Frau auf Abruf
Kay Thorpe
Regans Wiedersehen mit Liam öffnet ihr die Augen: Wie vor sieben Jahren begehrt sie ihn wie...
11 downloads
822 Views
845KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Frau auf Abruf
Kay Thorpe
Regans Wiedersehen mit Liam öffnet ihr die Augen: Wie vor sieben Jahren begehrt sie ihn wie keinen anderen. Trotzdem versucht sie, allen Begegnungen aus dem Wege zu gehen, denn Liam ahnt nicht, dass sie den gemeinsamen Sohn Jamie haben. Und eine Neuauflage ihrer Affäre kommt für Regan einfach nicht in Frage – genau wie damals scheint Liam seine Freundinnen ständig zu wechseln. Als er Regan eines Abends überraschend aufsucht, wird sie schwach und erwidert seine Küsse, bis Jamie plötzlich in der Tür steht…
1. KAPITEL Regan war sich nicht hundertprozentig sicher, ob der Mann am anderen Ende des überfüllten Raums Liam Bentley war, meinte aber, sich nicht zu täuschen. Ihn hatte sie auf keinen Fall erwartet und wollte ihn auch nicht sehen – weder hier noch anderswo. »Ihr Glas ist leer«, stellte einer der Männer neben ihr fest. »Geben Sie’s mir, ich besorge Ihnen noch einen Drink.« Geistesabwesend reichte sie es ihm, anstatt sein Angebot mit der Begründung abzulehnen, sie hätte schon genug getrunken. Alkohol brachte derartige Veranstaltungen erst richtig in Schwung, und sogar die blasiertesten Gäste schienen sich zu amüsieren. Solche Partys sind nichts für mich, dachte Regan und bedauerte, dass sie sich von Hugh hatte überreden lassen, ihn zu begleiten, weil seine Frau verreist war. Wo steckte er eigentlich? Seit ihrem gemeinsamen Eintreffen hatte sie ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen, und Regan fragte sich allmählich, wozu er überhaupt eine Begleiterin brauchte. Wieder blickte sie zu dem großen, dunkelhaarigen Mann am anderen Ende des Zimmers, den sie jetzt besser erkennen konnte, und stellte fest, dass sie sich tatsächlich nicht geirrt hatte: das markante, attraktive Gesicht war unverwechselbar. Seit sieben Jahren hatte sie Liam Bentley nicht mehr gesehen, aber die Erinnerungen waren nicht verblasst, obwohl sie alles versucht hatte, um ihn zu vergessen. Mehr denn je wünschte sie, sie wäre nicht zu der Party gekommen. »Gin mit Limone, das war doch richtig, oder?« erkundigte sich der Mann, der ihr das Glas abgenommen hatte, und
reichte es ihr randvoll gefüllt zurück. »Prost!« »Prost«, wiederholte Regan, trank allerdings nur einen kleinen Schluck. Deutlich war ihr bewusst, wie unverfroren der Mann sie musterte. Wie hieß er noch gleich? Ach ja, Dennis. Den Nachnamen hatte sie schon vergessen. »Langes Haar liegt dieses Jahr angeblich nicht im Trend«, bemerkte Dennis beiläufig, »aber den meisten Männern gefällt es nach wie vor.« Er lächelte breit. »Ebenso wie rotes Haar und grüne Augen.« »Ich möchte doch sehr bitten – mein Haar ist rotbraun«, verbesserte Regan ihn gespielt streng und versuchte, eine höfliche Miene zu wahren. »Und Trends folge ich prinzipiell nicht.« »Sie sind eine Individualistin, stimmt’s? Wie unsere Gastgeberin.« »Ich habe sie noch nicht kennen gelernt«, gestand Regan. »Wo ist sie?« Dennis wandte sich um und betrachtete die Anwesen den. »Dort drüben steht sie, neben dem großen dunkelhaa rigen Mann. Ihr Neuester. Ein Banker, glaube ich. Er hat natürlich massenhaft Geld. Die liebe Paula würde sich niemals mit weniger zufrieden geben.« Paula war blond und sah blendend aus, und der Mann neben ihr war Liam Bentley. Sie führte, wie Regan gehört hatte, eine erfolgreiche PR-Agentur und besaß demnach einen guten Geschäftssinn. Ja, die beiden gaben ein perfektes Paar ab. »Was halten Sie davon, mit mir in ein ruhiges Lokal zu gehen, um etwas zu essen und uns besser kennen zu lernen?« schlug Dennis vor. »Ich bin nicht hungrig«, antwortete Regan ausweichend. »Die Häppchen sind einfach zu verführerisch.« »Dann genehmigen wir uns anderswo einen Drink, okay?« Einen Wink versteht er offensichtlich nicht, dachte sie
und schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich fühle mich hier sehr wohl.« »Das sieht man Ihnen aber nicht an«, beharrte er. »Tat sächlich wirken Sie…« »Ich bin mit jemandem hier«, unterbrach sie ihn. »Er wäre sicher nicht begeistert, wenn ich die Party mit einem anderen verlassen würde. Außerdem sollte ich mich jetzt lieber unter die Gäste mischen.« »Ihr Begleiter kümmert sich aber nicht sonderlich um Sie«, meinte Dennis noch, während sie wegging. Wie aufs Stichwort erschien Hugh plötzlich neben ihr. »Tut mir Leid, dass ich dich vernachlässigt habe«, entschuldigte er sich. »Ich bin in ein Gespräch verwickelt worden. Hast du inzwischen unsere Gastgeberin kennen gelernt?« »Nein«, gab Regan zu. »Das ist allerdings auch nicht unbedingt nötig.« Er achtete nicht auf ihren Protest, sondern legte den Arm um sie und führte sie zu Paula, um die sich einige Gäste wie Höflinge um eine Königin scharten. »Auch wir möchten dir unsere Reverenz erweisen, Pau la«, begann Hugh scherzhaft. »Darf ich dich mit Regan Holmes bekannt machen?« Paulas Blick war abwägend und wenig freundlich. »Hallo.« Regan erwiderte den Gruß und blickte Liam Bentley direkt in die grauen Augen, während sie ihm vorgestellt wurde. Bin ich jetzt eigentlich erleichtert oder eher enttäuscht, weil er mich nicht erkennt? überlegte sie, als er nicht auf ihren Namen reagierte. Liam sah beinah noch genauso aus wie damals, was man von ihr offensichtlich nicht behaupten konnte. Allerdings hatte ihre Beziehung mit ihm nur wenige Wochen gedauert. Wen wunderte es, dass er sich nicht an eine seiner zahlrei chen Verflossenen erinnerte? Wahrscheinlich war es unter
den gegebenen Umständen ohnehin das Beste. Nun wandte Paula sich vertraulich lächelnd Liam zu. »Darling, würdest du so lieb sein, mir einen Drink zu besorgen?« »Sicher«, erwiderte er. Seine tiefe Stimme klang noch genauso wie früher. »Sie brauchen momentan keinen Nachschub?« fragte er Regan und wies auf ihr Glas. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke, ich bin bestens versorgt.« Paula nahm das Gespräch mit ihren Gästen wieder auf, während Liam zur Hausbar ging. Da sich nun eine lebhafte Diskussion anbahnte, merkte niemand, dass Regan sich unauffällig zurückzog. Sie wollte jetzt eine Weile allein sein. Am liebsten wäre sie sofort nach Hause gefahren, aber Hugh hatte darauf bestanden, sie nach der Party zurückzubringen, und sie mochte ihn nicht vorzeitig zum Aufbruch veranlassen. In einem der elegant eingerichteten Zimmer im oberen Stockwerk, das den Gästen als Garderobe diente, war niemand. Hier würde sie hoffentlich ungestört bleiben. Regan setzte sich an den zierlichen Frisiertisch, eine kostbare Antiquität aus dem frühen achtzehnten Jahrhun dert. Geld schien für Paula Lambert kein Thema zu sein, wie man aus der teuren Einrichtung des Hauses schließen konnte. Nachdem Regan ihr Make-up aufgefrischt hatte, be trachtete sie sich nachdenklich im Spiegel. Dicht und glänzend, umrahmte das schulterlange Haar ihr Gesicht, das zu eigenwillig wirkte, um klassisch schön zu sein: grüne, etwas auseinander stehende Augen, ausgeprägte Wangen knochen, eine kurze, gerade Nase und volle, geschwungene Lippen. Eigentlich habe ich mich kaum verändert, abgese hen von der Frisur, überlegte sie. Liam war jetzt siebenunddreißig. In dem Alter bekamen manche Männer die ersten grauen Haare und setzten Fett
an, doch bei ihm hatte sie davon nichts bemerkt. Viel leicht hatten sich die Fältchen um seine Augen vertieft, sein Kinn war allerdings genauso energisch, sein Körper immer noch so schlank und muskulös wie früher. Unwill kürlich erinnerte sie sich an Liams breite, sonnengebräunte Schultern, sein dunkles Brusthaar und den straffen Bauch – und ein erregendes Prickeln überlief sie. Denk nicht mehr daran! ermahnte Regan sich. Als sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, kehrte sie unvermittelt in die Gegenwart zurück. Im Spiegel sah sie Liam, und es war ein überwältigend vertrauter Anblick. »Hierhin hast du dich also zurückgezogen«, bemerkte er. »Ich dachte schon, du hättest die Party verlassen.« Er schwieg kurz, dann fügte er hinzu: »Wir haben uns lange nicht gesehen.« Regan riss sich zusammen und stand auf. Ihre Gefühle ließ sie sich nicht anmerken. »Ja, ziemlich lange.« »Nein, unziemlich«, erwiderte er ironisch und betrachtete ihre festen, runden Brüste, die sich unter dem eng anlie genden Oberteil des dunkelgrünen Kleids abzeichneten. »Warum hast du vorhin so getan, als würdest du mich nicht mehr kennen?« »Ich habe mir nur ein Beispiel an dir genommen«, behauptete sie und zuckte die Schultern. »Und ich dachte, ich würde mich nach dir richten.« »Dann haben wir beide die Signale falsch interpretiert.« »Ja, es sieht ganz so aus.« Sein Ausdruck wurde noch spöttischer, während Liam sie weiterhin musterte. »Dein Begleiter ist, glaube ich, verheiratet.« Offensichtlich unterstellte er ihr ein Verhältnis mit Hugh! »Na und?« fragte Regan, ohne zu überlegen. »Gibt es nicht genug allein stehende Männer, unter denen du dir einen hättest aussuchen können? Einen, der dir allein gehört?« Sie hätte ihm jetzt die Wahrheit über ihre Beziehung zu
Hugh sagen können, sah aber nicht ein, warum sie es tun sollte. »Dieselbe Frage könnte man unserer Gastgeberin stellen«, konterte sie kühl. »Vorausgesetzt natürlich, dass Paula über deinen Familienstand informiert ist. Wie geht es deiner Frau denn so?« »Wir sind seit Jahren geschieden.« Die Antwort brachte Regan aus dem Konzept. »Oh! Das tut mir Leid, Liam.« »Beileidsbezeugungen sind unnötig. Wir waren uns längst gleichgültig geworden.« »Das macht natürlich einen Unterschied. Aber deine Gefühle gingen ja nie sehr tief!« Sie versuchte, ganz ruhig zu bleiben. »So, es wird Zeit, zu den anderen zurückzuge hen. Paula macht nicht den Eindruck, als würde sie es gnädig hinnehmen, wenn man sie länger unbeachtet lässt.« Liam rührte sich nicht, seine Miene wirkte schroff. »Als ich dich vorhin sah, dachte ich, dass du dich nicht verändert hast. Ein Irrtum, wie ich jetzt merke.« Seine Worte trafen sie zutiefst, und unüberlegt erwiderte Regan: »Ja, mit zweiundzwanzig war ich noch sehr naiv und habe mich ausnutzen lassen. Inzwischen habe ich gelernt, meinen Vorteil herauszuschlagen. Das ist der Unterschied.« Er verzog spöttisch die Lippen, und Regan verachtete sich plötzlich selbst. Warum nur hatte sie das gesagt? Nun war es jedoch zu spät, die Worte zurückzunehmen. Was ging es ihn überhaupt an, wie sie jetzt war? »Lässt du mich jetzt bitte vorbei, Liam? Es gibt nichts mehr zu sagen.« In seinen grauen Augen blitzte ein seltsamer Ausdruck auf, dann zuckte Liam die Schultern und trat beiseite. »Bitte, nach dir.« Sie zögerte, weil sie sich scheute, an ihm vorbei zur Tür zu gehen. Nicht, dass er mich anfassen würde, beruhigte Regan sich. Er hatte ja deutlich gezeigt, wie sehr er sie
verachtete, weil er annahm, sie wäre die Geliebte eines verheirateten Mannes. Sollte er es ruhig weiterhin glauben! Seine Meinung war ihr überhaupt nicht wichtig. Er rührte sich noch immer nicht, während Regan an ihm vorbeiging, aber als sie nach der Klinke griff, legte er von hinten den Arm um sie und drehte sie zu sich um. Mit der anderen Hand umfasste er ihren Nacken, dann presste er ihr die Lippen auf den Mund. Da sie Liam nicht wegzuschieben vermochte, hielt sie still, auch dann noch, als Hitzewellen sie durchfluteten und lange unterdrückte Empfindungen in ihr wach wurden. Kein Mann hatte sie jemals so erregt wie Liam, und daran hatte sich nichts geändert. Unwillkürlich schmiegte sie sich nun an ihn und spürte, wie sehr er sie begehrte. Als er sich schließlich von ihr löste, erschauerte sie. Ihre Gedanken und Gefühle waren in Aufruhr, und sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. »In einer Hinsicht hast du dich nicht verändert«, be merkte er spöttisch. »Du bist deinem jeweiligen Liebhaber treu, sogar wenn er zwanzig Jahre älter ist als du.« Gekränkt schob sie ihn weg und öffnete endlich die Tür. In dem Moment kam Paula aus dem Zimmer gegenüber und musterte Liam und sie mit zusammengekniffenen Augen. »Was geht hier vor?« fragte sie. »Das sind Privatangelegenheiten«, erwiderte er aus druckslos. »Ich besorge mir jetzt einen Drink.« Er ging nach unten, und Paula und sie standen wie erstarrt da. Paula gewann als Erste die Fassung zurück. »Ich hatte vorhin schon den Eindruck, dass ihr beide euch kennt«, bemerkte sie schroff. Ihr Blick war eisig. »Was für ein Spielchen treiben Sie hier eigentlich?« In dem Ton lasse ich nicht mit mir reden, dachte Regan aufgebracht. Paula war ihr von Anfang an unsympathisch gewesen. Weshalb sollte sie sich vor ihr rechtfertigen?
Einen kurzen, katastrophalen Moment lang ließ sie alle Vernunft außer Acht und gab dem überwältigenden Drang nach, sowohl Paula als auch Liam einen vernich tenden Schlag zu verpassen. »Ein Kind allein zu erziehen ist kein Spielchen«, sagte sie scharf. Paulas Miene wurde starr. »Wollen Sie damit andeuten, dass Sie ein Kind von Liam haben?« Was habe ich angerichtet? fragte Regan sich entsetzt. Und wie konnte sie sich jetzt aus der Affäre ziehen? »Ich werde der Sache auf den Grund gehen«, verkündete Paula herrisch. »Sie warten hier!« Während Paula die Treppe hinunterlief, zwang Regan sich zu handeln. Nur weg hier, dachte sie, holte ihre Jacke aus dem Zimmer hinter sich und eilte nach unten. In der Diele standen einige Leute, aber Liam und Paula waren nirgends zu sehen. Erst als Regan draußen in der kühlen Nachtluft stand, fiel ihr ein, dass Hugh sich wundern würde, wo sie steckte. Na ja, es ließ sich nicht mehr ändern, deshalb brauchte sie sich auch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen. Rasch machte sie sich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station, ihre Schritte hallten auf dem Pflaster. Es war nicht ganz ungefährlich, zu dieser Zeit allein mit der U-Bahn zu fahren, doch sie hatte nicht genug Geld für ein Taxi. Liam wird Paula ohne Schwierigkeiten überzeugen, dass meine Behauptung nicht stimmt, überlegte Regan bedrückt. Damit würde er es allerdings nicht bewenden lassen, und ihre Adresse konnte er sich von Hugh beschaffen. Warum nur hatte sie die Unterstellung, Hugh wäre ihr Liebhaber, nicht berichtigt? Damit hatte sie auch ihn, der seiner Frau bestimmt treu war, in ein schlechtes Licht gestellt! Um ungefähr halb zwölf kam Regan in ihre kleine, aber behagliche Wohnung in Kilburn. Ihre Nachbarin und
Freundin Sarah, die hier inzwischen die Stellung gehalten hatte, war überrascht, sie schon so früh wieder zu sehen. »Ich passe doch gern auf«, erwiderte sie, als Regan sich bei ihr bedankte. »Seit Don den neuen Job hat, bin ich abends öfter allem. Außerdem muss ich ja nur eine Treppe nach unten gehen, um nach Hause zu gelangen. Wenn du Lust hast, komm morgen Vormittag vorbei, und trink eine Tasse Kaffee mit mir«, fügte sie, bereits an der Tür, hinzu. Kaffee und ein gemütlicher Plausch waren das Letzte, was Regan jetzt interessierte. Am folgenden Vormittag musste sie als Erstes Hugh anrufen und sich entschuldigen, weil sie die Party einfach so verlassen hatte. Oder sollte sie ihn jetzt noch anrufen? Das Handy hatte er ja ständig dabei. Dann könnte sie ihn auch bitten, niemandem ihre Adresse zu geben. Nein, Unsinn! Liam brauchte nur im Telefon buch nachzusehen, um diese herauszufinden. Regan öffnete behutsam die Tür zum Nebenzimmer und stellte fest, dass alles ruhig blieb. Leise ging sie zum Bett und strich die Decke glatt, dann neigte sie sich über den schlafenden kleinen Jungen und küsste ihn sanft. Sie freute sich in der Woche schon immer auf die Wochenen den, an denen sie sich ihm ganz widmen konnte. Und daran würde sich niemals etwas ändern! Nein, es war nicht sehr wahrscheinlich, dass Liam Ansprüche geltend machte. Regan ging ins Wohnzimmer zurück und richtete ihr Bett auf dem Sofa her. Da Jamie viel früher schlafen ging, hatte sie ihm das separate Zimmer überlassen. Bei der geringen Miete, die sie zahlte, konnte sie sich schon glücklich schätzen, Küche und Bad in der Wohnung zu haben, statt sie mit anderen Hausbewohnern teilen zu müssen. Um Mitternacht lag Regan im Bett, konnte aber noch nicht schlafen. Starr blickte sie zur Zimmerdecke und ließ die Ereignisse des Abends Revue passieren. Noch immer meinte sie, Liams Lippen und seinen muskulösen Körper
zu spüren. Die jahrelang mühsam verdrängten Erinne rungen stürmten nun mit aller Macht auf sie ein. Es war keineswegs so, dass sie keine Männer kannte und nicht gelegentlich mit einem von ihnen ausging, aber sie hatte sich nie mehr auf ein engeres Verhältnis eingelassen. Das lag nicht nur an ihrem Mangel an Gefühlen, sondern auch daran, dass sich die wenigsten Männer dauerhaft für eine allein erziehende Frau interessierten. Plötzlich klingelte es, und ihr Herz begann wie rasend zu pochen. Nur einer würde so spät noch einen Besuch machen, einer, der so aufgebracht war, dass er alles außer Acht ließ, abgesehen von seinem Wunsch, die offenen Fragen zu klären. Wieder klingelte es, diesmal länger. Wenn sie Liam nicht ins Haus ließ, würde er womöglich einen anderen Mieter wecken. Da Jamie fest schläft, kann ich seine Existenz vor Liam bestimmt weiterhin geheim halten, beruhigte Regan sich. Sie stand auf und knipste das Licht an, bevor sie zur Gegensprechanlage ging. »Wer ist da?« fragte sie argwöhnisch und hoffte wider besseres Wissen, dass es nicht Liam war. »Wer, zur Hölle, glaubst du denn?« ließ sich eine schroffe Stimme vernehmen. »Mach sofort auf!« Wenn sie nicht ihre Mitbewohner in die Sache hinein ziehen wollte, blieb ihr keine Wahl. Regan drückte auf den Türöffner, ging zum Sofa zurück und zog Hausschuhe und Bademantel an. Bleib ruhig und beherrscht, dann überstehst du die kommenden Minuten, ohne etwas zu verraten, ermahnte sie sich. Es klopfte herrisch an der Wohnungstür, und sie eilte hin und öffnete. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Liam kam ungebeten herein, und Regan musste rasch beiseite treten, um nicht umgestoßen zu werden. »Du musst mir einiges erklären«, begann er kurz ange bunden.
Sie schärfte sich nochmals ein, einen kühlen Kopf zu bewahren, und schloss die Tür, bevor sie sich Liam zuwandte. »Ich möchte mich entschuldigen, weil ich mich so dumm benommen habe.« Durchdringend sah er sie an. ,,,Dumm’ ist gar kein Ausdruck! Warum hast du es getan? Sag es mir!« Regan zuckte bewusst gleichgültig die Schultern. »Re vanche natürlich.« »Da hast du aber eine ungewöhnliche Vergeltungsmaß nahme gewählt.« Wieder zuckte sie die Schultern. »Etwas anderes fiel mir auf die Schnelle nicht ein. Du hattest doch bestimmt keine Schwierigkeiten, deine… Partnerin zu überzeugen, dass meine Behauptung nicht wahr ist, oder?« »Paula und ich sind keine Partner, weder geschäftlich noch privat.« »Deine Bekannte dann eben. Wenn du möchtest, schreibe ich ihr einen kurzen Brief und gestehe, dass ich gelogen habe«, bot Regan an. Liam betrachtete sie aufmerksam, dann schüttelte er den Kopf. »Nicht nötig.« Er ließ den Blick durchs Zimmer gleiten, und was er dabei dachte, sah man ihm deutlich an. »Ist das die ganze Wohnung?« »Nein, es gibt auch eine Küche und ein Bad. Was braucht man mehr?« »Hier kann man ja nicht einmal eine Katze im Kreis herumschwingen.« »Wozu auch? Ich habe keine Katze.« Allmählich wurde Regan unruhig, denn mit jeder Minute wuchs die Gefahr, dass Jamie aufwachen und ins Wohnzimmer kommen könnte. »Wenn das alles war, würde ich gern wieder schlafen gehen, Liam.« »Nein, ich bin noch nicht fertig. Noch lange nicht. Der Mann, den du heute Abend zur Party begleitet hast, ist Direktor bei Longmans.«
Trotzig hob sie den Kopf, denn sie konnte sich denken, was jetzt kam. »Richtig.« »Du bist seine Sekretärin und hast ihn heute Abend begleitet, weil seine Frau verhindert war.« »Ebenfalls richtig.« »Warum, zum Teufel, hast du mir das nicht gleich gesagt, Regan?« »Welchen Unterschied hätte das gemacht?« konterte sie. »Man hat doch schon von Affären im Büro gehört.« Liam ging auf die Anspielung nicht ein. »Hast du ein Verhältnis mit ihm?« Das geht dich nichts an, hätte Regan am liebsten gesagt, ließ es allerdings bleiben, als ihr einfiel, dass sie damit nicht nur ihren, sondern auch Hughs Ruf schädigen würde. »Nein«, gestand sie schließlich. »Ich begleite ihn gele gentlich, mit Billigung seiner Frau Rosalyn, zu offiziellen gesellschaftlichen Anlässen, wenn sie keine Zeit hat. Er ist nichts weiter als mein Boss und ein guter Freund, dem ich heute Abend einen schlechten Dienst erwiesen habe.« »Daran war ich schuld.« Er schwieg kurz, sein Ausdruck war schwer zu deuten. »Ich dachte, du wärst inzwischen verheiratet und Mutter mehrerer Kinder. Das war doch dein Lebensziel, als du zweiundzwanzig warst, stimmt’s?« »Mittlerweile habe ich erkannt, dass es mehr im Leben zu erreichen gibt«, erwiderte Regan ausweichend. »Das hier etwa?« Wieder blickte Liam sich abschätzend im Zimmer um. »Bei deinen Fähigkeiten hättest du es wesentlich weiter bringen können.« »Verglichen mit deiner Lebensweise, ist meine wahr scheinlich armselig, aber mir gefällt sie.« Nun konnte sie sich nicht länger beherrschen. Mit zitternden Fingern wies sie zur Tür. »Und jetzt geh bitte, ja?« »Longmans bezahlt gut«, bemerkte Liam, ohne ihrer Aufforderung Folge zu leisten. »Du verdienst doch
bestimmt genug, um dir etwas Anspruchsvolleres leisten zu können als eine Einzimmerwohnung im zweiten Stock, vor allem da du ja nur für dich zu sorgen brauchst. Oder hast du einfach noch nicht das Richtige gefunden? Dann könnte ich dir ein Maklerbüro empfehlen.« »Ich brauche keine Hilfe! Weder von dir noch von sonst jemanden.« Nun war ihr völlig gleichgültig, welchen Eindruck sie auf ihn machte. Ihre Augen funkelten vor Zorn, während sie die Wohnungstür aufriss. »Verschwinde, Liam!« »Ja, so bist du schon eher wie die Regan, an die ich mich erinnere«, meinte er beiläufig. »Was? Wie das naive Ding, das du dir ausgesucht hattest, um dich einige Wochen zu amüsieren?« Sie lachte bitter. »Damals war ich sehr schüchtern.« »Nein, ich habe das anders in Erinnerung.« Seine Stimme klang plötzlich sanft, und er lächelte. »Als ich dich damals nach Büroschluss an meinem Schreibtisch ertappt habe, wo du ausprobieren wolltest, wie man sich als Boss fühlt, warst du alles andere als eingeschüchtert.« »Nur weil ich dachte, ich hätte ohnehin nichts mehr zu verlieren.« Auch Regan lächelte unwillkürlich. »Ich nahm an, ich würde sofort entlassen werden, weil ich es gewagt hatte, die heiligen Hallen des Vorstands unbefugt zu betreten.« »Stattdessen wurdest du nach allen Regeln der Kunst geküsst.« Ihr verging das Lächeln. »Und nicht nur das! Ich sage ja, ich war unglaublich naiv.« »Und unwiderstehlich«, fügte Liam leise hinzu. »Ich werde mich übrigens nicht dafür entschuldigen, wie ich dich behandelt habe, denn daran lässt sich ohnehin nichts ändern. Allerdings kann ich versuchen, Wiedergutmachung zu leisten, zum Beispiel, indem ich dir als Erstes einen Job mit besseren Aufstiegschancen verschaffe.«
Regan atmete scharf ein. »Mit meinem jetzigen bin ich völlig zufrieden, danke sehr. Gehst du jetzt endlich? Oder muss ich einen Nachbarn bitten, dich rauszuwerfen?« »Ich gehe, wenn es mir passt«, erwiderte er unbeein druckt. »Jetzt würde ich gern eine Tasse Kaffee trinken. Koffeinfreien, wenn du hast.« Frustriert blickte sie ihn an. Sie würde ihn nicht so schnell loswerden, denn sie hatte nicht wirklich vor, um diese Zeit einen der Nachbarn um Hilfe zu bitten. Als Liam sich das Jackett auszog und es achtlos über eine Stuhllehne warf, hatte Regan das Gefühl, dass sie dasselbe schon einmal erlebt hatte. Sie musste sich sehr beherrschen, um nicht die Hand über seinen Arm gleiten zu lassen… ihm die Hände auf die Schultern zu legen… ihm das Hemd aufzuknöpfen und seine glatte, warme Haut zu streicheln… ihm wie damals sinnliche Freuden zu bereiten und seine Liebkosungen zu genießen. Ja, er war ein einfühlsamer und leidenschaftlicher Liebhaber gewesen. Ich habe ihm sogar geglaubt, wenn er von Liebe gesprochen hat, rief Regan sich ins Gedächtnis, und das brachte sie abrupt auf den Boden der Tatsachen zurück. Als Liam ihr ohne Vorwarnung mitgeteilt hatte, er wurde eine andere heiraten, hatte es ihr einen Schock versetzt. Dann war der zweite Schlag erfolgt. Kurz nach der Trennung hatte sie erfahren, dass sie schwanger war, und das hätte sie seelisch beinah zu Grunde gerichtet. Sie hatte mit dem Gedanken an eine Abtreibung gespielt, aber noch rechtzeitig erkannt, dass sie einen Schwangerschafts abbruch unmöglich mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte. »Wie ist es nun mit Kaffee? Wir müssen noch viel bespre chen.« Die Frage riss Regan aus den trüben Gedanken. Sie fand nicht, dass es noch etwas zu diskutieren gab. Ihre größte
Sorge war, dass Jamie aufwachen und kommen könnte, um zu sehen, wer sich mit ihr unterhielt. Obwohl er erst sechs Jahre alt war, fühlte er sich als ihr Beschützer und betrachtete jeden Mann, der in die Wohnung kam, mit Argwohn. Liam wird erst gehen, wenn es ihm passt, überlegte Regan und schloss die Wohnungstür wieder, bevor sie in die Küche ging. Er folgte ihr und blieb an der Tür stehen, während sie Wasser aufsetzte und Tassen auf ein Tablett stellte. Dass er sie beobachtete, machte sie linkisch. »Warum setzt du dich nicht ins Zimmer?« erkundigte sie sich entnervt. »Ich bringe dir den Kaffee, wenn er fertig ist.« »Das Wasser kocht schon«, bemerkte er. »Lass mich das Tablett tragen. Den Kaffee trinke ich übrigens schwarz.« Ich weiß, hätte sie beinah gesagt und damit verraten, wie gut sie sich erinnerte. »Und mit Zucker?« fragte sie wie nebenbei. »Nein, danke.« Liam kam näher, um das Tablett zu nehmen, und streifte sie zufällig. Der Duft seines Rasierwassers, ein anderer als früher, weckte Erinnerungen in ihr, die ihr die Knie weich werden ließen. »Du warst schon immer ein Kavalier«, spottete Regan, um sich ihre Empfindungen nicht anmerken zu lassen. »Wenigstens oberflächlich«, meinte Liam gleichmütig und betrachtete sie anerkennend. »Ich kenne keine Frau außer dir, die ohne Make-up genauso gut aussieht wie mit.« »Deine Frau eingeschlossen?« erkundigte sie sich un überlegt, dann schüttelte sie beschämt den Kopf. »Vergiss bitte, dass ich das gesagt habe.« »Schon vergessen.« Er deutete zur Tür. »Nach dir.« Regan ging ins Wohnzimmer und setzte sich in einen der beiden Sessel, während Liam das Tablett abstellte,
bevor er ebenfalls Platz nahm. »Du hast behauptet, wir müssten noch viel besprechen«, erinnerte sie ihn, als er keine Anstalten machte, das Gespräch zu beginnen. »Was denn?« »Zum Beispiel, wohin du verschwunden bist, nachdem du den Job bei Chantry’s aufgegeben hattest. Du warst ja wie vom Erdboden verschluckt.« »Ich war eine Zeit lang zu Hause«, antwortete sie ausdruckslos. Er runzelte die Stirn. »Du hast mir damals erzählt, deine Eltern seien geschieden, dein Vater sei unauffindbar, deine Mutter habe wieder geheiratet – und zwar einen Mann, mit dem du nichts anfangen konntest und umgekehrt. Das klingt nicht nach einem Zuhause.« »Dennoch bin ich dort gewesen.« Ihre Stimme verriet keinerlei Gefühlsregung. »Warum hast du mich überhaupt gesucht?« »Weil ich ein schlechtes Gewissen hatte«, gestand Liam. »Ich hatte dich abscheulich behandelt und wollte mich versichern, dass es dir trotzdem gut ging.« »Oh, wie rücksichtsvoll von dir!« »Ja, so bin ich nun mal.« Das klang ironisch. »Ich habe mittlerweile erfahren, dass du seit vier Jahren für Long mans arbeitest, aber…« »Woher weißt du das?« unterbrach Regan ihn. »Ich habe mich mit deinem Boss unterhalten.« Ihre grünen Augen wurden dunkler. »Du hattest kein Recht, ihn da mit hineinzuziehen.« »Ich hatte, wie du dich vielleicht erinnerst, den Eindruck, dass er bereits darin verwickelt war.« Hugh hat Liam zwar einiges über mich erzählt, allerdings offensichtlich nicht erwähnt, dass ich ein Kind habe, dachte Regan erleichtert. Nun musste sie dafür sorgen, dass Liam die Wohnung bald verließ, sonst fand er es womöglich doch heraus.
»Ich bin wirklich müde«, sagte sie und tat so, als würde sie gähnen. »Vielen Dank für das Angebot, mir zu helfen, aber es ist wirklich nicht nötig. Ich hoffe, ich habe dir mit meinen unüberlegten Worten keine Probleme bereitet.« Er zuckte die Schultern. »Keine, die ich nicht lösen kann. Und das Angebot bleibt bestehen. Du weißt ja, wo du mich erreichen kannst, falls du es dir noch mal überlegst.« Obwohl er erst einen Schluck Kaffee getrunken hatte, stand Liam jetzt auf. Regan erhob sich ebenfalls. Sie hob sein Jackett hoch und hielt es ihm hin. Er nahm es jedoch nicht, sondern kam zu ihr und umfasste ihr Gesicht. Bevor sie protestieren konnte, presste er die Lippen auf ihre, und sie fühlte sich wie in vergangene, aber nie vergessene Zeiten zurückversetzt. Ihre Sinne gerieten in Aufruhr, und sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihn wegzuschieben. Sie ließ das Jackett fallen und schmiegte sich an ihn. Es war himmlisch, ihn so hingebungsvoll zu küssen. »Ich begehre dich«, flüsterte Liam schließlich. »Ich habe dich immer begehrt.« Ja, so sehr, dass du eine andere geheiratet hast, dachte Regan, und das brachte sie wieder zur Vernunft. »Würdest du jetzt bitte gehen, Liam? Dein Spiel mache ich nicht mehr mit.« Sie rechnete damit, dass er widersprechen würde, und war deshalb überrascht, als Liam sie losließ und nur die Schultern zuckte. »Wenn du das wirklich möchtest, Regan.« »Ja.« Sie versuchte, möglichst energisch zu klingen. »Und ich möchte mich nochmals entschuldigen, weil ich dir Schwierigkeiten mit Paula beschert habe.« Flüchtig lächelte er. »Das hast du nicht, sondern mir, ehrlich gesagt, sogar einen Gefallen erwiesen.« »Ach wirklich? Hast du schon seit längerem einen Vorwand gesucht, ihr den Laufpass zu geben?« Rasch
bückte Regan sich und hob das Jackett vom Boden auf. »Wann hast du jemals Hilfe benötigt, wenn du eine Frau loswerden wolltest?« Schweigend zog er das Jackett an, einen unergründlichen Ausdruck in den grauen Augen. »Es war trotzdem nett, dich wieder zu sehen, Regan«, verabschiedete Liam sich dann. »Pass auf dich auf.« Bevor sie etwas erwidern konnte, war er fort. Wie erstarrt stand sie eine Zeit lang da. Schließlich riss sie sich zusammen und schloss die Wohnungstür ab. Mein Geheimnis ist nicht ans Licht gekommen, und das allein ist wichtig, sagte Regan sich.
2. KAPITEL Hugh schien von dem Durcheinander eher fasziniert zu sein, als dass er sich darüber ärgerte. »Ich vermute, Liam Bentley erhebt einen gewissen Besitzanspruch auf dich«, bemerkte er, nachdem Regan sich am Montagmorgen bei ihm entschuldigt hatte. »Und das seit langem. Paula hat übrigens Gift und Galle ge spuckt, als er sie stehen lassen hat. Dass er mit ihr nichts mehr zu tun haben will, kann man ihm nicht verdenken, nachdem sie die Diskussion vor den Gästen geführt hatte.« Er betrachtete sie scharfsinnig. »Liam ist Jamies Vater, stimmt’s?« Leugnen hätte keinen Sinn gehabt. »Ja. Vielen Dank, dass du Liam nichts von Jamie erzählt hast, Hugh!« »Du hattest die Katze ja eigentlich schon aus dem Sack gelassen, aber ich dachte mir, du würdest das noch irgendwie klären. Allerdings verstehe ich nicht, warum du Liam nie von seinem Sohn erzählt und Alimente bean sprucht hast.«
»Ich wollte und will nichts von Liam!« erwiderte Regan nachdrücklich. »Jamie gehört mir allein.« »Findet Liam Bentley das auch und verzichtet auf seinen Sohn?« Hugh zog die Brauen hoch, als sie nicht antwortete. »Du hast es ihm noch immer nicht gesagt?« »Richtig.« Regan blickte konzentriert auf den Notizblock auf ihren Knien. »Du wolltest mir einen Brief diktieren.« Unbeirrt fragte er weiter. »Wenn Liam dich, wie er vorhatte, tatsächlich noch besucht hat, wie hast du es dann geschafft, dein Geheimnis zu wahren?« »Jamie war im Bett. Ich konnte Liam überzeugen, dass es mir nur um Revanche gegangen war.« Sie setzte den Stift aufs Papier. »Ende gut, alles gut.« Hugh erkundigte sich nicht, wofür sie sich hatte revan chieren wollen, obwohl man ihm deutlich ansah, dass er es gern gewusst hätte. Ein Glück, dass er nicht nachhakte! Sie konnte ihm schlecht raten, er solle sich gefälligst nur um seine Angelegenheiten kümmern, denn immerhin hatte sie ihn in ihre hineingezogen. Hoffentlich würde er das Thema jetzt fallen lassen. Und das tat er fürs Erste. Ob er sich völlig damit zufrieden geben würde, war eine andere Sache. Das ist das Problem, wenn man mit seinem Boss befreundet ist, dachte Regan gequält. Sie hatte am Wochenende alles versucht, um Liam aus ihren Gedanken zu verbannen, aber es war ihr nicht gelungen, weil das Wiedersehen lange verdrängte Empfin dungen wachgerufen hatte. Ja, sie hatte ihn ebenso heiß begehrt wie er sie und vor Verlangen nicht einschlafen können, nachdem er gegangen war. Schluss damit! ermahnte sie sich energisch und konzent rierte sich auf den Brief, den Hugh ihr diktierte. Die Vergangenheit war Schnee von gestern – ein Klischee, aber wahr. Liam war offensichtlich anderer Meinung, denn als
Regan um fünf Uhr das Bürogebäude verließ, wartete er davor auf sie. Sein Auto, ein grauer Jaguar, stand im absoluten Halteverbot. »Schnell, steig ein, sonst bekomme ich einen Strafzettel«, sagte Liam und deutete mit dem Kopf zu einer Politesse, die sich zielstrebig näherte. »Wir müssen noch einiges bereden.« Regan zögerte kurz, dann setzte sie sich auf den Beifah rersitz. Er stieg ebenfalls ein und startete rasant. Rücksichtslos fädelte er sich in den Verkehrsstrom ein, ungeachtet des lauten Hupkonzerts der empörten Fahrer, die ihm gezwungenermaßen Platz machten. »Tut mir Leid, Leute, aber was sein muss, muss sein«, bemerkte er ohne die geringste Reue und blickte in den Rückspiegel. »Da steht jetzt eine schwer enttäuschte junge Frau am Bordstein.« »Und hier im Auto sitzt eine äußerst widerstrebende junge Frau«, erwiderte Regan kühl. »Wenn die Politesse nicht gewesen wäre, hätte ich…« »Ich weiß, dann hättest du mich meiner Wege geschickt. Den Marschbefehl hätte ich allerdings nicht akzeptiert, denn ich war eisern entschlossen, dich mitzunehmen, notfalls gegen deinen Willen.« Sie blickte ihn kurz an, und ihr wurde seltsam zu Mute. »Ach, wirklich?« »Ja.« Liam lächelte flüchtig. »Wir müssen uns, wie gesagt, unterhalten.« »Das haben wir bereits am Freitagabend getan«, wider sprach Regan. »O nein! Als Erstes werden wir die letzten sieben Jahre Revue passieren lassen.« »Ich denke nicht daran, die Vergangenheit wieder aufle ben zu lassen«, informierte sie ihn bemüht ausdruckslos. »Setzt du mich hier bitte irgendwo ab? Ich möchte den Vorortzug erreichen.«
»Warum so eilig? Auf dich wartet doch niemand zu Hause.« Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen, als sie an Jamie dachte. »Darum geht es mir nicht.« »Nein? Auf mich wartet übrigens auch niemand. Warum setzen wir uns nicht in eine ruhige Kneipe und gönnen uns einen Drink? Einen alkoholfreien für mich, nebenbei bemerkt, weil ich noch Auto fahren muss.« »Wie verantwortungsbewusst du geworden bist«, bemerk te Regan zynisch. »Ein vorbildlicher Staatsbürger.« »Als vorbildlich würde ich mich nicht bezeichnen, aber man lernt dazu im Leben. Du hast dich auch sehr verän dert. In mancher Hinsicht zumindest.« »Ja, ich habe mich verändert«, gab sie zu. »In wenigen Monaten werde ich dreißig und bin somit eine erwachsene Frau. Mehr ist dazu nicht zu sagen.« »Ach nein? Geistige Reife ist doch keine Frage des Alters«, spottete er. »Wenn du dich für so erwachsen hältst, dann hör auf, dich wie eine Jungfrau zu zieren, und lass dich von mir zu dem Drink einladen.« Wenn ich nicht aus dem Auto springen möchte, bleibt mir keine Wahl, sagte sie sich. Jamie wurde von Sarah gut versorgt, und wenn sie, Regan, rechtzeitig nach Hause kam, um sich mit ihm vor dem Schlafengehen noch eine halbe Stunde zu beschäftigen, würde er zufrieden sein. »Na schön, aber nur ein Drink, Liam!« Und dann ein Abschied für immer, fügte sie im Stillen hinzu. Liam bog in eine Seitenstraße ein und fuhr auf den Hinterhof eines Lokals. »Das ist seit Jahren meine Stammkneipe«, erklärte er. »Der Wirt hat mir gestattet, im Hof zu parken. Falls du hungrig bist, könntest du im Lokal etwas essen. Sie haben sehr leckere Tagesgerichte.« »Nein, danke, ich möchte nur den einen Drink«, bekräf tigte Regan und bedauerte bereits, dass sie zugesagt hatte. Nachgiebig zuckte er die breiten Schultern. »Wie du
willst.« Das Lokal war ein typisches Londoner Pub mit der Originaleinrichtung aus der Viktorianischen Zeit. Liam führte Regan zu einer Nische mit gepolsterten Bänken, dann ging er an den Mahagonitresen und klopfte darauf, um sich bemerkbar zu machen. Ein großer, vierschrötiger Mann kam aus dem Nebenraum und grüßte jovial. Stimmen und Musik ertönten im Hintergrund. »Nebenan ist der Schankraum«, erklärte Liam, als er mit den Getränken zu ihr zurückkam. »Da geht es meist hoch her. Man kann oft sein eigenes Wort nicht verstehen und sich schon gar nicht in Ruhe unterhalten.« Er setzte sich ihr gegenüber, viel zu nahe für ihr Emp finden, was man ihr anscheinend ansah, denn er blickte sie belustigt an. »Nett ist es hier«, bemerkte sie und versuchte, möglichst unbefangen zu klingen. »Es gibt nicht mehr viele Lokale mit echt viktorianischem Ambiente.« »Ja, die Sucht nach Erneuerung ist einer der Nachteile der heutigen Kultur«, stimmte Liam ihr ironisch zu. »So, und nun Schluss mit dem oberflächlichen Geplauder! Wir müssen uns über Wichtigeres unterhalten.« Ihr Herz pochte rascher, als sie ihm in die grauen Augen sah. »Zum Beispiel?« »Wie es jetzt weitergeht.« »Du meinst, nach dem Drink, Liam? Wie wäre es mit einem kurzen Abstecher in deine Wohnung – um der alten Zeiten willen?« »Hör auf, die Zynikerin zu spielen«, erwiderte er. »Du weißt genau, dass ich nicht das gemeint habe. Außerdem«, fügte er hinzu, und seine Augen funkelten, »wäre es bestimmt kein kurzer Abstecher.« Ja, er hatte sich immer viel Zeit genommen, um die Freu den der Liebe auszukosten! Beim Gedanken daran wurde
Regan ganz heiß, was man ihr hoffentlich nicht anmerkte. »Dir hat es noch nie an Selbstvertrauen gemangelt«, konterte sie bissig. »Damals hat es mich beeindruckt, jetzt nicht mehr.« »Bevorzugst du heutzutage Weicheier, Regan? Männer, die du manipulieren kannst?« »Es gibt so etwas wie den goldenen Mittelweg«, erwider te sie heftig. »Das verstehst du wahrscheinlich nicht, denn deine Bedürfnisse kamen für dich immer an erster Stelle.« Sie errötete, als er ironisch die Brauen hochzog. »Außerhalb des Betts jedenfalls.« »Danke für diesen Zusatz. Als selbstsüchtiger Liebhaber möchte ich wirklich nicht etikettiert werden.« »Oh, ich bin mir sicher, dass du im Bett jede Frau zufrieden stellst!« Nun konnte sie ihre Erbitterung nicht länger unterdrücken. Rasch trank Regan einen Schluck Gin Tonic und hustete, als der Alkohol ihr in der Kehle brannte. Ihre Augen tränten. »Trink lieber etwas langsamer«, empfahl Liam ihr spöttisch. »Oder gar nicht, wenn du den Drink nur als Requisit benutzt. Ich habe dich nicht mitgenommen, damit wir uns gegenseitig beleidigen. Vielmehr bin ich ehrlich an dir interessiert.« Er musterte ihr Gesicht, und sein Ausdruck ließ ihr Herz schneller schlagen. »Welcher Mann wäre das nicht?« Geh jetzt lieber, riet eine innere Stimme ihr eindringlich, aber Regan achtete nicht darauf. Schweigend blickte sie Liam an und sehnte sich danach, sein markantes Gesicht zu streicheln, die Finger in sein dichtes schwarze Haar zu schieben… Ja, seine Ausstrahlung war so stark wie eh und je, und keine Frau hätte sich ihr entziehen können. »Lebst du noch in derselben Wohnung wie früher?« fragte Regan unwillkürlich. Er schüttelte den Kopf. »Aber du arbeitest noch immer für Chantry’s?«
»Richtig.« »Und bist wahrscheinlich ganz oben auf der Karrierelei ter angelangt.« »Bis zur absoluten Spitze fehlt noch ein Stück.« Liam lächelte versonnen. »Jetzt sind wir schon wieder bei oberflächlichem Geplauder.« »Nein! Du hast doch gesagt, wir müssten sieben Jahre Revue passieren lassen.« »Ja, schon, aber mich interessiert, wie es dir ergangen ist, Regan. Abgesehen von der Tatsache, dass du für Longmans arbeitest und in einer kleinen Wohnung haust, weiß ich nichts über dein jetziges Leben.« Und darüber wirst du auch nichts erfahren, Liam, dachte sie und blickte auf ihre Armbanduhr. »Es gibt nichts zu erzählen. Außerdem wird es jetzt höchste Zeit, dass ich mich auf den Weg mache.« »Jetzt ist der Verkehr am dichtesten«, bemerkte er. »Warte noch ein bisschen, dann fahre ich dich nach Hause.« »Nein!« antwortete sie so schroff, dass er die Stirn runzelte. Rasch fügte sie etwas freundlicher hinzu: »Es ist ein zu großer Umweg für dich.« »Woher willst du das wissen, wenn du keine Ahnung hast, wo ich wohne?« meinte er. »Außerdem habe ich heute nichts mehr vor.« »Bestimmt nicht aus Mangel an Gelegenheiten«, konterte sie sarkastisch. »Das hängt davon ab, von welchen Gelegenheiten wir hier sprechen. Ich gehe mein Leben heutzutage etwas ruhiger an. Was uns zum eigentlichen Thema zurückbringt«, fuhr er fort, bevor sie etwas sagen konnte. »Du willst mir doch nicht einreden, du hättest in den vergangenen sieben Jahren nichts Erwähnenswertes erlebt?« »Ach, es gab durchaus einige schöne Momente«, ant wortete Regan ausweichend.
»Und das ist alles, was du zu berichten bereit bist.« Liam nickte. »Na gut, mir liegt wirklich nichts daran, dich unter Druck zu setzen. Möchtest du jetzt etwas essen? Dann sparst du dir später das Kochen.« Sie gestand sich ein, dass sie durchaus versucht war, das Zusammensein mit Liam auszudehnen, und wappnete sich gegen das verführerische Angebot. »Ich sagte dir schon, dass ich keinen Hunger habe, aber lass du dich durch mich nicht vom Abendessen abhalten. Ich kann immer noch den Vorortzug nehmen.« »Und ich sagte dir schon, dass ich dich nach Hause fahre.« Er klang jetzt unnachgiebig. »Entspann dich endlich! Ich habe keine Hintergedanken.« »Die hatte ich dir gar nicht unterstellt.« »Ach nein? Aber keine Sorge, ich bin nicht so verzweifelt, dass ich mich einer Frau aufdrängen würde.« Forschend sah er sie an. »Bei dir bin ich mir wegen der Verzweiflung nicht so sicher. Du siehst unbefriedigt aus.« »Als Psychologe wärst du eine Niete«, erwiderte Regan scharf. »Ich kann auch ohne Mann ein erfülltes Leben führen.« »Du hast zurzeit also keinen Liebhaber?« »Das geht dich nichts an.« Allmählich verlor sie die Geduld. »Du kannst bohren, bis du schwarz wirst, es wird dir nichts nützen. Mein Privatleben ist allein meine Angelegenheit.« »Sei doch nicht so heftig!« tadelte er sie, und seine Augen funkelten nicht nur vor Belustigung. Sie verkniff sich die Bemerkung, die ihr auf den Lippen lag, als ihr auffiel, dass andere Gäste zu ihnen herüber blickten. »Entschuldige, ich habe vorübergehend die Beherrschung verloren. Der Feierabendverkehr wird noch ungefähr zwei Stunden dauern, deshalb verzichte ich auf dein Angebot, mich nach Hause zu bringen. Manchmal geht es schneller, wenn man den Zug nimmt.«
»Nur gibt es hier keinen Bahnhof in der Nähe«, beharrte Liam. »Wenn du wirklich schon nach Hause willst, fahre ich dich jetzt, egal, wie der Verkehr ist. Dann sitzt du wenigstens bequem, statt im Gedränge zu stehen.« Und mich womöglich anfassen lassen zu müssen, dachte Regan schaudernd. Erst vor kurzem war es ihr passiert, aber sie hatte dem Mann eine Lehre erteilt, indem sie ihm ihren spitzen Absatz in den Fuß gebohrt hatte. Humpelnd war der Mistkerl an der nächsten Station ausgestiegen. »Regan?« Liam sah sie fragend an. »Ja, in Ordnung«, stimmte sie zu. »Erwarte nur nicht, dass ich dich zum Dank in meine Wohnung einlade.« »Nein, du gehst keinerlei Verpflichtungen ein«, versi cherte er ihr. »Und du brauchst dein Glas nicht auszutrin ken. Du wolltest den Drink ja ohnehin nicht.« Liam kannte sich in der Innenstadt beachtlich gut aus und schaffte es, die schlimmsten Staus zu vermeiden. Trotzdem war es bereits Viertel vor sieben, als sie in Kilburn ankamen. »Das war’s dann?« meinte er, nachdem Regan sich bedankt hatte und aussteigen wollte. »Ich sehe dich nicht wieder?« »Es hätte doch keinen Sinn«, antwortete sie ausdrucks los. »Das ist Ansichtssache, aber wie du willst.« Sobald sie ausgestiegen war, fuhr Liam los, und sie stand da, ganz niedergeschlagen, weil sie ihn niemals wieder sehen würde. Es war jedoch die einzig richtige Entschei dung. Wenn ich ihm von Jamie erzählt hätte, hätte Liam sich aller Wahrscheinlichkeit nach verpflichtet gefühlt, finan zielle Wiedergutmachung zu leisten, mehr allerdings auch nicht, sagte Regan sich. Ja, sie war auf lange Sicht besser dran, wenn sie die ganze Angelegenheit in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verbannte. Das war jedoch leichter gesagt als getan. Sogar Jamie bemerkte, wie geistesabwesend sie war, als sie ihm beim
Bad die Bürste statt des U-Boots reichte, um das er sie gebeten hatte. »Du denkst an was ganz anderes, stimmt’s?« erkundigte er sich. »An die Arbeit«, improvisierte Regan. »Es gab heute viel zu tun.« »Bist du deswegen so spät nach Hause gekommen?« Normalerweise belog sie ihren Sohn nicht, diesmal hielt sie es allerdings für ratsam. »Ja. Soll ich heute das Schlachtschiff fahren?« »Schlachtschiffe werden kommandiert«, verbesserte er sie in dem typisch nachsichtigen Ton, den die meisten Männer gegenüber Frauen anschlugen, die von technischen Feinheiten nichts verstanden. »Na schön, kommandiert.« Regan unterdrückte ein Lächeln und den Wunsch, Jamie liebevoll zu umarmen. Genau wie sie hatte er rotbraunes Haar und grüne Augen, aber nach dem Wiedersehen mit Liam fiel ihr nun auf, wie sehr der Junge auch seinem Vater ähnelte. Nachdem sie Jamie ins Bett gebracht hatte, erledigte sie die Hausarbeit, anschließend sah sie eine Stunde lang fern. Dann versuchte sie zu lesen, konnte sich jedoch nicht konzentrieren. Um halb zehn klingelte das Telefon. Liam war am Apparat. »Ich muss immerzu an dich den ken, Regan. Ich möchte dich hier bei mir haben – im Bett. Du warst immer so leidenschaftlich, so… ungekünstelt.« »Das Wort, das du suchst, lautet ,naiv’«, erwiderte sie ironisch, um nicht zu verraten, dass heiße Sehnsucht sie bei seinen Worten erfüllte. Er lachte leise. »Ich weiß, was ich suche: die Frau, die du vor sieben Jahren warst. Hinter der undurchdringlichen Fassade, die du der Welt mittlerweile präsentierst, steckt immer noch die Regan von damals. Und ich beabsichtige, sie zu finden.« »Dann mach dich auf eine lange Suche gefasst.« Regan
wunderte sich, wie gelassen sie klang, obwohl ihre Gefühle in Aufruhr waren. »Ich zeige der Welt keine Fassade, ich bin jetzt ein anderer Mensch.« Zu dem du mich gemacht hast, fügte sie im Stillen hinzu. »Okay, ich habe verstanden«, erwiderte er. »Gute Nacht, Grünäuglein.« Mit dem Kosenamen hatte er sie früher angeredet! Sie legte den Hörer auf und versuchte, sich zu beruhigen. Liams Worte hatten nichts zu bedeuten. Ihm war nur langweilig – ohne eine willige Frau im Bett. Regan erschauerte, als sie sich seinen nackten Körper vorstellte, die festen Muskeln und die glatte Haut. Ja, in Liams Armen habe ich keine Zurückhaltung gekannt, dachte sie. Er hatte sie gelehrt, Leidenschaft zu empfinden und ohne Hemmungen zu zeigen. In den vergangenen Jahren hatte sie sich manchmal danach gesehnt, wieder solche Erfüllung zu erleben, aber sie war keinem Mann mehr begegnet, der in ihr auch nur einen Bruchteil der Gefühle weckte, die sie für Liam empfunden hatte – ja, noch immer für ihn empfand. Ein Grund mehr, ihn auf Abstand zu halten! Sieben Jahre zuvor hatte sie den Fehler gemacht, auf ihre Gefühle zu hören statt auf ihren Verstand, der zur Vorsicht mahnte. Sie hatte sich eingeredet, dass Liam den Ruf als ehrgeizi ger Geschäftsmann und skrupelloser Frauenheld lediglich Neidern zu verdanken hatte – und nun wusste sie ja, in welche Lage es sie gebracht hatte. Bestimmt hatte er sich nicht grundsätzlich verändert, auch wenn er jetzt umgänglicher wirkte. Die Kaltherzigkeit, mit der er Paula Lambert einfach aus seinem Leben gestrichen hatte, war Bestätigung genug für diese Vermutung. Außerdem darf ich nicht nur an mich denken, sondern muss auch auf Jamie Rücksicht nehmen, sagte Regan sich. Für den Jungen war kein Vater besser als einer, der sich nur widerstrebend um ihn kümmerte – oder der womöglich die
Vaterschaft bestreiten würde! Regan erwartete insgeheim, dass Liam sich wieder bei ihr melden würde, und als es in den folgenden Tagen nicht geschah, redete sie sich ein, dass es für alle das Beste war. Das Leben ging weiter wie bisher. Hugh erkundigte sich noch einmal vorsichtig nach Liam und ließ das Thema dann ruhen, da sie wieder abweisend und ausweichend reagierte. Am Freitag ging Regan mit Jamie wie üblich in einen nahe gelegenen Park, wo dieser sich eine halbe Stunde auf den Schaukeln und dem Karussell amüsierte. Anschließend ging es zurück ins Apartment, wo sie einige Runden Scrabble spielten, bevor sie ihn gegen halb neun ins Bett brachte. Unangemeldet kam Sarah kurz danach zu Besuch, mit einer Flasche Wein als Mitbringsel, und erklärte, Don sei mit einem Kollegen ins Pub gegangen, deshalb wolle sie mit ihrer Freundin auch ein Gläschen trinken. Nach zwei Gläsern Wein und einem unbeschwerten Gespräch über alles Mögliche fühlte Regan sich herrlich. Als Sarah sich schließlich verabschiedete, war es, wie Regan überrascht feststellte, erst kurz vor zehn. Und jetzt? fragte sie sich, und ihr Hochgefühl verflüchtigte sich sofort. Noch etwas zu unternehmen kam natürlich nicht infrage, deshalb konnte sie genauso gut gleich ins Bett gehen und darüber nachdenken, wie sie das Wochenende mit Jamie, auf das sie sich so gefreut hatte, abwechslungsreich gestalten konnte. Da sie knapp bei Kasse war, durften Vergnügun gen nicht viel kosten. Unerwartet klingelte es an der Wohnungstür. Wahr scheinlich hat Sarah etwas vergessen, dachte Regan, während sie hinging, um zu öffnen. Sie hatte sich eine scherzhafte Bemerkung über die Wirkung von zu viel Wein auf das Gedächtnis zurechtgelegt, erstarrte jedoch, als sie
sah, wer draußen stand. »Wie bist du ins Haus gelangt?« fragte sie schließlich. »Die Haustür war nur angelehnt«, antwortete Liam. »Was willst du?« »Dich wieder sehen. Ich hatte mir vorgenommen, nicht mehr hierher zu kommen, aber ich habe es nicht länger ausgehalten.« »So, jetzt hast du mich gesehen«, erwiderte Regan, obwohl sie den Dingen am liebsten freien Lauf gelassen hätte. »Du kennst ja den Weg nach draußen.« Er stellte den Fuß in den Türspalt. »Hör auf, die Unnahba re zu spielen. So empfindest du nicht wirklich.« »Das weißt du natürlich ganz genau.« Sie versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren, und rief sich ins Gedächtnis, dass nebenan ihr Sohn schlief. »Immer bist du dir völlig sicher.« »Zumindest bin ich mir sicher, dass ich dich nicht einfach aufgebe, ohne alles versucht zu haben, dich umzustim men«, sagte Liam hartnäckig. »Lässt du mich jetzt rein, oder muss ich zuerst ein bisschen Druck ausüben?« »Es ist schon spät.« Allmählich verlor sie die Kontrolle über die Situation. »Ich…« »Es ist erst kurz nach zehn. Da ich nun schon mal den weiten Weg gemacht habe, gehe ich nicht wieder weg, bevor ich mein Sprüchlein aufgesagt habe. Finde dich also damit ab, und lass mich rein!« Regan sah Liam in die Augen, dann gab sie nach. Jamie war sehr müde gewesen und würde bestimmt nicht aufwachen. »Na schön, aber du kannst nicht lange bleiben«, meinte sie schließlich ausdruckslos und trat beiseite. Liam kam herein und schloss die Tür, während Regan ins Wohnzimmer vorausging. Dort wandte sie sich um und sah ihn trotzig an. »Und nun?« Mit wenigen Schritten war er bei ihr und nahm sie in die
Arme. Dann küsste er sie fordernd, und sie ließ es geschehen. Nun wünschte sie nur noch, der KUSS möge niemals enden. Von heißem Begehren durchflutet, presste sie sich verführerisch an ihn. Er stöhnte leise und knöpfte ihr die Bluse auf. »Du bist noch schöner als damals, Regan«, flüsterte er heiser und ließ die Lippen über ihre festen Brüste gleiten, deren Spitzen sich sofort aufrichteten. Aufreizend streichelte er sie, und Regan glaubte, vor Verlangen zu vergehen. Als er ihr jedoch die Hand unter den Rock schob, kam sie zur Vernunft. Liam wollte nur das eine und hatte nie etwas anderes von ihr gewollt! Zorn auf ihn und ihre Nachgiebigkeit durchzuckte sie. »Lass die Finger von mir!« sagte sie scharf. »Geh weg!« Obwohl er spürbar erregt war, ließ Liam sie sofort los, was man ihm anrechnen musste, und trat einige Schritte zurück. In seinen Augen spiegelten sich widerstreitende Gefühle. »Entschuldige bitte, Regan. Ich hätte mich beinah von meinen Empfindungen überwältigen lassen.« Beinah! Mit zittrigen Fingern zog sie den BH zurecht und knöpfte sich die Bluse zu. Wenn ich ihn nicht gestoppt hätte, hätte er hier und jetzt mit mir geschlafen, dachte sie. »Ich mich auch«, gab sie zu, den Blick gesenkt. »Und jetzt?« fragte er. »Schickst du mich für immer weg? Oder gibst du mir noch eine Chance?« Meinte er die Chance, die Beziehung wieder aufzuneh men? O nein! Er hatte ja doch nur eine flüchtige Affäre im Sinn. »Ich denke, du solltest jetzt gehen«, antwortete Regan heiser. »Du hättest überhaupt nicht zu mir kommen dürfen.« Forschend sah er sie an. »Wovor hast du Angst?« »Ich habe keine Angst, ich bin nur nicht bereit, mich wieder mit dir einzulassen.« Sie griff nach der Türklinke. »Dir mangelt es bestimmt nicht an anderen… Vergnügun
gen.« Liam blieb reglos stehen. »Du glaubst, ich sei nur an Sex mit dir interessiert?« »War es denn jemals anders?« konterte sie herausfor dernd. »Jedenfalls hattest du nie die Absicht, mich zu heiraten. Du wolltest nur deinen Spaß.« »Und hat es dir vielleicht keinen gemacht?« erwiderte er ungerührt. »O doch! Es war das erste Mal, dass…« Regan verstummte kurz und biss sich auf die Lippe. »Na ja, das ist inzwischen egal.« Prüfend betrachtete er sie. »Du verschweigst mir etwas«, bemerkte er schließlich. »Ich verschweige dir vieles«, sagte sie. »Und jetzt geh!« Er schüttelte den Kopf und kam wieder zu ihr. »Nur wenn du mich überzeugst, dass du es ehrlich meinst.« Sie konnte nicht ausweichen, weil sie, im wahrsten Sinne des Wortes, mit dem Rücken zur Wand stand. Unerbittlich umarmte Liam sie erneut und presste die Lippen auf ihre. Obwohl sie versuchte, sich zu beherrschen, wurde sie von unbändigen Empfindungen überwältigt. Als sie hörte, wie eine Tür geöffnet wurde, kehrte Regan abrupt in die Wirklichkeit zurück, aber es war zu spät, um die Katastrophe abzuwenden. »Was machen Sie da mit meiner Mummy?« ließ sich eine helle Jungenstimme empört vernehmen.
3. KAPITEL Liam wandte rasch den Kopf und wusste offensichtlich sofort Bescheid, mit wem er es hier zu tun hatte, als er den kleinen Jungen sah. »Ich habe deine Mummy geküsst«, antwortete er bewun
dernswert gefasst und ließ Regan los. »Warum?« hakte Jamie nach. »Leute machen das, wenn sie sich lange nicht gesehen haben. Deine Mummy und ich sind alte Bekannte.« »Es ist schon spät«, bemerkte der Kleine, von der Antwort keineswegs besänftigt. »Ich hab das auf meiner Uhr gesehen.« »Es ist alles in Ordnung, Jamie.« Regan versuchte, ruhig zu bleiben. »Mr. Bentley will jetzt nach Hause.« »Noch nicht«, widersprach Liam energisch. »Wir müssen über vieles reden. Deiner Mummy passiert nichts, das verspreche ich dir«, fügte er an den Jungen gewandt hinzu. »Wir unterhalten uns nur.« »Es ist alles in Ordnung«, wiederholte sie, weil Jamie skeptisch wirkte. »Wirklich! Du gehst jetzt ins Bett zurück, sonst bist du morgen zu müde zum Schwimmen. Ich komme mit und decke dich zu.« Der Kleine sah noch immer unentschlossen aus, drehte sich aber um und ging in sein Zimmer. Regan folgte ihm, denn sie brauchte eine Atempause, um sich zu überlegen, was sie sagen sollte. Was blieb ihr jedoch anderes übrig, als die Wahrheit zu gestehen? »Hat es dir gefallen, den Mann zu küssen?« fragte Jamie unerwartet, als er sich ins Bett legte. »Nicht so sehr, wie dich zu küssen«, erwiderte sie beiläu fig und küsste ihn auf die Nasenspitze, woraufhin er wie üblich ein Gesicht schnitt. »Ich bin schon sechs Jahre alt und kein Baby mehr«, protestierte er empört. »Ich mag nicht geküsst werden.« »Eines Tages wirst du deine Meinung ändern.« Sie deckte ihn zu. »Wenn du erwachsen bist und dich mit Mädchen triffst.« »Mädchen!« Wieder schnitt er ein Gesicht. »Die sind doch doof.« »Darüber wirst du deine Meinung auch ändern.« Statt
ihn nochmals zu küssen, zauste sie ihm liebevoll das Haar. »Schlaf gut.« Im Wohnzimmer stand Liam noch an derselben Stelle, und seine Miene verhieß nichts Gutes. »Du wolltest mich wegschicken, ohne mich wissen zu lassen, dass ich einen Sohn habe«, warf er ihr vor. »Was macht dich so sicher, dass es deiner ist?« erkundig te Regan sich unüberlegt. »Wie alt ist er? Sechs Jahre? Dann liegt es nahe, dass er von mir ist – es sei denn, du hast dich sofort mit einem anderen Mann eingelassen, nachdem wir uns getrennt hatten.« Er lächelte freudlos, als er ihren gekränkten Ausdruck bemerkte. »Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen.« »Ja, er ist dein Sohn«, bestätigte Regan. »Das ändert aber nichts. Wenn du…« Sie verstummte, als sie sah, wie zornig er wurde. »Ich erfahre, dass ich einen sechs Jahre alten Sohn habe, und das soll nichts ändern?« rief er. »Wofür hältst du mich eigentlich?« »Ich meinte nur, du brauchst dich uns in keiner Weise verpflichtet zu fühlen«, brachte sie mühsam heraus. »Von dir will ich nichts. Ich wollte ja nicht einmal, dass du von ihm weißt.« »Warum hast du ihn dann Paula gegenüber erwähnt?« fragte Liam zweifelnd. Regan machte eine hilflose Geste. »Das war doch keine Absicht! Ich war… Ich wollte…« Wieder verstummte sie, weil es ihr unmöglich war, zu erklären, was sie in dem Moment empfunden hatte. »Es… ist einfach passiert«, fügte sie schließlich stockend hinzu. »Natürlich. Du warst ausnahmsweise mal ganz spon tan!« Seine ironischen Worte belebten ihren nachlassenden Kampfgeist. Trotzig hob sie das Kinn, ihre Augen blitzten.
»Wenn mir so viel daran gelegen hätte, dass du von Jamie erfährst, warum habe ich ihn dir nicht vorgestellt, als du das erste Mal hier warst?« »Wahrscheinlich weil dir bis dahin die Tragweite deiner unbedachten Worte klar geworden war.« »Ich habe dir doch schon gesagt…« »Ja, ja, ich weiß«, unterbrach er sie. »Die Entscheidung liegt allerdings nicht länger bei dir.« Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen. »Eins verstehe ich nicht. Wie konntest du schwanger werden, wenn wir beide Vorkeh rungen dagegen getroffen hatten?« »Damals habe ich gelogen, als ich behauptet habe, dass ich die Pille nehme«, gestand Regan. »Ich dachte, es würde genügen, wenn du Kondome benutzt.« »Da hast du dich offensichtlich geirrt.« Ausdruckslos sah er sie an. »Warum hast du mir nichts von deiner Schwangerschaft gesagt?« Sie schob die zitternden Hände in die Bademanteltaschen und blickte ihm in die Augen. »Wozu? Damit du mir eine Abtreibung hättest vorschlagen können?« »Wag es ja nicht…« Liam schüttelte den Kopf. »Eine Abtreibung wäre nicht infrage gekommen.« »Hättest du mir angeboten, mich zu heiraten?« »Natürlich!« Nun verzog Regan spöttisch die Lippen. »Eine so genannte Mussehe? Nein, danke. Nicht für mich!« »Es wäre keine…« Wieder verstummte er kurz. »Es hat keinen Sinn, über die Vergangenheit zu diskutieren. Wir müssen entscheiden, wie es weitergehen soll.« »So wie bisher«, erwiderte sie nachdrücklich. »Ich habe es bisher ohne deine Hilfe geschafft und werde es weiterhin tun.« Anders als sie erwartet hatte, wirkte Liam nicht erleich tert, eher noch entschlossener. »Hast du dir nie überlegt, was du dem Jungen alles vorenthältst?«
Das nahm ihr den Wind aus den Segeln. Jamie hatte auf nichts Wesentliches verzichten müssen – außer auf die Zuneigung seines Vaters. »Wenn du einen finanziellen Beitrag für seinen Unterhalt leisten willst, werde ich den nicht ablehnen«, erklärte Regan kühl. »Das ist aber auch alles.« »Auf keinen Fall.« Liam klang unnachgiebig. »Die ersten sechs Jahre im Leben meines Sohnes habe ich unwieder bringlich verpasst, aber ich lasse mir mein Mitsprache recht in Zukunft nicht nehmen.« Er ließ den Blick kritisch durchs Zimmer gleiten. »Das hier ist doch keine Umge bung, um ein Kind großzuziehen. Jamie braucht einen Platz zum Spielen.« »Es gibt einen kleinen Park nicht weit von hier.« Wie jämmerlich sich das anhört, dachte sie bestürzt. »Da gehen wir jedes Wochenende hin. Und in der Schule treibt Jamie viel Sport und hat genug Bewegung.« »Und in’ den Ferien? Du kannst bestimmt nur den üblichen Urlaub nehmen.« »Ich bezahle Sarah, die hier im Haus wohnt, damit sie sich um Jamie kümmert, wenn ich nicht da sein kann. Sie ist sehr verlässlich und ganz vernarrt in ihn.« »Trotzdem ist die Situation alles andere als ideal.« Regan versuchte vergeblich, seine Gedanken zu erahnen. »Was genau schlägst du vor, Liam?« »Die Einzelheiten müssen wir erst besprechen. Aller dings nicht jetzt, denn wir brauchen beide Zeit zum Überlegen. Ich komme morgen früh wieder. Wäre dir halb zehn recht?« Wenn sie nicht ihre Sachen packen und mit Jamie irgend wohin flüchten wollte, wo Liam sie nicht finden konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zuzustimmen. »Ja, schon«, antwortete sie widerstrebend. »Jamie wird aber nicht begeistert sein, wenn er deswegen auf seinen üblichen Schwimmunterricht im hiesigen Sportzentrum
verzichten muss.« »Den kann er doch verschieben.« Liam betrachtete sie mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen. »Geh jetzt schlafen! Du siehst erschöpft aus.« Kein Wunder, dachte sie und bezweifelte, dass sie würde schlafen können, wenn ihr so viel durch den Kopf ging. Liam ging zur Tür und wandte sich nochmals kurz um. »Also, morgen um halb zehn. Sei bitte da!« »Bleibt mir denn etwas anderes übrig?« »Nein«, bestätigte er. »Von jetzt an sorgen wir gemein sam für den Jungen.« Was habe ich mit der unüberlegten Bemerkung Paula gegenüber alles angerichtet! dachte Regan, nachdem sie die Wohnungstür geschlossen hatte. War es wirklich so unüberlegt, oder hast du dir unbe wusst gewünscht, dass Liam von Jamie erfährt? meldete sich eine innere Stimme. Ja, das war denkbar. Es war sogar möglich, dass sie, Regan, Liam deshalb in die Wohnung gelassen hatte. Er hätte sich nicht gewaltsam Zutritt verschafft, wenn sie ihm den energisch genug verweigert hätte. Nun musste sie die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt hatte! Aber Liam wird von jetzt an nicht das Kommando übernehmen, schwor sie sich. Am folgenden Morgen schlief Jamie wie üblich bis sieben Uhr und erschien dann, noch im Pyjama, im Wohnzimmer. Misstrauisch sah er sich um, als würde er erwarten, dass der Besucher sich versteckt hatte. »Mr. Bentley ist vor Stunden nach Hause gegangen«, versicherte Regan. Dann zögerte sie. Sie wusste, dass sie Jamie die Wahrheit sagen musste, aber nicht, wie sie sie formulieren sollte. »Er kommt heute Vormittag, um mit uns beiden zu reden«, fügte sie schließlich hinzu. Er wirkte verwirrt. »Warum?« Regan atmete tief durch und beschloss, ganz offen zu
sein. »Er ist dein Daddy.« »Ich hab keinen. Mein Daddy ist weggegangen, als ich noch ein Baby war.« »Ja, das habe ich dir erzählt.« Sie zog ihn neben sich aufs Sofa und widerstand dem Drang, ihn in die Arme zu nehmen und ihm zu sagen, er solle alles vergessen. »Es war falsch von mir. Dein Vater wusste gar nicht, dass es dich gibt, und das ist jetzt die Wahrheit.« Unverwandt blickte Jamie sie an. »Warum hat er es nicht gewusst?« »Weil ich es ihm nicht gesagt habe.« Er dachte eine Zeit lang darüber nach. »Warum nicht?« »Weil ich dachte, er würde es nicht wissen wollen.« »Aber er hat es doch rausgefunden?« »Ja.« Wie das passiert war, wollte sie ihm nicht erzählen. »Und nun…« Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und Regan schluckte. »Nun möchte er sich um dich kümmern.« Jamie sah bestürzt aus. »Anstelle von dir?« »Nein, natürlich nicht«, beruhigte sie ihn schnell. »Wir beide werden weiterhin zusammen sein wie bisher. Wir werden allerdings mehr Geld haben.« »Wir haben schon ganz viel Geld«, erwiderte der Kleine treuherzig. »Mehr brauchen wir gar nicht. Und ich will keinen Daddy«, fügte er hinzu – so unnachgiebig wie sein Vater. »Doch, du willst ihn bestimmt, wenn du ihn erst richtig kennen lernst.« Sie versuchte, möglichst überzeugend zu klingen. »Er freut sich schon darauf, mit dir besser bekannt zu werden.« Jamie blickte skeptisch drein. »Ich zieh mich jetzt an«, verkündete er unvermittelt und stand auf. Dann ging er zu seinem Zimmer und wandte sich an der Tür um. »Was ist mit Schwimmen?« »Wir können heute Nachmittag gehen«, schlug Regan vor.
»Da gibt es aber keine Kinder stunde«, erinnerte er sie. »Und du hast immer gesagt, nachmittags ist im Bad zu viel Betrieb.« »Das eine Mal werden wir den schon ertragen«, erwider te sie aufmunternd. »Was hättest du gern zum Frühs tück?« Das lenkte ihn ab, und er überlegte einen Moment lang. »Cornflakes mit Bananenscheiben drauf und ein weiches Ei mit Toast, bitte.« Wenigstens ist ihm der Appetit nicht vergangen, dachte sie erleichtert. Jamie hatte jetzt viel zu verkraften, mehr, als man einem Sechsjährigen zumuten sollte. Das Treffen mit seinem Vater würde für alle Beteiligten kein reines Vergnügen werden. Liam erschien pünktlich um halb zehn. »Guten Morgen, Jamie«, begrüßte er den Jungen unbefangen, der ihn, ohne zu lächeln, musterte. »Mummy sagt, du bist mein Daddy, aber ich mag dich nicht«, behauptete Jamie ausdruckslos. »Du kennst mich doch noch gar nicht. Das müssen wir ändern. Ich dachte mir, als Erstes gehen wir zusammen ins Schwimmbad.« »Meinen Schwimmunterricht hab ich verpasst«, erwider te der Kleine, unbeeindruckt von dem Angebot. »Ich habe im Sportzentrum angerufen und dich für die Stunde um halb elf angemeldet«, informierte Liam ihn und weckte damit sein Interesse. »Bei dem Lehrer, den du sonst auch hast. Der ist von deinen Fortschritten übrigens ziemlich angetan.« »Ich schaffe schon hundert Meter«, erklärte Jamie stolz. »Dafür hab ich eine Urkunde bekommen. Kannst du schwimmen?« »Ja, aber ich habe keine Urkunden dafür erhalten.« »Ich werde bei der Olympiade mitmachen, wenn ich alt genug bin.«
»Olympiade«, verbesserte Regan ihn unwillkürlich. »Olympiade«, wiederholte Jamie und betonte genau wie sie die erste Silbe. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Vater, wobei er schon wesentlich zugänglicher wirkte. »Du kannst nicht mit ins Wasser kommen.« »Ich weiß. Deine Mummy und ich werden uns in Ruhe unterhalten, während wir dir zusehen.« »Glaubst du wirklich, das ist der passende Ort und Zeitpunkt?« fragte Regan kurz angebunden, denn sie fühlte sich übergangen. »So gut wie jeder andere. Am besten fahren wir von hier mit dem Taxi zum Sportzentrum, dann brauche ich nicht noch mal einen Parkplatz zu suchen. Wenn das Restaurant dort akzeptabel ist, könnten wir da zu Mittag essen.« »Ja, gut«, stimmte sie zu. »Wir frühstücken normaler weise nach dem Unterricht im Restaurant.« »Abgemacht. Ich bestelle das Taxi. In zehn Minuten müsste es hier sein.« Jamie ging in sein Zimmer, um das Schwimmzeug zusammenzusuchen, Regan zog sich ins Bad zurück. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, lehnte sie sich dagegen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Bisher hatte Liam keinen falschen Schritt getan, und wenn er so weitermachte, würde Jamie von ihm begeistert sein, bevor es Abend wurde. Ich habe etwas dagegen, die Zuneigung meines Sohnes zu teilen, gestand sie sich ein. Es war eine Sache, Geld anzunehmen, um Jamie mehr Lebensqualität bieten zu können, aber eine ganz andere, wenn Liam sich in irgendeiner Weise in die Erziehung einmischte. Dazu wird es wohl nicht kommen, beruhigte Regan sich schließlich. Liam wollte nur sein schlechtes Gewissen besänftigen, weil er sie damals sitzen gelassen hatte. Wenn das Finanzielle erst einmal geregelt war, würde er sich
bestimmt damit zufrieden geben, im Hintergrund zu bleiben. In seinem Leben war für ein Kind sicher kein Platz. Liam saß auf einer Sessellehne, als Regan aus dem Bad kam, und las die Urkunde, die Jamie ihm gegeben hatte. »Sehr eindrucksvoll«, meinte er und reichte sie dem Jungen. »Du solltest sie rahmen lassen und an die Wand hängen.« »Das machen wir bald«, behauptete Regan und war wütend auf sich, weil sie nicht auf die Idee gekommen war. »Zusammen mit den anderen, die er noch bekommen wird.« »Richtig. Seid ihr fertig? Das Taxi müsste jeden Moment hier sein.« »Ich brauche nur noch meine Jacke und die Tasche«, antwortete sie. »Die sind im Schlafzimmer.« »Es gibt nur einen Schrank, und den müssen wir uns teilen«, informierte Jamie seinen Vater. »Mummy hat aber nicht so viele Sachen wie ich.« »Qualität zählt mehr als Quantität«, erklärte sie schnell. »Du hattest schon immer einen ausgezeichneten Ge schmack«, bemerkte Liam. »Nicht bei allem«, erwiderte sie unüberlegt und sah, dass er sich kurz verspannte. »Ich habe von Geschmack gesprochen, nicht von Vernunft. Das ist ein Unterschied.« Ein Klingeln an der Haustür verkündete die Ankunft des Taxis. Regan zog eine Windjacke an und nahm den modi schen Rucksack, den sie für einen Spottpreis auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Dann ging sie mit Vater und Sohn nach unten. Sarah öffnete die Tür, als sie die Schritte im Flur hörte, und blickte überrascht und nachdenklich von Jamie zu ihnen. »Ich wollte gerade zu euch kommen und nachsehen, ob
alles in Ordnung ist, weil ihr nicht wie üblich zum Schwim men gegangen seid«, meinte sie. »Dass ihr Besuch habt, wusste ich nicht.« »Sie sind vermutlich Sarah«, sagte Liam, bevor Regan zu Wort kam. »Ich bin Liam Bentley, Jamies Vater. Danke, dass Sie den Jungen betreuen.« Leise erwiderte Sarah, es sei ihr ein Vergnügen, und zog sich sichtlich verwirrt in ihre Wohnung zurück. »Ich werde ihr einiges erklären müssen«, bemerkte Regan bedauernd, als sie das Haus verließen. »Nur so viel, wie du für nötig hältst«, riet Liam. »Es ist allein deine Angelegenheit.« Es herrschte erstaunlich wenig Verkehr, und nach kurzer Zeit erreichten sie das Sportzentrum. Jamie ging sich sofort umziehen, während Regan und Liam auf die Tribüne stiegen. Die Kinder versammelten sich bereits um den Schwimm lehrer, den Regan im vergangenen Jahr recht gut kennen gelernt hatte. Er winkte ihr zu, als er sie entdeckte. Noch jemand, der sich bestimmt fragt, wo Jamies Vater all die Jahre gewesen ist, dachte sie. Liam hatte gut reden, dass sie niemandem Erklärungen schuldete! »Jamie ist ein nettes Kind«, bemerkte er. »Du hast ihn gut erzogen.« »Wenn man die Umstände bedenkt«, fügte sie hinzu. »Nein, das Lob gilt uneingeschränkt! Es kann nicht einfach für dich gewesen sein.« »Das stimmt«, bestätigte sie. »Aber ich möchte diese Jahre um nichts in der Welt missen.« Sie blickte ihm in die Augen, und ihr Herz begann, wie rasend zu pochen. »Es muss für dich ein schwerer Schock gewesen sein, als Jamie gestern Abend plötzlich im Wohnzimmer erschienen ist.« »Das kann man wohl sagen! Warum hast du zuerst zu leugnen versucht, dass er mein Sohn ist?« Regan zuckte die Schultern. »Ein letzter verzweifelter
Versuch, die Dinge beim Alten zu belassen, vermute ich. Wenn diese Paula nicht so verdammt…« Sie verstummte reumütig. »Nein, es gibt keine Entschuldigung. Ich hätte Paula einfach stehen lassen sollen, so wie du es gemacht hast.« »Und sie im eigenen Saft schmoren lassen.« Liam lachte. »Das wäre wirklich grausam von dir gewesen.« »Ich habe gehört, sie hätte dir vor allen Gästen die Hölle heiß gemacht.« »Und ob!« Er machte eine wegwerfende Geste. »Vergiss Paula! Wir haben Wichtigeres zu besprechen.« Regan blickte konzentriert zum Schwimmbecken. »Ich wäre natürlich sehr dankbar für finanzielle Unterstüt zung«, begann sie. »Aber ich…« »Du bist nicht bereit zu akzeptieren, dass ich mich darüber hinaus mit Jamie befasse«, unterbrach er sie. »Tut mir Leid, das kann ich wiederum nicht akzeptieren. Ich habe schon so viel von seinem Leben versäumt und muss die verlorene Zeit wieder gutmachen. « Eine Zeit lang schwieg sie, das Gesicht weiterhin abge wandt. Liam ging es ausschließlich um Jamie, natürlich, nicht um sie. Der KUSS letzte Nacht hatte nichts zu bedeuten. »Und was genau hast du im Sinn?« fragte sie schließlich bedrückt. »Ein Arrangement, von dem wir alle profitieren«, antwortete Liam. »Als Erstes musst du meine Tochter kennen lernen.« Nun wandte sich ihm so rasch zu, dass sie sich einen Nackenmuskel zerrte und leise stöhnte. »Ich muss mir einen Nerv eingeklemmt haben«, erklärte sie, als er sie besorgt anblickte, und rieb sich die schmerzende Stelle. »Deine Tochter?« wiederholte sie dann. »Ja. Sie heißt Melanie und ist vier Jahre alt. Vom Alter her passt sie gut zu Jamie, stimmt’s?«
»Und wie wird deine Frau darauf regieren, dass du auch einen Sohn hast?« erkundigte Regan sich, noch zu überrascht, um klar denken zu können. »Meine Exfrau.« Er zuckte die Schultern. »Es ist unwahrscheinlich, dass sie jemals davon erfährt. Melanie und ich haben sie seit vier Jahren nicht gesehen.« Ihre Augen wurden dunkler, als ihr die Bedeutung der Bemerkung klar wurde. »Sie hat ihr Kind im Stich gelassen?« »Du hast es auf den Punkt gebracht. Nicht alle Frauen haben mütterliche Gefühle.« »Warum habt ihr dann ein Kind…?« »Es war keine Absicht. Andrea wollte auf keinen Fall Kinder. Sie hätte eine Abtreibung vornehmen lassen, wenn ich sie nicht daran gehindert hätte. Nach Melanies Geburt hat sie das Weite gesucht, sobald es ihr möglich war. Jetzt lebt sie irgendwo in den USA.« »Hat sie wieder geheiratet?« »Keine Ahnung. Es interessiert mich auch nicht. Es war der größte Fehler meines Lebens, Andrea zu heiraten.« »Hat sie dir eine schlimme Zeit beschert?« Die Worte waren ihr so herausgerutscht. »Nicht schlimmer, als ich es verdient habe«, erwiderte Liam gleichmütig. »Ich habe nur geheiratet, um meine Karriere zu fördern. Die Direktoren von Chantry’s sind der Meinung, dass ein Mann in meiner Position eine geeignete Ehepartnerin vorweisen muss.« »Und ich habe mich dazu nicht geeignet«, bemerkte sie leise. Seine grauen Augen verrieten keine Gefühlsregung. »Du warst zu jung und unerfahren. Andrea verkehrte in denselben gesellschaftlichen Kreisen wie ich.« Er biss kurz die Zähne zusammen. »Jedenfalls ist das Schnee von gestern. Für mich ist Andrea so gut wie gestorben.« Das konnte sie ihm nicht verdenken. Selbst wenn die Ehe
nicht glücklich gewesen war, welche Frau ließ einfach ihr Baby im Stich? »Und wer kümmert sich um Melanie?« fragte Regan. »Sie lebt bei meinen Eltern. Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit ihr, aber die Situation ist natürlich alles andere als ideal. Meiner Mutter wird es allmählich auch zu viel. Es ist keine leichte Aufgabe, ein lebhaftes Kind zu beschäfti gen, wie du sicher weißt.« »Sarah hatte die meiste Arbeit, bevor Jamie in die Schule kam. In den Ferien ist es immer noch so.« Liam betrachtete sie nachdenklich. »Wärst du lieber die ganze Zeit bei Jamie zu Hause geblieben?« »Ja! Allerdings musste ich arbeiten, weil ich ihm nur mit Sozialhilfe kein schönes Leben hätte bieten können.« »Vor mir brauchst du dich nicht zu rechtfertigen, Regan. Du hast dein Möglichstes für ihn getan.« Und das war, wie er ihr nicht zu sagen brauchte, wesent lich weniger als das, was er seinem Sohn hätte bieten können – wenn er von dessen Existenz gewusst hätte. »Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie deine Mutter reagieren wird, wenn du ihr deinen bislang unbekannten Sohn vorstellst«, bemerkte Regan. »Es ist bestimmt besser, wenn es unter uns bleibt.« »Nicht wenn wir das tun, was ich plane«, erwiderte Liam ruhig. Und damit wären wir wieder am Ausgangspunkt des Gesprächs, dachte sie. »Und das wäre?« »Heiraten!«
4. KAPITEL Heiraten? Sieben Jahre zuvor hätte sie alles darum gege ben, wenn Liam sie – und wäre es ebenso beiläufig wie jetzt
gewesen – gebeten hätte, seine Frau zu werden. Nun war Regan sich ihrer Gefühle nicht sicher. »Einfach so?« fragte sie schließlich. »Nicht einfach so! Ich habe eine ganze Nacht lang darüber nachgedacht und finde die Lösung ideal. Du könntest deinen Job aufgeben und dich ganz den Kindern widmen, wie du es ja schon immer tun wolltest.« »Ja, mit meinem Kind wollte ich mehr Zeit verbringen, nicht mit dem einer anderen Frau.« Zorn und schmerzli che Enttäuschung erfüllten Regan. »Wenn deine Mutter es nicht länger schafft, deine Tochter zu betreuen, dann engagiere ein Kindermädchen. Das ist auf lange Sicht wesentlich billiger.« »Kindermädchen sind kein Ersatz für eine richtige Familie«, entgegnete Liam. »Melanie braucht eine Mutter, Jamie einen Vater. Und dir würde das Arrangement auch Vorteile bringen.« »Dessen bin ich mir sicher.« Sie versuchte, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. »Vom Aschenputtel zur Prinzessin einzige Bedingung: mütterliche Gefühle.« »Nein, nicht die einzige Bedingung.« Er klang noch immer sachlich. »Gestern war es doch unverkennbar, dass wir uns noch immer zueinander hingezogen fühlen. Vielleicht verlieben wir uns sogar wieder ineinander.« »Wieder!« Nun verlor sie die Beherrschung. »Du wusstest doch beim ersten Mal schon nicht, was Liebe ist.« »Wie du meinst. Unsere Gefühle spielen zurzeit jedenfalls keine große Rolle. Die Kinder haben Vorrang. Wenn du meinen Vorschlag ablehnst, enthältst du ihnen vieles vor.« Regan biss sich auf die Lippe. Ja, wenn ich die Ehe mit Liam ausschlage, dann ausschließlich mir zuliebe, und dabei ist Jamies Wohlergehen mein größtes Anliegen, überlegte sie. »Du brauchst dich nicht sofort zu entscheiden«, versi cherte Liam und beobachtete ihr Mienenspiel. »Heute
Nachmittag nehme ich euch zu einem Besuch bei Melanie mit.« »Heute Nachmittag schon?« Sie hatte das Gefühl, dass er sie zwang, einen Weg einzuschlagen, auf dem es kein Zurück mehr gab. »Warum die Eile, Liam?« »Warum warten?« »Und wenn sie mich nicht leiden kann?« »Melanie mag jeden. Sie wird begeistert sein, wenn sie wie die anderen Kinder eine Mutter bekommt.« »Moment, ich habe noch nicht Ja gesagt«, erinnerte sie ihn, ganz benommen, weil alles so schnell ging. »Das wirst du aber, selbst wenn es nur Jamie zuliebe ist.« »Manchmal grenzt Selbstbewusstsein an Arroganz«, erwiderte Regan kurz angebunden. »Ich bin mir gar nicht sicher, ob unsere Ehe zu Jamies Bestem wäre.« »O doch, das bist du. Seine Zukunft wäre gesichert, und dafür würdest du sogar durch die Hölle gehen.« Eine Ehe ohne Liebe könnte sich als genau das erweisen, dachte sie. Dass Liam keine Ehe wollte, die nur auf dem Papier bestand, hatte er deutlich durchblicken lassen, und sie, Regan, begehrte ihn immer noch so sehr, dass sie sich ihm nicht verweigern würde. Wie aber stand es bei ihm um tiefere Gefühle, um die Basis, auf der man eine echte Beziehung aufbauen konnte? »Mummy!« Der Klang von Jamies Stimme riss sie aus ihren Gedan ken. Rasch blickte sie nach unten. »Du hast mich nicht gesehen, stimmt’s?« beklagte der Junge sich. »Du warst viel zu beschäftigt und hast verpasst, wie ich einen Kopfsprung gemacht hab.« Da sie immer versuchte, ehrlich zu ihm zu sein, gab sie auch jetzt keine ausweichende Antwort, so verlockend es gewesen wäre. »Ja, du hast Recht!« rief sie zurück. »Entschuldige
bitte!« Liam lehnte sich über die Brüstung. »Es war meine Schuld, Jamie. Wie wäre es, wenn du es noch mal machen würdest?« Er wandte sich an den Schwimmlehrer. »Geht das?« »Okay«, stimmte der zu. »Na los, Jamie! Die Bahn ist frei.« »Jetzt mag ich nicht mehr«, behauptete der Kleine rebellisch und ließ sich ins Becken plumpsen. »Normalerweise ist er nicht so schnell beleidigt«, sagte Regan entschuldigend. »Mit sechs Jahren darf er ab und zu aufmüpfig sein«, meinte Liam. »Wir sollten uns jetzt lieber auf ihn konzentrieren.« Das war ihr recht. Sie musste seinen Vorschlag genau bedenken, und dazu war sie im Augenblick nicht fähig. Aufgemuntert vom wohlverdienten Lob seines Trainers, überwand Jamie am Ende des Unterrichts seine schlechte Laune und kam vergnügt aus dem Umkleideraum zurück. »Mr. Grayson sagt, ich darf nächsten Samstag beim Schwimmwettbewerb mitmachen«, verkündete er stolz. »Und dann bekomme ich noch eine Urkunde, weil ich gewinne.« »Es geht doch nichts über ein gesundes Selbstvertrauen«, bemerkte Regan und dachte daran, wie ähnlich der Kleine in dieser Hinsicht seinem Vater war. »Zweifel haben noch niemandem weitergeholfen«, behauptete Liam. »Hat schon jemand Lust auf Mittages sen?« »Ich!« rief Jamie begeistert. »Kann ich Würstchen und Pommes haben?« »Darf ich«, verbesserte Regan ihn unwillkürlich und merkte dann erst, was sie gestattet hatte, obwohl sie sonst gegen fettiges Fast Food war. Nun war es für einen Rückzieher jedoch zu spät.
Liam lächelte beim Anblick ihrer bestürzten Miene. »Bei der Kindererziehung tappt man leicht in Fallgruben«, meinte er trocken. Das Restaurant war halb leer, da der übliche Ansturm noch nicht eingesetzt hatte. Während Liam und Jamie die Speisekarte studierten – für den Fall, dass etwas angeboten wurde, was noch leckerer als Pommes schmeckte –, überlegte Regan, dass man sie jetzt schon für eine richtige Familie halten könnte. Jamie schien das ursprüngliche Misstrauen gegen Liam aufgegeben zu haben und plauderte unbefangen. Würde er es aber auch akzeptieren, wenn sein Vater eine fixe Größe im Alltag wurde? Erst nach dem Essen informierte Liam den Jungen, dass sie noch woandershin fahren würden. »Ist es da gut?« fragte Jamie, anscheinend nicht abge neigt, mehr Zeit mit seinem Vater zu verbringen. »O ja. Es ist auf dem Land.« »Gibt es Tiere?« »Jede Menge. Meine Mutter züchtet Bobtails«, fügte Liam an Regan gewandt hinzu. »Zurzeit musste es wenigs tens einen Wurf Welpen geben.« »Hundebabys?« Jamie schien im siebten Himmel zu sein. »Brauchen wir lange, um da hinzukommen?« »Eine Stunde, wenn alles gut geht.« Das dämpfte seine Begeisterung etwas, denn für Jamie war eine Stunde eine Ewigkeit. »Rufst du deine Mutter an und sagst ihr, dass du uns mitbringst?« fragte Regan, während Jamie schon ins bereitstehende Taxi kletterte. »Nein, die Situation lässt sich am Telefon nur schwer erklären«, antwortete Liam kurz angebunden. »Meine Mutter ist scharfsinnig genug, um zwei und zwei zusam menzuzählen, sobald sie Jamie sieht.« »Jedes Baby kann zwei und zwei zusammenzählen«, mischte der Junge sich ein. »Ich kann sogar schon zweistel
lige Zahlen addieren.« »Toll!« lobte Liam ihn und lächelte vergnügt. »Ich werde noch lange brauchen, um alles zu erfahren, was du gut kannst.« Ermuntere Jamie nicht zur Prahlerei, wollte Regan ihn warnen, ließ es aber. Liam tastete sich sozusagen an die Beziehung zu seinem Sohn heran, deshalb war es noch zu früh, um ihm Verhaltensmaßregeln ans Herz zu legen. Vor dem Haus stiegen sie gleich in den Jaguar um, ohne noch einmal in die Wohnung zu gehen. Regan hätte sich gern umgezogen, doch die Zeit drängte. Mrs. Bentley wird nicht viel von mir halten, egal, was ich trage, dachte sie kläglich. Vor allem wenn Liam seine Heiratspläne verkündete. Während der Fahrt dachte Regan über die Zukunft nach. Es wäre verlockend, einfach allem seinen Lauf zu lassen, aber es gab zu viele Fallstricke, die sie nicht außer Acht lassen durfte. Was hatte Liam denn zu seinem Heiratsantrag bewegen? Doch nur die Pflichtgefühle gegenüber Jamie und der Wunsch, Melanie ein richtiges Familienleben zu bieten. Reichte das als Basis für eine Ehe? Was war, wenn Liam eine andere Frau kennen und lieben lernte? Oder sie, Regan, verliebte sich in einen anderen Mann? Nein, daran brauchte sie gar nicht zu denken. Wenn sie Liams Antrag annahm, würde sie sich an ihren Teil der Abmachung halten. Noch hatte sie sich allerdings nicht dazu entschlossen! Der Besitz der Bentleys lag am Rand eines malerischen Dorfs mit alten Fachwerkhäusern. Das Haus namens Old Hay war ein umgebautes Farmgebäude, dessen Sprossen fenster in der Sonne blinkten, und wirkte sehr einladend. Regan bezweifelte allerdings, dass sie von seinen Eltern mit offenen Armen aufgenommen werden würde, sobald Liam seine Absichten offenbart hatte.
Er führte sie in eine geräumige Diele, wo er von zwei großen, zottigen Hunden stürmisch begrüßt wurde. »Das sind Pal und Peg«, sagte er, als die beiden ihre Aufmerksamkeit der etwas misstrauischen Regan und dem hingerissenen Jamie zuwandten. »Sie sind die Stammeltern der Bentley-Dynastie. Die anderen sind draußen – meistens jedenfalls.« »Es scheint niemand zu Hause zu sein«, bemerkte Regan zaghaft, denn das laute Gebell der Hunde hätte die Bewoh ner eigentlich herbeirufen müssen. »Dad ist wohl ins Dorf gegangen, und meine Mutter füttert wahrscheinlich die Hunde im Zwinger. Melanie ist bestimmt bei ihr.« Liam ging zu einer Tür am Ende der Diele. »Kommt mit!« Die Hunde begleiteten sie einen Flur entlang zu einer weiteren Tür. Durch diese gelangte man in einen großen Hof, der auf zwei Seiten von den Nebengebäuden begrenzt war. Das eine, früher vermutlich der Stall, hatte man in einen Zwinger mit geräumigen, durch feste Gitter gesicherten, Ausläufen umgewandelt. Jamie lief gleich zu dem einen, in dem mehrere kleine Hunde umhertapsten. Rasch kniete er sich hin und schob die Finger durchs Gitter, was die Welpen sehr interes sierte. Strahlend wandte er sich Regan und Liam zu. »Sie lecken mir die Hand!« rief er. »Sie mögen mich.« »Vor allem wollen sie das Salz auf seiner Haut«, erklärte Liam. »Sag ihm das nicht«, bat Regan rasch und erntete dafür einen sarkastischen Blick. »Ich hatte schon mal mit Kindern zu tun, Regan.« »Ja, natürlich. Tut mir Leid. Ich wollte nur nicht…« »Seine Seifenblase zum Platzen bringen?« beendete er den Satz, als sie verstummte. »Keine Sorge, das habe ich nicht vor. Die Kindheit ist ohnehin viel zu kurz, da sollte man Kindern nicht vorzeitig ihre Illusionen rauben. Melanie
glaubt übrigens noch an den Weihnachtsmann. Jamie auch?« Regan zuckte die Schultern. »Nicht mehr, seit er zur Schule geht und ein kleiner Neunmalkluger mit fantasielo sen Eltern ihn überzeugt hat, dass es keinen gibt.« »Mir wäre es lieb, wenn Jamie sein Wissen nicht an Melanie weitergeben würde.« »Das Thema ist jetzt im Mai nicht sehr aktuell, oder?« »Nein, aber später.« »Falls es ein ,später’ gibt, Liam!« »Da bin ich mir ganz sicher.« »Liam!« Die Frau, die nun aus dem Zwinger kam, war ganz anders, als Regan erwartet hatte. Sie trug eine abgewetzte Hose, darüber alte Stiefel, und ihr Pullover hatte auch schon bessere Tage gesehen. Dir kurzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. »Ich dachte mir doch, ich hätte die Hunde bellen hören«, fuhr sie fort. »Warum hast du uns nicht benachrichtigt, dass du heute schon kommst und Besuch mitbringst?« Freundlich blickte sie Regan an. »Guten Tag!« »Das ist Regan Holmes«, sagte Liam, bevor Regan den Gruß erwidern konnte, und wies dann auf den Kleinen. »Und das ist Jamie, Regans und mein Sohn.« Mrs. Bentley beherrschte sich bewundernswert und verzog keine Miene. »Erklär mir das gleich genauer«, bat sie schließlich. »Wenn ich hier draußen fertig bin. Es dauert nur noch einige Minuten.« »In Ordnung«, erwiderte Liam. »Wo ist eigentlich Melanie?« »Dein Vater hat sie zur Post mitgenommen. Sie müssten jeden Augenblick zurückkommen.« Nochmals sah Mrs. Bentley Regan an, diesmal weit weniger freundlich, dann wandte sie sich um und kehrte in den Zwinger zurück. Regan atmete scharf ein. »Du hättest es ihr schonender beibringen können.«
»Es hat keinen Sinn, um den heißen Brei herumzure den«, widersprach Liam. »Sie hat jetzt Zeit, sich mit der Neuigkeit abzufinden, während sie die Hunde füttert. Inzwischen gehen wir ins Haus und machen Tee. Der ist immer gut, um das Eis zu brechen, stimmt’s?« Tee? Danach war ihr nicht zu Mute. Am liebsten hätte sie Jamie genommen und wäre mit ihm geflüchtet. Die Situation war einfach unmöglich! Das musste Liam doch einsehen. Jamie ließen sie bedenkenlos draußen bei den Hunden, denn er würde dort bestimmt nicht weggehen. Die Küche war behaglich mit Einbaumöbeln aus hellem Eichenholz eingerichtet, und es gab einen altmodischen Emailleherd. Liam füllte den Wasserkessel und setzte ihn auf, anschließend nahm er Geschirr aus dem Schrank und stellte es auf ein Tablett. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so häuslich bist«, bemerkte Regan ironisch. »Gelegentlich koche ich sogar. Zieh doch die Jacke aus, und setz dich. Wir bleiben in der Küche. Je weniger Förmlichkeit, desto besser.« »Es wird nicht gut gehen«, vermutete sie, ohne auf seinen Vorschlag einzugehen. Liam lehnte sich gegen den Küchentresen und sah sie ausdruckslos an. »Was stört dich denn an meinem Plan?« »Alles!« Spöttisch zog er die Brauen hoch. »Bist du dir ganz sicher?« Sie wusste, worauf er anspielte, und errötete. »Es gibt Wichtigeres im Leben als Befriedigung. Ich bin auch ohne dich sehr gut zurechtgekommen.« »Dieses Geplänkel bringt uns nicht weiter.« Nun wirkte er ungeduldig. »Wenn dir mein Antrag wirklich so wenig zusagt, hättest du ihn schon längst abgelehnt.« »Ich komme jetzt erst dazu, die Nachteile abzuwägen«,
erwiderte Regan kühl. »Ich wäre, genau betrachtet, nur eine bessere Haushälterin – und deine Bettgefährtin. Ich will gar nicht so tun, als wäre ich nur widerwillig dazu bereit, denn gestern hast du ja deutlich gemerkt, dass ich mich noch immer zu dir hingezogen fühle. Aber was würde sonst noch für mich dabei herausspringen?« Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Liam sie. »Was würdest du denn noch wollen?« Du bist schon weit genug gegangen, warnte eine innere Stimme sie, doch Regan achtete nicht darauf. »Für den Anfang wäre ein großzügiges Taschengeld nicht schlecht. Zusätzlich zum Haushaltsgeld natürlich.« »Denkst du an eine bestimmte Summe?« fragte er sachlich. Nun bedauerte sie ihre Worte schon. »Das habe ich nicht so gemeint.« »Warum nicht? Hausfrauen steht ein persönliches Ein kommen zu. Und welche weiteren Bedingungen stellst du?« »Keine.« Verstört strich sie sich durchs Haar und wünschte, sie hätte das Thema nicht angeschnitten. »Es wird ohnehin keine Hochzeit geben.« »Du würdest Jamie finanzielle und emotionale Sicherheit vorenthalten, nur weil du mit mir nicht verheiratet sein möchtest? Und ich dachte, du wärst eine selbstlose Mutter.« »Das ist nicht fair!« rief Regan heftig. »Eine Ehe geht man nicht leichtfertig ein. Nicht einmal unter günstigeren Umständen.« »Wer will denn, dass du leichtfertig bist? Im Gegenteil, ich erwarte Beständigkeit und Hingabe von dir – in jeder Hinsicht.« »Und darf ich das auch von dir erwarten, Liam?« Ihr Sarkasmus ließ ihn offensichtlich kalt. »Natürlich.« Das Wasser begann zu kochen, und Liam wandte sich
ab, um die Teekanne zu füllen. »Willst du nicht die Jacke ausziehen, Regan? Du kannst sie an die Garderobe im Flur hängen.« Es besteht keine Chance, von hier wegzukommen, bevor Liam dazu bereit ist, dachte Regan und tat, was er ihr empfohlen hatte. Widerstrebend kehrte sie dann in die Küche zurück. »Setz dich doch, Regan. Mom müsste jetzt jeden Moment hereinkommen. « Sie nahm am Tisch Platz, und kurz darauf erschien Mrs. Bentley. »Ihr Sohn scheint sich draußen bei den Hunden sehr wohl zu fühlen, deshalb habe ich ihn dort gelassen«, informierte sie Regan und wandte sich anschließend Liam zu. »Worum geht es hier eigentlich?« »Setz dich erst einmal, und trink einen Schluck Tee«, erwiderte er gelassen. »Du sagst doch immer, Tee wäre das beste Mittel gegen Schock.« »Es tut mir wirklich Leid, dass ich Sie so überfallen habe, Mrs. Bentley«, entschuldigte Regan sich. »Ich…« »Du bist nicht schuld«, unterbrach Liam sie. »Regan und ich kannten uns, bevor ich Andrea geheiratet habe«, begann er ohne Umschweife. »Es kann nicht lange vorher gewesen sein, wenn ich das richtig beurteile«, bemerkte Mrs. Bentley. »Wie alt ist… Jamie? So heißt er doch, oder?« Obwohl die Frage an Liam gerichtet war, antwortete Regan. »Er ist sechs Jahre alt, und bis gestern wusste Liam nicht, dass er einen Sohn hat.« »Bis gestern!« Diesmal konnte Jean Bentley ihre Überraschung nicht verbergen. »Aber wie… Ich meine, wo…?« »Wir haben uns vor einer Woche zufällig auf einer Party wieder gesehen«, berichtete Liam. »Anschließend habe ich Regan besucht. Gestern war ich wieder bei ihr, und
als ich gerade gehen wollte, erschien Jamie im Wohnzim mer. Da erst erfuhr ich, dass ich einen Sohn habe. Falls du den Verdacht hegen solltest, Mom, dass Regan mich sozusagen in die Falle locken wollte, kannst du es verges sen. Regan würde viel lieber das alleinige Sorgerecht behalten, sieht allerdings ein, dass es Jamie gegenüber unfair wäre.« Er machte eine Pause und fügte schließlich hinzu: »Kurz gesagt, Regan und ich werden zum frühest möglichen Termin heiraten.« »Ihr seid euch doch erst letzte Woche wieder begegnet«, rief seine Mutter. »Wie kannst du da jetzt schon an Heirat denken?« »Warum sollten wir warten?« konterte er. »Regan und ich sind erwachsen und alt genug.« Wie eine Erwachsene fühlte Regan sich im Augenblick nicht, da Liam ihr die Entscheidung einfach abnahm. Sie wollte Einspruch erheben, sagte sich dann jedoch, dass es für Mrs. Bentley schon schwer genug war, sich mit dem bisher Gehörten abzufinden. Später werde ich Liam deutlich sagen, was er mit seinem Antrag machen kann, schwor sie sich. »Für mich war der Heiratsantrag auch ein Schock«, sagte sie aufrichtig. »Ich hatte ihn keineswegs erwartet.« »Trotzdem haben Sie offensichtlich nicht gezögert, ihn anzunehmen«, lautete die ziemlich bissige Erwiderung. »Das kann ich Ihnen nicht zum Vorwurf machen. Nur wenige Männer sind so verantwortungsbewusst wie mein Sohn.« »Ich denke nicht nur an Jamies Wohlergehen, sondern auch an Melanies«, behauptete Liam. »Du und Dad kümmert euch hervorragend um sie, aber ich weiß, wie viel Stress das manchmal bedeutet, vor allem für dich, Mom. Wahrscheinlich werden die beiden Kinder einige Zeit brauchen, um sich aneinander zu gewöhnen, aber sie sind jung genug, um sich anzupassen. Ich werde ein Haus
kaufen, das nicht weit von hier entfernt ist, dann kannst du Melanie so oft sehen, wie du möchtest.« »Ein Haus?« rief Regan erstaunt und bekämpfte den brennenden Wunsch, seine eigenmächtigen Pläne zu untergraben. »Du denkst doch bestimmt nicht daran, zwei Kinder in einer Stadtwohnung großzuziehen?« erwiderte er. »Ich werde mich gleich am Montag an einen Immobilienmakler wenden.« Das Ganze geht viel zu schnell, dachte Regan benommen. Liam schien schon alles bis ins Kleinste geplant zu haben. Mrs. Bentley musterte sie verunsichert und fragte sich wahrscheinlich, ob ihre, Regans, Verwirrung echt oder gespielt war. An der Tür zum Hof erschien ein Mann, der Liam so ähnlich sah, dass er nur sein Vater sein konnte. »Ich habe Melanie draußen bei dem Jungen gelassen«, sagte er beim Hereinkommen und brach damit das lastende Schweigen. Er lächelte Regan an. »Sie sind wahrschein lich seine Mutter?« »Das stimmt«, bestätigte sie. »Darf ich dich mit Regan Holmes bekannt machen, Dad«, mischte Liam sich ein, bevor sie noch etwas sagen konnte. »Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Miss Holmes! Der Vater des Jungen ist, so viel ich verstanden habe, auch hier?« »Du siehst ihn vor dir«, antwortete Liam gelassen. Wie seine Frau beherrschte auch Peter Bentley sich bewundernswert bei dieser schockierenden Neuigkeit. »Der Kleine muss ungefähr sechs Jahre alt sein«, bemerkte er nach einem Moment. »Du hast ihn uns lange vorenthalten, Liam.« »Er weiß auch erst seit kurzem, dass es das Kind gibt«, mischte sich Mrs. Bentley ein. »Und das nur durch Zufall,
wie es scheint.« »Ja«, bestätigte Regan, die sich nicht unterstellen lassen wollte, sie würde Liam zu ködern versuchen. Ihr Blick verriet, dass Mrs. Bentley ihr nicht glaubte. »Ich hätte gern eine Tasse Tee, wenn er noch heiß ist«, sagte Mr. Bentley. »Mit viel Zucker. Ich brauche jetzt eine kleine Stärkung.« »Es tut mir so Leid«, begann Regan, aber Liam ließ sie schon wieder nicht zu Wort kommen. »Entschuldigungen ändern nichts mehr«, erklärte er. »Ich bin für Jamies Existenz verantwortlich, deshalb trage ich von jetzt an auch die Verantwortung für sein Wohler gehen.« »Und wie willst du das angehen, Liam?« fragte sein Vater. »Er heiratet Miss Holmes«, antwortete Jean Bentley. »Verstehe.« Mr. Bentley goss sich Tee ein und tat Zucker in die Tasse, wobei er sich so viel Zeit ließ, als wollte er inzwischen seine nächsten Worte überlegen. »Ein folgen reicher Entschluss.« »Der einzig sinnvolle.« Liam merkte, dass Regan etwas einwenden wollte, und brachte sie mit einem Blick davon ab. »In jeder Hinsicht.« »Ich sehe lieber mal nach, was Jamie treibt«, sagte sie unvermittelt. »Dem geht es bestimmt gut. Melanie bringt ihn mit herein, wenn sie von den Hunden genug haben«, meinte Liam und hinderte sie so daran, sich der peinlichen Situation wenigstens vorübergehend zu entziehen. »Inzwi schen zeige ich dir das Haus, Regan, damit du eine Vorstellung davon bekommst, was mir für uns vorschwebt. Es ist dir doch recht, Mom?« »Durchaus«, erwiderte seine Mutter kurz angebunden. Als Erstes führte Liam Regan in ein behagliches Wohn zimmer mit einem großen Kamin, in dem Holz aufge
schichtet lag. An einem Winterabend muss es hier richtig gemütlich sein, dachte sie flüchtig. Er lehnte sich, die Hände in die Hosentaschen geschoben, gegen die Tür. »Und jetzt verrate mir, was du auf dem Herzen hast.« »Das habe ich bereits«, begann Regan. »Du kannst mich nicht zwingen, deinen Antrag anzunehmen, Liam.« »Richtig«, stimmte er zu. »Es gibt jedoch zwingende Argumente! Mehr Lebensqualität für Jamie, die nur mit genügend Geld geschaffen werden kann. Dir liegt sein Wohlergehen doch am Herzen, oder? Denk nur daran, wie glücklich er sein wird, wenn er nach dem Unterricht von dir in Empfang genommen wird statt von Sarah. Ich will ihre Qualitäten keineswegs bestreiten, aber eine Tages mutter ist immer nur ein Ersatz. Melanie kommt im September in die Schule, dann wirst du tagsüber frei über deine Zeit verfügen können. Kannst du Auto fahren?« Verwirrt blickte sie ihn an. »Auto fahren? Nein.« »Das lernst du bestimmt schnell. Wenn wir auf dem Land leben, brauchst du unbedingt ein Fahrzeug.« »Du klingst, als wäre alles schon endgültig entschie den«, meinte sie beklommen. »Ich zähle auf dein Verantwortungsbewusstsein«, erwider te er. »Und noch den ein oder anderen Anreiz.« »Zum Beispiel Sex?« Liam lächelte. »Ja, daran hatte ich auch gedacht.« »Als du gestern bei mir warst, hast du an nichts anderes gedacht, oder?« Liam leugnete es nicht. »Da habe ich mich ausschließlich von meinen Empfindungen leiten lassen. Heute sehe ich die Lage ganz sachlich.« Er kam zu ihr, und sie verspannte sich. »Und heute mache ich keinen Rückzieher.« Sanft umfasste er ihr Gesicht und sah ihr tief in die Augen. »Wir können es schaffen, eine gute Ehe zu führen, Regan!«
Als er sie küsste, schloss Regan die Augen und versuchte, ihre stürmischen Gefühle unter Kontrolle zu halten, aber es gelang ihr nicht. Liam spürte es und küsste sie leiden schaftlicher, wobei er sie an sich presste. Ja, es war ihm anzumerken, wie sehr er nach ihr verlangte. Vielleicht entwickelt sich mit der Zeit mehr daraus, ging es ihr durch den Kopf. »Du wolltest mir das Haus zeigen«, sagte sie unvermittelt und schob ihn weg. »Richtig.« In seinen Augen lag ein unergründlicher Ausdruck. »Na gut, machen wir mit der Besichtigung weiter.« Das Haus war in jeder Hinsicht großartig. Es ist eine verlockende Vorstellung, in einem solchen Gebäude zu leben, gestand Regan sich ein. Ja, als Argument dafür, Liams Antrag anzunehmen, fiel es ziemlich ins Gewicht, und die meisten Frauen hätten an ihrer Stelle bestimmt mit beiden Händen zugegriffen. Dennoch sprach immer noch einiges dagegen. Es würde nicht leicht sein, das Kind einer anderen Frau wie ein eigenes zu lieben. Wenigstens würde Melanie keine Vergleiche mit ihrer Mutter anstellen können, weil sie sich an diese nicht erinnerte. Ein Gedanke wog besonders schwer. Liam liebte sie, Regan, nicht, und sie vertraute ihm nicht. Er war ein notorischer Frauenheld, und wenn sie mit den Kindern auf dem Land lebte, konnte er wie bisher seiner Wege gehen. Würde sie sich damit abfinden können? Als sie in die Küche zurückkehrten, trafen sie dort einen jungen Mann an. Er war mittelgroß und schlank, hatte das blonde Haar im Nacken zusammengebunden und sah unglaublich attraktiv aus. Ungefähr mein Alter, dachte Regan und merkte, dass er sie anerkennend betrachtete. Liam wirkte alles andere als begeistert. »Seit wann bist du denn wieder da?« fragte er kurz angebunden.
»Seit gestern Abend.« Der frostige Empfang schien den jungen Mann nicht aus der Ruhe zu bringen. »Möchtest du mich nicht meiner zukünftigen Schwägerin vorstellen?« »Regan, das ist Dean«, stellte Liam seinen Bruder vor und sah seine Mutter an, die sich im Hintergrund hielt. »Du hättest mir erzählen können, dass er hier ist, Mom.« »Ich hatte anderes im Kopf«, erwiderte sie bedeutungs voll. Die Atmosphäre war plötzlich spannungsgeladen. Regan blickte verwirrt von einem zum anderen. Nur Dean schien völlig gelassen zu bleiben. »Liam hat Ihnen offensichtlich noch nichts von mir erzählt«, erklärte er. »Ich bin das schwarze Schaf der Familie, und mein Bruder vergisst gern, dass es mich überhaupt gibt.« »Ihr seht euch nicht sehr ähnlich.« Etwas Besseres fiel ihr nicht ein. »Das liegt daran, dass ich adoptiert bin. Obwohl Söhne ja auch nicht immer den Vätern aufs Haar gleichen, stimmt’s?« »Halt den Mund, Dean!« befahl Liam ihm schroff. »Könnten wir uns auf das Wesentliche konzentrieren?« Jean Bentley beherrschte sich mühsam. »Ich…« Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn nun stürmten die beiden Kinder in die Küche. Melanie war bildhübsch. Sie hatte dunkles Haar wie ihr Vater und große blaue Augen. Ihr Lächeln hätte jedes Herz zum Schmelzen gebracht. »Kann ich ein Hundebaby haben, Mummy?« fragte Jamie eifrig, und seine Augen leuchteten. »Das würde nicht…« begann Regan. »Warum nicht?« sagte Liam gleichzeitig. »Du musst nur warten, bis wir einen Platz gefunden haben, wo ein Hund leben kann.« Jamie runzelte die Stirn. »Er wird bei mir und Mummy
leben. Wir können im Park mit ihm spazieren gehen.« »Wo ist dein Daddy?« mischte Melanie sich ein. »Du hast doch gesagt, er hat dich mit dem Auto hergefahren.« Verunsichert blickte er Liam an und wartete darauf, dass der bestätigte, er sei sein Daddy. Nun sieh zu, wie du damit fertig wirst, Liam Bentley, dachte Regan boshaft. Sie war wütend auf ihn, weil er anzunehmen schien, dass er sie mit seinen leidenschaftli chen Küsse dazu gebracht hatte, seinen Plänen zuzustim men. »Ich bin nicht nur dein Daddy, sondern auch Jamies«, erklärte er seiner Tochter sachlich. »Er ist dein großer Bruder. Bald werden wir mit ihm und seiner Mummy in einem neuen Haus wohnen.« Als Regan bemerkte, wie die Kleine das Gesicht verzog, wurde sie noch zorniger. Wie konnte Liam von einer Vierjährigen erwarten, dass sie eine derartige Neuigkeit einfach hinnahm? Am liebsten hätte sie das Mädchen in die Arme genommen und getröstet, aber das wäre unter den gegeben Umständen wahrscheinlich das Schlechteste gewesen. Dann sah sie Jamies verwirrten Ausdruck und erinnerte sich daran, dass er ja auch noch nichts von den Plänen wusste. Ohne sich um die anderen zu kümmern, führte sie ihren Sohn zu einer Bank an der Wand und setzte sich mit ihm hin. »Es wird dir gefallen, in einem Haus zu leben statt in einer Wohnung«, versicherte sie. »Wir werden einen Garten haben, in dem du mit Melanie spielen kannst und…« Sie verstummte, als ihr plötzlich klar wurde, dass sie damit ihr Einverständnis ausgedrückt hatte, obwohl sie angeblich noch zu keiner Entscheidung gekommen war. »Wenn ihr Daddy auch mein Daddy ist, heißt das dann, du bist ihre Mummy?« fragte Jamie und runzelte die Stirn.
»Nein«, beruhigte Regan ihn. »Ihre Mummy ist fortge gangen, als Melanie noch ein Baby war.« Unauffällig blickte er zu dem kleinen Mädchen, das jetzt auf Liams Schoß saß. »Wirst du denn ihre neue Mummy, wenn wir zusammen in dem neuen Haus wohnen?« Er sagt »wenn«, nicht »falls«, dachte sie schicksalser geben. »Ja, irgendwie schon«, erwiderte sie behutsam. »Aber es wird natürlich nicht dasselbe sein wie mit dir und mir.« Schweigend ließ er sich das durch den Kopf gehen. Dann erkundigte er sich: »Könnte ich dann wirklich einen kleinen Hund haben?« »Ich denke schon.« Ihm ist der Hund wichtiger als alles andere, überlegte Regan enttäuscht und tröstete sich mit dem Gedanken, dass Kinder nun einmal andere Ansichten über die wirklich wichtigen Dinge im Leben hatten. »Es würde dir nichts ausmachen, mit Melanie zusammenzu wohnen?« »Die ist doch ein Baby«, verkündete Jamie mit der typischen Überlegenheit des Älteren. »Sie geht noch nicht mal zur Schule. Ich könnte ihr Rechnen und so was beibringen.« Liam hatte inzwischen mit Melanie gesprochen und sie wieder zum Lächeln gebracht. Regan begegnete seinem Blick und wünschte, sie könnte die Lage auch mit einem Lächeln akzeptieren. Ihm schien die körperliche Anzie hung zwischen ihnen als Basis für die Ehe zu genügen, nur sie sehnte sich nach Liebe.
5. KAPITEL Peter Bentley schlug Melanie vor, sie solle Jamie in ihr Zimmer mitnehmen und ihm ihre Wüstenspringmäuse
zeigen, und die Kinder verließen einträchtig die Küche. »In dem Alter finden sie sich schnell mit Neuem ab«, bemerkte Mr. Bentley. »Und das ist gut so«, meinte Mrs. Bentley und sah Liam an. »Wann soll die Hochzeit denn stattfinden?« »Sobald alle Formalitäten geregelt sind«, antwortete er. »Natürlich heiraten wir standesamtlich. Regan und ich möchten keinen Wirbel.« Dass er es selbstherrlich entschied, ohne sie gefragt zu haben, erboste Regan, und sie verkündete unüberlegt: »Wirbel nein, Kirche ja.« Dean blickte sie amüsiert und beifällig zugleich an, die anderen maßen sie eher kritisch. »Und weißt du schon, in welcher Kirche du getraut werden möchtest?« erkundigte Liam sich. Sie schüttelte den Kopf. Das Standesamt wäre, wenn man die Situation bedachte, viel angemessener, aber nun war es zu spät, um einen Rückzieher zu machen. »Dann schlage ich St. Bartholomew hier im Ort vor, falls der Pfarrer einen passenden Termin für uns hat«, sagte er. »Damit alle Nachbarn…« Jean Bentley verstummte, als sie den Blick ihres Mannes auffing. »Ja, warum eigentlich nicht?« Regan vermutete, dass Jean hatte sagen wollen: Damit alle Nachbarn von Liams unehelichem Sohn erfahren? Die Wahrheit brauchte jedoch niemand zu wissen. Jamie sah seinem Vater nicht ähnlich, daher würde man annehmen, dass zwei allein Erziehende zusammengefunden hatten. »Wir müssen uns allmählich auf den Weg machen«, bemerkte Regan, denn sie hatte keine Lust mehr auf weitere Diskussionen. »So lange dauert die Fahrt nach London gar nicht«, widersprach Liam. »Keine Sorge, Jamie kommt rechtzei tig ins Bett. Obwohl es ihm bestimmt nicht schadet, wenn er einmal später schlafen geht, da er morgen nicht in die
Schule muss.« »Die Entscheidung liegt bei mir«, erwiderte sie kühl und vergaß völlig, dass sie nicht mit ihm allein war. In seiner Wange zuckte ein Muskel, einziges Anzeichen dafür, dass Liam sich mühsam beherrschte, um keinen peinlichen Streit aufkommen zu lassen. Ich werde aber nicht ständig klein beigeben, schwor Regan sich. Eine Ehe war keine Firmenfusion, sondern eine Partnerschaft! Das musste Liam akzeptieren, wenn er ihrer Ehe eine Chance geben wollte. »Was hast du morgen mit Melanie vor?« mischte Peter Bentley sich diplomatisch ein. »Sie möchte den Sonntag wie üblich mit dir verbringen.« »Ich nehme sie jetzt mit, und morgen unternehmen wir etwas zu viert.« Regan hatte das Gefühl, dass alle nur darauf warteten, ob sie schon wieder Einspruch erheben würde, und war erleichtert, als die Kinder zurück in die Küche kamen. »Die Mäuse möchten jetzt schlafen«, erklärte Melanie. »Und Jamie und ich sind hungrig. Sehr hungrig.« Mrs. Bentley lächelte. »Dann müssen wir schnell etwas zu essen finden. Hattet ihr an etwas Bestimmtes gedacht?« »Spaghetti Bolognese«, antwortete die Kleine sofort. »Jamie mag die auch.« »Ja, das ist mein Leibgericht«, bestätigte Jamie wahr heitsgemäß. »Und meins auch«, behauptete Liam. »Das muss an den Genen liegen.« »Ich muss gar nicht gähnen, aber trotzdem möchte ich Spaghetti«, meinte Jamie verwundert, was die Erwachse nen zum Lächeln brachte. »Vorher wascht ihr euch die Hände«, befahl Peter Bentley. »Melanie, zeig Jamie das Bad.« »Okay!« stimmte die Kleine fröhlich zu. »Komm, Ja mie.«
Regan atmete erleichtert auf, als Jamie bereitwillig mitging. Er hatte nicht grundsätzlich etwas dagegen, sich zu waschen, sah aber auch keine Veranlassung, es zu übertreiben. Hätte er gemault, hätte es ein sehr schlechtes Licht auf ihre Erziehungsmethoden geworfen. »Am besten essen wir alle jetzt schon«, überlegte Jean laut. »Die Soße ist fertig, und die Nudeln brauchen ja nicht lange.« Sie wandte sich Regan zu. »Vorausgesetzt, Sie möchten noch so lange bleiben.« Was bleibt mir anderes übrig? hätte Regan am liebsten gesagt. »Nett, dass Sie uns einladen«, erwiderte sie. »Kann ich Ihnen helfen?« »Ja, Sie können den Tisch decken. Besteck und Sets finden sie dort drüben in der Schublade. Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, in der Küche zu essen. Das Esszimmer benutzen wir eigentlich nur, wenn wir Gäste haben, die nicht zur Familie gehören.« Das ist ein Anfang, aber ich habe noch einen weiten Weg vor mir, bevor sie mich akzeptiert, überlegte Regan. Man konnte Mrs. Bentley ihre Gefühle nicht verdenken. Sie, Regan, würde bestimmt genauso empfinden, wenn ihr Sohn ihr völlig unvermittelt eine Schwiegertochter präsentieren würde. »Liam verdient eine Eins für guten Geschmack«, be merkte Dean leise und lehnte sich an den Tisch, als sie das Geschirr darauf stellte. »Sie sind wirklich bezaubernd, Regan!« »Sie sehen auch nicht übel aus«, erwiderte sie bewusst beiläufig. »Danke.« Er lächelte breit. »Es war bestimmt eine Überraschung für Sie, dass Liam einen Bruder hat.« »Ja«, antwortete sie kurz angebunden. »Wollen Sie gar nicht wissen, warum er mich nie erwähnt hat?« »Es interessiert mich schon«, gab sie zu. »Aber es geht
mich nichts an, oder? Wenn Liam es mir erzählen möchte, wird er es irgendwann tun.« »Ich hätte Sie eigentlich nicht für nachgiebig gehalten«, meinte Dean. »Liam kann sich die Mühe sparen, Sie über mich aufzuklären. Hier die Kurzfassung meines Lebens laufs: Liams Eltern waren mit meinen befreundet. Ich wurde zur Waise, als ich zwölf war. Autounfall«, fügte er hinzu. Mitgefühl erfüllte Regan. »Wie schrecklich für Sie!« »Es hätte schlimmer kommen können. Wenn die Bentleys sich meiner nicht erbarmt hätten, wäre ich im Waisenhaus gelandet.« Er lächelte reumütig. »Ich habe es ihnen vergolten, indem ich in schlechte Gesellschaft geraten bin. Nach einem Einbruch in ein Kaufhaus landete ich in einer Erziehungsanstalt. Liam hat mir meine Schandtaten nie verziehen. Allerdings sind wir auch vorher schon nicht gut miteinander ausgekommen.« »Das tut mir Leid.« Was sonst sollte sie sagen? »Es kann für euch beide nicht leicht gewesen sein.« »Richtig. Ich bin von hier abgehauen, sobald ich konnte. Jetzt mache ich nur einen meiner Blitzbesuche, damit die alten Herrschaften wissen, dass ich noch lebe.« Dean verstummte kurz und betrachtete sie bewundernd. »Ich hoffe, Liam weiß, wie glücklich er sich schätzen darf.« »Ich kann mich glücklich schätzen«, erwiderte Regan. »Nur wenige Männer würden tun, was er vorhat.« »Ja, er hat sich schon immer gern Verantwortung aufge bürdet. Nur erwarten Sie nicht…« Er schüttelte den Kopf. »Nein, vergessen Sie es. Ich habe kein Recht, den ersten Stein zu werfen.« Sie war sich ziemlich sicher, was Dean hatte sagen wollen: Erwarten Sie nicht, dass er Ihnen treu ist. Das habe ich allerdings schon mehr oder weniger akzeptiert und brauche mich deshalb nicht aufzuregen, redete sie sich ein. Liam hatte nie behauptet, dass er sie heiraten
wollte, weil er sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen konnte. Beim Essen war die Stimmung besser als erwartet, was zum Teil an Melanies munterem Geplauder lag. Sie war begeistert über Liams Vorschlag, den Sonntag gemeinsam mit Regan, Jamie und ihm in London zu verbringen. »Wir könnten zum Mittagessen nach Heathrow fahren und die Flugzeuge beobachten«, fügte er hinzu. »O ja!« rief Jamie. Melanie nickte gnädig. »Ich würde auch gern dahin fahren, Daddy.« »Ist mal was anderes als der Zoo, oder?« meinte Dean boshaft. Liam schwieg, und Melanie behauptete treuherzig: »Ich mag den Zoo!« Dean lachte. »Aber bestimmt nicht jeden Sonntag.« Regan glaubte nicht, dass Liam so einfallslos war, jeden Sonntag in den Zoo zu gehen. Dean versuchte nur, ihn zu provozieren, weil er sich ihm unterlegen und als Außen seiter in der Familie fühlte. Und das konnte sie gut nachempfinden. Um sieben Uhr brachen sie schließlich nach London auf, und nach wenigen Kilometern stellte Regan fest, dass sie ihren Schlüsselbund verloren hatte. Liam drehte sofort um und fuhr zurück, denn sie war sich ziemlich sicher, dass er ihr nur beim Aufhängen der Jacke aus der Tasche gefallen sein konnte. Während Liam ins Haus ging, um die Schlüssel zu suchen, blieb sie mit den Kindern im Auto. Unvermittelt tauchte Peter Bentley aus einem der Nebengebäude auf und kam zum Auto. »Hat Liam etwas vergessen?« »Mummy hat die Schlüssel verloren«, informierte Jamie ihn. »Ja, dumm von mir«, gab sie zu. »Ich hätte sie in die
Handtasche stecken sollen. Wo bleibt Liam nur so lange?« »Beim Warten wird die Zeit immer lang«, beruhigte Peter sie. »Die Schlüssel müssen irgendwo im Haus sein.« »Wenn nicht, dann…« Klirrend fiel etwas auf den Boden. Sie tastete danach und entdeckte den Schlüsselbund. »Hier sind sie! Sie müssen in den Spalt zwischen den Sitzen gefallen sein.« »Ende gut, alles gut«, zitierte ihr zukünftiger Schwieger vater. »Ich sage Liam Bescheid, dass die Schlüssel wieder aufgetaucht sind.« »Nein, ich mache das, wenn Sie bei den Kindern bleiben«, entgegnete sie. In der Diele war niemand, und als Regan in die Küche gehen wollte, hörte sie Jeans Stimme durch die halb offene Tür. »Wie kannst du dir so sicher sein, dass er wirklich dein Sohn ist, Liam? Er sieht dir doch gar nicht ähnlich.« »Wie haben nicht dieselbe Haar- und Augenfarbe, aber er ist definitiv mein Sohn«, erklang die Antwort. »Was soll ich deiner Meinung nach denn unternehmen?« »Du kannst dich auf mehr als eine Weise um ihn küm mern, ohne gleich eine Frau zu heiraten, die du kaum kennst. Und spar dir dieses Lächeln! Eignet Regan sich wirklich dazu, Melanie zu betreuen?« »Ja, das tut sie«, erwiderte Liam gleichmütig. »Nicht viele Frauen würden das Kind einer anderen akzeptieren.« »Melanie ist bei uns glücklich.« »Ja, Mom, ich weiß, und ich bin euch dankbar für die Zuneigung und Betreuung, die ihr der Kleinen zukommen lasst, aber es wird Zeit, dir die Verantwortung abzuneh men. Regan ist bereit, ihren Job aufzugeben und sich ganz den Kindern zu widmen.« »Das glaube ich gern. Was ist schon ein Job als Sekretärin, verglichen mit dem Leben, das du ihr bieten kannst?« Jetzt reicht’s! sagte sich Regan, gekränkt und zornig
zugleich. Sie ließ sich ihre Gefühle jedoch nicht anmerken, als sie die Küchentür auf stieß. »Ich habe die Schlüssel gefunden«, berichtete sie. »Sie waren im Auto zwischen die Sitze gefallen. Tut mir Leid.« »Dann können wir ja jetzt fahren«, meinte Liam aus druckslos. »Wer ist bei den Kindern?« fragte Jean scharf. »Ihr Mann«, antwortete Regan. »Ich hätte sie doch nicht unbeaufsichtigt im Auto gelassen. Dann nochmals auf Wiedersehen, Mrs. Bentley.« Auf der Rückfahrt nach London ließ Regan sich das Gespräch zwischen Liam und seiner Mutter durch den Kopf gehen. Er hatte nichts geäußert, woran sie hätte Anstoß nehmen können, allerdings auch nicht behauptet, dass er ihr tiefere Gefühle entgegenbrachte. Für ihn war sie einfach eine Frau, die sich dazu eignete, seine Tochter zu betreuen. Was hatte sie denn sonst erwartet? Er würde bestimmt nicht sagen, dass er bis über beide Ohren in sie verliebt sei. Nachdem die Kinder auf dem Rücksitz eingeschlafen waren, erkundigte Liam sich unvermittelt: »Was hat Dean dir erzählt, als du den Tisch gedeckt hast?« »Befürchtest du, dass dein Bruder dunkle Geheimnisse enthüllt hat?« konterte Regan, denn die Frage passte ihr nicht. »Habt ihr irgendwelche Leichen im Keller, von denen ich wissen sollte?« »Nein, Dean ist der einzige Schandfleck der Familie. Ich möchte nicht, dass du dich mit ihm abgibst, Regan. Verstanden?« Trotzig hob sie das Kinn. »Nein! Du kannst mir das nicht einfach befehlen! Es ist offensichtlich, dass ihr beide euch nicht mögt, aber deshalb muss ich nicht gegen ihn eingenommen sein. Ich finde ihn nett.« »Natürlich. Er ist ein Meister darin, Mitgefühl zu wecken.« Seine Stimme klang kalt. »Und er ist durch und
durch verdorben.« »Weil er als Halbwüchsiger auf die schiefe Bahn geraten ist?« Verächtlich verzog er die Lippen. »Er hat dich ja richtig eingewickelt.« »Ich kann zumindest seine Gefühle nachvollziehen. Hast du als Teenager nie über die Stränge geschlagen?« »Ich bin jedenfalls nicht kriminell geworden.« »Wie schön für dich!« Regan riss sich zusammen, als ihr klar wurde, dass sich ein heftiger Streit anbahnte. »Er hat für sein Vergehen bezahlt«, fügte sie ruhiger hinzu. »Ihn für den einen Fehler weiterhin…« »Einen?« Liam lächelte freudlos. »Hat Dean das behaup tet?« Sie runzelte die Stirn. »Du meinst, er hat weitere began gen?« »Ja, damals wie heute.« Verstört fragte sie: »Ist das eine Vermutung oder eine Tatsache?« »Was die Vergangenheit betrifft, eine Tatsache. Ansons ten…« Er zuckte die Schultern. »Jedenfalls hat er keine weiße Weste. Wie auch immer, ich möchte mit ihm nichts zu tun haben.« »Das Haus deiner Eltern steht ihm aber nach wie vor offen«, meinte sie halblaut. »Als sie ihn aufnahmen, war es für sie eine lebenslange Verpflichtung.« Unnachgiebig sah er sie an. »Ich meine es ernst, Regan. Du kannst mit ihm so viel sympathisieren, wie du möchtest, aber halte Abstand.« »Weshalb sollte ich mit ihm sympathisieren?« »Weil du auch von mir zurückgewiesen wurdest. Zugege ben, aus ganz anderen Gründen, aber es schafft eine innere Verbundenheit zwischen euch.« »Unsinn!« protestierte sie. »Außerdem macht er, wie er mir sagte, nur einen Blitzbesuch, demnach besteht keine
Gefahr, dass ich ihm bald wieder begegne.« Von da an schwiegen sie, und als sie in Kilburn anka men, schliefen die Kinder noch. »Weck Melanie nicht«, bat Regan schnell, als Liam aussteigen wollte. »Ich werde allein mit Jamie fertig. Wann dürfen wir euch morgen erwarten?« »Um zehn.« Als sie nach dem Türgriff fasste, legte er ihr die Hand um den Nacken. »Zuerst aber…« Regan schloss die Augen, als Liam sie küsste, und versuchte, sich ihr Verlangen nicht anmerken zu lassen, das sie trotz aller Bedenken nicht unterdrücken konnte. »Die Nacht wird mir sehr lang erscheinen«, sagte er schließlich leise und ließ sie los. Nur weil ihm keine Frau Gesellschaft leistet, dachte sie ironisch und fragte sich unwillkürlich, wie seine jetzige Wohnung aussah. Bestimmt war sie weitaus größer als ihre, allerdings eine typische Junggesellenwohnung und für eine Familie nicht geeignet. Wahrscheinlich würde er sie nach der Hochzeit behalten, um eine Unterkunft zu haben, wenn er geschäftlich über Nacht in London bleiben musste. Oder privat. Rasch stieg Regan aus und nahm Jamie vom Rücksitz. Sie sagten Liam Gute Nacht und ging ins Haus. Werde ich eine Ehe ohne Liebe und Treue ertragen können? überlegte sie beklommen. Pünktlich um zehn Uhr erschienen Liam und Melanie am folgenden Morgen. Die Kleine wirkte ein bisschen bedrückt, als wäre ihr klar geworden, dass sich ihr Leben nun von Grund auf ändern würde. Regan konnte ihr die Bedenken nachfühlen, denn sie empfand ähnlich. In Heathrow war viel Betrieb. Liam stellte das Auto in einem Parkhaus ab und führte sie dann direkt auf die Aussichtsterrasse. Es war ein herrlicher Tag. Hoch stand die Sonne am wolkenlosen Himmel, und es war angenehm mild.
Während sie sich an die Brüstung lehnte und die starten den und landenden Flugzeuge beobachtete, malte Regan sich aus, wie es wäre, einfach in eines einzusteigen und in die Ferne zu schweben. Wenn sie Liam heiratete, würde sie es sich sogar leisten können. Finanzielle Erwägungen spielten bei ihrer Entscheidung jedoch keine Rolle. Ihr ging es um etwas ganz anderes. Den beiden Kindern wurde es schließlich langweilig, und sie gingen auf den Spielplatz. »Sag mir, was dich bedrückt, Regan«, forderte Liam sie auf. »Du bist schon die ganze Zeit so nervös!« Regan hielt den Blick auf die Kinder gerichtet, die sich mit anderen auf dem Spielplatz vergnügten. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich heiraten kann«, erklärte sie unsicher. »Wie kannst du dich als überzeugter Junggeselle sozusagen über Nacht in einen Familienvater verwan deln?« »Wie rücksichtsvoll von dir, dir über mein Wohlergehen Gedanken zu machen«, erwiderte er spöttisch. »Um meins auch«, gab sie zu. »Für dich zählt in einer Beziehung hauptsächlich Erotik, aber ich brauche mehr als das. Viel mehr. Ich würde uns beiden keinen Gefallen tun, wenn ich dich heiraten würde, Liam. Lieber warte ich auf den Richtigen – auch auf die Gefahr hin, dass er niemals erscheint.« »Du würdest Jamies Glück für ein verschwommenes Ideal aufs Spiel setzen? Das hätte ich nicht von dir gedacht.« »Ich habe auch ein Recht auf Glück«, sagte sie leise. »Nicht auf Kosten von Jamies Wohlergehen. Du kannst ihm nicht so viel bieten wie ich, Regan.« »Ich wäre dir dankbar für finanzielle Unterstützung und…« »Glaubst du, ich würde dir die zukommen lassen?« unterbrach Liam sie. Wütend sah sie ihn an. »Das ist Erpressung!«
»Na und? Der Zweck heiligt die Mittel. Und das sage ich dir klipp und klar: Selbst wenn du deinen Traummann finden solltest, würde ich euch nicht einfach meinen Sohn überlassen! Ich habe gewisse Rechte als Vater. Notfalls müssten wir das Gericht entscheiden lassen, wer von uns das Sorgerecht erhält.« Ihr stockte der Atem. »Das würdest du nicht wagen! »O doch.« Seine markanten Züge entspannten sich, als Liam sie anblickte. »Ich will doch nur das Beste für Jamie, und das ist eine richtige Familie! Wenn du mich aber nicht heiraten willst, musst du die Konsequenzen tragen und…« »Ist nicht bald Zeit zum Essen?« erklang eine helle Stimme. »Jamie und ich sind schon ganz doll hungrig.« Liam lächelte, und sein Gesicht war wie verwandelt. »Dann schnell ins Restaurant, bevor ihr zusammenbrecht.« Herausfordernd sah er Regan an. »Ist dir das recht?« Den Kindern zuliebe rang sie sich ein Lächeln ab. »Ja.« Das Restaurant war sehr voll, doch sie fanden noch einen freien Tisch. Jamie blickte sich mit großen Augen um. Er war noch nie in einem ähnlichen Lokal gewesen, Melanie offensichtlich schon, denn sie wirkte völlig gelassen. Plötzlich blieb eine sehr attraktive junge Frau auf dem Weg zum Ausgang neben dem Tisch stehen. »Liam!« rief sie. »Wie geht’s dir?« »Danke, gut, Diane. Reist du ab, oder bist du gerade angekommen?« »Ich fliege nach Amsterdam.« Diane blickte von ihm zu Regan und den Kindern und zog offensichtlich bestimmte Schlüsse. »Du bist ein Schlitzohr«, bemerkte sie trocken und lächelte Regan boshaft an. »Einen schönen Tag noch!« Diane ging weiter, und Melanie fragte neugierig: »Wer war das, Daddy?« »Eine alte Bekannte, Diane Kensington Smith. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen.«
»Warum hat sie gesagt, du bist ein Schlitzohr?« erkun digte Melanie sich. »Das war nur ein Scherz«, antwortete er beiläufig. »Iss das Gemüse, es ist gut für dich.« Das lenkte die Kleine ab. Sie schnitt ein Gesicht. »Wa rum schmeckt das, was gut für mich ist, nicht so gut wie das, was schlecht für mich ist?« »Das habe ich mich auch schon oft gefragt«, gestand er. »Andersherum wäre es viel vernünftiger.« Aber verbotene Früchte schmecken angeblich am besten, dachte Regan sarkastisch. Vor allem den Männern! »Und wann lerne ich deine Mutter kennen, Regan?« erkundigte Liam sich unerwartet. »Mit der will ich nichts mehr zu tun haben«, erwiderte sie unüberlegt. Er runzelte die Stirn, verfolgte das Thema allerdings nicht weiter, wahrscheinlich weil die Kinder dabei waren. Sicher würde er es nicht dabei bewenden lassen. Ich muss mir eine passende Antwort ausdenken, überlegte Regan, und die Kehle schnürte sich ihr zu, als sie an den Grund dachte, warum sie sich ihrer Mutter entfremdet hatte. Nachmittags machten sie eine Bootsfahrt auf der Them se. Jamie war von den vielen Booten auf dem Fluss völlig fasziniert. Er verkündete, dass er auch einmal eins wolle, am liebsten eins mit Motor. Und er würde, wie er selbst bewusst erklärte, später doch nicht Lokomotivführer werden, sondern zur Marine gehen. »Ich werde auch Matrose«, behauptete Melanie, um nicht ausgestochen zu werden. Nachsichtig sah er sie an. »Mädchen dürfen nicht.« Ihre Augen funkelten vor Empörung. »Doch, das dürfen sie! Stimmt’s, Daddy?« »Ich fürchte, sie hat Recht«, bestätigte Liam und verzog keine Miene. »Mädchen dürfen heutzutage alles.« Jamie nahm das gnädig hin. »Na gut, dann kannst du
meine Kabine sauber machen, wenn ich Kapitän bin, Melanie.« Männliche Überheblichkeit scheint angeboren zu sein, dachte Regan. Sie würde mit Jamie demnächst ein ernstes Wort reden müssen. Ein älteres Ehepaar, das in der Nähe stand, hatte den Wortwechsel gehört und sich köstlich amüsiert. »Sie haben wirklich nette Kinder«, sagte die mütterlich wirkende Frau zu ihr. »Mein Enkel und meine Enkelin haben sich in dem Alter nur gezankt.« »Das kommt wahrscheinlich noch«, meinte Liam beiläu fig. Regan hoffte, es würde nicht passieren. Es gab auch so genug Konfliktstoff. Nachdem sie in einer Konditorei Tee getrunken hatten, nahm Liam sie in seine Wohnung mit. Er lebte nicht, wie Regan erwartet hatte, in einem modernen Apartmentblock, sondern im ersten Stock eines eleganten Stadthauses aus der Jahrhundertwende. Die Wohnung war hell, großzügig geschnitten und wunderschön eingerichtet. »Das ist das Werk eines Innenarchitekten«, gab Liam zu. »Ich habe keine Zeit, mich um so etwas zu kümmern. Die Einrichtung unseres Hauses überlasse ich dir – es sei denn, du möchtest professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.« Regan war von der Idee begeistert, ein Haus nach ihrem Ermessen – und ohne Rücksicht auf die Kosten – einzurichten. »Nein, die benötige ich nicht«, entgegnete sie und fügte zögernd hinzu: »Wann willst du heiraten?« »So bald wie möglich.« Forschend sah er sie an. »Bedeutet deine Frage, dass du dich mit dem Unvermeidlichen abgefunden hast?« »Du lässt mir ja keine Wahl«, erwiderte sie. »Ich ver spreche dir, mein Bestes zu geben, um deine Erwartungen zu erfüllen.« »Das klingt ja nicht sehr begeistert«, bemerkte Liam
trocken. »Mal sehen, was sich da machen lässt. Komm her, und gib mir einen KUSS!« »Aber die Kinder…« »Die müssen sich früher oder später daran gewöhnen. Ich denke nicht daran, mich ständig zurückzuhalten, nur weil sie uns ertappen könnten.« Er machte eine Pause, als sie nicht antwortete. »Na gut, wenn du nicht zu mir kommst, komme ich zu dir.« Ihr Herz pochte wie rasend, als er sie umarmte und zärtlich küsste. Sie sehnte sich nach mehr, nach viel mehr! Aufreizend schmiegte sie sich an ihn und ließ ihm die Hände über den Rücken gleiten. Schließlich hob er den Kopf und blickte sie wissend an. »Ja, in einem Bereich haben wir schon immer perfekt harmoniert.« »Du meinst Sex.« Liam strich ihr mit dem Zeigefinger über die Wange, eine unerwartet zärtliche Geste. »Ist das denn verwerflich? Stell dir vor, wie schlimm du jetzt dran wärst, wenn du mich nicht begehren würdest.« »Stell dir vor, wie gut ich jetzt dran wäre, wenn ich mich dir damals nicht an den Hals geworfen hätte«, konterte Regan. Fragend zog er die dunklen Brauen hoch. »Soll das heißen, dass du nicht rein zufällig in meinem Büro warst?« »Natürlich war das ein Zufall«, versicherte sie ihm schnell. »Woher hätte ich wissen sollen, dass du noch mal zurückkommst?« »Wahrscheinlich hatte es sich in der Firma herumgespro chen, dass ich oft Überstunden mache.« Er lächelte, diesmal allerdings nicht spöttisch. »Gib’s zu: Du hattest dir bewusst mein Büro ausgesucht, oder?« »Okay, es ist die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit«, zitierte sie betont forsch. »Ja, ich hatte es geplant, von dir an deinem Schreibtisch ertappt zu
werden, allerdings war ich mir nicht klar darüber, was ich mir eigentlich davon erhoffte.« »Trotz meines Rufs als Frauenheld? Den ich, wie ich zugebe, verdient hatte?« Liam klang skeptisch. »Du musst doch gewusst haben, dass ich mich nicht damit zufrieden geben würde, ein hübsches junges Ding wie dich nur zu küssen.« Ja, ich habe es gewusst, gestand Regan sich ein. Damals war sie allen Männern gegenüber misstrauisch gewesen, aber zu ihrer Überraschung hatte sie sich brennend nach einem Verhältnis mit Liam gesehnt. Sie erinnerte sich noch so gut, als wäre es erst gestern gewesen, wie er die Tür geöffnet hatte und sie an seinem Schreibtisch hatte sitzen sehen. An sein Lächeln, als er sie betrachtet hatte… »Suchen Sie mich?« fragte Liam. Regan stand auf und bedauerte bereits, bei ihm einge drungen zu sein. »Es tut mir Leid«, erwiderte sie heiser. »Ich wollte nur wissen, wie es hier in der Vorstandsetage aussieht.« »Es gibt sogar noch eine darüber«, sagte er. »Möchten Sie die auch besichtigen?« Sie versuchte, ihren rasch schwindenden Mut zusam menzunehmen. »Nein, besser nicht, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie vergessen würden, dass Sie mich hier gesehen haben.« »Jemanden wie Sie vergisst man nicht so leicht«, erklärte Liam charmant. »Ist Ihr Haar echt?« »Echt?« Unwillkürlich strich sie sich über das dichte, glänzende Haar. »Glauben Sie, ich trage eine Perücke?« Seine Mundwinkel zuckten. »Nein, ich meinte die Farbe. Die ist herrlich – wie Herbstlaub. Sie sind mir übrigens neulich schon in der Eingangshalle aufgefallen.« »Ach ja?« Das glaubte sie ihm nicht. »Ich fühle mich geschmeichelt.«
Nun lachte er. »Sie müssen Bewunderung gewohnt sein.« »Nicht von denen, die hier oben in den heiligen Hallen residieren«, erwiderte sie beiläufig. »Jetzt verschwinde ich lieber, damit Sie sich ungestört Ihrer Arbeit widmen können.« Als sie um den Schreibtisch herumging, musterte er sie abschätzend. Sein Blick ruhte auf ihren Brüsten, dann sah Liam ihr wieder ins Gesicht, und ihr Herz pochte wie wild, als er die Bürotür abschloss. »Die Arbeit reizt mich im Moment gar nicht«, sagte er leise. Regan blieb stehen, als er zu ihr kam. Genau das hatte sie gewollt, darauf hatte sie gehofft, und trotzdem empfand sie nun, da es geschah, nur Panik. Ein Mann wie Liam Bentley würde sich nicht mit einigen Küssen zufrieden geben, sondern viel mehr wollen. Wie weit war sie zu gehen bereit? Das war die Frage. Eine ziemlich theoretische Frage, wie Regan augen blicklich klar wurde, als er sie küsste und die Hände ihren Rücken entlang gleiten ließ, was in ihr nie gekannte, stürmische Empfindungen weckte. Sie schmiegte sich an ihn und erwiderte seinen KUSS hingebungsvoll, während heißes Verlangen sie durchflutete. Ja, es war genauso, wie sie es sich ausgemalt hatte, wenn sie endlich dem Richtigen begegnen würde, dieses wunderbare, überwälti gende Gefühl, das sie ganz erfüllte. Regan protestierte nicht, als Liam sie auf das Sofa drückte und die Hand unter ihren Pullover schob. Sie sehnte sich danach, seine Finger auf der Haut zu spüren, und geschickt öffnete er ihren BH. Ihre Brustspitzen richteten sich auf, als er sie mit der Zunge liebkoste, und sie meinte, vor Lust vergehen zu müssen. Jeder Gedanke an Widerstand verflüchtigte sich. Ja, sie wollte dasselbe wie Liam, und was das war, stand außer
Zweifel. Er ließ die Hand über ihre Schenkel gleiten und liebkoste dann ihre empfindsamste Stelle. Gleich würde er ihr den Slip abstreifen, und… Die Gegensprechanlage summte, und das brachte Regan abrupt auf den Boden der Tatsachen zurück. Auch Liam zuckte zusammen und fluchte leise. »Ich habe hier ein Problem entdeckt«, erklang eine Männerstimme aus dem Apparat. »Das muss ich mit Ihnen besprechen. In zehn Minuten, einverstanden?« Liam stand rasch auf, alles andere als erfreut, und eilte zum Schreibtisch, wo er auf den Antwortknopf der Anlage drückte. »In fünfzehn Minuten, okay?« antwortete er kurz und bündig. Mit zittrigen Fingern hakte Regan ihren BH zu und errötete, als Liam sie ansah. »Tut mir Leid«, sagte er bedauernd. »Ach, nicht so schlimm«, erwiderte sie und stand auf, ohne ihn anzublicken. »Ich finde es sehr schlimm!« Liam hatte eine Pause gemacht und schließlich in verändertem Tonfall hinzuge fügt: »So können wir doch nicht auseinander gehen. Warte unten in der Halle auf mich, dann lade ich dich zum Essen ein, wenn ich hier fertig bin.« Und ich habe geduldig gewartet, ich Schaf, dachte Regan und kehrte in die Gegenwart zurück, als die Kinder ins Zimmer stürmten. »Und jetzt nach Hause«, sagte sie. »Es war ein ereignis reicher Tag.«
6. KAPITEL Als Hugh von der bevorstehenden Hochzeit erfuhr, reagierte er zurückhaltend. »Bentley ist also doch ein feiner
Kerl«, bemerkte er. »Andere Männer hätten eher das Weite gesucht, obwohl das für ihn wohl nicht infrage kommt, wenn man seine Stellung bedenkt. Er ist einer der führenden Investmentspezialisten und in Finanzkreisen hoch angesehen.« »Du hast Erkundigungen über ihn eingezogen?« fragte Regan. Er wirkte unangenehm berührt. »Ganz diskret. Da ich dich zu der Party mitgenommen habe, auf der ihr euch wieder begegnet seid, fühle ich mich in gewisser Hinsicht verantwortlich. Ich wollte mich überzeugen, dass er über jeden Zweifel erhaben ist.« »Und was hast du noch über ihn herausgefunden?« hakte sie nach. Nun machte er einen noch verlegeneren Eindruck. »Nichts von Bedeutung.« Er seufzte, als ihm klar wurde, dass sie sich mit der Antwort nicht würde abspeisen lassen. »Angeblich ist er ein Frauenheld. Er arbeitet hart und amüsiert sich ausgiebig, heißt es.« »Und du glaubst, er würde seinen Lebensstil nicht ändern.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Hugh schien zu wünschen, er hätte den Mund gehalten, und zuckte die Schultern. »Du kennst ihn doch besser. Was glaubst du?« Ja, die große Frage war, ob sie Liam vertrauen konnte – und die Antwort lautete nein. Ihm würde es bestimmt schwer fallen, sich Nacht für Nacht mit derselben Frau zu begnügen, auch wenn der gute Wille da war. »Ich heirate Liam nur, damit Jamie ein besseres Leben hat«, meinte Regan schließlich. »Etwas anderes zählt für mich nicht.« Sein Ausdruck verriet ihr, dass Hugh es ihr nicht abnahm. Kein Wunder, sie glaubte es ja auch nicht! Zurück an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer, versuchte Regan, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, aber ihre
Gedanken schweiften immer wieder ab. Noch hatte sie sich nicht endgültig festgelegt, noch hatte sie den Job und die Wohnung. Liams Drohung, das Sorgerecht für Jamie notfalls vor Gericht zu erstreiten, hatte nicht viel zu bedeuten, denn meistens gewann in solchen Fällen die Mutter, wenn sie nicht in unzumutbaren Verhältnissen lebte oder einem zweifelhaften Lebenswandel führte. Wenn sie, Regan, sich weigerte, Liam zu heiraten, würde sie Jamie allerdings einen Lebensstil vorenthalten, an den er sich schon beinah gewöhnt hatte. Am Sonntagabend hatte er fast ausschließlich über die Ereignisse des Tages geredet und davon, was er noch alles erleben würde, vor allem wenn er das versprochene Hundebaby bekam. Wie konnte sie Jamie sagen, er müsse darauf verzichten, nur weil sie ihre Bedürfnisse wichtiger nahm? Sie wusste ja nicht genau, dass Liam seinen Lebenswandel nicht ändern würde. Meine Gedanken bewegen sich im Kreis, gestand Regan sich müde ein. Sich mit dem Unvermeidlichen abzufinden schien tatsächlich die einzige Möglichkeit zu sein. Abends besuchte Liam sie, als Jamie schon im Bett lag, und brachte ihr einen Strauß roter Rosen mit. »Eigentlich wollte ich sie dir schicken lassen, dachte mir dann aber, dass du die persönliche Note vorziehst«, sagte er und reichte ihr die Blumen. »Die Rosen sind wunderschön. Danke sehr.« »Keine Ursache.« Er folgte ihr zur Küche und lehnte sich gegen den Türrahmen, während sie eine Vase mit Wasser füllte und die Blumen hineinstellte. »Wie war dein Tag, Regan?« »Okay. Und deiner?« »Frustrierend. Hast du mittlerweile vielleicht mal wieder beschlossen, mich nicht zu heiraten?« erkundigte er sich scherzhaft. Sie sah auf, und ein erregender Schauer überlief sie, als
sie seinen verlangenden Blick bemerkte. »Nein, ich habe mich für die Ehe mit dir entschieden, und dabei bleibe ich. Hast du dich mittlerweile mit Immobilienmaklern in Verbindung gesetzt?« »Ja, ich habe mir einige Prospekte geben lassen. Die können wir jetzt durchsehen und schon mal die Nieten aussortieren.« »Gibt es die überhaupt in der Preisklasse, die dir vor schwebt?« meinte sie halblaut. »Der Preis ist keine Garantie, glaub mir!« Liam straffte sich, als sie auf ihn zukam. »Ich mache uns Kaffee – obwohl ich eigentlich kein Anregungsmittel brauche.« Regan fragte nicht, in welcher Weise er angeregt war, denn das verriet ihr sein Blick. Frustriert gestand sie sich ein, dass sie Liam begehrte, schon immer begehrt hatte und immer begehren würde, egal, was geschah. Als er, zwei Becher in der Hand, zu ihr ins Wohnzimmer kam, hatte sie sich wieder gefangen. Er wies auf den Ordner, den er auf den Couchtisch gelegt hatte. »Hier sind die Informationen. In der Gegend, die wir ins Auge gefasst haben, gibt es fünf infrage kommende Häuser. Wenn uns keines davon gefällt, müssen wir eins in größerer Entfernung von Old Hay in Betracht ziehen.« Regan war sofort begeistert. Ihr erschienen alle Häuser ideal. Liam verwarf zwei davon, nachdem er nur wenige Zeilen der Beschreibung gelesen hatte, zwei weitere nach etwas gründlicherem Lesen. Das fünfte war besonders beeindruckend, denn es hatte sechs Schlaf- und vier Badezimmer. Du meine Güte, was für einen Aufwand der wohlhabende Teil der Bevölkerung treibt! dachte sie, und dann fiel ihr ein, dass sie bald auch dazugehören würde. »Ich vereinbare einen Besichtigungstermin«, sagte Liam, ihr Einverständnis voraussetzend. »Am liebsten gleich morgen Abend. Würde Sarah auf Jamie aufpassen?« »Ich denke schon.« Sie konnte sich nicht vorstellen, in
dem oder einem ähnlich großen Haus zu wohnen. »Wozu brauchen wir sechs Schlafzimmer, Liam? Selbst wenn man getrennte…« »Für wen?« unterbrach er sie amüsiert. »Mehr Distanz, als ein Doppelbett bietet, will ich zu dir gar nicht haben.« Ein erregendes Prickeln überlief sie bei den Bildern, die bei dem Gedanken an Betten vor ihrem inneren Auge auftauchten. Unwillkürlich verspannte sie sich, als Liam sich zu ihr herüberneigte und zuerst die Fingerspitzen, dann die Lippen über ihren Hals gleiten ließ. »Nicht!« flüsterte Regan. »Liam, ich… »Keine Sorge, ich gehe nicht zu weit«, unterbrach er sie leise. »Entspann dich.« Wie sollte sie sich entspannen, wenn heißes Verlangen sie durchflutete? Sie wollte sich an Liam pressen, ihn spüren. Ihr war es im Augenblick egal, dass sie nur eine von vielen Frauen war, in denen er diese Empfindungen geweckt hatte. Wenn Jamie nicht nebenan schlafen würde… »Lass das!« sagte sie scharf, als Liam sie weiter verführe risch streichelte. »Kannst du kein Nein akzeptieren?« »Du hast Recht«, erwiderte er überraschend gleichmü tig. »Wenn ich nicht aufhöre, lasse ich mich womöglich doch noch dazu hinreißen, dich zu verführen. Ja, ich muss mich wohl beherrschen, bis wir sicher vor Unterbrechun gen sind.« Er lächelte freudlos. »Erinnere mich daran, dass wir in unserem Haus Schlösser an allen Schlafzim mertüren anbringen lassen.« Regan war enttäuscht, als er aufstand. »Du gehst schon?« »Ich habe um neun Uhr eine Verabredung. Geschäftlich«, fügte er hinzu, als würde er ihre Gedanken ahnen. »Die besten Verträge werden am Esstisch abgeschlossen. Ich rufe dich morgen früh an, sobald ich die Besichtigung arrangiert habe.«
»Okay.« Sie war noch enttäuschter, als er ihr nicht einmal einen Abschiedskuss gab, sondern ihr nur Gute Nacht sagte. »Alles oder nichts« war schon immer sein Motto, überleg te sie frustriert und sah sich im Zimmer um, das plötzlich leer wirkte. Das Haus erwies sich bei der Besichtigung als ungeeignet, weil es von Grund auf renoviert werden musste. »Wie sind die Verkäufer überhaupt auf die Idee gekom men, ein Gebäude in einem derartig desolaten Zustand auf den Markt zu werfen?« fragte Regan auf dem Rückweg nach London. »Und dann noch einen so hohen Preis dafür zu verlangen!« Liam zuckte die Schultern. »Der ist nur Verhandlungs basis. Ich hätte mir ein Angebot durchaus überlegt, wenn Zeit keine Rolle spielen würde, denn die Reparaturen wären ohne allzu großen Aufwand machbar. Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterzusuchen, bis wir ein Haus finden, in das wir mehr oder weniger sofort einziehen können.« »Du musst allein suchen«, erwiderte sie. »Ich kann Sarah nicht zumuten, jeden Abend auf Jamie aufzupassen. Außerdem bezahlst du ja das Haus.« Er fuhr an den Rand der von Hecken gesäumten Land straße und hielt an. »Lass uns eins klarstellen«, begann er schroff, nachdem er den Motor abgestellt hatte. »Die Finanzen sind egal. Wichtig ist mir dir Zusammenarbeit mit dir.« »Meinst du nicht eher meine Zustimmung?« konterte sie. Liam betrachtete sie forschend. »Hat deine jetzige Stimmung zufällig etwas mit gestern Abend zu tun?« Regan blickte durchs Fenster. »Du hast mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass du ohne einen zusätzlichen Anreiz nicht länger bleiben wolltest.« »Ich war zum Abendessen verabredet. Geschäftlich.«
»Das hast du jedenfalls behauptet.« »Hör mal, ich hatte mir extra die Zeit für den Besuch bei dir genommen, um dir die Rosen und die Prospekte zu bringen. An Sex hatte ich keineswegs gedacht.« Nun wandte sie ihm den Kopf zu, und ihre Augen funkelten. »Willst du behaupten, ich hätte dich dazu animiert?« »Ja, ich habe dich schon immer sehr verführerisch gefunden.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Wenn ich gestern nicht hätte gehen müssen, wäre es mir sehr schwer gefallen, den ganzen Abend ruhig neben dir auf dem Sofa zu sitzen.« Verunsichert sah Regan ihn an und wünschte zum unzäh ligsten Mal, sie könnte seine Gedanken lesen. »Wenn du mich nicht immer noch… attraktiv finden würdest, hättest du dann eine Ehe mit mir in Betracht gezogen?« »Das bezweifle ich«, gestand Liam. »Ich kann mir einerseits nicht vorstellen, mit einer Frau nur deswegen zu schlafen, weil sie mit mir verheiratet ist, und andererseits würde für mich eine Ehe ohne Sex unter keinen Umstän den infrage kommen.« Sie leistete keinen Widerstand, als er sich zu ihr herüber neigte und sie verlangend küsste. Dass er sie nicht wirklich liebte, war ihr im Augenblick egal. Hingebungsvoll erwiderte sie den KUSS, erfüllt von heißer Sehnsucht. Er liebkoste sie erregend, und als er ihr Kleid aufknöpfte, dachte sie nur flüchtig daran, dass jemand die Straße entlang kommen und sie sehen könnte. Regan schob die Hände unter Liams Hemd und streichelte seine muskulöse Brust, während sein Duft sie förmlich berauschte und sie alles um sich her vergaß. »Es ist noch nicht spät«, flüsterte Liam schließlich. »Wir könnten noch zu mir in die Wohnung fahren.« Es wäre so verlockend, Ja zu sagen, gestand sie sich ein. »Nein! Ich habe Sarah versprochen, um halb zehn zurück
zu sein. Es ist Viertel vor neun, und wir haben noch einen ziemlich weiten Weg vor uns.« »Wenn du mich auf Abstand zu halten gedenkst, bis wir verheiratet sind, solltest du dich nächstes Mal rechtzeitig beherrschen«, erwiderte er trocken. Er knöpfte sich das Hemd zu, dann startete er den Motor und fuhr los. Regan knöpfte sich schweigend das Kleid zu und ließ einige Minuten verstreichen, bevor sie etwas sagte. »Ich begehre dich wirklich, Liam. Das weißt du.« »Ja.« Stur blickte er gerade aus. »Du kannst mich für den Frust entschädigen, wenn der richtige Zeitpunkt gekom men ist.« Und das kann noch Wochen dauern, dachte sie niederge schlagen. Würde er in der Zwischenzeit auf Sex verzich ten? Sie bezweifelte es. Er brauchte doch nur mit dem Finger zu schnippen, und unzählige Frauen wären nur allzu gern bereit, ihm die Befriedigung zu verschaffen, die sie ihm verweigert hatte. Ihr Argwohn wuchs, als Liam es ablehnte, noch mit in die Wohnung zu kommen und eine Tasse Kaffee zu trinken. Es war nicht spät. Was hatte er noch vor? Regan ließ sich ihr Unbehagen nicht anmerken, während er sie zum Abschied küsste. »Ach, bevor ich es vergesse«, sagte er, als sie aussteigen wollte. »Ich habe mich mit dem Pfarrer von St. Bartholo mew in Verbindung gesetzt und einen Hochzeitstermin für morgen in vier Wochen ausgemacht. Der Pfarrer möchte uns beide vorher natürlich noch sprechen.« Sie lehnte sich wieder zurück, ihre Gefühle waren in Aufruhr. »Wie sollen wir innerhalb von vier Wochen ein Haus finden und einrichten?« war ihre erste, wenn auch nicht wichtigste Frage. »Das wird schon klappen! Wenn nicht, wohnen wir fürs Erste in meiner Wohnung. Inzwischen kannst du dein Apartment kündigen.«
»Warum die Eile?« erkundigte Regan sich nach einer kurzen Pause. Ironisch sah er sie an. »Warum warten?« Darauf gab es keine überzeugende Antwort. »Weiß der Pfarrer Bescheid – über alles?« »Ja. Und er heißt die Schritte gut, die wir unternehmen, um es wieder ins Lot zu bringen.« Liam schwieg kurz. »Ich bin standesamtlich nicht als Jamies Vater registriert, stimmt’s?« Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen. »Ja. Ich habe ,Vater unbekannt’ eintragen lassen.« »Das wird geändert, sobald wir verheiratet sind!« »Das wird deine Mutter allerdings nicht dazu bringen, ihre Meinung zu ändern«, sagte Regan unüberlegt. Er versuchte nicht, es zu leugnen. »Vielleicht nicht gleich, aber sie wird sich schon damit abfinden. Außerdem zählt meine Meinung, nicht ihre, und ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass Jamie mein Sohn ist.« »Meiner auch!« rief sie aufgebracht, weil er so besitzer greifend klang. »Bilde dir bloß nicht ein, dass du die totale Kontrolle übernehmen kannst!« »Ich bilde mir überhaupt nichts ein«, erwiderte Liam kurz angebunden. »Am wenigstens, dass unsere Beziehung stressfrei verlaufen wird. Geh jetzt, und lös Sarah ab.« Regan stieg aus und eilte ins Haus, ohne sich noch einmal umzusehen. In den folgenden zwei Tagen hörte sie nichts von Liam und fragte sich schon, ob er es sich mit der Heirat vielleicht anders überlegt hätte. Als er am Donnerstag um acht Uhr abends anrief, entschuldigte er sich nicht dafür, dass er sie so lange vernachlässigt hatte. »Ich habe ein Haus gefunden und gekauft«, begann er ohne Umschweife. »Es steht leer, aber fürs Erste brauchen wir nur die nötigsten Möbel. Später kannst du es ganz nach deinem Geschmack einrichten.«
Sie war so überrascht, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte, und das deutete er anscheinend als Missbilligung, denn er fügte scharf hinzu: »Es gab noch andere Interes senten, deshalb musste ich mich schnell entscheiden.« Du bezahlst es ja auch, wollte sie ihn erinnern, hielt sich jedoch noch rechtzeitig zurück. »Bestimmt unterschreibst du keinen Vertrag, wenn du nicht voll und ganz zufrieden bist«, bemerkte sie stattdessen. »,Voll und ganz’ ist ein bisschen übertrieben, sagen wir lieber, zu neunzig Prozent. Am Samstag wirst du das Haus ja sehen.« Liam ließ ihr keine Zeit für einen Kommentar. »Ich habe Vertreter einer Einrichtungsfirma bestellt, die Tapeten- und Stoffmuster mitbringen.« »Du scheinst an wirklich alles gedacht zu haben«, meinte Regan anerkennend. »Ich habe es jedenfalls versucht. Hast du mittlerweile deine Wohnung gekündigt?« »Nein, ich war mir nicht sicher, ob du es dir inzwischen mit der Hochzeit nicht anders überlegt hast, Liam.« »Nur weil ich mich zwei Tage nicht gemeldet habe?« »Na ja, wir haben uns nicht gerade im besten Einver nehmen getrennt«, verteidigte sie sich. »Woher sollte ich wissen, was du im Sinn hattest?« »Eins ist ganz sicher: Ich mache keine Rückzieher, wenn ich mich einmal entschieden habe«, erwiderte er schroff. »Sag deinem Boss, dass du in zwei Wochen die Stellung aufgibst. Dann hast du noch genug Zeit, deinen Auszug aus der Wohnung zu organisieren.« »Ich kann nicht so unvermittelt mein Arbeitsverhältnis lösen«, protestierte Regan. »Die Kündigungsfrist beträgt einen Monat!« »Soll ich mit deinem Chef sprechen?« »Nein!« Allein der Gedanke machte sie wütend. »Ich kümmere mich um meine Angelegenheiten.« »Na gut. Ich sehe dich dann am Samstag um neun.«
Nicht früher? hätte sie beinah gefragt und war niederge schlagen, weil sie noch einen weiteren Tag auf seine Gesellschaft verzichten musste. »Nehmen wir Jamie mit?« »Selbstverständlich. Und Melanie auch. Unser Haus – es heißt übrigens Copperlea – ist ungefähr fünfzehn Kilome ter von Old Hay entfernt, also nah genug, aber nicht Tür an Tür mit meinen Eltern.« Am Samstag herrschte trübes Wetter, gar nicht ideal für eine Hausbesichtigung, wie Liam zugab, aber die Zeit drängte nun einmal, wenn sie das Haus rechtzeitig bewohnbar machen wollten. »Gibt es auch einen Garten?« erkundigte Jamie sich, denn das war für ihn das Wichtigste. »Zwei Gärten sogar«, antwortete Liam. »Einen Blumen garten mit einer Mauer drum herum und einen mit Rasen und Bäumen, wo viel Platz zum Spielen ist. Wir müssen dir ein Fahrrad besorgen.« »Statt einem Hund?« fragte Jamie besorgt. Liam lächelte. »Nein, zusätzlich. Dir ist aber klar, dass der Hund dir und Melanie gemeinsam gehören wird, oder?« »Warum nicht einen für jedes Kind?« schlug Regan sarkastisch vor. »Natürlich reinrassige.« »Wenn du nichts dagegen hast, die doppelte Arbeit mit den Tieren auf dich zu nehmen, warum nicht?« Das geschieht mir recht, gestand sie sich ein, denn Jamie sah so begeistert aus, dass sie keinen Rückzieher machen konnte. Ja, sie hatte es verdient, weil sie so undankbar war! Liam tat alles in seiner Macht Stehende, um seine Versäumnisse wettzumachen. Es war nicht seine Schuld, dass er ihr nicht die emotionale Sicherheit geben konnte, nach der sie sich so sehnte. »Wir müssen demnächst über deine Mutter reden«, meinte Liam ruhig, und das riss sie aus ihren selbstkriti schen Gedanken. »Ich möchte wissen, warum du mit ihr
keinen Kontakt aufnehmen willst.« Regan antwortete leise: »Das geht nur mich etwas an.« »Nein, nicht mehr.« Er wirkte angespannt. »Entweder sagst du mir, welches Problem ihr habt, oder ich suche sie auf und erfahre es von ihr.« »Kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich mich mit ihr nicht vertrage?« »Es steckt doch mehr dahinter!« beharrte er. »Und es hat etwas mit deinem Stiefvater zu tun, stimmt’s?« »Nein!« erwiderte sie heftig und riss sich sofort zusam men. »Lass es gut sein«, bat sie leise. »Bitte, Liam!« »Nur fürs Erste.« Regan wandte den Kopf ab, erfüllt von einem Kummer, den die Zeit noch nicht gelindert hatte. Neun Jahre war es her, dass sie ihr Zuhause verlassen hatte, weil ihre Mutter sie zutiefst enttäuscht hatte. Nein, sie wollte sie niemals wieder sehen. Das ging Liam aber nichts an! In Old Hay wartete Melanie ungeduldig und aufgeregt, weil sie ihr neues Zuhause besichtigen würde. »Sie hat von nichts anderem geredet, seit du es ihr am Telefon erzählt hast«, berichtete Jean Bentley. »Gestern wollte sie schon ihre Sachen packen. Wir werden sie schrecklich vermissen.« »Unser Haus ist nur wenige Kilometer entfernt«, tröstete Liam sie. »Wahrscheinlich seht ihr sie so oft wie jetzt. Nächste Woche nimmt Regan Fahrunterricht, und wenn wir einziehen, hat sie bestimmt schon den Führerschein. Dann könnt ihr euch gegenseitig besuchen.« Regan unterdrückte einen Ausruf. Das mit den Fahr stunden war ihr neu. Natürlich musste sie Auto fahren können, wenn sie in der Woche nicht ans Haus gebunden sein wollte. Allerdings wäre es ihr lieber gewesen, wenn er sie zuerst gefragt hätte. In weniger als fünfzehn Minuten gelangten sie nach Copperlea. Das Haus stand, umgeben von mächtigen
Blutbuchen, auf einem ungefähr zwei Morgen großen Grundstück. Regan verliebte sich auf den ersten Blick in das mit Efeu bewachsene Gebäude. Es hatte einen weitläufigen Salon, ein kleineres Wohnzimmer, ein Esszimmer, eine riesige Küche im Landhausstil, ein Arbeitszimmer und verschiedene Nebenräume im Parterre. Dazu fünf Schlafzimmer im ersten Stock, zwei davon auf der Rückseite des Hauses, die sich ideal für die Kinder eigneten. »Was, nur drei Bäder?« erkundigte sie sich schalkhaft, nachdem sie das dritte inspiziert hatte, und wandte sich Liam zu, der am Türrahmen lehnte. »Wie schäbig!« »Wir können ja noch ein paar einbauen lassen, wenn du meinst«, erwiderte er gespielt ernst. »Platz ist reichlich vorhanden.« Lachend schüttelte Regan den Kopf. Sie konnte nicht fassen, dass dies ihr neues Zuhause war. »Das Haus gefällt dir, oder?« meinte Liam. »Es gefällt mir nicht nur, ich liebe es.« Wieder lachte sie. »Wieso bist du nur zu neunzig Prozent damit zufrieden?« »Nichts ist perfekt. Das Dach muss repariert werden.« »Ein Kinderspiel!« Regan ließ sich die gute Laune nicht verderben. »Ich wette, du hast die Handwerker schon bestellt.« »Dein Vertrauen ehrt mich!« Liam blickte auf seine Armbanduhr. »Die Leute von der Einrichtungsfirma kommen erst in einer halben Stunde. Möchtest du vorher Kaffee trinken?« »Es gibt doch bestimmt keinen…« begann sie. »Doch. Ich habe am Donnerstag einige Lebensmittel besorgt.« »Du denkst wirklich an alles, Liam!« »Ich versuche es zumindest. Zuerst sollten wir nach den Kindern sehen. Die sind verdächtig ruhig.« Sie trafen die beiden in einem der zukünftigen Kinder
zimmer auf dem Teppich an. Jamie las Melanie aus einem ziemlich zerfledderten Kinderbuch vor, das er im Wand schrank gefunden hatte. Er wolle ihr einige schwierigere Wörter beibringen als die, die sie schon könne, sagte er. Und sie hätten beschlossen, dass dies sein Zimmer werden würde und das nebenan mit dem rosafarbenen Teppich Melanies, weil Rosa ja eine Mädchenfarbe sei. »Von politisch korrekten Äußerungen hält Jamie nicht viel«, meinte Regan, als sie mit Liam wieder nach unten ging. »Eigentlich kein Wunder.« »Bei dem Vater, meinst du?« Er lächelte über die Anspie lung. »Rosa würde sich jedenfalls mit seinem rotbraunen Haar beißen.« Im Küchenschrank standen sowohl Pulver- als auch Bohnenkaffee, im Kühlschrank Milch und Sahne. Die Vorbesitzer hatten eine neue Kaffeemaschine gut sichtbar auf den Tresen gestellt, vermutlich als Willkommensge schenk. Liam setzte sich an den großen Tisch mitten in der Küche und streckte, die Hände im Nacken gefaltet, lässig die Beine aus. Regan betrachtete ihn und dachte, dass er sich schon ganz wie zu Hause fühlte – und umwerfend attraktiv war. Rasch blickte sie durchs Fenster und bemerkte, dass es zu regnen aufgehört hatte. Die Sonne kämpfte sich sogar schon durch die Wolken. Vor dem Küchenfenster erstreckte sich der von Mauern umgebene Garten, in dessen Beeten die Frühlingsblumen üppig blühten. Durch ein Gatter konnte man auf eine mit Bäumen bestandene Wiese sehen, die an eine Wasserfläche grenzte. »Ist das ein Teich?« erkundigte Regan sich besorgt, weil sie an die mögliche Gefahr für die Kinder dachte. »Nein, ein Fluss«, verbesserte Liam sie. »Die Themse, um genau zu sein. Und bevor du fragst, die Wiese ist rundher um eingezäunt, und wenn wir das Gatter immer verschlos sen halten, besteht keinerlei Risiko.«
Ich hätte wissen müssen, dass er solche Aspekte bedenkt, sagte sie sich. Ein Haus an der Themse war ja noch besser. Sie fragte sich, wie die Nachbarn sein mochten, obwohl sie diese bestimmt nicht oft sehen würde, da der nächste ungefähr vierhundert Meter entfernt wohnte. Nicht gerade ideal für einen kleinen Plausch am Gartenzaun. »Ich bin momentan beinah überfordert«, gestand sie und goss den Kaffee ein. »Irgendwie will es mir nicht in den Kopf, dass wir tatsächlich hier leben werden.« Liam zuckte die Schultern. »Es ist doch nur ein Haus.« »Nur? Bisher habe ich Ähnliches lediglich in Zeitschriften gesehen. Es muss dich ein Vermögen gekostet haben.« »Ein beachtliches sogar«, stimmte er ungerührt zu. »Das Haus ist übrigens nicht nur auf meinen Namen eingetra gen, sondern auch auf deinen – jedenfalls sobald du Regan Bentley heißt.« Sie war völlig überrascht. »Das hätte ich nicht erwar tet.« »In der Ehe teilt man doch alles, stimmt’s? Hab und Gut, Freude und Sorgen.« Unverwandt sah er sie an. »Und da wir gerade von Sorgen reden… Wie wäre es, wenn du jetzt reinen Tisch machen würdest wegen der Probleme mit deiner Mutter?« Der Kaffee schwappte über, als Regan ihre Tasse schnell auf den Tisch stellte. »Du kannst es einfach nicht auf sich beruhen lassen, oder?« »Nicht wenn allein der Gedanke an deine Mutter dich sichtlich belastet. Was ich vorhin im Auto gesagt habe, war mein Ernst. Ich werde die Wahrheit herausfinden, so oder so.« Plötzlich verlor sie die Beherrschung. »Zur Hölle mit dir, Liam! »Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass ich dort lande, aber noch nicht so schnell«, erklärte Liam ungerührt. »Du hast nie viel über deine Familie erzählt. Das ist mir damals
nur am Rande aufgefallen, aber jetzt interessiert es mich, aus welchen Verhältnissen du stammst.« Ihr Zorn verging so schnell, wie er aufgeflammt war. Ihre Erinnerungen waren zu demütigend, als dass sie sie jemals enthüllt hätte. Auch jetzt noch hätte sie sie lieber für sich behalten, doch Liam ließ ihr wieder einmal keine Wahl. »Meine Mutter heiratete Gary, als ich sechzehn war«, begann Regan ausdruckslos. »Er ist zehn Jahre jünger als sie. Ich mochte ihn nicht. In seiner Nähe fühlte ich mich unbehaglich. Ständig beobachtete er mich, legte den Arm um mich, versicherte mir, ich könne mich darauf verlassen, dass er sich um mich kümmern würde. Er hatte Verhältnis se mit anderen Frauen, und ich glaube, meine Mutter ahnte es, aber sie sagte nie etwas, weil sie Angst hatte, ihn zu verlieren.« Sie schluckte mühsam. »Ich sollte wahrschein lich dankbar dafür sein, dass er so lange gewartet hat, bevor er mit mir anfing.« Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete Liam sie, zwischen seinen Brauen standen zwei senkrechte Falten. »Was anfing?« »Was denkst du denn?« Die Kehle war ihr wie zuge schnürt. »Er versuchte, mit mir ins Bett zu gehen. Mehr als einmal. Nein, er hat es nicht geschafft«, beantwortete sie die Frage, die ihn bestimmt am meisten beschäftigte. »Ich war noch Jungfrau, als ich dich kennen lernte.« »Ich weiß.« Er klang ruhig, aber seine Augen funkelten vor Empörung. »Hast du deiner Mutter von den Belästi gungen erzählt?« Wieder schluckte Regan. »Ja, irgendwann schon. Sie hat mir nicht geglaubt. Sie hat gesagt, ich würde das erfinden, weil ich eifersüchtig sei und ihre Ehe zerstören wolle, damit ich Gary für mich haben könne. Dann hat sie mich rausgeworfen.« »Und wohin bist du gegangen?« erkundigte er sich leise.
»Ich hatte gerade einen Kurs in Wirtschaftslehre abge schlossen und nebenbei abends gearbeitet, deshalb hatte ich genug Geld, um nach London zu fahren. Dort fand ich glücklicherweise innerhalb von wenigen Tagen einen Job. Schließlich bekam ich die Anstellung bei Chantry’s, dort lernte ich dich kennen, und den Rest der Geschichte kennst du.« »Nein, nicht den ganzen. Augenscheinlich bist du ja nicht zu deiner Mutter zurückgekehrt, nachdem du festgestellt hattest, dass du schwanger warst. Wohin also?« »In ein Heim für ledige Mütter. Nach Jamies Geburt zog ich mit ihm in eine Sozialwohnung, danach, als ich wieder arbeitete, in das Apartment. Es ist, wie du ja bemerkt hast, keineswegs ideal, um ein Kind darin großzuziehen, aber bei weitem besser als die Wohnung davor.« Regan versuch te, energisch zu klingen. »So, das war’s. Letztlich ist es gar nicht so schrecklich.« »Schrecklich genug.« Nachdenklich betrachtete Liam sie. »Du bist im Leben allzu oft enttäuscht worden. Dein Vater hat dich im Stich gelassen, deine Mutter ebenfalls… und dann auch noch ich.« Sie zuckte die Schultern, um sich ihren Kummer nicht anmerken zu lassen. »Du tust alles, um es wieder gutzu machen. Jamie wird von jetzt an ein wunderbares Leben führen.« »Und du?« Seine Stimme klang eigenartig, und ein unergründlicher Ausdruck lag in seinen Augen. »Wirst du auch ein wunderbares Leben führen?« »Wie denn nicht? Ein herrliches Haus, ein attraktiver Ehemann, keine finanziellen Sorgen – das ist doch der Traum jeder Frau.« Liam verzog die Lippen. »Mehr nicht?« Regan rang sich ein Lächeln ab. »Doch, zufrieden stellender Sex natürlich. Das versteht sich von selbst.« Bevor er etwas erwidern konnte, läutete sein Handy. Rasch
zog er es aus der Hosentasche. »Ja?« fragte er schroff, und sein Gesicht wurde völlig ausdruckslos. »Ich rufe zurück«, sagte er schließlich und schaltete das Gerät aus. Nun klingelte es an der Haustür. »Das sind bestimmt die Leute von der Einrichtungsfir ma«, meinte er und stand auf. Regan folgte ihm wenig begeistert. Ganz offensichtlich hatte er in ihrem Beisein nicht telefonieren wollen. Viel leicht ging es ja um etwas Geschäftliches, aber das war an einem Samstag nicht sehr wahrscheinlich. Deshalb blieb die Möglichkeit, dass eine Frau ihn angerufen hatte. Eine Frau, die er zurückrufen würde. Um ihr was zu sagen?
7. KAPITEL Am Tag der Hochzeit, zu der nur einige Freunde und Bekannte eingeladen waren, klappte alles bestens. Regan trug ein Kostüm aus Goldbrokat, das sie auch noch bei anderen Gelegenheiten würde anziehen können, Liam einen dunkelgrauen Anzug. Die Kinder spielten bei der Zeremonie keine aktive Rolle, sondern saßen neben den Großeltern und beobachteten alles interessiert. Der anschließende Empfang fand im Haus statt. Als Regan sich, ein Glas Champagner in der Hand, im elegant eingerichteten Salon umsah, konnte sie es beinah nicht fassen, wie viel sie in den vier Wochen geschafft hatte, allerdings nur, weil Hugh ihr eine Kündigungsfrist von einer Woche eingeräumt hatte. Er und Rosalyn nebst Sarah und Don waren ihre, Regans, einzigen Gäste. »Liam ist ein Glückspilz«, meinte Liams Trauzeuge Warren und prostete ihr zu. »Ich bin die Glückliche«, erwiderte sie und lächelte. »Sie sind schon seit der Kinderzeit mit Liam befreundet,
stimmt’s?« »Ja, wir haben dieselbe Schule und Universität besucht.« »Sie haben aber einen anderen Beruf gewählt.« »Richtig. Meine Spezialität ist Computertechnologie.« »Und Sie besitzen, soviel ich weiß, eine Computerfirma.« »Kleine Fische, verglichen mit Liams Erfolgen«, wehrte Warren bescheiden ab. »Habe ich da meinen Namen gehört?« fragte Liam und gesellte sich zu ihnen. »Ja, aber wir haben dich nur ganz beiläufig erwähnt«, antwortete Regan, und ihr Herz pochte bei seinem Anblick wie üblich schneller. »Ich sollte mal nach den Kindern sehen.« »Dad kümmert sich um sie, und sie sind glücklich und zufrieden.« Das bezweifelte sie nicht. Die beiden hatten sich erstaun lich problemlos aneinander gewöhnt. Allerdings bereitete ihr ihre Beziehung zu Melanie einiges Kopfzer brechen. Sosehr sie es auch versuchte, sie kam an die Kleine nicht richtig heran. Irgendwie musste sie das Eis brechen. »Regan!« Der Klang von Liams Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Beide Männer blicken sie neugierig an. »Warren hat dich gefragt, ob du reitest.« »Entschuldigung, ich habe nicht aufgepasst. Nein, ich reite nicht. Ist es denn Pflicht in ländlichen Gegenden?« Warren lächelte jungenhaft. »Manche Leute würden es gern dazu machen. Meine Schwester würde am liebsten alle Autos zugunsten von Pferden verbieten. Sie sollten sie kennen lernen, sie ist ungefähr in Ihrem Alter.« Und sonst haben wir, wie es scheint, wenig gemeinsam, dachte Regan. »Das wäre nett«, erwiderte sie höflich. »Ich dachte, Dean würde zu deiner Hochzeit kommen.« Warren wandte sich wieder Liam zu.
Der zuckte die Schultern. »Ich habe keine Ahnung, wo er zurzeit ist.« »Ziemlich rücksichtslos von ihm, aber so ist er nun mal.« Sogar als guter Freund hat Warren anscheinend keine Vorstellung davon, wie wenig Dean Liam willkommen wäre, überlegte Regan. Schade, dass Liam die Vergangen heit nicht ruhen lassen wollte. Hugh und Rosalyn gingen als Erste, und das war das Signal zum allgemeinen Aufbruch. Um halb sechs waren nur noch Liams Eltern da. Peter Bentley bot an, die Kinder nach Old Hay mitzunehmen. »Am besten lasst ihr die beiden eine Woche bei uns und fahrt allein irgendwohin«, meinte er. »Wir passen natürlich gut auf Jamie auf«, fügte er hinzu, als er Regans zweifelnden Ausdruck bemerkte. »Da bin ich mir ganz sicher«, sagte sie. »Nur könnte er sich ausgeschlossen fühlen. Melanie auch.« »Keine Sorge, als ich die beiden gefragt habe, waren sie begeistert.« Peter lachte. »Die Hunde sind natürlich die Hauptattraktion. Ihr werdet keinen Frieden haben, bevor ihr euch einen Hund angeschafft habt.« »Das wird demnächst erledigt«, versicherte Liam. »Danke für das Angebot, Dad. Wir nehmen es zumindest für heute an. Regan und ich hätten wirklich gern etwas Zeit für uns allein.« Ja, mit den Kindern im Haus könnte ich mich nicht richtig entspannen, stimmte sie ihm im Stillen zu. Nun brauchte sie nicht zu befürchten, dass mitten in der Hochzeitsnacht eine kleine Gestalt an der Schlafzimmertür auftauchte. Die Hochzeitsnacht! Ihr Herz begann, wie rasend zu pochen, und Regan hoffte, dass man ihr nichts anmerkte. Rasch bedankte sie sich ebenfalls bei Peter. Falls Jean von der Regelung nicht begeistert war, zeigte sie es nicht. Mit ihr, Regan, hatte sie eine Art Waffenstill
stand geschlossen, und sie war zu Jamie stets freundlich. Der stieg durchaus fröhlich ins Auto, nachdem sie ihm versprochen hatten, dass er am nächsten Tag nicht nur zurück nach Hause kommen würde, sondern sie sich außerdem Hundebabys ansehen würden. Es ist das erste Mal, dass ich eine ganze Nacht von ihm getrennt bin, dachte Regan wehmütig, während sie dem Auto nachblickte. »Und was würden Sie gern mit dem restlichen Abend anfangen, Mrs. Bentley?« fragte Liam hinter ihr. Direkt ins Bett gehen, hätte die ehrliche Antwort lauten müssen, aber Regan brachte es nicht über sich, es laut zu sagen. Sie sehnte sich danach, von ihm die Treppe hinaufgetragen zu werden – wie Scarlett O’Hara in »Vom Winde verweht«. »Möchtest du essen gehen, oder soll ich etwas kochen?« erkundigte Regan sich sachlich. Er lachte leise und presste ihr die Lippen auf den Na cken. Ihr wurden die Knie weich, und heißes Verlangen durchflutete sie. »Es ist noch früh, Liam.« »Ich weiß.« Nachdem er die Haustür abgeschlossen hatte, drehte er Regan zu sich und küsste sie leidenschaftlich. Sie legte ihm die Arme um den Nacken und erwiderte den KUSS hinge bungsvoll, zärtlich an ihn geschmiegt. Was machte es, dass es erst sechs Uhr war? Und dass sie seit dem Frühstück fast nichts gegessen hatte? Nach Essen war ihr jetzt nicht zu Mute, sie hatte Appetit auf etwas ganz anderes. »Das Abendessen kann warten«, meinte Liam und sprach damit aus, was sie dachte. »Ich hingegen will nicht noch länger warten!« Den Arm um sie gelegt, führte er sie nach oben. Im Schlafzimmer knipste er die Nachttischlampen an, dann zog er die Brokatvorhänge zu. Das gedämpfte Licht schuf
eine anheimelnde Atmosphäre. Regan beobachtete ihn hingerissen. Sieben Jahre hatte sie auf ihn verzichten müssen, und nun würde sie bald endlich wieder mit ihm vereint sein. Er hatte in den sieben Jahren bestimmt nicht wie ein Mönch gelebt. Rasch verdrängte sie den Gedanken, bevor er sich in ihrem Kopf festsetzen konnte. Liam und sie zogen sich gegenseitig aus und küssten sich immer wieder. Es war wie eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit. Sein Körper war noch genauso, wie sie ihn in Erinnerung hatte – straff und muskulös, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Ihr Körper hingegen hatte sich, wie ihr wohl bewusst war, verändert. Ihre Brüste waren voller, die Hüften sanfter gerundet, die Taille nicht mehr gertenschlank, kurz gesagt, es war der Körper einer Frau, nicht der eines jungen Mädchens. Aber sie gefiel Liam offenbar immer noch, wenn nicht sogar besser. »Du bist fraulicher geworden, und das steht dir«, sagte er tatsächlich bewundernd. Er umfasste ihre Brüste und umspielte die Spitzen erregend mit der Zunge. »Wunder schön bist du.« Liam atmete scharf ein, sobald Regan ihn aufreizend zu streicheln begann, und schloss die Augen. »Wunderschön«, wiederholte er leise. Sie erschauerte, als er sie hochhob und zum Bett trug. Mit einer Hand schlug er die Decke zurück, dann ließ er Regan auf das Laken gleiten. Einen Moment lang stand er da und betrachtete sie verlangend. Schließlich legte er sich neben sie und küsste ihre Lippen, die Lider, ihren Hals und presste sich immer fordernder an sie. Als er sich endlich mit ihr vereinte, stockte ihr der Atem. Es fühlte sich herrlich an, Liam wieder in sich zu spüren, mit ihm eins zu werden. Er begann, sich in ihr zu bewegen, zuerst langsam,
schließlich immer drängender, bis sie keines klaren Gedankens mehr fähig war und sich ganz ihren überwälti genden Empfindungen hingab. Der Höhepunkt war schöner als alles, was sie jemals erlebt hatte, und sie stöhnte vor Lust und bäumte sich unwillkürlich auf. Auch Liam stöhnte, als er den Höhepunkt erreichte. Danach lagen sie eine Weile reglos da. »Darauf wochenlang zu warten hat sich gelohnt«, bemerkte Liam schließlich. »Sie sind eine Offenbarung, Mrs. Bentley.« »Besser als früher?« fragte Regan wie nebenbei. »Der Vergleich wäre unfair, weil du damals ein unerfah renes junges Mädchen warst. Jetzt bist du eine Frau.« Sie zögerte kurz, bevor sie auf die Anspielung einging. »Du meinst, ich hätte inzwischen gelernt, wie ich einen Mann zufrieden stellen kann?« Liam zuckte die Schultern. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du sieben Jahre lang auf einen Mann verzichtet hast.« Sie wollte ihm gestehen, dass sie genau das getan hatte, besann sich dann aber anders. Er brauchte nicht zu wissen, dass sie sich sieben Jahre vor Sehnsucht nach ihm förmlich verzehrt hatte. »Nicht die Vergangenheit zählt, sondern das Hier und Jetzt«, erwiderte Regan schließlich heiser. »Schaffst du es immer noch zwei Mal hintereinander?« Seine grauen Augen funkelten. »Meinst du, ich bin zu alt dazu?« Liam drehte sich auf den Rücken und zog sie auf sich. Zuerst hielt er, die Hände auf ihren Hüften, noch still, dann begann er, sich im Einklang mit ihr zu bewegen. Sie hatte den ersten Höhepunkt für unübertrefflich gehalten, doch diesmal war er jenseits aller Vorstellungs kraft. »Hast du etwas gesagt?« erkundigte Liam sich schließ lich, als sie erschöpft neben ihm lag und beglückt seufzte.
»Nein. Jedenfalls weiß ich jetzt, dass du noch wie damals bist.« Er lachte leise. »Das höre ich gern. Du hast dich allerdings sehr verändert, Grünäuglein.« »Ich habe ein neues Kapitel aufgeschlagen.« »Bis jetzt ist es eine äußerst interessante Lektüre«, bemerkte er schalkhaft und küsste sie sanft. Dann setzte er sich auf. Seine gebräunten Schultern schimmerten im Lampenlicht. »Ich sehe mal nach, ob noch Champagner da ist. Mir ist wieder nach Feiern zu Mute.« Während er nackt durchs Zimmer ging, betrachtete Regan ihn hingerissen, und erneut durchflutete heißes Verlangen sie. Dass sie ihn ebenfalls erregte, war offensichtlich. Wie lange würde es jedoch dauern, bis sich Gewohnheit einschleichen und sein Begehren nachlassen würde? Nein, der Gedanke bringt nichts, sagte Regan sich. Es lag an ihr, sein Interesse lebendig zu halten und in Liam die tieferen Gefühle zu wecken, nach denen sie sich so sehnte. Sie stand auf und setzte sich an den Frisiertisch, um sich die Haare zu bürsten und etwas Parfüm aufzutragen. Im Spiegel sah sie, dass ihre Augen leuchteten wie seit Jahren nicht mehr. Ja, sie fühlte sich unglaublich lebendig, vibrierend vor Energie. Es war erst zwanzig nach sieben, und sie würden noch zwölf ungestörte Stunden haben, bevor sie aus dem siebten Himmel in die Wirklichkeit zurückkommen mussten. Regan lag wieder im Bett, als Liam mit dem Champagner und zwei Gläsern zurückkehrte. Er ließ den Korken knallen und goss das schäumende Getränk in die Gläser, die er zum Bett brachte. »Auf uns!« sagte er und hob sein Glas. »Auf uns!« wiederholte sie, beseelt von der Hoffnung, dass ihre Ehe funktionieren würde, wie viel Anstrengung es
auch kosten mochte. Sein Vater brachte die Kinder am folgenden Morgen um halb zehn. »Sie haben schlecht geschlafen und könnten sich zanken«, meinte er verlegen. Regan vermutete, dass mehr dahinter steckte, hakte jedoch nicht nach. Er lehnte den Vorschlag dankend ab, sie zum Züchter zu begleiten, wo sie Welpen für die Kinder aussuchen wollten. Er habe zu Hause genug kleine Hunde, erklärte er, und es klang nur halb scherzhaft. Die Hunde zucht war Jeans Aufgabe. Er half ihr gelegentlich, aber ohne große Begeisterung. Gemeinsame Interessen sind wichtig in einer Ehe, dachte Regan und war plötzlich bedrückt. Liam und sie hatten – außerhalb des Schlafzimmers – nicht viel gemeinsam. Sie ging gern spazieren, er trainierte lieber im Fitnesscenter. Sie freute sich schon darauf, im Garten zu arbeiten, Liam sah keinen Sinn darin, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn zwei Mal pro Woche ein Gärtner kam. Er hatte ihr gesagt, sie würden, sobald sie sich im Haus eingelebt hatten, öfter Partys geben, und das wiederum begeisterte sie nur wenig. Als Gastgeberin für seine Bekannten geschäftliche und persönliche – zu fungieren hatte sie sich nicht als Lebensziel ausgemalt. Es war aber nur ein geringer Preis, verglichen mit dem, was sie durch die Heirat gewonnen hatte. Jamie und Melanie waren sofort von den zwei Monate alten West-Highland-Terriern begeistert, die Liam von ihrer Größe und ihrem Temperament her für geeignet hielt. Der Züchter hatte nur noch vier Stück zu vergeben, und Melanie wollte unbedingt das eine Weibchen. Liam gab nach, obwohl er für zwei Männchen gestimmt hatte. »Wir können es ja später sterilisieren lassen, damit es keine Inzucht gibt«, sagte er zu Regan. »Oder das Männchen kastrieren lassen«, erwiderte sie schalkhaft. »Es heißt, dann werden sie fügsamer.«
»Nur weil sie fett und faul werden. Ein Rüde braucht all seine Körperteile, um sich als richtiger Mann zu fühlen.« »Das ist typisch männliche Arroganz«, konterte sie scharf. »Du hast Recht, wir Männer sind sehr großspurig«, stimmte Liam ihr ungerührt zu. »Glaubst du, du wirst damit fertig?« »Mit dir oder den Welpen?« Er lächelte flüchtig. »Die wirst du jedenfalls öfter als mich zu Gesicht bekommen, wenn ich erst wieder in der Tretmühle stecke. Ich arbeite mehr als acht Stunden am Tag.« Regan beobachtete die Kinder, die mit den kleinen Hunden spielten. »Du hast mir noch nicht gesagt, wie weit oben du jetzt auf der Karriereleiter stehst.« »Ist das wichtig?« »Es unterstreicht jedenfalls die Tatsache, dass du viel mehr über mich weißt als ich über dich.« »Tut es dir Leid, dass du mir von den Problemen mit deiner Mutter erzählt hast, Regan?« »Nein. Es war wirklich eine Erleichterung, sich alles von der Seele zu reden.« Sie schwieg kurz und fügte schließ lich hinzu: »Bist du im Beruf auch so hartnäckig?« »Wenn nötig. Es…« Liam sah, wie Jamie Melanie schubste. »Hör auf, Jamie!« »Das ist mein Hund!« behauptete der Junge heftig und presste das zappelnde Tier an sich. »Sie hat doch selbst einen.« »Ich wollte mir Jamies nur ansehen«, rief Melanie weinerlich. »Er ist wieder gemein zu mir.« Liam runzelte die Stirn und sah seinen Sohn an, der den Blick trotzig erwiderte. »Wieder?« »Jamie sagt, Jungen sind besser als Mädchen«, petzte Melanie, als Jamie schwieg. »Und er hat gesagt, du magst ihn lieber als mich, weil er ein Junge ist.«
Regan beherrschte sich mühsam, um Jamie nicht sofort zu tadeln. Falls er tatsächlich die Bemerkung gemacht hatte, musste er zur Ordnung gerufen werden, aber wenn sie jetzt für Melanie Partei ergriff, würde sie den Konflikt nur verschärfen. Die winzige Hündin rettete fürs Erste die Situation, indem sie mit leisem Knurren nach Melanies Schnürsenkel schnappte und daran zog. Lachend hob die Kleine das Tier hoch und presste es liebevoll an sich. »Du solltest ein ernstes Wort mit Jamie reden«, meinte Liam leise. »Das tue ich«, versprach Regan. »Wenn ich mit ihm allein bin. Falls er das wirklich gesagt…« »Ich bezweifle, dass Melanie es erfunden hat.« »Das wollte ich ihr nicht unterstellen. Irgendetwas muss es aber ausgelöst haben. Jamie ist sich deiner Zuneigung noch nicht völlig sicher, Liam.« »Darüber braucht er sich keine Sorgen zu machen.« »Nein?« Sie sah ihn fest an. »Kannst du ehrlich be haupten, dass du für ihn dasselbe empfindest wie für Melanie?« »Die Frage ist nicht fair.« »Wir müssen sie uns trotzdem stellen.« Sie war schon zu weit gegangen, um einen Rückzieher zu machen. »Für mich ist es noch schwieriger. Jamie ist dein Sohn, aber Melanie nicht meine Tochter.« »Willst du damit sagen, dass du nichts für sie empfin dest?« »Nein, das habe ich nicht gemeint. Sie ist ein wirklich liebes Mädchen, und ich bin mir sicher, dass wir eine gute Beziehung zueinander bekommen werden. Allerdings braucht es Zeit. Mit Jamie und ihr ist es dasselbe. Die beiden sind in den vergangenen Wochen gut miteinander ausgekommen, aber es ist ein großer Unterschied, ob sie sich gelegentlich treffen oder im selben Haus leben. Sie ist
daran gewöhnt, dich ganz für sich zu haben, Jamie geht es mit mir ebenso. Es ist für beide nicht einfach, zu lernen, dass sie sich unsere Zuneigung von jetzt an teilen müssen. Eine gewisse Eifersucht ist am Anfang unvermeidlich.« »Dann sollten wir beide darauf achten, dem einen Kind nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dem anderen.« Liam klang schroff. »Ist die Frage damit geklärt?« Regan akzeptierte, dass das Thema damit abgeschlossen war. Sie merkte, dass sie ihn verärgert hatte, doch es hatte keinen Sinn, die Augen vor den Schwierigkeiten zu verschließen, die noch auf sie zukommen konnten. Wieder zu Hause, entbrannten die Streitigkeiten zwi schen Jamie und Melanie erneut, als die Welpen ihre Zuneigung wahllos jedem zeigten, der sich mit ihnen befasste, statt sich ausschließlich an ihr »Herrchen« und »Frauchen« zu halten. Liam schlichtete den Konflikt, indem er drohte, beide Hunde zum Züchter zurückzubringen, wenn die Kinder nicht aufhörten, sich zu zanken. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit konfrontierte Regan Jamie mit Melanies Anschuldigung, aber er verriet nicht, warum er die Bemerkung gemacht hatte. Sie hakte nicht nach, weil sie hoffte, die beiden würden den Zwi schenfall dann rascher vergessen, und tatsächlich spielten sie bald wieder miteinander. »Es war wohl nur ein Anfall männlicher Arroganz, der keinen bleibenden Schaden angerichtet hat«, sagte Regan zu Liam. »Hoffentlich überkommen Jamie diese Anwandlungen nicht regelmäßig.« »Bestimmt nicht.« Sie hoffte inständig, dass sie damit Recht behalten würde. »Was möchtest du zum Mittages sen?« Seine Augen blitzten schalkhaft. »Rate mal!«
»Omelett?« schlug sie vor, obwohl sie ihn durchaus verstanden hatte. »Nicht hier!« fügte sie schnell hinzu, als er zu ihr kam. »Die Kinder!« »Ich will dich doch nicht in der Küche vernaschen«, erwiderte er ironisch. »Trotzdem sollten wir auch mit Zärtlichkeiten noch zurückhaltend sein«, meinte sie kleinlaut. »Das heißt, Hände weg, außer wir sind allein im Schlaf zimmer?« »Ja, irgendwie schon. Fürs Erste jedenfalls.« Verunsi chert sah sie ihn an. »Das verstehst du doch, oder? Es heißt nicht, dass ich nicht möchte, aber…« »Ich verstehe dich völlig«, unterbrach er sie. »Und du hast wahrscheinlich Recht.« Gleichmütig ging er zur Tür. »Ich räume jetzt mein Arbeitszimmer auf. Ruf mich, wenn das Essen fertig ist.« Regan blickte ihm nach und unterdrückte den Wunsch, Liam zu folgen und sich mit ihm im Arbeitszimmer einzuschließen, um ihm zu beweisen, wie sehr sie sich nach seinen Zärtlichkeiten sehnte. Sie konnte die Kinder allerdings nicht allein lassen, von den Welpen, die noch nicht stubenrein waren und den Beweis dafür auf dem Küchenboden hinterlassen hatten, ganz zu schweigen. Die meisten frisch verheirateten Ehepaare brauchten nur an sich zu denken, hier gab es eine vollständige Familie zu berücksichtigen, und das war etwas ganz anderes.
8. KAPITEL Liam musste wieder zur Arbeit, und Jamie stand der erste Tag in der neuen Schule bevor, dem er mit gemischten Gefühlen entgegensah. Es sei unfair, beklagte sich der Junge, dass Melanie die ganze Zeit mit den Hunden
spielen dürfe, während er »rechnen und so was« müsse. »Melanie fängt im September auch mit der Schule an.« Liam klang ungehalten. »Du kannst es dir ohnehin nicht aussuchen, ob du zur Schule gehen möchtest, deshalb finde dich lieber damit ab.« »Du hast genug Zeit zum Spielen, wenn du nach Hause kommst«, tröstete Regan Jamie und beherrschte sich mühsam, um Liam nicht wegen seines mangelnden Einfühlungsvermögens zu tadeln. Auseinandersetzungen durften nicht vor den Kindern ausgetragen werden. Das war eine Grundregel. »Ich finde, du warst ein bisschen zu schroff zu Jamie«, bemerkte Regan jedoch, nachdem die Kinder vom Früh stückstisch aufgestanden waren und die Küche verlassen hatten. »Es geht ihm gar nicht um die Hunde, sondern er ist nervös wegen des ersten Tags in der neuen Schule.« »Er ist kein Baby mehr«, erwiderte Liam energisch. »Hör auf, ihn wie eins zu behandeln. Jamie muss lernen, dass Jammern ihm nichts bringt.« Sie wurde wütend. Ihr Sohn war doch kein Jammerlap pen! »Du bist unfair, Liam! Der Junge ist sechs Jahre alt, nicht sechzehn! Wenn du nur ein bisschen von Kindern verstehen würdest…« Spöttisch zog Liam die dunklen Brauen hoch. »Wir sind beide keine Experten. Oder beanspruchst du für dich besonderes Einfühlungsvermögen, nur weil du eine Frau bist?« »Zumindest weiß ich, was meinem Sohn durch den Kopf geht.« »Unserem Sohn! Vergessen wir das nicht.« »Und deine Tochter gehört dir allein«, erklärte sie heftig und bedauerte es augenblicklich. »Tut mir Leid! Ich habe das nicht so gemeint, wie es geklungen hat.« »Wie denn sonst? Vielleicht habe ich zu viel von dir erwartet, als ich dir das Kind einer anderen Frau aufge
halst habe«, sagte Liam scharf. »Nein!« Verzweifelt versuchte sie, den falschen Eindruck zu korrigieren. »Ich habe Melanie gern, aber noch ist das Eis zwischen uns nicht gebrochen. Ich wünsche mir sehnlich, dass sie mich lieb hat und Jamie dich.« »Und du denkst, er tut es nicht, falls ich ihn nicht verzärtele, Regan?« »Nein, verhätscheln sollst du ihn nicht! Und ich denke nicht daran, Melanie zu verwöhnen, nur um mir ihre Zuneigung zu erkaufen. Trotzdem müssen wir gewisse Zugeständnisse an die Kinder machen.« Liam blickte auf seine Armbanduhr. »Ich muss jetzt weg. Es ist bestimmt schon viel los auf den Straßen.« »Wäre es nicht bequemer für dich, mit dem Zug zu fahren?« Sie wollte sich nicht darüber ärgern, dass er eine so wichtige Grundsatzdiskussion abbrach. »Ich könnte dich zum Bahnhof bringen, wenn du dein Auto nicht den ganzen Tag dort stehen lassen möchtest.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Lieb von dir, aber ich fahre lieber mit dem Wagen.« »Wann kann ich dich zurückerwarten?« »Das Weiß ich nicht genau. Falls ich spät komme, rufe ich dich am Nachmittag an.« »In Ordnung.« Was sonst sollte sie sagen? Die Flitterwo chen, wenn man die wenigen Tage überhaupt so bezeich nen konnte, waren eindeutig vorbei. »Ich bringe dich zur Tür«, fügte sie hinzu, um wenigstens den Anschein ehelicher Harmonie zu wahren. Der Abschiedskuss ließ viel zu wünschen übrig. Viel leicht erhoffe ich mir zu viel in zu kurzer Zeit, dachte Regan niedergeschlagen und sah Liam nach. In den vergangenen Tagen hatte sie manchmal den Eindruck gehabt, dass er es bedauerte, sie vier so schnell als Familie zusammengeführt zu haben. Er hatte auch deutlich klargemacht, dass er keine weiteren Kinder
wollte. Das verstand sie angesichts der Probleme mit Jamie und Melanie, war allerdings enttäuscht darüber. Sie hatte so viel von Jamies frühester Kindheit verpasst und hätte es herrlich gefunden, jeden Moment im Dasein eines Babys mitzuerleben. Regan fuhr in Begleitung von Melanie Jamie zur Schule, der sich tapfer die Tränen verbiss. Der Intensivkurs in der Fahrschule hatte sich bezahlt gemacht, denn sie hatte die Prüfung mit Bravour bestanden. Liam hatte ihr am selben Tag einen Wagen geschenkt. Ja, materiell fehlt es mir an nichts, sagte sie sich. Sie brauchte sich nicht einmal um die Hausarbeit zu kümmern, denn die wurde von der emsigen und peniblen Mrs. Landers erledigt, die Liam über eine Agentur engagiert hatte. »Ich will meine Nana«, sagte Melanie unvermittelt während der Rückfahrt. »Vielleicht können wir deine Großmutter heute Nach mittag besuchen«, erwiderte Regan aufmunternd. »Bevor wir Jamie von der Schule abholen.« »Ich will Nana jetzt!« Bleib konsequent, damit sie dir später nicht auf der Nase herumtanzt, ermahnte Regan sich und unterdrückte ihr Mitgefühl für die Kleine. »Nein, das geht nicht, weil wir mit Snowy und Cindy spazieren gehen müssen. Sie warten schon auf uns.« Melanie brauchte einen Moment, um sich zu entscheiden. »Ich halte aber nicht Snowys Leine«, verkündete sie schließlich. »Das brauchst du auch nicht«, versicherte Regan. »Ich kümmere mich um ihn.« Im Rückspiegel betrachtete sie kurz die Kleine und wünschte, sie könnte sie zum Lächeln bringen. Ich wäre als Vierjährige bestimmt auch so widerspenstig gewesen, wenn man mich aus meiner gewohnten Umgebung gerissen und gezwungen hätte, meinen geliebten Daddy jeden Tag mit
jemandem zu teilen, dachte sie einfühlsam. Zu Hause kam ihnen Mrs. Landers entgegen und beklagte sich erbittert, dass die Hunde ihren frisch geputzten Küchenboden verschmutzt hätten und doch gefälligst draußen bleiben sollten. Melanie protestierte lautstark dagegen. Regan versuchte, die Situation zu retten, indem sie versprach, die Hunde zukünftig in die Waschküche zu sperren, wenn sie sie nicht mitnehmen konnte, aber der Kompromiss fand nur mäßige Zustimmung bei Mrs. Landers und Melanie. Warum habe ich diesem Putzteufel nicht gesagt, dass es mein Haus ist und ich hier bestimme? fragte sie sich mutlos. Der Spaziergang mit den Hunden versetzte sowohl sie als auch Melanie in bessere Stimmung. Gemeinsam kümmer ten sie sich um die lebhaften, ständig zu Streichen aufgeleg ten Tiere, und als Regan sah, wie fröhlich die Kleine wurde, hoffte sie, dass nun endlich das Eis zwischen ihnen gebrochen war. Sie dachte an Jamie und überlegte, wie es ihm wohl ergehen mochte. Es war immer schwer, in eine neue Schule zu kommen, und einem Sechsjährigen konnte man es nachsehen, wenn es ihn einschüchterte. Er blieb zum Mittagessen in der Schule, wie er es auch in London getan hatte, und sie vermisste ihn. Ich hätte ihn wenigstens in den ersten Wochen mittags nach Hause holen sollen, dachte sie. »Hallo! So sieht man sich wieder.« Der Klang einer Männerstimme riss sie aus ihren Ge danken. Überrascht blickte sie auf und entdeckte einen jungen Mann nur wenige Meter von ihr entfernt. »Tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe, Regan.« »Onkel Dean!« Melanie lief auf ihn zu, ihre Augen leuchteten. Lachend hob Dean sie hoch und küsste sie auf die
Wangen. »Hallo, Prinzessin! Hast du mich vermisst?« Er setzte sie wieder ab und zauste ihr liebevoll das lange, im Nacken zusammengebundene Haar. »Wann lässt du dir die Mähne endlich abschneiden?« fragte er neckend. »Ich bin ein Mädchen, deshalb darf ich lange Haare haben«, meinte sie keck. »Jungen nicht. Du musst dir die Haare kurz schneiden lassen, Onkel Dean!« »O nein! Das würde nicht zu mir und meinem Leben passen.« Was für ein Leben führt er eigentlich? fragte Regan sich unwillkürlich. »Ich hätte nicht erwartet, dich so bald wieder zu sehen, Dean.« »Ich wollte nur mal nachsehen, wie sich die Dinge entwickelt haben.« Dean bückte sich, als die Hunde neugierig zu ihm kamen, und ließ sie an seiner Hand schnuppern. »Liam fackelt ja wirklich nicht lange herum.« »Das stimmt.« Was konnte sie sonst sagen? Sie nahm die Hunde an die Leine und wandte sich Melanie zu. »Sie sind jetzt vom vielen Toben bestimmt müde, deshalb gehen wir wieder rein. Möchtest du Kaffee, Dean?« »Gern.« Auf dem Weg zum Haus plauderte Melanie unbefangen mit ihrem Onkel. Liam hatte sie offensichtlich nicht beeinflusst, und das rechnete Regan ihm hoch an. Da Mrs. Landers im oberen Stock arbeitete, hatten sie die Küche für sich. Die Hunde ließen sich erschöpft in ihr Körbchen plumpsen, und auch Melanie wirkte müde. Dean trug sie ins Wohnzimmer und legte sie aufs Sofa. »Zu viel Aufregung«, diagnostizierte er, als er in die Küche zurückkam. »Nach dem Nickerchen wird sie wieder putzmunter sein, wie Jean sagen würde.« »Du nennst sie Jean?« hakte Regan nach. »Mit zwölf Jahren war ich ein bisschen zu alt, um sie Mom zu nennen. Außerdem hätte es Liam nicht gepasst. Wir haben uns von Anfang an nicht vertragen.«
Das konnte sie sich gut vorstellen. Die beiden waren so unterschiedlich wie Feuer und Wasser. »Melanie hält jedenfalls viel von dir, Dean.« »Ja. Sie ist ein wirklich liebes Kind. Ich sollte dankbar sein, dass Liam sie nicht gegen mich eingenommen hat. Jamie scheint auch ein netter Junge zu sein. Ich würde ihn gern besser kennen lernen, bevor ich mich wieder auf den Weg mache.« Warum nicht? überlegte sie. Wie sie Liam bereits gesagt hatte, ging die Fehde zwischen ihm und Dean sie nichts an. »Um halb vier hole ich ihn von der Schule ab. Bleib doch zum Mittagessen, und fahr nachher mit uns«, schlug Regan vor. »Melanie freut sich bestimmt, wenn du den Tag mit uns verbringst.« Dean nahm die Einladung an, ohne zu zögern. »Gern! Mit dir ist es leicht, auszukommen, Regan.« Der Vormittag verging wie im Flug. Dean führte ein abwechslungsreiches Leben und verfügte über einen großen Vorrat an amüsanten Geschichten. Melanie war entzückt, dass er ihnen Gesellschaft leistete, und ganz begeistert von dem geschnitzten Elefanten, den er ihr mitgebracht hatte. »Der ist aus Indien«, erklärte er Regan. »Vor drei Tagen war ich noch in Neu Delhi. Ich musste etwas überstürzt abreisen.« Vorsichtshalber fragte sie nicht nach dem Grund dafür. Jamie kam gut gelaunt und munter aus der Schule. Es gab dort, wie er berichtete, ein Schwimmbad und zwei Mal pro Woche Schwimmunterricht für alle Schüler. Er und Dean unterhielten sich unbefangen, und das gefiel Melanie nicht. Dean neckte sie so lange freundlich, bis sie nicht mehr schmollte, dann spielte er mit ihnen Kricket im Garten. »Du bist der geborene Vermittler«, lobte Regan ihn, die ebenfalls am Spiel teilnahm. Sie war glücklich, dass
die Kinder sich wieder vertrugen. »Ich wünschte, ich hätte dieses Talent. Es fällt mir schwer, an Melanie heranzu kommen.« »Das wird schon«, tröstete er sie. »Du darfst nur nicht aufgeben. Bei Jamie hat es mit deiner Erziehung bestens geklappt. Er ist ein großartiger Junge.« »Ein Anruf für Sie!« rief Mrs. Landers vom Haus her. »Mr. Bentley ist am Apparat.« »Die Stimme deines Herrn und Meisters«, spottete Dean leise. »Wirst du ihm sagen, dass ich hier bin?« »Warum nicht?« Regan telefonierte in der Diele, um kein Gras auf den Wohnzimmerteppich zu tragen und bei Mrs. Landers in Ungnade zu fallen. »Wo, zum Teufel, warst du, Regan?« Liam klang unge duldig. »Ich warte seit beinah fünf Minuten.« »Ich habe mit den Kindern Kricket gespielt«, antwortete sie sachlich. »Und wie war dein Tag bisher?« Er lachte kurz. »Ziemlich stressig, wie man mir wahr scheinlich anhört. Ich wollte nur wissen, wie es dir und Melanie zum ersten Mal allein ergangen ist. Kommt ihr gut miteinander aus?« »Wir waren nicht allein. Dein Bruder ist hier.« »Dean!« Nun klang er wieder schroff. »Wer hat ihn eingeladen?« »Ich natürlich.« Sie ließ sich nicht einschüchtern. »Ich weiß, du magst ihn nicht, aber Melanie ist offensichtlich hingerissen von ihm.« »Ja, Melanie…« »Mag jeden, ich weiß«, beendete sie den Satz. »Nur mich nicht.« Regan riss sich zusammen, als ihr auffiel, wie kläglich sie klang. »Vergiss bitte, dass ich das gesagt habe. Melanie und ich werden uns schon noch zusammenraufen. Wann kommst du nach Hause?« »Ich weiß es nicht genau. Um sechs habe ich noch einen
Termin. Sag Dean, dass ich morgen mit ihm rede.« Liam legte auf, bevor sie etwas erwidern konnte. Sie hätte auch nicht gewusst, was. »Ein dezenter Hinweis, dass ich nicht mehr hier sein soll, wenn Liam nach Hause kommt«, bemerkte Dean, nachdem sie ihm die Botschaft ausgerichtet hatte. »Von mir aus brauchst du noch nicht zu gehen«, erklärte sie energisch. »Danke, aber ich muss jetzt sowieso los. Jean meinte, es würde um sechs Abendessen geben.« Er lächelte sie bewundernd an. »Du bist zu gut für Liam. Wenn er kann, wird er dich unterjochen, wie er es mit Andrea gemacht hat. Kein Wunder, dass sie das Weite gesucht hat.« Regan ließ sich ihre Gefühle nicht anmerken. »Es gibt keinen wie immer gearteten Grund, sein Kind im Stich zu lassen.« »Vielleicht hatte sie Melanies Wohlergehen im Sinn.« »Nein, denn dann wäre sie bei ihr geblieben, egal, unter welchen Umständen.« Dean zuckte die Schultern. »Wer weiß? Jetzt verabschie de ich mich von den Kindern. Geht es in Ordnung, wenn ich euch morgen wieder besuche?« fügte er beiläufig hinzu. »Mir hat es heute richtig Spaß gemacht.« »Okay!« Liam würde wütend sein, aber davon ließ sie sich nicht beeinflussen. »Ich habe den Tag auch genossen.« Sie sah Dean nach, als er zu den Kindern ging. Bestimmt irrte er sich in Bezug auf Andrea. Diese war gewiss keine Frau, die sich von einem Mann unterjochen ließ. Nein, ich habe mich damals mit Füßen treten lassen, aber damit ist Schluss! sagte Regan sich. Durch bittere Erfahrung war sie klug geworden. Ja, sie schuldete Liam viel, doch sie würde sich von ihm nicht vorschreiben lassen, was sie zu denken und wen sie zu mögen hatte! Dean war in ihrem Haus jederzeit willkom men.
Liam kam erst nach neun Uhr nach Hause, als die Kinder schon längst im Bett lagen. »Ich hatte viel aufzuarbeiten«, erklärte er nur. »Übrigens habe ich schon gegessen.« »Ich auch.« Regan verschwieg ihm, dass sie bis um acht Uhr mit dem Abendessen auf ihn gewartet hatte. »Möchtest du einen Drink?« »Ja, ein Glas Whisky wäre nicht schlecht.« Er hängte sein Jackett über einen Stuhl und setzte sich aufs Sofa. Aufatmend lehnte er sich zurück. »Es wird ziemlich hart für mich werden, zwei Mal am Tag die Strecke zu bewältigen.« Will er mich etwa darauf vorbereiten, dass er in der Woche in der Londoner Wohnung zu übernachten ge denkt? dachte sie sarkastisch und brachte ihm den Drink. »Es wäre doch bequemer für dich, in der Wohnung zu übernachten, wenn du lange arbeiten musst«, bemerkte sie wie nebenbei. »Ich nehme an, dass du sie deshalb behalten hast.« »Ich habe sie behalten, damit wir eine Übernachtungs möglichkeit haben, wenn wir beide zu gesellschaftlichen Anlässen in der Stadt sind. Nächste Woche geht es bereits los. Wir müssen einen Kunden und seine Frau zum Essen ausführen.« »Wir?« fragte Regan verwirrt. »Ja, eine deiner Aufgaben als meine Ehefrau besteht darin, die Gastgeberin zu spielen.« »Zur Hölle damit!« Sie war so wütend über sein anma ßendes Verhalten, dass sie ihre Worte nicht bedachte. »Ich habe dich geheiratet, weil es für die Kinder besser ist, nicht um dir die Karriereleiter zu halten!« Liam zog die dunklen Brauen hoch. »Du hättest also nichts dagegen, wenn ich mich nach einem Ersatz für dich umsehen würde?« Das nahm ihr kurzfristig den Wind aus den Segeln. »Es
wird dir bestimmt nicht schwer fallen«, antwortete sie schließlich kurz angebunden. Bevor sie sich abwenden konnte, packte er sie am Hand gelenk und zog sie ziemlich unsanft neben sich aufs Sofa. Er war sichtlich wütend, beherrschte sich aber bewun dernswert. »Bist du so widerborstig, weil Dean dich gegen mich aufgestachelt hat?« erkundigte er sich. »Ich habe dir gesagt, dass ich ihn nicht im Haus haben möchte.« »Und ich habe dir gesagt, dass der Bruderzwist im Hause Bentley nicht meine Angelegenheit ist«, rief Regan wütend. »Dann solltest du es schleunigst dazu machen! Ich erwarte Unterstützung von meiner Frau.« »Die Ehe bedeutet nicht, dass man seine Persönlichkeit völlig aufgibt. Ich habe ein Recht darauf, gegen Dean unvoreingenommen zu sein.« »Na schön! Hauptsache, du bist es nicht in diesem Haus.« Regan atmete scharf ein. »Du klingst wie eine hängen gebliebene Schallplatte, noch dazu eine sehr langweilige!« »Sei froh, dass wir im Zeitalter der Emanzipation leben, sonst hätte ich…« Unvermittelt stand Liam auf. »Ich gehe jetzt duschen und danach wahrscheinlich gleich ins Bett.« Wütend blickte sie ihm nach, als er das Zimmer verließ. Typisch Mann, vor einer Auseinandersetzung davonzulau fen! Nein, es war mehr als nur das gewesen, eher schon ein Willenskampf, bei dem Liam Sieger geblieben war, eben weil er sich zurückgezogen hatte. Plötzlich war sie niedergeschlagen und ernüchtert. Das also passierte in einer Ehe ohne Liebe. Zumindest liebte Liam sie nicht. Und was ist mir dir? meldete sich eine innere Stimme. Wenn sie, Regan, ihn wirklich lieben würde, hätte sie sich ihm dann so heftig widersetzt? Wer konnte Dean denn
besser beurteilen Liam, der ihn schon fast sein ganzes Leben lang kannte, oder sie, die mit Dean erst wenige Stunden verbracht hatte? Um zehn Uhr ging Regan nach oben, als ihr klar wurde, dass Liam nicht mehr nach unten kommen würde. Zuerst sah sie nach den Kindern. Melanie hatte den hölzernen Elefanten ins Bett mitgenommen. Damit sie sich nicht wehtun konnte, nahm Regan ihn ihr behutsam weg und stellte ihn ans Fußende. Impulsiv strich sie Melanie das Haar aus der Stirn und küsste sie behutsam. Vielleicht würde wenigstens die Kleine sie eines Tages lieben! Jamie drehte sich um, als Regan ihn zudeckte, wachte allerdings nicht auf. Sie blieb an seinem Bett stehen und betrachtete ihn einige Minuten lang, wobei sie sich bewusst war, dass sie nur den Moment hinauszögern wollte, in dem sie zu Liam ins Schlafzimmer gehen musste. Eigentlich musste sie es ja nicht! Es gab noch zwei weitere Zimmer, von denen eins von der emsigen Mrs. Landers für unerwartete Gäste hergerichtet worden war. Etwas mehr Abstand zu Liam kann weder ihm noch mir schaden, dachte Regan und ging ins Gästezimmer. Sie zog sich aus, und da erst fiel ihr ein, dass sie kein Nachthemd dabeihatte. Aber was machte das schon? In den vergangenen Nächten war sie ja auch ohne ausge kommen. Nachdem sie das Licht ausgeknipst und sich ins Bett gelegt hatte, wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Im Flur stand Liam. »Das kommt nicht infrage«, erklärte er zornig. »Nicht in meiner Familie!« Regan rutschte zur anderen Seite des Betts, als er zu ihr kam, war jedoch nicht schnell genug, um ihm zu entwischen. Er zog die Decke weg und packte sie, um sie aus dem Bett zu heben. »Sei still, sonst weckst du die Kinder«, befahl er ihr, als sie protestierte. »Du kommst mit, ob es dir passt oder
nicht.« Er trug sie ins Schlafzimmer und ließ sie unsanft aufs Bett gleiten. Sofort setzte sie sich auf und funkelte ihn an. »Und was hast du als Nächstes vor?« fragte sie heftig. »Deine Rechte als Ehemann einzufordern?« »Rechte?« Zu ihrer Überraschung lachte Liam, nicht spöttisch, sondern amüsiert. »Glaubst du, Ehemänner hätten ein Recht auf Sex, wann immer ihnen danach zu Mute ist?« Nun war sie beschämt. »Es sah ganz so aus, als würdest du es glauben, Liam.« »Ich wollte dir lediglich klarmachen, dass ich dein unreifes Verhalten nicht dulde.« »Du hältst mich also für kindisch!« »Ich sagte nicht ,kindisch’, sondern ,unreif«, entgegne te er. »Probleme löst man nicht, indem man sie dramatisiert.« »Man löst sie auch nicht, indem man sie ignoriert. Und genau das hast du getan, als du einfach weggegangen bist.« »Es war die einzige Möglichkeit, uns beiden eine Atem pause zu verschaffen.« Er schob die Hände in die Bade manteltaschen und ließ den Blick von ihrem Gesicht zu ihren Brüsten gleiten. »An der liegt mir, wie ich zugeben muss, im Moment allerdings nichts mehr.« Mir auch nicht, gestand Regan sich ein, als heißes Begeh ren sie durchflutete. Sie sank aufs Bett zurück, während Liam sich rasch auszog. Er ist wirklich fantastisch gebaut, dachte sie verlangend und betrachtete seine muskulöse Brust, den straffen Bauch und die schmalen Hüften. Ja, Liam war ein ganzer Mann! Wenn er sie wie vorhin zu beherrschen versuchte, regte es sie auf, nun aber war sie erregt. Als er sich auf sie legte, war sie sofort für ihn bereit und presste ihn an sich, von Sehnsucht überwältigt.
Nachts wachte sie auf, noch immer in seinen Armen, seine Brust an ihren Rücken geschmiegt. Sie liebte es, seinen Körper zu spüren, ja, sie liebte Liam trotz aller Differenzen.
9. KAPITEL Am folgenden Vormittag erschien Dean nicht. Liam hatte es ihm verboten, wie Regan vermutete, und obwohl Dean ihr nichts bedeutete, bedauerte sie, auf seine Gesellschaft verzichten zu müssen. Melanie vermisste ihn auch. Nach dem Mittagessen rief Regan ihre Schwiegereltern an, um sich zu versichern, dass ein Besuch nicht ungelegen kam, dann verfrachtete sie Melanie und die Hunde ins Auto und fuhr nach Old Hay. Jean begrüßte das Kind herzlich und sie, Regan, noch immer mit einer gewissen Zurückhaltung. »Wir dachten uns, du möchtest etwas Zeit allein mit Melanie verbringen«, erklärte Jean, als die Kleine durch Snowy und Cindy abgelenkt war, die das unbekannte Terrain erkundeten. »Wie kommt ihr denn voran?« »Langsam«, gestand Regan. »Übrigens, wo sind denn Pal und Peg? Sie sind doch sonst die Ersten, die Besuch anmelden.« »Die habe ich in den Zwinger gesteckt. Alle vier Hunde hier in der Küche wäre doch ein bisschen viel. Eure ,Babys’ habt ihr gut ausgesucht. Man sieht, dass sie aus einer hervorragenden Zucht stammen – auch wenn sie noch nicht stubenrein sind«, fügte Jean nachsichtig hinzu, als Cindy eine Pfütze machte. »Wir arbeiten daran«, versicherte Regan zerknirscht. »Sag mir, wo ich einen Lappen finde, und ich mache
sofort sauber.« »Wir haben schon Schlimmeres mitgemacht«, beruhigte Peter sie. »Lass nur, ich wisch es auf.« »Ist Onkel Dean schon wieder weg?« erkundigte Melanie sich unvermittelt. »Nein, er besucht Freunde«, antwortete Jean und fügte leise hinzu: »Er war, wie ich hörte, gestern in Copperlea? Ich habe ihn gebeten, es nicht zu tun, aber er hat schon immer seinen Kopf durchgesetzt. Hoffentlich hat es keine Schwierigkeiten gegeben.« »Du meinst, mit Liam?« fragte Regan bewusst beiläufig. »Nein, nichts Weltbewegendes. Jean zögerte kurz, bevor sie sagte: »Er und Dean haben sich nie gut verstanden, vielleicht weil Dean adoptiert ist.« »Und er macht euch, wie Liam mir erzählt hat, anschei nend ganz schön zu schaffen.« »Das kann man wohl sagen!« Wieder zögerte Jean kurz. »Liam hat alles versucht, um ihn vor Scherereien zu bewahren, ohne dafür Dank zu ernten. Dean zieht Schwierigkeiten förmlich an, fürchte ich.« Ist das als Grund ausreichend, um jemanden so unerbitt lich abzulehnen, oder steckt noch etwas anderes dahinter? überlegte Regan. Im Anschluss an den Besuch holte sie Jamie von der Schule ab und war keineswegs begeistert, als sie Dean beim Nachhausekommen auf der Terrasse sitzen sah. »Mein Auto steht neben dem Haus«, erklärte er, nach dem er zuerst die Kinder begrüßt hatte. »Für den Fall, dass Liam früher nach Hause kommt. Weißt du, dass er mir verboten hat, mich hier noch mal blicken zu lassen?« »Ja, aber es scheint keinen nachhaltigen Eindruck auf dich gemacht zu haben«, erwiderte Regan gleichmütig. Er lächelte breit. »Ich leide immer an vorübergehender Taubheit, wenn man mir etwas erzählt, was ich nicht
hören möchte. Wir beide haben uns gestern doch prächtig verstanden. Weshalb sollten wir uns das durch Eifersucht verderben lassen?« »Eifersucht?« Sie lächelte unwillkürlich. »Dazu hat Liam keinen Grund.« Seine Augen funkelten. »Nein? Ich habe bei Frauen viel Erfolg, wahrscheinlich weil ich ein Draufgänger bin. Dich betrachte ich natürlich als eine Schwester.« »Natürlich«, wiederholte sie. »Dann kann ich dir ja einen schwesterlichen Rat geben: Du solltest verschwinden, bevor Liam nach Hause kommt. Er ist dir gegenüber nicht sehr nachsichtig.« Das beeindruckte ihn nicht. »Ach, du hast von meinen Schandtaten gehört? Bin ich jetzt auch für dich Dean der Dämonische, ein durch und durch böser Bursche?« Regan zögerte. Einen Streit wie am Vorabend wollte sie nicht noch einmal heraufbeschwören, doch sie wollte sich auch nicht dazu hinreißen lassen, Dean zu verurteilen, nur weil Liam ihn nicht mochte. »Ich weiß nicht, wie groß die Schwierigkeiten zwischen dir und Liam wirklich sind«, sagte sie schließlich, »aber ich halte es für das Beste, mich nicht hineinziehen zu lassen. Tut mir Leid, Dean.« Dean betrachtete sie schweigend, einen abwägenden Ausdruck in den hellbraunen Augen. »Wirst du dir von Liam immer dein Leben diktieren lassen?« fragte er schließlich. »Natürlich nicht. Er würde es gar nicht erst versuchen.« »Nein? Er scheint dich schon ganz schön unter der Fuchtel zu haben.« »Das stimmt nicht«, widersprach Regan. »Ich denke nur…« »Was er möchte, das du denkst«, beendete Dean den Satz. »Liam ist herrschsüchtig. Er war es schon immer. Wenn du ihn lässt, tut er dir dasselbe an wie Andrea. Sie
hat ihn schließlich abgrundtief gehasst.« »Das hat sie dir gesagt, stimmt’s?« »Mehr als einmal«, bestätigte er. »Du warst demnach oft zu Besuch bei Liam und And rea?« Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein attraktives Gesicht. »Ab und zu. Da ich wie Andrea ständig von Liam kritisiert wurde, war es nahe liegend, dass sie sich mir anvertraute. Jean und Peter glauben ja, dass niemand ihrem wunderbaren, intelligenten Sohn das Wasser reichen kann.« Plötzlich lächelte Dean wieder unbekümmert. »Na ja, jedenfalls kannst du nicht behaupten, ich hätte dich nicht gewarnt.« »Danke«, erwiderte sie betont ausdruckslos. »Inzwi schen…« »Ja, ja, ich weiß. Es ist besser, ich bin nicht hier, wenn Liam nach Hause kommt.« Er stand auf und schob die Hände in die Hosentaschen. »Schade.« Regan sah ihm erleichtert nach, als er um die Hausecke verschwand. Was er über Liam gesagt hatte, war Unsinn. Liam besaß Durchsetzungsvermögen, war aber kein Tyrann! Melanie war ein bisschen gekränkt, weil Dean sich nicht von ihr verabschiedet hatte, machte sonst aber nicht viel Aufhebens davon. Sie war an sein unerwartetes Auftauchen und Verschwinden gewöhnt. Jamie war jedoch enttäuscht. Er hatte sich wahrscheinlich auf ein Gespräch »von Mann zu Mann« gefreut, da Liam jetzt ja nicht mehr viel Zeit für ihn hatte. Liam kam wieder sehr spät nach Hause und entschuldigte sich damit, dass es Probleme gegeben hätte, die inzwischen gelöst seien. »Am Wochenende unternehmen wir alle zusammen etwas Besonderes«, versprach er, nachdem Regan erwähnt hatte, die Kinder seien nur widerstrebend ins Bett gegangen, weil
sie ihn nicht gesehen hatten. »Jetzt möchte ich auch nur noch ins Bett.« »Nur?« fragte sie gespielt unschuldig und brachte ihn damit zum Lächeln. »Wir werden ja sehen.« Er enttäuschte sie nicht. In der Hinsicht kann ich mich wirklich nicht beklagen, dachte Regan befriedigt, nachdem sie sich leidenschaftlich geliebt hatten. Dem nächst würde sie ihre Regel bekommen, und Liam würde dann einige Tage Ruhe haben. Als ob er die nötig hätte, dachte sie und lachte leise. »Was amüsiert dich?« Er sah sie an. »Ich bin einfach glücklich. Zeig mir die Frau, die es nicht wäre, nachdem sich ein Könner wie du mit ihr befasst hat.« Drei Tage später wurde ihr Glück getrübt, denn ihre Monatsblutung war überfällig. Das war ihr, Regan, erst einmal passiert, und zwar als sie schwanger gewesen war. Sie war es doch hoffentlich nicht wieder? Liam wollte keine Kinder mehr, zwei genügten ihm. In einigen Jahren wäre er dem Familienzuwachs vielleicht gar nicht abgeneigt gewesen, aber jetzt würde er bestimmt durch drehen! Noch ist nichts sicher, beruhigte Regan sich und war sich dabei im Klaren, dass sie sehr enttäuscht sein würde, wenn sich herausstellen sollte, dass sie nicht schwanger war. Allein der Gedanke an ein Baby erfüllte sie mit Sehnsucht. Am Wochenende herrschte nach zwei Tagen ununter brochenen Regens herrliches Wetter. Liam schlug vor, in den Badeort Brighton zu fahren, und begeistert stimmten die Kinder zu, vor allem als sie erfuhren, dass sie die Hunde mitnehmen durften. Unterwegs saß Regan wie auf Kohlen, weil sie »Malheu re« befürchtete, doch mit mehreren Stopps gelangten sie ohne Zwischenfälle ans Ziel, wo sie einen rundum erfreulichen Tag verbrachten.
»Das war eine gute Idee«, meinte Regan auf dem Heim weg zufrieden, während die Kinder und Hunde auf dem Rücksitz fest schliefen. »Was hast du für morgen ge plant?« »Ich hätte nichts gegen einen ruhigen Tag zu Hause«, antwortete Liam. »Einverstanden! Obwohl ich für die Ruhe nicht garan tieren kann.« »Das ist der Preis für das Familienleben.« Kurz schwieg er, dann fügte er in leicht verändertem Tonfall hinzu: »Am Montag bleibe ich natürlich in der Stadt.« Sie straffte sich unwillkürlich, ihre Zufriedenheit war plötzlich verflogen. »Am Montag?« »Ich habe dir doch erzählt, dass ich einen Kunden und seine Frau zum Essen ausführe.« »Du hast jemanden als Ersatz für mich als Gastgeberin gefunden?« fragte sie zögernd. »Das wolltest du schließlich, oder?« Er klang trocken. »Hast du nicht gesagt, du willst mir nicht die Karrierelei ter halten?« »Ich war wütend.« Liam zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich nicht ganz grundlos. Ich habe wirklich zu viel für selbstverständlich gehalten. Wie auch immer, das Problem ist gelöst.« »Wen hast du denn gebeten, dich zu begleiten?« erkun digte sie sich wie nebenbei. »Meine Assistentin hat sich dazu bereit erklärt. Sie und die Frau des Kunden sind ungefähr im selben Alter und müssten sich gut verstehen.« Er sah sie kurz an. »Kein Problem für dich, oder?« »Nein«, log sie und stellte sich unwillkürlich seine Assistentin vor: eine attraktive, weltgewandte Frau, elegant und mit Geschäftssinn. Wahrscheinlich war sie schon öfter mit Liam ausgegangen – oder mit ihm zu Hause geblieben.
Hör sofort auf, den Teufel an die Wand zu malen, ermahnte Regan sich streng. Wenn sie nicht so widerspens tig gewesen wäre, als Liam sie gebeten hatte, ihn zu begleiten, dann müsste sie sich jetzt nicht mit diesem Verdacht herumquälen. Stattdessen sollte sie endlich lernen, ihm zu vertrauen. Aus dem ruhigen Sonntag zu Hause wurde nichts. Melanie fragte, ob Onkel Dean bald wieder zu Besuch kommen würde, denn letztes Mal, so beklagte sie sich, hätte er nicht mal mit ihr gespielt. »Dean war wieder hier, obwohl ich dir gesagt habe, dass ich es nicht dulden würde?« wandte Liam sich scharf an Regan. »Ich hatte ihn nicht eingeladen«, erwiderte sie mühsam beherrscht. »Er ist einfach hereinspaziert.« »Und warum hast du es mir verschwiegen?« »Ich habe es nicht verschwiegen, sondern nur nicht erwähnt.« »Und dich darauf verlassen, dass die Kinder nichts verraten? Oder hat Melanie nur ihre Anweisungen vergessen?« Das ließ sie sich nicht unterstellen! »Ich habe ihnen keine Anweisungen gegeben!« entgegnete Regan scharf. »Ich habe Deans Besuch nur deswegen nicht erwähnt, weil ich wusste, wie du reagieren würdest. Wenn du jemanden nicht magst, bist du unerbittlich. Welche Beweise hast du denn, dass Dean noch immer ein Tunichtgut ist?« »Keine«, gestand Liam schroff. »Und worauf stützt du dein Urteil über ihn? Weibliche Intuition?« Ihre Augen blitzten. »Die ist bestimmt verlässlicher als deine Voreingenommenheit. Du hast ihn schon immer abgelehnt, stimmt’s? Dir wäre es lieber gewesen, keinen Adoptivbruder zu bekommen.« »Wenn ich an die Schwierigkeiten denke, die er uns beschert hat, stimme ich dir voll und ganz zu.« Er sprach
nun beherrscht, und das machte auf sie mehr Eindruck als sein Zorn. »Frauen haben ihn schon immer attraktiv gefunden. Vielleicht habe ich dir irrtümlich mehr Einsicht zugestanden als den meisten. Wie auch immer, in Zukunft wirst du dich von ihm fern halten.« Oder was passiert sonst? hätte sie beinah wie ein Kind gefragt, hielt sich allerdings noch rechtzeitig zurück. Stattdessen versuchte sie, ebenso ruhig zu reden wie er. »Ich fühle mich zu Dean nicht hingezogen«, begann sie. »Ich mag es nur nicht, wenn man mir sagt, was ich von jemandem halten soll, und mir nicht einmal stichhaltige Gründe dafür nennt.« Heftig stieß er den Stuhl zurück und stand auf. »Lass es einfach auf sich beruhen, okay? Ich spiele jetzt ein Weile mit den Kindern.« Regan wusste nicht, was sie sagen sollte. Dass es ihr und Liam an gegenseitigem Vertrauen mangelte, war das größte Problem ihrer Ehe. Nicht gerade die ideale Atmo sphäre für ein Baby. Warum nur hatte sie sich nicht die Pille verschreiben lassen? Liams Verhütungsmethode hatte sich ja schon einmal als nicht sicher erwiesen! Wann soll ich ihm klarmachen, dass ich wahrscheinlich schwanger bin? überlegte Regan niedergeschlagen. Ihre Stimmung besserte sich jedoch augenblicklich, als Regan sich vorstellte, sie würde ein Baby bekommen und sich um es kümmern, ohne auf die Hilfe von anderen angewiesen zu sein. Liam musste sich damit abfinden, und vielleicht würde noch ein Kind sie einander sogar näher bringen. Liam besaß die seltene Fähigkeit, einen Streit immer rasch zu begraben. Als er die Kinder schließlich allein spielen ließ und zur Terrasse zurückkam, lächelte er bereits wieder. »Ach ja, der Geist ist noch willig, aber das Fleisch schwach«, bemerkte er scherzhaft und legte sich aufatmend
auf einen Liegestuhl. »Dir fehlt die Ausdauer«, spöttelte Regan. »Das kommt daher, dass du ständig am Schreibtisch sitzt.« »Wenn die Kinder nicht wären, würde ich dir meine Ausdauer jetzt beweisen.« »Du hast ja eine gute Ausrede, den Beweis nicht liefern zu müssen«, konterte sie schalkhaft. Unvermittelt stand sie auf und ging zu ihm. Sie kniete sich neben ihn und zog mit der Fingerspitze die Konturen seiner Lippen nach. »Ich weiß, dass ich es dir jetzt nicht beweisen kann, aber ich begehre dich.« Er umfasste ihre Hand, und in seinen Augen spiegelte sich Verlangen. Dann küsste er ihre Fingerspitzen und sagte leise: »Die Kinder beobachten uns.« Regan ließ sich dadurch nicht stören. »Sie sollen ruhig merken, dass auch Erwachsene ab und zu gern einen KUSS bekommen und sich umarmen.« »So etwa?« Unvermittelt zog er sie zu sich hinunter und küsste sie lange. »Genau so!« antwortete sie heiser, als er sie schließlich losließ. »Beobachten sie uns noch?« »Im Moment kichern sie«, berichtete Liam amüsiert. »Wir haben uns, wie es scheint, grundlos Sorgen ge macht.« »Ich war diejenige, die Bedenken hatte. Und ich glaube noch immer, dass es richtig war, ihnen nicht zu viel auf einmal zuzumuten.« Lachfältchen erschienen um seine Augen. »Jedenfalls ist es eine große Erleichterung, wieder Hand an dich legen zu dürfen.« »Als ob du jemals hättest verzichten müssen«, erwiderte sie gespielt empört. »Nachts nicht, aber du hast ja keine Ahnung, wie schwer es tagsüber manchmal für mich war.« Sie lachten beide.
»Damit bist du doch spielend fertig geworden«, meinte Regan dann und sah ihn an. Ihr wurde ganz warm ums Herz, und beinah hätte sie Liam gestanden, wie sehr sie ihn liebte. »Später!« flüsterte er, den Ausdruck in ihren Augen falsch deutend. »Ich kann noch warten. Gerade noch.« Nun war sie bitter enttäuscht, weil er wieder einmal nur an Sex dachte. Sie war offensichtlich nur im Bett für ihn interessant. »Dir bleibt auch nichts anderes übrig.« Sie stand auf. »Ich habe jetzt einiges zu erledigen«, fügte sie hinzu und ging ins Haus. Regan nähte gerade einen Knopf an Jamies Schulblazer, als Liam eine Weile später mit den Kindern und Hunden in die Küche kam. »Wir wollen jetzt mit Snowy und Cindy spazieren gehen«, verkündete er beiläufig. »Möchtest du mitkommen?« Sie schüttelte, ohne aufzublicken, den Kopf. »Nein, ich habe noch viel zu tun.« Liam wies sie nicht darauf hin, dass sie es doch in der Woche erledigen könne, und das sprach für seine Nach sicht. »Ich bin ziemlich müde. Wahrscheinlich war ich zu lange in der Sonne.« Nun sah sie doch auf, und es überraschte sie nicht, dass er sie zweifelnd betrachtete. »Geht nicht zu weit. Die vier haben kurze Beine.« Er erwiderte noch immer nichts. Ich gehe alles ganz falsch an, tadelte sie sich. Liam fand sich bestimmt nicht mit ihrer Launenhaftigkeit ab, ohne nach dem Grund zu fragen. Na gut, sie konnte sich ja immer noch mit den Hormonen rausreden. Es wurde so viel über das prä menstruelle Syndrom geschrieben, dass auch Männer mittlerweile darüber Bescheid wussten. Und vielleicht waren ganz andere Hormone im Spiel! Sie rang sich den Kindern zuliebe ein Lächeln ab,
dankbar dafür, dass wenigstens die ihre Streitigkeiten dauerhaft beigelegt zu haben schienen. »Wenn ihr zurück kommt, ist euer Abendessen fertig«, versprach sie. »Viel Spaß beim Spaziergang.« »Viel Spaß beim Flicken«, bemerkte Liam ironisch. Wenn ich nicht aufpasse, wird Liam bald überhaupt nichts mehr für mich empfinden, sagte Regan sich. Sie konnte froh sein, dass er ihr so viel schenkte und sie so leidenschaftlich begehrte, auch wenn er nicht fähig war, sie zu lieben. Und was nicht war, konnte ja noch werden! Die Kinder aßen früh und sahen sich anschließend einen Disneyfilm an, danach wurden sie ins Bett geschickt. Als Regan mit Liam beim Abendessen saß, sagte sie unvermittelt: »Ich habe mich vorhin albern benommen.« »Das stimmt«, bestätigte er und sah sie nachdenklich an. »Hatte ich irgendetwas gesagt, was dich in schlechte Laune versetzt hat?« Nein, du hattest etwas nicht gesagt, antwortete sie im Stillen und zuckte die Schultern. »Nein, ich leide an einem typisch weiblichen Problem.« »Ach so! Wie lange noch?« Jetzt wäre der richtige Moment, ihm mitzuteilen, dass ich vielleicht schwanger bin, dachte Regan, aber sie brachte die Worte einfach nicht heraus. »Ich weiß es nicht genau«, wich sie stattdessen aus. »Möchtest du Nachtisch?« Liam war den restlichen Abend über ungewohnt still, und zum ersten Mal seit der Hochzeit begnügte er sich mit einem KUSS, als sie im Bett lagen. »Wir müssen uns beide etwas Ruhe gönnen«, erklärte er. Vielleicht ist er meiner schon überdrüssig geworden, überlegte Regan traurig, während er sich umdrehte. Und ihre Launenhaftigkeit hatte es bestimmt beschleunigt. Warum konnte sie sich mit der Situation nicht einfach abfinden? Wenigen Menschen war das Glück beschieden, alles zu bekommen, was sie sich ersehnten.
Am Montag war das Wetter wieder regnerisch und ziemlich stürmisch. Liam fuhr wie üblich nach London, nur würde er diesmal dort übernachten. Regan sah ihm bedrückt nach. Der Tag wurde ihr sehr lang. Da Melanie und die Hunde nicht draußen spielen konnten, waren sie Mrs. Landers ständig im Weg. Die machte deswegen schließlich eine solche Szene, dass Regan sie kurzerhand entließ. Einen Scheck im Wert von drei Wochenlöhnen als Abfindung in der Tasche, rauschte Mrs. Landers hinaus, und Regan blickte ihr erleichtert nach. Endlich war sie Herrin im eigenen Haus und musste sich von ihrer pedantischen Putzhilfe nicht fortwährend Vorschriften machen lassen! Die nächste suche ich aus, schwor sie sich. In der Zwi schenzeit würde sie allein zurechtkommen. Melanie war mit der Entscheidung einverstanden und wurde plötzlich viel zugänglicher. Den Vormittag verbrachten sie damit, Kuchen zu backen, und waren dann zwar mit Mehl bestäubt, aber sehr zufrieden mit den neunzehn Törtchen, die sie fabriziert hatten. Abends kochte Regan nichts, sondern aß kalte Reste vom Sonntagsbraten und Salat. Sie hatte gehofft, dass Liam mit ihr telefonieren würde, bevor er zum Abendessen weg ging, und um halb neun war ihr klar, dass sie keinen Anruf mehr erwarten durfte. Um halb zwölf ging sie ins Bett, konnte allerdings nicht einschlafen, denn sie stellte sich Liam mit seiner Assistentin vor. Das Essen war doch bestimmt schon vorbei! Na gut, er würde seine Begleiterin bestimmt noch nach Hause bringen – die Frage war nur: zu ihm oder zu ihr? Um ein Uhr hielt Regan es nicht länger aus und rief in London an. Ihr wurde das Herz immer schwerer, während sie auf das Freizeichen lauschte. Entweder ist Liam nicht da oder zu beschäftigt, um das Klingeln zu hören, dachte sie bedrückt und legte schließlich den Hörer auf. So oder
so, es sah nicht gut für sie aus.
10. KAPITEL Der Dienstag kam Regan endlos lang vor. Als Liam um halb fünf endlich nach Hause kam, wischte sie gerade den Küchenboden auf, über den die Kinder und Hunde mit schmutzigen Schuhen und Pfoten gelaufen waren. »Ich habe Mrs. Landers entlassen«, erklärte sie auf seine Frage hin, wo Mrs. Landers stecke. »Lieber mache ich die Hausarbeit eigenhändig, als mich den Maßstäben dieses Putzteufels zu beugen.« Verwundert zog er die Brauen hoch. »Die Frau hat für dich gearbeitet, nicht du für sie.« Regan strich sich das feuchte Haar aus der Stirn und schlug ebenfalls einen humorvollen Ton an. »Das habe ich mich ihr nicht zu sagen getraut. In einigen Minuten bin ich fertig, dann brühe ich dir Tee auf – oder Kaffee, wenn er dir lieber ist.« »Danke, aber ich kann ihn machen, wenn ich welchen möchte. Ich erwarte nicht, ständig bedient zu werden. Wo sind die Kinder denn jetzt?« »Oben in Jamies Zimmer. Alle vier.« »Sind sie in Ungnade gefallen?« Sie lachte. »Nicht so, dass man es merken würde. Wenn sie nach unten kommen, müssen sie ihre Schuhe sauber machen. ,Wie du mir, so ich dir’ ist mein Motto.« »Das könnte dich gelegentlich in Schwierigkeiten bringen.« Liam lächelte ebenfalls. »Ich bewundere deine Gelassenheit. Andere Frauen würden an die Decke gehen.« Seine Assistentin zum Beispiel? dachte Regan, obwohl sie sich geschworen hatte, sich nicht mehr den Kopf darüber
zu zerbrechen. »Wie war es?« fragte sie unwillkürlich. »Gestern Abend? Es lief gut. Übrigens sieht der Boden schon sehr sauber aus«, fügte er hinzu. Ein unmissverständlicher Themenwechsel, überlegte sie bedrückt. Ganz bestimmt hatte Liam etwas zu verbergen! Er sah die Post durch, die er aus der Diele mitgebracht hatte. »Ich gehe in mein Arbeitszimmer«, verkündete er dann. »Einen Brief muss ich sofort beantworten.« Regan wischte den Boden trocken und stellte Eimer und Schrubber in den Besenschrank. Zufällig fiel ihr Blick in den Wandspiegel – ihr Gesicht glänzte, ihr Haar war zerzaust, das gelbe T-Shirt fleckig. Ich sehe ja schrecklich aus, dachte sie gequält. So würde sie Liam nicht dazu bringen, andere Frauen zu vergessen! Rasch ging sie nach oben und blickte in Jamies Zimmer. Die Kinder und Hunde lagen auf dem Boden, daneben Bücher und Plüschtiere. »Wir zeigen Snowy und Cindy Bilder«, erklärte Jamie. »Sie haben noch nie Schnee gesehen.« »Oder Katzen«, fügte Melanie hinzu. »Wenn wir ein Kätzchen hätten, könnten wir alle zusammen spielen.« »Nein, keine Kätzchen«, sagte Regan energisch. »Und die Hunde dürfen auch nicht mehr nach oben, falls sie etwas anstellen! Daddy ist im Arbeitszimmer, und ich gehe jetzt duschen. Ihr bleibt erst mal hier.« »Okay«, stimmten die beiden fröhlich zu. Fürs Erste scheinen die Probleme zwischen ihnen behoben, überlegte Regan, während sie ins Schlafzimmer ging. Es würde sicher wieder Streit geben, aber hoffentlich nur in dem Ausmaß, das zwischen Geschwistern üblich war. Sie hoffte inständig, dass das Baby die Eintracht der beiden nicht wieder zerstören würde. Inzwischen war sie sich sicher, dass sie ein Kind erwartete, und fürchtete schon seine Reaktion, wenn sie es Liam mitteilte.
Nachdem sie geduscht und sich das Haar geföhnt hatte, das nun wieder duftig und glänzend ihr Gesicht umrahm te, zog sie sich einen langen silbergrauen Seidenrock und das dazu passende Top an. Dann legte sie Lidschatten auf, tuschte sich die Wimpern und zog schließlich die Lippen nach. Ich will nur meinen Besitz verteidigen, sprach Regan sich Mut zu. Wenn sie dafür die typischen Waffen einer Frau einsetzen musste, machte das nichts. Ihr Arsenal konnte sich durchaus sehen lassen. Sie machte Kaffee und brachte ihn ins Arbeitszimmer, wo Liam noch immer am Computer saß. »Probleme?« erkundigte sie sich, als er nicht auf blickte. »Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?« »Nein, nicht wirklich. Es ist…« Endlich widmete er ihr seine Aufmerksamkeit und lächelte. »Du siehst bezau bernd aus.« »Jedenfalls wesentlich besser als vorhin«, erwiderte sie beiläufig. »Ach, das würde ich gar nicht sagen.« Er stand auf und kam zu ihr. Noch immer lächelnd umarmte er sie. »Du siehst immer umwerfend aus, Grünäuglein. Egal, was du anhast – auch wenn es gar nichts ist«, fügte er hinzu und machte damit klar, woran ihm am meisten lag. »Ich habe dich letzte Nacht vermisst,« Wann genau? hätte sie am liebsten gefragt. »Und ich dich«, sagte sie stattdessen. »Vor allem nach der Nacht davor. Warst du da wütend auf mich?« »Weil ich dich in Ruhe gelassen habe?« Liam zuckte die Schultern. »Nein, ich dachte, du würdest eine Atempause brauchen. Wir Männer wissen einfach nicht, wie wir uns verhalten sollen, wenn Frauen die ,Tage vor den Tagen’ haben. Ich vermute, die sind jetzt vorbei?« Das ist wieder eine Gelegenheit, ihm die Wahrheit zu
gestehen, dachte Regan, brachte aber nicht den Mut auf, sie zu nutzen. »Noch nicht«, antwortete sie. »Aber die schlechte Laune hat sich verflüchtigt. Ich bin wieder die Ruhe selbst.« »Und ich würde gern einen Sturm der Leidenschaft in dir entfachen«, meinte er humorvoll und küsste sie leiden schaftlich. Regan erwiderte den KUSS hingebungsvoll. Auf in den Kampf, und wenn es noch so viel Taktieren erfordert, ermunterte sie sich und schmiegte sich an Liam. Sie konnte es fast nicht erwarten, mit ihm allein zu sein, und als die Kinder schliefen, war sie mehrmals versucht, ihm vorzuschlagen, früh ins Bett zu gehen. Er schien jedoch damit zufrieden zu sein, entspannt auf dem Sofa zu liegen und eine Übertragung der Oper »Don Giovanni« im Radio zu hören. Als diese um zehn Uhr zu Ende war, konnte Regan sich nicht länger zurückhalten. »Ich gehe schon mal nach oben«, teilte sie ihm wie nebenbei mit. »Bleibst du noch lange auf?« »Ich dachte schon, du würdest nie fragen!« »Du arroganter Kerl!« Lachend setzte sie sich rittlings auf ihn und boxte ihn spielerisch. »Am liebsten würde ich dich aus dem Schlafzimmer aussperren!« »Keine Chance!« Liam umfasste ihre Handgelenke und zog sie zu sich hinunter. Sie schmiegte sich an ihn und presste leidenschaftlich die Lippen auf seine, nahe daran, alles andere zu vergessen. Er schob sie schließlich widerstrebend weg. »Wir verlegen das lieber an einen sichereren Ort«, meinte er. »Vorher muss ich noch mal die Hunde rauslas sen.« Regan stand auf und bedauerte, dass das Familienleben ihnen solche Beschränkungen auferlegte. Für sie war es nicht so schlimm, da sie im Grunde keine Karrierefrau war, aber Liam war keineswegs der häusliche Typ. Nein,
er war in der Welt der Hochfinanzen zu Hause, wo er von Menschen umgeben war, die seine Interessen teilten. Wie seine Assistentin… Nein, denk nicht weiter daran, ermahnte Regan sich. Er war jetzt hier bei ihr, und sie würde das Beste daraus machen. Als er nach oben kam, lag sie schon im Bett. Sie beo bachtete ihn hingerissen, während er sich auszog, und trotz ihrer Vorsätze musterte sie seinen Rücken auf Kratzspu ren hin. Erleichtert atmete sie auf, als sie keine entdeckte. Wahrscheinlich war sie einfach zu misstrauisch. Mögli cherweise war das Telefon gestört gewesen und hatte gar nicht geklingelt. Im Zweifel für den Angeklagten, sagte sie sich. Endlich kam Liam zu ihr und liebte sie hingebungsvoll. Als sie danach in seinen Armen lag, regte sich ihr Selbstvertrauen wieder. Kein Mann konnte so zärtlich sein, wenn er nur Lust empfand und keine innigeren Gefühle. Was machte es also, dass er die drei magischen Worte nicht ausgesprochen hatte, die einer Frau so viel bedeuteten? Viele Männer hatten Schwierigkeiten, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Ich könnte den Anfang wagen und Liam sagen, dass ich ihn liebe, dachte Regan, fand allerdings nicht den Mut dazu. Falls er erwiderte, dass er sie auch liebe, würde sie sich nicht völlig sicher sein, ob er es aufrichtig meinte oder sie nur nicht enttäuschen wollte. Nein, er sollte es zuerst sagen, egal, wie lange sie noch darauf warten musste. »Ich spüre, dass du nachdenkst«, flüsterte er, das Ge sicht an ihre Schulter geschmiegt. »Du vibrierst förm lich.« Regan lachte leise. »Nein, ich sammele meine Kräfte für einen Gegenangriff.« »Das klingt interessant.« Er hob den Kopf und sah sie mit funkelnden Augen an. »Was genau hattest du im
Sinn?« Sie antwortete nicht, sondern zeigte es ihm. Rasch zog sie die Decke weg und ließ die Lippen über seinen Körper gleiten, von den Füßen aufwärts bis zu seinen Lippen. Wie sehr es ihn erregte, zeigte sich, als er sie an sich presste und sich erneut leidenschaftlich mit ihr vereinigte. »Du bist eine sehr vielseitige Frau, Regan«, flüsterte er viel später, als er wieder zu Atem gekommen war. »Und jede deiner Seiten ist sensationell.« Es war nicht ganz das, was sie zu hören gehofft hatte, aber genug fürs Erste. Regan hatte sich vorgenommen, Liam an diesem Abend zu gestehen, dass sie schwanger wäre, doch wieder brachte sie es nicht über sich. Noch bestand eine geringe Chance, dass es falscher Alarm war, und weshalb sollte sie etwas sagen, bevor sie sich völlig sicher war? Die Bestätigung erhielt Regan am nächsten Tag, nach dem sie sich endlich einen Schwangerschaftstest besorgt hatte. Sie war definitiv schwanger. Wenn ich doch nur jemanden hätte, mit dem ich darüber reden könnte, überlegte sie bedrückt. Kurz überlegte sie, Sarah anzurufen, aber was konnte die Freundin ihr schon raten? Liam musste die Neuigkeit erfahren, und zwar bald. Nachmittags um fünf klingelte das Telefon. »Mrs. Bent ley?« fragte eine kultiviert klingende Frauenstimme. »Hier ist Vivian Stevens. Ich bin die Assistentin Ihres Gatten«, fuhr sie fort, als Regan schwieg. »Er hat vor wenigen Minuten das Büro verlassen. Leider hat er vergessen, mir wichtige Informationen zu geben, die ich dringend benötige, um die vorliegende Arbeit abzuschließen. Könnten Sie ihn bitten, mich umgehend anzurufen, wenn er nach Hause kommt? Ich bin bis mindestens sieben Uhr hier im Büro zu erreichen.« »Ja, selbstverständlich«, erwiderte Regan mechanisch
und fügte unwillkürlich hinzu: »Wie war es denn vorges tern?« »Vorgestern?« Vivian Stevens schwieg kurz. »Ach so, Sie meinen die Verabredung zum Abendessen mit dem Kunden? Ja, die ging gut über die Bühne. Schade, dass Sie nicht daran teilnehmen konnten, aber es ist verständlich, dass Sie die Kinder nicht allein lassen wollten. Es muss schwierig sein, einem Kind die Mutter zu ersetzen, selbst wenn es ein so liebes Kind wie Melanie ist.« »Ach, Sie kennen Melanie?« erkundigte Regan sich erstaunt. »Nicht wirklich.« Vivian Stevens lachte. »Ich sehe sie wahrscheinlich mit den Augen ihres Vaters, der oft von ihr schwärmt. Nun muss er sich ja keine Sorgen mehr machen, ob sie die beste Betreuung erhält. Er hat Glück gehabt, eine Frau zu finden, die das gern tut.« Vivian Stevens hätte es nicht gern getan, hörte Regan heraus. »Ja, das hat er«, stimmte sie zu. »Es war nett, mit Ihnen zu reden, Vivian.« »Danke. Ich freue mich schon darauf, Sie demnächst kennen zu lernen, Mrs. Bentley, und das Haus zu sehen. Es scheint ja wirklich zauberhaft zu sein.« Vivian legte auf, bevor Regan die nahe liegende Frage stellen konnte, ob Liam schon eine Einladung ausgespro chen hatte. Sicher, er wollte, dass sie öfter Partys gaben, sobald sie sich in Copperlea richtig eingelebt hatten, aber noch war es doch nicht so weit, oder? Sie, Regan, war noch nicht bereit, unzählige Fremde kennen zu lernen, vor allem nicht eine ganz bestimmte Unbekannte, die sich mehr für Liam interessierte als unbedingt nötig war. Am Telefon hatte sie zwar sehr nett geklungen, doch was sagte ein so kurzes Gespräch schon über den Charakter? Sobald Liam zu Hause war, richtete Regan ihm die Nachricht aus, und er erledigte den Anruf, während sie die Kinder beim Baden beaufsichtigte. Die beiden badeten
jetzt immer zusammen, und Melanie hatte ihre Gummien ten aufgegeben und spielte stattdessen mit Jamies Flotte von Modellschiffen. Es sprach für seine erwachenden brüderlichen Gefühle, dass er sie bei den Spielen mitma chen ließ. Liam kam etwas später ebenfalls ins Bad. Lachend lehnte er Melanies Angebot ab, sich doch zu ihnen zu setzen. »Die Wanne ist zwar groß, aber wenn wir drei drin sitzen, ist sie überfüllt«, erklärte er der Kleinen und wandte sich Regan zu. »Vivian lässt sich entschuldigen, dass sie mir vorgegriffen hat, aber sie dachte, du wüsstest über die Party am Wochenende Bescheid.« »Am Wochenende?« wiederholte sie bestürzt. »Wie soll ich bis dahin…?« »Gar nicht«, unterbrach er sie. »Ich habe einen Party service beauftragt. Es wird auch keine riesige Sache – ungefähr vierzig Gäste.« »Nur so wenige?« meinte sie sarkastisch. »Aus welchem Anlass geben wir eine Party?« »Zur Einweihung des Hauses.« Er klang freundlich, doch seine Miene war angespannt. »Und ich schulde vielen Leuten eine Gegeneinladung. Meine Mutter hat angeboten, die Kinder und die Hunde zu nehmen.« Regan strich einige Handtücher glatt, die es gar nicht nötig hatten. »Zu der Party sind nur deine Bekannten eingeladen?« »Natürlich nicht.« Liam klang noch immer gleichmütig. »Ich habe Hugh und Sarah mit ihren Partnern eingeladen, und sie haben zugesagt. Es sollte eine Überraschung für dich werden.« »Die Art, bei der ich im Bademantel und mit einer Quarkmaske im Gesicht die Haustür öffne und von Gästen begrüßt werde, die alle umwerfend elegant angezogen sind?« fragte sie ironisch.
»Was für ein hübscher Anblick das wäre! Nein, ich hatte vor, dir am Samstagmorgen von der Party zu erzählen und dir genug Zeit zu geben, dich schön zu machen. Nicht, dass du es nötig hättest, aber ich habe noch keine Frau kennen gelernt, die mit dem zufrieden ist, was die Natur ihr mitgegeben hat.« Und er kennt viele Frauen, dachte sie flüchtig und versuchte, alles im richtigen Blickwinkel zu sehen. Liam hatte schon alle Vorbereitungen für die Party getroffen. Die meisten Ehefrauen würden sich freuen, wenn ihr Mann ihnen die Arbeit abnahm! »Es gibt bestimmt weniger angenehme Arten, einen Samstagabend zu verbringen«, meinte Regan schließlich und rang sich ein Lächeln ab. »Und weniger angenehme Ehemänner als meinen.« Flüchtig erwiderte Liam ihr Lächeln. »Möglich. Ich sehe euch beide noch, bevor ihr ins Bett geht«, sagte er zu den Kindern. »Setzt nicht das ganze Bad unter Wasser.« Er ging ins Schlafzimmer, und Regan brachte die Kinder ins Bett. Liam versucht, sich dem häuslichen Leben anzupassen, sagte sie sich. Wie viele Männer hätten sich solche Mühe wegen der Party gemacht? Sie sollte ihm dankbar sein, statt ihm ständig zu misstrauen. Freitags kam Jean überraschend zu Besuch und wurde von Regan herzlich willkommen geheißen. »Ich möchte mich endlich dafür entschuldigen, dass ich so abweisend reagiert habe, als Liam dich uns vorgestellt hat«, sagte Jean freiheraus. »Inzwischen habe ich eingese hen, wie falsch ich dich eingeschätzt habe. Normalerweise lasse ich mich nicht zu vorschnellen Beurteilungen hinreißen.« »Unter den Umständen waren sie verständlich«, versi cherte Regan ihrer Schwiegermutter. »Ich wäre an deiner Stelle auch misstrauisch gewesen. Jamie hat ja nicht dieselbe Haar- und Augenfarbe wie Liam.«
»Aber dieselben Gesichtszüge und dasselbe Tempera ment. Da musst du ein bisschen aufpassen, Regan. Liam ist im Allgemeinen sehr ausgeglichen, aber er kann unglaub lich hart sein, wenn er sich irgendwie hintergangen fühlt.« Jean überlegte einen Moment lang, dann schien sie eine Entscheidung zu treffen. »Ich nehme an, Liam hat dir nie den wahren Grund gesagt, warum er Dean nicht im Haus haben will?« Fragend sah Regan sie an. »Den wahren Grund?« »Liam hat herausgefunden, dass Dean und Andrea eine Affäre hatten. Wenn die Ehe nicht ohnehin schon zerrüttet gewesen wäre, hätte es ihn noch viel schlimmer getrof fen. Andrea hat daraufhin einfach alles fallen lassen, obwohl Melanie erst wenige Wochen alt war.« Missbilli gend schüttelte Jean den Kopf. »Dean war übrigens nicht Andreas einziger Liebhaber. Was sie jetzt treibt, weiß ich nicht, und es kümmert mich auch nicht. Liam ist es ebenfalls gleichgültig. Er hat das alleinige Sorgerecht für Melanie. Und von Dean will er verständlicherweise nichts mehr wissen.« »Ja, jetzt verstehe ich Liam«, erwiderte Regan leise. »Es muss ja schrecklich peinlich für euch sein, wenn Dean euch besucht.« Jean lächelte gequält. »Liam versteht uns. Wenn man ein Kind adoptiert, dann nimmt man es mit all seinen Fehlern. So, jetzt weißt du Bescheid. Ich hoffe, es hilft dir, Liam zu verstehen.« »Ja, das tut es«, versicherte Regan. »Danke für deine Offenheit! Er hätte es mir bestimmt nie erzählt.« »Das liegt an dem verflixten Stolz der Männer! Als hätten wir Frauen nicht auch welchen, nur machen wir nicht so viel Trara darum.« Manche von uns schon, dachte Regan reumütig, als sie wieder allein war. War es nicht übertriebener Stolz, der sie davon abhielt, Liam ihre Gefühle zu gestehen, bevor
sie sich sicher war, was er für sie empfand? Am Samstag herrschte herrliches Wetter. Um acht Uhr abends trafen die ersten Gäste ein, um neun Uhr standen die Autos Stoßstange an Stoßstange entlang der Auffahrt. »Du hattest doch etwas von ungefähr vierzig Gästen gesagt, oder?« fragte Regan Liam leise. »Ich habe mich verschätzt«, gab er zu. »Ein Glück, dass ich dem Partyservice fünfzig Gäste als Zahl genannt habe. Die Leute hier würden mich lynchen, wenn Essen und Getränke nicht reichen würden.« »Unter diesen Leuten befinden sich auch meine Freun de«, erklärte sie gespielt empört. »Obwohl die nur eine verschwindend kleine Minderheit darstellen.« »Nicht mehr lange, denn du wirst heute viele neue Freunde gewinnen«, versprach er. »Du siehst hinreißend aus«, fügte er hinzu und betrachtete sie bewundernd, während sie an der Haustür standen, um die letzten Gäste in Empfang zu nehmen. »Ich frage mich immer wieder, warum ich dir damals den Laufpass gegeben habe.« Ihr war die Kehle plötzlich wie zugeschnürt. »Die Ver gangenheit zählt nicht mehr, nur noch das Hier und Jetzt, Liam.« »Ja.« Liam sah Regan in die Augen, und ihr Herz pochte wie rasend. »Regan, ich…« Er verstummte, weil die Gäste nun die Stufen heraufkamen. »Da seid ihr ja endlich! Ich dachte schon, ihr wärt verloren gegangen.« »Nein, kurz hinter Richmond war ein Unfall, der uns aufgehalten hat. Glücklicherweise ist den Betroffenen nicht viel passiert, aber es hat eine Weile gedauert, bis die Straße geräumt war«, erklärte der grauhaarige Mann. »Ein schönes Haus habt ihr!« »Wirklich zauberhaft«, stimmte die Frau an seiner Seite ihm zu. »Und ein so großes Grundstück! Es wird dich ein Vermögen kosten, den Rasen in Schuss zu halten.«
»Dann musst du mir einen Kredit besorgen«, erwiderte Liam scherzhaft und legte den Arm um Regan. »Schatz, darf ich dich Vivian und Richard Stevens vorstellen? Vivian ist meine Assistentin. Ihr habt ja vor kurzem schon miteinander telefoniert.« Regan war wie vor den Kopf gestoßen. Vivian war tatsächlich elegant, sehr attraktiv – und mindestens Anfang fünfzig. Manche Männer hatten ja eine Schwä che für ältere Frauen, aber Liam bestimmt nicht. Die Party war ein großer Erfolg, nur Regan fand es etwas mühsam, sich mit all den Fremden zu unterhalten. Ich brauche dringend eine Atempause, dachte sie um ein Uhr nachts, als die Gäste noch immer keine Ermüdungser scheinungen zeigten. Im Arbeitszimmer würde sie bestimmt ungestört sein. Es lag im Dunkeln, doch sie knipste das Licht nicht an, sondern setzte sich in einen Sessel und streifte erleichtert die hochhackigen Sandaletten ab. Das Fenster war anscheinend offen, denn sie spürte einen kühlen Luftzug. Ich darf nicht vergessen, es nachher zuzumachen, sagte sie sich. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie nicht allein im Zimmer war. »Wer ist da?« fragte sie scharf. Jemand richtete sich am Schreibtisch auf und stand nun, nur schemenhaft erkennbar, reglos vor dem Fenster. Regan umfasste krampfhaft die Armlehnen und überlegte, was sie als Waffe gegen den Eindringling verwenden könnte, denn es handelte sich bestimmt um keinen der Gäste. »Keine Panik, ich bin’s nur!« Nun war sie verwirrt. »Dean?« »Richtig. Auf frischer Tat ertappt, könnte man sagen.« »Was machst du hier?« »Ja, das ist die Preisfrage.« Dean lachte leise. Regan stand auf und tastete mit dem Fuß nach ihren
Sandaletten. »Mach bitte das Licht an«, sagte sie. »Ich kann meine Schuhe nicht finden.« »Du hast vielleicht Probleme!« Das klang ironisch. »Ich möchte lieber im Dunkeln bleiben, wenn es dir nichts ausmacht.« Allmählich gewöhnten ihre Augen sich an die Dunkel heit, und sie fand die Schuhe. Rasch zog sie sie an und fühlte sich sofort selbstsicherer. »Ich weiß noch immer nicht, was du hier willst, Dean. Dich auf die Party mogeln?« »Glaubst du, Liam würde mir erlauben zu bleiben, wenn er mich entdeckt?« »Jedenfalls würde er vor seinen Gästen keine Szene machen«, erwiderte Regan. »Da bin ich mir nicht so sicher, wenn es um mich geht.« »Kannst du ihm das verdenken?« erkundigte sie sich mühsam beherrscht. »Du hattest eine Affäre mit seiner Frau.« »Zu einer Affäre gehören immer noch zwei«, konterte Dean. »Und ich war nicht Andreas einziger Liebhaber.« »Aber du bist Liams Bruder!« »Adoptivbruder!« »Und das macht es deiner Ansicht nach weniger schlimm?« »Ehrlich gesagt, habe ich noch nicht darüber nachge dacht.« Er wirkte gleichgültig. »Du hast mir noch immer nicht verraten, was du hier suchst, Dean!« »Geld. Ich brauche es ganz dringend und dachte, Liam hätte welches zur Hand.« Diese Unverschämtheit verschlug ihr beinah den Atem. »Du wolltest ihn bestehlen?« »In der Verzweiflung greift man zu verzweifelten Maßnahmen«, erklärte Dean, klang allerdings keines wegs reuevoll. »Liam würde auf eine direkte Bitte von
mir nicht reagieren. Wirst du mich aufhalten es zu versuchen, Regan?« »Warum brauchst du das Geld?« »Ich habe Spielschulden. Ziemlich hohe.« »Würde Peter dir nicht helfen, wenn du ihn darum bitten würdest?« »Nur wenn er sich grundlegend geändert hat. Wie es scheint, muss ich das Land mal wieder für ein Weilchen verlassen.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Außer du legst bei Liam ein gutes Wort für mich ein.« Nun unterdrückte Regan ihre Empörung nicht länger. »Verschwinde, Dean! Sofort! Du… du Schmarotzer!« »Spiel nicht das Unschuldslamm«, erwiderte er unver froren. »Du profitierst doch auch von Liams Geld.« »Ich gebe dir eine Minute Zeit, dann rufe ich um Hilfe. Vermutlich bist du durchs Fenster gekommen, also kannst du auch auf diesem Weg verschwinden.« Zuerst schien Dean sich ihr widersetzen zu wollen, dann zuckte er die Schultern und höhnte: »Na gut, ich will dir nicht dein Spiel verderben.« Er kletterte durchs Fenster, und sie eilte hin und mach te es mit zitternden Fingern zu. Der Schock saß ihr noch in den Gliedern. Plötzlich wurde die Tür geöffnet, und das Licht ging an. Die Hand noch am Fenster, verharrte Regan mitten in der Bewegung. »Ich habe dich gesucht«, sagte Liam. »Was hast du denn hier im Dunkeln gemacht?« »Mir war eingefallen, dass das Fenster offen stand, und ich wollte es schließen. Man weiß ja nie, wer sich herumtreibt.« »Die Alarmanlage hätte es gemeldet.« »Stimmt. Das hatte ich vergessen.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »An ein von Computern gesteuertes Haus bin ich einfach noch nicht gewöhnt.« »Und mit der Verriegelung scheinst du auch Schwierig
keiten zu haben.« Er kam zu ihr und legte den Riegel am Fenster um. »So, das sollte genügen.« Regan atmete scharf ein, als Liam sich plötzlich bückte und einen schwarzen Schnürsenkel aufhob. So einen benutzte Dean, um sich das Haar zusammenzubinden! Wahrscheinlich hatte er ihm beim Hinausklettern verloren. Liam sah sie an, und ausnahmsweise wusste sie, was er dachte. Seine Augen blickten eiskalt, die Lippen hatte er zusammengepresst. »Dean war hier, stimmt’s?« fragte er schließlich schroff. »Du hast ihn gerade erst rausgelassen.« Leugnen wäre sinnlos gewesen. Hilflos zuckte Regan die Schultern. »Ja, er war hier. Er ist in Schwierigkeiten, Liam, und wollte dich um Hilfe bitten.« »Und dazu steigt er durchs Fenster ein?« Das klang äußerst sarkastisch. »Du findest es wahrscheinlich erregend, wenn ein Mann den Hals riskiert, nur um einige Minuten mit dir im Dunkeln zu verbringen.« »So war es nicht!« Sie war wütend über die Unterstel lung. »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich mich zu Dean nicht hingezogen fühle!« »Und ich Narr habe es dir geglaubt.« Sie riss sich zusammen, um nichts Unbedachtes zu entgegnen. »Du kannst mir weiterhin glauben, denn ich habe dir die Wahrheit gesagt, auch darüber, warum Dean hier war.« Verächtlich verzog er den Mund. »Ja, um mich um Hilfe zu bitten! Wenn du schon lügst, dann denk dir wenigstens etwas Glaubhaftes aus.« »Ich lüge nicht«, erklärte sie mühsam beherrscht. »Wirf mich nicht mit Andrea in einen Topf.« Liam betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. »Und was soll das heißen?« »Das weißt du doch genau. Deine Mutter hat mir erzählt,
dass Andrea und Dean ein Verhältnis hatten.« »Dazu hatte Mom kein Recht!« »Sie dachte, ich hätte das Recht zu erfahren, warum du Dean so sehr hasst. Wenn du es mir gesagt hättest, hätte ich ihn schon bei seinem ersten Besuch nicht über die Schwelle gelassen.« »Ja, sicher!« Offensichtlich glaubte er ihr noch immer’ nicht. »Wir reden später weiter. Jetzt müssen wir uns um die Gäste kümmern.« Erst um drei Uhr morgens verabschiedeten sich die letzten Besucher. »Und alle haben sich prächtig amüsiert«, bemerkte Liam zynisch und schloss die Haustür. Durchdringend sah er Regan an. »Du bleibst bei deiner Geschichte?« »Ich habe nicht gelogen«, sagte sie, völlig erschöpft, weil sie sich die ganze Zeit bemüht hatte, sich den anderen gegenüber nichts anmerken zu lassen. »Dean wollte Geld, nicht mich. Ich bin nur ins Arbeitszimmer gegangen, weil ich eine Atempause brauchte.« »Wovon?« »Von den Leuten, den Fragen, den Andeutungen.« Er runzelte die Stirn. »Andeutungen?« »Eifersüchtige Vorgängerinnen säen gern Zwietracht. Der Samen ist bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen. Ich habe keine Illusionen über unsere Ehe, Liam.« »Du glaubst, ich wäre dir nicht treu?« Regan blickte ihm in die Augen. »Wirfst du mir nicht auch genau das vor?« Bevor er antworten konnte, sprach sie weiter. »Ich war nur so dumm, Dean trotz des versuchten Diebstahls entkommen zu lassen, allein aus dem Grund, weil er dein Bruder ist. Wenn du mir nicht glaubst, dann…« Sie verstummte und schluckte. »Ich gehe jetzt ins Bett. Und du mach, was du willst!« Liam holte sie ein, bevor sie an der Treppe war, und drehte sie erstaunlich sanft zu sich um. Nun wirkte er
nicht mehr unnahbar, sondern völlig verunsichert, was sie bei ihm noch nie erlebt hatte. »Wir müssen das unbedingt klären, Regan.« »Welchen Sinn hätte ein Gespräch, wenn wir uns gegen seitig nicht vertrauen?« erkundigte sie sich bitter. »Wenn es nicht um die Kinder gegangen wäre, hättest du jetzt genauso wenig wie vor sieben Jahren daran gedacht, mich zu heiraten. Das wusste ich von Anfang an. Ich bin nur eine Annehmlichkeit für dich.« Seine Miene verfinsterte sich. »Du unterstellst mir, dass ich dich ausnutze.« »Tust du das denn nicht?« Regan achtete nicht länger auf ihre Worte, sondern wollte ihm ebenso wehtun, wie er ihr wehtat. »Sicher, ich bin dafür großzügig belohnt worden. Manche Frauen würden sich damit zufrieden geben, ich jedoch nicht. Ich bin unersättlich. Ich möchte alles!« »Und bist du auch bereit, alles zu geben?« Liam klang plötzlich ganz ruhig. »Kannst du behaupten, deine Gefühle für mich wären inniger als meine für dich?« »Ja!« rief sie. »Das waren sie schon immer. Ich habe mir eingeredet, ich würde es ertragen – und bis heute habe ich es ertragen. Aber jetzt nicht mehr. Du weißt nicht, was Liebe wirklich bedeutet. Du hast es nie gewusst.« Forschend blickte er sie an, ohne zu antworten. Schließlich sagte er rau: »Vor sieben Jahren hättest du Recht gehabt, heute irrst du dich.« Er nahm sie in die Arme. »Du kannst dir nicht vorstellen, was ich in den letzten Wochen durchgemacht habe, weil ich dachte, du hättest mich nur der Kinder wegen geheiratet. Ich musste dich ja förmlich vor den Traualtar zwingen. Dass ich dich noch immer errege, war mir klar, aber du hast dir nie tiefere Gefühle anmerken lassen.« »Du doch auch nicht«, flüsterte Regan, noch nicht ganz überzeugt. Der nun folgende KUSS überzeugte sie beinah. So zärtlich
hatte Liam sie noch nie geküsst. Dann hob er sie hoch und trug sie nach oben, wie sie es sich in ihrer Hochzeitsnacht erträumt hatte. Er war so stark, so zielstrebig – und sie liebte ihn so sehr. Es gab noch einiges, worüber sie reden mussten, doch das hatte Zeit. Sie liebten sich so leidenschaftlich, als wären sie wieder jahrelang getrennt gewesen. Danach schmiegte Regan sich befriedigt an Liam, während das Morgenlicht ins Zimmer flutete, und ließ sich wie auf einer Wolke des Glücks dahintreiben. All ihre Zweifel waren ausgeräumt. Liam liebte sie! Das hatte er ihr in der vergangenen Stunde in mehr als einer Hinsicht bewiesen. »Ich habe sieben Jahre vergeudet«, flüsterte er heiser. »Als du auf Paulas Party auf mich zukamst, da fühlte ich mich in die Vergangenheit zurückversetzt – und es schien mir, als würde ich eine zweite Chance bekommen. Ich war wie vor den Kopf gestoßen, als du mir die kalte Schulter zeigtest. Dafür wollte ich mich rächen, aber nachdem ich dich geküsst hatte, konnte ich mich damit nicht zufrieden geben.« Regan umfasste sein Gesicht und strich ihm mit den Daumen zärtlich über die Lippen. »Ich mich auch nicht. Ich habe mir einzureden versucht, dass ich Jamies Existenz ganz unabsichtlich verraten hätte, aber das stimmte nicht. Ich wollte, dass du mir folgst.« »Das hätte ich ohnehin getan, nachdem ich mich beruhigt hatte. Wichtig war nur, dass wir uns wieder begegnet waren und noch immer die vertraute Anzie hungskraft zwischen uns zu spüren war. Ich wollte dich nicht nochmals entwischen lassen. Und als ich dann Jamie gegenüberstand, war es ein Schock – vor allem der Gedanke, wie viel ich von seinem Leben verpasst habe.« »Es tut mir so Leid, dass ich dir das angetan habe«, gestand sie leise. »Es war meine Schuld, nicht deine. Alles war meine
Schuld.« Er schüttelte den Kopf. »Wie du mich noch immer lieben kannst, nachdem ich…« Sie küsste ihn hingebungsvoll, um ihn am Reden zu hindern. »Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben«, erklärte sie schließlich zärtlich. »Du hast mich für andere Männer verdorben.« »Für alle?« »Für jeden einzelnen Mann auf der ganzen Welt«, bestätigte Regan. »Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, jemals mit einem anderen als dir ins Bett zu gehen.« Liam schwieg einen Moment, dann sagte er bewusst gleichmütig: »Das macht mich froh, auch wenn es jetzt unverschämt klingt. Ich muss verrückt gewesen sein, Andrea dir vorzuziehen.« »Sie hat dir Melanie geschenkt«, erinnerte sie ihn. »Das stimmt.« In verändertem Tonfall fügte er hinzu: »Dean war also hinter Geld her?« Über Dean wollte sie jetzt nicht reden, doch es ließ sich nicht vermeiden. »Ja. Er hat behauptet, er habe hohe Spielschulden und müsse England vielleicht fluchtartig verlassen, wenn er sie nicht bezahlen könne.« »Bei den Leuten, mit denen er verkehrt, wäre das anzura ten.« Liam überlegte kurz. »Ich werde die Schulden diesmal begleichen, danach muss Dean allein klarkom men.« »Das ist mehr, als er verdient.« Sein Ausdruck wurde zärtlich, als Liam sie betrachtete. »Du bist mehr, als ich verdiene, Grünäuglein. Ich verspre che dir, keine andere Frau mehr anzusehen. Ich habe alles, was ich brauche, hier zu Hause.« Sogar mehr, als du weißt, dachte Regan. »Ich hatte einen gewissen Verdacht bezüglich deiner Beziehung zu Vivian Stevens«, bekannte sie. Noch immer scheute sie sich, ihm von dem Baby zu berichten. »Ausgerechnet Vivian!« Er lächelte amüsiert.
»Ich wusste bis heute Abend nicht, wie alt sie ist. Wie hätte ich denn ahnen können, dass deine Assistentin alt genug ist, um deine Mutter zu sein?« »Nicht ganz so alt. Warum hattest du ausgerechnet sie in Verdacht, Regan?« »Weil ich nach eurem gemeinsamen Abendessen um ein Uhr nachts bei dir in der Wohnung angerufen habe und niemand abgenommen hat«, gestand sie. »Das wundert mich nicht, weil wir uns erst um halb eins von den Gordons verabschiedet haben, und bis ich dann Vivian ins Taxi gesetzt hatte und zur Wohnung gefahren war, war es zwei. Ich war zu müde, um an etwas anderes als an Schlaf zu denken.« »Du hältst mich jetzt bestimmt für ziemlich albern«, meinte Regan zerknirscht. »O nein! Es wird einige Zeit dauern, bis ich dich über zeugt habe, dass ich meinen früheren Lebenswandel aufgegeben habe, aber ich werde nicht lockerlassen«, erwiderte er. »Du hast dich schon sehr bemüht«, stellte sie leise fest. »Es kann nicht einfach für dich sein, das alles am Hals zu haben.« »Am Hals?« Liam wirkte bestürzt. »Glaubst du, dass ich mein jetziges Leben als Belastung empfinde?« »Tust du es denn nicht?« Prüfend sah sie ihn an. »Du hast bisher dein Leben führen können, wie du wolltest, jetzt hast du eine Familie. Das muss dir doch manchmal zu viel werden.« Er stützte sich auf den Ellbogen und strich ihr sanft übers Haar. »Eins möchte ich klarstellen. Ich bedauere nicht im Geringsten den Verlust meiner so genannten Freiheit. Es stimmt, dass es anfangs ein bisschen gewöh nungsbedürftig war, aber das war es für dich bestimmt auch. Jedenfalls habe ich mich noch keine Sekunde lang nach meinem früheren Leben zurückgesehnt. Wir sind
eine Familie, und das bleiben wir. Wir vier!« »Sechs«, verbesserte Regan ihn. »Du hast die Hunde nicht mitgezählt.« Nun konnte sie ihre Neuigkeit nicht länger verschweigen. »Sogar sieben in ungefähr neun Monaten.« Liam wirkte nicht überrascht. »Ich habe es mir schon gedacht.« »Es macht dir nichts aus?« »Dazu ist es zu spät. Möglicherweise verklage ich jedoch einen bestimmten Fabrikanten wegen Lieferung fehlerhafter Ware.« Er lächelte. »Nein, das war nur ein Scherz. Ich hätte zwar gern etwas mehr Zeit für dich, aber was soll’s? Je mehr Kinder, desto mehr Spaß werden wir haben.« »Was hältst du von einem halben Dutzend Kindern?« fragte sie schalkhaft und lachte über seinen entsetzten Blick. »Nein, das war nur ein Scherz meinerseits.« »Ein Glück«, meinte er unwirsch. »Wenn die Kondome nochmals versagen, verdächtige ich dich der Sabotage.« Gespielt unschuldig blickte sie ihn an. »Auf die Idee würde ich nie kommen.« Liam lachte leise, und seine Augen funkelten. »Es ist schon hell. Wir sollten jetzt endlich schlafen.« »Später«, flüsterte sie und schmiegte sich verführerisch an ihn. »Nach Schlaf ist mir noch nicht zu Mute.« Endlich wusste sie, wie tief er für sie empfand.
-ENDE-