Gourmet-
Reisen
Mit Genuß unterwegs
von Ronny Porsch, F.A.Z.-Archiv
Wer Gaumenfreuden zugeneigt ist, wird es sich nicht nehmen lassen, von Zeit zu Zeit selbst zum Kochlöffel zu greifen. Denn schon die Zubereitung selbst, so bei einem sanft dahinschmorenden Reh rückenfilet, kann eine grandiose Sinneserfahrung sein. Wer jedoch die ganze Vielfalt und den Reich tum internationaler Kochkulturen kennenlernen will, wird nicht zuhause bleiben können. Denn die kulinarische Tradition eines Landes ist aufs Engste mit den jeweiligen geographischen Bedingungen und historischen Hintergründen verknüpft. Und auch in der Spitzengastronomie gibt es noch viele Details, die ein Kochbuch nicht vermitteln kann. So machen sich immer mehr Gourmets auf, dem guten Geschmack hinterherzureisen. Ihre Ziele sind Orte, an denen hervorragende Produkte mit präziser Feinarbeit in ihren bestmöglichen Zustand gebracht werden. Diese Reisen enden oft in angesehenen Spitzenrestaurants, sehr häufig jedoch auch in ein fachen Landhäusern, die sich eine ursprüngliche kulinarische Tradition bewahrt haben und den Gast für sein Kommen mit einer an Düften, Aromen und Geschmacksnuancen reichen Küche belohnen. Wer sich aufmacht, die internationale Gourmetwelt zu erkunden, hat eine Reise vor sich, die nie aufhört und doch jeden Aufwand lohnt.
Schlemmen und schlummern Die besten Hotelrestaurants Europas
In fünf Gängen durch Europa Grandhotel-Charme Mit kräftigem Akzent Trüffeln, Musik und blühender Mohn …
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Erlesene Menüs Feinschmeckerziele in Deutschland
Können Klopskapern Kamilleklassiker kicken? Hoppelpoppel hat ausgehoppelt Die Macht der Sterne Die Traube in Grevenbroich Schwarzwaldsinfonie "Hirschen" in Sulzburg Das "Tantris" in München
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Blick in fremde Töpfe Internationale Kochkulturen im Porträt
Kartoschka für alle Easy cookin' in Kalifornien Quallen unerwünscht Eine ausgekochte Insel Wo ein Schwein noch was gilt Mund auf und Augen zu Mit dem Essen ist es wie mit der Liebe Land of hope and Blutwurst Mit Sattelschlepper zu den "Foodies" Zart und fett über Pfirsichholz Salami wie früher Iß, iß, Testerchen, iß, laß doch die Sterne zu Haus
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Frisch auf den Tisch Wo Gourmets einkaufen
Supermarkt im Weinberg Weißgold aus Alba Fruchtbare Arbeit Mit Käse schließt der Antony Haben Sie denn auch Rohmilchkäse? Das Geheimnis der Tropfen vom "Schorsch"
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Nachgefragt und nachgemacht Von Meisterköchen lernen
Der Süden kocht auf kleiner Flamme Im Labor für Feinschmecker Kopfsalat in Feuer und Eis Impromptu am heimischen Herd Pralinen zu machen, bedarf es wenig Tabubruch in der Versuchsküche Ein Genuß mit manchen Tücken Dringend gesucht: Schöne Waden, fetter Speck Dem Meister auf die Finger geschaut Ohne Streß fünf Gänge in der Küche zaubern
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Kulinarische Bibliographie Buchempfehlungen, Internetlinks und ein kleines Küchenregister Meisterliche Rezepte für ehrgeizige Laien Kulinarisches Neuland Zutaten vom Wegesrand Frische Klassiker Nicht ohne meine Schwiegermutter Kontrastprogramm … Inspirierte Rustikalität Die Trüffel unter der Erde Der Fischsauce Zähmung Wie es euch schmeckt Eklektizistisch Qualität ist das beste Rezept Europa Deutschland Internetlinks für Feinschmecker Kleines Küchenregister
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Schlemmen und schlummern Die besten Hotelrestaurants Europas
In fünf Gängen durch Europa
1. Gang: Schloß Bensberg, Bergisch Gladbach. Du mußt ein Gabelfrühstück ausrichten und dafür Schloß Brühl mie ten. Schloß Brühl bei Köln! Bloß weil das Parfüm in deinem Shampoo die Frau des Bürgermeisters von Köln so verrückt gemacht hat, daß sie mit dir schlafen will. Allein 24 Platten mit Austern. 20 Flaschen Champagner. Umgerechnet 2000 Euro. Essen auf Reisen kann teuer werden. Liebe auch. So erging es Casanova im Kölner Karneval. Er wurde mit einer der aufregendsten Liebesnächte seiner Karriere be lohnt. Grandhotel Schloß Bensberg. Erste Station der Gourmettour durch fünf europäische Luxushotels, die dem Verband "The Leading Hotels of the World" angehören. Was war denn hier früher los? Nichts. Si mone Winter, die Marketingchefin, zuckt mit den Achseln. Und heu te? Die übliche Antwort: Wir sind so gut wie ausgebucht. Wenige Nobelherbergen sind in einem Gebäude mit einer so schrä gen Geschichte untergebracht. Geplant vor 300 Jahren als Liebesnest für den Kurfürsten und seine Frau Anna, den letzten Sproß der Medi ci. Doch der Fürst starb, bevor der Bau vollendet war. Die Fürstin zog zurück nach Italien. Bis in die jüngste Vergangenheit diente er allen anderen Zwecken als dem Vergnügen. Als Kaserne, Lazarett, als Ka dettenanstalt. Franzosen, Preußen, Nazis, Amerikaner, Belgier niste ten sich ein, zum Schluß bosnische Flüchtlinge. Und dann? 1997 hat die "Aachener und Münchner" alles für eine Mark vom Land gekauft und dann 150 Millionen investiert. Pächter ist der Edel-Hotelier Thomas Althoff. Der Designer Peter Silling hat ei nen Traum aus Farben, Marmor, Hölzern und Stoffen geschaffen. Bilder von Markus Lüpertz. Eine Bibliothek, die den Namen verdient. Das Haus atmet auf. Trotzdem: Warum soll einer nach Bensberg fah ren? Ist die Riviera oder das Barrier Reef in der Nähe? Immerhin Scharping, Harald Schmidt und der Goldzahn Melanie C von den Spi ce Girls haben hier übernachtet. Es lohnt sich herzukommen, allein, um an verregneten Abenden ins Ancien régime zu schauen. Um einen Moment zu glauben, man kön
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ne sich ins 18. Jahrhundert zurückwohnen. Die junge Frau im Fahr stuhl ist wie für ein Autorennen gekleidet und hat einen Goldzahn, an derselben Stelle wie Mel C. Beim Gourmetdinner sitzen wir allein im weißgoldenen Restaurantsaal und rücken zusammen. Dann geht die Frau auf ein Auto zu. Sie zieht die Regenplane von einem LanciaOldtimer ab, schlägt das Verdeck zurück und rast durch ein Tagetes beet. Ich frage sie, ob sie mit dem Bürgermeister von Köln verheira tet ist. Wir sind nach wenigen Minuten naß. 2. Gang: Colombi, Freiburg. "Der typische Gast von The Leading Hotels of the World fährt teure Autos, trägt Louis-Vuitton-Handtaschen und Gepäck, parfümiert sich mit einem Duft von Christian Dior und konsumiert hochwertige Pro dukte." So steht es in den Presseinformationen des Luxusklubs. Ich fahre im VW-Golf beim "Colombi" in Freiburg vor, dem drittbesten Hotel Deutschlands und Hotel des Jahres 2001. Habe auch kein Vuitton-Gepäck vorzuweisen. Casanova war nie im Schwarzwald. Er kam bis Colmar, wohin er eine Witwe aus Aachen begleitet hat. Natürlich nicht ohne mit der Tochter zu schlafen. In Soultzbach-les-Bains saß er 42 Stunden beim Spiel, ohne einen Bissen zu sich zu nehmen, bis sein Gegner bewußtlos vom Stuhl fiel. Bei "Leadings" kann sich jedes Fünfsternehaus bewerben. Dann wird das Hotel streng und inkognito geprüft. Die Gebühren sind streng ge heim. Man munkelt von 30 000 Dollar Aufnahmegebühr und 80 000 Dollar Jahresbeitrag. Im "Colombi" würde niemand auf die Idee kom men, nach Qualitätskontrollen und roten Zahlen zu fragen. Burtsches haben das "Colombi" 1978 gekauft, inklusive Nierentischromantik. Es war ein Abenteuer. Roland Burtsche macht es sich in einem Sessel bequem. Ein ganzes Hotel kaufen mit ein paar tausend Mark Eigen kapital. Und dann investieren bis in alle Ewigkeit. Für die Falkenstube hat der Chef ein historisches Freiburger Restaurant komplett ausbau en und in seinem Hotel wieder einbauen lassen. Daraus ist das ge mütlichste Eßzimmer Deutschlands geworden, bewirtschaftet von Alfred Klink. Hier ist ein Hotelier auf dem Teppich geblieben. Familie Burtsche allein gegen die Luxusketten. Mit Solidität und Geschmack. Eigentümer, Investor, Manager, Designer in einer Kleinfamilie. Viel leicht ist das "Colombi" das deutscheste Hotel unter den "Leadings" und mit Sicherheit eines der erfolgreichsten.
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Das große Problem auf einer Gourmettour ist der Kalorienüberschuß. Eine sichere Gegenstrategie ist Hungern. Hungern wie Casanova in Colmar. Am besten, morgens auf die Waage stellen und dort stehen bleiben, und gegen Abend dann wütend runterspringen, weil der Zei ger nach oben ausgeschlagen ist. Dann aber ist die Chartreuse von Taubenbrust- und Gänseleber so köstlich, daß wohl selbst Casanova dafür auf ein Liebesabenteuer verzichtet hätte. Wäre nicht Heidrun an unseren Tisch gekommen. Das "Colombi" steckt voller Überraschungen. Am nächsten Tag schenkt mir der Chef ein Buch, das Heidrun Merkle verfaßt hat. Eine Kulturgeschichte des Essens. Du wirst also von einer diplomierten Publizistin bedient. Dein VW-Golf wird wie ein Rolls in die Hotelgara ge gerollt, und deine Koffer werden so behutsam befördert, als seien sie von Louis Vuitton in Handarbeit gefertigt.
3. Gang: Bürgenstock, Vierwaldstätter See. Glück in der Liebe und Glück im Spiel. Das kann nicht lange gutge hen. Du trinkst Wein mit irgendeinem Betäubungsmittel drin und bist fertig. Du verlierst. Alles dreht sich. Am nächsten Morgen bist du ausgeraubt. Du bist pleite. Du stehst vor der Wahl, auf die Galeere geschickt zu werden oder zu fliehen. Nach diesem Stuttgarter Aben teuer wird selbst Casanova fromm. Kurz hinter Zürich, angesichts von Bergen und Seen, beschließt er, ins Kloster zu gehen. Natürlich rettet ihn ein hübscher Frauenkopf. "Man wird nachdenklich hier oben", schreibt der letzte private Eigen tümer des Bürgenstocks, Fritz Frey, der seine Hotels 1996 verkauft hat und kurze Zeit darauf starb. Zum Nachdenken regt hier alles an. Ein Kraftort. Der Berg zieht Energiefelder zusammen. Vielleicht ste hen deshalb hier drei Palasthotels dicht nebeneinander, vierhundert Meter über dem See mit Blick auf Luzern und Berge. Eine Landschaft wie in Ostasien. Der Platz hätte Casanova gefallen. Der Bürgenstock war das Refugi um der Reichen, Mächtigen und Schönen der Belle Époque, der zwanziger Jahre und des Nachkriegseuropa. In Vitrinen hinter Glas sind die Fundstücke ausgestellt, die sich in der hundertjährigen Ge schichte des Luxusstandorts angesammelt haben.
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Glück in der Liebe? In der Kapelle hinterm Palace heiratete Audrey Hepburn und später Sophia Loren. Konrad Adenauer und Charlie Chaplin waren hier oben. Sergej Rachmaninow und Wladimir Horo witz haben für die Gäste gespielt. Heute fehlt dem Ort die Seele. Das Parkhotel und der "Club" mit Hal lenbad und traumhafter Aussicht sind Neubauten. Für die Finanzie rung hat Fritz Frey seine Kunstsammlung verkauft. Das Parkhotel mit großen, aber kargen Zimmern grenzt an Leading-Niveau. Die beiden anderen Hotels haben die Atmosphäre ihrer Gründerjahre 1873 und 1904 bewahrt. Wer hier wohnen möchte, sollte viel Sinn für Hotelme lancholie haben. Das Tête-à-tête mit der Vergangenheit kostet aller dings den vollen Fünfsternepreis. Vielleicht ist die Leere auf dem Bürgenstock nicht Schweizer Wider ständigkeit, sondern einem Immobiliensurfing geschuldet, das der augenblickliche Eigentümer - eine Gruppe mit Luxemburger Adresse - mit allen Häusern betreibt, die er in der Schweiz erworben hat. Tat sache ist Investitionsstillstand. Verkaufsgerüchte. Das merkt der Gast. Trotz aller Bemühungen des Services und der großen Leistun gen der beiden Restaurants. Nirgends sonst habe ich einen so köstli chen, warm geräucherten Thunfisch gegessen (Küchenchef Hans E. Sauter). Die Waage zeigt hoffnungslos nach oben. An solchen Orten kommen einem die merkwürdigsten Ideen. Fernsehbilder: Politiker limousinen verschwinden nach oben im Nebel, und ein Heer von Dra chenfliegern senkt sich im Blindflug hinab. Eins steht fest. Der Hotelberg muß wenigstens als Luxusliebesnest erhalten bleiben. Ein hübscher Frauenkopf hat sich nicht gezeigt. 4. Gang: Splendide Royal, Lugano. In Lugano ist Casanova keiner Frau hinterhergestiegen. Liebe und Politik in einem Kopf. Das hat katastrophale Folgen. Casanova ver brachte zwei Monate auf seinem Hotelzimmer. Drei Bände Geschichte Venedigs. Sein Loblied auf die Stadt war ein Kotau des Abenteurers vor der Politik. Der Verbannte wollte endlich seine Geburtsstadt wie dersehen. Im Hotel Splendide Royal hätte Casanova kaum Ruhe zum Schreiben gefunden. Zu viele Schöne und Reiche. Hier haben fast alle gekrön
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ten Häupter genächtigt. Warum soll man in Lugano ein Vermögen für Übernachtungen ausgeben? Die größte Attraktion des Hotels Splen dide ist sein Direktor. Aniello Lauro steht immer plötzlich vor dir. Er ist ein Freundschaftskünstler. Man müßte den Mann und die wenigen, die ihm gleichen, im Zeitalter seelenlosen Hotelmanagements unter Artenschutz stellen. Aniello Lauro erzählt beim Essen seine Geschichte. Er hat mit neun in Sorrent bei seinem Onkel als Liftboy angefangen. Wenn du die Re staurantfenster sauber kriegst, bekommst du Zulage, hat der Onkel gesagt. Aniello hat den ganzen Morgen gewienert, und der Onkel hat gewartet, bis die Sonne gegen die Scheiben schien. Aniello ist seit 35 Jahren im Splendide. In den Siebzigern hatten die reichen Italiener Angst vorm Kommunismus. Man investierte in der Schweiz. Ich kaufe dir das Hotel, aber langweile mich nicht mit Bilanzen, hat ein Freund zu Aniello gesagt. 1977 hat die Familie Naldi das Haus von der Eigen tümerfamilie Fedele gekauft, deren Vorfahre Riccardo das Haus nach der Eröffnung des Gotthard-Tunnels gebaut hat. Über welche Abgründe der Mann täglich springt, wollen wir gar nicht wissen. Der Chef des Splendide ist ein Celibidache der Hotellerie. Er macht aus Mängeln liebenswerte Kanten im Rundlauf der Welt. Er kann Menschen in seinem Hotel zum Verschwinden bringen, Rotwein in Weißwein verwandeln und dein Gewicht senken, trotz köstlicher Menüs. Im Restaurant "La Veranda" gibt es ein einfaches Essen, wie es Aniellos Mutter gekocht hätte (Küchenchef Pietro Saredi). Aniello kennt sich in seiner Küche aus. Ein Hoteldirektor, der nicht selber Koch war, ist wie ein Dirigent, der nie ein Instrument gespielt hat. Aniello Lauro setzt auf Mitarbeiter über fünfundvierzig. Sein Nachtportier ist siebzig, und wenn er den Chef bittet, in Ruhe stand gehen zu dürfen, bekommt er die Antwort: Willst du zu Hause die Wände anstarren? Zum Abschied erzählt Signore Aniello oder Nello, wie ihn seine illust re Klientel (darunter auch George Bush der Ältere) nennt, daß er während einer Renovierungsphase ausgebüchst ist und inkognito im Interconti in Frankfurt als Empfangschef angeheuert hat. Natürlich hat ihn ein Stammkunde enttarnt. Aniello ist ein Artist des Understa tements, der alle Königsgäste und Gästekönige fest im Griff hat. Wer meint, der Mann sei eine PR-Erfindung, der kann sich davon über
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zeugen, daß Aniello Lauro keine Märchenfigur ist. Man muß sich nur beeilen. In ein paar Jahren hört er auf und widmet sich seinem Hob by. Das einzige Bild eines lebenden Malers, das in der Sammlung des Barons Thyssen hängt, ist von Aniello Lauro.
5. Gang: Royal, San Remo. Mit zwei Frauen, die sich lieben, und einem eifersüchtigen Bruder zu Schiff die ligurische Küste entlangschippern. Du hast auf jeder Seite ein Mädel, die dir die schönsten Dinge versprechen, aber der Bruder beobachtet die ganze Nacht jede Bewegung. Denn die eine ist seine Tochter, die andere seine Geliebte. Wie soll man da das Leben genie ßen? Auf der Reise von Genua nach Nizza war San Remo für Casano va nur Zwischenstopp. Er verlor beim Glücksspiel. Seine Begleiterin nen gewannen. Glück im Spiel, Pech in der Liebe. San Remo gilt als berühmtester Urlaubsort der Riviera. Die Stadt des italienischen Schlagers ist maßlos überschätzt. Sie hat einen schönen Ortskern, ein paar Parkanlagen, die eben renovierte Villa Alfred No bels, der hier starb. San Remo lebt von seinem vergangenen Ruhm und macht ansonsten den Eindruck, als warte es darauf, endlich ab gerissen zu werden. Das Splendide Royal liegt in einem Park. Das Hotel hat eine fürstli che Vorfahrt und Vergangenheit. Es ist ebenso ehrwürdig wie das Splendide in Lugano, sonst aber bis auf die Logierpreise in allem das Gegenteil. Das Signet "Leading" prange nur auf den besten Fünfsternehotels, verkündet der Edelhotelklub. Hier irrt er. Ein Empfang findet nicht statt. Die Zimmer sind so klein wie im "Ibis", so hellhörig wie im Plattenbau. In den Bädern verbogene Stangen und Duschvorhänge aus Plastik. Handtücher an den Rändern ausge franst. Die Mängelliste ließe sich fortsetzen. Dennoch ist das Haus ausgebucht. Aber wer um alles in der Welt fährt nach San Remo? Für dasselbe Geld könnte man zweimal so lange in einem Luxusho tel in der Südsee Urlaub machen. Das bißchen Strand? Die Liste der VIP-Legenden von Sissi über den Maharaja von Jodpur, Gustav Stresemann, die Duse, Grace Kelly, Baron Rothschild, die Callas, die Loren bis zu Paul McCartney und Roger Moore kann es auch nicht sein. Vielleicht die Poolanlage, eine architektonische Sensation aus den Fünfzigern.
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Das Hotel ist seit 1872 im Besitz der Familie Bertolini. Heute haben noch zwei Schwestern hoch in den Siebzigern Mitbestimmungsrecht. Der neue GM Peter K. Müller macht einen resignierten Eindruck. Na türlich kennt er die Mängel des Hauses. Er ist fest entschlossen, das Hotel zu retten. Die Suiten in der vor einigen Jahren aufgestockten Dachetage kommen dem internationalen Leading Standard nahe. Das Hotelrestaurant, eine kahle Halle mit Muranoglasverzierung an der Decke, besteht seit 1947. Keine Spur von Intimität. In der Halle Cocktailsessel in Reih und Glied. Draußen mäßige Gartenbestuhlung. In ein paar Jahren wird hier sicher vieles anders aussehen. Im Gar tenrestaurant endlich die Atmosphäre, die einen zum Träumen bringt. Der blaue Abend, die Farben der Impressionisten, der aufstei gende Mond. Puccini-Stimmung. Das gibt es nur an der Riviera. Der Branzino, ein Mittelmeerbarsch, ist so frisch und zart wie nirgends sonst, und das Zitronenlikörparfait ist ein Traum (Küchenchef Valerio Marsaglia). Am Nebentisch ein ergrauter Macho mit einer dreißig Jah re jüngeren Frau. Sie legt ihm die Hand auf den Schenkel. Die Näch te in San Remo sind so aufregend wie die auf Bornholm. Man zieht sich auf seinen Hockbalkon zurück und macht eine Flasche auf. Viel leicht doch lieber ein Schloß mieten. Bei Köln zum Beispiel. MICHAEL WINTER
„Das größte Problem auf einer Gourmettour ist der Überschuß an Kalorien.“
Gang für Gang durch die besten Hotelrestaurants
Anreise 43 europäische Luxushotels der Hotelvereinigung "The Leading Ho tels of the World" stellen sich auch in diesem Jahr bis zum 31. De zember dem "Gourmet Touring" zur Verfügung. Dabei kann der Gast sich seine Route von Nord- nach Südeuropa selbst zusammenstellen. In allen teilnehmenden Häusern warten die Meisterköche mit beson deren Menükreationen auf. Die Hotelangebote umfassen Übernach tung und Frühstück, ein landestypisches Geschenk sowie ein Gour metabendessen und kosten je nach Haus zwischen 300 und 900 Euro pro Nacht und Zimmer. Der Routenplaner mit neun Vorschlägen kann im Verkaufsbüro in Frankfurt angefordert werden. Tel. 0 69/13 88 51 00. Reservierungen gebührenfrei für Europa unter Tel. 0 08 00/28 88 88 82.
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Die Hotels Grandhotel Schloß Bensberg. Kadettenstraße, 51429 Ber gisch Gladbach. Tel. 0 22 04/4 20, Internet: www.lhw.com/ghtlbensberg, DZ ab 200 Euro. Restaurants: Schloßrestaurant Jan Wellem (Küchen chef Walter Leufen), Gourmetrestaurant Vendôme (Küchenchef Joa chim Wissler, Koch des Jahres 2003, zwei Michelinsterne). In unmit telbarer Nähe, zum selben Unternehmen gehörend: Schloßhotel Lehr bach mit Dreisternekoch Dieter Müller. Colombi-Hotel Freiburg. Am Colombi Park. Rotteckring 16, 79098 Freiburg. Tel. 07 61/2 10 60, Internet: www.lhw.com/colombi, DZ ab 170 Euro. Restaurants: Gourmetrestaurant und Falkenstube - HansThoma-Stube - Café Graf Anton. Küchenchef Alfred Klink (ein Miche linstern). Bürgenstock Hotels und Resort. Vierwaldstätter See, CH-6363 Bürgen stock. Tel. +41/41/6 12 90 10, Internet: www.lhw.com/parkburgen. Das Hotelensemble besteht aus dem Grandhotel, dem Palacehotel, dem "Club" und dem Parkhotel. Nur der "Club" und das Parkhotel ge hören zur "Leading"-Vereinigung. DZ ab 320 Franken. Restaurants: Da Tintoretto (italienisch-mediterrane Küche), Küchenchef Hans E. Sauter - Französisches Gourmetrestaurant "Le Club", Küchenchef Armin Am rein - "Taverne", Schweizer Spezialitäten. Splendide Royal Lugano. Riva Caccia 7, CH-6900 Lugano. Tel. +41/91/ 9 85 77 11, Internet: www.lhw.com/splendider, DZ ab 300 Franken. Restaurants: Blue Restaurant für Banketts. "La Veranda" Französisch italienisches Gourmetrestaurant. Regionale italienische Küche und Flambé-Spezialitäten. Küchenchef: Pietro Saredi. Royal Hotel San Remo. Corso Imperatrice 80, I-18038 San Remo. Tel. +39/01 84/53 91, Internet: www.lhw.com/royalsremo, DZ ab 110 Euro. Restaurants: Fiori die Murano (Hotelrestaurant für Pensionsgäs te), Poolrestaurant "Corallina" (Snacks), Gourmetrestaurant "Il Giardi no (Juni bis September) mediterrane Küche. Küchenchef: Valerio Mar saglia.
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Grandhotel-Charme
Experimente passen nicht zum Grandhotel. "Beim Umbau unserer Gasträume", sagt deshalb Frank Marrenbach, der Direktor von Brenner's Park-Hotel in Baden-Baden, "mußten wir sehr darauf achten, daß am Ende wieder alles so aussieht, als hätte es immer schon so sein können." Nur hinter den Kulissen durfte der neueste Stand der Tech nik erkennbar sein. Ansonsten wurden Millionen dafür ausgegeben, die Erinnerung an den überkommenen Glanz wachzuhalten. Die damast bespannten Stühle im Parkrestaurant, der Gobelin, die getäfelten Wände des Gartensalons, die Lüster, der Kamin, Brokat und Schleif lack in der Halle, die dunklen Töne der Oleanderbar, schwere englische Stoffe und dann wieder die leichten Korbmöbel im neuen, viktorianisch anmutenden Wintergarten, alles umfängt den Gast mit der Noblesse klassischer Eleganz. Unversehens ist er eingebunden in die Inszenie rung. Geboten wird die Aufführung des Grandhotels, das einmal das bürgerliche Nachspiel fürstlichen Lebens sein sollte, damals, in der Belle Époque, der Glanzzeit Baden-Badens. "Wie die Könige", heißt es, hätten die Brenners seinerzeit residiert. Was sie ihren Gästen schufen sollte einer Lebensart entsprechen, nach der auch sie sich sehnten. Die eigenen Ansprüche verbürgten den Erfolg; sie blieben das Kapital des Grandhotels bis in unsere Tage. "Mehr denn je", sagt Frank Marren bach, "sind wir heute darauf angewiesen." Denn anders als noch in den fünfziger oder sechziger Jahren zählt Baden-Baden nicht mehr zu den Treffpunkten der Gesellschaft. Nun kommt ins Hotel, wer Lebensart und Stilwillen sucht, wie ihn die Familie Oetker, Besitzer des Brenner's seit 1941, bei der Neugestaltung der Restaurants abermals auszudrücken versuchte. Auch die Gourmets sollen mehr noch als bisher in den Genuß eines Luxus kommen, von dem man kein großes Aufhebens machen muß, weil er selbstverständlich wirkt. Sogar bei der Eröffnung gelang es, durch Zurückhaltung aufzufallen. Erst nach dem Genuß, nach Gän seleber, Hummer, Seeteufel und Milchlammkarree, traten der Küchen chef Rudolf Pellkofer und Harald Wohlfahrt, der prominente Gastkoch des Abends, an die Tische. Bescheiden ließen sie sich loben. Wenige Worte wurden gewechselt. Die Höflichkeit genügte dem Ambiente. Un versehens war die Gesellschaft wieder gefangen von jenem Stil, der ohne einen Hauch von Konservativismus doch nie zu haben ist. THOMAS RIETZSCHEL
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Brenner's Park-Hotel, Schillerstraße 6, 76530 Baden-Baden; Telefon: 07221/9000; Internet:
[email protected].
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Mit kräftigem Akzent
Von uns Deutschen wird gern behauptet, wir wüßten nicht mehr zu genießen. Doch um mit Wohlgefühl zu speisen, bedarf es zunächst einmal der entsprechenden Umgebung. Das vor einiger Zeit neuer öffnete Feinschmecker-Restaurant "Carême" auf dem weitläufigen Gelände der Weyberhöfe bei Aschaffenburg ist solch ein Ort. Ge dämpftes Licht empfängt den Gast in dem restaurierten Wirtschafts gebäude des ehemaligen Guts, die Fenster gewähren großzügig den Blick nach draußen, dazu festlich gedeckte Tische und eine Ausstat tung, die schon fast an Bankette am französischen Hof erinnert. Das Studium der Speisekarte, die als Brief mit rotem Siegel über reicht wird, kennzeichnet den Beginn des anregenden Abends. Nicht die Qual der Wahl spielt die wichtigste Rolle, sondern zwei harmo nisch aufeinander abgestimmte Menüs, die je nach Appetit auch in verkürzter Form (184 oder 132 Mark) eingenommen werden können, stimmen auf künftige Gaumenfreuden ein. Um es gleich vorwegzu nehmen, der Erfinder dieser Kreationen, Juan Amador, hat zwar ka talanische Eltern, ist aber im Schwäbischen aufgewachsen. Entspre chend sind seine Vorschläge für den Abend geprägt von kräftigen Akzenten, mal eher iberischer und dann wieder französischer Art. Typisch spanisch ist beispielsweise die Kombination aus Fisch und Fleisch - Steinbutt mit Schweinsohr auf Kichererbsen mit Pfifferlingen in Verjus für 44 Mark. Die Portionen sind so gehalten, daß noch Platz bleibt für weitere Entdeckungen, wie etwa Lammrücken mit Pinien kernhaube und Bohnen in Sauce Vierge (56 Mark). Integriert ins Restaurant ist der Weinkeller als in sich abgeschlossener, verglaster Kühlraum. Das erleichtert es Sommelier Guntram Fahrner, zu jedem Gang einen anderen Wein anzubieten (das Glas zwischen zwölf und 19 Mark). Und noch etwas lohnt den Besuch bei Meister Amador, auch wenn er jedesmal kräftig ans Portemonaie geht: die Nachspeisen, die entweder zur Jahreszeit passend aus gebratenem Mandelkuchen mit eingelegten Feigen auf Eis und Portweinjus bestehen oder raffinierte Kreationen aus Topfenauflauf, Valrhon-Schokolade mit Banyuneis und Zwetschgenkompott sind (jeweils 21 Mark). Gut eingespielt ist der Service, der sich liebenswürdig und angenehm zurückhaltend um das Wohl der Gäste kümmert. Und noch etwas
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Besonderes haben die Weyberhöfe zu bieten: Wer nach einem derart variationsreichen Mahl den Heimweg scheut, kann im angegliederten Schloßhotel die Nacht verbringen. HEINKE KILIAN "Carême" im Schloßhotel Weyberhöfe, 63877 Sailauf bei Aschaffen burg; Telefon 0 60 93 / 94 01 90. Geöffnet Dienstag bis Sonntag von 18 Uhr an. Montag Ruhetag.
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Trüffeln, Musik und blühender Mohn in den stillen Tagen von Venasque
Die Kirschen waren gerade reif. In vollen Stiegen wurden sie von den Plantagen gefahren. Blendend wirbelte der Staub auf kalksteinigen Wegen, leuchtend trat der Klatschmohn hervor: Wie sie sein sollte, empfing uns die Provence auf der Fahrt von Carpentras nach Venas que. Von weitem schon war die alte Ortschaft zu sehen, hoch oben auf dem Felsplateau. Die Päpste, hieß es, seien da des öfteren zur Sommerfrische gewesen, damals, als sie noch in Avignon residierten. Die Aussicht, der weite Blick über das sonnige Land, mochte den be schwerlichen Aufstieg lohnen. In Schleifen gelegt, windet sich die Straße bis heute den Berg hinauf, steil führte die letzte Kurve in das Dorf hinein, und weiter verengt sich die Gasse bis zur Place de la Fontaine. Dort, gleich neben dem Brunnen, hatte man uns gesagt, liege das kleine Hotel, die Auberge la Fontaine. Den Namen mußten wir suchen. Ein Rebstock verdeckt den schmalen Schriftzug am stilvoll verwitterten Gemäuer. Nur wer noch dem Ver sprechen der Patina traut, soll hier eintreten. Mit einem kräftigeren Druck erst läßt sich die verzogene Haustür aufstoßen. Das Scheppern ihrer Scheiben ersetzt die Klingel, niemand aber scheint darauf zu achten. Allein soll man den Weg durch das Bistro über den ausgetre tenen Wendelstein zum Restaurant in der ersten Etage finden. Auf einem abgedeckten Flügel, der den Raum, den ländlichen Salon, be herrscht, liegen die Schlüssel der wenigen Zimmer. Eine Rezeption gibt es nicht. Eher zufällig kommt der Wirt zur Begrüßung aus der Küche; die Ankunft der Gäste versteht sich von selbst. Sie dürfen sich noch fühlen wie die Pagnol-Familie, wenn sie ihre Bastide Neuve erreichte, das eine, das unverwechselbare Haus, das hier jeder für sich beziehen kann. Denn keine Suite gleicht da der anderen, alle sind sie unterschiedlich über mehre Ebenen verteilt, eingefügt ins historisch verschachtelte Gemäuer, manchmal gekrönt von versteck ten Dachterrassen. Die Aussicht, die sie eröffnen, der Rundblick von Mont Ventoux über Châteauneuf-du-Pape bis zu den Cevennen hin, ist großartiger kaum zu denken. Den Hausherrn, Christian Soehlke, hat er vor beinahe einem Viertel jahrhundert bewogen, über Nacht, an einem ersten Mai, den einträg lichen Job als weltreisender Techniker an den Nagel zu hängen, um
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im provenzalischen Winkel etwas aufzubauen, das es erlauben sollte, im Überfluß des Landes den Neigungen zu folgen. In der winzigen Küche seiner Auberge, auf kaum fünfundzwanzig Quadratmetern, fand der Ästhet den gestalterischen Freiraum, den er suchte: seine Möglichkeit, die Dinge harmonisch zu verbinden. Und was er dabei Abend für Abend entwirft, erstrebt stets aufs neue das Format jener Kammerkonzerte, die dem Essen bisweilen vorausgehen. Mit den Künstlern verbindet den Koch die Lust an der Gestaltung. Für ein Menü spielen die Musiker bei ihm, vor höchstens zwanzig Gästen, was sie sonst für Aix, Paris oder London einstudieren. Weit über die Grenzen, bis zu Alfred Brendel und zu den Brubecks, bis nach Ameri ka, hat sich das Besondere im kleinen Kreis herumgesprochen. Längst weiß man, daß es bei Soehlke Trüffeln zu jeder Jahreszeit gibt, Winter- und Sommertrüffel, mit mildem Frischkäse zur Vorspei se, mit dünn geschnittenem Zander oder mit Milchreis zum Dessert. Mit der Entdeckung des Einfachen, aus dem auch beim Kochen die Eleganz folgt, hat sich der Deutschschweizer in Frankreich einen Na men gemacht. Mit Heidelbeeren zum Taubenfilet, mit ZucchiniTagliatelle und mit Kirschen in mildem Essig verwöhnt er die Freunde seiner Küche. Das gesuchte, nicht das gelieferte Produkt, der wilde, nicht der gezüchtete Spargel weckt die Ideen. Gebunden sind sie an das Land; der Spiegel einer Gegend, in der wir die Bauern noch in den Plantagen sahen, in der sie noch von der Ernte reden, in der sich einer fühlen muß, der von den Franzosen gelernt haben will, "daß das Glück ein Versteck braucht". Und wer es findet, wer den kleinen Straßen bis in die stillen Tage von Venasque, bis auf den Felsen folgt, wer der alten Fassade, der verwachsenen Schrift über dem Eingang traut, der ist eingeladen, in der Auberge la Fontaine mit Christian Soehlke allen Überfluß zu teilen, den der Ruhe wie den der Kunst und den seiner kulinarischen Phantasien dazu. THOMAS RIETZSCHEL. * Auberge la Fontaine, Place de la Fontaine, F-84210 Venasque, Te lefon: 00 33/4 90 66 02 96, Fax: 00 33/4 90 66 13 14, E-Mail: Fon venasque. aol.com. Fünf Suiten mit Terrasse, Küche, offenem Kamin und Klimaanlage; 800 FF pro Nacht und Suite für zwei Personen, 50 FF zusätzlich für jede weitere Person. Das Bistro ist täglich außer Sonntagabend und Montag geöffnet, das Restaurant jeden Abend außer Mittwoch. Die international besetzten Konzerte finden unre gelmäßig, meist an den Wochenenden statt.
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Erlesene Menüs Feinschmeckerziele in Deutschland
Können Klopskapern Kamilleklassiker kicken?
Nach der Regentschaft von Ludwig XIV. hatte man am französischen Hof vom repräsentativen Leben eigentlich schon genug. Seine Nach folger waren es leid, tagtäglich die Maske aufzusetzen und jedes Di ner zum öffentlichen Schauspiel zu machen. Die Herrscher kehrten der erhabenen Fassade von Versailles den Rücken und bauten entle gene Jagd- und Lustschlösser. Man erfand das verspielte Dekor des Rokoko, entwickelte den Kult der Gefühle und lud einen kleinen Kreis von Freunden zum Abendessen ein. Es ging nicht mehr darum, große Mengen aufzutischen. Neben dem Augensinn, der die Dinge mit Ab stand wahrnahm, wurden nun auch die intimen Sinne, das Riechen und Schmecken, nobilitiert. Die Köche wurden angehalten, die Düfte und Aromen zu verdichten. Man warf nicht mehr alles in einen Topf, sondern garte bestimmte Dinge getrennt voneinander, um deren eigenen Geschmack herauszustellen, oder man kochte Fisch, Fleisch und Gemüse aus, um Extrakte und Essenzen zu bilden. Wie in der Literatur, so sorgte das achtzehnte Jahrhundert auch in der Eßkunst für eine Vertiefung der Wahrnehmung. Der Roman des einundzwanzigsten Jahrhunderts allerdings sucht nicht mehr nach der Tiefe. Der moderne Held ist dreimal geschieden und erfindet sein Ich mehrmals neu. Er lebt nicht fest verankert, sondern vielschichtig vernetzt und schätzt das Ungefähre und Zarte. Die Kochkunst hält auch dieses Mal Schritt; die führenden Meister benötigen weder große Mengen noch kräftige Essenzen, um den Gast zu verzaubern: Sie zelebrieren vielmehr das Spiel der zarten, feinen Übergänge. Das Rheingau-Gourmet-Festival hat sich in den letzten Jahren zum bedeutendsten kulinarischen Treffpunkt in Deutschland gemausert. Die besten Köche des Landes geben sich ein Stelldichein - in diesen Tagen unter anderem Harald Wohlfahrt, Dieter Müller und Jean Clau de Bourgueil. Selbst wenn der Besucher nicht an jedem Festschmaus teilnehmen kann, sei es, daß er das für unbezahlbar, sei es, daß er das für unverdaubar hält, so darf er sich freuen, daß jeder Koch die jüngere Entwicklung seiner Kunst zum besten gibt. Die Besucher sit zen in der "Krone" in Assmannshausen an langen Tafeln mit anderen Gästen zusammen, man redet mit fremden Leuten und fühlt sich in der Gemeinschaft der Feinschmecker.
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Auch Spitzenköche spielen heute mit dem Schein des Unkomplizier ten. Sie machen sich ein Vergnügen daraus, die Brücke zwischen der Alltags- und Hochküche zu schlagen, wohl wissend, daß erstere im mer in sich gefangen bleibt und nur der Meisterkoch zwischen beiden jonglieren kann. Der Croque-Monsieur ist in Frankreich ein einfacher Imbiß: Zwischen zwei Toastscheiben legt man Schinken und Käse, und das Ganze wird außen knusprig gegrillt. Bourgueil zeigte Witz und eröffnete am Sonntag abend sein sechsgängiges Festival-Menü mit einem "Croque-Monsieur von der Gänseleber mit Confit von Sau erkirschen". Von den eigentlichen Zutaten des Snacks behielt er lediglich das wichtigste Element, die knusprigen Weißbrotscheiben, bei, schnitt sie hauchdünn und karamelisierte sie. Die einzelnen Teile wurden jedoch nicht über-, sondern nebeneinander gelegt, um dazu aufzufordern, jede Zutat bewußt wahrzunehmen. In der Mitte des Tellers sah man die rosa Gänseleberterrine, links und rechts von den goldbrauen Brotscheiben flankiert, die wie Flügel erschienen, darunter ein Gelee aus Banyuls und einige Kirschen. Das Weiche und Seidige der Terrine kontrastierte köstlich mit dem Knusprigen der Brotscheiben, während im Geschmack die leicht bitteren, edelherben wie süßen Töne der Gänsemastleber bestens durch das Karamell des Brotes und das kräftigsüße Gelee aus Banyuls ergänzt wurden; die Kirschen gaben wiederum der Leber einen frischen, fruchtigen Touch. Es handelte sich um ein beschwingtes Gericht. Zwar mußte sich die Gänsemast leber in ihrer majestätischen Rolle, die sie sonst in der Hochküche spielt, etwas zurücknehmen, dafür aber überdeckte keine Zutat die andere, sondern alle traten als gleichrangige Partner auf und förder ten sich gegenseitig. Der zweite Gang wurde auf der Karte mit "Charlotte von der Jakobs muschel, Wakamé und Ossietra-Kaviar im Ingweraufguß" angekün digt. Bourgueil, der Zögling der klassischen französischen Küche, öffnete sich gegenüber der Weltküche. Eine erzfranzösische Zutat wie die Jakobsmuschel wurde mit japanischem Seetang, russischem Kaviar und fernöstlichem Gewürz verschränkt. Während die Crossover-Küche bei anderen Köchen oft nur ein pseudokreatives Geplän kel darstellt, eine Mixtur ohne Sinn und Verstand, schuf der Meister koch eine erlesene Harmonie. Schon durch die Textur der einzelnen Dinge bildeten sich zarte, feine Übergänge, die sich im Geschmacks erlebnis wiederholten. Der mineralische wie süße Ton, der die Ja kobsmuschel auszeichnete, wurde durch die etwas volleren süßen
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Noten des Kaviars leicht gesteigert; der Seetang wiederum schmieg te sich geschmacklich genau dazwischen, während der Ingwer dem Ganzen einen Hauch von Frische gab. Jede Einzelheit erschien not wendig. Als dritter Gang wurde ein "Kleiner Bretonischer Hummer, in Kamil lenblüten gedämpft", serviert. Das Gericht ist ein Klassiker der Bourgueil-Küche, auch wenn sich der Maître dafür vom "Gault Millau" schon höhnische Kritik gefallen lassen mußte. Natürlich dämpfen derzeit auch andere Köche den Hummer in Kamillenblüten, und das Ganze kann zuweilen recht medizinisch und langweilig wirken. Doch in der Form, in der Bourgueil das Gericht in Assmannshausen darbot, war es ein Hochgenuß. Streifen von Wurzelgemüse schufen das Bett, auf dem das Hummerfleisch lag, umzogen von einer buttrigen Soße. Tatsächlich stieg Kamillenduft in die Nase, schmeichlerisch verwoben mit dem süßen Duft des Hummers. Auch die Butter, die in die Soße geschlagen worden war, war von feinstem Aroma, mit Anklängen von Heu- und Wiesenduft. Aber noch ein weiterer Bestandteil mußte in der Soße sein, der sie so verführerisch machte. An der langen Tafel wurde gerätselt, bis am Ende des Abends sich Bourgueil dazusetzte und den Gästen erzählte, um was es sich handelte. Ein befreundeter Koch habe einmal für ihn Königsberger Klopse mit Kapernsoße zubereitet, und so sei er auf die Idee gekommen, in die Hummersoße ein wenig Kapernessenz zu ge ben. Diese unterlegt die milde Kamillenote mit verhaltenem Tempe rament, gibt der Soße den entscheidenden Kick, zu dem nur ein sub tiler Koch fähig ist. Der 2000er Two Rock Vineyard Chardonnay von Ernest & Julio Gallo war der Finesse des Gerichts nicht gewachsen, doch im zweiten Glas befand sich ein Rheingau-Riesling vom selben Jahr, Hattenheimer Hassel 1. Gewächs von Hans Lang, der sich frisch, würzig und saftig gab und sehr gut zum Essen paßte. Der Abend erinnerte immer wie der an höfische Raffinesse, indem er alle Sinne forderte. Die Küche vermied jedoch das Überkünstelte, und so fühlte man sich zum Schluß beschwingt und frei. ERWIN SEITZ
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Hoppelpoppel hat ausgehoppelt
Während anderswo die Feinschmecker längst ihre Regionalküchen wiederentdeckt haben, ignorieren die Deutschen immer noch ihre kuli narischen Wurzeln. Das muß sich ändern. Gianfranco Vissani, der ita lienische Kochpapst, wurde vor ein paar Jahren in einem Münchner Spitzenrestaurant gefragt, wie es ihm geschmeckt habe. Sehr gut, war seine Antwort. Aber eines wolle er noch wissen: Woran könne er er kennen, daß er in München gegessen habe und nicht in Mailand, Paris oder Wien? Blättert man im Gault-Millau, drängt sich schnell dieselbe Frage auf: Büffelmozzarella und Ruccolaschaum, Jakobsmuscheln und - hoffent lich wilden - Lachs findet man landauf, landab und selbst noch in der tiefsten Provinz auf deutschen Speisekarten. Doch Adressen, die ein deutsches Sauerkraut mit der Eleganz einer elsässischen "choucroute royale" zelebrieren und sich sorgfältigst um lokale Gerichte kümmern, sucht man lange. Bremer Kükenragout, Hamburger Aalsuppe und Leipziger Allerlei sind in deutschen Spitzenrestaurants seltsam ine xistent. Wirklich feine deutsche Küche ist zwar ein Thema für Fernseh shows ("Wie macht man Schlesisches Himmelreich?"). Serviert wird sie kaum. Deutsches Essen hat im eigenen Land ein Imageproblem. Es steht weder für Lebensgenuß noch für Raffinesse, ja nicht einmal für sorg fältige Zubereitung und perfekte Zutaten. Statt dessen assoziiert man es mit Altherrenstüberln, wo es statt "kleiner Portionen" diffa mierende "Seniorenteller" gibt, und grobschlächtigen Familien schlemmereien. Nicht wenige ländliche Spitzengasthöfe haben die regionale deutsche Küche quasi ausgelagert: Vorne gibt es noch eine Stube, wo zu eher volkstümlichen Preisen Traditionsgerichte serviert werden - aber im eigentlichen Restaurant experimentiert der junge aufstrebende Sohn des Hauses doch lieber mit Serranoschinken, Do rade und Shiitake-Pilzen. Die Lokale mit ein bißchen Gespür fürs Ter ritoriale schreiben Bayerwaldlamm, Schwetzinger Spargel und Fin kenwerder Kutterscholle wenigstens auf die Karte - doch oft er schöpft sich das Regionale mit den Zutaten. Sage mir, was du ißt, und ich sage dir, was du bist, was du denkst und was du dir wünschst. Die deutsche Küche ist seit Generationen
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zutiefst verstört, verharrt eigentlich seit 1917/1918, seit den mit Steckrüben überbrückten Hungerwintern des Ersten Weltkriegs, in einer Dauerkrise. Die ökonomisch schwer angeschlagene Weimarer Arbeitslosenrepublik dachte ans Sattwerden, nicht an Eßkultur - das war eher etwas für Schwarzmarktschieber. Dem Nationalsozialismus ging es trotz gelegentlicher Osterienbesuche des vegetarisch leben den Führers um effiziente Kraftnahrung und kriegswirtschaftstaugli che Sparrezepte für das Volk ohne Raum. Die Hungerjahre der Nach kriegszeit mündeten in der DDR in eine permanente Lebensmittelra tionierung, verfeinerte Küche wurde als bürgerlich-dekadent abge tan. Der Westen setzte in der Adenauer-Ära wahllos Speckringe an und entdeckt seither etwas hektisch-naiv die Speisen der Welt. Der längst vergessenen Jugopaprikawelle folgte Ende der siebziger Jahre die Griechenwelle ("Die machen noch frisches Gemüse!"); heute sind die Italiener mit ihrer gut sortierten Regionalküche Refugien deut scher Feinschmecker. Mit Tapas-Bars, Running Sushis und Thai Kit chen hält Deutschland den internationalen Anschluß. All das hat die schon seit Luthers Zeiten etwas plumpe Kochszene in Deutschland ungeheuer bereichert, hat neues Wissen und Gespür für Produkte, Aromen und Möglichkeiten gebracht - doch aufs Eigene werden sol che Erkenntnisse nur selten angewandt. Die Deutschen lehnen viele einheimische Gerichte instinktiv ab: Eisbein mit Sauerkraut oder rheinischer Pfefferpotthast gilt in der Spitzengast ronomie als nicht präsentabel. Dabei zeigt der Blick ins Ausland, was möglich ist: Die Feinschmecker und Verwöhnten haben längst die "cuci na povera", eine verfeinerte Armeleuteküche, für sich entdeckt. In Ir lands neuen, sündhaft teuren Golfrestaurants wird der Blutwurstpud ding "drisheen" neben Hummer serviert, Schottlands edelste CountryHotels reichen Wildberrychutneys zu in Malt Whisky mariniertem "hag gis" (Lammgrütze), und Gröstel, das Resteessen der Tiroler Bergbau ern, ist zum Symbol der neuen Einfachheit in der Küche geworden. Al so: warum nicht Salzlamm in Knippkruste, in Doppelkorndampf gegar tes Spanferkel-Eisbein mit frischgestampftem Zuckererbsenpüree und im Kohlblattpäckchen serviertes Wirsing-Sauerkraut? Warum nicht sächsische saure Kartoffelstückchen - aber bitte mit gebürsteten (und nicht geschälten) Bamberger Hörndln, fränkischem Winzeressig und 18 Monate gereiftem Katenrauchspeck? Vielleicht ist so etwas auch deshalb so selten, weil der Wille nur schwach entwickelt ist, für die wahren Deli katessen, für unverfälschte regionale Zutaten aus deutschen Landen viel Geld auszugeben. Nur wenige Kenner investieren in ein deutsches Kirschwasser soviel wie in eine Flasche Grappa.
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Schuld an der faden deutschen Küche ist aber auch die Agrarpolitik, die im Vergleich mit europäischen Nachbarn eher verschlafen wirkt, wenn es um den Schutz und die Förderung von Premiumprodukten geht. Deutschland punktet in der Europäischen Union fast nur mit Mineralwasser. Was Delikatessen made in Germany anbetrifft, stand Deutschland zu Bismarcks Zeiten besser da als jetzt: Einst wurde nicht nur Riesling nach St. Petersburg exportiert, sondern auch Göt tinger Wurst, Teltower Rübchen und Salzwedeler Ministerbaumku chen bis nach Paris. Auch die Agrarindustrie braucht Zugpferde. Wenn der Nahrungsmittel-Konzern Barilla millionenfach seine indus triell produzierten Nudeln absetzt, dann auch deswegen, weil viele Konsumenten damit Bilder von italienischen Mammas assoziieren, die frische Pasta kneten. Wo sind diese fördernden Marketingbilder, die se positiven Klischees aus Deutschland? Welche deutschen Produkte werden gezielt von den Gourmets im Ausland gekauft? Am ehesten zeigt noch nach Reinheitsgebot gebrautes Bier, daß der Weg zu nichtsubventionierten Spitzenprodukten über die Qualität geht. Und noch etwas: Im föderalen Deutschland besteht zwischen unter schiedlichen Regionalküchen viel zu wenig Austausch. Frankreichs grande cuisine entstand auch dadurch, daß in Paris die besten Zuta ten und Regionalrezepte der ganzen Nation zusammenflossen, und die Vielfalt der feinen Wiener Küche wäre ohne Anregungen aus Böhmen, Ungarn und Italien undenkbar. Sizilianische Auswanderer eröffnen edle Fischrestaurants; Ostdeutsche eher Frittenbuden. Es ist kaum möglich, in Berlin gut fränkisch, in München gut rheinisch oder in Hamburg gut brandenburgisch zu essen. Was ein frischer Zugang zur deutschen Küche bewirken kann, zeigt sich im Ausland. Südtirol, dessen deutschsprachige Meisterköche in Amerika und Asien Erfolg haben, wird mittlerweile von Italiens Gourmets heim gesucht, die dort für einheimische Leckereien wie mit Löwenzahn oder Trockenbirnen gefüllte Schlutzkrapfen schwärmen. Franzosen pilgern ins Elsaß - der alemannisch-deutschen Küche wegen. Und die Gastro Großmacht Österreich bereichert längst die kulinarische deutsche Dias pora mit Speisen, die Heimatgefühle wecken: Gröstel ist in Berlin leich ter zu bekommen als brandenburgisches Hoppelpoppel. Symptomatisch ist, daß die heimatvertriebenen Königsberger Klopse - meist nur als 08/15-Version mit pappiger weißer Sauce erhältlich - längst als jiddi sches Szenegericht in trendigen Literaturcafés gelten.
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Am nötigsten jedoch braucht die deutsche Küche die Wertschätzung der Gourmets. Solange Qualität nur bürokratisch als Verbraucher schutz verstanden wird, solange Batteriegeflügel nur dann abgelehnt wird, wenn in den Medien wieder vor Gesundheitsgefahren gewarnt wird, und solange Agrarrebellen in der alternativen Ecke hocken und nicht auch Spitzenrestaurants besuchen, ändert sich nichts. Deutsches Essen muß die Phantasie wieder anregen. Es geht hier nicht um einen "Deutschen Weg" oder um Fremden feindlichkeit, wie ihr Kaiser Wilhelm II. mit seiner Anordnung Vor schub leistete, bei Hofe statt der französischen die deutsche Speise karte zu reichen. Es geht um den Anschluß an die kulinarische Mo derne, die überall auf der Welt nur zwei Richtungen kennt: souverä nes Crossover und strikte Interpretation des Lokalen. Es geht darum, die neue Regionalität nicht nur als werbewirksames Lippenbekennt nis, sondern auch als Revival ausgefallener autochthoner Rezepte und Aromen zu verstehen, wie sie Henriette Davidis in ihrem Koch buchklassiker von 1845 aufgeschrieben hat: Steinbutt in Saueramp fer oder Kalbsbraten in Buttermilch. Für die Zukunft jedenfalls wünscht man sich Überraschungen auf deutschen Speisekarten. Wie wäre es mit Gams in Enziansulz, Eisweinsuppe, Regensburgern vom Wildschwein, Aaltatar mit Schmorgurken, Hopfensprossen, Stiel muspasteten oder Sanddorn-Eis? Kochkunst muß sich heutzutage an der Neugier des Gastes orientieren - und das kreative Potential in Deutschland ist gewaltig. Nur liegt es nirgendwo so brach wie bei uns. Es ist an der Zeit, dies zu ändern.
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Die Macht der Sterne
Wer Derek Brown, den mächtigen "Directeur Guides Rouges", bei der Vorstellung des neuen "Michelin" vorige Woche in Frankfurt mit briti schem Understatement sagen hörte, seine Reifenfirma wolle nichts weiter, als ihren Kunden zu helfen, sich unterwegs besser zurechtzu finden, würde - wüßte er es nicht besser - niemals daran denken, daß in diesem Augenblick Schicksal gespielt wurde. Trotz der an schwellenden Flut konkurrierender Restaurant- und Hotelführer ist es immer wieder neu der Michelin, der mit Verleihung und Entzug seiner Sterne Küchen-Karrieren anstößt oder abrupt beendet. Wie gerecht oder ungerecht der nachessende Gast die Bewertung im einzelnen auch findet: Die Prüfer des vor hundert Jahren in Frank reich erfundenen Hotel- und Restaurantführers erklärten für die Aus gabe 2003 weitere neunzehn Köche zur kulinarischen Elite von 189 Häusern in Deutschland; einundzwanzig Restaurants wurde ein Stern entzogen. Zum erstenmal wurden Hotels, Gasthäuser und Restau rants mit dem "Bib-Gourmand" ausgezeichnet, der für gute Küche und freundliche Unterkunft zu günstigen Preisen steht. Unüberlesbar neu sind auch die jeweils zwei Zeilen Text, 176 Anschläge je Betrieb, die nach Zusatznutzen und Formulierungskraft noch strebend sich bemühen. Aber zum Glück geht es dem Leser des Michelin ja mehr um handfeste Informationen, etwa das statistisch untermauerte Ende des gastronomischen Booms in Berlin. Erst zog es alle Köche dorthin, die etwas werden wollten, jetzt beginnt die Rückwanderung. Drei der neunzehn neuen Sterne-Häuser befinden sich nun in Köln, zwei in Frankfurt. Und Bergisch Gladbach kann sich zum Ruhm seines DreiSterne-Kochs Dieter Müller im Schloß Lerbach auch noch die ZweiSterne-Küche von Joachim Wissler als Standortvorteil zugute halten. Wissler, der vom "Gault Millau", dem Michelin-Hauptkonkurrenten, eine Woche zuvor zum "Koch des Jahres" gekürt worden war, regiert das Restaurant "Vendôme" im Hotel "Schloß Bensberg". Aber das Auffälligste ist der Auftritt ehrgeiziger Kochkunst-Akteure in den neuen Bundesländern, vor allem in Sachsen. Trotzdem bleibt mit einundsechzig Sterne-Köchen BadenWürttemberg Herzland der Feinschmecker und mit sechs MichelinSternen deutsche Metropole der Gourmets die Schwarzwälder Sechzehntausend-Seelen-Gemeinde Baiersbronn. Hier kocht unter dem
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Glanz von drei Michelin-Sternen Harald Wohlfahrt von der Schwarz waldstube im Urlaubshotel "Traube Tonbach"; zwei Sterne und den soeben vom "Feinschmecker" verliehenen Titel "Koch des Jahres" schmücken Claus-Peter Lumpp vom Restaurant "Bareiss" im gleich namigen Ferienresort; einen Stern erkochte sich Jörg Sackmann, nachdem er im elterlichen Hotel das Gourmet-Restaurant "Schloß berg" eingerichtet hatte. Michelin-Sterne sind erhofft und gefürchtet zugleich, ihre wahre Macht aber wird selten offenbar. Als Festredner zum zwanzigjährigen Bestehen des Restaurant Bareiss machte Baden-Württembergs Wirt schaftsminister Walter Döring es jetzt öffentlich: Wo Spitzenrestau rants Glanz verbreiten, kommen mehr ausländische Besucher, blei ben Wirtschaft und Tourismus auch in Krisenzeiten stabil; statt eines Rückgangs wie sonst im Land verzeichneten die Orte rund um die ausgezeichneten Häuser ein fünfzehnprozentiges Plus. Nicht genug loben konnte der Wirtschaftsminister diese Leistungselite, die nicht nur durch ihr Beispiel motiviere, sondern auch bereit sei, ihr Wissen in der Ausbildung weiterzugeben. Aber damit war der Gast aus der Landeshauptstadt noch nicht fertig: Als Wichtigstes nämlich biete die Spitzengastronomie nicht exportierbare Arbeitsplätze - in der Tat eines der "höchsten Güter, die wir besitzen". Ob die Politik erkennt, was sie an diesen Häusern hat? BRIGITTE SCHERER
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Die Traube in Grevenbroich Außerordentliche Tafelgenüsse sind oft erst dann richtig schön, wenn man später jemandem von seinen kulinarischen Erlebnissen erzählen kann. Die Vorfreude auf solche (mitunter die eigene Eitelkeit befrie digenden) Berichte lenkt freilich nicht selten vom Essen ab, die Kon zentrationsfähigkeit sinkt - und mit ihr die Aufnahmebereitschaft für das Ungewohnte. Gerade eine Visite bei einem alten Meister, dazu einem, der in diesen Tagen sein vierzigjähriges Wirken am Herd sei nes Gourmetrestaurants feiert und seit Jahr und Tag sowohl im Mi chelin- als auch im Gault-Millau-Führer in den höchsten Tönen gelobt wird, verlangt vom Gast aber die absolute Gegenwart aller Sinne. Dieter Kaufmann, von dem hier die Rede ist, zieht alle Register der Haute Cuisine - zumindest scheint es so, wenn man seine "festlichen Menüs" auf der Karte studiert: Gänseleber, Hummer, Trüffel und Kaviar, wobei letzterer wegen seines intensiven Aromas durchaus zum Störfak tor in einer Speisefolge geraten kann. Kaufmanns Parfait vom Stör al lerdings imponiert zunächst mit einzigartigem Mundgefühl, das der von Sahne gebändigte Räuchergeschmack dann aufhebt, um seinerseits den äußerst frischen, smaragdgrün glänzenden Kaviar zur Geltung zu brin gen. Ein paar Millimeter weiter auf der Aroma-Konsistenz-Skala, und diese wunderbare Schaumgeburt würde in die Beliebigkeit abgleiten. Auch bei der gebratenen Jacobsmuschel wird auf Gewürze verzichtet und auf deren Eigengeschmack vertraut - es sind nur ein paar Fitzel chen von Basilikum, die das Geschmacksbild vervollkommnen, den Ge nuß des glatten Muskelfleischs geradezu unwiederholbar wirken lassen. Entgegen der Usancen der französischen Haute Cuisine, der sich Kauf mann ansonsten verpflichtet weiß, entströmt seiner Variation von der Gänseleber kein spirituöser Ruch von Armagnac. Die ParfaitKomposition aus einem flummigen Törtchen sowie etwas festeren Scheiben, die von Trüffelintarsien, Pistazienmantel und leicht nach er wärmtem Furnier duftendem Sauternes-Gelee angeregt werden, ver traut letztlich auf den edelbitteren Ton der Stopfleber, von dem der Koch auch nicht mit der üblichen Säurespitze ablenken mag. Sein fruchttiefes Traubenconfit genügt nicht nur dem Gänsejuwel, sondern dient gleichermaßen als Übergang zum Hummer, zu dem sich die letz ten süßen Tropfen eines 1993er Graacher Domprobst von Otto Pauly ebenfalls gut fügen. Dennoch stellt sich die Frage, warum Dieter Kauf mann, der doch sonst so auf Authentizität versessen ist, darauf verzich
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tet, seinen Gästen ein Stückchen von der gebratenen Leber zum Parfait zu servieren, das Grundprodukt also gewissermaßen in Reinkultur zu präsentieren. Der Hummer aus der Bretagne ist fraglos frisch. Sieht man vom doch etwas fischig wirkenden Ende des Scherenfleisches ab, so erscheint sein ausgelöster Rücken im besten Sinn comme il faut und wird dazu noch von einer luftigen Farce, die in eine Courgette-Blüte geschlagen wurde, sowie einer rosa leuchtenden Champagner-Krustentier-Consommé ge schmacklich hervorgehoben. Allerdings war der Gast dann doch ein biß chen irritiert, daß Kaufmann ausgerechnet einem Fisch mit höckriger Haut wie dem Steinbutt die fehlenden Schuppen in Form winziger Kar toffelchips gleichsam andichtet. Bei anderen Köchen würde man sich über einen derartigen Eingriff nicht wundern, aber in der "Traube", wo doch sonst alles konsequent durchdacht ist und mit großem Respekt vor dem Ausgangsprodukt zu Ende gebracht wird, erscheint eine solche Volte einfach bemerkenswert. Wie bei sämtlichen Saucen, die grund sätzlich nicht durch Butter oder Glace zusätzliches Volumen erhalten, baut Kaufmann auch hier nur auf eine mit ein paar Tropfen Sahne ver feinerte Fisch-Essenz, in der perfekt sautierte Steinpilze schwimmen. Bei der üppigen Passionsfrucht-Charlotte mit marinierten Himbeeren und Zitronengras-Sorbet scheinen die Früchte einander regelrecht in ihrer Fruchtigkeit überbieten zu wollen und behindern gerade deshalb die vollständige Entfaltung der Details. Dieter Kaufmann lebt in einer ganz eigenen Welt, die er sich hier im ersten Haus am Platz zusammen mit seiner charmanten Gattin Elvira erschaffen hat. In der "Traube" werden ausnahmslos den Zeitläuften enthobene, von Altersmilde gezähmte und allen Geschmackskontrasten abholde Klassiker, bei denen eigentlich nichts mehr variiert werden kann, von einem reibungslos operierenden Service aufgetragen. Die legendäre Weinkarte im Hausbibelformat ist seit langem schon ein wah res Kompendium für Spitzengewächse aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien und listet beispielsweise sämtliche Jahrgänge des italienischen Ausnahmeweins Sassicaia auf. Was den Gast aber noch mehr beeindruckte als die edlen Tropfen, war jene inmitten von Wildund Geflügelaroma fixierte, in dunklem Jus förmlich dahinschmelzende Taubenbrust im Spitzkohlblatt - bei solch einem Gericht kann man auf Innovationen gut verzichten. Restaurant "Zur Traube", Bahnstraße 47, 41515 Grevenbroich bei Mönchengladbach. Telefon 0 21 81/6 87 67. Geöffnet dienstags bis samstags von 12.00 bis 13.30 Uhr und abends von 18.30 Uhr an.
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Schwarzwaldsinfonie
"Baiersbronn ist nicht München oder Paris", sagt Harald Wohlfahrt, nach allgemeinem Verständnis Deutschlands bester Koch, und man tut gut daran, diesen Satz ein wenig auf sich wirken zu lassen. Man muß schon ein bißchen reisen, um dieses abgelegene Zentrum der Gourmandise zu erreichen. Das fällt vielen schwer. Den Intellektuel len Johannes Gross zum Beispiel schreckte die Aussicht auf einen Schwarzwälder Ferienort und die dort anzutreffende luxuriöse Rusti kalität. Dann reiste er doch, bedankte sich hinterher ausführlich für die überragende Qualität - und schrieb schließlich das Vorwort zu Wohlfahrts Buch. Deutschland ist auch nicht Frankreich, und die Meisterköche hierzu lande sind kein selbstverständlicher Bestandteil der Kultur. Man ü bersieht einfach, daß der Gestus der kulinarischen Künstler im Ge gensatz zu Literaten, Musikern und bildenden Künstlern ein anderer ist, weniger feuilletonistisch, könnte man sagen. Zudem fehlen die Bereitschaft und das Vermögen, sich adäquat mit der Kulinarik aus einanderzusetzen, kurz: Die Komplexität von Leistung und Persön lichkeit der Spitzenköche wird meist unterschätzt. Baiersbronn, "Schwarzwaldstube" im Hotel Traube-Tonbach: Wohl fahrt verabschiedet wie nach jedem Essen in einem kleinen Vorraum des Restaurants die Gäste. Wer jemals diese Prozedur über einige Zeit verfolgt hat, weiß, daß man die Geduld eines Gemeindepfarrers braucht, um jährlich vieltausendfach auf gleiche Fragen gleich zu antworten. Wohlfahrt, 46 Jahre alt, ziemlich schlank, seriös und im mer konzentriert, hat diese Geduld. Andere Köche kann man sich ausschweifend vorstellen, in ihrer Freizeit Autos sammelnd, Motorrad fahrend, mit Freunden irgendwo versackend. Wohlfahrt nicht. Einer wie er widmet sich der Familie, geht mit den Hunden spazieren oder fährt Rad. Im Englischen würde man ihn einen "No-nonsense"-Typ nennen, stimmig, ernsthaft, zuverlässig. "Man muß Vorbild sein", sagt der Meister. "Er ist ein absolutes Vorbild", sagen seine Schüler. Wohlfahrt wuchs auf dem Bauernhof seiner Großeltern in der Nähe von Baden-Baden auf und begann direkt nach der Hauptschule die Ausbildung zum Koch. Schon mit 25 Jahren hatte er zwei MichelinSterne. Als er 1992 seinen dritten bekam, schrieb Koch-Übervater
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Eckart Witzigmann: "Lieber Harald, wer hätte es mehr verdient als Du . . .", und seit Witzigmanns "Rücktritt" 1994 gilt Wohlfahrt als Fixpunkt der deutschen Gastronomie. Unter seinen Lehrern gibt es zwar große Namen (neben Witzigmann auch das Ducasse-Vorbild Alain Chapel); aber da haben andere viel mehr zu bieten und sind keine Starköche geworden. Woher kommt also Wohlfahrts charakte ristische, perfekte Balance verfeinerter Aromen und seine enorm entwickelte Produktbehandlung? Alles deutet auf ein ungeheures Kü chentalent hin, das insgesamt für seinen Beruf optimal qualifiziert ist. Das echte Talent nämlich reagiert anders als der Durchschnitts mensch: Es selektiert die richtigen Einflüsse und wird so weniger von außen geprägt als von innen komplettiert. "Sicher", sagt Wohlfahrt, "Witzigmann hat einen ja über die Jahre hinweg immer beeinflußt, vor allem in seinen klassischen Anfängen." Aber da waren auch die Spitzenprodukte im "Stahlbad" in BadenBaden (damals zwei Sterne) und vor allem kurze, aber wichtige Ein drücke bei Chapel ("da war alles noch mal ganz anders") oder Besu che bei Gagnaire zu St.-Etienne-Zeiten ("diese Ideen") und (beson ders beeindruckend) bei Robuchon im "Jamin" in Paris. Man zuckt zusammen: War es nicht Robuchon, der Vorgänger von Ducasse als weltbester Koch, der für seine Präzision geradezu berüchtigt war? Ein Kontroll-Freak, der aber seine Mitarbeiter so wichtig nahm, daß er sie teilweise besser bezahlte als sich selbst? Ohne Zweifel, das ist Geistesverwandtschaft. Zuviel diskutieren? Kochwissen aus Büchern akquirieren? "Gekocht wird am Herd, wo man über Jahre hinweg in mühsamer Kleinarbeit Erfahrungen ge sammelt hat", sagt Wohlfahrt ganz im Sinne von Robuchon und for muliert auch gleich, was er seinen Schülern mitgeben will: "In erster Linie Handwerk und die Fähigkeit zur Kontinuität." Und das Kreative? "Bei gutem Handwerk ist Kreativität kein Problem." Was auch immer man von diesem Satz halten mag: 28 Wohlfahrt-Schüler haben schon einen Stern, zwei sogar schon zwei. Stilistisch lassen sich die Einflüsse der Lehrer präzise nachzeichnen. Witzigmann zum Beispiel steht für zweierlei: eine sensible ge schmackliche Komponente ("einen Witzigmann-Teller konnte man immer am Geschmack erkennen") und eine artifizielle Komponente, bei der viel eingepackt, gefüllt und teilweise sehr kleinformatig "ge bastelt" wurde. Beides findet sich bei Wohlfahrt. Die eher technische Komponente führte er später zum endgültigen Höhepunkt - doku
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mentiert vor allem in seinem Buch "Feines aus meiner Küche" (1998) mit einer Ausweitung der klassischen Haute Cuisine bis an die Grenze des handwerklich Beherrschbaren. Da brauchte es für eine Sauce schon mal 20 Zutaten. Hier setzt auch die Kritik ein, die weniger Wohlfahrts Kreationen gilt als deren falschverstandener Rezeption: Was beim Meister Komplexität ist, gerät in schwächerer, fremder Ausführung schnell zu sinnloser Bastelei. Mittlerweile haben bei Wohlfahrt aber überschaubarere und produkt nähere Kreationen die Oberhand gewonnen. Immer wieder setzt er mediterrane und fernöstliche Reize sorgfältig ein. Weil der Mann ein "Wie"- und kein "Was"-Koch ist, wird es wichtig, die Verwendung von Zitronengras, Shii-Take-Pilzen, Tintenfischen und Sardinen nicht pla kativ zu interpretieren. Hier wird integriert, nicht experimentiert. Und alles wird der scheinbar nüchternen Wohlfahrt-Philosophie unterwor fen: "Keine Kreativität um jeden Preis", heißt es und: "Die Produkte sind alle entdeckt." Außerdem, sagt Wohlfahrt, wolle er seine Gäste nicht "befremden". Sein Optimum, glaubt Harald Wohlfahrt allerdings, habe er noch lan ge nicht erreicht. "Mein Schaffensdrang ist noch nicht gestillt", sagt er, wie getrieben von einem Motor, der ihn davon abhält, auch ein mal früh zufrieden zu sein. Das Talent sucht keinen Stillstand. Robu chon hat dazu angemerkt, es sei ihm in letzter Instanz egal, ob die Leute seine Kreationen mögen - das wichtigste sei, daß er selbst da mit zufrieden ist. Bei Wohlfahrt scheint etwas Ähnliches durch, aber er verankert sein Streben nach Perfektion sozial. Die Folge ist die konsequente Rückkoppelung seiner Arbeit an die Zufriedenheit der Gäste. Jede kleinste Kritik treibt ihn deutlich um. Und es wundert nicht, daß alle seine Schüler an erster Stelle die menschlichen Quali täten ihres Lehrers loben. Für so einen Chef nimmt man die harte Arbeit auf sich. Mit dieser Art von Führung läßt sich jene komplexe Mechanik in Bewegung setzen, die wir - eher formalistisch - Spitzen küche nennen. Auch das ist eine Grundlage von Wohlfahrts Erfolg. Bezeichnete man den Beruf des Kochs ganz allgemein als "performing art" und siedelte ihn in der Nähe des Musikers an, ließe sich Wohlfahrts Rolle mit der des Dirigenten vergleichen. Der Küchenchef kennt sein Material, er weiß um dessen optimale Verwendung, er beherrscht die Kunst, seine Mitarbeiter zu motivieren, und verfügt über die Sensibilität, die Erwartungen seines Publikums zu erahnen und zu lenken. Und wie würde der Dirigent in Paris kochen? "Na ja, da müßte man vielleicht ...",
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hebt Wohlfahrt an. Genau. Da müßte man eben kochen, wie es die Pari ser brauchen - gestreßt vom Überangebot, wie sie sind. Und damit kein Mißverständnis aufkommt: Ob Baiersbronn, München oder Paris - Wohl fahrts Küche würde wohl in den Schattierungen ein wenig variieren. Die Qualität jedoch wäre überall gleich. In diesen Tagen feiern Hotelier Heiner Finkbeiner und Harald Wohl fahrt das fünfundzwanzigjährige Bestehen des Gourmetrestaurants "Schwarzwaldstube" im Hotel Traube-Tonbach in Baiersbronn (Tele fon 0 74 42/ 49 20). Das Restaurant besitzt die Höchstnoten aller Führer und steht auch in allen anderen Ranglisten deutscher Restau rants an der Spitze. Harald Wohlfahrt wirkt wie getrieben von einem Motor, der ihn davon abhält, auch einmal früh zufrieden zu sein. Ein echtes Talent sucht keinen Stillstand. Thomas Bühner. "Erst jetzt, mit fast 40, verstehe ich wirklich die Schwierigkeit, wie Wohlfahrt immer die gleiche Qualität zu halten. Am Anfang hatte ich bei ihm zuviel Ehrfurcht und Angst, alles falsch zu machen. Dann gab es ein Gespräch, und von da an hatte ich eine tolle Zeit. Von Wohl fahrt habe ich fachlich und menschlich am meisten gelernt." Wohlfahrt-Schüler, "La Table", Spielcasino Dortmund-Hohensyburg, zwei Michelin-Sterne, 18 Punkte Gault Millau. Christian Bau. "Ich bin regelmäßig in Pariser Restaurants, zuletzt noch bei Pacaud im ,L'Ambroisie'. Für mich steht Wohlfahrt auf der gleichen Höhe, genauso wie Ducasse oder Rochat. Wohlfahrt ist ein Perfektionist, dabei bescheiden, sehr ruhig und überhaupt kein Lautsprecher. Er hat mich als Koch und Mensch eindeutig geprägt." Wohlfahrt-Schüler, "Gourmetrestaurant Schloß Berg", Victor's Resi denz Hotel, Perl, zwei Sterne, 17 Punkte Gault Millau. Rolf Straubinger.
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"Es war jeden Tag wie Halbfinale oder Endspiel der Champions Lea gue. Wohlfahrt hat die sensationelle Eigenschaft, sich quälen zu kön nen und dabei menschlich zu bleiben. Nirgendwo sonst bekommt man so gute Qualität auch in so großzügiger Menge." Wohlfahrt-Schüler, Burgrestaurant "Staufeneck", Salach, ein MichelinStern, 17 Punkte Gault Millau. Jörg Sackmann. "Ich war ja wie Wohlfahrt auch bei Witzigmann. Das war eine ganz andere Geschichte: Witzigmann war der autoritäre Chef, Wohlfahrt ist kollegial. Für mich ist er der absolut perfekte Koch, ruhig selbst in Streßsituationen, ein Vorbild für die Führung einer Küche auf höchs tem Niveau." Wohlfahrt-Schüler, Restaurant "Schloßberg", Hotel Sackmann, Baiers bronn, ein Michelin-Stern, 17 Punkte Gault Millau.
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"Hirschen" in Sulzburg
Es ist interessant, wie die Elsässer von der anderen Seite des Rheins aus die deutsche Küche sehen. Obwohl man dort in einer mit SterneRestaurants geradezu gepflasterten Gegend wohnt, blicken die Gourmets mit Hochachtung nach Osten. Zuverlässig sei die Küche dort, präzise, stets gute Produkte verwendend und außerdem ziem lich preiswert. Der Name eines Kochs wird besonders häufig genannt, oft auch in Verbindung mit einer Würdigung des regen Zuspruchs, den er erfährt: "Da ist es immer voll, mittags und abends." Gemeint ist Hans-Paul Steiner vom "Hirschen" in Sulzburg im Markgräfler Land. Zählt man die Fakten zusammen, wird deutlich, warum Steiner mit seinem Haus und seiner Küche so beliebt ist. Den Rahmen bildet jener bürgerlich-süddeutsche Gasthof, der ein völlig unprätentiöser Bestandteil einer kleinstädtischen Häuserzeile ist und über zwei wohnzimmerartige Gasträume verfügt, an deren Wänden zahlreiche alte Stiche mit gastronomischen Motiven hängen. Doch dann ist da noch vor allem die Küche mit ihrer meist sehr harmo nisch präsentierten, französisch-klassischen Ausrichtung, rund und ohne große Kontraste. Es verwundert also nicht, daß man in der Sulzburger Kirche einmal einen Zettel fand mit der Aufschrift: "Lieber Gott, laß den Steiner bitte 100 Jahre alt werden. Er kocht so gut." Bestes Beispiel war an diesem Tag sein "Fricassee vom Seeteufel mit Jakobsmuscheln auf Spargel mit Spitzmorcheln im weißen Spargel fond", eine Versammlung von perfekt gegarten Elementen, deren abgestimmte Würzung - wie etwa die in Fond prächtig aromatisierten Morcheln - jedem Aroma seinen Platz läßt. Einen so guten Teller fin det man wirklich sehr, sehr selten. Ganz ähnlich wirkt auch bei sei nem Kaninchenrücken mit Schnecken und jungem Knoblauch eine klare Mechanik, wenngleich vielleicht etwas rustikaler im Geschmack und leider mit einem matten Tomatenconcassee. Daß man mit dieser Technik auch größere Schwierigkeiten bewältigen kann, beweisen die Kutteln mit Trüffeln, gebackener Langoustine, Krustentiersauce und einem feinen Salat. Das leicht säuerliche Aroma der Kutteln wird quasi geschmacklich zerlegt und jedem Teilaroma ein Element auf dem Teller zugeordnet. Die Säure etwa greift der Salat auf und veredelt sie, der Zwittergeschmack der Trüffel optimiert die
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leicht "unedlen" Zwischentöne, und die Langoustine verbindet sich mit der Textur der Kuttelstreifen und -stücke. Ob bewußt oder instinktiv: So jedenfalls wird daraus ein hochinteressantes Gericht. Also eitel Sonnenschein, wenn man von einem zu kalt servierten Amuse-Bouche-Element (einem Fischmedaillon) und dem völlig ver zuckerten Rhabarber beim Dessert absieht? Es kommt auf die Sicht weise an. Das "Allerlei vom Zicklein" mit Keule, gefüllter Schulter, den Mini-Kotelettes, Herz, Leber und Niere löst auch hier wieder Dis kussionen aus. Für viele Leute liegen gerade einmal sechs Wochen alte Jungtiere jenseits der Eßgrenze. Das Thema wird nahezu tabui siert und ist deshalb fast nie Gegenstand einer kulinarischen Betrach tung. Der Zartheitskult um junges und weiches Fleisch korrespon diert in der Spitzenküche oft geradezu mit einer Entwöhnung vom interessanten Geschmack ausgewachsener Tiere, reduziert also das Spektrum in einem kaum wünschenswerten Maß. Und auch Steiners Komposition rechtfertigt die Verwendung von Jungtierfleisch keines wegs, brät er die Stücke doch tatsächlich so kräftig, daß sie wie Bra ten von älterem Fleisch schmecken: ein beinahe bizarres Paradoxon. Darüber hinaus schien der Teller auch mit seinen Beilagen (unter anderem wenig gewürzte Bohnen, Kartoffeln nach Savoyer Art mit zuwenig Käse) zu schwach für die teilweise kräftigen Bratenkrusten. Ein Ärgernis ist im "Hirschen" die Weinbegleitung. Offen werden nur zwei Weißweine und ein Rotwein angeboten, die wie so oft leider von begrenzter Qualität sind. Der Wunsch nach einem wirklich passenden Wein für jedes Gericht konnte dem Gast also nicht erfüllt werden. Die statt dessen empfohlene halbe Flasche Grauen Burgunders von Dörflinger, ein gediegener Barrique-Wein aus Müllheim in Baden, paßte prompt extrem unterschiedlich: sehr gut zum Seeteufel, sehr schlecht zum Kaninchen, weil der junge Knoblauch heftig und un schön mit dem Wein reagierte. Auch der offene Rotwein (Spätbur gunder, Winzergenossenschaft Laufen) zum Zicklein wirkte völlig beliebig. Eine solch stiefmütterliche Behandlung von Wein und Essen sollte der Gast in einem Zwei-Sterne-Haus heutzutage nicht mehr finden. Dabei hat Steiner eine enorm tiefe Bordeaux-Sammlung, scheint aber Essen und Trinken nicht konsequent genug in einem Zusammenhang zu sehen. Restaurant "Hirschen", Hauptstraße 69, 79295 Sulzburg. Telefon 0 76 34/82 08. Montags und dienstags geschlossen. Reservierung empfohlen, auch mittags.
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Das "Tantris" in München
Dieses Haus ist einer der wichtigsten Orte der neueren deutschen Gastronomie. Im Jahr 1971 wurde es vom begeisterten Gourmet und Bauunternehmer Fritz Eichbauer erbaut, und Eckart Witzigmann, die Ikone der deutschen Gourmandise, stand dort als erster Koch am Herd. Ihm folgte 1977 Heinz Winkler, der heute in seiner Aschauer "Residenz" auf Drei-Sterne-Niveau kocht. 1991 übernahm der 44 Jahre alte Witzigmann-Schüler Hans Haas die Regie, der heute mit Paula Bosch, der prominentesten Weinkellnerin Deutschlands, ein höchst beachtliches Gespann bildet. Das "Tantris" liegt am Rande von München-Schwabing in wenig beein druckender Umgebung und ist von jeher wegen seiner auffälligen Archi tektur und Innenarchitektur umstritten. Der Grund ist eine sehr enge Verbindung in Farbe und Form zum Zeitgeschmack der siebziger Jahre, die so heute nicht mehr denkbar wäre und viele Gäste vor ästhetische Schwierigkeiten stellt. Gelingt es freilich, den relativen Geschmack von heute nicht mit dem von gestern kollidieren zu lassen, bleibt eine inte ressante Architektur mit einer - nicht zu vergessen - hohen funktionalen Qualität: die luftige Geräumigkeit etwa oder eine den roten Teppichen an der Decke zu verdankende gute akustische Dämmung ... Die Küche von Hans Haas, die Weine von Paula Bosch: Wer hier Gast ist, sollte und wird beides erleben wollen - ein interessantes und nicht ganz einfaches Unterfangen. Der in einer hauchdünnen Baguette-Tasche gebackene Kalbskopf mit Shii-Take-Pilzen und Rauke ist ein schönes Spiel mit den Texturen. Mit dem krossen Brot wirken die leicht sauer marinierten Pilze extrem zart, das Fleisch gibt ein leicht rustikales Aroma, von der Rauke kommt Frische. Die 1998er Riesling Spätlese trocken "Wallufer Walkenberg" vom Weingut J. B. Becker legt sich mit guter Säure und kräftigem Körper auch über die Säure der Vinaigrette und reagiert leicht mit der Rauke. Bei den "Lauwarmen Austern mit marinierter Foie gras und Pastinaken schaum" (etwas wenig von den Gänseleber-Spänen) könnte man beim Wein eine "fischige" Reaktion und damit eine Zerstörung der sensiblen Balance von Salz und Süße befürchten. Der 2000er Sauvignon Entredeux-mers vom Château Bel Air bleibt da neutral, liefert aber im Nach geschmack ausgeprägte Beerennoten. Eine gute Lösung also.
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Die ganz spezielle Problematik "Essen und Wein" illustriert dann der St.-Peters-Fisch mit etwas Hummer, einem süßen Kürbiskompott, schön gemüsigem Kürbis-Confit und einem Crevettenjus nach Bisque-Art. Schon das Essen erfordert Aufmerksamkeit wegen gewisser Akkord-Probleme: Zuviel von dem süßen Kompott etwa, und man schmeckt den Fisch nicht mehr. Nur mit dem Jus andererseits ge winnt er zwar an Kräftigkeit, verliert aber etwas von seiner Eleganz. Alles zusammen und in einer Proportion, die man geradezu ermitteln muß, schmeckt es grandios. Und dann der Wein, ein 1997er Chassagne-Montrachet Premier Cru "Les Macherelles": Er reagiert je nach Zusammenstellung unterschiedlich, aber eben auch unterschiedlich gut. Mal "paßt" er ohne große Spezifität, mal zündet er - etwa bei ei nem guten Kompottanteil - wie eine zweite Raketenstufe mit einem neuerlichen Schub ungewöhnlicher Fruchtaromen. Die Lehre kann nur lauten: Für eine weitgehende Ausschöpfung der Möglichkeiten bedarf es eines aufmerksamen Essers, der aktiv das Potential ergründet und letztlich nur so in den vollen Genuß der Dinge kommt. Ohne diese Konzentration bleibt wenig mehr als Zufälliges, das Beste ist nicht zwingend darunter. Und noch etwas wird klar: Die wohlfeilen Wein empfehlungen gehen normalerweise auf diese Problematik nicht ein. Das Duo Haas/Bosch liefert noch zwei weitere, sehr deutliche Bei spiele. Die "Fasanenbrust mit herbstlichem Gemüseragout und Ravio li" ist so dünn geschnitten, daß man ihr Aroma quasi nicht ermitteln kann. Dem Teller fehlt so der Schwerpunkt; das stärkste Aroma kommt vom Rotkohl. Der prächtige 88er Pommard ler Cru "Les Ru giens" von der Domaine de Montille hat damit keine Schwierigkeiten, steht aber - mangels Bezugspunkt - etwas neben dem Teller. Dafür gelingt ein furioser Abschluß mit den "Heidelbeertaschen mit Birnen und Macademia-Krokanteis", einem Dessert von selten guter Qualität. Variable Textur, begrenzter Zucker und feinstes Aromen spiel einerseits, dazu von Paula Bosch der 1996er "Botrys", ein tos kanischer Süßwein (Mastroianni) von eher "weiniger" Süße und mächtiger Botrytis-Note: in dieser Kombination nicht nur ein Akkord, sondern ein geradezu triumphaler Auftritt. Unterschiedliches also im "Tantris", das - auf hohem Niveau - interessante Probleme aufdeckt. "Tantris", Johann-Fichte-Straße 7, München. Telefon 0 89/3 61 95 90. Sonntags und montags geschlossen.
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Blick in fremde Töpfe Internationale Kochkulturen im Porträt
Kartoschka für alle
Früher war Essengehen in Moskau ein zweifelhaftes Vergnügen in abgedunkelten Sälen. Inzwischen hat sich aber auch dort eine bunte Gastro-Szene etabliert. Im "Käse" ist es gelb, hell und gemütlich. Natürlich hat er Löcher, an der Decke und in den Wänden. Auf den Tischen stehen kupferne Töp fe und Pfannen mit Deckeln, in denen eine Speisekarte aus gelbem Karton liegt. Das "Syr", russisch für "Käse", wartet mit allem auf, was Liebhaber italienischer Küche erfreut. Der Rucola-Salat mit den warmen geschälten Krabben und dem am Tisch gehobelten Parme san schmeckt so vorzüglich wie die Bandnudel mit Pfifferlingen und grünem Spargel. Vielleicht noch ein Stückchen Lachs? Oder lieber Ziegenbraten mit Thymian? Der italienische Charme der Heerschar junger Kellnerinnen und Kellner in schwarzen Hosen und grauen Schürzen ist zwar entwicklungsfähig, aber erst wenn sie sich um Punkt zehn Uhr um den Flügel gruppieren und "Santa Lucia" singen, wird endgültig klar: Das hier ist nicht Italien, sondern Moskau, direkt an der zentralen Ringstraße. Italienisch oder chinesisch, indisch oder usbekisch, thailändisch oder mexikanisch, afrikanisch, australisch - manchmal sogar russisch: In Moskau ist alles zu haben. Wer will, kann sich vom französischen Nobelkoch verwöhnen lassen, in tibetischen Restaurants speisen oder in Lokalen, die "Schwein", "Bavarius" oder "Münchner Hof" heißen, nach vermeintlich deutscher Art Haxen vertilgen. In einer Stadt, in der die Dichte von S-Klasse-Wagen und teuren Jeeps (deren meist stiernackige Fahrer übrigens die derzeit allerorten sprießenden Sushi-Bars bevorzugen) höher ist als sonstwo auf der Welt, findet sich auch für jeden Geschmack eine entsprechende Küche - solange die Geldbörse entsprechend gut gefüllt ist. Das war einmal anders. Blicken wir 15 russische Jahre - also eine halbe Ewigkeit - in die Sowjet-Zeiten zurück. Damals konnte man in der Stadt seinen Hunger in "Stolowajas", öffentlichen Kantinen, stil len. Dort nahm man als erstes ein halbnasses Plastiktablett in die Hand, stellte einen Napf Suppe und einen Teller mit wäßrigem Kar toffelbrei sowie einem zähen Stück Rindfleisch darauf und rundete
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das Ganze mit einem Krautsalat und einem Glas Brühe ab, in der ein paar Apfelstückchen schwammen. Dazu vielleicht noch ein Glas Kefir. Wer das mit dem Mut eines widerstandsfähigen Studenten ver schlungen hatte, der begriff auch, warum die Menschen in diesem Land einen so hohen Wodkaverbrauch haben. Die Alternative zur "Stolowaja" waren die "Kafe-Moroschenoje": Eiscafés, deren Auswahl sich auf eine Sorte Eis, halbsüßen und mit dem Vorbild Champagner nur sehr entfernt verwandten "Schampanskoje" (mit Eiswürfeln) so wie Limonade beschränkte. Zwar gab es auch in der Sowjetunion Restaurants mit passabler Küche, doch um in sie hineinzukommen, brauchte man entweder Beziehungen zum Personal, mußte den Türsteher bestechen oder mit dem bundes deutschen Paß herumwedeln. Heute ist Essengehen ein korruptionsfrei es Vergnügen geworden. In sowjetischen Restaurants brachten steife Kellner Sekt und Wodka, Kaviar und Stör, irgendwann spielte eine Ka pelle, und es wurde getanzt. Auch heute schätzen viele Russen beim Restaurantbesuch süße Klänge aus der Hammondorgel und den kunst losen Gesang über Liebesleid und Nostalgie. In Moskau, wo sich längst westlicher Zeitgeist breitmacht, nimmt die Zahl solcher Restaurants ab in der Provinz aber, wo die Sowjetunion noch weiterlebt, kann man dem Fluch der russischen Popmusik kaum entkommen. Doch auch bei der Restaurant-Beschallung gibt es Ausnahmen. Die Sänger im kleinen georgischen Café "Dioskurija" in Moskau muß man für ihre mehrstimmigen Improvisationen einfach lieben. Im "Vanil", einem kühl eingerichteten Restaurant an der Christi-ErlöserKathedrale, in dem asiatische wie europäische Küche exquisit zube reitet wird, paßt die Lounge-Musik perfekt zum Ambiente. Mit der Perestrojka kam zunächst nur langsam Bewegung in die kaum existente Restaurant-Landschaft der Hauptstadt. Vor einem neuen Kel lerrestaurant warteten wir Ende 1987 einmal zwei Stunden lang im Schnee, um dann Rindsgeschnetzeltes im Tontopf mit Sahnesoße und Kljukwa, der russischen Preiselbeere, zu verspeisen - was einem damals paradiesisch vorkam. Dann eröffnete der erste McDonald's am Puschkin-Platz, und die Moskauer standen in Schlangen, die sich mehrfach um den Platz zogen, stundenlang für einen Big Mac an. McDonald's war die Ankunft Amerikas in Rußland, es war sauber und irgendwie demo kratisch. Heute gibt es Dutzende Filialen der Burger-Kette in der Stadt, alle sind voll, und man kann es sich leisten, naserümpfend an den eins tigen Zufluchtsorten für den kleinen Hunger vorbeizueilen.
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Außerdem hat das Filial-Prinzip mittlerweile etliche Nachahmer ge funden, deren Essen schmackhaft und auch für normale Hauptstädter erschwinglich ist. "Kartoschka" etwa, benannt nach der Kartoffel, die die Grundlage russischen Essens darstellt: In kleinen Imbißbuden werden dort in Folie verpackte Riesenkartoffeln mit einer Auswahl an Soßen und Salaten angeboten. Wer etwas mehr ausgeben kann, be sucht eines der "Patio Pizza"-Lokale, die sich auf Familien mit Kin dern eingestellt haben, oder geht zu "Jakitorija", der japanischen Restaurant-Kette. Auch die usbekische und aserbaidschanische Kü che hat mit Ketten namens "Kisch-Misch" und "Schesch-Besch" ihren Siegszug in der Mittelpreis-Gastronomie angetreten. Vorreiter der Idee, daß Essengehen nicht nur eine Sache für die obe ren Zehntausend sein muß, war die Kette "Jolki-Palki", die im Zent rum Moskaus an mehreren Stellen ihre "Traktiry" eröffnete, wie die Schenken für den Reisenden traditionell heißen. Im "Jolki-Palki" zum Beispiel steht ein Pferdewagen im Mittelpunkt des Restaurants, auf dessen strohgedeckter Fläche sich alle "Zakuski" genannten Vorspei sen finden, für welche die russische Küche berühmt ist: Salate aus Kraut, Möhren, roten Beten und Kartoffeln, mit oder ohne Mayonnai se. Außerdem eingelegte Gurken, Tomaten und Knoblauchknollen, marinierte Pilze, Heringshappen, Sülze, dazu Kartoffeln oder Buch weizengrütze. Auch alle anderen Standards der russischen Küche wie die Borschtsch oder die Krautsuppe Schtschi werden hier gereicht, ebenso Blini, dünne Pfannkuchen, die mit Kaviar oder mit Smetana, der russischen Crème fraîche, verspeist werden. Suppen und Vorspeisen sind zweifellos die Höhepunkte der russi schen Küche, an die in der Regel Hauptgerichte nicht heranreichen, wenn auch Stör, Zander oder Lachs oft ordentlich zubereitet werden. "Oblomow" ist ein nach der Romanfigur des Dichters Gontscharow benanntes russisches Restaurant, in dem man gleichsam im Wohn zimmers des russischen Landadligen - Symbol für sympathische Ge nußsucht und Trägheit - die Landesküche serviert bekommt. Natür lich nicht ohne Wodka in allen Variationen, sei er nun auf Meerrettich oder auf Moosbeeren angesetzt. Solch ein grünlich schimmernder Selbstgebrannter wärmt einem dank seiner 70 Prozent ganz ordent lich die Seele. Die alte Grundregel, wonach die Speiseräume in dunklen Kellern ver steckt werden oder aus denen das Tageslicht zumindest mit schwe ren Samtvorhängen ferngehalten wird, ist mittlerweile weitgehend
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außer Kraft gesetzt. Im Vergleich zum Westen fallen russische Re staurants allerdings immer noch durch ihr vieles Personal auf. Die Überaufmerksamkeit der Kellner wird schnell lästig, wenn alle zwei Minuten nachgeschenkt oder einem der Teller wenige Sekunden nach dem letzten Bissen weggerissen wird. Viele, die lieber ungezwungen unter ihresgleichen speisen wollen, treffen sich deshalb in exklusiven Club-Restaurants. Allerdings ist Essengehen noch lange keine Selbstverständlichkeit. 15 bis 20 Euro gibt man pro Person in einem billigen Lokal aus, 50 in einem guten und mehr als 100 in einem sehr guten - von den super teuren ganz zu schweigen. Die meisten Moskauer können sich das nicht leisten, viele geben ihr Geld lieber für etwas anderes aus. Es sengehen ohne besonderen Anlaß gehört nicht zum Lebensstil der Mehrheit: Von den Moskauern zwischen 16 und 60 Jahren besuchen zwei Drittel überhaupt nie ein Restaurant, nur neun Prozent sind re gelmäßige Restaurantgänger, die mindestens einmal im Monat Essen gehen. In einer Stadt wie Moskau sind das freilich immer noch eine halbe Million Menschen.
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Easy cookin' in Kalifornien
Endlich kann man sich als Europäer wieder in Amerika sehen lassen. Und die Westküsten-Küche zeigt, daß wir dort gastronomisch sogar etwas lernen können. Ein paar Tips von Ursula Heinzelmann. Das kleine Städtchen Yountville im kalifornischen Napa Valley, an derthalb Autostunden nordöstlich von San Francisco, war lange Zeit für sein Kriegsveteranenheim bekannt, das vor allem Kneipen und Bordelle florieren ließ. Heute jedoch könnte man sich in einem fran zösischen Bilderbuchdorf mit gepflegten Häusern und Gärten wäh nen, an denen im Morgennebel die Weinliebhaber vorbeijoggen, um den Kopf von den Nachwehen vorabendlicher Genüsse zu befreien. Vielleicht haben sie zwölf Stunden zuvor im "Bistro Jeanty" Kalbsnie ren mit Senfsauce gegessen oder in der "Brasserie Bouchon" ein "Poulet Roti a la Nicoise". Vielleicht ist es ihnen aber auch durch gute Beziehungen oder mit viel Glück gelungen, einen Tisch bei der besten Adresse Yountvilles und gleichzeitig einem der berühmtesten Restau rants der Vereinigten Staaten zu ergattern, "The French Laundry" (Telefon 707/9442380). Das 1900 erbaute, unscheinbare zweistöckige Holzhaus hatte beweg te Zeiten als französische Dampfwäscherei, Saloon und Bordell hinter sich, als es schließlich in ein Restaurant mit idyllischem Garten um gestaltet wurde. 1994 trat Thomas Keller als Besitzer und Küchen chef in Erscheinung und sorgte bald für Furore, die 2001 in der Er nennung zu "America's Best Chef", Amerikas bestem Koch, durch die Zeitschrift "Time" ihren Höhepunkt fand. Am besten lernt man den Keller-Stil mit dem "Tasting Menu" kennen, einer Folge von zwei Bis sen großen Mini-Gerichten. "Ich möchte, daß meinen Gästen der ers te Schock, diese Überraschung in Erinnerung bleibt, wenn sie ihren Appetit und ihre Neugier befriedigen", sagt der ebenso ehrgeizige wie ernsthafte 47 Jahre alte Koch. Jedes Essen beginnt mit einem "Eis", einer kleinen Waffeltüte mit einer Kugel Lachstatar. Es folgen mindestens fünf Gänge - doch läßt man dem Chef freie Hand, werden auch schnell zwölf, 16 oder noch mehr daraus. Geradezu genialisch sind dabei ungewöhnliche Kombi nationen wie "Oysters and Pearls", ein sahniger Sabayon mit Tapio ka, Austern und Kaviar, oder "Beets and Leeks", in Butter pochierter Hummer mit gedünstetem Lauchgrün und einer Rote-Bete-Essenz. Andere Gerichte, etwa das Milchlamm und die gebratene Stopfleber
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mit marinierten Kirschen, zeichnen sich durch hervorragende, meist regionale Grundprodukte aus, wobei auch bei ihnen stets deutlich wird, daß hier mit akribischer, um nicht zu sagen besessener Genau igkeit gekocht wird. Ist dies nun die vielzitierte Californian Cuisine? Nicht ganz. Das Lachstatar-Tütchen wäre zwar darunter zu subsummieren, aber das starre Ritual, mit dem es erst am Tisch und nicht schon zum unge zwungenen Aperitif im Garten gereicht wird, ist neben gedämpftem Licht und sakraler Stille Anzeichen dafür, daß hier dem großen Gott der französischen Haute Cuisine gehuldigt wird. Und zwar mit einem unerbittlich präzise funktionierenden Service, wie man ihn in Amerika vor allem an der Ostküste gewohnt ist. Keller hat sich mit der "French Laundry" längst von der kalifornischen Küche emanzipiert, beschreibt seine Kreationen dementsprechend als "zeitgenössisch amerikanisch mit französischen Einflüssen" und sich selbst als "von der steten Suche nach Perfektion angetrieben". Da er selbst die Nähe zu seinen Gästen eher meidet, macht man sich mit Kellers Konzept am besten anhand seines zu Recht hochgelobten "French Laundry"Kochbuchs vertraut. In Yountville selbst wirkt die pittoreske Kulisse des alten Hauses mit Kräuter- und Gemüsegarten heute wie ein zu enges Korsett, und so ist es keine Überraschung, daß Keller Anfang nächsten Jahres in New York ein Restaurant "im Geist der French Laundry" eröffnen wird. Wo aber erlebt man echte Californian Cuisine? Zum Beispiel im "Mustard's Grill", das nur einen kurzen Spaziergang von der French Laundry entfernt liegt (Telefon 707/9442424). Seit 20 Jahren trifft sich nicht nur die Napa-Valley-Weinszene bei Cindy Pawlcyns unbe schwerter Küche, in der asiatische Elemente auf europäische und mexikanische treffen, wobei Räucherofen und Holzgrill gekonnt zum Einsatz kommen. Die Weinkarte steht übrigens unter dem Motto "Way too many Wines", viel zu viele Weine - hier geht es entspre chend lustvoll zu. Ein Mittelding zwischen der "French Laundry" und dem "Mustard's Grill" ist das ländlich-gemütliche "Farmhouse Inn" in Forestville (Tele fon 707/8873300) der Familie Bartolomei, eine gute Autostunde wei ter westlich in den Wäldern des Russian River Valley in Sonoma Coun ty gelegen. Küchenchef Steve Litke perfektioniert dort mit heimischen Spitzenprodukten wie Jakobsmuscheln, Entenstopfleber oder Kanin chen die Ideen, die das inzwischen zum Denkmal erstarrte "Chez Pa nisse" in Berkeley berühmt gemacht haben, während der Service fran
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zösischen Charme mit kalifornischer Herzlichkeit verbindet. Die kalifornisch-europäische Käseauswahl ist übrigens ebenfalls mustergültig. Eine großstädtische Variante dazu ist das "Slanted Door" an der Bay Bridge in San Francisco (Telefon 415/8618032), in dessen Speisesaal es laut und fröhlich zugeht. In der offenen Küche wird auf hohem Niveau "vietnamesisch" gekocht, wozu die deutschen, österreichi schen, französischen und amerikanischen Spitzenweine hervorragend harmonieren. Alles andere als gedämpft ist auch die Atmosphäre im "Frascati" an der Hyde Street (Telefon 415/9281406), was nicht zuletzt an den italienischen Opernarien liegt, mit denen die Gäste unablässig be schallt werden und die neben den mediterranen Elementen auf dem Teller deutlich machen, an welcher Landesküche man sich in dem gemütlich-engen Restaurant am Rande des Russian-Hill-Viertels ori entiert. Kurzgebratene kanadische Gänsebrust mit Ricottaklößchen und Steinpilzen passen wie der Pazifik-Wildlachs auf Sommergemü sen hervorragend zu der guten Auswahl an Pinot-Noir-Weinen aus Sonoma und werden gutgelaunt und mit viel Engagement serviert. Buchstäblich an der Spitze liegt das "Cielo" im exklusiven VentanaHotel in Big Sur, hoch über den steilen Klippen des Pazifik am High way Nr.1 (Telefon 831/6674242). Auf der Terrasse ist man dem Himmel wahrhaft nahe und kann beim Essen am Horizont manchmal sogar Buckelwale beobachten. Matt Millea arbeitet sich in der Küche gekonnt an einer Vielzahl von Stilen ab, die ihre Ursprünge in Japan ebenso wie im Mittelmeerraum haben - dennoch wirkt das Ergebnis nicht gekünstelt. Alle Zutaten stammen aus ökologischem Anbau, vieles kommt aus dem eigenen Garten, und die Weinkarte bringt einem dem Himmel noch ein wenig näher. Die Kombination aus Qualitätsbewußtsein und unverkrampfter Atmo sphäre, die einen Großteil der genannten Restaurants ebenso wie unzählige weitere in Kalifornien auszeichnet, sucht man in Deutsch land leider meist vergeblich. Aufschlußreich ist dabei eine Begeben heit, die sich vor 20 Jahren zugetragen hat und möglicherweise als offizielle Geburtsstunde der Californian Cuisine gelten kann. Geschil dert hat sie Jeremiah Tower in seiner soeben in den Vereinigten Staaten erschienenen, skandalträchtigen Autobiographie "California Dish". Tower, damals Küchenchef des bahnbrechenden "Chez Panis se" in Berkeley, war für eine Werbeveranstaltung an der Ostküste engagiert worden. Das aufwendige Schaukochen für mehr als 100
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Journalisten aus ganz Amerika sollte den Bekanntheitsgrad und Ab satz kalifornischer Cranberries fördern, wobei Tower für den Lunch verantwortlich war, während man für das Abendessen Guy Savoy samt seiner Brigade aus Paris eingeflogen hatte. Die Franzosen aber drängten Tower und sein Team rücksichtslos aus der engen Küche des luxuriösen Landsitzes und ließen ihnen keine andere Wahl, als zu improvisieren. Auf showträchtige Art bereiteten sie die gesamten vier Gänge des Mittagessens am Mesquite-Holzkohlengrill unter freiem Himmel zu. Die Anwesenden waren ausnahmslos begeistert von die ser kalifornischen Küche: gute Produkte, unkomplizierte Zubereitung - und viel Spaß.
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Quallen unerwünscht
Aus dem Urlaub zurück und noch Appetit auf ein paar landestypische Spezialitäten? Pech gehabt, bei uns ist das Original kaum zu haben. Im spanischen Restaurant in Düsseldorf stochert man in einer "Pael la" herum, die so gar nichts mit dem guten Reisgericht zu tun hat, das es während des Urlaubs in dem kleinen Dorf bei Cádiz gab. Mit Erbsen, Paprika, Hähnchen, Miesmuscheln und Fischstücken sieht sie zwar appetitlich aus, aber sie ist naß, die Kruste fehlt, der Reis klebt nicht, und der Geschmack ist ein völlig anderer. Was spanische Re staurants in Deutschland ihren Gästen servieren, erinnert nur sehr entfernt an echte spanische Küche: Nirgendwo in Spanien, außer in deutschen Restaurants in Ferienzentren, gibt es Hähnchen in Hum mersauce - wohl aber beim Spanier um die Ecke. Auch die Pizza sieht in Deutschland nicht nur völlig anders aus als in Italien, sie schmeckt auch so. Am wenigsten hat das Essen im deutschen Chinarestaurant mit dem gemein, was in China gekocht wird. Die Gäste akzeptieren es, denn sie kennen es nicht anders. Und die Köche berufen sich meist auf den deutschen Geschmack, dem sie mit ihren Gerichten entgegenkämen. Tatsächlich sind oft die Kosten schuld. Eine richtige Paella bekommt ihre gelbe, manchmal orange-rötliche Färbung durch Safranfäden, das aus Krokussen gewonnene teuerste Gewürz der Welt. Billiger geht es mit Farbstoff. Aber Safran gibt nicht nur Farbe, sondern auch Geschmack. Eine echte Paella wird im Ideal fall in einer großen Pfanne über Holzfeuer gebraten. Das Holzfeuer muß zuerst sehr heiß sein und später eine schwächer strahlende Glut abgeben. Nur so kann der Reis an der großen, gußeisernen Form etwas anbacken, wodurch die besonders wohlschmeckende Kruste entsteht. Aber in welcher Küche ist schon Platz für ein großes Holz feuer? Dabei war die Paella eigentlich ein Armenessen. Früher stell ten die Landarbeiter in der Umgebung von Valencia eine Pfanne aufs Feuer, in der sie Reis kochten. Hinein taten sie das, was gerade da war, vor allem Schnecken und Gemüse, manchmal auch Kaninchen fleisch. Der Reis sollte den Geschmack der anderen Zutaten anneh men. Viele Spanier essen noch heute nur ihn und lassen sogar Mu scheln oder Gambas liegen. Die "Touristenpaella" dagegen wird in der Küche oft einfach aus vorgekochtem Reis und bereits gegarten Zutaten zusammengeschüttet.
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"Niemand ist bereit, für einen Vorspeisenteller mit frischen Gambas dreißig bis vierzig Euro zu zahlen", sagt Pedro Hernandez von der Solinger "Casa Pedro", weshalb man auf Tiefkühlware ausweichen müsse - frische Gambas sind in Deutschland eben dreimal teurer als in Spanien. An Paella mit Kaninchen braucht Hernandez erst gar nicht zu denken: "Da muß nur jemand ein Kaninchen als Haustier haben, dann ißt er das schon nicht." Statt dessen stehen bei ihm Gerichte wie Schweinefilet in Senf- oder Champignonsauce auf der Karte, "weil die Leute das wollen, auch wenn es nicht spanisch ist. Wer das nicht hat, braucht in Deutschland erst gar kein spanisches Lokal aufzumachen." Immerhin kann Hernandez seine Speisen inzwi schen mit Olivenöl zubereiten: "Noch vor ein paar Jahren sind die Leute ausgerastet, weil es ihnen nicht geschmeckt hat - so wie vor zwanzig Jahren beim Knoblauch." Experimente? Bloß nicht! Wie andere ausländische Küchen steht hierzulande auch die spani sche Gastronomie in dem Ruf, billig und sättigend zu sein - für viele Gäste immer noch die Hauptkriterien bei der Restaurantwahl. Wolf gang Habedank von der Gastronomieinitiative "NRW kulinarisch" schätzt den Anteil der ausländischen Restaurants in vielen Großstäd ten auf an die 60 Prozent. Und allein im Ruhrgebiet geben jeden Mo nat 15 deutsche Lokale auf. "Die ethnischen Lokale sind billiger, und sie haben sich angepaßt", sagt Habedank. Aber es geht nicht immer nur ums Geld. Die eigentlich einfache Pizza zum Beispiel mögen die Deutschen am liebsten reich belegt. Früher rollten die Einwohner Neapels Hefeteig dünn aus, legten Tomatenfleisch, Kräuter und allenfalls noch ein paar Sardellen darauf und garten die Pizza in holzbefeuerten Öfen. Am 1. Juni 1889 besuchte das italienische Königspaar Neapel, und weil sie sich volksnah geben wollten, bestellten sie eine Pizza. Man servierte sie ihnen mit weißem Mozzarella, roten Tomaten und grünen Basili kumblättern als eine Art kulinarische Nationalflagge - die Pizza Napo letana war geboren. Sechs Jahre später eröffnete ein Neapolitaner in New York die erste Pizzeria, von Amerika aus trat sie ihren Siegeszug um die Welt an, und man garnierte sie fortan mit allem. In deut schen Imbißstuben landet mitunter fettiges Gyrosfleisch darauf, in Leipzig wurde schon "Pizza Letscho" gesichtet. Ausgerechnet in Ita lien wurde die Pizza aber erst in den siebziger Jahren des vergange nen Jahrhunderts populär - vermutlich weil deutsche Urlauber dort essen wollten, was sie von zu Hause als "typisch italienisch" kannten. Die Ur-Pizza mit ihrem dünnen, knusprigen Teig sucht man auch in
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Italien oft vergeblich - sie hat sich eben den veränderten Ansprüchen angepaßt. Und wagte es ein Pizzabäcker in Deutschland, sie so sparta nisch zu belegen wie einst in Neapel, die Gäste würden sich beklagen. Ein ähnliches Schicksal ereilte die Nudel. In Deutschland wird sie in fettigen, schweren Sahnesaucen ertränkt oder mit Hackfleischklum pen oder Speckstreifen erschlagen. Dabei "darf eine Nudel nicht schwimmen", sagt Antonino Esposito vom Sulzburger Restaurant "La Vigna". Es sollte immer nur so viel Sauce zur Pasta gegeben werden, daß deren jeweilige Form die Sauce völlig aufnehmen kann. Aber viele Deutsche bevorzugen eine Art Nudeleintopf. Andere ausländische Lokale zeichnen sich durch eine völlige Ent schärfung aus: Welcher Inder würde sich trauen, bei uns Gerichte so stark zu würzen wie in seiner Heimat? Manches Gericht wird für westliche Gaumen so zwar erst erträglich, verliert aber seine regio nale Usprünglichkeit. Neben der Zubereitung werden auch die Zuta ten variiert, weil sie entweder nicht verfügbar oder den Kunden nicht zumutbar sind. Welches indische Restaurant könnte es sich leisten, Rattenfleisch anzubieten, obwohl Ratten in Indien eine beliebte Vor speise sind? Welcher Vietnamese könnte mit gegrillten Mäusebabys in einer Sauce aus Knoblauch, Chili, Ingwer und Koriander bestehen? Und welcher Thailander würde sich trauen, gekochte Büffelpenisse anzubieten? Die größte Vergewaltigung allerdings muß immer noch die chinesi sche Küche über sich ergehen lassen. Was in den überdekorierten deutschen Chinarestaurants angeboten wird, stammt (wie etwa in donesisches Nasi oder Bami Goreng) entweder gar nicht aus China oder wird (wie Huhn süß-sauer und die mit einer undefinierbaren Masse gefüllten Frühlingsrollen) einer Anpassung an den deutschen Geschmack unterzogen. Dergleichen würde in New Yorks China Town und selbst in einem chinesischen Restaurant in Amsterdam kaum jemand bestellen. Immerhin traut sich der Küchenchef des Interconti-Hotels in Hongkong, die südkantonesischen Dim-Sum-Häppchen mit Qualle zu füllen, welche dort von Amerikanern und Europäern ebenso vergnügt gegessen werden wie im Brooklyner "River Café". Wer aber würde sich das in Deutschland trauen? Liu Zihua, Träger der weißen Mütze eines "staatlich gekrönten Meisterkochs", erinnert sich in seinem Kochbuch "Die echte chinesische Küche" an seine Er lebnisse in Deutschland: "Manche erforderlichen Lebensmittel waren
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anders, und die Bedingungen, chinesisch zu kochen, waren nicht vorhanden. Was besonders ungewohnt war, waren die unterschiedli chen Kriterien des Geschmacks und der ästhetischen Form des Es sens in den beiden Ländern, so daß ich es manchmal nicht akzeptie ren konnte." Viele sehr gute Speisen einer hochintelligenten, manchmal artifiziellen Küche bleiben den Deutschen so vorenthalten. In welchem chinesischen Restaurant in Köln, Zweibrücken oder Schwerin stehen Haifischflossen auf der Karte, kleingeschnitten wie Nudeln und geschmort mit Hähnchenfleisch, Reiswein und Lauch? Oder rohe Jakobsmuscheln mit Drachenbrunnentee? Die meisten Deutschen wollen immer noch nur das essen, was sie kennen - also trocken übergarte Pekingente im Pekingenten-Haus. "Viele Chinesen hier haben sich vor dreißig, vierzig Jahren dem Ge schmack der Deutschen angepaßt", sagt Andy Xu vom Berliner "Kang Feng", und seither hätten sie mit Rücksicht auf ihre Stammgäste nichts mehr an ihrem Kochstil geändert. Damals gab es zum Beispiel kaum frische Zutaten, sagt Xu, aber bis heute komme Gemüse aus der Dose ins Chinaessen - "und so schmeckt es dann auch".
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Eine ausgekochte Insel
Hier nimmt man beim Essen gern den Mund voll: Tasmanien am Südzipfel Australiens ist eine kulinarische Kolonie "Isn't it yummy?" fragt Cheryl, die Führerin, während sie ein Stück Lachs aufspießt. Yummy. Dieser Vokabel ist kaum zu entgehen, wenn man nach Tasmanien reist. Iß Gutes und sprich darüber - das scheint neuerdings die Devise der örtlichen Fremdenverkehrswer bung zu sein. Die Insel im Südosten Australiens hat nämlich ein Imageproblem: Sie sieht anders aus, als der Europäer sie sich vor stellt. Der denkt an Teufel und Tiger, an bemalte Eingeborene, un durchdringliches Buschwerk und vielleicht noch an Port Arthur, die berüchtigte Strafkolonie des neunzehnten Jahrhunderts. Aber all das ist längst Geschichte. Der Busch ist gerodet, Port Arthur ein Museum, und von den Eingeborenen hat keiner die Kolonialherr schaft überlebt. Die Fauna soll nach wie vor reich sein. Da aber die meisten Tiere nachtaktiv sind, bekommt man sie vornehmlich schla fend im Zoo oder überfahren auf der Landstraße zu sehen. Aber schön ist Tasmanien geworden; und wäre da nicht der Türkiston im Wasser und der Bonbonstandgeruch in der Luft, könnte man bis weilen meinen, an einem englischen Badeort zu sein. Tatsächlich sind die Einwohner stolz auf diesen europäischen Einschlag, und es macht Spaß, die subtilen Unterschiede zu erforschen. Aber dafür allein bucht kaum jemand eine so weite Reise. Etwas typisch Tasmanisches mußte her, und es fand sich im guten Essen. Britische Buttertürme. Daß dahinter mehr steckt als ein Werbegag, merkt der Besucher schon am ersten Abend, im Restaurant "Stillwater" in der zweitgröß ten Stadt Launceston, das allerdings laut Cheryl auch das beste auf der Insel sein soll. Der rohe Lachs auf sauren Mango-Streifen ist wirklich ausgezeichnet. Auch die Oktopusstreifen mit Chili und Kori ander und die Garnele mit Zitronengras und Erdbeeren gefallen mit ihrer verhalten exotischen Eleganz, die den frischen einheimischen Produkten nicht die Schau stiehlt. Ist das jetzt tasmanische Küche? Nein, sagt Kim Seagram, die Chefin, das ist "Thai-Japan-Fusion". Sie
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ist selber begeistert: "Isn't it yummy?" ruft sie zwischen den Bissen; und auch mit vollem Mund reicht es noch immer zu einem lustvollen "Mmmmm . . ." Der Besucher lernt, daß Genuß zu zeigen üblich ist. Worauf der Genuß gründet, ist schwieriger zu bestimmen, denn alles auf dieser Einwandererinsel scheint eine oft kühne Vermengung fremder Einflüsse zu sein. Auch der nächste Konkurrent des "Stillwa ter", das kleine Lokal "Fee & Me" im selben Ort, ist mit Gerich ten wie Lammhirn auf Kapernsoße und jungem Spinat nicht so bo denständig, wie sein Wohnzimmercharme es verspricht. Aber man erkennt zumindest die Konturen: mehr Fleisch, mehr Butter und alles zu Türmchen gehäuft, dem angelsächsischen Beitrag zur Nouvelle cuisine. Auch hier erlebt der Besucher einen Begeisterungssturm, nachdem er aufs Geratewohl auf einen Posten der Weinkarte tippt. "Eine ausgezeichnete Wahl, so ein herrlicher Wein", ruft der Somme lier, und die Herrschaften an den Nebentischen blicken wohlwollend herüber. Der Weinbau zählt zu den liebsten Steckenpferden der Tasmanier. Alle paar hundert Meter lädt ein Schild zum Gutsverkauf ein. Im e benerdigen "Keller" des ältesten Weinguts Moorilla im Osten dröhnt aus Lautsprechern Wagner: Angeblich hilft das dem Wein, sich zu entwickeln. Die Minibar der gutseigenen Besuchersuite umfaßt vierzig ausgewachsene Flaschen. Die meisten kann man zunächst im offe nen Ausschank probieren. Bei den anderen hängt ein Zettel mit der Aufschrift: "Der Winzer wird Ihnen auf Anfrage seine ehrliche Mei nung darüber mitteilen." Die filigranen Rieslinge und Pinot Noirs schmeicheln dem Geschmack des Europäers mehr als mancher flüs sige Vorschlaghammer vom australischen Festland. Aber sie mit nach Hause zu nehmen käme einem vor, als trüge man Eulen nach Athen. Die Tasmanier sehen sich gern als Traditionalisten. Wie weit die kuli narische Tradition indes reicht, ahnt man rasch, wenn einem der Winzer den Gedenkband zum zehnjährigen Bestehen seines Guts präsentiert. Die meisten auf der Insel ernähren sich wie ehedem nach einer Philosophie, die im Namen der Gaststättenkette "Speed Feed" ihren treffendsten Ausdruck findet. In diesem Marktsegment grassiert derzeit das Wurstfieber, das unter anderem die "Dagwood Dogs" hervorgebracht hat. Es handelt sich dabei um Würste mit ei nem dicken Teigmantel, der sich in der Friteuse mit Fett vollsaugt und totale Sättigung garantiert. "Kein Wunder, daß die Kinder hier jedes Jahr fetter werden", meint Cheryl.
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Bratwurst und Beeren. Der Verantwortliche ist rasch gefunden: Ein Deutscher namens Mi chael Veit betreibt auf dem Wochenmarkt von Hobart, der Haupt stadt, den "Silver Hill Bratwurst"- Stand. Der gelernte Bauingenieur ist seit 1994 im Geschäft und verdienter Botschafter der deutschen Gastlichkeit: "Damals kannten die Leute hier noch gar keine Wurst. Heute essen sie auch das Kraut dazu, und ich gewinne Preise." Mit Recht: Veits Würste schmecken tatsächlich, und der Stand läuft so gut, daß sich längst pseudo-teutonische Trittbrettfahrer wie "Large Bratwurst" und "Super Bratwurst" in der Nachbarschaft breitgemacht haben. Beliebt ist auch das "Elephant Pass Café", das im Landesinneren von einem amerikanischen Spaßvogel geführt wird. Die Elefanten gibt es gar nicht; aber den Touristen, die eben noch über die Pinguinwarn schilder auf der Landstraße gestaunt haben, kann man es ja erzäh len. Das Blockhaus wurde laut Eigenwerbung "im europäischen Stil" angelegt. Tatsächlich entdeckt man zwischen Elefanten-Nippes aller Art Beweise wie ein Bayern-Fähnchen und einen Aufkleber "Vorsicht Dachlawine". Kein Souvenirverkauf, das steht groß an der Tür. Dafür gibt es gefrorene Hühnersuppe zum Mitnehmen. Cheryl sagt: "Der normale Tasmanier kocht furchtbar, auch wenn er es nicht weiß. Da ist es wohl wirklich besser, er kauft seine Suppe hier." Von einer Insel der Genießer ist Tasmanien noch weit entfernt. Doch gerade darum haben sich hier ausgedehnte Gourmetnetzwerke ge bildet. Nicht weit vom Elefanten-Café liegt zum Beispiel "Kate's Strawberry Farm", die anerkannt beste Ressource für Beeren. Kate Bradley, eine handfeste Frau, empfängt die Gäste im Blaumann. Es ist so viel zu reparieren auf dem Hof. Viel Gewinn bringt er ihr nicht. Es geht um Stolz, sagt sie: "Mein Beruf ist, mit Beeren die Menschen glücklich zu machen." Sie zerdrückt in der Hand eine ihrer Erdbee ren, und der Saft läuft heraus: "Versuchen Sie das mal mit einer aus dem Supermarkt." Bucht, Blick, Bügelbrett. Kate verkauft allerlei Erdbeerprodukte von Räucherstäbchen bis zu sechs Sorten Wein. Welcher ihr am besten schmeckt? "Keiner, ich kann das Zeug nicht mehr sehen." Sie verabschiedet die Gäste mit
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einem Döschen Himbeermarmelade und dem Versprechen, auch in Zukunft die Menschen glücklich zu machen. Das beste Essen ist das letzte, ein improvisiertes Picknick vor einem Landhaus nahe Port Arthur mit Blick auf die Bucht und einem Bügel brett als Tisch. Cheryl hat Bellon-Austern und einen der berühmten tasmanischen Taschenkrebse mitgebracht, dazu Spargel mit Olivenöl, Mango und Limetten aus ihrem Garten. Alles schmeckt ein wenig anders, als man es kennt. Die Austern sind fester, der Krebs ist sü ßer, und der Spargel hat eine rauchige Note. Die Dämmerung färbt die Wolken rot. Schwäne ziehen vorbei. Sie sind hier schwarz. "Die sollen gut schmecken", sagt Cheryl. Bei Licht betrachtet, wäre das Picknick eine arge Schweinerei. Die auf der Wiese entsorgten Austernschalen wirken deplaziert, Verwer tungskreislauf hin oder her. Das Olivenöl verteilt sich im Abendwind tankerunglückhaft auf den Tellern, um dann im Tischdeckenersatz, einem Badetuch, zu versickern. Der Besucher, der sein Geschick beim Krebsknacken überschätzt hat, wickelt seine blutenden Finger in die Serviette. Für einen "Convict Port" ist noch Zeit. Er wurde früher von den Kolo nieinsassen für ihre Bewacher gekeltert und scheint sie jedenfalls nicht vergiftet zu haben. "Yummy", sagt Cheryl zum letzten Mal auf dieser Reise, und der Besucher beschließt, das Wort von nun an zu mögen. MICHAEL ALLMAIER
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Wo ein Schwein noch was gilt
Die Spanier haben ein Lieblingstier. Das verehren sie, noch lieber aber essen sie es. In Form von Paprikawurst, Schinken oder Filet. Es war an einem Morgen im Jahr 1838, als die französische Schrift stellerin George Sand und der Komponist Frédéric Chopin nach lan ger Wartezeit vom spanischen Festland aus nach Mallorca übersetzen durften. Die Schweinepest, die auf der Insel gewütet hatte, war ein gedämmt, das Embargo gegen Mallorca aufgehoben worden. Den beiden war es trotzdem nur mit viel Glück gelungen, zwei Plätze auf dem Dampfer zu ergattern. Die begehrten Tickets waren denen vor behalten, die für die Spanier am wichtigsten waren: die Schweine. So saßen Sand und Chopin inmitten einer Herde Rüsseltiere, und Sand beklagte sich, die Tiere seien "schmutzig und wüst". Es dauerte aber nur wenige Jahre, bis sie dieses unangenehme Erlebnis vergaß und die spanischen Schweine als "die schönsten Tiere der Welt" bezeich nete. Das Schwein in Spanien - nirgendwo wird es so geliebt. Aber es ist eine praktische Liebe: a cada puerco le llega su San Martín heißt ein spanisches Sprichwort - "für jedes Schwein kommt einmal sein Mar tinstag". Wenn im Herbst die Ernte eingebracht ist, legt jeder Bauer ein Wochenende für die Hausschlachtung, die Matanca, fest. Nach altem Volksglauben müssen die Männer vor dem Schlachttag sexuell abstinent sein, sonst vergärt das Mett. Es ist kein Zufall, daß ausgerechnet das Schwein bei den Spaniern so beliebt ist. Nachdem die Iberer schon zu römischer Zeit Schweine gezüchtet hatten, verboten die Araber während ihrer Herrschaft den Verzehr des "unreinen" Fleisches. Nach der christlichen Rückerobe rung wurde das Schwein abermals zum Unterscheidungsmerkmal zwischen den Religionen. Wer sich dem Verzehr von Schweinefleisch verweigerte, geriet in den Verdacht, kein gläubiger Christ zu sein. Ein kastilisches Sprichwort lautet: "Der Schinken vermag eher zum Christentum zu bekehren als die heilige Inquisition." Heute noch ist Spanien ein echtes Schweineland. Die Spanier sind EU-Spitzenreiter im Verzehr mit durchschnittlich 66,5 Kilogramm Schweinefleisch pro Kopf, ein Kilo mehr als im Vorjahr. Damit
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verbrauchen sie mehr als zweieinhalbmal so viel Schweinefleisch wie die Briten, die es zuletzt auf 24,7 Kilo brachten. Der Deutsche schafft, auf Rang vier, nur einen Durchschnittsverbrauch von 52 Kilo. In keinem anderen Land der Welt rankt sich in Küche und Mythologie so viel um das Schwein wie in Spanien, hinweg über alle ethnischen und geopolitischen Barrieren. Basken, Katalanen, Galicier, Andalusier - sie alle wollen sein Fleisch. Sogar mit dem Mond brachte man es in Verbindung: In früheren Zeiten durfte es nur bei abnehmendem Mond geschlachtet werden. "Der Mond ist mir egal", sagt Jorge Ibaniez und wetzt das Messer für das Schlachtfest der Mallorquiner, das Ses Matances. Ein quiekendes Cerdo Iberico wird auf den kleinen Hof hinter der Finca bei Inca im Inselinneren gezerrt, Jorges Bruder Esteban packt das dunkelborstige Schwein an den Hinterläufen, während Jorge das Messer an der Keh le ansetzt und kräftig von vorne nach hinten durchzieht. Die Beine zappeln noch ein wenig, dann läuft hellrotes Blut aus dem Schnitt, aufgefangen in einer flachen Schale. Die Sau ist tot, "es lebe das Wurstmachen", sagt Jorge. Die ganze Großfamilie ist nach dem Abfa ckeln der Borsten nun stundenlang damit beschäftigt, Fett, Eingewei de und Muskelfleisch in unzählige Töpfe und Schüsseln zu schnippeln. Wichtigstes Ergebnis des Todes am Nachmittag ist die Sobrasada, eine feine und streichfähige Paprikawurst, hergestellt aus magerem Fleisch, das durchgedreht mit etwas Bauch- und Schinkenspeck, sü ßem Paprika, Salz und gemahlenem schwarzen Pfeffer gewürzt in Därme gefüllt wird und danach sechs Wochen abhängen muß, bevor es verzehrt wird. Etwa siebzig Wurstsorten sind in Spanien offiziell registriert, der Großteil stammt von weißen Schweinerassen. Die feinste und ge schmacklich intensivste Wurst aber stammt vom schwarzen iberi schen Schwein, dem Cerdo Iberico, einer urig aussehenden Schwei nerasse, die in Eichenhainen gehalten und mit Eicheln gemästet wird. Wegen seiner schwarzen Pfoten wird es auch Pata negra, "Schwarz pfote", genannt. Die Rasse ist Nachfahre einer inzwischen ausgestor benen Wildschweinart und kommt heute nur noch im Westen und Südwesten Spaniens vor. Das Fleisch, das viel dunkler ist als das weißer Schweine, hat einen ganz leichten Wildgeschmack. Ganze Landschaften hat seine Zucht über Jahrhunderte geprägt, wie die Dehesas, die lichten Steinei chenwälder der Extremadura, auf denen pro Hektar gerade mal 35
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Bäume stehen. Die Rasse kann längere Zeit mit wenig Nahrung über leben, dabei aber schnell Fettgewebe entwickeln, das durch die Be wegung auf den riesigen Weiden ins Fleisch vordringt und für eine feine Marmorierung sorgt. Am bekanntesten ist der Schinken der schwarzen Schweine, der Ja mon Iberico, der ganz dünn geschnitten und pur gegessen wird, ge nauso wie der billigere Serranoschinken, der von weißen Schweinen stammt. Es gibt kaum ein spanisches Restaurant, kaum eine Kneipe, in der nicht Schinken auf der Karte steht oder Lomo, ein Stück Schweinefilet, luftgetrocknet, gesalzen und mit Knoblauch, Paprika und Olivenöl mariniert. An zweiter Stelle kommen für die Spanier ihre Würste. Da gibt es Chorizo, eine Paprikawurst aus gehacktem Fleisch und Speck, die mit Salz, Knoblauch und reichlich rotem Pi menton und manchmal auch mit Olivenöl oder Apfelwein, der Sidra, gewürzt wird. 16 Varianten der Chorizo sind bekannt, aus Asturien, der Extremadura oder Pamplona. Die salamiähnlichen Fuet- und Salchichon-Würste sowie die typische Blutwurst Morcilla gehören zu den beliebten Sorten, genauso wie die Longaniza, eine in Darm gepreßte hochfeine Fleischmasse, Bestandteil von Tapas oder Eintöpfen. Luis Arrán wirft einen halben Schweinefuß, Schweinenacken, gewür felten Speck und Schmalz in einen großen Topf. Später kommen noch Zwiebeln, Kartoffeln, Möhren und Weißkohl dazu. "Meine Mutter hat gesagt: Wenn der Cocido montanes nicht mindestens so lange gekocht hat, wie ich von hier ins Dorf brauche, taugt er nichts." 25 Minuten braucht er mit seinem Auto bis nach Potes, dem Ort am Fu ße der Picos de Europa in Kantabrien. Seine Mutter ging zu Fuß, drei Stunden hin, drei zurück. In modernen Kochbüchern ist von achtzig Minuten Garzeit die Rede. Luis Arrán sieht das aber skeptisch: "Wer soll das essen? Die Schweine vielleicht?" Bezugsquellen: KaDeWe, diverse Schinken- und Wurstsorten, Tauentzienstraße 21, Berlin, Telefon: 0 30/21 21 27 00, www.feinschmeckeretage.de Frischmarkt Zickuhr, diverse Sorten, Dürener Straße 199-203, Köln, Telefon 02 21/40 21 06. www.frischmarkt-zickuhr.de Käfer Feinkost, Prinzregentenstraße 73, Telefon 0 89/4 16 81, Mün chen, www.feinkostkaefer.de
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Mund auf und Augen zu
Fühlen, was geschieht: Überraschend sinnliche Einsichten beim Besuch zweier Schweizer Dunkelrestaurants Hast du Hunger? fragt meine Schweizerin. Das Gebäude schaut aus wie eine Kapelle. Fleisch oder Fisch? Wir nehmen das Roastbeef. Rot oder Weiß? Wir nehmen den Weißen. Wir müssen Armbanduhren und Handys deponieren. Am besten, wir machen eine Polonaise, sagt Jean. Ich lege ihm die Hände auf die Schultern. Eva legt ihre Hände auf meine Schultern. So geht es durch die Schleuse. Der strahlende Sonnenmittag ist ausgeknipst. Hinter der Schleuse gibt es weder Tag noch Nacht. Es ist egal, ob man die Augen schließt oder sie offenhält. Hier gibt es nichts mehr, woran das Auge sich halten könnte. Ich schiebe einen Fuß vor den anderen. Ich höre Besteckgeräusche. Es klingt wie das Hämmern der Nibelungen. Der Raum, in dem wir sind, wird grenzenlos, und alles ist denkbar. Vielleicht schwimmen die Leute, die hier essen, in einem See? Siebzig Personen faßt das Restaurant "blindekuh" in der Zürcher Mühlebachstraße. Wir würden übereinander fallen, uns an Kanten stoßen. Wir würden Geschirr herunterreißen oder an die Wand knal len wie orientierungslose Vögel. Für Jean ist kein Unterschied zwi schen draußen und drinnen. Jean ist blind. Er bringt uns zu unserem Tisch. Jean hat die Platznummern im Kopf. Er hat die Sechsertische, an denen er bedient, nie gesehen. Form und Standort im Raum sind erfühlt. Er weiß, welcher Tisch längs, welcher quer steht. Er geht entlang geklebter Streifen am Boden, und wenn sich zwei Kellner begegnen, orientieren sie sich durch Zurufe. Ich weiß nach ein paar Sekunden nicht mehr, wo ich hergekommen bin, wo ich hingehe. Jean nimmt ganz sanft meine Hände und legt sie auf die Stuhllehne. Eine Stuhllehne ist wie Land. Man kann die Lehne zurückziehen und sich setzen, wenn zu der Lehne auch eine Sitzfläche gehört. Wer nichts sieht, braucht viel Vertrauen. Jeans Stimme wird zum Leucht turm. Er erklärt uns, was wir vor uns haben. Teller, Besteck, Serviet te. Rechts vor Ihnen die Gläser, sagt Jean. Wenn wir nicht zurecht kommen, sollen wir nach ihm rufen. Ich strecke behutsam meine
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Hände nach vorne, fahre mit beiden Zeigefingern um den Tellerrand, bis sie sich treffen, ertaste die Gläser. Eva sitzt neben mir. Und wer sitzt auf der anderen Seite? Um mit Menschen Kontakt aufzunehmen, muß man sie berühren. Intimitäten aus der Lichtwelt werden im Dunkeln zur alltäglichen Notwendigkeit. Wenn dir jemand über die Wange streicht, will er nur wissen, wie du ausschaust. Mit Zärtlich keit hat das nichts zu tun. Du tastest nach deinen Tischnachbarn. Schwellen fallen, die man sehend nie überschreiten würde. Die Gespräche der Nachbarn finden nicht mehr jenseits der Wände statt, die ein Sehender in einem Re staurant durch Blickblockaden hochzieht. Mit dem Sehen verschwin det das Weghören. Als ungelernter Blinder bist du akustisch nackt. Du hörst und wirst gehört ohne jede Schamgrenze. Sind Sie ein Ehe paar? fragt die Nachbarin von schräg gegenüber. Wir lachen. Und Sie? fragt Eva. Freundinnen? Danke, spricht es von gegenüber gera dewegs in den Raum, wir sind Mutter und Tochter. So schnell kom men Fremde, die sich sehen können, niemals in Kontakt. Jean ser viert Wasser, Wein und Salat. Kein Problem, im Dunkeln ein Glas mit Mineralwasser zu füllen. Das Wasser macht beim Einschenken ein Glissando nach oben. Man kann einen Finger ins Glas halten. Beim Wein klappt das nicht. Er läuft über. Gläser kann man weiterreichen, indem man gemeinsam die Hände darum legt. Gibt es unter Blinden weniger Haß? Wie kann man auf einem Teller Fleisch schneiden? Wie weiß man, wann er leer ist? Da hast du plötzlich ein Fleischstück auf der Gabel, das dein Maul nicht fassen kann. Beim nächsten Mal ist die Gabel leer. Wir bauen Krücken ins Dunkle, um den ausgefallenen Sehsinn zu ersetzen. Der Geschmack wird wach. Das Gehör wird scharf. Das Fühlen intensiv. Du mußt dein Gedächtnis trainieren. Du kannst dir nichts aufschreiben. Vielleicht ist es ja sogar eine Entlastung, nicht sehen zu müssen. Was ihm an seinen Gästen am meisten auffalle, fragen wir Jean, als er uns nach draußen bringt. Daß alle so schreien, als würden sie in ein Mobiltelefon rufen. Ich war noch nie so weit weg von der Welt, sagt Eva, als wir im Zug nach Neuchâtel sitzen. "Kennst du die Geschichte von dem Mann, der mit der Bahn nach Zürich reist?" fragt meine Schweizerin. Also, der Zug taucht auf der Strecke in einen kurzen Tunnel ein. Aber der Tunnel hört nicht mehr auf. Der Zug rast führerlos in immer schnellerem Tempo und immer steiler bergab ins Erdinnere. Frauen lesen zuviel. Auf der Strecke nur
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ab und zu ein kleiner Tunnel, der sofort wieder aufhört. Der Neuen burger See liegt in einem Turner-Dunst und wirkt wie ein Gewässer in Südschweden. Wie kann man einem Blinden, der nie gesehen hat, Turner erklären? Vielleicht mit Mendelssohn? Und die Schweiz viel leicht mit Liszt. Eva glaubt mir nicht, daß das Fürstentum Neuenburg 150 Jahre lang preußisch war. Neuenburg war in Personalunion an die preußische Krone gebunden. Das war sogar dann noch der Fall, als das Gebiet ein Schweizer Kanton wurde. Der Kanton Neuenburg war das einzige Gemeinwesen der Welt, das für kurze Zeit zugleich Republik und Mo narchie war. Die Neuenburger haben ihre kuriose Sonderstellung schlau genutzt, indem sie fleißig alles druckten, was jenseits der Grenzen verboten war. Revolutionäre, antiklerikale Schriften, Porno graphie. 1952 zog Friedrich Dürrenmatt nach Neuchâtel und wohnte für den Rest seines Lebens in einem Haus über dem See (heute Centre Dürrenmatt). Das Hotel Beau Rivage liegt direkt am See. Ein schloßartiger Sand steinbau aus dem 19. Jahrhundert, 1996 nobel hergeputzt, abseits vom kurzlebigen Designerschnickschnack. Holz, Naturstein, ruhige Farben. Ein Ort für erste und letzte Begegnungen. Wir essen wieder im Dunkeln. Ein Diner der Sinne, bei dem man nicht sieht, was auf dem Teller ist. Es gibt nur matt glimmende Leuchtschlangen unter den Tischplatten. Die Gäste in Abendgarderobe sehen im Schummer licht aus wie Figuren eines Schattenspiels. Im Dunklen klagt ein Sa xophon. Das Menü besteht aus sieben Gängen. Ein Blind date mit der Koch kunst. Es gibt jeweils drei Sorten Consommé, foie gras, Fisch, Sor bet, Fleisch-, Gemüse-Mousselin, Käse und Dessert. Es sitzen Gour metkritiker an unserem Tisch. Sie wundern sich, wie oft sie falschlie gen mit ihren Vermutungen. Wie sehr durchkreuzt der Sehsinn alle anderen. Was bliebe von einer Touristenregion wie der Schweiz üb rig, wenn wir nur noch schwarz sähen? Was bliebe übrig von der Welt? Die Sehenswürdigkeiten würden verblassen. Karriere machen würden die Hörens-, Riechens- und Schmeckenswürdigkeiten frem der Länder. Blinde und Sehende. Beim Essen können sie eine gemeinsame Basis finden. Und sonst? Was für ein Bild würde sich ein Blinder von den Schweizern machen? Was ist die Schweiz für einen Blinden? Ein Land
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der Weitsichtigen? Ein Land voller Menschen mit schwarzem Humor? Ein Land voller Genießer, die gerne mit verbundenen Augen essen? Ein Land voller Schienen- und Tunnelgeräusche, wo ein Gewitter an ders klingt als in der Ebene? Ein Land voller Sprachinseln? In jedem Fall lohnt es sich, einmal darüber nachzudenken, was die Schweiz sein könnte jenseits von Schokolade, Schneegipfeln und Swiss-AirPleite. MICHAEL WINTER
Dinieren im Dunkeln Ein "Dîner Goût'd'Night" veranstaltet das Fünfsternehaus Beau-Rivage in Neuchâtel an jedem letzten Samstagabend im Monat. Hier kann sich der Gast ganz auf seinen Geschmackssinn konzentrieren. Anmeldung über: Hotel Beau-Rivage, 1 Esplanade du Mont-Blanc, CH-2001 Neu châtel. Telefon: +41/32/7 23 15 15, Fax: +41/32/ 7 23 16 16. E-Mail:
[email protected]. Internet:www.beau-rivage-hotel.ch. Es stehen vier Suiten und 61 Gästezimmer zur Verfügung ab 320 CHF (EZ) und ab 390 CHF (DZ). Anreise Mit der Bahn in zwei Stunden ab Zürich-Hauptbahnhof.
"Blindekuh", das Züricher Dunkelrestaurant, ist ein Behindertenpro jekt der Stiftung "Blind-Liecht" und wird gefördert vom Schweizeri schen Blinden- und Sehbehindertenverband und der ManorGruppe. Das Lokal, die Inselhof-Kapelle in Zürich-Seefeld, wurde von der Evangelisch-Methodistischen Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt. Wer hier vor seiner Fahrt nach Neuchâtel schon mal das Dunkelessen zum Mittag ausprobieren möchte, sollte sich geraume Zeit vorher anmelden. Adresse: "blindekuh", Mühlebachstraße 148, CH-8008 Zürich-Seefeld. Telefon: +41/1/ 4 21 50 50, Fax: +41/1/4 21 50 55 - Internet: www.blindekuh.ch.
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Übernachten in Zürich. Den schönsten Blick über Stadt und See bietet das Dolder Grand Ho tel Zürich, Kurhausstraße 65, CH-8032 Zürich, Tel.: +41/1/ 2 69 30 00, Fax: +41/1/2 69 30 01 - E-Mail:
[email protected] Internet: www.doldergrand.ch - Preise: DZ ab 540 CHF. - Das Hotel Dolder wird ab dem Jahr 2004 einer grundlegenden Renovierung un terzogen, die der Londoner Architekt Sir Norman Foster leitet. Dafür wird das Hotel für 18 Monate geschlossen. Dunkelrestaurants in Deutschland gibt es beispielsweise in Berlin, Köln und Hamburg. Die unsicht-Bar Berlin (ehemals: Restaurant "Weltbühne") befindet sich in der Gormannstraße 14 in Mitte, Reser vierungen unter 0 30/ 24 34 25 00, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 18-24 Uhr. Demnächst soll es hier eine "Dunkelbühne" geben. Das Schwesterrestaurant, die unsicht-Bar Köln, ist im Stau fenhof 5-7 zu finden. Reservierungen unter 02 21/2 00 59 10, Öff nungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 18-24 Uhr. Das Hamburger "Dinner in the Dark" liegt in der Speicherstadt. Reservierungen wer den unter 07 00/44 33 20 00 entgegengenommen. Termine: Diens tag ab 19 Uhr oder nach Absprache.
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Mit dem Essen ist es wie mit der Liebe
Es fängt ganz harmlos an. Daß es in einer Orgie endet, ahnt man nicht, wenn zur Begrüßung in der volkstümlichen Trattoria je ein Dutzend dicker Scheiben Fleischwurst und Salami serviert werden. Natürlich kostet man viel zu viele von diesen Appetithäppchen für Schwerathleten, es schmeckt einfach zu gut. Dann kommt ein fabel hafter roher Fleischsalat, ein Tartar der Luxusklasse aus den besten Stücken des Rinds, nur mit Öl, Pfeffer und Knoblauch angemacht. Dann ein weiterer kalter Salat aus gekochten Fleischstücken, Stein pilzen und weißen Bohnen, der schwer wie ein Goldbarren im Magen liegt. Dann ein russischer Salat mit Anchovis, der ein komplettes sibi risches Gefangenenlager satt machen könnte. Und dann erst ist der Vorspeisenreigen des großen, vollständigen Bollito misto-Menüs zu Ende. Bevor man zum eigentlichen Höhepunkt dieses Gipfels der piemontesischen Winterküche vordringt, ist noch die Pasta an der Reihe: ein Teller der fabelhaften Tajarin, der hauchdünnen Bandnu deln, die mit wahnwitzigen dreißig Eigelben pro Kilo hergestellt und von einer extrem verdickten, sirupartig eingekochten Fleischbrühe begleitet werden - sie sind ein Gedicht. Jetzt müßte eigentlich Schluß sein, doch es geht erst richtig los: Der große hölzerne Wagen mit dem Bollito misto wird hereingefahren, und die feinschmeckerischen Augen weiten sich vor süßem Entset zen. Denn auf dem Karren türmt sich ein Gebirge aus Fleisch, das stundenlang in riesigen Töpfen geköchelt hat - glänzende Schwarten und Schwänze, monumentale Schulter- und Rippenstücke, komplette Kapaune und Kalbsköpfe, feiste Würste in Schweinefüßen, und als schlaffe, rosafarbene Masse liegen ganze Zungen dazwischen. Es sind Portionen für Rabelais' Schlemmermäuler Gargantua und Pan tagruel, es ist ein Schlachtfest, ein kulinarischer Ausnahmezustand. Man fühlt sich wie ein Raubtier nach erfolgreicher Jagd, oder wie zu rückkatapultiert in eine Zeit der Maßlosigkeit und des Heißhungers, als die Menschen selten Fleisch aßen und bei den wenigen glückli chen Gelegenheiten alles verschlangen, dessen sie habhaft werden konnten. So macht man es offensichtlich bis heute im Piemont - und das für fünfunddreißig Euro, alles inklusive. Obwohl man nun wirklich nicht mehr kann, folgen als Süßspeise der großartige Schokoladenflan Bunet und dann auch noch der Käse, ein
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Mordsstück vom Castelmagno etwa, der seit tausend Jahren in den nahen Cottischen Alpen nach dem selben Rezept hergestellt wird. Und dann endlich, beim Grappa, der mit Mandarinen, Feigen, Rosma rin und Lorbeer angemacht ist, nach acht herrlichen, erschöpfenden Gängen, nach einer wundervollen Winterreise durch die piemontesi sche Küche, hat man das Gefühl, sich an einem einzigen Abend den gesamten Winterspeck zugelegt zu haben. Und man ist der festen Überzeugung, daß man nie mehr, nie wieder irgend etwas essen wird. Das wäre eine Schande. Denn im Piemont fließen zwar nicht Milch und Honig, doch auf eine besondere Weise ist es ein gesegnetes Land. Hier wachsen dank der Zähigkeit und des Erfindungsreichtums der Menschen die delikatesten Haselnüsse der Welt, der feinste Reis Europas, der begehrteste Wein Italiens und die bekanntesten Kir schen der Fernsehwerbung. Es ist das Land der Trüffel und der Steinpilze, der brockendicken Braten und butterschweren Nudeln, der fetten Ochsen und feisten Schnecken, für die in Borgo San Dalmazzio am Fuß der Seealpen seit vierhundertdreiunddreißig Jahren jedes Jahr am 5. Dezember eine eigene kulinarische Messe veranstaltet wird. Spätestens dann brechen die goldenen Monate der piemontesi schen Küche an. Auf den Teller kommen jetzt nicht nur das ungeheu re Bollito misto, das einstige Festessen der Armen, sondern an Fest tagen auch das frühere Armenessen Bagna cauda. Das ist eine dicke, heiße Soße aus Knoblauch, Olivenöl, Butter, Sahne und Anchovis, die als Tunke auf einem Stövchen serviert wird. Sie wurde vor langer Zeit von den Bauern als eine Art Fondue für arme Schlucker erfun den, um das langweilige Wintergemüse oder die immergleiche Polen ta zu veredeln. Und sie wird noch heute gerne bei großen Runden aufgetragen, obwohl ihr scharfer Geruch tagelang in den Räumen hängenbleibt. In manchen Restaurants gibt es die heiße Soße des wegen nur im Separée. Das Festhalten an kulinarischen Atavismen wie dem Bollito Misto o der der Bagna cauda ist symptomatisch für den Traditionalismus der piemontesischen Küche. Sie läßt sich von dem inspirieren, was die Heimaterde bietet, verarbeitet diese Schätze mit größtem Raffine ment und gehört deswegen längst zu den Lieblingsrevieren der Fein schmecker. Es ist auch kein Wunder, daß im Piemont die überaus erfolgreiche Slow food-Vereinigung gegründet wurde; sie nennt sich "Bewegung zur Wahrung des Rechts auf Genuß", kämpft für den Er halt der regionalen kulinarischen Traditionen, hat inzwischen Zehn
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tausende Mitglieder in aller Welt und wesentlich dazu beigetragen, daß in Italien das gastronomische Erbe per Gesetz zum nationalen Gut erklärt worden ist. Und es ist kein Zufall, daß man auf den Märk ten in Städten wie Cuneo, Alba oder Saluzzo fast nur Bauern mit Brueghelschen Gesichtern sieht, die nichts als die Früchte ihrer Ar beit verkaufen: Kohl und Spinat, Sellerie und Mangold, Feldsalat und Rote Bete, alles ungewaschen und unverpackt und die Rüben oft krumm und schief, wie sie eben aus der Erde kommen. Die Erde aber ist im Winter müde von der vielen Arbeit. Kraftlos, reg los, farblos liegt sie im kalten Nebel, die Felder brach, die Pappeln kahl, die Weinstöcke leer. Auf den Stoppelfeldern der Poebene, auf denen riesige Strohballen wie Findlinge aus einer fruchtbareren Zeit liegen, stochern ein paar mißmutige Krähen nach letzten Resten. Aus den Gehöften, die mit ihren Rundbögen und Kampanilen an kleine Klosteranlagen erinnern, dringt kein Laut der Betriebsamkeit. Und im Vercellese, dem größten künstlichen Sumpf Europas, bückt sich nie mand wie einst Silvana Mangano nach bitterem Reis. Und wenn Schnee fällt, sieht es aus, als habe die Natur zum Schutz ein weißes Leinentuch über das Land ausgebreitet, so wie man es früher mit den Möbeln bei längeren Abwesenheiten tat. Im Frühjahr, wenn das Le ben zurückkehrt, wird sie es wieder wegziehen. Die winterliche Stille der Erschöpfung und des Wartens, die wie ein Schleier über der Ebene des Piemont liegt, gewinnt in den Weinber gen der Langhe plötzlich einen eigentümlichen Reiz. Hier arrangiert der Winter die Landschaft zu einem abstrakten Gemälde in Schwarz weiß. Die Langhe ist ein wogendes Auf und Ab von Hügeln, eine ein zige, endlose Sinuskurve aus Weinbergen, nichts als eine fließende Rundung, auf der der Blick schaukelt wie ein Boot auf den Wellen. Und in diese Landschaft ohne Ecken und Kanten und rechte Winkel sind die schnurgeraden, parallelen Reihen der Rebstöcke als stren ges, geometrisches Raster geschnitten, das erst der Schnee in seiner ganzen Rigorosität und Akkuratesse hervortreten läßt. So konkurriert die Kurve mit der Geraden, die Verspieltheit der Natur mit dem Ord nungswillen der Menschenhand. Doch dieser Wettstreit wirkt wie ein kindisches Necken, wenn es aufklart und sich am nahen Horizont die strahlend weißen Cottischen Alpen aufrichten, gekrönt vom scharf kantigen Dreieck des Monviso. Im Schatten der Gipfel wirken die Weinberge der Langhe wie eine Bonsai-Landschaft, wie eine Kaprice der Schöpfung. Wenn dann noch Nebel fällt und die Alpen plötzlich wie eine Luftspiegelung erscheinen, wenn sich die Täler in milchig
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weiße Seen verwandeln und die Kirchtürme auf den Hügeln zu schweben beginnen, dann wird diese Zauberlandschaft für ein paar berauschende Momente zu einer monumentalen Kalligraphie. Die Türme der Kirchen und Burgen thronen selbstbewußt auf fast je dem Hügel der Langhe, schlank und hoch wie Schornsteine oder wie steinerne Riesenschwerter, die in die Erde gerammt wurden als marti alische Warnung für den feindlichen Nachbarn auf dem nächsten Bu ckel. In diesem so reich beschenkten Landstrich stritten sich Dorffürs ten, Stadtrepubliken und ganze Nationen seit jeher um jede Krume. Früher geschah es aus Machtgier, heute geschieht es höchstens noch aus Genußsucht, denn die Orte, die sich um die Türme scharen, tra gen Namen, bei denen alle Weinliebhaber glänzende Augen bekom men - und für den Saft der Trauben aus Barolo, Barbaresco, Monforte d'Alba oder Castiglione Falletto mitunter irrsinnige Summen zahlen. Doch den Dörfern hat der junge Ruhm des Barolo nicht den Kopf ver dreht, dafür stehen sie zu fest im Humus ihrer Heimat. Das gilt auch für Alba, das Herz der Langhe und der piemontesischen Feinschmeckerei. Geld und Geschichte hat die Stadt im Überfluß. Da von zeugen die prosperierenden Industrien rund um den alten Kern allen voran die immer von einer Wolke schweren Kakaodufts umhüllte Fabrik des Süßwarenherstellers Ferrero, der hier den exzellenten Ha selnüssen aus der Langhe und dem Monferrato einen Schokoladen mantel verpaßt. Von der turbulenten Vergangenheit erzählen noch dreißig Geschlechtertürme, die vielstöckigen, fast fensterlosen Wohn burgen der Patrizier. Längst nisten Vögel hinter den roten Ziegeln, hinter denen sich einst ungezählte Capulet- und Montague-Tragödien abspielten. Heute haben die Albeser glücklicherweise keine Zeit mehr für die stolzen Streitereien, denn es gibt Wichtigeres: das Essen. Vielleicht findet man keinen Ort auf der Welt mit einer größeren Dichte an Delikatessengeschäften als Alba - weil hier jeder Lebens mittelladen fast nichts anderes als Feinkost führt. Selbst in den klei nen Familiensupermärkten mit ihren billigen Neonröhren an der De cke sind die Regale vollgestopft mit lokalen Spezialitäten: mit Hasel nüssen in Honigmarinade, Weinessig aus Muskatellertrauben, glacier ten Eßkastanien, eingelegten Steinpilzen, die in Dreißig-Kilo-Gläsern zu knapp zweitausend Euro das Stück verkauft werden. Und natürlich gibt es Trüffel in allen Variationen, weil Alba die Welthauptstadt der weißen Trüffel ist. Mit den exquisiten Knollen werden Pasta, Risotto, Salami, Schafskäse und Pasteten veredelt, und sogar die Konditoren
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erweisen ihnen Reverenz, indem sie ihre Schokoladenkugeln nach Albas kostbarstem Schatz benennen. Für Desserts und Süßigkeiten ist aber eigentlich Cuneo zuständig, die Hauptstadt der Provinz, die immer etwas im Schatten ihrer kleineren, doch berühmteren Schwester Alba steht. Wie diese auch und anders als das flache Land, vertreibt Cuneo den Winterschlaf mit Geschäftig keit und erträgt die eigene Patina mit der Gelassenheit der würdevoll Gealterten. Cuneo, das langestreckt auf einem Felskeil liegt, war jahrhundertelang die am heftigsten umkämpfte Festung des Piemont. Seit man sich in diesem Teil Europas verträgt, verblaßt der Ruhm und bröckeln die Fassaden. Doch die Stadt mit ihren tausend Arka den voller Kassettendecken und korinthischer Kapitelle ist mit sich und ihrem Alter im reinen. Sie taucht die Falten ihres Gesichtes im Winter in das mildernde Licht schmiedeeiserner Laternen oder in den glänzenden Widerschein der Schaufenster ungezählter Konfiserien und Kaffeehäuser, in denen sich Bonbongläser spiegeln und Pralinen pyramiden erheben. Cuneo nascht für sein Leben gern, und im Winter am liebsten die in ganz Italien bekannten Schokoladenbällchen Cuneesi al Rhum oder Torrone mit Haselnüssen, Nußtorten mit Spumante-Zabaglione und natürlich Schokolade in allen Variationen und Formen. Selbst in den kleinsten Konfiserien in den dunkelsten Seitengassen findet man Schaukelpferde, Landstreicherstiefel, Madonnen mit Kind oder sin gende Engel in Schokolade. Und in einer winzigen Patisserie hinter der Hauptstraße Via Roma werden in einer Vitrine mit dem Schild "produzione propia" sogar Penisse und weibliche Brüste in verschie denen Größen als Vollmilch oder Zartbitter verkauft. Verlegen ist nur der Käufer. Die ältere, ehrenwerte Frau hinter der Theke hingegen, bestimmt eine fleißige Kirchgängerin, packt die delikaten Süßwaren ungerührt und assistiert von zwei Mädchen mit Unschuldsmiene, de nen man keine Sünde dieser Welt zutraut, in die Tüte - beim Essen kennen die Piemonteser eben weder Scham noch Skrupel. So und nicht anders muß es sein in einem Land, dem die Natur alles gibt, um den Wintertisch besonders opulent zu decken. Es ist eine Verführung zur Maßlosigkeit, wenn man in der kalten Jahreszeit nach Lust und Laune marinierte Weinbergschnecken, eingelegte Steinpilze oder gehobelte Trüffel über die Tagliatelle streuen, das Wintergemü se in Bagna cauda tunken oder die Kapazität des eigenen Magens beim Bollito misto testen kann. Die Besucher, die bei all diesen Ver
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lockungen keine Grenze und kein Halten kennen, können sich nur staunend fragen, wann für die Piemonteser das Maß voll ist. Und die se wissen längst, daß man sich in sein Schicksal fügen muß. Mit dem Essen, sagen sie, sei es wie mit den Liebesnächten: Man könne nie genug davon bekommen, aber irgendwann könne man nicht mehr. Informationen: Imatur, Hohenstaufenring 63, 50674 Köln, Telefon: 0221/9213430, Fax: 0221/9213439, E-Mail:
[email protected]; Conitours, Via Toselli 1, I-12100 Cuneo, Telefon: 0039/0171/698749, EMail:
[email protected].
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Land of hope and Blutwurst
Zwei Wochen auf der britischen Insel seien wirksamer als jede Ab magerungskur, sagen böse Zungen. Daß unsere Nachbarn nicht viel mehr als fad-wäßriges Gemüse, öltriefende Fish 'n' Chips und mat schige Sandwiches mit Industrie-mayonnaise zu bieten haben, ist ein weitverbreitetes Vorurteil. Dabei gibt es seit einigen Jahren Englän der, die in Feinschmeckerkreisen durchaus einen guten Ruf genie ßen: Marco Pierre White zum Beispiel, der als erster britischer Kü chenchef 1995 drei Sterne vom Guide Michelin zugesprochen bekam, aber auch Gordon Ramsay und Gary Rhodes. Tatsächlich haben die "jungen Wilden" ihren Zenit schon wieder überschritten. White hat sich aus dem aktiven Küchenalltag verabschiedet und bastelt als Re staurantpächter und "businessman" an einem Imperium, dessen letz ter Neuzugang "Planet Hollywood" war. Gordon Ramsay ist im Grun de der einzige, der noch selbst am Herd steht, auch wenn sein Re staurant im Claridges Hotel herbe Kritik erfahren hat. Noch in den achtziger Jahren konnte die Insel es unter kulinarischen Aspekten nicht mit dem Rest Europas aufnehmen. Das änderte sich in den Neunzigern geradezu schlagartig. Die englische Küche war immer bodenständig und eher schlicht, ihr Erfolg basiert auf der Qualität der Grundprodukte. Nur wenige wissen, daß Lebensmittel in Großbritannien nicht nur während des Zweiten Weltkriegs, sondern noch bis Mitte der fünfziger Jahre rationiert waren. So wuchs eine ganze Generation mit einer Küche auf, die von Kargheit und Mangel geprägt war. Später sank das Niveau noch weiter, weil Nahrungsmit tel zunehmend industriell produziert wurden. Heute jedoch praktiziert nicht nur der Prince of Wales mit seiner Lebensmittelmarke "Duchy Originals" eine Rückbesinnung auf gewachsene Qualität. Auch sonst hat sich das Angebot an Lebensmitteln enorm entwickelt: "Neal's Yard Dairy" in Covent Garden bietet zum Beispiel eine grandiose Auswahl an britischen Spitzenkäsen. Und "Simply Sausages" am Londoner Smithfield Market ist für Liebhaber hausgemachter Würste ein absolutes Muß. In den gehobenen Restaurants ist - wie in Deutschland - der franzö sische Einfluß nach wie vor erkennbar, dient aber seit der Revolution der ehemals "jungen Wilden" meist nur noch als technische Diskussi onsgrundlage für eine eigenständige britische Küche. Ein gutes Bei
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spiel dafür ist "The Square" in Mayfair. Philip Howard läßt in modern elegantem Dekor zu einer atemberaubenden Weinauswahl Unpräten tiöses wie einen Salat von Sommergemüsen servieren, dem er je doch mit weißer Trüffelcreme und einem pochierten Entenei etwas Luxuriöses verleiht. Noch schlichter hält es Richard Corrigan im "Lindsay House" in Soho. In dem schmalen dreistöckigen Stadthaus kommt sich mancher Gast vor, als sei er zu einer privaten Dinnerpar ty eingeladen worden. Blutwurst und Kartoffeln auf dem Teller offen baren Corrigans irische Wurzeln, die sich jedoch mit südeuropäischen Elementen vereinen. Bodenständig kocht Fergus Henderson im "St. John" (ebenfalls in Soho): Schweinernes von der Schnauze bis zum Ringelschwänzchen sowie klassisch englische Fische wie Seezunge und Scholle, ohne jeden Firlefanz und doch mit eigenem Stil. Neben Restaurants wie diesen hat sich in England seit Anfang der neunziger Jahre ein weiteres kulinarisches Genre entwickelt: die Gastro-Pubs. Brauereien sahen sich gezwungen, Lokalitäten zu ver kaufen, und junge Köche erkannten ihre Chance zum Schritt in die Selbständigkeit. Die Inneneinrichtung im Londoner "The Fox" an der Paul Street zum Beispiel vollführt die typisch englische Gratwande rung zwischen urwüchsig, exzentrisch und schäbig. Rund um die Theke des Pubs, im Dining Room im ersten Stock oder auf der Ter rasse genießt man zu ausgesprochen bescheidenen Preisen Räucher aal mit Salat von Gurken und breiten Bohnen, Champignons à la grecque, Roastbeef mit Brunnenkresse und Meerrettich oder ge schmorte Lammschulter. Die Gastro-Pubs beschränken sich keineswegs auf London: "The Pel don Rose" liegt in der ruhigen weiten Küstenlandschaft der Graf schaft Essex unweit von Colchester. "Willkommen in der Peldon Ro se", heißt es auf einem Schild am Eingang, und: "Vorsicht! Im 15. Jahrhundert waren niedrige Türen, unebene Böden und Stufen nor mal." Genauso behutsam modernisiert wie die verwinkelten Gebäude wurde auch die Küche. Der Räucherlachs ist - wie allgemein in Eng land - dem in Deutschland weit überlegen, der Rochenflügel fang frisch wie selten. Neben Pub-Klassikern wie Chicken, Leek and Mustard Pie oder Schweinswürsten mit Kartoffelpüree und Zwiebel sauce verlocken Salate und Mediterranes sowie ein sehr gutes Wein angebot. Zu den kulinarischen Highlights Englands gehört das Moorhuhn ("Grou se"), das vom 12. August ("the Glorious 12th") bis zum 1. Dezember
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geschossen werden darf. Der relativ kleine, dunkelfleischige Vogel wird traditionell mit Jus, weißer Brotsauce, Kartoffelwaffeln und fri schen Gemüsen serviert und paßt vortrefflich auf den großen Holz tisch von "The Forge" in Chilgrove in West Sussex. Patron Neil Rusbridger hat die Schmiede aus dem 17. Jahrhundert zu einem verwunschen wirkenden, luxuriösen Miniaturhotel umgestaltet. Ebenfalls selbst am Herd steht Nick Priestland im "The Cors" in Laug harne an der südwalisischen Küste. Als er das alte Landhaus vor ei nigen Jahren in stark renovierungsbedürftigem Zustand erbte, waren zwei einfache Gästezimmer und das Wochenend-Restaurant eigent lich als vorübergehende Finanzierungsquelle gedacht. Wer heute im Speisezimmer mit den dunkelrot lackierten Wänden walisisches Salzmarsch-Lamm genießt, dann vor dem Kamin ein Glas Portwein trinkt und immer noch meint, englisches Essen sei furchtbar, der glaubt sicher auch an den ewigen Londoner Nebel. British Food für den Selbstversuch Grüne Erbsensuppe: Sechs Portionen (Rezept nach der englischen Kochbuchautorin Jane Grigson) Eine mittlere Zwiebel in Würfeln mit 60 Gramm Butter anschwit zen. Zwei nicht zu dünne Scheiben durchwachsenen, geräucherten Speck in Streifen kurz mitanschwitzen. 600 Milliliter Hühnerbrühe sowie 250 Gramm frische oder tiefgekühlte Erbsen dazugeben und leise kochen, bis die Erbsen gar sind. Pürieren, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Mit einem Löffel süßer Sahne und gehackter glatter Petersilie servieren. Huhn- und Lauchpie: Ein Klassiker, wie ihn Christopher Lloyd in "Gardener and Cook" be schreibt. Vier bis sechs Portionen.
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Ein Suppenhuhn mit Suppengrün garziehen lassen. Das Fleisch enthäuten und entbeinen, den Fond entfetten. Sechs mittlere Lauchstangen putzen, waschen und in Ringe schneiden; blanchieren und gut abtropfen lassen. Hühnerfleisch und 125 Gramm gekochte Kalbszunge in Scheiben in einer Pie-Form verteilen. Lauchringe sowie zwei Eßlöffel gehackte glatte Petersilie darübergeben, salzen und pfeffern. Einen Finger hoch Hühnerbrühe zugießen. 250 Gramm salzigen Mürbteig ausrollen, mit einem Streifen davon den Rand der Pieform bedecken, mit verquirltem Ei bestreichen und den ausgerollten Teig als Deckel darüberlegen. Nach Belieben verzieren, in die Mitte ein Loch zur Lüftung schnei den und alles mit Ei bestreichen. Bei 180 Grad 40 Minuten backen. Parfait von englischer Bitterorangenmarmelade: Etwa zwölf Portionen 350 Gramm möglichst kräftige Marmelade mit Saft einer Zitrone mixen, fünf Zentiliter Bitterorangenbrand dazugeben. Fünf Eigelb mit 35 Gramm Zucker im Wasserbad warm auf- und dann auf Eis kaltschlagen. Marmelade behutsam daruntermischen, dann vorsichtig einen hal ben Liter geschlagene Sahne unterziehen. In eine mit Klarsichtfolie ausgelegte Terrinenform füllen und einfrieren. Mit Schokoladenbiskuit servieren.
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Mit Sattelschlepper zu den "Foodies"
Wo Wein wächst, wünscht man sich auch gute Gastlichkeit. Schmeckt doch der Wein am besten, wenn man ihn dort verkostet, wo er gedeiht: Wenn man durch die Weinberge geht und das Erd reich fühlt, wo der Rebstock den Stoff herholt, und die Wärme spürt, welche die Süße in die Trauben jagt; wenn der Wirt zum Wein ein Essen reicht, das dazu paßt, und beide Dinge sich gegenseitig heben. Schließlich will man ein behagliches Zimmer finden, um all die Ein drücke nachklingen zu lassen. In Europa sind von alters her Piemont oder Burgund berühmt dafür, daß sich Weinkultur und Gastlichkeit verschränken. Das Napa Valley in Kalifornien hingegen war vor rund zwanzig Jahren noch ein unbe deutender Fleck auf der Landkarte der Gourmandise und Hotellerie. Doch in dem Maße, in dem die Winzer des Tals jüngst Weine von Weltrang hervorbrachten, zogen auch die Gastronomen nach. Mitt lerweile kommt man schon ins Staunen, wenn man an der Hauptver kehrsader des Tals, am Highway 29, einen schlicht anmutenden Drugstore betritt. Man glaubt, die Bilder von einem Roadmovie her gut zu kennen: In dem frei stehenden, kastenförmigen Bau sei gewiß nur ein billiger Imbiß zu bekommen. Doch die "Oakville Grocery" bie tet Delikatessen an: Rohmilchkäse, Parmaschinken, Aceto balsamico tradizionale und so fort. Fernfahrer halten, steigen aus ihren Sattel schleppern und lassen sich ein Sandwich mit Käse und Schinken zu bereiten, Touristen kaufen Wein von den hiesigen Spitzenwinzern, und die Talbewohner selbst nehmen kalt gepreßtes Olivenöl aus der Toskana mit. Weiter nördlich, in St. Helena, erblickt man am High way 29 ein zweites großes Feinkostgeschäft, das "Dean & Delnca". Die ehrgeizigen Hobbyköche sind hier so zahlreich, daß man bereits einen eigenen Namen für sie gefunden hat: die "Foodies". Wenn gleich die Feinschmeckerei noch jung ist, wird sie fast schon wie eine Religion betrieben. Das Napa Valley wird von hohen Bergflanken eingefaßt, und tagsüber sammelt sich darin eine mediterrane Hitze, die dem Wein viel Fruch tigkeit verleiht. Das Meer an Weingärten drückt Überfluß und Reich tum aus, so wie der Wein selbst etwas Generöses an sich hat. Zwar wäre ohne künstliche Bewässerung der Wuchs nur spärlich, aber man weiß sich eben zu behelfen und schreibt das Märchen vom Land der
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unbegrenzten Möglichkeiten fort. Viele der besten amerikanischen Winzer haben hier ihren Besitz, und man ist stolz, daß auch Thomas Keller, der als der führende Koch in Amerika gilt, in Yountville sein Restaurant "French Laundrey" betreibt. Der historische Kern von St. Helena erscheint schließlich als ein Musterbeispiel der Gentrifizie rung. Wie in Wildwestfilmen stehen an der Hauptstraße dicht an dicht kubische Gebäude. Fast jedes Haus wirkt behutsam restauriert, und gepflegte Markisen spenden Schatten für die Schaufenster. Neben Bekleidungsgeschäften reihen sich eine Öko-Bäckerei, Cafés, Restau rants und Hotels. Östlich von St. Helena findet man einen Wegweiser, auf dem schlicht "Meadowood" steht. Der Weg ist schmal und führt in ein enges, be waldetes Seitental, das sich nach einer Weile leicht ausweitet und eine Welt für sich darstellt. Den Mittelpunkt bildet ein Goldplatz mit neun Löchern. Drum herum gruppieren sich überwiegend zweige schossige Gebäude, meistens schon leicht vom ansteigenden Wald verdeckt. Während die Weingüter im Tal häufig in moderner Archi tektur erscheinen - unter anderem wurden dafür europäische Starar chitekten wie Herzog & de Meuron engagiert -, hat man sich hier für die viktorianische Holzbauweise entschieden, um einen Hotelkomplex zu schaffen, der nicht wie ein Hotel wirkt. Die einzelnen Häuser sind ansprechend gegliedert, durch Vor- und Rücksprünge leicht ver schachtelt, und immer gibt es eine Veranda, die sich teilweise um das Haus zieht. In jedem Gebäude befinden sich zwei bis drei Studios oder Apartments, die dem Gast das Gefühl geben, individuell zu wohnen. Es wurde beim Entwurf nicht gefragt: Wie kann man die Kosten verringern, sondern: Wie angenehm kann man es dem Gast machen? So generös, wie sich der heimische Wein gibt, so großzügig erscheint bereits ein einfaches Studio. Neben dem breiten Bett dehnt sich ein Wohnraum mit Sesseln und offenem Kamin aus, und auch das Bad bietet viel Platz. Das Holz, der Naturstein des Kamins und der Teppichboden wirken gemütvoll, nichts erinnert daran, daß drau ßen in der Welt die Zeit viel schneller läuft. Anfang der sechziger Jahre gründeten Winzer und Weinfreunde das "Meadowood" als Club, und ab Ende der siebziger Jahre erhielt es nach und nach die heutige Form und zählt nunmehr zu den besten Hotels des Landes. Natürlich kann man hier nicht nur golfen, sondern auch Tennis und Croquet spielen, schwimmen oder in die Sauna ge hen, sich massieren lassen und eine Hautpflege genießen. Am Golf platz gibt es neben einem kleinen Empfangsgebäude auch zwei Re
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staurants. Nach wie vor versteht sich das "Meadowood" als ein Zent rum des Weins. John Thoreen ist der Wein-Tutor des Hauses und bietet Weinverkostungen an, während auf der Karte der Restaurants fast alle namhaften Winzer des Napa Valley vertreten sind. Küchen chef Steven Tevere verwendet saisonale Waren und macht daraus leichte, bekömmliche Gerichte, die mit dem Charme der Weine har monieren. Auch der Übervater der Weinkritik, Robert Parker, kommt jedes Jahr für ein paar Wochen hierher, um an seinen Büchern zu schreiben. Hier in "Meadowood" kann man wirklich nicht anders, als über den Wein vor allem Gutes zu sagen. Auskunft: Meadowood, 900 Meadowood Lane, St. Helena, California 94574, Internet: www.meadowood.com
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Zart und fett über Pfirsichholz
Dies könnte fast schon ein Nachruf auf das - neben dem Pandabären - berühmteste Tier und das bekannteste Restaurant Chinas sein, das wegen seiner zart-krossen Peking-Enten eine Legende ist und jetzt einer rigorosen Umweltkampagne der Stadt Peking zum Opfer zu fallen droht. Denn der besondere Brennstoff, Holz, der den PekingEnten den unverwechselbaren Geschmack verleiht, soll an der uner träglichen Luftverschmutzung in der chinesischen Hauptstadt schuld sein. Eine neue Verordnung sieht vor, daß die etwa tausend PekingEnten-Restaurants die Holzfeuer löschen und statt dessen mit Strom oder Gas die Enten grillen müssen. Und das zu einer Zeit, in der der Tourismus in China boomt und ein Peking-Enten-Festessen zum Pflichtprogramm eines jeden ausländischen Besuchers gehört. Ziel der Fremden ist fast immer das historische "Quanjude Roast Duck"-Restaurant, das in diesem Jahr einen denkwürdigen Rekord in seiner ereignisreichen Geschichte erlebte. Dies geschah, als an ei nem einzigen Tag exakt 5620 Gäste dem Lokal den höchsten Umsatz seit seiner Gründung im Jahr 1864 bescherten: 720 000 Yuan, knapp 87 000 Dollar, die in die Kassen des Tempels der göttlichen PekingEnten flossen: Für seinen heutigen Besitzer ein Tag der himmlischen Freude. Aber es wäre ein Irrtum, anzunehmen, nur Polittouristen und devi senstarke Urlauber aus dem kapitalistischen Ausland besuchten das Quanjude, das zu den zehn besten Restaurants im Reich der Mitte gehört und noch drei weitere Filialen in Peking unterhält. Achtzig Prozent der Besucher, sagt ein Manager des Reiseunternehmens Chi na International Travel Service, seien Chinesen. Damit meint er Ka der, Funktionäre, die Eliten der Kommunistischen Partei Chinas sowie die neureichen Vertreter eines hemdsärmeligen Unternehmertums, die im Quanjude und seinen diskreten Hinterzimmern verkehren. Schon seit 1368 wurden Enten am kaiserlichen Hof in Peking gegrillt - später eben Peking-Enten genannt. Ihr Genuß war ein Privileg der Palastbewohner in der Verbotenen Stadt. Das erste Restaurant, so berichten die Chroniken, das vor etwa vierhundert Jahren gegrillte Peking-Enten dem einfachen Volk anbieten durfte, hieß Bianyifang. Es existiert noch heute, wurde aber vom viel später gegründeten
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Quanjude als Pilgerziel der Entenliebhaber überflügelt. Der Grund: Quanjude-Gründer Yang Quanren, ein Dörfler und Geflügelhändler, wendete erstmals bei der Peking-Ente eine Grilltechnik an, die er den Spanferkelbratern abgeguckt hatte. Während im Bianyifang und in anderen Peking-Restaurants die Enten mit Wasser gefüllt und dann in einem geschlossenen Ofen durch die von den Ofenwänden zurück geworfene Hitze gegrillt und gegart wurden, briet Quanren seine En ten über dem offenen Feuer knusprig. Das war eine geschmackliche Revolution. Ein weiteres Geheimnis der inzwischen berühmten Quanjude-Enten: Sie werden über Dattel-, Pfirsich- oder Birnbaumholz geröstet, wobei vor allem der Rauch des verbrennenden Dattelholzes dem Entenfleisch einen ganz besonderen Geschmack verleiht. Wenn die Tiere nach dem Schlachten gerupft, ausgenommen und abgebrüht sind, werden sie mit Zuckerwasser übergossen und mit heißem Wasser gefüllt. Nun wandert die nackte Ente für dreißig bis vierzig Minuten in den Grillofen, wo sie bei 250 Grad langsam rotiert, bis die Haut goldbraun glänzt. Etwa hundertzwanzig Fleischstreifen schneiden dann Koch Chiang Diang Jun und seine Kollegen im Quan jude aus der gegrillten Ente, deren krosses und dennoch zartes Fleisch dann in Sojasoße getaucht und in Fladen aus Weizenmehl gewickelt wird, zusammen mit gehacktem Knoblauch oder Schnitt lauch als Kontrapunkt. Auf zehn Farmen in der Umgebung von Peking werden die Tiere ge züchtet. Nach 65 Tagen ist jedes Exemplar etwa zwei Kilogramm schwer. Drei Wochen vor dem Grilltod wird das Federvieh viermal täglich mit einem besonderen Gemisch aus Hirse, Sorghum (Getrei desorte), grünen Bohnen und Weizenspreu gefüttert. In dieser Zeit müssen die Enten bewegungslos im Stall hocken, denn nur auf dieser Weise wird das Fleisch zart und fett und, was noch wichtiger ist, die Haut hauchdünn. Peking-Enten-Restaurants in Peking: Beijing Quanjude Roast Duck Restaurant, Qianmen Xidajie 14; Beijing Qianmen Quanjude Roast Duck Restaurant, Qianmen Street 32; Beijing Wangfujing Roast Duck Restaurant, Shuaifuyuan Hutung 13, Dongcheng District; Beijing Jing xin Quanjude Roast Duck Restaurant, A2Dongsanhuan, Chaoyang District; Beijing Hepingmen Roast Duck Restaurant, Hepingmen Dajie, Xuanwu District; Bianyifang Roast Duck Restaurant, A2Chongwenmenwai Dajie, Chongwen District.
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Salami wie früher
"Slow Food" rettet die Spezialitäten der Region: Paten für Käse und Öl verhindern, daß die Tradition stirbt. ROM. Ohne Roberto Grattone wäre Italien um eine kulinarische Spezialität ärmer. Seinen Käse "Montébore" hatte schon seit Jahren niemand mehr kosten können. Doch einem Freund, dem Vorsitzenden eines piemontesischen "Slow food"-Clubs, war ein Buch mit den historischen Käsesorten der Regi on in die Hände gefallen. Er machte sich mit Grattone und einigen anderen Liebhabern der regionalen Küche auf die Suche nach dem Rezept. Sie fanden eine achtzigjährige Bäuerin, die solchen Käse noch selbst hergestellt hatte: aus Ziegen- und Kuhmilch, mit drei aufeinanderge setzten Teilen in der Form eines Kegels. Die mündliche Überliefe rung, Beobachtung bei der Herstellung und die wissenschaftliche Betreuung eines Lebensmittelinstituts brachten den "Montébore" wieder auf den Markt zurück. Für Roberto Grattone, der vor einigen Jahren mit drei weiteren Gesellschaftern im Nebenberuf begonnen hatte, im heimatlichen Bergtal des südlichen Piemont die lokale Re bensorte wieder anzubauen, ist nun die Käseproduktion zum Haupt beruf geworden. Jetzt sollen eigene Milchproduktion und "Agrituris mo" in Angriff genommen werden. Für Nachfrage nach der neuen Käsesorte, vor allem aber für rentable Preise, sorgen wiederum "Slow food"-Restaurants, die während der vergangenen Jahre in den Bergen zwischen der ligurischen Küste und Piemont entstanden sind. Wohlhabende Städter aus Turin und Mai land, mit teuren Wochenendhäuschen an der Küste, stöbern gerne nach ländlichen Gasthäusern mit typisch regionaler Küche. Anstelle der früheren Reiseandenken sind lokale Käsesorten oder Wurstwaren ihre Mitbringsel bei der Rückkehr in den städtischen Alltag. Daß Angebot und Nachfrage der regionalen Spezialitätenküche einmal so gut ineinandergreifen könnten, hatte der Gründer der Organisation "Slow food", der heute 53 Jahre alte Carlo Petrini, nicht von vorneher ein planen können. Doch für beide Seiten des Marktes brachte er den entscheidenden Gedanken mit: Für ihn stand an erster Stelle, die Viel falt der italienischen Küche und ihrer Nahrungsmittel zu erhalten. Denn gerade in Italien gibt es entgegen dem Klischee von der Pizza
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und der Pasta al Pomodoro unterschiedlichste Traditionen in jeder Re gionalküche, entstanden aus den Unterschieden im Klima und den landwirtschaftlichen Produkten, aber auch wegen der buntgescheckten Geschichte Italiens mit arabischer, normannischer und spanischer Herrschaft in Sizilien, mit französischem Einfluß in Neapel und Pie mont, von Österreichern in Friaul und Veneto. Als sich in diesem viel fältigen Italien erstmals die Einheitskost von "Fast Food"-Ketten nie derließ, gründete Petrini zunächst "Arcigola", dann 1989 mit Gleichge sinnten in Paris die internationale Bewegung "Slow Food", die sich in Petrinis Heimatort Bra in den Hügeln des südlichen Piemont niederließ. "Bei den Konsumenten wächst das Bedürfnis, der Kultur der Küche und des Essens ähnliche Bedeutung und Würde einzuräumen wie Mode oder Büchern", sagt Petrini. Viele regionaltypische Produkte seien schon fast verschwunden gewesen, weil große Nahrungsmittel konzerne kein Interesse daran hatten: Die Vermarktung der Ni schenprodukte ist für die Multis schwer, die von der Industrie geför derten "hyperhygienischen Vorschriften" schaffen unüberwindliche Probleme bei der Herstellung etwa von typischem Käse. Nachdem in den ersten Jahren von "Slow food" in lokalen Vereinen, mit Kursen über Nahrungsmittel, mit Büchern und mit einem Restau rantführer mit mittlerweile 1700 Adressen Italiens Essenskultur noch populärer gemacht wurden, sollte eine Messe in Turin gleichsam als "Arche Noah" die traditionellen Spezialitäten vorstellen und bewahren helfen. Die Idee der Patenschaft für einzelne Produkte, übernommen von Herstellern, Genossenschaften oder öffentlichen Konsortien und gefördert von Kommunen, Sparkassen oder der Nahrungsmittelkette Coop hat mittlerweile ebenfalls Schule gemacht: Auf dem "Salone del Gusto" in Turin stellten in diesem Jahr für die 138 000 Besucher ne ben kommerziellen Anbietern auch 313 "Presidi" ihre Produkte aus. Etwa die Produzenten von grünen "Wintermelonen" aus Trapani, die ihre Produkte nie außerhalb Siziliens verkauft haben. Ein neues Kon sortium für spezielle Mandeln aus dem sizilianischen Noto preist die Qualitäten seiner Produkte, die sich besonders für arabisch beeinfluß te Süßigkeiten eignen und dafür auch höhere Preise erzielen sollen. Für sieben Almbauern oberhalb des Gardasees präsentiert der Mitar beiter eines Naturparks einen Käse namens "Tombea", in der Messe straße der Wurstwaren gibt es alleine 28 Sorten von Salami, Morta della oder den mittlerweile modisch gewordenen toskanischen Speck "Lardo di Colonnata".
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Mit dem Erfolg der wiederentdeckten Spezialitäten in Italien will sich Carlo Petrini aber nicht zufriedengeben. In zwei Jahren, so hofft er, müsse aus ersten "Patenschaften" im Ausland, auch in Entwicklungs ländern, ein ähnlicher Erfolg werden. Schließlich zählt "Slow Food" neben 45 000 italienischen Mitgliedern inzwischen mehr als 35 000 Anhänger im Ausland, davon 6000 in Deutschland.
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Iß, iß, Testerchen, iß, laß doch die Sterne zu Haus
Daß Calvinismus nichts mit Calvin Klein zu tun hat, wird man nicht nur in niederländischen Shopping-Malls kaum noch erklären können. Die Gourmets im Lande sehen im reformierten Protestantismus frei lich den Hauptgrund für mangelnde Akzeptanz der Spitzenküche. Und tatsächlich mag man sich auf dem platten Land hinter den doch schon öfter anzutreffenden Gardinen noch das ein oder andere Kon sortium vorstellen, streng auf Ordnung, vor allem aber Kontrolle be dacht. Sieht man das kleine, den kulinarischen Genüssen überaus aufgeschlossene Belgien nebenan, schmunzelt dann der Historiker: Der Strenge in der Union von Utrecht standen hier die katholischen spanischen Niederlande gegenüber, die These scheint zu stimmen. Peter Hagtingins, Chefredakteur von "Lekker", einer Art jährlich er scheinendem Gault-Millau-Ersatz, sieht die besten Restaurants ein deutig neben den berühmten französischen Kollegen und das Haupt problem darin, daß "der Rest der Welt die Niederlande nicht mit gu tem Essen assoziiert". Aber, was grämt man sich? Michelin weist zehn Zwei-Sterne-Restaurants aus (tatsächlich im Moment neun, Constant Fonks "De Oude Rosmolen" in Hoorn hat kürzlich geschlos sen), wir haben derer vierzehn, die Belgier zwölf. Aber: Niemals gab es bisher die volle Anerkennung von drei Sternen (Deutschland fünf, Belgien drei), ein Thema endloser Diskussionen und Spekulationen. Die Spitze ist vielleicht gerade deshalb variantenreich. Von der Grande Dame der klassischen Fischküche, Maartje Boudeling vom "Inter Scaldes" in Kruiningen, hört man leider im Moment Wider sprüchliches hinsichtlich Zukunft und Qualität, gerade hier waren die Sterndeuter regelmäßig aktiv. Der dreißigjährige Sergio Hermann vom "Oud Sluis" in Sluis ist ein sehr großes kreatives Talent (auch in sei nem jüngst erschienenen Buch "Smaken uit Sluis" zu überprüfen), aus dem ein ganz Großer werden könnte, wenn er seine Ideen noch kom pakter realisierte und die schon sehr gute kochtechnische Fundierung vervollkommnete. Jonnie Boer, fünfunddreißig Jahre alt, von "De Libri je" in Zwolle, laut "Lekker" der Beste, ist dito zeitgenössisch orientiert und ein Bewunderer der katalanischen und baskischen Avantgarde. Eher in der klassischen Tradition stehen Toine Hermsen in Maastricht und Cees Helder in Rotterdam, beide Meister einer gereiften, ausge
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wogenen Küche. Einer ihrer talentiertesten Köche, Emmanuel Mertens, der seine Zwei-Sterne-"Auberge" in Weert vor zwei Jahren schließen mußte, wird bald in Hamburg ein Restaurant eröffnen. Nicht vergessen sollte man die sehr große Anzahl guter asiatischer Restaurants, darun ter drei mit einem Michelin-Stern (gegen keins bei uns, je eins in Frankreich und Belgien), das "Sichuan Food" in Amsterdam, "Lai Sin's" in Driebergen bei Utrecht und das indonesische "Spandershoeve" in Hilversum. Zu erwähnen ist auch ein Motor der regen Szene rund um die Spitzenküche, die Zeitschrift "Club Culinair", ein ungewöhnlich in haltsreiches Forum, angesiedelt präzise zwischen Spitzenküche und fortgeschrittenen Privatköchen. Wir sind in Rotterdam, der Kulturhauptstadt Europas 2001 (zusam men mit Porto), einer Stadt, in der man sich nicht verlaufen kann: Man wird immer etwas finden. Die Fundstücke lassen dann allerdings grübeln, ob ein erster Eindruck von Science-fiction trägt oder ob man bereits realisierte Social-fiction betrachtet. Eines wird jedenfalls an gesichts aller Varianten der Moderne klar: Ein Architekturfreund ist auch immer ein Architekturfeind. Das Restaurant "Parkheuvel" des Cees Helder, im Moment wohl der klarste Kandidat für höchste Wei hen, liegt spektakulär auf einer Anhöhe am Ufer der Neuen Maas. Alles sieht zunächst sehr nach Kunst aus: bauhausnahe Architektur durchaus an die beiden prächtigen Villen gegenüber dem Museum Boijmans van Beuningen erinnernd - und ein Aufstieg in die heiligen Hallen von fast sakraler Gestaltung. Merkwürdig ist nur, daß der Herr dieser klaren Struktur auf Kochen als Handwerk und nicht Kunst be steht. Eine zufällige Verknüpfung mit der Bauhaus-HandwerkTheorie? Vieles spricht für Helders Einschätzung, vieles dagegen. Die Foie gras zu Beginn mit ihrem leicht karamelisierten Jus, Nüssen und Trüffeln glänzt durch bestes Produkt und feinste Abstimmung. Die "Lamellen von pochiertem Kabeljau mit geraspeltem Stockfisch, gepökelter Kabeljau und Tomatenbavarois" bestärken den ersten Eindruck. Diese Variation dreier wichtiger Kabeljau-Zustände, ge kocht, als Carpaccio und in getrockneter Form, entwickelt mit feins ten Nuancen - die Bavarois hat auch noch einen Geleedeckel, dazu ein weiter variierendes Tomatnecoulis - eine ganz erstaunliche Quali tät, etwa die ewig unsinnigen Jakobsmuschel-Carpaccios weit über treffend. Nach der "Königskrabbe in Butter, Risotto von Zucchini mit Schwarzwurzeln und Totentrompeten" beginnt man, einen Helder-Stil zu lokalisieren. Das erstaunlich "grün" schmeckende Risotto kommt nach Art einer offenen Ravioli mit getrüffelter Pasta, leichtes Brat
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aroma durchzieht die Krabbenstücke, die Schwarzwurzeln a point, ein elegantes Jus dazu, die Pilze etwas wenig, wiederum feinste Ab stimmung, ebenso wie bei der "Pasta à la creme mit Trüffel und Champignons, leicht gebackener Parmaschinken mit Stubenküken". Es klingt wie Italien, ist aber Cees Helder, aus klarem und sehr gu tem Grund. Helder hat ein selten anzutreffendes, dezentes Verhältnis zu Salz und Pfeffer, den so oft zerstörerisch ein Schein-Aroma auf bauenden, "Geschmacksverstärker" genannten Geschmacksvernich tern. Deren unsinnige Übergewichtung disproportioniert häufig das Geschmacksbild, verstellt den Blick auf die reinen Aromen der Pro dukte und verhindert ein räumlich-spektrales Geschmacksbild, in dem erst wirklich Harmonie und Akkorde entstehen. Der Reiz kräfti ger Gegensätze mag gesucht werden, er sollte aber Sinn und nicht schalen Effekt machen. Helder, der Handwerker, hat hier eine ganz und gar künstlerische, von Talent und nicht etwa von erlernbarer Materie bestimmte Hand. Weich, transparent, leicht und doch von völlig klarer Struktur addie ren sich die Aromen in jedweder Kombination zu stimmigen Akkor den. Die "Jakobsmuscheln, gegrillte Brotkruste und Blumenkohl mit Beurre noisette" und der "Lammrücken, die Schwarte kroß gebraten mit Estragon, getrocknete Tomaten und Kichererbsenpüree" bestäti gen dies makellos. Leider liefert Helder mit "Gegrillter Steinbutt mit Anchoviscreme, Pilze mit Basilikum, Petersilienjus und reduzierter Fleischjus" auch ein Beispiel für die Bereiche jenseits des schmalen Grates seines Kunsthandwerks. Der Fisch ist nicht gut genug, die Anchoviscreme (das Rezept ist eine Spezialität des Hauses) quasi nicht vorhanden, dazu eine hauchdünn gebackene Platte aus Kartof felscheiben, zu dunkel geworden und bitter statt von schönem Röst aroma. Die Teile schwächeln, die Magie funktioniert nicht. "Schade, daß das mit dem Steinbutt passiert ist", sagt Helder doch tatsächlich, "sonst wäre alles wunderbar gewesen." Die außerge wöhnlich unprätentiöse Art dieses kunstvollen Handwerkers läßt aus nahmsweise die Vermutung zu, daß ihm dies wirklich nicht wieder vorkommt. JÜRGEN DOLLASE
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Frisch auf den Tisch Wo Gourmets einkaufen
Supermarkt im Weinberg
Während der siebziger Jahre begannen einige geschäftstüchtige Win zer im kalifornischen Napa Valley damit, sich den wachsenden Tou rismus zunutze zu machen, indem sie nicht mehr nur Wein, sondern zum Beispiel auch T-Shirts mit ihrem Logo verkauften. Mittlerweile bieten viele kalifornische Weingüter ein breites Sortiment an - vom Weingelee über Weinseife und Tischsets bis hin zu Geschirrtüchern. Merkwürdigerweise hat diese Art der Vermarktung in Europa kaum Nachahmer gefunden, selbst T-Shirts mit Weingut-Emblem sind bei uns immer noch äußerst selten. Eine Ausnahme ist Alois Kracher, Österreichs bekanntester Süßweinproduzent, von dem schon vorige Woche die Rede war: In den vergangenen fünf Jahren hat er eine Palette von Gourmeterzeugnissen zusammengestellt, die freilich nicht als Souvenirs für Touristen gedacht sind, weil es beim Weingut Kracher in Illmitz am Neusiedlersee keinen Ab-Hof-Verkauf gibt. Aber sollten sich Weinproduzenten überhaupt an hochwertigen Le bensmitteln versuchen? Krachers Trockenbeerenauslese-Essig (Be zug aller Kracher-Produkte unter Telefon 00 43/21 75 33 77) zeigt, daß sich für kreative Winzer durchaus interessante Möglichkeiten eröffnen. Mit ausgeprägten Honig- und Karamelnoten sowie einer hervorragenden Balance zwischen Süße und Säure stellt er eine ex zellente Alternative zu Balsamessig bester Qualität dar und hat doch einen ganz eigenen Charakter. Zugute kommt Kracher dabei natür lich seine Zusammenarbeit mit Alois Gölles aus Riegersburg in der Steiermark, einem der Spitzenerzeuger von Destillaten und Essigen in Österreich. Ähnlich funktioniert das mit Krachers sehr guten Beerenauslese-Weingelees, die er zusammen mit Hans Staud produziert, dem österreichischen Spitzenfabrikanten für Konfitüren und eingeleg te Gemüse. Die Weingelees zeigen die gleichen Aromen von Pfirsich kompott und Gewürzen wie Krachers Süßweine und schmecken schon zum Frühstück. Im Gegensatz dazu ist der "Kracher Grand Cru" ein Beispiel dafür, daß Winzer bei der Vermarktung anderer Lebensmittel Vorsicht wal ten lassen sollten. Die Blauschimmelkäse-Beerenauslese-Zubereitung aus dem weißen Steinguttopf schmeckt zwar kremig und saftig - a ber mehr auch nicht. Ein Bleu d'Auvergne vom Affineur Janier aus Lyon oder ein Stilton von Colston Bassett aus England sind wesent
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lich eigenständiger, ausdrucksvoller und zugleich subtiler im Ge schmack. Mit einem Glas Trockenbeerenauslese von Kracher bilden sie einen weitaus überzeugenderen Abschluß eines guten Essens als diese prätentiöse "Grand Cru"-Zubereitung. Das sollte vielleicht nicht überraschen, wenn man weiß, daß Krachers Partner bei diesem miß lungenen Versuch die steirische "Berglandmilch" ist, ein Gigant im Vergleich zu den Familienbetrieben von Hans Staud und Alois Gölles.
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Weißgold aus Alba
Die neueste Erfindung italienischer Trüffelforscher sieht aus wie eine Mischung aus Stereoanlage und Beatmungsgerät. Von den zehn Schläuchen, die den Metallkasten verlassen, münden neun in gläser ne Trichter, der zehnte hingegen in ein fest verschlossenes Einmach glas, darin sich das Studienobjekt befindet: ein faustgroßes Exemplar des Tuber magnatum Pico, Genießern besser bekannt als Weißer Trüffel von Alba. Wird der Apparat in Gang gesetzt, pumpt er unter lautem Knattern das Trüffelaroma aus dem Einmachglas durch die vielen Schläuche direkt zu den neun Trüffelexperten, die ihre hoch sensiblen Nasen auf Kommando in die Glastrichter stecken. Einige Sekunden wird um die Wette geschnüffelt, dann müssen die Verkos ter auf einer Skala von eins bis neun ankreuzen, wie intensiv sie die einzelnen Aromen empfinden, aus denen sich der Trüffelduft zusam mensetzt - das Spektrum reicht von Honig über Heu und Knoblauch bis hin zu feuchter Erde und Ammoniak. "Was soll das Ganze?" mag sich fragen, wer die Szene beobachtet und dabei mit gravitätischer Miene in sich hineingrinst, weil es sich hier ganz offenbar um eine besonders ernste Angelegenheit handelt. Aber braucht es wirklich eine Maschine, um an einem Trüffel zu rie chen? Natürlich nicht, zumal gerade die weiße Knolle aus dem Pie mont einen so starken Geruch verströmt, daß man noch Stunden nach dem Besuch eines Trüffelmarktes glaubt, den Duft des kostba ren Pilzes wie ein Kielwasser hinter sich herzuziehen. Dennoch ist Giacomo Oddero, der Vorsitzende des "Nationalen Studienzentrums für Trüffel", von der Sinnhaftigkeit der Apparatur überzeugt, stelle sie doch sicher, daß alle Tester-Nasen die gleiche Dosis verabreicht bekommen und zudem der Trüffel vor störenden Außeneinflüssen bewahrt wird, weil er nicht mehr offen von einem Verkoster zum an deren gereicht wird. Nur mit dem Namen der Riechanlage ist Oddero nicht so recht glücklich: "Sniffer" heißt sie, und das erinnere ihn ir gendwie an die Drogenszene. Dabei existieren durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Drogen und Trüffeln. Da ist zum einen das einprägsame, zwischen edler Modrig keit und duftiger Frische changierende Aroma des Weißen Trüffels, von dem nicht wenige Feinschmecker behaupten, es könne süchtig machen. So, wie eine gute Auster das ganze Wesen des Meeres auf
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der Zunge zum Ausdruck bringt, ist ein Tuber magnatum Pico der geschmackliche Archetypus der Erde. Und bei Preisen von bis zu 4000 Euro für ein Kilo Weißen Trüffels denkt man ohnehin eher an Rausch- und weniger an Lebensmittel. Wer dann noch Albas Flanier meile, die Via Vittorio Emanuele, in Richtung jenes Zeltes entlang spaziert, das an diesen Wochenenden den offiziellen Trüffelverkäu fern als Marktplatz dient, könnte erst recht glauben, daß das "Weiße Gold" nicht über Bandnudeln oder Carpaccio gehobelt, sondern viel mehr als Pulver durch die Nase eingesogen gehört. Mit einer Ein schränkung freilich: Die Schwarzhändler - ältere Herren meist, die ihre Fundstücke verstohlen in blauweißkarierten Taschentüchern prä sentieren - sehen nicht gerade aus wie Kokain-Dealer. Von Mitte Oktober bis Ende Dezember hat der Weiße Trüffel Haupt saison, und die Trüffelsucher aus Alba und Umgebung rechnen dieses Jahr mit einer besonders guten Lese. Denn der zurückliegende Sommer war verhältnismäßig feucht, was das Wachstum dieses in Symbiose vor allem mit Eichen, Pappeln, Weiden, aber auch mit Ha selnußsträuchern lebenden Pilzes sehr begünstigt. Unter idealen kli matischen Bedingungen wächst sich ein Weißer Trüffel in windstillen Tallagen, die den Boden vor raschem Austrocknen und einem abrup ten Temperaturabfall bewahren, mitunter bis zur Größe eines Apfels von beachtlichem Umfang aus. Die Hoffnung auf solche Nuggets treibt Herr und Hund - wie Trüffel und Baum koexistieren auch sie in gleichsam symbiotischer Beziehung - jedes Jahr auf die sanften Hü gel des Piemont, wovon allerdings kaum ein Genuß-Tourist etwas mitbekommt. Denn gesucht wird nachts, und zwar aus ganz prakti schen Erwägungen: Erstens müsse er tagsüber arbeiten gehen, sagt Adriano Cavallo, der sich während der Saison beinahe jede Nacht mit seiner Mischlingshündin Linda auf Trüffelsuche begibt. Und zum zwei ten sei ein Spürhund bei Dunkelheit konzentrierter bei der Sache, weil die Ablenkung nicht so groß ist. Schlägt Linda an, was längst nicht bei jeder Exkursion passiert, gräbt Cavallo vorsichtig mit einer kleinen Hacke ein bis zu 40 Zentimeter tiefes Loch in den Boden und holt bei guten Gelegenheiten ein stattliches Exemplar ans fahle Licht seiner Taschenlampe. An die 200 000 Trüffelsucher tun es ihm in Italien gleich, wofür sie eine Prüfung abzulegen und 93 Euro im Jahr an den Staat zu entrich ten haben. Wie viele Trüffeln sie dabei finden, weiß allerdings nie mand. Wie will man auch einen Markt ermessen, der zum größten Teil überhaupt keiner ist, weil die meiste Ware direkt an Restaurants
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verkauft, selbst verbraucht oder an den offiziellen Institutionen vor bei gehandelt wird. Trüffel-Statistiker beziffern die amtliche Um schlagsmenge an Tuber magnatum Pico auf wenige Doppelzentner im Jahr, tatsächlich handelt es sich wohl eher um ein bis zwei Tonnen. Merkwürdig ist jedenfalls, daß in Italien den Statistiken zufolge die Summe aus interner Produktion und Import weit unter der Summe aus Eigenverbrauch und Export liegt. Giacomo Oddero und seinen Helfern vom "Nationalen Studienzent rum für Trüffel" sind solche obskuren Zahlen gar nicht recht. Denn ihnen geht es um den guten Ruf der Weißen aus Alba, weshalb etli che Trüffelkenner im Namen des Instituts auf die Märkte der Region ausschwärmen, um die Qualität der Ware zu überprüfen. Doch wo kein Markt, da auch kein Tester, der mit geschultem Blick den Unter schied zu einem minderwertigen weißen Trüffel aus China erkennt, die angeblich in schlecht beleumundeten Restaurants schon mal als das teure Original angeboten werden. Es gibt freilich einige Merkmale, an denen auch der Laie sich beim Kauf eines Weißen Trüffels orientieren kann. Grundsätzlich gilt: Je runder die Form und je glatter die gelbliche Oberfläche, desto höher der Wert. Außerdem sollte ein frischer, praller Trüffel von ausgepräg ter Festigkeit sein, darf also kaum nachgeben, wenn man ihn mit Daumen und Zeigefinger drückt - zu harte Exemplare sind meist un reif, zu weiche hingegen sind oft alt und haben viel von ihrem Aroma verloren. Ein perfekter Tuber magnatum Pico riecht harmonisch nach Knoblauch, Heu, Honig und Gewürzen, keinesfalls aber intensiv nach Ammoniak. Und sein von zahlreichen weißen, weitverzweigten Adern durchzogenes Inneres, die sogenannte Gleba, wechselt zwischen weißer bis rosa Färbung. Daß Weiße Trüffeln sich kaum länger als zehn bis zwölf Tage lagern lassen, davon profitieren vor allem die auf den daraus resultierenden Feinschmecker-Tourismus eingestellten einheimischen Gastronomen: Während der Saison bietet fast jedes Restaurant in und um Alba die "Grattata di Tartufo Bianco" an, bei der frischer Trüffel über Bandnu deln, Risotto, Tatar ("Carne Cruda all'Albese") und einiges andere mehr gehobelt wird - zu einem Aufpreis von rund 30 Euro, versteht sich. Je einfacher das Gericht, um so mehr kann übrigens der Trüffel sein Aroma entfalten: Das Gewächs braucht seinen Freiraum und sollte nicht von anderen dominierenden Geschmacksnoten kontras tiert werden. Eher ungewöhnlich ist insofern die Art und Weise, in
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der Trüffelsucher Adriano Cavallo seine Fundstücke am liebsten zu bereitet: Er mischt Parmesanflocken mit Trüffelspänen, läßt das Gan ze zwei Stunden ziehen und streut es dann über Spaghetti. Weißer Trüffel: Wo man ihn bekommt und was man damit macht Veranstaltungen rund um den Trüffel Wöchentlicher Trüffelmarkt noch bis zum 10. November jeden Samstag und Sonntag von 8.30 Uhr bis 20 Uhr im Hof "Della Mad dalena" in Alba. "IV. Weltversteigerung des Trüffels" am 10. November um 15 Uhr im Schloß von Grinzane Cavour nahe Alba (mit begleitendem Trüf felmarkt). Empfehlenswerte Restaurants "Enoclub", piazza Savona 4, Alba. Telefon (am Ort) 01 73/3 39 94. "Osteria Vento di Langa", via Pertinace 20, Alba. Telefon 01 73/29 32 82. "Savona" im gleichnamigen Hotel, via Roma 1, Alba. Telefon 01 73/44 04 40. "Castello di Grinzane", via Castello 5, Grinzane Cavour (nur weni ge Kilometer von Alba entfernt). Telefon 01 73/ 26 21 72. Rezept: Getrüffelte "Bagna Cauda" 200 Gramm gesalzene Sardellen 100 Gramm geschälter Knoblauch 30 cl bestes Olivenöl 50 Gramm Butter 60 Gramm Weiße Trüffel Ro hes Gemüse (Sellerie, Möhren, Fenchel, Topinambur, Radicchio ...) Die Sardellen entgräten, waschen und abtupfen, den Knoblauch in dünne Streifen schneiden. In einer Pfanne auf niedriger Flamme Öl und Knoblauch erhitzen. Vom Feuer nehmen und sofort die Sardellen hinzugeben, mit der Gabel zerdrücken. Die Butter hinzufügen und die Sauce in Portionsschüsseln geben. Jeder Gast gibt dann die Trüffel scheiben direkt auf seine Sauce, in die die frischen Gemüsestückchen getunkt werden.
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Fruchtbare Arbeit
Mitten in einem Gewirr von Spitzenprodukten aus aller Welt steht da plötzlich ein mannshoher Turm von Konfitüren-Gläsern wie eine Auf forderung, eines davon unbedingt mitzunehmen. Der Ort: LafayetteGourmet, eine der besten Feinkost-Adressen der Welt in den Pariser "Galeries Lafayette". Auch an anderer Stelle staunt man. Ob in der Nähe bei Star-Patissier Pierre Hermé oder beim grandiosen Chocolatier Marcolini in Brüssel: Es wird dort nur ein einziges Fremdprodukt verkauft, die Konfitüren und "Aigres-doux" (siehe Kasten) der 42 Jahre alten Elsässerin Chris tine Ferber. Alain Ducasse hat sie in seinen "Rencontres Savoureu ses", einem sehr lesenswerten Buch über französische Spitzenerzeu ger, vorgestellt, der spanische Avantgardist Ferran Adria bat sie, sich um die Lösung seiner kulinarischen Probleme zu kümmern - sie ge hört mit ihren Produkten zweifellos zu den bekanntesten Namen der französischen Gourmandise: Ferber und ihre Konfitüren. Wir sind in Niedermorschwihr im Elsaß, einem malerisch gelegenen kleinen Weinort unweit von Colmar. Die einzige Boulangerie/Patisserie im Ort hat vorösterlichen Hochbetrieb. Der Laden wirkt wie ein gewöhnliches Dorfgeschäft - kein Tempel aus Chrom und Glas wie viele Luxus-Patisserien in Frankreich. Es ist das Geschäft der Familie Ferber, und Christine ist vor allem Patissier, kulinarische Handwerkerin nach allen Regeln der Kunst. Ihre Popularität fordert sie an allen Fronten, was vor Ostern die Produktion Hunderter dieser kleinen Zucker- und Aromenbomben bedeutet, von denen man im mer zu viele ißt. 1998 wurde Christine vom Guide Champerard zum Patissier des Jah res gewählt, im renommierten "Guide des Croqueurs de Chocolat" ist sie eine von fünf Chocolatiers mit vier Sternen, nur Robert Linxe von der "Maison du Chocolat" in Paris wird höher bewertet. Ganz offen sichtlich finden wir hier also Handwerk auf höchstem Niveau und im Dauerbetrieb, nicht etwa - wie so oft - eine kuriose Show-Manufaktur nach Art des "entdeckten Geheimtips". Christine Ferber ist krank, eine heftige Erkältung plagt sie schon seit Tagen. Man sieht es ihr an, doch die Arbeit (14 Stunden am Tag für
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sie selbst, das Personal arbeitet in zwei Schichten) muß getan wer den. Hinter dem Laden befindet sich das "Atelier", etliche Räume, die mit Gerätschaften vollgestopft sind - eine kulinarische Werkstatt, die wie ein Stilleben ausschaut. Ferber sitzt an einem abgewetzten Roll wagen. Auf den Arbeitsflächen stapeln sich die Bestellungen, das Pensum für den Tag ist enorm. "Man hat mich ausgelacht, als ich mit den Konfitüren anfing", sagt sie. "Alle machen hier Konfitüren selbst, das brauche niemand, damit verliere man nur Geld." Aber warum hat sie sich dennoch darauf eingelassen? "Man muß im mer zuerst das machen, was einem geschmacklich gefällt, was man unter kreativen Gesichtspunkten machen kann. Erst dann kommen die geschäftlichen Überlegungen", sagt sie. Und weiter? "Bis heute habe ich immer Farben und Texturen vor Augen, eigentlich vor allem Farben. Man muß immer weiter zu den Dingen vordringen, von ei nem Detail zum nächsten. Man muß in den Dingen schwimmen." So spricht jemand, der offenbar von einer Passion beseelt ist. Die aktuelle Liste ihrer Kreationen verzeichnet 215 verschiedene Konfitüren und 36 Aigres-doux-Kreationen: von geradlinigen Basis aromen (etwa weißem Pfirsich) bis zu komplexeren Gebilden wie den "Elsässer grünen Tomaten mit Kürbis und Vanille". Typisch ist die, wie man es nennen könnte, Abhandlung einer Frucht mit verschiede nen Aromen. So gibt es zehn verschiedene Mirabellen-Kreationen: mit Zimt, Zitrone oder Honig, aber auch mit Kardamom oder chinesi schem Yunnan-Tee. Die Aigre-doux-Kompositionen reichen von "Rhabarber mit Ge würztraminer und Pfeffer" über "karamelisierte Zwiebeln mit Paprika und Balsamessig" bis zu "Brombeeren mit Zimt, Muskatblüte und Pinot noir". Beide Produktgruppen sind etwas für Gourmets. Die Ba sisaromen schmecken dank rigoroser Qualität der fast ausschließlich regional bezogenen Grundprodukte, einer strikt handwerklich manuellen Zubereitung in kleinen Portionen (nie mehr als drei bis vier Kilogramm je Durchgang, also ganz ähnlich der Vorgehensweise in guten Restaurants und völlig unterschiedlich zur industriellen Pro duktion) sowie präziser Abstimmung zunächst einfach nur in perfek ter Weise: nach sich selbst! Die komplexeren Konfitüren und die Aigres-doux folgen der Maxime "Was draufsteht, soll auch bemerkbar sein", zeichnen sich aber vor allem durch eine sehr feine, an Produkte der Spitzenküche erinnern
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de Aromenstruktur aus. Sie ähneln in gewisser Weise den gewürzin tensiven Chutneys des bretonischen Fisch- und Gewürzspezialisten Olivier Roellinger. Technisch zählt Ferber mit der Lösung komplizier ter Einmach-Probleme wie der in mehreren Arbeitsschritten ablau fenden "Rettung" der äußeren Gestalt so zerbrechlicher Dinge wie Himbeeren ohnehin zur absoluten Spitze ihres Fachs. In allem aber spiegelt sich eine Handschrift, die man - mit Ferbers Zustimmung übrigens - als weiblich im Sinne von weich und harmo nisch beschreiben könnte. Ganz ausgeprägt ist dieser Zug auch bei ihren Chocolats, die in sehr auffälliger Weise eine geringere Herbheit der Kuvertüre mit einer ungewöhnlich schmelzenden Füllung kombi nieren. Bekannteste Kreation ist hier die mit Earl Grey aromatisierte "Praline", wie wir im Deutschen sagen müßten. Einige Tage später, am selben Ort. Die Stimme ist wieder da, Ferber wirkt - ob krank oder gesund - sehr lebendig, ein echter Genuß mensch. Alles in ihrem Betrieb soll so bleiben, daß es den alltäglichen Ablauf nicht beeinträchtigt - also kein unkontrolliertes Wachstum, kein Einkauf von Zutaten in der ganzen Welt. Das menschliche Maß soll bestimmend bleiben, vor allem aber die ungebrochene Freude an der eigenen Kreativität. Und wenn Kunden aus Japan 600 Gläser bestellen, müssen sie sich mit den 300 begnügen, die noch übrig sind. Christine Ferber arbeitet nunmal keine Aufträge ab. Was lernt ein Amateur daraus, der seine Konfitüre zu Hause selbst herstellt? "Machen, ausprobieren, immer wieder und mit viel Zeit und Geduld. Das ist genauso wichtig wie die Produktqualität." Und: "Mit der Zeit dringt man tiefer in die Materie ein, wird alles von selbst besser." Keine wirklichen Geheimtips also von der Meisterin, die mit ihrer freundlichen Energie ein so überzeugendes Bild von der kulina rischen Handwerkerin und ihren außerordentlichen Möglichkeiten abgibt. Aber wahrscheinlich ist genau das ihr Geheimnis. La maison Ferber. 18, rue des Trois-Epis, morschwihr. Telefon 00 33/3 89 27 05 68.
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Sauer-Süßes aus der Marmeladenschüssel "Les aigres-doux" (sauer-süß) nennt Christine Ferber ihre speziellen Zubereitungen, die ähnlich wie Konfitüren hergestellt und konserviert werden. Sie vereinen mit verschiedenen aromatischen Zusätzen Ele mente der süßen und der herzhaften beziehungsweise sauren Küche. Eingemachtes von Frühjahrskarotten (für 5 Gläser à 200 Gramm): Zutaten: Circa 1 Kilogramm neue Karotten (entspricht 700 Gramm in versäubertem Zustand), 10 Zentiliter Cidre-Essig, 200 Gramm Kris tallzucker, 100 Gramm Akazienhonig, Saft einer halben Zitrone, eine Zimtstange (dicke Sorte/Tahiti-Zimt) in Stücken und in etwas Gaze eingepackt, eine Messerspitze fein geriebener frischer Ingwer, eine Messerspitze gemahlene Nelken. Zubereitung: Die Karotten schälen und nicht zu fein raspeln. In ei nem Topf einen Liter Salzwasser aufkochen, Karotten hineingeben und drei Minuten köcheln lassen. Mit einem Schaumlöffel entnehmen, in Eiswasser abschrecken und zwischen Küchentuch ausdrücken. Ka rotten, Zucker, Honig, Essig, Zitronensaft, Ingwer, Nelken und Zimt in einem großen Topf (am besten in einer kupfernen Marmeladen schüssel) vermischen. Vorsichtig aufkochen und etwa zehn Minuten köcheln lassen, dabei mit einem Holzlöffel dezent rühren. Auftreten den Schaum abschöpfen. Dann Zimtstange entfernen, noch einmal aufkochen. In die Gläser füllen, verschließen, auf den Kopf stellen und bis zum nächsten Tag erkalten lassen. Im Kühlschrank aufbe wahren. Paßt sehr gut zu einem Knochenschinken, zu einem Reblo chon oder einem Morbier. (aus: Christine Ferber, Mes aigres-doux, terrines et pâtés. Editions J'ai lu/Editions Payot & Rivages, 1999)
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Mit Käse schließt der Antony
FERRETTE, im November. Nur einmal kam Bernard Antony in seiner Karriere in Verlegenheit, ausgerechnet durch einen Deutschen. Auf der Käseplatte eines Diners im Elysée-Palast sollte auf Wunsch des Staats gastes, des deutschen Außenministers Fischer, auch deutscher Käse gereicht werden. In den Reifekellern von Bernard Antony liegt aber kein deutscher Käse, sondern ausschließlich französischer, 180 Sorten, aus denen er seine Buffets zusammenstellt. Mit einer Reminiszenz an ihre Heimat können allenfalls italienische, britische und Schweizer Staats gäste rechnen: Parmesan und Büffelmozzarella, englischen Stilton so wie Gruyère faßt der Meister an. Die Happen, die den Magen des deut schen Ministers schließen halfen, wurden anderweitig beschafft. Über das Menü ist nichts Nachteiliges bekanntgeworden, die Karte aber litt am Fehlen eines Glanzlichts, des Rubrums "Fromages d'Antony". Abgesehen von diesem kaum vorhersehbaren Fall - ein Außenminister besteht darauf, die Nachrangigkeit seines Landes auf dem Gourmet sektor zu demonstrieren -, kann Bernard Antony ein Auftrag aus min destens drei Gründen nicht in Verlegenheit bringen. Erstens: Er belie fert nur, wen er will. Das sind Leute, die seinen Käse selbst essen, und Restaurants, deren Küchen- und Kellerleistungen gegen seine Käse auswahl nicht zu sehr abfallen; mithin sämtliche Drei-SterneRestaurants Europas sowie eine Anzahl solcher mit zwei Sternen oder einem guten Koch. Wiederverkäufer, selbst Luxuskosthäuser wie Hédiard in Paris oder Harrod's in London, fragen in Ferrette vergebens an. Zweitens bekommen seine Kunden im Zweifelsfall nicht, was sie wollen, sondern, was er ihnen schickt. Drittens weil er stets Reserven hat: Fünfzehn Tonnen, pro Käsesorte ein Zentner bis zwei Doppel zentner, liegen auf das verzehrfertigste bereit, verteilt auf klimatisierte Reifekeller in den wichtigsten Käseregionen Frankreichs. Die Versor gung der Klientel ist also sichergestellt. Die wöchentlich je zwanzig Kilogramm beispielsweise für Antonys erste deutsche Restaurantkun den, die dreifach besternte "Schwarzwaldstube" in Baiersbronn und das "Schiffchen" in Düsseldorf, standen in den vergangenen zehn Jah ren nie in Frage und dürften, zur Beruhigung der deutschen Schlem merszene, auch in der nächsten Dekade verfügbar sein. Der freundliche Mann, der im achtundfünfzigsten Lebens- und drei ßigsten Käsejahr steht, macht selbst keinen Käse. Er ist "affineur",
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Verfeinerer, nicht "fromager", Käser. Bei den Käsereien kauft er das junge Milchprodukt und bringt es geduldig zur Reife, je nach Käse sorte in dreißig Tagen oder in zwei Jahren. Seine Käser kennt er alle persönlich. Die Ziegenbauern dürfen nur kleine Herden halten, bis zu 200 Tiere, damit alle genug Grünes finden. Die Kühe der Milchbauern dürfen im Winter nur Heu fressen, weder Silofutter noch Mais, damit die Milch würzig und reich an Mikrofauna bleibt. Bernard Antony affi niert ausschließlich Käse aus Rohmilch; für Käse aus pasteurisierter Milch hat er nur Spott übrig beziehungsweise ein Bonmot, das er bei seinen Auftritten zum besten gibt: Das sei etwas gegen den Hunger, aber kein Käse. Die deutschen Aussichten auf Aufnahme in sein Sortiment sind schon aus diesem Grunde denkbar schlecht: In Deutschland, wie auch in Holland und Dänemark, herrscht Pasteurisierungszwang. Milch wird kurzzeitig auf siebzig Grad Celsius erhitzt und dann rasch herunter gekühlt, wodurch neben eventuell vorhandenen Listeriose-Erregern vor allem die für die Käsereifung und den Geschmack verantwortli chen Bakterien verschwinden. Doch auch die rund 100 deutschen Käsereien, die nach Ausnahmeregelungen in der deutschen Käsever ordnung "Rohmilchkäse" machen dürfen, können lange warten. Sie pasteurisieren die Milch zwar nicht, aber sie "thermisieren" sie. Und sechzig Grad, wenn auch nur drei Sekunden lang, sind dem strengen Affineur immer noch vierzig Grad zuviel. Manche nennen Bernard Antony auch einen Käsepapst. Er selbst nennt sich "éleveur de fromages", zum einen, weil Pierre Androuët noch lebt, der französische Käsepapst, von dem er lernte, was er kann. Zum anderen, weil in dem Wort Eleveur das "Erhabene" an klingt und er die Käse schließlich aus der Niederung des Unfertigen in die Höhen des Vollkommenen hebt. Und zum dritten, um sich von seinen Kollegen abzuheben. Dafür sorgen freilich schon seine Elo quenz und sein Unterhaltertalent. Kein Käsekundiger taucht öfter in der Presse auf, im Fernsehen und in Jurys. Kein großes Champag nerhaus, kein bedeutendes Weinchâteau, das ihn und seine Käse nicht zu Präsentationen bäte. Kaum ein kulinarisches Spitzenereignis oder eine große Festlichkeit, die er nicht mit seinen Buffets samt Kommentaren schmückte. Ob einem Pariser Zwei-Sterne-Restaurant der dritte verliehen wird, ob die Grimaldi in Monaco ihre siebenhundertjährige Geschichte feiern, bei der Eröffnung des Ärmelkanals eine "historische" Käseplatte auf
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gebaut wird, ein feines Berliner Hotel dem Kanzler Schröder das kuli narische Leistungsvermögen der Hauptstadt demonstrieren will oder ob Monsieur und Madame Giscard d'Estaing nur einfach zu Hause ein wenig guten Käse essen wollen - es muß Bernard Antonys Käse sein. Die Termine gehen jährlich in die Hunderte, und bis auf wenige Aus nahmen liegen sie von Montag bis Mittwoch. Den Rest der Woche ist der Eleveur in Ferrette, in seiner Sundgauer Heimat. Die kleine Stadt im elsässischen Süden, nahe der Schweizer Grenze, trug vor dem Westfälischen Frieden den deutschen Namen Pfirt. Die Ruine der gräflichen Burg liegt noch auf einer Erhebung des nahen Jura und glänzt in der Herbstsonne. Der "Rabelais de la Gastronomie", zu dem ihn der französische Ein zelhandelsverband erhob, ist zuverlässig zu Hause anzutreffen und allein, bis auf eine Mitarbeiterin, die in der Küche seines "Sundgauer Käs Kaller" Birnenkuchen backt. Die andern haben frei. "Die 35Stunden-Woche! Ein Unfug!" Auch sonst ist es in der Rue de la Mon tagne ruhig. Keine Busse heute? "Busse, hier? Helikopter und RollsRoyces vielleicht, aber doch keine Busse!" Antony lacht und richtet etwas Käse an. Hinter der nicht sonderlich großen Ladentheke hän gen Auszeichnungen und Dankesschreiben, von Otto von Habsburg für "schöne Stunden im Keller", von Fürst Rainier von Monaco für eine Käsesendung, die man "en famille" degustiert habe, und Prinz Charles versichert seine Solidarität im Kampf gegen die Pasteurisie rung. Kundschaft tritt ein. Ein Paar aus Düsseldorf, das zwar nicht mit einer englischen Großlimousine gekommen ist, aber doch mit einem Kraftfahrzeug, das auf Betuchtheit deutlich schließen läßt. Der Chef bedient und berät, trägt auf dem Einwickelpapier den Käsena men, die Region und das Datum des spätesten Verzehrs ein und führt die Herrschaften - man fragt nach Wein - zu den stets im "Käs Kaller" vorrätigen, etwa 150 verschiedenen Tropfen. Sein Geschäft hat Bernard Antony im elterlichen Anwesen eingerich tet. Scheune, Stallungen und Remise wurden zu Laden, Probierstube und Reifekellern ausgebaut. Hinter dem Haus wacht der Hund, daneben steht ein Quittenbaum, davor ein alter Brunnen, der sein Wasser von einer Elektropumpe bezieht. Einen einzigen Bauern gibt es noch in Vieux-Ferrette, die Nachbarn in der Rue de la Montagne arbeiten in der Schweiz. So wie einst der junge Bernard, der als Sohn armer Bauersleute ("Vier Kühe und drei Hektar!") mit fünfzehn Jah ren Arbeit in einer Schweizer Besteckfabrik fand.
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Es folgten zwei Jahre Militär, dann sechs Jahre als Kaufmannsgehilfe in einem Gemischtwarenladen im Nachbardorf. Am Ende bot ihm der alt gewordene Besitzer das Geschäft an, und Bernard sagte zu. Vater Antony jedoch erhob Einspruch. Wenn schon einen Laden, dann zu Hause und nicht in der Fremde! Zu Hause aber war dafür kein Raum. Der Sohn verlegte den Laden in einen Lkw und fuhr damit ein Dut zend Dörfer ab. In dem rollenden Kolonialwarenladen bekamen die Landfrauen alles, was sie brauchten, von der Wurst bis zum Büsten halter. Die Ladenöffnungszeit ging von acht Uhr morgens bis Mitter nacht. Die 96-Stunden-Woche währte sieben Jahre, eine Zeit, in der Bernard Antony nach eigenem Bekenntnis auch deutschen Käse ver kaufte: Milkana und Scheibletten von Kraft. Eine radikale Wandlung erfuhr sein ambulantes Käsesortiment, als er seine Frau sowie einen ihn inspirierenden und fördernden Maître fro mager kennenlernte. Die Lehre in Paris beim Käsepapst Androuët tat ein übriges. Der Käs Kaller wurde eingerichtet, und für einen Augen blick schien sogar die alte Käsegeschäftsverbindung nach Deutsch land wiederaufzuleben. Doch die Verhandlungen mit der Allgäuer Großkäserei Champignon scheiterten nicht zuletzt an Antonys gut gemeintem Rat, das Unternehmen solle doch etwas von seinem vie len Geld in die Entwicklung eines "gescheiten" Käses stecken. Einen solchen würde er auch heute jederzeit und anstandslos elevieren und seiner Helikopter- und Rolls-Royce-Kundschaft einpacken. Bernard Antony entschuldigt sich, um einige Käsepakete für die Pari ser Spitzengastronomie versandfertig zu machen, als es vor dem La den auf einmal schattig wird. Ein Bus ist vorgefahren. Ein Bus aus Ludwigshafen mit etwa sechzig Pfälzern an Bord. Ob man hier bei dem berühmten Maître Antony sei, fragt die Reiseleiterin. Der Maître zö gert. Ob sie angemeldet seien? Nein, aber man mache eine Kulturreise ins Elsaß, und da habe man gedacht ... Wenn sie denn nur schauen möchten, seinetwegen. Doch man will nicht nur schauen. Antony zö gert abermals, dann ergibt er sich. Die internationale Presse muß war ten, die Kundschaft geht vor. Zwei Dutzend Pfälzerinnen drängeln sich vor der Theke, und der Eleveur wird wieder ganz Kaufmann. Eine Dreiviertelstunde lang berät und bedient er, wickelt ein und kas siert ("D-Mark sind kein Problem!") und steigt am Ende noch für ei nige launige Abschiedsworte mit in den Bus. Bald hat er das Busmik rophon in der Hand und wird Unterhalter. Lustiges und Lehrreiches über Rohmilchkäse, Wein und Prominente hören die deutschen Kultur
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reisenden und fühlen sich, als der Bus endlich losfährt, nicht schlech ter unterhalten und bedient als ihr Außenminister oder ihr Kanzler. Von diesem hat Antony, wie er der geduldigen Presse zum Lohn ver rät, eine gute Meinung. Er hält ihn für einen Gourmet. Vom Vorgän ger hält er auch viel. Hoch rechne er, Antony, ihm an, daß Kohl ein gegebenes Wort nicht breche. Und das, obwohl in Frankreich jeder wisse, wer ihm damals das Geld gespendet habe. Der designierte Käsepapst weiß es natürlich auch: Mitterrand war's. Aber vielleicht ist auch das nichts anderes als französischer Käse.
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Haben Sie denn auch Rohmilchkäse? Man muß das Beste kennen, um das Gute zu finden - so könnte ein erster Hinweis auf dem Weg in die etwas geheimnisvolle Welt kulina rischer Spitzenprodukte lauten. In aller Milde - wegen vieler Berüh rungspunkte - ist es zunächst nötig, die merkwürdige Form des Zeit geistes beiseite zu lassen, die den Verbrauchern mit ihrem Öko-istdie-höchste-Form-des-Genusses-Glaubenssatz eine Art politisch-korrektes Sinnesorgan einpflanzen will. Skepsis ist auch bei vereinfachenden Signalwörtern wie "Rohmilchkäse", "Nudeln aus Hartweizengrieß", "Balsamico" oder "Olivenöl" angebracht, und sei letzteres noch so "extra vergine". Denn ohne Spezifizierung sa gen diese Begriffe fast nichts aus, und überhaupt fängt das Universum der Spitzenprodukte dort an, wo Lexika nicht mehr weiterhelfen. Dort, an der Spitze der Pyramide, entstehen und realisieren sich die Maßstäbe unserer kulinarischen Kultur, dort wird es faszinierend und - es sei ge warnt - entwickelt sich schnell eine enorme Sogwirkung. Die besten Produkte ihrer Art entsprechen dabei nicht zwingend je nen, die man leichtfertig als Edelprodukte bezeichnet. Der Hummer etwa, entweder tiefgekühlt oder nach langen Handelswegen in über füllten Lagerbecken bewegungslos und unterernährt, gilt als edel und ist doch nur ein fader Abglanz des frisch gefangenen, hochaktiven bretonischen Kollegen. Die Ratte-Kartoffel, als Teil der Gattung "Kar toffel" weit entfernt vom Edelprodukt, wird zum beachtlichen Genuß, wenn sie den sandigen Böden von Noirmoutier entstammt und nicht der lehmigen Erde trittbrettfahrender Billigproduzenten. Denn Exklu sivität hat zunächst einmal nichts mit exorbitanten Preisen, dafür aber um so mehr mit der - oft durch viel Geld kaum zu überwinden den - begrenzten Verfügbarkeit des Produktes zu tun. So vertritt der bretonische Fisch- und Gewürzspezialist Olivier Roellin ger die Auffassung, Fisch gehöre niemals auf Eis, und die meisten Sor ten müßten am Fangtag verarbeitet werden. Die meisten Menschen dürften demnach nur noch Seezunge essen - denn die muß zwei Tage reifen, um bei der Zubereitung nicht zu schrumpfen. Erwähnt sei auch Christine Ferber, jene Konfitüren-Spezialistin aus dem elsässischen Niedermohrschwihr, die mitunter eine Lieferung von nur 20 Kilogramm einer bestimmten Apfelsorte zu einem speziellen Produkt verarbeitet. "Limitiert" ist glatt untertrieben für Pretiosen dieser Art.
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Hauptmerkmal eines Spitzenerzeugnisses aber bleibt die Qualität, die sich am besten an einem weitverbreiteten Produkt erläutern läßt. Dem Huhn, beispielsweise. Lassen wir zunächst die geschundenen Schnellmasthühner unberücksichtigt und beginnen wir mit dem fran zösischen "Label Rouge"-Geflügel, jenem durch viele Regeln quali tätsgesicherten Produkt, das auch in Deutschland beinahe ein Syn onym für gehobene Qualität ist. Aber handelt es sich auch wirklich um ein Spitzenprodukt? Im Gault-Millau-Magazin gab es unlängst einen seriösen Vergleichs test, dessen Ergebnis mit dem Satz zusammengefaßt werden könn te: "Label Rouge ist nicht gleich Label Rouge." Die Tester fanden ge schmackloses Fleisch von merkwürdiger Textur ebenso wie solches von durchaus ordentlicher Qualität. Das als Maßstab herangezogene Bresse-Huhn aber ließ alle anderen weit hinter sich. Ist also das Bresse-Huhn ein Spitzenprodukt? Wird es noch strenger überwacht und nach noch präziseren Kriterien produziert? Hühner sind Lebewesen, die naturgemäß unterschiedlich ausfallen. Ausschlaggebend ist folglich die Sortierung. Die oberste Güteklasse, makellos in der äußeren Erscheinung, ohne Blutergüsse, wohlproporti oniert und von etwa 1,6 Kilo Gewicht mit einem optimalen Fettanteil zur schonenderen Garung (und damit die butterweiche Konsistenz der Brust ermöglichend, die wir aus den allerbesten Häusern kennen), geht - wohin sonst - an die besten Restaurants Frankreichs. Die zweite Sortierung wird an die gehobene französische Gastronomie geliefert, die dritte an den französischen Fachhandel, und der Rest ... ins Aus land! Und zwar ausgenommen (weil in Deutschland der Verkauf mit Innereien nicht gestattet ist), in Styroporschalen konfektioniert, zu klein, nicht fett genug, bisweilen auch mit Merkmalen versehen, die auf eine nicht ganz korrekte Einhaltung der Bresse-Kriterien schließen lassen. Spitzenqualität will begriffen werden, und dies ist die Folge eines Lernprozesses. Erst wenn der - wie auch immer entstandene - persön liche Geschmack und die über Konventionen ermittelten, quasiobjekti vierten professionellen Kriterien übereinstimmen, wird Qualität adä quat erkannt. Dieser Prozeß läßt sich freilich durch hingebungsvolles Interesse erheblich beschleunigen. Man muß lernen, was das Beste ist, es als solches wahrnehmen und akzeptieren. Gelingt dies nicht - allzu oft als Folge mentaler Blockaden - droht die geschmäcklerische Igno ranz des Ungelernten. Natürlich wußte der alte Bekannte nichts über
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die Spitzenqualitäten, als er mit dem leichtfertig dahingeworfenen Satz "Ich mag keinen Ziegenkäse" eine Empfehlung ausschlug. Auch die nach "Rohmilchkäse" fragende Dame bediente sich nur der Wort hülse. In Supermärkten finden sich "Rohmilchkäse", die schlicht und einfach dem Sinn der Sache, nämlich dem nutzbar gemachten Bakte rienwachstum (,,Reifung"), nicht entsprechen. 37 Grad sollen bei der Herstellung nicht überschritten werden, 60 Grad werden toleriert, was Teile der Bakterienkulturen vernichtet. Das Ergebnis: tot, aber haltbar. Wer mehr erwartet, sollte mit seinen Studien konsequent an der Spitze beginnen. Etwa bei den Mitgliedern des "Cercle des Fromagers et Affineurs", einer Vereinigung von nur 13 Mitgliedern, zu denen einige der besten Adressen für Käse gehören. In Deutschland wird der "Cercle" durch Philippe Olivier in Saarbrücken vertreten, dessen Stammhaus sich in Boulogne befindet. Dort findet man Käse, dessen perfekter Zustand alle Beschreibungen zuläßt, die man vom Wein her gewohnt ist: Duft, Körper, Fruchtigkeit, Abgang und Nachhalt ver deutlichen, daß der Käse bei entsprechendem Niveau neben dem Wein das am differenziertesten zu genießende Produkt ist. Alléosse in Paris, Maréchal in Lyon oder der die Spitzengastronomie beliefernde Bernard Antony in Vieux Ferrette an der Schweizer Grenze haben teilweise sensationelle Qualitäten vorrätig, ganz aus der Abteilung "So gut noch nie gegessen". Olivier etwa war der Idee verfallen, daß Camembert, dessen Milch von ganz unterschiedlichen Wiesen (vom Meer bis ins hügelige Hinterland) mit völlig unterschiedlichen Mikro klimaten stammt, doch auch unterschiedlich schmecken müßte. Also rief er Lagen-Camembert ins Leben, ganz nach dem Vorbild des Weinbaus. Und tatsächlich hatte der Käse - vom Klassiker aus dem Pays d'Auge über den milden Bessin zum kräftigen Cotentin - klar unterscheidbare Konturen. Nichts anderes gilt für etliche andere Produkte: für Balsamico-Essige, jene "Tradizionale" genannten, jahrzehntealten Nektare, von denen Tropfen genügen, um Speisen ein unvergleichliches Aroma zu geben. Für Fleisch von den mit Bucheckern oder Eicheln gemästeten Schweinen, aus dem der unvergleichlich aromatische Pata-NegraSchinken hergestellt wird. Und natürlich für die Jahrgangspasta von Carlo Latini, deren Getreide zu einer ganz bestimmten Sorte gehört, die auf einem ganz bestimmten Feld in einem ganz bestimmten Jahr angebaut wird. Diese Nudeln haben einen bestechend "getreidigen" Geschmack und dienen bei vorsichtiger Kombination nicht als Aromen träger, sondern verfügen über edles Eigenaroma. Ganz zu schweigen
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von Gewürzen (zum Beispiel Tahiti-Zimt oder die Vanille givrée), die wegen ihrer Qualität völlig neue Dimensionen eröffnen. Und nicht zu vergessen die Schokolade etwa von Izrael in Paris oder dem Comp toir in St-Malo. Oder jene aus der Maison du Chocolat des Robert Linxe, wo die Einteilung nach unterschiedlichen Kakao-Sorten längst Standard ist. Wer sich aufmacht, die Welt der Spitzenprodukte zu erkunden, hat eine Entdeckungsreise vor sich, die nie enden wird. Sie ist jeden Aufwand wert. Wo man Spitzenprodukte kaufen kann Konfitüre: Maison Ferber, 18, rue des Trois Epis, F-68230 Niedermohrschwihr, Telefon 00 33/3 89 27 05 69. Bresse-Hühner: Opt Art Home Service für Feinschmecker, Am Hambuch 2, 53340 Meckenheim, Telefon 01 80/5 31 13 14. Der Opt Art Home Service eröffnet Privatkunden den Zugriff auf das Programm des Rungis Expreß, des größten deutschen Zulieferers für die Spitzengastrono mie (Mindestbestellwert 200 Mark). Käse: La Fromagerie de Philippe Olivier, Akazienweg 24, 66121 Saarbrü cken, Telefon 06 81/81 72 30. La Fromagerie Alléosse, 13, rue Pon celet, F-75017 Paris, Telefon 00 33/ 1 46 22 50 45 (kein Versand). Fromages Maréchal, Halle de Lyon - 102, Cours Lafayette, F-69003 Lyon, Telefon 00 33 / 4 78 62 36 77. Nudeln und Aceto Balsamico: Olive E Più, Ennenstraße 2a, 50825 Köln, Telefon 02 21/5 50 91 42. Gewürze: Izrael, 30, rue Francois-Miron, F-75004 Paris, Telefon 00 33 / 1 42 72 66 23. Le Comptoir, Annick Royer-Noel, Les Halles Centrales, F 35000 Paris, Telefon 00 33/2 99 79 66 11. Gewürz-Müller, Mühlgasse 9, 65183 Wiesbaden, Telefon 06 11/30 07 13. Schokolade: La Maison du Chocolat, 225, rue du Faubourg Saint-Honoré, F-75008 Paris, Telefon 00 33/1 42 27 39 44.
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Das Geheimnis der Tropfen vom "Schorsch"
VENNINGEN. Georg Heinrich Wiedemann ist ein Künstler. Mit seinen langen, zum Zopf gebundenen Haaren, seiner Nickelbrille und seinem zurückhaltenden Auftreten wirkt er nicht gerade wie ein Unternehmer, der mit seiner kleinen Firma weltweit Geschäfte macht. "Schorsch", wie den umtriebigen Essigwinzer im Dorf alle nennen, macht eher den Eindruck eines Eigenbrötlers, der gern tüftelt und vor sich hin werkelt. Daß dieser erste Eindruck gar nicht so falsch ist und das Multitalent Wiedemann tatsächlich von Zeit zu Zeit in seinem kleinen Atelier unter dem Dach der Lagerhalle mit Farbe und Pinsel arbeitet, das erfährt der Gast allerdings erst viel später. Dann nämlich, wenn der Hausherr des "Doktorenhofs" in der pfälzischen Winzergemeinde Venningen beiläufig erwähnt, daß er bei der Herstellung seiner berühmten Weinessige alles selbst macht: den Essig mit den verschiedensten Zutaten kombiniert, die geschwungenen Glasflaschen und speziellen Gläser entwirft und auch die farbigen Etiketten mit Öl- und Lackfarben malt - in seinem kleinen Atelier eben unter dem Dach der Lagerhalle. "Schorsch" Wiedemann und seine Frau Johanna haben sich mit der Umwandlung ihres Weinguts in eine Essig-Manufaktur vor gut zehn Jahren auf eine Reise begeben, von der sie lange nicht wußten, wo hin sie sie führen würde. Heute ist ihr Weinessiggut "Doktorenhof" vielen Feinschmeckern und Chefköchen in ganz Deutschland, aber auch in Europa, Asien und Amerika ein Begriff. Die 40000 Liter feins ter Essig, die die beiden dort jedes Jahr produzieren, werden inzwi schen in alle Welt verkauft. Gourmets, Hoteliers und Restaurant betreiber stehen bei den Wiedemanns Schlange. Das ist nicht immer so gewesen. Mitte der Achtziger war der "Dokto renhof" ein "normaler" Weinbaubetrieb. Zu normal, zumindest für "Schorsch" Wiedemann. "Wir hatten gar keine Probleme", erzählt er. "Aber wir waren unzufrieden." Als zu langweilig habe er das Geschäft mit dem Wein empfunden - und als zu wenig lukrativ. Durch alte Bü cher sei er auf den Essig gestoßen, habe sich für die alten Verfahren interessiert und schließlich mit seinen Weinen experimentiert. So lan ge, bis er eines Tages den "Doktorenhof" zum Essiggut gemacht habe. Der Anfang war schwer. Wiedemann mußte nicht nur die Essigpro duktion und die Vermarktung der sauren Tropfen von der Pike auf
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lernen, er und seine Frau sahen sich in den ersten Jahren auch vielen Anfeindungen von Nachbarn und Kritikern ausgesetzt. Mancher Pfäl zer Bauer hielt den "Essig-Schorsch" für einen Nestbeschmutzer, der es wagt, aus gutem Pfälzer Wein Essig zu machen. Daß der edle Re bensaft aus dem Weinberg durch die natürliche Umwandlung zu Es sig nicht verschwendet, sondern ganz im Gegenteil besonders raffi niert veredelt werde, das wolle so mancher einfach nicht verstehen, bedauert Wiedemann. Die meisten Kritiker sind inzwischen ver stummt - und blicken nun neidvoll auf die florierende Manufaktur. Was Wiedemann auf seinem "Doktorenhof" macht, hat mit herkömm lichen Essigen, wie man sie aus den Supermärkten kennt, eigentlich nichts zu tun. "Schorsch" spricht "von einem ganz anderen Produkt" und weist in diesem Zusammenhang auch gleich darauf hin, daß selbst edle Essige, die es in den Feinkost-Abteilung der großen Kauf häuser oder in kleinen Gourmet-Geschäften gibt, fast ohne Ausnah me mit maschineller Hilfe hergestellt werden. In seiner Manufaktur ist das anders - und das ist Wiedemanns Geheimnis. Er stellt seinen Essig nach dem alten, im 17. Jahrhundert entwickel ten Oréleans-Verfahren her. Wie ein Wein reifen seine Essigkreatio nen zwei bis drei Jahre. Als Basis dienen etwas mehr als ein Dutzend Rebsorten der traditionellen Art, die der gelernte Winzer auf seiner 6,5 Hektar großen Fläche anbaut: Riesling, Spät- und Weißburgun der, Gewürztraminer und Sylvaner. Nach dem Keltern gären sie zu erst als Wein rund ein Jahr in großen Eichenfässern. Erst dann kom men sie in die "Essig-Stube", wo der Wein in Barrique-Essigfässer umgefüllt und die gallertartige Essigmutter mit den Essigbakterien hinzugegeben wird. Die Acetobakterien verwandeln in einem natürli chen Vorgang den Alkohol des Weins zu Essigsäure und lassen so die saueren Spezialitäten des "Doktorenhofs" entstehen. Etwa 30 Sorten zu Preisen zwischen 22 und 95 Mark für 250 Milliliter bieten die Wiedemanns an: vom würzigen Salatessig mit Estragon, Sal bei oder Melisse über Aperitif-Essige mit wildem Löwenzahnhonig, O rangenblütenhonig, Ginseng oder Bourbon-Vanille bis hin zu exklusiven Spezialessigen wie dem mit Zitronengras gereiftem "Eau de Oyster". Doch das Sortiment bietet noch ganz andere Köstlichkeiten. Es gibt Es siggelees, Essigpralinen, mit Essig gerösteten Kaffee und seit einiger Zeit auch verschiedene Naturheilprodukte aus Essig: Heilpflanzenessig zum täglichen Einnehmen, Inhalationsessig oder Bade-Heilessig.
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Die Produkte des "Doktorenhofs" sind auch bei Käfer und Dallmayer in München zu finden, im KaDeWe in Berlin, bei Harrods in London oder bei Hanos in Amsterdam. In Spitzenrestaurants in Japan, Thai land und Hongkong hat Wiedemann mit seinen Essig-Menüs Begeis terung hervorgerufen, und selbst im Reich der Mitte hat er exklusive Kunden. Seine Essigliebhaberei hat ihn gar schon ins Fernsehen ge bracht. Nicht nur zu Kochkursen oder in Filme über die Heilkräfte der Natur: Ende August war "der Schorsch" in der Talkshow von Verona Feldbusch zu Gast, verteilte Essigpralinen und ließ sich von PunkDiva Nina Hagen bestätigen, daß sie schmecken. Doch aus solcher Popularität macht der 42 Jahre alte Mann sich nichts - sagt er. Er nennt solche Auftritte "Öffentlichkeitsarbeit" und gibt sogleich zu verstehen, daß ihm nichts daran liege; nur daß der artige Spektakel nun einmal zum Geschäft gehörten. Wenn es "dem Schorsch" allerdings zuviel wird, dann läßt er Geschäft Geschäft sein und zieht sich auf seinen "Doktorenhof" zurück. Dort schreitet er durch seinen von saurer Luft erfüllten Essigweinkeller, kontrolliert die großen Barrique-Fässer und ersinnt neue Kompositionen für seine edlen Tropfen. Die nötige Ruhe für diese Kreativarbeit findet er schließlich im Umgang mit Farbe und Pinsel - in seinem kleinen Ate lier unter dem Dach der Lagerhalle. PETER BADENHOP Weinessiggut "Doktorenhof", Raiffeisenstraße 5, 67482 Venningen, Telefon 0 63 23 / 55 05. Geöffnet Montag bis Freitag von 8 bis 12 Uhr, Mittwoch von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr, Samstag von 9 bis 14 Uhr.
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Nachgefragt und nachgemacht Von Meisterköchen lernen
Der Süden kocht auf kleiner Flamme
Mediterrane Küche gehört einfach zum Sommer-Feeling. Mit ein paar Tricks gelingen die Gerichte sogar in unseren Breitengraden. Sicher, der Einkauf für mediterrane Genüsse hat seine Tücken: Die Tomaten sind mitunter weitgehend geschmacksfrei, der Parmesan kann die Konsistenz von Sägemehl aufweisen, und das Basilikum hat auf dem Weg vom Markt nach Hause schlappgemacht. Aber lassen wir uns dadurch vom sommerlich-südlichen Essen abhalten? Versu chen wir, das Beste daraus zu machen - mit ein paar Tips, Tricks und Inspirationen aus dem Fundus der Küchengroßmeister. Bleibt die Küche kalt und wollen wir es roh, ist natürlich eine Schwie rigkeit unvermeidlich: Solche Gerichte stehen und fallen mit der Qua lität des Ausgangsprodukts. Da hat es die warme Küche leichter, bei der mit wenig Aufwand viel erreicht werden kann. Soll es trotzdem ein Tomatensalat sein, verzichten Sie am besten auf eine normale Vinaigrette und würzen statt dessen mit einzelnen, aber sehr guten Zutaten, und zwar erst auf dem Teller. Verteilen Sie sorgfältig und nicht zu knapp Fleur de Sel (die "Salzblume", das ist beste Salzquali tät), frisch gemahlenen Pfeffer sowie Fäden von nicht zu altem Bal samico (es kann auch Balsamessig von Ahornsirup sein) und Olivenöl bester Qualität im Verhältnis 1 zu 3. Beim Essen wird jeder Bissen anders schmecken, mal mehr nach Salz, mal mehr nach Balsamico. Sollen es Ofentomaten sein, können Sie auf das Enthäuten der Früchte verzichten. Statt dessen braten Sie die versäuberten Viertel zunächst in Olivenöl auf der Hautseite an, bis sie beginnen, weich zu werden. Mit Fleur de Sel, Limettenöl, einem Spritzer Zitrone und pro venzalischen Kräutern plus einer guten Prise Akazien- oder Kasta nienhonig entwickeln dann (bei etwa 130 Grad) selbst schwache Früchte erstaunlich viel Charakter. Das gleiche gilt im Prinzip auch für Fenchel- und Zucchinischeiben oder Paprikaviertel. Lohnend ist auch, einmal die Tomatensaucen zu variieren. Mit Hilfe einer ganz ungewöhnlichen Technik läßt sich eine warme Sauce ma chen, die nach rohen Tomaten schmeckt. Dazu die versäuberten To maten pürieren und mit etwas Gemüse- oder Geflügelfond, Salz und Pfeffer leicht köchelnd langsam eindicken. Wenn die Sauce nicht
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sprudelnd kocht, behält sie den frischen Geschmack roher Tomaten. Die einfachste und wirkungsvollste Variante ist eine sehr schön fein herb schmeckende Sauce von Tomaten und schwarzen Oliven im Verhältnis 3 zu 1. Dazu die versäuberten Tomaten würfeln und mit den entsteinten Oliven in etwas Olivenöl anbraten, bis die Tomaten zu schmelzen beginnen. Mit einem Stampfer die Oliven zerdrücken, etwas Fond angießen und bei geschlossenem Deckel 15 Minuten kö cheln lassen. Pürieren, passieren und eventuell noch etwas reduzie ren. Salz und Pfeffer sind nicht nötig, die Eigenaromen reichen. Auch das Gegenteil dieser rustikalen Zubereitung hat seinen Reiz, nämlich eine süße Tomatenzubereitung wie bei Alain Passard vom Pa riser "L'Arpège", der mit Trockenfrüchten und allerlei Gewürzen ein höchst interessantes Dessert kreiert hat ("Tomate mit zwölf Aromen"). Zurück zu den Oliven. Es gibt durchaus Menschen, die den herben Olivengeschmack nicht mögen oder sich erst an ihn gewöhnen müs sen. Benutzen Sie kleine Stückchen (ohnehin in dieser Form ein sehr gutes Gewürz) oder strecken Sie die Tapenaden von schwarzen Oli ven mit einem Zucchini- oder Tomatenpüree. Tapenaden von grünen Oliven vertragen sich gut mit Mandeln. Mischen Sie auch einmal Oli venöl und Butter, wie Ducasse es erfolgreich bei seinen "Pommes de terre écrasée" exerziert (das sind zerdrückte Kartoffeln mit Olivenöl, bester ungesalzener Butter und Fleur de Sel). Wer mit Olivenöl anbrät, wird sich bisweilen fragen, wo denn das Ölaroma geblieben ist. Abhilfe schafft ein Öltypus mit dem Ge schmack ziemlich reifer Oliven, wie etwa das Cornille-Öl aus Maussa ne in der Provence. Damit angebraten, bleibt der Geschmack deutlich erhalten. Dieser Effekt findet sich bei den frischer schmeckenden italienischen Ölen sehr selten. Will man auf einen angerichteten Tel ler etwas Olivenöl träufeln, wird es normalerweise beim Kontakt so fort erwärmt und verliert viel von seinem Aroma. Einige Spitzenkö che haben für diesen Zweck eine Flasche auf Eis liegen: Abgekühlt über ein Stück Wolfsbarsch geträufelt, erhält es noch eine Zeitlang sein klares Aroma. Gut macht sich auch das Ummarinieren von eingelegtem Thunfisch, Sardinen oder Gemüse (etwa Artischockenböden). Dazu den Fisch oder das Gemüse gut abtrocknen, besser: abtupfen und mit etwas Zitronensaft und einigen Kräutern im Öl Ihrer Wahl unter Folie im Kühlschrank für mindestens einige Stunden marinieren.
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Ähnlich kann man übrigens mit frischem Fisch verfahren, den man aber auch vollständig in Olivenöl untergetaucht erhitzen und langsam garziehen lassen kann - ein Verfahren, das in der Spitzenküche der zeit sehr in Mode ist. Welches Öl sich hierfür besonders empfiehlt, muß ausprobiert werden; mit dem richtigen jedenfalls bekommt das Gericht dann schon eine ziemlich subtile Note. Beliebt sind vor allem in spanischen und südfranzösischen Gefilden die Kombinationen "terre et mer" oder "mar y montana", also Zu sammenstellungen von Meeresgetier und Fleisch. Hier empfiehlt sich für willige Novizen, aber auch für die Freunde feinster Abstimmung, eine Saucenreduktion (Butter, Schalotten, Weißwein, Fond), in die man zur Infusion ein gutes Stück von rohem, leicht geräuchertem Schinken gibt. Die Sauce wird damit je nach Verweildauer schwach oder kräftig parfümiert, dann noch etwas reduziert, mit Olivenöl vor sichtig aufgeschlagen ("warme Vinaigrette") und ergibt zu einem Stück gebratenem Fisch eine mehr oder weniger dezente Annähe rung an den Fisch-Fleisch-Geschmack. Wer es etwas kräftiger mag, hat vielleicht Spaß an einer GarnelenZubereitung, wie sie auch Ferran Adrià schätzt. Dabei werden die kompletten Exemplare zunächst in einer Kurz-Brühe ("Court-Bouillon") vorgegart. Dann den abgetrennten Kopfteil des Tierchens scharf an braten, zum Abkühlen beiseite stellen, danach fein hacken und pas sieren. Der ausgesprochen aromatische Jus wird dann mit den in Knoblauch gebratenen Schwänzen und feingeschnittener Blattpetersi lie kombiniert. Zurück in milderen Gefilden empfiehlt sich für viele mediterrane Ge richte ein großzügiger Kräutereinsatz. Nicht zu fein gehackte, mög lichst vielfältige Kräuter über allem und jedem haben einen großen Vorteil: Sie lockern das Gericht auf und sorgen für immer wieder ü berraschende Akkorde. Beim Garen mit Kräutern sollte man größere Mengen verwenden, sonst wirken sie nicht. In der Pfanne verbrennen sie schnell, deshalb eignen sie sich vor allem für Schmorgerichte im Ofen. Gut ist die zweifache Verwendung: Lamm in Thymian und/oder Rosmarin anbraten und später auf dem Teller die sehr fein gehackten Kräuter nochmals frisch dazugeben. Das Allheilmittel Parmesan sollte man am besten nicht gemahlen einsetzen, sondern als ganz klares Element. Der Käse muß dazu am Stück gekauft werden, sollte mindestens 24 Monate alt sein und wird
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mit dem Trüffelhobel zu Spänen gehobelt. Eine typische Verwendung - endlich einmal ohne Pasta - wäre Hühnerfilet mit getrocknetem Schinken, dem erwähnten Tomaten-Oliven-Coulis und Parmesanspä nen. Zuletzt noch ein Plädoyer für ein viel zu selten genutztes Element, die Kapern - ob eingelegt oder noch als frische Beeren. In Saucen aller Art oder Salaten, fein gehackt, ganz oder in Scheibchen ist ihre würzige Säure für quasi alle Zubereitungen prächtig zu gebrauchen. Wer den nebenstehenden Degustationsteller gekostet hat, kann es bestätigen.
Mediterranes Vorgericht Zutaten: Je Teller braucht man 50 Gramm Penne oder Fusili, al dente gekocht; einen jungen Picodon (sehr milder Ziegenkäse), gut gekühlt; einen Eßlöffel nicht zu stark geröstete Pinienkerne; zwei Eßlöffel frische Tomatensauce (warm, mit dem Geschmack von rohen Tomaten, s. Text); zwei Eßlöffel Tomaten-Oliven-Sauce (s. Text); vier Achtel O fentomate, angebraten und geschmort mit Fleur de Sel, Limettenöl und etwas Pfeffer; vier Scheiben Zucchini, angebraten und ge schmort mit Fleur de Sel, provençalischen Kräutern, einem Spritzer Zitrone und etwas Akazienhonig; einige fritierte Basilikum- und Rau keblätter, Streifen von frischem Basilikum; acht Parmesanspäne von altem Parmesan; einen Eßlöffel Balsamico, etwa acht Jahre alt; ein bis zwei Eßlöffel vorgekühltes Olivenöl mit frischem Aroma (z. B. tos kanisch). Anrichten: Käse in die Mitte des Tellers setzen, Pinienkerne rundum verteilen. Nudeln flach auf eine Tellerhälfte geben, Tomatensauce darüber. Tomaten und Zucchini in der anderen Hälfte verteilen. Fritierte Kräu ter auf den Käse legen. Tomaten-Oliven-Sauce zwischen dem Gemü se verteilen, Parmesan und Basilikumstreifen über den ganzen Teller geben. Balsamico und Olivenöl in Fäden darüberziehen.
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Im Labor für Feinschmecker Strenge Wissenschaft hat in der Küche nichts verloren? Von wegen: Nach einem Physik-Grundkurs kocht es sich viel besser! Es war ja zu erwarten, daß Naturwissenschaftler irgendwann auch die Küche als Terrain für ihre Feldforschungen entdecken würden. Wo einst die Meister der Kochkunst gerne auf unerklärliche Geheimnisse verwiesen, führen nun die studierten Experten mit naturwissen schaftlicher Gründlichkeit ein physikalisches Gesetz oder eine Erklä rung aus der Welt der Chemie an. Sollen sie ruhig, denn auf diese Weise leisten sie durchaus praktische Hilfe für die vielen kleinen Wid rigkeiten des Küchenalltags. Großmeister aller Koch-Wissenschaftler ist der auch bei uns sehr bekannt gewordene Franzose Hervé This (Autor des Werks "Rätsel der Kochkunst - Naturwissenschaftlich er klärt"), dessen neuestes Buch "Casseroles éprouvettes" bei uns leider noch nicht erschienen ist. Zu einigem Renommee gebracht haben es auch die Amerikaner Harold McGee ("On Food and Cooking" sowie "The Curious Cook") und Robert L. Wolke, dessen Titel "Was Einstein seinem Koch erzählte" jüngst auf deutsch herauskam. Und was sind nun die griffigsten Resultate ihrer Untersuchungen? Be ginnen wir mit dem Champagner zum Aperitif, der schöner perlt, wenn man die Gläser nach dem Spülen mit klarem Wasser auswäscht. Spül mittel enthält nämlich Stoffe, die das Perlen behindern können. Trinken Sie ansonsten Ihren Wein aus guten, aber nicht unbedingt speziellen Rot- oder Weißwein-Gläsern. Gläser, die sich für Weißwein bewährt ha ben, sind auch am besten für Rotwein geeignet - und umgekehrt. "Ein Dogma zerfällt" kommentiert Hervé This dieses Forschungsergebnis. Mit den ersten Bissen dringen wir tiefer in die Materie ein. Um ein A roma besonders gut aufzuschließen, soll man kauen. Wie lange, das hängt vom jeweiligen Nahrungsmittel ab. Für jedes gibt es eine opti male Anzahl an Kaubewegungen. Normalerweise entwickelt der Mensch einen Automatismus dafür und merkt instinktiv, wann es ge nug ist. Zu langes Kauen (etwa bei zähem Fleisch) ist nicht hilfreich, im Gegenteil: Der Geschmack wird immer fader, weil die aromatisch wirksamen Bestandteile längst abgearbeitet sind. Bei zu hastigem Es sen dagegen kann es passieren, daß die Aromen gar nicht erst aufge schlossen werden. Um so verwunderlicher ist es, daß unsere Spitzen köche, darunter etwa Dieter Müller vom "Schloßhotel Lerbach", durch die Bank äußerst zügig essen - um es milde zu formulieren.
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Einem besonders hartnäckig sich haltenden Gerücht zufolge wird der Wein in einem klassisch durch Einkochen reduzierten Saucenaufbau durch das Erhitzen von seinem Alkohol befreit. Falsch. Mal verbleibt ein kleiner, mitunter aber auch ein durchaus erheblicher Anteil von Alkohol in der Sauce - ohne daß sich der Gehalt genau voraus bestimmen läßt. Abhilfe kann geschaffen werden, indem der Wein vorab flambiert wird; das ist - einem weiteren Gerücht zum Trotz übrigens ohne weiteres möglich: Man muß den Wein in einer Kasse role nur etwas erhitzen und dann anzünden. Ganz langsam findet mittlerweile auch die Erkenntnis Verbreitung, daß beim Anbraten von Fleisch keine Poren zu verschließen sind, die an geblich den Saft im Fleisch versiegeln. Denn Fleisch hat überhaupt keine Poren, und beim Anbraten verliert es an Wasser (daher stammt auch das Bratgeräusch). Die erwünschte Zartheit hängt in erster Linie von der Kerntemperatur ab. Gut strukturiertes und gereiftes Fleisch ist im Rohzustand weich. Je weniger das Endprodukt davon abweicht, desto "zarter" kommt es uns vor. Wichtig für das gebratene Stück ist allerdings die Ruhezeit nach dem Ende des Bratvorgangs. Die noch im Innern des Fleischs vorhandene Flüssigkeit kann sich dann im ganzen Stück verteilen und erreicht auch die durch das Braten ausgetrockne ten äußeren Partien, die somit wieder zarter wirken. Falls Sie ein Fleisch-Thermometer benutzen, sollten Sie nicht unmit telbar an einem womöglich vorhandenen Knochen messen. Der Kno chen leitet die Temperatur nämlich schlechter, das Meßergebnis könnte täuschen. Ein Wort zum Salzen: ob vorher oder nachher, das spielt bei Fleisch in der Pfanne keine Rolle, es trocknet nicht aus. Und eine Salzmühle braucht man eigentlich auch nicht, denn im Gegen satz zu Pfeffer enthält Salz keine flüchtigen Stoffe, die beim Mahlen unmittelbar vor Gebrauch freigesetzt werden könnten. Eine klassische Frage in der Küchentheorie lautet: Muß man Koch fleisch mit kaltem Wasser aufsetzen, oder kann man es auch in ko chendes Wasser geben? Das Ergebnis der Forschung: Es ist egal. Nach einer Stunde haben beide Stücke den gleichen Gewichtsverlust, sind also in gleicher Weise ausgelaugt. Wenn Sie das Fleisch aller dings in der entstandenen (oder auch einer anderen) Bouillon abküh len lassen, nimmt es wieder rund zehn Prozent an Masse zu und saugt auch wieder etwas vom Aroma der Umgebung auf.
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Im italienischen Fach bewegt uns ja schon seit langem die Frage, ob die Gnocchi gar sind, wenn sie an die Wasseroberfläche aufsteigen. Die Antwort: Nein. Daß die Knödel aufsteigen, ist nicht der präzise Indikator für den erreichten Garpunkt. Während ganz kleine Gnocchi schon gar sind, gilt das noch nicht für größere - die freilich zur glei chen Zeit nach oben steigen. Auch die Sache mit dem Öl im PastaKochwasser wird oft falsch verstanden. Im Wasser kleben die Pasta nie aneinander, gleichgültig, ob mit oder ohne Zugabe von Öl. Erst wenn sie aus dem Wasser genommen werden (nicht abschütten!), kann das an der Oberfläche schwimmende Öl sie ummanteln und so ein Zusammenkleben verhindern. Viel wichtiger ist der Erhalt des vollen Pastageschmacks, speziell bei den Spitzensorten mit ihrem wunderbar getreidigen Aroma. Hier kann das Auslaugen im Wasser dadurch begrenzt werden, indem man sie in einer eiweißhaltigen Flüssigkeit (etwa in einer Bouillon) gart. Auch etwas Säure (zum Bei spiel Essig) wirkt dem Auslaugen entgegen. Naturwissenschaftlich begründbar ist auch der beste Trick fürs Auf tauen. Am schnellsten geht dies in einem Edelstahl-Topf oder einer Edelstahl-Pfanne, weil das Material die Temperatur am besten wei terleitet. Gewarnt wird vor allzu sorglosem Umgang mit Öl. Der Rauchpunkt von Olivenöl (also die Temperatur, bei der das Öl toxisch wird) kann zwischen einzelnen Sorten und je nach Alter oder Oxyda tionsgrad erheblich differieren (zwischen circa 205 und 235 Grad). Will man Öl erhitzen, ist generell zu Frische und möglichst niedriger Temperatur zu raten. Zur Abwechslung mal eine beruhigende Erkenntnis: Die "grünen" Kartoffeln, deren Farbe nicht Unreife signalisiert, sondern die ein Zei chen dafür ist, daß sich toxisches Solanin als Reaktion auf Sonnen licht gebildet hat, sind nicht besonders giftig. Es reicht, die grünen Stellen herauszuschneiden, der Rest kann verwendet werden. Zum Schluß noch ein kleiner Tip für Käse- oder Fleischerzeuger, die in Deutschland leider noch viel zu selten echte Spitzenqualität lie fern: Der Zusammenhang zwischen Futter und dem Geschmack der Endprodukte ist eindeutig nachgewiesen. Von einer Techno-Wiese mit nur einer einzigen Grassorte kann nichts anderes kommen als ein fades Endprodukt. Und wußten Sie, daß Tomaten und Parmesan ihre eigenen Geschmacksverstärker sind? Beide enthalten nämlich viel freies Glutamat.
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Kopfsalat in Feuer und Eis
Da liegt der Steinbutt. Wir stehen drum herum, und es kommt zu einem Erlebnis, das auch den, der lieber ißt als kocht, gleich für die sen Kochkurs einnimmt: Michael Hoffmann, Sterne-Chefkoch im Re staurant Margaux in Berlin und heute zum "Endtenfang" in Celle ge kommen, wirft einen langen Blick auf den Fisch, betastet ihn vorsich tig prüfend, fast zärtlich sieht es aus, schaut ihm in die Augen. In diesem Moment wird eine so innige Beziehung zwischen dem Koch und dem, was hier nicht Nahrungsmittel heißen kann, sichtbar, daß man überzeugt ist, hier mehr lernen und erlernen zu können als nur ein paar neue Kochtechniken und Gerichte. Für alle Kochinteressierten wird mittlerweile eine Vielzahl von Arran gements in den unterschiedlichsten Häusern angeboten. Der Erfolg zeigt, daß es hier ein echtes Bedürfnis und eine Leidenschaft gibt, von den Profis etwas zu lernen, womit man zu Hause die eigene kuli narische Kultur verfeinern kann. Freilich ist die Art Kultur, von der wir hier sprechen, immer ein Ganzes - oder es ist gar nichts. Zum guten Essen gehört auch der richtige Wein, zum richtigen Wein nicht nur das passende Glas, sondern auch die passenden Gäste in einer angemessenen Umgebung. Man kann das so weiter durchdeklinieren und wird am Ende einen Lebensstil umrissen haben, der sich dadurch auszeichnet, daß er die Verfeinerung im Genuß mit der Schärfung der Wahrnehmung und des Bewußtseins verbindet. Diesen Lebensstil kann man sich - zum Glück - nicht kaufen. Man kann aber erfahren, wie es sich anfühlt, stilvoll zu leben. Und man ist hierbei nicht zur Einsamkeit verdammt, sondern steigert die Erfah rung im Gegenteil noch durch den Kontakt mit Menschen, die diese subtile Art der Lebenssteigerung gleichfalls schätzen. Hierdurch wird der Horizont nicht allein um Kenntnisse, sondern auch um Personen und Beziehungen erweitert. Nimmt man alles in allem, ist es eines der klassischen Ziele der bürgerlichen Geselligkeit seit dem neun zehnten Jahrhundert - von der man heute allenfalls noch einen Schatten von Ahnung hat. Das Gesamtkonzept des verfeinerten Lebensgenusses allerdings muß man neu erfinden. Was die Industrialisierung der Lebenswelt zerstört hat an traditionellem Haushaltswissen über die Beziehung von Natur
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und Geschmack, von Bekömmlichkeit, Wirkung und Komposition ver schiedener Ingredienzen eines guten Essens, muß nun also neu ge wonnen werden. Und hier ist der Fürstenhof Celle Anfang dieses Jah res einen Schritt vorangegangen, indem er mit einem "Concierge"Programm gegen eine moderate monatliche Gebühr die Mitglied schaft in einem "Lifestyle-Club" anbietet, der mehr bieten will als Weinflaschen und Kochkurse. Das Neuartige liegt in der kontinuierli chen Beratung und Hilfe, nicht nur bei der Weinbeschaffung, sondern zum Beispiel beim "Golf-Concierge" bei der korrekten Haltung beim Abschlag. Und mit Hilfe des Hochzeits-Concierge ist es leichter mög lich, dem Willen Ausdruck zu verleihen, die Heirat nicht als Ende, sondern als Anfang und Weiterentwicklung eines gemeinsamen Stils zu begreifen. Das Dach all dieser Aktivitäten bildet der WeinConcierge, der sich der Unterstützung so kompetenter und preisge krönter Sommeliers wie Dorothee Schur, Sommelière des Jahres 2002, Alice Beckmann, der Leiterin des Online-Angebots des WeinConcierge, sowie Rakshan Zhouleh, dichterisch ambitionierter Som melier des Jahres 2002, versicherte. Zhouleh zeigt nicht nur Ge schmack für ausgesuchte Weine, sondern ebenso für gesuchte Wor te, mit denen er in Gedichtform den ganz besonderen Weinen einen langen Abgang auch in der Phantasie verschafft. Daß dies alles auf solidem Handwerk beruht, gewürzt mit einer Prise künstlerischer Freiheit, begreift man auch als Laie in dem Kochkurs sehr bald. Man freut sich wie bei gelungener Akrobatik, wenn Chef koch Hans Sobotka, wenn Matthias Gförer, der junge Sous-Chef von Michael Hoffmann im Margaux, oder der Spezialist der italienischen Küche, Helmut Griebel, auf jeweils eigene Art ihr Repertoire und ihre Improvisationskunst zeigen. Was dabei für den Kursteilnehmer an Eindrücken und Wissen bleibt, kann beträchtlich sein. Ob es darum geht, einen mittelalten Balsamico dickflüssiger und intensiver zu ma chen, indem man ihn kurz erhitzt, oder ob man einen Kopfsalat in kochendes Wasser legt, bis er ziemlich traurig eingegangen ist, ihn dann in Eiswasser taucht und anschließend im Backofen ein wenig schmoren läßt, um am Ende einen sehr knackigen, intensiv schme ckenden Salat essen zu können - wunderbare und doch nachvollzieh bare Zauberstücke dieser Art wecken die Lust, zu Hause sich und den eigenen Sinnen zu trauen. Mehr kann man kaum verlangen. Information: Der Fürstenhof Celle bietet verschiedene Arrangements und Kurse an, über die man sich bei www.wein-concierge.de oder bei Alice Beckmann, Tel. 05141/201139, informieren kann.
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Impromptu am heimischen Herd
Jeder Profi weiß es, aber kaum einer sagt es in aller Deutlichkeit: Die größten Fortschritte machen Hobbyköche, wenn sie am Herd nicht stur nach Rezeptbüchern arbeiten, sondern stattdessen sehr viel mehr Kreativität walten lassen. Mit Leichtigkeit kann so binnen kur zer Zeit die Qualität von Convenience-Produkten übertroffen werden, sogar kleine Meisterwerke sind möglich. Im Grunde bleibt dem Laien auch gar nichts anderes übrig, als zu improvisieren. Denn bei vielen Rezepten sind die Zutaten häufig entweder nicht gleichzeitig zu bekommen oder zumindest nicht in gleichmäßig guter Qualität. Was tun, wenn es die Jakobsmuscheln nicht frisch, sondern nur aus der Dose gibt, und der Avocado-Schaum dazu von einer un reifen Frucht stammt? Der kreative Koch wird in solchen Fällen die besten Sachen kaufen, die er findet, und währenddessen über ein passendes Gericht nachdenken. Aber auch ohne den berühmten Gang über den Markt ist Kreativität gefordert - spätestens dann, wenn der Blick in die häusliche Vorratskammer zu Einfallsreichtum zwingt. Denn wer Reste optimal verwerten will, muß eben "erfinden". Und dabei wird vor allem eines trainiert, das in Kochbüchern prak tisch keine Erwähnung findet: der eigene Geschmack. Beim Kochen nach Rezept wird einem die Geschmacks-Entscheidung weitgehend abgenommen. Erst die Eigenverantwortung, dieser anfangs sehr an strengende Zwang, über Gewürze oder Garpunkte selbst zu ent scheiden, bringt einen ambitionierten Hobbykoch wirklich weiter. Drei Voraussetzungen sind nötig, um in der Küche erfolgreich kreativ zu sein. Die erste sind Grundkenntnisse über die unterschiedlichen Kochtechniken. Zweitens die Fähigkeit zur Analyse, also zu erkennen, ob etwas überwürzt ist - das läßt sich trainieren. Und drittens muß man den Mut aufbringen, bestehende "Geschmacksbilder" zu ändern. Wer zum Beispiel aus Tomaten, Aromen und Fond eine Sauce machen will, aber dann leider feststellt, daß diese zu kräftig schmeckt, könnte daraus mit einem guten Stich Butter und Sahne eine Cremesuppe ma chen, am Schluß abgerundet mit einem Faden vorgekühlten Olivenöls und in ausgelassenem Räucherspeck geschwenkten Croutons. Wer kreativ kochen will, sollte sich ein paar Regeln zu Herzen neh men (siehe Kasten), und vor allem nicht ganz unpräpariert an den
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Herd treten. Ein "Mis-en-place", also das Vorbereiten von Gemüse, Fisch oder Fleisch zur sofortigen Verwendung, verhindert zumindest, daß das Fett in der Pfanne schon schwarz wird, die Schalotten aber noch nicht gewürfelt sind. "Einfach draufloskochen" kann man nur dann, wenn man von möglichst vielen gut präparierten Zutaten um geben ist. Bei entsprechender Vorbereitung, verbunden mit der nöti gen Konzentration (den Herd nicht verlassen!), kommt es auch nicht zu Panik und Hektik, die immer dann entstehen, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Der häufigste Fehler besteht allerdings regelmäßig in Überwürzung oder Übergarung. Allzuschnell folgt nämlich der Ana lyse "Das schmeckt aber schlapp" ein unkontrollierter Griff zum Salz streuer, zur Pfeffermühle oder zu anderen Gewürzen - bis alles nur noch "grau" schmeckt. Eine verheerende Wirkung auf kreatives Arbeiten in der Küche haben natürlich die vielen Fertigprodukte. Eigentlich mag man gar nicht glauben, wie häufig zum Beispiel vorgefertigte Kräuterbutter als Grundlage für Creme-Saucen bei "Hausfrauen-Rezepten" verwendet wird oder wie viele (sogar fortgeschrittene) Hobbyköche auf die ver kleisternde Wirkung gekaufter Glutamat-Fonds vertrauen. Ihnen sei gesagt: Vertrauen Sie lieber auf gute Produkte und eine saubere Kochtechnik, dann werden Sie bald nur noch mit Schaudern an die alten Fix-und-fertig-Zeiten zurückdenken. Wer sich für ein bestimm tes Produkt entschieden hat, sollte sich "von unten" an den Ge schmack heranarbeiten und die Wirkung jedes Eingriffs möglichst präzise verfolgen. Unternimmt man zunächst zuwenig, läßt sich meist ohne Probleme nachbessern, macht man dagegen zuviel, wird es sehr viel schwieriger - wer weiß schon, daß ein durchgebratenes, viel zu festes Rinderfilet dünn aufgeschnitten in einer leicht gebun denen Sauce mit verschiedenen, grob zerstoßenen Pfeffern "weich" mariniert werden kann? Ganz wichtig ist permanentes Abschmecken und eine ständige Kontrolle der Garzustände. Notfalls schneidet man eben ein Stück Fleisch zur Kontrolle an und sieht nach, wie "durch" es schon ist. Am besten notiert man sich die Garzeiten dann auf ei nem Zettel - in einem Labor werden ja schließlich auch alle Experi mente fein säuberlich dokumentiert. Ein Erfahrungs-Protokoll ist vor allem dann besonders wichtig, wenn ein Gericht gut gelungen ist und man den Erfolg gern wiederholen würde. In gewisser Weise ähnelt die kreative Improvisation in der Küche dem Jazz. In beiden Fällen ist hartes Training die Grundlage für spie lerische, beiläufige Perfektion, und hier wie dort setzt sich ein Ge
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samtkunstwerk aus vielen kleinen Elementen zusammen. Aus diesem Grund sollte sich ein ambitionierter Laie auch nicht die völlig anders organisierte Profiküche, wo man arbeitsteilig vorgeht und festgelegte Rezepte reproduziert, zum Vorbild nehmen. Professionelle Gastrono mie kann Hobbyköchen allenfalls ein paar interessante Anregungen liefern. Die wichtigste Grundlage für kreatives Arbeiten besteht übrigens we niger in irgendwelchen technischen Hilfen (deren Handhabung oft mehr Zeit verschlingt als die reine Handarbeit), sondern vielmehr in einer guten Sammlung an Grundzutaten: Verschiedene Öle, Essige, gute Salze und Pfeffer, vorbereitete (eingefrorene) Fonds, gute (in der Küche nur ungesalzene) Butter, Bauchspeck, guter Kochwein, Kräuter, frische und gute Gewürze (siehe Kasten). Aber: Vorsicht mit Salz und Pfeffer! Am fröhlichen Sämann und an eloquenten Fernseh köchen mit ihrer schwungvollen Pfeffermühlen-Artistik sollte man sich nicht orientieren. Fisch und Fleisch gehören vor und nach der Garung gewürzt, und zwar dezent und völlig gleichmäßig. Ansonsten gilt in Anlehnung an einen berühmten Physiker der Leitsatz: Locker werden, aber es mit der Lockerheit nicht übertreiben. Wie hatte Al bert Einstein noch so treffend formuliert: "Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden, nur nicht einfacher."
Ein paar Regeln für kreative Köche Wer in der Küche kreativ sein will, sollte auf ein paar Dinge achten. Vor allem auf passendes Handwerkszeug und einen bestimmten Vor rat an Grundprodukten. Wichtig ist aber auch, daß man sich auf das Kochen konzentriert und am Herd alles unter Kontrolle hat. Nur dann kann man auch noch rechtzeitig korrigieren. Werkzeug: Der Arbeitsplatz sollte klein und praktisch sein. Alle benötigten Utensilien müssen griffbereit liegen. Neben großen Töpfen und Pfannen ist eine Anzahl kleiner Exemp lare für Beilagen und anderes nützlich. Unverzichtbar ist ein bestimmter Vorrat an Grundzutaten. Dazu gehören vor allem:
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Salz, Pfeffer, Gewürze Balsamico- und Sherry-Essig Neutrales Pflanzenöl und einfacheres Olivenöl zum Anbraten Nußöle und gute Olivenöle für Salate und speziellere Verwen dungen Ungesalzene Butter, Sahne Durchwachsener Speck Wurzelgemüse, vor allem Lauch, Möhren, Knollensellerie, Staudensellerie und frischer Ingwer Zwiebeln oder Schalotten, Knoblauchzehen Fonds Trockener Weiß- und Rotwein
Wichtige Regeln: Zeit darf keine Rolle spielen. Die Geduld nicht verlieren, es geht schon mal etwas schief. Zuerst Bekanntes erweitern (zum Beispiel provencalische Gemüse mit Zitrusfrüchten oder orientalischen Gewürzen ergänzen), das er leichtert die geschmackliche Orientierung. Ähnliches miteinander kombinieren (fruchtig, gemüsig, herzhaft). "Wilde" Kombinationen schmecken sehr schnell penetrant. Vorher an den Zutaten riechen, so bekommt man einen ersten Eindruck. Häufig abschmecken und probieren, ständige Kontrolle ist wichtig. Nach und nach würzen. Flüssigkeiten langsam reduzieren beziehungsweise köcheln lassen, die Aromen vermischen sich so besser. Guter Geschmack kommt selten allein von Salz und Pfeffer. Eher zum Beispiel vom Anbraten mit Kräutern, Gewürzen, Speck oder Gemüsen und dezentem Ablöschen mit Fonds, Wein oder Essi gen. Bei Flüssigkeiten kann man mit Reduktionen oder Infusionen (etwa, indem man eine Scheibe geräucherten Schinken eine Zeitlang mitgart) experimentieren. Saucen oder Suppen lassen sich mit redu zierten Fonds, gutem Essig, einigen Spritzern Sojasauce oder ganz am Schluß mit verschiedenen Gewürzen abschmecken (das ersetzt die oft flach schmeckenden Klassiker Salz und Pfeffer). Zu kräftig geratene Saucen oder Suppen ruhig mit Wasser verdün nen, besser aber mit Butter oder Sahne. Niemals Salz mit Zucker bekämpfen ! Wer weder mit Butter oder Sahne noch mit "neutralen" Hilfsmitteln (Saucenbinder) Flüssigkeiten binden will, kann es auch mit diver sen Gemüsepürees versuchen.
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Pralinen zu machen, bedarf es wenig
Der wahre Hobbykoch wird nur fertige Pralinen anfassen. Denn der Aufwand, diesen hochkalorischen Aromentanz auf kleinstem Parkett zu veranstalten, ist mit teuer blinkenden Gerätschaften einfach be schämend gering. Höchste Qualität der Zutaten, Phantasie in Rezep tur, Architektur und Präsentation sowie ein geradezu überirdisches Feingefühl für die Temperierung unterschiedlicher Schokoladensorten verlangen mehr als das Kind im Manne, das lieber mit ein paar Trop fen Espresso aus der 1500-Euro-Maschine renommiert, wenn nur deren Crema den Zucker ein paar Augenblicke trägt. Nicht nur ohne Zucker, sondern gänzlich ohne alles andere als ledig lich Kakao kommt eine Schokolade aus, die in kleinen Stücken appe titanregend auf einem Tablett liegt. Drumherum scharen sich zehn Freizeitzuckerbäcker in der traditionsreichen Confiserie Andersen im Hamburger Stadtteil Wandsbek, damit sie vier bis fünf Stunden spä ter einen Karton geballter Köstlichkeiten nach Hause tragen können (Seminartermine unter Telefon 0 40/6 89 46 40). Pralinenherstellung ist kommunikatives Gemeinschaftswerk. Marzi panrohmasse wird knetend mit Rum, selbstgebratenem Krokant oder gehacktem Orangeat vermischt. Eine Küchenhilfe wie die Kitchen-Aid bleibt da kalt. Um die Masse mit einem Zentimeter Dicke auszurollen, wird der Klumpen zwischen zwei Metallstegen - man kann ersatzwei se Holzlöffel oder gar Besenstiele nehmen - und mit einem kugelge lagerten Rollholz bearbeitet. An anderen Posten wird unterdessen Sahne gekocht und mit Vanille parfümiert, wobei Adolf Andersen die gesamte Schote im Paco-Jet zu einer cremigen Paste verarbeitet, die das feine Mark mit der leicht adstringierenden Schale zu einem über raschenden Geschmackserlebnis verbindet. Woanders sieht man jemanden Marzipanherzchen ausstechen, auf die aus einfachstem Beutel eine zuvor gerührte Trüffelmasse ge spritzt wird. Langsam füllt sich der Tisch mit fünf unterschiedlichen Sorten, die nur noch auf ihr Tauchbad in weißer, heller und dunkler Kuvertüre warten. Ihre Temperierung ist der heikelste Punkt, da hiervon Glanz, Schmelz und Bruch des Endprodukts abhängen. Je nach Schokoladensorte spielt sich alles in einem nur wenige Grad Celsius umfassenden Temperaturbereich zwischen 29 und 32 Grad
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ab. Wer sich hier nicht auf die zutreffende Beurteilung durch emp findsame Hautpartien wie dem Fingerrücken des mittleren Gliedes des Mittelfingers verlassen kann, greift in das Rotkreuzschränkchen, um mit einem digitalen Fieberthermometer die Kurve zu überwa chen. Erwärmt wird die Kuvertüre in einer Metallschale im warmen, aber nicht kochenden Wasserbad, da bereits ein paar Tropfen kon densierter Dampf die Masse nach noch nicht restlos geklärten Natur gesetzen ruinös klumpen lassen. Mit einem Hörnchen genannten Teigschaber wird die Probe auf kor rekte Temperatur und rechten Glanz gemacht. Fehlen ein bis zwei Grad, wärmt ein simpler Haarfön die dabei zu rührende Schokolade. Danach endlich schlägt die Stunde des in sein Arsenal von Spezial werkzeugen verliebten Mannes, denn für eine Pralinengabel zum Tauchen der süßen Bollen (heben, nicht stechen!) gibt es keinen Er satz. Für die Gabel zahlt man weniger als allein für den Cointreau, mit dem eine Ladung süßer Präsente befeuchtet werden will. Schon das Tütchen wieder, mit dem der Chocolatier die Kalorienbombe wie mit einem haarfeinen Schokoladenpinsel dekoriert, wird aus einem zugeschnittenen Bogen Pergaminpapiers selbst gedreht. Zwei, drei Tage lang müssen sich nun die Aromen verbinden und entfalten; in den darauf folgenden zwei bis drei Tagen schmecken die Pralinen am feinsten. Dieser außergewöhnliche Genuß hilft sogar dem technikver liebten Hausmann über die sanfte Enttäuschung hinweg, daß er alle Gerätschaften hierfür bereits in der Schublade hat - bis auf die Prali nengabel, natürlich. NILS SCHIFFHAUER
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Tabubruch in der Versuchsküche
Die Aufregung um den Geschmacksverstärker Glutamat bleibt Franzo sen völlig unverständlich: In der Heimat der Grande Cuisine gelten künstliche Verstärker inzwischen als Kulinarik. Normalerweise nimmt das interessierte Publikum Tips und Tricks der Profiköche begierig auf. Das Geständnis, den "Geschmacksverstärker" Glutamat zu verwenden, scheint allerdings ein Trick zuviel zu sein. Nachdem sich die Herren Bourgueil und Wehmann vor einigen Monaten im "Stern" zu dieser Hilfe bekannt hatten, wollen die Diskussionen nicht enden. Dabei fällt auf, daß selten exakte Informationen über die in Verdacht geratene Zutat weitergereicht werden. Glutamat (eigentlich: Natriumglutamat, also das Salz der Glutaminsäure, Kennzeichnung E 621) sieht aus wie Salz und schmeckt pur wie eine Art gewürztes Salz; es ist in jedem Großhandel zu finden, und das zu einem moderaten Preis: Ein Kilo gramm davon kostet etwa drei Euro. Der Charakter seiner Würze ist nicht klar bestimmbar. Es wirkt nicht, wie immer behauptet wird, als Verstärker des Eigengeschmacks der Produkte (wie man es beispiels weise erreicht, wenn man ein Huhn in Hühnerbrühe gart), sondern liefert eine undefinierbare Hintergrundwürze, die nur bei allerfeinster Dosierung den Eigengeschmack nicht stört, üblicherweise aber einen dumpfen, immer gleichen Eindruck von "kräftig gewürzt" vermittelt. Glutamat findet sich in zahllosen Produkten, speziell in Wurstsorten, in Tüten- und Dosensuppen, ja selbst in den bei Hobbyköchen so beliebten Fonds in Gläsern. Mittlerweile ist es so weit gekommen, daß unsere Vorstellungen von einem gut gewürzten Essen von Glutamat geprägt sind, während wir die natürliche Aromenstärke der Dinge teilweise schon für langweilig halten. Es kommt aber noch besser. In Frankreich (wo unsere Diskussion auf Unverständnis stoßen würde) hat es kürzlich einen Tabubruch gegeben: Der Autor Christophe Chabaud verrät in sei nem Buch "Le gout du parfum" Rezepte, in denen künstliche Aromen wie etwa Walderdbeere, Safran, Muskat oder Schokolade eine tragende Rolle spielen. Sogar die Brüder Jacques und Laurent Pourcel, DreiSterne-Köche in Montpellier, haben dazu etwas beizusteuern. Bisher war allenfalls gerüchteweise von einem Pariser Restaurant zu hören, das billig eingekauftes Fleisch mit dem Aroma von prächtig gebratenem Charolais-Rind "behandelte", oder von dem erstaunlich intensiven Ba nanenaroma eines Desserts, das sich auf rätselhafte Weise verflüchtig te, nachdem der Patissier des Top-Restaurants gewechselt hatte.
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Steht uns die umfassende Vermischung von Echtem und Gefälschtem bevor? Eine Zukunft, die den sogenannten reinen Produktgeschmack chemisch definiert und umsetzt? Wird die sauber strukturierte Küche mit unverfälschten Produkten ein Sonderfall? Gegenbewegungen sind immer besonders erfolgversprechend, wenn sie von den Meistern des Faches angestoßen werden. So arbeitet Alain Ducasse in Paris wei terhin daran, Verständnis für gute Produkte zu wecken und damit eine vergleichsweise einfache Küche aufzubauen. In seinem neuen Laden in Paris ("be", genauer: "boulangepicier", 73, Boulevard de Courcelles) verkauft er Snacks und etwa 350 gute Produkte aller Art, darunter allerdings auch Dinge wie handfritierte und, jawohl, signier te Chips aus England. Dort soll es ja Menschen geben, die ihre Chips partout nur von einem bestimmten Fritierkünstler wollen. Sein neu estes Bistro ("Aux Lyonnais", 32, rue Saint-Marc) bietet Lyonnaiser Küche, wie etwa eine mit Foie gras gefüllte Schweinshaxe, Kalbsleber oder Hechtklöße in einfacher, aber meisterlicher Ausführung zu Prei sen zwischen sechs und zwölf Euro für die Vorspeisen und zwölf bis 22 Euro für Hauptgerichte. Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist nun auch das Restaurant von Altmeister Robuchon ("Atelier de Joel Robuchon", Hotel Pont- Royal, 5, rue Montalembert) mit einem preiswerten Angebot einfacher Pro dukte und Kreationen geöffnet. Daß ein dreigängiges Menü für gera de mal 50 Euro zu haben ist, muß für Pariser Verhältnisse als sensa tionell gelten. Der Meister selbst will einen Tag in der Woche anwe send sein und einen seiner Klassiker präsentieren. Ein Stolperstein: Man kann dort nicht reservieren. Gewisse Zeichen in dieser Richtung wünscht man sich auch von un seren Meistern. Doch derlei scheint nicht bevorzustehen, auch wenn Drei-Sterne-Koch Heinz Winkler jüngst in Spanien mit dem Preis "Memoria y Gratitud" für sein Wirken ausgezeichnet wurde. Investo ren für oft kurzlebige Szenerestaurants finden sich in unseren Groß städten schließlich ja genügend. Vielleicht bittet mal jemand die Meister um ein kulinarisches Konzept. Bisher gibt es dazu leider fast nur Versuche aus der zweiten oder dritten Reihe der Köche. Derweil freut man sich in Italien über ein neues Drei-SterneRestaurant. Der italienische Guide Michelin beförderte das "Le Ca landre" in Rubano bei Padua zum dritten italienischen Haus mit die ser Bewertung (zum Vergleich: Wir haben fünf davon). Ein kleines Detail: Massimiliano Alajmo ist mit seiner für italienische Verhältnisse
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kreativen Küche (Spaghetti mit Leber von Tintenfischen) der einzige Mann in diesem Rang neben Nadia Santini vom "Dal Pescatore" in Canneto bei Mantua und Luisa Valazza vom "Al Sorriso" in Soriso (Piemont). In Italien geben eben die Herren lieber als "Maître d'Hotel" den Stenz im Restaurant und überlassen den Frauen die Arbeit in der Küche. Unerfreuliches ist über die Entwicklung der Restaurant-Preise außer halb Deutschlands zu berichten. Daß Paris teuer ist, ist ja allgemein bekannt. Aber selbst unser Spitzenkoch Harald Wohlfahrt berichtet erschüttert von einem Essen im Restaurant "Alain Senderens" (9, place Madeleine). Für eine Kleinigkeit mit "höchstens vier bis fünf Gramm Kaviar" hatte Wohlfahrt 150 Euro zu bezahlen. Auch in Bel gien, Holland, England und der Schweiz kosten die Hauptgerichte in den besten Restaurants oft deutlich mehr als 50 Euro. Menüs für 150 bis 200 oder sogar 250 Euro sind keine Seltenheit. Demgegenüber wird der Kunde in der deutschen Spitzengastronomie doch sehr viel schonender behandelt. Preise über 50 Euro für ein Hauptgericht sind extrem selten (und werden meist nur für Kaviar oder Trüffel ver langt), meist liegt das Angebot zwischen 30 und 40 Euro. Die Klagen über die hohen Preise gehören trotzdem dazu. Apropos Verbraucher: Regelmäßig bieten Kaufhäuser und Super märkte zu den Feiertagen Glanzvolles an, also Produkte, die man zu anderen Jahreszeiten vergeblich sucht. Das ist wohl überall so. Das in Belgien und Frankreich zu entdeckende Angebot allerdings würde man sich hier bei uns auch einmal wünschen - zu den gleichen mo deraten Preisen. Da lachen den Kunden etwa zehn Sorten Austern bei der belgischen Delhaize-Kette an oder bei Lidl in Frankreich Pas teten und Terrinen von Jakobsmuscheln sowie Foie gras in verschie denen Ausführungen, und das zu äußerst erschwinglichen Preisen. Es geht also.
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Ein Genuß mit manchen Tücken
Austern sind nicht jedermanns Sache. Oft sind aber mangelnde Kenntnis und falsche Handhabung der Grund dafür. Eine Anleitung Zumindest die erste Auster kostet immer Überwindung: Sie lebt, ist glibberig und schmeckt auch noch ungewohnt. Kein Wunder also, daß sich die Menschheit ohne weiteres in Austernfreunde und Aus ternfeinde unterteilen läßt. "Ich, eine rohe Auster essen? Nicht für eine Million Mark", heißt es bei Stefan Marquard, der immerhin als Mitglied der Kochvereinigung der "Jungen Wilden" bekannt ist, wäh rend andere wie von einem Erweckungserlebnis berichten und oft mit der ersten Auster ein Lieblingsessen fürs Leben gefunden haben. Nicht selten wird allerdings mit Zitronensaft der typische Geschmack überdeckt und durch zügiges Hinunterschlucken das eigentlich wich tige Zerkauen vermieden. Oder man beseitigt Glibberigkeit und Ge schmack uno actu durch das beliebte Gratinieren. Das alles ist bedauerlich und wird der Auster nicht gerecht. Tatsäch lich benötigt sie große Sorgfalt, beginnend beim Einkauf bis hin zum Einsatz in der kalten und warmen Küche. Die lebende und gut mit Wasser gefüllte Auster (nur sie sollte verwendet werden) ist ge schlossen und liegt subjektiv schwer in der Hand. Eine offene Auster ist nur dann in Ordnung, wenn sie sich nach einem leichten Schlag auf die Schale sofort wieder schließt. Schlägt man volle Austern ge geneinander, dürfen sie nicht hohl klingen. Es empfiehlt sich drin gend, seine Nase an das Scharnier der Auster zu halten und bei ei nem Geruch nach Schlamm das Weite zu suchen (auch wenn einige Händler gern behaupten, es handle sich um "Meergeruch"). Wenn man die Auster nicht in die Hand nehmen darf (was leider oft der Fall ist), sollte man sich zumindest die Transportkiste zeigen lassen, auf der das Datum vermerkt sein muß, an dem der Inhalt aus dem Was ser genommen wurde: Länger als eine Woche sollte das nicht her sein. Zwar sollten Austern am besten schnell verbraucht werden, doch manchmal ist Lagerung unvermeidlich. Am ehesten dafür geeignet sind Räume mit einer feuchten Kellertemperatur zwischen sechs und sieben Grad und nur notfalls der Kühlschrank. Denn Kälte beein trächtigt den Austerngeschmack, weshalb Austern (wie Wein) zwei bis drei Stunden vor Gebrauch langsam in normaler Umgebung tem periert werden und ganz allgemein vor Temperaturschocks verschont
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bleiben sollten. Hat man kleine Kisten mit Austern gekauft, empfiehlt es sich nachzuprüfen, ob alle Exemplare mit dem tieferen Teil nach unten liegen, und die Kiste danach mit einem Gewicht von etwa ei nem Kilogramm zu beschweren - auf diese Weise wird vermieden, daß die Austern sich öffnen und Wasser verlieren. Der zweite Frischetest erfolgt nach dem Öffnen (siehe Kasten). Ver strömt die Auster dann einen unangenehmen Geruch, sollte man sie liegenlassen. Ist sie hingegen nicht ganz mit Wasser gefüllt, muß das nicht schlimm sein: Nach Ablösen des Fleisches von dem weißen Muskel bildet sich in der Regel neues Wasser in der Schale. Wirkt die Auster aber ausgetrocknet und bildet sich keinerlei Wasser, ist sie unbrauchbar. Für ganz Vorsichtige gibt es einen weiteren Test auf Frische: Berührt man den dunklen Rand des Fleisches bei der geöff neten, aber noch nicht vom Muskel gelösten Auster, zieht sich dieser leicht zurück. Was das oft so hochgelobte Austernwasser angeht, empfehlen alle Spezialisten folgendes Vorgehen: Das sogenannte erste Wasser wegschütten, das sich bildende zweite Wasser für Fonds oder Gelees verwenden und nur das dritte Wasser mitessen. Es entstammt der Auster selbst und ist deutlich aromatischer als das oft sehr salzige Wasser in der Schale. Die geöffnete Auster wird nicht auf Eis serviert, sondern zum Beispiel auf Algen oder auf kleinen Sockeln aus grobem Meersalz. Das Be träufeln mit Zitronensaft oder Essig ist unsinnig, weil dies den Ge schmack der Auster denaturiert. Das volle Aroma entwickelt sich nur beim Zerkauen und mit äußerst sensiblen Zutaten. Dazu kann bei den tiefen Austern (die flachen sollten immer pur gegessen werden) etwas frisch gemahlener Pfeffer gehören, aber auch minimale Stück chen von Räucherlachs oder auch Basilikum. Das gilt im Prinzip für alle Austern, egal ob es sich um Sylter Royal, Irische Felsenaustern, Belons aus der Bretagne, solche aus Zeeland in Holland oder um Austern aus Colchester in England handelt. Und auch für die besten Sorten gilt, daß die Qualität von den Begleitumständen der Erzeu gung und dem Mikroklima am Ort (Wasserqualität, Algen, Spuren elemente) abhängt. Deshalb tut der Kunde gut daran, eine dauerhaf te Geschäftsbeziehung zu einem Händler oder sogar zu einem Erzeu ger seines Vertrauens aufzubauen. Ansonsten - man muß es leider sagen - kommt es regelmäßig zu Enttäuschungen. Geschmacklich grundsätzlich unterschiedlich sind die tiefen (huîtres creuses) und die flachen Austern (huîtres plates). Höchstes Ansehen
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bei Gourmets genießt die flache Auster (von der in Frankreich 2000 Tonnen im Jahr erzeugt werden) wegen ihres komplexen Jod-Mineralgeschmacks. Weitaus bekannter und auch bei uns häufig zu bekom men ist die tiefe Auster unterschiedlicher Herkunft mit ihrem eher salzigen und an frische Algen erinnernden Aroma. Ein absolutes Spit zenprodukt unter den huîtres creuses vereint freilich die Qualitäten beider Typen: die Gillardeau-Auster (von einem Erzeuger an der dem Festland zugewandten Südseite der französischen Atlantikinsel Olé ron), die in Pariser Geschäften bisweilen als "Spéciales Gillardeau" geführt wird, obwohl "Gillardeau" der Name des Produzenten und keine Sorte ist. Sie schmeckt nicht sehr salzig, aber konzentriert nach einer Mischung aus "grünen" Algen und viel Jod mit einer leicht mineralischen Feuerstein-Note. In Deutschland wird sie übrigens von einer ganzen Reihe von Spitzenköchen verwendet. Unter den tiefen Austern gibt es zwar Qualitätsstufen ("Claires", "Fines de Claires", "Spéciales de Claires"), die von der kontrollierten Aufzucht in speziel len Becken herrühren, aber in der Praxis oft nicht so recht überzeu gen können. Wie gesagt: Die Verbindung zu einem bestimmten Pro duzenten ist zuverlässiger. Was die Faustregel mit den "Monaten mit r" angeht, in denen man sich angeblich auf den Austerngenuß be schränken sollte, so weiß jeder Kenner, daß die Bretonen auch im Sommer nicht von Austern lassen. Tatsächlich haben die Austern zu dieser Zeit ihre "Milch" zur Reproduktion abgegeben und sind mitun ter etwas mager. Den Geschmack muß das nicht beeinträchtigen. Und wie bekomme ich die Dinger auf? Einen geheimen Trick für das reibungslose Öffnen von Austern gibt es leider nicht. Letztlich braucht man einfach viel Übung. Aber selbst dann bereiten größere Exemplare oder solche mit leicht bröckeliger Schale (deren Existenz grundsätzlich verschwiegen wird) immer wie der Schwierigkeiten. Für den Anfänger empfehlen sich kleinere Aus tern von etwa acht Zentimeter Länge, die man tatsächlich oft mit einem Griff öffnen kann. Zwei Techniken kennt der Austern-Profi: das Öffnen der Auster mit dem klassischen Austernmesser (mit kurzer, dicker Klinge und Schutzschild für die Hand) durch Aushebeln des Deckels am Schar nier der Auster. Nach dem Lösen des Deckels fährt man mit der Klin ge seitlich nach vorne und durchtrennt den Muskel, der die Schalen zusammenhält. Für das zweite Verfahren benutzt man ein Messer mit schmaler Klinge (Lancette), das vorsichtig auf der rechten Seite
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(vom Scharnier aus gesehen) zwischen die Schalen geschoben wird, um dann direkt den Muskel zu durchtrennen. Die flache Auster wird ausschließlich vom Scharnier her geöffnet, bei den tiefen ist die Technik im Prinzip egal. Dort, wo Austern massenhaft geöffnet wer den, benutzt man eine Variante der ersten Technik, die sogenannte Austern-Guillotine ...
Austernvariation Für vier Personen, pro Person vier mittelgroße Austern. 1. Pur, ohne jegliche Zutat. Gibt den Maßstab für die Wirkung der weiteren Variationen. 2. Mit wenigen feingeschnittenen Basilikumstreifen und einem Stück Räucherlachs in der Größe einer Cent-Münze. 3. Zweites Austernwasser auffangen, durch ein feines Sieb passieren und mit einer Scheibe Ingwer (in der Größe einer Euro-Münze) erhit zen. Derweil Auster in der Schale bei 80 Grad im Ofen erwärmen. Sie wird dabei etwas fester, verliert aber nicht ihren Grundgeschmack. Im Austernwasser etwas ungesalzene Butter auflösen, Ingwer ent fernen und kurz aufschlagen. Die Sauce soll leicht nach Butter schmecken. (Nach Jean Claude Bourgueil vom Restaurant "Im Schiff chen" in Düsseldorf) 4. Zweites Austernwasser mit etwas Fischfond und Weißwein auf die Hälfte reduzieren. Etwas Sahne dazu und köchelnd leicht eindicken lassen. Mit Curry und einer Prise Kreuzkümmelpulver abschmecken. Heiß über die kalte Auster geben. Die besten Austern heißen "Gillardeau" und kommen von Oléron. Bezugsquelle für Gillardeau-Austern: Bos Food, Telefon 0 21 32/13 90. Im Internet unter www.bosfood.de.
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Dringend gesucht: Schöne Waden, fetter Speck
Das verwunschene Ambiente täuscht. Ein paar Steinstufen geht es hinab durch ein schmales Türchen in der bemoosten Mauer in den Vorgarten, es duftet nach Salbei und Rosen. Buchskugeln, eine Steinbüste, Terrakotta. Ins alte Gutshaus hinein, die Treppe hinun ter, eine Tür öffnet sich - Anna und Albert aus Pellworm sind am Ziel: Da ist sie, die berühmte Fernsehküche. Das ist sie, dieses Unikum mit der Eigenkonstruktion einer Abzugshaube, den hundert alten Boh nenschnipselmaschinen und Mohnmühlen an der Wand, den Schokola deosterhasen- und Weihnachtsmännerformen, der Spitzsieb- und Mes serkollektion neben überquellenden Schleiflackschränken. Kein Küchendesigner hatte die Hand im Spiel. Provozierend nicht vorhanden sind Dampfgarer, Induktionsherd, Edelstahl. Ob jemand kochen kann, hängt von den neuesten Statusträgern der Hochkü chenkultur so wenig ab wie große Küche von Hummer und Kaviar. Das weiß jeder, der gern kocht. Die Gastgeber Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer aber machten zu ihrem Markenzeichen, dies auch der übrigen Welt vor Augen zu führen: als höfliche Revo luzzer auf die vorgeblich unschuldigste Weise jedoch. Und schon sind wir mittendrin. Nachdem Joachim aus Stuttgart zur Fertigstellung des aus Burgund stammenden Speckpfannkuchens "Crapiaux" als Begrüßungshappen eingewiesen ist, stellen die beiden, umringt von einem Dutzend Fans ihrer Fernseh-Kochsendungen und Bücher, nebenbei mal wieder eine populäre These bloß. Denn partout nicht auf Kunststoff, wie in allen Profiküchen vorgeschrieben, son dern auf dem Holzbrett soll jetzt der fette, gepökelte Speck in nicht zu dünne Scheiben geschnitten und dann in der heißen Pfanne für die knusprige - und auch im Burgund fast ausgestorbene - Spezialität ausgelassen werden. Warum? Wir hören: Im Plastik stecken in Wahr heit die Bakterien, die im Holz verhindert das Tannin. Martina und Moritz, wie der Spitzname des Hausherrn ist, bleiben auch öffentlich dabei - trotz geharnischter Reaktionen der Kunststoffindustrie. Kennerstolz vor Fürstenthronen, das ist, was die eingefleischte Ge meinde, die sich in der Küche von Gut Neunthausen zum Tageskoch kurs zusammengefunden hat, an den Objekten ihrer Bewunderung liebt. Wo sonst würden sie zwischen Safranzerstoßen und Knob
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lauchquetschen die lustige Geschichte jenes nicht funktionierenden Woks von der feinsten aller feinen Küchengerätefirmen hören, der rasch wieder vom Markt genommen werden mußte? Die Firma hatte erst nach der Fertigstellung chinesische Kochgrößen zu dem neuen Stück befragt und sich dann auf deren Zustimmung verlassen. Marti na lacht: "Chinesen nicken immer, aus Höflichkeit." Und wer hat ge wußt, daß der Begriff "Carpaccio" ursprünglich für ein Rote-BeteGericht verwendet wurde und von dem Maler Carpaccio abgeleitet ist, der im siebzehnten Jahrhundert mit einer sehr intensiven roten Farbe malte? Erst der venezianische Koch Cipriani - der "Harry's Bar" erfand - klaute den Namen "Carpaccio" in den fünfziger Jahren für hauchdünn aufgeschnittenes rohes Fleisch. Der Ausflug in die Kü chenhistorie würzt die Anweisungen zur Vorspeise "Rote Bete Espu ma mit geräucherter Forelle und Forellenkaviar". Inzwischen hat der Hausherr einen junger Weißwein aus Venetien aufgemacht. "Erst, wenn man ein Glas in der Hand hat, soll man mit dem Kochen anfangen", ergänzt die Hausfrau, bevor sie die einzel nen Schritte zur Zubereitung des achtgängigen Menüs durchgeht, dem Thema des eintägigen Kurses. Die Seminaristen lauschen, fra gen, notieren - und naschen zu Brot und Schmalz schon mal in Ap felessig eingelegte Kirschen, heute abend Kontrapunkt der "Ingwer duftenden Panna cotta mit Rhabarberkompott". Das Dessert übrigens wird als erstes vorbereitet. "Wir brauchen eine große Schüssel für den Rhabarber", ruft Martina und gibt auch zugleich dazu den Trick preis, wie er nicht zerfällt. Als nächstes kommen die weißen Bohnen für das Kabeljau-Zwischengericht dran, gut gesalzen und "bloß nicht zu heiß werden lassen, sonst gerinnt das Eiweiß". Seit mehr als einem Vierteljahrhundert beschäftigen sich die Gastgeber mit dem Thema Essen und Trinken, als Autoren, Fernsehmoderatoren und Schriftsteller. Noch immer wollen sie zeigen, daß gutes Essen Teil der Kultur ist, nicht teuer sein muß, sondern eine Frage der richtigen Auswahl von Produkten guter Qualität und deren korrekter Verarbeitung ist. Bernd Neuner-Duttenhofer besorgte 1976 die Übersetzung und Be arbeitung des bahnbrechenden Buches "La Cuisine du Marché" von Paul Bocuse, später betreute er die wichtigsten Bücher von Eckart Witzig mann. 1985 zog das Ehepaar auf das Duttenhofersche Apfelgut, Moritz' Elternhaus, am Rande des Nordschwarzwaldes. Wie es Sendungsbewußtsein und Leidenschaft von Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer entsprechen, geht es auch bei diesem
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Kochkurs ganz praktisch darum, die Schwellenangst vor der Haute Cuisine zu nehmen. Das Dutzend beschürzter Fortbildungswilliger ist zu nichts Geringerem in der Gutsküche von Hopfau zusammenge kommen, als ein Festmenü für zwölf Personen kochen zu lernen ohne Personal und die Hilfsmittel der Profiköche. Die Qualität der Produkte beim Einkauf zu erkennen, Kochvorgänge zu vereinfachen und zum Beispiel statt des zeitaufwendigen Fonds doch Hühnerbrühe zu verwenden oder dort, wo es sinnvoll ist, die Mikrowelle einzuset zen und alles generalstabsmäßig zu planen: zu alledem fähig zu wer den, sind alle zwölf von der Nordseeinsel bis aus dem Elsaß in den hintersten Schwarzwald gereist. Zum drittenmal habe sie es geschafft, bei einem der raren Kochkurse hier einen Platz zu bekommen, sagt stolz Beate aus Konstanz, Köchin aus Leidenschaft: "Dank Ihnen gelingen mir jetzt auch Klassiker wie die Weihnachtsgans." Das ist natürlich schamlos untertrieben. Alle, die hier angetreten sind, können kochen. Aber weil sie es lieben, bleibt ihr Wissensdrang unersättlich. Und man kann nicht sagen, daß er hier nicht bedient würde. Allein mit der Vorstellung und Erörterung des Hauptgerichts Boeuf Bourguignon, dem sich anschließenden Dis kurs und der darauf folgenden Assoziationen hätte sich der Tag bestreiten lassen - aber der Reihe nach. Boeuf Bourguignon, das wohl berühmteste Gericht der burgundischen Küche, steht und fällt mit dem verwendeten Rotwein. Ist er zu sauer, verstärkt sich das in der Sauce. Nimmt man zu alten Wein, wird der Geschmack müde. Zum Einsatz kommt also ein Spätburgunder aus Baden, Jahrgang 1986, Probieren erlaubt. Aber das Angießen, nur vom Rand her, muß vorsichtig erfolgen, "damit das Fleisch nicht erschreckt", und bitte, nicht alles vollständig mit Flüssigkeit bedecken. Dazwischen Intermezzi. Ingeborg wird für ihre "richtig schönen Hausfrauen-Asbesthände" beim Lupfen der Topfdeckel gelobt. Wir lernen, daß Olivenöl im Gegensatz zur landläufigen Meinung gerade zum Anbraten bei hochgradiger Hitze taugt - "Olivenöl nicht hitzefä hig: Blödsinn!" und warten demnächst ab, bis die Flüssigkeit der Pilze den Bratenfond am Boden der Kasserolle löst, bevor wir mit dem Angießen beginnen. Das sorgfältige Anbraten jedes einzelnen Fleischstücks - Wenden, Warten, bis sich das Fleisch von selbst vom Boden löst - wäre eine Geduldsprobe, würde nicht der Hausherr, ein wandelndes Lehrbuch aller kulinarischen Disziplinen, die Lücke mit Vorlesungen vom Fleisch bis zum Wein atemraubend füllen.
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"Ich brauche eine schöne Wade", hatte Martina gestern beim Metzger gesagt und statt dessen Schulternaht, auf norddeutsch "Bürgermeis terstück", für das Boeuf Bourguignon nehmen müssen, weil in Deutschland keiner mehr eine Ochsenwade vom Metzger verlangt. Dabei darf Schmorfleisch auf keinen Fall zu mager sein, Sehnen und Fett sind erwünscht und halten das Fleisch saftig. Zum Glück gab es wenigstens die Schulternaht mit ihrer "schönen Gallertschicht", das Stichwort für Moritz: "Die meisten deutschen Metzger verkaufen ihr Fleisch zu frisch." Das hat mit den Kosten von Kapitalbindung und Lagerhaltung zu tun, aber auch mit Eßgewohnheiten. In zwei Stun den zerlegt der deutsche Metzger ein Rind, der größte Teil der Fleischstücke geht in die Wurstproduktion. Die Spitzenteile, Filet und Rücken, werden nach Italien exportiert. Zwei Tage Zeit zum sorgfäl tigen Herauslösen nimmt sich dagegen der Metzger in Frankreich. Dort gilt die Devise: Gute Küche zeigt sich auch in einfachen Produk ten, bei Innereien, Durchwachsenem, Speck. Bedeutendster Reprä sentant dieser Philosophie ist Alain Ducasse, der einflußreichste Koch der Welt. In seinem prunkvollen Pariser Drei-Sterne-Restaurant wird auch sein berühmter Bauchspeck "Lard Paysan" serviert - als Protest gegen die gleichmacherische Internationalisierung der Küche. Der Koch mit den meisten Michelin-Sternen machte auch das Schmoren, lange Garzeiten bei niedrigen Temperaturen, gegen die Kurz-KochKüche wieder populär. Die Zuhörer sind gebannt, zumal Moritz - es geht noch einmal ums Angießen - mit dem Rotwein in der Hand nun auch das Thema wech selt und die französische Weinbaupolitik der Verknappung zugunsten der Qualität lobt. Aber am meisten freuen sich die nun schon drei Stunden auf kalten Fliesen Stehenden über die kleinen Sottisen, die dem Hausherrn auch bei den berühmtesten aller französischen Na men einfallen. Es hebt das Selbstbewußtsein, wenn Kenner wie die Gastgeber beim Stichwort "Burgund" von den vielen "Fehlversuchen" dort für ihre Buchreihe "Kulinarische Landschaften" erzählen, von Arroganz, schlechter Qualität und miserablem, uninteressiertem Ser vice zu überhöhten Preisen in dreifach besternten Häusern. Seinem eigenen Urteil vertrauen, das ist die Botschaft dabei. Peter und Paola, das schicke junge Paar aus der Computerbranche, kennen jede Kochsendung der Gastgeber, alle auf Video aufgenom men und sonntags betrachtet; Kurt, der Unternehmer, hat sein tau sendseitiges kulinarisches Lexikon stets griffbereit und schlägt bei den "Kabeljauloins", um die es nach dem Fleisch geht, rasch nach.
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Alle packen zu, schneiden Zwiebeln, enthäuten Tomaten, schälen Spargel und Kartoffeln, springen in den Garten hinaus, einen Stengel Salbei zu holen, spülen und wischen. Stundenlang steht Kurt am Wasserstein und putzt Salat. Anna und Albert trauern im Kräutergar ten ihrem Gewächshaus nach. Der Orkan "Anatol" hat es unwieder bringlich hinweggeweht. Allen aber geht es ums Kochen, nicht um Prestigegewinn am Herd von Küchenstars. Die Gründerzeit, in der sich die Falschen in Kochkurse verirrten, sind vorbei. Einerseits gab es in Deutschland noch nie eine Zeit, in der man bes ser und vielfältiger essen konnte als heute, und niemals zuvor wurde das Eßverständnis öffentlich wirksamer befördert. Andererseits wis sen viele junge Leute nicht mehr, wie ein gutes Stück Schweine fleisch schmeckt. Heute muß man in ein Drei-Sterne-Restaurant ge hen, um Schweinebauch zu essen. Wie bei jeder Kunst gehört auch zum Genuß der Haute Cuisine Kennerschaft. Sie beginnt damit zu lernen, wie eine gute Pellkartoffel schmeckt. Diese Seite des Eß verständnisses kann sich jedermann aneignen, die Fähigkeit zum Genießen wohl nicht. Am Abend wird diniert. Kristall, altes Tafelsiber, Blumen und Kerzen. Acht Gänge, zwölf Weine, Champagner, Pomme-de-Vie aus der eige nen Apfelgut-Produktion. Es endet um drei. Ein bißchen elitäres Be wußtsein muß immer dabeisein. Martina und Moritz reisen mit Dau nendecken im Kofferraum und, was noch wichtiger ist, dem Koffer mit den mundgeblasenen Gläsern, für jede Weinsorte ein anderes. "Die Franzosen haben vorzügliche Weine, aber sie trinken ihn aus schreck lichen Gläsern", sagt Moritz. Lebensstil kennt keine Ausnahmen. Kochkurse gibt es überall, im Cluburlaub wie beim Drei-Sterne-Koch. Die Termine für die Kochkurse im Apfelgut von Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer sind im Internet unter www.apfelgut.de zu finden. Der Tageskochkurs kostet 332 Euro je Person. Die Koch experten sind Gastgeber der Fernsehsendung "ServiceZeit Essen und Trinken" im WDR.
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Dem Meister auf die Finger geschaut
BAD HOMBURG. Aufmerksam und ein wenig ängstlich blicken sie auf die beiden Tiere, die auf dem matt schimmernden Stahlblech liegen. Wie Medizinstudenten im ersten Präparierkursus stehen sie um den Tisch und betrachten mit einer Mischung aus Neugierde, Mitleid und Schaudern die lebenden Hummer, die die Küchenchefs Jörg Dormagen und Peter Wilhelm in den Händen halten. Der bevorstehende mörderi sche Akt sorgt für Unruhe unter den 16 weiblichen und zwei männli chen Teilnehmern des Kochkurses "Weihnachtsmenü" im "KüchenAtelier" des Steigenberger Hotels Bad Homburg. Auf dem Herd der Hotelküche steht ein großer Topf, in dem Wasser mit Suppengemüse kocht. Während nun Wilhelm das erste Tier greift, erklärt er noch, dass der Hummer als Kaltwassertier in der kochenden Brühe sofort getötet werde, wenn man ihn mit Scheren und Kopf zuerst eintauche. Dann sind die Hummer schon im Topf verschwunden. Einige notieren die genauen Anweisungen emsig am Rande der Rezeptblätter. Eine Teil nehmerin raunt der anderen zu: "Da müssen dann eben mal die Männer ran." Jörg Dormagen beschwichtigt die übrigen: Da man den Hummer hier lediglich für den zweiten Gang, die "Hummerschaum suppe mit Cognacsahne", benötige, könne man notfalls auch auf tief gekühlte Exemplare zurückgreifen. Ab und zu hebt eine der Koch schülerinnen den Deckel vom Topf und stellt befriedigt fest, dass die Schale der beiden Hummer inzwischen die charakteristische rote Far be angenommen hat und sie nun nicht mehr so lebendig aussehen. Nach einigen Minuten holt Wilhelm die Hummer aus dem Topf und demonstriert, wie man sie zerteilt. Dazu werden die Scheren mit dem Messerrücken vorsichtig aufgeschlagen und der Schwanz wird ent weder mit dem Sägemesser durchgeteilt oder vorsichtig mit der Kü chenschere durchgeschnitten. Wilhelm zeigt, wie man das Fleisch mit einer geschickten Drehung aus der Schale löst und auch noch durch einen fast chirurgischen Schnitt den Darm entfernt. Nun wird das Fleisch zur Seite gelegt. Erst jetzt beginnt der Teil der Zubereitung, der auch im zuvor verteilten Rezept für diesen Gang beschrieben ist: Die Karkassen werden in Öl angeröstet, dann kommen Tomatenmark und Suppengemüse hinzu und schließlich wird das Ganze mit Cognac abgelöscht, mit Weißwein, Pernod und Fischbouillon angegossen und
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zum Köcheln gebracht. Und damit kann für die nächsten anderthalb Stunden an diesem Gericht nichts weiter getan werden. Also wendet man sich den übrigen Gängen zu. Während Kochlehrlinge jetzt Zwiebeln und Speck in kleine Würfel schneiden, Kartoffeln schälen und kochen oder Maronen dünsten und abziehen müssten, bleiben den Schülern des "Küchen-Ateliers" solch niedere Dienste erspart. So wie in den Sendungen der Fernsehköche sind auch hier alle Zutaten schon vorbereitet und den Kursteilneh mern bleibt die Zuschauerrolle. In Schälchen steht alles bereit, was man braucht, um für vier Personen "Gänsebrust mit Maronen gefüllt, Sauerkirschsauce und Kartoffelplätzchen" zuzubereiten. Dormagen und Wilhelm demonstrieren Schritt für Schritt, wie das geht. Sie wei sen auf die dicke Ader hin, die man aus der Brust herausschneiden sollte, und führen vor, wie man mit einem vorsichtigen Schnitt eine Tasche in die Brust schneidet, die dann mit gehackten und in Port wein angedünsteten Maronen gefüllt wird. Jede Bewegung wird aufmerksam beobachtet, alles, was nicht im Rezept steht, erfragt. "Kann man das vorbereiten?", wollen die meis ten wissen. Dormagen kann in der Regel mit Ja antworten, denn er hat das Menü so konzipiert, dass niemand an Heiligabend stunden lang in der Küche stehen muss. Die Gänsebrust aber in der Mikrowel le aufzuwärmen, davon rät er entschieden ab. Wenngleich bei diesem Kursus die Teilnehmer nicht selber gekocht haben, werden sie zum Abschluss mit einem kompletten Testessen belohnt. Die Vorstellung, solche Köstlichkeiten demnächst zu Hause servieren zu können, erfüllt die vom langen Stehen etwas Ermüdeten mit Stolz. Und so wollen viele wiederkommen, wenn Dormagen seine Gäste das nächste Mal hinter die Kulissen schauen lässt und Pro fitricks verrät. PATRICIA ANDREAE
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Meister-Kochkurse Bad Homburg: Steigenberger Hotel, Kaiser-Friedrich-Promenade 69-75, Telefon 0 61 72 / 18 10 Frankfurt: Arabella-Sheraton Grandhotel, Küchenseminare mit Christian Exen
berger und Christian Hildorf, Konrad-Adenauer-Straße 7, Telefon 0
69 / 29 81-7 41
Hotel Intercontinental, Schnupper-Forum mit Klaus Brahmkamp,
Wilhelm-Leuschner-Straße 43, Telefon 069 / 26 05-2 25 08
Maggi Kochstudio Treff, Neue Kräme 27, Telefon 0 69 / 91 39 93 22
Hofheim: Alte Rose, Kulinarische Fitness-, Gourmet- und Vollwert-Kurse, Alt wildsachsen 37, Telefon 0 61 98 / 83 82 Neu-Isenburg: Kempinski Hotel Gravenbruch, Menüs und Weinproben mit Heinz Im hof, An der Bundesstraße 459, Telefon 0 61 02 / 5 05-6 05 Offenbach: Büttner Seminare, Asiatische Küche, Bert-Brecht-Straße 4, Telefon 0 61 06 / 77 87 90 Termine und Preise jeweils auf Anfrage
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Ohne Streß fünf Gänge in der Küche zaubern
RHEINGAU. Das Lampenfieber in der Küche von Schloß Reinharts hausen war groß. Würde das sechsgängige Galamenü mit den Rot weinen der sechs renommierten Rheingauer Güter harmonieren? Und würden die 50 Feinschmecker in der Kelterhalle am Ende zufrieden sein, obwohl nur begeisterte Amateure in der Küche stehen? Die Sorgen der Absolventen der Kochkunstschule Rheingau waren unbe gründet, denn das "Cassoulet vom Kaninchenrücken" mundete eben so wie die "Fasanenbrust im Speckmantel" und das "Timbale von Seeteufel und Hummer auf Safranrisotto". Die Aufregung ihrer Schützlinge war nach Meinung von Joachim We wer und Reinhold Heckl, den beiden Leitern der Kochschule, ver ständlich, aber nicht nötig. Schließlich ist es das Vertrauen in die eigenen Künste, das die Kochkunstschule Rheingau ihren Absolven ten an erster Stelle vermitteln will. "Wir geben Ihnen Sicherheit", verspricht Wewer, und noch mehr: "Ein Fünf-Gänge-Galamenü, ge kocht mit Spaß und ohne Streß." "Über den Topfrand hinausblicken, den Horizont erweitern" ist die Devise der ungewöhnlichen Kochschule, die zu Beginn dieses Jahres gegründet worden ist. Den Anstoß gaben unter anderen die Gäste in Heckls Feinschmeckerlokal "Pan zu Erbach" in Eltville, die den Kü chenprofi immer wieder baten, seine Tips und Tricks zu verraten und sich am Herd über die Schulter blicken zu lassen. Dadurch reiften die Pläne, Kochkurse für ambitionierte Gourmets und Hobbyköche anzu bieten. Ein naheliegender Gedanke, denn Heckl unterrichtet schon seit eini gen Jahren angehende Jungköche in der Beruflichen Schule in Gei senheim, gemeinsam mit dem Koch und Lebensmitteltechnologen Joachim Wewer, der zum Lehrkörper der Schule gehört und vor allem die theoretische Ausbildung übernimmt. Doch mit dieser steht es nach Ansicht Heckls nicht mehr zum besten, seit eine Novellierung des Ausbildungsrahmenplans ansteht. Damit sei zwar das an sich sinnvolle Anliegen verbunden, ein moderneres Berufsbild für Köche zu entwickeln und ihnen nach der Ausbildung ein breiteres Betäti gungsfeld zu eröffnen, doch die Hinführung zur kreativen Kochkunst leide darunter. Heckl fürchtet mittelfristig ein Sinken des Niveaus
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und sieht am Horizont Nachwuchssorgen für die gehobene Gastro nomie. Damit öffnet sich aber auch eine "Nische", in die Wewer und Heckl mit ihrer Initiative vorstoßen wollen: die Aus- und Fortbildung von Profis und ambitionierten Hobbyköchen. Im Januar als Gesellschaft bürgerlichen Rechts von Heckl und Wewer gegründet, hat die Kochkunstschule inzwischen ein Kursusprogramm entwickelt. Neben zweitägigen Schulungen für die "Profiklasse" gibt es im Frühjahr und Herbst ebenfalls zweitägige "Fun-Kurse" unter dem Titel "Einfach kochen mit Spaß". Kein billiger Spaß zwar, dafür werden den maximal zehn Teilnehmern im professionellen Rahmen der Geisenheimer Lehrküche theoretische Kenntnisse und handwerk liche Fähigkeiten vermittelt. Dazu gibt es ein umfangreiches Hand buch und ein Abschlußmenü mit Gästen. Wie man Fleisch rosa brät und Zwiebeln fein hackt, ist für die Absolventen kein Geheimnis mehr. Sie werden überdies in den Kreis der "Tafelfreunde" aufge nommen, die regelmäßig zu "Koch-Events" eingeladen werden. Aus diesem Kreis, den Genuß und Freude am Kochen eint, rekrutierten sich auch die Hobbyköche, die unter Anleitung von Heckl im Rahmen der "Glorreichen Rheingau Tage" ein Festmenü in Schloß Reinharts hausen zusammengestellt haben. Wen ein zweitägiger Kursus zögern läßt, der kann einmal monatlich einen eintägigen Kursus "Appetit auf Kochen mit Spaß" buchen, der sich zuletzt den Themen Pilze, Mee resfrüchte, internationale Trendküche, Pasta, Sushi und Spargel widmete - und den Erfolg beim Nachkochen in der häuslichen Küche garantiert. "Das Handwerkliche kann man in keinem Kochbuch lesen und daraus lernen", glaubt Wewer. Schließlich sehen sich er und Heckl als Botschafter einer leichten, einfachen regionalen Küche. Den Wirten der rund 100 Gutsschänken und ebenso vielen Straußwirtschaften in der Region bieten sie des halb einen Kursus "Winzerküche" an: Dabei soll den Teilnehmern gezeigt werden, wie man mit einfachen Mitteln das Speisenangebot zum Wein lukullisch und kreativ erweitern kann. Einkauf, Bezugs quellen, Kalkulation, Zubereitung und Präsentation gehören zum Un terrichtsstoff. Etwa 30 Rezepte haben sich Heckl und Wewer ausge dacht, um Anstöße zu geben, den Rheingau-Besuchern mehr als nur "Spundekäse" und "Wisperforelle" zu kredenzen. Die Qualität in der Küche, so Heckl, "soll sich der Qualität im Weinkeller anpassen". Der Start der Kochkunstschule war laut Wewer verheißungsvoll, aber "wir testen uns noch am Markt". Die Unterstützung der Kultur- und
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Tourismus GmbH hat das Duo schon, noch wichtiger aber wäre die Anerkennung der Industrie- und Handelskammer. Erste Gespräche seien geführt worden, schließlich gebe es insbesondere bei den Profi köchen eine Lücke bei der Aus- und Weiterbildung zwischen Gesel lenausbildung und Meisterkursus: "Das Defizit ist groß, und der Be darf ist hoch." OLIVER BOCK
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Kulinarische Bibliographie Buchempfehlungen, Internetlinks und ein kleines Küchenregister
Meisterliche Rezepte für ehrgeizige Laien
Wer je in einem Spitzenrestaurant zu Gast war, kennt dieses Gefühl: eine Mischung aus Begeisterung und Verzweiflung. Die Begeisterung gilt der Kunstfertigkeit, mit der begnadete Köche die unterschiedli chen Produkte zu einem unvergeßlichen Gericht zusammenfügen. Und die Verzweiflung resultiert aus der Gewißheit, so etwas am eige nen Herd niemals zustande zu bringen. Aber ist es wirklich zwecklos, den Winklers, Wisslers und Santinis nachzueifern? Sagen wir mal so: Wer sich keine Ziele setzt, wird auch nichts erreichen. Und so hoffen auch die kulinarischen Großmeister auf den Ehrgeiz der Laien, um ihnen ihre Kochbücher zu verkaufen. Wenn es auch damit nicht im mer klappt - Inspiration und praktisches Wissen vermitteln diese Werke allemal. Unser Autor Jürgen Dollase hat die besten der neuer schienenen Meisterkochbücher unter die Lupe genommen. Kulinarisches Neuland Zu den großen Kreativen der Kochwelt gehört Michel Bras. Sein hy permodernes Restaurant liegt in der Nähe des für seine Messer be kannten Ortes Laguiole einsam auf einem Hochplateau. Bras' Küche kann man nur als extrem individualistisch bezeichnen: angefangen bei ungewöhnlichen Pflanzen über ungewöhnliche Akkorde ("Wild lachs mit Pinienzweigen") bis hin zu völlig unüblichen Fonds als Grundlage seiner Saucen. Nachkochen läßt sich das alles freilich nur in Ausschnitten, was zählt, ist der Ideenreichtum. Dabei wird dem Leser vor Augen geführt, daß die Welt der Genüsse unendlich groß und vieles bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Bras. Editions du Rouergue, 272 Seiten, 59,80 Euro (in französischer Sprache), 69 Euro (in der englischen Fassung). Zutaten vom Wegesrand Man merkt Edouard Loubet an, daß der mittlerweile legendäre Kräu terkoch Marc Veyrat sein wichtigster Lehrmeister war. Die 80 origi nellen Rezepte zeichnen aber auch das gängige Bild von der Pro vence als einem Paradies auf Erden, wo man die guten Produkte
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buchstäblich am Wegesrand finden kann. Und so bereitet Loubet für seine provencebegeisterten Leser Dinge wie in Wacholder-Asche ge röstete Kartoffeln oder Langustinen mit Pflaumenblüten zu. Anstatt sich davon allzusehr beeindrucken zu lassen, könnte man dank des Buches auf die Idee kommen, daß auch wir unsere Hochwiesen und Almen haben und in jeder einigermaßen ländlichen Gegend jederzeit vieles entdeckt werden kann. Un printemps en Luberon. Hachette, 192 Seiten, 39,90 Euro (auf Französisch). Frische Klassiker Heinz Winklers "Meisterküche" ist zwar eine Gesamtschau auf das Lebenswerk unseres dienstältesten Drei-Sterne-Kochs, bei den Re zepten aber erstaunlich frisch und präsent. Die Klassiker sind leicht aktualisiert, und allerlei neue Ideen zeugen von ungebrochenem In teresse an der Arbeit. Die oft übersichtlichen Rezepte mit zum Teil wenig Zutaten sollte man vielleicht erst nach einem Besuch bei Wink ler angehen. Der Grund: Wie kaum ein anderer bringt er Sachen mit wenigen Elementen auf den Punkt. Hat man sich davon ein Bild ge macht, ist gerade Winkler ein außergewöhnlich guter Lehrmeister für die Arbeit am eigenen Herd. Heinz Winklers Meisterküche. DuMont, 255 Seiten, 55 Euro. Nicht ohne meine Schwiegermutter "Nadia Santini ist die italienische Mama, von der die ganze Welt träumt", hieß es einmal. Die Drei-Sterne-Köchin bekennt sich nach wie vor zu einer verfeinerten, aber durch und durch traditionell ver wurzelten Küche von teilweise erstaunlich geringem Schwierigkeits grad. Wie immer, wenn es simpel wird, müssen aber alle Details stimmen, also vor allem die Qualität der Produkte. In diesem Fall hieße das zum Beispiel: eine mit Eiern von eigenen Hühnern gesät tigte Pasta, und zwar handgemacht von Nadia Santinis Schwieger mutter. Nur Mut! La grande cuisine italienne de Antonio et Nadia Santini. Editions Fav re, 165 Seiten, 39,90 Euro. (In französischer Sprache.)
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Kontrastprogramm:
Rochen im Artischockensud und Tafelspitz auf Rahmspargel
Der Zwei-Sterne-Koch Hans Stefan Steinheuer von "Steinheuers Re staurant" in Bad Neuenahr-Ahrweiler präsentiert nicht nur die teil weise recht komplexen Gerichte - etwa Rochen im Artischockensud mit Kalbskopf und mediterranem Gemüsecoulis - aus seinem Gourmet-Lokal, sondern auch Regionales aus dem kulinarischen Pro gramm seiner "Poststuben" ("Kalbstafelspitz auf Rahmspargel") so wie einige Gerichte unter der treffenden Überschrift "Einfach und genial". Die Verbindung von klassischer Basis und modernen Details (erwähnenswert sind vor allem die variantenreichen Texturen) liegt gut im Trend. Etwas mehr Erläuterungen zu den Produkten und zum Aufbau der Gerichte wären allerdings sinnvoll gewesen. Steinheuer - Das Kochbuch. Collection Rolf Heyne, 191 Seiten, 35 Euro. Inspirierte Rustikalität Joachim Wissler, vom Gault-Millau zum "Koch des Jahres 2003" er nannt, ist nicht nur ein guter, sondern vor allem ein interessanter Vertreter seiner Zunft - mit der richtigen Mischung aus Kreativität und hochentwickelter Technik. Insofern eignen sich seine Kreationen mit ihren oft sehr vielen Elementen eher zum Studium als zum Nachmachen, wobei man durchaus auch nur auf Einzelheiten zurück greifen kann. Die Rezepte sind jedenfalls ein Quell der Inspiration und schaffen ganz nebenbei eine deutliche Verbindung zur französi schen Spitzenküche im Ducasse-Stil, also einer verfeinerten Rustika lität ("Marinierte Steinpilze mit geschmortem Schweinekinn"), die ausdrücklich nicht nur die üblichen Luxusprodukte verwendet. Joachim Wisslers Sterneküche. DuMont, 168 Seiten, 29,90 Euro. Die Trüffel unter der Erde Selten ist der deutsch-englisch-amerikanische Traum vom Häuschen in Bella Italia so einfühlsam demontiert worden wie in diesem Buch. Wie seinerzeit in der Toskana kaufen sich die Fremden mittlerweile in Umbrien ein und treiben die Preise in die Höhe; setzt sich die Ent wicklung fort, dürfte die Region in absehbarer Zeit ausverkauft sein.
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Natalie John gelingt es, das Traumland ohne Verklärung darzustellen, ihr Realismus schlägt den Leser in seinen Bann. Zum Beispiel der Wein: Nicht nur was die Utensilien angeht, ist die Produktion des roten Saftes alles andere als romantisch. Natalie John schuftet mit Ernesto im Weinberg, gräbt mit Franco und Trüffelhund Berlusconi nach Umbriens schwarzem Gold, flirtet mit Matteo, Barmann im Caffè Sandri von Perugia, ist für eine Woche "Nonne auf Zeit" hinter Klos termauern. Ihre Geschichten sind persönlich und zugleich charakte ristisch für den umbrischen Alltag. Und: Sie sind gut erzählt. Stilsi cher und mit einem Blick für sprechende Details, nicht ohne Empa thie, doch mit - was sich keineswegs ausschließt - der für klare Ana lysen notwendigen Distanz. Ein Buch, das die Italien-Sehnsucht stillt, sie aber auch zu wecken vermag. "Franziskus, die Winzer und der Trüffelhund: Umbrische Genüsse" von Natalie John. Erschienen in der Reihe "Picus Lesereisen". Picus Verlag, Wien 2002. 131 Seiten. Gebunden, 13,90 Euro. ISBN 385452-756-X. Der Fischsauce Zähmung Konvertiten sind oft die Radikalsten unter den Gläubigen, leiden schaftlicher und kompromißloser als alle anderen. Der australische Koch David Thompson, der in der klassischen französischen Haute Cuisine ausgebildet und dann zur thailändischen Küche bekehrt wur de, macht da keine Ausnahme. Er ist ein Fanatiker. Das ist ein gro ßes Glück. Denn nur Menschen mit seiner bedingungslosen Hingabe können ein solches Buch schreiben, das eine enzyklopädische Liebes erklärung an die Küche Siams ist. Thompson, der als erster Chef ei nes Thai-Restaurants überhaupt einen Michelin-Stern bekommen hat, ist ein glühender Verfechter und Restaurator der traditionellen thailändischen Kochkunst, die in den vergangenen Jahrzehnten durch plumpe Modernisierungen und stümperhafte Adaptionen viel von ih rem Glanz verloren hat - das weiß jeder, der jemals "Gebratenen Reis mit Tomatensoße" essen mußte, eine schauderhafte Erfindung, die sich die Thailänder auf dringenden Wunsch erholungssuchender amerikanischer Soldaten während des Vietnam-Kriegs einfallen lie ßen. Thompson fängt ganz vorne an, rekapituliert die politische und kulinarische Geschichte Thailands in den vergangenen zweitausend Jahren, doziert über Kultur und Eßsitten am Königshof, widmet ein
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ganzes Kapitel dem Reis und erklärt, warum die Küche fremde Ein flüsse aufnehmen und sofort integrieren kann, so daß Neues schon nach kurzer Zeit autochthon wirkt. So geschah es mit dem Chili, den die Portugiesen nach Thailand brachten und der dort begeistert in den Wok geworfen wurde. Bis hingegen die Europäer ihren Schre cken vor der Tomate verloren, verstrichen Jahrhunderte. Man lernt, daß die Begeisterung für die Nationalküche auch vor den Königen nicht haltmachte und Ramas II. Hobby das Verfassen von Gedichten zu Gerichten war; marinierte Garnelen mit geraspeltem Ingwer und Kaffirlimettensaft inspirierten ihn hierzu: "Der Geschmack dieses Ge richts / erinnert mich / an den süßen und endlosen Schmerz / wenn du gehst." Und man erfährt, daß die siamesische Kochkunst größten Wert auf die Ausgewogenheit der vier Geschmacksnuancen süß, sau er, scharf und salzig legt und fermentierte Fischsauce, vor deren Ge stank die meisten Menschen davonlaufen, mit Kokos, Zitronengras oder Bambus zähmt. Daß die thailändische Küche sehr frei ist, stellt man spätestens bei den Hunderten von Rezepten fest. Jeder kann mehr oder weniger machen, was er will, die Anleitungen sind knappe Stichwörterreihungen, manchmal lautet eine Anweisung lapidar: "In mäßig heißem Öl goldbraun frittieren, bis es duftet." Welche Wunder so entstehen, sollte man unbedingt ausprobieren. "Thai Food" von David Thompson. Collection Rolf Heyne, München 2002. 672 Seiten, zahlreiche Farbfotografien. Gebunden, 75 Euro. ISBN 3-89910-182-0. Wie es euch schmeckt Es gibt Gründe dafür, daß die afrikanische Küche nicht unbedingt Weltruf genießt. Der offensichtlichste ist: Es existiert keine afrikani sche Küche. Wie könnte das auch sein. Der Kontinent ist riesig und ungemein vielfältig an Pflanzen und Tieren, die sich zum Essen eig nen. Dazu kommen die Einflüsse von außen: aus dem Arabischen, aus Asien, und vor allem aus Europa. Die Alte Welt der Eßkultur do miniert vor allem am Kap, wo man es sich leisten kann, international renommierte Köche zu beschäftigen. Die Küche in Südafrika, deren Einflüsse ins ganze südliche Afrika reichen, bis hinauf zu den großen Regenwäldern, ist vom Geschmack der Weißen dominiert: viel Fleisch und Fisch, vornehmlich aus einheimischer Fauna. Hingegen kommen Gemüse und Gewürze, wie sie an den Feuerstellen der schwarzen Völker zubereitet werden, eher als aromatische Farben vor. Kurzum:
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Die Küche im südlichen Afrika, wie sie in den Restaurants der Groß städte, aber auch in den luxuriösen Buschcamps für Touristen zube reitet wird, ist nicht unverwechselbar. Anders verhält es sich abseits der touristischen Pfade, dort wird man auch auf kulinarische Überra schungen stoßen. Schon deshalb ist dieses Buch mit seinen 160 Kochrezepten eine Bereicherung: als Einladung mitten hinein ins afri kanische Leben. Wie Zeremonienmeister stehen prächtige Land schaftsfotos am Anfang der Kapitel über die regionale Küche. Die Autorin, Redakteurin einer südafrikanischen Zeitschrift für schwarze Frauen, hat sich bei ihrer Auswahl auf die untere Hälfte des Konti nents konzentriert, mit Seitenblicken in den Westen (Ghana, Sene gal), nach Osten (Kenia, Sansibar) und auf den Maghreb. Die prakti schen Hinweise freilich sind kaum brauchbar. Viele Zutaten wird man bei uns nur mit Mühe oder überhaupt nicht bekommen - wo etwa gäbe es Mopanewürmer zu kaufen? -, zudem ist es oft so, daß die Mengenangaben jeder Grunderfahrung beim Kochen widersprechen. Wenn sich etwa sechs Personen ein Hähnchen als "Chicken Masala" teilen sollen, geht man danach wohl besser noch woanders essen. Beläßt man es hingegen beim Blättern in den Rezepten, kann man immerhin nachlesen, was einem in Afrika alles vorgesetzt wird. Sei nen eigentlichen Wert hat dieses Buch somit als kulinarische Über setzungshilfe. "Die Küchen Afrikas" von Dorah Sitole. Christian Verlag, München 2002. 144 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen. Gebunden, 19,90 Euro. ISBN 3-88472-510-6. Eklektizistisch Man muß schon eine innige Liebe zum Bajuwarischen schlechthin hegen, um bei Alfons Schuhbecks Verniedlichungen nicht in breites Grinsen zu verfallen. "Haxerlsülze", diverse "Tascherl" und - Gipfel des Eklektizismus - "Oktopusgröstl" sind in der zweiten Folge seiner "Hausmannskost für Feinschmecker" zu finden. Mit Mutterns Gemüse in Mehlschwitze hat Schuhbecks Hausmannskost indes rein gar nichts zu tun. Er hat sich einiger - häufig bayerisch-österreichischer - Klas siker angenommen, die er behutsam verfeinert und modernisiert. Die meisten Gerichte aus der Fernsehküche des Bayerischen Rundfunks beinhalten oftmals unterschätzte regionale Produkte und sind von mittlerem Schwierigkeitgrad: gutbürgerliche Küche im allerbesten Sinne. Manche Rezepte erfordern zwar eine Menge Zeit, das Ergebnis
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aber lohnt allemal. Außerdem hat Schuhbeck Erbarmen mit Genie ßern, die nicht lange in der Küche stehen wollen: "Obatzda" mit Bir nenwürfeln oder Rotbarschfilet in der Brotkruste mit Mangoldgemüse sind ebenso flott nachzukochen wie raffiniert. Ohne Scheu vor starken Aromen und kräftigen Gewürzen wildert Schuhbeck auch im Mediterranen, schlägt köstliches Fenchel-ApfelRisotto vor oder deftige Rigatoni mit Endivien, Kürbis und Käsekrai nern. Dabei regiert der reine Lustgewinn - das Wort "Kalorie" scheint Schuhbeck nicht zu kennen. Alfons Schuhbeck: "Noch mehr Hausmannskost für Feinschmecker". Zabert und Sandmann Verlag, 136 Seiten, 14,95 Euro. Qualität ist das beste Rezept Kennen Sie Cassola? Jambalaja? Lombok? Wissen Sie, was deglacieren, degorgieren, degraissieren oder dekantieren bedeutet? Suchen Sie das Rezept von Coq au vin, Confit de canard oder Coquilles Saint-Jacques à la nage? Antworten auf diese und viele andere Fragen gibt das "Küchen lexikon". Der Verfasser Erhard Gorys, Kunstgeschichtler und Rechtswis senschaftler zugleich und als Fachmann ausgewiesen durch Bücher wie "Die Kunst, eine Speisekarte zu lesen" oder die Kunst-Reiseführer "Hei liges Land" und "Der Jakobsweg nach Santiago de Compostela", hat mit diesem Küchenwerk eine beeindruckende Fleißarbeit abgeliefert. Und er weiß, warum. Wir reisen um die Welt, werden beispielsweise in Italien gefragt, ob wir noch etwas mehr Oregano oder Origano für die Suppe wünschen, lassen uns irritieren, geraten womöglich in eine überflüssige Diskussion, weil wir das Gewürz nicht gleich unserem gewöhnlichen Ma joran zuordnen können. Von den Aachener Printen, der noch leidlich be kannten Lebkuchenart, bis hin zum Zwischenrippenstück, das in Frank reich als Entrecôte auf der Karte steht, geben mehr als achteinhalbtau send Stichwörter sinnvolle Erklärungen für Bekanntes und Unbekann tes, für Lebensmittel, Gewürze, Kräuter, exotische Früchte und Gemü se. Das "Küchenlexikon" liefert nach eigenen Angaben viertausenddrei hundert Grundund Spezialrezepte, vor allem aber die wesentlichen und oft unterschiedlichen Bezeichnungen der internationalen Küche. So wer den ebenso die Verehrer der Haute Cuisine angesprochen wie die Freun de von regionaler Hausmannskost und weltweiten Länderküchen. Ein Buch für die Reise ist es damit allemal, ob für davor oder danach, even tuell auch für die Lektüre am Strand. Nur eines wird dieses "Küchenle
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xikon" nicht leisten können: daß wir uns künftig beim Essen nicht mehr über das Essen streiten. "Das neue Küchenlexikon" von Erhard Gorys. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001. 638 Seiten, 40 Schwarzweißtafeln von Peter Schimmel. Broschiert, 12,50 Euro. ISBN 3-423-36245-6. Europa Von manchen guten Sachen kann man nicht genug bekommen. Dazu gehören offenbar auch Bücher über Küche und Keller und Südtirol sowie die Gasthäuser, in denen "Speckknödel, Schlutzkrapfen, Gamsgoulasch und Hirschcarpaccio, dazu ein fruchtiger Magdalener oder ein kräftiger Lagrein" in bester Qualität serviert werden. An Klischees, abgegriffenen Formulierungen aus der Werbesprache, Wiederholungen und Über schneidungen ist kein Mangel. Doch weil das Thema sympathisch ist, greift man immer wieder gern zu. Das gilt auch für den vorliegenden, nobel ausgestatteten Band, bei dem sich allerdings die Frage stellt, ob der ansehnliche Preis für eine Auswahl von fünfzig Gasthäusern in Tirol und weiteren sechzehn im benachbarten Trentino noch angemessen ist. Über die Auswahl läßt sich wie immer streiten, im wesentlichen ist sie auf dem aktuellen Stand. Aufschlußreich das Schlußkapitel "Empfohlene Weingüter"; auf diesem Gebiet hat sich in der Region wirklich viel ver ändert - zum Besseren. Empfohlen werden kann das Buch allemal all denen, die noch keines zum Thema besitzen. "Die schönsten Gasthäuser in Südtirol - mit Bewertung von Küche, Wein und Ambiente" von Peter Peter. Collection Rolf Heyne, München 2001. 260 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 28 Euro. ISBN 3-453-19425-X. Deutschland Es ist erfreulich, wenn es nicht nur einen namhaften Guide für deut sche Weine gibt. Neben dem bewährten "WeinGuide" von "Gault Mil lau" erscheint in diesem Jahr zum zweiten Mal "Der Feinschmecker Wein Gourmet". Er ist nach den deutschen Weinregionen geordnet und stellt zweihundertvierzig Winzer auf einer oder zwei Seiten ausführli cher vor. Man erfährt etwas über die Geschichte des jeweiligen Wein guts, über die Pflege der Weinberge und über das Rezept bei der Kel lerarbeit. Jeder Winzer wird für seine Gesamtleistung mit zwei bis fünf "F" bewertet, und am Ende werden jeweils drei Weine empfohlen:
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entweder Weißweine des Jahrgangs 2000 oder Rotweine des Jahr gangs 1999. Bislang gelingt es dem "Feinschmecker Wein Gourmet" allerdings kaum, gegenüber dem "WeinGuide" von "Gault Millau" Vor züge zu entwickeln, sei es durch Umfang, sei es durch Erkenntnisse. Die höchsten Bewertungen werden großzügig vergeben: einundzwan zig Winzer erhalten fünf "F", während der "Gault Millau" nur sieben Winzern die höchste Auszeichnung von fünf Trauben gewährt. Es ist bedauerlich, daß der "Feinschmecker" selbst die wenigen Weine, die er je Weingut hervorhebt, nicht näher bestimmt. Das neuere Nachschla gewerk huldigt dem Zeitgeist, sofern die analytische Schärfe der Vor liebe für das Bildhafte und Bunte weicht. Das Buch wirkt freundlich, denn auf fast jeder Seite erblickt man lächelnde Winzer. Doch dem Käufer, der eine Flasche zu Hause entkorkt, nützt ein strahlender Win zer wenig. Besser bezahlt macht sich der Zug zum Bildhaften in "Der Feinschmecker Guide 2002 Hotels & Restaurants". Wenn der Gast in einem Lokal sitzt, bestimmt ja nicht nur das Essen, sondern auch der Raum, wie wohl man sich fühlt. Einige der Hotels und Restaurants werden in Bildern gezeigt, und der Leser kann sich eine gewisse Vor stellung machen, welche Atmosphäre die Häuser ausstrahlen. Mancher Gast wünscht nicht unbedingt ein exklusives Essen, sondern ein be sonderes Flair. So hebt der "Feinschmecker" neben den "besten Kö chen" auch die "besten Trend-Restaurants" hervor, die sich durch "moderne Küche, entspannten Service und unverwechselbares Design" auszeichnen, und es gibt die Kategorie "die besten Ambiente-Hotels". Neu ist in diesem Jahr die Rubrik "Die aktuellen Szenelokale" in den Großstädten. Natürlich wird nicht erörtert, was ein Szenelokal aus zeichnet oder welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um ein sol ches zu werden, aber man sieht viele bunte Bilder. Ein "Michelin" ver zichtet auf Bilder und Beschreibungen, geizt mit Sternen und macht sie dadurch um so wertvoller. Ein "Gault Millau" erspart sich ebenfalls Bilder, begründet aber seine Urteile und nennt das Kind beim rechten Namen. Im "Feinschmecker" bleiben die Texte kurz und bündig, ohne in der Regel jemanden weh zu tun. Man ist in der Welt von Design und guter Laune angekommen. "Der Feinschmecker Wein Gourmet. Die besten Weingüter in Deutsch land 2002". Gräfe und Unzer Verlag, München 2001. 384 Seiten, zahl reiche Abbildungen. Gebunden, 20,40 Euro. ISBN 3-7742-0053-X. "Der Feinschmecker Guide 2002 Hotels und Restaurants". Gräfe und Unzer Verlag, München 2001. 592 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 25,51 Euro. ISBN 3-7742-0189-7.
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Internetlinks für Feinschmecker Weiterführende Links zu nützlichen und informativen Internetseiten aus der Welt des feinen Geschmacks: Reiseführer für Feinschmecker
"Der" Gourmetführer im Internet.
http://www.gaultmillau.de/gmd/index.php3
Kochrezepte-Datenbank Eine der größten Kochrezepte-Sammlungen im Internet. Mit Diskus sionsforen zu allen Aspekten des Kochens, einer Tauschbörse für Urlaubsrezepte und einer Pannenhilfe für Mißgeschicke am Herd. http://www.chefkoch.de/ Wahre Genießer Deutsche Webseiten der Slow-Food-Bewegung zur Bewahrung kuli narischer Traditionen. http://www.slowfood.de Kochkurse Eurotoques, die Vereinigung europäischer Spitzenköche, informiert auf ihren Internetseiten über Kochkursangebote und Geschmacks schulungen. http://www.eurotoques.de/ Gourmetfestival Der Internetauftritt des Gourmetfestivals in St. Moritz informiert über das bevorstehende Programm, und bietet auch die Möglichkeit, Kom plettarrangements zu buchen. http://www.stmoritz.ch/gourmetfestival/pgs/core.php A la carte Dieses besondere Gastronomie-Forum beantwortet alle Fragen zur Geschichte und zum Aufbau von Speisekarten. http://www.speisekarten-seite.de/menu/history/index.html Hier fliegt der Koch
Mit Johann Lafer und einem Hubschrauber zu Gourmettrips abheben.
Diese Interseiten zeigen wie es geht.
http://www.heligourmet.de/
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Kleines Küchenregister
Dolmetscher für Gourmetreisende Blanchieren Garmethode, bei der das Kochgut zunächst in kochendem Wasser zieht, und danach mit Eiswasser abgeschreckt wird. Dadurch behält es seine Farbe, bleibt bißfest und länger haltbar. Bouillon Bezeichnung für eine klare Brühe. Consommé Bezeichnet eine besonders gehaltvolle Bouillon Entrecôte Zwischenrippenstück vom Rind. Farce Feingehacktes oder püriertes Fleisch für Parfaits oder Pasteten. Gardemanger Im Rahmen der Aufgabenteilung in einer großen Küche sind die Gar demangers zuständig für die Kaltspeisen. Hors d'œuvre Französische Bezeichnung für eine warme oder kalte Vorspeise. Infusion Überbrühen von Gewürzen und Kräutern, um dadurch die feinen aromatischen Extrakte herauszulösen. Julienne In feine Streifen geschnittenes Gemüse. Jus Bezeichnung für einen feinen Bratensaft. Kuvertüre Schokoladenglasur zum Überziehen von Backwaren.
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Ossobucco Geschmorte Kalbshaxenscheiben. Passieren Gegartes Kochgut durch ein Tuch oder Sieb streichen. Parfait Feine, gebundene Farce, beispielsweise aus Hummerfleisch. Manch mal auch in Form eines Eisparfait mit gefrorener Speiseeismasse aus Eigelb, steifgeschlagenem Eiweiß, Aromazutaten und Sahne. Reduzieren Das Einkochen einer Soße bis zur gewünschten Bindung. Rillettes Schweine-, Geflügel- oder Kaninchenfleisch, das so lange in Schmalz gelagert wird, bis es sich in Fasern auflöst und eine Art Pastete bil det. Eine beliebte französische Vorspeise. Sommelier, Sommelière Weinfachmann/frau in der gehobenen Gastronomie, zuständig für Einkauf, Lagerung und Pflege der Weine sowie für die Beratung der Restaurantgäste. Souflée Feiner Auflauf mit untergeschlagenem Eischnee. Tranche Eine Schnitte von gekochtem oder gebratenem Fleisch. Zabaione Abgeschlagene Eiersauce mit Wein. In Italien auch eine Bezeichnung für eine Cremespeise aus Ei, Zucker und Marsala, einem Aperitif- und Dessertwein. zusammengestellt vom
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