der WL nova methodo zitiert: »Welches ist der synthetische Vereinigungspunkt zwischen Seyn und dem Handeln? – Es ist dieser das bloss erkannte – das SEYN ist nur das Bestimmbare, das wollen ist das Bestimmte, beyde sind unzertrennlich vereinigt. Alle Erkenntnis 9 GA IV,2; 110. 10 GA IV,2; 170.
64
Ich und Freiheit bei Fichte
müsste sonach, so gewiss sie meine Erkenntnis seyn soll, Erkenntnis von einem durch den Willen bestimmbaren nothwendig seyn.«11 1804 wird Fichte das Absolute als esse in mero actu bestimmen. In der Spätzeit von 1810 wird klar das Ich als actus des esse verstanden, als Dasein des Einen Seins.12 Ich als Existenz bin in meinem Wesen bestimmbar durch das Nicht-Ich, die Welt des Lebendigen und der Objekte, die mein Fühlen und Denken prägt. Mein Wollen jedoch richtet sich immer auf ein konkretes Etwas, durch das ich mich bestimme. Indem ich stets in meinem Wollen etwas will, bestimme ich mich als seiend ein Bestimmtes, dies oder jenes Individuum, das durch mein Wollen ich als gewollt hervorbringe. Meine Erkenntnis ist nur soweit meine Erkenntnis, als ich innerhalb der Welt des Bestimmbaren ein Objekt als gewollt bestimme, so mich als jenes Bestimmte bestimme, welches dadurch sich bestimmt, dass es x oder y will. Indem ich x will, bin ich nicht mehr reines Vernunftwesen, sondern ein x wollendes Individuum, das sich versteht als wollend x und nicht y. Ich bin ein existierendes Ich, dessen Essenz die Ausrichtung seines Willens ist. Indem ich auf Gewolltes reflektiere, bestimmt mein Wollen mein Denken, ist mein Denken geprägt durch mein praktisches Ich, meine Vernunft durch meine Individualität. Spätestens seit der WL 1804 gilt: Das handelnde Ich ist der actus, der auf das eine lebendige esse verweist, dessen handelndes Bild es ist. Fichte zitiert Kants Imperativ: »handle so, dass die Maxime deines Willens Princip einer allgemeinen Gesetzgebung seyn könne« und bestimmt das Vernunftwesen nach dem Kriterium, dass die Vernunftwesen »der Vorstellung von Gesetzen fähig sind.«13 Dem nicht unähnlich ist Leibnizens Fassung des Vernunftwesens in der Monadologie: »Die Erkenntnis der notwendigen und ewigen Wahrheiten jedoch unterscheidet uns von den blossen Tieren und setzt uns in den Besitz der Vernunft und der Wissenschaften, indem sie uns zur Selbst- und Gotteserkenntnis erhebt.«14 Die 11 GA IV,2; 174. 12 WL 1804 (GA II,8; 229): »ein esse in mero actu, so daß beides, Seyn und Leben, und Leben und Seyn durchaus sich durchdringen.« Vgl.: S. 230: »Umgekehrt, was unmittelbar lebt, das ist das esse, denn nur das esse lebt, und da ist es ganz, als eine untheilbare Einheit, die nicht ausser sich sein kann, nicht herausgehen aus sich selber zur Zweiheit (...) Wir leben eben unmittelbar im Lebensakte selber, wir sind daher das Eine, ungetheilte Sein selber, in sich, von sich, durch sich, das schlechthin nicht herausgehen kann zur Zweiheit.« Indem wir handeln, sind wir der Aktus des Einen Seins selber. 13 GNR, GA I,3; 380. 14 Mon. § 29; G VI, 611.
Ich und Freiheit bei Fichte
65
»notwendigen und ewigen Wahrheiten« sind die Gesetzmäßigkeiten, welche der Mensch erkennen kann; er wird zum Vernunftwesen, welches über die Gotteserkenntnis zum moralisch Guten und der Sittlichkeit findet, indem er das Phänomen der Gesetzmäßigkeit sieht und begreift – Leibniz geht im 17. und frühen 18. Jahrhundert noch von einer Gotteserkenntnis aus, wo Kant im Zeitalter der Aufklärung sich veranlasst sieht, von einer agnostischen menschlichen Vernunft auszugehen: Fichte wird insofern hinter Kant zurück auf Leibniz greifen, als bei ihm über der Moralität die Religiosität und über dieser die Sittlichkeit aus gelebter Gotteserkenntnis steht.15 De facto handelt es sich um einen Zirkel: der Ruf des Gewissens führt mich zur Sittlichkeit, diese muss Gott supponieren. Der Kampf um Gott führt mich zur Gottes gewissen Sittlichkeit aus dem Geist der Wissenschaftslehre, welche von einem transzendenten, absolut unerkennbaren Göttlichen ausgeht, so jedoch auch jeglicher Schwärmerei abschwört. Nach Leibniz und mit ihm hat seit der Frühaufklärung eine Demokratisierung und Individualisierung der Gesellschaft stattgefunden, welche jedermann die nötige Vernunft zubilligte, um moralisch gut handeln zu können. Die nicht mehr auf Latein, sondern in den Vulgärsprachen erscheinenden wissenschaftlichen Erkenntnisse drangen eben so weit ins Volk, daß dieses weitgehend atheistisch wurde; angesichts des wohldosierten Agnostizismus des Adels und des aufsteigenden Bürgertums, welches Religion und Sittlichkeit zu jener doppelbödigen Farce machte, als die Nietzsche sie diagnostizieren sollte, stellt das Faktum, daß Fichte nach Kant der Religion als Quelle von Sittengesetz, Wissenschaften und künstlerischer Kreativität den höchsten Rang zubilligte – trotz Atheismusstreit –, einen Anachronismus dar. Es gelingt Fichte jedoch, hiermit ein triftiges Argument zu liefern, weshalb überhaupt der Mensch sich dem Sittengesetz unterstellen soll, ohne nach einer möglichen Glückseligkeit post mortem zu schielen: Er ist es sich selbst schuldig, da er qua Vernunftwesen in seiner einmaligen Individualität Ausdruck und Träger des Einen Lebens ist, das es gilt, in Welt zu verwirklichen. Nur in der Gebundenheit an das Eine ist der Mensch wirklich frei, kann er in Freiheit erkennen und sehen: Es ist auch der Boden, von welchem aus er Wissenschaft und Kunst verwirklicht und sich vor sich und der Menschheit rechtfertigen kann. Fichte gehört zur metaphysischen Avantgarde. Um frei wirken zu können, bedürfen der Denker und der Künstler des Rechtsstaates. Der Künstler, weil in Fichtes Augen dieser die Aufgabe hat, auf die Menge zu wirken und diese zu erziehen; er kann jedoch nur 15 S. etwa WL1804 II, GA II,8; 417 f.
66
Ich und Freiheit bei Fichte
wirken, wenn seine Person ebenso geschützt ist wie sein Werk. Des Rechtsstaates bedarf auch der Denker: Zumindest ist er so vor dem Volk sicher, das ihn gerne lynchen würde, und kann er so sich einen Freiraum schaffen, in welchem es ihm möglich ist, einen Grund für das Gedeihen der Wissenschaften zu legen.16 Fichte hofft, daß die Erziehung zum äußeren Einhalten der Gesetze zu deren Verinnerlichung führe und so auf das Volk eine versittlichende Wirkung habe. Dem entsprechend sagt Fichte in der 15. Vorlesung der »Grundzüge«: »wird jedwede innere Versuchung, zur Ungerechtigkeit gegen Andre, durch das sichere Bewusstseyn dass dabei nichts, als unausbleibliche Strafe u Verlust zu erwarten sey, gleich in der Geburt erdrückt; so kommt es ganz aus der Gewohnheit eines solchen Volkes, ungerechte Gedanken sich auch nur einfallen zu lassen, oder sie in der mindesten Aeusserung zu zeigen: Alle erscheinen als tugendhaft«.17
16 Zum des gegenwärtigen Zeitalters Verhältnis des rein sittlichen Menschen zum Rechtsstaat führt Fichte in den »Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters« im 16. Kapitel aus: »Sodann der, rein dem Pflichtgebote als solchem folgende, versteht nicht, was die Pflicht überhaupt wolle. Es ist klar, dass, da er, ungeachtet dieses Nichtverstehens, doch allemal unbedingt gehorcht; da ferner auch das Pflichtgebot, selbst unverstanden, immerfort und ohne Fehl in ihm redet, in desselben Handeln durch dieses Nichtverstehen kein Unterschied gemacht werde.« (GA I,8; 380). 17 GA I,8; 366. Vgl. die Rechtslehre von 1812, GA II,13; 227: »Die rechtliche Form des Staats (...) beweist drum gar nichts für die Rechtlichkeit eines gegebnen Staats. Die einzige erweisende Bedingung ist, dass sein letzter Zweck sey die sittl. Freiheit. So findet sich das Recht wieder mit dem ganzen Systeme des Wissens verbunden, und auch in der Wirklichkeit als das, was es ist in der Idee, die faktische Bedingung der Sittlichkeit (...) Die absolute Freiheit aller muss gesichert werden durch den Staat, denn nur unter dieser Bedingung ist er ein Staat (...) Er kann es nur durch Anstalten für die Bildung aller zur Freiheit.«
1.6. Freiheit und Notwendigkeit. Grenzen der transzendentalen Freiheit Freiheit ist notwendig, auf daß der Mensch sei. Freiheit ist eine Naturnotwendigkeit des Menschseins, dessen Normativität sie erst ermöglicht. Insofern ist sie eine Tatsache des Bewusstseins, das ohne Freiheit nicht wäre. Fichte, das Verhältnis zwischen Wissen und Bewusstsein untersuchend, trägt in der GWL sein Programm wie folgt vor: »Die Wissenschaftslehre soll seyn eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes.«1 Und in seinem Schreiben an Reinhold vom 8. Januar 1800 betont Fichte: »Mein System ist vom Anfange bis zu Ende nur eine Analyse des Begriffs der Freiheit und es kann in ihm diesem nicht widersprochen werden, indem gar kein anderes Ingrediens hineinkommt.«2 So ließe sich sagen, dass in der Wissenschaftslehre die Freiheit zu sich selbst kommt. Kein Bewusstsein ohne Wissen = Kein Bewusstsein ohne Freiheit, woraus sich ergibt: Wissen = Freiheit. Denn um als Freie handeln zu können, müssen wir um uns und Welt wissen. Doch in eben dem Akt, in welchem der Mensch seiner Freiheit sich vergewissert, stößt er auch auf deren Grenzen, da diese Grenzen erst sie ermöglichen. Er kann nicht alles tun und lassen, was ihm in den Sinn kommt, denn seine natürlichen Begabungen sind begrenzt und manche Tätigkeitsfelder sind schon von anderen Vernunftwesen besetzt, welche ihren Tätigkeitsradius angesichts eines neuen Ich vielleicht zu begrenzen, nicht jedoch aufzuheben bereit sind. So sind die Aktionsmöglichkeiten des Ich stets auch begrenzt durch das Nicht-Ich. Die Aufforderung zu eigenem Tun durch ein Vernunftwesen, muss stets schon sich im Kreis des für das aufgeforderte Ich Möglichen sich bewegen: den möglichen Handlungen sind schon dadurch Limiten gesetzt, dass der Aufgeforderte Person und 1 2
GA I,2; 365. GA III, 4; 182.
Ich und Freiheit bei Fichte
68
Tätigkeit des Auffordernden zu respektieren hat. Auch sind die Gesetze der Natur eine immanente Grenze eines beliebig freien Handelns des Menschen. Im Akt des erstmals bewusst vernünftig Handelns bin ich mir der Vernunft des auffordernden Nicht-Ich ebenso bewusst wie derjenigen des eigenen Tuns und des Faktums, dass es weitere Vernunftwesen gibt, die sich auf Grund ihres artikulierten Leibes und der von ihnen erstellten und daher zu respektierenden Kunstprodukte erkennen lassen. Der frühe Fichte führt aus: »Die Natur bildet Jeden nur einseitig, aber sie bildete dennoch in allen Punkten, in denen sie sich mit vernünftigen Wesen berührte. Die Vernunft vereinigt diese Punkte, bietet der Natur eine fest zusammengedrängte und ausgedehnte Seite dar, und nöthigt dieselbe, wenigstens das Geschlecht in allen seinen einzelnen Anlagen auszubilden, da sie das Individuum so nicht bilden wollte.«3 Sie wird sorgen, dass jedes Individuum mittelbar aus den Händen der Gesellschaft die ganze vollständige Bildung erhalte, die es unmittelbar der Natur nicht abgewinnen konnte.«4 Jeder soll nach seinen Anlagen dort für sein und der Gesellschaft Wohl wirken, wo seine ihm ganz spezifische Begabung liegt, so daß er auch nach Möglichkeit für diejenigen keine Beschwernis bedeutet, die einzelne Anlagen mit ihm gemein haben: »In der Wahl (...) eines Standes – KVT) beschließe ich doch von nun an, auf gewiße Veranlassungen, die mir die Natur etwa geben möchte, gar keine Rücksicht zu nehmen, um alle meine Kräfte und alle Begünstigungen der Natur zur Entwickelung einer einzigen oder auch mehrerer bestimmter Fertigkeiten ausschließend anzuwenden: und durch die besondere Fertigkeit, zu deren Entwickelung ich mich durch freie Wahl widme, wird mein Stand bestimmt.«5 Die Wahl des Berufsstandes soll mit Freiheit geschehen, so daß, indem ich für das Gemeinwohl wirke, ich in eins derjenigen Tätigkeit nachgehen kann, die mich erfüllt und befriedigt. Der Mensch bedarf der Einsamkeit wie der Geselligkeit, aber die Einsamkeit ist nicht möglich ohne Geselligkeit, die erst ihn bildet, und sie ist nie über längere Zeit und ohne Geselligkeit durchführbar. So hebt Fichte denn in seiner »Grundlage des Naturrechts« hervor: »sollen überhaupt Menschen seyn, so müssen mehrere seyn.« Denn es gilt: »Der Mensch (...) wird nur unter Menschen ein Mensch.«6 Der zur Vernunft Auffordernde darf nicht das einzige dem Aufgeforderten bekannte Vernunftwesen sein: Dies ergäbe ein Abhängigkeitsverhältnis nach dem Bild Robinson Crusoe – Freitag. So entwickelt Fichte das 3 4 5 6
GA I,3; 45. GA I,3; 45. GA I,3; 46 f. GA I,3; 347.
Ich und Freiheit bei Fichte
69
»Dreikörpermodell«, wonach es ausreichend ist, dass nur ein leibhaftiges Vernunftwesen auf den Zögling unmittelbar einwirkt, andererseits der Zögling auf ein Kunstprodukt stößt: »Es kann auch lediglich eingewirkt seyn auf die Natur; und ich kann dennoch aus der blossen Weise der Einwirkung schliessen auf das Daseyn eines vernünftigen Wesens ausser mir.«7 Ein Kunstprodukt ist stets eine Freiheitsäußerung: Zerstören wir willkürlich das Werk eines Handwerkers oder Künstlers, so vernichten wir ihn gleichsam in seiner Individualität. Daran, dass der Andere das Kunstprodukt respektiert, erkenne ich sowohl den Ersteller wie den Adressaten als Vernunftwesen.8 Wobei Vernunft wieder einmal in die Nähe der Liebe rückt. Der Mensch, auf seine nackte Existenz zurückgeworfen, ist absolut ohnmächtig; die Natur hat ihn mit keinerlei natürlicher Waffe oder Habe ausgestattet, an die sein Denken anknüpfen könnte; der Mensch ist wesensgemäß auf – noch so minimes – Eigentum angewiesen. Wir drücken dies so aus, daß erst das Vorhandensein von Eigentum den Menschen zur »Person,« ausführlicher zur »Rechtsperson« macht. So begründet Fichte 7 GA I,3; 203. Ebenso SSL, (GA I,5; 203). 8 SSL 1798: »Meine Selbstbestimmung ist ohne mein Zuthun vorhanden, kann bloss das heissen: sie ist als ein Begriff vorhanden; oder kurz, ich bin dazu aufgefodert. So gewiss ich diese Auffoderung verstehe, so gewiss denke ich meine Selbstbestimmung, als etwas in jener Auffoderung gegebenes; und werde in dem Begriffe dieser Auffoderung mir selbst als frei gegeben (...) So gewiss ich diese Auffoderung begreife, so gewiss schreibe ich mir zu eine bestimmte Sphäre für meine Freiheit; es folgt nicht, dass ich sie gerade gebrauche, und ausfülle. Begreife ich es nicht: so entsteht kein Bewusstseyn, ich finde mich noch nicht, sondern finde mich eben zu einer andern Zeit, ohnerachtet alle Bedingungen dieses Findens da sind: denn eben darum, weil ich frei bin, werde ich durch alle diese Bedingungen nicht genöthigt zur Reflexion, sondern reflectire dennoch mit absoluter Spontaneität (...) Ich kann diese Auffoderung zur Selbstthätigkeit nicht begreifen, ohne sie einem wirklichen Wesen ausser mir zuzuschreiben, das mir einen Begriff, eben von der gefoderten Handlung, mittheilen wollte; das sonach des Begriffs vom Begriffe fähig ist; ein solches aber ist ein vernünftiges, ein sich selbst als Ich setzendes Wesen, also ein Ich (...) Es ist Bedingung des Selbstbewusstseyns, der Ichheit, ein wirkliches vernünftiges Wesen ausser sich anzunehmen (...) Es lässt sich also streng a priori erweisen, dass ein vernünftiges Wesen nicht im isolirten Zustande vernünftig wird, sondern dass wenigstens Ein Individuum ausser ihm angenommen werden muss, welches dasselbe zur Freiheit erhebe (...) Aber es ist gar nicht nothwendig, dass unmittelbar eingewirkt sey, auf mich. Es kann auch lediglich eingewirkt seyn auf die Natur: und ich kann dennoch aus der blossen Weise der Einwirkung schliessen aus das Daseyn eines vernünftigen Wesens; nachdem ich nun einmal den Begriff von wirklichen vernünftigen Wesen ausser mir habe. Ursprünglich würde es nicht möglich seyn, auf diese Weise zu folgern. Diese Einwirkung auf die blosse Natur ist diejenige, durch welche ein Kunstprodukt zu Stande kommt. Ein solches zeigt einen Begriff des Begriffs; welcher oben als das Kriterium einer Vernunft ausser mir angegeben worden.« (GA I,5; 199-203).Vgl. WLnm, GA IV,2; 180.
70
Ich und Freiheit bei Fichte
die Notwendigkeit von Eigentum nicht nur aus dem Interesse des Einzelnen an einer Sphäre, auf deren Konstanz bei seinem Handeln er sich verlassen kann, sondern auch aus dem Phänomen der Interpersonalität: »es ist Pflicht eines jeden, sich ein Eigenthum zu erwerben: denn es ist Pflicht für ihn, frei zu handeln: aber er kann dies nicht, ohne unablässig im Zweifel zu bleiben, ob er nicht die Freiheit der andern störe, wenn er nicht ein Eigenthum hat.«9 Unter Eigentum ist hier auch eine eigene Wirkungssphäre zu verstehen.10 Handeln, die Zustände in der Welt und damit in sich verändern zu wollen, setzt Hilfsmittel, also Eigentum voraus, und Eigentum ist die materielle Basis der Freiheit. Denn wenn auch die transzendentale Freiheit im moralischen ordo als Offenbarung der Gottheit gründet, beim späteren Fichte im Einen Leben, welches im Endzweck als Bilde der Gottheit wurzelt, so ist ihre empirische Basis doch die Materie: wer zuwenig oder kein Eigentum besitzt, ist materiell gezwungen, in das Eigentum und so die Freiheit Anderer ein- und überzugreifen. Grenzen der menschlichen Freiheit können sowohl innerliche wie äußerliche sein: Die äußeren Grenzen werden dargestellt durch die Naturgesetze und die mathematischen Gesetze und die dadurch bedingten notwendigen Wahrheiten sowie innert Grenzen durch die Tatsachen der Geschichte; die innerlichen Grenzen sind das Faktum, dass auch der Mensch Natur ist und ist vor allem das moralische Gesetz, das Gewissen, das wir in jedem Menschen, insofern dieser als Mensch anerkannt zu werden beansprucht, voraussetzen.11 Das Gewissen ist ebenso Möglichkeit wie Grenze der Freiheit und beim Gros der Menschen nicht vorhanden. Soweit der Mensch Natur ist, teilt er in der Sicht Fichtes mit aller Natur die »vis inertiae«.12 Fichte sieht in der Trägheit und der Denkfaulheit die Wurzel allen Übels: »Wir setzen sonach eine ursprüngliche Trägheit zur Reflexion, und, was daraus folgt, zum Handeln nach dieser Reflexion voraus. – Dies wäre sonach ein wahres positives radikales Uebel.«13 Zweifellos trifft Fichte mit der Rolle, die er der Trägheit zuschreibt, nicht 9 SSL, GA I,5; 260. 10 GA I,3; 353: »Ich setze mich im Gegensatze von C. als Individuum lediglich dadurch, daß ich mir ausschliessend eine Sphäre für meine freie Wahl zuschreibe, die ich ihm abspreche, nach dem Begriffe der Individualität überhaupt.« Vgl. auch GA I,3; 35 f. 11 Vgl. GA I,5; 211: Streiten ich und ein anderer über das Richtige, so soll jeder »schlechthin nach seiner Ueberzeugung handeln, und darin besteht die formale Bedingung aller Sittlichkeit.« Da die Vernunft Eine ist, wird schliesslich eine Einigung sich ergeben. 12 GA I,5; 183 13 GA I,5; 182. Vgl. Marco Ivaldo: Libertà e ragione, S. 210: »Questa forza di inerzia è la matrice dei vizi fondamentali: pigrizia, viltà, falsità, che si svolgono l’uno dall’altro e si alimentano reciprocamente.«
Ich und Freiheit bei Fichte
71
das radikal Böse, wie es die Romantik als das satanische, die Psychoanalyse als das Krankhafte und den verschiedenen Formen des Irrsinns entspringend begreift. Doch trifft er das, was Hannah Arendt im 20. Jahrhundert als die Banalität des Bösen erkennen musste: Mitläufertum, Denkfaulheit, Phantasielosigkeit, feige Anpassung, den faulen Kompromiss.14 So manchem Nazi-Mitläufer wäre Fichtes Intransigenz ins Stammbuch zu schreiben gewesen: »Wer auf Autorität hin handelt, handelt sonach nothwendig gewissenlos.«15 Noch immer dünken uns die aus Kants Boden gewachsenen Einsichten richtig: »Ehe es nun aber zum Handeln kommt, ist jedermann durch das Gewissen verbunden (...) selbst zu urtheilen: die letzten Folgerungen, die unmittelbar sein Handeln bestimmen, schlechterdings selbst zu ziehen.«16 Der alles entschuldigende Befehlsnotstand ist bei Fichte so wenig entschuldigt wie bei Kant.17 Fichte spricht in anderem Zusammenhang vom menschlichen Trieb zur Selbsttätigkeit: dieser kann aus einer ursprünglichen Bosheit heraus, aus Neid, Unfähigkeit und Niedertracht pervertieren zur Lust am Bösen um seiner selbst willen: Spricht Franz Bader von einem prädeliberativen Willen, so lässt ein solcher Wille – oft wohl fußend im Gefühl persönlichen Unvermögens und der Feigheit – auch als Wille zur Niedertracht und Selbstwahl zum Bösen sich festmachen. Im »SSL« von 1798 nimmt bei oberflächlicher Betrachtung Fichte einen anderen Standpunkt ein: »Was im Ich, von dem Punkte an, da es ein Ich wurde, und nur wirklich ein Ich bleibt, vorkommen werde, ist nicht vorher bestimmt, und ist schlechterdings unbestimmbar. Es giebt kein Gesetz, nach welchem freie Selbstbestimmungen erfolgten, und sich vorhersehen liessen; (...) Eine Naturreihe ist stetig. Jedes Glied in derselben wirkt ganz, was es kann. Eine Reihe von Freiheitsbestimmungen besteht aus Sprüngen, und geht gleichsam ruckweise. (...) In einer Naturreihe lässt sich jedes Glied erklären. In einer Rei14 Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München 1997. 15 GA I,5; 163. Vielleicht auch ist die Masse der Mitläufer in ihrem Opportunismus und ihrer Feifgheit verwerflicher als die wenigen eigentlichen Täter; denn die Mitläufer erst geben den Diktatoren die Macht. 16 GA I,5; 163 17 I. Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, Werkausgabe Bd. IX, S. 53ff (A 481), Frankfurt a. M. 1968: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.« Das Leben ist die Voraussetzung aller Güter, doch »das Leben ist der Güter höchstes nicht«; wo es nur erkauft werden kann durch Mord und Verbrechen, wird es wertlos.
72
Ich und Freiheit bei Fichte he von Freiheitsbestimmungen lässt keines sich erklären; denn jedes ist ein erstes und absolutes.«18
Daß aber mein Ich eine Reihe von Freiheitsbestimmungen sei, setzt einen ursprünglichen Entschluss zur Freiheit voraus. Und wie der Embryo schon seinen Charakter wählt, schildert schön in seinem »Sinnnenbewusstsein« Rudolf zu Lippe.19 Daß äußere Begebenheiten eine Grundeinstellung umwerfen können, sei damit nicht geleugnet und gründet im Wesen menschlicher Freiheit, wie Jean-Paul Sartre es gezeichnet und mitunter überzeichnet hat.20 Der Naturtrieb ist in seinem Streben gehemmt: Er kann nur über die Reflexivität des Fühlens ins Bewusstsein gelangen21, wobei oft mehrere im Triebsystem wurzelnde Gefühle um die Vorherrschaft streiten. Es ist Sache der Intelligenz als Einbildungs- und Urteilskraft zu entscheiden, welchem Trieb sie den Vorrang geben, welchen sie zwecks späteren Genusses oder um des dem Gewissen entsprechenden Handelns willen in seiner Befriedigung hintan setzen will. Mancher wird in der Sicht Fichtes sich zur Befriedigung jenes unmittelbaren Triebes entschließen, welcher am ehesten vor dem Sittengesetz Bestand hat, so dass der Mensch in eins nicht absolut unsittlich und doch dem Naturtrieb gemäß handelt. Was wir als bürgerliche Wohlanständigkeit zu bezeichnen pflegen.22 Nur der rein moralisch Handelnde handelt nach seinem Gefühl des Richtigen und so nach seinem Gewissen als absolutem Gebot. Zwischen dem Streben des Triebes und dem Sehnen des idealiter handelnden Wollens verläuft eine klare Trennungslinie. Denn der Trieb hat »als solcher im geistigen Wesen keine Kausalität.«23 Indem er über das Gefühl ins Bewusstsein dringt, bemächtigt sich seiner die Freiheit. – Es ist die Freiheit, die entscheidet, ob ich der Forderung des reinen Triebes, 18 GA I,5; 128 f. 19 R. zur Lippe: Sinnenbewusstsein, Hohengehren 2000, Bd. I, S. 183ff. Vgl. Das Tibetanische Totenbuch, hrsg. von W. Y. Evans – Wentz, Olten/Freiburg/Br. 1971. Vorgeburtlich wählt sich die Tochter den Vater, der Sohn die Mutter. 20 Vgl. J. P. Sartres Drama »Le diable et le bon Dieu«. 21 Angelica Baum: Selbstgefühl und reflektierte Neigung. Ethik und Aesthetik Ästhetik bei Shaftesbury. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 158f. 22 SSL, GA I,5; 13 ff.: »Mit dem reinen Triebe verhält es sich ganz anders. Er ist ein Trieb zur Thätigkeit, um der Thätigkeit willen (...). Es findet sonach hier gar nicht ein bloßes Gefühl des Triebes statt, wie oben, sondern eine Anschauung. Der reine Trieb kommt nicht vor als eine Affection; das Ich wird nicht getrieben, sondern es treibt sich selbst, und schaut sich an in diesem Treiben seiner selbst; und insofern wird hier von einem Triebe gesprochen. (...) Er ist ein absolutes Fodern. Er tritt (...) stärker hervor im Bewusstseyn, weil er nicht auf ein bloßes Gefühl, sondern auf eine Anschauung sich gründet.« 23 GA I,5; 129.
Ich und Freiheit bei Fichte
73
meiner Einsicht gemäß selbsttätig zu handeln, folge, oder ob die Neigung, dem Sehnen des Naturtriebes zu folgen, stärker ist.24 Es ist eine Frage der Selbstachtung zu wissen, daß man qua Natur die mannigfaltigsten Triebe hat, ihnen aber nicht unterworfen ist, sondern imstande ist, der Forderung des reinen Triebs gemäß das vor sich, Gott und den Menschen Richtige zu tun. Dies ist nicht möglich gegen die eigene Natur; jedoch können wir immer an Triebe, Tendenzen, Neigungen anknüpfen, welche dem Sittengesetz gemäß sind und so unsere Freiheit in sich tragen. Der späte Fichte sieht die Freiheit in der Reflexibilität: Ich kann nicht alles wollen, was ich denke, aber ich muss alles denken, was ich kann. Es ist die Reflexibilität, welche das untere Begehrungsvermögen des Triebes vom oberen des Willens trennt, in eins über die Einbildungskraft sie vereinigt. Über das sich Fühlen des Gefühls kommt der Trieb als Sehnen dem Ich ins Bewusstsein. Da stets mehrere Triebe und mehreres Gefühltes ist, muss die Reflexion und die Urteilskraft hier einsetzen, um den Zweckbegriff des bewusst Erstrebten zu bilden. Der menschliche Naturtrieb zwingt nicht, aber er ist ein ständiger Appell an das Reflexionsvermögen und die Freiheit, sich vom rein äußerlichen Wahrnehmen abzuwenden und statt deßen konzentriert zu denken und in eins zu wollen, und d.h. geistiges Leben zu verwirklichen. Denn der reine Trieb, der uns zur Selbsttätigkeit drängt, ist die Stimme des Einen Lebens in uns. In ihm äußert sich das ursprüngliche Sollen, der Anstoß zu einem Denken, welches vor dem Gefühl des Gewissens so weit zu bestehen vermag, dass wir handeln können in voller Kenntnis von uns und Welt, dessen also, was wir tun – unsere Natur nach außen – , und dessen, worauf wir handeln, die äußere Natur: »Der Mensch muss um des Gewissens willen selbst urtheilen, das Urtheil an sein eigenes Gefühl halten, ausserdem handelt er unmoralisch und gewissenslos.«25 Die Selbstachtung fordert, dem reinen Trieb nach Selbsttätigkeit zu folgen. Denn im sittlichen Menschen, in welchem das Eine Leben sich offenbart und im künstlerischen Genie sind Leidenschaft und reiner Trieb eins, siegt im Wogen der Emotionen letztlich stets der als künstlerisches Gewissen sich äußernde reine Trieb. Wenn wir nicht aus dem ersten Impuls heraus handeln, sondern diesen als Anstoß zur Reflexion nehmen, entspricht unserer äußeren, stets zu verteidigenden Freiheit auch die innere Freiheit, das Wissen, das uns Jesus Christus brachte und das Moses schon den Kindern Israels offenbart hatte, nämlich, dass wir gotttunmittelbar sind, verantwortlich einzig unserem Gewissen und Gott. So 24 Vgl. GA I,5; 136 ff. 25 Vgl. GA I,5; 162 ff., insb. S. 164.
Ich und Freiheit bei Fichte
74
sieht denn auch Fichte in Jesus den göttlichen Menschen schlechthin: »Allerdings ist die Einsicht, in die absolute Einheit des menschlichen Daseyns mit dem göttlichen, die tiefste Erkenntnis, welche der Mensch erschwingen kann. Sie ist vor Jesus nirgends vorhanden gewesen: sie ist ja auch seit seiner Zeit (...) wenigstens in der profanen Erkenntnis wieder so gut als ausgerottet, und verloren. Jesus aber hat sie offenbar gehabt; wie wir sobald wir nur selbst sie haben, – wäre es auch nur im Evangelium Johannis, unwidersprechlich finden werden.«26 Das Denken soll theoretisierend alle Möglichkeiten durchexerzieren, soll anknüpfen auch an die dunkelsten, verborgensten Triebe, sie ans Licht holen und auf die Konsequenzen der Erfüllung ihres Sehnens prüfen; es soll vor nichts Halt machen, jede Höhle erforschen, in jeglichen Abgrund starren; erst wenn das Ich um alle Möglichkeiten weiß, kann es aus der Unerbittlichkeit des Gewissens zur Reinheit und Unschuld des Handelns finden. Wahre Sittlichkeit setzt voraus die Weite der Reflexion und die Geburtswehen des Schaffens. So formulierte denn auch Fichte: »Das Denken gehe seinen eigenen Weg, unabhängig vom Gewissen, streng fort. Die entgegengesetzte Gesinnung ist Feigheit.«27 Erst wo der Mensch seine Natur in alle ihre Schlupfwinkel schöpferisch verfolgt hat, wird er Geist in der Integration der Natur in die Sittlichkeit. Die eigenen Gründe und Abgründe sind zu verfolgen und zu ertasten; der Mut erst zur eigenen Wüste ermöglicht deren Befruchtung durch die Wahl der sittlichen Tat und die Erschaffung des Werkes: sie sind die menschenmögliche »creatio ex nihilo.« Frei ist in seiner Fragilität letztlich bloß das künstlerische, theoretische und philosophische Genie. Es sind die wenigen Einzelnen, die auch in der modernen Massendemokratie noch die Standarte mit »Gott, Ehre und Freiheit« halten. Nur transnationale, unterschiedliche sich die Waage haltende Oligarchien werden in einer nahen Zukunft die Schöpfung noch vor dem Nichts zu bewahren wissen. Den Massen wäre nach den Gesetzen des Utilitarismus das größtmögliche materielle Wohlergehen zuzubilligen. Das Genie bedarf absolut der Freiheit, denn es ist die verändernde Tat. Für sein stärkeres Sein gilt in erhöhtem Masse das Statement Fichtes: »Reflectirendes und reflectirtes Ich sind vereinigt, und stellen eine einzige unzertrennbare Person dar. Das reflectirte bringt die reelle Kraft, das reflectirende bringt das Bewusstseyn in die Person. Sie kann von nun an nichts thun, ohne mit Begriffen und nach Begriffen.«28 26 AsL, GA I,9; 121. 27 GA I,5; 162. 28 GA I,5; 128.
Ich und Freiheit bei Fichte
75
Ein stärkeres Sein des schaffenden Menschen verlangt auch ein stärkeres, vitaleres Triebsystem, das formt und geformt wird durch ein stärkeres, sensibleres Bewusstsein und sich so Wollen, wie das Werk es erfordert, und so den bei reinen Vernunftmenschen weitgehend fehlenden Formtrieb. Der Trieb gibt dem sollenden Ich die Kraft des Wollens, wo es darum geht, die eigenen Gesichte in die natürliche Welt einzubilden. Das Kunstwerk im e. S. entsteht durch das Zusammenspiel aller Vermögen im Ausdruckszwang, der den Schaffenden in die Freiheit drängt. Ganz allgemein ist das erste, worauf das Vernunftwesen reflektiert, der eigene Trieb. Nur soweit kommt dem Ich qua natürlichem Triebwesen Realität zu, als es sich im Begriff erfaßt und in Freiheit reflektiert. Es befreit sich zur Frage nach dem eigenen Wollen in dem an es ergehenden Aufruf: Versteht es ihn, so wird es nach dem eigenen Zweckbegriff handeln, so daß nunmehr ideales und reales Handeln eins sind. Denn der an es ergehende Aufruf ist eine »Aufforderung des Subjekts zum Handeln«: es soll sich zu einer vernunftgebundenen Wirksamkeit entschließen; thematisiert ist mit dem Aufruf »ein Bestimmtseyn des Subjekts zur Selbstbestimmung.«29 Nur im Wollen erhält das Denken Realität, nur in einem Denken kann der Trieb zu einem realen Etwas wollen, zu einem Zweckbegriff werden. Daß ein Erkennen der Dinge möglich ist, verdankt sich dem Wollen und der Sozialisation des Subjekts. Wahrnehmung und Einbildungskraft gehen auf das im Triebe vage Ersehnte und schaffen dem Wollen ein zu Erstrebendes, welches das Denken in den Begriff fasst. Will das Denken die Dinge in ihrer Besonderheit und ideellen Zweckmäßigkeit (also über die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung hinaus) erkennen, so darf das Wollen kein Willkürwollen, sondern muß es an das Soll gebunden sein: nur aus dem im Einen Leben wurzelnden Soll heraus – oder um frühen und späten Fichte zu berücksichtigen: vom Endzweck her – lässt sich die Wirklichkeit der Dinge erkennen und ihr innerer Zusammenhang. Sich selbst wollen und darum wollen, weil man das dem eigenen Leben zugrunde liegende Soll erkannt und angenommen hat und eben dies das Eine Leben im Ich ausdrückende Soll auch will, ist die höchste Form der Freiheit. Erkenntnis und gesollter Wille sind eins.30 29 GA I,3; 342. 30 Vgl. Die Wissenschaftslehre in ihrem allgemeinen Umriss (WLU) 1810 hrsg. von G. Schulte, Frankfurt a.M. 1976, §13, insb. S. 38 (708): »Und so ist denn der Wille derjenige Punct, in welchem Intelligiren und Anschauen oder Realität sich innig durchdringen (...) In ihm ist das Vermögen vollständig erschöpft, und das Schema des göttlichen Lebens zur Wirklichkeit erhoben.«
76
Ich und Freiheit bei Fichte
Unmittelbarste Quelle des Denkens sind die alternierenden Gefühle, welche das System der Triebe ins Bewusstsein heben oder aber auch eine das Wollen hemmende Außenwelt von objektiv Seiendem der Reflexion vergegenwärtigen. Was das offene Triebsystem des Menschen anbelangt, so wird der späte Fichte von dem an Gott seienden Urschema sprechen; denn das Urschema ist das ursprüngliche Sein – oder wo reflektiert wird, das ursprüngliche Bild – hinter dessen göttliche Kraft kein Bild und keine sich im Wandel erscheinende Erscheinung zurück kann.31 In den späten Werken Fichtes radikalisieren sich durch die Fundierung des Ich im Absoluten Einsichten, welche sich dem Denker schon in seinen frühen Werken gezeigt haben: Jedes Ich trägt in sich das Bild eines je ihm spezifischen Solls, welches ihm zum Bewusstsein kommen und von ihm angenommen werden soll: »was eigentlich hierher gehört, ist das Eine Leben als Natur in Hervorbringung von Individuen schlechthin bestimmt durch den Endzweck; es kann keine Individuen hervorbringen, ausser mit besondern sittlichen Bestimmungen (...) Es muss heraustreten in derselben Allgemeinheit, in der es in dem Einen Leben liegt. Welches ist diese Allgemeinheit und wo liegt ihre Gränze? Dass alle Individuen ohne Ausnahme irgendeine eigenthümliche sittliche Bestimmung haben, darin liegt sie.«32 Das Soll wird zum principium individuationis, wobei die Individuierung auch verfehlt werden kann: Jeder Mensch hat verschiedene Anlagen und Talente: Er muss eruieren, welche Anlagen er züchten, welche hingegen er als nicht oder nur als Hilfsmittel zu gebrauchen verkümmern lassen will.33 Indem er lernt, Wesentliches von Unwesentlichem zu scheiden, schafft er seine eigene Individualität und kommt ihm sein Soll zu Bewusstsein.34 Indem das Ich in seiner Selbstproduktion hellsichtig und wahrhaftig ist, hebt seine Individualität sich auf in seiner Vernunft: »Der Akt der Erschaffung eines ewigen und heiligen Willens in sich ist der Akt der Sicherschaffung des Individuum zur unmittelbaren Sichtbarkeit des Endzwecks, und so der sein eigenthümliches inneres Leben durchaus beschliessende Akt. Von nun an lebet es selbst nicht mehr, sondern in ihm lebet, wie es eben seyn sollte, der Endzweck.«35 31 WL 1811: GA II,12; 184. WL 1812: GA II,13; 62 – S. hier auch die Darstellung des Schematismus. 32 TdB 1810/11, GA II,12; 119. 33 Goethe sieht seine Figuren malerisch. Aber daß er der Dichter wurde, der er war und nicht ein mittelmässiger Maler, ist sein Verdienst. Ebenso ist es Klees Verdienst, daß er ein musikalischer Maler und nicht Geiger unter Geigern wurde. 34 Im übrigen Übrigen wird auf diese Stelle noch im Zusammenhang mit der prästabilierten Harmonie zurückzukommen sein. 35 TdB1810/11: GA II,12; 124.
1.7. Das handelnde und erkennende Individuum Im Vernehmen des Aufrufs (der Erziehung) setzt das Vernunftwesen – wo es nicht durch Überhören widerstrebt – sich nicht nur als ein Wollen und Denken, sondern auch als Vernunftwesen und Individuum, die in einem Individuum konzentrierte Vernunft: Es ist jenes Wesen, das aus freier Wahl und Überlegung eben diesen bestimmten Zweckbegriff sich setzt, durch welchen es sich individuiert und von anderen Vernunftwesen unterscheidet. Das Ich kann nicht als Vernunftwesen sich setzen, ohne als Individuum sich zu setzen, und es fehlt ihm die Würde des Individuums, wo es sich nicht als Vernunftwesen setzt. Hatte es bis zum Aufruf und dessen Verstehen von Fall zu Fall rein empirisch gehandelt, so vollzieht es nunmehr im Setzen seiner und des Gewollten einen reflexiven Freiheitsakt, indem es sich setzt als sich setzend. Da es einmal gewählt hat und bewusst gewählt hat, hat es sich schon einen Weg zu künftigem Wählen vorgezeichnet und ist es von nun an frei und zugleich individuiert: X ist nunmehr derjenige, der zum Zeitpunkt t1 Y und nicht –Y gewählt hat. Daß sich ihm im Verlauf seines Lebens in jener Urwahl ausgeschlossene neue Möglichkeiten eröffnen können, liegt an der Begegnung mit Alter, die, wie Reinhard Lauth ausführt, eine Andetermination zu einem bestimmten Handeln bedeuten kann.1
1 Vgl. etwa Reinhard Lauth: Das Problem der Interpersonalität bei J. G. Fichte in »Transzendentale Entwicklungslinien, S. 180-195: »Das bedeutet aber nicht weniger, als daß wir alle als Individuen nmur durch wechselseitige (frei-setzende) freie Setzung einer (frei-setzenden) freien Setzung sind. Ich muß dem anderen eine Sphäre der Wählbarkeit freigeben, in der sein Wollen für mich unverfügbar wird (nicht-für-ihn-handeln-Können), aber so, daß ich selbst frei
78
Ich und Freiheit bei Fichte
Das Ich soll frei sein in einer Freiheit, die sich ihrer und ihrer Macht und Ohnmacht bewusst ist, und die an sich festhält, da nur so sie sich zu einem Vehikel des Sittengesetzes bilden kann. Es ist notwendig verantwortlich geworden, denn der ursprüngliche Akt des Reflektierens lässt sich nicht mehr aufheben. So wird der späte Fichte das Vernunftwesen sehen als in seiner Freiheit gesetzt durch die Reflexivität. Der späte Fichte wird die Reflexibilität und das Schematisieren zum Prinzip des Vernunftwesens deklarieren; in seiner Frühzeit fasst Fichte die Freiheit, die in ihrem Wesen ja stets Wahlfreiheit ist, im Wollen. Denn in meinem Zweckbegriff, meinem Wünschen und Wollen sehe ich mich selbst durch mein Wirken als ein bestimmtes, sich bestimmendes, Ich bestimmt. Dieses mein bestimmtes Ich kann als bestimmendes ich nur umfassen über das von mir Gewollte, das mein Bewusstsein erfüllt. Denn nur über das Objekt, mit dem es sich synthetisiert, kann das Bewusstsein sich erfassen.2 In der WLnm unternimmt Fichte einen weiteren Versuch zu demonstrieren, wie das Ich entsteht aus dem Idealen des Denkens und dem Realen der Einbildungskraft: Das Denken bestimmt sich zur Individualität, indem es sich zur Bestimmung eines Objekts bestimmt und so sich versinnlicht. Zugleich erblickt mich die Einbildungskraft in diesem Akt der Individualisierung und setzt mich als bestimmte Intelligenz, welche sich hinschaut im Akt ihres durch Denken das Objekt Bestimmen.3 Nur dann haben meine Freiheit und mein Denken Wert, wenn sie mir Werkzeug und Vehikel des Sittengesetzes in und außer mir sind. In aktiver Wechselwirkung soll ich an der eigenen und fremden Vervollkommnung arbeiten, und zwar in größtmöglicher Selbstlosigkeit und Liebe: »Der Wille des moralisch guten Menschen ist der Wille des Sittengesetzes selbst. Nur will dieses die Moralität aller vernünftigen Wesen: sonach muss der moralisch Gute dasselbe wollen.«4 Zwar kommen uns die Gedanken auf Taubenfüßen, insofern wir horchen; aber wir können unkonzentriertem und unerwünschtem Denken mich zurückhalte von einer Totalverfügung über seine Freiheit, weil ich (sittlich) nicht über ihn verfügen soll.« Hier S. 191. 2 WLnm, GA IV,2; 223. 3 Vgl. WLnm, GA IV,2; 226. S. GWL, GA I,2; 382: »Wenn alles Objektive aufgehoben wird, bleibt wenigstens das sich selbst bestimmende, und durch sich selbst bestimmte, das Ich, oder das Subjekt übrig.« Dieses Subjekt vermag aber nur insofern zu denken und sich eine Objektwelt zu konstruieren, als es will, sich selbst will und, indem es sich will, eine Welt will. Nur im sich wollen erkennt sich das Denken und erkennt es sich als das Denken eines bestimmten Selbst. 4 GA I,5; 276. Im SSL wie schon früher in der Bestimmung des Gelehrten formuliert Fichte, dass jeder von seinem Ort aus wirken, sich und andere aus Freiheit vervollkommnen soll. So entsteht »die Gemeine vernünftiger Wesen.« (GA I,5; 300).
Ich und Freiheit bei Fichte
79
und Wissen weitgehend uns verschließen, so daß unsere Gedanken – in einem Akt der Konzentration – unser Wille sind. Wir lernen über uns, indem wir unser Denken beobachten; aber um das Denkmögliche bewusst auszuloten, bedürfen wir des Willens. Es ist unser vernünftiger Wille, der entscheidet, was von unserem Denken wir unserer Individualität zuschreiben und für uns gelten lassen wollen und was bloß Experiment oder Fremdes ist.5 Um uns nach dem uns vorschwebenden Bilde zu formen und uns unseren je eigenen Charakter zu geben, bedürfen wir der Bildung. Günter Zöller konstatiert: »Für Fichte hat die theoretische Bestimmung des Gegenstandes die Möglichkeit praktischer Selbstbestimmung zur Voraussetzung. Allerdings gilt auch, wie oben ausgeführt, das umgekehrte Bedingungsverhältnis: Nur unter Vorgabe eines in idealer Tätigkeit vorgestellten Zwecks kann der Wille als Vermögen der freien Wahl tätig werden.«6 Es ist unsere Fähigkeit, uns nach einem in uns eingebildeten sittlichen Soll zu bilden, die uns unsere Sicht auf die Welt der Gegenstände prägt. Umgekehrt bedürfen wir der Weltkenntnis, um zu einer freien und vernünftigen Willensbildung fähig zu sein. Bildung ist Pflicht wie Freiheit Pflicht ist, auf daß sittliches Handeln und Orientierung in Welt möglich sei.7 Fichte ist stets sich bewusst, daß wir je in Gesellschaft, in einer bestimmten Kultur leben, was heißt, dass wir bei der Ausbildung unserer Anlagen nicht beim Nullpunkt anzufangen brauchen: »daher wählt mit Recht jedes Individuum in der Gesellschaft sich seinen bestimmten Zweig von der allgemeinen Ausbildung, überläßt die übrigen den Mitgliedern der Gesellschaft und erwartet, daß sie an dem Vortheil ihrer Bildung ihn werden Antheil nehmen laßen, so wie er an der seinigen sie Antheil nehmen läßt.«8 – In Sätzen wie dem soeben skizzierten, zeichnet das Konzept einer 5 Vgl. Die Bestimmung des Menschen, Drittes Buch, II, GA I,6; 260: »So eben durch Nachdenken habe ich noch mehr gefunden; habe gefunden, dass lediglich ich selbst durch mich selbst meine ganze Denkweise und die bestimmte Ansicht, die ich von Wahrheit überhaupt habe, hervorbringe; indem es bei mir steht, durch Grübelei mich alles Sinnes für Wahrheit zu berauben, oder durch gläubigen Gehorsam mich derselben hinzugeben. Meine ganze Denkweise, und die Bildung, welche mein Verstand erhält, sowohl, als die Gegenstände, auf welche ich ihn richte, hängt ganz von mir ab.« 6 G. Zöller, in Fichte-Studien Bd. 7, S. 114: Bestimmung zur Selbstbestimmung. Fichtes Theorie des Willens, S. 101-118. 7 M. Ivaldo: »Libertà e ragione. L’etica di Fichte, S. 216: »È perché siamo esseri chiamati alla moralità che dobbiamo conoscere (...) Il vincolo al sapere teoretico è perciò un vincolo non estrinseco alla libertà, ma intrinseco, è una obbligazione riconosciuta per dovere, cioè è la responsabilità morale.« 8 GA I,3; 51. Reinhard Lauth weist hinsichtlich der Bestimmung des Gelehrten von 1794 darauf hin, dass bei Fichte »die Konzeption der Interpersonalität so alt wie die Konzeption
80
Ich und Freiheit bei Fichte
nach den Regeln der prästabilierten Harmonie ideal aufgebauten Gesellschaft sich ab. Doch Fichte geht, indem er das Leibnizsche Problem einer metaphysisch guten Welt der Sicht einer rein sittlich vollendeten opfert, über Leibniz hinaus, wenn er lehrt: »der lezte Zweck jedes einzelnen Menschen sowohl, als der ganzen Gesellschaft, mithin auch aller Arbeiten des Gelehrten an der Gesellschaft, ist die sittliche Veredlung des ganzen Menschen.«9 Leibniz im absoluten Staat ging noch aus von Sitte als Zucht; Fichte nach der Revolution und nach Kant geht aus von der Sittlichkeit des Republikaners. So wie Bildung und Freiheit nicht möglich sind ohne die Bildungskraft, so ist es denn auch die Einbildungskraft, welche das Denken der Vernunft mit dem individuellen Leib vereinheitlicht, dessen Kraftäußerung meinem Wollen erst Sinn gibt. Über meinen Leib erschließt sich mir die Sinnenwelt, und zwar durch die Einbildungskraft, welche das unverständlich Seiende erst hinbildet.10 Aus Fichtes Freiheitspathos ergibt sich die Prädominanz der Einbildungskraft als Welt hinbildende Bildungskraft über die übrigen Vermögen.11 Ihr verdankt sich auch die Deutung der Freiheit als Wahlfreiheit: Wollen setzt Wählenkönnen und dieses Einbildungs- und Vorstellungskraft voraus, und Fichte sieht im SSL von 1798 im Bewusstsein der Wahlfreiheit das Wesen des Menschseins überhaupt: »Zum Bewusstseyn seiner selbst kommen muss jeder, wenn er ein Mensch soll genannt werden können. Dazu gehört nichts weiter, als dass er der Freiheit in der Wahl seiner Handlungen sich bewusst werde. Dieses Bewusstseyn tritt schon dadurch ein, dass er unter dem Mannigfaltigen, welches der blosse Naturtrieb von ihm fordert, eine Auswahl treffen lernt.«12 Diese Auswahl aber erfordert Einbildungskraft als Vorstellungskraft und Phantasie, damit die Intelligenz unter den verschiedenen Triebimpulsen unterscheiden und sich mit einem der Triebe so identifizieren kann, daß nunmehr der Wille dessen Befriedigung beschließt. Kant bezeichnet in der KdrV diese Intelligenz als Ur-
des Standpunkts der Wissenschaftslehre überhaupt« ist. Vgl. R. Lauth: Das Problem der Interpersonalität bei J. G. Fichte, in TrE, S. 180-195, insb. S. 184. 9 GA I,3; 57. 10 GA IV,2; 227f. Über die Einbildungskraft wird durch das bestimmende Denken mein Leib bestimmt und mein Leib bezogen auf die Bestimmtheit der Gesamtheit der Sinnenwelt. Es ist sonach die Einbildungskraft, welche meinem Denken meinen Leib und diesem eine Sinnenwelt zuschreibt. 11 GWL: »Es wird demnach hier gelehrt, dass alle Realität – es versteht sich für uns (...) – bloss durch die Einbildungskraft hervorgebracht werde.« GA I, 2; 227. 12 GA I,5; 182
Ich und Freiheit bei Fichte
81
teilskraft.13 Aus dem reinen Wollen und Sichwollen wird so das empirische Wollen eines Objekts aus dem die Kenntnis aller anderen Objekte abgeleitet wird.14 Günter Zöller zeigt die sich aus diesem Willensbegriff ergebenden Konsequenzen auf: »Dem reinen Wollen entspricht ein veränderter Freiheitsbegriff. Wenn Freiheit ›rein gedacht‹ wird, dann handelt es sich nicht mehr um die Freiheit der Wahl zwischen alternativen Triebzielen.«15 Freiheit ist das sich bildende – einbildende, in-sich-hineinbildende – Bewusstsein. Es ist die Freiheit, mich nach dem in mir entworfenen Bild zu bilden. Ergreife ich die transzendentale Freiheit nicht, sondern lebe in einem verzerrten oder falschen Bild, reine Willkürfreiheit verwirklichend, so verstoße ich existentiell gegen das Sittengesetz und das Eine Sein oder Leben. Dieses Freiheitskonzept ist tiefer angesetzt als die Wahlfreiheit.16 Seine Sicht ist angelegt im Denken Kants17, findet wohl nicht sich im Denken von Leibniz, welches ausschließlich die Wahlfreiheit thematisiert, es sei denn, man gehe hinter die Existenzen zurück zu den ins Dasein drängenden Essenzen, ob diese in Gottes Bewusstsein sich entwerfen und so sich wählen. Doch ergibt sich angesichts der oben bezeichneten Stelle in den Nouveaux Essais die Frage, ob nicht auch Leibniz eine Verantwortung des existierenden Individuums für sein So-Sein jenseits der Prädetermination annimmt, so dass die Notion Gottes von seinem Charakter und Verhalten polyvalent wäre.18 Daß ich in jedem lebendigen Augenblick mehrere Triebe, mehrere latente Gefühle verspüre, liegt an der offenen Struktur des menschlichen Naturtriebs, der beim späten Fichte zum Urschema wird, dem Sein an Gott der ursprünglichen Lebenskraft des Vernunftwesens. Indem ich dem Ge13 Kant, KdrV: »Ein Arzt daher, ein Richter, oder ein Staatskundiger kann viel schöne pathologische, juristische oder politische Regeln im Kopf haben, in dem Grade, daß er selbst darin gründlicher Lehrer werden kann, und wird doch in der Anwendung derselben kleicht verstoßen, entweder, weil es ihm an natürlicher Urteilskraft (obgleich nicht am Verstande) mangelt, und er zwar das Allgemeine in Abstracto einsehen, aber ob ein Fall in concreto darunter gehöre, nicht unterscheiden kann, oder auch darum, weil er nicht genug durch Beispiele und wirkliche Geschäfte zu diesem Urteile abgerichtet worden.« A 133/34, B 172/73, WeischedelWerkasusgabe Bd. III, S. 185, Frankfurt/M. 1974. 14 WLnmK, S. 143. 15 G. Zöller, Fichte-Studien, loc. cit. Bd. 7, 115. 16 Vgl. WLU § 3, G. Schulte S. 27 (697). 17 Es liegt dem kategorischen Imperativ zugrunde, wonach der Wille unabhängig von der Materie des Wollens, rein durch »seine Form« ein Gesetz des Handelns ist: »handle nach Maximen eines allgemein gesetzgebenden Gliedes zu einem bloß möglichen Reiche der Zwecke, in seiner vollen Kraft, weil es kategorisch gebietend ist.« GMSGrundlage der Metaphysik der Sitten, Zweyte Auflage, Riga 1786, hrsg. von W. Weischedel, Frankfurt a.M. 1956 Bd. IV. Vgl. Rudolf Eisler: Kant-Lexikon, S. 54 f., Hildesheim/New York 1977. 18 Vgl. NE II, XXI, § 35; GV, 174. H.H. Holz Bd.III/1, S. 337ff.
82
Ich und Freiheit bei Fichte
fühl dieses oder jenes Triebes folge, andere Gefühle unterdrücke und die Befriedigung der von ihnen reflektierten Triebe verschiebe, kann ich handelnd nicht nur diesen oder jenen Aspekt von mir und Welt kennen lernen, sondern in diesem Akt auch Vorlieben entwickeln und allgemein mich dazu formen, eher diesem als jenem Trieb Folge zu leisten oder schlicht den Üblichkeiten zu folgen. Dies sah schon Leibniz als Alternative zu dem den eigenen Tendenzen und Neigungen folgen, welche mich zu jenem Verhalten bewegen, das in meiner Notion vorherbestimmt ist. Leibniz explizierte, wie man bewusst Neigungen bekämpfen und sich andere Gewohnheiten zulegen könne.19 Intensiver betonen Kant und noch nachdrücklicher nach ihm Fichte das moralische Gebot einer Bildung des eigenen Charakters. Ein empirischer Charakter als Tendenz, diesem oder jenem Naturtrieb zu folgen, pflegt sich zu entwickeln und damit stellt sich auch ein das Bewusstsein von Freiheit in der Wahrnehmung alternativer Handlungsmöglichkeiten. Doch im Bewusstsein seiner Freiheit als Wahlmöglichkeit im Beliebigen oder Willkürfreiheit stellt die Entwicklung des Gewissens als dominierenden Gefühls den Menschen vor die Notwendigkeit, sich dem Sittengesetz zu unterstellen und so die transzendentale Freiheit zu verwirklichen, indem er seinen Charakter und seine Gewohnheiten entsprechend formt: der spätere Fichte wird die Grundhaltung der Besonnenheit betonen. Kant schreibt in dieser Hinsicht: »Der Mensch, der sich eines Charakters in seiner Denkungsart bewusst ist, hat ihn nicht von der Natur, sondern muss ihn jederzeit erworben haben.«20 So stellt auch Fichte im SSL von 1798 fest: »Kein Mensch in der Welt kann anders handeln, als er handelt, ob er gleich vielleicht schlecht handelt, da er einmal dieser Mensch ist; nichts ist wahrer, und diese Behauptung ist sogar nur ein identischer Satz. Aber er sollte eben nicht dieser Mensch seyn, und könnte auch ein ganz anderer seyn; und es sollte überhaupt kein solcher Mensch in der Welt seyn.«21 19 NE II, XXI, § 35; G V, 174. H.H. Holz Bd. III/1, S. 337 ff. sowie NE II,XXI, § 67; G V, 191 f., H.H. Holz Bd. III/1, S. 288/289. 20 Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Werke in sechs Bänden, Frankfurt a. M. 1964, Bd. VI, S. 636. Kant verlangt, dass das animal rationabile aus sich ein animal rationale mache und stellt vom Menschen fest: »daß er einen Charakter hat, den er sich selbst schafft; indem er vermögend ist, sich nach seinen von ihm selbst genommenen Zwecken zu perfektionieren.«. Ebenda, S. 673. 21 GA I,5; 207. Günter Zöller hebt in Fichte-Studien Bd. 7, S. 112 zu Recht hervor: »Das letzte Ziel der menschlichen Selbständigkeitsbestrebungen ist nun, so Fichte, die Verwirklichung des reinen Ich. Das Individuum – einschließlich meiner selbst – ist demgegenüber nur ›Werkzeug und Vehikul des Sittengesetzes‹.« (Zöller Anm. 43, GA I,5; 210). Der Mensch tendiert dazu, sich selbst furchtbar ernst zu nehmen und pflegt in der Grundstruktur ein Egoist zu sein. Dem hält Fichte entgegen, dass der Einzelne qua Individuum gar nicht so wichtig ist: er ist
Ich und Freiheit bei Fichte
83
Im Akt der Selbstkonstitution interagieren Individualität und Vernunft. Die Vernunft fördert diejenigen individuellen Anlagen und Triebe, die ein Höchstmaß an Kraft und Wirken versprechen, und die ein Tätigkeitsfeld ermöglichen, in welchem nicht schon andere Vernunftwesen agieren. Das Interesse der Vernunft ist ein starkes Individuum, welches ein möglicher Konzentrationspunkt rein vernünftigen Handelns ist, indem es ausschließlich seinem Wissen und Gewissen folgt, sich dem Sittengesetz aus freier Einsicht unterstellt. Insbesondere jedoch für das Genie kann es widervernünftig sein, einer als reine ratio verstandenen Vernunft zu folgen: Das Kreative als Trieb zu einer innovativen Selbst- und Weltgestaltung kann – vom Standpunkt des gegenwärtig als vernünftig geltenden, un- oder widervernünftig sein. Doch lässt Fichte auch den Neuerer, der einer abweichenden inneren Stimme folgt, als gewissenhaft gelten. Denn das Genie trägt in sich Handlungsregeln, die über den Weg der Vernunft, den es auch gegangen sein muss, hinaus, in die absolute Freiheit nach dem inneren Gesetz führen; dies ist sein Dienst am Leben. Fichte ruft ihm zu: »bestrebe dich, das Ideal darzustellen, das vor deiner Seele schwebt, und vergiß alles andere.«22 Die Vernunft selbst ist ohnmächtig; nur in einem Individuum kann sie zu sich selbst kommen, denn nur ein Individuum kann handeln und in Welt wirken. So erklärt der späte Fichte in den Thatsachen des Bewusstseyns: »Das Leben in der Form der allgemeinen Anschauung ist durchaus keines Selbstbewusstseyns fähig. Nur in der individuellen Form, und zwar nur in der Fortsetzung derselben, kann es seiner sich bewusst werden, eben so wie es nach dem obigen nur in dieser Form practisches Princip seyn konnte. Es ist drum natürlich, dass, inwiefern das Leben Selbstbewusstseyn und practisches Princip ist, es sich durchaus nicht in seiner Einheit darstellt, sondern als eine Welt von Individuen.«23 Die Welt der reflektierenden Individuen ist das Selbstbewusstsein des Absoluten. Denn der Kreator ist absolutes Wissen und sich Wollen; doch nur, indem es sich in Welt entmachtet, kommt das Absolute zu sich selbst. Nur das Selbstbewusstsein eines Individuums kann sittliches Prinzip sein und auf sich und Welt handeln: Verantwortung ist individuell. Das Eine Leben als die reine Vernunft in allem Leben wäre ohnmächtig: Die Individuen sind die ursprüngliche Licht gewordene Macht des Absoluten: »es ist bedingt nothwendig, dass das Leben individuelle Form annehme, wenn es nemlich wichtig nur insofern, als er Möglichkeit zur Verwirklichung des Sittengesetzes und Ausdruck und Darstellung des Einen Lebens ist. 22 GA I,5; 309. 23 TdB 1810/11, GA II,12; 103.
84
Ich und Freiheit bei Fichte
handeln soll. Kein Handeln ausser in der individuellen Form, indem nur dadurch das Leben auf den Einheitspunkt, von welchem alles Handeln ausgehen muss, sich koncentrirt. Nur in der individuellen Form ist das Leben praktisches Princip.«24 Die Eine Vernunft in all ihren Spielarten in Raum und Zeit kann nur durch Individuen handeln und sich verwirklichen. Nur so ist die Mannigfaltigkeit möglicher Perspektiven, von denen aus die Vernunft auf Welt handeln mag, möglich. Das Individuum muss trachten, stets mehr das von ihm Gesollte wollend und so sich stets stärker individuierend, handelnd in sich Vernunft und so das Bild der Gottheit zu verwirklichen.
24 TdB 1810/11, GA II,12; 98 f.
2. Ich und Freiheit bei Leibniz
This page intentionally left blank
2.1. Die Seelenmonade Der Anfangsakkord von Leibnizens Monadologie lautet: »La Monade dont nous parlerons ici, n’est autre chose, qu’une substance simple, qui entre dans les composés; simple, c’est à dire, sans parties.«1 Und § 1 der »Principes de la Nature et de la Grâce fondés en raison« erläutert: »La Substance est un Etre capable d’Action (...) Monas est un mot grec, qui signifie l’unité ou ce qui est un.«2 Mit den Einführungsparagraphen dieser beiden 1714 verfassten grundlegenden Schriften zu seinem Denken schlägt Leibniz den Bogen von Aristoteles zu Descartes und Spinoza: Spinoza anerkannte bloß noch eine Substanz, nämlich Gott; Descartes hatte nebst der einen Substanz Gottes eine Zweisubstanzenlehre von Leib und Geist entwickelt, welcher nicht nur Cartesianer wie Arnauld sondern in seiner Nachfolge auch die Occasionalisten mit Malebranche anhingen, denen Leibniz näher stand als er sich eingestand.3 Leibniz variiert jedoch gegenüber den ihm vorange1 2
Mon. § 1, G VI, 607. Principes de la Nature et de la Grâce, fondés en raison, künftig zitiert als PN, G
VI, 598. 3 Leibniz bekämpft in eins Descartes und Spinoza. In einem Schreiben, von welchem Gerhardt annimmt, es sei an Molanus gerichtet, erklärt Leibniz: »Descartes même avoit l’esprit assez borné. (...) Toutes ses Meditations estoient ou trop abstraites, comme sa Metaphysique et sa Geometrie, ou trop imaginaires, comme ses principes de la philosophie naturelle.« (G IV, 297 f.). In einem Brief an Philippi vom Januar 1680 setzt Leibniz sich mit Descartes in folgenden Worten auseinander: »Mais la veritable philosophie nous doit donner une toute autre notion de la perfection de Dieu qui nous puisse servir et en physique et en morale.« (G IV, 284). Gegen Ende dieses Schreibens konstatiert Leibniz: »La physique de M. des Cartes a un grand défaut: c’est que ses règles du mouvement ou loix de la nature, qui doivent servir de fondement, sont pour la pluspart fausses.« (G IV, 286). Leibniz bekämpft Descartes mit Spinoza und Spinoza mit Descartes. Leibniz unterschiebt Spinoza die Behauptung: »justice, beauté, ordre ne sont que des choses qui se rapportent à nous, mais que la perfection de Dieu consiste dans cette amplitude de son operation en sorte que rien ne soit possible ou concevable qu’il ne produise actuellement.« Darin stimme Spinoza mit Descartes überein, und hieraus ergebe sich: »il s’ensuit qu’on ne puisse
88
Ich und Freiheit bei Leibniz
gangenen Denkern den Aristotelischen Substanzbegriff dahingehend, als Substanz bei ihm nicht das substans oder Hypokeimenon ist, welchem Akzidenzien anhängen: vielmehr besteht das Wesen der Substanz in den Akzidenzien: »Wenn man zwei Dinge in der Substanz unterscheidet, nämlich die Attribute oder Prädikate und das gemeinsame Subjekt dieser Prädikate, so ist es kein Wunder, dass man von diesem Subjekte nichts besonderes begreifen kann. Das muss ja so sein, weil man vorher alle Attribute abgetrennt hat, durch die man irgendeine Einzelheit begreifen könnte.« Leibniz verweist darauf, »dass man eine Abstraktion vornahm und das Subjekt und die Qualitäten oder Akzidentien gesondert begriff.«4 Es waren seine Untersuchungen im Bereich der Mechanik, welche Leibnizens metaphysisches Denken prägten. Joseph Moreau beschreibt, wie Leibniz über seine Untersuchungen zur Dynamik zu seinem Substanzbegriff fand, welcher als substantielle Einheiten ihn einzig die Seelen auffassen liess.5 Qua Entelechie eignet jeglicher Substanz Kraft und Tärien imaginer d’assez absurd ny d’asses bizarre en contraire à ce que nous appellons justice, qui ne soit arrivé et qui n’arrive un jour.« (G IV, S. 283). Leibniz sagt vom Gott des Cartesius: »si la verité même ne depend que de la volonté de Dieu et non pas de la nature des choses, et l’entendement estant necessairement avant la volonté (je parle de la prioritate naturae, non temporis), l’entendement de Dieu sera avant la verité des choses et par consequent n’aura pas la verité pour objet. Un tel entendement sans doute n’est rien qu’une chimèàre, et par consequent il faudra concevoir Dieu à la façon de Spinosa comme un estre qui n’a point d’entendement ny de volonté, mais qui produit tout indifferement bon ou mauvais, étant indifférent à l’égard des choses et par consequent nulle raison l’inclinent plustost à l’un qu’à l’autre.« (G IV, S. 285). 4 Nouveaux Essais sur l’entendement humain (künftig zitiert als NE), II, XXIII, § 2; G V, 202. Übersetzt von Hans Heinz Holz, Bd.III/1; 362 f./363 f. 5 J.Moreau: L’univers Leibnizien, S. 60 ff. Vgl. Brief an Remond vom 10. Januar 1714, G III, 606. Zu Leibnizens Auffassung der Ausgedehntheit und seiner Dynamik s. auch Bertrand Russell: The Philosophy of Leibniz, London 1992, S. 75-130. Vgl. insb. »Système nouveau pour expliquer la nature des substances et leur communication entre elles, aussi bien que l’union de l’ame avec le corps: »Mais dépuis, ayant taché d’approfondir les principes mêmes de la Mecanique, pour rendre raison des loix de la nature que l’experience faisoit connoistre, je m’apperçûs que la seule consideration d’une masse étendue ne suffisoit pas, et qu’il falloit employer encor la notion de la force, qui est très intelligible, quoyqu’elle soit du ressort de la Metaphysique. Il me paroissoit aussi, que l’opinion de ceux qui transforment ou degradent les bestes en pures machines, quoyqu’elle soit possible, est hors d’apparence, et même contre l’ordre des choses.« G IV, 478. »Or la multitude ne pouvant avoir sa realité que des unités veritables qui viennent d’ailleurs et sont tout autre chose que les points mathematiques, qui ne sont que des extremités de l’etendu et des modifications dont il est constant, que le continuum ne sçauroit estre composé. Donc pour trouver ces unités reelles, je fus contraint de recourir à un point reel et animé pour ainsi dire, ou à un Atome de substance qui doit envelopper quelque chose de forme ou d’actif, pour faire les formes substantielles (...) Aristote les appelle entelechies premieres, et je les appelle peutestre plus intelligiblement forces primitives, qui ne contiennent pas seulement l’acte ou le complement de la possibilité, mais encor une activité originale.« G IV, 478 f.. Vgl. Daniel Garber in »The Cambridge Companion to Leibniz«, S. 270: »Leibniz: physics and philosophy«: For Leibniz, as for many of his contemporaries, there was no clear boundary between philosophy and physics: un-
Ich und Freiheit bei Leibniz
89
tigkeit. Die Substanz handelt immer: »J’ay dit déja que dans la rigueur metaphysique, prenant l‘action pour ce qui arrive à la Substance spontainement et de son propre fonds, tout ce qui est proprement une substance ne fait qu’agir.«6 Um ausführlicher auf diese Problematik einzugehen, sei aus dem »Système nouveau« zitiert: »ayant taché d’approfondir les principes même de la Mecanique, pour rendre raison des lois de la nature que l’experience faisoit connoistre, je m’apperçus que la seule consideration d’une masse étendue ne suffisoit pas, et qu’il falloit employer encor la notion de la force, qui est très intelligible, quoyqu’elle soit du ressort de la Métaphysique. Il me paroissoit aussi, que l’opinion de ceux qui transforment ou desgradent les bestes en pures machines, quoyqu’elle soit possible, est hors d’apparence, et même contre l’ordre des choses.« (...) Or la multitude ne pouvant avoir sa realité que des unités veritables qui viennent d’ailleurs et sont toute autre chose que les points mathematiques qui ne sont que des extremités de l’etendu et des modifications dont il est constant, et que le continuum ne sçauroit estre composé. Donc pour trouver ces unités reelles, je fus contraint de recourir à un point reel et animé pour ainsi dire, ou à un Atome de substance qui doit envelopper quelque chose de forme ou d’actif pour faire les formes substantielles (...) Aristote les appelle entelechies premieres, et je les appelle peutestre plus intelligiblement forces primitives, qui ne contiennent pas seulement l’acte, ou le complement de la possibilité, mais encor une 7 activité originale.«
Die substantiellen Einheiten, welche Leibniz als Monaden thematisiert, beseelen den gesamten Kosmos. Einzig menschliche Artefakte und tote Materie wie »die Salze, die Mineralien und die Metalle«8 sind tot und unbeseelt. So betont Leibniz in den Nouveaux Essais: »Il y a lieu de juger, qu’il y a une infinité d’ames, ou pour parler plus generalement, d’Entelechies primitives, qui ont quelque chose d’analogique avec la perception et derstanding the world was at issue.« Und weiter unten, S. 273: »All in all, it seems best to view Leibniz in the context not of the radical mechanists, but of the renovators or reformers, of the seventeeth century thinkers who were attracted to the new mechanical philosophy while at the same time thinking that it could be reconciled with the old Aristotelian physics.« 6 NE II,XXI, § 72; G V,195 , H.H. Holz Bd. III/1, S. 344/345. Eclaircissement du nouveau Système de la communication des Substances, G IV,495. Vgl. Benson Mates, The Philosophy of Leibniz, S. 192: »he imposes on the Aristotelian formula the novel interpretation that an ens subsisting per se is one that has a principle of action in itself, that is, is capable of initiating action.« 7 Systeme nouveau...; G IV, 479. 8 NE III, VI, § 24; G V, 297. H. H. Holz Bd. III/2, S. 118.
90
Ich und Freiheit bei Leibniz
l’appetit, et qu’elles sont toutes et demeurent tousjours des formes substantielles des corps.«9 Leibniz fährt an dieser Stelle fort: »Il est vray qu’il a apparemment des especes qui ne sont pas veritablement unum per se (c’est à dire des corps doués d’une veritable unité, ou d’un estre indivisible qui en fasse le principe actif total) non plus qu’un moulin ou une montre le pourroist estre. Les sels, les mineraux et les metaux pourroient estre de cette nature, c’est à dire de simples contextures ou masses où il y a quelque regalurité. Mais les corps des uns et des autres, c’est à dire les corps animés aussi bien que les contextures sans vie, seront specifiés par la structure interieure«.10 Wir betrachten Gestein als tote Materie; aber Schiefer ist nicht dasselbe wie Sandstein oder Granit: sie unterscheiden sich in ihrer Struktur. Aufgebaut aus Atomen, fragt es sich, wie weit Atome nur tote, unfreie Einheiten sind.11 In Auseinandersetzung mit der Lehre des Cartesius spricht Leibniz auch den Tieren eine Seele zu; doch weitergehend: »il y a une si grande proximité entre les animaux et les vegetaux, que si vous prenés le plus imparfait de l’un, et le plus parfait de l’autre, à peine remarquerés-vous aucune difference considerable entre eux.«12 Auch Pflanzen eignet Seelenähnliches. Hinsichtlich der niedrigen Lebewesen, denen Leibniz ebenfalls Unsterblichkeit zugesteht und daß sie bei allem Anbeginn der Schöpfung von Gott geschaffen wurden, schreibt Leibniz in seinem Brief vom 30. April 1687 an Arnauld: »Or si ces animaux ont des ames, il faudra dire de leur ames ce qu’on peut dire probablement des animaux mêmes, sça9 NE III, VI, § 24, G V,297, H. H. Holz, Bd. III/2, 119. 10 Ebenda. 11 Robert M. Adams: Leibniz. Determinist, Theist, Idealist; New York, Oxford 1994, führt S. 262 ff. aus: »It is not Leibniz’s view that bodies in general are substancies. The clearest reason for this is that only things that are, in some sense, alive are corporal substancies.« Adams verweist auf ein Schreiben Leibnizens an Friedrich Wilhelm Bierling von 12. August 1711: »Mechanismi fons est vis primitiva, sed leges motus, secundum quas ex ea nascuntur impetus seu vis derivativae, profluunt ex perpeptione boni et mali, seu ex eo quod est convientissimum. Ita fit, ut efficientes causae pendeant a finalibus, et spiritualia sint natura priora materialibus, uti etiam nobis sunt priora cognitione, qui interius animam (nobis intimam quam corpus perspicimus. – Substantiam corpopoream voco, quae in substantia simplice seu monade (id est anima vel Animae analogo) et unito ei corpore organico consistit.« (G VII, 501). Leibniz führt weiter aus: »Porro Monades in se continent Entelechiam seu vim primitivam et sine ipsis materia mere passiva esset.« ( G VII; 501). Adams betont, dass nur lebende Körper, Organismen, welche Perzeptionen und Appetitionen haben, über eine Seele oder Seelenähnliches verfügen. Seen und Steine sind somit keine leiblichen Substanzen. (S. 263). Leibniz betrachtet den Körper nur als etwas Substantielles, wo ihm auch eine Seelenmonade eignet. Der beseelte Körper, bzw. Organismus ist ein unum per se (G III, 657). »Mais la matiere premiere et pure prise sans les ames ou vies qui luy sont unies, est purement passive: aussi à proprement parler n’est elle pas une substance, mais quelque chose d’incomplet.« (Brief an Remond vom 4. November 1715, G III, 657.) 12 NE III,VI, § 12; G V,285, H.H. Holz Bd. III/2,88/89.
Ich und Freiheit bei Leibniz
91
voir qu’ils ont déja esté vivans dès la creation du monde, et le seront jusqu’à sa fin (...)«13 Für Tiere und möglicherweise auch Pflanzen gilt daher, dass diese wie jene Monaden sind, kleinste, einfache, in sich komplexe substantielle Einheiten14, welche einen Leib beseelen: »Les Monades n’ayant point de parties ne seroient etre formées, ni défaites«.15 Monaden können nur durch Schöpfung entstehen und dauern über die Wandlung des Todes hinaus nach Maß des ewigen Universums. Seelenmonaden von Pflanzen und Tieren dauern ebenso wie die Geistmonaden der Menschen. Hier knüpft, wenn Descartes dies auch nur den geistigen Wesen zuschreibt, die Lehre Leibnizens an die Meditationen des Descartes an: »premissae, ex quibus ipsa mentis immortalitas concludi potest, ex totius Physicae explicationes dependent: primo ut sciatur omnes omnino substantias, sive res quae a Deo creari debent ut existant, ex natura sua esse incorruptibiles, nec posse unquam desinere esse, nisi ab eodem Deo concursum suo iis denegante ad nihilum reducantur; ac deinde ut advertatur corpus quidem in genere sumptum 16 esse substantiam, ideoque nunquam etiam perire.«
Leibniz schreibt denn auch an Antoine Arnauld: »je n’admets cette creation dans la suite des temps qu’à l’égard de l’ame raisonnable, et je tiens que les formes qui ne pensent point ont esté creées avec le monde.«17 Die 13 G II, 99. Vgl. G II 117 und G II,120 ff. Ebenso Mon. § 14, G VI, 608 f. , PN § 4, G VI, 599 f. Ebenso » Ex his sequitur, vel brutas esse meras machinas, perceptionis expertes, ut statuunt Cartesiani, vel bruta habere animam indefectibilem (...) Cartesiani ad negandam brutis perceptionem rationem afferunt, ex eo sumtam, quod ita brutis animae indefectibiles sint tribuendae. Sed hoc quod plerique inter eos pro absurdo habent, minime absurdum est. (...)« G VII, 328 ff. 14 Hierzu erläutert Gloy: »Negiert wird ausschließlich die extensive, quantitative Auffassung der Teile, nicht ebenso die intensive. Intensive Teile, Grade, können der Substanz zukommen, und zwar (...) in zweierlei Sinne: erstens in einem horizontalen, dergestalt dass sich eine Abfolge von Zuständen der Monade denken läßt, beispielsweise innerhalb der Entwicklung einer Monade verschiedene Explikationsgrade, und zweitens in einem vertikalen Sinne, dergestalt dass bei Supposition einer Vielheit von Monaden jede derselben einen bestimmten Grad aufweisen kann. Gloy: Das Verständnis der Natur, Bd. II, S. 8. 15 PN § 2, G VI, 598. § Mon. 6. 16 Descartes: Meditationes de prima philosophia, in: Oeuvres de Descartes VII, publiées par Charles Adam & Paul Tannery, Paris 1904, p. 13 f. 17 Brief vom Oktober 1687; G II, 117. Vgl. G II, 73, G II, 99. Mon. 6; G VI, 607, Système nouveau pour expliquer la nature des substances et leur communication entre elles, aussi bien que l’union de l’ame avec le corps: »Quant au commencement et à la fin de ces formes, ames, princips substanciels, il faut dire qu’elles ne sçauroient avoir leur origine que de la creation, ny leur fin que d’une annihilation faite exprés par la puissance supreme de Dieu.« G IV, 474.
92
Ich und Freiheit bei Leibniz
vernunftbegabten Geistseelen entlässt Gott erst ins Dasein, wenn ihre Stunde gekommen ist. In der »Monadologie« hält Leibniz fest: »On pourrait donner le nom d’Entelechies à toutes les substances simples, ou Monades creées, car elles ont en elles une certaine perfection, il y a une sufficence qui les rend sources de leurs actions internes et pour ainsi dire, des Automates incorporels.«18 Leibniz hatte sehr jung in der väterlichen Bibliothek sich Aristoteles und die Scholastiker aneignen können, und Aristoteles sagt von der Seele »Wenn man also eine allgemeine Bestimmung für jede Art Seele geben soll, ist sie die vorläufige Erfüllung (Entelechie) des natürlichen mit Organen ausgestatteten Körpers.«19 Wolfgang Janke hat einen eingängigen Aufsatz über Leibnizens Verständnis der Aristotelischen Entelechie geschrieben, auf den noch zurückzukommen sein wird.20 Leibniz versteht die Entelechie auch als conatus, als Kraft und Streben wie sie allem Lebendigen eignen.21 Den Begriff des conatus oder Strebens hat Leibniz über seine Studien auf dem Gebiet der Dynamik entwickelt, ihn vor allem Galilei und Huygens entnehmend22, von dort in seine Metaphysik übertragen: »Nullus conatus sine motu durat ultra momentum praeterquam in mentibus.«23 Der conatus des angestossenen Körpers dauert nur den Augenblick des Anstosses, denn der Körper kennt weder Gedächtnis noch Denken: »Omne corpus intelligi posse mentem momentaneam, sed carentem recordatione (...) ita mentem in conatuum harmonia consistere (...)«, schreibt Leibniz in einem vermutlich auf 1671 zu datierenden Berief an Arnauld24; im menschlichen Geist können unterschiedliche Strebungen aufeinandertreffen und miteinander harmonieren. Ebenso wird beim frühen Fichte primär das Streben eine zentrale Rolle spielen und wird Fichte das Ich als reine Tätigkeit begreifen.25
18 Mon. § 18; G VI, 609f. 19 Aristoteles, Über die Seele: II,1.I,412b4-7, übersetzt von Willy Theiler, Berlin 1959, S. 25. Zu Leibnizens sich weitgehend Aristoteles und den Scholastikern verdankenden Substanzbegriff vgl. Donald Rutherford: »Leibniz and the Rational Order of Nature«, S. 133 ff. 20 W. Janke: Die höchste Bedeutung von Einheit. Entelechie und Apperzeption in der Monadologie.« Studia Leibnitiana Supplementa Bd. I., S. 161-174. 21 Vgl. Theodizee § 87 , G VI,150: »J’ai montré ailleurs que la notion d’Entelechie (...) porte avec elle non seulement une simple faculté active, mais aussi ce qu’on peut appeller Force, effort, conatus, dont l’action même doit suivre, si rien ne l’empêche.« 22 Vgl. Martial Guéroult: Leibniz. Dynamique et métaphysique, p. 32 ff. 23 Theoriae motus abstracti Definitiones, G VI, 230 Nr. 17. 24 G I,73. 25 Fichte: GWL, GA I,2; 259 und 287.
2.2. Die Eigenschaften der Seelenmonade Jegliche Monade hat Perzeptionen und Appetitionen. Daß sie Perzeptionen und Appetitionen hat, unterscheidet sie als lebendige Seele von toter Materie wie einer Uhr oder einem Mineral: »L’action du principe interne qui fait le changement ou le passage d’une perception à une autre, peut être appellé Appetition.«1 Und: »Je prends aussi pour accordé, que tout être creé est sujet au changement, et par consequent la Monade creée aussi, et même que ce changement est continuel dans chacune.«2 Jegliches Lebewesen ist kraft seiner Entelechie Wandlungen unterworfen, selbst die Pflanze entsteht aus dem Samen, wächst und verblüht, perzipiert Licht und Dunkel, Trockenheit und Feuchtigkeit, und nicht nur der Mensch nimmt denkend wahr, sondern auch das Tier hat Sinneseindrücke. Für Perzeptionen gilt das Verbot der Statik, Gebot des Lebens ist deren ständiger Wandel, die Kraft der Assimilation neuer Eindrücke: »l’appetit est la tendence d’une perception à une autre (...) autrement une Monade n’auroit aucun rapport au reste des choses.«3 Leibniz spricht allen einfachen Substanzen oder von Gott geschaffenen Monaden eine Seele zu.4 Im strengen Sinne jedoch sollen Seelen nur die1 Mon § 15; G VI, 609. PN § 3: »Et les perceptions dans la Monade naissent les unes des autres par les loix des Appetits«. G VI, 599. 2 Mon § 10, G VI, 608. 3 Brief an Bourguet vom Dezember 1714; G III, 575. Vgl. Mon. § 15: G VI, 609: »L’action du principe interne qui fait le changement ou le passage d’une perception à une autre peut être appellé Appetition.« PN § 2, G VI, 598. Vgl. ebenda: »Car la simplicité de la substance n’empeche point la multiplicité des modifications, qui se doivent trouver ensemble dans cette même substance simple.« – Das soziokulturelle Umfeld sowie die individuellen Anlagen bedingen unterschiedliche Perzeptionen und Appetitionen, so dass keine zwei Monaden in ihren Appetitionen und Perzeptionen je identisch sind. Auch ist ihr Gottesbild perspektivisch bedingt. 4 Brief an Arnauld vom 30.April 1687; G II, 98f.
Ich und Freiheit bei Leibniz
94
jenigen Monaden genannt werden, die mit deutlichen Perzeptionen und Gedächtnis begabt sind, also die höher entwickelten Tiere und der Mensch. So heisst es in den »Principes de la Nature et de la Grâce: »Mais quand la Monade a des organes si ajustés, que par leur moyen il y a du relief et du distingué dans les impressions qu’ils reçoivent, et par consequent dans les perceptions qui les representent (...) cela peut aller jusqu’au sentiment, c’est à dire jusqu’à une perception accompagnée de memoire (...) et un tel vivant est appellé Animal, comme sa Monade est appellée une Ame.«5
Die höheren Tiere haben also mit dem Menschen Perzeptionen, Appetitus und Gedächtnis gemein, und man muss ihnen eine Form von Bewusstsein zusprechen.6 Der Mensch aber unterscheidet sich von ihnen durch die Gabe der Vernunft, welche ihn in der sichtbaren Schöpfung von den anderen Lebewesen auszeichnet. Insofern ihm die Gabe der Apperzeption eignet, zählt er zu den Geistern. Der Mensch gelangt zur Selbst- und Gotteserkenntnis über die Einsicht in die ewigen Vernunftwahrheiten, die ihn dazu veranlassen, über sich und sein Denken nachzudenken.7 Es ist die Vernunft, welche den Menschen von den Tieren unterscheidet und ihn am göttlichen Reich der Geister teilhaben läßt. In einem Schreiben an Rud. Chr. Wagner hält Leibniz fest: »Etsi autem principia mea sint generalissima, nec minus in homine quam in brutis locus habeant, mirifice tamen prae brutis eminet homo et ad Genios accedit, quia ob rationis usum societatis cum Deo atque adeo praemii et poenae in divina gubernatione est capax.«8 Mit den übrigen geschaffenen Monaden – einschliesslich den feinstofflichen Engeln – hat der Mensch seine Körperlichkeit gemein. Einzig Gott ist körperloser reiner Geist: »Solus Deus substantia est vere a materia separata, cum sit actus purus.«9 Nur das Absolute ist actus purus, das in Jahwe Gestalt annimmt, in Jesus Christus, dem Buddha, den großen Religionslehrern und Philosophen zu sich selbst findet. Und: »il n’y a pas non plus des Ames tout à fait separées, ny de Genies sans corps. Dieu seul
5 6
PN § 4;G VI, 599. Vgl. Mon. § 19; G VI, 610. Eclaircissement du nouveau systeme de la communication des substances, G IV
7 8 9
Mon. §§ 29 und 30, G VI, 611 f. Brief an Rud. Chr. Wagner vom 4. Juni 1710; G VII, 530. Ebenda, G VII, 530.
494.
Ich und Freiheit bei Leibniz
95
en est detaché entierement.«10 Leib der Gottheit ist einzig die Welt, deren extramundane Ursache das Absolute ist: »Rationes igitur Mundi latent in aliquo extramundano, differente a catena statuum seu serie rerum, quarum aggregatum mundum constituit.«11 Da die Geistmonaden nicht reine Vernunft, sondern mit einem Körper begabt sind und so sinnliche Eindrücke haben können und durch diese vermittelte Gefühle, so ist ihr Denken mitunter verworren und unklar. Dieses verworrene Denken kommt daher, dass die Dinge mehr oder weniger eng untereinander zusammenhängen und so falsche Eindrücke entstehen können. Leibniz führt hierzu aus, dass die Geistmonaden Götter wären, hätten sie nur reine Vernunftgedanken, so daß sie notwendig durch Leiber und Sinne sowohl ermöglicht als auch begrenzt sind: »C’est ce qui fait que dans ma Philosophie il n’y a point de Creature raisonnable sans quelque corps organique, et qu’il n’y a point d’esprit creé qui soit entierement detaché de la matiere. Mais ces corps organiques ne different pas moins en perfection, que les esprits à qui ils appartiennent. Donc puisqu’il faut à la sagesse de Dieu un monde de corps, un monde de substances capables de perception et incapables de raison; enfin puisqu’il fallait choisir de toutes les choses possibles, ce qui faisoit le meilleur effect ensemble, et que le vice y est entré par cette porte: Dieu n’auroit pas été parfaitement bon, parfaitement sage, s’il l’avoit exclu.«12
Die Individuen unterscheiden sich von einander und sind einmalig nicht nur durch ihre geistige Verfassung, sondern auch durch ihre einmalige körperliche Individualität. Leibniz vertritt die Auffassung, es sei das Fleisch, das sündige, nicht der Geist: Da der Gottheit Weisheit eine Körperwelt wollte, hat sie auf diesem Weg auch dem Laster die Tore geöffnet. Engel entstammen der Gottheit, sollen jedoch in Welt wirken. Dies bedingt, daß sie verkörperlicht sein müssen.
10 Mon. 72, G VI, 619. Vgl.PN § 3: G VI, 598 f. Brief an Jaquelot vom 22. März 1703; G III, 457: »Dieu seul, qui est un pur acte, est aussi exemt de matiere.« Und: »Patebit (...) imo mentem finitam omnem esse incorporatam, ne angelis quidem exceptis.« (G VII,327). NE, Preface, G V,51. S. auch Brief an Lady Masham vom Mai 1704: »Cela me fait juger aussi qu’il n’y a point d’Esprits separés entierement de la matiere, excepté le premier et souverain Estre, et que les Genies, quelque merveilleux qu’ils puissent estre, sont tousjours accompagnés d’un corps digne d’eux.« G III, 340 sowie an Königin Sophie Charlotte vom 8. Mai 1704; G III, 344 und an Rud. Christ. Wagner vom 4. Juni 1711, G VII, 530. 11 ROR, G VII, 303. 12 Théod. § 124; G VI, 179.
2.3. Das Phaenomenon bene fundatum Descartes und seine Schule sahen in der Körperlichkeit eine der Ausdehnung gleichgesetzte Substanz. Nebst der einen Substanz Gottes herrschte die Zweisubstanzenlehre: die Substanz der denkenden Seele und die Substanz des Ausgedehnten oder des Leibes und der Körper. Leibniz hatten seine Studien zur Dynamik zur Einsicht in die Kraft als Ursache der Veränderung ausgedehnter Körper geführt: »je m’apperçus que la seule consideration d’une masse étendue ne suffisoit pas, et qu’il falloit employer encor la notion de la force.«1 Kraft ist für Leibniz eine metaphysische Gegebenheit2, und er verwirft als mechanistische Auffassung der Materie auch den Atomismus von Huygens und Gassendi, zum einen, weil es keine kleinsten Materieteilchen geben kann, da die Materie ins Unendliche teilbar ist3, zum anderen, weil jedes Atom von jedem anderen unterschieden sein müsste.4 Anders als das Atom, das ins Unendliche teilbar, homogen und nur quantitativ bestimmt ist, machen qualitative Bestimmtheit und Einzigkeit jeder Monade ihre Unteilbarkeit aus.5
1 Système nouveau pour expliquer la nature des substances et leur communication entre elles, aussi bien que l’union de l’ame avec le corps; G IV, 478. Ebenso Discours de Métaphysique (abgekürzt DM) §§ XVII ff., G IV, 442 ff. 2 PN § 11; G VI, 603. Systeme nouveau...; G IV, 472. 3 Système nouveau...; G IV, 479 Anm. 4 Système nouveau...; G IV, 482. Demonstratio contra Atomos sumta ex Atomorum contactu; G VII,284 ff.: »ex Atomorum Hypotesi possum absurdum deducere, modo mihi concedatur Atomis magnitudinem, figuram et motum assignare quem volo« mit Randnote: »Si dari possint Atomi, possunt dari corpora similia et aequalia, et tamen diversa inter se, ut forent duae sphaerae aequales.« G VII, 286. 5 Friedrich Kaulbach: Atom und Individuum, Studien zu Heimsoeths Abhandlung »Atom, Seele, Monade«. In: ZphF 1963, Bd. XVII, S. 23.
Ich und Freiheit bei Leibniz
97
Körper sind keine eigenständigen Substanzen, sondern bloß wohlbegründete Phänomene, phaenomena bene fundata, Phänomene, weil wir sie wahrnehmen, bene fundata, weil sie sich aus infiniten Substanzen aufbauen, denen als solchen Realität zuzusprechen ist, da sie Werk der Gottheit sind. So schreibt Leibniz im Brief an Remond vom 10. Januar 1714: »les choses materielles ne sont que des phenomenes, mais bien fondés et bien liés.«6 Und die Noveaux Essais konstatieren, daß wir bloß Körper wahrnehmen, die sich aus einfachsten Substanzen aufbauen: »la realité des choses, excepté les substances simples, ne consiste que dans le fondement des perceptions des phénomenes des substances simples.«7,8 Hubertus Busche erwähnt in seinem bahnbrechenden Werk noch als Bezeichnungen die Varianten von phaenomenon reale und fundatum in rebus.9 In seinem 5. Brief an Remond vom 11. Februar 1715 erklärt Leibniz: »la matiére elle-même n’est autre chose qu’un phénoméne, mais bien fondé, résultant des Monades.«10 Da Leibniz die Lehre von den Atomen verwirft11, den Leibern als Monadenaggregaten den Charakter der Substantialität abspricht, bleibt die oben schon gestreifte Frage des Realitätsgehalts von Körpern als Phänomenen. In den Principes de la Nature et de la Grâce gesteht Leibniz jeder mit einem besonderen Leib begabten Monade – und jede Monade ausser Gott hat einen Leib – Substantialität zu: »Chaque Monade avec un corps particulier, fait une substance vivante«12 Zu Recht spricht Hubertus Busche vom »Ubiquomonadismus« und »Panmonadismus« Leibnizens.13 Dem 6 G III, 606. An Arnauld im November/Dezember 1686: »Premierement il faudroit estre asseuré que les corps sont des substances et non pas seulement des phenomenes veritables comme comme l’arc en ciel« und »s’il n’y a aucunes substances corporelles, telles que je veux, il s’ensuit que les corps ne seront que des phenomesn veritables, comme l’arc en ciel.« G II, 71 und 77. Im »Antibarbarus physicus pro Philosophia Reali: »Denique corpora (...) bene fundata Phaenomena esse.« (G VII, 344). 7 G V,132. 8 Vgl. an Remond vom 11. Januar 1715: »Quant à l’inertie de la matiere, comme la matiere elle même n’est autre chose qu’un phenomene, mais bien fondé, resultant des monades, il en est de même de l’inertie, qui est une proprieté de ce phenomene.« G III, 636. 9 H. Busche: Leibniz‘ Weg ins perspektivische Universum, Hamburg 1997, S. 523 f. So etwa auch ein Briefentwurf an de Volder von 1704)/1705: »phaenomenen reale seu bene fundatum.« G II, 276. 10 Gothofredi Guillelmi Leibnitii Opera omnia (...) collecta (...) studio Ludovici Dutens, Tomus quintus, S. 19. 11 »Unitates vero substantiales non sunt partes, sed fundamenta phaenomenorum.«, Brief an de Volder vom 10. Juni 1704, G II, 268. S. auch G II, 270. 12 PN § 4, G VI, 599. 13 H. Busche, a.a.O. S. 528.
98
Ich und Freiheit bei Leibniz
Bedürfnis, das Phänomen nicht substantieller und nicht atomistischer Körperlichkeit zu erklären, entwächst ein kompliziertes und uferloses System der Monadologisierung. In seinem Schreiben an Arnauld vom April 1687 erwägt Leibniz: »peutestre que ce bloc de marbre n’est qu’un tas d’une infinité de corps vivans ou comme un lac plein de poissons.«14 Und Leibniz fundiert im selben Brief: »On trouve qu’il y a une quantité prodigieuse d’animaux dans une goutte d’eau imbue de poivre.«15 Aus dem Schreiben vom Oktober 1687 ergibt sich die Quelle von Leibnizens Ubiquomonadismus, nämlich die mikroskopischen Entdeckungen Leeuwenhoecks; sie hatten Leibniz davon überzeugt, die gesamte Materie sei erfüllt und belebt von kleinsten Lebewesen.16 Organismen bauen sich auf aus dienenden Monaden verschiedener Stufungen bis hinauf zur Seelenmonade, welche als Zentralmonade der belebende metaphysische Punkt ist, welchem die untergeordneten Leibmonaden dienen: »Si massam sumas pro aggregato plures continente substantias, potes tamen in ea concipere unam substantiam praeeminentem seu entelechia primaria animatum (...) monades subordinatae in organis positae...cum primaria Monade concurrunt ad substantiam corpoream organicam, seu animal plantamve. Distinguo ergo (1) Entelechiam primitivam seu Animam (...) (4) Machinam organicam, ad quem innumerae concurrunt Monades subordinatae, (5) Animal seu substantiam corpoream, quam Unam facit Monas dominans in Machinam.«17
Jeder lebendige Leib hat eine herrschende Entelechie, die Seele. Aber die Glieder dieses lebendigen Leibes sind selbst erfüllt von anderen Lebewesen, Pflanzen, Tieren, von denen wiederum jedes seine Entelechie oder
14 G II, 100 f. 15 G II, 99. 16 G II,122, an Arnauld. Vgl. Mon. §§ 66-68, G VI, 618. Vgl. insb. Mon. § 67: »Chaque portion de la matiere peut être conçue comme un jardin plein de plantes, et comme un étang plein de poissons. Mais chaque rameau de la plante, chaque membre de l’Animal, chaque goutte de ses humeurs est encor un tel jardin ou un tel étang.« 17 Brief an de Volder vom 20. Juni 1703, G II, 252. Zur Seelenmonade als metaphysischer Punkt s. Système nouveau...: »Ainsi les points physiques ne sont indivisibles qu’en apparence: les points mathematiques sont exactes, mais ce ne sont que des modalités; il n’y a que les points métaphysiques ou de la substance constitués par les formes ou ames, qui soyent exacts et reels, et sans eux il n’y aurait rien de reel, puisque sans les veritables unités il n’y auroit point de multitude.«: G IV, 483.
Ich und Freiheit bei Leibniz
99
herrschende Seele hat.18 Analog ließe sich von Zellen und Zellkernen sprechen. Hubertus Busche verweist auf die kritische Distance, mit welcher Leibniz mitunter dieser seiner Hypothese gegenübersteht; diese äußert sich in dessen Brief an des Bosses vom 24. Januar 1713 und der Studie hierzu vom 12. Dezember 1712: »Cognoscibilia sunt incomplexa vel complexa (...) Complexa seu propositiones sunt absolutae vel hypotheticae (...) Ex Hypothesi, quod nihil aliud existat, quam Monades, et quod eae modificentur varie et consentienter, fit ut omnia caetera Entia quae concipimus non sint nisi phaenomena bene fundata.«19 Fichte wird in der GWL von 1794/95 die gesamte körperliche wie geistige Welt zum bloßen Phänomen erklären, indem er schreibt: »An Realität überhaupt, sowohl die des Ich, als des Nicht-Ich findet lediglich ein Glaube statt.«20 In der WL1801/02 wird Fichte dem interpersonal wahrgenommenen sittlichen Tun Realität zusprechen: »meine Freiheit (soll – KVT) ja Grund eines realen Wirkens seyn (...), ich bin aber nicht real, ausser in der Wechselwirkung mit allen Wissenden, demnach, was für mich an mir wahrnehmbar ist, durchaus pp.«21 Fichte zieht das Fazit aus der GNR von 1796 und dem SSL von 1798, wenn er fortfährt: »Diese meine KraftAeusserung ist real, und tritt dem zufolge in die allgemeine Wahrnehmung ein, heißt offenbar: es wird in der allgemeinen Wahrnehmung auch auf eins – eine im Raume dargestellte, u. sich darstellende Person zurückgeführt. Diese ist nun zuförderst ein Naturganzes, ein einen absoluten ZeitMoment schliessendes, der Strenge nach für die allgemeine Wahrnehmung, in der allgemeinen Zeit, werdendes, als solches, aus Nichts.«22 Beim späten Fichte wird es nur noch das lebendige Sein des Absoluten geben, alles Daseiende bloßes Schema sein. Der konzentrierte § 4 der Principes de la Nature et de la Grâce betont den Ubiquomonadismus: »Chaque Monade, avec un corps particulier, fait une substance vivante. Ainsi il n’y a pas seulement de la vie partout, jointe au membres ou organes, mais même il y en a une infinité de degrés dans les Monades, les unes dominant plus ou moins sur les autres.«23 18 Mon. § 70; G VI, 619. 19 G II, 470-473. SVgl. auch H. Busche,, a.a.O. S. 528. 20 GA I,2; 429. 21 GA II,6, 303- Satz von KVT leicht umgestellt. 22 GA II,6; 303 f. 23 PN § 4, G VI,599. So schreibt Martial Guéroult in Etudes sur Descartes, Spinoza, Malebranche et Leibniz, S. 207: »Sa substance est donc bien, comme toutes réalités de ce monde. douée d’attributs communs à d’autre choses; en effet, les substances ou monades possèdent au
100
Ich und Freiheit bei Leibniz
So umschliesst, wie dargelegt, der Monadenkosmos nicht nur die Seelenmonaden und die Organismen; selbst die unbelebte Materie erscheint belebt: »Quin imo etsi non omnia corpora sint organica, tamen in omnibus etiam inorganici, latere organica.«24 Diese Überlegung ergibt sich aus dem Begriff der Schöpfung: da auch die unorganische Materie sich Gott verdankt, Gott jedoch reines Leben ist, muss auch die von ihm geschaffene unorganische Materie latent organisch und lebendig sein; zumindest muß – wie in einem Teich – es stets – wie im Wasser Fische – in mikroskopischer Größe Lebewesen geben.25
moisns ces attributs communs d’avoir toutes une passivité, une antitypie, une manière seconde, une activité, une position, un point de vue, etc. Ainsi la notion de substance créée nouzs apparaît comme une notion complesecomplexe.« Jeglicher komplexen Substanz eignen jedoch analoge Eigenschaften, ,die jedoch unterschiedlich stark und schwach, bewusst und unbewusst, entfaltet oder auf alle Zeit eingefaltet sind. Im Prinzip soll im Menschen die Geistmonade herrschen, während dem Aggregat ihres Leibes ein bloßes passives Ausführen zugebilligt ist. Doch ist das Verhältnis Geistmonade und Leibaggregat, pâtir und agir unterschiedlich und individuell verschieden. 24 Antibarbarus physicus; G VII, 344. 25 Vgl. Mon §§ 66 und 67, G VI, 618.
2.4. Die apperzipierende Monade Die Vernunft ist, wie Kant lehren wird, das Reich der Ideen.1 Sie ist es, die den Menschen von anderen fühlenden und zumindest Selbstgefühl habenden Lebewesen unterscheidet. »Mais la connoissance des verités necessaires et eternelles est ce qui nous distingue des simples animaux et nous fait avoir la Raison et les sciences, en nous élevant à la connoissance de nous mêmes et de Dieu. Et c’est ce qu’on appelle en nous Ame Raisonnable ou Esprit.«2 Hier scheint schon das Selbstbewusstsein in der Reflexibilität auf, wie es nach Kant Fichte entwickeln wird. Lässt den Tieren sich ein Selbstgefühl zusprechen, den höheren Arten auch Gedächtnis, so negieren ihnen sich doch Ideen, Vernunft und Selbstbewusstsein. Der Mensch teilt mit den Tieren die Perzeption, nicht jedoch die Apperzeption: »Ainsi il est bon de faire distinction entre la Perception qui est l’état interieur de la Monade representant les choses externes, et l’Apperception, qui est la Conscience, ou la connaissance reflexive de cet état intérieur, laquelle n’est point donnée à toutes les Ames, ni tousjours à la même Ame.« 3 1 KdrV, Riga 1781und 1787, A 805f. , B 833 f. Weischedel Werkausgabe 1956, Bd. II, S.677f.: »Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen? Die erste Frage ist bloß spekulativ. (...) Die zweite Frage ist bloß praktisch. Sie kann als eine solche zwar der reinen Vernunft angehören, ist aber alsdann doch nicht transzendental, sondern moralisch, mithin kann sie unsere Kritik an sich selbst nicht beschäftigen. Die dritte Frage, nämlich: wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdenn hoffen? Ist praktisch und theoretisch zugleich.« Fichte wird die erste Frage dem spekulativen Verstand, die zweite der Vernunft zuweisen, die dritte als unphilosophisch und rein empirisch verwerfen. 2 Mon. § 29; G VI, 611. 3 PN § 4; G VI, 600.
102
Ich und Freiheit bei Leibniz
Mit der Apperzeption geht Leibniz über das Cartesische »cogito« hinaus. Das Selbst ist nicht nur eine »res cogitans«, sondern ein konkretes Ich, welches in allem dieses oder jenes denken, dieses oder jenes fühlen, in all den Mannigfaltigkeiten, die es bewegen, stets dieses seines denkenden Seins bewusste Individuum ist. Je konzentrierter und auf das, was das eigene Ich unmittelbar betrifft, die Geistmonade reflektiert, desto mächtiger, desto klarer, desto aktiver ist sie im Vergleich mit anderen Monaden. Doch die Angespanntheit der höchsten Reflexion, des konzentriertesten Schaffens läßt für den Menschen nicht in alle Zeit sich durchhalten: der menschliche Geist ermüdet, dann wird er im intermonadischen Spiel passiv, perzipiert nur noch konfus, geht so vom agir ins pâtir über. Und so erweist die prästabilierte Harmonie sich als Balancespiel, wobei Gott die Rolle des Züngleins an der Waage zukommt, das deren Balancieren und das Aufeinander-Bezogensein der Waagschalen erst ermöglicht. Marco Ivaldo spricht in diesem Zusammenhang wohl zu Recht vom »PräTranszendentalismus« von Leibniz. Es ist davon auszugehen, dass Leibniz sich der Tragweite seiner Entdeckung nicht bewusst war, da er sie ausschliesslich auf die Minorität von Wissenschaftlern und Philosophen bezog.4 Leibniz knüpft in seiner Charakterisierung apperzeptierender Lebewesen an an seine Unterscheidung von Vernunft- und Tatsachenwahrheiten: Vernunftwahrheiten gelten in jeder möglichen Welt, während die Tatsachenwahrheiten unserer Welt nur in der faktisch bestehenden, konkreten Welt gelten; Nur in unserer Welt hat Caesar gelebt, bei Pharsalae gesiegt und den Rubikon überquert: »Il y a deux sortes de Verités, celles de Raisonnement et celles de Fait. Les Verités de Raisonnement sont necessaires et leur opposé est impossible, et celles de Fait sont contingentes et leur opposé est possible.«5 Die wichtigsten logischen Wahrheiten sind der Satz des Widerspruchs und der Satz vom zureichenden Grunde.6 Innerweltlich ist einzig der Mensch zur Erkenntnis von Vernunftwahrheiten befähigt. Tatsachenwahrheiten können zu gewißem Grade auch von Tieren erkannt werden. In seinen »Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum« führt Leibniz an: »sic dici potest: Veritates esse vel facti vel rationis. Veritatum rationis prima est principium contradictionis vel quod eodem redit identicorum, quemadmodum et Aristoteles recte animadvertit. Veri4 Marco Ivaldo: Fichte e Leibniz. La comprensione trascendentale della monadologia, vgl. etwa p. 203 und 245. 5 Mon. § 33; G VI, 612. 6 Mon §§ 31 und 32; G VI, 612.
Ich und Freiheit bei Leibniz
103
tates facti primae tot sunt quot perceptiones immediatae sive conscientiae, ut sic dicam. Non tantum autem mei cogitantis sed meorum cogitatorum conscius sum, nec magis verum certumve est me cogitare, quam illa vel illa a me cogitari. Itaque veritatis facti primas non incommode referre licebit ad has duas: Ego cogito, et: Varia a me cogitantur. Unde consequitur non tantum me esse, sed et me variis modis affectum esse.«7
Der apperzeptive Denkakt versichert mich weniger meiner Existenz als meiner Individualität, ist als Akt jedoch überindividuell: Sowohl Cajus wie Titus können sich als ein Selbst erkennen, also apperzepieren. Mit den Tieren verbinden den Menschen die Perzeptionen. Doch was beim Tier bewusstseinsbegründender Sinneseindruck ist, wird beim Menschen zur selbstbewussten Wahrnehmung. Ich bin mir in meinem Denken meiner nicht nur als eines Denkenden, sondern als eines auf Grund oder in Abstraktion von dieser oder jener Wahrnehmung dieses oder jenes Denkenden, dieser oder jener Stimmung Folgenden bewusst. Und ich kann in der Apperzeption mir meiner bewusst sein als in der Zeit unterschiedliche Zustände, Neigungen, Leidenschaften und Gedanken habend und gehabt habend. So sagt in den Nouveaux Essais Leibniz als Theophilus: »Indessen würde ich meinen, dass es auch bei den Sinnesempfindungen eine Tätigkeit gibt, insoweit sie uns unterschiedenere Perzeptionen vermitteln und folglich die Möglichkeit geben, Wahrnehmungen zu machen und uns sozusagen zu entwickeln.« Und weiter unten sagt Theophilus: »Die Sinne liefern uns Materie für die Reflexionen, und wir würden nicht einmal daran denken zu denken, wenn wir nicht an irgendetwas anderes dächten, d.h. an Besonderheiten, die uns die Sinne liefern. Und ich bin überzeugt, dass die Seelen und geschaffenen Geister niemals ohne Organe und niemals ohne Sinneswahrnehmungen sind, da sie ohne Zeichen nicht denken kön-
7 G IV, 357. Vgl. NE IV,II,§ 1: »Car non seulement il m’esat clair immediatement que je pense, mais il m’est tout aussi clair, que j’ay des pensées differentes, que tantost je pense à A, et que tantost je pense à B etc. Ainsi le principe cartesien est bon, mais il n’est pas le seul de son espece.«: G V,348. Vgl. C 183: »ut varia a me percipiantur«: : Das Ich sieht keine Welt, sondern Aggregate, einen Haufen zusammen oder nacheinander Vorhandener, die es in seinem Geist abstrahierend als Ganze zusammenfaßt. Ddie Welt erscheint nicht als logisch, weil das Subjekt – Kantisch – sie in die Logikform seines Denkens zusammenfaßt, sondern die Logikform des Denkens ist zwingend, weil die Welt sich als logisch verfaßte zeigt. (Vgl. H.H. Holz: Gottfried W. Leibniz, Frankfurt, New. York 1992, S. 84.) Das menschliche Hirn hat sich in der Auseinandersetzung mit Erde und Welt entwickelt, so dass ihm als Einheit stets gleichzeitig Verschiedenes erscheint. So geht die Anschauung stets weiter als das bloße Hin-Sehen, formt im Hinsehen sich eine offene Anschauung und eiin Gesehenes und bloß reflektierend Bewusstes umfaßendes Denken. Ich und Welt verweisen auf ein Absolutes, da sie logisch strukturiert sind.
104
Ich und Freiheit bei Leibniz
nen.«8 Dem Verstand liefern Gefühle und Sinneseindrücke die Materie seiner Konstruktionen, und nur ausgehend von einer Außenwelt vermögen wir, uns eine Innenwelt zu konstruieren und uns zu entwickeln: Stets mehr Welt in sich einholend, sich mit stets mehr Welt auseinandersetzend, erstarkt das schöpferische Selbst, entwickelt sich das Selbstbewusstsein hält es – worauf schon Wolfgang Janke verwies – als Ausfaltung, Leben, Prozeß, Selbstentwicklung sich durch.9 Ohne Außenwelt wäre unsere Innenwelt ein Chaos, ja würden – wie Experimente mit Kindern in der Aufklärungszeit zeigten – wie sterben. Indem das Selbstbewusstsein sich seiner vergewissert, vergewissert es sich seiner in Welt, und je stärker das Ego, desto stärker ist auch das Nicht-Ich im Ego. Wahre Vernunft ist nicht reine Ratio, sondern sie ist Ratio, die in Leidenschaften und Sinneseindrücken gründend, sich von diesen losreisst und mit deren Kraft denkt und schafft. Der reine Verstand ist ohnmächtig, wo er nicht vom Gefühl des Richtigen getragen wird, das als Urteilskraft sich äußert. Anknüpfend an die Lehre des Descartes10 antwortet in den Nouveaux Essais Theophilus: »Das ist sehr gut gesagt, und es ist sehr wahr, dass die Existenz des Geistes gewisser ist als die der sinnlichen Gegenstände.« auf folgende Ausführung des Philaletes: »Jeder Akt der Sinneswahrnehmung lässt uns gleicherweise körperliche und geistige Dinge in den Blick fassen; denn in derselben Zeitspanne, in welcher Gesicht und Gehör mich erkennen lassen, daß es ein körperlich Seiendes außer mir gibt, weiß ich auf eine noch gewißere Weise, dass es in mir ein geistig Seiendes gibt, welches sieht und hört.«11 Ähnlich wird Fichte in der GWL von 1794/95 den Gedanken aufgreifen: »(Hier liegt der Grund aller Realität. Das Ich ist demnach für sich selbst in Beziehung auf das Nicht-Ich immer leidend, wird seiner Thätigkeit sich gar nicht bewusst, noch wird auf dieselbe reflektiert. Daher scheint die Realität des Dinges gefühlt zu werden, da doch nur das Ich gefühlt wird. Lediglich durch die Beziehung des Gefühls auf das Ich (...) wird Realität für das Ich möglich, sowohl 8 NE II, XXI,§ 72; G V,196; H.H. Holz Bd.III/1, S. 348/349 und NE II, XXI,73; G V,197; H.H.Holz Bd.III/1, S. 350/351. 9 Vgl. W. Janke, a.a.O. S. 173 f. 10 Descartes: Oeuvres, publiées par Charles Adam & Paul Tannery, Paris 1904, Tome VII, p. 28, Meditationes de prima philosophia: »Jam autem certo scio me esse, simulque fieri posse ut omnes istae imagines, & generaliter quaecunque ad corporis naturam referuntur, nihil sint praeter insomnia.« (Nun aber weiss ich gewiss, dass ich bin, und um die Möglichkeit, dass alle diese Bilder und allgemein alles, was sich auf die körperliche Natur bezieht, nichts ist als Traumgespinstejenseits der Wachheit.« 11 NE II, XXIII, § 15; G V, 205. Nach H. H. Holz, Bd. III/1, 370/371.
Ich und Freiheit bei Leibniz
105
die des Ich wie die des Nicht-Ich. – Etwas, das lediglich durch die Beziehung eines Gefühls möglich wird (...), wird geglaubt. An Realität überhaupt, sowohl die des Ich, als des Nicht-Ich findet lediglich ein Glaube statt.)«12
Mit der nicht gewissen Realität selbst des Ich scheint der frühe Fichte hier hinter Leibniz und den Cartesius zurückzufallen. Ursprünglich steht der Mensch auf der Stufe der höheren Tiere, mit denen ihm Perceptio, Appetitus und Gedächtnis gemein sind, eben jenes Gedächtnis, dank dem auch höher entwickelte Tiere lernfähig sind: »was aber den Menschen angeht, so sind seine Perzeptionen von der Möglichkeit der Reflexion begleitet, die wirksam wird, sobald es solche Perzeptionen gibt.«13 In seinen Anfängen und in seinem Alltag jedoch handelt er in seinem Tun und Treiben als reiner Empiriker: »nous ne sommes qu’Empiriques dans les trois quarts de nos Actions,« konstatiert Leibniz.14 So rechnet man auf Grund der Erfahrung damit, dass morgen die Sonne aufgehen werde. Weshalb und wie die Erde sich um die Sonne dreht, weiß der Astronom, und es sind Wissenschaft und Vernunft, die Kenntnisse von Logik, Arithmetik, Geometrie, welche uns zur Selbst- und Gotteserkenntnis führen.15 Das Entstehen der Wissenschaften war Bedingung mit Folge der Reflexibilität; nunmehr brauchte die Gottheit sich nicht mehr in den Mythen der Völker zu offenbaren. Wissenschaften und Künste veranlassen die Reflexion und lassen uns unserer mentalen Vollzüge und so unser selbst als Geister gewahr werden: »cette reflexion ne se borne pas aux seuls operations de l’esprit, (...) elle va jusqu’à l’esprit luy même, et c’est en s’appercevant de luy, que nous appercevons de la substance.«16 So stossen wir in der Reflexion auf uns selbst, die Gefühle, Stimmungen, Leidenschaften, Gedanken, Haltung, die unser Wesen ausmachen. Es sind nicht zuletzt die Kenntnisse der notwendigen – also der stets und in jeder Welt gültigen – Wahrheiten wie Logik, Arithmetik und Geometrie, die uns auf uns selbst zurückverweisen und uns uns selbst als erklärungsbedürftige Vernunftwesen erfassen lassen: »C’est aussi par la connaissance des verités necessaires et par leurs 12 GWL, GA I,2; 429. 13 NE II,IX, § 14; H.H. Holz Bd. III/1, S. 168/169. G V,127. 14 Mon. § 28; G VI, 611. Ebenso PN § 5; »Et les hommes, en tant qu’ils sont empiriques, c’est à dire dans les trois quarts de leur actions, n’agissent que comme des bêtes.«: G VI, 600. 15 Mon. §§ 28 und 29; G VI, 611. PN § 5; G VI, 600 f. 16 NE, Preliminarreflexionen zu Locke in »Echantillon de Reflexion sur le II. Livre, G V,23.
106
Ich und Freiheit bei Leibniz
abstractions, que nous sommes élevés aux Actes reflexifs, qui nous font penser à ce qui s’appelle Moy, et à considerer que cecy ou cela est en Nous: et c’est ainsi qu’en pensant à nous, nous pensons à l’Etre, à la substance, au simple ou au composé, à l’immateriel et à Dieu même, en concevant que ce qui est borné en nous, est en luy sans bornes.«17 Ein Mensch der mannigfaltigen Begabungen, der Tatkraft und Moralität Leibnizens musste sich selbst rätselhaft sein, konnte er sich nicht auf Gott als Ratio sufficiens seines Daseins abstützen. In einem Schreiben an die Königin Sophie Charlotte schildert Leibniz, wie er von sich und seiner Introspektion ausgehend, zu den Notionen von Ich und Substanz kam: »Ainsi outre le sensible et l’imaginable, il y a ce qui n’est qu’intelligible, comme estant l’objet du seul entendement, et tel est l’objet de ma pensée, quand je pense à moy même. Cette pensée de moy, qui m’apperçois des objets sensibles, et de ma propre action qui en resulte, adjout quelque chose aux objets des sens (...) et comme je conçois que d’autres Estres peuvent aussi avoir le droit de dire moy, ou qu’on pourroit le dire pour eux, c’est par là que je conçois ce qu’on appelle la substance en general, et c’est aussi la consideration de moy même, qui me fournit d’autres notions de metaphysique, comme de cause, effet, action, similitude etc., et même celles de la Logique et de la Morale. Ainsi on peut dire qu’il n’y a rien dans l’entendement qui ne soit venu des sens, excepté l’entendement même, ou celuy qui entend.«18
In den Nouveaux Essais schildert Leibniz: »Wenn man auf Ideen reflektiert, die sich von selbst darbieten, und wenn man sie sozusagen in seinem Gedächtnis vermerkt, so heisst das Aufmerksamkeit.«19 Beachtet man den Brief an Königin Sophie Charlotte sowie die zahlreichen Ausführungen zur Psychologie, die treffenden Analysen zu Leidenschaften, Neigungen, Stimmungen des Menschen in den Nouveaux Essais, so muss man zur Überzeugung gelangen, daß Leibniz sich der Reflexion auf die Reflexion durchaus bewusst war, sie jedoch nicht weiter thematisierte, da ihn dies eine Partikularität der als Philosophen im strengeren Sinne sich bezeichnenden humanen Minderheit dünkte. Wie schon erwähnt, spricht Marco 17 Mon. § 30; G VI,612. Vgl. PN § 5; G VI, 601. Diese Annahme, daß Gott gegenüber dem Menschen schlicht ein »Mehr« sei, ist jedoch fragwürdig. Eher ist das Absolute das »ganz Andere.« 18 Brief an die Königin Sophie Charlotte von Preussen; G VI, 501 f. S. Benson Mates, The Philosophy of Leibniz, S. 154. 19 NE II, XIX, § 1; G V, 147; H.H. Holz Bd. III/1, S. 218/219.
Ich und Freiheit bei Leibniz
107
Ivaldo unter Berufung auf Reinhard Lauth von Leibnizens »Prä-Transzendentalismus«20. Nach Descartes und vor der Transzendentalphilosophie erfasst Leibniz die auf sich reflektierende Reflexion: das die Substanz auszeichnende ist, dass sie »Ich« sagen und auf dieses Ich reflektieren kann, wobei ihn diese Entdeckung marginal dünkt, da nur eine Minderheit der Menschen Transzendentalphilosophen und Wissenschaftler sind: »Und insofern die Menschen empirisch verfahren, d.i. zu drei Vierteln ihrer Handlungsweisen, handeln sie nicht anders als die Tiere.«21 So bleibt wohl nur, wie etwa Marco Ivaldo von einem noch »dogmatischen Idealismus« Leibnizens zu sprechen.22 Wie viele Denker – man gedenke Kants Kritiken – geht Leibniz in der Aufstellung seines Systems, welches ein Baustein sein sollte am Bau der philosophia perennis, aus von der eigenen vielfältigen Persönlichkeit. In sich fand er den sich als Verstand verstehenden Verstand, die substantielle Einheit des Mannigfaltigen, das moralische Denken, Einbildungskraft, welche sein politisches, theologisches und mathematisches Denken befruchtete, sein philosophisches Denken mitunter eigenwillige Wege führte, auf denen auch seine Zeitgenossen ihm nicht zu folgen vermochten. Die eigene geistig-moralische Kapazität zwang Leibniz zu Gott und in die Religiosität in seiner infolge der Entdeckungen in der Physik schon vom Atheismus bedrohten Zeit.23 Ratio sufficiens des Menschen Gottfried Wilhelm Leibniz war Gott als die schlechthin notwendige Substanz. Ist nach alter Lehre der Mensch Ebenbild Gottes, so bauen wir uns – und keiner vielleicht wie Leibnizens Zeitgenosse Spinoza – Gott nach unserem eigenen Bilde. In Gottes absolutem Verstand gründen nicht nur die für jegliche mögliche Welt geltenden Vernunftwahrheiten, sondern Gott ist auch die Ratio sufficiens der aktualen Welt und ihrer Tatsachenwahrheiten. Und jedes Individuum ist in sich eine Wahrheit, eine Welt, ein Mikrokosmos, eine einmalige, unwiederholbare Erscheinung: »Der Mensch ist also gleichsam ein kleiner Gott in seiner eigenen Welt oder seinem Mik20 Marco Ivaldo: Fichte e Leibniz. La comprensione trascendentale della monadologia«, Milano 2000, p. 203 z.B. 21 PN § 5; G VI, 600. 22 M. Ivaldo, op. cit. p. 44. In der Vorrede zur Phänomenologie wird Hegel die Konsequenz ziehen, die Substanz als Subjekt fassen. 23 In Théod. § 403 erklärt Leibniz: »Il est aisé de juger de même que l’ame est un automate spirituel, encor plus admirable; et que c’est par la preformation divine qu’elle produit ces belles idées, où nostre volonté n’a point de part, et où nostre art ne sauroit atteindre,« Der kreative Mensch sieht sich als frei nur soweit, als er seinem ihm auferlegten Werk lebt; sein Anspruch auf Freiheit, ist der absolute des Werks, das zu vollenden die Gottheit ihm auferlegt hat. Das gefesselt sein ans Werk ist die Freiheit des Schaffenden.
108
Ich und Freiheit bei Leibniz
rokosmos, den er nach seiner Weise regiert: er schafft zuweilen Wunderwerke darin, und oft ahmt seine Kunst die Natur nach.«24
24 Théod. § 147, G VI, 197. H.H. Holz, Theod. Bd. II/1, S. 458/459. Im 20. Jhdt. haben es Maler wie Mark Rothko oder Barnett Newman unternommen, weder die Natur nachzuahmen, noch die zweite Natur, doie technologische Welt darzustellen, sondern in ihren abstrakt wirkenden Bildern das Transzendente darzustellen.
2.5. Die Individualität Wie der Baum, der in die Höhe wächst und dessen Geäst stets weiter ausgreift, seine Wurzeln stets breiter und tiefer ins Erdreich gräbt, so soll das Individuum, indem es stets mehr Welt in sich integriert und umfasst, indem es stets weiterschafft, seine Vernunft entwickelt und sein Können beherrscht, stets mehr sich selbst werden, zu sich empor und in den göttlichen Grund wachsen; »omne individuum sua tota Entitate individuatur«, schreibt der sechzehnjährige Leibniz in seiner ersten philosophischen Schrift1, und Zeit seines Lebens wird Leibniz das Problem der Individuation beschäftigen. Je ausgeprägter das Individuum, desto mehr entsprechen seine Neigungen seiner Vernunft, desto mehr nehmen seine Sinne nur wahr, was es betrifft, desto mehr gilt, dass man bloss wird, was man ist, und so kann Leibniz lehren: »Et comme tout present état d’une substance simple est naturellement une suite de son état precedent, tellement que le present y est gros de l’avenir.«2 In die Gegenwart konvergiert die Vergangenheit und sie geht schwanger mit der Zukunft. »Die Zukunft hat in jeder Substanz eine vollkommene Verbindung mit der Vergangenheit, und das macht die Identität des Individuums aus. Gedächtnis ist indessen nicht nötig, noch auch immer möglich, wegen der Vielzahl der gegenwärtigen und vergangenen Eindrücke nämlich, die in unserem gegenwärtigen Denken zusammenströmen.«3 Selbst Erlebnisse, die uns nicht präsent sind, prägen uns, Lektüren, die wir weitgehend vergessen haben, haben uns ge1 Disputatio Metaphysica de principio individui, 1663; G IV,18). 2 Mon. § 22; G VI, 610. PN § 13: »le present est gros de l’avenir, le futur se pouvoit lire dans le passé, l’eloigné est exprimé dans le prochain.«; G VI,604. Vgl. W. Schelling: Die Weltalter: »Das Vergangene wird gewusst, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet. Das Gewusste wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.« Schröter, S. 3. 3 NE II,I,§ 12; G V,104. H.H. Holz Bd.III/1, S. 110/111.
110
Ich und Freiheit bei Leibniz
bildet, Gedanken, welche wir als Kinder hatten, prägen unsere Lebensmitte und wirken in die Zukunft. Je stärker das Individuum ist, um desto mehr bringt es sich hervor nach den ihm immanenten Gesetzen. Und es gibt keine zwei gleiche, solo numero unterschiedene Individuen, denn »es gibt keine Substanz, die sich nicht in irgendetwas von jeder anderen unterschiede. Die menschlichen Seelen unterscheiden sich nicht allein von nicht menschlichen Seelen, sondern auch untereinander.«4 Im »Discours de Metaphysique« betont Leibniz: »Il s’en suit de cela (...) qu’il n’est pas vray que deux substances se ressemblent entierement, et soyent differents solo numero, et que ce que S. Thomas asseure sur ce point des anges ou intelligences (quod ibi omne individuum sit species infima) est vray de toutes les substances.«5 Gäbe es zwei solo numero verschiedene Substanzen, so würde dies einen Einbruch in Gottes Vollkommenheit bedeuten: denn Gott hat in seiner Allmacht und Allwissenheit als Ratio sufficiens alles Seienden die metaphysisch und moralisch bestmögliche Welt als die reichste und in ihrer größtmöglichen Varietät schönste mit dem möglichen Minimum an Gesetzen, notwendigen Wahrheiten, Umwegen geschaffen. Zwei identische Substanzen wären ein Einbruch in die Vollkommenheit Gottes und der Welt6. Dementsprechend hält Leibniz fest: »il faut que les Monades ayent quelques qualités, autrement ce ne seroient pas même des Etres.«7 Und: »Il faut même que chaque Monade soit differente de chaque autre. Car il n’a jamais dans la nature
4 NE II,I, § 2;: G V, 290. H.H. Holz Bd. III/1, S. 100/101. 5 DM IX, G IV, 433. S. auch 5. Brief an Clarke, sur 3 et 4 »J’en infere entre autres consequences, qu’il n’y a point dans la nature deux etres reels absolus indescernables: parce que s’il y en avait, Dieu et la nature agiroient sans raison, en traitant l’un autrement que l’autre; et qu’ainsi Dieu ne produit point deux portions de matiere parfaitement egales et semblables.« G VII, 393, Nr. 21. An Arnauld: »Je suis même très persuadé de ce que S. Thomas avoit déja enseigné à l’égard des intelligences et que je tiens estre general, sçavoir qu’il n’est pas possible qu’il y ait deux individus entierement semblables ou differens solo numero.«; G II,54. NE, Preface: »J’ay remarqué aussi qu’en vertu des variations insensibles, deux choses individuelles ne sauroient estre parfaitement semblables, et qu’elles doivent tousjours differeer plus que numero.«: G V, 49. S. auch G V, 51. 6 NE II,I, § 2: »es gibt keine Substanz, die sich nicht in irgend etwas von jeder anderen unterschiede. Die menschlichen Seelen unterscheiden sich nicht allein von anderen Seelen, sondern auch untereinander.« G V, 290. H.H. Holz Bd.III/1, S. 100/101. Leibniz sieht im Erscheinen Christi die seiende als die von Gott gewollte bestmögliche Welt: »Optime autem sertiei universi (id est hujus) admittendae, haut dubie maxima Ratio Christus fuit, nobilissima hujus universi pars, aeternus Dei filius incarnandus. (G III, 356 – Entwurf zur Auseinandersetzung mit Bayle. – Tatsächlich wäre ohne die Kreuzigung, welche Christi Wirken erst bestätigte, Jesus Christus ohne weitere Folgen ein weiser alter Rabbi geworden.) 7 Mon. § 8; G VI, 608.
Ich und Freiheit bei Leibniz
111
deux Etres, qui soient parfaitement l’un comme l’autre8, et où il ne soit possible de trouver une difference interne, ou fondée sur une denomination intrinseque.«9 Die Monade hat zwar keine Teile, ist jedoch in sich strukturiert und über die raumzeitliche Gegebenheit unterschiedlicher Positionen hinaus in sich individualisiert.10 So erwähnt Leibniz in den Nouveaux Essais »die eingeborenen Vermögen und Anlagen«11. Dies heißt, daß nicht nur das Wissen um Gott, Tugend und notwendige Wahrheiten angeboren sind, versteckt in den Falten der Seele und ins Bewusstsein treten sollend im Lebensvollzug, in der Begegnung mit der sinnlichen Welt, durch Lernen und Erziehung, sondern daß den Monaden auch je besondere Anlagen eignen, durch welche sie individualisiert sind. Nicht nur die »notwendigen Wahrheiten,« sondern auch die allgemeinen und besonderen »Instinkte« sind angeboren.12 An notwendigen Ideen sind jedem Menschen eingeboren und verständlich diejenige Gottes sowie diejenigen der Tugend, der Sätze vom Widerspruch und vom zureichenden Grund und diejenigen des Seins, des Möglichen, des Gleichen.13 Es ist die Hörigkeit gegenüber dem eigenen Körper und seinen Bedürfnissen, das Annehmen schlechter Gewohnheiten, die Sittenverderbnis, welche das innere Licht verdunkeln, die den Menschen daran hindern, einen der Vernunfteinsicht gemässen Willen zu bilden und durchzusetzen und so Tugend und Gott zu verwirklichen14. Jeder Mensch trägt an seinem Ort die Verantwortung für sich und die Welt, und diese Verantwortung ist individuell, gebunden an dieses konkrete Individuum, in dieser konkreten Situation, an diesem konkreten, einmaligen 8 Vgl. Nicholas Rescher, The Philosophy of Leibniz, p. 47 ff. Und N. Rescher: Leibniz, An Introduction to his Philosophy, p. 51: »Leibniz maintains the Principle of the Identity of Indiscernibles to be derivativs from the Principle of Sufficient Reason.« 9 Mon.§ 9; G VI, 608. 10 Zur Strukturiertheit der Monaden und zur von Leibnizens Monadenlehre abweichenden Meinung Wolffs vgl. Hans Poser in den Akten des II. Internationalen Leibnizkongresses, Stud.Leib.Suppl. Bd. III (Metaphysik, Ethik,Ästhetik, Monadenlehre) S. 383-395, Wiesbaden 1975. 11 NE II,IX, § 14; G V, 127; H.H. Holz Bd.III/1 S. 168/169. 12 NE I,III, § 15; G V, 89; H. H. Holz Bd. III/1, S. 70/71. 13 NE I,I, § 5; G V, 74. NE I,III, § 16; G V,96. NE I,II, § 13; G V, 88. NE I,III, § 3; G V, 93. 14 NE I,III, § 20: »Les idées et verités innées ne sauroient estre effacées, mais elles sont obscurcies dans tous les hommes (/comme ils sont presentement) par leur penchant vers les besoins du corps, et souvent encor plus par les mauvaises coustrumes survenues. Ces caracteres de lumiere interne seroient tousjours éclatans dans l’entendement, et donneroient de la chaleur dans la volonté, si les perceptions confuses des sens ne s’emparoient de nostre attention. C’est le combat dont la Sainte Ecriture ne parle pas moins que la Philosophie ancienne et moderne.« G V, 91.
112
Ich und Freiheit bei Leibniz
Zeit-Ortpunkt. Dies ist der Standort der Monade, ihre je eigene Gottesund Weltperspektive; dies gilt sowohl für Leibniz wie für Fichte.15 Zu den eingeborenen Ideen der Geistmonaden gehören auch die wissenschaftlichen Theoreme der Geometrie und Algebra, die ja als notwendige Wahrheiten nicht nur in der einen wirklichen, sondern in jeder möglichen Welt Geltung haben. Aber nicht jeder Mensch vermag in gleichem Masse, sie sich ins Bewusstsein zu heben16. Intelligenz, Veranlagung und Charakter spielen ihre Rolle: »Was eingeboren ist, wird keineswegs sogleich klar und deutlich als solches erkannt. Es braucht oft viel Aufmerksamkeit und Gedankenordnung, um bewusst wahrgenommen zu werden.«17 Begabungen und Einsichten können brach liegen, weil man sich auf Tätigkeiten und Anlagen versteift, die das äußere Leben gefördert hat, so dass, was in der Tiefe der Seele eingefaltet ist, nicht ins bewusste Wissen und Können sich entfaltet hat. Nur Leben vollziehend und perzipierend vermag die Geistmonade zu den in ihr angelegten Ideen durchzudringen. In Vorwegnahme Kants stellt Leibniz fest: »Vermöge einer bewundernswerten Ökonomie der Natur können wir nämlich keinen abstrakten Gedanken haben, der nicht einer sinnlichen Sache bedürfte, und wenn es auch nur solche Zeichen wie Buchstaben oder Töne wären, obgleich es keine notwendige Verbindung zwischen bestimmten willkürlichen Zeichen und bestimmten Gedanken gibt.«18 Erst im Akt des uns Losreissens von einer stets präsenten Sinnenwelt vermögen wir den Sprung in die Konkretheit des Gedankens; der Gedanke ist zwar durch den vorhergehenden Gedanken vorherbestimmt, doch bedarf er des Stimulus des Sinneneindrucks .
15 Im Hinblick auf Leibnizens Geist-Monade führt Ruprecht Pflaumer aus: »So ergibt sich ein erstes Moment ihres Ich-Charakters: Die Monade ist nicht nur selbständig Seiendes, sondern sich selbsttätig individuierendes, sich selbst bestimmendes Wesen. Entsprechend ›ist‹ das Ich nicht wie ein Ding, ein Naturwesen, es vollzieht und tätigt sich vielmehr. Daher genügt beim Menschen, soweit er Ich ist, nicht die Definition als ›animal rationale‹ zu seiner Wesensbestimmung. Er bringt sich in seiner Humanitas erst noch, sich selbst vollziehend und entwickelnd, hervor und macht sich frei aus seinen Möglichkeiten zu dem, was er ist.« R. Pflaumer: Zum IchCharakter der Monade. In Stud.Leib.Suppl. Bd.1: Metaphysik-Monadenlehre,1968, S. 148-160, hier S. 151, Leibniz-Kongress 14.-19. Novenmber 1966, Wiesbaden 1966. 16 NE I,I, § 5; G V, 74. H.H. Holz Bd. III/I, S. 22/23-24/25. 17 NE I,II, § 12; G V, 88; H. H. Holz Bd. III/1, S. 68/69. 18 NE I,I, § 5; G V, 74; H.H. Holz Bd. III/1, S. 24/25.
2.6. Die eingeborenen Ideen Im Vorwort zu den »Nouveaux Essais« umzirkelt Leibniz seine eigene Position gegenüber derjenigen von John Locke, und erklärt die Annahme einer ursprünglich einer tabula rasa gleichenden Seele als falsch: »ob die Seele ursprünglich die Prinzipien verschiedener Begriffe und Lehrsätze enthält, welche die äußeren Gegenstände nur bei Gelegenheit in ihr wieder erwecken, wie ich in Übereinstimmung mit Platon, ja selbst mit der Scholastik und all denen glaube, welche die Stelle beim hlg. Paulus (Römerbrief 2,15) dass das Gesetz Gottes in die Herzen geschrieben sei, in dieser Bedeutung nehmen.«1 Die Lehre von den angeborenen Wahrheiten, den Begriff der Anamnese, hatte Platon begründet und insbesondere im »Menon«, in welchem er Sokrates Gesetze der Mathematik einem ahnungslosen Knaben entlocken ließ, dargestellt.2 So dürfte Leibniz hinter die ideae innatae des Cartesius zurückgegriffen haben, als er ein Vorauswissen annahm. Auch die Stoiker und Cicero kannten die notiones innatae, deren jede »animo quasi insculptum« ist. Zu diesen Gemeinbegriffen, »notiones communes« gehören in Vorwegnahme Leibnizens die Idee der Gottheit, des Guten, der Unsterblichkeit.3 Im II. Buch der »Nouveaux Essais« lässt Leibniz den Theophilus nochmals sagen: »Nihil est in intellectu, quod non 1 NE, Preface. G V, 42; H.H. Holz, S. 8/9VIII/IX. 2 Platon: Menon, Kap. 80 d5-89 b 8.e 1: »Menon: »Und auf welche Weise willst du denn dasjenige suchen, Socrates, wovon du überhaupt gar nicht weißt, was es ist? Denn als welches Besondere von allem, was du nicht weißt, willst du es dir denn vorlegen und suchen? Oder wenn du es noch so gut träfest, wie willst du denn erkennen, daß es dieses ist, was du nicht wußtest?« Menon Kap. 81, d1-4 : »Denn da die ganze Natur unter sich verwandt ist, und die Seele alles innegehabt hat: so hindert nichts, daß, wer nur an ein einziges erinnert wird, was bei den Menschen Lernen heißt, alles übrige selbst auffinde, wenn er nur tapfer ist und nicht ermüdet im Suchen.« Platon, Sämtliche Werke, in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, hrtsg. von Ernnesto Grassi et. al., Hamburg 1978. 3 Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin 1910, Bd. I, S. 44-47.
Ich und Freiheit bei Leibniz
114
fuerit in sensu, excipe: nisi intellectus ipse.« Die Seele schließt in sich das Sein, die Substanz, das Eine, das Gleiche, die Ursache, die Perzeption, das vernünftige Denken und viele andere Begriffe, die die Sinne nicht geben können.«4 Die eingeborenen Ideen und Anlagen sollen dem vernunftbegabten Menschen ermöglichen, sich der eigenen Vernunft zu bemächtigen und in Auseinandersetzung mit der Sinnenwelt aus dem eigenen Inneren die Bilder der Metaphysik und Moral ins bewusste Wissen und Wollen einzuholen. So führt Kurt Flasch zu des Cusanus »De docta ignorantia« an: »Ist die Einfaltung, also die complicatio gesetzt, folgt daraus nicht die Existenz der Ausfaltung, der explicatio. Nur wenn die Ausfaltung, die explicatio gesetzt ist, folgt daraus die Existenz der Einfaltung, die complicatio.«5 Wir müssen vernünftig denken, wenn wir erkennen sollen, daß wir Vernunftwesen sind. Hierzu tragen Erziehung und eigene Reaktionen auf Ereignisse der Außenwelt bei, über welche wir reflektieren. Erziehung und Selbstzucht vermögen ungute Neigungen zu bekämpfen und einzudämmen. Die in der Natur angelegte Vernunft kann durch Zucht zur dominierenden Haltung des geistigen Menschen werden, welcher Willens ist, nicht Sklave, sondern Herr seiner selbst zu sein und unmittelbar nur Gott zu unterstehen: »Nach Aristoteles und den meisten anderen ist Tugend die Verhaltensweise, die Leidenschaften durch die Vernunft zu mässigen, und noch einfacher die Verhaltensweise, vernunftgemäss zu handeln.« Das Neugeborene weiß schon alles; es vergisst im Gange der Kindheit, erinnert sich im vernünftigen Erwachsenenalter. »Et cela ne peut manquer d’estre agréable à celuy qui est la supreme et derniere raison des choses; à qui rien n’est indifferent, et les actions des creatures raisonnables moins que toutes les autres.«6 Anknüpfend an die Stoa, versteht Leibniz die Tugend als Einübung in Selbstbeherrschung und Mässigung. Tugend, als Handeln gemäß Vernunft und Gewissen will eingeübt sein, ist ein Habitus wie das Laster: »Es ist ziemlich sicher, dass man die jungen Leute daran gewöhnen könnte, in der Ausübung der Tugend ihr grösstes Vergnügen zu finden. Und selbst die Erwachsenen könnten sich Gesetze und eine ihnen folgende Lebensführung schaffen, die sie, wenn sie sich einmal der Tugend zugewandt haben, mit gleicher Stärke und gleicher Unruhe dorthin brächte, wie sie ein Trunkenbold empfinden kann,
4 5
NE II,I, § 1. G V, 101, H.H.Holz Bd. III/1, S. 98 ff. insb. S. 102/103. Kurt Flasch: Nikolaus von Cues. Geschichte einer Wirkung. Frankfurt a.M., 1998,
6
NE I,III, § 18; G V, 68; H. H. Holz Bd. III/1, S. 72/73.
S. 117.
Ich und Freiheit bei Leibniz
115
wenn er verhindert ist, ins Wirtshaus zu gehen.«7 Weder Willensschwäche noch Dummheit entschuldigen Unsittlichkeit und Verbrechen: »Gefährlichen sinnlichen Leidenschaften soll man unschuldige Sinnesvergnügen entgegensetzen, wie Ackerbau und Gartenpflege; man wird den Müßiggang meiden, wird Merkwürdigkeiten der Kunst und Natur sammeln, Experimente anstellen und Forschungen nachgehen; man wird sich zu irgendeiner Tätigkeit verpflichten (...) man wird sich gute Gemütsbewegungen zunutze machen wie die Stimme Gottes die uns ruft, um wirksame Entschlüsse zu fassen.«8 Auch der Dumme weiss um die Unsittlichkeit seines Willens und könnte, wenn er wollte, sittlich handeln: »für das wahre Glück genügt weniger Wissen mit mehr gutem Willen, derart dass der grösste Idiot ebenso leicht dahin gelangen kann wie der Gelehrteste und Gescheiteste.«9 Auch der Wissenschaftler und Intellektuelle oder schlicht der Gebildete ist anfällig für Ideologien und widermoralisches Handeln, wo er seinen Willen nicht aus der Vernunft in Gott bildet, indem er im Mit des Anderen hypothetisch ein Mitsein an Gott anerkennt.10 Tatsachenwahrheiten, welche nur unserer Welt eigen sind, können nicht eingeboren sein. Eingeboren können einzig Vernunftwahrheiten sein, die in eins mit der Autokreation Gottes als notwendige Wahrheiten entstanden, für jegliche mögliche Welt gelten, und an die Gott als eigene Notwendigkeiten sich bindet. Leibniz führt aus: »So entspricht in meinem Sprachgebrauch der Verstand dem, was bei den Lateinern intellectus genannt wurde, und die Ausübung dieses Vermögens nennt sich »Verstehen«, das eine deutliche Wahrnehmung verbunden mit dem Vermögen zur Reflexion ist, die es bei den Tieren nicht gibt. Jede mit einem solchen Vermögen verbundene Perzeption ist ein Gedanke, den ich den Tieren ebenso wenig wie den Verstand zugestehe, so dass man sagen kann, das Verstehen ereigne sich dann, wenn der Gedanke deutlich ist. Im Übrigen verdient die Perzeption der Bedeutung der Zeichen hier nicht von der Perzeption der bezeichneten Ideen unterschieden zu werden.«11
Verstehen und sich dieses Verstehens bewusst sein, ist ein Akt der Freiheit, mit welchem der Mensch sich der Unmittelbarkeit der Perzeption ent7 NE II,XXI, § 37; G V, 177; H. H. Holz Bd. III/1, S. 298/299. 8 NE II,XXI, § 35; G V, 174; H.H.Holz Bd. III/1, S. 288/289. 9 NE II,XXI, § 67; G V, 191 f., H.H. Holz Bd. III/1, S. 338/339. 10 Vgl. jedoch Leibniz als Denker zur Zeit des Absolutismus, der für die Wenigen denkt: Théod. G VI, 37 u G. VI, 37 f. 11 NE II,XXI, § 5, G V, 159, H.H. Holz Bd. III/1, S. 250/251.
Ich und Freiheit bei Leibniz
116
reißt, so in Einem Akt Distanz zum perzepierten Ding und zu sich als Sinnenwesen gewinnend. Leibniz ist dessen sich durchaus bewusst, daß in unterschiedlichen Ländern und Sitten und bei unterschiedlichen Gesetzgebern je anderes als gut oder verwerflich gelten kann und läßt daher Theophilus sagen, er seinerseits würde »lieber die unveränderliche Regel der Vernunft als Maß des moralisch Guten und der Tugend betrachten, die aufrechtzuerhalten Gott sich angelegentlich sein läßt.«12 Vorerst äussert Theophilus: »Le bon est, que ce qui est de l’institution generale de Dieu, est conforme à la nature ou à la raison.«13 Das einfühlend Natürliche gegenüber der Natur, das Vernünftige gegenüber Vernunftwesen kann als richtiges Handeln gedeutet werden. Nicht weniger spricht die Tugend durch Kongfutse und Lao-Tse wie durch den Gott der monotheistischen Religionen, ZenBuddhismus formt Sittlichkeit und Sitte mehr als die im Sinne Christi im modernen Staat kaum praktikablen christlichen Religionen. Der Koran verweist auf den gemeinsamen Stammvater von Isaak und Ismael, auf Abraham, der über Isaak Stammvater der Juden, über Ismael Stammvater der damals noch Götzendienst übenden Araber war und der in der Verbindung mit der ägyptischen Mutter Ismaels in der Person Mohammeds auch die Araber zum Monotheismus führte.14 Nachdem Leibniz in den Nouveaux Essais den Theophilus sagen ließ: »Ich halte alle notwendigen Wahrheiten für eingeboren, und ich füge ihnen sogar die Instinkte hinzu,« führt er aus: »Hingegen hängt der Name der Tugend von der Auffassung derer ab, die diese Bezeichnung den verschiedenen Verhaltensweisen oder Handlungen geben, je nachdem sie sie als gut oder schlecht beurteilen und von ihrer Vernunft Gebrauch machen. Alle stimmen aber durchaus überein im Begriff der Tugend im allgemeinen, wenn sie auch in der Anwendung auseinandergehen.«15 Es ist bekannt, daß Leibniz sich sehr für die China-Mission und das Chinesische Denken interessierte, dem das Absolute sich nicht in Religionen, sondern in Sittenlehrern offenbart hatte, daß Leibniz aber einen ursprünglichen Monotheismus in China supponierte. Die unablässigen zehn Gebote hat Jahwe durch Moses den zur Diaspora bestimmten Juden offenbart, wissend daß dieses Volk weder besser noch schlechter als andere Völker war, aber zu halsstarrig, um nicht durch alle Übel hindurch seinem Gott die Treue zu wahren. Kongfutse war zum Sittenlehrer von China 12 13 14 15
NE II, XXVIII, § 4; G V, 232; H.H. Holz, BD. III/1, S. 440/441. Ebenda. Reinhard Lauth: Abraham und die Kinder seines Bundes mit Gott. München 2003. NE II,I, § 18, G V,.89, H.H. Holz Bd. III/1, S 70-73,.
Ich und Freiheit bei Leibniz
117
und Japan bestimmt, indem er in den Gesprächen mit seinen Schülern umriß, was die Pflichten des Menschen in Staat, Gesellschaft und Familie seien und in einem Zeitalter des Sittenverfalls auf die Tradition verwies. Nach Kongfutse legte Lao-Tse im Tao Tê King fest, wie sittlicher Mensch und Herrscher sich zu verhalten hätten. In einem nihilistischen Zeitalter, in welchem Regierung wie Bürgertum ebenso korrupt sind, wie dies schon Nietzsche sah, können die Verse des Tao Tê King auch für die westlichen Länder Geltung beanspruchen: Wessen Regierung recht zurückhaltend Dessen Volk kommt recht empor; Wessen Regierung recht durchspähend, dessen Volk verfällt erst recht. Unglück, oh!, das Glück beruht darauf, Glück, oh!, das Unglück liegt darunter. Wer kennt ihren Gipfel? Ist seine Regierung nicht redlich: Die Redlichen werden zu Schelmen, die Guten werden zu Heuchlern. Des Volkes Verblendung, – Ihr Tag währt lange! Daher: der heilige Mensch ist Gerecht und nicht verletzend, aufrichtig und nicht beleidigend, gerade und nicht willkürlich, leuchtend und nicht blendend.16
Anders als der zitierte Spruch sich nicht an primär an die Regierenden, sondern an den zur Sittlichkeit schlechthin bestimmten Menschen richtend, lehrt Lao Tse: Das große Tao ist überströmend Es kann links sein und rechts. Alle Wesen verlassen sich auf es, um zu leben, und es versagt nicht. Ist Verdienstliches vollendet, nennt es dies nicht sein. Es liebt und nährt alle Wesen Und macht sich nicht Herr. Ewig ohne Verlangen, so kann es klein genannt werden. 16 Lao Tse: Tao Tê King, Übertragung und Kommentar von Victor von Strauß, hrsgg. von W. Y. Tonn, Zürich 1959, S. 137, Spruch LVIII.
118
Ich und Freiheit bei Leibniz Alle Wesen kehren sich (zu ihm), und es macht sich nicht Herr, so kann es groß genannt werden. Daher: Der heilige Mensch macht sich nie groß, darum kann er seine Größe vollenden.17
Die indische Bhagavadgita besteht in den Lehren, die Krishna dem Prinzen Arjuna gibt und gilt als das schönste religionsphilosophische Gedicht der Weltliteratur. Sie bestätigt, daß es ein gemeinsames Wissen um Tugend und Sittlichkeit gibt, das allen Religionen und grossen Philosophien der Welt eignet, und das letztlich im Absoluten gründet. Es sei hier der Beginn des sechsten Gesanges wiedergegeben, in welchem der Erhabene spricht: Wer, nicht auf Tatenfrucht bedacht, die pflichtgemäße Tat vollbringt, Ist entsagungs- und andachtsreich, nicht wer feuer- und tatenlos. Was man Entsagung nennt, das ist Andacht – wisse o Pându-Sohn! Denn wer den Wünschen nicht entsagt, der kann auch nicht andächtig sein. Der Weise, der nach Andacht strebt, dem ist die Tat sein Element, Doch wer die Andacht hat erreicht, des Element ist Seelenruh. Wer an sinnlichen Dingen nicht noch an den Taten irgend hängt 17 Lao-Tse: Tao Tê King, Ebenda, S. 101, Spruch XXXIV. Es ist hierbei festzuhalten, dass die Leere in Gegensatz steht zum Nichts, denn sie setzt die Fülle voraus. Erst wo Fülle ist, ist auch Leere und beide niegieren das Nichts. So erwähnt Wolfgang Hübener Leibnizens Aufzeichnungen von einem Gespräch mit dem brandenburgischen Etatsrat Dobrzensky vom Januar 1695: »Pour rendre raison du peché, il faudroit une cause infinie capable de contrebalancer l’influence de la bonté divine.: B.- Je puis vous nommer une telle chose. A.- Vous serez donc un Manicheen, parce que vous admettez deux principes, l’un du bien et l’autre du mal. B.- Vous me dechargerés vous meme de cette accusation du Manicheisme, quand je vous auray nommé cet autre principe. A.- Nommés le donc presentement, Monsieur, je vous en prie. B.- C’est le Neant. A.- Le Neant? Mais le Neant est il infini? B.- Il l’est sans doute, il est infini, il est eternel, il a bien des attributs communs avec Dieu. Il comprend une infinité de choses, car toutes celles qui ne sont point sont comprises dans le Neant, et celles qui ne sont plus sont rentrées dans le neant.« Grua, S. 263 f. W. Hübener: Zum Geist der Prämoderne, Würzburg 1985, S. 89. Hans Poser nimmt die Unterscheidung zwischen apeiron, infinitum, immensum und indefinitum vor, wobei dem infinitum die »schlechte Unendlichkeit« Hegels zuzusprechen wäre. Doch ist der Raum mit seinen ins infinitum sich explodierenden Rändern immensum, das Nichts unvorstellbar. Vgl. Hans Poser: Die Idee des Unendlichen und die Dinge. Infinitum und Immensum bei Leibniz. In: L’infinito e l’immenso in Leibniz, a cura di Antonio Lamarra, S. 225-233.
Ich und Freiheit bei Leibniz
119
Und allen Wünschen hat entsagt, der hat die Andacht, heißt’s erreicht. Man bring’ sein Selbst durch Selbst empor, nicht bring’ herunter man das Selbst.18
Leibniz beruft sich auf Aristoteles und Platon. Platon umkreist in der Folge des Sokrates die Tugend, Aristoteles begründet die Ethik als philosophische Disziplin. Beide fanden über den Olymp zu einem Einen Gott. Doch waren es eben die die Seinsstrukturen verkörpernden Götter des Olymp, welche die großen griechischen Philosophen zur Annahme eines monotheistischen Weltenherrschers und –bewegers führten, sie so für die christliche Philosophie bis zur Renaissance als die massgebenden Denker erscheinen ließ. Einen Gegenpol zu den monotheistischen Religionen, zu den auch schon das Gottesbild des Aristoteles, Platons u wohl auch schon des Sokrates zu rechnen sind, bilden die Religionen Schwarzafrikas. Auch, wo afrikanische Völker sich zu Islam oder Christentum bekehren ließen, behielten sie meist Riten und Kulte der überkommenen Religionen bei, jedenfalls Bestattungs-, Toten- und Fruchtbarkeitsriten sowie Initiationsbräuche. Afrika erscheint dem 20./21. Jahrhundert als ein verspäteter Kontinent; doch birgt es ein ungeheures Potential von Kreativität und Intelligenz. Floh das Christentum chiliastisch nach vorn, so stand im Zentrum der afrikanischen Kunst und Religion der Ahnenkult: Die Aufstellung der weit, über die verschiedensten Gegenden und Stämme verteilten Ahnenfiguren, barg das Versprechen, daß alles bleiben sollte, wie die Ahnen die Dinge eingerichtet hatten. Denn je besser und angesehener der Tote zu Lebzeiten war, desto größer wird sein Einfluß beim Schöpfergott sein, desto mehr vermag er für die Lebenden, welche in seinem Sinne handeln und leben.19 So fand Entwicklung nur langsam statt, ev. indem ein Künstler wenige eigene Stilmerkmale entwickelte, und Entwicklung bedeutete in Schwarzafrika nicht zuletzt Verinnerlichung. Gemeinsam war den afrikanischen Religionen das Bedürfnis nach Harmonisierung von Gegensätzen. Das Jenseits wirkte ins Diesseits und umgekehrt, ritueller Tanz – Gesang von Frauen, Besprechen von Strittigem nach festen Regeln – nicht nur die im Gang der 18 Bhagavadgita. Des Erhabenen Sang. Übertragen von Leopold von Schröder, Düsseldorf, Köln 1965, S. 48. In der Bhagavadgita sind schon die von Hannah Arendt aufgezeichneten zwei möglichen Wege zu Gott festgehalten: Vita activa und vita contemplativa. 19 Karl Ferdinand Schaedler: Götter – Geister – Ahnen. Afrikanische Skulpturen in deutschen Privatsammlungen, Katalog München 1992.
120
Ich und Freiheit bei Leibniz
Geschichte entstandenen Königreiche zeugen von einer afrikanischen Hochkultur. Manche afrikanischen Stämme verfertigten Kultfiguren mit übermäßig großem Penis; dies läßt sich deuten als »Haben von viel Kraft«, viel Kraft, die auch Voraussetzung und Äußerung ist von viel Weisheit. Die Intensität des Denkens wird ausgedrückt durch den überdimensionierten Penis. – So wie auch Nietzsche formulieren wird, daß das Denken zutiefst mit der Geschlechtlichkeit des Menschen zusammenhängt. Es zeigt sich im Ahnenkult eine Gemeinsamkeit mit China, das gemäß den Lehren Kongfutses ebenfalls im Ahnenkult in sich verharrte und jetzt spät begann, den Anschluß an die Moderne des Westens mit all ihrer Problematik zu suchen. Doch wird in einer vielleicht noch fernen Zukunft die Großmacht Afrika sich profilieren.
2.7. Die prästabilierte Harmonie von Leib und Seele »Die Seelen handeln nach den Gesetzen der Zweckursachen, durch Begehrungen, Zwecke und Mittel. Die Körper handeln gemäß den Gesetzen der Wirkursachen bzw. der Bewegungen. Und diese beiden Reiche, dasjenige der Wirkursachen und dasjenige der 1 Zweckursachen, harmonieren.«
Leibniz geht aus von einem vollkommenen Parallelismus von Leib und Seele und unternimmt nach Descartes und Malebranche einen neuen Versuch, das Mysterium der Einheit so verschiedener Naturen wie der Seele in ihrer Immaterialität und dem Faktum der Physis zu lösen.2 Seele und 1 Mon. § 79; G VI,620: »Les ames agissent selon les loix des causes finales par appetitions, fins et moyens. Les corps agissent selon les loix des causes efficientes ou des mouvemens. Et les deux regnes, celuy des causes efficientes et celuy des causes finales, sont harmoniques entre eux.« Vgl. auch an Arnauld – versiones in partem generalem principiorum Cartesianorum, G II,64: »Habet natura velut imperium in imperio, et ut ita dicam regnum duplex, rationis et necessitatis, sive formarum et particularum materiae, quemadmodum enim omnia sunt plena animarum, ita et organicorum corporum. Haec regna inter se inconfusa suo quodque iure gubernantur, nec magis ratio perceptionis atque appetitus in modificationibus extensionis, quam ratio nutritionis, caeterarumque functionum organicarum in formis sive animabus quaerenda est.« G IV,391. Ebenso »Considerations sur les Principes de vie, et sur les Natures Plastiques, par l’Auteur du Systeme de l’Harmonie preétablie, G VI, 540 f.: »Les Ames suivent leur loix, qui consistent dans un certain developpement des perceptions selon les biens et les maux; et les corps suivent aussi les leurs, qui consistent dans les regles des mouvemens: et cependant ces deux Estres d’un genre tout à fait different, se rencontrent ensemble et se repondent comme deux pendules parfaitement bien reglées sur le même pied, quoyque peutestre d’une construction toute differente. Et c’est ce que j’appelle l’Harmonie preétablie.« Vgl. Benson Mates: The philosophy of Leibniz, op. cit. S. 204-208. 2 Vgl. zur Wechselwirkung von Leib und Seele den historischen Abriß bei Mario Casula, insb. S. 399 ff. in: Akten des II. Internationalen Leibniz-Kongresses, Bd. III, Wiesbaden 1975, S. 397-408. Vgl. auch Dominik Perler und Ulrich Rudolph: Occasionalismus, Theorien im arabisch-islamischen und im europäischen Denken, Göttingen 2000, worin der Occasionalismus von Malebranche in seine Wurzeln zurückverfolgt wird. Ausführlich H. Busche, op. cit. III. Teil, insb. S. 501 ff.
122
Ich und Freiheit bei Leibniz
Selbstbewusstsein, von denen wir doch wissen, sind im Gehirn nicht zu lokalisieren. Die Hirnzellen erklären sie nicht. So erklärt auch Reinhard Lauth: »der Geist kann keine körperlichen Eigenschaften annehmen und der Körper keine geistigen« und zitiert die Dritte Antwort des Cartesius an Hobbes: »Les actes intellectuels n’ont aucune affinité avec les actes corporels; la pensée (...) diffère totalement de l’extension«.3 Im Discours de Métaphysique spricht Leibniz die Hoffnung aus, das Mysterium der psychophysischen Einheit befriedigend gelöst zu haben: »On voit aussi éclaircissement de ce grand mystere de l’union de l’ame et du corps, c’est à dire comment il arrive que les passions et les actions de l’un sont accompagnées des actions et passions ou bien des phenomenes convenables de l’autre. Car il n’a pas moyen de concevoir que l’un aye de l’influence sur l‘autre, et il n’est pas raisonnable de recourir simplement à l’operation extraordinaire de la cause universelle dans une chose ordinaire et particuliere.«4 Descartes war beim Versuch einer Erklärung der Vereinigung von Seelen- und Leibsubstanz gescheitert5 und im Système Nouveau verweist Leibniz auf die eigene Suche: »je ne trouvois aucun moyen d’expliquer comment le corps fait passer quelque chose dans l’ame, ou vice versa, ny comment une substance peut communiquer avec une autre substance creée. Mr. des Cartes avoit quitté la partie là dessus.«6 Die ständige Intervention Gottes, wie die Occasionalisten sie annahmen, dünkte Leibniz eine widernatürliche Anhäufung von Wundertaten, das ständige Provozieren eines Deus ex machina: »La voye de l’assistance est celle du systeme des causes occasionelles. Mais je tiens que c’est faire venir Deum ex machina dans une chose naturelle et ordinaire.«7 Zutiefst beeindruckt war Leibniz von Huygens‘ Uhrenexperiment: Die Pendel der beiden an demselben Balken befestigten Uhren synchronisierten sich. Hieraus folgert Leibniz eine Synchronie von Leib und Seele analog den beiden Uhren und aus der Hypothese einer prästabilierten 3 R. Lauth: »Descartes’ Konzeption des Systems der Philosophie«, S. 163. Vgl. Descartes, AT IX-1, 137. 4 DM XXXIII; G IV, 458. 5 R. Lauth weist nach, dass Descartes zwar die famose Zirbeldrüse ins Spiel brachte, diese jedoch nicht als wirkliches Verbindungsglied von Leib und Seele betrachtete: »Die notiones communes dienen als Grundvorstellungen »(de) certaines choses que nous expérimentons en nous-mêmes, qui ne doivent point être attribuées à l’âme seule, ni aussi au corps seul, mais à l’étroite union qui est entre eux.« – Principes I, 48; AT IX-2,45; R. Lauth, op. cit, S. 29. Reinhard Lauth beweist an Hand von Stellen aus dem Gesamtnachlaß von Descartes, dass Descartes tatsächlich Positionen der Transzendentalphilosophie vorweggenommen hat. 6 G IV, 483. 7 Système nouveau; G IV, 499.
Ich und Freiheit bei Leibniz
123
Harmonie: Gott hat den Leib so zur Seele passend geschaffen, daß Leib und Seele, je den eigenen Regungen und Gesetzen folgend, vollkommen synchron sind. Im Système nouveau betont Leibniz: »Ainsi il ne reste que mon hypothese, c’est à dire que la voye de l’harmonie pré-établie, par un artifice divin prevenant, lequel a formé dès le commencement chacune de ces substances, qu’en ne suivant que ses propres loix qu’elle a receues avec son estre, elle s’accorde pourtant avec l’autre, tout comme s’il y avoit une influence mutuelle, ou comme si Dieu y mettoit tousjours la main, au delà de son concours general.«8
Im Postscriptum eines Briefes an Basnages de Beauval vom 9./13. Januar 1696 führt Leibniz aus: »Figurés vous deux horloges ou montres qui s’accordent parfaitement. Or cela se peut faire de trois façons: la premiere consiste dans une influence naturelle. C’est ce qu’experimenta Monsieur Hugens à son grand etonnement. Il avoit suspendu deux pendules à une même piece de bois, mais ces tremblemens ne pouvant subsister dans leur ordre, et sans s’entr’empecher, à moins que les pendules ne s’accordassent, il arrivoit par une espece de merveille que lorsque on avoit même troblé leurs battemens tout exprès, elles retournoient à battre ensemble, à peu pres comme deux cordes qui sont à l’unison.«9
Und Leibniz fährt fort: »Mettés maintenant l’ame et le corps à la place de ses deux montres; leur accord ou sympathie arrivera aussi par une de ces trois façons, (…) La voie de l’assistance (La seconde maniere – KVT) est celle du systeme de causes occasionelles. Mais je tiens que c’est faire venir Deum ex machina dans une chose naturelle et ordinaire (...) Ainsi il ne reste que mon hypothèse, c’est à dire que la voye de l’harmonie pré-établie, par un artifice divin prevenant, lequel a formé dès le commencement chacune de ces substances, qu’en ne suivant que ses propres loix qu’elle a receues avec son estre, elle s’accorde pourtant avec l’autre, tout comme s’il y avoit une in-
8 G IV, 499. Vgl. G IV 500 f. vom September 1696 und NE II,XXIII,§ 13: »nach meinem System der prästabilierten Harmonie sind die Körper derart geschaffen, dass sie, einmal in Bewegung versetzt, diese aus sich selbst heraus fortsetzen, demgemässdemgemäß, wie es die Geistestätigkeiten erfordern.« G V, 205 f., H.H. Holz Bd. III/1, S. 368/369 ff. 9 G IV, 498.
124
Ich und Freiheit bei Leibniz fluence mutuelle, ou comme si Dieu y mettoit tousjours la main, au delà de son concours general.«10
Gott hat die Zweckursachen der Seele und die Wirkursachen der Körper vollkommen aufeinander abgestimmt11: Die Kraft jedoch, welche Körper in Bewegung setzt, ist, wie Leibniz schon in seiner Dynamik entwickelt hat, eine metaphysische Entität. In seinen Principes de la Nature et de la Grâce führt Leibniz aus: »Ainsi il y a une harmonie parfaite entre les perceptions de la Monade et les mouvemens des corps, préetablie d’abord entre le systeme des causes efficientes et celuy des causes finales. Et c’est en cela que consiste l’accord et l’union physique de l’Ame et du corps, sans que l’une puisse changer les loix de l’autre.«12 In den Nouveaux Essais lässt Leibniz den Philalethes mit des Theophilus Zustimmung sagen: »Es gibt, glaube ich, nur zwei Arten von Tätigkeit, deren Idee wir haben, nämlich denken und bewegen.«13 Der göttliche Uhrmacher hat den Leib derart programmiert, dass seine äußeren Bewegungen und Regungen den inneren Regungen der Seele entsprechen. Die Seele als Entelechie ist die substanzielle Form des Körpers, welchen Gott nach ihrem Maß geschaffen hat.14 Erst die Seele substantiiert das phaenomenon bene fundatum, welches der Körper als ein Monadenaggregat darstellt, so daß die Verbindung der Seele mit ihrem Körper eine substantielle Einheit darstellt. Diese substantielle Einheit von Leib und Seele bedeutet, daß, »wenn ich beschliesse, meinen Arm zu heben, Gott den Körper so geschaffen hat, daß er aus eigenem Antrieb die von der Seele gewollte Bewegung vollzieht.«15 So stellt Leibniz dar: »Animae connata est idea sui corporis, et corpori inest (expressio) dynamis animae. Et tam perfectus est inter haec duo mutuae 10 G IV, 498 f. 11 Mon. 79: »Les ames agissent selon les lois des causes finales par appetitions, fins et moyens. Les corps agissent selon les loix des causes efficientes ou des mouvemens. Et les deux regnes, celuy des causes efficientes et celuy des causes finales, sont harmoniques entre eux.« G VI, 620. 12 PN § 3; G VI, 599. 13 NE II, XXI, § 4; G V, 157, H.H. Holz, Bd. III/1, S. 244/245. 14 Vgl. Vorstudie zum Brief an Arnauld vom 28. Nov./8. Dez. 1686; G II, 71 ff. 15 An Arnauld vom 28. Nov./8. Dez. 1686; G II,74: »Je reponds, que (...)la nature de toute substance porte une expression generale de tout l’univers, et que la nature de l’ame porte plus particulierement une expression plus distincte de ce qui arrive maintenant à l’égard de son corps. C’est pourquoy il luy est naturel de marquer et de connoistre les accidents de son corps par les siens. Il en est de même à l’égard du corps, lorsqu’il s’accommode aux pensées de l’ame; et lorsque je veux lever le bras, c’est justement dans le moment que tout est disposé dans le corps pour cet effect, de sorte que le corps se meut en vertu de ses propres loix (...) ces loix y conspirent justement dans le moment que la volonté s’y porte, Dieu y ayant égard par avance, lorsqu’il a pris sa resolution sur cette suite de toutes les choses de l’univers.«
Ich und Freiheit bei Leibniz
125
expressionis consensus, ut corporis defectibus originariis aliquid etiam in anima statim respondeat.«16 Klar bezieht Leibniz Position in einem Schreiben an Remond vom 4. November 1715: »Une veritable substance (telle qu’un animal) est composée d’une ame immaterielle et d’un corps organique, et c’est le Composé et ces deux qu’on appelle Unum per se.«17 Der Leib-Seele-Parallelismus bedingt, dass die Seele unabhängig und frei ist von ihrem Körper. Die Seele ist fensterlos, lebt ganz aus sich und in sich, und nichts Materielles vermag den Geist zu beeinflussen. Dieser lebt ganz von und durch die eigene Substantialität: »Les Monades n’ont point de fenêtres, par lesquelles quelque chose y puisse entrer ou sortir.«18 Perzeptionen entstehen einzig aus Perzeptionen, das Leben des Geistes verdankt sich dem Geist: »c’est une mauvaise abitude que nous avons de penser comme si nostre ame recevoit quelques especes messageres et comme si elle avoit des portes et des fenestres. Nous avons dans l’esprit toutes ces formes, et même tout temps, parce que l’esprit exprime tousjours toutes ses pensées futures, et pense déja confusement à tout ce qu’il pensera jamais distinctement.«19 Wir denken aus unserem Wissen, und was heute unser Wissen ist, war gestern unser Gedanke. Dieser expliziert sich in der Zeit. Nicht Materie bringt Gedanken hervor, sondern Gedanken sind die Frucht von Gedanken; sie können provoziert werden durch Sinneseindrücke, doch sie knüpfen an an Gedachtes. Im 5. Brief an Clarke repliziert Leibniz ironisch: »Je ne demeure point d’accord (...) comme si les images des choses étoient transportées (...) par les organes jusqu’à l’ame. Car il n’est point concevable, par quelle ouverture, ou par quelle voiture, ce transport des images depuis l’organe jusques dans l’ame se peut faire (...) L’on ne sauroit expliquer comment la substance immaterielle est affectée par la matiere.«20 Es ist die Fensterlosigkeit, die grundsätzliche Insichgekehrtheit der schöpferischen Seele, welche garantiert, dass das Heute im Gestern schon gegeben war, so wie das Morgen im Heute schon beschlossen ist. Der Geist bedarf der Sinneseindrücke; doch das Denken verdankt sich dem Gedachten. Zwar sind die Seelen mit der Schöpfung der Welt – und dies heisst in unserem Sinne als unmittelbare Folge und Höhepunkt der 16 Grua I, 243 (IV, 12). 17 G III, 657. 18 Mon. § 7; G VI, 607. 19 DM XXVI; G IV,451. 20 5. Brief an Clarke, 30, 84; G VII, 410. In den Nouveaux Essais wendet Leibniz gegen die Tabula rasa Lockes ein: »Hat die Seele Fenster, gleicht sie einer Tafel? Ist sie wie aus Wachs? Offensichtlich halten alle diejenigen, die so von der Seele denken, sie im Grunde für körperlich.« NE II,I,§ 2; G V,100; H.H. Holz Bd. III/1 S. 100/101.
126
Ich und Freiheit bei Leibniz
Selbstwerdung Gottes – entstanden, doch wird ihnen ihr Leib erst mit der Geburt angepasst; in § 66 der Theodizee führt Leibniz aus: »insofern die Seele vollkommen ist und ihre Gedanken klar sind, hat Gott den Leib der Seele angepasst und hat er von Anbeginn den Leib zur Ausführung ihrer Befehle eingerichtet; insofern aber die Seele unvollkommen ist und ihre Perzeptionen verworren sind, hat Gott die Seele dem Leib angepasst, so daß die Seele geneigt ist, sich von den Leidenschaften leiten zu lassen, welche sich den körperbedingten Vorstellungen verdanken. (...) Und eigentlich repräsentiert die Geistseele durch ihre verworrenen Gedanken die sie umgebenden Körper.«21 Wobei, was sie am ehesten fühlt, der eigene Leib und seine Bedürfnisse sind. Sind die Vorstellungen klar und deutlich, so verdanken sie sich der Vernunft oder dem Schaffensakt: sind die Perzeptionen unklar und verschwommen, so handelt es sich um Körpereindrücke, wobei jegliche Außenwelt über den eigenen Leib wahrgenommen wird. Wo sie klare, deutliche, ja schöpferisch entwerfende Vorstellungen haben, sind Vernunft und Geist gottnah.
21 Théod. § 66; G VI, 138 f.
2.8. Die petites Perceptions und der psychophysische Expressionismus Die hier folgende Darstellung des psychophysischen Expressionismus stützt sich weitgehend auf die Ausführungen von Hubertus Busche zu Leibnizens Denken von 1686 – 1716.1 Zuvor jedoch ist einzugehen auf Leibnizens Lehre von den unmerklichen kleinen Perzeptionen, mit welcher Leibniz als Erster Bereiche des Unbewussten erschloss und die auch auf Kant, in stärkerem Masse auf Fichte2, und über diesen bis zu Nietzsche und Freud wirken sollte. Es ist die Lehre der petites perceptions, welche der Behauptung zugrunde liegt, dass die Gegenwart schwanger geht mit der Zukunft und beladen ist mit der Vergangenheit: »Ce sont elles qui forment ce je ne sçay quoy, ces gouts, ces images des qualités des sens, claires dans l’assemblage, mais confuses dans les parties, ces impressions que des corps environnans font sur nous (...) On peut même dire, qu’en consequence de ces petites perceptions le present est gros de l’avenir et chargé du passé (...) Ces perceptions insensibles marquent encor et constituent le même individu qui est caracterisé par les traces ou expressions qu’elles conservent des
1 Im schon zitierten Schreiben an Remond vom November 1715 betont Leibniz nochmals: »ainsi les corps ne changent pas les loix Ethico-Logiques des ames, comme les ames ne changent point les loix Physico-mecaniques des corps.« (GIII, S. 657). 2 Vgl. Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre, GA I,2; 143: »Der menschliche Geist macht mancherlei Versuche; er kommt durch blindes Herumtappen zur Dämmerung, und geht erst aus dieser zum hellen Tage über. Er wird Anfangs durch dunkle Gefühle* (deren Ursprung und Wirklichkeit die Wissenschaftslehre darzulegen hat) geleitet; und wir hätten noch heute keinen deutlichen Begriff, und wir wären noch immer der Erdklos, der sich dem Boden entwand, wenn wir nicht angefangen hätten dunkel zu fühlen, was wir erst später deutlich erkannten.« * »Es erhellet daraus, dass der Philosoph der dunklen Gefühle des Richtigen oder des Genie in keinem geringern Grade bedürfte, als etwa der Dichter oder der Künstler; nur in einer andern Art. Der letztere bedarf des Schönheits- jener des Wahrheitssinnes, dergleichen es allerdings gibt.«
128
Ich und Freiheit bei Leibniz
estats precedens de cet individu faisant la connexion avec son estat present.«3 »Lust oder Schmerz sind merkliche Perzeptionen«;4 die Kontinuität des Übergangs vom einen zum andern beruht jedoch auf meist unmerklichen Perzeptionen. Ob ich aus undefinierbaren Gründen guter oder schlechter Laune bin, geht auf eine Folge möglicherweise mehrerer gleichzeitiger kleiner Perzeptionen zurück. Es ist »nicht das Gedächtnis, das die Identität des Menschen ausmacht«,5 sondern es ist die nie abbrechende Folge möglicherweise mehrerer gleichzeitiger kleiner Perzeptionen. Die gegenwärtigen Seelenzustände sind Folge der Vorstellungen, die in der Vergangenheit die Seele geprägt haben, meine Identität ist Ergebnis vergangener Seelenbildungen, die auf Grund von Erlebnissen, Erkenntnissen, Gedanken mich geprägt haben und so in die Gegenwart hineinwirken und die Brücke zur Zukunft schlagen. Was die Seele in der Vergangenheit hingebildet hat, prägt sie für die Gegenwart: »Denn man muss wissen, dass jede Seele alle vergangenen Eindrücke bewahrt (...) Die Zukunft hat in jeder Substanz eine vollkommene Verbindung mit der Vergangenheit, und das macht die Identität des Individuums aus. Gedächtnis ist indessen nicht nötig, noch auch immer möglich, wegen der Vielzahl der gegenwärtigen und vergangenen Eindrücke nämlich, die in unserem gegenwärtigen Denken zusammenströmen.«6
Das Aufströmen von Erinnerungen kann uns im Tun lähmen, wo die petites perceptions sich zu Gefühlen und Stimmungen verdichten können, welche unser Handeln und unsere Entschlüsse tragen. Indem wir Leben vollziehen, formen wir uns, werden wir zu einem bestimmten Subjekt mit durch unser Sein bestimmten petites perceptions, dessen Individualität eine Substanz zugrunde liegt, die sich im Lebensvollzug erst geformt und
3 NE, Preface; G V, 48, H.H. Holz Bd. III/1, S. XXIV/XXV. Knapper als in den Nouveaux Essais wird Leibniz auch in einem Schreiben an Remond vom 4. November 1715 auf die petites perceptions zu sprechen kommen: »J’accorde aux Cartesiens que l’Ame pense tousjours actuellement, mais je n’accorde point qu’elle s’aperçoit de toutes ses pensées. Car nos grandes perceptions et nos appetits, dont nous nous apercevons, sont composés d’une infinité de petites perceptions et de petites inclinations, dont on ne sauroit s’apercevoir. Et c’est dans les perceptions insensibles que se trouve la raison de ce qui se passe en nous, comme la raison de ce qui se passe dans les corps sensibles, consiste dans les mouvemens insensibles.« (G III, 657). 4 NE II,I, § 11; G V, 103; H.H. Holz Bd. III/1, S. 108/109. 5 NE II,I, § 12; G V, 104; H.H. Holz Bd. III/1, S. 110/111. 6 NE II,I, § 12; G V, 104; H.H. Holz Bd. III/1, S . 110/111.
Ich und Freiheit bei Leibniz
129
gebildet hat, die im Keim aber vorgeburtlich – Leibniz sieht die Lösung in der Präformation – schon angelegt war. So führt Rudolf zur Lippe aus: »Die Humanembriologie kann also nicht nur die Verhaltensweisen des jungen Menschen vor der Geburt zeigen, sondern damit auch physiologische Leistungen des Säuglings und des Kleinkindes sowie des Erwachsenen dem Verständnis näher bringen. Das Saugen, das Greifen, das Atmen sind Beispiele für solche Vermittlungen.«
Und weiter oben führt zur Lippe aus: »Lebendige Gestalten überhaupt, umso mehr die menschlichen, sind immer Momente der Selbstgestaltung. In jedem Augenblick vom Keimling bis zum Erwachsenen haben wir die jeweilige besondere menschliche Gestalt der Gattung. Aber sie geht immer aus der Selbstgestaltung eines jeden Individuums hervor.«7
Im werdenden Menschen und im Säugling findet eine ständige Abfolge von petites perceptions statt, welche seiner Individuierung zugrunde liegen. Das vorgeburtliche Sich-Bilden der Substanz ist eine weitgehend moderne Erkenntnis. Leibniz ging noch aus von der Präformation im Samen und der in Gottes Bewusstsein in die Existenz drängenden Essenzen. Wobei Leibniz nicht ausschloss, dass Gott im Verlauf der Geschichte zu Beginn nicht vorhergesehene Individuen in die Existenz entlassen könne. Wie weit aber der Embryo seine Perzeptionen selegiert, sie ihm Vorlieben und Unlustgefühle auslösen, muss hier offen bleiben.8 Die petites perceptions – auch in der Unmerkbarkeit und Verworrenheit des Tiefschlafs –, garantieren die Einheit und Kontinuität der Person. So hält Leibniz fest: »Sicher schlafen und schlummern wir. Gott aber ist davon befreit. Aber daraus folgt nicht, dass wir im Schlummer ohne irgendwelche Perzeptionen sind. Vielmehr findet sich genau das Gegenteil, wenn man wohl darauf achtet (...) so gibt es auch zahllose, wenig über dem Bewusstseinsgrund erhobene Perzeptionen, die sich nicht genügend unterscheiden, um sie bewusst wahrzunehmen oder sich ih-
7 Rudolf zur Lippe: Sinnenbewusstsein, Bd. 1, 186. 8 Sicher ist, daß das Ungeborene saugen und Schlucken lernt.Wie weit es jedoch von der Unendlichkeit von Erbgut, welche sein Vater und seine Mutter darstellen, übernimmt oder davon auswählt, ist offen. Zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang das »Tibietanische Totenbuch«.
130
Ich und Freiheit bei Leibniz rer zu erinnern. Sie machen sich aber durch bestimmte Folgen kenntlich.«9
Wir können bei guter Laune einschlafen und schlecht gelaunt erwachen oder umgekehrt; wir unterliegen Stimmungsschwankungen, die wir uns rational nicht erklären können, Folgen der petites perceptions, die im Schlaf Träume auslösen oder beenden können. Leben bedeutet Wandel, wo Leben ist, gibt es keine Stagnation, und die kleinen Perzeptionen bedingen Einheit im Wandel. Und so lautet § 10 der Monadologie: »Je prends aussi pour accordé, que tout être creé est sujet au changement, et par consequent la Monade creée aussi, et même que ce changement est continuel dans chacune.«10 Im schon zitierten Brief an Remond vom November 1715 bezeichnet Leibniz nachdrücklich die Seele als Aktivität: »C’est aussi l’idée que les anciens et modernes ont eue, et l’Entelechie d’Aristote, qui a fait tant de bruit, n’est autre chose que la force ou l’activité, c’est à dire un Etat dont l’action suit naturellement, si rien ne l’empeche.«11 Auch wo wir glauben, innerlich leer und passiv zu sein, hält unser Geist über die petites perceptions sich am Leben. So ist Einheit und Integrität des Bewusstseins in der Zeit garantiert durch die Perzeptionenkontinuität: »toute perception presente tend à une perception nouvelle, comme tout mouvement qu’elle represente tend à un autre mouvement.«, schreibt Leibniz in der Theodizee.12 So wie nur eine Bewegung eine Bewegung zu bedingen vermag, so vermag nur eine Perzeption Perzeptionen hervorzubringen. So wie es in einem lebendigen Organismus keine totale Immobilität gibt, so gibt es im Bewusstsein kein Erlebnisvakuum: »Nun kann man glauben, daß, wenn der Körper niemals in Ruhe ist, die Seele, die ihm entspricht, noch weniger je ohne Perzeption sein wird.«13 Die Eindrücke, welche den äußeren Sinnen sich darbieten, werden von der Seele ins Bewusstsein hineingebildet und von diesem als Wahrnehmungen und Vorstellungen ausgedrückt, so daß das Bewusstsein zum Repräsentanten der Sinneseindrücke sich formiert. Die äußeren Körper9 NE II,I, § 9; G V, 102; H.H. Holz Bd. III/1, S. 104/105. Vgl. NE II,I,§ 12: »Man ist während des Schlafes nicht ohne irgendeine schwache Empfindung, selbst wenn man nicht träumt. Das Erwachen selbst zeigt das, und je leichter man geweckt wird, desto mehr Empfindung hat man von dem, was ausser uns vor sich geht, obwohl diese Empfindung nicht immer stark genug ist, um das Erwachen zu verursachen.«. G V, 104; H.H. Holz Bd. III/1, S. 110/111. 10 G VI, 608. 11 G III, 657. 12 Théod. § 403; G VI, 356 f. 13 NE II,I, § 9; G V,101; H.H. Holz III/1, S. 104/105. Mon. § 23, G VI, 610.
Ich und Freiheit bei Leibniz
131
bewegungen umgekehrt stellen dar, was bewusst oder unbewusst sich in der Seele abspielt. Geist wie Körper sind eigengesetzlich, sind spontanea relatione, jedoch durch die Bildungskraft der Seele verbunden. An Arnauld schreibt Leibniz: »je tiens que ce qu’il y a de reel dans l’estat qu’on appelle le mouvement, procede aussi bien de la substance corporelle, que la pensée et la volonté procedent de l’esprit.« Und weiter oben: »les expressions plus distinctes de l’ame repondent aux impressions plus distinctes du corps. Ce n’est pas que les nerfs agissent sur l’ame, à parler metaphysiquement, mais c’est que l’un represente l’estat de l’autre »spontanea relatione«.«14 Die Theorie vom psychophysischen Expressionismus formuliert Leibniz auch an de Volder in einem Brief vom 20. Juni 1703: »ratumque est quod in anima, idem et in corpore exprimi.«15 In den Handlungen eines jeden drückt sich seine Seele aus, so wie die Schöpfung gewißermassen Bild Gottes ist: »ita facta cujusque repraesentant ejus animum, et Mundus ipse quodammodo repraesentat DEUM.«16 Die Existenz liegt in der Tat. Der artikulierte, handelnde Leib ist Werkzeug des vernünftigen Ich, das seinerseits die substantielle Einheit seiner und seines Leibes bestimmt: »il faut que ce qui fait la substance corporelle, soit quelque chose qui reponde à ce qui s’appelle moy, en nous, qui est indivisible et pourtant agissant, car estant indivisible et sans parties, ce ne sera plus un estre par aggregation, mais estant agissant, ce sera quelque chose de substantiel.«17 Ein Argument gegen die psychophysische Wechselwirkung, das schon Descartes belastet hatte, war, daß, was keine gemeinsame Natur hat, sich nicht wechselseitig etwas kommunizieren oder einflößen kann. In diesem Sinne hatte auch Spinoza argumentiert: »Ex. gr. Corpus dicitur finitum, quia aliud semper majus concipimus. Sic cogitatione alia cogitatione terminatur. Ac corpus non terminatur cogitatione, nec cogitatio corpore.«18 Hubertus Busche weist darauf hin, dass »schließlich die introverse Richtung der psychophysischen Wechselwirkung auch die Freiheit, ja 14 Brief an Arnauld vom 30. April 1687; G II, 91. 15 G II, 251. S. auch: »omnis Entelechia primitiva debet habere perceptionem. Nam omnis Entelechia prima habet variationem internam, secundum quam etiam variantur actiones externae. Sed perceptio nihil aliud est, quam illa ipsa rapraesentatio variationis externae in interna.« G VII, 239 f. 16 Quid sit idea; G VII, 264. Vgl. Théod. § 403: »L’operation des automates spirituels, c’est à dire des Ames, n’est point mecanique, mais elle contient eminemment ce qu’il y a de beau dans la mécanique: les mouvemens, developpés dans les corps, y étant concentrés par la representation, comme dans un monde idéal.« G VI, 356. 17 Système nouveau; G IV, 473. 18 Baruch de Spinoza: Ethica Ordine Geometrico demonstrata, I, De Deo, Definitiones II, Darmstadt 1980, S. 86/87. Vgl. H. Busche, op. cit. S. 506.
132
Ich und Freiheit bei Leibniz
schon jede Spontaneität unmöglich machen« würde.19 Leibniz kann seine Philosophie als Freiheitslehre auch auffassen, da der Geist unabhängig ist von seinem Körper, der ihn nach außen darstellt. Zwar gilt der Parallelismus von Geist und Leib, doch ist der Geist vom Körper unabhängig, wenn dieser ihm auch die notwendigen Zeichen für die Einbildungskraft zuführt. Hubertus Busche bezeichnet »die psychophysische Übersetzungskausalität als einen Automatismus des richtungsverschiedenen Ausdrückens«, so dass sie »als wechselseitiger Expressionismus bezeichnet werden« kann.20 In einer Schrift von 1702 verweist Leibniz darauf, dass er gelehrt hat, dass Seele und Körper zwar getrennt, doch stets parallel sind, und daß es geistige Inhalte gibt, welche sich nicht dem Körper verdanken: »J’ay monstré que veritablement il y a dans l’ame quelques materiaux de pensée ou objets de l’entendement, que les sens exterieurs ne fournissent point, savoir l’ame même et ses fonctions (nihil est in intellectu quod non fuerit in sensu, nisi ipse intellectus), et ceux qui sont pour l’esprit universel l’accorderont aisement (...), mais je trouve pourtant, qu’il n’y a jamais pensée abstraite, qui ne soit accompagnée de quelques images ou traces materielles, et j’ay établi un parallelisme parfait entre ce qui passe dans l’ame et entre ce qui arrive dans la matiere, ayant monstré, que l’ame avec ses fonctions est quelque chose de distinct de la matiere, mais que cependant elle est tousjours accompagnée des organes de la matiere, et qu’aussi les fonctions de l’ame sont tousjours accompagnées des fonctions des organes, qui leur doivent repondre, et que cela est reciproque et le sera tousjours.«21
Wie weit Leibniz den Parallelismus zwischen Geist und Körper in einer Engführung fasst, zeigt sich in einem Brief an die Königin Sophie Charlotte, den Leibniz kurz nach der Jahrhundertwende schrieb: »je crois que même les pensées les plus abstraites sont representées par quelques traces dans le cerveau, suivant la maniere que j’ay expliquée ailleurs; comme je crois que de même les mouvemens du corps les moins volontaires, ne laissent point de faire des impressions sur l’ame, quoyqu’on ne les remarque point, parce qu’ils sont
19 H. Busche, Ebenda, S. 506. 20 H. Busche, op. cit. S. 508. Vgl. S. 502: »Der seelische Mittelpunkt übersetzt die sinnlichen Eindrücke seines Körpers spontan in introverse Repräsentationen und umgekehrt die Regungen seiner Innenwelt in extroverse, körperliche Darstellungen.« 21 Considerations sur la doctrine d’un Esprit Universel Unique, G VI, 532 f.
Ich und Freiheit bei Leibniz
133
trop uniformes, ou font des impressions trop confuses et qu’on est trop accoustumé.«22
Stimmungen und Neigungen, Gemütsverfassung und Handlungstendenzen verdanken sich den unmerklichen Perzeptionen, die als ein je ne sais quoi uns eher dies als jenes tun oder empfinden lassen. Sie verdichten sich zwar nicht unmittelbar zur Leidenschaft, können aber Gefühle und Neigungen auslösen, welche Leidenschaften zu Grunde liegen mögen. In den Nouveaux Essais exponiert Leibniz: »les petites perceptions insensibles de quelque perfection ou imperfection, qui sont comme les elemens du plaisir et de la douleur (...) forment les inclinations et les penchans, mais non pas encor les passions mêmes. Ainsi il y a des inclinations insensibles dont on ne s’apperçoit pas; il y a des sensibles, dont on connoit l’existence et l’objet, mais dont on ne sent pas la formation et ce sont des inclinations confuses, que nous attribuons au corps, quoyqu’il y ait tousjours quelque chose, qui y réponde dans l’esprit.«23
In seinem Brief an die Königin führt Leibniz weiterhin Lieblingsgedanken zur Beschaffenheit des Geistes und der Seele aus: »Ainsi quoyqu’elle se puisse trouver dans un estat d’assoupissement, elle ne laissera pas même alors d’avoir quelques sentimens et quelque usage de certains organes, lesquels ne recevant pas des impressions assés fortes, ny assés ordonnées, l’ame aura aussi seulement des perceptions ou embrouillées ou trop petites et presque égales ou balancées entre elles, où il n’y aura rien qui ait du relief, et qui se distingue assez pour attirer de l’attention, et dont par consequent on se puisse souvenir. Tel est l’estat de l’enfance et du temps qui la precede. C’est aussi l’estat d’un profond sommeil, d’un evanouissement, et même de la mort.«24
Manche Religionen, wie das Judentum, verbieten die Feuerbestattung, und dies nicht ohne Grund: die Seele des Verstorbenen verbleibt zunächst in Nähe des Leibes. Die Feuerbestattung bringt eine vorzeitige Trennung von totem Körper und Geist.
22 G VI, 514. 23 NE II,I, § 41; G V 180. H.H. Holz, Bd. III/1; S. 306/307. 24 G VI, 515.
134
Ich und Freiheit bei Leibniz
Die unmerklichen Perzeptionen können gleichsam Lust oder Schmerz suggerieren und so diese oder jene Handlung, diesen oder jenen Gedanken provozieren, ohne daß die Ursache uns ins Bewusstsein dränge, so wie wir gedankenlos beim Verlassen einer Tür den linken oder rechten Fuss vorsetzen.25 Oft lässt uns eine unmerkliche Perzeption, die man nicht unterscheiden noch entwirren kann, uns zur einen oder anderen Seite neigen, ohne daß man einen Grund dafür angeben könnte.«26 So können, ohne dass wir uns eines Grundes bewusst wären, Außenwelt oder eine uns unmerkliche körperliche Verfassung uns motivieren, uns eher nach rechts statt nach links zu wenden, wenn wir auch meinen, es sei uns gleichgültig, welche Richtung wir einschlagen. »Denn die Entscheidung, die wir fällen, stammt aus diesen nicht wahrnehmbaren Bestimmungsgründen, die aus den Wirkungen der Gegenstände und unseres Körperinneren zusammengemischt sind, die es uns unbeschwerlicher erscheinen lassen, uns auf die eine als auf die andere Weise fortzubewegen.«27 Erst dass wir über unsere äußeren Sinne Welt perzipieren, lässt uns unsere Triebe zu bestimmten und bestimmbaren Leidenschaften filtrieren und ermöglicht uns, uns von Welt und Leidenschaften loszureissen und, sie in Vernunft transponierend, die in uns angelegten Ideen in Gedanken zu fassen. Erst die Wirklichkeit der Sinne befreit uns ins Denken: »Je demeure d’accord cependent que les sens externes nous sont necessaires pour penser et que si nous n’en avions eu aucun, nous ne penserions pas«, hält Leibniz fest.28 Erst über die Sinneswahrnehmungen werden wir uns als geistiger Wesen bewusst: »Jeder Akt der Sinneswahrnehmung lässt uns gleicherweise körperliche und geistige Dinge erfahren. Denn in dem Augenblick, in dem Gesicht und Gehör mich erkennen lassen, dass es etwas körperlich Seiendes ausser mir gibt, weiss ich auf eine noch gewißere Weise, dass es in mir etwas geistig Seiendes gibt, das sieht und hört.«29 Erst das Erleben von Außenwelt ermöglicht uns die Abkehr und die Konzentration nach innen. Erst das Nicht-Ich ermöglicht dem Ich die IchWerdung. Am sichtbarsten wird uns dies in den Trotzphasen der Kinder. Daß sein Geist das Primäre ist, erfährt das denkende Ich erst, indem es eine Objektwelt erkennt, von der es sich abwenden kann. Nur in der Ausei25 NE II,XXI, § 41; G V, 183. Théod. § 35; G VI, 122 f.. NE II, XXI, § 29. Vgl. auch NE II,XX, § 6; G V, 153. 26 G V, 169,NE II, XXI § 29. H.H, Holz, Bd. III/1, S. 276/277. 27 NE II,XX, § 6; H.H. Holz Bd. III/1, S. 234/235; G V, 153. 28 Sur ce qui passe les sens et la matiere; G VI, 491. 29 NE II,XXIII, § 15; G V, 205, H.H. Holz, Bd. III/1, S. 371..
Ich und Freiheit bei Leibniz
135
nandersetzung mit einer erlebten Außenwelt konstituieren sich Ich und Freiheit. Weit zurückliegende Perzeptionen können in uns eine Leidenschaft wecken, wenn ensprechende Sinneseindrücke hinzukommen, und verworrene Perzeptionen, deren wir uns deutlich nicht bewusst sind, können unsere Handlungen beeinflussen und unseren scheinbar rationalen Willensentschlüssen zugrunde liegen.30
30 Vgl.. etwa NE II, XXI, § 39; G V, 178; H. H. Holz Bd.III/1, S. 300/301.
2.9. Das Sein in Gott Von allem Anbeginn sind im absoluten Verstand Gottes die Unendlichkeit möglicher Individuen entworfen und gegründet. Aus der göttlichen Kraft heraus drängt eine jede dieser Essenzen in die Existenz, will von blosser Möglichkeit zur Wirklichkeit sich steigern und Gestalt werden. In seiner Möglichkeit schlechthin wirklich, und d.h. notwendig, ist einzig Gott. Gott ist das Sein, in welchem die ewigen Vernunftwahrheiten gründen, und das auch die Ratio sufficiens alles Seienden ist.1 Von Gottes Allmacht und Willen hängt ab, welche in seiner Allwissenheit gegebenen und ins Dasein drängenden Essenzen zur Existenz sich verdichten werden: »Et c’est ainsi que la derniere raison des choses doit être dans une substance necessaire, dans laquelle le detail des changemens ne soit qu’eminemment, comme dans la source, et c’est ce que nous appellons Dieu.«2 Gott ist das Sein, das allem Seienden zugrunde liegt, das schlechthin Notwendige, das mit Notwendigkeit sich in die absolute Seinsfülle kreierte, und dem als Kontingentes alles Seiende sich verdankt. Diesen Gedanken wird mit Nachdruck Fichte in der Wissenschaftslehre von 1812 wieder aufnehmen: »Nun läßt die charakteristische Weise zu seyn des Bildes sich gar nicht denken; wohl aber muß der Gegensatz mit dem absoluten seyn sich denken lassen. (...) Eine Position, die nicht nicht seyn kann, die Genesis ausschließt. Dagegen die Erscheinung: die durch ihr unmittelbares Seyn, durch ihren blossen Begriff, das Nichtseyn, u. so die Genesis gar nicht ausschließt, sondern sezt.-. (...) hinterher, nach Anknüpfung der Erscheinung an das Absolute findet sich, 1 Vgl. N. Rescher: the Philosophy of Leibniz, p. 67: »Leibniz establishes the existence of God by defining Him as the Necessary Being, and by invoking modal reasoning to show that such a being exists provided only that its existence is possible,« 2 Mon. § 38; G VI, 613.
Ich und Freiheit bei Leibniz
137
daß auch sie, da sie ist, nothwendig ist, nicht nicht seyn kann: stets aber auf den Kredit des wirklichen Seyns. Sie wird als nothwendig erkannt, zufolge ihrer Wirklichkeit: dagegen wird das absolute als wirklich seyend erkannt zufolge seiner Nothwendigkeit. Jenes auch der Form nach ist nothwendig: dieses wirklich, zufällig.«3
Die Selbstkreation des Absoluten ist nicht nur Bedingung jeder Wirklichkeit, sondern auch jeder Möglichkeit, nicht nur des infolge seines Seins in die Existenz Gehobenen, sondern unendlicher Essenzen, die in seinem Verstand aufleuchten und ins Dasein dringen. Jegliche Essenz ist in sich und mit anderen eine mögliche Wahrheit und so Moment des göttlichen Verstandes, so wie die notwendigen Wahrheiten Subjekt und Objekt des absoluten Verstehens sind: »Il est vray aussi, qu’en Dieu est non seulement la source des existences, mais encor celle des essences, en tant que réelles, ou de ce qu’il y a de réel dans la possibilité. C’est parce que l’Entendement de Dieu est la Region des verités éternelles, ou des idées dont elles dependent, et que sans luy il n’y auroit rien de réel dans les possibilités, et non seulement rien d’existent, mais encor rien de possible.«4 Im Augenblick seiner Autokreation weiss und will Gott aus allem Möglichen das zu Realisierende. Ex nihilo vermag das Absolute einzig sich selbst als die hochenergetische Urmaße zu gründen und mit sich die ewigen Ideen. Leibniz wirft angesichts der Wirklichkeit von Welt die Frage auf: »Pourquoi il y a plustôt quelque chose que rien?«5 Und er schreibt Gott in der Monadologie als Ens necessarium die Macht, das Wissen und den Willen zu: »Il y a en Dieu la Puissance, qui est la source de tout, puis la Connoissance, qui contient le detail des Idées, et enfin la Volonté, qui fait les changemens ou productions selon le principe du Meilleur.«6 Nicholas Rescher bemerkt hierzu in einer Anmerkung: »Leibniz is fundamentally committed to the idea that existence is preferable to nonexistence.«7 Leben
3 GA II,13; 57 f. Vgl. Benson Mates: The philosophy of Leibniz, S. 36: »Reality, according to Leibniz, consists of an infinite number of individual substances, which he calls »monades«, that is »units«. One of these monades, God, exists by necessity, since the assumption that it exists is consistent and the assumption that it does not exist implies a contradiction. The infinitely numerous remaining monades are substances created by God.« 4 Mon. § 43; G VI, 614. 5 PN § 7; G VI, 602. Eine Frage, die Heidegger in seiner Schrift »Was ist Metaphysik?« wieder aufgreifen wird. 6 Mon. § 48; G VI, 615. 7 N. Rescher: The philosophy of Leibniz, S. 19, Anm. 22 ((»Leibniz ist zutiefst davon überzeugt, dass Sein grundsätzlich besser ist als Nichtsein.«)
138
Ich und Freiheit bei Leibniz
ist zunächst ein rein biologisches Faktum. Aber Leben ist zugleich die einzig mögliche Grundlage aller Werte. Gott hat in einem absoluten sich Wissen und Wollen sich als Urenergeia aus dem Nichts zur Existenz konzentriert und nach Maß seiner Weisheit – dem »principe de la convenance, c’est à dire du choix de la sagesse«8 – die physikalischen und insbesondere die Bewegungsgesetze in sich gefunden, welche als ein Minimum an Gesetzen nebst den notwendigen, in jeder möglichen Welt geltenden, die größtmögliche Varietät innerhalb einer metaphysisch, physikalisch und moralisch bestmöglichen Welt ermöglichen. Einem erforderlichen Minimum an Naturgesetzen entspricht eine Welt mit einem Maximum an Phänomenen. In Anlehnung an Nicholas Rescher expliziert Donald Rutherford den Gedanken von von unserer wirklichen Welt abweichenden möglichen Welten: einer aus einem einzigen Objekt bestehenden möglichen Welt würden viel einfachere Gesetze entsprechen als der unseren; sie wäre jedoch unendlich unvollkommener, da ihr das Attribut des Reichtums an Varietät und Vielfalt fehlen würde – umgekehrt: eine Welt, die reicher an Vielfalt und Komplexität wäre als die wirklich existierende Welt, würde einer grösseren Anzahl von Gesetzen bedürfen als jene und wäre daher ebenfalls unvollkommener.9 Die Schöpferkraft und unendliche Vorstellungskraft Gottes will auf den einfachst möglichen Wegen das Maximum an pulchritudo oder Varietät erreichen. Da die Welt der Saurier inkompatibel ist mit derjenigen des Homo sapiens, ergoß das Absolute zuerst sich in die reine Organizität, bevor es sich den Luxus einer geistigen Welt mit einer auf den Homo sapiens ausgerichteten Natur erschuf. In dem Augenblick seines sich formierenden Daseins, da Gott eine Welt denkt, erkennt er auch deren Entstehungs- und Seinsgesetze, sowie welche seinem Denken aufblitzenden Essenzen als die bestmöglichen miteinander kompossibel sind in einer wirklichen Existenz und das größtmögliche Maß an Varietät und Güte der Welt ermöglichen10, und will und schafft er die Welt, die mit einem notwendigen Minimum an Naturgesetzen ein Maximum an Varietät und Schönheit und Gutem ermöglicht: 8 PN § 11; G VI, 603. Vgl. Brief an Coste vom 8. Juli 1711: »les loix de la nature ont été choisies par la sagesse et sont une suite de ce qui est le plus convenable.« G II,419. 9 D. Rutherford: Leibniz and the Rational Order of Nature, S. 22. N. Rescher: The Philosophy of Leibniz, S. 19 f. 10 Würde im Absoluiten nicht die bestmögliche als die ihm einzig mögliche Welt aufblitzen , so wären in ihm spielende Willkür Willkür und Unentschlossenheit. Vgl. Joseph Moreau in Stud.Lleib.Suppl. 1981 Bd. II, p. 130-137, insb. p. 137.
Ich und Freiheit bei Leibniz
139
»Il suit de la Perfection Supreme de Dieu, qu’en produisant l’Univers il a choisi le meilleur Plan possible, où il y ait la plus grande varieté, avec le plus grand ordre: le terrain, le lieu, le temps, les mieux menagés: le plus d’effect produit par les voyes les plus simples; le plus de puissance, le plus de connoissance, le plus de bonheur et de bonté dans les creatures, que l’Univers en pouvoit admettre. Car tous les possibles pretendent à l’existence dans l’entendement de Dieu, à proportion de leurs perfections, le resultat de toutes ces pretensions doit être le Monde Actuel le plus parfait qui soit possible.«11
Gott will Essenzen in die Existenz heben, die seinen Stempel tragen, indem ihnen eine innere Kraft (seine Macht), Perzeption (sein Wissen) und Appetition (sein Wille) eignet12. Das größtmögliche Maß an Wissen, Macht, Varietät, an metaphysischer und moralischer Güte soll sich realisieren. Was die zu erschaffenden Menschen anbelangt, so drängen in Gottes Bewusstsein verschiedene mögliche Sets von miteinander kompossiblen Individuen in die Existenz. Daß Gott für eine wirkliche Welt diesen und nicht einen anderen Adam gewählt hat, liegt am größtmöglichen Guten, das dieser Wahl zugrunde liegt. So schreibt Leibniz an des Bosses: »Cum Adamus creabatur, praevalebat quidem inclinatio ad bonum, sed suberant tamen semina futurae inclinationis ad malum (...) Ut autem Adamus talis, qualis futurus erat, ad existentiam admitteretur, causa fuit, quod partes faceret optimae seriei possibilis.«13 Und an Morell schreibt Leibniz: »Je serois plustot pour ceux qui reconnoissent en Dieu comme en tout autre esprit trois formalités: force, connoissance et volonté. Car toute action d’un esprit demande posse, scire, velle. L’essence primitive de toute substance consiste dans la force; c’est cette force 11 PN § 10; G VI, 603. DM § V: »Pour ce qui est de la simplicité des voyes de Dieu, elle a lieu proprement à l’égard des moyens, comme au contraire la varieté, richesse ou abondance y a lieu à l’égard des fins ou effects. Et l’un doit estre en balance avec l’autre, comme les frais destinés pour un bastiment avec la grandeur et la beauté qu’on y demande.« Und DM § VI: »Ainsi on peut dire que de quelque maniere que Dieu auroit créé le monde, il auroit tousjours esté regulier et dans un certain ordre general. Mais Dieu a choisi celuy qui est le plus parfait, c’est à dire celuy qui est en mème temps le plus simple en hypotheses et le plus riche en phenomenes.« (G IV, 431 f. Vgl. Théod. § 208; G VI, 241 und Théod.§ 201; G VI, 236. 12 Mon. § 48: »Il y a en Dieu la Puissance, qui est la source de tout, puis la Connoissance, qui contient le detail des Idées, et enfin la Volonté, qui fait les changemens ou productions selon le principe du Meilleur. Et c’est ce qui répond à ce qui dans les Monades creées fait le sujet ou la Base, la Faculté perceptive et la Faculté Appetitive. Mais en Dieu ces attributs sont absolument infinis ou parfaites, et dans les Monades creés ou dans les Entelechies (...) ce n’en sont que des imitations à mesure qu’il y a de la perfection.« G VI, 615. 13 Brief vom 7. September 1711. (G II, 424).
140
Ich und Freiheit bei Leibniz en Dieu qui fait que Dieu est necessairement, et que tout ce qui est en doit emaner. En suite vient la lumière ou sagesse (...) Le dernier complement est l’amour ou la volonté, qui choisit parmy les possibles ce qui est le meilleur, et c’est là l’origine des verités contingentes ou du monde actuel.«14
Das bestmögliche Set an Lebewesen und Geist soll in Körpern, welche die Verortung in Ort und Zeit ermöglichen, Wirklichkeit werden. Gott will das höchstmögliche Maß an Glückseligkeit der vernunftfähigen Kreaturen. Aber ineins ist deren Glückseligkeit nicht sein letzter und höchster Zweck: ist eine Welt möglich, in welcher es weder Löwen noch Antilopen, statt dessen mehr Glück der vernünftigen Kreaturen gäbe, so wird ihr Gott die wirklich gewordene Welt vorziehen, in welcher es Antilopen und Löwen, statt dessen mehr Unglück der vernünftigen Kreaturen gibt: »Dieu a plus d’une veue dans ses projets. La felicité de toutes les creatures raisonnables est un des buts où il vise; mais elle n’est pas tout son but, ny même son dernier but.«15 Gott musste Vielfalt und Schönheit der Natur schaffen, wollte er vernünftige Sinnenwesen: »La nature a eu besoin d’animaux, de plantes, de corps inanimés, il y a dans ces Creatures non raisonnables des merveilles qui servent à exercer la raison (...) enfin puisqu’il falloit choisir de toutes les choses possibles, ce qui faisoit le meilleur effect ensemble, et que le vice y est entré par cette porte: Dieu n’auroit pas été parfaitement bon, parfaitement sage, s’il l’avoit exclu.«16
Die Welt, in welcher Heilpflanzen, Früchte und Blumen wachsen, in welcher Kongfutse, Moses und Christus, Lao-Tse und Buddha, Mohammed mit Allah und Bodhidarma als Gestalter von Völkern möglich waren, in welcher das Absolute als Jahwe den Juden sich zeigte, der Olymp der Hüter der Seinsstrukturen europäischen Denkens war, ist eine Welt, in der mit Göttern, Denkern und Dichtern auch Judas und das Verbrechen kompossibel waren. Gott vermochte innerhalb des Möglichen, der begrenzten Materie und des Nichts, nicht vernünftige Wesen zu erschaffen, ohne die Unvernunft und das Verbrechen zuzulassen. In der Theodizee erklärt Leibniz: 14 Brief vom 29. September 1698; Grua I, 139. 15 Théod. § 119; G VI, 169 f. Vgl. N. Rescher, op. cit., S. 19: »Our world – the actual world – is the »best possible world« in this rarified metaphysical sense of greatest variety of phenomena consonant with greatest simplicity of laws. Its being the best has (at bottom) little to do with how men (or men and animals) fare in it.« 16 Théod. § 124; G VI, 179.
Ich und Freiheit bei Leibniz
141
»Ainsi le mal, ou le melange des biens et des maux où le mal prevaut, n’arrive que par concomitance, parce qu’il est lié avec de plus grands biens qui sont hors de ce melange (...) Tel est le present que Dieu fait de la Raison à ceux qui en usent mal (...) Ainsi rien ne nous empêche d’admettre que Dieu fait des biens qui tournent en mal par la faute des hommes, ce qui leur arrive souvent par une juste punition de l’abus qu’ils ont fait de ses graces.«17
Einzig vernunftbegabte Wesen sind der Unvernunft und des Verbrechens wider Gott und die Vernunft fähig.18 Denn einzig sie werden von Gott frühzeitig aus der Natur in die Freiheit des Menschseins entlassen. Der Mensch hat die Freiheit, gut oder schlecht zu handeln, obwohl Gott, da er ihn in die Existenz entliess, seine Essenz und die Reihe seiner Handlungen kannte und einen absoluten Begriff von seinem Wesen in der Zeit hatte. Denn in Gott ist die Notion eines jeglichen Seienden und der Totalität der Weltgeschichte. Dies entbindet auch insofern das einzelne Ich nicht von der Verantwortung, als es als Essenz in die Existenz drängte, somit von Anbeginn seine Schuld wollte, sowie es – um die Realität nicht wissend – die Übel akzeptierte, die ihm widerfahren würden.
17 Théod. § 119; G VI, 171. 18 Georges Friedmann verweist darauf, dass Leibniz hinsichtlich der Prädestination und Unfehlbarkeit Gottes zum Eineneinen, der menschlichen Freiheit zum anderen von der »scientia media« der Scholastik ausgeht: »la science divine a trois objets: les possibles, .les événements actuels, et les événements conditionnels. La grâce suffisante ne devient efficace que par le consentement de l’homme, selon qu’il y coopère ou résiste: laa part de la coopération personnelle à son salut se trouve ainsi ménagée. (...) C’est le »nihil sine ratione« qui permet d’affirmer, dit Leibniz, que Dieu ne connaît pas arbitrairement les futurs conditionnels, mais qu’il peut rendre raison de tout ce qu’il a décidé (ou déciderait), car cette décision est (ou serait) la meilleure.« G. Friedmann: Leibniz et Spinoza, p. 329 ff.
2.10. Das Ich und seine Notion Das Prädikat, sagt Leibniz, ist dem Subjekt inhärent: »Verum est affirmatum, cujus praedicatum inest subjecto. Itaque in omni Propositione vera affirmativa, necessaria vel contingenti, universali vel singulari Notio praedicati aliquo modo continetur in notione subjecti; ita ut qui perfecte intelligeret notionem utramque, quaemadmodum eam intelligit Deus, in eo ipso perspiceret praedicatum subjecto inesse.«1. D.h. Gott hat den genauen Begriff jeder Essenz, die er in die Existenz ihrer eigenen Geschichte entlässt, und dieser Begriff umfasst alles, was eine Geistmonade je tun und lassen, was sie sein und handeln und was ihr zustossen wird: »puisque Jules Cesar deviendra Dictateur perpetuel et maistre de la Republique, et renversera la liberté des Romains, cette action est comprise dans sa notion, car nous supposons que c’est la nature d’une telle notion parfaite d’un sujet, de tout comprendre, à fin que le predicat soit enfermé, ut possit inesse subjecto.«2 Die Notion des Römischen Feldherrn und Schriftstellers Julius Caesar war kompossibel mit der Notion der übrigen Monaden der Antike, mit ihren Feldherrn, Göttern und Kämpfen und aller Monaden der wirklichen Welt. Für alle Fakten und alles Geschehen des Lebens Caesars ist Gott die Ratio sufficiens, da in Gott der vollkommene Begriff von Caesar, 1 De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae atque de libertate et praedeterminatione, in A VI,iiii; 575 (Nr. 136). Vgl. z.B. Brief an Arnauld vom Juni/Juli 1686: »semper enim notio praedicati inest subjecto in propositione vera«; G II, 52. 2 DM § XIII; G IV, 437: »On pourroit dire que ce n’est pas en vertu de cette notion ou idée qu’il doit commettre cette action, puisqu’elle ne luy convient que par ce que Dieu sçait tout. Mais on insistera que sa nature ou forme répond à cette notion, et puisque Dieu luy a imposé ce personnage, il luy est desormais necessaire d’y satisfaire (...) je dis que ce qui arrive conformement à ces avances est asseuré, mais qu’il n’est pas necessaire, et si quelcun faisoit le contraire, il ne feroit rien d’impossible en soy même, quoyqu’il soit impossible (ex hypothesi) que cela arrive.« Vgl. dem entgegen die mathematische Notwendigkeit: »Absolute Necessaria propositio est, quae resolvi potest in identicas, seu cujus oppositum implicat contradictionem.« (in De natura veritatis, contingentiae et indifferentiae, A VI,iiii; 1515, Nr. 303.
Ich und Freiheit bei Leibniz
143
der Antike und ihren Göttern und der Serie des Weltgeschehens gegeben ist. Zu den Tatsachenwahrheiten der Geschichte gehören für Leibniz auch Adam und dessen Begriff. Im göttlichen Verstand war die Essenz unterschiedlicher Stammväter von unterschiedlichen Kreaturen, welche die zu erschaffende Welt nach dem Ende der Saurier und der Entstehung einer neuen Natur bevölkern sollten. Indem Gott eben diesen konkreten Adam schuf, hat er diese bestimmte Menschheit gewollt, die im Lauf der Geschichte sich vollzog und vollzieht. In seinem Brief an Arnauld vom 14. Juli 1686 erklärt Leibniz: »Dieu a trouvé parmy les possibles un Adam accompagné de telles circonstances individuelles et qui entre autres predicats a aussi celuy d’avoir avec le temps une telle posterité.«3 Mit Leibniz zu sprechen: Hätte Adam nicht dunkle, sondern helle Augen gehabt, so gäbe es bloss blauäugige Menschen. Denn dass blaue Augen auf einem Pigmentdefizit beruhen, bedingt, daß es vor den blauen bloß dunkle Augen gab. »Ainsi tous les evenemens humains ne pouvoient manquer d’arriver comme ils sont arrivés effectivement, supposé le choix d’Adam fait; mais non pas tant à cause de la notion individuelle d’Adam, quoyque cette notion les enferme, mais à cause des dessins de Dieu, qui entrent aussi dans cette notion individuelle d’Adam.«4 Gott wollte auch den Adam, der sündigt, und zwar unausweichlich, da sonst auch das Gute nicht möglich gewesen wäre, Judas in seinen Schöpfungsplan einbezogen war, obwohl Gott den Verrat voraussah. Denn Gott prüft nicht nur die einzelne in die Existenz zu entlassende Essenz auf ihre Bonität, sondern er prüft sie angesichts der Totalität der ins Dasein zu rufenden Welt.5 Eine Welt, in welcher Adam nicht sündigte, wäre voraussichtlich letztlich eine schlechtere Welt gewesen als die aktuale, und eine Welt ohne Judas wäre vielleicht auch eine Welt ohne Juden und Christen, ja eben ohne Christus gewesen, da die Welt, in welcher Jesus Christus möglich war, die Existenz von Judas voraussetzte, und sonst nur metaphysisch und oder moralisch schlechtere Varianten von Welten möglich ge3 G II, 50. 4 G II, 51. 5 Dementsprechend führt Leibniz aus: »Nec proinde decernit Deus Judam debere esse proditorem, sed tantum Judam quem praevidet fore proditorem nihilominus debere existere, quoniam infinita sua sapientia videt, hoc malum immenso lucro, majoribus bonis pensari nec aliter res melius sibi constare. Quod ipsum non velle, sed permittere est.« A 6, iiii B, S. 1524, 3-6. Und etwas weiter unten führt Leibniz aus: »Deus ab initio non tantum infinitam rerum seriem, verum etiam infinitas combinationes possibiles actionum passionum mutationumque ipsarum rerum praescrivit et praedeterminavit, quemadmodum ipsa eventa libera singularum Mentium creatarum.« (A 6,iiii, B. S. 1666, 23-25.
144
Ich und Freiheit bei Leibniz
wesen wären.6 Die bestmögliche Welt ist nicht frei von Übeln, Verbrechen und Sünde, da in Anbetracht des Ganzen und aller nach Existenz drängenden Essenzen keine vollkommenere Welt möglich war, die Welt des Seienden ein immensum, aber kein infinitum ist: »Dieu ayant trouvé parmi les êtres possibles quelques Creatures raisonnables qui abusent de leur raison, a donné l’existence à celles qui sont comprises dans le meilleur plan possible de l’Univers.«7 Denn wie Leibniz feststellt: »Dieu donne la Raison au genre humain, il en arrive des malheurs par concomitance.«8 Die Gabe der Vernunft befähigt den Menschen zum Guten wie zum Bösen; aber sie ist es, die ihn von den übrigen Lebewesen unterscheidet und in der Welt gottähnlich macht. Gott wünscht das Glück der vernunftbegabten Geschöpfe, doch ist dies Glück des Einzelnen nicht sein höchstes Ziel9. Gott weiß von Anbeginn, wie der Einzelne, und im Konnex mit diesem alle anderen, handeln wird. Damit das Gute möglich sei, muss er eine Welt – inklusive deren physikalische und biologische Gesetze – schaffen, in welcher auch das Böse, der Schmerz und der Sünder möglich sind. In der Notion des Judas ist von allem Anbeginn enthalten, dass er Christus verraten werde. Eben diese Tat macht die Identität von Judas aus. Dennoch entließ Gott des Judas Essenz in die Existenz und somit das ganze Monadenset, das die Wirklichkeit der real existierenden Welt ausmacht. Und möglicherweise hatte die üble Tat darin ihren Sinn, dass es ohne Christi Kreuzestod kein Christentum und kein in die christliche Tradition geeintes Europa gegeben hätte. Es hätte Michelangelo und die Sixtinische Kapelle nicht gegeben. Ohne den Verrat des Judas wäre die Geschichte anders verlaufen. Leibniz schreibt hierzu im Discours: »Dieu voit de tout temps qu’il y aura un certain Judas, dont la notion ou l’idée que Dieu en a, contient cette action future libre. Il ne reste donc que cette question, pourquoy un tel Judas, le traitre, qui n’est possible que dans l’idée de Dieu, existe actuellement. Mais à cette question il n’y a point de reponse à attendre icy 6 Hätten Adam und Eva nicht gesündigt, so hätten sie unsterblich und ohne um Geschlechtlichkeit zu wissen, ewig glücklich im Garten Eden gelebt, ohne Kinder zu zeugen und ohne daßss aus ihnen eine Menschheit entstanden wäre. Indem sie vom Baum der Erkenntnis kosteten, begründeten sie das Menschenlos, lernten sie die Scham des Eros, gewannen sie die Phantasie der Vernunft. Und beide Elternteile des Christus, Maria sowohl wie Josef, stammten aus dem Hause David. Leibniz sieht in der Person Christi die bestmögliche Welt verkörpert. 7 Théod. § 119; G VI, 171. 8 Théod. § 119; G VI, 176. 9 Théod. § 124; G VI, 179. Vgl. Théod. § 124: »La vertu est la plus noble qualité des choses creées, mais ce n’est pas la seule bonne qualité des Creatures. Il y en a une infinité d’autres qui attirent l’inclination de Dieu: de toutes ces inclinations resulte le plus de bien qu’il se peut, et il se trouve que s’il n’y avoit que vertu, que s’il n’y avoit que Creatures raisonnables, il y auroit moins de bien.« G VI, 178 f.
Ich und Freiheit bei Leibniz
145
bas, si ce n’est qu’en general on doit dire, que puisque Dieu a trouvé bon qu’il existât, non obstant le peché qu’il prevoyoit, il faut que ce mal se recompense avec usure dans l’univers, que Dieu en tirera un plus grand bien.«10 Obwohl es in der Notion, welche Gott von ihm hat, enthalten ist, ist der Verbrecher verantwortlich für seine Tat, so wie er sie geplant und gewollt und ausgeführt hat; denn er wollte als der Verbrecher, der er wurde, von Anbeginn ins Dasein. Und so wie Adam und Judas, so war auch Caesar als Tatsachenwahrheit im Entwurf der bestmöglichen Welt enthalten. Zu den dem Subjekt Caesar inhärierenden Tatsachenwahrheiten gehört, dass Caesar Diktator werden, dass er sich entschliessen wird, den Rubikon zu überschreiten und dass er die Schlacht von Pharsalae gewinnen wird. Zu allen seinen Taten mag Caesar auch andere, entgegengesetzte Neigungen und Tendenzen gehabt haben. Aber schließlich folgte er denjenigen Neigungen, fasste er diejenigen Entschlüsse, die in seiner Notion gegeben waren. Denn der Mensch tut stets, laut Leibniz, was ihn das Beste dünkt: »l’homme fera tousjours (quoyque librement) ce qui paroistra le meilleur.«11 Caesar musste seiner Notion gemäß handeln, denn die Stunde der Republik hatte geschlagen. Die Republik war die Voraussetzung von Caesar gewesen, so wie Caesar notwendig war, um die Kehre einzuleiten. Tatsachenwahrheiten als die Wahrheiten der Geschichte sind ebenso notwendig wie die Vernunftwahrheiten und ebenso ewig: »Die Zukunft wird ebenso sicher sein, wie es die Vergangenheit gewesen ist. Dass ich heute schreiben werde, war schon vor hundert Jahren wahr, ebenso wie es noch in hundert Jahren wahr sein wird, dass ich geschrieben habe.«12 So wie die notwendigen Vernunftwahrheiten nicht immer dem Geist präsent, sondern in der Seele eingefaltet sind, oft in der Zeit oder gar nicht sich offenbaren, so verwirklichen sich die Tatsachenwahrheiten in der Zeit, sind aber immer wahr, da sie den Notionen Gottes jenseits der Zeit entsprechen: So wie die notwendigen Vernunftwahrheiten nicht immer dem Geist präsent, sondern in der Seele eingefaltet sind, oft in der Zeit oder gar nicht sich of10 DM § XXX; G IV, 455. 11 G IV, 438. Vgl. Brief an Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels: »Peut on nier que chaque chose (soit genre, espece ou individu) a une notion accomplie, selon la quelle Dieu la conçoit, qui conçoit tout parfaitement, c’est à dire une notion qui enferme ou comprend tout ce qu’on peut dire de la chose: et peut on nier que Dieu peut former une telle notion individuelle d’Adam ou d’Alexandre, qui comprend tous les attributs, affections, accidens, et generalement tous les predicats de ce sujet.« G II, 131. 12 Théod. § 36; G VI, 123.
146
Ich und Freiheit bei Leibniz
fenbaren, so verwirklichen sich die Tatsachenwahrheiten in der Zeit, sind aber immer wahr, da sie den Notionen Gottes jenseits der Zeit entsprechen: »Je demeure d’accord, que la connexion des evenemens, quoyqu’elle soit certaine, n’est pas necessaire, et qu’il m’est libre de faire ou de ne pas faire ce voyage, car quoyqu’il soit enfermé dans ma notion que je le feray, il y est enfermé aussi que je le feray librement.«13
Ob ich mich nun dazu entscheide, zu reisen oder dazu, nicht zu reisen: in beiden Fällen ist der Entschluß frei, in beiden Fällen war schon in meiner Notion enthalten, was ich tun, wie ich mich frei entscheiden würde.
13 Brief an Arnauld vom 14. Juli 1686; G II, 52.
2.11.1. Metaphysische und hypothetische Notwendigkeit Da alles, was Adam, Caesar, Alexander, Judas tun und ihnen zustößt, in ihrer Notion in Gott schon festgelegt ist, geschieht es mit Notwendigkeit. Doch handelt es sich um keine absolute Notwendigkeit, deren Gegenteil ohne Widerspruch nicht denkbar wäre, wie dies etwa bei Gesetzen der klassischen Geometrie der Fall ist, sondern was in der Historie der Menschen geschieht, geschieht mit hypothetischer Notwendigkeit. Hypothetische Notwendigkeit heißt, daß Gott unfehlbar um den Ablauf des Lebens der Menschen weiß, daß ein abweichendes Tun und und Geschehen jedoch denkbar ist: »la Verité necessaire est celle dont le contraire est impossible ou implique contradiction. Or cette verité, qui porte que j’ecriray demain, n’est point de cette nature, elle n’est donc point necessaire. Mais supposé que Dieu la prevoye, il est necessaire qu’elle arrive (...) c’est ce qu’on appelle une necessité hypothetique.«1
Dennoch betont Leibniz im Verlauf seiner Auseinandersetzung mit Locke: »l’Ame est plus indépendante qu’on ne pense, quoiqu’il soit toujours vrai que rien ne se passe en elle qui ne soit déterminé.«2 Leibniz kann diese Freiheit der Seele nur behaupten, weil in seinem System die Seele frei ist von den Einwirkungen des eigenen und fremder Körper; wir nehmen an Anderen nie die Seele, sondern stets nur den Körper wahr, der jedoch nur auf unseren Leib, nicht auf die Seele zu wirken vermag. Hierzu schreibt Michael-Thomas Liske: »Eigentümlichkeit der Leibnizisch verrstandenen Substanz ist, (...), dass die gesamte Abfolge ihrer Zustände vollkommen 1 Théod. § 37; G VI, 123. 2 L. Dutens: Gothofredi Guillelmi Leibnitii Opera omnia, Tomus secundus, S. 220: Refl. De Mr. Leibniz sur l’essai de l’entendement humain de Mr. Locke.
148
Ich und Freiheit bei Leibniz
spontan (innenbestimmt) ist, also keinerlei Verursachung von außen unterliegt, sondern allein von einer inneren Kraft hervorgebracht wird.«3 Hypothetisch notwendig sind Handlungen, die wir nostra sponte in freiem Willensentschluss vollziehen, die Gott jedoch vorausgesehen hat, und die zu jenen Tatsachenwahrheiten gehören, die erst den Charakter jener wirklichen Welt, welche die real existierende ist, ausmachen: »la necessité de tels evenemens est appellée conditionnelle ou hypothetique, ou bien necessité de consequence, parce qu’elle suppose la volonté«, schreibt Leibniz in der Theodizee.4 Dennoch stellt sich die Frage, ob Leibniz nicht mit der Wahrscheinlichkeiterechnung arbeitete: denn eine gute Handlung, die X zu vollbringen ausersehen war, kann aus materiellen Gründen scheitern. Die Seele ist frei an Gott. Die Prädetermination ändert nichts an der Freiheit ihrer Willensbildung, für die sie einzig sich und Gott verantwortlich ist: »On voit aussi que toute substance a une parfaite spontaneité (qui devient liberté dans les substances intelligentes), que tout ce qui luy arrive est une suite de son idée ou de son estre, et que rien ne la determine excepté Dieu seul.«5 Was Leibniz hier ausführt, ist die Freiheit des Christenmenschen, wie sie schon in der Gesetzesfreude der jüdischen Religion sich geäußert hat und wie Luther sie in seiner Schrift von 1520 thematisiert hat. Triebe, Launen, Neigungen des Körpers, eine feindliche Umwelt brauchen den freien Geist nicht zu kümmern. Er folgt den eigenen, göttlichen Gesetzen. Offen, und vom Juristen Leibniz nach dem dreissigjährigen Krieg ungesehen, bleibt die Frage nach Schmerz und Folter und Genocid. Anknüpfend an die Tradition und hinsichtlich des objektiven Moments der Kontingenz hinter Spinoza zurückgreifend, unterscheidet Leibniz in der einen Freiheit drei sie bedingende Elemente: Intelligenz oder Vernunfteinsicht, Spontaneität und Kontingenz: »la liberté, telle qu’on la demande dans les Ecoles Theologiques, consiste dans l’intelligence, qui enveloppe une connoissance distincte de l’objet de la deliberation, dans la
3 M.-T. Liske: Leibniz’ Freiheitslehre, Hamburg 1993, S. 47. Doch da stets die Schöpfung auf des Meßers Schneide steht, muß das Absolute stets dem Menschen ein Imponderabile belassen. Nur in der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist die Notio perfekt. 4 Abregé de la Controverse; G VI, 380. Oft werden wir uns der Freiheit und Notwendigkeit einer Handlung erst im Rückblick bewusst. Uns in der Zeit zurückkurbelnd, erkennen wir, daß wir mit diesen unseren Gegebenheiten von damals, in jener Situation gar nicht anders handeln konnten, als wir es getan. 5 DM § XXXII; G IV, 458.
Ich und Freiheit bei Leibniz
149
spontaneité, avec laquelle nous nous determinons, et dans la contingence, c’est à dire dans l’exclusion de la necessité logique ou metaphysique.«6 Kontingenz bedeutet, dass ich so oder anders handeln kann, dass die Welt so oder anders sein kann. Es erscheint im Plane Gottes die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die wirkliche Welt ist insofern kontingent, als sie bloss hypothetisch notwendig ist: sie ist innerhalb der möglichen Welten diejenige, welche Gott zu erschaffen sich entschlossen hat. Sie ist aber auch diejenige, die den Menschen vor stets neue Situationen, Alternativen, Wahlmöglichkeiten stellt, ihn mit einem ständigen Es-kann-so-oder-auchanders-Geschehen konfrontiert. Dies bedeutet für die Freiheit eine objektiv gegebene Wahlmöglichkeit, ein Wählenkönnen aus Vernunftgründen. Es stellt hierbei jedoch – entgegen Leibniz – sich die Frage, was im Kreationsakt ein freier Entschluss Gottes sei. Im Akt des SichErschaffens sieht Gott alle möglichen Welten, die möglichen Naturgesetze und das in den möglichen Welten lebende Leben. Im Augenblick der Vision weiß er auch schon, was als das Bestmögliche seiend dem eigenen Harmoniestreben am besten entspricht. Gott wählt nicht zwischen verschiedenen ihm möglichen Möglichkeiten, sondern er zentriert sich in die einzige Möglichkeit, in die er sich expandieren kann; denn Gott als reine Energeia in einer energetische Masse im Entstehen ist sowohl Gesetz als Leben und der Inbegriff der Fülle; er muss somit aus Eigengesetzlichkeit im Augenblick der Sicherschaffung die ihm kongeniale Welt erschaffen. Die Freiheit Gottes ist das Gesetz. Freiheit und Notwendigkeit fallen im Absoluten in eins. Es ist notwendig frei, seine Notwendigkeit ist Freiheit, sein freies Handeln ist ihm Notwendigkeit; der große Künstler, in seiner Schöpferkraft der Gottheit am nächsten, erfährt Ähnliches. Wählenkönnen aus Vernunft, nicht hingerissen von Leidenschaften und Stimmungen handeln, getrieben von konfusen Perzeptionen, ist die Grundbedingung menschlicher Freiheit. »La connoissance distincte ou l’intelligence a lieu dans le veritable usage de la Raison; mais les sens nous fournissent des pensées confuses. Et nous pouvons dire que nous sommes exemts d’esclavage, en tant que nous agissons avec une connoissance distincte; mais
6 Théod. § 288; G VI, 288. Vgl. Théod. § 65; »Enfin pour conclure ce point de la spontanéité, il faut dire que prenant la chose à la rigueur, l’ame a en elle le principe de toutes ses actions, et même de toutes ses passions; et que le même est vray dans toutes les substances simples (...) quoy’il n’y ait de la liberté que dans celles qui sont intelligentes.« (G VI, 138)
150
Ich und Freiheit bei Leibniz que nous sommes asservis aux passions, en tant que nos perceptions sont confuses.«7
Daß der Mensch von eigenen Leidenschaften und Neigungen abstrahieren und der Vernunft gemäß, so wie die Lage es erfordert und nach dem Gesetz des Bestmöglichen handeln kann, unterscheidet ihn von anderen Lebewesen, die in ihrem Bedürfnis nach Triebbefriedigung ebenfalls Intelligenz entwickeln können, jedoch auch bei diesem instinktgeleiteten Verstand sich nicht zur Vernunft zu erheben vermögen. Sein Mangel an natürlichen Waffen, seine Offenheit für Welt verweist den Menschen an die Vernunft. In der Tradition der Stoa betont Leibniz wie vor ihm Spinoza, »dass allein der Weise frei sei, und in der Tat ist man nicht freien Geistes, wenn man von einer großen Leidenschaft besessen ist, denn man kann dann nicht wollen, wie man sollte, nämlich mit der erforderlichen freien Überlegung.«8 Leibniz sieht, dass vom Anbeginn vernünftigen Lebens Freiheit und Vernunft nebst dem gottgewollten Guten auch die Möglichkeit des Verwerflichen und Bösen impliziert; an des Bosses schreibt Leibniz 1711: »Adamus non habet initio majorem inclinationem ad malum, quam ad bonum, cum creabatur, sed tunc cum peccatum instabat. Cum quis eligit hoc modo, non implicaret contradictionem, si eligisset alio modo, quia rationes determinantes non necessitant.«9 Hier scheint Leibniz der eigenen Prädeterminationstheorie zu widersprechen aus dem Bedüfnis heraus, die sonst gefährdete Freiheit und die Bestmöglichkeit des Essenzen – Sets zu retten: Bei seiner Erschaffung tendierte Adam noch weder zum Guten noch zur Sünde, und es wäre kein Widerspruch im Wissen Gottes gewesen, wenn Adam nicht gesündigt hätte, da die den Willen bestimmenden Ursachen nicht zwingend sind. Zur Adamizität gehört jedoch auch der Sündenfall, da nur so ein Geschlecht begründet werden konnte, das sich selbst zur Freiheit durchzuringen vermag und zur sittlichen Verantwortung. Erst das Wissen um die Möglichkeit des Bösen gibt dem Guten Realität. Der Weg zu wahrer Vernunft und wahrer Religiosität führt hindurch durch den Tunnel des Nihilismus. Zur Adamizität gehört, dass schon der in die Existenz drängenden Essenz Adams der Sündenfall an-
7 Théod. § 289; G VI, 288. Diese der Stoa sich verdankende Haltung steht im Vorblick Jacobis »Allwill« entgegen. 8 NE II, XXI, § 8; G V, 160; H.H.. Holz Bd. III/1, S. 254/255. Die hier angeführte Reflexion Spinozas dürfte besondere Zustimmung von Seite Fichtes gefunden haben: »Der von der Vernunft geleitete Mensch ist im Staate, wo er nach gemeinsamem Beschlusse lebt, mehr frei, als in der Einsamkeit, wo er sich allein gehorcht.« Ethica, IV, 73. Lehrsatz. 9 Brief an des Bosses vom 8. Juli 1711, G II; 423.
Ich und Freiheit bei Leibniz
151
haftete. In einem weiteren Brief an des Bosses greift Leibniz das Thema nochmals auf: »Cum Adamus creabatur, praevalebat quidem inclinatio ad bonum, sed suberant tamen semina futurae inclinationis ad malum: nam omnia in rebus quodammodo praestabilita sunt, et praeteritum est praegnans futuri. Ut autem Adamus talis, qualis futurus erat, ad existentiam admitteretur, causa fuit, quod partes faceret optimae seriei possibilis. (...) Meo judicio, nisi daretur series optima, nihil plane crearet Deus quia non potest agere praeter rationem, aut praeferre minus perfectum alteri perfectiori.«10
Hier scheint die Perspektive Leibnizens weiter durchdacht: In der Welt des Kompossiblen entscheidet Gott sich für den realen Adam mit all seinen Eigenschaften und künftigen Handlungen. Adams positive Tendenzen wiegen schwerer als die Sünde, von welcher Gott weiß, dass er sie begehen wird, und seine Nachkommenschaft wird trotz allen Übels besser und glücklicher sein als diejenige eines anderen möglichen Stammvaters einer Menschheit; und jegliche Nachkommenschaft Adams setzte den Sündenfall voraus, da sie als notwendigen Übels des Todes, des sich Erkennens von Mann und Weib und des Wissens um Gut und Böse bedurfte.11 Handeln nach dem Gesetz der Vernunft trotz des Strudels der Leidenschaften und so des Bestmöglichen heißt, nach dem eigenen göttlichen Gesetz handeln, nach eigener Prüfung und Einsicht und somit aus eigener Spontaneität heraus: »Spontaneum est, cujus principium est in agente. Et c’est ainsi, que nos actions et nos volontés dependent entierement de nous.«12 Zwar können wir unser Wollen nicht wollen, doch können wir uns durch Aufschub von Entschlüssen und des Handelns auf Grund der eigenen Reflexibilität einen vernünftigen Willen bilden, also durch Distanzierung und Selbsterziehung zur Besonnenheit.13 Ein nicht
10 An des Bosses vom 7. September 1711; G II, 424 ff. 11 Brief an Arnauld: »j’ay dit, que Dieu a trouvé parmy les possibles un Adam accompagné de telles circonstances individuelles et qui entre autres predicats a aussi celuy d’avoir avec le temps une telle posterité.« G II, 50. 12 Théod. § 301; G VI, 298. 13 NE II, XXI, § 47: »Et pour cela il est bon de s’accoustumer à se recueillir de temps en temps, et à s’élever au dessus du tumulte present des impressions, à sortir pour ainsi dire de la place où l’on est, à se dire: dic cur hic? respice finem, où en sommes nous? (...) Or estant une fois en estat d’arrester l’effect de nos desirs et passions, c’est à dire de suspendre l’action, nous pouvons trouver les moyens de les combattre, soit par des desirs ou des inclinations contraires, soit par diversion, c’est à dire par des occupations d’autre nature. C’est par ces methodes et par ces artifices que nous devenon s comme maistres de nous mêmes, et que nous pouvons nous
152
Ich und Freiheit bei Leibniz
sofort gefasster Entschluss kann ein nicht begangener Fehler sein: »Je croirois qu’on peut suspendre son choix, et que cela se fait bien souvent, surtout lorsque d’autres pensées interrompent la deliberation.«14 Dem wäre hinzuzufügen, daß derjenige, welcher besonnenes Handeln eingeübt hat, auch in der im Handlungsdruck aufgezwungenen Improvisation das Richtige instinktiv zu tun vermag.
faire penser et faire avec le temps ce que nous voudrions vouloir et ce que la raison ordonne.« G V, 182. 14 NE II, XXI, § 22; G V, 167,
2.11.2. Die Freiheit Die Spontaneität, die unbedingte innere Freiheit der Seele, ist für Leibniz ein aus seiner Lehre von der prästabilierten Harmonie abzuleitendes Faktum. Denn es gibt infolge der Unabhängigkeit der Seelenmonade vom Monadenaggregat des Leibes, dem Zellenagglomerat, keinerlei Einfluss anderer Geschöpfe auf ihre Willensbildung. Andere Lebewesen können zwar durch die äußeren Sinne und den Körper perzipiert werden, aber der Körper vermag nicht, die sich ablösenden Gedanken der fensterlosen Seele zu beeinflussen. Frei von jeglichem äußeren Zwang entwickeln sich die Perzeptionen nach dem von Gott festgelegten Programm von der Vergangenheit in die Zukunft, strebt das Bewusstsein von Vorstellung zu Vorstellung, entwickelt sich das Individuum aus dem eigensten Wesensgrund zu einem je eigenen Sein von Ich und Welt. Im Discours führt Leibniz aus: »chaque substance est comme un monde à part, independant de toute autre chose hors de Dieu; ainsi tous nos phenomenes, c’est à dire tout ce qui nous peut jamais arriver, ne sont que des suites de nostre estre.«1 Indem es will, handelt, mit seinen Leidenschaften kämpft, Handlungsmöglichkeiten vernünftig gegeneinander abwägt, in all dem seine Urteilskraft entwickelt, gestaltet das Individuum sich und seine Welt. Sua sponte gemäss der eigenen Vernunfteinsicht handelnd, ist das Individuum frei an Gott, bringt es sich und seine Welt nach dem ihm immanenten Gesetz hervor, ist es in seiner Schöpferkraft Ebenbild Gottes: »L’Homme y est donc comme un petit Dieu dans son propre Monde, ou Microcosme, qu’il gouverne à sa mode: il y fait merveilles quelque fois, et son art imite souvent la nature.«2 1 DM § XIV; G IV, 439. 2 Théod. § 147; G VI, 197. Vgl. Grua I, 298: »Radix libertatis in Deo est rerum possibilitas sive contingentia, qua fit ut innumera reperiantur quae neque sunt necessaria neque impossibilia, ex quibus Deus illa eligit quae ad gloriam suam testandum maxime faciunt. Radix libertatis in homine est imago divina.« Vgl. DM XXVIII; G IV, 453. In diesem Sinne auch Niko-
154
Ich und Freiheit bei Leibniz
Frei ist das Individuum in demjenigen Willensentschluss, in dem seine Vernunft mit seinem je individuellen point de vue, so wie er seinem Lebensgesetz entspricht und wie er durch seine Verankerung in Welt festgelegt ist, harmoniert. Es liesse sich auch sagen, dass diese Freiheit in eins die absolute Aufhebung der Freiheit sei; denn wo das Individuum in gefühlte Vernunft frei sich erhebt, ist es in Gott, handelt Gott durch das Individuum – dies wird die Auffassung des späteren Fichte sein.3 Zum »point de vue«, welcher die je individuelle Weltperspektive charakterisiert, führt Hubertus Busche aus: »Die perspektivischen Orte, aus denen heraus gesehen und begriffen wurde, bekommen eine individuierende Macht. Wo jemand seine Anschauungen erwarb und sich von ihnen abstrakte Vorstellungen machte, wird prägend für seinen Blick und sein Handeln.«4 In diesem Sinne wird auch Fichte in seiner Leibniz-Rezeption der WL 1801/02 das »Verhältniß« begreifen, innerhalb dessen das Ich je sein Auge aufschlägt, und d.h. zur Vernunft findet. Eine absolute Kontingenz der Handlung gibt es nicht. Scheinbar willkürliche, unüberlegte Handlungen wurzeln in unserer Natur, unserem durch die petites perceptions bestimmten Unbewussten. Buridans Esel ist eine falsche Konstruktion5. Es gibt – wo wir nicht bewusst wählen –, stets einen Grund, weshalb wir uns eher nach links als nach rechts wenden, weshalb wir beim Verlassen des Raumes den rechten statt den linken Fuss voraussetzen: »Une infinité de grands et de petits mouvemens internes et externes concourent avec nous, dont le plus souvent l’on ne s’apperçoit pas, et j’ay déjà dit que lorsqu’on sort d’une chambre, il y a telles rai-
laus von Kues hinsichtlich der Mathematik und der Musik, in denen der Mensch frei schöpferisch ist. 3 Anders als bei Fichte jedoch ist, wie Couturat dies ausführt, die Freiheit von Leibniz gefasst: Die Freiheit Peters und die Freiheit Pauls bedingt, dass unter genau denselben Bedingungen Peter und Paul unterschiedlich handeln und reagieren werden; denn was das Individuum Peter die einzig richtige vernünftige Handlung dünkt, kann in derselben Situation dem Individuum Paul als widersinnig und unvernünftig erscheinen. Von Ewigkeit ist die je individuelle Handlungsweise von Peter und Paul in der göttlichen Notion der »Peterheit« und »Paulheit« enthalten. Doch trotz dieser Prädetermination handeln die Individuen Peter und Paul aus ihren je individuellen Gegebenheiten heraus und aus ihrer persönlichen Freiheit. Denn wo der Mensch zur Vernunft sich entwickelt, ist desto stärker auch die je einmalige Individualität ausgeprägt. Vgl. Louis Couturat: Ueber Leibniz‘ Metaphysik, in: Leibniz‘ Logik und Metaphysik, S. 67 f. Bei Fichte sind die »Peterheit« und die »Paulheit« nicht negiert, aber in die Eine, für alle geltende Vernunft aufgehoben. 4 H. Busche, op. cit.S. 64. 5 Vgl. Théod. § 49; G VI, 129 f.
Ich und Freiheit bei Leibniz
155
sons qui nous determinent à mettre un tel pied devant, sans qu’on y reflechisse.«6
Der Wille handelt nach den in den Strukturgesetzen des Individuums angelegten Gründen; das Individuum handelt aus dem je eigenen Wesensgrund seiner Freiheit, der es geneigt macht, so oder anders zu handeln, ohne daß dabei ein Zwang gegeben wäre: »Il y a tousjours une raison prevalante qui porte la volonté à son choix, et il suffit pour conserver sa liberté, que cette raison incline, sans necessiter.«7 Es stellt hier sich aber die Frage, ob es in einem Individuum nicht Verfestigungen, Handlungstendenzen geben könne, die es in bestimmten Situationen zu stets neuem Fehlverhalten veranlassen und welche der Freiheit zuwider sind. Jedoch betont Leibniz wiederholt, dass es kein Äquilibrium gebe, »que quelques uns conçoivent dans la liberté, et que je crois chimerique«, wie Leibniz in seinem Brief an Coste vom 19. Dezember 1707 schreibt: »Lorsqu’on se propose un choix, par exemple de sortir ou de ne point sortir, c’est une question, si avec toutes les circonstances internes ou externes, motifs, perceptions, dispositions, impressions, passions, inclinations prises ensemble, je suis encor en estat de contingence, ou si je suis necessité de prendre le choix par exemple de sortir. C’est à dire si cette proposition veritable et determinée en effect: dans toutes ces circonstances prises ensemble, je choisiray de sortir, est contingente, ou necessaire. A cela je reponds qu’elle est contingente, parce que ni moy ni un autre esprit plus éclairé que moy sauroit demonstrer, que l’opposé de cette verité implique contradiction. Et supposé que par la liberté d’indifference on entende une liberté opposée à la necessité (comme je viens de l’expliquer), je demeure d’accord de cette liberté. Car je suis effectivemennt d’opinion que nostre liberté aussi bien que celle de Dieu et des esprits bien heureux est exemte non seulement de la coaction, mais encor d’une necessité absolue, quoyqu’elle ne sauroit estre exemte de la determination et de la certitude. Mais (...) generalement toutes les fois que dans toutes les circonstances prises ensemble la balance de la deliberation est plus chargée d’un costé que de l’autre, il est certain et infaillible que ce parti l’emportera. Dieu ou le sage parfait choisiront toujours le meilleur connu et si un parti n’estoit point meilleur que l’autre, ils ne choisiroient ny l’un ni l’autre.«8 6 Théod. § 46; G VI, 128. 7 Théod. § 45; G VI, 127. 8 G III, 401. Im November 1677 hielt Leibniz fest: »Definitio libertatis, quod sit potestas aut agendi aut non agendi positis omnibus ad agendum requisitis (...) Haec notio libertatis ignota fuit antiquitati; nulla ejus in Aristotele vestigia reperiuntur, Augustini systema plane evertit, a Magistro Sententiarum, Thoma, Scoto, ac plerisque Scholasticis Veteribus aliena est; ce-
156
Ich und Freiheit bei Leibniz
Gott kennt den Charakter, die Neigungen, Leidenschaften und Gedankengänge sowie die intersubjektiven Begegnungen, welche die in die Existenz strebende Monade haben wird, hat so eine Notion ihres Seins, welcher die Monade notwendig entsprechen wird. Doch hat zumindest hypothetisch die Geistmonade die Möglichkeit, sich selbst unter Kontrolle zu bringen, so daß ihre Entscheidungen von Einsicht und Vernunft getragen sein und so frei sein werden. So wird denn Leibniz in einem weiteren Schreiben an Coste vom 8. Juli 1711 formulieren: »Tout est certain par avance, par la prevision, et par les raisons determinantes: mais necessaire est seulement une verité dont le contraire implique contradiction.«9 Die Freiheit ist in Leibnizens Sicht garantiert, wo das Ich nach seinem eigenen Gesetz handelt, und wo dies Gesetz die eigene sittliche Notwendigkeit ist, welcher das Ich in Freiheit und Vernunft sich unterstellt. Daß die schaffende Gottheit von Anbeginn um die Seelenstärke oder die Schwäche und Verworfenheit des in die Existenz zu entlassenden Individuums weiß, hebt dessen Freiheit und Verantwortung nicht auf, zumal sämtliche ewigen Wahrheiten jedem Individuum als Anlage eingeboren sind. Zu den eingeborenen Ideen gehört auch diejenige der Tugend. Und jedes Individuum strebt nach der Überzeugung von Leibniz nach dem Besten. Doch wo der Vernünftige und in Gott Ruhende nach dem sittlich Guten strebt, denkt der Sünder bloß an den eigenen Vorteil, tut das für ihn vorteilhafteste; er sündigt aus eigenem Willensentschluß und wißend, dass er sündigt. Er kann somit Gott seine Verworfenheit nicht vorwerfen: »toutes ces plaintes apres le fait sont injustes, quand elles auroient esté injustes avant le fait. Or cette ame un peu avant que de pecher auroit elle bonne grace de se plaindre de Dieu, comme s’il la determinoit au peché? Les determinations de Dieu en ces matieres estant des choses qu’on ne sauroit prevoir, d’où sçait elle qu’elle est determinée à pecher, si non lors qu’elle peche déja effectivement? Il ne s’agit que de ne pas vouloir, et Dieu ne sçauroit proposer une condition plus aisée et plus juste.«10
Der Verbrecher kann nicht darauf hin verweisen, Gott habe ihn zum Verbrechen vorherbestimmt. Denn die Wahlfreiheit des Ich angesichts der eigenen Überlegungen und Entscheidungen war gegeben. Das sich entscheidende und bestimmende Individuum kann angesichts der Komplexilebrata primum a Scholasticis posterioribus, eludendis potius quam tollendis difficultatibus apta. A B 6, iiii, S. 1380, 1-11. 9 G III, 419. 10 DM § XXX; G IV, 454 f.
Ich und Freiheit bei Leibniz
157
tät von Welt und jeglichen Entscheidungszusammenhanges seine stets schon in Gott bestehende Notion nicht kennen; es weiß nicht, worin seine Festlegung im Weltzusammenhang besteht, kann so der eigenen sittlichen Entscheidung sich nicht entziehen. Denn die Entscheidung, die nicht von außen aufoktroyiert ist, die von der Vernunft erwogen werden kann, auch anders ausfallen könnte, ist zurechenbar und frei, auch wenn Gott sie vorhersah. Und mitunter ist es Pflicht, auch das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, statt wider die Sittlichkeit zu handeln. Aber unsere Handlungstendenzen wurzeln oft in unbewussten Neigungen und verworrenen Eindrücken oder – wie Kant sagt – in falschen Maximen, so daß wir durch eigenes Verschulden unfrei oder leichtsinnigerweise das Falsche tun: »si nous ne remarquons pas tousjours la raison qui nous determine ou plustost par laquelle nous nous determinons, c’est que nous sommes aussi peu capables de nous appercevoir de tout le jeu de nostre esprit et de ses pensées, le plus souvent imperceptibles et confuses, que nous sommes de demêler toutes les machines que la nature fait jouer dans le corps.«11
Einzig Einübung in Besonnenheit und Tugend führt zur sittlich richtigen Entscheidung: »Les consequences Geometriques et Metaphysiques necessitent, mais les consequences Physiques et Morales inclinent sans necessiter.«12 Die absolute oder geometrische, metaphysische Notwendigkeit ist zwingend: ihre Alternative wäre ein logischer Widerspruch und so vernünftigermassen undenkbar. Trotz der Notion, welche Gott vom Individuum und seinen Entschlüssen und Handlungen hat, untersteht es nicht der nezessitierenden absoluten Notwendigkeit: »la Necessité absolue, qu’on appelle aussi Logique et Metaphysique, et quelques fois Geometrique, et qui seroit seule à craindre, ne se trouve point dans les Actions Libres.«13 Sämtliche Tatsachenwahrheiten als die Gesamtheit des Weltgeschehens und der menschlichen Handlungen unterstehen jedoch der hypothetischen Notwendigkeit: eine andere Welt wäre denkbar; es wäre denkbar eine Welt, in welcher Caesar nicht den Rubikon überschritten hätte; – da jedoch diese Tat in Gottes Gesamtnotion der wirklichen Welt und in der Notion Caesars inbegriffen war, hat Caesar den entsprechenden Entschluss gefasst und ausgeführt. Gott hat dies seit je gewusst, und so geschah es mit 11 NE II, XXI, § 13; G V, 164, H.H. Holz Bd. III/1, S. 262/263.. 12 NE II, XXI, § 13; G V, 164, H.H. Holz, Bd. III/1, S. 264/265. 13 Théod. Préface; G VI, 37.
158
Ich und Freiheit bei Leibniz
hypothetischer Notwendigkeit: »la Verité necessaire est celle dont le contraire est impossible ou implique contradiction. Or cette verité, qui porte que j’ecriray demain, n’est point de cette nature, elle n’est donc point necessaire. Mais supposé que Dieu la prevoye, il est necessaire qu’elle arrive, c’est à dire la consequence est necessaire, savoir qu’elle existe, puisqu’elle a été prevue, car Dieu est infaillible: c’est ce qu’on appelle une necessité hypothetique.«14 Es gilt: »rien est necessaire dont l'opposé est possible«.15 In einem Brief an des Bosses hebt Leibniz hervor, dass es nicht erforderlich sei, dass ein metaphysischer Grund den Handelnden zum Handeln veranlasse; doch ist metaphysisch notwendig, dass dem Handeln eine Ursache zugrunde liegt; denn sonst würde die Handlung eines rationalen Fundaments ermangeln: »Omnino statuo potentiam se determinandi sine ulla causa, seu sine ulla radice determinationis implicare contradictionem uti implicat relatio sine fundamento; neque hinc sequitur metaphysica omnium effectum necessitas. Sufficit enim, causam vel rationem non esse necessitantem metaphysice, etsi metaphysice necessarium sit, ut aliqua sit talis causa.«16
Die menschliche Entelechie wählt angesichts alternativer Möglichkeiten nach dem ihr immanenten Telos, also in hypothetischer Notwendigkeit. Dennoch sind Freiheit und Kraft des Geistes gewährleistet. Denn die Wahl des reflektierenden und reflektierten Selbstbewusstseins ist ein mentaler Akt; das Individuum erfasst im Akt des Wählens und so Sich-Wählens und sich Entscheidens sich als freies Ich, die hypothetische Notwendigkeit ist Freiheit und Kraft des Geistes in Gott.17 In der Theodizee verlegt Leibniz den freien Urwahlakt der Monade in deren Präexistenz: schon als sie noch bloße in die Existenz drängende Möglichkeit war, hat sie frei gewählt: »et selon le systeme de l'harmonie préetablie, l'ame trouve en elle même, et dans sa nature ideale anterieure à l'existence, les raisons de ses determinations, restées sur tout ce qui l'environnera. Par là elle étoit determinée de toute eternité dans son etat de pure possibi-
14 Théod. § 37; G VI, 123. 15 Schreiben an die Herausgeber des Journal des Savants vom 18. Juni 1691. G IV,438. 16 Brief vom 8. Februar 1711; G II, 420. 17 Vgl. Michael-Thomas Liske: Leibniz‘ Freiheitslehre, S. 216; Hamburg 1993. Kurt Huber: Leibniz, S 346; München 1951.
Ich und Freiheit bei Leibniz
159
lité à agir librement, comme elle fera dans le temps, lorsqu'elle parviendra à l'existence. «18
Ihre Handlungen sind der Seele umso eher zuzuschreiben, als die Seele von allem Anbeginn in ihren Gegebenheiten ins Sein drängte. Wo, da es anders nicht möglich war, Gott sich veranlasst sah, die in die Existenz drängende Essenz des Verbrechers in die wirkliche Welt zu entlassen, da handelt denn der in die Welt entlassene Verbrecher auf eigene Verantwortung. Und so hat auch der Leidende, der Arme und Kranke in die Existenz gedrängt, weil ihn dünkte, er wolle Welt und Leben erleben, auch wenn seiner möglicherweise nur ein Augenblick trügerischen Glückes harrte. Dass die Prädetermination die Freiheit des Individuums nicht ausschliesst, betont Leibniz in § 360 der Theodizee: »Il ne faut donc point douter que les effects ne s’ensuivent de leur causes d’une maniere determinée, non obstant la contingence, et même la liberté, qui ne laissent pas de subsister avec la certitude ou determination.«19
18 Théod. § 323. G VI,308. 19 G VI, 329
2.11.3. Die Notion, die Freiheit und das faule Sophisma Vehement wendet Leibniz sich gegen den logos argos, den Schluss der faulen Vernunft, den mitunter er auch als Fatum Mahumetanum bezeichnet.1 Dass alles in Gott vorhergesehen ist, entbindet den Menschen nicht vom selbstverantwortlichen Handeln. Denn Gott hat eben diese bestimmte Welt erschaffen, in der eben dieses freie Wesen, welches ich bin, vorhergesehen war. Die Einsicht in die Prädetermination entbindet das Individuum nicht von seinem pflichtgemässen Handeln in eine Zukunft, die zwar vorherbestimmt, ihm aber unbekannt ist, und welche in einer bestimmten, in seiner Fernwirkung ihm unbekannten Hinsicht es mitzugestalten und mitzutragen hat. So schreibt Leibniz schon im Discours: »Mais peutestre qu’il est asseuré de toute eternité, que je pecheray? Repondés vous vous même: peutestre que non; et sans songer à ce que vous ne sçauriés connoistre, et qui vous ne peut donner aucune lumière, agissés suivant votre devoir que vous connoissés.«2 Leibniz sieht durch die Prädetermination die Freiheit nicht eingeschränkt. Vielmehr verpflichtet die Gabe von Freiheit und Vernunft den durch diese ausgezeichneten Menschen, aus dem amor Dei heraus seine Pflicht und das seiner Einsicht gemäß sittlich bestmögliche zu tun. Es gibt keine moralisch indifferenten Handlungen, und nach Leibnizens Überzeugung wählt der Mensch je das Bestmögliche: »tout se fait moralement dans l’ame, ou suivant les apparences du bien ou du mal, tellement que même dans nos instincts ou dans les actions involontaires où le seul corps paroit avoir part, il y a dans 1 Théod. Préface; G VI, 30. 2 DM § XXX; G IV, 455. Ebenso die Confessio philosophi: »age quasi nihil decretum esset, quando quod inexploratum est, sequi agendo non potes.« G. W. Leibniz, Confessio philosophi, 1673, hrsg. mit Übersetzung und Kommentar von Otto Saame, Frankfurt a.M. 1967, S. 70/71.
Ich und Freiheit bei Leibniz
161
l’ame un appetit du bien ou une fuite du mal qui la pousse, quoyque nostre reflexion ne puisse point en demêler la confusion«,
schreibt Leibniz an die Königin Sophie Charlotte.3 Einzig der Mensch, kraft seiner auf das sittlich Bestmögliche ausgerichteten Vernunft, ist, wie Leibniz in der Monadologie ausführt, Bürger des Gottesstaates: »C’est ce qui fait que les Esprits sont capables d’entrer dans une maniere de Societé avec Dieu, et qu’il est à leur egard non seulement ce qu’un inventeur est à sa Machine (comme Dieu l’est par rapport aux autres creatures) mais encor ce qu’un prince est à ses sujets et même un pere à ses enfants. D’où il est aisé de conclure que l’assemblage de tous les Esprits doit composer la Cité de Dieu.«4
Wie seit Sokrates der philosophische Mainstream, so kennt auch Leibniz – wenn hier auch differenzierter als viele andere Denker – keine wirkliche Niedertracht. Er sieht knapp den Sünder, der um seines Vorteils willen eine schändliche Tat begeht; aber er sieht nicht die Gemeinheit, die aus Hass auf das Gute und aus dem Wissen um die eigene Minderwertigkeit zum Feind des Guten, sei es der ganzen Gesellschaft wird. Noch sieht er unsere Moderne, in der bei den meisten Verbrechen die Person des Opfers austauschbar, der Zahl der Opfer belanglos ist. Die Beliebigkeit des, bzw. der Opfer ist eine moderne Erscheinung. So, wie es von Natur Heilige gibt – man denke an die grossen Religionsstifter und Philosophen, welche im Willen des Absoluten ganze Völker prägten5 – so gibt es von Natur Verbrecher, deren Existenz Gott in Kauf nehmen musste, auch auf dass die reale Welt und damit in ihr Gutes und Schönes möglich sei.6 Vielleicht läßt das Leiden eines Menschen nur durch die Schönheit eines Schmetterlings sich aufwiegen. Gott konnte nur ins Nichts sich und die Materie explodieren; die Seinsfülle war von Anbeginn durchdrungen durch die Negation. Der Einzelne steht in seiner essenzialen Vorherbestimmtheit, welche ja in die Existenz gedrängt hatte, selbstverantwortlich vor Gott. Die Position des faulen Sophismas ist eine Position totaler Verantwortungslo3 Brief vom 8. Mai 1704; G III, 347. 4 Mon. §§ 84 und 85; G VI, 621. 5 So wie Fichte lehren wird, dass daß der in Gott Freie Freiheit um sich zu fördern bnestrebt ist, so lehrt Leibniz, dass der Fromme bestrebt sein wird, Wissen und Tugend zu fördern.Vgl. D.Rutherford, op. cit. S. 59. 6 Zu verweisen wäre hier auf die Vorrede zur Theodizee, GVI, 36 f.
162
Ich und Freiheit bei Leibniz
sigkeit, in welcher das Individuum Verzicht tut auf seine ganz ihm eigene individuelle Freiheit, die es veranlassen soll, das Bestmögliche zu wählen, auch wenn kraft der hypothetischen Notwendigkeit schon feststeht, was für es das Bestmögliche ist: »car lorsque le sage, et surtout Dieu (...) choisit le meilleur, il n’est pas moins libre; au contraire, c’est la plus parfaite liberté.«7 Nicht erwägt Leibniz, dass der »choix du meilleur« nicht nur Sache der Freiheit und Verantwortung, sondern wie alles wahre Denken, auch Sache des Mutes ist, der jeglicher Freiheit zugrunde liegt. Denn zur Weisheit gehören Wissen, Freiheit, Mut und Geistesgegenwart. Das Auf-sich-Nehmen des eigenen Fatums und aus diesem heraus handeln ist dem Fatalismus entgegengesetzt. Leibniz zieht zu Felde gegen »L’idée mal entendue de la necessité.«8 Er schreibt: »So wird man recht häufig in fatalistischer Weise raisonnieren – obgleich man dies ganz unangebrachterweise‚ ›sich der Vorsehung anvertrauen‹ nennt, was im eigentlichen Sinne der Fall ist, wenn man seiner Pflicht genügt hat – und man bedient sich dann der faulen Vernunft, die eine Folge des unwiderstehlichen Schicksals sei, um sich von den richtigen Vernunfterwägungen zu dispensieren.«9
Erst wenn das Menschenmögliche getan und so auch der Pflicht genüge getan wurde, kann man »sich der Vorsehung anvertrauen.« Die Leibnizsche Freiheit des Menschen besteht darin, dass letzterer der Vernunft gehorchend, in jeglicher Lage sein Bestmögliches tue. Erst danach kann Gottvertrauen statthaben. Interessant ist hier die Parallele zu den Ausführungen Daupradis im hinduistischen Epos Mahabharata: »Durch Handeln vollziehen die Geschöpfe den Willen Gottes. Ein denkendes Wesen muss Taten vollbringen und nicht in Tatenlosigkeit verharren. Die Menschen, die an die Vorsehung glauben, und diejenigen, die auf den Zufall vertrauen, irren, denn sie vergessen das Bemühen. Das Glück, das ein Mensch durch die Befolgung der religiösen Bräuche gewinnt, ist göttliche Vorsehung. Die Früchte, 7 5. Brief gegen Clarke; G VII, 390. Vgl. Friedrich Kaulbach: Das Labyrinth der Freiheit, in Stud. Leibnitiana Suppl. Bd. I, S. 62 f. S. auch einen frühen Brief an Magnus Wedderkopf: »Summa enim libbertas est ad optimum a recta ratione cogi, qui aliam libertatem desiderat stultus est.« A II,1,117, 27-28. 8 Théod. Préface; G VI, 30. 9 Théod. Préface: »On raisonnera alors à la Turque bien souvent (quoyqu’on appelle cela mal à propos se remettre à la providence, ce qui a lieu proprement, quand on a satisfait à son Devoir) et on employera la raison paraisseuse, tirée du destin irresistible, pour s’exemter de raisonner comme il faut.« G VI, 31.
Ich und Freiheit bei Leibniz
163
die der Mensch durch sein Tun erntet, sind das Ergebnis seiner persönlichen Fähigkeit. Ich gebe zu, dass es der höchste Herr ist, der alle Geschöpfe tun macht, was sie tun. Doch die Menschen sind nicht träge. Sie üben ihren Geist und handeln. Sie bauen Häuser und Städte. Sie zünden Feuer an und kochen. Ein Ding ist wohl oder schlecht geraten, je nach ihrer eigenen Fertigkeit. Drei Kräfte wirken zusammen und zeitigen Ergebnisse. Es sind dies Schicksal, Zufall und Bemühung. In allen Dingen sollten die Menschen handeln.«10
Die hypothetische Notwendigkeit, dem Individuum in seinen mentalen Akten seine Freiheit belaßend – und es reicht aus, daß in seinem Selbstbewusstsein bei seinen Erwägungen es sich frei fühle –, stärkt es eher im Vertrauen auf das Bestmögliche seines Tuns und ist nicht eine Begrenzung, sondern nach dem Verständnis von Leibniz erst die Ermöglichung wahrer Freiheit. Wir bestimmen uns durch unsere Handlungen und nur handelnd können wir wissen, wer wir sind. Nur indem wir stets das Bestmögliche wählen, können rückblickend wir uns sagen, alles getan zu haben, was in unseren Kräften stand, um uns aus Gott zu verwirklichen. Die Wahl des Bestmöglichen, das Tun und Durchhalten des als richtig Erkannten ist die Gegenposition zum faulen Sophisma, das Handeln der Vernunft, welche ihre Aufgabe in Welt auf sich nimmt, um an der Verbesserung von deren Zuständen mitzuwirken. Kurt Huber führt hierzu aus: »Vom Sinngesetz des Individuellen aus gewinnt Leibniz auch den Ansatz zu einer Lösung des Freiheitsproblems. Nur wer in der Reflexion des Selbstbewusstseins sein eigenes Ich als Ausgang geistiger Akte zu erfassen vermag, ist überhaupt einer Idee der Freiheit fähig. Ein apperzipierendes Wesen erfasst sich in seinen Akten als frei gegenüber allen anderen Wesen, als nicht von außen her bestimmt. Es ist in diesem Sinne in Wahrheit frei. Doch die innere Bestimmtheit ihres Wesens vermag auch die Geistsubstanz der Person nicht aufzuheben. Sie ist an ihre individuelle Sinnstruktur, an ihre »Vorausbestimmung« gebunden. Sie ist eingebaut in den göttlichen Weltplan, in den sie keine Einsicht besitzt. Sie kann nur von sich aus tätig sein, in ihrer Tätigkeit Gottes Willen, ihre Bestimmung nach Kräften zu erfüllen trachten.«11
Indem der Mensch sich als frei in Gott betrachtet, hebt er sich in die Höhe gegenüber den übrigen Primaten, mit denen kraft Natur er den Ursprung 10 Das Mahabharata, aus dem Sanskrit-Text übersetzt und zusammengefasst von Biren Roy. Aus dem Englischen übertragen von E. Roemer. Düsseldorf, Köln 1961, S. 124 f. 11 K. Huber: Leibniz. München 1951.
164
Ich und Freiheit bei Leibniz
teilt, denen jedoch er den göttlichen Funken der Vernunft und der möglichen freien Wahl des Sittlichen voraus hat. Daß nicht die Maxime menschlicher Klugheit, sondern das sittliche Gesetz, das die Gottheit dem Menschen als normativem Wesen eingepflanzt hat, in der Wahl entscheiden soll, hat Kant aufgewisesen. Die Welt kann, als die bestmögliche innerhalb der möglichen Welten angesichts des Nichts, welches im Vernunftwesen sich als Böses manifestiert, und der der Materie eignenden Begrenztheit nie den Grad absoluter Vollkommenheit erreichen. Doch wirkt der Mensch mit an ihrem historischen Wandel. Manches geht verloren, anderes entsteht neu: »Quoyque l’Univers fût tousjours également parfait, il ne sera jamais souverainement parfait; car il change tousjours et gagne de nouvelles perfections, quoyqu’il en perde d’anciennes«, schreibt Leibniz 1716 an Bourguet.12 Der Glaube an einen unendlichen Progress zum Guten scheint in De rerum originatione radicali vom 23. November 1697 noch sich auszudrücken: »In cumulum etiam pulchritudinis perfectionisque universalis operum divinorum, progressus quidam perpetuus liberrimusque totius Universi est agnoscendus, ita ut ad majorem semper cultum procedat.«13 Zur Varietas der Welt gehört, dass in der Zeit Dinge vergehen, Neues und Anderes entsteht. Entgegen dem faulen Sophisma liegt es in der Pflicht eines jeden Einzelnen, dass er sich in seiner Notion zur Vernunft aufgerufen fühle und an seinem Ort versuche, sich und die Welt zu verbessern. Nur so wird sie nicht zur Hölle. In diesem Sinn schreibt Fichte in der grossen Auseinandersetzung und Weiterentwicklung mit und von Leibniz, welche die »Darstellung der Wissenschaftslehre« von 1801/02 bedeutet, anknüpfend hier primär an die »Theodizee«: »Wenn man von einer besten Welt, und von den Spuren der Güte Gottes in dieser Welt redet, so ist die Antwort: Die Welt ist die allerschlimmste, die da seyn kann, wenn sie nun überhaupt nur noch Welt seyn soll: Doch liegt in ihr eben darum die ganze einzig mögliche Güte Gottes verbreitet, dass von ihr aus die Intelligenz sich zum Entschlusse erheben kann, sie besser zu machen. Weiter kann auch Gott uns nichts angedeihen lassen, denn wenn er auch wollen
12 Brief vom Februar/März 1716; G III, 589. Vgl. Brief an Bourguet vom 5. August 18715; G III, 582 f. Ooptimistischer noch die Theodizee, Théod. § 237: »Il se pourroit donc que l’Univers allât tousjours de mieux en mieux, si telle étoit la nature des choses, qu’il ne fùt point permis d’atteindre au meilleur d’un seul coup. Mais ce sont des problemes dont il nous est difficile de juger.« G VI, 237. 13 G VII, 308.
Ich und Freiheit bei Leibniz
165
könnte, so vermag er es nicht an uns zu bringen, wenn wir nicht selbst schöpfen.«14
Zweihundert Jahre nach Fichte, im Zeitalter der instrumentellen Vernunft und da die Fortschritte menschlichen Vermögens und der Wissenschaften Unerhörteres erreichten, als die Denker und Aufklärer der Sattelzeit je sich vorzustellen vermocht hätten, da auch die Greuel von Welt ins Ungeheure gewachsen sind, da der Mensch mehr weiß von den Möglichkeiten und Ungeheuerlichkeiten des Menschen, bleibt ihm nur noch die Hoffnung auf menschliche Vernunft und daß diese letztendlich siegen und uns von unserer Umbruchzeit mit ihren Schlünden an das gesichertere Ufer einer neuen Zukunft bringe. Nur indem der Mensch in sich Gott verwirklicht, kann er überleben. Gott nicht als verfügbare Allmacht, sondern als Normgebung, als Wissen um das Wissen und seine abgründigen Grenzen. Dann eröffnet sich ihm auch das Auge für die unfaßliche Gottheit, welche ihre Schöpfung freigegeben und in die Vernunft des nunmehr zur Mündigkeit gelangten Menschen gestellt hat. Wissend, dass er in dieser Welt auf seine eigene Vernunft und sein eigenes Können verwiesen ist, muss der Einzelne sich Rechenschaft geben, daß die Gottheit ihn mit eben den Kräften ausgestattet hat, deren er bedarf, um seine Aufgabe in Welt zu verwirklichen. Das Absolute hat im Gang der Evolution nach dem rein organischen Leben, das aus dem Unorganischen sich herausentwickelt hat und in der Welt des Menschen, in dem es sich spiegelt, jegliche mögliche Spielart von Göttern und höchstem Gut verwirklicht, sich auch in rein philosophischen Lehren offenbart, auch den christlichen Menschen, der sich als Übermensch gebärdete, indem er die Wahrheit Christi verleugnete, vor die Lehre des Nichts gestellt. Zum ewigen Glück der Gottheit gehört auch das Glück des in ihm freien Menschen. Der Übermut der Kirchen, die Bigotterie ihrer Anhänger führte in den Atheismus und den Nihilismus, die erneuerte Kreuzigung Christi, diesmal in dem Volk des in Jahwe verkörperten Absoluten, das in Jahwes Volk Christum hatte werden lassen. Nach der Schoah bleibt weltweit nur die Verantwortung des Einzelnen in Anderen und in der Gottheit.
14 GA II,6; 320.
This page intentionally left blank
3. Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
This page intentionally left blank
3.1. Die Autokreation Die sich mit Gewalt aus dem Nichts zusammenziehende und so sich erschaffende Gottheit umfasst in ihrem in Liebe Sich-Wollen auch das Böse. Denn indem sie auf sich selbst sich zusammenzieht, schafft sie sich im Kampf gegen das Nichts, aus dem allein sie sich kontrahieren, in das allein sie sich explodieren kann. Das Böse, das als Gewaltsamkeit und limitierte Materie ihr anhängt, wird ihr bewusst im Akt der absoluten Bewusstwerdung. Macht, Erkenntnis und Wille der Gottheit formieren sich in diesem Akt: »Il y a en Dieu la Puissance, qui est la source de tout, puis la Connoissance qui contient le detail des idées, et enfin la Volonté, qui fait les changemens ou productions selon le principe du meilleur.«1 Nach dem hier, von den Leibnizschen Texten ausgehenden, aber von seinen theologischen Ansichten mitunter abweichenden Modell, strömt sich die Gottheit aus dem Nichts heraus in dunklem Bewusstsein Sich-Wollen zur hochenergetischen Geistmasse zusammen, entsteht ihr Bewusstsein und Wissen im Akt der liebenden Kontraktion, welche dem als »big bang« bezeichneten Akt sich explodierender Expansion vorausliegt2. Das hier ent1 Mon. § 48; G VI, 615. Vgl. PN § 9: »Cette substance simple primitive doit renfermer eminemment les perfections contenues dans les substances derivatives, qui en sont les effects; ainsi elle aura la puissance, la connoissance, et la volonté parfaites, c’est à dire elle aura une toute puissance, une omniscience et une bonté souveraines.« G VI, 602. 2 Vgl. Steven Weinberg: Die ersten drei Minuten. 2002. Der Urakt wird auf rund 16.3+,-, 3.3 Gigajahre zurückliegend datiert (1 Gigajahr = 1 Milliarde Jahre). Vgl. Gustav Andreas Tammann: »Die Bestätigung des Urknalls durch Beobachtungen.« In: Vom Anfang der Welt. Wissenschaft, Philosophie, Religion, Mythos. Hrsg. von Jürgen Andretsch und Klaus Mainzer, München 1989, S. 132. Vgl. Ebenda, S. 66-92, insb. S. 81, Jürgen Andretsch: Physikalische Kosmologie I: Das Standardmodell: »Es gibt einen Anfang der Welt in der Zeit. Die Welt ist jünger als 20 Milliarden Jahre. Es liegt also in unserem Modell eine durch gravitative Anziehung ständig abgebremste Urexplosion vor (...) Die zeitliche Rückverfolgung endet beim Urknall als einem Rand der Raum-Zeit. Es wäre aber falsch zu sagen, die Singularität fand in der Raum-Zeit statt. Raum und Zeit entstehen selbst erst mit dem Urknall. Bei Augustinus findet sich in seinem Buch
170
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
worfene Modell eines absoluten Entstehens des Absoluten, das ursprünglich als Spannungen im Nichts weste, unterscheidet sich vom biblischchristlichen Modell Leibnizens, findet aber Unterstützung in Schellings Entwurf der »Weltalter.« Aus dem Chaos des Sich-Bildens deutet das Göttliche das eigene Sein Wollen als Wille zur Harmonie als des Guten, und gut ist es, weil im Entstehungsakt ihm ewige Ideen als Wahrheiten entstehen, und es in sich eine Seinsfülle und Kraft erkennt, welche sich vom Nichts, aus dem es sich kontrahiert, als reine Privation und Nichtung all dessen, was es selbst als Leben darstellt, entreißt, bloß als Leere und so Voraussetzung und Rahmen der eigenen Fülle und des Lebens und Pulsierens von zu erschaffenden Kreaturen in einem Kosmos es aus sich verstößt. Dem sich kontrahierenden Absoluten erwachsen die ewigen Wahrheiten der Mathematik und Logik sowie die bestmöglichen Gesetze von Physik, Chemie und Biologie. Aus heutiger Sicht gehört notwendig zum Wesen der Gottheit die Urmaterie: reine Geistigkeit ist der Macht der Materie wehrlos ausgeliefert: Die Gottheit ist energetische Urmasse, psychophysische Energeia, geformt und gehalten vom in dunklem Trieb sich wollenden Geist. Diesen treiben die Urspannungen hervor in ihrem durch das Nichts hindurch pulsierenden Drang nach Einheit und Bewusstsein. Ein dunkler Trieb von sich wollender und zusammenströmender Liebe weiß, daß ein eines Sein sein muss, weil dieses Sein Macht, Liebe und Weisheit bedeutet und so unendlich besser ist als das Nichts, in welchem es bis anhin bewusstlos weste. Im Wesen der Materie liegt, dass sie begrenzt ist, zumal ihr Ursprung göttlich und sie so notwendig nicht maßlos ist, sie vorerst als Spannungen im Nichts weste. Dies bedingt aber notwendig eine gewisse Selbstbegrenzung der göttlichen Macht. Schon der Cusanus hatte im All eine begrenzte Unendlichkeit gesehen, denn die Materie bedeutet für das Absolute in eins Allmacht und selbstgewollte Grenze: »Die eingeschränkte Einheit jedoch, das eine All, ist, obwohl es das grösste Eine ist, dank seiner Einschränkung nicht von Vielheit frei, obwohl es nur ein eingeschränktes größtes Eines gibt. Wenn es auch in höchstem Maße eines ist, so ist doch seine Einheit durch die Vielheit eingeschränkt, so wie seine Unendlichkeit durch die »De civitate Dei« (Buch 11, Kapitel 6) eine Formulierung, die im Hinblick auf die obige Situation ganz modern klingt: »Die Welt ist nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit entstanden.« Raum und Zeit sind sowohl psychische wie physische Faktoren und so liesse sich sagen, dass im Moment der Sich-Kontraktion und -explosion die Raum-Zeit entstand. – Hier scheint wieder einmal die westliche Forschung und Technologie effizienter zu sein als die Entstehungs-Mythen-Gebilde alter Kulturen, obwohl sie manche möglicherweise eher in einem Hegelschen Sinne »aufhebt« als vernichtet.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
171
Endlichkeit, seine Einfachheit durch die Zusammensetzung, seine Ewigkeit durch die Aufeinanderfolge, seine Notwendigkeit durch die Möglichkeit usw. eingeschränkt ist«.3
Im »big bang« formt das Absolute die Materie, gibt es von seiner Machtfülle ab, auf dass eine Welt vorerst der Materie und rein organischer Lebewesen entstehe. Die späteren, ihr sich verdankenden, der Vernunft teilhaftigen Lebewesen sind notwendig in ihrer Geistigkeit durch ihre Materialität nicht nur begrenzt, sondern auch ermöglicht. Das absolute Wissen um das Gute will nicht nur Leben als Organismen, so wie es sich Jahrmillionen lang in den Sauriern äußerte, sondern es will auch Zeugnis ablegen von sich in wissender Vernunft. In ihm bilden sich Visionen einer Unendlichkeit von Essenzen und so möglicher Welten, welche als Möglichkeiten mit aller Kraft in Realität, in die Existenz jenseits des reinen Wissens Gottes drängen. So ist die Gottheit als nicht wegzudenken: »Ainsi Dieu seul (ou l’Etre necessaire) a ce privilege, qu’il faut qu’il existe s’il est possible.«4, der Grund, in welchem die Möglichkeit aller Wirklichkeit wurzelt; »cette Raison suffisante de l’Existence de l’Univers, ne se sauroit trouver dans la suite des choses contingentes (...) Ainsi, il faut que la Raison suffisante (...) soit un Etre necessaire, portant la raison de son existence avec soy (...) Et cette derniere raison des choses est appellée Dieu.«5 Fichte wird in diesem Sinne in der WL von 1812 ausführen: »nach Anknüpfung der Erscheinung an das absolute findet sich, daß auch sie, da sie ist, nothwendig ist, nicht nicht seyn kann: stets aber auf den Kredit des wirklichen Seyns. Sie wird als nothwendig erkannt, zufolge ihrer Wirklichkeit: dagegen wird das absolute als wirklich seyend erkannt zufolge seiner Nothwendigkeit (...) In sich nothwendig: (eben absolut); in sich zufällig: eben nicht absolut.«6 Indem in ihrem Entstehungsakt die Gottheit eine Harmonie ihrer Vermögen und so im Praktischen notwendig sich als gut setzt, entstehen in ihrer Erkenntnis die an ihre Existenz geknüpften Vernunftwahrheiten, noch vor den durch Entscheidung sich bildenden Tatsachenwahrheiten, welche der Geschichte zugrunde liegen: »oportet aeternas veritates existentiam habere in quodam subjecto absolute vel Metaphysice necessario, id est in Deo, per quem haec quae alioqui imaginaria forent (...) reali-
3 Nikolaus von Kues: De docta ignorantia, S. 32/33 in: Nikolaus von Kues: Philosophisch-theologische Werke, Bd. 1, Buch II, Hamburg 1999. 4 Mon. § 45; G VI, 614. 5 PN § 8; G VI, 602. 6 GA II,13; 57 f.
172
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
sentur.«7 Einzig Gott vermochte ex nihilo sich zu kreieren, da dies möglich, er seit Ewigkeit mit dem Nichts verwoben war, und so seine Möglichkeit notwendig Existenz werden musste, und so schrieb Leibniz in einem Brief vom 5. April 1677: »posito quod haec sit Dei definitio: esse Ens a se, seu quod existentiam suam a se ipso, nempe a sua essentia, habeat.«8 Alle Tatsachenwahrheiten und alles Sein beruhen auf der Gottheit als zureichendem Grund. Im Akt der Autokreation entstand dem Absoluten auch eine Unendlichkeit ins Dasein drängender Essenzen, und die Gottheit wählte dasjenige mögliche Set aus, welches in sich den höchsten Grad an Kompossibilität und so auch an Harmonie in der geistigen Welt bedeutete. In der »Monadologie« hebt Leibniz hervor: »il n’y a qu’un Dieu et ce Dieu suffit.«9: Aus der Unbedingtheit des Einen Gottes ergibt sich die Bedingtheit und damit Individualität aller anderen Wesen: »Est enim DEUS ut causa rerum, ita Rex Mentium, et cum ipse mens sit, esse potissimam partem Universi, omniaque condita esse ipsarum causa.«10 Mit der Kontraktion auf sich als energetische Masse und absolutes Bewusstsein lässt das Göttliche in eins mit sich und seiner Kontraktion und Explosion seiner als Urmasse Raum und Zeit entstehen11. Es ist das im Kontraktionsakt zu Bewusstsein-Kommen von sich als Absolutes, welches der Gottheit Weisheit entstehen und erst sich, dann aus sich eine Welt wollen lässt aus dem nunmehrigen Bewusstsein der eigenen Schöpferkraft, welche nur das Gute
7 De rerum originatione radicali, (ROR), G VII, 305. 8 Colloquium cum Dno. Eccardo Professore Ritelensi Cartesiano...; G I, 212. Analog schreibt Spinoza im De Deo zu Beginn seiner »Ethik«: »Per causam sui intelligo id, cujus essentia involvit existentiam; sive id, cujus natura non potest concipi, nisi existens.« Ethica in Werke, hrsg. von Konrad Blumenstock, Darmstadt 1978, S. 86. 9 Mon. . § 39; G VI, 613. 10 Specimen inventorum de admirandis naturae generatioGeneralis arcanis, G VII, 316. 11 Vgl. Schelling: »Die Weltalter«: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Mit diesen Worten beginnt das älteste Buch der Welt seine einfache Erzählung. Aber der Mensch fragt, was es doch heisse: im Anfang, und was es heisse: er schuf? / Im Anfang kann aber nichts anderes bedeuten, als in der ersten oder ältesten Zeit, welche mit der folgenden, deren Anfang die Geburt des Lichtes bezeichnet, offenbar in Gegensatz gesetzt wird. So kann denn auch das Schaffen des Anfangs nicht das Schaffen der folgenden Zeit seyn, sondern nothwendig ist ein doppelter Begriff der Schöpfung. / Alles anfängliche und ursprüngliche Schaffen ist ein bewusstloses, innerlich nothwendiges; da eigentlich keine Persönlichkeit wirkt, wie in menschlichen Werken eine desto höhere Kraft der Wirklichkeit erkannt wird, je unpersönlicher sie entstanden und ursprünglich geschaffen sind. Alles bewusste Schaffen setzt ein bewusstloses schon voraus, u. ist nur Entfaltung u. letzte Auseinandersetzung desselben.« In: Schellings Werke, Münchner Jubiläumsdr., Nachdr. 1979, Die »Weltalter,«, S. 243. Schellings Spekulationen – längst vor unserer zeitgenössischen Urknall-Theorie – stützen die oben vorliegenden Ausführungen zur die Schaffung einer Welt implizierenden Selbsterschaffung des Ens necessarium.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
173
wollen kann, durch die Selbsterschaffung der eigenen Kraft und Güte sich bewusst wurde: »ainsi le véritable infini ne se trouve point dans un tout composé de parties. Cependant il ne laisse pas de se trouver ailleurs, savoir dans l’absolu, qui est sans parties, & qui a influence sur les choses composées, parce qu’elles resultent de la limitation de l’absolu. Donc l’infini positif n’étant autre chose que l’absolu, on peut dire qu’il y a en ce sens une idée positive de l’infini, & qu’elle est antérieure à celle du fini.«12.
In seinem höchsten Seinsmoment ist das Absolute die sich zu vernünftiger Gnade weiterbestimmende Gerechtigkeit; so führt Leibniz aus: »da ferner die Gerechtigkeit im allgemeinsten Sinne nichts anderes ist, als die der Weisheit entsprechende Güte, so muss Gott auch die höchste Gerechtigkeit zukommen.«13 Die höchste Form der prästabilierten Harmonie ist so der Gottesstaat, welchem als einem Reich der Geister Gott als Monarch, ja Vater vorsteht. So hebt auch Thomas Leinkauf die innige Beziehung der Geist – Substanzen mit Gott hervor, welcher ja selbst in einem eminenten Sinn Geist ist.14 So führt denn Leibniz im Specimen inventorum auch aus: »Itaque pro certum habendum est, summum a DEO justitiae habitam esse rationem, et quaemadmodum perfectionem rerum, ita mentium felicitatem quaesitam esse.«15 Im Augenblick der Kontraktion und Selbstschöpfung des Absoluten gab es auch schon die Dualität von Sein und Nichtsein oder Sein und Nichts, von Leben und Tod, von Gutem und Bösem. »So sind das Gute und Böse in Wahrheit untrennbar.«16 Das Gute ist nur möglich, wo es sich dem Bösen als dem Nichtseienden, sich von ihm ausgrenzend entreisst. Denn das Sein des Nichts oder Bösen ist die Nichtung. Und gegen dieses Nichts muss im Streit das Gute sich und aus sich eine Welt ins Dasein heben. So ist die Gottheit zureichende Antwort auf die Frage: »Pourquoy il y a plustôt quelque chose que rien?«17 Aus ihrem kraftvollen Entschluss zur Güte nach den Gesetzen der Harmonie stiftete sie sich zur Weisheit und 12 Louis Dutens: Gothofredi Guillelmi Leibnitii Opera omnia, Tomus secundus, Genf 1768, p. 220. 13 PN § 9; G VI, 602. Als Jurist wusste Leibniz, daß im Römischen Recht zur Gerechtigkeit auch die Gnade, die aequitas, (Billigkeit) gehörte. 14 Mon. §§ 84-87, G VII, 641 f. Thomas Leinkauf:Gottfried Wilhelm Leibniz’ Systematische Transformat ion der Substanz: Einheit, Kraft, Geist. in »Philosophen des 17. Jahrhunderts«, hrsg. von Lothar Kreimendahl, Darmstadt 1999, S. 198-221. 15 Specimen inventorum ... G VII, 316. 16 W. Janke: Theodizee, in: Philosophische Perspektiven, Bd. 5, 1973, S. 74. 17 PN § 7; G VI, 602.
174
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
zum allwissenden Schöpfer einer Welt, in welcher mannigfach sie sich spiegelt. So wie Leibniz Tugend und Glück vernunftbegabter Lebewesen darin gründet, dass sie vernünftiger Erkenntnis fähig sind und so Freude empfinden über geordnete Vollendung18, so ist es auch des Absoluten Wissen, das seine Freiheit in die Liebe bindet: »patet quomodo libertas sit in Autore Mundi, licet omnia faciat determinate quia agit ex principio sapientiae seu perfectionis. Scilicet indifferentia ab ignorantia oritur et quanto quisque magis est sapiens, tanto magis ad perfectissimum est determinatus.«19 Am Anfang waren das Licht und das Wort. Der erste Laut in dem nunmehr entstehenden Universum war das Rauschen, welches als »Radiowellen-Hintergrundrauschen« sich durch sämtliche Zeiten bis heute erhalten hat. Steven Weinberg schreibt: »Aus der beobachteten Häufigkeit des Wasserstoffs kann man schliessen, dass das Universum in den ersten Minuten von einer ungeheuren Strahlung erfüllt gewesen sein muss (...) mit der seither eingetretenen Ausdehnung des Universums sank ihre Aequivalent-Temperatur auf wenige Grad Kelvin, und deshalb erscheint sie uns jetzt als ein gleichmässig aus allen Richtungen kommendes Radiowellen-Hintergrundrauschen.«20 Leibniz führt aus: »Atque ita jam habemus physicam Necessitatem ex Metaphysica: etsi enim Mundus non sit metaphysice necessarius, ita ut contrarium implicet contradictionem seu absurditatem logicam, est tamen necessarius physice vel determinatus ita ut contrarium implicet imperfectionem seu absurditatem moralem.«21
Es wäre absurd und wider Weisheit und Vernunft, wenn die Gottheit im Prozeß der Selbsterschaffung, da sie die Macht hierzu hat, nicht auch eine Welt erschüfe, die ihren Stempel trägt. Über das rein organische Leben hinaus muss sie vernunftbegabte, ja heilige, Wesen schaffen, in denen sich die Unendlichkeit ihrer Gesichter in Form von Gottheiten, Denkern und Künstlern äußert, in denen sich ihre Schöpferkraft spiegelt, und welche die verschiedenen Völker formen. Im Selbstschöpfungsakt sich ihrer Schöp18 Donald Rutherford » Leibniz and the Rational Order of Nature«, p., 47 ::« Leibniz grounds the virtue and happiness of intelligent creatures in their possesion of rational knowledge (...) And true happiness derives solely from a mind’s contemplation of perfection and order.« 19 ROR, G VII, S. 304. 20 Steven Weinberg: Die ersten drei Minuten. Der Ursprung des Universums, 1979, S. 83. 21 ROR; G VII, 304.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
175
ferkraft bewusst werdend, muss sie diese weitergeben, muss sie Zeugnis ablegen von sich in wissenden, sinnenbegabten Wesen. Das Absolute ist eins und faßt doch alle Gottheiten und alle Weisheit und harmonische Varietät in sich. Mannigfaltigkeit in der Simplizität und Effizienz als ein Maximum an Ordnung bei einem Minimum an Gesetzen ist Gebot der Universalharmonie, wie sie schon der Cusanus als Gesetzmässigkeit ausgearbeitet hatte, als er postulierte, Gott sei in eins das absolut Größte und absolut Kleinste. Als schlechthin das Wahre seiend und somit komplex, kann die Gottheit begrenzten Geistern sich nur unter unterschiedlichen Aspekten und Deutungen mitteilen, findet sie sich in ihrer Wahrheit in einer Mannigfaltigkeit von Spiegelungen. In seiner Schöpferkraft und Weisheit drängt es das Absolute, über sich hinaus zuerst das nackte Leben rein organischer Wesen, dann eine Welt vernunftbegabter Geister zu schaffen, die seine Bilder widerspiegeln, indem es sich ihnen in seinen unterschiedlichen Wahrheiten und Bildern offenbart, sie wie kleine Götter an der Schöpfung teilhaben läßt, sei es, daß sie unmittelbar sein Bild konzipieren, sei es, dass sie erfinderisch oder als Künstler an der Schöpfung teilhaben.22 Leibniz, welcher von der Unsterblichkeit nicht nur der vernunftbegabten Geister, sondern aller Lebewesen ausgeht, geht aus von der Idee eines Gottesstaates der Gott spiegelnden Geister: »D’où il est aisé de conclure, que l’assemblage de tous les Esprits doit composer la cité de Dieu, c’est à dire le plus parfait état qui soit possible sous le plus parfait des Monarques.«23 Sämtliche Formen, welche die Gottheit im Laufe der Geschichte annehmen wird, sind in ihr in ihrem Ursprung enthalten; Gott hat viele Masken und jede Maske ist eine Wahrheit und brachte Völker und Kulturen hervor, die sich nach ihr bildeten, indem in eins das Urwesen in seinen Masken sich verbirgt; denn nur in der Maske vermag Gott sich zu zeigen, vermag der Mensch Gottes Antlitz zu ertragen, sind ihm die unterschiedlichen Aspekte der Wahrheit zugänglich24. Und stets gilt, dass die Glückse22 Mon. § 83; G VI, 621. Die Aussage, dass jeder Geist in seinem Bereich eine kleine Gottheit sei, ist ausführlich erörtert in Théod. § 147: »Voicy encor une raison particuliere du desordre apparent dans ce qui regarde l’homme. C’est que Dieu luy a fait present d’une image de la Divinité, en luy donnant l’intelligence. Il le laisse faire en quelque façon dans son petit departement (...) L’Homme y est donc comme un petit Dieu dans son propre monde, ou Microcosme, qu’il gouverne à sa mode: il y fait merveilles quelquefois, et son art imite souvent la nature. (...) Mais il fait aussi de grandes fautes, parce qu’il s’abandonne aux passions et parce que Dieu l’abandonne à son sens.« G VI, 197. 23 Mon. § 85, G VI, 621. 24 Dass Moses bloss die Schulter Jahwes zu erblicken vermochte, sei hier am Rande erinnert. Ueberwältigend schildert den Anblick eines sich zeigenden Gottes das Mahabharata: »Arjuna (...) betete zu Vasudeva, dem Gott Krishna, dass er sich ihm gnädig offenbaren möge in
176
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
ligkeit vernünftiger Wesen der Gottheit höchstes, doch nicht einziges Ziel ist. Gott kann nur soweit sie verwirklichen, als die Gesetze der Universalharmonie, an die er sich gebunden hat, dies zulassen. In der Weisheit Lao-Tses und Kongfutses und seiner Schüler – und es ist bekannt, wie sehr Leibniz sich für die China-Mission und den Kongfutsianismus insbesondere interessierte25, ein fruchtbares Interesse, welches auch einen theologisch-philosophischen Austausch zwischen Protestantismus und chinesischem Denken bezweckte, so dass es im Jahre 1700 zur Gründung der Akademie der Wissenschaften in Berlin kam26 – in den Gesprächen Kongfutses, dessen Rückgewandtheit zum Alten auf die Ahnenkulte afrikanischer Völker verweist, den Lehrgedichten Lao-Tses, seiner allumfassenden Gestalt, das All ihm zeigend in seiner Person. Da Vasudeva Arjuna sehr liebte, gewährte er ihm, worum dieser bat: Anstelle des Menschen Vasudeva, des Freundes der Pandavas, sah Arjuna vor sich die Erscheinung des Weltalls. Der Anblick blendete den stolzen Pandava-Helden und erfüllte ihn mit grosser Angst. Arjuna sah das Weltall in all seinen verwirrenden und ehrfurchtgebietenden Ausstrahlungen in Krishna. Er schien verwandelt in eine Gestalt mit vielen Armen, Bäuchen, Mündern und Augen, umloht von Flammen unermesslichen Glanzes. Für sterbliche Augen war das ein schreckliches, erschütterndes Schauspiel. Krishna glich dem Bilde der Vernichtung. Die Krieger, die in Schlachtordnung aufgestellt waren, und die mächtigen Helden, die in ihren Streitwagen vor ihm standen, stürmten mit unwiderstehlicher Geschwindigkeit in Krishnas flammenden Mund, wie Insekten in das Feuer fliegen (...) Da war kein Halt, kein Hemmnis in diesem Ansturm, der alle in die Zerstörung trieb. Viele Krieger schienen von dem göttlichen Munde bereits verschluckt, einige erschienen zwischen den Zähnen, mit zermalmtem Leib. Die Welt, nein, das Weltall, erschien Arjuna in einem beständigen Wechsel, ein nie endender Strom. Da war nicht Raum für Mitleid oder Reue. Da war nicht Anfang noch Ende. Gott umschloss Raum und Zeit; und als Zeit war er der Tod.« Mahabharata, Düsseldorf, Köln 1961, S. 221. S. auch Schellings Freiheitsschrift von 1809: »Allein auch dieses sollte offenbar werden, denn nur im Gegensatz der Sünde offenbart sich jenes innerste Band der Abhängigkeit der Dinge und das Wesen Gottes, das gleichsam vor aller Existenz (noch nicht durch sie gemildert), und darum schrecklich ist. Denn Gott selbst überkleidet dieses Princip in der Creatur und bedeckt es mit Liebe, indem er es zum Grund und gleichsam zum Träger der Wesen macht.« Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, Abt. I,7, S. 391, in: Ausgewählte Werke, Schriften 1806-1813, Darmstadt 1983, S. 335. Auch Schelling sieht das ursprünglich Göttliche als schrecklich und gewaltsam, der Maske bedürftig. Vgl. den Erdgeist, vor dem Faust schaudert. 25 Leibniz war 1689 in Rom dem soeben aus China zurückgekehrten Claudio Filippo Grimaldi begegnet und interessierte sich seither für das I Ging und KungfutseKongfutse. Pater Matteo Ricci knüpfte seit 1595 in seiner China-Mission bewusst an den Kungfutianismus Kongfutianismus der Gelehrten an und bekämpfte Taoismus und Buddhismus als Götzendienst und Aberglauben, welche den ursprünglichen KungfutzianismusKongfutzianismus, der monotheistisch gewesen sei, verdorben hätten. Vgl. Studia Leibnitiana Suppl. Bd. 33, hrsg. von Wenchao Li und Hans Poser, Stuttgart 2000. Vgl. auch in diesem Band den Beitrag von Hans Poser, wonach im 17. Jahrhundert China ins Zentrum des europäischen Interesses gerückt war. 26 Wenchao Li: »La verité est plus repandue qu’on ne pense« – Leibniz’ Abhandlung über die chinesische Philosophie im Kontext der europäischen China-Rezeption«, in:«Leibniz und Europa, VI. Internationaler Leibniz-Kongreß«ß, Vorträge I. Teil, Hannover 18. bis 23. Juli 1994, S. 436ff.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
177
welche wie die Lehre Shakyamuni Buddhas ganze Völker prägten, spiegelt sich die Weisheit der Gottheit, welche als Jahwe sich als in all ihren Ausformungen Eine zu erkennen gibt und in der Figur Christi in einer höheren Kulturepoche die Gerechtigkeit – selbst schon eine Gnade – in die Form der Barmherzigkeit wandelt, damit aber auch für die Menschen unerreichbarer wird, so dass diese sich in einer späteren Zeit auf die eigene Vernunft verwiesen sehen. Bodhisattva Avalokiteshvara und seine Gefährtin Tara – die grüne Tara mit dem geschlossenen Lotos zur Nacht, die weiße Tara mit dem offenen Lotos des Tags – sind wie Christus Gott mit seinen Göttinnen Gottheiten der Bamherzigkeit. Ist die höchste Liebe nihilistisch, so zeichnet schon in der nihilistischen Liebe Christi zu Gott und dessen Schöpfung, welche vielleicht nur in eben seinem göttlichen Sein sich verwirklichen ließ, sich ab der Nihilismus der abendländischen Zivilisation. Und von allem Anbeginn ist die Monade in der Intersubjektivität zu sich und ihrer Freiheit verdammt. Will die Gottheit sich als vernunftbegabte und lebendige Spiegel eine Welt erschaffen aus den Essenzen, die in ihrem Bewusstsein sich formen, so kann sie dies nur, wenn sie auch den Bösen, den Kranken, den Armen ins Dasein entlässt, in das dessen Essenz um eines flüchtigen Augenblicks von Glück willen drängt. In § 380 der Theodizee schreibt Leibniz: »l’imperfection originale des creatures donne des bornes à l’action du createur, qui tend au bien.«27 In den lebendigen Spiegeln, welche die Geistwesen sind, aber auch in der Schönheit einer Pflanze, der Kraft eines Panthers begegnet sich die Gottheit als Selbstbewusstsein.28 Im Bösen, im Verworfenen jedoch erkennt die Gottheit das Nichts, in das allein sie sich explodieren konnte und das im Augenblick der Autokreation zum Widerpart wurde, da eben nunmehr des Göttlichen ermangelnd. Die Gottheit entwickelt sich Vernunftwesen erst in einer späteren Entwicklungsphase von Kosmos und Erde. Die Natur ist auf sie abgestimmt, so wie zum einen sie sich der geschaffenen Natur, zum anderen 27 G VI, 341. 28 Friedrich Heinrich Jacobi schreibt: »Die höchste Kraft muss sich selbst kennen; sonst ist sie eine blinde Macht, die von der denkenden gewiss überwunden würde: mithin nicht Gottheit wäre.« In: Über die Lehre des Spinoza, 1789, Beilage V, Werke Bd. 1,1, S. 225. Im Aktus dunklen sich Werdens erfasst die Gottheit sich als Leben, so dass ihr eine erste, Leben darstellende Welt von den Mikroorganismen zu den Sauriern entsteht. Doch hieran erkennt die Gottheit, dass sie nicht bloss organisches Leben, sondern Geist ist. Die absolute geistphysische Energeia ist in ihrem Entstehen werdende Intelligenz ohne Personalität. Eigentliche Personalität eignet einzig der Begrenztheit endlicher Intelligenz. Das Absolute schafft sich zu absoluter Intelligenz im Akt seines sich Wollens und in eins sich Spiegelns im Entwurf der Schöpfung; es formt sich zu absolutem Bewusstsein und hieraus zur Harmonie aus Güte und Weisheit.
178
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
dem Absoluten sich zu verdanken haben. Denn auch in der uns umgebenden Natur ist Freiheit und Intelligenz. Leibniz lehrt, dass mit der »Adamicité,« der Erschaffung dieses bestimmten Adams, auch eben diese seine Nachkommenschaft gewollt gewesen sei. Die Gottheit will die metaphysisch und moralisch höchstmögliche Vollkommenheit der Welt, in welche sie sich ergiesst; doch ist die moralische und d.h. die vom Wesen Mensch gebildete Welt nur eine Partialerscheinung des Seins von belebter und unbelebter Welt. So hat Sittlichkeit und Güte des über Erkenntnis, Perzeptionen und Appetitus dem Absoluten am nächsten stehenden Wesens für jenes zwar einen intrinsischen Wert, doch können der Duft einer Blume – wenn nicht als Individuum, so doch als Gattung genommen – , die Schönheit einer Pflanze oder eines Tieres, die Wucht eines Mammuts oder Elefanten, der Reichtum des Meeres oder einer Milchstrasse als metaphysische Vollkommenheiten der Gottheit ebenso wichtig sein. So hält Leibniz in der Theodizee fest: »La vertu est la plus noble qualité des choses creées, mais ce n’est pas la seule bonne qualité des Creatures. Il y en a une infinité d’autres qui attirent l’inclination de Dieu: de toutes ces inclinations resulte le plus de bien qu’il se peut, et il se trouve que s’il n’y avoit que Creatures raisonnables, il y auroit moins de bien.«29 Ohne Natur ist der Mensch unvorstellbar. Überall auf der Erde vermag der Mensch sich seine ökologische Nische zu schaffen; doch ist dies nur möglich, weil überall Natur ist, und der Mensch ein Sinnenwesen ist, welches seine Vernunft nur da wahrhaft zu entwickeln vermag, wo er auf nichtmenschliches Leben und Wesen stösst, welches seinen Geist mitformt. Die Natur ist Materie des Denkens und der Mensch ist, soll er denken, auf wechselnde Sinneseindrücke angewiesen: »La nature a besoin d’animaux, de plantes, de corps inanimés; il y a dans ces Creatures non raisonnables des merveilles qui servent à exercer la raison. Que feroit une Creature intelligente, s’il n’y avoit point de choses non intelligentes? à quoy penseroit elle, s’il n’y avoit ny mouvement, ny matiere, ny sens?«30
Zu ihrer Vollkommenheit benötigt die Welt nebst dem Reich der Gnade dasjenige der Natur, zum einen ihrer selbst willen, dann jedoch auch, damit die endlichen Vernunftwesen Stoff zur Erkenntnis haben und damit die Gottheit in den Vernunftwesen die Herrlichkeit der Natur gespiegelt
29 Théod. § 124; G VI, 178 f. 30 Théod. § 124; G VI, 179.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
179
sehe.31 Die Aseitas Gottes hatte schon Spinoza thematisiert. Leibniz schreibt: »Videtur (...)Deum de Deo. Totum infinitum esse unum. Mentes particulares existere summa, ideo tantum, quod summa Ens harmonicum judicat, alicubi esse quod intelligat, sive esse quoddam speculum intellectuale, sive replicationem Mundi. Existere nihil aliud esse quam Harmonicum esse.«32
Einzig das Absolute ist durch sich selbst, hat sich selbst aus dem Nichts erschaffen und in die Unendlichkeit explodiert, so Raum und Zeit schaffend. Nicht die größte, sondern die größtmögliche Anzahl von intelligenten Substanzen wurde erschaffen, angesichts eines möglichen Minimums von Übeln. In den intelligenten, der Erkenntnis fähigen Wesen, spiegelt sich die Vollkommenheit Gottes und der Welt. Ihr mögliches Leiden dankt nicht zuletzt sich der Diskrepanz zwischen dem Übel einerseits, der Vollkommenheit der Schöpfung andererseits. Existenz ist die Verwirklichung der der Gottheit sich verdankenden Harmonie. Am vollkommensten ist, was als Eines die größtmögliche Mannigfaltigkeit in sich enthält: »Perfectissimum Ens est, quod plurima continet. Quale est Ens capax idearum et cogitationum, hoc enim multiplicat rerum varietates ut speculum (...) Inventiones pulchrae et imagines ingeniosae sunt de harmonia rerum. Harmonicum maxime quod gratissimum (perfectissimae) mentium.«33 Indem der Mensch Ideen und eigene Gedanken haben kann, je einen eigenen Standpunkt hat, trägt er bei zur Mannigfaltigkeit von Welt, die das AllEine so zu verwirklichen nicht gekonnt hätte. Er ist ein lebendiger Spiegel, in welchem die Gottheit je ihre Facetten erblickt. Durch Erfinden und Schaffen schöner und sinnreicher Werke trägt der Mensch zur Harmonie der Welt bei. In den Augen der Gottheit, die schon sich und Welt nach den Gesetzen der Harmonie schuf, ist die grösste Harmonie diejenige, welche Geistwesen hervorbringen, so die Vollkommenheit der Welt ausdrückend und erhöhend.34 Schaffen ist das einzige Gebet, welches die Gottheit erreicht. 31 Die von uns sog. Naturvölker leben in dem und verehren das, was auch Leibniz heilig ist. 32 A VI, iii, 474. De arcanis sublimium vel de summa rerum. 33 A VI, iii, 475 f. Ebenda. 34 Der hier dargelegte Lehre der Kontraktion und explosiven Expansion des Absoluten ist nichts gemein mit der Lehre des »Zimzum« von Isaak Luria (1534-1572). »Zimzum«, eigentlich »Konzentration« oder »Kontraktion« bedeutend, nimmt bei Luria den Sinn von »Zurückziehen« oder »Rückzug« an. Luria stellt die Frage, wie Gott aus dem Nichts schaffen könne, da es doch gar kein Nichts geben könne, weil sein Wesen alles durchdringt. »Luria meint, um die Mög-
180
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
Indem jedoch das Absolute im Autokreationsakt aus neutralen Spannungen sich aus dem Nichts zur hochenergetischen Lichtfeuermasse zusammengezogen hat, um, voll in das eigene Lichte konzentriert, als Universum sich in das Nichts zu explodieren, schuf es in eins die Dualität von Sein und Nichts, von gut und böse. Stets ist Nichts die Voraussetzung von Sein, dessen dunkler Grund und vom Urmoment von dessen Dasein sein Antipode und seine Möglichkeit. Eben indem Sein entstand, das Gute in seiner ganzen Fülle sich wollte, konnte es nur dem so zum Widerpart gewordenen Nichts sich entreissen. Nur ins Nichts und dieses in sich aufnehmend, konnte das Universum als die ungeheure Feuerlichtmasse sich explodieren, konnte im expandierenden Abkühlungsprozeß Raum und Zeit entstehen. Der Fülle stellt sich die Leere entgegen, und dieser Einheit steht das Nichts entgegen, so wie in der Kreatur dem Guten das Böse.35 So wie jeder Mensch angesichts der ursprünglichen Lichtfeuermaße erblinden würde, so würde jeder Geist geblendet, welcher der unverhüllten Wahrheit der lebendigen Gottheit gegenüber stünde. Im Höhepunkt seiner Autokreation, der totalen Konzentration, war das Absolute allwissend, wusste es, daß in den in die Existenz drängenden Essenzen der höchsten Schöpfungsstufe nicht nur Geist, Vernunft, Güte und Liebe, sondern auch Triebhaftigkeit, Unvernunft, Hass, Verbrechen als Negationen ins Sein strebten. Hatte ein dunkler Drang die Gottheit sich zu sich kontrahieren lassen, so musste der Trieb allem Leben eignen. Ist die Gottheit in ihrem Höhepunkt reines Wissen, so konnte sie die vom Nichts mitdurchdrungenen Lebewesen nur begrenzt mit Wissen begaben. Und gar mancher dünkt uns nur von den Primaten abzustammen, ohne jeglichen Funken des göttlichen Lichtes. Hat sie sich zur Güte bestimmt, indem sie sich schuf, das Sein in sich seiend, so war doch in diesem sich Schaffen auch Gewalt und Urmacht, ist lichkeit der Welt zu gewährleisten, musste Gott in seinem Wesen einen Bezirk freigeben, aus dem er sich zurückzog, eine Art mystischen Urraum, in den er in der Schöpfung und Offenbarung hinaustreten konnte.« In: Gershom Scholem: Die jüdische Mystik, Frankfurt/M. stw, S. 286. Gershom Scholem beruft sich auf Jakob Emden, um festzustellen, dass Lurias Lehre »der einzige ernsthafte Versuch (sei – KVT), der je gemacht wurde, den Gedanken einer Schöpfung aus Nichts wirklich zu denken.« op. cit. S. 287. Zumindest ist Lurias Lehre stark zu relativieren: Das Absolute, als Spannungen ins Nichts verwoben, zieht sich auf sich selbst – sich so als Urmasse erschaffend – zurück, um sich ins nunmehrige Nichts explodieren zu können. 35 So schreibt Lao-Tse im Tao Tê King: »Dreissig Speichen umgeben eine Nabe:/ In ihrem Nichts besteht des Wagens Werk./Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen:/In ihrem Nichts besteht der Töpfe Werk./Man gräbt Türen und Fenster, damit die Kammer werde:/In ihrem Nichts besteht der Kammer Werk. / Darum: Was ist, dient zum Besitz. Was nicht ist, dient zum Werk.« (Spruch XI.) So lässt sich schliessen, dass die Leere Voraussetzung der Fülle, das Nichts Voraussetzung des Seins, die grundsätzliche Bosheit und Feigheit des Menschen Voraussetzung von Sittlichkeit und Güte ist.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
181
sie auch das Gewaltige und Uranfängliche und das um das Nichts Wissende. Das Absolute, selbst gewaltig durch seine Natur, die lauter Leben ist, konnte weder die anorganische, noch die organische Natur schaffen, ohne daß ihnen nicht nur Güte und Schönheit, sondern ebenbildlich auch Gewalt und Gewaltsamkeit eigneten, denn es entäußerte seine Materie in die Natur. So entstanden auch in einer frühen Schöpfungsperiode die Saurier, die nichts waren, als reines organisches Leben und wilde Kraft, das erste Lebensgefühl der sich schaffenden Gottheit. Die ursprüngliche Gewalt und Gewaltsamkeit, als solche wertneutral, werden in den mit freier Vernunft, aber auch mit Trieben und Egozität ausgestatteten Geistwesen leicht zur Bosheit. Erst indem es in seinem Werk seine Spiegelungen findet, gelangt das absolute Bewusstsein zu Selbstwissen und Fühlen. In Abschottung zum Relativen des Werks findet sich die Gottheit in den lebendigen Spiegeln der Seelen- und Geistnaturen. Das Böse ist das Partikulare, die Verstandesbestie, der sich ohne Vernunft absolut setzende Mensch, der nur an das Nichts glaubt und an ein Selbst ohne Eigenständigkeit in der Gottheit oder den Lehren der Weisen. Und so waren schon in der Geburt des Anfangs das Licht, das Wort, der Schmerz, das ganze Ungeheuerliche der Schöpfung.
3.2. Mögliche Welten Die energetische Maße explodiert sich in Welt, nachdem sie in ihrer Seinsfülle als Gottheit jenen Set beseelter und vernünftiger Lebewesen als ins Leben zu entlassender entworfen hat, welches ein Höchstmass an Varietas und Ordnung versprach. Leibniz sieht in dem Kriterium von größtmöglicher Varietas (pulchritudo, richesse des effets, fecondité)1 verbunden mit dem einfachstmöglichen und effizientesten Ordo2 dasjenige der größtmöglichen metaphysischen und moralischen Perfektion der Welt: »Il suit de la Perfection Supreme de Dieu, qu’en produisant l’Univers il a choisi le meilleur Plan possible où il y ait la plus grande varieté avec le plus grand ordre (...) le plus d’effect produit par les voyes les plus simples; le plus de puissance, le plus de connoissance, le plus de bonheur et de bonté dans les creatures que l’univers en pouvoit admettre.«3
1 ROR: »formarum autem varietatis«; G VII,303. DM § 5; G IV, 430. Théod. § 208; G VI, 241. »Deus omnia creavit secundum maximam harmoniam sive pulchritudinem«; G VII, 74. Schon in den »Elementa Juris Naturalis« von 1670/71 hält Leibniz in Hinsicht auf Varietas und pulchritudo fest: »Delectatio seu VOLUPTAS est perceptio harmoniae« und »Pulchrum est cuius harmonia clare disincteque intellegitur (...) DEUM, cogitationem, orationem pulchram dicimus (...) Harmonia est diversitas identitate compensata.« A VI,1, 484, 26-33. 2 DM § 5: »Pour ce qui est de la simplicité des voyes de Dieu, elle a lieu proprement à l’égard des moyens, comme au contraire la varieté, richesse ou abondance y a lieu à l’égard des fins ou effects. Et l’un doit estre en balance avec l‘autre.« G IV, 430. Théod. § 208: »Les voyes de Dieu sont les plus simples et le plus uniformes: c’est qu’il choisit des regles, qui se limitent le moins les unes les autres. Elles sont aussi les plus fecondes par rapport à la simplicité des voyes.« G VI, 241. 3 PN § 10; G VI, 603. S. auch DM § 1: »Dieu possedant la sagesse supreme et infinie agit de la maniere la plus parfaite, non seulement au sens metaphysique, mais encor moralement parlant.« G IV,427. Ebenfalls De arcanis sublimium...: »pro principio statuo, Harmoniam rerum, id est ut quantum plurimum essentiae potest existat.« A VI,III, 472. Nicholas Rescher: »Leibniz und die Vollkommenheit der Welten« in Studia Leib. Suppl. Bd. III,1 ff.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
183
Nicht die einzelne Monade, das einzelne Ich steht im Vordergrund – zwar sollen sich möglichst viel Güte und Glück finden bei den vernünftigen Wesen, doch nicht mehr als die Gesamtordnung des Universums zulässt – sondern eben die Welt der in Zeit und Raum interdependenten Iche sowie das Minimax der Naturgesetze und Wohlergehen von Fauna und Flora. Nicholas Rescher führt Leibnizens Maßstab der größtmöglichen Varietas und der wenigstmöglichen, effizientesten Gesetze auf Prinzipien der Kunst, Staatskunst und Wissenschaft zurück4; wohingegen Thomas Leinkauf auf den »auf den Nominalismus zurückgehenden Gedanken der kleinsten Prinzipienanzahl und der größten entspringenden Varietät« verweist.5 Ergänzen ließe dies insbesondere sich durch das Suchen der Mathematiker bei der Problemlösung nach dem kürzestmöglichen und umfaßendsten und somit schönsten Beweis.6 Es gälte jedoch, dass dem menschlichen Faßungsvermögen und guten Willen angepaßte Masken der Gottheit in ihren Gestalten als einzelne, kulturprägende Figuren der Vision der Gottheit von der bestmöglichen Welt eingeprägt gewesen wären. So muss als Wahrheit Gottes nicht nur Jahwe, sondern auch Christus gelten, um dessentwillen nach Leibnizens Überzeugung Gott eben diese unsere Welt von der Möglichkeit in die Wirklichkeit gehoben habe; so muss Allah und Mohammed ebenso sein wie Kongfutse, Shakjamuni Buddha und Bodidharma sowie Lao-Tse oder die Tabu – Kulturen. Die Seinsstrukturen der griechischen Götterwelt werden nicht nur die griechische Kunst, sondern das Abendland mitprägen. Gott musste Judas ins Dasein entlassen, weil es ohne dies kein europäisches Christentum gegeben hätte oder nur eine Welt ohne die asiatischen Religionen und Philosophien. Gottes Allmacht besteht darin, dass er gemäß der eigenen Erkenntnis handelt, nicht in Alleskönnerei. Gott entwirft die Essenzen nicht nach eigener Willkür, sondern die Sets für mögliche Welten bildenden Essenzen tauchen sinnbildend aus seinen Tiefen in eins mit den ewigen Ideen und Wahrheiten. Gott prüft die als Kräfte nach Realität strebenden Wesenheiten auf ihre Kompatibilität mit den Ideen und Wahrheiten und auf ihre eigene Kompossibilität in der aus ihm entstehenden Welt in Raum und Zeit.7 Christus und Gauta-
4 Ebenda S. 5. 5 T. Leinkauf, op.cit. S. 211. 6 Vgl. Nicholas Rescher: The philosophy of Leibniz, p. 19: Our World – the actual world – is the »best possible world« in this rarified metaphysical sense of greatest variety of phenomena consonant with greatest simplicity of laws. tstIts being the best has (at bottom) little to do with how men (or men and animals)fare in it.«London 1967. 7 N. Rescher, 1979, p. 17: »the possible substances sort themselves out into possible worlds. The possible world of any substance is the totality of all substances compossible with it.
184
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
ma Buddha gleichzeitig in Jerusalem wären nicht kompossibel und entgegen der göttlichen Weisheit; es wäre entgegen dem »principe de la convenance, c’est à dire du choix de la Sagesse.«8 Auch wären die Geister einer Welt, in welcher Caesar den Rubikon nicht überschritten, Alexander nicht gelebt hätte, Kongfutse nicht gelehrt hätte, miteinander nicht kompossibel, würde es sich nicht um die real existierende Welt handeln.9 Die afrikanischen Völker und die weit verbreiteten Ahnenkulte bewahrten und schützten die Natur. Da in einer Welt, die Eine Welt ist, alles mit allem zusammenhängt, jede mögliche Welt ein organisches Ganzes darstellt, muss in ihr eine Balance des Minimax herrschen: »il faut savoir que tout est lié dans chacun des mondes possibles: l’Univers, quel qu’il puisse être, est tout d’une pièce, comme un Ocean; le moindre mouvement y etend son effect à quelque distance que ce soit, quoyque cet effect devienne moins sensible à proportion de la distance.«10 So führt denn Leibniz in »De rerum originatione radicali« auch aus: »Hinc vero manifestissime intelligitur ex infinitis possibilium combinationibus seriebusque possibilibus existere eam, per quam plurimum essentiae seu possibilitatis perducitur ad existendum. Semper scilicet est in rebus principium determinationis quod a Maximo Minimove petendum est, ut nempe maximus praestetur effectus, minimo ut sic dicam sumtu.«11
Die Essenzen, die aus dem Bewusstsein Gottes in die Existenz drängen, tun dies nach Mass ihres Realitätsgehalts, d.h. ihrer Kraft als Entelechien. Thomas Leinkauf sagt kurz und prägnant: »Leibniz limitiert die Kompetenz des Existenz- oder Wirklichkeit-Setzens strikt und radikal theologisch: sie ist das ausgesprochene dominium Dei.«12 Auch die ewigen Vernunftwahrheiten der Logik und der Mathematik gewinnen ihren Realitätsgehalt erst mit der Autokreation der Gottheit, wenn sie auch seit Ewigkeiten in sich schlummerten.
Each possible world consists of a family of possible substances, every one of which is compossible with all the rest«. 8 PN § 11; G VI, 603. 9 NE III, VI, § 12: »J’ay des raisons pour croire que toutes les especes possibles ne sont point compossibles dans l’univers tout grand qu’il est, et cela non seulement par rapport aux choses, qui sont ensemble en même temps, mais même par rapport à toute la suite des choses. G V, 286; H.H.Holz III/2, S. 88 ff. 10 Théod. § 9; G VI, 107. 11 ROR vom 23. November 1697; G VII, 303. 12 T. Leinkauf, op. cit. S. 211.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
185
Es wäre denkbar eine Welt mit anderen Naturkonstanten: Lichtgeschwindigkeit etwa oder Cavendish könnten anders sein als sie sind. Sie entsprechen jedoch in ihrem Sein der realen Welt als bestmögliche Lösung. Wären die physikalischen Gesetze andere als die real existierenden, so wären auch die diese Welt bevölkernden Lebewesen andere: »Car comme il y a une infinité de mondes possibles, il y a aussi une infinité de loix, les unes propres à l’un, les autres à l’autre, et chaque individu possible de quelque monde enferme dans sa notion les loix de son monde.«13 Leibniz, welcher die Bewegungsgesetze der Metaphysik zuordnet, hält in § 11 der »Principes de la Nature et de la Grâce« fest: »La Sagesse Supreme de Dieu l’a fait choisir surtout les loix du Mouvement le mieux ajustées, et le plus convenables aux raisons abstractes ou metaphysiques (...)Et il est surprenant, que par la seule consideration des causes efficientes ou de la matiere, on ne sauroit rendre raison de ces loix du mouvement découvertes de notre temps, et dont une partie a été découverte par moi même. Car j’ay trouvé qu’il y faut recourir aux causes Finales et que ces loix ne dependent point du principe de la necessité, comme les verités Logiques, Arithmetiques et Geometriques, mais du principe de la convenance, c’est à dire du choix de la Sagesse.«14
Die metaphysisch und moralisch bestmögliche Welt ist nicht diejenige, in der wahllos das Meistmögliche verwirklicht wird, sondern diejenige, in welcher die Naturgesetze, Vernunftgesetze und Gesetze der Güte verwirklicht sind, die in Raum und Zeit am harmonischsten miteinander kompossibel sind15. 13 Remarques sur la lettre de M. Arnauld; G II,,40. Vgl. B. Mates, op. cit. S. 69 ff.: »The actual world, which does exist, is only one of infinitely many possible worlds that could have existed. It is the best of possible worlds, in the sense that any change in it, when considered with all its necessary preconditions and consequences, would be a change for the worse; and that, of course, is why God chose it instead of one of the other possibilities.« 14 PN § 11, G VI, 603. Im Brief an Arnauld vom Juni/Juli 1686 ergänzt Leibniz: »je conçois qu’il y avoit une infinité de manieres possibles de créer le Monde selon les differens desseins que Dieu pouvoit former, et que chaque monde possibles depend de quelques desseins principaux ou fins de Dieu, qui luy sont propres, c’est à dire de quelques decrets libres primitifs.« G II, 51. 15 In zwei Briefen an Bourguet hebt Leibniz nochmals hervor: »Pour être possibles, il suffit de l’intelligibilité; mais pour l’existence, il faut une prévalence d’intelligibilité ou d’ordre; car il y a ordre à mesure qu’il y a beaucoup à remarquer dans une multitude. / Je ne crois point qu’un Monde sans mal, préférable en ordre au nòtre, soit possible; autrement il auroit été préferé«. Gothofredi Leibnitii Opera Omnia, Nunc primum cellecta (...) studio Ludovici Dutens, Tomus Secundus, Genf 1768, S. 324 und »tous les possibles ne sont point compossibles. Ainsi l’Univers n’est que la collection d’une certaine façon de compossibles; & l’Univers actuel est la
186
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
Um zu wissen, dass der Weltentwurf der bestmögliche ist, muss die Gottheit um sämtliches Tatsachenwissen über die möglichen Welten verfügen, muss sie die Notion all dessen, was sein kann und sein wird, ev. innerhalb eines Spielraums möglicher Alternativen, haben: »Dieu est la premiere raison des choses, car celles qui sont bornées, comme tout ce que nous voyons et experimentons, sont contingentes et n’ont rien en elles qui rende leur existence necessaire; étant manifeste que le temps, l’espace et la matiere, unies et uniformes en elles mêmes, et indifferentes à tout, pouvoient recevoir de tout autres mouvemens et figures, et dans un autre ordre. Il faut donc chercher la raison de l’existence du Monde (...) une infinité d’autres mondes étant egalement possibles et egalement pretendans à l’existence, pour ainsi dire, aussi bien que luy, il faut que la cause du monde ait eu egard ou relation à tous ces mondes possibles, pour en determiner un. (...) Et comme tout est lié, il n’y a pas lieu d’en admettre plus d’une.«16
Es gibt Essenzen, die in Gottes unendlichem Verstand zwar möglich, in der Existenz mit anderen Existenzen jedoch unmöglich wären und so nach dem Gesetz der »convenance« nicht in die Existenz zu entlassen sind: »wenn wir setzen, A, B, C und D seien in bezug auf ihr Wesen gleichrangig oder gleichermassen vollkommen und erforderten in gleichem Masse Existenz und weiterhin setzen, D sei mit A und B unverträglich, A aber mit jedem verträglich ausser mit D und ebenso B und C, daraus folgt, dass die Verbindung A, B, C unter Ausschluss von D existiere; denn wenn wir wollten, dass D existiere, könnte nur C zusammen damit existieren, also würde die Verbindung C, D existieren, die nun aber unvollkommener ist als die Verbindung A, B, C«17 Die in die Existenz drängenden Essenzen dürfen nicht in sich widersprüchlich sein: Angenommen, zur Notion des Ritters N gehört, dass er nie ein Turnier verlieren wird und zur Notion des Ritters P gehört, dass er im Turnier unschlagbar ist, und zur Notion beider Ritter gehört, dass sie zur selben Zeit am selben Hof weilen u dort an denselben Festlichkeiten sich beteiligen, so sind N u P inkompossibel, da sie sich an Turnierspielen als Gegner gegenüberstehen würden. Da in Raum und Zeit alles mit allem zusammenhängt, ist das Gesetz der Kompossibilität für alle Weltendauer collection de tous les possibles existans, c’est-à-dire, de ceux qui forment le plus riche composé.« Ebenda, S. 326. 16 Théod. § 7; G VI, 106 f. 17 Leibniz: De veritatibus primis, in: H. H. Holz, Bd. I, 176/177.
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
187
und jeglichen Ort verbindlich: Gott hat sich für eben diesen Adam entschieden, weil er eben diese Nachkommenschaft Adams wollte. Der Entschluß Adams war ein Wollen von Bewusstsein und Geist und ein Wollen, noch dumpf, zur Zeugung. An Bourguet schrieb Leibniz im Dezember 1714: »tous les possibles ne sont point compossibles. Ainsi l’Univers n’est que la collection d’une certaine façon de compossibles; et l’Univers actuel est la collection de tous les possibles existans, c’est à dire de ceux qui forment le plus riche composé.«18 So, wie nicht jeder Einfall, den wir haben mögen, etwas taugt, so kann auch für das Wissen der Gottheit nicht alles, was an sich möglich wäre, in Wirklichkeit übersetzt werden, da Wirklichkeiten sich dann widersprechen müssten. Nur die zu einem Gesamtbild sich ergänzenden Wirklichkeiten sind als Existenzialitäten möglich. Alle vorstellbaren Essenzen bilden sich in der sich bildenden Gottheit, so dass diese vor der Scheidung in das, was in die Existenz zu entlassen und dem, was zu unterdrücken ist, beides in sich enthält: »ita ergo habemus ultimam rationem realitatis tam essentiarum quam existentiarum in uno, quod utique Mundo ipso majus, superius anteriusque esse necesse est, cum per ipsum non tantum existentia, quae Mundus complectitur, sed et possibilia habeant realitatem.«19 Die zu einer hochenergetischen Masse sich zusammenziehende Gottheit erkennt unmittelbar und ursprünglich, welche der möglichen Welten, in welcher sie ihre Kreation fortsetzen will, die bestmögliche ist, und in der Theodizee heisst es dementsprechend: »Dieu voit tout d’un coup toute la suite de cet univers, lorsqu’il le choisit.«20 Ähnlich eine weitere Stelle aus der Theodizee, welche die Güte des göttlichen Wollens aufweist: »la Sagesse Divine distribue tous les possibles qu’elle avoit déja envisagés à part, en autant de systemes universels, qu’elle compare encor entre eux: et le resultat de toutes ces comparaisons et reflexions est le choix du meilleur d’entre tous ces syste-
18 G III, 573. Rutherford schreibt hierzu: »If God could create all possible things, he presumably would, since more perfection would thereby be realized. But God cannot do so, because not all possibles are compossible.« D. Rutherford: Leibniz and the rational Order of Nature.«, S. 182. Doch gilt wohl, dass Gott nicht alles will, was möglich ist, sondern das Bestmögliche innerhalb der grösstmöglichen Varietas, die in einer moralisch und naturgesetzlich bestmöglichen Welt zu erreichen ist. Das Meistmögliche ist nicht unbedingt das Bestmögliche. 19 ROR; G VII, 305. 20 Théod. § 360; G VI, 329. 1719 wird Friedrich Wilhelm Bierling, einstiger Korrespondent von Leibniz, sagen: »Deliberant homines, et ex multis ideis, quae optima videtur, eligunt (...) Deus perfecte sapiens non deliberat, sed perfecta statim ideas format, immo ab aeterno formavit.« Zitiert nach Wolfgang Hübener: Zum Geist der Prämoderne, Würzburg 1985, S. 139.
188
Exkurs zu einem möglichen Wesen Gottes
mes possibles, que la sagesse fait pour satisfaire pleinement à la bonté; ce qui est justement le plan de l’univers actuel.«21 Einen Gedanken von Thomaus Leinkauf aufnehmend, könnte man formulieren, dass die reine Positivität der wirklichen Welt sie als realisierte Möglichkeit und hiermit kontingent erscheinen ließe, man stets Wirklichkeit gegen Möglichkeit setzen müsste. Einzig die Gottheit, in welcher die Notionen alles Seienden sind, weiss stets, welche Möglichkeiten sich zur Wirklichkeit verdichten werden.
21 Théod. § 225, G VI, 252. Ebenso führt Leibniz im folgenden § 227 aus: »Nous avons assés etabli, ce semble, qu’entre tous les plans possibles de l’univers il y en a un meilleur que tous les autres, et que Dieu n’a point manqué de le choisir.« G VI, 253.
4. Leibnizens Position der Harmonie
This page intentionally left blank
4.1. Leibnizens prästabilierte Harmonie von Geist und Körper Zwei Aspekte der prästabilierten Harmonie sind innerhalb von Leibnizens Universalharmonie wesentlich: zum Einen die Harmonie zwischen interagierenden fensterlosen Geistmonaden, also die »Intersubjektivität«, zum anderen diejenige zwischen Seele und Leib, womit Leibniz die alte und durch die Zweisubstanzenlehre von Descartes (die dritte Substanz wäre Gott) neu aufgeflammte Diskussion um die Wechselwirkung von Leib und Seele zu entscheiden trachtete. Es sind diese beiden Aspekte der Harmonie die in der Diskussion um Leibniz meistbeachteten. Doch gibt es im Rahmen der Universalharmonie und des Gottesstaates noch das Problem der Harmonie zwischen der Gottheit und ihrem Geschöpf. Diese hat den Vorrang vor der intermonadischen Harmonie endlicher Substanzen.1 Leibniz führt aus: »Es besteht kein Zweifel daran, dass die Glückseligkeit der Geister das Hauptziel Gottes ist und dass Er diesen Zweck zur Ausführung bringt, soweit es die allgemeine Harmonie zulässt.« Zu recht betont Nicholas Rescher, dass diese moralische Stellungnahme auf das scheinbar völlig verschiedene metaphysische Wertkriterium verweist2. In der metaphysischen Perfektion und in der Schönheit der Welt, welche Geist, Gefühl und Vernunft denkender Geschöpfe prägen und erfreuen – auch das Glücksgefühl des Erkenntnisaktes bewirken sollen – zeigt sich das »spezifisch ethische Wohlwollen eines Schöpfers, der vorzugsweise das spezifische Wohl der Geister zu sichern sucht.«3 In § 130 der Theodizee rechtfertigt Leibniz: »Or puisque le mal physique et le mal moral se trouvent dans 1 S. Jacques Jalabert: »Antérieurement à toute harmonie préétablie entre les substances d’un même univers, il y a l’harmonie préétablie entre Dieu et sa créature.« In: création et harmonie préétablie selon Leibniz, Studia leibnitiana Leibnitiana Jg. III, 1971, S. 196. 2 N. Rescher: Leibniz und die Vollkommenheit der Welten, in: Studia Leib. Suppl. Bd. III, 1975, S. 1 ff. 3 N. Rescher, ebenda, S. 7.
Leibnizens Position der Harmonie
192
ce parfait ouvrage, on en doit juger (...) que sans cela un mal encor plus grand auroit été tout à fait inevitable.(...)Ce mal si grand seroit que Dieu auroit mal choisi, s’il avoit choisi autrement qu’il n’a fait. Il est vray que Dieu est infiniment puissant; mais sa puissance est indeterminée, la bonté et la sagesse jointes la determinent à produire le meilleur.«4 Gott weiß, daß, da er vernunftbegabte, aber unvollkommene Wesen schafft, welchen Leidenschaften und Gelüste eignen, die der Vernunft zuwider sind, mit Hilfe des Verstandes jedoch sich befriedigen lassen, er auch das moralisch Schlechte ermöglicht; doch erscheint seiner Allwissenheit das durch den Verbrecher und den Sünder verursachte Leid anderer Kreaturen als ein geringeres Übel als die Nichtexistenz der Erde und des übrigen Kosmos: »Ainsi le bien et le mal moral ou physique des Creatures raisonnables ne passe point infiniment le bien et le mal qui est metaphysique seulement, c’est à dire celuy qui consiste dans la perfection des autres Creatures.«5 Leibniz bezweifelt nicht, dass der Gottheit mehr an einem Vernunftwesen, denn an einem Löwen gelegen sei; doch ist offen, ob Gott nicht die gesamte Gattung der Löwen dem Wohlsein eines einzigen oder einiger Menschen vorziehe.6 Angesichts der Möglichkeit und Wirklichkeit menschlichen Leides ist fraglich, ob wirklich es durch Schönheit und Vernunft in der Natur sich aufwiegen lasse; doch ist möglicherweise der Mensch anthropozentristischer als die Gottheit und oft in eins nicht bereit, auf eigene und des Anderen Vernunft zu bauen und zu erkennen, dass er seine Vernunft und seine Kräfte nur dank der Schönheit und Vernunft in der ihn umgebenden Welt entwickeln konnte. Wie der Schluss von Voltaires »Candide« zeigt, ist die Welt nicht nur Gabe, sondern Aufgabe und zwar eines jeden an seinem Ort und in Interaktion mit der allgemeinen Vernunft. So schreibt Leibniz in § 120 der Theodizee: »S’il n’y avoit que des esprits, ils seroient sans la liaison necessaire, sans l’ordre des temps et des lieux. Cet ordre demande la matiere, le mouvement et ses loix; en les reglant avec les esprits le mieux qu’il est possible, on reviendra à nostre monde.«7 Da die Monaden omnipräsent sind, so jegliche Zeit und jeglicher Ort entstehen, indem Leiber ihre unmittelbaren Eindrücke an ihre Seelenmonade transmittieren, wäre eine Welt reiner Geistwesen eine tote Welt, da es diesen an Gemüt mangeln, alles ungeordnet auseinanderklaffen würde, es keine bestimmte Verortung in Welt gäbe. Denn die reale Welt bildet ein organisches Ganzes, in welchem alles mit allem 4 5 6 7
Théod. § 130, G VI, 183. Théod. § 118; G VI, 168 f. Ebenda, Théod. S. 169. G VI, 172 f.
Leibnizens Position der Harmonie
193
zusammenhängt8. Ein Weniger an moralisch Schlechtem würde möglicherweise ein Weniger an metaphysisch Gutem mit sich ziehen, weniger Varietas in der Natur, weniger stimmige Naturgesetze, weniger freies Widerspiegeln an Gottvertrauen möglicherweise des leidenden Vernunftwesens, einer Spiegelung, in welcher das Absolute die freie Gabe seines Geschöpfes entgegennimmt. Leibniz blendet eher das Faktum der Sünde, des Täters an, welcher angesichts der Menschen, der Gottheit sündigt. Weniger fokussiert er das Opfer, welches, obwohl vernunftbegabt, infolge des Verbrechens zur leidenden Kreatur wird. Es wird, als geschaffene Monade unkorrumpierbar und ewig, auf die Glückseligkeit verwiesen, welcher die Seele als Glied des Gottesstaates nach ihrem irdischen Sterben teilhaftig werden wird.9 Leibniz verweist auch auf das Weltenende und das jüngste Gericht: »Cette Harmonie fait que les choses conduisent à la grace par les voyes mêmes de la nature, et que ce globe par exemple doit être détruit et reparé par les voyes naturelles dans les momens que le demande le gouvernement des Esprits; pour le chatiment des uns, et la recompense des autres.«10 Diesen Gedanken Leibnizens, daß die Welt zerstört und an ihre Stelle eine neue, sittlichere in unendlichem Progress treten wird, wird der späte Fichte in seinen »Thatsachen des Bewusstseyns« von 1810/11 aufgreifen. Dient bei Leibniz die Zerstörung der aktuellen Welt dem Jüngsten Gericht, so sollen ähnlich bei Fichte die sittlich Guten zwecks weiterer Vervollkommnung in einer neuen Welt wiedergeboren werden. In der Theodizee postuliert Leibniz – um auf die obige Stelle zurückzukommen –: »Or puisque le mal physique et le mal moral se trouvent dans ce parfait ouvrage, on en doit juger (...) que sans cela un mal encor plus grand auroit eté tout à fait inevitable.«11 Daß ein noch unausdenkbar ärgeres Übel stattgefunden hätte, wäre das Geschehene nicht eingetreten, lässt den Menschen die Geschichte unentrinnbar als Schlachtbank begreifen, auf welcher einjeder Opfer sein kann. In § 9 der Theodizee verweist Leibniz ebenfalls darauf, dass alles mit allem organisch verbunden, somit das Grundgesetz der Welt die Harmonie und die Welt die bestmögliche ist: 8 Théod. § 119: »Tout est lié dans la nature«. G VI, 169. 9 Théod. § 241: »Il est vray qu’on souffre souvent par les mauvaises actions d’autruy; mais lorsqu’on n’a point de part au crime, l’on doit tenir pour certain que ces souffrances nous preparent un plus grand bonheur. La question du mal physique, c’est à dire de l’origine des souffrances, a des difficultés communes avec celles de l’origine du mal metaphysique, dont les monstres et les autres irregularités apparentes de l’univers fournissent des exemples.«G VI, 261. S. auch §§ 86 und 87 Mon. zum Gottesstaat; G VI, 622. 10 Mon. § 88, G VI, 622. 11 Théod. § 130; G VI, 183.
Leibnizens Position der Harmonie
194
»Car il faut savoir que tout est lié dans chacun des Mondes possibles: l’Univers, quel qu’il puisse être, est tout d’une pièce, comme un Ocean; le moindre mouvement y etend son effect à quelque distance que ce soit, quoyque cet effect devienne moins sensible à proportion de la distance (...) De sorte que rien ne peut être changé dans l’univers (...) Ainsi, si le moindre mal qui arrive dans le monde y manquoit, ce ne seroit plus ce monde, qui tout compté, tout rabattu, a été trouvé le meilleur par le Createur qui l’a choisi.«12
Innerhalb des Machbaren gab es keine mögliche Welt, welche weniger Übel mit mehr Gutem hätte vereinbaren können als die real existierende. So betonte denn auch Leibniz in der »Causa Dei«:»Metaphysicum generatim consistit in rerum etiam non intelligentium perfectione. Liliorum campi et passorum curam a Patre coelesti geri Christus dixit.«13 Wenn Fichte in der WL 1801/02 das Gemüt mit der Sinnenwelt gleichsetzt, so ist dies derselbe Gedanke: wir brauchen die Sperlinge und die Blumen für unser Gemüt, das der Vernunft zugrunde liegt. Nicht nur ist menschliches Denken im Gegensatz zum Wissen der Gottheit diskursiv; es ist auch auf Material in Form einer sinnlich erfassbaren Umwelt angewiesen. Der von Gott geschaffene Reichtum der Welt ist Gedankenfülle und Schöpfungslust des Menschen und Anlaß zur Freude im Daseinskampf. Die dem Nichts abgetrotzte allgemeine Harmonie ist nur möglich, wenn auch die Schatten von Unglück und Verbrechen das Dasein der Vernunftwesen begleiten. Trotz ihrer Fensterlosigkeit sind die Leibnizschen Seelenmonaden ausserordentlich »umweltempfindlich« und können die innere Vielfältigkeit, Fülle und Ordnung nur unter der Minimalbedingung erreichen, dass sie auch in ihrer kosmischen Umwelt gegeben sind.14 Nur in der Interaktion mit belebter und unbelebter Welt und Natur können sich die in der Seelenmonade eingefalteten Eigenschaften, sei es der Charakter, seien es Tugenden oder das Wissen um die notwendigen Wahrheiten und das Sein einer Gottheit entfalten und prägend ins Bewusstsein dringen. Auf daß der Mikrokosmos der Seelenmonade sich entfalten kann, müssen die Umweltbedingungen so sein, daß die Monade und die in ihr angelegten Eigenschaften und ewigen Wahrheiten als Seelensubstanz nicht verkümmern: »une Ame ne peut lire en elle-même que ce qui y est representé distinctement, elle ne sauroit developper tout d’un coup ses replis, car ils vont à l’infini.«15 Um sich selbst auszuloten und mit 12 13 14 15
G VI, 107 f. Causa Dei asserta per Justitiam Ejus. § 30; G VI, 443. N. Rescher, ebenda S. 8. Mon. 61, G VI, 617.
Leibnizens Position der Harmonie
195
sich klarzukommen, bedarf der Mensch der Selbst- und Welterfahrung. Nur im Austausch mit einer Welt Leben vollziehend und gestaltend, kann der Mensch sich zu sich selbst entwickeln. Die Geistmonaden oder metaphysischen Punkte wandeln sich in geometrische Punkte, wo es um ihren Standpunkt (point de vue) geht, von wo aus sie das Universum spiegeln und in physikalische Massenpunkte, wo es darum geht, dass sie in einem Leib verankert sein müssen, um einen bestimmten Standpunkt in der Raumzeit einzunehmen.16 So schreibt Leibniz an Lady Masham im Hinblick auf die Seele: »La Question, si elle est quelque part ou nulle part, est de nom: car sa nature ne consiste pas dans l’étendue, mais elle se rapporte à l’étendue qu’elle represente; ainsi on doit placer l’ame dans le corps, où est son point de veue suivant lequel elle se represente l’univers presentement.«17 Die Seele ist im Leib verortet. Gott legt fest, in welcher Raumzeit eine bestimmte Essenz in die Existenz treten, eine Seele sich verkörpern soll: »le resultat de chaque veue de l’univers, comme regardé d’un certain endroit, est une substance qui exprime l’univers conformement à cette veue, si Dieu trouve bon de rendre sa pensée effective et de produire cette substance.«18 So, wie der späte Fichte dies tun wird, fasst schon Leibniz die Geistmonade in Platonischer Tradition als Gedanken Gottes. Gott entlässt die Essenz in die Existenz an dem Ort und in der Zeit, wo seit unvordenklicher Zeit sie an ihrem Platz ist und wo sie als Spiegelung des Weltganzen am sinnvollsten plaziert ist.19 In § 83 der Monadologie beschreibt Leibniz die Seelen als lebendige Spiegel, und zwar Spiegel ihrer selbst, und d.h. für Gott Bilder des Universums der Lebewesen. Die Geistseelen jedoch, als mit Erkenntnis, Wollen und Kraft begabt und »Ich« sagen könnend, indem sie hierauf reflektieren, spiegeln in eins die Gottheit, deren Abbilder sie sind sowie die Natur: »les Ames en general sont des miroirs vivans ou images de la Divinité même, ou de l’Auteur même de la Nature, capables de connoitre le système de l’Univers.«20
16 N. Rescher, 1979, p. 17 schreibt: »the substances of a possible world »mirror« one another in their mutual accomodation« und verweist auf Nikolaus von Kues, welcher im gesamten Universum als solchem einen Spiegel Gottes sah. 17 Brief vom 30. Juni 1704; G III, 357. 18 DM § 14, G IV, 439. 19 S. Mon. § 47: »les Monades (...) naissent, pour ainsi dire, par des Fulgurations continuelles de la Divinité de moment en moment.« G VI, 614. Es ließe sich jede Geistmonade als in sich eine Wahrheit darstellend, bezeichnen. 20 Mon. § 83; G VI, 621.
196
Leibnizens Position der Harmonie
Jede Geistmonade als geometrischer Punkt im Massenpunkt ihres Leibes lokalisiert, bildet einen Spiegelungsstandpunkt im Universum, das sie je von ihrem geschichtlichen und räumlichen Standpunkt aus perspektivisch spiegelt, so daß die Gottheit ihr eigenes Weltwissen und ihre Macht in unendlichen Facetten dargestellt, wiedererkennt, und so eine unendliche Mannigfaltigkeit von Welt entsteht. So bringt Leibniz verschiedentlich das Beispiel einer Stadt, die von jedem Blickpunkt aus in anderer perspektivischer Sicht erscheint: »Et comme une même ville regardée de differens cotés paroist tout autre et est comme multipliée perspectivement, il arrive de même, que par la multitude infinie des substances simples, il y a comme autant de differens Univers, qui ne sont pourtant que les perspectives d’un seul selon les differens points de veue de chaque Monade. Et c’est le moyen d’obtenir autant de varieté qu’il est possible, mais avec le plus grand ordre qui se puisse, c’est à dire le moyen d’obtenir autant de perfection qu’il se peut.«21
Leibniz geht aus von der Präformation: Die Seelen der Tiere entstehen von Anbeginn mit der Erschaffung der Welt; die Geistmonaden sind zwar alle im Samen Adams schon angelegt, doch lässt Gott sie durch Fulgurationen in der Zeit zum Leben erstehen.22 Die Seelenmonaden spiegeln nach Maß ihrer Perzeptionen und ihres sie zu neuen Perzeptionen drängenden Appetitus das Universum, und in den Spiegelungen erkennt die Gottheit ihr Werk. Die Geistmonaden jedoch spiegeln in ihrer »repraesentatio mundi« auch die Gottheit, jede von ihrem Ort aus, und unter jeder Perspektive erkennt das Absolute sein mögliches Bild.23 Nachdem das Absolute sich als Welt explodiert hat, erkennt seine Weisheit, wo in der Welt noch eine bestimmte Substanz erforderlich sei, um einen bestimmten point de vue einzunehmen und so Welt und Gottheit unter einem ganz bestimmten, noch nicht abgedeckten Aspekt zu spiegeln: »le resultat de chaque veue de l’univers, comme regardé d’un certain endroit, est une substance qui ex-
21 Mon. §§ 57 und 58; G VI, 616. 22 An Arnauld vom 28. November/8. Dezember 1686: »Ainsi les ames brutes auroient esté toutes creées dès le commencement du monde, suivant cette fecondité des semences mentionée dans la Genese, mais l’ame raisonnable n’est creée que dans le temps de la formation de son corps, estant entierement differente des autres ames que nous connoissons, parcequ’elle est capable de reflexion, et imite en petit la nature divine.« G II, 75; PN § 6, G VI, 601. 23 PN § 14: »Pour ce qui est de l’Ame raisonnable ou de l‘Esprit il y a quelque chose de plus que dans les Monades ou même dans les simples Ames. Il n’est pas seulement un Miroir de l’univers des Creatures, mais encore une image de la Divinité.« G VI, 604.
Leibnizens Position der Harmonie
197
prime l’univers conformement à cette veue, si Dieu trouve bon de rendre sa pensée effective et de produire cette substance.«24. Dem Discours läßt sich entnehmen: »toute substance est comme un monde entier et comme un miroir de Dieu ou bien de tout l’univers, qu’elle exprime chacune à sa façon, à peu pres comme une même ville est diversement representée selon les differentes situations de celuy que la regarde. Ainsi l’univers est en quelque façon multiplié autant de fois qu’il y a des substances, et la gloire de Dieu est redoublée de même par autant de representations toutes differentes de son ouvrage.«25
Die Gottheit weiß nur um sich selbst, so wie sie ist und wie sie, so es schaffend, als Macht sich ins Universum ergoßen hat. Aber sie gewinnt eine neue Wirklichkeit und neuen Ruhm, indem sie ihre Spiegelungen in den Individuen unterschiedlicher Zeiten und Orte, unterschiedlicher Rassen, Religionen, Philosophien sieht und indem sie in den Werken der Künstler und der Künste Schönheit und erfinderische Klugheit der Welt in eigener Schaffenskraft gespiegelt findet. Da die Geistmonaden durch Effulgurationen in der Zeit ins Dasein gehoben werden, kann die Gottheit eine bestimmte Ichmonade, deren Entwicklung sie voraussieht, als in der Spiegelung eine bestimmte Zeitortumgebung gestaltend, in die Existenz heben.
24 DM § XIV; G IV, 439. 25 DM § IX; G IV, 434.
4.2. Leibnizens prästabilierte Harmonie als Intersubjektivität Die im Wesen des Absoluten fundierte Universalharmonie bedingt nicht nur, daß Seelensubstanz und Leib aufeinander abgestimmt sind. Vielmehr bildet das gesamte Universum der Seelenmonaden eine Raumzeit als organische Einheit, in welcher alles mit allem verbunden ist: »Or il n’y a que Dieu (...) qui fasse que ce qui est particulier à l’un, soit public à tous; autrement il n’y auroit point de liaison.«1 Daß eine Welt ist und dass die Welt eine ist, bedingt in Leibnizens Augen, dass sie ein organisches Ganzes sei, in dem alles mit allem zusammenhängt: was ich perzepiere, perzepieren in unterschiedlichem Grad, klarer oder verworrener, deutlicher oder undeutlicher alle Monaden, egal ob sie gemeinsam mit mir in derselben Raumzeit leben, ob sie in der Zeit zurück lebten bis hin zu Adam oder ob sie erst in Zukunft leben werden. Die Seelenmonade empfängt über ihren Leib, welcher das ihr nächststehende Objekt nach Gott ist, Eindrücke von anderen Körpern, durch welche sich andere Seelen- und Geistmonaden äußern. So legt Leibniz in seinem Brief an Arnauld vom September 1687 dar: »Or cette expression arrive par tout, praceque toutes les substances sympathisent avec toutes les autres et reçoivent quelque changement proportionnel, repondant au moindre changement qui arrive dans tout l’univers, quoyque ce changement soit plus ou moins notable, à mesure que les autres corps ou leur actions ont plus ou moins de rapport au nostre.«2
Wie schon Newton darlegte und wie die Konstante von Cavendish zeigt, üben Körper auf benachbarte Körper Wirkung und Anziehungskraft aus, 1 2
DM § XIV, G IV, 440. G II, 112 f.
Leibnizens Position der Harmonie
199
und dies kommt beseelten Körpern – die auch Abstoßung und Ekel empfinden können, zu Bewusstsein. Der Geist denkt nach eigenem Gesetz, aber unter Kenntnisnahme der Umwelt. So besteht weitgehend über die Natur Harmonie zwischen den Körpern, die sich bei reflektierenden Geistern als Harmonie unter den Seelenmonaden und über den amor intellectualis Dei als Liebe zur Kreatur allgemein äußern mag.3 Darauf, dass Leibniz die Universalharmonie zwischen allen erschaffenen Substanzen allgemein und diejenige zwischen Seele und ihrem zu ihr gehörenden Leib im besonderen gleichzeitig und parallel formuliert hat, und zwar im Système nouveau und in § 62 der Theodizee, aber auch in der Monadologie, verweist Mario Casula4. In § 62 der Theodizee erklärt Leibniz die Möglichkeit einer Universalharmonie mit der Präformation; diese ergibt, daß alle Essenzen, soweit sie als Möglichkeiten einer künftigen Welt im Geiste der Gottheit existierten, von dieser als im Samen Adams enthalten und je im richtigen Zeitpunkt mit einem Leib versehen in die Realität von Welt entlassen werden, so dass sowohl der Leib mit der Seele als auch die erschaffenen Substanzen im zwischenpersönlichen Bereich miteinander harmonieren. So schreibt Leibniz im Système nouveau: »Et cette nature de l’ame estant representative de l’univers d’une maniere tres exacte (quoyque plus ou moins distincte), la suite des representations que l’ame se produit, répondra naturellement à la suite des changemens de l’univers même: comme en échange le corps a aussi esté accommodé à l’ame, pour les rencontres où elle est conçue comme agissante au dehors.«5
3 Vgl. Benson Mates, op. cit. p. 39: »according to Newtonian mechanics, every body in the universe (...) has a gravitational effect on every other body, regardless of their seize and distance.« Vgl. auch Leibniz im Postskriptum des Briefes an die Kurfürstin Sophie vom 6. Februar 1706: »la nature seule reçoit en effect toutes les impressions et en compose une, mais sans l’ame l’ordre des impressions que la matiere a receues, ne pourroit pas estre demélé, et les impressions ne seroient que confondues.« (G VII, 570). Die Seele ordnet die Mannigfaltiugkeit der vom Leib registrierten Körpereindrücke zu einem Wissen, indem sie die älteren Perzeptionen mit den neuen Eindrücken in Einklang bringt, zeitlich ordnet und so die innere Harmonnierung vollzieht. 4 M. Casula: Die Lehre von der prästabilierten Harmonie, in Studia Lleibnitiana Suppl., Bd. 3, 1975, S. 398 f. 5 Système nouveau; G IV, 485. Vgl. Théod. § 62: »Ainsi étant d’ailleurs persuadé du principe de l’Harmonie en general, et par consequent de la preformation et de l’Harmonie préetablie de toutes choses entre elles, entre la nature et la grace, entre les decrets de Dieu et nos actions prevues, entre toutes les parties de la matiere, et même de l’avenir et le passé, le tout conformement à la souveraine sagesse de Dieu, dont les ouvrages sont le plus harmoniques qu’il soit possible de concevoir, je ne pouvois manquer de venir à ce système.« G VI, 136 f.
Leibnizens Position der Harmonie
200
Leibniz ist der Überzeugung, daß Gott in seiner Güte und Weisheit nicht nur sich selbst nach den Gesetzen der Harmonie erschaffen habe, sondern auch, daß infolgedessen die Universalharmonie das gesamte Universum durchwalte: sämtliche Monaden als allesamt im göttlichen Geist präformiert und zur Existenz bestimmt, harmonieren miteinander und keine darf von Gott im Gesamtentwurf vernachlässigt werden: »en tant que dans les idées de Dieu une Monade demande avec raison, que Dieu en reglant les autres dès le commencement des choses, ait égard à elle.«6 Die Monadenlehre ist Voraussetzung sowohl der Universalharmonie wie auch der speziellen Harmonie von Seele und Leib. Jegliche Monade kann verlangen, daß, wie immer ihr Schicksal aussehen möge, ihr vom Schöpfer ein zumindest einmaliges Erleben von Glück zugebilligt werde. Es gehört dies zu ihrem Wesen als Entelechie. Allen Seelen eignet Perzeption und Appetitus sowie Gedächtnis.7 Wie etwa auch in den Nouveaux Essais, sagt Leibniz auch in der Theodizee: »toute perception presente tend à une perception nouvelle, comme tout mouvement qu’elle represente, tend à un autre mouvement.«8 Die Leib-Seele-Interaktion der einzelnen Monade ist natürlich abgestimmt auf die Leib-Seele-Interaktion der sie umgebenden Monaden und wirkt und wird bewirkt durch alle Zeit und alle Räume. Der Harmonie dient auch die Lehre von deutlichen und verworrenen Perzeptionen. Deutlich sind die Perzeptionen, wenn der Geist auf das Monadenaggregat des Körpers einwirkt, verworren, wenn die Begierden des Leibes auf den Geist einwirken; deutlich sind sie auch bei einer auf eine andere einwirkende Geistmonade, verworren, wo auf eine Geistmonade eingewirkt wird durch eine andere. So ist die Harmonie ein grosses Balancespiel. Die geistigen Substanzen zeichnen sich aus durch die zusätzliche Apperzeption als Selbstbewusstsein oder reflexive Erkenntnis ihres inneren Zustands.9 Damit zwischen den Monaden Harmonie herrsche, lässt Gott jede Entelechie einen je eigenen perspektivischen Standpunkt innerhalb des einen Universums einnehmen, wobei die Perspektiven der einzelnen Geistmonaden sich ergänzen. So hält Leibniz im V. Schreiben, § 91 an Clarke fest:
6 7 8 9
Mon. § 51; G VI, 615. Mon. § 19; G VI, 610. Théod. § 40o3, G VI, 356 f. PN § 4; G VI, 600.
Leibnizens Position der Harmonie
201
»Car Dieu n’a qu’à faire que la substance simple soit une fois et d’abord une representation de l’univers, selon son point de veue: puisque de cela seul il suit qu’elle le sera perpetuellement, et que toutes les substances simples auront tousjours une Harmonie entre elles, parce qu’elles representent tousjours le même univers.«10
Ohngeachtet der jeweiligen Individualität, welche jede Monade von jeder anderen unterscheidet, leben doch alle im selben Universum und können die Geistmonaden darum in Eintracht leben, weil eine jegliche ihren je eigenen, festgelegten point de vue auf das sich überlappende Ganze hat und auch festgelegt ist, wie eine jegliche in der Zeit sich entwickeln wird. Und jede Geistmonade hat auf Grund ihrer inneren Gegebenheiten, die sich ausfalten sollen und ihres point de vue ein je eigenes Bild des Absoluten als Gottheit oder als Lehre des von ihr anzustrebenden Guten. Leibniz führt wiederholt das Bild der Stadt an, welche von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet, je ein anderes Bild ergibt: So bringt er dies auch in der Monadologie: »Et comme une même ville regardée de differens côtés paroît tout autre, et est comme multipliée perspectivement; il arrive de même, que par la multitude infinie des substances simples, il y a comme autant de differens univers, qui ne sont pourtant que les perspectives d’un seul selon les differens points de veue de chaque Monade.«11
Denn jede vernunftbegabte Seele spiegelt nicht nur das Universum aus ihrem Perspektivpunkt, sondern sie hat auch ein lebendiges Bild der Gottheit und oder des von ihr dargestellten Guten. So unterscheidet auch der Discours zwischen bloßen Seelen- und Geistmonaden: »Il n’y a pas lieu de douter que les substances qui l’expriment avec connoissance de ce qu’elles font, et qui sont capables de connoistre des grandes verités à l’égard de Dieu et de l’univers, ne l’expriment mieux sans comparaison que ces natures qui sont ou brutes et incapables de connoistre des verités, ou tout à fait destituées de sentiment et de connoissance; et la difference entre les substances intelligentes et celles qui ne le sont point est aussi grande que celle qu’il y a entre le miroir et celuy qui voit.«12
10 G VII, 412. 11 Mon. § 57, G VI, 617. (S. oben) 12 DM § XXXV; G IV, 460. Vgl. Mon. § 84; G VI,
202
Leibnizens Position der Harmonie
Hier steht Leibniz Fichte sehr nahe, welcher sein System der sich sehenden Klarheit des Auges betont abhebt von Systemen, wo das Auge bloße Spiegelung sei. Jedoch wird Fichte die prästabilierte Harmonie der Intersubjektivität andern verstehen als Leibniz: nicht das göttliche Universum, sondern die menschliche Gesellschaft innerhalb eines Rechtsstaates soll harmonisch sein, was allerdings auch die Harmonie der verschiedenen Geistzentren im Bereich der Ethik voraussetzt. Leibniz jedoch führt auch an Arnauld aus: »Ainsi les ames brutes auroient esté brutes creées dès le commencement du monde, suivant cette fecondité des semences mentionnée dans la Genese, mais l’ame raisonnable n’est creée que dans le temps de la formation de son corps, estant entierement differente des autres ames que nous connoissons, parcequ’elle est capable de reflexion, et imite en petit la nature divine.« 13
Ebenso betont Leibniz im Discours, dass die Tierseelen mit dem Universum geformt worden seien, während für die Geistmonaden gilt: »les substances créées dependent de Dieu qui les conserve et même qui les produit continuellement par une maniere d’emanation, comme nous produisons nos pensées.«14 Der menschlichen Seele wird ein Leib angepasst und sie wird so ins Dasein entlassen, wenn ihre Stunde gekommen ist. Zwar war jegliche Seele schon in Adams Samen präformiert, aber wo und wann die Gottheit, die ihre Notion hat, sie ins Dasein entlässt, hängt von der intermonadischen Gesamtharmonie und dem der Gottheit im Entwurf bekannten Gang der Geschichte ab. Je weiter die Entelechie in Auseinandersetzung mit Welt aus den eigenen Tiefen sich entfaltet, desto klarer fasst sie, indem sie sich erfasst, das Bild der Gottheit, das in ihr angelegt ist; je umfassender sie zu sich kommt, desto sehender wird sie, da die Monaden lebendige Spiegel des Universums sind.15 Die Monaden sind sehende Aussichtstürme; jeder sieht nach der Art seiner einmaligen Bauweise durch denselben Architekten. Dies gilt jedoch nur für reflektierende Geist-Monaden, von denen sich sagen lässt: »toute Monade étant un miroir de l’univers à sa mode, et l’univers étant 13 An Arnauld, 28.November/ 8. Dezember 1686, G II,75. 14 DM § XIV, G IV, 439. 15 Mon. § 56; G VI, 616. Mon. § 63; G VI, 617 f. Mon. § 77; G VI, 620. Mon § 7: »Les Monades n’ont point de fenêtres, par lesquelles quelque chose y puisse entrer ou sortir.« G VI, 607. Vgl. W. Janke: Die höchste Bedeutung von Einheit, Entelechie und Apperzeption in der Monadologie. In: Stud. Leib. Suppl. Bd. I, S. 161-174, Wiesbaden 1968.
Leibnizens Position der Harmonie
203
reglé dans un ordre parfait, il faut qu’il y ait aussi un ordre dans le representant, c’est à dire dans les perceptions de l’ame et par consequent dans le corps suivant lequel l’univers y est representé.«16 Die Geistmonaden unterscheiden sich untereinander nach dem Maß, in welchem die ewigen Wahrheiten in ihnen angelegt sind und ihnen ins Bewusstsein steigen sowie durch ihre Instinkte und Anlagen. Auch übernimmt Leibniz die Ansicht, daß wahrem Erkennen Gotteserkenntnis zugrunde liege, so wie Nikolaus von Cues dies darlegte: »Fides igitur est in se complicans omne intelligibile. Intellectus autem est fidei explicatio. Dirigitur igitur intellectus per fidem, et fidem per intellectum extenditur. Ubi igitur non est sana fides, nullus est verus intellectus.«17 Die sich wissende Gotteserkenntnis des einzelnen Individuums gibt unendliche mögliche Perspektiven der Gotteserkenntnis, in denen die ursprünglich reines Bewusstsein seiende Gottheit, nunmehr ihrer selbst bewusst, sich erkennen kann. Jede Geistmonade spiegelt nicht nur sich und ihr Gottesbild – und so wie sie in der Zeit sich entwickelt, so entwickelt sich auch das Bild der Gottheit in ihr –, sondern auch den eigenen Leib und über diesen und seine Organe das gesamte Universum und zwar als Bürger des Gottesstaates über den Tod hinaus in alle Ewigkeit: »Toute ame est un miroir du monde tout entier, suivant son point de veue. Mais les Esprits sont les ames du premier ordre ou du genre supreme qui ne representent pas seulement le monde, mais qui representent encor Dieu dans le monde. Ainsi non seulement ils sont immortels, mais ils conservent tousjours les qualités morales comme citoyens de la Republique de l’univers, à laquelle rien ne manque, puisque c’est Dieu qui la gouverne.«18
Aus dem Umstand, dass die vernünftigen Seelen Spiegel nicht nur des Universums, sondern auch Gottes sind, schliesst Leibniz hier auf ihre Unsterblichkeit. Alle Seelen sind Spiegel und Bilder des Universums und dessen Lebewesen; die geistbegabten Seelen jedoch spiegeln auch – eine jede von ihrem perspektivischen Blickpunkt her – die Gottheit als Ursprung der Natur und deren Schönheit und Gesetze.19 Da jedes Leben und Erleben individuell ist, spiegeln Universum und Gottheit sich in den Indi16 Mon. § 63, G VI, 618. 17 Nikolaus von Kues: De docta ignorantia III, Cap. XI, S. 74, Hamburg 2002. 18 Brief an des Billettes vom 4./14. Dezember 1696; G VII, 452. 19 Mon. § 83: »les Esprits sont encor des images de la Divinité même, ou de l’Auteur même de la Nature, capables de connoitre le systeme de l’Univers.« G VI, 621.
204
Leibnizens Position der Harmonie
viduen ins Unendliche vervielfältigt und gebrochen, entsteht eine aufs Unendliche verweisende Mannigfaltigkeit der sich überlappenden Bilder, welche die Sterblichkeit des Menschen überdauern müssen, da sie lebendige Gottheit sind. Leibniz folgt den Ausführungen des Cartesius, der schon darlegte, »dass überhaupt alle Substanzen, d.h. Dinge, die ihr Dasein einer Schöpfung durch Gott verdanken, ihrer Natur nach unzerstörbar sind, und dass sie niemals aufhören können zu sein, außer, sie werden von demselben Gott dadurch vernichtet, dass er ihnen seinen Beistand versagt.«20 Die Gottheit sieht, welcher Blickpunkt auf das Universum und auf sie noch eingenommen werden soll und erschafft dem nach eine neue Geistmonade: »le resultat de chaque veue de l’univers, comme regardé d’un certain endroit, est une substance qui exprime l’univers conformement à cette veue, si Dieu trouve bon de rendre sa pensée effective et de produire cette substance.«21 Alle Substanzen gründen in Gottes Geist als der gemeinsamen Wurzel ihrer Existenz. Und insofern das Absolute die ins Sein zu entlassenden Monaden nach dem Prinzip der Kompossibilität bestimmte, sind sie von Anbeginn aufeinander abgestimmt. Die Perzeptionen, welche die Körper wechselseitig sich vermitteln, lagen von Anbeginn fest, so wie von Anbeginn feststand, dass N und P Zeitgenossen sein würden, dass ihre Vorfahren sich nicht kannten, dass ihre Urenkel jedoch miteinander verheiratet und verschwägert sein würden. So, wie ein Gedanke die verschiedensten Gegenstände umfassen kann, so sympathisieren in der Ansicht von Leibniz die verschiedensten Substanzen miteinander und wirken ändernd und sich weiterentwickelnd auf einander ein, beeinflussen wechselseitig ihren Werdegang. An Arnauld schreibt Leibniz: »On ne peut point douter de la possibilité d’une belle representation de plusieurs choses dans une seule, puisque notre ame nous en fournit un exemple. Mais cette representation est accompagnée de conscience dans l’ame raisonnable et c’est alors qu’on l’appelle pensée. Or cette expression arrive par tout, parceque toutes les sub20 Descartes: Oeuvres, Tome VII, Meditationes de prima philosophia, p. 13 f. A & T., Paris 1904. 21 DM § XIV; G IV, 439. S. auch Briefentwurf an Arnauld (undatiert): »Que chacune de ces substances contient dans sa nature legem continuitationis seriei suarum operationum, et tout ce qui luy est arrivé et arrivera. Que toutes ses actions viennent de son propre fonds, excepté la dépendance de Dieu. Que chaque substance exprime l’univers tout entier, mais l’une plus distinctement que l’autre, sur tout chacune à l’égard de certaines choses, et selon son point de veue.« G II, 136.
Leibnizens Position der Harmonie
205
stances sympathisent avec toutes les autres et reçoivent quelque changement proportionnel, repondant au moindre changement qui arrive dans tout l’univers, quoyque ce changement soit plus ou moins notable, à mesure que les autres corps ou leur actions ont plus ou moins de rapport au nostre.«22
Alles hängt, quer durch Zeit und Ort von Anbeginn mit allem zusammen, so daß, je nach Entfernung deutlicher oder verworrener alles alles perzipiert, in in der Nähe sich überlappenden Bildern spiegelt. Die Monade ist fensterlos, aber das All in sich enthaltend und ausdrückend, jede einen absoluten Standpunkt einnehmend, der aber von anderen Blickpunkten relativiert und ergänzt wird. Das Absolute findet sich in der Totalität der Blickpunkte, von denen einjeder in seiner durchdachten Wesentlichkeit auf je eigene Weise ihm sein Bild spiegelt. Da, wo es sich nicht sieht, herrscht das Nichts. In Adam war das gesamte Menschengeschlecht präformiert, obwohl die Gottheit die einzelnen Seelen der Vernunftwesen mit ihren ihnen angepassten Körpern erst ins Sein entlässt, wenn ihre Stunde gekommen ist.23 Indem zu B gehört, daß sein Leben gefährdet sein wird, entlässt die Gottheit D ins Dasein, auf daß dieser B’s Leben rette. So steht im Zeitenbeginn fest, daß B, D und E Zeitgenossen sein werden. Da von Anbeginn der geplanten Schöpfung beseelter Wesen die Französische Revolution und die Terreur von der Gottheit gewusst waren, waren auch Marie Corday und Bonaparte zu ihrer Stunde vorgesehen. Einjeder ist eingepasst in das Ganze, abhängig einzig von der Gottheit.24 Deren Allmacht hat sie, soweit sie Materie war, ins Universum explodiert und in ihrer Güte an die zum Entstehen bestimmten Religionen und Philosophien weitergegeben, so in unterschiedlichem Wissen die Rassen und die Völker formend. Leibniz sieht in seinem System der Universalharmonie auch eine Gesetzlichkeit, wonach aus vergangener Harmonie sich auch eine Harmonie des Zukünftigen schliessen läßt, da ja gilt: »que le present est gros de l’avenir.«25 Da alles in Übereinstimmung mit allem sich entwickelt, alles in Gott gründet, ergibt sich aus dem Vergangenen auch eine künftige Harmonie. Gott, welcher von der Stiftung an alles nach dem Gesetz der 22 An Arnauld, G II, 112. 23 Mon. § 47; G VI, 24 An Arnauld, Juni/Juli 1686: »il s’ensuit que toute substance individuelle exprime l’univers tout entier à sa manière et sous un certain rapport, ou pour ainsi dire suivant le point de veue dont elle le regarde, et que son estat suivant est une suite (...) de son estat precedent, comme s’il n’y avoit que Dieu et elle.« G II, 57. 25 Théod. § 360; G VI, 329.
206
Leibnizens Position der Harmonie
Harmonie bestimmte, hatte in seinem entwerfenden Geist schon die Gesamtheit der eine bestmögliche Welt ausmachenden Monaden: »(...) les degrés de perfection, que ces Mondes contiennent, chaque possible ayant droit de pretendre à l’Existence à mesure de la perfection, qu’il enveloppe.«26 Indem die Monaden allesamt einen gemeinsamen Ursprung haben, indem sie in einem stets gleichen und je anderen perspektivischen Universum leben und sich wandeln und entwickeln, kann Leibniz annehmen, dass, da alles mit allem verbunden ist, und dies von Anbeginn, alles, was im Ursprung harmonisch war, dies auch in alle Zeit sein wird. So heißt es in § 56 der Monadologie: »Or cette Liaison ou cet accommodement de toutes les choses creées à chacune et de chacune à toutes les autres, fait que chaque substance simple a des rapports qui expriment toutes les autres, et qu’elle est par consequent un miroir vivant perpetuel de l’univers.«27 Jede Seelen- und Geistmonade drückt von ihrem je eigenen perspektivischen Standpunkt eine Wahrheit von Welt aus.28 Da Gott schon im Schöpfungsakt diejenige Welt entstehen liess, in welcher auf bestmögliche Weise alles auf einander abgestimmt war, und da er nur Essenzen in die Welt entliess, welche in eins Kraftzentren und in Raum und Zeit miteinander verträglich sind und welche je einen Ausschnitt von Welt mit unterschiedlicher Verteilung der Deutlichkeit der Perzeption spiegeln, war, ist und bleibt trotz unumgänglicher Dissonanzen die Welt harmonisch, so wie die Gottheit sie auf alle Zeiten prädeterminiert erschaffen hat.29
26 Mon. § 54; G VI, 616. 27 G VI, 616. 28 Mon. § 57, G VI, 616. 29 Théod. § 360: »Il ne faut donc point douter que les effects ne s’ensuivent de leur causes d’une maniere determinée.« G VI, 329.
4.3. Das vernünftige Ich im innermonadischen Kontext § 130 der Theodizee endet mit dem Satz, das Wesen der Seelen bestehe nicht zuletzt darin, sich Leiber vorzustellen: »La nature des ames est en partie de representer les corps.«1 Der Körper, den die Seele am unmittelbarsten sich vorzustellen vermag, ist der eigene Leib, den Gott der Seele so angepasst hat, dass seine Organe in der Außenwelt wahrnehmen, was die Seele innerlich beschäftigt, wie umgekehrt die Seele Regungen des eigenen Leibes und Eindrücke auf diesen perzepieren kann: die Seele denkt einen Tisch hin in eben dem Augenblick, da das feinstoffliche Auge ihn sieht. »Denn in dem Maße, in dem die Seele vollkommen ist und ihre Gedanken klar sind, hat Gott den Körper der Seele angepasst und hat er von Anbeginn den Körper zur Ausführung ihrer Befehle bestimmt.«2 Diese prästabilierte Harmonie zwischen Seele und Leib, zwischen Geistmonade und ihr zugehörendem Monadenaggregat, ist ein Spezialfall der universellen Harmonie; Leibniz formuliert sie erstmals im Système nouveau: Er legt dar, wie die Leibmaschine nach eigenen Gesetzen genau dann handelt, wenn die Seele auf Grund ihrer intrinsischen Perzeptionen und Leidenschaften dazu tendiert. Der Blickpunkt der Seele ist verkörpert in der organischen Maße des Leibes als des ihr Nächststehenden, und Blut und Organe geraten in Bewegung nach Maß der Perzeptionen und Leidenschaften der Seele.3 Zwar ist die Seele das aktive, der Leib das passive 1 G VI, 183. 2 Théod. § 66: »Car en tant que l’ame a de la perfection, et des pensées distinctes, Dieu a accommodé le corps à l’ame, et a fait par avance que le corps est poussé à executer ses ordres: et en tant que l’ame est imparfaite, et que ses perceptions sont confuses, Dieu a accommodé l’ame au corps, en sorte que l’ame se laisse incliner par les passions qui naissent des representations corporelles.« G VI, 138 f. 3 Système nouveau: »la masse organisée, dans laquelle est le point de veue de l’ame, estant exprimée plus prochainement par elle, et se trouvant reciproquement preste à agir d’ellemême, suivant les loix de la machine corporelle, dans le moment que l’ame le veut, sans que l’un
208
Leibnizens Position der Harmonie
Prinzip, doch die beiden Prinzipien lassen nicht als solche beständig sich durchhalten. Auch der durchgeistigste Mensch braucht Ruhepausen und Abwechslung, bei denen der Körper die Oberhand gewinnt. Einzig die Gottheit ist reine Aktivität.4 Insofern die Seele aktiv ist, berühren die ständig im Körper sich vollziehenden Veränderungen sie nicht. Doch ist nicht zu vergessen, daß auch die Seele, selbst wo sie keinen Veränderungen unterliegt, sich entfalten und erst sich werden muss, indem sie das in ihr Eingefaltete an Hand des Sinnlichen auf das ihr Körper stößt, entfaltet und sich zu Bewusstsein bringt. Einzig die Gottheit und ihre Verkörperung in Jahwe ist reine Aktivität. Wie im Denken von Leibniz sich die spezielle Harmonie aus der Universalharmonie ableitet, zeigt sich etwa aus Theodizee § 62: »So, überzeugt vom Prinzip der Harmonie ganz allgemein und somit von der Präformation und der prästabilierten Harmonie zwischen allen Dingen, zwischen dem Reich der Natur und dem der Gnade, zwischen den göttlichen Beschlüssen und unseren vorhergesehenen Handlungen, zwischen allen Teilen der Materie und sogar zwischen Zukunft und Vergangenheit (...) musste ich dieses System finden, wonach Gott die Seele derart uranfänglich so geschaffen hat, dass sie ordnungsgemäß das, was sich im Leib abspielt, in sich hervorbringen und vorstellen muss; den Leib aber derart, dass er von sich aus tun muss, was die Seele befiehlt.«5 Gottes Allmacht bewirkt, dass das Reich der Natur und das Reich der Vernunftwesen und Seelen sich fugenlos durchdringen und eine Einheit bilden.6 Eine notwendige Bedingung der prästabilierten Harmonie ist die Präformation, die dartrouble les loix de l’autre, les esprits et le sang ayant justement alors les mouvemens qu’il leur faut pour repondre ausx passions et aux perceptions de l’ame, c’est ce rapport mutuel reglé par avance dans chaque distance de l’univers, qui produit ce que nous appellons leur communication, et qui fait uniquement l’union de l’ame et du corps.« (G IV, 484). 4 Vgl. Christia Mercer: Leibnizßs Leibniz’s Metaphysics, Cambridge (UK) 2001, p. 347: »The suggestion is that the Supreme Being is the only purely active substance because it is the only perfect substance. All other substances partake in imperfection, which is rooted in passivity and is somehow the opposite of activity.« Vgl. auch A VI, ii, 489 (Nr. 58: Vorarbeiten zur Characteristica universalis, 7.) »ACTIO est status unius quem sequitur mutatio alterius. PASSIO est illa ipsa mutatio. Hinc sequitur agens sine mutatione essse posse, patiens non posse. Sed agens unicum DEum.« 5 G VI, 136 f. 6 Brief an des Billettes vom 4./14. Dezember 1696: »«Je crois (...) que ces deusx Regnes, le moral des esprits et des ames, et le mecanique des corps se penetrent et s’accordent parfaitement par le moyen de l’auteur des choses qui est en même temps le premier efficient et la dernière fin.« G VII, 451. Vgl. Mon. 79: »Die Seelen wirken nach den Gesetzen der Zweckursachen, durch Begehrungen, Zwecke und Mittel. Die Körper wirken gemäss den Gesetzen der Wirkursachen oder Bewegungen. Und die beiden Reiche, dasjenige der Wirkursachen und dasjenige der Zweckursachen sind miteinander harmonisch.« G VI, 620.
Leibnizens Position der Harmonie
209
in angelegt ist, dass alle je möglichen Geistwesen schon in Adams Samen enthalten sind.7 Jede Vernunftseele stellt als solche das gesamte Universum dar. Daß sie verkörpert ist, bedeutet in eins Möglichkeit und Limite. Limite insofern, als andere Körper den ihrigen begrenzen, Möglichkeit insofern, als ihr Körper ein Wahrnehmungs- und Handlungsorgan ist. Potentiell vermag die Seele über ihren Körper das gesamte Universum wahrzunehmen, alles in seinen Auswirkungen, was geschieht, geschehen ist und geschehen wird. Doch da Materie stets endlich ist, registriert der Körper zeitlich und örtlich Entferntes nur verworren und undeutlich und zwar so sehr, dass es der Seele nicht mehr bewusst ist. Klar und deutlich nehmen die Organe nur in ihrer Umgebung das Nahe oder sehr Grosse wahr.8 Denn wäre die Seele aktualiter allwissend, so wäre sie eine Gottheit: »cette representation n’est que confuse dans le detail de tout l’univers et ne peut être distincte que dans une petite partie des choses, c’est à dire dans celles, qui sont ou les plus prochaines ou les plus grandes par rapport à chacune des Monades, autrement chaque Monade seroit une Divinité.«9,10 Die Seelenmonade, obwohl in ihren Anlagen potentiell unendlich, vermag nicht auf einen Schlag alle ihre Einfaltungen zu entfalten; soweit es klar und deutlich ist, verdankt ihr empirisches Wissen sich ihrem Leib, als dem Objekt, welches am deutlichsten sie sich vorzustellen vermag. Erst über das Leibbewusstsein vermag sie theoretisches Wissen zu erwerben: »Ainsi, quoyque chaque Monade creée represent tout l’univers, elle represente tout distincte-
7 Vgl.. N. Rescher, op. cit., S. 122: »According to the theory of preformation, the embryo of an organism is fully formed on a microscopic scale before incubation«. 8 Das Monadenaggregat, welches den menschlichen Körper ausmacht, hat keinen eigenen Seinsgrund. Es rechtfertigt sich durch den Geist, der es beseelt. In »De Existentia« arbeitet Leibniz heraus: »Ad existentiam necesse est aggregatum omnium adesse Requisitorum. Requisitum est id, sine quo res esse non potest. Aggregatum omnium requisitorum est causa plena rei. Nihil est sine ratione. Quia nihil est sine aggregato omnium requisitorum. In corporibus non est ratio existendi. (...) Nam quod de corporibus, idem de aliis quibuscunque verum est, quae non existunt necessario, seu in quibus ipsis non est ratio existendi. Ens necessarium non nisi unicum est. Ens necessarium in se omnium rerum requisita continere. Ens necessarium agere in se ipsum, sive cogitare. Nihil aliud enim cogitare quam sentire. (...) Harmonia hoc ipsum est, simplicitas quaedam in multitudine. (...) Existentiae ideam nullam habemus, quam ut res intelligamus sentiri. (A VI, iii, 587 f.) Wier können uns Existenz nur insofern vorstellen, als wir verstehen, dass wir Dinge außer unds empfinden. Und erst das Sein der Dinge kann uns ein Gefühl von Harmonie geben. Das Absolute handelt auf sich selbst, indem es denkt. Und das Denken des aus seiner Perspektive reflektierenden Ich ist das Selbstbewusstsein des Absoluten. 9 Mon. § 60; G VI, 617. 10 Vgl. D. Rutherford, op. cit. p. 35 ff.
Leibnizens Position der Harmonie
210
ment le corps qui lui est affecté particulièrement et dont elle fait l’Entelechie.«11 In den Nouveaux Essais lässt Leibniz den Theophilus sagen: »Vermöge einer bewundernswerten Ökonomie der Natur können wir nämlich keinen abstrakten Gedanken haben, der nicht einer sinnlichen Sache bedürfte, und wenn es auch nur solche Zeichen wie Buchstaben oder Töne wären, obgleich es keine notwendige Verbindung zwischen bestimmten willkürlichen Zeichen und bestimmten Gedanken gibt. Und wären die sinnlichen Spuren nicht erforderlich, so könnte die prästabilierte Harmonie zwischen Seele und Körper nicht statthaben.«12
Erst Sinnlichkeit und das Sichlosreissen von ihr ermöglicht Vernunft. Die Seele vermag nur über ihren Leib, und d.h. begrenzt, auf einen engeren Umkreis bewusst zu handeln. Und die Seele bedarf der sinnlichen Vorstellungen, die ihr von ihrem Leib kommen, der Auseinandersetzung mit Welt, um die eingeborenen Prinzipien und Theoreme und ihrer persönlichen Anlagen in ihrem Denken ins Bewusstsein zu holen. So führt Leibniz im Specimen inventorum aus: »Unaquaeque substantia habet aliquid infiniti, quatenus causam suam, DEUM involvit, nempe aliquod omniscientiae et omnipotentiae vestigium, nam in perfecta notione cujusque substantiae individualis continentur omnia ejus praedicata tam necessaria quam contingentia, praeterita, presaentia et futura: imo uniquaeque substantia exprimit totum Universum secundum situm atque aspectum suum, quatenus caetera ad ipsum referuntur, et hinc necesse est quasdam perceptiones nostras etiamsi claras, tamen confusas esse, cum infinite involvant, ut coloris, caloris et similium.«13
Da es im Leibnizschen Universum kein Vakuum gibt, grenzt überall Körper auf Körper, und sei es der feinstoffliche Äther, wirkt jeder Körper auf jeden anderen Körper, und indem die Seele vorstellt, was ihr Leib verspürt, hört, sieht oder in ihren Vorstellungen eben hiervon abstrahiert, ist sie ein lebendiger Spiegel des Universums.14 Zur Rolle der Sinne für das Wissen stellt Leibniz in »Sur ce qui passe les sens et la matiere« fest: »Nos sens externes nous font connoistre leurs objets particuliers, comme sont les couleurs, sons, odeurs, gousts et certaines qualités de l’attouche11 12 13 14
Mon. § 62; G VI, 617. NE I,I, § 5; G V, 74. H.H., Holz Bd. III,1, 24/25. Specimen inventorum de admirandis naturae Generalis arcanis, G VII, 311. Mon. § 56; G VI, 616.
Leibnizens Position der Harmonie
211
ment qu’on appelle chaud, froid etc.«15 Die Sinne nehmen eine Mittelstellung ein zwischen Geist und Körper, sind für den Geist unerlässlich, auf daß er sich entfalten könne sowie als Denkanstoß. Insofern als Gott sie in die Existenz entliess, ist jede Substanz unendlich.16 Der einzelnen, konkreten Substanz jedoch eignet jeweils nur derjenige Bereich, den sie klar und deutlich wahrnimmt: »Derart kann man verstehen, dass die Substanzen sich gegenseitig behindern oder begrenzen, und folglich kann man in diesem Sinne sagen, dass sie aufeinander einwirken und sozusagen genötigt sind, sich einander anzupassen (...) Jedes Ding aber, wenn es sein Vermögen oder seine Kraft ausübt, das heisst, wenn es handelt, verändert sich zum Besseren und erweitert sich, insoweit es handelt: wenn nun sich so eine Veränderung ereignet, durch die mehrere Substanzen betroffen werden (...), so glaube ich, dass man sagen kann, dass diejenige, die dadurch unmittelbar zu einem größeren Vollkommenheitsgrad oder zu einem vollkommeneren Ausdruck übergeht, ihr Vermögen ausübt und handelt, und diejenige, die zu einem geringeren Grad übergeht, ihre Schwäche kenntlich macht und leidet.«17 –
In diesem wechselseitigen, interdependenten Sich-Anpassen, Handeln und Leiden ist die Liaison innerhalb der Schöpfung und dieser mit der Gottheit ausgedrückt, welche in einem einigen Universum kompossible Substanzen schuf. Auch für den Mikrokosmos gilt: Im Schöpfungsakt fühlt der Schaffende sich der eigenen Begrenzungen und Schwächen enthoben: Der Dichter im Komponieren eines Gedichtes, der Bildhauer, welcher an einer Statue meisselt, sind im Vollbesitz ihrer Vermögen und ihrer Kraft, ist ihr Handeln vorerst vollendet, so haben sie in die Welt ein neues Seiendes hineingestellt. Diese muss das Werk des Tätigen akzeptieren und respektieren, in den Worten von Leibniz: sie muss es leiden oder »patir«, wo das Tun des Schaffenden ein »agir« war. Handeln kann auch das gesteigerte Daseinsgefühl in einer Gefahrensituation bedeuten. Ein Hochgefühl bei seinem Handeln kann aber auch ein Missetäter empfinden. Doch meint Leibniz, die Freude des Missetäters werde in der Folge durch ein größeres Übel zerstört. De facto handeln und leiden wir immer: Es genügt die 15 G VI, 488. 16 Brief an Arnauld vom Juni/Juli 1686: »chaque substance individuelle exprimant tout l’univers dont elle est partie selon un certain rapport, par la connexion qu’il y a de toutes choses à cause de la liaison des resolutions ou dessins de Dieu.« G II, 51. 17 DM § XV; G IV, 441. H.H. Holz Bd. I, 100/101.
212
Leibnizens Position der Harmonie
Wechselrede eines Gesprächs: der eben Sprechende handelt und übt so Autorität aus, der eben Zuhörende respektiert und rezipiert, also leidet. Handelnd ist stets auch derjenige, welcher klar und deutlich perzipiert – wie der vernünftig Reflektierende oder der Künstler im Akt –, wo der Leidende verworrene Perzeptionen hat, die möglicherweise auf ein Sinnenleben ohne Vernunft zurückgehen, oder wie etwa auch ein unmusikalischer Zuhörer eines Konzertes, den die Musik nur vage träumen läßt. Leibniz spricht zwar im Rahmen der prästabilierten Harmonie von wechselseitigem Einfluss und von Tätigkeit und Leiden der Seelen und Vernunftwesen. Tatsächlich jedoch findet keinerlei Beeinflussung einer Monade durch eine andere statt, denn alles, was eine Seelenmonade tut oder leidet, ist in ihrer ursprünglichen Notion enthalten, wobei sie ja fensterlos ist, eine subjektive Perzeption sich die jeweils nächste gebiert durch den die jeweilige Perzeption weitertreibenden Appetitus. Das Hin und Her des Gespräches, in dessen Verlauf der je Sprechende der Tätige, der Zuhörende der Leidende ist, stand von allem Anbeginn in Gott fest, und die über das Hören des Ohrs von der Seele vorgestellten Reden des Gesprächspartners waren als inneres Erleben von Anbeginn vorausbestimmt. So expliziert Leibniz in der Vorstudie zu seinem Brief an Arnauld vom 28. November/8. Dezember 1686: »Et une ame ne change rien dans le cours des pensées d’une autre ame (...) chaque substance est un estre accompli, qui se suffit luy même à determiner en vertu de sa propre nature tout ce qui luy doit arriver.«18 Eine jede Seele spielt jeweils ihr eigenes Spiel nach den Regeln und Noten, welche die Gottheit von allem Anbeginn gekannt, und da sie sie in die Existenz entliess, bestimmt und angesichts der Totalität des Universums als notwendig befunden hat. Ein gewaltiger Chor spielt auf zu Ehren der Monas monadum19, welche in ihm sich erkennt. Das Bild des Chores oder der Musikergruppen, da einjeder nach den je eigenen Noten spielt, wobei eine herrliche Gesamtharmonie resultiert, verwendet Leibniz in seinem Schreiben an Arnauld vom April 1687: »Enfin pour me servir d’une comparaison, je diray qu’à l’égard de cette concomitance que je soutiens, c’est comme à l’égard de plusieurs differentes bandes de musiciens ou choeurs, jouans separément leurs parties, et placés en sorte qu’ils ne se voyent et même ne s’entendent point, qui peuvent neantmoins s’accorder parfaite-
18 G II, 71. 19 Der Begriff eines »Monas monadum« verdankt sich Hegel. Vgl. etwa: G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, VVoirlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. III, S. 247 ff. in Bd. 20.
Leibnizens Position der Harmonie
213
ment en suivant seulement leur notes, chacun les siennes, de sorte que celuy qui les écoute tous, y trouve une harmonie merveilleuse et bien plus surprenante que s’il y auroit de la connexion entre eux.«20
Würden die Musiker gemeinsam musizieren, so wäre die Musik, welche das auf sich abgestimmte Orchester erklingen liesse, menschlichem Irren ausgesetzt und vom Können des Dirigenten abhängig; so hingegen untersteht jeder Einzelne als solcher dem göttlichen Komponisten, dessen inneres Ohr ihn den Orchesterklang erkennen und wiedererkennen läßt im aktualen Spiel. Jede Seele hat diejenigen Perzeptionen und Gedanken, entwickelt im Verlauf ihrer Existenz diejenige Individualität und Sicht auf sich und Welt, die ihr schon gegeben waren, als sie blosse Essenz und Möglichkeit in einer möglichen Welt im Geist der Gottheit war. Insofern sind, wie schon oben dargestellt, Gegenwart und Zukunft Ergebnis der Vergangenheit, wirkt die Zukunft von allem Anbeginn zurück auf eben jene Vergangenheit, welche trächtig ging mit der Zukunft.21 Das Ich kann nur sich selbst werden, nur sich selbst vollenden – die Alternative wäre die Vernichtung. In seinem Schreiben an Arnauld vom September/Oktober 1687 sagt Leibniz: »je tiens que toute substance renferme dans son estat present tous ses estats passés et à venir et exprime même tout l’univers suivant son point de veue, rien estant si éloigné de l’autre qu’il n’ait commerce avec luy; et sera particulierement selon le rapport aux parties de son corps, qu’elle exprime plus immediatement; et par consequence rien ne luy arrive que de son fonds, et en vertu de ses propres loix, pourveu qu’on y joigne le concours de Dieu.«22
Nichts kann der Seele zustossen oder ins Bewusstsein dringen, als was eingefaltet schon in ihren Tiefen angelegt ist und in Beziehung steht zu ihrem perspektivischen Blickpunkt auf Welt. Indem sie das Universum und Gott spiegelt, spiegelt sie sich im Blick des Universums und des Heiligen auf sie und kann aus dem Blick des Anderen auf sie ihr Wissen um sich steigern und sich weitervollenden. In ihrer einmaligen Individualität ist die Seele eigengesetzlich und einzig der Gottheit unterstehend, mit deren nie feststellbaren Hilfe sie sich verwirklicht. Ihre Sinne nehmen die 20 G II, 95. 21 Mon. § 22: »Et comme tout present état d’une substance simple est naturellement une suite de son état precedent, tellement que le present y est gros de l’avenir.« G VI, 610. 22 G II, 126.
214
Leibnizens Position der Harmonie
Aussenwelt insofern wahr, als sie sie nach eigenen Gesetzmässigkeiten ausdrücken. Denn sie wurde ursprünglich so geschaffen, dass, in die Existenz getreten, sie dies tue und sehe, nach demjenigen nebst ihrer Existierenden sich richte, da Seiendem ihren Stempel aufdrücke, wo und wie ihrer ewigen Notion dies entspricht. Die ursprüngliche Verpflichtung, sich in die Gesamtheit der übrigen Monaden einzupassen, ist das, was sich als das Handeln einer Substanz auf eine andere und umgekehrt bezeichnen lässt. Als das Absolute den Monaden-Set bestimmte, welcher in der bestmöglichen Welt die Gesamtheit der Vernunftwesen in einer Natur ausmachen sollte, wählte es auch das agir und patir, Tätigkeit und Leiden der auf einander abgestimmten Geistmonaden: »c’est dans cette obligation imposée dès le commencement, que consiste ce qu’on appelle l’action d’une substance sur l’autre.«23 Die Seelenmonaden, im göttlichen Intellekt über Jahrmillionen feststehend, werden, mit einem Körper versehen, ins Dasein entlassen, wenn ihre historische Stunde geschlagen hat. Sie sind nicht nur im Set der Geister und Geistmonaden kompossibel, sondern auch mit der Flora und Fauna in der unbeseelten Natur, die sie umgibt, und die sich der Urexplosion des Absoluten verdankt. – Ohne Griechenlands Küsten wären auch Griechenlands Denken und Griechenlands Götter nicht möglich gewesen. So schreibt Joseph Moreau: »L’ordre de la nature repose sur l’accord des substances simples ou monades, dont chacune représente l’Univers suivant une perspective propre, correspondant à sa spontanéité; mais les esprits ou âmes raisonnables, tout en ayant chacun sa perspective particulière, ont en commun une perspective sur Dieu«.24 Da es für Leibniz kein Vakuum gibt, da Körper an Körper grenzt, wo auch der Äther als Körper gefaßt wird, »verspürt jeder Körper alles, was in der Welt geschieht.«25 Deutlicher perzipiert er die unmittelbare Umgebung oder was besonders groß ist, undeutlicher das Ferne26. Alles, 23 An Arnauld, ebenda, G II,126. 24 Erst der Set kompossibler Monaden ermöglicht ein harmonisches und allumfassendes Universum; erst der späte Fichte wird herausarbeiten, dass auch jede Monade ein eigenes Bild der Gottheit hatist, indem sie das ihr von dieser ihr auferlegte Soll im Monadenrahmen erkennt. Vgl. J. Moreau: Leibniz devant le labyrinthe de la liberté, in Stud.Leib. Bd. XVI, 1984, S. 225. 25 Mon. § 61: »Et par consequent tout corps se ressent de tout ce qui se fait dans l’univers.« G VI, 617. 26 Mon. § 60: »quoyqu’il soit vray, que cette representation n’est que confuse dans le detail de tout l’univers et ne peut être distincte que dans une petite partie des choses, c’est à dire dans celles, qui sont ou les plus prochaines ou les plus grandes par rapport à chacune des Monades; autrement chaque Monade seroit une Divinité.« G VI, 617.
Leibnizens Position der Harmonie
215
was wo auch immer im Universum geschieht, geschehen ist oder geschehen wird, wirkt auf alles übrige sich aus, wenn auch infolge der Entfernung, Kleinheit oder Belanglosigkeit – falls es in Leibnzens System eine derartige Belanglosigkeit gibt – es der perzipierenden, bzw. leidenden, Substanz nicht zu Bewusstsein dringt: »les corps n’estant pas des atomes, mais estant divisibles et divisés même à l’infini, et tout en estant plein, il s’en suit que le moindre petit corps reçoit quelque impression à part du moindre changement de tous les autres quelque eloignés et petits qu’il soyent, et doit estre ainsi un miroir exact de l’univers: ce qui fait qu’un esprit assés penetrant pour cela pourroit, à mesure de sa penetration, voir et prevoir dans chaque corpuscule ce qui se passe et se passera par tout, et dans ce corpuscule et dehors.«27
Wie eine Variante des Laplaceschen Dämons könnte dieser allwissende Betrachter auf Grund einer minimen Veränderung eines Körpers alles voraussagen, was mit diesem Körper und dem gesamten Universum geschieht und weiterhin geschehen wird und zurückblickend, was bis anhin geschehen ist: »Die Zukunft hat in jeder Substanz eine vollkommene Verbindung mit der Vergangenheit.«28 Jede erschaffene Seelenmonade stellt zwar das ganze Universum, mit besonderer Deutlichkeit jedoch den eigenen Körper vor, dessen Entelechie sie ist.29 In den Nouveaux Essais lässt Leibniz den Theophilus sagen: »Nimmt man jedoch Tätigkeit als eine Ausübung einer Vollkommenheit und Leiden als das Gegenteil, so gibt es in den wirklichen Substanzen nur Tätigkeit, wenn ihre Perzeption (...) sich entfaltet und deutlicher wird, wie es nur Leiden gibt, wenn sie verworren wird (...) und in dieser Hinsicht kann man sagen, dass der Körper handelt, wenn in seiner Veränderung Spontaneität vorherrscht, und dass er leidet, wenn er durch einen anderen angetrieben oder behindert wird.«30 Streng genommen, ist die Geistsubstanz stets tätig, da keine Geistsubstanz auf eine andere einwirken kann; frei, spontan, handelnd ist sie, wo sie aus dem eigenen Seinsgrund heraus agiert und handelnd das in ihren Tiefen angelegte theoretische und praktische Wissen aktiviert: hier untersteht sie einzig Gott. In reduzierter Tätigkeit leidend oder verworren ist die Geistmonade, wo andere Leiber und Körper sich ihrem Tun entge27 Reponse aux reflexions... de M. Bayle article Rorarius... G IV, 557. 28 NE II,I, § 12; G V, 104. H.H. Holz Bd. III/1, S. 110/111. 29 Mon. § 62: »Ainsi quoyque chaque Monade creée represente tout l’univers, elle represente plus distinctement le corps qui luy est affecté particulierement et dont elle fait l’Entelechie.« G VI, 617. 30 NE II, XXI, § 72; G V, 196. H.H. Holz Bd. III/1, 344 ff.,
216
Leibnizens Position der Harmonie
gensetzen, oder wo ihr eigener Leib Eindrücke entfernter Körper empfängt, ohne daß sie genau wüsste, warum und woher, oder auch, bei größerer Nähe und Klarheit, woher nun die plötzliche Begierde stammt. Aktiv und tätig ist das Vernunftwesen, wo es sich seines Gedächtnisses bedient, um sich vergangener Vorstellungen und Einfälle zu erinnern, um mit Einsatz der Einbildungskraft sie zu vergleichen und sich im Hinblick auf künftiges Handeln in und an ihnen zu orientieren.31 Wo das Vernunftwesen seine Urteilskraft im Griff hat, wo es plant, abwägt, Handlungen, deren Ausgang oder sittlicher Charakter ungewiss ist, aufschiebt, da behauptet es seine Freiheit an Gott: es untersteht einzig der Gottheit und seiner Vernunft und steigert so seine individuelle Vollkommenheit.32 Kraft und Tätigkeit sind das eigentliche Wesen der Seelenmonade: selbst Sinneseindrücke werden nicht nur leidend und passiv erlebt, sondern indem wir sie perzipieren, werden sie uns zu gedanklich erfassten Wahrnehmungen, die uns dazu dienen, unser Wissen und unsere Vernunft weiterzuentwickeln.33 Ähnlich, wie dies später bei Fichte der Fall sein wird, ist auch bei Leibniz Leiden oder Passivität bloß reduzierte Tätigkeit. Wesen der Substanz ist jene Kraft, die ihr vom unmittelbaren Sein an Gott kommt. Der Geist eines jeden Menschen, der wie der Künstler oder Denker in höchster Konzentration und Hingabe aktiv gestaltet, ist in höchstem Maße tätig. Doch nach Vollendung des Werks kommt ein Intervall der Passivität und schöpferischen Erschöpfung, ähnlich der tristesse nach dem Liebesakt.
31 NE II, XXI, § 72: »le pouvoir, que nous avons de rappeller des idées absentes à nostre choix et de comparer ensemble celles, que nous jugeons à propos, est veritablement un pouvoir actif.« G V, 196; H.H. Holz Bd. III/1, 348/349. 32 DM § XXX: »Il depend donc de l’ame de se precautionner contre les surprises des apparences par une ferme volonté de faire des reflexions, et de ne point agir ny juger en certaines rencontres, qu’après avoir bien et meurement deliberé.« G IV, 454. 33 NE II, XXI, § 72: »Cependant je croirois qu’il y a aussi de l’action dans les sensations, en tant qu’elles nous donnent des perceptions plus distinguées et l’occasion par consequent de faire des remarques et pour ainsi dire de nous developper.« Ebenda, G IV, 196.
4.4. Zusammenfassender Überblick zu Leibniz Mario Casula gibt einen konzisen Überblick über Gleichartigkeit und Verschiedenheit der Monaden, welche als solche Voraussetzung sind der universalen prästabilierten Harmonie.1 Casula bezeichnet zunächst drei Aspekte, wonach alle Monaden qualitativ gleichartig sind: »1. Alle sind einfache Substanzen (PN § 3, Mon. § 1). 2. Alle sind mit Perzeption – es liesse sich beifügen, Appetitus – (Mon. § 21) ausgestattet. 3. Alle stellen sich dasselbe Universum vor (Mon. §§ 60, 62, PN § 4; Système nouveau G IV, 484). Zugleich gilt, dass es keine solo numero verschiedene Monaden gibt, d.h. das Indiszernibilitätsprinzip. (DM § IX; G IV, 433. IV. Brief an Clarke: »Il n’y a point deux individus indiscernables«; G VII, 372, § 4.) So auch im V. Brief an Clarke: »Dieu ne produit point deux portions de matiere parfaitement egales et semblables.« G VII, 393 § 21. Mon. § 9; G VI, 608.)2 Casula scheint wie die meisten Autoren eine quantitativ gradweise Verschiedenheit bei qualitativer Gleichartigkeit anzunehmen. Dem widerspricht jedoch, daß Leibniz in den Nouveaux Essais annimmt, dass schon auf Grund des Gesetzes der Kompossibilität die Gottheit nicht alle 1 Mario Casula: »Die Lehre von der prästabilierten Harmonie in ihrer Entwicklung von Leibniz bis A. G. Baumgarten.« In Studia Leibnitiana suppl. Bd. III, 1975, S. 397 ff. Vgl. Confessio philosophi: »Harmonia enim universalis cujus solius Existentia DEus absolute delectatur, non partium, sed totius seriei affectio est;« (Denn die Universalharmonie, die allein durch ihre Existenz Gott vollkommen erfreut, bewirkt dies nicht durch Teile, sondern durch die Gesamtheit der Reihe;), G. W. Leibniz, Confessio philosophi, 1673, Kritische Ausgabe mit einleitung, Übersetzung, Kommentar von Otto Saame, Frankfurt a.M. 1867, S. 56/57. 2 Zwei identische Monaden würden gegen das Gesetz vom zureichenden Grund verstossen: Es gäbe dann kein Motiv, weshalb Gott und Natur die eine der beiden gleichartigen Monaden in welcher Beziehung auch immer unterschiedlich behandeln sollten: »Dieu et la nature agiroient sans raison, en traitant l’un autrement que l’autre.« In: Streitschriften zwischen Leibnis und Clarke, Leibnizens 5. Schreiben (1716): »Sur 1 et 2 du papier precedent«, (G VII, 393, § 2).
218
Leibnizens Position der Harmonie
Seelenmonaden und Formen geschaffen habe, die eine lückenlose Entwicklung erfordert hätte. So führt Leibniz aus: »Ich habe Gründe zu glauben, dass nicht alle möglichen Arten im Weltall, so groß es ist, kompossibel sind, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Dinge, die zu gleicher Zeit zusammen sind, sondern auch im Hinblick auf die ganze Abfolge der Dinge. Das heisst, ich glaube, daß es notwendigerweise Arten gibt, die niemals existiert haben, weil sie mit jener Reihe von Geschöpfen nicht verträglich sind, die Gott ausgewählt hat. Ich glaube aber, dass alle Dinge existieren, die die vollkommene Harmonie des Universums in sich aufnehmen kann.«3
Auch ist zu erinnern an die kleine Schrift »De dispositionibus internis«, wonach es in der Seele des Individuums je ursprüngliche individuelle Anlagen gibt. So, wie beim Cusanus in dem sich ausfaltenden Gott alles eingefaltet enthalten ist4, so ist bei Leibniz im Individuum von den notwendigen Wahrheiten und dem Erahnen einer Gottheit bis zu den Tatsachenwahrheiten des je eigenen Temperaments, der eigenen Neigungen und Instinkte alles eingefaltet und muss in der Auseinandersetzung mit Welt handelnd und im bewussten Unterlassen bestimmter Handlungen in der Zeit erst ausgefaltet werden. Das Individuum kann, wo es frei ist, sich nur zu sich selbst entwickeln, und zwar über den materiellen Tod hinaus, wenn die Wahl auch zu seinen irdischen Lebzeiten sich vollzieht. Da jedes Erleben, jede Begegnung, jede Wirkung, welche das Individuum haben wird, und welche es in seinem Denken und Fühlen ausdrücken wird, in seiner Notion schon enthalten sind, konnte das Absolute innerhalb der Sets von Essenzen, welche ins Dasein drängten, nur denjenigen Set und nur diejenigen einzelnen Essenzen als für die Existenz bestimmt, wählen, welche in der Realität ihrer »liaison« und ihrer je eigenen Entwicklung als vernunftbegabte Existenzen die größtmögliche Harmonie, sei es im Sinne der metaphysischen, sei es im Sinne der moralischen Harmonie versprachen. Wo sich im Rahmen der Tatsachenwahrheiten, dem Geschehen der Geschichte allzu Fürchterliches ereignet, vermag Gott den Bürgern seines Gottesstaates nicht nur eine jenseitige Gerechtigkeit wider3 NE III, VI, § 12; G V, 286; H.H. Holz, Bd. III/2; S. 88 ff. Vgl. an des Bosses vom 29. Mai 1716: »non omnia possibilia existant.« G II, 516. 4 Nicolais de Cusa: De docta ignorantia: »Gott ist die Einfaltung von allem insofern, als alles in ihm ist; er ist die Ausfaltung von allem insofern, als er in allem ist.« »Deus ergo est omnia complicans in hoc, quod omnia in eo. Est omnia explicans in hoc, quod ipse in omnibus.« Liber secundus, cap. III, 107, 11 f.
Leibnizens Position der Harmonie
219
fahren zu lassen, sondern das Absolute kann dann nach der Ansicht von Leibniz in »den natürlichen Lauf der Dinge durch natürliche Wunder eingreifen«5, sei es, dass es gewiße für diesen Fall vorgeformte Geistsubstanzen ins Dasein entläßt, welche den Lauf der Geschichte ändern, sei es, daß es die vernunftbegabten Geistmonaden wirklich auf die Vernunft sich besinnen und umdenken läßt, sei es, dass es aus dem, was Übel und Verbrechen war, ein Heiles entstehen lässt. Hierbei können im Bereich der Realität auch die kleinen Perzeptionen mitwirken. Sie prägen schon die Seelenmonaden und können die Geistmonaden zu diesem oder jenem Denken veranlassen, indem Körper auf Körper wirkt, und sie dem Leib jene Eindrücke vermitteln, welche dem Denken der durch ihn repräsentierten Seele kongenial sind: »Ces petites perceptions (...) forment ce je ne sçais quoy, ces gouts, ces images des qualités des sens, claires dans l’assemblage, mais confuses dans les parties, ces impressions que des corps environnans font sur nous, qui enveloppent l’infini, cette liaison que chaque estre a avec tout le reste de l’univers.«6
Dem scheint zu widersprechen, was Leibniz in seiner Vorstudie zum Brief an Arnauld vom 28. November/8. Dezember 1686 festhält: »une ame ne change rien dans le cours des pensées d’une autre ame.«7 Doch der Widerspruch ist nur scheinbar: Unsere Seele kann stets nur Körpereindrücke registrieren, welche ihr durch Sinneseindrücke vermittelt werden, und sie hat die Freiheit, Außeneindrücke ins eigene Leben und Denken aufzunehmen, oder ihr Denken von ihnen abzuschotten. Sie bedarf der Wahrnehmungen, aber dies heisst nicht, daß sie als Eindrücke sie prägen. Je nach den Umständen kann das Denken von ihnen abstrahieren, weil seine Wege andere sind oder sich auf sie einlassen. Einerseits verweisen die Perzeptionen die Seele auf ihre eigene Innenwelt, die stets eines Universums sich bewusst ist. Andererseits werden in ihnen auch natürliche Funktionen des eigenen Körpers teilweise bewusst, welche nicht ausschliesslich ein Registrieren und Reagieren auf die Umwelt sind. Je deutlichere Perzeptionen der Geist hat, desto vollkommener ist er, denn umso mehr klare Welterkenntnis eignet ihm und umso eher vermag er, den Einsichten der Vernunft gemäß zu handeln.8 Die undeutlichen Perzeptionen hingegen sind das vage Wissen einer jeden Geistsubstanz um 5 6 7 8
Mon. §§ 67-70; G VI, 618 f. NE, Préface; G V, 48. G II, 71. PN § 13; G VI, 604.
220
Leibnizens Position der Harmonie
das Universum im Ganzen. Insofern spiegelt jegliche Geistsubstanz ihr eigenes vom Absoluten in die allgemeine Harmonie eingefügtes Sein und das je ihr entsprechende Gottesbild oder Bild des Guten und zum anderen das mit anderen »Ich« sagenden Wesen gemeinsame Universum. Was die Menschen trennt, ist die Klarheit der Apperzeption. Was sie vereint, sind die petites perceptions, das in der Nähe sich überlappende, dann immer vagere Wahrnehmen eines Universums, das nicht überall gleich, allen jedoch gemeinsam ist, in welchem sie gemeinsam leben und annehmen, dass es nebst dem eigenen Ich noch andere, ähnlich strukturierte apperzepierende Iche gibt.9 Ob ich in Europa, ob ich in China lebe, das Meeresrauschen ist stets dasselbe, verheisst Gefahr und neue Ufer, und stets höre ich das Zusammenspiel zahlloser einzelner Wellen, deren einzelne wahrzunehmen, meine Sinne nicht fein genug sind, deren Zusammenspiel jedoch mich auf die Unendlichkeit des Meeres verweist: »Chaque Ame connoit l’infini, connoit tout, mais confusement; comme en me promenant sur le rivage de la mer, et entendant le grand bruit qu’elle fait, j’entends les bruits particuliers de chaque vague, dont le bruit total est composé, mais sans les discerner; nos perceptions confuses sont le resultat des impressions que tout l’univers fait sur nous. Il en est de même de chaque Monade.«10
Die Monade denkt klar und ist als solche aktiv, wo sie der Vernunft gehorcht und keine andere Entelechie unmittelbar auf sie einwirkt, sondern sie auf Andere wirkt. Sie ist passiv und hat verworrene Perzeptionen, wo die perzipierten Fakten und Gegenstände in Raum und Zeit zu sehr entfernt sind, wo andere Entelechien auf sie einwirken oder sie durch Leidenschaften in ihrer Klarheit beeinträchtigt ist11. Sie hat aber auch verworrene Perzeptionen ihres eigenen Leibes, wo dessen sonst nicht wahrgenomme9 NE II, XXVII, § 9; G V, 218; H.H.Holz, Bd. III/1, 404 f. 10 PN § 13; G VI, 604. Vgl. Schreiben an Arnauld vom September/Oktober 1687, wo Leibniz mit dem Meeresrauschen nicht das Universum, sondern die Tätigkeit der Organe im eigenen Körper themnatisiert: »ainsi nous sentons aussi quelque resultat confus de tous les mouvemens qui se passent en nous, mais estant accoustumés à ce mouvement interne, nous ne nous appercevons distinctement et avec reflexion, que lorsqu’il y a une alteration considerable, comme dans les commencemens des maladies.« G II, 113. 11 NE II, XXI, § 42: »On a raison de dire, que généralement toutes ces inclinations, ces passions, ces plaisirs et ces douleurs n’appartiennent qu’à l’esprit, ou à l’ame; j’adjouterai même, que leur origine est dans l’ame même en prenant les choses dans une certaine rigueur métaphysique, mais que néanmoins on a raison de dire, que les pensées confuses viennent du corps, parceque là dessus la considération du corps et non pas celle de l’ame fournit quelque chose de distinct et d’explicable.« G V, 180. H.H. Holz Bd. III/1, S. 306/307.
Leibnizens Position der Harmonie
221
nen vegetativen Funktionen infolge Krankheit gespürt werden, so dass der Leib über den Geist, dem er zugeordnet ist, die Herrschaft erlangt: ist so der Leib durch Indisposition aktiv, lähmt er die Entelechie, und die Monade ist – eventuell auch im Verhältnis zu anderen Monaden – passiv und leidet. Denn: »l’union de l’ame avec le corps, et même l’operation d’une substance sur l’autre, ne consiste que dans ce parfait accord mutuel.«12 Dass die mich umgebenden Monaden mein eigenes Tun und Handeln ergänzen, mir Limite und Möglichkeit sind, und daß wir gemeinsam die eine Menschheit darstellen, liegt daran, dass eine jede gottunmittelbar ist und dies schon vor ihrer Geburt, nämlich als Gedanke Gottes war. Der Kongfutsianismus in Japan und in China stand dem Absoluten vielleicht näher als je das Christentum in Europa. Mohammed, wenn auch Staatsmann, wusste nicht weniger von Gott als Luther. Und tatsächlich kam Leibniz in seinem Interesse für die China-Mission zur Überzeugung, das chinesische Denken beruhe auf einer Urreligion. Unser Denken, unser Agir und Pâtir, unsere Tätigkeit und unser Erleben und Erleiden waren schon auf einander abgestimmt, als wir Teil eines in die Existenz drängende Essenzen-Sets im Geist des sich geschaffen habenden Absoluten waren. Wir haben uns gewählt, bevor wir in die Existenz entlassen wurden.13 Das Verbrechen verdankt sich jenem Nichts, von dem das Absolute, als es sich schuf, sich ausgegrenzt hat. Universalharmonie und Harmonia specialis sind ermöglicht durch die petites perceptions als wären diese die alles zu einem Organismus verbindenden Nervenstränge. »Die Perzeptionen der sinnlich wahrnehmbaren Dinge werden durch äußere Ursachen erzeugt, die auf unsere Sinne wirken, denn wir erwerben diese Perzeptionen nicht ohne Organe, wenn aber diese Organe allein ausreichen würden, so würden sie diese Perzeptionen immer erzeugen.«14 Ähnlich wie der späte Fichte geht Leibniz anscheinend davon aus, dass einerseits wir die Objektwelt leidend hinnehmen, da sie über unsere Organe auf uns wirkt; andererseits ist es die eigene Bildungskraft des Menschen, also Tätigkeit, die ihn eine Objektwelt hinschauen lässt, die er einfach anschauen, über die er nachdenken und in sie handeln, oder von der aktiv er sich losreissen kann, um über Anderes zu reflektieren. 12 An Arnauld vom 23. März 1690; G II, 136. 13 So schreibt Nicholas Rescher: »Die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen war so für Leibniz ein durchführbares und moralisch notwendiges Projekt; denn alle Geister sind Bürger des Gottesstaates, so dass ein einiges theologisches System alle Rechtdenkenden sollte vereinigen können.« N. Rescher: The philosophy of Leibniz, S. 140. 14 NE III, XI, § 4; H.H.Holz Bd. III/2, S. 454 f.
222
Leibnizens Position der Harmonie
Zusammenfassend gilt: »Que chaque substance exprime l’univers tout entier, mais l’une plus distinctement que l’autre, sur tout chacune à l’égard de certaines choses, et selon son point de veue. (...) Que les intelligences ou ames capables de réflexion et de la connoissance des vérités éternelles et de Dieu, ont bien des priviléges (...) Que pour elles il faut joindre les loix morales aus physiques. Qu’elles forment ensemble la République de l’univers, dont Dieu est le monarque. Qu’il y a une parfaite justice et police observée dans cette cité de Dieu, et qu’il n’y a pas de mauvaise action sans chastiment, ni de bonne sans une récompense proportionnée.«15
Wie schon dargelegt, repräsentiert jede Monade die Gesamtwelt von ihrem je eigenen Blickpunkt aus (bedarf daher auch keiner Fenster) und mit der ihr je eigenen Klarheit, wobei die Deutlichkeit mit zunehmender Distanz oder geringerer Kraft der Geistmonade nachlässt. Diejenigen Geistmonaden, welche infolge ihres Reflexionsvermögens die ewigen Wahrheiten und Gott zu erkennen vermögen, unterstehen den Gesetzen nicht nur der Physis, wie die übrige Welt, sondern auch denen der Sittlichkeit und bilden innerhalb einer natürlichen Welt den Gottesstaat, dessen strenger und gütiger Regent die Gottheit ist.16
15 An Arnauld, undatiert; G II, 136. 16 Mon. § 84; G VI, 621 f.
4.5. Das Geisterreich Alle Seelenwesen stellen dar lebendige Spiegel oder Bilder der natürlichen Welt und ihrer Kreaturen. Aber die »Ich« sagen könnenden Geistwesen sind darüber hinaus Bilder der Gottheit, deren Selbstbewusstsein sie darstellen. Sie spiegeln nicht nur die Welt des göttlichen Architekten, sondern vermögen darüber hinaus das Wesen der Dinge zu erkennen und in der Mathematik und den Künsten selbst schöpferisch tätig zu sein und so Eigenes zu schaffen wie Gott die Welt erschuf. 1 Wie schon weiter oben ausgeführt, hat schon der Cusanus den schöpferischen und erkenntnistheoretisch grundlegenden Charakter der Mathematik betont. So führt Nikolaus von Kues aus: »Ist nicht die Auffassung der Epikureer über die Atome und das Leere, die Gott leugnet und die gesamte Wirklichkeit vernichtet, von den Pythagoreern und Peripatetikern allein durch mathematische Beweisführung überwunden worden, dass man nämlich nicht zu unteilbaren und einfachen Atomen gelangen könne, was gerade Epikur als Prinzip voraussetzte? Auf den Pfaden der Alten und mit ihnen im Wettstreit erklären auch wir: Da uns zu den göttlichen Dingen nur der Zugang durch Symbole als Weg offen steht, so ist es recht passend, wenn wir uns ihrer wegen ihrer unverrückbaren Sicherheit mathematischer Symbole bedienen.«2
1 Vgl. Mon. 83; G VI, 621. 2 Nikolaus von Kues: De docta ignorantia, Buch I, Kap. XI((11)in: Philosophisch – theologische Werke, Bd. I, S. 45, Hamburg 2002. Nikolaus betont den schöpferischen Charakter sowohl der Erfindung des in der Natur nicht vorfindlichen Löffels als auch der Mathematzik: »Keiner von den alten Denkern, der als großer gilt, ist schwierige Dinge mit anderem Vergleichsmaterial als mit dem mathematischen angegangen.« Ebd., S. 43.
Leibnizens Position der Harmonie
224
Jegliches Geistwesen verfügt über Appetitus und Apperzeption, kann somit »Ich« sagen, hat auch einen Leib, der selbst das vollkommenste Geistwesen an die Materie bindet, was nach der Überzeugung von Leibniz es daran hindert, eine kleine Gottheit zu sein. Da auch die ursprüngliche hochenergetische Konzentration eine materiellgeistige Einheit darstellte, ist es nicht das Faktum, sondern der Charakter seiner Materialität, welcher das Geistwesen von der Gottheit unterscheidet. In seiner »Grundlage des Naturrechts« führt Fichte aus: »Ich kann die Erscheinung eines menschlichen Leibes nicht begreifen, ausser durch die Annahme, dass er der Leib eines vernünftigen Wesens sei.«3 Rein den artikulierten Leib als principium individuationis des Vernunftwesens zu begreifen, unternimmt in den Nouveaux Essais Philalethes: »Ich glaube freiweg so weit gehen zu können zu behaupten, dass wer von uns ein sich selbst gleich geschaffenes und gebildetes Wesen sähe, sich nicht besinnen würde, es einen Menschen zu nennen, wenn es auch niemals mehr Vernunft gezeigt hätte als eine Katze oder ein Papagei; würde er aber einen Papagei vernünftig und nach philosophischer Weise diskutieren hören, so würde er ihn nur für einen Papagei halten (...) und er würde (...) sagen, dass es (...) ein geistvoller und vernünftiger Papagei sei.«4
Leibniz nimmt gegenüber dem hier Philalethes in den Mund gelegten Gedankenexperiment eine vermittelnde Stellung ein, indem er die Vernunft höher einschätzt als ein menschliches Aussehen, lässt jedoch Philalethes in seinem Sinn fortfahren: »Das Wort Person bedeutet ein denkendes und intelligentes Seiendes, das der Vernunft und Reflexion fähig ist und das sich selbst als das Selbst, als etwas Selbiges, betrachten kann, welches zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten denkt. Das geschieht einzig durch das Empfinden, das es von seinen eigenen Handlungen hat.«5
Empfindungen und Perzeptionen lassen sich apperzipierende Wesen »ich selbst« (soy même) nennen. Das Bewusstsein seiner selbst, das alles Denken und Tun und Erinnern begleitet, konstituiert die persönliche Identität. Hier lässt Leibniz Theophilus einhaken: 3 4 5
GA I,3; 377. NE II, XXVII, § 8; G V, 217; H.H. Holz Bd. III/1, S. 400 f. NE II, XXVII, § 9; G V, 218; H.H. Holz Bd. III/1, S. 404 f.
Leibnizens Position der Harmonie
225
»was aber den Menschen anbetrifft, so stimmt es mit den Regeln der göttlichen Vorsehung überein, dass die Seele eine uns selbst offenbare moralische Identität bewahrt, um dieselbe Person zu bilden, die folglich die Strafen und die Belohnungen zu fühlen vermag.«6
So wie die einzelnen Seelen im Wissen der Gottheit bei Entstehung der Welt sich zeigten, so leben sie und so überdauern sie den physischen Tod bis zum Ende der Welt.«7 Die bei der Sicherschaffung der Welt durch die sich erschaffende Gottheit erwählten und in Adam angelegten Geistmonaden bilden seit ihrer Materialisation durch Geburt die leibhaftigen Glieder des Gottesstaates, dessen Sittengesetz sie unterstehen: »Woraus nun offensichtlich sich ergibt, dass die Gemeinschaft aller Geister den Gottesstaat bilden muss, d.h. den in seiner Möglichkeit vollkommensten Staat unter dem vollkommensten aller Monarchen.«8 Hier erklärt sich Leibnizens Hoffnung einer Wiedervereinigung der zerstrittenen christlichen Religionen und sein Interesse für China und die China-Mission. Ob angesichts des Denkens von Kongfutse und den Lehren Lao-Tses sowie der Rezeption des Buddhismus eine China-Mission sich aufdrängte, sei hier dahingestellt. Auch ohne Mission liessen Bürger Chinas sich als dem geistigen Staat des Absoluten zugehörig denken. Die christliche Moral verdankte sich dem jüdischen Denken, und die grossen, kulturstiftenden Denker Asiens so wie Gautama Buddha standen dieser Moral nicht nach:
6 NE II, XXVII, § 9; G V, 218; ebenda. 7 Mon. § 6: »Ainsi on peut dire, que les Monades ne sauroient commencer ny finir que tout d’un coup, c’est à dire elles ne sauroient commencer que par creation, et finir que par annihilation; au lieu, que ce qui est composé, commence ou finit par parties.« G VI, 607. Mon. § 77: »Ainsi on peut dire que non seulement l’Ame (...)est indestructible, mais encor l’animal même.« G VI, 620. NE III,VI, § 42; G V, 309. 8 Mon. § 85; G VI, 621. Vgl. Système nouveau: »Je jugeois pourtant qu’il n’y falloit point mêler indifferemment ou confondre avec les autres formes ou ames les Esprits ny l’ame raisonnable, qui sont d’un ordre superieur, et ont incomparablement plus de perfection que ces formes enfoncées dans la matiere qui se trouvent partout à mon avis, estant comme des petits Dieux au prix d’elles, faits à l’image de Dieu, et ayant en eux quelque rayon des lumieres de la Divinité. C’est pourquoy Dieu gouverne les Esprits, comme un Prince gouverne ses sujets, et même comme un pere a soin de ses enfans; au lieu qu’il dispose des autres substances, comme un Ingenieur manie ses machines.« G IV, 479 f. Aus dem Gottesstaat wird bei Kant das Reich der Zwecke: »Der Befriff eines jeden vernünftigen Wesens, das sich durch alle Maximen seines Willens als allgemein gesetzgebend betrachten muss, um aus diesem Gesichtspunkte sich selbst und seine Handlungen zu beurteilen, führt auf einen ihm angehörenden, sehr fruchtbaren Begtiff,, nämlich den eines Reichs der Zwecke.« Eisler, Kant-Lexikon, Hildesheim 1977, S. 463.
226
Leibnizens Position der Harmonie »Auch muss man wissen, dass die wahre Moral sich zur Metaphysik verhält wie die Praxis zur Theorie, weil die Lehre von den Substanzen in ihrer Gemeinsamkeit von der Kenntnis der Geister, und besonders von Gott und der Seele abhängt, welche der Gerechtigkeit und der Tugend ihr Wirkungsfeld beimisst.«9
Leibniz verweist darauf, daß die »Theologie naturelle«, indem sie Theorie mit Praxis verbindet, in eins die wahre Metaphysik und die vollkommenste Sittlichkeit in sich enthält. Eben die einfachsten Kulturen haben die strengsten Sittenordnungen, die wiederum sich ihren Gottheiten verdanken. Im IV. Buch der Nouveaux Essais lässt Leibniz den bekehrten Philalethes sagen: »Und ich glaube, im Recht zu sein, wenn ich daraus schliesse, dass die Moral die eigentliche Wissenschaft und grosse Leistung des Menschen im allgemeinen ist, wie andererseits die verschiedenen Künste, die die verschiedenen Teile der Natur betreffen, die besondere Leistung von Einzelnen sind.«10 Gott am nächsten sind die Neues schaffenden und erfindenden Einzelnen: die Stupas indischer Tempelanlagen können an Wunder erinnern; Michelangelo, welcher dem Stein die verschiedenen Fassungen der Pietà und den Bacchus mit der porösen Epidermis entriss, war in seiner konzentrierten Schöpferkraft gottähnlich; niemand weiß, wer den Löffel erfunden hat, den es doch in der Natur nicht gibt. Die Weisen und die Propheten der Vergangenheit hatten Teil an der absoluten Weisheit. Aber Aufgabe der gesamten Menschheit und jedes Einzelnen je an seinem Ort ist die Sittlichkeit; denn jeder Seele ist das Wissen um Tugend eingefaltet. Besondere Begabungen, Talente, Visionen des Sittlichen für ein Volk, Schöpferkraft haben nur Einzelne. Doch damit Menschen – und nur der intersubjektive Kontext ermöglicht dem Menschen das Menschsein – in Gemeinschaft leben können, bedarf es der Moralität und der Sitte. Die partielle natürliche Geselligkeit des Menschen, welche ihn veranlasst, in Gemeinwesen zu leben, lässt ihn verantwortlich sein für das eigene Tun nicht nur sich und Gott gegenüber, sondern auch gegenüber seinen Mitmenschen: »En effect les esprits sont les substances les plus perfectionnables, et leur perfections ont cela de particulier qu’elles s’entrempechent le moins, ou plustot qu’elles s’entraident, car les plus vertueux pourront seuls estre les plus parfaits amis«.11 Das Gemeinwesen, in welchem alle qua Menschen befasst sind, ist der Gottesstaat. Will der 9 NE IV,VIII, § 9; G V, 413. 10 NE IV, XII, § 11; G V, 436; H.H. Holz Bd. III,2, S. 482 f. 11 DM XXXVI; G IV, 461.
Leibnizens Position der Harmonie
227
Mensch, wie Leibniz in der Nachfolge des Sokrates annimmt, stets das Gute, so ermöglicht ihm seine geistige Freiheit doch, so weit zu pervertieren, dass er das Gute einzig in seinem verabsolutierten persönlichen Vorteil und dem eigenen bösen Willen sieht. Nur diejenigen, die frei das Böse getan und gewollt haben, sind verdammt. – Sträflich ist der böse Wille.12 So heisst es im abschliessenden Kapitel der Monadologie hinsichtlich des Gottesstaates: »Enfin sous ce gouvernement parfait il n’y aura point de bonne Action sans recompense, point de mauvaise sans chatiment: et tout doit reussir au bien des bons.«13 Doch bleibt fraglich, ob sich wirklich das Leben auf dieser unserer realen Erde nur als Abschnitt im Dasein der Monaden begreifen lässt, und wie weit Durchlittenes je wieder sich gutmachen lässt. Die Schönheit des Enzians aufgewogen gegen das Leiden eines Wehrlosen. In seiner Auseinandersetzung mit Bayle hält Leibniz hinsichtlich Gottes in den §§ 247 und 248 der Theodizee fest: »Dieu ne devoit point faire le choix d’un autre Univers, puisqu’il a choisi le meilleur, et n’a employé que des miracles qui y étoient necessaires; il a obtenu le plus de bien qu’il est possible, pourveu qu’on compte les biens metaphysiques, physiques et moraux ensemble.«14 Die Gottheit hat nach den selbst auferlegten Gesetzen der Weisheit, Güte und Liebe innerhalb der angesichts des Nichts möglichen Welten die bestmögliche geschaffen. Sie hat in der Schöpfung indem sie Geistwesen und den Christus schuf, über die Autokreation hinaus sich ihr Selbstbewusstsein geschaffen. Die Gesetze der Weisheit und der Universalharmonie verlangen, dass der Gottheit, insofern sie Geist ist, die Geisterwelt der vernunftbegabten Wesen das ihr Nächststehende sei: einzig das Vernunftwesen, nicht die Honig sammelnde Biene, sieht die Schönheit der Blume, einzig das Vernunftwesen kann ob der Schönheit einer Landschaft erschüttert werden. Und nicht die Gemse, sondern das Vernunftwesen empfindet die Erhabenheit eines Gebirges. Schützenswert kann einzig dem sie empfindenden Menschen die ihm anvertraute Natur sein, nicht dem ihr eingefügten Tier: »Wir müssen hier noch eine andere Harmonie anmerken, die zwischen dem physischen Reich der Natur und dem moralischen Reich der Gnade, d.h. zwischen dem göttlichen Architekten der Weltma12 Théod. Préface: »il ne damne que ceux qui ont mauvaise volonté.« G VI, 38. 13 Mon. 90. G VI, 622. DM XXXIV: »Mais l’ame intelligente connoissant ce qu’elle est, et pouvant dire ce MOY, qui dit beaucoup, ne demeure pas seulement et subsiste Metaphysiquement, bien plus que les autres, mais elle demeure encor la même moralement et fait le même personnage. Car c’est le souvenir, ou la connaissance de ce moy, qui la rend capable de chastiment et de recompense.« G IV, 460. 14 G VI, 264.
228
Leibnizens Position der Harmonie
schine und Gott als Monarchen des göttlichen Staates der Geister.«15 In einem Brief an Remond vom 9. Januar 1715 erzählt Leibniz: »J’ay tousjours esté fort content, même dès ma jeunesse, de la morale de Platon, et encore en quelque façon de sa Metaphysique: aussi ces deux sciences vont elles de compagnie, comme la mathematique et la physique.«16 Erst metaphysische und moralische Welt gemeinsam bilden eine Welt; denn die Moral muss sich auf eine Metaphysik abstützen können. So wie die physikalische erst durch die moralische Welt sich begreifen lässt, so bedarf die Moral der Grundlage von reflektierter Religion oder Metaphysik. Will man den Terminus »Esprit«, »Geist« nicht missbrauchen, ist festzuhalten, dass nicht alles, was wie ein vernunftbegabtes Wesen aussieht, auch ein Vernunftwesen ist: »es könnte ein Orang Utang sein, ein dem Äußeren des Menschen so ähnlicher Affe, von dem Tulp aus eigener Anschauung spricht und dessen anatomischen Bau ein gelehrter Arzt veröffentlicht hat.«17 Doch stattet Gott jedes Vernunftwesen mit der größtmöglichen Vollkommenheit aus; denn nur die Vernunftwesen sind nach seinem Bild gebildet und so fast seiner Art oder ihm nahe stehend wie seine Kinder: »Dieu (..) leur donnera non seulement en general, mais mêmes à chacun en particulier le plus de perfection que l’harmonie universelle sçauroit permettre (...) les seuls esprits sont faits à son image, et quasi de sa race ou comme enfans de la maison, puisqu’eux seuls le peuvent servir librement.«18 Nur Vernunftwesen können – Jesus Christus hat dies aus dem Denken der jüdischen Religion heraus gezeigt – frei sein an Gott. Lao-Tse etwa hingegen hat das Bild des Herrschers gezeichnet, der sein Volk zu Wohlstand und Sittlichkeit führt. Einzig Vernunftwesen können nicht nur die größte Niedertracht, sondern auch die höchste Vollkommenheit erreichen, und hiervon die Tugendhaftesten sind reiner Freundschaft fähig. »En effect les esprits sont les substances les plus perfectionnables, et leur perfections ont cela de particulier qu’elles s’entrempechent le moins, ou plustost qu’elles s’entraident, car les plus vertueux pourront seuls estre les 15 Mon. § 87: »nous devons remarquer icy encor une autre harmonie entre le regne physique de la Nature et le Regne Moral de la Grace, c’est à dire entre Dieu, consideré comme Architecte de la Machine de l’univers, et Dieu consideré comme Monarque de la Cité divine des Esprits.« G VI, 622. 16 G III, 637. 17 NE II, XXVII, § 8; G V, 218; H.H. Holz III/1, 402 f. 18 DM § XXXVI, G IV, 461. Vgl. C 24: »Itaque in eo sum ut credam, modo haec duo teneantur, perfectionem omnem in creaturis a DEO esse, imperfectione ab eorum limitatione.« Insofern der Mensch Kreatur der Gottheit ist, ist er vollkommen. Insofern er sich den Primaten verdankt, ist er Teil der Begrenztheit der Materie.
Leibnizens Position der Harmonie
229
plus parfaits amis.«19 Den Griechen war Freundschaft im Agon eine Religion, und ähnlich lehrte Kongfutse den sittlichen Umgang des Menschen mit dem Menschen. Leibniz sagt – deutbar über die christliche Religion hinaus – vom Gottesstaat: »Dieser Gottesstaat, diese wahrhaft universale Monarchie, ist eine moralische Welt innerhalb der natürlichen Welt und das erhabenste und göttlichste unter den Werken Gottes.«20 Die göttliche Republik ist eingepasst in die natürliche Welt, deren Schönheit, Gewalt und Ruhm in den sittlichen, schaffenden Menschen eingehen, in welchem das Absolute sich spiegelt. Inmitten von Bosheit, Dummheit und Feigheit, dem Normalcharakter des Menschen, blüht Kreativität und Vernunft. Seelenmonaden ohne Vernunft spiegeln in Leibnizens Sicht eher die Welt als Gott; Geistmonaden hingegen, indem sie in den Dingen das Wirken der Gottheit erkennen, spiegeln eher diese als die Welt. Und die vollendetsten Geistwesen stehen nahe der Gottheit selbst, deren Ruhm und Ehre sie ausdrücken. Ja, die gesamte Natur zeugt in ihrer Vollendung von den Geistwesen, denen sie den Stoff gibt, kraft dessen jene das Wirken einer Gottheit erkennen und würdigen. Die Schönheit einer Rose, der Stolz der Gladiole, die Unendlichkeit des Meeres, die Gestalt und Kraft und Treue eines Tieres machen sichtbar die Unendlichkeit des Göttlichen, seinen Frieden und seine Gewalt. Fragwürdig mag Leibnizens Anthropologisierung der Gottheit sein, die als geliebter Monarch zum höchsten Gesetz des Gottesstaates das Glück seiner Bürger erstrebt, wenn dies Glück auch auf deren Sittlichkeit, Weisheit und Liebe Gottes beruht.21 Doch hat das Absolute selbst in den monotheistischen Religionen sich anthropologisiert und zu einem Selbstbewusstsein bekannt. Der Mensch lebt stets im Dialog mit seinesgleichen. Indem er Ich sagen kann, muss er annehmen, dass auch die von Leibniz als selbstver-
19 DM § XXXVI, ebenda. 20 Mon. § 86: »Cette cité de Dieu, cette Monarchie veritablement Universelle est un Monde Moral dans le Monde Naturel, et ce qu’il y a de plus divin dans les ouvrages de Dieu et c’est en luy que consiste veritablement la gloire de Dieu.« G VI, 622. 21 DM § XXXVI: »il semble quoyque toute substance exprime tout l’univers, que neantmoins les autres substances expriment plustost le monde que Dieu, mais que les Esprits expriment plustost Dieu que le monde. Et cette nature si noble des Esprits, qui les approche de la divinité autant qu’il est possible aux simples creatures, fait que Dieu tire d’eux infiniment plus de gloire que du reste des Estres, ou plustost les autres estres ne donnent que de la matiere aux esprits pour le glorifier. C’est pourquoy cette qualité morale de Dieu, qui le rend seigneur ou Monarque des Esprits, le concerne pour ainsi dire personnellement d’une maniere toute singuliere. C’est en cela qu’il s’humaine, qu’il veut bien souffrir des anthropologies«. G IV, 461 f.
230
Leibnizens Position der Harmonie
ständlich angenommenen Mitmenschen ebenfalls »Ich« sagen können22, dass sie wie er einen Appetitus haben und perzipieren und apperzipieren. In der Erziehung wurde die eingefaltete Natur durch Kunst gefördert, soll das Wissen um die Tugend ent-wickelt werden. Leben vollziehend erfährt sich der Mensch, entfaltet er in der Auseinandersetzung mit Welt eigene Anlagen. Hierbei ist er weitgehend frei im Entschluss, welche Anlagen er entwickeln, welche er in sich ersticken will, auch wenn die Gottheit stets schon weiß, wohin seine Neigungen ihn ziehen werden. Fichte wird in Anlehnung an Leibniz und in der Vorstellung einer Harmonie innerhalb der Gesellschaft lehren: »Daher erwählt mit Recht jedes Individuum in der Gesellschaft sich seinen bestimmten Zweig von der allgemeinen Ausbildung, überlässt die übrigen den Mitgliedern der Gesellschaft und erwartet, daß sie an dem Vortheil ihrer Bildung ihn werden Antheil nehmen lassen, so wie er an der seinigen sie Antheil nehmen lässt; und das ist der Ursprung und der Rechtsgrund der Verschiedenheit der Stände in der Gesellschaft.«23 Die Geistmonade ist frei in der Entwicklung eines guten oder bösen Willens. Nur als Bürger des Gottesstaates, also geschaffen mit einer unsterblichen Seele, welche einzig Gott vernichten kann, wird das Vernunftwesen nach den Taten, welche sein Wille ihm eingab, verdammt oder glückselig.24 Wo Leibniz primär die Harmonie des geistigen Universums im Blick hat, scheint Fichte darüber hinaus nicht nur das geistige Universum der Sittlichkeit, sondern auch die soziale Harmonie eines Rechtsstaates im Visier zu haben. Das Konzept der Einfaltung und Ausfaltung findet sich beim Cusanus: »Die unendliche Einheit ist demnach die Einfaltung von allem. Denn das besagt Einheit, dass sie alles eint. Die größte ist sie indes nicht so, wie die Einheit die Einfaltung der Zahl ist, sondern weil sie die Einfaltung von allem ist (...) so ist die Ruhe die die Bewegung einfaltende Einheit. Die Bewegung ist, genau betrachtet, nacheinander geordnete Ruhe. Sie ist also die Entfaltung der Ruhe. In gleicher Weise ist das Jetzt, d.h. die Gegenwart die Einfaltung 22 An Königin Sophie Charlotte: »Et puisque je conçois que d’autres estres ont aussi le droit de dire Moy, ou qu’on le peut dire pour eux, c’est par là que je conçois ce qu’on apelle la substance en general. Ainsi on peut dire que rien n’est dans l’entendement qui ne soit venu des sens, excepté l’entendement même ou celuy qui entend.« G VI, 493. 23 J.G. Fichte: Über die Bestimmung des Gelehrten, 1794, (GA I,3;51.) 24 DM § XXXVI: »Car la felicité est aux personnes ce que la perfection est aux estres.« – Hierin drückt sich Leibnizens Überzeugung aus, dass alles Sein zur Vollkommenheit strebt, da ja alles Sein sich Gott verdankt., das Vollkommene jedoch Güte und Weisheit sind, die im Gottesstaat kulminieren.
Leibnizens Position der Harmonie der Zeit. (...) Die Vergangenheit und die Zukunft sind die Entfaltung der Gegenwart.«: »Prateritum igitur et futurum est explicatio praesentis.«25
25 De docta ignorantia, op. cit. Buch II, Kapitel III, S. 23 ff.
231
4.6. Abschliessende Betrachtungen zu Leibniz Jedes Geistwesen, insofern es von sich »Ich« sagen kann, also reflektiert, ist Bürger des Gottesstaates.1 Unabhängig von der individuellen Beschaffenheit seiner Bürger herrschen im Gottesstaat Gerechtigkeit, Weisheit, Liebe und Güte; denn Gott ist der väterliche Herrscher und lässt bis ans Ende der Zeiten einem jeden werden nach seinem Verdienst. Leibniz geht davon aus, dass das Individuum umso freier handelt, als es wissender ist, so daß seine Wahlmöglichkeiten in einer bestimmten Situation ihm bewußt sind, so wie es auch mit den Mängeln des eigenen Charakters vertraut ist, so daß es um die eigene Impulsivität etwa weiß, so sein Handeln aus Vernunftgründen aufschiebt. Das Individuum wird so, indem es an Gott reflektierend und frei handelt, auch moralisch handeln. Freiheit ist bei Leibniz Liebe zu der Gott sich verdankenden Vernunft. Auch nach dem irdischen Tod bleibt die Identität und eine wie auch immer geartete materielle Verkörperung gewahrt, da die Taten oder der gute oder böse Wille dem Menschen über den Tod hinaus folgen.2 Der göttliche Architekt der Welt ist für die Geistmonade väterlicher Monarch: – sie ist das ihm durch den ihr verliehenen Geist und ihr Wissen um Gut und Böse unmittelbar nahe stehende Wesen, das ihn ausdrückt, indem es seine Schöpfung liebt und ist ihm so persönlich verantwortlich.3 Zeit seines Lebens ist der Mensch aktive Tätigkeit und aktives Erleiden: X wirkt auf Y, Y wirkt auf Z, Z wirkt auf X und P. Das Gesamtle-
1 Mon. § 85: »D’où il est aisé de conclure, que l’assemblage de tous les Esprits doit composer la Cité de Dieu, c’est à dire le plus parfait état, qui soit possible sous le plus parfait des Monarques.« G VI, 621. 2 Mon. § 77, (G VI, 620.). 3 Mon. § 84, (G VI, 621).
Leibnizens Position der Harmonie
233
ben ist so eine Balance von Tätigkeit und Erleiden, von agir und pâtir im intermonadischen Spiel einer Weltbalance. Leibniz sieht einzig in der göttlichen Monade den Garanten dafür, dass Intersubjektivität möglich ist, daß nicht das Handeln einer jeden Monade ins Leere stösst. Jede Monade ist ein Kraftzentrum, das wirken will, und im Wechselspiel des Lebens ist keine Monade ausschliesslich leidend, sondern eine jegliche hat irgendwann ein Aktionsfeld, in welchem ihr Trieb zur Selbsttätigkeit zum Zuge kommt. Tätigkeit setzt bei endlichen Monaden einen Leib voraus. Im Discours legt Leibniz dar: »Wir haben gesagt, dass alles, was der Seele selbst und jeder Substanz geschieht, aus ihrem Begriffe folgt; daher bringt die Idee selbst oder das Wesen der Seele es mit sich, dass alle ihre Erscheinungen oder Perzeptionen (spontan) ihrer eigenen Natur entstammen müssen, und zwar gerade so, dass sie von sich aus dem entsprechen, was im ganzen Universum geschieht, insbesondere und vollkommen jedoch dem, was sich in dem ihr bestimmten Körper ereignet.«4
»seu quicquid est habet rationem sufficientem.«5 Daß die Gottheit Quelle aller Tatsachenwahrheiten ist, lässt sie als zureichenden Grund aller historischen Wahrheiten und somit der prästabilierten Harmonie unter ihren Kreaturen, insb. der Individuen erscheinen. So hält Leibniz in § 50 der Monadologie fest: »Et une Creature est plus parfaite qu’une autre, en ce qu’on trouve en elle ce qui sert à rendre raison a priori de ce qui se passe dans l’autre, et c’est par là qu’on dit, qu’elle agit sur l’autre.«6 Je vernunftund willensmächtiger eine Monade ist, desto klarer sind ihre Vorstellungen, desto eher vermag sie auf schwächere Monaden einzuwirken und Grund ihrer Perzeptionen zu sein. Aber keine Monade ist ausschliesslich mächtig; eine jede Geistmonade hat im Wechselspiel mit anderen abwechselnd Macht und Ohnmacht, Handeln (agir) und Erleiden (patir), klare Vernunftgedanken, wo sie, auf ihr Handeln konzentriert, auf andere einwirkt, verworrene Perzeptionen, wo auf sie eingewirkt wird. Je konzentrierter eine Geistmonade reflektiert, desto mächtiger und klarer, desto aktiver ist sie. Die Angespanntheit konzentrierter Reflexion, konzentrierten 4 DM § XXXIII in: Monadologie und andere philosophische Schriften, Hamburg 2002, S. 94, G IV, 458. Jede Seele muss im ganzen im Geiste Gottes aufblitzenden Monaden-Set sich als kompossibel einfügen lassen. Die Gottheit aber lässt sie in ein ihrer Stunde und an ihrem Ort mit dem zu ihrer Individualität passenden Leib in die Existenz treten. 5 Hier: Demonstratio Praepositionum primarum von 1671, A VI ii 483. 6 Mon. § 50; G VI, 615.
Leibnizens Position der Harmonie
234
Schaffens lässt jedoch nicht immer sich durchhalten. Die prästabilierte Harmonie zwischen den Geistern erweist sich so als ein von Gott gehaltenes Balancespiel. Gott greift in das Weltgeschehen ein, indem er Essenzen mit einem eigenen Körper versieht und so sie in die Existenz entlässt. Gott zieht keine Monade ungerecht in der intermonadischen Dependenz vor7, mögen einzelne Monaden durch Tugend oder Kunst und Wissen ihm auch näher stehen als andere. Eine jede ist einmal erleidend, ein andermal reine Tätigkeit, und dieses Alternieren setzt sich fort und findet seinen Ausgleich dort, wo die »cité de Dieu« sich ins Jenseits erstreckt. Die prästabilierte Harmonie bewirkt, dass inmitten der natürlichen Welt, die Leibniz als eine Maschine betrachtet8, deren Erfinder und Erbauer Gott ist9, eine moralische Welt der Vernunftwesen besteht, die als solche das göttlichste aller göttlichen Werke der Gottheit ist, welche ihr in all ihrer Güte vorsteht, da ihre Weisheit und ihre Macht von hier in die gesamte Natur sich ergiessen. In der Darlegung der WL von 1801/02 wird Fichte die sittliche Welt als das Universum schlechthin bezeichnen. Kraft der mit der moralischen Welt in Einklang stehenden Natur muss die Erde zu Zeitpunkten, die sich aus Gottes Herrschaft über die Geister ergeben, nach Naturgesetzen zugrunde gehen und neu entstehen, so wie die göttliche Gerechtigkeit dies fordert, damit beim Erdenende diejenigen, die bösen Willens waren, bestraft, die Guten jedoch belohnt würden.10 Es könnten diese von Leibniz postulierten Erduntergänge sein, welche einer seltsamen ähnlichen Stelle in Fichtes »Thatsachen des Bewusstseyns« von 1810/11 zugrunde liegen. So exponiert Fichte: »Nun aber ist diese ganze allgemeine Sinnenwelt nur dazu da, damit in ihr die sittliche Aufgabe realisirt und anschaubar gemacht werde. Ist aber diese Aufgabe realisirt, so fällt der Grund der Sinnenwelt, und da sie nur durch diesen im Seyn erhalten wird, sie selbst hinweg, und geht zu Grunde. Inwiefern aber der Endzweck das Leben selbst, nicht, wie hier, in einer zufälligen Aeusserung, sondern in seinem absoluten Seyn bestimmt, ist er nothwendig unendlich, so wie in dieser Rücksicht das Leben selbst unendlich ist. Er müsste drum nach dem Untergang dieser ersten Welt durchaus in derselben Form, in der allein er sichtbar werden kann, in Indivi7 8
Mon § 51; G VI, 615 Mon. § 87: »Dieu consideré comme Architecte de la Machine de l’univers«. G VI,
621. 9 Mon. § 84. G VI, 621. 10 Mon. § 88: »ce globe par exemple doit être détruit et reparé par les voyes naturelles dans les momens, que le demande le gouvernement des Esprits; pour le chatiment des uns, et la recompense des autres.« G VI, 622.
Leibnizens Position der Harmonie
235
duen nemlich mit Naturtrieben, Freiheit und sittlicher Bestimmung, durch das Leben selbst als Natur, hervorbringen eine zweite Welt (...) und so ins unendliche fort.«11 »Jene sonach, die Individuen, durch das Seyn des Endzwecks schlechtweg, keinesweges durch irgend eine besondere Aeusserung desselben begründet, bleiben, bleiben dieselben; die individuelle Einheit geht hindurch durch die unendliche Reihe aller Welten: inwiefern nemlich diese Individuen in derWirklichkeit ihr Seyn durch den Endzweck bestimmt haben, d.h. den Willen in sich erzeugt. Vermittelst dieses Willens, der das unmittelbare Seyn des Endzwecks in ihnen ist, und welcher erst von ihnen aus und für sie und ihren ewigen Zweck Welten schafft, überleben sie den Untergang aller Welten.(...) Die, so den Willen nicht in sich erzeugt haben, dauern nicht fort. Sie sind blosse Erscheinungen dieser ersten Welt, nach den Gesetzen derselben, und vergehen mit dieser Welt.«12
So sind laut Fichte die Erdenwelten ins Unendliche perfektibel. Diejenigen, die in sich den Willen zum Guten erzeugt haben, werden wiedergeboren in einer Welt höherer sittlicher Stufe, diejenigen, welche bösen Willens waren, werden annihiliert. Möglicherweise sind dies Strafe und Belohnung, »châtiment« und »recompense«, die schon Leibniz ins Auge gefasst hatte, wenn er die guten Taten belohnt, die üblen nach der Ordnung der Natur bestraft sah: »et qu’ainsi les pechés doivent porter leur peine avec eux par l’ordre de la nature.«13 Die Nichtigen stürzen ins Nichts. Es drängt sich der Vergleich auf zwischen Leibnizens Cité de Dieu, der civitas Dei Augustins und dem Reich der Zwecke von Kant. Bei Leibniz ist jedes vernunftbegabte Wesen qua solches Mitglied des Gottesstaates im Dies- und Jenseits, da eben die Vernunft die Menschen das Gute tun u ihm folgen lässt. Augustinus unterscheidet ähnlich Gottesstaat und Weltstaat, »von denen der erstere, soweit er aus Menschen besteht, in dem letzteren als Fremdling weilt.14 Mitglieder des Gottesstaates sind mit Notwendigkeit die seligen Abgeschiedenen.15 Dem entgegen ist Kants Reich 11 GA II, 12; 125. 12 GA II, 12; 126. Hier stellt sich die Frage, wie weit Fichte beizupflichten sei, wenn er über Kants der Glückseligkeit würdig sein ins Gericht geht – oder ob hier über Leibniz Kant hinweg eine Engfügung zwischen Kant Leibniz und Fichte bestehe. 13 Mon. 89; G VI, 622. 14 Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat, 4. Auflg., .1997, Bd. II, 18. Buch, Kap. I: »Das Nebeneinander von Weltstaat und Gottesstaat von Abraham bis Christus«, S. 418. 15 Aurelius Augustinus: Vom Gottesstaat, 4. Auflg. Sept. 1997, dtv, Bd. 2II, 22. Buch: »die ewige Seligkeit«, SS. 746 f., 752 f., 760 ff., 800, 816, 824, 830. S. 811: »Denn sind nicht auch abgesehen von den Künsten rechter Lebensführung, die zur ewigen Seligkeit verhelfen
236
Leibnizens Position der Harmonie
der Zwecke ein ideelles Reich vernünftiger, sittlicher Wesen auf dieser Erde: »Nun ist auf solche Weise eine Welt vernünftiger Wesen (mundus intelligibilis) als ein Reich der Zwecke möglich, und zwar durch die eigene Gesetzgebung aller Personen als Glieder. Demnach muss ein jedes vernünftige Wesen so handeln, als ob es durch seine Maximen jederzeit ein gesetzgebendes Glied im allgemeinen Reiche der Zwecke wäre. Das formale Prinzip dieser Maximen ist: handle so, als ob deine Maxime zugleich zum allgemeinen Gesetze (aller vernünftigen Wesen) dienen sollte. Ein Reich der Zwecke ist also nur möglich nach der Analogie mit einem Reiche der Natur, jenes aber nach Maximen, d. i. sich selbst auferlegten Regeln, diese nur nach Gesetzen äusserlich genötigter wirkender Ursachen. Dem unerachtet gibt man doch auch dem Naturganzen, ob es schon als Maschine angesehen wird, dennoch, sofern es auf vernünftige Wesen, als seine Zwecke, Beziehung hat, aus diesem Grunde den Namen eines Reichs der Natur. Ein solches Reich der Zwecke würde nun durch Maximen, deren Regel der kategorische Imperativ allen vernünftigen Wesen vorschreibt, wirklich zu Stande kommen, wenn sie allgemein befolgt würden.«16
Das Absolute handelt schon nach den Gesetzen der prästabilierten Harmonie, indem es nur kompossible Essenzen in die Existenz entlässt. Und wenn das Absolute so auch den Mörder und sein Opfer in die Existenz entlässt, so darum, weil ohne die vorausgewusste moralische Übeltat die Schöpfung einen anderen, aber noch schwereren Schaden genommen hätte. In der Theorie Leibnizens ist es ausgeschlossen, daß eine Substanz – also eine repräsentierende Monade – auf eine andere Substanz einwirke, deren Perzeptionen, durch den Appetitus zu stets Neuem getrieben, sich vergangenen und künftigen eigenen Perzeptionen verdanken. Die Geistmonade perzipiert zwar über den eigenen Leib andere und auch entfernte Körper – je weiter entfernt, desto undeutlicher, doch bis in die Unendlichkeit – aber ihr Denken und Vorstellen sind rein innerliche, von Gott vorausgewusste und auf die Außenwelt abgestimmte Tätigkeiten. Ihre Sinne lassen sie die sie umgebende Außenwelt perzipieren, aber bloß, und Tugenden heissen, und nur durch Gottes Gnade in Christus den Kindern der Verheissung und des Reichs verliehen werden, durch den Menschengeist so viele und grosse (...) Künste erfunden und ausgeübt (...)?« 16 I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Schriften zur Ethik und Rechtsphilosophie, Bd. IV, hrsg. von W. Weischedel, Berlin 1956, 2. Abschnitt, S. 72, BA 84.
Leibnizens Position der Harmonie
237
weil das Absolute die Geistmonade mit einem Leibe versehen hat, der eben jene Eindrücke registriert, welche von der Geistmonade aus innerem Geschehen rezipiert werden: »Il n’y a que les substances indivisibles et leur differens estats qui soyent absolument reels.«17 Das einzig wahrhaft Existierende ist die Geist- oder Seelensubstanz, während der ihr zugeordnete Leib in seiner Teilbarkeit nur ein phaenomenon bene fundatum ist: »c’est la substance animée à qui cette matiere appartient, qui est veritablement un estre, et la matiere prise pour la masse en elle même n’est qu’un pur phenomene ou apparence bien fondée comme encor l’espace et le temps.«18 Es sind die Massenpunkte der Seelensubstanzen mit ihren Leibern, welche Raum und Zeit strukturieren. Trotz seiner kritischen Einstellung gegenüber Descartes und Malebranche bleibt Leibniz dem Dualismus der Leib-Seelensubstanzen letztlich verfallen, ist seine Problemlösung äußerst fragwürdig. Da der Dualismus ihm widersinnig erscheint, er am Entelechiecharakter des »cogito« jedoch festhalten muss, entsubstanzialisiert er den Leib, ihn zur bloßen Erscheinung und Werkzeug zur Feststellung anderer Erscheinungen auflösend. Die Seele drückt Veränderungen, Eindrücke und Verletzungen ihres Leibes aus, wenn die das Verhältnis Leib-Seele regulierenden Gesetze dies verlangen. Leibniz hält für möglich, dass Gott Substanzen erschaffen könne, die so beschaffen sind, dass ihnen auf Grund der ihnen inhärierenden Natur die Fähigkeit mangelt, sich mit den übrigen Phänomenen in Übereinstimmung zu versetzen: »à moins que de nier que Dieu puisse créer des substances qui soyent d’abord faits en sorte qu’il leur arrive en vertu de leur propre nature de s’accorder dans la suite avec les phenomènes de tous les autres.«19 Die die Monaden auszeichnende allgemeine Intersubjektivität ist als intermonadische Harmonie zwar gottgewollt, löst die einzelne Monade jedoch nicht aus ihrer Vereinzelung, die schon damit gegeben ist, dass Leibniz das Ich einzig als Individuum fasst, nicht wie später Fichte als Repräsentanten der Einen Vernunft. Wie dennoch bei Leibniz intermonadische Harmonie entstehen kann, erläutert Christia Mercer anhand von Leibnizens Plato – Rezeption, die dem im 17. Jahrhundert weit verbreiteten Platonismus entspricht. Mercer legt u.a. dar: »In his inquiry about the relation between human minds and their divine source, he analyzes how the former is able to contemplate the latter. Of crucial importance is here the fact that a human mind 17 An Arnauld, September/Oktober 1687; G II, 119. 18 An Arnauld, September/Oktober 1687; G II, 118 f. 19 An Arnauld, September/Oktober 1687; G II, 114 f.
238
Leibnizens Position der Harmonie is capable of recognizing the unity between itself and other minds. For each conscious individual, the goal of life is to recognize the divinity within the world and the means to that recognition is through the unity among minds.«20
Mercer verweist darauf, wie Leibniz beim Substanzbegriff zwar von Aristoteles ausgeht, beim Begriff der Gottheit und den eingeborenen Ideen jedoch von Platon, und auch darauf, wie für Leibnizens intermonadische Harmonie ausschlaggebend das gemeinsame Streben nach Gotteserkenntnis sei, sowie, daß bei Leibniz jedes menschliche Individuum gleichsam ein Spiegel der anderen sei.21 Doch einjeder sieht die Gottheit aus seiner eigenen Perspektive, und auch die Gesamtheit der Perspektiven vermag sich ihr nur unendlich endlich zu nähern. Verbinden lassen sich, wie Christia Mercer richtig sieht, Leibnizens Prinzip vom zureichenden Grunde und die prästabilierte Harmonie. So betont Leibniz wiederholt: »Nihil est sine ratione«, benennt: »cette correspondance mutuelle des differentes substances (...) est une des plus fortes preuves de l’existence de Dieu.« Und ohne Tatsachenwahrheiten und ihren zureichenden Grund erübrigte sich auch sittliches Verhalten, das dann um kein Verbot der Lüge sich zu kümmern bräuchte. Und das Recht, das nicht von der Sittlichkeit getragen wird, vermag keine zwischenmenschliche Harmonie und keinen Rechtsstaat auf Dauer zu tragen. Wahrheit – und dies zeigt sich an Nietzsche, dessen Wahrhaftigkeit ihn an der Unmöglichkeit von Wahrheit in einer Welt ohne Gott zerbrechen ließ – setzt ein Absolutes als zureichenden Grund voraus. In ihm sind ursprünglich alles Sein und alle Essenzen enthalten, so daß die Voraussetzungen für eine harmonische Welt bestehen, da alles Sein im göttlichen Geist schon einmal omnipräsent und von jenem gewollt war. Auf diesen platonischen Essenzialismus verweist auch Michael-Thomas Liske.22 Das ausbalancierte, wechselweise Statt habende agir und pâtir (Tätigkeit und Erleiden) verlangt bloß, dass Gott die geschaffenen Substanzen mit Leibern ausstatte, die sie im richtigen Augenblick und Ort von der Essen20 C. Mercer, op. cit. p. 243. Es fragt sich, ob Mercer nicht hier irrtümlich eine Synthese der Geisterwelt vollzieht, wie erst bei Fichte sie sich finden wird und ob nicht bei Leibniz jedes Individuum nicht allein ist mit Gott, aus dem es lebt und aus dem liebend einzig der Weise anderen Individuen Gerechtigkeit widerfahren lässt., in ihnen ebenfalls Kreaturen des Göttlichen sehend. Dies allerdings dem späten Fichte nicht unähnlich, so daß beide Denker zu analogen Schlüssen kämen. 21 C. Mercer, op. cit., p. 246. 22 M.-T. Liske, op. cit S. 55 ff.
Leibnizens Position der Harmonie
239
zialität in die Existenz hinübersetzen und deren Sinne das Verhältnis des Leibes zu anderen Körpern ausdrückt. Der Leib ermöglicht der Seele die Spiegelung eben jenes Universums, in welchem sie die Schöpferkraft Gottes erkennt. Wo die Seele tugendhaft ist, das in jedem Menschen angelegte Vermögen zur Tugend im Denken und Handeln des Ich sich entwickelt und äußert, da soll der Geist erkennen, daß in seiner Gottesliebe durch ihn die Gottheit handelt und dass er sich seine Tugend nicht als Verdienst anrechnen kann: nur so wird seine Seele eine Spiegelung der Gottheit und wird er zu einem glücklichen Bürger des Gottesstaates. So auch nur ist das Ich wahrhaft frei, denn sein Wille ist Ausdruck des absoluten Wollens. Und dies absolute Wollen ist in sich harmonisch, denn die Gottheit muss, um eine Welt zu schaffen und zu erhalten, aus dem absoluten, in ihrer Allheit angelegten Chaos harmonische Gesetze schaffen. Chaos fasziniert und schreckt uns; doch einzig aus Chaos, der ungeordneten Überfülle, können Gesetzmäßigkeit und Harmonie entstehen. Sie sind des Chaos stabilisierende Varianten.
This page intentionally left blank
5. Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
This page intentionally left blank
5.1. Der Ursprung der Freiheit in der Interpersonalität Es soll hier nochmals – in einer breiteren Übersicht – Freiheits- und Interpersonalitätslehre des frühen Fichte dargestellt werden. Dies hat – in den Worten von Edith Düsing – folgenden Grund: »Die nur bei dem frühen Fichte systematisch entwickelte Aufforderungs- und Anerkennungslehre.«1 Fichte wirft im SSL 1798 eine Frage auf – sie sogleich beantwortend – die jedermann sich mitunter aufdrängen mag: »Wer bin ich denn eigentlich, d. i. was für ein Individuum? Und welches ist der Grund, daß ich der bin? Ich antworte: ich bin von dem Augenblick an, da ich zum Bewußtseyn gekommen, derjenige, zu welchem ich mich mit Freiheit mache, und ich bin es darum, weil ich mich dazu mache.«2 Dies Sich-zuetwas-Machen ist Ausdruck eines bestimmten Wollens und zwar im Felde der Ethik Wollens der eigenen und fremden Sittlichkeit und der Übernahme einer bestimmten Aufgabe in Welt. Denn es geht nicht um Selbstheiligung, sondern um das Befördern der allgemeinen Moralität.3 Ich selbst bin 1 Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewusstsein. S. 181 Anm. Ebenso E. Düsing: Anerkennung und Bildung des Selbstbewußtseins. Zum Problem der Intersubjektivität in Fichtes Idealismus der Freiheit. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie, Bd. XX, 1988, S. 133: »Fichte (…) sucht vielmehr zu zeigen, wie aus dem zuerst für das Ich als verbindlichen aufgezeigten kategorischen Imperativ die Notwendigkeit der Annahme verfünftiger personaler Wesen außerhalb dieses ich abzuleiten ist.« Von Reinhard Lauth s.: Le Problème de l'interpersonnalité chez J. G. Fichte. In: Archives de Philosophie, juillet/décembre 1962, Vol. XXXV, p. 325-344; Das Problem der Interpersonalität bei J. G. Fichte, in TrE von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, S. 180-195; Die transzendentale Konstitution gesellschaftlicher Erfahrung, in TrE, S. 196-298; Die Kritik der Vernunft und Fichtes ursprüngliche Einsicht, ebenda S. 140-154. Die nun folgenden Ausführungen bleiben komprimiert, da die Forschung – insb . Reinhard Lauth und Edith Düsing – sich schon allgemein fruchtbar mit der Interpersonalitätslehre auseinandergesetzt habenhat. 2 GA I,5; 202. 3 GA I,5; 249.
244
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
»nur Instrument, bloßes Werkzeug« des Sittengesetzes4 und soll als solches meinen Mitmenschen als Mitstreiter für eine bessere Welt betrachten.5 Fichte klärt seine Position gegenüber dem Kant’schen Imperativ: »Jeder Mensch ist selbst Zweck, sagt Kant (...) Jedem sind alle außer ihm Zweck; nur ist es keiner sich selbst. Der Gesichtspunkt von welchem aus alle Individuen ohne Ausnahme, letzter Zweck sind, liegt über alles individuelle Bewußtseyn hinaus.«6 Denn dieser letztere Gesichtspunkt ist derjenige Gottes: »Für ihn ist jedes vernünftige Wesen absolut und letzter Zweck.«7 Das Individuum findet seine Freiheit, indem es sich aufhebt in die Eine Vernunft. Der Mensch ist Zweck Gottes, indem er sich betrachtet als Instrument des Einen, Sittlichkeit verwirklichenden Lebens, das in ihm sich ausdrückt und ins Dasein tritt. Er ist frei insofern, als er nur dem Sittengesetz untersteht und aus Vernunft und Billigkeit die Gesetze des Rechtsstaates anerkennt. Der Rechtsstaat seinerseits zeichnet dadurch sich aus, dass er die Menschenrechte – von Fichte »Urrechte« genannt, anerkennt. Der Staat muss jedem einen Ort für seine Tätigkeit überlassen, so wie im Rechtsstaat jeder seinen Ort innerhalb der Gesellschaft suchen soll. Fichte leitet die Rechtslehre als »Drittes Hauptstück« der GNR mit der Feststellung ein: »Soll überhaupt die Vernunft in der Sinnenwelt realisiert werden, so muß es möglich seyn, dass mehrere vernünftige Wesen, als solche, d. i. als freie Wesen neben einander bestehen.«8 Ohne Du kann das Ich sich nicht konstituieren und kann sich nicht als zur Selbstbestimmung bestimmtes Selbstbewusstsein konstituieren. Und trotz einer vernünftigen Wahl angesichts des Anstoßes durch das andere Vernunftwesen »bleibt das Ich frei, die Realisation seiner empirischen Bedürfnisse
4 GA I,5; 230. 5 Vgl. Fichtes Rreden an die deutsche Nation, 1808, Zweite Rede: »Dagegen würde die neue Erziehung gerade darin bestehen müssen, daß sie auf dem Boden, dessen Bearbeitung sie übernähme, die Freiheit des Willens gänzlich vernichtete, und dagegen strenge Notwendigkeit der Entschließungen, und die Unmöglichkeit des Entgegengesetzten in dem Willen hervorbrächte, auf welchen Willen man nunmehro sicher rechnen und auf ihn sich verlassen könnte.« Hamburg 1978, S. 28. 6 GA I,5; 230. Fichte mag hier an folgende Stelle aus Kants KpV gedacht haben: »dass, in der Ordnung der Zwecke, der Mensch (mit ihm jedes vernünftige Wesen) Zweck an sich selbst sei, (...) dass also die Menschheit in unserer Person und uns selbst heilig sein müsse, folgt nunmehr von selbst, weil er das Subjekt des moralischen Gesetzes, mithin dessen ist, was an sich heilig ist.« KpV, Riga 1788, hrsg. Von von W. Weischedel, Bd. IV, 1956, S. 236 f., A 237. 7 Ebd. GA I,5; 230. 8 GA I,3; 389.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
245
zum Ziel seines Handelns zu machen.«9 Hierbei kann es zu Interessenkollisionen und Verletzung der Sphäre anderer Vernunftwesen kommen. Kraft seiner Fähigkeit zu reflektieren und somit Intelligenz zu sein, ist jedem Menschen zumindest hypothetisch der Status einer Person zuzusprechen, ist er ein Rechtssubjekt, dem eine eigene Handlungssphäre zusteht, und dem wesentlich die Urrechte zukommen. Es gilt: »Der Wille der Person tritt auf das Gebiet der Sinnenwelt lediglich, inwiefern er in der Bestimmung des Leibes ausgedrückt ist. Auf diesem Gebiete ist daher der Leib eines freien Wesens anzusehen als selbst der lezte Grund seiner Bestimmung.«10 Reinhard Lauth zitiert daher die Stelle: »Natur und Geisterreich greifen ineinander in der Artikulation des Leibes.«11 Der artikulierte Leib des Menschen ist das Werkzeug seines Geistes, und irdischer Geist ist nicht möglich ohne Sinne und Materie. Der Mensch als Wollender wirkt durch seinen Leib auf die Sinnenwelt, welche er modifizieren kann, welche er aber auch aus persönlichem Behagen so lassen kann, wie sie ist. Die den Menschen umgebende Sinnenwelt ist seine Wirkungs- und Freiheitssphäre: hierin sieht Fichte den »Grund allen Eigenthumsrechts.«12 Denn mein nächstes Subsistenzmittel ist, was unmittelbar als meine persönliche Einfluss- und Wirkungssphäre mich umgibt und meinen Alltag als Improvisation erst ermöglichende Routine ausmacht.13 Fichte betrachtet »das Urrecht« – also die Menschenrechte – als »ein absolutes Recht« und die Person hat kraft ihres Urrechts Anspruch auf eine »fortdauernde Wechselwirkung zwischen ihrem Leibe und der Sinnenwelt, bestimmt und bestimmbar, lediglich durch ihren frei entworfenen Begriff von derselben.«14 Für Fichte bedeutet das Urrecht die Grundrechte von Leib, Leben und Eigentum.
9 W. Schrader: Recht und Sittlichkeit, PhJb Bd. 80, 1973, S. 55. Vg. Auch R. Lauth: Die transzendentale Konstitution gesellschaftlicher Erfahrung, in TrE, S. 196-208, insb. S 198f. Hamburg 1989. 10 GA I,3; 405. 11 GA I,3; 346. R. Lauth: Das Problem der Interpersonalität bei J. G. Fichte, in: TrE, S.192. 12 GA I,3; 407 13 Dass Daß Fichte hier richtig gesehen hat, beweist die zweihundert Jahre nach Fichte wesentlich veränderte Welt, in welcher Distanzen klein geworden sind und die Modernisierungsschübe kein Ende nehmen. Im Zeitalter der Globalisierung, Modernisierungen, der Boeings, des Fernsehens, des Internets und der Postmoderne ist der Mensch unbehaust geworden und überall und nirgendwo heimisch. Heute, da alles zu haben ist, ist der Mensch wesentlich depossediert. 14 GA I,3; 409.
246
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Wolfgang Schrader verweist auf die »für Fichtes politische Frühschriften charakteristische Subordination des Rechts unter das Sittengesetz.«15 Es ließe hierzu sich sagen, daß es sittliche Forderung ist, daß es Recht geben, dass die Person sowohl Pflichten wie Rechte gegenüber sich, den Anderen und dem Staat hat. In der GNR unterscheidet Fichte streng zwischen Recht und Sittlichkeit, konzipiert allerdings das Recht als Ausfluß des Rechtsstaates. Wenn Fichte schreibt: »Ich muss das freie Wesen ausser mir, in allen Fällen anerkennen als ein solches, d. h. meine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit seiner Freiheit beschränken«16, so ist dies Postulat des »Anerkennens« kein rechtlicher, sondern ein sittlicher Akt. Eben darauf verweist auch der Umstand, dass Fichte das so deduzierte »Rechtsverhältnis« als den »Rechtssaz« schlechthin bezeichnet. Der zitierte Satz erweist sich als ein Durchkreuzungspunkt von Recht und Sittlichkeit. Unter der Voraussetzung, daß auch der Andere mich als freies Vernunftwesen anerkennt, setze ich ihn mir als intentional handelndes Vernunftwesen entgegen, welches ein »Mit« ist. Weil der Mensch denkender und somit aus der Kraft des Begriffs heraus Wollender ist, sind seine rechtmäßigen Handlungen in der Sinnenwelt vom Rechtsstaat zu dulden und zu schützen. Die Anerkennung, die Selbstbeschränkung der Freiheit durch den Begriff der Freiheit des Anderen erinnert stark an Kants Imperativ. Tatsächlich weist Fichte in seinem Fünfstufen-Reflektiersystem den Kantschen Imperativ in die 2. Stufe, diejenige der Legalität, nicht jedoch in die dominierende 3. Stufe der höheren Moralität.17 Reflexion bedeutet Spaltung, Spaltung des einen Nicht-Ich in eine Unendlichkeit lebender und toter Objekte und Spaltung der lebenden Ob15 W.H. Schrader: Recht und Sittlichkeit, in: PhJb Bd. 80, 1973, S. 50. 16 GA I,3; 358. 17 Vgl. WL 1804, XXVIII. Vortrag: 1. Stehendes Objekt: Sinnlichkeit, 2. stehendes Subjekt: Legalität, 3. Bilden des Subjekts: Moralität, 4.- Bilden des Objekts: Religion, 5. Synthesis der WL. (GA II,8; 417 ff.) Vgl. H. Traub: Vollendung der Lebensform, in Fichte-Studien Bd. 8, S. 161-191, vgl. insb. S. 172: »Weil das Gesetz der Freiheit diesem Standpunkt das Wesentliche ist, nennt Fichte ihn den Standpunkt der Legalität und ordnet diesem ausdrücklich sowohl den Bereich der inneren Autonomie, das von Kant her als Sittengesetz im engeren Sinne verstanden wird, als auch den Bereich der äußeren Sitte, d. h. den Bereich des Rechts, der üblicherweise als Bereich der Legalität gekennzeichnet wird, zu.« Auch dünkt es sinnig, dass Kant auch in der Rechtslehre der Metaphysik der Sitten den kategorischen Imperativ formuliert. In seinem Beitrag Realität und System. Das Realitätsproblem in Fichtes Theorie der Fünffachheit in Bd. 6, S. 435448, der Fichte-Studien betont Hartmut Traub S. 443 die »Nötigung« durch das Sittengesetz: »Für das in der Form stehender Subjektivität fundierte Realitätsprinzip der Legalität beruht das Selbstbzw. Realitätsgefühl auf der Nötigung und Befolgung des bzw. der Achtung vor dem Sittengesetz.«
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
247
jekte in bloß beseelte und in vernunftbegabte Subjekt-Objekte. Erst in der Reflexion verstehen wir etwas als etwas und können wir uns so ein lebendiges Bewusstsein aufbauen. Aus der Mannigfaltigkeit der Quantitabilität, die uns von Einem zum anderen gehen lässt, fügen wir uns im Akt des wahrnehmenden Denkens die Dinge zu einer Welt, die unsere Individualität und unser Wissen ausmacht. Wie Fichte in der GWL darlegt, bedarf das Bewusstsein des Wechsels, auf daß es lebe und nicht dem Tod verfalle: »Es werden Gefühle durch ideales Setzen synthetisch vereinigt. Ihr Beziehungsgrund kann kein anderer seyn, als der Grund der Reflexion über beide Gefühle. Dieser Grund der Reflexion war der: weil ausserdem der Trieb nach Wechselbestimmung nicht befriedigt würde, nicht gesezt werden könnte, als befriedigt, und weil, wenn dies nicht geschieht, kein Gefühl, und dann überhaupt kein Ich ist. – Also der synthetische Vereinigungsgrund der Reflexion über beide ist der, daß ohne Reflexion über beide, über keins von beiden, als über ein Gefühl, reflektiert werden könnte.«18
Wolfgang Janke weist darauf hin, daß Fichte die von Leibniz grundgelegte perceptio und den appetitus »einheitlich auf ihre Wurzel, die Form des Als und das Prinzip der Reflexion« zurück leitet.19 Denn wir nehmen stets etwas als etwas denkend wahr, der appetitus führt uns von einer Vorstellung zu nächsten, die Reflexion trennt und verbindet Ich und Nicht-Ich zum Denkakt des Ich. Das Ich, welches als denkendes sich liebt, liebt in dieser Liebe auch das gedachte Seiende als ihm erscheinende Erscheinung eines Absoluten, dessen ihm erscheinende Erscheinung es ist. Dem zugrunde liegt der Begriff als Weltschöpfer: Der Begriff meines Solls formiert auch die Welt, in der ich lebe, die ich präge und die mich prägt. Erst wo in der liebenden Reflexion die Freiheit sich aufgibt, ersteht sie am Sein des Absoluten. Aus dieser Sicht wird der spätere Fichte argumentieren, aber die frühe Interpersonalitätslehre behält dennoch ihr Recht. Freiheit ist nur da Freiheit, wo sie dem Ich ermöglicht, das Richtige zu tun, indem es dem Spruch seines Gewissens folgt. Dies kann es jedoch nur im Rahmen des Mitlebens anderer freier Vernunftwesen in einem Rechtsstaat. Nur ich kann mir meine Freiheit nehmen, doch nur ein Du kann sie mir geben. Nur in einem Staat, welcher die Ur- oder Grundrechte garantiert, ist es möglich, ohne Gefährdung seiner selbst und Anderer seinem Gewissen zu folgen. Das Recht muss unterschieden werden von der 18 GA I,2; 447. 19 W. Janke: Fichte. Sein und Reflexion, S. 50.
248
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Sittlichkeit, aber der Rechtsstaat ist sittliche Forderung. Doch Fichte sieht – und Alexis Philonenko verweist hier zu recht auf Marx – dialektisch das Wesen und Ziel des Staates in dessen Aufhebung. Er ist bloß die Voraussetzung dafür, daß jeder arbeitsteilig die eigenen Talente so vervollkommnet, dass eine harmonische Gesellschaft entsteht, wo einer den anderen ergänzt, und in welcher die Menschen so vollkommen sind, dass eine Regierung sich erübrigt: »Das Leben im Staat (...) ist ein nur unter gewissen Bedingungen statt findendes Mittel zur Gründung einer vollkommenen Gesellschaft«: »es ist der Zweck aller Regierung, die Regierung überflüßig zu machen.«20 Nicht nur Marx21 sondern auch Nietzsche vorwegnehmend, denkt Fichte an eine Gesellschaft, deren Glieder im Agon an der »Vervollkommnung der Gattung« zusammenwirken.22 Der Mensch ist wesentlich Handelnder. Sein Geist und seine Vernunft gewinnen nur da Realität, wo er die Sinnenwelt modifiziert oder in sie hineinschafft, was seine Gesichte ihm zeigen. Nicht nur seine geistigen, auch seine empirischen Bedürfnisse primär äußern sich durch sein Handeln in die Sinnenwelt, ja sie sind die Basis allen Denkens und Handelns. Denn Realität ist intersubjektiv: Die Anderen müssen sehen, was ich denke, auf dass mein Denken Realität gewinne. Es bedarf einer Rechtsordnung, welche das Zusammenleben von Personen mit ihren materiellen oder geistigen Bedürfnissen regelt, indem sie jedem, kraft Träger von Urrechten seinen Freiheitsraum garantiert. Denn menschliches Schaffen, auch wo es um seiner selbst willen geschieht, will in die Sinnenwelt wirken, bei anderen Geistern auf Resonanz stoßen. Doch Geist vermag 20 GA I,3; 37. 21 Hinweis bei Alexis Philonenko: La liberté humaine dans la philosophie de Fichte, Paris 1966, S. 64 ff. 22 Loc. cit., GA I,3; 37. Diese Stellen belegen, dass daß Fichte schon vor der Wissenschaftslehre 1801/02, in welcher er das Leibnizsche Konzept der prästabilierten Harmonie in sein System integriert, an eine Gesellschaft unter deren Auspiz denkt. Auch A. Philonenko verweist darauf, dass Fichte im SSL von 1798 eine Gesellschaft postuliert, die dazu tendiere, »die Darstellung des reinen Ich, das Ganze der vernünftigen Wesen, die Gemeine der Heiligen« zu sein. (GA I,5; 230). Phillonenko weist auch, S. 65 op.cit. auf den Einfluß Luthers hin und schreibt S. 66: »l’Etat prépare le dépassement de la diversité humaine naturelle. D’une part il relie les hommes dans le contrat social qui unifie leurs intérêts et les rend semblables. D’autre part la division du travail, qui est pour Fichte le corollaire du contrat social, coordonne les possibilités des hommes, qui deviennent les membres d’un organisme en lui même un. (...) Dans l’Etat rationnel Fichte ne veut apercevoir que le moyen d’une fin plus haute, moyen destiné à disparaître dans la mesure même où cette fin peut être réalisée.« In der »Bestimmung des Gelehrten« lehrt Fichte: »es ist sicher, daß auf der a priori vorgezeichneten Laufbahn des Menschengeschlechts ein solcher Punkt liegt, wo alle Staatsverbindungen überflüssig seyn werden. Es ist derjenige Punkt, wo statt der Stärke oder der Schlauheit die bloße Vernunft als höchster Richter allgemein anerkannt seyn wird.« (GA I,3; 37).
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
249
nicht unmittelbar auf Geist zu wirken: der Geist des Rezipienten vermag nur die Veränderung in der Sinnenwelt wahrzunehmen und wo sie offensichtlich als Kunstprodukt an menschliche Vernunft und menschlichen Geschmack appelliert und indem sie sichtbar ist, die Umwelt erst wirklich sichtbar macht, hat sie ein Freiheitspotential, das zu respektieren ist. So wenig Geist und Köper sich auseinanderreißen lassen, ebenso wenig sind ursprünglich Recht als die Individuen, Sittlichkeit als die Vernunftwesen betreffend, von einander geschieden. Recht, Brauch, Sitte und Sittlichkeit entwickeln und trennen sich wieder im Verlauf der menschlichen Evolution. Nach dem Ort ihrer Entstehung sind all diese Normen intersubjektiv, die Sittlichkeit nicht weniger als das Recht.23 Ermöglichung der Gesichte von Kunst und Wissenschaft, aber auch der Sittlichkeit, ist die Einbildungskraft. Dieses grundlegende Vermögen ist das spezifisch Menschliche an den menschlichen Erkenntnisvermögen, situiert den Menschen zwischen Himmel und Hölle und eignet nur angedeutet auch subhumanen Primaten. Der zentralen Rolle, welche Fichte ihr zuschreibt, verdankt primär sich Fichtes Erfolg bei den Romantikern, insbesondere bei Novalis.24 Denn eine lebendige, tätige Einbildungskraft gebunden an Vernunft ermöglicht ein lebendiges Haben von Welt, ist die Basis auch seelischen Empfindens, das als schöpferisches Grundvermögen sich äußert. Ohne ein offenes Vorstellungsvermögen und Bewusstsein von Welt gibt es auch kein starkes Ich, gibt es kein inneres Leben und keine Freiheit. Es ist die Einbildungskraft, welche uns die Welt hinbildet und uns so Welt haben läßt. Gehalten wird die Einbildungskraft vom Verstand, der ohne sie des Materials entbehrte, und ohne den sie ein bloßes Irrlicht ist. Mit Hilfe des Verstandes jedoch ist die Einbildungskraft für das Ich das Tor zu sich selbst und zur Welt, und Welt ist ja das geistige Leben und die Abfolge der Bilder im Ich, das so selbst Bild, nämlich Bild der Bilder ist und Realität einzig dadurch gewinnt, daß es als sich erscheinendes Bild im Absoluten wurzelt25. Die Einbildungskraft dehnt und konzentriert das Intervall zwischen den sich folgenden Bewusstseinsbildern, 23 Auf den gemeinsamen Ursprung deutet noch das Wörterbuch der Gebrüder Grimm: »sittlich« und »Sitte« konnten ursprünglich denselben Sinn haben, ebenso wie: »der Gewohnheit, dem Brauch, dem Herkommen, der Gepflogenheit gemäß.« Deutsches Wörterbuch von J. und W. Grimm, Bd. 16, 1238 ff., insb. 1239 und 1266. 24 Loheide, Bernward in Fichte-Studien Bd. 19, S. 109-123. Heimsoeth, Heinz: Die spekulativen Systeme des deutschen Idealismus, in: Handbuch der Philosophie, hrsg. von A. Baeumler und M.Schröter, 17.Lieferung: Metaphysik der Neuzeit, 1927, S. 105 f. 25 GWL: »Die Einbildungskraft producirt Realität; aber es ist in ihr keine Realität; erst durch die Auffassung und das Begreifen im Verstande wird ihr Produkt etwas Reales.« (GA I,2; 374).
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
250
so dass kein Vakuum des Bewusstseins entsteht, was den Tod bedeuten würde. Wolfgang Janke schreibt zu diesem Thema: »Nur dadurch kommt ein durchgängiges Bewußtsein zustande, daß die akzidentellen Modi wie Denken, Anschauen, Fühlen, Ahnen, Streben usw. gleich und verglichen sind, nämlich als Modi desselben Ich. Ohne das Moment der Zeit schlügen sie unmittelbar um und in Bruchstücke auseinander.« Und: »Zeit entspringt aus der überleitend-schwebenden Tätigkeit der Einbildungskraft.«26 Fichte erläutert: »Ienes Schweben eben bezeichnet die Einbildungskraft durch ihr Produkt; sie bringt dasselbe gleichsam während ihres Schwebens, und durch ihr Schweben hervor.«27 Die Einbildungskraft auch ist es, welche zwischen unseren Sinnen vermittelt und sie in Harmonie setzt, indem sie das Bild dem sehenden Auge, den Klang dem Ohr zuführt und sie zusammenbringt. Sie ist die unabhängige Tätigkeit, welche durch den Wechsel der Bilder das Ich in eine Zeit hinein konstituiert. Eingehend beschreibt Janke die Tätigkeit der Einbildungskraft: »Die Einbildungskraft schwebt, und zwar zwischen der unendlichen (durch nichts begrenzten) Tätigkeit und der endlichen oder objektiven (durch das Nicht-Ich begrenzten) Tätigkeit des Ich.«28 In der Tätigkeit der Einbildungskraft als Wissen im Fluß wurzelt die Freiheit des Ich. Wesen des Begriffes ist, daß ich immer etwas durch etwas verstehe, X durch Y, so dass Fichte in der WL 1804 nicht von einem Denken in Begriffen spricht, sondern hierfür den bloßen Ausdruck »Durch« verwenden wird. Im praktischen Teil der GWL lehrt Fichte: »Das Ich bestimmt X durch Y, und umgekehrt (...) Man kann diesen Trieb nennen den Trieb nach Wechselbestimmung des Ich durch sich selbst (...) vermittelst jenes Wechsels. Es ist demnach eine Wechselbestimmung des Ich und des Nicht-Ich, die, vermöge der Einheit des Subjekts zu einer Wechselbestimmung des Ich durch sich selbst werden muß.«29 Es ist die Einbildungskraft, welche es dem Verstand ermöglicht, X durch Y zu verstehen, und die in eins mit dem Trieb nach Wechselbestimmung die Mannigfaltigkeit von Welt für ein ichliches Bewusstsein hinbildet. Die Einbildungskraft erst gibt dem Ich seinen Handlungsspielraum und die reflektierte Freiheit, sich nach dieser oder jener Möglichkeit als der gesollten Handlung auszurichten. Denn erst die Einbildungskraft zeigt dem Ich die möglichen Konsequenzen seines Tuns: Denken soll ich alles, denn ich muss 26 27 28 29
W. Janke: Fichte. Sein und Reflexion, S. 157. GWL, GA I,2; 360. W. Janke, op. cit., Ebenda. S. 157. GWL, GA I,2; 449.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
251
wissen, was auf dieser Welt möglich ist, und je weiter ich denke, desto mehr sich der Einbildungskraft verdankende Freiheit erobere ich mir; aber tun darf ich nicht alles, und dass ich das Gesollte tue, verdankt sich der Einbildungskraft als meiner Freiheit und der Urteilskraft als deren Kontrolle durch den Verstand.30
30 GA I,2; 381.
5.2. Der Andere als Möglichkeit und Limes Ich kann mich jedoch nur selbst wählen, indem ich mich gegen Andere abgrenze; in jeder Selbstwahl ist ex definitione vorausgesetzt, dass es andere gibt, gegen die ich mich abgrenze. In der Selbstwahl bin ich ein sich setzendes Selbstbewußtsein, und das heißt, ich kann mich nicht gegen beliebige Objekte, sondern ich kann mich nur gegen ein anderes Selbstbewußtsein abgrenzen. In der GNR führt Fichte aus: »Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden, außerdem würden sie nicht Menschen.«1 Wenn die Trotzphasen von Kindern und Jugendlichen Abgrenzungen des die eigene Individualität suchenden Vernunftwesens gegen seine Erzieher bedeuten, so führt Fichte aus: »Es ist Pflicht der Eltern die Freiheit der Kinder zu beschränken, wiefern ihr Gebrauch dem Zwecke der Erziehung nachtheilig seyn könnte: aber auch nur insofern.«2 Ist die Erziehung eine solche zu Verantwortung und Freiheit, so fördern die Eltern – ev. auch durch Verbote – Eigenständigkeit und Begabungen des Zöglings, und es gilt: »sind die Kinder selbst von der Güte und Zweckmäßigkeit des Befohlenen überzeugt, so überzeugt, dass schon ihre eigne Neigung sie dahin treibt, so ist kein Gehorsam da, sondern Einsicht.«3 In diesem Idealfall setzt der Erzieher nunmehr den Zögling frei zur eigenen Wahl des Richtigen. Heute drückt das Gesetz dies dadurch aus, dass die Eltern für den materiellen Schaden, den ihr minderjähriges Kind verursacht hat, haften; ist das Kind volljährig, so haftet es persönlich. Ob der Weg zur Selbstverantwortung und Freiheit inmitten anderer, ebenfalls als frei anerkannter Vernunftwesen gelingt, hängt auch davon ab, ob der transzendentalen Freiheit eine ausreichende Dauer zuneh1 2 3
GA I,3; 347. GA I,3; 295. GA I,3; 296.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
253
mender empirischer Freiheit und zugleich Geborgenheit vorausging. Die, verglichen mit subhumanen Tieren, lange Jugendzeit des Menschen soll seine persönliche und moralische Entwicklung ermöglichen unter dem Schutz der Erzieher und in Auseinandersetzung mit anderen Jugendlichen. Was dies bedeutet, führt Fichte im SSL aus: »Bloß dadurch, dass ich auch nur Ein Individuum außer mir gesetzt, ist einiges von allen möglichen freien Handlungen für mich unmöglich geworden; nemlich alles dasjenige, wodurch die Freiheit, die ich jenem zuschreibe, bedingt ist.«4 Die Limite, die der Andere, welcher zugleich meine Möglichkeit ist, mir setzt, ermöglicht mir, meine eigenen Möglichkeiten unter Respektierung der Freiheit des Anderen, welche die meinige ja erst ermöglicht, auszuloten. Doch wenn ein Vernunftwesen ausreichend ist, das erwachende Ich zum Bewusstsein seiner Vernunft zu bringen, so ist es doch nicht ausreichend, es zur Autonomie zu erheben. Denn ein Element der Vernunft ist die Intelligenz; und »intelligere« bedeutet nicht zuletzt lieben, ein Verstehen aus Liebe. Daher entwickelt Fichte im SSL das »Dreikörpermodell«: um nicht innerlich vom Aufrufenden aus Dankbarkeit und Liebe abhängig zu werden, bedarf es des Zeugnisses einer weiteren, anders gearteten Vernunft: es steht wider ein Robinson Crusoe – Freitag-Verhältnis Aufrufender – Aufgerufener. Hierbei muss es sich nicht um ein anderes Ich, es kann sich auch bloß um dessen Zeugnis handeln, also ein Kunstprodukt, in welchem ein Denken und Wollen sich äußert, welches dem Aufgerufenen bisher unbekannt war. Berühmt ist der Satz Fichtes: »der Mensch (so alle vernünftigen Wesen überhaupt) wird nur unter Menschen ein Mensch; und da er nichts anders seyn kann, denn ein Mensch, und gar nicht seyn würde, wenn er dies nicht wäre – sollen überhaupt Menschen seyn, so müssen mehrere seyn. Dies ist (...) eine aus dem Begriff des Menschen streng zu erweisende Wahrheit.«5 Nur als soziales Wesen, im Miteinander, ist der Mensch denkbar, auch wo er sich auf sich selbst in die Einsamkeit zurückgezogen hat. Die Einsamkeit des Denkens ist nur möglich, wo die soziale Erfahrung zugrunde liegt. Nicht nur das Recht ist interpersonal: auch Sittlichkeit und Vernunft setzen Interpersonalität voraus. Fruchtbares Denken hat Dialogform, auch wo es rein im Ich stattfindet, und Vernunft kann sich nur inmitten Vernunft entwickeln. Und sei ein Künstler noch so egozentrisch: er schafft doch stets im Hinblick auf einen Betrachter, einen Leser oder Hörer. 4 5
GA I,5; 202 GNR, GAI,3; 347.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
254
Um zu wissen, was wir in dieser Welt wollen, wo unsere je persönliche Freiheit ist, bedürfen wir anderer Menschen, anderer Vernunft, anderer Begabung. Fichte postuliert – ausgehend vom menschlichen Trieb nach Geselligkeit – eine von intellektuellem commercium ausgehende demokratische Gesellschaft: derjenige, welcher bestimmte intellektuelle oder manuelle Gaben, ein irgendwie besonderes know how hat, soll dies an Andere weitergeben, welche diese besonderen Fähigkeiten nicht haben, dafür andere Anlagen und Begabungen, die sie wiederum dem Anderen beibringen. Denn von Natur sind wir alle verschieden: »Kein Theil derselben ist dem andern vollkommen gleich.«6 Von Natur sind Individuen von einander verschieden, doch die Vernunft ist eine, so dass das Gesetz gilt: »daß alle die verschiedenen vernünftigen Wesen auch unter sich gleichförmig gebildet werden sollen.«7 Fichte setzt auf den »Mittheilungstrieb«, der uns drängt, Anderen unser Wissen weiterzugeben, und auf »den Trieb zu empfangen«8, d.h. dort uns Wissen und Können von Anderen anzueignen, wo die Natur stiefmütterlich mit uns umgegangen ist. Gesellschaftliche Interaktion soll die natürlichen Unterschiede zwischen den Individuen ausgleichen, womit Fichte auch einen demokratischen Akzent setzt, denselben demokratischen Akzent, der auch die Entstehung der modernen Naturwissenschaften auszeichnete, beginnend mit dem Aufschießen der gelehrten Gesellschaften. Indem der einseitig Begabte Glied der Gesellschaft ist, siegt er in ihr, im Bund mit der Vernunft, über die Natur und – möchte man sagen –, versiegt ob so viel Demokratie jegliche natürliche Begabung. Es ist die Gesellschaft, welche dem Individuum nicht nur ermöglicht, sich da zu bilden, wo die Natur versagt hat, sondern sie ermöglicht durch ihren Wissensstand auch dem Einzelnen, Begabungen zu züchten, deren er zur Ausübung einer seinen Lebensunterhalt in der Gesellschaft garantierenden Tätigkeit bedarf. Es sollen die ausgeprägtesten Anlagen den Ausschlag geben für den auszuübenden Beruf; andere Tätigkeiten werden anders begabten Gliedern der Gesellschaft überlassen, so daß ein kultiviertes Ganzes entsteht: dank der Gesellschaft muss nicht jeder von uns beim Nullpunkt beginnen: dies bedeutet jedoch: »Der Mensch (...) muß seine Schuld an die Gesellschaft abzutragen wenigstens suchen; er muß seinen Platz besetzen; er muß die Vollkommenheit des Geschlechts, das so vieles für ihn gethan hat, auf irgend eine Art höher zu bringen sich wenigstens bestre6 7 8
Bestimmung des Gelehrten, GA I,3; 43. BdG, GA I,3; 44. Ebenda, S. 44.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
255
ben.«9 Die Gesellschaft in ihrer rationalen, arbeitsteiligen Organisation ermöglicht Freiheit und Freizeit; sie soll nach des frühen Fichte Konzept ihren Gliedern erlauben nach je ihren natürlichen und erworbenen Begabungen einen Berufsstand zu wählen, in welchem der Einzelne sich verwirklicht, indem er zugleich für das Wohl des Ganzen tätig ist. Beim späteren Fichte des geschlossenen Handelsstaates etwa ist der Berufsstand Pflicht, doch in der Frühzeit handelt es sich um eine freie Wahl, eine persönliche Entscheidung, welche den Einzelnen zum Bürger der civil society macht: jeder ist verbunden, »seine Bildung auch wirklich anzuwenden zum Vortheil der Gesellschaft. (...) denn eben durch die Arbeit der Gesellschaft ist er in den Stand gesezt worden, sie sich zu erwerben.«10 Es besteht hier eine organische Harmonie von Individualismus und Kommunismus, welcher nicht nur an Leibnizens Harmonie, sondern auch an Adam Smith erinnert: Der Egoismus des Einzelnen ist das Fruchtbare für das Ganze. Fichtes Ideal ist der Weltbürger, welcher sein Wissen und sein Können in den Dienst der Menschheit stellt, der er je von seinem Ort aus dient, auf daß von natürlichen Nöten sie sich emanzipiere und friedliche Zeiten ein gesamthaftes Gedeihen der Wissenschaften mit sich bringen, da nur die Wissenschaften in ihrer moralischen Verantwortung die unwissende, daher auch weitgehend unsittliche Menge zu sich emporzuerziehen vermögen, da auch die die Menge veredelnden Künste des Friedens und des gesamthaften Wohlergehens bedürfen. Fichte träumt von einer Weltgesellschaft, als einer »Verbindung, in der keiner für sich selbst arbeiten kann, ohne für alle andere zu arbeiten, oder für den andern arbeiten, ohne zugleich für sich selbst zu arbeiten – indem der glückliche Fortgang Eines Mitgliedes glücklicher Fortgang für Alle, und der Verlust des Einen Verlust für Alle ist: ein Anblick, der schon durch die Harmonie, die wir in dem allermannichfaltigsten erblicken, uns innig wohltut und unsern Geist mächtig emporhebt. (...) Das Gefühl unserer Würde und unserer Kraft steigt, wenn wir uns sagen, was jeder unter uns sich sagen kann: mein Daseyn ist nicht vergebens und zwecklos; ich bin ein nothwendiges Glied der großen Kette, die von Entwickelung des ersten Menschen zum vollen Bewußtseyn seiner Existenz bis in die Ewigkeit hinausgeht«.11
9 Ebd. BdG, GA I; 3. S. 47 f. 10 GA I,3; 49. 11 GA I,3; 49.
256
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Fichte nimmt hier den Gedanken der philosophia perennis auf und integriert ihn in die Gesamtheit der menschlichen Kultur. Auf dem großen Schachbrett von Raum und Zeit ist jeder Mensch eine intrinsische und als solche notwendige Figur. Auch in diesem Modell scheint das Leibnizsche Harmonie-Modell durch, wenn Fichte hier auch die Freiheit streng wahrt, die Prädetermination ausschließt, außer wo sie durch eigene Begabung gegeben ist. Eines jeden Tätigkeit und Können ist Tätigkeit und Können der Gesellschaft; seine kreative Arbeit führt der Einzelne aus sowohl für sich wie für das Gesamtwohl.
5.3. Die Freiheit des Genius Im Zusammenhang mit den »Pflichten des Gelehrten« las Fichte »Über Geist und Buchstabe in der Philosophie« und lehrte: »man kann nun den Geist beschreiben als ein Vermögen Ideen zum Bewußtseyn zu erheben, Ideale sich vorzustellen; Geistlosigkeit aber als eine Unfähigkeit zur Vorstellung von Idealen«1. Geist entsteht im Kampf des Ich um Freiheit für seine Ideen und sein Schaffen, ist – wie schon Kant wusste – Freiheit der auf das Absolute ausgerichteten Vernunft. Geist, der sich geworden ist, ist innere Freiheit, ist die Freiheit des Reflexions- und Sprachvermögens, ist, wie Fichte in der Frühzeit lehrt, die produktive Einbildungskraft, die erst uns zu einer Welt verhilft: »Geist überhaupt ist das, was man sonst auch produktive Einbildungskraft nennt.«2 »Die produktive Einbildungskraft (...) erschafft den Stoff der Vorstellung, sie ist die einzige Bildnerin dessen, was in unserm empirischen Bewußtseyn vorkommt, sie ist die Schöpferin dieses Bewußtseyns selbst.«3 Auf dem Boden der GWL, die aufgezeigt hatte, wie Gefühle sich aus Limitierungen ergeben, fährt Fichte fort: »die produktive Einbildungskraft läßt demnach sich beschreiben als ein Vermögen Gefühle zum Bewußtseyn zu erheben.«4 Geist entsteht im Kampf, in welchem die Einbildungskraft stets neue Strategien entwickeln, unter Druck neue Bilder entwerfen muss. Geist genießt den Frieden, ist jedoch nicht friedlich. Geist entwickelt sich nicht nur im Kampf gegen ein übermächtiges Nicht-Ich, sondern auch in demjenigen mit den eigenen Trieben, die ich als Nicht-Ich empfinde. Wo Triebstruktur und Vernunft gleichermaßen stark ausgeprägt sind, die praktische Vernunft ihr Gesolltes wahrnehmen will, und gegen 1 2 3 4
GA II,3; 318. GA II,3; 316. Ebd., S. 316. GA II,3; 217317.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
258
die eigenen Triebe ankämpfen musste, um diese zu kanalisieren, da entsteht Geist. Geist ist der Triumph der Freiheit. Gefühle, die im Bewusstsein sind, haben sich von der reinen Triebstruktur losgerissen und lassen nunmehr sich umsetzen in Bilder; je lebendiger die Bilder, je ausgeprägter die Einbildungskraft, desto wacher der Geist, dessen Freiheit Vernunft und Logik umgrenzen müssen. Der Weg zur Freiheit führt über den Geist, der selbst wiederum sich dem Ruf der Freiheit verdankt. Ganze Kulturepochen können geistlos sein, so wie umgekehrt Völker und Menschen Epochen lebendigen Geistes prägen können: genannt sei das Siglo d’Oro in Spanien, das Frankreich von Louis XIV und das der Enzyklopädisten, das 17. Jahrhundert in Holland, genannt seien auch die Denker des Nukleus des Deutschen Idealismus. Geist ist Freiheit, denn er ist Beweglichkeit des besonderen Ich im Allgemeinen. Und die produktive Einbildungskraft, die sein Wesen ausmacht, indem sie den Stoff der Vorstellungen herbeischafft, ist die Schöpferin der Intelligenz. Denn Intelligenz ist die Liebe des Verstehens, und Geist ist undenkbar ohne Liebe zu Gott und zur Kreatur, zum eigenen und fremden Ich als geschaffen durch Gott und als Liebe zur Schöpfung. Das Erhebenste, das einem geistigen Menschen – und Geist in dieser Welt ist nur vorstellbar als verkörpert in einem Leib – widerfahren kann, ist die Begegnung und Wechselwirkung mit einem anderen menschlichen Geist. Denn der ausschließlich auf sich selbst zurückgeworfene Geist verarmt und seine Bilder verlieren an Farbe, da das Ich kraft Natur zum Nicht-Ich strebt: wo er nicht auf seinesgleichen stößt, riskiert er, in sich zu verfallen. In der Wechselwirkung von Geist zu Geist findet das Ich Veranlassung, »die in ihm liegenden geistigen Ideen durch eigne Thätigkeit, aus sich selbst zu entwickeln.«5 Eine Harmonie zwischen Gesprächspartnern, zwischen Vortragendem und Hörer entsteht, wenn der Hörende nicht nur die Worte und einen fremden Sinn versteht, sondern wenn seine Ideen sich denen des Sprechenden angleichen, er nunmehr mit dem inneren Sinn hört.6 Ein Gespräch von Geist zu Geist bedeutet so eine ins Dasein gehobene neue Freiheit: So müssen im Akt des Portraitierens auch Tizian und der Aretino empfunden haben. Jegliches Nicht-Ich ist ein mich in eins behindernder, in eins ermöglichender Limes. Das absolute Nicht-Ich ist für mich der Andere, das alter Ego. Denn hier stößt mein Denken, als Reflexion ermöglicht durch das Stossen auf Nicht-Ich, auf ein fremdes Denken mit einem Zentrum, 5 6
GA II,3; 319 f. GA II,3; 320.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
259
das nie ich sein oder sehen kann. Hier ist nicht Kausalität, hier ist bloß Wechselwirkung möglich. Zugrunde liegt dem das Gefühl. Schon Shaftesbury hatte das Gefühl als unterste Reflexionsstufe erkannt, und auch bei Fichte hat es kognitivistischen Charakter: es ist die unabdingbare unterste Erkenntnisstufe, die als solche noch unbewußte Vorstufe der Freiheit: »Das Gefühl muß aufgehellt, u. entwickelt; es muß durch die Urtheilskraft gesondert, u. bestimmt werden. Sein Gefühl zum deutlichen Bewußtseyn erheben, ist Geist: sich auf sein bloßes Gefühl als auf einen Beweiß berufen, ist Geistlosigkeit.«7 Das Gefühl muss von der Einbildungskraft in die Vernunft gehoben, muss mit Verstand durchdrungen werden, auf daß es Erkenntniswerkzeug werde. Wo Menschen gefühlsarm sind, da fehlt es der Einbildungskraft an Stoff für Vorstellungen: wo die Gefühle überborden, vermag der Verstand nicht mehr, ihrer Herr zu werden, wird die Vernunft geschwächt, der Geist zerquetscht. Hingegen wird die von richtigem Fühlen getragene Vernunft praktisch und strebt, die Welt sich gleich zu machen. Ohne Geist als Reich der Ideen und ohne Harmonie der Seelenkräfte ist auch kein sittliches Wollen möglich. Geist ist Freiheit und Harmonie des in sich stimmigen Wollens. Der als Urteilskraft tätige Verstand evaluiert den Charakter der Gefühle, ob er sie zulassen, sich entwickeln lassen oder von ihnen abstrahieren will. Die Urteilskraft bestimmt, was der Vernunft förderlich sei und ist so – wie schon Kant ausführte, als er von Mutterwitz sprach8 – die Voraussetzung von Geist und Witz, von Urteilen über das Gute und das Schöne, so aber auch die eines in sich stimmigen Wollens. Derjenige hat Geist und ist im Geist, welcher sein in dieser Welt Gesolltes freiwillig auf sich nimmt und der auf vernünftige Andeterminationen eingeht, wo sein Weg im wesentlichen festliegt. Der ursprüngliche Aufruf hat das Vernunftwesen zu sich selbst gebracht. Doch auf daß es sich weiterentfalte auf dem Weg zur Verwirklichung der Vernunft, mehr und umfassender Welt in sich aufnehme, um auf sichereren Wegen eigenständig zu denken, bedarf es auf seinem Weg stets neu der Andetermination durch andere Vernunftwesen. Nur Geist vermag Geist zu erfassen, und Vernunft erblüht erst da wahrhaft, wo sie auf andere Vernunft stößt. Der Anachoret bewahrt seinen Glauben, aber er verfällt toten Gefühlen, während er seine Vernunft erstickt und mit der Sozialität auch die Sittlichkeit aufhebt. Denn Vernunft bedarf ebenso des 7 GA II,3; 337. 8 Kant, Immanuel: KdrV, A 133, B, 172: »Urteilskraft aber ein besonderes Talent sei, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will. Daher ist diese auch das Spezifische des sogenannten Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule ersetzen kann«. WeischedelWerkausgabe 1968, Bd. 3, S. 184.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
260
Spannungsfeldes der Interpersonalität wie Recht und Sittlichkeit. Am offensichtlichsten ist die Interpersonalitätsstruktur des Rechts: »Objekt des Rechtsbegriffes (ist – KVT) eine Gemeinschaft zwischen freien Wesen als solchen.«9 Nie wurde daran gezweifelt, daß Recht Interpersonalität voraussetze; doch dasselbe gilt auch von der Sittlichkeit. Fichte trennt zwar in der GNR von 1796 streng zwischen Recht und Sittlichkeit, setzt in seinem Natur-, bzw. Vernunftstaat jedoch den Rechtsstaat voraus, was in anderen Worten heißt, daß ganz selbstverständlich das Recht von der Sittlichkeit getragen wird. Wolfgang Schrader hat darauf hingewiesen, wie der ganz frühe Fichte der Konzeption des Rechts die von jenem getrennte Sittlichkeit unterlegt10. Gemeinsam mit der Freiheit ist auch Sittlichkeit ein interpersonaler Begriff: Dem einzigen Überlebenden eines Neutronenbombenkrieges wäre auch alles erlaubt, da er niemandes Sphäre beeinträchtigen könnte. Sittlichkeit als Begriff für moralitas seit dem 16. Jahrhundert11 steht für Individualisierung der Sitte, als welche man die Bräuche, »das, was sich gehört«, innerhalb einer Personengruppe oder eines Staates zu bezeichnen pflegte. Ist Recht erforderlich, so ist Sittlichkeit einzig möglich, wo Menschen in Freiheit leben und interagieren. Ein absolut isolierter, von jeglicher Menschheit abgeschnittener Mensch kann klug, aber er kann weder vernünftig noch sittlich sein. Er ist auch nicht frei, denn auch Freiheit ist interpersonal, das Ich verdankt sie dem Du, das sie anerkennt, wenn es sie auch nicht begründet. Sie ist wesentlicher Bestandteil der civil society, der Gemeinschaft der Bürger gegenüber dem Staat, setzt den Geselligkeits- und den Mitteilungstrieb voraus. Verkörpert der künstlerische Genius ein Höchstmaß an Freiheit und selbstverantwortlicher Disziplin, so ist sein Werk, dem die Aura der Freiheit eignet, als solches zu achten und zu respektieren. Fichte sieht im Kunstwerk ein Bildungsmittel für die Menge, die im Gange der Zeit zu ihm aufsteigt, und angesichts seiner des Höheren sich bewusst wird. Der wahre Künstler ist Erzieher; denn er bildet den Geschmack der Öffentlichkeit und damit auch deren Gefühle und trägt die in den Tag hinein lebende Menge in eine mögliche Zukunft. So spricht Fichte dem Künstler eine der des Volkslehrers und des Gelehrten analoge Bedeutung für die Bildung des Menschengeschlechts zu,12 zumal Kunst geeignet ist, den Rezipienten als ganzen Menschen – nicht einseitig Verstand oder Moralität –
9 10 11 12
GA I,3; 320. W. Schrader: Recht und Sittlichkeit, in PhJb 80, 1973, S. 50. Wörterbuch der Gebrüder Grimm, Bd. 16, München 1984, 1238 ff., insb. 1243.. GA I,5; 307.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
261
zu bilden und zu erheben.13 Fichte sieht Kunst als Werkzeug zur Veredelung des Menschengeschlechts: Nicht nur der schaffende Künstler wirkt aus Freiheit, sondern das Kunstwerk wirkt befreiend auch auf den Rezipienten. Als noch wichtiger für das Menschengeschlecht denn der Künstler gilt Fichten der Gelehrte: denn indem die Wissenschaften ermöglichen, die Natur zu bändigen und zu beherrschen, erleichtern und verbessern sie das Leben der Menschheit; die Natur wird von Fichte noch als die Kraft gefürchtet und begriffen, welche am ehesten menschlichen Fleiß und Arbeit und Vertrauen in das Leben zu gefährden und zu vernichten geeignet ist. Noch gilt sie in christlicher Tradition als der Feind des Menschen und noch auch ist das Erdbeben von Lissabon nicht vergessen. Gott ist des Menschen Verantwortung. Der Mensch ist des Menschen Freiheit. Der Mensch welcher wirkt, und indem er seine Gesichte verwirklicht, in Sinnenwelt und Gesellschaft wirkt, braucht die Resonanz anderer Vernunft, anderen Geistes, um angesichts seines Schaffens und Denkens eine gewisse Garantie der Richtigkeit des eigenen Weges zu haben. Auch darf er nicht vergessen, dass er schaffend anknüpft an Geschaffenes; denn ohne das Volk, in dessen Mitte er sich gebildet hat und seine ersten Vorbilder fand, wäre ihm auch das eigene Gestalten von Welt unmöglich. Der Geist des Rezipienten ist in einem ersten Anlauf bloß imstande, eine Veränderung der Sinnenwelt wahrzunehmen, denn Geist vermag nicht unmittelbar auf Geist zu wirken: Es bedarf der Vermittlung über den Leib und so der körperlichen Materie, in welche der Schaffende seine Gesichte eingebildet hat, damit der Rezipierende erfasse, daß Neues, bisher nicht Dagewesenes Eingang in die Welt gefunden hat. Wie die Transzendenz sich darstellt in Geist, Tier und Blume, so findet der Mensch den Zugang zum absoluten Geist in den Erfindungen der Musik und Poesie und dem Finden der Mathematik, seit Ende der Auftragskunst und des Entlassens des Künstlers in die Bohème auch in der bildenden Kunst, so wie er bis anhin schon die Atmosphäre des Absoluten in den darstellenden Künsten liebte, sucht er den Weg im geschriebenen Wort, welches Sprache erst wirklich ermöglicht, indem es sie fixiert. So wie das Transzendente kraft seiner Natur Schöpfung ist, so kann der Mensch kraft seines Geistes, welcher dem Transzendenten sich verdankt, in seiner Sphäre schöpferisch sein. Und dies Schöpfertum aus dem Geist der Liebe ist die absolute Freiheit des Menschen. In der WL 1811 wird Fichte schreiben: »Sogar die höchste Ausbildung der Fertigkeit und des 13 Ebenda, S. 307.
262
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Sinnes innerhalb der Verstandeswelt, ist nichts, und hat ihr Ziel nicht erreicht, wenn es dadurch nicht zur Entwicklung übersinnlicher Gesichte gekommen ist; das bloße Auffaßen im Gedächtniße aber ist noch weniger denn Nichts«.14 Es sieht aus, als hätte Fichte – so wie nach ihm Nietzsche – eine Künstler-Metaphysik entworfen, aus der Einsicht heraus, dass nur der wirklich geniale Mensch auch der Sittlichkeit fähig sei, wobei Zweck Nietzsches der Schaffende, Zweck Fichtes die Sittlichkeit ist.15 Nicht umsonst hat Fichte die Dichterphilosophen der Romantik und der Klassik angesprochen wie sonst keiner.
14 GA II,12; 343 15 Vgl. Marco Ivaldo in: Philosophische Untersuchungen über die Gegenwärtigkeit einiger Traditionen, Marek. J. Siemek zum 60. Geburtstag, hrsg. von Roberta Marsalka und Ewy Nowak-Juchacz, Warschau 2002, S. 101-116, Ethik der Inkarnation in J.G. Fichtes Vorlesungen über die Sittenlehre 1812, insb. S. 110: »Im absoluten Sollen als Erscheinung der sittlichen Idee wird die Freiheit des Ich unmittelbar mit-enthalten und gefordert. Das sittliche Ich kommt zu sich selbst nur dann, wenn es durch das ethische Gesicht ergriffen wird; das erfolgt aber von der Seite des Ich immer als ein freies Sichhingeben.« Das ethische Gesicht jedoch hat statt in der Tat und primär in der schöpferischen Tat, in deren Gesicht.
5.4. Die Freiheit der Einbildungskraft Indem sie produziert, trennt, unterscheidet und eint, regelt die produzierende Einbildungskraft die Abfolge der Bilder in unserem Bewusstsein. Als Gedächtnis fungiert die reproduzierende Einbildungskraft, indem sie die Bilder festhält, bis die Bildungskraft deren neue produziert hat und darüber hinaus sie im Verstande fixiert, so dass auch vergangene Bilder für den Verstand disponibel bleiben. Im Aktus des Hinbildens konstituiert uns die Einbildungskraft die Zeit, indem sie das Bild so lange festhält, bis ein anderes unser Bewusstsein erfüllt: »Dieses Schweben der Einbildungskraft zwischen unvereinbaren, dieser Widerstreit derselben mit sich selbst ist es, welcher (...) den Zustand des Ich in demselben zu einem ZeitMomente ausdehnt.«1 Die Zeit aber ist der offene Horizont, dessen die Freiheit der Anschauung und des Wollens bedürfen; die Einbildungskraft öffnet uns so eine Zukunft geistigen Lebens. Erst die dem Vorstellen zugrunde liegende Einbildungskraft ermöglicht das Wollen der praktischen Vernunft. Der Zweckbegriff verdankt sich der Einbildungskraft, die vermittelnd nicht nur Subjekt und Objektwelt, sondern auch Denken und Wollen eint und die Einheit des Bewusstseins in der intellektuellen Anschauung konstruiert. Um frei und so gesetzgebend zu sein, bedarf die Vernunft der Handlungsmöglichkeiten entwerfenden Einbildungskraft. So formuliert denn auch Fichte 1797/98: »Auf der Freiheit der Einbildungskraft (...) beruht alle Geistesfreiheit: alles Selbstdenken.«2 Die Einbildungskraft ist das freie Vermögen, unterschiedliche Handlungsverläufe zur Verwirklichung des Zweckbegriffs zu entwerfen und durchzuspielen. Wolfgang Janke verweist auf den »zeitbildenden
1 2
GA I,2; 360. Vorlesungen über Platners Aphorismen, GA II,4; 114.
264
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
bzw. idealbildenden Charakter der Einbildungskraft.«3 Daß die Einbildungskraft nicht ins Leere phantasiert, und daß ihre Welt eine wirkliche oder zu verwirklichende ist, verdankt sich dem Umstand, dass die prüfende Vernunft den Geboten der Besonnenheit und des Sittengesetzes untersteht. So schreibt denn auch Fichte hinsichtlich der Tätigkeit der Einbildungskraft und der Rolle der Vernunft: »Lange, d. i. länger als einen Moment (...) hält die Einbildungskraft dies nicht aus; die Vernunft tritt ins Mittel, (wodurch eine Reflexion entsteht) und bestimmt dieselbe, B. in das bestimmte A. (das Subjekt) aufzunehmen.«4 Die Freiheit unter dem Sittengesetz und dem jedem Ich als solchem gegebenen Soll gibt der Gegenständigkeit einer Welt, die unserem an das Gesetz gebundenen Wollen widerstrebt, erst den Charakter einer Realität, an die als solche zu glauben ist, und die es dem strebenden Ich zu assimilieren gilt. Das Ich, das als Ich nach Absolutheit strebt, strebt als Geist danach, stets mehr Welt in sich aufzunehmen und dem eigenen sittlichen Wollen anzugleichen; an der Widerständigkeit des Nicht-Ich erfährt es sich als endlich; aber in eins erlebt und erfährt es auch seine Kraft und sein zur Freiheit bestimmtes Sein. Das Kräftespiel mit dem Nicht-Ich wird dem Ich zum Freiheitserlebnis, da es unter dem Gebot des eigens von ihm Gesollten kämpft, sich als individuell bestimmtes Werkzeug des Sittengesetzes weiß in Anerkennung anderer Iche mit anderen, von der eigenen divergierenden Aufgaben: »Kraftgefühl ist das Prinzip alles Lebens; ist der Übergang vom Tode zum Leben,« lehrt Fichte in der GWL, quasi in Vorwegnahme Nietzsches.5 Wir wissen um unsere transzendentale Freiheit, weil wir unsere empirische Freiheit je schon erlebt und reflektiert haben. Und wie vor allem der späte Fichte betonen wird, liegt in unserer Reflexion, deren wir in der intellektuellen Anschauung uns gewiß sind, das Wesen der Freiheit.6 Intellektuelle Anschauung und Einbildungskraft finden im kreativen Men3 W. Janke: »Das wunderbare Vermögen der Einbildungskraft«, in: Bilder der Philosophie, hrsg. von R.Heinrich und H. Vetter, S. 223-241, hier S. 227. (Satz von KVT umgestellt), Wien 1991. 4 GA I,2; 360f. 5 GA I,2; 425. W. H. Schrader schreibt in: Empirisches und absolutes Ich, insb. S. 62: »Kraftgefühl« ist daher die unmittelbare Darstellung des mit sich in Wechselwirkung stehenden Ich im Leben und als ein sich realisierendes Leben.« 6 Es scheint hier sich eine Entwicklung und Verschiebung in Fichtes Einstellung zu praktischer Vernunft und Reflexibilität ereignet zu haben. Als hätte im Laufe der Jahre sich für Fichte eine Schwerpunktänderung von äußerem zu innerem Tun sich ergeben: Vom anschauenden Handeln in die Sinnenwelt zum begrifflichen Erfassen und Bewältigen der objektiven Welt durch den Verstand.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
265
schen sich vereinigt, sie sind Voraussetzung seines philosophischen, künstlerischen, technischen Handelns.7 Einbildungskraft trennt und vereinigt in Freiheit Ich und NichtIch.8 Mein reines Ich erweist sich im Abstraktionsprozeß vom Nicht-Ich als ein minimes, schwaches Gefühl. Um zu sein, um sich und ein Selbst zu sein, bedarf das Ich des Nicht-Ich. In der Einbildungskraft bildet das Ich sich ein Nicht-Ich hin, welches ihm sein Handeln und sein Sein erst ermöglicht. In der Einbildungskraft, so wie im Wollen sie sich ausdrückt, findet das Ich sich selbst als Freiheit, und zwar als je meine, je deine, je eines Dritten individuelle Freiheit. Nur indem das Ich sich in der Selbstvergegenwärtigung stets schon ein bestimmtes Nicht-Ich entgegensetzt, dessen als in seinem Bewusstsein seiend es sich bewusst ist, vermag es ein Selbstbewusstsein zu sein.9 Die Einbildungskraft ist das zentrale Vermögen, über welches das Ich sich und seine Welt formt; sie »schwebt über-
7
Vgl. Bernward Loheide: Artistisches Fichtisieren, in: Fichte-Studien Bd.19, S.
115f. 8 In seiner Analyse der Einbildungskraft in der GWL schildert W.. Janke, wie diese »in die Mitte der Grundlegung springt« (Satz von KVT umgestellt). Op.cit. S. 225.»Die Aufgabe war die, die entgegengesezten, Ich und Nicht-Ich zu vereinigen. Durch die Einbildungskraft, welche widersprechendes vereinigt, können sie vollkommen vereinigt werden.« (GA I,2; 361). »Das Wunder der Versöhnung geschieht mit dem Eingreifen der Einbildungskraft«, konstatiert W. Janke. Ebd. S. 225. 9 So schreibt schon Kant in einer Anmerkung der »Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik«, Werkausgabe Weischedel, Bd.3, S. 205 (A136): »Wäre die Vorstellung der Apperzeption, das Ich, ein Begriff, wodurch irgend etwas gedacht würde, so würde es auch als Prädikat von andern Dingen gebraucht werden können, oder solche Prädikate in sich enthalten. Nun ist es nichts mehr als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidentis) steht.« Fichte selbst demonstriert ein Gedankenexperiment: »So wie eben die Möglichkeit deducirt wurde, von allem bestimmten Objekte = A zu abstrahiren, so wird hier die Möglichkeit postulirt, von allem Objekte überhaupt zu abstrahiren (...).(Die dunkle Vorstellung des Gedankens von einem bloßen Verhältnisse, ohne Glieder desselben, ist so etwas.) Bleibt demnach nichts übrig, als überhaupt die bloße Regel der Vernunft, zu abstrahiren, das bloße Gesez einer nicht zu realisierenden Bestimmung (durch Einbildungskraft, und Verstand für das deutliche Bewußtseyn) – und jenes absolute Abstraktionsvermögen ist mithin selbst die Vernunft.« GA I,2; 382. Zum Ich und Welt konstituierenden Vermögen der Einbildungskraft führt Fichte ebenfalls in der GWL aus: »Das Nicht-Ich ist selbst ein Produkt des sich selbst bestimmenden Ich, und gar nichts absolutes, und ausser dem Ich Geseztes. Ein Ich, das sich sezt als sich selbst setzend, oder ein Subjekt ist nicht möglich ohne ein auf die beschriebene Art hervorgebrachtes Objekt (die Bestimmung des Ich, seine Reflexion über sich selbst, als ein bestimmtes ist nur unter der Bedingung möglich, daß es sich selbst durch ein entgegengeseztes begrenze.)« GA I,2; 361. In ihrem Schweben über Opposita gestaltet die Einbildungskraft das Subjekt, indem sie es als Vernunft und Leib in Welt einbettet, und zwar in je seine, gefühlte Welt. Kann einzig ein Subjekt frei sein, so verdanken sich Ich und dessen Freiheit der Einbildungskraft. Und je mehr Nicht-Ich das besonnene Ich in sich aufnimmt und in sein Bewusstsein intergriert, desto klarer und luzider ist sein Selbstbewusstsein.
266
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
haupt zwischen Objekt und Nicht-Objekt, kraft ihres Wesens.«10 Die Einbildungskraft, welche dem erlebenden Ich eine Welt hinbildet, bestimmt neben dem sie fixierenden Verstand den Freiheitsradius des Ich. Einbildungskraft ist gebundene Phantasie, äußerlich spielend mit den Gegebenheiten von Natur und Umwelt, innerlich bestimmt durch die praktische Vernunft, nach deren Erkenntnisinteresse sie sich richtet. Unser In-derWelt-Sein sehen wir mit unserer Einbildungskraft, welche beim späten Fichte zur Welt hinschauenden und für uns erschaffenden Bildungskraft wird: denn unser Schauen stößt auf den Limes einer Objektwelt, so dass die Bildungskraft tätig wird und uns diese Objektwelt für uns gestaltet. Sie ist die Freiheit, mit welcher wir Welt gestalten, indem wir leben und erleben und unser Leben reflektieren. Erfahrung wird von uns mit Hilfe der Einbildungskraft verarbeitet, assimiliert oder ausgestoßen, seien dies Erfahrungen des Gemüts oder des Denkens. Einbildungskraft ist die Form, in welcher das Bewusstsein als Freiheit arbeitet und existiert. Heute ist es die Frage weitgehend persönlicher Weisheit, ob man alles und jedes überhaupt wissen will, das man wissen könnte – aber auch hier entscheidet unter der Ägide der Einbildungskraft die praktische Vernunft. Selbst heute können wir noch weitgehend mit Freiheit entscheiden, was wir zur Kenntnis nehmen wollen, und was angesichts des Wollens unserer subjektiven Vernunft bloß vom Wesentlichen abhaltender Ballast wäre. Und auch diese Entscheidung treffen wir mit der Vorstellungskraft, der gebändigten Einbildungskraft. – Losgelassen, wird die Einbildungskraft zur Phantasie, gebändigt, zur Vorstellungskraft. So führt denn Fichte 1794/95 in den Platner-Vorlesungen aus: »1). Das Bild ist entweder hervorgebracht zu Folge eines Gefühls; um daßelbe zu erklären; u. es soll ihm ein Gegenstand außer uns correspondiren –. Ein Bild der Sinne. 2) oder es ist ohne alles Gefühl durch freie Thätigkeit, u. ohne, daß ihm etwas correspondiren soll, hervorgebracht. Vorstellung der Phantasie.«
Phantasie ist Einbildungskraft am lockeren Zügel. Dem Schaffenden unentbehrlich, degeneriert sie beim Alltagsmenschen gern ins Krankhafte oder Platte – hier ist sie nicht Freiheit, sondern Humus für Hirngespinste. So beschließt Fichte die Einleitung zur Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/02 mit den Worten: »dass man es aber in der Wissenschaft, zumal in der höchsten, der speculativen, zu etwas Bedeutendem bringe, dazu bedarf es einer bis zur absoluten Freiheit geübten Kunst der Besin10 Ebenda, GA I,2; 382.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
267
nung, und der erworbenen Unmöglichkeit, jemals vom Strome der blinden Einbildungskraft gefasst zu werden.«11 Je lebhafter die Einbildungskraft, umso mehr bedarf sie der Nüchternheit des Verstandes, der Kontrolle durch die Vernunft und Logik. In § 346 der Platner-Vorlesungen steht zu lesen: »Fähigkeit zu einer Wissenschaft haben, heisst nichts anders als die Art der Einbildungskraft besitzen, welche zu dieser Wissenschaft erfordert wird; d.i. sich vorzüglich deutliche und lebhafte Vorstellungen von den Dingen machen, welche Gegenstand derselben sind.«12 Es ist dies, was man als Talent oder Begabung bezeichnet, ein Feld haben, worin man sich frei entfalten kann, der Gesellschaft nützlich ist, indem man in eins die eigene Freiheit verwirklicht, was Konzentration auf das Wesentliche in Form der Urteilskraft verlangt. Im Idealfall ergänzen sich im Rahmen der Gesellschaft unterschiedliche Begabungen zu einem harmonischen Ganzen. In der GWL präzisiert Fichte, daß »das ganze Geschäft des menschlichen Geistes von der Einbildungskraft ausgeht«: »Von diesem Vermögen hängt es ab, ob man mit, oder ohne Geist philosophire. Die Wissenschaftslehre ist von der Art, daß sie durch den blossen Buchstaben gar nicht, sondern daß sie lediglich durch den Geist sich mittheilen lässt; weil ihre Grundideen in jedem, der sie studirt durch die schaffende Einbildungskraft selbst hervorgebracht werden müssen«
und nur dem Geist Metaphysik als Einheit von Vernunft, Freiheit, Wissen, Sittlichkeit, Gott zugänglich ist.13 In welchem Maße ein Mensch frei zu sein vermag, hängt primär ab von seiner Intelligenz, und d. h. dem Vorstellungsvermögen seiner Einbildungskraft. In begrenztem Masse ist jeglicher Mensch als zur Freiheit bestimmt zu verstehen, und so hebt Fichte hervor, dass die »schaffende(n) Einbildungskraft (...) ganz gewiß allen Menschen zu Theil geworden (sei – KVT), denn ohne sie hätten dieselben auch nicht eine einzige Vorstellung.«14 Wo sie aber nur eine einzige Vorstellung haben, nicht mit Möglichkeiten spielen, grassiert der Fanatismus. Schon Kant sah in der Einbildungskraft den Fokus jeglicher Erkenntnis: »so ist die transzendentale Einheit der Synthesis der Einbildungskraft die reine Form aller möglichen Erkenntnis, durch welche mit11 12 13 14
GA II,6; 133. GA II,4S; 87. GA I,2; 415 GA I,2; 414 f.
268
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
hin alle Gegenstände möglicher Erfahrung a priori vorgestellt werden müssen«.15 Kant supponiert, dass die Einbildungskraft die gemeinsame Wurzel der Erkenntnisvermögen sei: »Beide äußerste Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen vermittelst dieser transzendentalen Funktion der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen.«16 Auf die Problematik der bei seinen Nachfolgern umstrittenen Einbildungskraft bei Kant verweist Giannino V. di Tommaso.17 Auf Grund von Kants eigenen Worten dünkt es sinnwidrig, dem Künstler schöpferische Einbildungskraft und Genie zuzubilligen, nicht jedoch dem Philosophen oder gar dem Wissenschaftler; denn an einer weiteren Stelle führt Kant aus: »Nur so viel scheint zur Einleitung, oder Vorerinnerung, nötig zu sein, dass es zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis gebe, die vielleicht aus einer gemeinsamen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand.«18 Doch sieht Fichte richtig, wenn er feststellt, dass, was die Schönheit für den Künstler, das bedeute die Idee der Wahrheit für den Philosophen. Max Wundt legt in seinen Fichte-Forschungen dar: »Die Produktivität des Bewusstseins steht im Mittelpunkt seiner ganzen Gedankenbildung. Es ist eine Erneuerung des alten Leibniz’schen Gedankens, nach dem nichts in das Bewußtsein von außen hineinkommen kann, sondern alles in eigener Tat und Schöpferkraft hervorgebracht wird.«19 Nüchternheit, Besonnenheit und Regelverhalten sind Eigenschaften der Vernunft, und sie eignen dem Wissenschaftler, dem Philosophen, dem Künstler. Schon Kant verwies auf die Regelgebundenheit der schöpferischen Einbildungskraft des Künstlers; diejenige des Philosophen muss diszipliniert sein, die des Wissenschaftlers in der Schwebe zwischen Neugierde und Skepsis. Stets muss die Einbildungskraft durch kühle Vernunft »im Zaume« gehalten werden.20 Max Wundt rückt zurecht: »Kant, der in aller abstrakten Formulierung doch einen Geniebegriff geschaffen hatte, welcher dem des Sturmes und Dranges nicht ganz unähnlich war, hatte sein Wirken sorgsam auf die künstlerische Leistung eingeschränkt und die Notwendigkeit des Genies für die Wissenschaft ausdrücklich abgelehnt, 15 Kant, I.: KdrV A 124, Riga 1781. Weischedel-Werkausgabe 1956, Bd. II, S. 179. 16 Kant, I.: KdrV A 124, Riga 1781. Ebenda. 17 G. V. di Tommaso: L’immaginazione trascendentale nel primo Fichte, in: Il pensiero. Rivista di filosofia, Vol. 26, 1985, S. 71-95, insb. S. 72 ff. 18 KdrV, B 29, Riga 1787. 19 Wundt, M.: Fichte-Forschungen, S. 54, Stuttgart 1929. 20 Über den Unterschied des Geists zum Buchstaben, 2. Vorlesung, GA II,3; 324. Vgl. G. V. di Tommaso, op.cit. S. 76 f. und Juan Cruz Cruz: Das Genie. Ethik und Aesthetik bei Fichte, in: TrS 1989, S. 117-132. Beide Autoren verweisen auf die Divergenz von Fichte und von Kants KdU § 47.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
269
weil hier alles durch bloße logische Verstandesleistung auszumachen sei.«21 Di Tommaso verweist hinsichtlich des dunklen Tappens des suchenden Philosophen wie es Fichte in seiner Begriffsschrift schildert, auf Kants Künstlergenie, übersieht jedoch, daß Kant – wie nach ihm Fichte – dies Bild von Leibniz hat. Und so führt Wundt zu Recht aus: »Erst im Sturm und Drang ist der Gedanke des Unbewussten, den schon Leibniz gewonnen hatte, wieder ganz zu seinem Rechte gekommen.«22 Einbildungskraft ist Welt und Ich gestaltend und so die Wurzel schaffender Freiheit. Produzierende und reproduzierende Einbildungskraft – letztere in Form des Gedächtnisses – ergänzen einander; denn um vom Augenblicklichen frei zu sein, muss der Mensch aus seiner eigenen und allgemein historischer Vergangenheit in die Zukunft projizieren können, die Gegenwart kraft des Wissens um die Vergangenheit richtig einschätzen können. Selbsterfahrung und somit ein richtiges Einschätzen der Lage erfordert neben Vorstellungskraft auch die Kraft der Erinnerung, die in eins reproduktiv und produktiv ist. In die eigene Person integriertes Wissen nennt man Bildung, und diese ist Pflicht, denn Wissen erweitert den Handlungsspielraum. So sind beide Varianten der Einbildungskraft Garanten möglicher Freiheit, die zu ergreifen dem Menschen Pflicht ist, da Freiheit die Voraussetzung der Möglichkeit sittlichen Handelns ist sowie der Gotteserkenntnis.23 Denn Religiosität aus Schwäche, weil man gegen die Übel der Welt und auf Grund der eigenen Mängel einen Gott nötig hat, ist wertlos. Auch das Bestehende in seiner Schönheit als Chiffren der Transzendenz zu betrachten, ist zwar Indiz für das Sein eines schaffenden Absoluten, doch könnte die Schönheit von Natur auf rein evolutionärer Selbstdarstellung beruhen. Unerklärbar auf Grund der natürlichen Evolution ist jedoch das Phänomen menschlichen Wissens und Schaffens, und ein Mehr an Kenntnissen im Felde der Evolution und um das Wesen des schaffenden Menschen muss erst recht zur vernünftigen Einsicht in das Ursprungsein eines Absoluten führen. Die Welt konstituierende Einbildungskraft hat in Philosophien und Mythen früh die sich als Wunder in Natur empfindenden Völker und einzelne ihrer Vertreter die nach dem eigenen Wunder als je einzig denkbaren Gottheiten im Bild entwerfen lassen. Nicht nur eigene Schwäche, sondern vielmehr das unerklärbare Gefühl eigener Stärke ruft nach der Hypothese eines Absoluten. Die griechi21 Wundt, M. op. cit. S. 53. 22 Wundt, M., op. cit. S. 57. 23 Zu Recht verweist di Tommaso auf die Entwicklung des Begriffs der Einbildungskraft von Kant zu Fichte: von zwischen den Vermögen vermittelnd, wird sie schöpferisch. Op.cit. S. 74 f.
270
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
schen Götter sind nicht bloß anthropomorph, sondern darüber hinaus verkörpern sie – über ihr Vergehen hinaus – grundlegende Seinsstrukturen menschlichen Daseins. Je nach ihren Lebensbedingungen haben die Völker Bilder des Einen Absoluten entworfen, um welches ihre Vernunft wusste, ohne dass Ihre Einbildungskraft im Bilden der Gottheit andere Schemata gehabt hätte, als diejenigen, die ihr jeweiliges Zusammenleben prägten, auf dieses wiederum prägend wirkten. Die frühen Höhlenmalereien bannten das Sein und Umfeld des Menschen in Bild und Wort, die Gaben der Gottheit. Heute, da der big bang sich wissenschaftlich nachweisen lässt, können wir vom Stande des modernen Wissens aus von der Autokreation der göttlichen Geistmaterie aus dem Nichts und dem Urlicht wissen. Der erste Ton, das erste Wort, der ursprüngliche Logos lässt im kosmischen Rauschen sich noch vernehmen und bezeugt der Einbildungskraft das im Sich-Erschaffen und Sich-Explodieren Welt schaffende Absolute. Wenn die Einbildungskraft die Fähigkeit ist, Entgegengesetzte zu verbinden, muss dies Absolute sein. Weil im denkenden Ich selbst Entgegengesetzte – nämlich Geist und Leib – untrennbar verbunden sind, so muss sie auch das ewige Sein der im Nichts wesenden und aus dem Nichts sich kontrahierenden und ins nunmehr totale Nichts sich explodierenden Gottheit vorstellen können. Die nicht schwärmerische, sondern vernunftgebundene Einbildungskraft ist das Verbindungsglied des Ich zum Absoluten. Damit die Einbildungskraft schöpferisch sein, beim Vernunftgründe abwägenden Menschen Handlungsstrategien oder auch künstlerisches Vorgehen sinnhaft entwerfen kann, bedarf es der Bildung. So erläutert Fichte im »Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution«: »niemand wird cultivirt, sondern jeder hat sich selbst zu cultiviren. Alles bloß leidende Verhalten ist das gerade Gegentheil der Cultur; Bildung geschieht durch Selbstthätigkeit, und zweckt auf Selbstthätigkeit ab. Kein Plan der Cultur kann also so angelegt werden, dass seine Erreichung nothwendig sey; er wirkt auf Freiheit, und hängt vom Gebrauche der Freiheit ab.«24
Bildung (Formierung) bedeutet größere Selbst- und Weltkenntnis und ist ein wesentlicher Weg zu innerer und äußerer Freiheit. Man kann einem Schüler den Wunsch nach Bildung nahe bringen, aber man kann niemandem Bildung ein- und aufoktroyieren: man kann bloß Jugendliche zur Bil24 GA I,1; 244.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
271
dung andeterminieren. Es ist der Wunsch, nach eigener Vernunfteinsicht zu handeln, welcher dem Bedürfnis nach Bildung zugrunde liegt.25 Verantwortlich für die Gesamtentwicklung der Menschheit ist in erster Linie der Gelehrte: dank seiner Bildung, welche die Einbildungskraft und den Trieb kanalisiert, genießt er eine größere innere Freiheit als die übrigen Menschen: »Der Gelehrte ist ganz vorzüglich für die Gesellschaft bestimmt: er ist, insofern er Gelehrter ist, mehr als irgend ein Stand, ganz eigentlich nur durch die Gesellschaft und für die Gesellschaft da.«26 Der Gelehrte verdankt der Gesellschaft und deren Entwicklungsstand seine Bildungsmöglichkeiten und ist ihr verantwortlich dafür, wie er für deren Gedeihen seine Fähigkeiten einsetzt: »der Gelehrte ist der Lehrer des Menschengeschlechts.«27 Seine Freiheit ist das Wahrnehmen seiner Verantwortung. Und hierzu bedarf es der Entschlossenheit und der Vorstellungskraft, des Wissens, wo Toleranz und wo Kritik oder ein schlichtes »Njet« vonnöten und des Wissens, wie das eigene Leben, es heiligend, zu führen sei. Unmittelbar nach dem Gelehrten, kommt in Fichtes Hierarchie der Künstler, welcher durch sein Werk auf die Menge wirkt und in seiner Kompromißlosigkeit diese zu sich und so zu mehr Bildung und Sittlichkeit emporzieht, wenn sein unmittelbares Ziel auch nicht die Bildung des Menschengeschlechts, sondern die Verwirklichung der eigenen Gesichte ist. Noch weniger als der Gelehrte, welchem die Gedanken kommen, wenn er denkend sich bemüht, ist der Künstler frei: Er ist nicht frei, sondern er ist in der Freiheit, in welche das Absolute ihn eingebannt hat, indem er Werkzeug ist des Absoluten: Nicht er denkt, sondern das Denken denkt sich in ihm, nicht er schafft, sondern das Werk bedient sich seiner, um geboren zu werden: »Er muss nie fragen: was wird hieraus folgen? Sondern seines Weges gerade fortgehen, was auch immer folgen möge.«28 Was einzig den blinden Genius hellseherisch leitet, ist die produktive Einbildungskraft, die sehende Freiheit. Die Einbildungskraft, welche Entgegengesetzte frei synthetisiert, so jeweils eine neue These errichtend, ist die 25 Im Zeitalter der Verhübschung und der Nivellierung wird Bildung selten. Die Masse will sich nicht nur äußerlich, sondern im Namen des life styling auch innerlich verhübschen: Musicals laden in große Festsäle, neben dem Theater als Bildungsinstitut entdeckt man über den Fernseher auch das Künstler-Kabarett. Der verhältnismäßige Wohlstand ermöglicht Verhübschung auch nach innen. In dieser freien, informierten, übertünchten freien Gesellschaft wird es schwer, Bildung und Freiheit zu verwirklichen. Fichte sieht jedoch im Agon der Geister eine notwendige Höherentwicklung der Gattung: »Das Licht siegt endlich gewiß.« (GA I,3; 38). 26 GA I,3; 55. 27 GA I,3; 56. 28 Begriffsschrift, GA I,2; 146.
272
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
dem philosophischen Genius vom Absoluten zugebilligte Freiheit, an deren Faden er sich vorwärts tastet. So kann Fichte in der GWL darauf verweisen, dass »das ganze Geschäft des menschlichen Geistes von der Einbildungskraft ausgeht.«29 So ist menschliches Schaffen über die Einbildungskraft Resultat der Freiheit.
29 GA I,2; 415.
5.5. Die Darstellung der WL 1801/02 als Konstruktion des Ich 5.5.1. Das absolute Wissen Johann Gottlieb Fichtes Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/02 markiert den Übergang von der frühen GWL zur prima philosophia der WL 1804, mit welcher die Spätphase Fichtes einsetzt. In einem grandiosen Einsatz bringt sie die »Synthesis der Geisterwelt«, welche zwar schon die Grundlage des NR und das SSL von 1798, jedoch noch keine WL thematisiert hatte, und indem sie das absolute Wissen am Absoluten schlechthin orientiert, erarbeitet sie einen Übergang zur WL 1804, ebenso wie sie die intellektuelle Anschauung – den unmittelbaren Gedanken meiner geistigen Tätigkeit – ein Thema welches bis in die letzte Phase das Denken Fichtes im Banne halten wird, ausführlich darstellt und erörtert. Schon Joachim Widmann hatte auf die Rolle von Leibnizens »prästabilierter Harmonie« für Fichtes Denken hingewiesen1 und Reinhard Lauth erklärte die Leibniz-Rezeption Fichtes in einem wichtigen Aufsatz zu einem Forschungsdesiderat2. Der Aufforderung Lauths gegenüber erwies Marco Ivaldo mit seinem hervorragenden Buch »Fichte e Leibniz. La comprensione trascendentale della monadologia«, Milano 2000, sich als hellhörig. Ivaldos Untersuchungen von Fichtes Stellung zu Leibniz können als Standardwerk gelten. In der WL 1801/02 baut Fichte Leibnizens prästabilierte Harmonie in den neuen Ansatz seiner Transzendentalphilosophie ein. 1 Joachim Widmann : »....denn wohlverstanden hat er recht«. Gedanken zu Fichtes Jenaer Bemerkungen über Leibniz. In: Klaus Hammacher und A. Mues: Erneuerung der Transzendentalphilosophie, Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag. 1979, S. 456-478. 2 Reinhard Lauth: Leibniz im Verständnis Fichtes. In: Kant-Studien Bd. 87, 1996, S. 396 ff.
274
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Im Zentrum der WL 1801/02 steht das Wissen. Wissen ist die theoretische Basis, von welcher erst sittliches Handeln als solches möglich ist, ist seinerseits aus diesem Grunde sittlich gefordert. Gibt es jedoch nur Ein Absolutes, und äußert sich dieses Absolute im absoluten Wissen, so stellt sich die Frage, weshalb es nicht Ein Wissen schlechthin, sondern stets mein, dein, eines Dritten Wissen gibt, weshalb es in Vorwegnahme Nietzsches und in Rückblendung auf Leibniz stets nur ein perspektivisches Wissen gibt als Voraussetzung zuschreibbaren sittlichen Handelns. Die WL interessiert sich nicht für die persönlichen Pathologien des Individuums. Das vernünftige Individuum soll so handeln, wie alle anderen vernünftigen Individuen unter analogen Umständen in eben dieser Situation es für richtig befunden hätten.3 Ihre Subjektivität und ihr Erleben in der Zeit trennt die Individuen und lässt sie auseinander streben. Ihre Gebundenheit an das Eine Absolute und ihre gemeinsame Wissensstruktur lässt sie verpflichtet sein der Einen Vernunft. Einleitend hält Fichte fest, dass es in allem Seienden nur ein Sein geben kann.4 Dieses Absolute, das jeglicher Kennzeichnung sich entzieht, ist schlechthin was es ist und schlechthin weil es ist.5 Es ist aus eigener Kraft, so wie es ist, und ist aus eigener Kraft, so wie es war und wie es sein wird. Das Was steht für sein schlechthinniges Sein, das Weil für die Freiheit seines unendlichen Werdens. Als Was steht es für das Sein alles Seienden, als Freiheit für den Geist in allem Seienden als einem unendlichen Werden und – wie Fichte hofft – einer unendlichen Versittlichung von Welt. Intelligenzen können aus Irrtum oder Trägheit unsittlich handeln.6 Aber jegliche Intelligenz wird von sich behaupten, es gebe Dinge, die sie mit Bestimmtheit wisse; alles Wissen jedoch ist von allem anderen Wissen von Etwas verschieden, und alles Wissen ist allem Wissen darin gleich, dass es Wissen von Etwas ist. Und indem es Wissen von Etwas ist, ist es Wissen schlechthin.7 So ist denn Wissen die unmittelbare Äußerung des Absoluten in der beseelten Welt. Das Absolute sieht sich im absoluten 3 GA II,6; 317: »Was jeder von sich absolut denkt, davon muß er denken können, dass alle, die sich zum absoluten Denken erheben, es auch von ihm denken. Die äussere Form des beschriebnen Handelns ist daher, die, daß jeder thue (...) was alle in demselben WahrnehmungsSystem (...) befangenen Intelligenzen, absolut denkend, ihn als thuend denken müssen, und er denken muß, daß sie es denken müssen.« 4 GA II,6; 130 5 GA II,6; 147. 6 M. Ivaldo gibt als weiteren Grund im Sinne Fichtes in: »Das Problem des Bösen bei Fichte« in: Fichte-Studien Bd. 3, 1991, S.154-169, hier S. 165 an: »die Verabsolutierung des eigenen Willens, um den Anspruch der Subjektivität auf absolute Herrschaft über alles außer ihr.« 7 GA II,6, 145.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
275
Wissen der Intelligenzen, die ihm sich verdanken. Ist das Absolute die Einheit von Was und Weil, so durchdringen sich im endlichen Wesen Was und Weil, absolutes Sein und absolute Freiheit und werden in diesem SichDurchdringen zu einem innerlichen Auge, das in absoluter Klarheit sich selbst durchdringt und so für sich sich sehend, die Einheit von Sein und Freiheit des Wissens setzt. Fichte expliziert die in seinem Werk stets wiederkehrende Metapher, indem er die Frage aufwirft: »für wen es sey«, dies sich Durchdringen von Freiheit und absolutem Sein des Seienden: die Frage lässt sich nur beantworten, wenn man ein Auge annimmt im Durchdringungspunkt. Und dies Auge kann nur sich selber sehen. Dies absolute »sich selbst in sich selbst durchdringen und für sich selbst seyn« ist, was man als »Ichheit« bezeichnet, d.h. als Selbstbewußtsein.8 Es erkennt seine Freiheit in der unendlichen Quantitabilität des Anschaubaren, sein absolutes Sein und Gebundensein im Denken, welches das Quantitable erst strukturiert und sich in seiner Tätigkeit als gebunden erfährt an dieses. Denn mein Wissen vom Absoluten ist bestimmt durch die freie Reflexion als dessen Akzidenz. Nur durch die sie erst strukturierenden Akzidenzien weiß ich von der Substanz, nur durch die Freiheit der Reflexion vom Absoluten, dessen einer Baustein die Freiheit, dessen anderer Eckstein sein in dieser Freiheit Sein ist. Und dieses Wissen um ein Absolutes, an dessen Freiheit ich teilhabe, wirft mich auf die eigene Verantwortung. Die freie Reflexion ist gebunden an das absolute Sein, welches ebenfalls akzidentelle Substanz des Absoluten ist, so daß wir hier zwei Pole haben. Die absolute formale Freiheit – als der sich sehende Durchdringungspunkt – weiß von sich durch die Anschauung ihrer selbst in ihrem Produzieren und sich Halten über der Quantitabilität. Diese Ausführungen Fichtes9 verweisen auf die freie Tätigkeit oder Einbildungskraft in ihrem Schweben in der GWL. Dem Denken ist das Wissen eine Einheit, ein Totum; – wo jedoch das Denken das Wissen konkret zu fassen sucht, zerfällt es ihm in eine anschauliche Vielheit, ein Universum von Separaten, in hingeschaute Quantitabilität. Erst im Für sich der intellektuellen Anschauung, in welcher geistige Tätigkeit, das Reflektieren der Reflexion sich ihrer bewusst ist als sich ihrer bewusst seiend in einem Bewußtsein, so das Ich sie sich zuschreiben kann, die Einheit des Totum und die Mannigfaltigkeit des Universums sich als die beiden unabdingbaren Konstituentien des Wissens im 8 9
GA II,6; 150. GA II,6; 204.
276
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Akt begreifen, welches ein Wissen Für sich ist, für das sich sehende Auge, konstituiert sich das Wissen einer Intelligenz als Selbstbewusstsein. Fichte umschreibt und definiert die intellektuelle Anschauung, welche letztlich das Wissen in der Freiheit der Intelligenz verankert, mit folgenden Worten: »Ein gediegener auf sich selbst ruhender, in sich und durch sich selbst gebundener, seiner Form nach keine Freiheit voraussetzender, sondern von der absoluten formalen Freiheit selbst vorausgesezter in sich lebendiger Gedanke der absoluten Identität der Freiheit und des Wissens (...). Dieser lebendige Gedanke nun ist’s, welcher in der beschriebnen, mit Recht, da sie die Anschauung des absoluten Intelligirens selbst ist, vorzugsweise intellektuell zu nennende Anschauung sich selbst anschaut.«10
Das Wissen ist nur möglich in seiner Freiheit, nur denkbar in seiner Gebundenheit. Es ruht in sich und strebt als seine Zukunft doch stets über sich hinaus, dies nur könnend, weil es ja stets schon ist. Wie Fichte anschließend an die Prolegomena der WL 1804 darlegen wird, ist Wissen stets ein Akt, und zwar ein subjekt-objektiver Akt.11 Das in sich ruhende Wissen hingegen gibt der Intelligenz ein sie durchströmendes Daseinsgefühl, das Fühlen auch einer latenten Kraft, die jederzeit zum Akt des Wissens – also der Reflexion – oder der Freude übergehen kann – denn Gottesfreude ist Freude am Wissen und dem hieraus sich ergebenden Soll.12 10 GA II,6; 163. 11 WL 1804, V. Vortrag, GA II,8; 71: »Hast du zB. wirklich eingesehen, daß in der Einsicht des Einen sich selber gleichen Wissens, aller subjektive und objektive Unterschied, als lediglich statt findend in der Wandelbarkeit, rein verschwinde.« Dieser Stelle lässt erläuternd der Satz von Wolfgang Janke in: Fichte. Sein und Reflexion, S. 265 sich beifügen: »Das Gedachte des reinen Denkens ist das Sein: die Unzertrennbarkeit von Subjektivem und Objektivem als solche.« Im Denkakt fallen Subjekt und Objekt in eins ebenso wie im Schöpfungsakt des Künstlers. Einzig in diesem Aufgehen im Sein verwirklicht sich Wissen. Denn Wissen ist im Akt, ist Tätigkeit. 12 Wolfgang Schrader schreibt zu diesem Kraftgefühl in »Empirisches und absolutes Ich«, S. 149 f.: »Das Individuum konstituiert sich für sich selbst in »einem unmittelbaren Daseinsgefühl«, durch das es sich als einzelnes aus der Masse der Individuen aussondert.« Schrader verweist darauf, dass daß dieses Daseinsgefühl aller Individualität eignet; erst in der Reflexion auf die individuelle Kraftäußerung individuieren sich die Iche. (WL 1801/02, GA II,6; 262 f. Schrader verweist auch darauf, dass daß dem »Daseinsgefühl« der WL 1801/02 das Kraftgefühl der GWL entspricht: GA I,2; 245: »Kraftgefühl ist das Princip alles Lebens.« Kraftgefühl setzt jedoch den Reflexionsakt schon voraus. Fichte führt in der GWL aus: »Kraftgefühl (...) ist der Uebergang vom Tode zum Leben. Dabei, wenn es allein ist, bleibt freilich das Leben noch höchst unvollständig; aber es ist doch schon abgesondert von der toten Materie. (Ebenda, GA I,2; 425.)
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
277
Die WL will kein »Erdachtes«13, sondern ein in »Einem Blik« Gesehenes und Erfasstes sein, das Aufleuchten des Blitzes der Erkenntnis. Keine Gedankenkonstruktion, die erdacht wird, sondern die notwendige Linie, welche den beliebig gezeichneten Triangel nach den Gesetzen der Anschauung schließt, und so in eins Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit der Wahrheit demonstriert. Ihr Kompass ist das innere Auge, die intellektuelle Anschauung als ein freies »Für sich für sich selbst.«.14 Die intellektuelle Anschauung ist kein Etwas durch Etwas denken, sondern ein unmittelbares Anschauen, ein für und bei sich sein des Reflektierten und Reflektierenden, sie ist die Identität des Denkenden und Gedachten und seine Freiheit und weiß darum aus Gott. Sie ist der Reflex, der vorgedanklich im fühlenden Sich-Fühlen das Reflektieren sieht und auslöst, ohne den es keinen Weg vom Anschauen ins Denken, vom Gefühlten ins Denken gibt. Sie ist der vereinigende Mittelpunkt von Einheit des Wissens und Quantitabilität in der von der Reflexion festgehaltenen Anschauung. Sie ist die Äußerung des »in sich geschlossene(n) Singulum(s)« der WL 1804, das nur sich selbst sieht, an dem jedoch jegliches Sehen sich bricht, da Denken und Sein, Sinnliches und Übersinnliches untrennbar sind in der Einheit des Durch.15 Die WL 1801/02 erlebt sich als ein absolutes Wissen, da es Form und Materie, Was und Wie vom Absoluten hat, welche beide sowohl den formalen wie den materialen Charakter des Wissens ausmachen und die in jenem Einheit sind, und die in der Kontingenz weltlicher Intelligenz sich durchdringen. Und dies Durchdringen von absolutem Sein und absoluter Freiheit ermöglicht erst jenes Selbst, das sie voraussetzt, die Klarheit des Auges. Mein Wissen ist kontingent, indem es auch anders sein, ich eine andere Intelligenz sein könnte. Doch indem es mein Wissen ist und eben nicht dasjenige von Cajus oder Titus, ist es absolut, absolut zumindest für mich, da ich ohne Selbstaufhebung – etwa Meditationspraktiken – oder Selbstzerstörung daraus nicht aussteigen kann. Darüber hinaus ist es absolut, weil es seine Struktur der Struktur des schlechthinnigen Absoluten verdankt, so daß jegliches Wissen an das Absolute gebunden ist, die intellektuelle Anschauung sein Auge ist. Ist die Wissenschaftslehre die intellektuelle Anschauung des Wissens, so ist die Klarheit des sich sehenden Demnach ist im Vorgang zu Nietzsche Kraftgefühl das, was alles Leben als Macht beseelt, denn alles Leben ist Kraft und Wille zur Macht. 13 GA II,6; 272. 14 GA II,6; 153 und 151. 15 WL 1804, XVI. Vortrag (GA II,8; 243.) In der AsL: »So wie der Begriff überhaupt, sich zeigte, als Welterzeuger« (GA I,1; 99).
278
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Auges das Sich-Durchdringen der Freiheit als Wissen und das SichDurchdringen des Seins von Wissen als Seins des Absoluten. Denn das Absolute vermögen als solches wir nie zu erkennen, weil das Denken versinkt in der unendlichen Quantitabilität, die stets zwischen uns und dem Einen sich ausbreitet, so dass des Einen wir nie habhaft werden können, so wenig wir unseres Wissens habhaft werden können: Das eine Bewusstsein löst sich, wollen wir es ergreifen, auf in die Unendlichkeit des Wissbaren. Wir sehen nie die Welt, wir sehen bloß Bilder, Schemata, so wie wir selbst als Schemata uns erscheinen. Jegliches Wissen beruht auf einem Abstraktionsprozeß des Für sich: Die Grundlage ist die stets von einem Denken begleitete Wahrnehmung des Seienden, welches die Anschauung als die Totalität der Erfahrungen mit »Einem Blike«16 in die Materie des Denkens zusammenfaßt. Das Denken, als zuinnerst Für sich, abstrahiert von der Wahrnehmung und konzentriert sich auf die Reflexion des Hingeschauten. Erfahrungen – wie man Wahrnehmung zu bezeichnen pflegt – können von einer gewissen Bedeutung für das empirische Wissen sein, das an ihrem Gängelbande sich jedoch ewig im Kreise dreht. Es ist diese Weglosigkeit der Erfahrung, welche sie zu einem Scheinwissen macht, welches vor der Reflexion nicht standhält. Das Wissen, welches über sich selbst sich Rechenschaft geben will, ignoriert die Wahrnehmung, es sei denn, es bedürfe ihrer für den eigenen Denkweg. Das Abstraktionsvermögen, welches es der Intelligenz ermöglicht, frei zu entscheiden, ob sie eine Erfahrung für sich fruchtbar machen oder als Ballast ignorieren will, ist eine Grundbedingung menschlicher Freiheit. Unser empirisches Selbst beruht nicht zuletzt auf den Erfahrungen, die uns geprägt haben, und es ist eine Sache der Kraft, ob wir zulassen, daß diese oder jene Erfahrung in unser Wissen um uns und Welt aufgenommen und präsent gehalten werde, oder ob wir beschließen, lieber zu vergessen. Die Verwertung oder Ignorierung von Erfahrungen ist ein wesentliches Element unserer freien Selbstkonstruktion. Entsprechen sich Freiheit und Wissen wechselseitig, so ist in eins das im Denken niedergelegte Wissen ein freies Sein von Seiendem. Dies Seiende ist ein absolutes und bindet uns an das Absolute. Denn das Absolute äußert sich im Sein von Welt, und das Quantitable, an dessen Dasein wir glauben müssen, und das uns über die Anschauung Stoff zur Reflexion und hiermit ein Selbst gibt, ist ebenso Äußerung des Absoluten wie die uns begegnende andere Geistmonade, die wir uns als ein Daß gegenüberstellen, indem wir sie an ihrem artikulierten Leib als Intelligenz identifizieren, von deren Innenleben wir ebenso wenig wissen wie sie von unse16 GA II,6; 139.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
279
rem, der wir jedoch als begegnende Intelligenz ein dem unseren analoges Innenleben zuschreiben müssen. Dies auch zumal, als, indem wir das Absolute und die unendliche Quantitabilität denken, wir uns als begrenzt denken müssen, so daß die Anschauung nach anderen Geistmonaden begehrt. Denn das Wissen verlangt nach Wechselwirkung mit anderem Wissen. Es ist die menschliche Begrenztheit, welche nach Mitmenschlichkeit, es ist das Unbegrenzte im Menschen, das nach dem Absoluten verlangt. Hatte für Kant unter dem Eindruck der Humeschen Provokation die Kategorie der Kausalität im Vordergrund gestanden, so betrachtet Fichte als wichtigste Kategorie diejenige der Wechselwirkung. Dem ist schon so in der frühen Grundlage17, dies wird jedoch wichtig mit der WL 1801/02, wo Fichte die Monadenlehre und den Harmonie-Gedanken von Leibniz aufgreift und im Sinne des Transzendentalismus umformt.18 Denn die metaphysisch bestmögliche Welt setzt auch ein Interagieren der Monaden voraus, welchem mit dem Begriff der Wechselwirkung am ehesten gerecht zu werden ist. Der Panmonadismus als Interagieren aller Monaden mit allen, indem der Fensterlosigkeit die wechselseitige sich berührende Offenheit der Monaden entspricht, setzt Wechselseitigkeit der Wirkung voraus, so wie schon Leibniz jedem Tun ein Leiden und v. v. entgegensetzte. Schon im »sapere aude« Francis Bacons19, schon im Trotz Giordano Brunos, hatte sich der Ruf nach jener Freiheit ausgedrückt, die nach Kants Lehre Frucht der Selbstbefreiung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit ist.20 So ist auch nach Fichtes Überzeugung das Böse Frucht von Trägheit und Irrtum. Wissen hingegen bedeutet Freiheit und freies Wirken, und der Sinn der Freiheit ist eben jene höchste Freiheit, seinen Gesichten folgen zu können und niemandem Rechenschaft schuldig zu sein als dem eigenen Gewissen. Der tätige und schaffende Mensch erkennt die Welt, in die hinein er seine Gesichte umsetzt aus dem eigenen Soll heraus, aus welchem er auf die Sinnenwelt agiert, sein Soll in höchster Freiheit zu einem Gewollten machend, damit aber auch die Welt zu einer gewollten machend, denn er erkennt sie aus seiner Freiheit heraus. In der Kreation ist das absolute Wissen dem Absoluten am nächsten, fallen sie – obwohl ewig getrennt – in eins. Untrennbar und doch erst im Unendlichen 17 GWL, GA I,2; 290 ff. 18 GA II,6; 258: »Das oberste Verhältniß ist nicht Kausalität, sondern Wechselwirkung.« 19 Francis Bacon hat das »sapere aude! « Von Horaz übernommen. Vgl. H. Ottmann: Die Römer, S. 168, in: Geschichte des politischen Denkens, Bd. II,1, Stuttgart/ Weimar 2002. 20 I. Kant: »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« in: Werkausgabe Bd. XI, hrsg. von W.Weischedel 1977, S. 53 (A 481).
280
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
vereint, bilden erst die Gemeinsamkeit von Anschauung und Denken ein Wissen. Ohne Anschauung »wäre das Denken blind. Die Anschauung steht im Standpunkt der Freiheit heißt, die Freiheit wird in die Form des Denkens, die Ruhe, u. die Beständigkeit aufgenommen; sie ruht eben nun in sich selbst; und erst in dieser Vereinigung wird ein Wissen, denn ausserdem wäre die Freiheit leer, u. Nichts, sie fiele durch sich selbst hindurch. Sein Seyn erleuchten, sein Licht bestimmen; die absolute Identität beider ist die intellectuelle Anschauung: oder die absolute Form des Wissens«.21
Die Freiheit bedarf des Seienden, dem sie inhäriert, indem die Anschauung sich sieht als ins Unendliche quantitierend. Was die Anschauung in Freiheit quantitierend sieht, ist das Sein des Seienden, das absolute Sein, in welchem das schlechthinnige Absolute sich niederschlägt. Das Absolute bedarf der Ichheit, die es sonst nicht gäbe. Nur in ihr vollzieht sich das Quantititieren, und ihre Organisation verweist die Ichheit auf ein sie transzendierendes Absolutes als das in Seiendem sich manifestierende Sein: nur weil ein Sein ist, ist auch Bewußtsein und Bewußtsein ist Dasein. Der späte Fichte wird das Vernunftwesen als Erscheinung des Absoluten, die als Erscheinung sich erscheint und die Natur als die der Erscheinung erscheinende Erscheinung bezeichnen. Ohne dieses absolute Sein gäbe es für die Freiheit nichts zu sehen, fiele sie durch sich selbst hindurch ins Nichts – die Anschauung bedarf des Seins der Quantitabilität, welche ihre Freiheit trägt, indem diese jene hervorbringt. Analog hat schon Leibniz festgehalten, daß die Intelligenz der Pflanzen und Tiere sowie der unbelebten Natur bedarf, um Stoff zu haben für das eigene Sein und Denken. Der Gedanke fasst die Mannigfaltigkeit des Quantitierten in ein Bild und bringt es auf den Begriff, doch nicht in Abhängigkeit vom Wahrgenommenen, sondern mit absoluter Freiheit den Stoff sich aneignend. Der Gedanke bindet sich nicht blind an die Anschauung, sondern sie ist der Stoff, mit welchem er seine Freiheit verwirklicht, sich an sich selbst bindend, frei ist. Im Angeschauten ergreift sich das Denken als absolutes Für sich, als absolute Freiheit, welche sich von sich loszureißen und im Akt des Sich-Losreißens sich für ein Anderes zu entscheiden vermag, welches nunmehr Objekt seiner Tätigkeit ist. Dieses Sich-Losreißen des absoluten Für-sich-Seins bedeutet ein Hindurchgehen durch den Reflex, das in sich geschlossene Absolute, in welchem Anschauung und Denken eins sind: 21 GA II,6; 166.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
281
das Denken macht einen Sprung durch das Nichts hindurch, entspringt neu in neuer Anschauung. Aus unserem Wissen können wir nicht aussteigen, denn es ist unser Sein und unsere Freiheit, und d.h. unsere Identität. Fichte hält fest: »es giebt keyn Seyn ausser dem Wissen.«22 Nur, was in unserem Wissen ist, ist für uns, erhält von uns seine Existenz, bestimmt das Ausmaß unserer Freiheit, gibt uns uns selbst, insofern wir je ein Bewusstsein sind und ein Leib, von dem wir wissen und den wir beherrschen. Was in keines Menschen Wissen ist, existiert entweder gar nicht oder absolut. Das wissende Ich schaltet und waltet frei in diesem seinem Wissen, dem es als solchem seine Freiheit und damit die freie Unterstellung unter das Soll verdankt. Auch diese Erkenntnis verdankt sich der absoluten Freiheit der Reflexion, welche als solche Produkt der Freiheit oder eben die Freiheit der Freiheit ist. Freiheit der Reflexion bedeutet Freiheit des Gedankens und Sein der Freiheit.23 Im Mittelpunkt des Aktes des Reflektierens steht die intellektuelle Anschauung, welche das unmittelbare Sich-Wissen und Sich-sich-Zuschreiben des Reflexionsaktes ist. Sie besiegelt die totale Synthesis, die Fünffachheit des Akts. Das Ich als subjektives Subjekt-Objekt ist sich in eins ein oben liegendes Subjekt und ein diesem zugrunde liegendes Objekt. Denken und Anschauung, Freiheit und Sein sind die Pole, zwischen denen das Wissen schwebt.24 Jeglichem möglichen Denken muss unten Freiheit sowie Sein des Wissens als Basis gegeben sein: nur aus einem in sich ruhenden Wissen kann der Denkakt entspringen, welcher das Wesen des Wissens, nämlich Aktivität des Denkakts und Entspringen aus Nichts ist.25 Wie Fichte in den Prolegomena der WL 1804 evidenzieren wird26, ist Wissen Aktivität des Denkens, in welchem Akt Subjekt und Objekt untrennbar verknüpft sind. Basis jedoch ist notwendig ein Sein von Freiheit 22 GA II,6; 165. 23 Freiheit der Reflexion kann sich negiert finden im physischen Schmerz bis hin zur Folter. – Aber hier wird dem Menschen das Menschsein selbst negiert. Wo der Mensch – als normativer Begriff genommen – sich selbst ist, da ist er frei und reflektiert er. 24 W. Janke: Fichte. Sein und Reflexion., S. 238 ff. und S. 262. 25 GA II,6; 257: »Das Wissen ist für sich des Entspringens, dieses sezt Nichtseyn, u. da dies doch im Wissen ist, eben Seyn -. Durchaus in dem Wissen, als solchem voraus. Weiter aber als dies, woran alles sich findende Wissen sich durch sein Wesen gebunden findet, ist dieses Seyn nicht.« Dass Daß Wissen als sich wissendes Wissen entspringen kann, setzt voraus, dass es im Nichtsein stets schon ist. Dass Daß es vom Nichtsein ins Sein tritt, ist grundloser Akt der formalen Freiheit, die als Freiheit sich will. Erst die formale Freiheit hebt – Freiheit sein wollend – das Wissen aus seinem Nichtsein ins Sein. Gesetz des Wissens ist das Bild des Absoluten, indem es dem Wissen als absolutes Soll erscheint: »Das absolute Seyn ist im Wissen Gesez.« (GA II,6; 258.) 26 WL 1804, III. Vortrag. GA II,8; 38.
282
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
und Wissen, ein in sich gebundenes Denken, wo an der subjektiven Oberfläche Freiheit und Anschauung spielen. Die intellektuelle Anschauung als die verbindende Linie führt von oben nach unten von der Anschauung zum Denken, von unten nach oben vom Denken zur Anschauung und formt somit die Einheit des subjektiven Subjekt-Objekts. Sie ist ein reines Für, das Zentrum des sich als Wissen wissenden Wissens, »ein von sich selbst durchdrungner Punkt«27, in welchem die intellektuelle Anschauung der unmittelbare, durch kein »Durch« vermittelte Gedanke des Selbstbewusstseins der absoluten Reflexion ist.28 Dies ist der Kern des wirklichen Bewusstseins, der Monade, welche in ihrer Vernunft allen anderen freien Monaden gleich, in ihrer zufälligen Individualität in eins von allen anderen Monaden unterschieden und als Individuum doch wiederum gleich und die eben so ein Konzentrationspunkt ist, dessen das Eine Sein bedarf, um handeln und so den sittlichen Endzweck verwirklichen zu können.29 Gäbe es nur das Eine Sein, so wäre das Wissen tot. Die hochenergetische Urmaße, welche zu einem Sein sich konzentriert hat, musste sich in Licht und Materie explodieren um der eigenen Seinsfülle wegen; hier fielen Wissen, Kraft und Sittlichkeit in eins. Damit sie jedoch für das Urwesen real würden, bedurfte es des Organischen in stets größerer Mannigfaltigkeit bis hin zu einer Mannigfaltigkeit von Wissenden, die in ihrer Totalität die Unendlichkeit des Wissbaren ausloteten und so dem Urwesen sein Wissen gleichsam wiedergaben, indem sie auf das Sein von Welt handelten und in ihrem Handeln gleichsam zu Zeugen und Akteuren des Urkonzeptes wurden. Nur eine Vielzahl von Vernunftwesen vermag der metaphysischen Totalität des Wissbaren zu Leben zu verhelfen, indem sie als individuelle Vernunftwesen die Möglichkeiten sittlichen Handelns ausloten. Soweit sie mit der metaphysisch besten Welt auch die sittlich beste Welt verwirklichen, ist der Endzweck des Absoluten, den dieses auf unter27 GA II,6; 166: »wenn du dir ja eine Zweiheit denkst, wie du nicht anders kannst, so kannst du von jedem das Seyn prädiciren, das untere schaut so gut das obere, als umgekehrt, an, d.h. es ist eigentlich gar keine Linie, sondern ein von sich selbst durchdrungner Punkt. (...) – Das wirkliche Bewusstseyn.« 28 Intellektuelle Anschauung setzt die ›Gedoppeltheit‹, wie Wolfgang Janke schreibt, eines oberen (subjektiven) mit einem unteren (objektiven) Wissen in eins. Janke führt hinsichtlich der Tätigkeit der intellektuellen Anschauung aus: sie »hält das Reflektierende (die Freiheit und das erhellende Licht) mit dem Worüber die Reflexion (dem Sein und ruhenden Gedanken) in die Einheit eines Reflexionsaktes zusammen.« – W. Janke, op.cit. S. 254. Die Bewegung geht sowohl von oben nach unten wie von unten nach oben. (GA II,6; 165). 29 Das Absolute bedarf des wirklichen Bewusstseins, indem einzig dieses, wo es Freiheit verwirklicht, Dasein des Absoluten ist. Das absolute Wissen setzt ein Bewusstsein als ein mögliches »ich denke« und »ich spreche« voraus. Wilhlem Wilhelm Lütterfelds: Fichte und Wittgenstein, Stuttgart 1989, S. 15.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
283
schiedlichen Wegen verfolgt, in die Wahrhaftigkeit der Existenz gehoben. Die klügste, die schönste und die beste Welt wären auf dem Einzelnen nicht unmittelbar einsehbaren Wegen verwirklicht. Doch Lao-Tse musste lehren, Shakyamuni Buddha musste offene Augen und Sinne haben, Kant sein rhizomartiges System für eine säkulare Welt erarbeiten, auf daß die Völker Form annähmen und die einzelnen Geister wissend und – wo sie es im Kern schon waren – über ihr Wissen sittlich würden. Denn wir werden nicht sittlich durch theoretisches Wissen, aber Wissen und Ethiken können uns zum Bewusstsein unseres sittlichen Wollens bringen und ihm die Wege weisen.30 Ahnenkult im Kongfutianismus und Ahnenkult bei afrikanischen Stämmen sind nicht dasselbe, bedingen jedoch eine ähnliche gesellschaftliche Statik u einen sittlichen Rückhalt.
30 In den TdB 1810/11 wirft Fichte die Frage auf: »Wozu bedarf es der Endzweck ein Leben außer ihm zu erschaffen? Da unsere Forschung doch ohne Zweifel das absolute sucht, warum wollen wir jetzt, da wir ein höheres, und in Vergleichung mit dem Leben absolutes über dem Leben gefunden haben, uns nicht damit begnügen, sondern aus demselben wieder herausgehen zum Leben? Liegt vielleicht die Nothwendigkeit eines solchen Herausgehens im Begriffe des Endzwecks selbst? Ohne Zweifel, er bedarf etwas, dessen Endzweck er sey, er will realisiert werden, und bedarf dazu eines Werkzeugs; dies so viel wir bis jetzt sehen, giebt er sich selbst am Leben.« (GA II,12; 112). Das Leben gilt hier je als Schema und Bild Gottes, der Selbstzweck ist Selbsterkenntnis Gottes im sittlichen Menschen. Gott »will realisiert werden; das reale aber und wirkliche ist anschaubar: er soll anschaubar werden, und dazu ist ihm das Leben.« Überall, wo die Lehrer der Völker wirkten, wird der Endzweck anschaubar. Die Frage, welche Fichte in der WL 1801/02 aufgeworfen hatte, weshalb es nicht nur Ein Wissen, sondern mein, dein, eines Dritten Wissen gebe, wird hier auf absoluter Ebene nochmals aufgerollt und beantwortet. In Auseinandersetzung wohl mit Leibniz nimmt auch der späte Fichte einen durch vorläufige Erreichung des Endzwecks bedingten Untergang der Welt an. Leibniz schriebt in Mon. § 88, G VI, 622: »Diese Harmonie bewirkt, dass die Dinge eben auf den Wegen der Natur zum Gnadenreich führen, und dass z.B. dieser Erdball auf natürlichen Wegen zu den Zeiten zerstört und wiederhergestellt werden muss, zu denen die Herrschaft über die Geister es erfordert: zur Strafe der einen und zur Belohnung der anderen.« Fichte legt in diesem Zusammenhang dar: »erst innerhalb der Individuen durch die Selbstanschauung ihrer Kraft entstehen sinnliche Welten (...) Jene sonach, die Individuen, durch das Seyn des Endzwecks schlechtweg (...) bleiben, bleiben dieselben; die individuelle Einheit geht hindurch durch die unendliche Reihe aller Welten (...) Die, so den Willen nicht erzeugt haben, dauern nicht fort.« (GA II,12; 112).
5.5.2. Wissen und Freiheit Anschauung in ihrer Mannigfaltigkeit von Separaten zum Einen, und Denken, das »vermöge seiner EinheitsForm auf sich selbst« ruht1, zum anderen, sind die Qualitäten, die das Wissen ausmachen; das Sein von Wissen ist die höchste und die einzig mögliche Qualität neben dem Sein von Freiheit. Fichte folgert hieraus, daß das Absolute selbst »nichts anderes seyn dürfte, als die Vereinigung der beiden Urqualitäten in der formellen Einheit des Denkens.«2 Diese Gedankengänge werden sich – wie schon angedeutet – in der WL von 1804 neu niederschlagen. Es ist ihnen soweit beizupflichten, als Wissen auch sittliches Wissen ist, das in Freiheit agiert. In keiner anderen Wissenschaftslehre wird Fichte, auch wenn stets – seit der Entdeckung in Kants »praktischer Vernunft« – Freiheit sein Leitmotiv war, die Freiheit so ausdrücklich den Mittelpunkt seiner Gedankenführung machen, wie dies in der WL 1801/02 der Fall ist. So betont Fichte: »Nur die Freiheit ist der erste unmittelbare Gegenstand eines Wissens.« » Keine unmittelbare absolute Freiheit, außer in einem, und für ein Wissen.«3 Nur ein Selbstbewusstsein, das als solches sich frei weiß, kann wissend sein, da nur freie »Ichheit« um sich und um Nicht-Ich wissen und dies auch formulieren kann, und nur ein Wissen kann unmittelbar frei sich fühlen, indem es Gegensätze in sich vereinigt, wie nur ein Wissen dies kann und im Bewusstsein dieser Gegensätze sich dennoch als eins und frei begreift. Kein Selbstbewusstsein ohne Wissen, kein Bewusstsein und Wissen, außer getragen von einem Selbstbewusstsein. Fichte deduziert demnach: »Also, Wissen u. Freiheit sind schlechthin unzertrennlich vereinigt. Obwohl wir sie unterschieden (...) so sind sie in der Sache doch gar nicht 1 2 3
GA II,6; 160. Ebenda. GA II,6; 161.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
285
zu scheiden, sondern schlechthin Eins.«4 Dass der Akt der Selbstergreifung möglich sei, verdankt sich der Freiheit, dass er wirklich statthaben kann, verdankt sich der Realität von Wissen. Diese erst gestattet das Linienziehen als Selbstverwirklichung von Wissen. Das absolute Wissen erweist sich gegenüber dem schlechthinnig Absoluten als sekundär; denn es ist ein sich Durchdringen von Freiheit und Wissen, nicht deren reine Einheit. Marco Ivaldo expliziert die Verdoppelung möglicher Sichtweisen, so wie in der WL 1801/02 zentral sich findet: Im Inneren der vereinheitlichenden Reflexion, welche das Wissen darstellt, liegt der Grund der Unterscheidung von idealem und realem Wissen: Ruht der Standpunkt auf der Freiheit, so ist der materielle Inhalt der Linie »Beleuchtung«, die Reihe als ideale zu bezeichnen, welche kein Sein außer durch das Wissen selbst anerkennt; oder das Denken geht aus von dem Sein von Wissen und die Linie wäre Aufklärung, indem sie als reale Reihe das absolute Sein durch die absolute Freiheit erleuchtet. In der ersten Reihe beleuchtet die Freiheit das seiende Wissen, in der zweiten Reihe ist das Seiende vom freien Wissen her erleuchtet. Das absolute Wissen ist diese Einheit von wissendem Wissen und gewusstem Wissen, von Freiheit und Sein.5 Hieraus ergibt sich, dass das Wissen sich als seiendes oder freies Wissen konstituiert, indem es die Mannigfaltigkeit bestimmt und in diesem Bestimmen des Separablen sich selbst bestimmt. Ivaldo unterscheidet drei Punkte: a) Das Wissen geht aus vom Selbstbewusstsein, bzw. der Freiheit. Denn nur die Freiheit vermag die Entgegengesetzten zu vereinigen; b) Freiheit gibt es nur für und in einem Wissen: Sie ist das Vereinigungsprinzip der Separaten, aber nur in einem Wissen können die Separaten vereinigt sein; c) Freiheit und Wissen sind absolut vereinigt: hier ist der Punkt
4 Ebenda. Wir sehen hier jene radikale Stellungnahme Fichtes, wonach es in der vernunftlosen Natur keinerlei Freiheit gibt: dies trotz jener Demonstration von Leibniz und des Cusanus, wonach es in der Natur keine zwei gleichen Blätter gibtvorkommen. Wir müssen wohl annehmen, dass Fichtes Behauptung richtig ist, in der Natur graduell aufsteigend jedoch Wissen und Freiheit der Gottheit sich spiegeln. – Was wohl auch als evolutionäre Selbstdarstellung sich fassen lässt. Freiheit beginnt nicht erst beim Menschen, sondern lässt vom sehenden Auge überall als Bestimmung des Seins sich finden. Regeln und Regelmäßigkeiten der Natur setzen den Kontrapunkt von Freiheit. 5 M. Ivaldo: I principi del sapere, S. 224: »Il sapere assoluto – come riflessione unificante – è in definitiva questa unità di sapere sapente e sapere saputo, libertà ed essere, dispiegantesi nella serie ideale (dalla libertà all’essere) e nella serie reale (dall’essere alla libertà). Vgl. W. Janke, op. cit., S. 242: »Die Lehre, welche die Freiheit zum Prinzip erhebt, ist idealistisch. Die idealistische Ansicht legt das Wissen als Beleuchtung aus. Eine Lehre, die von dem Sein im Sinne des Zugrundeliegens eines in sich Bestehenden ausgeht, heißt Realismus. Die realistische Ansicht versteht Wissen als Aufklärung.« (GA II,6; 158 f.).
286
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
des absoluten Wissens.6 Aber hier vollendet sich auch die intellektuelle Anschauung als Verstehen oder vielmehr Anschauung dieser das absolute Wissen bedingenden Vereinigung von Freiheit und Wissen in der Selbstanschauung. In deren reinem Für sind oben und unten, Freiheit und das Sein von Wissen in reiner Selbstanschauung vereint. Vom Reflex in seinem Wesen gedeutet, ist das absolute Wissen Einheit von Sein und Freiheit: dies ist der lebendige Gedanke, welcher in der intellektuellen Anschauung sich sehend sich erfasst.7 Im strengen Denken wäre die Einheit Entgegengesetzter nicht möglich, da hier der logische Widerspruch zwischen A und –A erhalten bliebe; in der Freiheit jedoch sind sie als Möglichkeiten nebeneinander denkbar. Nicht die Denkgesetze, sondern einzig die Freiheitsgesetze ermöglichen es uns, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten zu denken, sowie auch schon Leibnizens Satz vom Grunde sich der Freiheit verdankte: dem absoluten Sein als dem Hauptaspekt der Substantialität drängt er sich nicht auf. So betont Fichte im Hinblick auf den »WendePunkt« des absoluten Wissens, das von seinem positiven Nichtsein zum »absoluten Seyn hindurchgehe (...) die logisch gewöhnten Denker (...) sie hüten sich vor dem Widerspruche. Wie ist denn aber nur der Saz ihrer Logik selbst, daß man keinen Widerspruch dulden könne, möglich. Da müssen sie den Widerspruch auf irgend eine Weise aufgefaßt haben, da sie ja seiner Meldung thun.«8 Es ist das Denken selbst, welches absolute Substanz ist und absoluter Grund ist, und selbst das absolute Wissen weiß nur durch die Freiheit von ihm. Eine Harmonie der ewigen, unabänderlichen gesetzmäßigen Freiheit des Denkens mit der Freiheit der Anschauung der Quantitabilität müsste im Wissen vorkommen, durch die Quantitabilität erblickt werden können. Die Freiheit als Akzidenz des absoluten Seins ist außerhalb der Substantialität des absoluten Seins. Wissen hat zwei Prinzipien, die absolute Freiheit und das absolute Sein und schwebt zwischen diesen zwei Prinzipien. Die »Ewigkeit, Unendlichkeit, Unausfüllbarkeit«9 des Wissens deutet sowohl auf seine Absolutheit wie auf seine punktuelle Kontingenz.
6 M. Ivaldo, op. cit. S. 225 7 GA II,6; 229. Die intellektuelle Anschauung ist daher der schwebende Mittelpunkt zwischen absoluter Freiheit und absolutem Sein: »In dem SchwebePunkte zwischen diesen beiden Ansichten schwebt nun eben das Wissen, und nur so ist es Wissen.« – Im Schwebepunkt fällt es in eins mit dem Absoluten und wird so sprachlos, reine intellektuelle Anschauung, schwebend zwischen Ichheit und Absolutem, verwirklichend die unvordenkliche Einheit vor Freiheit und Sein. 8 GA II,6; 184 f. 9 GA II,6; 229.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
287
1804 wird Fichte das Absolute als esse in mero actu bezeichnen10: der Aktus, das Dasein des Absoluten ist die Reflexion, welche das Sein des Absoluten ausdrückt, der Denkakt ist Vereinigung von Subjekt und Objekt, von Freiheit und Wissen, von Absolutem und dessen Bild; Fichte wird von nun an die fünf möglichen Reflexionsstandpunkte unterscheiden, deren jeder ein mögliches, die Sittlichkeit bestimmendes Weltbild skizziert.11 Das esse ist das unvordenkliche Sein, das im actus des menschlichen Logos in Erscheinung tritt. Hiermit sind theoretisches Wissen und sittliches Sollen, Theorie und Praxis untrennbar verbunden, ist letztlich in der intellektuellen Anschauung die Reflexion zum sittlich Geforderten geworden, das je nach Kraft ein Gott näheres oder ferneres Wissen spiegelt. Da Freiheit das Wesen der Reflexion ausmacht, wird nun endgültig Denkfaulheit zum größten der Laster, denn sie bedeutet eine der plumpsten Sinnlichkeit, unterhalb jeglicher Reflexionsstufe, verfallene, böswillige Existenz. Sie ist dem Bösen verfallen, weil sie aus Trägheit, Selbstverliebtheit und Verantwortungslosigkeit den Kampf um Freiheit, Wissen und Sittlichkeit gar nie erst aufgenommen hat, die einem jeden gegebene Kraft nur als Werkzeug zur Fremd- und Selbstzerstörung missbraucht. Leibniz sah ein »Moy« da gegeben, wo dieses Selbst reflektierte; hierbei ging er als Wissenschaftler, Jurist und Philosoph mit einem bedeutenden Briefwechsel davon aus, daß die meisten Menschen gar kein »Selbst« haben, da sie nicht reflektieren, sondern blind empirisch handeln. Für Leibniz war klar, dass nur Philosophen, Wissenschaftler, Künstler und Politiker und kultivierte Regenten reflektierten und zu reflektieren nötig hätten: die Masse des Volkes mochte empirisch handeln, wie dies auch die Mediziner taten, welche von Fall zu Fall eine Kunst auszuüben trachteten, die des theoretischen Fundamentes entbehrte.12 Es war jedoch Leibnizens eigene Generation, welche auf die Gesellschaft demokratisierend wirkte, indem sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr ausschließend und ausschließlich auf Latein, sondern in der Vulgärsprache verfasste und 10 GA II,8; 229. 11 Zur Fünffachheit der XXVIII. Vortrag der WL 1804 (GA II,8; 416 ff.). Sehr schön die Untersuchungen zum Thema von Hartmut Traub in Fichte-Studien Bd. 6, S. 435-448, Amsterdam 1994 und in Fichte-Studien Bd. 8, S. 161-191, Amsterdam 1999. Ebenfalls bahnbrechend Helmut Girndt in Fichte-Studien Bd. 1, S. 108-120, Amsterdam 1990. 12 Vom nach-Kantischen Standpunkt Fichtes her betrachtet, stellt Leibnizens »Moy« noch immer ein rein empirisches Selbstbewusstsein dar, so wie es Fichte als Voraussetzung der transzendentalen Apperzeption ganz selbstverständlich annimmt. Erst in Kants »Ich denke« erscheint die transzendentale Apperzeption eines reinen Ich, erst in Fichtes »Tathandlung«, dem sich zusehenden Vernunftakt und als solchen sich wissend wollenden, kommt das Ich zu sich selbst. Zu Leibniz s. Mon. § 27 f.8, G VI, 611. und § 30, G VI, 612.
288
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
in wissenschaftlichen Zeitschriften publizierte und sich so eine Öffentlichkeit schuf. Fichte, der Zeitgenosse der Französischen Revolution, war Republikaner. Zwar unterschied auch er noch zwischen dem Volk und dem Gebildeten, doch rechnete er mit einem breiten Publikum, welches – trotz allen Unverständnisses, über das sich zu beklagen er Grund sah – imstande sein sollte, sich nach schon von Kant gebildeten Worten als Selbstdenker zu profilieren und somit seine Wissenschaftslehre zu verstehen und frei zu reflektieren, so als Demokraten frei zu leben.13 Fichte mutete die Fähigkeit zur Reflexion jedem Bürger zu, somit auch Mündigkeit, berufen zu sein zur Freiheit und Selbstverantwortung. Zu Fichtes Lebzeiten hatte das Regiment des Absolutismus sein Ende gefunden, hatte Pestalozzi, dem Fichte auch persönlich begegnet war14 und dessen Überzeugungen er in den Reden an die deutsche Nation Ausdruck gibt, die Notwendigkeit der Volksbildung postuliert, so daß Fichte – anders als Leibniz – annehmen konnte, er lehre und schreibe nicht nur für eine privilegierte Oberschicht, sondern für die dem Volke entwachsenen Selbstdenker. Und Selbstdenker zu sein, ein »Moy« zu haben, war Bürgerpflicht. Denn Fichtes politisch höchstes Ziel war nicht der demokratische, auf die Bildung seiner Bürger bauende Staat, sondern darüber hinaus dessen überflüssig werden. Von Descartes in die Welt gesetzt, von Leibniz aus der Taufe gehoben, von Kant dem Gelehrten unterstellt, war das Selbst zu Fichtes Zeit zu jenem selbstverständlichen Subjekt geworden, dessen Tod im 20. Jahrhundert die Postmoderne predigte. Die Frage ist ernst zu nehmen, denn das Subjekt, dessen Tod die Postmoderne proklamiert, ist knapp zweihundert Jahre alt, und es fragt sich, ob es der Massenbewegung, die mit der Globalisierung eingesetzt hat, ja, schon mit dem Historismus des 19. Jahrhunderts und der vom Altphilologen Friedrich Nietzsche diagnostizierten allgemeinen Verflachung und Nivellierung der Bildung nach unten, standzuhalten vermag oder ob etwas Neues entstehen wird. Denn, wo alle Selbstdenker sind, gibt es keine Selbstdenker und keine Individuen mehr. Der Individualismus wurde zur Massenbewegung, das Individuum löste sich auf im allgemeinen life styling und der allen gleichermaßen abverlangten Information durch Fernseher und Massenblatt. Vernunft instrumentalisierte sich oder 13 So betont auch M. Ivaldo in »Fichte e Leibniz, S. 49.: »È questo un tema principale di Fichte: l’intellezione filosofica – ora in particolare l’intellezione trascendentale – è possibile per ogni essere umano, ma non si dischiude se l’uomo semplicemente segue il meccanismo dello spirito.« 14 Vgl. Fichte im Gespräch, Bd. I,1, Nr. 66, Pestalozzi an Fellenberg vom 15. November 1793, ebenso von Pestalozzi Nr. 75, vom Dezember 1793. 1762-1798 hrsg. von Erich Fuchs.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
289
wurde zum Privileg einer esoterischen Minderheit, die vergeblich sich bemüht, dem Elfenbeinturm, in den sie gesperrt wurde – nur allzu gutwillig sich sperren lassend – zu entkommen, eingedenk der Zeiten, da Intellektuelle über ihren Einfluss auf die Herrschenden auch auf die Massen zu wirken vermochten, die damals noch das Volk waren. Schon lange war die Aristokratie mobil und international; die heutige Globalisierung jedoch betrifft den 4ème Etat: Daß die Armut unter den Intellektuellen Indiens gemindert wird, indem europäische Firmen ihre Computerarbeiten durch indische Intellektuelle durchführen lassen, fällt wenig ins Gewicht: Es ist die Masse der nicht Ausgebildeten, derer, die nichts zu verlieren haben, die alles riskieren, welche weltweit auf Wanderschaft sind. Während die Job Holders ihren Urlaub in exotischen Ländern verbringen, es genießend, daß entsprechende Exoten ihre Küche und Essgewohnheiten in den Westen importieren, spielt sich eine Vermischung der unteren Klassen aus aller Herren Ländern ab, denen die westliche Vernunft und das westliche Denken, das zurück geht auf die antike, jüdische und christliche Vergangenheit und die griechisch – römische Kultur, herzlich wenig bedeutet, die aber dennoch gesonnen sind, das Erbe anzutreten. Daß der Pop Star wichtiger ist als der Opernsänger, drückt sich im Verdienst aus, und der der Masse entstammende Fußballstar wirkt ebenso völkerverbindend wie das neu aufgemotzte Musical. Der neue Wohlstand, Fernseher und PKW führt zu einem gemeinsamen Freiheits- und Konsumrausch, das am Arbeitsplatz, im Urlaub und Fernseh-vermittelt gemachte Erlebnis der anderen Lebensgewohnheiten führt zu einer neuen Solidarität, die von den Unterschichten bis in das, was einst das Bürgertum war, sich verbreitet. Der neuen Weltgesellschaft wird jener Höhepunkt, der einst das Vernunftwesen und Individuum des 18. bis 20. Jahrhunderts war, vielleicht herzlich wenig bedeuten, und ob der Künstler der Rolle, welche Fichte ihm zusprach – nämlich auf die Menge erziehend zu wirken, indem er ihr mehr Freiheit und Wissen vermittelte – falls dem je so war, weiterhin gerecht werden wird, ist offen. Offen ist auch, ob, wenn die Kämpfe und Krämpfe einer postindustriellen – mit Ulrich Beck sog. «glokalen« Gesellschaft bewältigt sein werden, an Stelle der Arbeitsgesellschaft, welcher die Arbeit ausgegangen sein wird, eine harmonische Weltgesellschaft entstehen wird, in welcher nach einem späten Sieg von Marx und dessen Diktum ein jeder zu einem Drittel Arbeiter, zu einem Drittel Kritiker und zu einem Drittel Jäger – oder Jogger – sein wird, die Arbeitenden, weil ihre Arbeit Liebenden, die Wissenschaftler, Peripathetiker und Künstler sein werden. Und ist von Kunst die Rede, so wäre nicht zu vergessen die neu entstehende, überaus hübsche und verhübschende, fröhliche und dekorative
290
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
neue Massenvolkskunst, längst schon heimisch bei UNICEF. Vielleicht wird in der Gesellschaft, welche die Arbeitsgesellschaft ablösen wird, noch Arbeit für die arbeitsfreudigen Überbegabten und für die wahrhaft Dummen vorhanden sein, hoch qualifizierte Arbeit zum Einen, primitive Dreckarbeit zum Anderen. In der postindustriellen Gesellschaft werden selbst Demokratie und Sozialismus in ihrer allgemeinen Nivellierung nach unten – und zwar gerade darum – das Faktum real existierender Dummheit nicht mehr zu eskamotieren wissen: denn je dümmer der Dumme, desto mehr ist er angewiesen auf die ihn verwöhnende Arbeitsgesellschaft. Wo andere sich zu beschäftigen wissen, ist er anders nicht stillzustellen, denn durch primitive Arbeiten, auf welche keine Maschine sich versteht, während mittel- und normal Begabte in ihrer ihnen verbleibenden Arbeitszeit die Maschinen entwerfen, deren die Unterschicht sich bedient. Der Künstler, der Philosoph bedarf zu seiner Verankerung in Welt auch praktischer Routinearbeit und dies kann ja auch das Zubereiten einer Mahlzeit in einem Freundeskreis sein. Überhaupt wird die postindustrielle Gesellschaft vor dem Problem stehen, das atomisierte Individuum der Arbeitsgesellschaft in die die civil society formenden sozialen Gruppen einzubinden, damit tatsächlich eine neue, freie Gesellschaft ähnlich Gesinnter entstehe. Die Substanz, welche Gottfried Benn noch beschwor, scheint schon mit Hegel endgültig dem Subjekt gewichen zu sein. Das Problem der auf sich gestellten Kleinfamilie und dasjenige des abgesehen von der Integration am Arbeitsplatz isolierten Individuums wird von der postindustriellen Gesellschaft in Angriff zu nehmen sein. Die Schulen werden in der Oberstufe wieder selektiver sein müssen und gemeinsame Interessen sollen nicht erst während der Studienzeit gemeinsame Arbeitsgruppen unter einem oder mehreren fortgeschrittenen Tutoren entstehen lassen. Freiheit macht nur Sinn als Freiheit zu einer Aktivität. Aber ein Mensch, welcher überbegabt ist, pflegt dies nicht nur in einer einzelnen Sparte zu sein: ein Jurist kann über besondere handwerkliche, ein Germanist über schauspielerische, ein Philosoph über musikalische Begabungen verfügen. Ist dem so, so sollen diese besonderen Gaben seit der Schulzeit und darüber hinaus insbesondere an den Universitäten gefördert werden und so auch die Jugendlichen zusammenbringen. Kenntnisse der Weltreligionen sind an den Schulen zu vermitteln, wenn auch die eigentliche Ethik erst an den Hoch- und Berufsschulen zu unterrichten wäre, als Propädeutikum an den Schulen wieder das Latein einzuführen wäre. Denn das Faktum des bestandenen Examens und der Entscheidung für eine künftige besondere Tätigkeit gibt dem jungen Menschen ein Gefühl von Freiheit, an welches der Ethikunterricht anknüpfen könnte. Nicht nur die real existierende Dummheit wird in der
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
291
postindustriellen Gesellschaft in ihrer erbärmlichen Nacktheit sichtbar: auch bis anhin aus sozialen Gegebenheiten unterdrückte Intelligenzen werden sichtbar und treten ins Licht, um gefördert zu werden, teilweise auch entlastet von kulturellem Ballast und in mannigfaltigen Sparten kreativ. Es wird somit auch mehr Intelligenzen und mehr Kreativität geben, wo die Gesellschaft sie nicht erstickt. Es wird sich ein gesunder Mittelstand von technisch und humanwissenschaftlich gebildeten Bürgern neu bilden müssen, wobei Mittelstand nicht = Mittelmäßigkeit heißen soll. Der Druck von außen, wertvoll als bedingend die innere Freiheit, wird nicht schwinden, aber andere Formen annehmen, vielleicht restlos sich nur noch bei den Kulturschaffenden finden. Andere Formen annehmen wird auch die Freiheit erst wirklich hervorbringende Religiosität: Das Wissen um eine hochenergetische Urmasse, welche als All ins All sich explodierte, so Grundlage nicht nur aller Religionen, sondern auch aller Materie und Natur bildend, wird den Menschen der Natur, welche er als seine Existenzgrundlage und das eigene Sein mit bedingend versteht, anders, schonender und liebevoller begegnen lassen, als dies in der christlich-abendländischen Tradition bis anhin der Fall war. So, wie der Mensch der Gottheit heilig ist, so soll es in ihrer Schönheit, in ihrer Würde, ihrer Wehrlosigkeit und in ihrem Nutzen für den Menschen auch die Natur dem Menschen sein. Denn nicht sie zuletzt gehört zu jener metaphysisch besten Welt, welche nach der Einsicht von Leibniz Gott zu schaffen intendierte. Nicht unbedingt eine bestimmte Religion, sondern Religiosität überhaupt ist gefordert. Es gilt, daß die auf Grund der Rekonstruktion des göttlichen Schöpfungsvorganges im Rahmen natürlicher Möglichkeiten durch eine zu einer neuen Mündigkeit aufgerufene Menschheit gentechnologisch veränderte und im Rahmen natürlicher Möglichkeiten weiterentwickelte Natur auch in ihrer Nützlichkeit für den Menschen als aus demselben göttlichen Ursprung her kommend, diesen transzendierend, zu respektieren sei, sei dies nun beseelte, unbeseelte oder vernunftbegabte Natur. Denn auch die vom Menschen veränderte und seinem Willen unterworfene Natur hat Eigenrechte, verdankt – auch wo der Mensch die Schöpfung weitertreibt – sich dem Absoluten. Und nicht nur der Reichtum der Regenwälder, sondern auch unser Menschenbild ist Erbe der kommenden Generationen und deren Anspruch auf Menschenwürde. Die Erde ist dem in sich und seinen Sprachen hausenden Menschen gegeben und anvertraut als die allgemeine Heimat, als das Seiende, auf das sein Sein angewiesen ist, als Möglichkeit
292
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
und Aufgabe, und d.h. als seine Freiheit und seine Verantwortung.15 Nicht Gleichheit der Menschen und Rassen ist anzustreben, sondern Gleichwertigkeit, mit neuen Bildungs-, Arbeits- und Freizeitbegriffen, mit Kenntnis der eigenen und fremden Traditionen, auch wo die Kunst so abstrakt geworden ist, wie in Hermann Hesses »Glasperlenspiel«. Die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, die Nivellierung, aber vielleicht auch Höherentwicklung der verschiedenen Arten von Bildung durch Spezialisierung, werden neue Gruppenidentitäten bedingen. Vermutlich wird die civil society in neuen Ausformungen großes Gewicht erlangen, werden neue Formen zwischenmenschlicher Identität entstehen. Vielleicht werden auch für eine wachsende Erdbevölkerung neue, menschlichem Leben zugängliche Planeten gefunden werden, die – wie einst Australien – sich kolonialisieren lassen.
15 S. Klaus Hammacher: Die Bestimmung des Menschen in der Erfahrung des Selbstbewußtseins. In: Fichte-Studien, Bd. 8, S. 89: »Die Zurechnung (imputatio) der eigenen Taten hatte man im christlichen Denken seit Augustinus als Zeichen der Verantwortlichkeit aufgrund des freien Willens verstanden. «
5.6. 2. Teil zur WL 1801/02 – Die Einarbeitung der Leibnizschen Harmonie Im II. Teil der WL1801/02 entwickelt Fichte eine Monadenlehre der prästabilierten Harmonie im Sinne und Geiste Leibnizens.1 Bei Leibniz ist das Individuum individuiert durch seinen Zusammenhang mit den anderen Individuen der sich durch seinen je besonderen point de vue auf die eine Welt und Gott ergibt. Fichte sieht hierin eine unendliche Reihe, besser einen Kreis, irgendwo muß Stillstand sein. So wird bei Fichte jedes Individuum der Kette als ein solcher Stillstand konstruiert, ein Individuations/Durchdringungspunkt, in welchem Subjektives und Objektives unmittelbar zusammenfallen und ein Wissen, d.h. Sein bilden.2 Fichte bezeichnet Leibnizens System der prästabilierten Harmonie als »in sich selbst in Nichts zerfliessend«3. Denn bei Leibniz ist jede Monade bestimmt durch die übrigen oder bestimmt selbst diejenigen in ihrer Nähe, so daß ein ewiges Schaukeln zwischen Tun und Leiden stattfindet, ein endloser Reigen. Es fragt sich, ob Fichte Leibnizen nicht Unrecht tut, wenn er konstatiert: »Dies ist ein ewiger Kreisgang, bei dem man sich nur beruhigt, weil man über ihn ermüdet, durch Verzweiflung.«4 Leibniz sieht jedoch durchaus jede Monade als Kraftzentrum mit einem eigenen Telos. Doch – wie die Platner-Vorlesungen beweisen – hat Fichte Leibniz nicht in seiner ganzen Tiefe rezipiert, eher ihn intuiert, und spinnt im II.Teil der WL 1801/02 genial den Faden aus dem Geist der Transzendentalphilosophie weiter, zum eigenen System überleitend mit der Bemerkung: »Ist 1 M.Ivaldo: Fichte e Leibniz. La comprensione trascendentale della monadologia, Milano 2000, insb. S. 13. R.Lauth: Leibniz im Verständnis Fichtes, in: Kant-Studien Bd. 87, 1996, S.396 ff. 2 GA II,6; 269. 3 GA II,6; 249. 4 Ebd.. GA II,6; 249.
294
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
nichts absolut durch sich selbst bestimmt, so kommt es nie zu einer Bestimmung. Mit dem ewigen Erborgen des Seyns geht es nicht; zuletzt müssen wir an Einen kommen, der es im eignen Vermögen hat.«5 Fichte übersieht hier, daß auch bei Leibniz jede Monade durch die eigene Essenz bestimmt ist, die ihre Kraft ausmacht, daß diese vorexistentielle Essenz im Geiste des Absoluten ihr Kern und ihr Telos ist. Wie die Wechselwirkung zwischen den Monaden stattfindet, findet allerdings, vom Standpunkt der Transzendentalphilosophie her, bei Fichte sich einleuchtender expliziert als bei Leibniz. Fichtes Modell ist stringenter als Leibnizens Wechseltun und -leiden fensterloser Monaden, wenn auch zu wenig gesehen wird, was Hans Heinz Holz hervorhebt, daß nämlich die zur Welt offenen Monaden keiner Fenster bedürfen, und daß, wo Fichte Individualitäts/Durchdringungspunkte als sich wissendes Selbstbewusstsein postuliert, auch schon die Leibnizschen Kraftzentren ein Moy sein konnten.6 Jeder Individuationspunkt setzt als ein sich wissendes Selbstbewusstsein ein Verhältnis voraus, in welchem er sich zuerst erblickte und in welchem er seinen Ort im Universum der Geister hat. Jedes Individuum lebt in einer Umwelt, die es mit prägt und durch die es geprägt wird und ist als Selbstbewußtsein ein Knotenpunkt des Universums, in dem alles Wissen, das mit seinem Verhältnis zusammenhängt sich als kontingent weiß – so hadern wir mit dem Schicksal – und de facto absolut ist. Das Ich ist sein Wissen, ist sein Wissen um sich in seinem Verhältnis. Dies Verhältnis des Individuums ist ein Verhältnis zu einem immer geschlossenen Ganzen, dem Sein aller Individuen im absoluten Sein und zugleich dasjenige zu einem in alle Ewigkeit nicht schließbaren Ganzen:7 denn Gott ist das absolute Weil und das absolute Was: Sein und Freiheit des Wissens sind grenzenlos und unabschließbar. Indem das Ich in Welt ist, ist es in Gott. Indem es in Gott ist, ist es im unendlichen Werden von Welt. Und ein Ich kann nur sein, indem es frei ist, so wie ein Individuum nur sein kann, indem es ein Bestimmtes aus der Unendlichkeit des Was ist. Die Möglichkeit des Denkbaren und Anschaubaren ist unendlich. In seiner Ausrichtung auf Gott findet sich das Ich als ein bestimmtes Denken und Anschauen, welches prägend geprägt ist durch das Universum der Geister, 5 Ebd. GA II,6; 249. 6 H. H. Holz: Leibniz, S. 48 f.: »Das Einzelseiende, das als welthaft oder weltlich durch die repraesentatio mundi gekennzeichnet ist, derart, daß das Ganze der Welt die notwendige und zureichende Bedingung seines einzelnen Seins ist, ist also in einem spezifischen Sinne »in« der Welt: nur indem es in der Welt ist, ist es in der Welt. Gerade darum braucht es aber kein Fenster nach »draußen«, es wird nicht durch etwas Außerweltliches angestoßen und bedingt und beeinflusst, sondern allein durch die vermöge seiner Welthaftigkeit in ihm selbst liegende Tendenzialität, die als appetitus terminologisch fixiert worden war.«
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
295
mit dem es im Austausch steht, seit bewußt es sich erfasste – oder wie Fichte formuliert: es findet sein Verhältnis »durch die blosse Eröfnung seines Auges«.7 Diese findet jedoch statt im ursprünglichen Anstoß, der das Ich zu seiner Urwahl veranlassen soll. Doch in eins findet das Ich sich in einer vorgegebenen Welt, die es erst zu seiner Welt machen soll. Ob das Ich das Verhältnis als sein Verhältnis akzeptiert und auf sich nimmt, oder ob es beschließt, sich so zu formen, daß auch sein eigenes Verhältnis ein anderes wird, liegt bei ihm und den ihm gegebenen Wahlmöglichkeiten. Das Ich schaut, weil es schaut, und es denkt, was es denkt, weil es sieht, was es gesehen hat. Erst in einer höheren Reflexion abstrahiert es von dieser Unmittelbarkeit, der es doch verhaftet bleibt. Das Ich hat nur Realität, indem es weiß, was auch andere Iche wissen, und es ist idealiter, indem kein anderes Ich ihm die Realität seines Wissens negieren kann. Das Ich weiß, dass es als Wissendes ein Sollendes ist, weil es ein Knotenpunkt im Universum des ewigen Einen ist inmitten anderer Knotenpunkte im Universum der Geisterwelt, die je in sich ein in sich klares geschlossenes Auge sind, das nur sich – und dies heißt, sein Wissen und Wollen – sieht, ein Wissen, das sich seinem je einmaligen Verhältnis verdankt. Im Verhältnis, der Umgebung, in der wir leben und wirken, und die zeitlich durch den Moment geprägt ist, in welchem wir uns erfassten, erkennen wir das Eine Sein und im unendlichen Quantitieren des uns umgebenden Separablen das eigene Seinsgesetz. Voraussetzung dafür, daß überhaupt ein Wissen möglich und wirklich sei, ist das Verhältnis, die Ordnung der Quantitabilität. – Selbst der »petit prince« steht auf seinem einsamen Stern in einem Verhältnis, denn er kann mit seiner Rose sprechen und kennt ihre alternierenden Gefühle.8 Erst im Du findet sich das Ich, nur indem es sich und das Du transzendiert, findet es sich als ein Soll und findet es sich so in seinem höchsten Sein. Das Wissen strukturiert seine Elemente aus der Ordnung der Separablen aus dem es umgebenden raumzeitlichen Koordinatensystem, ist darauf angewiesen, sich einem Band, einer Ordnung zu verdanken. Es ist das bestimmte Verhältnis des Mannigfaltigen, worin Bestimmtheit und Freiheit des Quantitierens, und d.h. das Was und das Weil, das wir Wissen nennen, bestehen. Und dieses Verhältnis bestimmt sich danach, in wel-
7 8 1964.
GA II,6; 251. Vgl. A. de Saint-Exupéry: Le Petit Prince. Avec des aquarelles de l’auteur. Paris
296
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
chem Raumzeitpunkt das Wissen sich ergriff und seiner sich bewusst wurde als seiend ein bestimmtes, in sich absolutes Wissen in Welt.9 Das Wissen, dessen »GrundPunkt C. ist«, hätte auch in einem anderen Punkt sich entzünden können; doch dann wäre es ein anderes Wissen, eine andere Identität. Fichte führt hierzu aus: »Es ist sonach hier in Absicht der Materie eine Wechselwirkung zwischen dem absoluten Seyn und dem Wissen«.10 Das absolute Sein, welches im Seienden erscheint, formt so das Wissen und bestimmt das Individuum, wo in eins es der Standpunkt des Wissenden ist, wie im Seienden ihm das absolute Sein erscheint. Was meine menschliche, meine kulturelle und natürliche Umgebung in dem Augenblick, da ich mir meiner als eines Wissens oder Ichs bewusst werde, ist, bildet das mich prägende Verhältnis, wird, als ein absolutes, mein Wissen, ist als das empirische Wissen, welches all meinem Reflektieren zugrunde liegen wird, stets auch schon ein Vorwissen, denn schon bevor im Anstoß ich mich erfasste, hatte ich bewusste Augenblicke, in denen ich mein Verhältnis erkannte. Wie und warum aber das Wissen ausgerechnet im »Grund/Punkt C.« sich erfasst und entzündet, weshalb ich dieser und nicht jener bin, dies und nicht jenes Schicksal habe, so und nicht anders denke und empfinde, »fällt ins unbegreifliche«, ist Schicksal, Vorsehung, Fluch, eines Gottes Wille oder unerklärlicher Zufall. Da wir nicht gewählt haben, können wir unser Verhältnis auch nie mit letzter Klarheit sehen, fehlt uns die letzte Freiheit der Gestaltung und freien »Lebensführung«. Dennoch können wir, da wir einmal in das Reich des Lebens, wissend unter Wissenden, eingetreten sind, unser Leben so führen, daß der Ursprung nicht ausschlaggebend bleibt, sondern daß wir uns von ihm entfernen und uns auch mit gebundener Freiheit formen. Doch das Reelle menschlicher Interpersonalität unter dem Sittengesetz ist »absolutes Gesez für die Freiheit.«11 Eine restlos ungebundene Freiheit wäre eine totale Leere, würde als leere Willkür sich in sich selbst auflösen. Damit Freiheit sei, muß sie 9 Das Verhältnis, so wie Fichte es als ursprüngliches fasst, erinnert an die Rolle, welche Freud der Kindheit zuschreibt. Bevor das Wissen sich ergreift, gibt es stets schon ein Vorwissen, ein seiner nicht bewusst Gelebtes, welches dann das wirkliche Sich-Ergreifen prägt. Dass Daß ich aus Freiheit mein Grundverhältnis zu verändern vermag, stellt Philonenko in folgenden Worten dar: Ecrits de Philosophie Première. Doctrine de la Science 1801-1802. Commentaire analytique par Alexis Philonenko, Tome 2, p. 119 f.: »nous pouvons donc entièrement modifier le rapport que nous, êtres réels s’y trouvant déjà, nous entretenons avec les autres membres qui s’y trouvent déjà, à l’ encontre de celui qui est déterminé par notre origine. /(GA II,6; 253).« – Wir können, uns im Verhältnis befindend, unsere Beziehung zu Anderen, welche sich in demselben Verhältnis befinden, grundlegend ändern. 10 GA II,6; 253. 11 GA II,6; 253.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
297
durch das absolute Sein an eine bestimmte Ordnung, in ein bestimmtes Verhältnis eingebunden sein. Nur im Widerstand, nur im Limes wird sich Freiheit. Anschauen ohne Denken ist leer, Freiheit ohne Bindung an das Sein verschwebt im Nichts: »daß aber irgend eine gesezte Freiheit gerade in dieses Verhältniß zum Universum gesezt ist, hängt abermals ab von dem Punkte im Universum, in welchem sie nun einmal sich aufgegangen ist«. Fichte erläutert: »Die formale Freiheit sezt sich nie schlechthin, sondern sie sezt sich allemal nothwendig, formaliter, sowie materialiter, äusserlich, von ihr selbst vorher, innerlich, in sich selbst, in einem gewissen Verhältnisse, zu anderer formalen Freiheit, sie quantitirt nicht überhaupt, sondern, da ja ihr Seyn ein Seyn für ist – sie quantitirt sich selbst, ursprünglich u. absolut in ihrem Wesen (der bekannte Begriff der Endlichkeit, u. Abhängigkeit, der hier selbst absolut ist.)«12
Die Freiheit steht stets in Verhältnissen mit anderer Freiheit, quantitiert sich innerlich, da sie äußerlich in Beziehung steht zu anderen, je anders sich präsentierenden Freiheiten, mit welchen sie interpersonal und intersubjektiv im Dialog steht. Dieser Dialog mit anderen, je anders geprägten und prägen wollenden Freiheiten, verlangt der Freiheit ein innerliches sich quantitieren ab. Meine Freiheit ist ein »Für«, und ich kann nur für mich selbst frei sein, wenn ich verstehe, auch für andere frei zu sein, und das heißt, mich ihrer Freiheit anzupassen und meine Freiheit gegen die ihre zu behaupten. Dies verlangt ein wechselseitiges, fühlendes und sich einfühlendes Wechseltun und –leiden, wie schon Leibniz es dargelegt hatte. Es bedeutet, daß die Freiheit sich vor sich selbst stellen und um sich wissend, je nach der im Außen begegnenden Freiheit sich quantitieren, in diesem Quantitieren sich sehen muß. Sie wird in der Begegnung zu einem gewissen Quantum. Auch in dieser angesichts fremder – sich ebenfalls quantitierender Freiheit – sich in sich divergierenden Freiheit ist notwendig das in ihr sich äußernde Sein gegeben, das erst sie ermöglicht. Denn nur im Wechselverhältnis mit Seiendem vermag die Freiheit zu sein, ist sie ein Sein. Das Sein der Freiheit setzt ein Absolutes voraus, eine absolute Verpflichtung, welcher die Freiheit sich verdankt und welche sie ermöglicht.
12 GA II,6; 254.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
298
Nur eine Monade kann wissend sein13 und erst die Freiheit des Seins ermöglicht das Sein von Wissen. Die Freiheit von Cajus ermöglicht Freiheit und Wissen von Titus, und Titus könnte nicht in Freiheit um seine Freiheit und sein Wissen wissen, erschienen ihm nicht in der Sinnenwelt die Äußerungen von Freiheit und Wissen des Cajus. Sie finden sich, ermöglichen sich und sehen sich nur handelnd. Denn nur im Handeln, im Tun in die Sinnenwelt werden wir uns unser bewusst als Freiheit, Intelligenz und Wissen und können so mit unseresgleichen in Wechselwirkung treten. Daß die Freiheit an Seiendes gebunden sei, ist Grundlage ihrer Existenz als Wissen. Wie die in sich selbst lebendige Materie eine gewisse Zeit hindurch im konkreten Raum lebt und »ein bestimmtes äusseres Verhältniß zum Ganzen« hat, ist ebenfalls Ergebnis ihres inneren Quantitierens.14 Es hängt ab »von der absoluten Position der formalen Freiheit als solcher.«15 Ist die Freiheit gegeben, so steht sie in Wechselwirkung mit dem absoluten Sein, das sie in eine bestimmte Perspektive einbindet. Doch stets auch ist Freiheit ihre eigene Tat: Sie verdankt sich dem Anstoß, aber nicht ohne eigenes Handeln, sie findet sich in einem bestimmten Verhältnis, aber selbst, wo es beengend ist, gibt es ihr erst den Rückhalt zu eigenem Leben. Die Welt ist in beständigem Wandel: denn stets interagiert Individuum X auf eine bestimmte – durch das Quantitieren seiner Freiheit bestimmte – Weise mit Individuum Y. Die Interaktion von X und Y bestimmt das Verhältnis, in welchem Z sich mit X und Y befindet, und wie sich die Freiheit von Z auch angesichts von A quantitiert. Die formale Freiheit ist als Freiheit des Denkens, das sein oder auch nicht sein kann, auf sich selbst ruhend, so bestimmt und prägt sie die Unendlichkeit ihrer Reflexion. Das Wissen kann so oder anders sein, je nach dem Standpunkt, welcher die Perspektive der Monade bestimmt, d. h. der Umwelt, dem Verhältnis, in welchem das Ich sich befindet; aber so, wie es ist »so ist es eben«.16 Fichte expliziert weiter: »Dies gäbe nun das Eine ewige unendliche Wissen; das ganze Accidens des reinen Seyns -. Aus dem Seyn geht durchaus weder seine Möglichkeit, noch Wirklichkeit, wie es nach Spinoza seyn müste, sondern auf den Fall seiner Wirklichkeit nur seine Bestimmtheit überhaupt hervor.«17 Die potentielle Unendlichkeit von Wissen hängt als 13 14 15 16 17
A. Philonenko, op.cit. tome 2, p. 122. GA II,6; 255. GA II,6; 255. GA II,6; 256. GA II,6; 256.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
299
Möglichkeit dem reinen Sein vernünftigen Denkens an. Es handelt sich stets je um ein bestimmtes, durch das Verhältnis und die Vernunft des Ich bestimmtes Wissen. Im unendlichen Raum und der unendlichen Zeit ergibt sich jede mögliche Form menschlicher Verhältnisse, individueller Freiheit und vernünftigen sich als vernünftiges und freies Wissen Wissens und Bestimmens. Rein aus dem Charakter eines Individuums abgeleitet, ohne Freiheit des Ich, ergibt sich nur auf Grund des Charakters die Bestimmtheit eines Wissens. Daß wirkliches Wissen aber möglich und wirklich sei, ergibt sich aus dem Akzidenz der reinen Vernunft, der Freiheit. Was Fichte hier erklärt, ist das Wissen als Wissen des Monadenkosmos. »Dieses also zu umfassende Wissen ist nun in Beziehung auf das Wissen für sich, selbst Substanz.« Das Wissen, das als Denken sich verwirklicht, ist Akzidenz, teils des gesamten Wissens als solchen, zum anderen des absoluten Seins, das jegliche Form von Wissen erst ermöglicht. Es ist sonach in der Gesamtheit von Welt ein »geschloßnes System von Modifikationen des Wissens, wiederum nicht an sich Modificationen, welches abermals sich widerspricht, sondern nur den Grundpunkten, und Reihenfolgen nach, vollkommen erklärt.« Jeder Grundpunkt, jede Monade ist notwendiges Element des Gesamtwissens, deren Wissensgehalt sich aus ihrem Verhältnis zu anderen Verhältnissen innerhalb des Monadenkosmos ergibt. Fichte spricht von einem Ganzen von Wissen oder Totalität, indem er expliziert: »Ganzes wurde es ja sichtbar dadurch, daß das einzelne Wissen sich eben als ein geschlossnes Einzelne auffaßte, welches, da es Resultat einer Bestimmung durch andere seyn soll, doch nur einer geschloßnen Summe Resultat seyn kann.«18 Jede Monade ist sich ihrer selbst bewusst als seiend ein Kraftzentrum, welches in eins in seinem Sein geprägt ist durch die Totalität des sie umgebenden, ebenfalls aus Kraftzentren bestehenden Monadenkosmos, der notwendig ein Totum ist, da die Monade nur eine bestimmte Zahl von Einflüssen verträgt; unendlich ist der Monadenkosmos, indem nicht von vornherein fest steht, welche Einflüsse auf eine bestimmte Monade einwirken werden, diese schlechthin ins Unendliche bestimmbar ist. Außerhalb des Universums, das notwendig ein Universum der Geister ist, gibt es Nichts: »der innere Stoff des Universums aber ist die gesezte Freiheit, und diese ist unendlich. Das geschloßne u. vollendete Universum trägt
18 Ebd. GA II,6; 256.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
300
daher ein unendliches noch an sich, u. nur darin eben ist es geschlossen, daß es die Unendlichkeit trägt, u. hält.«
Alle mögliche Freiheit, die je sich verwirklichen will, kann dies nur innerhalb des Universums der Geister und dies ins Unendliche; welche und eine wie geartete Freiheit jedoch sich verwirklicht, fällt ins Unbegreifliche; denn die Freiheit ist Gabe der Gottheit, wie er sie verwirklicht, Wille und Verantwortung des Menschen. Und so stellt der intellektuellen Anschauung sich die Frage: »Wodurch ist dieses Verhältnis bestimmt? Dasjenige des »wirklichen zum möglichen, dasjenige des gesezten zum unendlich sezbaren?«19 – Weiter unten wird Fichte eine Antwort geben, welche den Menschen an sich und seine Verantwortung vor Gott und Menschen verweist: »Es ist eben alles, wie die Freiheit es macht, und wird nicht anders, wenn die Freiheit es nicht anders macht.«20 Nicht ursprünglich vereint im Absoluten wie bei Leibniz, ist der Mensch ein Was und ein Weil. Er ist ein Wissen, das sich selbst sein und tragen muss. Er ist sowohl ein Was wie ein Weil, er ist Wissen von sich und Welt, und er ist in diesem Wissen Freiheit. Er kann die Freiheit nicht eskamotieren. Aber seit der Aufklärung und seit der großen Revolution trägt er vor Gott die Verantwortung für sich und Welt. Die Gottheit hat experimentiert: Sie hat sich im christlichen Abendland zurückgezogen, damit die Kreatur sich zeige, so wie sie ist, in ihrer Nacktheit, ohne Gott, in ihrem Wissen und ihrer Freiheit, in ihrem Gewordensein in der Geschichte und durch die Geschichten. Zur Freiheit des Absoluten und zur Freiheit des Menschen gehört, daß jenes vorübergehend sich aus der Geschichte zurückziehe, auf daß der seiner bewußt gewordene Mensch erproben könne, wie eine Welt sich gestaltet, in welcher »Gott tot« ist. In der WL 1801/02 postuliert Fichte eine Freiheit des Menschen, die selbst gegen Gott sich soll behaupten können und dürfen: »denn selbst das Ewige, selbst die Gottheit, muß die Freiheit nicht gefangen halten.«21 Noch in der WL von 1812 wird Fichte an dieser Aussage festhalten: »Giebt es nun wirklich ausser Gott eine Freiheit, eine Selbstbestimmung aus sich. Wir haben dieselbe schon ganz klar u. unumwunden mit Ja beantwortet (...) Die Erscheinung ist also frei; sie ist ein Leben überhaupt nicht von sich, sondern durch Gott: selbst aber bestimmend dieses Leben durch sich.«22 19 20 21 22
GA II,6; 257. GA II,6; 264. GA II,6; 322. GA II,13; 93.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
301
Auch beim späten Fichte ist die Freiheit zentral. Aber es ist nicht mehr die Freiheit, die der Mensch ist, indem er sie hat, sondern die er darstellt, indem sie ihn hat. Gott tötet sich im Denken der Menschen, auf daß sie in ihrer Selbstfindung frei experimentieren können, im Versuch, eine Welt zu errichten und ein Leben zu leben ohne das ungewisse Wissen um Gott und das Verhaftetsein der eigenen Vernunft in diesem wissenden Glauben. Auch dieses Nichtsein Gottes gehört zu seinem Sein und seiner Wahrheit, das ursprüngliche Sein der Spannungen im Nichts, das Nichts, das ausgestoßen wird in der Sich-Kontraktion zur Urmaße. Der Mensch soll seine Freiheit ausleben können bis zu deren Aufhebung in der Willkür, soll den Versuch wagen, die Verantwortung für sich und Welt im Alleingang zu übernehmen, soll sich einer absoluten Kontingenz stellen können, in welcher auch das ursprünglich vom All verdrängte Nichts zum Durchbruch kommt. Im Nihilismus und in der absoluten Kontingenz sieht der Mensch sich auf sich zurückgeworfen, muß er das eigene Selbst auf seine Menschlichkeit und Göttlichkeit hin befragen. Das Absolute hat dies von Anbeginn beschlossen, weiß im Werden der Welt längst, wie die Scharade ausgehen wird. Vielleicht hat Nietzsche richtig gedeutet, wenn er den Nihilimus als dem Christentum in seiner Wurzel anhaftend behauptete. Vom Nihilismus und Konsumismus geprägt, lässt vielleicht auch China nur durch die Rückbesinnung auf die alten Lehrer sich retten. Doch das Absolute ließ die mit absoluter Kraft aus dem Nichts ins Dasein drängenden Essenzen absolut frei, wandte den Blick ab. Denn die Gottheit will ja die Freiheit des Menschen, auch um den Preis, daß dieser sie tot sagt. Der Mensch soll frei und aus eigenem Fühlen und Denken zur Gottheit zurückfinden, und so verbirgt diese sich absolut, auch alle Bilder aufhebend, welche die Menschen je nach dem eigenen Bilde von ihr gemacht haben. Sie wird so zum ganz Anderen, das dadurch sich rechtfertigt, daß jegliche institutionalisierte Kirche eine Negation Christi ist. So wie bei Leibniz die menschlichen Geistmonaden in der Geschichte »von Augenblick zu Augenblick durch ständige blitzartige Ausstrahlungen der Gottheit« entstehen23, so kann bei Fichte plötzlich, überall und immer die Intelligenz, kann menschliches Wissen entspringen. Das Wissen für sich ist ein Entspringen, ist das für sich des Entspringens.24 Das Wissen entspringt aus seinem Nichtsein, aus dem Sein 23 Mon. § 47: »les Monades (...) naissent, pour ainsi dire, par des Fulgurations continuelles de la Divinité de moment à moment«. (G VI, 614). 24 A. Philonenko, op. cit. Tome 2, p. 125: »est le pour-soi du jaillissement.«
302
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
des Nichtwissens. Alles Wissen setzt ein Sein dieses Nichtwissens voraus, ohne das es kein Wissbares gäbe und kein Wissen. Gesetz des quantitierenden, als Anschauung entspringenden Wissens ist das absolute Sein, welches es auch insofern zu einem bestimmten Wissen, und so Wissen überhaupt macht, indem es sein Quantitieren beschränkt, an eine Beschränkung bindet, es so zu einem bestimmbaren Bestimmten macht. Wie das Gesetz ausfällt, das dieses bestimmte Wissen als ein solches in sich bindet, hängt ab von der Freiheit: es ist eine Bestimmbarkeit, die sich so oder anders bestimmt.25 Das Wissen ist »für sich«26, indem es nicht Anschauung bleibt, sondern denkend sich erfasst; es wird zu einem seiner selbst bewussten Hinschauen des Seienden, und im Fluss der Anschauungen ist das Denken das auf sich Ruhende, und ist das denkende Wissen um das Hinschauen in der intellektuellen Anschauung das absolute Sein des Wissens.27 Daß jedes Ich ein Individuations/Durchdringungspunkt des unendlichen Monadenkosmos ist, der sich denken läßt wie ein kugelförmiges unendliches Spinnennetz, dessen Knotenpunkte die Individuationspunkte sind, davon ist »das absolute Seyn der Grund.«28 Das denkende Hinschauen eines Bestimmten, durch welches das Denken als Bestimmbares in seinem Sein sich bestimmt, ist in seinem sich in der intellektuellen Anschauung wissen das absolute Sein des Wissens und der Freiheit. Denn letztere ist dadurch gegeben, daß ich innerhalb des mich umgebenden Anschaubaren bewußt hin-schaue und dieses Hin-Schauens denkend mir bewußt bin. Denn je denkender, je gewordener der Mensch, desto selektiver wird sein Schauen; der Botaniker betrachtet die unbekannte Pflanze anders als ein Kind. Daß »irgend etwas gewußt wird (...) gewußt wird mit dem Accente, ist gegründet im abs. Seyn.« »Was da gewußt wird, hängt durchaus von der Freiheit ab.«29 Insofern stellt mein Denken und Wissen eine Totalität dar. Zwischen dieser meiner Totalität und der Totalität des Absoluten liegt der unendliche Bereich der Religionen, Philosophien, des Wissbaren, der absoluten Quantitabilität.30 Der Hinschauung liegt vor aller bewußten Freiheit die »Anschauung für u. in sich« zugrunde.31 25 GA II,6; 258. 26 GA II,6; 259. 27 GA II,6; 258. 28 GA II,6; 260. 29 GA II,6; 261. (Sätze umgestellt. – KVT). 30 A. Philonenko, op. cit. Pp . 127: »Si la religion est concevable c’est précisément dans la médiation entre l’unité finie de ma pensée et l’unité infinie de Dieu.« 31 GA II,6; 262.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
303
»Als solche ist sie ein Punkt des sich ergreifens des Wissens in der unendlichen Sphäre des Wissens;«32 sie ergreift sich als seiend einige belebte Materie in der Zeit. Dieser Denkpunkt ist durch sein Hinschauen ein »bestimmter«, indem er bestimmt ist durch sein Verhältnis zum nicht nur unendlichen, sondern auch wirklichen Ganzen. In diesem Verhältnis seines Verhältnisses zu den übrigen Verhältnissen kann er zu einem »Gefühl absolutes der Individualität werden.«33
Anschaulich ist dies im Entstehen von Individualität in den Trotzphasen der Kindheit, die eine Abgenzung und Ausgrenzung gegenüber dem zufällig angestammten Verhältnis bedeuten. Die Form des Seins, sein Bestehen als solches, hat der Konzentrationspunkt aus dem absoluten Sein. »Sein bestimmtes Seyn (...) hat es aus der Wechselwirkung seiner eigenen Freiheit mit dem Ganzen.«34 Der Druck, den andere Individualitäten auf das Ich ausüben, drängt es in die Individuation. Erst die Individuation ermöglicht dem Ich interpersonalen Widerstand, in welchem es nicht nur durch die anderen Individuen geprägt wird, sondern seinerseits wiederum seiner Umgebung den Stempel aufdrückt. Es kommt also die für Fichte zentrale Kategorie der Wechselwirkung zum Durchbruch. So wendet denn auch Fichte hier sich der Frage zu: »Was ist nun also (..) der Charakter des wirklichen Seyns. Durchaus nur ein Verhältniß von Freiheit zu Freiheit, zufolge eines Gesetzes.«35 Das Leben des absoluten Seins gewinnt seine Wirklichkeit in den Ichen des intermonadischen Kosmos, in dem einzig es Freiheit gibt, und in dem die Freiheit des einzelnen Individuums im Verhältnis steht zu Aller Freiheit, einer Freiheit, die nur möglich ist, weil sie sich dem Sittengesetz unterstellt. Freiheit rechtfertigt sich einzig aus Kreativität und dem Sittengesetz: In der WL 1811 wird Fichte schreiben: »ein Gesez für die Freiheit, das die Freiheit ganz u. unbeschadet stehen läßt; ein Soll, das die Freiheit stehen läßt, nicht ein Muß, das sie aufhebt. Das Soll ist die Form des Seyns, die Freiheit durchdringend, u. mit ihr vereinigt, das synthetische Glied beider.«36 Das Sittengesetz wiederum erfordert Freiheit, auf daß eines jeden Freiheit mit derjenigen der anderen interagieren und so Realität gewinnen könne. Ein isoliertes Ich steht jenseits der Realität. Erst ein Du kann dem 32 33 34 35 36
GA II,6; 262. GA II,6; 262. GA II,6; 263. GA II,6; 263. WL 1811, GA II,12; 193.
304
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Ich zur Individuation und zur Freiheit und Realität verhelfen. Doch ist die reine Ich-Du-Beziehung starr und ermangelt des Lebens. Erst im Dreiermodell erscheint die Gottheit. Und erst in der Gemeine der Freien verwirklicht sie sich. Und nur so wird eines jeden Freiheit frei und unberechenbar und gewinnt sie Realität. Mein Denken setzt je schon den Dialog voraus, aber damit es real sei, muss es mindestens an ein weiteres Ich und an ein weiteres Du mitteilbar sein. Denn Realität gewinnt das Ich nur in der Interpersonalität; Individualität will interpersonal erprobt sein. Isoliert ist das Ich eine bloße Vorstellung, die Idee bloß eines wirklichen Ich, das ein durch Individualität bestimmtes Vernunftwesen ist. »Das reale, das da nun da liegt, u. vor allem wirklichen Wissen vorher das Wissen trägt = R. ist ein ConcentrationsPunkt zuförderst aller Zeit des Individuum, u. es ist begriffen, als das was es ist, nur inwiefern diese begriffen ist – sie wird immer begriffen, und nie. Es ist ein ConcentrationsPunkt aller wirklichen Individuen in diesem Zeitmomente = Z. ferner vermittelst dessen aller Zeit dieser, u. aller noch möglichen Individuen.«37
In der Wechselwirkung der Freiheiten wird das Ich zu einem Individuum. Erst die Interaktionen innerhalb des Monadenkosmos komprimieren das »vor allem Wissen vorher das Wissen« tragende Ich zu einem wissenden und für sich seienden Individuum. In diesem Augenblick des freien sich Ergreifens in der Interpersonalität ist die gesamte Lebensspanne des Individuums, sind all seine künftigen Formierungen enthalten. Und zwar ist in diesem Konzentrationsmoment nicht nur das ganze künftige Leben des zur Freiheit und Realität drängenden Ichs enthalten, sondern es sind die Leben aller Individuen, die allesamt in der Klarheit des Auges des sich Ergreifenden sich für ihn spiegeln; der aufgehende Blick in diesem Zeitmoment = Z. umfaßt nicht nur das eigene Leben und dasjenige der Zeitgenossen, sondern das sich erfassende Individuum erfasst in eins auch alle künftig noch mögliche Individuen, so wie alle gewesenen in ihm auferstehen. – Terror und Unterdrückung haben ihren Ort, doch das Reich der Freiheit ist unendlich und ortlos. Fichte resümiert und setzt neu ein in einem Satz, welcher konsequent aus der transzendentalphilosophischen Weiterentwicklung von Leibnizens Monadenkosmos sich ergibt: »Das Universum der Freiheit in Einem Punkte, u. in jedem Punkte.« Jeder Punkt gibt jedem anderen Punkt Realität und wird durch die anderen für sich selbst sich für sich realisie37 GA II,6; 263.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
305
rende Realität. Jeder Punkt ist qua individuelle Vernunft eine mögliche und zugleich eine stets sich gleiche Konzentration des Einen absoluten Wissens, und jeder Punkt ist wahr, insofern er ins Ganze eingebettet ist und so auf dem Absoluten ruht: »Inwiefern das Individuum I. mit seiner immanenten Freiheit, zufolge der ersten Synthesis – wenn auch eben nicht in ihr – ruht auf dem absoluten, u. alle anderen Individuen –I. gleichfals, kann es ruhen auf sich, und in sich auf jenen, und umgekehrt.-.«38 Indem das Individuum Konzentrationspunkt im Verhältnis von Freiheit zu Freiheit und so für sich unter dem Sittengesetz ist, ruht es auf dem Absoluten als dessen sich erscheinende Erscheinung der späte Fichte das Ich bezeichnen wird. Indem die Individuen – jedes für sich und jedes für alle – jedes für die eigene Freiheit und für die Freiheit aller auf dem Absoluten ruht, ebenso wie die übrigen freien Individuen, ruht es auf sich, und indem es auf dem Absoluten ruht, ruht es auf und in sich auch auf den anderen Individuen, welche sein Individuum-Sein ermöglichen – auch wo sie es negieren – so wie alle Individuen des Monadenkosmos in eins in und für sich und auf und in den anderen ruhen, getragen vom Geist, vom absoluten Sein, das sie als Wissen belebt. Einen Schlußstein legt Fichte mit den Sätzen: »Wie weiß I. daß diese Summe von –I. die es weiß, mit einem Wissen ruhen in dem absoluten? Weil es ausserdem von sich nicht so wüsste, um von ihnen zu wissen, sondern anders.«39 Wir wissen von Anderen aus Gott. Indem ich mich als Vernunft ergreife, ergreife ich mich als begrenzte Vernunft in Gott und setze in diesem Mich-Begreifen notwendig auch andere Vernunft außer mir. Indem die Individuen, jedes für sich und jedes für alle, jedes für die eigene Freiheit, die es handelnd verwirklicht und für die Freiheit aller, die es reflektierend erfaßt, Vernunft verwirklicht, ruht es auf sich, indem es auf dem Absoluten ruht, ruht es auf und in sich auch auf den anderen Individuen, welche sein Individuum-Sein in der Begrenzung ermöglichen. Die Totalität ist der Monadenkosmos, getragen vom Absoluten als Harmonie aller Seienden, das als Wissen ihn belebt. Das Ich ist individuelle Kraft. Indem das Ich ein Für sich ist, ist es Kraft. Aber es ist Kraft nur, inwiefern die anderen Monaden es wahrnehmen. Je mehr Kraft das Für sich ist, desto deutlicher sind seine Gesichte, die es außer sich, in der Sinnenwelt darstellen will, auf daß andere Ich-Monaden ihre Kraft bändigen, und ihre Freiheit in sich zurücknehmend, die Freiheit des Individuums wahrnehmen, das gestaltet hat und das Universum veränderte durch seine Handlung; in 38 Ebd. GA II,6; 263. 39 GA II,6; 263.
306
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
dieser Anerkennung des Kunstprodukts finden auch die selbst nicht kreativen Individuen zu ihrer Freiheit. Erst in diesem Sein-für-Andere gewinnt das Individuum mit seinen Gesichten Realität, wird es zu einem wahrhaften Individuations/Konzentrationspunkt innerhalb des Monadenkosmos. Fichte verweist darauf, daß das empirisch Seiende, stets »ein concretes« ist, und dies notwendig: Es gäbe kein Wissen, wäre das, was wirkliches, empirisches Sein ist, nicht konkret, wir würden sagen »komplex«. Es werden drei Arten der Komplexität unterschieden: 1. Das Mannigfaltige muß sich im Sein bewahren, indem es nicht ins Unendliche teilbar ist, so letztlich sich als Nichts erweist. Damit das Ich an eine Realität von Welt glauben kann, muß diese als ein Konkretes dem Blick standhalten. Daß nicht ein ins Unendliche teilbares Mannigfaltiges vor unserem Blick in Nichts zerfließe, »Davon liegt der Grund im absoluten Seyn.«40 2. Das empirische Sein ist notwendig ein Mannigfaltiges, das der formalen Freiheit als Quantitabilität ins Unendliche erscheint. 3. Die formale Position und Gesetztheit der Freiheit ist die Reflexion, in welcher das Ich sich als solches, nämlich als ein für sich erscheint, sich in der intellektuellen Anschauung als ein Subjekt-Objekt sieht, indem es faktisch Seiendes auffasst. Fichte wird darauf hinweisen, daß die Empirie die notwendige Voraussetzung zur transzendentalen Freiheit ist. Ohne das Konkrete der Empirie wäre nicht einmal Quantitabilität also die Freiheit der Anschauung gegeben, somit auch keine Materie und kein Cogito. Konkret ist aber auch das Denken, indem es stets ein etwas durch etwas denken ist. Und erst die konkrete Mannigfaltigkeit des Denkens ergibt ein Denken. Schon Leibniz hatte das Cogito von Etwas als ein Cogito von Mannigfaltigem bezeichnet. An der nun kommenden Stelle weist Fichte darauf hin, dass er bis anhin nur das Modell eines freien Monadenkosmos entworfen habe, und ermahnt sein Publikum: »Nun glaube doch ja niemand, daß wir wirklich schon hier, als für sich abgesondert, u. isolirt, die Freiheit handeln lassen.« Es folgt der begründende Einwand: »Diese Freiheit ist ja in keinem Wissen, sondern ist nur die allem Wissen vorausgesezte Freiheit.-.«41 Im empirischen Leben pflegt das Wissen der Freiheit vorauszugehen; doch idealiter ist die Freiheit die Voraussetzung der Möglichkeit von Wissen, seines »jaillissement«, wie Philonenko sagt, seines frei Entspringens. Am Ende des Abschnitts erläutert Fichte: »(Was du z.B. handelst thut dir erst das Reich des Wissens, u. damit deines ursprünglichen Freiheitscharakters
40 GA II,6; 264. 41 Ebd. GA II,6; 264
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
307
auf.«42 Rückblickend erst verstehe ich die Zukunft meiner Handlungen. In meinem Denken bin ich absolut frei, und ich soll auch die Dinge denken, die zu tun mir vom Sittengesetz verboten ist. Aber ob und wie weit ich mich an mein Gesolltes gehalten habe, verstehe ich oft erst nachträglich. Und ich bin nicht der Held, von dem ich träume, sondern der Mensch, von dessen Taten ich weiß, denn indem ich handle, erschaffe ich mich. Handeln tun wir oft aus einem vorgeformten Instinkt unserer Persönlichkeit. Was dieser aber bedeutete, wissen wir oft erst im nachhinein. Schon oben wurde dargelegt, daß die Freiheit des Wissens auf der quantitierenden Anschauung beruht: »das Quantitiren, ist die Natur, das Innere, von ihm unabtrennliche, sein Wesen selbst ausmachende des Wissens,«43 das im Denken sich zu einem Schema formiert. Fichte exemplifiziert dies am Schema des Raumes. Wir pflegen nicht Sterne und Galaxien aufzuzählen, sondern wir abstrahieren vom Angeschauten in einem vom Anschaubaren abstrahierenden und es doch ausdrückenden Begriff, einem Schema. Daß das Wissen nicht als ein bloßer Bewußtseinsstrom, als ein ewiges Fliessen erscheint, liegt nicht erst am auf sich ruhenden Denken, sondern am aktiven Tun, dem aktiven Quantitieren der Anschauung; es ist dies schon intelligente Handeln der Anschauung, welche dem Denken das Schematisieren erst ermöglicht. Das Schema ist ein bestimmtes Wissen, ein Punkt, an welchem das Wissen als in einem »DenkAkt«44 sich ergreift. Dieser Punkt »liegt allenthalben und nirgends, die ganze Sphäre ist sein Repräsentant.« Das Eine Wissen teilt sich auf in Denkpunkte. Die Quantitabilität, die Möglichkeit des Anschaubaren und bestimmend Bestimmbaren ist unendlich wie die innere Möglichkeit von Freiheit; doch »die Bestimmtheit eines Punktes in der Quantitabilität, als absolute Bedingung eines wirklichen Wissens« ist erfordert, sowohl dafür, dass das Eine Wissen sei, wie dafür, daß das jeweilige Wissen zu einem mit sich identischen Ich werde. Es darf kein Vakuum des Wissens geben, und d.h. erforderlich ist ein Monadenkosmos als »ein geschloßnes System der bestimmenden Glieder.«45 Was X nicht weiß, muß Z wissen; was Y weiß, brauchen X und Z nicht deckungsgleich zu wissen; aber Y muß u.a. wissen, was X und Z nicht genau wissen. Denn »Die Totalität kommt (...) nur im Denken der Bestimmtheit des Durchdringungs/IndividualitätsPunktes – vor, u. ausser-
42 43 44 45
GA II,6; 365. GA II,6; 265. GA II,6; 266. GA II,6; 267.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
308
dem gar nicht.«46 Was Fichte hier unter Totalität, die ja doch die Freiheit nicht ausschließen soll, versteht, sagt er mit folgenden Worten: »Es ist schlechthin nothwendig, dass das, an sich durchaus Eine, u. sich selbst gleiche Wissen sich zusammenfasse u. beschränke auf einen ReflexionsPunkt, wenn es jemals zu einem wirklichen Wissen kommen soll; dieser ReflexionsPunkt aber, ist ins unbedingte wiederholbar allenthalben aber sich selbst gleich.«47
Ich = Ich, der Satz der Identität und des Selbstbewußtseins, das reine SichDenken der Vernunft ist ein »absolut unveränderliches Denken« und stets und in jedem sich selbst gleich. Nur in der intellektuellen Anschauung des unmittelbaren sich Denkens, welche jedes Denken als bewußtes trägt, schließt sich der Kreis des Selbstbewußtseins als Totalität. Jedes Ich ist eine Perspektive möglichen Wissens; aber das sich als Wissen wissen eines Wissens ist stets das eine Selbstbewusstsein. Eben an diesem Punkt, wo »ganz u. durchaus aller äußere Unterschied zwischen den Individuen verschwindet,«48 setzt Fichte dazu an, das »Innere der Individualität auseinanderzusetzen«. Hier zeigt sich wieder der von Leibniz durchaus differente Ansatz: Leibniz geht bei der Erklärung des Vernunftwesens vom Individuum aus, von den individuellen Vorlieben, Leidenschaften, Tendenzen, Neigungen, auch Instinkten, von Erziehung und Selbstformung. Fichte geht aus vom Vernunftwesen und erklärt, weshalb dies notwendig auch Individuum ist. Er geht hierbei von einer Fiktion aus: »ich sage mir ich, und du sagst dir ich; beides bedeutet durchaus dasselbe der Materie nach«49; würde man sich nicht wechselseitig hören und denken, so könnte ebenso wohl nur ein Ich gegeben sein; laut Fichte löse ich mich von mir ab und stelle mich mir gegenüber. So kann ich mir sagen, daß die Erscheinung eines artikulierten Leibes, die mir gegenüber steht und spricht, schlicht ein anderes Ich ist. Dem steht entgegen die individuelle Einmaligkeit bei Leibniz: daß es auch andere Individuen gibt, stellt für mich kein Problem dar, da die Einmaligkeit schon in Gott gegeben war, sich darstellt in der je einmaligen Perspektive, in welcher das Individuum seine Ideen, Gott und die Welt sieht. Es gehört hiermit zur Absolutheit Gottes, denn dieser ist eigentümlich, daß sie auf absolut unendliche Weise absolut gesehen werden kann, daß jedes lebende 46 47 48 49
Ebd. GA II,6; 267 GA II,6; 268 Ebd. GA II,6; 268. (Satz leicht umgestellt – KVT.) GA II,6; 268
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
309
Geistwesen ein je individuelles Bild Gottes hat. Fichte hingegen interessiert sich nur soweit für das Individuum, als dieses »das innere Princip des Wissens« ist50, da in der endlichen Welt nur ein Individuum Träger von Wissen, Wollen, Handlung sein kann. Im unmittelbaren Sich-Ergreifen der Reflexion fallen Subjektives und Objektives in Eins, wie einjeder introspektiv erkennen kann. Das Subjekt-Objekt ist nicht weiter hinterfragbar, sondern es ist absolut, ist Wissen, so wie dies Wissen wiederum Seiendes, d.h. Sein ist. Dieses absolute Sein des Wissens durchströmt mich als »unmittelbares DaseynsGefühl, welches durch alles mein besonderes Wissen hindurch fliest, u. dasselbe trägt, so wie es selbst vom absoluten Seyn getragen wird.«51 Dies Daseinsgefühl im Wissen gibt mir erst mein individuelles Daseinsgefühl, das Gefühl, ein besonderes Ich, ein Individuum zu sein. Denken und Anschauen, absolutes Sein und Individualität sind so synthetisch vereint. Vor dem Solipsismus bewahrt mich, daß Wissen nicht bloßes Wissen von mir, sondern stets auch Wissen um andere und Anderes ist. Mich fühle ich, den Anderen jedoch fühle ich nicht, sondern denke ihn nur, indem ich ihn als mir gegenüber stehendes alter Ego identifiziere. Der Andere und ich anerkennen uns als geschiedene Individualitäten, je als ein »Daß, keinesweges aber als ein Was«52; wir können nie wirklich wissen, was das andere Individuum fühlt, das Innere des Anderen ist für mich eine ewige black box und so für mich eine absolute Grenze53: »jeder objektivisirt also die Individualität, sie wiederholend, u. vermittelst deren erst das Universum.54 Ich objektiviere den Anderen und setze voraus, daß dieser es mit mir ebenso mache. Wir erkennen uns wechselseitig als ein »Daß,« ein Individuum, aber nicht als ein »Was«, dessen Inneres, das uns gegenseitig stets unbekannt bleibt. Jedoch ist der Andere mein erstes Objekt, und veranlaßt mich, das Universum objekthaft vor mich hinzustellen. Denn es ergibt sich, daß aus »der Möglichkeit eines Wissens überhaupt (…) die Bestimmtheit überhaupt« folgt, »aus ihr das Materiale, als allenthalben, und 50 GA II,6; 269, Vermerk. 51 GA II,6; 269. 52 GA II,6; 270. 53 A. Philonenko sieht hierin einen Rückschritt gegenüber der Auffassung Rousseaus und die transzendentalphilosophische Auffassung teuer erkauft; er schreibt: »Fichte, ce me semble, paye d’un bon prix sa systématisation conceptuelle et transcendentale. Il n’existe pas semblet-il de sentiment particulier d’autrui et sa doctrine apparaît comme une régerssion par rapport à Rousseanu.« (Doctrine de la science 1801-1802. Tome 2, p. 133.) 54 GA II,6; 270.
310
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
durchaus dasselbe.«55 Die Erscheinung des artikulierten Leibes ist überall gegeben, wo ein Selbstbewußtsein, ein Ich=Ich gegeben ist. Jedes Ich=Ich ist jedem anderen Ich=Ich, jedes Selbstbewußtsein ist jedem anderen Selbstbewußtsein gleich, so wie die aus der Notwendigkeit von Selbstbewußtsein folgende Materie überall dieselbe ist. Wo und wann in Raum und Zeit ein bestimmtes Selbstbewußtsein sich findet, spielt in Fichtes Augen keine Rolle, denn hier beginnt die Besonderheit des Verhältnisses, das Individuum. Alle Vernunft, alles Für sich, alle Möglichkeit von Denken und Handeln liegt im Konzentrationspunkt, der – hier als Schema gefaßt – einer und überall ist: »die ganze Sphäre ist sein Repräsentant.«56 Zum anderen jedoch ist Vernunft ohne Besonderheit, und d.h. ohne ein sie tragendes und verwirklichendes Individuum nicht denkbar: »Concentrations- und Individualitätspunkt« fallen somit in eins, sind ein Ich, dem Materie, es ermöglichend, anhaftet, ein Leib, über den es handeln und empfinden und seinem Wollen Ausdruck verleihen kann, handelnd auf sich selbst zurück und über die Sinnenwelt auf die übrigen Monaden handeln kann, die es über das Medium seines Leibes denkend wahrnimmt. Wohl anknüpfend an ein Konversatorium, beruft sich Fichte auf die Einsicht seiner Hörer: »indem hier die Individualität u. alle Subjektivität, eben rein von der Objektivität abgesondert wird, nichts ist; es war ein Daß kein Was.«57 Alexis Philonenko kommentiert, daß ich ein Wesen für die Welt bin, egal, ob es sich nun um die intelligible oder die Sinnenwelt handelt: andernfalls bin ich nicht.58 Dem ist beizupflichten mit der Bemerkung, daß ich nur ein Wesen für das Universum sein kann, wenn ich zugleich ein Wesen für mich selbst bin. Nochmals hinzuweisen wäre auch auf die Anmerkung Kants in den »Prolegomena«, wonach wenn ich alle Subjektivität von aller Objektibität absondere, mir ein bloßes, vages IchGefühl bleibt. Hier führt Fichte Leibnizens Ansatz transzendentalphilosophisch weiter. Auf den Seiten 270 – 272 von GA II,6 verweist Fichte mehrfach auf schon Vorgetragenes. Tatsächlich sind die vorhergehenden Seiten klarer und verständlicher als der hier vorliegende Text. Fichte unterscheidet an dieser Stelle eine doppelte Reflexion, wonach sich herauskristallisiert ein Sein, welches den Charakter des Wissens, 55 GA II,6; 270. 56 GA II,6; 267. 57 GA II,6; 271. Vgl. GA II,6; 270: »Es ist das ewige unveränderliche Daß, keinesweges aber ein Was, wodurch alle Individualität bestimmt wird. a) jeder objektivisirt also die Individualität, sie wiederholend, u. vermittelst deren erst das Universum.« 58 A. Philonenko, op. cit., Tome 2, p. 134.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
311
und ein Wissen, das den Charakter des Seins hat. Alles, was ist, ist notwendig in einem Wissen, und ohne Wissen gäbe es kein Seiendes. Sein des Seienden ist die Voraussetzung jeglichen Wissens: gäbe es kein Seiendes, wäre auch ein Wissen unmöglich. Bei Fichte ergeben sich hier die üblichen zwei Sphären: »die eines absoluten, fertigen, Seyns, nach den Gesetzen des Wissens für das ein Seyn auffassendes, u. selbst ein seyn seyendes Wissen, das Denken, aus dem zweiten Gliede ein Wissen, als solches über dem Seyn, in der Form die im Wissen des Wissens ist, in der Anschauung, ein unendliches, werdendes, nie fertiges, u. nie zu beschliessendes Wissen vom Seyn.«59 Die Welt ist nie fertig und zu Ende, die Anschauung ein unendliches Werden, wo das Denken auf sich selbst beruht, dem Ansturm der Zeit trotzt und Bild des absoluten Seins ist, wie Fichte später darlegen wird.60 Die Anschauung, als ein Entspringen des Wissens aus dem Sein, ist unabdingbare Voraussetzung alles Wissens: »Diese muß daher seyn, u. das Denken, u. sein Produkt (nur für das Denken nemlich, u. ausser ihm nirgends) die intelligible Welt, ist daher bedingt durch die Anschauung, u. ihr Produkt, die SinnenWelt in der Anschauung nemlich, und für sie, u. ausserdem nirgends.«61 Die intelligible Welt als Welt der Freiheit ist nur für das Denken, und sie kann für dieses sein, weil sie als Sinnenwelt, von welcher das Denken abstrahiert, in der Anschauung vorgegeben ist. Fichte hebt hier nochmals hervor: »Dagegen erscheint das Denken als Akt einer absoluten Freiheit, die eben so wohl auch nicht seyn könnte.«62 Zwischen Denken und nicht Denken, um die intelligible Welt und die transzendentale Freiheit wissen und nicht wissen, ist ein Hiat, der Sprung der Freiheit: Ich entschließe mich frei zum Denken und zur Freiheit, schaffe mich in freier Wahl zum Selbstdenker in einem Entschluß, der mit einer rein empirischen Welt sich nicht begnügt. Zwar kennt Fichte den Anstoß und die Aufforderung zur Freiheit, aber niemand kann mich zu dieser zwingen, ich muß sie wählen, und ich muß – im 21. Jahrhundert – sie weitgehend durch Selbstbegrenzung wählen und durch das Suchen von Nischen und Freiräumen, die nicht schon durch andere Iche oder durch Köder vereinnahmt sind. In Fichtes Sicht beruht alles Wissen auf Anschauung: um die Sin59 GAII,6; 271. 60 A. Philonenko, op. cit., Tome 2, p. 134 unterscheidet zwischen der Sinnenwelt, welche als Gegenstand der Wissenschaft, das BBestimmte und Bestimmbare ausmacht, und andererseits der intelligiblen Welt als absolutes Sein und Entstehen des Wissens: »d‘un côté se dévoile le monde sensible, objet de la science, déterminé et déterminable – de l’autre côté émerge le monde intelligible comme Savoir naissant à l’infini.« 61 GA II,6; 273 f. 62 GA II,6; 274.
312
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
nenwelt weiß jeder Mensch, aber nicht jeder weiß, warum er weiß, und was er weiß. Mit dem Sprung ins Denken wollen erkennt der Mensch, daß er in einer Welt der Sinne und der Interpersonalität lebt, daß es eine Sinnenwelt und eine legale Welt gibt und beginnt zu reflektieren und somit Freiheit zu verwirklichen. Der bloßer sinnlicher Anschauung Verhaftete hingegen lebt in einer Scheinwelt, nach der er mit beiden Händen hascht, ohne sie je zu ergreifen: »Man denkt sich nur Seyn u. Welt,«63 ist Fichtes Erkenntnis entgegen den Dogmatikern. Meine Welt ist ein Schema, so wie ich nur ein mögliches Schema bin. Nur weil die Anschauung mir eine Sinnenwelt vermittelt, kann ich mir das Seiende einer Welt vorstellen und denken.64 Die Anschauung ist inkommensurabel, wo das Denken notwendig sich als Totalität versteht. Die Vereinigung von Anschauung und Denken ergibt sich aus der Analyse des absoluten »WissensAkts« als unabdingbare Synthese. Im »Daß« des Denkens liegt die Möglichkeit alles Was u. seine Wirklichkeit, also auch das Denken der Ordnung, des Verhältnisses, u. dergleichen (...) Jenes Form ist ja selbst die Form des absoluten ewig in sich selbst ruhenden Denkens.«65 Die Gottheit äußert sich in den vielen Wissen und Denken als das eine absolute, ewige Denken, das in sich selbst ruht, indem es sich zum Denken des Wissenden formiert. Der Wissende denkt absolut, denn er denkt im Bild das Denken des Absoluten, konstruiert in seinem Denken sich als das Denken des Absoluten. Fichte leitet den folgenden § 6 (Synthesis E) mit folgender Überlegung ein: »1.) Wir wissen nun genau, – wie und was der Fokus alles wirklichen Wissens = Ich ist. Es ist zu folge des Denkens, u. im Denken, und wird gedacht, als absolut u. schlechthin seyend überhaupt; es wird ferner gedacht, als etwas, u. es ist dieses etwas, das es ist, zufolge seiner Wechselwirkung mit einem geschloßnen Systeme anderer Bestimmungen des 63 GA II,6; 272. 64 Vgl. Wolfgang H. Schrader: Empirisches und absolutes Ich, S. 128: »Der unabhängig vom Denken gesetzte Begriff der Anschauung entspricht dabei dem des bloßen Wissens, dessen Irrealität Fichte (...) aufgezeigt hatte, während der Terminus Denken an Stelle des Begriffs des Willens gebraucht wird.« Für den Fichte der Umbruchzeit bedeuten »wollen« und »sein« »eins und ebendasselbe«. Schrader hält fest: »Um die Realität des absoluten Wissens zu begründen, will Fichte deshalb in der WL 1801 die Synthesis von Denken und Anschauung entwickeln.« In einer Anmerkung fügt Schrader bei: »Im Unterschied zur B. d. M. wird Fichte daher in der WL 1801 nicht den reinen Willen als den Grund des Lebens (der Realität) betrachten, sondern im Denkakt den Ursprung alles Lebens suchen.« (S. 202). 65 GA II,6; 274. Umgekehrt ist das Was, das rein empirische Wissenkönnen durch Anschauung die Voraussetzung des Dass der formalen Freiheit.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
313
Seyns.«66 D.h. der Monadenkosmos bildet ein geschloßenes System, in welchem jede Monade mit ihrem Erkennen in Wechselwirkung mit den übrigen Monaden steht. Der Fokus alles wirklichen Wissens kann nur ein Denken des Ich, ein sich als solches wissendes Subjekt-Objekt sein. Das Ich ist eine wirkende Kraft, indem es von anderen Kräften wahrgenommen wird und in diesem sich Kreuzen von Kraftäußerungen Realität gewinnt. Die sich als Iche wissenden und auf einander handelnden Iche – denkende Identitäts/Konzentrationspunkte – bilden ein geschloßenes System auf einander wirkender Kräfte, den Monadenkosmos. Ihren Realitätsgehalt verdankt die als Kraft sich äußernde Monade den übrigen Monaden, welche in ihrem Agieren durch die ursprünglich tätige Monade begrenzt und somit ihrer als einer Realität gewahr werden. Aus der Wechselwirkung des denkenden Ich mit den anderen Geistmonaden deduziert Fichte die Sinnenwelt. Denn nur in der Sinnenwelt kann die Kraftäußerung der Monaden allgemein sichtbar werden. Und wie auch in der modernen Entwicklungspsychologie ist auch bei Fichte das erste Objekt des Ich das Du. Über dies Urobjekt – meist die Mutter – erschließt sich dem Ich die Welt der Objekte und am Leib der Mutter die eigene Leiblichkeit: ein Kleinkind, dem farbige Klötzchen zum Spielen gegeben werden, spielt sofort, wenn es bei den Eltern aufwächst, reagiert auch richtig, wo es bloß die Mutter hat. Doch ein Heimkind weiß nicht, was mit den Klötzchen tun. 2.) Die in sich selbst ruhende Anschauung soll sich als ein Konstruieren finden. Alexis Philonenko verweist darauf, daß das Linienziehen der Anschauung nicht notwendig von A zu B geht, sondern dass die Linie u.a. etwa auch die Form eines Gesichts haben könne, so wie Leibniz dies festgehalten hatte, indem er im »Discours« darlegte, selbst für die geometrisch unregelmäßige Linie eines Gesichtskonturs lasse sich eine mathematische Regel finden, wonach der Kontur in einer einzigen, geordneten Linie sich zeichnen lasse.67 In ihrem Linienziehen konstruiert sich die Anschauung als seiend diejenige eines Individuums, nicht bloß die eines WissensPunktes, und als seiend eine bestimmte lebendige, »von Leben u. Freiheit durchdrungne
66 GA II,6; 275. 67 Leibniz: DdM: »Et il n‘y a par exemple point de visage dont la contour ne fasse partie d’une ligne Geometrique et ne puisse estre tracé tout d’un trait par un certain mouvement reglé.« (G IV, S. 431, A. Philkonenko, op. cit., Tome 2, p. 138.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
314
Materie,« lebend in einer chronologisch verlaufenden Zeit.68 Hiermit ist gegeben die »Position der formalen Freiheit,« ihr »Daß,« und ist die Anschauung gegeben als an sich selbst gebunden.69 Im »Individualitätspunkte« sind Denken und Anschauung absolut vereinigt in einer in sich geschlossenen Wechselwirkung. Erst dieser mit sich selbst in Wechselwirkung stehende Individualitätspunkt hat die anschauende Kraft, andere Individuen in die eigene Reflexion einzubeziehen und so überhaupt zu reflektieren. Hier wird das Leibnizsche Modell transzendental verändert, und Alexis Philonenko erinnert an dieser Stelle daran, daß Fichte auch Leibnizens These von der »besten aller Welten« kategorisch verwirft70; so heißt es gegen Ende der WL 1801/02: »Wenn man von einer besten Welt, und von den Spuren der Güte Gottes in dieser Welt redet, so ist die Antwort: Die Welt ist die allerschlimmste, die da seyn kann, wenn sie nun überhaupt nur noch Welt seyn soll: Doch liegt in ihr eben darum die ganze einzig mögliche Güte Gottes verbreitet, denn wenn er auch wollen könnte, so vermag er es nicht an uns zu bringen, wenn wir nicht selbst schöpfen.«71
Hier denkt man an Lektüre von Voltaires »Candide« und an das Erlebnis der Terreur. Fichte wendet sich kategorisch ab von der Auffassung einer guten Welt, und er billigt dem Menschen auch eine eigene Kraft entgegen dem notwendig als gut gedachten Willen Gottes zu. Gott ist VabanqueSpieler, welcher auf den Menschen hofft, ihn aber nicht zwingen kann, noch will. Denn auch für Gott ist der Mensch nicht bloße Kreatur oder Maschine, sondern frei. Der späte Fichte wird darlegen, wie jeder Mensch ein je eigenes Soll verkörpert, das sein principium individuationis ist; lebt er pflichtgemäß, so wird er sich seines Solls und seiner Freiheit bewußt und verwirklicht seine Aufgabe in Welt. So führt Fichte in den »Thatsachen des Bewußtseyns« aus: »das Eine Leben als Natur in Hervorbringung von Individuen ist schlechthin bestimmt durch den Endzweck; es kann keine Individuen hervorbringen, außer mit besondern sittlichen Bestimmungen (...) Es muß heraustreten in derselben Allgemeinheit, in der es in dem Einen Leben liegt. Welches ist diese Allgemeinheit, und wo
68 69 70 71
GAII,6; 275. GA II,6; 276. A. Philonenko, op.cit., Tome 2, p. 138. GA II,6; 320.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
315
liegt ihre Gränze? Daß alle Individuen ohne Ausnahme irgend eine ihnen eigenthümliche sittliche Bestimmung haben, darin liegt sie: welche diese für jedes bestimmte Individuum sey, liegt jenseits der Gränze. Es tritt in der allgemeinen Anschauung bloß heraus, daß alle eine sittliche Bestimmung haben, um deren willen ihr Seyn und die Produkte ihrer Freiheit nicht wie Natur behandelt, sondern geschont werden müssen.«72
Verweigert er sich dem Denken und der Freiheit, verpaßt er sein Soll, so wird sein Dasein vergeblich gewesen sein, und Gott wird, wie Fichte in den »Thatsachen« von 1810/11 festhält, ein anderes Individuum schaffen müssen, das die offen gebliebene Aufgabe erfüllt. Es ist unklar, ob Fichte hier die zeitlich/soziale Verschiebung übersieht. Nach dem Versagen des Individuums N hinsichtlich der Aufgabe X macht es wohl wenig Sinn, im Zeitpunkt t2 ein Individuum P zu erschaffe, das X erfüllt; denn inzwischen wird in einer veränderten Welt die Aufgabe Z aktuell geworden sein. Das Eine Leben als Abdruck von Gottes Sein hat auch seine Leerpunkte, und vielleicht muß es diese – entgegen Fichtes Intentionen – mit Wundern und Schönheit der Sinnenwelt füllen. In den Thatsachen des Bewußtseyns von 1810/11 wird Fichte die Freiheitsproblematik mit derselben Emphase wieder aufgreifen wie in der Darstellung der WL von 1801/02: »ist drum das Individuum wirklich und in der That frei? Durch eine solche Freiheit ist ja bedingt die Bestimmbarkeit durch das Sittengesetz, somit die Sichtbarkeit desselben, diese aber ist schlechthin: und so gehört denn diese wirkliche und reale Freiheit zu den absoluten Bestimmungen des Individuum als solchen, die es unmittelbar von der Natur unter der Bestimmung des Endzwecks erhält.«
Nur durch die Freiheit ist das Sittengesetz, und nur vermittelst seiner oder den der Kunst immanenten Regeln ist Freiheit. Der Mensch – ein normativer Begriff – soll frei sein, ist bestimmt und verurteilt zur Freiheit.73 Er 72 GA II,612; 119. 73 So heißt es – in Übernahme Herders – in der GNR: »Iedes Thier ist, was es ist: der Mensch allein ist ursprünglich gar nichts. Was er seyn soll muß er werden: und da er doch ein Wesen für sich seyn soll, durch sich selbst werden. Die Natur hat alle ihre Werke vollendet, nur von dem Menschen zog sie die Hand ab, und übergab ihm gerade dadurch sich selbst.« GA I,3; 379. Die Analogie zu Jean- Paul Sartre ist unübersehbar, doch hat dieser sich ausführlich mit dem Deutschen Idealismus beschäftigt. Auch Reinhard Lauth schreibt: »Sartres Satz L'existence précède note essence ist ganz im Geiste der Wissenschaftslehre gesprochen«, mit welcher Sartre sich nachweislich beschäftigt hat. Vgl. R. Lauth: Kants Kritik der Vernunft und Fichtes ursprüngliche Einsicht, in TrE S. 140-155, hier S. 147.
316
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
kann sich dem göttlichen Verdikt entziehen, doch dann ist er nicht, fällt er hinter sein Menschsein zurück. Das Individuum ist der natürliche Aspekt des Ichs als Vernunftwesen, und in seiner je gegebenen sittlichen Bestimmung wird ihm qua Vernunftwesen das Sittengesetz als in seinem Wesen verankert, anschaubar. Es ist dieses Wissen um eine eigene sittliche Aufgabe innerhalb eines sittlichen Universums, welches dem Ich den Sinn öffnet für einen göttlichen Endzweck einer Welt, den zu verstehen, es sich letztlich nie anmaßen kann. Zwei mögliche Wege führen zur Aufweisung des Wesens des absoluten Wissens: der eine, indem man die Sich-Konstruktion verfolgt, der andere, indem man von oben nach unten vom absoluten Sein des Wissens ausgeht. Infolge des unmittelbaren Daseinsgefühls im »für sich Sein« stellt sich ein die Anschauung dieses Gefühls, die es quantitierend konstruiert: der Anfangspunkt der Konstruktion ist »der Repräsentant des unmittelbaren Ergreifungs- u. Gefühls-Punktes – wird absolute, innere, immanente Kraft.«74 Die Anschauung findet sich im »Gefühls-Punkt,« der »für die Construktion daher als Anfangspunkt« figuriert, als Freiheit des Konstruierens in ihrem Anfang. Sie »findet« sich, denn Fühlen und SichFühlen setzt organische Materie voraus, die stets schon gegeben sein muß. Im durch den Leib vermittelten Sich-Fühlen erscheint die Kraft als »absolut seyende u. allem Wissen vorausgesezte« Kraft, als Körperkraft eines beseelten Leibes. In ihrem Selbstverständnis erscheint die Kraft sich als »absolute Synthesis der Anschauung und des Gefühls« – sie kann sich über das Faktum ihres Seins nicht täuschen, denn sie sieht und fühlt sich nur als »KraftAeusserung«.75 Fichte macht an den erwähnten Stellen einen Randvermerk: »Kraft ist von blosser Freiheit unterschieden, wie Seyn vom Bilden, u. wie Grund eines andern Seyns vom Grunde des Bildens.«76 – Freiheit ist ein innerliches Faktum, ein Gefühl, das aus dem eigenständigen Denken sich ergibt, sich in der reinen Reflexion findet, wie der späte Fichte betonen wird. Kraft jedoch setzt das Bild nach außen, und mit und als Kraft vermag der Schaffende seine Gesichte in die Sinnenwelt umzusetzen, so daß sie von anderen Ichen wahrgenommen werden und auf sie ebenfalls befreiend wirken können. Ein Gedicht, das bloß konzipiert ist, wirkt nicht. Auf daß es auf Andere wirke, muß es vorgetragen werden oder schriftlich 74 GA II,6; 276. 75 GA II,6; 277. 76 GA II,6; 276.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
317
fixiert sein. Das Eine und das Andere sind Kraftäußerungen und in eins Äußerungen der Freiheit, welche die Kraft und die Freiheit anderer Iche zu evozieren vermögen. Wo das Ich wirklich empirisch und transzendental von sich weiß, da schaut es sich eben an als ein Ich. »Diese Anschauung des Ich aber ist Kraft.«77 Die Kraft setzt sich, indem sie auf sich und ihre Handlungen reflektiert. Die Kraft äußert sich notwendig, da gilt: »Denn die Kraft ist Freiheit: Freiheit aber ist quantitiren, u. es ist eben kein Quantitiren ohne irgend eine Quantität.«78 Quantität ist hier das Bewußtsein, das Seiende des empirischen Denkens, das ich anschaue, in einem »Anschauen, gebundenes, nemlich u. gehaltenes«, welches Voraussetzung erst ist der transzendentalen Reflexion in ihrem Hinschauen von Welt. Das Wissen weiß stets schon um seine Kraft, und es weiß darum, weil die Kraftäußerung stets schon ist. – Noch im Mutterleib äußert sich das keimende Leben schon als Kraft; denn Kraft, die jeglicher, auch der geistigsten Kraftäußerung zugrunde liegt, ist »das organische Leben selbst« – Freiheit ohne Kraft wird Hegel dem versklavten Stoiker zusprechen. Fichte charakterisiert an den hier zitierten Stellen das empirische Wissen, die Monade als seiend in ihrem Wesen Kraft. In starker Annäherung an Leibniz hält Fichte fest: »Das innere, für sich bestehende, u. sich selbst begründende Seyn des Ich ist nun durchaus nichts mehr, als die reine Kraft selbst, eben als Princip eines unmittelbaren Seyns u. Wissens. – u. so sind wiederum, wenn wir – die W.L. – uns zum Denken erheben – alle Individuen sich gleich. Sie sind alle aus Kraft, der Form nach.«
Jede Monade ist ein Kraftzentrum, und diese Kraft ist in den Geistmonaden – und Fichte kennt im Unterschied zu Leibniz nur die dominierenden Geistmonaden, denen als solchen als Werkzeug und Verortung im Raum, ein Leib eignet – das Prinzip aller Realität, allen Seins und Wissens. Als seiend Kraft, sind alle Menschen, alle Individuen sich gleich. So fährt der Republikaner Fichte fort: »Es ist die Position der f(ormalen) Freiheit, eben als ein vorgefundnes Seyn (u. weiter durchaus nichts – welches in unendlichen Punkten wiederholt werden kann, u. überall sich selbst gleich ist.)« Als seiend eine Monade ist jegliches Individuum ins Unendliche jedem anderen Individuum gleich. – Gespenstisch starrt uns die Moderne an. 77 GA II,6; 277. 78 Ebd., GA II,6; 277.
318
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
»Die Bestimmtheit dieses Seyns, oder dieser Kraft«79 ist nur für sie und in ihr gegeben, denn jedes Individuum ist ein bestimmtes Wissen um das eigene Sein. Dieses Sein bestimmt sich nach Art und Maß seiner Kraft, aber dies nur insofern, als die Kraft sich äußert und realisiert. Im Augenblick der Kraftäußerung steht das Individuum nicht mehr nur für sich, sondern in Wechselwirkung mit dem Universum der übrigen Individuen. Die Kraft »ist überhaupt nur bestimt durch Wechselwirkung mit dem Universum; dadurch also ist die Aeusserung bestimmt.«80 Die Kraft des Individuums ist nur soweit gegeben, sein Sein und Wissen ist nur soweit real, als sie im Austausch steht mit den Kraftäußerungen der übrigen Geister. Nicht nur die unterschiedlichen Kraftäußerungen der mich umgebenden Individuen beeinflussen die meinigen. Erst die Gegenkraft, auf die sie stößt, macht meine Kraftäußerung zu einer solchen. Auch Kraftäußerungen unerreichbar ferner oder längst verstorbener Geister können meine Kraftäußerungen wie auch mein Sein und Wissen beeinflußen und können mit mir in Wechselwirkung treten, wenn auch nicht – wie im Leibnizschen Modell des in die Existenz drängenden Monadensets im Geiste Gottes – die zukünftigen Geister: denn dies würde sie in ihrer Freiheit beschneiden. Fichte arbeitet hier konsequent an der Konstruktion eines empirischen Monadenkosmos: »Nur im Wissen der Aeusserung der Kraft ist das Bewußtseyn bestimmt: durch eine Totalität wie wir aus dem obigem wissen; also – da es ein solches Bewußtseyn ist, durch Totalität der Aeusserung des Universum. Mag es eine Kraft geben, die sich nicht äussert – im Wissen des Individuum von sich, von welchem allein wir hier reden, kommt sie nicht vor, denn dieses ist der Form nach ein Wissen von Aeusserung der Kraft.«81
Hier ist die Abweichung von Leibniz offensichtlich: die künftigen Monaden, die noch zu keiner Kraftäußerung befähigt sind, haben auf die in der Gegenwart wirkende Monade keinen Einfluss; der Gedanke an sie kann zwar die Kraftäußerung der gegenwärtigen Monade mitbestimmen, doch wirken sie nicht aus dem Kern ihres Seins zurück auf die Gegenwart. Den unendlichen Kreislauf der Kräfte läßt Fichte sich brechen am Wissen des Individuums als solchen. Es ist ein in sich geschloßenes, durch sich als Ich gesetztes Ich – »ein in sich geschloßenes Singulum«, wird 79 Ebd. GA II,6; 277. 80 GA II,6; 278. 81 GA II,6; 278.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
319
Fichte in der WL 1804 sagen. So beschreibt Fichte das Leibnizsche Modell mit den Worten: »Die Aeusserungen der freien Kräfte, die an sich immer ein geschlossnes System seyn mögen, sind ein unendliches nie zu haltendes Fortfliessen – u. drum ein Verfliessen in nichts, u. so kommt es nie zu einem Wissen.« Dem unendlichen wechselseitigen Tun und Leiden bei Leibniz fehlt der feste Punkt, es ist eine unendliche wechselseitige Balance. Soll das Wissen nicht nur Wissen der Gottheit sein, sondern auch Wissen der Monade, soll Wissen des Individuums als Person und interpersonales Wissen sein – so wie Fichte dies in der Grundlage des Naturrechts dargestellt hat – ein Hören und Hinhören82, so muss das Ich Bewusstsein der eigenen Kraftäußerung und in eins derjenigen des Anderen haben, und so führt Fichte aus: »Wie es doch dazu kommt, fallen sie wenigstens im Wissen durchaus zusammen (die Äußerungen der freien Kräfte – KVT): u. dies – so gewiß es eben ein Wissen, und das angezeigte ist, ist ein Wissen des Ich von der Aeusserung seiner Kraft: diese sonach, u. die Aeusserung der Kraft des Universum fallen nothwendig zusammen, und machen erst in diesem Zusammenfallen ein Wissen möglich.«83
Absolute Freiheit ohne jegliche Grenze höbe sich auf und machte Wissen unmöglich. Erst das auf eine Grenze stoßen, erst der Limes, macht mir meine Freiheit bewusst und lässt sie zu einem bestimmten Wissen werden. Keine Tätigkeit ohne Hemmnis, das erst sie ermöglicht. Das Ich kann nur auf Etwas handeln, sonst handelt es ins Leere, und ohne Handeln oder Kraftäußerung ist auch kein Sein oder Ich. Selbst Anschauen, in welchem mir je eine Welt entsteht, ist als Hinschauen einer Welt eine Kraftäußerung, wie wir an Kindern beobachten können, die sich ihrer und einer Welt bemächtigen. Die Identität des Ich baut sich auf aus seinen Kraftäußerungen, handle es sich hierbei um die äußere oder innere Identität, und wo es keine Kraftäußerung gibt, gibt es kein Ich noch Welt. Fichte geht über das Leibnizsche Konzept des Wechseltuns und –leidens hinaus, wenn er in der GNR feststellt: »das freie Wesen nöthigt durch seine bloße Ge82 Grundlage des NR, GA I,3: 368: »nichts kommt in der Wahrnehmung eines vernünftigen Wesens vor, was es nicht selbst hervorbringen zu können glaubt, oder dessen Hervorbringung es sich nicht zuschreiben kann (...) Dieses in ihrem Organ hervorgebrachte, bildet sie mit Freiheit durch das höhere Organ nach, doch so, daß sie auf das niedere nicht einfliesse.« Ich nehme das Sprechen des Anderen wahr, indem ich ihm »mein Ohr leihe«, seine Worte in mir rekonstruiere. 83 GA II,6; 278.
320
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
genwart in der Sinnenwelt, ohne weiteres, jedes andere freie Wesen es für eine Person anzuerkennen.«84 Daß ich den Anderen als psychophysisches, freies Wesen mit Rechten und Pflichten als meinesgleichen frei anerkenne, sprengt den Automatismus des Leibnizschen Monadenkosmos.85 Wo ich als psychophysisches Ich mir einer eigenen gewollten Kraftäußerung im Kraftfeld des Universums bewusst bin, erlebe ich mich als Ursache und als frei, zugleich auch als Kraftpunkt inmitten anderer Kraftpunkte. Das empirische Ich erfährt sich in seiner Kraftäußerung als Leib und Zeitpunkt: es ist gebunden an die Identität seines Leibes und an seine subjektive, innere Erfahrung von Zeit, sein Zeitleben, das anschauend stets offen ist für das Wahrnehmen einer Zukunft.86 Die Zeittheorie, die Fichte hier entwickelt, erschließt die Zeit als offene: »In jedem Momente wird durch das Denken und Anschauen weitere Zeit umfasst, so der Wahrnehmung vorgegriffen, u. ihr eine Sphäre bereitet; was aber in diese Zeit fallen wird, läßt sich nicht schliessen, man wird es wissen erst in dieser Zeit; denn hier ist die folgende Entwiklung des seyenden Ich.«87
Diese Aussage ist dem Leibnizschen System diametral entgegengesetzt: Hier gibt es keinen Begriff von Caesar, der alles, was Caesar je tat und tun wird, in sich beschließt. Beim Fichte der WL 1801/02 ist das Ich sein je eigener Begriff in der Zeit und in einem bestimmten Leib. Leib und eigene Zeit bestimmen seine Identität ebenso wie das Verhältnis, in welchem erstmals als Vernunftwesen es sich findet und als sich setzend sich setzt, also seine soziokulturelle Umwelt.88 In der Zeit, welche es als Lebenszeit zu gestalten vermag, kann das Ich Freiheit realisieren, indem es an sich und an seinem Charakter arbeitet und, indem es sich verändert, auch auf die Welt einwirkt. Die Selbstkonstitution als Verwirklichung von Freiheit ist auch Weltkonstitution: »es ist aber kein Ich ohne Welt, und keine Welt 84 GA I,3; 384. Wenn auch Leibnizens Brief zu berücksichtigen ist, wonach ich annehmen muß, daß ebenso wie ich zu mir »ich« sagen kann, auch der andere dies können müsse. 85 M._.-T. Liske schreibt in Gottfried Wilhelm Leibniz, München 2000, S. 109: »Die zukunftsbezogenen Bestimmungen des vollständigen Begriffs sind somit ebenso unverbrüchlich festgelegt wie die vergangenen – eine durchgängige Determination also.« 86 GA II,6; 280. 87 GAII,6; 282. 88 Zum Begriff »setzen« s. Karen Gloy in: Bewusstseinstheorien, Fichtes Theorie des Selbstbewusstseins, Freiburg/München 1998, S.202-237, hier. S. 210 f. Gloy unterscheidet eine praktische und eine theoretische Konnotation von »setzen«. Der ersten zufolge bedeutet »setzen« soviel wie: »hervoorbringen«, »erzeugen«, »erschaffen«, »bewirken«, »gründen«, »stiften«, »ins Leben rufen«; der zweiten zufolge: »annehmen«, »behaupten«, »bestimmen«, u wie Gloy ausführt, oft mit einem Präfix gebraucht, wie: »festsetzen«, »ansetzen«, »voraussetzen«.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
321
ohne Ich.«89 Das Ich sieht sich stets in einer bestimmten Welt und kann diese nur verändern, indem es handelnd sich verändert. Mit jeglichem Handeln, das es vollzieht, handelt das Ich nicht nur auf Welt, sondern seine Handlung fällt auf es selbst zurück und verändert es, lässt es sich werden, ist ein Baustein der Konstruktion des eigenen Ich. Nur ein Ich kann an sich arbeiten und so Freiheit verwirklichen, kann den Sprung ins Unbekannte wagen und sich dem Sittengesetz unterstellen oder soweit sich gehen lassen, dass es zur Sache wird oder – wie beim späten Fichte – Urschema bleibt, nicht jedoch zum bildenden Schema des Schemas wird. Im Kraftbegriff denkt Fichte Denken und Wollen in eins. Denken erfordert Kraft, ist Kraft und äußert sich als Kraft: »die Kraft, sagte ich ist das substantielle, sie ist immer, die Aeusserung könnte auch nicht seyn: – nicht etwa an sich, denn wenn nicht alles dieses ist, so ist kein Wissen: sondern nur, nachdem das Wissen zu Stande gekommen ist, und sich denkt, denkt sie die Kraft der Aeusserung voraus (...) Die ganze Synthesis ist ein Denken, daher nur durch Freiheit zu Stande gebracht.«90
Wer je als Denkender das Gefühl totaler Ohnmacht empfand, weiß, dass sein Denken Kraft ist und der Ursprung der Freiheit. Und nur denkend kann ich wollen, nur im Entwerfen eines Zweckbegriffs bin ich wahrhaft denkend. Der Sprung vom empirischen ins transzendentale Denken – das ja doch immer empirisch ein Denken bleibt – ist ein Willensakt des SichWollens und des sich frei und denkend Wollens, und dies heißt, die Verantwortung für sich und Welt und sich in Welt übernehmen, und dieser Sprung erfordert Kraft: die des Sich-Losreißens und die des jenseits des Hiats an sich und das eigene Wissen Anknüpfens. Wie bei Shaftesbury, so bei Fichte: das Gefühl ist die Grundstufe des Denkens, das in ihm sich fasst. »In der Anschauung verliert bekanntlich das anschauende sich, es ist daher in ihr durchaus kein Ich, ohnerachtet der Anschauung: in dem Gefühle faßt es sich nach der Form des Denkens.91 Das Bewusstsein formiert sich aus beiden, Anschauung und Denken und ist frei im Schweben zwischen seinen Konstituentien. Im Gefühl – subjektiv und objektiv in eins – konstituiert das Ich sich Raum, die ideelle und die materielle Welt.92 89 GA II,6; 281. 90 GA II,6; 294. 91 GA II,6; 284. 92 Vgl. GA II,6; 285 Anm.1, welche auf die GWL verweist (GA I,2; 440).
322
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Das empirische Denken ist die Kraftäußerung, welche transzendentalem Denken erst das freie Reflektieren auf das Seiende und Seinsollende ermöglicht. Nur dieser empirische Charakter kann dem Ich das Wollen von Freiheit und Sittengesetz, den Willen zum Sprung über den Hiat eingeben. Stets stoßen wir im Verwirklichen unserer Freiheit auf Hemmnisse, an welchen jene sich bewähren muss und die sie zur In-AngriffNahme neuer Aufgaben befähigen. Das neue Ziel bestimmt sich nach den bis anhin überwundenen und so die Freiheit bestätigenden Hemmnissen, und so führt Fichte aus: »Offenbar ist jedes neue Moment ein neuer vorher durchaus nicht gekannter Charakter der bestimmten Kraft, die Kraft als eine bestimmte kommt daher nur im Verlaufe der Zeit zum Bewußtseyn, immer mehr u. mehr, u. klärer (...) Der Inhalt aller Momente der Lebensdauer ist sonach bestimmt durch den Grundcharakter der Kraft, und ihre Folge (...) Eine solche Zeit liegt daher in einem solchen Seyn, das da unmittelbar von sich weiß.«93
Fichte fährt fort: »Ein anderes Seyn, wenn ein solches möglich wäre, würde einen andern ZeitInhalt, und eine andere Zeitfolge geben.« Eigenzeitlichkeit ist Kennzeichen des Individuums; – Michelangelo musste den »David« und seine frühen »Pietà« geschaffen haben, bevor er die »Sistina« in Angriff nehmen konnte, Raffael sie kennen, bevor er die Stanzen des Vatikans malte, Cézanne wurde zum Wendepunkt der Malerei, indem er an den vergangenen Meistern des Louvre lernte. Jedes Werk, das ein Künstler schafft, negiert alle vorangegangenen, indem es sie bestätigt. Das Werk und das reine Denken negieren die Zeit, heben sie in sich auf in das reine Sein.94 Fichte zieht vorerst einzig das Fazit, daß das Gefühl Bedingung des Bewusstseins ist:
93 GA II,6; 286. 94 GA II,6; 286. A. Philonenko, op. cit., Tome 2, p.150 verweist hier auf ein Dilemma Fichtes, welcher Leibniz folgen will, ohne Kant untreu zu werden. Tatsächlich löst Philonenko das Dilemma nicht. Es ist wohl in Anbetracht von Fichtes Ausführungen in GA II,6; 286 f. zu schließen, dass daß de facto Fichte im Anschluß an Leibniz die Prädetermination bejaht. So, wenn Fichte in GA II,6; 287 schreibt: »Alle Zeiterfüllung, und ihre Folge ist schlechthin, u. absolut bestimmt, in alle Ewigkeit, weil schlechthin alles mögliche Seyn bestimmt ist.« Empirisch wirkt der Mensch in seiner Zeit, hat die Monade einen je eigenen Impuls, ein je eigenes Telos. Das Sein und dessen Denken jedoch als Sein des Wissens in seiner Absolutheit und Kontingenz sind vor aller Zeit bestimmt. Nur im Rahmen der Prädetermination kann das Soll eines jeden Solls vorherbestimmt sein. Und dies hat auch schon Kant gesehen, womit das Dilemma wegfällt.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
323
»Das Seyn wurde nur gedacht, schematisirend, durch eine Idee, keinesweges wirklich gewußt. Jetzt ist zwar der Form nach ein in einem Zeitmomente geschlossenes Bewußtseyn, als Bedingung des Bewußtseyns (eben das Gefühl) nachgewiesen, aber es ist seiner Möglichkeit nach noch nicht erklärt (...)«95
Kraftäußerung ließe sich bezeichnen als ein freies Linienziehen im Raume. Von Punkt C aus sind unendlich viele und unterschiedlich ausgerichtete und lange Linien möglich. Cajus bestimmt das eigene Sein durch die Art seiner Kraftäußerung, der Ausrichtung und Länge der Linie, die er zieht. Empirisch ist das Ich weitgehend determiniert durch seinen Organismus und die Welt, die es vorfindet: »Seine Freiheit ist überhaupt nur sein Gedanke; die Richtung ist enthalten in seinem Seyn, im Universum. Es – das seyende reale Ich, wie es ja heissen soll, da es ein reales Handeln ist – gibt sich die Richtung, oder dieser Punkt des Seyns im Universum hat die Richtung, ist durchaus dasselbe gesagt. Nur der AufBlik ist, wie es immer so gewesen ist, Sache der absoluten Freiheit; u. wäre dieser nicht, so wäre keine Richtung, und keine Aeusserung, u. keine Kraft, u. es liesse sich dann weiter von nichts reden.«96
Es ist der frei gewählte Standpunkt des Beobachters, welcher befindet, Cajus gibt sich die Richtung x oder Cajus hat im Gesamtanblick des Monadenkosmos die Richtung x. Cajus selbst denkt sich frei in der Wahl der Richtung, doch sein Handeln, die Ausrichtung seiner Kraftäußerung, ist gegeben durch seinen raumzeitlichen Ort im Universum und der dort schon gezogenen oder entstehenden Linien sowie seinen natürlichen Gegebenheiten. Wenn Cajus auf das eigene Fühlen reflektierend handelt, so handelt durch ihn das Universum, das ihn prägt, trägt er bloß, geprägt durch sein sittliches Universum, das Seine bei zum Allgemeinen, schon Gegebenen: »In dem empirischen Wissen macht man die Sinnenwelt (...) selbst zum absoluten Seyn, u. hat daran völlig recht.« Den transzendentalen Standpunkt des Linienziehens charakterisiert Fichte mit den Worten: »Das Wissen reist sich hier durch das formale Grundgesez seines eignen Wesens vom Seyn los; oder die Natur lässt es los, was ganz dasselbe ist. – Das Richtung geben. Hier ist das freiseyn absolutes formales Gesez. Zwar, wie das Ich eine Richtung nimmt, fällt es wieder unter das Naturgesez, das der Concretion. – und man wird 95 GA II,6; 287. 96 GA II,6; 289 f.
324
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant daher das Verhältniß am besten so fassen: die Natur bestimmt die Intelligenz allerdings, aber nicht nach ihrem, sondern nach der Intelligenz immanentem Gesetze.«97
Fichte spricht von einer »Wechselwirkung« von Natur und Intelligenz. Die Intelligenz könnte nicht handeln ohne Natur und vermag nur zu handeln durch die Natur; aber sie handelt, indem sie sich losreißt von der Natur. Erst die Natur gibt dem Ich den Rahmen, in welchem es Zweckbegriffe zu entwerfen und zu verwirklichen vermag: In der Freiheit fallen Denken und Wollen des Ich in eins, will das Ich sein Denken und das von ihm Gedachte verwirklicht sehen: »Das soeben nothwendig abgeleitete Denken der Freiheit ist (...) der Zweckbegriff.«98 Jedes Ich hat »nothwendig irgendeinen NaturPlan, u. Zwek, den ich aber in der Form, u. nach dem Gesetze eines vernünftigen Wesens verfolge.«99 Ich lebe mein Leben nicht im reinen Vollzug von Naturgesetzen, sondern ich führe und gestalte es. Zwar abhängig auch von äußeren Umständen und an meine Gegebenheiten gebunden, jedoch trachtend, meine Anlagen sinnvoll einzusetzen, um nach Möglichkeit mit Anderen in Kooperation in einer verlorenen Welt Schönheit, Sinn, Vernunft und Sittlichkeit zu verwirklichen. Dies kann ich nie auf einen Schlag, sondern bloß schrittweise: »Hier tritt klar heraus die individuelle Zeit in dem individuellen Fortgange der Erfahrung und die Absonderung vom allgemeinen Wissen, in welchem etwas seyn soll, u. bestimmt seyn soll, ohne daß ich eben davon weiss – gewesen seyn soll, und seyn wird pp.«100
Meine Lebensgestaltung erfordert von mir und bringt mit sich ein je auch individuelles, in eins absolutes und kontingentes Wissen, wovon ich Anderen mitteilen kann, das jedoch stets mein unverwechselbares persönliches Wissen ist, so wie Andere, mit anderen Begabungen, Wünschen, Anlagen, anderem sozioökonomischem Umfeld auch die Zeit anders erleben und gestalten. Jedes neue Werk, welches das schöpferische Ich in Angriff 97 GA II,6; 298. So schreibt Kant in der KdrV, B 565, A 537: »Die Wirkung kann also in Ansehung ihrer intelligibelen Ursache als frei, und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Notwendigkeit der Natur, angesehen werden.« Werke, hrsg. Von von W. Weischedel, 1965, Bd. II, S. 491. 98 GA II,6; 299. 99 GA II,6; 289. 100 GA II,6; 291
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
325
nimmt, trägt seinen eigenen Zweckbegriff in sich, verlangt neuen Einsatz, neue Planung, neues Wollen und Sich-Wollen, bringt auch eine neue Freiheit. Dies sich zum Werk Entschliessen und es ausführen, ist vielleicht »das unerreichbare Bewußtseyn der wirklichen Freiheit.«101 Der Künstler, der Denker, das sittliche Genie und nicht zuletzt der Wissenschaftler – sie handeln stets in eine Sinnenwelt, die für sie in ihrer Besonderheit charakterisiert ist durch den Monadenkosmos. Das Werk des Einzelnen erhält Realität erst dadurch, dass es intersubjektiv wahrgenommen wird und daß es die Wahrnehmungswelt auch der anderen Iche mitprägt: »was daher in meinem Wissen, als real liegt, liegt nothwendig in dem allgemeinen Wissen, ausserdem läge es in dem meinigen nicht als Real. Realität bedeutet ja dies (...): auch meint es durchaus jeder so wenn er etwas macht, daß es gemacht seyn solle schlechthin für alle Intelligenzen, die von ihrem Standpunkte aus an die Reihe dieser Wahrnehmungen kommen, von nun an, für alle Zeit, in der es sich hält, schlechthin«.102
Die Welt wurde verändert: wir leben nach Shakespeares »Hamlet«, nach Goethes »Faust«, nach Kant, nach Faraday und nach Freud, nach Heisenberg: Sie alle gewannen durch uns Realität, indem sie uns Realität gaben, aus unserer Realität nicht wegzudenken sind. Fichte hebt hervor: »daß meine Freiheit ja Grund eines realen Wirkens seyn solle, ich aber nicht real bin, ausser in der Wechselwirkung mit allen Wissenden.«103 Auch Freiheit gewinnt Realität nur im interpersonalen Kontext: »Eben zufolge des absoluten Seyns und in Verbindung mit ihm träte auch die individuelle Freiheit, eben als solche für das Wissen – für das Wissen, daß etwas eben als FreiheitsProdukt, u. nicht als NaturProdukt angesehen würde – ein, aber als ein an dieses Wissen, nicht überhaupt, sondern von Freiheit, sich schlechthin anschmiegende Gesez: als reeller Grund der Erfahrung.«104
Daß Erfahrung überhaupt möglich ist, setzt Freiheit voraus, die zu unterscheiden weiß zwischen Freiheits- und Naturprodukten und in diesen unterschiedlichen Wahrnehmungskategorien erst ein Denken von Freiheit 101 GA II,6; 300. 102 GA II,6; 300. 103 GA II,6; 303. 104 GA II,6; 301.
326
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
und ein Wissen zu sein vermag. Denn wir können von Freiheit nur wissen, indem wir von Freiheitsprodukten wissen und diese von Naturprodukten prinzipiell zu unterscheiden verstehen. Es ist über die Kunstprodukte, daß wir lernen, Natur als schön zu empfinden. Kunst als die Aufforderung, die frei läßt, weist den Weg in die Freiheit. In der Reihe der Wahrnehmungen muss eine Folge von Freiheitsund Naturprodukten sein, von Objekten, die dem Ich seine Freiheit geben, indem es sie respektiert und von Dingen, die es begehren und nutzen kann: »Schaffe die eben also unbegreifliche Natur, oder die unbegreifliche Freiheit; dies ist ja für das Wahrnehmen ganz einerlei.«105 Beide Welten sind für den Menschen unabdingbar, beide ergänzen sich im Denken zu einem Ganzen, das vollendete Kunstprodukt ist für uns ebenso wahrnehmbar wie ein Naturprodukt. Fichte hebt hervor, daß einzig der Mensch nicht nur in der organischen – in der Körperform – sondern reflektiert – in der Linienform – handle. In der Wahrnehmung eines artikulierten Leibes nehmen wir eine Mischform wahr, wie es auch das Kunstprodukt ist. Zur Fichteschen Schilderung der in Linienform sich äußernden Kraft führt Marco Ivaldo aus, daß das individuelle Ich als Kraft sich entäußert, sich in die Anschauung verlierend, indem es zugleich denkend sich ergreift und der Linie Richtung gibt.106 In dieser Wahrnehmung ist das absolute Sein »FreiheitsPrincip«.107 Freiheit als »Wissen vom Wissen – eben von der Freiheit, Agilität, u. in sich selbst Erzeugung des Wissens (...) mit einem Worte Reflexion, nicht blosse gebundene Contemplation« findet allein in und außer sich das freie Individuum: »Freiheit als Freiheit ist nur beschränkt durch andere Freiheit, und wirklich sich äussernde nur durch andere wirklich sich äussernde.«108 Ich darf alles, was immer ich will; erst das Wissen und Wahrnehmen von Anderen begrenzt meine an sich grenzenlose Freiheit. Fichte resümiert hier knapp die Interpersonalitätslehre der GNR von 1796: »Also es ist Bedingung des Wissens vom Wissen, der Selbstwahrnehmung, als Principiat anderer Wahrnehmung, dass ausser der freien Aeusserung, und vermittelst derselben, noch andere freie Substanzen in der Sinnenwelt wahrgenommen werden. Wechsel-
105 GA II,6; 301. 106 M. Ivaldo, Fichte e Leibniz, S. 330: l’io individuale come forza si esteriorizza e in ciò produce la linea (»dimentica se stesso nell’intuizione«); al tempo stesso comprende se stesso mediante il pensiero per dar alla linea la direzione, con la »libertà della direzione«.« 107 GA II,6; 304. 108 GA II,6; 305.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
327
wirkung durch wirkliche Aeusserung des freien Handelns ist Bedingung alles Wissens.«109
Nur durch Wissen von mir und meiner Freiheit weiß ich in der Begegnung vom Anderen und seiner Freiheit, und erst die Freiheit des Anderen lässt mich eigene Freiheit als Möglichkeit erfahren: »Alles Wissen ist bedingt, u. bestimmt durch eine bestimmte Wechselwirkung realiter sich äussernder Freiheit, in jedem Momente, da ein wirkliches bestimmtes Wissen eintritt.«110 Dass Fichte – anders als Kant – Natur und Naturwissenschaft niedrig achtete, einzig das Freiheitsgesetz anerkennt, ließ ihn im Zusammenhang mit der Aufhebung des Dings an sich die Kategorie der Wechselwirkung eine Stelle einräumen, welche bei Kant die Kausalität einnahm. Denn ein freies Wesen kann für die Selbstbestimmung eines anderen freien Wesens nie Kausalität haben, und da die natürliche Welt bloß eine Sache des Glaubens ist, entfällt die naturwissenschaftliche Kausalität. Wir erkennen nicht dank der Kategorien des Verstandes die Wahrheit des Erscheinenden wie bei Kant, sondern wir schauen mit dem Mittel der Bildungskraft aktiv die Dinge hin, die doch sich uns entziehen. Hatte Fichte in der GNR festgehalten: »Der Mensch (so alle endliche Wesen überhaupt) wird nur unter Menschen ein Mensch«111, so schreibt er nun: »Kein freies Wesen kommt zum Bewußtseyn seiner selbst, ohne zugleich zum Bewusstseyn anderer Wesen seines gleichen zu kommen.«112 Die Empirie unterstreicht hier die Transzendentalphilosophie: Die Intelligenz ist in sich selbst und ihrer innersten Wurzel nicht eine, sondern ein Mannigfaltiges, ein Reich und System von Vernunftwesen.113 Und nur, wo die Intelligenz zur Vernunft gekommen ist, vermag sie den Strahl des Absoluten zu sehen.
109 GA II,6; 305. Marco Ivaldo verweist hier auf Leibnizsches Gedankengut: Das Individuum ist immer ein In-der-Welt-Sein, bzw. eine wahrnehmende Kraft inmitten anderer wahrnehmender Kräfte, während andererseits – auch dies im Sinne von Leibniz – die Welt gedacht werden muss als ein Netz aus individuellen wahrnehmenden Kraftzentren. Ivaldo, : Fichte e Leibniz, S. 324. 110 Ebd. GA II,6; 305. Anders als bei Leibniz bestimmt Monade Ynicht Y nicht Monade Z, sondern Y bestimmt Z in der Begegnung zur Selbstbestimmung, so dass sich – im Sinne der von Reinhard Lauth formulierten Andetermination – sagen liesse, dass Y die Freiheit von Z ist. Vgl.auch M. Ivaldo: Fichte e Leibniz, S.333. 111 GA I,3; 347. 112 GA II,6; 306. Leibnizens Gedankenexperiment, wonach de facto es bloß Gott und eine einzelne Monade gäbe, welche dennoch eine ganze Welt erlebte, wird hier in seiner – letztlich wohl auch Leibniz bewussten – Absurdität aufgewiesen. 113 GA II,6; 306.
328
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Erst an dieser Stelle beginnt Fichte nun über den kategorischen Imperativ den Aufstieg in die transzendentale Freiheit: »das handelnde Individuum (...) kann eben sein reales Handeln als allgemeine Gesetzgebung für alle Wahrnehmung begreifen.«114 Doch »bei weitem die allerwenigsten Individuen (erheben sich – KVT) zum reinen Denken, und mit ihm zum Begriff einer sittlichen Welt (...), während doch jedem, so nothdürftig, der Sinn für eine WahrnehmungsWelt aufgeht: und dies bestätigt die W.L. indem sie das Denken von der Anwendung einer Freiheit innerhalb des schon aufgegangnen faktischen Wissens abhängig gemacht, daher seine faktische Nothwendigkeit durchaus geläugnet hat.«115
Die allgemeine Wahrnehmung ist getragen vom Gefühl dessen, was Sitte ist; ihr rein empirisches Denken erkennt schon das Gesollte und vermag eine sittliche Handlung aus Freiheit als solche zu beurteilen. Ohne eine Gemeine von Freien vermöchte auch der Einzelne nicht, Freiheit durch sittliches Handeln zu realisieren.116 Jede Monade steht in Wechselwirkung mit einem System von Freiheit, das als freie sie erst ermöglicht; die Natur wird ihr als solche, als Nicht-Freiheit, nur im Trieb bewusst, der wiederum in Freiheit sich umsetzen lässt. Nur, wo der Trieb tatsächlich treibt, tritt er ins Bewusstsein. Wo bestimmte Triebe ganze politische Gemeinschaften bestimmen, sind diese nicht realiter, sondern bloß formaliter frei. Auf dem Boden der Empirie gibt es kein sittliches Handeln, ist Legalität das Höchste. Erst darüber hinaus ist das formale Vernunftgesetz, dass eine Mannigfaltigkeit von Intelligenzen sei, im Absoluten begründet, welches der Grundpunkt der intelligiblen Welt ist, aus dem heraus höhere Sittlichkeit möglich wird.117 Auf dem Hintergrund von Leibnizens Frage nach einer prästabilierten Harmonie, kommt auch Fichte betont nochmals darauf zu sprechen: »Die Frage ist die wichtigste u. höchste die eine Philosophie aufwerfen kann.« 114 GA II,6; 307. 115 GA II,6; 293. 116 GA II,6; 308 f. M. Ivaldo, op. cit. 2000, S. 350 f. 117 GA II,6; 313., M. Ivaldo führt hierzu aus: » Der Monadenkosmos ergibt sich aus der zwischenmenschlichen Beziehung von Vernunftwesen, und gründet im Absoluten, das in der Sinnenwelt ein Netz von Kraftäußerungen sich zeigt, die aus Freiheit interagieren und deren Sinn die geistige und sinnliche Harmonie des sittlichen Interagierens ist, oder – mit Leibniz zu sprechen – der Gottesstaat.« (In: Ivaldo: Fichte e Leibniz, op. cit. p. 355) S. auch K. V. Taver: Die Konstitution des Ich in der Interpersonalität gemäß der WL von 1801/02. In: prima philosophia, Bd. 8, 1995, S. 395-405, hier S. 397.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
329
Fichte unterscheidet die Harmonie zwischen Ding und Wissen und die zwischen mehreren freien Wesen. Offen sei noch die Frage zwischen der Harmonie von intelligibler und erscheinender Welt, die jedoch in der GNR schon beantwortet wurde: »Die allgemeine Wahrnehmung hat zu ihrem Grundstoffe durchaus nichts anderes, als das Verhältniß des wahrnehmenden Individuum zu einer rein intelligiblen Welt.«118
In der Vernunftanschauung gibt es jedoch keine Individualitäten: Es erscheinen »die Individuen gar nicht im Seyn, sondern sind nur numerisch verschieden.«119 Somit stellt sich die Frage von der »Bestimmtheit des Individuum«120, die Fichte nach verschiedenen Erwägungen dahingehend beantwortet: »daher auch in der durch diese VftAnschauung vermittelst des vereinigenden Denkens bestimmten Wahrnehmung – Was jeder von sich absolut denkt, davon muß er denken können, daß alle, die sich zum absoluten Denken erheben, es auch von ihm denken.«121 Im Reich der Geister und der transzendentalen Freiheit herrscht ein »System der absoluten Harmonie alles Denkens, der reinen Identität desselben.«122 Jeder, welcher in sich die reine Vernunft und die transzendentale Freiheit verwirklicht, wird in einer bestimmten Konstellation genau diejenige vernünftige und sittlich gebotene Handlung vollziehen, die an seiner Stelle auch jeder andere vollziehen würde, welcher in sich sittliche Vernunft verkörpert, so daß alle von ihm genau jene Tat erwarten können, die er selbst für richtig hält, weil sie vor dem Richterstuhl der Vernunft richtig ist. So würde das absolute Wissen sich verwirklichen in der unerreichbaren Einheit des reinen Vernunftdenkens und der absoluten Sehe des vom Sittengesetz Geforderten »als höchstem Stellvertreter aller Anschauung.«123 Wie es zu diesem realiter nie zu verwirklichenden absoluten Wissen, statt dessen »zu diesem und jenem Wissen« komme, erklärt Fichte aus der Individualität des Individuums, das »sich als Princip der sittlichen Wahrnehmung, in der es doch ewig auch fort ruht, erscheint. Auch wo es nach den Gesetzen der Vernunft handelt, kann es nur "für sich, u. in seinem individuellen Bewusstseyn« handeln.124 Nur diejenigen, die mit den 118 GA II,6; 314. 119 GA II,6; 315 120 GA II,6; 316. 121 GA II,6; 317. 122 Ebd., GA II,6; 317 123 Ebd. GA II,6; 317. 124 GA II,6; 318.
330
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
Vernünftigen eine Gemeine bilden, die auch zur transzendentalen Freiheit gefunden haben, und sich und Welt in Gott anschauen, erkennen den intelligiblen Charakter der Handlung. Fichte nimmt Leibnizens TheodizeeThese auf, sie umkehrend: »Die Welt ist die allerschlimmste, die da seyn kann, wenn sie nun überhaupt nur noch Welt seyn soll: Doch liegt darin eben darum die ganze einzig mögliche Güte Gottes verbreitet, dass von ihr aus die Intelligenz sich zum Entschlusse erheben kann, sie besser zu machen.«125
Sich zum Entschluss zu erheben, die Welt zu verbessern, bedeutet in erster Linie, daß der Einzelne sich zum Entschluss durchringen muss, sich selbst besser zu machen, um in der Idee dann sich die Welt angleichen zu können. So hielt Fichte im SSL von 1798 fest, dass der Mensch für seinen Charakter verantwortlich sei.126 Der Mensch, der in einem Rechtsstaat lebt, ist voll verantwortlich, wenn er den Sprung in die transzendentale Freiheit unterlässt und sich nicht einzig dem Sittengesetz unterstellt. Der spätere Fichte wird zeigen, dass der Mensch Erscheinung der Erscheinung Gottes ist, sich als Erscheinung des erscheinenden Absoluten erscheinen soll. Unterlässt er den Sprung in die Reflexion, so bleibt er bloße Erscheinung an Gott, Urschema, Trieb ohne bestimmtes Schema, Denkvermögen ohne Reflexion, blinde Leinwand, die sich nicht entfaltet hat. Am Ende der WL 1801/02 resümiert Fichte, daß das Wissen, so wie auf es reflektierend wir uns seiner bewusst sind, reines Entspringen aus Nichts ist: in seinem Nichtsein ist eben schon sein Sein, in seinem Sein liegt noch sein Nichtsein: »Es ist absolutes Seyn und Nichtseyn vereinigt.127 Wie Alexis Philonenko darlegt, resümiert hier Fichte gedrängt die formale Freiheit.128 Nicht das Wissen, sondern nur seine Bezogenheit 125 GA II,6; 320. Um nochmals zu verweisen auf Voltaires »Candide« ist 1759 erschienen und endet endend mit dem Satz von Candide« »Cela est bien dit, répondit Candide, mais il faut cultiver notre jardin.« (S. François-Marie Arouet de Voltaire: »Candide«. In: Bibliothèque de la Pléiade, Paris 1954, p. 237), an den Fichte hier anknüpfen dürfte. Marco Ivaldo stellt fest, dass in obiger Passage das Gesetz Gottes nicht die prästabilierte Harmonie als solche, sondern die zwischen freien Menschen spielende Harmonie als Aufgabe ist. Ivaldo 2000, S. 355. Hegel deutet Leibnizens »Theodizee als »Optimismus« und fährt fort: »Das ist ein schlechter, populärer Ausdruck, so ein Geschwätz von Möglichkeiten der Vorstellung oder Einbildung: Voltaire hat ihn lustig persifliert.« G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Band 19, über die Geschichte der Philosophie, Werkausgabe Bd.III, S. 248. Frankfurt a.M. 1971. – Vgl. oben, S. 120. 126 GA I,5; 168. Ebhenso Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Werk-Ausgabe Weischedel 1964, S. 673. 127 GA II,6; 320. 128 A. Philonenko, op.cit., Tome 2, p. 186 ff.
Die Position Fichtes nach Leibniz und Kant
331
auf das absolute Sein lässt sich negieren: »Es ist, aber nur zufällig.«129 In der auf sich reflektierenden Reflexion wird das Wissen und wird die Freiheit wirklich. Denn das Wissen erkennt sich hier als durch sein Entspringen als nicht notwendig Seiendes, sondern als seiend durch Freiheit. Und diese Freiheit ist gebunden an das Sein. Eine Freiheit am Ende der Zeit, die an nichts mehr gebunden wäre, höbe sich auf. Nur in der Bindung ist Freiheit möglich, sei es ans Sittengesetz, sei es an die Regeln der Kunst, sei es an ein vernünftiges Du, so wie nur die Andetermination durch andere Monaden dem Ich seine Freiheit zu geben vermag, wo immer es bereit ist, sie zu ergreifen. Interagieren bei Leibniz tätige und leidende Monaden mit abwechselnder Aktivität oder Passivität in einem unendlichen Durcheinandergewoge, so bedeutet bei Fichte vom ursprünglichen Anstoß bis hin zum gesamten Lebensvollzug jede Begegnung mit einer anderen Monade eine Andetermination, einen Aufruf, Position zu beziehen und innerhalb des eigenen Naturplans in einem neuen, vernunftgeleiteten Schritt sich selbst zu bestimmen. So ist jede Hemmung eine Veränderung des Limes und der Selbstbestimmung. Die Monade ist nicht ein Versatzstück in einem absoluten Spiel, sondern ein Kraftpunkt in einer Netzkugel, welche durch jede von einer anderen Monade ausgelöste Schwingung zur Eigenschwingung, zur Selbstbesinnung und Selbstbestimmung angeregt wird. Leibnizens Monade ist ein Kraftzentrum, das agiert und reagiert. Dies tut auch Fichtes Monade, aber über den Weg der Selbstbesinnung und Selbstbestimmung. Obwohl Leibniz die Individualität zum Ausgangspunkt macht und sie stärker betont als Fichte, ist erst Fichtes Monade ein Individuum und ein Ich auch außerhalb Gottes, indem sie allgemein ein Selbst ist.
129 GA II,6; 321.
This page intentionally left blank
6. Fazit
This page intentionally left blank
6.1. Die prästabilierte Harmonie der Gesellschaft bei Leibniz und bei Fichte Der Ausgangpunkt Fichtes für eine harmonische Gesellschaft ist radikal unterschieden von demjenigen Leibnizens: Leibniz schrieb, als der Absolutismus auf seinem Höhepunkt war, Fichte schrieb nach Montesquieu, nach Rousseau, nach der Französischen Revolution und der Terreur. Und er schrieb nach Kant. Beide Denker, Leibniz wie Fichte, sahen sich als Vorkämpfer der Freiheit1, wobei spätere Leser Leibniz des Determinismus beschuldigten, Fichte die »Reden an die deutsche Nation« und den »geschloßnen Handelsstaat« vorhielten, ihn der Deutschtümelei und der Planwirtschaft als Erstickung jeglicher Freiheit verdächtigten. Doch wie schon Spinoza, denken sowohl Leibniz wie Fichte Autonomie als Ziel der Ethik, Sittlichkeit als Rechtfertigung der Freiheit. Fichte denkt die Freiheit durch den freien Willen realisierbar, da er der Freiheit den Spontaneitätsgedanken zugrunde legt, sieht in der Spätzeit sie verwirklicht in der freien Reflexion, ähnlich Leibniz, welcher jedoch an die Vernunft anknüpft im Sinne der Stoa und an die Kontingenz im Sinne der Scholastiker.2 Die vorliegende Untersuchung knüpft an an Leibnizens »hypothetische Notwendigkeit« und versucht, sowohl dem Gott Leibnizens als auch dessen Kreatur mehr spontane und vernünftige Freiheit zuzubilligen als üblich. Nicht nur blitzen im Geiste der Gottheit unterschiedliche mögliche Welten auf, von welchen die Gottheit nur die bestmögliche sieht, sondern auch dem Geiste des Menschen zeigen jeweils sich unterschiedliche mögliche Wege, und er wird nach hypothetischer Notwendigkeit zum bestmöglichen tendieren, was nicht heißt, dass er aus welchen Gründen auch immer einen 1 S. Brief Fichtes an Reinhold vom 8.Januar 1800 in GA III,4; 182. 2 Vgl. auch Klaus Hammacher: Spinoza und Fichte in: Transformation der Metaphysik in die Moderne, hrsg. von M. Czelinski, T. Kisser u.a., Würzburg 2003, S. 197. Erst der Fichte der letzten Jahre wird die Freiheit in der Reflexibilität sehen.
336
Fazit
anderen möglichen Weg wählt; diese Freiheit ist in seiner Notion spekulativ eingeschlossen, so wie die Gottheit sie von ihm hat.3 Leibniz, wie nach ihm Fichte, erstrebt eine Gesellschaft der prästabilierten Harmonie. Leibniz schwebte – nach dem 30jährigen Krieg – im Gefolge des Cusanus eine Coincidentia oppositorum vor, nunmehr eine Wiedervereinigung der beiden christlichen Kirchen sowie eine Annäherung des christlichen Europa an China, über welches Leibniz im Gang der China – Mission sich zu orientieren trachtete. Kongfutses und Lao–Tses Gedankengut dünkten so sehr ihm einer ursprünglichen Sittlichkeit verhaftet, dass er zur Überzeugung gelangte, ursprünglicher als die nunmehr die chinesische Gesellschaft prägenden Lehren, müsse in China eine monotheistische Religion gewesen sein, und es sei nunmehr auch an China eine religiöse Annäherung möglich. 4 Hans Heinz Holz führt aus, dass, wenn »Leibniz von der Harmonie zwischen den Substanzen spricht, so meint er damit stets die geregelte und universelle Abhängigkeitsbeziehung (correspondance) der Substanzen untereinander, derart, dass jede einzelne auf alle anderen abgestimmt ist, also alle die Bedingung jeder einzelnen sind.«5 Dies ergibt sich schon daraus, daß das gesamte Monadenset, das im Gange der Geschichte zur Existenz bestimmt ist, ursprünglich als miteinander kompossible Essenzen im Geiste Gottes aufgeblitzt war. Da alle Völker, alle Religionsstifter und großen Philosophen vom Einen Absoluten ins Dasein entlassen worden waren, mussten auch alle unter Eine Gottheit sich wieder vereinen lassen. Das Absolute sah die künftigen Völker und gab ihnen die ihnen gemäßen Gottheiten und Denker. Auf diese Möglichkeit verwies in Leibnizens Sicht der Umstand, daß bei Erschaffung der Welt Gott nicht einzelne Individuen kreiert hatte, 3 Georges Friedmann schreibt in seinem »Leibniz und Spinoza: «: »CependentCependant, à partir du moment où la certitude infaillible du développement interne de la monade postule un déternmimninisme en fait non moins rigoureux que celui de l’Ethique, Leibniz a été obligé de nuancer sa condamnation du spinozisme. (p. 233). Mails il donnne lui-même, aussitôt, de cette défence imprevue de Spinoza et de Hobbes, une autre explication, moins désintéressée et qui semble plus ressemblable: les arguments élevés contre la nécessité mathématique »prouvent trop puisqu’ils prouveraient autant contre la nécessité hypothétique et justifiraient le sophisme paresseux.« Ebd. p. 234. Die konsequent durchgeführte Prädetermination führt zum logos argos. Festzuhalten wäre noch, daß die Gottheit weiß, nicht überlegt, der Mensch hingegen überlegt. Im Überlegen sieht Leibniz menschliche Freiheit verwirklicht, während Fichte darin ein unfreies Schwanken sieht. 4 Vgl. Wenchao Li/H. Poser (Hrsg.) Das Neueste über China. G. W. Leibnizens Novissima Sinica von 1697. Stud. Leib. Suppl. Bd. 33, Stuttgart 2000. (Steiner). 5 H.H. Holz: Gottfried Wilhelm Leibniz, Frankfurt a.M. 1992, S. 97. (Campus).
Fazit
337
sondern daß nach dem Willen, sich in Licht zu explodieren, und der Sicht einer rein organischen Welt der Vegetation und der Tiere im Geiste der Gottheit unterschiedliche Sets von Geistmonaden aufgeblitzt waren, und alle diese Monaden ins Dasein drängten. Gott hat denjenigen Set zur Existenz bestimmt, der am stärksten dahin drängte, und dessen Repräsentanten am ehesten unter sich kompossibel waren6. Und dies nicht nur als Zeitgenossen, sondern in der gesamten Raumzeit, in welcher es im menschlichen Schöpfungsabschnitt Individuen geben würde. Ausschlaggebend für die Wahl war nach Leibniz, daß im gewählten Set die Person Christi und damit das Selbstbewusstsein Jahwes enthalten war.7 Es war die Person Christi, welche den Set zum bestmöglichen machte, auch wenn die Person Jesu den Judas bedingte. Und die Energie, mit welcher die Geistmonaden des Sets in die Existenz drängten, war nicht unbedingt ihre Sittlichkeit, sondern ihre Kraft, ihr Lebenswille. Der Verbrecher, welcher in die Existenz drängte und in diese entlassen, sich schuldig machte, wird nach vollbrachter Tat nicht einwenden können, unglückliche Umstände hätten ihn zu seinem Fehlverhalten bewogen: in der Existenz, vor der Tat, hätte er sich anders entschließen können: er hatte, als pure Essenz, schon wissend, dass er zum Verbrechen tendierte, in die Existenz gedrängt, also sich gewollt. So wollte Judas in die Existenz, um sich Jesu zu bemächtigen, auf daß dieser die Juden von der römischen Besatzungsmacht befreie und irdischer König der Juden werde. Gott hat die Notion eines jeden Individuums aus dem Set, das als ganzes am stärksten ins Dasein drängt. Und d.h. er hofft, daß der künftige Sünder vielleicht anderen in ihm angelegten Neigungen stattgeben wird, als jenen, die ihn zum Verbrechen treiben, er hofft, daß Umstände eintreten werden, welche das Unglück, das es bedroht, vom sittlich guten Individuum abwenden werden. Doch ist der Mensch hypothetisch frei, keine Maschine, die bis ins geringste Detail reguliert ist. Die Essenzen, welche die Gottheit ins Dasein entläßt, enthalten unterschiedliche, oft sich widersprechende Neigungen, und Gott kann hoffen, daß das Subjekt, dessen Ratio sufficiens er ist, sich zu Besserem entwickeln wird, als seine Essenz verrät. Gott spielt mit Imponderabilien, indem er die metaphysisch bestmögliche Welt will mit einer Materie, die zwar unendlich, aber begrenzt ist; denn es ist die ursprünglich als Urmasse konzentrierte und seine Energeia physisch ausdrückende Materie. Er hofft auf die Schönheit einer A6 Mon. §§ 53 und 54. G VI, 615 f. 7 Mon. § 55, G VI, 616. Die Bedeutung Jesu für die Gottheit mochte darin liegen, daß das reine, sich und Welt hervorbringende Absolute reines Bewusstsein war, das aus sich selber schuf. Erst der Christus ist als Gottmensch das Selbstbewusstsein Gottes.
338
Fazit
marillis, den Stolz einer Gladiole, den Anblick einer Antilope, welche das Gemüt der in die Existenz getretenen Essenzen berühren, auf daß der Mensch ein Gemüt entwickle, welches ihn sittlich handeln lässt, und aus Liebe zur stets schon vorgefundenen Schönheit der Schöpfung besser sein lässt, als seine Essenz annehmen ließ. Denn jeder Mensch ist eine Hoffnung Gottes. Auch Fichte sieht das Gemüt als Verinnerlichung der Sinnenwelt, und wo die Aufklärung den Menschen in die Freiheit entließ, die Kirchen ihre Glaubwürdigkeit verloren, zählt umso mehr für Gott der Einzelne und seine – möglicherweise auf Andere übergreifende – kreative Gestaltung seines Lebens. Leibniz sieht in dem Umstand, dass Gott unter allen möglichen Adamen, eben den Adam gewählt hat, den er wählte, eine weitere Garantie für eine harmonische menschliche Gesellschaft, welche die universelle Harmonie der Gesamtschöpfung in sich ausdrückt. Denn aus Leibnizens Glauben an die Präformation ergibt sich die »Adamicité« der gesamten Menschheit: Allen ist die Abstammung aus dem Samen des einen Adam gemein, und d.h. daß die Menschheit eine große Familie in Gott ist, in welcher jeder mit jedem und allem kompossibel ist, da über Adam die Menschheit eine große Gemeinschaft mit weitgehend ähnlichen Eigenschaften ist, wenn sie im einzelnen Individuum auch unterschiedlich stark und deutlich ausgeprägt sind, unterschiedlich ins Bewusstsein kommen, die Individuen auch in unterschiedlichem Maß an der Vernunft teilhaben. Jegliche Substanz ist ein Kraftpunkt, der auf unendliche Art und Weise in jegliche raumzeitliche Gegenwart und Zukunft wirken kann, auf den in unendlicher Weise aus der raumzeitlichen Gegenwart und Vergangenheit eingewirkt werden kann. In unserem Handeln sind wir sowohl prägend wie geprägt. Je stärker ausgeprägt, je bewusster eine Geistmonade ist, desto aktiver ist sie, indem sie auf andere, passivere Monaden tätig einwirkt, desto mehr entwickelt sie die in ihr angelegten Fähigkeiten und wirkt über ihre Zeit hinaus in die Zukunft sowie sie ihre Wurzeln in den Vergangenheiten vererdet. Daß wir unserer Fähigkeiten uns bewusst werden, bedingt, daß wir über unser Handeln reflektieren; denn wir sollen reflektieren, aber nur handelnd gewinnen wir fruchtbaren Stoff für unsere Reflexion. Es ist also vor allem der reflexive, von sich und den Dingen abstrahieren könnende und die Vernunftwahrheiten einsehen könnende, eines »Moy« fähige Mensch, welcher im Bewusstsein Gottes über sich hinauswirkt, der auch die Einsicht in die Schönheit (pulchritudo) des Minimax – Prinzips hat, daß nämlich die Gottheit mit einem Minimum an Naturgesetzen die größtmögliche Varietas hervorgebracht hat.
Fazit
339
»Nam ubi nulla est varietas, nulla est harmonia (...) Vicissim ubi varietas est sine ordine, sine proportione, sine concordia, nulla est harmonia. Hinc patet quanto major sit et varietas et in varietate unitas, hoc majorem esse harmoniam. Hinc ipsae dissonantiae gratiam augent, si subito in concordiam aliis dissonantiis revocentur. Idem est in symmetria. Hinc jam facile patet Harmoniam esse perfectionem cogitabilitatis. Nam (...) dictum est, perfectius esse in quo plus est realitatis. Est autem et cogitatio quaedam realitas, tantoque major quod res quodammodo multiplicantur cogitando, nam Mentes singulas quandam totius mundi representationem continent.«8
Nur ein Mannigfaltiges in sich Befassendes kann in sich harmonisch sein und Harmonie ausstrahlen. Damit die Varietas von Welt harmonisch sei, muss sie auch Ordnungen, Proportion, Übereinstimmung der Teile unter sich befassen. Dissonantes kann die Schönheit des Ganzen und von Symmetrien erhöhen. Nie ist es das Einzelne, Zusammenhanglose, welches das Wirken der Gottheit hervorruft, sondern stets eine Stimmigkeit. Und vollkommener ist das, was mehr Realität in sich enthält. So hat denn Gott den Monadenset erwählt, welcher nicht nur der moralisch bestmögliche war, sondern der durch das in die Existenz Drängen der allerrealste und kraftvollste war. Das denkerische Potential des zur Existenz bestimmten Monadensets war höher als dasjenige anderer, die vielleicht moralischer gewesen wären. Doch auf die Gesamtschöpfung bezogen, ist vielleicht der begreifende Gedanke Mehrerer höher anzusetzen als die einmalige gute Tat. Denn im richtigen Gedanken dominiert Harmonie und verbirgt sich mehr Realität und nicht weniger Sittlichkeit als in der instinktmäßig aus was für Gründen auch immer statthabenden Moralität. Und es ist das Denken der einzelnen Monade, in welcher die rapraesentatio mundi statthat. Je ausgeprägter die Geistmonade denkt, ein desto getreueres Bild der ewigen Wahrheiten, der vergangenen, zukünftigen und gegenwärtigen Weltgegebenheiten und auch Gottes spiegelt sich in ihrem Auge. Weder hat sie konfuse Perzeptionen, noch wird sie in ihrer Seelenstärke von zu mannigfaltigen klaren Perzeptionen übermannt. Sie ist ein reflektierendes, sich, Gott und Welt mit gleicher Klarheit erkennendes Denken, von größerer moralischen Kompetenz als vielleicht die eines Individuums aus anderen Monadensets, wo aus überströmender Herzensgüte gehandelt wird. Die Härte des Denkens der Gottheit stieß auf die Härte des Denkens, die Inkorruptibilität einzelner menschlicher Geistmonaden und wählte den entsprechenden Adam. Denn denkend und reflektierend ist je nach Entwick8
A VI, iiii, 1359., Nr. 256.
340
Fazit
lung die menschliche Geistmonade diejenige, welche je nach ihrem Standpunkt das deutlichste Bild der übrigen menschlichen Geistmonaden sowie des Universums hat, indem ihre Perzeption stets deutlichere Bilder entwickelt, ihr Denken, stets mehr sich in sich vertiefend, stets deutlichere Bilder des umgebenden, näheren und ferneren Universums formuliert. Das Erkennen von Naturgesetzen ist auch ein Erkennen Gottes, und das Bewusstsein des reflektierenden Menschen ist nicht nur ein Spiegel der Welt wie das Bewusstsein des rein empirischen Menschen oder des höheren Tieres, sondern auch ein Auge, welches Gott und in Gott sich selber sieht und in welchem Gott seine Welt erkennt. Wie groß die menschliche Freude an der göttlichen Varietas ist, weiß jeder Pflanzenzüchter, der schon größere und neue Rosen, neue Tulpenformen hervorgebracht hat und gleich jedem Künstler ein kleiner Gott der Erde ist, dem Gott nach den Gesetzen der Harmonie eigene Schöpferkraft und stärkeres Einwirken auf andere Geistmonaden mit konfuseren Perzeptionen zugebilligt hat. Fragwürdig wird die Rekonstruktion des Schöpfungsprozeßes, wo der Mensch in seiner Sonderstellung innerhalb der Natur die Substanz des Menschen zu manipulieren vermag. Geschehe dies nun physisch am Genom oder durch jene Manipulierung von Massen durch Propaganda und Werbung, wie dies uns das demokratische 20. Jahrhundert vorgeführt hat, u wie dies schon Max Weber als »Charisma« als Gefahr analysiert hatte.9 Vernunft ist die Voraussetzung der Freiheit. Die vernünftige, reflexive, kreative Monade ist aktiv, wirkt über sich hinaus, wo die rein empirische, von ihren Leidenschaften und Launen hin- und hergerißene Monade passiv, ihrer Körperlichkeit verhaftet bleibt, mit ihren konfusen Perzeptionen zwar geprägt, doch bloß schwach prägend bleibt. Diesen Monaden mangelt die Einsicht in die ewigen Wahrheiten, seien es nun die Vernunftwahrheiten, die eins sind mit Gott, seien es die Wahrheiten der Geschichte, die für sie unsichtbar sind, in der sie bloß die Rolle mitlaufender Körperaggregate spielen: auch für sie ist Gott die Ratio sufficiens, doch sie sind bloß der Ballast, den die Geschichte mitschleppt. Sie prägen durch die Masse, die sie darstellen, sind selbst jedoch nichts als konfuse Monadenaggregate mit wirren Perzeptionen. Leibniz schreibt, »dass die Gemeinschaft aller Geister den Gottesstaat bilden muss.«10 »Dieser Gottesstaat, diese wahrhaft universale Mo-
9 Max Weber: Die drei Typen der legitimen Herrschaft; III. Charismatische Herrschaft, S. 99-110. In: Staatssoziologie, S. 104-110, Berlin 1950 (Duncker & Humbolt). 10 Mon. § 85, G VI,621, mit Verweis auf Théod. § 146, G VI, 196, wo Leibniz allerdings ausführt: »mais le genre humain, en tant qu’il nous est connu, n’est qu’un fragment, qu’une
Fazit
341
narchie, ist eine moralische Welt innerhalb der natürlichen Welt und das erhabenste und göttlichste unter den Werken Gottes.«11 Da nicht jedes Ich reflexiv ist und bis zu Gott und den ewigen Wahrheiten aufsteigen kann, wenn dies alles auch in ihm angelegt ist, führt Leibniz aus: »Diese Harmonie bewirkt, dass die Dinge auf den Wegen der Natur selbst zur Gnade führen, und dass z.B. dieser Erdball auf natürlichen Wegen zu der Zeit zerstört und wiederhergestellt werden muss, wann es die Regierung der Geister verlangt: zur Strafe der einen und zur Belohnung der anderen.«12
Dies sich Folgen von Welten dürfte Fichte zu seiner Annahme einer Folge von stets vollkommeneren Welten geführt haben, wobei unsere Welt der gänzlichen Sündhaftigkeit die erste und unvollkommenste ist, jede folgende Welt dem Endzweck mehr sich annähert. So wie Gott aus dem Grauen der Schoah den Cohen erstehen läßt, so erschafft die Gottheit von Augenblick zu Augenblick in ständigen Effulgurationen neue Geistmonaden13, welche bestimmt sind, in Fehlverhalten schon bestehender Geistmonaden zu intervenieren oder selbst Sünder zu sein, damit andere Monaden die Sünde in ein höheres Gut umwandeln; denn manchmal bedarf es eines Übels, damit der aufgestachelte Mensch daraus ein Gutes mache. Jedes Übel, welches auf Erden sich ereignet, soll durch ein Gut, das sonst nicht möglich gewesen wäre, kompensiert werden. Daß überhaupt Übel sich ereignen, liegt an der Begrenztheit der unendlichen Materie, und so daran, daß ständig die Gefahr besteht, daß die in Kunst und Wissenschaft fortschreitende Menschheit hinter sich zurückfällt in die Barbarei. Denn jedes Fortschreiten in der Zivilisation bringt mit sich eine Verfeinerung und so eine Entfernung von der den Menschen tragenden Natur. Der Mensch entfernt sich von seiner unvollkommenen Tierheit, die ihn vom Viehischen in ihm schützte. An die Stelle eines wankelmütigen Volkes tritt eine beliebig manipulierbare Masse, die sich verhält nach den Gesetzen aufgestörter Insektenschwärme. Die Gottheit weiß von Anbeginn um die Sünden und Verbrechen, die statthaben werden, aber da sie die Notion der Essenzen hat, weiß sie im Augenblick der Schöpfung zwar, was geschehen wird, aber noch nicht, wie welche Essenz, in die Existenz petite portion de la Cité de Dieu«; denn wie Leibniz ausführt, kann jeder Planet, jedes Tier, jede Pflanze von einmaliger Vollkommenheit sein. 11 Mon. § 86, G VI, 621. 12 Mon. § 88, G VI, 622. 13 Mon. § 47. G VI, 614.
342
Fazit
entlassen, zum vorhergesehenen Gang der Geschichte was genau nun beitragen wird; obwohl sie die Notion hat, ist das Entlassen jeder endlichen Essenz in die Existenz ein Risiko der Gottheit, die nur über die von ihr mitgeschaffenen Götter und großen Denker als prägend die Völker eine weitgehend risikofreie Notion hat. Jede Essenz, die in die Existenz entlassen wird, ist ein Vabanquespiel Gottes. Selbst Jesus war frei, sich dem Willen Gottes nicht zu beugen, den Kelch nicht auszutrinken, und statt zum Christus zu einem weisen alten Rabbi zu werden, so wie auch Gautama Buddha an seiner Existenz als Prinz hätte festhalten, so wie die Bhagavadgita, die eine ganze Gesellschaft prägen sollte, hätte ungeschrieben bleiben können. Wenn der göttliche Würfler im Wurf des Würfels auch schon weiß, welche Zahl fallen wird. So schreibt Leibniz in § 398 der Theodizee: »Gott kann die Materie nicht bewegen und auch nicht mit Weisheit ordnen, wenn er sie nicht erkennt. Gott vermag sie nicht zu erkennen, wenn er ihr nicht Existenz verleiht: seine Erkenntnisse kann er nur aus sich selbst gewinnen. Nichts kann auf ihn wirken oder ihn erleuchten.«
Ergänzend ließe sich § 395 der Theodizee beiziehen: »Gott erzeugt Substanzen aus nichts und die Substanzen erzeugen Akzidentien durch die Veränderung ihrer Grenzen.«
Gott erkennt die Entelechien, die ins Dasein drängen. Aber wie im wechselseitigen Austausch die Neigungen und Anlagen der Substanzen in der Existenz sich entwickeln werden, ist in der ursprünglichen, verschiedene mögliche Entwicklungen in sich beinhaltenden Notion nicht definitiv gesagt. Darum auch ist der logos argos, das faule Sophisma nicht am Platz: die einzelne Geistmonade ist dafür verantwortlich, welche Instinkte, Anlagen, Neigungen sie entwickelt, welchen Leidenschaften sie nachgibt und welche sie unterdrückt oder umleitet. Die Gottheit wusste, das Caesar als siegreicher Feldherr den Rubikon überschreiten würde; aber in der Notion Caesars war nicht enthalten, ob seine Feldherrenlaufbahn nicht noch vor Pharsalae infolge Intrigen, Krankheit oder anderen Gründen ein vorzeitiges Ende finden würde, wenn dies auch unwahrscheinlich war. Die Gottheit kennt die Essenz all der Substanzen, die in die Existenz drängen und sieht ihre mögliche Kompossibilität; aber wie, einmal in die Existenz entlassen, die Wirkung der natürlichen Natur auf die einzelnen Monaden sein wird, wie die Monaden sich in ihrer fensterlosen Offenheit an einander
Fazit
343
akkommodieren, ob und wie eine aktivere Monade mit klaren Perzeptionen in einem gewissen Augenblick auf eine schwächere Monade mit konfusen Perzeptionen reagieren, ob sie sie weiter schwächen, oder ihren Geist wecken wird, ist im Augenblick der Erschaffung noch ungewiss. So kann die Gottheit wissen, daß eine gewisse Monade die Substanz eines Bildhauers darstellt. Aber sie weiß nicht genau gemäß ihrer Notion vom künftigen Bildhauer, ob dieses oder jenes früher entstandene Werk, dem er begegnen wird, seine Begabung endgültig wecken und so das für ihn ausschlaggebende Werk sein wird – es gibt da eine Spannbreite von Möglichkeiten. Es geht nicht darum, keine Leidenschaften und Stimmungen zu haben, sondern darum, vernünftiger zu sein als die eigenen Leidenschaften und momentanen Zustände, diese zu kanalisieren, ihre Stillung und Lage zu verschieben, sie als Erkenntnismittel zu nutzen. Vernunftgeleitete Leidenschaften können auch ein Werkzeug der Vernunft und Freiheit sein. Leibniz schreibt in § 288 der Theodizee, daß »Freiheit, wie man sie in den theologischen Schulen fordert, in der Intelligenz, die eine deutliche Erkenntnis des zu beschließenden Gegenstandes in sich fasst, in der Spontaneität, mit der wir uns entscheiden, und in der Zufälligkeit, d.h. in dem Ausschluss logischer oder metaphysischer Notwendigkeit« besteht.14 Die in Anschluss an die Scholastik entwickelte Kontingenz oder Nichtnotwendigkeit fehlt im nezessitaristischen Freiheitsbegriff Spinozas. Die schon bei Aristoteles gegebenen subjektiven Freiheitsbedingungen sind Vernunfteinsicht und Spontaneität, die im Handelnden selbst liegen müssen: »Spontaneum est, cujus principium est in agente.«15 Sich von Kontingentem nicht aus der Fassung bringen zu lassen, wo es sich als Gelegenheit präsentiert, es am Schopf zu packen, ist die Weisheit des klugen Mannes. An die innere Entschlusskraft der Spontaneität wird nach Kant vor allem Fichte anknüpfen: sie bedeutet Selbstbestimmung im Gegensatz zur Fremdbestimmung und ist die Wurzel der Freiheit und der sittlichen Entscheidung. In den Nouveaux Essais legt Theophilus, der Sprecher Leibnizens dar: »die Geistesfreiheit, die der Notwendigkeit entgegengesetzt ist, betrifft den nackten Willen, insoweit er vom Verstande unterschieden ist. Das nennt man Willensfreiheit, welche darin bestehen soll, dass die stärksten Gründe und Eindrücke, die der Verstand dem Willen darbietet, den Willensakt nicht daran hindern, kontingent zu sein, 14 G VI, 288. 15 Théod. § 301, s. auch § 290 sowie M.-T. Liske, S. 204.
344
Fazit und ihm keine absolute und sozusagen metaphysische Notwendigkeit auferlegen.«16
Der Willensentschluss ist kontingent, auch wenn der Verstand noch so zwingende Gründe angeführt hat, sich eher in diese als in jene Richtung zu entscheiden. Die Gottheit weiß von Anbeginn, dass diese Geistmonade vor dieser Entscheidung stehen wird; aber bis zuletzt ist offen, wie die Entscheidung ausfallen wird. Der Mensch hat die Möglichkeit, eine neue Reihe von Freiheitsakten zu initiieren, trotz der Notion, welche die Gottheit von Anbeginn von ihm hatte. Denn auch dies über den eigenen Schatten Springen war als Möglichkeit in der Notion inbegriffen. So ist nichts endgültig vorbestimmt und entfallen die Gründe des »faulen Sophismas«. Praktisch ausnahmslos kann das Ich irgendwie handeln und den Lauf der Dinge ändern oder auch durch sein willentliches nicht Eingreifen einen Lauf der Dinge zulassen, den es für besser hält, als denjenigen, den es hätte provozieren können. Immer wird der Weise und soll der Mensch nach dem Bilde des objektiv Besten handeln. Dies zu erkennen, erfordert Verstand, Urteils- und Vorstellungskraft, die hier weitsichtiger sind als bloße natürliche Güte. Daß die Gottheit die bestmögliche Welt schuf, heißt nicht, daß sie die Welt mit dem Höchstmaß an natürlicher Güte und Moralität wählte, sondern diejenige mit dem Höchstmaß an Vernunft und Kreativität, Eigenschaften, die möglicher Grund zur Güte und zur Liebe zur Schöpfung aus dem Gesicht Gottes sind. Reine Güte und Moralität sind eher Boden der Selbstverliebtheit als das Finden des Guten aus dem amor Dei intellectualis des Vernünftigen, welcher um richtiges und unrichtiges Handeln weiß. Die reine Moralität ist nicht ausreichend für eine auch metaphysisch bestmögliche Welt. Der Vernünftige und der Weise müssen schon eine geringe Schuld auf sich geladen haben, um in der Zukunft nach dem Bild reiner Moralität sich zu entscheiden. Dies ist das Gesetz der Materie, deren als Mittel in ihrer Begrenztheit auch Gott nicht entraten kann, und mit der auch der frei wählende Vernünftige und der Weise, welcher nur an Gott sich gebunden weiß, stets rechnen müssen, auch wo ihre Wahl als freie sittliche Entscheidung fällt. Von der frühen GNR17 von 1796 und vorweggenommen von den Vorlesungen von 1794 »Über die Bestimmung des Gelehrten« über den »ge16 NE II,XXI,§ 8; G V,162; H.H. Holz Bd. III/I, S. 254 f. /255 f. 17 Grundlage des Naturrechts, abgekürzt »GNR«. Im übrigen wird zitiert nach der Gesamt – Ausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Reinhard Lauth u. Aa.
Fazit
345
schloßenen Handelsstaat« von 180018 zur Umbruchschrift der Darstellung der WL von 1801/02 unternimmt es Fichte, ein Gesellschaftsmodell zu entwerfen, welches transzendentalphilosophisch Leibnizens Entwurf einer prästabilierten Harmonie von auf einander abgestimmten freien Individuen in einer Nation von Vernunftwesen im Modell verwirklicht.19 Fichte knüpft an Leibnizens »Nouveaux Essais«20 an, wenn er in der 1794 gehaltenen Vorlesung »Ueber die Bestimmung des Gelehrten« darlegt, wie der Mensch mannigfaltige Triebe und Anlagen in sich trägt, deren er sich erst durch empirische Erfahrung bewusst wird.21 Unter anderen eignet dem Menschen auch ein Trieb zur Gesellschaft, und es ist eben die Gesellschaft, die dem einzelnen vorgearbeitet hat: er muss nicht am Punkte Null anfangen, um sich zu bilden und auszubilden, sondern er kann an die gewordene Kultur und Zivilisation der Gesellschaft anknüpfen.22 Die Natur ist mannigfaltig und läßt unterschiedliche Individuen von je besonderer individueller Natur entstehen, so daß wir feststellen können: »kein Individuum ist dem andern in Absicht seiner erwachten und entwickelten Fähigkeiten vollkommen gleich,«23 eine Wahrheit, die schon dem Cusanus und Leibniz bewusst war. Diese Unterschiedlichkeit der Anlagen läßt je nach den kulturellen und zivilisatorischen Gegebenheiten der Gesellschaft, wenn es darum geht, einer bestimmten Tätigkeit nachzugehen, das Individuum in jene Richtung sich spezialisieren, wo es sich sagen kann, es sei als »Lückenbüßer« tätig, indem auf diesem Felde ein Bedürfnis der Gesellschaft einerseits, wenig Konkurrenz andererseits besteht und es eine der ihm gemäßesten Anlagen pflegt: 18 Vgl. den hervorragenden Aufsatz von Hans Hirsch in den Fichte-Studien 24, 2003, S. 165-177: »Fichtes Planwirtschaftsmodell als Dokument der Geistesgeschichte und als bleibender Denkanstoß.« 19 Vgl. Marco Ivaldo: »Fichte e Leibniz. La comprensione trascendentale della monadologia.«, Milano 2000, insb. S. 307 ff.. Reinhard Lauth in Kant – Studien 87, 1996, Ss. 396422: »Leibniz im Verständnis Fichtes«. 20 Vgl. Nouveaux Essais, Vorwort, insb.: »Es handelt sich darum zu wissen (...) ob die Seele ursprünglich die Prinzipien verschiedener Begriffe und Lehrsätze enthält, welche die äußeren Gegenstände nur bei Gelegenheit in ihr wieder erwecken, wie ich in Übereinstimmung mit Platon, ja selbst mit der Scholastik und mit all denen glaube, welche die Stelle beim hlg. Paulus (Römerbrief 2,15) dass das Gesetz Gottes in die Herzen geschrieben sei, in dieser Bedeutung nehmen.« G V,14; H.H. Holz, G. W. Leibniz. Philosophische Schriften, III/1, VIII/IX, Darmstadt 1985. Ebenfalls Leibnizens Vorwort in die NE verdankt sich die Feststellung: »Alle Vernunftgesetze sind in dem Wesen unsres Geistes begründet; aber erst durch eine Erfahrung, auf welche sie anwendbar sind, gelangen sie zum empirischen Bewußsstseyn.« GA I,3; 43. 21 Ueber die Verschiedenheit der Stände in der Gesellschaft, GA I,3;43. Ueber die Bestimmung des Gelehrten, GA I,3; 51. 22 GA I,3; 43. 23 Ueber die Verschiedenheit der Stände in der Gesellschaft. GA I,3; 43.
346
Fazit »daher erwählt mit Recht jedes Individuum in der Gesellschaft sich seinen bestimmten Zweig von der allgemeinen Ausbildung, überläßt die übrigen den Mitgliedern der Gesellschaft und erwartet, daß sie am Vortheil ihrer Bildung ihn werden Antheil nehmen lassen, so wie er an der seinigen sie Antheil nehmen läßt; und das ist der Ursprung und der Rechtsgrund der Verschiedenheit der Stände in der Gesellschaft.«24
Je zivilisierter die Gesellschaft ist, umso verschiedenartigere Möglichkeiten, in ihr zu wirken, eröffnen sich den Menschen. Fichtes Planwirtschaftsmodell im »geschloßnen Handelsstaat« knüpft an einen ursprünglichen Gesellschaftsstaat mit noch zu entwickelnder Kultur und daher wenig unterschiedlichen Ständen an, und das Modell steht im Schatten der Handelsblockaden während der Napoleonischen Kriege, da ein von allem abgeschnittener Staat sich gezwungen sehen konnte, seine Wirtschaft so zu organisieren, daß er suisuffizient war. So erklärt sich nach Fichte Berufswahl und Spezialisierung, mit denen der Einzelne sowohl sich wie der Gesellschaft dient, der zuerst er sein Wissen zu verdanken hat; denn bevor sich der Einzelne zu einer bestimmten Tätigkeit entschließt, muss er schon einen gewissen Überblick über das Wissen der Gesellschaft gewonnen haben. Wer von Natur bestimmte Anlagen und Begabungen hat, wird nicht zum Müßiggang neigen, sondern von Natur das Bedürfnis verspüren, diese Anlagen auszubilden und aus Vernunft in ihrem Rahmen in der Gesellschaft tätig zu sein. Dies ergibt nebenbei sich schon aus dem in jedem lebenden Bedürfnis nach Anerkennung. Wenn Fichte die Notwendigkeit verschiedener Stände, verschieden veranlagter Individuen erörtert, die sich zu einem harmonischen Ganzen bilden sollen, ist er nicht nur Republikaner, sondern auch überzeugter Demokrat: Die Natur ist mannigfaltig, aber der Mensch muss mit Vernunft Recht und Gerechtigkeit entwickeln: Zweck einer demokratischen Kulturnation ist: »daß alle die verschiedenen vernünftigen Wesen auch unter sich gleichförmig gebildet werden sollen.«25 Fichte sieht den Zweck aller Gesellschaft in der »völligen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.«26 Hiermit
24 Bestimmung des Gelehrten, GA I,3; 51. 25 Verschiedenheit der Stände. GA I,3; 44. 26 Ebenda.
Fazit
347
unterschätzt Fichte die mögliche Kraft individueller Ausprägungen und – wie so viele Philosophen – das Phänomen real existierender Dummheit.27 Zwei Grundtriebe äußern sich im menschlichen Trieb nach Geselligkeit: der »Mittheilungstrieb« und der »Trieb zu empfangen,« d.i. der Trieb, sich von jedem von derjenigen Seite ausbilden zu lassen, von welcher er vorzüglich ausgebildet und wir vorzüglich ungebildet sind.«28 Die beiden Triebe ergänzen sich gegenseitig, so daß ein ständiges Fortschreiten der Menschheit durch wechselseitige Formierung und sittliche Veredelung, die der Zweck des Geselligkeitstriebes ist, stattfindet. Fichte meint mit Voltaire: »il faut corriger la Nature.« Die Kultur soll die Ungerechtigkeiten der Natur, welche die Menschen unterschiedlich ausstattet, minimieren: »So wird durch Vernunft und Freiheit der Fehler, den die Natur gemacht hat, verbessert; die einseitige Ausbildung, die die Natur dem Individuum gab, wird Eigenthum des ganzen Geschlechts.«29 Die Kultur, welche die natürliche Umgebung des Vernunftwesens ist, soll von diesem rezipiert und weitergegeben werden: Kultur und allgemeine Bildung sollen ihm über die Gesellschaft geben, was die Natur ihm als Einzelnem verwehrt hat. Anders als bei Marx setzt Fichtes Kommunismus beim Überbau ein. Derjenige Einzelne, der überbegabt ist, soll von seinem Wissen und Können an die Gesellschaft abgeben und für sie wirken, denn er verdankt den Wissensstand, den er antraf, ihr sowie die Ausbildung seiner Fähigkeiten. Eine möglichst große Homogenität von Wissen und Bildung soll die demokratische Nation bis hin zu den Sprachbarrieren auszeichnen, und Fichte sieht, was die kommunistischen Arbeiterführer um die vorletzte Jahrhundertwende erkannt hatten, daß es nämlich die Bildung ist, welche den Bürger vom Proletarier unterschied. Fichte sieht im allgemeinen Drang der Bedürfnisse und noch mehr im Drang, diese zu befriedigen, sowie in der gemeinsamen Erziehung und Rechtgebung das Band, welches bei aller natürlichen Ungleichheit die Menschen zu einer Nation zusammenschweißt30, in welcher die Vernunft über die seit dem Erdbeben von Lissabon wieder als allgemein bedrohlich empfundene Natur den Sieg davon trägt, und welche durch Demokratisierung der Bildung erst zu einer Einheit innerhalb der menschlichen Gattung, dann zur allgemeinen, welt27 Leibniz geht als Jurist und Denker vom Individuum aus, während Fichte an den Vernunftcharakter des Menschen anknüpft, das Individuum in seiner Besonderheit kaum in den Blick bekommt, die Konsequenz aus der Aufklärung ziehend und in eins sie überwindend. 28 Ebenda. 29 Ebenda. 30 Grundlage des Naturrechts, ; GA I,4; 21. Vgl. Der Patriotismus und sein Gegenteil (GA II,9; 419-445) von 1806/07 sowie insb. die Zweite der »Reden an die deutsche Nation«.
348
Fazit
weiten Demokratisierung des Weltbürgertums führen wird, wo die Vernunft allgemein über die Natur und ihre Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten gesiegt haben wird. Hier geht nicht nur von einer Harmonisierung der Gesellschaft in der Tradition Leibnizens die Rede, sondern es ist von anderer Warte auch Kants »Vom ewigen Frieden« anvisiert. Fichtes Bildungsideal steht unter dem Einfluß Pestalozzis im Zeichen von Kants »Ewigem Frieden«, einer Weltgesellschaft, die durch den Fortschritt der Wissenschaften und damit der allgemeinen Versittlichung friedlich geeint ist. Kant jedoch erwähnt die »Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freien Verhältnis der Völker unverhohlen blicken läßt.«31 Fichte hofft von ganzer Seele auf eine Versittlichung des Menschengeschlechts durch das Vorbild der Wissenschaftler und Gelehrten, das im Bilde der angewandten Kunst an die Menge weitergegeben wird: Er kennt weder die Bösartigkeit des Menschen noch die real existierende Dummheit. Fichte glaubt an eine gleichmäßige Verteilung der erlangten Bildung an alle Glieder der Gesellschaft. Hierin liegt das Werk, welches die Kultur entgegen der Natur zu vollbringen hat. Die allgemeine Ausbildung sorgt dafür, daß die natürlichen Anlagen der Menschen allgemein gehoben, Vernunft und Wissen weitgehend zum Allgemeingut werden. In seinem Kommunismus der Bildung ergänzen Planwirtschaft und Individualität einander. Begabte haben oft mehrere Talente, benötigen auch oft einen Anstoß von außen, um sich brach liegender Begabungen bewusst zu werden. Die Kürze des Lebens, die Begabungen Anderer, eigenes Denken zwingen zu Wahl und Entscheidung. Andererseits benötigt die Gesellschaft, welche den Einzelnen ausbildet, den Dank für die Investition: Er muss einen Beruf wählen und ausüben, mit welchem er in eins sich der Gesellschaft nützlich macht und den eigenen Tatendrang auf einem Feld befriedigt, das ihm teuer ist. Auch einen Forschungszweig wählen und sich darauf konzentrieren, das eigene Fachgebiet vorwärts zu treiben sowohl durch eigene Forschung als durch Lehre zählt hierzu. So fördert der Begabte sich selbst, indem er der Gesellschaft nützt. Letzter Zweck aller Gesellschaft wäre der »der völligen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.« Bei Marx bestanden die Produktionsmittel, deren Eigentum den Kommunismus bringen sollten, in den das Industriekapital nebst den Arbeitern darstellenden Maschinen; bei Fichte ist es die
31 Immanuel Kant: »Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf«, Königsberg 1795 und 1796, BA 33/34, Werkausgabe Weischedel, Bd. 6, S. 210, 1964 Frankfurt a.M.
Fazit
349
Bildung über den Weg, dass alle die verschiedenen vernünftigen Wesen auch unter sich gleichförmig gebildet werden sollen.«32 Lange vor dem planwirtschaftlichen Modell von 1800, das schon in den »Gelehrten« – Vorlesungen von 1794 und der GNR von 1796 vorgezeichnet ist, führt Fichte aus: »Die Wissenschaft ist selbst ein Zweig der menschlichen Bildung; jeder Zweig derselben muß weitergebracht werden, wenn alle Anlagen der Menschheit weiter ausgebildet werden sollen; es kommt demnach jedem Gelehrten, so wie jedem Menschen, der einen besondern Stand gewählt hat, zu, dass er strebe, die Wissenschaft, und insbesondere den von ihm gewählten Theil der Wissenschaft weiter zu bringen; es kömmt ihm zu wie jedem Menschen in seinem Fache; ja es kömmt ihm weit mehr zu. Er soll über die Fortschritte der übrigen Stände wachen, sie befördern; und er selbst sollte nicht fortschreiten?«33
Den ursprüngliche Stimulus des Menschen sieht Fichte in der Not: Jeder verspürt Hunger und Durst. Fichte führt im zweiten Teil der GNR, der Staatsrechtslehre aus: »Leben zu können ist das absolute unveräusserliche Eigenthum aller Menschen. Es ist ihm eine gewisse Sphäre der Objekte zugestanden worden ausschliessend für einen gewissen Gebrauch, haben wir gesehen. Aber der lezte Zweck dieses Gebrauchs ist leben zu können. Die Erreichung dieses Zwecks ist garantirt; dies ist der Geist des Eigenthumsvertrags (...) Jeder soll von seiner Arbeit leben können. Alle Einzelne haben mit allen Einzelnen diesen Vertrag geschlossen. Alle haben sonach allen versprochen, dass ihre Arbeit wirklich das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sein soll: und der Staat muß dafür Anstalten treffen.«34
Das Eigentum, welches der Staat dem Einzelnen garantieren muss, ist die Freiheit, über sich und über die Objekte zu verfügen, die er benötigt, um seinem Erwerb und seiner Kunst nachzugehen. In der viel diskutierten Abhandlung von 1800, »Der geschloßne Handelsstaat« stellt Fichte fest: »Der Staat allein ist’s, der eine unbestimmte Menge Menschen zu einem geschloßnen Ganzen, zu einer Allheit vereinigt; (...) durch ihn allein sonach wird erst ein rechtsbeständiges Eigentum begrün32 GA I,3; 44. 33 Verschiedenheit der Stände; GA I,3; 55. 34 GNR; GA I,4; 22.
350
Fazit det.« Und: »Ich habe das Eigentumsrecht beschrieben, als das ausschließende Recht auf Handlungen, keineswegs auf Sachen.«35
Schon in der Staatsrechtslehre der GNR lässt Fichte im Staatsvertrag jedem Einzelnen eine bestimmte Freiheitssphäre zuordnen: »Diese Sphäre enthält gewisse Objekte, bestimmt durch die ihm zugestandene Freiheit. Soweit demnach die ihm zugestandene Freiheit sich erstreckt, so weit, und nicht weiter, erstreckt sich sein Eigenthumsrecht an die Objekte. (...) Eine bestimmte Thätigkeit ist das Objekt des Eigenthumsvertrags.«36
Der Mensch benötigt Kunstprodukte, Werkzeuge, Instrumente, Maschinen, um seiner Tätigkeit in Freiheit nachgehen zu können, sowie ein gewisses Maß an Bequemlichkeit und Muße. Sie begründen als unumgängliche Subsistenzmittel seine Freiheit. Sein Eigentum ist nicht nur, wie Fichte vor den im 20. Jahrhundert neu einsetzenden Migrationen feststellt, das Recht auf eine gewohnte Umgebung, sondern alles, was er benötigt, um in Würde seinem Erwerb nachgehen zu können. Vom Arbeiter bis zum Wissenschaftler besteht ein Recht auf Arbeit. Findet dieses Recht keine Befriedigung, so macht Fichte die gesamte Gesellschaft und den Staat für das Auskommen des um sein Recht Gebrachten haftbar, indem er im »geschloßnen Handelsstaat«, und in der Staatsrechtslehre der GNR eine Art Sozialversicherung entwirft.37 Die Utopie, auf welche GNR und »geschloßner Handelsstaat« des sozialistischen Demokraten Fichte ausgerichtet sind, ist, dass einjeder mit seiner seinen Anlagen entsprechenden Tätigkeit zum Wohl des Ganzen beiträgt, das ihm als Gegenleistung Leben, Eigentum und Freiheit garantiert. Wieviel totes Eigentum benötigt der Gelehrte? Wie viel der Künstler? Wie viel der Arbeiter? Wie viel der in Ausbildung befindliche Jugendliche? Benötigt der Künstler, der Gelehrte über sein Arbeitsmaterial hinaus mehr Eigentum als der Facharbeiter oder als seine Putzfrau? Hat der gehobene Stand der Gelehrten, der Staatsbeamten, der Künstler nicht sehr viel mehr Genuß und Lebensqualität aus der von ihm geliebten Tätigkeit als die Putzfrau oder der Bauarbeiter? Aber haben sie nicht auch mehr durch Ihre Tätigkeit bedingte Unkosten wie Bücher, Leinwand, Atmo35 GA I,7; 60 f. »Der geschloßne Handelsstaat«, hrsg. und mit einer Einleitung versehen von Hans Hirsch, Hamburg 1979, S. 15. Vgl. Hans Hirsch: Fichtes Planwirtschaftsmodell in Fichte-Studien Bd. 24, S. 165-177, hier S. 173. 36 GNR, GA I,4; 20. 37 GA I,4; 23 f.
Fazit
351
sphäre, dies abgesehen von der Verantwortung für die Gesellschaft, die sie übernommen haben und ein verstärktes Bedürfnis nach Freiheit? Und wenn die oberen Stände der Muße benötigen, um produktiv arbeiten zu können, benötigt der ungelernte Arbeiter, die Putzfrau nicht Freizeit, um den Druck der Arbeit zu ertragen und um als Konsummittel sich etwas Bildung anzueignen? Benötigen die unteren Stände nicht zumindest gleich viel Komfort wie die oberen, denen ihre Tätigkeit als Selbstzweck Genuss verschafft? Der Beamte, der Gelehrte, die einen sedentären Beruf ausüben, sind sie nicht weniger auf einen PKW angewiesen als der körperlich Arbeitende, welcher aus Not arbeitet, ohne daß er aus seiner Tätigkeit selbst Genuß ziehen würde? Benötigt nicht der Künstler mannigfaltiger Eindrücke für sein Werk? Braucht nicht derjenige, welcher niedrige Arbeiten ausführt, Konsum und etwas Tourismus, um sich Erholung zu verschaffen und sich vielleicht so weit zu bilden, dass er für Schönheit empfänglich wird? Fichte stellt fest: »Jeder will so angenehm leben, als möglich: und da jeder dies als Mensch fordert, und keiner mehr oder weniger Mensch ist, als der andere, so haben in dieser Forderung alle gleich recht.(...) also, dass alle ohngefähr gleich angenehm leben können. Können, sage ich, keineswegs müssen. Es muß nur an ihm selbst liegen, wenn einer unangenehmer lebt, keineswegs an irgendeinem andern.«
Im geschloßnen Handelsstaat führt Fichte das Modell eines frisch gegründeten Staates oder eines Staates, welcher infolge der Politik seine wirtschaftlichen Grenzen sperren muss und so ganz auf sich gestellt ist. Hieraus ergibt sich, wie Hans Hirsch zitiert: »Das Entbehrliche ist überall dem Unentbehrlichen, oder schwer zu Entbehrenden, nachzusetzen; ebenso in der großen Wirtschaft des Staates.«38 An Ständen nennt Fichte nur den »Produzenten« (Landmann), den »Künstler« (Handwerker), »Kaufmann«, »Mitglied der Regierung«, des »Lehr- oder Wehrstandes.« Damit sind jedoch – über die Planwirtschaft hinaus – die grundlegenden Tätigkeitsfelder genannt, deren ein Staat und seine ohne Luxus lebenden, aber ihr Auskommen habenden und der politischen Freiheit bedürftigen Bürger nachgehen können. Innerhalb der Klasse der Produzenten unterscheidet Fichte verschiedene Spezialisierungen: »Die Produzenten (...) teilen sich wieder in mehrere Unterstände: der Ackerbauer im eigentlichen Sinne, der Gemüse- Obst- Kunst38 Geschl. Handelsstaat II,2; S. 22, Hans Hirsch, op. cit. S. 169.
Fazit
352
gärtner, der Vieherzieher, der Fischer usw. Ihre ausschließenden Rechte gründen sich auf eben solche Verträge, wie die der Grundstände. »Enthalte dich dieses Zweiges der Produktengewinnung, dagegen will ich mich dieses anderen enthalten. Versprich mir zukommen zu lassen von dem, was du erbauest, und laß mich fest darauf rechnen; dagegen will ich von dem meinigen dir zukommen lassen, und du sollst auf mich rechnen können.«39
Hier ist auf elementarer Ebene eine in sich harmonische Gesellschaft entworfen, wo jeder das Seine tut und davon das Ganze Gewinn zieht in wechselseitigem Austausch. Auf ein höheres Niveau kultureller Entwicklung und somit auf gesteigerte Bedürfnisse gehen die an die äußeren Gegebenheiten der Gegenwart der Staaten deutscher Nation anknüpfenden Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten von 1798 ein. Wer jedoch keinerlei natürliche Anlagen hat, die ihn befähigen würden, eine bestimmte Tätigkeit zu wählen, die ihn nicht nur ernähren, sondern auch ihm Genuß bereiten würde, sondern welcher einzig, um in der Freizeit zu genießen, um der reinen Notwendigkeit willen einer beliebigen Arbeit nachgeht, der leidet unter einem von Fichte nicht vorgesehenen Mangel an Vernunft und soll auch nicht mehr erhalten, als er benötigt, um sein Leben mit einiger Bequemlichkeit und Freizeit zu fristen. Fichte meint hierzu: »Wenn ich soll, wenn es unbedingte Pflicht ist, einen bestimmten Stand zu wählen, so muß sich aus dem höchsten Vernunftgesetze ein Trieb, der auf die Wahl eines Standes geht, ableiten lassen; wie sich in Absicht der Gesellschaft überhaupt ein solcher Trieb ableiten ließ«.40
Derjenige, der nur Naturtrieb ist und der Vernunft so weit ermangelt, dass er sich keinen Stand zu wählen weiß in einem Gemeinwesen, das ihm die Bildung nicht vorenthält, soll ungelernte Arbeit verrichten, bei welcher er dem Naturtrieb frönen kann und den Bodensatz der Gesellschaft bildet. In Fichtes Modell soll jeder nach seinen ausgebildeten Fähigkeiten Leistung erbringendes Glied der Gesellschaft sein; wobei aber jeder frei soll bestimmen können, wie er ihr dienen will. Jeder soll nach Maß und Art seines Könnens dazu beitragen, dass das Menschengeschlecht sich veredle, die Kultur vorwärts schreite. Eben hierzu trägt der Unbegabte, Unausgebildete nichts bei; aber er trägt dazu bei, dass die vernunftbegabten Mit39 Ebenda, S. 20. 40 GA I,3; 47.
Fazit
353
glieder der Gesellschaft ihre Berufe ausüben können und von niedrigen Tätigkeiten befreit sind; und so hat in der Gesellschaft der prästabilierten Harmonie auch der niedrigste Arbeiten Verrichtende seine Rechte, denn er trägt das Seine zum Wohlergehen der Gemeinschaft bei. Fichte hebt – so auch im Dialog: »Der Patriotismus und sein Gegentheil« – hervor: »Von dem Fortgange der Wissenschaften hängt unmittelbar der ganze Fortgang des Menschengeschlechts ab. Wer jenen, aufhält, hält diesen auf.«41 Der Fortschritt der Wissenschaften setzt friedliche Zeitalter voraus, weil andernfalls die Wissenschaftler für das Aufblähen der Kriegsmaschinerie mißbraucht werden, nicht mehr über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten können, und nichts zum Wohlergehen der Menschheit, der Bändigung der Natur beitragen können, auf daß eine höhere Kultur und Zivilisation folge. Je fortschrittlicher die Naturwissenschaften sind, desto wichtiger werden die Geisteswissenschaftler, die bestimmen sollen, in welche Richtung die Bändigung der Natur vor allem auszurichten ist. Gehen die spezialisierten Naturwissenschaften eine jede in ihre Richtung, so sollen die Geisteswissenschaftler im Namen der Kultur die zivilisatorischen Neuerungen auf ihre Anwendbarkeit prüfen; dies wären nicht zuletzt Ethiken, die aufbauen könnten auf einer Metaphysik, wie es zu Fichtes Zeiten noch das Christentum war. Daß dies nicht mit Maulkorbpolitik geht, hat im Fall Gelileo Galilei die Kirche bewiesen: der Papst war durchaus fasziniert von Galileis Entdeckungen: zum Vorwurf gemacht wurde Galilei nicht seine Physik, sondern daß er sie in Vulgärsprache darlegte, so dass einjeder sich damit befassen konnte, die katholische Kirche sich gefährdet sah, da in ihrem Weitblick sie sah, daß der Fortschritt der Wissenschaften und deren Popularisierung nicht in ihrem Interesse lag. Was Fichte anstrebte, war »eine dialogische Gemeinschaft von freien Subjekten, die jede Herrschaft einige Menschen über die anderen als Grund der unmenschlichen Versklavung aller schon im Voraus ausschließt.«42 Auch in seinem Planwirtschaftsmodell des »geschlossenen Handelsstaates«, in welchem jeder seinen Platz, sein Auskommen, seine Muße und Freiheit finden soll, um seinen persönlichen Interessen nachzugehen, ist eine nach den Gesetzen der prästabilierten Harmonie funktionierende Gesellschaft, ein Notstaat, in dem doch jeder nach Möglichkeit seine Freiheit und auch in dem seinem einem Gewerbe nachgehen, seine Erfüllung finden soll. 41 GA I,3; 54. 42 Marek J. Siemek: Fichtes und Hegels Konzept der Intersubjektivität, in FichteStudien Bd. 23, 27-74, hier insb. S. 59
354
Fazit
In der Darstellung der WL von 1801/02 entwirft Fichte ein mögliches gesellschaftliches Modell in verdeckt offizieller Anknüpfung an Leibniz. Der Harmonie innerhalb der Gesellschaft entspricht das Universum der Sittlichen als Civitas Dei: »Der Mensch, welcher stets innerhalb seiner sozialen Verschränkungen lebt, und welcher seine eigenen Maximen festigt im Gedankenaustausch mit seinesgleichen, soll so handeln, dass seine Handlung interpersonal als rein vernünftig und geboten anerkennenswert sei, dass sie als die einzige für ihn mögliche vernünftige und sittlich zu verantwortende Handlung gelten könne, als auf ihn bezogenes ewiges Gesetz, und dies in einem Reiche der intellektuellen Wahrnehmung reiner Vernunftwesen, die »in demselben Wahrnehmungssystem« leben.«43
In der Reflexion erfasst sich das Ich als geprägt durch seine Zeit und sein soziales Umfeld und die daraus sich ergebenden sozialen Verschränkungen. Es versteht sich als eine gewisse Zeit dauernde geistkörperliche Substanz in dieser Welt, für die es, indem es sich erfasst, mitverantwortlich wird, von seinem Ort aus zu wirken und Sittlichkeit und Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen.44 Da Wissen nur zustande kommen und handeln kann in einem Individuum, stellt Fichte in der das absolute Wissen abbildenden WL von 1801/02 fest: «Ich habe nothwendig irgend einen NaturPlan, u. Zwek, den ich aber in der Form, u. nach dem Gesetze eines vernünftigen Wesens verfolge.«45 Das Ich ist qua Natur bestimmt durch seine dominierenden Triebe und natürlichen Anlagen und Begabungen, die zu kultivieren, es sein Trieb nach Selbsttätigkeit drängt; als Vernunftwesen soll es sich seiner Triebe bemächtigen, soll es, auf sich und die Gesellschaft schauend, entscheiden, nach welcher seiner Begabungen es sich bilden will, um innerhalb der Gesellschaft nach deren Bedürfnissen und dem eigenen Triebe sich zu verwirklichen.46 Der Einzelne ist frei in seiner Wahl der auszuübenden Tätigkeit, aber es soll eine Vernunftwahl sein, welcher die Liebe zur auszuübenden Tätigkeit zugrunde liegt: Er muss wissen, wo und ob in der Gesellschaft Nachfrage besteht nach der von ihm gewünschten Tätigkeit: dies schuldet er ihr für den Kulturstand, in den er hineingeboren wur43 GA II,6; 317. 44 Katja K. V. Taver: Die Konstitution des Ich in der Interpersonalität, op. cit., gemäß der Wissenschaftslehre von 1801/02, in prima philosophia 1995, Bd. 8, 405. 45 GA II,6; 299. 46 Vgl. K.V. Taver, Die Konstitution des Ich, op. cit., S. 400; GA II,6; 299.
Fazit
355
de und die von ihr gebotene Möglichkeit, sich für seine künftige Tätigkeit auszubilden, nachdem er sich umgeschaut und innerhalb seiner Talente selegiert hat. Fichte geht davon aus, dass jeder an seinem Ort seine Pflicht erfüllt und Freiheit um sich verbreitet, so wie er seinen Stand frei gewählt hat und seiner Tätigkeit mit Liebe nachgeht. Fichte sieht die Utopie einer Gesellschaft, in welcher jeder hat, was er ist und nicht bloß ist, was er hat. Schon hierin erscheint der Eigentumsbergriff dynamisiert; indem jeder ein Recht auf die ihm gewohnte Wirkungssphäre hat: Diese Freiheit ging mit fortschreitender Industrialisierung im Frühkapitalismus, als die Proletarier sich gezwungen sahen, nach Amerika auszuwandern, schon verloren, endgültig aber mit den Ende 19. Jahrhundert einsetzenden Migrationsbewegungen, die bei verschiedenen Gründen und Ausgangslagen heute als eine allgemein sich ereignende Globalisierung bezeichnet werden. Nicht nur werden ganze Industrien in Drittweltländer verlegt: diejenigen, die nichts als ihrer Arme Kraft und die nichts zu verlieren haben, drängen in die Wohlstandsländer und in den Konsum, den sie dort antreffen. Seit die westlichen Länder nach dem Sieg über Hitler-Deutschland entdeckt haben, was man mit Menschen tun kann und seit der Nachkriegs-Wirtschaftsboom einsetzte, gilt nicht mehr, was der Mensch ist, sondern nur noch, was er hat. Es zählt der Augenblick, der Event. Die Dinge haben ihre Dauer und intrinsische Schönheit verloren. Den hier angeführten Schriften Fichtes ist zu entnehmen, daß Fichte keinen Widerspruch fand zwischen Planwirtschaft und Mannigfaltigkeit freier menschlicher Tätigkeit. Was Fichte anstrebte, war eine Gesellschaft unter dem Zeichen der Harmonie. Dies bedeutet, das einjeder einer Tätigkeit nachgehen sollte, die ihn ernährte, und in der er in eins sich verwirklichte und der Gesellschaft diente, deren gewachsene Kultur ihm als einem Glied in der Kette schaffender Individuen ihr Können und Wissen als Basis für seine Zwecke geboten hat. Und derjenige, welchen die Natur mit keinen besonderen Anlagen und Begabungen ausgestattet hat, und der daher sich genötigt sieht, einem reinen Brotberuf nachzugehen, soll wenigstens so viel Freizeit genießen, daß es ihm möglich ist, am Leben der Gesellschaft als Ganzer und an deren Idealen oder Vergnügungen teilzunehmen. Eigentum im bisherigen Sinne der Grundeigentümer mit Leibeigenen gibt es für Fichte nach der Französischen Revolution de facto schon nicht mehr. Eigentum ist das, was der Einzelne benötigt, um seiner Tätigkeit nachzugehen und in Würde zu leben. In der »Staatsrechtslehre« der GNR hebt Fichte hervor: »Wie nach dem obigen Satze kein Armer, so soll nach dem gegenwärtigen kein Müssiggänger im vernunftmäßigen Staate
Fazit
356
seyn.« Und »Alle zeigen Allen und bei Leistung der Garantie dem Ganzen, als einer Gemeine an, wovon sie zu leben gedenken.«47 Fichte anerkennt Eigentum nur so weit, als es zur Erwerbstätigkeit und zu einem Leben in Wahrung der menschlichen Würde notwendig ist. Ohne Eigentum gibt es keine Freiheit; aber das Eigentum soll der Freiheit dienen: ist dies nicht möglich, so gilt: »dagegen verspricht die Gemeine, im Namen aller Einzelnen, ihm mehr abzutreten, wenn er dennoch nicht sollte leben können. Alle Einzelne machen sich für diesen Behuf zu Beiträgen verbindlich, so wie sie es zum Schutze überhaupt getan haben, und es wird eine Unterstützungsanstalt sogleich im Bürgervertrage mit getroffen.«48
Die Natur hat dafür gesorgt, daß der Mensch tätig sein muss und kann. Die Kultur formt ihn und befähigt ihn zu sinnvoller Tätigkeit. Der Anachoret ist unfrei. Die menschliche Gemeinschaft gibt dem Einzelnen die Freiheit, aus unterschiedlichen Tätigkeiten diejenige zu wählen, die ihm gemäß ist. In der prästabiliert harmonischen Gesellschaft fallen Natur und Kultur in eins: die natürlichen Anlagen des Einzelnen kommen erst in der Kultur der Gesellschaft zur Ausbildung und finden in ihr ihr Wirkungsfeld. Und der Gebildete hat Muße, den Überblick zu bewahren und nach Lust und Laune an seinem Fach orientiert, sich weiterzubilden oder schöpferisch tätig zu sein und hierbei zu entspannen, derjenige, dessen Vernunft weniger ausgebildet ist, hat Freizeit, um sich zu vergnügen oder zu entspannen und zwischendurch die Arbeit zu vergessen. So ist alles für das Wohlergehen Aller geregelt.
47 GNR, GA I,4; 23. 48 GA I,4; 24.
6.2. Leibniz und der späte Fichte: Gott, Ich und Freiheit Den Harmonie – Gedanken Leibnizens, den Fichte in der Darstellung der WL 1801/02 transzendentalphilosophisch aufnahm und weiterentwickelte, wird er auch in seiner Spätzeit in einer weiteren Entwicklung fruchtbar zu machen trachten, wenn er auch vom Individualismus Leibnizens sich lossagen wird, um an anderer Stelle ihn wieder aufzunehmen. Der Mensch wird zur Erscheinung des Absoluten, zum bloßen Schema oder Bild, in welchem das Seiende als die Erscheinung des erscheinenden Absoluten erscheint, und wo der Mensch selbst in seiner Sittlichkeit sich als bloßes Bild eines ihm transzendenten Absoluten begreift, dessen fremder Wirklichkeit er sich bloß als stets getreueres Abbild nach dem Maß seiner Sittlichkeit sich ins Unendliche annähern kann. Das esse der WL 1804 II wird zum Einen Leben, welches in den Individuen mero actu reflektiert und handelt, deren principium individuationis das in Hinblick auf den Endzweck, den rein sittlichen Gottesstaat, von je dieser einen Erscheinung Gesollte ist. Das Ich, welches den individuellen Willen und die individuelle Freiheit aufgegeben hat, um in Kenntnis der Wissenschaftslehre zum reinen Leben aus Gott frei zu werden und sich als bloßes Bild zu begreifen, handelt pflichtgemäß und begreift und findet so seine rein ihm bestimmte Pflicht. Sein Lebensziel ist so rein sittlich wie schon dasjenige des Künstlers, der seine einmalige Begabung entdeckt hat und seine Schöpferkraft den Regeln der eigenen Kunst unterstellte. Sein Lebensziel ist rein sittlich, er weiß aus höherem Instinkt und Besonnenheit wie er handeln soll, sieht sich und die anderen Iche aus Gott, als unmittelbare Erscheinungen und Bilder der Gottheit: »Hierdurch ist alle künftige Freiheit u. Willensbestimmung schlechthin unmöglich gemacht; wie etwas als Pflicht sich zeigt, thut es das vorausgesetzte Ich schon infolge der Einen ›ewigen‹
Fazit
358
Selbstbestimmung, dergleichen immer zu thun: aufgehoben alle leere Zeit, klare Erkenntnis u. Handeln ist immer Ein Schlag, mit Nothwendigkeit.«1
Fichte sieht den Gottesstaat als den unerreichbaren Endzweck absoluter Sittlichkeit Aller. Nach dem Untergang unserer Welt werden die sittlichen und perfektiblen Individuen in einer neuen Welt wiedergeboren, in alle Unendlichkeit die Sittlichsten. Leibniz hingegen sieht den Gottesstaat als Staat ex definitione vernünftiger, da moralischer Wesen innerhalb der Welt der Natur verwirklicht.2 Es ist eine dem Willen und der Liebe Gottes als väterlichem Monarchen unterstellte Welt: Wenn die Stunde gekommen sein wird, da der Gottesstaat nicht mehr moralisch in der natürlichen Welt wird existieren können, wird diese Erde auf den Wegen der Natur zugrunde gehen, auf daß Gott Gericht halte. Der späte Fichte wird von Leibniz die Vision aufeinanderfolgender, perfektibler Welten übernehmen. So wird Fichte in den TdB von 1810/11 ausführen: »Inwiefern aber der Endzweck das Leben selbst, nicht, wie hier, in einer zufälligen Aeußerung, sondern in seinem absoluten Seyn bestimmt, ist er notwendig unendlich, so wie in dieser Rücksicht das Leben selbst unendlich ist. Er müßte drum nach Untergang dieser ersten Welt durchaus in derselben Form, in der allein er sichtbar werden kann, in Individuen nemlich mit Naturtriebe, Freiheit und sittlicher Bestimmung, durch das Leben selbst als Natur, nemlich allgemeine, eine und ewige Natur, hervorbringen eine zweite Welt. Von dieser würde gelten, was von der ersten; die durch sie gestellte Aufgabe würde irgend wann einmal gelöst seyn, und so auch die zweite Welt zugrunde gehen; aber, um die Unendlichkeit des Endzwecks darzustellen, nach demselben formalen und absoluten Grundgesetze hervorgebracht werden eine dritte; und so ins Unendliche fort.«3
Diese Ausführungen Fichtes erinnern stark an jene Leibnizens in Mon. § 88: »Diese Harmonie bewirkt, daß die Dinge auf den Wegen der Natur selbst zur Gnade führen, und daß z.B. dieser Erdball auf natürlichen Wegen zu der Zeit zerstört und wiederhergestellt werden muß, wann es die Regierung der Geister verlangt: zur Strafe der einen und zur Belohnung der anderen.«4 1 2 3 4
SSL 1812, GA II,13; 345. Mon. § 86, G VI, 621 f. GA II,12; 125. G VI, 622.
Fazit
359
Hält Leibniz in christlicher Tradition fest am jeweiligen Gottesgericht, so divergiert Fichtes Vision von der christlichen Tradition: »Jene sonach, die Individuen, durch das Seyn des Endzwecks schlechtweg, keinesweges durch irgend eine besondere Aeußerung desselben begründet, bleiben, bleiben dieselben; die individuelle Einheit geht hindurch, durch die unendliche Reihe aller Welten.«5
Die sittlichen Individuen werden in der nächsten Welt wiedergeboren, wobei gilt, daß der Endzweck in alle Ewigkeit nie verwirklicht sein wird. Daraus, daß der Mensch ein moralisches Wesen ist, ergeben sich Freiheit und Bewusstsein. Diese Phänomena führen Fichte zur Annahme eines Ens necessarium, das Voraussetzung alles Seins ist und alles Sein notwendig in sich befasst. Fichte führt in der WL 1812 aus: »Eines ist, ausser diesem nichts. – Alles andere ist nicht. stehe unveränderlich u. ewig fest. Der Begriff des Absoluten wird gehalten. wie sich dies ja von jedem wahren System versteht.«6 Für uns, die wir bloße Erscheinung und Bild sind, ist das einzig Wirkliche »der Begriff«, das Welt erschließende eigene Gesollte. Nur innerhalb einer Gemeinschaft, die sich als Erscheinungsweisen des Einen Seins versteht, ist Sittlichkeit möglich. Wie bei Fichte, setzt die Kontingenz des Seienden auch bei Leibniz ein »Etre Nécessaire, seule raison suffisante de leur existence« voraus: »Il faut donc chercher la raison de l’existence du Monde, qui est l’assemblage entier des choses contingentes: et il faut la chercher dans la substance qui porte la raison de son existence avec elle, et laquelle est necessaire et eternelle.«7
So schreibt Leibniz im Sinne des ontologischen Gottesbeweises bei Anselm von Canterbury und Descartes8 an Jaquelot von seiner Überzeugung, daß, insofern Gott möglich sei, er auch wirklich sein müsse: 5 GA II,12; 126 f. Vgl. oben, S. 284. 6 GA II,13; 57 ff. Vgl. GA II,13; 57 f.: »nach Anknüpfung der Erscheinung an das Absolute, findet sich, daß auch sie, da sie ist, nothwendig ist, nicht nicht sein kann: stets aber auf den Credit des wirklichen Seyns. Sie wird als nothwendig erkannt, zufolge ihrer Wirklichkeit. Dagegen wird das Absolute als wirklich seiend erkannt, zufolge seiner Nothwendigkeit. « 7 Théod. §7, G VI, 106. Vgl. Jaques Jalabert: Création et harmonie préétablie selon Leibniz, in: Stud. Leib. III, 1971, p. 90-198, hier p. 190. 8 S. Descartes: »Meditationes de Prima Philosophia«: »Nam sane multis modis intelligo illam non esse quid fictitium a cogitatione mea dependens (…) ut, primo, quia nulla alia res potest a me excogitari, ad cujus essentiam existentia pertineat, praeter solum Deum«; In: Œu-
360
Fazit »tout ce qui a la presomption pour soy doit passer pour vray jusqu’à ce qu’on le refute. Donc l’existence de Dieu a la presomption pour elle en vertu de cet argument, puisqu’elle n’a besoin que de sa possibilité. Or la possibilité est tousjours presumée et doit estre tenue pour veritable jusqu’à ce qu’on prouve l’impossibilité.«9
Und in De Contingentia von 1689 hält Leibniz fest: »In Deo Existentia non differt ab Essentia, vel quod idem est: Deo essentiale est existere. Unde Deus est Ens necessarium. Creaturae sunt contingentes, hoc existentia non sequitur ex ipsarum Essentia.«10 Trotz Kants ironischer Betrachtung über den Optimismus11 und seines Verrisses des ontologischen Gottesbeweises12 wird Fichte zur Lehre vom Ens necessarium zurückkehren; denn ohne diese Hypothese gibt es keine Menschenwürde und kein überzeugendes Sittengesetz: denn das Sittengesetz fordert, daß es ein Absolutes gebe, und daß die endlichen Geister dieses Absolute in Welt verwirklichen. Die Freiheit des Menschen gegenüber dem Menschen ist nur über das spekulative Wissen des Absoluten möglich und gerechtfertigt, und es stellt sich die Frage, ob der Mensch entwicklungsgeschichtlich nicht erst Mensch wurde im Glauben an Gott und Götter, so wie frühe rituelle Grablegungen und die verschiedenen uralten Ahnenkulte es präsumieren lassen. So wie ein weißer Strahl am Prisma sich in unzählige Farben bricht, so bricht das Absolute sich an der Begrenztheit der unendlichen Materie in eine Vielzahl von Religionen und Philosophemen, zu denen auch das Nihil gehört, in das es ursprünglich selbst verwoben war, sowie es schließlich in der Autonomie des einzelnen Menschen erscheint, der seiner Kreatürlichkeit in und über der Natur sich bewusst ist. Fichte geht in seiner Lehre von der praktischen Vernunft über Kant hinaus: nicht der kategorische Imperativ als sittliches Gesetz ist das Höchste, sondern ein heiliger Wille, der sich dem vom Absoluten auferlegten Gesollten um der übrigen Individuen willen unterstellt, so, wie die Wissenschaftslehre es ihn lehrt. Leibniz sah als bestmögliche Welt jene, in vres de Descartes, publiées par Charles Adam & Paul Tannery, Tome VII, p. 68. S. auch: Responsio Authoris ad Quintas Objectiones de P. Gassendus S., p. 347 ff., insb. P. 379 ff., Paris 1904. 9 Brief vom 20. November 1702; G III, 444. 10 A vi,4,1649, Nr. 325. 11 I. Kant: Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus, 7. October 1759, in Weischedel-Werkausgabe Bd. I, S. 585-594, Frankfurt a.M. 1960. 12 I. Kant: Der einzigmögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns Gottes, 1763, 1770, 1783, in Weischedel-Werkausgabe Bd. I, S. 617-738, WeischedelWerkausgabe, 1960.
Fazit
361
welcher ein Höchstmaß an Tugend und Schönheit sowie Varietas neben einem möglichen Minimum an physischen und moralischen Übeln sowie nach dem Minimax – System der Naturgesetze verwirklicht wären. Leibniz war der Überzeugung, daß sein System die Probleme der Ethik ebenso gut erläutere und expliziere wie diejenigen der Wissenschaften.13 Tatsache ist, dass eine Ethik ohne eine Metaphysik, welche sie trägt, ein hölzernes Eisen ist. So schreibt Leibniz an Th. Burnett: »Vous sçavez, Monsieur, mes principes qui sont de preferer le bien publique à toutes autres considérations, même à la gloire et à l’argent; je ne doute point qu’une personne de la force de M. Newton ne soit de mon sentiment. Plus on est solide, plus on a cette disposition, qui est le grand principe de l’honneste homme, et même de la justice et de la veritable pieté, car contribuer au bien public et à la gloire de Dieu, c’est la même chose. Il semble que le but de tout le genre humain ne doit estre principalement que la connoissance et le developpement des merveilles de Dieu et que c’est pour cela que Dieu luy a donné l’empire de ce globe.«14
Im absolutistischen Staat, welchen Leibniz anlässlich der natürlichen Ungleichheit der Menschen befürwortet, haben Wissenschaft und Kunst, Staatskunst und Justiz dem öffentlichen Wohl und der Ehre Gottes zu dienen. In § 181 der Theodizee führt Leibniz aus: »Die Tugenden sind nur deshalb Tugenden, weil sie zur Vollkommenheit dienen oder die Unvollkommenheit der Tugendhaften oder gar derer, die mit ihnen Umgang haben, beseitigen. Und zwar kommt sie ihnen durch ihre Natur und durch die Natur der vernünftigen Geschöpfe zu, bevor Gott sich zu ihrer Erschaffung entschließt.«15
Denn die in die Existenz drängenden Essenzen, die in der Sicht der Gottheit aufscheinen, tragen durch die Tugend des Gesamt-Sets dazu bei, daß Gott ebendiesen Monaden – Set in die Existenz hebt. Wie bereits Fichte klar war, lässt zur Moralität sich nur derjenige erziehen, der kraft Natur schon moralisch ist, und Harmonie innerhalb der Gesellschaft setzt voraus, daß im Rahmen des von der Gottheit erwählten allgemeinen Weltplans ei-
13 Leroi Earl Loemker: Das ethische Anliegen des Leibnizschen Systems, in Stud. Leib. Suppl., Wiesbaden 1969, S. 61-76, hier S. 61. 14 Brief von 1699, G III, 261. 15 G VI, 222 f.
Fazit
362
nemjeden irgendeine Tugend eigne.16 In Leibnizens Augen war die höchste Tugend der Dienst an der Allgemeinheit, der für ihn kulminierte in der Tugend des Landesvaters, wie noch der absolutistische König Friedrich II. sich verstehen sollte. So schreibt Leibniz: »Il faut considerer que toute action qui va contre la justice, c’est à dire contre le bien public, et en un mot tout ce qui est contre la vertu, n’est pas glorieux.«17 und »Par là nous pouvons juger que les principes de la generosité et de la justice ou pieté ne sont qu’une même chose, au lieu que l’interest et l’amour propre quand il est mal reglé sont les principes de la lacheté.«18
Wenn Leibniz die moralische Regel aufstellt: »Nous devons avoir égard à la dignité de nostre nature dont l’excellence consiste dans la perfection de l’esprit ou dans la plus haute vertu«19, so verweist er mit seiner Anführung der Menschenwürde auf jenen Geist und jene Sittlichkeit, die jeder Mensch als ein vor Gott Sollender sich, seinesgleichen und Gott schuldig ist. Bei Leibniz wie bei Fichte ist nur der Mensch frei, der hypothetisch bei jedem anderen, normativ bei sich an der Menschenwürde festhält, diese auch durch die Anerkennung der anderen garantiert sieht. Die eigene Sittlichkeit, die bewusste Kreatürlichkeit gegenüber Gott sind Garanten der Menschenwürde. Ansonsten ist die Abstammung die von den Primaten. Wie nach Kant und nach der GWL von 1794 bei Fichte, bilden bei Leibniz theoretische und praktische Philosophie eine Einheit. Leibniz wie Fichte kennen eine Prädestination, und zwar begreift der späte Fichte dies so, daß das Ich von seinem Soll ergriffen wird, und indem es pflichtgemäß handelt – zuerst eher aus Instinkt – sich darin einübt, das Gesollte zu wollen. Dem entsprechend schreibt Fichte in der Sittenlehre von 1812: »der Begriff, in der Form des absoluten Seyns gedacht wird schlechthin Grund eines Ich; d.i. eines Abbildes, u. Ausdrukes seiner selbst in der objektiven Form des Bewußtseyns. In diesem Ich, und in dem bloßen Seyn, u. Wesen desselben ist er gleichfals subjektivobjektives Bild seiner selbst, als Begriff, mit dem Zusatze, daß das Ich bestimmt sey, ihn zu wollen.« Und Fichte fährt fort: »Dies folgt: dies muß im Bewußtseyn vorkommen, wenn der Begriff als Grund vorkommt. Zufolge der Vorstellung des Soll, oder seiner 16 17 18 19
Vgl. Théod. § 105; G VI, 160. G VII, 106. G VII, 107. G VII, 108.
Fazit
363
Bestimmung, soll es wollen. Dieses Soll soll ihm auf Grund des WillensAktes im Bewußtseyn vorschweben.«20
Beim späten Fichte, wo das Ich nur noch erscheinende Erscheinung des Absoluten ist, das Absolute aber im Begriff erst sichtbar wird, gilt der Begriff als der eigentliche Welterzeuger. Als solchen hatte ihn Fichte schon in der Religionsschrift von 1806 bezeichnet.21 Der Begriff ist die Erkenntnis des eigenen Solls, aus dem heraus der Mensch die Welt erkennt, sie zu seiner Welt wird. So fährt Fichte im SSL 1812 fort: »Das Ich ist Leben des absoluten Begriffs. Das wahrhaftige Ich muß sich drum durchaus als solches erscheinen, u. als nichts anderes, als der objektivirte in einem Daseyn dargestellte Begriff.«22 Das Ich soll schlechthin nichts anderes sein, »als Leben des absoluten Begriffs.«23 Das Ich, welches dem ihm welterzeugenden Begriff des von ihm Gesollten sich entzieht, ist nicht ein freies Selbst, sondern eitle Nichtigkeit, die in Nichts sich auflösen wird. Erst in der Realität des Sittengesetzes, das es zu verwirklichen trachtet, findet das Ich seine Welt und seine Freiheit.
20 21 22 23
GA II,13; 325. AsL,, GA I,9; 99; vgl. GA I,9; 119. GA II,13; 333. Ebenda
6.3. Das Ich und seine Freiheit Wie schon vor ihm Kurt Huber1 setzt auch M.-T. Liske voraus, daß der Akt der Entscheidung ein mentaler Akt ist, dessen Freiheit nur voraussetzt, daß konsistent verschiedene Möglichkeiten vorgestellt werden können, zwischen denen das Vernunftwesen nach Gründen wählen kann, ohne daß es notwendig sei, daß innerhalb des kausal verknüpften Ereignisablaufs reale Alternativen bestünden.2 Doch ändert dies nichts an der Möglichkeit von Alternativen: ich kann mich gezwungen sehen, bei strömendem Regen das Haus zu verlassen, so daß die Notwendigkeit eines Regenschutzes besteht. Das Nächstliegende wäre ein Schirm, doch wenn zugleich eine scharfe Bise geht, werde ich auf den Schirm verzichten und mich bloß möglichst gut verpacken. Hiermit habe ich spontan einen Freiheitsakt vollzogen in einer Zwangssituation. Daß, unbeschadet der Notion, welche die Gottheit von ihm hat, der Mensch über eine spontane Freiheit verfügt, sofern er mit Vernunft ausgestattet ist, lässt sich auch den Nouveaux Essais entnehmen, so an der Stelle, wo Philaletes mit Zustimmung von Leibnizens Sprecher darlegt: »Die Menschen können und sollen ihren Gaumen verbessern und ihn Geschmack lehren. Man kann auch den Geschmack der Seele ändern. Eine genaue Untersuchung, die Praxis, die Anwendung und die Gewohnheit erzielen diese Wirkung. So gewöhnt man sich an
1 K. Huber: Leibniz. 19591, S. 346. Vgl. Kant, KdrV, Riga 1781, S. 541, Riga 1787, 569: Kant löst das Problem, indem er zwischen dem empirischen und dem noumenalen Charakter des Menschen unterscheidet. Nach seinem intellegiblen Charakter: »würde dasselbe Subjekt dennoch von allem Einflusse der Sinnlichkeit und Bestimmung durch Erscheinungen freigesprochen werden müssen.« Weischedel-Werkausgabe Bd. II, S. 494. 2 M.-T. Liske, op. cit. S. 210.
Fazit
365
den Tabak, den Übung und Gewohnheit schließlich angenehm empfinden lassen. Genau so ist es mit der Tugend.«3
In der Notion des Sünders, des Leichtsinnigen, desjenigen, den das Leben aus der Bahn geworfen hat, so daß er unsittlich wurde, ist möglicherweise enthalten, dass er den Weg zur Sittlichkeit finde oder wieder finden werde; aber wie und wann dies geschehen werde, welche Umstände den Leichtsinnigen, den Hoffnungslosen wieder zu Vernunft und Sittlichkeit bringen, vielleicht ihn zur Weisheit bekehren werden, ist nicht vorherbestimmt, sondern der Freiheit des vernunftbegabten Individuums überlassen: daß das Individuum hypothetisch frei ist, heißt, daß ihm verschiedene Möglichkeiten der Vernunftwahl gegeben sind, selbst, wo Gott die Notion hat, daß es keine der Möglichkeiten ergreifen wird. Hier aber liegt die Schuld nicht in einer Gebundenheit, sondern bei der Willkürfreiheit des Individuums. An einer anderen Stelle der Nouveaux Essais betont Leibniz die Rolle von Erziehung, aber auch später Einsicht des vernunftbegabten Menschen, die ihm und seinen Erziehern, überhaupt der Umgebung die Verantwortung für die Entwicklung des ursprünglichen Charakters zuweisen. Theophilus führt aus: »Es ist ziemlich sicher, dass man die jungen Leute daran gewöhnen könnte, in der Ausübung der Tugend ihr größtes Vergnügen zu finden. Und selbst die Erwachsenen könnten sich Gesetze und eine ihnen folgende Lebensführung schaffen, die sie, wenn sie sich einmal der Tugend zugewandt haben, mit gleicher Stärke und gleicher Unruhe dorthin brächte, wie andererseits sie ein Trunkenbold empfinden kann, wenn er verhindert ist, ins Wirtshaus zu gehen. Es kommt mir sehr darauf an, diese Bemerkungen über die Möglichkeit und sogar Fähigkeit, dem Übel Abhilfe zu schaffen, hier hinzuzufügen, um nicht dazu beizutragen, die Menschen bei der Verfolgung der wahren Güter zu entmutigen, indem ich nur unsere Schwächen darstelle.«4
Gotteshass und eine natürliche Anlage zum Bösen können Jugendliche, denen man noch so viele Liebe und gutes Beispiel gezeigt hat, auf krumme Wege kommen lassen, so wie Selbstachtung Erwachsene vom Laster befreien kann; doch zeigt Leibniz, daß der Mensch, ohngeachtet der Notion, welche die Gottheit von ihm hat, und die er nicht kennt, aus Überzeugung und Freiheit dem Wege der Sitte – man denke an Japan – und der 3 4
NE II,XXI, § 69; G V,193; H.H. Holz Bd. III/I, S. 340/341. NE II,XXI, § 37; G V,177; H.H. Holz, Bd. III/I, S. 298/299.
366
Fazit
Sittlichkeit folgen und im Bild der Gottheit aufgehen kann. Leibniz – wie nach ihm Fichte – gesteht dem Menschen die in ihm liegende Möglichkeit zu, sich so zu erziehen und erziehen zu lassen, daß er im Zweifel spontan das Richtige tun wird. Kant seinerseits sieht hier keinerlei Naturanlage, da nach seiner Überzeugung der Mensch von Natur böse ist; einzig Erziehung und Selbsterziehung zur Moralität vermögen dem abzuhelfen: »Der Mensch, der sich eines Charakters in seiner Denkungsart bewußt ist, hat ihn nicht von der Natur, sondern muß ihn jederzeit erworben haben. Man kann auch annehmen: daß die Gründung desselben gleich einer Art der Wiedergeburt, eine gewisse Feierlichkeit der Angelobung, die er sich selbst tut, sie und den Zeitpunkt, da diese Umwandlung in ihm vorging, gleich einer neuen Epoche ihm unvergeßlich mache. – Erziehung, Beispiele und Belehrung können diese Festigkeit und Beharrlichkeit in Grundsätzen überhaupt nicht nach und nach, sondern nur gleichsam durch eine Explosion, die auf den Überdruß am schwankenden Zustande des Instinkts auf einmal erfolgt, bewirken.«5
Bei Kant ist der Mensch böse und formlos, aber für seine Formung und Entwicklung verantwortlich. Die Formung des Leibnizschen Menschen hingegen verdankt sich der vorgeburtlichen Essenz und der Notion dieser durch die Gottheit. Leibniz kennt auch den von Natur heiligen Menschen wie Jesus, Buddha, Bodidharma oder Lao-Tse und Kongfutse. Und die heiligen Menschen faszinieren Leibniz, da sie auf einen gemeinsamen Ursprung verweisen. Leibnizens Ideal ist eine global geeinte Menschheit gegenseitiger Anerkennung, in welcher es keine Glaubenskriege mehr gibt, da alle Religionen und Philosophien in Einem, sie alle ins Dasein entlassen habenden Absoluten sich wiedererkennen. Im 21. Jahrhundert ist man erschüttert ob der Flachheit der Predigten, die einem meist begegnet, wenn man eine christliche Kirche betritt. Und doch gibt es Christen starken Glaubens; doch dieser Glaube ist meist individuell erkämpft und geprägt, weit entfernt von jeglicher Kirchenfrömmigkeit. So konnte auch Nietzsche im eben aufblühenden Nihilismus – und auch das Nihil ist ein Aspekt der Gottheit – in Jenseits von Gut und Böse schreiben: »Was Europa den Juden verdankt? Vielerlei, Gutes und Schlimmes, und vor allem Eins, das vom Besten und Schlimmsten zugleich ist: den grossen Stil in der Moral, die Furchtbarkeit und Ma5 Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, B 268 f./A 270 f. Weischedel – Werkausgabe 1964, Bd. VI, S. 636 f.
Fazit
367
jestät unendlicher Forderungen, unendlicher Bedeutungen, die ganze Romantik und Erhabenheit der moralischen Fragwürdigkeiten (...) Wir Artisten unter den Zuschauern und Philosophen sind dafür den Juden – dankbar.«6
Die Strenge der jüdischen Gesetze, die doch in jedem Notstand eine Nichtbefolgung duldeten, die Freude an den Feiertagen, die erste freie Arbeitsgesetzgebung, die den Schabbat heiligte und so einen stets wiederkehrenden Tag der Freude institutionalisierte, die Gesetze Mosche, welche das Volk zur Moral aus Gott erzogen, ließ die Juden durch die Zeiten doch meist in eins mit dem Glauben an einer Moralität festhalten, die sie weitgehend auch vor dem Nihilismus bewahrte, dem so Viele von ihnen zum Opfer fallen sollten und in dem Nietzsche die in die Verzweiflung treibende Entwicklung der nächsten hundert Jahre sah. Die Gottheit, die schon um den ihnen von Christen zugefügten Martertod der peruanischen Prinzen gewusst hatte, konnte die Schoah nicht verhindern, obwohl sie selbst Ratio sufficiens der Geschichte ist; sie war der Preis der Befriedung und des Zusammenwachsens Europas. Wollte die Gottheit die Geschichte der eben diesem Adam sich verdankenden menschlichen Gattung, so musste sie der Wunde Europa den Holocaust belassen, auf dass eine neue Welt entstünde. Dies war nicht Gesetz der Gottheit, aber der begrenzten Materie, aus der sie schuf und der Unendlichkeit des Nichts, in das sie sich explodierte. Leere und Materie, welche den Raum ausmachen, können nur ins Nichts expandieren, das so zu einer Wahrheit der Gottheit wird, die auch den kleinsten atomaren Teilchen zugrunde liegt. Lao–Tse lehrte im Tao – Tê – King XI: »Dreißig Speichen treffen auf eine Nabe Gemäß ihrem Nicht – sein ist des Wagens Gebrauch. Man erweicht Ton, um ein Gefäß zu machen: Gemäß seinem Nicht – sein ist des Gefäßes Gebrauch. Man bricht Tür und Fenster aus, um ein Haus zu machen: Gemäß ihrem Nicht – sein ist des Hauses Gebrauch. Darum: Das Sein bewirkt den Nutzen, Das Nicht – sein bewirkt den Gebrauch.7 6 KSA 5,192. JGB Nr. 250. 7 Lao-Tse: Tao – Tê – King. Übertragung und Kommentar von Victor von Strauß. Hrsg. von W. Y. Tonn. Zürich 1959, Spruch XI.
Fazit
368
Das Sein formt das Nichts zur Leere. Doch wo kein Sein ist, da ist auch keine Leere, da herscht das Nichts und das Übel. Die Leere ist gut, denn sie nimmt in sich das Sein auf. Das Nichts ist von Übel, denn es ist die Negation von Leere und Sein. Und es ist böse, denn ursprünglich gehörte es zur Gottheit, die im Werden sich aus dem Nichts zusammenzog und in einem Kraftakt der Liebe es negierte. Lao-Tse sah sich als Lehrer, welcher zur ursprünglichen Sittenstrenge zurückführte. So ist es denn auch bei Leibniz – trotz Gottes Notion – wie nach ihm bei Kant und Fichte, die dies als Pflicht hinstellen, dem Menschen möglich, sich zu erziehen und sich einen Charakter zu bilden. Denn nicht nur die natürlichen Anlagen und Instinkte der Substanz sind in ihrer Notion enthalten, sondern auch mögliche Charaktere, zu denen sie sich formen oder erziehen kann als die der Substanz inhärierenden Akzidenzien. Auch bei Leibniz ist der Mensch nicht nur durch seine Perzeptionen, durch Begehrungen, Neigungen, Tendenzen bestimmt, sondern hat er die Aufgabe, sich zu Sittlichkeit, Freiheit und Besonnenheit zu erziehen; so sagt Theophilos in den Nouveaux Essais: »So muß der Geist schon vorher vorbereitet sein und sich schon Übung erworben haben, von Gedanke zu Gedanke fortzuschreiten, damit er sich nicht bei einem gefährlichen und schlüpfrigen Schritte zu lange aufhält. Darum ist es gut, wenn man sich ganz allein daran gewöhnt, an gewisse Dinge gleichsam nur im Vorbeigehen zu denken, um sich besser die Freiheit des Geistes zu bewahren. Am besten aber ist es, sich daran zu gewöhnen, methodisch vorzugehen und einem Gedankenzuge zu folgen, bei dem die Vernunft und nicht der Zufall (d.h. unmerkliche und gelegentliche Eindrücke) die Verknüpfung der Gedanken bewirken.«8
Fichte nennt dies die Haltung der Besonnenheit, welche spontan sittliches Handeln ermöglicht. Bei Fichte ist diese sittliche Haltung Ergebnis der Religiosität, die nicht in Schwärmerei versinkt, sondern sich an der Wissenschaftslehre orientiert, sich durch die Kenntnis der Wissenschaftslehre als frei gewollt begreift. Bei Leibniz ist, was bei Fichte die Wissenschaftslehre ist, die vernünftige Haltung der Stoa. Denn Fremdbestimmung sind auch die eigenen Leidenschaften, auch wenn sie zum Guten hinreißen. Leibniz lässt den sittlich Guten aus Liebe zu Gott und aus Vernunft handeln und ist so nicht weit entfernt von der auf ihn folgenden Lehre Kants. Was bei Kant das Sittengesetz ist, ist bei Leibniz die ewige Regel der 8
NE II, XXI, § 47, G V,182; H.H. Holz: Bd. III/I, S. 308/309.
Fazit
369
Vernunft. Erst derjenige, welcher ihr sich frei unterstellt hat, kann spontan, »sua sponte« das Richtige tun. Bei Fichte sieht der kategorische Imperativ so aus, dass jeder so handeln soll, daß in jedem Augenblick seines Lebens er zu diesem seinem Handeln wird »ja« sagen können, also seine Handlung und sich stets wieder wollen wird können. Bei Leibniz will der Wille stets das Gute9, doch beim Sünder kann das Gute sich als das am meisten Vorteilhafte oder das am meisten vor Entdeckung Sichere erweisen; dies mag ein Grund sein, weshalb Kant so streng den moralischen Imperativ von bloßen Klugheitsregeln trennte10. Das wahrhaft Gute, das an der Vorstellung Gottes oder der auf Heiligem fußenden Traditionen sich orientiert, will bloß der Weise oder der Vernünftige, der seine Irrationalitäten im Griff hat. In den Nouveaux Essais erwähnt Leibniz, wie der Nihilismus und der Atheismus, welcher infolge der Entdeckungen der Mechanik zu seiner Zeit neue Blüten trieb, in den Abgrund führt: Er lässt Philalethes, den Sprecher Lockes sagen: »Wenn es jenseits des Grabes nichts zu hoffen gibt, so ist zweifellos die Folgerung sehr richtig: laßt uns essen und trinken und alles genießen, was uns Freude macht, denn morgen sind wir tot.«11
Doch in der Wende zum 21. Jahrhundert anerkennen nur noch vereinzelte Denker einen Gott, und das 20. Jahrhundert vermochte erst recht an keinen Gott mehr zu glauben: als Nazi-Deutschland besiegt war, sah die Welt, was man Menschen antun kann. Der Mensch galt sonach nichts mehr, es sei denn das, was er hatte. Und Heidegger stimmte Nietzsches entsetztem »Gott ist tot« bei, so wie Wolfgang Borchert einen alten, kraft- und machtlosen Gott zeigte, den keiner mehr wollte.12 So zieht – entgegen Leibnizens Widerspruch zur Rede des Philalethes – der Atheismus den Nihilismus und den Konsumrausch nach sich. Was heute nicht genossen wird, werde ich morgen nicht gehabt haben. Mit Gott, in welchem auch der Mitmensch ist, wie Fichte darlegt, verliert auch jener jegliche Bedeutung, 9 Vgl. Mon. 48 mit Verweisen. 10 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 78, Weischedel – Werkausgabe 1956, so etwa Bd. IV, S. 68: »Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht hat einen Marktpreis (...) das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d.i. einen Preis, sondern einen innern Wert, d.i. Würde.« 11 NE II,XXI, § 55. G V. 186. H.H. Holz III/I, S. 320/321. 12 Wolfgang Borchert: Draussen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen, Reinbek bei Hamburg 1960, S. 7-69. Rowohlt. Martin Heidegger: Nietzsches Wort »Gott ist tot«, in Holzwege, S. 205-263, Frankfurt a. M. 1980.
370
Fazit
entsteht der Kampf Aller gegen Alle. Denn wie Fichte spätestens seit 1804 aufweist, ist jeder Mensch qua Mensch eine mögliche Erscheinung der Gottheit und ist als solche in seinem Soll zu ehren. In der Moderne kennt nur noch der Künstler ein Soll: Francis Bacon schreit mit seinen Kardinälen in Bildern der harmonischsten Farben seinen Ekel in die entgottete Konsumwelt, die homogenen Serien von Campbell – Dosen Andy Warhols verweisen auf die Austauschbarkeit des Subjekts, Cy Twombly hat in seinen japanischen Harmonien von Schrift und Bild kalligraphisch sich vom christlichen Europa zurückgezogen. Wer noch an Gott festhält, geht in die geistige Emigration. Leibniz sieht den freien und menschenwürdigen Entschluss da, wo der Mensch kraft eigener Vernunft das Richtige tut, weil in der Klarheit seines Auges er eine unverschleierte Perspektive von Welt und somit eine der adäquaten Erscheinungsformen der Gottheit sieht. In der sittlich gebotenen Handlung erscheint das Bildnis der Gottheit. Leibniz glaubt an eine mögliche Selbsterziehung zur Sittlichkeit, die so weit sich steigert, dass der Sittliche eine Gottheit jenseits seiner selbst annehmen muss: »Sind wir erst einmal in der Lage, der Wirkung unserer Begehren und Leidenschaften Einhalt zu gebieten, d.h. die Handlung aufzuschieben, so können wir auch die Mittel finden, sie zu bekämpfen, sei es durch entgegengesetzte Wünsche oder Neigungen, sei es durch Abwendung von ihnen, d.h. durch Beschäftigungen anderer Art. Durch diese Methoden und Kunstgriffe werden wir zu Herren unserer selbst und können uns mit der Zeit in die Lage versetzen, zu denken und zu tun, was wir wollen möchten und was die Vernunft anordnet.«13
Hier scheint die Klugheit der Stoa durch, ohne die Notwendigkeit eines christlichen Gottes.14 Es ist der Mensch, der so handelt, daß er laut Kant der Glückseligkeit würdig ist, und so ist es vielleicht auch derjenige, welcher dem putativen Willen der Gottheit entsprechend handeln will; denn die Kraft, unter widrigen Umständen und im Kampf gegen eine Welt, das Richtige zu tun, verdankt sich, wie schon Fichte in seiner Machiavelli – Schrift lehrte, der Gottheit. Fichtes Glaube an die Vernunft ist begrenzter 13 NE II,XXI, § 47; G V,182: H.H. Holz III/I; S. 310/311. 14 Vgl. Joseph Moreau, op. cit.p. 237: »Leibniz repousse comme impie le nécissitarisme spinoziste;: l’exigence rationaliste doit se concilier, selon lui, avec la foie religieuse;le principe de raison est l’aveu de la sagesse divine. (...)« EbendeEbenda, S. 238: »il n’y a pas lieu d’opposer la perfection morale à la perfection physique ou métaphysique: elle y est incluse; elle en est une espèce ou forme particulière: elle est la perfection propre aux esprits.«
Fazit
371
als diejenige Leibnizens und der Aufklärung, setzt Religiosität voraus und Halt in der Wissenschaftslehre. Auch ist Fichte skeptisch gegenüber der von Leibniz postulierten Methode des Aufschubs. Die in ihrer Befriedigung aufgeschobene Leidenschaft, der Genuss, auf welchen der Mensch vorerst verzichtet, ist ein Aufschub, der in Fichtes Auge bloß um eines späteren, umso größeren Genusses willen aufgeschoben wird. Doch ist es möglicherweise eine Methode, vorerst sich selbst in den Griff zu bekommen. Im SSL von 1978 schreibt Fichte hierzu: »Diesem Triebe nach bloßem Genusse überhaupt nachzugeben, oder nicht, steht in der Gewalt der Freiheit. Jede Befriedigung des Triebes, insofern sie mit Bewußtsein geschieht, geschieht nothwendig mit Freiheit (...) Erblicke ich mich, als durch die Gesetze der sinnlichen Anschauung, und des diskursiven Denkens vollkommen bestimmtes Objekt, so wird das, was in der Tat mein einziger Trieb ist, mir zum Naturtriebe, weil ich in dieser Ansicht selbst Natur bin. Erblicke ich mich als Subjekt, so wird er mir zum reinen geistigen Triebe; oder zum Gesetze der Selbstständigkeit.«15
Es stellt jedoch sich die Frage, ob nicht der Gute spontan und unmittelbar handelt, während der Kluge, aber Bösartigere die günstige Gelegenheit abwartend, zum Aufschub eher bereit ist. In der Politik nennt sich dies Taktieren. Leibniz ist Mensch des 17. Jahrhunderts, wenn er überall die Leidenschaft sieht, die es durch Vernunft in den Griff zu bekommende gilt. Es ist das Zeitalter der grande passion, Racines und Corneilles sowie Mme. de La Fayettes.16 Derjenige, der dazu prädestiniert ist, nach den Regeln der Vernunft zu handeln und nicht konfusen Perzeptionen zu folgen, welche unkontrollierte Antriebe und Leidenschaften oder Stimmungen in ihm erregen, wird seine übrigen Instinkte und Neigungen in den Griff bekommen, und so eingewöhnt, nach dem Willen Gottes handeln. Gott hatte diese Notion von dem schließlich den Wegen der Vernunft folgenden Menschen, daß dieser so handeln, sich und seine Leidenschaften in den Griff bekommen würde, um aus einem in ihm schlummernden amor intellectualis Dei heraus das jeweils Richtige zu tun. In dieser neuen Besonnenheit des Handelns findet der Mensch sich auch als frei, kann er spontan 15 SSL 1798, GA I,5; 125 f.. Hier schreibt Fichte im Rahmen einer voll entwickelten Transzendentalphilosophie, wo Leibniz erst eine mögliche sich vollziehende Reflexivität auserwählter Geister angenommen hatte, die sich kraft Bildung und Tätigkeit als ein »Moy« (Selbst) verstehen. Fichte hat die Tradition der Scholastik, in welcher auch noch Descartes und Leibniz standen, als Nachfolger Kants abgeschüttelt. 16 S. auch Niklas Luhmann: Liebe als Passion, Frankfurt a. M. 2003.
372
Fazit
handeln, sich darauf verlassend, dass trotz aller Kontingenz, ihn der amor Dei das Richtige wird wählen lassen. Wo der Mensch aus sittlicher Überzeugung sich dem Willen der Gottheit überlässt, wird er aktiv ins Weltgeschehen eingreifen und aus Freiheit richtig und der eigenen Einsicht und Vernunft gemäß handeln. Anders als Fichte, welcher von der Frage ausgeht, wie eine Vielzahl vernunftbegabter Individuen in einer Gemeinschaft frei und friedlich miteinander auskommen können, stellt Leibniz die Frage individualistischer: in erster Linie die Frage des Zusammenstimmens von Körper und Geist, in zweiter Linie die Frage nach einem Monadenkosmos, in welchem die Welt perspektivisch wahrnehmende Individuen angesichts Gottes Allmacht, welcher ihrer aller Ratio sufficiens ist, einen trotz ihrer Fensterlosigkeit, dem verdammt sein zum eigenen Ich und eigenen Denken, einen in sich harmonischen Monadenkosmos bilden können.17 Hierbei wäre nebenbei nochmals zu erwähnen, daß in Leibnizens Theorie der Geist in seinem Denken unabhängig ist vom Körper, welchen Gott ihm anpasst, wenn er ihn ins Dasein entlässt, und daß auch Fichte im SSL 1798 lehrt, der Leib habe bloß ein gefügiges Werkzeug des Geistes zu sein. Leibniz stellt seine Frage auch als Historiker und Jurist, welcher bei aller Gläubigkeit um die Abgründe der menschlichen Seele weiß, die nur in Gottes Allmacht und Allwissenheit ihre Ruhe nach Gottes Willen findet. Leibniz geht auch bei den vernünftigen Kreaturen vom »Minimax18« – Prinzip aus. So findet sich auch die Formulierung: »sequitur, ut omnia possibilia, seu essentiam vel realitatem possibilem exprimentia, pari jure ad essentiam tendere pro quantitate essentiae seu realitatis, vel pro gradu perfectionis quem involvunt; est enim perfectio nihil aliud quam essentiae quantitas. Hinc vero manifestissime intellegitur ex infinitis possibilium combinationibus seriebusque possibilibus existere eam, per quam plurimum essentiae seu possibilitatis perducitur ad existendum. Semper scilicet est in rebus principium determinationis quod a Maximo Minimove petendum est, ut nempe maximus praestetur effectus, minimo ut sic dicam sumtu.«19
17 Vgl. Mon. §§ 57 und 58., G VI,616. Leibniz bringt hier das öfters sich bei ihm findende Beispiel der unter verschiedenen Perspektiven gesehenen Stadt, in der Sicht der Geistmonaden sieht so die Gottheit sich und ihre Welt ins Unendliche variiert und gedeutet. 18 Vgl. Rescher, S. 31 und S. 40-41: Rescher führt aus, wie Leibniz, nachdem er dessen Anwendbarkeit in der Optik erprobt hatte, das Minimax – Prinzip allgemein auf Naturgesetze anzuwenden trachtete. 19 ROR, 13. Nov. 1697, G VII,303.
Fazit
373
Alles, dem die Möglichkeit zu sein eignet, ist berechtigt, von der Möglichkeit in die Wirklichkeit zu treten, wofern es sich in das Ganze einer Schöpfung einpassen lässt. Eine möglichst große Anzahl von Menschen ist zu erschaffen, sofern sie in der Raumzeit kompossibel sind. So hält Leibniz auch in einer knappen Zusammenfassung der Hauptsätze seines Philosophierens fest: »(4) Est ergo causa cur Existentia praevaleat non-Existentiae, seu Ens necessarium est Existentificans. (5) Sed quae causa facit ut aliquid existat, seu ut possibilitas exigat existentiam, facit etiam ut omne possibile habeat conatum ad Existentiam, cum ratio restrictionis ad certa possibilia in universali reperiri non possit.«20
Es ist das Absolute selbst, das dem Begehren alles Möglichen nach Existenz zugrunde liegt; aber dasjenige, das am stärksten in die Existenz drängt, hat auch ein erhöhtes Maß an Realität. So ist es letztlich die Kraft, das Minimax – Prinzip, und die Kompossibilität in Raum und Zeit, welches das Absolute die wirklich gewordene Menschheit, in welcher auch die Person Christi leben wird, erwählen ließ. Unter den genannten Hauptsätzen findet sich auch: »(21) Et Mentium maxima habetur ratio, quia per ipsas quam maxima varietas in quam minimo spatio obtinetur.«21 Somit stellt sich für Leibniz in Hinblick auf eine menschliche Gesellschaft nicht Fichtes Frage, wie eine Anzahl vernünftiger freier Individuen friedlich miteinander auskommen können, und zwar paradoxerweise eben darum nicht, weil Leibniz den Individualismus stärker betont als Fichte: Gott will denjenigen Monaden-Set, in dem die Individualitäten am stärksten ausgeprägt sind, und wo er mit einem notwendigen Minimum an Individuen die größtmögliche Varietät unter den Individuen erreicht. Und dies impliziert auch Freiheit, Freiheit der Entwicklung und der Selbstgestaltung im Rahmen der in der eigenen Notion enthaltenen Möglichkeiten. Nicht nur Kant und Fichte machen dem Menschen die durch Unwissenheit selbst verschuldete Unmündigkeit zum Vorwurf: Schon Leibniz sieht die sittliche Pflicht zur Erziehung und Selbsterziehung, auf daß freies Handeln aus Spontaneität und Vernunft möglich sei. Wo die Menschheit versagt, entlässt die Gottheit im richtigen Augenblick neue Essenzen in die von ihnen erstrebte Existenz, indem er ihnen einen Leib und eine Aufgabe, für deren Vollbringen sie sich als Essenzen bestimmt gezeigt hatten, zu20 G VII, 289. 21 G VII, 291.
374
Fazit
schreibt. So treten die Essenzen in die Wirklichkeit von Existenz, um nach ihrer in ihnen angelegten Möglichkeit die Wirklichkeit zu verändern. Anders als Fichte sieht Leibniz in der Natur ein Gottgeschaffenes, das den Menschen als ein Ganzheitliches erst ermöglicht, wo Fichte die Natur als ein Nichts begreift, einzig dazu eine notwendige Erscheinung, auf dass der Mensch in sie als Sinnenwelt hinein agieren und so die Freiheit, anderen Menschen sichtbar, in der Erscheinungswelt darstellen könne. Fichte wird seine Ansicht nicht mehr grundlegend ändern, wenn er in der Darstellung der WL 1801/02 betont: »Es ist wahr, daß die tote Natur, u. ihr Gesez mich schlechthin nicht bestimmen kann, u. daß sie nur die bloße reine Möglichkeit, durchaus nicht das Princip der Wirklichkeit hergibt.«22 Wirklichkeit ist einzig das Kunstprodukt, welches das Ich in die Natur hinein schafft, und an dem ein anderes Ich in der Natur menschliche Vernunft, Schöpferkraft und Phantasie erkennen kann. Unmittelbar nach dieser Stelle führt Fichte aus: »solange ich mich frei nannte (deliberirte) hatte ich kein freies Seyn, sondern hielt die Kette des Seyns für mich, und das ganze Universum des Wissens an; war unentschlossen und ließ alle Welt unentschlossen. Sobald ich frei war, scheinbar, war ich nicht mehr frei.«23
Wo das Ich unentschlossen mit sich zu Rate geht, ist es in seiner Existenz aufgehoben: weder gut noch schlecht, weder seiend, indem es vollzieht, wohin seine Neigung es drängt, noch, indem es beschließt, gar nicht zu handeln, die Welt ihren Lauf gehen lässt oder zu einer Handlung sich entschließend, die es ungern tut, aber als seine Pflicht betrachtet. Anders ist die Ansicht von Leibniz: dieser sieht den mit sich zu Rate gehenden Menschen als frei und Freiheit verwirklichend vor allem, indem er Vernunftgründe abwägt. Die Freiheit wird nur in dem Maße beeinträchtigt, als Leidenschaften sich in die Vernunftgründe drängen oder sich unter dem Mantel der Vernunft verstecken.24 Diejenige Vernunft, die sich dazu erzogen hat, stets das Bestmögliche zu wollen, indem sie nach dem wohl Gottgewollten fragte, wird bei entsprechender Eingewöhnung zur Weisheit werden, indem sie Gerechtigkeit mit Gnade vollzieht. Anders kann, wenn die Stunde des Weltgerichtes gekommen sein wird, auch Gott nicht handeln. Wie nach ihm Fichte lässt Leibniz diese unsere Welt zugrunde gehen, auf 22 GA II,6; 301. 23 Ebenda 24 Vgl. M.-T. Liske, op.cit., S. 206 unter Zitierung von Grua 487.
Fazit
375
daß Gott Gericht halte25; aber anders als Fichte sieht er entsprechend der christlichen Lehre Verdammung der Bösen und Belohnung der Guten vor, wo Fichte bloß diejenigen, welche sich nicht an das von ihnen als Individuen auf Erden Gesollte gehalten haben, ins Nichts untergehen lässt. Beim späten Fichte – konsequent und radikaler als in der Frühzeit – ist das Selbst eines jeglichen freien und Welt darstellenden Ich bestimmt durch das je eigene Gesollte, das es individualisiert, und das es soll verwirklichen wollen: »Das Wort wird Fleisch.«26 Das Ich will Gott und sich einzig aus und an Gott, aus Gott auch die anderen Iche. Jedoch ist bei Fichte der Mensch gegenüber Gott frei. Er kann eine falsche Freiheit suchen, welche durch nichts sich rechtfertigt, er kann sich der Gottheit entziehen und seiner Aufgabe in Welt. Doch dann versinkt er in Nichts. Gott will den Endzweck, der als das Eine Leben sich verwirklichen soll. Das einzelne Individuum entgeht bei Fichte der Nichtigkeit nur, indem es seine Individualität ausprägt, um sie der vernünftigen Ichheit zu unterstellen, und sich der ihm bestimmten Aufgabe aus Sittlichkeit hingibt. Dann eröffnet sich ihm aus dem Begriff eine neue Welt. Der amor Dei intellectualis wird zum tätigen amor fati. Die sittliche Aufgabe setzt eine Gemeine vernünftiger Individuen voraus, in welcher sie sich verwirklichen kann, und so legt Wolfgang Schrader dar, wie für Fichte in der »Synthesis der Geisterwelt« – wie er in seinem Brief an Schelling vom 31. Mai 180127 schreibt, jener »höchsten Synthesis« die WL ihre Vollendung finde. Der erstmals im SSL entwickelte Gedanke wird dann in die WLnm aufgenommen und in der Darstellung der WL von 1801/02 in Anknüpfung an Leibniz in seiner ganzen Fülle entwickelt.28 Leibniz schreibt in einem Brief vom April 1704 an Jaquelot: »Bien loin (que mon hypothèse – KVT) soit contre la liberté, je crois au contraire qu’il n’y a aucun systeme, où la vraye liberté, c’est à dire la spontaneité avec choix et l’independance de l’ame de tout autre que Dieu paroisse d’avantage.«29 Fichte wird in seinem Schreiben an Reinhold vom 8. Januar 1800 betonen, sein ganzes System thematisiere ausschließlich die Freiheit: aber Fichte kennt auch eine Freiheit des Menschen gegenüber Gott, wenn diese sich auch als ein moralisches Versagen äußert, so daß sich behaupten ließe, jeder Mensch habe zwar eine Aufgabe in seinem Le25 Mon. §§ 88 und 89; G VI, 622. 26 Io I,4. GA II,13; 333. 27 GA III,5; 43-53. 28 Wolfgang H. Schrader: Der Übergang zur Wissenschaftslehre 1801, in: Transzendentalphilosophie als System, hrsg. von Albert Mues, Hamburg 1989, S. 199.-211. 29 An Jaquelot, April 1704, G III, 471.
376
Fazit
ben, aber er habe auch die Freiheit des Verrats. Fichtes Gott ist ein Vabanquespieler, wo Leibniz annimmt, Gott wisse, wohin seine Neigungen den Menschen ziehen, daß der Mensch aber angesichts der Kontingenz der Dinge und der Freiheit des Geistes dennoch innerhalb der Notion frei ist, wider jegliches Erwarten zu handeln, indem er seine Neigungen in den Griff bekommt. Und so kann Leibniz in seinem Schreiben an Jaquelot fortfahren: »Il y a tousjours une inclination plus grande dans les choses à ce qui arrivera, qu’à tout autre evenement, mais elle n’impose point de necessité. Et quoyque cette inclination prevalente serve à predeterminer l’avenir, comme en effect tout est predeterminé de cette manière, c’est tousjours sauf la contingence dans les choses et sauf la liberté dans les Esprits: et l’harmonie preétablie ne veut pas d’avantage.«30
Leibnizens Position unterliegt leichten Schwankungen, ob Gott mit mathematischer Gewißheit vorauswisse, oder ob er Gott und den Menschen so, wie der Mond einen Hof haben kann, einen gewißen, der Kontingenz sich verdankenden Freiheitsspielraum belaßen soll. Wohl im Sommer 1689 statuiert Leibniz: »Falso imputatur Thomistis aliquos statuisse Deum futura contingentia solum nosse conjecturaliter.«31 Doch im Gang der Weiterentwicklung des Systems dürfte der Mathematiker Leibniz ein Spiel mit Variablen entwickeln. Die Harmonie der Gesellschaft bei Fichte beruht darauf, dass jeder Mensch bestimmte Begabungen und Neigungen hat, die so nur er hat, sowie er eine Lebensaufgabe hat, die nur ihm zukommt, und daß jeder in Übereinstimmung mit der übrigen Gesellschaft seinem Stern folgt und indem er dies tut, sich selbst verwirklicht, indem er den anderen nützt. Denn nur ein freies Du ermöglicht ein freies Ich und beide ermöglichen sich wechselseitig nur im Angesicht der Gottheit. Das Ich ohne Transzendenz ist – wie schon Hegel sah – atomisiert, eine leere Geistmonade ohne Fenster und ohne das perzipierende Monadenaggregat des Leibes, ein Möchtegerngott ohne Leben, weder ein Ich noch wissend um ein Nicht-Ich, das erst ihm Leben gäbe. Das Ich ohne Gott und ohne Du ist auch kein Ich. Es ist ein reines, totes Atom.
30 An Jaquelot, April 1704, Ebenda. 31 A 6 iiii, B, S. 1339, 19-20.
Nachwort
This page intentionally left blank
Leibniz war zu klug, zu hintergründig wissend, um wie viele seiner Zeitgenossen aufgrund der neuesten Erkenntnisse der Physik dem Materialismus sich zu ergeben. Ihm stellte sich die Frage, wie, angesichts der mechanistischen Welterklärung einerseits, der Erfahrung des dreißigjährigen Krieges andererseits, ein christlicher Gott sich retten lasse. Descartes hatte das »cogito« in die Welt gestellt und damit das Individuum ins Dasein entlassen. Aber neben den menschlichen gab es sichtbar noch andere Individuen: Die Schönheit einer Pflanze, die Kraft und den fühlenden Organismus eines Tieres. So kam Leibniz dazu, dem Mechanismus der unbeseelten Welt und deren Atomen, von denen er erkannte, sie müssten ins Unendliche sich teilen lassen, den Individualismus einer beseelten Welt, deren Güte und Schönheit, die nur in einem Gott sich erklären ließen, entgegenzustellen. Es gab zwar kleinste Einheiten, aber dies waren nicht Atome, sondern Seelen- und Geistmonaden: alles war lebendig, alles hatte ein Telos, auf das es ausgerichtet war, und dieses Telos war letztlich die Gottheit. Heute, im Zeitalter der Atomspaltung, wissen wir, daß die Atome nicht kleinste Teilchen sind, sondern sich aus kleineren Teilchen zusammensetzen. Doch wird man nie ein allerkleinstes Teilchen finden, weil dieses, da das Innerste, wie Lao-Tse lehrt, die Leere ist, sich in andere kleinste Teilchen gleicher Energie verwandeln würde. Es ist ein ewiges Sich-in-Sich-Verwandeln kleinster Materieteilchen, das nur dank der Leere möglich ist. So ist auch der Geist die Leere, welche erst die Tätigkeit des menschlichen Gehirns ermöglicht. Die vorliegende Arbeit, welche nicht nur eine Gegenüberstellung der Theoreme zweier großer Denker der Philosophiegeschichte bezweckt, sondern auch fragt, was von den Gedankenkonstrukten Leibnizens und Fichtes angesichts der Erkenntnisse der modernen Wissenschaften sich retten und weiterhin fruchtbar machen läßt, geht nicht zuletzt von der inzwischen als richtig betrachteten Theorie des Big Bang aus, welcher die
380
Nachwort
Entstehung von Raum und Zeit bedingte. Aber vor der Zeit und dem Raum gibt es auch nicht den Augenblick, noch die Ewigkeit. Doch müssen wir eine Ewigkeit annehmen, welche im Augenblick, nämlich der Formung der Urmaße kulminiert. Und dies geht nur, wenn wir die Urmaße als die physische Energeia des Absoluten betrachten, das ähnlich, wie schon Schelling dies in den »Weltaltern« entwirft, seit Ewigkeit, mit dem Nichts verwoben, als neutrale Spannungen bestand, in langwierigen Akten liebender Sich – Bewusstwerdung sich zu sich zusammenzog, bis es als psychophysische Energeia zu sich selbst fand und im Akt absoluten Bewusstseins sich in Licht explodierte. Fichte charakterisiert nach den frühen Missverständnissen der GWL den Menschen als Erscheinung Gottes. Und sicher hebt in der Schaffenskraft des Menschen die Natur sich auf. Wir wissen heute, daß der Ursprung des Menschen derselbe ist wie derjenige der subhumanen Primaten, und der Großteil der Menschheit scheint des göttlichen Funkens ganz zu entbehren, zum Menschen erst da zu werden, wo er im Schmerz auf die eigene Kreatürlichkeit, die ihn mit allen Lebewesen verbindet, zurückgeworfen wird. Doch liegt darin, daß er ein sein ihm auferlegtes Soll Sollender ist, an ein Gesetz an seine Freiheit Gebundener, die den Ausdruck »Mensch« als normativ geprägt verstehen lässt, so den Menschen unmittelbar einem Absoluten unterstellt. Die Evolutionstheorien vermöchten ein physisch perfektes, so den Höhepunkt alles Seienden darstellendes Wesen zu erklären, sie vermögen aufzuzeigen, wie alles Seiende zu immer mehr Schönheit und Freiheit tendiert, aber sie vermögen das Phänomen des schaffenden Geistes, das in der natürlichen Natur nicht angelegt ist, nicht zu erklären. Gäbe es eine Krone natürlicher Schöpfung, einer natura naturans, so wären es Wesen, schön wie griechische Götter, aber nicht klüger als Gorillas. Daß jedoch die gesamte Schöpfung nicht nur zur Schönheit, sondern auch zur Freiheit und Intelligenz tendiert, ist ein Indiz für ein geistiges Absolutes, dass der Evolution in ihrer Selbstdarstellung, die bei Selbstdarstellung es nicht bewenden lässt, zugrunde liegt und ihr voraus geht. Im 21. Jahrhundert erscheint es lachhaft, wenn Juden und Palästinenser, Katholiken und Protestanten, Moslem und Hindus sich bekämpfen, dabei den je eigenen Glaubensgrundlagen zuwider handelnd. Wir wissen zu viel, die Welt ist zu klein, die Kenntnisse und die Mobilität des Menschen sind zu groß geworden. Wissenschaftler arbeiten über alle Grenzen hinweg zusammen, so wie es schon die beginnenden Wissenschaften taten, welche den Übergang vom Absolutismus zur Demokratie herstellten. Was tragisch ist, wirkt heute grotesk.
Nachwort
381
Das Lachen verstummt angesichts der Greuel des 20. Jahrhunderts. Da stellt sich wiederum die Frage der Theodizee. Die Millionen der Geschändeten, Erniedrigten und zuletzt Ermordeten. Und dann entsinnt man sich – nicht ohne Grauen – Leibnizens Sätzen aus der »Theodizee«, wonach der Mensch zwar der Gottheit liebstes Wesen, sein Glück jedoch nicht ihr höchstes Anliegen ist. Und daß auch der tugendhafte Mensch und die ihn betreffenden Übel nicht Gottes höchste Sorge sind, sondern daß Gott die ganze Schöpfung wollte, daß auch dem Menschen Pflanze und Tier und Natur in ihrer Schönheit, Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit unentbehrlich sind. Als Fühl- und Denkmaterial, als Daseinsgrundlage und Menschlichkeit erst ermöglichende Umgebung. Gott – lehrt Leibniz – denkt nicht anthropozentrisch. Vielleicht wäre ein Gott, den ein Gebet erreicht, kein Gott mehr. Gott – lehren Leibniz wie Fichte – ist das Ens necessarium, das nicht weggedacht werden kann, ohne den Menschen und die ganze Schöpfung aufzuheben, da es nun einmal Schöpfung ist, wenn auch nicht nach dem wörtlichen Wortlaut der Biblischen Genesis. Die göttlich – mechanistisch von Leibniz vorweggenommene, von Fichte zentral in immer neuen Ansätzen – von den Pflichten des Gelehrten bis zum geschloßnen Handelsstaat – durchgespielte Harmonie der Gesellschaft – bei Fichte auf der interpersonalen Selbstbegrenzung beruhend – zeigt sich heute, da viel von Intersubjektivität die Rede ist –, als zentrales Problem. Nicht nur Ratten werden aggressiv, wenn man sie auf zu kleinem Raum zusammenpfercht. Der verstädterte moderne Mensch, die suburbs, die slums, sind aggressiv aufgeladen. Die Natur, welche Fichte für Nichts achtete, die Leibniz aber schon als dem Menschen notwendig, gedeutet hatte, fehlt einer Jugend, die mit Messer oder Pistole im Sack zur Schule geht. Eine harmonische Gesellschaft ist nur möglich, wo die Natur ins eigene Leben integriert wird, und wo einem jeden – auch den Ausländerkindern – nach seinen Fähigkeiten Ausbildungsmöglichkeiten geboten werden. Das europäische Gebrüll nach Chancengleichheit ist menschenwürdig nur, wo auch den Überbegabten ihnen entsprechende Bildungsmöglichkeiten nicht vorenthalten werden: gar zu viele Schüler wissen, was eine Unterrichtsstunde ist, in der man sich zu Tode langweilt. Oft wird der Mensch auch in den westlichen Ländern entwürdigt, indem man ihn – mit viel Harmonieversicherung – zur Dummheit hinunter stampft. Die modernen Ochlokratien sind vielleicht Demokratien, aber sie sind keine Rechtsstaaten. Diesem Urteil würde selbst der von Gleichheitsund Freiheitspathos erfüllte Fichte zustimmen. Die vorliegende Untersuchung wollte zwei große, durch die Figur Kants getrennte, Denker vorstellen, sie in ihren Divergenzen und Überein-
382
Nachwort
stimmungen zeigen, zugleich sich von Lesern neue Modelle für die Gegenwart erhoffend.
Literaturverzeichnis
This page intentionally left blank
1. Quellen und Siglen 1.1. Leibniz A
Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe hrsg. v. d. Preußischen (Deutschen) Akademie der Wissenschaften zu Berlin. II Zweite Reihe: Philosophischer Briefwechsel. II 1: Erster Band: 1663-1685, Darmstadt 1926. VI: Sechste Reihe: Philosophische Schriften, hrsg. v. d. LeibnizForschungsstelle der Universität Münster. VI 1: Erster Band: 1663-1672, Darmstadt 1930; VI 2: 1663-1672 (Nachtrag), Berlin 1966; VI 3: 1672-1676, Berlin 1980; VI 4: 1677-1690: Berlin 1999; VI 6: Nouveaux Essais, Berlin 1962. Zitiert nach Reihe, Band, Seite.
C
Opuscules et fragments inédits de Leibniz, extraits des manuscrits de la Bibliothèque royale de Hanovre par Louis Couturat. Paris 1903. Nachdruck: Hildesheim, Zürich, New York 1988. (Olms).
G
Leibniz, Gottfried Wilhelm. Die philosophischen Schriften. Ed. C. I. Gerhardt, 7 Bde., Berlin 1857-1890. Unveränderter Nachdruck, Hildesheim 1960-1961, (Olms).
Grua
G. W. Leibniz: Textes inédits d’après les manuscrits de la Bibliothèque provinciales de Hanovre. Ed. Gaston Grua. 2 Tomes. Paris 1948.
Ludovicus Dutens: Gothofredi Guillelmi Leibnitii Opera Omnia, nunc primum collecta, in classes distributa, praefationibus et indicibus exornata. Genevae XDCCLXVIII, (6 Bde.).
386
Literaturverzeichnis
Stud. Leib. Studia Leibnitiana. Stud. Leib.Suppl. Studia Leibnitiana Supplementa.
1.2. Fichte GA
Johann Gottlieb Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky. Erich Fuchs u.a. Stuttgart-Bad Cannstatt 1961 ff,
AsL
Die Anweisung zum seligen Leben
BdG
Die Bestimmung des Gelehrten
GNR
Grundlage des Naturrechts
GWL
Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre
SSL
System der Sittenlehre, 1798 und 1812.
TdB
Thatsachen des Bewusstseyns.
WL 1801/02
Darstellung der Wissenschaftslehre aus den Jahren 1801/02.
WL 1804
Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804.
WLnm
Wissenschaftslehre nova methodo.
WLnmK
Wissenschaftslehre nova methodo, Kollegnachschrift Karl Chr. F. Krause.
2. Sekundäre Quellen Jürgen Andretsch und Klaus Mainzer, Hrsg.: Vom Anfang der Welt. Wissenschaft, Philosophie, Religion, Mythos. München 1989. Darin: Jürgen Andretsch: Physikalische Kosmologie I; Das Standardmodell sowie „Das inflationäre Universum“; und Gustav Andreas Tammann: Die Bestätigung des Urknalls durch Beobachtungen. Aristoteles: Über die Seele. Übersetzt von Willy Theiler (3.), 7. Auflg. Berlin 1986, (Akademie-Verlag). Aurelius Augustinus: De Civitate Dei, aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme, eingeleitet und kommentiert von Carl Andresen, 2 Bände, München 1997. Bhagavadgita. Der Erhabenen Sang. Übertragen von Leopold von Schroeder. Düsseldorf, Köln 1965 (Eugen Diederichs). BAMANA. Un art et un savoir-vivre au Mali. Museum Rietberg, Zürich. Textes réunis par Jean-Paul Colleyn, Photographies Catherine De Clippel, Zurich 2001. René Descartes: Meditationes de Prima Philosophia, in: Oeuvres de Descartes, publ. par Charles Adam & Paul Tannery (AT), Tome VII, Paris 1904, (Léopold Cerf). - Ders.: Die Leidenschaften der Seele. Französisch – Deutsch. Hrsg. und übersetzt von Klaus Hammacher. Hamburg 1996, (Meiner). Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. III, in: Werke in 20 Bänden, neu ediert von Eva Moldenhauer und Karl M. Michel. Frankfurt a.M. 1971 (Suhrkamp). Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 1963, 10. Auflg. (1. Auflg. 1927, Max Niemeyer). - Ders.: Nietzsches Wort „Gott ist tot“ in Holzwege, S. 205-263, (1943), Frankfurt a.M. 1980 (Vittorio Klostermann), - Ders. „Was ist Metaphysik? (1943), 12. Auflg. 1981, Frankfurt a.M. 1981 (V. Klostermann). Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache, 1772, in: Sämtliche Werke Bd. V, Hildesheim 1967, S. 1-148. und Bd. XIII, Anhang, S. 446 ff. Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke, Große Stuttgarter Ausgabe, 1943-1958, hier Bd. 6, hrsg. von Adolf Beck.
388
Literaturverzeichnis
Friedrich Heinrich Jacobi: Schriften zum Spinozastreit, hrsg. von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske, in: Werke, Bd. I,1., hrsg. von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke. Immanuel Kant: Werkausgabe von Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1957-1964, (Insel). Und Werkausgabe in XII Bänden Frankfurt a.M. 1977, stw. - Ders.: Eine Vorlesung über Ethik. Hrsg. von Gerd Gerhardt, Frankfurt a.M. 1990. Nikolaus von Kues: De docta ignorantia (Die belehrte Unwissenheit), in: Philosophisch-theologische Werke, Lateinisch-Deutsch, mit einer Einleitung von Karl Bormann, Hamburg 1999 (Meiner). Lao-Tse: Tao Tê King. Übertragung und Kommentar von Victor von Strauß, hrsg. von W.Y. Tonn. Zürich 1950, (Manesse). Mahabarata (Indische Weisheit), Düsseldorf, Köln 1961 (Diederichs). Friedrich Nietzsche: KSA. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München 1980 (dtv). Novalis (Friedrich von Hardenberg): Schriften, Bd. 1 1960, (Darmstadt), 5 Bde., 19601988, Bd. 2 »Das philosophische Werk«, hrsg. von Hans-Joachim Mähl. Platon: Menon. In: Platon, Sämtliche Werke, hrsg. von Ernesto Grassi et al. Bd. 2, Hamburg 1967 (Rowohlt). Jean-Paul Sartre: L’Être et le Néant. Essai d’ontologie phénomologique. Paris 1943, (Gallimard). Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. Bern und München 1966 (1. Auflg. 1928; Francke). Friedrich Wilhelm Joseph v. Schelling: Die Weltalter, Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813 hrsg. von Manfred Schröter. München 1979, unveränderter Nachdruck der 1. Auflg. von 1946. (Beck) sowie: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, Abt. I,7 S. 391, in: Ausgewählte Werke, Schriften 1806-1813, Darmstadt 1983. Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung, 1795, in: Schillers sämtliche Werke, Säkular-Ausgabe, Bd. 12,2; S. 162 ff. Baruch de Spinoza: Ethica. In: Opera, lat. u. dt., hrsg. von Konrad Blumenstock, Darmstadt 1980 (Wissenschaftl. Buchgesellschaft). François-Marie Arouet de Voltaire: Candide. In: Romans et Contes, Texte établi et annoté par René Groß. In: Bibliothèque de la Pléiade, Paris 1954 (Gallimard). Des weiteren Deutsches Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm. München 1984. Rudolf Eisler: Kant-Lexikon, Berlin 1930 - Ders. Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin 1910 Hans Heinz Holz und Wolf von Engelhardt: Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophische Schriften, Bde. 1-5, Darmstadt 1985, (Wissenschaftliche Buchgesellschaft).
Literaturverzeichnis
389
Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Theodizee. Übersetzung und Vorwort von Walther Buchenau, einführender Essay von Wolfgang Stockhammer. Hamburg 1968, (Meiner). Gottfried Wilhelm Leibniz: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade sowie Monadolologie. Französisch – Deutsch in der Übersetzung von Artur Buchenau, hrsg. von Herbert Herring, Hamburg 1982, 2. verbesserte Auflg. (Mainer). TRS: Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, hrsg. von Albert Mues, Hamburg 1989. HWP: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter. PhJb: Philosophisches Jahrbuch. ZphF: Zeitschrift für philosophische Forschung.
3. Sekundärliteratur zu Leibniz Robert Merrihew Adams: Leibniz. Determinist, Theist, Idealist. Oxford University Press. N.Y., Oxford 1994. Christos Axelos: Die ontologischen Grundlagen der Freiheitstheorie von Leibniz. Berlin, New York 1973 (de Gruyter). Yvon Belaval,: Etudes leibniziennes. Paris 1976, (Gallimard). - Ders.: Leibniz. Paris 1995, (Beauchesne). David Blumenfeld,: Perfection and happiness in the best Possible World. In: The Cambridge Companion to Leibniz, p. 382-410. Cambridge University Press, New York 1995. Gregory Brown: Leibniz’s moral philosophy. In: The Cambridge Companion to Leibniz, p. 411-441. Cambridge University Press, New York 1995. Hubertus Busche: Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum. Eine Harmonie im Zeitalter der Berechnung. In: Paradeigmata, Hamburg 1997 (Meiner). Mario Casula: Die Lehre von der prästabilierten Harmonie in ihrer Entwicklung von Leibniz bis A. G. Baumgarten. In: Akten des II. Internationalen LeibnizKongresses, (Stud. Leib. Suppl.Bd. III (Metaphysik, Ethik, Ästhetik, Monadenlehre), Wiesbaden 1975 (Franz Steiner). S. 397-408. Ernst Cassirer: Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen. In: Ernst Cassirer, Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe, Text und Anmerkungen bearbeitet von Marcel Simon, hrsg. von Birgit Recki, Darmstadt 1998 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft). CHEN Lemin: Leibniz und der Konfuzianismus. In: Das Neueste über China. G. W. Leibnizens Novissima Sinica von 1697. Internationales Symposion Berlin 1997, Studia Leib. Suppl. Bd. 33. Hrsg. von Wenchao Li und Hans Poser, Stuttgart 2000, S. 192-201, (Steiner). Louis Couturat: Über Leibniz’ Metaphysik. In: Leibniz’ Logik und Metaphysik, hrsg. von Albert Heinekamp und Franz Schupp, S. 57-80. Darmstadt 1988 (WBG). Georges Friedmann: Leibniz et Spinoza. Paris 1962. (Gallimard). Daniel Garber: Leibniz. Physics and Philosophy. In: The Cambridge Companion to Leibniz, p. 270-352, Cambridge University Press, New York 1995. Karen Gloy: Das Verständnis der Natur. Bd. I: Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens, München 1995. Hier insb. Bd. II: Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens, München 1996. (Beck).
Literaturverzeichnis
391
Martial Guéroult: Leibniz. Dynamique et Métaphysique. Paris 1967, (Aubier-Montaigne). - Ders.: Etudes sur Descartes, Spinoza, Malebranche et Leibniz. Hildesheim, New York 1970 (Georg Olms). Hammacher, Klaus: Spinoza und Fichte. In: Transformation der Metaphysik in der Moderne. Zur Gegenwärtigkeit der Philosophie Spinozas, hrsg. von M. Czelinski, T. Kisser u.a., S. 192-201, Würzburg 2003, (Könighausen & Neumann). Hans Heinz Holz: Leibniz. Stuttgart 1958, (Kohlhammer). - Ders.: Gottfried Wilhelm Leibniz. Frankfurt, New York 1992 (Campus). Kurt Huber: Leibniz. München 1951, (Oldenbourg). Joachim Christian Horn: Zur Weltgeltung der Leibnizschen Philosophie als Metaphysik. Ein Manifest. In: Stud.Leib. XXIII, S. 93-101, Wiesbaden 1991. Wolfgang Hübener: Zum Geist der Prämoderne. Würzburg 1985 (Königshausen und Neumann). Jaques Jalabert: Création et harmonie préétablie selon Leibniz. In: Stud. Leib., III. Jg., S. 190-198. Wiesbaden 1971, (Franz Steiner). Wolfgang Janke: Die höchste Bedeutung von Einheit, Entelechie und Apperzeption in der Monadologie.: In Stud.Leib.Suppl. Bd. I, S. 161-174. - Ders.: Theodizee. In: Philosophische Perspektiven, Bd. 5, Frankfurt a.M. 1973. (Vittorio Klostermann). - Ders.: Das wunderbare Vermögen der Einbildungskraft. In: Bilder der Philosophie, hrsg. von R. Heinrich und H. Vetter, Wien 1991. Friedrich Kaulbach: Atom und Individuum. Studien zu Heimsoeths Abhandlung »Atom, Seele, Monade«. In ZphF Bd. XVII, S. 3-41, Meisenheim/Glan 1963, (Anton Hain). - Ders. Das Labyrinth der Freiheit. In: Stud. Leib. Suppl. Akten des Internationalen Leibniz-Kongreßes 1966; Bd. 1, Wiesbaden 1968, S. 47-68 (Franz Steiner). Lauth, Reinhard.: Leibniz im Verständnis Fichtes. In: Kant-Studien 1996, 87. Jg., S. 396-422. - Ders.: Descartes’ Konzeption des Systems der Philosophie. Stuttgart-Bad Cannstatt 1998. (frommann-holzboog). - Ders.: Abraham und die Kinder seines Bundes mit Gott. München 2003, (Jerrentrup). Thomas Leinkauf: Gottfried Wilhelm Leibniz’ Systematische Transformation der Substanz: Einheit, Kraft, Geist. In: Philosophen des 17. Jahrhunderts, hrsg. von L. Kreimendahl, Darmstadt 1999, S. 198-221. (WBG). Michael-Thomas Liske: Leibniz’ Freiheitslehre. Die logisch-metaphysischen Voraussetzungen von Leibniz’ Freiheitstheorie. In: Paradeigmata, Hamburg 1993 (Meiner). - Ders.: Gottfried Wilhelm Leibniz. München 2000 (Beck). Leroi Earl Loemker: Das ethische Anliegen des Leibnizschen Systems. In: Stud. Leib. Suppl., Wiesbaden 1969, S. 61-76. Peter Loptson: Leibniz, Sufficient Reason, and Possible Worlds. In: Stud. Leib. Bd. XVII, 1985, S. 191-293, Wiesbaden (Franz Steiner).
392
Literaturverzeichnis
Benson Mates: The Philosophy of Leibniz. Metaphysics and Language. Oxford University Press, N.Y., Oxford, 1986. Christia Mercer: Leibniz’s metaphysics: its origines and development. Cambridge University Press, Cambridge 2001. Jürgen Mittelstrass: Monade und Begriff. Leibnizens Rekonstruktion des klassischen Substanzbegriffs und der Perzeptionensatz der Monadentheorie. In: Stud. Leib. Jg. 2, 1970, hrsg. von Kurt Müller und Wilhelm Totok, S. 171-200, Wiesbaden (Steiner). Joseph Moreau: Individuum und Natur bei Spinoza und Leibniz. In: Akten des Internationalen Leibniz-Kogresses III, (Stud.Leib.Suppl., Zum Verhältnis von Theorie und Praxis im 17. und 18, Jhdt.) Wiesbaden 1981, S. 130-137. - Ders.: Leibniz devant le labyrinthe de la liberté. In: Stud. Leib. Bd. XVI, Wiesbaden 1984 (Franz Steiner), - Ders.: L’univers Leibnizien. Avec un appendice L’espace et les vérités éternelles chez Leibniz. Hildesheim, Zürich, New York 1987 (Georg Olms). Massimo Mugnai: Der Begriff der Harmonie als metphysische Grundlage der Logik und Kombinatorik bei Johann Heinrich Bisterfeld und Leibniz. In: Stud. Leib. V. Jg. 1973, Wiesbaden (Franz Steiner). Dominik Perler und Ulrich Rudolph: Occasionalismus. Theorien der Kausalität im arabisch-islamischen und im europäischen Denken. Göttingen 2000 (Vandenhoeck & Ruprecht). Ruprecht Pflaumer: Zum Ich-Charakter der Monade. In: Stud.Leib.Suppl. I, Akten des Intern. Leibniz-Kongresses 1966, Bd. 1, Wiesbaden 1968, S.148-160. Alexis Philonenko: La loi de continuité et le principe des indescernables. In: Révue de Métaphysique et de Morale, LXXII, S. 279 ff., Paris 1967. Hans Poser: Zum Begriff der Monade bei Leibniz und Wolff. In: Akten des II. Internationalen Leibniz-Kongresses Stud.Leib.Suppl. Bd. III, Metaphysik, Ethik, Ästhetik, Monadenlehre, S. 383-395, Wiesbaden 1975, (Franz Steiner). - Ders.: Die Idee des Unendlichen und die Dinge. Infinitum und Immensum bei Leibniz. In: L’infinito in Leibniz. Problemi e terminologia. Simposio Internazionale del Lessico Intellettuale Europeo, Roma 6-8 novembre 1986, a cura di Antonio Lamarra, Edizioni dell’Ateneo 1990. - Ders.: Leibnizens Novissima Sinica und das europäische Interesse an China. In: Stud. Leib. Suppl. Bd. 33, hrsg. von Wenchao Li und Hans Poser, Stuttgart 2000, S. 11-28. Nicholas Rescher: The Philosophy of Leibniz. Englewood Cliffs, New Jersey, 1967. (Prentice Hall). - Ders.: Leibniz und die Vollkommenheit der Welten. In: Stud. Leib. Suppl. 14, ,II. Intern. Leibniz-Kongreß 1972, Bd. 3, S. 1-14, Wiesbaden 1975. - Ders.: Leibniz. An Introduction to his Philosophy. Oxford 1979, (Blackwell). Bertrand Russell: A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz. With an Appendix of Leading Passages. And with a new Introduction by John G. Slater. London 1992 (1. Auflg. 1900) (Routledge). Donald Rutherford: Leibniz and the Rational Order of Nature. Cambridge University Press, Cambridge, UK, 1998. (1. Auflg. 1995).
Literaturverzeichnis
393
Otto Saame: Wissen und Gewissen in der Ethik von Leibniz. In: Stud. Leib. Suppl. Bd. IV, I. Internationaler Leibniz-Kongreß 1966, Wiesbaden 1969, S. 77-84, (Franz Steiner). Wenchao Li: La verité est plus repandue qu’on ne pense – Leibniz’ Abhandlung über die chinesische Philosophie im Kontext der europäischen China-Rezeption. In: Leibniz und Europa, VI. Internationaler Leibniz-Kongreß, Vorträge I. Teil, Hannover 18.-23. Juli 1994, S. 436 ff. Joachim Widmann: »...denn wohlverstanden hat er recht«. Gedanken über Fichtes Jenaer Bemerkungen über Leibniz. In: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Klaus Hammacher u. Albert Mues. Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, S. 456-478, (Frommann-Holzboog).
4. Sekundärliteratur zu Fichte Bader, Franz: Fichtes Lehre vom prädeliberativen Willen. In: TrS 212-241, Hamburg 1989 (Meiner). Johann Braun: Freiheit, Gleichheit, Eigentum. Grundfragen des Rechts im Lichte der PholosophieJ. G. Fichtes, Tübingen 1991, (Mohr). Cruz Cruz, Juan: Das Genie. Ethik und Ästhetik bei Fichte, in: TrS, Hamburg 1989. Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewusstsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986, (Jürgen Dinter). - Dies.: Anerkennung und Bildung des Selbstbewusstseins. Zum Problem der Intersubjektivität in Fichtes Idealismus der Freiheit. Wolfgang Janke zum 60. Geburtstag. In. Wiener Jahrbuch für Philosophie, Bd. XX, 1988, S. 131-151. (Wien 1989). - Dies.: Sittliche Aufforderung. Fichtes Theorie der Intersubjektivität in der WL nova methodo und in der Bestimmung des Menschen. In: Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806,hrsg. von Albert Mues, Hamburg 1989 (Meiner). Erich Fuchs und Reinhard Lauth u.a.: Fichte im Gespräch. Stuttgart-Bad Cannstatt 1978 ff. Helmut Girndt:Über den Umgang mit der empfindungsfähigen Natur nach J. G. Fichte. In: Transzendentalphilosophie als System, Hamburg 1989 (Meiner), S. 134-146. - Ders.: Die fünffache Sicht der Natur im Denken Fichtes. In: Fichte-Studien Bd. 1, Amsterdam-Atlanta, GA 1990, S. 108-120. (Rodopi). Karen Gloy: Bewusstseinstheorien. Zur Problematik und Problemgeschichte des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, Freiburg und München 1998, (Alber). Stefan Gnädiger: Vorsehung. Ein religionsphilosophisches Grundproblem bei J. G. Fichte. In: Fichte-Studien Bd. 23, Amsterdam – New York 2003 (Rodopi). Klaus Hammacher: Die Bestimmung des Menschen in der Erfahrung des Selbstbewusstseins. In: Fichte-Studien Bd. 8. 87-97, Amsterdam – Atlanta 1995, (Rodopi). - Ders.: Die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis, München 1969. (Fink).
Literaturverzeichnis
395
Heinz Heimsoeth: Die spekulativen Systeme des deutschen Idealismus. In: Handbuch der Philosophie, hrsg. von A. Baeumler und M. Schröter, 17. Lieferung: Metaphysik der Neuzeit 1927, S. 105 f. Hans Hirsch: Fichtes Planwirtschaftsmodell als Dokument der Geistesgeschichte und als bleibender Denkanstoß, in: Fichte-Studien Bd. 24, Amsterdam – New York 2003, S. 165-177. (Rodopi). Johannes Hoffmeister: Hölderlin und die Philosophie, Leipzig 1942 (Meiner). Marco Ivaldo: I principi del sapere. La visione trascendentale di Fichte. In: Serie Studi VIII, Istituto Italiano per gli Studi Filosofici. Napoli 1987 (Bibliopolis). - Ders.: Das Problem des Bösen bei Fichte, in: Fichte-Studien Bd. 3, Amsterdam-Atlanta 1991, S. 154-169. (Rodopi). - Ders.: Libertà e ragione. L’etica di Fichte. Milano 1992, (Mursia). - Ders: Fichte e Leibniz. La comprensione trascendentale della monadologia. Istituto Italiano per gli Studi Filosofici, Napoli. (Milano 2000 Guerini e Associati). - Ders.: Ethik der Inkarnation in J. G. Fichtes Vorlesungen über die Sittenlehre 1812, in: Philosophische Untersuchungen über die Gegenwärtigkeit einiger Traditionen, Marek J. Siemek zum 60. Geburtstag, hrsg. von Roberta Marsalka und Ewy Nowak-Juchacz, Warschau 2002, S. 101 . 116. Friedrich Heinrich Jacobi: Über die Lehre des Spinoza, 1789, Beilage V, Bd. I,1, S. 225. In: . Friedrich Heinrich Jacobi: Schriften zum Spinozastreit, hrsg. von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske. In: Werke, Gesamtausgabe, hrsg. von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Hamburg 1998, Gemeinschaftsverlag Meiner und Frommann-Holzboog. Wolfgang Janke: Das empirische Bild des Ich – zu Fichtes Bestimmung des Menschen. In: Philosophische Perspektiven. Ein Jahrbuch, Hrsg. von Rudolph Berlinger und Eugen Fink, Frankfurt a.M. 1969, (Vittorio Klostermann). - Ders.: Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970. - Ders.: Leben und Tod in Fichtes ›Lebenslehre‹. In: PhJb 1996, 74. Jg. München (Alber). - Ders.: Das wunderbare Vermögen der Einbildungskraft. In: Bilder der Philosophie, hrsg. von R. Heinrich und H. Vetter, S. 223-241, hier S. 227. Reinhard Lauth: Die transzendentale Naturlehre Fichtes. Hamburg 1984 (Meiner). - Ders.: Das Problem der Interpersonalität bei J. G. Fichte. In:. Transzendentale Entwicklungslinien, von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, S. 180-195 (Meiner). - Ders.: Die transzendentale Konstitution gesellschaftlicher Erfahrung, in: TrE, S. 196-298, Hamburg 1989 (Meiner). - Ders.: Kants Kritik der Vernunft und Fichtes ursprüngliche einsicht. In TrE S. 140-154, Hamburg 1989 (Meiner). - Ders.: Le problème de l’interpersonnalité chez J. G. Fichte. In: Archives de Philosophie, juillet/décembre 1962, Vol. XXXV, p. 325-344. Bernward Loheide: Artistisches Fichtisieren: Zur höheren Wissenschaftslehre bei Novalis. In: Fichte-Studien Bd. 19, S. 109-123. Lütterfelds, Wilhelm: Fichte und Wittgenstein, Stuttgart 1989. (Klett – Cotta).
396
Literaturverzeichnis
Luigi Pareyson: Fichte. Il sistema della libertà. Milano 1976 (Mursia). Alexis Philonenko: J.G. Fichte: Doctrine de la Science 1801-1802. Ècrits de philosophie Première et Textes annexes, 2 Tomes. Tome 1: Traductions par A. Philonenko, Tome 2: Commentaire analytique par A. Philonenko. Paris 1987 (Vrin). Wolfgang H. Schrader: Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J. G. Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972 (frommann-holzboog). - Ders.: Recht und Sittlichkeit. Zur praktischen Philosophie J. G. Fichtes. In: PhJb 1973, 80. Jg. Hrsg. von Hermann Krings u.a. (Alber). - Ders.: Der Übergang zur Wissenschaftslehre 1801. In: Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, hrsg. von Albert Mues, Hamburg 1989, S. 199-211. Marek J. Siemek: Fichtes und Hegels Konzept der Intersubjektivität. In: Fichte-Sturien Bd. 23, S. 27-74. Amsterdam-New York 2003 (Rodopi). Jürgen Stolzenberg: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02. Stuttgart 1986 (KlettCotta). Katja V. Taver: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1810. Versuch einer Exegese. Amsterdam-Atlanta, GA 1999 (Rodopi). - Dies.: Vernünftiges Ich und Ich-Monade. Die Erfassung des Ich bei Leibniz und bei Fichte. In: Fichte-Studien Bd. 22, Amsterdam 2003, S. 73-87, (Rodopi). - Dies. Die Konstitution des Ich in der Interpersonalität gemäß der WL 1801/02. In: prima philosophia, Bd. 8, Heft 4, S. 395-407, Cuxhaven 1995. di Tommaso, Giannino. V.: L’immaginazione trascendentale nel primo Fichte,in: il pensiero. Rivista di filosofia, Vol. 26, 1985, S. 71-95. Hartmut Traub: Vollendung der Lebensform. Fichtes Lehre vom geistigen Leben als Theorie der Weltanschauung und des Lebensgefühls. In: Fichte-Studien Bd. 8, S.. 101-191, Amsterdam-Atlanta 1995 (Rodopi). - Ders.: Realität und System. Das Realitätsproblem in Fichtes System der Fünffachheit. In Fichte-Studien Bd.. 6, S. 435-448, Amsterdam-Atlanta 1994 (Rodopi). Max Wundt: Fichte-Forschungen. Stuttgart 1929 (Frommann). Günter Zöller: Bestimmung zur Selbstbestimmung. Fichtes Theorie des Willens. In: Fichte-Studien Bd. 7, S. 101-118, Amsterdam-Atlanta, 1995 (Rodopi).
5. Weitere Literatur Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München 1997 (Piper). Angelica Baum: Selbstgefühl und reflektierte Neigung. Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001. Beck, Ulrich: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung. Frankkfurt a.M., 1997 (Suhrkamp). Gernot Böhme: Atmosphäre. Frankfurt a.M.1995 (Suhrkamp). Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen, S. 7- 59. Reinbek bei Hamburg, 1960. (Rowohlt). Helmut Börsch-Supan Und Karl Jähnig: Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmässige Zeichnungen. München 1974/75. Paola Cavalieri: Die Frage nach den Tieren. Für eine erweiterte Theorie der Menschenrechte, Erlangen 2002, (H. Fischer). Erasmus Darwin: Zoonomia or the laws of organic life, London 1794. (Deutsch 17951799). Gilles Deleuze/Félix Guattari: Was ist Philosophie? Frankfurt a.M. 2000, orig. 1991 (Sihrkamp). Kurt Flasch: Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung. Frankfurt a.M. 1998, (Vittorio Klostermann). Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Studienausgabe, Wiesbaden 1986. Berthold Hinz, Hans Joachim Kunst u.a.: Bürgerliche Revolution und Romantik. Natur und Gesellschaft bei Caspar David Friedrich. Giessen 1976. Joseph Leo Koerner: Caspar David Friedrich. Landschaft und Subjekt. München 1998 (Englisch 1990). André Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. Frankfurt 1988 (Suhrkamp). Neil Levy: Being Up-To-Date. Foucault, Sartre, and Postmodernity. New York 2001. Rudolf zur Lippe: Sinnenbewusstsein. Grundlegung einer anthropologischen Ästhetik. (2 Bde.) Hohengehren 2000 (Schneider). Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Frankfurt a.M. 2003 (Suhrkamp). Lyotard, Jean-François: La condition postmoderne, Paris 1979 (Les Editions de Minuit).
398
Literaturverzeichnis
Barnett Newman: Der erste Mensch war ein Künstler. In: Charles Harrison und Paul Wood: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. II., S. 693 ff. Deutsch von Sebastian Zeidler, Ostfildern-Ruit 1998. Henning Ottmann: Die Römer. Stuttgart / Weimar 2002. In: H. Ottmann: Geschichte des politischen Denkens, Bd. II,1. (Metzler). Antoine de Saint-Exupéry: Le Petit Prince. Avec des aquarelles de l’auteur. Paris 1964 (Gallimard). Gershom Scholem: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen. Frankfurt a.M. 1996 (Suhrkamp). Robert Smithson: Kulturbeschränkung. In: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. II, S. 1167. Hrsg. von Charles Harrison und Paul Wood, deutsche Fassung von Sebastian Zeidler, Ostfildern-Ruit 1998. Charles Taylor: Wieviel Gemeinschaft braucht die Demokratie? Aufsätze zur politischen Philosophie. Frankfurt a.M. 2002 (Suhrkamp). Max Weber: Staatssoziologie. Hrsg. von Johannes Winckelmann. Berlin 1956 (Duncker & Humblot). Joseph Weizenbaum: Computermacht und Gesellschaft. Frankfurt a.M. 2001 (Suhrkamp). Steven Wise: Rechtliche Anerkennung der Personalität von Schimpansen und Bonobos. In: Die Würde der Tiere, hrsg. von Martin Liechti, Erlangen, S. 203-212
Namensregister
This page intentionally left blank
Die Namen in Normalschrift beziehen sich auf im Text vorkommende Namen. Kursiv sind Namen aus den Anmerkungen wiedergegeben. Primär handelt es sich um Eigennamen: vereinzelt wurden jedoch auch Namen von Gottheiten, Lehrgedichten, Ländern aufgenommen. Abraham Adam Adorno, Theodor W. Afrika Alexander Allah Andretsch, Jürgen Anselm von Canterbury Aquinas, S. Thomas Aristoteles 155, 238, 343, 387 Arendt, Hannah Aretino, Pietro Arjuna Arnauld, Antoine Augustinus, Aurelius Avalokiteshvara, Bodhisattva Bacon, Francis (Philosoph und Staatsmann) Bacon, Francis (Maler, 1919-1992) Bader, Franz Baum, Angelika Bayle, Pierre Beauval, Basnages de Beck, Ulrich Benn, Gottfried Bhagavadgita. Des Erhabenen Sang. Bierling, Friedrich Wilhelm Billettes, des
116, 116, 235, 391 139, 143, 144, 145, 145, 147, 150f., 151, 178, 187, 196, 199f., 202, 205, 209, 225, 255, 338f., 367 38 119f., 119, 176, 184, 283 147, 184 140, 183 30, 169, 387 359 110, 110 3, 61, 87ff., 88f., 92, 92, 102, 114, 119, 130, 38, 71, 71, 119, 397 258 118, 175f. 87, 90ff., 93, 97f., 98, 110, 121, 124, 131, 131, 142, 143, 146, 151, 185, 196, 198, 202, 202, 204, 204f., 211, 212, 214, 219, 220, 221f., 237 155, 169, 235, 235, 292, 387 177 3, 279, 279 370 50, 52, 71, 394 46, 72, 397 110, 215, 227 123 289, 397 290 118, 119, 342, 387 90, 187 203, 208
402
Namensregister
Bodhidarma Böckmann, Paul Boethius Böhme, Gernot Bonaparte, Napoleon Bourguet Borchert, Wolfgang Bosses, des Braun, Johann Bruno, Giordano Buddha Buridan, Johannes Burnett, Th. Busche, Hubertus
140, 183, 366 34 53 28, 44, 397 205, 346 93, 164, 164, 185, 187 369, 369, 397 99, 139, 150f, 150f., 158, 218 37, 302 279 94, 140, 177, 183f., 225, 283, 343, 366 154 361 1, 5, 6, 97, 97, 99, 99, 121, 127, 131f., 131f.,154, 154, 390
Casula, Mario Caesar, Julius Cavalieri, Paola Cavendish, Henry Cézanne, Paul Charlotte Sophie, Königin China
121, 199, 199, 217, 217, 390 102,142, 145, 147, 157, 184, 320, 342 24f., 397 185, 198 322 46, 95, 106, 106, 132, 161, 230 8, 116, 120, 176, 176, 220f., 225, 301, 336, 336, 390, 392f. 110, 125, 125, 162, 200, 217, 217 205 371 138, 155f. 154, 385, 390 68, 253 268, 394
Clarke, Samuel Corday, Marie Corneille, Pierre Coste Couturat, Louis Crusoe, Robinson – Freitag Cruz Cruz, Juan Darwin, Charles R. Darwin, Erasmus Daupradi Deleuze, Gilles Descartes, René Dobrzensky Düsing, Edith Dutens, Ludovicus
6 39, 397 162 3, 39, 39, 397 3, 27, 41, 88, 88, 91, 91, 96, 99, 104, 104, 107, 121f., 122, 131, 191, 204, 237, 243, 288, 359, 359f., 371, 379, 387, 391, 395 118 56, 243, 243, 394 97, 147, 173, 185, 385
Eisler, Rudolf Epikur
81, 113, 225, 388 223
Namensregister
403
Faraday, Michael Flasch, Kurt Foucault, Michel Friedmann, Georges Friedrich, Caspar David Friedrich II. von Preussen Freud, Siegmund Fuchs, Erich
4, 325 114, 114, 397 35, 397 141, 336, 390 34, 34, 397 362 127, 296, 325 34, 288, 386, 394
Galileo Galilei Garber, Daniel Gassendi, Pierre Gehlen, Arnold Gerhardt Gerhardt, Volker Giotto Girndt, Helmut Gloy, Karen Goethe, Johann Wofgang Gramsci, Antonio Grimaldi, Claudio Filippo Guattari, Félix Guéroult, Martial
92, 353 88, 390 96 22f., 22f., 26, 44, 44, 397 87 23 35 24f., 287, 394 61, 61, 91, 320, 390, 394 3, 76, 325 53 181 3, 39, 39, 397 92, 99, 391
Hammacher, Klaus Harrison, Charles Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
2, 14, 34, 41, 273, 292, 335, 387f., 391, 393ff. 38, 40, 398 34, 107, 118, 170, 212, 290, 317,330, 353, 376, 387, 394, 396 96, 249, 391, 395 34 23, 31, 61, 137, 369, 369, 387 325 22, 26, 44, 315, 387 292 145 5 35, 397 345, 350f., 351, 395 122, 336 34, 34f., 387, 395 35, 395 44, 81f., 88ff., 103ff., 108-116, 123ff., 128, 130, 133ff., 150, 157, 184, 186, 210f., 215f., 218, 220, 224, 226, 228, 294, 294, 336, 336, 344, 245, 365, 368ff., 388, 391 158, 163, 163, 364, 364, 391
Heimsoeth, Heinz Hemsterhuis, Franciscus Heidegger, Martin Heisenberg, Werner Karl Herder, Johann Gottfried Hesse, Hermann Hessen-Rheinfels, Ernst von Hilbert, David Hinz, Berthold Hirsch, Hans Hobbes, Thomas Hölderlin,Friedrich Hoffmeister, Johannes Holz, Hans Heinz
Huber, Kurt
404
Namensregister
Hübener, Wolfgang Hume, David Husserl, Edmund Huygens, Christiaan
118, 187, 391 3, 279 3 92, 96, 122
Isaak Ismael Ivaldo, Marco
116 116 1, 13f., 13f., 18, 18, 27, 27, 35f., 39, 47, 50, 52, 70, 79, 102, 102, 107, 107, 262, 273, 274, 285, 285f., 288, 293, 326, 326ff., 330, 345, 395
Jacob, Hans Jacobi, Friedrich Heinrich Jahwe Jalabert, Jacques Janke, Wolfgang
49, 386 34, 177, 388, 394f. 6, 94, 116, 140, 165, 175, 177, 183, 208, 337 191, 359, 391 92, 92, 104, 104, 173, 202, 247, 247, 250, 250, 263, 264f., 276,281f., 285, 391, 394f. 117, 221, 365, 370 95, 359, 375f., 375f. 6, 43, 73f., 94, 110, 116, 140, 143f., 144, 165, 177, 183, 194, 227f., 235ff., 301, 337, 342, 366, 373 74 140, 143ff., 147, 183, 337
Japan Jaquelot Jesus Christus Johannes Judas Kant, Immanuel
Kaulbach, Friedrich Klee, Paul Koerner, Josef Leo Kongfutse Kopernikus, Nikolaj Kreimendahl, Lothar Krishna Kubrick, Stanley Kunst, Hans Joachim
3f., 6, 13f., 13, 18ff., 19f., 24, 27, 27, 29, 29, 34, 35ff., 36f., 39, 44, 44, 49, 50, 52, 52, 54, 64f., 71, 71, 80ff., 81f., 101, 103, 107, 112, 127, 157, 164, 225, 235, 235f., 244, 244, 246, 246, 257, 259, 259, 265, 267ff., 268f., 273, 279, 279, 283f., 287, 288, 293, 310, 315, 322, 324, 325, 327, 330, 335, 343, 345, 348, 348, 360, 360, 362, 364, 360, 366, 368ff., 371, 373, 381, 388, 391, 393, 395 96, 162, 391 76 35, 397 116f., 120, 140, 176, 176, 183f., 221, 225, 229, 283, 336, 366 4 173, 391 118, 175f. 40 35, 397
Namensregister Lao-Tse La Fayette, Mme. de Lauth, Reinhard Leeuwenhoeck, Antoni van Leinkauf, Thomas Leroi-Gourhan, André Levy, Neil Liechti, Martin Lippe, Rudolf zur Liske, Michael-Thomas 391 Locke, John Loemker, Leroi Earl Loheide, Bernward Louis XIV Louis XVI Luria, Isaak Lütterfelds, Wilhelm Luther Lyotard, Jean-François
405
116f., 117f., 140, 176, 180, 183, 225, 228, 283, 336, 366ff., 367, 379, 388 371 5, 13, 13f., 15, 27f., 27ff., 30, 34, 39,39, 41, 41, 77, 77, 79f., 107, 116, 122, 122, 243, 245, 245, 273, 273, 293, 315, 327, 344f., 386, 391, 393ff. 98 173, 173, 183f., 183f., 391 22, 22, 397 35, 397 25, 40, 398 72, 72, 129, 129, 397 147, 148, 158, 238, 238, 320, 343, 364, 374, 105, 113, 125, 147. 147, 369 361, 391 249, 265, 395 258 4 179f. 282, 395 148, 221, 248 3, 3, 35, 397
Machiavelli, Niccolò Mähl, Hans Joachim Mahabharata Mainzer, Klaus Malebranche, Nicolas Marx, Karl Masham, Lady, Mates, Benson Mercer, Christia Michelangelo Buonarroti Mohammed Molanus, Gerhard Walter Montesquieu, Charles-Louis de Moreau, Joseph Morell Moses Mues, Albert Mussolini, Benito
370 34, 388 162, 163, 175f. 30, 169, 387 87, 99,, 121, 121, 237, 391 243, 248, 289, 347f., 395 95, 195 89, 106, 121, 137, 185, 199, 392 43, 43, 208, 237f., 238, 392 144, 226, 322 116, 140, 183, 221 87 335 88, 88, 138, 214, 214, 370, 392 139 73, 116, 140,175 14, 273, 375, 389, 393f., 396 4
Neuffer, Christian Ludwig Newton, Isaac Newman, Barnett
34 3, 7, 198, 199, 361 40, 40, 108, 398
406
Namensregister
Nietzsche, Friedrich
Novalis (von Hardenberg, Friedrich)
23, 48, 65, 117, 120, 127, 138, 248, 262, 264, 274, 277, 288, 301, 366f., 369, 369, 387f. 144, 154, 171, 195, 203, 203, 223, 223, 388, 397 34, 34, 249, 388, 395
Ottmann, Henning
1, 279, 398
Pareyson, Luigi Paulus Perler, Dominik Pestalozzi, Heinrich Pflaumer, Ruprecht Philippi Philonenko, Alexis
49ff. 51, 55, 55, 396 113, 345 121, 392 7, 288, 288, 348 112, 392 88 248, 248, 296, 298, 301f., 306, 309, 310, 310f., 313f., 314, 322, 330, 330, 392, 396 23 3, 113, 113, 119, 195, 228, 237f., 345, 388 111, 118, 176, 336, 390, 392
Nikolaus von Kues
Pieper, Annemarie Platon Poser, Hans Racine, Jean Raffaello Sanzio Reinhold, Karl Leonhard Remond Rescher, Nicholas Ricci, Matteo Ritelensius, Eccardus Rothko, Mark Rousseau, Jean Jacques Rudolph, Ulrich Runge, Philipp Otto Russell, Bertrand Rutherford, Donald Saame, Otto Sartre, Jean-Paul Schaedler, Karl Ferdinand Scheler, Max Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph Schiller, Johann Christoph Friedrich Scholem, Gershom Schrader, Wolfgang H. Schröder, Leopold von Schulte, Günter
371 322 14, 67, 335, 375 88, 90, 97, 97, 125, 127, 130, 228 111, 136f., 137ff., 182f., 183, 191, 191, 194f., 209, 221, 372, 392 176 172 108 6, 309, 335 121, 392 34 88, 392 92, 138, 138, 161, 174, 187, 209, 392 160, 217, 393 31, 35, 63, 72, 72, 315, 388, 397 119 28ff., 28ff., 388 13, 34f., 109, 170, 172, 176, 375, 380, 388 27, 388 180, 398 1, 245f., 246, 260, 260, 264, 276, 312, 375. 375, 396 119 63, 75, 81
Namensregister Scotus, Duns Sedlmayr, Hans Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper Shakespeare, William Siemek, Marek J. Smith, Adam Smithson, Robert Sokrates Sophie, Kurfürstin Spinoza, Baruch de
407
Strauß, von Victor
155 38 46, 46, 72, 259, 321, 397 325 262, 353, 395f. 255 38, 398 113, 119, 161, 227 199 6, 13f., 34, 87, 87, 99, 107, 131, 131, 141, 148, 150, 150, 172, 177, 298, 335, 335f., 343, 388, 390ff., 395 117, 367, 388
Tammann, Gustav Andreas Taver, Katja Vera Taylor, Charles Tiziano Vecellio Tommaso, Giannino V. di Traub, Hartmut Twombly, Cy
169, 387 2, 32, 328, 354, 396 36, 398 258 268f., 268f., 396 2, 246, 287, 396 370
Volder, de Voltaire, François-Marie Arouet
97f., 131 192, 314, 330, 347, 388
Wagner, Rud. Christ. Warhol, Andy Weber, Max Wedderkopf, Magnus Weinberg, Steven Weischedel, Wilhelm: Kant-Werkausgabe
94, 94f. 370 340, 340, 398 162 169, 174, 174
Weizenbaum, Joseph Welsch, Wolfgang Wenchao Li Widmann, Joachim Wise, Steven Wolff, Christian Wood, Paul Wundt, Max
19f., 36, 44, 49, 52, 54, 81, 101, 236, 244, 259, 265, 268, 279, 324, 330, 348, 360, 364, 366, 369, 388 45, 45, 398 38 176, 336. 390, 392f. 14, 14, 273, 273, 393 25, 40, 398 111.392, 38, 40, 398 268f., 268f., 396
Zeidler, Sebastian Zöller, Günter
38, 40, 398 79, 79, 81, 81f., 396
This page intentionally left blank
Sachregister
This page intentionally left blank
Absolutes
5-8, 19, 62, 64, 76, 83, 94f., 99, 103, 106, 116, 118, 136ff., 140, 142, 148f., 161, 165, 170-175, 177, 178-181, 179f., 193, 196, 198, 201, 204f., 209, 214, 218-221, 225, 229, 236ff., 247, 249, 257, 261, 269-275, 277-280, 281f., 282, 284f., 286, 287, 291, 294, 297, 300ff., 305, 312, 319, 327f., 328, 330, 336, 337, 357, 359f., 359, 363, 366, 373, 380 seine (Gottes) Autokreation 115, 137, 169, 172, 177, 180, 184, 227, 270 actus purus 94 Ahnenkult 119 f., 176, 184, 283, 360 Andetermination 21, 37, 60, 83, 261, 312 Anerkennung (gegenseitige, wechselseitige) 7, 24f., 37, 40, 243, 243, 246, 264, 306, 346, 362, 366, 394, 398 Anschauung 4, 54, 56, 62f., 72, 83, 103, 154, 228, 263, 275282, 284, 286, 302, 306f., 311-317, 312, 321, 326, 329, 371 intellektuelle 49, 63, 263f., 273, 275ff., 280ff., 282, 286f., 286, 300, 302, 306, 308, 396 Apperzeption 49, 92, 94, 101 ff., 200, 202, 220, 224, 265, 287, 391 Appetition 90, 93, 93, 121, 124, 139 Atom 25, 36, 88, 89 f., 96 ff. 96, 215, 223, 228, 290, 367, 379, 391 Aufforderung 31 f., 32, 54, 55, 67, 75, 243, 273, 311, 326, 394 Aufklärung 65, 71, 104, 279, 285, 285, 300, 338, 347, 371 Aufruf (Anstoß) 73,75, 77, 211, 244, 253, 259, 295 f., 298, 311, 331, 345, 348, 395 Auge 13, 15f., 23, 25, 42, 50f., 65, 143, 154, 165, 176, 179, 198, 202, 207, 235, 250, 275ff., 283, 285,295, 304, 310, 339f., 362, 370f., Außenwelt 21, 51, 76, 104, 114, 126, 134f., 207, 236 Avantgarde 65 Axiome (Satz vom Widerspruch / zureichenden Grunde) 5, 102, 111, 217, 238, 286
Sachregister
412 Besonnenheit Bestimmbares, Bestimmtes Bestimmbarkeit Bewusstsein
Bild
der Gottheit von sich Bildung Buddhismus Charakter
Christentum cogito Dasein
des Einen Seins Daseinsgefühl Denken
82, 151, 157, 264, 268, 357, 368, 371 53f., 57, 60, 64, 294, 302 53, 302, 315 28, 32, 40, 45f., 47, 49ff., 51f., 55, 59ff., 67, 72f., 75f., 78, 80ff., 94, 111f., 129f., 134, 139, 153, 169f., 172, 177, 177, 181, 184, 187, 194, 199,203,208, 210, 213, 215, 224, 247, 249f., 253, 258, 263, 265f., 265, 268, 278, 281ff., 282, 319, 321, 328, 337, 338, 340, 359, 380, 394 2, 32, 34, 37, 42, 48, 50, 54f., 61f., 64, 68, 70, 76, 79, 81, 84, 104, 107, 108, 114, 131, 136, 175, 176, 195f., 201-205, 211f., 214, 220, 223, 228, 246, 249f., 257f., 263, 264, 266, 269f., 278, 280, 281, 283, 287, 301, 309, 311f., 316, 339f., 343f., 348, 357, 359, 362, 366, 370, 391, 395 84, 201ff., 214, 366 62 38, 66, 68, 79f., 79, 82, 230, 244, 255, 260, 269ff., 271, 288, 292, 346ff., 351f., 371, 381, 395 116, 176, 225 20, 32, 36f., 44, 55, 60, 72, 79, 81f., 82, 97, 102, 112, 148, 156, 194, 216, 223f., 223, 232, 259, 264, 277, 299, 303, 310f., 320, 322, 330, 364, 365f., 368, 392 119, 144, 183, 221, 301, 353 102f., 237, 306, 379 23, 27, 28, 31, 31, 43, 50, 61, 64, 81, 92, 106, 136ff., 143, 145, 172f., 177, 180, 183, 194, 197, 202, 204f., 214, 218f., 227, 244, 258, 265, 270, 278, 280, 282, 287, 301, 315, 336f., 342, 366, 372, 379, 381 64 49, 60, 211, 276, 276, 309, 316 4ff., 8, 13, 18, 20f., 21, 23f., 28, 34, 41, 42, 44, 46, 49f., 49, 52, 52, 54, 56, 59ff., 63f., 69, 7381, 78, 80, 87f., 92, 94f., 103, 103, 107, 109, 114, 116, 120, 121, 125, 127f., 134, 138, 140, 162, 176, 178, 194, 208, 209, 210, 214, 218f., 221, 224f., 228, 236, 239, 247f., 250, 253, 258, 261, 263, 265, 266, 271, 273, 274, 275, 276, 277f., 279, 280ff., 284ff., 289, 292, 294, 297ff.,
Sachregister
Determinismus Dynamik Eigentum Einbildungskraft produzierende reproduktive Eindruck Einheit, psychophysische Empiriker/Empirie Endzweck Energeia Engel Entelechie Erziehung Eskapismus esse in mero actu Evolutionslehre (-theorie) Ewigkeit Existentialismus Expressionismus, psychophysischer Fensterlosigkeit Freiheit
Entschluss zur Grenze der materielle
413
301f., 304, 306-317, 312, 320ff., 322, 324ff., 328f., 339f., 348, 371f., 390, 392, 394, 398 17, 335 88, 88, 92, 96, 124 7, 37, 37f., 69f., 245, 348ff., 355f., 394 4,52, 54, 54, 62, 73, 75, 78, 80, 80, 107, 132, 216, 249ff., 249, 258f., 263-273, 264f., 269, 275, 391, 395 42, 50, 257f., 263, 271 62, 263, 269 4, 42f., 279 122 105, 306, 327f. 70, 75f., 234f., 282, 283, 314ff., 341, 357ff., 375 62, 149, 170, 177, 337, 380 46, 94f., 88f., 92f., 92, 98, 124, 130, 139, 158, 158, 184, 200, 202, 202, 210, 215, 215, 220f., 237, 342, 391 32, 32, 41, 66, 77,111, 114, 230, 244, 252, 308, 347, 365f., 373 60 64, 64, 287 6, 39, 380 17, 154, 171f., 184, 203, 255, 286, 294, 322, 359, 380 63 127, 131f. 125, 153, 194, 279, 372 6ff., 14, 16-23, 19, 21, 24, 26-35, 29, 32ff., 37, 37f., 41, 43, 44f., 47, 49, 51-61, 51f., 54, 58, 63, 65, 66, 67-75, 69, 77-83, 78, 99, 107, 115, 131f., 135, 141, 141, 147-150, 148, 153-156, 154, 158ff., 158, 161f., 162f., 174, 176, 177f., 216, 219, 227, 231, 235, 243-261, 243f., 246, 262, 263-267, 265, 269-272, 271, 274-282, 281f., 284-292, 285f., 294-308, 296, 311-331, 312, 319, 327f., 335f., 335f., 338, 340, 343f., 347, 349ff., 353-360, 363ff., 368, 371-376, 380f., 388, 390f., 394 72 70 63
Sachregister
414 als Naturnotwendigkeit transzendentale und Prädetermination Sein von und Verantwortung Vorkämpfer d. d. Wahl / freie Wahl
als Wollen Freiheitsakt Freiheitslehre Gedächtnis Gefühl
System der Gefühle Geist (Geistigkeit)
Geistseele körperloser, reiner Geschichte
und Politik Gesellschaft
Gesetz
67 27, 67, 70, 81f., 252, 264, 306, 311, 328ff. 14, 19 51, 281, 284 156, 162 8, 335 18, 31f., 32f., 48, 52, 54ff., 60, 68, 70, 74, 7782, 139, 149, 156, 158, 163f., 218, 232, 244, 152, 255, 295, 311, 323, 337, 344, 348, 352, 354 51, 78, 148 31, 77, 344, 365 19, 132, 148, 158, 391 28, 62, 92, 94, 101, 105f., 109, 128, 200, 216, 263, 269 28, 31, 46f., 48f., 49, 56, 56, 60ff., 71ff., 72, 76, 81f., 95, 104f., 127, 128, 133, 191, 209, 247, 255, 257-260, 265f., 265, 269, 277, 290, 295, 303, 309f., 316, 321ff., 328 56 14, 16f., 25, 27, 27f., 30f., 34, 41, 41, 43, 46, 48, 62f., 65, 67, 74, 87, 91f., 94f., 100, 102105, 103, 112, 112, 118f., 122, 123, 125f., 127, 130-134, 140, 142, 145, 148, 150, 156, 168, 163, 169-171, 173, 173, 175, 175, 177-181, 177, 184, 187, 187, 191f., 195-204, 195, 206f., 209, 209, 211, 213-216, 219-230, 221, 232ff., 233, 236-239, 238, 245, 248f., 255, 257ff., 261, 263f., 267, 268, 270, 271, 272ff., 278f., 283, 293ff., 299ff., 305, 309, 313, 315, 317f., 329, 335-344, 345, 349, 358, 360, 362, 368, 371f., 372, 375f., 379f., 391 92, 126, 195 94, 192 6, 14, 23, 30f., 67, 70, 114, 120, 129, 141-145, 171, 175, 193, 202, 212, 218f., 279, 300f., 330, 336, 340, 342, 345, 367, 379, 387, 390, 394398 23 7f., 15, 35, 37, 37f., 45, 60, 65, 68, 79f., 117, 161, 202, 230, 244, 248, 248, 254ff., 261, 267, 271, 271, 287, 289ff., 335f., 338, 342, 345-348, 345, 350-356, 361, 373, 376, 381, 397f. 18f., 19, 23, 26, 27, 36, 37ff., 43, 46, 52, 64, 66, 68, 70f., 74, 81, 83, 110, 113f., 121, 123,
Sachregister
Gesetzmäßigkeit Gesichte Gewissen Glaube Globalisierung Glückseligkeit Gott (Gottheit)
Auge Gottes Bild Gottes Bewusstsein (Verstand) Gottes christlicher Entwurf Gottes Gottes Autokreation Gotteserkenntnis Handeln
ideales und reales Handlungen
415
138, 144, 147-151, 153, 156, 164, 170, 173, 175f., 179, 183, 185f., 199f., 203, 205, 208, 217, 217, 222, 227, 229, 235ff., 239, 244, 246, 252, 254, 264, 277, 281, 302f., 311, 324, 329, 330, 340f., 344, 345, 353f., 360, 365, 367, 371, 380 65, 239 30, 60, 75, 174, 248f., 261f., 271, 279, 305f., 316 29, 51, 57, 59f., 65, 70-74, 82f., 114, 247, 279, 393 99, 105, 164, 259, 301, 327, 338, 360, 366f., 370, 380 7, 245, 288f., 355, 397 65, 140, 192f., 235, 370 6, 8, 17f., 19, 20, 23, 29, 41, 43, 43, 46, 50, 51, 57, 59, 64f., 70, 73f., 76, 81, 84, 87, 88, 90, 9297, 93, 100, 102, 102, 105ff., 106f., 110-116, 110, 116, 119, 119, 122ff., 126, 129, 131, 136151, 141, 153f., 156-165, 161, 169-184, 172f., 175ff., 179f., 186ff., 187, 191-209, 193, 195, 211ff., 214, 215-218, 217f., 220-230, 221, 225, 228, 230, 232-239, 233, 235f., 238, 244, 258, 261, 267, 269f., 276f., 283, 285, 287, 291, 293f., 296, 300f., 304f., 308f., 312, 314f., 318f., 320, 327f., 330f., 330, 335-344, 336f., 345, 357-362, 360, 364-376, 369, 372, 379ff., 387, 391 51 131, 283, 309 81, 129, 136, 139, 184, 337, 338 18, 370, 379 20 115, 137, 169, 172, 177, 180, 184, 227, 270 64f., 94, 105, 203, 238, 269 8, 29, 45, 48, 52, 53-57, 57, 59f., 63, 66 ,68, 70ff., 74f., 77, 79, 81, 83f., 114f., 116, 128, 149, 151f., 154, 158, 160, 162f., 211f., 214, 216, 221, 232f., 239, 245, 248, 264, 265, 269, 274, 282, 298, 307, 310, 319, 321, 323, 327f., 338, 343f., 358, 368f., 371, 373 53, 75, 323, 328 16ff., 26, 29, 47, 53-56, 62, 67, 69, 80, 82f., 107, 116, 131, 133ff., 141, 148, 151-155, 154,
Sachregister
416
freie Harmonie, prästabilierte
von Leib und Seele d. Gesellschaft Ich, Ego
als Essenz als Existenz in die Existenz drängende Essenz Ideal Idealismus dogmatischer Idee Individualisierung Individualität
körperliche Individuation Individuum /solo numero (Indiszernibilitätsprinzip) Identität des Intellekt (intellectus) Intelligenz (Intelligieren)
157-161, 208f., 216, 218, 224, 225, 245f., 250, 253, 263, 269f., 305, 307, 309, 317, 321, 328ff., 350, 354, 369f., 374 17, 54, 253 13f., 20, 45f., 76, 80, 102, 121, 123, 153, 173, 191, 197, 199, 202, 208, 210, 212, 217, 217, 235f., 236, 238, 248, 273, 293, 328, 330, 335f., 345, 353, 390 45, 121, 191, 200 80, 335, 376, 381 16, 18, 30, 41-47, 42, 47, 49-56, 49f., 54, 56f., 58-64, 60, 67f., 69, 71-78, 72, 77f., 82, 92,99, 102-107, 103, 112, 131, 134f., 141f., 153f., 156, 158, 163, 183, 195, 197, 207, 208, 213, 220, 223f., 229f., 232, 237, 239, 243, 244, 246f., 248, 249f., 253, 257f., 260, 262, 263265, 264f., 269f., 273, 275, 276, 280f., 284, 286f., 294ff., 298f., 302-313, 312, 316-326, 328, 331, 341, 344, 354, 354, 357, 362ff., 372, 374ff., 392, 395f. 64, 213 64, 213 129, 136, 159, 177, 218, 337 15, 59, 78, 83, 255, 257, 355, 366 46, 243, 249, 258, 315, 394f. 107 7, 18, 53, 57, 66, 101, 106, 111-115, 118, 124, 134, 137, 156, 163, 170, 175, 179, 183, 233, 238, 257ff., 262, 268, 304, 308, 323, 330, 392 65, 78, 260 16, 32, 43, 53, 64f., 69, 70, 76, 78f., 83, 95, 103, 109, 128, 154, 172, 201, 213, 233, 247, 252, 276, 282, 294, 303f., 307-310, 310, 314, 329, 331, 348, 373, 375 95 109, 293f., 302f., 304, 306 23 f., 57, 59, 63, 84, 115 f., 133 f., 221, 234, 257 60, 295, 345 ff. 38, 45, 114f., 132, 203, 214, 264, 282, 289 18, 21ff., 25, 29, 42, 43, 45f., 51, 54ff., 56, 62, 72, 78, 80, 112, 119, 148, 150, 164, 177f., 177,
Sachregister
417
Islam
245, 253, 258, 267, 274-280, 274, 291, 298, 301, 324f., 327f., 330, 343, 380 19, 26, 30, 56, 111, 116, 203, 218, 307f., 343, 357, 362, 366, 368, 371 119
Job-Holder
55
Kausalität Kind
3, 14, 38, 47, 72, 259, 279, 279, 327, 392 7f., 15, 25, 26f., 32, 44f., 51, 53, 61, 73, 104, 110, 114, 116, 134, 144, 228, 236, 253, 296, 302f., 319, 391 35, 58, 165, 221, 301, 336, 338, 353, 366 177, 183, 186, 204, 217, 342, 373 116 21, 27, 32, 45f., 62, 90, 92, 94-98, 111, 121f., 123, 124ff., 130-134, 132, 140, 147f., 153, 191, 197, 199f., 199, 204f., 207-211, 208f., 214ff., 219, 220, 233f., 236, 239, 316, 326, 340, 372 6, 28, 89, 100, 170, 177, 192, 299, 302-307, 313, 318, 320, 323, 325, 328, 372, 388 3, 6ff., 18, 23, 39, 45-49, 54, 59-62, 74ff., 80, 81, 83, 88, 92f., 96, 99, 104, 120, 124, 136, 139, 148, 158, 170f., 172f., 173, 177, 177, 181, 184, 195, 206, 211, 216, 222, 229, 233f., 245f., 255, 261, 264, 264, 269, 274, 276, 276f., 278, 282, 283, 287, 293f., 299, 301, 305, 313f., 316323, 326, 327f., 331, 337f., 347, 355, 368, 370, 373, 379, 391 27, 34f., 35, 37f., 38, 40, 40, 58, 65, 69, 119, 127, 149, 174f., 197, 212, 216, 253, 260ff., 268f., 271, 271, 276, 287, 289f., 322, 325, 340, 350f., 357, 370, 398 7, 65, 119, 291, 303, 344 21, 53, 68f., 69, 249, 253, 306, 326, 350, 374 38, 75, 260f.
Instinkt
Kirche Kompossibilität Koran Körper
Kosmos Kraft
Künstler
Kreativität Kunstprodukt Kunstwerk Laster Leben
95, 114, 287, 365 7f., 14f., 24f., 26, 28, 30f., 32, 37ff., 47, 52, 55, 58, 61f., 64, 64, 71, 73, 75ff., 75, 81, 83f., 92f., 100, 104, 109-112, 114, 119, 125, 128ff., 137f., 142, 147, 149f., 154, 157, 159, 165, 170f., 173ff., 177, 178, 180ff., 195f., 203, 205, 219, 227, 230, 233f., 235, 235, 244f., 246, 248f., 254, 261, 263f., 264, 266, 270f., 276f., 282, 283, 289, 292, 296, 298, 300f., 303f., 306, 312,
418
Sachregister
313, 317, 320, 320, 322, 324, 331, 337f., 348ff., 352, 355-358, 363, 365, 369, 376, 381, 386, 395f. das Eine 6, 41, 46, 65, 70, 73, 75f., 83, 83, 314f., 357, 375 Leib 21, 21, 23, 26, 26, 28, 32, 32, 44-48, 57, 62f., 68, 80, 80, 87, 91, 95-98, 100, 121-126, 121, 131ff., 147, 153, 176, 191f., 195f., 198ff., 199, 200, 202f., 207-210, 215f., 219ff., 224, 233, 233, 236-239, 245, 258, 261, 265, 270, 278, 281, 308, 310, 313, 316f., 320, 326, 355, 372f., 376 der Gottheit 95 Leib-Seele-Parallelismus/-Interaktion 125, 200 Leiblichkeit 28, 46, 62, 313 Leidenschaft 29, 29, 41, 41, 52, 54, 73, 103-106, 114,f., 126, 133ff., 149ff., 153, 156, 192, 207, 220, 308, 340, 342f., 368, 370f., 374, 387 Licht 6, 34, 37, 62, 74, 83, 93, 111, 172, 174, 180f., 185, 271, 282, 282, 291, 337, 380, 394 Materie
materiell Mensch
als Freiheitswesen Menschenrechte Metaphysik Mikrokosmos
25, 30, 30, 39, 44, 48, 55, 62f., 70, 81, 89f., 93, 96, 98, 100, 103f., 125, 140, 161, 164, 169ff., 178, 181, 205, 208f., 224, 228, 245, 261, 276, 277f., 282, 291, 296, 298, 303, 306, 308, 310, 314, 316, 337, 341f., 344, 360, 367, 379 63, 70 4-9, 14f., 18-32, 22, 25-28, 34, 36f., 36ff., 39ff., 40f., 43ff., 44, 48f., 52, 65, 66, 67-70, 71, 7276, 78, 79, 80, 82, 91, 93f., 100, 101ff., 105f., 106f., 107, 111f., 112f., 114f., 117f., 120, 128f., 139, 141, 143ff., 144, 147, 148, 149ff., 150, 154, 160-165, 172, 175, 176, 177-181, 180, 192-195, 204f., 208, 216, 220f., 224-230, 228, 232, 235, 236, 239, 244ff., 244f., 248f., 248, 252-256, 258-262, 267, 269ff., 279, 281, 281, 283, 285, 287, 290ff., 292, 300ff., 307, 312, 314-317, 315, 322, 326f., 330, 330, 335, 336, 337f., 340f., 344-357, 347, 359-366, 364, 368376, 380f., 388, 394f., 397f. 47 282, 291, 337, 380, 394 4f., 39, 49, 81, 92, 111f., 114, 137, 154, 185, 226, 228, 236, 246, 249, 262, 265, 267, 335, 353, 363, 369, 387, 390ff., 395 107, 194, 211
Sachregister Minimax Möglichkeiten Monade (monas)
Monadenaggregat herrschende / dienende Panmonadismus/ Ubiquomonadismus Geistmonade
Seelenmonade Moral, Moralität Moy (Ich, Selbst) Mythos Natur
Naturwissenschaft Nicht-Ich Nichts
Nihilismus
419
183f., 338, 361, 372f., 372 5, 16, 18, 40, 51, 54, 60, 74, 77, 112, 149, 158, 165, 171, 188, 199, 253, 267, 282, 286, 291, 330, 343, 346, 364f., 373 6, 8, 13, 25, 42, 42, 87, 89, 91, 91, 93f., 93, 9699, 96, 101f., 100ff., 111f., 124, 130, 142, 156, 158, 177, 183, 192ff., 196, 198, 200ff., 204ff., 209, 212, 212, 214, 214f., 217, 217, 220ff., 227, 233f., 233, 236f., 279, 282, 293f., 298f., 305, 310, 313, 317ff., 322, 327f., 327, 331, 337-343, 361, 373, 391f., 396 97, 124, 153, 200, 207, 209, 340, 376 98 97ff., 279 91, 95, 100, 102, 112, 142, 156, 191, 195-198, 195, 200-204, 206f., 214f., 219, 222, 225, 229f., 232f., 236f., 278f., 301, 313, 317, 337342, 344, 372, 376, 379 42, 87, 90, 91, 93, 98, 98, 100, 153, 192, 194, 196, 198f., 209, 212, 214ff., 218f., 229 22, 35, 35, 39, 65, 78, 106, 114, 157, 225f., 228, 228f., 243, 246, 246, 260, 339, 344, 361, 366f., 392 8, 27, 49, 51, 106, 230, 287f., 287, 294, 338, 371 3, 6, 105, 169f., 269, 387 4ff., 16, 21-28, 21f., 24, 26f., 29, 30f., 34ff., 38, 39ff., 40, 43, 44, 45ff., 61, 68ff., 69, 73f., 76, 82, 91, 104, 108, 108, 112, 113, 114ff., 131, 138, 140f., 143, 154, 161, 163, 177f., 181, 184, 192-195, 199, 203f., 208, 210, 214, 217, 223, 226f., 229f., 233-237, 245, 254, 258, 260f., 266, 269, 280, 283, 285, 291, 307, 314f., 315, 323f., 324, 326ff., 340ff., 345-348, 353-356, 358, 360f., 366, 371, 374, 380f., 389f., 392, 394, 397 4, 6, 23, 254, 327, 353 42, 42, 49, 54, 56f., 61, 64, 67f., 99, 104f., 134, 246f., 250, 257f., 264f., 265, 284, 376 30, 74, 99, 118, 136, 137, 138, 140, 161, 164f., 169f., 172f., 177, 179ff., 179f., 194, 205, 221, 227, 235, 262, 270, 280f., 281, 286, 293, 297, 299, 301, 306, 330, 363, 367f., 374f., 380f. 5, 150, 165, 177, 301, 366f., 369
420
Sachregister
Notion
81f., 106, 141, 143-147, 154, 156f., 160, 164, 186, 188, 202, 212, 214, 218, 336f., 341-344, 364ff., 368, 371, 373, 376
Occasionalismus Organismus
87, 121, 122, 392 24, 28, 90, 98, 100, 130, 171, 221, 323, 379
Person
22, 25, 37f., 40, 42, 45, 55, 57, 66f., 69, 74, 99, 116, 129, 144, 161, 163, 176f., 224f., 236, 244, 245f., 248, 260, 269, 319f., 337, 373, 398 4, 50f., 59, 84, 151, 173, 196, 200, 203, 209, 238, 298, 308, 370, 372, 391, 395 90, 93f., 93, 101, 103, 105, 114f., 125-130, 133ff., 139, 149, 153, 178, 196, 199f., 204, 206f., 212f., 215, 217, 219ff., 224, 233, 236, 339f., 343, 368, 371, 392 127f., 128, 129f., 133, 154, 219ff. 97, 124, 237 107, 256 3, 3, 5, 14, 21, 24, 24, 27, 34, 34-37, 39, 39, 41, 41, 52f., 88f., 94f., 97, 102, 106, 106, 111, 118f., 122, 127, 132, 136, 138, 161, 169, 171, 173, 176, 183, 197, 205, 212, 223, 243, 249, 257, 262, 264, 268f., 287, 290, 296, 302, 328, 330, 336, 345, 347, 359, 360, 362, 366f., 373, 379, 387-398 25, 28ff., 39, 90f., 93, 98, 177f., 280, 302, 340, 341, 379, 381 8, 14-17, 19f., 81, 148, 150, 154, 159f., 256, 322, 336 57, 76, 224, 314, 357
Perspektive Perzeption
petites perceptions phaenomenon bene fundatum/reale philosophia perennis Philosophie/Philosoph
Pflanze Prädetermination principium individuationis Rationalismus Raum Raumzeit Realität
Prisma d. Rechtsstaat Reflexion (Reflexibilität)
5, 56 4, 6, 38, 44, 44, 62f., 84, 99, 118, 154, 169f., 172, 176, 179f., 183, 185f., 206, 220, 237, 256, 298f., 307, 310, 317, 321, 323, 367, 373, 380f. 51, 62f., 195, 198, 296, 337, 373 7, 38, 45, 52, 60, 75, 75, 80, 97, 99, 104f., 141, 150, 171, 183f., 199, 218f., 246, 248f., 249, 264, 285, 295, 303-306, 312, 313, 317, 325, 339, 363, 373, 396 7 7, 36, 38f., 38, 65f., 66, 202, 230, 238, 244, 246ff.,260, 330, 381 6, 8, 16, 27, 32, 32f., 41, 42, 43ff., 46, 49, 49, 52f., 56, 56, 69, 70, 72ff., 76, 78, 101ff., 105ff.,
Sachregister
Freiheit der des Gefühls Religion christliche Religiosität Schema Schöpfung
Seele
Sehnen Selbstachtung Selbstbestimmung Selbstbewusstsein
Selbstgefühl Selbstgestaltung Selbstkonstitution Set in die Existenz drängender Sinnesempfindung, -eindrücke, sinnliche Wahrnehmung Sittengesetz
421
105, 115, 150, 151, 163, 222, 224, 233, 246f., 247, 250, 257ff., 264, 264f., 275-278, 276, 281f., 281f., 285, 287f., 295, 298, 306, 308ff., 314, 316f., 326, 330f., 335, 335, 338, 354, 371, 395 32, 41, 49, 73, 257, 275, 281, 281, 335, 335 46 6f., 25, 36f., 65, 94, 116, 118f., 133, 148, 161, 169, 183, 147, 205, 228f., 246, 291, 302, 336, 360, 363, 366, 387 7, 116, 225, 229 31, 65, 107, 150, 269, 291, 368, 371 22, 23, 75f., 78, 99, 270, 278, 283, 307, 310, 312, 321, 330, 357 6, 30f., 39, 41, 74, 90f., 94, 100, 125, 131, 143, 148, 165, 172, 175, 177, 177, 179ff., 180, 194, 204ff., 211, 227, 232, 236, 258, 261, 276, 291, 337f., 340f., 344, 373, 380f. 28, 28, 34, 41, 45, 52, 63, 83, 88, 90, 90, 92f., 92, 96, 96, 98f., 103, 110-114, 110, 113, 118, 121-126, 121f., 125, 128, 130-133, 145, 147f., 153, 159, 181, 191, 193, 195f., 198-203, 199, 205-210, 208, 212f., 218f., 223, 225f., 230, 233, 233, 237, 239, 259, 339, 345, 348, 364, 372, 379, 387, 391 44, 46f., 47, 72ff. 73, 365 29, 32f., 42f., 47, 50, 55, 69, 71, 75, 79, 79, 244, 300, 327, 327, 331, 343, 358, 396 17, 28, 32, 49f., 56, 59, 61, 83, 101, 104, 122, 158, 163, 177, 200, 209, 223, 227, 229, 243, 244, 252, 265, 265, 275f., 282, 284f., 287, 292, 294, 308, 310, 320, 337, 337, 394 24, 28, 46, 72, 101, 397 129, 373 83, 320 17, 139f., 150, 172, 182f., 214, 214, 218, 221, 233, 337, 361, 373 17, 50, 129, 141, 150, 158f., 180, 184, 186, 221, 318, 337, 342, 361, 373 93, 103f., 125, 130, 134f., 178, 216, 219 29, 35, 35, 54, 57f., 65, 72f., 78, 81ff., 82f., 225, 244, 246, 246, 264, 296, 303, 305, 307, 315f., 321f., 329ff., 360, 363, 368
Sachregister
422 Sittlichkeit
Soll Spiegel Stoa Streben (conatus) Subjektivismus Substantialität Substanz
einfache Substanzbegriff tabula rasa Tao Tè King Tätigkeit
und Leiden ideale und reale Tat Tatsachenwahrheiten Tier Transzendentalphilosophie Trieb
reiner nach Selbsttätigkeit
8, 18, 19, 29, 36, 45f., 51, 54, 65, 66, 70, 74, 80, 116ff., 157, 178, 180, 222, 226, 228ff., 238, 243f., 245f., 246, 248f., 253, 259f., 260, 262, 267, 271, 282, 287, 324, 328, 335ff., 339, 354, 357ff., 362, 365f., 368, 370, 375, 396 31, 43, 73, 75f., 79, 214, 247, 263, 264, 276, 279, 281, 281, 287, 295, 303, 314f., 322, 362f., 370, 380 21, 50f., 177, 179, 195, 195, 202f., 210, 223, 238, 340 29, 114, 150, 150, 335, 368, 370 92, 92, 238, 250 55 97, 125, 286 42, 61f., 87ff., 90f., 96f., 100, 106f., 107, 109f., 110, 114, 128f., 147, 173, 173, 179, 191, 196, 199f., 204, 211, 214-217, 226, 233, 236ff., 275, 286, 290, 299, 326, 336, 338, 340, 342f., 354, 368, 391 93 88, 92, 238, 392, 113, 125 117f., 117, 180, 388 8, 15, 31f., 42f., 42f., 51, 53, 57, 60, 63, 67f., 72, 83, 92, 103f., 112, 115, 124, 163, 215f., 220, 221, 232ff., 236, 244, 250, 254, 256, 258, 264, 266, 273, 275, 276, 280, 282, 290, 319, 345f. 41, 43, 212, 314, 233, 238 53, 59, 79 74, 118, 131, 144f., 157, 161f., 230, 232, 235, 262, 268, 292, 298, 307, 315, 329, 337, 339, 371 102, 107, 115, 143, 145f., 148, 157, 171f., 218, 233, 238 23, 23, 26f., 28ff., 40, 44f., 93, 103, 227, 261, 315, 341, 381 13, 22, 43, 107, 122, 273, 293f., 327, 371, 375, 389, 393f., 396 23, 25, 25, 27f., 29, 34, 43-46, 48, 48, 52, 56, 56, 61, 71f., 72, 73ff., 76, 81ff., 134, 148, 150, 170, 180f., 247, 250, 254, 257f., 271, 328, 330, 345, 347, 352, 254, 371 47, 48, 61, 72, 72, 73 26, 47f., 73, 233, 354
Sachregister
423
Streben d. Urlebendigkeit als Triebstruktur (-system) Tugend
61, 72 63 48, 56, 61, 72, 75f., 257f. 34f., 111, 114, 116, 118f., 156f., 161, 174, 226, 230, 234, 239, 361f., 365
Urteilskraft
27, 54, 54, 56, 72f., 81, 104, 153, 216, 251, 259, 259, 267 74 6, 169, 214 170
Utilitarismus Urexplosion Urmaterie Verantwortung Vermögen Vernunft
empirische Vernunftwesen
als praktisches strebendes Wesen Verstand Vorstellung von Gesetzen Wahrheiten, ewige (Vernunft-)
19, 35, 43, 57, 60, 81, 83, 111, 141, 150, 156, 159, 162, 165, 252, 255, 261, 271, 275, 292, 300f., 321, 351, 365 29, 32f., 55f., 60f., 75, 75, 79f., 111, 115, 165, 171, 211, 239, 249, 257, 263, 264f., 265, 267, 269, 294, 391, 395 3f., 9, 15-19, 23f., 26-31, 26, 28, 32, 34, 36, 37, 39ff., 42, 43, 45, 47f., 52, 54, 57, 64f., 68f., 69f., 76, 78, 80, 83f., 94f., 101f., 101, 104f., 109, 114ff., 126, 134, 141, 144, 144, 149ff., 150, 154, 154, 156f., 160-165, 171, 174, 177f., 180f., 191f., 194, 210, 212, 216, 219f., 224, 229, 232, 235, 237, 243, 244, 248f., 248, 253f., 257ff., 260, 263f., 264f., 266ff., 270, 274, 282, 284, 288f., 299, 301, 305, 308, 310, 315, 324, 327, 329, 335, 338, 340, 343f., 246ff., 352, 356, 360, 364f., 368-374, 395 28 29f., 32, 37, 45, 51ff., 56, 57, 62, 64f., 67ff., 75, 77f., 81, 83, 105, 114, 116, 164, 177f., 192ff., 205, 208, 212, 214, 216, 224, 227f., 230, 234, 244-247, 249, 251, 253, 259, 280, 282, 289, 304, 308, 316, 320, 327, 328, 345, 347, 354, 364 62 4, 54, 79, 101, 104, 107, 115, 136f., 143, 150, 186, 249ff., 259f., 263, 264f., 266, 268, 343f. 29, 45, 49, 59, 64, 153, 230, 247, 257, 265, 266f., 304, 330, 362, 369 64 64f., 94, 102, 107, 115, 136, 145, 156, 170f., 183f., 194, 203, 222, 338-341
424 angeborene Wechselwirkung Welt
Weltbild, mechanistisches Weltenende Weltgesellschaft Weltkenntnis Willkürfreiheit Wissen
Wissenschaft Wollen
Würde Zeit
Sachregister 111, 113 14f., 17ff., 25, 58, 78, 99, 121, 131, 191, 245, 258f., 264, 279, 279, 294, 296, 298, 303f., 312ff., 318, 324f., 327f., 4f., 7f., 18f., 20, 22-25, 22, 26, 30, 30, 35, 38, 39, 41ff., 42, 44, 45, 47, 50, 52f., 52, 54ff., 58, 59ff., 61, 63ff., 67, 70, 73, 75, 78, 79f., 82ff., 95, 99, 102, 103, 104f., 107, 108, 109-112, 110, 115, 118, 125, 134, 137-140, 138, 142-145, 144, 148-151, 153f., 157, 159ff., 163ff., 169f., 171-175, 172, 176f., 177ff., 180, 182-185, 187, 188, 191-199, 202, 206, 210f., 213f., 218, 222f., 225, 228ff., 232, 234ff., 238f., 243f., 245, 247, 249ff., 254, 257ff., 261, 264ff., 264f., 269f., 274, 278f., 282f., 282, 288, 290f., 293f., 294, 295, 298-301, 306, 308-317, 311, 319ff., 323ff., 327-330, 327, 336f., 337, 339ff., 344, 354, 358ff., 363, 367, 369f., 372, 372, 374f., 379, 387, 397 4f. 193f. 5, 7f., 255, 289, 348 79, 270 27, 81f., 365 7f., 13, 36, 52, 53ff., 59, 67, 73, 79, 83, 111f., 114f., 118, 125, 137ff., 150, 161f., 161, 165, 169, 171, 174, 180, 187, 194, 199, 205, 209f., 213, 215f., 219, 225f., 230, 232, 234, 247, 250, 254f., 267, 269, 273-287, 276, 281ff., 285f., 289, 291, 293-296, 296, 298-302, 304-309, 311f., 316-319, 321, 323-327, 329ff., 246ff., 254f., 360, 393 1, 3, 3, 39, 65, 105, 169, 183, 226, 249, 266ff., 311, 341, 349, 361, 387 29, 50f., 50, 52, 54, 56, 57, 59-64, 72, 75-78, 77, 80-83, 81, 114, 138, 151, 169f., 177, 187, 195, 239, 243, 245f., 253, 259, 263-266, 283, 295, 309f., 321f., 324f. 7f., 25, 36f., 36, 40, 48, 52, 77, 138, 235, 291, 350, 355f., 369, 398 3-8, 17ff., 23, 24ff., 29, 31, 37f., 41, 45, 55, 61, 62f., 65, 66, 68, 69, 74, 77, 84, 99, 100, 102f., 104, 107, 109, 112, 115, 117, 125, 130, 140f., 145f., 148, 164f., 169f., 172, 172, 174, 176, 177, 179f., 183, 185f., 192, 195-201, 103-206,
Sachregister
Zeitfolge Zeit-Ortpunkt Zelle/Zellkern Zweckbegriff Zweckmäßigkeit Zweck-/Wirkursachen Zucht
425
218, 220, 224, 231f., 234, 237, 245, 250, 255f., 260, 263, 271, 274, 283, 288f., 298f., 303f., 310f., 314f., 320, 322-325, 322, 331, 337f., 341, 353f., 358, 366f., 369ff., 373, 379f., 387, 390 17, 322 112 7, 16, 25, 99, 122, 153 50, 54f., 60, 73, 75, 78, 263, 321, 324f. 75, 252 121, 124, 208 76, 80, 144, 254, 340